Kautschuk und Arbeit in Kamerun unter deutscher Kolonialherrschaft 1880-1913 [1 ed.] 9783412526481, 9783412526467

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Kautschuk und Arbeit in Kamerun unter deutscher Kolonialherrschaft 1880-1913 [1 ed.]
 9783412526481, 9783412526467

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Kautschuk war das wichtigste Exportprodukt Kameruns. Um 1900 steckte

zwischen 1890 und 1913 einen globalen Kautschukboom aus, der auch die deutsche Kolonie Kamerun prägte. Dieses Buch ist die erste Studie, die die tatsächlichen Arbeitsbeziehungen in einer afrikanischen Kautschukökonomie analysiert. Das koloniale Geschäft mit Kautschuk war, wie diese Untersuchung zeigt, keineswegs nur auf Zwang und Gewalt gebaut. Viele Afrikanerinnen und Afrikaner ergriffen die Chance auf soziale Mobilität, die ihnen die Nachfrage nach Kautschuk und Arbeitskräften eröffnete, und europäische Unternehmen konnten auf eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Arbeitsformen zurückgreifen. Was entstand, war eine koloniale Arbeiterschaft, die die europäischen Arbeitgeber wie auch die afrikanischen Gesellschaften herausforderte.

Tristan Oestermann ist derzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Afrikanische Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Tristan Oestermann

KAUTSCHUK UND ARBEIT IN KAMERUN UNTER DEUTSCHER KOLONIALHERRSCHAFT 1880–1913

Tristan Oestermann

Gegenständen des Alltags. Die starke Nachfrage nach diesem Rohstoff löste

KAUTSCHUK UND ARBEIT IN KAMERUN UNTER DEUTSCHER KOLONIALHERRSCHAFT 1880–1913

Kautschuk bzw. Gummi weltweit in Dichtungen, Reifen, Kabeln und zahlreichen

INDUSTRIELLE WELT Band 102 ISBN 978-3-412-52646-7

iw_oestermann r fin.indd 1,3

25.10.22 17:13

Industrielle Welt Schriftenreihe des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte Herausgegeben von Ulrike von Hirschhausen und Frank Bösch

Tristan Oestermann Kautschuk und Arbeit in Kamerun unter deutscher Kolonialherrschaft 1880–1913

Tristan Oestermann

Kautschuk und Arbeit in Kamerun unter deutscher Kolonialherrschaft 1880–1913

BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein, der FAZIT-Stiftung in Frankfurt am Main sowie des Käte Hamburger Kollegs Arbeit und Lebenslauf in globalgeschichtlicher Perspektive (re:work). Zugleich Dissertation an der Philosophischen Fakultät der HumboldtUniversität zu Berlin (Dekanin: Prof. Dr. Gabriele Metzler) im Jahr 2021. Gutachter: Prof. Dr. Andreas Eckert, Prof. Dr. Peter Geschiere und Prof. Dr. Joël Glasman. Datum der Verteidigung: 9. Februar 2021.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2023 Böhlau, Lindenstraße 14, D-50674 Köln, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress und Wageningen Academic. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: © Zentrales Provinzarchiv der Pallottiner. Originale Bildbeschriftung: „Lastenträger, die Rast machen, wahrscheinlich an der Kribi-Jaundestraße, u. wie es scheint, handelt es sich um Jaundeleute, da sie ihre Lasten in Kiepen auf dem Rücken tragen und nicht auf dem Kopf.“ Nach 1900. U4a-190909-09. Korrektorat: Sara Horn, Düsseldorf Umschlaggestaltung: Guido Klütsch, Köln Satz: le-tex publishing services, Leipzig Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-52648-1

Inhalt

Verwendete Abkürzungen......................................................................

9

Danksagung ......................................................................................... 11 1. Einleitung ........................................................................................ 15 2. Karawanenhandel der Küstenfirmen, 1889–1902 ............................ 2.1 South Coast: Handel, Herrschaft und Arbeit in Südkamerun, ca. 1800–1890 ........................................................ 2.2 Innovation und Gewalt: Kautschukhandel in Südkamerun .............. 2.3 Die Gummisucher: Arbeit und Arbeitskräftemobilisierung in Südkameruns Kautschukproduktion, ca. 1890–1900 ................... 2.4 Vai-Boys: Arbeiterfrage, Karawanenarbeit und der westafrikanische Arbeitsmarkt ..................................................... 2.5 Trip-Trägerinnen und -Träger: Prekäre lokale Karawanenarbeit in Südkamerun ................................................. 3. Die Gesellschaft Süd-Kamerun, 1899–1905 ..................................... 3.1. Ein deutscher Kongo? Das Konzessionssystem in Südkamerun, 1898–1899 ............................................................. 3.2 Kickxia: Kautschukproduktion und -handel im GSK-Konzessionsgebiet .............................................................. 3.3 Träger und Ruderer: Die Mobilisierung von Transportarbeit durch die GSK .................................................... 3.4 Arbeitermacht: Streiks, Beschwerden und neue Gemeinschaften ......

45 45 86 130 155 203 257 257 290 326 366

4. Konflikte und Reformen, 1902–1914 ............................................... 393 4.1 Trade back: Afrikanisierung des Handels, 1902–1907 ...................... 393 4.2 Rubber Boom: Reform des Kautschukhandels und afrikanische Resilienz ................................................................. 444

6

Inhalt

5. Vertragsarbeit, ca. 1905–1914 ........................................................ 5.1 Monthly boys: Vertragsarbeit im Kautschukhandel ......................... 5.2 „Kautschuk ist Gold“: Kautschukplantagen und Vertragsarbeit......... 5.3 Ein Kautschukreich: Forstwirtschaftliche Kautschukproduktion im Eigengebiet der GSK, 1907–1914 ............. 5.4 „Ketch as ketch can“: Die Rekrutierung von Vertragsarbeit...............

487 487 509 559 604

6. Ausblick: Kautschukkrise, Mandatszeit und Battle for Rubber ............ 645 7. Schluss ........................................................................................... 663 Karten ................................................................................................. 675 Quellenverzeichnis................................................................................ Benutzte Archive und Sammlungen..................................................... Benutzte Online-Zeitungsdatenbanken ................................................ Interviewpartnerinnen und -partner in Kamerun.................................. Gedruckte Quellen ............................................................................

681 681 687 687 688

Literaturverzeichnis .............................................................................. 721

[W]hen I was seventeen I walked into the jungle, and when I was twenty-one I walked out. […] and by God I was rich. Arthur Miller, Death of a Salesman

Verwendete Abkürzungen

Abir AKAG BKH CCCI CCFC DKAG GNK GSK KA KHG KKC KLPG KWK KZK M NAHV NRP PGSK RF RKA SAB WAPB WAPV

Anglo-Belgian India Rubber and Exploration Company Afrikanische Kompanie AG Bremer Kolonial-Handelsgesellschaft Compagnie du Congo pour le Commerce et l’Industrie Compagnie de Chemin de Fer du Congo Deutsche Kautschuk-AG Gesellschaft Nordwest-Kamerun Gesellschaft Süd-Kamerun Kolonial-Abteilung Kamerun-Hinterland-Gesellschaft Kamerun-Kautschuk-Compagnie Kamerun Land- und Plantagen-Gesellschaft Kolonial-Wirtschaftliches Komitee Kautschuk-Zentralstelle für die Kolonien Mark Nieuwe Afrikaansche Handelsvennootschap Nyong Rubber Plantations Plantagengesellschaft Südkamerun République française Reichskolonialamt Société Anonyme Belge pour le Commerce du Haut-Congo Westafrikanische Pflanzungsgesellschaft Bibundi Westafrikanische Pflanzungsgesellschaft Victoria

Danksagung

An einem späten Nachmittag im Februar 2016 besuchten mein Freund Hervé Freedy Mpand Ndoum und ich in Lomié, im Südosten Kameruns, einen älteren Herrn. Onzolla Otcham François war 69 Jahre alt und trug ein braun-blau-gelbes Hemd zu entsprechender Hose. Kaum hatten wir ihm erzählt, dass wir uns für die Geschichte des Kautschukhandels interessierten, fragte der etwas kurz angebundene, aber herzliche Mann: Habt ihr den Baum, von dem man damals Kautschuk gewonnen hat, schon einmal gesehen? Tatsächlich hatten wir seit Wochen immer wieder unsere Gesprächspartnerinnen und -partner danach gefragt, doch entweder kannten sie kein Exemplar oder es wuchs zu tief im Wald. Onzolla Otcham ging mit uns in seinen Garten. Direkt hinter dem Haus standen zwei Bäume mit an der Wurzel kantiger und dunkler, dann aber nach oben hin glatter und hellgrauer Rinde, etwa 30 Zentimeter im Durchmesser. Es waren zwei Exemplare von Funtumia elastica, Kameruns Kautschukbaum. Beide waren mehrfach angezapft worden, die Rinde entsprechend vernarbt. Zur Demonstration hieb Onzolla Otcham mit seiner Machete in einen der Bäume – und langsam fing der Latex an, aus der Wunde zu fließen. Ich zerrieb ihn mit den Fingern und wirklich, er bildete sofort kleine Kautschuk-Kügelchen. Von einem jungen Baum schlug mir Onzolla Otcham einen Ast ab, damit ich mir die Blattform einprägen konnte. Unser freundlicher Gastgeber war praktisch veranlagt. Bei Bier und Kolanuss fragte er, ob wir jetzt wieder anfangen wollten mit dem Kautschukhandel. Er war nicht der erste, der diese Frage stellte. Wir verneinten und sagten, dass wir uns ausschließlich für diese unglaubliche Geschichte interessierten. Dies ist nur ein Beispiel für Begegnungen und Beziehungen, aus denen ich in den letzten Jahren sehr viel gelernt habe, ohne dass sie in einem wissenschaftlichen Buch Platz finden könnten. Es zeigt, dass viele Menschen dazu beigetragen haben, dieses Buch zu schreiben und abzuschließen, denen ich zu Dank verpflichtet bin. Mein Dank gehört zuerst meinen Betreuern: Andreas Eckert hat mich zu diesem Projekt ermutigt, es mit Rat und Tat begleitet und kräftig gefördert. Peter Geschiere half mir mit Quellenmaterial, mit seinen unbezahlbaren Kontakten in Kamerun, wertvollen Hinweisen beim Abfassen des Manuskripts und stets freundlichem Zuspruch. Aufgrund ihrer Unterstützung hat eine Reihe von Institutionen das Projekt finanziell gefördert. Ich danke dem Land Berlin, das die Arbeit mit dem Elsa-Neumann-Stipendium unterstützt hat; dem Leibniz Institut für Europäische Geschichte in Mainz, das mich trotz der nur vagen thematischen Verbindung mit Europa als Fellow willkommen hieß; dem DAAD, der meine Forschung in Kamerun sowie den USA gefördert hat; dem Goethe-Institut in Yaoundé, das

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Danksagung

mehrfach Reisen nach Kamerun finanzierte; sowie der FAZIT-Stiftung, die mir half, dieses Projekt abzuschließen. Die FAZIT-Stiftung sowie die Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften haben auch die Publikation durch ihre Förderung möglich gemacht. Großer Dank gilt zudem Ulrike von Hirschhausen, der Herausgeberin dieser Reihe, für ihr Engagement für dieses Buch. Bei der wissenschaftlichen Arbeit haben mich zahlreiche Menschen unterstützt. Eine solche Auflistung kann nie vollständig sein. Besonders aber danke ich Stefanie Michels, die mir die Chance gegeben hat, an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf zu lehren und zu forschen, Susanne Kuss, Birgitt Aschmann, Joël Glasman, Moritz von Brescius, Robert Moïse, David Zeitlyn, Félicitas Hentschke, Daniel Tödt, Jürg Schneider, Walter Nkwi, Enrique Martino, Ricardo Márquez García, Socpa Antoine, Antang Yamo, Caroline Authaler, Bernhard Gissibl, Kim Todzi, William Lyon, Lea Boergerding, Oscar Broughton, Ana Schveitzer, Alina Oswald und Yagmur Karakis. Für ihre Kommentare zu Zwischenständen danke ich Jürgen Osterhammel, Christoph Marx, Ralph A. Austen, Eric Allina und Johannes Paulmann. Zu Dank verpflichtet bin ich auch der unverzichtbaren Hilfe von Archivarinnen und Archivaren – unter anderem Caroline Six, Olembe Ester, Kathrin Enzel, Silke Seybold, Anja Zenner, Wolfgang Stein und Georg Adams, Claudia Blaue und weiteren, die mir Material zugänglich gemacht haben. Da dieses Buch auf zahlreichen Quellen beruht, die sich nicht in öffentlichen Archiven finden, gilt mein Dank auch den Unternehmen, Familien und Sammlern, die mir Einblick in ihre Unterlagen erlaubten. Besonders hervorzuheben ist die Firma C. Woermann GmbH & Co. KG. Ganz herzlich danke ich dem verstorbenen Detlev Woermann und seinem Sohn Rasmus Woermann für ihr Vertrauen. Volker Storck hat mich den Nachlass von Carl W. H. Koch nutzen lassen und mit Kopien und Fotos versorgt. Christopher Langheld gab Auskunft über den Nachlass von Wassy Langheld und schenkte mir weiteres Material. Eine besondere Begegnung war die mit Lázár Károly in Budapest. Er zeigte uns die Stadt und arbeitete mit mir im Museum in Érd am Nachlass von Kálmar Jenö. Laura Paschirbe hat großzügig die Übersetzung dieser Texte aus dem Ungarischen besorgt. Carsten Nordmann erlaubte mir, die Unterlagen seiner Firma zu nutzen. Susann Schneider stattete mich großzügig mit Abschriften der Tage- und Briefbücher von Emil Wichulla aus. Wolfgang von Stetten lud mich ein, im Familienarchiv in Künzelsau zu forschen. Reinhard von Schorlemer wiederum gewährte mir Zugang zu seiner genealogischen Sammlung und den Nachlasssplittern von Ludovic Pagenstecher. Die Familie van de Loo hat mich ebenfalls dankenswerterweise in ihr Familienarchiv gelassen. Ich danke zudem der Familie Zenker, besonders Jean Marcel und Nicolas Zenker, für die Nutzung einiger Unterlagen von Georg August Zenker, sowie Yana Vernicke und Jonas Feige für die Wiederherstellung des Kontakts. Ich bedanke mich bei Carsten Brekenfeld für die Chance, seine vorzügliche Privatsammlung einsehen

Danksagung

zu dürfen. Außerdem danke ich den vielen Interviewpartnerinnen und -partnern in Kamerun, die mir aus der Geschichte ihrer Familien berichteten. Ebenso gilt mein Dank noch einmal ausdrücklich all jenen, die sich die Zeit genommen haben, meine Anfragen zu beantworten – selbst wenn sich diese als tote Spur erwiesen oder letzten Endes keine Aufnahme in das Buch fanden. Ohne Freunde und Familie wäre ein Buch wie dieses, dessen Material an so vielen Orten verstreut liegt, nicht zu verfassen gewesen. Ich danke deshalb Cornelia und Andreas Sprenger, Şermin Güven, Joseph Kamte, Katrin Kuhlmann, Karoline Nuckel, dem verstorbenen Mekee Blaise und seiner Familie, meiner Schwester Sarah Oestermann-Köster, Marius Köster, Dennis Beckmann, Margit Djiango, den Schwestern Annie Salomé, Hérmine und Pélagie. Zahlreiche Menschen haben Kapitel gelesen und kommentiert. Hierfür danke ich, neben einigen, die ich bereits erwähnt habe, Michael Czollkoss, Sina Steglich, Frank Sgonina, Philip Gater-Smith, Stephan Menke, Ulrike Wiedersberg, Harald Rühl und Judith Scholz. Zu großem Dank verpflichtet bin ich für freundschaftliche Hilfe, Rat, viele heitere Stunden und ertragreiche Diskussionen in Deutschland wie in Kamerun: Hervé Freedy Mpand Ndoum, Uwe Jung, Christine Strothmann und dem Dachsranzen. Vor allem muss ich Falk Griemert danken, der zu alledem auch noch die Karten angefertigt und bei der Schlussredaktion geholfen hat. Nicht abgeschlossen hätte ich dieses Buch zudem ohne die Unterstützung von Michael Zeschky und Katja Wrobel. Auch meinen Eltern, Annette und Hubert Oestermann, sowie meiner Großmutter Christa Menke danke ich für ihre Hilfe und Unterstützung. Janina Rühl hat nicht nur die gesamte Arbeit gelesen und kritisch kommentiert, sondern mich durch die gesamte Lebensphase begleitet, in der das Buch entstand: Sie hat dafür gesorgt, dass ich das Wichtige im Leben nicht aus dem Blick verliere. Ihr gebührt deshalb der größte Dank.

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1.

Einleitung

Martin Paul Zampa lebt im historischen Gedächtnis in vielen Gestalten fort: als Führer und Dolmetscher, als Schutztruppensoldat und Kameruner Widerstandsheld.1 Geboren wurde er um 1873 in Konemaka im Bulu-Land,2 das wenige Jahre später Teil der deutschen Kolonie Kamerun werden sollte. Er wuchs aber als Sklave oder menschliches Pfand in Kribi an Südkameruns Küste auf.3 Als Jugendlicher begleitete Zampa 1887 Curt Morgen auf seiner Expedition ins Innere Kameruns. Zum Dank nahm dieser ihn 1891 mit nach Deutschland, wo Zampa Lesen und Schreiben lernte und eine militärische Ausbildung im Garde-Füsilier-Regiment in Berlin erhielt. 1894 kehrte Zampa nach Kamerun zurück, um als Feldwebel in der Schutztruppe zu dienen.4 Doch nachdem er jahrelang den Deutschen geholfen hatte, ihre Kolonie zu erobern, beendete er 1899 seinen Dienst. Nun begann ein Lebensabschnitt für Zampa, der bisher kaum bekannt ist: Er wurde Kautschukhändler. Am 6. Januar 1899 schrieb Zampa an seinen Mentor, den inzwischen geadelten Curt von Morgen: „Ich bekomme jetzt einige Stellung bei dem Firma Randad und Stein als schwarze Kaufmann“.5 In einem späteren Brief erklärte Zampa seinen Schritt: „Herr Major von Morgen, ich kann mehr doch nicht bekommen, bei dem Militär, ich habe genug mit gemacht mein ma [Name? – T. Oe.] ist über alle Länder in Afrika; Gold Medaillon und Silber Medaillon habe ich alle bekommen. und als Soldaten kann ich doch nicht verdient Geld.“6 Auch einem anderen Briefpartner erklärte er, warum er die Schutztruppe verließ: „[H]ier in Afrika ist auch nicht umsonst, sondern feste verdienen Geld“.7 Im Dienst der Schutztruppe konnte Zampa in der rassistischen kolonialen Ordnung nicht weiter aufsteigen. Deshalb übernahm er nun für Randad & Stein eine Faktorei genannte Handelsniederlassung im Inneren des südlichen Kameruns. Er wollte seine Verbindungen und Landeskenntnisse zu Geld machen – und so einen anderen Weg zum sozialen Aufstieg nutzen. Kameruns boomender Kautschukhandel bot ihm hierzu die Gelegenheit.

1 Zur Biographie Zampas (meist als Martin Paul Samba bezeichnet) vgl. Mbono Samba Azan 1976; Laburthe-Tolra 1978; Nitsch/Richarz 1991; Michels/Zeller 2008; Rich 2012b. 2 Vgl. BArch R 1001/4454, 134; Laburthe-Tolra 1978, 122; Virchow 1891, 281. 3 Laburthe-Tolra 1978, 97. Vgl. analog Milligan 1908, 160 f. 4 Vgl. Mbono Samba Azan 1976, 30–51. 5 BArch N 227/22, 6. Die Darstellung folgt der Original-Orthographie. 6 BArch N 227/22, 8. 7 NN 1899b, 343.

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Einleitung

Graphik 1 Kautschukexporte Kameruns in Kilogramm. 1899–1905 ohne Sangha-Ngoko. Quellen: Deutsches Kolonialblatt 5–25.

Graphik 2 Kautschukexporte der Kolonie Kamerun in Kilogramm und Mark. 1899–1905 ohne SanghaNgoko. Quellen: Deutsches Kolonialblatt 5–25.

Einleitung

Graphik 3 Anteil der Kautschukexporte am Wert der Gesamtexporte Kameruns in Prozent. 1899–1905 ohne Sangha-Ngoko. Quellen: Deutsches Kolonialblatt 5–25.

Kautschuk bzw. Gummi entwickelte sich während der deutschen Kolonialherrschaft zu Kameruns alles bestimmendem Handelsgut. Obwohl Kautschuk zu Beginn der deutschen Herrschaft noch gar nicht gehandelt wurde, war dieser bereits in den 1890ern das wichtigste Exportprodukt. Ab 1905 machte Kautschuk mehr als 50 Prozent des Wertes aller Exporte aus.8 Kameruns Kautschukhandel war auch von überregionaler Bedeutung: Ab 1911 war Kamerun der zweitwichtigste Kautschukexporteur Afrikas. 1913 produzierte es ein Sechstel allen afrikanischen Gummis.9 Mit Kautschuk, der vor allem aus den Regenwäldern im Süden der Kolonie stammte, ließ sich viel Geld verdienen. Deshalb zog eine große Zahl europäischer Firmen mit hunderten europäischen und tausenden afrikanischen Händlern wie Zampa in die Wälder Südkameruns. „Dann hier ist furchbar viel Gummi“, wie Zampa aus seiner Faktorei im Dorf des Familienoberhaupts Semikore im Yesum-Gebiet an von Morgen schrieb, „und sende ich jeden Monat runter nach den großes Factorei Herren Randad & Stein Jaunde als Herrn Paschen 200 Kessel Gummi.“10 Zampa verdiente ausgezeichnet als Kautschukhändler. 1905 erhielt er pro Monat 400 Mark.11 Zum Vergleich: 1895 verdienten Arbeitnehmerinnen und -nehmer in Deutschland in Industrie, Handel und Verkehr durchschnittlich 665 Mark – im Jahr!12 Stolz beschrieb Zampa von Morgen den Luxus, den ihm sein Geschäft

8 9 10 11 12

Vgl. Wirz 1972, 32 f. sowie Tabelle 2 und Graphik 3. Vgl. Whitford/Anthony 1926, 8 sowie Tabelle 3. BArch N 227/22, 9. Vgl. BArch N 227/22, 18. BPB 2012.

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18

Einleitung

ermöglichte: die Pferde, das Grammophon, die Diener und Dienstmädchen … „Meine Frau“, prahlte Zampa, „hat schöne lange Kleider und Schuhe wie die feinen Damen in Deutschland“.13 Gleichzeitig war der Handel gefährlich und konfliktreich – Zampa bat von Morgen um einen Karabiner und eine Kiste Patronen, „den hier ist in meine Factorei recht viel Palaver giebt“.14 Reichtum und Gewalt waren in Kameruns Kautschukhandel untrennbar miteinander verbunden. Um zu erklären, was dort vor sich ging, verglichen Europäer den Kautschukhandel mit einem Goldrausch, wie er im 19. Jahrhundert Kalifornien, Südafrika, Australien, Alaska und andere Orte erfasst hatte.15 Kautschuk war ein Stoff, den zwar jeder und jede in Europa benutzte, den aber kaum jemand im Rohzustand zu Gesicht bekam und unter dem sich deshalb die wenigsten etwas vorstellen konnten. Mit Metaphern stellten die Zeitgenossen deshalb einen Bezug zwischen Gummi und Gold her. Kautschuk wurde zum „Gold des Urwaldes“,16 die Regenwälder zu „Goldgruben“,17 einem „Goldbergwerk“, das „schnellen und reichen Gewinn versprach“,18 oder gar einem „Kautschuk-Klondyke“.19 Dadurch konnten sie erklären, wie sich europäische und afrikanische Glücksritter verhielten, die den „Lockungen des Goldes“20 erlagen und in die Kautschukgebiete zogen, „mit einem Drängen und Hasten, wie es sonst nur einem neuentdeckten Golddistrikt gilt“,21 aber auch das Verhalten der afrikanischen Bevölkerung, die angeblich glaubte, im Besitz einer Goldmine zu sein.22 Zampa beschrieb in seinen Briefen den Strudel von Profit und Gewalt, in den er sich hineinbegeben hatte. Worüber er aber kein Wort verlor, war die Frage, woher der Kautschuk, den er kaufte und an seinen Arbeitgeber lieferte, eigentlich kam. Wer produzierte den Gummi in den Regenwäldern? Nur wenig schrieb er über die Menschen, die den Kautschuk für ihn transportierten. Während der Einkauf von Gummi scheinbar kein Problem war, machte Zampa der Abtransport Sorgen. Nie gab es genügend Arbeitskräfte, um das gekaufte Produkt zur Depot-Faktorei in Jaunde und von dort zur Küste zu schaffen:

13 14 15 16 17 18 19 20 21 22

BArch N 227/22, 17. BArch N 227/22, 10 f. Für eine Globalgeschichte des Goldrauschs vgl. Mountford/Tuffnell 2018. BArch R 175-I/966, 65. Schlechter 1900f, 113. BArch N 2225/17, 88. NN 1905e, 293 f. NN 1905e, 293 f. Schultze 1912, 176. Vgl. Fraser 1900, 67.

Einleitung

nur die wenige träger habe ich hier, bloß 20 Weyboys, und 26 Bata Mabeas, also die Waaren ist mir hier so wenige, als zu tragen werden. Den vielleicht in nächsten Wochen werden der Bock Semikore mir 60 bis 70 träger geben als nach Jaunde schicken zu wollen.23

Zampa hatte folglich eigene Arbeitskräfte, die verschiedenen Gruppen angehörten, und hoffte auf Arbeiter, die ihm das Familienoberhaupt, in dessen Dorf sich seine Faktorei befand, überlassen sollte. Doch seine knappen Zeilen werfen mehr Fragen auf, als sie Antworten geben. In den Geschichten der atemlosen Jagd nach schnellem Geld, den Geschichten des Scheiterns und auch der Gewalt bleiben die konkreten Arbeitsbeziehungen, auf denen Kameruns Kautschukhandel beruhte, im Dunkeln. Dabei ist klar: Er benötigte eine immense Zahl von Arbeitskräften. Zehntausende Menschen zogen in die Regenwälder, um Lianen und Bäume anzuschneiden, Latex zu extrahieren und gerinnen zu lassen, um ihn dann an Händler wie Zampa zu verkaufen. Zehntausende marschierten monatelang auf engen Regenwaldpfaden für Händler wie Zampa und Firmen wie Randad & Stein durch das Land, auf dem Rücken mehr als 30 Kilogramm schwere Kautschuklasten, die sie zu den Hauptfaktoreien an der Küste trugen. Ihre Arbeit war die Grundlage für Kameruns Kautschukboom. Aber wer waren sie? Woher kamen sie? Warum übernahmen sie diese schweren Arbeiten? Über die Geschichte der Arbeitsbeziehungen des Südkameruner Kautschukhandels, wie die Geschichte der Arbeit in afrikanischen Kautschukökonomien allgemein, ist in der Forschung wenig bekannt. Dabei ist Arbeit ein wichtiges Thema der Historiographie zur deutschen Kolonialherrschaft in Kamerun. Bisherigen Studien zufolge beruhte die Arbeit im Handel wie die meisten Arbeitsbeziehungen auf Zwang. Louis H. Gann und Peter Duignan haben die koloniale Kameruner Wirtschaft entsprechend als „Economics of Coercion“ beschrieben.24 Die Analyse der Arbeitsbeziehungen in dieser Studie zeigt jedoch, dass Arbeit in Kameruns Kautschukwirtschaft nicht allein auf Zwang reduziert werden kann. Vielmehr brachte die Kautschukwirtschaft eine Vielzahl unterschiedlicher, sich gegenseitig beeinflussender Arbeitsregimes hervor. Von zentraler Bedeutung ist, dass der Kautschuk-Goldrausch nicht allein europäischen Kaufleuten und Firmen nützte. Er schuf auch Spielraum für lokale Initiativen. Große Teile der Bevölkerung Südkameruns versuchten, auf unterschiedlichste Weise von den neuen Möglichkeiten zu profitieren, die der Kautschukhandel eröffnete. Hunderttausende Afrikanerinnen und Afrikaner arbeiteten in der Kautschukwirtschaft – viele von ihnen unter Zwang

23 BArch N 227/22, 10. 24 Gann/Duignan 1979b, 166.

19

20

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und Gewalt, der größte Teil aber mit dem Ziel, die eigenen Lebenschancen zu verbessern. In vielen Konstellationen waren zudem Afrikanerinnen und Afrikaner diejenigen, die die Bedingungen und Regeln des Kautschukhandels bestimmten. Die Kautschukwirtschaft erfasste die gesamte Bevölkerung und beeinflusste alle Lebensbereiche. Das Ergebnis war eine tiefgreifende soziale, wirtschaftliche, politische, ökologische und demographische Transformation, in der neue Lebensformen, neue Freiheiten und neue Ausbeutungsverhältnisse entstanden.

Kautschuk, Industrialisierung und Kolonialismus im 19. Jahrhundert Die Geschichte des kolonialen Kautschukhandels ist eng verzahnt mit der Entwicklung der europäischen und US-amerikanischen Industriegesellschaft. Während Zampa seine Faktorei im Yesum-Gebiet aufbaute, erklärte beinahe zeitgleich der deutsche Chemiker Robert Henriques in der Berliner Polytechnischen Gesellschaft die Bedeutung des Kautschuks für die sich industrialisierenden Gesellschaften Europas und Nordamerikas: Wenige Jahrzehnte zuvor habe man das Material höchstens zum Ausradieren von Bleistiftstrichen genutzt. Wie anders heutzutage, wo der Kautschuk in jeder Industrie Lebensbedürfnis ist, wo er den Menschen sein ganzes Leben lang begleitet! Vom Gummisauger des Säuglings über die Gummispielpuppe und den Gummiball zum Haarkamm und der Wringwalze, vom Hartgummipenal mit Federhalter und Radiergummi zum Schuhelastik und Hutband, den Gummischuhen und wasserdichten Kleidern begleitet uns der Kautschuk überall. Von dem Gummitreibriemen der Fabrik zur Pumpenklappe im Förderschacht, von den Akkumulatorkästen unserer Strassenbahnen zu jenen gewaltigen Mengen von Material, die in der modernen Elektrotechnik zu Isolierzwecken benutzt werden, welch mächtige Reihe von Verwendungsarten! Was wäre der Chemiker ohne Gummiröhren, was der Techniker ohne Luft-, Druck-, Spreng-, Heizschläuche, was der Meteorologe ohne die gummibedeckten Luftballons, was schließlich unsere sportbegeisterte Zeit ohne Pneumatik?25

Kautschuk bzw. Gummi ist eine aus dem Milchsaft (Latex) einer Vielzahl tropischer, vor allem in Regenwäldern wachsender Pflanzen gewonnene Kohlenwasserstoffverbindung (CH2 :C(CH3 )CH:CH2 ). Ihre erstaunlichen Eigenschaften machen sie für eine technische Nutzung außerordentlich attraktiv: Gummi ist elastisch, wasserdicht und isolierend. Grundlage für die immense Bedeutung, die er gegen Ende des 19. Jahrhunderts besaß, war die Vulkanisation des natürlichen Rohstoffs, seine

25 Henriques 1899a, 7. Zu Henriques (1857–1902) vgl. NN 1902a; NN 1904b.

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1839 entwickelte Versetzung mit Schwefel.26 Dieses Verfahren machte den Gummi unempfindlich gegen Hitze und Kälte und damit vielseitig einsetzbar. Zahlreiche technische Erfindungen ermöglichten nach 1839 immer neue Anwendungen für Kautschuk, die sowohl den Alltag als auch die industrielle Produktion in Europa und Nordamerika entscheidend veränderten. Wie Louis Hoff, Direktor der Vereinigten Gummiwaaren Fabriken Harburg-Wien, 1905 bemerkte, gab es um die Jahrhundertwende „keine einzige Maschine […][,] bei welcher nicht Kautschuk in irgendeiner Form, sei es als Dichtungsmaterial, sei es als Riemen oder Ventil, Verwendung findet“.27 Die modernsten zeitgenössischen Technologien – Chemie-, Elektro- und Automobilindustrie – waren ohne Schläuche, Kabel und Reifen aus Gummi überhaupt nicht denkbar. Moderne Industriegesellschaften konnten seit den 1890ern nicht mehr ohne Kautschuk existieren.28 Innovationen und industrielle Produktion schufen während des 19. Jahrhunderts eine rapide wachsende Nachfrage nach Kautschuk. Während 1822 der weltweite Bedarf bei ca. 31 Tonnen lag, stieg er nach Erfindung der Vulkanisation auf 388 Tonnen im Jahr 1849. In den 1850ern steigerte sich die Nachfrage durch die vermehrten Einsatzmöglichkeiten rasant: 1850 verbrauchten Europa und die USA 1467 Tonnen, 1855 waren es bereits ca. 13.000 Tonnen.29 Während der weltweite Bedarf bis 1890 langsam auf 29.575 Tonnen stieg, sorgte die Erfindung des luftgefüllten Gummireifens durch John B. Dunlop 1888 für einen neuen Expansionsschub. Der Gummireifen brachte zuerst der Fahrrad-, dann der Automobilindustrie den Durchbruch. Bis 1900 stieg der Weltverbrauch von Kautschuk auf 51.136 Tonnen, 1911 erreichte er schließlich fast 100.000 Tonnen.30 Durch die Innovationen hatte sich die Nachfrage zwischen 1822 und 1911 um den Faktor 3000 vergrößert!31 Während Kautschuk heute entweder künstlich hergestellt oder auf Plantagen vom Baum Hevea brasiliensis gewonnen wird, stammte bis nach 1900 sämtlicher und bis 1913 der größte Teil von wildwachsenden Pflanzen. Das Amazonasgebiet in Brasilien war die wichtigste Herkunftsregion von Wildkautschuk. Doch die immer weiterwachsende Nachfrage der Industrien Europas und Amerikas konnte 26 Bereits im vorkolonialen Süd- und Mittelamerika versetzten die Menschen Kautschuk mit schwefelhaltigen Pflanzensäften, konnten einen der Vulkanisation ähnlichen Prozess durchführen und entsprechende Materialeigenschaften erzeugen. Vgl. Hosler/Burkett/Tarkanian 1999; Tarkanian/ Hosler 2011; Treue 1955, 18. 1832–44 entwickelten Europäer und US-Amerikaner diese Methode: Ansätze hatte bereits der deutsche Chemiker F. Lüdersdorff 1832 entwickelt. Charles Goodyear, dem die Erfindung gewöhnlich zugesprochen wird, gelang die Vulkanisierung 1839, Thomas Hancock folgte 1844. Vgl. Tully 2011, 40; Treue 1955, 18 f. 27 Hoff 1906, 605. 28 Vgl. Tully 2011, 51. 29 Vgl. Treue 1955, 18 f. 30 Vgl. Ausbüttel 1922, 39. 31 Vgl. Jünger 1952, 190.

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Brasilien bereits in den 1850ern nicht decken. Seit den 1890ern vergrößerte sich die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage mit wachsendem Tempo, da Elektro-, Fahrrad- und Automobilindustrie gewaltige Mengen an Kautschuk verbrauchten.32 Die Folge waren steigende Weltmarktpreise und ein ca. 1890 bis 1913 anhaltender globaler Kautschukboom:33 Ein Kilogramm Pará-Gummi – die beste, aus Brasilien stammende Sorte – kostete 1850 durchschnittlich 4,52 Mark. 1890 waren es bereits 8,75 Mark, 1900 9,48 Mark, 1905 12,26 Mark. Ihr Maximum erreichten die Preise 1910 bei einem mittleren Preis von 18,60 Mark.34 Schlechtere Sorten erzielten 1890 bis 1913 bescheidenere, aber dennoch sehr hohe Preise: „[R]ubber became the most important, most market-sensitive, most sought-after new commodity in the world.“35

Graphik 4 Entwicklung der Kautschukpreise, 1820–1937 (bis 1912 für Pará-Wildkautschuk, ab 1912 für Plantagenkautschuk. Jahresdurchschnitt). Quellen: Statistisches Reichsamt 1935, 722 f.

32 Autoreifen waren der größte Antrieb für die Expansion der Kautschukwirtschaft nach 1900, da ein Set Reifen nach ca. 1000 km ersetzt werden musste. Vgl. Harp 2016, 65. 33 Nugent kritisiert die Verwendung des Begriffs „Boom“ für Amazonien als unwissenschaftliches „folk concept“, das mehr verberge als erhelle. Die Kautschukproduktion Brasiliens sei stetig und nicht explosionsartig gestiegen. Vgl. Nugent 2018, 79 ff. Für andere Regionen, wie z. B. Südkamerun, beschreibt der Begriff des Booms das plötzliche Wachstum und das schnelle Zusammenbrechen des Kautschukmarktes zwischen 1890 und 1913 sehr gut, weshalb diese Studie an dem Begriff festhält. 34 Vgl. Statistisches Reichsamt 1935, 722. 35 Hobhouse 2003, 130.

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Da viel Geld zu verdienen war, begann überall in den Regenwäldern Südamerikas, Asiens und Afrikas eine wilde Jagd nach Kautschuk, die 1890 auch den Süden der deutschen Kolonie Kamerun erreichte. Der Kautschukhandel war Teil der „Bewegung von Kapital, Menschen, Gütern und Rohmaterialien um den Globus“, so Sven Beckert, und diese bildete „den Kern der großen Transformation, die der Kapitalismus darstellte.“36 Weltweit verursachte der Kautschukboom, angetrieben von der Nachfrage in den kapitalistischen, sich industrialisierenden Staaten Europas und Nordamerikas, enorme politische, soziale, ökonomische und ökologische Transformationen. In Europa und den USA schuf Kautschuk Reichtum, verhalf zu verbesserter Gesundheit, mehr Mobilität und Bequemlichkeit.37 In den Produktionsgebieten waren die Folgen ebenfalls gravierend für das alltägliche Leben vieler Menschen. Dies hatte unter anderem damit zu tun, dass Kautschukwirtschaft und Kolonialismus eine Allianz eingingen. Stephen L. Harp weist auf die „interdependence of imperialism, industrialization, and consumption“ von Gummi hin:38 „Rubber made empires possible, and empires ensured increased supplies of rubber.“39 In den tropischen und meist kolonialen Produktionsgebieten Südamerikas, Asiens und Afrikas – und damit auch in Südkamerun – veränderte der koloniale Kautschukboom die Nutzung natürlicher Ressourcen und die Zusammensetzung der Bevölkerung, schuf neue Formen der Herrschaft und des Zusammenlebens, der Arbeit und Ausbeutung, der Knechtschaft und Emanzipation. Gleichzeitig spielten lokale Akteure eine entscheidende Rolle in diesen Transformationen. Insofern ist diese Studie zur Geschichte des Kautschukhandels in Südkamerun gleichzeitig eine Lokalgeschichte der kolonialen, kapitalistischen Globalisierung wie auch ein Beitrag zur Debatte über afrikanischen Kapitalismus.40

Freihandels- vs. Konzessionsmodell: Zur Geschichte des Kautschuks in Afrika Die Geschichte des Kautschukhandels, der die sich industrialisierende Welt mit Gummi versorgte, bis ab 1913 die Plantagen Südostasiens diese Aufgabe übernah-

36 Beckert 2014, 12. 37 Auch in der sich industrialisierenden Welt hatte Kautschuk enorme, oftmals negative Auswirkungen auf die Arbeit in den Fabriken. Vgl. Tully 2011, 51–61, 131–182. Für einen Überblick über den Konsum von Kautschukwaren in Europa und den USA vgl. Harp 2016, 61–82. 38 Harp 2016, 4. 39 Harp 2016, 14. 40 Vgl. u. a. Breckenridge 2021; Breckenridge / James 2021; Chachage 2018; Ochonu 2018.

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men, wird häufig als eine Geschichte von Gewalt und Ausbeutung geschrieben.41 Besonders gilt dies für die Geschichte des Kautschukhandels in Afrika. Überblicksdarstellungen reduzieren diese in der Regel auf den Kongostaat.42 Der Kongo war nach Brasilien der weltweit zweitwichtigste Exporteur von Gummi – und auch die Bedeutung von Gewalt in der Kautschukwirtschaft des Kongo hebt ihn in der Geschichte des Kautschuks hervor. Dort war die Produktion von Kautschuk begleitet von Zwangsarbeit und Massenmord durch Konzessionsunternehmen.43 Diese Verbrechen werden in der Literatur als repräsentativ für den Kautschukhandel in ganz Afrika dargestellt: „In nearly every location“, schreibt etwa Richard Tucker in der Cambridge World History über die Geschichte des Kautschuks in Afrika, „labor was coerced into collecting the latex, under conditions that often became notoriously violent.“44 Doch in vielen Regionen Afrikas, vor allem in Westafrika, unterschied sich der Kautschukhandel stark von dem des Kongostaates. Robert W. Harms hat deshalb zwei Modelle des afrikanischen Kautschukhandels identifiziert.45 Mit Samir Amin lassen sie sich als „Africa of the concession-owning companies“ und „Africa of the colonial trade economy“ unterscheiden:46 Im Konzessionsmodell, das der Kongostaat und seine Nachbarkolonien praktizierten, zwangen europäische Unternehmen die Bevölkerung mit Gewalt dazu, Gummi zu produzieren.47 Im Freihandelsmodell hingegen reagierten Afrikanerinnen und Afrikaner auf die Anreize des Weltmarktes und kontrollierten selbst Produktion und Handel mit Kautschuk. Emily L. Osborn spricht deshalb von einem „‚West African‘ model of collection and commerce“, in dem „local initiative, not colonial mandate“ den Kautschukhandel vorantrieben.48 Harms idealtypische Dichotomie hat jedoch Grenzen. Dass Konzessionen afrikanische Initiative im Kautschukhandel von vornherein erstickten, haben Lokalstudien widerlegt.49 Konzessionen und Freihandel schlossen sich auch nicht kategorisch aus. In Südkamerun etwa koexistierten Freihandels- und Konzessionssystem wäh-

41 Für entsprechende Überblicksdarstellungen vgl. u. a. Tucker 2015; Tully 2011; Harp 2016; Uekötter 2015; Cardoso de Mello/van Melkebeke 2019; Loadman 2005. 42 Vgl. Tully 2011; Loadman 2005. Harp erwähnt alternative Formen afrikanischen Kautschukhandels. Vgl. Harp 2016, 15. 43 Vgl. u. a. Harms 2019; Hochschild 2012; Anstey 1971; Ewans 2002; Harms 1983; Ascherson 1964. Für nuancierte Darstellungen vgl. Doherty 2009; Roes 2010; van Reybrouk 2012. 44 Tucker 2015, 431. 45 Vgl. Harms 1975, 74 f. 46 Amin 1972, 504. Hervorhebung im Original. Vgl. auch Hopkins 1976b, 275. 47 Vgl. u. a. Coquery-Vidrovitch 1972; Vangroenweghe 2006; Ballhaus 1968. Für eine Konzessionsgesellschaft in Mosambik vgl. Allina 2012. 48 Osborn 2004, 446. Vgl. auch Vos 2015, 41. 49 Vgl. Vos 2008; Vansina 2010, 58–127.

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rend der deutschen Herrschaft.50 Eindeutig aber zeigt Harms, welches Modell für Afrikas Kautschukproduktion am bedeutendsten war: „Most rubber production in Africa operated under a system of free trade“.51 Der Kongostaat als bekannteste Kautschukökonomie Afrikas ist folglich gleichzeitig die am wenigsten repräsentative.52 Er war ein Extremfall, der eine „schwarze Legende“ für den afrikanischen Kautschukboom schuf, die der historischen Realität nicht gerecht wird und den Blick auf das gesamte Phänomen und seine Bedeutung verstellt.53 Forschungen zum Kautschukhandel in Westafrika zeigen, dass dieser neuen Teilen der Bevölkerung ermöglichte, sich an der lukrativen Exportökonomie zu beteiligen.54 „While the earlier slave and ivory trades had been the domain of heavily capitalized specialists“, schreibt Harms, „rubber could be gathered by common people. Therefore the rubber boom significantly broadened the base of export trade and brought large numbers of Africans into the international economy for the first time.“55 Kautschuk gewann innerhalb kürzester Zeit einen solch hohen Wert, dass der Handel auch das abgelegenste Dorf im Regenwald erreichte. Welche Folgen diese Expansion der Exportwirtschaft hatte, ist aber in der Forschung umstritten. Hatte der Kautschukhandel nur einen transformierenden Charakter? Oder waren seine Effekte eher disruptiv?56 In jedem Fall zeitigte er gravierende soziale und wirtschaftliche Veränderungen. In vielen Regionen – auch in Südkamerun – sind diese Veränderungen jedoch noch nicht ausreichend verstanden. Osborn ruft deshalb dazu auf, den afrikanischen Kautschukhandel neu zu interpretieren und ihn als wichtige „force in the social, economic and political transformations“ in der Geschichte West- und Äquatorialafrikas an der Schwelle vom 19. zum 20. Jahrhundert einzubeziehen.57

50 Vgl. Rudin 1938; Rüger 1960b; Ballhaus 1968; Kaeselitz 1968; Wirz 1972; Hausen 1970. Ähnliches gilt auch für die Randzonen des Kongostaates: vgl. Vos 2008. Konzessionsgesellschaften, deren Macht nicht groß war, gab es auch in Liberia und der Elfenbeinküste. Vgl. Munro 1981, 267–270. 51 Harms 1975, 74. 52 So analog für das Putumayo-Gebiet in Amazonien (Peru), wo Kautschuk ebenfalls mit Gewalt gewonnen wurde: Nugent 2018, 13. Für Literatur zu Putumayo vgl. Taussig 1987; Stanfield 1998. 53 Für eine korrekte Darstellung vgl. Ross 2017, 102. 54 Vgl. Dumett 1971; Arhin 1980; Arhin 1972; Osborn 2004; Giles-Vernick 2002; Vos 2015; Omosini 1979; Wirz 1972. 55 Harms 1975, 73. Vgl. auch Wirz 1972, 107; Vos 2015, 41. Zu Palmöl und besserem Zugang zum Markt vgl. Hopkins 1988, 127. Für Kritik vgl. Lynn 1997, 34. 56 Osborn, Arhin und Vos gehen für Guinea, die Gold Coast und Angola von einer Transformation aus. Geschiere interpretiert die Auswirkungen für Kamerun als zerstörerisch. Vgl. zusammenfassend Vos 2015, 41. Vgl. im Einzelnen Osborn 2004; Arhin 1980; Vos 2015; Geschiere 2005; Geschiere 2007. 57 Osborn 2004, 465.

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Die Entstehung und Veränderung von Arbeitsbeziehungen gehörten zu den wichtigsten Folgen des Kautschukhandels in Afrika. Der Grund hierfür ist, so die zentrale These dieser Studie, dass die Mobilisierung von Arbeitskraft der am stärksten limitierende Faktor für die Expansion der Kautschukwirtschaft war. Solange es sich bei Kautschuk um ein Sammelprodukt handelte, spielten Landrechte kaum eine Rolle. Die wilden gummiproduzierenden Pflanzen wuchsen, wo Unternehmen und koloniale Staaten die Ansprüche lokaler Besitzer ignorierten. Die Gummisucher brauchten auch keine teure Technologie, um Kautschuk zu gewinnen, sondern nutzten verhältnismäßig einfache Methoden. Zwar beeinflusste die Zahl wildwachsender kautschukproduzierender Pflanzen und ihr Erhaltungszustand die Kautschukwirtschaft. Jedoch konnte ihre Bedeutung in vielen Regionen lange durch die Expansion in immer neue Gebiete minimiert werden.58 Arbeit hingegen war bedeutsam, weil Pflanzen, aus denen sich Gummi gewinnen ließ, weltweit vor allem in dünn besiedelten Regenwaldgebieten wuchsen. Händler und Unternehmen standen deshalb vor der Frage, wie sie die wenigen dort lebenden Menschen dazu bringen konnten, Kautschuk zu produzieren oder zu transportieren, oder wie sie für diese Aufgaben Arbeitskräfte von außerhalb in den Regenwald hineinbringen konnten. Die Methoden reichten von hohen Handelspreisen und Lohnarbeit hin zu Schuldknechtschaft, Zwangsarbeit und Sklaverei. Gerade das Ausmaß von Gewalt, das in vielen Regionen genutzt wurde, um den Arbeitskräftebedarf der Kautschukwirtschaft zu decken, unterstreicht, wie wichtig es war, genügend Menschen zu mobilisieren. Aber obwohl Arbeit eine solch fundamentale Bedeutung für die Kautschukwirtschaft besaß, hat die Geschichtswissenschaft deren Arbeitsbeziehungen bisher nicht systematisch untersucht. Dies gilt vor allem für die afrikanischen Kautschukökonomien. Weder für das Konzessions- noch für das Freihandelssystem liegen eingehende Analysen vor. Bisherige Forschungen zum Kongostaat konzentrieren sich vor allem auf die Gewalt der kolonialen Institutionen.59 Von der Arbeitskräftemobilisierung zeichnen sie ein eindimensionales Bild, das Afrikanerinnen und Afrikaner ausschließlich als Opfer zeigt. Darüber hinaus erscheinen die sie als homogene Gruppe. William J. Samarin jedoch hat in seinem Buch über die Arbeitskräfte der Regierungen des Kongostaates und Französisch-Kongos gezeigt, wie divers die Arbeitsbeziehungen der staatlichen Akteure in der Region vor dem Ersten Weltkrieg waren.60 Hinter diesem Werk bleibt die Forschung zu privatwirtschaftlichen Arbeitsbeziehungen bisher weit zurück. Untersuchungen zum Freihandel wiederum verweisen auf lokale Formen der Arbeitskräftemobilisierung,

58 Vgl. Harms 1975. 59 Vgl. u. a. Hochschild 2012; Harms 1975; Harms 1983; Marchal 1996. 60 Vgl. Samarin 1989a.

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etwa Familie, Sklaverei oder Klientelbeziehungen, die afrikanische Akteure für Produktion und Handel nutzten.61 Sie untersuchen jedoch zum einen kaum, ob der Handel mit Gummi diese Abhängigkeitsbeziehungen veränderte.62 Zum anderen bleibt unklar, wie die europäischen Handelsunternehmen ihre Arbeitskräfte mobilisierten und wie sie dabei mit lokalen Formen von Arbeit interagierten. Eine Geschichte der Arbeit im afrikanischen Kautschukhandel, die alle Formen der Arbeitskräftemobilisierung und deren historische Veränderung durch das Wachstum des Kautschukmarktes analysiert, ist ein Forschungsdesiderat. Am Beispiel Südkameruns untersucht diese Studie, wie Arbeitsbeziehungen in der Kautschukwirtschaft zwischen 1890 und 1913 entstanden und sich entwickelten.63 Kamerun eignet sich besonders gut, um Fragen zur Beziehung zwischen Kautschuk und Arbeit in Afrika zu untersuchen. Nicht nur war die deutsche Kolonie ein bedeutender Kautschukexporteur. Die deutsche Kolonialverwaltung setzte außerdem bei der Ausbeutung von Gummi sowohl auf Freihandel als auch auf das Konzessionsmodell.64 Zusätzlich legten einige Unternehmen ab ca. 1899 und vermehrt ab 1906 Kautschukplantagen an.65 Anhand eines einzigen Beispiels lassen sich somit Arbeitsbeziehungen in verschiedenen Formen der Kautschukwirtschaft analysieren und miteinander in Beziehung setzen. Der Kautschukboom schuf in Kamerun eine Vielzahl von Arbeitswelten: Gummi musste produziert, gekauft und transportiert, die hierfür nötigen Arbeitskräfte im Regenwald ernährt und Straßen für den Transport gebaut werden. Um die Frage nach der Arbeit in der Kautschukwirtschaft operationalisierbar zu machen, konzentriert sich die Studie auf die beiden für Südkamerun zentralen Arbeitsbereiche: Kautschukproduktion und Transportarbeit. Erstens waren diese beiden Tätigkeitsfelder beinahe ausschließlich mit der Kautschukwirtschaft verbunden. Zweitens banden sie die meisten Arbeitskräfte. Drittens wurde Arbeit für Kautschukproduktion und Transportarbeit im Laufe der Zeit in unterschiedlichen sozialen Konstellationen auf verschiedene Art und Weise mobilisiert und organisiert. Die bisher kaum erforschte Kautschukproduktion wurde in der deutschen Kolonie in unterschiedlichen institutionellen Arrangements, von einer Vielzahl von Gruppen, zum Vorteil verschiedener Akteure und auf unterschiedliche Weise

61 Vgl. u. a. Arhin 1980; Dumett 1971; Heywood 1985. 62 Vgl. hierzu Osborn 2004, 451 f. 63 Der untersuchte Zeitraum umfasst nicht die gesamte deutsche Kolonialherrschaft in Kamerun, sondern nur den sich zufälligerweise mit diesem überschneidenden globalen Kautschukboom. Die Kernperiode ist deswegen 1890–1913 – mit einer Vorgeschichte von ca. 1850 und einem Ausblick bis ca. 1950. 64 Vgl. Rudin 1938, passim; Rüger 1960b; Ballhaus 1968; Kaeselitz 1968. 65 Vgl. u. a. Röschenthaler 2001.

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ausgeführt. Dies war abhängig davon, ob Menschen Kautschuk auf eigene Rechnung produzierten, um Schulden abzubezahlen oder weil sie auf einer Plantage arbeiteten. Warum und unter welchen Bedingungen produzierten die Menschen in Südkamerun Kautschuk? Konnten sie selbst über ihren Kautschuk verfügen und ihre Arbeit kontrollieren? Oder inwieweit übten andere – etwa Familienoberhäupter, Sklavenbesitzer, Handels-, Konzessions- oder Plantagenunternehmen – diese Kontrolle aus? Transportarbeit wiederum bedeutete in Südkamerun in erster Linie Trägerarbeit. Denn während Kautschuk tief in den Regenwäldern des Hinterlands gewonnen und gekauft wurde, verschifften Unternehmen ihn vor allem an der Atlantikküste.66 Im Unterschied etwa zum Kongostaat oder zu Amazonien verfügte Südkamerun nicht über schiffbare Flüsse. Lasttiere konnten aufgrund der verbreiteten Nagana-Krankheit nicht genutzt werden.67 Dies bedeutete, dass Menschen den Kautschuk durch den Regenwald zur Küste transportieren mussten. Hierfür war eine sehr große Zahl von Trägerinnen und Trägern nötig, die in Karawanen zwischen Hinterland und Küste unterwegs waren. Auch diese Arbeit unterschied sich in den verschiedenen Kontexten. Die Studie untersucht, wo und wie diese Arbeitskräfte mobilisiert und organisiert wurden und wie diese ihre Arbeit durchführten. Welche Rolle spielten hierbei lokale Autoritäten, der koloniale Staat, europäische Unternehmen und welche die Arbeiterinnen und Arbeiter selbst?

Forschungsstand Die bisherige Literatur zur Geschichte der deutschen Kolonialherrschaft in Kamerun erwähnt zwar den Handel mit Kautschuk, stellt ihn aber nicht ins Zentrum ihrer Untersuchungen. Einzige Ausnahmen sind Albert Wirz und Peter Geschiere. In seiner Geschichte des Handels in Kamerun räumt Wirz Kautschuk viel Raum ein und benennt ihn als bedeutenden Wirtschaftsfaktor. Er zeigt, dass Kautschuk trotz aller Konflikte neuen Bevölkerungsgruppen Zugang zum Exporthandel und damit zu sozialem Aufstieg ermöglichte.68 Geschiere folgt Wirz und betont, dass der Kautschukhandel Teil eines schnellen und oft gewalttätigen Prozesses der Kommodifizierung und Monetarisierung in den Gesellschaften Südkameruns war.69 Während Arbeitsbeziehungen bei Wirz und Geschiere unterbelichtet bleiben, benennen weite Teile der übrigen Literatur Arbeit als zentrales Konfliktfeld der deutschen

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Vgl. Wirz 1972. Vgl. Mandeng 1973, 36. Vgl. Wirz 1972. Vgl. Geschiere 2005; Geschiere 2007.

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Kolonialherrschaft.70 Die Studien sind aber mittlerweile überholt. Marxistische Historikerinnen und Historiker wie Adolf Rüger, Hella Winkler, Patrice Mandeng und andere führen die Mobilisierung von Arbeitskräften während der deutschen Kolonialherrschaft zum einen auf ursprüngliche Akkumulation zurück, die (wenn überhaupt) nur am Kamerunberg stattfand,71 zum anderen auf direkten Zwang.72 Afrikanische soziale Strukturen behandeln sie kaum oder nur schematisch. Afrikanerinnen und Afrikaner erscheinen damit ausschließlich als Opfer und Objekte europäischen Handelns. Eine solche eindimensionale Sicht reproduziert trotz bester Absichten rassistische koloniale Stereotype. Darüber hinaus beschreiben diese Beiträge eine einheitliche, bewusste und kollektiv handelnde Arbeiterklasse, die zu diesem Zeitpunkt nicht existierte, und differenzieren nicht oder kaum zwischen Geschlechtern, Generationen oder ethnischen Gruppen.73 Ihr Bild von Arbeit und Arbeitsbeziehungen in Kamerun bleibt unterkomplex. Dies führt zu der paradoxen Situation, dass Arbeitsbeziehungen im kolonialen Kamerun einerseits umfassend erforscht, aber gleichzeitig bisher weitgehend unverstanden geblieben sind. Auffallend ist das nahezu vollständige Fehlen der Themen Kautschuk und Arbeit bei Kameruner Historikerinnen und Historikern. Engelbert Mveng beschreibt zwar, dass sehr viele Arbeitskräfte für den großen Kautschukexport nötig waren, geht aber nicht darauf ein, welche Auswirkungen dieser Handel hatte.74 Albert Pascal Temgoua erwähnt Kautschuk, ohne seine Bedeutung einzuordnen. Tambi Eyongetah und Robert Brain weisen zwar darauf hin, dass Kautschuk das wichtigste Exportprodukt war. Sie schreiben aber nichts zu dessen Geschichte. Andere, wie Adalbert Owona, Simon Joseph Epale oder F. Etoga Eily beschränken sich ebenfalls auf kurze Bemerkungen. Die meisten Kameruner Autorinnen und Autoren messen Kautschuk folglich kaum historische Bedeutung bei.75 Erst in den letzten Jahren billigen Lucie Zouya Mimbang und Eugène Désiré Eloundou diesem Rohstoff und den von ihm angestoßenen Entwicklungen eine größere Rolle zu.76 Aber auch sie haben ein negatives Bild der Kautschukwirtschaft und ihrer Arbeitsbeziehungen.

70 Vgl. u. a. Rudin 1938, 315–337; Rüger 1960b; Winkler 1960; Diehn 1956; Mandeng 1973; Eyongetah/ Brain 1974, 87 f; Gründer 1982, 141 ff.; Hausen 1970, 274–291; Kaptué 1986, 21. 71 Vgl. Hausen 1970, 218. Am Kamerunberg kam es zur massenhaften Enteignung und Vertreibung der Bakwiri. Vgl. Eckert 1995, 244 f. Jedoch spielten Bakwiri als Arbeitskräfte auf den auf ihrem Land entstehenden Plantagen nie eine große Rolle. Vgl. BArch R 175-I/183, 85–98. 72 Vgl. Rüger 1960b; Winkler 1960; Mandeng 1973; Kaptué 1986, 20–27. 73 Zur Geschichte des europäischen Arbeitermodells in Afrika vgl. Cooper 1996. 74 Vgl. Mveng 1963, 321 f. 75 Vgl. Temgoua 2014, 149, 156 f., 169, 171 f., 197, 201 f.; Eyongetah/Brain 1974, 84; Owona 1996, 76; Epale 1985, 35 ff., 41 f.; Eily 1971, 167 f., 184, 214 f. 76 Vgl. Zouya Mimbang 2013; Eloundou 2016. Eine ältere, aber historiographiegeschichtlich eher der deutschen Literatur zuzuordnende Ausnahme ist Mandeng 1973.

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So schreibt Zouya Mimbang etwa von einer „tyrannie du caoutchouc“,77 bei der Männer und Frauen zur Arbeit gezwungen worden seien. Arbeit besaß seit dem transatlantischen Sklavenhandel eine herausragende Bedeutung in der europäisch-afrikanischen Geschichte. Zwischen Afrikanern und Europäern, schreibt Frederick Cooper, „no element has been more central to their relationship than work“.78 Während der europäischen Kolonialherrschaft kämpften alle Mächte mit der „Arbeiterfrage“, die Rüger als „Widerspruch zwischen dem Angebot und der Nachfrage nach Lohnarbeit“ definiert.79 Dementsprechend ist das Thema häufig von Historikerinnen und Historikern untersucht worden.80 Der Schwerpunkt der Forschung zu den im Rahmen der Kolonialherrschaft entstehenden europäisch-afrikanischen Arbeitsbeziehungen liegt erstens vor allem auf dem 20. Jahrhundert. Generell existiert wenig Forschung zur Geschichte europäischafrikanischer Arbeitsbeziehungen vor dem Ersten Weltkrieg. Zweitens liegt er auf Dock-, Berg-, Plantagen- und Eisenbahnarbeitern mit einem Fokus auf der Zwischenkriegszeit – kurzum auf Männern, die als Lohnarbeiter in einem europäischkapitalistischen Sektor tätig waren, die auch durch kollektives Handeln zu bedeutenden politischen Akteuren wurden und über die die kolonialen Staaten Wissen anhäuften.81 Ihre Geschichte entsprach dem scheinbar universalen Prozess der Proletarisierung, den viele Autoren und Autorinnen ihrer Analyse zugrunde legten. Nicht nur in Bezug auf Afrika hat sich diese eurozentrische Vorstellung als wissenschaftliche Sackgasse erwiesen.82 Die Konzentration auf Arbeit, die der europäischen Erfahrung glich, hat dazu geführt, dass Arbeitsbeziehungen, die nicht in dieses Narrativ passten, bisher kaum erforscht sind. Hierzu gehört auch die Arbeit im Kautschukhandel während des Booms 1890 bis 1913. Fast kein Wissen ist über die Arbeitskräfte von europäischen Handelsunternehmen vorhanden. Handel ist zwar eines der großen Themen der afrikanischen Geschichtsschreibung. Aber die daran beteiligten europäischen Firmen sind trotz ihrer großen Bedeutung bisher wenig in den Blick geraten.83 Dies gilt auch und gerade für Firmen, die mit Kautschuk handelten.84 Wissen über Unternehmens-

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Zouya Mimbang 2013, 136. Cooper 1987, 1. Rüger 1960b, 177. Für Forschungsüberblicke vgl. u. a. Freund 1984; Eckert 1999b; Cooper 2006; Cooper 2017; Cooper 2019; Bellucci/Eckert 2019a; Schler/Bethlehem/Sabar 2013. Für einen Überblick vgl. Freund 1984; Eckert 1999b. Vgl. Cooper 2006, 91 f.; Eckert 1999b, 504. Vgl. auch Chakrabarty 1992. Vgl. Austin 2017; Tignor 2007; Hopkins 1987; Hopkins 1976a; Hopkins 1976b. Für einen Literaturüberblick vgl. Verhoef 2017. Zurzeit arbeiten Deborah J. Neill und Kim Todzi an Studien zu John Holt & Co. sowie C. Woermann. Vgl. beispielhaft für die Gold Coast Dorward 2001, 67.

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strategien, Strukturen oder Profitabilität ist spärlich.85 Entsprechend wenig ist auch über die afrikanischen Arbeitskräfte dieser Firmen bekannt.86 Arbeit im Afrika-Handel unterschied sich in vielerlei Hinsicht von klassischen Arbeitsbeziehungen. In ihrer marxistischen Arbeitergeschichte der Stadt Lagos schließen Arnold Hughes und Robin Cohen die Arbeitskräfte des dortigen europäisch-afrikanischen Handels explizit aus. Wie die Autoren tadeln, blieben diese „obdurately loyal to a way of life centered on family, clientage, and an autochthonous system of government“. Ihre „economic activities and social bonds vitiated the emergence of social identity based on economic specialization and class solidarity“.87 Kurzum: Für Hughes und Cohen waren die arbeitenden Menschen, die sich nicht dem europäischen Modell von Arbeit unterwarfen, rückständig und keine eigentlichen Arbeiterinnen und Arbeiter. Obwohl sie arbeiteten, fielen sie durch das Raster der Arbeitergeschichte. Doch vom Standpunkt der aktuellen Forschung gesehen waren Menschen, die keine klassisch-europäischen Arbeitsbeziehungen eingingen, in Afrika keine Ausnahme, sondern die Regel. Ebenso warfen Arbeiterinnen und Arbeiter im kapitalistischen Sektor ihre Kultur und ihre sozialen Bindungen selten vollständig über Bord: Aus ihren eigenen Gesellschaften brachten sie kulturelle Vorstellungen und Einstellungen mit, die wiederum die Arbeitsbeziehungen prägten. Sie banden sich nicht an einen Arbeitgeber, arbeiteten unter zum Teil selbstgewählten prekären Bedingungen und kombinierten verschiedene Formen von Einkommen, um ein hohes Maß an Selbständigkeit und Unabhängigkeit zu bewahren.88 Obwohl diese Studie untersucht, welche Form der globale Kapitalismus in Südkameruns Kautschukhandel annahm, nimmt sie deshalb nicht allein klassische kapitalistische Lohnarbeitsbeziehungen in den Blick. Die New History of Capitalism hat gezeigt, dass der Kapitalismus nicht nur auf Lohnarbeit beruhte, sondern sich je nach historischer Konstellation auch auf andere Arbeitsformen stützen konnte.89 Sklaverei und Schuldknechtschaft etwa waren nicht unvereinbar mit kapitalistischer Wirtschaft, sondern mit ihr eng verbunden.90 Dementsprechend untersucht diese 85 Vgl. Hopkins 1976b, 267. Für eine Studie zur Profitabilität von Unternehmen im Kongo vgl. Buelens/ Marysse 2009; Rönnbäck/Broberg 2019. 86 Vgl. Rockel 2014, 171. Van den Bersselaar hat zwar Studien zum afrikanischen mittleren Management vorgelegt. Vgl. van den Bersselaar 2019; van den Bersselaar 2011. Die Geschichte der Karawanenträgerinnen und -träger, Kanu-Ruderer, Handwerker etc. bleibt jedoch weitgehend im Dunkeln. Als Ausnahme können Forschungen zu den Kru gelten. Vgl. u. a. Gunn 2021; Frost 1999; Behrens 1974; Martin 1985a. 87 Hughes/Cohen 1978, 32. 88 Vgl. Barchiesi 2012, 80; Cooper 1995, 236; Callebert 2017, 14 ff.; Atkins 1988. 89 Zur New History of Capitalism vgl. Beckert/Desan 2018; Beckert/Rockman 2016; Brandes/Zierenberg 2017; Kocka 2016 Vgl. auch Cooper 2006, 93. 90 Vgl. Beckert/Rockman 2016; Beckert 2014.

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Studie „capitalism in action“91 – und öffnet sich damit gezielt den unterschiedlichen Formen von Arbeit, auf denen der Kautschukhandel in Südkamerun beruhte. Um das Leben von Menschen zu verstehen, deren mannigfaltige Formen von Arbeitsbeziehungen nicht dem europäischen kapitalistischen Modell entsprachen, bietet sich die Global Labor History an.92 Diese fasst Arbeiterinnen und Arbeiter deutlich weiter als die klassische Arbeitergeschichte. Ein global geweiteter Blick auf Arbeitsbeziehungen zeigt, dass der männliche, festangestellte Lohnarbeiter des 19. und 20. Jahrhunderts außerhalb von Europa und Nordamerika auch im Kapitalismus nicht die Norm und wohl eher eine historische Ausnahme war.93 Arbeit wurde und wird weltweit auf vielfältige Weise mobilisiert, wobei Lohnarbeit nur eine Form unter vielen ist.94 Der globale Kapitalismus bediente sich, so betont auch diese Forschungsrichtung, ebenso anderer Formen der Arbeitskräftemobilisierung.95 Global Labor History trägt dem Rechnung und schlägt vor, alle Formen von Arbeit zu untersuchen – „not just wage laborers, but also slaves, sharecroppers, housewives, the self-employed, and many other categories of workers“.96 Gerade Arbeitsbeziehungen im kolonialen Afrika wird dieser Ansatz gerecht. Dort griff der koloniale Kapitalismus auf die ganze Vielfalt europäischer, kolonialer und lokaler sozialer Institutionen zurück, um Arbeit zu mobilisieren: etwa Sklaverei, pawnship, Verwandtschafts- und Klientelbeziehungen oder Lohnarbeit und Zwangsarbeit.97 In den Karawanen und auf den Faktoreien und Plantagen Kameruns waren solche Kategorien von Arbeit aber wenig stabil. Arbeit fand oftmals in einer „grey zone between free and unfree labour“ statt.98 Die Global Labor History verweist deshalb auf die „numerous hybrid forms of work“,99 die Kategorien wie Lohnarbeit, Zwangsarbeit oder Sklavenarbeit unterliefen. Andreas Eckert und Marcel van der Linden betonen, dass die Grenzen zwischen Lohnarbeit, Selbstständigkeit und unfreier Arbeit in der historischen Realität kaum zu ziehen waren. Menschen bewegten sich von einer Form in die andere oder in Zwischenformen, lebten in Haushalten, die verschiedene Arbeitsformen kombinierten.100 Dementsprechend stellt die Forschung die scharfe Trennung zwischen freier und unfreier Arbeit infrage: Im 19. Jahrhundert galten Formen von Arbeit, bei denen die Wahlmöglichkeiten der

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Beckert/Desan 2018, 11. Vgl. Eckert/van der Linden 2018; van der Linden 2011; van der Linden 2006; van der Linden 2012. Vgl. van der Linden 2011, 10. Vgl. Eckert 2016, 15. Vgl. Cooper/Holt/Scott 2000, 23. Vgl. auch Beckert/Desan 2018; Beckert/Rockman 2016. Hofmeester/Lucassen/Ribeiro da Silva 2014, 250. Zu den verschiedenen Formen der Mobilisierung vgl. Rockel 1995, 447. Bellucci 2019, 200. Eckert/van der Linden 2018, 150. Vgl. Eckert/van der Linden 2018, 151.

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Individuen stark beschränkt waren, durchaus als freie Arbeit. Gleichzeitig nutzten Individuen und Gruppen erzwungene Formen von Arbeit und Migration, um sich aus anderen ausbeuterischen Kontexten zu befreien.101

Methoden Wenn die Global Labor History einen Weg aufzeigt, mit dem sich auch heterogene und hybride Formen von Arbeit in eine Geschichte der Arbeit integrieren lassen, bleibt dennoch das Problem, wie sich diese Formen und die sich aus diesen ergebenden Spielräume erkennen und beschreiben lassen. Cooper unterstreicht, dass koloniale Staaten und Unternehmen in den ersten Jahrzehnten der Kolonialherrschaft trotz der großen Bedeutung von Arbeit und der Arbeiterfrage kaum etwas über ihre Arbeitskräfte wussten.102 Aus ihrer Sicht war die Arbeiterschaft „anonymous and interchangeable“.103 Sie verfügten noch nicht über die gewaltigen Wissensbestände, die sie in späterer Zeit anlegten.104 Gleichzeitig haben die Arbeiterinnen und Arbeiter selbst fast keine schriftlichen Aufzeichnungen hinterlassen. Da der Kautschukboom zudem mehr als 100 Jahre zurückliegt, können sie auch nicht mehr befragt werden. Dementsprechend stellt sich die Frage, wie sich Arbeitsbeziehungen, Arbeitsalltag und deren Veränderung in der Südkameruner Kautschukwirtschaft rekonstruieren lassen. Um das Problem zu lösen, nimmt diese Studie eine Perspektive ein, die sich mit Benedetta Rossi als „micro-historical scale and actor-oriented approach“ bezeichnen lässt.105 Im Zentrum stehen alltägliche Aushandlungsprozesse in kleinen sozialen Einheiten wie etwa Karawanen, Faktoreien oder Plantagen. Mikrohistorisch auf diese zuzugreifen, dient nicht allein dazu, die historischen Prozesse, die der globale Kapitalismus bzw. die Nachfrage nach Kautschuk im Südkameruner Regenwald auslösten, an konkreten Personen und ihren individuellen Entscheidungen und Schicksalen festzumachen.106 Ebenso zielt der Ansatz darauf ab, ein neues Verständnis der historischen Prozesse zu gewinnen.107 Mit mikroskopischem Blick untersucht die Studie deshalb Beschreibungen von Arbeit in den überlieferten Quellen.

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Vgl. Stanziani 2009, 351 f.; Bellucci 2019, 200; Rossi 2014; Bernards 2018, 22. Vgl. Cooper 1987, 1 f. Cooper 1987, 2. Vgl. Cooper 1996. Für Beispiele aus der Kameruner Nachkriegszeit vgl. Ardener/Ardener/ Warmington 1960; Wells/Warmington 1962. 105 Rossi 2014, 26. 106 Vgl. Andrade 2010. 107 Vgl. Putnam 2006, 615; Trivellato 2011.

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Eine mikrohistorische Analyse kann das Problem, dass vor allem europäische Quellen vorliegen, nicht aber solche von afrikanischen Arbeiterinnen und Arbeitern, zwar nicht lösen, aber eine Möglichkeit bieten, ihm zu begegnen. Europäische Texte sprechen zwar von Arbeit, liefern aber häufig von Rassismus geprägte Interpretationen. Um zu verstehen, wie Arbeit in Südkameruns Kautschukwirtschaft mobilisiert, organisiert und durchgeführt wurde, nimmt die Studie deshalb alltägliche Praktiken der Arbeit im Kautschukhandel in den Blick, die diese Quellen beschreiben. Sie versteht den kolonialen Kapitalismus und seine Arbeitsbeziehungen „als alltäglich erzeugte soziale Ordnung“,108 die jeden Tag durch Praktiken geschaffen wurde. Lukas Haasis und Constantin Rieske haben Praktiken als „Muster vergangenen menschlichen Tuns und Sprechens“ definiert.109 Die vorliegende Studie beschäftigt sich aber nicht mit der rassistischen, diskursiven Konstruktion von Arbeit im kolonialen Kontext (etwa der Ideologie der „Erziehung zur Arbeit“), die in den überlieferten Interpretationen steckt und die bereits vielfach untersucht worden ist.110 Stattdessen rekonstruiert sie sich ständig verändernde Handlungsmuster, die Teil von Arbeit waren. Dies erlaubt, individuelle Handlungsspielräume zu erkennen, offen zu sein für den Eigensinn von Individuen und die Ambivalenz menschlichen Handelns im kolonialen Kautschukhandel, welches zwischen Sichentziehen und Partizipieren, zwischen Ausbeuten und Ausgebeutetwerden schwanken konnte.111 Sich auf „people doing things“ zu konzentrieren,112 ermöglicht auch, sich zumindest ein Stück weit dem Problem der eurozentrischen Perspektive zu entziehen. Haben Arbeiterinnen und Arbeiter des Südkameruner Kautschukhandels schon keine schriftlichen Quellen hinterlassen, in denen sie ihre Beweggründe darlegten, so lässt sich doch ihr von anderen (meist Europäern) beschriebenes Handeln als Aussage interpretieren.113 Praktiken liefern auch eine Antwort auf Coopers Frage, „how workers work“,114 bei der es um die historische Rekonstruktion des Arbeitsprozesses als solchen geht: Welche Arbeit leisteten Frauen und Männer in der Kautschukwirtschaft? Welches Wissen war dafür nötig, welche sozialen Voraussetzungen? Welche Bedingungen herrschten? Solche Fragen sind bedeutsam, denn die Arbeit selbst hatte Einfluss darauf, wie attraktiv diese war, welche Menschen sie wie zusammenbrachte und

108 Brandes/Zierenberg 2017, 3. 109 Haasis/Rieske 2015, 16. 110 Vgl. u. a. Rönnbäck 2014; Mark-Thiesen 2017. Für die deutsche koloniale Erfahrung vgl. u. a. Haschemi Yekani 2019; Conrad 2004; Markmiller 1995; Sippel 1996; Norris 1993, 72–92; Gronemeyer 1991. 111 Zum Eigensinn vgl. Lüdtke 1994. 112 Isaac 1999, 324. Hervorhebung im Original. 113 Vgl. Isaac 1999, 324. Vgl. auch Lüdtke 1989, 19 f. 114 Cooper 1980, 9. Vgl. auch Eckert 2019, 28.

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welchen Einfluss Arbeiterinnen und Arbeiter auf ihre Tätigkeit hatten. Letztlich geht es um die alltäglichen Aushandlungsprozesse zwischen Arbeitskräften und Arbeitgebern – Auseinandersetzungen über „pace, intensity, and quality of what gets done“.115 Die Kautschukwirtschaft war nicht „the world the capitalists made“.116 Stattdessen herrschte ein sich täglich verschiebendes Kräftespiel zwischen Arbeitgebern, Arbeiterinnen und Arbeitern sowie Intermediären. Die sich hierdurch verändernden Arbeitsprozesse wirkten zurück auf die Arbeitsbeziehungen – und damit darauf, ob Menschen ein gemeinsames Bewusstsein und Solidarität entwickelten. John Iliffe weist explizit auf die Bedeutung hin, die der Arbeitsprozess hierauf hatte: „The history of a labour movement must […] be based on a history of work, and the most profound source of change within it is the changing character of the work in which the men [and women – T. Oe.] are engaged.“117 Um zu verstehen, welche Individuen und Gruppen sich an diesen Arbeits- und Aushandlungsprozessen beteiligten, sind die zerklüfteten und sich verändernden Beziehungen innerhalb afrikanischer Gemeinschaften und Familien miteinzubeziehen. Ein Augenmerk richtet die Studie deshalb auf die Bedeutung von Geschlecht und Generation für die Arbeit im Kautschukhandel. Kolonialismus und Kapitalismus hatten erheblichen Einfluss auf die sozialen Beziehungen und Konflikte innerhalb afrikanischer Familien: „[T]he major transformations in African history in the last hundred years […]“, so Stephan F. Mischer und Lisa A. Lindsay, „profoundly affected male status and opportunities as well as relationships between men and women, men and men, and women and women.“118 Derartige innere Konflikte in afrikanischen Gesellschaften und die Vielfalt der Akteure, etwa die Spannungen und Ausbeutungsverhältnisse zwischen sozial-älteren Männern und Frauen sowie sozial jüngeren Männern, auf die die marxistische Anthropologie hingewiesen hat,119 werden in der aktuellen Forschung wieder stärker betont.120 Auch vor Ankunft der Europäer herrschten in Südkamerun Konflikte zwischen Gruppe und Individuum, Freien und Unfreien, Alten und Jungen, Reichen und Armen, Männern und Frauen. Diese älteren Konfliktmuster spielten auch in der Kameruner Kautschukwirtschaft eine bedeutende Rolle. Entstehung sowie Entwicklung

115 Cooper 1987, 28. Auch Beck und Spittler betonen die Performanz von Arbeit. Vgl. Beck/Spittler 1996, 5. 116 Clarence-Smith 1983, 9. 117 Iliffe 1975, 49. 118 Miescher/Lindsay 2003, 1. 119 Vgl. Dupré/Rey 1969; Rey 1971; Meillassoux 1992. Dasselbe betont auch Cooper 1994. Für Kamerun vgl. Bayart 1985; Warnier 1996; Argenti 2008. 120 Vgl. Trapido 2016; Carton 2000; Luna 2016, 244; Rossi 2014. Andere Ansätze der Autoren, wie der Streit um Produktionsweisen, spielen heute kaum mehr eine Rolle. Vgl. Clarence-Smith 1985.

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von Handel und neuen Arbeitsbeziehungen sind ohne diese nicht zu erklären.121 Deshalb fragt die Studie auch nach Männlichkeitsbildern und Geschlechterbeziehungen und versucht explizit die kaum dokumentierte Rolle von Arbeiterinnen zu rekonstruieren. In Anlehnung an den New Materialism untersucht die Studie ebenfalls die Bedeutung der natürlichen Umwelt und von Gegenständen für die Arbeit in der Kautschukwirtschaft.122 So war etwa die Verteilung verschiedener Waldbiotope, das Vorkommen verschiedener kautschukliefernder Pflanzen und deren biologische Eigenschaften bedeutsam für die Arbeit und das tägliche Leben von Kautschukproduzenten.123 Das Vorhandensein von Flüssen oder Wegen und deren physische Beschaffenheit prägte wiederum den Arbeitsprozess von Karawanenträgerinnen und -trägern.124 Werkzeuge und Techniken veränderten Arbeit ebenfalls. Kamerun südlich des Sanaga-Flusses, wo der Kautschukhandel die lokalen Gesellschaften prägte, steht im Zentrum der Untersuchung.125 Dennoch verfolgt sie einen Zugriff auf die Geschichte der Arbeit in Südkameruns Kautschukwirtschaft, der Raum lässt für „local as well as global connections between workers, companies […] and commodities“.126 Denn um zu verstehen, wie sich Handel und Arbeitsbeziehungen im Süden Kameruns entwickelten, ist es nötig, in Anlehnung an Sebastian Conrads „multi-sited historiography“ auch Entwicklungen in anderen Regionen zu untersuchen.127 Dabei geht es auch darum, Kolonie und Metropole als „single analytic field“ zu betrachten.128 Am offensichtlichsten ist der Einfluss des Kautschukweltmarktes auf Südkamerun: Ob die Entwicklung der US-Autoindustrie, der Krieg zwischen Russland und Japan, das Verschwinden von Kautschukpflanzen in wichtigen Produktionsgebieten oder der Aufstieg der Plantagenwirtschaft in Malaya – alles wirkte sich direkt darauf aus, wie Kautschuk in Südkameruns entlegensten Gebieten gehandelt wurde und welche Arbeitsbeziehungen dort vorherrschten. Genauso bedeutsam waren Gebiete wie Gabun, Liberia und der Kongostaat für die Kautschukwirtschaft Südkameruns. Die Studie zeigt, dass transnational und transimperial agierende Unternehmen Praktiken und Konzepte der Kautschukwirtschaft, 121 Vgl. Carton 2000. 122 Zum New Materialism vgl. u. a. Fox/Alldred 2018; Latour 2005; Miller 2005. 123 Vgl. Nugent 2018. Zur Wechselwirkung von ökologischen Prozessen und Kolonialismus vgl. Ross 2017. 124 Vgl. Rockel 2006, 99–103. 125 Nur in den Kapiteln über Plantagenarbeit und Arbeiteranwerbung geht die Studie über diese Region hinaus. Außen vor bleibt Neukamerun, das nur kurz unter deutscher Herrschaft stand. Vgl. zu Neukamerun und den dortigen Konzessionsgesellschaften Coquery-Vidrovitch 1972; Ritter 1912; Zimmermann 1913. 126 Bellucci/Eckert 2019b, 9. 127 Conrad 2010, 25. Vgl. auch Zimmerman 2013. 128 Stoler/Cooper 1997, 4.

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aber auch Arbeitskräfte von dort nach Südkamerun brachten. Indem die Studie etwa der liberianischen Arbeitsmigration großen Stellenwert einräumt, bezieht sie auch bisher übersehene Einflüsse aus der atlantischen Welt auf die Entstehung und Entwicklung von Arbeitsbeziehungen in Südkameruns Kautschukwirtschaft mit ein.

Quellen Um die Arbeitsbeziehungen in Südkameruns Kautschukwirtschaft zu rekonstruieren, wertet diese Studie Quellen in deutscher, englischer, französischer, niederländischer, italienischer und ungarischer (letztere in Übersetzung) Sprache aus. Erstmals greift die Studie für eine Sozialgeschichte Kameruns auf das professionelle Wissen kolonialer europäischer Unternehmen und ihrer Angestellten zurück.129 Interne Unterlagen von 19 deutschen, britischen und belgischen Firmen, die in Kamerun aktiv waren,130 sowie nachgelassene Briefe und Papiere von Direktoren, Managern und europäischen wie afrikanischen Angestellten ermöglichen neue Einblicke in das Alltagsleben. Das größtenteils bisher unbekannte Material stammt aus öffentlichen Archiven und Museen, aber auch aus dem Privatbesitz von Unternehmen, Sammlern und Familien in Deutschland, Kamerun, Belgien, Großbritannien, den Niederlanden, Irland, Ungarn, Israel und den USA. Die Unternehmens-Quellen lassen sich in vier Kategorien unterteilen, die am Beispiel der Gesellschaft SüdKamerun (GSK), des am besten dokumentierten Unternehmens der deutschen Periode,131 deutlich werden: Erstens ist im Bundesarchiv umfangreiche Korrespondenz mit den Kolonialbehörden überliefert.132 Zweitens sind Fragmente des Unternehmensarchivs erhalten geblieben.133 Drittens konnten Nachlässe von Mitarbeitern genutzt werden.134 Viertens existieren Beiträge von GSK-Angestellten

129 Hausen konnte für ihre politikgeschichtliche Studie auf Unternehmensakten zurückgreifen. Für die Zwischenkriegszeit nutzt Authaler ebensolche Unterlagen. Vgl. Hausen 1970; Authaler 2018. 130 Es handelt sich um Material folgender Firmen: Afrikanische Kompanie AG, Ambas Bay Trading Company, Bai Rubber & Cocoa Estates, Biologische Station Bipindi, C. Woermann, Farmbetrieb Atok, Gesellschaft Süd-Kamerun, Hatton & Cookson, Jantzen & Thormählen, John Holt & Co., L. Pagenstecher (Randad & Stein), Moliwe Pflanzungsgesellschaft, die Pflanzungen Idenau und Oechelhausen, R. & W. King, Vietor & Freese, W.D. Woodin & Co., Westafrikanische Pflanzungsgesellschaft Bibundi, Westafrikanische Pflanzungsgesellschaft Victoria. 131 Ballhaus, die die bisher einzige Publikation zur GSK vorgelegt hat, hielt das erhaltene Material für nicht ausreichend. Vgl. Ballhaus 1968, 99. 132 Vgl. u. a. BArch R 1001/3442–3459. 133 Vgl. AGR CCCI 1682 und 1683. 134 Nachlässe von drei Aufsichtsratsmitgliedern, zwei Managern, zwei Inspektoren und eines Angestellten. Vgl. AFS 344, 415,416; HADB K 395, 397, 401; AGR Finoutremer. Premier Versement.

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zur kolonialrevisionistischen Erinnerungsliteratur.135 Das Material für die meisten anderen Firmen ist erheblich lückenhafter. Dennoch lässt es sich ebenfalls in die Kategorien Regierungsunterlagen, Firmenarchive, Nachlässe und Erinnerungsliteratur einteilen. Mithilfe der Unternehmensquellen lässt sich das bisher staatszentrierte Bild der deutschen Kolonialherrschaft in Kamerun in der Forschung auf Bereiche erweitern, in denen der koloniale Staat nicht präsent war. Dies gilt insbesondere für Arbeitsbeziehungen. Auch wenn diese Quellen das Problem der eurozentrischen Perspektive nicht lösen, ergeben sie doch ein erweitertes Bild alltäglicher Beziehungen im Kolonialismus, das eine größere Anzahl von Akteuren miteinbezieht. In gewisser Weise ermöglichen nichtstaatliche Quellen sogar eine Perspektive „von unten“. Zwar stammen die meisten Texte von Europäern und nicht von Afrikanern. Dennoch hatten viele Autoren, meist junge Männer Anfang 20 und oft mit schlechter Bildung, eine subalterne Position in der Metropole, gegenüber ihren europäischen Vorgesetzten sowie dem kolonialen Staat. In der kolonialen Situation ist es sicherlich nicht sinnvoll, eine solche Perspektive als herrschaftsfern zu bezeichnen. Sie ist jedoch auch nicht herrschaftsidentisch, sondern kann mit Shirley Ardener als „from the ground, looking upwards“ beschrieben werden.136 Um alltägliche Arbeitssituationen und -konflikte zu rekonstruieren, greift die Studie auch auf erzählende Quellen zurück. Trotz des fiktionalen Charakters von Romanen und Erzählungen ermöglichen diese nicht nur Einblicke, wie Europäerinnen oder Europäer über Afrikanerinnen und Afrikaner dachten.137 Angestellte von kolonialen Handelsunternehmen veröffentlichten aufgrund ihrer subalternen Position in der deutschen Gesellschaft und rechtlichen Einschränkungen nur selten Memoiren.138 Stattdessen veröffentlichten sie Briefe in lokalen und überregionalen Zeitungen,139 aber auch Jugend- oder Abenteuerromane und -erzählungen, für die sie auf ihr eigenes Erleben zurückgriffen. So mancher Roman ist deshalb eine

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Archives de Gaston Périer; MFM KJh; SMB-PK, EM N Langheld; WM HBM Af III 292; S Storck N Koch; MGF N von der Osten. Vgl. u. a. Petersen 1936; Petersen 1939b; Koch 1922; Zippelius 1927a. Knutson/Ardener 2001, xi. Vgl. Vansina 2012, 124 f. Eine Kameruner Romantradition begann, soweit bisher bekannt, erst während der französischen Herrschaft. Vgl. Abanime 1985. Die meisten Firmen verboten Veröffentlichungen. Vgl. SBB-PK Slg. Darmstätter. Dinklage, Max J. Lb 1895 Dinklage an Prof., 24.10.1889; MfN, HBSB Zool. Mus., S III Zenker, G. Bd. 1, 310; DITSL SA H.-A. Ossmann Ossmann an Fabarius, 09.10.1906. Die GSK wiederum verbot nur Veröffentlichungen über geschäftliche Dinge. Dies erklärt die große Zahl von Publikationen ehemaliger GSK-Angestellter. Vgl. S Storck N Koch Arbeitsvertrag, 01.04.1913. Zu Romanen und Memoiren von europäischen Kaufleuten vgl. Newell 2008b. Vgl. Fröhlich 27.08.1910; Pape 20.04.1898; NN 01.08.1905; NN 15.08.1906.

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„crypto autobiography, a memoir in hiding“.140 Zum Beispiel verfasste Erich R. Petersen, 1910–1914 für die GSK in Kamerun,141 in den 1920ern als Jugendroman getarnte Erinnerungen, die Klarnamen von realen Personen und Orten enthalten.142 Ein weiteres Beispiel ist Hans-Albert Ossmann, der 1906–1908 für Randad & Stein in Südkamerun war und unter dem Pseudonym Hans A. Osman einen Schlüsselroman veröffentlichte.143 Bis auf eine erfundene Liebesgeschichte deckt sich die Handlung mit seinen Briefen aus Kamerun.144 Carl W. H. Koch wiederum, der 1909–1911 Stationschef und 1913–1914 ebenfalls Angestellter der GSK war, vertraute seinem Tagebuch an, wie er eigenes Erleben in Literatur verwandelte: So heißt es zu einer nicht erhaltenen Erzählung: „Madjo ist eine Vereinigung von dem Hausjungen u. Jäger Musa, dem Soldaten Landumo, der Sept. 1914 fiel, u. vielleicht noch dem Maka Rekruten Njem, der mich bis Fernando Po begleitete.“145 Einige Episoden und Personen finden sich deshalb in Kochs Tagebüchern oder in Regierungsakten.146 Derartige fiktionale Texte liefern Informationen über alltägliche Aspekte von Arbeitsbeziehungen, die sich schwer aus dokumentarischen Quellen erschließen lassen. Ihre Autoren waren keine Literaten. Handlungsstränge wie Liebesgeschichten, Entführungen oder jüdisch-afrodeutsche Verschwörungen lassen sich leicht als

140 Vansina 2012, 125. 141 Vgl. BArch R 9361 V 9072 Petersen, Erich Robert, Bild. 114. 142 Vgl. Petersen 1937. Auch erschienen als Petersen 1939b. Fast alle seine anderen Veröffentlichungen haben seine Erfahrungen als Angestellter eines Kautschukunternehmens zum Hintergrund. Vgl. u. a. Petersen 1933a; Petersen 1938c; Petersen 1936; Petersen 1938b; Petersen 1931; Petersen 1933b; Petersen o.J; Petersen 1938a; Petersen 1939a; Petersen 1940. 143 Vgl. Osman 1911. Die Firma F. Kuhlentorp entsprach der tatsächlichen Firma L. Pagenstecher (Randad & Stein), die Pflanzung Nsogakon der Plantage Dehane, die Kollegen des Protagonisten mit den Namen Jenssen, Vahl, Feldt und Finkermann entsprechen den beiden leitenden Angestellten Hans Paschen und August Faasch, dem Plantagengründer Curt Buschmann und Ossmanns Witzenhausener Mitschüler Thomas Bicker-Caarten. Auch Leute außerhalb seiner Firma porträtierte Ossmann: Der Kaufmann Walter Bartels erkannte sich selbst in der Figur Hain wieder. Vgl. SBB-PK Ms. germ. oct. 1355, 160 f. 144 Vgl. DITSL SA H.-A. Ossmann. 145 S Storck N Koch Tagebuch 2, 17.05.1918. 146 Die Figur des Soldaten Ndeke, der im Gefängnis einen wehrlosen Gefangenen erschoss, entsprach der tatsächlichen Tat des Soldaten Landumo. Vgl. Koch 1922, 53–59; S Storck N Koch Tagebuch 1, 31.03.1910. Dass Koch die Tat in beiden Texten auf Ruhmsucht zurückführt und nicht tiefer auf lokale Kontexte eingeht, kann gleichzeitig die Beschränktheit dieser Quellengattung zeigen. Koch verfasste auch einen nicht erhaltenen Entwurf zur Lebensgeschichte eines Mannes namens Mokette, über den sich in den Regierungsakten eine biographische Skizze findet. Vgl. S Storck N Koch Tagebuch 2, 25.06.1918; ANY FA 1/559, 15–20. Andere Autoren wie Richard Küas nutzten ihre Erinnerungen, um fiktionale Erzählungen auszuschmücken. So treten einige Personen in mehreren Romanen mit echten Namen auf. Vgl. Küas 18.03.1930; Küas 1941.

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fiktional identifizieren.147 Die sozialhistorische Bedeutung dieser Texte liegt stattdessen in den alltäglichen Praktiken von Arbeit, die die Autoren überliefern und die oftmals nur Lokalkolorit vermitteln sollen. Hierfür griffen sie auf ihre eigenen Erfahrungen zurück und überlieferten Informationen über den Handlungsspielraum afrikanischer Arbeiterinnen und Arbeiter. Als Beispiel kann der wieder und wieder gegebene Hinweis dienen, am besten laufe ein Kaufmann am Ende seiner Karawane. Nur so sei es möglich, die Marschgeschwindigkeit der Trägerinnen und Träger zu kontrollieren. Gleichzeitig ist die Aussagekraft von Romanen und Erzählungen begrenzt. Die Autoren neigten dazu, Gewalt auszulassen oder herunterzuspielen. Auch war ihr Verständnis für die afrikanischen Gesellschaften, in denen sie temporär lebten, gering oder dem Buchmarkt der Metropole angepasst.148 Dennoch zeigt die Studie das Potential dieser Quellen für die Geschichte europäisch-afrikanischer Arbeitsbeziehungen.

Vorgehen und Kapitelübersicht Die Studie gliedert sich in vier Teile, die grob der Chronologie folgen, unterschiedlichen Phasen der Kautschukwirtschaft in Südkamerun entsprechen und die verschiedenen Formen des Kautschukgeschäfts in den Blick nehmen. In Kapitel 2 steht der Handel europäischer Firmen, die von der Küste aus mit Karawanen in die Regenwälder vordrangen, um Gummi zu kaufen, im Mittelpunkt. Es rekonstruiert die Grundlagen des Kautschukhandels und der damit verbundenen Arbeitsbeziehungen in der deutschen Kolonie. Kapitel 2.1 verankert den Kautschukhandel in den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Strukturen der Region. Es fragt nach der Rolle des Kautschukgeschäfts der deutschen Unternehmen im benachbarten Gabun sowie des vorkolonialen Elfenbeinhandels in Südkamerun und der durch ihn geschaffenen sozialen Beziehungen für den Südkameruner Kautschukhandel. Kapitel 2.2 analysiert Entstehung und Entwicklung des Kautschukhandels in Südkamerun. Warum das Geschäft mit Gummi so schnell Fuß fassen konnte, untersucht Kapitel 2.3. Es geht vor allem auf die Arbeit der Kautschukproduzenten und die Logiken ihrer Tätigkeit ein. In Kapitel 2.4 steht das Vehikel dieser Expansion im Zentrum: die ersten Karawanen. Hierzu untersucht es die Bedeutung der Arbeiterfrage in Kamerun. Die Studie analysiert, warum

147 Vgl. Osman 1911; Küas 18.03.1930; Löns 1920. 148 Zur Begrenztheit der Quellengattung vgl. Vansina 2012, 139; Newell 2008b, 3. Kochs Bücher zeigen auch, wie der Inhalt dem zeitgenössischen Geschmack angepasst werden konnte. Anfangs schrieb er explizit über Sex mit Afrikanerinnen. In späteren Auflagen fehlen diese Stellen. Seine sexuellen Beziehungen waren auch der offizielle Grund für seinen Ausschluss aus der NSDAP. Vgl. Storck 2016.

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die europäischen Unternehmen vor allem auf westafrikanische Arbeitsmigranten (liberianische Vai) zurückgriffen. Damit sucht das Kapitel nach Antworten auf die Frage, wie koloniale Arbeit in Südkameruns Kautschukwirtschaft und ältere Formen atlantischer Arbeitsbeziehungen miteinander verknüpft waren. Schließlich untersucht Kapitel 2.5, warum die Firmen ihre migrantische Arbeiterschaft durch eine lokale ergänzen und ersetzen konnten. Wer waren die Männer und Frauen, die nun den Gummi transportierten? Wie interagierten atlantische und lokale Formen der Arbeit? Welche Vorteile zogen afrikanische Akteure aus einem neuen Arbeitsmarkt, der aufgrund der Arbeiterfrage ein seller’s market war und den Anbietern von Arbeitskraft große Spielräume ermöglichte? Kapitel 3 untersucht das Kautschukgeschäft der GSK, einer ab 1899 im Südosten Kameruns aktiven Konzessionsgesellschaft nach dem Vorbild des Kongostaates. Dementsprechend fragen die Kapitel dieses Teils nach den Differenzen, aber auch Gemeinsamkeiten zum bisher untersuchten Freihandelsmodell. Welche Rolle spielten Gewalt und Zwang, die in der Forschung mit dem Konzessionssystem verbunden werden, bei der Mobilisierung von Arbeitskräften? Kapitel 3.1 verortet die deutsche Konzessionspolitik in ihrem nationalen, regionalen und lokalen Kontext und fragt, inwieweit die GSK mit den Unternehmen im Kongostaat vergleichbar war. Handel und Arbeit der Kautschukproduzenten untersucht Kapitel 3.2. Welche Unterschiede bestanden zu den Gebieten des Küstenhandels, wie gelangte das Konzessionsunternehmen in den Besitz des Gummis? Kapitel 3.3 analysiert die Transportarbeiterschaft der GSK und deren Rekrutierungsmechanismen. Abschließend forscht Kapitel 3.4 nach den Spielräumen der Arbeiterschaft der GSK und ihrer Verhandlungsmacht gegenüber dem Unternehmen. Kapitel 4 analysiert, welches Eigengewicht afrikanische Akteure und Handelsstrukturen in Südkamerun gewannen, als der Kautschukboom ab ca. 1905 seinem Höhepunkt entgegenging. Kapitel 4.1 untersucht die gewalttätigste Phase der Expansion des Kautschukhandels zwischen 1902 und 1907, in der Freihandels- und Konzessionssystem auf demselben Territorium um die Arbeit der Kautschukproduzenten konkurrierten. Besonders ins Zentrum rückt hierbei die Frage, welche Folgen die Umstellung des Handels auf afrikanische Subunternehmer hatte, die mit einem Kreditsystem operierten. Kapitel 4.2 analysiert, warum die Versuche des kolonialen Staates scheiterten, den Kautschukhandel der Küstenfirmen – und damit vor allem Praktiken ihrer afrikanischen Arbeiter und Angestellten – einzudämmen und in geregelte Bahnen zu lenken. Kapitel 5 zeigt die parallel vor sich gehende, langsame Umstellung der Arbeit in der Kautschukwirtschaft auf lokale Vertragsarbeit ab ca. 1905. Kapitel 5.1 untersucht die zunehmende Beschäftigung lokaler Vertragsarbeiter in den Karawanen der Handelsfirmen. Kapitel 5.2 zeichnet die Verwandlung von Kautschuk in eine Plantagenkultur nach, die ab 1906 auch in Kamerun an Fahrt gewann. Es analysiert die veränderte Arbeit der Kautschukproduzenten durch den Einbezug kautschuk-

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produzierender Pflanzen in die Plantagenwirtschaft. Anschließend untersucht Kapitel 5.3 mit dem 1905 geschaffenen Eigengebiet der GSK eine forstwirtschaftliche Form der Kautschukproduktion, die zwischen herkömmlicher Produktion von Wildkautschuk und Plantagenproduktion stand. Kapitel 5.4 arbeitet heraus, wie die wachsende Zahl lokaler Vertragsarbeiterinnen und -arbeiter rekrutiert wurde. Tabelle 1 Kautschukexporte der Kolonie Kamerun. 1899–1905 ohne Sangha-Ngoko. Leerstellen: keine Daten. Quellen: Deutsches Kolonialblatt 5–25. Jahr 1884 1885 1886 1887 1888 1889 1890 1891/92 1892/93 1893 1894 1895 1896 1897 1898 1899 1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913

Menge (kg)

Wert (M)

340.276 361.452 413.758 409.061 352.502 340.301 372.273 534.107 560.183 547.348 505.862 424.309 701.695 949.546 1.034.204 1.151.009 1.492.811 1.214.320 1.517.635 1.961.756 2.806.100 2.811.010 2.877.445

1.010.475 1.180.009 1.426.874 1.304.218 1.102.802 1.077.776 878.046 1.600.350 1.897.863 2.058.526 1.746.180 1.418.870 2.247.085 3.625.328 4.071.016 4.676.629 7.641.124 4.779.740 7.551.935 11.070.680 11.030.255 11.472.223 12.121.874

Die Untersuchung endet nicht mit der deutschen Kolonialherrschaft, sondern mit dem globalen Zusammenbruch des Wildkautschukhandels in der Krise von 1913. Ab diesem Punkt war Gummi keine gesellschaftsprägende Kraft mehr in Süd-

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kamerun. Die Studie schließt deshalb mit einem Ausblick auf den Zusammenbruch, die Entwicklung der Kautschukwirtschaft in der Zwischenkriegszeit unter britischem und französischem Mandat sowie dem zweiten Kautschukboom während des Battle for rubber im Zweiten Weltkrieg, als Gummi für einen kurzen Augenblick wieder das Leben aller Menschen in Südkamerun prägte.

Tabelle 2 Anteil der Kautschukexporte an den Gesamtexporten Kameruns. 1899–1905 ohne SanghaNgoko. Quellen: Deutsches Kolonialblatt 5–25; Jahresbericht für die Schutzgebiete 1902/ 03.

Jahr 1891/92 1892/93 1893 1894 1895 1896 1897 1898 1899 1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913

Gesamtexporte in Mark 4.017.897 4.474.849 4.633.363 4.435.274 4.089.843 3.961.308 3.385.463 4.601.620 4.840.781 5.886.458 5.984.576 6.264.099 7.139.456 7.600.168 9.042.774 9.945.903 15.891.418 12.163.881 15.447.717 19.923.667 21.250.883 23.336.212 29.151.855

Anteil der Kautschukexporte am Wert der Gesamtexporte KameKautschukexporte in Mark runs 1.010.475 25,15 % 1.180.009 26,37 % 1.426.874 30,80 % 1.304.218 29,41 % 1.102.802 26,96 % 1.077.776 27,21 % 878.046 25,94 % 1.600.350 34,78 % 1.897.863 39,21 % 2.058.526 34,97 % 1.746.180 29,18 % 1.418.870 22,65 % 2.247.085 31,47 % 3.625.328 47,70 % 4.071.016 45,02 % 4.676.629 47,02 % 7.641.124 48,08 % 4.779.740 39,29 % 7.551.935 48,89 % 11.070.680 55,57 % 11.030.255 51,90 % 11.472.223 49,16 % 12.121.874 41,58 %

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Tabelle 3 Anteil Kameruns am afrikanischen Kautschukhandel, 1900–1913. Quellen: Whitford und Anthony 1926.

Jahr 1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913

Gesamtexporte Afrikas in long tons 15.516 13.840 12.386 16.411 18.660 18.585 20.548 18.890 15.099 18.599 20.143 18.283 18.909 16.026

Kameruns Exporte in long tons 538 509 480 689 933 954 1130 1466 1158 1491 1927 2665 2767 2832

Anteil 3,47 % 3,68 % 3,88 % 4,20 % 5,00 % 5,13 % 5,50 % 7,76 % 7,67 % 8,02 % 9,57 % 14,58 % 14,63 % 17,67 %

Platzierung 8. 8. 8. 8. 9. 9. 10. 5. 5. 5. 3. 2. 2. 2.

2.

Karawanenhandel der Küstenfirmen, 1889–1902

2.1 South Coast: Handel, Herrschaft und Arbeit in Südkamerun, ca. 1800–1890 Der Kautschukhandel, der sich ab 1890 wie ein Flächenbrand durch Südkameruns Regenwälder wälzte, hatte seine Wurzeln im vorkolonialen Elfenbeinhandel.1 Im Laufe des 19. Jahrhunderts hatte dieser eine weitreichende krisenhafte politische, soziale, wirtschaftliche und ökologische Transformationen ausgelöst.2 Dieses Kapitel arbeitet heraus, wie in dieser Krise zwischen ca. 1800 und 1890 Strukturen und Akteure entstanden, die den Aufstieg des Handels mit Gummi ermöglichten. Hierzu entwickelt das Kapitel neue Perspektiven: Erstens löst es die Geschichte Südkameruns aus ihrer künstlichen Verbindung mit dem Kamerun-Ästuar und zeigt stattdessen Verbindungen auf, die die Region zum angrenzenden GabunGebiet hatte. Hierdurch rückt das Gabun-Geschäft der vorkolonialen deutschen Kamerun-Unternehmen C. Woermann und Jantzen & Thormählen in den Blick, das die Forschung bisher kaum zur Kenntnis genommen hat. In Gabun kauften diese Firmen vor allem Kautschuk – lange bevor dieser auch in Südkamerun eine Handelsware wurde. Zweitens zeigt das Kapitel, dass dieser Elfenbeinhandel dort bereits zu enormen sozialen Spannungen führte. Diese schufen die soziale und wirtschaftliche Konstellation, welche die Grundlage des Kautschukhandels in der Region werden sollte: Dem Aufstieg mächtiger, polygyner afrikanischer Familienoberhäupter stand eine große Zahl von ihnen abhängiger, nicht etablierter, sozial jüngerer Männer gegenüber, die Ersteren zusammen mit anderen Abhängigen als Arbeitskräfte dienten. Ebenjene nicht etablierten Männer sollten später als Arbeitskräfte für den Kautschukhandel zentral werden. Drittens zeigt das Kapitel, dass ab 1884 die deutsche Kolonialverwaltung als weiterer Akteur neue Verbindungen und Machtverhältnisse schuf, die den Siegeszug des Kautschukhandels ermöglichten. Cameroons und Batanga: Kamerun in den vorkolonialen Handelsstrukturen der afrikanischen Westküste Im Winter 1884/85 steckten europäische Diplomaten sowie echte und vermeintliche Afrika-Experten in Berlin auf der Kongokonferenz die Interessensphären

1 Zum Elfenbeinhandel in Südkamerun vgl. Wirz 1972, 96–107. 2 Vgl. Vansina 1990, 210.

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ihrer Staaten ab. Mitglied der deutschen Delegation war auch der Reeder, AfrikaKaufmann und Reichstagsabgeordnete Adolph Woermann, einer der wichtigsten Kolonialinteressenten des Deutschen Reiches. 1880 hatte er das bedeutendste deutsche Westafrika-Handelshaus, C. Woermann, und die Woermann-Linie, eine die afrikanische Westküste befahrende Dampferlinie, geerbt. Kurz vor der Berliner Konferenz, im Frühjahr 1884, hatte Woermann Reichskanzler Otto von Bismarck dazu bewegt, deutsche Kolonien in Afrika zu schaffen. Aufgrund seiner Sachkenntnis diente der 37-jährige Unternehmer der Regierung nun auf der Konferenz als technischer Beirat und erklärte den Diplomaten, wie in Afrika Geschäfte gemacht wurden. In einem Vortrag gliederte er den Westafrika-Handel in die „eigentliche Westküste“ von Kap Verde bis zum Kamerun-Ästuar einerseits und die „Südwestküste“ zwischen dem Batanga-Gebiet und dem angolanischen Ambriz andererseits. Beide Regionen unterschieden sich durch die dort üblichen Handelstechniken und Handelswaren: An der Westküste kauften europäische Firmen vor allem Palmöl und Palmkerne, an der Südwestküste hingegen Elfenbein und Kautschuk.3 Die von Woermann beschriebene Unterscheidung zwischen West Coast und South Coast ist essenziell, um die Geschichte des Kautschukhandels in Südkamerun zu verstehen. In seiner neuen Kolonie Kamerun hatte das Deutsche Reich nämlich die benachbarten Endpunkte dieser beiden ökonomischen Großregionen – das Kamerun-Ästuar und die Batanga-Küste – vereinigt. Die kolonialen Grenzen Kameruns waren künstlich und folgten europäischen Interessen und Phantasien.4 Sie zerschnitten politische wie ökonomische Zusammenhänge und verknüpften Gebiete, die wenig verband. Kamerun war ein Konglomerat von mindestens vier überlappenden und interagierenden, aber unterscheidbaren ökonomisch-politischen Regionen: Adamaua im Norden war ein Emirat des Sokoto-Kalifats, der Südosten über den Sangha-Fluss an das Kongobecken angebunden. Das Kamerun-Ästuar gehörte zu den Oil Rivers und war damit Teil der West Coast. Die Batanga-Küste wiederum galt als nördlichster Punkt Gabuns und gehörte zur South Coast.5 Jeder Teil war enger verflochten mit Nachbargebieten, die ab 1884 außerhalb der Kolonie lagen, als mit den nun politisch vereinigten Teilen. Studien zu KamerunÄstuar, Cross-River-Gebiet und Adamaua haben dem Rechnung getragen und Nachbarregionen in ihre Analysen einbezogen.6 Wenig Beachtung hat aber bisher

3 4 5 6

NN 1885c, 3. Vgl. Harding 2006, 29 ff. Kritisch: Nugent 1996. Zu Kameruns Grenzen vgl. Ardener 1996, 267–276. Vgl. Wirz 1972; Harms 1981; Dike 1956; Lynn 1997. Vgl. Wirz 1972; Austen/Derrick 1999; Michels 2004; Midel 1990; Gottschalk 2017; Weiss 2000. Gesamtdarstellungen orientieren sich am europäischen Modell der Nationalgeschichte. Vgl. Mveng 1963; Temgoua 2014; Owona 1996; Eyongetah/Brain 1974. Zur Kameruner Historiographie vgl. Michels 2005. Zu Nationalismus in der afrikanischen Geschichtsschreibung vgl. Eckert 2002.

South Coast: Handel, Herrschaft und Arbeit in Südkamerun, ca. 1800–1890

die Unterscheidung zwischen West und South Coast gefunden – bzw. zwischen Cameroons und Batanga.7 Europäische Unternehmen differenzierten seit dem transatlantischen Sklavenhandel zwischen West Coast und South Coast, fußend auf dem Einfluss von Windund Strömungsverhältnissen entlang der afrikanischen Westküste auf europäische Segelschiffe.8 Sklaven- und Palmölhändler segelten im 18. und 19. Jahrhundert mit dem Guineastrom die Westküste entlang ostwärts bis ins Kamerun-Ästuar. Ihr weiteres Vordringen erschwerte eine von Süden kommende Gegenströmung. Sie fuhren deshalb gewöhnlich nun nach Fernando Po, wo sie den Südäquatorialstrom zur Fahrt nach Europa oder den Amerikas nutzen konnten. Händler, die Geschäfte an der South Coast machten, fuhren hingegen zuerst Richtung Brasilien, überquerten den Südatlantik und segelten mit dem Benguelastrom nordwärts die afrikanische Küste entlang über Angola, Kongo, Loango und Gabun bis Batanga. Die dort konvergierenden Strömungen machten es schwierig, weiter nach Norden zu fahren, weshalb die Schiffe ebenfalls mit dem Südäquatorialstrom nach den Amerikas oder Europa fuhren.9 Auf diese Weise entstanden zwei Handelsgebiete – mit Kamerun-Ästuar und Batanga-Küste jeweils am äußersten Rand. Diese in der Frühen Neuzeit geschaffenen Strukturen blieben bestehen, selbst nachdem ab 1852 europäische Dampferlinien (bis in die 1860er jedoch nur an der Westküste) den Handel von Wind und Strömungen unabhängiger machten.10 Denn West und South Coast entwickelten sich nach der britischen Ächtung des Sklavenhandels ab 1807 unterschiedlich. Im legitimate commerce erlebte die Westküste einen Palmölboom, da Europas neue Industrien massenhaft Palmöl verwendeten. An der South Coast hingegen waren Elfenbein, Edelhölzer und ab den 1860ern auch Kautschuk die bedeutendsten Waren.11 Obwohl nur wenige Kilometer Kamerun-Ästuar und Batanga-Küste trennen und Duala einerseits sowie Banoko und Bapuku (genannt „Batanga“) andererseits ähnliche Sprachen sprechen,12 entwickelten sich beide Regionen im legitimate commerce unterschiedlich. Wie viele Sklavenhändler der Westküste stellten die Duala

7 Ausnahmen sind: Wirz 1972, 97; Chilver 1977, 150. 8 Für Einflüsse von Wind und Strömung auf die europäische Expansion vgl. Bankoff 2017; Thornton 2012, 19–28. 9 Zu Strömungen und Westafrika-Handel vgl. Lynn 1997, 94; Martin 1972, 101; Bold 1822, 85. 10 Zur Dampfschifffahrt in Westafrika vgl. Lynn 1997, 105–128; Lynn 1989; Davies 2000. 11 Vgl. Lynn 1997, 24 f.; Patterson 1975, 60, 74. Ende des 19. Jahrhunderts gab es an der South Coast 2 Zonen: Südlich von Pointe-Noir wurde auch Palmöl gehandelt, nördlich davon vor allem Kautschuk. Vgl. Martin 1972, 153 f. 12 Vgl. Ardener 1956; Dugast 1949, 20. Die Studie folgt Richard und schreibt „Batanga“. Vgl. Richard 1970a, 374.

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ihren Handel spätestens in den 1830ern auf Palmöl um.13 Zusammen mit den Handelsplätzen im Nigerdelta und Old Calabar gehörte das Kamerun-Ästuar zu den Oil Rivers, dem Gravitationszentrum des Palmölhandels.14 Seit dem Sklavenhandel war die Region ein Kommunikationsraum mit ähnlichen Handelspraktiken und sozialen Institutionen, der sich während des Palmölgeschäfts weiter verfestigte.15 Die Batanga-Küste hingegen galt als nördlichster Punkt Gabuns, unter dem Europäer Mitte des 19. Jahrhunderts vor allem das Gabun-Ästuar, aber auch das Gebiet von der Loango-Küste im Süden bis zur Batanga-Küste im Norden verstanden.16 Statt Palmöl dominierte der Elfenbeinhandel in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts den legitimate commerce in Gabun. An der Batanga-Küste, die in den 1850ern als einer der bedeutendsten Elfenbeinmärkte der gesamten Westküste galt,17 war Elfenbein sogar das einzige vorkoloniale Handelsprodukt.18 Dieser unterschiedlichen Entwicklung folgend unterhielten Firmen, die sowohl am Kamerun-Ästuar als auch an der Batanga-Küste tätig waren, dort verschiedene Geschäftszweige: Kamerun- und Gabun-Geschäft. 1884 waren diese so strikt getrennt, dass Reisende, die auf die Infrastruktur der Unternehmen angewiesen waren, Probleme hatten, vom Kamerun-Ästuar ins benachbarte Malimba zu fahren, das bereits zum Gabun-Geschäft gehörte.19 Spätestens Mitte des 19. Jahrhunderts war die Batanga-Küste politisch, wirtschaftlich und kulturell auf Gabun ausgerichtet. Die Batanga waren wahrscheinlich erst zu Beginn des Jahrhunderts an die Küste gekommen.20 Anfangs hatten sie sowohl an die Duala vom Kamerun- als auch an die Mpongwe vom Gabun-Ästuar Elfenbein verkauft.21 Aber als sich die Duala zunehmend auf den Palmölhandel konzentrierten, geriet die Küste in den 1840ern unter die Hegemonie der Mpongwe.22 Diese waren seit Jahrhunderten in Kontakt mit Europäern und hatten Zugang zu deren Waren. Sie zwangen die Batanga, ihr Elfenbein nach Gabun oder Cape

13 Sklavenhandel fand bis in die 1860er statt, spielte aber seit den 1840ern keine wirtschaftliche Rolle mehr. Vgl. Austen/Derrick 1999, 23–31, 49–55; Wirz 1972, 60–66. 14 Vgl. Dike 1956; Wirz 1972; Austen/Derrick 1999. 15 Vgl. Austen/Derrick 1999, 79; Wirz 1972, 74 f.; Newbury 1972, 84 f. 16 Vgl. Burton 1876, Bd. 1, 62. 17 Vgl. Alpers 1992, 356; Wilson 1856, 241, 287; Hutchinson 1861, 224; Zöller 1885d, 46. 18 Vgl. Wirz 1972, 97. 19 Vgl. Zöller 1885d, 1. Wirz rechnet Malimba zum Kamerun-Geschäft. Vgl. Wirz 1972, 97. 20 Vgl. Dugast 1949, 19 f. Zur Batanga-Migration vgl. Adams 1907a, 1022 f.; Adams 1907b, 34 f. Richard datiert die Ankunft der Batanga an der Küste auf Ende des 17. Jahrhunderts, geht aber generell zu unkritisch mit mündlicher Tradition um. Vgl. Richard 1970a, 395 f.; Wirz 1972, 258, Fn. 54. 21 Vgl. Wilson 1849, 351. 22 Vgl. Patterson 1975, 60.

South Coast: Handel, Herrschaft und Arbeit in Südkamerun, ca. 1800–1890

Lopez zu bringen, wo die Mpongwe es an die Europäer verkauften.23 Der Einfluss der Mpongwe war so groß, dass ihre Sprache an der Batanga-Küste noch nach 1880 als Verkehrssprache diente.24 Aus dieser wirtschaftlichen Ausrichtung der BatangaKüste auf Gabun ergaben sich weitere Beziehungen: Christliche Batanga schickten ihre Kinder auf die Schulen der seit den 1840ern in Gabun und auf der CoriscoInsel vertretenen US-amerikanischen Presbyterianer-Mission.25 1871 sandten die Amerikaner einen afrikanischen Prediger nach Groß-Batanga und bauten 1879 dort eine erste Kirche.26 Aufgrund der starken Verflechtung beanspruchte Frankreich das Gebiet als Teil Gabuns.27 Erst Ende 1885 konnte die deutsche Regierung den Nachbarn bewegen, auf die Batanga-Küste zu verzichten.28 Von Anfang an war Kamerun folglich eine Doppel-Kolonie. Indem Konsul Gustav Nachtigal im Sommer 1884 in Bismarcks Auftrag und mit Woermanns Hilfe sowohl am Kamerun-Ästuar („Cameroons“) als auch an den Plätzen der BatangaKüste die deutsche Fahne hisste, schmiedete er zwei Küstengebiete zusammen, die zumindest ökonomisch wenig gemeinsam hatten. Den Zeitgenossen war dies bewusst: 1885 fand sich für die neuen Erwerbungen teilweise die Bezeichnung „Kamerun und Batanga“.29 Die divergierende regionale Verflechtung des nördlichen und des südlichen Teils Kameruns wirkte während der deutschen Kolonialherrschaft fort: Erstens blieben beide Teile weitgehend unverbunden. Bis 1905 gab es keine sichere Landverbindung zwischen Kamerun-Ästuar und dem Hinterland der Batanga-Küste.30 Zweitens blieb Südkamerun ziemlich autonom vom entfernten administrativen Zentrum der Kolonie in Duala bzw. Buea. Drittens unterschieden sich die beiden Regionen ökonomisch. In Südkamerun dominierte ab 1890 der Kautschukhandel, während Gummi in anderen Regionen ein Produkt unter vielen blieb. Firmen spezialisierten sich deshalb auf den Südkameruner Kautschukhandel oder auf das Geschäft in anderen Teilen der Kolonie.31 Nord- und Südkamerun

23 Vgl. NN 1847, 259; Wilson 1856, 289; Patterson 1975, 60. Zwischen Mpongwe und Batanga herrschte eine hierarchische Beziehung. 1860 heirateten Mpongwe-Händler Batanga-Frauen, andersherum war dies unmöglich. Vgl. Hutchinson 1860, 561. 24 Vgl. Hartert 1891, 206. 25 Vgl. Nassau 1910, 122; Reading 1890, 267; Kirchhoff 1886, 145; Nassau 1893, 155; Richard 1970a, 376. Zu Beginn der 1880er besuchten Batanga-Kinder auch die Baptistenschulen am Kamerun-Ästuar. Vgl. NN 1881, 176. 26 Vgl. Mokosso 2007, 18. Zur Geschichte der presbyterianischen Mission in Kamerun vgl. Mokosso 2007; Rudin 1938, 374 f.; Steiner 1903; Bouchaud 1952, 137. 27 Vgl. Rudin 1938, 23; Laburthe-Tolra 1981, 156. 28 Vgl. Rudin 1938, 73 ff. 29 Heichen 1885, Bd. 3, 213. Vgl. auch Beelitz 1885, 16. 30 Vgl. KA 1906, 39. 31 Bis 1914 organisierten sich die Firmen deshalb in einer Handelskammer für Südkamerun und einem Verein der Nord- und Mittelkamerun-Kaufleute. Vgl. Hausen 1970, 245.

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Karawanenhandel der Küstenfirmen, 1889–1902

teilten so wenige Interessen, dass Beamte und Kaufleute 1907/08 sogar planten, den Süden aus der Kolonie herauszulösen.32 C. Woermann und Jantzen & Thormählen: Deutsche Kamerun-Firmen zwischen West und South Coast Emil Wichulla war Augenzeuge von Nachtigals Mission an die afrikanische Westküste. Geboren 1861 in Berlin, aufgewachsen in Glückstadt, begann er 1876 eine Kaufmannslehre. 1882 verliebte er sich in Emilie Petersen. Doch diese stammte aus einer wohlhabenderen Familie als er.33 Um „so viel Geld zu erwerben um Ihr einmal ebenbürtig zu sein“34 , verpflichtete sich Wichulla, fünf Jahre für die Firma Jantzen & Thormählen an der afrikanischen Westküste zu arbeiten.35 Am 3. September 1882 stach er von Hamburg aus in See. Wenige Jahre später, 1884, bereiteten Jantzen & Thormählen zusammen mit C. Woermann Nachtigals Mission entscheidend vor. Doch Wichulla traf Nachtigal nicht im Kamerun-Ästuar, mit dessen Handel seine Firma verbunden wird, sondern weiter südlich in Bata, im heutigen ÄquatorialGuinea.36 Wichulla war nicht Jantzen & Thormählens „Kamerun-“, sondern dem „Biafra-Geschäft“ an der South Coast zugeteilt worden. Einige Zeit später arbeitete Wichulla für die Firma auf dem Ogowe-Fluss, tief im Innern Gabuns.37 Am Kamerun-Ästuar arbeitete er nie. Er kaufte auch selten Palmöl, sondern vor allem Elfenbein und Kautschuk. Wichullas Briefe und Tagebücher zeigen erstens, dass das Geschäft der vorkolonialen deutschen Kamerun-Firmen ausgedehnter war als in der Forschung dargestellt. Zweitens verdeutlichen sie, dass die Unternehmen nicht nur Palmöl, sondern bereits zu diesem Zeitpunkt große Mengen Kautschuk kauften. Bisherige Untersuchungen überschätzen genauso wie die zeitgenössische und die kolonialrevisionistische Literatur die Bedeutung des Palmölhandels und des Geschäfts am Kamerun-Ästuar für Woermann und Jantzen & Thormählen. Denn die von A. G. Hopkins sogenannte „second partition of Africa“, die Schaffung von Geschäftsbereichen europäischer Unternehmen auf dem Kontinent, ist noch immer kaum untersucht.38 Als Kamerun 1884 deutsche Kolonie wurde, war für beide deutschen Firmen das South-Coast-Geschäft in Gabun, das im Wesentlichen ein

32 33 34 35 36 37 38

Vgl. Hausen 1970, 263. Vgl. PASch N Wichulla Tagebuch 3, Lebensbeschreibung. PASch N Wichulla Tagebuch 2, 25.09.1888. Vgl. PASch N Wichulla Tagebuch 1, 03.09.1882. Vgl. PASch N Wichulla Tagebuch 1, 31.07.1884. Vgl. PASch N Wichulla Tagebuch 1, 25.02.1885. Hopkins 1976b, 276. Vgl. auch Cooney 1980.

South Coast: Handel, Herrschaft und Arbeit in Südkamerun, ca. 1800–1890

Kautschukhandel war, bedeutender als der Palmölhandel am Kamerun-Ästuar.39 Folglich brachten die Firmen um 1890 bereits Erfahrungen im und Interesse am Kautschukhandel mit nach Südkamerun. Woermann, das bedeutendste deutsche Westafrika-Handelshaus, verdankte seinen Aufstieg dem Handel in Gabun. Die Firma gehörte zu einer neuen Generation von Familienunternehmen, die sich in den 1840ern ins Westafrika-Geschäft einschaltete.40 Woermann handelte seit 1849 in Afrika, als ein Kaufmann namens Carl Goedelt dem Unternehmensgründer, Carl Woermann, eine Zusammenarbeit an der Peripherie der West Coast vorschlug: in Liberia.41 Auf der Suche nach neuen Geschäftsgebieten expandierte das Unternehmen anschließend zunächst nicht weiter an der West Coast, etwa in die boomenden Oil Rivers, sondern nach Gabun. Hier, an der South Coast, war zwar weniger Geld zu machen, gleichzeitig herrschte aber weniger Konkurrenz.42 Damit war die Region ein guter Platz für Newcomer. Seit dem 16. Jahrhundert handelten am Gabun-Ästuar europäische Firmen mit den Mpongwe.43 Im frühen 19. Jahrhundert machten vor allem britische und amerikanische Firmen dort Geschäfte.44 1842 ließen sich auch amerikanische Presbyterianer-Missionare dort nieder. Ein Jahr darauf folgte ihnen die französische Marine, um den in der Region fortdauernden Sklavenhandel zu stoppen und befreite Sklaven anzusiedeln.45 Gabun wurde damit französisch – aber amerikanische und andere europäische Firmen dominierten weiterhin den Handel. Für Woermann eröffneten sich in Gabun neue Chancen, als US-Firmen nach 1861 aufgrund des Amerikanischen Bürgerkrieges aus dem Geschäft ausschieden.46 Mit einer Faktorei in Gabun schuf Woermann 1862 eine zweite afrikanische Filiale,47 die schnell zum wichtigsten Geschäftszweig wurde. 39 Die Geschichte des deutschen Gabun-Handels ist ein Forschungsdesiderat. Vgl. Rich 2009a, 217. Für zeitgenössische Darstellungen vgl. Lenz 1878b; Hübbe-Schleiden 1879. 40 Vgl. Lynn 1997, 98 f. Zu Familienunternehmen im Westafrika-Handel vgl. Lynn 1997, 95. Woermann handelte anfangs auch mit indischen, karibischen und australischen Häfen. Vgl. Bohner 1935b, 61, 69, 93; Brackmann 1935, 2 f. Zur Geschichte Woermanns vgl. Bavendamm 1987; Aanderud 2012; Bohner 1935b; Brackmann 1935; Jantzen 1961; Möhle 1999b; Hücking/Launer 1986. 41 Vgl. Bohner 1935b, 76 f. Die Firma kaufte in Liberia vor allem Palmöl und trat anfangs unter dem Namen C. Goedelt auf. Vgl. NN 1861, 355; StAH 132-5/7/17 Memorandum, Hanseatic Legation, 22.02.1865. Zu Goedelt vgl. Hieke 1937a; Hieke 1937b; Washausen 1968, 78 f.; Hieke 29.11.1936. 42 Vgl. Lynn 1997, 99; Anstey 1957; ACW Briefe Carl Woermann an Kapt. Brehm [Brehmer], Woermann an Brehmer, 21.05.1862; Pedler 1974, 79; Bohner 1935b, 78. 43 Vgl. Bucher 1986, 138 ff. 44 Vgl. Lynn 1997, 88. 45 Vgl. Pedler 1974, 79. Der Sklavenhandel nach São Thomé und Príncipe aus Gabun dauerte trotzdem noch bis mindestens 1876. Vgl. Lenz 1878b, 39 ff. 46 Zum Ausscheiden der US-Firmen vgl. Patterson 1975, 121. 47 Vgl. Bohner 1935b, 78. Möglicherweise hatte Woermann bereits zuvor in Gabun Coasting-Handel betrieben. Vgl. Schramm 1950, 290; Schütze 1909, 75.

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Woermann etablierte das Gabun-Geschäft in einer Zeit dramatischen Wandels. Erstens veränderte und intensivierte sich der Handel in Gabun nach 1850. Egal ob die europäischen Kaufleute ihren Handel durch Coasting betrieben oder abgetakelte Schiffe – Hulks – als Handelsstützpunkte nutzten:48 Bis 1850 hatten Europäer und Amerikaner ihre Geschäfte mit den Mpongwe-Familienoberhäuptern abwickeln müssen.49 Mit ihren Kanus kontrollierten diese nicht nur den Handel im Ästuar, sondern an der Küste zwischen Cape St. Catherine im Süden und der BatangaKüste im Norden sowie auf den Flüssen im Hinterland.50 Doch unter dem Schutz der Franzosen verdrängten die europäischen Firmen ab 1850 die Mpongwe aus dem Geschäft: Zum einen, indem sie Faktoreien an der Küste anlegten.51 Diese „waren die Knotenpunkte eines komplexen Netzwerks von Produktion, Handel und Verbrauch, das bis tief ins Innere des Kontinents reichte“, und dienten vor allem dem Sammeln von Handelsprodukten.52 Zum anderen, indem sie mit französischer militärischer Unterstützung immer tiefer ins Ästuar und die darin mündenden Flüsse vordrangen, um direkt mit den Produzenten zu handeln. Die Mpongwe arbeiteten in den 1860ern nur noch als Angestellte der Firmen im Hinterland.53 Zweitens – und dies ist für die Geschichte Südkameruns besonders relevant – begann 1853 in Gabun der erste Kautschukboom Afrikas –15 Jahre vor anderen Gebieten des Kontinents und zu einer Zeit, als der Kautschukhandel auch in Südamerika erstmals über Brasilien hinaus expandierte.54 Dass es in Gabun kautschukproduzierende Lianen gab, war seit 1817 bekannt.55 Doch die Erfindung der Vulkanisation hatte der Kautschukindustrie Europas und vor allem der USA, die schon damals 50 Prozent allen Rohgummis verbrauchten, neuen Aufwind gegeben.56 Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass nun ein Amerikaner, der Missionar J. L. Wilson, wiederentdeckte, dass die Mpongwe den Latex von Lianen der Gattung Landolphia nutzten, um Bälle und Trommeln herzustellen. Wilsons Freund und Landsmann Richard E. Lawlin, Agent für verschiedene US-Firmen, exportierte

48 Beim Coasting fuhren europäische Schiffe die Küste entlang und kauften Sklaven oder Produkte oder sie gaben Handelskredite (trust) aus, um später hierfür Produkte zu erhalten. Vgl. Lynn 1997, 87 f.; Müller 1971, 50. Zum Hulk-Handel vgl. Sundström 1965, 32. 49 Zur Mpongwe-Sozialstruktur vgl. Rich 2007a, 5–8. 50 Vgl. Patterson 1975, 60; Burton 1876, 63; Chamberlin 1977, 162 f. 51 Vgl. Chamberlin 1977, 86. Möglicherweise besaßen Hatton & Cookson 1851 die erste Faktorei in Gabun. Vgl. Schanz 1903, 162. 52 Van den Bersselaar 2005, 153. Vgl. Austen 1987, 84 f. 53 Vgl. Chamberlin 1977, 87 ff.; Patterson 1975, 124. 54 Vgl. Coates 1987, 48. 55 Vgl. Bowdich 1819, 446. 56 Vgl. Coates 1987, 47.

South Coast: Handel, Herrschaft und Arbeit in Südkamerun, ca. 1800–1890

1853 den ersten Gummi. Zwei Jahre später war Kautschuk eines der wichtigsten Exportprodukte.57 Woermann wuchs in Gabun, weil die Firma dort mit Kautschuk handelte. Von Beginn an kaufte das Unternehmen dort vor allem Gummi. Schon im März 1862 schrieb Carl Woermann an Heinrich Brehmer, der für die Firma das GabunGeschäft eingerichtet hatte, „Hauptartikel für Gaboon“ sei der wertvolle „Indian Rubber“.58 1863 lobte Woermann den „brillanten Preis für den Gummi“.59 Zusammen mit der Liverpooler Firma Hatton & Cookson dominierte Woermann in den 1870er- und 1880er-Jahren den Handel in Gabun.60 Wilhelm Hübbe-Schleiden, selbst mit einer Firma am Gabun-Ästuar, schrieb über beide Unternehmen: „[C]ommerciell sind nur sie allein von allgemeinerer Bedeutung“.61 R. B. N. Walker, Hauptagent von Hatton & Cookson, hielt Woermann 1876 für die wichtigere Firma: „In fact not only the French houses, but the English firms, seem to become yearly more and more unable to compete successfully with Carl Woermann, of Hamburg“.62 Woermann und Hatton & Cookson betrieben einen expansiven Handel in Gabun. Probleme, Techniken und Muster dieser Expansion sollten sich später in Südkamerun reproduzieren. Erstens führten die hohen Preise, die Kautschuk in Europa und den USA erzielte, und die Methoden, ihn zu gewinnen, zur Zerstörung der Bestände kautschukliefernder Pflanzen. Die Kautschuksucher Gabuns versuchten, schnell möglichst viel Kautschuk herzustellen und zu verkaufen. Da sie hierzu die Lianen zerhackten, verschwanden diese zusehends aus dem Ästuar.63 Ähnliches galt für Elfenbein und Edelhölzer. Zweitens führte dies zu einer starken Expansion des Handels. Immer mehr Produzenten wurden zu Händlern, da Rohstoffe nur noch tiefer im Hinterland gewonnen werden konnten. Immer weiter sandten die 57 Vgl. Patterson 1975, 60; Wilson 1856, 245. Zu Lawlins vgl. Yates 2018, 268. 58 ACW Briefe Carl Woermann an Kapt. Brehm [Brehmer], Woermann an Brehmer, 20.03.1862. Zu Brehmer (1832–66), der 1853 bis 1866 in Afrika war, vgl. Lenz 1876, 5; Lohse 1972, 95; Brehmer 1912, 8. 59 ACW Briefe Carl Woermann an Kapt. Brehm [Brehmer], Woermann an Brehmer, 20.08.1863. 60 Hatton & Cookson entstanden um 1800 und stiegen ebenfalls in den 1840ern ins Afrika-Geschäft ein. Sie handelten erst an der West Coast, dann ab 1845 in Angola und bewegten ihr Geschäft von dort nach Norden. In den 1850ern lag ihr Schwerpunkt auf der South Coast. Die Firma war später auch in Südkamerun aktiv. Vgl. Lynn 1997, 95, 99; Pedler 1974, 79; UCA Rankin 1938, 74 f.; Anstey 1957, 50 f. Weitere später in Südkamerun aktive Gabun-Firmen waren: John Holt & Co. (Liverpool) und Thomas King (Bristol), Vorgänger von Richard & William King (R. & W. King). Zu R. & W. King vgl. Lynn 1992; Rankin 1938, 57 f.; Pedler 1974, 8–26; Heuer 1989. Zu John Holt & Co. vgl. Gertzel 1959; Davies 1993; John Holt & Co. 1962; Vos 2009. 61 Hübbe-Schleiden 1879, 77. Vgl. auch Horn 1927, 57. Zu Horn vgl. Couzens 1994. 62 Walker 1876, 233. 63 Vgl. Chamberlin 1977, 92. Für eine andere destruktive Methode vom Ogowe vgl. Lenz 1878b, 127 f. Destruktive Methoden scheinen Nebenprodukt des Kautschukbooms gewesen zu sein. Vgl. Burton 1876, 123.

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Firmen folglich ihre Angestellten die Flüsse des Ästuars hinauf.64 Hatton & Cookson dehnten ab 1868, Woermann ab 1871 das Geschäft auf den südlich von Gabun gelegenen Ogowe aus.65 Dieser schiffbare Strom erlaubte es ihnen, mit Kanus und Dampfpinassen hunderte Kilometer weit ins Landesinnere zu neuen Rohstoffquellen vorzudringen. In den 1870er-Jahren verlagerte sich deshalb der Schwerpunkt des Gabun-Handels auf den Ogowe. Doch auch hier verschwanden Kautschuk, Elfenbein und Edelhölzer zunehmend.66 Nachdem Woermann in Gabuns Kautschukhandel zu einer bedeutenden Firma gewachsen war, nutzte das Unternehmen seine neue Stärke, um in das lukrative Oil-Rivers-Geschäft an der West Coast einzusteigen.67 Zwar hatten schon Ende der 1850er Woermanns Schiffe das Kamerun-Ästuar angelaufen.68 Doch erst 1868 gründete die Firma eine Oil-Rivers-Filiale. Woermann beauftragte den jungen Johannes Thormählen, zu untersuchen, ob das Unternehmen sich besser nach Old Calabar oder ins Kamerun-Ästuar ausdehnen sollte.69 Thormählen, 26 Jahre alt und 1864 erstmals für Woermann nach Gabun ausgereist,70 entschied sich bekanntlich für das Handelsgebiet der Duala, obwohl dieses als „perhaps the most troublesome place on the coast“ galt,71 wo aber weniger Konkurrenz herrschte.72 Thormählen baute in den nächsten Jahren Woermanns dritte Afrika-Filiale am Kamerun-Ästuar auf. 1874 aber machte er sich zusammen mit dem früheren Leiter des Woermann’schen Liberia-Geschäftes, Wilhelm Jantzen, selbständig.73 Sie gründeten Jantzen & Thormählen, neben Woermann das zweite Unternehmen, das für die spätere Gründung der Kolonie Kamerun bedeutsam war.74 Weder für Woermann noch für Jantzen & Thormählen hatte das KamerunGeschäft jedoch eine so große Bedeutung, wie bisher angenommen. Denn die

64 Vgl. Chamberlin 1977, 100 f. 65 Vgl. Chamberlin 1977, 167 f.; Schulze 1874, 157. 66 Ähnliches passierte anderswo in Gabun, etwa in Fernan Vaz und Sette Camma. Vgl. Chamberlin 1977, 130–278. 67 Hatton & Cookson hatten ihr früheres dortiges Geschäft aufgegeben, waren aber in den 1880ern wieder in Brass und im Kamerun-Ästuar tätig. John Holt & Co., seit 1869 in Gabun und an anderen South-Coast-Plätzen, wagte Ende der 1870er den Schritt an die Oil Rivers. Vgl. Pedler 1974, 81 ff.; Gertzel 1959, 110 ff.; LRO 380 HOL I/1/4 Holt: Vortrag, 26.10.1917; John Holt & Co. 1950, 27 f. 68 Vgl. Kapitän J. E. R. 05.02.1898; ACW Briefe Carl Woermann an Kapt. Brehm [Brehmer]. Woermann an Brehmer, 21.05.1862; Schramm 1950, 290. 69 Vgl. Schramm 1950, 298 f.; Coppius 1905, 54. Zur Biographie Thormählens vgl. BArch N 2306/2, 7–10; Lesser 1885, 17; Weidmann 1894, 174; Schmack 1942. 70 Vgl. Schmack 1942; Coppius 1905, 54. 71 NN 1865, 35. 72 Vgl. Austen/Derrick 1999, 63. Zur Geschichte Woermanns im Kamerun-Ästuar vgl. Voss 1895. 73 Zu Jantzen vgl. Loose 1974; Lesser 1885, 17; Weidmann 1894, 62. 74 Vgl. Jaeck 1960, 41.

South Coast: Handel, Herrschaft und Arbeit in Südkamerun, ca. 1800–1890

Hoffnungen der deutschen Firmen erfüllten sich dort nicht. Seit den 1860ern verloren die Oil Rivers an kommerzieller Bedeutung.75 1865, auf dem Höhepunkt des Palmölbooms, hielten sich im Kamerun-Ästuar bis zu 400 Europäer auf. Als Nachtigal es 1884 zum deutschen Schutzgebiet erklärte, waren es nur noch ca. 50.76 Schon Thormählen hatte sich 1874 im Kamerun-Ästuar selbständig machen können, weil viele britische Firmen sich aufgrund der sinkenden Palmölpreise zurückgezogen hatten.77 Zeitgleich stiegen die Kautschukpreise stark an.78 Folglich verdiente Woermann erheblich mehr Geld in Gabun als im Kamerun-Ästuar. Während Kamerun 1877–1884 insgesamt 314.560 Mark Gewinn machte, brachte Gabun 1.179.458 Mark ein!79 1883 hatte Woermann in Gabun und am Ogowe 45 Angestellte, zehn in Liberia und acht im Kamerun-Ästuar.80 Demnach konnte die Firma dort zwar mit wenig Personal große Einnahmen erzielen. Das Geschäft war aber wegen der nötigen hohen Kredite (genannt trust) sehr kapitalaufwendig.81 Jantzen & Thormählen, gegründet als Oil-Rivers-Firma, bauten ab 1880 (mutmaßlich ebenfalls wegen der sinkenden Palmöl- und der steigenden Kautschukpreise) einen zweiten Geschäftszweig an der South Coast auf. Dieses „Biafra-Geschäft“ umfasste Batanga, Gabun und den Ogowe, wo die Firma Elfenbein, Edelhölzer und vor allem Kautschuk kaufte.82 Kurzum: 1884 war Gabun der wichtigere Geschäftszweig für Woermann und Jantzen & Thormählen. Daraus ergibt sich erstens, dass beide Unternehmen 1884 keine reinen Kamerun-Firmen, sondern eher Gabun-Firmen mit einem Zweiggeschäft in Kamerun waren. Zweitens – und dies ist besonders bedeutsam – erarbeiteten sich sowohl Woermann als auch Jantzen & Thormählen durch ihr Gabun-Geschäft lange vor dem Kautschukboom in Südkamerun eine intime Kenntnis des Kautschukhandels und des globalen Kautschukmarktes.

75 76 77 78 79 80 81 82

Vgl. Richardson 2004, 58. Vgl. Austen/Derrick 1999, 63; NN 1865, 34. Vgl. Austen/Derrick 1999, 63. Zum Palmölpreis vgl. Lynn 1997, 111–114; Wirz 1972, 80. Die Preise für afrikanischen Kautschuk stiegen von 22 auf 34 Pence. Vgl. Heinzerling 1883, 21 f. Vgl. ACW Bilanzen 1877–84. Vgl. Bohner 1935b, 131. Vgl. Austen/Derrick 1999, 74 f. Lesser datiert die Expansion auf 1879. Bruno Stein, der das Geschäft aufbaute, gibt 1880 an. Vgl. Lesser 1885, 17; PAAA R 901/52476, 110. Zum Ogowe vgl. PASch N Wichulla Tagebuch 1, 19.01.1883. Zum Kautschukhandel der Firma vgl. PASch N Wichulla Tagebuch 2, passim.

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Elfenbein: Handel, Macht und Konsum an der Batanga-Küste, ca. 1800–1890 Auf den Journalisten Hugo Zöller, der im Auftrag der Kölnischen Zeitung Westafrika bereiste, machte die Batanga-Küste im Januar 1885 einen langweiligen Eindruck.83 Bis an den Strand reichte dort der tropische Regenwald. „Dörfer der Eingeborenen“, schrieb Zöller, „sind von der See aus beinahe gar nicht wahrnehmbar. Dicht am Strande liegen blos die Handels-Factoreien der Europäer.“84 Die wenigen Bewohner, Batanga genannt, lebten hunderte Meter vom Meer entfernt. Bemerkenswerterweise, so Zöller, kauften Woermann, Jantzen & Thormählen und die anderen Gabun-Firmen an der Batanga-Küste nur ein einziges Handelsprodukt: Elfenbein. Dieser Handel hatte die Batanga reich gemacht: Elfenbeinhändler lebten in Häusern europäischen Stils, trugen europäische Kleidung und nutzten europäische Waren. Landwirtschaft trieben die Batanga kaum noch – sie zogen importierte Lebensmittel wie Reis, Schiffszwieback und Salzfleisch vor.85 Das Elfenbein, dem sie ihren Reichtum verdankten, kauften sie bei Handelspartnern im Binnenland. Händler reisten Tage weit ins Innere und erwarben Stoßzähne bei den Mabea und Ngumba, die es ihrerseits weiter im Hinterland von Beti und Bulu kauften, die selbst einen großen Teil des Elfenbeins einhandelten.86 Zöllers Momentaufnahme zeigt die Batanga-Küste als Endpunkt eines sich über ganz Südkamerun erstreckenden Elfenbeinhandelsnetzwerkes. Dessen Entstehung hatte in den vorangegangenen Jahrzehnten die ökonomischen, politischen, sozialen und ökologischen Strukturen der Region radikal verändert: In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war dieser Teil der afrikanischen Westküste durch den Elfenbeinhandel erstmals in den atlantischen Handel einbezogen worden. Indem dieser von der Batanga-Küste ins Binnenland expandierte und neuen Gruppen Zugang zu europäischen Waren und Waffen verschaffte, löste er gewaltige Umwälzungen aus.87 Die Jahrzehnte, bevor der Kautschukhandel um 1890 begann, waren deshalb bereits von Gewalt und schneller ökonomischer Bereicherung geprägt gewesen. Die durch den Elfenbeinhandel geschaffenen sozialen Strukturen, Arbeitsbeziehungen, Handelsformen und Konsummuster waren die Grundlage für den Handel mit Kautschuk. Im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Batanga-Küste durch den Elfenbeinhandel zu einer Zone des Austauschs zwischen der atlantischen Welt und den Regenwaldgebieten des Hinterlands. Der lediglich ca. 30 Kilometer lange 83 84 85 86 87

Zu Zöller vgl. Wiese 2013; Krieger 1940; Zöller 1930. Zöller 1885f, 463. Vgl. Zöller 1885g, Bd. 4, 54; Reading 1890, 264. Für dasselbe Phänomen in Gabun vgl. Rich 2007a. Vgl. Zöller 1885g, Bd. 4, 49; Wirz 1972, 100 f. Vgl. Vansina 1990, 209 ff., 234.

South Coast: Handel, Herrschaft und Arbeit in Südkamerun, ca. 1800–1890

Küstenstreifen umfasste die Dörfer der drei Landschaften Groß-Batanga, Kribi und Plantation, in denen die Batanga lebten.88 Aufgrund der Strömungsverhältnisse entlang der afrikanischen Atlantikküste lag die Region während der SegelschiffEpoche abseits der besser erreichbaren Handelsgebiete.89 Wahrscheinlich waren die Batanga, die weniger als 5000 Menschen zählten,90 deshalb erst Anfang des 19. Jahrhunderts an die Küste gekommen.91 Mehrere europäische Firmen handelten mit den Batanga. Anfang 1885 besaßen Woermann, Jantzen & Thormählen, Hatton & Cookson, John Holt & Co. sowie R. & W. King Faktoreien in verschiedenen Dörfern.92 Die dort gekauften kleineren und größeren Elefantenzähne („scrivelloes“, bis 10 Pfund, „ivories“, größer als 10 Pfund)93 waren hart, transparent und schlanker als die aus Ostafrika – wahrscheinlich weil sie vornehmlich von Waldelefanten stammten.94 Obwohl europäische Fabrikanten das Elfenbein nicht so schätzten wie das aus Ostafrika, zahlten sie gute Preise.95 1884, als die Batanga-Küste Teil von Kamerun wurde, war sie zwar noch immer der bedeutendste Platz für den Elfenbeinhandel der Kolonie, doch hatten die Exporte bereits abgenommen und beliefen sich nur noch auf ca. 13 Tonnen jährlich.96

88 Das benachbarte Klein-Batanga gehörte trotz des Namens nicht dazu. Vgl. Dugast 1949, 18; Zöller 1885g, Bd. 4, 42–45. Andere identifizierten in den 1880ern das Küstengebiet südlich des KamerunÄstuars bis zur Corisco-Bucht als Batanga-Küste. Vgl. Heichen 1885, 213. 89 Vgl. Ngeve/van der Stocken/Menemenlis/Koedam/Triest 2016. Vermutlich deshalb gibt es erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts Informationen über die Batanga. Vgl. Wilson 1856; Hutchinson 1861; Rutherford 1881. Steinmetz zählt auch Reade zu den Informanten, der sich aber auf Corisco bezieht. Vgl. Steinmetz 1903, 27; Reade 1864. 90 Zöller schätzte die Küstenbevölkerung zwischen Plantation und Groß-Batanga auf 5500 Menschen, die deutsche Kolonialverwaltung 1913 auf 4000, Dugast in den 1940ern auf weniger als 3000. Am Kamerun-Ästuar lebten 20.000 Menschen. Vgl. Zöller 1885a, 465; LRO 380 HOL 1/9/1 Kamerun, 19.02.1913; Dugast 1949, 18 f.; Wirz 1972, 36; Austen/Derrick 1999, 1. 91 Vgl. Dugast 1949, 19 f. 92 Vgl. Zöller 1885b, 123; Zöller 1885g, Bd. 4, 44; BArch R 1001/3814, 3; BArch R 1001/4283, 32; GStA PK I. HA Rep 81/Nr. 947 Soden an Bismarck, 09.08.1886. Faktoreien existierten hier spätestens seit Ende der 1850er, nachdem die Europäer das Handelsnetz der Mpongwe übernommen hatten. 1864 waren in Groß-Batanga die britischen Firmen Taylor & Laughland, Hamilton & Brown, Wookey & Co., Bruford & Townsend, Hatton & Cookson und Lucas Brothers tätig, wobei unklar bleibt, ob Burton nur britische Firmen nannte und ob sie Faktoreien vor Ort besaßen. 1880 waren Redway, Hatton & Cookson, Woermann; Jantzen & Thormählen in Groß-Batanga aktiv. Vgl. Hutchinson 1861, 238; NN 1865, 34; NN 1887, 306; Burton 1863, 243. 93 PASch N Wichulla Tagebuch 1, 13.02.1883. 94 Vgl. Kranzer 2016, 249; Westendarp 1885; Westendarp 1878/79. 95 Vgl. Westendarp 1878/79, 209; Reichard 1889, 136. 96 Vgl. Zöller 1885g. Bd. 4, 48. Zur Statistik des westafrikanischen Elfenbeinexports vgl. Johnson 1986. Die Abnahme ergab sich aus der Erschöpfung älterer Bestände, der Dezimierung der Elefantenpo-

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Der Elfenbeinhandel sowie die politische Macht lagen an der Batanga-Küste und im Hinterland in den Händen von Familienoberhäuptern. Zwar nannten die Europäer die wichtigsten Batanga-Familienoberhäupter „Kings“ – doch King William, King Jack, King Sandy etc. besaßen keine politische Autorität, die über ihre eigene Familie hinausging, sondern übten lediglich ein Sprecheramt für die anderen Familienoberhäupter aus.97 Erweiterte Familien waren die zentrale politische Einheit. Ehefrauen, Kinder, unverheiratete Verwandte, Klienten, Sklavinnen und Sklaven sowie weitere Familienmitglieder und Abhängige unterstanden einem (meist männlichen) Familienoberhaupt.98 Diese politische Struktur beruhte aber nicht allein auf Jan Vansinas „equatorial tradition“.99 Vielmehr hatten die Familienoberhäupter im Verlauf des 19. Jahrhunderts ihre sozialen Beziehungen auf den Elfenbeinhandel ausgerichtet. Sie waren deshalb keine traditionellen Autoritäten, sondern Geschäftsleute, deren erweiterte Familien als „quasi-firms“ dem Handel dienten.100 Der Elfenbeinhandel und seine politisch-ökonomische Ordnung waren 1885 noch verhältnismäßig jung. Erst um 1800 begannen die Batanga, Elefanten zu jagen und Elfenbein an Duala und Mpongwe zu verkaufen.101 Der aus der Kommodifizierung neuer Rohstoffe resultierende Wandel war unter den Batanga umstritten. Mehrere Märchen, in denen jeweils ein junger Mann den Elfenbeinhandel erfindet, thematisierten zentrale gesellschaftliche Konflikte. In einer Variante ist der

pulation sowie der Verschiebung von Handelsströmen. Vgl. Laburthe-Tolra 1981, 368; Ross 1992, 23; Rempel 1998; Johnson 1978. 97 Vgl. Hoffmann 1884, 492; Richard 1970a, 402; NN 1903a, 41; Nassau 1904, 13; NN 1885a, 18 f. Über Generationen hinweg nannten die Europäer die führenden Familienoberhäupter in Groß-Batanga und Kribi bei den immer gleichen Namen King William, King Jack, King John etc. Die Praxis war auch im Kamerun- und Gabun-Ästuar verbreitet. Vgl. u. a. NN 1887, 307 ff.; Austen/Derrick 1999, 6; Patterson 1975, 62. Möglicherweise hatten bestimmte Kings besondere Beziehungen zu einzelnen Firmen. Hatton & Cookson setzten 1880 in Groß-Batanga einen King ab und „made a new king“ (Surry 05.06.1880). Jantzen & Thormählen machten 1885 Geschäfte mit Sandy, „unserem King i / Batanga“. PASch N Wichulla, Tagebuch 1, 09.01.1885. 98 Vgl. Wirz 1972, 92. Allgemein zur vorkolonialen politischen Ordnung in Kamerun vgl. Geschiere 1993. 99 Vgl. Vansina 1990, 71–99. 100 Austin 2017, 142. Zur Situation in Kamerun und Gabun vgl. Vansina 1990, 232 f., 236, 225–229; Wirz 1972, 103. Zu afrikanischen Firmen vgl. Austin 2017, 142–145; Wariboko 1998; Harms 1981, 145 ff. 101 Nach Wirz und Wilson begann der Batanga-Handel um 1840. Der US-Händler Samuel Swan (1779–1823) erwähnt zwischen Malimba und Corisco einen Ort namens „Bittanjee“, wo es billiges Elfenbein gebe. Demnach begann der Handel Anfang des 19. Jahrhunderts. Vgl. Wirz 1972, 97; Wilson 1856, 287; Brooks 1970, 317, 337; Austen 1995b, 40. Zum Handel mit Duala und Mpongwe vgl. Wilson 1849, 351.

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Elfenbeinhandel ein legitimer Kampf der ausgeschlossenen Jungen gegen die Familienoberhäupter: Der junge Mann kämpft gegen seinen Vater, der seine Pflichten gegenüber seinem Sohn nicht erfüllt. Als sich der Vater in einen Elefanten verwandelt, um seinen Sohn zu ermorden, tötet dieser den Elefanten und verkauft die Stoßzähne an einen Europäer. Das Geschäft mit Elfenbein zerstörte die Macht älterer Familienoberhäupter – symbolisiert durch das Töten des eigenen Vaters in Gestalt des Autorität verkörpernden Elefanten.102 Eine andere Variante des Märchens hingegen bringt den jungen Mann mit okkulten Mächten in Verbindung: Hier ist er verhext und von einem unstillbaren, alles zerstörenden Hunger besessen, weshalb er aus seinem Dorf verstoßen wird. Mit einem verzauberten Speer tötet er zuerst nur Elefanten, dann am Ende seinen Vater und dessen gesamte Familie, um anschließend Elfenbein an die Europäer zu verkaufen.103 Der Elfenbeinhandel ist hier Folge von Hexerei, Gier und Gewalt der sich gegen die Alten stellenden Jungen. Die Märchen beschreiben die Kommodifizierung von Elfenbein als „diversion“:104 Gegenstände werden aus ihrer bisherigen Nutzung gerissen und gegen die Interessen etablierter Akteure oder gar gegen den sozialen und moralischen Code einer Gesellschaft zu Waren gemacht, um große Gewinne zu erzielen.105 Dies war in den 1890ern auch das Grundmuster des Kautschukhandels. Die Kommodifizierung des Elfenbeins setzte soziale, politische, wirtschaftliche und nicht zuletzt ökologische Dynamiken in Gang, die immer weitere Teile Südkameruns erfassten.106 Unter dem Druck der kommerziellen Jagd verschwanden die Elefanten aus der Küstenregion. 1862 brauchten Jäger vier Tagesreisen ins Innere, um Elefanten zu finden.107 Die Batanga kauften das Elfenbein deshalb bei ihren weiter im Regenwald lebenden Nachbarn, vor allem bei den Mabea und Ngumba.108 Spätestens 1880 stammten die meisten Stoßzähne bereits von den noch weiter im Hinterland lebenden Beti, Bulu und Fang.109 Während der frühen Kolonialherrschaft schließlich kam ein großer Teil des Elfenbeins von den Eton, Mwelle, Wute oder gar von Gbaya und Kaka. Hier zapfte der Elfenbeinhandel Quellen an, die

102 Vgl. Meyer 1907, 818 f. 103 Vgl. Nassau 1912, 177–183. Zur Essens-Metaphorik in Hexerei und Politik vgl. Geschiere 1997; Bayart 2014. Für eine unpolitische Variante des Märchens vgl. Nassau 1912, 184–189. 104 Appadurai 2012, 17. 105 Vgl. Appadurai 2012, 25–29. 106 Zur globalen Elfenbeinökonomie vgl. Kranzer 2016; Westendarp 1878/79. 107 Vgl. Burton 1863, 243; Hutchinson 1861, 242. 108 Die Batanga bezeichneten die Mabea in den 1880ern als „Kasjua“, „Kwasiwo“ oder „Kaschua“ (Morgen 1893, 155; BArch R 1001/3267, 4; Good 1893, 13; Zenker 1904b, 1) – heute bezeichnen sich Mabea und Ngumba selbst als „Kwassio“, was „Suche nach Elefantenstoßzähnen“ bedeutet. Vgl. Ngima Mawoung 2001, 213. 109 Vgl. Rutherford 1881, 463.

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sonst ihre Ware an das Sokoto-Kalifat oder gar durch die Sahara nach Tripolis verkauft hatten.110 Zunehmend töteten spezialisierte Jäger Elefanten und brachen ihnen die Stoßzähne aus dem Schädel.111 An der Grenze zwischen Wald- und Grasland mussten die Jäger einen Stoßzahn an den lokalen Machthaber abgeben. Den anderen sowie Schwanz und Fleisch konnten sie mit Gewinn verkaufen.112 Die Arbeit als Elefantenjäger machte aus ihnen „reiche und angesehene Männer“113 und ermöglichte ihren sozialen Aufstieg.114 Nomadische Bakola-Jäger (auch als Bagielli bzw. „Pygmäen“ bezeichnet) hingegen lieferten sämtliches Elfenbein an Familienoberhäupter der Mabea, Bakoko, Bulu und vor allem der Ngumba, mit denen sie in losem Abhängigkeitsverhältnis standen.115 Für Wildbret und andere Waldprodukte erhielten die Bakola Ackerbauprodukte sowie europäische Waren und Eisengeräte für die Jagd. Mit dem Aufstieg des Elfenbeinhandels versuchten aufstrebende Familienoberhäupter, immer mehr elefantenjagende Bakola-Gruppen an sich zu binden.116 Da die Elefanten durch die intensive Jagd verschwanden, wurde in den 1880ern in den meisten Regionen Südkameruns niemand mehr durch Jagd reich, sondern durch Handel. Diesen monopolisierten die Familienoberhäupter.117 Mitte der 1880er wanderte Elfenbein von Familienoberhaupt zu Familienoberhaupt vom Binnenland zur Küste. Dieser Handel nahm dabei die soziale Form des Geschenkeaustauschs an.118 Gewöhnlich ging etwa ein Ngumba-Familienoberhaupt in Begleitung von Angehörigen zu einem Ewondo-Handelspartner und übergab diesem als Gastgeschenk bzw. Vorschuss europäische Waren. Während die Gruppe

110 Vgl. Wirz 1972, 97 ff.; Zenker 1893, 177; Johnson 1978; Seyffert/Stumme 1911; Laburthe-Tolra 1981, 367. 111 Vgl. Alexandre/Binet 1958, 62; Seyffert/Stumme 1911, 107. Für Techniken der Elefantenjagd vgl. Seiwert 1926, 136; Heepe 1919, 50 f.; Seyffert/Stumme 1911, 106 ff. Für die rituelle Einbettung der Jagd vgl. Seyffert/Stumme 1911, 93–104; Joiris 1993; Ardener 1996, 261–266. Zur symbolischen Bedeutung des Elefanten vgl. Wilcox 1992, 262; Ross 1992; Rempel 1998; Somerville 2017. 112 Vgl. Seyffert/Stumme 1911, 91 f., 109; Heepe 1919, 62. 113 Seyffert/Stumme 1911, 109. 114 Vgl. Rempel 1998, 535. 115 Vgl. Seiwert 1926, 128; Ngima Mawoung 2001, 214. Seiwert bezeichnet die Beziehung als „Symbiose“ (Seiwert 1926, 137). Andere sahen in den Bakola die „Leibeigenen“ der Bantu. Paschen 1903, 194. 116 Vgl. Ngima Mawoung 2001, 214. 117 Vgl. Wirz 1972, 104. Möglicherweise führten Söhne oder Brüder den Handel durch. Vgl. Quinn 2006, 26. 118 Vgl. Wirz 1972, 15 f. Eine weitere Möglichkeit des Handels war eine bilaba genannte Form von Potlatch, bei dem sich Familienoberhäupter beschenkten und ein größeres Geschenk zurückerwarteten. Vgl. Guilbot 1951; Balandier 1961; Bertaut 1935, 247 f.; Alexandre/Binet 1958, 60; Guyer 1986, 596; Wirz 1972, 100 f. Zum Handel in Südkamerun als Geschenkeaustausch vgl. Wirz 1972.

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sich in seinem Dorf einquartierte, ging der Ewondo mit einem Teil seiner Familie zu einem mit ihm verbundenen Eton, Bane oder Mwelle, um einen Stoßzahn zu erwerben, und überließ diesem als Pfand ein Kind oder eine Frau. Nach seiner Rückkehr erhielt der Ewondo gegen den Zahn eine weitere Anzahlung und einen Zeitpunkt, zu dem er im Dorf seines Ngumba-Handelsfreundes den Rest erhalten sollte. Nachdem der Ngumba nach Hause gekommen war, besuchte ihn ein Batanga, mit dem er einen Preis für den Zahn aushandelte. Der Ngumba ließ das Elfenbein schließlich für den Batanga zur Küste transportieren, und erhielt dort europäische Waren. Schließlich kam der Ewondo ins Dorf des Ngumba, wo er die restlichen Waren erhielt. Mit diesen kehrte er in sein Dorf zurück und zog dann weiter, um sein Kind oder seine Frau auszulösen.119 Bis ein solches Handelsgeschäft abgeschlossen war, konnten Jahre vergehen.120 Aus diesem komplizierten Verfahren wird deutlich, weshalb die Familienoberhäupter den Handel kontrollierten: Nur sie verfügten erstens über das nötige soziale Kapital: Ihre Heiratsallianzen und Freundschaften zu anderen Familienoberhäuptern ermöglichten sichere Bewegung und Zugang zu Elfenbein. Zweitens besaßen sie Handelskapital, konnten Elfenbein bezahlen oder Menschen als Sicherheit verpfänden.121 Der Elfenbeinhandel zwischen europäischen Kaufleuten und BatangaFamilienoberhäuptern war ebenfalls ein mühsamer und langwieriger Prozess, der Tage dauern konnte. Wie in Gabun zahlten die Europäer für einen Stoßzahn ein bestimmtes Warensortiment, das „Elfenbeinbündel“ (ivory bundle).122 In einem Vortrag erläuterte Woermann 1881 dessen Zusammensetzung: Seine Angestellten wogen einen Zahn und entschieden, wie viele Steinschlossgewehre, „trade guns“,123 sie zu geben bereit waren. Diese dienten als Maßeinheit für den Wert eines Zahnes. Als nächstes verhandelten die Geschäftspartner, wie viele Gewehre tatsächlich zu übergeben und wie viele in anderen und welchen Waren auszuzahlen waren. Nach Wichulla galt folgende Daumenregel: „Das Gewicht des Zahnes getheilt in vier ergiebt Gewehre. Multiplicire Gewehre mit fünf gibt Naptunes [Neptunes, Messinggefäße zur Salzgewinnung – T. Oe.]. – Theile Neaptunes [sic!] in acht

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Vgl. Wirz 1972, 100 f.; NN 1903a, 55; Zenker 1895, 65. Vgl. Laburthe-Tolra 1981, 368. Vgl. Quinn 1989, 92. Vgl. Zöller 1885g, Bd. 4, 46 ff. Zu Gabun vgl. Patterson 1975, 65; Lenz 1878a, 72 f.; Walker 1876. Harms erwähnt „bundles“ auch im Kongo. Vgl. Harms 1981, 87 f. 123 Zu den für den Afrika-Handel in Belgien und Birmingham hergestellten Gewehren vgl. Warnier 1980.

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giebt Pulver, Pots & Kessel.“124 Nach Woermann gehörten in jedes Bündel 50–60 verschiedene Warensorten, von denen jeder Posten einzeln verhandelt wurde.125 Als Recheneinheit für Waren und Produkte diente im 19. Jahrhundert an der Batanga-Küste wie im gesamten Gabun-Handelsgebiet der „Dollar“. Dies lag mutmaßlich an der früheren Bedeutung US-amerikanischer Handelsfirmen im GabunÄstuar. Wirkliche Dollars kamen im Handel aber nicht zum Einsatz. Es war eine virtuelle Währung.126 Unter einem Dollar, so Zöller, verstehe man in Batanga „eine gewisse Menge Zeug, Rum, Tabak oder dergleichen“. Der Wert eines virtuellen Dollars war unbeständig. „[E]in Dollar Gewehre kommt dem Kaufmann teurer zu stehen als ein Dollar Zeug, und ein Dollar Zeug teurer als ein Dollar Rum“, beobachtete Zöller.127 Alle am Handel Beteiligten versuchten, diese virtuellen Währungen zu manipulieren und daraus Gewinn zu schlagen.128 Art, Qualität und Quantität der für einen Elfenbeinzahn gezahlten europäischen Produkte waren deshalb abhängig vom Verhandlungsgeschick der Parteien. Der Dollar blieb als Recheneinheit im Kautschukhandel maßgeblich und wurde erst nach 1900 zunehmend durch die Mark ersetzt. Die blieb aber ebenfalls größtenteils virtuell. Daher bürgerte sich während der deutschen Kolonialherrschaft die Wendung „Mark in Waren“ ein, um einen Preis oder Lohn anzugeben.129 Grundlage für den Handel mit Elfenbein war die afrikanische Nachfrage nach europäischen Industriewaren.130 Zöller zählte auf, was ein Faktorist 1884 zum Kauf eines Zahnes verwendete: Seine Liste umfasst 35 Warensorten vom Steinschlossgewehr über Neptunes, Rum, Salz, Scheren, Perlen, Hemden, Vorhängeschlösser, Messer, Teller, Strohhüte, Spiegel, Tabak, Messingdraht, und „winzig kleine Glöckchen“.131 All dies hatte in Südkamerun einen großen Wert als Konsum-, Kapitalund Währungsgüter. Alkohol, Salz oder Glasperlen etwa wurden konsumiert, was das Prestige des Besitzers oder der Besitzerin erhöhte. Gewehre und Pulver stärkten als Kapitalgüter die eigene Machtposition. Alle europäischen Waren dienten zudem als Währungen.132 Den europäischen Kaufleuten war der Währungscharakter durchaus bewusst. Woermann selbst erklärte 1881, Europäer hätten in Westafrika 124 PASch N Wichulla Tagebuch 1, 13.02.1883. Hervorhebung im Original. Zu Neptunes vgl. Klusmeier 2012. 125 Vgl. Woermann 1883, 38. 126 Wirz führt den Dollar auf spanische Silbermünzen zurück und geht fälschlicherweise davon aus, dass Münzen genutzt wurden. Vgl. Wirz 1972, 73 f. Zu virtuellen Währungen vgl. Graeber 2014. 127 Beide Zitate: Zöller 1885d, 46. 128 Vgl. Wirz 1972, 77 f.; Guyer 2004, 51–67; moralisierend: Hücking/Launer 1986, 37 f. 129 Wirz 1972, 74 f., 123; Hücking/Launer 1986, 37–41. 130 Zur ökonomischen Bedeutung afrikanischer Nachfrage in Ostafrika vgl. Prestholdt 2008. 131 Zöller 1885g, Bd. 4, 47 f. 132 Vgl. Harms 1981, 44 f. Vgl. auch Prestholdt 2008. Zur Rolle von Alkohol vgl. Diduk 1993. Zu lokalen Währungen vgl. Guyer 2004, 15 f. Die Annahme, europäische Waren seien Plunder, wirkt

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zwar den Eindruck des Tauschhandels. „Der Eingeborene aber […] wird sicher sagen, er habe Geld bekommen“.133 Mit diesen Währungen konnten die Menschen unterschiedlichste Dinge bezahlen: Nahrung, Gegenstände, Dienstleistungen, Rituale oder Brautgaben.134 Steinschlossgewehre, Glasperlen, Textilien, Knöpfe etc. hatten deshalb einen wichtigen Platz in Politik, Wirtschaft und Sozialleben. Die infolge des Elfenbeinhandels eingeübten Konsummuster trieben den späteren Kautschukhandel wesentlich voran. Weil europäische Waren so bedeutsam waren, wurde die Konkurrenz der mächtigen Familienoberhäupter um Zugang zum Handel ein wesentlicher Zug der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Ordnung Südkameruns. An der Batanga-Küste wollte jedes Familienoberhaupt eine Faktorei in seinem Dorf haben. „Denn“, so Zöller, „der Bau einer Factorei macht jene Schwarzen, die bis dahin bloß ‚Buschleute‘ gewesen waren, mit Einem Schlage zu Händlern.“135 Durch eine Faktorei wurden Familienoberhäupter unabhängig von ihren Nachbarn, an die sie zuvor ihr Elfenbein hatten verkaufen müssen, und die üblicherweise einen großen Teil des Erlöses einbehalten hatten.136 Deshalb waren die Batanga zu vielem bereit, um eine europäische Faktorei zu erhalten. King Jack aus Kribi etwa ließ 1879 den britischen Händler Govier von der Firma Redway entführen. Zwei Monate lang hielt er ihn als Geisel, um dessen Arbeitgeber dazu zu zwingen, eine Faktorei in seiner „Town“ einzurichten.137 Angesichts solcher Konkurrenz um europäische Unternehmen verlegten die Firmen eine Faktorei nur heimlich, aus Angst, die Batanga würden dies mit Gewalt verhindern.138 Im Binnenland führte das Ringen um Zugang zum Elfenbeinhandel mit der Küste zu Bevölkerungsverschiebungen. Ab ca. 1800 wanderten die Beti mit ihren Untergruppen (u. a. Ewondo und Bane) und die Bulu von Norden in den Regenwald ein. Sie schoben sich zwischen die in Küstennähe lebenden Mabea und Ngumba und die Maka, Ndsimu und Njem im Osten.139 Ab den 1830ern

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zum Teil in der Kamerun-Historiographie nach. Vgl. Zouya Mimbang 2013, 83; Hücking/Launer 1986. Woermann 1883, 29. Wirz nimmt Tauschsphären nach dem Modell von Bohannan an. Hiernach waren europäische Waren Prestigegüter, die nur zu bestimmten Zwecken genutzt wurden – vor allem für Brautgaben. Guyer hat gezeigt, dass europäische Waren auch zu alltäglichen Transaktionen dienten. Vgl. Wirz 1972, 18 f.; Bohannan 1955; Guyer 1993; Guyer 1986; Guyer 2004, 27–40. Zusammenfassend: Röschenthaler 2010. Zöller 1885g, Bd. 4, 70. Vgl. Hoffmann 1884, 492. In der Folge zerstörte die britische Navy die Dörfer von King Jack und Long-Long. Vgl. NN 1887, 300 ff. Vgl. Hoffmann 1884, 492; Zöller 1885g, Bd. 4, 69 f. Zum „Pangwe-Keil“ vgl. Wirz 1972, 94 f.; Geschiere 1982, 27 f.

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führte der Elfenbeinhandel dazu, dass Beti und Bulu zunehmend Richtung Küste drängten.140 Mächtige Familienoberhäupter versuchten, sich an den besten strategischen Positionen auf den Handelsrouten zu platzieren. Ein Beispiel hierfür ist das Ngumba-Familienoberhaupt Ntunga-Nziu, der in den 1880ern und 1890ern als wichtigster Elfenbeinhändler des Hinterlandes galt. Ntunga wurde in den 1860ern in Bitumbi im späteren Bulu-Gebiet geboren.141 In den 1880ern konnten er und seine Leute sich weiter im Westen nahe Bipindi festsetzen.142 Von hier aus baute Ntunga ein Netzwerk aus Heiratsallianzen auf.143 Ständig hielt sich eine große Zahl von Handelsfreunden und deren Familien in seinem Dorf auf, die darauf warteten, dass Ntunga ihr Elfenbein weiter zur Küste verkaufte.144 In diesem Ringen bildete sich das System des Zwischen- oder Sperrhandels heraus, in dem Waren von einem Familienoberhaupt zum nächsten gingen.145 So erhielt eine große Zahl von Akteuren einen Anteil an den Handelswaren, der mit zunehmender Entfernung von der Küste abnahm. In der Folge war Elfenbein im Inland billig (also für wenige europäische Waren zu haben) und an der Küste sehr teuer.146 Die Batanga-Familienoberhäupter fungierten als Scharnier zwischen Binnenland und europäischen Firmen, indem sie die aus dem Innern kommenden Stoßzähne sammelten und an die Europäer verkauften. Dies sicherte den Batanga große Gewinne. Der US-Missionar Joseph H. Reading berichtete, dass „a basinful“ Salz ausreichte, um im Hinterland einen Stoßzahn zu erwerben, während die Batanga die oben erwähnten Warenmengen erhielten.147 Um ihre einträgliche Stellung zu schützen, verhinderten die Batanga notfalls mit Gewalt einen direkten Handel zwischen den Europäern und den Mabea, Ngumba, Bulu oder Beti. Sogar den Woermann-Händler Frank Poballa, selbst Batanga und Bruder von King Toko, griffen sie 1888 an, weil er gewagt hatte, für seine Firma direkt mit den Hinterlandbewohnern zu handeln statt mit den Batanga-Familienoberhäuptern.148 Dieses

140 Vgl. Alexandre/Binet 1958, 13–17; Laburthe-Tolra 1981, 42–126; Chamberlin 1978; Vansina 1990, 234. 141 Vgl. Skolaster 1910a, 78. Skolaster gibt kein Geburtsjahr an. Kund berichtete 1888, Ntunga sei noch sehr jung gewesen. Morgen schätzte ihn 1889 auf 22, Kerr 1899 auf 40 Jahre. Vgl. BArch R 1001/3267, 41; Morgen 1893, 160; Kerr 1899, 159. 142 Vgl. Skolaster 1910a, 78. 143 Vgl. Gustedt 1926; Kamptz 1898, 501. 144 Vgl. Dominik 1911, 54. 145 Vgl. Austen/Derrick 1999, 109–116; Eloundou 2001; Jaeck 1960; Kaeselitz 1968, 16–25; Rudin 1938, passim; Wirz 1972. 146 Vgl. allgemein Wirz 1972, 80 ff. Für einen Überblick vgl. Langhans 1888. 147 Reading 1890, 265. Die Mpongwe machten bei trust-Geschäften bis zu 50, die Duala in den 1880ern gar bis zu 500 % Gewinn. Vgl. Chamberlin 1977, 162 f.; Wirz 1972, 81. 148 Vgl. BArch R 1001/3267, 16; Kund 1888c, 2. Wahrscheinlich ist Poballa identisch mit dem späteren King Boballa.

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System des Sperrhandels setzte sich im Binnenland fort. Auch dort ließen Familienoberhäupter nicht zu, dass Händler ihr Gebiet durchzogen, sondern zwangen diese, ihr Elfenbein vor Ort an sie zu verkaufen.149 Sperrhandel und unterschiedlicher Zugang zu europäischen Waren hierarchisierten die Bevölkerungsgruppen Südkameruns.150 Auf ideologischer Ebene war die Beach, wie die Batanga-Küste im dort geläufigen Pidgin-English genannt wurde, die Kontaktzone zwischen Europäern und Afrikanern, verbunden mit Reichtum, Konsumgütern und einer gewissen Weltläufigkeit.151 Das Hinterland hingegen galt als arm und rückständig und wurde mit dem Pidgin-Begriff Busch (bzw. bush) bezeichnet, in den europäische wie afrikanische Vorstellungen von Zivilisation und Wildnis einflossen.152 Dieses Gegensatzpaar übersetzte sich in ein hierarchisches Verhältnis zwischen den Batanga und den im Hinterland wohnenden Mabea, Ngumba, Beti und Bulu, welche von Ersteren als „Buschleute“ oder „Buschnigger“, also kulturell rückständige Abhängige bezeichnet wurden.153 Diese Abwertung der Hinterlandbewohner drückte sich etwa darin aus, dass Batanga Mabea-Frauen heirateten, umgekehrt dies aber als undenkbar galt.154 Noch nach der Jahrhundertwende schikanierten Batanga-Kinder ihre Mabea-Mitschüler in den Missionsschulen.155 Handfestere Hierarchien entstanden durch den unterschiedlichen Zugang zu Gewehren und Pulver. So berichtete der Ewondo Karl Atangana, dass „der“ Ewondo „zuerst mit dem Europäergewehr zu schießen und auch vom Handel viel […] verstand“ und so weiter östlich lebende Gruppen das Fürchten lehrte.156 Beti, Bulu, Yebekollo, Mvang und andere nutzten ihre Position im Elfenbeinhandel, um

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Vgl. Wirz 1972, 99 ff. Vgl. Bayart 1985, 18; Wirz 1972, 106. Vgl. Schürmann 2017, 39 f. Für Beispiele vgl. BArch R 1001/4441, 16; Küster 1925, 176. Dass vielfältige afrikanische Landschaften als „Busch“ bezeichnet wurden, ist zu Recht als exotisierend, homogenisierend und naturalisierend kritisiert worden. Vgl. Göttel 2004. Jedoch ist zu bedenken, dass auch Afrikaner bei der Entstehung von Pidgin-Begriffen mitwirkten. Busch war als Gegenbegriff zur Beach konstruiert. In Südkamerun bezeichnete er während der deutschen Kolonialherrschaft zum einen den Regenwald, zum anderen hatte er „noch die ganz allgemeine Bedeutung des Inneren im Gegensatz zur Küste und der Wildnis gegenüber den Dörfern und Farmländereien.“ Mildbraed 1923, 595. Vgl. z. B. Zöller 1885a, 465; Rutherford 1881, 463; GStA PK I. HA Rep. 81/931 Pfeil an NN, 15.03.1889. Ähnliches fand sich z. B. bei den Duala. Vgl. Dominik 1908, 17 f. „Nigger“ bedeutete an der Westküste „Sklave“ und galt als schlimmste Beleidigung. Vgl. Schkopp 1905, 112; Buchner 1914, 40; Hagen 1908, 22. Das gleiche Muster fand sich zuvor umgekehrt zwischen Batanga, Benga und Mpongwe. Vgl. Richard 1970a, 431; NN 1903a, 32; Hutchinson 1860, 561; Kingsley 1897, 318. Vgl. Skolaster 1924, 112 f. Heepe 1919, 86.

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mit Gewehren Krieg gegen Maka, Njem und andere zu führen, sie zu vertreiben, zu unterwerfen oder zu versklaven.157 Elfenbein und Arbeit: Wealth in people, Generation und Geschlecht in Südkamerun Im Nachlass des britischen Kaufmanns A. E. Boothby, der mindestens seit 1896 an der Batanga-Küste für die Firma John Holt & Co. tätig war,158 findet sich ein Foto mit der Bildunterschrift „King Boma. of Edea. Trading. W.C. Africa“ (Abb. 1).159 Es zeigt den Elfenbeinhändler Boma und die Mitglieder seiner erweiterten Familie, die ihn an die Küste begleiteten. In der Mitte des Fotos steht King Boma in einer alten europäischen Uniform. Die prestigeträchtigen Elefantenstoßzähne, die seine Leute an die Küste getragen haben, werden von vier jungen Männern so gehalten, dass sie mit den Spitzen auf Boma zeigen. Rechts von ihm steht ein weiterer europäisch gekleideter Mann, möglicherweise ein Sohn Bomas oder ein Händler. Rechts und links der beiden stehen und sitzen nicht weniger als 57 Jungen und junge Männer, vereinzelt auch Frauen, die zu Boma gehören, seine Waren transportiert oder ihn zur Küste begleitet haben. In ihren Händen oder vor ihnen sind Handelswaren zu sehen: Regenschirme, Feilen, Körbe, Macheten, Pulverfässer, Demijohns gefüllt mit Alkohol. Im Zentrum des Bildes, vor Boma und durch seine Hände deutlich als zu ihm gehörig gekennzeichnet, sitzen und stehen drei junge Mädchen, wahrscheinlich einige von Bomas Ehefrauen. Dieses Foto, das mutmaßlich ein afrikanischer Photograph nach Bomas Wünschen aufnahm,160 verdeutlicht die Arbeitsbeziehungen und sozialen Strukturen des Elfenbeinhandels: Mächtige Familienoberhäupter stützten sich auf die Arbeit junger, nicht etablierter Männer, Ehefrauen, Sklavinnen und Sklaven, Verpfändeter (pawns) und sonstiger Abhängiger. Der Elfenbeinhandel machte neue Methoden der Arbeitskräftemobilisierung nötig, die auf älteren Tendenzen aufbauten, unter anderem „unequal status, the divison of labor by age and gender“.161 Die Abhängigkeitsverhältnisse, die Boma und andere Familienoberhäupter nutzten, um Arbeit zu mobilisieren, waren in den vorangegangenen Jahrzehnten durch den Elfenbeinhandel und die hierdurch geschaffene ungleiche Verteilung von Ressourcen akzentuiert worden. Soziale Ungleichheit und Konflikte zwischen Generationen und Geschlechtern waren nach 1890 die Grundlage für die Expansion des Kautschukhandels und seiner Arbeitsbeziehungen. 157 158 159 160 161

Vgl. Geschiere 1982, 28; Siroto 1969, 67; Allys 1930, 4. Vgl. LRO 380 HOL II General Ledgers Bd. 1–4, Batanga. SOAS MS 381151. Ich danke David Zeitlyn für das Foto. Zu afrikanischen Fotographen in Westafrika vgl. Schneider 2011; Schneider 2014; Schneider 2018. Vansina 1990, 218.

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Abb. 1 „King Boma, of Edea. Trading. W. C. Africa.“ SOAS MS 381151. © SOAS.

Rechte über Menschen und damit ihre Arbeitskraft waren die entscheidende politische, soziale und wirtschaftliche Ressource in Südkamerun. Macht und Reichtum eines Familienoberhauptes bemaßen sich in erster Linie durch die Zahl der Menschen, über die es verfügen konnte. Diese soziale Struktur hat die Forschung mit dem Wealth-in-people-Modell beschrieben.162 Anders als im dichtbevölkerten vormodernen Europa, wo Reichtum und Macht über den Zugang zu Land akkumuliert wurden, waren weite Teile Afrikas nur dünn besiedelt. Es gab genügend unbearbeitetes Land, aber nur wenige Menschen, die dieses produktiv nutzen konnten. Über Reichtum und Macht verfügte deshalb der- oder diejenige mit Zugriff auf Menschen und ihre Arbeitskraft.163 Sie produzierten Nahrung und Waren, steigerten das Prestige eines Familienoberhauptes, erhöhten sein militärisches sowie politisches Gewicht. Familienoberhäupter versuchten deshalb, möglichst viele Menschen an sich zu binden. Hierzu dienten in Südkamerun verschiedene Formen sozialer Abhängigkeit. Zwar standen erwachsene, verheiratete Männer als Familienoberhäupter unterein162 Vgl. Kopytoff/Miers 1977; Guyer 1993; Guyer 1995. Guyer hat dieses Modell relativiert. Es sei nicht allein darum gegangen, irgendwelche Menschen an sich zu binden. Auch die besonderen Fähigkeiten eines Menschen spielten eine Rolle. Vgl. Guyer 1993, 246. Vgl. zusammenfassend Cooper 2017, 136. 163 Vgl. u. a. Cooper 2006, 96.

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ander in einem egalitären Verhältnis.164 Innerhalb der Familien aber existierten – etwa bei den Beti – „une multiplicité de statuts sociaux“.165 Menschen besaßen verschiedene Rechte, abhängig von sozialem Status, Geschlecht, Alter und Zugang zu Ressourcen. Viele Männer und alle Frauen waren nicht Teil der egalitären Ordnung, sondern waren in unterschiedlichen Graden abhängig von Familienoberhäuptern – und sorgten durch ihre Arbeit für deren Reichtum.166 Nach Eckert war Sklaverei in Kamerun „the most important institution of labour mobilization during the pre-colonial period“.167 Die Rolle von Sklavinnen und Sklaven in Südkamerun ist jedoch wenig erforscht.168 Der Elfenbeinhandel hatte dort jedenfalls ein Gefälle zwischen West und Ost geschaffen: Erstens erhielten durch ihn die näher zur Küste wohnenden Gruppen Zugang zu Gewehren und konnten erfolgreich Krieg gegen die weiter im Osten wohnenden Menschen führen.169 Aus diesem Grund lebte Ende des 19. Jahrhunderts eine große Anzahl als Maka bezeichneter Sklavinnen und Sklaven aus dem Osten Südkameruns bei den Mwang, Yebekollo und Bulu, wo sie so zahlreich waren, dass letztere alle Sklaven „mone Mekaé“ nannten.170 Zweitens sorgte der Reichtum der küstennahen Gegenden für einen Sklavenhandel aus den ärmeren Gebieten im Osten in Richtung Beach,171 in den auch Bulu und Beti gerieten. Missionare hielten 1894/95 die Schilderungen eines Bulu namens Keli fest: „When a child he had been taken by his father on a visit to a neighboring tribe. While there he was stolen from his father and taken to a distant village where he became a slave. Some time afterwards he was taken

164 Vgl. Laburthe-Tolra 1981, 356. Egalisierende Tendenzen in Südkamerun betonen Horner 1962, 171; Geschiere 1982, 4; Graziani/Burnham 2005, 183; Zouya Mimbang 2013, 56, 61, 102; Copet-Rougier 1987, 345. 165 Laburthe-Tolra 1981, 65. 166 Vgl. Walker-Said 2018, 15 ff. 167 Eckert 1998, 144. Zur Sklaverei in Afrika vgl. Kopytoff/Miers 1977; Lovejoy 2011; Meillassoux 1989; Stilwell 2014. Zur Sklaverei im südlichen Kamerun vgl. u. a. Eckert 1998; Geschiere 1995; Austen 1995a; Eckert 2011. 168 Die Beti unterschieden zwischen Sklaven, Kriegsgefangenen und Mitgliedern unterworfener Gruppen. Vgl. Laburthe-Tolra 1981, 386 ff.; Alexandre/Binet 1958, 58. Zu Sklaverei bei den Ngumba vgl. Conradt 1902, 334 ff.; Zenker 1909, 250 f. Für die Maka zeigt Geschiere, dass von Sklaverei nicht gesprochen werden kann, sondern Menschen integriert wurden. Vgl. Geschiere 1995 sowie Kopytoff/Miers 1977. 169 Vgl. u. a. Siroto 1969, 67 f.; Geschiere 1982, 28. 170 Hagen 1914, 260. Vgl. Stein 1899; Geschiere 1995, 219; Mbeng Deng 2011. 171 Bei den Bikélé südlich des Nyong gab es Sklavenmärkte, auf denen Bane und Bulu Maka-, Badjueund Sso-Sklavinnen und -Sklaven kauften. Vgl. Koch 1946, 48 f. Ein weiterer Handel existierte von Süd nach Nord. Wute, Gbaya oder Fulbe jagten Sklavinnen und Sklaven, die nach Adamaua oder weiter ins Sokoto-Kalifat gebracht wurden. Vgl. Quinn 2006, 16; Hausen 1970, 150; Zouya Mimbang 2013, 88.

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to the coast and sold to a chief of the coast tribe.“172 Ein ähnliches Schicksal teilte der in der Einleitung zitierte spätere Soldat und Kautschukhändler Martin Paul Zampa – ein Bulu, der im Kindesalter als pawn oder Sklave nach Kribi an der Batanga-Küste gelangt war.173 Die Mächtigen des Binnenlandes tauschten folglich nicht nur Elfenbein, sondern auch Menschen gegen die Reichtümer der Küste – etwa gegen Salz.174 Diese Bewegung von Abhängigen aus dem Busch in die Zentren der Beach dauerte unter deutscher Herrschaft an.175 Eine weitere Quelle abhängiger Arbeitskräfte war das Verpfänden von Menschen durch Familienoberhäupter als Sicherheit für einen Kredit (pawning), das fast im gesamten atlantischen Afrika verbreitet war.176 Pawning diente im transatlantischen Sklavenhandel dazu, Kredite zwischen Europäern und Afrikanern abzusichern.177 Nach dessen Ende blieb pawning bedeutend für Geschäfte zwischen afrikanischen Händlern – auch im Elfenbeinhandel Südkameruns, wo Familienoberhäupter vor allem Mädchen und Frauen verpfändeten.178 Für Gläubiger waren pawns mögliche Ehefrauen (durch Heirat wurde die Schuld getilgt), aber auch zusätzliche Arbeitskräfte.179 Die Praktik war deshalb ein „link between labor mobilization, social stratification, and gender“.180 Nicht immer lösten Schuldner ihre pawns sofort aus. Häufig nutzten sie die beschafften Waren vorher für andere Geschäfte.181 Manche Pfänder wurden nie ausgelöst und konnten verkauft werden. 1890 beobachte Georg August Zenker, der erste Leiter der deutschen Jaunde-Station, dass das Familienoberhaupt Esomba Abe einen pawn gegen Salz verkaufen wollte. Zenker

172 Milligan 1908, 160 f. An der Küste wurde Keli an einen Europäer verkauft. Dieser gab ihn einem Franzosen, der ihn zuerst nach Gabun und dann nach Frankreich brachte. Dort vermittelte er ihn in an einen Engländer, der an die South Coast reiste und Keli mitnahm. In Batanga floh er und kehrte nach 7 Jahren in sein Heimatdorf zurück. Vgl. Milligan 1908, 161. 173 Eine ähnliche Vermutung in Laburthe-Tolra 1978, 97. 174 Vgl. Riebe 1897, 35; Reading 1890, 256. 175 Vgl. BArch R 1001/4084, 65; BArch R 1001/4351, 48. Vgl. auch Alexandre/Binet 1958, 58. 176 Vgl. Cooper 2017, 142; Lovejoy/Falola 2003, 2; Austin 1993, 117; Stilwell 2014, 14 f. 177 Vgl. Lovejoy/Richardson 2001; Lovejoy/Richardson 1999; Lovejoy 2014. Zum Kamerun- und Gabun-Ästuar vgl. Austen/Derrick 1999, 33 f.; Bucher 1986, 147 f.; Patterson 1975, 124. Zu pawning im Binnenland vgl. Heywood 1985, 247; Giles-Vernick 2002, 24; Harms 1981, 102 f. 178 Vgl. NN 1903a, 31, 43; Sundström 1965, 37 f.; Zenker 1909, 251; Laburthe-Tolra 1981, 244, 368; Zenker 1895, 49. PAZD N Zenker Tagebuch 1891/92, 23.08.1891. Genauso verfuhren auch Duala und Malimba. Vgl. Rabenhorst 1885, 167. Richard schreibt, die Batanga hätten das System nicht praktiziert. Das erscheint unwahrscheinlich. Vgl. Richard 1970b, 11 f. Schuldner konnten sich bei Ngumba und Beti auch selbst verpfänden. Ihre Arbeit zahlte den Kredit nicht zurück. Verwandte mussten sie auslösen oder das Eigentum bzw. die Rechte des Schuldners über Personen angegriffen werden. Vgl. Conradt 1902, 335; Reinhard 1901, 21; Lovejoy/Falola 2003, 7. 179 Vgl. Lovejoy/Falola 2003, 11 ff. 180 Lovejoy/Falola 2003, 6. 181 Vgl. Zenker 1895, 65.

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verhinderte dies und stellte den Jungen als Kochlehrling an. Seinen Lohn erhielt Esomba Abe.182 Pawns verfügten zwar weiterhin über Rechte, trotzdem war diese Form von Arbeitskräftemobilisierung mit Gewalt, Unfreiheit und Ausbeutung verbunden.183 Die wichtigste Möglichkeit jedoch, Kontrolle über Menschen und ihre Arbeitskraft zu erlangen, war in den 1880ern die Heirat. Ihre verschiedenen Formen waren die zentrale soziale Institution in Südkamerun. Charlotte Walker-Said bezeichnet die Heirat gar als „worldview“: „In myriad forms and processes, marriage constituted a place of belonging, defined personal and group identity, and anchored all social and economic life.“184 Entsprechend sitzen Bomas Ehefrauen im Zentrum von Abb. 1, eingerahmt vom kostbaren Elfenbein. Für Südkameruns Männer war Heirat der Weg zu Reichtum und Macht.185 Erstens kontrollierten sie nach der Hochzeit die Arbeitskraft ihrer Ehefrau. Diese arbeitete in der Landwirtschaft. Der Ehemann rodete jährlich im Regenwald ein Feld, das seine Frau anschließend bearbeitete. Zudem bereiteten Frauen ihren Männern das Essen und übernahmen eine große Zahl weiterer Arbeiten. Zweitens konnten die Männer über die Kinder ihrer Frauen und deren Arbeitskraft verfügen. Söhne etwa halfen beim Roden, gingen auf die Jagd oder dienten als Krieger. Darüber hinaus knüpften die Väter neue Allianzen, indem sie ihre Töchter verheirateten.186 Je mehr Ehefrauen und Kinder ein Familienoberhaupt besaß, desto größer die landwirtschaftliche Produktion, die Versorgung mit Fleisch sowie die Zahl seiner Kämpfer. Ehefrauen ermöglichten es drittens, Klienten an sich zu binden. Männer, die zu arm waren, um zu heiraten, lebten etwa bei den Beti entweder in der Familie ihres Vaters, bei einem Verwandten oder schlossen sich freiwillig als Klienten (mintobo) einem reichen Familienoberhaupt an, das ihnen eine Ehefrau überließ. Im Gegenzug schuldete der Klient dem Familienoberhaupt Gehorsam, Gefolgschaft und Arbeitsleistungen. Klienten konnten ihre Verbindungen zu den Frauen nicht für den eigenen sozialen Aufstieg nutzen, denn ihre Kinder galten als Nachkommen des Familienoberhauptes.187 Die Zahl der Ehefrauen bestimmte deshalb den Reichtum und die Macht eines Mannes, sie waren sein „Capital“,188 wie Zöller schreibt. Dem Ewondo-Familienoberhaupt 182 183 184 185 186 187

Vgl. BArch R 1001/4351, 48. Vgl. Lovejoy/Falola 2003, 10 f. Walker-Said 2018, 5. Vgl. Wirz 1972, 15 f. Vgl. u. a. NN 1903a, 29 f., 54; Laburthe-Tolra 1981, 270–296, 381; Guyer 1984, 16. Vgl. Laburthe-Tolra 1981, 244; Quinn 2006, 11, 22; Geschiere 1995. Familienoberhäupter behielten 3–5 Frauen für sich und vergaben alle anderen an Klienten. Vgl. Tessmann 1913, Bd. 2, 262 f. Nicht sanktionierter außerehelicher Sex mit den Frauen des Familienoberhaupts trug ebenfalls zu dessen Bereicherung bei: Ehebrecher mussten eine Strafzahlung leisten oder für den Ehemann arbeiten. Vgl. Laburthe-Tolra 1981, 232. 188 Zöller 1885g, Bd. 4, 57.

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Amba seine Frauen zu nehmen, erklärte deswegen Hauptmann Hans Dominik 1908, „wäre dasselbe als wenn man Rockefeller sein Vermögen nähme“.189 In den patriarchalen Südkameruner Gesellschaften hatten Frauen Ende des 19. Jahrhunderts eine untergeordnete Stellung. Sie brauchten nach Ansicht etwa der Beti einen männlichen Beschützer (Vater, Bruder oder Ehemann), hatten gegenüber dem Mann zu schweigen und für diesen zu arbeiten.190 Nach Philippe LaburtheTolra wurden sie als Objekte behandelt, die zum Besitz eines Mannes gehörten: „Gagnée, vendue, perdue au jeu, louée, prêtée, dépourvue de toute capacité au sens juridique du terme, ne pouvant rien posséder“.191 Jedoch gibt es Beispiele, in denen Frauen bedeutende Positionen einnahmen.192 Nahe Lolodorf und Lomie etwa gab es zumindest während der Kolonialherrschaft weibliche Familienoberhäupter. Gouverneur Theodor Seitz traf zwischen 1907 und 1910 im Dorf Man nahe Lomie „eine schwarze Dame in elegantem Berliner Straßenkostüm“, die Anordnungen zur Unterbringung der Soldaten und Träger gab.193 Eine Frau nahm hier die patriarchale Stellung der Männer ein.194 Heirat und Elfenbeinökonomie waren in den 1880ern in Südkamerun eng verbunden. Heiratswillige Männer mussten der Familie ihrer zukünftigen Ehefrau eine Brautgabe (Batanga: ebonda, Mabea: bundu, Beti: mevg) zahlen.195 Hierdurch wurde die Heirat sozial eingebettet. „[L]abor, gifts, and payments“, fasst WalkerSaid zusammen, „would strengthen social and political networks and regenerate the wealth of the lineage.“196 Die Brautgaben umfassten in den 1880ern eine große Anzahl von Gütern und Dienstleistungen – darunter lokale Eisenwährungen, aber auch europäische Waren. Diese hatten eine zentrale Bedeutung erlangt. Nach Zenker lag der Nutzen europäischer Waren sogar „in erster Linie“ darin, „sich in den Besitz eines resp. mehrerer Weiber zu setzen.“197 Er notierte 1894, dass in Jaunde die Brautgaben für ein Mädchen fünf bis 10.000 Stück lokaler Eisenwährung (bikiye), 100 Speerspitzen und 20–25 Ziegen umfassten, zudem aber auch zehn Haumesser, zehn Äxte, 50 Hacken, importierte Textilien, Perlen, Messingdraht, Fuß- und Armringe europäischer Herstellung.198 189 190 191 192 193 194 195 196 197 198

BArch R 175-I/622, 25. Vgl. Laburthe-Tolra 1981, 380–386. Zur Stellung der Frau bei den Batanga vgl. Richard 1970a. Laburthe-Tolra 1981, 382. Vgl. Laburthe-Tolra 1981, 385 f. Seitz 1926, 274. Das Dorf nannten die Bulu „Minnegatown“ (Frauendorf). Schultze 1912, 227 f. Vgl. Seitz 1927, Bd. 1, 15; S Storck N Koch Tagebuch 1, 20.03.1911; Barbier 1985. Vgl. parallel Nwoko 2012. Vgl. Richard 1970a, 912; Zenker 1904b, 10; Laburthe-Tolra 1977, Bd. 3, 1789. Walker-Said 2015, 395. Vgl. auch Bunting/Lawrance/Roberts 2016, 1–19. Zenker 1904b, 8. Vgl. SBB-PK N Luschan. Zenker, Georg August. Zenker an Luschan, 02.12.1894. Zu BetiBrautgaben vgl. Laburthe-Tolra 1981, 249–252.

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Die wichtigste Möglichkeit, an europäische Waren zu gelangen, war die Partizipation am Elfenbeinhandel. Aber indem die Familienoberhäupter diesen und damit die Quelle einiger der zur Heirat notwendigen Brautgaben dominierten, konzentrierte sich der Zugang zu Ehefrauen bei immer weniger Männern. Bei den Beti war diese Tendenz Anfang der 1880er am stärksten. „Die Polygamie breitete sich über das Land aus fünf Jahre, bevor die Europäer nach Jaunde kamen [also ca. 1883 – T. Oe.],“ wie Atangana diesen historischen Prozess beschrieb. Eine neue Gruppe einflussreicher, minkúkúma (Singular: nkúkúma) genannter Händler dominierte zunehmend das soziale, politische und wirtschaftliche Leben. Der Begriff leitete sich vom Wort akúma, Reichtümer, ab und bezeichnete einen reichen Mann.199 Ihr Reichtum erlaubte den minkúkúma eine „culturally exalted form of masculinity“:200 Sie nutzten die europäischen Waren aus dem Elfenbeinhandel für demonstrativen Konsum, um Sklavinnen und Sklaven zu kaufen, und vor allem, um zu heiraten. So schufen sie Haushalte von bisher unbekannter Größe. Hierdurch veränderte der Elfenbeinhandel Geschlechterverhältnisse und Vorstellungen von Männlichkeit. Vor Beginn des Handels hatten reiche Beti-Familienoberhäupter zwei, vier, höchstens 20 Frauen geheiratet.201 Ein bedeutender nkúkúma konnte aber mehr als 100 Frauen haben! Ähnliches lässt sich auch über andere wichtige Händler Südkameruns sagen. Der Ngumba-Händler Ntunga hatte in den 1890ern zwischen 60 und 80 Frauen, das Bulu-Familienoberhaupt Mvondo ebenfalls 80.202 Der Aufstieg der Elfenbeinhändler machte es für junge oder ärmere Männer schwierig, zu heiraten und einen eigenen Hausstand zu gründen. Deshalb gab es in Südkamerun in den 1880ern und 1890ern eine große soziale Gruppe nicht verheirateter, nicht etablierter, von Macht und Wohlstand ausgeschlossener Jungen und Männer (in der französischen Forschung „cadets“ genannt), die als Minderjährige galten und als Abhängige in den Dörfern der Familienoberhäupter lebten.203

199 Vgl. Laburthe-Tolra 1981, 233. Bei den Bulu nkukum. Vgl. Horner 1964, 417. Der Begriff nkúkúma breitete sich während der deutschen Herrschaft aus. Vgl. Hagen 1914, 3; Bertaut 1935, 165; S Storck N Koch Tagebuch 1, 27.01.1910; Petersen 1939b, 31. Vgl. auch das Big-Man-Konzept von Vansina: Vansina 1990, 73 ff. 200 Brown 2003b, 13. Brown bezieht sich auf die ogaranya genannten reichen Igbo. Vgl. auch Aderinto 2015, 247. 201 Vgl. Laburthe-Tolra 1981, 368 f.; Quinn 1980, 294. 202 Das Ausmaß der vom Elfenbeinhandel ermöglichten Polygamie nahm von der Küste ins Hinterland mit steigendem Wert europäischer Waren zu. Vgl. Guyer 1986, 583. Für die Zahlen vgl. Otto 1898, 28; Kerr 1899, 158; Hinkhouse 1909, 55; Hannappel 2017, 350. Angaben von 400–500 Ehefrauen gehören wahrscheinlich ins Reich der Legende. Vgl. Laburthe-Tolra 1981, 368; Tessmann 1913, Bd. 2, 262. Rechte über Menschen wurden vererbt. Vgl. Laburthe-Tolra 1981, 358, 224–232; Quinn 1980, 293. 203 Zur Rolle junger Männer in Kamerun, die bisher vor allem für das Grasland betont wurde, vgl. Bayart 1985, 15; Argenti 2008; Warnier 1996. Allgemein vgl. Meillassoux 1992, 121–126.

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Während des Kautschukhandels sollten sie eine der bedeutendsten Akteursgruppen werden. Entscheidend war nicht ihr biologisches Alter, sondern ihr sozialer Status: „What youths have in common is not their age but their exclusion from power and their dependence on the ‚men,‘ ‚fathers,‘ or ‚elders‘ in their societies.“204 Heirat bestimmte in den 1880ern den sozialen Status von Männern. Bei den Beti galten alle Menschen, die im Dorf eines Familienoberhauptes lebten, unabhängig von Alter oder Herkunft als bongo be dzal, Kinder des Dorfes, und damit als Minderjährige bzw. Abhängige des Familienoberhauptes. Nur das Familienoberhaupt war als Herr über Familie und Dorf (mie dzala) politisch und sozial unabhängig.205 Erst wenn ein Mann heiratete und einen eigenen Haushalt gründete, vollzog er den Übergang vom Minderjährigen zum Erwachsenen, vom zeze mot („a nobody“) zu einem mfaŋ mot („a real person“),206 und erwarb politische Teilhabe. Männer wollten deshalb möglichst schnell heiraten. Für junge Männer oder solche mit wenigen Mitteln aber war es schwierig, sich als autonome Familienoberhäupter zu etablieren.207 Sie konnten kaum ohne die Hilfe ihrer Familienoberhäupter die nötigen Brautgaben aufbringen. Hierzu fehlten ihnen Kapital und Netzwerke. Zwar waren etwa bei den Mabea die Väter dazu verpflichtet, ihre Söhne zu unterstützen.208 Doch nicht alle konnten sich darauf verlassen – etwa, wenn ihr Vater arm oder bereits verstorben war oder sie mit diesem in Konflikt standen. Außerdem schoben Väter die Heirat ihrer Söhne oder ihrer jüngeren Brüder auf, um länger von deren Arbeit zu profitieren. Viele Männer heirateten deshalb erst mit Ende 20, noch später oder gar nicht.209 Ihr sozialer Aufstieg wurde verlangsamt oder sogar blockiert. Die wachsende soziale Ungleichheit, infolge der nach Atangana „Ungehorsam, Krankheit und Faulheit in Hülle und Fülle im Lande“ herrschten,210 führte zu Spannungen und Konflikten in Südkamerun. Mädchen wurden oft bereits sehr jung von ihrem Vater verlobt – bei den Bulu in den 1890ern fast immer vor dem fünften Lebensjahr.211 Mädchen und Frauen lebten zunehmend in polygamen Haushalten.212 Dass beim Tod eines Familienoberhauptes oft vermutet wurde, Frauen, Sklaven oder Söhne hätten diesen durch Hexerei oder Gift herbeigeführt, deutet auf wachsende soziale Konflikte hin.213 Mädchen, so Zenker, müssten alte Männer heiraten

204 205 206 207 208 209 210 211 212 213

Argenti 2008, 7. Vgl. Quinn 1980, 293. Guyer 1984, 37. Für die Betonung der Hochzeit vgl. Alexandre/Binet 1958, 57. Vgl. Laburthe-Tolra 1981, 378 ff. Vgl. Zenker 1904b, 8. Vgl. Laburthe-Tolra 1981, 205 f., 378. Heepe 1919, 142 f. Vgl. McCleary 1896, 148. Vgl. Laburthe-Tolra 1981, 382. Für Interviews mit Beti-Frauen vgl. Vincent 1976. Vgl. Laburthe-Tolra 1981, 369.

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und seien damit unglücklich. Entsprechend würden sie im Todesfall angeklagt, dieselben „per Zauberei, in die andere Welt geschafft zu haben u werden dafür […] mißhandelt u dann mit Gift u Schlinge gewaltsam getötet. Diese Greuelthaten geschehen bei jedem Todtesfalle [sic!] eines Chiefs der mehrere Frauen hat.“214 Dies waren die nicht intendierten Folgen der rapiden Akkumulation von Reichtum und Lebenschancen in wenigen Händen. Die großen Haushalte und ihre inneren Konflikte sollten ab den 1890ern in mehrfacher Hinsicht die Grundlage für die schnelle Expansion sowohl des Kautschukhandels als auch der damit zusammenhängenden Arbeitsbeziehungen werden. Denn erstens wurden die Familienoberhäupter zu wichtigen Verbündeten der Regierung und der europäischen Firmen und versorgten diese mit Männern und Frauen als Arbeitskräften. Zweitens aber entwickelte sich die exaltierte Form von Maskulinität, die die wenigen minkúkúma vorlebten, zu einem Vorbild für noch nicht oder gerade erst etablierte Männer. Die minkúkúma wurden „a powerful model for male aspirations“.215 „The great aim in life“, so die reduktionistische Zusammenfassung des US-Missionars Charles W. McCleary, „is to get goods and buy wives.“216 Eine oder besser noch mehrere Frauen zu heiraten, einen eigenen Haushalt zu gründen und damit politische und soziale Rechte sowie Reichtum zu erwerben, war das Zentrum der vielfältigen individuellen Ziele, Wünsche und Entscheidungen vieler tausender junger oder nicht etablierter Männer. Zu diesem Zweck waren viele bereit, ihre Arbeitskraft in die Kautschukwirtschaft einzubringen, wie ein deutscher Beamter feststellte: „[A]uf den Weiberkauf zielt ihr ganzer Arbeitstrieb hin. Um Geld zum Weiberkauf verdienen zu können, schneiden sie Gummi, gehen sie als Träger in die Faktoreien, in die Pflanzungen, zum Wege- und Bahnbau, zur Schutztruppe“.217 „Too many governors“: Kolonialstaat, Unternehmen und afrikanische Eliten, 1884–1892 Zwischen Strand und Palmen bemerkte Zöller den ökonomischen, politischen und sozialen Sturm nicht, der landeinwärts von der Batanga-Küste wütete. Er hielt sich an die Angestellten von Woermann und Jantzen & Thormählen, die der Batanga-Küste keine große Bedeutung zumaßen. Sie machten mit dem Elfenbein kaum Gewinne – zumindest im Vergleich mit dem Kautschukhandel in südlicheren

214 PAZD N Zenker Tagebuch 1891/92, 23.08.1891. Minkúkúma waren unbeliebt. Zu nivellierenden Tendenzen vgl. Alexandre/Binet 1958, 60. 215 Brown 2003b, 13. 216 McCleary 1896, 148. 217 BArch R 175-I/622, 56.

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Teilen des Gabun-Geschäfts ihrer Firmen.218 1885 war die Batanga-Küste nichts weiter als das verschlafene nördliche Anhängsel des boomenden Gabun-Handels. Doch auch das dortige Geschäft hatte seine Probleme. Nach Hübbe-Schleiden waren dies: „Dash, Trust, Cannibals und Frenchmen.“219 Ähnlich fasste Aloysius Smith, in den 1870ern für Hatton & Cookson in Gabun und besser bekannt als „Trader Horn“, zusammen, was die britischen und deutschen Kaufleute über die französische Kolonialmacht dachten: „What did the French do in that part of Africa? Made not much more impression on it than a tree-full of monkeys. Wouldn’t work themselves and shied stones at those who did.“220 Europäischer Handel und europäische Kolonialherrschaft waren kein Traumpaar. Vielmehr kam es zu Konflikten zwischen Unternehmen und kolonialem Staat. Woermann und Jantzen & Thormählen etwa wünschten sich eine militärische Schutzmacht, aber keine Regierung, die sich in ihr Geschäft einmischte. Gerade deshalb legten Woermann und Jantzen & Thormählen Ende der 1880er größeres Augenmerk auf die Batanga-Küste. Südkamerun entsprach aufgrund der Abwesenheit des kolonialen Staates ihren Vorstellungen. In wechselnden Koalitionen schufen dort ein schwacher, an regulierenden Eingriffen kaum interessierter kolonialer Staat, europäische Firmen, die gewohnt waren, Konflikte selbst zu lösen, konkurrierende afrikanische Eliten und ehrgeizige, unternehmerische, nicht etablierte Afrikaner in den 1880ern und 1890ern eine Art middle ground: einen Raum, in dem alle aufeinander angewiesen waren und keiner über ausreichend Macht verfügte, um diesen zu kontrollieren.221 Im Vergleich zu den südlicheren Teilen Gabuns hatte die Batanga-Küste in den 1880ern eine geringe Bedeutung für die Handelsfirmen, weil dort nur Elfenbein, nicht aber Kautschuk gehandelt wurde. Der Kautschukhandel hatte sich seit den 1850ern entlang der South Coast ausgebreitet. Gabun, das Königreich Kongo und Angola standen während des Scramble for Africa bereits im Bann des Kautschukgeschäfts – nicht aber die Batanga-Küste.222 1885 war das spanisch beanspruchte Bata, etwas südlich der Batanga-Küste, der nördlichste Punkt, wo die Firmen Kautschuk kauften.223 Deswegen arbeitete nur einer von Woermanns 40 europäischen 218 In einem guten Monat kaufte Woermann in Groß-Batanga 86 Zähne (ca. 645 kg). Die Kaufleute zahlten 1884 7–8 M pro englisches Pfd. Elfenbein und erzielten in Europa 8–15 M. Vgl. Zöller 1885g, Bd. 4, 48. 219 Hübbe-Schleiden 1879, 96. Hervorhebung im Original. 220 Horn 1927, 38 f. 221 Vgl. analog in Gabun Rich 2007a, 8 f. Zum Konzept vgl. White 1991. 222 Vgl. Martin 1972, 150; Vos 2015, 41–58; Vos 2009; Ball 2000; Heywood 1985. 223 Vgl. NN 1885c, 4. Jantzen & Thormählen unterhielten eine Zweigfaktorei ihrer Bata-Niederlassung in Campo an der späteren Südgrenze Kameruns, wo sie mindestens seit 1883 Kautschuk kauften. In Bata kauften sie spätestens Anfang 1880 Gummi. Vgl. PASch N Wichulla Tagebuch 1, 13.02.1883, 29.04.1883.

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Angestellten des Gabun-Geschäfts an der Batanga-Küste.224 Jantzen & Thormählen hatten dort wie die meisten Firmen nur einen afrikanischen Clerk.225 Auch die Zahl ihrer afrikanischen Händler war gering: Am Ogowe unterstanden jedem Kaufmann ca. 150,226 in Woermanns Groß-Batanga-Faktorei ging 1885 lediglich ein Dutzend Händler ein und aus.227 Obwohl kautschukproduzierende Lianen im Regenwald der Batanga-Küste wuchsen und dies bereits seit den 1860ern bekannt war,228 hatten weder die BatangaFamilienoberhäupter noch die europäischen Unternehmen ein Interesse daran, dort mit Kautschuk zu handeln. Nach Zöller beruhte die Konzentration auf Elfenbein auf „einem stillschweigenden Einverständnis zwischen Weißen und Eingeborenen“. Die Batanga wollten „gar keinen andern Handel mehr haben“. Der Elfenbeinhandel ermöglichte den Familienoberhäuptern bereits Reichtum und große Macht, deshalb hatten sie kein Interesse an neuen Produkten, die das Gleichgewicht verändert hätten. Die europäischen Firmen wiederum, so Zöller, wollten „andere Handelszweige absichtlich nicht einführen, weil die Neger alsdann einen beim Elfenbeingeschäft nicht üblichen Credit (trust) verlangen und diese Forderung […] später auch auf das Elfenbein ausgedehnt würde“.229 Die Unternehmen verzichteten folglich auf das an der afrikanischen Westküste sonst übliche trust-System, weil sie nicht glaubten, dass sich dies an der Batanga-Küste lohnen würde. Die Schwerpunkte sowohl des Kamerun- als auch des Gabun-Geschäfts von Woermann und Jantzen & Thormählen lagen an Ästuaren, Flüssen, Seen und Lagunen, die das Hinterland aufschlossen und wo sich Waren und Produkte auf dem Wasser transportieren ließen. An der Batanga-Küste gab es keine solchen Gewässer.230 Alles musste von Menschen getragen werden – die teuerste Methode des Warentransports.231 Dies lohnte sich in den 1880ern nur für Elfenbein. Dementsprechend war die Batanga-Küste für die Firmen eine Sackgasse: die Gewinnchancen zu klein und die Risiken zu groß, um den Handel auszuweiten. Folglich hatten alle Beteiligten ein Interesse am status quo. Ende der 1880er jedoch gerieten die bisher profitablen Geschäftszweige in Gabun und Kamerun-Ästuar in Gefahr. Erstens schrieben die Firmen am Kamerun-Ästuar ab 1885 rote Zahlen, da sich die Palmölpreise im freien Fall befanden.232 Woer-

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Vgl. Zöller 1885g, Bd. 4, 208; Chamberlin 1977, 190 f. Vgl. PASch N Wichulla Tagebuch 1, 07.01.1885; Wirz 1972, 97. Vgl. L. K. 1885, 267; Deemin 1976, 109. Vgl. Zöller 1885g, Bd. 4, 49. Vgl. Burton 1863, 247. Alle Zitate: Zöller 1885g, Bd. 4, 46. Vgl. Wirz 1972, 99 f.; Hausen 1970, 12; Rudin 1938, 102. Vgl. Hopkins 1988, 73. 1884–87 fielen die Palmölpreise um fast 40 %, Ende der 1890er ebenfalls. Vgl. Lynn 1997, 111–114.

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mann verlor 1885 im Kamerun-Geschäft fast 200.000 Mark, der Gesamtverlust aller europäischen Firmen lag bei ca. einer Millionen Mark.233 In den kommenden Jahren gingen die Verluste weiter. Bis 1899 erwirtschaftete Woermann nur 1896 einen Gewinn im Kamerun-Geschäft,234 weshalb er es 1900 verkaufte.235 Zweitens geriet zeitgleich das Gabun-Geschäft unter politischen Druck. Seit den 1850ern waren die Beziehungen zwischen ausländischen Unternehmen und französischer Kolonialmacht angespannt. Zum einen sahen es die Franzosen nicht gern, dass britische und deutsche Firmen die Früchte der Kolonialherrschaft ernteten. Gerade Woermann war den Behörden nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 ein Dorn im Auge.236 Zum anderen sorgte der Handel für Konflikte, die zu französischen Militäraktionen führten.237 Deshalb verfolgte die Regierung eine restriktive Politik gegenüber den Unternehmen, die ein jahrzehntelanges Hase-und-Igel-Spiel nach sich zog. Gern ließen sich die Firmen militärisch helfen, aber sobald der Staat in den Handel eingriff, entzogen sie sich.238 1887 aber führte die Regierung einen entscheidenden Schlag: Nachdem der Kautschukhandel immer wieder zu Gewalt auf dem Ogowe geführt hatte, sperrte der Bevollmächtigte, Pierre Savorgnan de Brazza, den Fluss oberhalb von Njole für britische und deutsche Unternehmen und schloss damit das wichtigste Kautschukhandelsgebiet der South Coast.239 Während

233 Vgl. HWA S 599/47 rot: Protokoll Syndikat für Westafrika, 11.05.1886; ACW Bilanz 1885. Jantzen & Thormählen hatten 1885 ebenfalls Verluste. Vgl. OBS Dauerausstellung. Kassenbuch Jantzen & Thormählen, 42. 234 Vgl. ACW Bilanzen 1885–99. 235 Käufer war die neu gegründete GNK. Woermann erhielt 300.000 M in Aktien. Auch Jantzen & Thormählen verkauften ihre Faktoreien in Kamerun-Stadt und in Mundame für 60.000 M. 1903 kaufte Woermann die Faktoreien zurück. Vgl. Ballhaus 1968, 130 f., 145. 236 Woermann lobte später „das äusserst rücksichtsvolle Benehmen der französischen Behörden während des Krieges von 1870/71.“ Koppenfels 1879, 362. 237 Vgl. Chamberlin 1977. 238 Vgl. Chamberlin 1977, 171 f. Die Firmen reagierten auf Zölle, Gebühren, ausländische Unternehmen benachteiligende Auflagen etc. u. a. mit der Verlagerung des Geschäfts auf den Ogowe und der Verwaltung nach der spanischen Insel Klein-Eloby. Für Einzelheiten vgl. Chamberlin 1977, 173 ff.; Robert 1883, 132 ff.; PAAA R 901/52476, 31; Schanz 1903, 80; Reading 1901, 157; GStA PK I. HA Rep 81/Nr. 946, 128; LRO 380 HOL 1/4/5, 18; Gertzel 1959, 131–135; Lynn 1997, 173; NN 1889b, 962; GStaPK I. HA Rep. 81/928 Jantzen & Thormählen an Syndikat für Westafrika, 25.08.1885. 239 Eine erste Sperrung erfolgte 1883. Vgl. Chamberlin 1977, 218–233; Coquery-Vidrovitch 1977, 52 f. Vgl. auch die Beschwerden in HWA S 599/47 rot Syndikat für Westafrika Syndikat für Westafrika an Bismarck, 02.05.1885; HWA S 599/47 rot Syndikat für Westafrika Jantzen & Thormählen an Woermann, 25.08.1885.

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die Liverpooler Firmen auf dem Ogowe blieben,240 liquidierten die deutschen ab 1888 ihren Handel auf dem Fluss.241 Angesichts dieser doppelten Bedrohung loteten Woermann und Jantzen & Thormählen Ende der 1880er die kommerziellen Möglichkeiten der Batanga-Küste aus. Diese hatte einen klaren Standortvorteil: Es gab keinen kolonialen Staat, der sich in die Geschäfte einmischte. Dem Gouvernement von Kamerun fehlten Ressourcen, denn der kolonialskeptische Reichstag bewilligte nur wenige Mittel.242 Bis November 1891 hatte die Regierung keine eigenen Soldaten oder Polizisten. Ihre wenigen Beamten wohnten in Wellblechpalästen – heiß, schmutzig und voller Ungeziefer.243 Faktisch beschränkte sich ihre Macht auf das Kamerun-Ästuar und die Meerseite des Kamerunbergs. Die Batanga-Küste überließ das Gouvernement sich selbst. Nur unregelmäßig besuchten Beamte den südlichen Teil ihrer Kolonie. In Krisen schickte die Regierung ein Kriegsschiff.244 Dies ähnelte mehr dem früheren britischen Konsulatswesen als einer Kolonialherrschaft.245 Auch in den kommenden Jahrzehnten beherrschte die deutsche Regierung in Südkamerun – wie alle kolonialen Herrschaftsapparate in Afrika – nicht das gesamte Territorium, sondern beschränkte sich auf „Inseln der Herrschaft“.246 Erst 1891 – sieben Jahre nach der Proklamation der Kolonie – erhielt die Batanga-Küste ein eigenes Bezirksamt in Kribi. Bezeichnenderweise versah bis 1892 der Kaufmann August Lubcke, Inhaber einer neuen Firma, provisorisch den Posten, da die Regierung keinen Beamten zur Verfügung hatte.247 Der vom Bezirksamt Kribi verwaltete Südbezirk deckte anfangs theoretisch ganz Südkamerun ab. Aber noch bis in die 1900er konzentrierte sich die Macht der Regierung ausschließlich auf die Küste und die Route nach der Jaunde-Station im Beti-Gebiet. Ende 1903 schrieb der Bezirksamtmann von Kribi, Steinhausen, seine Macht beschränke sich auf die

240 Vgl. Gertzel 1959, 587. Zum Konflikt zwischen britischen Firmen und französischer Verwaltung vgl. Coquery-Vidrovitch 1972, 233–260; Morel 1902. 241 Bis April 1888 verkauften Jantzen & Thormählen ihr Ogowe-Geschäft an Hatton & Cookson. Vgl. PASch N Wichulla Copiebuch 2, Wichulla an Stein, 05.11.1887; Wichulla an Stein, 27.04.1888; Wichulla an Stein, 18.02.1888. Woermann veräußerte den größten Teil des Ogowe-Geschäfts 1893 mutmaßlich an John Holt & Co. 1902 zog sich Woermann endgültig vom Ogowe zurück. Vgl. LRO 380 HOL 1/4/8, 111; Gertzel 1959, 587; ACW Productenbücher 1 u. 2, ACW Bilanzen 1902/03; Coquery-Vidrovitch 1972, 234; Morel 1902, 163. 242 Vgl. Hausen 1970, 53–58. 243 Vgl. Kirchhoff 1915, 262. 244 Vgl. GStA PK I. HA Rep. 81/931 Zeye an Gouverneur, 17.05.1889. 245 Austen und Derrick sprechen für die Anfangszeit der deutschen Herrschaft in Duala (1884–85) von „neo-consular rule“. Im Süden dauerte diese deutlich länger. Austen/Derrick 1999, 95. Zum britischen Konsulatssystem im vorkolonialen Westafrika vgl. Lynn 1997, 163 ff. 246 Pesek 2005, 244. Vgl. auch Gann/Duignan 1979b, 70 f.; Cooper 1994, 1533. 247 Vgl. BArch R 1001/4321, 33.

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Batanga. Unter den wenige Kilometer entfernt lebenden Mabea, Bulu und Bakoko habe er keinen Einfluss.248 Die Politik der deutschen Kolonialverwaltung an der Batanga-Küste entsprach insofern den Erwartungen der Firmen, als dass sie kaum deren Handel regulierte, sie aber im Notfall militärisch schützte. Bis nach der Jahrhundertwende verfolgte die Regierung nolens volens eine Politik des „extremen Laissez-Faire“.249 Einerseits wollte sie so privatwirtschaftliche Tätigkeit in der Kolonie fördern. Andererseits war die Regierung aufgrund fehlender Mittel auf die privaten Akteure, ihr Knowhow, ihre Netzwerke und ihren Unternehmergeist angewiesen.250 Im Konfliktfall beschützte die Regierung die Kaufleute mit Polizei- und Schutztruppe, indem sie mit einer Strategie des „Terrorismus“ extreme Gewalt gegen die Bevölkerung mobilisierte.251 Folglich führte in Kamerun ein ausgehungerter „Nachtwächterstaat“ das Regiment,252 der wenig regeln, aber hart zuschlagen konnte. In der Praxis bedeutete dies, dass die Regierung, soweit ihre Mittel es zuließen, mit Gewalt für Ruhe und Ordnung sorgte, aber mangels Autorität, Macht und Mitteln kaum in den Alltag eingreifen konnte oder Gestaltungswillen zeigte. Oft genug ignorierten sämtliche nichtstaatlichen Akteure die Verordnungen des Gouvernements, das sich außerstande sah, Regeln durchzusetzen. Für das Verbot des trust-Systems etwa nahm die Regierung drei vergebliche Anläufe.253 Scheinbar zog es die Verwaltung daher vor, ganz auf regulierende Eingriffe zu verzichten. Für Unternehmen, die sich stets staatlicher Beeinträchtigung entzogen hatten, waren dies optimale Bedingungen. Zur Schwäche des kolonialen Staates in Südkamerun trug auch bei, dass er diesen Teil der Kolonie willentlich vernachlässigte. Statt auf das infolge des Kautschukbooms wirtschaftlich immer bedeutender werdende Südkamerun konzentrierte die Regierung ihre geringen Mittel darauf, Adamaua und den Tschadsee zu erschließen,254 die nie ökonomisch relevant wurden.255 Deutsche Forscher hatten bereits ab Mitte des 19. Jahrhunderts Reichtum, Bevölkerungsdichte und staatliche Strukturen dieser Gebiete beschrieben.256 Dies führte zu einem Paradox: Von der Küste aus gesehen war das beanspruchte Gebiet „schon einige Kilometer weit im

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Vgl. BArch R 175-I/127, 69. Hausen 1970, 264. Vgl. Hausen 1970, 62. Stoecker 1968, 7. Zur Schutztruppe vgl. Michels 2009; Morlang 2008; Kuß 2010. Zur Gewalttätigkeit schwacher kolonialer Staaten vgl. Cooper 2014, 21. Hausen 1970, 62. Vgl. Rudin 1938, 225–228. Zu Eroberung und Beherrschung Nordkameruns vgl. Gottschalk 2017; Midel 1990; Hoffmann 2007, Bd. 1; Seige 2003; Wirz 1972, 148–201; Stoecker/Mehls/Mehls 1968. Vgl. Cornevin 1969-1973, 400 f.; Wirz 1972, 37. Vgl. Rudin 1938, 76.

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Innern ganz unbekannt, während wir von den Sudanländern in der Umgebung des Tschadsees schon eine ganz gute Kenntnis hatten“.257 Adamaua, das als Quelle des Kameruner Elfenbeins galt, beflügelte die koloniale Phantasie:258 Schwärmer gründeten Adamaua-Unternehmen, die ihr Zielgebiet nie erreichten;259 im Kolonialrat besaß eine „Adamaua-Lobby“ großen Einfluss auf die Kolonial-Abteilung.260 Davon zeugten die zahlreichen Adamaua-Expeditionen.261 Auch die Reisen von Richard Kund, Hans Tappenbeck, Morgen und Dominik, die heute für die Erforschung des Südens bekannt sind, sollten eigentlich Adamaua erreichen.262 Selbst die 1889 angelegte Forschungsstation Jaunde sollte nicht den Süden beherrschen, sondern als Sprungbrett in den Norden dienen. Noch 1897, als der Kautschukhandel die Exportwirtschaft der Kolonie bereits dominierte, betonte Gouverneur Jesko von Puttkamer, der Weg Kribi–Jaunde diene vor allem dazu, den Handel mit Adamaua zu öffnen.263 Weil für viele Beamte, Offiziere und Berliner MöchtegernKonquistadoren der Regenwald lediglich ein Hindernis auf dem Weg ins gelobte Land Adamaua war, vollzog sich Südkameruns Kautschukboom weitgehend in Abwesenheit des kolonialen Staates. Wo der koloniale Staat nicht präsent war, machten europäische Unternehmen und lokale Bevölkerung ihre Konflikte untereinander aus. An der Batanga-Küste, die zwar von den Franzosen als Teil Gabuns beansprucht, aber nie beherrscht, und die auch von den britischen Konsuln der Oil Rivers scheinbar nur in Ausnahmefällen besucht worden war,264 hatten europäische Händler und afrikanische Eliten dies bereits seit Jahrzehnten praktiziert und Wege der Konfliktregulierung gefunden. Die Europäer gingen Allianzen mit mächtigen Handelspartnern ein, zahlten eine kumi genannte Gebühr und unterhielten sexuelle Beziehungen mit Töchtern der Familienoberhäupter.265 Zumindest in den 1860ern, bis zur Christianisierung, diente die Ukuku-Geheimgesellschaft der Konfliktlösung.266 In anderen Fällen

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Vietor 1913, 37. Vgl. Wirz 1972, 156; Johnson 1978. Vgl. BArch R 1001/3430, 18; BArch R 1001/3431, 44–76; Jäger 1892; BArch R 1001/3430, 8. Wirz 1972, 168 ff. Vgl. Vietor 1913, 37. Vgl. Schwarz 1888; Zintgraff 1895; Passarge 1895; Bauer 1904. Zu den Expeditionen Zintgraffs vgl. Michels 2004; Chilver 2010. Vgl. BArch R 1001/3267, 21; Hoffmann 2007, Bd. 1, 57–60; Wirz 1972, 172 f. Vgl. BArch R 1001/4287, 27–42; Puttkamer 1912, 81. Vgl. Austen/Derrick 1999, 62–66; zu Batanga vgl. NN 1887, 300–312. Vgl. Zöller 1885g, Bd. 4, 57; Nassau 1901, 311 f.; NN 1887, 309; Austen/Derrick 1999, 76; Wirz 1972, 67 ff.; Jaeck 1960, 39. Vgl. Nassau 1904, 147–150; Kingsley 1897, 541; Surry 26.06.1880; BArch R 175-I/21, 63 f. Zur Ukuku(mwiri)-Geheimgesellschaft vgl. Gray 1995, 165–173. Auch Europäer wurden Mitglieder von Geheimgesellschaften. Für die Batanga-Küste ist kein Fall bekannt, jedoch aus dem Nigerdelta und der South Coast. Vgl. Lynn 1997, 93 f.; Gray 1995, 166 f. Zur Rolle von Geheimgesellschaften

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nutzten die Kaufleute Gewalt. 1879 beschrieb Robert Surry, Angestellter von Hatton & Cookson in Groß-Batanga, wie die Kaufleute einen Streit mit den Batanga lösten: „[W]e mustered all our crowd of traders, &c., armed them all, and went and burned their town down for them“.267 Weiter im Süden, bei Sette Cama, regierte der 20jährige James Deemin von John Holt & Co. wie ein kleiner König auf Ngousa Island. Er legte Betrunkene in Ketten, entführte den King, nahm Geiseln und ließ Dörfer anzünden.268 Solche Konflikte liefen ritualisiert und unblutig ab, schließlich waren alle Seiten aufeinander angewiesen und hatten ein Interesse an der Präsenz des anderen. Als Surry die Batanga-Town angriff, flohen die Einwohner in den Wald. Ein Batanga-Mann wurde durch eine Kugel verwundet, was Surry angeblich leidtat.269 Diese Form der Konfliktaustragung ähnelte derjenigen der Batanga: Im von 1880 bis 1884 andauernden Krieg der Banoko und Bapuku starben nur drei Menschen – einen vierten töteten die Konfliktparteien nachträglich, um die Zahl der auf beiden Seiten verlorenen Menschenleben auszugleichen.270 Als nach 1890 die Kaufleute ins Binnenland vordrangen, wo der schwache koloniale Staat nicht präsent war, nahmen sie die Praktiken der Konfliktlösung mit. Der Unterschied zur vorkolonialen Epoche war, dass sie nun die terroristische Gewalt der Kolonialmacht auf ihrer Seite wussten, sollte ein Konflikt aus dem Ruder laufen. Sie konnten deshalb ihren Partnern stärker als zuvor Bedingungen diktieren. Häufig traten sie auch als selbsternannte Stellvertreter des kolonialen Staates auf. Angesichts zahlreicher Übergriffe von Kaufleuten beschwerten sich folglich 1893 die Batanga-Kings Madola und Boballa: „There are too many governors here.“271 Neue Zentren: Die Schaffung der Jaunde-Straße Der schattenhafte koloniale Staat konnte sich zeit- und ortsweise mit brutaler Gewalt materialisieren. Dauerhaft erschloss er Ende der 1880er eine sichere Verbindung für europäische und afrikanische Händler zwischen der Batanga-Küste und den Beti im Hinterland: die Jaunde-Straße. Dies geschah gegen den Widerstand vieler auf dem Wege lebender Familienoberhäupter, die keinen Verkehr durch ihr Gebiet dulden wollten. Aber nicht allein die Deutschen zerstörten das bisherige

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im Handel vgl. u. a. Austen 1987, 95; Lovejoy/Richardson 1999. Zur Losango-Gesellschaft im Kamerun-Ästuar vgl. Austen/Derrick 1999, 41 f.; zu Ekpe im Cross-River-Gebiet vgl. Michels 2004, 65–70; Röschenthaler 2011. Surry 05.06.1880. Vgl. Deemin 1976, 105 ff. Zu Deemin vgl. Davies 1976, 93 ff.; Holt 1928. Vgl. Surry 05.06.1880. Vgl. Zöller 1885a, 467. Zur Opferzahl von Kriegen vgl. Vansina 1990, 80. BArch R 1001/3422, 4.

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Handelssystem: Auch Familienoberhäupter im Hinterland hatten ein Interesse an einer Neuordnung des Handels und unterstützten die Kolonialmacht. An der Batanga-Küste wollten die Firmen Ende der 1880er nicht mehr allein Elfenbein, sondern auch Gummi kaufen. Elektrifizierung und die aufkommende Fahrradindustrie in Europa und Nordamerika ließen die Nachfrage nach Kautschuk wachsen und die Preise steigen.272 Höhere Preise für erstklassigen brasilianischen Kautschuk führten dazu, dass Industrieunternehmen vermehrt billigeren afrikanischen Kautschuk verwendeten.273 Gummi wurde deshalb zunehmend interessant für Afrika-Unternehmen, die nach neuen Einnahmequellen suchten. Denn nach den Palmölpreisen rutschten Ende der 1880er auch die Elfenbeinpreise in den Keller.274 In vielen Teilen Afrikas trieben europäische Firmen sowie afrikanische Händler und Produzenten deshalb die Kommodifizierung von Kautschuk in atemberaubender Geschwindigkeit voran. Immer neue Gebiete traten um 1890 als Kautschuklieferanten auf dem Weltmarkt auf. Unter anderem begannen der Kongostaat, Lagos und Französisch-Guinea mit der Produktion.275 Als die Firmen aber den Batanga im Februar 1888 mitteilten, sie wollten nur noch Kautschuk kaufen, hielten diese an ihrer Strategie fest, den Handel zu beschränken, und antworteten mit einem Boykott.276 Um den Widerstand der Batanga-Familienoberhäupter zu überwinden, wollten die Firmen deren Zwischenhandel ausschalten und direkt mit den Akteuren handeln, die hinter den Batanga im Binnenland lebten. Die Auseinandersetzung zwischen afrikanischen Eliten, Kolonialverwaltung und europäischen Firmen um den Zwischenhandel ist am Beispiel der Duala vielfach untersucht worden.277 Duala, Batanga und andere besaßen als middlemen nicht nur Macht und Profit, sondern eine wichtige Funktion im legitimate commerce, indem sie die Produkte kleinerer Produzenten im Hinterland bündelten.278 Die Firmen behaupteten aber, dass der Zwischenhandel die Produkte nur verteuere. Am Kamerun-Ästuar hofften sie, Öl billiger von den Produzenten zu erwerben und so das defizitäre Geschäft profitabel zu machen. An der Batanga-Küste wiederum wollten sie einerseits Elfenbein direkt von denen kaufen, die es zur Küste brachten, und andererseits die Blockade des Kautschukhandel überwinden.

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Vgl. Coates 1987, 79, 95. Vgl. NN 1892, 71. Vgl. Lederer 1965, 99 f. Vgl. Lederer 1965, 99 f.; Omosini 1979; Osborn 2004. Vgl. BArch R 1001/3267, 16. Vgl. Austen/Derrick 1999; Eckert 1999c; Wirz 1972; Rüger 1968. Die Haltung der Regierung zum Zwischenhandel war unklarer als angenommen. Von Zimmerer war dagegen, den Zwischenhandel zu bekämpfen, konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Vgl. BArch R 1001/3815, 49–52. 278 Vgl. Hopkins 1988, 57.

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Anfangs hatten die Firmen an der Batanga-Küste wenig Erfolg in der Auseinandersetzung mit dem Zwischenhandel. Sie versuchten, ihren Handel ins Innere vorzuschieben und dadurch die Zwischenhändler zu umgehen. Mit derselben Methode hatten sie zuvor in Gabun Erfolg gehabt: Unter dem militärischen Schutz der Franzosen waren sie in Lagunen und auf Flüssen und Seen mit kleinen Dampfbooten weiter ins Binnenland gefahren, um einen Sperrhandelsgürtel zu überspringen.279 Auf den wenigen Flüssen der Südkameruner Küste war diese Methode allerdings nur eingeschränkt nutzbar, da diese wegen Wasserfällen nur über kurze Strecken schiffbar waren. Dennoch befuhren die Kaufleute seit 1888 die Flüsse bis zum Ende der Schiffbarkeit, um die Zwischenhändler zu umgehen.280 Doch diese verteidigten ihre Stellung. Als Heinrich Jürgensen, Woermanns Angestellter in Malimba, Anfang 1889 mit einer Dampfbarkasse den Sanaga hinauffahren wollte, vereitelten dies die Malimba-Leute. Sie kamen mit Kriegskanus, besetzten die Faktorei und führten dort, wo ihnen die Kaufleute sonst das Betreten verboten, Tänze auf.281 Sie zeigten den Firmen, dass sie die Herren des Sanaga waren und der Handel gefälligst mit ihnen an der Beach stattzufinden habe. Nicht die Flüsse Südkameruns, sondern die Dörfer der Batanga-Küste verwandelten sich deshalb in den 1890ern in Zentren des Kautschukhandels: Groß-Batanga, mehr aber noch Plantation, Longji und Kribi.282 Schlüssel für die Entwicklung eines direkten Handels der Firmen mit dem Binnenland waren die Expeditionen des kolonialen Staates. Ab Oktober 1887 führten Kund und Tappenbeck mehrere vom Dorf Kribi ausgehende Expeditionen ins Innere. Einerseits sollten die Forscher die Herkunft des Elfenbeins klären, andererseits feststellen, ob in den Regenwäldern im Hinterland auch Kautschuk vorkomme.283 Der Wert dieser Expeditionen bestand jedoch darin, dass sie neue politisch-ökonomische Gravitationszentren an der Küste und im Binnenland sowie eine neue, alles verändernde offene Verbindung zwischen diesen schufen, die für den Kautschukhandel entscheidende Bedeutung gewannen. An der Batanga-Küste wurde Kribi zum neuen politischen und wirtschaftlichen Zentrum. Ende der 1880er war der Ort nichts weiter als „ein ganz unbedeutendes

279 Vgl. Chamberlin 1977, 168, 177. 280 Vgl. BArch R 1001/3814, 107. 281 Vgl. PASch N Wichulla, Tagebuch 3, 01.03.1889, 02.03.1889. Vgl. auch GStA PK I. HA Rep. 81/931 Wichulla an Jantzen & Thormählen, 01.05.1889. Zum Konflikt mit den Malimba vgl. Hoffmann 2007, Bd. 1, 58 f.; Temgoua 2014, 145 f.; Morgen 1893, 139–153. Für Ähnliches in Klein-Batanga vgl. GStA PK I. HA Rep. 81/931 Zeye an Gouverneur, 17.05.1889; BArch R 1001/3814, 108. 282 1896 exportierte Woermanns Sanaga-Geschäft (Malimba/Edea) ca. 13 t Kautschuk, das KleinBatanga-Geschäft ca. 28 t, das Batanga-Geschäft (Groß-Batanga, Kribi, Plantation, Longji) aber 44 t. 1906 hatten alle Firmen Klein-Batanga aufgegeben, das Sanaga-Geschäft verschiffte nur noch 1,6 t, das Batanga-Geschäft fast 70 t Gummi. Vgl. ACW Productenbücher. Eigene Berechnungen. 283 Vgl. BArch R 1001/3263, 21 ff.

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Nest“ mit 700 bis 800 Einwohnern.284 Handel gab es kaum und deshalb auch keine europäischen Kaufleute (man erinnere sich daran, wie King Jack 1879 einen Engländer entführte).285 Groß-Batanga, südlich von Kribi, war der bedeutendste Platz. Hier leiteten Europäer die Faktoreien, hier stand seit 1879 eine presbyterianische Kirche und hier hielten die englischen und deutschen Dampfer.286 An Kribi fuhren sie vorbei. „Es war also, mit einem Wort gesagt, in Kribi nicht viel zu holen.“287 Kund und Tappenbeck hatten deshalb geplant, von Groß-Batanga loszumarschieren. Doch nachdem die Kings Toko und Madola die Expedition im Kreis hatten führen lassen, bot ihnen King Evahé aus Kribi Hilfe an.288 Evahé erhoffte sich von einem Bündnis mit den Deutschen einen Vorteil gegenüber den Kings von Groß-Batanga.289 Durch seine Hilfe kam Kribi auf die mentale Landkarte der Kolonialbehörden. 1891, bei der Suche nach einem Standort für das neue Bezirksamt an der Küste Südkameruns, fiel auch deshalb die Wahl entgegen Woermanns Rat auf das kümmerliche Kribi statt auf das bedeutendere Groß-Batanga.290 Kribis Aufstieg zum Zentrum des „Südbezirks“ begann. Im Hinterland stießen Kund und Tappenbeck auf ihrer zweiten Reise 1889 über den Nyong-Fluss nach Norden ins Gebiet der Ewondo vor, welche die Deutschen „Jaunde“ nannten.291 Dort schlossen sie ein Bündnis mit dem nkúkúma Essono Ela, unter dessen Schutz sie die „Jaunde-Station“ anlegten.292 Essono Ela sah in ihnen potentielle Verbündete für seine politischen und ökonomischen Ziele.293 Die Jaunde-Station blieb bis 1899 der am weitesten vorgeschobene Außenposten der deutschen Regierung und stieg nach der Jahrhundertwende zum wichtigsten administrativen und ökonomischen Zentrum im Innern Südkameruns auf. 284 Zöller 1930, 213. Richards Informanten behaupteten, Kribi sei immer der wichtigste Ort der Batanga-Küste gewesen und seine Bewohner „les plus riches, comme des Blancs“. Richard 1970a, 382. 285 Goedelt & Gütschow gründeten 1885 eine Faktorei in Kribi, die sie bald wegen mangelnder Rentabilität aufgaben. Vgl. HWA S 599/47 rot Protokoll Syndikat für Westafrika, 11.05.1886; GStA PK I. HA Rep 81/Nr. 946, 128. 286 Zum Verhältnis zwischen Kribi und Groß-Batanga vgl. Skolaster 1924, 43; GStA PK I. HA Rep 81/Nr. 948 Woermann an Kusserow, 17.07.1889; Zöller 1885a, 465. 287 Skolaster 1924, 43. 288 Vgl. BArch R 1001/3266, 98–101. 289 Vgl. BArch R 1001/3266, 96; BArch R 1001/3267, 29. 290 Vgl. BArch R 1001/4321, 29; GStA PK I. HA Rep 81/Nr. 948 Woermann an Kusserow, 17.07.1889. 291 Der Name gilt als ein Fehler der Deutschen bei der Aussprache des Namens „Ewondo“. Vgl. Nyada 2014, 51. Dies ist unrichtig. Abgesehen davon, dass in Kamerun das Wort „Ewondo“ heute nach „Jëundo“ klingt, ist der Jaunde-Name älter als die Kolonisierung Kameruns. Im Mai 1880 erfuhr Rutherford von den Batanga, im Hinterland lebten u. a. die „Yaunder“. Banoho-Familienoberhäupter gaben Zöller den Namen „Ja wuondo“ an. Vgl. Rutherford 1881, 463; Zöller 1885h, 408. 292 Vgl. Hoffmann 2007, Bd. 1, 55 ff.; Kaeselitz 1968, 17 f.; Rudin 1938, 81 f.; Quinn 2006, 52. 293 Vgl. Temgoua 2014, 21 f.

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Die Verbindung zwischen Kribi und Jaunde war die wichtigste Folge der KundTappenbeck-Expeditionen. Die „Jaunde-Straße“, wie die bekanntere „Bali-Straße“ in Nordwestkamerun,294 wurde Dreh- und Angelpunkt der sozialen, politischen und ökonomischen Transformation Südkameruns während der kommenden zwei Jahrzehnte. Sie war nicht die kürzeste Route zwischen Batanga-Küste und JaundeStation und aufgrund des unbewohnten Regenwaldes und gebirgiger Anstiege nicht die komfortabelste. Aber bis ca. 1903 blieb sie die einzig sichere und bis zum Ersten Weltkrieg noch immer die am häufigsten begangene Verbindung.295 Die Jaunde-Straße sollte allen offenstehen: Europäer und Afrikaner sollten zwischen Küste und Jaunde-Station reisen und die Zwischenhändler an der Beach und im Inland umgehen können. Kund und Tappenbeck setzten dies mit brutaler Gewalt durch. Überfälle auf Reisende bezeichnete Tappenbeck als Glücksfall, denn sie ermöglichten, die Bewohner der umliegenden Dörfer zu bestrafen. Tagelang schickte Tappenbeck Patrouillen los, die den Auftrag hatten, alle Männer, die sie fanden, zu erschießen.296 Mit solcher Brutalität erreichten die Deutschen, dass sich ab 1889 Regierungskarawanen, aber auch Afrikaner wie Essonos Sohn Amba zwischen Jaunde und Küste bewegen konnten.297 Die Öffnung einer direkten Verbindung zwischen Batanga-Küste und EwondoGebiet veränderte die politische und wirtschaftliche Hierarchie in Südkamerun dramatisch. Die Ewondo-Familienoberhäupter rund um die Jaunde-Station waren die unmittelbaren Profiteure der Jaunde-Straße. Essono lobte Tappenbecks mörderische Politik: „Jetzt kannst du nach der Küste gehen, Niemand wird dir oder deinen Leuten etwas thun und wenn du ein [sic!] Mann schicken willst so wird er unbelästigt nach der Küste kommen.“298 Die Ewondo und andere Gruppen im Hinterland betrieben die Zerstörung des Zwischenhandelssystems aktiv mit. Zumindest einige Bulu und Fang hatten große, bewaffnete Handelsexpeditionen in Richtung Küste ausgestattet, um den Zwischenhandel zu durchbrechen.299 Nun konnten Reisende mit ihrem Elfenbein (bald auch mit Kautschuk) weiter vordringen als bisher oder sogar die Küste selbst erreichen. Gruppen wiederum, deren Lage sich durch die Jaunde-Straße verschlechterte, wehrten sich. Die deutsche Kolonialverwaltung musste die Straße mit Gewalt gegen diese verteidigen.300 Es

294 295 296 297 298 299

Vgl. Wirz 1972, 194; Michels 2004, 52; Chilver 1967, 484. Vgl. KA 1905, p. 52. Vgl. BArch R 175-I/79, 18 f. Vgl. PAZD N Zenker Tagebuch 1891/92, 13.08.1891, 06.11.1891. BArch R 175-I/79, 19. Vgl. Hausen 1970, 153. Vgl. Alexandre/Binet 1958, 52. Die Stoßrichtung scheint aber nicht nur die Batanga-Küste, sondern auch Bata gewesen zu sein. Vgl. Cottes 1909, 446 f.; Ondoua Engutu 2012, 159. 300 Vgl. BArch R 1001/3815, 7.

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sollte bis 1896 dauern, bis afrikanische und europäische Händler unbehelligt in beide Richtungen marschieren konnten.301 Zwischenfazit Kamerun war eine Doppel-Kolonie, deren künstlich zusammengefügte Teile wenig verband und die sich während der deutschen Kolonialherrschaft infolge des Kautschukhandels im Süden unterschiedlich entwickelten. Während das KamerunÄstuar mit seinem Palmölhandel zur West Coast gehörte, war die Batanga-Küste Teil der South Coast und Elfenbein das wichtigste Handelsprodukt. Die Verbindungen zur South Coast waren ab 1890 für die Entwicklung des Kautschukhandels in Südkamerun relevant: Die deutschen Firmen Woermann und Jantzen & Thormählen betrieben bereits in vorkolonialer Zeit ein auf Kautschuk ausgerichtetes South-Coast-Geschäft in Gabun, aus dem sie Knowhow mitbringen konnten. Den Elfenbeinhandel in Südkamerun wiederum kontrollierten mächtige Familienoberhäupter. Im 19. Jahrhundert hatte dieser zu ihrem Aufstieg geführt. Sie tauschten Elfenbein gegen europäische Waren. Die so entstandenen Konsummuster sollten auch den späteren Kautschukhandel prägen. Elfenbeinhandel und Konsum waren eng mit sozialer Ungleichheit verbunden, denn europäische Waren wurden als Teil der Brautgaben nötig, um zu heiraten. Heirat und die damit verbundenen Rechte über Menschen aber waren die Grundlage von Reichtum, Macht und politischer Partizipation. Immer mehr nicht etablierte Männer konnten aufgrund der Kontrolle der Familienoberhäupter über den Handel nicht mehr heiraten und lebten in den Dörfern der Elfenbeinhändler. Die frühe Kolonialherrschaft war zwar außerordentlich schwach, verfolgte eine Laissez-faire-Politik und beschränkte sich auf terroristische Gewalt. Diese aber nutzte die koloniale Regierung, um die Macht der Familienoberhäupter durch einen Angriff auf den Zwischenhandel zu schwächen. Die vom Staat geschaffene Jaunde-Straße bereitete dem Kautschukhandel ebenso den Boden wie die sozialen Konflikte innerhalb der Südkameruner Gesellschaften. In den 1890er-Jahren sollte der Kautschukhandel wie ein Goldrausch über das Gebiet und seine Menschen hinwegfegen, der neue Formen schneller Bereicherung, aber auch extremer Gewalt mit sich brachte.

2.2 Innovation und Gewalt: Kautschukhandel in Südkamerun Eberhard von Schkopp hatte viele Talente. Geboren 1874 in Neu-Ruppin, sollte der Offizierssohn Soldat werden. Doch aus der Kadettenanstalt schied er infolge eines

301 Vgl. Hoffmann 2007, Bd. 1, 111.

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Sturzes aus. Von Schkopp machte Abitur, studierte sechs Semester lang Medizin, zwei Semester Kunstgeschichte – entschied sich dann jedoch, Kaufmann zu werden. Seine Ausbildung erhielt er in Deutschland, Belgien und England.302 Polyglott, adelig, weltgewandt und abenteuerhungrig ging er 1900 mit 25 Jahren für die neu gegründete Bremer Westafrika-Gesellschaft nach Südkamerun und wurde Kautschukhändler. Nachdem er zuerst einige Zeit in der Hauptfaktorei in Neu-Bremen, nördlich von Kribi, gearbeitet hatte, schickte ihn seine Firma nach Jaunde, wo gerade der meiste Gummi gekauft wurde. Nach nur vier Monaten erkrankte er und reiste wie viele andere junge Kaufleute noch im selben Jahr wieder nach Deutschland.303 Hier hätte seine Afrika-Karriere beendet sein können. Doch von Schkopp kehrte im Mai 1901 nach Südkamerun zurück. Er hatte einen Karrieresprung gemacht: Nun war er Hauptagent der Handels- und Plantagen-Gesellschaft Südwest-Kamerun – nicht schlecht für jemanden, der so wenig Erfahrung im Kautschukgeschäft hatte sammeln können.304 Doch obwohl von Schkopp 40 afrikanische Händler in alle Winkel Südkameruns schickte,305 hatte er auch diesmal kein Glück. Die Firma, die diesen Anfänger als leitenden Manager engagiert hatte, diente nur dazu, den Finanzbedarf der längst insolventen Kamerun-Hinterland-Gesellschaft zu decken.306 Im April 1902 zeigte der Händler Bekoe von Schkopp beim Bezirksamt Kribi an. Aufgrund von Streitigkeiten über trust-Kredite habe von Schkopp ihn nicht bezahlt, ihn und seinen Bruder eingesperrt und mit der Nilpferdpeitsche geprügelt. Um der Strafverfolgung zu entgehen, verließ von Schkopp im Mai 1902 fluchtartig die Kolonie.307 Von Schkopps missglückte Afrika-Aufenthalte wären nicht weiter relevant, hätte er nicht als einer der wenigen Kaufleute Erinnerungen verfasst. In zwei Bänden schilderte von Schkopp die neue Welt des Kautschukhandels, die in den 1890ern in Südkamerun auf den Trümmern des alten Elfenbeinhandels entstand.308 Von Schkopp benannte auch, wer ihm half, sich in dieser Welt zurechtzufinden: sein Koch Alegobane:

302 Vgl. Brümmer 1913, Bd. 6, 187. 1906 wurde von Schkopp Direktor der Afrikanischen Kompanie AG, der ersten Aktiengesellschaft im Batanga-Geschäft (vgl. Kap. 4.2). Ab 1911 litt er an „einem die freie Willensbildung ausschließenden Zustande krankhafter Störung der Geistestätigkeit“ (BArch N 2225/16, 283) und starb 1913 in Bernau. Vgl. Guderian o. J. 303 Vgl. Schkopp 1905, 38, 60, 71. 304 Vgl. BArch R 1001/3493, 16. 305 Vgl. BArch R 1001/3421 Anfang 1902 (Kamerun-Hinterland-Gesellschaft). 306 Vgl. BArch R 1001/3431, 44–76; BArch R 1001/3431, 103. 307 Vgl. BArch R 1001/5554, 4. 308 Vgl. Schkopp 1905; Schkopp 1906.

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Als zweitgeborener Sohn […] der schwarzen Majestät Nkamag [an anderer Stelle: Njamang] wurde Alegobane frühzeitig zum Medizinmann seines Stammes erzogen. […] Nach einer so reich bewegten, tatenreichen Vergangenheit wurde Alegobane erst Händler, und nachdem er sich im Dienste der Weißen genug ergaunert und seine Stammesgenossen gehörig übervorteilt hatte, beschloß er in Ruhe zu leben, wurde Koch bei mir und ließ sich Mister nennen.309

Alegobane lotste von Schkopp durch die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Umwälzungen, die der Kautschukhandel in Südkamerun ausgelöst hatte. Denn binnen weniger Jahre zerstörte er die auf den Handel mit Elfenbein gebaute soziale, wirtschaftliche und politische Ordnung Südkameruns. 1889 begannen die europäischen Firmen, Kautschuk an der Batanga-Küste zu kaufen. Der neue Handel verbreitete sich in Windeseile bis zu den Beti und Bulu. Schon 1893 war Gummi mit einem Wert von mehr als 1,4 Millionen Mark das wichtigste Handelsprodukt der Kolonie.310 Fast 70 Prozent der 413 exportierten Tonnen stammten bereits aus Südkamerun, das bis 1889 noch gar keinen Gummi produziert hatte. Woermanns Batanga-Geschäft etwa führte 1893 noch 2 Tonnen Elfenbein aus – aber schon über 32 Tonnen Gummi.311 Wie war diese rapide Veränderung möglich gewesen? Hierfür sind Alegobanes Erklärungen und von Schkopps Beobachtungen eine hervorragende Quelle. Südkamerun sollte in den kommenden Jahren den Kautschukhandel der Kolonie dominieren (vgl. Graphik 5). In einem ersten Schritt untersucht dieses Kapitel Entstehung und Entwicklung dieses frühen Kautschukhandels, bevor die folgenden Kapitel dessen Arbeitsbeziehungen in Produktion und Transport analysieren. Die bisherige Forschung erklärt nicht, warum die Transformation Südkameruns durch den Kautschukhandel möglich wurde – wenn sie diese überhaupt zur Kenntnis nimmt.312 Implizit erwartet sie, dass eine Nachfrage sich über kurz oder lang ein Angebot schafft. Auch wie der frühe Kautschukhandel ablief, ist bisher weitgehend unerforscht.313 Dieses Kapitel zeigt deshalb, wie europäische Firmen zwischen 1890 und 1900 mit Warenkrediten (trust), bewaffneten Handelskarawanen und im Hinterland errichteten Faktoreien Kautschuk kommodifizierten, den Elfenbeinhandel zerstörten und den Kautschukhandel mit rasender Geschwindigkeit von der Batanga-Küste entlang der Jaunde-Straße ins Binnenland trugen. So verbanden sie die Regenwälder Südkameruns mit den Kautschukmärkten Liverpool, New

309 Schkopp 1905, 99. Zu Umwandlung afrikanischer Auskünfte in europäische Quellen vgl. Gordon 2014, 10. 310 Vgl. NN 1894, 373. 311 Vgl. ACW Productenbuch 1. 312 Vgl. Rüger 1960b; Kaeselitz 1968; Wirz 1972. 313 Wirz erläutert vor allem das Trade-back-Verfahren. Vgl. Wirz 1972, 116 ff.

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Graphik 5 Anteil des Kribi-Bezirks an Kautschukexporten Kameruns (in Kilogramm). Für 1894, 1895, 1898 und 1899 liegen keine Daten für den Kribi-Bezirk vor. Gesamtexporte 1899–1905 ohne Sangha-Ngoko. 1899–1905 ohne Sangha-Ngoko. Quellen: Deutsches Kolonialblatt 5–25.

York und Hamburg. Die neuen Chancen zur Bereicherung, die der Kautschukhandel bot, aber auch die Gegebenheiten des middle ground führten gleichzeitig aber auch zu Unruhe und Gewalt. Südkamerun verwandelte sich in eine gewalttätige Frontier, an der viele Menschen versuchten, neue Möglichkeiten zum sozialen und wirtschaftlichen Aufstieg zu nutzen. Trust: Ausweitung des Handels mithilfe von Krediten Ende der 1880er brachten die Expeditionen der Kolonialmacht, die JaundeStraße und die ersten Vorstöße der Firmen ins Innere die Macht der BatangaZwischenhändler bereits ins Wanken. Den entscheidenden Stoß aber versetzten die Unternehmen dem Elfenbeinhandel, indem sie das „trust-System“, einen Warenkredit, an der Batanga-Küste einführten. Während trust vor allem für die Duala erforscht ist, wo diese Form des Kredits seit der Frühen Neuzeit verbreitet war,314 ist er in Südkamerun bisher nur unzureichend untersucht. Harry R. Rudin erwähnt, dass ohne trust kein Kautschukhandel möglich war,315 und Wirz sieht in ihm einen „Schlüssel zur Öffnung der traditionellen Wirtschaft“, um „im Rahmen der subsistenzorientierten afrikanischen Wirtschaft relativ bedeutende Mengen von Exportprodukten“ – nämlich Kautschuk – „zu gewinnen“.316 Das

314 Vgl. Wirz 1972, 69–73; Austen/Derrick 1999, 74 f.; Jaeck 1960, 25. 315 Vgl. Rudin 1938, 228. 316 Wirz 1972, 118. Vgl. auch Wirz 1972, 70 f.

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Bild der Handelstechnik bleibt jedoch statisch und die sozialen Beziehungen, die ihr zugrunde lagen, bleiben unklar. trust war an der Batanga-Küste eine Innovation der frühen Kolonialepoche, die neue Akteure in den Handel einband, Kautschuk als Handelsgut etablierte und damit die Vorherrschaft der etablierten Elfenbeinhändler zerstörte. Fast überall zwischen Senegal und Angola war trust im 19. Jahrhundert eine wichtige Handelstechnik. Seinen Ursprung hatte er im 17. Jahrhundert im transatlantischen Sklavenhandel.317 Kapitäne oder Kaufleute vergaben europäische Waren als Vorschuss an afrikanische Geschäftspartner, die mit diesen Sklavinnen und Sklaven aus dem Innern heranschafften. Im legitimate commerce übertrugen die Handelspartner das trust-System auf neue Warengruppen. Statt Sklaven besorgten die Zwischenhändler nun Palmöl an der West Coast und Elfenbein oder Kautschuk an der South Coast. Vielerorts ermöglichten Warenkredite den Handel erst. Denn wie die europäischen Firmen sich Geld bei Banken liehen, brauchten auch ihre afrikanischen Handelspartner Kapital, mit dem sie arbeiten konnten.318 Der Name des Kreditsystems weist auf seine entscheidende Besonderheit hin: Es beruhte auf Vertrauen (trust) zwischen Gläubiger und Schuldner. Warenkredite ließen sich nur schwer wieder eintreiben. Im Sklavenhandel diente pawning zur Absicherung solcher Kredite. Nach dessen Ächtung sorgten z. B. in Old Calabar oder Sette Cama Geheimgesellschaften für die Rückzahlung.319 Fehlende Sicherheit blieb aber ein Problem, das zu gewaltsamen Konflikten zwischen Gläubigern und Schuldnern führte.320 Aufgrund dieses Risikos war trust eine Handelstechnik für kapitalkräftige europäische Unternehmen, die es sich leisten konnten, viel Geld in Vorschüsse ohne Sicherheit und mit hohem Ausfallrisiko zu investieren.321 In Kamerun diskutierten die Firmen daher bereits 1886 mit den Behörden, die damals nur im Ästuar verbreitete Praxis zu verbieten, denn die stark gesunkenen Palmölpreise drückten ihre Margen. Während die eher finanzschwache Firma Jantzen & Thormählen drängte, trust abzuschaffen, war die große Firma Woermann dafür, ihn beizubehalten. Die Regierung verbot bis zum Ersten Weltkrieg immer wieder den trust, um die damit

317 Vgl. Newbury 1972; Ryder 1969, 130. 318 Vgl. Austen/Derrick 1999, 74 f.; Chamberlin 1977, 84 f. In der älteren Literatur heißt es, die Firmen hätten Zwischenhändlern trust aufgezwungen und sie so abhängig gemacht. Vgl. Hücking/Launer 1986, 31–46; Jaeck 1960, 35. 319 Vgl. Lovejoy/Richardson 1999, 355; Surry 19.06.1880. 320 Vgl. Newbury 1972, 88 f. Lovejoy/Richardson 1999; Ryder 1969, 132, 140. 321 Vgl. Jaeck 1960, 35.

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verbundenen hohen Kosten, die Unsicherheit und die Gewalt einzudämmen. Doch da ohne trust kein Handel möglich war, kehrte er immer wieder zurück.322 Im Elfenbeinhandel der Batanga-Küste war trust bis Ende der 1880er nicht verbreitet.323 Wahrscheinlich ist dies darauf zurückzuführen, dass die Batanga das Meer erst nach dem Ende des transatlantischen Sklavenhandels erreichten. Den Firmen erschien die Batanga-Küste nicht einträglich genug, um das teure und unsichere trust -System für den legitimate commerce einzuführen. Jonathan Holt von John Holt & Co. erläuterte später die Beziehung zwischen Geschäft und trust, die die Zurückhaltung der Firmen erklärt: „[Y]ou require large margins of profit to run this risk, and it is not worth running unless these large margins exist.“324 Elfenbein konnten die Firmen an der Batanga-Küste auch ohne Kredit kaufen – warum also ein Risiko eingehen, wenn der Nutzen gering erschien?325 Zwischen März 1889 und Ende 1890 änderten die Firmen ihre Einschätzung zur Profitabilität des Batanga-Geschäfts. Anfang 1889 weigerten sie sich noch, trust auszugeben.326 Anfang 1891 jedoch war trust ein Grundzug des Handels, denn Mabea-Händler verprügelten einen Händler von Jantzen & Thormählen in GroßBatanga, weil dieser ihnen keinen trust geben wollte.327 Wahrscheinlich arbeiteten die Woermann-Kaufleute als Erste in Groß-Batanga mit trust. Erstens etablierte sicher eine deutsche und keine britische Firma trust, da der Anteil der britischen Firmen am Kautschukhandel vorerst gering blieb. Zweitens lehnten Jantzen & Thormählen das trust-Geben ab. Drittens bevorzugte trust finanzkräftige Firmen. Vielleicht versuchte Woermann, Konkurrenten auszuschalten.328 Möglicherweise aber hatten europäische oder afrikanische Angestellte irgendeiner Firma ohne Erlaubnis trust ausgegeben und hierdurch Fakten geschaffen, hinter die niemand zurückfallen konnte. Jedenfalls gehörten ab 1889/90 Warenkredite zum Handel der Batanga-Küste. Trust und Kautschukhandel gehörten zusammen. Nicht zufällig breitete sich Letzterer an der afrikanischen Westküste zuerst da aus, wo Kredite bereits während des Sklavenhandels verbreitet und für den legitimen Handel übernommen worden

322 Vgl. Rudin 1938, 225 f.; Austen/Derrick 1999, 110 f. Washausen verwechselt die Positionen beider Firmen. Vgl. Washausen 1968, 125 f. 323 Vgl. Zöller 1885g, Bd. 4, 46. 324 BLO MSS. Afr. s. 1525/15/9, 41. 325 Scheinbar verfügten die Batanga-Familienoberhäupter über Eigenkapital, sodass sie nicht auf Kredite angewiesen waren. Im Innern Südkameruns aber Elfenbeinhändler in den 1880ern ein Kreditsystem. Vgl. Kap. 2.1. 326 Vgl. BArch R 1001/4282, 114. Möglicherweise gab es auch schon vorher Kreditarrangements zwischen Europäern und Batanga. Vgl. Nassau 1904, 178–181. 327 Vgl. BArch R 1001/4383, 53. 328 Zu dieser Funktion des trust vgl. Nair 1972, 121 f.

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waren: etwa in Gabun, Angola oder der Gold Coast.329 Wie wichtig trust war, um den Handel mit Gummi anzuregen, zeigt der kleine Ort Bata in Spanisch-Guinea. Wie an der Batanga-Küste gab es auch hier Sperrhandel und keine schiffbaren Flüsse. Doch dort gaben die Firmen trust an afrikanische Händler aus und kauften spätestens seit 1879 Kautschuk.330 An der Batanga-Küste zeigte sich schließlich dieselbe Dynamik. Nachdem die Firmen trust eingeführt hatten, entwickelte sich Kautschuk in kürzester Zeit zur bedeutendsten Handelsware. Trust ermöglichte es Außenseitern ohne eigenes Kapital, in den Handel einzusteigen, wodurch er enorme soziale Sprengkraft entwickelte. Wo trust schon länger etabliert war, hatten die Akteure deshalb soziale Konventionen erfunden, um den Kreis derjenigen, die trust ausgaben und erhielten, zu begrenzen und Rückzahlungen zu garantieren.331 Nur die leitenden Angestellten der Firmen gaben trust aus.332 In Bata machten die afrikanischen Händler Wichulla deshalb ein „Palaver“, als er in Abwesenheit seines Chefs trust vergab. Sie sagten ihm, er habe „kein Recht, Trust […] auszugeben und müßte warten bis [sein] Heatmann [Headman = Vorgesetzter – T. Oe.] zurückkommt“.333 Diejenigen, die trust erhielten, waren wiederum etablierte Händler, bei denen die Europäer sicher waren, ihren Kredit zurückzuerhalten, und die eifersüchtig darauf achteten, dass nur sie und keine nicht etablierten Akteure durch unkundige Neulinge wie Wichulla Kredite erhielten. Im Kampf mit dem Zwischenhandel setzten die Unternehmen das Kreditsystem ein, um die Zahl derjenigen zu vergrößern, die über genügend Kapital verfügten, um zu handeln.334 Nach Gouverneur Eugen von Zimmerer erhielten am KamerunÄstuar bis Anfang der 1890er nur wenige Männer aus der „wohlhabenden Klasse, sogen. big men“, Kredit, „jetzt aber ist das Trustsystem so ausgebildet, daß jeder Schwarze bis zum Knaben herab Trust bekommt und damit handelt“.335 Auf diese disruptive Wirkung zielten die Firmen auch an der Batanga-Küste: Während sich der Elfenbeinhandel auf wenige Individuen mit Eigenkapital beschränkt hatte, gaben die Firmen ab 1889/90 Kredite auch an nicht etablierte Männer – „all the enterprising young natives“, wie der US-Missionar Robert H. Milligan schrieb.336 Trust gab

329 Vgl. Chamberlin 1977, passim; Miller 1988, 179, 184; Newbury 1972; Dumett 1971, 89 f. Auch in Deutsch-Ostafrika beruhte der Kautschukhandel großenteils auf Kredit. Vgl.Monson 1993, 114. 330 Vgl. PASch N Wichulla Tagebuch 1, 29.04.1883 331 Vgl. Richardson 2004; Lovejoy/Richardson 1999; Wirz 1972, 71. 332 Vgl. Buchner 1887, 108. 333 PASch N Wichulla Tagebuch 1, 13.02.1883. 334 Vgl. Miller 1988, 184. 335 BArch R 1001/3827, 145. Hervorhebung im Original. Zur Ausweitung von trust ab 1891 vgl. Wirz 1972, 73. 336 Milligan, 276.

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diesen Männern die Möglichkeit, in den Handel einzusteigen.337 Dadurch brachen die Kaufleute das Handelsmonopol der Familienoberhäupter. Bei den Duala sorgte die Ausweitung des trust-Systems dafür, dass „einflußreiche Eingeborene den Trust als ein Uebel bezeichneten“, so von Zimmerer, „und mich ersuchten, etwas dagegen zu thun“.338 Ähnlich dürften auch die Familienoberhäupter im Süden empfunden haben. Jedenfalls berichteten die Missionare 1892 aus Groß-Batanga: „At present all the people are frantic with trade.“339 Trust brachte dem Kautschukhandel den Durchbruch an der Batanga-Küste. Hatten im Februar 1888 die Familienoberhäupter die Nachfrage nach Gummi noch mit einem Boykott beantwortet,340 statteten die Firmen nun andere Männer mit Handelskapital aus. Da jetzt mehr Händler als je zuvor um Elfenbein konkurrierten, wichen einige auf die neu nachgefragte Ware aus: 1888 kaufte Woermann den ersten Gummi in Groß-Batanga,341 der durch trust zur fest etablierten Handelsware wurde.342 Die Batanga stellten ihren Gummi nicht selbst her, sondern kauften ihn bei ihren „Buschleuten“. 1889 wurde Kautschuk mit der Herkunftsangabe „Groß Batanga (Ngumba Bepindi)“ auf einer Gewerbe- und Industrieausstellung in Deutschland gezeigt.343 Er stammte also von den Ngumba aus Bipindi. Die neue Nachfrage der Batanga-Händler traf im Hinterland auf aufstiegshungrige junge Männer, die begierig waren, Kautschuk herzustellen, zu verkaufen und dafür europäische Waren zu erhalten.344 Trust etablierte zwar den Kautschukhandel, war aber kostspielig und unsicher. Nach Milligan investierte mancher neue Händler die Kredite „in buying a number of wives for the time being, in giving large presents to all his relations, or in making merry with the whole community and wasting his substance in riotous living“. Auf die Rückzahlung des trust angesprochen, antworteten die jungen Batanga angeblich: „Dem goods? Dem goods you done give me? Why, mastah, all dem goods done loss.“345 Nicht etablierte Männer gebrauchten trust, um sich soziale Respektabilität und Handelsverbindungen mit dem Hinterland zu verschaffen. Indem sie heirateten, Geschenke machten und z. B. auf Festen große Mengen Alkohol ausschenkten, kopierten sie etablierte soziale Praktiken, mit denen Batanga-

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Vgl. Miller 1988, 184 f. BArch R 1001/3827, 145. Godduhn 1892, 422. Vgl. BArch R 1001/3267, 16. Vgl. Zenker 1909, 238. Vgl. GStA PK I. HA Rep 81/Nr. 948 Woermann an Kusserow, 17.07.1889. NN 1889a, 317. Vgl. Wirz 1972, 107. Siehe auch Kap. 2.3. Milligan, 276 f.

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Familienoberhäupter ihren Reichtum redistribuierten.346 Doch während sie sich langfristig als Händler und Familienoberhäupter etablieren wollten, erwarteten die Unternehmen kurzfristige Gewinne. Die Firmenvertreter baten anlässlich der Kreditausfälle die Regierung um Hilfe. Kurz nach Einrichtung des Bezirksamtes in Kribi 1891 füllten trust-Schuldner das dortige Gefängnis.347 Wahrscheinlich versuchten die Firmen 1892 deshalb vorrübergehend, trust in Batanga wieder abzuschaffen und direkt mit den Produzenten zu handeln.348 Karawanenhandel Bis 1892 beschränkte sich der europäische Handel auf die Küste und war abhängig von afrikanischen Händlern, die Elfenbein und seit 1889 auch Kautschuk an die Beach brachten. Nun aber schickten Handelsfirmen bewaffnete Trägerkarawanen ins Innere, um dort Waren zu einem günstigeren Preis einzukaufen und selbst an die Küste zu bringen. Diese verhalfen ebenfalls dem Kautschukhandel zum Durchbruch. Dass Handel und Transportarbeit nicht länger von afrikanischen Händlern, sondern von Arbeitern europäischer Unternehmen übernommen wurden, war ein radikaler Bruch. Die maritimen vorkolonialen Handelsunternehmen verwandelten sich in den 1890ern in Firmen des Binnenlandes. Für Kautschuk und Elfenbein mussten die Firmen um 1890 an der Küste hohe Preise zahlen. Im Inneren hingegen besaßen ihre europäischen Waren eine enorme Kaufkraft. Morgens Träger erhielten 1889 in Jaunde täglich sechs Prozellanknöpfe, die in Deutschland insgesamt ca. 1 Pfennig wert waren, um ihr Essen zu kaufen: Für einen Knopf erhielten sie sieben Maiskolben, für zwei ein Ei, für sieben einen Bund Kochbananen.349 Auch Handelsprodukte waren im Inneren billig. Nördlich des Sanaga bot ein Hausa-Händler Morgen einen 50 Pfund schweren Stoßzahn für drei Faden Zeug an, die etwa 70 Pfennig kosteten. An der Küste hatte das Elfenbein einen Wert von 450 Mark.350 Angesichts dieser gewaltigen Preisunterschiede beschied von Zimmerer 1890: „Es liegt vorläufig nicht im Interesse der Weißen, daß die Stämme aus dem Innern mit ihren Produkten zur Küste kommen und dort mit den durch den Zwischenhandel hochgeschraubten Preisen bekannt werden“.351 Verschiedene Ideen, wie die Firmen von den niedrigen Preisen im Binnenland profitieren konnten, wurden erprobt. 1890 sollten erstmals „mit Tauschwaren wohlausgerüstete Karawanen nach dem Innern ziehen und dort den Handel mit

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Vgl. Godduhn 1892. Vgl. Milligan, 276. Ähnlich erging es um 1900 King Jack aus Kribi. Vgl. Haarpaintner 1907, 112 f. Vgl. Gouvernement von Kamerun 1893, 7. Vgl. Morgen 1893, 46. Vgl. Morgen 1893, 85. BArch R 1001/3815, 7.

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den Eingeborenen beginnen“.352 Deshalb begleiteten zwei Kaufleute von Woermann und Jantzen & Thormählen Hauptmann Morgen auf seiner zweiten Expedition ins Innere. Gelang dieser Plan, sollten regelmäßig solche Handelskarawanen ins Hinterland ziehen. Die Expedition erwies sich aber als finanzieller Misserfolg.353 Faktoreien im Binnenland waren der nächste Versuch, dort günstig Waren zu kaufen.354 Woermann baute kleine Handelsplätze im unmittelbaren Hinterland der Küste auf und handelte direkt mit den Mabea. Alle Firmen zogen nach.355 Doch die dort gekauften Produkte mussten sie jetzt selbst zur Küste transportieren. Denn „der produzierende Eingeborene bringt seine Produkte nicht weiter, als er muß, um sie umzusetzen“, wie von Zimmerer konzedierte, „und der übersprungene Zwischenhändler läßt sich natürlich nicht herbei, lediglich als Träger bis zur Küste zu funktionieren.“356 Eine neue Generation deutscher Handelsunternehmen löste dieses Transportproblem und wälzte damit das Geschäft radikal um. Anfang der 1890er entstanden an der Batanga-Küste vier neue Unternehmen: A. Lubcke (später A. & L. Lubcke), Randad & Stein und die weniger bedeutsamen Karl Maaß und A. Küderling.357 Gegründet wurden die ersten beiden von früheren leitenden Angestellten des South-Coast-Geschäfts der älteren Firmen. August Lubcke war erstmals 1873 mit 24 Jahren für Woermann nach Gabun gegangen und hatte 1886/87 dort Woermanns Geschäftsleitung übernommen. Anfang 1891 machte er sich selbständig und gründete eine Faktorei im Batanga-Dorf Plantation.358 Bruno Stein war 1877 19-jährig für Jantzen & Thormählen ins Kamerun-Ästuar ausgereist und hatte ab 1880 für die Firma das South-Coast-Geschäft aufgebaut.359 Nachdem Jantzen & Thormählen ihn entlassen hatten,360 gründete er mit Heinrich Randad, der zuvor

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BArch R 1001/3815, 7. Vgl. BArch R 1001/3815, 28; ACW Bilanz 1891. Vgl. BArch R 1001/3815, 27 f. Vgl. GStA PK I. HA Rep. 81/932 Kurz an Gouvernement, 16.06.1890. Vgl. auch BArch R 1001/4283, 37. BArch R 1001/3815, 47. Karl Maaß hatte die Niederlassung von Jantzen & Thormählen in Klein-Batanga geleitet. Ende 1891 trat er in die Dienste von Bauck & Dürkoop und gründete eine Faktorei in Kribi. Alfred Küderling, früher Hauptagent von Jantzen & Thormählen im Kamerun-Ästuar, etablierte sich in Campo. Vgl. PASch N Wichulla Tagebuch 1, 01.08.1884; Vieter 2011, 40; BArch R 1001/4321, 52 f.; Reading 1901, 145 f.; BArch R 1001/6493, 123. Vgl. NN o. J.c; PAAA R 901/52476, 121 f.; BArch R 1001/4321, 22. Vgl. PAAA R 901/52476, 110 ff.; NN 01.03.1898; Zöller 1885h, 411. Vgl. PASch N Wichulla Tagebuch 2, 27.08.1888; StAH 111-1/Cl. VI Nr. 5, vol. 5 Fasc. 28 Inv. 3 Kratzmann an Krüger, o.D.

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für Woermann in Liberia und für Wölber & Brohm in Togo gewesen war,361 ein eigenes Unternehmen. 1892 etablierte Stein die erste Faktorei der Firma im BatangaDorf Longji.362 Alle Neugründer wussten von der Flaute am Kamerun-Ästuar und den Schikanen der Franzosen auf dem Ogowe. Die Batanga-Küste erschien ihnen hingegen als potenziell profitabler neuer Markt.363 1892 setzten die neuen Firmen eigene Karawanen ein, um das Transportproblem zu lösen: Sie brachten europäische Waren zu den vorgeschobenen Faktoreien sowie Elfenbein und Kautschuk zur Küste.364 Lubcke stellte angeblich als Erster hierfür junge Männern aus Liberia, sogenannte Vai, als Träger an.365 Randad & Stein aber waren „die erste Firma, welche mit dem alten System brach“, wie ein Beamter später referierte, „sie rüstete Handelskarawanen aus, zog mit ihren Waren von Ort zu Ort und kaufte alles, was sie an Kautschuk und Elfenbein bekommen konnte, auf “.366 Statt auf feste Faktoreien setzten Randad & Stein auf mobile Händler und bewaffnete Karawanen, die Produkte kauften und zur Küste transportierten – und notfalls mit Gewalt den Widerstand von Familienoberhäuptern brachen, die das Sperrhandelssystem verteidigten. Randad & Stein kauften alle Produkte, bevor sie die Küste erreichten. Die anderen Firmen gerieten hierdurch unter Druck, denn große Mengen trust, die sie ausgegeben hatten, konnten nicht zurückgezahlt werden. Damit Randad & Stein sie nicht aus dem Geschäft drängten, sandten sie nun ebenfalls Karawanen aus. Die neuen Firmen erwiesen sich als flexibler, da ihre Inhaber Lubcke und Maaß vor Ort waren.367 Woermann und Jantzen & Thormählen aber brauchten angeblich „ein gutes Jahr“, um ihr Geschäft umzustellen.368 Sie mussten viele trust-Kredite abschreiben.369 Jantzen & Thormählen, an der Küste

361 Zur Biographie Randads (1855–1938) vgl. NN 26.01.1934; Hahn 2004, 10–14; StAH 731-8/A 767 Randad, Heinrich. Todesanzeige in Fotokopie. Der Nachlass Randads umfasst kaum relevante Unterlagen. Vgl. PAHau N Randad. Zur Unternehmensgeschichte vgl. StAH a 902/355; KAW Dep. 134 NN 1938; AFSch Pagenstecher 1976. 362 Vgl. BArch R 1001/3815, 40. 363 Vgl. PASch N Wichulla Tagebuch 3, 14.05.1891. 364 Vgl. BArch R 1001/3815, 47 f. 365 Vgl. BArch R 1001/4291, 15. Die lückenhaften Statistiken der liberianischen Regierung verzeichnen den ersten Transport für Lubcke erst für Ende 1893. Für Randad & Stein liegt kein Nachweis vor. Vgl. IUA LGA I. Justice Department. Native Shipping Bureau 1, Statistik, 28.11.1893. Zu den Vai vgl. Kap. 2.4. 366 BArch R 1001/8114, 157 f. Hausen datiert dies auf 1894. Vgl. Hausen 1970, 211. 367 Vgl. BArch R 1001/8114, 158. 368 BArch R 1001/8114, 158; BArch R 1001/3815, 41. 369 Vgl. BArch R 1001/8114, 158 f. Angeblich gaben sie trust vorrübergehend auf. Vgl. Leist 1893, 7.

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nur noch als „Jammer und Trübsal“ apostrophiert,370 zogen sich in der Folge aus Südkamerun zurück.371 Karawanen expandierten, radikalisierten, dynamisierten und brutalisierten den Kautschukhandel. Angeführt von einem europäischen oder afrikanischen Händler zogen dutzende Vai-Träger (wahrscheinlich 30 bis 40),372 bewaffnet und beladen mit europäischen Waren, in Gebiete, in denen die Produktion von Gummi gerade erst begonnen hatte oder noch nicht verbreitet war. In den Dörfern kauften die Händler Kautschuk, den die Träger dann zu den Faktoreien an der Beach transportierten. Erst aus der Zeit nach der Jahrhundertwende existieren Schilderungen solcher Karawanenzüge. Hans-Albert Ossmann, 1906 für Randad & Stein in Kamerun, gab wieder, was erfahrene Kautschukhändler ihm über die Anknüpfung neuer Handelsbeziehungen im sogenannten Njem-Gebiet erzählten. In den 1890ern dürften die Techniken wenig anders gewesen sein. Meist erreichte die Kunde von der Ankunft der Karawane das Dorf schon vorher. Vorsorglich brachten die Bewohner ihre Kinder und Frauen in Sicherheit: Die beiden Weißen, die an der Spitze der Trägerkolonne marschieren, entsichern vorsorglich die achtundneunziger Pirschbüchsen. […] Ebenso tun die drei Jungen, die in der Khakiuniform der Schutztruppe mit dem koketten, roten Rollfes [sic!] hinter ihnen gehen, mit ihren Mauserstutzen, – Pseudosoldaten, die den Händlern mehr Respekt im Lande verschaffen sollen. […] Jetzt gibt es kein Besinnen mehr. Ein paar Sprünge, und die Konquistadoren stehen mit ihren Leuten mitten im Dorfe. Verstört reckt sich hier und dort ein Negerschädel aus der niedrigen Hüttentür. Heftiges Palawer tönt aus den armseligen, schmutzigen Wohnungen, und dann erhebt der Dolmetscher der Weißen, ein Gumbehändler [Ngumba], seine schnarrende Stimme, um seinen Vettern […] zu verkünden, daß die weißen Zauberer gekommen sind, um ihnen allerlei Wohltaten zu erweisen.373

Die Arbeit der ersten Karawanenträger Südkameruns war in dieser Form der Expansion eine Mischung aus Transport- und Soldatenarbeit. Erstens trugen sie Lasten (europäische Waren und Kautschuk), zweitens sollten sie die Karawane verteidigen sowie Handelspartner einschüchtern. Dass sie auch Uniformen trugen, die jenen

370 Schkopp 1906, 89. 371 1893 machten Jantzen & Thormählen Verluste. Thormählen zahlte für „Verlust im Geschäft“, 28.909,91 M aus seinem Privatvermögen. Die Firma gab 1897 ihre Faktorei in Groß-Batanga auf. Für das Innere sind Karawanen und Faktoreien der Firma nicht nachweisbar. Vgl. OBS Dauerausstellung. Kassenbuch Jantzen & Thormählen [eigentlich: privates Kassenbuch von Johannes Thormählen], 87; BArch R 1001/4371, 4. 372 Vgl. BArch R 1001/4358, 35; BArch R 1001/3815, 163. 373 Osman 1920, 104. Vgl. Geschiere 1982, 141 f. Der geschilderte Europäer war sicher ein Kaufmann.

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der Schutztruppe ähnelten, entwickelte sich jedoch erst nach deren Gründung 1894.374 Mit dem Übergang vom Küsten- zum Karawanenhandel passten sich die Firmen an die geographischen Gegebenheiten ihres neuen Handelsgebietes an. Woermann, Jantzen & Thormählen und ihre nun selbständigen ehemals leitenden Angestellten hatten bisher ausschließlich in Gebieten gehandelt, in denen Expansion und Gütertransport mit Kanus und Dampfern auf dem Wasser stattfanden: in den Lagunen und Creeks sowie auf Flüssen und Seen des Kamerun- und Gabun-Gebietes. Sie waren „river firms“.375 In Südkamerun aber gab es weder eine breite Übergangszone zwischen Wasser und Land noch schiffbare Flüsse. Während die alten Firmen anfangs versuchten, mit den Praktiken der Flussfirmen an der Batanga-Küste zu handeln, erfanden sich die neuen Firmen als Binnenlandunternehmen. Bewaffnete Karawanen spielten nun in Südkamerun dieselbe Rolle wie die Dampfpinassen auf dem Ogowe: Mit ihrer Hilfe musste es gelingen, notfalls mit Gewalt Zwischenhändlerringe zu durchbrechen und günstig erworbenen Kautschuk zur Küste zu bringen. Ob das Karawanenmodell sich auszahlte, war 1892 nicht klar, da es mit erheblichen finanziellen Risiken verbunden war. Waren und Produkte konnten auf dem Wasser schnell und günstig transportiert werden. Sie aber von Menschen zu Fuß durch den Regenwald tragen zu lassen, war deutlich langsamer und teurer. Träger waren das teuerste Transportmittel Afrikas.376 Um die Ladung zu transportieren, die sich in einer einzigen Dampfpinasse oder in einem einzigen Kanu unterbringen ließ, brauchten die Firmen sehr viele Arbeitskräfte, die angeworben, bezahlt, ernährt und untergebracht werden mussten. Von Zimmerer unkte Ende 1892, die Träger seien so teuer, dass die Firmen auf diese Weise keinen größeren Gewinn machen würden, „als wenn sie den Gummi an der Küste selbst gekauft hätten.“377 Er war überzeugt, dass es sich „nicht lohnen wird, wenn der Europäer über die bequem zu benutzenden Wasserstraßen hinaus Handelsniederlassungen im Innern anlegt.“378 Auch Mitte 1893, als die Trägerkarawanen bereits acht Tagesreisen weit ins Innere marschierten, war die Regierung noch immer skeptisch. „Ob dieses Karawanensystem“, so Kanzler Heinrich Leist, „welches den Markt von der Küste in das Innere verlegt und die Handelsunkosten des Europäers beträchtlich vermehrt hat, die erhofften Früchte trägt, muß die Zukunft lehren.“379 Aber Kautschuk war

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Zur Schutztruppe vgl. Morlang 2008, 42–59; Michels 2009, 99 f. Vgl. van der Laan, 1982, 556. Vgl. Hopkins 1988, 71 ff.; Ogunremi 1975, 39. BArch R 1001/3815, 47 f. BArch R 1001/3815, 49. BArch R 1001/6493, 132.

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hochpreisig genug. Sein Wert stieg. Karawanen wurden deshalb die Grundlage des Kautschukhandels. Entstehung europäischer Faktorei-Netzwerke, 1892–1899 Anfang 1897 reiste Ludwig Reinhard für das Unternehmen Karl Maaß mit einer Karawane von 50 Mann über die Jaunde-Straße nach Jaunde. Bei dieser am weitesten in die Regenwälder vorgeschobenen Regierungsstation sollte er eine Faktorei gründen, um Kautschuk zu kaufen – die erste im sogenannten Jaunde-Gebiet:380 ein Wohnhaus mit Verkaufsraum, dahinter Küche und Schlafraum für das Hauspersonal, drei Arbeiterhäuser, Ställe für Pferde, Ziegen, Schweine und Hühner.381 Netzwerke solcher schnell und billig aus lokalem Baumaterial errichteter Handelsstationen entwickelten sich in den 1890ern neben trust und Karawanen zur dritten wichtigen Institution des Kautschukhandels. Wo Kautschuk produziert wurde, legten die Firmen ein temporäres Netzwerk von Faktoreien und Buschfaktoreien an.382 Spätestens im Mai 1892 besaßen A. & L. Lubcke und ab Mitte 1893 auch R. & W. King eine Faktorei im späteren Lolodorf an der Jaunde-Straße.383 1895 hatten alle Firmen der Batanga-Küste dort Faktoreien.384 1897 setzten sie zum Sprung nach Jaunde an. Die Expansion hatte mehrere Gründe: Erstens wandten die Gummi-Produzenten Methoden an, die die Kautschuklianen töteten. Deshalb verschwand schnell die Kautschukproduktion aus dem Gebiet.385 Zweitens war Gummi weiter im Inneren günstiger, weshalb die Karawanen tiefer ins Hinterland vordrangen, um billigen Kautschuk zu kaufen. Diese von der Küste auszusenden, war ab einer bestimmten Entfernung jedoch nicht mehr wirtschaftlich, wie Morgens Expedition gezeigt hatte. Deshalb gründeten die Firmen Faktoreien an zentralen Plätzen im Kautschukgebiet, die als Ausgangspunkt für die weitere Expansion dienten. Bedeutender aber wurde, dass die Firmen von ihren Binnenland-Faktoreien afrikanische Händler aussandten, die Buschfaktoreien in den benachbarten Dörfern einrichteten. Hier fand ein Großteil des Kautschukeinkaufs statt. Diese Buschfaktoreien hatten temporären Charakter. Konnten die Händler keinen Gummi mehr kaufen, verlegten sie diese. Dies galt

380 Vgl. Reinhard 1901, 3 f. 381 Vgl. Reinhard 1901, 6. Zwar behauptete Reinhard, der erste Faktoreileiter gewesen zu sein. Doch der erste war sein Kollege Wilke. Der starb aber binnen kürzester Zeit. In jedem Fall nannten die Ewondo Reinhard „Wike“, was sich sicher von Wilke ableitete. Vgl. BArch R 1001/4287, 49; Reinhard 1901, 6, 22; BArch R 1001/3421, 4. 382 Vgl. Wirz 1972, 115 f. 383 Vgl. BArch R 175-I/80, 225; BArch R 1001/4356, 64. 384 Vgl. Dominik 1911, 166. 385 Vgl. Kap. 2.3.

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aber auch für die Faktoreien selbst. Nur wichtige Orte wie Lolodorf, Ngulemakong, Ebolowa oder Jaunde wurden als Zwischendepots weiterbetrieben, nachdem der Gummi um 1900 zur Neige gegangen war.386 Die Faktoreinetze expandierten in drei Richtungen: Erstens entlang der JaundeStraße über Lolodorf in das Gebiet der Ewondo, zweitens von Lolodorf nach Osten in das der Bane und drittens über Lolodorf nach Südosten in das der Bulu.387 Dies waren die Bevölkerungsschwerpunkte Südkameruns. Dort gab es genügend Menschen, die Kautschuk produzieren und verkaufen konnten. Wirz glaubt, die Firmen hätten Faktoreien angelegt, wo die Regierung präsent war.388 Wirz lässt sich von der Quellenlage täuschen, denn am besten lässt sich die Expansion der Firmen im Ewondo-Gebiet nachvollziehen, da in Jaunde Beamte und Militärs über die Geschehnisse berichteten. Über die von der Regierung mit Gewalt freigehaltene Jaunde-Straße erreichte der Kautschukhandel das Ewondo-Gebiet bereits 1891.389 Wahrscheinlich waren hierfür die zahlreichen Batanga- und Mabea-Händler verantwortlich, die mit trust ins Innere vordrangen. Die niedrigen Preise, für die Jaunde bekannt war, sorgten dafür, dass die Firmen spätestens 1895 afrikanische Angestellte mit Vai-Karawanen dort hinschickten, um Gummi zu kaufen.390 Karl Maaß’ erster Faktorei von 1897 folgten bald weitere: Noch im selben Jahr pachteten Woermann, Randad & Stein und A. & L. Lubcke Grundstücke in Stationsnähe.391 Anfang 1899 war Jaunde der wichtigste Knotenpunkt des Kautschukhandels im Binnenland. Von hier aus entsandten allein Lubcke und Randad & Stein zusammen 17 europäische und ca. 100 afrikanische Händler nach Norden, Süden und Osten.392 Hinzu kamen die Händler der Unternehmen Woermann, Karl Maaß, Küderling, Hatton & Cookson, John Holt & Co. und R. & W. King. Entsprechend beobachtete Dominik: „Ganz Jaunde stand im Zeichen des Gummis“.393 Auf dieselbe Weise expandierten die Firmen auch dort, wo die Kolonialmacht nicht präsent war. 1895 legte eine Firma – möglicherweise Randad & Stein – eine erste Faktorei im Bane-Gebiet an, zehn Tagesreisen von der Küste entfernt.394 1897 waren Randad & Stein, Woermann und Karl Maaß in Ngulemakong, dem

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Vgl. Wirz 1972, 115 f. Vgl. Wirz 1972, 108. Vgl. Wirz 1972, 115. Vgl. Zenker 1891, 138. Vgl. BArch R 1001/4357, 65. Vgl. BArch R 175-I/451, 1; ANY FA 1/499, 5; ANY FA 1/520, 14. Vgl. BArch R 1001/3816, 123. Dominik 1908, 35. Vgl. Stetten 1895, 515.

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wichtigsten Bane-Ort.395 Erst 1898 legten sie Faktoreien in Ebolowa an, das zum bedeutendsten Handelsort des Bulu-Gebietes wurde.396 Ein europäischer oder afrikanischer Faktoreileiter hatte verschiedene Aufgaben. Erstens regelte er (oder wie etwa im Fall von Schkopps und Alegobanes ein afrikanischer Vertrauter) die Beziehungen mit den benachbarten Familienoberhäuptern. Als Händler, der über Arbeiter und mit seinen Waren über schier grenzenlosen Reichtum verfügte, besaß ein Faktoreileiter großes Prestige, das er mit entsprechendem Auftreten bekräftige. Untersuchungsrichter Emil Diehl klagte 1901: „Der Weiße behauptet, er sei der Gouverneur, dem sie (die Eingeborenen) zu gehorchen hätten. Ihm müßten sie ihre Palaver vortragen, ihm müßten sie Lebensmittel pp. liefern u.s.w.“397 Zweitens sandte der Faktoreileiter afrikanische Händler in die umliegenden Dörfer, wo diese ihre Buschfaktoreien anlegten. Hierbei hatten die Händler große Autonomie. „Wo meine Händler hier im Urwald ihren Geschäften nachgingen“, bekannte von Schkopp, „wußte ich nur unvollkommen“.398 Er vertraute auf ihre Fähigkeit, ertragreiche Dörfer ausfindig zu machen. Drittens koordinierte der Faktoreileiter den Verkehr mit der Küste. Der Hauptagent an der Beach schickte Karawanen mit europäischen Handelswaren an die Faktoreien, wo sein Angestellter diese in Empfang nahm und an die Buschfaktoreien weiterleitete. Dort kauften afrikanische Händler damit Gummi und lieferten ihn mit Trägern an die Faktoreien. Den Gummi schickte der Faktoreileiter in regelmäßigen Abständen mithilfe der Karawanen zur Hauptfaktorei an die Küste. Viertens kontrollierte er das Geschäft ihrer Händler und deren Warenbestand (Pidgin-Deutsch: „stock nehmen“).399 Fünftens hatte er einen Blick darauf, wohin das Unternehmen weiter expandieren konnte – und zog mit bewaffneten Karawanen dorthin. „Von den Weißen wird nur sehr wenig Gummi selbst eingekauft“,400 berichtete der Kaufmann Paul Fröhlich. Dies übernahmen fast ausschließlich afrikanische Angestellte in den Buschfaktoreien. Je nach Ort und Zeitpunkt variierte der Modus. Die Kaufleute, so Fröhlich, „geben die Tauschartikel, welche ihnen von ihren Firmen geliefert werden, wieder an Eingeborenen-Händler ab, welche in den ‚Busch‘ gehen um dort Gummi einzutauschen.“401 Während unabhängige Händler trustKredite vergaben und darauf warteten, dass ihre Partner die Kredite in Kautschuk

395 Vgl. Akamba 1979, 252; Mandeng 1973, 45 f.; BArch R 1001/3421, 4; Simplex africanus u. a. 1905, 94. 396 Vgl. Hinkhouse 1909, 292. 397 BArch R 1001/4453, 89. 398 Schkopp 1905, 106. 399 Schkopp 1905, 80. 400 Fröhlich 27.08.1910. 401 BArch R 1001/4453, 87. Das prestigereiche Elfenbein kauften die Europäer aber oft selbst. Vgl. BArch R 1001/4453, 87; O. 1912.

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zurückzahlten, kauften die afrikanischen Angestellten den Kautschuk in den Buschfaktoreien.402 Bei John Holt & Co. und anderen Firmen war das System kleinteiliger: [E]ach trader [afrik. Angestellter – T. Oe.] has a number of boys [Arbeiter – T. Oe.], each one of whom is in a different ‚town‘ […]. At the stated times the trader goes round and each boy gives him what rubber he has – perhaps as little as 2 or 3 balls, although he may have given all his cargo out. The rubber is collected in this manner and sent by the trader to the European over him, who in his turn forwards it to us when he gets at least 5 bags together.403

In Lolodorf, wo 1906 kaum noch Kautschuk zu kaufen war, engagierte der afrikanische Händler der Firma „what he considers to be a few reliable people at a small monthly wage and sends them to the surrounding villages with a load of assorted cargo“.404 Die Angestellten der Unternehmen Die europäischen Faktoreileiter waren eine heterogene Gruppe, die „sich aus den verschiedensten Ständen und Berufen“ rekrutierte; „man findet Söhne von Beamten und angesehenen Kaufleuten unter ihnen, die eine gute Bildung genossen, aber kein Examen gemacht haben, dann frühere Unteroffiziere, Seeleute, Landwirte; die Mehrzahl besteht jedoch aus gelernten Kaufleuten“.405 Die meisten waren sehr jung. Die Firmen vertrauten ihre Faktoreien 19- oder 20-jährigen Männern an.406 Sie verpflichteten sich für drei Jahre, verdienten im ersten Jahr 1200 bis 1500, im zweiten 1500 bis 1800 und im dritten 1800 bis 2100 Mark. Wer nochmals ausreiste, verdiente bis zu 3000 Mark und darüber. Zudem erhielten die Kaufleute freie Wohnung, Verpflegung und Bedienung sowie einen Gewinnanteil.407 Während sich europäische Kaufleute wie von Schkopp in den Quellen in den Vordergrund drängen, lag der Kautschukeinkauf in den Händen afrikanischer Firmenangestellter, die als Intermediäre zwischen Faktoreileitern und afrikanischen

402 Dies geht daraus hervor, dass die Firmen ihnen später, als Kreditgeschäfte zur Norm wurden, explizit das trust-Geben verboten. Vgl. Buthut 1909, 590–593; Hoffmann 2007, Bd. 1, 46; Wirz 1972, 117. 403 LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 03.04.1906. 404 LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 06.07.1906. 405 BArch R 1001/4453, 87. 406 Vgl. BArch R 1001/4453, 87 f. 407 Interessanterweise blieben die Gehälter konstant. Vgl. BArch R 1001/4453, 88; Buchner 1887, 109; DHM Do 2005/34 Krönig an Eltern, 06.03.1907; DHM Do 2005/34 Krönig an Familie, 20.05.1907.

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Handelspartnern agierten.408 Bisher hat sich die Forschung vor allem auf staatliche Intermediäre in Verwaltung und Militär konzentriert und privatwirtschaftliche größtenteils ausgeklammert.409 Diese afrikanischen Firmenangestellten, die Clerks, erhielten ebenfalls einen dreijährigen Arbeitsvertrag, festes Gehalt, Wohnung, Verpflegung und eine Provision.410 Sie leiteten den Handel, weil ihre Sterblichkeit geringer war als die europäischer Kaufleute und sie weniger Geld kosteten. „Der schwarze Faktoreileiter“, glaubte von Schkopp darüber hinaus, lernt […], selbst wenn er ein Fremder ist, die Verhältnisse genauer kennen als ein Weißer. An und für sich kommen die Eingeborenen einem schwarzen Faktoristen weniger mißtrauisch entgegen als einem Europäer; auch fällt ersterem die Erlernung der Landessprache bedeutend leichter als letzterem […].411

Doch in der Realität gab es oft Konflikte. Der Gold-Coast-Clerk James G. Mullen meinte: „As a rule, the Cameroon natives were not the people to offer any help to any alien, rather than do that, they would cut off their hands and pluck out their eyes“.412 Leiter einer Buschfaktorei war in den 1890ern entweder ein „countryman“ (oftmals Batanga), häufiger aber ein „outsider“, ein Ausländer wie Mullen.413 Outsiders verfügten über europäische Bildung, konnten lesen, schreiben und rechnen und damit Faktoreien nach europäischen Maßstäben führen.414 Sie stammten aus Gabun, der Gold Coast oder Sierra Leone.415 Ihre Zahl nahm Ende der 1890er mit der Expansion des Handels sprunghaft zu. Anfang 1897 arbeiteten nach der lückenhaften amtlichen Statistik mindestens 16 Batanga als Faktoreileiter in Südkamerun. Sieben kamen aus Gabun, einer aus Sierra Leone und vier aus anderen Gebieten. Anfang 1899 waren es 35 Batanga, 22 Gabun-, vier Gold-Coast-Leute und neun aus

408 Dies war ebenfalls eine Kontinuität des Gabun-Handels. Vgl. Chamberlin 1977, passim. 409 Vgl. Lawrance/Osborn/Roberts 2006a; Moyd 2014; Glasman 2016; Glasman 2014; Derrick 1983; Austen 2011. Für Forschung zu Unternehmensangestellten in der Zwischenkriegszeit vgl. van den Bersselaar 2019; van den Bersselaar 2011. Mark-Thiesen hat afrikanische Arbeiteranwerber bzw. Headmen als Intermediäre interpretiert. Vgl. Mark-Thiesen 2012; Mark-Thiesen 2018. 410 Vgl. Wirz 1972, 116; Uslar 1899, 275. 411 Schkopp 1903c, 280. 412 Mullen 2008, 9. 413 Für die Pidgin-Begriffe: NN 1914c, 481. 414 Vgl. Rich 2007b; Rich 2009b, 193; Zöller 1885d, 89. 415 Vgl. Wirz 1972, 116. Derrick und Austen begründen die Bevorzugung von Migranten gegenüber den Duala mit deren Rolle als Konkurrenten, was aber für Südkamerun unwahrscheinlich ist. Vgl. Austen/Derrick 1999, 125.

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anderen Regionen. Bis Anfang 1902 wuchs ihre Zahl auf 49 Batanga, 86 Gabun-, 33 Gold Coast-, acht Sierra-Leone-Leute und 70 Männer aus anderen Regionen an.416 Südkameruns Kautschukhandel war das Reich der Gabun-Händler. Der aus Gabun stammende Woermann-Angestellte Hilarion etwa besaß im Dorf von Ntunga ein „Anwesen“, wie von Puttkamer staunte, in dem er mit seiner Frau wohnte.417 Schon in den 1850ern hatten Mpongwe oder Benga aus Gabun sämtliche europäischen Faktoreien an der Batanga-Küste geführt.418 Nun gründeten und leiteten sie Faktoreien und Buschfaktoreien im Landesinneren, befehligten Handelskarawanen und kauften im Namen ihrer Arbeitgeber Gummi. Bereits 1895 kamen GabunHändler bis nach Jaunde.419 1897 leiteten Gabun-Leute die Faktoreien sämtlicher Firmen in Lolodorf und auch von Jaunde aus sandten die Firmen Karawanen unter Gabun-Händlern zum Einkauf von Kautschuk los.420 Rich erklärt die wachsende Zahl von Gabun-Händlern in Südkamerun mit der ökonomischen Entwicklung Gabuns Ende der 1890er: Sowohl das Verschwinden der Kautschukvorkommen als auch die ab 1896 einsetzende Konzessionspolitik, die nichtfranzösische Unternehmen aus dem Handel weitgehend ausschloss, sorgten für einen Exodus gebildeter, unternehmerischer Männer. Gabun-Leute fanden, wie ein französischer Beamter feststellte, „employment in Cameroon more lucrative than in their own proper country“.421 Die engen Beziehungen der deutschen und britischen Unternehmen – Gabun-Firmen oder Gründungen von ehemals in Gabun tätigen Kaufleuten – zu Familien in Gabun, die für sie bereits in den 1880ern auf dem Ogowe und anderswo tätig gewesen waren, dürfte ein Übriges getan haben.422 Ihre Rolle behielten die Gabun-Händler bis zum Ende des Kautschukbooms. Noch 1909, als der Handel stark expandierte, orderte der Hauptagent von John Holt & Co. bei seinem Kollegen in Gabun 21 Händler.423 Countrymen waren in den 1890ern vor allem ebenfalls europäisch gebildete Männer – wie z. B. Zampa, der in Berlin die Schule besucht hatte und dann für Randad & Stein mehrere Faktoreien leitete. Die größte Gruppe waren die Batanga.

416 Vgl. BArch R 1001/3421 Übersichten 1897, 1899 und 1902. 417 BArch R 1001/4287, 31. Vgl. auch Puttkamer 1912, 79. 418 Vgl. Coquery-Vidrovtich, 256; BArch R 175-I/69, 261; Hutchinson 1860; Hutchinson 1861, 238; Wirz 1972, 97. In den 1880ern waren die meisten Händler „von Bata und Batanga bis zum Ogowe einschließlich“ angeblich Kinder von Mpongwe-Männern und Akelle-Frauen. Hartert 1891, 206. 419 Vgl. BArch R 1001/4357, 65. 420 Vgl. BArch R 1001/4365, 51; Reinhard 1901, 7. 421 Zitiert nach Rich 2007b, 164. Der Vater des französischen Kriegshelden Charles Ntchoréré arbeitete für eine deutsche Firma in Kamerun. Vgl. Rich 2012a, 502. 422 Vgl. L.K. 1886, 719. 423 Vgl. LRO 380 HOL 1/4/11, 371 f. Auch Frauen aus Gabun migrierten nach Südkamerun. Sie galten dort als beliebte Sexualpartnerinnen. Vgl. Cameron 1913, 319; Rich 2007b, 164 ff.; Mackenzie 1916, 177; Jobelmann 2017, 110; PAAA R 141567 Kühne an Willhelm II., 08.11.1904.

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Während einige auf eigene Faust mit trust Kautschuk kauften,424 arbeiteten immer mehr Batanga als Angestellte der Firmen. Dies war ein einträgliches Geschäft, wie ein unbekannter Batanga beschrieb: „Mann nimmt Gummi, geht vor Weiss, vor Kaufmann. Kaufmann nimmt Gummi, giebt Stiefel, Schirm, buntes Tuch. Alle Leute kommen, sehen an, was von Kaufmann. Was ich gebringt von Kaufmann, alles ist fein.“425 King Boballa etwa, der schon in den 1880ern für Woermann gearbeitet hatte, war 1899 für die Firma Küderling tätig. Auch ein Sohn von King Madola, Dimale, leitete eine Faktorei für John Holt & Co.426 Andreas Ikweli aus Kribi, der selbst spätestens ab 1901 für Küderling arbeitete,427 berichtete 1897 davon, welche Möglichkeiten die Arbeit für die Unternehmen bot. „Fridrich gin [sic!]“, erklärte er, „ist jetzt Kaufmann er war in Busch gewesen er hat ein Grosser Elefand Zah Gebrach und viele Gumi [sic!]“.428 Über einen Mann namens Daniel schrieb er, dieser sei „jetzt ein reicher Kaufman [sic!] in Kribi“.429 Möglicherweise handelte es sich um Daniel Ipuabato, den Bruder von King Evahé.430 Dieser konnte lesen und schreiben, hatte in den 1880ern als Steward für Hatton & Cookson gearbeitet und 1887 den Plan der Batanga-Kings verraten, Kund und Tappenbeck in die Irre zu führen.431 In den folgenden Jahren arbeitete er sich hoch und etablierte sich als Händler. Der „langjährige und zuverlässige Angestellte der Firma“ besaß 1912 nördlich von Kribi ein Haus im europäischen Stil.432 „Der Bau kostete mindestens 8–10 000 Mark“, bemerkte die katholische Mission. „Diese Summe hat sich der Schwarze selbst durch fleißige Arbeit in einer englischen Firma verdient“.433 Seine 17-köpfige Familie wohnte rundherum in kleineren Häusern.434 Folglich konnten

424 Vgl. Dominik 1911, 50. 425 Karsten 1903, 64. Karsten stand jahrzehntelang in Briefkontakt mit Afrikanern aus Togo und Kamerun. In ihren Schriften überliefert sie u. a. historische und literarische Erzählungen ihrer Briefpartner. Im zitierten Band fügt sie diese in eine Rahmenerzählung ein. Der unbekannte Batanga soll seine Aussagen mündlich gemacht haben. Wahrscheinlich lag das Original aber schriftlich vor. Für die Authentizität des Berichts sprechen die Pidgin-Anleihen. Vgl. Karsten 1903; Karsten 1897; Carri 2018, 265–288. 426 Vgl. BArch R 1001/4454 Protokoll, 27.12.1902, o.S. Vgl. BArch R 1001/3266, 91; BArch R 1001/ 3266, 98. 427 Vgl. BArch R 1001/3421 Übersicht 1901. 428 Karsten 1897, 99. 429 Karsten 1897, 98 f. 430 Vgl. ANY FA 1/522, 8. Ein Daniel Ipuabato hielt sich in der Zwischenkriegszeit in Hamburg auf. Er wurde 1895 in Kribi geboren. Wahrscheinlich war dies ein Sohn Ipuabatos. Vgl. StAH 242-1 II Untersuchungshaftkartei 1936/37; Aitken/Rosenhaft 2013, 134, 271. 431 Vgl. BArch R 1001/3266, 104; ANY FA 1/522, 105. 432 ANY FA 4/1089, 3. 433 NN 1914a, 76. 434 Vgl. ANY FA 4/1089 Protokoll, 09.07.1912, o.S. Vgl. auch Smith 1895, 189.

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einzelne Batanga – und möglicherweise mehr als zuvor – als Angestellte der Firmen große Vermögen anhäufen und Menschen an sich binden. Afrikanische Händler verdienten gut. Zampa erhielt 1898 monatlich 175 Mark in Bargeld.435 Dies war auch im Vergleich ein sehr hohes Gehalt. Schließlich erhielten Europäer, die zum ersten Mal für eine Firma nach Kamerun ausreisten, im ersten Jahr jeden Monat nur ca. 100 Mark.436 Auch in der Kolonial-Abteilung notierte ein Beamter, der unverzichtbare Feldwebel Zampa sei „gegen hohe Bezahlung“ zu Randad & Stein gegangen.437 Wie ein anonymer Autor 1905 klagte, bezahlten die Firmen ihre erfahrenen afrikanischen Angestellten besser als neu nach Afrika gesandte Europäer, ja sie erhielten das Doppelte und Dreifache.438 Dies war für viele Europäer anstößig, stellte es doch die koloniale Ordnung infrage, nach der Afrikaner ihnen untergeordnet waren. Zampa war auch deshalb vielen seiner Kollegen ein Dorn im Auge.439 Die meisten afrikanischen Händler verdienten aber wohl weniger als Europäer – zwischen 15 und 100 Mark monatlich.440 Reisegemeinschaften: Lokale Reaktionen auf die neuen ökonomischen Chancen Der Zwischenhandel wurde nicht allein von europäischen, sondern auch von afrikanischen Akteuren herausgefordert.441 Paul Messi, ein Ewondo, berichtete über den Kautschukhandel der frühen 1890er: daß die Bélingaleute sich zusammentaten und zur Küste gingen, um Salz und Tücher zu kaufen. Zu der Zeit war ein Europäer in Jaunde mit Namen Zenker. Und als die Bélingaleute damals zur Küste gingen, gingen sie mit Zenker zusammen. […] Denn die Búlu pflegten den Betî kriegerisch zu begegnen auf dem Wege zur Küste. Und sie trafen an der Küste ein und blieben zwei Tage. Als sie Gummi und Elfenbein verkauft hatten, kehrten sie zurück.442

435 436 437 438 439 440

Vgl. BArch N 227/22, 6. Vgl. Zöller 1885b, 116; Rackow 1911, 27. BArch R 1001/4359, 94. Vgl. NN 1905e, 354. Vgl. BArch N 227/22, 22. Vgl. SMB-PK, EM N Langheld, Kopierbuch ohne Nr. Langheld an Ungebauer, 18.12.1912; BArch R 1001/3551, 79; Pagel 1914a, 351. 441 Vgl. auch Ziemann 1907, 121. 442 Heepe 1919, 266 f.

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Entgegen der Annahme von Wirz, dass die Produzenten und andere kaum je weite Wege zur nächsten Faktorei in Kauf nahmen,443 entstand neben dem Kautschukhandel im Landesinnern auch ein bisher von der Forschung übersehener Handel an der Küste. Handeltreibende Beti und Bulu wussten, dass näher zur Küste wohnende Familienoberhäupter von Ngumba und Mabea mehr vom vorkolonialen Elfenbeinhandel profitiert hatten als sie. Martin Tabi, ein Ewondo, der 1896 in Kribi in die katholische Missionsschule ging, erinnerte sich später, dass die Öffnung der Jaunde-Straße dazu führte, dass die Ewondo sich nun „nicht mehr von dem betrügerischen Ngumba-Volke im Handel betören und betrügen lassen“ mussten.444 Bulu und Beti nutzten das allmähliche Verschwinden der Zwischenhändler. Tausende Männer, Frauen und Kinder brachten in den 1890ern in Gruppen ihren Gummi für bessere Preise zur Küste. Sie profitierten von der „doppelten Revolution“ von Kautschukhandel und Kolonialisierung.445 Tabi betonte, dass es sich bei dem Marsch zur Küste um eine neue Entwicklung handelte. Durch die Europäer sei „Jaunde“ „mehr wie bisher in Verkehr mit dem Küstenlande“ geraten, das es „vor Ankunft der Weißen wenig kannte und deswegen auch nicht berührte“.446 Gummisucher waren unter den Ersten, die die neuen ökonomischen Möglichkeiten der beginnenden Kolonialherrschaft nutzten. Viele zogen schon 1892 mit ihrem Produkt zur Batanga-Küste. Es sei die Chance, durch den Kautschukhandel an Waren zu kommen, so Zenker, die „Hunderte von jungen Yaúndeleuten, die nun fleissig allen Landolphienlianen nachstellen, dazu bewogen hat, zur Küste zu gehen, während sie vorher aus Furcht nie weiter als bis zum ersten Ngumbadorf sich gewagt haben würden“.447 Doch die Jaunde-Straße blieb gefährlich, da die Familienoberhäupter ihren Sperrhandel nicht einfach aufgaben. Männer wie Ntunga versuchten trotz ständiger Ermahnungen seitens der deutschen Verwaltung, dass der Handel für alle frei sei, ihre frühere Rolle aufrechtzuerhalten. Auch noch 1894 war er nach Dominik der größte Händler im Südbezirk. Jaundes, Pangwes und Bulis vereinigten sich mit Gummi und Elfenbein bei ihm und warteten oft monatelang in seinem Dorfe. Ihnen selbst gestattete er nämlich nicht, zur Küste zu gehen. Ihre Produkte wurden von den Ngumbas zur Küste gebracht und verkauft. Vom Erlös floß natürlich ein gut Teil in die Taschen Tungas und seiner Leute, die dann behaupteten, der weiße Mann bezahle so schlecht.448

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Vgl. Wirz 1972, 120. Sabi 1910, 7 f. Sabi ist ein Schreibfehler für Tabi. Vgl. Laburthe-Tolra 1999, 598. Wirz 1972, 107. Für das Phänomen in anderen Regionen vgl. Arhin 1972, 35; Heywood 1985, 250. Sabi 1910, 7. Zenker 1895, 64. Nach Zenker gingen die Leute auf seine Veranlassung. Vgl. Zenker 1893, 176. Dominik 1911, 54. Vgl. auch Chamier-Glisczinski 1925, 59; Nekes 1912, 19. In anderen Fällen nahm Ntunga ihnen auf dem Rückweg ihre Waren ab. Auch andere Familienoberhäupter erpressten

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Ntunga nutzte weiterhin die strategische Lage seines Dorfes nahe Bipindi an der Jaunde-Straße. Sowohl durchziehende Karawanen der Firmen als auch Ewondo ließ er überfallen oder in seinem Dorf festsetzen, damit sie ihm all ihre Waren und Produkte verkauften.449 Während sich die bewaffneten Firmenkarawanen zu wehren wussten, waren die Leidtragenden vor allem die Beti auf dem Weg zur Küste. Die Jaunde-Straße schadete Ntunga deshalb anfangs nicht. Wahrscheinlich vergrößerte der vermehrte Handel sogar seinen Reichtum. Für den Kautschukhandel und die Autorität der Kolonialverwaltung war Ntunga ein Problem. Als der Stationschef von Jaunde, Bartsch, Ntungas Bruder 1895 wegen absichtlich auf den Weg gefällter Bäume ermahnte, sagte ihm dieser: „Wenn mir der Weg nicht gut genug wäre, brauchte ich ihn ja nicht zu gehen, sondern könnte in Kribi bleiben.“450 Als Bartsch ihm drohte, ging der Mann „lachend von dannen“.451 Im Mai 1896 nahm der Kommandeur der Schutztruppe, Oltwig von Kamptz, Ntunga gefangen.452 Als er 1897 in sein Dorf zurückkehren durfte, erklärte er, „er habe sich nun von der Macht der Regierung durchaus überzeugt und werde, falls ihm das Leben geschenkt würde, ein loyaler Unterthan sein“.453 Die freundliche Haltung Ntungas, so von Puttkamer, sei besonders bedeutsam für die Kolonie.454 Nun konnte die Regierung die Sicherheit auf der Jaunde-Straße garantieren. Der Kontakt zwischen Küste und Jaunde-Station intensivierte sich.455 „Viele Hunderte von Yaúndeleuten“, bemerkte von Puttkamer bei seiner Reise ins Innere 1897, „befanden sich auf dem Wege zur Küste mit Elfenbein und Gummi, um dort selbst Waaren einzuhandeln“.456 Ntunga und andere profitierten aber weiterhin vom gesteigerten Handel. Denn es „mußte jedermann, der zur Küste wollte, Tungas Dorf passieren und sich hier mit Lebensmitteln für die unbewohnte Waldregion versehen. Die Preise aber machte Tunga.“457 Auf den weiten und beschwerlichen Weg zur Küste machten sich die Menschen, weil sie auf größeren Handelsgewinn hofften. Die meisten Produzenten verkaufen ihren Gummi an die afrikanischen oder europäischen Händler im Umland der

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von Durchziehenden Waren, mussten diese aber oft an Ntunga abgeben. Vgl. Zenker 1893, 176; BArch R 1001/4357, 117 f. Vgl. Zenker 1893, 176. BArch R 1001/4357, 116. BArch R 1001/4357, 117. Vgl. BArch R 1001/4358, 33 f. Puttkamer 1897, 379. Vgl. BArch R 1001/4287, 31. Chun traf 1899 einen Neffen Ntungas als Geisel bei der Schutztruppe in Kamerun-Stadt. Vgl. Chun 1903, 115. Vgl. Sabi 1910, 7. Puttkamer 1897, 383. Dominik 1911, 166. Vgl. auch Conradt 1902, 372.

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Jaunde-Station. Einige aber waren nicht mit den Waren zufrieden, die die Faktoristen ihnen im Innern für den Gummi boten. Zwar hatten sie dort eine hohe Kaufkraft, aber ihre Zahl und damit der gezahlte Preis war geringer. Gerade diese Preisdifferenz hatte die Firmen dazu gebracht, mit ihren Karawanen ins Hinterland vorzudringen. Die zur Küste ziehenden Beti spekulierten ebenfalls auf diese Preisdifferenz. In Kribi, Groß-Batanga, Plantation oder Longji erhielten sie größere Mengen europäischer Waren als in Jaunde. Ein weiterer Grund waren die Probleme der Firmen, Waren zu liefern, die gerade besonders verlangt wurden. Ein Faktoreileiter seufzte, da seine Firma ihm nur unmoderne Waren zugesandt habe, gingen die Gummisucher lieber zur Küste, als ihren Kautschuk bei ihm einzutauschen.458 Menschen, die Kautschuk aus dem Jaunde-Gebiet an die Küste bringen wollten, schlossen sich ob der Gefahr zusammen. Zum einen folgten sie europäischen Expeditionen. 1895 etwa reisten ca. 100 Ewondo im Schutz der Regierung zur Küste.459 Zum anderen formten sie erste lokale Karawanen, die in umgekehrter Richtung zogen – vom Hinterland an die Beach. Um eine Verwechslung mit den Karawanen der Firmen zu vermeiden, soll hier von Reisegemeinschaften die Rede sein. Die Reisegemeinschaften waren sehr heterogen. Teilweise waren es Kleingruppen, teilweise bis zu 120 Personen. Die meisten umfassten ca. 50–60 Menschen.460 Unter ihnen waren erstens die Gummisucher selbst, die ihr Produkt zur Küste brachten.461 Zweitens gab es Familiengruppen, die an die Muster des Elfenbeinhandels erinnerten. Dominik etwa berichtete, dass häufig „ein Mann nur von seinen Weibern unterstützt […] mit seinem Gummi zur Küste“ gehe.462 Drittens ergriffen unternehmerische minkúkúma oder deren Söhne die Chancen der Jaunde-Straße. Einer von diesen war Tabis Bruder Leo Mani, dem die Kribianer den Namen ‚titima‘ d.i. Dampfer [von steamer – T. Oe.], wegen seiner großen, viele und mannigfache Waren tragenden Karawanen, gaben. Er hatte diese Handelsartikel [Kautschuk und Elfenbein – T. Oe.] reichlich vorrätig. Als berühmter, weit und breit geachteter Häuptling war ihm dies leicht. Vielmals hat er durch den Besuch seiner großartigen Karawanen manchem Kaufmann an der Küste viel Gewinn eingebracht und ihn dadurch bereichert.463

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Vgl. Seitz 1927, Bd. 1, 91. Vgl. Dominik 1911, 157; BArch R 1001/4357, 189. Vgl. König 1898, 72; BArch R 1001/4287, 36. Vgl. Zenker 1895, 64. BArch R 1001/4358, 181. Einige Familien transportierten weiterhin ihr Elfenbein in den Reisegemeinschaften zur Beach. Vgl. Stein 1899, 135 f. 463 Sabi 1910, 8.

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Die Menschen traten eine solche weite und gefährliche Reise nicht oft an. Selbst Händler wie Leo Mani gingen nur einmal im Jahr mit ihren Produkten zur Küste.464 Die Reisegemeinschaften reproduzierten zum Teil die Arbeitsbeziehungen des Elfenbeinhandels. Allgemein herrschte die Auffassung, dass es sich bei Transportarbeit um eine Arbeit von Abhängigen handelte.465 Verheiratete Männer ließen deshalb vor allem ihre Frau oder Frauen die Trägerarbeit übernehmen. „If a Bule [Bulu – T. Oe.] goes on a trading expedition up country or to the beach“, beobachtete der US-Missionar Adolphus C. Good, „his wife must […] accompany him to carry his loads of goods and rubber. Sometimes he carries a small load, but more frequently only his gun, while his wife toils after him, staggering under a load of forty or fifty pounds.“466 Laut Richard Küas, in den 1890ern Bezirksamtmann von Kribi, trugen Frauen den Gummi, während ihre Ehemänner eventuell vorhandenes Elfenbein transportierten, das mit mehr Prestige verbunden war.467 Wer aber nicht über Frauen, Kinder und andere Abhängige verfügte, so wie wohl die meisten Gummisucher, trug den Kautschuk selbst. Ewondo und wahrscheinlich auch andere Binnenlandbewohner betteten die Reise zur Küste kosmologisch ein. Nach Tabi erzählten Anfang der 1890er Ewondo nach ihrer Rückkehr von Kribi, dass „an der Küste die im Lande Verstorbenen wiederzufinden seien“.468 Sie glaubten, jenseits des Meeres liege das Land der Toten, von wo die Europäer und ihre großen Reichtümer angeblich gekommen waren. Die Reise an die Beach, in diese Übergangszone zwischen dem Reich der Lebenden und der Toten,469 die zu erreichen mit großen Gefahren und großen Möglichkeiten zur Bereicherung verbunden war, behandelten die Ewondo deshalb als arkanes Wissen. Nach Tabi herrschte „ein strenges Verbot unter den Leuten, offen und allzu frei zu sein in der Schilderung der Beatch (Küste) […]. […] Wer das Verbot übertrat, mußte gewärtig sein, von einer geheimen Macht mit dem Tode bestraft zu werden.“470 An der Küste konkurrierten die europäischen Firmen um den Kautschuk der Reisegemeinschaften. Intensiv bereiteten sich die Hauptfaktoreien in Kribi, GroßBatanga, Plantation und Longji auf deren Ankunft vor. Die Kaufleute bemühten

464 Vgl. Sabi 1910, 8. 465 Vgl. Guyer 1993, 256. 466 PHS RG 169/1/6 Woman’s Place and Lot Among the Bulu, 2. Vgl. auch PHS RG 55/1/2 Johnson an Vater, 14.02.1895. Nicht selten trugen Frauen zudem noch ihre Kinder. Vgl. PHS RG 169/1/6 Woman’s Place and Lot Among the Bulu, 2. 467 Vgl. Küas 1941, 424. 468 Sabi 1910, 8. 469 Vgl. Alexandre/Binet 1958, 17; Quinn 2006, 46. 470 Sabi 1910, 8.

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sich um ein gutes Verhältnis mit den benachbarten Batanga, damit diese im Innern den Reisegemeinschaften rieten, zu ihrer Faktorei und nicht zur Konkurrenz zu gehen.471 H. Küster, 1899 für A. & L. Lubcke in Plantation, betonte, dass die Kaufleute wegen der Konkurrenz zwischen den Firmen die Reisegemeinschaften zuvorkommend behandelten. In vielen Fällen machten sie gute Miene zum bösen Spiel, aus Angst, dass die Leute anderen vom Besuch der Faktorei abrieten.472 Für die Unternehmen waren die Reisegemeinschaften folglich ein bedeutender ökonomischer Faktor. Beim Empfang ihrer Handelspartner orientierten sich die Kaufleute an den Sozialformen der Batanga-Familienoberhäupter.473 Bekleidet mit Blättern oder einem alten Sack kamen die Menschen aus dem Regenwald und zogen auf den Hof der Hauptfaktorei.474 „Da sitzen sie zu Hunderten“, beschrieb Dominik eine solche Szenerie, „Männer, Frauen und Kinder, die vielleicht wochenweit aus dem Innern kommen, und bringen wohlverpackt auf dem Rücken die Gummilast, die ihren Reichtum ausmacht.“475 Nun wollten die erschöpften Leute aufs großzügigste versorgt werden. Peter Hendrich, der ab Mai 1898 für Randad & Stein in Longji arbeitete, erinnerte sich: „Das wichtigste, womit diese Träger ausgerüstet werden mußten, waren natürlich Lebensmittel.“476 Hierbei gingen die Kaufleute auf die Bedürfnisse ihrer weitgereisten Kunden ein. Denn die Küste hatte anfangs unter den Ewondo einen schlechten Ruf wegen der einförmigen Ernährung: „Kribi ist nicht schön, immer Reis“,477 klagten die Ewondo-Schulkinder. Aus diesem Grund gehörte zu den ersten täglichen Aufgaben in den Hauptfaktoreien an der Beach der Ankauf von „Kank“ genannten, in Bananenblätter gewickelten Maniokwürsten. Hiervon wurden täglich einige tausend als Nahrungsmittel für die schwarzen Träger angekauft, welche täglich, manchmal monatelang, vom Hinterland nach der Küste unterwegs waren, um Gummi abzuliefern. […] Außer diesen Cankwürsten erhielten sie noch getrockneten Fisch, Tacco, etwas Rum, Salz, Kalkpfeifen und Streichhölzer. Außerdem wurden ihre ersten zivilisatorischen Wünsche mit einer Dose Pomade und einem Spiegel gestillt.478

471 472 473 474 475 476 477 478

Vgl. Dominik 1911, 217. Vgl. Küster 1925, 179. Zu den Aufgaben eines Batanga gegenüber Handelsfreunden vgl. Godduhn 1892, 422 f. Vgl. Hendrich 1938, 273. Dominik 1911, 218. Hendrich 1938, 273. Höver 1895, 60. Vgl. BArch R 1001/4357, 110. Hendrich 1938, 273.

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Erst nachdem die Kaufleute ihre Gäste bewirtet, beschenkt und beeindruckt hatten, folgte der Ankauf von Kautschuk und Elfenbein. Der Kautschukeinkauf an der Beach, den hier Europäer durchführten, war mit denselben noch zu beschreibenden Unsicherheiten verbunden wie im Inland: Maße, Gewichte und Währungen waren verhandelbar. Zudem schwankte die Kautschukmenge von einer Reisegemeinschaft zur anderen. Teilweise brachten 50 Leute 1250 Kilogramm Gummi zur Faktorei, manchmal verkauften ein Mann und seine Frauen zusammen nur 6 oder 7 Kilogramm.479 Kautschuk wurde meist in „kleinen Blechmaßen gekauft, deren Gewichtsinhalt für den Käufer und Verkäufer Glückssache waren, denn es kam sehr viel auf den feuchten Zustand und den sonstigen Inhalt des Gummis an.“480 Eigentlich sollten die Kaufleute möglichst guten und trockenen Gummi kaufen. Sie „drückten jedoch manchmal ein Auge zu, sobald es die Gummipreise in Europa gestatteten“.481 Auch mischten (wie auch im Binnenland) die Gummisucher ihrer Ware Fremdkörper wie z. B. Sand oder Steine bei, um sie schwerer zu machen oder ein größeres Volumen vorzutäuschen. Seitz beobachtete, „wie die neu eingelieferten Kautschukkugeln zur Probe durchgeschnitten wurden und sich dabei herausstellte, daß die Kugeln aus einem mit Kautschuk überzogenen Kern von Lehm bestanden“.482 Solche Verfälschungen, die die Kolonialmacht seit 1894 erfolglos verbot,483 waren keine Südkameruner Spezialität. Von Schkopp erlebte, dass mit dem Woermann-Dampfer eingetroffene Sektkisten bereits im Hamburger Hafen geöffnet und mit leeren Flaschen und Ziegelsteinen befüllt worden waren.484 Nach Abschluss des Handels lagerten die Reisegemeinschaften einige Zeit nahe der Faktoreien. Für viele Beti und Bulu war es der erste Aufenthalt an der Küste. Außerdem musste der Erfolg der Handelsexpedition gefeiert werden. Nahe der Hauptfaktorei von Randad & Stein in Longji wurde deshalb nachts „unter freiem Himmel gekocht und geschmort, gegessen und geliebt.“485 Danach kehrten die Leute mit ihren europäischen Waren in ihre Heimat zurück. Der Einkauf von Kautschuk In den 1890ern war der Kautschukhandel folglich vielgestaltiger als bisher angenommen: Bewaffnete Karawanen kauften Kautschuk im Binnenland, afrikanische

479 480 481 482 483 484 485

Vgl. BArch R 1001/4358, 181; Küas 1941, 424. Hendrich 1938, 273. Hendrich 1938, 273. Seitz 1927, Bd. 1, 90. Vgl. BArch R 1001/8113, 291. Vgl. Schkopp 1905, 55. Hendrich 1938, 273.

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Händler erwarben ihn in ihren Buschfaktoreien, unabhängige Händler zogen mit trust von Dorf zu Dorf, Reisegemeinschaften brachten Gummi zur Küste. Auch die Familienoberhäupter des Binnenlandes, die bisher den Handel kontrolliert hatten, versuchten vielerorts, ihre Rolle im neuen Handel zu spielen. Wie genau der Ankauf von Kautschuk ablief, ist schwer zu rekonstruieren. Die Afrikaner, die den Löwenanteil dieses Geschäftes durchführten, haben darüber keine zugänglichen Aufzeichnungen hinterlassen. Schreibkundige Händler kauften ebenfalls oft nicht selbst den Gummi, sondern griffen auf lokale Händler zurück.486 Dementsprechend lief ein großer Teil des Geschäfts durch eine Kette von Intermediären ab. Produzenten, die in der Nähe der Buschfaktoreien wohnten oder die Möglichkeit hatten, sie durch längere Märsche zu erreichen, verkauften ihren Kautschuk wahrscheinlich selbst an die Firmen.487 Auch die mobilen Händler mit ihren VaiKarawanen handelten direkt mit den Gummisuchern. Hierfür mussten sich die Firmen mit den Familienoberhäuptern arrangieren. Teilweise taten sie dies mit Gewalt, indem sie drohten, diese zu töten, wenn sie nicht in den Handel einwilligten.488 Häufiger knüpften sie Beziehungen durch den Austausch von Geschenken.489 Von Schkopp etwa erhielt 1902 im Dorf des Bakoko-Familienoberhauptes Wonge einen Hahn. Bevor sie zum Geschäft kamen, forderte Wonge ein Gegengeschenk. „Mein Geschenk für dich habe ich mitgebracht“, antwortete von Schkopp, „und bis jetzt hat mich noch kein Bakoko daran zu erinnern brauchen, daß ich ihm sein Geschenk geben soll“. Sein Koch Alegobane und der Headman Bedime beschimpften Wonge: Du bist ein habgieriger Kerl, ein verhungerter Mensch, von deiner Großmutter geboren, die dich nicht ordentlich genährt hat. Dein Hahn ist jammervoll und stirbt noch vor Hunger, ehe er gegessen wird. Deine Felder tragen keine Früchte, und deine Hütten fallen um. Du bist kein Kokuma (Häuptling) [nkúkúma – T. Oe.] sondern ein Mungo (unbedeutender Mensch) [móngô = Kind – T. Oe.].490

Solche rituellen Beschimpfungen waren auch beim bilaba üblich, einem lokal üblichen Potlatch, bei dem sich Familienoberhäupter gegenseitig beschenkten und stets ein größeres Gegengeschenk erwarteten.491 Jedenfalls erhielten Wonge und seine Ehefrauen nun ihre Geschenke in europäischen Waren.492 Dies war

486 487 488 489 490 491 492

Vgl. Schkopp 1903c, 280. Vgl. Zippelius 1926b, 284. Vgl. SBB-PK Ms. germ. oct. 1355, 117 f. Vgl. DHM Do 2005/34 Krönig an Eltern, 02.05.1908. Schkopp 1905, 112. Zu móngô vgl. Heepe 1926, 99. Vgl. Guilbot 1951, 166 f. Vgl. Schkopp 1905, 113.

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eine Art Gebühr, um Handelsbeziehungen eröffnen zu dürfen.493 Auf diese Weise profitierten auch Familienoberhäupter vom Handel der nicht etablierten Männer ihres Dorfes. Nicht selten handelten auch Familienoberhäupter mit Gummi. Da die Firmen nicht überall waren und die Mobilität der Produzenten in Gebieten jenseits des deutschen Herrschaftsbereichs beschränkt war, hielten sich Teile des vorkolonialen Handelssystems regional bis weit nach der Jahrhundertwende. Noch 1903 ging der Kautschuk des Mwelle-Gebietes über vier bis fünf Zwischenhändler von Dorf zu Dorf zu den großen Faktoreien in Jaunde und Ngulemakong.494 Dadurch konnten auch Familienoberhäupter Kautschuk an die Firmen verkaufen.495 Die Waren, die die Firmen für den Kautschuk zahlten, folgten den Konsummustern des Elfenbeinhandels. Doch durch Karawanen, Faktoreien und Händler gelangten mehr europäische Waren als je zuvor ins Hinterland. Eine Momentaufnahme von 1897 zeigt ihre kaum übersehbare Vielfalt, unterschiedlichen Bestimmungsorte und Zielgruppen: Pulver und Steinschlossgewehre waren überall die begehrtesten Artikel. Die dazugehörigen Feuersteine nutzten die Karawanen, um im Binnenland Lebensmittel zu kaufen. Unverzichtbar war Salz, das im Hinterland selten und sehr begehrt war. Eine große Rolle spielten Stoffe unterschiedlichster Herkunft, Qualität, Färbung und Bedruckung. Frauen fragten seidene Tücher aus der Schweiz und Cama scarfs nach. Ein Stoff mit dem Markennamen Blue & white Makanda war für Bulu und Mabea bestimmt, während Blue & white Mexican für den Handel an der Beach gedacht war. Stripes drell, den die Firma Woermann anbot, war sehr teuer und nur für die „schwarzen gentlemen“. Auch Kleidung – vom Anzug über Hemd, Frauenkleider und Schürzen – boten die Firmen an. Töpfe waren im Hinterland begehrt, ebenso Vorhängeschlösser und billige Blechkoffer, Macheten, Schlachter- und Rasiermesser. Rum ging größtenteils ins Innere, Genever tranken vor allem Frauen an der Küste, Bier war Getränk der Reichen. Blättertabak war eine Ware für Frauen, Schnupftabak beliebt bei Männern – und die dazugehörigen Dosen wurden niemals verkauft, sondern nur verschenkt. Wellblech, Teer, Kalk, Zement und andere Baustoffe blieben bei reichen Familien an der Beach; Ohr-, Finger- und Armringe sowie eine Unzahl an Sorten von Glasperlen fanden ihren Weg ins Hinterland, Harmonikas und billige Taschenuhren, Nähmaschinen, Werkzeuge, Kupfer- und Messingdraht, Messingkessel und Nägel zum Verzieren von Gewehren, Neptunes, Hosenträger, Pfeifen und gute Sturmlaternen der Firma Karl Maaß. Seidene Schirme, schwarze Hüte für den Busch und bunte für die Beach. Öle,

493 Zum Prinzip des Geschenkeaustausches in Kamerun vgl. Wirz 1972, 16 f., 90, 100 ff. 494 Vgl. Engelhardt 1904, 77. 495 Vgl. z. B. BArch N 227/22, 11.

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Fette, Margarine, Bindfäden und Streichhölzer.496 Hinzu kamen „Fancy-Waren“:497 Kaufmann Reinhard etwa hielt in Jaunde auch Musikautomaten, Leierkästen und Weckuhren bereit. Seine Faktorei, scherzte er, „glich […] einem Ramschbazar auf ein Haar“.498 Der Geschmack der Menschen bzw. der ökonomische Wert europäischer Waren unterschied sich von Ort zu Ort.499 Nach Faktorist Küster wurde von einem Volk im Innern gern Rum gekauft, von einem andern aber verschmäht; diese bevorzugten rote Perlen, jene schwarze oder blaue; hier wurde Messingdraht momentan viel gehandelt, dort konnte man alles für Salz haben; diese Stämme wünschten nur blaue, einfarbige Zeuge, andere nur rotgemusterte, usw.500

Auch konnten sich Vorlieben schnell ändern. Der Hauptagent einer Firma klagte, er bekomme aus Europa nur unmoderne Sachen, da man sich dort auf veraltetes Knowhow verlasse und nur Waren sende, die früher gangbar gewesen seien.501 Dieser Lawine an bisher seltenen Waren folgten große Veränderungen. Erstens sank ihr Wert dramatisch. Morgen hatte 1890 im Jaunde-Gebiet noch mit Porzellanknöpfen Verpflegung gekauft.502 1895 fanden diese, so Zenker, „Infolge [sic!] des Aufblühens des Kautschukhandels kaum noch Absatz“.503 Jaundes sprichwörtlich billige Preise stiegen.504 Zweitens veränderten sich materielle Kultur und Konsumgewohnheiten, wie Zenker feststellte: die kurze Zeit von 6 Jahren hat genügt, das [sic!] in Jaunde jetzt nur an wenigen Stellen Eisen gewonnen und verarbeitet wird, alles aus europäischem Eisen daß [sic!] als Stäbe in den Handel kommt. Den Thontopf verdrängt der gußeiserne Topf, die einheimischen Schwerter werden durch Haumesser aus Shiefield [sic!] oder anderen Plätzen, [sic!] verdrängt, Speere[,] Bogen u Pfeil durch Feuersteingewehre u zuletzt, [sic!] der Palmwein oder das Durrahbier durch den Schnaps.505

496 497 498 499 500 501 502 503 504 505

StAB 3-A.3.A.2. Nr. 25 Schöne an Gouvernement, 01.11.1897. Petersen 1937, 159. Vgl. auch LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 27.11.1907. Reinhard 1901, 7. Hinzu kam wahrscheinlich, dass sie sich selbst Waren verschafften, die ihre eigenen Handelspartner weiter im Hinterland bevorzugten. Vgl. Guyer 1986. Küster 1925, 178. Vgl. PAZK N Zenker Küster an Zenker, 18.04.1907. Vgl. Seitz 1927, Bd. 1, 91. Vgl. Morgen 1893, 42. Zenker 1895, 64. Vgl. Jäger 1903, 13. SBB-PK N Luschan Zenker, Georg. Zenker an Luschan, 27.05.1900.

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All diese Waren konnten mit Kautschuk erworben werden. Aber das Geschäft mit Gummi war viel komplexer und volatiler, als die Forschung bisher angenommen hat. Wirz geht davon aus, dass der Handel nach festen Äquivalenten stattfand und Preise nicht vom Markt diktiert wurden.506 Hiervon kann keine Rede sein. Vielmehr bewerteten Händler den Kautschuk mittels mehrerer nicht eindeutig definierter Maßeinheiten, die es den Beteiligten erlaubten, durch Verhandlungen und Spekulation das Beste für sich herauszuschlagen. Die wichtigste Maßeinheit für Kautschukmengen war der „Kessel“ bzw. „kettle“ – ein Messingkessel, der seit Jahrhunderten als Handelsware an der westafrikanischen Küste gängig war.507 Der Kessel war kein eindeutiges Gewichtsmaß. Er unterschied sich von Region zu Region. In Jaunde fasste ein Kessel 1897 ca. 1000 Stücke Kautschuk von einem Zentimeter Größe und wog 3 bis 3,5 Kilogramm.508 1894 fasste ein Kessel in Dehane 4,5, im benachbarten Ebea aber nur 3 Kilogramm.509 Mancherorts dienten zum Abmessen Würstchendosen mit entsprechend geringerer Größe.510 Die Maße veränderten sich über die Zeit, mit der Geschäftslage und der Warenversorgung der jeweiligen Händler. In Dengdeng in Ostkamerun schwankte das Gewicht eines Kessels 1906 bis 1910 zwischen 4,5 und 6 Kilogramm. Waren dort die Firmen nicht ausreichend mit europäischen Produkten von der Beach versorgt, achtete ein Händler darauf, dass der Kessel voll war. Wenn jeder Händler ausreichend Waren hatte, akzeptierte er auch einen nicht ganz vollen Kessel, um seinen Anteil am Handel zu erhöhen.511 Ähnlich komplex war die Bewertung der mit Kautschuk gefüllten Kessel. Wie im vorkolonialen Elfenbeinhandel rechneten Firmen, Händler und Handelspartner bis mindestens 1909/10 in Dollar, um die Relation zwischen Kautschuk und Waren festzulegen.512 1894 wurde ein Dehane-Kessel mit 3 Dollar, ein Ebea-Kessel mit 2 Dollar bewertet.513 Einen Bane-Kessel berechneten die Händler 1901 mit 1 Dollar.514 Diese Dollar-Rechnung bereitete so manchem Kaufmann Kopfzerbre-

506 Vgl. Wirz 1972, 122. 507 Vgl. Klusmeier 2012; PASch N Wichulla, Copierbuch 2, Wichulla an Stein, 17.06.1887; StAB 3A.3.A.2. Nr. 25 Schöne an Gouvernement, 01.11.1897; LRO 380 HOL 1/13/12 Hetebrügge: Bericht, 06.06.1915; NN 07.11.1897. Schon für 1893 ist der Kessel als Maßeinheit belegt. Vgl. BArch R 1001/4285, 44. 508 Vgl. Reinhard 1901, 7. 509 Vgl. SLSUD Mscr. Dresd. App. 3045 Knochenhauer, Bruno. Bd. 3, 22.01.1894. 1911 fasste ein Kessel in Molundu 7 kg. Vgl. BArch R 1001/8118 Treichel: Ergänzungsbericht, 27.08.1911, o.S. 510 Vgl. BArch R 1001/8115, 263. 511 Vgl. LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 23.07.1907; BArch R 1001/4382, 156; LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 06.06.1910. 512 Vgl. LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 18.06.1909; LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi (Akoafim), 10.01.1910. 513 SLSUD Mscr. Dresd. App. 3045 Knochenhauer, Bruno. Bd. 3, 22.01.1894. 514 Vgl. BArch R 175-III/1, 60.

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chen.515 Denn der Wert eines Dollars war ebenfalls nicht fixiert, sondern erstens abhängig von der jeweils zugrundeliegenden europäischen Ware, gegen die der Gummi zu tauschen war.516 In Dehane hatte 1894 entsprechend der billigste Dollar einen Wert von 0,90 bis 1,00 Mark, der teuerste 1,65 bis 1,70 Mark.517 Zweitens hing die Bewertung ab von der Entfernung zur Küste. Dort war 1901 der Dollar 1,50 Mark wert, im Bane-Gebiet hingegen aufgrund der hohen Transportkosten für die Waren 4,50 Mark.518 Drittens schwankte der Wert eines Dollars mit der sozialen Konstellation des Handels. Wenn sich Händler in einer starken Position wähnten, konnten sie den Dollar schlechter bewerten. 1908 galten unter den Fang 20 Einheiten des lokalen Speer-Geldes für einen Dollar. Während eines Rechtsstreits war es dem Händler Hans Jobelmann aber möglich, 100 mit einem Dollar zu bewerten.519 Neben dem Dollar gab es ein zusätzliches Bewertungssystem, das direkt Kessel in Beziehung zu Waren setzte. Im Yesum-Gebiet ließ Zampa ein Gewehr oder einen Sack Salz mit drei Kesseln Gummi bezahlen, eine Rolle Messingdraht mit zehn Kesseln etc.520 Weiter verkompliziert wurde der Handel durch ein zusätzliches Geschenk, das „dash“, das fest zum Handel gehörte und das die Händler in die Preise einberechnen mussten.521 Flexible Bewertungsmethoden, doppelte Bewertungsskalen sowie Geschenke waren offen für Manipulationen. Dies schuf für alle Beteiligten Spielräume und die Flexibilität, die in dem neuen, turbulenten und sich stetig verändernden Markt vonnöten waren, um Gewinne zu machen. Jane I. Guyer nennt solche Handelstechniken, Wertmaßstäbe etc. „points where disjunctive values could be linked – transformed, mutually translated – in ways that could produce gain“.522 Asymmetrien zwischen verschiedenen Bewertungsskalen (etwa Dollar, Kessel und Waren), Manipulation von Messmethoden, Aushandlungen zusätzlicher Zahlungen usw. waren intendiert und institutionalisiert.523 Gleichzeitig produzierte die Offenheit für Verhandlungen und gegenseitiges Sich-über-den-Tisch-Ziehen Streit darüber, was der gelieferte Kautschuk nun wert war. Dieser konnte auch in Gewalt umschlagen.524

515 516 517 518 519 520 521

Vgl. Küster 1925, 179. Vgl. Zöller 1885d, 46. Vgl. SLSUD Mscr. Dresd. App. 3045 Knochenhauer, Bruno. Bd. 3, 22.01.1894. Vgl. BArch R 175-III/1, 60. Vgl. Jobelmann, 139. Vgl. BArch R 1001/4454, 134. Für eine weitere Liste vgl. BArch R 175-I/966, 53, 55. Vgl. BLO MSS. Afr. s. 1525/15/9, 62. Guyer definiert „dash“ als „ancillary payment, given after the basic equation has been agreed on“. Guyer 2004, 59. Vgl. auch Martino 2017. 522 Guyer 2004, 58. 523 Vgl. Guyer 2004, 59 f. 524 Vgl. Geschiere 2007, 50–53; Geschiere 2005, 258 ff.

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Batanga-Löwen und Tigermänner: Kautschukhandel und Gewalt in den 1890ern „The major incitement to violence in equatorial Africa stemmed from its wealth in rubber“,525 schreibt Vansina. Auch Südkameruns Kautschukhandel war immer Fluch und Verlockung zugleich, denn Gewalt begleitete ihn von Anfang an. Kaufleute, Händler und Karawanen begingen immer wieder Übergriffe auf ihre Handelspartner und die Bevölkerung. Trotzdem wurde die Expansion des Kautschukhandels im Hinterland „nicht als Eindringen eines Feindes aufgefaßt“, wie Wirz bemerkt, „im Gegenteil, sie wurde begrüßt und herbeigewünscht“.526 Kautschuk war aber auch ein Anreiz für Teile der Bevölkerung, ihrerseits zu Gewalt zu greifen. Überfälle auf Karawanen und Händler waren kein Widerstand gegen den Handel und seine Methoden,527 sondern Formen gewalttätiger Bereicherung.528 Wo Gummi gewonnen und gekauft wurde, brach ein Goldrausch aus, der teilweise zu einem temporären Zusammenbruch der alten Ordnung führte. Kautschuk ermöglichte es Händlern und Gummisuchern, innerhalb kürzester Zeit reich zu werden. Und wo viele junge Männer schnell reich werden wollten, schwand überall auf der Welt die Rücksicht auf Wohlbefinden oder gar Leben von anderen. Europäische wie afrikanische Akteure ignorierten bisher etablierte soziale, politische und wirtschaftliche Regeln. Die alte Ordnung wurde auch nicht von der neuen, kolonialen ersetzt. Wo der Kautschukeinkauf stattfand, war der koloniale Staat noch nicht präsent. Infolgedessen entstand der erwähnte middle ground mit Chaos und Gewalt. Die ersten europäischen Händler, die in den 1890ern mit bewaffneten Karawanen ins Innere vordrangen, bezeichneten die Deutschen nach 1900 als „BatangaLöwen“,529 womit sie eine gewalttätige, unkonventionelle Form von Männlichkeit und Soziabilität beschrieben. Anfangs bezog sich dieses Kameruner Pendant zu den „Palm Oil Ruffians“ des Nigerdeltas nur auf eine Handvoll Händler.530 Immer wieder genannt werden Georg Zieriacks (Woermann), A. Hobitz (A. & L. Lubcke), Otto Dunckhorst (Karl Maaß) und Georg Petersen (Randad & Stein, ab 1900 Bremer Westafrika-Gesellschaft), die zeitweise Hauptagenten ihrer Firmen waren.531 Später bezeichnete der Begriff sämtliche Kaufleute dieser Zeit. Zu den

525 526 527 528 529

Vansina 1990, 242. Wirz 1972, 128. Vgl. Kaeselitz 1968. Vgl. Callebert 2016, 121. Vgl. Seitz 1927, Bd. 2, 89. Erstmals taucht der Begriff 1903 als „Löwenküste“ auf. Vgl. Schkopp 1903c, 279. 530 Zu den Palm Oil Ruffians vgl. Newell 2008b. 531 Vgl. Dominik 1908, 20; Schkopp 1906, 4–13; Küas 1941, 404–426; Küas 18.03.1930.

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stets betonten Eigenschaften der Batanga-Löwen gehörte ein exzessiver Alkoholkonsum. Die Batanga-Küste war, „was übermäßiges Trinken anbelangt, geradezu berüchtigt“.532 Bei Randad & Stein in Longji tranken die Kaufleute 1897 schon um 11 Uhr vormittags den ersten Whisky-Soda und bis zur Mittagspause weitere Gläser Gin und Bitter.533 Im Rausch fingierten sie Duelle mit Hühnerblut, legten sich gegenseitig gefesselte Krokodile ins Bett oder misshandelten ihre afrikanischen Angestellten.534 Zum Sprechen über die Batanga-Löwen gehörte schon 1903 unweigerlich der Hinweis, dass ihre Zeit vorbei sei. Sie seien gestorben, die wenigsten heimgekehrt.535 Tatsächlich hatten Zieriacks, Hobitz und Petersen in Afrika den Tod gefunden.536 Doch Zweck dieser Redensart war, Lesern den Sieg der „Zivilisation“ in Südkamerun zu zeigen. „Gestärkte Oberhemden, Tennispartien mit wirklichen weißen Damen und ähnliche Segnungen der Kultur haben ihm den Garaus gemacht“,537 schrieb Ossmann über den Batanga-Löwen. Auch Seitz meinte, 1906 sei „das Ende dieses unter dem Zeichen des ungebundenen Junggesellentums stehenden Lebens abzusehen“ gewesen.538 Dabei lebten viele Kautschukhändler bis zum Ersten Weltkrieg mit Gefahr, Nonkonformismus, Exzessen und Gewalt. Gewalt hatte verschiedene Funktionen für die Batanga-Löwen. Erstens nutzten sie sie wie in vorkolonialer Zeit zur Selbsthilfe oder um afrikanische Akteure einzuschüchtern. Petersen etwa, der die Faktorei von Randad & Stein nahe Lolodorf leitete, geriet in Konflikt mit Ntunga, der seine Anwesenheit nicht duldete. Als einer von dessen Leuten versuchte, Petersens Faktorei anzuzünden, schlug er ihn vor den Augen Ntungas zusammen.539 Durch ihr Vordringen ins Innere hatten sich die Firmen in vielen Familienoberhäuptern mächtige Feinde gemacht. Doch auf die Kolonialmacht, die weit weg war, konnten sich die Kaufleute nicht immer verlassen und nahmen die Dinge selbst in die Hand. Ebenfalls charakteristisch war, dass die Kaufleute Selbstjustiz übten – mit exzessiver Gewalt. 1897 befahl der 31-jährige Heinrich Lubcke, der inzwischen A. & L. Lubcke, die Firma seines Onkels, leitete, seinem Angestellten Ferdinand Pape und einigen Kru-Arbeitern, den

532 Schkopp 1903c, 279. 533 Vgl. Hendrich 1938, 273. Der Postbeamte Schmidt meinte: „2 Flaschen Wein mit Mineralwasser, 5–6 Flaschen Bier als Tagesmaß thun keinem Schaden“. AdKB Kempowski Biographienarchiv, Schmidt an Eltern, 06.06.1895. 534 Vgl. Küas 1941, 424; BArch R 1001/3422, 4 f. 535 Vgl. Schkopp 1906, 4 f.; Osman 1920, 101. 536 Vgl. MAE-AA Statuts des Sociétés 44 Harms et Marius/Woermann & Cie Landanageschäft. Woermann an Staatssekretär, 24.06.1903; PAZK N Zenker. Mappe „Lolodorf “. Küster an Zenker, 18.04.1907; NN 02.04.1902; L. Pagenstecher & Co. 1911, 164. 537 Osman 1920, 101. 538 Seitz 1927, Bd. 2, 89. Vgl. auch Haase 16.07.1918; Lomer 1913; Scheunemann 07.06.1931. 539 Vgl. Schkopp 1906, 13–17.

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Batanga-Händler Zamba festzunehmen.540 Angeblich schuldete dieser der Firma Kautschuk für einen trust von 200 Dollar. Um Zamba zur Zahlung zu zwingen, ließ Lubcke ihn fesseln und seine Hände an einer Drahtschlinge aufhängen. Freeman, der Kru-Headman, schlug ihn nun zwölfmal mit der Nilpferdpeitsche, „dem zu solchem Zwecke dort üblichen Instrumente“, wie August Lubcke schrieb.541 Nachdem Zamba wieder freigelassen worden war, behauptete der ebenfalls anwesende Zenker, Zamba verbreite Unwahrheiten, woraufhin ihn Lubcke erneut fesseln und auspeitschen ließ. Als Strafe sollte er nun mit den Kru-Leuten auf der Faktorei Perlen aufreihen. Da er aber zu langsam arbeitete, wurde er erneut gefesselt und erhielt diesmal von Pape Schläge mit der Peitsche. Eine solche Behandlung kam scheinbar auf Lubckes Hauptfaktorei häufiger vor. In den Tagen zuvor hatte Lubcke auch den Pferdejungen Bumbo sowie die Stewards William, Charly und Pingalo fesseln und auspeitschen lassen oder sogar selbst Hand angelegt.542 Zweitens entstand exzessive Gewalt aus Rassismus, Langeweile und der Lust, sich in Gewalt auszuprobieren. Hierfür bot der middle ground genug Spielräume.543 Diehl nahm im Sommer 1901 Ermittlungen auf, denn Zeugenaussagen ließen „auf ein Gebahren der Kaufleute im Südbezirke schließen, das kaum von dem Treiben einer Räuberbande verschieden ist“:544 Am schlimmsten hausen die Faktoristen im Bane-Gebiet; hier sind Mißhandlungen geschehen, die an die ärgsten Folterungen des Mittelalters erinnern. Eingeborenen wurde Petroleum oder Spiritus auf die Hände gegossen und angezündet. Holzsplitter wurden ihnen unter die Fingernägel getrieben. An den Daumen wurden sie aufgehängt und so lange hängen gelassen, bis die Angehörigen ein Lösegeld zahlten.545

An diesen Gewaltexzessen beteiligten sich auch Afrikaner. Albert Wittenberg (Randad & Stein) ließ zu, „dass einige seiner Boys“ einen säumigen Jaunde-

540 Für die Schilderung des Falls vgl. BArch R 1001/4925, 12–17. Heinrich Lubcke, geboren 1866 in Hamburg, war ca. 1887 erstmals nach Gabun gereist, wo er bis 1889 wie sein Onkel für Woermann arbeitete. 1891 arbeitete er in Lubckes neu gegründeter Firma in Plantation, die er ab 1892 leitete. 1896 wurde er Teilhaber. Seine Leitung in Kamerun endete nach der hier zitierten Affäre. Danach leitete er das Unternehmen von Hamburg aus. Vgl. BArch R 1001/4925, 11; BArch R 1001/4925, 18–21. 541 BArch R 1001/4925, 18. 542 Lubcke wurde zu 3 Monaten Haft verurteilt, Pape zu 200 M Geldstrafe und Zenker freigesprochen. Später behauptete der Küstenklatsch, Lubcke habe einen Afrikaner totschlagen lassen. Vgl. BArch R 1001/4925, 11; BArch R 1001/4925, 67; StAH 132-1 I/2697, 1; SMB-PK, EM N Langheld, Tagebuch Nr. 3, 31.12.1909. 543 Vgl. Popitz 1992, 43–78. 544 BArch R 1001/4453, 93. 545 BArch R 1001/4453, 90.

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Schuldner „ergriffen und in furchtbarer Weise zu Tode marterten, indem sie den Aermsten mittelst eines Baumastes von hinten pfählten“.546 Wittenberg und andere wurden zu Haftstrafen verurteilt. Doch die meisten Kaufleute deckten einander, ihre Opfer hatten Angst, sie anzuzeigen, und die Behörden konnten wegen Personalmangel nicht alle Straftäter zur Rechenschaft ziehen.547 Afrikanische Händler nutzten ebenfalls Gewalt, um ihre Interessen durchzusetzen. Bereits 1895, kurz nachdem er die Jaunde-Station übernommen hatte, beschwerte sich Dominik: „Die zahlreichen Schwarzen Händler […] bringen unzählige Palaver ins Land. Da sich nun jeder selbst hilft, so nimmt der Unfrieden kein Ende“.548 Gegenüber der Regierung traten sie selbstbewusst auf. Sie hetzten gegen die Station, klagte Dominik, sagten den Leuten, sie sollten für Nahrung Preise wie in Batanga verlangen und „immer bedenken, daß sie den Governor verhungern lassen könnten“.549 Gleichzeitig legten sie dieselbe Ambivalenz gegenüber den Behörden an den Tag wie ihre europäischen Arbeitgeber: Zwar versuchten sie, sich der Aufsicht des Staates so weit zu entziehen wie möglich, wandten sich in Konflikten, in denen sie den Kürzeren ziehen konnten, aber doch an die Beamten.550 Auch afrikanische Batanga-Löwen nutzten die Spielräume des Kautschukhandels zur rücksichtslosen Bereicherung. Beispielsweise galt ein Mann namens Elesa um die Jahrhundertwende als einer der „bedeutendsten und einflußreichsten Händler zwischen dem Sanaga und dem Njong“.551 Elesa wurde um 1860 in Malimba geboren. Spätestens mit Beginn der Kolonialherrschaft nahm er eine Intermediärsposition ein, die er für seinen Aufstieg nutzte. Vor 1894 arbeitete er als Barkassenführer für Woermann, dann für das Gouvernement als Dolmetscher, das ihm zudem die Gerichtsbarkeit an der Sanaga-Mündung übertrug.552 Bis spätestens 1904 hatte ihn die Regierung zum Oberhäuptling gemacht.553 Elesa machte auf viele Europäer großen Eindruck. Begeistert notierte etwa der Geologe Bruno Knochenhauer 1894 in sein Tagebuch, Elesa sei ein großer, strammer Kerl, anfangs der Dreißiger, ein kühner Elefantenjäger. […] Ich konnte nicht umhin, seiner Einladung bei ihm im Hause ein Glas Bier zu trinken, Folge

546 547 548 549 550 551 552 553

NN 09.01.1902. Vgl. BArch R 1001/4453, 91. BArch R 1001/4357, 65. BArch R 1001/4357, 77 f. Vgl. BArch R 1001/4357, 77 f. Schkopp 1906, 99 f. Vgl. SLSUD Mscr. Dresd. App.3045 Knochenhauer, Bruno. Bd. 3: 11.01.1894. Vgl. Winkler 1906, 573.

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zu leisten. Er hatte Marienthaler dunkles, sehr schön kühl. 2 Bilder des deutschen Kaisers hingen im Zimmer, die deutsche Flagge wehte draußen am Flagmast [sic!].554

Für verschiedene Firmen kaufte Elesa Kautschuk und Elfenbein bei den Bakoko, Ngumba, Ewondo und Bulu. Mindestens 1897 bis 1899 arbeitete er für A. & L. Lubcke, die er angeblich um tausende Mark betrog, und 1901 oder 1902 für von Schkopps Handelsgesellschaft Südwest-Kamerun. Sein Engagement endete, nachdem Elesa mit trust erworbenes Elfenbein an die Konkurrenz verkauft hatte.555 Elesa nutzte ähnlich brutale Mittel wie seine europäischen Kollegen. Auf von Schkopps Faktorei in Dehane beschwerten sich Leute, Elesa nehme ihr Elfenbein mit Gewalt, raube ihnen Frauen und Töchter und schrecke vor Mord nicht zurück.556 Seinen legendären Reichtum nutzte er,557 um demographisch zu expandieren. Er heiratete eine große Zahl von Frauen oder kaufte Sklavinnen, die auf seiner Kakao-Plantage arbeiteten. Unter der Küstenbevölkerung lehnten viele Elesas Aufstieg ab. Die Malimba duldeten ihn nicht mehr unter sich, die Bakoko „haßten ihn wie die Sünde“, so von Schkopp.558 Sie führten Elesas Reichtum auf Hexerei zurück. Elesa habe ein kleines Bündel einer mächtigen Zaubermedizin (Ekongi), das seinen Reichtum schütze und mehre, berichtete der Koch des Missionars Robert H. Nassau.559 Andere sagten, Elesa sei „skrupellos und geschickt mit tödlichen Giften“.560 Er habe, „wie mir von verschiedenen Seiten ganz übereinstimmend berichtet wurde“, so von Schkopp, „mehrere seiner eigenen Söhne kaltblütig vergiftet“.561 Dies verweist nicht unbedingt oder ausschließlich auf den Einsatz von Gift, sondern auf Vorstellungen von Hexerei, die die Missionare „Ekon“ (bzw. Ekongi) nannten. Diesen zufolge meldet ein Handelsmann, der die Leute gerne prellen und sich bereichern möchte, dem Zauberer d. h. Giftmischer, einen mißliebigen Verwandten oder Bekannten. Während er nun selbst in den Busch geht, wird dem Angezeigten ein langsam tötendes Gift beigebracht, das ihn auf ’s Kranken- und Todeslager wirft. Sobald seine Seele den Körper verläßt, muß

554 SLSUD Mscr. Dresd. App.3045 Knochenhauer, Bruno. Bd. 3: 11.01.1894. Vgl. auch Schkopp 1906, 102 f. 555 Vgl. Schkopp 1906, 100 ff; BArch R 1001/3421, 4, 12, 18 f. 556 Vgl. Schkopp 1906, 104. 557 Vgl. Nassau 1904, 166. 558 Schkopp 1906, 100 f. 559 Vgl. Nassau 1904, 165. 560 Schkopp 1906, 101. 561 Schkopp 1906, 104.

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derselbe, diesem Aberglauben zufolge, dem Verwandten im Busch behilflich sein, ein gutes Geschäft zu machen.562

Gewalt ging nicht nur von den Händlern aus, sondern auch von den Karawanen. Die Faktoristen im Bane-Gebiet, so Richter Diehl 1901, „bewaffneten ihre Träger, setzten ihnen rote – um Soldaten zu markieren – Mützen auf und überfielen Dörfer, raubten sie aus und schleppten die Weiber weg“.563 Aber auch ohne europäische Anstifter drangen die Träger der Karawanen in die Dörfer entlang der Wege ein, stahlen, prügelten und vergewaltigten. Wie noch zu zeigen ist, gehörte Gewalt unauflöslich zu den Charakteristika der Karawanen.564 Die Unsicherheiten des Handels sorgten ebenfalls für Konfliktpotential, wie Dominik darlegte: Hier hat ihnen [den Händlern – T. Oe.] ein Jaúnde Gummi versprochen und liefert ihn nicht, dort hat ein Jaúnde Mann Trust bekommen und verwendet diesen für sich selbst, indem er Weiber kauft. Ein anderes Mal will ein chief nicht dulden, daß die Händler bei ihm nächtigen etc. Selbst Gewehre verlangten 2 Batanga Leute letzthin von mir, weil sie ohne solche nicht zu den Mwelles gehen könnten, wo sie Gummi lagern hätten.565

Für besonderen Ärger sorgte das trust-System. Zuvor auch im Inneren unbekannt, erhielten nun viele Männer Kredite.566 Diese Ausdehnung erhöhte die Gefahr von Kreditausfällen. Einige Schuldner glaubten, die Kredite seien Geschenke,567 einigen war es nicht möglich, den trust in Kautschuk zurückzuzahlen, andere wussten nicht, wie viel Kautschuk sie bringen mussten, andere hofften auf ihre Klugheit, körperliche Stärke, Bewaffnung oder sozialen Beziehungen, um die Warenkredite nicht zurückzahlen zu müssen. 1895 reihte Dominik sich in den Chor der Beamten ein, die das Gouvernement ersuchten, den Kautschukhandel zu regulieren. Er forderte eine Meldepflicht für Händler und Karawanen, sodass Übergriffe entlang der Jaunde-Straße verantwortlichen Karawanenführern zugeordnet werden könnten.568 Doch der Vorschlag wurde nicht durchgeführt.569 Südkamerun blieb ein Eldorado des Laissez-faire-

562 König 1901, 42. Vgl. Schilitz 1901, 123. Zu ekon/ekom/ekongi vgl. Geschiere 1997, 151–158. 1900 kam es zu einer Hexerei-Panik nahe Edea. Vgl. König 1901, 42. 563 BArch R 1001/4453, 90. 564 Vgl. Kap. 2.4, 2.5, 4.1. 565 BArch R 1001/4357, 78. 566 Vgl. BArch R 1001/3828, 103. 567 Vgl. BArch N 2225/16, 230. 568 Vgl. BArch R 1001/4357, 78 f. 569 1897 unternahm die Regierung einen folgenlosen Versuch. Vgl. BArch R 1001/4358, 178.

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Kapitalismus, in dem Unternehmen, Händler und Karawanen ihr Geschäft beinahe ohne staatliche Regulierung machen und dazu auch Gewalt nutzen konnten. Der Handel und die großen Mengen europäischer Waren, die nach Südkamerun strömten, weckten auch Begehrlichkeiten. Im Bulu-Gebiet häuften sich Angriffe auf Karawanen. Die Täter verteidigten keine Zwischenhandelsmonopole.570 Stattdessen entstand im Bulu-Gebiet eine Art „Raubritterthum“, wie Woermanns Hauptagent Theodor Hadeler treffend formulierte.571 „N’nlogo“, „[l]’enrichissement sans cause, aux dépens de l‘étranger de passage“,572 war eine anerkannte soziale Praxis. Hierdurch konnten junge, nicht etablierte Männer sich bereichern und Prestige als Krieger gewinnen. Diese Praxis erlebte nach dem Vordringen der Kautschukkarawanen einen enormen Aufschwung: Schließlich trugen die Träger unvorstellbaren Reichtum ins Innere. Raubüberfälle stellten damit eine alternative Methode dar, um vom Kautschukhandel zu profitieren.573 Binnen kürzester Zeit machten Überfälle den Verkehr beinahe unmöglich. Selbst die Karawanen der presbyterianischen Mission wurden überfallen.574 1897 schrieb McCleary: There is so much robbing and trouble on the road that all are afraid. Two days before I left the coast a caravan was robbed of everything between here and the beach, and as we came along, just as we stopped for the night, we heard the guns. Two guns were fired, but no one was hurt, only the caravan was scattered; everyone ran his own way.575

Die Angreifer waren Gruppen oder Individuen und nutzten die wachsende Angst. Ein Kaufmann berichtete: „Diese Räuber spekulieren auf die ungeheure Feigheit der Träger, welche bei einem Angriffe sofort ihre Lasten hinwerfen und das Weite suchen.“576 Nicht immer gingen die Überfälle glimpflich aus. Manchmal töteten Räuber die Nachzügler einer Karawane.577 Zusehends versetzten die Überfälle Südkamerun in Panik. Gerüchte über Kannibalismus und Ritualmorde durch Tigermänner (Mantigers), Mörder im Leopardenkostüm, machten die Runde.578 Gegenmaßnahmen wurden ergriffen: Gefangene Karawanenräuber verurteilte die Regierung zum Tode.579 In Lolodorf wurden drei

570 571 572 573 574 575 576 577 578 579

Vgl. Akamba 1979, 31. BArch R 1001/4287, 73. Akamba 1979, 31. Vgl. auch Wirz 1972, 128 f. Für diesen Gedanken vgl. Callebert 2016, 121. Vgl. Hinkhouse 1909, 76. Hinkhouse 1909, 140. Pape 20.04.1898. Bei Pape handelt es sich um den Bearbeiter des anonymen Berichts. Vgl. Oertzen 1912, 2. Vgl. Otto 1898, 27; Hendrich 1938, 274. Zu men-leopard-murders vgl. Pratten 2007. Vgl. Oertzen 1912, 2.

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Räuber durch einen Kartätschenschuss aus nächster Nähe hingerichtet und die „furchtbar zerfetzten“ Leichen zur Warnung am Weg aufgehängt.580 Ein Batanga, der mit einer Karawane aus Jaunde zurückkehrte, erzählte, „er habe auf dem Wege seinen Körper mit rother Farbe angestrichen, sich in das Tuch eines Yaundemannes gesteckt, um so verkleidet, dem traurigen Los, aufgegessen zu werden, zu entgehen, das einige Tage vorher einen andern Karawanenführer traf.“581 Die Kaufleute selbst nahmen Geiseln, um die Herausgabe gestohlener Waren zu erzwingen – mit Billigung des Bezirksamtmanns von Oertzen. An die „head people“ der Bulu schrieb dieser: „You must therefore deliver up the caravans’ stolen goods, or the withheld products in return for ‚them‘, therefore you receive back the people held by the traders as hostages or pladges [sic!].“582 Teile Südkameruns steuerten auf einen militärischen Konflikt mit der Kolonialmacht zu. 1897/98 entschloss sich das Gouvernement zu einer ersten Militäraktion gegen Bane und Bulu.583 Der entscheidende Konflikt kam im August 1899. Gruppen einiger Bulu-, Ntumu- und Fang-Clans zogen zur Küste. Ihr Anführer, das Familienoberhaupt Oba’a Mbeti, verfolgte politische Ziele, doch für die meisten jungen Männer, die ihm folgten, war die Aussicht auf Beute ausschlaggebend:584 „They did not go into it as towns“, berichtete der Missionar William C. Johnston, „but young fellows here and there that wanted the excitement and the goods that might be in it“.585 Leute aus fast allen Clans und Familien beteilgten sich: „So it is hard to find any town that is not represented down there“, schrieb Johnston.586 Die Bulu trafen Kribi völlig unvorbereitet und plünderten Faktoreien sowie die Pallottiner-Mission, bevor die Schutztruppe sie zurückschlug. Gewaltiger Reichtum strömte nach der Plünderung von Karawanen, Faktoreien und Mission ins Bulu-Gebiet. Stolz zeigten die jungen Männer diesen herum: A man came […] with a very nice piece of lace for a cap, and the white robe of a Catholic priest for a shirt. […] There seems to be a little of everything in the Bulu towns these days, from sewing machines down to samples of cloth. Tinned meats, candles, bottles of Castor oil, anti-malarial tonic, clothes brush, pajamas, patent leather shoes etc. are liable to be shown you at any turn to know what they can be used for.587

580 581 582 583 584

Pape 20.04.1898. Der Fall wurde im Reichstag behandelt. Vgl. NN 02.12.1906. Otto 1898, 27. PHS RG 133/1/5 Oertzen an head people, 01.04.1897. Vgl. Hoffmann 2007, Bd. 1, 132 f.; Akamba 1979, 249–270. Vgl. Akamba 1979, 8, 28–31; PHS RG 133/1/7 Johnston an Emily, 25.09.1899; Hoffmann 2007, Bd. 1, 139 f. 585 PHS RG 133/1/7 NN an Brown, 05.10.1899. 586 PHS RG 133/1/7 Johnston an Emily, 25.09.1899. Johnston schloss den Brief erst im Oktober ab. 587 PHS RG 133/1/7 Johnston an Friends, 14.10.1899.

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Die Regierung unterwarf die Bulu in einem bis 1901 andauernden Krieg.588 Johnston vermittelte einen Waffenstillstand, das Gouvernement schickte Oba’a Mbeti ins Exil an den Kamerunberg. 1904 kehrte er ins Bulu-Gebiet zurück, starb aber im darauffolgenden Jahr.589 Zwischenfazit Anfang der 1890er trat in Südkamerun der Kautschukhandel an die Stelle des Elfenbeinhandels. Möglich wurde dies durch neue Handelstechniken. So nutzten die europäischen Firmen ab 1889/90 trust, um die Zahl der afrikanischen Händler zu vergrößern. Zweitens rüsteten sie ab 1892 bewaffnete Karawanen aus, mit denen europäische und afrikanische Angestellte im Rücken der Zwischenhändler mit Gummi handelten. Nach der turbulenten Anfangsphase gründeten die Firmen Faktoreien im Innern, die durch Karawanen mit der Hauptfaktorei verbunden waren. Von diesen Faktoreien sandten sie afrikanische Angestellte aus, die in den Dörfern Buschfaktoreien gründeten, in denen der meiste Kautschukeinkauf stattfand. Darüber hinaus verkauften in den 1890ern Beti- und Bulu-Reisegemeinschaften ihre Produkte direkt in den Hauptfaktoreien. Für den Kautschuk erhielten die Menschen die Waren, die bisher vor allem durch den Elfenbeinhandel zu erhalten waren. Der Kautschukeinkauf war ein komplexer Prozess mit variablen Maßen und Wertmaßstäben, der Spielraum für Manipulation bot. Stets war der Kautschukhandel von Gewalt begleitet, die sich aus dem Versuch ergab, größere Gewinne zu erlangen, aus der Situation des middle ground oder weil Menschen versuchten, durch Raubüberfälle vom wachsenden Verkehr zu profitieren. Auf diese Weise führte der Kautschukhandel zu steigender Unsicherheit. Exkurs: Der Hamburger Kautschukmarkt Der gewalttätige, chaotische Goldrausch, den der Kautschukhandel in Südkamerun ausgelöst hatte, war verbunden mit dem ab 1890 einsetzenden globalen Kautschukboom. Während die Preise für andere afrikanische Produkte fielen, trieb die wachsende Nachfrage der sich industrialisierenden Staaten Europas und Nordamerikas die Preise für Kautschuk in die Höhe. Immer neue Gebiete lieferten ab 1890 Kautschuk für den Weltmarkt. Wie war Südkamerun in diesen expandierenden Markt eingebettet? Der meiste Kautschuk, so zeigt eine Analyse, landete auf dem sich auf afrikanische Mittelsorten spezialisierenden Hamburger Markt. Der größte Teil wurde aber nicht von der deutschen Industrie verbraucht, sondern reexportiert.

588 Zum Bulu-Krieg vgl. Hoffmann 2007, Bd. 1, 139–144; Akamba 1979. 589 Vgl. Akamba 1979, 100–105.

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An der Küste bereiteten die Firmen den Kautschuk, der die Hauptfaktoreien aus den Regenwäldern erreichte, für den Export nach Europa vor: „Der Gummi […]“, hieß es bei Randad & Stein, „ist natürlich mehr oder weniger schmutzig; daher wird derselbe vor der Verladung in große Kübel gethan und gründlich gewaschen.“590 Kautschuk wurde zudem zerschnitten, um ihn von Fremdkörpern zu befreien. Jede Hauptfaktorei beschäftigte deshalb Gummiwäscher.591 Den aufbereiteten Kautschuk brachten die Arbeiter in die Lagerhäuser und füllten ihn in Fässer, die 400 bis 700 Kilogramm wogen.592 Mithilfe der regelmäßigen Dampferverbindungen der Woermann-Linie (anfangs auch der Elder-Dempster-Linien) transportierten die Unternehmen die Kautschukfässer nach Europa. Die Verschiffung war jedoch schwierig. Weder Plantation noch Longji oder Kribi besaßen einen Hafen. Deshalb lagen die Dampfer mehrere Meilen draußen auf der Reede. Alle Waren und Produkte mussten mit Brandungsbooten zwischen Strand und Schiff transportiert werden. In Longji, wo das Meer flach war, mussten die Boote zudem 100 Meter vor dem Strand entladen und die Waren durchs Wasser auf den Köpfen der Faktoreiarbeiter transportiert werden. Entsprechend dauerte das Ent- und Beladen eines Dampfers oft bis spät in die Nacht. Kru-Arbeiter beluden die leeren Boote mit Kautschukfässern.593 Diese wurden aus dem Schuppen gerollt und dann „ohne Kran, ohne Ladevorrichtung in die Boote gebracht“. Was das an der Küste von Guinea mit ihrer tosenden Brandung heißt, das weiß nur der, der es gesehen hat. Brausend und krachend schießt eine mächtige Welle weithin auf den Strand. Das Wasser tritt wieder zurück, und schon haben unsere Jungen das Boot in die richtige Lage gebracht, das Kiel seewärts gerichtet. Einige andere Leute hantieren mit den Fässern, rollen sie auf die angelegten Hebebäume, und donnernd und krachend bricht sich am Bug des Bootes eine neue Welle, alles mit sich reißend. Alles gerät in Unordnung, das Faß aber fiel, dank der Geschicklichkeit der Krujungen, im letzten Moment noch ins Boot. Sie richten es wieder, bis auch das letzte Faß geborgen ist.594

Den Kautschuk brachten die Dampfer nach Europa. Anfangs, 1891, gingen allem patriotischen Kolonialgepolter zum Trotz 80 Prozent des aus Kamerun exportierten Gummis nach Liverpool, wo das Knowhow vorhanden war, die Ware zu bewerten und für den Weiterverkauf zu ordnen.595 Liverpool war der wichtigste

590 NN 1900e, 110. Vgl. PASch N Wichulla Copierbuch 1, Wichulla an Eltern, 07.05.1883, 38. 591 Vgl. Osman 1911, 83; Dominik 1911, 219. 1908 arbeiteten für John Holt & Co. in Kribi hierzu 10 bis 15 Leute. Vgl. LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 07.05.1908; LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 04.06.1908. 592 Vgl. NN 1900e, 110; Wolf-Czapek 1912, 40; Ritter von der Osten 1934, 102. 593 Vgl. Hendrich 1938, 273. 594 Ritter von der Osten 1934, 102. 595 Vgl. Hermann 1899, 35.

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Kautschukmarkt der Welt. Dies resultierte aus der britischen Dominanz im Handel mit Brasilien, das bis zum Ende des Kautschukbooms 1913 der wichtigste Produzent war. Obwohl die USA bereits seit den 1840ern die Hälfte allen Kautschuks weltweit verbrauchten, ging aller Gummi von Brasilien zuerst nach Liverpool, von wo er in die USA und andere Länder verschifft wurde.596 Liverpool übernahm auch eine führende Position im ab den 1860ern entstehenden Markt für afrikanische Sorten.597 Deshalb lieferte auch Woermann seinen Gummi von Gabun nach Liverpool.598 Als Kamerun deutsch wurde, dauerte dieses Muster fort. Hamburg war zu diesem Zeitpunkt als Kautschukhafen bedeutungslos. Der größte Teil des ankommenden Gummis waren britische Reexporte.599 Erst in den 1890ern begann die Stadt ihren Aufstieg. 1902 bis 1909 war sie der zweitwichtigste Kautschukmarkt Europas – noch vor Antwerpen, das riesige Kautschukmengen aus dem Kongostaat aufnahm.600 Grund für das Wachstum waren aber nicht die deutschen Kolonien, sondern die Spezialisierung Hamburgs auf afrikanische Mittelsorten, die zu diesem Zeitpunkt in großer Zahl neu auf den Markt drängten. 1897 importierte Hamburg 7577 Tonnen Kautschuk, von denen 4245 Reimporte waren. Von den verbleibenden 3332 Tonnen direkt importierten Gummis stammten 75 Prozent aus Afrika!601 1899 konnte Hamburg ein Drittel der gesamten, wachsenden afrikanischen Kautschukproduktion an sich ziehen.602 Hamburger Unternehmen entwickelten das nötige Spezialwissen, um die neuen Sorten zu bewerten. Federführend war erstens die Hamburger Kautschukindustrie. Die Harburger Gummi-Kamm-Compagnie etwa gründete 1883 eine Tochtergesellschaft in Portugiesisch-Guinea, um den größten Teil ihres Rohstoffbedarfes zu decken, und lenkte so einen Teil des Handels nach Hamburg.603 Zweitens sorgten spezialisierte Maklerfirmen wie Weber & Schaer, die als „Wegebahner“ des Hamburger Kautschukgeschäfts gelten,604 für Bedeutungszuwachs. Seit den 1880ern impor-

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Vgl. Coates 1987, 44–47. Vgl. Clouth 1873, 6. Vgl. ACW Briefe Carl Woermann an Kapt. Brehm [Brehmer], Woermann an Brehmer, 20.03.1862. 1873 führte Hamburg 22.869 Zentner Kautschuk ein. Hiervon waren 15.662 Reexporte aus Großbritannien. Nur 2002 stammten direkt von der afrikanischen Westküste. Vgl. Heinzerling 1883, 4. Vgl. Hamm 1925, 82. Vgl. Warburg 1900, 8. Zu Mittelsorten vgl. Treue 1955, 102; Hamm 1925, 20–24. Vgl. Schlechter 1900f, 254. 1890–98 stieg Afrikas Kautschukproduktion von 6000 auf 12.000 t. 1907 kam fast die Hälfte der Hamburger Gummiimporte aus Afrika. Vgl. Henriques 1899a, 16. Freyer 1909, 786; Hamm 1925, 181. Vgl. Ellermeyer 2006, 20; NN 1906b, 569 f.; NN 1906a, 10; Engler 1895, 437 f. Marchthaler 1944, 32.

Innovation und Gewalt: Kautschukhandel in Südkamerun

tierten Weber & Schaer Kautschuk aus Südamerika, spezialisierten sich dann aber zunehmend auf afrikanische Sorten.605 Wenn die in Südkamerun aktiven Unternehmen ihren Kautschuk seit 1892 vornehmlich nach Hamburg lieferten,606 lag dies nicht am Nationalismus, sondern daran, dass Hamburg sich auf afrikanische Mittelsorten spezialisierte. Geld war den international hochvernetzten Unternehmen wichtiger als nationales Imponiergehabe. Sie orientierten sich an den Preisen, die sie auf verschiedenen Märkten erzielen konnten: Britische Firmen verschifften ihren Gummi nach Hamburg, wenn sich dies lohnte.607 John Holt & Co. etwa lieferten Gummi nach Liverpool, Hamburg oder Antwerpen – oder gar von Liverpool aus weiter nach Hamburg.608 Die Deutsch-Westafrikanische Handelsgesellschaft, die in Kamerun, Togo, Nigeria, der Gold Coast und Dahomey aktiv war, und bei der Weber & Schaer federführend waren, lieferte ihre Waren nach Hamburg, Liverpool und Marseille.609 Die deutsch-belgische GSK verschiffte ihren Gummi mal nach Hamburg, mal in den auf Kongo-Sorten spezialisierten Hafen Antwerpen.610 Ebenso war der Kautschuk, der Hamburg erreichte, nicht ausschließlich für die Fabriken der deutschen Kautschukindustrie in Hamburg, Harburg, Hannover, Berlin etc. bestimmt,611 sondern für den Weltmarkt. Südkameruns Kautschuk machte „in Form von Autoreifen die Landstraßen Europas und der Vereinigten Staaten unsicher“,612 wie der Reisende Arnold Schultze bemerkte. Hamburg war ein Umschlagplatz und reexportierte etwa 40 Prozent seiner Kautschukeinfuhren – gerade die afrikanischen Mittelsorten.613 Hauptabnehmer waren Russland, Großbritannien, vor allem aber die USA mit der größten Kautschukindustrie der Welt.614 1885 gingen 20 Prozent aller Einfuhren in die USA, 1900 waren es 31,5 Prozent, 1912, als Hamburg über 24.000 Tonnen Gummi importierte, gingen 17, 1913 40 Pro-

605 Vgl. Marchthaler 1944, 21–24; Hamm 1925, 181 f. 606 1892 landeten ca. 55 % allen Kautschuks aus Kamerun und Togo in Hamburg, 1897 ca. 77 %. Aber noch 1907 und 1908 gingen ca. 15 % nach Großbritannien. Vgl. Hermann 1899, 83; W. Mertens & Co. 1911, 165. 607 Vgl. Olorunfemi 1981, 31; NN 1892, 61. 608 Vgl. LRO 380 HOL 1/5/4 Direktoriumssitzung, 30.05.1908. Vgl. auch LRO 380 HOL 1/5/6. 609 Vgl. Schütze 1909, 95 f. Zur Weber & Schaers Rolle in der DWH vgl. Marchthaler 1944, 28. 610 Vgl. AGR CCCI 1683 Statistik über Ankünfte von Kautschuk 1912–14 in Hamburg und Antwerpen. 611 Zur deutschen Kautschukindustrie vgl. Treue 1955; Ausbüttel 1922; Vaas 1921; Bödecker 1926, 60–77; Ellermeyer 2006. 612 Schultze 1912, 176. 613 Vgl. Freyer 1909, 789. Zum Interesse der deutschen Industrie an afrikanischen Mittelsorten vgl. Ellermeyer 2006, 18; Sadebeck 1899, 276. 614 Vgl. Hamm 1925, 150, eigene Berechnungen.

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zent über den Atlantik.615 Größtenteils waren dies afrikanische Mittelsorten.616 Weil die Verbindung zwischen Afrika, Hamburg und den USA so wichtig war, unterhielten Weber & Schaer eine Zweigniederlassung in New York.617 Gustav C. Pelizaeus, Inhaber der in Kamerun aktiven Bremer Westafrika-Gesellschaft, äußerte 1913 denn auch, dass die USA Hauptabsatzmarkt seiner Firma seien.618 Die in den Autarkiediskursen des Hochimperialismus geprägte und von der Forschung wiederholte Vorstellung, Rohstoffe aus deutschen Kolonien seien allesamt nach Hamburg geschafft und in Deutschland verbraucht worden,619 ist unhaltbar.

2.3 Die Gummisucher: Arbeit und Arbeitskräftemobilisierung in Südkameruns Kautschukproduktion, ca. 1890–1900 Der Kautschukhandel war eine gewaltige wirtschaftliche und soziale Umwälzung. Elfenbein, das die Herrschenden reich gemacht hatte, wurde binnen kürzester Zeit ökonomisch irrelevant. An seine Stelle trat Kautschuk. Nicht allein die Unternehmen mit ihren Händlern, Karawanen und Faktoreien trieben diesen radikalen Wandel in den 1890ern voran. Entscheidend waren tausende nicht etablierte, junge Männer, die in die Wälder zogen und Kautschuk produzierten. Die Wucht dieser Transformation wird deutlich in einem harmlos wirkenden Postkartenmotiv mit der Überschrift „Kamerun. Jaundes verkaufen Gummi.“ (Abb. 2.)620 Nach Dominik, der das Foto in seinen Erinnerungen ebenfalls publizierte, zeigt es den Kaufmann August Faasch von der Firma Randad & Stein beim Einkauf von Kautschuk.621 Im Zentrum des Bildes sitzt breitbeinig dieser leitende Angestellte der Firma in weißer Kleidung, vor ihm ein Korb – mutmaßlich mit Kautschuk, den er wohl auch in den Händen hält. Neben Faasch sitzt ein ebenfalls weiß gekleideter Afrikaner – möglicherweise ein angestellter Händler oder Dolmetscher. Den beiden zu Füßen sitzen 16 junge Männer, von denen einige in die Kamera schauen, die meisten jedoch beobachten Faasch. Eine Frau steht am Rande des Wellblechschuppens, vor dem sich die Szene abspielt. Weitere Männer sitzen auf Kisten. Aufgenommen wurde das Bild wahrscheinlich in den 1890ern in Longji, der Hauptfaktorei von Randad & Stein, wohin zu dieser Zeit die Reisegemeinschaften mit ihrem Kautschuk zogen. Die in diesem Bild festgehaltene Erschütterung der alten Ordnung wird erst im Vergleich

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Vgl. Hamm 1925, 150, 229, eigene Berechnungen; Warburg 1900, 8; Ausbüttel 1922, 51. Vgl. Warburg 1900, 8. Weitere Filialen bestanden in Liverpool und London. Vgl. Marchthaler 1944, 33. Vgl. KWK 1913, 60. Vgl. Schinzinger 1984, 127 f.; Möhle 1999c, 53; Rüger 1960b, 167. Kopie im Besitz des Autors. Vgl. Dominik 1911, 196.

Die Gummisucher: Arbeit und Arbeitskräftemobilisierung in Südkameruns Kautschukproduktion

zu Abb. 1 deutlich. Die Komposition beider Bilder steht in scharfem Gegensatz zueinander: Im Bild des Elfenbeinhändlers King Boma herrscht eine klare Hierarchie unter den abgebildeten Afrikanern mit King Boma im Zentrum. Auf dem Postkartenmotiv hingegen dominiert die Hierarchie zwischen dem europäischen Kaufmann und seinen afrikanischen Handelspartnern. Unter den jungen Männern, die Faasch beobachten, gibt es keinerlei sichtbare Unterscheidung. Dies ist mehr als eine Inszenierung des kolonialen Blicks: Den Kautschukhandel dominierten nicht mehr mächtige Familienoberhäupter, sondern junge, unternehmerische, nicht etablierte Männer: die Gummisucher.

Abb. 2 „Kamerun. Jaundes verkaufen Gummi.“ Kopie im Besitz des Autors.

Über die Kameruner Kautschukproduzenten und ihre Arbeit finden sich in der Literatur zwei Annahmen. Ein Großteil der Forschung leitet vom Gewaltaspekt des Kautschukhandels ab, dass Afrikanerinnen und Afrikaner keine andere Wahl hatten, als Kautschuk an die Händler zu liefern. Sie waren in dieser Deutung Opfer der europäischen Firmen und ihrer Gier nach Gummi.622 Wirz hingegen vermutet, dass Kautschukhandel mehr Menschen als je zuvor eine Beteiligung an der Exportwirtschaft ermöglichte, aber ohne dies zu belegen.623 Er nennt das Kautschukgeschäft eine „gewaltige Challenge für die jungen Afrikaner“.624 Diesen

622 Vgl. u. a. Kaeselitz 1968; Rüger 1960b; Zouya Mimbang 2013, 11 f. 623 Vgl. Wirz 1972, 107. Vgl. auch Harms 1975, 73. 624 Wirz 1972, 107.

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Ansatz hat die spätere Literatur nicht weiterverfolgt,625 sodass weder klar ist, ob die Kautschukproduktion die Arbeit aller oder einer bestimmten Gruppe, noch, ob sie erzwungen oder freiwillig war. Zur Frage, wie Kautschuk gewonnen wurde, verweisen die Autorinnen und Autoren lediglich auf die zerstörerischen Methoden der Kautschukgewinnung, den „Raubbau an Mensch und Natur“,626 der die Bestände kautschukproduzierender Pflanzen in kurzer Zeit vernichtete. Erklärt wird die Entwicklung zerstörerischer Produktionsmethoden jedoch nicht. Nicht nur in Südkamerun, in allen afrikanischen Kautschukökonomien ist die Arbeit der Gummisucher, so eine zeitgenössische Bezeichnung,627 weitgehend unerforscht. Stephen L. Nugent weist darauf hin, dass die Geschichte der Kautschukwirtschaft – wie im vorangegangenen Kapitel – vor allem als Geschichte des Handels erzählt wird. Arbeit und Leben derjenigen, die den Gummi produzierten, bleiben im Dunkel der Wälder verborgen.628 Dabei ist die Frage, wie es gelang, die Arbeitskraft der wenigen Bewohner der Regenwälder für die Kautschukproduktion zu mobilisieren, von entscheidender Bedeutung für die Bewertung des Kautschukhandels. Wer machte Gummi? Aus welchem Grund? Wer profitierte davon? Wenig erforscht ist auch die eigentliche Arbeit der Produzenten oder Produzentinnen: das Aufsuchen kautschukproduzierender Pflanzen, die Gewinnung von Latex und dessen Gerinnenlassen (Koagulation). Stattdessen stellt die Literatur die Kautschukproduktion in der Regel als statische, voraussetzungslose Sammeltätigkeit dar.629 Hierdurch, kritisiert Nugent, erscheint sie „over-naturalized“:630 als Teil einer traditionellen, quasi natürlichen Lebensweise der Regenwaldbevölkerung statt als Teil der globalen kapitalistischen Aneignung von Ressourcen.631 Das Kapitel untersucht die Kautschukproduktion als komplexe, historisch bedingte und veränderliche Arbeit. Hierdurch eröffnet es neue Perspektiven auf die Kautschukwirtschaft Südkameruns und damit auch anderer Regionen. Die Produktion von Gummi in Südkamerun war eine Innovation des kolonialen Kautschukbooms. Sie beruhte auf spezifischen sozialen Voraussetzungen und bediente sich Techniken sowie Methoden, die erst entwickelt und erlernt werden mussten, und die sich je nach Ort und Zeit sowie von Ökosystem zu Ökosystem unterschieden. Die Kautschukproduktion nahm in verschiedenen Kontexten unterschiedliche Formen an. In der ersten Phase des Kautschukhandels, wie in Kapitel 2.2 beschrieben,

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Vgl. Bommarius 2015, 55 ff.; Möhle 1999c. Möhle 1999c. Vgl. Rüger 1960b, 166; Kaeselitz 1968, 37; Hausen 1970, 261. Petersen 1937. Vgl. Nugent 2018, 35. Für Ansätze vgl. Vansina 2010; Zouya Mimbang 2013; Giles-Vernick 2002; Dumett 1971. 629 Vgl. Seibert 2016, 28; Zouya Mimbang 2013, 139 ff. 630 Nugent 2018, 33. 631 Vgl. Nugent 2018, 6.

Die Gummisucher: Arbeit und Arbeitskräftemobilisierung in Südkameruns Kautschukproduktion

war sie eine begehrte, selbstbestimmte Arbeit der jungen, nicht etablierten Männer. Dass diese durch den Handel mit Kautschuk europäische Waren erwerben konnten, gab ihnen die Möglichkeit, die ökonomische, politische und soziale Ordnung des Elfenbeinhandels und damit die vorkoloniale Generationen- und Geschlechterordnung infrage zu stellen. Der Kautschukhandel mobilisierte deswegen einen großen Teil der männlichen Bevölkerung, der aus eigenem Antrieb begann, Kautschuk zu produzieren und zu verkaufen. Hieraus erklären sich die disruptive Dynamik des Kautschukhandels und auch einige seiner chaotischen und gewalttätigen Momente: Die Kommodifizierung von Kautschuk glich in Südkamerun einem Goldrausch. Batanga balls: Kautschuk als Handelsprodukt in Südkamerun Im Vergleich zu anderen globalen Waren wie Zucker, Kaffee oder Kakao waren und sind mit dem industriellen Rohstoff Gummi in Europa und Nordamerika kaum Vorstellungen darüber verbunden, wie dieser aussieht, sich anfühlt oder riecht, wie er produziert wurde und nach Europa gelangte.632 Der Rohstoff verschwindet hinter dem verarbeiteten Industrieprodukt. In Gebieten wie Südkamerun jedoch, wo Kautschuk gewonnen wurde, war Kautschuk real, alltäglich und unglaublich wertvoll. Er ging durch die Hände vieler Menschen, die mit seinen physischen Eigenschaften in Kontakt kamen. Kautschuk war Ende des 19. Jahrhunderts ein heterogenes Produkt. Heutiger Naturkautschuk stammt von Plantagen und ausschließlich vom Baum Hevea brasiliensis. Doch da während des Kautschukbooms Menschen in allen tropischen Wäldern der Erde begannen, Gummi zu gewinnen, war Kautschuk zu dieser Zeit viel diverser. Gummisucherinnen und -sucher nutzten eine Vielzahl von Pflanzen und unterschiedliche Methoden, um Kautschuk herzustellen.633 Zwar war Kautschuk jedweder Herkunft ein chemisch identischer Stoff (CH2 :C(CH3 )CH:CH2 ). Dennoch handelte es sich um Produkte verschiedener Orte, Pflanzen und Techniken – und damit einhergehend Formen, Farben, Konsistenzen und Qualitäten.634 Ab den 1870ern stand auf dem Weltmarkt eine wachsende Zahl an Sorten zum Verkauf, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als die Kautschukgewinnung auch infolge der kolonialen Aufteilung der Welt immer weiter expandierte, kaum mehr überschaubar war. Vor allem afrikanischer Kautschuk war extrem divers, da er von vielen Pflanzen gewonnen wurde, aus denen sich unterschiedliche Qualitäten herstellen ließen.635 Ein Handbuch für 1911 nennt nicht weniger als 54 afrikanische 632 Vgl. Uekötter 2015. 633 Auch in Brasilien wurden verschiedene Hevea-Arten und andere Pflanzen genutzt. Vgl. Nugent 2018, 22–27. 634 Vgl. Nugent 2018, 19 f. 635 Vgl. Coates 1987, 52.

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Sorten.636 In den 1890ern wuchs der afrikanische Kautschukhandel stark, erschloss immer neue Regionen mit anderen Pflanzen und brachte dementsprechend immer neue Sorten auf den unübersichtlichen Markt: „[F]ast jeden Tag taucht ein neuer Name auf “, klagte ein Fachmann. „Dabei ist die Herkunftsbestimmung […] nicht immer leicht, da […] häufig von den Händlern Phantasienamen gebraucht werden, die mit der geographischen Herkunft nichts zu thun haben und mitunter geradezu gewählt werden, um die Abnehmer ‚nicht zu klug zu machen‘.“637 „Massai“-Kautschuk stammte aus Sierra Leone, die Sorte „Madagacar“ aus dem südostasiatischen Borneo.638 Afrikanische Kautschuksorten wurden als „Mittelsorten“ bezeichnet, da sie meist über mittlere Qualität verfügten.639 Abhängig von der Herkunftspflanze und den Herstellungsmethoden erreichten sie Europa in verschiedenen Formen, genannt niggers, negroheads, twists, balls, flakes, strips, straps, tongues, biscuits, thimbles etc., ihre Farbe reichte von gelb über rosa und rot bis hin zu schwarz. Einige ähnelten in der Qualität dem besten brasilianischen Hevea-Kautschuk, andere zerliefen bei der Qualitätsprüfung in den Händen.640 Doch angesichts der steigenden Nachfrage fanden auch schlechte Kautschuksorten ihre Nische auf den Märkten Europas und der USA.641 Aus Kamerun stammten gegen Ende der ersten Expansionsphase der dortigen Kautschukwirtschaft im Jahr 1899 verschiedene Sorten, die manchmal den Gabun-Sorten zugeschlagen wurden:642 Kamerun-Stadt und Malimba exportierten „Kamerun-Bälle“ – kleine, fleischfarbene Kugeln, meist mit schwarzer Kruste, dicht aneinandergeklebt. Ebenso gab es kleinere Kügelchen, sogenannte clusters, und Kuchen. Ganz im Süden, bei Campo, hieß die Sorte „Bata-Zungen“ – denn Campo war lange Zeit eine Zweigfaktorei des südlich gelegenen Bata gewesen.643 An der Batanga-Küste exportierten die Firmen vor allem „Batanga-Bälle“ (Batanga balls).644 Wenn in dieser Studie von Kautschuk die Rede ist, ist fast immer diese

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Vgl. Henriques 1899a; W. Mertens & Co. 1911, 149. Henriques 1899a, 16 f. Vgl. Henriques 1899a, 17. Vgl. Hamm 1925, 20 ff. Vgl. NN 1892; Marckwald/Franz 1904, 24. „‚Niggers‘ oder ‚Negroheads‘ sind aus kleinen Stücken (scraps) bestehende Bälle; ‚twists‘ bilden aus Streifen zusammengedrehte, längliche Stücke; ‚thimbles‘ bilden kleine Würfel; ‚flakes, biscuits, strips, straps and tongues‘ sind dünne, meist kaum handgrosse, mehr oder weniger rundliche, langgezogene Stücke.“ Morris 1899, 270. Vgl. Coates 1987, 52. Vgl. Marzahn 1920, 178. Vgl. Henriques 1899b, 467; Kaiser 1904, 15. Später wurden in Kamerun-Stadt auch KamerunZungen gekauft. Vgl. Marckwald/Franz 1904, 853. Henriques 1899b, 467. Weitere Sorten waren „Regulär-Batanga“, „Prima-Kickxia-Handels-Gummi“, „Prima-Südkamerun“, „Ia Batanga“ und „IIa Batanga“, „Hausa-Cake“. BArch R 1001/3837, 65; BArch

Die Gummisucher: Arbeit und Arbeitskräftemobilisierung in Südkameruns Kautschukproduktion

Sorte gemeint. Die Bälle waren faustdick und „fast ganz schwarz“:645 Der gelblich weiße Kautschuk oxidierte an der Luft. Schnitt man die Bälle auf, waren sie innen weiß.646 In den ersten Jahren war Batanga-Gummi von durchwachsener Qualität. Er besaß einen großen Harzgehalt, der ihn schlecht für die Verarbeitung zu Hartgummi machte. Teilweise war er bei Raumtemperatur bereits so klebrig, dass Waschen und Trocknen der Industrie hohe Kosten verursachten.647 Außerdem war er nur für technische Fabrikate geeignet.648 Ab Mitte der 1890er kam auch härterer, sogenannter gelber Gummi aus dem Jaunde-Gebiet an die Batanga-Küste, der besser verwendbar war.649 Doch während der gesamten deutschen Kolonialperiode blieb der Kautschuk der Batanga-Küste ein minderwertiges Produkt, dessen Qualität sich sogar verschlechterte. Hans-Albert Ossmann, 1906 für Randad & Stein in Südkamerun, beschrieb den Gummi, den seine Firma kaufte, als „schmierige, klebrige, schwarze Masse“, der „ein scharfer, penetranter Geruch“ entströmte: Er „roch wie irgend etwas Verfaultes“.650 Der Gestank wies auf die geringe Qualität des Produktes hin, das faulendes Wasser und Pflanzenmaterial enthielt und deshalb „einen unangenehmen und nicht selten in hohem Grade widerwärtigen Geruch“ entwickelte.651 Einige Kaufleute ekelten sich derart, dass sie lieber im Zelt schliefen als in ihrer Faktorei nahe dem Kautschukschuppen.652 Die Gummisucher: Kautschukproduktion als selbstbestimmte Arbeit junger Männer In Südkamerun setzte diese stinkende, schwarze, klebrige Masse unglaubliche Kräfte frei. Dominik, in den 1890ern Stationschef von Jaunde, erinnerte sich in apokalyptischen Bildern an den Kautschukboom im Gebiet der Beti: „[I]ch weiß von der Zeit her, als der Jaundebezirk noch das gelobte Gummiland war, wie ein Gebiet aussieht, in dem der Kampf um dieses Gold des Urwaldes getobt hat. Die Sucht, schnell Geld zu erwerben, die Furcht vor der Konkurrenz“, so Dominik über die Angestellten der Firmen, „läßt dort alle Rücksichten schwinden“. Doch nicht

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R 1001/3837, 63; AGR CCCI 1682 GSK: Bericht Nr. 6, 25.05.1912; AHkH 85. B. 2.12, 2; BLO MSS. Afr. s. 1525/15/9, 97. Marckwald/Franz 1904, 853. Woermann exportierte in den 1890ern von Klein-Batanga „Bakoko gr[oße] B[älle]“ und „Ngumba kl[eine] B[älle]“, von Groß-Batanga „Kautschuk-Balls“. ACW Producten-Buch 1. Vgl. Reintgen 1905, 16; Osman 1920, 104; Marckwald/Franz 1904, 29; Osman 1911, 93. Vgl. BArch R 1001/8113, 116 ff.; BArch R 1001/8113, 123. Vgl. BArch R 1001/3837, 186. Vgl. BArch R 1001/3837, 186. Osman 1911, 92 f. Reintgen 1905, 17. Vgl. auch Heinzerling 1883, 11. Vgl. Muny o.D. (nach 19.06.1959).

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nur die Händler, so Dominik weiter, sondern auch Teile der lokalen Bevölkerung lockte der Kautschukhandel: „[D]ie Angesessenen werden von dem Taumel miterfasst; sie schlachten alles, säen und ernten nicht, sondern machen nur Gummi, Gummi!“653 Damit betonte Dominik einen grundlegenden Faktor: Obwohl der Kautschukhandel in den 1890ern mit gewalttätigen Händlern und bewaffneten, plündernden und vergewaltigenden Karawanen ins Innere Südkameruns vordrang, partizipierten große Teile der Bevölkerung an diesem Goldrausch. Hierbei handelte es sich vor allem um nicht etablierte Männer, die auf diese Weise versuchten, europäische Waren für Brautgaben zu verdienen und so sozial aufzusteigen. Es ist schwierig zu rekonstruieren, wer sich wie in den 1890ern an der rauschhaften Kautschukproduktion beteiligte. Aufzeichnungen der Produzenten sind nicht überliefert. Die meisten Kolonialbeamten wie auch der größte Teil der Kaufleute wiederum wussten viele Jahre lang nicht, wie Gummi produziert wurde oder auch nur von welchen Pflanzen er stammte.654 Dies hatte mit mangelndem botanischen Fachwissen zu tun, aber auch mit Ignoranz oder räumlicher Entfernung von den Orten der Produktion. Die Produzenten arbeiteten in den Wäldern, weitab der Stationen und Faktoreien und bis nach der Jahrhundertwende in Regionen, in denen die Kolonialmacht noch nicht oder kaum Fuß gefasst hatte: anfangs im unmittelbaren Küstenhinterland, später im Gebiet der Beti und Bulu, danach in dem der Maka, Ndsimu, Njem usw. Die Kautschukproduktion blieb komplett in afrikanischer Hand:655 Bei ihrer Arbeit waren die Gummisucher keinerlei Kontrolle durch europäische Unternehmen unterworfen und konnten selbst über ihren Arbeitsprozess bestimmen. Dementsprechend entzog sich die Kautschukproduktion dem Blick der Europäer, sodass nur wenige Informationen zur sozialen Herkunft, Motivation und Techniken der Gummisucher überliefert sind. Erst mit Beginn des Handels spielte Kautschuk eine Rolle im Leben der Menschen Südkameruns.656 Sicherlich kannten die Bewohner der Regenwälder die Pflanzen, aus welchen sich Latex gewinnen ließ. Die Schweden Knut Knutson und Georg Waldau, die in den 1880ern den Kautschukhandel am Kamerunberg initiierten, zeigten die von ihnen entdeckten kautschukliefernden Lianen den dort lebenden Bakwiri, „who knew the plant very well before and used to eat its fruits. The natives called the rubber liana, manjongo […] (milk plant)“.657 Schwieriger ist zu sagen, ob die Menschen den Latex nutzten. Für Südamerika ist eine lokale Nutzung belegt,658 auch in Gabun, im Kongostaat und Rhodesien fertigten Menschen aus Gummi

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BArch R 175-I/966, 65. Vgl. Gouvernement von Kamerun 1893, 5; BArch R 1001/8113, 88. Für Ausnahmen vgl. Kap. 5.2 und 5.3. Vgl. Wirz 1972, 108. Knutson/Ardener 2001, 41. Vgl. Treue 1955, 11–14.

Die Gummisucher: Arbeit und Arbeitskräftemobilisierung in Südkameruns Kautschukproduktion

Membranen für Trommeln, Ummantelungen für Trommelschläger, Bälle oder Fäden zum Befestigen von Wider- oder Angelhaken.659 Wahrscheinlich gab es auch in Südkamerun eine derartige vorkoloniale Nutzung geringer Mengen; die Quellen jedoch verraten hierüber nichts. Dass Kautschuk einen kommerziellen Wert haben könnte, kam jedenfalls niemandem in den Sinn. 1889, kurz vor Beginn des Kautschukhandels, beobachtete Morgen, dass es zwar überall Lianen gebe, „die Eingeborenen hatten jedoch meistens von dem Werthe ihres Saftes keine Ahnung.“660 Latex und Gummi waren wertlose Waldprodukte, bis jemand bereit war, für diese etwas zu zahlen.661 Zwar gilt Gummi in der Forschung als Produkt einer primitiven, vorkapitalistischen Sammelwirtschaft.662 Diese Vorstellung jedoch geht an der historischen Realität vorbei, denn die Kautschukproduktion folgte in Südkamerun und anderswo ausschließlich derselben kapitalistischen Logik, die Nugent für Amazonien betont: „[R]ubber was tapped […] because it had value as a commodity. It was not used to any great extent by members of indigenous societies […], but was tapped at the behest of industrial consumers abroad.“663 Kautschuk hatte kaum lokalen Nutzen, sondern wurde von der Bevölkerung produziert, weil europäische Firmen ihn nachfragten und bereit waren, dafür zu zahlen. Die Produktion von Gummi war eine ausschließlich auf den Markt ausgerichtete Tätigkeit. Dass europäische Unternehmen einem bislang als wertlos geltenden Waldprodukt einen hohen Wert zusprachen, erlaubte die fieberhafte Expansion des Handels. Gummi hatte bisher keine wirtschaftlichen, politischen oder sozialen Vorteile geboten. Folglich hatte sich niemand exklusiven Zugriff darauf gesichert. Damit standen die kautschukliefernden Pflanzen im krassen Gegensatz zum von den Familienoberhäuptern monopolisierten Elfenbein.664 Wie viele andere pflanzliche Waldressourcen waren kautschukliefernde Gewächse für alle nutzbar.665 Einschränkungen ergaben sich wahrscheinlich höchstens durch Regelungen, die vorher für andere wildwachsende Pflanzen gegolten hatten. 1910 gab es nach Günter Tessmann bei den Fang ein Nießbrauch-Recht für Kautschuklianen, das vielen Menschen offenstand. Es orientierte sich an dem Recht, das bisher für Fruchtbäume gegolten hatte. „Der Nießbrauch wird […] von dem Manne, der die Liane zum erstenmal gesehen hat, verkündet und dauert drei Tage; hat der Mann bis dahin die Liane

659 Vgl. Bowdich 1819, 446; Warburg 1900, 1; Tembo 2013, 228. 660 Morgen 1893, 329. 661 Ähnlich war die Situation in Angola. Vgl. Vos 2015, 45. Zur Kommodifizierung vgl. Appadurai 2012. 662 Vgl. Weinstein 1983, 263; Tully 2011, 62. 663 Nugent 2018, 6. 664 Vgl. Wirz 1972, 107; Geschiere 2007, 51. 665 Vgl. Geschiere 2007, 51; Bertaut 1935, 229.

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nicht abgeschnitten, so erlischt das Recht.“666 Tessmann betonte, dass es sich um eine Innovation handelte, der sicherlich Aushandlungsprozesse vorausgegangen waren. Wahrscheinlich war in der Anfangszeit die Nutzung ungeregelt. Jeder konnte Kautschuk machen. Materielle Anreize sorgten dafür, dass genügend Regenwaldbewohner loszogen, um Gummi zu produzieren. Knutson beobachtete bei den Bakwiri: „The first day the natives did not like the work in the forests, but having seen the cloth, the tobacco and the beads which some of the men brought with them after a few days of hard work, they began to collect the rubber more and more and sold it to us.“667 Aus wertlosem, allen zugänglichem Kautschuk wurde plötzlich eine neue Quelle für europäische Waren – und damit stand er von heute auf morgen auf einer Stufe mit dem streng monopolisierten Elfenbein! Einen Hinweis darauf, wie ungläubig die hohe Bewertung von Kautschuk so manchen machte, gibt die Äußerung einiger Bakola: „Die dummen Weißen bezahlten ja für wenig Kautschuk viel Ware“,668 sagten sie von Schkopp. Kautschuk ermöglichte plötzlich auch Menschen mit niedrigerem sozialen Status, Teil der Exportökonomie zu werden, die in den vorangegangenen Jahrzehnten die Familienoberhäupter kontrolliert hatten.669 Diese Ausweitung der Exportökonomie ließ einen Moment lang die Verhältnisse tanzen und taumeln. Anfangs konnten die Preise für Kautschuk sehr niedrig sein. Woermanns Angestellte zahlten 1889 in Klein-Batanga eine Kiste Gin im Wert von 3,60 Mark für 15 Pfund Kautschuk, mit dem die Firma in Europa zwischen 22 und 30 Mark verdiente.670 Je weiter die Unternehmen ins Innere vordrangen, desto weniger mussten sie für Kautschuk zahlen. 1895 gaben sie auf der Jaunde-Station den Gummisuchern eine Schachtel Zündhütchen für zwei Körbe mit Gummi.671 Im Ntum-Gebiet südlich der Kameruner Grenze mussten die Menschen 1905 ca. 3 Kilogramm Kautschuk an die Firmen liefern, um eine Machete, 6 Kilogramm um ein Bund Perlen, und mehr als 60 Kilogramm Kautschuk, um einen Sack Salz zu bekommen.672 Die Unternehmen zahlten im Inneren den Produzenten damit Preise

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Tessmann 1913, Bd. 2, 222. Knutson/Ardener 2001, 42. Schkopp 1905, 132. Vgl. Wirz 1972, 107. Vgl. auch Vos 2015, 41. Wirz vergleicht die Ablösung des Elfenbein- durch den Kautschukhandel mit der des Sklaven- durch den Palmölhandel. Jedoch ist die These von der durch den legitimate commerce ausgelösten Anpassungskrise (vgl. Hopkins 1988, 125–134) inzwischen modifiziert worden. Vgl. Lynn 1997, 58 f. 670 Vgl. GStA PK I. HA Rep 81/Nr. 948 Kurz an Soden, 20.05.1889. Woermann widersprach. Die Gewinne seien nicht so hoch. Hoch dürften sie trotzdem gewesen sein. Vgl. GStA PK I. HA Rep 81/Nr. 948 Woermann an Kusserow, 17.07.1889. 671 Vgl. BArch R 1001/4357, 118. 672 Vgl. BArch R 175-I/966, 53.

Die Gummisucher: Arbeit und Arbeitskräftemobilisierung in Südkameruns Kautschukproduktion

von ca. 10–15 Pfennigen pro Kilogramm.673 Doch auch so niedrige Preise waren ein starker Anreiz: Für Afrikaner habe „der Kautschuk keinen Wert“, stellte von Schkopp fest, „europäische Erzeugnisse aber einen sehr großen.“674 Durch die Kautschukproduktion konnten die Gummisucher europäische Waren ohne den Umweg über die Familienoberhäupter erlangen. Sie ermöglichte ihnen die Teilhabe an den durch den Elfenbeinhandel geschaffenen Konsummustern, die Möglichkeit, sich sozial zu etablieren sowie dem Männlichkeitsideal der minkúkúma nachzueifern – selbst wenn enorm viel Arbeit nötig war, um kleine Mengen europäischer Waren zu erlangen. Der Generationenkonflikt der Elfenbeinökonomie war der fruchtbare Boden, auf den der Kautschukhandel fiel und auf dem er sich rasend schnell ausbreitete. Vor allem noch nicht oder wenig etablierte Männer, die bisher von den Reichtümern des Elfenbeinhandels ausgeschlossen gewesen waren, begannen mit der Kautschukproduktion: unternehmerische Unverheiratete und Männer, die noch über keinen großen Hausstand mit vielen Frauen, Kindern, Sklavinnen und Sklaven sowie anderen Abhängigen verfügten.675 Es seien gerade die „jungen Yaúndeleute[n]“, berichtete Zenker 1895, „die nun fleissig allen Landolphienlianen nachstellen“.676 Nach Dominik herrschte unter den Beti „ein auffallender Zug des Bestrebens nach Gleichheit. Jeder will wie der Jaunde sagt ‚Kukuma‘ (ein Herr) sein“.677 Dieses hegemoniale, polygyne Männlichkeitsideal des nkúkúma war der Antrieb für einen großen Teil der bisher marginalisierten männlichen Bevölkerung, in die Wälder zu ziehen und Kautschuk zu machen. Nicht auszuschließen ist, dass einige ihren Gummi früher oder später an ihre Familienoberhäupter abgeben mussten. Immer wieder tauchen in den Quellen Familienoberhäupter auf, die Zugang zu Kautschuk hatten, wobei unklar bleibt, ob sie diesen erhandelten oder von ihren Abhängigen eintrieben.678 Viele Konstellationen sind denkbar. Nach Ondou Engutu schickten die Bulu- und Ntumu-Familienoberhäupter ihre Abhängigen los, um Kautschuk weiter im Hinterland zu erwerben, um ihn an die europäischen Handelsfirmen zu verkaufen.679 Generell aber, scheint es, konnten die meisten Gummisucher über ihr Produkt selbst verfügen. Wenn sie Gummi machten, so betonten europäische

673 Vgl. NN 1907c, 3. 674 Schkopp 1905, 132. 675 Vgl. Wirz 1972, 107 144; Geschiere 2007, 51. Studien zu anderen Regionen zeigen ebenfalls die Bedeutung junger Männer. Vgl. Vos 2015, 41–55; Osborn 2004, 452. 676 Zenker 1895, 64. 677 BArch R 1001/3818, 35. 678 Vgl. BArch N 227/22, 11. 679 Vgl. Ondoua Engutu 2012, 171.

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Zeitgenossen, wollten sie Importwaren erhalten, die sie vor allem als Brautgaben für die erste oder zweite Ehefrau einsetzten.680 Wahrscheinlich ermöglichte der Kautschukhandel zumindest in der ersten Zeit, nachdem dieser eine Region erreicht hatte und europäische Waren dort noch selten und wertvoll waren, vielen Gummisuchern, Autonomie zu erlangen und selbst Rechte über Menschen zu akkumulieren. Wie zu Beginn des 19. Jahrhunderts die jungen Batanga im Elfenbeinhandel, so nutzten junge oder nicht etablierte Männer nun ihrerseits ein neu zur Ware gewordenes Waldprodukt, um sich auf neuen Wegen zu bereichern. Derartige Strategien der „Diversion“, das Abbringen von Dingen von ihrem vorgesehenen Pfad und ihre Überführung in die Sphäre des Kommerziellen, verfolgen nach Arjun Appadurai vor allem nicht arrivierte Individuen, die hoffen, sich auf diese Weise unerlaubte Begierden und Hoffnungen zu erfüllen.681 Viele der kautschukproduzierenden Söhne, Klienten und Sklaven hofften auf sozialen Aufstieg zum Familienoberhaupt oder sogar zum nkúkúma. Ihre Strategie war riskant und moralisch ambivalent. Schließlich forderten sie die Autorität ihrer Familienoberhäupter heraus und stellten sich gegen die etablierte Ordnung, in der Handel, europäische Waren und die Entscheidung über die Heirat nicht etablierter Männer dem Familienoberhaupt oblagen. Doch viele tausende entschieden sich für den Kautschukhandel, denn sie hatten viel zu gewinnen. Ein dauerhafter Elitenwandel, wie der Elfenbeinhandel ihn ausgelöst hatte, war mit dem Kautschukhandel jedoch nicht verbunden. Er erschütterte die wirtschaftliche Hegemonie der Älteren, entwertete ihre Netzwerke und Lebenserfahrungen, während junge, nicht etablierte Männer auf die neuen Möglichkeiten reagierten und in kurzer Zeit ökonomisch und sozial aufsteigen konnten.682 Das Beispiel der Ersten, Mutigsten, die bald ihre europäischen Waren herumzeigten, sorgte wahrscheinlich dafür, dass andere es ihnen gleichtaten.683 Doch wegen der zerstörerischen Methoden der Kautschukgewinnung dauerte der Handel nur kurze Zeit, da kein Gummi mehr da war und die Händler weiterzogen. Wer es in dieser Periode nicht schaffte, genügend Kautschuk zu produzieren und zu verkaufen, hatte seine Chance vertan. Der Kautschukhandel war mehr ein Karneval als eine Revolution

680 Vgl. Zenker 1904b, 11 f.; Conradt 1902, 336. Nach Bertaut dienten bei den Bulu noch in den 1920ern Ersparnisse ausschließlich zur Zahlung von Brautgaben. Vgl. Bertaut 1935, 146. 681 Vgl. Appadurai 2012, 25–29. 682 Ähnlich beschreibt Haffner die Folgen der Inflation in Deutschland 1923: „Den Alten und Weltfremden ging es am schlechtesten. […] Den Jungen, Flinken ging es gut. Über Nacht wurden sie frei, reich, unabhängig. Es war eine Lage, in der Geistesträgheit und Verlaß auf frühere Erfahrungen mit Hunger und Tod bestraft, aber Impulshandeln und schnelles Erfassen einer neuen Lage mit plötzlichem ungeheurem Reichtum belohnt wurde. […] Jetzt hatten auf einmal die Jungen und nicht die Alten das Geld“. Haffner 2002, 58. 683 Für eine ähnliche Dynamik im mexikanischen Drogenhandel vgl. McDonald 2005.

Die Gummisucher: Arbeit und Arbeitskräftemobilisierung in Südkameruns Kautschukproduktion

– und die Familienoberhäupter konnten ihre Stellung wieder stabilisieren, sobald der Handel vorbei war. Angesichts der Möglichkeiten, die Kautschuk für junge Männer bot, wurden Männlichkeit und Kautschukproduktion binnen kürzester Zeit miteinander verknüpft. Gummi beschleunigte den sozialen Aufstieg und den Autonomiegewinn von Männern, weshalb er Eingang in den Kanon der wertvollen Dinge fand. Ein Bulu-Märchen über die Suche junger Männer nach Reichtum, aufgeschrieben wahrscheinlich vor 1913, definierte neben Elfenbein, Kleinvieh, Frauen und europäischen Gütern auch Kautschuk als Teil von Reichtum.684 Kautschuk konnte folglich Teil der Selbstrealisierung von Männern vom zeze mot, einem Niemand, zu einem mfaŋ mot, einer vollwertigen Person, sein.685 Entsprechend entwickelte sich die Kautschukproduktion zu einer Männerarbeit. Nach Tamara Giles-Vernick assoziierten die Mpiemu im östlichen Grenzgebiet zwischen Kamerun und Französisch-Kongo die Kautschukproduktion direkt mit männlicher Sexualität: „Climbing, using an iron implement to penetrate a tree, and extracting a milky white latex were all hallmarks of masculinity.“686 In den Worten eines ihrer Informanten: „My rubber has arrived! My rubber has arrived! I am a man!“687 Die Gummisucher verbanden in Südkamerun Jagd und Fallenstellen, die Männerarbeit par excellence im äquatorialen Afrika,688 mit der Suche nach Kautschuk.689 Die Arbeit von Frauen, so Giles-Vernick, bestand vorwiegend darin, den gewonnenen Latex zu kochen und das Produkt ins Dorf zu tragen.690 Ähnlich verlief die Arbeitsteilung der Geschlechter im Kongostaat und in Angola.691 Einzuwenden ist jedoch, dass vermutlich nicht allen, vielleicht sogar den wenigsten männlichen Kautschuksuchern Frauen zur Seite standen. Möglicherweise gab es eine Tendenz, solche Arbeiten an Frauen abzugeben – waren Gummisucher unverheiratet, übernahmen sie diese Arbeit sicher selbst.

684 Vgl. Krug 1949, 351 f. Zur Datierung vgl. Krug 1949, 348 f. 685 Vgl. Guyer 1993. 686 Giles-Vernick 2002, 165. Für eine ähnliche Engführung von Samenerguss und Kautschukproduktion vgl. Manga Mado 1970, 33–37. 687 Giles-Vernick 1999, 311. 688 Vgl. u. a. Koch 1968; Laburthe-Tolra 1981, 274. 689 Vgl. Giles-Vernick 2002, 165. Auch bei den Kuba im Kongostaat war Gummigewinnung Männerarbeit, weil Bäume zu besteigen waren und die Arbeit als analog zum Anzapfen von Ölpalmen galt. Vgl. Vansina 2010, 62. 690 Vgl. Giles-Vernick 2002, 165. 691 Vgl. Seibert 2016, 30; Vos 2015, 43. In Casamance (Senegal) oblag die Kautschukgewinnung Frauen und Kindern. In Togo beteiligten sich Frauen. Vgl. Mark 1986, 327; Westermann 1932, 52 f.

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Lianen und Bäume: Kautschukliefernde Pflanzen in Südkamerun Die Gummisucher nutzten eine große Zahl kautschukproduzierender Pflanzen. Es ist für die Geschichte der Arbeit in der Kautschukwirtschaft wichtig, diese zumindest grob zu unterscheiden. Je nach Pflanze waren verschiedene Methoden und Arbeitsregimes nötig, um Gummi zu gewinnen, was wiederum wirtschaftliche, soziale und ökologische Folgen hatte.692 Allgemein lassen sich die kautschukliefernden Pflanzen Südkameruns unterteilen in Lianen verschiedener Spezies und den Baum Funtumia elastica. Ob Lianen oder Bäume die vorherrschenden Kautschuklieferanten waren, war abhängig vom Vegetationstyp. Südkameruns Regenwälder unterscheiden sich je nach geographischer Lage in der Zusammensetzung ihrer Arten.693 Im Hinterland der Batanga-Küste bis ungefähr zum Djah-Fluss herrscht atlantischer immergrüner Wald (Biafra-Wald) vor, der im Jaunde-Gebiet von halb laubabwerfendem Wald abgelöst wird. In diesen Waldtypen waren Lianen die wichtigsten Kautschuklieferanten. Zeitgenossen nannten vor allem zwei Arten: Landolphia florida (heute Saba comorensis) und Landolphia owariensis.694 Bei beiden handelt es sich um große Pflanzen: L. owariensis etwa kann bis zu 100 Meter lang werden und ihr Stamm einen Durchmesser von 40 Zentimetern erreichen.695 Die Gummisucher nutzten aber nicht nur diese beiden, sondern mindestens sieben bis zehn Lianen-Arten, um Kautschuk herzustellen.696 Darüber hinaus gebrauchten sie auch die Milchsäfte anderer Pflanzen, die keinen Kautschuk enthielten, und mischten ihn in den Latex hinein – teilweise aus Unwissenheit, teilweise, um das Volumen des Produktes zu steigern.697 Östlich des Djah wiederum herrschen Varianten des Guineo-Kongo-Regenwalds vor.698 Dort diente ab ca. 1900 vor allem Funtumia elastica (in Kamerun Kickxia elastica genannt), ein bis zu über 30 Meter hoher Baum mit geradem, zylindrischen Stamm, grauer, manchmal gefleckter Rinde und pyramidenförmiger Krone,699 zur Kautschukproduktion.700 In den 1890ern aber, als der Kautschukhandel sich von der

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Vgl. Nugent 2018, 21; Harms 1975, 75. Vgl. Letouzey 1968, 65. Allgemein vgl. Vansina 1990, 39–46; White 1983, 71–85. Vgl. Preuss 1892, 53; BArch R 1001/8113, 103. Vgl. Reintgen 1905, 72–75. Nach Persoon/van Dilst/Kuijpers/Leeuwenberg/Vonk 1992 waren es 7 Arten: Landolphia bruneelii, L. congolensis, L. landolphioides, L. mannii, L. owariensis, L. villosa, L. violacea. 1942 zählte die Bevölkerung bei Eséka 10 Arten auf. Vgl. Jennings 2015b, 189. Vgl. IAI N-0030 w 72. Vgl. Letouzey 1968, 65. Vgl. Winkler 1912, 155. Vgl. Kap. 3.2. Zur Verbreitung des Baumes in Kamerun vgl. BArch R 1001/8114, 76; BArch R 175-I/65, 171.

Die Gummisucher: Arbeit und Arbeitskräftemobilisierung in Südkameruns Kautschukproduktion

Küste ins Binnenland fraß, gewannen die Gummisucher ihr Produkt aufgrund der biologischen Bedingungen vor allem von verschiedenen Spezies von Lianen. Techniken: Wissenstransfer und Improvisation Um Kautschuk zu produzieren, muss zuerst der Latex, ein kautschukhaltiger Milchsaft, aus der Pflanze extrahiert und dann zum Koagulieren, also zum Gerinnen, gebracht werden. Schließlich wird der Kautschuk weiterverarbeitet und in eine bestimmte Formen gebracht. Das hierfür nötige Wissen wird häufig als lokales, indigenes Wissen verstanden.701 Ein deutscher Reisender, der 1938 Kamerun besuchte und sah, wie Männer Kautschuk herstellten, meinte beispielsweise, die Gummisucher würden Kautschuk „[a]uf die uralte Weise“ produzieren.702 Auch viele Historikerinnen und Historiker nehmen an, die Bevölkerung in Kautschukgebieten habe von Anfang an Gummi herstellen können – entweder, weil sie die Techniken bereits beherrschten, oder weil keine Techniken nötig waren.703 Beides wird der historischen Realität nicht gerecht. Zum einen existierten keine uralten lokalen Methoden der kommerziellen Kautschukproduktion, da Gummi bislang wertlos gewesen war. Dass die Menschen die kautschukliefernden Pflanzen kannten, bedeutet nicht, dass sie Kautschuk in großen Mengen für den Markt herstellen konnten. Immer wieder heißt es deshalb in den Quellen, Gummi werde noch nicht gewonnen, da die Leute die entsprechenden Methoden nicht besäßen.704 Sie mussten erst die nötigen Techniken erlernen, um in das Geschäft einsteigen zu können. Zum anderen brauchten die Gummisucher deshalb durchaus Spezialwissen, um Kautschuk aus Lianen und Bäumen zu gewinnen. Dieses kam jedoch erst mit dem Kautschukhandel nach Südkamerun. Die Geschichte der Kautschukausbeutung ist, wie Dove schreibt, „a rich history of the migration, alteration, invention, combination and contestation of knowledge“.705 Für den afrikanischen Kautschukhandel im Allgemeinen und für Südkamerun im Besonderen ist diese Geschichte noch ungeschrieben. Gemeinhin gelten Knutson und Waldau als diejenigen, die zuerst in Kamerun Gummi kauften.706 Ardener etwa bezeichnet die Entdeckung von kautschukproduzierenden Lianen durch die Schweden als „significant event“ für die Geschichte Kameruns.707 Diese

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Vgl. Dove 2000. Heck 1943, 166. Vgl. z. B. Seibert 2016, 28. Vgl. z. B. Morgen 1893, 329. Vgl. Kap. 3.2. Dove 2000, 219. Vgl. Hoffmann 2007, Bd. 1, 69 f.; Wirz 1972, 32. Knutson/Ardener 2001, 4.

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Interpretation, die schon Knutson und Waldau selbst pflegten,708 verwechselt aber die Kolonie Kamerun mit ihren damals noch sehr unabhängigen Teilgebieten – Kamerun und die Batanga-Küste. Tatsächlich fanden Knutson und Waldau Ende 1883 bei Mapanja am Kamerunberg eine Liane, aus der sich Gummi gewinnen ließ.709 In der Folge entwickelte sich dort ein fiebriger Handel. Entscheidend ist aber, dass dieser nur wenige Auswirkungen auf diese Region und praktisch keine auf Südkamerun hatte. Nach drei Jahren war er vorüber, denn die wenigen Lianen verschwanden schnell durch die destruktiven Produktionsmethoden.710 Der Kautschukhandel von Knutson und Waldau blieb aufgrund seiner begrenzten Dauer und Ausdehnung folgenlos für die Kolonie.711 Im Gegensatz zu Südkamerun verwandelten sich die nördlichen Gebiete nicht in Kautschukökonomien. Palmöl und -kerne wahrten in der Region um das Kamerun-Ästuar während der deutschen Herrschaft ihren Rang als wichtigste Handelsgüter. Gummi blieb hier immer ein Produkt unter anderen.712 Der sich ab Ende der 1880er in Südkamerun entwickelnde Kautschukhandel war kein Kind schwedischer Abenteurer, sondern des deutschen Gabun-Handels. Woermann und Jantzen & Thormählen, die um 1890 an der Batanga-Küste den Kautschukhandel vorantrieben, waren bereits jahre- oder gar jahrzehntelang Kautschukfirmen, bevor der Handel in Südkamerun begann. Sie brauchten keinen Anstoß vom Kamerunberg, um im Norden ihres wichtigsten, auf den Handel mit Gummi ausgerichteten Geschäftszweigs Kautschuk zu kaufen. Auch eine Übertragung von Knowhow vom Kamerunberg scheint unwahrscheinlich in einer Zeit, in der die Verbindungen zwischen Norden und Süden der Kolonie spärlich waren. Der Transfer von Wissen aus Gabun nach Südkamerun lässt sich hingegen klar belegen. Woermann und Jantzen & Thormählen schickten Ende der 1880er Angestellte an die Batanga-Küste, die ihr Handwerk in Gabun gelernt hatten. Wichulla z. B. hatte jahrelang das Kautschukgeschäft von Jantzen & Thormählen auf dem Ogowe geleitet, bevor er 1888 Malimba übernahm.713 Ludwig Scholz, der für Woermann den Kautschukhandel in Dehane am Nyong-Fluss initiierte, hatte diesen in Sette Cama kennengelernt.714 Ähnliches galt für Max Dinklage, der für Woermann zwischen 1889 und 1892 ständig zwischen Gabun und Südkamerun

708 Vgl. Waldau 1905, 114. 709 Vgl. Knutson/Ardener 2001, 41. 710 Vgl. Waldau 1905, 114; Buchner 1887, 144; Pauli 1887, 348; Schlechter 1900f, 55 f.; Storz 1906, 32; GStA PK I. HA Rep. 81/928 Soden an Puttkamer, 1885. 711 Gleiches gilt für das Gummigeschäft der Duala. Zum Einfluss von Knutson und Waldau auf den Duala-Kautschukhandel vgl. GStA PK III. HA II/Nr. 5327, 72. 712 Vgl. Rudin 1938, 258–261. 713 Vgl. PASch N Wichulla Tagebuch 2, 23.12.1888. 714 Vgl. NN 1927, 195.

Die Gummisucher: Arbeit und Arbeitskräftemobilisierung in Südkameruns Kautschukproduktion

hin- und herreiste und dem eine Schlüsselrolle bei der Einführung der Kautschukproduktion im Hinterland von Groß-Batanga zukam.715 Unklar bleibt, ob Europäer selbst demonstrierten, wie Kautschuk aus den entsprechenden Lianen gewonnen wurde. Wahrscheinlicher ist, dass Gabun-Händler von Woermann und Jantzen & Thormählen diese Aufgabe übernahmen. Justo Weiler von Jantzen & Thormählen etwa versprach den Edea-Leuten, ihnen einen kundigen Mann zu schicken, „der dem Volke die Gewinnung von Gummi zeige“.716 Dieser stammte sicher aus Gabun. Die Arbeit der Gummisucher begann mit dem Auffinden der entsprechenden kautschukliefernden Pflanzen im Regenwald. Wenn die Konkurrenz um die Pflanzen hoch war und die Bestände schwanden, verschlang die Suche abseits der Pfade und die Bestimmung der Pflanzen möglicherweise den größten Teil der Zeit.717 Die Bezeichnung „Gummisucher“ betont gerade diesen Aspekt der Arbeit. Solange Kautschukpflanzen in der Nähe der Dörfer zu finden waren, machten sich die Gummisucher möglicherweise allein auf die Suche. Spätestens als die Wege weiter wurden, waren sie in Gruppen unterwegs und übernachteten im Wald. Zenker berichtete bereits 1891 aus Jaunde, dass die jungen Männer auf „mitten im Urwald freigeschlagenen Plätzen mit Schlafstellen“ kampierten, um Kautschuk zu machen.718 Bezirksrichter Diehl stieß Ende 1902 im Bulu-Gebiet auf „Reste eines Lagers, von dem aus die Leute aus Ntola und Bienemayong Kautschuk sammeln.“719 Die Gummisuche war folglich eine Arbeit, die die Menschen zusammen unternahmen, für die sie eine Zeitlang die Dörfer verließen und die zunehmend Tage, Wochen oder gar Monate dauerte. Mit der Zeit etablierte sich ein saisonaler Rhythmus der Kautschukproduktion. Ab 1907 ist bezeugt, dass diese in relevanten Mengen nur in der großen Trockenzeit von Dezember bis März und in der kleinen Trockenzeit Mitte Juni bis Mitte Juli stattfand.720 Während des fieberhaften Beginns des Handels spielte die Jahreszeit möglicherweise keine so große Rolle, da Knutson und Waldau 1885 am Kamerunberg in der Regenzeit mit dem Kautschukhandel begannen.721 Wahrscheinlich war die Konzentration auf die Trockenzeit aber schon vor 1907 die Regel. Dies hatte nichts mit der Biologie der Pflanzen zu tun. 1910 galt diese Periode unter 715 Vgl. SBB-PK, Slg. Darmstätter. Dinklage, Max J. Lb 1895 Dinklage an Prof., 22.04.1892; Mildbraed 1935, 413. 716 Morgen 1893, 140. Ebenso in anderen Regionen: vgl. Dumett 1971, 86; Deemin 1976, 131. 717 Vgl. Zouya Mimbang 2013, 140. 718 Zenker 1891, 138. 719 BArch R 1001/4322, 38. Ähnliche Muster existierten am Kamerunberg, in Südostkamerun und Gabun. Vgl. Fickendey 1911c, 513; Kap. 5.3; Nassau 1882, 79–91. 720 Vgl. LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 22.08.1907; NN 1914c, 481; Petersen 1939b, 63; Koch 1968, 57; Mania 1910, 107; DHM Do 2005/34 Krönig an Irma, 31.08.1907. Für einen saisonalen Rhythmus in Gabun vgl. Deemin 1976, 116. 721 Vgl. Knutson/Ardener 2001, 59.

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Botanikern sogar als ungeeignet.722 In der Regenzeit aber verdünnte der Regen den Latex oder schwemmte ihn fort.723 Lohnend war die Gummigewinnung deshalb vor allem in den trockeneren Perioden. Dies führte aber zu anderen Problemen: Während der Trockenzeit wurde die Arbeitskraft der Männer in den Dörfern eigentlich gebraucht, denn dann rodeten sie gemeinsam den Wald für neue Farmen. Doch die großen exportierten Kautschukmengen zeigen, dass viele Männer lieber in den Wald gingen und Gummi machten, sodass gebietsweise die Landwirtschaft in einigen Jahren beinahe zusammenbrach, wenn die Gummisucher ihre Zeit mit Kautschukmachen verbrachten, statt Felder anzulegen.724 Sie „säen und ernten nicht, sondern machen nur Gummi“, hatte Dominik deshalb geschrieben. Kautschukproduktion wird in der Literatur mit dem Begriff des „Anzapfens“ bzw. auf Englisch als „tapping“ bezeichnet. Richtigerweise bezeichnet Nugent dies als irreführend: „a gloss that clearly betrays the diversity of what rubber workers actually did“.725 Trotz der Verbindung nach Gabun gab es zur Latexgewinnung in Südkamerun nie nur eine einzige Technik. Die Möglichkeiten, die der Kautschukhandel bot, führten dazu, dass die Gummisucher eigene Techniken erfanden oder bestehende an lokale Umstände oder persönliche Vorlieben anpassten.726 Neu erlernte Methoden gaben die Gummisucher an Nachbarn, Freunde und Verwandte weiter, sodass sich das Wissen durch afrikanische Netzwerke verbreitete. Ende der 1890er, nachdem die Kautschukgewinnung bereits über Jaunde hinaus üblich geworden war, zogen Ewondo mit einem Händler „in ein Gebiet, wo die Eingeborenen es noch nicht verstanden, Gummi zu gewinnen.“ Dieser „gründete mit den mitgeführten Waren eine Zweigfaktorei und unterwies mit Hilfe seiner Jaundes die Eingeborenen in der Gummibereitung“.727 Dadurch entfalteten die Techniken der Kautschukgewinnung eine große Eigendynamik und veränderten sich dauernd. Sicherlich galt deshalb für Südkamerun dasselbe wie für den Kongostaat, wo Experten anhand gelieferter Kautschukbälle u. a. das Alter der Gummisucher schätzen konnten.728 Es gab in Südkamerun folglich keine best practice zur Gewinnung von Kautschuk aus Lianen, an der sich alle orientierten. Vielmehr experimentierten die

722 Vgl. BArch R 1001/8117 Bücher: Beiträge, 15.09.1909, o.S. 723 Vgl. BArch R 1001/8117 Bücher: Beiträge, 15.09.1909, o.S. In Ostkamerun synchronisierten KakaGummisucher ihre Arbeit mit anderen Aktivitäten wie der Jagd, die dort ebenfalls nur in der Trockenzeit stattfand. Vgl. RKA 1911b, 270. 724 Vgl. BArch R 175-I/966, 65. 725 Nugent 2018, 27. 726 Für die Gold Coast hat Dumett dies durch Interviews nachgewiesen Vgl. Dumett 1971, 86 f. 727 Dominik 1908, 35 f. 728 Vgl. van den Kerckhove 1904, 201.

Die Gummisucher: Arbeit und Arbeitskräftemobilisierung in Südkameruns Kautschukproduktion

Gummisucher mit unterschiedlichen Verfahren, um mit wenig Aufwand an möglichst viel Gummi zu gelangen. Die bedeutendste Methode der Gewinnung von Lianenkautschuk war das Abschlagen der Lianen, wie es auch in Gabun üblich war.729 „Meistens“, so die Firma Randad & Stein, „werden diese Lianen einfach von den Negern abgehauen und der Saft dann in darunter gelegte, zusammengebogene Blätter aufgefangen.“730 Tatsächlich aber war die Kautschukproduktion ein komplexerer Prozess. Angepasst an die Physiognomie der Liane kamen unterschiedliche Techniken zum Einsatz. Männer aus Jaunde erklärten nach der Jahrhundertwende dem kurzzeitigen Leiter des Botanischen Gartens im Kameruner Küstenort Victoria, August Weberbauer, wie sie Gummi von Landolphia-Lianen gewannen: Am unteren, bewurzelten Teil der Pflanze machten sie mit dem Buschmesser in einer Entfernung von einem 12 bis 1 Fuß Einschnitte in die Rinde. Dort gerann der austretende Latex sofort. Durch Reiben der breiigen Masse formten sie Kautschukbälle. An den oberen Teilen der Liane hingegen nutzten sie eine „Ringeln“ genannte Technik: Sie brachten breite Schnitte bis auf das Holz an, die jeweils einmal rund um den Stamm der Pflanze reichten. Der heraustropfende, dünnflüssige Latex musste danach weiter aufbereitet werden, um Gummi zu gewinnen.731 Die Bakwiri am Kamerunberg wiederum schlugen zumindest 1911 die Liane in Stücke von 1 bis 1 12  Meter Länge. Den herauslaufenden Latex fingen sie auf. Danach legten sie die Liane auf Gerüste und ringelten sie mit dem Messer.732 Die höchsten Erträge sollten Landolphia-Lianen geben, wenn man sie über dem Boden abschlage, sie wie Maniok in Wasser anfaulen lasse und dann den Kautschuk ausstampfe und auswasche.733 Anderswo hieß es, abgeschlagene Lianenstücke würden über dem Feuer erwärmt, um den Latex leichter herausfließen zu lassen.734 Auch für Kamerun galt folglich: „Jeder Eingeborenenstamm, sogar jeder einzelne Eingeborene folgt eigenen Ideen zur Gewinnung von Kautschuk.“735

729 Bowdich beobachtete dort 1817, dass die Menschen eine Liane anschnitten und den Latex über ihre rasierte Brust und Arme verteilten, bis er getrocknet war und sich abziehen ließ. Diese Technik war später auch im Kongostaat verbreitet. In Kamerun lässt sie sich nicht nachweisen. Auch aus Gabun wird von ihr später nicht mehr berichtet. In den 1870ern gab es mehrere Techniken, die sich von Region zu Region unterschieden. Einige Gummisucher schnitten Lianen an, andere hackten sie ab, legten sie auf Stangen und zapften sie dann mit Schnitten an, wobei sie den heraustropfenden Latex auffingen. Vgl. Bowdich 1819, 446; Hochschild 2012, 230; Hübbe-Schleiden 1879, 91; L. K. 1885, 267; Lenz 1878a, 64; Lenz 1878b, 127 f. 730 NN 1900e, 110. 731 Vgl. IAI N-0030 w 72. 732 Vgl. Fickendey 1911c, 512. Vgl. auch BArch R 1001/8117, 172. 733 Vgl. BArch R 1001/8117 Bücher: Beiträge, 15.09.1909, o.S.; Schlechter 1900c, 217 f. 734 Vgl. Kaiser 1904, 17. 735 Van den Kerckhove 1904, 201. John Holt & Co. berichteten zu Südkamerun: „[…] the diff. tribes have diff. preparations of the rubber.“ LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 05.08.1909.

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Südkameruns Kautschukbaum, Funtumia elastica (Kickxia), wurde zu Beginn des Booms nur vereinzelt, vor allem am Kamerunberg, genutzt, da er in den bis 1900 für den Handel erschlossenen Gebieten nur selten vorkam. Wo die Gummisucher in den küstennahen Regionen Kautschuk aus Funtumia-Bäumen gewannen, folgten sie den Techniken, die sie für die Latexextraktion bei Lianen gelernt und entwickelt hatten. Preuss beobachtete dies 1889 auf der Barombi-Station am Kamerunberg: Die Gummisucher fällten den Baum, durchschnitten – als wäre er eine Liane – in 10–30 Zentimeter langen Abständen die Rinde ringförmig bis auf das Holz und fingen den herauslaufenden Latex in Töpfen auf.736 Doch die große Zeit der Funtumia kam erst mit der Expansion des Kautschukhandels nach Südostkamerun.737 Für die Koagulation nutzten die Gummisucher möglicherweise die auch in Gabun verbreitete Methode: Sie kochten den Latex. Dadurch gerann der darin gelöste Kautschuk und konnte verarbeitet werden.738 Es gibt zudem Hinweise darauf, dass die Gummisucher den Latex mit anderen Pflanzensäften, etwa von Costus afer,739 versetzten, um eine Gerinnung herbeizuführen. Aber es ist durchaus möglich, dass – wie im Kongostaat – auch andere Methoden verwandt wurden, die aber keinen Niederschlag in den Quellen fanden.740 Darüber, wie Kautschuk zu Bällen, Zungen oder Kuchen verarbeitet wurde, ist nichts weiter zu erfahren. Kautschukfrontier: Zerstörerische Methoden und die Bewegung des Kautschukhandels im Raum „Früher“, seufzte 1905 das Familienoberhaupt Mana aus dem Dorf Ndua an der Jaunde-Straße, „gab es hier viele Gummilianen[;] damals waren auch noch Faktoreien hier“. Aber überall, wo der Kautschukhandel in den 1890ern begann, verschwanden die Bestände kautschukproduzierender Lianen binnen kurzer Zeit. „[W]ir wussten nicht, wie wir für den künftigen Bestand der Lianen sorgen sollten“, klagte Mana.741 Mit dem Kautschuk verschwanden auch die Kaufleute wieder und damit der Zugang zu Reichtum. Sie zogen weiter ins Innere, wo sich noch Gummi gewinnen ließ. Grund für diese stetige Bewegung des Kautschukhandels nach Osten waren die zerstörerischen Techniken der Gummisucher, denn allen beschriebenen Methoden der Kautschukgewinnung war gemein, dass sie Lianen und Bäume schädigten oder töteten. Ein großer Teil der Dynamik, die der Kau-

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Vgl. Preuss 1889, 48. Vgl. Kap. 3.2. Vgl. Hübbe-Schleiden 1879, 93; Knutson/Ardener 2001, 41; Preuss 1889, 41; Dominik 1908, 36. Vgl. Johnston 1906, Bd. 2, 656. Vgl. van den Kerckhove 1904, 201. BArch R 1001/4291, 124.

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tschukhandel entfaltete, erklärt sich dadurch, dass die Kautschukgewinnung in einer Region immer nur temporär erfolgte. Die Gummiproduktion in Kamerun war in keiner Weise nachhaltig. 1899 schrieb der Botaniker und Kautschukexperte Otto Warburg: „Die Neger vernichten die Lianen, d. h. wenigstens die oberirdischen Teile, so gut wie vollständig, indem sie die Stämme entweder ganz durch- bezw. abhauen, oder die Schnitte doch so tief machen, dass die Cambiumlage durchschnitten und das Holz getroffen wird [was die Pflanze tötete – T. Oe.].“742 Gleiches galt für Funtumia. Starben die Pflanzen nicht ab, konnten abgeschlagene Lianen oder gefällte Bäume im besten Fall erneut austreiben. Aber für viele Jahre ließ sich kein Kautschuk mehr gewinnen. Diese Form der Gewinnung von Gummi problematisierten Kaufleute, Botaniker und Beamte als „Raubbau“– also eine Nutzung von Ressourcen, die auf deren natürliche Reproduktion keine Rücksicht nimmt.743 Indem unternehmerische Männer scharenweise in den Wald zogen, um Kautschuk zu machen, verschwanden die kautschukliefernden Pflanzen binnen kurzer Zeit aus den Regenwäldern. Max Buchner, der erste deutsche Beamte in Kamerun, bemerkte, bereits Mitte der 1880er hätten die Bakwiri am Kamerunberg dank der Schweden „einen förmlichen Vernichtungskrieg gegen die arme Pflanze“ geführt.744 1889 schrieb deshalb Gouverneur Julius von Soden: „[B]ei der Art und Weise aber, wie seitens der eingeborenen Bevölkerung bei Gewinnung des Kautschuks verfahren wird, kann die Vernichtung der produzierenden Lianen und Bäume, und somit des hiesigen Kautschukhandels, nur eine Frage der Zeit sein.“745 Nicht nur am Kamerunberg, auf den sich Buchner und von Soden bezogen, sondern auch in Südkamerun kam es schnell zu einer Übernutzung der Pflanzenbestände. Kautschukgewinnung war deshalb in den jeweiligen Waldgebieten, auf die ein Dorf Zugriff hatte, meistens eher ein Geschäft von Monaten statt von Jahren. Destruktive Methoden kennzeichneten nicht nur in Kamerun den Kautschukhandel, sondern in vielen Regenwaldgebieten weltweit.746 Besonders destruktiv war die Jagd nach Gummi allerdings in Afrika. Bereits seit den 1860ern hatte die fortschreitende Zerstörung der Lianen am Gabun-Ästuar und am Ogowe eine wichtige Rolle gespielt. In den 1880ern und 90ern verschwanden auch in anderen Regionen die kautschukproduzierenden Pflanzen. Ob an der Gold Coast, in Angola oder Dahomey: Um die Jahrhundertwende sanken fast überall die Kautschukex-

742 Warburg 1899, 315. 743 Für eine zeitgenössische theoretische Auseinandersetzung vgl. Friedrich 1904. Vgl. auch Raumolin 1984. Zu Nachhaltigkeitsdiskursen im Kameruner Kautschukhandel vgl. Oestermann 2017, 58–63. 744 Buchner 1887, 144. 745 BArch R 1001/8113, 10. 746 Vgl. Tully 2011, 69.

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porte.747 Auch der Kongostaat konnte seine nur auf hohem Niveau halten, weil Unternehmen und Gummisucher immer neue Waldgebiete erschlossen.748 Am spektakulärsten waren die Ereignisse in Lagos. 1894 exportierte die Kolonie nur 3 Tonnen Kautschuk. Dann begann ein beispielloser Boom: 1895 führte Lagos unglaubliche 2263 Tonnen Kautschuk aus – eine Steigerung um das 753-fache binnen eines Jahres! Doch dies tötete 75 Prozent aller Funtumia-Bäume und bereitete dem Boom ein jähes Ende.749 Die Übernutzung der Kautschukbestände verlieh Produktion und Handel in Südkamerun und anderswo eine expansive Dynamik. Die Gebiete, in denen Kautschuk gewonnen werden konnte, verschoben sich immer weiter ins Hinterland.750 Waldau verglich den Kautschukhandel deshalb mit einem Waldbrand, der nur am Leben bleibe, indem er sich unermüdlich vorwärtswälze und neue Flächen zerstöre.751 Kautschukgewinnung nahm den Charakter einer „commodity frontier“ an:752 Die Herstellung von Gummi fand in Kamerun während der ersten 15 Jahre fast ausschließlich in einem verhältnismäßig schmalen, wahrscheinlich weniger als 50 Kilometer breiten, gewundenen Nord-Süd-Korridor statt, der sich von Monat zu Monat langsam weiter nach Osten vorschob. Jenseits dieser Kautschukfrontier war die Gewinnung des Rohstoffs den Menschen noch unbekannt oder nur wenig verbreitet; hinter ihr war sie kaum mehr möglich, da die Bestände unter dem Druck der Gummisucher bis auf Reste, die auszubeuten kaum lohnte, zusammengebrochen waren. Südkamerun entwickelte sich auch deshalb zu einer Kautschukwirtschaft, weil es im Gegensatz zum Kamerunberg oder dem Kamerun-Ästuar über ein riesiges, mit Regenwald bestandenes Hinterland verfügte, in dem Firmen und Gummisucher immer neue Gebiete erschließen und in die Kautschukwirtschaft einbeziehen konnten. Die Kautschukfrontier und ihre rastlose, andauernde Bewegung ins Innere waren deshalb entscheidende Charakteristiken des Südkameruner Kautschukhandels. Viele europäische Zeitgenossen verurteilten die destruktiven Methoden als „Raubbau“ und erklärten sie durch rassistische Zuschreibungen. Preuss etwa meinte, die Gummigewinnung geschehe „ohne Rücksicht auf Schonung, halt ohne jeden Verstand so recht nach Negerart“.753 Derartige Narrative, die Afrikanern und Afrikanerinnen rationales Handeln absprachen, waren häufig. Der Begriff des „Raub-

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Vgl. Harms 1975, 74 ff. Ein weiterer Faktor war die nachlassende Konjunktur. Vgl. Kap. 2.5. Vgl. Harms 1975. Vgl. Whitford/Anthony 1926, 22. Vgl. auch Omosini 1979; Fenske 2010, 8–20. Vgl. Harms 1975, 74 f. Vgl. Waldau 1905, 114. Moore 2000. Auf den Frontier-Charakter der Kautschukgewinnung in vielen Regionen Afrikas haben hingewiesen: Vos 2015, 45; Monson 1993, 115; Klein 1998, 145. 753 Preuss 1892, 52.

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baus“ war im Kameruner Kontext deshalb stets mit rassistischen Vorstellungen verknüpft.754 Dabei folgte die schnelle destruktive Nutzung der Kautschukbestände sehr wohl einer ökonomischen Logik. Die „environmental anxiety“ vieler europäischer Wissenschaftler, Kautschukfabrikanten und Kolonialbeamter überdeckte, dass erstens nachhaltige Zapfmethoden generell in den 1890ern kaum bekannt waren.755 Auch den Europäern fehlte es an Wissen. Dies betraf die Pflanzenarten, die für die Gummiproduktion genutzt wurden, ihre Biologie und damit einhergehend, wie Kautschuk am besten zu gewinnen war. Der Direktor des Botanischen Gartens von Singapur, Henry Ridley (genannt „Mad Ridley“), der als Vater der rationellen Kautschukwirtschaft gilt, begann erst in den 1890ern, sich mit nachhaltigen Techniken der Kautschukgewinnung zu beschäftigen – unter dem Eindruck des um sich greifenden Raubbaus.756 Ahnungslosigkeit und Herumprobieren herrschten allerorten. Der Tropenpflanzer, ein seriöses Fachblatt, publizierte 1900 einen Artikel, in dem der Autor es für nötig befand, zu bemerken, man solle die Bäume vertikal und nicht horizontal anzapfen. Außerdem verwies er auf die angebliche Bedeutung bestimmter Mondphasen.757 Bis zum Ersten Weltkrieg herrschten um die Methoden endlose Streitereien. Folglich stand den Gummisuchern kein Fachwissen bereit, das die zerstörerischen Effekte der Kautschukproduktion hätte vermeiden können. Zweitens war es bei einigen Pflanzen kaum möglich, auf nachhaltige Weise Kautschuk zu gewinnen.758 Nach 1900 mussten europäische Beobachter einräumen, dass es keine Produktionsmethode gab, um Kautschuk im großen Stil aus Lianen zu gewinnen, ohne die Pflanzen zu schädigen.759 Stationsleiter Richard Romberg schlug 1904 in einem Untersuchungsbericht zum „Raubbau“ vor, die Lianen von den Bäumen zu holen, anzuzapfen und nachher wieder auf die Bäume zu legen. In der Kolonial-Abteilung erhielt der Bericht die Randbemerkung „praktisch undurchführbar“.760 Warburg gab zu, „dass es bei nur arm- oder höchstens schenkeldicken Stämmen schwer ist, die Schnitte so wenig tief zu machen, dass das Cambium nicht berührt wird, zumal da die Milchsaftröhren im Innenteil der Rinde liegen.“761 Auch der Direktor des Botanischen Gartens, Ernst Fickendey, hielt 1911 das Abschlagen

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Vgl. Oestermann 2017, 58–63. Beattie 2011. Ridley gilt u. a. als Erfinder des Grätenschnitts. Vgl. u. a. Coates 1987, 101; Tully 2011, 187 f. Vgl. Henrici 1900. Vgl. Nugent 2018, 26 f. Vgl. Harms 1975, 75; BArch R 1001/8114, 74; BArch R 175-I/65, 171; Fickendey 1911b, 512 f. BArch R 1001/8114, 175. Möglicherweise schaute sich Romberg das Verfahren bei den Ekoi im Ossidinge-Gebiet ab, als er Stationschef dort war. Vgl. BArch R 1001/3228 Protokoll, 04.03.1901, o.S.; Mansfeld 1908a. 761 Warburg 1899, 315.

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der Landolphia für ökonomisch rationell, da ein Anzapfen schwierig sei, die Pflanze schnell töte und außerdem Moos, Harz und Holz in den Latex gerieten. Schlug ein Gummisucher sie hingegen ab, war der Latex reiner und die Pflanze konnte neu austreiben.762 Eine dritte Erklärung für die destruktiven Methoden liegt in der goldrauschartigen Konstellation des frühen Kautschukhandels. Gummi war für die europäischen Unternehmen in den 1890ern der einzige Rohstoff der Region, für den sich sehr gute, ja sogar steigende Preise auf dem Weltmarkt realisieren ließen. Sie bemühten sich deshalb, möglichst schnell möglichst viel Kautschuk zu kaufen. Wie dieser gewonnen wurde, war ihnen egal. Viele Gummisucher wiederum sahen wahrscheinlich im Kautschukhandel die Chance ihres Lebens. Deshalb produzierten sie in kürzester Zeit möglichst große Mengen Gummi. Eine Äußerung von Preuss verdeutlicht die dahinterliegende Logik. Er bemerkte, „der Schwarze“ sei für Belehrungen nur sehr schwer zugänglich […]. Er sieht zwar ein, dass er die Henne tötet, welche die goldenen Eier legt, indem er den Kautschukbaum niederschlägt, aber er kann nur sehr schwer gegen seine Natur ankämpfen. Er ist ein Kind des Augenblicks und ein sicherer grosser Gewinn heute ist ihm weit lieber als die Aussicht auf einen zukünftigen kleineren, mag er sich auch öfters wiederholen.763

Trotz rassistischer Ideen erfasste Preuss, dass die destruktiven Methoden auch eine Reaktion auf die Unsicherheit des neuen Marktes waren. Die Gummisucher konkurrierten um Waldressourcen, die allen offenstanden. Wer eine Liane schonte, überließ den noch vorhandenen Latex vielleicht dem nächsten, der weniger Rücksicht nahm. Viele Gummisucher glaubten zudem wahrscheinlich nicht an einen längeren Kautschukhandel – sei es, weil die Europäer merkten, dass Gummi nichts wert sei, weil die Preise sanken, oder weil die Reichen und Mächtigen Mittel und Wege finden würden, den Kautschukhandel zu kontrollieren. Die Dynamik des Handels gab ihnen insofern recht, als dass dieser tatsächlich nicht von Dauer war, da die Kautschukfrontier sich unerbittlich weiterbewegte. Deshalb handelten die Gummisucher durchaus rational, wenn sie einen großen sicheren Gewinn heute einem theoretisch möglichen Gewinn in der Zukunft vorzogen. Hieraus erklärt sich die Geschwindigkeit, mit der Kautschukgewinnung und -handel ins Hinterland vorstießen. Wie im Goldrausch glaubten alle Beteiligten, sie könnten jetzt, aber nur jetzt das Geschäft ihres Lebens machen. Entgegen den Behauptungen der Europäer bemühten sich einige Afrikaner um eine nachhaltigere Gummiproduktion. Preuss berichtete über die Bakwiri, „daß

762 Vgl. Fickendey 1911b, 512. 763 Preuss 1899a, 16.

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[…] der Häuptling von Mapanja im Kamerungebirge seit 3 Jahren [1889] das Ausbeuten des Kautschuks aus den Lianen in dem Bezirk seines Dorfes verboten hat, um das Nachwachsen der Pflanzen erst ruhig vor sich gehen zu lassen.“764 Anderswo am Kamerunberg wandelten die Bakwiri die noch vorhandenen Lianen in Privateigentum um, wie Waldau berichtete: They told me how many rubber lianes [sic!] each of them had, how big they were, and how long they still would have to wait before they could begin to tap the rubber. They used regularly to inspect the lianes [sic!] to see that nothing has happened to them. They laughed at the idea that anybody else would go and tap the rubber. The thief would always be detected, and as all people know that, and that a hard punishment would follow, the rubber plants are considered safe.765

Auch in Südkamerun kümmerten sich einige Gummisucher um eine nachhaltigere Produktion. „In Mukonje erzählten Jaunde-Arbeiter, dass sie in ihrer Heimat Stücke des Stammes […] eingraben u. so für die Vermehrung der Pflanze sorgen“766 , notierte Weberbauer. Die Ekoi im Ossdinge-Gebiet westlich des Kamerunberges praktizierten, was die Kolonial-Abteilung ihren Beamten als undurchführbar ankreidete: Sie wickelten die Lianen vom Baum ab, schnitten sie an und wickelten sie wieder auf. Danach ließen sie die Pflanze jahrelang ruhen.767 Die meisten Gummisucher aber interessierten sich wohl wenig für eine nachhaltige Produktion. Die Landolphia-Lianen verschwanden in den Gebieten, über die die Kautschukfrontier hinweggegangen war, jedoch nicht völlig. Auch später waren diese Pflanzen im Kribi-Busch und anderen küstennahen Waldgebieten in geringer Zahl aufzufinden. Das rasante Voranstürmen der Kautschukfrontier lag nicht unbedingt daran, dass in den Wäldern gar kein Gummi mehr vorhanden war, sondern dass sich seine Nutzung kaum mehr lohnte.768 Erstens rentierte er sich nicht mehr für die Unternehmen: Heinrich Lubcke erklärte 1907 die Landolphia-Bestände im Küstengebiet einerseits damit, dass die Lianen nachgewachsen seien, andererseits aber dadurch, „dass eine intensive Ausbeutung der Kautschukbestände in den Küstenbezirken überhaupt nie stattgefunden habe, weil der Handel sehr rasch ins Innere drängte, wo der Kautschuk weniger hoch bezahlt würde, als an der Küste.“769 Folglich trieb nicht allein die Suche nach Gummi die Expansionsbewegung der Handelsfirmen

764 Preuss 1892, 53. Auch Ibadans Olubadan verbot 1899 die Kautschukproduktion. Vgl. Omosini 1979, 38. 765 Waldau 1905, 114. 766 IAI N-0030 w 72. 767 Vgl. Mansfeld 1908a. 768 Für dieses Phänomen vgl. Vos 2015, 46; Harms 1975, 76. 769 Vgl. BArch R 1001/3551, 16.

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ins Innere, sondern auch die nach billigerem Gummi. Zudem lohnte es sich nicht, Faktoreien für den Ankauf kleiner Kautschukmengen in bereits ausgebeuteten Gebieten zu unterhalten. Zweitens rentierte sich die Kautschukausbeutung nicht mehr für die aufstrebenden Männer. Ab einem gewissen Zeitpunkt war es zu mühselig, die wenigen noch vorhandenen Lianen im Regenwald ausfindig zu machen. Die destruktiven Methoden führten folglich nicht unbedingt ein völliges Verschwinden der kautschukproduzierenden Pflanzen herbei, auch wenn viele entscheidende europäische Akteure an ein solches glaubten oder es für die Zukunft fürchteten. In Gebieten, über die sich die Kautschukfrontier hinweggeschoben hatte, veränderte sich das Arbeitsregime der Kautschukausbeutung. Während die Gummisucher zu Beginn unternehmungslustige, nicht etablierte Männer gewesen waren, die selbstbestimmt für ihr eigenes Fortkommen arbeiteten, entwickelte sich die Kautschukproduktion hinter der Frontier zu einer Arbeit der Abhängigen. Wo sie nicht völlig verschwand, übernahmen in den küstennahen Gebieten der Mabea, Ngumba und Bakoko spätestens 1898 die Familienoberhäupter die Kontrolle über die nur noch marginale Kautschukgewinnung. Sie mobilisierten ältere Abhängigkeits- und Arbeitsbeziehungen aus dem Elfenbeingeschäft und brachten ihre Bakola-Klienten dazu, Kautschuk zu produzieren.770 Ob die Bakola vorher bereits Gummi gesucht hatten, ist unklar. 1899 schrieb der Offizier Ludwig von Stein zu Lausnitz jedenfalls: „Neuerdings beschäftigen sie sich auch in erheblichem Maasse mit der Gummibereitung.“771 Für den Kautschuk erhielten die Bakola eiserne Waffen, Gewehre, Pulver etc., die sich die Familienoberhäupter durch trust von europäischen oder afrikanischen Händlern besorgt hatten.772 Obwohl die Familienoberhäupter den größten Teil des durch den Kautschukhandel erwirtschafteten Gewinns für sich behielten, scheinen die Bakola das neue Geschäft ebenfalls positiv bewertet zu haben. Die Bemerkung einiger Bakola, nach der die dummen Weißen viele Waren für wenig Gummi gäben, ist bereits angeführt worden. Auch Zenker beklagte 1899, die Ngumba und Bakola hätten „nur ihren Gummihandel im Kopf “.773 Die Bakola nutzten wiederum eigene Abhängige, um Kautschuk zu produzieren. Der amerikanische Missionar Wilmer S. Lehmann wunderte sich, als er 1899 ein Bakola-Lager besuchte, dass sich dort keine kleinen Kinder fanden. Auf Nachfrage gaben die Leute an, diese seien im Busch, „hunting rubber“.774 Die Bakola delegierten demnach die zeitraubende Aufgabe, im ausgebeuteten Wald Lianen zu finden und anzuzapfen, an ihre Kinder. Von einer lohnenden, selbstbestimmten

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Vgl. Chamier-Glisczinski 1925, 59; Kamptz 1898, 502; NN 1907a, 886. Stein 1899, 126. Hervorhebung durch den Verfasser. Vgl. auch NN 1907a, 886. Vgl. Zenker 1904b, 8. MfN, HBSB Zool. Mus., S III Zenker, G. Bd. 1, 130. Lehman 1900, 72.

Vai-Boys: Arbeiterfrage, Karawanenarbeit und der westafrikanische Arbeitsmarkt

und emanzipierenden Arbeit war die Gummisuche in den ausgezehrten Gebieten hinter der Kautschukfrontier herabgesunken zu einer, die von denen geleistet wurde, die persönlich keinerlei Nutzen davon hatten. Zwischenfazit Kautschuk wurde in Südkamerun vor allem von jungen, nicht etablierten Männern produziert, die in der bis Ende der 1880er dominanten ökonomisch-politischen Ordnung des Elfenbeinhandels marginalisiert waren. Kautschuk, ein bis dahin wertloses Waldprodukt, wurde auf einmal genauso hoch bewertet wie Elfenbein. Dies ermöglichte vielen nicht etablierten Männern, binnen kürzester Zeit durch die Kautschukproduktion in den Besitz europäischer Waren zu kommen, mit denen sie Brautgaben zahlen, heiraten und sozial aufsteigen konnten. Die Herstellung von Kautschuk wurde unter anderem deshalb schnell eine männlich konnotierte Beschäftigung. Verschiedene Lianen-Arten wurden für die Kautschukproduktion genutzt. Die hierfür nötigen Techniken stammten aus Gabun, wurden aber verändert und improvisiert. Doch diese Techniken waren nicht nachhaltig. Schnell verschwanden die kautschukproduzierenden Lianen aus den Wäldern, sodass eine Kautschukfrontier entstand, an der noch Kautschuk produziert werden konnte, die sich immer weiter ins Hinterland vorschob. Hierdurch erklärt sich zum Teil die Dynamik des Kautschukhandels: Er war schnell vorüber und musste schnell expandieren, um weiterbestehen zu können.

2.4 Vai-Boys: Arbeiterfrage, Karawanenarbeit und der westafrikanische Arbeitsmarkt Statt Afrika-Kaufmann wäre Max Dinklage lieber Botaniker geworden.775 Er hatte Naturwissenschaften studiert und arbeitete Ende der 1880er im Botanischen Museum in Hamburg. 1889 trat Adolph Woermann an dieses heran. Er suchte einen Pflanzenkundler für sein Afrika-Geschäft, „behufs Durchforschung des Gebietes nach Nutzpflanzen“.776 Der Direktor des Museums, Richard Sadebeck, schlug den jungen Dinklage vor. Noch im selben Jahr fuhr der 25-Jährige nach Groß-Batanga. Eifrig sammelte Dinklage Pflanzen, doch Woermann verbot jede

775 Für biographische Angaben zu Dinklage (1864–1935) vgl. Mildbraed 1935; SBB-PK Slg. Darmstätter. Dinklage, Max J. Lb 1895 Dinklage an Geheimrat, 12.02.1896; StAH 731-8/A 754 Dinklage, Max: Hamburger Nachrichten, 18.02.1935; Hübler 1896, 87. Für Forschungsergebnisse Dinklages vgl. HHBL Botany Gray Herbarium Biog 2 D61 (2) Dinklage. 776 SBB-PK Slg. Darmstätter. Dinklage, Max J. Lb 1895 Dinklage an Prof., 05.05.1889.

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Veröffentlichung.777 So wurde Dinklage nicht Botaniker, sondern Kaufmann. In der wüsten Umbruchszeit der frühen 1890er, in denen Dinklage die Batanga-Faktorei leitete und den Kautschukhandel vorantrieb, waren die jungen Kaufleute „selten nüchtern“.778 Die „Batanga-Löwen“ spielten einander derbe Streiche und berauschten sich an Brutalität gegenüber Afrikanern. Auch Dinklage misshandelte 1893 mehrfach einige Männer.779 Woermann versetzte ihn daraufhin nach Liberia. Dinklage verstand die Warnung, stieg zum Leiter des Liberia-Geschäftes auf, wurde Woermanns Prokurist und liberianischer Konsul in Hamburg, wo er angeblich Liberias Präsidenten das Bergedorfer Schützenfest zeigte.780 Mit Südkamerun und Liberia lernte Dinklage zwei Woermann-Filialen genau kennen. Deshalb wusste er viele Jahre später, wie wichtig liberianische Arbeitsmigranten für die wirtschaftliche Entwicklung Kameruns gewesen waren: Ohne die Kruleute wäre die Entwicklung der deutschen Schiffahrt an der Westküste Afrikas unmöglich gewesen. Ohne die Bassas und Grebos hätten die deutschen Faktoreien auch außerhalb Liberias nicht aufgebaut und der auf Träger angewiesene Gummihandel in Kamerun nicht eingerichtet werden können. Ohne die Veys hätte die Schutztruppe in Kamerun nicht gebildet und der Ring der Eingeborenen-Zwischenhändler nicht durchbrochen werden können. So hat die eingeborene Bevölkerung Liberias außerordentlich viel zur Entwicklung des deutschen Kolonialbesitzes in Westafrika beigetragen.781

Kamerun war von der Schutztruppe bis zum Kautschukhandel abhängig von liberianischen Arbeitskräften. Wie Dinklage in den 1890ern erlebt hatte, griffen die Unternehmen für ihre Karawanen, die sie ins Hinterland schickten, auf tausende junger Männer unterschiedlicher ethnischer Herkunft aus Liberia zurück, die als „Veyboys“ bzw. Vai-Boys bezeichnet wurden. Afrikanische Arbeitsmigration entlang der westafrikanischen Küste war die Grundlage der frühen Kolonialherrschaft in West- und Äquatorialafrika. Alle europäischen Mächte und Unternehmen in den 1880ern und 1890ern litten in den neuen Kolonien unter der sogenannten „Arbeiterfrage“: Sie konnten vor Ort nur schwer Arbeitskräfte rekrutieren und waren auf einige wenige mobile Gruppen

777 Vgl. SBB-PK Slg. Darmstätter. Dinklage, Max J. Lb 1895 Dinklage an Prof., 24.10.1889. Seine einzige Veröffentlichung aus der Zeit ist ebenjener Brief. Vgl. Dinklage 1889. Dinklage schickte weiterhin Pflanzen nach Hamburg und gilt als wichtigster Sammler im Dienst von Woermann. Vgl. Walther 1965, 87. 778 BArch R 1001/3422, 5. 779 Vgl. BArch R 1001/3422, 4 f.; Rüger 1960b, 219. 780 Vgl. Heyden 1974, 41–44. 781 Dinklage 1918, 9 f.

Vai-Boys: Arbeiterfrage, Karawanenarbeit und der westafrikanische Arbeitsmarkt

westafrikanischer Arbeitsmigranten angewiesen: Kru-Seeleute aus Liberia, Handwerker aus Accra, Hausa-Soldaten aus Lagos und andere waren die Arme und Beine der europäischen Firmen und Regierungen. Dennoch ist diese Arbeitsmigration mit Ausnahme der Kru bisher kaum erforscht.782 Auch über die Vai, die in Kamerun als Soldaten und Träger arbeiteten, liegen nur wenige Publikationen vor.783 In der Literatur zu Kamerun finden sich zwar Hinweise auf die Bedeutung von Liberianern und anderen Migranten.784 Über ihre Herkunft, Rekrutierung, Arbeit und die Folgen der Migration gibt es aber kaum Erkenntnisse.785 Dieses Kapitel untersucht Herkunft, Arbeitsalltag und Wirken der liberianischen Vai-Arbeiter im frühen Südkameruner Kautschukhandel. Die Kolonialmächte beantworteten die Arbeiterfrage, indem sie auf den westafrikanischen Arbeitsmarkt zurückgriffen, der sich infolge des transatlantischen Sklavenhandels entwickelt hatte. Die jungen Liberianer, die in den 1890ern als Vertragsarbeiter in Südkameruns Karawanen arbeiteten, waren in ihrer Heimat Abhängige gewesen, weshalb sich in ihrer Migration und deren Folgen Aushandlungsprozesse zwischen Unfreiheit und Emanzipation spiegelten. Als erste bedeutende Gruppe von Lohnarbeitern prägten die Vai die kolonialen Arbeitsbeziehungen in Südkamerun. Diese waren dadurch stark von atlantisch geprägten Formen der Arbeitskräftemobilisierung und -organisation durchdrungen, aber auch von der maskulinen, gewalttätigen Karawanenkultur der Vai-Arbeiter.

782 Hinweise auf die allgemeine Bedeutung liefert Samarin 1989a. Zu den Kru vgl. Gunn 2021; Behrens 1974; Brooks 1972; Massing 1980; Frost 1999; Martin 1985a; Davis 1976. Zu „Senegalesen“, Krio und Cabinda vgl. Echenberg 1991; Cole 2013; Martin 1985b. Für mobile Handwerker fehlen Studien. Für erste Hinweise vgl. Koonar 2014. Für eine Biographie eines individuellen Arbeitsmigranten vgl. Gewald 2009. 783 Vgl. Holsoe 1977; Samarin 1989a, 33; Samarin 1989b, 703. Für ihre Rolle in Kamerun vgl. u. a. Michels 2004, 124 f.; Chilver 1967, 485; Michels 2009, 49, 64 f.; Morlang 2008, 42 ff. Nach Behrens arbeiteten die Vai nur für deutsche Akteure. Vgl. Behrens 1974, 71 f. Vai arbeiteten aber auch für andere Kolonialmächte. Vgl. Samarin 1989b, 703; Newland 1922, 87; Maistre 1895, 41; MarkThiesen 2012, 18. 784 Vgl. Michels 2009; Rüger 1960b, 180 ff.; Temgoua 2014, 168 f. 785 Rompf bettet die Migration aber nicht in den Kontext der Kru-Arbeitsmigration ein. Vgl. Rompf 1985.

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Die Arbeiterfrage: Karawanen und neuer Arbeiterbedarf an der Batanga-Küste Abb. 3, ein Foto aus dem Archiv der Otto-von-Bismarck-Stiftung, wahrscheinlich in den 1880ern von einem afrikanischen Photographen aufgenommen,786 zeigt die Arbeitskräfte der Hauptfaktorei des South-Coast-Geschäfts von Jantzen & Thormählen auf der kleinen Insel Eloby. Laut Legende sind auf dem Bild „Krooleute, stewards, Handwerker etc., zur Eloby Factory gehörend, am Flaggmast“ zu sehen.787 Wahrscheinlich war der Zweck dieses Bildes, die Arbeiterschaft der Faktorei mit ihren jeweiligen Aufgaben zu portraitieren. Viele der 36 Jungen und Männer erscheinen mit einem für ihre Arbeit typischen Gegenstand: Ein Küper steht mit einem Hammer in der Hand neben einem Fass, ein Zimmermann hält eine Säge vor sich, ein älterer Mann mit Schürze einen Hammer. Ein Stewart trägt eine Suppenschüssel, ein anderer eine Serviette und einen Teller. Zwei Männer präsentieren der Kamera ihre Bügeleisen. Im Hintergrund stehen vermutlich Kru, die professionellen Ruderer. Wahrscheinlich waren diese 36 Personen die gesamte ständige afrikanische Belegschaft der Eloby-Faktorei – immerhin Dreh- und Angelpunkt des South-Coast-Geschäfts von Jantzen & Thormählen. In den Faktoreien an der Batanga-Küste war die Zahl der Beschäftigten laut Zöller ebenfalls klein. Da es wegen der Konzentration auf den Elfenbeinhandel „keine schwere Arbeit“ gebe, arbeiteten dort nur wenige Kru und einige Batanga als Stewarts und Köche.788 Der Küstenhandel der 1880er war maritim, er benötigte nicht viele Arbeitskräfte, da er sich darauf beschränkte, von afrikanischen Handelspartnern zur Küste gebrachte Waren (Elfenbein) zu kaufen und zu verschiffen. Mit der Expansion des Kautschukhandels ins Innere Südkameruns veränderte sich die afrikanische Belegschaft der Handelsfirmen dramatisch: Da die Firmen mit ihren Karawanen den Transport von Kautschuk selbst übernahmen und dieser auf dem Landweg geschehen musste, hatten sie einen enormen zusätzlichen Personalbedarf: 1899 beschäftigten Randad & Stein und A. & L. Lubcke für ihre Karawanen zusammen ca. 1000 festangestellte Träger,789 Ende 1906 arbeiteten allein für Randad & Stein mindestens „5000 contractlich angeworbene Jahresträger“,790 zu denen über das Jahr zehntausende kurzzeitig Beschäftigte kamen. Anfang der

786 Ein anderes Foto der Sammlung trägt einen Stempel des aus Sierra Leone stammenden Photographen F. W. Joaque. Vgl. OBS F 2004/058. Zu Joaque vgl. Schneider 2011; Schneider 2014; Schneider 2018. 787 OBS F 2004/042. Die Bildunterschrift trägt den Zusatz: „Elobyfactorei der Firma Jantzen + Thormählen“. 788 Zöller 1885g, Bd. 4, 45. 789 Vgl. BArch R 1001/3816, 123. 790 BArch R 1001/3819, 78.

Vai-Boys: Arbeiterfrage, Karawanenarbeit und der westafrikanische Arbeitsmarkt

Abb. 3 „Krooleute, stewards, Handwerker etc., zur Eloby Factory gehorend, am Flaggmast.“ OBS F 2004/042. © Otto-von-Bismarck-Stiftung.

1890er verwandelten sich die kleinen Handelsfirmen dementsprechend in kürzester Zeit in bedeutende Arbeitgeber für afrikanische Arbeitskräfte – eine folgenreiche Transformation sowohl für die Unternehmen als auch für Südkamerun. Zentrale Frage war, woher die nötige große Anzahl von Arbeitskräften für die Karawanen kommen sollte. Im August 1892 malte Gouverneur von Zimmerer ein Panorama der Arbeitsbeziehungen in Kamerun:791 Brauchten Europäer kurzfristig Arbeitskräfte, konnten sie nur in begrenztem Maße auf Einheimische zurückgreifen. In Kamerun-Stadt waren Arbeiterinnen und Arbeiter am besten zu bekommen, wenn die Europäer eine Abmachung mit einem Duala-Familienoberhaupt trafen, das ihnen seine Abhängigen zur Verfügung stellte – also Sklavinnen und Sklaven. Deren Lohn erhielt ihr Besitzer. Freie arbeiteten nur selten für einen längeren Zeitraum für die Firmen, so von Zimmerer. Sie verpflichteten sich nur als Tagelöhner. Diese Arbeitskräfte waren wenig verlässlich. Auf längere Verträge ließen sie sich nicht ein und beendeten ihre Beschäftigung, wenn sie mit irgendetwas nicht einverstanden waren. „Wenn man ganz sicher sein will, daß übernommene Verpflichtungen […] erfüllt werden“, unterstrich von Zimmerer, „so muß man sich eingeführter Eingeborener bedienen und hat bei vernünftiger Behandlung

791 Für das Folgende vgl. BArch R 1001/4084, 17–24.

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derselben keinen Kontraktbruch zu fürchten, denn der eingeführte kann nicht davonlaufen.“792 Eingeführte Eingeborene bedeutete: westafrikanische Arbeitsmigranten. Die durch von Zimmerer erläuterte „Arbeiterfrage“, die Rüger als „Widerspruch zwischen dem Angebot und der Nachfrage nach Lohnarbeit“ definiert hat,793 war das drängendste Problem der frühen Kolonialherrschaft. Sie brachte europäische Beamte, Plantagenbesitzer und Kaufleute entlang der gesamten afrikanischen Westküste um den Schlaf.794 Für jeden Schritt brauchten die Europäer gelernte und vor allem ungelernte Arbeitskräfte: für Straßenbau, Bahnbau, Plantagen, als Soldaten und eben als Träger. Aber die waren vor Ort kaum zu bekommen. Geographische und komplexe soziokulturelle Bedingungen sorgten dafür, dass die Bevölkerung in Südkamerun und den meisten anderen Gebieten Westafrikas in den ersten Jahren der Kolonialherrschaft kaum langfristige Lohnarbeitsbeziehungen mit Europäern einging.795 Erstens lebten in Kamerun nur wenige Menschen – insgesamt ca. 2,5 bis 3 Millionen auf einem Gebiet beinahe so groß wie das Deutsche Reich, das ca. 50 Millionen Einwohner hatte.796 Zweitens standen diese wenigen Menschen dem kolonialen, kapitalistischen Arbeitsmarkt nicht ohne Weiteres zur Verfügung. An der Batanga-Küste hatte der vorkoloniale Elfenbeinhandel auf der Arbeit von Mitgliedern erweiterter Familien geruht, nicht auf Lohnarbeiterinnen und -arbeitern, die theoretisch auch den Unternehmen zur Verfügung gestanden hätten. Kommodifizierte Arbeit war nicht Lohnarbeit, sondern Sklaverei.797 Drittens weigerten sich die meisten Menschen, sich von Lohnarbeit abhängig zu machen. Weltweit bebauten im 19. Jahrhundert viele Menschen lieber ein kleines Stück Land, auf dem sie in Armut lebten, statt ihre Arbeitskraft zu verkaufen, sich der Ordnung von Fabrik, Bergwerk oder Karawane zu unterwerfen und Einschränkungen ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Autonomie hinzunehmen.798 Westafrika unterschied sich in dieser Beziehung wenig von Westeuropa. Europäer interpretierten diese Ablehnung von Lohnarbeit aber anhand des rassistischen Stereotyps des „faulen“ Afrikaners. Doch dessen Allgegenwart, so Eckert, gibt „einen Hinweis darauf, daß die europäische Herrschaft selbst auf dem Höhepunkt der kolonialen Durchdringung Afrikas keineswegs allmächtig war.“799 Viertens verhinderten

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BArch R 1001/4084, 17–24. Rüger 1960b, 177. Vgl. Philips 1989, 26–47; Cooper 1996, 25–56; Samarin 1989a, 29; Berg 1977, 158 f. Für eine detaillierte Analyse der Arbeiterfrage in der Gold Coast vgl. Dumett 1999, 144–153. Vgl. Rudin 1938, 114; Hausen 1970, 12; Hoffmann 2007, Bd. 1, 31; Rüger 1960b, 151. Vgl. Eckert 1998, 144. Wichtig ist, auf Mischformen hinzuweisen – etwa wenn Familien an ihrer Landwirtschaft festhielten, aber Familienmitglieder zeitweise Lohnarbeit annahmen. Vgl. Beckert 2014, 178–184. 799 Eckert 1999b, 508. Zum Stereotyp der Faulheit vgl. u. a. Rönnbäck 2014.

Vai-Boys: Arbeiterfrage, Karawanenarbeit und der westafrikanische Arbeitsmarkt

Vorstellungen von Männlichkeit die Verbreitung von Lohnarbeit. Ein freier, erwachsener Beti-Mann etwa beschäftigte sich mit Politik, Handel, Krieg und Jagd. Körperliche Arbeit sahen die Beti als lebensbedrohlich an, denn sie zehrte an ihrer Substanz und brachte sie dem Tode näher. Körperliche Arbeit freier, erwachsener Männer, etwa das jährliche Roden von Feldern, diente der Subsistenz und der Schaffung von Reichtum, für die ein Teil der eigenen Substanz einzusetzen wichtig war.800 Arbeit für Fremde hingegen stand diesem Ideal von Maskulinität entgegen. Nur Abhängige arbeiteten für andere: Frauen, Kinder, pawns, unverheiratete Verwandte, Klienten, Sklavinnen und Sklaven.801 Generell war Arbeit für Europäer an der Westküste mit Vorstellungen von Unfreiheit verknüpft. Als Emil Schulze, Woermanns Hauptagent am Kamerun-Ästuar, bei den Verhandlungen mit den Duala zur Abtretung der Souveränität im Juli 1884 versicherte, „daß jeder frei und kein ‚Krooman‘ werden wird“, wirkte das sehr beruhigend.802 Allgemein ist erhellend, dass Kru und andere Arbeiter der Europäer an der Westküste als „Boys“ bzw. „Jungen“ bezeichnet wurden. Einerseits war dies eine europäische Strategie der Entmännlichung, „a refusal to acknowledge the possibility of growth and the achievement of manhood amongst African men. Servitude was combined with the denial of adulthood and thus became a feature of black masculinity“.803 Doch andererseits handelte es sich um einen Pidgin-Begriff. Er legt auch offen, wie Afrikanerinnen und Afrikaner europäisch-afrikanische Arbeitsbeziehungen interpretierten: Indem sie die Arbeiter als Boys bezeichneten, erklärten sie sie zu Minderjährigen – schließlich arbeiteten in ihren eigenen Gesellschaften nur Kinder und Abhängige für Fremde. Ein Arbeiter der Europäer konnte demnach nur ein Boy sein, was oftmals ein Euphemismus für Sklave war.804 Gleichwohl bedeutete all dies nicht, dass die Menschen gar nicht für Europäer arbeiteten. Bei guten Bedingungen arbeiteten sie für die kolonialen Akteure. Beispielsweise waren Duala bereit, auf einer Baustelle zu arbeiten, sobald sie mit Bargeld statt wie sonst üblich mit europäischen Waren bezahlt wurden.805 Auch an der Batanga-Küste war es möglich, Arbeitskräfte etwa zur Entladung von Dampfern oder als Hauspersonal anzuheuern.806 Doch eine Anwerbung von Arbeitern im 800 Vgl. Laburthe-Tolra 1981, 379. Für kulturelle Bewertungen von Arbeit in Europa vgl. Lis/Soly 2012, 3. 801 Vgl. Guyer 1993. 802 BArch R 1001/4202, 26. Die Kru waren damals die wichtigsten afrikanischen Arbeiter der Europäer am Ästuar. An der South Coast nannte man die Sklaven der Europäer „Krumanos“. Vgl. Vos 2015, 50; Friedmann 1991, 26 ff. 803 Morrell 1998, 616. Vgl. auch Brown 2003a; Mutekwa 2013. 804 Vgl. Reeve 1923, 132. Zur Verzahnung europäischer und afrikanischer Begriffe von Arbeit vgl. Cooper 1996, 5. 805 Vgl. Meyer 1911, 58 f. 806 Vgl. Zöller 1885d, 21. Ähnlich an der Kongomündung: vgl. Friedmann 1991, 26 ff.

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großen Stil und für einen längeren Zeitraum, wie es für Karawanen ins Innere nötig gewesen wäre, blieb unmöglich. Der westafrikanische Arbeitsmarkt Die Arbeiterprobleme der europäischen Kolonialmächte ähnelten denen der vorkolonialen afrikanischen Machthaber. Sie kontrollierten zwar das Land, konnten aber die Produktion nicht erhöhen, weil ihnen hierfür die nötigen Arbeitskräfte fehlten. Die Europäer mussten einsehen, dass in weiten Teilen Afrikas die Kontrolle über den Boden zweitrangig war, wenn sie nicht die Kontrolle über Menschen ausüben konnten, die auf diesem Boden arbeiteten. Afrikas schlecht beherrschbare Räume und Sozialstrukturen boten viele Möglichkeiten, sich Kontrolle und Ausbeutung zu entziehen. Afrikanische Autoritäten griffen deshalb auf Arbeitskräfte von außen zurück, denen diese Möglichkeiten fehlten: Sklavinnen und Sklaven.807 Die kolonialen Regierungen und Unternehmen – nicht zuletzt die Handelsfirmen der Batanga-Küste – reagierten nach einem ähnlichen Muster: Sie griffen ebenfalls auf Arbeitskräfte von außen zurück – nicht (direkt) auf Sklaverei, sondern auf afrikanische Arbeitsmigranten, die sie als Vertragsarbeiter an der westafrikanischen Küste rekrutierten. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts konnten europäische Akteure mobile Arbeitskräfte an verschiedenen Orten der Westküste als Lohnarbeiter anwerben. Soweit bisher ersichtlich, handelte es sich vor allem um Männer.808 Die bedeutendsten Arbeiterreservoirs, aus denen zehntausende Menschen temporär oder dauerhaft entlang der Westküste migrierten, waren Sierra Leone, Lagos, Accra, Cabinda, Dahomey und vor allem Liberia. Dieser westafrikanische Arbeitsmarkt und die damit einhergehende Arbeitsmigration waren der bestimmende Aspekt früher kolonialer Arbeitsbeziehungen in West- und Äquatorialafrika. Die Geschichte des westafrikanischen Arbeitsmarktes ist zum Teil die Geschichte des transatlantischen Sklavenhandels seit seiner Ächtung 1807 und seinem Ende in den 1860ern.809 Nicht nur die Sklaverei starb in vielen Teilen Afrikas einen langsamen Tod,810 sondern auch der atlantische Handel mit Sklavinnen und Sklaven. Schließlich endete mit dem Verbot des Menschenhandels nicht die Nachfrage nach afrikanischen Arbeitskräften. Während des 19. Jahrhunderts transformierte sich das Geschäft: Mithilfe von Modellen wie apprenticeship oder indentured

807 Vgl. Cooper 2006, 96; Hopkins 1988, 24 f. 808 Auch Frauen migrierten – einzeln oder in Gruppen. Migrantinnen waren etwa unter den freigekauften Sklavinnen und Sklaven aus Dahomey, die nach Kamerun oder in den Kongostaat geliefert wurden. Vgl. u. a. Hennicke 1894. 809 Vgl. u. a. Clarence-Smith 1990a; Rich 2007b; Schuler 1986b; Renault 1976; Vos 2012. 810 Vgl. Lovejoy/Hogendorn 1993.

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labour brachten europäische und amerikanische Händler weiterhin Afrikanerinnen und Afrikaner über den Atlantik.811 Langsam verschob sich spätestens ab den 1870ern die Richtung dieser atlantischen Migration. Nicht mehr jenseits des Ozeans, sondern entlang der afrikanischen Westküste hatten europäische Staaten und Unternehmen nun vermehrten Bedarf an mobilen Arbeitskräften. Der Charakter dieser sich transformierenden atlantischen Arbeitsmigration ist umstritten. Nach William G. Clarence-Smith migrierte während des Langen 19. Jahrhunderts die überwiegende Zahl der Arbeitskräfte unfreiwillig nach den Amerikas oder entlang der afrikanischen Küste.812 Jeremy Rich hingegen betont die Bedeutung freiwilliger Migration und die sich daraus ergebenden Chancen für Migranten. Bildung habe es z. B. Handwerkern von der Gold Coast oder MpongweClerks aus Gabun erlaubt, ihr Glück an verschiedenen Orten der Westküste – nicht zuletzt in Südkamerun – zu machen.813 Auch Kru-Arbeiter migrierten Teilen der Literatur zufolge freiwillig.814 Letztlich aber führen dichotome Beurteilungen in die Irre. Unter den Arbeitsmigranten und (seltener) -migrantinnen fanden sich Lohnarbeiter, Flüchtlinge, Vertragsarbeiterinnen, Zwangsmigranten und vermietete oder verkaufte Sklaveninnen. Dazu kamen Schattierungen, Überlappungen und Übergänge. Die Wege auf den westafrikanischen Arbeitsmarkt waren sehr unterschiedlich und spiegelten die zeitgenössischen Auseinandersetzungen über Sklaverei und Emanzipation in der atlantischen Welt wider. Freiwilligkeit spielte für die europäischen Arbeitgeber auf dem westafrikanischen Arbeitsmarkt keine Rolle. Entscheidend war stattdessen, was Cooper „fetishism of the labour contract“ nennt:815 Schlossen Arbeiterinnen und Arbeiter einen Vertrag ab, machte dieser ihre Beschäftigung in den Augen der Europäer zu einer freien Arbeitsbeziehung und grenzte sie von der Sklaverei ab. Deutlich wird das Auseinanderklaffen zwischen Anspruch und Wirklichkeit bei den sogenannten „befreiten“ Sklavinnen und Sklaven, die einen Teil der Arbeitsmigranten ausmachten. Alle Kolonialmächte kauften Sklavinnen und Sklaven, erklärten sie für frei, verpflichteten sie aber, ihren Kaufpreis abzuarbeiten. Diese „veiled slavery“ war de facto eine temporäre Versklavung und hielt die Nachfrage nach Sklavinnen und Sklaven aufrecht.816 Auch in Kamerun gab es Beispiele hierfür. Jantzen & Thormählen schlugen 1886 vor, Duala-Sklaven freizukaufen, um sie auf den Plantagen der Firma am

811 Vgl. Schuler 1986b; Schuler 1986a; Renault 1976; Vos 2012. 812 Clarence-Smith 1990a. 813 Vgl. Rich 2007b; Callebert 2016, 118. Zu Kru-Migration vgl. u. a. Behrens 1974, 11; Martin 1985a, 407. 814 Vgl. Clarence-Smith 1990a, 55; Gunn 2021. 815 Cooper 2017, 141. Vgl. auch Cooper 2000b. 816 Brown/van der Linden 2010, 7. Vgl. Ash 2006, 402; Philips 1989, 33; Echenberg 1991, 8–14; Higgs 2012; Clarence-Smith 1993a; Hennicke 1894; Samarin 1989a, 83–113; Loth 1966, 40 ff.

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Kamerunberg einzusetzen. 1890 erhielt die Firma 30 „Haus- und Familiensklaven“ von John Mensah aus Togo.817 Regierung und Firmen diskutierten auch, Sklavinnen und Sklaven in Dahomey von König Behanzin freizukaufen, wie es Portugiesen und Belgier taten, um sie auf Plantagen oder beim Bahnbau arbeiten zu lassen.818 1889 schrieb von Soden aber, ihm leuchte nicht ein, Arbeitskräfte „durch den König von Dahomeh zu beschaffen d. h. jene zuerst durch diesen fangen zu lassen und nachher den Befreier zu spielen“.819 1891 hatte Karl Friedrich von Gravenreuth weniger Skrupel. Auf eigene Faust kaufte er in Dahomey 370 Menschen. Fünf Jahre sollten sie als Polizeitruppe für Kamerun ihren Kaufpreis abarbeiten – bis sie im Dezember 1893 meuterten.820 Auch andere Formen der Arbeitsmigration waren mit Unfreiheit verknüpft. Die „floating population“ in wachsenden Küstenstädten wie Freetown, Accra und Lagos bestand zu einem großen Teil aus ehemaligen Sklavinnen und Sklaven, die die neue koloniale Situation genutzt hatten, um sich selbst zu befreien.821 In den Städten mussten sie nun ihre Arbeitskraft verkaufen, um zu überleben – und gerieten so in den westafrikanischen Arbeitsmarkt.822 Selbst die überall entlang der westafrikanischen Küste geschätzten und gut bezahlten Handwerker aus Accra waren frühere Kindersklaven. Denn zeitweise kaufte die Basler Mission versklavte Kleinkinder, die sie u. a. zu christlichen Maurern und Zimmerleuten ausbildete. Auch sie mussten zuerst ihren Kaufpreis abarbeiten.823 In der wichtigsten Migrantengruppe des westafrikanischen Arbeitsmarktes, den aus Liberia stammenden Kru, waren Fragen nach Unfreiheit und Emanzipation anders gelagert. Die Kru arbeiteten für alle europäischen Akteure als Faktorei- und Plantagenarbeiter, vor allem aber seit dem 18. Jahrhundert als Seeleute.824 Beson817 Vgl. BArch R 1001/3223, 6–9; Hammerstein 1886, 361; BArch R 1001/3223, 15; BArch R 1001/3192, 15 f. 818 Vgl. Cookey 1965, 263; Samarin 1989a, 83–113; Hammerstein 1886, 360. Durch Vermittlung von Wölber & Brohm erhielt der Kongostaat 1892 Hunderte „freigekaufter“ Sklaven aus Dahomey für den Bau der Kongobahn, bis die deutsche Marine diesen Sklavenhandel stoppte. Solche Arbeitertransporte führten sowohl die Woermann-Linie als auch die britische African Steamship Company durch. Vgl. Hennicke 1894; BArch R 1001/3225, 19; PHS RG 217 Tagebuch 2, 24.12.1896. 819 BArch R 1001/3223, 136. 820 Zu den Dahomey-Soldaten vgl. Geschiere 2009, 73 ff.; Hoffmann 2007, Bd. 1, 65 f.; Morlang 2008, 42, 94 f.; Michels 2009, 96–99; Rüger 1960a; Oloukpona-Yinnon 1987. Dahomey arbeiteten noch 1895 in Jaunde. Vgl. BArch R 1001/4358, 7; Schoetz 1901, 42. 821 Für eine Definition vgl. Cooper 1996, 157. 822 Vgl. Philips 1989, 34 ff.; McSheffrey 1983; Grace 1975, 185 ff.; Rossi 2014. 823 Vgl. Koonar 2014. Zur Bedeutung als Handwerker vgl. Lynn 1997, 135. 824 Vgl. Brooks 1972, 3; Behrens 1974, 51; Gunn 2021. Ebenfalls freie Seeleute waren die Cabinda. Sie galten als die Kru der South Coast und arbeiteten von Ambriz bis zum Kamerun-Ästuar. Vgl. Martin 1985b; Clarence-Smith 1990a, 55. Zu Cabinda in Kamerun vgl. Zintgraff 1894, 158; BArch R 1001/3223, 87; Meyer 1911, 50 f.

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ders gefragt waren ihre nautischen Fähigkeiten beim Überqueren der gefährlichen Brandung, die fast überall entlang der Westküste ein Problem darstellte.825 Kru verpflichteten sich jeweils für höchstens ein Jahr und kehrten danach mit ihrem Lohn in ihre Heimat zurück. Umstritten ist der Grad der Freiwilligkeit dieser Arbeitsmigration und wer von ihr profitierte. Jane Martin, Jeffrey Gun und andere haben die Kru als freie Lohnarbeiter portraitiert, deren freiwillige, temporäre Arbeitsmigration Ende des 19. Jahrhunderts zum Erwachsenwerden gehörte. Zwar mussten sie den größten Teil ihrer Löhne an ihre Familienoberhäupter abgeben, doch die zahlten damit Brautgaben für ihre Söhne, sodass sich ihre Migration für sie auszahlte.826 Ibrahim Sundiata hingegen argumentiert, dass die Arbeitsmigration von jungen Kru vor allem „gerontocratic demand“ bediente.827 Tatsächlich ist fraglich, ob der 14-jährige Thomas und der achtjährige John, die 1896 schwerkrank im Kameruner Hospital lagen, eine Wahl hatten, als sie ihre Heimat verließen.828 Von ihrer Migration profitierten andere, nicht sie selbst. Auch war die Migration nicht unbedingt temporär, denn nicht alle Kru kehrten in ihre Heimat zurück. Mitte der 1890er verließen angeblich zwei Drittel aller Arbeitsmigranten Liberia für immer.829 Sie starben, strandeten, wurden nicht zurückgebracht oder siedelten sich freiwillig in den vielen Krutowns an, die entlang der Küste entstanden.830 Dies hätten sie sicherlich nicht getan, wenn sie stark von der temporären Wanderarbeit profitiert hätten. Nur weil viele nicht zurückkehrten, ließ sich die polygyne Ehe, die in der Literatur als Belohnung für erfolgreiche Heimkehrer genannt wird, aufrechterhalten. Liberia als Arbeitsmarkt für Kamerun Die deutsche Kolonie Kamerun war fest in die Strukturen des westafrikanischen Arbeitsmarktes eingebunden. Nichts funktionierte in Kamerun ohne Kru, Vai, Bassa und andere, vor allem liberianische Arbeitsmigranten. Schon 1891 stellte Morgen deshalb in einer Denkschrift heraus, wie bedeutend gerade Liberianer als Arbeiter für Kamerun waren. Den liberianischen Arbeitsmarkt für deutsche Firmen offenzuhalten, hielt er für die oberste Priorität.831 Als Frankreich Anfang 1894 den westlichen Teil der Kru-Küste annektierte, war die deutsche Kolonialverwaltung entsprechend alarmiert. Gouverneur von Zimmerer schrieb an den Reichskanzler,

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Vgl. Behrens 1974, 65–70. Vgl. Martin 1985a; Gunn 2021; Behrens 1974; Frost 1999; Brooks 1972; Davis 1976. Sundiata 1996, 128. Vgl. Plehn 1896, 508. Vgl. Dunn 2011, Bd. 1, 394. Zu verschiedenen Krutowns vgl. Gunn 2021, 93–98, 103–128, 172–178; Frost 1999; Sundiata 1975. Vgl. BArch R 1001/8712, 92.

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ein weiteres Vorgehen der Franzosen in Liberia komme einem „nahezu vernichtenden Schlage gegen unsere Schutzgebiete“ gleich.832 Um dem vorzubeugen, bereitete das Auswärtige Amt kurzerhand einen Vertrag mit Liberia vor, nach dem sich die Republik im Falle eines Falles unter den Schutz des Deutschen Reiches stellen würde.833 Kaiser Wilhelm II. gegenüber verwiesen die Beamten bei diesem Plan, Liberia zu einer deutschen Kolonie zu machen, ausschließlich auf die Bedeutung Liberias als Arbeitskräftereservoir, das durch das französische Vorgehen bedroht sei.834 Doch die Verhandlungen mit Liberia kamen nicht voran.835 Als auch die Franzosen die Füße stillhielten, schliefen die Bemühungen schließlich ein.836 Die Episode unterstreicht, wie bedeutsam liberianische Arbeiter für Deutschland und vor allem für Kamerun waren. Liberia war bis zur Jahrhundertwende der wichtigste Arbeitskräftelieferant der Kolonie und damit auch für die Karawanen des frühen Kautschukhandels. Dies lag einerseits an der zunehmenden Schließung des westafrikanischen Arbeitsmarktes, andererseits an der ökonomischen Dominanz der Firma Woermann in Liberia, aufgrund der sich eine starke Verbindung zwischen der Republik und der deutschen Kolonie Kamerun entwickelte. In Liberia rekrutierte Arbeiter wie Kru, Bassa, Grebo, vor allem aber sogenannte Vai arbeiteten seit den 1880ern, also schon vor dem Kautschukboom, nicht nur als Schiffsarbeiter, sondern auch als Träger für das Kameruner Gouvernement, seine Expeditionsführer und Subimperialisten. Unter den Trägern der ersten Expedition von Kund und Tappenbeck waren 63 Mende, zehn Susu und 40 Vai, aber nur sieben Mann aus Kamerun.837 Während in Morgens erster Expedition Togo-, Elmina- und Lagos-Leute arbeiteten, waren auf der zweiten 70 von 110 Männern Vai aus Liberia.838 Noch bedeutender waren Liberianer bei den Expeditionen Eugen Zintgraffs: 1890 zog er mit fast 400 Liberianern ins Grasland.839 Als die Unternehmen an der Batanga-Küste 1892 begannen, Karawanen ins Hinterland zu schicken, fügten sie sich in dieses Muster ein und nutzten hierfür vor allem liberianische Männer, die als Vai bezeichnet wurden. Nicht nur für Kamerun, sondern für viele Kolonien West- und Äquatorialafrikas war Liberia bedeutend für die Arbeitskräfteversorgung. Im Zuge der kolonialen Aufteilung Afrikas schlossen die neuen Regierungen in den 1890ern den westafrikanischen Arbeitsmarkt weitgehend und verhinderten die Arbeitsmigration aus

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BArch R 1001/8712, 157. Vgl. BArch R 1001/8712, 179 f. Vgl. BArch R 1001/8712, 182–188. Vgl. BArch R 1001/8713, 125. Vgl. die teilweise ungenaue Analyse in Rompf 1985, 69–84. Vgl. Kund 1888a, 8. Vgl. Morgen 1893, 60 ff., 152 f. Vgl. Zintgraff 1895, 69 f., 349.

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ihren Kolonien. Teilweise wollten sie selbst von der Arbeitskraft dieser Menschen profitieren, teilweise versuchten sie, diese zu schützen: Ein wichtiger Faktor war hierbei die Politik des Kongostaates, der um 1890 für seine Expeditionen und den Bau der Kongobahn tausende Arbeiter „verbraucht[e]“, wie Max von Stetten sich ausdrückte.840 Misshandlungen, Todesfälle und Beschwerden der Arbeiter führten schließlich dazu, dass britische Kolonien die Arbeitsmigration in den Kongo und anderswohin verboten.841 Folglich war eine Anwerbung in den 1890ern auf dem westafrikanischen Arbeitsmarkt extrem erschwert.842 Entsprechend stieg die Bedeutung Liberias als Arbeitskräftereservoir: Das Gebiet war nicht nur seit dem 18. Jahrhundert ein Exporteur von Kru-Arbeitsmigranten, es war auch der einzige arbeiterexportierende Fleck entlang der Westküste, auf den keine europäische Kolonialmacht Anspruch erhoben hatte. Liberia wiederum war zu schwach, um seinen Arbeitsmarkt effektiv zu regulieren. Kolonialregierungen und Firmen konnten Regeln ignorieren, ohne diplomatische Krisen in Europa heraufzubeschwören. Der westafrikanische Arbeitsmarkt für ungelernte Kräfte verengte sich in den 1890ern deshalb zunehmend auf Liberia. Das Übergewicht der Liberianer in Kamerun war zudem auf die Bedeutung der Firma Woermann in Liberia zurückführen. Wie wichtig das deutsche Unternehmen für das Land war, hat die Forschung kaum zur Kenntnis genommen.843 Die seit 1849 unter dem Namen C. Goedelt und später als A. Woermann in Liberia aktive Firma war zum wichtigsten Unternehmen Liberias aufgestiegen – mit Faktoreien in allen wichtigen Küstenorten.844 Schon 1859/60 war Hamburg (und damit wahrscheinlich ausschließlich Woermann) einer der wichtigsten Handelspartner Liberias.845 1885 wickelten Woermann und der niederländische Konkurrent Hendrik Müller & Co. zwei Drittel des Außenhandels ab.846 1905 beherrschten Woermann und kleinere deutsche Firmen sogar 83, nach anderen Angaben 90 Prozent des Außenhandels.847 Die meisten Dampfer, die das Land anliefen, fuhren unter deutscher Flagge – und

840 BArch R 1001/3225, 83. 841 Vgl. Cookey 1965; Grace 1975, 186 f.; Philips 1989, 34. Zu Todesraten beim Bahnbau im Kongo vgl. van Reybrouk 2012, 108 f. Auch für Kamerun erschwerten Klagen von Arbeitern die Anwerbung aus britischen Kolonien. Vgl. BArch R 1001/3225, 83. Für Beschwerden von Arbeitsmigranten über Kamerun vgl. Michels 2009, 64 f. 842 Vgl. Grace 1975, 187. 843 Für Ausnahmen vgl. Schmokel 1976/77; Kappel 1982, 137; Chaudhuri 2018, 47–69. 844 Vgl. StAH 132-5/7/17 Memorandum, Hanseatic Legation, 22.02.1865; IUA LGA I. Justice Department. Native Shipping Bureau 1, Moore an A. Woermann, 21.09.1892. 845 Vgl. NN 1861, 355. 846 Vgl. BArch R 1001/8712, 7. 1892/93 hielten sich in Liberia 23 deutsche, 7 niederländische, 3 britische Kaufleute und 1 norwegischer Kaufmann auf. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg sollen 23 aller Europäer Deutsche gewesen sein. Vgl. Kurz 1893, 77; Dinklage 1918, 2. 847 Vgl. SWA L/Länderakte Liberia. Notiz, 07.09.1927; Schmokel 1976/77, 27; NN 1915a, 211.

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gehörten überwiegend zur Woermann-Linie.848 Woermanns Geschäftsleiter in Monrovia, fast durchgängig auch deutscher Konsul, wurde „eine beratende Stelle beim Präsidenten“ zuschrieben.849 Jedenfalls hatte Woermann großen Einfluss auf die Regierung, da diese und auch hohe Beamte bei der Firma verschuldet waren.850 In einem Reisebericht von 1909 hieß es: „The biggest name in Liberia […] is that of Woermann of Hamburg. The letters of this name spell steamships, mails, commerce, and financial assistance.“851 1909 wurde Woermanns Manager Dinklage von der Republik beauftragt, eine Liberianische Nationalbank zu gründen. „If he succeeds“, so die verbreitete Furcht, „the House of Woermann will practically own Liberia.“852 Woermanns ökonomisches Gewicht übersetzte sich in die Fähigkeit, liberianische Arbeitskräfte zu rekrutieren. Die bisherige Forschung zum liberianischen Arbeitsmarkt bezieht sich fast ausschließlich auf die Kru und deren Arbeit für die Briten.853 Jedoch ist dies Folge einer verzerrten Wahrnehmung, da die Literatur die Dominanz Woermanns in der Republik und die Bedeutung der Woermann-Linie für die gesamte Westküste nicht zur Kenntnis nimmt. Durch ihren Einfluss und ihre räumliche Präsenz hatte die Firma seit den 1880ern privilegierten Zugriff auf liberianische Arbeitskräfte.854 Dies zeigte sich vor allem an der Beschäftigung von Kru. Schon vor 1884 bestand in Monrovia eine „deutsche Krootown“, deren Einwohner hauptsächlich auf Woermann-Schiffen arbeiteten.855 Spätestens um 1900 war Woermann wahrscheinlich der wichtigste Arbeitgeber für liberianische Kru, denn die Briten warben ihre Kru zu dieser Zeit nicht mehr ausschließlich in Liberia, sondern auch in Freetown, Sierra Leone, an.856 1898 rekrutierten britische Dampfer monatlich 100–200 Kru in Liberia.857 Die Woermann-Linie hingegen warb 1902 jeden Monat ca. 700 Arbeiter an.858 Nicht weniger als 21.233 Kru arbeiteten zwischen November 1904 und Oktober 1906 für die Woermann-Linie, als

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Vgl. NN 1915a, 216; Dunn 2011, Bd. 1, 470. Scheunemann 1925, 144. Vgl. ACW Bilanzen 1905–14; Reeve 1923, 38; NN 1885b, 17. Forbes 1910, 252 f. Forbes 1910, 253. Das Projekt scheiterte. Woermann gründete aber 1913 die Deutsche Liberia Bank. Vgl. Dunn 2011, Bd. 1, 472; Buell 1928, Bd. 1, 764; Chaudhuri 2018, 47. Vgl. z. B. Martin 1985a; Frost 1999; Brooks 1972. Ausnahmen sind: Behrens 1974 (die selbst in der anglophonen Forschung kaum Berücksichtigung findet); Sundiata 1996; Sundiata 1974. Vgl. Buell 1928, 774. Büttikofer 1890, Bd. 1, 38 f. Für die Datierung vgl. ACW Briefe Adolph Woermann an Rud. Schmidt. Woermann an Schmidt, 31.01.1884. Was Gunn als „decline in the homeland“ (Gunn 2021, 179)bezeichnet, bedeutete eigentlich eine Übermacht deutscher Unternehmen in Liberia. Zur Kru-Diaspora in Freetown vgl. Frost 1999, 113–185; Gunn 2021, 72–102. Vgl. BArch R 1001/8716, 96. Vgl. BArch R 1001/3229, 163.

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diese ihre Dampferflotte während des Völkermordes an den Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika stark erweiterte.859 1913 beschäftigte Woermann 10.000 Kru-Deckarbeiter, davon mehr als 7000 aus Monrovia, während spanische und britische Dampfer insgesamt nur ca. 2500 Deckarbeiter an Bord nahmen.860 Woermann arbeitete mit einigen Kru viele Jahre zusammen. Etwa mit Robert Cappi oder Teah Tobey, über den die Firma 1928 schrieb, dass er „for more than Fifty years […] in the employ of the said company“ gewesen sei.861 Die enge Vernetzung der deutschen Kolonialverwaltung mit Woermann begünstigte die Migration von liberianischen Arbeitskräften nach Kamerun. Vor allem in den ersten Jahren war die Regierung abhängig von der Firma, die durch ihre sich von Liberia bis Angola erstreckenden Geschäftszweige, ihre jahrzehntelange Präsenz sowie ihre Dampferlinie Wissen und Netzwerke besaß, die der Kolonialverwaltung in Berlin und in Kamerun-Stadt fehlten. Ähnliches galt für die Unternehmen der Batanga-Küste. Keines von ihnen konnte sich mit Woermann vergleichen. Woermann war der deutschen Regierung und den Unternehmen deshalb ein idealer Partner, um Arbeitskräfte zu organisieren. Arbeiter für den Busch: Ethnische Labels und berufliche Professionalisierung Die liberianischen Träger der ersten bewaffneten Handelskarawanen, die A. & L. Lubcke, Randad & Stein und dann auch die anderen Unternehmen der BatangaKüste ab 1892 ins Innere sandten, waren sogenannte „Weyboys“ oder „Veyjungen“, die als geborene Träger oder Soldaten galten. Doch die Arbeiterschaft war heterogener, als sie den Anschein hatte. Der Stationschef und spätere Kaufmann Carl W. H. Koch stellte klar, „Wey“ sei bloß ein „ungenauer Sammelname für Arbeiter aus dem Gebiet von Sierra Leone, Liberia und Teilen der franz. Elfenbeinküste“.862 Unter seinen „Wey“ befanden sich „eigentliche“ Vai, Mende und Bassa.863 Obwohl sich Bezeichnungen wie Wey/Why/Vey/Vy/Vai etc. auf die im Norden Liberias lebende ethnische Gruppe der Vai bezogen, gehörten die jungen Männer, die in den 1890ern nach Südkamerun kamen, einer Vielzahl von Gruppen an. „Vai“ war ein 859 Vgl. Dinklage 1918, 10 860 Vgl. NN 1915a, 216. Solche Zahlen geben keinerlei Aufschluss darüber, wie viele Arbeiter sich mehrfach für die nur wenige Monate dauernde Fahrt anwerben ließen und ob Arbeiter eingerechnet sind, die europäische Dampfer illegal an der Kru-Küste anwarben. Viele Kru fuhren 3–4 mal im Jahr zur See. Vgl. Buell 1928, 775. 861 IUA LGA Vertrag, 11.04.1928 [Akte unklar: http://fedora.dlib.indiana.edu/fedora/get/iudl:1250315/ OVERVIEW (letzter Zugriff: 01.08.2022)]. Zu Tobey vgl. Lindt 1940; Bohner 1935b, 252; Woermann 1990, 184–187, 209–214; Bavendamm 1987, 119 f. Vgl. auch BBWA N 6/22/9, 37. Zu Cappi vgl. Williams/Williams 1955, 61. 862 Koch 1922, 157. 863 Koch 1922, 9.

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ethnisches Label, mit dem Arbeitgeber eine bestimmte berufliche Spezialisierung verbanden: die Arbeit als Träger und Soldaten. Der Name Vai wurde manchmal geradezu als Berufsbezeichnung benutzt.864 Spezialisierte afrikanische Arbeiter unterschiedlicher Herkunft als Angehörige einer einzigen, homogenen ethnischen Gruppe zu begreifen, entsprach der im 19. Jahrhundert bei Europäern verbreiteten Neigung, Eigenschaften von Menschen zu ethnisieren. In den Kolonien war diese rassistische Praxis verbreitet, wie am Konzept der „warlike races“ gezeigt wurde.865 Gut erforscht ist die Ethnisierung von Arbeitern entlang von Fähigkeiten und grober Herkunftsangabe am Beispiel der Kru. Diese galten als geborene Seefahrer, gehörten jedoch ebenfalls verschiedenen ethnischen Gruppen an. Gemeinsam war ihnen lediglich ihre Herkunft aus Liberia, ihre nautische Spezialisierung und die Arbeitsmigration, wodurch eine „ethnic-occupational identity“ entstand.866 Afrikanerinnen und Afrikaner hatten an der Entstehung solcher Labels einen wichtigen Anteil. Wie Diane Frost betont, inszenierten sich z. B. die Kru selbst als fähige Seeleute, um die lukrative Arbeit zu monopolisieren.867 Auch Vai-Arbeiter unterschiedlicher Herkunft machten sich die Vai-Identität zu Eigen. So traf Frederick W. H. Migeod Anfang der 1920er im Sherbro-Gebiet einen Mann namens Fode, der in der Kameruner Schutztruppe gedient hatte und sich deshalb als Vai bezeichnete, obwohl er ein De war.868 Die Verbindung zwischen vermeintlicher Ethnizität und Arbeit trieb überall in Westafrika die Tribalisierung voran.869 Auch in Kamerun reproduzierten sich später solche Muster. Als Vai bezeichnete Arbeiter waren auf Tätigkeiten im Hinterland der neu gegründeten europäischen Kolonien spezialisiert. Kaufleute, Reisende und Beamte konstruierten die ethnic-occupational identity der Vai als Gegensatz zu den Kru, die vor allem auf Schiffen und in Küstenfaktoreien tätig waren. Endlos ließen sich solche dichotomen Gegenüberstellungen zitieren:

864 Eine Auflistung ausstehender Forderungen von Woermann an Männer aus Kriegsschiffhafen zählte 1909 auf: „Headman Asmani“, „Clerk Fech“, „Maurer Johannes“, „Arbeiter Lind“, „Headman Albert“, „Headman Big Boy“, „Postboy Semba“, „Arbeiter Franz“ und „Weiboy Jacab“. ACW „Kameruner Neger-Briefe“, 49. Hervorhebung durch den Verfasser. Ein Foto der Basler Mission ist beschriftet mit „Kakaoernte mit Bali-Weyboys, Kamerun“. Möglicherweise besagt es, dass Bali aus Nordwestkamerun die Arbeit von Vai übernahmen. Vgl. Mission21 o. J. 865 Vgl. Moyd 2014, 10 f.; Kirk-Greene 1980; Lunn 1999. 866 Frost 1999, 156. Samarin spricht von ethnischen Namen für Arbeiter als „cover-term“. Samarin 1989a, 35. 867 Vgl. Frost 1999, 31. 868 Vgl. Migeod 1926, 196 f. 869 Vgl. Frost 2000, 164.

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Der Krujunge ist vorzüglich für das Wasser, die See; als Ruderer steht er unerreicht da, aber feige ist er zu Land und ein sehr schlechter Fussgänger. […] Der Weijunge aber […] ist geschaffen für Märsche, der richtige Landsknecht, dem das Wanderleben, sowie Wein, Weib und Spiel über alles gehen.870

In vorkolonialer Zeit sowie zu Beginn der Kolonialherrschaft, als die Kolonien noch sehr maritim geprägt waren, subsumierten die Europäer alle liberianischen Arbeitskräfte unter dem Kru-Label.871 Als eigenständige Arbeitergruppe wurden die Vai erst sichtbar, als sich die von den Europäern nachgefragten Aufgaben diversifizierten und sich der Bedarf an Arbeitskräften im Landesinnern intensivierte.872 Hier waren professionelle Seeleute wie die Kru unbrauchbar und andere Fähigkeiten gefragt, wie z. B. Kämpfen oder Lastentragen. Nun differenzierten sich die liberianischen Arbeitskräfte aus: Die Kru verteidigten erfolgreich ihre nautische Spezialisierung gegen die Ansprüche der Europäer.873 Die entstehende Lücke auf dem Arbeitsmarkt füllten die als Vai bezeichneten Männer. Sie waren vertraut mit Aufgaben von Jungen und jungen Männern in den Binnenlandgesellschaften Nord-Liberias und Sierra Leones. Sicherlich hatten dort bereits viele von ihnen als Träger und Soldaten gearbeitet.874 Sie erschienen den ins Innere dringenden Kolonialregierungen und Unternehmen deshalb besonders für den Dienst in Armee, Expeditionen und bewaffneten Handelskarawanen geeignet. The shipping of boys: Atlantische Kontinuitäten und Transformationen bei der Rekrutierung von Vai-Arbeitern Um Vai-Arbeiter anzuwerben, waren die Europäer auf afrikanische Broker und ihre Netzwerke angewiesen. Solche Broker gab es in den 1880ern und 1890ern in Cape Mount, an der Küste des Vai-Gebietes, aber auch in Liberias Hauptstadt Monrovia. Dort existierte eine Vaitown genannte Siedlung.875 John Gray, genannt Vai John oder King John, ein um 1840 geborener Mann muslimischen Glaubens,

870 Esser 1898, 108. Für weitere Beispiele vgl Stein 1928, 11 f.; Zintgraff 1895, 69 f.; Passavant 1884, 8 f.; Zöller 1885e, 35 f. Wie absurd die Zuschreibungen waren, zeigt, dass andere die Ruderkünste der Vai bewunderten. Vgl. Bernhard 1897, 22; Petersen 1939b, 34; Graetz 1913, 95 f.; Koch 1922, 30 f.; Koch 1923, 126 f.; Stein 1926, 155 ff. 871 Vgl. Samarin 1989a, 33; BArch R 1001/8715, 28. 872 Dies vermutet auch Michels 2009, 49. Vgl. auch Behrens 1974, 71 f. 873 Vgl. Meyer 1911, 25. 874 Vgl. Holsoe 1984/85, 16; Holsoe 1967, 15; Konneh 1996, 56. 875 Vgl. Büttikofer 1890, Bd. 1, 39. Zu Vaitown vgl. Johnston 1906, Bd. 1, 147; Fraenkel 1965, 83–87; Zöller 1885e, 35. Zur Sozialstruktur der Vai vgl. Holsoe 1967, 7–54.

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war deren Oberhaupt.876 Bis zu seinem Tod 1899 war er ein so bekannter Mann unter den die Westküste bereisenden Europäern, dass sein Bild auf Postkarten abgedruckt wurde.877 „Er trägt als Zeichen seiner Würde einen rothen Fez, wie sie in den Faktoreien verkauft werden“, berichtete der Schweizer Reisende Johann Büttikofer, „und über seine Schulter ein talarartig bis zu den Knien herabhängendes, ärmelloses Hemd von inländischem, gestreiften Baumwollzeug“. Ein „Schlaukopf “ sei Vai John, so Büttikofer, den man sich warmhalten müsse, weil er großen Einfluss habe.878 Schließlich war er der wichtigste Vermittler von Vai-Arbeitern in Monrovia. Seine Tätigkeit ermöglicht einen Blick auf Brüche und Kontinuitäten in der verborgenen Welt der Anwerbung von Vai-Vertragsarbeitern: das „shipping of boys“.879 Sie stützte sich auf Formen von Unfreiheit – und doch war die Mobilität der Arbeitsmigranten nicht immer erzwungen, sondern zum Teil auch Folge individueller Entscheidungen von Jungen und Männern, die versuchten, sich zu emanzipieren. Auch die Anwerbung von Vai-Arbeitern stand in einer Kontinuität zum transatlantischen Sklavenhandel. Seit Anfang des 18. Jahrhunderts war das nördliche Liberia, wo Vai-Herrscher bei Cape Mount die Küste kontrollierten, ein Rekrutierungsgebiet für die Karibik und die Amerikas. Mitglieder der Familie von Vai John waren damals Partner europäischer Sklavenhändler in Cape Mount gewesen.880 Trotz der internationalen Ächtung intensivierte und professionalisierte sich der Sklavenhandel der Vai im 19. Jahrhundert, bis Briten und Liberianer das Geschäft 1850 beendeten.881 Unter dem Deckmantel der Vertragsarbeit ging er jedoch weiter. 1853 versuchte eine britische Firma, Vai-Arbeiter für ein zweijähriges apprenticeship nach British-Guyana zu holen.882 Für jeden „Lehrling“ zahlte sie ihren Vai-Partnern eine feste Summe. Diese wiederum reaktivierten die Netzwerke des Sklavenhandels. Auch Franzosen und Spanier versuchten, in Cape Mount auf diese Weise Arbeitskräfte für ihre Plantagenkolonien zu gewinnen.883 Spätestens Mitte der 1870er wechselte die Anwerbung von indentured labourers die Richtung: Nicht mehr jenseits des Atlantiks, sondern entlang der afrikanischen Westküste wuchs 876 Der US-Bischof Penick schätzte ihn 1878 auf 38–40 Jahre, Büttikofer nannte ihn einen Mann mittleren Alters. Vgl. Penick 1878, 455; Büttikofer 1890, Bd. 1, 39; NN 27.10.1881. 877 Vgl. Postkarte der Firma Carl Schultze, Monrovia. Kopie im Besitz des Autors. Zum Tod vgl. Republic of Liberia 1971, 405. Seinen Nachfolger, King Murphy, nennen die Quellen nicht als Arbeitskräftevermittler. 878 Beide Zitate: Büttikofer 1890, Bd. 1, 39. 879 A loyal citizen 12.12.1902. 880 Vgl. Holsoe 1967, 112. 881 Vgl. Holsoe 1977, 295 f. Zum Sklavenhandel der Region vgl. Jones/Johnson 1980; Vos 2010. 882 Zum apprenticeship vgl. Cooper/Holt/Scott 2000, 19 f. Zu apprenticeship und transatlantischer Migration in Liberia vgl. Schuler 1986a; Schuler 1986b. 883 Vgl. Holsoe 1977, 296.

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nun die europäische Nachfrage nach Arbeitskräften, auf die Broker wie Vai John reagierten. Woermann etwa beschäftigte in den 1870ern Vai im Kautschukhandel im Innern Gabuns.884 Die Arbeitsmigration der Vai zeigt deshalb deutlich, wie sich das Arbeitergeschäft im 19. Jahrhundert transformierte: vom transatlantischen Sklavenhandel über indentured labour für die Amerikas hin zum westafrikanischen Arbeitsmarkt, auf dem sich die neuen europäischen Kolonien mit Vertragsarbeitern eindeckten. Wenn Vai John Besuch empfing, stellte er die Geschenke zur Schau, die er von der Firma Woermann erhalten hatte.885 Denn die wichtigsten Geschäftspartner Vai Johns und anderer Broker waren europäische Handelsfirmen. Dies zeigen Berichte von Reisenden wie Büttikofer, Oscar Baumann, Oskar Lenz oder Carl Passavant, die Vai John erwähnten. Sie waren für ihre Expeditionen auf die Logistik der Firmen angewiesen. Diese vermittelten ihnen den Kontakt zu Vai John oder warben bei ihm Arbeiter für sie an. Selbst das Kameruner Gouvernement ließ die Träger der Kund-Tappenbeck-Expedition bei „König John Gray (alias Vey John)“ anwerben, vermittelt vom deutschen Konsul in Liberia – Woermanns Hauptagent.886 Die Arbeiteranwerbung entwickelte sich möglicherweise, mit steigender Nachfrage durch Reisende, Expeditionen, Unternehmen und Kolonialregierungen, in den 1880ern zu einem wichtigen Teil des Woermann-Geschäfts in Liberia. Denn auch in Cape Mount gründete die Firma zwischen 1883 und 1885 eine Faktorei, die wahrscheinlich dazu diente, Arbeiter anzuwerben.887 1887 rekrutierte Woermann für eine französische Firma im großen Stil Kru und Vai für den Bau des Panamakanals. Mindestens 1000 Menschen transportierten die Dampfer der Firma über den Atlantik. Vai John, so Büttikofer, habe dabei sein größtes Geschäft gemacht.888 Des Weiteren meinte Büttikofer, Vai John verdiene gut an der Arbeitervermittlung, da er „ganz bedeutende Prozente der bedingten Löhnung als Provision in seine eigene Tasche steckt“.889 Da europäische Reisende oder Unternehmen ihre Vai-Arbeiter nicht kauften, sondern nach dem Vorbild der Kru für ein oder zwei Jahre als Vertragsarbeiter engagierten,890 zahlten sie ihnen Löhne. Um einen 884 Vgl. Lenz 1885, 404. Nach Holsoe trat nach den 1850ern eine Pause ein, bis in den 1890ern der Arbeiterexport nach Kamerun und anderswo einsetzte. Vgl. Holsoe 1977, 297 f. Für weitere dem widersprechende Beispiele vgl. Soyaux 1881, 85; Zöller 1885d, 127; NN 1889b, 991; Maistre 1895, 41. 885 Vgl. Zöller 1885e, 35. 886 BArch R 1001/4348, 25. 887 Vgl. Lesser 1885, 15; Handelskammer Hamburg 1885, 229. 888 Vgl. Büttikofer 1890, Bd. 1, 40. Vgl. Kuhn 1975; Behrens 1974, 81; Lindt 1940; Dunn 2011, Bd. 1, 395; Grace 1975, 186. Für Zahlen vgl. GStA PK I.HA Rep. 81/Nr. 960, 24 f. 889 Büttikofer 1890, Bd. 1, 40. Vgl. auch Baumann 1887, 238. 890 Vgl. Baumann 1887, 238; Zintgraff 1894, 157; Friederici 1898, 162; Büttikofer 1890, Bd. 2, 191 f. Zu den Kru vgl. Behrens 1974, 59.

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Vertrag abzuschließen, entrichteten sie einen Vorschuss, den nicht der Arbeiter, sondern der Broker erhielt.891 1899 waren dies zwei Monatslöhne.892 Wie diese Vorschüsse verwendet wurden, ist nicht überliefert. Einen Teil dürfte der Broker einbehalten haben, den Rest erhielten wahrscheinlich die Familien, mit denen er zusammenarbeitete.893 Vai John vermittelte Menschen unterschiedlicher Herkunft. „Abends“, beschrieb Passavant sein Treffen mit Vai John, „kam auch noch der König der Why’s mit zweien seiner Söhne an Bord, um zu sehen, ob Verwendung für sie da sei.“894 Auch Büttikofer nahm Vai Johns „Söhne“ als Arbeiter an. Er vermutete jedoch richtig, dass Vai John „nicht nur seine eigenen Söhne und Sklaven, sondern auch Söhne und Töchter seiner Unterthanen als Bediente und Arbeiter an Weisse und Liberianer vermiethet“.895 Vai John rekrutierte sogar über Veytown hinaus im Vai-Gebiet. Menschen von dort gingen bei ihm ein und aus. Eine liberianische Zeitung bezeichnete ihn deshalb 1881 als „a kind of Representative or Consul for the Vey Tribe visiting Monrovia“.896 Über diese Netzwerke schickten ihm Familien vor allem junge Männer, die er als Arbeitskräfte vermittelte. Nach Ablauf ihres Arbeitsvertrages und ihrer Rückkehr mussten sie wahrscheinlich ihren Verdienst ganz oder teilweise an denjenigen abgeben, der über sie, ihre Arbeitskraft und Mobilität verfügen konnte. Die nach Kamerun und anderswo vermittelten Arbeiter waren nach Svend Holsoe vor allem „domestic servants, pawns, and individuals of low status“.897 Denn soziale Unfreiheit war im 19. Jahrhundert bei den Vai und angrenzenden Gruppen sehr bedeutsam. Bis zu 75 Prozent der Bevölkerung galten als jonnu, Unfreie, auf deren Arbeitskraft Vai-Familienoberhäupter Anspruch erhoben.898 Einen Einblick in die Lebenswelt der Unfreien im Grenzgebiet zwischen Liberia und Sierra Leone, aus dem sich Südkameruns Karawanenträger rekrutierten, ermöglicht die Lebensgeschichte eines Mende namens Samba.899 In seinem diktierten Bericht skizzierte er ein Netz verschiedener Formen von Unfreiheit, das ihn zeitlebens gefangen hielt. Nachdem sein Vater gestorben war, wurde der 14-jährige Samba wahrscheinlich um 1900 der Diener eines Kriegers namens Vonjo Ngulugua. Nachdem er in den Poro-Bund initiiert worden war und als erwachsen galt, begann er eine Affäre mit

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Für ein ähnliches Modell in späterer Zeit auf Fernando Po vgl. Martino 2017. Vgl. BArch R 175-I/130, 66. Vgl. BArch R 1001/3228, 129 f. Passavant 1884, 9. Büttikofer 1890, Bd. 1, 40. Vgl. auch Baumann 1887, 238. NN 27.10.1881. Holsoe 1977, 297. Vgl. Holsoe 1984/85, 13. Vgl. Westermann 1952, 84–101.

Vai-Boys: Arbeiterfrage, Karawanenarbeit und der westafrikanische Arbeitsmarkt

einer der Frauen des Kriegers. Die beiden wurden entdeckt und Vonjo Ngulugua klagte ihn an. „[I]ch wurde verurteilt“, erzählte Samba, „fünf Jahre für ihn zu arbeiten, so lange in der Tat, daß ich nun beinahe sein Sklave wurde.“900 Nach Ablauf der fünf Jahre geriet Samba sofort in neue Abhängigkeit, denn er ging zu seinem Onkel Benja. Dort, so Samba, „arbeitete ich zwei Jahre auf der Farm meines Onkels, und er versprach, mir seine Tochter als Frau zu geben.“901 Brautgaben musste er nicht zahlen, „da […] meine Dienste ihm von größerem Wert waren als die Zahlung einer Geldsumme. Nie vorher im Leben habe ich so gearbeitet. Ich gehorchte ihm, wie ein Hund seinem Herrn gehorcht, aus Furcht, das Mädchen zu verlieren.“902 Nach fünf Jahren heiratete Samba. Nachdem er während des Ersten Weltkriegs als Soldat für die Briten gearbeitet (hierauf ist noch zurückzukommen) und seinen gesamten Sold verspielt hatte, wollte er zu seinem Onkel zurück. Da er kein Geld mehr hatte, verpfändete er sich, bis sein Onkel ihn auslöste.903 Familienoberhäupter in Nordliberia bzw. Sierra Leone sicherten sich Ende des 19. Jahrhunderts auf verschiedene Weise die Verfügungsgewalt über junge Männer wie Samba, die sie dann zum Teil über Mittelsmänner wie Vai John als Vertragsarbeiter an Europäer vermieteten. Schulden waren ein wichtiger Grund, warum Menschen unfrei wurden. Viele junge Männer waren bei polygamen Familienoberhäuptern verschuldet, weil sie wie Samba mit einer von deren Frauen geschlafen hatten und den verlangten Schadensersatz nicht zahlen konnten.904 Andere wurden von ihren Familienoberhäuptern verpfändet (pawning). „The grippa feeds itself upon its own little fish“ – hieß es in einem Vai-Sprichwort über pawning. „Some poor Vai men“, erklärte der Sammler dieses Sprichwortes, „have a number of boys in the family, such as nephews, cousins, etc. Every now and then he sells one to some rich man.“905 Auch benachbarte Gruppen wie Mende, Kissi oder Kpelle verpfändeten Menschen an die Vai.906 Ebenso landeten Sklaven auf dem westafrikanischen Arbeitsmarkt. Sie waren Kinder von Sklaven, Kriegsgefangene, Verurteilte oder wurden von Nachbarn wie den Kpelle und Bassa gekauft.907 Darüber hinaus ermöglichten politische Verwerfungen zu Beginn der 1890er die massenhafte Anwerbung von Arbeitern für Kamerun. 1892 bis 1895 produzierte der Sofa-Krieg im Vai-Gebiet und seinen Nachbarregionen Kriegsgefangene und pawns, die für die Arbeitsmigration infrage kamen. Die Küstenorte schwollen darüber hinaus mit

900 901 902 903 904 905 906 907

Westermann 1952, 85. Westermann 1952, 86. Westermann 1952, 88. Vgl. Westermann 1952, 89–92. Vgl. Holsoe 1977, 289. Beide Zitate: Ellis 1914, 169. Zum pawning bei den Vai vgl. Christy/Spurgeon/Barclay 1931, 18 ff.; Christy 1931. Vgl. Holsoe 1977, 289; Holsoe 1967, 31–35.

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Flüchtlingen an,908 hunderte Menschen kamen als „floating population“ neu nach Vaitown, wo viele sicherlich Klienten von Vai John wurden, der sie als Arbeiter vermietete.909 Aus diesen unterschiedlichen Herkunftsgeschichten erklärt sich auch die vielfältige ethnische Zusammensetzung der Vai-Arbeiter. Nicht auszuschließen ist, dass Vai John und andere nicht allein im Auftrag von Familienoberhäuptern deren Abhängige vermittelten, sondern, dass auch Jungen und Männer selbst versuchten, mit ihrer Hilfe auf dem westafrikanischen Arbeitsmarkt ihr Leben zu verbessern. Hinweise hierauf gibt die bereits zitierte Lebensbeschreibung Sambas. Dieser versuchte während einer Phase seines Lebens, sich der Unfreiheit zu entziehen. Nach seiner Heirat, berichtete er, „wurde ich unruhig, und es trieb mich hinaus in die Welt, um mein Glück zu versuchen. […] Nach einiger Zeit […] bot sich mir die Gelegenheit, von meinem Onkel loszukommen, ohne mich mit ihm zu entzweien.“910 Ein afrikanischer Soldat der britischen Armee in Sierra Leone terrorisierte das Dorf, prügelte und stahl. „Plötzlich“, so erzählte Samba, hatte ich kein anderes Verlangen, als Soldat zu werden, weil man dadurch so leicht zu Reichtum gelangen konnte. Um Mitternacht stahl ich mich in die Herberge dieses Soldaten und brachte ihn dahin, von den Dorfleuten zu verlangen, daß ich ihn an die Eisenbahnstation begleiten solle.911

Zusammen verließen sie das Dorf. Samba begab sich nach Freetown und meldete sich als Soldat. Nach der Jahrhundertwende häufen sich Hinweise darauf, dass junge Männer zu Arbeitsmigranten wurden, um ihr „Glück zu versuchen“ und soziale Fesseln abzustreifen. Nicht immer wussten alle, worauf sie sich einließen. Sie erlebten schmerzhafte Enttäuschungen, wenn sie herausfanden, dass die Schlepper sie getäuscht hatten und sie andere Tätigkeiten tun sollten, als ihnen versprochen worden war.912 Liberianische Arbeitsmigranten offenbarten folglich, wie Sundiata schreibt, „a fluidity of categories undermining any attempt to create universal taxonomies of labor systems“:913 Indenture, Sklaverei, Schuldknechtschaft und Lohnarbeit waren kaum zu entwirren.

908 909 910 911 912 913

Vgl. Scribner/Cole 1981, 103. Vgl. Taylor 1896, 756. Zum Krieg vgl. Holsoe 1967, 212–228. Westermann 1952, 88. Westermann 1952, 88. Zur Bedeutung von Täuschung vgl. Martino 2016; Mark-Thiesen 2018, 66. Sundiata 2003, 57.

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Playboys und Headmen: Die Entwicklung des liberianischen Arbeitsmarktes, 1892–1905 „O Großvater“, hieß es in einem Lied der Duala über die deutsche Kolonialherrschaft, „dein Land ist das Land der Krujungen und der Weißen geworden.“914 Offenbar gehörten Liberianer für sie genauso zum kolonialen Staat wie die Deutschen. Sie spielten während der gesamten deutschen Epoche eine wichtige Rolle in der Kolonie. Nur ihre Anwerbung veränderte sich: Im Laufe der 1890er entwickelte sich die Mobilisierung von Arbeitsmigranten zu einem profitablen Geschäft. Südkamerun, der Kongostaat, Fernando Po und andere fragten immer mehr liberianische Arbeiter nach. Dies führte zu erheblichen Veränderungen in Rekrutierung und Zusammensetzung der Arbeitsmigranten sowie der liberianischen Emigrationspolitik. Die steigende Nachfrage diversifizierte die Anwerbenetzwerke in Liberia. Neue Unternehmen traten in Konkurrenz zu Woermann und versuchten, vom Arbeitergeschäft zu profitieren. Der 31-jährige frühere Woermann-Angestellte Adolf Hedler suchte offensiv das Wohlwollen der liberianischen Regierung. Im Januar 1892 sponserte er das Feuerwerk für die Amtseinführung von Präsident Cheeseman. Im Dezember bot er dem Präsidenten an, eine Militärexpedition auf eigene Kosten ins Innere zu schicken.915 1892 bis 1894 warb er mindestens 222 Mann für die Regierungen von Kamerun und Togo sowie die Firmen Jantzen & Thormählen, A. & L. Lubcke und Karl Maaß an.916 Carl Schultze wiederum rekrutierte spätestens seit 1894 in Monrovia Vai-Arbeitsmigranten.917 Laut Vertrag sollte er 1898 der Westafrikanischen Pflanzungsgesellschaft Victoria am Kamerunberg regelmäßig Vai-Arbeiter zukommen lassen.918 Auch in Cape Mount wuchs die Zahl der im Arbeitergeschäft tätigen Firmen. Im Januar 1898 waren dort neben Woermann zwei deutsche Unternehmen ansässig, die an „Vermittlungsgebühren für die Verschiffung der Wey-Leute“ verdienten.919 Nach der Jahrhundertwende betrieb auch die Hamburger Firma J. West & Co. eine Rekrutierungsagentur in Cape Mount.920 Wie genau die Anwerbungen bei Cape Mount vor sich gingen, ist nicht überliefert. Um 1914 aber führten europäische Firmen im Hinterland der Kru-Küste

914 Skolaster 1910b, 114. Vgl. auch Ittmann/Lipp 1956, 78. Bohner behauptet, das Lied sei auch von Arbeitern in Kribi gesunden worden. Quellen hierfür führt er nicht an. Vgl. Bohner 1935a, 193. 915 Vgl. NN 16.01.1892; Dunn 2011, Bd. 1, 383. Hedler (geb. 1859) arbeitete 1881–85 für Woermann in Liberia. Vgl. NN o. J.b; ACW Bilanzen 1881–85. 916 Vgl. IUA LGA I. Justice Department. Native Shipping Bureau 1, Statistiken; BArch N 2306/1, 15. 917 Vgl. IUA LGA I. Justice Department. Native Shipping Bureau 1, Statistik Robertsport, 10.08.1894. 918 Vgl. BArch R 1001/8715, 28; BArch R 1001/8715, 71. 919 Dominik 1911, 233. 920 Vgl. PHS George W. Schwab Papers 1/4 Schwab: A Trip to Liberia, 38.

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Massenanwerbungen für die Plantagen auf Fernando Po durch, die im Norden Liberias sicherlich in den vorangegangenen Jahren ähnlich funktionierten.921 Nach Kaufmann Harold Taylor war es am besten, „to appeal to the cupidity of an impoverished Chief “. Im Austausch gegen europäische Waren übergab dieser die Rechte an jungen Männern, über die er verfügen konnte, an Taylor: „On payment of so much per head, he would round up all the young men of his tribe whom he disliked, and probably suspected of having affairs with his many wives, and hand them over, body and soul.“922 Die Headmen – „half a dozen native gangers specially chosen for their strength, knowledge of the country, and general savvy“ – brachte Taylor selbst mit.923 Um den Schein freiwilliger Vertragsarbeit zu wahren, genügte es, wenn auf dem Dampfer einer der Headmen kurz mit jedem Arbeiter sprach und dann erklärte: „Yes, Massa – he say he agree go!“924 Auch eine wachsende Zahl afrikanischer Mittelsmänner nutzte die zunehmende Nachfrage nach Vai. Dominik verließ sich 1898 in Cape Mount nicht nur auf die deutschen Firmen, um Vai-Soldaten für Kamerun anzuwerben: „Eine Menge Liberianer und Eingeborener stand als Schlepper in meinem Solde“.925 Persönliche Netzwerke, in denen ehemalige Arbeitsmigranten als Broker fungierten, entwickelten sich ebenfalls zu einem bedeutenden Rekrutierungsfaktor. „Ganz zufällig“, so der Kameruner Arbeiterkommissar Ernst von Carnap-Quernheimb 1898, traf ich in Monrovia Leute, die mit mir die Expedition in Togo 1894/95 und die KamerunKongo-Expedition 1897/98 mitgemacht hatten. Die Leute kannten die schlechten und guten Eigenschaften ihres alten Gebieters, und das im Verein mit einigen nach afrikanischer Sitte veranlaßten Festlichkeiten genügte, mir meine Aufgabe gelingen zu lassen.926

Je stärker die Migration zunahm, desto größer wurde die Zahl der Ehemaligen und ihre Bedeutung für die Anwerbung. Europäer konnten spätestens Ende der 1890er frühere Arbeiter und Soldaten als Schlepper nutzen. Diese Anwerbung durch erfahrene, unternehmerische Arbeiter, die später als Headmen der von ihnen Angeworbenen fungierten, von Cassandra Mark-Thiesen „indirect recruitment“ genannt,927 wurde zunehmend eine wichtige Methode der Rekrutierung. Vai-Soldaten

921 Vgl. Martino 2015, 53–56. Martino datiert die Episode vor den Ersten Weltkrieg, doch hierfür gibt es keine Belege. Er meint zudem, die Arbeiter seien mit einem Woermann-Dampfer transportiert worden, jedoch scheint es wahrscheinlicher, dass es sich um einen britischen Dampfer handelte. 922 Beide Zitate: Taylor 1939, 79. 923 Taylor 1939, 80. 924 Taylor 1939, 87. 925 Dominik 1911, 234. 926 Carnap-Quernheimb 1900/01, 195. Vgl. ähnlich Lenz 1885, 404. 927 Mark-Thiesen 2012, 18. Vgl. auch Behrens 1974, 80.

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z. B. reisten auf Urlaub nach Liberia und brachten neue Rekruten mit.928 Dasselbe taten auch Karawanenträger der Firmen. Koch beschrieb die Praxis für die Gesellschaft Süd-Kamerun: Ein liberianischer Headman hatte dem Protagonisten seiner Erzählung das Versprechen gegeben, wieder zu mir zu kommen und Leute mitbringen zu wollen. Er hatte sein Wort gehalten und war mit dreiundzwanzig Trägern erschienen, die aus den verschiedensten Gegenden […] stammten, annähernd ein Dutzend voneinander abweichende Sprachen redeten und sich gegenseitig nur teilweise verständigen konnten.929

Über die Rekrutierungsmethoden der Headmen lässt sich nur spekulieren. Möglicherweise beglichen sie die Schulden junger Männer bei ihren Gläubigern und ließen sie dann für sich arbeiten, bis die Schuld getilgt war. Diese Schuldknechtschaft konnte durchaus im Sinne der Angeworbenen sein, denn sie ermöglichte ihnen, beengten sozialen Zuständen zu entkommen.930 Nicht zu unterschätzen sind (oftmals falsche) Versprechungen, mit denen Headmen marginalisierte Männer als Arbeiter in fremde Kolonien lockten.931 Nach Koch waren „die meisten“ der vom Headman Bassa engagierten Arbeiter „junge, besitzlose Menschen, die zu Hause als Sklaven oder minderwertige Buschleute gegolten hatten, und die Bassa [dem Headman – T. Oe.] mit der […] Absicht gefolgt waren, ihre Stellung zu verbessern und Besitz zu erwerben.“932 Möglicherweise wurde Südkamerun mit der Zeit in den Vorstellungen der Menschen Nord-Liberias zu einem Ort, an dem es möglich war, größere Freiheit oder Reichtum zu erwerben. Einen solchen Ruf hatte die Kolonie nach der Jahrhundertwende in Gabun und der Gold Coast, wo sie zumindest unter gebildeten Arbeitsmigranten nicht nur als Land der Körperstrafen („Twenty-Five-Country“) galt,933 sondern der materiellen Verheißung.934 Des Weiteren vergrößerte sich das Gebiet, aus dem Vai-Arbeiter stammten. Sierra Leone wurde zu einem wichtigen, illegalen Rekrutierungsgebiet von VaiBrokern für den westafrikanischen Arbeitsmarkt. 1905 teilte der deutsche Konsul in Monrovia mit, dass „der grösste Theil der von hier oder Cape Mount verschifften

928 Vgl. Scheunemann 1925, 142 f.; BArch R 1001/4014, 114. Ehemalige Vai-Soldaten sollten 1905 als Werber angestellt werden. Vgl. BArch R 1001/4014, 125. 929 Koch 1923, 24. 930 Vgl. Mark-Thiesen 2012, 24–31. Das Aufkaufen von Schulden und der Zwang zur Arbeitsmigration war im 19. Jahrhundert auch in Europa und den USA für die Seeleuteanwerbung verbreitet. Vgl. Strecker 2014, 2. 931 Vgl. Martino 2016. 932 Koch 1923, 25. 933 Gerlach 1978, 215. Vgl. Schröder 1997, 131. 934 Vgl. Mullen 2008, 20; Rich 2007b, 164 f.

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Arbeiter“ aus Sierra Leone stammte.935 Angeblich wurden jährlich 1000 SierraLeone-Leute heimlich nach Liberia gelockt und von dort als Arbeiter verschifft – nach Kamerun, in den Kongo und nach Fernando Po.936 Vor allem handelte es sich um Mende wie Samba, die ab 1898 vermehrt in britische Kolonien, aber auch als Vai-Arbeiter nach Kamerun gingen.937 Die liberianische Regierung versuchte, das schwungvolle Geschäft mit Arbeitskräften, das sie aufgrund ihrer fehlenden Machtmittel nicht verhindern konnte, zumindest zu regulieren. Einerseits wollten die verschiedenen Administrationen die Arbeiter schützen, andererseits von diesem Geschäft profitieren.938 Die meisten der sich ständig ändernden Gesetze aber blieben ohne Wirkung, hatten Schlupflöcher oder erwiesen sich als dehnbar.939 1865 beschränkte die Regierung Handel und Arbeitskräfteanwerbung auf sechs ports of entry. Mangels Kontrollmöglichkeiten rekrutierten die Europäer jedoch an anderen Plätzen der Küste weiter. 1872/73 verabschiedete die Regierung das Shipping Law, nach dem für Kru (und wahrscheinlich auch alle anderen Arbeiter) 1 Dollar Kopfgeld an sie zu bezahlen war. Arbeiter durften zudem nur für ein Jahr engagiert und mussten nach Vertragsende in ihre Heimat zurückgebracht werden.940 1891/92 erhöhte die Regierung das Kopfgeld für Arbeiter, die Liberia längere Zeit verlassen sollten, auf 2 Dollar. Für Dampferbesatzungen blieb es bei 1 Dollar.941 Um die Durchsetzung war es schlecht bestellt. Angeblich hielt sich die Woermann-Linie daran, nicht aber die britischen Dampfer.942 Im Januar 1897 schließlich verlangte ein Gesetz, dass jeder, der Arbeiter anwerben wollte, zuerst für 1000 Dollar (4500 Mark) eine Lizenz erwerben und für jeden angeworbenen Mann 50 Dollar Kaution hinterlegen müsse.943 Möglicherweise wollte die liberianische Regierung die Anwerbung stark einschränken oder testen, wie weit sie bei ihrer Kommerzialisierung gehen konnte. In Kamerun jedenfalls war das Gouvernement sicher, das Gesetz bedeute „nichts Anderes als ein direktes Arbeiter-Ausfuhrverbot, denn diese Bedingungen sind absolut unerfüllbar“.944 In Buea und Berlin fürchteten die Behörden erneut um die unverzichtbaren liberianischen Arbeiter. Konsul Jäger, als Woermanns Haupt-

935 936 937 938 939 940 941 942 943 944

BArch R 1001/4014, 121. Vgl. Grace 1975, 188. Vgl. Migeod 1908, vf; Migeod 1926, 122, 145 f.; Alldridge 1910, 184. Vgl. Behrens 1974, 86. Vgl. Behrens 1974, 85. Zur Regulierung des Arbeitsmarktes vgl. Behrens 1974, 85 f.; Martin 1985a, 415. Behrens nennt Kopfgelder ab 1882, vgl. Behrens 1974, 86. Vgl. BArch R 1001/8714, 71. Vgl. BArch R 1001/8714, 71 f. Vgl. BArch R 1001/8714, 24. BArch R 1001/8714, 6.

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vertreter in Monrovia direkt in das Anwerbegeschäft involviert, handelte deshalb fieberhaft ein Abkommen mit Liberias Regierung aus, das deutschen Staatsbürgern die freie Anwerbung garantierte.945 Für den nötigen Nachdruck fuhr Gouverneur von Puttkamer persönlich mit einem Kriegsschiff nach Liberia.946 Am 28. Januar 1898 ratifizierte die Republik den Vertrag.947 Trotzdem sollte er nicht zur Anwendung kommen, denn die Regierung hatte einen neuen Coup ersonnen, um vom Arbeitergeschäft zu profitieren. Eine Woche später vergab Präsident Coleman ein Monopol für die Arbeiteranwerbung an August Humplmayr.948 Der 33-Jährige war der einzige Sohn eines Münchner Kunsthändlers. Nach dem frühen Tod seines Vaters erbte er die bedeutende Galerie Wimmer. Während seine Mutter das Geschäft führte, lebte der junge Humplmayr das unstete Leben eines reichen Dandys und Abenteurers. 1894 ging er als erster Münchner Faschingsprinz, Gustl I., in die Lokalgeschichte ein.949 Im Jahr darauf reiste er nach Afrika: zuerst nach Somalia, dann Kamerun und 1896 schließlich nach Liberia.950 Unter unklaren Umständen ließ sich Humplmayr am 4. Februar 1898 von der liberianischen Regierung zum „General Agent of the Republic of Liberia for the shipment of Laborers beyond the Liberian territories“ ernennen.951 Der 33-jährige Münchner „Playboy“952 und Faschingsprinz hatte gegen Zahlung von 7500 Dollar für fünf Jahre das Monopol über die Vermittlung von Arbeitsmigranten erhalten.953 Humplmayr war klug genug, das Monopol nicht selbst zu verwalten. Stattdessen überließ er es der Hamburger Firma Wiechers & Helm. Das 1892 gegründete Unternehmen, das anfangs mit Britisch-Indien handelte, war neu im Liberia-Geschäft.954 Im Handstreich hatten die Außenseiter Humplmayr und Wiechers & Helm die 945 Vgl. BArch R 1001/8714, 150. Bereits 1896 hatten die Briten mit Liberia einen Vertrag zur Arbeiteranwerbung mit Meistbegünstigten-Klausel ausgehandelt. Vgl. Oshin 2002, 246. 946 Vgl. Rüger 1960b, 208. 947 Vgl. BArch R 1001/8715, 32. 948 Die Episode wird in der Forschung erwähnt, aber missverstanden oder falsch datiert. Hintergründe finden sich nirgends. Vgl. u. a. Sundiata 1974, 103; Rompf 1985, 98; Martin 1985a, 417; Behrens 1974, 95. 949 Zur Biographie Humplmayrs (1864–1920) vgl. Kamp/Rau 2009, 75 ff.; Ebnet 2016, 298. 950 Vgl. NN 1896b; Seitz 1927, Bd. 1, 6; ACW Bilanz 1896. In Liberia gründete Humplmayr mit Hans Haag die Liberian Coffee Plantation. Vgl. Kamp/Rau 2009, 77; BArch R 1001/8714, 179. Zu Haag vgl. ACW Bilanz 1892–95. 951 BArch R 1001/8715, 18. Vgl. auch MMM B/JH (A)/3/11 Barclay: Treasury Notice, 22.02.1898; MMM B/JH (A)/3/1 Joint Resolution, 04.02.1898. 952 Ebnet 2016, 298. 953 Vgl. BArch R 1001/8715, 18. 954 Gründer der Firma war Paul Helm (ca. 1867–1908) mit Henry Wiechers (ca. 1863–1925) als Kapitalgeber. Zur Firmengeschichte vgl. Kruse 2006, 66 f.; StAH 731-8/A 902 Wiechers & Helm pmw: Von Rattenfallen zum Samt, in: Welt, 18.12.1992; NN 02.04.1908; NN 16.06.1925.

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Kontrolle über die bei allen Kolonialmächten begehrteste Ressource Liberias – Arbeitskräfte – an sich gerissen. Dementsprechend laut war der internationale Aufschrei.955 Doch nicht, weil deutsche Akteure durch das Monopol Vorteile gehabt hätten, wie Christine Behrens mutmaßt.956 Auch deutsche Firmen beschwerten sich über das Monopol, weil es die Arbeitskräfteanwerbung erschwerte.957 Von nun an waren Arbeiter bei Wiechers & Helm in Hamburg oder in Cape Palmas zu bestellen.958 Dieses Monopol verteuerte die wichtigsten Arbeitskräfte auf dem westafrikanischen Arbeitsmarkt.959 Von 2 auf 2,50 Dollar stieg das Kopfgeld pro Arbeiter – wovon Wiechers & Helm 50 Cents behielt und den Rest an den liberianischen Staat weitergaben.960 Insgesamt verlangten Wiechers & Helm von der Kameruner Regierung (und sicherlich auch den Firmen) nun 79,50 Mark für Kru, für Vai sogar 98,50 Mark pro Mann.961 Auch wenn die vorherigen Kosten unbekannt sind, stiegen sie angesichts der Beschwerden der Plantagen und ihres zunehmenden Verzichts auf liberianische Arbeiter mutmaßlich stark an.962 Dabei waren Wiechers & Helm nicht nur teurer, sondern auch unzuverlässig. Sie waren unerfahren im Arbeitergeschäft und verfügten nicht über ausreichende Netzwerke, um den Arbeiterbedarf der gesamten Westküste zu decken. Das Kameruner Gouvernement etwa protestierte mehrfach, dass Wiechers & Helm die Arbeiterbestellungen nicht erfüllten.963 Ende 1898 sandte das Gouvernement deshalb den Arbeiterkommissar von Carnap nach Liberia, um illegal Arbeiter anzuwerben.964 Im Jahr darauf drohte von Puttkamer sogar damit, die Arbeiterpolitik Liberias „gewaltsam“ zu ändern, sollte sich die Versorgung Kameruns mit Menschen nicht ändern.965 Wiechers & Helm und Humplmayr machten Ausflüchte und beklagten die illegalen Anwerbungen britischer Dampfer sowie die Kriege im Innern Liberias.966 Außerdem empörte sich Humplmayr: „Es werden Arbeiter soviel als möglich angeworben, aber gewaltsam kann keiner gezwungen werden. Wenn nicht genügend Arbeiter vorhanden sind, dann kann auch eine andere Firma dieselben

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Vgl. Sundiata 1996, 130; Oshin 2002, 249. Vgl. Behrens 1974, 95; Rompf 1985, 98. Vgl. BArch R 1001/8715, 28. Zum Vertrag vgl. BArch R 1001/8714, 150. Vgl. MMM B/JH (A)/3/1 Wiechers & Helm: Rundschreiben, o.D. Vgl. Schanz 1903, 94. Vgl. BArch R 1001/8715, 18. Vgl. Rompf 1985, 98. Vgl. BArch R 1001/3512 Geschäftsbericht WAPB 1897/98, o.S.; NN 1901a, 335. Vgl. BArch R 1001/8716, 91 ff.; PAAA RV Monrovia 12 Puttkamer an Konsulat Monrovia, 17.11.1899. 964 Vgl. Carnap-Quernheimb 1900/01. 965 PAAA RV Monrovia 12 Puttkamer an Konsulat Monrovia, 17.11.1899. 966 Vgl. BArch R 1001/8716, 94; BArch R 1001/8716, 91.

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nicht beschaffen, selbst wenn ich die Concession nicht hätte.“967 Dies hatte wenig mit der Realität liberianischer Vertragsarbeit zu tun.968 Wiechers & Helm boten im Oktober 1898 durch die liberianische Armee „kriegsgefangene Krujungen“ für eine Vertragsdauer von vier Jahren an.969 Die liberianische Regierung war selbst ins Indenture-Geschäft eingestiegen. Als Adolph Woermann die Geschäftsleitung von Wiechers & Helm auf die Sache hinwies, gab sich diese unwissend. Eilig sandte sie Telegramme nach Monrovia, um derartige Geschäfte zu unterbinden.970 Ob und wie viele kriegsgefangene Zwangsarbeiter die Firma bis dahin oder später dennoch vermittelte, ist unklar. In den nächsten Jahren entwickelte sich ein modus vivendi: De facto bezog sich das Monopol nur auf Monrovia und die Gebiete von Vai und Bassa, nicht aber auf die Kru-Gebiete im Süden, wo die liberianische Regierung noch immer nicht die Macht hatte, das Arbeitergeschäft zu kontrollieren. Britische Dampfer und bald auch die Woermann-Linie warben dort weiterhin Arbeiter an, ohne sich um die in Monrovia gemachten Gesetze zu kümmern.971 Andere Firmen durften ebenfalls weiterhin Arbeiter anwerben, wenn sie Wiechers & Helm eine Kommission zahlten.972 Zudem stieg die Bedeutung von Anwerbungen durch Headmen. Das Humplmayr-Monopol endete 1903. Nun schloss die Regierung ein ähnliches Abkommen mit Woermann.973 Scheinbar liefen die Verträge bis zur Kriegserklärung Liberias an das Reich 1915.974 Doch das Humplmayr-Monopol beschleunigte den Niedergang der liberianischen Arbeitsmigration nach Kamerun. Um 1900 arbeiteten bereits tausende Männer und Frauen aus Südkamerun in den Karawanen der Kautschukunternehmen. Woermann lieferte liberianische Arbeitskräfte nun anscheinend überwiegend nach Fernando Po.975 Arbeitsmigranten blieben aber bis zum Ersten Weltkrieg in bestimmten Arbeitsbeziehungen der Südkameruner Kautschukwirtschaft bedeutsam. Noch 1912 beschäftigen die Firmen 3000–4000 westafrikanische Arbeitsmigranten, meist aus Liberia.976 Ebenso betrieb das Kameruner Gouvernement zum Missfallen des Auswärtigen Amts weiterhin eine

967 968 969 970 971 972 973 974

BArch R 1001/8716, 92. Vgl. Sundiata 1974, 104. BArch R 1001/3226, 53. Vgl. BArch R 1001/3226, 54 f. Vgl. BArch R 1001/8716, 177; Schanz 1903, 94; NN 1901a, 335. Vgl. NN 1901a, 335. Vgl. Sundiata 1974, 104. Vgl. Buell 1928, Bd. 1, 774. Ein in einem Kalender in Vai-Schrift eingelegter Vordruck von Woermann zeigt die Omnipräsenz der Arbeiteranwerbung im Vai-Gebiet: „No. 391 – Engaged 20 Decbr. – as / – Wages per Month / – Commenced / – Cape Mount, … 190 – A. Woermann.“ SBB-PK Orient-Abteilung. Hs. or. 2372 XXXI, 3. 975 Vgl. Reeve 1923, 119. 976 Vgl. NN 1912d, 10.

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Art Nebendiplomatie in der Arbeiter- und Soldatenfrage.977 Doch in der riesigen Zahl von lokal angeworbenen Arbeiterinnen und Arbeitern fielen migrantische Arbeitskräfte kaum mehr ins Gewicht. Die Passage von Vai-Arbeitern nach Kamerun Reisende, die ihre Fahrt auf den Dampfern der Woermann-Linie beschrieben, verwendeten viel Zeit darauf, Speisefolge, Übergangsriten und Freizeitbeschäftigungen wiederzugeben. Afrikanerinnen und Afrikaner kommen in den meisten Schilderungen nur als die obligatorische Kru-Besatzung vor, die der Dampfer in Liberia an Bord nahm. Nur selten weisen die Autorinnen und Autoren darauf hin, dass nicht nur Menschen aus Europa zwischen den Häfen der Westküste verkehrten. Tatsächlich reisten hunderte Afrikanerinnen und Afrikaner auf den Dampfern – bis zum nächsten Hafen oder die gesamte Küste entlang. Abb. 4 aus dem Archiv der Basler Missionsgesellschaft mit dem Titel „Vorderdeck mit Negern“,978 das möglicherweise vom Kameruner Photographen Wilhelm Bell stammt und um 1890 entstanden ist,979 zeigt, welche Enge auf den Teilen des Dampfers herrschte, die der afrikanischen Besatzung und den afrikanischen Passagieren vorbehalten waren. Eine große Zahl von Jungen und jungen Männern ist auf dem Foto zu sehen, Haufen von Kisten, in denen das Gepäck untergebracht ist. Viele Männer lachen, es scheint eine ausgelassene Stimmung zu herrschen. Die Dampfer ermöglichten Afrikanerinnen und Afrikanern eine Mobilität, die bisher noch kaum erforscht ist. Hunderte reisten auf den Woermann-Dampfern zwischen Liberia und Angola – unter ihnen Händler, aber auch Arbeitskräfte wie Kru oder eben Vai.980

977 Vgl. PAAA RAV Monrovia 22 Freytag an Bülow, 24.08.1908. 978 http://www.bmarchives.org/items/show/75098# (letzter Zugriff: 08.07.2022), Bildnummer: QE30.130.0088. 979 Identische Fotos derselben Serie sind in der Sammlung von Yngve Sjöstedt enthalten, der ein Schreiben Bells beigegeben ist. Vgl. http://collections.smvk.se/carlotta-em/web/object/2925413 (letzter Zugriff: 08.07.2022). 980 Vgl. Bernhard 1897, 29; BBWA N 6/22/9, 32, 39 f.

Vai-Boys: Arbeiterfrage, Karawanenarbeit und der westafrikanische Arbeitsmarkt

Abb. 4 „Vorderdeck mit Negern“. Mission21 Bildnummer: QE-30.130.0088. © Mission21.

Karawanen aus Vai-Arbeitern in Südkameruns Regenwald zu schicken, war eine nicht unerhebliche Investition. Anwerbung und Transport der Arbeitskräfte kosteten Geld: Die Unternehmen der Batanga-Küste beauftragten Woermann und andere, sie mit jungen Männern zu versorgen.981 Ende 1898 warb der staatliche Arbeiterkommissar von Carnap 65 Vai an, wodurch Kosten von 6402,50 Mark entstanden, also fast 100 Mark pro Arbeiter.982 Die Hälfte entfiel auf die Passage.983 Die andere Hälfte diente mutmaßlich dazu, Gebühren an die europäischen Firmen sowie Vorschüsse und Geschenke an afrikanische Broker zu zahlen. Von Carnap gab das Geld des Gouvernements zudem für Feste aus, um Vai-Arbeiter zu erhalten. Deswegen hoffte er, dass nicht „nach 10 bis 12 Jahren die Oberrechnungskammer bei mir nachfragt, wo die im November 1898 in Liberia angekauften Ochsen geblieben sind. Inschallah!“984 Ähnliche Preise verlangten private Anwerber. Nicht nur

981 In den Akten der liberianischen Regierung finden sich für die wenigen belegten Lieferungen nach Kamerun nur die Anwerber Woermann und A. Hedler. Vgl. IUA LGA I. Justice Department. Native Shipping Bureau 1, Statistiken. 982 Vgl. BArch R 1001/3500, 28. 983 Vgl. BArch R 1001/3498, 85. 984 Carnap-Quernheimb 1900/01, 195.

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Anwerbung und Passage machten Vai und andere westafrikanische Arbeiter zu einer teuren Belegschaft. Hinzu kamen hohe Löhne. Für Vai-Karawanenträger in Südkamerun ist die Höhe der Löhne nicht überliefert, wohl aber für Vai-Plantagenarbeiter. 1887 erhielten sie monatlich 4 bis 6 Dollar in Waren,985 in den 1890ern 15–25 Mark in Waren.986 Vorarbeiter, sogenannte Headmen, erhielten noch höhere Löhne.987 In Kisten und Koffern sammelten die Vai Stoffe, Kleidung, Gewehre, Perlen, Seife und andere Waren des Westafrika-Handels, die sie anschließend mit nach Liberia nahmen.988 Für so viel Geld ließen die Firmen vor allem junge Männer anwerben, die auf dem Höhepunkt ihrer körperlichen Kraft standen. Ihr genaues Alter ist schwer zu bestimmen. Die unvollständigen und zweifelhaften Statistiken der liberianischen Behörden geben das Alter der Vai nur summarisch als zwischen zwölf und 50 Jahren an. Die meisten Arbeiter waren angeblich zwischen 20 und 35 Jahre alt.989 Zintgraff gab das Alter der 40 von ihm 1889 eingestellten Vai mit 20–25 an, einer sei ca. 40.990 Altersangaben für Vai-Arbeiter und -Soldaten, die sich Ende der 1890er im Hospital von Kamerun-Stadt behandeln ließen, schwanken zwischen 16 und 24 Jahren.991 Urias A. Moore, Shipping Master von Monrovia, der die Arbeitsmigration mehr schlecht als recht überwachte, bat aber 1894 darum, „[i]n consequence of there being continual annoyance of Small Boys running off to Shipping to the South Coast“ die Anwerbung von Arbeitern unter 14 Jahren zu verbieten.992 Viele Vai, die zur Batanga-Küste reisten, dürften deshalb jünger gewesen sein, als die offiziellen Zahlen angeben. Der Transport der Vai-Arbeiter von Cape Mount oder Monrovia zu ihren Arbeitgebern nach Südkamerun wurde ausschließlich von der Woermann-Linie durchgeführt. In den 1890ern fuhren die britischen Dampfer nur noch Kamerun-Stadt an, nicht mehr die Plätze an der Batanga-Küste.993 Angesichts der hohen Kosten ließen die Firmen ihre Arbeiter direkt nach der Batanga-Küste expedieren, um sie sofort

985 Vgl. Baumann 1887, 238. 986 Vgl. BArch R 1001/3426, 165; BArch R 1001/3498, 85; BArch R 1001/3516, 64; Uslar 1899, 270. Nach Buchner kostete ein Kru Mitte der 1880er inklusive Passage 300 M. Als Bezahlung für 14 Monate zählt er auf: 12 Stück Zeug, 3 Steinschlossgewehre, 4 Fässchen Pulver, 3 Kistchen Seife. Vgl. Buchner 1887, 105. 987 Vgl. Baumann 1887, 238. 988 Vgl. Buchner 1887, 105; Collignon 1909; Williams/Williams 1955, 13 f. 989 Vgl. IUA LGA I. Justice Department. Native Shipping Bureau 1, Statistiken. Kru waren 6 bis 60 Jahre alt. Die jüngsten arbeiteten als Hausangestellte und die ältesten als Nachtwächter. Mit 40 Jahren hörten die meisten Kru aber auf, zu migrieren. Vgl. Abel 1908, 4; Schuler 1986a, 162. 990 Vgl. Virchow 1889, 90. 991 Vgl. Plehn 1896, 507; Plehn 1903, 69 ff. 992 IUA LGA I. Justice Department. Native Shipping Bureau 1 Moore an Dixon, 18.01.1894. 993 Vgl. BArch R 1001/7267, 9.

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als Karawanenträger einsetzen zu können. Schiffsarzt W. Bernhard berichtete, dass die Gertrud Woermann 1895 entgegen dem offiziellen Fahrplan von Lagos aus direkt Plantation, Sitz der Hauptfaktorei von A. & L. Lubcke, ansteuerte, „zwecks Abgabe von Negern“.994 Erst danach fuhr der Dampfer nach Kamerun-Stadt, um fahrplanmäßig seinen Weg fortzusetzen.995 Dies war nicht nur eine Konzession an die Firmenkunden, sondern auch an die Arbeiter, denn so dauerte ihre Überfahrt nur ca. eine Woche. Ein Vorteil, denn auf den Woermann-Dampfern standen afrikanischen Arbeitern keine Unterkünfte zur Verfügung. Stattdessen wurden sie – wie Abb. 4 zeigt – auf dem Vorderdeck untergebracht. Das galt für die Kru-Besatzung wie für die Arbeiter, die die Firma entlang der Küste ablieferte.996 Wie Heinrich Klose 1894 berichtete, hielten sich die Vai während der Passage „öfters zu Hunderten auf dem Deck“ auf.997 Über 300 afrikanische Kru- und Vai-Arbeiter als Deckpassagiere auf einem Dampfer waren nicht selten.998 Dementsprechend waren die hygienischen Zustände. Die Erlebnisse des 26-jährigen frischgebackenen Mediziners Carl R. Hennicke, der 1891 als Schiffsarzt für die Woermann-Linie arbeitete, geben einen Eindruck davon, wie Arbeitsmigranten auf der Fahrt untergebracht waren. Hennicke sollte durch die Firma Wölber & Brohm in Dahomey engagierte Arbeiterinnen und Arbeiter für den Kongostaat untersuchen. Entsetzt stellte er fest, dass es sich um „freigekaufte“ Sklaveninnen und Sklaven handelte, die angekettet in einem Verschlag warteten. Die 201 meist jungen Männer und 80 Frauen und Mädchen wurden losgebunden, untersucht und an Bord gebracht. Auf dem Deck des Dampfers, der bereits 100 Kruund mutmaßlich auch Vai-Arbeiter aufgenommen hatte, machte die Mannschaft Platz für die teils völlig entkräfteten Menschen. Auf der Fahrt litten fast alle an Seekrankheit. Zusätzlich erleichterten sie sich auf dem Deck.999 Möglicherweise waren Vai-Arbeiter nicht so krank, schwach und verzweifelt wie Dahomey-Sklavinnen und -Sklaven. Doch die hygienischen Zustände dürften ähnlich gewesen sein.1000 Unter den beengten Verhältnissen kam es zu Streit zwischen Kru-Besatzung und Vai-Passagieren, etwa um Schlafplätze. Zudem hielt die Kru-Mannschaft die Diszi-

994 995 996 997 998 999

Bernhard 1897, 25. Vgl. Bernhard 1897, 25; Woermann-Linie 1895, 193. Zu den Kru vgl. Hennicke 1894, 1137; Bernhard 1897, 23; BBWA N 6/22/9, 22 f., 32. Klose 1899, 11. Vgl. M. S. 1893, 76; Bernhard 1897, 29. Vgl. Hennicke 1894. Eigentlich war geplant gewesen, viel mehr als 100 Arbeiter in Liberia anzuwerben und statt 281 sollten 500 Menschen in Dahomey aufgenommen werden. Vgl. Hennicke 1894. 1000 Soldaten reisten mit mehr Komfort als Arbeiter. Nach der Jahrhundertwende übernachteten Vai-Soldaten mit ihren Frauen nicht mehr auf Deck. Vgl. Ziemann 1907, 7 f.; BArch R 1001/4014, 121.

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plin mit der Nilpferdpeitsche aufrecht.1001 Beide Gruppen galten in Kamerun als „Todfeinde“1002 – viele Vai dürften diese Feindschaft auf der Fahrt nach Kamerun entwickelt haben. Es gibt keine eindeutigen Zahlen darüber, wie viele Vai-Arbeiter die Firmen für ihre Karawanen nach Südkamerun holten. Anfang 1899 erklärte von Puttkamer, insgesamt seien 2000 ausländische Arbeiter – Vai, Kru, Krio, Cabinda, Accra-, Lagos-Leute etc. – im Schutzgebiet als Handwerker, Plantagenarbeiter und eben als Karawanenträger tätig.1003 Wie genau die Zahlen der Regierung waren, bleibt unklar. Randad & Stein und A. & L. Lubcke beschäftigten Anfang 1899 ca. 1000 „fest angestellte Träger“ – wahrscheinlich vor allem Vai.1004 Im September 1905 behaupteten die Handelsfirmen, sie hätten bis zu diesem Zeitpunkt insgesamt 10.000 „Weyboys von Monrovia kommen lassen“, um sie als Träger und Arbeiter einzusetzen.1005 Überprüfen lässt sich dies kaum. Die ab 1892 geführten Statistiken der liberianischen Behörden führen nur 360 Personen auf, die 1892 bis 1894 nach Kamerun verschifft wurden.1006 Doch das Arbeitergeschäft wurde größtenteils an der liberianischen Regierung vorbei gemacht. De facto liegen fast ausschließlich Zahlen für Monrovia vor, deren Vollständigkeit zweifelhaft ist. In den Akten reihen sich endlos die Erinnerungen an die Berichtspflicht der Beamten und die Beschwerden, dass die europäischen Unternehmen und ihre afrikanischen Partner sich nicht um die Gesetze kümmerten, die die Anwerbung regulierten.1007 In Cape Mount, woher viele Vai stammten, gab es bis 1894 überhaupt keinen Shipping Master, der die Anwerbung überwachte.1008 Die Zahl der nach Kamerun verschifften Vai lag deshalb sicher sehr viel höher.

1001 1002 1003 1004 1005 1006 1007

Vgl. Hennicke 1894, 1141. Klose 1899, 11. Vgl. StASt N 230 Greder: Meine Afrika-Reisen, 1896; Behrens 1974, 71. Vgl. BArch R 1001/3226, 77. Vgl. BArch R 1001/3816, 123. BArch R 1001/4290, 7. IUA LGA I. Justice Department. Native Shipping Bureau 1, Statistiken. Vgl. u. a. IUA LGA I. Justice Department. Native Shipping Bureau 1, Dixon an Moore, 10.08.1894; IUA LGA I. Justice Department. Native Shipping Bureau 1, Grand an Shipping Office, 13.04.1892; IUA LGA I. Justice Department. Native Shipping Bureau 1, Henson an Dixon, 25.05.1892. 1008 Vgl. IUA LGA I. Justice Department. Native Shipping Bureau 1, Dixon an Hoof, 14.09.1894.

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Tabelle 4 Reiseinfuhren nach Kamerun, 1890–1900. Leerstellen: keine Daten. Quellen: Deutsches Kolonialblatt 2–13. Reiseinfuhren nach Kamerun, 1890–1900 Jahr Reis kg Kribi-Bezirk 1890 359.044   1891 339.124   1892 554.125   1893 817.142   1894 616.876   1895 809.907   1896 752.570 141.535 1897 822.615 113.115 1898 1.089.076   1899 1.604.699   1900 2.233.476 225.776

Victoria             220.669 364.651     1.402.672

Eine grobe Schätzung anhand der Reistransporte nach Kamerun (vgl. Tabelle 4) spricht für die Angabe der Firmen. Reis diente in Kamerun nur „als Ernährungsmittel für die in den Faktoreien beschäftigten Arbeiter (Kru- und Waiboys), während der eingeborene Arbeiter seinen Kang (Maniok) erhält“.1009 Reis war haltbar, transportabel und in Liberia das Hauptnahrungsmittel, weshalb er ideal zur Verpflegung der Migranten war.1010 Erhielten Vai-Arbeiter ebenfalls 750 Gramm Reis pro Tag, wie Randad & Stein 1901 für andere Arbeitsmigranten berechneten,1011 ist es möglich, sich der Zahl der nach Kamerun geholten Liberianer zumindest anzunähern. 1892 schnellten die Reisimporte von 339 auf 554 und 1893 auf 817 Tonnen.1012 Dieser Anstieg verlief parallel zur Einführung von Vai-Trägerkarawanen in Südkamerun. Hiervon ausgehend erscheint es plausibel, dass die Batanga-Firmen 1892 ca. 700, 1893 ca. 1000 ausländische Arbeiter beschäftigten. Für 1896/97 liegen Zahlen für den Kribi-Bezirk vor, die ca. 500 und 400 Arbeitern entsprechen. 1900 hätten bis zu 824 Arbeiter im Kribi-Bezirk mit täglichen Rationen versorgt werden können. Verfolgt man die Zahlen der Reiseinfuhr bis 1905 und nimmt an, dass die Träger im Inneren so wie der Vai-Träger Jamba „auch viel Maniok“ aßen,1013 so ist

1009 1010 1011 1012

NN 1898a, 57. Vgl. Debusmann 2004, 107. Vgl. BArch R 1001/4454 Schaden der Semikore-Faktorei von Randad & Stein, o.D. [1901], o.S. 1898 stiegen die Importe erneut an: 1089 t Reis 1898, 1900 schon 2233 t. Hiervon entfielen 1402 t auf den Victoria-Bezirk. Dieser Anstieg ist eindeutig auf die Plantagen am Kamerunberg zurückzuführen, denn auch die dortigen Unternehmen beschäftigten ausländische Arbeiter. Vgl. Kap. 5.2. 1894 ist der Kauf der Dahomey-Leute durch die Regierung einzuberechnen, die sicher mit Reis ernährt wurden. 1013 Ziemann 1902, 415.

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es durchaus möglich, dass 1892 bis 1905 10.000 Liberianer als Karawanenträger nach Südkamerun kamen. Nicht zu klären ist allerdings, ob dies 10.000 Individuen waren, ob einige oder viele von ihnen mehrfach nach Kamerun gingen oder wie viele dortblieben. They are carriers: Vai als Karawanenarbeiter in Südkamerun Die Woermann-Dampfer mussten an der Batanga-Küste, wo es keine Häfen gab, auf offener Reede ankern, um Fracht und Passagiere auszuladen – auch die jungen Vai-Arbeiter. Kru ruderten sie durch die schwere Brandung und setzten sie an den Strand. Sie landeten in Groß-Batanga, Kribi und vor allem weiter nördlich in Longji und Plantation, wo sich die neuen Unternehmen Randad & Stein sowie A. & L. Lubcke & Co. niedergelassen hatten und die deshalb in den 1890ern bedeutende Handelsplätze wurden. Die lückenhaften Statistiken der liberianischen Regierung verzeichnen die erste Sendung von 40 Vai-Arbeitern im Alter von angeblich 16–35 Jahren nach Batanga für September 1892. Wahrscheinlich gingen dieser bereits Lieferungen voraus. Als Aufgabe, die sie für Woermann übernehmen sollten, gibt die Statistik „farm work“ an, obwohl es dort keine Plantagen gab.1014 Jantzen & Thormählen ließen im November 1892 laut Statistik 52 Vai nach Klein-Batanga bringen, ebenfalls für „farm work“.1015 Ob die Firmen die Arbeiter, die Broker oder die liberianischen Behörden täuschten oder es Letzteren gleichgültig war, wofür die jungen Männer nach Kamerun gingen, bleibt unklar. Erst im November 1892 vermerkte ein Beamter über 23 Woermann-Arbeiter für Batanga: „they are carriers“.1016 Aber welche Arbeit verbarg sich dahinter? In ihren Hauptfaktoreien an der Küste stellten die Firmen Karawanen zusammen: Europäische oder afrikanische Händler marschierten mit 30 bis 40 bewaffneten, mit europäischen Waren beladenen Vai-Trägern in den Wald. Die eigentliche Karawanenarbeit, das Lastentragen, unterschied sich in Südkamerun von der besser erforschten Karawanenarbeit in anderen Regionen. Die Savannen des Sudans, Angolas und Ostafrikas, in denen es große Handelskarawanen gab,1017 waren vergleichsweise einfach zu durchquerendes Terrain.1018 Südkamerun hingegen war mit Regenwald bedeckt. Hier hatte sich in der vorkolonialen Zeit kein Karawanenhandel entwickelt. Bis Mitte der 1880er vermuteten Firmen wie Woermann die Existenz großer Karawanen, wie sie aus Angola bekannt waren, die Elfenbein vom Kongo an

1014 IUA LGA I. Justice Department. Native Shipping Bureau 1, Statistik, 24.09.1892. Die KLPG hatte ihre Plantage in Kribi 1891 aufgegeben. Vgl. BArch R 1001/3426, 98. 1015 IUA LGA I. Justice Department. Native Shipping Bureau 1 Statistik, 11.11.1892. 1016 IUA LGA I. Justice Department. Native Shipping Bureau 1 Statistik, 30.11.1892. 1017 Vgl. Rockel 2006; Heintze 2002; Heintze/Oppen 2008; Heywood 1985; Duffill/Lovejoy 1985. 1018 Zu den Problemen der Savanne für die Trägerarbeit vgl. Rockel 2006, 99–103.

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die Batanga-Küste brachten.1019 Doch Elfenbein erreichte die Batanga-Küste nur durch sich besuchende Familienoberhäupter, die mit wenigen Begleitern reisten: „Solch eine Karawane“, erläuterte Kund, „besteht hier im Gegensatz zu den oft mehrere Hundert Menschen starken Zügen am Kongo oder weiter im Norden am Niger und Benue, aus höchstens einem Dutzend Personen, welche meistens der Familie des Händlers angehören.“1020 Entsprechend gab es in Südkameruns Regenwäldern weder häufig begangene, breite oder gar ausgebaute Karawanenwege. Nur schmale, schwer begehbare Pfade führten durch den Wald, wie Kund schilderte: Das Auge muß beständig auf der Wacht sein, daß der Fuß nicht über die ununterbrochen aus dem Pfad hervorragenden, ihn kreuz und quer durchziehenden Baumwurzeln stolpert, oder sich in tückisch dahinziehenden kleinen, aber sehr zähen Ranken verfängt oder daß der Kopf nicht anstößt gegen die tief herunterhängenden Lianen; die Hände müssen Zweige bald hier bald da zurückdrücken oder im Anzug festgehakte Dornen entfernen. Und was für Schwierigkeiten bietet der Pfad, an dem nie eine bessernde Menschenhand das geringste thut, irgend ein Hinderniß zu beseitigen! In steter Windung zieht er sich nicht breiter, als daß gerade die Füße zum Gehen Platz haben, dahin. Zahlreich sind die über ihn gefallenen Baumstämme, die den Trägern das Vorwärtskommen außerordentlich erschweren. Sie müssen über dieselben hinwegklettern oder sich unter ihnen hindurchwinden oder sie in großem Bogen umgehen. Kaum je führt der Pfad über trockenen Boden, sondern in ermüdender Abwechslung geht er durch Wasserlöcher, durch Moraststellen, in die man oft bis an die Oberschenkel versinkt, durch Bäche und Flüsse, über die nie eine Brücke führt.1021

Selbst die Jaunde-Straße, auf der sich bald der Karawanenverkehr in Südkamerun konzentrierte, war bis nach der Jahrhundertwende lediglich ein solcher enger Pfad durch den Wald. Sie führte durch schwieriges Terrain. Direkt hinter Kribi wartete der unbewohnte Kribi-Busch (Ewondo: afane mân).1022 Erst nach 80 Kilometern erreichten die Karawanen mit Bipindi wieder ein Dorf.1023 Da sie im unbewohnten Wald keine Nahrungsmittel kaufen konnten, mussten die Arbeiter deshalb zusätzlich zu ihren Lasten auch Verpflegung tragen. Hinter Bipindi wurde der Weg steil und felsig.1024 Das Land steigt schnell an, denn das Landesinnere Südkameruns besteht aus einem Plateau, das zur Niederguineaschwelle gehört und Richtung

1019 1020 1021 1022 1023 1024

Vgl. GStaPK I. HA Rep. 81/928 Schulze an Woermann, o.D.; Hager 1885, 51; Woermann 1885. Kund 1888b, 113. Vgl. auch Mandeng 1973, 36 f. Kund 1888a, 9 f. Heepe 1926, 186. Vgl. Dominik 1908, 21; BArch R 1001/3267, 4; BArch R 1001/4356, 85. Vgl. Haarpaintner 1911, 170. Vgl. auch Vieter 1901b, 107; NN 1912a, 234.

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Kongo sanft, Richtung Küste schroff abfällt.1025 Zudem gab es immer wieder Flüsse, die auf Baumstämmen oder mit Kanus zu überqueren waren. Für Trägerarbeit im Wald brachten die Vai als professionelle Karawanenarbeiter geeignete Fähigkeiten und Techniken mit. Trägerarbeit war nicht voraussetzungslos, wie häufig in der Forschung implizit angenommen wird, sondern beruhte auf Kenntnissen, Techniken, Körperbeherrschung und Muskelkraft, die erst erworben werden mussten.1026 Wahrscheinlich hatten viele Vai bereits in Liberia oder während eines früheren Engagements entlang der Westküste als Träger gearbeitet. Aus diesem Grund kannten sie die Techniken der Karawanenarbeit und besaßen ausreichendes Training, um lange Märsche mit schweren Lasten durchzustehen. Besonders spezialisiert waren sie auf Transportarbeit im Regenwald.1027 Die ihnen anvertrauten ca. 25–30 Kilogramm schweren Lasten trugen sie in Körben auf dem Rücken.1028 Andere professionelle Träger, etwa aus Togo, auf die das Gouvernement bei seinen Expeditionen zurückgegriffen hatte, trugen ihre Lasten auf dem Kopf.1029 Diese Technik war gut geeignet für offene Landschaften, nicht aber für Wälder. Auf dem Rücken getragene Lasten konnten sich nicht so leicht in Ästen oder Lianen verfangen. Auch die Bevölkerung Südkameruns trug deswegen Lasten auf dem Rücken und nicht auf dem Kopf.1030 Den dafür notwendigen Korb, eine „kiñja“ bzw. „kindschah“,1031 vgl. Abb. 5, stellten die Vai selbst her. Es handelte sich um „ein aus gedrehten Palmblättern gefertigtes Geflecht, wohinein die Last gebunden und dann nach Art des Korbes oder Tornisters auf dem Rücken getragen wird“.1032 Die kiñja erwies sich als so effektiv für den Transport von Kautschuklasten, dass sie sich später auch unter lokalen Trägerinnen und Trägern verbreitete.1033 Neben der Transportarbeit übernahmen die Vai auch soldatische Tätigkeiten – sie bewachten Karawanen und schüchterten Handelspartner ein. Zur Ausrüstung vieler Träger gehörten deshalb neben der kiñja auch von den Firmen gestellte Gewehre – aber keine trade guns: Schutztruppenkommandant Max von Stetten berichtete 1895, Karawanenführer seien „stets mit Hinterladern bewaffnet“.1034 Sein Nachfolger von Kamptz traf 1896 eine Karawane von 40 Trägern, von denen 1025 1026 1027 1028 1029 1030 1031 1032 1033 1034

Vgl. Kaeselitz 1968, 13. Vgl. Rockel 2006, 74–85; Coquery-Vidrovitch/Lovejoy 1985b, 13. Zu Techniken des Lastentransports durch Träger vgl. Rockel 2006, 103 ff. Vgl. Büttikofer 1890, Bd. 1, 292; Zintgraff 1895, 70. Zum Habitat der Vai in Liberia vgl. Holsoe 1967, 7. Vgl. Dominik 1908, 24 f.; Morgen 1893, 38 f. Südlich des Sanaga transportierten die Menschen ihre Lasten auf dem Rücken, nördlich davon auf dem Kopf. Vgl. Priester 2012, 27; Interview mit Tonguesse Mimi Julianne, Yokadouma, 23.01.2016. Johnston 1906, Bd. 1, 428, Bd. 2, 1025; Büttikofer 1890, Bd. 1, 292. Zintgraff 1895, 70. Vgl. Kap. 2.5. Stetten 1895, 515.

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Abb. 5 „Native methods of carrying loads throughout western and central Liberia. („kiñja“ is the Vai name for this long framework)“. Johnston 1906, Bd. 2, 1025. Creative Commons.

vier eine solche moderne Waffe trugen.1035 Diese beeindruckende Feuerkraft war notwendig für den verwundbaren Handel. Immer zogen die Träger durch Gebiete, die ihnen feindlich gesinnt waren. Bis 1900 mussten sie östlich von Bipindi stets mit Überfällen rechnen.1036 Als Fremde waren die Vai zudem immer der Gefahr ausgesetzt, gefangen genommen und versklavt zu werden. Das zeigt das Beispiel des Dahomey-Soldaten Mamadu, der 1892 bei einer Expedition in Südkamerun überfallen, verwundet und versklavt wurde. Er wechselte mehrfach den Besitzer, bis ein Elfenbeinhändler ihn nach Edea brachte, wo er wieder in die Dienste der Polizeitruppe treten konnte.1037 Die Kolonialmacht konnte nicht für die Sicherheit der Karawanen sorgen, da sie dort, wo die Firmen mit Kautschuk handelten, nicht präsent war. Allenfalls konnte sie Überfälle nachträglich bestrafen. Durch die neuen Faktoreien im Innern änderte sich die Arbeit der Vai-Träger. Noch immer gab es Vorstöße von Karawanen in neue Kautschukgebiete. Vor allem aber transportierten sie jetzt Waren und Kautschuk innerhalb des Faktoreinetzwerkes. Jedem afrikanischen Händler waren fünf bis zehn Träger als Yardboys beigegeben, die, wenn ausreichende Mengen zusammengekauft waren, den Gummi von den Buschfaktoreien zur Faktorei zu transportieren hatten. Den aufgelaufenen Kautschuk schickte der Faktoreileiter später mit seinen bei ihm verbliebenen oder von der Küste zu ihm gesandten Trägern oder ab 1894 zunehmend mit vor Ort

1035 Vgl. BArch R 1001/4358, 35. 1036 Vgl. BArch R 1001/4365, 4. 1037 Vgl. Scholz 1939, 212 ff.

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angeworbenen Arbeitskräften zur Hauptfaktorei an der Küste.1038 Bis ca. 1900 entstand dadurch ein verzweigtes Netz an Karawanenwegen, auf denen Träger Waren und Gummi transportierten. Alle Wege – ob von den Faktoreien in Jaunde, Ngulemakong oder Ebolowa – führten bei Lolodorf auf die Jaunde-Straße, das Nadelöhr des Handels, und folgten dieser zu den Hauptfaktoreien in Kribi, Groß-Batanga, Plantation und Longji. Südkameruns erste Karawanenkultur: Soziale Organisation und Gewohnheitsrecht der Vai-Arbeiter Professionelle Trägerinnen und Träger besaßen nach Stephen J. Rockel nicht nur die nötigen Techniken und Kenntnisse, nicht nur einen durch die Arbeit geformten Körper, sondern auch eine „specific labor culture“.1039 Rockel bezeichnet diese mit dem von Johannes Fabian geprägten Begriff der „caravan culture“ bzw. „Karawanenkultur“:1040 ein System von „Gewohnheiten und Regeln“, „die für das Reisen mit Karawanen galten“.1041 Auch die Vai besaßen eine Karawanenkultur, die sie teils aus ihrer Heimat mitbrachten, teils aus den atlantischen Institutionen des westafrikanischen Arbeitsmarktes entlehnten, teils in Südkamerun entwickelten. Die Karawanenkultur regelte die Arbeit, denn aufgrund der Schwäche des kolonialen Staates und seiner Laissez-Faire-Politik war diese in Kamerun nicht gesetzlich reguliert. Stattdessen beruhten deren Regelungen „theils auf besonderer Vereinbarung, theils auf Herkommen“.1042 Sie prägten die weitere Entwicklung von lokalen Arbeitsbeziehungen in Südkamerun während der folgenden Jahrzehnte. Einer der bedeutsamsten Teile der Karawanenkultur war die Organisation der Vai unter Headmen.1043 Hierbei handelte es sich um eine hierarchische soziale Organisationsform, die auf dem westafrikanischen Arbeitsmarkt weit verbreitet war.1044 Möglicherweise hatte sie sich zusammen mit der Arbeitsmigration der Kru entlang der Westküste entwickelt und mit der Zeit auf andere Teile des westafrikanischen

1038 Vgl. Kap. 2.5. 1039 Rockel 2006, 85. 1040 Rockel 2006, passim; Fabian 2001, 64. Barrett-Gaines benutzt für das Phänomen den Begriff „porter culture“. Vgl. Barrett-Gaines 1997, 65. 1041 Fabian 2001, 64. Vgl. Rockel 2006, 6. 1042 BArch R 1001/4084, 23. 1043 Zu Headmen in Westafrika vgl. Mark-Thiesen 2018; Mark-Thiesen 2012. Große Schwierigkeiten, das Konzept zu verstehen und seine historische Entwicklung zu beschreiben, entstehen dadurch, dass „headman“ als Alternative zu Chef, Chief oder Häuptling genutzt wird. Oft bleibt unklar, ob es sich um Amtsträger, Familienoberhäupter oder Anführer von Arbeiterkolonnen handelte. 1044 Vgl. Koch 1922, 9. Vgl. auch AFS 344 Tagebuch, 21.09.1906. In den 1890ern war das HeadmanSystem entlang der gesamten Westküste bis zur Kongomündung verbreitet. Vgl. z. B. Meyer 1911, 33, 50.

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Arbeitsmarktes ausgedehnt. Durch Kru und Vai kam diese Form der Organisation von Arbeit nach Kamerun. Dort hießen bald alle Afrikaner, die in Arbeitskontexten Autorität über andere Afrikaner ausübten, Headmen. Der Pidgin-Begriff bedeutete so viel wie „Vormann, Vorleute, Vorarbeiter“, in der Schutztruppe auch „farbige Dienstgrade, farb. Unteroffizier, farb. Gefreiter“.1045 Über eindeutig als Vai identifizierbare Headmen ist wenig bekannt. Ihre Stellung ähnelte aber wohl den Kru-Headmen, da die Kru-Arbeitsmigration in vielerlei Hinsicht ein Modell für die Vai war. Kru wurden immer als Mannschaft („set“) eines Headman engagiert.1046 Headmen waren ältere, erfahrene Arbeiter.1047 Möglicherweise veränderte sich die Rolle der Headmen während des 19. Jahrhunderts. Einerseits heißt es über die Kru, Arbeiter hätten ihren Headman selbst gewählt.1048 Andererseits traten Headmen als Arbeiteranwerber auf, die in Gemeinschaften, in denen sie Beziehungen hatten, Kinder, Jugendliche und junge Männer als Arbeitskräfte rekrutierten.1049 Gouverneur von Zimmerer berichtete folglich 1892, Arbeitsmigranten kämen unter einem „gewählten Vormann oder Unternehmer“ nach Kamerun,1050 was auf das bereits beschriebene Modell des „indirect recruitment“ hindeutet. Möglicherweise bezeichnete der Pidgin-Begriff Headman verschiedene Formen von Autorität. Der Headman diente als Intermediär zwischen europäischen Arbeitgebern und den ihm zugeordneten 8 bis 20 Arbeitern.1051 An ihn wandten sich Kapitäne, Offiziere, Beamte Kaufleute oder Plantagenassistenten, um ihre Befehle an die Arbeiter zu übermitteln.1052 Ihm oblag es, dafür zu sorgen, dass Arbeiten ordnungsgemäß durchgeführt wurden und seine Arbeiter notfalls zu disziplinieren.1053 Gleichzeitig war er Sprecher seiner Leute gegenüber dem Arbeitgeber, Vertreter ihrer Rechte und verantwortlich für ihre sichere Heimkehr nach Ablauf ihres Vertrags.1054 Er erhielt eine höhere Bezahlung und teilweise einen Anteil am Lohn der Arbeiter.1055 Über die Aufgaben der Headmen in den Karawanen kann nur gemutmaßt werden. Wahrscheinlich hielten sie auf dem Marsch die Disziplin aufrecht, bestimmten,

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1050 1051 1052 1053 1054 1055

BArch R 1001/4441, 16. Vgl. auch Hagen 1908, 21; Scheunemann 1925, 96. Vgl. u. a. Buchner 1887, 105; M.S. 1893, 4. Vgl. Behrens 1974, 57. Vgl. Behrens 1974, 59. Vgl. Martin 1985a, 403; Behrens 1974, 57; Schuler 1986a, 162. Brooks behauptet, die Bedeutung der Headmen bei der Anwerbung habe nach Einführung des Dampferverkehrs abgenommen (vgl. Brooks 1972, 111). Vgl. aber Sundiata 1975, 39; Frost 2000, 152. BArch R 1001/4084, 20 f. Vgl. Mark-Thiesen 2012; Behrens 1974, 56; Abel 1908, 4. Vgl. Martin 1985a, 407. Vgl. Behrens 1974, 57; Martin 1985a, 408; Frost 2000, 152. Vgl. Behrens 1974, 59; Martin 1985a, 408; Brooks 1972, 66 f. Vgl. Baumann 1887, 238. Zum Anteil am Lohn bei den Kru vgl. Brooks 1972, 29 f.

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wann die Karawane aufzubrechen und Rast zu machen hatte, verhandelten mit den Bewohnern der Dörfer, in denen die Karawanen rasteten, aßen und schliefen. Über die Beziehungen der Vai-Arbeiter innerhalb der Mannschaft eines Headman gibt es kaum Informationen. Ein Interview mit dem Vai-Polizeisoldaten Jamba, das Regierungsarzt Hans Ziemann 1901 führte, ermöglicht aber einen schemenhaften Einblick in das Alltagsleben der Arbeitsmigranten an der Küste.1056 Jamba war 20–25 Jahre alt und kam wahrscheinlich 1897/98 nach Kamerun. Zuerst arbeitete er im Batanga-Gebiet – möglicherweise als Karawanenarbeiter. Nach Ende seines Vertrags wurde er Polizeisoldat in Victoria. Mit anderen jungen Männern bildete er eine enge Gemeinschaft. Als Arbeiter in Gebieten, in denen sie als Fremde – besonders als gewalttätige Fremde – Gefahr liefen, getötet oder versklavt zu werden, waren sie aufeinander angewiesen. Ein afrikanischer Arbeitsmigrant, bemerkte Ziemann, geht „selten oder nie allein in ein anderes Land an der afrikanischen Küste. Immer findet er Landsleute, mit denen er dann fast immer zusammenwohnt und zusammenkocht [sic!], die Gewohnheiten der Heimat beibehaltend.“1057 Jamba jedenfalls teilte sich mit anderen Vai einen Haushalt. In diesem spielte die Performance von Männlichkeit eine große Rolle. Nach Feierabend konsumierten Jamba und seine Mitbewohner Alkohol und hatten Sex mit Kameruner Frauen.1058 Auch gemeinsame Tänze und Rituale praktizierten die Vai. Der Arzt Albert Plehn geriet nachts in Kamerun-Stadt „unter einen Haufen grotesk vermummter Gestalten“, bei denen es sich um Vai-Arbeiter und -Soldaten handelte, „die sich auf einem freieren Platz bei der üblichen Negermusik vergnügten, und in deren Mitte ein ebenfalls verhüllter Stelzengänger umhersprang.“1059 Solche Sozialformen stärkten die Solidarität der Arbeitsmigranten. Als Jamba an der Schlafkrankheit erkrankte, kümmerten sich die anderen Vai um ihn. Sie sagten Ziemann, Jamba werde bald sterben. „Er müsse jetzt zurück in ihr ‚Country‘, um noch zu seiner Familie zu kommen.“1060 Am 4. März 1901 fuhr Jamba mit einem Dampfer nach Liberia. Ausschließlich egalitär waren die Beziehungen der Arbeiter untereinander aber nicht. Denkbar sind Abstufungen nach Alter und sozialer Herkunft. Einen Hinweis hierauf liefert Plehn, der in Kamerun-Stadt Schutztruppensoldaten obduzierte. Während die Vai-Soldaten dies gewöhnlich problemlos gestatteten, führte die geplante Obduktion des Sergeanten Boïma IV zu Protesten seiner Kameraden. Die Leiche wurde mehrfach gestohlen. Schließlich erklärten die Vai: „Boïma entstammte einer besonders vornehmen Familie, welche den Vorzug der Unsterblichkeit

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Vgl. für sämtliche Angaben Ziemann 1902. Ziemann 1902, 422. Ziemann 1902, 414 f. Plehn 1904, 714. Ziemann 1902, 422.

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besass.“1061 Die Vai gestatteten schließlich die Obduktion und Plehn führte sie aus, „umdrängt von einer Schar der Kameraden des Toten, welche Acht gaben, dass nichts verschwinden sollte, weil es dem Toten im Jenseits dann fehlen würde.“1062 Ein bedeutender und in der Arbeitsgeschichte des Kautschukhandels folgenreicher Teil der Karawanenkultur war, dass die Vai-Träger großen Einfluss auf ihre Arbeitsbedingungen ausübten. Die Arbeit wurde getan – aber nicht nach den Regeln der Europäer. Möglich wurde dies, weil ein Großteil der Karawanen „ohne Aufsicht“ unterwegs war, wie Regierungsbeamte bemängelten.1063 Die meisten Karawanen, vor allem solche, die Faktoreien untereinander verbanden, marschierten unter der Leitung von Vai-Headmen. Sie wurden deshalb nicht von Europäern diszipliniert, woraus sich die Möglichkeit für Träger und Headmen ergab, die Arbeit den eigenen Ideen und Bedürfnissen anzupassen. Dass dies keine Konsequenzen hatte, ergab sich aus der Arbeiterfrage: Vai-Träger waren unverzichtbar für das Geschäft. Europäer konnten deshalb nicht jeden Übertritt bestrafen. Um einen reibungslosen Ablauf der Arbeit zu garantieren, ließen die Firmen ihren Arbeitsmigranten große Freiheiten. Die Träger setzten sich aber auch über den Willen der Kaufleute hinweg. Jeder wisse, berichtete Zenker, „wie wenig Macht ein junger Man [sic!] hat, wenn er Weyjungen in seinen Diensten hat, die thun doch was sie wollen, haben doch selbst Offiz. u Unteroff der Schutztruppe nicht die Macht trotzt [sic!] Strafen u allen [sic!], einzelne Trupps ihrer Soldaten im Zaume zu halten.“1064 Erstens hatten die Vai-Karawanen nach dem sich entwickelnden Gewohnheitsrecht die Hoheit über die für die Arbeit zur Verfügung stehende Zeit. 1896 beschwerte sich Heinrich Hasenkamp, Woermanns Hauptagent in Groß-Batanga, dass die Vai-Karawanen so lange fortblieben, dass die zurückgebrachten Produkte kaum ausreichten, um die Löhne zu zahlen.1065 Die Träger marschierten nicht auf dem schnellsten Weg ins Innere und zurück. Vielmehr waren ihre Marschtage kurz, sie hielten sich monatelang im Inneren auf und zogen langsam von Dorf zu Dorf. Im Wald waren sie der Kontrolle durch Europäer weitestgehend entzogen. Je länger sie sich dort aufhielten, desto mehr konnten sie über ihre Zeit bestimmen. Ein zweiter bedeutender Teil des Gewohnheitsrechts war alltägliche Gewalt. Schon im September 1893 dachten die Kameruner Beamten darüber nach, eine neue Station auf der Jaunde-Straße bei Lolodorf zu gründen. Nicht nur, um die Karawanen vor Überfällen zu schützen, sondern auch, wie der stellvertretende Gouverneur Leist bemerkte, weil die „in den Busch gesandten Karawanen sich

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Plehn 1904, 721. Plehn 1904, 720 f. BArch R 1001/4286, 74. MfN, HBSB Zool. Mus., S III Zenker, G. Bd. 1, 178, 310. Vgl. BArch R 1001/3226, 11. Hasenkamp dürfte übertreiben. Woermann machte 1896 in Batanga 29.277,45 M Gewinn. Vgl. ACW Bilanz 1896.

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nicht selten Uebergriffe gegen die Eingeborenen zu Schulden kommen lassen und daher eben sosehr der Aufsicht als des Schutzes bedürfen.“1066 Südkamerun war für die Arbeitsmigranten ein feindlicher Ort. Zu ihrer Arbeit gehörte Gewalt fest dazu – bei der Verteidigung der Karawane gegen Angriffe oder bei der Bedrohung widerwilliger Familienoberhäupter und Handelspartner. Aber die Träger nutzten ihre Waffen auch für Übergriffe. Vai-Karawanen raubten und stahlen. Erstens versorgten sich die Träger auf diese Weise. Da sie sich sehr lange im Regenwald aufhielten, war es kaum möglich, sie mit genügend Nahrung auszustatten bzw. mit genügend europäischen Waren, um diese auf dem Weg zu kaufen. Von Stetten sah deshalb die Schuld für die Übergriffe zwischen Kribi und Jaunde bei den europäischen Firmen, „ziehen doch jährlich Hunderte von Trägern diesen Weg, ohne von ihren Auftraggebern mit dem Nötigsten versehen zu sein, und welche auf diese Weise aufs Rauben und Stehlen angewiesen sind“.1067 Zudem requirierten sie die Hütten in den Dörfern, um darin zu übernachten, verfeuerten Möbel und nahmen Wertgegenstände an sich. Das Plündern dockte zweitens an militärische Traditionen an und wurde als Kompensation für die soldatische Arbeit angesehen. Als Morgen 1890 Krieg gegen die Malimba führte, motivierte er die Träger seiner Karawane, die – wie er betonte – nicht zum Kriegsdienst verpflichtet waren, zur Beteiligung, indem er ihnen Beute versprach.1068 Im Austausch dafür, dass die als Träger engagierten Männer in Südkamerun auch militärische Aufgaben übernahmen, durften sie plündern. Drittens diente Raub wahrscheinlich auch der simplen Bereicherung.1069 Ein wesentlicher Teil dieser gewalttätigen Karawanenkultur waren sexuelle Übergriffe auf Frauen. Der Kaufmann Richard von Stetten musste 1906 dreimal binnen eines Tages „Weiberpalaver“ schlichten: „Immer haben sich Weyboys an Weibern vergriffen.“1070 Auch in die Erinnerung der Bevölkerung brannten sich die sexuellen Übergriffe durch Vai ein. 1978 erzählte Siegfried Mbarga in Ndzom-Bene, einer der bewaffneten Liberianer, die die Kautschukkarawanen nach Ngulemakong begleiteten, habe 1897 versucht, eine Frau seines Onkels Medza zu vergewaltigen.1071 1066 1067 1068 1069 1070

BArch R 1001/4365, 10. Vgl. auch Stetten 1895, 515. BArch R 1001/4357, 55. Vgl. Morgen 1893, 143 f. Vgl. analog Heywood 1985, 250. AFS 344 Tagebuch, 23.09.1906. Nach Morgen kam es auch zu freiwilligem Geschlechtsverkehr. Aber die durchziehenden Träger entrichteten nicht die üblichen Bußgelder an den Ehemann. Vgl. Morgen 1893, 158. 1071 Vgl. Akamba 1979, 250 ff. Akambas Informant sprach von einem liberianischen Soldaten, der die Handelskarawanen begleitet hätte. Wahrscheinlich handelt es sich hierbei um eine erklärliche Verwechslung der bewaffneten Träger mit Soldaten. Auch im Grasland erinnerten sich die Menschen in den 1960ern daran, dass Zintgraffs Vai von ihnen Frauen für sich forderten. Vgl. Chilver 1967, 485.

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Gewalt gegen Frauen wurde in den von Karawanen durchzogenen Gebieten Südkameruns so alltäglich, dass Europäer sie als Teil der ethnischen Identität ihrer Vai-Arbeiter ausmachten. Oftmals verharmlosten sie die Vergewaltigungen einheimischer Frauen und Mädchen. Kommandeur von Stetten etwa bemerkte „der“ Vai sei „für die Schönheiten der Frauen seiner schwarzen Mitbrüder sehr empfänglich“.1072 Bei Übergriffen auf Dörfer und Frauen realisierten die Vai-Arbeiter ein gewalttätiges, kriegerisches Ideal von Männlichkeit. Mobilität war in Nord-Liberia eng mit sexuellen Abenteuern verknüpft. Ein Vai-Sprichwort lautete: „Ich nehme kein Dörrfleisch auf die Jagd mit“. Es bedeutete: „man nimmt die Frau nicht auf Reisen mit, man verscherzt damit die Gelegenheit die fremden Frauen = suye kula, rohes Fleisch, zu erobern.“1073 Ebenso speiste sich die sexualisierte Gewalt aus den militärischen Praktiken Nord-Liberias, zu denen gehörte, Frauen und Mädchen zu rauben, zu vergewaltigen, zu versklaven oder zu heiraten und so dem eigenen Haushalt hinzuzufügen.1074 Ob die Vai-Träger Frauen aus den überfallenen Dörfern mitnahmen, um Haushalte zu gründen bzw. zu vergrößern, verraten die Quellen nicht. Belegt ist dies aber für die Vai-Soldaten der Schutztruppe.1075 1901 erläuterte Gouverneur von Puttkamer, in der größtenteils aus Vai bestehenden Schutztruppe herrsche die „Gepflogenheit“,1076 weibliche Kriegsgefangene an die Soldaten abzugeben. Als die Kolonial-Abteilung dagegen protestierte, warnte von Puttkamer, bei einem Verbot der Praxis „kann ich nur dringend rathen, gleichzeitig die ganze Schutztruppe aufzulösen und abzuschaffen, da sie sich doch binnen Jahresfrist von selbst auflösen und keine Möglichkeit vorhanden sein würde, an der Westküste fernerhin Rekruten zu bekommen.“1077 Gegen Vergewaltigungen durch Soldaten seien die Offiziere machtlos.1078 Vai-Träger und -Soldaten nutzten die Möglichkeiten, die sich aus Handel und Expeditionen ergaben, um sich als Krieger zu bewähren und ihren eigenen Status zu verbessern. Die Kosten trugen die Frauen und Mädchen entlang der Karawanenrouten. Die Behörden duldeten das Vorgehen ihrer eigenen Vai-Soldaten und griffen auch nicht in die Praktiken der Karawanen ein, obwohl deren Gewalt wieder und wieder auf die Tagesordnung kam. Kommandant von Kamptz mahnte 1896:

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BArch R 1001/3225, 83. SBB-PK Orient-Abteilung. Hs.or. 2372 IV Sippenliste der Vai, 230. Vgl. Massaquoi 1905, 931. Zum Zusammenhang zwischen kolonialen Soldaten, Krieg und Haushalten vgl. Moyd 2014. BArch R 1001/4287, 123. BArch R 1001/4287, 123 f. Vgl. BArch R 1001/4287, 124.

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Ein Krebsschaden für alle Verhältnisse sind die von den weißen Faktoreien in den Busch gesandten Karawanen, die nur aus Farbigen, meistentheils Weyjungen bestehen. Im Besitz von Hinterladern, welche ihnen von den Faktoreien mitgegeben werden, erlauben sie sich Uebergriffe aller Art gegen die Eingeborenen.1079

Den gewaltsamen Karawanenhandel gewähren zu lassen, war eine politische Entscheidung. Der neu ins Amt gekommene Gouverneur von Puttkamer verbot im Mai 1895 per Polizeiverordnung, dass sich Vai ohne Europäer außerhalb der Küstenorte bewegten. Doch dies wurde zu keiner Zeit durchgesetzt.1080 Im September 1895 verfügte er die Militarisierung der Station Lolodorf im Ngumba-Gebiet. Ihre Instruktion lautete, „die Wegestrecke durch das Ngumba-Land zu sichern, für Besserung der Wege zu sorgen, die Karawanen vor Gewalttätigkeiten der Eingeborenen und ganz besonders auch Letztere vor den so sehr beliebten Uebergriffen und Diebereien der Karawanen-Leute zu schützen.“1081 Zwischenzeitlich erwog der stellvertretende Gouverneur, Seitz, Karawanen in Südkamerun zu verbieten. Die Franzosen hatten dies in Gabun getan. Woermanns Hauptagent Hasenkamp war der Idee nicht abgeneigt. Wahrscheinlich hoffte er, so die lästigen Konkurrenten loswerden zu können. Da Seitz jedoch mit einem Aufschrei der übrigen Handelsfirmen rechnete, verfolgte er diese Idee nicht weiter und hoffte, das Problem durch die militärische Besetzung der Jaunde-Straße zu lösen.1082 Die Regierung entschloss sich folglich, die Politik des Laissez-faire gegenüber den Unternehmen weiterzuführen und nahm die Gewalt der Karawanen in Kauf. „An Heimweh angeblich nie gelitten“: Remigration und Emanzipation Die Anwerbung von Vai-Vertragsarbeitern in Liberia war per definitionem temporär. Sowohl die liberianischen Gesetze als auch die Familienoberhäupter der Arbeitsmigranten bestanden darauf, dass die Männer nach Liberia zurückkehrten – zu ihrem Schutz, um von ihren Löhnen zu profitieren, und „to save the ‚owner’s‘ face“.1083 Auch die Headmen hatten großes Interesse daran, ihre Arbeiter nach Hause zu bringen, denn sie waren den Familien gegenüber für die ihnen anvertrauten Jungen und Männer verantwortlich.1084 Dem Kru-Headman Teah Tobey

1079 BArch R 1001/4358, 35. 1080 Vgl. BArch R 1001/4286, 75. Hintergrund dieser Verordnung war, dass Duala-Händler wie die Familie Bell ihrerseits Vai engagiert hatten, die plündernd durch die Lande zogen. Vgl. BArch R 1001/4286, 72 ff. 1081 BArch R 1001/4357, 69 f. Hervorhebung im Original. 1082 Vgl. BArch R 1001/3226, 11 f. 1083 Taylor 1939, 79. 1084 Vgl. Koch 1923, 23.

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wurde in den 1880ern der Tod seiner Arbeiter in Panama angelastet, sodass er seine Heimat Grand Bassa verlassen und nunmehr in Cape Palmas für Woermann anwerben musste.1085 Dennoch blieb die temporäre Migration, die modellhaft für die Kru beschrieben worden ist,1086 und an der sich die Vai-Anwerbung orientierte, oftmals Theorie. Rossi hat darauf hingewiesen, dass marginalisierte Menschen in Westafrika aus der Erfahrung ihrer sozialen Ausgrenzung, Arbeitsmigration und Lohnarbeit neue Strategien für ihre eigene Zukunft entwickelten.1087 Dies geschah auch in Südkamerun: In der Praxis nutzten viele Vai die Mobilität, um sich von alten sozialen Bindungen und persönlicher Unfreiheit zu emanzipieren. Für einige Arbeitsmigranten war der Aufenthalt an der Küste dauerhaft. Jamba z. B. arbeitete erst an der Batanga-Küste – vermutlich als Träger. Nachdem seine Verpflichtung abgelaufen war, fuhr er nicht nach Hause, sondern blieb in Kamerun und wurde Polizeisoldat.1088 Auf Nachfrage erklärte er, an „Heimweh“ habe er „nie gelitten“.1089 Jamba war kein Einzelfall, weshalb von Stetten meinte, „der“ Vai hänge im Gegensatz zu anderen Arbeitsmigranten (vor allem den Kru) nicht sonderlich an seiner Heimat. Er sei „der eigentliche Zigeuner Westafrikas“.1090 Dass Vai und andere Vertragsarbeiter nicht zurückkehrten – weil ihre Arbeitgeber sie nicht gehen ließen, weil sie strandeten oder eben, weil sie sich entschieden, die Chancen der Arbeitsmigration zu nutzen –, war ein Massenphänomen.1091 Möglicherweise beschleunigte sich dieses Phänomen nach der Jahrhundertwende. 1905 baten die Chiefs des Vai- und des Golah-Gebietes Liberias Präsidenten Barclay, „that the shipment of boys from the Territory of Grand Cape Mount cease for the reason that the population was too sparse“.1092 Dies war einerseits auf die boomende Landwirtschaft der Vai-Familienoberhäupter zurückzuführen, die viele Menschen benötigten; andererseits auch darauf, dass der Arbeiterexport wegen geringer Rückkehrraten nicht nachhaltig war und viele die Migration als Chance begriffen. Die Vai, die in Kamerun blieben, wählten unterschiedliche Überlebensstrategien. Nach Vertragsablauf nicht nach Liberia zurückzukehren, bedeutete noch nicht, dass die Migranten dauerhaft blieben. Einige arbeiteten sicherlich jahrelang in Kamerun, 1085 1086 1087 1088 1089 1090 1091

Vgl. Lindt 1940, 262. Vgl. v. a. Martin 1985a. Vgl. Rossi 2014, 32. Vgl. Ziemann 1902. Ziemann 1902, 414. BArch R 1001/3225, 83. Vgl. A loyal citizen 12.12.1902; BArch R 1001/3228, 129 f. Die Kru siedelten sich in Krutowns von Liverpool über Freetown bis Fernando Po an. Dies stellt das Idealbild der temporären, für alle Beteiligten profitablen Kru-Migration radikal infrage. Vgl. Frost 1999; Sundiata 1975; Sundiata 1996; Sundiata 1974; Sundiata 2003. 1092 Dunn 2011, Bd. 1, 440.

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um anschließend zurückzufahren. Mende-Arbeiter aus Sierra Leone etwa blieben im Schnitt vier bis fünf Jahre fort.1093 Andere hingegen sahen in Südkamerun dauerhaft ihre Zukunft. Nicht wenige Männer verpflichteten sich wieder und wieder im Dienst europäischer Firmen. Koch berichtete von einem Vai-Träger namens Momo: „Mehrmals hatte er lange Jahre im finsteren Hinterland oder auf gefahrvollen Expeditionen verbracht, hatte unermüdlich und unverdrossen seine Last geschleppt und war jedesmal als wohlhabender Mann an der Küste angekommen“. Das Geld gab er schnell aus und ließ sich „von neuem ins Hinterland anwerben“.1094 Andere Vai stiegen im Dienst der Unternehmen auf und etablierten sich als Händler. Woermann etwa beschäftigte im Kribi-Bezirk 1902 mit Africa, Jack, N’Duale, Jacob und Dollar mindestens fünf Vai als Kautschukhändler.1095 Andere banden sich dauerhaft an europäische Patrone. Ein Vai begleitete den Schutztruppenoffizier Ludwig von Stein zu Lausnitz seit seiner Ankunft in Kamerun 1895 bis 1916, als von Stein Kamerun verließ – zuerst als Soldat, dann als Aufseher auf seiner Farm in Atok.1096 Der Bassa-Mann Smart kam als Kru-Arbeiter nach Kribi und entschied sich, dort als Handwerker für die Pallottiner-Mission zu arbeiten. Mit dieser ging er 1901 nach Jaunde, wo er heiratete und Kinder zeugte.1097 Andere ließen die europäisch-afrikanischen Arbeitsbeziehungen ganz hinter sich. Sie schufen neue Gemeinschaften in Maroon-Dörfern.1098 Zwischenfazit Mit Einführung der Karawanen entwickelten sich die Handelsfirmen der BatangaKüste ab 1892 zu bedeutenden Arbeitgebern für afrikanische Arbeitskräfte, da sie nun die Transportarbeit für den Kautschukhandel selbst organisierten. Weil sie wie zu Beginn der Kolonialherrschaft alle Kolonialmächte und -unternehmen unter der Arbeiterfrage litten, griffen die Firmen auf Arbeitsmigranten zurück. Diese konnten sie auf dem westafrikanischen Arbeitsmarkt rekrutieren, der sich im 19. Jahrhundert aus dem transatlantischen Sklavenhandel entwickelt hatte und nun nicht mehr den amerikanischen, sondern den kolonialen westafrikanischen Bedarf an Arbeitskräften deckte. Eine besondere Bedeutung kam hierbei Liberia

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Vgl. Migeod 1908, vi. Koch 1923, 105 f. Vgl. BArch R 1001/3421, 95 f. Vgl. Stein 1928, 8. 1910 erwähnte von Stein auf seiner Farm 20 frühere Vai-Soldaten, die er 1900 kennengelernt hatte. Vgl. ANY FA 6/15 Wirtschaftsplan Atok, 1910, o.S. Zur Farm Atok vgl. Kap. 5.2. Zur Klientelbeziehung zwischen Europäern und afrikanischen Arbeitern vgl. Kap. 5.1 und 5.2. 1097 Vgl. Hannappel 2017, S 353; Skolaster 2013, 468. 1098 Vgl. Kap. 3.4.

Trip-Trägerinnen und -Träger: Prekäre lokale Karawanenarbeit in Südkamerun

zu, das seinen Arbeitsmarkt nicht schließen konnte und zu dem die deutschen Akteure aufgrund des wirtschaftlichen Gewichts der Firma Woermann eine enge Beziehung besaßen. Vor allem Arbeitskräfte, die als „Vai“ bezeichnet wurden und als spezialisiert auf Träger- und Soldatenarbeit im Binnenland galten, holten die Unternehmen nach Kamerun. Angeworben wurden diese mittels Netzwerken aus deutschen Firmen, lokalen Brokern und Familienoberhäuptern, die marginalisierte junge Männer als Arbeiter lieferten. In Südkamerun angekommen, transportierten sie gegen hohe Löhne als Träger europäische Waren und Kautschuk. Viele nutzten ihre Migration nach Kamerun, um sich zu emanzipieren. Sie prägten die später in Südkamerun entstehende Karawanenkultur entscheidend mit, indem sie Organisationsformen des westafrikanischen Arbeitsmarktes, aber auch Vorstellungen über Zeitsouveränität und über den Umgang mit der Bevölkerung verbreiteten. Aufgrund einer Regulierung des liberianischen Arbeitsmarktes ab 1898 sank die Bedeutung der Vai für den Kautschukhandel. Trotzdem spielten sie bis zum Ersten Weltkrieg eine Rolle in den Arbeitsbeziehungen der Kolonie.

2.5 Trip-Trägerinnen und -Träger: Prekäre lokale Karawanenarbeit in Südkamerun 1925 reflektierte der frühere Offizier, Kolonialbeamte und -unternehmer Hans von Ramsay über seine Erfahrungen mit afrikanischen Trägern.1099 Wer wie er jahrelang sowohl in Deutsch-Ostafrika als auch in Kamerun mit Trägern gearbeitet habe und, so von Ramsay, „oft mit Staunen und Bewunderung ihre Leistungen kennengelernt […] hat, muß des Lobes voll sein“.1100 In Kamerun, erinnerte er sich, hatte sich die Arbeiterschaft der Karawanen zwischen seinen Aufenthalten – 1892, 1901–03, 1906 – stark verändert: Während er in Ostafrika schon in den 1880ern auf professionelle Nyamwezi-Träger zurückgreifen konnte, war er in Kamerun anfangs auf Togo- und vor allem Vai-Arbeiter angewiesen gewesen. Erst allmählich, so von Ramsay, sei infolge des Kautschukhandels auch in Kamerun eine einheimische „Trägersippe“ wie in Ostafrika entstanden. Nach und nach seien „die Kameruner Träger […] ihren ostafrikanischen Kameraden durchaus in ihren Leistungen ebenbürtig geworden“.1101 Diese Beobachtung machten auch andere: Nach der Jahrhundertwende galten die „Jaunde-Leute“ als „carrier tribe“,1102 als

1099 Vgl. Ramsay 1927, 81. 1100 Von Ramsay diente ab 1886 in Ostafrika. 1892 führte er eine Expedition in Südkamerun. 1901–03 leitete er die GNK, 1906 eine Mission zur Abgrenzung des GSK-Gebiets. Vgl. Hoffmann 2007, Bd. 2, 159 f. 1101 Ramsay 1927, 82. 1102 Mackenzie 1916, 11.

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„das beste Arbeiter- & Trägervolk“ der Kolonie.1103 Nicht nur von Ramsay verglich sie anerkennend mit den professionellen Trägern Ostafrikas: Die „Jaunde-Leute“ galten als „Waniamwezi [Nyamwezi – T. Oe.] von Kamerun“.1104 Von Ramsay zufolge löste der Kautschukhandel zwei parallele Prozesse aus: erstens eine Kamerunisierung, in der einheimische Träger die Vertragsarbeiter des westafrikanischen Arbeitsmarktes ersetzten; zweitens eine Professionalisierung, durch die eine verlässliche Karawanenarbeiterschaft für den europäischen Bedarf entstand. Die Forschung hat gezeigt, dass um die Jahrhundertwende lokale Arbeitskräfte die migrantischen ersetzten.1105 Von einer Professionalisierung ist in der Literatur aber keine Rede. Stattdessen malen Autorinnen und Autoren den Arbeitsalltag in den Karawanen in düsteren Farben: Trägerinnen und Träger seien von Europäern zwangsrekrutiert, gewaltsam diszipliniert, mit Lasten überladen, gar nicht oder zu niedrig entlohnt worden.1106 Nicolas Argenti bezeichnet Karawanenarbeit gar als „March of Death“.1107 Von Ramsays Bild einer professionellen einheimischen Karawanenarbeiterschaft passt jedoch zur Forschung über andere Regionen, die Lohnarbeit, Professionalisierung und Handlungsspielräume von Trägerinnen und Trägern betont.1108 Gleichwohl beschäftigen sich die meisten dieser Beiträge mit vorkolonialer Trägerarbeit. Von der kolonialen Phase nimmt auch diese Literatur an, dass sie zu Gewalt, Zwang und eine Entprofessionalisierung der Träger geführt habe.1109 Koloniale Trägerarbeit aber wurde bisher nicht mit derselben analytischen Tiefe untersucht. Dieses Kapitel zeichnet ein neues Bild dieser Arbeit in Südkameruns Kautschukhandel, das sowohl über die bisherige Forschung zu Kamerun als auch zu Trägerarbeit allgemein hinausgeht. In Südkamerun fand während der deutschen Herrschaft keine Entprofessionalisierung statt, wie Rockel für Ostafrika beobachtet. Stattdessen entstand erst durch den kolonialen Handel mit Gummi eine lokale, professionelle und selbstbewusste Arbeiterschaft. Männer und Frauen in den Trip-Karawanen, die die Vai-Karawanen ersetzten, arbeiteten weder unter brutalen Bedingungen noch unter europäischem Zwang. Stattdessen verdienten sie hohe Löhne für sich oder ihre Familienoberhäupter. Die neuen Arbeitsverhältnisse waren geprägt von freiwilliger Prekarität, großer Kontrolle der

1103 1104 1105 1106

BArch R 1001/4359, 145. Rautenberg-Garczynski 1909, 402. Zu Nyamwezi-Trägern vgl. Rockel 2006. Rüger 1960b, 208–211. Vgl. Djomo 2018; Eloundou 2016, 230–237; Temgoua 2014, 168–177; Owona 1996, 92; Epale 1985, 50; Mandeng 1973; Rüger 1960b, 182; Winkler 1960. Wirz nimmt für die Zeit nach der Jahrhundertwende eine größere Bedeutung von Zwang an. Vgl. Wirz 1972, 136 f. 1107 Argenti 2008, 100. Argenti hält sie für noch tödlicher als Plantagenarbeit. Vgl. Argenti 2008, 100–104. 1108 Vgl. Rockel 2006; Coquery-Vidrovitch/Lovejoy 1985a; Heintze 2002; Falola 1991; Rempel 2010. 1109 Vgl. u. a. Mollion 1986; Akurang-Parry 2002; Malzner/Peiter 2018; Rockel 2006, 6.

Trip-Trägerinnen und -Träger: Prekäre lokale Karawanenarbeit in Südkamerun

Arbeiter und Arbeiterinnen über ihre Tätigkeit und von der Entwicklung einer Karawanenkultur, die als Gewohnheitsrecht die Arbeit regulierte. Es entstanden nicht nur neue Arbeitsbeziehungen, sondern eine auf Mobilität, Solidarität, Gewalt und alternative Ideale von Männlichkeit gegründete neue Lebensweise.1110 Karawanen in Südkamerun: Arbeit unter afrikanischer Kontrolle Eine Analyse der Arbeitsbeziehungen in Südkameruns Karawanen erfordert zunächst Klarheit über die Struktur des Karawanenwesens. Grundlegend ist zwischen staatlichen Karawanen (Beamte, Ingenieure, Forschungsreisende, Schutztruppe) und privaten Karawanen (Unternehmen, Missionen) zu unterscheiden. Staatliche Karawanen gingen unter europäischer Leitung oder wurden von Soldaten der Schutztruppe begleitet. Mithilfe von Letzteren konnten staatliche Akteure ihre Vorstellungen von Ordnung und Disziplin notfalls mit Gewalt durchsetzen. In der bisherigen Forschung dominieren aufgrund der Quellenlage diese staatlichen Karawanen das Bild, ohne dass dies explizit gemacht wird. Selbst Historikerinnen und Historiker, die Daten durch oral history gewonnen haben, beschäftigen sich vor allem mit staatlichen Karawanen – einerseits, weil sich diese Erfahrung von Gewalt und Zwangsarbeit tiefer ins kollektive Gedächtnis einprägte, andererseits aber auch, weil zu den Informanten in erster Linie Eliten gehörten, nicht diejenigen, die selbst als Trägerinnen und Träger durchs Land zogen.1111 Staatliche Karawanen werden als repräsentativ angesehen, waren aber nur für einen sehr kleinen Teil des Trägeraufkommens verantwortlich. Die weitüberwiegende Zahl aller Karawanen war seit 1892 für die mit Kautschuk handelnden Unternehmen unterwegs. Dies wird ersichtlich aus den gewaltigen Mengen Material, das die Firmen importierten und exportierten, sowie aus den Berichten der Beamten, die sich schon in den 1890ern über die große Zahl von Karawanen wunderten, die die Firmen durch Südkamerun sandten.1112 Nicht nur standen die weitaus meisten Trägerinnen und Träger im Dienst der Unternehmen – sie arbeiteten auch zum allergrößten Teil ohne europäische Aufsicht und Disziplinierung.1113 Nur wenn ein Kaufmann ins Innere reiste, seine Faktoreien kontrollierte, an die Küste zurückkehrte, oder in neue Märkte jenseits der Kautschukfrontier vorstieß, marschierten Karawanen der Unternehmen in europäischer Begleitung. Den ständigen Transport von Importwaren und Gummi zwischen Beach und Faktoreien sowie zwischen Faktoreien und Buschfaktoreien

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Vgl. Eckert 2019, 29. Zu Männlichkeit und mobiler Arbeit vgl. Luna 2016, 242. Vgl. z. B. Laburthe-Tolra 1981; Quinn 2006. Vgl. BArch R 1001/4357, 112 f. Vgl. Fröhlich 31.08.1910.

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führten ausschließlich afrikanisch geleitete Karawanen durch. Trägerarbeit im Südkameruner Kautschukhandel stand deshalb meist nicht unter einem harschen, von Europäern erdachten, implementierten und kontrollierten Zwangs- und Kontrollregiment, sondern folgte Ordnungen und Konventionen, die Afrikanerinnen und Afrikaner entwickelten und durchsetzten. Eine wissenschaftliche Rekonstruktion der Trägerarbeit muss sich diese den Quellen geschuldete Verzerrung bewusst machen. Zwang, Gewalt und Ausbeutung, die die Literatur beschreibt, existierten. Gleichwohl muss Karawanenarbeit im kolonialen Südkamerun als größtenteils von Afrikanerinnen und Afrikanern organisierte und durchgeführte Arbeit begriffen werden. Dies öffnet Räume für eine komplexere Interpretation. Afrikanische Akteure werden so sichtbar, welche die neuen Arbeitsverhältnisse zur Arena unterschiedlicher Versuche machten, vom Kautschukboom zu profitieren: indem sie selbst in den Karawanen arbeiteten oder ihre Abhängigen zur Karawanenarbeit vermieteten. Damit wird deren Widersprüchlichkeit erkennbar: Einerseits ermöglichte Karawanenarbeit Emanzipation, andererseits schuf sie neue Formen von Unterdrückung und Ausbeutung – aber andere als bisher bekannt. Trip-Karawanen: Lokale Karawanenarbeit in Südkamerun Im Yesum-Gebiet, nordöstlich von Jaunde, kaufte Zampa um die Jahrhundertwende für Randad & Stein große Mengen Kautschuk. Zu seiner Verfügung standen „20 Weyboys, und 26 Bata Mabeas“ als Träger (Yardboys) für den Verkehr zwischen seiner Faktorei und den Buschfaktoreien seiner sieben afrikanischen Händler.1114 Um den Kautschuk zum Depot von Randad & Stein nach Jaunde zu bringen, reichten diese fest engagierten Arbeitsmigranten nicht aus. Doch, so hoffte er, „vielleicht in nächsten Wochen werden der Bock Semikore mir 60 bis 70 träger geben als nach Jaunde schicken zu wollen [sic!]“.1115 Wie Zampa konnten die Firmen in den 1890ern zunehmend lokale Arbeiterreservoirs erschließen, um Kautschuk an die Küste zu bringen. Die so entstehenden Arbeitsbeziehungen waren nicht dauerhaft wie im Fall der Arbeitsmigranten. Stattdessen bezahlten die Unternehmen ihre lokalen Arbeiterinnen und Arbeiter nur für einen „trip“ – den einmaligen Transport von Lasten von den Faktoreien zu den Depots oder von dort zur Küste.1116

1114 BArch N 227/22, 10. Randad & Stein warben Bata-Mabea im damals französischen Bata südlich von Kamerun für 100 Fr. Kopfgeld und 10 M Passage an. Es handelte sich also um migrantische Vertragsarbeiter, obwohl sie Mabea waren. Vgl. BArch R 1001/4454 Schaden der Semikore-Faktorei von Randad & Stein, o.D. [1901], o.S. Vgl. auch Zenker 1904b, 1. Für spanische Anwerbeversuche in Bata vgl. Sundiata 1996, 122 f. 1115 BArch N 227/22, 10. 1116 Vgl. Winkler 1960, 269. Winkler übersieht die wichtigen Yardboys bzw. später Monatsarbeiter.

Trip-Trägerinnen und -Träger: Prekäre lokale Karawanenarbeit in Südkamerun

Bis zum Ersten Weltkrieg waren Trip-Trägerinnen und -Träger die wichtigsten Arbeitskräfte Südkameruns. Seit Einführung der Karawanen hatten die Unternehmen ein Interesse daran, die Vai-Arbeitsmigranten durch einheimische Arbeitskräfte zu ersetzen. Der wichtigste Grund dafür waren die hohen Kosten für Anwerbung, Passage und Löhne. Da europäische Waren in Südkamerun sehr begehrt waren und eine hohe Kaufkraft besaßen, waren lokal angeworbene Arbeitskräfte billiger. Hinzu kam der steigende Trägerbedarf der Unternehmen. Denn indem die Firmen, der sich vorschiebenden Kautschukfrontier folgend, immer weiter ins Innere, bis Jaunde, Ngulemakong oder Ebolowa, expandierten und neue Regionen erschlossen, brauchten sie mehr Träger, um das wachsende Faktoreinetz mit den Hauptfaktoreien an der Beach zu verbinden. Nachdem die Firmen wegen der Arbeiterfrage ab 1892 tausende Liberianer nach Südkamerun gebracht hatten, konnten sie nach kurzer Zeit auf einzelnen Strecken einheimische Arbeitskräfte einsetzen. Seit 1894 lassen sich einheimische Trägerinnen und Träger – Mabea aus dem unmittelbaren Küstenhinterland – in den Karawanen nachweisen.1117 Ihr Anteil stieg während der 1890er an. Teilweise arbeiteten lokale und liberianische Arbeitskräfte in denselben Karawanen, teilweise ließen sich Arbeitsmigranten auf bestimmten Strecken ersetzen. Beschleunigend für eine Ablösung der Migranten wirkte wahrscheinlich ab 1898 der sich verschlechternde Zugang zum westafrikanischen Arbeitsmarkt infolge des Humplmayr-Monopols. 1899 machten Mabea-Trägerinnen und -Träger „den Hauptbestandteil der im Südbezirk beschäftigten Karavanenträger“ aus.1118 Um die Jahrhundertwende entwickelten sich die Jaunde zur bedeutendsten Gruppe. Nur an der Kautschukfrontier, wo Arbeiter den Faktoreien fest zugeordnet waren (Yardboys), blieben Vai bis ca. 1905 die bedeutendste Gruppe.1119 Ansonsten dominierten nun einheimische Arbeitskräfte die Karawanen. Charakteristisch für die neue, lokale Karawanenarbeiterschaft war, dass Arbeitskräfte sich nur für den einmaligen Transport von Kautschuk von den Faktoreien nach Kribi, Plantation und Longji an der Küste rekrutieren ließen. Im Gegensatz zu den für einen Zeitraum (ein bis zwei Jahre) engagierten Arbeitsmigranten wurden sie deshalb als Trip-Trägerinnen und -Träger bezeichnet. Sie wurden im Binnenland von Kaufleuten angeworben, die Gummi zur Küste schicken wollten: „Hat man nun einige 1000 Kilogramm [Kautschuk – T. Oe.] beisammen“, berichtete der Kaufmann Paul Fröhlich, „so sucht man nun Leute, welche die Waren zur Küste bringen. Dort werden sie wieder mit Waren für mich beladen und zurückgesandt.“1120 Ein 1117 1118 1119 1120

Vgl. Zenker 1904b, 8. Küas 1899, 770. Vgl. BArch R 1001/4290, 91 f. Fröhlich 27.08.1910.

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solcher Marsch, vor allem auf der Strecke zwischen Jaunde und Kribi, hieß auf Pidgin-Englisch „trip“.1121 Wohl um die Jahrhundertwende kamen die Begriffe „Trip-Träger“ oder „Stück-Träger“ auf,1122 die Arbeitskräfte bezeichneten, „die sich verpflichten, gegen die vereinbarte oder übliche Vergütung einen bestimmten Lastentransport auszuführen (Werkvertrag im Gegensatz zu Dienstvertrag)“.1123 Gegen höhere Bezahlung transportierten sie auf dem Rückweg von der Küste in ihre Heimat auch europäische Waren für die Firmen ins Innere. Aber noch 1907 trug nur jeder bzw. jede vierte auch Waren ins Binnenland.1124 Diese Form von Lohnarbeit ging nicht mit einer dauerhaften, sondern zeitlich überschaubaren Verpflichtung einher. Eine solche selbstgewählte Prekarität ermöglichte, sich den harten Rhythmen und der Fremdbestimmung dauerhafter Lohnarbeitsverhältnisse zu entziehen.1125 Die Menschen waren nicht auf Lohnarbeit angewiesen, um ihre Subsistenz zu sichern. Stattdessen konnten sie als TripTrägerinnen und -Träger ein zusätzliches Einkommen erzielen, ohne längerfristige Verpflichtungen einzugehen.1126 Die Vorteile überwogen so stark, dass lange nachdem die Firmen begonnen hatten, auch ihre Yardboys im Inland zu rekrutieren, die Jaunde bis 1913 vor allem Trip-Trägerinnen und -Träger auf der Jaunde-Straße blieben.1127 Das entstehende Karawanenwesen nahm schnell einen saisonalen Charakter an. Regierungsarzt Ludwig Külz erklärte 1907, „daß der Trägerverkehr, der während der Regenzeit zum größten Teil ruht, in der Trockenzeit sehr lebhaft einsetzt“.1128 Demnach waren die meisten Karawanen zwischen Dezember und März und zwischen Mitte Juni und Mitte Juli unterwegs. In der Regenzeit traten Flüsse, Bäche und Sümpfe über die Ufer und verwandelten die Wege in Schlamm. Bewegung war dann nur noch eingeschränkt möglich.1129 Auch in wasserdichten Säcken löste sich in der Regenzeit Salz auf und Stoff fing an zu schimmeln.1130 Außerdem war die Karawanensaison auf den Arbeitsrhythmus der Gummisucher abgestimmt, die ebenfalls vor allem während der Trockenzeit produzierten.1131 Gleichzeitig bedeutete die Konzentration auf die Trockenzeit, dass die Trägersaison ebenso wie 1121 BArch R 1001/3898, 73. Eine Reise von der Küste bis hinter Lomie hieß später „großer Tripp“. Vgl. Petersen 1939b, 7. 1122 Vgl. BArch N 2225/17, 84. 1123 Handelskammer für Süd-Kamerun 1913a. 1124 Vgl. BArch R 1001/3456, 8; Petersen 1939b, 7 f. 1125 Für diese Interpretation frühkolonialer Prekarität vgl. Barchiesi 2019, 48–58. 1126 Vgl. Cooper 1996, 28. 1127 Vgl. Handelskammer für Süd-Kamerun 1913a. 1128 Külz 1907, 447 f. Vgl. auch BArch N 2225/16, 51. 1129 Vgl. DHM Do 2005/36, 81 f. 1130 Vgl. SMB-PK, EM N Langheld, Tagebuch Nr. 4, 27.11.1912. 1131 Vgl. NN 1914c, 481; LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 22.08.1907.

Trip-Trägerinnen und -Träger: Prekäre lokale Karawanenarbeit in Südkamerun

die Kautschukernte in die Zeit fiel, in der männliche Arbeitskräfte in der Subsistenzarbeit gebraucht wurden.1132 Mit einheimischen Arbeitskräften wuchs der Karawanenverkehr in Südkamerun auf ein zuvor undenkbares Niveau. Die widersprüchlichen und mit Vorsicht zu verwendenden Zahlen deuten sämtlich in eine Richtung: Im September 1895 traf eine staatliche Expedition in 14 Tagen zwischen Kribi und Jaunde 1500–1800 Trägerinnen und Träger, was dem berichtenden Offizier als „ungemein von Karawanen belebt“ erschien.1133 Doch 1897/98 überquerten bereits täglich zwischen 1000 und 1500 Trägerinnen und Träger bei Bipindi den Lokundje-Fluss – die eine Hälfte Richtung Küste, die andere ins Inland.1134 1899/1900 (bei abflauender Konjunktur) waren monatlich ca. 8000 Trägerinnen und Träger zwischen der Küste und den Faktoreien im Innern unterwegs.1135 Einige Firmen sandten jeden Monat bis zu 2000 Menschen ins Innere.1136 Die meisten marschierten auf der Jaunde-Straße, auf der von Stein für sechs Monate des Jahres 1899 von ca. 35.000 Trägern ausging.1137 Die einzelnen Karawanen konnten dabei verschiedenste Größen haben – ein Kaufmann reiste 1897 mit zehn Trägern, andere Karawanen hatten über 100 oder gar 200 Mitglieder.1138 Jedoch bleibt immer unklar, wer gezählt wurde. Alle, die eine Last trugen? Nur die bezahlten Trägerinnen und Träger? Oder alle Mitglieder einer Karawane? Ungenannt bleibt auch, woher die Menschen stammten, wie häufig sie auf der Strecke unterwegs waren, ob sie im Dienst der Firmen oder der Regierung standen oder unabhängige Reisegemeinschaften bildeten. Dennoch lässt sich ein enormes Wachstum des Trägerverkehrs feststellen. Die Mobilität war extrem hoch – im Vergleich zur vorkolonialen Zeit wie im Vergleich zu anderen Regionen Afrikas, denn in der Literatur gelten 3000 Menschen pro Monat bereits als sehr viel.1139 Aber selbst diese Zahlen waren nur ein Vorgeschmack auf das, was sich nach 1900 auf der Jaunde-Straße abspielen sollte. Jaunde-Leute: Entstehung einer ethnic-occupational identity Besonders eine Gruppe trug das Wachstum der Karawanen: „Das Jaundevolk ist das beste Arbeits- und Trägervolk“,1140 stellten die Firmen 1904 fest; um den Gummi

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Vgl. z. B. Jobelmann 2017, 91. BArch R 1001/4357, 112 f. Vgl. Hannappel 2017, 360. Vgl. Dominik 1900, 154. Vgl. Küas 1899, 769. Vgl. Stein 1900, 95. Vgl. Pape 20.04.1898; BArch R 1001/4357, 113; Roberts 1898, 17. Vgl. Coquery-Vidrovitch/Lovejoy 1985b, 10 f. BArch R 1001/3817, 55.

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zur Küste zu schaffen, lobte der Missionar Rosenhuber 1911, „eignet sich niemand besser, als der Jaundemann.“1141 Während anfangs Mabea und Ngumba die wichtigsten Trip-Trägerinnen und -Träger waren, entwickelten sich die „Jaunde“ um 1900 zur größten Gruppe der Karawanenarbeiterschaft. „Jaunde“ ist nicht mit Ewondo gleichsetzen, sondern wie Kru oder Vai eine ethnicoccupational identity. Anfangs bezeichneten die Deutschen die Ewondo, unter denen Kund und Tappenbeck ihre Jaunde-Station gründeten, als Jaunde. Doch mit zunehmenden europäisch-afrikanischen Arbeitsbeziehungen (in erster Linie der Trägerarbeit) weitete sich die Bezeichnung aus: Auch andere Beti wie Yebekollound Bane-Arbeiter galten bald als „Jaundeleute“,1142 schließlich alle Bewohner der von der Jaunde-Station verwalteten Region: 1909 stammten die für eine Plantage angeworbenen „Jaunde“ aus den Gebieten der Eton, Bekelle, Bapea, Yambassa, Balinga, Bati und Wute.1143 Jaunde war ein ethnisches Label, unter dem europäische Arbeitgeber Menschen einer bestimmten Region engagierten, von denen sie gute Arbeitsleistungen (vor allem Trägerarbeit) erwarteten. Damit verwischte der Begriff ethnische Grenzen, zog sie neu und leitete eine Tribalisierung der Bevölkerung ein.1144 Diese Studie trägt dem Rechnung, indem sie die Bezeichnung „Jaunde“ für die diverse Arbeiterschaft übernimmt. Die Jaunde waren so bedeutsam in den Karawanen, weil erstens die Gebiete des späteren Jaunde-Bezirks zu den am dichtesten besiedelten in Südkamerun gehörten. Hier lebten 15 bis 25 Menschen pro Quadratkilometer, während es im Bulu-Gebiet knapp 10 waren und das unmittelbare Küstenhinterland kaum oder (wie der Kribi-Busch) gar nicht besiedelt war.1145 Entsprechend galt das JaundeGebiet schon zu Beginn der 1890er dem Gouvernement als mögliche Lösung für die lähmende Arbeiterfrage.1146 Zweitens entwickelte sich die Jaunde-Station Ende der 1890er zum zentralen Punkt für die Logistik des Staates und der Firmen. Da die Jaunde-Straße die einzige sichere Verbindung ins Innere blieb, wickelte der Staat seinen ganzen Expeditionsbetrieb über die Jaunde-Station ab. Auch für die Expansion der Firmen nach Norden und Osten wurde die Jaunde-Station zu einem wichtigen Depotplatz.1147 Drittens waren in diesem dichtbevölkerten Gebiet die sozialen Konflikte zwischen den Generationen besonders ausgeprägt. Lohnarbeit wurde hier zu einer neuen Möglichkeit, vom boomenden Kautschukhandel zu profitieren. Viertens waren viele Männer und Frauen aus der Region bereits als Teil

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Rosenhuber 1911, 47. Petersen 1939b, 47. Vgl. BArch R 175-I/186 Krosigk an Gouvernement, 07.08.1909, o.S. Vgl. Frost 2000, 164. Vgl. Thevoz 1919. Vgl. BArch R 1001/4356, 107; BArch R 1001/4356, 88; BArch R 1001/4357, 14 f. Vgl. Wirz 1972, 112 f.

Trip-Trägerinnen und -Träger: Prekäre lokale Karawanenarbeit in Südkamerun

der Reisegemeinschaften mit Gummi-Transportarbeit in Verbindung gekommen, die sie nun nicht für sich selbst oder ein Familienoberhaupt, sondern für Europäer durchführten. Daran, dass sich das Jaunde-Gebiet zu einem Arbeiterreservoir entwickelte, hatte die Regierung in den 1890ern erheblichen Anteil. Sie beschäftigte als erstes in großer Zahl Menschen aus der Umgebung der Jaunde-Station und rekrutierte diese für die Plantagen am Kamerunberg.1148 Bereits 1892 nahm der eingangs zitierte Ramsay Jaunde als Arbeiter mit zur Küste.1149 Im Jahr darauf schrieb ein Offizier: „Für die Anwerbung von Jaundeleuten als Arbeiter sind zur Zeit die besten Aussichten vorhanden.“1150 Im September 1894, kurz nach seiner Ankunft in Jaunde, fand Dominik dort scheinbar mühelos Träger, um Krieg gegen die Wute zu führen. Während die Ngumba sich weigerten, war dies unter den munteren, thätigen Jaunde-Leuten ganz anders. Kaum hatte die große Stationstrommel gerufen, als auch Leute von allen Seiten erschienen, um ihre Dienste anzubieten, die meisten hatten zwar geglaubt, ich gehe zur beach zurück und sich dorthin verdingen wollen, äußerten auch zuerst Bedenken, zu dem gefürchteten Ngilla zu gehen, aber der Anblick meiner stattlichen Soldatenschaar, die sie bewundernd jeden Tag hatten exerzieren sehen, und ermunternden Zuspruch von allen Seiten, ließen sie auch die Route nach Nord statt nach Kamerun einschlagen.1151

Dominik beschrieb die Menschen als abenteuer- und unternehmungslustig sowie gewillt, europäische Waren zu verdienen. Nicht auszuschließen ist jedoch, dass seine Träger oder die Arbeiter der anderen Beamten und Offiziere nicht aus freien Stücken mitgingen, sondern die minkúkúma, die reichen Familienoberhäupter, sie dazu ermunterten oder gar zwangen. Auf diese Unschärfe ist später genauer einzugehen. Jedenfalls boten sich auch 1895 viele Leute der Regierung als Arbeiter an.1152 Dominik schrieb, dass sich die Ewondo „zum Tragen von Expeditions- und Karawanenlasten drängten“.1153 Er erging sich in einer langen Lobeshymne auf die Jaunde und ihre mögliche Bedeutung für die Lösung der Arbeiterfrage: Die Leute haben sich bis zum Schluß trefflich bewährt; sie sind willig und anstellig, dabei unglaublich genügsam, auch arbeiten sie für so geringen Lohn – ich gab jedem für die vierwöchentliche Arbeitszeit 2 Faden Zeug, 2 rote Kappen und 1 Bund Olivetten – daß

1148 1149 1150 1151 1152 1153

Vgl. BArch R 1001/3225, 104. Vgl. BArch R 1001/4356, 107. BArch R 1001/4356, 88. BArch R 1001/4357, 14 f. Vgl. BArch R 1001/4357, 64. Dominik 1911, 162.

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ich glaube, der Kolonie wird bei richtiger Behandlung ein sehr tüchtiges Arbeiterpersonal in den Jaunde-Leuten erwachsen. In den reich bevölkerten Jaunde-Lande [sic!] aber ist ein großer Überschuß an arbeitsfähigen Leuten, die wie ich selbst sehe und höre, jederzeit gern zur beach gehen, um sich dort Geld zu verdienen. Sind dann erst die Straßen gehörig gesichert, so gehen die Leute gewiß noch lieber und in größerer Anzahl zur Küste, lernen dort arbeiten und machen das kostspielige Personal von der Wey- und Cru-Küste entbehrlich.1154

Die folgenden Jahre gaben Dominik recht. Gerade die Handelsfirmen verwendeten Ende der 1890er zusehends Jaunde für den Abtransport von Gummi und wurden schnell deren wichtigste Arbeitgeber. Die Ersten arbeiteten schon für die Firmen, bevor diese ihre Faktoreien nach Jaunde vorgeschoben hatten. Bereits 1895 warben afrikanische Firmenangestellte dort Arbeitskräfte an, „unter dem Vorgeben ihnen an der Küste leichtere und bessere Arbeit verschaffen zu wollen“,1155 als in Diensten der Regierung. Mit der Etablierung von Faktoreien in Jaunde und der Verschiebung der Kautschukfrontier über Jaunde hinaus nach Osten stieg die Bedeutung der Jaunde-Trägerinnen und -Träger. Für Reinhard, 1897 der erste europäische Kaufmann in Jaunde, war die Rekrutierung von Arbeitskräften für den Abtransport von Kautschuk und Elfenbein bereits eine seiner wichtigsten Aufgaben.1156 Dominik stellte deshalb fest: Bis zum Jahr 1898 waren die Jaunde „Händler und Träger geworden.“1157 Konsolidierung und Aufbruch: Die Rekrutierung von Trip-Trägerinnen und -Trägern Dass in Südkamerun binnen weniger Jahre eine lokale Karawanenarbeiterschaft entstand, war eine direkte Folge der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Verwerfungen des Kautschukhandels. Nachdem die Kautschukfrontier und damit der einträgliche Handel über ein Gebiet hinweggegangen waren, suchten einerseits nicht etablierte Männer nach neuen Wegen, europäische Waren zu verdienen. Andererseits nutzten Familienoberhäupter die Arbeitskräftestellung dazu, ihre bedrohte Macht zu stabilisieren. Die Arbeit in den Trip-Karawanen war folglich hybride: In ihnen fanden sich Lohnarbeiter, die für ihr eigenes Fortkommen arbeiteten, ebenso wie vermietete Sklaven, Sklavinnen, Ehefrauen, Söhne, pawns, Klienten etc., die zum Einkommen der Familie beitragen sollten oder mussten. Für die historische

1154 1155 1156 1157

BArch R 1001/4357, 14 f. BArch R 1001/4357, 78. Vgl. Reinhard 1901, 6. Dominik 1911, 260.

Trip-Trägerinnen und -Träger: Prekäre lokale Karawanenarbeit in Südkamerun

Forschung sind diese kaum zu unterscheiden.1158 Zugleich wechselten Menschen zwischen den Kategorien. Oftmals hatten sowohl Familienoberhäupter als auch Haushaltsmitglieder ein Interesse an Lohnarbeit – auch wenn unterschiedliche Erwartungen zu Spannungen führten, so Cooper: „Houshold heads often tried to insure that young men would leave and also return, bringing back fruits of their labor. Young men, and at times women, often used wage labor to obtain a measure of independence from patriarchal authority or to set up their own households“.1159 Binäre Kategorien von „freier“ und „unfreier“ Arbeit eignen sich deshalb nicht für eine Bewertung. Arbeit war geprägt von ständigen Konflikten und Aushandlungsprozessen zwischen denen, die Macht hatten, und denen, die sich nach sozialem Aufstieg sehnten. Deutlich wird diese Ambivalenz der neuen Arbeitsbeziehungen bei den Mabea, die ab 1894 als Erste in großer Zahl in den Karawanen arbeiteten. Männer und Frauen transportierten Lasten für die Firma Lubcke von der Hauptfaktorei in Plantation zu den Faktoreien im Ngumba-Gebiet.1160 Die Mabea, so Dominik, geben mit ihren Frauen einen tüchtigen Trägerstamm ab. Es ist unglaublich, mit welcher Gewandtheit die schwächlich aussehenden, oft krummbeinigen Leute mit 50 bis 60 Pfund schweren Lasten unter den schwierigsten Verhältnissen den Urwald durcheilen, um ihre Waren in den Faktoreien Ngumbas abzuliefern und für den Rückmarsch mit Gummi beladen zu werden.1161

Ausgangspunkt dieser Entwicklung war der Krieg, den das Mabea-Familienoberhaupt Benga im Hinterland von Groß-Batanga gegen die Kaufleute und ihre VaiKarawanen führte, um die Position der Mabea-Familienoberhäupter im Zwischenhandel zu retten: Die Mabea jagten die Karawanen zur Küste zurück und plünderten die Faktoreien. Ihre Machtdemonstration führte zu einem Eingriff der Kolonialmacht: Gemeinsam mit Batanga-Kriegern unterwarf die Polizeitruppe unter dem 26-jährigen Alwin Wehlan im März 1893 die Mabea mit äußerster Brutalität.1162 Benga wurde gehängt, die Dörfer mussten hohe Strafzahlungen an Kautschuk und Elfenbein leisten sowie Zwangsarbeiter für die Plantagen am Kamerunberg stellen.1163 1894, nur ein Jahr nach Ende dieses Krieges, begannen Mabea, als Trä-

1158 1159 1160 1161 1162

Vgl. Bellucci 2017, 136. Vgl. auch Brown/van der Linden 2010. Cooper 1996, 28. Vgl. Dominik 1911, 50 f. Dominik 1911, 51. Vgl. Vallentin 1894, 339 f. Zum Mabea-Krieg vgl. Hoffmann 2007, Bd. 1, 78; Kaeselitz 1968, 23 f. Zu Wehlan vgl. SUBH NPK 101, 1 ff. 1163 Vgl. BArch R 1001/4285, 44. Die Mabea mussten 50.460 Pfd. Kautschuk, 4025 Pfd. Elfenbein und 323 Arbeiter stellen.

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gerinnen und Träger in den Karawanen der Firmen und des Staates zu arbeiten.1164 Trägerarbeit, stellten die amerikanischen Missionare fest, „seems to be the principal way in that community of earning money“.1165 Grundlage dieser erstaunlichen Entwicklung waren die Spannungen zwischen den Generationen. Die Autorität der Mabea-Familienoberhäupter war zutiefst erschüttert: Der Kautschukhandel hatte nicht etablierten Männern ermöglicht, selbst europäische Waren zu verdienen und Autonomie zu erlangen; die Karawanen hatten den Zwischenhandel der Familienoberhäupter zerstört; nun waren sie auch militärisch besiegt worden. Sie waren kaum in der Lage, die von der Regierung auferlegten Strafzahlungen zu begleichen. Ende 1893 entschädigten sich die Kaufleute deshalb selbst mit Gewalt aus dem Elfenbeinbesitz der Mabea. Auch die Handelspartner der Mabea im Hinterland nahmen sich gewaltsam, was ihnen ihrer Ansicht nach zustand.1166 Die verarmten Familienoberhäupter konnten nicht mehr ihren sozialen Aufgaben nachkommen, z. B. die Brautgaben für die erste Frau ihrer Söhne übernehmen, die zu zahlen sie verpflichtet waren:1167 Sie waren nach dem Krieg materiell und moralisch bankrott. Die Folge war eine rasche Verbreitung von Lohnarbeitsbeziehungen. Nicht etablierte Männer versuchten weiterhin, unabhängig von ihren Familienoberhäuptern sozial aufzusteigen. Kautschukproduktion jedoch, zuvor die Quelle europäischer Waren, lohnte sich 1893 im unmittelbaren Hinterland der Batanga-Küste bereits nicht mehr: Die Kautschukfrontier war über das Mabea-Gebiet hinweggegangen. Die Mabea kauften ihren Gummi bereits im Hinterland.1168 Angesichts dessen war Lohnarbeit eine Alternative: „Die Jüngeren“, beobachtete Zenker, „ziehen es seit 1894 vor, Trägerdienste zu leisten, was für sie sehr rentabel ist.“1169 Gleichzeitig nutzten auch die Familienoberhäupter die Nachfrage nach Arbeitskräften, um ihre Position zu stabilisieren. Sie erschlossen ebenfalls die Karawanenarbeit als Einnahmequelle, indem sie ihre Abhängigen (Frauen, Töchter, Söhne, Sklavinnen, Sklaven, pawns, Klienten) als Arbeitskräfte an die Europäer vermieteten. Hierauf deutet hin, dass viele Frauen in den Karawanen arbeiteten.1170 Die Löhne behielten die Familienoberhäupter wahrscheinlich ganz oder teilweise ein.1171

1164 1165 1166 1167 1168 1169 1170 1171

Vgl. Zenker 1904b, 8. Roberts 1895, 137. Vgl. BArch R 1001/4285, 136. Vgl. Zenker 1904b, 10. Vgl. BArch R 1001/4285, 139. Zenker 1904b, 8. Vgl. Dominik 1911, 51. Vgl. für die Jaunde BArch R 1001/3898, 15.

Trip-Trägerinnen und -Träger: Prekäre lokale Karawanenarbeit in Südkamerun

Bei den Beti bewirkte vor allem die Zerstörung der Bestände kautschukproduzierender Lianen die Entstehung einer ebenso ambivalenten lokalen Arbeiterschaft.1172 Nach der Jahrhundertwende arbeiteten in den Karawanen „fast ausschließlich Leute aus Ländern, die selbst keinen Gummi mehr produzieren und daher auf die Verdienste als Träger angewiesen“ waren.1173 Nachdem der Kautschuk-Goldrausch der 1890er eine Zeitlang die sozialen Verhältnisse auf den Kopf zu stellen drohte, schob sich die Kautschukfrontier auch über das Beti-Gebiet hinweg nach Norden und Osten. Wie schnell dies geschah, beschrieb Reinhard, der zwischen März 1897 und Anfang 1900 in Jaunde die Faktorei von Karl Maaß leitete: „Die Gegenden, wo der Gummi fabriziert wird, lagen bei meiner Ankunft ca. 7 Stunden, im letzten Jahre meines Dortseins 6 Tage von uns entfernt“.1174 Die Familienoberhäupter hatten nun ihren Elfenbeinhandel weitgehend verloren, die nicht etablierten Männer die Möglichkeit, Kautschuk an die Faktoreien zu verkaufen oder in Reisegemeinschaften zur Küste zu bringen. Lohnarbeit in den Trip-Karawanen war für alle die einzige Möglichkeit, europäische Waren zu verdienen. Nicht etablierte Männer gingen auch hier als Lohnarbeiter in die Karawanen, und Beti-Familienoberhäupter, besonders die minkúkúma, boten sich dem kolonialen Staat wie auch den Unternehmen als Partner bei der Arbeitskräftebeschaffung an, um ihre Position zu stabilisieren.1175 Sie rekrutierten unter den Menschen, über deren Arbeitskraft sie verfügen konnten, und erhielten deren Lohn oder zumindest Teile desselben.1176 Kolonialmacht und Unternehmen konnten auf diese Weise Trägerinnen und Träger mobilisieren, während die Familienoberhäupter Verbündete gewannen und neue Einnahmequellen erschlossen.1177 Dass es bei den Arbeitskräften, die die minkúkúma bereitstellten, um Abhängige der Familienoberhäupter handelte, war ein offenes Geheimnis. Zintgraff spottete 1893 nach Kritik der Regierung, dass die von ihm zur Küste gebrachten BaliArbeiter Sklaven seien, ob sich denn der Gouverneur davon überzeugt habe, „daß die Jaundeleute, welche jetzt als ‚freie Arbeiter‘ nach Kamerun kommen, nur ‚freie‘

1172 Die Niederlage einiger Beti war weniger bedeutsam. Zu den Militäraktionen vgl. Hoffmann 2007, Bd. 1, 111, 132 f. 1173 BArch R 175-I/65, 215. 1174 Reinhard 1901, 7. Schon Anfang 1899 kam der meiste Kautschuk von den Mwelle, östlich von Jaunde. Vgl. BArch R 1001/4338, 81. 1175 Für eine parallele Entwicklung vgl. Brown 2003b. Die Einbindung der Eliten als Rekrutierer bezeichneten die Briten als „West African custom“ (Philips 1989, 39) oder „local method“ (Brown 2003b, 78). Vgl. auch Eckert 2011. 1176 Diese Praxis baute auf ältere Muster der Arbeitskräftemobilisierung auf. Familienoberhäupter überließen sich gegenseitig Abhängige, um Beziehungen zu festigen. Vgl. Laasch 1905, 108. Für die Einbeziehung von Europäern in diese Praktiken vgl. BArch R 1001/4084, 21 f.; PAZD N Zenker Tagebuch 1891/92, 20.04.1891. 1177 Vgl. Nekes 1911, 22.

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Jaundemänner sind?“1178 Tatsächlich fragten Behörden und Unternehmen nicht genau nach, welchen sozialen Status die Menschen hatten, die die Familienoberhäupter ihnen übergaben.1179 Bekannt waren die darunterliegenden Strukturen dennoch. Der Bezirksamtmann von Kribi, Hauptmann Stieber, äußerte 1907, dass ein „Häuptling“ gewöhnlich „seine Leute (Sklaven) einfach zur Mitfolge“ bestimme.1180 Auch die Firmen gaben 1904 an, ihre Jaunde-Träger seien „größtenteils Sklaven“ der Familienoberhäupter.1181 Die Vermietung von Abhängigen entwickelte sich für alle Akteure, die Rechte über Menschen ausübten, zu einer bedeutenden Einnahmequelle. Wie komplex Arbeitsverhältnisse hierdurch werden konnten, zeigt ein Beispiel vom Kamerunberg, den deutsche Beamte mithilfe einheimischer und migrantischer Träger erklommen hatten. Nach dem Abstieg ließen sie eine Extraration Essen an die Träger verteilen. Der Lagos-Headman Sulu gab einem älteren Mann nichts und erklärte, „dieses wäre nicht der eigentliche Träger, sondern er wäre von demselben nur für 1 Schilling gemüthet [sic!].“1182 Ration und Lohn dessen, den er vorgeschickt hatte, beanspruchte der „eigentliche Träger“, ein elegant gekleideter Mann.1183 Auch in Südkamerun stellten als Träger engagierte Männer nicht selten einen Ersatzmann oder eine Ersatzfrau.1184 Für die minkúkúma barg diese Strategie, als Anwerber aufzutreten, auch Gefahren. Abhängige, die als Arbeitskräfte zu den Europäern geschickt worden waren, nutzten Lohnarbeit, um sich zu emanzipieren.1185 1894 erklärte Gouverneur von Zimmerer für Kamerun-Stadt, dass Sklaven vermehrt für Europäer arbeiteten – aber „ohne den Arbeitslohn an ihre Herren abzuliefern“.1186 Auf der Jaunde-Station hielt sich der Sklave Ingombe nach seiner Rückkehr von der Küste, wohin er im Auftrag Zenkers gereist war, dauerhaft bei Zenker auf und kehrte nicht zu seinem Besitzer Esomba Abé zurück. Ingombe hatte die Präsenz der Europäer genutzt, um seine persönliche Autonomie zu vergrößern. Als er eines plötzlichen Todes starb, verlangte Esomba Abé von Zenker eine Kompensation. Zenker lehnte dies ab, denn er war der Meinung, dass er für den Mann „aufzukommen nicht brauche, da er weder von mir engagirt gewesen wäre, sondern freiwillig hier geblieben

1178 1179 1180 1181 1182 1183

BArch R 1001/3426, 134. Vgl. Cooper 1996, 26. BArch R 175-I/136, 98. BArch R 1001/3898, 15. Vgl. auch BArch R 1001/3898, 24. AdKB Kempowski Biographienarchiv 2612 Besteigung des großen Kamerun Berges Ostern 1896. Vgl. AdKB Kempowski Biographienarchiv 2612 Besteigung des großen Kamerun Berges Ostern 1896. 1184 Vgl. Kap. 4.2. 1185 Vgl. ähnliche Fälle u. a. in Brown 1996; Carton 2000. 1186 Vgl. BArch R 1001/6493, 193.

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sei“.1187 Nach der Jahrhundertwende sind derartige Emanzipationen auch durch die Arbeit im Kautschukhandel überliefert.1188 Sie dürften aber von Beginn an eine Begleiterscheinung der Mobilisierung so vieler Menschen gewesen sein. Für nicht etablierte Männer war die Nachfrage der Europäer und vor allem der Firmen nach Arbeitskräften eine neue Möglichkeit, nachdem der Kautschuk aus ihrem Gebiet verschwunden war, weiterhin unabhängig von den Familienoberhäuptern europäische Waren zu erlangen. Entsprechend trieben die älteren Generationenkonflikte auch die Entstehung lokaler Lohnarbeitsbeziehungen voran. Die Karawanenarbeit diente dazu, die Brautgaben für eine Ehefrau zusammenzusparen und so Autonomie zu gewinnen. Zenker berichtete über die Mabea: „I giovani vanno quali portatori fino a che essi hanno fatto tanto danaro o oggetti europei […] per poter comprarsi una ragazza o una donna, e allora hanno raggiunto il loro scopo di vita, e si riposano.“1189 Um genügend zu verdienen, mussten die Träger viele Male den Trip zur Küste machen.1190 Viele dieser Nichtetablierten waren noch sehr jung, einige Bakoko hatten „oft jahrelang“ gearbeitet, bis sie mit 17 Jahren heirateten.1191 Männer, die bereits verheiratet waren, nutzten ebenfalls die neuen Möglichkeiten. Wie bei der Kautschukproduktion versuchten sie, die Akkumulationsphase zu verkürzen, indem sie mithilfe ihres Lohns weitere Frauen heirateten.1192 Teilweise brachte die Lohnarbeit junge und nicht etablierte Männer in offenen Konflikt mit der gerontokratischen Ordnung. Unverheiratete Männer hatten ihrem Familienoberhaupt zu gehorchen und für es zu arbeiten, bis dieses ihnen half, zu heiraten. Ende des 19. Jahrhunderts geschah dies etwa bei den Bakoko nie vor dem 18. Lebensjahr.1193 Die Familienoberhäupter schoben die Heirat ihrer Söhne aber häufig weiter hinaus, um länger ihre Arbeitskraft nutzen zu können.1194 Trägerarbeit ermöglichte es, dem zu entkommen, so von Schkopp: „Der leichtere Erwerb und Verdienst […] setzte die Bakoko in die Lage, sich schon vor Erreichung der gesetzlichen Altersgrenze ein Weib zu kaufen.“1195

1187 PAZD N Zenker Tagebuch 1891/92, 20.04.1891. 1188 Vgl. Kap. 4.2. 1189 Zenker 1904a, 212. Übersetzung durch T. Oe.: „Die jungen Leute gehen als Träger, bis sie so viel Geld oder europäische Gegenstände […] verdient haben, um sich ein Mädchen oder eine Frau zu kaufen, und dann haben sie ihren Lebenszweck erreicht, und sie ruhen sich aus.“ 1190 Vgl. Zenker 1904b, 9. 1191 Schkopp 1906, 176 f. Ähnlich: Rosenhuber 1904, 150. 1904 heirateten die meisten Männer zwischen 25 und 30 Jahren und mussten so lange für die Europäer arbeiten. Vgl. Rosenhuber 1904, 150. 1192 Vgl. Zenker 1904b, 11 f.; Zenker 1904a, 212. 1193 Vgl. Schkopp 1902/03, 523. Nach anderer Quelle dem 16. Jahr. Vgl. Rosenhuber 1904, 150. 1194 Vgl. Laburthe-Tolra 1981, 205 f. 1195 Schkopp 1902/03, 523.

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Ob dieser Möglichkeiten verloren viele nicht etablierte Männer ihre Vorbehalte gegen die Trägerarbeit. Denn eigentlich war diese die Aufgabe von Abhängigen. Noch nach 1900 war es skandalös, diese Tätigkeit einem etablierten Mann zuzumuten, wie die Missionarin Jean Kenyon Mackenzie erlebte. Europäer verlangten, dass Nzwango, ein älterer Bulu-Mann, auf einer Reise eine Last für sie tragen sollte. Entrüstet wies er dies von sich: „For Nzwango was not a youth, that he should carry a load, but a real person.“1196 Mit „a real person“ verwies er auf das auch bei den Bulu gebräuchliche Konzept des mfaŋ mot. Trägerarbeit stand im Widerspruch zu Vorstellungen von Männlichkeit. Sie gehörte nicht zu den Aufgaben, die ein mfaŋ mot, ein freier, vollständiger, erwachsener Mann, übernahm – schon gar nicht für Fremde.1197 Trägerarbeit war etwas für Frauen, Sklaven, junge Burschen, Kinder, Abhängige, einen zeze mot – einen Niemand.1198 Gleichzeitig eröffnete die Trägerarbeit die Möglichkeit, weiterhin europäische Waren zu erwerben, nachdem in der Region kein Kautschuk mehr vorhanden war. Die Erfahrungen der Gummisucher und vor allem der Reisegemeinschaften, die bereits vielen Menschen erlaubt hatten, zur Küste zu gehen, in Kontakt mit Unternehmen zu kommen und über eigene Ressourcen zu verfügen, erleichterten den Weg in die Lohnarbeit. Sicherlich waren viele neue Karawanenarbeiter früher in den Reisegemeinschaften mit eigenem oder fremdem Gummi zur Küste gegangen. Nun gingen sie den Weg für die Firmen – aber profitierten dennoch davon. Wie zuvor gingen sie nicht allein, sondern meldeten sich in Gruppen von Freunden und Verwandten zur Karawanenarbeit.1199 Dies wurde Teil ihrer Strategie zur Selbstrealisierung. Mit der Zeit galten auch Träger wie z. B. Bekalli, ebenfalls ein Bulu, trotz ihrer Beschäftigung als „a real person and no longer a youth“.1200 Als Trip-Träger für die Unternehmen zu arbeiten, stand manchmal direkt den Interessen der Familienoberhäupter entgegen. Anfang 1901 etwa führte die Konkurrenz zwischen Regierung und Privatunternehmen um Arbeitskräfte zu Konflikten innerhalb der Ewondo. Seit Ende der 1890er häuften sich die Repressalien der Regierung, wenn die Familienoberhäupter ihr nicht genug Arbeiter für Expeditionen stellten.1201 Entsprechend versuchten die Familienoberhäupter, die Trägerarbeit für die Firmen einzuschränken. Wenn deren Angestellte nach Trägern fragten, warnten

1196 Mackenzie 1914. Ähnliche Vorstellungen bestanden in der Schutztruppe, die nach der Jahrhundertwende zu einem großen Teil aus Jaunde bestand. Vgl. Haase 1922, 71. 1197 Vgl. Guyer 1993, 255. 1198 Vgl. Guyer 1984, 37; Alexandre/Binet 1958, 58. 1199 Vgl. BArch R 1001/4356, 107; Rosenhuber 1911, 47 f. 1200 Mackenzie 1917, 142. 1201 Vgl. BArch R 1001/4359, 45.

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Familienoberhäupter diejenigen, die für die Kaufleute arbeiten wollten, mit diesen mitzugehen, denn sie bräuchten sie, wenn die Station nach ihnen frage.1202 Trägerinnen: Ausbeutung und Autonomiegewinn Gewöhnlich ist in Quellen und Literatur ausschließlich von „Trägern“ die Rede. Das generische Maskulinum verbirgt, dass die Arbeiterschaft der Trip-Karawanen ganz wesentlich auch aus Frauen bestand.1203 Systematisch schrieben Europäer weibliche Lohnarbeiterinnen aus ihren Berichten heraus. Sie erwähnten Frauen fast nur, um die Karawanenarbeit insgesamt zu skandalisieren.1204 Gleiches gilt auch für die wissenschaftliche Forschung, die suggeriert, dass Trägerinnen erst später auftauchten, und dies als Zeichen für die gestiegene Konkurrenz zwischen Handel, Plantagen und Regierung um Arbeitskräfte oder für die wachsende Unmenschlichkeit der Karawanenarbeit interpretiert.1205 Dabei waren Frauen von Anfang an Teil der Kautschukkarawanen. In diesen spiegelten sich ältere Muster geschlechtlicher Arbeitsteilung und lokaler Ausbeutung. Gleichzeitig ermöglichte die Mobilität Frauen neue Autonomie. Tatsächlich bezieht sich die früheste Erwähnung einheimischer Karawanenarbeit auf Frauen, denn bereits im Juli 1894 arbeiteten Mabea-Frauen für A. & L. Lubcke.1206 Im Mabea- und Ngumba-Gebiet bestanden in den 1890ern viele Karawanen ausschließlich aus Trägerinnen. 1898 trugen „meist Frauen vom Stamme der Mabea“ die Lasten des Schutztruppenoffiziers Hans von Chamier-Glisczinski von Kribi nach Jaunde.1207 Dominiks 600 Personen umfassende Karawane bestand 1901 auf derselben Strecke fast nur aus Mabea- und Ngumba-Frauen.1208 Frauen waren auch für die Handelsfirmen unverzichtbar.1209 Nach der Jahrhundertwende beobachtete Grete Ziemann, die als Haushälterin ihres Bruders nach Kamerun gekommen war, Karawanen, „die zu über 50 % aus Weibern bestanden, ja, z. T. aus säugenden Müttern.“1210 1907 schätzte Gouverneur Seitz, ein Drittel

1202 Vgl. BArch R 1001/3227, 155. 1203 Zur Rolle von Frauen in Karawanen in Ostafrika vgl. Rockel 2006, 117–130. 1204 Vgl. Seitz 1927, Bd. 2, 29; BArch R 1001/5914, 309; BArch R 1001/3416, 84. Vgl. auch Cooper 1996, 2 f. 1205 Vgl. Möhle 1999c, 51; Rudin 1938, 236; Rüger 1960b, 220; Temgoua 2014, 172 f.; Winkler 1960, 268, 279; Hücking/Launer 1986, 140 f.; Kaeselitz 1968, 39; Mandeng 1973, 60; Bommarius 2015, 56. 1206 Vgl. Dominik 1911, 51. 1207 Chamier-Glisczinski 1925, 50. 1208 Vgl. Dominik 1908, 24. Das Muster blieb erhalten. Vgl. AFS 344 Tagebuch, 24.09.1906. 1209 Vgl. Wirz 1972, 136. Im Königreich Kongo arbeiteten in den Kautschukkarawanen angeblich nur Männer, bei den Ovimbundu in Angola auch Frauen. Vgl. Vos 2015, 43; Heywood 1985, 257 f. 1210 Ziemann 1907, 122.

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der Karawanenarbeiterschaft seien Frauen und Kinder.1211 Auch noch kurz vor dem Ersten Weltkrieg waren Frauen stark in den Karawanen vertreten. Ein katholischer Missionar begegnete 1913 auf seinen Reisen zwischen Kribi und Jaunde jedes Mal hunderten Trägerinnen.1212 Frauen aller Altersgruppen arbeiteten in den Karawanen – von kleinen Mädchen bis zu den Alten.1213 Wie unverzichtbar sie waren, zeigte sich 1908, als das Trägerwesen erstmals gesetzlich geregelt werden sollte. Vehement protestierten die Firmen gegen ein Verbot der Frauenarbeit in den Karawanen.1214 Obwohl starke patriarchale Strukturen als Hindernis für weibliche Mobilität und Lohnarbeit gelten,1215 arbeitete der größte Teil der weiblichen Karawanenarbeiterschaft Südkameruns im Auftrag der Familienoberhäupter für den kolonialen Staat und die Unternehmen. Frauen waren die Grundlage lokaler Vorstellungen von Reichtum und Macht, sie bewegten sich stets unter den Argusaugen derer, die Rechte über sie hatten. Es ist deshalb unwahrscheinlich, dass sie in so großen Scharen ihre Gatten, Väter oder Brüder verließen, um ihr Glück als Trägerinnen zu suchen. Stattdessen waren es Familienoberhäupter, die ihre Ehefrauen, Töchter, Schwestern, pawns und Sklavinnen an Europäer vermieteten. Dass Ngumbaund Mabea-Familienoberhäupter Mitte der 1890er diesen vor allem Trägerinnen anboten, zeigt möglicherweise, wie stark sie die Kontrolle über ihre männlichen Abhängigen verloren hatten, die für ihren eigenen Nutzen Lasten trugen. Indem sie ihre Frauen als Arbeitskräfte vermieteten, konnten Familienoberhäupter die Ansprüche des kolonialen Staates an sie erfüllen, Bündnisse knüpfen und vom Kautschukhandel profitieren. Ältere Ausbeutungsverhältnisse wurden dadurch den neuen Möglichkeiten, die Kolonialismus und Kautschukhandel schufen, angepasst. Die Arbeit von Frauen lässt sich jedoch nicht auf Ausbeutung reduzieren. Germaine, eine um 1892 geborene Beti-Frau, arbeitete im Auftrag ihres Mannes, der insgesamt sieben Ehefrauen hatte, als Trägerin für ein Handelsunternehmen.1216 „J’étais là du temps des Allemands“, berichtete Germaine einer französischen Ethnologin 1967. „J’ai fait tous les travaux : deux fois je suis allée jusqu’à la côte pour porter le caoutchouc et les palmistes.“1217 Germaine hatte positive Erinnerungen an die Trägerarbeit: „En effet, à l’époque du portage, hommes et femmes étaient mélangés. A ce moment-là, ce qui était bien, c‘est qu’on pouvait avoir un pagne ou deux pour

1211 Vgl. BArch R 1001/3416, 47. 1212 Vgl. Vogel 1913, 333. Vgl. auch Waibel 1921, 32; Roggenkamp o. J. (1914), 17; SBB-PK Ms. germ. oct. 1355, 83 f.; DHM Do 2005/36, 79. 1213 Vgl. BArch R 175-I/66, 80; Mackenzie 1914. 1214 Vgl. BArch R 1001/4313 Protokoll, 20.-22.02.1908, o.S. 1215 Vgl. Konings 1995, 4. 1216 Vgl. Vincent 1976, 100, 102. 1217 Vincent 1976, 100.

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deux sining [Schilling – T. Oe.], ou bien on avait pour cette petite somme un sac de sel ou une cantine.“1218 Möglicherweise erlebten junge Frauen wie Germaine die Reise als Zeit sexueller Freizügigkeit.1219 Germaines Worte lassen sich auch so interpretieren, dass sie zumindest über einen Teil ihres Lohnes verfügen konnte. Jedenfalls beschäftigten die Unternehmen Frauen als normale Arbeitskräfte, die „dieselben Löhne“ erhielten wie Männer.1220 Der Publizist und Kolonialbeamte Paul Rohrbach beobachtete denn auch 1913, dass viele Frauen freiwillig ihre Männer begleiteten und europäische Waren trugen, um Geld zu verdienen.1221 Es ist also denkbar, dass Frauen auf eigene Rechnung in den Karawanen arbeiteten. Die meisten aber gingen sicher für ihre Ehemänner, die ihren Lohn einbehielten.1222 Dass Karawanen auch eine Möglichkeit für Frauen sein konnten, ihr eigenes Leben zu verbessern, beobachtete der Kaufmann Fritz Sauer. 1911 geriet er im MakaGebiet, weit im Osten Südkameruns, in ein Gefecht, weil sich auf dem Marsch eine Frau freiwillig einem seiner Träger angeschlossen hatte – und diejenigen, die Rechte über sie beanspruchten, ebenjene durchsetzen wollten.1223 Die Reisende Lene Haase erlebte im Südosten, wie der Träger Obam seine Frau Mbuju verspielte und sie dem Träger Bekom für acht Tage überließ. Mbuju weigerte sich anschließend, zu Obam zurückzukehren. Selbst als Obam sie gefesselt mit der Karawane mitgehen ließ, entfloh sie und kehrte zu Bekom zurück.1224 Frauen schlossen sich den Karawanen also auch an, um Lebensverhältnisse zu verlassen, die sie bedrückten, oder suchten sich neue männliche Beschützer in länger- oder kurzfristigen Beziehungen.1225 Die Bezahlung der Trägerinnen und Träger Anfang 1904 klagte Karl Maaß über die Trägerinnen und Träger: „Gerade das jetzige Trägermaterial, [sic!] ist derartig anspruchsvoll bei Auswahl der Waaren für die Bezahlung, daß oft Stunden darüber hingehen, ehe eine Karawane abgefertigt ist.“1226 Die bisherige Forschung nimmt an, dass die Karawanenarbeiterinnen und -arbeiter vor allem durch die Bezahlung in Waren schlecht entlohnt und betrogen

1218 Vincent 1976, 100. 1219 Unverheiratete Beti- und Bulu-Frauen besaßen generell große sexuelle Freiheit und auch in Ehen bestanden Ehemänner nicht auf sexueller Exklusivität. Vgl. Laburthe-Tolra 1981, 236, 245; Bertaut 1935, 170. 1220 BArch R 1001/3899, 73. 1221 Vgl. BArch R 1001/3416, 84. 1222 Vgl. BArch R 1001/3899, 73. 1223 Vgl. SBB-PK Ms. germ. oct. 1355, 291 ff. 1224 Vgl. Haase 1916, 157–170. 1225 Vgl. Rockel 2006, 117–130; Konings 1995, 5. 1226 BArch R 1001/3898, 49.

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wurden.1227 Wie beim Elfenbein- und Kautschukhandel waren europäische Waren, die nun als Löhne gezahlt wurden, aber der Grund, warum nicht etablierte Männer als Träger arbeiteten und Familienoberhäupter ihre Abhängigen aussandten. Hohe, steigende Löhne waren für viele ein Anreiz, in den Karawanen zu arbeiten. Entlohnt wurden die Trägerinnen und Träger in den Hauptfaktoreien an der Beach. Dies fand analog zum früheren Umgang mit den Reisegemeinschaften statt – nur dass die Männer und Frauen nun nicht ihren eigenen, sondern den Gummi der Firmen zur Küste gebracht hatten. Während der Kautschuk gewogen, gewaschen, untersucht, sortiert und verpackt wurde, gingen die Trägerinnen und Träger in den Store und suchten sich Waren im Wert ihres zuvor vereinbarten Lohnes aus. Nach europäischen Maßstäben war die gezahlte Entlohnung gering, für Südkameruns Gesellschaften aber sehr hoch, da die Waren noch immer selten waren und eine enorme Bedeutung hatten. Zenker zahlte ca. 1893 auf der Jaunde-Station den lokalen Arbeitern zwei Faden Zeug. Dominik gab 1894 seinen Jaunde-Trägerinnen und Trägern für vier Wochen bereits zwei Faden Zeug, zwei rote Kappen und einen Bund Olivetten.1228 1895 arbeitete in Jaunde niemand mehr für so geringe Löhne. Stattdessen wurden monatlich 8 Mark in Waren der Standard.1229 Bis 1904 hatten sich die Löhne für einen Trip bei 14 Mark in Waren (entsprechend 8,40 Mark in Bargeld) eingependelt.1230 Für eine Reise bis zum Djah-Fluss (Ndik), dem damals am weitesten im Osten gelegenen Handelsgebiet, und zurück lag der Tarif sogar bei 15 Dollar, die 40 Mark in Waren und einem Barwert von 25 Mark entsprachen.1231 Die Löhne waren demnach schnell enorm gestiegen. Die als Löhne gezahlten Waren spiegelten lokale Konsummuster. Bis 1902 hatte sich eingebürgert, die Karawanenarbeiterschaft vorwiegend mit Macheten zu bezahlen, die auf der Jaunde-Station de facto als Währung galten.1232 Wichtiger aber wurden Steinschlossgewehre und Schießpulver. Noch 1897 scheinen die Kaufleute ihre Gewehre ausschließlich im Elfenbeinhandel verwendet zu haben.1233 Möglicherweise motivierten die Firmen die nicht etablierten Männer zur Karawanenarbeit, indem sie Gewehre als Teil des Trägerlohns zahlten. 1905 hieß es, als Bezahlung stehe den Trägern der Firmen der „Sinn ja bekanntlich in erster Linie immer nach Waffen“.1234 Die Hamburg-Afrika-Gesellschaft bestätigte, dass ihre

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Vgl. Rüger 1960b, 229. Vgl. BArch R 1001/4357, 15. Vgl. BArch R 1001/4357, 53. Vgl. BArch R 1001/3898, 7. Vgl. BArch R 1001/3898, 6. Vgl. Jäger 1903, 11 f. Vgl. Reinhard 1901, 7. 1901 zahlte Zampa bei Semikoa ein Gewehr für 3 Kessel Kautschuk. Vgl. BArch R 1001/4454, 134. 1234 BArch R 1001/3848, 48.

Trip-Trägerinnen und -Träger: Prekäre lokale Karawanenarbeit in Südkamerun

„Träger ausschließlich Gewehre und Pulver als Lohn verlangen“.1235 Entsprechend groß war der Aufschrei unter den Firmen, als die Regierung 1905 deren Import verbot. Die Hamburg-Afrika-Gesellschaft schrieb, ohne Waffen und Pulver sei die Trägeranwerbung „ein Ding der Unmöglichkeit.“1236 Die Bremer WestafrikaGesellschaft erklärte, dass sich das Verbot besonders an dem Mangel an Trägern fühlbar mache, die hauptsächlich für Gewehre und Pulver zu haben sind. Im Südbezirk soll dies ca. 75 % aller Träger ausmachen, die, nachdem sie Gewehre & Pulver nicht mehr erlangen können, einfach fortbleiben, da sie das bischen Zeug und sonstige Waren durch Lebensmittelverkauf leicht verdienen können.1237

Waffen und Pulver waren so wichtig, um Arbeiter zu mobilisieren, dass Firmen diesen Gutschriften für ihre Faktoreien in Bata, im benachbarten Spanisch-Guinea, ausstellten, wo sie legal Waffen erhielten und anschließend nach Kamerun schmuggelten.1238 Während des vorkolonialen Elfenbeinhandels hatten Gewehre den Beti, Bulu und anderen viel Macht in Südkamerun verliehen. Entsprechend groß war das Prestige von Gewehren. Jeder erwachsene männliche Bulu trug bis ca. 1900 eines bei sich, das ihn als Freien auswies.1239 Aufgrund dieser politischen und symbolischen Bedeutung gehörten Gewehre und Pulver zu den Brautgaben. Als das Gouvernement sich 1905 über die großen Mengen von Gewehren und Pulver sorgte, die die Firmen nach Südkamerun einführten, beschwichtigte der Bezirksamtmann Steinhausen, indem er erklärte, dass „der grösste Teil des eingeführten Kriegsmaterials als Geld zum Ankauf von Weibern Verwendung findet“. Die Leute unterschieden zwischen Heiratspulver in grossen Fässern von 6 kg, die offen in der Hütte gelagert werden und häufig von einer Hand in die andere übergehen, und solchem Pulver, welches zum Schiessen benutzt wird. Letzteres wird meistens in Fässern von 3–4 kg geführt und in Blechkoffern verschlossen aufbewahrt.1240

Die Regierung behauptete, es handele sich vor allem um schlechte, verdorbene oder unbenutzbare Ware, und wollte diese Form der Bezahlung 1904 durch Bargeld

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BArch R 1001/4433, 21. BArch R 1001/3848, 129. BArch R 1001/3848, 91. Vgl. BArch R 1001/3848, 48. Zu Waffenhandel vgl. Rudin 1938, 310–315. Vgl. McCleary 1896, 147; Bertaut 1935, 127. BArch R 1001/3848, 165.

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ersetzen.1241 Die Firmen hingegen gaben an, sie würden erstens den Trägerinnen und Trägern schon aus Eigeninteresse keine schlechten Waren geben, denn sie seien zwingend auf sie angewiesen. Zweitens führten sie an: „Unsere Träger wollen Waaren, die sie sich selbst im Laden aussuchen und die für sie einen bedeutend höheren Wert haben, als Casse.“1242 Sie verwiesen darauf, dass die Träger ihren Verdienst so schnell wie möglich in Ehefrauen anlegen wollten – und als Brautgaben würden Waren verlangt, nicht Bargeld. Sie müssten ansonsten die Waren vor Ort zu den teureren Hinterlandpreisen kaufen.1243 Obwohl die Firmen durch die Bezahlung in Waren profitierten, sind ihre Argumente nicht von der Hand zu weisen. Interne Unterlagen von John Holt & Co. zeigen, dass sich die Firmen wirklich sorgten, dass die Arbeitskräfte bei einer Bezahlung in Bargeld nicht mehr für sie arbeiten würden. Hauptagent Carl Kurrle argumentierte, dass die 24 Mark in Waren, die 1907 für den trip gezahlt wurden, 13 Mark in Geld wert waren. Hiermit ließen sich aber nur Waren kaufen, die die Firmen 7 Mark kosteten.1244 Träger, die mit Bargeld bezahlt wurden, bekamen weniger Waren für ihr Geld, als wenn sie gleich Waren erhalten hätten. Daran ändert auch nichts, dass von April bis Mai 1904 in Jaunde die EwondoTrägerinnen und -Träger streikten, um eine Bezahlung in Bargeld zu erzwingen.1245 Der Trägerstreik fand die Unterstützung Dominiks, die Idee der Barlöhnung auch die der Regierung. Beide wollten schon länger die Bevölkerung besteuern, was nur möglich war, wenn genügend Bargeld im Umlauf war.1246 Schließlich wurde der Streik auf der monatlichen „Häuptlingsversammlung“ beigelegt:1247 Die Kaufleute zahlten nun 7 Mark in bar für einen Trip.1248 Hinter dem Streik standen jedoch wahrscheinlich nicht die Trägerinnen und Träger, sondern deren Familienoberhäupter. In Lolodorf hatten bereits zuvor Ngumba-Familienoberhäupter eine Bezahlung der Karawanenarbeiterschaft in Bargeld gefordert.1249 Auch die Batanga-Firmen wiesen darauf hin, dass vor allem den minkúkúma die Barlöhnung

1241 Vgl. BArch R 1001/3898, 28 f. 1242 BArch R 1001/3898, 7. 1243 Vgl. BArch R 1001/3898, 5. Die Firmen hatten vier Preiskategorien: 1. Selbstkostenpreis, 2. Preis bei Bezahlung von Produkten oder Arbeit, 3. Preis für Europäer, 4. Preis für afrikanische Käufer bei Bezahlung mit Geld. Das Verhältnis wechselte je nach Warengattung. Doch konnte ein europäisches Produkt, das mit einem Selbstkostenpreis von 5 M an die Küste kam, je nach Kategorie für 25, 35 oder gar 50 M verkauft werden. Vgl. BArch R 1001/3898, 41. 1244 Vgl. LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 02.05.1907. 1245 Für eine marxistische Interpretation des Streiks als Kampf gegen Ausbeutung und vermeintlichen ersten Schritt hin zum antikolonialen Aufstand vgl. Rüger 1960b, 239 f. 1246 Vgl. BArch R 1001/3898, 28 f. 1247 BArch R 1001/3898, 73. 1248 Vgl. BArch R 1001/3898, 73. 1249 Vgl. BArch R 1001/3898, 28.

Trip-Trägerinnen und -Träger: Prekäre lokale Karawanenarbeit in Südkamerun

zugutekomme.1250 Bargeld war nötig, um vor dem Bezirksamtmann ein Gerichtsverfahren anzustreben, weshalb die Familienoberhäupter ein Interesse an Bargeld hatten. Tatsächlich erhöhten sich infolge des Streiks die monatlichen Einnahmen der Jaunde-Station durch Gerichtsgebühren stark.1251 Doch schon im Jahr darauf verschob sich die Entlohnung der Träger wieder zugunsten der Waren,1252 was womöglich auf innere Konflikte zwischen den Ewondo-Generationen hindeutet. Denn das Argument der Firmen blieb valide: Solange Brautgaben auch in europäischen Produkten zu leisten waren, war es zumindest für nicht etablierte Träger, die über ihren Lohn oder einen Teil dessen verfügen konnten, sinnvoller, Waren an der Küste in Empfang zu nehmen, statt sie im Hinterland für den doppelten Preis zu kaufen.1253 Möglicherweise drängten nicht nur die Firmen darauf, zur Löhnung in Waren zurückzukehren, sondern auch die aufstiegshungrigen Träger. Ein seller’s market: Die Attraktivität der Arbeit in Kautschukkarawanen Löhne allein machten die Arbeit in den Trip-Karawanen nicht attraktiv. Löhne erhielten die Menschen auch für Arbeit auf den Plantagen oder bei der Regierung. Aber, so Dominik, auf den Plantagen verdienten die Jaunde zwar 8 Mark im Monat, doch sollten sie „für dieses Geld von früh bis später unter Aufsicht arbeiten“. Karawanenarbeit war viel attraktiver: Die in Jaunde ansässigen Firmen nehmen jeden Mann, der sich als Träger meldet, gern in ihren Dienst. Der Jaunde geht dann mit seiner Last in ungefähr zwölf Tagen zur Küste, bleibt dort einen Tag, trägt wieder eine Last hinauf und hat bei freier Verpflegung mindestens sechs Mark verdient. […] Er kann marschieren, wann er will, rasten, wann er will; er ist im eigenen Lande bei der ihm zusagenden Verpflegung und – last not least – bei seinen Weibern.1254

In dieselbe Kerbe hieb Dominiks Kamerad von Stein: Der Mann verläßt seine Heimat, wird sehr gut verpflegt, oft mehr als sehr gut bezahlt, richtet seinen Marsch völlig nach seiner Leistungsfähigkeit ein und ist in 1/2, 1 spätestens 2 Monaten wieder zuhause, um die Früchte seiner Leistung zu genießen, deren stete Erhöhung seinen erhöhten Bedürfnissen annähernd gleichen Schritt hält.1255

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Vgl. BArch R 1001/3898, 15. Vgl. BArch R 175-I/135, 31. Vgl. BArch R 175-I/66, 81. Vgl. Külz 1910, 268 f. Dominik 1911, 260. BArch R 1001/3227, 60.

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Beide Zitate verweisen auf ein Strukturmerkmal der neuen Arbeitsbeziehungen: Südkameruns Arbeitsmarkt war ein seller’s market: Arbeitskräfte waren nie in ausreichender Zahl vorhanden, sodass diese großen Einfluss auf ihre Arbeit ausüben konnten. Arbeitgebern blieb nichts anderes übrig, als zu akzeptieren, wie Trägerinnen und Träger arbeiteten.1256 Mit Lohnarbeit in den Trip-Karawanen war ein hohes Maß an Autonomie verbunden, welches die Arbeit zusätzlich zu den Löhnen attraktiv machte. Als Trip-Träger oder -Trägerin zu arbeiten, ging nicht mit einer dauerhaften, sondern zeitlich überschaubaren Verpflichtung einher. Diese Form selbstgewählter Prekarität ermöglichte es, schnell und ohne allzu lange Abwesenheit ein zusätzliches Einkommen zu beziehen und sich der Fremdbestimmung dauerhafter Lohnarbeitsverhältnisse zu entziehen.1257 Dominik und von Stein betonten, dass es Arbeiterinnen und Arbeitern wichtig war, sich nur kurze Zeit von zuhause zu entfernen. Dem kam das zweigeteilte Arbeitssystem entgegen, das zwischen Trip-Trägerinnen und -Trägern, die für bestimmte Strecken engagiert wurden, und festangestellten Yardboys, die einzelnen Faktoreien zugeordnet waren, unterschied.1258 Ebenfalls vorteilhaft war, dass Trip-Trägerinnen und -Träger gegenüber den Arbeitgebern ein großes Mitsprachrecht darüber hatten, wo und wie lange sie arbeiten wollten. Tessmann, der 1906 als Elefantenjäger auf dem Weg nach SpanischGuinea war, musste seine Leute deshalb sehr häufig wechseln, da sich Männer und Frauen nur für den Weg ins nächste Dorf anwerben ließen. Für ihn war es ein großer Erfolg, als er nur noch zweimal pro Tag neue Träger und Trägerinnen brauchte. Aber, so Tessmann, „nur mit größtem Aufwand von Kraft gelang es, die widerwilligen Schwarzen, die hier an der Küste natürlich ganz gut wußten, daß ich nicht viel oder besser garnichts zu sagen und sehr wenig Mittel hatte, daran zu hindern, bei den nächsten paar Häusern die Last wieder niederzusetzen“.1259 Die Trip-Trägerinnen und -Träger standen den Firmen nicht unbedingt auf den Strecken zur Verfügung, auf denen sie sie brauchten, sondern beschränkten sich auf bestimmte Routen. Von Kamptz musste 1896 akzeptieren, dass er seine Mabea-Träger nur mit Gewalt dazu hätte bringen können, weiter als bis Lolodorf zu gehen.1260 Dies war ein Muster: In den 1890ern weigerten sich die Mabea, die gesamte Jaunde-Straße zu marschieren, sondern trugen Lasten nur zwischen Küs-

1256 Vgl. Cooper 1994, 1531. 1257 Für diese Interpretation frühkolonialer Prekarität vgl. Barchiesi 2019, 48–58. Vgl. auch Wirz 1972, 113. 1258 Yardboys waren anfangs Arbeitsmigranten, nach 1900 wurden sie auch lokal angeworben. Vgl. Kap. 5.1. 1259 Tessmann 2012-2015, Bd. 1, 359. 1260 Vgl. BArch R 1001/4357, 188.

Trip-Trägerinnen und -Träger: Prekäre lokale Karawanenarbeit in Südkamerun

te und Lolodorf.1261 Auch besonders freundliche Behandlung sowie zusätzliche Rumrationen vermochten nicht, sie zum Weitergehen zu bringen.1262 Die Ngumba zogen ihrerseits anfangs nur bis zur Jaunde-Station.1263 Jaunde-Trägerinnen und -Träger wiederum waren leicht für den Weg zur Küste oder nach Norden zu gewinnen, aber kaum für den Reisen nach Osten.1264 Grund für diese Muster waren zum Teil vorkoloniale Verwandtschafts-, Freundschafts- und Allianzbeziehungen. Das Operationsgebiet der Mabea etwa deckte sich mit dem Gebiet, in dem die Familienoberhäupter zuvor gehandelt hatten. Netzwerke erlaubten Reisenden, sich sicher zu bewegen. Für die dahinterliegenden Gebiete fehlten den Mabea die Garantien.1265 Die Jaunde gingen bis zur Küste, weil dieser Weg sicher war und viele ihn in den Jahren zuvor in den Reisegemeinschaften bereits eingeübt hatten. So strukturierten ältere Beziehungen und Erfahrungen auch die neuen Arbeitsbeziehungen. Eine Art Staffelsystem war das Ergebnis, in dem Waren beim Transport auf der JaundeStraße mehrfach umgeladen werden mussten.1266 Dieses System blieb die gesamte Zeit des Kautschukhandels in veränderter Form erhalten: Auch kurz vor dem Ersten Weltkrieg war es noch immer nötig, für aus dem Osten kommenden Gummi in Jaunde neue Trägerinnen und Träger anzuwerben. Dies sorgte dafür, dass der Südkameruner Karawanenhandel mehr Arbeitskräfte brauchte, als theoretisch für den Transport der exportierten Menge Gummi nötig gewesen wären. Dass die Trip-Karawanen wie zuvor die Vai unter afrikanischen Headmen marschierten, machte die Trägerarbeit ebenfalls attraktiv. Wie bei Kru und Vai traten die Headmen gegenüber Europäern als Verantwortliche und Sprecher ihrer Leute auf.1267 1907 kamen neun bis zehn Jaunde-Trägerinnen und -Träger auf einen Headman.1268 Wer Headman wurde, bestimmten die Arbeitskräfte zum Teil selbst. Hierbei spielten ältere soziale Muster, wie etwa Beziehungen zwischen verschiedenen Familien, eine Rolle, und weniger die Arbeitserfahrung eines Mannes. „Man wundere sich nicht“, führte ein Bezirksamtmann über Bulu-Arbeiter aus, „wenn dann manchmal von alten Leuten ein knabenhafter Mensch [als Headman – T. Oe.]

1261 Vgl. Dominik 1911, 51; Zimmermann 1909, 35. 1262 Vgl. Schkopp 1906, 30 f. Dies blieb so mindestens bis 1901. Vgl. Dominik 1908, 24. Für weitere Erwähnungen vgl. Laasch 1905, 75; Schkopp 1906, 30 f.; Zimmermann 1909, 35; BArch R 1001/ 4365, 16. 1263 Vgl. Zimmermann 1909, 35, 39. 1264 Vgl. weiter unten in diesem Kapitel. 1265 Für andere Strecken ist wenig bekannt. Im Bulu-Gebiet nutzten die Missionare 1894 Mabea-Träger, um bis Efulen zu kommen. Vgl. PHS RG 55/1/10 03.12.1894. 1266 Vgl. Wirz 1972, 115. 1267 Vgl. Schkopp 1905, 149; Ramsay 1927, 81. 1268 Vgl. BArch R 1001/3456, 8.

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bezeichnet wird, denn auch unter den Bulu gibt es Familien, deren Mitglieder sich seit Generationen eines besonderen Ansehens erfreuen.“1269 Bedeutsam war ebenfalls, dass die Trägerinnen und Träger über ihre alltäglichen Arbeitsabläufe selbst bestimmen konnten. Headmen scheinen nur die Oberaufsicht geführt und die Verantwortung getragen zu haben. Trägerinnen und Träger in afrikanisch geführten Karawanen konnten Arbeitszeit und -prozess weitgehend nach eigenen Bedürfnissen gestalten. Die Trip-Karawanen waren keine geschlossenen Marschkolonnen. Nachdem die Jaunde-Straße halbwegs sicher geworden war, zerfielen sie in kleinere Gruppen. Trägerinnen und Träger gingen so schnell, wie es ihnen passte, ruhten aus, wenn sie müde waren, oder blieben eine Zeitlang bei Freunden und Verwandten in Dörfern entlang der Straße. Menschen derselben Karawane gingen mehrere Tagesreisen entfernt voneinander.1270 Entsprechend gering war ihre Marschgeschwindigkeit. Zwischen Jaunde und der Küste brauchten Trip-Träger und -Trägerinnen immer länger als europäisch geführte Karawanen. Es dauerte Wochen oder gar Monate, bis der Gummi die Küste erreichte.1271 Als 1908 das Gouvernement eine feste Marschgeschwindigkeit vorzuschreiben versuchte, um die Zeit der Karawanen auf der Straße zu verringern, sah die Verordnung „drei, höchstens vier Marschstunden“ pro Tag und einen Ruhetag pro fünf Reisetage vor.1272 Entsprechend gering dürfte das tägliche Pensum zuvor gewesen sein. Kurzum: Die Arbeit glich der in den Reisegemeinschaften – nur dass die Unternehmen nun nicht mehr den Trägerinnen und Trägern ihren Kautschuk, sondern die Transportleistung bezahlten. Diese Selbstbestimmung unterschied die Trip-Trägerarbeit von anderen Formen der Lohnarbeit – und auch von europäisch geleiteten Karawanen. Letztere waren deshalb unbeliebter. Sie zeichneten sich durch höhere Disziplin und größere Marschleistung aus. „Das Marschieren unter der Führung eines Weißen ist anstrengend und langweilig, und die schweren kantigen Koffer sowie die unförmigen Zeltlasten des Europäers sind höchst unbeliebt“,1273 so der Eindruck des Kaufmanns Erich R. Petersen. „In den ersten Marschtagen habe ich Mühe, die ans Schlendern gewohnten Trippträger zur Regelmäßigkeit zu erziehen.“1274 Petersen marschierte 1913 auf der inzwischen gut ausgebauten Jaunde-Straße sechs Stunden lang – „von morgens 7 Uhr bis mittags 2 Uhr, mit zwei halbstündigen Pausen. Auf

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Hagen 1915, 384. Vgl. BArch R 1001/4313, 159. Vgl. BArch R 1001/8114, 169. Ruppel 1912, Nr. 511, 967. Petersen 1939b, 8. Petersen 1939b, 11.

Trip-Trägerinnen und -Träger: Prekäre lokale Karawanenarbeit in Südkamerun

diese Weise lege ich täglich 25 bis 30 Kilometer zurück.“1275 In Karawanen ohne Europäer waren solche Märsche unüblich.1276 Noch unbeliebter war Trägerarbeit für die Regierung. Faktoristen zu begleiten war anstrengend und lästig – aber nicht potenziell tödlich. Die Karawanen der Beamten und vor allem der Schutztruppe unterstanden einer viel härteren Disziplin, die mit Gewalt aufrechterhalten wurde. Vielfach überanstrengten Offiziere ihre Trägerinnen und Träger. Külz beklagte, „wie gering einfach die sonstige Rücksicht der Europäer auf den Gesundheitszustand der Eingeborenen ist“, die zur Trägerarbeit für Expeditionen herangezogen wurden. „Die Größe der Verluste durch Krankheit und Tod unter diesen Arbeitern ist ganz enorm.“1277 Teilweise, so Külz, starb die Hälfte.1278 Bischof Heinrich Vieter wies auf die Unterschiede zwischen Karawanen der Schutztruppe und solchen von zivilen Akteuren hin: Die Leute wollen nicht mit den Offizieren als Träger, weil viele dieser Träger sterben, was bei uns Missionaren [und den Firmen – T. Oe.] nicht der Fall ist. Es wird daher kommen, dass bei Militärexpeditionen die Träger alle geschlossen marschieren müssen, sich nicht hinsetzen können, wenn sie ermüdet sind, sondern nur dann, wenn der Führer Halt macht. Wir dagegen lassen unsere Träger frei gehen. Oft kommen sie erst gegen Abend zum Lagerplatz, doch davongelaufen ist uns noch keiner.1279

Die große Freiheit der Trägerinnen und Träger bezahlten letztlich die Unternehmen. Zwar vereinbarten sie feste Preise für den Transport, nicht für die dafür benötigte Zeit. Dennoch hatten sie ein Interesse daran, ihren Kautschuk möglichst schnell zu verschiffen und zu verkaufen. Trotzdem unternahmen sie nichts, um die Trip-Trägerinnen und -Träger zu kontrollieren oder zu disziplinieren und so ihre Geschwindigkeit zu erhöhen. Stattdessen wehrten sie sich sogar gegen Forderungen der Regierung, hierzu Maßnahmen zu ergreifen. Otto Dunckhorst, hochrangiger Vertreter von Randad & Stein, erklärte 1905 angeblich: „[D]as geht die Station nichts an, wie unsere Träger marschieren. Die Leute dürfen ruhig 8 Monate und länger auf der Route liegen. Für uns ist die Hauptsache, daß der Träger überhaupt ankommt.“1280 Denn trotz der wachsenden Zahl einheimischer Lohnarbeiterinnen und -arbeiter überstieg die Nachfrage immer das Angebot. „Die in Jaunde ansässigen Firmen nehmen jeden Mann, der sich als Träger meldet, gern in ih-

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Petersen 1939b, 11 f. Vgl. auch Pagel 1914b, 480. Külz 1910, 260 f. Vgl. Külz 1910, 261. Vieter 2011, 181. BArch R 1001/8114, 169.

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ren Dienst“,1281 bemerkte Dominik. Als der Handel in Jaunde 1898 auf seinem Höhepunkt war, kauften die vier dort vertretenen Firmen mehr Kautschuk, als sie an Trägerinnen und Trägern rekrutieren und zur Küste schicken konnten.1282 Der Zugang zu Arbeitskräften blieb der Flaschenhals, der das Wachstum des Kautschukhandels beschränkte. Entsprechend kamen die Firmen diesen weit entgegen, damit sie für sie arbeiteten. Geschickt nutzten Trägerinnen und Trägern ihre starke Stellung. Die Firmen konkurrierten um die bitter benötigten Arbeitskräfte, sodass diese oder diejenigen, die sie vermieteten, die Möglichkeit hatten, zwischen verschiedenen Arbeitgebern zu wählen. Erstens stiegen die Löhne hierdurch zwischen 1894 und 1904.1283 Zweitens sorgte die Konkurrenz dafür, dass die Arbeitsbedingungen nicht zu schlecht wurden. So berichtete der Hauptagent der Firma John Holt & Co. 1906 über den Trägermangel seiner Firma in einem internen Schreiben: „This carrier question with us is really astonishing; do what we will – pay more than other people, give more ‚chop‘, light loads & etc., & etc., the boys will not come to us in any quantities like they do to the other firms.“1284 Monate später stellte sich heraus, dass die Trip-Trägerinnen und -Träger in Kribi nicht die Waren als Bezahlung erhielten, die sie erwarteten, denn „the greatest part of the responsibility for our good or bad name lies on the beach. Have a good stock of fancy and varied cargo on hand, treat the boys fairly […] and it will be a very easy task for us in Yaundi to get carriers to the beach.“1285 Auch andere Unternehmen gaben an, sie könnten ihren Arbeitern z. B. keine zu schweren Lasten aufbürden, „da die betreffende Firma sonst gewärtigen müsse, daß ihre Träger zur Konkurrenz laufen würden“.1286 Ob eine derartige Utopie des freien Marktes für alle Trägerinnen und Träger bestand, mag dahingestellt bleiben. Dennoch wirkte die Konkurrenz als Korrektiv, das die Arbeitsbedingungen verbesserte. Mitläufer: Wem dient die Karawane? Die Unternehmen rekrutierten zwar Arbeitskräfte, um ihren Kautschuk an die Küste zu transportieren. Doch die Karawanen dienten nicht allein den Belangen der Firmen. Trägerinnen und Träger nutzten die Mobilität der Karawanenarbeit, um selbst Handelsgeschäfte zu treiben.

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Dominik 1911, 260. Vgl. BArch R 1001/4338, 81. Vgl. auch BArch R 1001/3227, 60. LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 06.07.1906. LRO 380 HOL 1/9/1 Jaunde, 20.04.1907. BArch R 1001/4313, 153.

Trip-Trägerinnen und -Träger: Prekäre lokale Karawanenarbeit in Südkamerun

Nicht nur Träger und Trägerinnen gehörten zu einer Karawane, wie Carl Volquart zeigte: An der Spitze marschierte, die Faktoreiflagge in den Händen, der Headman. Hinter diesem folgten die Träger mit den Papageien und Hühnern; dann kamen die drei Leute mit den Affen […], die Elfenbeinträger, […] meine Wenigkeit hoch zu Roß, die Träger mit den Gummilasten, und den Schluß bildete das Hauspersonal.1287

Das Hauspersonal von Europäern waren persönliche Diener (Boy), Koch und Waschmann.1288 Regierungskarawanen begleiteten Soldaten oder Polizisten. Hinzu kamen teilweise Menschen, die keinen direkten Nutzen für die Karawane hatten. Dominik begleitete der Fahnenträger Wilhelm aus Togo. Er brachte die Träger zum Lachen und war eine Art Maskottchen.1289 Hinzu kamen Tiere – „häufig eine ganze Menagerie.“1290 Zentral waren Frauen und Kinder. Sie sorgten dafür, dass Karawanen, so Fabian, eher als „Schwarm denn als Marschkolonne“ auftraten.1291 Karawanen waren deshalb meist größer, als Berichte erscheinen ließen. Fraglich ist immer, wen Beobachter als Teil der Karawane betrachteten. Der Kaufmann Walther Bartels etwa unterschied zwischen den 66 Trägern einer Karawane und den sie als „Mitläufer“ begleitenden Frauen und Kindern.1292 Zusammen mit den Mitläufern konnten Südkameruns Karawanen hunderte Menschen umfassen.1293 Die Mitläufer waren eine Weiterentwicklung vorkolonialer Abhängigkeits-, Ausbeutungs- und Arbeitsstrukturen. Zwar zog eine Karawane auch Menschen an, die Schutz, Auskommen oder Abenteuer suchten. Doch vor allem ähnelten die Mitläufer der Mischung von Menschen, die in vorkolonialer Zeit das Elfenbein der Familienoberhäupter und in den 1890ern in den Reisegemeinschaften Kautschuk zur Küste transportiert hatte. Zum Teil waren die Mitläufer Frauen, die nicht als Trägerinnen engagiert worden waren: etwa Ehefrauen einiger Träger, ihre Schwestern oder Töchter.1294 Darüber hinaus folgte den Karawanen eine große

1287 Volquarts 1927, 101. Vgl. auch AFS 344 Tagebuch, 26.09.1906. Nach 1900, als die Wege besser wurden, ritten einige Europäer auf in Nordkamerun gekauften Pferden, die angeblich weniger anfällig für die Nagana-Krankheit waren. Auch sie lebten nicht lang und waren für junge Kaufleute zu teuer. Vgl. u. a. Fröhlich 27.08.1910. 1288 Vgl. DHM Do 2005/34 Krönig an Familie, 20.05.1907; NN 1911d, 2. 1289 Vgl. Dominik 1908, 24. 1290 Fabian 2001, 65. 1291 Fabian 2001, 65. 1292 Vgl. BArch R 1001/3837, 161. 1293 Vgl. BArch R 1001/4293, 168. 1294 Vgl. BArch R 175-I/1011, 7.

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Zahl von „kleinen und halbwüchsigen Kindern“1295 – Jungen und Mädchen, Kinder oder Geschwister der Trägerinnen und Träger.1296 Womöglich waren darunter auch Sklavinnen, Sklaven oder pawns, deren Beziehung zu Trägerin oder Träger in Begriffen der Verwandtschaft ausgedrückt wurde. Diese Menschen hatten eine ökonomische Funktion. Catherine CoqueryVidrovitch und Paul E. Lovejoy beschreiben Träger und Trägerinnen als Kleinstunternehmer, die ihre Tätigkeit mit eigenen Handelsgeschäften verbanden.1297 Dies war auch in Südkamerun der Fall.1298 Entweder trugen sie ihre Handelswaren selbst oder nutzten, wenn möglich, die Mitläufer. Diese transportierten Waren wie Stoffe, Salz oder Schnaps. Wie wichtig die Mitläufer für das gesamte Trägersystem wurden, zeigte sich, als im September 1908 der inzwischen bedeutsame Verkauf europäischer Waren gegen Bargeld in Südkamerun dramatisch zurückging. Das Bezirksamt Jaunde hatte verboten, Frauen und Mitläufer zur Küste zu nehmen: Gerade diese Weiber und Mitläufer waren […] die Vermittler des Kassahandels. Erst durch sie wurde den Trägern die Möglichkeit geboten, zu billigen Preisen an der Küste Waren, insbesondere Salz, einzukaufen und sie nahezu kostenlos auf den Schultern der Weiber und Mitläufer nach dem Innern zu transportieren, wo sie die Waren entweder selbst verbrauchten oder aber zu höheren Preisen an ihre Landsleute weiterverkauften.1299

Nach Aufhebung des Verbots folgten den Karawanen wieder die Mitläufer.1300 Nur mit Ausnutzung von Arbeitskraft allein ist das Mitläufertum aber nicht zu erklären. Haase beschrieb, wie ein Träger von seiner Mutter begleitet wurde, die angeblich Angst hatte, ihr Sohn könne auf der Reise sterben. Sie begleitete ihn und trug zeitweise seine Last.1301 Frauen und Kinder leisteten Gesellschaft, halfen bei der Arbeit, versorgten die Träger im Krankheitsfall, waren Sexualpartnerinnen und -partner etc.1302 Das Meer und die reiche Küste waren darüber hinaus im Inneren bereits für Kinder Sehnsuchtsorte. Ewondo-Jungen freuten sich, zur Küste reisen zu dürfen, wie der Missionar Hermann Nekes beobachtete: „‚Makö a mang – Ich

1295 Ziemann 1907, 122. 1296 Vgl. ÜMB N Engelhardt 2.2.2. Bezirksamt Kribi. Jahresbericht 1908/09. Auch in Angola begleiteten zumindest männliche jüngere Geschwister die Karawanen. Vgl. Vos 2015, 48 f. 1297 Vgl. Coquery-Vidrovitch/Lovejoy 1985b, 17. 1298 Vgl. Wirz 1972, 113; Schkopp 1905, 113. 1299 Prange 1912, 113 f. Vgl. auch ÜMB N Engelhardt 2.2.2. Bezirksamt Kribi. Jahresbericht 1908/09. 1300 Vgl. Prange 1912, 114; BArch R 175-I/1011, 7. 1301 Vgl. Haase 1916, 205 f. 1302 Vgl. analog Rockel 2006, v. a. 123.

Trip-Trägerinnen und -Träger: Prekäre lokale Karawanenarbeit in Südkamerun

gehe zur Meeresküste‘, ruft das schwarze Jaundekind glückstrahlend aus, wenn es zum ersten Male den Vater, den Bruder zur Küste begleiten kann.“1303 Professionalisierung Karawanenarbeit war attraktiv, aber schwer, nicht voraussetzungslos und konnte nicht von jedem gleich gut durchgeführt werden. „Amateurs“, schreibt Rockel, „had less discipline and motivation, could not or would not carry heavy loads, had no pride (often considering carrying the work of slaves or women), marched erratically, and would not travel far.“1304 Professionelle Transportarbeiterinnen und -arbeiter hingegen wussten, was sie taten. Ihr Körperbau war von der Arbeit geformt, sie waren stolz auf ihre Fähigkeiten, schätzten ihre Mobilität, und besaßen einen Ehrenkodex.1305 Im Laufe der Jahre entstand in Südkamerun eine professionelle Karawanenarbeiterschaft, die wieder und wieder in den Karawanen arbeitete, Techniken lernte und ein Selbstbewusstsein als Karawanenarbeiter kultivierte – eine neue Lebensweise. Karawanenarbeit war harte Arbeit. Trägerinnen und Träger transportierten schwere Kautschuklasten von 30 Kilogramm und mehr auf dem Rücken. Während nördlich des Sanaga die Menschen ihre Lasten auf dem Kopf trugen, war es in den Regenwaldregionen südlich davon üblich, dieselben in Körben auf dem Rücken zu tragen,1306 was etwa bei Clerks aus der Gold Coast auf Unverständnis stieß: „The South Cameroon natives never carry loads on their heads“,1307 staunte etwa James G. Mullen. Aber dies hatte große Vorteile: „Heute“, erkannte Külz, „wo ich mich mühsam unter den überhängenden, vom Regen triefenden Zweigen und Büschen durchzwängen mußte, ist mir auch klar geworden, warum der Kamerunneger seine Lasten auf dem Rücken trägt und nicht wie der Togoneger auf dem Kopfe.“1308 Lasten auf dem Rücken zu tragen, ermöglichte den Trägerinnen und Trägern, sich auf engen, niedrigen Pfaden durch den Regenwald fortzubewegen. Verschiedene Techniken kamen dabei zum Einsatz: Mabea trugen „die Lasten mit Rücken und Kopf, indem sie geschickt ein breites Tuch oder einen Riemen unter der Last hindurch und vorn über die Stirn wegführen, so daß sie wie die Ochsen zu Hause beim

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Nekes 1911, 22. Rockel 2006, 85. Vgl. auch Coquery-Vidrovitch/Lovejoy 1985b, 13. Vgl. Rockel 2006, 74–84. Vgl. Priester 2012, 27. Mullen 2008, 23. Külz 1910, 275.

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Pflügen mit den starken Genickmuskeln arbeiten.“1309 Andere transportierten ihre Lasten in den bereits beschriebenen kiepenartigen Körben (kiñja) der Vai.1310 Besonders auf den schlechten Wegen, die in den 1890ern überall vorherrschten, brauchten Trägerinnen und Träger Kraft und Ausdauer. Ab 1895 begannen zwar die ersten Arbeiten an der Jaunde-Straße durch den Kribi-Busch.1311 Doch größtenteils blieb selbst diese ein schmaler Trampelpfad durch den Regenwald, voll von Sümpfen und nicht überbrückten Wasserläufen. Bis 1905 endete die ausgebaute Straße zwei Tagesreisen hinter Kribi. Erst dann baute das Bezirksamt die Straße weiter nach Lolodorf. Aber danach folgte weiterhin der „schmale, von den Eingeborenen im Laufe der Jahre ausgetretene rinnenförmige Waldpfad“.1312 Regnete es, stand er unter Wasser. In ihn hinein ragten als Stolperfallen die bloßen Wurzeln der umgebenden Bäume.1313 „Der schlechteste Scherz, den man sich mit einem Menschen machen kann“, fluchte Külz, „ist sicher der, ihn während der Kameruner Regenzeit von Kribi nach Jaunde reisen zu lassen.“1314 Trotzdem war dies die beste Straße des Südens. Viele Trägerinnen und Träger marschierten aber auf Routen, in die die Regierung gar nicht investierte und höchstens den am Weg wohnenden Dörfern deren Pflege auftrug. Solche Pfade waren stark gewunden und um ein Drittel länger als die Luftlinie zwischen zwei Orten. Nicht nur passten sie sich an das Gelände an, sondern sie wichen auch Hindernissen, wie etwa umgestürzten Bäumen aus. Denn mit einer schweren Last auf dem Rücken war es deutlich einfacher, um einem Baumstamm herum zu laufen, als ihn zu übersteigen. Doch auch wenn der Baum längst verrottet war, schlängelte sich der Pfad trotzdem weiter.1315 Schlechte Wege belasteten die Gesundheit. Reinhards Leute kamen 1897 schwer auf den schlammigen Pfaden vorwärts, „denn sie sanken mit ihren Lasten oft tief ein“.1316 Nachdem sie sich im Ngumba-Gebiet etwas erholen konnten, erwartete sie der gebirgige Weg nach Jaunde: „Oft mussten meine Träger ihre Lasten, die sie auf dem Rücken trugen, absetzen und dann wieder aufnehmen, eine Prozedur, die immer einige Zeit in Anspruch nahm.“1317 Da die Leute barfuß gingen, riskierten sie Verletzungen. Im Schlamm, in Kamerun im Laufe der Zeit überall „Potta-Potta“

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Dominik 1908, 24. Vgl. auch Koch 1923, 21 f.; MFM KJh Kalmár 1913a, 39. Vgl. Königs 1943, 181. Vgl. Dominik 1908, 21, 24. Külz 1910, 275. Vgl. Külz 1910, 275. Külz 1910, 279. Vgl. Milligan 1908, 63 f. Reinhard 1901, 4. Reinhard 1901, 5.

Trip-Trägerinnen und -Träger: Prekäre lokale Karawanenarbeit in Südkamerun

genannt,1318 drohten die Menschen mit ihren Lasten auszugleiten.1319 Ein Problem waren auch die stacheligen Rotang-Lianen. Kam eine Karawane an eine Stelle „wo Äste einer Rotangpalme, durch den Sturm herabgerissen, auf dem Boden liegen, so gibt es jedesmal einen längeren Aufenthalt, da alle im großen Bogen um die Stelle herumgehen oder erst die ganze Bodenfläche von diesen einzeln herumliegenden Stacheln säubern“.1320 Nach langen Märschen auf schlechten Wegen klagten die Träger über blutende Füße.1321 Angesichts dieser Mühen konnten gute Leistungen nur von professionellen Trägerinnen und Trägern verlangt werden. Während die Vai professionelle Träger waren, bereitete die Karawanenarbeit den einheimischen Arbeitskräften in den 1890ern Probleme. Sie waren die schwere Arbeit nicht gewohnt und konnten nicht dieselbe Leistung erbringen. Europäer ethnisierten diese Unterschiede zwischen Profis und Amateuren:1322 Seitz bemerkte 1895, dass die Jaunde „als Träger nicht soviel zu leisten vermögen wie die Weyjungen“.1323 Ihnen fehle deren Ausdauer. Der Offizier Bartsch marschierte im selben Jahr mit 65 Jaunde-Trägern von Kribi nach Jaunde, doch seine Reise war „wegen der Erkrankung fast sämmtlicher Yaúnde-Leute mit großen Schwierigkeiten verknüpft, und ging nur langsam vor sich“. Bald waren die Träger nicht mehr in der Lage, ihre Lasten zu schleppen, sodass die Soldaten sie übernehmen mussten: „Wieder ein Zeichen wie sehr doch der Wey als Träger dem Yaúnde überlegen ist.“1324 Im Gegensatz zu den Vai, die Prestige aus ihrer Arbeit zogen, wollten viele neue einheimische Trägerinnen und Träger nur schnell europäische Waren erhalten, aber die schwere Arbeit möglichst vermeiden: Einige Bulu meldeten sich freiwillig als Träger bei Milligan. Als sie Lasten tragen sollten, behaupteten sie, krank zu sein. Hierdurch kam es zu der paradoxen Situation, dass die presbyterianischen Missionare immer mit vielen Trägern reisten, von denen nur wenige eine Last trugen.1325 Ein anderes Problem war, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter unerfahren im Reisen und bei der Einteilung ihrer Nahrungsrationen nicht diszipliniert waren. „The difference between a good carrier and a poor one“, bemerkte Milligan, „is often simply this, that the one stops eating when he is full and the other stops only

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Petersen 1939b, 13. Vgl. auch Seitz 1927, Bd. 2, 79; S Storck N Koch Koch o. J.b. Vgl. Petersen 1939b, 13. Mansfeld 1924, 10. Vgl. SBB-PK Ms. germ. oct. 1355, 300 f.; Koch 1924, 17; AGR CCCI 1682 GSK: Bericht Nr. 7, 22.10.1912. Vgl. Rockel 2006, 85. BArch R 1001/4357, 110. BArch R 1001/4357, 113. Vgl. Milligan 1908, 80.

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when the supply of food is exhausted.“1326 Anfangs hatten einige seiner Bulu-Träger regelmäßig ihre für sieben Tage gedachte Ration bereits nach dem zweiten Tag verzehrt. Andere teilten dann mit ihnen, weshalb am Ende alle Träger entkräftet und frustriert waren.1327 Mit der Zeit wurden die Leistungen und das Verhalten der Trägerinnen und Träger verlässlicher. Der Missionar Johnson beobachtete, wie sich die Techniken der Bulu verbesserten: „At first they carried their loads very low near the hips, but the load was gradually shifted higher and higher“.1328 Binnen weniger Jahre, so sein Kollege Milligan, stieg auch das Gewicht der Lasten von 40 auf 70 pound. Er führte das auf den besseren Zustand der Wege, vor allem aber auf die wachsende Professionalisierung der Träger zurück: „[T]he natives were at that time new to the work of carrying heavy loads, to which they have since become accustomed. The present young men have grown up in the work.“1329 Leichtere Lasten entsprachen dem Kalkül der Kaufleute, Trägerinnen und Träger zu halten. Außerdem trugen sie der Tatsache Rechnung, dass viele Menschen erst lernen mussten, Lasten über weite Strecken zu tragen. Später erreichten die Lasten ein erhebliches Gewicht. 1905 ergaben Stichproben des Bezirksamtes Kribi, dass Männer bis zu 52,5, Frauen bis zu 44 und kleine Mädchen bis zu 20,5 Kilogramm trugen.1330 Einen extremen Fall erlebte die Missionarin Mackenzie in Lolodorf: „Dr. Lehman weighed a little girl and her load, the load hit the twenty-six kilos and the child went one kilo better, twenty-seven.“1331 Doch nicht allein die Firmen waren für diese hohen Gewichte verantwortlich. Die Trägerinnen und Träger verteilten ihre Ladung auf die Mitläufer und transportierten nicht nur Kautschuk oder die Handelswaren der Firmen, sondern auch Waren für eigene Handelsgeschäfte.1332 Bischof Vieter etwa klagte darüber, dass die Marschgeschwindigkeit seiner Träger leide, da „sie sich zu den ihnen übergebenen Lasten noch 20 Pfund Salz für ihren eigenen Bedarf aufgebürdet haben“.1333 Das durchschnittliche Gewicht der Lasten pendelte sich bei um die 30 Kilogramm ein, die später auch gesetzlich vorgeschrieben wurden.1334

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Milligan 1908, 72. Vgl. Milligan 1908, 71 f. Vgl. auch Hennemann 1922, 19; Volquarts 1927, 40. PHS RG 55/1/24 Johnson: Vortragsmanuskript, o.D. Vgl. Milligan 1908, 60. Vgl. BArch R 175-I/66, 80. Mackenzie 1916, 108. Zur Ausbeutung von Mädchen durch schwere Lasten an der Gold Coast vgl. Akurang-Parry 2002. Vieter 1901b, 107. Vgl. LRO 380 HOL 1/9/1 Cohn an Perks, 17.04.1904; Hausen 1970, 269; Rüger 1960b, 220; Rudin 1938, 236.

Trip-Trägerinnen und -Träger: Prekäre lokale Karawanenarbeit in Südkamerun

Um die Jahrhundertwende hatte sich in Südkamerun eine professionelle TripArbeiterschaft herausgebildet. Wie groß diese war, lässt sich allerdings schwer bestimmen. 1907 hieß es, mindestens 20.000 Menschen seien allein in Jaunde dauerhaft mit Trägerdiensten beschäftigt.1335 Manche arbeiteten jahrelang für die Unternehmen.1336 Andere wiederum professionalisierten sich nicht. Für sie blieb die Arbeit eine einmalige Erfahrung. Die Trägerin Germaine etwa trug nur zweimal Kautschuk vom Bane-Gebiet an die Küste.1337 Karawanenkultur: Gewohnheitsrecht der Karawanen Zur Professionalisierung der lokalen Trägerinnen und Träger gehörte in Südkamerun auch die Entstehung einer „Karawanenkultur“:1338 Sie bestimmte, welche Aufgaben die Trägerinnen und Träger zu erfüllen hatten und welche sie verweigern durften, weil sie unüblich waren; wie Bezahlung, Arbeitszeit und Geschwindigkeit der Karawane auszufallen hatten; welches Verhalten erlaubt war und welches bestraft wurde. Bis zur Trägerverordnung von 1908 war die Karawanenkultur trotz der Ausdehnung des Verkehrs und seiner sozialen, wirtschaftlichen und politischen Folgen für ganz Südkamerun im legalen Vakuum der Laissez-faire-Politik des Gouvernements die einzige Regulierung der Arbeitsverhältnisse. Trägerinnen, Träger, Familienoberhäupter und Kaufleute handelten gemeinsam die Standards aus, die de facto bis zum Ersten Weltkrieg die Arbeitsbeziehungen der Karawanen regelten. Fabian und Rockel betonen, dass die Europäer die Karawanenkultur bereits „bei ihrer Ankunft in Afrika vorfanden“.1339 In Südkamerun jedoch war professionelle Karawanenarbeit für Fremde gegen Lohn in vorkolonialer Zeit unbekannt gewesen. Die Karawanenkultur entstand erst während der Kolonialherrschaft. Offensichtlich spielten Erfahrungen aus dem vorkolonialen Elfenbeinhandel und den Reisegemeinschaften eine Rolle. So blieb es etwa dabei, dass Karawanen sich zum Schlafen im Versammlungshaus der Dörfer niederlegten. Dort waren bereits die Elfenbeinhändler untergebracht worden.1340 Auch die oben skizzierten Formen der Fortbewegung, die Pausen, die lange Zeit auf der Straße und in den Dörfern, das Bestehen auf einem eigenen Rhythmus waren Teil der Karawanenkultur und entsprachen älteren Mustern. In den 1890ern kamen die lokalen Trägerinnen und Träger zudem in Kontakt mit der Karawanenkultur der Vai. Zenker weist auf einen direkten Austausch zwi-

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Vgl. BArch R 1001/3456, 8. Vgl. Schkopp 1906, 176 f. Vgl. Vincent 1976, 100. Fabian 2001, 64. Fabian 2001, 6; Rockel 2006, 5 f. Vgl. Wirz 1972, 100 f, 137.

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schen einheimischen und ausländischen Arbeitern hin: Die lokalen Träger, so schimpfte er, hätten das Bestehlen der Karawanenlasten „von den Veyjungen gelernt“.1341 Mit dem Headman als Karawanenführer übernahmen die Leute auch Organisationsformen des westafrikanischen Arbeitsmarktes. Die Bulu bezeichneten Karawanenführer als „évetman“ – abgeleitet von Headman –,1342 die Ewondo sagten „ehédemân“.1343 Auch Techniken der Vai übernahmen die neuen Trägerinnen und Träger – etwa den Gebrauch der kiñja, der geflochtenen Kiepe. Auch nachdem die Vai ihre Bedeutung verloren hatten, benutzten Kaufleute und mutmaßlich auch die Trägerinnen und Träger den Fachbegriff kiñja.1344 Für die Bulu ist der möglicherweise aus der Vai-Sprache abgeleitete Begriff „tiñga“ für ein „Tragegerüst aus ‚bushrope‘ [Lianen – T. Oe.], in dem die Last auf dem Rücken getragen wird“,1345 überliefert. Auch das Selbstbewusstsein der Vai-Karawanen übernahmen die einheimischen Arbeitskräfte. „Durch Weyjungen […]“, klagte Zenker, „verschlechtern sich ihre Umgangsformen mit den Weißen, indem sie frech u arrogant auftreten etc.“1346 Sie legten also dasselbe professionelle, stolze und eigenmächtige Verhalten an den Tag, das bei den Vai zur Arbeitskultur gehörte. Ebenfalls ging die gewalttätige Maskulinität der Vai-Karawanen in die neue lokale Karawanenkultur ein, etwa in Formen des Rowdytums. Einer von Hans Jobelmanns Trägern etwa war ermüdet. Im Dorf Bibbeï forderte er einen Bewohner auf, seine Last zu tragen. Dieser wollte nicht und wurde frech. Da wurden meine Jungs und die Alen-Leute aber böse! Wie haben sie den Kerl verhauen! Mit Kaschegu [Nilpferdpeitsche – T. Oe.] und Holzpfählen haben sie ihn bearbeitet, daß er an mehreren Körperstellen aus leichten Hautwunden blutete. Da auch die anderen Bibbeï-Leute mit Buschgewehren und Spe[eren] einzugreifen drohten, mußte ich auch hier mehrmals zu Gewehr und Revolver greifen, um wenigstens diese im Zaum zu halten. Den anderen Knäuel konnte ich doch nicht mehr lichten. Schließlich hatten sie dem Mann die Arme so am Oberkörper gefesselt[,] daß Arme, Brust- und Rückenmuskeln stark eingeschnitten wurden und schleiften ihn mit. Immer wieder warf er sich zu Erde und konnte erst durch Kascheguschläge, Fußtritte und Kolbenschläge seitens der Jungs zum Weitergehen bewegt werden.1347

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Zenker 1904b, 9 f. Bates 1904, 146; Hagen 1914, 238, 395; Alexandre/Binet 1958, 61. Heepe 1926, 46, 226. Vgl. auch Tessmann 2012–2015, Bd. 1, 264. Den Begriff nennen in unterschiedlichen orthographischen Varianten Königs 1943, 181; Zintgraff 1895, 70; Koch 1923, 122; Koch 1922, 15; S Storck N Koch Koch o. J.b, 1, 4. 1345 Hagen 1914, 301. Die Ewondo bezeichneten die Kiepe als nka. Vgl. Heepe 1926, 113, 246. 1346 SBB-PK N Luschan. Zenker, Georg. Zenker an Luschan, 27.05.1900. 1347 Jobelmann 2017, 64.

Trip-Trägerinnen und -Träger: Prekäre lokale Karawanenarbeit in Südkamerun

Der Träger betrachtete den Mann anschließend als seinen Gefangenen und forderte Lösegeld. Kapitel 4.1 wird zeigen, dass die Trip-Karawanen, als sich der Schwerpunkt des Handels in die Gebiete östlich von Jaunde verschob, genauso wie zuvor die Vai-Karawanen plünderten, stahlen und vergewaltigten und ihre Arbeit mit Beutemachen verbanden. Ein dritter Beitrag zur Karawanenkultur waren Aushandlungsprozesse zwischen Arbeitgebern und Arbeiterschaft. Ein Missionar hatte seine Bulu-Träger, die von der Küste nach Efulen und zurück mit Lasten marschiert waren, hoch bezahlt. „But this trip“, berichtete sein Kollege Milligan, „had established the amount of pay, and at the first mention of lower prices there was a storm of protest accompanied by scathing moral observations.“1348 Milligan erklärte, Regelungen ergäben sich aus solchen Präzedenzfällen: One can scarcely overestimate the authority of precedent in Africa. The citation of a precedent is sufficient to justify any subsequent action that may be to the advantage of him who cites it, even though the action be flagitious and the precedent only remotely relevant. A single precedent may establish a custom and established custom is a despot from whom there is no appeal, and whose authority transcends moral law.1349

Wie sich das Gewohnheitsrecht entwickelte und die Arbeitsbeziehungen prägte, zeigt die erste Marschetappe von Kribi ins Innere auf der Jaunde-Straße. Sie umfasste nur 10,5 Kilometer bis ins Mabea-Dorf Ediedie.1350 In den 1890ern war Ediedie die letzte Möglichkeit, vor dem damals noch unbewohnten Kribi-Busch Lebensmittel zu kaufen, weshalb alle Karawanen dort rasteten. Nach 1902 entstanden zwischen Kribi und Bipindi neue Dörfer.1351 Doch obwohl es nun keinen Grund mehr gab, die Reise nicht über Ediedie hinaus fortzusetzen, setzten Trägerinnen und Träger durch, dass Ediedie das Ende des ersten Reisetages blieb. 1910 brachen sie um 5 Uhr morgens in Kribi auf, während die Europäer ihnen erst um 16:30 Uhr folgten – schließlich kam die Karawane sowieso nur bis Ediedie.1352 Nach der Jahrhundertwende war allen Beteiligten klar, welche Leistungen, Löhne, Freiheiten und Zwänge in der Karawanenarbeit üblich waren. Die Regeln sind schwierig zu rekonstruieren, da Berichte von Trägerinnen und Trägern nicht überliefert sind und bei Weitem die meiste Arbeit nicht unter Augen von Europäern stattfand. Dennoch ermöglichen Schilderungen von Europäern, die mit Karawanen

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Milligan 1908, 79 f. Milligan 1908, 79. Vgl. NN 1911d, 2; Vieter 2011, 170. Vgl. Vieter 2011, 180. Vgl. NN 1911d, 2.

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ins Innere zogen, Einblicke – vor allem, wenn sie in Konflikte mit ihren Arbeitskräften gerieten. Solche Konflikte über die immer gleichen Fragen geben Auskunft darüber, was Trägerinnen und Träger als üblich hinnahmen und was sie zurückwiesen. Auseinandersetzungen darüber, was von den Arbeitskräften verlangt werden konnte, fochten vor allem europäische und afrikanische Händler aus, die gerade erst nach Kamerun gekommen waren. Denn die Firmen sandten ihre Angestellten bereits wenige Wochen oder gar nur Tage nach ihrer Ankunft an der BatangaKüste mit einer Karawane und wenigen Instruktionen ins Innere. Woermann etwa schickte 1905 Max Hinz bereits nach 19 Tagen in den Regenwald.1353 Gerade Neulinge deuteten das Verhalten ihrer Trägerinnen und Trägern, wenn es nicht ihren Vorstellungen entsprach, als Insubordination. Sauer z. B., 1911 für Lehning & Bartels in Südkamerun, klagte: „Ich bekomme Last mit meinen Trägern, sie wollen nicht so recht voran, sie denken einem Neuen können sie das bieten.“1354 Dabei gehörte das „Schlendern“ der Trip-Trägerinnen und -Träger zum normalen Modus der Fortbewegung.1355 „Man ist hier eben gezwungen, sich ganz und gar auf die Träger zu verlassen“, bemerkte W. Roggenkamp, ein „blutjung[er]“ Kaufmann,1356 der Ende 1906 für die Bremer Westafrika-Gesellschaft nach Südkamerun ausreiste, „besonders in der ersten Zeit, wo man noch nicht in der Lage ist, sich mit den Leuten selbst verständigen zu können und auf einen begleitenden Dolmetscher angewiesen ist, mit dem man sich erst in einem sogenannten Küstenenglisch […] verständigen muß“.1357 Entsprechend stark war die Position der Arbeiterinnen und Arbeiter. Roggenkamp scheute Auseinandersetzungen mit ihnen so sehr, dass er anderen riet, dies bedürfe so „vieler Mühe“, „daß man lieber die Leute gewähren läßt.“1358 Faktisch bedeutete das: Die Arbeiterinnen und Arbeiter wussten, wie sie ihren Job zu machen hatten. Woher sollte ein Greenhorn wie Roggenkamp wissen, wo und wie die Karawane rasten oder Essen kaufen konnte?1359 Die Trägerinnen und Träger bzw. ihr Headman griffen auf die Routinen der Karawanenkultur zurück – und als Neuling spielte man sich besser nicht auf. Vor allem die Marschgeschwindigkeit und damit Rhythmus und Ordnung der Karawane war ein häufiger Grund für Konflikte. Reinhard bekam 1897 auf seinem Marsch nach Jaunde bereits im Kribi-Busch Probleme. Die „Träger setzten oft ihre Lasten hin und verlangten auszuruhen, einige Leute machten Miene davonzulaufen,

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Vgl. NN 11.07.1905. Vgl. auch Reinhard 1901, 3 f. SBB-PK Ms. germ. oct. 1355, 94. Vgl. Hennemann 1922, 18. Vgl. Petersen 1939b, 11. ÜMB N Engelhardt 2.2.2-5 Tagebuch, 13.03.1908. Roggenkamp o. J. (1914), 13 f. Roggenkamp o. J. (1914), 14. Vgl. Vieter 1901b, 107.

Trip-Trägerinnen und -Träger: Prekäre lokale Karawanenarbeit in Südkamerun

und es kostete mich viele Mühe, dieselben in Ordnung zu halten.“1360 Kaufleute wollten schnell ein Ziel erreichen, ihre Arbeiterschaft aber war an eine langsame Reise gewöhnt. Wenn die Trägerinnen und Träger konnten, gingen sie gemessenen Schrittes. Vielen Europäern ging es wie Roggenkamp, der am ersten Tag fröhlich mit seiner Karawane die Jaunde-Straße entlangmarschierte und ziemlich an deren Spitze ging […]. Als ich nach fünfstündigem Marsche mein Zelt aufschlagen und mir mein Mittagmahl zubereiten lassen wollte, war fast noch keiner mit den Sachen am Platze und ich mußte noch einige Stunden warten, bis ich darangehen konnte, mir mein erstes Mittagsmahl anrichten zu lassen, sowie […] meine Lagerstätte zu bereiten.1361

Erfahrene Europäer marschierten stets am Ende ihrer Karawane. Ossmann erhielt von seinem Chef bei Randad & Stein den Rat, „immer hinter der Karawane her“ zu gehen, „wie der Hund hinter der Herde, wenn einer zurückbleibt, können Sie sonst lange warten bis er nachkommt“.1362 Als Bischof Vieter 1901 mit 40 Mabeaund Jaunde-Leuten von Kribi ins Innere zog, erreichten am dritten Tag nicht alle Träger das Lager – auch nicht sein Zeltträger, sodass er im Freien schlafen musste. Am nächsten Morgen musste die Karawane zuerst auf die Nachzügler warten, bevor sie losmarschieren konnte.1363 Auch der Missionar Max Haarpaintner klagte darüber, wie die Trägerinnen und Träger den Rhythmus der Karawane bestimmten: „Wenn man sich nicht nach ihnen richten müßte, dann könnte man jeden Tag zwei bis drei Stunden weiter marschieren.“1364 Sogar die einzuschlagende Route bestimmten sie teilweise. Haarpaintner drängten sie 1911, von der inzwischen gut ausgebauten Jaunde-Straße abzugehen und stattdessen den Minganweg zu nehmen, weil sie dort Verwandte hatten, die sie unterbrachten und verpflegten.1365 Die Kaufleute stellten sich auf die Gewohnheiten ihrer Trägerinnen und Träger ein und vertrauten ihnen. Ein anonymer Faktorist, mutmaßlich von Randad & Stein, berichtete 1910, wie der Koch Pius die Träger um 4:30 Uhr weckte und losschickte. Um 6 Uhr marschierten die Europäer los, um 8 Uhr überholten sie die ersten Träger, um 13 Uhr beendeten sie den Marsch nach 22,5 Kilometern. Die ersten Träger trudelten erst gegen 16 Uhr ein, auch „um 8  14 Uhr sind eine ganze Anzahl von

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Reinhard 1901, 4. Vgl. auch Osman 1911, 249. Roggenkamp o. J. (1914), 10 f. Vgl. BArch R 175-I/69, 261; ÜMB N Engelhardt 2.2.2-5 13.03.1908. Osman 1911, 242 f. Vgl. auch Hinkhouse 1909, 80. Vgl. Vieter 1901b, 107. Haarpaintner 1907, 115. Vgl. Haarpaintner 1911, 168.

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ihnen noch nicht eingetroffen. Wahrscheinlich sind sie im letzten Dorf geblieben und kommen erst morgen gemütlich nachgezottelt“.1366 Verstießen Karawanenführer gegen das Gewohnheitsrecht, etwa wenn sie unübliche Leistungen verlangten oder den Gepflogenheiten in Bezug auf Beladung oder Belohnung nicht folgten, drohten Trägerinnen und Träger offen damit, zu desertieren, um Karawanenführer zu einer Verhaltensänderung zu zwingen. Bei Sauer etwa protestierten sie gegen zu weite Märsche. Reduziere Sauer nicht die tägliche Marschleistung, drohten seine Leute, die „Sachen hinzuwerfen und dann im Busch zu verschwinden“.1367 Ihren europäischen Karawanenführer stehen zu lassen, wo es keinen Ersatz für die entlaufenen Trägerinnen und Träger gab, war ihr wichtigstes Kampfmittel. Sie wussten, dass die Europäer auf sie angewiesen waren und setzten dies bei Verhandlungen ein. Zu desertieren war eine Form der „exit option“:1368 Waren die Bedingungen zu schlecht, entzogen sich Arbeiterinnen und Arbeiter dem Zugriff des Arbeitgebers. Dies konnte sowohl kollektiv wie individuell geschehen. Besonders nahe der Heimatregionen oder in Küstennähe konnten Arbeitskräfte mit den Füßen abstimmen, ob sie Vertrauen zum Karawanenführer hatten, dieser sie gut behandelte oder sich an die Regeln der Karawanenkultur hielt. Sie fanden schnell eine neue Stellung bei einer anderen Firma. Von Schkopps 35 Mabea-Träger machten auf dem Weg nach Jaunde Ernst – obwohl er nach eigenen Angaben kein böses Wort fallen ließ, ihnen zusätzliche Rumrationen gab und viele Ruhepausen gönnte. Doch: „Je mehr ich ihnen zu Willen war und nachgab, desto frecher wurden sie in ihren Forderungen und tanzten mir auf der Nase herum, bis sie ihr Werk schließlich damit krönten, daß sie mich bei Nacht und Nebel schnöde verließen.“1369 „Lernen Sie die Leute erst kennen und behandeln Sie sie nicht gleich von vornherein zu scharf “, riet Ossmanns Chef, bevor jener zum ersten Mal mit einer Karawane ins Innere aufbrach, „sonst laufen sie Ihnen in der ersten Nacht fort, und Sie sitzen am Morgen mit Ihren Lasten da wie Hannchen auf dem Balle.“1370 Verließen Arbeiter nachts die Karawanen, war es den Kaufleuten am nächsten Morgen unmöglich, weiterzuziehen. Wenn es mehr wertvolle Lasten als Trägerinnen und Träger gab, mussten schnell Ersatzleute in den umliegenden Dörfern aufgetrieben werden. Dadurch schuf eine Desertion neue Probleme – und je größer die Schwierigkeiten, desto größer wurde die Verhandlungsmacht der noch verbliebenen oder in der Not zusätzlich angeworbenen Arbeitskräfte. Richard von Stetten, der 1906 für die Gesellschaft Süd-Kamerun eine Vai-Karawane von Kribi nach Osten führte, 1366 1367 1368 1369 1370

NN 1911d, 3. SBB-PK Ms. germ. oct. 1355, 110. Vgl. Cooper 2006, 96. Zu Desertionen vgl. Rockel 2006, 179–186. Schkopp 1906, 31. Osman 1911, 242 f.

Trip-Trägerinnen und -Träger: Prekäre lokale Karawanenarbeit in Südkamerun

erlebte einen Alptraum: Noch bevor er Bipindi erreichte, waren von seinen 45 Vai-Arbeitern 13 desertiert. Ohne ausreichend Trägerinnen und Träger musste er Lasten zurücklassen und sie später nachholen, was den Marsch seiner Karawane verlangsamte. In den Dörfern am Weg warb er unter großen Schwierigkeiten neue Arbeitskräfte an, doch auch von diesen verließen einige bald die Karawane, sodass er ständig anhalten musste, um neue Arbeiter zu suchen oder Lasten nachzuholen. Die ad hoc angeworbenen Mabea- und Ngumba-Träger verlangten hohe Löhne – und von Stetten blieb nichts anderes übrig als zu bezahlen. Täglich forderten die verbliebenen Vai mehr Nahrung, obwohl sie anfangs eine für neun Tage ausreichende Ration erhalten hatten. Da sie sich weigerten, weiterzugehen, musste von Stetten nachgeben. Bald hatte er neuen Ärger, da sein Waschmann den ad hoc angeworbenen Trägern sagte, von Stetten zahle nicht gut, woraufhin einer seinen Lohn bereits während des Marsches verlangte. Die lokalen Träger bearbeiteten von Stetten so lange, dass er ihren Lohn auf die exorbitante Summe von 10 Mark in Waren für zwei Tage erhöhte (Trip-Träger von Kribi nach Jaunde erhielten 1907 für den mindestens zwölf Tage dauernden Marsch 24 Mark in Waren).1371 Nun versuchten die Träger, noch mehr herauszuschlagen und verlangten, dass von Stetten auch für ihre Verpflegung aufkam. Er war heilfroh, als schließlich Soldaten zu seiner Karawane stießen und ihm halfen, die Disziplin wiederherzustellen.1372 Obwohl das Desertieren Chaos verursachte, war es eine an Regeln gebundene Praxis. Es spricht für einen hohen Grad von Professionalisierung, dass die Trägerinnen und Träger zwar nachts das Weite suchten, aber in der Regel ihre Lasten nicht stahlen, sondern bei ihrem Besitzer beließen. Nach Rockel lässt sich dies als Zeichen für einen Ehrenkodex der Karawanenarbeiterschaft deuten, der individuelle Regelverstöße ahnden, nicht aber das Vertrauen in die lukrativen Lohnarbeitsverhältnisse insgesamt bedrohen wollte.1373 Um das Desertieren zu verhindern, folgten viele Europäer dem Rhythmus ihrer Arbeitskräfte. Einige aber griffen zu Gewalt. Von Schkopp etwa lernte aus der Konfrontation mit seinen Arbeitern: Um Desertionen zu verhindern, nahm er die Frau des Headman als Geisel. Wie er schrieb, durfte man sich dabei nicht erwischen lassen. Schließlich handelte es sich um Freiheitsberaubung – und die war auch im kolonialen Kamerun strafbar.1374 Arbeiteranwerber Wiese wiederum trat mit ausgerollter Peitsche auf Ossmanns streikende Träger zu, beschimpfte sie und traktierte schließlich die Leute mit dem Züchtigungsinstrument.1375

1371 1372 1373 1374 1375

Vgl. LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 02.05.1907. Vgl. AFS 344 Tagebuch, 2–5. Vgl. Rockel 2006, 83 f. Vgl. Schkopp 1905, 149 f. Vgl. Osman 1911, 261. Im Text trägt Wiese den Namen „Griese“. Vgl. Kap. 5.4.

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Karawanenhandel der Küstenfirmen, 1889–1902

Generell war Gewalt zur Disziplinierung der Trägerinnen und Träger angesichts der geringen Zahl europäischer Karawanen und der hohen Professionalisierung wohl die Ausnahme. Stattdessen gab es andere Möglichkeiten, bei Interessenunterschieden zu vermitteln. Als Sauer 1911 von seinen Trägerinnen und Trägern eine größere Marschleistung verlangte, ließ ihm der Headman mitteilen, „daß er und seine Leute, wenn sie viel marschieren müßten, auch ein Geschenk haben möchten“.1376 Für Anforderungen, die über das gewohnheitsrechtlich übliche Maß an Arbeit hinausgingen, war die zusätzliche Belohnung in Form von Geschenken (dash) wesentlicher Bestandteil der Karawanenkultur. Rückkehr der Arbeiterfrage: Konkurrenz um Arbeitskräfte in der Rezession 1899–1902 Auch wenn in den 1890ern eine lokale Karawanenarbeiterschaft entstand, war die Arbeiterfrage nicht gelöst. Mit der Rezession um 1900 kam sie erneut aufs Tableau. John Holt, der erst seit kurzer Zeit die Präsenz seines Unternehmens in Südkamerun aufgrund des Kautschukbooms erhöht hatte, schimpfte im März 1901: „[T]he rubber trade is going to the dogs“.1377 Nach dem stürmischen Vorschieben der Kautschukfrontier in die bevölkerungsreichen Gebiete der Beti und Bulu, der schnellen Zerstörung der dortigen Kautschukpflanzenbestände und der Integration der ausgelaugten Regionen als Arbeiterreservoire in den Karawanenhandel rutschte das Südkamerun-Geschäft ab 1899 in eine Krise.1378 1897 auf 1898 stiegen die Kautschukexporte um mehr als 43 Prozent von 372 auf 534 Tonnen.1379 1899 hatte sich der Anstieg abgeschwächt, 1900 ging der Kautschukhandel leicht zurück, um dann 1901 und 1902 auf 506 bzw. 424 Tonnen zu schrumpfen.1380 Weniger Trägerinnen und Träger waren auf der Jaunde-Straße unterwegs, die Firmen zogen ihre Angestellten zurück oder entließen sie.1381 Die Krise führte den Kaufleuten die Bedeutung des Kautschuks vor Augen. Holt riet seinem Hauptagenten: „You must keep your eye on the Batanga district – It is entirely dependent from rubber“.1382 Nun fand die erste Phase des Kautschukhandels, die 1892 mit den Vai-Karawanen begonnen hatte, ihren Abschluss: Die Expansion der Firmen kam vorrübergehend

1376 1377 1378 1379 1380

SBB-PK Ms. germ. oct. 1355, 82 f. LRO 380 HOL 1/4/7, 194. Vgl. Wirz 1972, 32 f. Vgl. Tabelle 1. Der größte Teil des Rückgangs von 1902 entfiel auf den Duala-Bezirk. Die Exporte des KribiBezirks sanken nur auf 383.712 bzw. 353.166 kg. Vgl. Graphik 5, Kap. 2.2. 1381 Vgl. Vieter 1901a, 173; BArch R 1001/4322, 32. 1382 LRO 380 HOL 1/4/7, 201.

Trip-Trägerinnen und -Träger: Prekäre lokale Karawanenarbeit in Südkamerun

zum Erliegen. Verantwortlich waren globale Krisen sowie die Wiederkehr der Arbeiterfrage. 1898 bis 1902 wirkten mehrere, sich überlagernde globale ökonomische Krisen auf den Südkameruner Kautschukhandel zurück. Die Rezession war nicht allein die Fernwirkung einer deutschen Konjunkturdelle,1383 sondern von Entwicklungen in Europa, den USA, Russlands Fernem Osten und nicht zuletzt in Kamerun selbst. Es war eine internationale Finanzkrise, die im Herbst 1899 durch eine Panik an der Börse in Russland ausbrach, nachdem dort das Eisenbahnnetz im Fernen Osten beinahe vollendet war.1384 Russland war nach den USA der wichtigste Abnehmer von Reexporten des Hamburger Kautschukmarktes, die größtenteils aus afrikanischen Mittelsorten bestanden.1385 Hinzu kam Anfang 1901 der Crash der Londoner Börse, der auch die US-Wirtschaft lahmlegte. Infolgedessen brach die United States Rubber Company, ein großer Trust kautschukverarbeitender Unternehmen, zusammen. Auch die USA fielen nun eine Zeitlang als Käufer aus und große Mengen an Rohmaterial auf dem Weltmarkt senkten die Gummipreise. Von Brasilien bis Kamerun schrumpfte der Kautschukexport.1386 In den Jahren zuvor hatten zudem die aus dem Kongostaat ausgeführten Mengen die Preise für afrikanische Mittelsorten gedrückt.1387 Außerdem lagen die Probleme in Südkamerun selbst: Der 1899 ausgebrochene Bulu-Krieg störte den Handel;1388 die Zweifel, ob der Karawanenhandel wirtschaftlich sei, waren ebenfalls nie verstummt. Der Plantagenleiter Ernst Friederici wies 1898 auf dessen hohe Kosten hin: Wenn sie nun auch den Gummi im Innern billiger kaufen, so bringt ihnen ein Träger, der ca. 1 Mark per Tag kostet, nur 40 Pfund Gummi in vier Marschwochen. Dazu kommen Verluste an Produkten durch Diebstahl, Entlaufen der Träger, räuberische Überfälle durch nicht unterworfene Stämme […]. Im allgemeinen kann man wohl behaupten, daß die einzelnen meist sehr kapitalkräftigen Firmen Hamburgs und Englands ihre Faktoreien

1383 1384 1385 1386 1387

Vgl. Wirz 1972, 32. Vgl. Cassis 2016, 16. Vgl. Kap. 2.2. Vgl. NN 1903d, 349; Coates 1987, 137; Babcock 1966, 41. Vgl. Ellermeyer 2006, 18. Der weltweite Verbrauch von Gummi sank nicht, die Krise bremste aber sein Wachstum. 1900/01 nahm die global produzierte Kautschukmenge erstmals seit einem Jahrzehnt ab (von 53.931 tons auf 51.852 tons), wuchs aber 1902 wieder. Der weltweite Gesamtverbrauch stieg auch 1900/01 und stagnierte 1901/02 nur (1900: 49.181 tons, 1901: 50.490 tons, 1902: 50.298 tons). Vgl. Wieduwilt 1912, 110. 1388 Vgl. KA 1901, 81.

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Karawanenhandel der Küstenfirmen, 1889–1902

in Kamerun nur noch halten, jede in der Hoffnung, daß die Konkurrenz bald die Bude zumacht und daß sie dann durch vergrößerten Umsatz auf ihre Kosten kommt.1389

Menschen, die Waren auf ihrem Rücken trugen, waren noch immer die teuerste aller Transportformen. Sinkende Kautschukpreise machten um 1900 eine weitere Ausdehnung des Karawanenhandels ins Innere unwirtschaftlich. 1901 planten die Firmen deshalb, Faktoreien zu schließen.1390 J. P. Collignon, der seit 1900 für die Bremer Westafrika-Gesellschaft in Jaunde arbeitete,1391 erklärte dementsprechend 1902 den Handel in Südkamerun für tot. Der Raubbau habe sämtliche Reichtümer vernichtet, die Afrikaner, so Collignon, „möchten unsere Waren wohl haben, aber sie haben thatsächlich nichts mehr, um diese zu bezahlen“.1392 Im Osten gebe es zwar noch viel Gummi, aber aufgrund der gesunkenen Preise waren die Transportkosten zur Küste zu hoch.1393 Dies bestätigte auch Holt: „It would be hardly possible for us to make money there under any circumstances so long as rubber is selling at present prices, the expenses of the interior trade are so enormous in proportion to the valuation of the rubber obtained.“1394 Der Handel steckte in einer Sackgasse. Dass sich der Küstenhandel auf die Hauptfaktoreien Plantation, Longji und Kribi konzentrierte, trug zu einem allgemeinen Krisengefühl bei. Klein- und GroßBatanga wurden kommerziell immer weniger relevant.1395 Aber auch wenn die Unternehmen unrentable Faktoreien schlossen: Außer Jantzen & Thormählen machte niemand in Südkamerun „die Bude zu“. Vielmehr kamen neue Firmen hinzu! Bisher hatten vor allem drei den Kautschukhandel dominiert: Woermann, A. & L. Lubcke und Randad & Stein. 1897 besorgten sie zusammen über 67 Prozent der Kautschukexporte des Kribi-Bezirks (vgl. Tabelle 5). Karl Maaß, A. Küderling, John Holt & Co., Hatton & Cookson und R. & W. King spielten nur kleine Rollen. Der Kautschukmarkt schwächelte, aber Woermann etwa verkaufte 1900 das Kamerun-, nicht das Batanga-Geschäft.1396 Auch andere glaubten an eine profitable Zukunft und versuchten, sich in der Krise auf dem Markt zu platzieren. Der größte Coup des Jahres 1900 war die Übernahme von Randad & Stein durch den hamburgisch-haitianischen Kaufmann Ludovic Pagenstecher.1397 Hinzu kamen neue Firmen: Gustav C. Pelizaeus wusste als Mitinhaber des Schlauchherstellers

1389 1390 1391 1392 1393 1394 1395 1396 1397

Friederici 1898, 162. Vgl. BArch R 175-III/1, 62. Vgl. BArch R 1001/3227, 155. Collignon 1902b, 395. Vgl. Collignon 1902a, 239 f. LRO 380 HOL 1/4/8, 89. Vgl. NN 17.08.1901. Vgl. Ballhaus 1968, 130 f. Scheinbar zog sich Randad nach dem Tod Steins zurück. Vgl. Oestermann 2021a.

Trip-Trägerinnen und -Träger: Prekäre lokale Karawanenarbeit in Südkamerun

Voigt Industrietechnik um die Möglichkeiten des Kautschukhandels.1398 Seit den 1890ern kaufte seine Firma, G. C. Pelizaeus, Gummi in Französisch-Guinea.1399 1900 dehnte Pelizaeus mit der Bremer Westafrika-Gesellschaft sein Geschäft nach Südkamerun aus.1400 Ein weiterer neuer Akteur war G. L. Gaiser, wichtigste europäische Firma in Lagos und spezialisiert auf Palmkerne.1401 Die Firma expandierte 1899 nach Südkamerun. 1902 tat sie sich mit Heinrich Hasenkamp zusammen. Dieser frühere Woermann-Agent hatte sich 1899 selbständig gemacht.1402 Das Südkamerun-Geschäft wurde als Hamburg-Afrika-Gesellschaft von der Mutterfirma abgetrennt und prosperierte bald.1403 1901 kam die kurzlebige Handels- und Plantagen-Gesellschaft Südwest-Kamerun hinzu, als deren Leiter von Schkopp zum zweiten Mal nach Kamerun ausreiste.1404 Ende 1901 kaufte zudem Felix Krause die nördlichen Faktoreien seines ehemaligen Arbeitgebers A. Küderling und etablierte die Firma Felix Krause in Plantation.1405 Erst vor dem Hintergrund der Neugründungen wird verständlich, warum die Entwicklung des Handels zwischen 1900 und 1902 so dramatisch schlecht erschien. Statt acht Firmen kauften nun 13 in Südkamerun Gummi. Bei sinkenden Exportmengen blieb für alle weniger Kautschuk, der schlechter bezahlt wurde. Allein Woermanns Anteil am Kautschukgeschäft des Kribi-Bezirks halbierte sich 1897 bis 1901 von 24,53 auf 12,67 Prozent (vgl. Tabelle 5). Doch die Konkurrenz beschränkte sich nicht auf Kautschuk. 1901 wurde es plötzlich schwierig, genügend Trip-Trägerinnen und -Träger anzuwerben. Holt klagte: „Apparently we have got plenty of cargo on the beach where there is no trade and nothing in the interior where a trade exists.“1406 Nach Mandeng konkurrierten Handelsunternehmen, Regierung und die Plantagen am Kamerunberg um das Arbeiterreservoir der Beti. Dies habe dazu geführt, dass Träger von nun an gewaltsam angeworben worden seien.1407 Mandeng folgt nicht nur dem negativen

1398 Vgl. VIGOT Industrietechnik GmbH 2017. 1399 Die Firma war dort bis zum Ersten Weltkrieg tätig. Vgl. Müller 1973, 109, 125; AHkB K5 Bd. 9 Pelizaeus an Handelskammer Bremen, 17.10.1898; Ministère des colonies 1916. Mindestens 1908 war die Firma auch in der Elfenbeinküste aktiv. Vgl. NN 1908b. 1400 Vgl. StAB 9,V-B 108, 1. Die Firma kaufte Knowhow ein und engagierte Georg Petersen als Hauptagenten, der früher Randad & Stein geleitet hatte. Vgl. Schkopp 1905, 37–50; NN 02.04.1902. 1401 Zu G. L. Gaiser vgl. Hieke 1941; Hieke 1949. 1402 Hasenkamp (?–1936) arbeitete 1884–96 für Woermann in Gabun und Batanga. Vgl. FCW Bilanzen 1884–96; AHkH Firmenprofile und Handelsregisterinformationen zu Hamburg-AfrikaGesellschaft; ANY FA 1/455, 2 f. 1403 Vgl. Hieke 1949, 79–92; Hieke 1941, 25–30. 1404 Vgl. BArch R 1001/3493, 16; Schkopp 1905, 97. 1405 Vgl. ANY FA 1/523, 1. 1406 LRO 380 HOL 1/4/7, 193. 1407 Vgl. Mandeng 1973, 78 f. Vgl. analog in Nordnigeria vgl. Swindell 1992.

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Kautschukgesamtexporte  

  340.276 361.452 413.758 409.061 352.502 340.301 372.273 534.107 560.183 547.348 505.862 424.309 701.695 949.546 1.034.204 1.151.009 1.492.811

1.214.320 1.517.635 1.961.756 2.806.100 2.811.010 2.877.445

Jahr  

  1891 1892 1893 1894 1895 1896 1897 1898 1899 1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907

1908 1909 1910 1911 1912

Kautschukexporte KribiBezirk Firma   C. Woermann Batanga-Geschäft Anteil am GesamtExportmenge   export             289.517                 250.642 73.488 21,59 % 238.587 58.536,75 15,72 %   78.954 14,80 %   97.938 17,48 % 398.269 77.595 14,18 % 383.712 48.606 9,60 % 353.166     564.071     807.262     861.196     898.404 69.589,50 6,05 % 1.199.671 61.583 4,13 % 35.459,5 (bis   Okt.) 2,92 %                                        

  Anteil am Export KribiBezirk           29,32 % 24,53 %     19,48 % 12,67 %         7,75 % 5,13 %

Tabelle 5 Kautschukexporte nach Firmen. Leerstellen: keine Daten. Quellen: Deutsches Kolonialblatt 5–25 (1899–1905 ohne Sangha-Ngoko); ACW Productenbuch 1 u. 2; BArch R 1001/3816, 125; BArch N 2225/18, 69; AGR CCCI 1682 Kautschuk-Einkäufe nach Regionen; BArch R 1001/3453, 161; BArch R 1001/3602, 5; LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 18.09.1911.

248 Karawanenhandel der Küstenfirmen, 1889–1902

  1891 1892 1893 1894 1895 1896 1897 1898 1899 1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913

Jahr  

  16.914 53.432 60.049 65.054 59.339 50.111 ca. 100.000                              

  4,68 % 12,91 % 14,68 % 18,45 % 17,44 % 13,50 % 18,70 %                              

            21 %                                

      36.500 41.500 48.000 51.500 97.000                 317.252,30 348.636,40 426.744 474.246 518.761 548.824,60 432.217,30

Anteil am Export Exportmenge Kribi-Bezirk

am

Anteil Gesamtexport

Exportmenge

  A. & L. Lubcke

   

   

  Randad & Stein

    AnAnteil am teil am ExGesamtexport port KribiBezirk             8,92 %   11,77 %   14,11 % 19,15 % 13,83 % 21,59 % 18,16 %                                   21,25 % 26,44 % 28,71 %   28,12 %   24,17 %   18,49 %   19,52 %   15,02 %  

   

Trip-Trägerinnen und -Träger: Prekäre lokale Karawanenarbeit in Südkamerun

249

                  2619 27.352,32 82.732,50 85.015,50 121.676,10 123.086,42 169.916,13 153.431,40 168.011,55 141.065,70 153.314 192.771

178.589

245.000

1912

1913

Exportmenge

  Gesellschaft Süd-Kamerun

  1891 1892 1893 1894 1895 1896 1897 1898 1899 1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 1909 1910 1911

Jahr  

8,51%

6,35%

                              14,76% 10,28% 13,84% 9,30% 7,82% 6,87%

Anteil Gesamtexport

 

am

                                          nur Eigengebiet nur Eigengebiet ca. 250.000

ca. 250.000

                                        ca. 250.000

8,69 %

8,89 %

 

 

    AnAnteil am teil am ExGesamtexport port KribiBezirk                                                                                 8,91 %  

  Hamburg-Afrika-Gesellschaft

Anteil am Export Exportmenge Kribi-Bezirk

   

250 Karawanenhandel der Küstenfirmen, 1889–1902

  1891 1892 1893 1894 1895 1896 1897 1898 1899 1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913

Jahr   Anteil Gesamtexport

3,54 % 7,19 % 6,23 %

43.023 109.185 122.127

   

Exportmenge

John Holt & Co. am

Anteil am Export Kribi-Bezirk

Trip-Trägerinnen und -Träger: Prekäre lokale Karawanenarbeit in Südkamerun

251

252

Karawanenhandel der Küstenfirmen, 1889–1902

Bild der Karawanenarbeit und differenziert nicht zwischen verschiedenen Typen von Karawanen, er gewichtet die europäischen Akteursgruppen auch nicht. Zahlen (wie genau auch immer sie sind) der Station Jaunde zeigen aber, dass zwischen April 1904 und April 1905 insgesamt 1403 Jaunde als Träger für die Regierung, 1616 für die Plantagen und 26.235 als Karawanenträger für die Firmen arbeiteten.1408 In den Jahren zuvor waren die Zahlen geringer, aber wahrscheinlich genauso verteilt.1409 Plantagen, Regierung und Handelsunternehmen konkurrierten zwar, Erstgenannte fielen aber kaum ins Gewicht. Was die Arbeiterfrage wieder auf die Agenda brachte, war die Konkurrenz der Firmen untereinander. Im April 1901 beschwerten sich Randad & Stein, Küderling, Gaiser und Lubcke über die Anwerbung von Plantagenarbeitern und die Zwangsrekrutierung von Trägerinnen und Trägern durch die Regierung. Hierdurch wollten sie einerseits sicherstellen, dass mit den Plantagen nicht noch eine zusätzliche Akteursgruppe Anspruch auf ihr Arbeiterreservoir erhob.1410 Andererseits wollten sie die seit 1899 stattfindende gewaltsame Trägerrequirierung der Jaunde-Station stoppen – weil sie schlecht für ihr Geschäft war. Bei den Kriegen der Schutztruppe im Norden waren viele Jaunde-Trägerinnen und -Träger gestorben. 1899 musste die Regierung deshalb Gewalt anwenden, um genügend zu bekommen.1411 Auch Ende 1901 rekrutierte Stationsleiter Peter Scheunemann Träger für Dominiks Tschadsee-Expedition mit Gewalt. Die Pallottinermissionare beobachteten, wie Schutztruppensoldaten „freiwillige Träger“ für die Regierungsexpedition fingen und fesselten, Unwillige erschossen und Frauen als Geiseln nahmen, um die Familienoberhäupter dazu zu zwingen, Trägerinnen und Träger zu stellen.1412 Die Zwangsrekrutierung hatte Folgen für die sozialen Beziehungen in den BetiFamilien. Einige minkúkúma wie z. B. Nambelle schickten der Station und anderen Akteuren bereitwillig ihre Abhängigen.1413 In anderen Familien entstanden die bereits beschriebenen Konflikte: Während Familienoberhäupter die Gewalt eindämmen wollten und deshalb versuchten, die nicht etablierten Männer zu ihrer Verfügung zu halten, um die Forderungen der Regierung befriedigen zu kön-

1408 1409 1410 1411 1412

Vgl. BArch R 1001/3231, 28. 1903 gab es nur 405 Plantagenarbeiter aus dem Jaunde-Gebiet. Vgl. BArch R 1001/3231, 29. Vgl. BArch R 1001/3227, 154. Vgl. BArch R 1001/4359, 45. Vieter 2011, 178. Vgl. BArch R 1001/3229, 44. Zur Beschwerde der Mission vgl. Berger 1978, 291 f.; Lowry 2015, 209 f. Im Herbst 1902 forderte Kolonialdirektor von Stuebel ein Verbot der Zwangsrekrutierung, was das Gouvernement ablehnte. Vgl. BArch R 1001/3229, 44; BArch R 1001/3230, 56 ff. 1413 Vgl. Lowry 2015, 209. 1904 vermietete Nambelle Frauen an Afrikaner und Europäer. Zudem lieferte er Arbeiter an die WAPV. Vgl. BArch R 1001/4288, 82.

Trip-Trägerinnen und -Träger: Prekäre lokale Karawanenarbeit in Südkamerun

nen, wollten diese die streng disziplinierte, möglicherweise tödliche Arbeit für die Schutztruppe vermeiden und lieber für die Unternehmen zur Küste gehen.1414 Die Firmen fürchteten, dass die Zwangsarbeit die Menschen allgemein davon abhalten könnte, Trägerdienste zu übernehmen.1415 Dies kam immer wieder vor, denn die Regierung verdarb es sich regelmäßig mit den Jaunde, indem sie die Karawanenkultur ignorierte. Hauptmann Gaston Thierry etwa warb 1903 Arbeitskräfte für einen Zug gegen die Yesum an.1416 Nach 45 Tagen zahlte er diesen zwei „Head“ Tabak. Eine so niedrige Bezahlung stieß auf Unzufriedenheit. Thierry hatte sein Handwerk in Togo gelernt und glaubte deshalb, die Leute würden nicht wegen der Löhne arbeiten, sondern als Tributleistung:1417 „Die Träger wurden mit tröstlichen Worten abgespeist“, klagte ein Kaufmann, „daß Herr Hpt. ihr Vater sei, und für ihren Vater hätten die Leute umsonst zu arbeiten.“1418 Für seinen nächsten Zug nach Norden meldete sich folglich niemand. Thierry zwang die Leute durch Geiselnahmen zur Trägerstellung. Auch beim nächsten Zug wollte niemand mit ihm gehen: „Alles war im Busch und Jaunde war wie ausgestorben, die Träger mußten Stunden- und Tageweit hergeholt werden.“1419 Auch die Unternehmen bekamen nun keine Trägerinnen und Träger mehr für den Trip zur Küste.1420 Mit ihrer Beschwerde gegen die Zwangsarbeit drängten die Firmen die Regierung, ebenfalls die Karawanenkultur anzuerkennen, damit ein geregelter Ablauf der Trägerarbeit garantiert werden konnte. Doch die Firmen hatten noch weitere Probleme bei der Anwerbung von Arbeitskräften: Wenige Menschen waren bereit, nicht zur Küste, sondern vom Betiund Bulu-Gebiet weiter nach Osten zu gehen, wo es noch immer Kautschuk zu kaufen gab. 1906 berichtete Th. Wennergren, Kaufmann von John Holt & Co. in Ndik: „Whilst it is not difficult to get sufficient boys to carry the cargo from the beach, as far as Ebolowa, the great difficulty is to get labour to carry the goods from this point to the traders at Ndic and the various places anything up to 10 days walk further on.“1421 Zwar fanden sich Jaunde, die bereit waren, weiter östlich zu arbeiten.1422 Generell aber war dies problematisch: Ngumba-, Jaunde-, Bane- und Mabea-Trägerinnen und -Träger waren nur schwer dazu zu bewegen, östlich oder südlich des Ortes Ndik im Bulu-Gebiet zu ziehen, wohin die Firmen 1899/1900

1414 1415 1416 1417 1418 1419 1420 1421 1422

Vgl. BArch R 1001/3227, 155. Vgl. BArch R 1001/3227, 154. Zum Krieg gegen die Yesum vgl. Hoffmann 2007, 113 ff. Vgl. BArch R 1001/4359, 139. BArch R 1001/4359, 129. BArch R 1001/4359, 129. Vgl. BArch R 1001/4359, 130. LRO 380 HOL 1/9/1 Interview with Mr. Wennergren from Batanga. Vgl. Dominik 1908, 35 f.

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Karawanenhandel der Küstenfirmen, 1889–1902

ihre Faktoreien vorgeschoben hatten.1423 Der Weg nach Westen war eine seit dem vorkolonialen Elfenbeinhandel bestehende Verbindung, mythisch aufgeladen und verbunden mit Reichtum: Die Arbeiter und Arbeiterinnen wurden an der Beach bezahlt und konnten Waren für eigene Handelsgeschäfte erwerben. Das Regenwaldgebiet östlich der Beti und Bulu hingegen war sehr dünn besiedelt. Es galt als arm, denn die wenigen Menschen lebten weiter entfernt von der Küste, dem Quell des Reichtums. Beti und andere hielten sie für unzivilisiert. 1900 erklärten Träger, sie würden dort nicht hingehen, weil die Bewohner, vor allem die Maka, Kannibalen seien.1424 Zampa schilderte die Yesum als „richtig [sic!] Menschenfresser“:1425 Der nkúkúma Semikoa soll, wie Zampa erzählte, „beim Legen des Firstbalkens zu seinem Haus in Lémbe 50 Menschen haben schlachten lassen, die dann aufgegessen wurden. Wenn die Mákka- oder Máka-Häuptlinge, […] kommen, sollen sie während ihres Aufenthaltes täglich 1 Menschen zum Essen erhalten.“ Die Träger der staatlichen Expeditionen in diese Gegenden bemühten sich „beim Begraben [der] Gefallenen, den Platz möglichst unkenntlich zu machen, um ein Wiederausgraben durch die Esum zu verhindern“.1426 Des Weiteren hielt die für den Marsch nach Osten nötige Form der Arbeit viele Menschen ab. Für ihre weitere Expansion brauchten die Unternehmen Leute, die sich nicht für eine Strecke, sondern für eine bestimmte Zeit verpflichteten; nicht bloß selbstbestimmt unter einem Headman, sondern unter einem Europäer, Gold-Coast- oder Gabun-Mann marschierten; nicht auf der sicheren, besiedelten Jaunde-Straße, sondern in feindlichem Gebiet mit schlechter Versorgung. An dieser Veränderung der Arbeitsbeziehungen laborierten die Firmen nach der Jahrhundertwende zusätzlich zu den niedrigen Kautschukpreisen und der erhöhten Konkurrenz. Erst als diese Arbeiterfrage gelöst war, expandierten sie wieder. Zwischenfazit Bereits ab 1894 beschäftigten Staat und Firmen lokal angeworbene Trägerinnen und Träger, wodurch im Laufe der 1890er eine professionelle Südkameruner Karawanenarbeiterschaft entstand. Trip-Karawanen transportierten auf einer zuvor ausgemachten Strecke einmalig Handelsgüter gegen Lohn zwischen Binnenland und Küste. Die Entstehung dieser lokalen Arbeiterschaft war auf das Ende des Kautschukhandels in den jeweiligen Gebieten zurückzuführen. Nicht etablierte Männer nutzten Lohnarbeit als neue Möglichkeit, europäische Waren zu verdienen, 1423 Die dortigen Bewohner wiederum fürchteten sich, zur Küste zu gehen. Vgl. BArch R 1001/4380, 21 ff. 1424 Vgl. Reinhard 1901, 9 f. 1425 BArch N 227/22, 9. 1426 Hoesemann 1902a, 103. Zur Frage des Kannibalismus bei den Maka vgl. Geschiere 27.–29.08.1998.

Trip-Trägerinnen und -Träger: Prekäre lokale Karawanenarbeit in Südkamerun

Familienoberhäupter schickten ihre Abhängigen als Arbeitskräfte, um ebenfalls europäische Waren zu erlangen und so ihre Position zu stabilisieren. De facto übernahmen die Firmen die Reisegemeinschaften, die zuvor ihren Gummi zur Küste gebracht und verkauft hatten. Nun erhielten die Trägerinnen und Träger nicht mehr eine Bezahlung für ihre Waren, sondern für die Transportleistung. Die Löhne dienten ebenso wie zuvor die Einnahmen aus dem Kautschukhandel nicht der Subsistenz, sondern vor allem dazu, zu heiraten. Die meisten neuen Karawanen waren für die Unternehmen unterwegs – und fast alle marschierten unter afrikanischer Leitung. Sie waren deshalb keiner europäischen Disziplinierung und Kontrolle unterworfen. Trägerinnen und Träger besaßen vielmehr große Autonomie, die sie wegen des ständigen Arbeitskräftemangels gegenüber ihren Arbeitgebern durchsetzen konnten. Über die Jahre entstanden eine professionalisierte Arbeiterschaft und ein Gewohnheitsrecht – die Karawanenkultur, die die Arbeitsbeziehungen regulierte. 1898–1902 geriet der Kautschukhandel jedoch in eine Krise. Kautschuk war zwischen Küste und den am weitesten vorgeschobenen Faktoreien nicht mehr vorhanden. Um den Gummi aus entfernteren Regionen zu holen, war es erneut nötig, Lösungen für die Arbeiterfrage zu finden.

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3.

Die Gesellschaft Süd-Kamerun, 1899–1905

3.1. Ein deutscher Kongo? Das Konzessionssystem in Südkamerun, 1898–1899 Als die Expansion der Freihandelsfirmen von der Batanga-Küste ins Innere Südkameruns langsam ins Stocken geriet, etablierte sich eine neue Form der Kautschukwirtschaft in der Kolonie. Ende 1898 verlieh Kolonialdirektor Gerhard von Buchka eine gigantische Landkonzession im bisher noch nicht von der deutschen Kolonialmacht kontrollierten Südosten Kameruns, dem Sangha-Ngoko-Gebiet,1 an ein neu zu gründendes deutsch-belgisches Unternehmen: die Gesellschaft Süd-Kamerun (GSK). Dies war ein Paradigmenwechsel: Bisher waren die wichtigsten europäischen Protagonisten der Kautschukwirtschaft mit wenigen Ausnahmen kleine deutsche und britische Handelsgesellschaften gewesen. Mit geringem Kapital, auf eigene Faust und eigenes Risiko – wenn auch unter dem Schutz der Behörden – hatten sie den Kautschukhandel von der Batanga-Küste aus vorangetrieben. Die GSK sollte nun die Kautschuk- und Elfenbeinbestände der Regenwälder Südostkameruns nicht von der Küste her bewirtschaften, sondern über das Flusssystem des Kongobeckens. Erstmals stieg mit der GSK eine Aktiengesellschaft mit 2 Millionen Mark Kapital in den Kameruner Kautschukhandel ein. Zudem handelte es sich um eine staatlich privilegierte Konzessionsgesellschaft: „[N]o other organization in the Cameroons“, urteilt Rudin, „received greater Government support.“2 War der fieberhafte und auch brutale Handel der deutschen und britischen Firmen an der Batanga-Küste ein Produkt staatlichen Desinteresses und einer Politik des Laissez-faire, so war es in Sangha-Ngoko der koloniale Staat selbst, der die Kautschukwirtschaft etablierte. Die deutsche Konzessionspolitik in Südostkamerun stand in einem regionalen Kontext. In den 1890ern drangen die europäischen Kolonialmächte in die Randzonen des Kongobeckens vor. Deren Wälder und Sümpfe waren nur schwer zugänglich, ihre Verwaltung schwierig und kostspielig. Der Kongostaat griff deshalb 1892 als erster zu einer Politik, die Eric Allina als „outsourcing“ von Herrschaft beschrieben hat:3 Gegen Gewinnbeteiligung unterstellte er riesige Gebiete als Konzessionen der Regierungsgewalt von Unternehmen, die ein Monopol auf Kautschuk und Elfenbein erhielten. Frankreich und Deutschland ahmten das System nach: Zwischen 1898 und 1900 vergab die französische Regierung 70 % der

1 Deutsche Quellen schreiben „Sanga“ oder „Ssanga“. Die Arbeit folgt der heutigen Schreibweise. 2 Rudin 1938, 294. 3 Allina 2012, 2. Vgl. auch Sharman/Phillips 2020.

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Die Gesellschaft Süd-Kamerun, 1899–1905

Fläche Französisch-Äquatorialafrikas an 40 Aktiengesellschaften.4 1898 und 1899 erteilten die deutschen Behörden Konzessionen an die GSK und die Gesellschaft Nordwest-Kamerun (GNK).5 In weniger als zehn Jahren geriet der größte Teil des Kongobeckens in die Hände von Konzessionsunternehmen,6 die teilweise staatliche Aufgaben wie Polizeigewalt und Steuerhoheit übernahmen und über zehntausende Afrikaner und Afrikanerinnen herrschten. Dieses Konzessionssystem gilt als Chiffre für den mörderischen Charakter des Kautschukhandels in Afrika.7 Jolanda Ballhaus, die die bisher einzige Studie zur GSK verfasst hat, ordnet diese in die Geschichte der Konzessionspolitik des Kongo und der damit verbundenen Gewalt ein. GSK und deutsche Kolonialverwaltung, so Ballhaus, versuchten, „dieses System nachzuahmen“.8 Seitdem hat die Geschichte der GSK ein Eigenleben entwickelt. Immer wieder dient sie durch die Bezugnahme auf die Gewalt im Kongo als Verkörperung des deutschen kolonialen Kapitalismus und seiner Übel.9 Dem steht die lückenhafte Forschungslage gegenüber. Selbst Ballhaus betrachtet das Unternehmen nur am Rande.10 Viele immer wieder zitierte Aussagen über die GSK sind schlichtweg falsch – etwa die Angabe, die GSK habe 200.000 Arbeiter beschäftigt.11 Die Literatur leidet zudem an mangelnder Quellenkritik und verfälschender Wiedergabe von Zitaten.12 Wenn zu lesen ist, „Spekulanten“,13 Männer mit der Gier eines „Heuschreckenschwarms“,14 hätten sich diesen Teil Kameruns unter den Nagel gerissen und ausgesaugt, sind außerdem Parallelen zur antisemitischen zeitgenössischen Kritik unübersehbar. Dass Julius Scharlach, der erste GSK-Direktor, aus einer jüdischen Familie stammte und belgisches Kapital für das

4 Vgl. Coquery-Vidrovitch 1972, 51. Es handelte sich um die Fortsetzung der Politik gegen ausländische Unternehmen, die in den 1880ern u. a. Woermann aus dem Gebiet gedrängt hatte. Vgl. Cookey 1966. 5 Zur Gründung von GSK und GNK vgl. Ballhaus 1968; Schütze 1909, 86–93. 6 Vgl. die beeindruckende Karte in Manning 1998, 46. 7 Vgl. u. a. Hochschild 2012; Harms 1983; Vangroenweghe 2006; Coquery-Vidrovitch 1972. 8 Ballhaus 1968, 104. 9 Vgl. u. a. Möhle 1999c; Hücking/Launer 1986; Bommarius 2015; Gründer 2004. 10 Vgl. Ballhaus 1968, 99. Ballhaus konzentriert sich eher auf die GNK. Vgl. auch Ballhaus 1966. 11 Vgl. Cornevin 1969–1973, 402; Buelens 2007, 159. Epale schreibt (ebenso unzutreffend) von 700 Arbeitern und 300 europäischen Angestellten. Vgl. Epale 1985, 42. 12 Etwa wird die Aussage, ein Europäer würde seinen Koch mit dem Gewehr losschicken, um Träger zu fangen, immer wieder als Beispiel für Übergriffe der GSK bemüht. Dabei stammt sie von einem GSK-Agenten, der Praktiken der Konkurrenz beschreibt. Vgl. BArch R 1001/3450, 146 f. Für den verfälschenden Einsatz des Zitats vgl. Kaeselitz 1968, 39; Möhle 1999c, 50 f.; Hücking/Launer 1986, 140. 13 Hücking/Launer 1986, 136. Ballhaus nennt Scharlach einen„Kolonialspekulanten“. Ballhaus 1968, 102. 14 Möhle 1999c, 51. Vgl. auch Bommarius 2015, 56.

Ein deutscher Kongo? Das Konzessionssystem in Südkamerun, 1898–1899

Unternehmen gewann, veranlasste Kritiker wie Siegfried Passarge, ihn 1900 als vaterlandslosen jüdischen Geschäftemacher zu diskreditieren.15 1906 wiederholte J. K. Vietor diese und andere Vorwürfe in der antisemitischen Zeitschrift Der Hammer.16 Selbst Berichte von Kolonialbeamten waren antisemitisch gefärbt.17 Bezeichnungen wie „Spekulant“ und „Heuschreckenschwarm“ bedienen sich derselben Muster. Eine Kritik der GSK sollte auf einer Analyse ihrer Praktiken beruhen, nicht auf antikapitalistischen oder antisemitischen Klischees. Dieses Kapitel untersucht die Beziehung zwischen Konzessionsgesellschaft und kolonialem Staat in Südostkamerun. Sie unterschied sich rechtlich von der zwischen Regierung und Unternehmen im Kongostaat. Denn die GSK-Konzession übertrug keine Hoheitsrechte. Weder durfte die GSK Steuern eintreiben noch Polizeigewalt ausüben. Praktisch jedoch näherte sie sich vor Ort oftmals dieser an, denn die GSK konnte die Politik jahrelang bestimmen. Flucht nach vorn: Sangha-Ngoko und Konzessionspolitik im Kongobecken Entscheidend für die neuartige Integration Sangha-Ngokos in die Kameruner Kautschukökonomie war, dass sich nicht die deutsche Kolonialmacht oder eine der etablierten Firmen Südkameruns, sondern ein belgisches Kongounternehmen zuerst in der Region etablierte: die Société Anonyme Belge pour le Commerce du Haut-Congo (SAB). Aufgrund ihrer Konfliktfähigkeit gegenüber der deutschen Kolonialmacht konnte sie die Entwicklung Südostkameruns stark beeinflussen. Sie schloss ein Bündnis mit deutschen Investoren, das die deutsche Kolonialverwaltung als Verhandlungspartner akzeptierte. Ergebnis dieser Bemühungen war die GSK, die de facto eine Tochtergesellschaft der SAB war und deren Aktionäre seit Gründung zu 75 Prozent Belgier waren.18 Die Anlehnung an deutsche Kolonialinteressen ermöglichte es der in anderen Regionen bedrohten SAB, ihre Stellung in Sangha-Ngoko in die deutsche Herrschaft hinüberzuretten und auszubauen sowie gleichzeitig Konkurrenten auszuschließen. Unter dem neuen Namen GSK leitete in den ersten Jahren weiterhin die SAB-Führung das Geschäft, wodurch Vorstellungen und Praktiken aus dem Kongostaat eine große Rolle in Südostkameruns Kautschukwirtschaft spielten. Geographisch und ökonomisch war Sangha-Ngoko Teil des Kongobeckens. Die großen Flüsse Djah und Bumba vereinigen sich bei Molundu zum Ngoko. Die-

15 16 17 18

Vgl. Passarge 1900. Vgl. Vietor 1906; NN 1905a, 543. Zu Vietor vgl. Olpen 2014. Vgl. BArch R 175-I/67, 119; BArch R 175-I/205, 52. Vgl. Marchal 1952, 688; Compagnie du Congo pour le commerce et l’industrie 1905; BArch R 1001/ 3444 GSK-Direktoriumssitzung, 23.08.1901, o.S.; AGR CCCI 1682 Mappe: Rapports d’Hambourg. Dokument ohne Titel, o.D.

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Die Gesellschaft Süd-Kamerun, 1899–1905

ser mündet bei Ouesso in den Sangha, einen schiffbaren nördlichen Nebenfluss des Kongo. Bis 1903 blieb die Fahrt über Kongo, Sangha und Ngoko der einzig sichere Weg nach Südostkamerun. Eine Verbindung nach Jaunde, der am weitesten ins Hinterland vorgeschobenen deutschen Regierungsstation, war bis dahin nicht vorhanden.19 Entsprechend erreichten Händler vom Kongo über die Flüsse den Südosten Kameruns weit günstiger, schneller und sicherer als Händler von der Batanga-Küste, die den Weg mit Trägerinnen und Trägern über den teuren, beschwerlichen und gefährlichen Landweg hätten zurücklegen müssen. SanghaNgoko war bereits in vorkolonialer Zeit in die Handelsnetze des Kongobeckens eingebunden.20 Afrikanische Händler aus Bonga und Bolobo, an der Mündung des Sangha in den Kongo, hatten dort Elfenbein sowie Sklavinnen und Sklaven gekauft.21 Seit 1891 drangen auch die europäischen Kongo-Unternehmen SAB und die niederländische Nieuwe Afrikaansche Handelsvennootschap (NAHV) über den Sangha in den äußersten Südosten des von den Deutschen beanspruchten, aber noch nicht besetzten Territoriums vor.22 Die Kongofirmen verdrängten die BongaHändler teilweise vom Sangha und traten im Elfenbeinhandel an ihre Stelle.23 Statt mit Kanus gelangte das Elfenbein nun mit kleinen Dampfern von den vereinzelten Faktoreien an Sangha und Ngoko über den Kongo in die Depots in Léopoldville/ Kinshasa am Stanley Pool, von wo aus Träger es über die Kristallberge nach dem Hafen Matadi für den Export nach Europa transportierten. Südostkamerun war somit über den Kongo bereits vor der Etablierung der Kautschukwirtschaft in den Weltmarkt integriert. Sowohl SAB als auch NAHV waren bedeutende Firmen im Kongostaat, der Privatkolonie des belgischen Königs Leopolds II. Die 1857 in Rotterdam gegründete NAHV trieb Handel mit Elfenbein und Palmöl an der Kongomündung.24 Ab 1883 drang sie im Zuge der Aktivitäten Leopolds II. in das Kongobecken vor, um dort Elfenbein zu kaufen.25 1889 war die NAHV das mit Abstand größte Handelshaus des Kongostaates, das drei Viertel aller Exporte abwickelte.26 Die SAB wiederum war eine Tochtergesellschaft der Compagnie du Congo pour le Commerce et l’Industrie

19 Vgl. Kaeselitz 1968, 34 ff. 20 Zum vorkolonialen Elfenbeinhandel im Kongobecken vgl. Harms 1981. 21 Vgl. Schlechter 1900f, 86 f.; NN 07.11.1890; BArch R 1001/3299, 26. Zum Handel Bongas vgl. Copet-Rougier 1998, 66; Harms 1981, 77. 22 Anfang 1891 war das französische Unternehmen Daumas et Béraud dort aktiv, das die SAB Laufe des Jahres übernahm. Vgl. Fourneau 1932, 299; Gaillard 1891, 4505; Lederer 1965, 90 f. 23 Noch Mitte 1898 machten afrikanische Händler der SAB Konkurrenz. Vgl. HADB K1/395 Thys: Commerce, o.D. Zur Ausschaltung afrikanischer Händler im Kongo vgl. Harms 1981, 220–228. 24 Zur NAHV vgl. Obdeijn 1983; van der Laan, 1983. 25 Vgl. Buelens 2007, 33 f.; Obdeijn 1983, 196 f. 26 Vgl. Obdeijn 1983, 201. Vgl. auch Vos 2009, 9.

Ein deutscher Kongo? Das Konzessionssystem in Südkamerun, 1898–1899

(CCCI), des ersten belgischen Kongounternehmens.27 Die CCCI war 1886 vom Offizier Albert Thys auf Anregung Leopolds II., zu dessen Gefolge er gehörte, gegründet worden, um die bereits von Henry Morton Stanley geforderte Eisenbahn zwischen Matadi und Stanley Pool zu bauen.28 In kurzer Zeit entwickelte sich die CCCI zu einer Holding mit immer neuen Tochtergesellschaften,29 darunter die Compagnie de Chemin de Fer du Congo (CCFC) für den Bau der Kongobahn und die SAB als Handelsunternehmen zum Einkauf von Elfenbein.30 Schnell stieg die 1888 gegründete SAB unter Führung von Thys und Alexandre Delcommune zum bedeutendsten Konkurrenten der NAHV auf. Bis 1892 steigerte sie ihr Kapital von 1,2 auf 5 Millionen Francs und expandierte an den oberen Kongo, den Oubangui und ins Kasai-Gebiet.31 Mithilfe einer überlegenen Dampferflotte überflügelte sie Anfang der 1890er die NAHV und entwickelte sich zur mächtigsten Handelsfirma des Kongostaates mit dem Beinamen „Lord of the River“.32 Die Konzessionspolitik des Kongostaates bedrohte die Position dieser beiden Handelsgesellschaften. Mit immer neuen Gesetzen versuchte die Regierung, die Tätigkeit von Privatunternehmen im Kongo einzuschränken. Grund für diese ab 1889 zunehmenden Konflikte war die schlechte finanzielle Lage der Kolonie. Um seine stetige Ausdehnung ins Innere zu finanzieren, war der Staat in das Elfenbeingeschäft eingestiegen. Wie Tippu-Tip und andere vorkoloniale Machthaber trieben Beamte und Offiziere des Kongostaates Elfenbein als Tributzahlungen ein.33 Doch als um 1890 die Weltmarktpreise für Elfenbein sanken und es zeitgleich zu kriegerischen Auseinandersetzungen kam, geriet der Kongostaat in finanzielle Schwierigkeiten.34 Er bemühte sich deshalb, auf Kosten von NAHV und SAB einen immer größeren Anteil an den Rohstoffexporten der Kolonie zu kontrollieren.35 Nachdem Leopold II. bereits 1885 alles vermeintlich „leere“ Land zu Staatsland erklärt hatte, machte im August 1889 ein Dekret die Produkte dieser Gebiete – inzwischen war Kautschuk hinzugetreten – ebenfalls zu Staatseigentum. Zudem bemühte

27 Vgl. Lederer 1965, 66. Zur Geschichte der SAB vgl. Nelson 1994. Zur Geschichte der CCCI vgl. Brion/Moreau o. J.; Buelens 2007, 106–134; Waltz 1917, Bd. 1, 157–179. 28 Vgl. Depelchin 1992, 121; Joye/Lewin 1961, 203; Buelens 2007, 106 f. 29 Zeitweise war die CCCI an über 60 Unternehmen direkt beteiligt und kontrollierte ca. 40 weitere Firmen. Vgl. Joye/Lewin 1961, 204. Für eine Übersicht vgl. Waltz 1917, Bd. 1, 153 f. 30 Vgl. Lederer 1965, 88–92. In der SAB ging 1889 die Sanford Exploring Expedition auf. 1891 übernahm die SAB das Kongostaat-Geschäft von Daumas-Béraud et Cie. Vgl. White 1967; Buelens 2007, 129; Vellut 2001, 134; Lederer 1965, 90 f. 31 Vgl. NN 1893b; Depelchin 1992, 124. 32 Buelens 2007, 129; Nelson 1994, 53 f. 33 Vgl. Obdeijn 1983, 197 f.; Gann/Duignan 1979a, 118 f. 34 Vgl. Lederer 1965, 99 f. 35 Vgl. Obdeijn 1983, 198–207; Nelson 1994, 57.

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Leopold II. sich im November 1889 auf der Brüsseler Antisklaverei-Konferenz erfolgreich um eine Abänderung der Kongo-Akte, um Zölle zur Finanzierung des angeblichen Kampfes gegen den Sklavenhandel zu erheben. Diese Zölle trafen vor allem NAHV und SAB. Als die finanzielle Krise des Kongostaates 1892 schließlich ihren Höhepunkt erreichte, sperrte dieser den größten Teil der Kolonie für private Handelsunternehmen, um ihn an neu gegründete Konzessionsgesellschaften zu verteilen.36 Genau in diesem Jahr, 1892, stieß die SAB erstmals über Ouesso hinaus nach Sangha-Ngoko vor, um dort mit Elfenbein zu handeln.37 Die nördlichen Nebenflüsse des Kongo spielten für die alten Kongofirmen dieselbe Rolle wie die BatangaKüste für die Gabun-Firmen: Die kaum von der französischen und gar nicht von der deutschen Kolonialmacht verwaltete Region bot ihnen die Möglichkeit, sich der zunehmenden staatlichen Einschränkung zu entziehen.38 Doch auch am Sangha gerieten NAHV und SAB zunehmend durch die lokalen Behörden unter Druck. Zumindest die NAHV begann deshalb Gespräche mit französischen Investoren, um durch Tochtergesellschaften ihre Stellung in den französischen Gebieten zu sichern.39 Aber wie würden die deutschen Kolonialbehörden mit ausländischen Firmen umgehen, wenn sie die Kontrolle über das von ihnen beanspruchte Gebiet übernähmen, in das bisher noch keiner ihrer Beamten einen Fuß gesetzt hatte? Um ihr Geschäft in Sangha-Ngoko zu schützen, suchte die SAB den Kontakt mit der deutschen Regierung. Bereits im Oktober 1893 erfuhr die Kolonial-Abteilung, dass NAHV und SAB in Kamerun aktiv waren.40 Nachforschungen blieben jedoch ohne Ergebnis. 1895 bestätigte der deutsche Botschafter in Brüssel die Existenz von drei SAB-Faktoreien auf deutschem Gebiet: Goko, Zimu und Shama. Informanten aus der SAB-Leitung hätten ihm mitgeteilt, dass dieser eine Zusammenarbeit mit deutschen Kolonialunternehmen „nicht unerwünscht“ sei.41 Offensichtlich wollte die SAB verhindern, auch in Südostkamerun aus dem Geschäft gedrängt zu werden, und bot deshalb den Deutschen eine Kooperation an.42 Auf diese Offerte hin informierte die Kolonial-Abteilung die deutschen Kolonialunternehmer über den Sachverhalt – scheinbar ohne Folgen.43 Dass ausländische Handelsgesellschaften Profite aus deutschem Territorium zogen, blieb aber ein Thema für die Behörden. Sie wollten nicht dulden, dass der

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Vgl. Lederer 1965, 99–102; Waltz 1917, Bd. 1, 19–36; Obdeijn 1983; Roos 2015. Vgl. HADB K1/395 Thys: Commerce, o.D. Vgl. BArch R 1001/3816, 109. Vgl Coquery-Vidrovitch 1972, 234 f; Coquery-Vidrovitch 1977, 53 f. Vgl. BArch R 1001/3422, 9 f. BArch R 1001/3815, 185 f. Vgl. auch Rudin 1938, 92. Vgl. BArch R 1001/3816, 109 f. Vgl. BArch R 1001/3815, 187 f.

Ein deutscher Kongo? Das Konzessionssystem in Südkamerun, 1898–1899

Reichtum der Kolonie allein nicht deutschen Unternehmen zugutekam und diese nicht einmal Zölle zahlten, die das chronisch unterfinanzierte Kamerun gut gebrauchen konnte. Im Zuge der expansiven Politik von Puttkamers versuchte das Gouvernement nun, seinen Gebietsanspruch in der entlegenen Region durchzusetzen und die wirtschaftliche Nutzung Sangha-Ngokos in deutsche Hände zu bringen.44 Aber eine geplante Expedition durch von Kamptz fand nicht statt und auch von Puttkamer musste seinen Versuch Anfang 1897 aufgeben. Er erhielt jedoch neue, alarmierende Nachrichten über SAB und NAHV: „Bei meiner Anwesenheit in Yaunde und am oberen Sanaga erzählten mir dortige Häuptlinge, daß in nicht sehr weiter Entfernung – einige Tagereisen – in östlicher und südöstlicher Richtung weiße Männer in Häusern wohnten, welche Handel trieben“.45 Der Gouverneur betonte deshalb, wie wichtig es sei, dass der Offizier Ernst von Carnap-Quernheimb, der für kurze Zeit Dominik als Stationschef von Jaunde abgelöst hatte, der deutschen Herrschaft in Sangha-Ngoko Geltung verschaffe.46 Im Oktober 1897 erhielt von Carnap den Befehl, von Jaunde aus die ausländischen Faktoreien im Südosten aufzusuchen.47 Auch seiner Expedition, an der im Übrigen Zampa noch als Soldat teilnahm, gelang es nicht, direkt durch den Regenwald nach Osten vorzudringen. Von Carnap zog durch die Savanne nördlich des Waldes, in einem Bogen, der ihn und seine Leute bis nach Ngaundere führte. Im November 1897 erreichten sie das französische Carnot. Während Zampa und Unteroffizier Staadt über Bertua und das Maka-Gebiet nach Jaunde zurückkehrten,48 begab sich von Carnap den Sangha hinab zu den Faktoreien der SAB und NAHV und demonstrierte damit den deutschen Anspruch auf Sangha-Ngoko. Anschließend kehrte er über den Kongo nach Kamerun zurück.49 Von Carnaps Expedition, sein Bericht über den Rohstoffreichtum des Gebiets sowie die Profite, die bisher der deutschen Wirtschaft verloren gingen, machte die Frage nach der Zukunft von Sangha-Ngoko für alle Akteure akut.50 Die SAB überzeugte von Carnap während seines Aufenthaltes von ihrer eigenen Unverzichtbarkeit und stellte sicher, dass sie eine hervorragende Rolle bei der wirtschaftlichen Neuordnung der Region spielen würde. Von Carnaps Bericht, dessen Hauptquellen SAB- und NAHV-Agenten waren, transportierte genau das

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Vgl. Hoffmann 2007, Bd. 1, 15 f. BArch R 1001/3816, 99 f. Vgl. BArch R 1001/3816, 13 f. Vgl. auch Rudin 1938, 92. Vgl. BArch R 1001/3816, 100. Vgl. BArch R 1001/3299, 12. Wahrscheinlich sammelte Zampa bei dieser Reise Kenntnisse über Land und Leute, weshalb Randad & Stein ihn als Händler dorthin sandten. Vgl. BArch MA N 227/22, 9. 49 Vgl. BArch R 1001/3299, 12–16; NN 1898b. 50 Vgl. Rudin 1938, 92; Rüger 1960b, 168; Ballhaus 1968, 105; Kaeselitz 1968, 34; Hoffmann 2007, Bd. 1, 148. Vgl. Carnap-Quernheimb 1898.

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Bild von Sangha-Ngoko, das die SAB bei den Behörden in Berlin erzeugen wollte: Erstens zeigte er die Deutschfreundlichkeit der ausländischen Firmen. Die Agenten von NAHV und SAB, so von Carnap, hätten begrüßt, dass die Deutschen endlich Präsenz zeigten. Zweitens stellte er die Region als potenzielle Quelle großer Profite dar, besonders wegen ihres Reichtums an Kautschuk. Dabei exportierte keines der beiden Unternehmen bisher Kautschuk aus diesem Gebiet.51 Ein einträglicher Kautschukhandel war lediglich die Zukunftserwartung der SAB, die hoffte, die deutsche Seite für ihr Geschäft zu interessieren. Drittens erklärte von Carnap, dass eine Zusammenarbeit mit der SAB nötig sei, um Sangha-Ngoko durch deutsches Kapital wirtschaftlich zu nutzen. Ein Handel über Land durch die „Kribi-Firmen“ sei aufgrund der fehlenden sicheren Verbindung nicht möglich und wegen der Entfernung zur Küste auch nicht profitabel. Stattdessen, so von Carnap, solle man „keineswegs das Anerbieten der S.A.B. zur Betheiligung deutschen Kapitals von der Hand weisen.“52 Auch den Berliner Beamten erschien dies einleuchtend und eine Zusammenarbeit zwischen den Belgiern und deutschen Financiers als der gangbarste Weg.53 Von Puttkamer hatte bereits im September 1897 vorgeschlagen, gelegentlich meines nächsten Urlaubs mit der Direction der société anonyme Belge pour le commerce du Haut-Congo in Brüssel in Verbindung zu treten, um zu einem auch die deutschen Interessen befriedigenden Abkommen zu gelangen, eine Idee, der nach den Berichten der Kaiserlichen Gesandtschaft in Brüssel dei [sic!] Direction ja nicht abgeneigt scheint.54

Anfang 1898 herrschte in der Kolonialverwaltung folgender Konsens: SanghaNgoko konnte nur mit den bereits etablierten Firmen bewirtschaftet werden – vorzugsweise mit der SAB. Deutsche Interessenten und die Zukunft Sangha-Ngokos Am 9. Juni 1898 beantragte Julius Scharlach zusammen mit Hugo Sholto von Douglas und Max Esser bei der Kolonial-Abteilung in Berlin eine Landkonzession und ein Handelsmonopol für Südostkamerun. Ihr Ziel war es, ein neues Unternehmen zu gründen und sich mit den dortigen ausländischen Gesellschaften zu einigen.55 Alle Antragsteller hatten bereits Kolonialfirmen gegründet. Der Kali-Industrielle

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Vgl. HADB K1/395 Thys: Commerce, o.D. BArch R 1001/3299, 28. Vgl. BArch R 1001/3299, 14. BArch R 1001/3816, 105. Vgl. BArch R 1001/3442, 1 ff.

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von Douglas initiierte eine große Zahl, führte aber keine längere Zeit.56 Esser hatte 1897 die Westafrikanische Pflanzungsgesellschaft Victoria aus der Taufe gehoben.57 Der Rechtsanwalt Scharlach wiederum war einer der einflussreichsten deutschen Kolonialunternehmer. F. Rust nannte Scharlach nicht zu Unrecht „einen kleinen Cecil Rhodes“.58 Für Washausen war er einer „der größten Spekulanten der deutschen Kolonialgeschichte“.59 Neutraler formuliert: Scharlach war ein erfolgreicher kolonialer Investor. Scharlach wurde 1842 in Bodenwerder geboren. Seine Eltern zogen früh nach Hamburg.60 Die Familie hatte jüdische Wurzeln, weshalb Scharlach zeitweise antisemitisch angegriffen wurde.61 Ludwig von Stetten-Buchenbach, später selbst GSK-Aufsichtsratsmitglied, lernte Scharlach 1903 kennen: „Ein kleiner Mann von ca. 1,50–60 Größe […]; äußerst kluge Augen zeigten aber an, welche Intelligenz in diesem winzigen Körper steckte.“62 Scharlach studierte Jura in Heidelberg und Göttingen, wo er Mitglied im Corps Hannoverana war, der Verbindung, der auch Bismarck angehört hatte.63 Seit 1864 arbeitete er als Rechtsanwalt in Hamburg.64 1872 trat er in eine Sozietät ein, die später unter dem Namen Scharlach, Westphal, Poelchau, Lutteroth bekannt wurde.65 Scharlach arbeitete in unterschiedlichen Wirtschaftsbereichen. Besonders wichtig war seine Beratertätigkeit für Alfred No-

56 Auch aus der GSK schied er bereits im August 1901 aus. Vgl. BArch R 1001/3444 GSKDirektoriumssitzung, 23.08.1901, o.S. Keine von Douglas’ Kurzbiographien verzeichnet sein koloniales Engagement. Vgl. Poninski/Zorn 1959, 89; Wolfstieg 1907. Dabei war Douglas u. a. in Togo, Deutsch-Ostafrika, Deutsch-Südwestafrika, Brasilien, und Sumatra an Kolonialunternehmen beteiligt. Auch am Kamerunberg spekulierte er in den 1890ern mit Land. Auf seinen Flächen entstanden WAPV und Moliwe. Vgl. Schult 2008, 151 f (Schult verwechselt Douglas allerdings mit einem Neffen); Michel 1970, 186, 188, 191. 57 Schon 1898 verabschiedete er sich zugunsten seines Vaters, des Bankiers Robert Esser, aus dem GSK-Projekt. Vgl. Ballhaus 1968, 105 f. Zur Biographie Max Essers vgl. Röschenthaler 2001. 58 Rust 1900, 28. 59 Washausen 1968, 138, Fn. 94. 60 Zu Scharlach vgl. Erbar 2005, 571 f.; Freshfields Bruckhaus Deringer LLP 2015, 31–34, 39 f.; Meinecke 1900. 61 Vgl. Passarge 1900, 184; NN 1905a; Vietor 1906. Zu jüdischen Deutschen und Kolonialismus vgl. Davis 2012. 62 AFS 415 Notiz Stetten-Buchenbachs, o.D. [1903]. 63 Vgl. Poschinger 1903, 167 ff. 64 Vgl. Scharlach 1903, iv. 65 Die Kanzlei ist heute Teil von Freshfields Bruckhaus Deringer. Vgl. Freshfields Bruckhaus Deringer LLP 2015.

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bels Dynamit AG,66 über die er wahrscheinlich in Kontakt mit Cecil Rhodes kam.67 Ab 1889 vertrat er ein deutsch-britisches Konsortium zur Gründung der South West Africa Company, für das er mit der deutschen Regierung verhandelte. Auf diese Weise entstand sein Interesse an Kolonialpolitik. In den folgenden Jahren spielte er eine entscheidende Rolle bei Gründung und Betrieb zahlreicher Landgesellschaften in Deutsch-Südwestafrika.68 1890 wurde er deswegen in den Kolonialrat, ein Beratungsgremium der Kolonialbehörden, berufen.69 Scharlach, der Ende der 1890er als der „einflußreichste Mann im Kolonialamt“ galt,70 war ein rassistischer und sozialdarwinistischer Hardliner.71 Nachdem er 1897 erfolglos Carl Peters vor Gericht verteidigt hatte, schrieb er 1899 in einem Zeitungsartikel: „Kolonisieren […] bedeutet nicht, die Eingeborenen zivilisieren, sondern sie zurückdrängen und schließlich vernichten. Der Wilde verträgt die Kultur nicht; auf ihn wirken nur ihre schlimmen Seiten; sie vernichtet rücksichtslos den Widerstrebenden oder Schwachen.“ Weiter: „Der Neger ist seiner Natur nach ein Sklave, wie der Europäer seiner Natur nach ein Freier ist. […] Wo immer ein mächtiges Herrenvolk auf ein Sklavenvolk trifft und die Herrschaft über dasselbe erwirbt, ist das letztere dem Un-

66 Vgl. Voeltz 1988, 11. Scharlach war bei seinem Tod 1908 Aufsichtsratschef folgender Unternehmen: Bank für Bergbau und Industrie, Chemische Fabrik Billwärder AG, Deutsche Sprengstoff-AG, Frankfurter Asbestwerke AG, GSK, Hanseatische Kolonisationsgesellschaft, Hanseatische Land-, Minen- und Handelsgesellschaft für Deutsch-Südwestafrika, Kunstfäden Gesellschaft, Norddeutsche Textilwerke AG, Ozean-Vers., Stabilimenti di Amianto e Gomma, WAPB, stellvertretender Vorsitzender der Dynamit-AG, Aufsichtsratsmitglied bei Abbontikaoon Block 1, Ltd., Aktien-Gesellschaft Dynamit Nobel, Asbest- und Gummiwerke Colmon (Wien), Effuenta (Nassau) Mines Ltd., Fanti Consolidated Mines Ltd., Fanti Mines Ltd, Kaoko Land- und Minengesellschaft, Nordischer Bergungsverein Hamburg, Otavi-Minen- und Eisenbahngesellschaft, Schantung-Eisenbahngesellschaft, South East Africa Ltd., Versicherungsgesellschaft Hamburg, Zentral-Afrikanischen BergwerksGesellschaft, Kolonialschule Witzenhausen, South West Africa Company Ltd., Mitglied des Grubenvorstandes der Gewerkschaft Burbach in Beendorf. Zudem war er Beirat der Zentral-Afrikanischen Seen-Gesellschaft. Vgl. StAH 731-8/A 769 Scharlach, Otto Julius. Hamburger Nachrichten, Morgenausgabe, 29.03.1908; StAH 731-8/A 769 Scharlach, Otto Julius. Hamburger Fremdenblatt, 29.03.1908; StAH 241-2/A333 Scharlach, Dr. Julius. Sekretariat der Senatskommission für die Justizverwaltung an RKA, 25.09.1912; StAH 241-2/A333 Scharlach, Dr. Julius. Auflistung, o.D. Aus einer großen Zahl von Firmen war er wieder ausgeschieden, denn 1900 war er geschäftsführender Vorsitzender der Irangi-Gesellschaft, Mitglied des Verwaltungsrats der Kilimandscharo Straußenzucht-Gesellschaft und der Pangani-Gesellschaft, Mitglied des Syndikats für Bewässerungsanlagen in Südwestafrika, Beteiligter bei Damara- und Namaqua-Gesellschaft und Plantagen in Venezuela. Vgl. Meinecke 1900, 17 f. 67 Vgl. Voeltz 1988, 11. 68 Vgl. Scharlach 1903, ivf; Meinecke 1900, 17; Drechsler 1996, passim. 69 Vgl. Washausen 1968, 136. Zum Kolonialrat vgl. Pogge von Strandmann 2009, 32–35. 70 Vietor 1913, 62. 71 Vgl. Ballhaus 1968, 107 f.

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tergange geweiht.“72 Scharlach bestand jedoch darauf, dass es sich nicht um Aufruf zu Mord handele, sondern um die Beobachtung eines kolonialen Naturgesetzes.73 In den Monaten vor dem Antrag auf die Konzession hatten die Kolonialbehörden gezielt um Scharlachs Engagement für eine deutsch-belgische Erschließung Sangha-Ngokos geworben. Nachdem von Puttkamer Ende März in Deutschland eingetroffen war, suchten er und von Buchka nach geeigneten Personen, die mit der SAB zusammenarbeiten könnten.74 Sie bestellten Scharlach hierzu „im Frühjahr 1898“ zum Auswärtigen Amt.75 Rügers und Ballhaus’ Vermutung, Scharlach habe in spekulativer Absicht auf den schwärmerischen Carnap-Bericht reagiert, erweist sich daher als falsch. Auch die These, dass Scharlach die treibende Kraft hinter der GSK-Gründung gewesen sei, ist nicht haltbar.76 Scharlach erschien der Kolonial-Abteilung als geeignet, da es ihm bereits 1892 gelungen war, die britischen Ansprüche im deutsch-südwestafrikanischen Damaraland mit denen der deutschen Kolonialverwaltung durch Gründung der deutsch-britischen South West Africa Company zu versöhnen.77 Von Buchka und von Puttkamer erhofften sich Ähnliches für Südostkamerun. Den Kolonialbehörden gelang es allerdings nicht, die Angelegenheit zu steuern. Der Kolonialunternehmer Paul Reichard war nach eigener Angabe durch von Carnap auf das Interesse der SAB an einer Kooperation mit deutschen Investoren aufmerksam geworden. Daraufhin setzte er sich im Namen der von ihm geleiteten Kamerun-Hinterland-Gesellschaft (KHG) mit der SAB in Verbindung und sprach auch mit von Puttkamer.78 Reichard stellte ebenfalls einen Antrag auf eine Konzession und ein Handelsmonopol in Sangha-Ngoko.79 Reichard hatte seine Meriten in den 1880er-Jahren im zum Kongostaat gehörenden Katanga-Gebiet erworben und pflegte gute Beziehungen in Brüssel und zur SAB.80 Wie er von Puttkamer schrieb, geschah sein Vorstoß in Absprache mit dem Direktor der SAB, Delcommune.81 Reichards Kamerun-Unternehmen lief jedoch bereits schlecht. Seine KHG wurde

72 Beide Zitate: Scharlach 1903, 27. Vgl. auch Scharlach 1898. 73 Vgl. BArch R 1001/8114 Deutsche Kolonialgesellschaft Abt. Bremen, Weser-Zeitung, 18.11.1903, o.S. 74 Vgl. BArch R 1001/3816, 105. Zu von Puttkamers Anwesenheit in Deutschland vgl. NN 1898c, 167. In seinen Erinnerungen klammert von Puttkamer diesen Deutschlandaufenthalt aus. Vgl. Puttkamer 1912, 151 f. 75 Scharlach 1903, 86. Vgl. BArch R 1001/3443, 12; NN 1901b, 401. Die Denkschrift zur Umwandlung der GSK-Konzession verschweigt dies. Vgl. NN 1905b. 76 Vgl. Rüger 1960b, 168; Ballhaus 1968, 105–108. 77 Vgl. Voeltz 1988, 1–11. 78 Vgl. BArch R 1001/3442, 6; BArch R 1001/4374, 8. 79 Vgl. BArch R 1001/3442, 5. 80 Zu Reichards vgl. Coosemans 1948–1958; Roberts 2013. 81 Vgl. BArch R 1001/3442, 6.

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1902 mit einem Schuldenberg von 300.000 Mark von der neu gegründeten Deutschen Kamerun-Gesellschaft übernommen.82 Wegen dieses sich abzeichnenden ökonomischen Misserfolgs scheint es fraglich, ob die SAB wirklich mit der KHG zusammengehen wollte. Möglicherweise war Reichard ein Strohmann der SAB, um die Kolonial-Abteilung zu größeren Zugeständnissen zu bewegen. Laut Reichard forderten die Belgier von der Regierung eine Konzession für ein neu zu gründendes deutsch-belgisches Unternehmen. Die SAB-Führung folgte damit dem Beispiel der NAHV, die kurz zuvor zusammen mit französischen Partnern Frankreich eine Konzession entlang des Sangha abgetrotzt hatte.83 Sollten die deutschen Behörden eine Konzession in Sangha-Ngoko verweigern, drohten die Belgier damit, den bisher einzig wirtschaftlichen Zugang, den Weg über den Kongo, für eventuelle deutsche Konkurrenten zu sperren.84 Von Puttkamer plädierte deshalb für die „Schleunige Genehmigung einer ausschließenden Berechtigung auf 10 Jahre für den Landerwerb“ – allerdings nicht für Reichard, den er für unternehmerisch unfähig hielt, sondern für die Scharlach-Gruppe.85 Am 16. Juni 1898 schrieb von Buchka deshalb an Scharlach: „Ew. pp. wollen sich versichert halten, dass diese Ihre Bestrebungen auf die thunlichste Förderung meinerseits rechnen können“.86 Am 18. Juni einigten sich Scharlach, von Douglas und die Spitzenbeamten auf die Vergabe einer Landkonzession. Die Investoren sollten nun ein neues Unternehmen mit großem Kapital gründen und sich möglichst mit den bereits vor Ort aktiven Firmen verständigen.87 Wenige Tage später legten Scharlach und Reichard ihre Anträge zusammen.88 Bald begannen die Verhandlungen. Die SAB hatte dadurch ihr Ziel erreicht. Wahrscheinlich entschlossen sich die deutschen Kolonialbehörden aus zwei Gründen, das Konzessionssystem nach Kamerun zu übertragen. Erstens war das Kameruner Gouvernement wie das in Deutsch-Südwestafrika finanziell schlecht ausgestattet. Kamerun war auf Zuschüsse des Reichs angewiesen und nicht in der Lage, große Summen in einer so abgelegenen Region wie Sangha-Ngoko zu investieren, um diese zu erschließen.89 Stattdessen, so erklärte von Buchka später im Reichstag, sollte privates Kapital dies übernehmen. Da Investoren sich bisher zierten, in den deutschen Kolonien aktiv zu werden, müssten ihnen besonders günstige

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Vgl. BArch R 1001/3442, 11 f.; BArch R 1001/3432, 44–76, BArch R 1001/3432, 12. Vgl. Coquery-Vidrovitch 1972, 234 f. Vgl. BArch R 1001/3442, 6 ff. BArch R 1001/3442, 12. BArch R 1001/3442, 4. Vgl. BArch R 1001/3442, 18–21. Vgl. BArch R 1001/3442, 10. Im Konsortium erhielten Scharlach, Douglas und Esser je 30 %, Reichard 10 % der Konzessionsanteile. Vgl. BArch R 175-I/423, 6. 89 Vgl. Schinzinger 1979, 93.

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Bedingungen geboten werden – z. B. in Form ausschließlicher Berechtigungen, um ihr Engagement abzusichern.90 Dies war die ungefilterte Argumentation Scharlachs, die er von Buchka Ende Februar 1899 in einem Privatbrief dargelegt hatte.91 Zweitens trug die offene Erpressung der Kolonial-Abteilung durch die SAB zur Vergabe einer Konzession bei. Angesichts der Drohung Delcommunes, eventuellen deutschen Konkurrenten den Zugang nach Sangha-Ngoko zu sperren, dürfte Berlin in einer Konzession die einzige Möglichkeit gesehen haben, deutsches Kapital an der Ausbeutung der Region zu beteiligen. Die Frage war nur, für welches Konzessionssystem man sich eigentlich entschieden hatte. Kongo oder Südwest? Verschiedene Konzessionsmodelle Wenn die SAB auf die Vergabe einer Konzession drängte, hatten ihre Direktoren eine Übertragung des im Kongostaat seit 1892 erprobten Modells vor Augen. Dort hatte sich Leopold II. entschlossen, der oben beschriebenen finanziellen Notlage des Staates durch eine Politik des „outsourcing“ staatlicher Herrschaft zu begegnen.92 Denn für die Bewirtschaftung der zu Staatsland erklärten Territorien fehlten dem Staat selbst die Mittel.93 Gegen Geist und Wortlaut der Kongoakte, die den freien Handel garantierte,94 erteilte der Staat Aktiengesellschaften wie der Anglo-Belgian India Rubber and Exploration Company (Abir) Konzessionen für die alleinige wirtschaftliche Nutzung riesiger Gebiete. Sie waren als einzige befugt, in ihren Konzessionsgebieten mit Kautschuk und Elfenbein zu handeln. Darüber hinaus erhielten sie das Recht, Steuern zu erheben, sowie Polizeigewalt über ihre Gebiete, wofür die Firmen Milizen aufstellten. Ihre Hoheitsrechte nutzten sie zur gewaltsamen Profitmaximierung. Im Ausgleich erhielt der Kongostaat 50 Prozent der Unternehmensanteile und die Hälfte des Gewinns. Auf diese Weise überließ der Staat anderen die kostspielige Verwaltung und Ausbeutung, aber profitierte trotzdem finanziell. Folglich beschränkte sich die Regierung in den nächsten Jahren darauf, die Gebiete für die Konzessionsgesellschaften zu erobern und sie bei gewaltsamen Konflikten mit der Bevölkerung militärisch zu unterstützen.95 Eine solche Aufgabenteilung schwebte wahrscheinlich auch der SAB für Sangha-Ngoko vor.

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Vgl. Ballhaus 1968, 101 f. Vgl. UAR 6.02.0/108 Scharlach an Buchka, 28.02.1899. Allina 2012, 2. Vgl. Hochschild 2012, 168. Vgl. Gann/Duignan 1979a, 124 f. Zum Konzessionssystem vgl. Hochschild 2012; Gann/Duignan 1979a, 125–140; Buelens 2007, 73–79; Harms 1975. Zu Abir vgl. Harms 1975; Harms 1983.

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Die SAB hatte nicht von der Konzessionspolitik des Kongostaates profitiert, sondern war in ihrer Existenz bedroht worden.96 Mit umso größerer Entschlossenheit bemühten sich ihre Direktoren Thys und Delcommune, von der deutschen Regierung eine Konzession zu erlangen. Neben dem Versuch, auf diese Weise die Existenz der SAB wenigstens in Sangha-Ngoko dauerhaft zu sichern, hofften sie, durch eine Konzession große Profite zu erwirtschaften. Thys schwärmte gegenüber seinen deutschen Verhandlungspartnern von den wirtschaftlichen Möglichkeiten der Region.97 Der Chef der Norddeutschen Bank, das spätere GSK-Direktoriumsmitglied Max Schinckel, bemerkte deshalb: „Die Belgier scheinen allerdings so heiß auf das Geschäft zu sein, daß dasselbe auch wohl ohne uns gemacht werden wird“.98 Zu derartig großen Hoffnungen gaben die glänzenden finanziellen Erfolge der Konzessionsunternehmen im Kongostaat Anlass, die an der Brüsseler Börse in den 1890ern einen Boom ausgelöst hatten.99 Besonders die Entwicklung von Abir war atemberaubend gewesen: Deren Aktienwerte hatten sich zwischen 1892 und 1898 verdreißigfacht und der jährliche Gewinn war von 131.340 auf 2.482.697 Francs gestiegen.100 Reichard nannte denn auch gegenüber von Puttkamer explizit Abir als Vorbild für das neue Kamerun-Unternehmen.101 Thys und Delcommune wussten, dass der Erfolg von Abir und anderen Konzessionsgesellschaften auf Gewalt zurückzuführen war, kämpften beide Firmen doch an den Rändern der Abir-Konzession 1898 um Kautschuk.102 Abir war nicht nur die erfolgreichste, sondern auch die brutalste Konzessionsgesellschaft des Kongo. Abir zwang die Bevölkerung, Kautschuk zu liefern, indem das Unternehmen diesen als Steuer eintrieb. Jeder Mann hatte alle zwei Wochen 3 bis 4 Kilogramm Gummi abzuliefern. Erfüllten Dörfer ihre Quoten nicht, schickte Abir die unternehmenseigene Miliz, um Geiseln zu nehmen und Kautschuk als Lösegeld zu erpressen. Das System war auf beständige Eskalation ausgelegt: Abirs Agenten waren am Gewinn beteiligt und verpflichteten sich zur ständigen Steigerung der Ausbeute mit allen Mitteln.103 Wenn die SAB-Direktoren eine Konzession drängten, beabsichtigten sie wahrscheinlich auch, ähnliche Methoden einzuführen.104 96 Die SAB erhielt erst 1902 mit CCCI und CCFC eine Konzession am Busira-Fluss, den Bus-Bloc. Vgl. Nelson 1994, 88 f.; Waltz 1917, Bd. 1, 155 f., Bd. 2, 94–109. 97 Vgl. HADB K1/395 Thys: Commerce, o.D. 98 HADB K1/395 Schinckel an Direktion, 13.10.1898. 99 Vgl. Ballhaus 1968, 103 f. 100 Vgl. Harms 1983, 131. 101 Vgl. BArch R 1001/3442, 6 f. 102 Vgl. MAE-AA Statuts des Sociétés 1/SAB Duyck: Rapport, 25.12.1898; MAE-AA Statuts des Sociétés 1/SAB Delcommune an Cuvelier, 01.06.1899. 103 Vgl. Harms 2019, 361–447; Harms 1983, 125–134; Harms 1975, 79. 104 Auch die SAB verfügte über eine Miliz und einige ihrer Agenten schreckten vor Mord nicht zurück. Vgl. MAE-AA Statuts des Sociétés 1/SAB Dubreucq an Gouverneur général, 19.12.1900.

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Auf deutscher Seite verwies das Konzept einer Konzession nicht so eindeutig auf den Kongo. Zwar hatten die Kolonialbehörden und -investoren den Boom der Kongounternehmen wahrgenommen und wollten von ihm profitieren. Die Erwartungen waren unglaublich hoch. Ohne jede Ortskenntnis nannte etwa von Puttkamer Sangha-Ngoko schon 1897 den „wertvollsten“ Teil Kameruns.105 Viel wichtiger jedoch für die Vorstellung von einem Konzessionssystem waren sowohl für die Behörden als auch für Scharlach die in den 1890ern in Deutsch-Südwestafrika gegründeten Landgesellschaften.106 Aufgrund des geringen Interesses deutscher Investoren und der hohen Kosten, die dem Staat durch die Erschließung der riesigen Gebiete in dieser Kolonie entstanden, hatte sich die Kolonial-Abteilung dort in den 1890ern ebenfalls zur Politik des Outsourcings entschlossen. Im Unterschied zum Kongo ging es hier nicht darum, Herrschaft outzusourcen, sondern Erschließung und Entwicklung.107 Monopole sollten als Anreiz für Investitionen dienen: Große Kapitalgesellschaften erhielten riesige Landkonzessionen, in denen sie als einzige Eisenbahnen bauen, Bergbau betreiben und Menschen ansiedeln durften. Polizei und Steuerhoheit blieben Vorrechte des Staates.108 Scharlach hatte über solche Landgesellschaften zur Kolonialpolitik gefunden und war ein Profiteur der Konzessionspolitik in Südwest.109 Auch in den Verhandlungen zur Gründung der GSK dachte er an Land, nicht an Kautschuk. So schrieb er im Oktober 1898 an Schinckel, das projektierte Konzessionsgebiet sei zwar „das reichste Gummiland West-Afrikas“. Der hauptsächliche Wert der Konzession liege allerdings im Landerwerb „ohne eigentliche Gegenleistung“, welcher sonst durch die Kronlandverordnung von 1896, die alles „herrenlose“ Land in Kamerun zu Staatsland erklärt hatte, unmöglich geworden war.110 Nach Verschwinden des Gummis durch Raubbau könne das Land zum Kakaoanbau genutzt werden.111 Folglich war es für Scharlach zu diesem Zeitpunkt wichtiger, große Landstrecken zu erwerben, als mit Kautschuk zu handeln.

105 BArch R 1001/3816, 105. Vgl. auch HADB K1/395 Scharlach an Hinrichsen, 28.11.1898. 106 Auch Ballhaus verweist auf die Bedeutung der Landkonzessionen in Südwest, hält die Nachahmung der Kongo-Unternehmen aber für wichtiger. Vgl. Ballhaus 1968, 102 ff. 107 Nach Scheitern der Chartergesellschaften in Ostafrika und Neu-Guinea erhielten deutsche Konzessionsunternehmen keine Souveränitätsrechte. Vgl. Drechsler 1996, 9. 108 Vgl. Wackerbeck 1977, 101; Drechsler 1996. 109 Vgl. Scharlach 1903, ivf; Wackerbeck 1977, 101 f. Scharlach war in Deutsch-Südwestafrika bei der Gründung folgender Unternehmen beteiligt oder in leitender Stellung tätig: South West Africa Company, Otavi-Minen- und Eisenbahn-Gesellschaft, Kaoko Land- und Minen-Gesellschaft, Hanseatische Land-, Minen- und Handelsgesellschaft für Deutsch-Südwestafrika. Vgl. StAH 241-2/ A333 Scharlach, Dr. Julius. Auflistung, o.D. Vgl. Jäckel 1909, 7; Zoepfl 1920; Drechsler 1996. 110 Vgl. Krauss 1966. 111 Alle Zitate: HADB K1/395 Scharlach an Schinckel, ?.10.1898.

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Trotz der konzeptionellen Uneinigkeit schien es allen Beteiligten gewinnbringend, zusammenzuarbeiten. Am 8. Dezember 1898 gründeten deutsche und belgische Investoren die GSK unter der Rechtsform der Deutschen Kolonialgesellschaft.112 Das Kapital von 2 Millionen Mark stammte je zur Hälfte von deutschen und belgischen Banken.113 Scharlach, von Douglas und Esser brachten ihre Landkonzession in die GSK ein, die sie kurz zuvor, am 25. November 1898, erhalten hatten. Zum Direktor wurde Scharlach bestimmt. Der Aufsichtsrat bestand auf deutscher Seite aus Persönlichkeiten der hanseatischen Wirtschaftselite: Neben den Konzessionsinhabern waren Siegmund Hinrichsen, Teilhaber des Bankhauses Hardy & Hinrichsen und Präsident der Hamburger Bürgerschaft, Max Schinckel, Direktor der Norddeutschen Bank und Gesellschafter der Disconto-Gesellschaft, sowie der unvermeidliche Adolph Woermann vertreten, den Schinckel hinzugezogen hatte und der ebenfalls in beiden Bankhäusern aktiv war.114 Auf belgischer Seite nahmen die beiden SAB-Direktoren Thys und Delcommune Plätze im Aufsichtsrat ein, ebenso Hippolyte Lippens, einer der ersten Anteilseigner der CCCI, sowie Franz-Moïse Philippson vom gleichnamigen Bankhaus, der das belgische Engagement im Kongo von Beginn an unterstützt hatte und im Aufsichtsrat von CCCI und CCFC saß.115 Das neue Unternehmen, welches das Geschäft der SAB in Sangha-Ngoko übernehmen und das der NAHV aufkaufen sollte, war eine Fortführung des SABBetriebes unter anderem Namen. In den ersten Jahren wurde die GSK von Brüssel aus geleitet. Zwar hatten die deutschen Behörden ihr zur Auflage gemacht, dass sie ihren Sitz in Deutschland haben solle. Um jedoch von den Erfahrungen der SAB profitieren zu können, setzten Scharlach und die Belgier durch, dass die GSK in den ersten Jahren wie auch die SAB von Thys und Delcommune in der 13 rue Bréderode in Brüssel geleitet wurde. Erst 1903 zog die GSK-Verwaltung nach Hamburg.116 Auch vor Ort sollte ein langjähriger SAB-Angestellter, Wilhelm (Wassy) Langheld, das GSK-Geschäft führen. Langheld war deutscher Staatsbürger und den

112 Vgl. BArch R 1001/3442, 83–88; Wackerbeck 1977. 113 Disconto-Gesellschaft, Hardy & Hinrichsen, Norddeutsche Bank, CCCI, Balser et Cie, Banque de Bruxelles, Société Générale pour favoriser l’Industrie nationale. Vgl. BArch R 1001/3442, 83–88; UAR 6.02.0/108 Scharlach an Buchka, 16.01.1899. Wahrscheinlich wurde die Gründung der GSK dadurch erleichtert, dass die beteiligten Banken seit Jahren mit der CCCI Geschäfte im Kongo machten. Vgl. Carrein 2002, 7 f.; Buelens 2007, 53, 115. 114 Vgl. Ballhaus 1968, 107. Vgl. Loose 1972; Handelskammer Hamburg 1984, 98, 110 f.; Rohrmann 1971; Müller 2005. In Schinckels Autobiographie findet die GSK keine Erwähnung. Vgl. Schinckel 1929. Zur Beteiligung Woermanns vgl. HADB K1/395 Schinckel an Direktion der DiscontoGesellschaft, 13.10.1898. Zu Woermann in der Disconto-Gesellschaft vgl. Washausen 1968, 69. 115 Vgl. Ballhaus 1968, 107; Buelens 2007, 159, 161; Marchal 1952; Vellut 2001, 136. 116 Vgl. PAAA RV Brüssel 55/1 Rundschreiben der GSK, 29.09.1903; Ballhaus 1968, 110.

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Behörden in Berlin bekannt, weshalb sie sich einverstanden erklärten.117 Da die deutschen Partner der SAB im Gegensatz zu Letzterer nicht mit dem Kongohandel vertraut waren, waren diese Arrangements durchaus sinnvoll, wie auch von Buchka anerkannte.118 Denn auf diese Weise konnte der Betrieb ohne größeren Bruch und mit Aussicht auf Gewinn weitergeführt werden. Bei der Ausgestaltung der Konzession konnte sich die SAB jedoch nicht durchsetzen. Die Konzession unterschied sich deutlich von den im Kongostaat erteilten Monopolen und ähnelte denen in Südwest.119 Erstens übertrug sie der GSK ausschließlich Rechte an Land. Das Konzessionsgebiet wurde begrenzt durch die südliche und östliche Grenze der Kolonie einerseits und den 12. Grad östlicher Länge und 4. Grad nördlicher Breite andererseits. Es umfasste ca. 81.600 Quadratkilometer (größer als die Niederlande, Belgien und Luxemburg zusammen), was einem Fünftel Kameruns entsprach.120 Jedoch erhielt die GSK keineswegs dieses Land als Eigentum, sondern „das demnächst zu schaffende Kronland“. Als „Kronland“ galt seit 1896 das Land, welches angeblich nicht von der kolonisierten Bevölkerung genutzt wurde. Um Landspekulationen zu verhindern, musste die „Herrenlosigkeit“ amtlich festgestellt werden. Des Weiteren hatten die Konzessionäre das Recht, solange staatliche Landkommissionen noch nicht in der Region aktiv waren, selbst Land aufzusuchen und in Besitz zu nehmen, sowie ein Vorkaufsrecht für alles „Eingeborenenland“. Diese Regelungen sollten später den Landerwerb schwieriger gestalten, als erhofft. Schon während der Verhandlungen beklagte sich Thys: Die Konzession sei „annähernd werthlos“. Im Kongo würde alles Land direkt übertragen.121 Zweitens erhielt die GSK aufgrund der Bestimmungen der Kongoakte kein formelles Handelsmonopol.122 Jedoch verstanden Thys, Scharlach und auch die Behörden die Landkonzession als Mittel, um Konkurrenten der GSK aus Sangha-Ngoko herauszuhalten.123 Das Landmonopol und die Tatsache, dass das Konzessionsgebiet zunächst lediglich über Kongo und Sangha zugänglich war, verschafften der GSK bis 1903 folglich ein De-facto-Handelsmonopol. Das Gouvernement war sogar bereit, dieses Handelsmonopol auf Kosten der weiteren Erschließung der Kolonie zu etablieren. So lehnte von Puttkamer im März 1899 Dominiks Vorschlag ab, von

117 118 119 120

Vgl. BArch R 1001/3442, 38; BArch R 1001/3442, 43–46; BArch R 1001/4374, 9. Vgl. BArch R 1001/3442, 43–46; Ballhaus 1968, 110. Die Konzession ist abgedruckt in René 1905, 220 ff. Vgl. Ballhaus 1968, 107. Die Größe variierte durch spätere Grenzkorrekturen. Die SAB-Führung war überzeugt, dass zum Konzessionsgebiet auch Jaunde gehöre, von dem man offenbar annahm, es liege östlich des 12. Längengrades. Vgl. Wauters 1899; NN 1899d. 121 BArch R 1001/3442, 37. Vgl. auch Ballhaus 1968, 106 f. 122 Vgl. BArch R 1001/3442, 4. 123 Vgl. BArch R 1001/3442, 37; BArch R 1001/3442, 45.

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Jaunde aus eine sichere Landverbindung zwischen Sangha-Ngoko und Küste herzustellen.124 Er begründete dies mit „der besonderen Natur des dort neu gegründeten Handelsunternehmens“, dessen Geschäftsaufbau nicht zu stören sei.125 Drittens übertrug der Staat der GSK keinerlei Souveränitätsrechte.126 Vergeblich versuchte die GSK in den folgenden Jahren, die Konzession in dieser Hinsicht dem Kongomodell anzunähern: Anfang 1900 fragte Scharlach die Kolonial-Abteilung, ob der GSK „eventuell die Polizeigewalt für unsere Konzession von der Regierung übertragen werden könne“.127 Doch obwohl die Finanzmittel der Kolonie knapp waren, lehnte die Verwaltung ab.128 1903 regte Scharlach die Einführung einer Kopf- bzw. Hüttensteuer im Konzessionsgebiet der GSK an – aber auch hier war die Regierung dagegen.129 Trotzdem schien die Konzession den Organisatoren der GSK ein lohnendes Geschäft. Denn der Staat schenkte dem Unternehmen einen riesigen Landbesitz in einer Gegend, die reich an Kautschuk und Elfenbein war. Der Vertragstext enthielt kaum Verpflichtungen.130 Einzig für staatliche Bauaufgaben sollte die GSK der Regierung Land zurückgeben müssen. Darüber hinaus sah die Konzession eine Beteiligung des Kameruner Fiskus von 10 Prozent am Reingewinn vor (nach Abzügen für Reservefond und Dividende) – ein Passus, auf den Thys bestanden hatte. Er glaubte, so Schinckel, auf diese Weise erreichen zu können, „daß auch alle Organe des Deutschen Reiches, namentlich auch diejenigen in Kamerun, stets ihre ganze Kraft für das Gedeihen der Gesellschaft in die Waagschale werfen“.131 Kein Artikel der Konzession jedoch verpflichtete die GSK, ihr Gebiet zu erschließen. Folglich hatte die GSK das Recht, die Region auszubeuten, aber nicht die Pflicht, sie zu entwickeln. Schon wenige Monate nach ihrer Gründung standen die GSK, Kolonialdirektor von Buchka und seine Konzessionspolitik in der Kritik der Öffentlichkeit. Denn

124 Vgl. BArch R 1001/4287, 89 f.; BArch R 1001/4287, 91 f. In seiner Instruktion für Plehn hatte er 1898 geschrieben, die Verbindung nach Jaunde solle schnellstmöglich hergestellt werden. Vgl. BArch R 1001/4374, 138 f. 125 BArch R 1001/4287, 89 f. 126 Vgl. Gann 1969–1973, 230; Gann/Duignan 1979b, 168 f. Die frz. Konzessionsgesellschaften erhielten keine Souveränitätsrechte, übten diese aber stellvertretend für den Staat aus. Vgl. CoqueryVidrovitch 1972, 105. 127 BArch R 1001/3443, 155. 128 Vgl. BArch R 1001/3443, 155 f. 129 Vgl. BArch R 1001/3445, 64; BArch R 1001/3445 Protokoll, 23.12.1903, o.S. 130 Zur Kritik an der GSK vgl. Ballhaus 1968, 112–117; Hausen 1970, 225. 131 HADB K1/395 Schinckel an Direktion, 11.11.1898. Scharlach stellte es in der Kolonialzeitung so dar, als habe der Staat die Beteiligung gegen den Willen der GSK-Führung durchgesetzt. Vgl. Scharlach 1903, 35.

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zum Dank für das Entgegenkommen der Kolonialbehörden sorgten die Konzessionäre bereits für den ersten Skandal, noch bevor auch nur ein GSK-Agent SanghaNgoko betreten hatte: Entgegen den Bestimmungen des deutschen Aktienrechts hatten die Gründer Aktien und Genussscheine noch im Dezember, vor der Genehmigung der GSK durch den Bundesrat, an die Brüsseler Börse gebracht. Ohne auch nur ein Pfund Kautschuk verkauft zu haben, kassierten die Konzessionäre scheinbar angesichts des Brüsseler Kongo-Booms mehrere Millionen Francs Gründergewinne für ihr Privatvermögen.132 Zusammen mit den fehlenden Verpflichtungen der GSK, der großen Bedeutung ausländischen Kapitals und der Tatsache, dass von Buchka bei der GSK-Gründung den Kolonialrat übergangen hatte, war das Börsengeschäft Anlass für einen Sturm der Entrüstung. Die dadurch ausgelöste Debatte in Reichstag, Kolonialrat und Öffentlichkeit, weiter angeheizt durch die Gründung des zweiten Kameruner Konzessionsunternehmens, der GNK im September 1899, führte mittelfristig zum Rücktritt von Buchkas im Juni 1900 und zur Abkehr der Kolonialverwaltung von der Konzessionspolitik.133 Der Versuch der SAB-Führung, Südostkamerun zu einem Vorposten des KongoFreistaates zu machen, war folglich nur halb geglückt. Zwar hatte sie ihre wirtschaftlichen Interessen in der Region durch eine deutsch-belgische Tochterfirma, die GSK, dauerhaft gesichert, auf Jahre hinaus dafür gesorgt, dass das neue Unternehmen von ihr selbst geführt wurde, und vor Ort einen erprobten SAB-Mann installiert. Auch hatte sie es geschafft, der deutschen Regierung eine Konzession abzutrotzen, die Konkurrenten auf absehbare Zeit aus dem Gebiet heraushielt. Doch ihre Rechte blieben hinter den Erwartungen der SAB zurück, da die Regierung der GSK weder Souveränitätsrechte noch ein Handelsmonopol, sondern nur Landrechte überschrieb, die sich später in der Praxis als zu vage formuliert erweisen sollten. Ab 1903 führte die Frage, welche Rechte genau mit der Konzession verbunden waren, immer wieder zu Konflikten zwischen GSK und Behörden. In den ersten Jahren ihrer Existenz jedoch ermöglichten ihr die Konzession, das Fehlen jeglicher Konkurrenz und die enge Kooperation mit der Lokalregierung in Sangha-Ngoko einen erheblichen Handlungsspielraum. De facto wirkten sich die Einschränkungen bis ca. 1903 kaum auf Vorgehen und Anspruch der GSK aus.

132 Zu den Gründergewinnen vgl. Ballhaus 1968, 110 f.; Seidel 1900, 362. Ihre Höhe bleibt unklar. Ein anonymer Brief an von Buchka nennt 14 Mio. M, die Frankfurter Zeitung 8–10 Mio. – ohne Angabe, ob Francs oder Mark. Jäckel glaubt nicht an einen so hohen Gewinn. Scharlach bestreitet ihn ganz. Unsicher ist auch, wer profitierte. Scharlach behauptete, er und von Douglas hätten nur 10 % ihrer Genussscheine, mit denen der hauptsächliche Gewinn gemacht wurde, persönlich behalten. Vgl. UAR 6.02.0/108 Anonym an Buchka, Januar 1899; BArch R 1001/3442, 137. Jäckel 1909, 261; Scharlach 1903, 56; UAR 6.02.0/108 Scharlach an Buchka, 28.02.1899. Zu den Genussscheinen vgl. Jäckel 1909, 261; Bornhaupt 1899, 267 ff.; Keyßner/Förtsch/Lehmann/Scharlach/Bornhaupt 1899. 133 Vgl. Ballhaus 1968, 126.

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Doppelherrschaft: Staat und GSK in Sangha-Ngoko Anfang April 1899 machten sich die ersten sieben Angestellten der GSK unter Leitung des Hauptagenten Wassy Langheld von Antwerpen aus mit dem Dampfer Léopoldville auf den Weg in das Konzessionsgebiet ihrer Firma. Einer von ihnen war Jenö (Eugen) Kalmár. Geboren 1873 als jüngster Sohn eines jüdischen Forstmeisters in Csernely, Ungarn, hatte es ihn nach abgebrochener Kaufmannslehre und einem Ingenieursstudium in Wien nach Berlin verschlagen.134 Auf einem k.u.k. Botschaftsempfang lernte er möglicherweise den ebenfalls aus Österreich-Ungarn stammenden Grafen Wolfram von Schlippenbach kennen,135 der ihm von dem neuen Afrika-Unternehmen erzählte, dessen stellvertretender Leiter er werden sollte. Kalmár begab sich im Februar 1899 nach Brüssel, um für die SAB zu arbeiten, die ihn „als ‚gründlichen‘ Kenner der englischen und deutschen Sprache für eine kurze Zeit in die Kameruner Verwaltung, nach Goko [Ngoko] in Afrika schicken wird“.136 Kalmár gehörte nicht nur zu den ersten Agenten der GSK, die das Unternehmen in Sangha-Ngoko etablierten, 1907 bis 1912 sollte er das Geschäft der GSK in Kamerun leiten.137 Der weite und umständliche Weg, den Kalmár 1899 in das Konzessionsgebiet nahm, sollte bis zum Ersten Weltkrieg die schnellste Verbindung zwischen dem Südosten Kameruns und Europa bleiben. Nach einigen Wochen erreichte der Dampfer die Mündung des Kongo. Im Hafen Matadi bestiegen Kalmár und die anderen einen Waggon der gerade fertiggestellten Kongo-Eisenbahn, die sie 330 Kilometer über die die Schiffbarkeit des Kongo unterbrechenden Kristallberge bis nach Kinshasa am Stanley Pool brachte. Anschließend reisten die sieben Europäer und ihre afrikanischen Angestellten und Arbeiter mit einem SAB-Dampfer ca. 500 Kilometer den Kongo stromaufwärts bis nach Bonga. Sie wechselten das Boot und fuhren den in Bonga in den Kongo mündenden Sangha hinauf nach Norden. Nach weiteren 400 Kilometern, beim Dorf Ouesso, bogen sie nach Westen in den Nebenfluss Ngoko ab. Am 12. Juli erreichten Kalmár und die anderen die Region zwischen den Flüssen Sangha und Ngoko: das Konzessionsgebiet der GSK. Vier bis fünf Wochen dauerte allein die insgesamt 1200 Kilometer lange Dampferfahrt von Kinshasa bis

134 Vgl. Gerö 1940, 206, 211. Zur Biographie Kalmárs vgl. Fél 1937; Rudolf/Ulreich/Zimmermann 1976, 74; Földessy 1999, 674. 135 Gerö nennt einen „Graf N.“, der Kalmár mit nach Kamerun nahm. Vgl. Gerö 1940, 248. Der einzige Graf war von Schlippenbach. Kalmár selbst gibt an, durch Langheld die Stelle bekommen zu haben. Vgl. Familie von Schlippenbach o. J.; MFM KJh 15 Kalmár an Paula und Sándor, 09.03.1899. 136 MFM KJh 15 Kalmár an Paula und Sándor, 09.03.1899. 137 Vgl. Kap. 5.3

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hierher.138 Hier wurden sie in Empfang genommen von den deutschen Beamten, die wenige Monate zuvor dort eine Regierungsstation gegründet hatten, die sie wenig einfallsreich „Station am Ngoko“ genannt hatten.139 Zehn Minuten weiter stromaufwärts legten Langheld, Kalmár und die anderen im Dorf des MissanghaFamilienoberhauptes Tibundi ihre erste Faktorei an.140 Mit GSK und Regierung gab es nun zwei europäische Machtzentren in Sangha-Ngoko. Offiziell nahm die Regierung den ersten Rang ein. De facto aber war die GSK den Beamten materiell, personell und in Bezug auf Wissen überlegen, sodass sich die Rollen umkehrten: In vielerlei Hinsicht war die Regierung vom Unternehmen abhängig. Nach Abschluss der Verhandlungen mit den deutschen und belgischen Investoren war eine Zollstation in Südostkamerun die oberste Priorität der Kolonialbehörden. Sie sollte den deutschen Herrschaftsanspruch durchsetzen und die Zolleinnahmen der weiteren Erschließung der Kolonie zugutekommen lassen.141 Von Puttkamer selbst leitete die Expedition zur Gründung der Station, die am 1. Dezember 1898 von Kamerun aus aufbrach.142 Ihn begleiteten 70 Polizeisoldaten, 100 Arbeiter und vier Beamte: Leutnant Curt von Lüdinghausen,143 Lazarettgehilfe Peter, Sergeant Gruschka und der Forstassessor Rudolf Plehn. Letzteren hatte von Puttkamer zum ersten Leiter der Station bestimmt. Der 30-jährige Plehn verfügte über hervorragende Kenntnisse, um einen neuen Posten im Nirgendwo aufzubauen: Er war Feldjägerleutnant und Forstwissenschaftler, hatte die Regierungsstation Misahöhe in Togo geleitet und seine Beobachtungsgabe in einer ethnologischen Dissertation unter Beweis gestellt.144 Außerdem war er Bruder des GouvernementsArztes Albert Plehn, der ein guter Freund von Puttkamers war.145 In Bonga endete die Reise für den Gouverneur, da für seinen Dampfer in der Trockenzeit der Wasserstand des Sangha zu niedrig war. Während er nach Kamerun zurückkehrte, setzten Plehn und der Rest die Reise auf Kanus fort und erreichten den Zusammenfluss von Sangha und Ngoko im März 1899.146 Als ihre Kanus erstmals über den Ngoko glitten, der breit zwischen mit Regenwald bestandenen Steilufern dahin strömt, wussten die deutschen Beamten und 138 Bis 1909 verkürzte sich die Fahrzeit auf unter 20 Tage. Stromabwärts brauchte der Dampfer sogar unter 10 Tage. Vgl. Herlyn 1912a, 884; Kürchhoff 1909, 503; Foreign Office 1920, 48. 139 Vgl. BArch R 175-I/423, 38; BArch R 1001/3443, 151. 140 Vgl. Schlechter 1900f, 95; MFM KJh 2 Kalmár 1913a, 46. 141 Vgl. Rudin 1938, 92; BArch R 1001/4374, 137 ff. 142 Vgl. Puttkamer 1912, 154–183. 143 Von Lüdinghausen, geb. 1874 in Danzig, wurde stellvertretender Stationsleiter. Später war er Arbeiterkommissar in Victoria und Stationschef von Jabassi. Vgl. NN 1910c, 453. 144 Vgl. Puttkamer 1912, 116. Zur Biographie Plehns vgl. NN 1920; Wolkenhauer 1900; Prager 1900. Für seine Dissertation vgl. Plehn 1898. 145 Vgl. Puttkamer 1912, 106. 146 Vgl. BArch R 1001/4375, 113–118.

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Soldaten kaum etwas über die Geographie des Gebietes. Hauptmann von Stein, der Ende 1900 die Regierungsstation übernahm, erinnerte sich später, dass er im Besitz nur einer einzigen, veralteten Karte der Region von 1894 gewesen sei, die er sich selbst „nicht einmal auf ganz legalem Wege“ beschafft habe.147 Ebenso gering war das Wissen über die Bewohner des Gebietes. Die einzigen Informationsquellen der Expedition waren die knappen Carnap-Berichte sowie Gespräche mit Agenten von SAB und NAHV.148 Sangha-Ngoko war für die Europäer ein weißer Fleck – und die nächsten Jahre verbrachten sie damit, diesen zu erforschen und zu kartographieren. Sangha-Ngoko unterschied sich geographisch in vielerlei Hinsicht vom übrigen Südkamerun. Im Gegensatz zum Rest des am Kartentisch entstandenen Territoriums gehörte dessen Südosten zum Kongobecken. Die in den Kongo entwässernden großen Flüsse Sangha und Ngoko waren schiffbar und öffneten das weit im Binnenland liegende Gebiet für den Fernhandel. Sie erlaubten es, Waren und Menschen billig vom und nach dem Kongo auf dem Wasserweg zu transportieren. Kanus und Dampfer konnten den Sangha und den Ngoko sowie während der Regenzeit auch den Djah zwischen Molundu und Dongo-Stromschnellen befahren. Vorerst nicht befahrbar waren der Djah jenseits der Schnellen sowie der Bumba und seine Nebenflüsse. Dies war den Europäern jedoch 1899 nicht bekannt. Das Gebiet bedeckte zudem der Guineo-Kongo-Regenwald, der sich nicht nur in seiner Artenzusammensetzung von den anderen Wäldern Südkameruns unterschied.149 Jährlich überschwemmten in der Regenzeit die Flüsse einen großen Teil dieser Wälder. Da etwa der Pegel von Djah und Bumba um ca. 7 Meter stieg, verbreiterten sie sich um hunderte Meter, verwandelten die Waldgebiete in Seen und unzugänglich Sümpfe.150 Entsprechend dünn war Sangha-Ngoko besiedelt. Hauptmann Schlosser beschrieb die Region 1908 treffend als „Waldmeer“, in welchem kleine Dörfer wie „Inseln“ lägen.151 1910/11 zählte der Stationsleiter Koch im dann geschaffenen Bezirk Molundu 12.960 Menschen auf 25.000 Quadratkilometern.152 In den 1940ern ermittelte die französische Mandatsverwaltung eine Bevölkerungsdichte von 0,8 Personen pro Quadratkilometer für das Gebiet der Bumbum, von 0,46 für das der Ndsimu und für das Gebiet im Norden Molundus von 0,2–0,3.153 Zum Teil war das Gebiet gar nicht besiedelt. Erschreckt berichtete Hauptagent Langheld an seine Firma über eine Expedition an die Dongo-Schnellen am Djah:

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Vgl. Stein 1926, 148. Vgl. BArch R 1001/4374, 211 f. Vgl. Letouzey 1968, 65. Koch 1913a, 257 f. BArch R 1001/4293, 6. Vgl. Koch 1913a, 282. Koch schätzte die Gesamtbevölkerung auf ca. 15.000 Menschen. Vgl. Despois 1946, 20.

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Von unserem Lager aus haben wir oberhalb der Schnellen das umliegende Land nach allen Richtungen […] in einem Umkreis von 45 bis 50 km durchquert. Keine Spur von Bevölkerung. […] Diese Land-Expeditionen waren außerordentlich beschwerlich, täglich Regen, das Wasser oft bis zur Brust reichend, ein dichter Wald ohne Wege und ohne Lebensmittel.154

Riesige unbewohnte Regenwaldstrecken, mehrere Tagesmärsche breit, trennten die kleinen Bevölkerungszentren voneinander, erschwerten Fortbewegung und Kommunikation. „Nach meinen Erkundungen“, schrieb Plehn an die KolonialAbteilung, soll man von Kunabembe aus die erste Ortschaft im NW erst nach 10 tägigem Marsch durch unbewohnten Urwald erreichen. Von Bangandu aus soll man nach NO ebenfalls 10 Tagemärsche durch unbewohnten Urwald gehen, ehe man ein Dorf trifft. Nach Norden und nach Westen zu über die Schnellen des Bumba und des Dscha hinaus wußten die Leute überhaupt nichts von der Existenz von Ortschaften. „Wer nach dort geht, stirbt im Busch und findet kein Dorf,“ lautete stets die Antwort, so viel Leute ich auch aus den verschiedensten Ortschaften befragte.155

Plehns Nachfolger von Stein nannte die unbewohnten Regenwaldgebiete „tote Zone[n]“.156 In der GSK hingegen bürgerte sich ein, raunend vom „toten Busch“ zu sprechen.157 Drei große, unbewohnte Waldgegenden nördlich von Molundu erwiesen sich als prägend: Erstens der nach einem Fluss benannte „Bange-Busch“ zwischen Molundu und Jukaduma, den Karawanen in fünf Tagen passieren konnten;158 zweitens der „Wald von Mokwabut“ zwischen Molundu und dem NdsimuGebiet,159 wohin die GSK-Leute sieben Tage bis zum Dorf Ngato marschierten und dann weitere vier Tage bis nach Besam;160 drittens die Erweiterung dieser Zone nach Norden – der Assobam-Busch zwischen dem Ndsimu-Gebiet und Jukaduma. Plehns Tätigkeit stand unter keinem guten Stern. Am 1. April 1899 hisste die Expedition die deutsche Fahne in der Nähe des Dorfes Ngoko auf einem Hügel

154 155 156 157

BArch R 1001/3442, 60 f. BArch R 1001/4375, 185. BArch R 1001/4377, 159. BArch R 1001/3444, 113. Für weitere Belege vgl. u. a. BArch R 1001/3455, 159; BArch R 1001/8118 Treichel: Ergänzungsbericht, 27.08.1911, o.S.; sowie Koch 1922. 158 Vgl. BArch R 1001/4377, 13 ff. 159 Koch 1930. Angeblich wurde er nach einem Bakwele-Familienoberhaupt benannt. Vgl. Koch 1930, 94. Für weitere Belege vgl. u. a. BArch R 1001/4292, 213; BArch R 1001/3898, 256 f. 160 Vgl. BArch R 175-I/205, 56.

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über dem Fluss.161 Die Station war – laut von Stein – in Unkenntnis des Terrains „auf gut Glück“ angelegt.162 Zwar war der Ngoko wichtig für den Elfenbeinhandel und eignete sich deshalb gut für einen Zollposten.163 Nach den vorläufigen Vereinbarungen zum Grenzverlauf aber lag die Station auf französischem Gebiet.164 Ein konkreteres Problem war die schlechte Versorgungslage: Für die vielen Arbeiter und Soldaten waren in der dünn besiedelten Region kaum genügend Nahrungsmittel aufzutreiben und auch die Vorräte der Europäer waren schnell aufgebraucht.165 Selbst Wasser gab es nicht auf der Station – es musste vom Fluss den Hügel hinaufgetragen werden. Aufgrund der schlechten Bedingungen erkrankten binnen kurzer Zeit europäische und afrikanische Stationsangehörige, einige Arbeiter und Soldaten starben.166 Als weiterer Fehler erwies sich, dass Plehn die Station nicht flussaufwärts beim Dorf Molundu angelegt hatte, bis wo der Ngoko ganzjährig schiffbar war.167 Über kurz oder lang musste dieser Platz von entscheidender Bedeutung für die GSK werden, da sich dort die Schiffbarkeit des Flusses voll ausnutzen ließ, was Geld und Arbeitskräfte sparte. Als die GSK Ende 1902 ihre Hauptfaktorei gänzlich nach Molundu verlegte,168 war die Regierung, die keinen eigenen Dampfer besaß, vom neuen wirtschaftlichen Zentrum Sangha-Ngokos abgeschnitten. Die GSK hatte weit bessere Startbedingungen. Langheld und seine europäischen und afrikanischen Angestellten konnten sich auf die bereits etablierten Strukturen, die Ausstattung und das Knowhow der SAB verlassen. Die GSK übernahm die belgischen und niederländischen Handelsstationen in Südostkamerun. Für 80.000 Mark in Genussscheinen waren die SAB-Faktoreien Goko und Zimu sowie kleinere Buschfaktoreien in den Besitz der GSK übergegangen. Die NAHV verkaufte ihre Faktoreien Nzimu, Samma, Bomie und Wilhelmina für ebenfalls 80.000 Mark an die GSK.169 Außerdem profitierte die GSK von den Kenntnissen des europäischen und wahrscheinlich auch afrikanischen Personals der SAB, das

161 Zur Stationsgründung vgl. BArch R 1001/4375, 180. Für Beschreibungen der Station vgl. Schlechter 1900f, 95 f.; MFM KJh 2 Kalmár 1913a, 37. 162 Stein 1926, 147. 163 Vgl. BArch R 1001/4375, 115 f. 164 Vgl. Hansen 1900. 165 Vgl. BArch R 1001/4375, 117; MFM KJh 2 Kalmár 1913a, 36. 166 Vgl. Schlechter 1900f, 95 f. 167 Vgl. BArch R 1001/3443, 79. Später dehnte die GSK die Schiffbarkeit dauerhaft bis zu den Schnellen aus. Vgl. Petersen 1936, 61. 168 Vgl. BArch R 1001/3444, 155. 169 Vgl. (mit anderen Zahlen) Ballhaus 1968, 128. Für zitierte Zahlen vgl. AGR CCCI 1682 Grundeigentum und Plantagen (Konzessions-Konto), 31.12.1909. Die GSK betrieb die NAHV-Faktoreien anscheinend nicht weiter. Ihr Hauptziel war, die NAHV herauszukaufen. Vgl. Schlechter 1900f, 101; BArch R 1001/3443, 39 f. Die Zusicherung der von der NAHV im französischen Kongo gegründeten Compagnie Française de Congo et des Colonies africaines, der GSK keine Konkurrenz

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sie übernahm. Da jedoch die deutschen Kolonialbehörden darauf bestanden, dass die GSK-Agenten zum größten Teil deutsch zu sein hätten, waren der Kontinuität Grenzen gesetzt:170 Von den europäischen SAB-Angestellten übernahm die GSK nur J. Claessens.171 Jedoch konnte die GSK den Behörden mit Langheld einen langjährigen deutschen SAB-Angestellten als Hauptagenten (der bei der GSK „Direktor“ hieß) präsentieren.172 Durch Langheld stellte die SAB die Kontinuität ihres Geschäfts in Sangha-Ngoko sicher. Sein bedeutendster Vorzug, betonte das Unternehmen, war seine Kongo-Erfahrung:173 Beinahe sein halbes Leben hatte er dort verbracht. Obwohl erst 34 Jahre alt, konnte Langheld bereits auf 16 Jahre im Kongo zurückblicken, in denen er sowohl Henry Morton Stanley als auch Joseph Conrad kennengelernt hatte.174 Langheld wurde 1865 im russischen Bolschakowo geboren. Nach Deutschland gesandt, um in Kassel das Gymnasium zu besuchen, riss er mit 13 Jahren aus und fuhr zur See. 1883 strandete er im Kongo und arbeitete dort bis 1889 für die NAHV – zuletzt auf deren am weitesten vorgeschobenen Handelsposten – in Stanley Falls. Nachdem sich die NAHV aus diesem Gebiet zurückgezogen hatte, kehrte der exzellente Elfenbeinhändler Langheld 1891 als Agent der SAB nach Stanley Falls zurück und stieg zum Hauptagenten für die Region auf.175 Auch Sangha-Ngoko hatte Langheld in seiner Zeit bei der SAB bereits kennengelernt.176 Trotz dieser langen Zeit im Kongo bezeichnete von Buchka Langheld 1898 als Garant für den „deutschen Charakter“ der GSK.177 Dabei hatte Wassy Langheld

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zu machen, kostete weitere 50.000 M in bar und 50.000 M in Aktien und Genussscheinen. Vgl. BArch R 1001/3443, 149 f; BArch R 1001/3443, 151. Vgl. BArch R 1001/3443, 15. Dies hinderte die GSK nicht daran, auch den österreichischungarischen Staatsbürger Kalmár zu engagieren. Vgl. BArch R 1001/4376, 66. Langheld ist nicht mit Schutztruppenoffizier Wilhelm Langheld zu verwechseln. Wassy war ein Vetter der Brüder Wilhelm, Fritz und Johannes Langheld, die in den 1890ern nach DeutschOstafrika gingen. Vgl. NN 03.10.1893. Vgl. BArch R 1001/3443, 144, BArch R 1001/3443, 48; NN 1900d. Vgl. Stein 1926, 152; Mackenzie 1916, 256. Es ist möglich, dass Conrad, der 1890 für die SAB arbeitete, Langheld in Heart of Darkness porträtierte – als den „harlequin“, einen ehemaligen russischen Seemann, oder als den grausamen, aber talentierten und bestrickenden Elfenbeinhändler auf der namenlosen äußersten Station im Innern (Stanley Falls), Mr. Kurtz. Beschreibungen von Langhelds und Kurtz’ Charakter decken sich erstaunlich. Vgl. Conrad 2006; MFM KJh 2 Kalmár 1913a, 34; Mackenzie 1916, 255 f.; Stein 1926, 152. Zur Biographie Langhelds vgl. Oestermann 2021b. Vgl. SMB-PK, EM N Langheld, Lebenslauf verfasst von Heinz Langheld; NN 1899a; NN 03.10.1893; SBB-PK N Luschan, Langheld, Wassy: Langheld an Luschan, 19.12.1890. Vgl. BArch R 1001/4374, 9. BArch R 1001/3442, 45.

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im Kongo immer als Russe gegolten.178 Bei der GSK nannte er sich nun „Wilhelm“, später sollte er sich im Kongo wiederum „Pierre“ nennen.179 Zu dieser Flexibilität trug seine „geradezu phänomenale Sprachbegabung“ bei, an die sich von Stein ehrfürchtig erinnerte: „Nicht weniger als 22 Sprachen und Dialekte standen ihm fließend zur Verfügung“.180 Nach eigener Angabe sprach Langheld Französisch, Englisch, Niederländisch, Portugiesisch, Deutsch und Russisch. Dazu kamen mehrere leider nicht benannte afrikanische Sprachen.181 Für Langheld spielte nationale Zugehörigkeit keine Rolle. Dass Langheld den Behörden als Deutscher galt, verhinderte nicht, dass die SAB mit Langheld einen ihrer erfahrensten und tief im wirtschaftlichen und politischen System des Kongostaates verwurzelten Agenten in Sangha-Ngoko platzierte. In den ersten Jahren näherte sich die Beziehung zwischen GSK und Regierung in Südostkamerun dem aus dem Kongo bekannten Verhältnis zwischen Staat und Konzessionsgesellschaften an: Der im April 1899 neu geschaffene Bezirk Sangha-Ngoko, der sich mit der GSK-Konzession deckte, hatte bis 1903 keine direkte Landverbindung zur restlichen Kolonie. Sämtliche Kommunikation mit dem Gouvernement hatte den eben beschriebenen Weg über Ngoko, Sangha, Kongo, Kongo-Eisenbahn und Dampfer zu nehmen. Da dies Monate dauerte, waren die Beamten in SanghaNgoko auf sich allein gestellt und agierten unabhängig von den Weisungen der Zentrale. In dieser Situation überließ das Gouvernement zunächst der GSK die Initiative bei der Gestaltung der lokalen Verhältnisse. Dies zeigen Plehns Instruktionen: Neben der Einrichtung eines Zollpostens hatte von Puttkamer als hauptsächliche Aufgabe Plehns festgelegt, der GSK „in jeder Weise entgegenzukommen und allen berechtigten Wünschen derselben soweit irgend möglich Rechnung zu tragen“.182 Ein solcher Auftrag machte die Regierungsstation zum Büttel der Konzessionsgesellschaft. Auch ohne Souveränitätsrechte übte die GSK dank dieser Instruktion großen Einfluss auf die Verwaltung aus. In den ersten Jahren setzten die Leiter der Station am Ngoko diese Instruktion um und unterstützten die Konzessionsgesellschaft. Dazu gehörte vor allem die Erforschung des größtenteils noch unbekannten Gebietes, die der GSK erleichterte, dieses wirtschaftlich zu erschließen. Plehn befuhr die Flüsse Bumba und Djah, die beim Dorf Molundu den Ngoko bildeten, bis Stromschnellen ihn aufhielten,

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Vgl. MRAC, Papiers Bombeeck, 16; Stapleton 1898, 302. Vgl. MAE-AA SPA (1133): Langheld, Peter, Friedrich: Biographischer Bogen, 29.11.1904. Stein 1926, 152. Vgl. MAE-AA SPA (1133): Langheld, Peter, Friedrich: Personalbogen des Comité Special du Katanga, o.D. [1905]; MAE-AA SPA (1133): Langheld, Peter, Friedrich: Biographischer Bogen, 29.11.1904. Sein Tätigkeitsgebiet lässt auf mindestens Bangala und Kiswahili schließen. 182 BArch R 1001/4374, 137.

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und marschierte durch den Regenwald zur GSK-Faktorei Nzimu am Sangha. Seine erste größere Reise, die ihn im Oktober 1899 weit nach Norden bis zur Stadt des Gbaya-Herrschers Bertua führte, überlebte er jedoch nicht. Plehn starb am 24. November 1899 durch einen vergifteten Pfeil.183 Sein Stellvertreter von Lüdinghausen übernahm die Station. In dieser Zeit ruhte die Erkundung des Bezirks, bis – allerdings erst im September 1900 – von Stein die Station am Ngoko übernahm. Pausenlos erkundete dieser den Bezirk. Jetzt war der Einfluss der GSK besonders groß. Langheld lobte von Steins Bereitschaft zur Zusammenarbeit,184 denn fast auf jeder Reise begleitete ihn ein GSK-Agent: Langheld und er befuhren im November 1900 zusammen den Djah, im Dezember reiste von Stein mit Alois Bernauer nach Moassi und ins Bombassa-Land südlich des Ngoko, dann im Januar mit Langheld ins Ndsimu-Gebiet. Im Februar 1901 brach von Stein mit Richard Friedrich zu einer Expedition auf, die ihn fast ein ganzes Jahr von der Station am Ngoko fernhalten sollte. Er reiste zuerst nach Norden über die Gebiete der Bangandu und Kunabembe zu den Bomome, wo er in Jukaduma einen Posten anlegte. Von dort aus stieß seine Expedition nach Westen vor, berührte einige Njem-Dörfer, überschritt den Djah, um zu den Ost-Bulu vorzudringen, und erreichte im Juni 1901 Ngulemakong, wo Firmen der Batanga-Küste bereits Faktoreien unterhielten. Über Bertua kehrte er Anfang 1902 zur Ngoko-Station zurück. Im April führte er in Begleitung des stellvertretenden GSK-Direktors von Schlippenbach Krieg gegen Bertua. Im Mai 1903 brach er mit Bernauer zu einer Expedition auf, die die beiden durch das Gebiet der Bulu und Fang an die Kameruner Küste führte. Damit galt im August 1903 Sangha-Ngoko offiziell als über Land mit den Küstenbezirken der Kolonie verbunden.185 Die lange Abwesenheit der Stationschefs eröffnete dem Unternehmen einen gewaltigen Handlungsspielraum, da sie die dünne Präsenz des kolonialen Staates in Sangha-Ngoko weiter verminderte. Früh verfügte die GSK über mehr Personal als die Regierung. Langheld unterstanden im Juni 1899 sechs europäische Agenten, Plehn hingegen nur drei Beamte. Bis 1903 stieg die Zahl der europäischen GSKAngestellten auf 35 an, während die Zahl der Beamten sich auf fünf erhöhte. Auch beim afrikanischen Personal war die GSK bald der Regierung voraus: Ende 1900 arbeiteten 100 afrikanische Arbeiter für das Unternehmen, Ende 1901 waren es bereits 348 und Ende 1902 gar 618. Die Zahl der Arbeiter und Soldaten der Regierung veränderte sich kaum. Dazu kam, dass die GSK 1902 über elf Faktoreien und 20 Posten verfügte, während sich die direkte Kontrolle der Regierung zu diesem 183 Zu den Expeditionen Plehns vgl. BArch R 1001/4375, 180; BArch R 1001/4376, 101–104; BArch R 1001/4377, 13–18. Die Darstellung von Kaeselitz hat chronologische und geographische Schwächen. Vgl. Kaeselitz 1968, 35. 184 Vgl. BArch R 1001/3443, 61 f. 185 Vgl. BArch R 1001/4377 bis 4380.

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Zeitpunkt auf die Station am Ngoko und einen Posten in Jukaduma beschränkte.186 Dies bedeutete, dass die GSK-Agenten ohne staatliche Aufsicht agieren konnten. Das europäische Personal, das die GSK nach Sangha-Ngoko sandte, war heterogen. Scheunemann, ab 1904 Stationsleiter von Sangha-Ngoko, unterschied zwischen den „Reingefallenen“ und denen, „welche Nichts zu verlieren“ hatten. Rekonstruierbare Lebensläufe von GSK-Agenten bestätigen seine Einschätzung. Erstere waren „junge Leute, welche sich durch Aussicht auf Gewinn zum Eintritt in die Gesellschaft Süd-Kamerun haben bewegen lassen.“ In diese Kategorie fallen kaufmännisch oder technisch gebildete Agenten wie etwa Kalmár, Erich R. Petersen, Hermann Muny oder Carl W. H. Koch.187 In die zweite Kategorie fielen für Scheunemann „Fremdenlegionäre, unsichere Heerespflichtige, verkrachte Fähnriche pp., auch Leute, die in öffentlichen Häusern in Brüssel engagiert wurden“.188 GSK-Agent Bernauer etwa, der 1900 mit 26 Jahren zur GSK kam, war nach einer Metzgerlehre Fremdenlegionär gewesen. Er stieg bis zum Subdirektor auf, verprügelte aber 1907 einen Vorgesetzten, was zu seinem Ausscheiden führte.189 Emile Méternach, der möglicherweise Erfahrungen im Kongo gemacht hatte, war gerüchteweise 1903 von der GSK „in Belgien im Bordell engagiert worden“.190 Méternach galt als funktionierender Alkoholiker, wurde Ende 1905 Bevollmächtigter der GSK in Kribi und leitete 1907 den Obernyong-Distrikt. 1908 wurde er aus unbekannten Gründen zu Gefängnis verurteilt. Scheinbar ging er später für eine Firma nach Belgisch-Kongo.191 Interessant ist, dass das Führungspersonal der GSK vorwiegend aus dem östlichen Europa stammte. Langheld war Russland-Deutscher, sein Stellvertreter und Nachfolger von Schlippenbach wurde in Kroatien geboren. Der Generalbevollmächtigte Friedrich Rigler stammte aus Bessarabien.192 Kalmár, der die GSK am längsten leitete, war ungarischer Jude. Im Gegensatz zur Kolonial-Abteilung hatte Thys dafür gesorgt, dass die GSK über zwei Dampfer verfügte. Auf diese Weise konnte sie eine stetige Verbindung zwischen Sangha-Ngoko und Stanley Pool etablieren, um ihr Konzessionsgebiet mit

186 Vgl. NN 1903b, 433–436; Fitzner 1901–1913, Bd. 3, 52; Kaeselitz 1968, 36. 187 Vgl. BArch R 9361 V 9072, Bild 114; Storck 2016; BArch R 9361 IV 1320 Muny, Hermann. EWZPersonalbogen. 188 BArch R 175-I/3448, 148. 189 1908 machte er sich zusammen mit Karl Schrader als Bernauer & Schrader selbständig. Nach dem Ersten Weltkrieg kehrte er nach Kamerun zurück und starb 1932 in Kribi. Vgl. NN 1932; NN 1911b, 13; AFS 416 Stetten an Stetten-Buchenbach, 12.02.1907; BArch R 1001/4290, 7; WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 24.08.1908, 66. 190 AFS 415 Stetten an Stetten-Buchenbach, 25.09.1905. Vgl. auch Scheunemann 1925, 14. 191 Vgl. R 175-I/422, 3; BArch R 175-I/205, 134; AFS 416 Münster-Schultz an Stetten-Buchenbach, 06.07.1908; BArch R 1001/5509, 62; Congo belge 1911, 370. 192 Vgl. BArch R 1001/3449, 44.

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Nachschub zu versorgen und Exportprodukte abzutransportieren.193 Dies brachte die GSK in eine starke Position gegenüber den Behörden, denn diese waren von dem Unternehmen abhängig, um ihr Material vom Kongo zur Station am Ngoko zu bringen. Statt einen Regierungsdampfer anzuschaffen, hatten die klammen Kolonialbehörden der GSK ein Transportmonopol zwischen Kinshasa und SanghaNgoko eingeräumt.194 Dieses war einerseits eine pragmatische Lösung, andererseits eine Subvention. Die Station klagte bald über hohe Transportgebühren,195 aber schwerer wog der strategische Schaden: In Regenwäldern voller wegloser Sümpfe waren Flüsse die schnellste, oft einzige Verbindung. Für jede Fahrt auf dem Ngoko, beispielsweise zwischen der Station und der wichtigen Faktorei Molundu, war die Verwaltung deshalb auf die GSK-Dampfer angewiesen, wollte sie nicht auf langsame Einbäume zurückgreifen.196 Nicht nur schränkte dies die effektive Kontrolle ein – auch und vor allem über die GSK. Das Kommen oder Ausbleiben eines Dampfers konnte eine Frage von Leben und Tod sein: Bei einer Expedition zu den DongoStromschnellen, Djah-aufwärts, im November 1900 wartete von Stein vergeblich auf den GSK-Dampfer, der ihn und seine Soldaten zurückbringen sollte. Auf dem erzwungenen Rückmarsch durch den unbewohnten Regenwald längs des Flusses starben drei Soldaten an Erschöpfung, der Rest war halb verhungert und schwer erkrankt, als Missangha-Frauen die Expedition mit ihren Kanus retteten.197 Plehn versuchte vergeblich, die Kolonial-Abteilung dazu zu bewegen, einen Dampfer anzuschaffen.198 Es bleibt unklar, ob diese schlechte Ausstattung in einem behördlichen Plan zur Begünstigung der GSK oder doch eher in Schlamperei, mangelnder Erfahrung oder fehlenden Geldmitteln begründet lag. Selbst für ihre Sicherheit war die GSK nicht auf den kolonialen Staat angewiesen. Das Unternehmen hatte der Regierung Anfang 1900 ja sogar angeboten, die „Polizeigewalt“ im Konzessionsgebiet zu übernehmen.199 Obwohl die Behörden dies ablehnten, duldeten sie, dass sich die GSK selbst half. „Da militärischer oder polizeilicher Schutz nicht bestand“, erklärte der frühere GSK-Agent Petersen in der Rückschau, „mußte der Gouverneur, wenn auch widerwillig, der Gesellschaft das Zugeständnis machen, ihre Niederlassungen und Karawanen selbst zu schützen.“200

193 Vgl. NN 1900f, 28. 194 Vgl. Rudin 1938, 239. 195 Von Stein glaubte 1904, durch die Versorgung der Station mit teuren Trägern über Land bis zu zwei Drittel der Kosten einsparen zu können. Mindestens bis 1901 waren die an die GSK gezahlten Gebühren höher als die Zolleinnahmen. Vgl. BArch R 1001/4380, 32; BArch R 1001/3444, 20. 196 Vgl. z. B. BArch R 1001/4378, 92 f. 197 Vgl. Stein 1926, 161–167. Zur Datierung vgl. BArch R 1001/4377, 124 f. 198 Vgl. BArch R 1001/4376, 63–66. 199 BArch R 1001/3443, 155 f. 200 Petersen 30.11.1926. Hervorhebung im Original.

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Schon im März 1899 beantragte Delcommune zu diesem Zweck die Einfuhr von 50 modernen Albini-Gewehren mit Bajonetten und über 5000 Schuss Munition – offiziell um die Faktoreien zu schützen.201 Da das Konzessionsgebiet kaum erforscht war und die Regierung es auf absehbare Zeit nicht hinreichend schützen konnte, war dies ein nachvollziehbares Anliegen. Mitte 1902 belief sich der Bestand an Waffen auf 127 moderne Hinterladergewehre – und Scharlach bat im Januar 1903 erneut um Einfuhrerlaubnis für 50 Mauser-Karabiner aufgrund des vergrößerten Arbeitsgebietes der GSK.202 Die Waffen wurden auf die verschiedenen Niederlassungen verteilt. Im Oktober 1903 besaß beispielsweise die GSK-Faktorei in Bidja im Ndsimu-Gebiet 16 Gewehre.203 Mit den Waffen rüstete die GSK trotz Verbots ihre „Küstenleute“ genannten Arbeitsmigranten von der afrikanischen Westküste aus.204 Viele von ihnen waren Vai, die das Unternehmen aus den gleichen Gründen wie das Gouvernement und die Firmen an der Batanga-Küste beschäftigte: Sie galten als gute Träger und als gute Soldaten zum Schutz von Faktoreien und Karawanen. In späteren Jahren beschwerten sich die mit der GSK konkurrierenden Küstenfirmen laufend über mit modernen Gewehren ausgerüstete „Veyboys“ der Konzessionsgesellschaft.205 Deren europäische Angestellte hielten die Arbeitsmigranten für besonders loyal. Ihnen, so Kalmár, könne „man bedingungslos vertrauen“.206 Wie an der Batanga-Küste besaßen die Arbeitsmigranten einen starken Korpsgeist. Sie grenzten sich von der lokalen Bevölkerung ab und hatten teilweise ein schlechtes Verhältnis zu ihr. Die zahlreichen Tötungen von Vai sprechen eine eindeutige Sprache.207 Da die Regierung Sangha-Ngoko nicht kontrollieren konnte, setzte die GSK bewaffnete Arbeiter ein, um ihre Faktoreien und Karawanen zu schützen – und um ihre wirtschaftlichen Interessen gewaltsam durchzusetzen. Unklar bleibt, ob die GSK ihre Arbeiter lediglich bei Bedarf bewaffnete oder ob sie nach dem Vorbild ihrer Muttergesellschaft SAB eine ständige, ausgebildete und uniformierte

201 Vgl. BArch R 1001/3442, 161; BArch R 1001/3442, 160. Albini-Gewehre waren die Standardwaffen im Kongostaat. Vgl. Piel 1980, 235. 202 Vgl. BArch R 175-I/205, 24. Es handelte sich im Vergleich um wenige Waffen: Im Kongo importierte das Unternehmen Anversoise 1899–1903 550 Albini-Gewehre und 33.600 Patronen. Ein einziger Abir-Posten wurde 1903 mit über 17.000 Patronen beliefert. Vgl. Boeck o. J., 15; Harms 1983, 135. 203 Vgl. BArch R 175-I/88, 69 f. Die Faktorei besaß jedoch nur 28 Patronen. Dies rächte sich im Dezember 1903, als ihr Leiter Charles Monnier getötet wurde. Vgl. Kap. 4.1. 204 Zum Verbot vgl. BArch R 175-I/205, 8; Petersen 30.11.1926. 205 BArch R 1001/3818, 8. Für weitere Beschwerden vgl. BArch R 1001/3535, 42; BArch R 1001/3449, 59; BArch R 1001/3898, 114; BArch R 1001/4290, 7. 206 MFM KJh 2 Kalmár 1913a, 39. 207 Vgl. u. a. BArch R 1001/4380, 94; BArch R 175-I/205, 59; BArch R 175-I/67, 100; BArch R 1001/4291, 262. Für Beispiele von Abgrenzungen gegenüber der Bevölkerung vgl. Koch 1922, 22; Petersen 1936, 84.

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Miliz unterhielt, wie es 1910 an der Küste hieß.208 In den Berichten der Stationschefs ist nie von einer GSK-Miliz die Rede. Nur beiläufig erwähnen sie bewaffnete GSK-Arbeiter.209 Kalmár hingegen sprach nach seinem Abschied von der GSK in nicht immer historisch-korrekten Vorträgen in ungarischer Sprache, die ihm einen gewissen Schutz vor den Berliner Kolonialbehörden bot, über eine Miliz: Kalmár bemerkte, dass 1901 „Soldaten“ der GSK (nicht der Regierung!) seine Expedition nach Westen begleiteten, die aber zur Tarnung wie die anderen Arbeiter nicht in Uniform gegangen seien.210 An anderer Stelle erklärte er: „Meine Leibgarde bestand aus vier von der Küste stammenden, vertrauenswürdigen Negersoldaten, die wir [die GSK – T. Oe.] schon in mehreren Kämpfen gegen die Eingeborenen ausprobiert hatten.“211 Im April 1900 nahmen nach Kalmárs Angaben am Überfall auf das Ndsimu-Dorf Segawo außer den Truppen der Regierung und lokalen Bangandu-Kriegern auch 50 mit Hinterladern und Bajonetten bewaffnete GSK-Arbeiter teil, die Kalmár selbst kommandiert haben wollte.212 Für die Zeit nach der Übertragung des sogenannten „Eigengebietes“, des riesigen Grundbesitzes der GSK, der die Konzession 1905 ablöste, deuten auch interne Unterlagen der GSK auf eine Miliz hin. Nach einem ca. 1908 entstandenen Instruktionsentwurf bestanden GSK-Karawanen aus Trägern, ihren Headmen und „veyboys accompagnant“ [sic!],213 die die Karawanen schützen und bewachen sollten. Mehrfach ist auch die Rede von Grenzwächtern.214 Scheinbar verfügte die GSK über eine mehr oder weniger organisierte Truppe von Bewaffneten. Es ist anzunehmen, dass ihre Bedeutung schwankte und davon abhing, wie unabhängig die GSK sich vom Einfluss der Regierung machen konnte. Wichtig war die Miliz deshalb wahrscheinlich besonders in den frühen Jahren (1899–1901) und nach der Einrichtung des Eigengebietes (1907–1914). Aber auch ohne eine eigene Miliz verfügte die GSK über Soldaten. Von Stein und die anderen Beamten stellten ihr diese zu ihrem Schutz zur Verfügung. Doch die Faktoreileiter nutzten Soldaten, um die Bevölkerung zu erpressen.215

208 Vgl. Tessmann 2012–2015, Bd. 2, 197; BArch R 1001/4290, 7. Zur SAB-Miliz vgl. MAE-AA Statuts des Sociétés 1/SAB Delcommune an Cuvelier, 30.07.1897. 209 Vgl. u. a. BArch R 1001/4378, 89; BArch R 175-I/205, 29. 210 Vgl. MFM KJh 2 Kalmár 1913a, 39. 211 MFM KJh 1 Kalmár 1911, 32. 212 Vgl. MFM KJh 1 Kalmár 1911, 38 f. 213 AGR CCCI 1683 Instructions (Entwurf), o.D. Die GSK teilte auch gewöhnliche Arbeiter zum Schutz der Karawanen ein. Vgl. AGR CCCI 1682 Rapports von Stetten, Nr. 3, Produktionsstelle 8, o.D. [1910]. 214 Vgl. AGR CCCI 1682 Rapports von Stetten, Nr. 22, Produktionsstelle 7, o.D. [1910]; BArch R 1001/3449, 101; BArch R 175-I/426, 44. Petersen berichtete später von ad hoc Mobilisierungen gegen Kautschukdiebe im Eigengebiet. Vgl. Petersen 1936, 158 f. 215 Vgl. BArch R 1001/4381, 16.

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Angesichts dieser Umstände hatte die GSK eine bedeutendere Position in SanghaNgoko, als die Stationsleiter glauben machen wollten. Von Lüdinghausen versuchte vergeblich, sich in seinem Bericht über das Niederbrennen des Dorfes Segawo im April 1900 als kompetenten Stationsleiter darzustellen. Er konnte jedoch nicht davon ablenken, dass die GSK und ihre Bangandu-Verbündeten ihn manipuliert hatten. Kalmár erinnerte sich, dass es „dem jungen, unerfahrenen Leutnant Lüdinghausen“ nicht ratsam erschien, mit seinen wenigen Soldaten eine Strafaktion durchzuführen.216 Nach Kalmárs Angaben setzte sich die GSK durch, organisierte den Angriff und führte ihn auch maßgeblich aus.217 Von Lüdinghausens Nachfolger von Stein bekannte offenherzig in seinen Erinnerungen an die bereits erwähnte Expedition zu den Dongo-Schnellen, dass die Beamten nicht alles im Griff hatten. Sie tragen den bezeichnenden Titel „Ein Fehlschlag“.218 Wahrscheinlich fürchteten die Beamten um ihre Karrieren, wenn sie ihren Vorgesetzten bekannt hätten, nicht immer Herr der Lage gewesen zu sein. Bedeutend für das Verhältnis zwischen Staat und Unternehmen waren zudem persönliche Beziehungen zwischen Beamten und GSK-Agenten. Besonders in der frühen Zeit schweißte die gemeinsame Erfahrung die Europäer zusammen. Sie waren aufeinander angewiesen und von Zeit zu Zeit traten formelle hinter persönliche Beziehungen zurück. Wichtige Entscheidungen, etwa die Arbeiterfrage gewaltsam zu regeln, fielen, wie noch zu zeigen ist, nach Rücksprache zwischen Beamten und GSK-Agenten. Alter und Erfahrung machten Letztere zu wichtigen Ratgebern. Freimütig bekannte von Stein im Rückblick, er sei als Stationschef „jung und leichtsinnig“ gewesen, während der nur wenig ältere, aber in Afrika erfahrenere Langheld ihn „[w]ie ein Vater“ zur Vorsicht gemahnt habe.219 Die GSK-Agenten nutzten ihren Erfahrungsvorsprung. Wahrscheinlich konnte sich der erst 26-jährige von Lüdinghausen nach Plehns Tod trotz seiner formalen Machtfülle nicht gegen die „Alten Afrikaner“ der GSK durchsetzen, als diese den Angriff auf Segawo forderten. Kalmár behauptete sogar, von Lüdinghausen habe der GSKFührung Bericht erstatten müssen.220 Dies mag übertrieben sein, verweist aber auf den Anspruch der GSK, die Geschicke des Bezirks zu bestimmen. In den ersten Jahren der deutschen Präsenz in Sangha-Ngoko entwickelten sich folglich zwei koloniale Machtzentren. Bis ca. 1903 aber arbeiteten Staat und Konzessionsgesellschaft Hand in Hand daran, eine Kautschukökonomie zu schaffen.

216 217 218 219 220

MFM KJh 1 Kalmár 1911, 29. Vgl. BArch R 1001/4377, 103–110; MFM KJh 1 Kalmár 1911, 31–34. Stein 1926. Stein 1926, 156, 154. Vgl. MFM KJh 1 Kalmár 1911, 31. Dass Kalmár selbst zu dieser Zeit Direktor der GSK war, wie er im Vortrag behauptet, ist unwahr. Er war jedoch zur fraglichen Zeit Agent für das Bangandu-Gebiet und deshalb in die Beratungen einbezogen. Vgl. BArch R 1001/4377, 103.

Ein deutscher Kongo? Das Konzessionssystem in Südkamerun, 1898–1899

Die GSK konnte sich auf die bedingungslose Unterstützung der Lokalregierung verlassen. Da sich anfänglich beider Interessen überschnitten, dauerte es Jahre, bis sich die Verwaltung versuchte, dem Anspruch der GSK auf Menschen und Ressourcen Grenzen zu setzen. Langfristig musste die faktische company rule zu Konflikten führen. Als die Beziehung zu kriseln begann, mahnte 1904 der frühere Stationschef des Gebietes, von Stein, die „etwas an kongostaatliche Zustände sich anlehnenden Prätentionen“ der GSK an,221 gegen die sich der Staat zu wehren habe. Sein Nachfolger Scheunemann nannte 1905 erstmals die Doppelherrschaft in Sangha-Ngoko beim Namen: Im Hauptquartier der GSK, in Molundu, wo die inzwischen nach Lomie ins Binnenland verzogene Regierung nur einen Zollposten unterhielt, bestand zwischen den dortigen Beamten und der GSK-Leitung, so Scheunemann, lange Zeit das stillschweigende Übereinkommen, daß man letztere dort nach Belieben schalten ließ. […] Der Einfluß der Station Molundu in ihrer nächsten Umgebung war ein so geringer, daß der Stationsleiter, Herr Preuss, sich veranlaßt sehen mußte, energisch Abhülfe zu schaffen, um überhaupt zunächst den Eingeborenen in unmittelbarer Nähe der Station klar zu machen, daß es außer der Direktion der Gesellschaft „Süd-Kamerun“ auch noch eine Regierung gäbe [sic!]. […] Die Gesellschaft Süd-Kamerun bildet einen Staat im Staate. Sie kann sich von ihrer kongostaatlichen Auffassung nicht losmachen, daß die Regierung lediglich ihren Zwecken diene.222

Zwischenfazit Die Beziehung zwischen dem Staat und der Konzessionsgesellschaft GSK war zwiegespalten. Unter dem Druck des belgischen Kongo-Unternehmens SAB rang sich die Kolonial-Abteilung 1898 dazu durch, einer neuen Aktiengesellschaft, der GSK, eine Konzession zu gewähren, die ihr Zugriff auf einen großen Teil des Landes in Südostkamerun verschaffen sollte. Damit blieb die Regierung weit hinter den Forderungen der SAB zurück: Die GSK erhielt weder Handelsmonopol noch Souveränitätsrechte. Diese behielt sich der Staat vor. Die Konzession unterschied sich folglich stark von den Konzessionen des Kongostaates, die der SAB als Vorbild gedient hatten. Vielmehr ähnelte sie denen, die die Regierung zuvor in DeutschSüdwestafrika vergeben hatte. In der Realität Südostkameruns spielte jedoch die GSK eine bedeutendere Rolle in der Gestaltung der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung. Mit der Instruktion der Regierungsstation, die GSK wo immer

221 BArch R 1001/4380, 33. 222 BArch R 1001/3448, 139–148.

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möglich zu fördern, unterstellte das Gouvernement dieselbe faktisch dem Unternehmen, das darüber hinaus mehr europäische und afrikanische Angestellte, mehr Material und mehr Wissen besaß. Die Unabhängigkeit der GSK von der Regierung ging zeitweise so weit, dass sie über eine eigene Miliz verfügte. Folglich näherten sich die lokalen Verhältnisse de facto denen im Kongostaat an. In großen Teilen konnte die GSK bestimmen, wie sich das Gebiet entwickeln sollte – etwa in Bezug auf die Kautschukgewinnung oder die Rekrutierung von Arbeitskräften.

3.2 Kickxia: Kautschukproduktion und -handel im GSK-Konzessionsgebiet Abb. 6, ein von Carl W. H. Koch aufgenommenes Foto, zeigt drei junge Männer im tropischen Regenwald.223 Zwei stehen am Fuße eines Baumes der Spezies Funtumia elastica. Ein dritter erklimmt ebendiesen Baum mittels mehrerer Schlingen und schneidet mit einem Werkzeug, das er mit beiden Händen hält, in die Rinde. Deutlich erkennbar ist bereits eine senkrechte Rinne, in deren Richtung der Kletterer eine neue Rinne schräg nach unten laufend schneidet. Für das Foto demonstrierten GSK-Arbeiter zwischen 1913 und 1914 den Grätenschnitt, die im GSK-Gebiet übliche Form der Kautschukgewinnung.224 In die Rinde eines Funtumia-elasticaBaumes, der in Sangha-Ngoko wichtigsten kautschukproduzierenden Pflanze, zog der Gummisucher von unten nach oben eine Rinne. Anschließend schnitt er links und rechts von dieser schräg auf die Mittelrinne zulaufende Seitenkanäle, sodass sich das Bild einer Fischgräte ergab. Das nötige Werkzeug, ein Kautschukmesser, war eine lokale Produktion.225 Offensichtlich lief die Kautschukproduktion im Südosten anders ab als in den bisher behandelten Teilen Südkameruns. Andere Pflanzen benötigten andere Techniken, um Kautschuk zu gewinnen. Aber wie war die Kautschukproduktion organisiert? Wer profitierte von ihr? Über ihre sozialen Aspekte sagt das Foto allein nichts aus. Durch die Übernahme des Konzessionsmodells, die federführende Rolle der SAB und die großen Handlungsspielräume, die der schwache koloniale Staat der GSK ermöglichte, drängt sich die Frage auf, wie sehr die Arbeit der Gummisucher und der Kautschukhandel den Zuständen im Kongostaat und in Französisch-Kongo ähnelten. Dort zwangen Konzessionsgesellschaften die Bevölkerung mithilfe eines

223 Vgl. S Storck N Koch Fotosammlung. 224 Die Datierung ergibt sich aus dem Kletterapparat, den die GSK 1912 einführte, und dem Aufenthalt Kochs in Sangha-Ngoko in GSK-Diensten, 1913–14. Vgl. Kap. 5.3; S Storck N Koch Arbeitsvertrag, 01.04.1913. 225 Vgl. AGR CCCI 1682 Stetten: Rapport, 08.11.1910; BArch R 1001/8114, 81. Ein solches Messer konnte der Verfasser in Lomie sehen. Interview mit Mekek Pierre Beaudevie, Djolempoum, 01.02.2016.

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Abb. 6 Ohne Titel (Gummisucher im Eigengebiet der GSK). S Storck N Koch Fotosammlung. © Volker Storck.

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Steuersystems, Gummi zu liefern.226 Dieser Druck auf die Menschen führte zu fürchterlicher Gewalt, aber auch dazu, dass innerhalb weniger Jahre die Bestände an kautschukproduzierenden Pflanzen durch destruktive Methoden einbrachen.227 In der Literatur herrscht Einigkeit darüber, dass die deutsche Konzessionsgesellschaft mit ähnlichen Methoden operierte und ihr Handel ähnliche Folgen hatte. Ballhaus nimmt an, dass die GSK ihren Gummi „nach dem Vorbild der Kongogesellschaften“ an sich gebracht habe.228 Nach Renate Hücking und Ekkehard Launer habe die GSK den Kautschuk ihres Konzessionsgebietes als ihr Eigentum betrachtet und die Gummisucher nur für ihre Ernteleistung bezahlt.229 Smith nimmt eine Kautschukbeschaffung durch Zwang an.230 Mündliche Überlieferungen aus Südostkamerun scheinen ebenfalls darauf hinzudeuten, dass die GSK ein Quotensystem einführte und die Bevölkerung mit Gewalt zwang, Gummi zu produzieren.231 Aber nicht nur Menschen, so die Forschung, behandelte das Unternehmen schlecht. Den Umgang der GSK-Manager mit den Beständen kautschukproduzierender Pflanzen vergleicht Heiko Möhle mit dem „eines Heuschreckenschwarms: Sobald die Vorräte an leicht zugänglichen Rohstoffen in einem Gebiet erschöpft waren, wandten sie sich einem anderen zu.“232 Der Kautschukhandel der GSK basierte folglich nach der bisherigen Literatur auf „Zwangsarbeit und Raubbau“.233 Doch dem Konsens der Forschung fehlt eine solide Datengrundlage. Er fußt auf Analogieschlüssen, die aus der Übertragung des Konzessionssystems vom Kongostaat auf Südkamerun ableiten, dass dort dieselben Dinge geschahen. Untersuchungen darüber, wie die GSK ihr Geschäft in Sangha-Ngoko betrieb, liegen nicht vor und die Studien, die auf mündliche Überlieferung zurückgreifen, ordnen diese unzureichend in den lokalen historischen Kontext ein. In diesem Kapitel geht es folglich darum, zu prüfen, ob die GSK tatsächlich nach dem „Kongosystem“ arbeitete und sich den Gummi mit Gewalt und Zerstörung aneignete. Erneut stellt sich die Frage nach der Kommodifizierung des Kautschuks und nach der mit seiner Produktion verbundenen Arbeit – diesmal unter den Vorzeichen des Konzessionssystems. Wer produzierte in Sangha-Ngoko mit welcher Motivation unter welchen Bedingungen den Gummi, den die GSK nach Europa exportierte?

226 Europäische und US-amerikanische Aktivistinnen und Aktivisten machten diese nach der Jahrhundertwende als „Kongogräuel“ publik. Vgl. Hochschild 2012; Pavlakis 2016. 227 Vgl. Harms 1975. 228 Ballhaus 1968, 128. 229 Vgl. Hücking/Launer 1986, 142. 230 Vgl. Smith 1978, 85. 231 Vgl. Rupp 2011, 191; Rupp/Ambata/Narat/Giles-Vernick 2016, 667; Zouya Mimbang 2013, 136 f. 232 Möhle 1999c, 51. 233 Loth 1966, 88.

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Hatten Konzessionssystem und faktische company rule einen Einfluss darauf? Unterschieden sich das Geschäft mit Gummi und die Arbeit der Gummisucher von denjenigen im Hinterland der Batanga-Küste? Welche Folgen hatte es, ob kleine Handelsunternehmen im Windschatten der Kolonialverwaltung oder privilegierte Aktiengesellschaften mit staatlicher Unterstützung mit Kautschuk handelten? Eine Analyse der lokalen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Konstellationen einerseits sowie der ökologischen und technischen Aspekte der Kautschukwirtschaft andererseits zeigt, dass die GSK weder ihren Gummi mit destruktiven Methoden gewinnen ließ, noch dass sie die Bevölkerung des Konzessionsgebietes dazu zwang, Kautschuk zu produzieren.234 Ähnlich wie im Hinterland der Batanga-Küste machte die durch den Elfenbeinhandel akzentuierten Konflikte zwischen Generationen und Geschlechtern den Handel mit Kautschuk zu einer lukrativen Beschäftigung für nicht etablierte Männer, die aus Eigeninteresse Gummi an die GSK lieferten. Ebenso war in Sangha-Ngoko die Kautschukproduktion nicht mit der flächendeckenden Zerstörung der Kautschukpflanzen verbunden. Geographische Faktoren wie die niedrige Bevölkerungsdichte, die Besonderheit, dass ein Baum (Funtumia elastica) und nicht Lianen die Quelle des Kautschuks war, sowie die aktive Verbreitung nachhaltigerer Methoden der Gummigewinnung führten dazu, dass die Bestände nicht in dem Maße schrumpften wie im Hinterland der Batanga-Küste, wodurch sich eine andere Dynamik entfaltete, die mit einer Kautschukfrontier wenig gemein hatte. Elfenbeinhandel und die politische und soziale Struktur Sangha-Ngokos Wirtschaft, Politik und Zusammenleben waren in Sangha-Ngoko ähnlich wie an der Batanga-Küste und in ihrem Hinterland geprägt durch den Handel mit Elfenbein. Durch seine große Rolle bei der Zahlung von Brautgaben hatte dieser in den vorangegangenen Jahrzehnten soziale Ungleichheit und Konflikte zwischen den Generationen geschaffen. Denn schon bevor Europäer ihren Fuß in dieses Gebiet setzten, war die Region durch afrikanische Elfenbeinhändler mit dem Weltmarkt verbunden gewesen. Während der westlichste Teil des Konzessionsgebietes bereits vom Elfenbeinhandel der Batanga-Küste berührt war, zahlten seine nördlichen Gebiete Stoßzähne als Tribute an den Lamido von Ngaundere. Überwiegend aber war die Region Teil des Kongo-Handelsnetzwerkes. Dieses hatte sich im 19. Jahrhundert auf die Nebenflüsse des Kongo ausgeweitet.235 Noch in den 1890ern Sangha-Ngoko kauften Händler aus Bonga und Bolobo (an der Mündung des Sangha in den Kon-

234 Vgl. Oestermann 2017; Oestermann/Geschiere 2017. 235 Vgl. Bahuchet/Guillaume 1979, 121. Zum Elfenbeinhandel im Kongobecken vgl. Harms 1981.

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go) Elfenbein sowie Sklaven und Sklavinnen und brachten sie über den Sangha zum Kongo.236 Im Gegensatz zur Batanga-Küste kam das an Sangha und Ngoko verkaufte Elfenbein nicht von weit her, sondern aus den umliegenden Wäldern. Die Arbeit der Elefantenjagd übernahmen größtenteils die nomadischen Baka, von den Europäern als Pygmäen bezeichnete Jäger und Sammler. Wie wichtig die Baka für die Beschaffung von Elfenbein waren, verdeutlicht der Name „Bomanjoko“, den die BangalaArbeiter der GSK ihnen gaben: Er bedeutete „Elefantentöter“.237 Plehn schätzte 1899, dass Baka-Jäger fünf Sechstel allen Elfenbeins lieferten.238 Wie die Bakola an der Küste brachten die Baka die Zähne den Dorf- und Familienoberhäuptern ihrer sesshaften Missangha-, Bangandu-, Ndsimu- oder Kunabembe-Nachbarn, mit denen sie in Allianzen bzw. Klientelverhältnissen standen.239 Auch hier war der Austausch von Gütern zentral: „Der Bantu gibt dem Bayeka [Baka] den Speer“, erklärten 1911 der Bomome Mból und der Baka Kalima, „dafür liefert der Bayeka das Elfenbein und einen Teil des Fleisches ab.“240 Gegen Teile der Jagdbeute erhielten die Baka Ackerbauprodukte, Salz, Stoffe und Eisengeräte, die sie selbst nicht herstellen konnten.241 Missangha, Bangandu, Ndsimu, Kunabembe, Njem und die übrigen Gruppen der Region lebten in verhältnismäßig kleinen Dörfern in kompakten Landschaften, getrennt durch unbewohnte Waldgebiete. Ihre soziale und politische Struktur ähnelte der im übrigen Südkamerun: Familie oder Dorf waren die wichtigsten politischen Einheiten. In Dörfern lebten ein oder mehrere Familienoberhäupter mit ihren Ehefrauen, Kindern, Verwandten, Klienten, Sklavinnen und Sklaven. Jedes Familienoberhaupt besaß ein banjo genanntes, stark befestigtes Versammlungshaus, das Zentrum des Familienlebens war.242 Bei den Missangha und bei anderen führte eines der Familienoberhäupter, wahrscheinlich der Gründer des Dorfes oder dessen Nachkomme,243 die anderen Familienoberhäupter als primus inter pares. Dieser galt den Deutschen später als „Häuptling“. Die anderen Familienoberhäupter bezeichneten sie als „Unterhäuptlinge“. Im Konfliktfall oder wenn sich

236 Vgl. Cadet 2009, Fn. 729; Copet-Rougier 1998, 66; Schlechter 1900f, 87; Petersen 30.11.1926. 237 Koch 1913a, 261. Vgl. auch Petersen 1938b, 62 f.; AFS 344 Stetten: Vortrag, 21; Zippelius 1926c, 217; Heimbach 1930, 107; Ouzilleau 1911, 75. 238 Vgl. BArch R 1001/4375, 185 f. 239 Vgl. BArch R 1001/4375, 184 f. Vgl. allgemein Moïse 2014, 95 ff. 240 MARKK SCH 1.9. Frage 543. 241 Vgl. Harms 1981, 41; Rupp 2011, 79 f. Zur vorkolonialen Rolle des Elfenbeins vgl. Bahuchet 1979, 75. 242 Vgl. Koch 1913a, 281; Schultze 1913, 278; Allys 1930, 6; Vallois 1950; Binam Bikoi 2007, 28–38; MARKK SCH 1.10 passim. Vgl. allgemein Vansina 1990, 77. 243 Vgl. Vansina 1990, 78.

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neue ökonomische Möglichkeiten ergaben, gründeten diese Familienoberhäupter eigene Dörfer.244 Im Handel zwischen den Waldbewohnern und Bonga sowie Bolobo nahmen die Bewohner der Flussufer und -inseln, genannt Missangha (aber auch Boumali, Sangha-Sangha oder Bakwele),245 eine Scharnierfunktion ein. Obwohl sie weniger als 1000 Menschen waren,246 hatten die Missangha-Familienoberhäupter in den 1880ern und 1890ern den Elfenbeinhandel an Sangha und Ngoko monopolisiert, da sie als Fischer mit ihren Kanus die schiffbaren Flüsse und somit den Zugang zum Kongohandel kontrollierten.247 Bangandu, Kunabembe, Bombassa und andere, die in den Waldgebieten wohnten, mussten den Missangha ihr Elfenbein verkaufen. Dieser Handel bescherte Letzteren großen Wohlstand.248 Er prägte aber auch die politische Geschichte der Region. 1890 monopolisierte ein Missangha namens Minganga, Oberhaupt des großen Dorfes Ouesso, das auf einer Insel am Zusammenfluss von Sangha und Ngoko lag, aufgrund dieser günstigen Lage den Elfenbeinhandel mit Bonga und Bolobo. Cholet, der als erster Europäer 1890 für die Franzosen den Sangha befuhr, schrieb über Ouesso: „Toutes les populations de l’intérieur viennent là pour vendre leur ivoire“.249 1891 zwang die nächste französische Expedition Minganga, den Handel zu liberalisieren. NAHV und SAB drangen an Ouesso vorbei auf den Ngoko vor, wo sie vereinzelte Faktoreien anlegten.250 Dieser Bruch von Mingangas Handelsmonopol durch die Europäer schuf die politische Struktur, welche die GSK 1899 vorfand: Während Cholet 1890 am Ngoko lediglich drei von Minganga abhängige Siedlungen vorfand,251 gab es gegen Ende des Jahrzehnts viele kleine Dörfer entlang des Flusses, die eifrig mit Elfenbein handelten.252

244 Vgl. Koch 1913a, 281. 245 Möglicherweise waren die Missangha keine ethnische Gruppe. Europäische Zeitgenossen ethnisierten vielleicht lediglich Handels- und Machtverhältnisse sowie Lebensumstände und betonten deshalb den Unterschied zwischen „wasserliebenden“ Missangha und ihren das Wasser scheuenden Nachbarn (BArch R 1001/4375, 185; Petersen 1936, 125). Viele Gruppen lassen sich in späterer Zeit nicht mehr nachweisen. Siroto etwa nennt die Missangha nicht, hält aber Sangha-Sangha, Diezem, Dzem-Dzem etc. für mit den Bakwele identisch. Vgl. Siroto 1969, 59. Zum Namen der Missangha vgl. Schultze 1913, Cottes 1911, 101. 246 Vgl. BArch R 1001/4375, 185; BArch R 1001/3443, 86. Koch zählte 1910 (wahrscheinlich nur auf deutscher Flussseite) 382, Cottes 1905 ca. 2000 Missangha. Vgl. Koch 1913a, 304; Cottes 1911, 103. 247 Vgl. Schultze 1912, 129; MARKK SCH 1.10, Frage 824; Stein 1926, 166. Fotos zeigen Kanus mit bis zu 20 Ruderinnen. Vgl. S Storck N Koch, Fotosammlung. Zur Entwicklung von Fischern zu Händlern im Zuge des Sklaven- und Elfenbeinhandels am Kongo vgl. Harms 1981. 248 Vgl. BArch R 1001/4375 9, 185; BArch R 1001/4376, 68. 249 NN 07.11.1890. 250 Vgl. Gaillard 1891, 4505; Fourneau 1932, 269 f. 251 Vgl. NN 07.11.1890; Gaillard 1891, 4505. 252 Vgl. BArch R 1001/3443, 83–86.

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Minganga, der 1899 starb, büßte mit seinem Handelsmonopol auch seine Macht ein.253 NAHV und SAB, aus den lukrativsten Gebieten des Kongo durch die Konzessionspolitik Leopolds II. vertrieben, klinkten sich am Ngoko ins Elfenbeingeschäft ein. Allein die SAB kaufte dort zwischen 1892 und Mitte 1897 über 49 Tonnen Stoßzähne von den Missangha.254 Die GSK setzte den Elfenbeinhandel von SAB und NAHV fort. 1899 führte sie nach einem halben Jahr ca. 5 Tonnen und 1900 mehr als 10 Tonnen Elfenbein aus.255 Der Handel zwischen Missangha-Familienoberhäuptern und NAHV, SAB sowie ab 1899 auch der GSK hatte die Form eines Geschenkeaustausches. Tibundi aus dem Dorf Ngoko nahm als erster Kontakt mit der GSK auf. Er besuchte die Faktorei, so Kalmár, und „überschüttete uns mit Geschenken“ wie Hühnern, Eiern und anderem.256 Dafür erhielt er Kleidung und Stoffe als Gegengeschenke. Bald kamen weitere Familienoberhäupter mit ihren Leuten zur Faktorei. Ein reger Handel mit Elfenbein begann.257 Petersen, 1910–1914 für die GSK in Kamerun,258 beschrieb den Handel in einer neue Faktorei im Dorf des (fiktiven) Familienoberhauptes Apacka: Kaum ist die Faktorei unter Dach, da erscheint Apacka als erster Kunde bei seinem Weißen und bringt einen großen Elfenbeinzahn mit. […] Er will keine Bezahlung, – bewahre! – Der Zahn ist hier im Busch unter Europäern seine zweihundert Mark wert und unter Eingeborenen die gleiche Zahl Midjikos (Kupferspiralen) – der große Häuptling Apacka aber schenkt ihn seinem Weißen mit den besten Wünschen. Kusumba kennt diesen faulen Zauber, zeigt sich aber tief gerührt und macht dem freigebigen König aus dem Bestande seiner Waren ein Gegengeschenk, das im Wert dem Elefantenzahn nicht nachsteht. Keiner von den Dienern und Jungen im Gefolge Apackas geht leer aus. Die Abwicklung des Geschenkeaustausches dauert einschließlich der dabei gewechselten Freundschaftsbeteuerungen zwei Stunden, das halbe Dorf nimmt nach und nach daran teil.259

Wie an der Batanga-Küste war für den Elfenbeinkauf eine Vielzahl von Waren nötig, die lokale Konsummuster prägten. Nach Plehn gehörten europäische Produkte wie Salz, Macheten, Töpfe, Uniformen, Hüte, Stoffe, Steinschlossgewehre und Pulver

253 254 255 256 257 258 259

Vgl. Fourneau 1900. Vgl. HADB K1/395 Thys: Commerce, o.D. Vgl. BArch R 1001/3443, 161. MFM KJh 2 Kalmár 1913a, 37. Vgl. MFM KJh 2 Kalmár 1913a, 37. Vgl. BArch R 9361 V 9072, Bild 114. Petersen 1938b, 63 f.

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zu den wichtigsten Waren im Elfenbeingeschäft.260 Sie dienten dem Konsum, dem Prestigegewinn, als Investitionsgüter oder Währungen.261 Eine bedeutendere Rolle als an der Batanga-Küste spielten in Sangha-Ngoko lokale Währungen. Ankerförmige Eisenobjekte (mandjum), Spiralen aus Kupfer (midjoko), zu Spiralen verarbeiteter Messing- und Kupferdraht (mitako) oder sogenannte dubba-Spaten gehörten zur großen Zahl lokaler Währungen im Kongobecken.262 Auch sie dienten mehreren Zwecken:263 Ein mandjum konnte eingeschmolzen werden, um Werkzeuge oder Waffen herzustellen. Mitakos dienten als Arm- und Beinschmuck der Frauen sowie als Wertspeicher.264 In den 1890ern führten die Bonga-Händler diese Objekte ein, NAHV, SAB und GSK ließen sie in Europa nachahmen und importierten sie als industriell hergestellte Massenprodukte.265 Ebenso wie an der Batanga-Küste und in ihrem Hinterland dienten um die Jahrhundertwende europäischen Waren und lokale Währungen dazu, Brautgaben zu zahlen.266 Noch Anfang der 1890er bestanden Brautgaben aus hauptsächlich Elfenbein, lokalen Produkten, Sklavinnen und Sklaven und vorkolonialen Metallwährungen.267 Ende 1898 aber zahlten Missangha-Männer in Ouesso auch europäische Handelswaren an die Familie ihrer Ehefrau: vier Gewehre, je sechs Stück einheimischen sowie europäischen Stoffs, 10 Kilogramm Messing und 150 midjokos.268 Auch unter deutscher Herrschaft blieben die lokalen Metallwährungen, nun größtenteils aus Europa importiert, bedeutend für die Zahlung von Brautgaben.269 Der GSK-Agent Georg Zippelius nannte als Brautgabe der Missangha zwar Beile, Sturmlaternen, Ziehharmonikas, Stoffe, Kopftücher, Perlen, Macheten, Eisen- und Messingdraht, Hämmer und Ambosse. „Aber die Hauptsache waren die Midjoko, die waren bares Geld, alles andere war sozusagen nur Dreingabe.“270 Kurzum: Ein großer Teil der Brautgaben in Südostkamerun bestand um die Jahr-

260 Vgl. BArch R 1001/4375, 187. 261 Vgl. Harms 1981, 44 f. 262 Vgl. Guyer 2004, 32–40. Zu Währungen in Sangha-Ngoko vgl. Dupré 1995; Vincent 1963a; NN 1912/13; Zippelius 1927a; Koch 1913a, 264, 273. 263 Vgl. Harms 1981, 88. 264 Vgl. Kimpel 1995, 25. 265 Vgl. Dupré 1995; Fourneau 1900, 1347, 1356 f.; Zippelius 1927a, 295. 266 Für Missangha-Brautgaben vgl. Billoué 1895, 165; Zippelius 1927a, 295; MFM KJh 2 Kalmár 1913a, 38; Koch 1913a, 273; MARKK SCH 1.10, Frage 970. 267 Vgl. Vincent 1963a, 278 f.; Koch 1913a, 273; MARKK SCH 1.10, Frage 970; Fourneau 1900, 1346; Billoué 1895, 165. Nach Copet-Rougier gab es Anfang der 1890er noch keine europäischen Waren in der Region. Vgl. Copet-Rougier 1998, 66. 268 Vgl. Fourneau 1900, 1347. 269 Vgl. Vincent 1963a, 279 f. 270 Zippelius 1927a, 295.

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hundertwende aus in Europa produzierten Waren und Währungen und konnte vor allem im Elfenbeinhandel erworben werden. Die Bedeutung des Elfenbeinhandels für die demographische Expansion stärkte auch in Sangha-Ngoko eine gerontokratische, patriarchale Ordnung und schuf Konflikte zwischen Geschlechtern und Generationen. Allein Familienoberhäupter besaßen Verbindungen zu Baka-Jägern und Handelsbeziehungen zu Nachbarn. Auf diese Weise kontrollierten sie zunehmend den Zugang zu Frauen und damit zu Reichtum, Macht und sozialem Aufstieg.271 Mächtige, reiche und häufig auch recht alte Männer heirateten eine große Zahl von Frauen, um Menschen zu kontrollieren.272 Pando, ein altes Kunabembe-Familienoberhaupt, knüpfte mit seinen zahlreichen Frauen enge Beziehungen zu allen Nachbarn und hatte sehr viele Kinder, die für ihn arbeiteten oder die er verheiraten konnte. Mithilfe seiner Ehefrauen band er Klienten an sich, die mit diesen zusammenlebten, ihm dafür aber Gefolgschaft leisten oder Bußgelder zahlen mussten.273 Da Heirat und die damit einhergehenden Rechte über Menschen auch hier für nicht etablierte Männer der erste Schritt zu mehr Autonomie waren, entwickelten sich Geschlechter- und Generationenkonflikte, auch wenn sie nicht die Schärfe erreichten, wie etwa bei den Beti. Trotzdem: Fourneau berichtete 1899, dass bei den Missangha die Armen unverheiratet blieben.274 Carl W. H. Koch, 1910 Stationschef von Molundu, errechnete, dass 21,5 Prozent aller erwachsenen Männer seines Bezirks nicht verheiratet waren.275 Wie genau diese Zahl auch sein mag – sie zeigt eine Tendenz, die vor der deutschen Kolonialherrschaft begonnen hatte. „Es ist eine bedauerliche […] Erscheinung“, schrieb Koch, „daß der junge Mann im heiratsfähigen Alter gewöhnlich pekuniär nicht in der Lage ist, sich ein junges Weib zu erwerben und daß es durchweg die alten Häuptlinge sind, die die schönsten und kräftigsten Mädchen kaufen“.276 Koch glaubte deshalb, amtlich festgelegte, bezahlbare Brautgaben würden „von der gesamten männlichen und weiblichen Jugend mit Freuden begrüßt werden“.277

271 Auch einzelne Frauen handelten mit Elfenbein. Eine Missangha namens Akolabu etwa verkaufte dem GSK-Zimmermann Emanuel A. R. Elliot 1899/1900 Elfenbein. Frauen konnten folglich unter Umständen Macht und Reichtum besitzen. Vgl. ANY FA 1/268, 171. 272 Vgl. z. B. MFM KJh 2 Kalmár 1913a, 38. 273 Vgl. Koch 1923, 79 ff.; Koch 1913a, 284; Laburthe-Tolra 1981, 244; Vansina 1990, 75, 77. 274 Vgl. Fourneau 1900, 1347. 275 Vgl. Koch 1913a, 309. 276 Koch 1913a, 284 277 Koch 1913a, 285.

Kickxia: Kautschukproduktion und -handel im GSK-Konzessionsgebiet

Die Beziehung der GSK zu den Familienoberhäuptern Anfangs fügte sich die GSK in die soziale, politische und wirtschaftliche Struktur Sangha-Ngokos ein. Zwar veränderte sie die lokale Machtarchitektur, indem sie Hinterlandsbewohner wie die Familienoberhäupter von Bangandu, Kunabembe oder Njem zu direkten Handelspartnern aufwertete. Gleichzeitig stützte sie aber die gerontokratische Ordnung, da sie zu Beginn nur den Elfenbeinhandel fortsetzte, den die Eliten kontrollierten. GSK und Familienoberhäupter wurden rasch zu Verbündeten. „Wir wollten keinen Zwang ausüben“, so drückte es Kalmár aus, „denn um mit der entsprechenden Energie aufzutreten, dazu vertrauten wir unserer eigenen Kraft noch nicht und fühlten uns noch nicht sicher.“278 Auch viele Dorf- und Familienoberhäupter hatten ein Interesse an Bündnissen mit den Neuankömmlingen. Sie versuchten, sich die Europäer mit ihren Reichtümern, Menschen und scheinbaren Beziehungen mit okkulten Mächten zu Freunden zu machen und für ihre eigenen politischen und wirtschaftlichen Interessen zu nutzen.279 Einige Missangha-Familienoberhäupter berichteten, dass sie kurz vor der Ankunft der Deutschen Krieg mit Bangandu, Ndsimu oder Bombassa geführt hätten – wahrscheinlich um Zugang zum Handel an Ngoko und Sangha.280 Entsprechend teilte das Familienoberhaupt Boabala Kalmár mit, seitdem dieser eine Faktorei in seinem Dorfe errichtet habe, fühle er sich sicherer vor den Bombassa.281 Wie Handelsvorteile und militärischer Schutz Hand in Hand gingen, wird deutlich in der Beziehung zwischen Deutschen und Bangandu im Bumba-Tal. Ende 1899 drangen Plehn und die Agenten der GSK von Molundu aus entlang des BumbaFlusses nach Norden vor, von wo besonders viel Elfenbein den Ngoko erreichte.282 Ein Pfad führte sie ins Bangandu-Gebiet zum Dorf des Familienoberhaupts Tschimbuli.283 Während Plehn weiter nach Norden reiste und nie wieder zurückkam, richtete Kalmár eine Faktorei in der Nähe ein.284 Die Bangandu-Familienoberhäupter nahmen die Fremden mit offenen Armen auf. Zum einen konnten sie nun direkt mit den Europäern handeln und in den Besitz europäischer Waren kommen. Dass

278 MFM KJh 10 Kalmár 1913b, 22. 279 Die Missangha betrachteten die Europäer als Rückkehrer aus dem Totenreich. Vgl. Schultze 1912, 143. Diese Vorstellung ist auch für andere Gebiete Afrikas belegt. Vgl. z. B. Atangana 1919, 140; MacGaffey 1986, 198 f. 280 Vgl. BArch R 1001/4375, 117; BArch R 1001/4375, 181; Cottes 1911, 102. 281 Vgl. MFM KJh 15 Kalmár an Paula und Sándor, 04.09.1899. 282 Vgl. BArch R 1001/4375, 115. 283 Vgl. BArch R 1001/4377, 13 ff. 284 Vgl. BArch R 1001/4377, 103.

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die GSK in Tschimbuli für ein Kilogramm Elfenbein nur 0,80 Francs in Waren zahlen musste, während sie in Ngoko 4,60 und in Zimu 4,80 Francs in Waren zahlte,285 zeigt, dass die Missangha mit den Elefantenzähnen der Bangandu bisher ein gutes Geschäft gemacht hatten. Der Weg von Molundu nach Tschimbuli entwickelte sich nun zur wichtigsten Handelsroute der GSK.286 Zum anderen hofften die Bangandu auf den Schutz der Europäer. Denn das Gebiet war von Konflikten geprägt. Die eine Oubangui-Sprache sprechenden Bangandu waren erst vor einigen Jahrzehnten vom Grasland in den Regenwald gezogen:287 Das ca. 60 Jahre alte Familienoberhaupt Buenga erzählte 1910, als junger Mann noch im Norden, in der Nähe von Bertua gewohnt zu haben.288 Grund für diese Wanderung war die Expansion des Sokoto-Kalifats nach Adamaua gewesen. Die damit verbundenen Sklavenjagden hatten nach 1840/50 am oberen Sangha eine Welle von Migration ausgelöst.289 Doch auch im Schutz des Waldes gerieten die Bangandu in Konflikte mit ihren Nachbarn. Noch nach 1910 schnappte Petersen auf, die Bangandu seien Freunde der GSK gewesen, da diese sie gegen die Kunabembe schützte.290 Mithilfe der Deutschen versuchten die Bangandu, ihre kommerziellen Interessen durchzusetzen. Schon im April 1900, kurz nach Einrichtung der Bangandu-Faktorei, störten Ndsimu aus Segawo den Handel mit der GSK.291 Wahrscheinlich wollten sie ebenfalls direkt mit den Europäern handeln, was die Bangandu, die nun als Zwischenhändler der GSK entlang des Bumba-Tales fungierten,292 zu verhindern suchten. Die Ndsimu überfielen einige Bangandu-Dörfer und raubten Frauen und Kinder. Außerdem töteten sie Männer, die für die GSK Elfenbein kauften – darunter auch einen Sohn Buengas.293 Daraufhin rüsteten alle bedeutenden BanganduDörfer zum Krieg gegen die Ndsimu. Kalmár, der stellvertretende GSK-Direktor von Schlippenbach und die Bangandu baten die Regierung um militärische Hilfe. Die Bangandu gaben an, zu schwach für einen Krieg gegen die Ndsimu zu sein. Nach einigem Zaudern marschierte Stationschef von Lüdinghausen mit 21 Soldaten auf Segawo. Seinem Zug schlossen sich neben bewaffneten GSK-Arbeitern hunderte Bangandu-Krieger an. Nach dem Sieg über Segawo stellte sich heraus, dass dieses und die anderen Ndsimu-Dörfer viel schwächer waren als die Bangandu.

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Vgl. BArch R 1001/3443, 134; HADB K1/395 Thys: Commerce, o.D. Vgl. NN 1900b, 362. Vgl. Rupp 2011, 64–67. Vgl. Schultze 1912, 261. Schultze schreibt „Boenga“. Vgl. Copet-Rougier 1998. Vgl. Petersen 1936, 81. Zum Gefecht vgl. BArch R 1001/4377, 103–109; MFM KJh 1 Kalmár 1911, 31–34. Zu den SegawoNdsimu vgl. Koch 1913a, 275; BArch R 1001/4375, 185. 292 Vgl. BArch R 1001/4377, 156 f. 293 Vgl. MFM KJh 1 Kalmár 1911, 31.

Kickxia: Kautschukproduktion und -handel im GSK-Konzessionsgebiet

Verdruckst berichtete von Lüdinghausen: „Die Bangandu sind mehr Handelsleute, als Krieger, und ist es daher verständlich, daß dieselben trotz ihrer Mehrzahl an Kriegern sich den nur 5–600 Krieger starken N. O. Nzymu gegenüber zu schwach fühlten.“294 Tatsächlich hatten die Bangandu ihre neuen Verbündeten mobilisiert, um wirtschaftliche Konkurrenten aus dem Weg zu räumen und den Elfenbeinhandel im Bumba-Tal zu monopolisieren. Nördlich des Ngoko ging nun alles Elfenbein durch die Hände der Bangandu.295 Einem ähnlichen Versuch, die Europäer als Verbündete für eigene ökonomische Zwecke einzuspannen, sah sich Kalmár 1902 bei einer Expedition nach Westen, im Djah-Bogen, ausgesetzt. Vergeblich versuchte das Bulu-Familienoberhaupt Elemvoo, ihn zu überreden, das Dorf seines Konkurrenten Atanga anzugreifen. Atanga hatte während Ellemvós Abwesenheit seine aus 50 Mann bestehende Bajaka-Truppe (Elefantenjäger) [d. h. Baka – T. Oe.] abgeworben. Ellemvó hatte ihm daraufhin […] mitgeteilt, dass er mit seinem großen, weißen Freund auf dem Gebiet der Essamfa [Atangas Leute – T. Oe.] auftauchen werde, einem mächtigen Krieger mit wunderbaren schweren Waffen und darüber hinaus auch ein großer Zauberer, der seinem Freund bei der Rache für das ihm widerfahrene Übel beistehen würde.296

Wo auch immer die GSK anfangs ihre Angestellten hin sandte: Überall traf sie auf offene Arme der Familienoberhäupter. 1901 suchten einflussreiche Njem aus dem Djah-Bogen Stationschef von Stein auf und erklärten, sie hätten „die Überzeugung gewonnen, daß der Weiße ihnen nur Vorteile bringe, und hätten sie […] bereits den Bau eines Weges an das Depotlager [der GSK – T. Oe.] an den Djaschnellen begonnen“.297 Bisher handelten sie mit den Bulu, die ihre Produkte nach Westen an die Händler der Küstenfirmen verkauften. Kalmárs Expedition zu den Ndsimu, Anfang 1902, war dementsprechend ebenfalls ein „wahrer Siegeszug“.298 Das wichtige Familienoberhaupt Kul, der bisher Handel mit den Bulu getrieben hatte,299 bat ihn, eine Faktorei im Dorf anzulegen,300 „da sich seine Macht und sein Einfluss durch die Nähe zum weißen Mann steigerte, aber vor allem auch wegen der schönen Geschenke“.301 Auch bei Expeditionen in den Norden des Konzessionsgebietes wurden

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BArch R 1001/4377, 109. Vgl. BArch R 1001/4377, 140. MFM KJh 2 Kalmár 1913a, 45. BArch R 1001/4378, 25. MFM KJh 2 Kalmár 1913a, 40. Ndsimu und Bulu unterhielten Heiratsallianzen. Vgl. MFM KJh 2 Kalmár 1913a, 42. Vgl. MFM KJh 2 Kalmár 1913a, 41. MFM KJh 2 Kalmár 1913a, 46.

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die GSK-Händler warm aufgenommen. Bei den Kaka bat 1902 das Dorfoberhaupt Beri um eine Faktorei.302 „Rationale“ Kautschukproduktion: Die Verbreitung des Kautschukhandels Aber nicht der Elfenbein-, sondern der Kautschukhandel war ausschlaggebend für die Gründung der GSK gewesen. Im Oktober 1898 schrieb Scharlach an Schinckel, laut Thys, Delcommune und von Carnap sei das Konzessionsgebiet „das reichste Gummiland West-Afrikas“.303 Doch der Kautschukhandel lief nur schleppend an und blieb anfangs hinter dem etablierten Elfenbeingeschäft zurück. 1899 exportierte die GSK noch gar keinen Kautschuk. Erst 1900 verschiffte sie 2619 Kilogramm.304 Denn wie an der Batanga-Küste reichte die bloße Nachfrage nach Kautschuk nicht aus, um die Gummiproduktion zu initiieren. Auch hier durchlief Kautschuk einen Kommodifizierungsprozess vom wertlosen Waldprodukt zu einer Ware, der sowohl europäische Firmen als auch die Bewohner der Regenwälder einen Wert zumaßen, der demjenigen des Elfenbeins gleichkam. Für Südostkamerun ist es möglich, genau nachzuverfolgen, wie und wo der Handel mit Kautschuk begann und welche Methoden benutzt wurden. Deutlich zeigt sich, dass die GSK kein rohstoffausbeutender Heuschreckenschwarm war, sondern vielmehr zusammen mit der Regierung explizit eine Politik verfolgte, die die natürlichen Ressourcen ihres Gebietes schonte. Bis zur Ankunft der GSK war Kautschuk auch in Südostkamerun keine Handelsware gewesen. Weder SAB noch NAHV hatten Gummi in der Region gekauft. Wie Thys gegenüber den deutschen Investoren offenlegte, war dies wegen der hohen Transportkosten unrentabel. Am teuersten war nicht die Beförderung von Kautschuk und Handelswaren per Dampfer über Kongo und Sangha, sondern die Strecke zwischen Stanley Pool und Matadi, wo der Kongo wegen der Katarakte nicht mehr schiffbar war und teure Träger alle Lasten transportieren mussten.305 Im Gegensatz zu Elfenbein waren die Gewinne, die mit Kautschuk zu erzielen waren, zu gering, um den Transport über eine so weite Strecke (ca. 1400 Kilometer Dampferplus fast 400 Kilometer Trägertransport!) zu finanzieren. Schon auf der Hinreise erfuhr Plehn vom Hauptagenten der NAHV deshalb, die Kautschukproduktion sei am Ngoko „gänzlich unbekannt“,306 was der Stationschef vor Ort bestätigt fand.307

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Vgl. BArch R 1001/3444, 119. HADB K1/395 Scharlach an Schinckel, ?.10.1898. Vgl. AGR CCCI 1682 Kautschukeinkäufe der GSK 1900–1911, o.D. Vgl. HADB K1/395 Thys: Commerce, o.D. Zur Trägerarbeit zwischen Matadi und Pool vgl. Samarin 1985; Samarin 1989a, 115–132. 306 BArch R 1001/4374, 212. 307 Vgl. BArch R 1001/4375, 187.

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Auch Plehns Nachfolger von Stein machte auf seinen Expeditionen immer wieder die Erfahrung, dass die Menschen mit der Kautschukgewinnung in den meisten Gebieten nicht vertraut waren.308 Wahrscheinlich kannten sie auch hier die kautschukliefernden Pflanzen und nutzten im Alltag kleine Mengen des Rohstoffs.309 Sicher aber stellte die Bevölkerung Südostkameruns vor der Jahrhundertwende keine größeren Mengen Kautschuk her, da dieser wertlos war. Doch die Fertigstellung der Kongobahn zwischen Kinshasa und Matadi schuf 1898 die Voraussetzungen für eine Kommodifizierung von Kautschuk in Sangha-Ngoko. Die Kongobahn machte die Karawanen überflüssig und ermöglichte es, auch Kautschuk aus Südostkamerun gewinnbringend in Europa zu verkaufen.310 Dass der Bevölkerung die Kautschukproduktion unbekannt war, bremste zwar das Geschäft der GSK. Es bedeutete aber auch, dass die zerstörerischen Methoden der Kautschukgewinnung, die binnen kürzester Zeit die Bestände gummiliefernder Pflanzen entlang der gesamten Westküste vernichtet hatten, in Sangha-Ngoko nicht existierten. Regierungsbeamte und GSK-Agenten erkannten darin eine Chance: In den nächsten Jahren bemühten sie sich gemeinsam mit Erfolg, systematisch sogenannte „rationale“ Methoden der Kautschukgewinnung im Konzessionsgebiet zu verbreiten, um eine nachhaltigere Nutzung der Gummibestände zu ermöglichen.311 Die GSK zur Gallionsfigur im Kampf gegen die destruktiven Methoden zu machen, war jedoch kein lang entwickelter Plan. Noch kurz vor Gründung der GSK schrieb Scharlach, diese werde „im Anfang die Gummigewinnung in bisheriger Weise durch Raubbau betreiben müssen“.312 Die nachhaltigere Produktion verdankte sich einer Verkettung von Zufällen, wissenschaftlichen Erkenntnissen und afrikanischem Knowhow. Dem fehlenden Wissen der Bevölkerung über die Methoden zur Kautschukgewinnung entsprach ein Mangel an Wissen unter den Angestellten der GSK über die Kautschukpflanzen des Konzessionsgebietes. Weder wussten sie, nach welchen Pflanzen sie suchen mussten, noch, wie man aus diesen Gummi gewinnen konnte. Am Kongo waren Landolphia-Lianen die wichtigste Quelle für Kautschuk.313 Langheld und andere GSK-Angestellte, die vorher dort für die SAB gearbeitet hatten, hielten deshalb in Sangha-Ngoko ebenfalls nach Lianen Ausschau.314 Doch

308 Vgl. BArch R 1001/8114, 75; BArch R 1001/4377, 159; BArch R 1001/4378, 31; Schlechter 1900f, 86. 309 Die Stämme von Funtumia nutzte die Bevölkerung zum Bau ihrer banjo. Vgl. Schlechter 1900f, 112. 310 Zur Kongobahn vgl. van Reybrouk 2012, 108–111. 311 In den meisten Regionen Afrikas scheiterten solche Versuche. Vgl. Fenske 2010, 20. 312 HADB K1/395 Scharlach an Schinckel, ?.10.1898. 313 Vgl. Harms 1975, 81 f. 314 Vgl. BArch R 1001/3443, 85.

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Landolphia-Arten spielten im Konzessionsgebiet der GSK keine besondere Rolle. Stattdessen war die bedeutendste kautschukliefernde Pflanze der Baum Funtumia elastica, zeitgenössisch Kickxia elastica genannt. Kam der Baum im Küstengebiet Kameruns nur vereinzelt vor, so war er im Südosten, der ein anderes Regenwaldbiotop besaß als das übrige Kamerun, massenhaft verbreitet. Vor allem in den unbesiedelten Wäldern wuchs Funtumia sogar in geschlossenen Beständen.315 Die GSK-Angestellten brauchten jedoch Hilfe von außen, um diesen Reichtum zu erkennen. Als die GSK begann, ihr Konzessionsgebiet zu bearbeiten, war Funtumia elastica noch ein neues Mitglied der Familie von Pflanzen, deren Kautschuk Europäer in Afrika kauften. Erst kurz zuvor war die Art in Kamerun erstmals wissenschaftlich beschrieben worden. Die Geschichte dieser Erstbeschreibung wirft ein Schlaglicht darauf, wie bedeutsam afrikanisches Expertenwissen und der westafrikanische Arbeitsmarkt für koloniale Forschung sowie kolonialen Kapitalismus waren. Besondere Aufmerksamkeit erhielt die Pflanze seit dem „silk rubber“-Boom der britischen Kolonie Lagos 1895.316 Quelle des plötzlich massenhaft exportierten und hoch bewerteten Gummis war ein Baum im Yoruba-Gebiet, den Botaniker zunächst als Kickxia africana (heute: Funtumia africana) identifizierten. Paul Preuss, Direktor des Botanischen Gartens in Victoria, entdeckte 1897 die Kickxia africana auch am Kamerunberg und hoffte auf einen Kautschukboom wie in Lagos.317 Ähnliches dachte auch ein unbekannter Unternehmer.318 Dieser ließ deshalb vier erfahrene Fante aus Lagos kommen, denn Fante aus der Gold Coast waren in Südnigeria bedeutende Gummisucher.319 Der Unternehmer geriet jedoch in Streit mit seinen Fante-Arbeitern, die angaben, von den Bäumen am Kamerunberg keinen Kautschuk gewinnen zu können. Deutsche Labore, an die Preuss einige Proben der von ihm entdeckten Bäume schickte, bestätigten die Aussagen der Fante: Der Latex enthielt keinerlei Kautschuk! Da Preuss bereits seit längerem nach Gummisuchern mit entsprechendem Knowhow gesucht hatte, stellte er die Fante ein, um dem Rätsel auf die Spur zu kommen. Sie erzählten ihm: Im Hinterlande von Lagos gäbe es zwei einander ähnliche grosse Bäume, welche zur Kautschukbereitung benutzt würden. Dieselben würden „Okeng“ und „Ofúntum“ genannt. Der erstere allein gäbe keinen Kautschuk, er sei derjenige, der auch in Victoria so viel zu

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Vgl. BArch R 1001/8114, 76. Vgl. Omosini 1979. Zum Folgenden vgl. Preuss 1898. Sicher John Holt & Co. Vgl. GStA PK III. HA II/Nr. 5329, 117. Vgl. Omosini 1979, 28, passim. Zu Fante-Gummisuchern vgl. Dumett 1971; Arhin 1972; Arhin 1980.

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finden sei (d. h. Kickxia africana). Der Ofúntum sei dem Okeng zwar sehr ähnlich, aber seine Blätter ähnelten mehr denen des arabischen Kaffees […].320

Damit hatten die Fante Preuss auf die richtige Spur gesetzt. Er erinnerte sich, den zweiten Baum schon einmal gesehen zu haben. Auf einer Suchexpedition stieß er bei Malende am Mungo-Fluss auf einige Exemplare, schnitt sie an und erhielt sehr guten Kautschuk. Er beschrieb den Baum als eine neue Art, die er Kickxia elastica nannte.321 1905 trennte der Botaniker O. Stapf die afrikanischen Arten der Gattung Kickxia von den asiatischen ab und verwendete als Gattungsnamen Funtumia, abgeleitet vom Fante-Begriff ofúntum, wodurch er das Wissen der Fante-Gummisucher honorierte.322 Wissenschaftlich korrekt hieß die Spezies nun Funtumia elastica – in Südkamerun aber sprachen alle Europäer weiterhin von Kickxia. Die Nutzbarmachung dieses neuen Wissens und die Entdeckung der Funtumia elastica in Sangha-Ngoko sind eng mit dem Botanik-Studenten Rudolf Schlechter verbunden. Er sorgte dafür, dass passendes Knowhow, über das die GSK anfangs nicht verfügte, aus anderen Kautschukregionen nach Sangha-Ngoko kam, das eine „rationale“, d. h. nachhaltige, Produktion von Kautschuk ermöglichte. In Deutschland hatte angesichts der Entwicklungen in Südkamerun und an anderen westafrikanischen Kautschukfrontiers 1898/99 die Diskussion über die Gefahren des Raubbaus für die Kautschukversorgung der deutschen Industrie einen Höhepunkt erreicht.323 Daraufhin beschloss im Frühjahr 1899 das Kolonial-Wirtschaftliche Komitee (KWK), eine kolonialwirtschaftliche Lobbyvereinigung,324 eine Expedition auszusenden, um den Anbau von Kautschukpflanzen in den deutschen Kolonien zu prüfen.325 Diese „Westafrikanische Kautschuk-Expedition“ leitete Schlechter. Geboren 1872 in Berlin, hatte Schlechter nach dem Gymnasium eine Ausbildung als Gärtner begonnen.326 Im November 1891 reiste er nach Südafrika, um vier Jahre lang die dortige Flora zu erforschen. 1896 untersuchte er im portugiesischen Mosambik als botanischer Sachverständiger „im Auftrage einer größeren industriellen Firma“ Kautschuklianen nördlich der Delagoa-Bucht.327 Seitdem galt Schlechter – zu Recht oder Unrecht – als „Kautschukexperte[n]“.328 Zurück in Deutschland

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Preuss 1898, 206. Vgl. Preuss 1899b. Vgl. Stapf 1905, 47. Vgl. Treue 1955, 51–54. Zum KWK vgl. Göttlicher 2003; Pierard 1968; Schmidt 1934. Vgl. Schlechter 1900f, 5. Vgl. Loesener 1926; Nicholas 1992, 215 ff. Loesener 1926, 915. Schlechter 1900f, 5.

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nahm er ein Studium der Botanik und Geologie in Berlin auf. Hier wurde Professor Otto Warburg, der zu Kautschuk forschte, auf ihn aufmerksam, und empfahl dem KWK den Studenten als Expeditionsleiter.329 Vor seiner Abreise tauschte sich Schlechter mit Preuss über dessen neueste Forschungen zu Funtumia (Kickxia) elastica aus. Sein Expeditionsbericht sollte ein flammendes Plädoyer werden, das den Baum zur Zukunft der Kautschukwirtschaft erklärte.330 Auf der ersten Station seiner Forschungsreise, dem Yorubaland, machte er sich mit dem dort selten gewordenen Baum vertraut.331 Seine nächste Etappe war Kamerun, wo er sich bemühte, Funtumia als Plantagenbaum zu etablieren.332 Über den Kongo reiste er Anfang September 1899 ins Konzessionsgebiet der GSK.333 Zwei Monate lang durchstreifte der 27-Jährige die Wälder nahe der Station am Ngoko und befuhr mit den GSK-Agenten den Djah. Hier entdeckte er die Funtumia erstmals in großer Anzahl. Begeistert schrieb er an das KWK: „Der Gesellschaft Südkamerun muss man gratulieren, das südöstliche Gebiet derselben ist sehr reich an Kautschuk, es ist die kautschukreichste Gegend, welche ich in Afrika gesehen habe“.334 Schlechter prägte die Art und Weise, wie Kautschuk in den kommenden Jahren in Südostkamerun gewonnen wurde. Anfangs war die Zusammenarbeit mit der GSK schwierig. Seine Freude über die Entdeckung, schrieb er, „wurde mir bald genommen, als ich sah, dass Herr Kalmar eine [Funtumia – T. Oe.] nach der anderen fällen liess, da er behauptete, dass sonst keine anderen geraden Stämme zum Häuserbau vorhanden seien als Kickxien“.335 Schlechter klärte die GSK-Agenten über den Schatz auf, den die Regierung ihrer Firma geschenkt hatte, und zeigte ihnen, wie sie Funtumia elastica von anderen Bäumen unterscheiden konnten.336 Darüber hinaus definierte Schlechter mit wissenschaftlicher Autorität die Methoden der Kautschukgewinnung, die kaum verändert bis zum Ersten Weltkrieg und wahrscheinlich darüber hinaus in Sangha-Ngoko in Gebrauch blieben.337 Diese unterschieden sich erheblich von denen, die über den Gabun-Handel an der Batanga-Küste zum Einsatz kamen. Denn die Methoden spiegelten die globale Weiterentwicklung der Kautschukwirtschaft. Ridley, seit 1888 Leiter des Botanischen Gartens in Singapur, hatte dort an brasilianischen Hevea-brasiliensis-Bäumen An-

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Vgl. Loesener 1926, 916 f. Vgl. Schlechter 1900f, 1. Vgl. Schlechter 1900f, 14–21. Zum Verlauf der Reise vgl. Loesener 1926, 927 ff. Vgl. Kap. 5.2. Vgl. BArch R 1001/3443, 145. Schlechter 1900a, 31. Schlechter 1900f, 112. Vgl. Schlechter 1900f, 113. Vgl. auch MFM KJh 2 Kalmár 1913a, 50. Vgl. KWK 1913, 70.

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fang der 1890er den „Grätenschnitt“ erfunden,338 den Schlechter den GSK-Agenten auch für Funtumia elastica empfahl: Während der Gummisucher den Baum erklomm, ritzte er von unten nach oben mit einem Baumreißer oder später mit ähnlich konstruierten Kautschukmessern eine senkrechte Rinne in den Stamm, in der der austretende Latex nach unten laufen konnte. Danach machte er auf beiden Seiten zahlreiche schräg auf diese Rinne zulaufende Schnitte, wodurch sich der Eindruck einer Fischgräte ergab. Auf diese Weise tropfte der Latex einer großen Rindenfläche entlang der Mittelrinne in einen am Boden aufgestellten Behälter.339 Der Baum überlebte die Prozedur, die, nachdem er sich erholt hatte, wiederholt werden konnte. Dies erlaubte – so zumindest die Theorie – eine nachhaltige Nutzung des Baumes. Dass Schlechter als derjenige galt, der den Grätenschnitt in Kamerun eingeführt hatte,340 unterschlägt die Rolle afrikanischer Experten, die Schlechter selbst in seinem Expeditionsbericht betonte. Denn den Grätenschnitt befürwortete er mehr aus Verlegenheit als aus Überzeugung. Seine mitgebrachten Werkzeuge, mit denen er eine Möglichkeit finden wollte, Gummi zu gewinnen, gleichzeitig aber die Funtumia am Leben zu lassen, hatten an der harten Rinde des Baumes versagt. Für seine Experimente zur Koagulation versorgte ihn einer von Plehns Soldaten mit Latex. Der namentlich nicht bekannte Mann war ebenfalls ein Fante von der Gold Coast, der in seiner Heimat oder in Lagos Kautschuk von Funtumia gewonnen hatte. Der Fante verwendete hierzu kein „traditionelles“ Wissen, sondern den in Singapur entwickelten Grätenschnitt. Offenbar hatte in den 1890ern innerhalb des Britischen Empire bereits ein Transfer von Wissen stattgefunden: von Südostasien an die Gold Coast und von Hevea brasiliensis auf Funtumia elastica.341 Eigentlich hielt Schlechter vom Grätenschnitt nicht viel, da dieser leicht das Cambium verletzte und damit den Baum tötete. In Lagos z. B. waren Fante-Kautschuksucher als Verbreiter destruktiver Methoden berüchtigt.342 Schlechter war deshalb überrascht, dass der Soldat zwar „auf die roheste Art“ vorging,343 der Baum aber überlebte. In Ermangelung besserer Techniken und angesichts der Widerstandskraft des Baumes

338 Vgl. Uekötter 2015, 251. 339 Schlechter empfahl ursprünglich, die zentrale Rinne von oben zu ziehen. Vgl. Schlechter 1900f, 240 f. 340 Vgl. Kinzelbach 1909, 32. 341 Vgl. Schlechter 1900f, 236, 239. Plehn hatte 12 Lagos-Leute, die Kautschuk herstellen konnten. Möglicherweise ließ der Fante sich in Lagos anwerben. Vgl. BArch R 1001/4374, 212. Nach Dumett wurde der Grätenschnitt in der Gold Coast erst nach 1900 eingeführt. Nach Omosini hingegen etablierten die Fante ihn vor 1895 in Nigeria. Vgl. Dumett 1971, 86; Omosini 1979, 33 f. 342 Vgl. Omosini 1979, 28. 343 Schlechter 1900f, 237.

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empfahl Schlechter den Grätenschnitt – schonender als das an der Kameruner Küste verbreitete Fällen der Bäume war es allemal. Schlechter bemühte sich auch, die beste und einfachste Koagulationsmethode für Kautschuk zu bestimmen. Am sinnvollsten erschien ihm, den Latex mit der dreibis sechsfachen Menge Wasser in Tontöpfen zu kochen, den geronnenen Kautschuk in Wasser zu kühlen, ihn anschließend zu wurstförmigen Stücken zu pressen und diese dann zu zerschneiden und zu trocknen.344 Auch diese Technik blieb bis zum Ende der deutschen Kolonialherrschaft mit wenigen Veränderungen der Standard in der Kautschukproduktion Südostkameruns.345 Angesichts der grassierenden Vernichtung kautschukproduzierender Pflanzen an der Südkameruner Frontier und anderswo in Afrika versuchten die Beamten und GSK-Agenten, im Konzessionsgebiet ausschließlich den Grätenschnitt zu verbreiten. Besonders bedeutsam waren hierbei die afrikanischen Arbeiter und ihr praktisches Wissen. Schlechter glaubte, die von ihm für gut befundenen Methoden könnten die afrikanischen Stationsangehörigen am besten unter der Bevölkerung vermitteln.346 Er führte ihnen deshalb die oben beschriebene Technik zur Kautschukgewinnung vor – nicht aber den Grätenschnitt, denn da waren sie ihm offensichtlich bereits voraus – und schärfte ihnen ein, „dass nur der Kautschuk in der Faktorei der Südkamerun-Gesellschaft zu verkaufen sei, welcher in der von mir demonstrierten Art hergestellt ist“.347 Die so instruierten Männer verbreiteten in den nächsten Jahren diese angeblich „rationale“ Form der Kautschukgewinnung: die Kombination von Grätenschnitt und Kochen des Latex in Wasser. Als von Stein die Station übernahm, unterrichtete das afrikanische Personal der Verwaltung die immer zahlreicher werdenden GSK-Arbeiter, die ihrerseits die Bezirksbewohner instruieren sollten.348 Auch von Stein selbst lernte so Schlechters „rationale“ Kautschukgewinnung kennen.349 Bei seinen Reisen durch den Bezirk sorgte er dafür, dass „besonders zu diesem Zweck ausgebildete Yaunde-Leute“ der Expedition „in jedem Nachtlager eine eingehende praktische Vorführung der Gummigewinnung an die noch ganz unberührten Landesbewohner“ durchführten.350 Sein Nachfolger Scheunemann sowie dessen Vertreter Preuss setzten diese Maßnahmen fort.351 Gezielt nutzten sie größere Zusammenkünfte, um viele Menschen zu erreichen. In

344 345 346 347 348 349 350 351

Vgl. Schlechter 1900f, 242. Vgl. KWK 1913, 70. Vgl. Schlechter 1900d, 114. Schlechter 1900f, 100. Gummi der Soldaten enthielt zu viel Wasser. Vgl. Schlechter 1900d, 113. Vgl. BArch R 1001/3450, 203. Vgl. BArch R 1001/8114, 74 f. BArch R 1001/8114, 75. Zur Einführung vgl. BArch R 1001/4378, 65 f. Vgl. BArch R 1001/4380, 114; BArch R 1001/4380, 121 ff.

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Badiabe beispielsweise ließ Preuss 1904 die Kautschukgewinnung vor ca. 1000 Zuschauern demonstrieren.352 Auch die GSK unterrichtete die Menschen in diesen Methoden. Scheunemann, der kein Freund der GSK war, bescheinigte ihr im März 1904, dies in „wirklich anerkennenswerther Weise“ getan zu haben.353 Diese Bemühungen waren von Erfolg gekrönt. In Sangha-Ngoko entstand in den ersten Jahren keine sich weiterschiebende Kautschukfrontier wie im Hinterland der Batanga-Küste.354 Stolz betonte von Stein, mithilfe der Belehrungen habe sich „in diesem Gebiete ein Raubbau überhaupt nicht entwickeln können“.355 Zur Aufklärung trat aber auch das Verbot weniger nachhaltiger Techniken. Bereits Schlechter hielt es für „entschieden wünschenswert, dass im Ngoko-Gebiete ein unnötiges Umschlagen der Kickxiabäume strengstens bestraft würde, sobald sich ein solches nachweisen lässt.“356 Nachdem von Stein den Bezirk übernommen hatte, verbot er, Kautschuk durch destruktive Methoden zu gewinnen. Wo trotzdem jemand eine Funtumia fällte, um Kautschuk zu gewinnen, statt sie durch den Grätenschnitt anzuzapfen, griff die Regierung zu energischen Strafmaßnahmen. Zwar konnte sie in dem riesigen Regenwaldgebiet niemals flächendeckend das Raubbauverbot durchsetzen. Wo die Beamten jedoch auf gefällte Kautschukbäume stießen, bestraften sie kollektiv das gesamte Dorf.357 Auch wenn es GSK und Staat gelang, die nachhaltige Kautschukgewinnung zu etablieren, waren die Ergebnisse doch nicht immer, wie erhofft. Das Wissen über die Biologie der Funtumia, die Methoden zur Gewinnung von Kautschuk, die jahresund lebenszeitlichen Rhythmen der Pflanze und ihre Auswirkung auf die Kautschukgewinnung waren nicht nur den Wissenschaftlern in Europa und Kamerun oder den Angestellten von GSK und Regierung, sondern auch der Bevölkerung unbekannt. Eine handhabbare Methode bedeutete nicht, dass alle Probleme gelöst waren. Wie oft ließ sich der Baum anzapfen? Wie lang mussten die Intervalle zwischen den Zapfdurchgängen sein? Wie genau hatte der Grätenschnitt auszusehen? War er verbesserbar? Niemand wusste Antworten auf diese Fragen. Nicht nur die Gärtner im Botanischen Garten in Victoria, sondern auch die Gummisucher in Südostkamerun experimentierten in den nächsten Jahren mit den Bäumen. Folglich differenzierten sich die Methoden aus und waren keineswegs uniform. Die Gummisucher sammelten Wissen, Halbwissen und Bauernregeln über die

352 Vgl. BArch R 1001/4380, 121. 353 BArch R 1001/4380, 92. 354 In den Konzessionsgebieten des Kongostaats etablierte sich ebenfalls keine linienförmige Kautschukfrontier, sondern eher verschwanden die Pflanzen punktförmig. Vgl. Harms 1975, 75. 355 BArch R 1001/8114, 75. 356 Schlechter 1900f, 107. 357 BArch R 1001/8114, 77 f.

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Bäume. Dies ging oftmals zulasten der Nachhaltigkeit. Denn die Grätenschnittmethode war – wie bereits Schlechter wusste – kein Allheilmittel und tötete, wenn sie falsch ausgeführt wurde, den Baum. Wenig nachhaltig etwa klingt die Methode, die Kunabembe-Gummisucher 1905 in Duluku ausführten: „Die Grätenschnitte gehen rund um den Stamm und treffen sich auf der dem Mittelschnitt gegenüberliegenden Seite“,358 wie ein GSK-Agent berichtete. „Der Eingeborene“, so die wenig plausible Begründung, „schneidet darum die Gräten so weit, weil der Baum dann bei der zweiten Anzapfung mehr Milch geben soll wie bei der ersten.“359 Ebenfalls wenig nachhaltig waren die Methoden, die Gummisucher in Kul 1905 dem GSK-Agenten Erich Müller vorführten: Nicht nur machten sie auf zwei Seiten des Baumes gleichzeitig einen Grätenschnitt. „Nach einer Stunde wurden zwischen den alten Schnitten nochmals neue angebracht.“360 Das Ergebnis dürfte ein schnelles Absterben des Baumes gewesen sein. Dass Gummisucher aus ihren Experimenten auch die richtigen Schlüsse ziehen konnten, zeigen Praktiken der Gummisucher aus Bakinekoe, die GSK-Agent Jerôme Heuser mitteilte: Auf 3,5 Metern Mittellinie machten sie „15–16 Grätenschnitte und behaupten engere, als Schnitte mit 10 cm Abstand bringen den Baum schnell zum Absterben“.361 Die Verbreitung der „rationalen“ Kautschukproduktion im GSK-Gebiet war demnach nicht ausschließlich ein Top-down-Prozess. Auch waren die Ergebnisse nicht überall so nachhaltig, wie sich die europäischen Akteure dies wünschten. Trotzdem waren sie besser als an der Kautschukfrontier im Hinterland der Batanga-Küste. Ein Massensterben der kautschukproduzierenden Pflanzen blieb aus. Die Kautschukgewinnung nahm deshalb in Südostkamerun keinen Frontiercharakter an, sondern verbreitete sich nach und nach über das Konzessionsgebiet, ohne irgendwo aufgrund ökologischer Krisenphänomene zu verschwinden. Der Kautschukhandel der GSK Wie Woermann und Jantzen & Thormählen an der Batanga-Küste um 1890 scheiterte auch die GSK lange Zeit damit, die früheren Zwischenhändler dazu zu bewegen, Gummi zu produzieren. Wie die Batanga verstanden sich die Missangha als Händler. Plehn schrieb 1899, dass die wenigen Menschen am Fluss so weit sie überhaupt zu irgend welcher Tätigkeit geneigt sind, reichen und ziemlich mühelosen Gewinn im Elfenbeinhandel finden und sich daher schwer zu einer weniger

358 359 360 361

Strunk 1905, 249 f. Strunk 1905, 250. Die Technik war auch im Bangandu-Gebiet verbreitet. Vgl. Strunk 1905, 250. Strunk 1905, 250. Strunk 1905, 250.

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einträglichen und mühevollen Beschäftigung wie der des Gummibereitens entschließen werden. So sind bisher alle Anregungen erfolglos gewesen.362

Auch Schlechters Expedition änderte hieran nichts. Der CCFC-Ingenieur Oscar Williame beschrieb die Situation in den Missangha-Dörfern wie folgt: Dies Dorf Ngoko besteht aus 50 Hütten und 3 Banzas (Befestigungen) und enthält ca 100 erwachsene Männer und ca 175 Weiber und Kinder. […] Bisher ist es noch nicht gelungen sie zu irgend einer Arbeit heranzuziehen, sie beschränken sich auf Jagd und Fischerei; die Weiber pflanzen etwas Mais, Maniok und Bananan [sic!]. Kein einziger von den Männern hat bisher Gummi machen wollen, einer oder zwei sind gelegentlich einmal auf Elfenbeinsuche ausgegangen. Von Ngoko oberhalb muss man bis Molundu gehen, um wieder Eingeborene anzutreffen […]. Auch hier thun dieselben Missangas nichts und die Anpflanzungen sind recht unbedeutend. […] Sie machen keinen Gummi, wollen keine Trägerdienste leisten und gehen kaum auf Elfenbeinsuche. […] Oberhalb von Molundu kommen wir zur Insel Mamma […]. Diese Leute […] bekümmern sich weder um Gummi noch um Elfenbein. Ein wenig weiter flussaufwärts stossen wir auf das alte Dorf Shamma […]. Dies Dorf giebt sich weder mit Gummiherstellung noch mit Elfenbeinhandel ab […]. Wir kommen nun zum Dorfe Bomedali auf der Insel gleichen Namens belegen [sic!]. […] Von Gummi- und Elfenbeinhandel wieder nichts, kaum einmal etwas angepflanztes; diese Leute thun überhaupt nichts. […] Wir kommen nun zum Dorfe Lobolo etwa 4 km oberhalb der Faktorei Bomedali am rechten Djah Ufer belegen. […] Der Chef hat, wie ich höre, ca 15 Badjiris in seinen Diensten, welche für ihn die Jagd betreiben, das Resultat an Elfenbein ist aber recht gering. Wir kommen nunmehr auf der Höhe des Kuddu zum Dorfe Ngoila […]. [...] [Dessen Bewohner] bekümmern sich einigermaßen um die Gummiernte. Es ist dies das einzige Dorf, welches sich hiermit abgiebt.363

Gelegentlicher Elfenbeinhandel reichte den Missangha-Familienoberhäuptern, um ihren Wohlstand zu wahren. Sie waren nicht daran interessiert, ein neues Produkt zu verkaufen, von dem sie erst lernen mussten, es herzustellen, und das möglicherweise die soziale Ordnung verändert hätte. Möglicherweise hatten die meisten MissanghaDörfer aufgrund der Konflikte mit ihren Nachbarn und ihrer Konzentration auf Handel und Fischfang auf dem Fluss auch kein Zugangsrecht zu den Wäldern hinter ihren Dörfern. Schließlich gelang es der GSK aber doch, die Menschen zur Produktion von Gummi zu bringen. Wenn Staat und Unternehmen schon bestimmte Methoden

362 BArch R 1001/4375, 187. 363 BArch R 1001/3443, 83–86.

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für die Kautschukgewinnung vorgaben, liegt der Verdacht nahe, dass sie die Bevölkerung zwangen, Gummi zu liefern. Allein hierfür gibt es keine belastbaren Belege. Vielmehr sahen auch im Südosten junge, nicht etablierte Männer im Handel mit der GSK neue Möglichkeiten zum Autonomiegewinn. Der erste Schwerpunkt des Kautschukhandels war das relativ dicht bevölkerte, nominell französische Bombassa-Gebiet.364 Da sich dort anfangs nur selten ein Franzose blicken ließ, handelte die GSK auch dort. Den Anfang machten Handelsposten am Djah in den Dörfern Ngoila und Bomedali: „Ein primitives Häuschen aus Baumrinden mit Palmmattendach, ein ebensolches Magazin mit Laden und ein paar Hütten für das Personal ist alles. Dahinter beginnt ganz dicht der schweigende, unendliche Wald.“365 Doch Ende 1900 begannen die GSK-Händler, in ebendiesen Wald vorzudringen. GSK-Agent Bernauer legte eine Faktorei in Moassi an und erschloss das Bombassa-Gebiet für den Handel seiner Firma. Ältere Männer erzählten 1961, die Deutschen hätten Jägern Geschenke gemacht, damit diese sie zu den Dörfern führten. Dort sagten sie zu den Leuten: „Donnez-nous de l’ivoire, vous aurez des marchandises“.366 Bald ging es nicht mehr allein um Elfenbein, sondern vor allem um Kautschuk. Zwischen Februar 1900 und Ende März 1903, als das Unternehmen das Gebiet räumen musste, das nun an die französische Konzessionsgesellschaft Compagnie de la N’Goko-Sangha fiel, hatten die Faktoreien Bomedali, Ngoila, Moassi und Matulli über 60 Tonnen Kautschuk geliefert.367 Dies waren ca. 50 Prozent der gesamten bisherigen Gummi-Exporte der GSK.368 Die GSK konzentrierte sich anfangs auf das Bombassa-Gebiet, weil es nah am schiffbaren Djah lag und auch der kleine Fluss Kuddu über 25 Kilometer weit mit Kanus befahrbar war.369 Zwar war die GSK eine Konzessionsgesellschaft, doch sie betrieb ihr Geschäft anfangs wie die SAB. Diese war das Muster einer Firma, deren Vordringen ins Innere „river-based“ war:370 Bekannt als „Lord of the River“, war sie in den 1880ern und 1890ern mit Kanus und Dampfern entlang des Kongo und seiner Nebenflüsse expandiert. Auch die GSK, die ihre Hauptfaktorei am schiffbaren Ngoko anlegte und mit Dampfern Kongo und Sangha befuhr, war anfangs ein Flussunternehmen, das seinen Handel auf Gebiete an schiffbaren Flüssen ausrichtete, sodass die Transportkosten niedrig blieben. Im Bombassa-Gebiet konnte die GSK ihre Produkte mit Einbäumen, die bis zu einer Tonne Ladung fassen konnten,371

364 365 366 367 368 369 370 371

Vgl. BArch R 1001/4377, 125, 129. Zur Bevölkerungsdichte vgl. Robineau 1967, 308. Stein 1926, 151. Zitiert nach Vincent 1963b, 71. Vgl. BArch R 1001/3445, 45. Eigene Berechnung. Vgl. AGR CCCI 1682 Kautschukeinkäufe der GSK 1900–1911, o.D. Vgl. AFS 415 Schlippenbach: Grenzbericht, 27.04.1902; Stein 1926, 151. Van der Laan, 1982, 549. Vgl. AFS 415 Schlippenbach: Grenzbericht, 27.04.1902.

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billig abtransportieren. Nördlich des Djah und des Ngoko machten die geringe Bevölkerung und die Stromschnellen, die die Schiffbarkeit von Djah und Bumba unterbrachen, den Kautschukhandel schwierig, denn beides führte vorerst zu einem unlösbaren Transportproblem. In den folgenden Jahren expandierte die GSK mithilfe der Regierung auch in andere Regionen, wo sich nach und nach ein Kautschukhandel entwickelte. Hierbei gaben die Verläufe der Flüsse des Konzessionsgebietes, Djah und Bumba, die sich bis auf Weiteres als nicht schiffbar erwiesen, sowie die unbewohnten Waldgebiete zwei Expansionsrichtungen vor: zum einen nach Westen von den Dongo-Schnellen am Djah, dem Ende der Schiffbarkeit, durch die tote Zone über das Dorf Ngato ins Ndsimu-Gebiet; zum anderen nach Norden entlang des Bumba-Tales durch das Bangandu-Gebiet und dann in Richtung Jukaduma und Dume-Gebiet.372 Wie die Firmen Südkameruns legte die GSK in ihrem Gebiet Faktoreien an – aber nach einem anderen Modus: Woermann oder Randad & Stein errichteten ihre Faktoreien an der Kautschukfrontier und gaben sie bis auf strategisch und logistisch wichtige Depots auf, nachdem sie keinen Gummi mehr in einem Gebiet kaufen konnten.373 Faktoreien und Buschfaktoreien konzentrierten sich entsprechend an der Kautschukfrontier. Das Expansionsmuster der GSK jedoch folgte dem Modell der Konzessionsgesellschaften des Kongostaates.374 Das Unternehmen drang zuerst (wo möglich) entlang der Flüsse in sein Gebiet vor und legte Faktoreien „immer in der Nähe eines grösseren Dorfes auf einer in den Urwald geschlagenen Lichtung“ an.375 Weder beschränkten sich diese aber auf eine Kautschukfrontier, die in Sangha-Ngoko nie entstand, noch besaßen die Faktoreien temporären Charakter. Stattdessen versuchte die GSK, ihr Gebiet mit Faktoreien zu überziehen – also ihr Territorium zu besetzen. Von Schlippenbach hoffte im September 1902, binnen acht Monaten eine vollständige Besetzung des Konzessionsgebiets zu erreichen.376 Auch aufgrund der geringen Bevölkerung gelang der GSK dies nie. De facto schuf sie ein Netzwerk von Faktoreien in den besiedelten Gebieten, die entlang wichtiger Routen wie Perlen an einer Schnur aufgereiht waren.377 Eine Faktorei, beschrieb GSK-Agent Willy von der Osten, der sich 1907 in Kamerun aufhielt,378

372 373 374 375 376 377 378

Vgl. Petersen 1936, 74. Vgl. Kap. 2.2. Vgl. Harms 1983, 130 f. Osten 1911, 2. Vgl. BArch R 1001/3444, 162. Vgl. AFS 415 Direktoriumssitzung, 05.02.1903, Unteranlage k; Petersen 1936, 69. Vgl. WKM HBM Af III 282 Stetten an Eltern, 20.05.1907, 45.

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besteht aus dem eigentlichen Faktoreigebäude, dem Gummischuppen, dem Fremdenhaus für durchmarschierende Weisse, der Küche, Ziegen- und Hühnerstall, sowie einigen Hütten für Koch, Boys und Arbeiter. Das Faktoreigebäude enthält das Warenmagazin, ein Schlafzimmer für den Leiter, Schreibzimmer und Speisekammer. Alle Gebäude gruppieren sich um einen geräumigen Hof und um die ganze Faktorei läuft gewöhnlich ein Zaun; das nötige Baumaterial liefern die sehr ergiebigen Baumbussümpfe.379

Abhängig von den Faktoreien waren kleinere Posten, denen weitere Einkaufsposten unterstanden, die den Buschfaktoreien der Küstenfirmen entsprachen.380 Faktoreien waren mit einem Europäer besetzt, Posten von einem Europäer oder afrikanischen Clerk.381 Bis Anfang 1903 hatte die GSK 15 Faktoreien und zehn Posten gegründet,382 die Abstände zwischen den Faktoreien variierten je nach Ergiebigkeit und Bevölkerung der Region zwischen zwei und zwölf Tagesreisen.383 1903 arbeiteten für die GSK 30 europäische und 20 afrikanische Angestellte (meist aus Westafrika).384 Jedem waren 20 afrikanische Arbeiter zugeteilt.385 Wie in den Faktoreien der Küstenfirmen dienten diese dazu, Waren und Kautschuk zwischen den Händlern der GSK und den Faktoreien bzw. den Faktoreien und den zentral gelegenen Depots zu transportieren.386 Diese waren über regelmäßige Karawanen mit der Hauptfaktorei in Molundu verbunden, von wo aus der Kautschuk über Ngoko, Sangha, Kongo und Kongobahn nach Matadi und von dort nach Hamburg oder Antwerpen transportiert wurde.387 Die Historiographie betont, dass die Konzessionsgesellschaften den Kautschukhandel mit Gewalt einführten und betrieben.388 In den schriftlichen Quellen findet sich aber kein Hinweis darauf, dass die GSK die Bevölkerung ihres Konzessionsgebietes dauerhaft dazu zwang, Kautschuk zu produzieren. Zwar spielen diese allgemein die Bedeutung von Gewalt herunter. Gleichwohl tritt aber der Zwangscharakter der Trägerrekrutierung offen zutage. Es gibt deshalb keinen logischen Grund, warum die Akteure verschwiegen haben sollten, dass sie die Bevölkerung auch dazu 379 380 381 382 383 384 385 386 387 388

Osten 1911, 2. Vgl. BArch R 1001/3443, 161; BArch R 1001/3444, 49. Vgl. BArch R 1001/3445, 58. Vgl. AFS 415 Direktoriumssitzung, 05.02.1903, Unteranlage i. Auch im Kongo hießen Buschfaktoreien und Faktoreien Posten. Vgl. Harms 1983, passim. Vgl. Osten 1911, 2. Vgl. AFS 415 Direktoriumssitzung, 05.02.1903, Unteranlage f, Unteranlage k. Vgl. AFS 415 Direktoriumssitzung, 05.02.1903, Unteranlage i. Vgl. AFS 416 Stetten: Vorschläge, o.D. [1909]. Vgl. u. a. BArch R 1001/3443, 166; AGR CCCI 1683 Statistik über Ankünfte von Kautschuk 1912–14 in Hamburg und Antwerpen. Vgl. Hochschild 2012; Harms 1975; Harms 1983; Vangroenweghe 2006; Coquery-Vidrovitch 1972.

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zwangen, Kautschuk zu liefern. Gewalt spielte von Zeit zu Zeit eine Rolle beim Erwerb von Kautschuk. Beispielsweise trieb die Station bei unerwünschtem Verhalten Strafzahlungen von den Dörfern ein, die oftmals neben Vieh, Elfenbein und Trägern auch Gummi umfassten.389 Dies fand jedoch auch in den Küstenregionen statt, wo es keine Konzessionsgesellschaften gab.390 Auch verurteilte Scheunemann 1904 einige Njem-Dörfer dazu, der GSK für zerstörtes Eigentum Schadensersatz durch Kautschuklieferungen zu leisten.391 Dies entwickelte sich aber niemals zu einer Art Kongosystem durch die Hintertür. Ein allgemeiner Zwangscharakter lässt sich nicht feststellen. Mündliche Überlieferungen aus Südostkamerun scheinen aber darauf hinzudeuten, dass die GSK die Menschen zwang, Gummi zu produzieren. So berichten Informanten über Quoten und brutale Körperstrafen bei Nichterfüllung.392 Doch diese Aussagen bedürfen einer genauen Interpretation. Wahrscheinlich verwechselten Informanten, auf die sich Stephanie Rupp und Zouya Mimbang stützen, die Kolonialepochen Kameruns. Historische Erinnerungen in Südostkamerun reichen nicht weit zurück. Nach Giles-Vernick gab es bereits in den 1990ern bei den Mpiemu keine Familienerinnerung mehr für die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg.393 Eine Analyse zeigt, dass sich die Informanten nicht auf die deutsche, sondern auf die weniger weit zurückliegende französische Kolonialzeit beziehen. Ndinga Marcel etwa berichtete, seine „propres parents“ hätten Kautschuk für die Deutschen gemacht. Bei Nichterfüllung einer Quote hätten ihnen Körperstrafen gedroht.394 Mit 51 Jahren war Ndinga Marcel 2016 aber zu jung, als dass seine Geschichte plausibel ist. Ein anderer Informant bestand darauf, dass die Kautschukgewinnung erst mit den Franzosen begann.395 Als Schlüssel kann Bekabeka Loupe Richard dienen, der in den 1940er-Jahren, während des Zweiten Weltkriegs, seinem Vater half, Kautschuk zu machen. Er erzählte, sie hätten eine Quote erfüllen müssen. Als die Japaner 1942 die Alliierten von der Versorgung mit Gummi abschnitten, führten die Franzosen in ihren afrikanischen Besitzungen Quoten für Gummilieferungen

389 390 391 392

Vgl. u. a. BArch R 175-I/131, 139. Vgl. Kap. 2.5. Vgl. BArch R 175-I/88, 58. Vgl. Kap. 4.1. Vgl. Rupp 2011, 191; Rupp/Ambata/Narat/Giles-Vernick 2016, 667; Zouya Mimbang 2013, 136 f. Auch in Interviews des Verfassers in Molundu (nicht in anderen Gebieten) erzählten Informanten, „les Allemands“ hätten Quoten zur Ablieferung von Kautschuk eingeführt und Menschen bei Nichterfüllen ausgepeitscht. Vgl. Interview mit Ndinga Marcel, Moloundou, 19.01.2016; Interview mit Sabangawi Dieudonné, Makoka II, 19.01.2016. 393 Vgl. Giles-Vernick 2002, 17. 394 Interview mit Ndinga Marcel, Moloundou, 19.01.2016. 395 Vgl. Interview mit Legou Robert, Moloundou, 19.01.2016; Interview mit demselben in Voignier 2017, 48.

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ein, um den Kriegsbedarf ihrer Verbündeten zu decken.396 Sie griffen auf Methoden zurück, die in den französischen Kolonien bereits vor dem Ersten Weltkrieg genutzt wurden.397 Vor diesem Hintergrund ist es wahrscheinlich, dass die meisten Informanten die deutsche und die französische Kolonialzeit verwechselten – zumal es während beider Kolonialepochen einen Kautschukboom gab und Franzosen und Deutsche gegeneinander Krieg führten. Für eine dauerhaft von der GSK auferlegte, mit Gewalt eingetriebene Kautschukquote gibt es deshalb keine hinreichenden Belege. Ein Sprachführer Deutsch-Bangala (der vom Kongo stammenden Verkehrssprache), der bei der GSK in Gebrauch war, deutet in eine andere Richtung: Guten Tag! – Guten Tag (Erwiderung) – Du willst mir Elfenbein und Kautschuk bringen? – was willst du haben? – gieb mir Stoff – weiß, rot, schwarz? – hier sind 4 Stück Stoff – was willst du noch? – 5 Haumesser – große oder kleine Haumesser? – Hammer und Amboß – 1 Hut – 2 Spiegel – Draht, Messingdraht – 5 Gürtel – Mandjum – Seife – Koffer – Du hast jetzt genug – du willst ein Geschenk? – ich gebe dir Salz als Geschenk – ich kann dir nicht mehr geben – adjeu[.]398

Dieser kurze Dialog belegt erstens, dass die GSK ihren Gummi, den die Menschen in Kesseln oder in Form von Würsten in die Faktoreien brachten,399 durch Kauf erwarb. Zwar zahlten auch die Konzessionsgesellschaften des Kongostaates den Gummisuchern kleine Beträge in Waren und lokalen Währungen. Doch diese Interaktionen waren durch die Abgabenpflicht und die Quoten gesteuert.400 In Südostkamerun hingegen verkauften Gummisucher oder Handelspartner ihre Produkte an die GSK und wollten im Gegenzug bestimmte europäische Waren haben, die sie sich zumindest zum Teil aussuchen konnten. Regional und temporal variierte auch hier die Nachfrage der Bevölkerung, worauf sich die GSK einstellen musste.401 Dass trotzdem das Geschäft nicht immer fair ablief, sondern Betrug, Rassismus und Geringschätzung herrschten, verdeutlicht Scheunemann, der in einem sarkastischen „Schul-Beispiel“ den GSK-Handel karikierte:402

396 Vgl. Jennings 2015b, 189 f. Vgl. Kap. 6. 397 Vgl. Giles-Vernick 2002, 92; Coquery-Vidrovitch 1972. 398 AFS 416 Stetten: Kleines Handbuch der Bangalla-Sprache. In Südkamerun war Pidgin-English die Verkehrssprache, in Sangha-Ngoko hingegen Bangala. Nur Soldaten, Händler und Träger von der Küste sprachen Pidgin. Vgl. Osten 1911, 6. 399 Vgl. Petersen 1938b, 64, 69. 400 Vgl. Harms 1983, 134. 401 Vgl. BArch R 1001/3444, 147 ff.; BArch R 1001/3444, 153. 402 BArch R 175-I/67, 116.

Kickxia: Kautschukproduktion und -handel im GSK-Konzessionsgebiet

Der Eingeborene kommt 9h Morgens zur Faktorei mit einem paar Kilo Gummi (seinem Gelde), um Kleinigkeiten: Haumesser, Streichhölzer, Eisendraht, Zeug pp. einzukaufen. Der Inhaber der Faktorei schläft noch. Seine Rosa meldet den Käufer. Der Händler ist ungehalten über die frühe Störung. Er hat schwer Kopfweh! – und giebt zunächst den Befehl: „Wait.“ – Bescheiden setzt sich der Eingeborene in eine Ecke und wartet! – Als der Bigman um 12h mit Toilette und Frühstück fertig, läßt er sich herab, den Gummi des Schwarzen entgegenzunehmen. Da die Waage gerade entzwei ist, so taxiert er das Quantum und giebt dem Neger wohlwollend ein Stück rotes Zeug. Dieser äußert den schüchternen Wunsch, sich den Store ansehen zu dürfen, da er gern mal ein anderes Stück Zeug als immer wieder das rote kaufen und auch sonst einige Kleinigkeiten erstehen möchte. Dieses Ansinnen, wird schroff abgelehnt mit dem Bemerken, daß das Betreten dieses Heiligtums sich für den Schwarzen nicht schicke. Die zarte Andeutung, daß man ihn für einen Spitzbuben halte, bleibt dem Käufer dabei nicht erspart. Doch der Kaufherr ist heute wohlwollend; denn er hat, wie gesagt einen Kater! Er holt persönlich ein verrostetes Haumesser und eine Schachtel angebrochener Streichhölzer hervor und spricht großmütig zu seinem Klärc [Clerk]: „Tell them monkey, I dash him this on top!“ – Nun ereignet sich etwas Gräßliches: Der Eingeborene wagt die Bitte zu äußern, man möge ihm doch statt des großen Haumessers eines von der kleineren Sorte geben. (Die großen Haumesser gehen nämlich nicht mehr, da sie nicht handlich genug sind.) Da reißt aber dem Gewaltigen die Geduld! Er findet nur das eine Wort, daß [sic!] er dem Unglücklichen vernichtend entgegendonnert: „move“! – Der schwarze Käufer ist rausgeschmissen! In dem stolzen Bewußtsein, der Autorität der weißen Race den „Niggern“ gegenüber mal wieder gebührend gewahrt zu haben, setzt sich der Kaufherr wieder und trinkt einen Cognac!403

Dieses Beispiel verdeutlicht ebenso wie der Sprachführer, dass in erster Linie die afrikanischen Handelspartner die Faktoreien und Posten der GSK aufsuchten. Wie im Kongostaat war der Handel der GSK in erster Linie stationär. Beamte beschrieben ihn im Vergleich zu dem der auf kurzfristig eingerichtete Faktoreien und mobile Händler setzenden Küstenfirmen als sesshaften „Detailhandel“.404 Der Modus war, „auf der Faktorei zu bleiben und die Schwarzen kommen zu lassen“, wie ein GSK-Agent formulierte.405 Die Möglichkeit, ihren Kautschuk in den Faktoreien zu verkaufen, nahmen die Gummisucher wahr, sodass ein Beamter über die GSK schreiben konnte: „Wo weiße Faktoristen sind, bringen die Eingeborenen meist direkt ihre Produkte zum Verkauf.“406 Glaubt man von der Osten, war häufig

403 404 405 406

BArch R 175-I/67, 116 f. Hervorhebung im Original. BArch R 175-I/65, 217. AFS 415 Stetten an Eltern, 29.10.1906. Vgl. auch Robineau 1967, 306. BArch R 175-I/70, 279.

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nicht viel auf den Faktoreien los. Das dortige Leben sei nicht für jeden, sondern für „Naturfreunde, Jäger und Philosophen“. Wer sich nicht selbst beschäftigen könne, dem werde schnell langweilig wegen „der vielen freien Zeit, die man ja nach Belieben ausfüllen kann“. „Regelrecht gearbeitet“, so von der Osten, „wird eigentlich nur gegen Ende des Monats, wenn es sich darum handelt, die Buchführung für diesen Zeitabschnitt fertigzustellen. In der Zwischenzeit ist nur hin und wieder etwas Gummi und Elfenbein zu kaufen, das die Eingeborenen auf die Faktorei bringen.“407 Der Anteil afrikanischer Händler am GSK-Geschäft sollte deshalb nicht geringgeschätzt werden. Nicht nur leiteten von Beginn an afrikanische Clerks viele Posten. Auch auf den europäisch geführten Niederlassungen spielten afrikanische Angestellte eine große Rolle – sei es, dass sie als Intermediäre auftraten, wie im Schulbeispiel, oder den Handel direkt ganz übernahmen, damit der Agent sich seinen Hobbys widmen konnte. Nach Angaben der Konkurrenz gab es nur wenig direkten Kontakt zwischen der Bevölkerung und den europäischen GSK-Agenten. Vielmehr sollen die Vai-Angestellten der GSK diejenigen gewesen sein, die mit den Menschen verkehrten.408 Dies mag aber abhängig von der jeweiligen Faktorei gewesen sein. Ob auch mobilere afrikanische Händler für die GSK arbeiteten, bleibt fraglich. „Einkäufer“ werden erstmals Ende 1904 im Zusammenhang mit der Konkurrenz durch die Küstenfirmen erwähnt,409 Einkäufer der GSK erst Ende 1906.410 Möglicherweise waren mobile Händler, die selbständig mit Waren Kautschuk kauften,411 eine Innovation, die erst nach 1903 unter dem Einfluss der Küstenfirmen entstand. Wahrscheinlich stammten die Einkäufer aus der jeweiligen Region. Einige hatten auch zuvor eine Karriere als Intermediär hinter sich. Ein Beispiel ist der Einkäufer Mokette, ein Missangha aus dem Dorf Ndzimu. Hauptmann Oskar Foerster brachte ihn 1902/03 als Soldaten nach Molundu. Hauptmann Wilhelm von der Marwitz, ab 1907 Leiter der Station Molundu,412 hatte ihn als untauglich entlassen. Scheinbar gab es für Mokette keinen Weg zurück in sein Dorf. Bis 1911 arbeitete er dreimal für die GSK und danach für zwei weitere inzwischen dort entstandene Unternehmen als Einkäufer, wurde aber immer wieder entlassen und einmal wegen fehlender Abrechnung bestraft und ausgewiesen. Nachdem er versucht hatte, bei Bangandu und Missangha Fuß zu fassen, arbeitete er Anfang 1911 erneut für die GSK als

407 408 409 410 411 412

Alle Zitate: Osten 1911, 3. Vgl. BArch R 1001/3449, 60. BArch R 1001/8114, 138. Vgl. BArch R 1001/3450, 144; AFS 344 Tagebuch, 14.11.1906. Vgl. AFS 415 Stetten: Vorschläge zur Reorganisation, o.D. Vgl. BArch R 175-I/128, 23.

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Einkäufer.413 Aber so wichtig die Einkäufer in späterer Zeit wurden: Als die GSK ihren Handel etablierte, beschränkte er sich auf die Faktoreien. Die GSK musste niemanden zwingen, Gummi zu produzieren und auf die Faktoreien und Posten zu bringen. Schnell entdeckten die Menschen die Vorteile des neuen Handelsproduktes. Die Nachricht vom intensivierten Handel des BombassaGebietes mit Kautschuk und Elfenbein etwa lockte immer mehr Menschen dorthin. So erklärte Bernauer 1902, die zahlreichen Njem-Dörfer seien erst vor kurzem dorthin gezogen, „weil sie gehört haben, daß hier Handel zu machen wäre“.414 Es entstanden neue Dörfer mit Namen wie Bendama und N’Dama, die sich auf das Vorhandensein von Gummi (dama) bezogen.415 Um Kautschuk verkaufen zu können, entwickelten die Gummisucher die von Regierung und GSK propagierten Methoden in Eigeninitiative so weiter, dass sie ihnen bequem und praktisch erschienen. Lokale Schmiede stellten schon 1902 selbst Kautschukmesser her und Kunabembe-Gummisucher erfanden ein Kautschukmesser, das sie auf einen langen Stab montieren konnten. Auf diese Weise gelang es ihnen, die Funtumia wie von GSK und Regierung gefordert mit dem Grätenschnitt anzuzapfen – und zwar bis in 5 Meter Höhe, ohne den Baum besteigen zu müssen, was sie ablehnten.416 Die Kaka wiederum nutzten einige Jahre später einen eigens erfundenen Kletterapparat aus Seilen, um die Funtumia zu ersteigen.417 Antrieb für die Gummisucher waren auch in Sangha-Ngoko der Konsum, vor allem aber die Generationen- und Geschlechterkonflikte, die der Elfenbeinhandel geschaffen hatte. Hier machten ebenfalls die nicht oder gerade erst etablierten, vor allem jungen Männer den Gummi. Ein junger Ndsimu namens Olama aus der Nähe von Nzulabot, so erzählte Zippelius, war „der eifrigsten einer beim Gummischneiden […], um so schnell wie möglich den Kaufpreis für seine Auserkorene zusammenzubringen“.418 Wer Kautschuk produzierte, konnte unabhängig von den Familienoberhäuptern europäische Waren und lokale Währungen, eine Ehefrau und damit politische und soziale Autonomie erlangen. Während in der Region zwar Elfenbein und Teile jeglicher Jagdbeute dem Familienoberhaupt gehörten,419 durften alle den Regenwald und seine Produkte nutzen.420 Wie in Südkamerun wurde 413 414 415 416

417 418 419 420

Vgl. ANY FA 1/559, 15. ÜMB N Engelhardt. Itinerar II, 35 f. Vgl. auch Robineau 1967, 302. Vgl. Allys 1930, 5 f. Vgl. BArch R 1001/4378, 90. Diese Technik wurde noch 2016 von Interviewpartnern erinnert. Vgl. Interview mit Ndinga Marcel, Moloundou, 19.01.2016; Interview mit Bekabeka Loupe Richard, Moloundou, 19.01.2016. Vgl. auch Zouya Mimbang 2013, 139. Vgl. Petersen 1939b, 71. Vgl. Kap. 5.3. Zippelius 1926b, 284. Vgl. für die Mpiemu Giles-Vernick 2002, 154; für die Maka Geschiere 1982, 42. Vgl. für die Ndsimu Graziani/Burnham 2005, 186; für Missangha vgl. MARKK SCH 1.10 Frage 438.

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das Kautschukschneiden eine Männerarbeit. Frauen – wenn Gummisucher auf ihre Arbeitskraft Zugriff hatten – koagulierten und transportierten höchstens das Produkt.421 Die Arbeit im Wald überschnitt sich mit anderen maskulin konnotierten Arbeiten:422 Morgens verließen die Gummisucher ihr für die Kautschukproduktion angelegtes Camp, um Bäume anzuzapfen und Fallen zu kontrollieren.423 Jäger hatten zudem Vorteile, da sie die Waldgebiete, in denen die Funtumia-Bäume wuchsen, gut kannten. Auch Olama hatte früher zwei Jahre als persönlicher Jäger eines GSK-Agenten gearbeitet.424 Die neuen Möglichkeiten trieben die nicht etablierten Männer in den Wald und dann in die Faktoreien der GSK. Zwar machte die Firma auch Elfenbeingeschäfte mit den Familienoberhäuptern, doch hinter diesen warteten „schon andere Dorfbewohner mit den ersten zusammengebündelten Gummiwürsten für den Weißen.“425 Für ihren Kautschuk erhielten sie europäische Waren, lokale Währungen und ein Geschenk. Dieses wurde im GSK-Gebiet nicht mit dem Pidgin-Begriff der Westküste als dash bezeichnet, sondern nach kongostaatlicher Praxis als „matabisch“,426 nach „mata-bicho“, dem Wort für Frühstück oder Trinkgeld aus dem Portugiesischen Angolas.427 Inklusive des matabisch waren die Preise, die die GSK für Kautschuk zahlte, gering. Für 1903 rechnete die GSK mit einem Einkaufspreis von 0,70 Francs pro Kilogramm. Transportkosten, Versicherung, Spesen und Ausfuhrzoll verteuerten den Gummi auf 2,05 Francs. Doch hofften die Buchhalter, ihn in Europa für 7,50 Francs verkaufen zu können.428 Angesichts der hohen Nachfrage nach europäischen Waren konnte die GSK für Gummi durchaus so wenig zahlen. Für Menschen, die erstmals Zugang zur Exportökonomie erhielten, waren aus europäischer Sicht niedrige Preise anfangs kein Problem, waren die Waren doch vor Ort sehr wertvoll. Massenhaft strömten mit Beginn des Kautschukhandels nun auch nach SanghaNgoko europäische Waren. Kautschuk brachte materiellen Wohlstand in die Dörfer, Konsumgewohnheiten änderten sich. Das Inventar der 1903 zerstörten GSKFaktorei in Bidjum im Ndsimu-Gebiet gibt Aufschluss darüber, welche Waren in diesem Teil Sangha-Ngokos zu diesem Zeitpunkt gangbar waren. In der Liste finden sich Salz, Teller, Löffel, Becher, Pfeifen, drei Sorten Spiegel, Messer, Rasiermesser, Scheren, zwei Sorten Macheten, Spaten, Feilen, Angelhaken, drei Sorten Gewehre,

421 422 423 424 425 426 427 428

Vgl. Giles-Vernick 2002, 165. Vgl. Giles-Vernick 2002, 165. Vgl. S Storck N Koch Koch o. J.b, 1. Zippelius 1926b, 284. Petersen 1938b, 64. Zippelius 1926b, 286. Vgl. auch Petersen 1936, 124; Petersen 1931, 331. Vgl. Sundström 1965, 3. Vgl. AFS 415 GSK-Direktoriumssitzung, 05.02.1903, Anlage 8.

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zwei Sorten Pulver, Pulverflaschen, Feuersteine, zwei Sorten Hüte, Mützen, zwei Sorten Feze, Glocken, Schellen, sechs Sorten Perlen, Goldnägel, Hemden, Unterhemden, sechs Sorten Stoff, blaue Knöpfe, weiße Knöpfe, Riemen, Nadeln, Zwirn, Armbänder, zwei Sorten Eisendraht, Messingdraht und Messingplatten.429 Gegen Ende der 1910er wurden europäische Betten, Kleidung und Geschirr zu begehrten Statussymbolen der jüngeren Generation. Der Reisende Paul Graetz hielt 1912 ebenfalls fest: „Die bei den Negern einziehende Kultur fragt nach europäischen Haushaltungs-, Bekleidungs- und Luxusgegenständen. Das Grammophon steht besonders hoch im Kurs. Stoffe, Salz und Kupferspiralen halten sich jedoch noch immer für die Allgemeinheit.“430 Tatsächlich, so GSK-Agent von Stetten, behalten die alten Tauschartikel ihren Wert. Diese alten Tauschartikel werden eigentlich fast nur beim Weiberkauf verwendet. Sie bedeuten das Vermögen des Besitzers, und man muß oft staunen über die Mengen von Stoffballen und Eisenwaren, die sie in ihren Hütten aufgestapelt haben.431

Als Teil der Brautgaben waren etwa die midjoko bei den Missangha weiterhin begehrt. Die GSK, so Zippelius, ließ sie aber in Europa industriell herstellen und warf „die Spiralen als Massenartikel auf den Markt“, was dazu führte, dass „jeder Missanghajüngling sie für Gummi oder irgendeine Arbeitsleistung verhältnismäßig leicht erwerben konnte“.432 Wechselnde Geschmäcker, Moden und Währungsverfall waren auch eine Herausforderung für die GSK. Stets mussten genügend Waren der richtigen Beschaffenheit dort sein, wo es Gummi zu kaufen gab. Häufig gab es in der Firma Streit darüber, wie viele Waren gebraucht wurden. Die Brüsseler Leitung genehmigte oft den Agenten Bestellungen nicht, da sie erfahrungsgemäß eher zu viel bestellten. Von Schlippenbach beklagte sich bitterlich darüber. In Hamburg war die GSK-Leitung dagegen der Meinung, wenn die Agenten Waren bestellten, würden sie sie auch brauchen. Schließlich setzten sich von Schlippenbach und Hamburg durch. In Südostkamerun entstand dadurch schnell ein großer Berg unverkäuflicher Waren, da die lokale Nachfrage sich änderte.433 Verzweifelt versuchten die GSK-Agenten, ihre Produkte loszuwerden. Die Folge waren Szenen wie Scheunemanns Schulbeispiel, in dem Agenten unbedingt versuchten, den Gummisuchern ihr rotes Zeug zu verkaufen, das Scheunemann als „Auswurf der Textilindustrie, richtige Jahrmarkts-

429 430 431 432 433

Vgl. BArch R 175-I/88, 66. AFS 416 Graetz: Mit dem Motor ins innerste Afrika. Teil VI. AFS 344 Stetten: Vortragsmanuskript, o.D. [mind. 1921]. Zippelius 1927a, 295. Vgl. AFS 416 Horn an Stetten-Buchenbach, 03./04.04.1908.

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schundware“ bezeichnete,434 die in großen Mengen wie Blei in den Faktoreien lag. Generell jedoch funktionierte der Kautschukhandel der GSK, da der Bedarf der aufstiegshungrigen Männer ihr in die Karten spielte. Kautschuk, sozialer Wandel und soziale Unruhe Da der Kautschukhandel jedermann offenstand, besaß er wie in anderen Gebieten Südkameruns das Potential für enorme soziale Erschütterungen. Für die Mpiemu auf der anderen Sangha-Seite hat Giles-Vernick sogar von der Kautschukgewinnung als einem „generational marker“ gesprochen.435 Wenn jüngere Männer unabhängig von ihren Familienoberhäuptern heiraten konnten, konkurrierten sie mit letzteren um politische und wirtschaftliche Macht. Für Familienoberhäuptern wurde es schwieriger, Abhängige an sich zu binden. Der Kautschukhandel als Alternative zum Elfenbeinhandel verstärkte deshalb die Tendenz zur Segmentierung. Männer mit eigener Familie, von den Deutschen „Unterhäuptlinge“ genannt, machten sich zusehends unabhängig von den Dorfoberhäuptern und gründeten eigene Dörfer. Mit dem Kautschukhandel stieß die GSK folglich einen sozialen Wandel in Südostkamerun an, der die gerontokratische Ordnung gefährdete. Anfangs widersetzten sich die Familienoberhäupter deshalb dem Handel mit Gummi. Das Bombassa-Land, wo der Kautschukhandel zuerst Fuß gefasst hatte, war auch die erste Region, wo Familienoberhäupter versuchten, die GSK zu vertreiben. Bereits im August 1901 benachrichtigte die Firma die Regierung: „Die Bomabassa hätten von weiter nach Westen sesshaften Stämmen Medizin bekommen […], welche sich gegen diejenigen richtet, die Elfenbein resp. Kautschuk an die Gesellschaft S. Kamerun verkaufen.“436 Als Anführer der Bewegung galt das Dorfoberhaupt von Ngoila, dem Dorf, das am frühesten Kautschuk geliefert hatte.437 Eine erfolgreichere Gegenmaßnahme der Familienoberhäupter, die wahrscheinlich erst Jahre später zum Tragen kam, war die Manipulation von Brautgaben. Zum einen verlangten sie für ihre Töchter mit zunehmender Intensität des Handels höhere Brautgaben.438 Dadurch, dass nun eine größere Menge von Waren europäischer Herstellung verfügbar war, verloren diese an Wert. Auch die lokalen, aber nun in Europa produzierten Währungen wie midjoko, mandjum und dubba waren von dieser Inflation betroffen.439 1910 zahlten die Missangha Brautgaben im Wert von

434 435 436 437 438

BArch R 175-I/67, 118. Giles-Vernick 2002, 164. BArch R 175-I/131, 115. Vgl. BArch R 175-I/131, 115; BArch R 1001/344, 86. Zu Brautgabeninflation in Kamerun vgl. Geschiere 2005, 253; Hausen 1970, 190; Wirz 1972, 144 f.; Zouya Mimbang 2013, 84. 439 Vgl. Zippelius 1927a, 295 f.

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500 bis 3000 Mark – Geld, nicht in Waren!440 Entgegen der Vermutung Duprés, dass einige lokal hergestellte Währungen schnell aus den Brautgaben herausfielen, verlangten die Väter zum anderen zumindest in späterer Zeit vermehrt solche, die explizit nicht von den Europäern produziert worden waren:441 etwa im MolunduBezirk um von den Kaka im Norden geschmiedete dubba und Eisenhämmer, die „als wertvolles Heiratsgut“ galten.442 Die fieberhaften Folgen, die der Kautschukhandel und das damit einhergehende Versprechen sozialer Mobilität auch in Sangha-Ngoko hatten, lassen sich für die Frühzeit der GSK im Bombassa-Gebiet zeigen. Dieses geriet zunehmend in Unruhe. Die plötzliche Aussicht auf europäische Waren entfachte unter den nicht etablierten Männern den Wunsch, möglichst schnell möglichst viele zu erhalten. Von Schlippenbach, damals bereits GSK-Direktor, schrieb im Februar 1903 von anarchischen Zuständen südlich des Djah. Karawanen der GSK wurden überfallen und hunderte Kilogramm des erbeuteten Gummis der Firma erneut zum Verkauf angeboten.443 Auch Handelswaren wurden gestohlen: „So brachte der Träger Ebama aus dem Dorfe Litom seine Last zu dem Faktoreileiter, indem er sagte, er habe den Ballen geöffnet sich 4 Stück Zeug herausgenommen, und würde sie, da der Weisse eben nichts dagegen machen könne, behalten.“444 Hinzu kamen Streitigkeiten über den Wert des Kautschuks und die Reziprozität des Austausches. Von Schlippenbach erklärte: Aber nicht allein genug damit, dass die Leute stehlen, sie versuchen auch die Bezahlung für Gummi, wie sie ihnen genehm ist, zu erzwingen. Sie bringen einen Korb Gummi in die Faktorei und verlangen etwas dafür, was ihnen der Faktoreileiter nicht bezahlen kann. Anstatt, wenn sie das nicht erhalten, was sie wollen, ruhig fortzugehen und den Gummi nicht zu verkaufen, fangen sie an den Faktoreileiter zu beschimpfen und in der frechsten Weise zu bedrohen. Der Mann Andu aus Jemcko hatte die Unverschämtheit zu sagen, es schadete nichts, dass man ihn so bezahle, wie er wolle, wenn die nächsten Karawanen sein Dorf passire werde er sich schon schadlos halten.445

Das Personal der GSK geriet zunehmend in bedrohliche Situationen. Besonders ihre afrikanischen Angestellten waren das Ziel von Übergriffen. Im Streit darüber, ob ein Gummimesser bezahlt werden sollte oder nicht, verwundete Anfang 1903

440 441 442 443 444 445

Vgl. MARKK SCH 1.10, Frage 970. Vgl. Dupré 1995, 85. Koch 1913a, 264. Lokale Währungen waren bis ca. 1950 in Gebrauch. Vgl. Vincent 1963a, 280. Vgl. BArch R 1001/4379, 276. BArch R 1001/4379, 276. BArch R 1001/4379, 276 f. Zu ungleichen Wertvorstellungen beim Kautschukhandel vgl. Geschiere 2005.

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in Suanké ein Mann den GSK-Clerk Johnson mit einem Messer.446 Des Weiteren schrieb von Schlippenbach: Der Chef Nzumo aus dem Dorfe Bakeko bedrohte den Clerk Allen in Suva-Suva mit seinem Gewehr, weil er den von ihm verlangten Preis für einen Korb Gummi nicht geben wollte. Auf den Clerk Martin in Akong legte der Eingeborene Mbvat aus dem Dorfe Belabum das Gewehr an und drückte ab, glücklicherweise war kein Pulver auf der Pfanne; der Grund war, dass der Clerk ihm kein Gewehr schenken wollte.447

Angesichts dieser aufgeheizten Situation drohte GSK-Agent Haremaker mit Kündigung, wenn er nicht besser geschützt würde: „Es ist bereits passiert, dass ein Eingeborener beim Gummikaufen den Hahn seines Gewehres spannte, da ich ihm nicht geben wollte, was er verlangte.“448 Von Schlippenbach bat von Stein deshalb um militärische Hilfe. Andernfalls fürchte er, dass sein afrikanisches Personal selbst gegen die Bevölkerung vorgehen würde. Daraufhin zog von Stein in das Bombassa-Gebiet. Die Lage beruhigte sich.449 Letztlich setzten die Franzosen ihre Ansprüche auf das Gebiet südlich des Djah durch. Die GSK musste die Faktoreien in diesem Gebiet räumen. Jedoch dauerte es Jahre, bis sie sich endgültig aus dem Bombassa-Land zurückgezogen hatte. Angeblich machten GSK-Angestellte noch 1904 Stimmung gegen die französische Konkurrenz. Nach deren Angaben zwang Kalmár sie im selben Jahr mit Soldaten zum Abzug aus Suanké.450 Schlussendlich aber verlor die GSK die Faktoreien Bomedali, Ngoila, Kusso, Moassi, Bellalola und – am schmerzlichsten – Dongo, das wichtige Depot am Ende der Schiffbarkeit des Djah, von dem aus die GSK nach Westen in die Gebiete der Njem und Ndsimu vorgedrungen war.451 Nachdem das Bombassa-Gebiet verloren war, blieb der GSK nichts anderes übrig, als sich auf das Land nördlich von Djah und Ngoko zu konzentrieren. Im August 1902 teilte von Schlippenbach von Stein mit, dass er beabsichtige, im Ausgleich für das Bombassa- das Dume-Gebiet im Norden des Konzessionsgebietes aufschließen zu wollen, das er auf gemeinsamen Expeditionen mit der Verwaltung kennengelernt hatte.452 Hier war die Bevölkerung relativ groß und die Kautschukgewinnung seit kurzer Zeit bekannt.453 Ein Kautschukhandel ließ sich schnell etablieren, da

446 447 448 449 450 451 452 453

Vgl. BArch R 1001/4379, 272. BArch R 1001/4379, 277. BArch R 1001/4379, 272. Vgl. BArch R 1001/4379, 249. Vgl. Viollette 1914, 249 f. Vgl. BArch R 175-I/423, 85. Vgl. BArch R 1001/4379, 39. Vgl. BArch R 1001/3444, 120; BArch R 1001/4378, 31.

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die äußersten Kapillare des Küstenhandels bereits in diese Region reichten.454 Darüber hinaus gab es dort Hausa-Geschäftsleute, die den Handel mit Kautschuk „in Lagos […], ja in Kumasi und Akkra“ kennengelernt hatten. Sie „erkundigten sich angelegentlichst, ob die Gesellschaft Süd-Kamerun auch Kautschuk anzukaufen beabsichtigte“.455 Die GSK errichtete deshalb Faktoreien in Beri und zwischen Mokbe und Bua.456 Zwar war das Dume-Gebiet sehr aussichtsreich. Seine Bedeutung sollte sich auf dem Höhepunkt des Kautschukbooms um 1910 zeigen, als es zum Hauptproduktionsgebiet der Kolonie avancierte.457 Doch das Geschäft in diese Region zu verlagern, bedeutete einen Bruch mit der bisherigen Expansionspolitik des Unternehmens. Da Bumba und oberer Djah nicht schiffbar waren, ähnelte Südostkamerun – wider Erwarten – mehr den anderen Regionen Südkameruns, als die GSK-Direktoren gehofft hatten: Handel musste auf dem Landweg stattfinden. Dies bedeutete, das Unternehmens von einer Fluss- zu einer Landfirma umzubauen. Hierüber brachen schon 1901/02 Konflikte innerhalb der GSK-Leitung aus. Langheld, Seemann und langjähriger SAB-Angestellter im Kongo mit seinem gewaltigen Flusssystem, galt als „Wassermensch“, der auf den Flüssen „auch unter den schwierigsten Verhältnissen nichts“ scheute. „Weite Land-, vor allem Urwaldstrecken, waren ihm aber mehr wie unsympathisch.“458 Während Langheld das Geschäft an Ngoko, Djah und Kuddu ausrichtete, drängte sein Stellvertreter von Schlippenbach auf eine Erschließung des Binnenlandes. Von Schlippenbach warf Langheld mehrfach vor, zu oft nach Kinshasa zu reisen, also dem Kongo mehr Aufmerksamkeit zu widmen als der Konzession.459 Auch das Direktorium meinte 1902, „Langheld sei sehr tüchtig für die Einrichtung eines Unternehmens, aber für dessen weitere Entwicklung fehle ihm vielleicht die nötige Energie, […] die […] Graf Schlippenbach in hohem Grade besitze.“460 Von Schlippenbach drängt nach der wenig später erfolgten Übernahme der Geschäftsleitung darauf, neue Kautschukregionen im Binnenland zu erschließen – vor allem in der Dume-Region. Doch dafür musste die GSK in bisher unbekanntem Umfang Trägerkarawanen einsetzen, um Waren und Produkte zu transportieren. Von Molundu nach der Dume-Region marschierte eine solche Karawane 18 Tage, nach Beri, das als Standort der „Hauptfaktorei der Dume-Kadei-Region“ vorgesehen

454 455 456 457 458 459 460

Vgl. Kap. 4.1. BArch R 1001/4378, 31. Vgl. auch Wirz 1972, 197. Vgl. BArch R 1001/4378, 89. Vgl. Kap. 4.2. Stein 1926, 154. Vgl. BArch R 1001/3455, 10. BArch R 1001/3455, 10.

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war,461 dauerte die Reise sogar 23 Tage.462 Durch die Erschließung des Handels über den Landweg ergab sich ein Transportproblem für die GSK. Denn der Umbau von einer Fluss- zu einer Landfirma sorgte für einen riesigen Bedarf an Arbeitern, den die GSK in den folgenden Jahren mit verschiedenen Mitteln zu decken versuchte.463 Zwischenfazit Analogien zum Kongostaat und eine mangelnde Analyse der schriftlichen und mündlichen Quellen haben bisher zu der Annahme geführt, dass die GSK Kautschuk zwangsweise im Raubbau und gewinnen ließ. Tatsächlich aber legte sie zusammen mit der Regierung großen Wert auf eine nachhaltige Produktion. Dementsprechend instruierten europäische und afrikanische Regierungs- und Unternehmensangehörige die Bevölkerung, die Funtumia elastica, die sich in Sangha-Ngoko als hauptsächliche Quelle des Kautschuks entpuppte, nur nach der als wissenschaftlich erachteten Methode des Botanikers Schlechter anzuzapfen. Destruktive Methoden waren unbekannt, sodass sich Schlechters Grätenschnitt etablierte. Auch wenn sowohl Konzessionsgesellschaft als auch Regierung der Bevölkerung diese Technik vorschrieben, blieb die Gummigewinnung dennoch in den Händen unabhängiger Gummisucher. Diese verkauften ihn an die GSK, um sozial aufzusteigen und Autonomie zu gewinnen. Die neuen, nachhaltigeren Methoden fielen deshalb auf fruchtbaren Boden. Wie im Hinterland der Batanga-Küste waren es Konflikte zwischen Generationen und Geschlechtern sowie die Bedeutung europäischer Waren für die Heirat, die dem Kautschukhandel in Sangha-Ngoko eine große Wucht verliehen.

3.3 Träger und Ruderer: Die Mobilisierung von Transportarbeit durch die GSK „Einige hundert Eingeborne“, so der GSK-Agent Georg Zippelius, Männer und Weiber, vom Stamme der Kunabembe lagerten auf dem Faktoreihof der Gesellschaft Süd-Kamerun in Molundu. Müde kauern sie mit hochgezogenen Knien auf heißem Boden in praller Sonne, müde vom ungewohnten Tragen schwerer Gummilasten,

461 BArch R 1001/3444, 119. 462 Vgl. AFS 415, GSK-Direktoriumssitzung, 05.02.1903, Unteranlage i. 463 Wasserwege spielten weiterhin eine Rolle für die GSK. Schlippenbach hoffte, Dume, Kadei und Sangha zu nutzen, und förderte Versuche mit Kanus auf dem Djah. Ab 1904 reinigte die GSK mehrere Flüsse und setzte Dampfer und Kanus auf diese. Vgl. BArch R 1001/3444, 124; BArch R 1001/3444, 137; Kap. 3.4.

Träger und Ruderer: Die Mobilisierung von Transportarbeit durch die GSK

die sie in 14tägigem Marsche für den Faktoreileiter in Jukaduma zur Hauptniederlassung der Gesellschaft gebracht haben.464

Seit 1902 war Molundu, am Zusammenfluss von Djah und Bumba, die Hauptfaktorei der GSK.465 Nachdem Überschwemmungen sie mehrfach zerstört hatten, ließ die Firma sie 1908 ein Stück Bumba-aufwärts auf einem Inselberg mit Ziegeln errichten:466 Die GSK wollte bleiben. Noch 100 Jahre später nennt die Bevölkerung das Gelände an der Bumba-Mündung nach dem Akronym des Unternehmens „Geska“.467 „Es war ein ewiges Kommen und Gehen in Molundu“,468 erinnerte sich ein GSK-Agent an den logistischen Dreh- und Angelpunkt der GSK. Bis 1904 wickelte die Firma ihren gesamten Verkehr und danach dessen größten Teil über die Hauptfaktorei ab: Waren und Menschen kamen mit den firmeneigenen Dampfern vom Kongo nach Molundu und wurden anschließend mit Karawanen im Faktoreinetzwerk verteilt. Von dort transportierten dieselben Karawanen den Kautschuk nach Molundu, wo er auf die Dampfer verladen und nach Kinshasa verschifft wurde. Für den Transport benötigte die GSK viele Arbeitskräfte. Darunter waren jene, die Zippelius beschrieb: Arbeiterinnen und Arbeiter, die keine professionellen Träger waren, nicht viel mit der GSK zu tun hatten, aber Kautschuk von Jukaduma nach Molundu brachten. Zusätzlich beschäftigte das Unternehmen aber auch Vertragsarbeiter – die sich angeblich vor Lachen kaum halten konnten, wenn die oben erwähnten Kunabembe-Trägerinnen und -Träger vor der Pfeife der GSK-Dampfer davonliefen.469 Die GSK beschäftigte eine heterogene Transportarbeiterschaft, die in Molundu aufeinandertraf und den Ort zu einer kleinen kosmopolitischen Hafenstadt machte: Migranten vom westafrikanischen Arbeitsmarkt, Schiffsbesatzungen aus dem Kongo, vor Ort angeworbene Trägerinnen und Träger und von der Regierung zugewiesene Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter. Die Forschung betont die Bedeutung von Zwang und Gewalt bei der Mobilisierung von Transportarbeiterinnen und -arbeitern, ohne dies jedoch durch systematische Analysen zu untermauern.470 In der Tat unterschied der Zugang zu 464 Zippelius 1926b, 287. Zippelius reiste spätestens 1906 mit 25 Jahren für die GSK nach Kamerun. Zuerst leitete er den Posten in Besam, dann wurde er Buchhalter in Molundu, schließlich Leiter der Faktorei Tibundi, bis er ab 1912 für die Firma de Cuvry arbeitete. Vgl. StAN C 21/IX Nr. 358_154 Zippelius, Georg Albert; BArch R 1001/3450, 146; BArch R 1001/3450, 146; AGR CCCI 1682 Personalübersicht Afrika, o.D. [1909]; WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 14.02.1909, 34; NN 1912c, 83; ANY FA 1/559, 43. 465 Vgl. Petersen 1936, 67 f.; BArch R 1001/3444, 155. 466 Vgl. AGR CCCI 1683 Kalmár an Semler, 26.01.1911. 467 Interview mit Legou Robert, Moloundou, 19.01.2016. 468 Petersen 1936, 76. 469 Vgl. Zippelius 1926b, 287. Für ähnliche Schilderungen vgl. Petersen 1931; Petersen 1936, 125. 470 Vgl. Rüger 1960b, 199; Ballhaus 1968, 128 f., 176 f.; Möhle 1999c, 50 f.; Zouya Mimbang 2013, 123.

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staatlich organisierter Zwangsarbeit die GSK von den Küstenfirmen. Die GSK war für ihre Karawanen abhängig von Zwangsarbeiterinnen und -arbeitern. Gleichwohl ist unklar, warum erzwungene Arbeit für die GSK bedeutsam wurde. Auch hier reicht eine Analogie zum Kongostaat nicht aus. Das Kapitel kontextualisiert deshalb die Zwangsarbeit im Konzessionsunternehmen, indem es den Blick für andere Arbeitsverhältnisse der GSK öffnet. Zwangsarbeit war für die GSK nur eines von mehreren Mitteln, um Arbeitskräfte zu beschaffen. Erstens arbeitete ein großer Teil der Transportarbeiterschaft – Trägerinnen, Träger und Bootsmannschaften – zu hohen Löhnen für das Unternehmen. Zweitens gab es keine systematische Zwangsarbeit in Sangha-Ngoko. Zu keinem Zeitpunkt zwischen 1899 und 1905 stellte der Staat die Bevölkerung des Konzessionsgebietes systematisch ganz oder in Teilen dem Unternehmen zur Verfügung, etwa in Form von Steuerarbeit. Zwangsrekrutierungen waren in erster Linie brutale Ad-hoc-Lösungen für die Logistikprobleme der GSK bei der Umstellung von einem Fluss- auf ein Landunternehmen. Transportarbeit auf den Flüssen: Bangala-Besatzungen für Kanus und Dampfer Für den Transport auf den Flüssen Kongo, Sangha, Ngoko und später auch Bumba, Böke und Nyong beschäftigte die GSK eine große Zahl afrikanischer Lohnarbeiter als Besatzung von Kanus und Dampfern. Sie waren von enormer Bedeutung für die GSK, denn deren Lebensader war die Schiffsverbindung zwischen Molundu und Kinshasa. Bis 1904 transportierte sie europäisches und afrikanisches Personal, europäische Handelswaren, Elfenbein und Kautschuk ausschließlich über diesen Weg. Entsprechend wichtig waren die zwei GSK-Dampfer, die den Verkehr aufrechterhielten.471 Ab 1904 setzte die Firma zudem kleine Dampfer auf den Flüssen Nyong und Böke ein, um den Trägerverkehr zu entlasten.472 Insgesamt betrieb die GSK Ende 1909 fünf Dampfer sowie mehrere Leichter.473 Zur Flotte gehörten auch Kanus. Allein auf dem Nyong hatte die Firma 1905 ca. 70 Kanus im Einsatz.474 Für all diese Boote brauchte die GSK entsprechendes Personal: Auf dem 1907 in Dienst gestellten Dampfer Bumba etwa, der Molundu mit Kinshasa verband, war außer dem europäischen Kapitän eine Besatzung von ca. 25 Mann nötig.475 Die großen

471 GSK und Walther Karl & Co. fuhren als einzige deutsche Firmen auf dem Kongo. Vgl. Loth 1966, 79. 472 Vgl. Kap. 3.4. 473 Vgl. AGR CCCI 1682 Dampfer und Flussmaterial in Afrika, 31.12.1909. 474 Vgl. BArch R 1001/4328, 11. 475 Vgl. Herlyn 1912a, 884.

Träger und Ruderer: Die Mobilisierung von Transportarbeit durch die GSK

Lastenkanus ruderten je zehn Mann.476 Folglich beschäftigte das Unternehmen hunderte Arbeiter auf den Flüssen.477 Als Besatzung für Kanus und Dampfer nutzte die GSK Arbeitsmigranten aus dem Kongostaat und Französisch-Kongo. Vor allem handelte es sich um sogenannte Bangala vom oberen Kongo.478 1907 waren 98 Bangala im Molundu-Gebiet tätig.479 Möglicherweise arbeiteten 1907 hunderte Bangala in Südostkamerun, nennt doch die amtliche Statistik für den Bezirk Lomie 224 Menschen aus dem Kongostaat.480 Spätestens ab 1909 warb die GSK auch an der Mündung des Kasai sowie am Oubangui Arbeiter an.481 Damit griff sie für die Schiffsarbeit, wo ihr Geschäft dem der Muttergesellschaft SAB ähnelte, auf eingespielte Rekrutierungspraktiken und Arbeitsbeziehungen des Kongobeckens zurück. Am Kongo, wo der Handel vornehmlich auf den zahllosen Flüssen stattfand, waren die Bangala als professionelle Flussschiffer in den 1880ern und 1890ern die wichtigsten Arbeitskräfte gewesen.482 Trotz ihres Erkennungszeichens, eine „stark vorspringende, hahnenkammartige Tätowierung in der Mittellinie der Stirn“,483 waren die Bangala keine ethnische Gruppe. Wie Kru, Vai oder Jaunde war Bangala ein ethnisches Label, das Europäer auf Arbeitskräfte einer bestimmten Region und Profession anwandten.484 Wahrscheinlich waren die Bangala vor allem Bobangi und deren Sklaven.485 Bobangi-Handelsallianzen hatten seit Mitte des 19. Jahrhunderts den Sklaven- und Elfenbeinhandel auf dem Kongo zwischen Oubangui und Stanley Pool kontrolliert.486 Sie hatten zahlreiche Sklavinnen und Sklaven gekauft, die ihre großen Handelskanus ruderten.487 Als die Europäer am oberen Kongo auftauchten, brach das Geschäft der Bobangi zusammen.488 Dies setzte Menschen 476 Vgl. Herlyn 1912b, 1061. 477 Vgl. BArch R 1001/7432, 74 f.; RKA 1911a, statistischer Teil, 53; RKA 1913, statistischer Teil, 38. Für eine Darstellung der Dampferfahrt vgl. v.B./M.O.M. 1911. 478 Anfangs scheint die GSK die von den vorherigen Eignern ihrer Dampfer engagierte LoangoBesatzung verwendet zu haben. Nur wenige Besatzungsmitglieder waren Bangala. Vgl. Stein 1926, 150. 479 Die Zahl bezog sich vermutlich vor allem auf die Kanu- und Dampfer-Besatzungen auf Bumba und Böke, nicht aber auf die Mannschaften der Kongodampfer. Vgl. Wirz 1972, 116, Fn. 102. Nach Petersen waren für den Bumba-Verkehr 72 Bangala angestellt. Vgl. Petersen 1936, 134. 480 Vgl. RKA 1911a, statistischer Teil, 53. 481 Vgl. RKA 1911b, 305 f.; BArch R 1001/5913, 150. „Abanglis“ meint wahrscheinlich Oubangui. 482 Bangala-Arbeiter sind bisher kaum erforscht. Selbst in Arbeitergeschichten des Kongo finden sie keine Erwähnung (vgl. Seibert 2016; Northrup 1988). Die einzige Studie ist Samarin 1989a, 61–82. 483 Thonner 1898, 19. Abbildungen finden sich in Chun 1903, 125. 484 Vgl. Samarin 1989a, 64. 485 Vgl. Samarin 1989a, 66 ff. 486 Vgl. Harms 1981, 126. 487 Vgl. Harms 1981, 180 f., 103. 488 Vgl. Harms 1981, 219–229.

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mit Kenntnissen in der Kongo-Schifffahrt frei, die nun als Bangala für den kolonialen Staat und Unternehmen wie SAB oder NAHV arbeiteten. In kurzer Zeit entwickelten sie sich zu den wichtigsten lokalen Lohnarbeitern des Kongostaates und Französisch-Kongos.489 Arbeit auf Dampfern und Kanus war für viele Bangala vorteilhaft. Die Höhe ihrer Löhne ist nicht überliefert, aber Zippelius berichtet, dass selbst an Schlafkrankheit leidende Bangala alles taten, um weiter für das Unternehmen arbeiten zu dürfen.490 Junge Männer konnten mit ihren Kenntnissen in der Flussschifffahrt ein Einkommen erzielen.491 Als weiteres Motiv kam hinzu, dass Lohnarbeit ihnen ermöglichte, sich der Plantagenarbeit sowie der zwangsweisen Kautschukproduktion im Kongostaat und Französisch-Kongo zu entziehen.492 Auf den Dampfern arbeiteten Bangala als Steuerleute, Maschinisten und Lotsen („Pundamänner“). Das Wissen der Lotsen, die die Flüsse Kongo, Sangha und Ngoko genau kannten, war unverzichtbar für die Schifffahrt auf dem sich stets verändernden Fluss. Die meisten Arbeiter auf den Dampfern waren jedoch Holzträger.493 Sie beschafften das nötige Brennmaterial. Bereits gegen 14 oder 15 Uhr hielt der Dampfer am Flussufer. Die Holzträger hatten „im Wald nach trockenen Baumstämmen zu suchen, sie zu zerkleinern und dann an Bord zu bringen.“494 Wahrscheinlich 1909, spätestens aber 1912 konnte die GSK auf ein vom Belgischen Kongo bzw. von dortigen Unternehmen betriebenes System von Holzposten zurückgreifen.495 Dort kaufte der Kapitän Holzscheite, die die Holzträger nur noch an Bord bringen mussten.496 Auch die Bangala-Besatzungen der Kanus auf Djah, Ngoko und Kuddu, später auch auf Nyong, Bumba, Böke und Dume waren Spezialisten. Um ein Kanu durch Stromschnellen zu steuern, brauchte es Wissen und Training. Die Leistungen der Bangala machten deshalb großen Eindruck auf GSK-Agenten wie Hans Herlyn: [S]elbst starke Strömungen und gefährliche Schnellen werden von den als Ruderern sehr beliebten Bangalas aus dem belgischen Kongostaat ohne Umladung befahren. Als Kanu dient ein starker Einbaum, der von etwa 10 Männern, die in ihm stehen, mit meistens

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Vgl. Samarin 1989a, 66. Vgl. Zippelius 1927b, 102. Vgl. Samarin 1989a, 70 ff., 79. Vgl. Samarin 1989a, 74–77; Harms 1981, 227 ff. Zur Besatzung vgl. Petersen 1936, 43. Herlyn 1912a, 884. Vgl. MFM KJh 1 Kalmár 1911, 30. Vgl. Herlyn 1912b, 1060; Ritter 1912, 91. So ließ sich die Geschwindigkeit der Dampfer steigern. 1899 dauerte die Reise von Kinshasa nach Molundu 4–5 Wochen. Bis 1909 verkürzte sie sich auf unter 20 Tage, stromabwärts auf unter 10 Tage. Vgl. MFM KJh 1 Kalmár 1911, 30; Kürchhoff 1909, 503; Foreign Office 1920, 48.

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schmalschaufligen Rudern vorwärts getrieben [wird – sic!]. Stromab haben die Leute besonders scharf darauf zu passen, daß das oft äußerst schnell dahinschießende Boot nicht auf einen im Wasser liegenden Stein stößt.497

Indem die GSK Kanubauer vom Kongo kommen ließ, nutzte sie auch das technische Wissen der dortigen Flussgesellschaften. Deren Einbäume waren denen der Missangha für kommerzielle Aufgaben überlegen,498 da sie bis zu einer Tonne Ladung tragen konnten.499 Bangala konnte die GSK problemlos durch die Netzwerke ihrer Muttergesellschaft SAB sowie die persönlichen Verbindungen ihrer europäischen und afrikanischen Angestellten anwerben. Langheld glaubte 1899, „in den Gegenden, in denen er früher als Agent einer belgischen Handelsgesellschaft [SAB – T. Oe.] thätig gewesen war, sehr leicht wenigstens genügend Leute zur Equipierung seines Dampfers zu finden“.500 Von Stein bezeichnete die Bangala deshalb als „langjährige Begleiter“ Langhelds.501 SAB-Angestellte im Kongo vermittelten zudem Bangala als Boys an GSK-Agenten.502 Kalmár erhielt 1899 vom Gebietsleiter der SAB in Kinshasa, Langlois, einen Bangala-Boy zugewiesen.503 Familienoberhäupter als Anwerber: Lokale Arbeitskräfte für den Transport an Land Auch wenn die Verbindung nach Kinshasa zentral für die GSK war: Innerhalb des Konzessionsgebietes fehlte es an schiffbaren Flüssen. Den Umbau der GSK von einem Fluss- zu einem Landunternehmen trieb von Schlippenbach voran, der sich im Juli 1902 endgültig gegen Langheld durchsetzte und die Leitung übernahm.504 Ende 1899 war von Schlippenbach, Spross einer österreich-ungarischen Adelsfamilie, geboren im kroatischen Heiligenkreuz, mit 31 Jahren als stellvertretender Direktor der GSK nach Sangha-Ngoko gekommen. Aus seiner Zeit vor der GSK

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Herlyn 1912b, 1061. Vgl. Petersen 1936, 111. Vgl. AFS 415 Schlippenbach: Grenzbericht, 27.04.1902. Schlechter 1900f, 81. Stein 1926, 154. 1899 hatten französische und kongostaatliche Behörden die Arbeiteranwerbung für Kamerun verboten. Langheld kehrte deshalb zunächst erfolglos vom Kongo zurück. Doch spätestens 1900 arbeiteten Bangala für die GSK. Vgl. Schlechter 1900f, 80, 84; BArch R 1001/4376, 68; BArch R 175-I/131, 15. 502 Vgl. BArch R 1001/4291, 256; BArch R 1001/5913, 252; MFM KJh 1 Kalmár 1911, 29; AFS 416 Stetten: Kleines Handbuch der Bangalla-Sprache; Osten 1912a, 12. 503 Vgl. MFM KJh 1 Kalmár 1911, 29. Vgl. auch Zippelius 1926b, 286; Osten 1912a, 12. 504 Vgl. Scharlach 26.04.1905.

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ist wenig bekannt. Der Oberleutnant der Reserve in der preußischen Armee verlobte sich 1896 mit Antoinette Gutmann, Tochter des Vorstandsvorsitzenden der Dresdner Bank. Da diese aus einer jüdischen Familie stammte, hagelte es in Zeitungen antisemitische Kritik.505 Gutmann und von Schlippenbach heirateten nicht. Möglicherweise entschloss sich der Grafensohn deshalb, nach Afrika zu gehen. Welche Erfahrungen ihn als stellvertretenden Direktor der GSK qualifizierten, ist unbekannt. Jedenfalls galt von Schlippenbach als schroff,506 aber als „glänzender Organisator“,507 als „ungewöhnlich begabter und tüchtiger Kolonisator“.508 Eine Lösung für die Transportprobleme, die der von ihm angestoßene Umbau der GSK mit sich brachte, fand er jedoch nicht. An Land benötigte das Unternehmen jetzt stets eine große Anzahl von Trägerinnen und Trägern – die teuerste Möglichkeit, Waren zu transportieren. Entsprechend erschwerte die Arbeiterfrage von nun an ein profitables Geschäft. Schon bevor von Schlippenbach die Leitung übernahm, brauchte die GSK Arbeitskräfte für ihre ersten Handelsexpeditionen an Land in das Gebiet jenseits der schiffbaren Flüsse. Hierfür nutzte die GSK Arbeitsmigranten, auf die später zurückzukommen ist, versuchte aber auch, Arbeitskräfte vor Ort aufzutreiben. Doch dies war in Sangha-Ngoko von Anfang an problematisch.509 Die Missangha arbeiteten nicht für die Europäer. Bereits im März 1899 meldete Plehn an das Gouvernement, Arbeiter seien vor Ort nicht zu haben.510 Im August wies er den Botaniker Schlechter auf die „Unmöglichkeit“ hin, „am Ngoko Träger zu engagieren.“511 In das gleiche Horn blies der GSK-Expeditionsleiter Williame, als er im November 1900 über die Missangha schrieb: „Bisher ist es noch nicht gelungen sie zu irgend einer Arbeit heranzuziehen“.512 Auch andere Bevölkerungsgruppen der Region waren kaum dazu bereit. Arbeiter zu finden, blieb in Sangha-Ngoko während der gesamten deutschen Herrschaft schwierig, trotz der großen Veränderungen, die das Gebiet im folgenden Jahrzehnt erlebte. Auch Carl W. H. Koch, 1910 Stationschef von Molundu, bemerkte: „Der Eingeborene des Bezirkes selbst eignet sich zu den verschiedenen Berufen vorläufig wenig.“513 Unmöglich war es aber nicht, Trägerinnen und Träger zu bekommen. Erste Anlaufstelle für GSK und Regierung waren die Dorf- und Familienoberhäupter. Wie

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Vgl. Familie von Schlippenbach o. J.; NN 03.06.1896; NN 04.06.1896; NN 1896a. Vgl. BArch R 1001/3455, 10. Königs 1943, 73. Puttkamer 1912, 84. Vgl. Hücking/Launer 1986, 139. Vgl. BArch R 175-I/130, 49. Schlechter 1900f, 80. BArch R 1001/3443, 83. Koch 1913a, 259.

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in anderen Regionen Südkameruns verfügten diese über die Arbeitskraft ihrer Abhängigen wie Ehefrauen, Söhne, Töchter, Sklavinnen, Sklaven, Klienten oder pawns. Die überall in Westafrika erprobte Strategie, Familienoberhäupter zu Anwerbern zu machen, war jedoch nur mäßig erfolgreich. Obwohl Europäer und Familienoberhäupter anfänglich verbündet waren, scheuten Letztere davor zurück, Arbeitskräfte zu stellen. Das Familienoberhaupt Kul war verwundert, als Kalmár ihn 1902 um Träger für den weiten Weg bis zum Ngoko bat: „Das rief großes Befremden hervor. Wozu sollten sie auf unbekannten Wegen wandeln, zu fremden Orten aufbrechen, wo doch das Leben hier so bequem, so sorglos ist.“514 Doch nicht Bequemlichkeit, wie Kalmár insinuierte, sondern nüchternes Abwägen leitete Familienoberhäupter wie Kul. Aufgrund der geringen Bevölkerungszahl waren Menschen und ihre Arbeitskraft kostbar. Familienoberhäupter konkurrierten deshalb um Ehefrauen und Klienten.515 Entweder benötigten sie die Arbeitskräfte selbst. 1902 konnte von Schlippenbach keine Karawanenarbeiter bei den Kunabembe in Duluku finden, weil alle jungen Männer auf den Farmen arbeiteten.516 Oder ihnen fehlte die Autorität, Leute zu schicken. Sicherheitsbedenken machten sie ebenfalls zurückhaltend. Große Karawanen waren auch in Sangha-Ngoko unbekannt. Wie an der Batanga-Küste besuchten Familienoberhäupter mit kleinen Delegationen ihre Handelsfreunde, mit denen sie durch Verwandtschaft oder Heirat verbunden waren.517 Sich außerhalb dieser Netzwerke zu bewegen, war gefährlich – Reisende riskierten, getötet oder versklavt zu werden.518 Um die Jahrhundertwende, erfuhr Schultze im Kunabembe-Gebiet, „soll es für einen nicht Stammesangehörigen unmöglich gewesen sein, die Nähe eines Ortes zu passieren, in dem ein Häuptling gestorben war. Alles, dessen man habhaft werden konnte, wurde geschlachtet.“519 Trotz dieser Schwierigkeiten waren die Familien- und Dorfoberhäupter in den ersten Jahren die wichtigsten Rekrutierer von lokalen Trägerinnen und Trägern, wenn sie dies als vorteilhaft für ihre eigenen Interessen ansahen. Sie stellten dem Unternehmen Leute, um ihre Verbindung mit den Europäern zu festigen. Auch Kul

514 MFM KJh 2 Kalmár 1913a, 46 f. Noch Anfang der 1970er klagten Geschieres Maka-Informanten, dass die Deutschen von ihnen verlangt hätten, in fremden, weit entfernten Gegenden zu arbeiten. Vgl. Geschiere 1982, 144. 1902 weigerten sich in Mokbe angeworbene Träger, ohne von Schlippenbach nach Molundu zu gehen, aus Angst vor verfeindeten Nachbargruppen. Vgl. BArch R 1001/3444, 136. 515 Vgl. Geschiere 1982, 143; Siroto 1969, 111. 516 Vgl. BArch R 1001/3444, 152. Zur saisonalen Farmarbeit vgl. Vansina 1990, 86. 517 Vgl. MFM KJh 2 Kalmár 1913a, 42; Hoesemann 1902a, 293. Für einen Maka bestand dieses Netzwerk aus den Patrilineages des Bruders seiner Mutter, der Söhne seiner Schwestern, seiner Schwiegereltern und Schwiegersöhne. Vgl. Geschiere 1982, 74. 518 Vgl. Geschiere 1982, 69; Laburthe-Tolra 1981, 324. 519 MARKK SCH 1.7, 51. Für ähnliche Bräuche bei den Missangha vgl. Loyre 1909, 411. Zu Menschenopfern bei Begräbnissen vgl. z. B. Kopytoff/Miers 1977, 55 f.; Law 1985.

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entschloss sich, Kalmár Träger zu geben. Schweren Herzens sagte er ihm sieben der geforderten 30 Mann zu. Kuls Entscheidung setzte eine Dynamik unter seinen Nachbarn in Gang: Auch sie sandten Kalmár Träger. Schließlich wollten sie nicht hinter Kul zurückstehen.520 Auch die Familienoberhäupter der Bangandu stellten der GSK Karawanenarbeiterinnen und -arbeiter, solange dies Vorteile für sie hatte. Das Bangandu-Land war die „Eingangspforte in die reichen Gegenden weiter im Norden“,521 so von Stein. Die Bangandu besaßen deshalb nicht nur ein „ängstlich bisher gehütetes Handelsmonopol“ für Elfenbein, sondern auch ein Transportmonopol, da sie die nötigen Trägerinnen und Träger für die GSK von ihren Dörfern zum Ngoko stellten.522 Schnell waren die Bangandu „mehr als nützlich von Ihrer [sic!] Unentbehrlichkeit überzeugt“, wie von Stein bemerkte, und verlangten hohe Preise. Trägerinnen und Träger erhielten Löhne (wobei unklar bleibt, ob sie sie selbst behalten durften) und die Familienoberhäupter ein Geschenk, wenn sie der GSK Arbeitskräfte stellten und wenn diese wieder zurückkehrten.523 „Siehe“, sagte Kul nach Angaben Kalmárs schweren Herzens über die von ihm gestellten Träger, „dies sind meine Kinder, die ich dir gebe, du bist Herr über ihr Leben.“524 Wahrscheinlich waren die von Kul als seine „Kinder“ bezeichneten Leute seine Klienten, Sklaven und Sklavinnen.525 Wie im Hinterland der Batanga-Küste und anderswo in West- und Zentralafrika waren die Menschen, die die Handelspartner der GSK zur Verfügung stellten, Abhängige.526 Zum einen hatten die Dorfoder Familienoberhäupter nur über diese genügend Autorität, um sie zu veranlassen, die schwere Trägerarbeit auszuführen.527 Selten folgten freie erwachsene Männer ihren Aufrufen, als Karawanenarbeiter für die Europäer zu arbeiten. 1902 etwa versprach das Familienoberhaupt Mokbe von Schlippenbach, 50 Träger zu stellen, von denen am nächsten Morgen aber nur zwölf erschienen.528 Zum anderen dürften Familienoberhäupter für die gefährliche Reise vor allem jene gewählt haben, die den geringsten Schutz genossen: Menschen, die zu ihrem Reichtum gehörten, auf die sie aber im Notfall verzichten konnten.529

520 Vgl. MFM KJh 2 Kalmár 1913a, 46 f. Zur Konkurrenz zwischen Familienoberhäuptern vgl. Vansina 1990, 94. 521 Für dies und die folgenden Zitate: BArch R 1001/4377, 156 f. 522 Vgl. BArch R 1001/4377, 156 f.; BArch R 1001/3443, 120; BArch R 1001/3444, 49. 523 Vgl. BArch R 1001/3444, 144; BArch R 1001/4379, 265. 524 MFM KJh 2 Kalmár 1913a, 47. 525 Vgl. Vansina 1990, 75 f. 526 Die Bangandu besaßen Bomome-, Bakwele- und Kunabembesklaven. Vgl. Rupp 2011, 82, 86; BArch R 1001/3443, 132. Für Klienten der Kunabembe vgl. Koch 1923, 79 ff.; Vansina 1990, 318, Fn. 3. 527 Vgl. Allys 1930, 6; Geschiere 1982, 46; Koch 1913a, 281. 528 Vgl. BArch R 1001/3444, 145. 529 Vgl. Kopytoff/Miers 1977, 56 ff.

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Wahrscheinlich arbeiteten auch Frauen und Mädchen schon zu dieser Zeit als Trägerinnen in den GSK-Karawanen. Explizit erwähnen die Quellen sie aber erst später. Erinnert sei an Zippelius’ Kunabembe-Trägerinnen auf dem Faktoreihof von Molundu.530 Auch Koch und Petersen, nach 1910 in Sangha-Ngoko, nennen Frauen in Karawanen.531 Ihr Anteil könnte ähnlich hoch wie in den Karawanen der Küstenfirmen gewesen sein. 1910 arbeiteten in einer 23-köpfigen GSK-Karawane 13 Frauen.532 Von der Osten war beeindruckt von den Leistungen der GSK-Trägerinnen. Ihr Schmuck, die bereits erwähnten Metallringe, wog bereits bis zu 9 Kilogramm, so von der Osten. Dazu schleppen die Weiber, wenn sie Trägerdienste leisten, 25 Kilogramm Gummi und halten obendrein vielfach noch ein Kind auf der Hüfe, so dass sich das Gewicht alles in allem auf etwa 40–45 Kilogramm beläuft. Mit dieser Belastung laufen sie stundenlang bergauf und bergab durch Urwald, Dickicht und Sümpfe, durchwaten reissende Flüsse, überklettern auf dünnen, schlüpfrigen Baumstämmen gewaltige Schluchten und sind nach einem solchen Marsch von 6–7 Stunden am Ziel angekommen, durchaus nicht abgeneigt, zu tanzen, so dass man wohl sagen kann, dass diese Weiber mindestens ebenso kräftig sind wie ihre Männer, die bei solchen Gelegenheiten nur ihre 25 Kilogramm tragen.533

Der schwere Schmuck, der als Wertspeicher diente, und das Vorhandensein von Kindern deuten darauf hin, dass diese Trägerinnen Ehefrauen waren. Ihre Ehemänner nutzten ihre Arbeitskraft entweder zu ihrem eigenen wirtschaftlichen Vorteil oder um Forderungen der Kolonialmacht hinsichtlich Trägerstellung nachzukommen. Aber die Arrangements zwischen GSK und Familienoberhäuptern waren temporär und zerbrechlich. Sie stellten sich bald als ungeeignet heraus, um Arbeitskräfte im großen Stil zu rekrutieren. Deutlich wird dies an den Entwicklungen im Bangandu-Gebiet. Als die Forderungen, die die Bangandu-Familienoberhäupter (und möglicherweise auch die Arbeitskräfte selbst) für Trägerarbeit erhoben, schließlich „ein kaum mehr zu erfüllendes Maass“ erreichten, nahm von Stein 1901 das Familienoberhaupt Grimilla und seine Leute als Geiseln, um Träger zu seinen Bedingungen zu erpressen und mit dem GSK-Agenten Friedrich weiter nach Norden vorzudringen.534 Als Friedrich auf dem Rückweg mit BomomeTrägern Elfenbein von Jukaduma nach Molundu transportierte, war sowohl das

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Vgl. Zippelius 1926b, 287. Vgl. Koch 1923, 42; Petersen 1936, 165. Vgl. BArch R 1001/5913, 224. Osten 1911, 6. BArch R 1001/4377, 157. Wahrscheinlich ist Kumilla gemeint.

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Handels- als auch das Trägermonopol der Bangandu gebrochen.535 Die BanganduFamilienoberhäupter dachten von nun an nicht mehr daran, der GSK Arbeitskräfte zu stellen. Schließlich hatten sie keine Vorteile vom direkten Handel der GSK mit ihren Nachbarn.536 Gleichwohl gab die GSK diese Form der Trägerrekrutierung nie auf. Immer wieder baten GSK-Agenten oder die Regierung in ihrem Namen bei den Familienoberhäuptern um Trägerinnen und Träger, wenn diese dringend benötigt wurden. Westafrikanische Arbeitsmigranten in Diensten der GSK Dass es schwierig war, in Sangha-Ngoko Arbeitskräfte anzuwerben, kam für die GSK-Leitung sicherlich nicht überraschend. Auch im Kongobecken waren die europäischen Staaten und Unternehmen für viele Aufgaben auf den westafrikanischen Arbeitsmarkt angewiesen.537 Von Anfang an begleiteten deswegen Menschen aus unterschiedlichsten Gebieten des Kontinents die GSK-Agenten nach SanghaNgoko: Kalmár schilderte in einem Brief die kosmopolitische Arbeiterschaft, die im September 1899 mit ihm zur Bumba-Insel Ngodio fuhr, um dort eine neue Faktorei zu gründen: Seine Begleiter waren der liberianische Kommis Emmanuel Money, der aus Sierra Leone stammende Koch William Tarleton, ein Tischler namens James Cool, Kalmárs Bangala-Boy Congo Muntala, der Wäscher Boati aus Loango und 30 Arbeiter aus Accra, Lagos, Lomami und anderswo.538 Alle alltäglichen Arbeiten auf den Faktoreien übernahmen Arbeitsmigranten aus Westafrika und dem Kongo, die als Vertragsarbeiter fest von der GSK engagiert waren, während zusätzliche Arbeiten von Leuten übernommen wurden, die die Firma von den Familienoberhäuptern erbat. Doch von Schlippenbachs entstehendes binnenländisches Faktoreinetz brauchte erheblich mehr Arbeitskräfte als eines entlang von Flüssen. Noch immer waren jeder Faktorei theoretisch gut 20 Arbeiter zugeteilt.539 Deren wichtigste Aufgabe war es, Handelswaren von der Faktorei auf die vorgeschobenen Posten zu transportieren, und den dort aufgekauften Gummi auf die Faktorei zu schaffen. An den Flüssen konnte der Gummi nun auf Kanus und Dampfer verladen werden. Im Binnenland aber brauchte es regelmäßige Karawanen, um die Faktoreien von der Hauptfaktorei in Molundu aus mit europäischen Waren zu versorgen und den dort aufgestapelten Kautschuk nach Molundu zu bringen. Der Plan für 1903 zeigt von Schlippenbachs Idee: Die unbewohnten Regenwaldgebiete schrieben der GSK zwei Richtungen 535 536 537 538 539

Vgl. BArch R 1001/4377, 167. Vgl. BArch R 1001/3447, 148. Für westafrikanische Arbeitskräfte im Kongostaat vgl. Samarin 1989a, 29–40; Cookey 1965. Vgl. MFM KJh 15 Kalmár an Paula und Sándor, 04.09.1899. Vgl. AFS 415, GSK-Direktoriumssitzung, 05.02.1903, Unteranlage k.

Träger und Ruderer: Die Mobilisierung von Transportarbeit durch die GSK

vor, auf denen sie ihre Faktoreien vorschob und zwei Hauptkarawanenrouten einrichtete: Am wichtigsten war die Nordroute durch das Gebiet der Bangandu und Kunabembe über Jukaduma ins Dume-Gebiet. Planmäßig sollte jeden Monat von Molundu eine Karawane mit 45 Trägern nach Jukaduma abgehen und alle zwei Monate eine Karawane mit 90 Trägern von Molundu über Jukaduma nach Beri. Auch die 60 Mann starke Karawane in die Dume-Region, die neunmal im Jahr die Hauptfaktorei verließ, sollte über Jukaduma gehen. Mindestens zwei Karawanen, so der Plan, gingen folglich monatlich auf der Nordroute hinaus. Hinzu kamen die Karawanen, die auf derselben Route zurückkehrten. Die zweite Richtung war die Westroute über Ngato ins Ndsimu-Gebiet. 14-mal im Jahr sollten 40 Träger von Molundu nach Ngato ziehen, neunmal von Molundu über Ngato nach Bidjum und jeden zweiten Monat 90 Träger weiter nach Moohul. Weitere Karawanen gingen ab vom Dongo-Depot am Ende der Schiffbarkeit des Djah, das von Molundu aus mit dem Dampfer versorgt wurde.540 Aufgrund von Grenzregulierungen ging Dongo jedoch 1902 verloren, sodass nur Nord- und Westroute interessant blieben.541 Arbeitskräfte für so einen Karawanenverkehr waren vor Ort vorerst nicht zu bekommen.542 Zwar hatte die Regierung dem Unternehmen ein eigenes Königreich geschenkt, in dessen Wäldern große Funtumia-Bestände wuchsen, mit deren Kautschuk sich Millionen verdienen ließen. Dennoch stand die GSK vor demselben Problem wie afrikanische Machthaber: Alles Land und die verliehenen Rechte waren wertlos ohne Menschen, die in diesem Königreich arbeiteten. Seine Bevölkerung war gering und in den Wäldern kaum kontrollierbar. Die Menschen produzierten zwar zunehmend Kautschuk, ließen sich aber kaum für Karawanenarbeit gewinnen. Wie die Firmen der Batanga-Küste holte die GSK in dieser Situation Menschen von außen, die von ihr abhängig waren und die sie kontrollieren konnte. Sie engagierte Vertragsarbeiter auf dem westafrikanischen Arbeitsmarkt. Der Aufbau des Karawanenverkehrs auf den oben genannten Routen führte zu einer Expansion der Vertragsarbeiterschaft. 1900 arbeiteten 100 Männer für das Unternehmen, 1901 – mit Beginn der Vorstöße ins Binnenland – waren es bereits 348 und 1902 schließlich 618. Alle waren Arbeitsmigranten aus Westafrika, von denen die GSK 328 allein 1901 und 366 im Jahr 1902 nach Sangha-Ngoko brachte. Insgesamt engagierte die GSK nach eigenen Angaben zwischen Mitte 1899 und Mitte 1903 nicht weniger als 979 westafrikanische Arbeitsmigranten – wahrschein-

540 Von Dongo aus gingen Karawanen nach Matulli, Kul, Südwesten und Nordwesten. Vgl. AFS 415 GSK-Direktoriumssitzung, 05.02.1903, Unteranlage k. 541 Vgl. Petersen 1936, 74. 542 Vgl. BArch R 1001/3444, 49.

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lich wie an der Batanga-Küste junge und sehr junge Männer.543 Für 1903 waren nach von Schlippenbachs Plan 1000 fest engagierte Arbeiter vorgesehen, davon 700 Migranten, von denen 300 für den regelmäßigen Karawanenverkehr zwischen Molundu und den Faktoreien vorgesehen waren.544 Schweren Herzens bewilligte die Direktion 1903 den kostenintensiven Plan und schrieb an von Schlippenbach: Obgleich die Zahl der Arbeiter von der Küste – eine sehr teure Arbeitskraft – schon eine sehr grosse ist, werden wir nicht zögern, Ihnen noch mehr zu senden, wenn wir mit Hülfe der dortigen Regierung keinen Erfolg haben sollten, die eingeborene Bevölkerung zu einem regulären Transportdienst zu bewegen. […] Solange diese wichtige Trägerfrage nicht geregelt ist, ist es auch unsere Meinung, dass Sie sich der Arbeiter von der Küste bedienen müssen.545

Die GSK gab den Plan, vor Ort Arbeitskräfte zu finden, nicht auf, musste aber anerkennen, dass vorerst westafrikanische Vertragsarbeiter das Rückgrat ihres Geschäfts waren. Während die Küstenfirmen sich weitgehend auf Liberia konzentriert hatten, war die GSK durch das Humplmayr-Monopol dazu gezwungen, sehr breit nach den nötigen Arbeitskräften zu suchen. Einerseits rekrutierte sie Arbeitskräfte direkt an der westafrikanischen Küste – unter anderem in Liberia. Im November 1899 instruierte das GSK-Direktorium von Schlippenbach, in Monrovia 50 Arbeiter anzuwerben. Gleichzeitig griff die GSK auf westafrikanische Arbeitskräfte zurück, die sie nicht an der Küste anwarb, sondern in den kommerziellen Zentren des Kongo. In den Hafenorten Matadi, Boma, Kinshasa und Brazzaville war neben lokalen Arbeitskräften auch eine große Zahl mobiler Westafrikaner zu haben, die bereit waren, in den äußersten Winkel des Kongobeckens zu reisen und dort zu arbeiten. Im Kongo warb die GSK sowohl gut ausgebildete Spezialisten als auch ungelernte Arbeitskräfte aus Westafrika an. Diese hatten bereits im Kongostaat oder Französisch-Kongo für Firmen oder die Regierung gearbeitet.546 Der Zimmer-

543 Vgl. NN 1903b, 436. Der Autor versuchte, den Eindruck zu erwecken, als würde die GSK jährlich bereits die Hälfte ihrer Belegschaft vor Ort rekrutieren. Dies war nicht der Fall, die jeweils angeworbenen Arbeiter blieben teilweise 2 Jahre. Vgl. BArch R 1001/3443, 156. 544 AFS 415, GSK-Direktoriumssitzung, 05.02.1903, Unteranlage k, Unteranlage i. Die Zahl von 700 Arbeitsmigranten ergibt sich aus dem Kontext: In Unteranlage i ist von „Schwarzem Personal“ die Rede – dass hiermit lediglich ausländische Arbeiter gemeint sind, wird dadurch ersichtlich, dass die dort genannte Zahl von 300 Trägern als „Küsten-Neger“ in der allgemeinen Trägerübersicht in Unteranlage k wieder auftaucht. 545 AFS 415 GSK an Schlippenbach, 14.01.1903. 546 Für Biographie-Splitter westafrikanischer Arbeitsmigranten im Kongo vgl. Schilling 1908, 22–35.

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mann Emanuel A. R. Elliot aus Sierra Leone etwa, der zu den ersten afrikanischen Angestellten gehörte, die mit Langheld und Kalmár nach Sangha-Ngoko kamen, unterzeichnete 1899 seinen Arbeitsvertrag in Kinshasa.547 Nur wenig ist über westafrikanische Arbeitsmigranten im Kongo und ihre Rolle in der dortigen Kautschukwirtschaft bekannt.548 Dass sie ein eigenes Sub-Arbeiterreservoir für die GSK bildeten, deutet auf eine große Zahl von Westafrikanern hin, die es in den Kongo verschlagen hatte, dort ihre Zukunft sahen oder nicht heimreisen konnten. Dass der Kongo ein Anwerbegebiet für westafrikanische Arbeiter wurde, war nämlich auch eine Folge der Politik der dortigen Unternehmen. Die GSK etwa zahlte ihren westafrikanischen Arbeitskräften die Rückfahrt in ihre Heimat nur, wenn diese ihre Arbeitsverträge bis zum Ende erfüllten. Ansonsten durften sie nur kostenlos bis Kinshasa reisen.549 Die Firmen schufen sich auf diese Weise selbst eine „floating population“, die auf Lohnarbeit angewiesen war. Bei der Anwerbung von Westafrikanern im Kongo halfen der GSK andere CCCIUnternehmen: SAB und CCFC.550 Die SAB besorgte 1899 der GSK 44 Arbeiter von der CCFC – die bunte Mischung von Männern, die Kalmár begleitete.551 Robert Entry, der aus einer britischen Kolonie stammte, wurde in Kinshasa von einem Europäer namens Langley – wahrscheinlich der SAB-Agent Langlois – angeworben.552 Nicht nur rekrutierten SAB und CCFC westafrikanische Arbeitskräfte der GSK, sie zahlten sie auch aus. Der aus Lagos stammende Headman Mbada erhielt 1902 nach Ablauf seiner Zeit bei der GSK sein Geld durch die CCFC in Matadi.553 Gleichzeitig zeigt der Fall Mbada, dass die GSK auch auf „indirect recruitment“ mittels westafrikanischer Headmen setzte.554 Mit Teilen seines Lohns zahlte Mbada die Vorschüsse von 20 neuen Arbeitern (mutmaßlich ebenfalls aus Nigeria), die er in Matadi angeworben hatte.555 Er brachte die Leute nach Molundu, wo sie und Mbada ihren Arbeitsvertrag in Anwesenheit von Herrn „Graffe“, wie die Arbeiter Graf von Schlippenbach nannten, unterzeichneten.556 Westafrikanisches Personal aus dem Kongo brachte Erfahrungen aus dem dortigen Kautschukgeschäft nach Sangha-Ngoko. Afrikanische Angestellte, die bereits

547 548 549 550 551 552 553 554 555 556

Vgl. ANY FA 1/268, 172. Vgl. auch BArch R 175-I/206, 61. Vgl. Cookey 1965. Vgl. BArch R 175-I/206, 22. Vgl. BArch R 1001/3443, 155 f.; BArch R 175-I/206, 61. Vgl. BArch R 1001/3443, 155. Vgl. BArch R 175-I/206, 61; MFM KJh 1 Kalmár 1911, 29. Vgl. BArch R 175-I/206, 59. Mark-Thiesen 2012, 18. Vgl. BArch R 175-I/206, 48; BArch R 175-I/206, 51 ff. Vgl. BArch R 175-I/206, 59.

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jahrelang für die SAB oder andere Kongo-Unternehmen gearbeitet hatten, prägten die GSK ebenso wie Langheld oder die belgischen Direktoren. Kalmár etwa bekannte, wie bedeutend der Kommis Emmanuel Money für ihn war, als er 1899 erstmals nach Afrika kam: Money stammt aus der Republik Liberia und spricht besser und schöner Englisch als ich. Er versteht von allem etwas. Von ihm lerne ich, wie man Elfenbein einkauft und vieles mehr. Er ist ein wahrhaftiger Riese und ein plötzlich unter den Arbeitern ausgebrochenes ‚Palaver‘ […] kann keiner wie er mit ein paar raschen Ohrfeigen erledigen.557

Männer wie Money brachten das Knowhow und die Sprachkenntnisse mit, die ihre europäischen Kollegen erst noch lernen mussten. GSK-Clerks wie Christoph Ungua hatten schon eine lange Reihe von Beschäftigungen hinter sich: Ich heiße Christoph Ungua, geboren am Ogowe, Stamm Pangwe, erzogen in einer französischen, katholischen Mission. Nach dem Verlassen der Mission war ich Diener in der französischen Faktorei Thomas [Daumas-Béraud et Cie? – T. Oe.] am Ogowe. Später tat ich Dolmetscher-Dienste bei dem französischen Gouvernement am Ogowe. Sodann trat ich bei dem früheren Gouvernementsbeamten, jetzt Kaufmann Forest ein. Mit diesem machte ich eine Expedition in das nordöstliche Gebiet des Kongo Français als Clerk und Dolmetscher. In dem Dorfe Nassern wurden wir von den Eingeborenen bedroht, woraufhin der Aufseher und ich flüchteten. Ich habe mich 6 Monate in [unleserlich] aufgehalten und traf alsdann auf deutsches Gebiet kommend Herrn Kallen von der Gesellschaft Süd-Kamerun, der mich engagierte. Ich bin nunmehr zwei Jahre bei dieser Gesellschaft tätig […].558

Arbeitsmigranten aus dem Kongo könnten ähnliche Erfahrungen gemacht haben, wie der ca. 30-jährige Schutztruppensoldat Eliasu aus Bauchi in Nordnigeria. Zwar arbeitete Eliasu nicht für die GSK, aber seine Lebensgeschichte zeigt nicht nur, wie mobil einige Arbeitsmigranten waren, sondern auch, was sie im Kongo lernten. Mit seinen Eltern war Eliasu zur Hadj nach Mekka gereist. Als Vater und Mutter in Djiddah an Pocken verstarben, musste sich der junge Mann allein durchschlagen. Zunächst arbeitete er für die Briten als Soldat in Uganda. Von dort wechselte er in den Kongostaat, wo er erzwungene Kautschuklieferungen für die Regierung eintrieb. „Dabei“, so sein späterer Arbeitgeber Dominik, „scheint es oft wenig zart hergegangen zu sein“. Als er einem anderen Beamten unterstellt wurde und „nach gewohnter Weise einen säumigen Zahler gar zu scharf zur Erfüllung seiner Pflichten

557 MFM KJh 15 Kalmár an Paula und Sándor, 04.09.1899. 558 BArch R 175-I/205, 65.

Träger und Ruderer: Die Mobilisierung von Transportarbeit durch die GSK

anhielt, wurde ihm der Prozeß gemacht, und in Ketten ging er nach Boma“.559 Nach seiner Haft versuchte Eliasu, nach Bauchi zurückzukehren, kam aber nur bis Duala, wo er 1901 in die Schutztruppe eintrat.560 Andere mit solchen Erfahrungen kamen vielleicht nur bis Matadi, wo sie – wie oben erwähnt – Headmen wie Mbada begegneten, die sie nach Sangha-Ngoko brachten. Obwohl unter den westafrikanischen Trägern der GSK-Karawanen Männer aus Lagos, Togo, der Loango-Küste und anderswo arbeiteten,561 waren die sogenannten Vai aus Liberia wie bei den Firmen der Batanga-Küste die wichtigste Gruppe. Die Vai-„kingerboys“ (wahrscheinlich abgeleitet von der kiñja, dem Tragekorb der Vai) waren das Rückgrat der GSK-Karawanen.562 Obwohl sie auch als Ruderer, Händler und Handwerker arbeiteten,563 waren sie doch als Träger allgegenwärtig.564 Sie blieben der verlässlichste Teil der Karawanenarbeiterschaft. So schrieb die GSK 1907 in einem internen Bericht, die 26 Tagesmärsche lange Strecke zwischen Molundu und dem Depot Obernyong könne nur mit Vai zurückgelegt werden.565 Ab 1900 verfügte die GSK deshalb über eine ständige Belegschaft von Vai-Arbeitern.566 Petersen erwähnt in seiner inoffiziellen GSK-Geschichte immer wieder, wie bedeutend die Liberianer waren: „Unsere Eingeborenen hier leisten keine Trägerdienste, wir müssen Leute aus Liberia und anderen Küstengegenden anwerben, und das kostet ein Heidengeld.“567 Noch immer sei die GSK „auf die teuren Träger aus Liberia, die Weiboys, angewiesen.“568 1907 arbeiteten allein in der Molundu-Region 258 Vai für die GSK. Für 1908 plante das Unternehmen die Anwerbung von 400 Vai, und 1912 trafen 550 neu angeworbene Liberianer in Molundu ein.569

559 560 561 562 563 564

565 566

567 568 569

Dominik 1908, 26 f. Vgl. Dominik 1908, 26 f. Vgl. Wirz 1972, 116, Fn. 102; Rüger 1960b, 197; Stein 1926, 150; Scharlach 1903, 88. Mutiledi 1929, 141. Vgl. Petersen 1939b, 34; Graetz 1913, 95 f.; Koch 1922, 30 f.; BArch R 175-I/65, 334; BArch R 175-I/205, 29; MFM KJh 15 Kalmár an Paula und Sándor, 04.09.1899. Vgl. u. a. WKM HBM Af III 292 Stetten an Stetten-Buchenbach, 19.04.1907, 42; WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 28.11.1907, 16; BArch R 1001/4379, 335; BArch R 175-I/206, 74; AGR CCCI 1682 GSK: Bericht Nr. 6, 25.05.1912; AFS 415 GSK an Schlippenbach, 14.01.1903; Petersen 1939b, 24; Koch 1922, 9, passim. Vgl. AGR CCCI 1682 Existences au 30 Juin 1907; AGR CCCI 1682 Marschtage nach Ober-Nyong 1907. 1900–03 beschäftigte die GSK 31 bis 366 ausländische Arbeiter, von denen mindestens Togo-Leute und Bangala abzuziehen sind. 1905 arbeiteten in Sangha-Ngoko 200 Liberianer. Vgl. NN 1903b, 436; BArch R 175-I/65, 334. Petersen 1936, 74. Petersen 1936, 75. Vgl. Wirz 1972, 106, Fn. 102; AGR CCCI 1682 Projet financière pour l’exercice 1908; AGR CCCI 1682 GSK: Bericht Nr. 6, 25.05.1912; Ballhaus 1968, 177.

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Verschiedene Kontinuitätslinien sorgten für die herausragende Stellung der Vai. Einerseits folgte das Unternehmen den Firmen der Batanga-Küste, die für ihre Karawanen ab 1892 ebenfalls auf Vai gesetzt hatten. GSK-Direktoriumsmitglied Woermann beschäftigte nicht nur selbst Vai in Südkamerun als Karawanenträger, sondern warb sie auch in Liberia an. Andererseits lassen sich Vai auch als Arbeiter der Kongo-Firmen nachweisen.570 Die GSK rekrutierte ihre Vai über verschiedene Kanäle. Vermutlich am wichtigsten war ebenjene Verbindung mit Woermann. Im April 1900 erklärte dieser, Arbeitskräfte für die GSK in Monrovia anwerben lassen zu wollen.571 Noch Anfang 1904, nachdem Woermann das GSK-Direktorium bereits verlassen hatte,572 schloss dieses einen Vertrag mit Woermann zur monatlichen Lieferung von 35–40 Arbeitern.573 1900 bestellte die GSK zudem liberianische Arbeiter beim Monopolisten Wiechers & Helm.574 Darüber hinaus nutzte sie private Netzwerke. Ebenfalls 1900 engagierte sie von Carnap, der 1898 mit seiner Expedition die Gründung der GSK ins Rollen gebracht hatte. Ausschlaggebend war neben seinen Kenntnissen als Expeditionsführer seine Erfahrung als Arbeiterkommissar der Regierung.575 In dieser Eigenschaft hatte er nicht nur in Kamerun, sondern auch in Liberia Arbeiter angeworben.576 Dort verfügte er über ein Netzwerk ehemaliger Soldaten und Expeditionsträger.577 Sowohl in Liberia als auch in Togo, wo er über ähnliche Kontakte verfügte, da er dort 1894/95 tätig gewesen war, warb er binnen kurzer Zeit über 100 Leute für seinen neuen Arbeitgeber an.578 Vai galten nicht nur als gute Träger, sondern auch als verlässliche Soldaten zum Schutz von Faktoreien und Karawanen. Die GSK stattete sie mit modernen Gewehren aus. Immer wieder finden sich in den Quellen Hinweise auf bewaffnete „Veyboys“ im Dienst der GSK.579 Die Agenten hielten die „Küstenleute“ für unbedingt loyal. Man könne ihnen, so Kalmár, „bedingungslos vertrauen“. Für eine

570 571 572 573 574 575 576 577 578

Vgl. Samarin 1989b, 703; Samarin 1989a, 33. Vgl. BArch R 1001/3443, 156. Vgl. Ballhaus 1968, 145 f. Vgl. BArch R 1001/3455, 104. Vgl. auch BArch R 175-I/205, 174. Vgl. BArch R 1001/3443, 156. Vgl. BArch R 1001/3443, 49; BArch R 1001/3226, 43 f.; Olpen 2014, 181 f.; Rüger 1960b, 194. Vgl. Carnap-Quernheimb 1900/01, 196. Vgl. Carnap-Quernheimb 1900/01, 194 f. Vgl. BArch R 1001/3444, 49; BArch R 1001/3444, 97; BArch R 1001/3444, 103; BArch R 175-I/205, 96; Jacob 1957. Die GSK-Führung hoffte vergeblich darauf, mit seiner Hilfe ihr Arbeitskräfteproblem zu lösen. Von Carnap überwarf sich rasch mit von Schlippenbach. Vgl. BArch R 1001/3455, 13. 579 BArch R 1001/3818, 8. Vgl. zudem BArch R 1001/3535, 42; BArch R 1001/3449, 59; BArch R 1001/3898, 114; BArch R 1001/4290, 7; BArch R 175-I/205, 29.

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seiner Expeditionen seien sie deshalb „mit Hinterlader-Flinten von Mauser ausgestattet“ gewesen.580 Die Loyalität zur GSK in Auseinandersetzungen mit der lokalen Bevölkerung kann nicht überraschen, glichen die Bedingungen doch denen an der Küste: Einerseits waren die Vai als Migranten genauso fremd in Sangha-Ngoko wie die Europäer. Möglicherweise fanden sie sich aufgrund der kurzen Vertragszeiten sogar schlechter zurecht als diese. Andererseits waren sie von den GSK-Agenten abhängig. Dies führte, wenn es hart auf hart kam, zu Loyalität der Wanderarbeiter gegenüber ihrem Brotherrn. Desertionen von Vai waren dennoch – wie Kapitel 3.4 zeigt – ein großes Problem für die GSK. Mit Vai-Vertragsarbeitern allein konnte die GSK ihr Arbeiterproblem nicht lösen. Wie für alle europäischen Firmen erwies es sich wegen des Anwerbemonopols von Wiechers & Helm als schwierig und kostspielig, Liberianer anzuwerben. Aber auch nach Auslaufen des Monopols 1902 verbesserte sich die Lage nicht. Grund war möglicherweise ein Streit zwischen dem Kameruner Gouvernement und der liberianischen Regierung über die Behandlung von Arbeitsmigranten.581 1905 jedenfalls berichtete der stellvertretende Leiter des Sangha-Ngoko-Bezirkes, Preuss, die GSK habe große Probleme, da die liberianische Regierung „der Anwerbung von Arbeitern durch kaum zu erfüllende Bedingungen Schranken gesetzt“ habe.582 Auch der deutsche Konsul Joseph Franoux berichtete Anfang 1906 aus Liberia, dass von dort kaum noch Arbeiter nach Kamerun verschifft würden.583 Eine Zeitlang untersagte die Regierung in Monrovia scheinbar die Anwerbung von Vai-Arbeitern für europäische Unternehmen komplett.584 Indem die liberianische Küste als Arbeiterreservoir langsam versiegte, gleichzeitig aber der Arbeitskräftebedarf stieg, kam es zu einer starken internationalen Konkurrenz um die wenigen verbliebenen Arbeiter. Im Juli 1904 beschwerte sich die GSK bei der Kolonial-Abteilung, die französische Verwaltung in Brazzaville, wo die GSK Zollformalitäten erledigen musste, habe ihr 49 von 51 Vai-Arbeitern mit Gewalt und Überredung „abspenstig“ gemacht.585 Dies, so das Unternehmen, geschehe bei fast jedem Transport. Als Konsequenz daraus stellte die GSK die Transporte von Vai über den Kongo vorerst ein und nutzte stattdessen den seit 1903 offenen Landweg über die Kameruner Küste. Beispielsweise brachten ihre Agenten von Stetten, Schultes und Heuser 1906

580 581 582 583 584 585

MFM KJh 2 Kalmár 1913a, 39. Vgl. Behrens 1974, 95. Vgl. BArch R 175-I/128, 6. Vgl. BArch R 1001/3231, 32 f. Vgl. AGR CCCI GSK: Bericht Nr. 2/19. BArch R 175-I/205, 163. Vgl. BArch R 175-I/205, 176 f. Zum Zoll in Brazzaville vgl. Osten 1912b, 4; Herlyn 1912a, 882 ff.; Herlyn 1912b, 1060 f.

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und 1907 45, 109 und 75 Vai von Kribi aus über Land nach Sangha-Ngoko.586 1911 gelang es der GSK-Leitung allerdings, die liberianische Regierung mithilfe eines deutschen Unternehmens vor Ort (A. Woermann?) zu überzeugen, die Anwerbung von Arbeitern für die GSK wieder in großem Umfang zu gestatten. Sie plante deswegen, 300 Liberianer zu rekrutieren.587 Tatsächlich stieg die Zahl der LiberiaArbeiter im Dienst der GSK bis Ende des Jahres auf 272 Mann.588 Möglicherweise erreichte die GSK ein direktes Anwerbeabkommen mit der Regierung Barclay, denn – wie oben ausgeführt – die Zahl der Vai stieg erheblich, nachdem Transporte von bis zu 550 Vai in Molundu eintrafen. Aber nicht nur die stete Knappheit ausländischer Arbeitskräfte war ein Problem. Sie waren auch „eine sehr teure Arbeitskraft“.589 Gut ausgebildete Zimmerleute, Küper, Maurer und Clerks aus Gabun, Lagos, der Gold Coast oder Sierra Leone ließen sich ihre Dienste in Sangha-Ngoko teuer bezahlen.590 „Ein Handwerker“, berichtete Koch 1910, „übernimmt aus Furcht vor der unsicheren Reise eine Beschäftigung in jenen weitabgelegenen Gebieten nur gegen hohe Bezahlung und erhält außer freier Verpflegung bis zu 120 Mark pro Monat, also mehr als bei uns in Deutschland.“591 Der bereits erwähnte Zimmermann Elliot aus Freetown etwa erhielt 1899 monatlich 4 englische Pfund bei freier Station.592 1902 verdiente Edward Ghartey, ein Clerk, 5 englische Pfund bzw. 100 Mark plus Gewinnbeteiligung.593 Aber auch die ungelernten ausländischen Arbeitskräfte wie die Träger, von denen die GSK hunderte brauchte, wurden gut bezahlt. Im Durchschnitt verdienten sie 30 Francs (ca. 25 Mark), davon die Hälfte in Waren.594 Eine solche Bezahlung war attraktiv. 1901 konnte die GSK in Togo 170 Mann anwerben, weil sie diesen „für hiesige Verhältnisse besonders anziehende […] Bedingungen“ bot,595 wie der stellvertre-

586 Vgl. AFS 344 Tagebuch, 19.09.1906; AGR CCCI 1683 GSK an Direktorium, 30.09.1907, 05.01.1908; BArch R 1001/3456, 6. Nach Kalmár war es 1906 wegen der Desertionsgefahr fast unmöglich, VaiArbeiter zu beschäftigen. 1909 kamen alle Vai über Land ins GSK-Gebiet. Vgl. BArch R 1001/3450, 125; BArch R 1001/5913, 151. 587 Vgl. AGR CCCI 1682 GSK: Bericht Nr. 2/19. Möglich ist auch ein Zusammenhang mit den in dieser Zeit von der liberianischen Regierung geführten Kriegen. Für eine Übersicht vgl. Kappel 1982, 202. 588 Vgl. AGR CCCI 1682 Périer: Note, 30.10.1911. 589 AFS 415 GSK an Schlippenbach, 14.01.1903. 590 1905 arbeiteten für GSK und Regierung Handwerker aus Sierra Leone (10), Togo (5), Accra (20), für die GSK zudem Händler aus Sierra Leone(20), Französisch-Kongo (20), Lagos (10), Accra (10). Vgl. BArch R 175-I/65, 334. 591 Koch 1912, 11. 592 Vgl. ANY FA 1/268, 172. 593 Vgl. BArch R 175-I/206, 22. 594 Vgl. AFS 415, GSK-Direktoriumssitzung, 05.02.1903, Unteranlagen i und k. 595 BArch R 1001/3193, 20.

Träger und Ruderer: Die Mobilisierung von Transportarbeit durch die GSK

tende Gouverneur von Togo schrieb. Die GSK-Anwerbungen führten an der Küste Togos sogar kurzfristig zu Lohnsteigerungen.596 Wie teuer die Arbeitsmigranten für die GSK waren, macht ihr Finanzplan für 1903 deutlich. Die Firma sah für 700 afrikanische Arbeitsmigranten jährliche 172.310 Francs für Löhne, Geschenke, Verpflegung, Passage- und Anwerbekosten vor. Dies war ca. ein Fünftel aller Ausgaben.597 Kein Wunder, dass Direktor Delcommune 1904 davor warnte, zu viele teure Küstenleute zu engagieren.598 Die hohen Kosten für ausländische Arbeitskräfte trafen die GSK schwer. Denn während ihrer ersten Jahre waren die Kautschukpreise vergleichsweise niedrig. 1900 und 1901 machte sie leichte Verluste von zusammen 22.371 Mark. 1902, 1903 und 1904 summierten sich die Gewinne auf bescheidene 104.553 Mark, während etwa das Batanga-Geschäft von C. Woermann im selben Zeitraum fast 400.000 Mark Gewinn machte.599 Die Kosten für Arbeitskräfte waren für die GSK-Führung die entscheidende Stellschraube, um in die Gewinnzone zu kommen. „Wohl und Wehe“ der Gesellschaft,600 beschied das Direktorium Ende 1904, liege in der Möglichkeit, die einheimische Bevölkerung zu Trägerdiensten heranzuziehen. Die Buchhalter rechneten es vor: Ließ das Unternehmen die für 1903 vorgesehenen regelmäßigen Karawanen durch 585 Arbeitsmigranten ausführen, kostete sie dies jährlich ca. 144.000 Francs. Konnte sie dafür lokale Trägerinnen und Träger gewinnen, schlugen diese nur mit 71.860 Francs zu Buche. Da allen Beteiligten klar war, dass die GSK in ihrem Konzessionsgebiet nie und nimmer 585 einheimische Arbeiter gewinnen konnte, schlugen die Buchhalter eine Mischkalkulation vor: 300 Migranten und 285 „eingeborene Träger“.601 Aber wo sollten diese 285 lokalen, verlässlichen, aber billigen Transportarbeiter herkommen? Das Scheitern einer professionellen lokalen Arbeiterschaft Bis zu diesem Zeitpunkt ähnelte der Umgang der GSK mit der Arbeiter- bzw. Trägerfrage demjenigen der Firmen an der Batanga-Küste. In der weiteren Entwicklung ergab sich jedoch ein fundamentaler Unterschied: Firmen wie Randad & Stein, A. & L. Lubcke, Woermann und andere konnten in den 1890ern die dichtbevölkerten Gebiete von Beti und Bulu als Arbeiterreservoire erschließen und einheimische

596 Vgl. BArch R 1001/3193, 20. 597 Von den mit 344.620 Fr. angegebenen Kosten zogen die Buchhalter 172.310 Fr. ab, da die Hälfte in Waren gerechnet wurde. Die gesamten Betriebskosten inklusive aller Abzüge setzte die GSK auf 872.775 Fr. an. Vgl. AFS 415 GSK-Direktoriumssitzung, 05.02.1903, Anlage 10. 598 Vgl. BArch R 1001/3455, 104. 599 Vgl. Tabelle 6, Kap. 4.2. 600 BArch R 1001/3455, 134. 601 Vgl. AFS 415, GSK-Direktoriumssitzung, 05.02.1903, Unteranlage k.

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Trägerinnen und -träger einsetzen, die sich bald professionalisierten. Auch wenn sie vor allem in Trip-Karawanen arbeiteten, stand den Küstenfirmen um 1900 eine verlässliche, professionelle, lokale und deshalb günstigere Karawanenarbeiterschaft zur Verfügung. In Sangha-Ngoko aber gab es weder ein großes Arbeiterreservoir noch konnte die GSK die geringe Bevölkerung dauerhaft für ihre Karawanen mobilisieren – weder nach West African custom durch die Familienoberhäupter noch durch Lohnarbeit. Dementsprechend kam es auch nicht zu Professionalisierungsprozessen. Bis zum Ersten Weltkrieg gelang es der GSK nicht, ausreichend verlässliche lokale Trägerinnen und Träger zu finden. Die Entstehung eines lokalen Arbeiterreservoirs scheiterte an einer Mischung aus demographischen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Gründen. Die geringe Bevölkerungszahl machte Arbeitskräfte für alle Beteiligten besonders wertvoll – auch für die Familienoberhäupter. Möglicherweise hielt ihre eigene Schwäche und ihr eigener Bedarf an Menschen die meisten Familienoberhäupter davon ab, die GSK dauerhaft mit Arbeitskräften zu versorgen. In dem Fall hätten sicherlich viele Menschen ihre Dörfer verlassen und sich als Klienten einem anderen Dorf angeschlossen. Der Kautschukhandel erlaubte es zudem vielen nicht etablierten Männern, sich von ihren Familienoberhäuptern unabhängig zu machen. Von Zeit zu Zeit oder unter Druck und Zwang stellten Letztere der GSK Trägerinnen und Träger. Familienoberhäupter, die als dauerhafte Arbeitskräfteanwerber fungierten, lassen sich aber nicht nachweisen. Während im Hinterland der Batanga-Küste ab 1894 nicht etablierte Jungen und Männer für die Firmen arbeiteten, kam dies in Sangha-Ngoko nur selten vor. Zwar fanden GSK und Verwaltung immer wieder Karawanenarbeiter bei den Kunabembe und Bangandu, für die wahrscheinlich ihre Neugierde und Abenteuerlust sowie die versprochene Belohnung in Waren ausschlaggebend waren.602 Generell aber widersprach auch hier die Arbeit für Fremde lokalen Vorstellungen von Männlichkeit. Die Menschen assoziierten dies mit persönlicher Abhängigkeit bis hin zur Sklaverei. „Diese Leute wollen nicht für Fremde arbeiten“, erklärte GSK-Expeditionsleiter Williame. „Sie betrachten dies als einen sie in den Augen der ihrigen erniedrigenden Dienst.“603 Von seinen 14 Bangandu-Trägern berichtete Williame: [D]ie erste Karawane von Tschimbuli na n’xé nach Molundu beklagte sich lebhaft, daß die Bewohner der verschiedenen Dörfer ihnen einen schlechten Empfang bereitet hätten und ihnen vorwarfen, für die Weißen die Dienste eines Boy zu thun. Bei meiner Reise mit Herrn Langheld hat dieser allen diesen Dörfern vorgestellt, daß diese Arbeit durchaus

602 Vgl. BArch R 1001/3443, 131. Zu Neugierde und Abenteuerlust als Anreiz für Lohnarbeit bei Europäern vgl. Samarin 1989a, 79; Rockel 2006, 98. 603 BArch R 1001/3443, 131. Vgl. ähnlich BArch R 1001/3450, 167.

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nicht entehrend sei für die Eingeborenen und daß sie ihnen im Gegenteil nur Vorteil bringen könne.604

Freie, erwachsene und verheiratete Männer arbeiteten für sich selbst und ihre eigene Familie. Unverheiratete Männer mussten für ihre Familienoberhäupter arbeiten. Wer für andere arbeitete, war deren Kind, Klient oder Sklave. Solche Vorstellungen änderten sich im Hinterland der Batanga-Küste, als Karawanenarbeit eine lohnende Einnahmequelle für tausende wurde. Nicht so in Sangha-Ngoko: Koch bemerkte noch 1913 über die Missangha: „Gerade die Arbeit im Dienste des Weißen betrachtet der freie Mann als eine entwürdigende Beschäftigung, und er sieht deshalb auf die Arbeiter der Station und Faktoreien mit Verachtung herab.“605 In einer autobiographischen Erzählung lässt Koch die Wute-Frau seines Protagonisten sagen, Baka und Kunabembe betrachteten die Arbeiter der GSK „als deine Sklaven […], die dir gehören“.606 Bis kurz vor dem Ersten Weltkrieg verliefen alle Versuche der GSK und der Regierung, Arbeit für die Europäer als etwas Positives zu darzustellen, im Sande. Die Arbeit der Trägerinnen und Träger war hart und körperlich fordernd. Auch die Karawanenwege des Konzessionsgebietes waren nur mehr oder weniger häufig begangene Pfade im Regenwald, infrastrukturelle Maßnahmen seitens Regierung und Unternehmen fehlten fast überall. Noch 1911 war der Bange-Fluss auf der Nordroute trotz der enormen Bedeutung dieses Wegs nach Jukaduma lediglich durch einen glatten Baumstamm überbrückt, über den alle Trägerinnen und Träger mit ihren Lasten von 20–30 Kilogramm laufen mussten.607 Ernst Bohn, 1905–1907 bei der GSK, beschrieb einen typischen Weg: Wie immer […] läuft der Weg oder vielmehr ein kaum sichtbarer Pfad in ewigen Schlangenlinien hangauf, hangab, im Zickzack durch alle Bäche, Flüßchen und Moräste dahin. Jedes Hindernis, das nie fortgeräumt wird, denn wer sollte es in diesen menschenleeren Gegenden tun? – wird umgangen: jeder große Felsblock, jeder gestürzte Riesenbaum, sogar jeder […] Termitenhügel. Bisweilen heißt es über mächtige, modernde Baumleiber hinwegrutschen, oder auf allen vieren darunter wegkriechen; manchmal türmt man selber wie ein Affe durch Lianen und Ästegewirr eines gestürzten Urwaldriesen hindurch. Es wird einem bei dieser Art des Marschierens in der Hitze bisweilen ganz wüst im Kopf, und wenn man plötzlich stehenbleibt, glaubt man zu torkeln, so sehr hat man sich an die schwankende und pendelnde Marschbewegung gewöhnt. Dabei darf man natürlich die

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BArch R 1001/3443, 131 f. Koch 1913b, 694. Fast wörtlich auch in Koch 1912, 5. Vgl. auch Loyre 1909, 412. Koch 1922, 14. Vgl. Schultze 1912, 174.

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Augen nicht viel vom Boden aufheben oder seitwärts in den Wald blicken, sonst liegt man bald der Länge nach auf dem Bauch oder stößt sich den Tropenhelm und die Hirnschale an dem herunterhängenden Astwerk ein.608

In der Regenzeit kam erschwerend hinzu, dass alle Wege sich in „Potta-Potta“ verwandelten, wie in Südkamerun der dann allgegenwärtige Schlamm hieß.609 Leicht glitten die mit nackten Füßen gehenden Träger aus, stürzten mitsamt ihrer Last und verletzten sich.610 Während der Regenzeit ließen Überschwemmungen kleine Flüsse auf 200 Meter Breite anschwellen.611 Auf der Route nach Jukaduma war es vor allem der Bange, der den Weg überschwemmte.612 Darauf, dass die GSK den Karawanenverkehr zur Regenzeit einschränkte, gibt es jedoch keine Hinweise.613 Doch auch während der Trockenzeit waren Flüsse und Sümpfe ein Hindernis. Nicht nur über den Bange, fast nirgendwo gab es im Südosten Kameruns Brücken – „da muß man ordentlich in den Schlamm und Sumpf “, wie von Stetten 1906 lapidar feststellte.614 Was die Karawanenarbeit im GSK-Gebiet fundamental von der im Hinterland der Batanga-Küste unterschied, war die größere Bedeutung von Ordnung und Disziplin. Trägerinnen und Träger in Sangha-Ngoko arbeiteten mit weniger Freiheit und Selbstbestimmung. Denn die unbewohnten Regenwaldgebiete waren eine Herausforderung für Karawanenführer sowie Trägerinnen und Träger. Wenn Karawanen auf der Nordroute fünf Tage durch den unbewohnten Bange-Busch oder auf der Ngato-Route erst sieben Tage bis Ngato und dann weitere vier bis Besam durch unbesiedelte Wälder marschieren mussten, gab es einiges zu beachten. Disziplinlosigkeit, Fehlplanungen, Konflikte oder eine selbstbestimmte Marschgeschwindigkeit, die die Trägerarbeit für Beti und Bulu attraktiv machte, konnten tödlich enden. Obwohl auch die Karawanen der GSK in der Regel ohne Europäer marschierten, waren sie disziplinierte, geschlossene Marschkolonnen, die die vom Arbeitgeber gesetzten Marschzeiten einhielten, weil die geographischen Bedingungen dazu zwangen.615

608 609 610 611 612

Bohn 1929, 7 f. Petersen 1939b, 13. Vgl. auch Seitz 1927, Bd. 2, 79; S Storck N Koch Koch o. J.b. Vgl. Petersen 1939b, 13. Vgl. NN 1911a, 6. Autor ist sicherlich Carl W. H. Koch. Vgl. MdN-HU. ZM S III, Stetten, Richard Freiherr von. Stetten: Wasser- und Höhenverhältnisse, 10.05.1911. 613 Vgl. vielmehr AGR CCCI 1682 Löffler an GSK, 21.02.1910. 614 WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 26.10.1906, 12. 615 Von Stetten bemerkte längere Marschzeiten als außergewöhnlich. Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 28.11.1907, 16; WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 29.01.1909, 30.

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Nicht nur konnten Trägerinnen und Träger nicht in Dörfern unterkommen, sondern mussten im Wald schlafen.616 Vor allem konnten sie in den toten Zonen keine Lebensmittel kaufen. Vor Eintritt in den „hungrigen Wald“,617 wie Koch ihn nannte, mussten sie sich ausreichend verproviantieren – entweder indem sie importierte Nahrungsmittel wie Reis mitführten oder indem sie in den Dörfern am Rande des „toten Busches“ lokal produzierte Lebensmittel kauften. Das Dorf Ngato etwa, inmitten einer riesigen toten Zone, diente der GSK und der Regierung als Verpflegungsstation zwischen Molundu und der 1904 gegründeten Station Lomie.618 Aber schon kleinste Fehler oder Zwischenfälle konnten zur Katastrophe führen. Günter Tessmann, der auf seiner Gbaya-Expedition 1913 nach Sangha-Ngoko reiste, beschreibt eindrücklich seinen Hungermarsch durch den „Njembusch“ zum Dorf Missum-Missum: Als wir am vierten Tage entgegen meiner Erwartungen noch immer tief im Urwald steckten und Missum-Missum immer noch „weit“ sein sollte, begann die Sorge um die Ernährung meiner vielen Leute sich langsam einzustellen. Welch eine Verantwortung lastete auf mir! Ich hatte zwar mehr Reis mitgenommen, als nach meiner Berechnung für 4 Tage nötig war. Dennoch hatte ich am 4. August schon halbe Portionen austeilen müssen. Und wir sollten noch zwei Tage damit auskommen! […] Am 5[.] August konnten die Leute noch programmäßig [sic!] ihren Tagesmarsch machen. Aber ich war in einiger Aufregung, die mir den Genuss der Urwaldstimmung völlig nahm. Ich kannte ja die Schwarzen genau und wusste, wie bald sie am Ende waren, wenn sie nicht mehr den „belly full“ hatten […]. Ich konnte nun nur weniger noch als eine Ration Reis ausgeben und die Folge war, dass die Stimmung immer gedrückter wurde. Auch schwer Erkältete und Lungenkranke meldeten sich durch grauenhaften Husten an. Wenn wir morgen nicht – und zwar bald – nach Missum-Missum kamen, gab es eine Katastrophe. 6[.] August 1913. Schlaftrunken packten die Soldaten morgens das Zelt in Lasten. Alles schwieg – ein böses Zeichen in Afrika. Auf allen lastete wie ein Bleigewicht die bange Frage: Werden wir heute nach Missum-Missum kommen? Bald traf ich auch […] auf Leute, die ihre Last nicht mehr tragen konnten. Sie wiesen mit rührenden Mienen auf ihren leeren Bauch hin. Einigen, die garnicht [sic!] weiter konnten, liess ich die Lasten abnehmen.619

616 Die GSK teilte der KA 1905 mit, auf längeren Märschen dürften nur Europäer in „Bansas“, also den Palaverhäusern, schlafen, Karawane und Händler müssten sich abseits des Dorfes Hütten bauen. Bei Karawanen ohne Europäer konnte die GSK keine Kontrolle ausüben. Vgl. BArch R 1001/4289, 86. 617 Koch 1923, 28. 618 Vgl. BArch R 175-I/205, 56. Zu Lomie vgl. Kaeselitz 1968, 45 f.; Hoffmann 2007, Bd. 2, 153 f. 619 Tessmann 2012–2015, Bd. 3, 78 f.

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Als von Stetten 1907 die tote Zone zwischen Assobam und Jukaduma durchquerte, litten er und seine Arbeiter ebenfalls an Nahrungsmittelmangel. „Daß wir keine Hungerleichen hatten“, berichtete er, „ist nur dem Umstand zu verdanken, daß wir […] ein kurz vorher gestorbenes Büffelkalb an einem Bach vorfanden.“ In Jukaduma waren seine Arbeiter „völlig heruntergekommen“ und mussten sich länger erholen.620 Menschen verhungerten:621 wegen mangelnder Erfahrung, verfehlter Planung der europäischen oder afrikanischen Karawanenführer oder unvorhergesehener Ereignisse. Ein Woermann-Kaufmann unterschätzte 1908 die Strecke. Seine Träger „kamen wie Skelette aussehend in Molundu an“.622 Manchmal war Rücksichtslosigkeit der Grund. GSK-Agent Walter Nickel etwa floh Mitte 1905 mit seinen Arbeitern vor den Angriffen der Maka am oberen Nyong und berichtete an seinen Chef: In dem toten Busch der Elemwa war es am Schlimmsten, denn meine Leute und ich hatten so viel wie nichts zu essen, ich kam wie ein Toter an. […] Ein Mann ist in jenem toten Busch verhungert. […] Ich habe eine eiserne Disziplin unter meinen Leuten halten müssen und die meisten mussten fühlen wenn sie nicht hörten, denn sonst hätte ich nie meine 1500 kg Kautschuk und über 100 kg Elfenbein bis hierher gebracht.623

Die Handelsprodukte waren ihm wichtiger als das Leben seiner Arbeiter. Bei Trägerinnen und Trägern aus anderen Regionen Kameruns geriet Sangha-Ngoko nach dessen Öffnung für die Küstenfirmen ab 1902 in Verruf, ein „hungry country“,624 ein „Hungerland“,625 zu sein. Aufgrund der großen Probleme bei der Versorgung von Karawanen, besonders nachdem die Küstenfirmen ebenfalls in der Region aktiv geworden waren, zwang die Regierung seit März 1906 alle Karawanen im Bezirk, eine „eiserne Reserve“ an Reis für vier Tage mitzuführen.626 Anderthalb bis 2 Kilogramm Reis trug deshalb jeder Träger eingenäht in „einem numerierten [sic!] Säckchen“ mit sich.627 In von Europäern geführten Karawanen mussten

620 621 622 623 624 625 626 627

Beide Zitate: AFS 416 Stetten an Stetten-Buchenbach, 13.03.1907. Vgl. BArch R 1001/3898, 257. BArch R 1001/3898, 257. BArch R 1001/3455, 159. Haase 1915, 90. Hervorhebung im Original. Koch 1922, 61. Vgl. BArch R 1001/4291, 148; BArch R 175-I/205, 144. Koch 1922, 18. In einem Brief an GSK-Direktor Pfützner schrieb Koch von 2 kg, in seiner Erzählung nur von 1,5 kg. Da die tägliche Ration auf 500 g Reis angesetzt war, ist es möglich, dass die „eiserne Ration“ später von 4 auf 3 Tage verringert wurde. Vgl. S Storck N Koch Koch an Pfützner, 15.07.1913.

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die Arbeiter diese Säckchen bei der abendlichen Verpflegungsausgabe vorzeigen. Träger, die ihre Ration ohne Not verzehrt hatten, erhielten zur Strafe 15 Hiebe.628 Konfrontiert mit der Ablehnung der Karawanenarbeit durch Familienoberhäupter wie nicht etablierte Männer, versuchte die GSK-Leitung, diese besonders lohnend und attraktiv zu gestalten. 1902 versprach das Kaka-Familienoberhaupt Beri, regelmäßig Träger von seinem hoch im Norden gelegenen Dorf mit Kautschuk bis nach Molundu abzusenden, wenn die einmalig der GSK zur Verfügung gestellten Leute zufrieden heimkehrten. Schnell traf von Schlippenbach die nötigen Instruktionen: Bis Jukaduma, d. h. den halben Weg bis Molundu, mussten die 42 Leute nur sieben Lasten befördern.629 Zurück gingen die Leute ganz ohne Gepäck. Die GSK bezahlte sie mit Waren in Beri, die andere Träger dorthin gebracht hatten.630 Auch das Gewicht der Trägerlasten hielt die GSK niedrig. Im Bangandu-Gebiet wogen die zu transportierenden Lasten 1901 nur 18–20 Kilogramm im Vergleich zu 32–40 Kilogramm im Küstenhandel 1905.631 Auch eine Kontrolle des Arbeitsprozesses durch die Trägerinnen und Träger akzeptierte die GSK. So gab sich die GSK beispielsweise Anfang 1901 damit zufrieden, dass die Bangandu das Elfenbein (dem vorkolonialen Handelsweg folgend) nur bis Molundu transportierten, da sie sich weigerten, bis zur (damaligen) Hauptfaktorei in Ngoko zu gehen.632 Die Bezahlung der Trägerinnen und Träger war sogar höher als in den TripKarawanen auf der Jaunde-Straße. Williame zahlte seinen Bangandu ein Steinschlossgewehr für einen „Mond“, von Stein gab ihnen für die elf Tage von Tschimburi nach Kamba im Kunabembegebiet und zurück: „Ein Steinschloßgewehr. Eine Büchse Pulver (2kg). Ein Mandjaum. Ein Stück Stoff.“633 Nahe Jukaduma konnte von Stein 1901 100 Karawanenarbeiter für die GSK anwerben, die für 14–15 Mark „Europäerpreise“ bis Ngoko und zurück marschierten, was etwa einen Monat dauerte.634 Auch Anfang 1905 zahlte die GSK hohe Löhne: Für drei Tage Arbeit, wahrscheinlich auf der Strecke Tschimbuli-Molundu, sollten Bangandu-Träger 8 Mark erhalten – dies war sehr viel, egal ob sich dieser Preis „in Waren“ verstand oder nicht.635 Zum Vergleich (selbst wenn sich die Zahlen nicht eins zu eins vergleichen lassen): 1904 zahlten die Küstenfirmen ihren Trägerinnen und Trägern für einen 628 629 630 631

632 633 634 635

Vgl. Koch 1922, 18. Vgl. BArch R 1001/3444, 143. Vgl. BArch R 1001/3444, 154 f. Vgl. BArch R 1001/3443, 132. Auch für 1903 legte die GSK Lasten von 20 kg zugrunde. 1907 wogen die Lasten der GSK aber wie an der Küste 25–30 kg. Vgl. AFS 415 GSK-Direktoriumssitzung, 05.02.1903, Unteranlage k; Osten 1911, 3. Zum Küstenhandel vgl. BArch R 175-I/966, 39. Jacob hob die leichten Lasten der GSK hervor. Vgl. BArch R 1001/4377, 156 f.; BArch R 1001/3443, 120. BArch R 1001/3443, 123. Vgl. BArch R 1001/4377, 167. Vgl. BArch R 1001/3447, 147.

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Trip auf der Jaunde-Straße, der hin und zurück ca. einen Monat dauerte, 14 Mark in Waren entsprechend 8,40 Mark bar.636 Doch obwohl auch in Sangha-Ngoko nicht etablierte Männer durch Trägerarbeit in den Besitz europäischer Waren gelangen konnten, lehnten die meisten die Arbeit für die GSK ab. GSK und Bevölkerung besaßen verschiedene Vorstellungen von „guten Löhnen“. 8 Mark waren den Bangandu zu wenig. Gegenüber Stationschef Scheunemann beklagten sie, die GSK zahle zu geringe Löhne.637 Die GSK-Direktion hingegen hielt die Bezahlung (mit einigem Recht) für sehr hoch und wehrte sich gegenüber der Kolonial-Abteilung: In Anbetracht dessen, dass der Trägerdienst in der fraglichen Gegend überhaupt nie gut funktionierte und wir ein grosses Interesse an der Lösung dieser Frage hatten, ist es doch sicher, dass unsere Direktion von vornherein den Leuten gute Löhne zahlen musste, um sie überhaupt zum Tragen zu veranlassen.638

Löhne waren nicht der springende Punkt.639 Trägerarbeit war unattraktiv für nicht etablierte Männer, weil sie als unabhängige Gummisucher noch immer europäische Waren erwerben konnten. 1905 schrieb Scheunemann, die Bewohner seines Bezirks „verrichten wohl die bequemere Arbeit der Gummibereitung, leisten aber ungern die beschwerlichere als Träger. Die Gummiproduktion bringt ihnen auch auf lange Zeit hinaus noch so viel ein, daß sie es nicht nötig haben, sich durch Trägerdienste Geld zu verdienen.“640 Bei der Trägerarbeit mussten sich die Menschen Ordnung und Rhythmus der Karawane unterordnen und sich weit von zuhause entfernen.641 Demgegenüber behielten Gummisucher die Kontrolle über ihre Arbeit. Sie selbst entschieden, wann sie für wie lange wie weit in den Wald gingen, um Kautschuk zu machen. Zwar war auch diese Arbeit durch das Leben im Wald entbehrungsreich. Gleichwohl war sie selbstbestimmt, knüpfte an Vorstellungen von Männlichkeit sowie der Nutzung von Waldressourcen an und war deshalb im Gegensatz zur Trägerarbeit positiv besetzt. Folglich wurde ein junger Ndsimu-Mann wie Olama, nachdem er nicht mehr als Jäger für die GSK arbeiten konnte, nicht Karawanenträger, sondern Gummisucher.642

636 637 638 639

Vgl. Kap. 2.5. Vgl. BArch R 175-I/205, 54. BArch R 1001/3447, 148. Auch Taussig hält die oft vorgebrachte Idee, Arbeitermangel sei durch zu niedrige Löhne verursacht, für eine „naive opinion“. Taussig 1987, 56. 640 BArch R 175-I/65, 215. 641 Vgl. Geschiere 1982, 144. 642 Vgl. Zippelius 1926b, 284.

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Zumindest auf dem Höhepunkt des Kautschukbooms war die Produktion von Gummi auch einträglicher als Trägerarbeit. 1911 berichtete der von der Regierung ausgesandte Kautschuk-Inspektor Leo Treichel, ein geübter Gummischneider könne noch in den Funtumia-ärmsten Wäldern des Molundu-Bezirks jeden Tag 4 bis 5 Liter Latex sammeln, die mit insgesamt 1 Mark in bar bezahlt würden. „Der Gummischneider“, so Treichel, „würde also unter den ungünstigsten Verhältnissen an jedem Schnitttage noch doppelt soviel verdienen wie der Träger, welcher viel schwerer arbeiten muss.“643 Ähnlich erklärte Koch die Weigerung der Leute: „Der Eingeborene im Gummigebiet verdient durch 2–4 tägige Arbeit ohne sonderliche Mühe mehr, als ein farbiger Arbeiter im europäischen Dienst in einem ganzen Monat.“644 Dass die nicht etablierten Männer die Kautschukproduktion der Trägerarbeit vorzogen, galt auch für das Hinterland der Batanga-Küste. Doch die geographischen, demographischen und ökologischen Bedingungen Sangha-Ngokos sowie die Politik von GSK und Regierung verhinderten, dass destruktive Methoden der Kautschukgewinnung in Sangha-Ngoko eine Kautschukfrontier schufen und denselben Mechanismus wie im Küstenhandel in Gang setzten. Nachdem die Populationen kautschukproduzierender Pflanzen im Küstenhinterland zusammengebrochen waren, hatten Mabea, Ngumba, Beti und Bulu Lohnarbeit in Karawanen aufgenommen. Dort war die Bevölkerung recht groß, Lianen aber waren selten und wenig widerstandsfähig. In Sangha-Ngoko standen den wenigen Bewohnern viel größere Waldgebiete (insbesondere die toten Zonen) mit widerstandsfähigeren Funtumia-Bäumen zur Verfügung, um Gummi zu schneiden, sodass es viel länger dauern musste, bis destruktive Methoden Auswirkungen hatten. Zudem verhinderten Regierung und Konzessionsunternehmen ebenjenen Raubbau, der in anderen Regionen aus Kautschuksuchern Karawanenarbeiter gemacht hatte, indem sie nachhaltigere Produktionsmethoden propagierten. Um europäische Waren für Brautgaben zu verdienen, war deshalb in Sangha-Ngoko beinahe niemand gezwungen, monatelang als Träger mit schlechter Verpflegung durch weglose Sümpfe zu ziehen. Gummi war fast immer eine lohnendere Alternative.645 Überall, wo GSK und Regierung versuchten, Trägerinnen und Träger für Handelskarawanen anzuwerben, zeigte sich deshalb das gleiche Muster: Mal gelang es, die Familienoberhäupter zu überzeugen oder mit Druck dazu zu bewegen, Menschen für den Transport von Kautschuk zur Verfügung zu stellen. Mancherorts, wie z. B. im Kunabembe-Gebiet, meldeten sich auch junge Männer. 1905 konnte Scheunemann 300 angeblich freiwillige Bangandu, Kunabembe und Bomome für

643 BArch R 1001/8118, 171. 644 Koch 1913a, 282. 645 Zu diesem Phänomen vgl. allgemein Cooper 1994, 1530.

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die GSK als Träger anwerben.646 Aber trotzdem: Sie alle waren ad hoc mobilisiert. Nirgends gelang es, diese in eine professionelle, allzeit verfügbare Gruppe von Arbeiterinnen und Arbeitern zu verwandeln, auf welche die kolonialen Akteure dauerhaft zurückgreifen konnten. Nie konnte die GSK sich darauf verlassen, für ihre Waren und die eingekauften Produkte vor Ort oder anderswo im Konzessionsgebiet die nötigen Transportarbeiter zu finden. Folglich konnten einheimische Arbeitskräfte die für sie vorgesehene Rolle in von Schlippenbachs Plan der regelmäßigen Karawanenverbindungen nicht erfüllen. Trägeranwerbung „per strong“: Zwangsarbeit als Lösung der Arbeiterfrage GSK und Regierung setzten als Lösung für die Arbeiterfrage auf Zwangsmaßnahmen. Die dauerhafte Verankerung erzwungener Arbeit in den Arbeitsbeziehungen der GSK folgte aber keinem Plan. Diesen hatte die Regierung abgewehrt. Vielmehr führten konkrete logistische Probleme, die sich aus dem Umbau der GSK zu einem Landunternehmen ergaben, dazu, dass die Behörden, die der Konzessionsgesellschaft verpflichtet waren, immer wieder Frauen und Männer für Trägerarbeit zwangsverpflichteten. Zwang hatten die Leiter der GSK seit deren Gründung intern als Möglichkeit der Arbeiterrekrutierung diskutiert. Hiervon zeugt die Anfang 1900 geäußerte Bitte um die Polizeigewalt im Konzessionsgebiet mit dem expliziten Ziel, „die Schwarzen […] im Interesse der Faktoreien verwenden“ zu können.647 Möglich ist auch, dass die GSK das Machtvakuum nach Plehns Tod 1899 nutzte, um mit Gewalt Arbeitskräfte einzufangen.648 Zwang wurde erneut ein Thema angesichts der Transportprobleme und hohen Kosten, welche von Schlippenbachs Expansion nach Norden geschaffen hatte. Die GSK benötigte mehr Arbeitskräfte, als vor Ort zu bekommen waren und als sie bereit war, für viel Geld von außen zu holen. Im April 1903 schrieb Albert Weber, Mitinhaber der Kautschukmakler Weber & Schaer und nach dem Ausscheiden Woermanns Mitglied im GSK-Direktorium, an Scharlach: Bei den großen Kosten der Einführung fremder Arbeitskräfte müssen wir es uns vor allen Dingen angelegen sein lassen, die einheimische Bevölkerung an regelmäßige Arbeit […] zu gewöhnen, bezw. sie hierzu zu zwingen. Der mildeste Zwang […] ist derjenige einer Kopfsteuer.649

646 647 648 649

Vgl. BArch R 1001/3448, 143 f. BArch R 1001/3443, 155. Vgl. MFM KJh 1 Kalmár 1911, 34. BArch R 1001/8115, 14.

Träger und Ruderer: Die Mobilisierung von Transportarbeit durch die GSK

Diese hätte die Bevölkerung gezwungen, Arbeitsbeziehungen einzugehen, um Steuern zahlen zu können. Scharlach trug den Vorschlag an die Kolonial-Abteilung heran, die ihn ablehnte.650 Ende 1903 sagte Kolonialdirektor Stuebel schließlich Scharlach die Stellung von Zwangsarbeitern zu.651 Nach Konflikten zwischen Staat und Bevölkerung SanghaNgokos sollten Strafzahlungen, zu denen die Lokalbehörden die unterworfenen Dörfer verurteilten, nicht mehr in Waren, sondern „in erster Linie“ durch Stellung von Arbeiterinnen und Arbeitern abgegolten werden.652 Durch diese Anweisung legalisierte die Kolonial-Abteilung allerdings lediglich, was die Lokalverwaltung mit Wissen der Berliner Beamten bereits seit Jahren im GSK-Konzessionsgebiet praktizierte. Die Initiative, die Zwangsarbeit als wichtigen Teil des Arbeitsregimes der GSK etablierte, ging von den lokalen Akteuren in Sangha-Ngoko aus, nicht von Berlin. Von Beginn an hatte die GSK bei der lokalen Mobilisierung von Arbeitskräften auf den kolonialen Staat als Partner gesetzt, der das Unternehmen qua Instruktion unterstützen sollte.653 Immer wieder hatte die Stationsleitung und vor allem von Stein ihre Autorität oder ihre Soldaten dazu gebraucht, Trägerinnen und Träger für die GSK anzuwerben bzw. zur Arbeit zu pressen. Doch je wichtiger Kautschuk für die GSK wurde und je unwilliger deshalb die Familienoberhäupter, ihr Arbeitskräfte zu stellen, desto häufiger nutzten die Behörden Zwang.654 Im Oktober 1901 etwa verurteilte von Lüdinghausen das Bangandu-Familienoberhaupt Kumilla, Ziegen, 250 Kilogramm Kautschuk und zwölf Strafträger zu stellen, weil er nicht genügend kooperierte. Die Träger übergab er sämtlich der GSK.655 Bedeutsam ist, dass es hierbei vor allem darum ging, Leute ad hoc zu mobilisieren, um einmalig Waren oder Kautschuk auf einer bestimmten Strecke zu transportieren, auf der die GSK gerade Trägermangel hatte. Besondere Probleme machte der GSK die Nordroute von Molundu über Jukaduma ins Dume-Gebiet, die so bedeutsam war, dass sie unter den GSK-Agenten als „Gummistraße“ bekannt war.656 Von Molundu bis Jukaduma waren zwölf Tage zu marschieren, bis nach Dume 18 und bis Beri 23 Tage. Allein auf diesen drei Strecken sollten 1903 fast 200 Trägerinnen und Träger dauerhaft im Einsatz sein.657 Alle auf dem westafrikanischen Arbeitsmarkt oder vor Ort zu rekrutieren, erwies

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Vgl. BArch R 1001/3445, 63 f.; BArch R 1001/3445 Protokoll, 23.12.1903, o.S. Vgl. BArch R 1001/3445 Protokoll, 23.12.1903, o.S. BArch R 1001/3445, 86. Vgl. z. B. BArch R 1001/3443, 39 f.; BArch R 1001/3443, 154. Vgl. BArch R 1001/4377, 167; BArch R 1001/4377, 157. Vgl. BArch R 175-I/131, 139. Mac Lean 1938, 24. Vgl. AFS 415 GSK-Direktoriumssitzung, 05.02.1903, Unteranlage k.

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sich als kaum möglich. Aufgrund des ständigen Arbeitermangels scheiterte die fahrplanmäßige Verbindung zwischen Molundu und den Faktoreien im Norden an der Realität: Trägerinnen und Träger fehlten, Karawanen waren kleiner oder entfielen, Kautschuk stapelte sich in den Faktoreien, konnte nicht abtransportiert werden und verfaulte. Dies geschah etwa 1906 in Jukaduma, wo 15, nach GSK-internen Gerüchten sogar 60 Tonnen Gummi lagerten. Der Kautschuk musste schließlich durch hunderte ad hoc verpflichtete Trägerinnen und Träger abtransportiert werden.658 Manche Karawanen hatten folglich 200 Träger, andere nur 19.659 Das alles widersprach dem eigentlichen Plan, aber in diesem Modus ständigen Mangels, Neuplanens und Improvisierens operierte die GSK über Jahre hinweg. Angesichts der Trägerprobleme, die zeitweise den gesamten Betrieb lahmlegten, suchten Unternehmen und Regierung nach dauerhaften Lösungen. Die GSK brauchte günstige, vor Ort rekrutierte, verlässliche Träger. Zwangsarbeit war dabei anfangs nicht vorgesehen. Die GSK-Leitung hatte stattdessen seit 1900 die Gbaya-Stadt Gamane als mögliches Arbeiterreservoir ausgemacht. Im Vergleich zu den Wäldern Sangha-Ngokos gab es in Gamane eine große Bevölkerung. Gamane lag nördlich des Konzessionsgebietes an der Grenze zwischen Regenwald und Savanne und war besser bekannt unter dem Namen seines Machthabers: Bertua.660 Dessen Herrschaft, so Elisabeth Copet-Rougier, „s’est construit sur la violence et l’esclavage“.661 Denn Bertua hatte in den Jahren davor als Intermediär zwischen den Waldgesellschaften und dem nördlich gelegenen Fulbe-Lamidat Ngaundere unablässig Krieg gegen seine Nachbarn geführt. Einen Teil seiner Kriegsgefangenen gab er als Tributsklaven an den Lamido in Ngaundere, den anderen siedelte er nahe Gamane an. Weitere Gruppen stellten sich unter seinen Schutz. Auf diese Weise band er viele Menschen an sich.662 Dies weckte Begehrlichkeiten bei den Europäern. Schon Plehn glaubte, in Bertua viele Arbeiter anwerben zu können.663 Nach seinem unglücklichen Ende im November 1899 warf die GSK-Führung ihrerseits ein Auge auf Bertua und sandte Kalmár dorthin.664 Sie ließ verlauten, im Norden habe sie „Landstriche mit äußerst dichter Bevölkerung“ entdeckt. Expeditionen sollten nun „sich mit den Stämmen dort in nähere Verbindung setzen und Leute zur Arbeit

658 Vgl. BArch R 175-I/128, 13; AFS 415 GSK an Stetten-Buchenbach, 19.03.1906. 659 Vgl. Petersen 1936, 75; BArch R 1001/4379, 335. 660 Zur Geschichte Bertuas vgl. Copet-Rougier 1987; Burnham 1981, 128 f.; Zouya Mimbang 2013, 88–94. 661 Copet-Rougier 1987, 356. 662 Nach Schlippenbach bestand Bertua 1902, als es bereits an Bedeutung verloren hatte, aus über 1500 Hütten und hatte tausende Einwohner. Vgl. BArch R 1001/3444, 125. 663 Puttkamer 1912, 219. 664 Vgl. BArch R 1001/4377, 142; MFM KJh 1 Kalmár 1911, 34 ff.

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gewinnen“.665 An Silvester 1900 bat Langheld von Stein deshalb um eine militärische Expedition, „um der dortigen recht starken Bevölkerung zu zeigen, daß den Kaufleuten im Notfalle doch eine starke militärische Macht helfend […] zur Seite steht“.666 Von Stein brach im Februar nach Norden auf, in der Hoffnung, die Arbeiterfrage in Südostkamerun zu lösen. Er glaubte, den „Import“ von Küstenleuten durch Bertua-Leute ersetzen zu können, und wollte 100 Arbeiter aus Bertua gegen Kopfgeld der GSK überlassen.667 Von Stein plante, Bertua als Arbeiteranwerber für die GSK zu gewinnen und dem Unternehmen so dauerhafte Arbeiter zur Verfügung zu stellen. Mit von Steins Vorstoß hielt eine neue Logik Einzug in die Arbeitsbeziehungen des Kautschukhandels in Südkamerun: die der Plantagen am Kamerunberg. Bevor er die Leitung Sangha-Ngokos übernahm, hatte von Stein einige Zeit im Plantagengebiet verbracht und sich mit der Arbeiterproblematik beschäftigt.668 Die dort angewandten Lösungen für den dauernden Arbeitermangel brachte er mit nach Südostkamerun.669 Vorbild für seinen Vorstoß nach Bertua war eine Übereinkunft zwischen Plantagenunternehmen und Herrschern der Savannenregion. Die Westafrikanische Pflanzungs-Gesellschaft Victoria hatte mit dem Bali-Fon Galega einen Vertrag über eine regelmäßige Arbeitskräfteversorgung abgeschlossen. Jahr für Jahr schickte Galega dem Unternehmen gegen Bezahlung seine Abhängigen und Kriegsgefangenen als Plantagenarbeiter.670 Gelang es von Stein, ein ähnliches Bündnis zwischen Bertua und GSK zu vermitteln, hätte Letztere über ein günstiges, dauerhaftes Arbeitskräftereservoir verfügt. Ebenso übertrug von Stein eine Weisung, welche das Gouvernement zugunsten der Kakaoplantagen am Kamerunberg ausgesprochen hatte, auf die GSK. Um die Plantagen von westafrikanischen Arbeitsmigranten unabhängig zu machen, beschloss von Puttkamer im März 1899, eine schon länger gepflegte Praxis zu legalisieren: Er wies von Kamptz, Kommandeur der Schutztruppe, an, diese aktiv an der Arbeiterbeschaffung für die Plantagen zu beteiligen: einerseits durch Anwerbungen von Arbeitern, wie Dominik es bereits in Jaunde praktizierte, andererseits durch die Forderung von „Strafarbeitern“ als Teil von Kriegsentschädigungen, wie es z. B. bereits nach dem Krieg gegen die Mabea 1893 erfolgt war.671 Obwohl von Kamptz

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BArch R 1001/3443, 54. BArch R 1001/4377, 142. Vgl. Kaeselitz 1968, 35. BArch R 1001/4378, 32. Vgl. BArch R 1001/3227, 59. Vgl. Kap. 5.2 und 5.4. Vgl. Chilver 1967, 497; Michel 1970, 199. Vgl. BArch R 1001/3226, 77 ff. Vgl. auch Rüger 1960b, 195 f.; Mandeng 1973, 77 f. Die Anweisung, Sklaven im Krieg nicht mehr zu befreien, sondern in der Nähe der Plantagen anzusiedeln, scheint

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das Pressen von Zwangsarbeitern „unsympathisch“ war,672 fügte er sich. Indem von Stein die Weisung eigenmächtig auf die GSK übertrug, wandte ein Beamter diese erstmals auf ein Unternehmen an, das keine Plantage war. Doch wie die Pflanzungen war auch die Konzessionsgesellschaft ein staatlich privilegiertes Unternehmen, an dessen Erfolg Gouvernement und Kolonial-Abteilung interessiert waren. Aus diesem Grund billigten sie von Steins Politik und forderten sie ab Anfang 1904 aktiv ein.673 Im Oktober 1901 marschierte von Stein schließlich nach Bertua. Während Rudi Kaeselitz meint, Handel sei der Grund hierfür gewesen,674 waren es stattdessen die Arbeitskräfte für die GSK, auf die von Stein es abgesehen hatte. Bertua war jedoch nicht bereit, die gewünschten Arbeiter – sprich Sklaven und Sklavinnen, Klienten oder andere Abhängige – zu liefern. Nun entschied sich von Stein für die andere Option der Anweisung des Gouvernements: Strafarbeiter. Von Stein lieferte den Kolonialbehörden eine fadenscheinige Begründung für ein Vorgehen gegen Bertua. Erkundigungen hätten ergeben, dass Bertua eine Mitschuld am Tod Plehns treffe. Schließlich habe Bertua eigene Interessen verfolgt, als er den Stationschef ins Dorf Dsgai schickte, wo denselben ein vergifteter Pfeil traf. Dass Bertua eigene Interessen verfolgte, war jedoch kein Geheimnis und ergab sich aus der Aktenlage.675 Zentral war von Steins Folgerung aus seiner neuen Erkenntnis: Bertua habe 100 Strafarbeiter zu stellen. Hinter von Steins Zwangsarbeiterpolitik stand paradoxerweise die Idee, durch Gewalt und Anreize eine professionelle Arbeiterschaft für die GSK entstehen zu lassen: Von Stein übertrug auch hier seine Einsichten vom Kamerunberg auf die GSK. Fehler, die dort zu hohen Todesraten geführt hatten, sollten sich nicht wiederholen.676 Die Zwangsarbeiter sollten mit geeigneten und gewohnten Nahrungsmitteln ernährt werden und Löhne erhalten. Neben einem einmaligen Kopfgeld von je 20 Mark und einer monatlichen Zahlung von je 6 Mark für die Regierung sollten die Bertua-Arbeiter jeden Monat 6 Mark, ihre Headmen 9 Mark in neuen Waren bekommen. Starb ein Arbeiter, sollte seine Familie den Lohn erhalten. Des Weiteren bestand von Stein darauf, dass Berri, ein Sohn Bertuas, die Zwangsarbeiter von Zeit zu Zeit besuchen durfte, um nach ihrem Befinden zu sehen.677 Von Stein hoffte, den Leuten so zu zeigen, dass sich Arbeit für die GSK lohne, damit sie später

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nie angewandt worden zu sein. Zum Umgang der Kolonialregierung mit Sklaverei in Kamerun vgl. Eckert 1998; Harding 1995. BArch R 1001/3226, 76. Vgl. BArch R 1001/3228, 75 f.; BArch R 1001/3445, 86. Vgl. Kaeselitz 1968, 36 f. Vgl. BArch R 1001/4378, 36; BArch R 1001/4377, 18. Zu Todesraten am Kamerunberg vgl. u. a. Rüger 1960b, 231 f. Vgl. BArch R 1001/3228, 72; BArch R 1001/4379, 265.

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bereit sein würden, Lohnarbeit aufzunehmen. Auch den Mächtigen des Bezirks wollte er demonstrieren, dass sie ihre Abhängigen ruhigen Gewissens der GSK überlassen konnten. Erzwungene Arbeit sollte nur ein Zwischenstadium sein, bis die Menschen einsähen, dass Lohnarbeit Vorteile bringe. Doch der Versuch, Bertua mit aller Gewalt zum Arbeiterreservoir der GSK zu machen, entwickelte sich zu einem Desaster für Bertua, von Stein und von Schlippenbach. Gleichzeitig aber schuf er bisherigen Abhängigen die Möglichkeit, mehr Autonomie zu erlangen. Angesichts der persönlichen Machtfülle Bertuas hielten die Europäer die Gbaya-Gesellschaft für viel hierarchischer, als sie war.678 Indem von Stein Bertua militärisch demütigte, verlor dieser aber an Autorität.679 Nach seiner Niederlage verließen die Menschen Bertua in Scharen – entweder weil sie nicht länger an seinen Schutz glaubten oder weil sie die Ankunft der Deutschen nutzten, um sich von seiner Herrschaft zu befreien. Auch die Strafarbeiterkarawane, die Bertua nach langen Diskussionen zusammenstellte, erreichte ihr Ziel nicht. Sie bestand größtenteils aus Sklaven, die die erste Möglichkeit zur Flucht nutzten. Lediglich zehn Männer blieben zurück. Daraufhin setzte von Stein Bertua eine Frist, um erneut 100 Strafarbeiter zu stellen.680 Mitte 1902 zogen er und von Schlippenbach wieder nach Bertua, um die Träger einzufordern. Dies war umso dringender, als mittlerweile in der „Nordzone“ Kautschuk in großen Mengen lagerte und die GSK nicht genügend Personal hatte, um ihn abzutransportieren. Von Schlippenbach bezeichnete die Karawanenverbindung vom Norden über Jukaduma nach Molundu als zentrales Problem der GSK.681 Bis Juni 1902 warteten in den nördlichen Faktoreien 13 Tonnen Gummi auf ihren Transport nach Molundu, dazu noch große Mengen Elfenbein, für deren Abtransport weit über 400 Träger notwendig gewesen wären.682 Doch auch die erneute Expedition schuf keine Abhilfe. In Bertua kam es angesichts der anmarschierenden Deutschen zu politischen Konflikten.683 Bertua selbst und sein Sohn Abu ergriffen mit einem Teil ihrer Leute die Flucht. Am 12. Oktober 1902 wurde Bertua durch von Steins Soldaten erschossen.684 Von Stein verhandelte nun mit Eriman Diba,685 Bertuas ältestem Sohn. Dieser stellte

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Vgl. BArch R 1001/3444, 118 f. Zu Hierarchie, Egalität und Ideologie bei den Gbaya vgl. Copet-Rougier 1987, 345, 352 f. Vgl. BArch R 1001/4378, 36 f. Vgl. BArch R 1001/3444, 115. Vgl. BArch R 1001/4378 Stein an KA, 15.06.1902, o.S. Vgl. Hoffmann 2007, Bd. 1, 167 ff. Vgl. Hoffmann 2007, Bd. 1, 169. Vgl. Engelhardt 1903, 362. Schlippenbach nennt ihn „Jerima“ oder „Jamia“. Vgl. BArch R 1001/ 3444, 126, 128.

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ganze 22 Arbeiter, woraufhin von Stein und von Schlippenbach beschieden, dass von Bertua wenig zur Lösung der Arbeiterfrage zu erwarten sei.686 Trotz der Misserfolge in Bertua setzte sich das Prinzip, Dörfer bzw. Dorf- und Familienoberhäupter zu zwingen, Arbeitskräfte zu stellen, in den folgenden Jahren durch. Die Integration von Strafarbeitern in Strafzahlungen, welche die Dörfer leisten mussten, um nach Konflikten den Frieden wiederherzustellen, sowie deren Weitergabe an die GSK entwickelten sich noch vor Stuebels Anweisung Anfang 1904 zum standardmäßigen Verfahren in Sangha-Ngoko.687 Zunehmend ging es hierbei nicht mehr allein darum, der GSK ad hoc mobilisierte Trägerinnen und Träger für einmalige Transportarbeit zur Verfügung zu stellen, sondern als dauerhafte Arbeiterinnen und Arbeiter für den regelmäßigen Karawanendienst zu pressen. Anfang 1903 standen bereits 25 Kunabembe-Strafträger im Dienst der GSK.688 Im Zuge einer weiteren Strafexpedition wurden alle Dörfer verbrannt und ca. 70–80 Kunabembe getötet.689 Als Bedingung für Frieden mussten die Kunabembe, die an der Nordroute nach Jukaduma und dem Dume-Gebiet lebten, der GSK Strafträger stellen. Von Stein erklärte: Bezüglich der Zwangsstellung von Trägern an die Gesellschaft [Süd-Kamerun – T. Oe.] bemerke ich gehorsamst, dass dadurch einmal ein Ersatz für die der Gesellschaft durch den Aufstand erwachsenen Schaden von Seiten der Schuldigen beabsichtigt war, wenn mir natürlich das Nichtbestehen eines Arbeitszwanges im allgemeinen auch bekannt ist. Dann erschien mir aber auch die Gelegenheit zur wenigstens teilweisen Lösung der bis an den Dume hin bei der gesteigerten Produktion immer schwierigeren Trägerfrage als zu günstig, um sie vorübergehen zu lassen […].690

De facto führte von Stein einen Arbeitszwang für die besiegten Kunabembe ein – und dieser diente explizit dazu, die logistischen Probleme der GSK auf der Nordroute zu lösen. Bei den Friedensverhandlungen verurteilte von Stein die Dörfer nach Absprache mit dem GSK-Agenten Otto Arndt zur monatlichen Stellung von Strafträgern.691 Kambo musste fünf Arbeiter stellen, Moamoog und Killa mussten vier, Nti, Edoab, Minyaso, Liliboku und Akamayo je acht und Matta, Nyella, Kalo und Dumba je zehn Arbeiter, das Familienoberhaupt Momoe auf Anfrage. Im

686 Vgl. BArch R 1001/3444, 125–128; BArch R 1001/4379, 37–40. 687 Vgl. Ballhaus 1968, 129. 688 Vgl. BArch R 1001/4379, 236. Zur Strafexpedition gegen die Kunabembe vgl. Hoffmann 2007, Bd. 1, 152 f. Kaeselitz vermischt fälschlicherweise die Kunabembe-Angelegenheit mit der Tötung des GSK-Agenten Monnier durch einige Ndsimu. Vgl. Kaeselitz 1968, 40 f. 689 Vgl. BArch R 1001/4379, 224–231. 690 BArch R 1001/4379, 236. 691 Vgl. BArch R 1001/4379, 235.

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Protokoll findet sich keine zeitliche Begrenzung dieser Maßnahme.692 Auf diese Weise hatte von Stein der GSK monatlichen fast 100 Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter verschafft, mit denen das Unternehmen besser rechnen konnte als mit ad hoc mobilisierten Leuten. Diese Regelung war nur der Anfang. Ab 1903 häuften sich überall im Konzessionsgebiet die Konflikte zwischen den Dörfern auf der einen sowie Staat und Unternehmen auf der anderen Seite. Immer wieder kam es zu Gewaltausbrüchen gegen Händler, Arbeiter und Angestellte der GSK, die Kapitel 4.1 behandelt. Von Steins Nachfolger Scheunemann sowie sein Stellvertreter Preuss verpflichteten unbotmäßige Dörfer regelmäßig dazu, hunderte Trägerinnen und Träger zu stellen – für einmalige Transporte oder für einen bestimmten Zeitraum –, um die Logistikprobleme der GSK zu lösen. Preuss etwa verurteilte das Familienoberhaupt Mila von Besam im Ndsimu-Gebiet im September 1903 dazu, u. a. 50 Strafträger als Sühne für die Tötung eines Vai-Arbeiters der GSK zu liefern, das Ndsimu-Familienoberhaupt Alaman gar zu 100 Strafträgern.693 Nachdem die Bewohner einiger Ndsimu-Dörfer Anfang 1904 den GSK-Agenten Charles Monnier getötet und die Faktoreien der Firma geplündert hatten, verurteilte Scheunemann die Dörfer kollektiv zu Ersatzleistungen für die GSK in Höhe von 15.600 Mark, die größtenteils in Gummi zu leisten waren. Was bis zum April 1905 nicht geliefert wurde, sollten Strafträger abarbeiten.694 Im April 1905 erneuerte die Kolonial-Abteilung die Instruktion, Strafzahlungen vorzugsweise in Form von Arbeitsleistungen einzufordern, um der GSK zu helfen.695 Mit der Weisung Stuebels von 1904 scheint auch die Idee, Zwangsarbeitern Löhne zu zahlen, vom Tisch gewesen zu sein.696 Zwang konnte genauso Dörfer treffen, die in friedlicher Beziehung mit Staat und Unternehmen standen. Zollassistent Karl Bötefür bestimmte 1906, dass die Bomome bei Jukaduma für zehn Hütten je einen Arbeiter zu stellen hätten. Die über 50 Männer verlieh er inklusive militärischer Bewachung an die GSK.697 Scheunemann nahm Geiseln, um Trägerinnen und Träger für Privatunternehmen zu erpressen. Seine Soldaten kreisten die Leute ein und nahmen Menschen fest. „Ich suchte zwanzig der Kräftigsten aus und ließ sie auf die Wache bringen“,698 schrieb er. Falls das Familienoberhaupt der Forderung nach Arbeitskräften nicht nachkommen würde, sollten diese Geiseln als Träger dienen. Ob Scheunemann wirklich nur kräftige Männer festhalten ließ oder ob es sich nicht doch eher um Frauen und Kinder

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Vgl. BArch R 1001/4379, 265. Vgl. BArch R 1001/4380, 80, 84. Vgl. BArch R 175-I/88, 58. Vgl. BArch R 1001/3447, 107 f. Vgl. BArch R 1001/3445, 85 f.; BArch R 1001/3535, 43. Vgl. BArch R 175-I/128, 12. Scheunemann 05.04.1930.

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handelte, sei dahingestellt. Jedenfalls, so berichtete er, stellte das betreffende Familienoberhaupt am nächsten Tag die gewünschten Leute.699 Der GSK-Angestellte Carl Wulff erklärte 1906, „dass ohne Hilfe der Behörden, d. h. ohne Ausübung eines gewissen Druckes auf die Eingeborenen, die Gesellschaft nicht in der Lage sei, dauerndes Arbeitspersonal […] zu halten“.700 Erzwungene Trägerarbeit war somit binnen weniger Jahre durch die Unterstützung der kolonialen Behörden zu einem unverzichtbaren Teil im Arbeitsregime der GSK geworden. Mit Forderungen nach Strafarbeitern oder Geiselnahmen setzte die Regierung die lokale Gesellschaftsordnung erheblichem Druck aus. Macht und Ansehen der Familien- und Dorfoberhäupter litten unter den Maßnahmen der Verwaltung. Schließlich beruhte ihre Macht darauf, Menschen beschützen zu können. Waren sie dazu nicht in der Lage, suchten Klienten sich neue Patrone oder reagierten Teile des Dorfes mit Segmentierung. Dies zeigte sich schon in Bertua. Koch berichtete von ähnlichen Effekten von Strafexpeditionen im Dorf Selekanda.701 Dementsprechend kam es vor, dass Menschen sich aufgrund der existentiellen Bedrohung durch die Kolonialmacht und ihre Strafarbeiterpolitik deren Zugriff entzogen. Beispielsweise verlegten sie ihre Dörfer von den bekannten Pfaden in den unbewohnten Regenwald. Solche Formen der Migration, die Cooper als „exit option“ bezeichnet,702 waren in der unruhigen Region ein Mittel, sich äußeren Bedrohungen zu entziehen.703 Auf die koloniale Bedrohung reagierten die Menschen ähnlich – und konnten so teilweise Zugeständnisse erlangen: Scheunemann fürchtete z. B. 1906, dass die Bewohner von Ngato – der einzigen größeren Siedlung in einer riesigen toten Zone – ihr Dorf in den Wald verlegen würden, sollte er seiner Strafexpedition die Stellung von Strafarbeitern folgen lassen.704 Dadurch hätte jede Expedition oder Karawane große Versorgungsschwierigkeiten bekommen. Die Bevölkerung der grenznahen Gebiete wiederum nutzte geschickt die Spannungen zwischen Franzosen und Deutschen. Um Arbeitsverpflichtungen durch die Regierung zu entgehen, flohen 1909 tausende Njem auf französisches Gebiet. Wenige Jahre später siedelten tausende Menschen von dort nach Südkamerun über, um der französischen Zwangsarbeitspolitik zu entgehen.705 Die Dorf- und Familienoberhäupter gerieten auch unter Druck, weil die Regierungsbeamten oftmals von ihnen mehr Menschen forderten, als sie kontrollier-

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Vgl. Scheunemann 05.04.1930. BArch R 1001/3449, 138. Vgl. Koch 1923, 83 f. Cooper 2006, 96. Vgl. Vansina 1990, 134–137; Copet-Rougier 1998, 53–56. Vgl. BArch R 175-I/205, 56. Vgl. Winkler 1960, 282 f.; BArch R 1001/8118, 169.

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ten. Scheunemann, der viele Zwangsarbeiter rekrutiert hatte, warnte die KolonialAbteilung Ende 1906: Der Einfluß des Häuptlings in den jeder Feudalisierung entbehrenden Gemeinwesen mit ihrem zerstreuten Anbau ist ein so geringer, daß er oft garnicht [sic!] im Stande ist, die auferlegte Zahl von Arbeitern zu stellen. […] Der Häuptling wagt es vielfach garnicht [sic!], einem Freigeborenen zuzumuthen, als Arbeiter zum Weißen zu gehen, und stellt daher schwächliches, minderwertiges Material, meist Sklaven, womöglich Leute, die er von einem anderen Stamme noch schnell mit seinen Kriegern zusammengeraubt, um sein Wort einzulösen. […] Oft bitten Häuptlinge zu diesem Zweck um Soldaten zur Unterstützung ihrer Autorität. Diese fangen dann die vom Häuptling bezeichneten, angeblichen Widerständigen ein, meist alte Leute, halbwüchsige Burschen oder gar Angehörige eines anderen Stammes. Manche dieser Bedauernswerten starben dann in kurzer Zeit […].706

Die Macht der Dorfoberhäupter erstreckte sich nicht weiter als auf ihre eigenen Frauen, Kinder und Abhängigen, nicht aber auf andere Familienoberhäupter des Dorfes und deren erweiterte Familien. Sie traten nur als deren Sprecher auf, wurden aber von der Kolonialmacht als deren Autoritäten angesehen. Scheunemanns Äußerung verdeutlicht, dass die Regierungspolitik zugunsten der GSK die Familien- und Dorfoberhäupter vor politische wie moralische Dilemmata stellte und Gewaltwellen anstieß, die die ganze Region in Unruhe versetzten. Kurzfristig halfen die zum Dienst gepressten Menschen zwar der GSK, vor allem auf der Nordroute ihre Transportengpässe zu überwinden. Gleichwohl hatte der Einsatz von Zwangsarbeit große Nachteile. Verlassen konnte sich die GSK auf die Arbeitsleistung dieser Trägerinnen und Träger nicht. Sie neigten zur Flucht. Scheunemann wandte sich 1906 gegen den Einsatz von Njem-Zwangsarbeitern im Dienst der GSK, da diese die Strafträger nicht bewachen und eine Flucht verhindern könne.707 Tatsächlich ließ die GSK lokale Karawanen, die oftmals aus Zwangsarbeitern bestanden, durch bewaffnete Vai-Leute, „veyboys accompagnant [sic!]“, begleiten.708 Wie Scheunemann andeutete, bestanden die Zwangsarbeiterkolonnen der Konzessionsgesellschaft regelmäßig aus Kranken und Schwachen, Kindern und Greisen, Sklavinnen und Sklaven sowie Kriegsgefangenen. Wenige von ihnen waren willens oder fähig, die Arbeit auszuführen, die das Unternehmen verlangte. Von Schlippenbach beobachtete, die 22 Bertua-Träger hätten „wenig Lust zum Tragen“ und würden Lasten nur unter ständigem „Palaver“ befördern.709 Aufgrund

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Vgl. BArch R 1001/3450, 168. Vgl. BArch R 1001/3450, 166. AGR CCCI 1683 Instructions (Entwurf), o.D. BArch R 1001/3444, 131.

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des allgemeinen Fehlens von Handelskarawanen war kaum einer von ihnen an Trägerarbeit gewöhnt. Die Bertua-Leute konnten die Lasten nicht gut und vor allem nicht im Expeditionstempo transportieren, bemerkte von Stein.710 Im Gegensatz zu den Vai und den anderen fest engagierten GSK-Arbeitern waren sie keine professionellen Träger. Möglicherweise spielten auch unterschiedliche Techniken beim Lastentransport eine Rolle. Im Gbaya-Gebiet trugen die Menschen Dinge auf dem Kopf statt in Kiepen auf den Schultern.711 Im Regenwald behinderte sie dies. Einige Menschen waren auch körperlich nicht in der Lage, die harte Trägerarbeit zu leisten. Die Bertua-Leute etwa waren das Regenwaldklima nicht gewöhnt. Von Stein klagte bald, fast alle hätten Bronchitis und Lungenentzündung oder seien fußkrank. In einem Stoßseufzer wünschte er sich statt ihrer mehr Vai- und Jaunde-Leute – also Träger, die für ihre Professionalität bekannt waren.712 Die Zwangsarbeit traf nicht die gesamte Bevölkerung. Besonders betroffen waren zum einen Gruppen, die in Konflikt mit der Regierung oder dem Unternehmen gerieten, das wiederum die Regierung zu Hilfe rief. Zum anderen wurden vor allem Gruppen herangezogen, die an den Karawanenwegen lebten, wo die GSK Arbeitskräfte brauchte. Dennoch vergiftete die Politik der Zwangsarbeit die ohnehin sich verschlechternden Beziehungen zwischen GSK und Bevölkerung. 1907 schrieb der Agent von Stetten an seinen im Aufsichtsrat der GSK sitzenden Cousin, es sei ein großes Problem für das Unternehmen, dass es seine Träger „teils per strong“, so der Pidgin-Ausdruck für Zwang, heranziehe. „Aus diesem Grunde sind wir sehr verhaßt bei den Eingeborenen.“713 Die zwangsweise Arbeiterrekrutierung führte auch nicht dazu, dass die Menschen Arbeit für die GSK nicht mehr mit Unfreiheit oder gar Sklaverei assoziierten. Wahrscheinlich festigte die Zwangsarbeit eher die Probleme in der lokalen Arbeiteranwerbung für die Karawanen, anstatt sie zu lösen. Eine große lokale, ständig verfügbare und damit verlässliche Arbeiterschaft entstand in Sangha-Ngoko nicht – auch nicht durch Zwangsarbeit. Fast immer konnten Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter nur die Ad-hoc-Lösung sein, um konkrete Probleme zu lösen – etwa große Stockungen von Kautschuk in den Faktoreien. Trotz allem waren die westafrikanischen Wanderarbeiter und vor allem die Vai das Rückgrat des GSK-Trägerverkehrs. Noch Ende 1906 musste sie erklären: „Zur Zeit haben wir an festen Arbeitern nur Liberia-Leute“.714 Auch als das Unternehmen nach dem Anschluss des Gebietes an die Küste und damit an die Arbeiterreservoire der Beti und Bulu die Möglichkeit hatte, dort Trägerinnen und Träger anzuwerben,

710 711 712 713

Vgl. BArch R 1001/4379, 32. Vgl. Schultze 1912, 197 f. Vgl. BArch R 1001/4379, 219. WKM HBM Af III 292 Stetten an Stetten-Buchenbach, 25.09.1907, 6. Für weitere Belege für den Ausdruck vgl. Schultze 1912, 267; Gerlach 1978, 218 f. 714 BArch R 1001/3449, 134.

Träger und Ruderer: Die Mobilisierung von Transportarbeit durch die GSK

blieben Liberianer die bedeutendste Arbeitergruppe in den Ostgebieten Kameruns. „Le service de Molundu vers le Haut Nyong [Obernyong – T. Oe.]“, klagte 1907 die Unternehmensleitung, „ne pourra se faire que moyennant des travailleurs engagés à Monrovia.“715 Das Muster prägte die Karawanenarbeiterschaft der GSK: Intern unterschied das Unternehmen zwischen ihren fest engagierten Vertragsträgern, den „porteurs à contrat“, und den ad hoc angeworbenen Gelegenheitsträgern, den „porteurs occasionnels“.716 Die fest engagierten Leute, in der Regel Arbeitsmigranten, waren die einzigen, auf die sich die GSK verlassen konnte. Die Gelegenheitsträgerinnen und -träger wie die von Zippelius erwähnten Kunabembe hingegen mussten immer wieder erneut zu hohen Löhnen oder mit Druck und Gewalt rekrutiert werden, um als Ausputzer einzuspringen, wo das logistische System der GSK wieder versagt hatte. Zwischenfazit Die GSK versuchte auf verschiedene Art und Weise, ihren Arbeitskräftebedarf für die alles bestimmende Transportarbeit zu decken. Vergleichsweise einfach fand sie die nötigen Arbeiter für den Transport auf dem Wasser: Mit den Bangala konnte sie auf professionelle Bootsleute aus dem Kongostaat zurückgreifen. Schwierigkeiten machte hingegen ab ca. 1901 der Übergang von der Fluss- zur Binnenlandsfirma, der aufgrund des Bedarfs an Trägerinnen und Trägern die Arbeiterfrage radikalisierte. Karawanenarbeit war nicht so leicht zu rekrutieren – weder vor Ort noch im Kongo noch an der westafrikanischen Küste. In Sangha-Ngoko konnten und wollten die Familienoberhäupter den Bedarf der GSK nicht decken. Auf dem westafrikanischen Arbeitsmarkt und dessen Sub-Rekrutierungsfeld im Kongo waren zwar Arbeitskräfte zu finden. Doch deren hohe Löhne bedrohten die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens. Dies führte dazu, dass die GSK sich noch stärker darum bemühte, einheimische Arbeitskräfte zu engagieren. Doch aufgrund der unattraktiven Karawanenarbeit und der lohnenderen Alternativen für die Bevölkerung entstand in Sangha-Ngoko im Gegensatz zum Hinterland der Batanga-Küste keine professionelle Karawanenarbeiterschaft. Dem Arbeitermangel versuchte die Regierung mit Zwang abzuhelfen. Ab 1902 etablierte sich durch die Übertragung von Praktiken vom Kamerunberg ein Zwangsarbeitssystem, bei der der Staat sowohl für bestimmte Strecken als auch für bestimmte Zeiträume Arbeitskräfte gewaltsam rekrutierte. Zwangsarbeit diente dazu, akuten Problemen abzuhelfen, erfasste aber nicht die gesamte Bevölkerung.

715 AGR CCCI 1682 Existences au 30 Juin 1907. 716 AGR CCCI 1683 Instruction, o.D.

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3.4 Arbeitermacht: Streiks, Beschwerden und neue Gemeinschaften Im September 1903 beschwerte sich ein Mann namens F. W. Byll in Lome, Togo, bei der deutschen Regierung über die GSK, für die er seit 1901 in Sangha-Ngoko gearbeitet hatte. Byll stammte aus einer bedeutenden Familie der Sklavenküste.717 Er gehörte zu den 129 Männern, die von Carnap 1901 im Auftrag der GSK in Togo angeworben hatte. Togo war seit Beginn der 1890er ein Arbeiterreservoir für Kamerun, aber auch den Kongo. 1891 hatte die CCFC 134 Arbeiter für den Bau der Kongobahn dort rekrutiert.718 Um 1900 aber konzentrierte sich die Arbeitsmigration vor allem auf die Gold Coast und Kamerun. Wie in anderen Gebieten des westafrikanischen Arbeitsmarktes führten Arbeitslosigkeit, Sklavenemanzipation und die Vermietung von Sklavinnen und Sklaven dazu, dass Menschen aus Togo entlang der Westküste migrierten.719 Deutsche Firmen wie Liebau & Witt, afrikanische Mittelsmänner wie der Gouvernementskoch Piter und gut vernetzte Anwerber wie von Carnap rekrutierten in Togo Arbeiter für Kamerun.720 1901 reisten insgesamt ca. 1000 Menschen nach Kamerun aus.721 129 von ihnen, darunter Byll, nahmen hierfür den weiten Weg über den Kongo. Byll arbeitete als Clerk oder Headman für die GSK. Jedenfalls trat er als Sprecher der Togo-Leute auf. Diese fühlten sich nach Ablauf ihres Vertrages von der GSK um ihr Geld betrogen: Ihren Restlohn zahlte die CCFC in Matadi im Auftrag der GSK vertragswidrig in der Währung des Kongostaates, obwohl die Arbeiter angaben, so Byll, diese „in Togo nicht verwerten zu können“. Byll und andere wandten sich daraufhin hilfesuchend an Ernst Lüdemann, stellvertretender Direktor der GSK, der ebenfalls in Matadi anwesend war: „Herr Lüdemann lehnte es ab, uns bei der Umwechslung des Geldes zu unterstützen, trotzdem uns der Lohn vertragsmässig in deutscher oder englischer Münze zu zahlen war.“ Hilfe fand Byll bei von Carnap. Dieser, so Byll, „nahm mich mit zu der Firma Walter Karl und bat dort, den Leuten das Geld zu wechseln, worauf sämmtliche Leute durch mich ihr Geld ablieferten. […]. Für das Umwechseln mussten die Leute 5 % zahlen.“ Des Weiteren beschwerte sich Byll über die GSK: Für die Reise von Molundu nach Matadi erhielten ich und die Leute Geld und zum Teil Waaren. Die Beträge waren jedoch aus unserem Guthaben entnommen und wurden bei der Restzahlung in Matadi angerechnet. Auf dem Dampfer bis Kinchassa (10 Tage) erhielten die Clerks Verpflegung, die Leute nur solange sie arbeiteten; als sie sich weigerten

717 718 719 720 721

Zur Familie Byll vgl. Strickrodt 2015, 222. Vgl. BArch R 1001/3192, 23. Vgl. BArch R 1001/3192, 13 f.; KA 1900, 4, 16. Vgl. BArch R 1001/3193, 20. Vgl. KA 1902, 48.

Arbeitermacht: Streiks, Beschwerden und neue Gemeinschaften

zu arbeiten, haben sie nichts mehr erhalten. Für die Eisenbahnfahrt von Kinchassa nach Matadi (2 Tage) erhielten wir in Matadi von Herrn Lüdemann nachträglich Verpflegung. Für den Aufenthalt auf der Reise in Kinchassa (12 Tage) und für den Aufenthalt in Matadi bis zum Abgang des Dampfers (24 Tage [)] haben wir keine Verpflegung erhalten.

Am meisten empörte Byll der abschließende Vertrauensbruch Lüdemanns: Die Leute und ich wollten in Matadi auf einen Dampfer warten, der Lome anlief. Wir haben die Reise von Matadi nach unserer Heimat auf einem französischen Dampfer auf Anordnung des Herrn Lüdemann gemacht; der uns erklärte, er hätte mit dem Kapitän gesprochen, daß wir in Lome abgesetzt würden. Nur deshalb gingen wir an Bord. Auf dem Dampfer erfuhren wir, daß Herr Lüdemann keine Vereinbarung getroffen, und dem Kapitän gesagt hatte, uns an irgend einem Platz in Dahomey zu landen, wir würden den Weg schon nach Hause finden. Die Leute und ich selbst baten den Kapitän direkt nach Lome zu fahren, worauf dieser nicht einging.

Ob dieser Schikanen forderte Byll von der GSK den „Ersatz der entstandenen Kosten“.722 Die Geschichte F. W. Bylls zeigt nicht bloß, wie schlecht die Arbeitsbeziehungen der GSK waren. Vielmehr zeigt sie auch, dass das Unternehmen selbstbewusste Arbeiter hatte, die sich wehrten. Bylls Beschwerde erreichte die Firma über die Regierungen von Togo und Kamerun. Letztere vermerkte in den Akten, die GSK scheine „ihren Arbeitern gegenüber sich sehr sonderbar zu benehmen“.723 Zwar zeigte die GSK kein Entgegenkommen. Dennoch hatte Bylls Beschwerde Folgen für das Unternehmen. Als die GSK 1907 ihren aus Togo stammenden Angestellten William Kwestus Johnson in seine Heimat schickte, um Arbeiter anzuwerben, untersagte dies der Gouverneur von Togo mit Hinweis auf Bylls Beschwerden.724 Die Arbeitsmigranten besaßen Möglichkeiten, ihre Interessen gegenüber der GSK zu verteidigen bzw. durchzusetzen. Als Rückgrat des operativen Geschäfts waren sie keine oder zumindest nicht nur Opfer kolonialer Arbeitsbeziehungen, sondern selbstbewusste Akteure, die sich individuell und kollektiv gegen schlechte Behandlung stemmten. Die Forschung hat für verschiedene Bereiche bereits gezeigt, dass sich afrikanische Arbeiter schon vor dem Ersten Weltkrieg organisierten und ihre Interessen durchsetzten.725 Vor allem Transportarbeiter hatten

722 723 724 725

Alle Zitate: BArch R 175-I/205, 88 f. BArch R 175-I/205, 87. Vgl. BArch R 175-I/205, 87. Vgl. BArch R 175-I/205, 95; BArch R 175-I/205, 96 f. Vgl. Eckert 1999b, 502. Für Beispiele vgl. u. a. van Onselen 1973; Iliffe 1975; Rockel 2006, 211–222.

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große Macht, weil sie den Verkehr zum Erliegen bringen konnten.726 Wie gezeigt, nutzten auch die Trägerinnen und Träger der Küstenfirmen ihre Bedeutung im Transportsektor. Nirgends aber war ein Handelsunternehmen über so lange Zeit so abhängig von festangestellten Arbeitsmigranten wie die GSK. In Sangha-Ngoko gab es weder genügend lokale Lohnarbeiter, noch halfen Gewalt und Zwang, um ausreichend Arbeiterinnen und Arbeiter zu rekrutieren. Unverzichtbarkeit, Mobilität, Professionalität, Selbstbewusstsein und das Wissen, notfalls auch anderswo Geld verdienen zu können, sorgten dafür, dass die GSK mit den Arbeitsmigranten nicht ohne Weiteres umgehen konnte, wie ihr beliebte. Gerade im Kontext des improvisierten und dysfunktionalen Systems von Zwangsarbeit wuchsen die Spielräume für die fest engagierten Arbeitsmigranten. Sie wussten, wie wertvoll sie für die GSK waren. Aus dieser Konstellation ergab sich eine große Verhandlungsmacht: Arbeiter beschwerten sich, streikten oder desertierten, wenn sie in Konflikte mit der Konzessionsgesellschaft gerieten. Professionalität, Ethnizität und Solidarität In Anlehnung an Thompson hat Cooper darauf hingewiesen, dass Klasse keine universale, sondern eine historisch gewachsene Kategorie darstellt. Sie entstand aus Formen partikularer Solidarität unter Kollegen bzw. Kolleginnen und Berufsgruppen.727 Grundlage für die partikulare Solidarität, die Arbeitsmigranten der GSK übten, war zum einen ihre Professionalität. Europäer, die für die GSK arbeiteten, hoben zumeist Vai und Bangala als professionelle Transportarbeiter aus der diversen Arbeiterschaft des Unternehmens heraus. Jeder GSK-Agent musste sich mit ihnen und ihren Vorstellungen auseinandersetzen. Wie bereits beschrieben, bezogen sich diese ethnischen Namen nicht auf homogene Gruppen, sondern auf ethnic-occupational identities. Zum anderen war die Grundlage der Solidarität die gemeinsame Arbeitserfahrung. Sowohl die Arbeit auf Kanus und Dampfern als auch in den Karawanen beruhte auf Techniken und Wissen. Kannten Kanuund Dampferbesatzungen nicht die Sandbänke und Strömungsverhältnisse, gingen Schiffe, Ladung und Menschen verloren. Hielten sich Träger nicht an die Ordnung und Disziplin der Karawane, drohte ihnen im unbewohnten Wald der Tod und dem Geschäft der GSK teure Stockungen. All diese Aufgaben konnten nur von Gruppen ausgeführt werden, die gemeinsame Erfahrungen teilten: Herkunft, Identität oder Arbeitsalltag. Die professionellen Arbeiter der GSK besaßen großes Selbstbewusstsein: Zippelius schreibt von seinem Vai-Headman namens „Tiger“ – Pidgin-Ausdruck für den

726 Vgl. Bellucci 2019, 210. 727 Vgl. Cooper 2000a, 217.

Arbeitermacht: Streiks, Beschwerden und neue Gemeinschaften

Leoparden, der in Nord-Liberia und anderswo als königliches Tier galt.728 „[W]ir Wei sind starke Männer und fürchten uns nicht wie die Bangandu, die wie die Hühner sind“,729 lässt Petersen in seiner inoffiziellen GSK-Chronik den Headman Jo sagen – ein Hinweis auf eine gemeinsame Identität und eine Abgrenzung zur lokalen Bevölkerung. Ähnliches gilt für die Bangala. Ihr Knowhow, ihr Training und ihre Ausdauer zu loben, gehörte zu den Topoi in Erinnerungen von GSKAgenten. Als professionelle Bootsleute wussten die Bangala um ihren Wert für die GSK und begegneten ihr sehr selbstbewusst.730 Koch etwa beschrieb sie als die „großsprecherischen Bangalla“.731 Generell verweigerten sie fast alle Aufgaben, die nicht auf dem Wasser stattfanden.732 Ähnlich wie Kru, Vai oder Jaunde besaßen die Bangala eine Arbeiterkultur, die sie als professionelle Arbeitskräfte auszeichnete und aus der sie Selbstbewusstsein schöpften. Hermann Muny, seit 1911 bei der GSK, berichtete von einer Fahrt mit zwei Kanus auf dem Djah im strömenden Regen, die die Professionalität der Bangala demonstriert: Trotzdem ich meinen Leuten zurief, anzuhalten, wenn sie Lust haben, setzten sie ihre Fahrt fort. […] Ich kann Dir nur sagen, es ist eine wahre Lust, diese halbnackten muskulösen Burschen arbeiten zu sehen. Daß ihnen die Sache selbst Spaß macht, geht wohl schon daraus hervor, daß sie andauernd in ihrer Art singen und richtige Jauchzer ausstoßen. Sie pullten denn auch 4 Stunden hintereinander unter ständigem Regen und Wettrudern die beiden Canoes mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit vorwärts […].733

Statt, wie Muny vorschlug, die Arbeit zu unterbrechen, zeigten ihm die Bangala, was sie konnten und übernahmen die Kontrolle über den Arbeitsprozess. Klar erkennbar sind die Mechanismen, die die Leute nutzten, um ihre Arbeit trotz der widrigen Bedingungen gut auszuführen. Gesang und Wettbewerb stärkten den Korpsgeist der Besatzung unter ihrem Headman. Lautes Singen diente auch dazu, die Dampfer und Kanus anzukündigen, wenn sie ein Depot erreichten:734 Alle anderen GSKArbeiterinnen und -Arbeiter, die ihr Leben an Land verbrachten und vielleicht noch nie den Kongo gesehen hatten, sollten wissen, dass sie kamen. Identitätsbildend wirkte auch die Arbeit auf dem Dampfer. Dort war der Raum nach rassistischen

728 Zippelius 1926a, 108. Zum Leoparden bei den Vai vgl. Holsoe 1967, 81. 729 Petersen 1936, 84. 730 Zum Selbstbewusstsein von Kanu-Arbeitern vgl. Rich 2009a, 235; Gutkind 1985; Manning 1985, 63, 72 f.; Samarin 1989a, 139–160. 731 Koch 1938, 109. 732 Vgl. van Overbergh 1907, 91; Koch 1912, 10; BArch R 1001/5913, 252. Im Kongostaat arbeiteten sie auch in der Force Publique. Vgl. Samarin 1989a, 73. 733 Muny 19.06.1959 Zu Muny vgl. BArch R 9361 IV 1320 Einwandererzentralstelle, Muny, Hermann. 734 Vgl. Petersen 1936, 141. Vgl. auch Rockel 2006, 84.

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Kriterien aufgeteilt. Während der Fahrt beanspruchten die Europäer das bequeme Oberdeck. „Die Farbigen hatten unten zu bleiben; sie mußten sehen, zwischen dem aufgestapelten Feuerholz und der Maschine ein Plätzchen zu erwischen. Zum Schlafen mußten sie an Land.“735 Auch diese gemeinsame Erfahrung schweißte die Arbeiter vermutlich zusammen. Gemeinschaftsgefühl, Zusammenhalt und Solidarität entstanden auch in Abgrenzung zur lokalen Bevölkerung. Sicherlich gab es Verbindungen zwischen Arbeitern, die Faktoreien und Posten zugeordnet waren, und der lokalen Bevölkerung. „Fast jeder Whyboy“, berichtete der GSK-Agent Fritz Lange, „hatte im Dorfe unter den Eingeborenen einen Freund, der sein ständiger Chop-[Nahrung – T. Oe.]Lieferant war.“736 Mit Frauen dürften die Arbeiter sexuelle Beziehungen eingegangen sein. Im Dorf Bokamonene, auf das später zurückzukommen ist, lebten entflohene Vai und Bangala mit der lokalen Bevölkerung in einer neuen Form von Gemeinschaft. Doch meist waren die Beziehungen unfreundlich. Dass noch in den 1930ern die Missangha die in den Wäldern vorkommenden Mantelaffen als „Bangala“ bezeichneten,737 dürfte noch die schmeichelhafteste Erinnerung gewesen sein. Übergriffe, etwa gegen Frauen und Mädchen, die die Vai-Träger der Küstenfirmen begingen, waren auch bei der GSK an der Tagesordnung. Scheunemann beklagte „zahlreiche Uebergriffe der Monroviaarbeiter“ – „dieses Gesindel“ sei „eine wahre Landplage“.738 Als von Stetten 1906 mit Vai-Arbeitern der GSK von Kribi über Land nach Sangha-Ngoko reiste, vergewaltigten seine Arbeiter mehrfach Frauen, wie er verzweifelt notierte.739 Eine deutliche Sprache spricht, dass immer wieder Vai der GSK von den Bewohnern der Dörfer getötet wurden.740 In einigen Regionen, wie etwa im Bombassa-Land, war die Beziehung so zerrüttet, dass die Arbeiter drohten, ihre Verträge mit der GSK nicht zu verlängern. Sie erklärten, sie würden von den Bewohnern des Gebietes belästigt und bestohlen und würden deswegen nicht bei der GSK bleiben wollen.741 In Molundu lebten die fest engagierten Arbeitskräfte der GSK in einem Arbeiterdorf unweit der Faktorei. Dort pflegten sie soziale Aktivitäten, die ebenfalls zur Arbeiterkultur der GSK gehörten. Wahrscheinlich kamen im Arbeiterdorf nicht nur die Menschen unter, die dauerhaft in Molundu beschäftigt, sondern auch die, die meist auf Reisen waren. Von dort kamen die Arbeiter morgens um 6 Uhr zum Morgenappell auf die Faktorei, um sich ihre Arbeitsaufträge abzuholen. Abends um

735 736 737 738 739 740 741

Petersen 1936, 33. Vgl. Herlyn 1912a, 884; Haberer 1911, 2386. BArch R 1001/3448, 118. Zwilling 1941, 57. BArch R 1001/4291, 21. Vgl. AFS 344 Tagebuch, 23.09.1906. Vgl. BArch R 1001/4379, 297. Vgl. auch Kap. 4.1. Vgl. BArch R 1001/4379, 277 f.

Arbeitermacht: Streiks, Beschwerden und neue Gemeinschaften

17:30 Uhr verkündete ein Glockenschlag das Ende des Arbeitstages. Nun kehrten die Leute in das Arbeiterdorf zurück, um, wie Kalmár schrieb, „zu backen, zu kochen, zu essen, zu tanzen und zu schlafen“.742 Viel ist nicht über die dortigen Lebensverhältnisse bekannt. Jedenfalls war das Dorf, dessen Häuser aus lokalem Material errichtet waren,743 offen zur Außenwelt. Die Arbeiter konnten sich frei bewegen, wie die Beschwerde des Zollbeamten Bötefür zeigt, der klagte, dass der Einfluss des „bunt zusammengewürfelten Faktoreipersonal[s]“ „auf das Stationspersonal dauernd schädlich“ wirke.744 Im Arbeiterdorf lebten (zumindest 1910) „Kongo-Leute, Monrovia’s und Jaunde’s zusammen“.745 Am Feierabend entspannten sich die Leute mit Musik und Tanz, knüpften und stärkten Freundschaften. Kalmár schrieb über seine Dampferbesatzung: „Sie sind sehr zufrieden, lachen gut gelaunt, plaudern andauernd und ohne Pause und bis spät in die Nacht summen sie ihre monotonen, sich wiederholenden Melodien.“746 Ein weiterer Bestandteil dieser Arbeiterkultur war – zum Ärger der Regierung – der Konsum von Haschisch, den die Bangala nach Südostkamerun mitbrachten und dort verbreiteten.747 Haschisch schuf rituelle Zusammengehörigkeit, entspannte und linderte Schmerzen.748 Die Bangala bauten deshalb Hanfpflanzen in Molundu im Arbeiterdorf der GSK neben ihren Häusern an.749 Nachdem die GSK 1906 eine größere Zahl Bangala am Bumba stationiert hatte, kultivierten diese die Pflanzen auch dort.750 Nach von der Osten sprachen auch Träger – und damit wahrscheinlich Vai– dem Haschisch zu.751 Sein Anbau und Konsum verbreitete sich durch die Bangala in der Region.752 Doch neben Gemeinschaftlichkeit und Solidarität in der GSK-Belegschaft gab es auch Rivalitäten und Konflikte – etwa zwischen den Arbeitergruppen. Koch erlebte 1910 einen blutigen Streit zwischen den Bangala und den Jaunde-Leuten: „Ich habe 5 Bangallas mit Hieben bestraft. Ist ein freches Volk.“753 Petersen erzählte von einem Streit zwischen Vai und Bangala im Arbeiterdorf von Molundu mit

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MFM KJh 17 Kalmár an Károly, 02.02.1908. Petersen 1936, 71. ANY FA 1/559, 13. BArch R 1001/5913, 252. Vor 1910 sah die Zusammensetzung entsprechend dem beschränkten Zugang zu Arbeitskräften anders aus. MFM KJh 2 Kalmár 1913a, 32. Vgl. Herlyn 1912a, 884. Vgl. Koch 1913a, 267; Haberer 1911, 2386. Zum Haschischkonsum von Transportarbeitern in Ostafrika vgl. Rockel 2006, 146 ff. Zum Haschischkonsum im Kongogebiet vgl. Cremer 2004, 41–44. Vgl. BArch R 1001/5913, 226. Vgl. Haberer 1910. Vgl. MGF N von der Osten Osten o. J., 10. Vgl. Koch 1913a, 267, 283; S Storck N Koch Koch o. J.a, 1. S Storck N Koch Tagebuch 1, 45.

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vielen Verletzten. Die Bangala schlugen mit Paddeln und Speeren nach ihren Kontrahenten, die wiederum Macheten benutzten. Hütten gingen in Flammen auf.754 Gründe für Konflikte nennen die Quellen leider nicht. Auch innerhalb der ethnisch kategorisierten Arbeitergruppen gab es Konflikte. Sie konnten dazu führen, dass die Arbeiter ihren Kollegen die Solidarität verweigerten. Die Vai etwa waren sehr heterogen zusammengesetzt. Bisweilen gab es sogar Kommunikationsprobleme innerhalb dieser Gruppen. Kochs Träger sprachen, wenn sie am Feuer saßen, vermutlich auf Pidgin über ihre unterschiedlichen Heimatländer – und, so Koch, „auch diejenigen“ hörten zu, „welche nicht verstanden“.755 In einer Erzählung beschrieb Koch, wie seine Vai-Karawane auseinanderbrach, da einige Arbeiter fürchteten, im unbewohnten Regenwald zu sterben. Bruchlinien wurden erkennbar: Zwölf Mende-Träger standen unter ihrem Headman Ama zum Karawanenführer, sechs Bassa waren unter ihrem Sprecher Jandegbame unsicher über ihr Tun und 18 eigentliche Vai waren entschlossen, zu desertieren.756 In dieser Krisensituation erfolgte die Mobilisierung also über ethnische Zugehörigkeit und die Headmen. Gemeinsame Aktionen und Entscheidungen entstanden letztlich dort, wo die Leute sich am besten kannten und verstanden. Die Kontrolle der Arbeiterschaft: Organisation und Disziplinierung Auch die Kontrolle der GSK über ihre Beschäftigten war beschränkt. Die Quellen, die alle von Europäern stammen, täuschen: Nur Trägerinnen und Träger, die Europäer begleiteten, festangestellte Arbeiter, die auf den mit Europäern besetzten Faktoreien und Posten arbeiteten, oder Bangala-Dampferbesatzungen wurden direkt von Europäern beaufsichtigt. Wer in den regelmäßigen Karawanen oder auf Kanus arbeitete, also ein großer Teil der Arbeiterschaft, unterstand dieser Aufsicht nicht. Selbst die den Faktoreien zugeteilten Arbeiter verkehrten zwischen den Einkaufsposten und Depots, ohne dass Europäer sie kontrollierten. Überwachung und Disziplinierung war vor allem Aufgabe afrikanischer Vorarbeiter, die als Intermediäre zwischen den Arbeitskräften und europäischen bzw. afrikanischen Angestellten vermittelten. Diese Intermediäre tauchen in den Quellen nach westafrikanischer Tradition als Headmen oder nach kongostaatlicher als „capitas“ auf.757 Vor allem Arbeitsmigranten des westafrikanischen Arbeitsmarktes waren Headmen unterstellt. Doch die GSK übertrug das System auch auf die lokal rekrutierten Zwangsarbeiter. 1906 unterstanden 50 von der Regierung gepresste

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Vgl. Petersen 1936, 135. Koch 1923, 24. Vgl. Koch 1922, 10. Vgl. BArch R 1001/3443, 156.

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Bumbum-Träger sechs einheimischen, ebenfalls zwangsrekrutierten Headmen.758 Der Begriff Capita stammte aus dem Portugiesischen (capitão – Kapitän, oder capataz – Vorarbeiter). Er bezog sich bei der GSK vor allem auf die Bangala aus dem Kongo. In der Forschung herrscht ein verengter Blick auf die Capitas vor, der sie auf ihre Rolle als brutale Büttel der Kolonialmacht und der Konzessionsgesellschaften im Kongostaat reduziert, die in den Dörfern die Kautschukquoten durchsetzten.759 Ihre unternehmerische und arbeitsorganisatorische Bedeutung ist aus dem Blick geraten. Bei den Bakongo am Unteren Kongo aber wurden die Karawanenführer als Capitas bezeichnet,760 im Kasai-Gebiet afrikanische Händler.761 In den Unterlagen der GSK ist diese Vieldeutigkeit, die dem Begriff des Headman gleicht, fassbar: Je nach Kontext bezeichnete Capita einen Vorarbeiter, einen Händler oder ein Familienoberhaupt.762 Capitas bzw. Headmen waren bei der GSK Karawanenführer, Steuermänner oder Aufseher der Kanu- und Dampferbesatzungen.763 Ihre Hauptaufgabe war, dafür zu sorgen, dass Arbeitsaufträge der europäischen Agenten oder afrikanischen Clerks durchgeführt wurden. Dazu gehörte, ihre Leute zu disziplinieren. Von Stetten etwa berichtete, zwei desertierte, aber wieder eingefangene Arbeiter seien „vom Headmann […] vorschriftsmäßig durchgehauen“ worden.764 Bei Fehlverhalten ihrer Leute, das sie nicht gestoppt oder gar zu verantworten hatten, wurden Headmen schwer bestraft.765 Capitas und Headmen erhielten ihre Stellung auf verschiedene Art und Weise. Einige hatten selbst die ihnen unterstellten Männer engagiert – etwa der bereits erwähnte Lagos-Headman Mbada.766 Andere Headmen wiederum wurden von den Europäern ernannt und Arbeitskräfte ihnen untergeordnet. Koch berichtete vom Vai-Headman Ama (eigentlich ein Mende), der unter seinen Leuten nicht als richtiger Headman galt, weil er keinen Vertrag an der liberianischen Küste erhalten hatte.767 Oftmals waren ernannten Headmen nicht nur Männer aus der eigenen ethnischen Gruppe oder Herkunftsregion zugeordnet, sondern ihre Mannschaft war bunt zusammengewürfelt. Ein Schüler der presbyterianischen Mission in Elat

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Vgl. BArch R 175-I/128, 12–16. Vgl. Gann/Duignan 1979a, 131 f.; Nelson 1994, 107 f. Samarin 1989a, 121. Vos schreibt „capata“. Vos 2015, 43. Vgl. Vansina 2010, 88. Vgl. AGR CCCI 1682 Stetten: Bericht Nr. 20, 09.03.1911; AGR CCCI 1682 Stetten: Bericht Nr. 16, 14.01.1911; AGR CCCI 1682 Stetten: Bericht Nr. 8, o.D. Vgl. Petersen 1936, 47, 136; Zippelius 1927b, 101. AFS 344 Tagebuch, 13.12.1906. Vgl. BArch R 1001/3443, 156. Vgl. AGR CCCI 1682 Bericht Nr. 16, 14.01.1911. Vgl. BArch R 175-I/206, 59. Vgl. auch Koch 1923, 23. Koch 1922, 10.

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reiste nach seinem Abschluss nach Molundu, arbeitete zuerst für die Regierung und dann für die GSK „as headman over a gang of a dozen or more carpenters gathered from many parts of the country“.768 Als Vermittler im Umgang mit Europäern beherrschten die Headmen/Capitas nicht nur die gebräuchlichen Verkehrssprachen wie Pidgin oder Bangala, sondern hatten manchmal auch europäische Bildung. GSK-Agent Theodor Wieland etwa ließ sich in weinseliger Stimmung von seinem Headman die Weihnachtsgeschichte erzählen.769 Obwohl Überwachung und Disziplinierung den Headmen oblag, mussten Arbeiter und Arbeiterinnen, die im direkten Kontakt mit Europäern standen, damit rechnen, auch von diesen gewaltsam diszipliniert zu werden. 1901 stellte von Stein fest, dass die GSK-Agenten ihre Arbeiter bestraften, obwohl die Strafgewalt allein der Regierung oblag. Von Stein erkannte aber, dass in einem Gebiet, wo der Staat fast nirgends präsent und wochenlange Märsche entfernt war, ein staatliches Strafmonopol illusorisch war. Er schlug deshalb vor, bestimmten GSK-Agenten Strafbefugnisse zu überlassen, um die Willkürlichkeit einzuschränken.770 Dies wurde jedoch nicht genehmigt, sodass wie in allen Gebieten Kameruns ein Wildwuchs an privater Disziplinierungsgewalt gegen fest engagierte Arbeiter herrschte. Bei der gewaltsamen Bestrafung ging es nicht allein darum, Fehlverhalten zu sanktionieren, sondern um rassistische Ideen von Hierarchie und Respekt, den sich ein Agent durch Gewalt verschaffen zu müssen glaubte. Als Beispiel mögen die Ausführungen Kalmárs dienen, der einem Freund darlegte, wie er mit Arbeitern umging, die sich angeblich krank stellten, um die Arbeit zu verweigern. Um diese, so Kalmár, kümmere er sich „persönlich“: Einige von ihnen kann man schon mit ein-zwei Ohrfeigen heilen, andere sind bockiger und stecken keinen Pflock zurück. Jene bekommen dann eine Portion „Magnesium sulfuricum“, damit ihnen für Monate die Lust vergeht, krank zu spielen. Bei einigen ist das letzte Mittel die Peitsche, die einzige Medizin. Doch das ist dann ein wirkungsvolles Mittel; sogar den leibhaftigen Teufel treibt es dem faulen Neger aus.771

Nicht nur Arbeiter bekamen die Gewalt zu spüren. Kalmár gestand seinem Freund auch, dass er Afrikaner auf seinen Reisen „nicht gerade mit Samthandschuhen anfasse“: „Wenn es sein muss, schlage ich sie auf den Kopf, aber nur fest drauf los, oder dorthin, wo der Rücken eines Menschen seinen anständigen Namen verliert.“

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Vgl. Presbyterian Church in the United States of America 1912, 105. Vgl. Wieland 24.12.1905. Vgl. BArch R 1001/3228, 70. MFM KJh 17 Kalmár an Károly, 02.02.1908.

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Dies, so Kalmár, sei „überhaupt keine schöne Sache“, aber mit „wahrhaftigen Kannibalen“ könne man nicht anders verfahren.772 Es ging folglich hierbei auch um eine mit Gewalt durchgesetzte rassistische Hierarchie. Gewalt konnte jedoch ebenfalls Europäer treffen. Kalmár hatte den europäischen Angestellten Breunig wegen einer Beleidigung „windelweich durchgeprügelt“.773 Generell aber war Gewalt – vor allem gegenüber den wertvollen Arbeitern! – nicht im Interesse der GSK. Sie wurde selbst von der Führung praktiziert, aber auch problematisiert und von Zeit zu Zeit eingehegt. Innerhalb des Unternehmens gab es Diskussionen darüber, wann wie viel Gewalt statthaft sei und wann kontraproduktiv. In einem Vorschlag zur Reorganisation der Firma hieß es, eine gute Behandlung der Arbeiter sei wichtig, um genügend zu bekommen. Übergriffe durch europäische Angestellte galten als Problem: „Wir haben eine ganze Anzahl Europäer, die uns in dieser Hinsicht schon sehr geschadet haben.“774 Dem Gouvernement, das ebenfalls auf eine gute Behandlung vor allem der von ihm gelieferten Zwangsarbeiter drängte, wollte die GSK zeigen, dass sie Übergriffe ihres europäischen Personals ahndete. Ihren Agenten Sommer, der „grobe Ausschreitungen begangen“ hatte, meldete die Firma dem Bezirksgericht Duala, Agent Wehlmann, der „sich gewohnheitsmäßig roh und gewalttätig gegen Farbige“ benahm, wurde entlassen.775 Doch wie in allen europäischen Unternehmen in Kamerun verschwand die Gewalt auch bei der GSK nie aus den Arbeitsbeziehungen. Aber obwohl Gewalt zum Alltag gehörte, waren nicht alle GSK-Agenten brutale, stereotype Kolonialherren. Von Stetten fragte vielmehr: „Was thun wir hier mit den Leuten, die Angst haben, die nicht den Mut haben, mit den Eingeborenen zu verhandeln, Träger anzuwerben, nicht einmal ein scharfes Wort oder einen nachdrücklichen Befehl an die schwarzen Arbeiter richten können? Und solche Leute haben wir viele.“776 Eine Gewalttätigkeit gegenüber den eigenen Arbeitern oder der Bevölkerung, die massenhaften Mord einschloss, wie dies im Kongo der Fall war, ging von der GSK höchstwahrscheinlich nicht aus. Hiergegen spricht etwa, dass mit A. Wolf ein GSK-Mann ein Massaker der Schutztruppensoldaten an der Bevölkerung und die Verstümmelung der Leichen anzeigte.777 Hinweise darauf, dass auch GSK-Agenten Gräueltaten verübten, gibt es zwar.778 Sie waren aber keinesfalls so systematisch wie im Kongo und dürften nicht häufiger gewesen sein als bei den Angestellten der Küstenfirmen.

772 773 774 775 776 777 778

Alle Zitate: MFM KJh 17 Kalmár an Károly, 02.02.1908. AGR CCCI 1683 Kalmár an Semler, 26.01.1911. AFS 416 Stetten: Vorschläge, o.D. [1909]. BArch R 175-I/205, 134. AFS 415 Stetten an Stetten-Buchenbach, 01.11.1906. Vgl. BArch R 1001/3447, 152. Vgl. BArch R 1001/4290, 7.

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Die GSK-Agenten gingen unterschiedlich und ambivalent mit der afrikanischen Bevölkerung um. Einige, wie z. B. Kalmár, gewöhnten sich einen brutalen Umgang an, sprachen aber gleichzeitig afrikanische Sprachen.779 Ein Agent namens Funk, der mit 17 Jahren nach Kamerun kam und die GSK-Verpflegungsstation in Jukaduma leitete, lernte nicht nur die dortige Sprache, sondern beteiligte sich auch an der lokalen Politik nach deren Regeln. Als er einen Konflikt zwischen zwei Familiengruppen geschlichtet hatte, nahm er an einem Tanz Teil, der die Versöhnung besiegeln sollte. Darauf erhielt Funk von einem Familienoberhaupt einen Elefantenzahn als Geschenk, weil „er so schön getanzt hatte“.780 Wie ihre Kollegen an der Batanga-Küste hatten die meisten GSK-Agenten sexuelle Beziehungen zu afrikanischen Frauen,781 für die sie Brautgaben in europäischen Waren entrichteten. Eine solche Verbindung war mit großem Prestige verbunden: „Die Mohreneltern sehen es gern“, berichtete Kalmár, wenn ihre Töchter zu den europäischen Siedlungen ziehen und die schwarzen Fräulein sind ihren weißen Verehrern nicht abgeneigt, die sie mit schönen Textilien, Kinkerlitzchen und anderen Geschenken überhäufen. Wenn ein Europäer das Verhältnis lösen möchte, schickt er das Mädchen einfach in Begleitung eines schönen Geschenkes zu den Eltern zurück, die in einem solchen Fall mühelos einen legitimen Käufer unter den jungen Negern für ihre Tochter finden.782

Kalmár selbst war 1911 mit einer Batanga-Frau namens Josefa zusammen.783 Die Natur solcher Beziehungen ist schwer zu bewerten. In einigen Fällen dürften auch Frauen diese genutzt haben. Koch etwa, 1910/11 Stationschef von Molundu und später GSK-Inspektor, war mit einer Frau namens Aude zusammen, die sich „Frau Governor“ nennen ließ.784 Als Otto Arndt Ende Dezember 1903 nach drei Jahren im Dienst der GSK in Ndungi starb, vermachte er seiner aus Bundirri stammenden Frau Tande „1. grüngestrichenen Blechkoffer 2. sämtliche Weiberstoffe, welche ich ihr während meines Zusammenlebens mit ihr geschenkt habe. 3. einen Baarbestand von M 120.-.“785 Auch die Beziehung der Agenten zu den Arbeitern war manchmal durch Ignoranz und Ablehnung geprägt, wie sich etwa in dem bereits angeführten, rücksichtslosen Marsch Nickels durch die tote Zone zeigte, bei dem ein Arbeiter verhungerte.

779 780 781 782 783 784 785

Vgl. MFM KJh 17 Kalmár an Károly, 02.02.1908. Mac Lean 1938, 24. Vgl. S Storck N Koch Tagebuch 1, 17.05.1910, 24.02.1911, 05.03.1911. MFM KJh 3 Kalmár 1918, 325. Vgl. S Storck N Koch Tagebuch 1, 24.02.1911. S Storck N Koch Tagebuch 1, 01.12.1910. HHStAW 469/33 Nr. 7587 Arndt, Otto, 2.

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Andere wiederum pflegten nach eigenen Angaben gute Beziehungen zu ihren Leuten. Ohne die Gewalt der Arbeitsverhältnisse und den auch hinter der Vertragsarbeit steckenden Druck und Zwang zu verschweigen, beschreibt etwa Koch das Alltagsleben seiner Karawane. Als sich eines Tages auf dem Marsch kein Waser auftreiben ließ, schickte er Leute aus, die keines fanden und sich im Wald verliefen. Am nächsten Morgen fand sich ganz in der Nähe eine Quelle: Die Leute tranken und lachten und verspotteten die Wassersucher; die antworteten halb entrüstet, halb verlegen, hoh, kennt ihr nicht die Geister des Waldes? Seht, hier wohnen keine Menschen, sondern nur die Seelen Verstorbener; und sie haben ihre Wasserstelle verzaubert! Vielleicht ist es so, meinten die anderen; einer machte einen zotenhaften Witz, und alle lachten. Der Jäger […] verstand die Weysprache nicht und fragte nach dem Grund der Fröhlichkeit. Das fanden die anderen komisch und lachten sich gegenseitig in heitere, fast ausgelassene Stimmung. So kamen sie rascher vorwärts als sonst und konnten schon kurz nach Mittag Lager beziehen […].786

Desertierte Träger ließ Koch im Übrigen trotzdem mit Hieben bestraften.787 Verhandlungsmacht und kollektive Aktionen Trotz der teils gewalttätigen Disziplinierung durch europäische Agenten und Headmen besaßen die Arbeiter – vor allem die fest engagierten, migrantischen Arbeiter – eine große Verhandlungsmacht gegenüber der GSK. Sie kannten die Fragilität des GSK-Betriebes. Immer wieder legten Arbeiter die GSK auf verschiedene Weise lahm. Streiks waren eine Möglichkeit von Arbeitergruppen, sich gegen als ungerecht empfundene Behandlung oder Aufgaben zu wehren, die nicht den Verträgen, Vereinbarungen oder dem Gewohnheitsrecht entsprachen. Immer wieder weigerten sich GSK-Arbeiter kollektiv, die ihnen zugedachten Arbeiten zu übernehmen. 1907 erklärten einige neu angekommene Vai, dass sie nicht daran dächten, für die GSK Kautschuk zu transportieren. „Ils prétendent être recruté seulement à [unleserlich] travaux de plantation“, klagte die GSK. Die Arbeiter hatten also genaue Vorstellungen, für was sie rekrutiert worden waren, und weigerten sich, etwas anderes zu tun. Einige dieser Vai legten jegliche Arbeit nieder, andere verlegten sich auf einen Bummelstreik: „A ceux qui marchent, il faut à peu près le double du temps d’autrefois.“ Nach Angaben der GSK-Agenten vertrauten die Arbeiter auf den Schutz der Regierung: „Ces gens-là, sachant trop bien que le Gouvernement veille à ce qu’ils

786 Koch 1922, 24. 787 Vgl. Koch 1922, 24 f.

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soient bien traités, essayent de nous marcher sur le pied. L’affaire est arrivée à un point tel que Mon. Méternach a prié le Gouvernement d’intervenir.“788 Die GSK wusste sich gegen die Macht ihrer Arbeiter nicht anders zu helfen. Diese wussten genau, womit sie der GSK Probleme machen konnten: Wenn Waren nicht oder nur spät ihren Bestimmungsort erreichten, kostete dies viel Geld – und die GSK hatte keine Möglichkeit, die Streikenden zu ersetzen. Auch die Desertion, der Vertragsbruch, war eine Form des Protests, die kollektiv oder einzeln durchgeführt wurde. Für die GSK war diese besonders ärgerlich, weil sie nicht nur den Verlust von Arbeitskraft bedeutete, sondern weil auch die Auslagen für Anwerbung und Passage der Arbeitsmigranten damit verloren waren. Die Desertion richtete sich etwa gegen Aufgaben, die zu übernehmen die Arbeiter nicht bereit waren. Einige Bangala, die 1910 in den Karawanen der GSK arbeiten sollten, obwohl sie professionelle Flussschiffer waren, empfanden dies als Bruch zuvor getroffener Verabredungen und fühlten sich nicht mehr an diese gebunden: „Die Leute sind […]“, hieß es in einem Regierungsbericht, „da sie Trägerdienste nicht leisten wollen und auch nicht dazu taugen, auf französische Seite desertiert.“789 Ebenso desertierten Arbeiter, wenn sie gezwungen waren, dauerhaft gefährliche Arbeiten zu leisten. 1908 hatte die GSK große Probleme, ihre westafrikanischen Arbeiter bei der Stange zu halten. Diejenigen, die Karawanenarbeit in der toten Zone zu leisten hatten, stimmten mit den Füßen ab. „Scharenweise“, klagte von Stetten, „desertieren uns auf dem Marsch von Molundu hierher nach Ngato die Leute nach franz. Kongo unter Mitnahme ihrer Lasten“.790 Desertionen konnten sich auch gegen ungerechte oder brutale Behandlung richten. Wenn die Arbeiter sich aus dem Staub machten, bereitete dies große Probleme. Hierfür hatten Arbeiter, die den GSK-Betrieb gut kannten, ein feines Gespür. Eine Bangala-Besatzung sorgte 1908 dafür, dass der GSK-Dampfer Böke und sein Kapitän, Hillmann, für einige Zeit im unbewohnten Regenwald verschwunden blieben. „Der Führer des Dampfers hatte seine Leute zu schlecht behandelt und deshalb desertierten alle Leute im tiefen Busch.“791 Ohne die Bangala-Mannschaft saßen der Kapitän und sein Schiff inmitten der toten Zone fest. Durch solche kollektiven Aktionen zwangen die Arbeiter die GSK, einen gewissen Mindeststandard im Umgang mit ihnen einzuhalten, und gestalteten die Arbeitsverhältnisse mit.

788 Beide Zitate: AGR CCCI 1683 GSK an Direktorium, 30.09.1907, 05.01.1908. 789 BArch R 1001/5913, 252. 790 WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 24.08.1908, 65. Stetten meinte, dies sei erst seit 2 Monaten der Fall – was offensichtlich nicht stimmt. Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 24.08.1908, 66. 791 Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 11.08.1908, 61. Zu Hillmann als Dampferführer vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 20.05.1907, 45.

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Die Möglichkeit, zu desertieren, gab es nur, weil die GSK in einem Umfeld arbeitete, wo für die Arbeitsmigranten Alternativen bereitstanden. Flucht bedeutete, dass sie Gefahr liefen, getötet oder versklavt zu werden. Doch in Sangha-Ngoko gab es – vor allem direkt am Fluss – immer die Möglichkeit, für die französische Konkurrenz oder den französischen Staat zu arbeiten, die wie auch die GSK und die deutsche Regierung nie genug Arbeitskräfte hatten und jeden einstellten, der zu ihnen kam.792 Aus diesem Grund beschäftigten alle Europäer Arbeiter, die bereits eine bewegte Karriere hinter sich hatten – etwa den Fang-Clerk Ungua oder den Lagos-Headman Mbada.793 Andere schlossen sich zu neuen Gemeinschaften wie dem Dorf Bokamonene zusammen, auf das später zurückzukommen ist. Diese Abhängigkeit war schmerzhaft für die GSK, denn sie führte dazu, dass sie Zugeständnisse machen musste. Eine Episode, die Petersen anekdotisch zugespitzt überliefert, zeigt deutlich die Macht der Arbeiter und wie alle Versuche der GSK, diese zu brechen, scheiterten: Um die Vai mit Reis zu versorgen, den diese aus ihrer Heimat gewohnt waren, importierte die GSK große Mengen davon. Doch dies verursachte hohe Kosten. Außerdem war die Versorgung Molundus infolge logistischer Probleme schwierig. Sobald ein Dampfer ausblieb, herrschte „Hungersnot“ in Molundu.794 Der GSK-Direktor, wahrscheinlich Kalmár, versuchte, beide Probleme zu lösen, indem er Reis in Molundu anbauen ließ.795 Nach der Ernte sollten die Vai-Arbeiter den Reis schälen. Doch diese verweigerten die zusätzliche, nicht vereinbarte Arbeit und forderten, weiterhin mit dem importierten, geschälten Reis ernährt zu werden. Daraufhin wurde Kalmár wütend und beschloss, die liberianischen Träger zu ersetzen. Bei Hausa-Händlern in Bertua ließ er probeweise 100 Esel beschaffen. Der Käufer schickte seine Esel bepackt nach den Buschfaktoreien. Aber ach, als die Eselskarawane von dem ersten großen Handelszug zurückkam, fehlte der vierte Teil der kleinen vierbeinigen Träger, und als sie zum zweiten Male abrücken sollten, standen weitere zwanzig Esel mit hängenden Ohren da und waren weder mit Schlägen noch mit guten Worten zu bewegen, sich in Marsch zu setzen.796

Die Esel wurden Opfer der Tsetse-Fliege, die den Einsatz von Transporttieren unmöglich machte. Von Stetten sollte sich 1905 in Jukaduma um 50 Esel kümmern. In einem Brief an seinen Vetter beschwerte er sich bitter über die undankbare

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Vgl. u. a. BArch R 175-I/65, 204; BArch R 175-I/205, 171. Vgl. Kap. 3.3 und weiter unten. Petersen 1933b, 284. Zum Reisanbau vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 27.04.1908, 37. Petersen 1933b, 286. Vgl. auch RKA 1911b, 308.

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Aufgabe, die todkranken Tiere zu hüten.797 Schließlich starb auch der letzte Esel – „es war eine Katastrophe für den Weißen und ein Triumph für die lastentragenden Schwarzen aus Liberia“,798 kommentierte Petersen. Weiterhin blieben Träger in Sangha-Ngoko die wichtigste Form des Transportes. Beschwerden von Arbeitern bei Regierungen Ein Weg, Interessen durchzusetzen, der nicht jedem offenstand, waren offizielle Beschwerden. Bylls Anschuldigungen gegen die GSK waren kein Einzelfall. GSKArbeiter, die auf dem westafrikanischen Arbeitsmarkt angeworben worden waren, klagten mehr oder weniger erfolgreich ihre Rechte ein. Sie standen in einer Tradition von westafrikanischen Arbeitsmigranten, die europäische diplomatische und koloniale Institutionen nutzten, um sich über ihre Arbeitgeber zu beschweren.799 Teilweise führten erst diese lautstarken Klagen westafrikanischer Arbeitsmigranten dazu, dass koloniale Staaten diplomatische Vertretungen in fremden Kolonien einrichteten.800 Diese waren ein scharfes Schwert im Kampf der Arbeiter um ihre Rechte. 1908 sorgte die Idee der liberianischen Regierung, ein Konsulat an der Batanga-Küste einzurichten, für Entsetzen im Reichskolonialamt (RKA), „da viele liberianische Arbeiter in Kamerun seien und ‚also‘ ein Konsulat weder nötig noch angenehm sei“,801 wie sich ein Beamter ausdrückte. Für die Arbeiter der GSK besonders bedeutend war das in Boma situierte britische Konsulat im Kongostaat. Unter Roger Casement spielte es eine große Rolle im Kampf gegen die Gräueltaten im Kongo.802 Das Konsulat war 1892 gegründet worden, da sich die Beschwerden von britischen Untertanen aus Lagos, Sierra Leone und der Gold Coast häuften, die unter anderem beim Bau der Kongobahn arbeiteten.803 Da die GSK den Kongo als Sub-Arbeiterreservoir für Arbeitskräfte aus ebendiesen Gebieten nutzte, mussten diese Männer nicht erst in ihre Heimat zurückkehren, um sich über die GSK zu beschweren, sondern wandten sich an den britischen Konsul in Boma. Mehrfach sandte dieser die Beschwerden afrikanischer Arbeiter nach Kamerun. Das Konsulat korrespondierte direkt mit der GSK, aber auch mit der Regierungsstation Molundu und mit dem deutschen Gouvernement in Buea.804

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Vgl. AFS 415 Stetten an Stetten-Buchenbach, 25.09.1905. Petersen 1933b, 286. Vgl. Michels 2009, 64; Fyfe 1962, 504 f.; BArch R 1001/3192, 23. Vgl. Cookey 1965, 264 ff. PAAA RAV Monrovia 22 Schüler an Freytag, 11.08.1908. Vgl. u. a. Hochschild 2012; Pavlakis 2016. Vgl. Cookey 1965, 264 f. Vgl. BArch R 175-I/206, 18 f.; BArch R 175-I/206, 48.

Arbeitermacht: Streiks, Beschwerden und neue Gemeinschaften

Die bedeutendsten Gründe für Beschwerden waren finanzieller Art, ähnlich der von Byll. Offenbar pflegte die GSK einen laxen Umgang mit den finanziellen Verpflichtungen, die sie gegenüber ihren Arbeitern einging. Wenn sie Byll und die anderen Togo-Arbeiter in der Währung des Kongostaates bezahlte, obwohl im Vertrag explizit eine Vergütung in Mark oder Pfund festgeschrieben war, wurde sie vertragsbrüchig. 1904 beschwerte sich Edward A. Ghartey aus Accra, der 1901 als Clerk bei GSK angeheuert hatte, in Boma darüber, dass die GSK ihm zuerst 3 und nachher nochmals 5 Prozent vom Lohn abgezogen hatte. Dies rechtfertigte die GSK damit, dass sie dies bei einer Lohnzahlung in Bargeld immer tue, da die Beschaffung von Bargeld in Afrika mit erheblichen Kosten einhergehe.805 Ghartey beschwerte sich wohl letztlich zu Unrecht wegen Nichtauszahlung seines Lohnes. Nach Angaben der GSK hatte er sogar über 300 Mark Schulden, wurde wegen Diebstahl verklagt und saß eine Zeitlang im Gefängnis.806 Dennoch hatte seine Beschwerde und deren Weiterleitung an die Station Molundu, die sie ans Gouvernement reichte, Folgen. Die Kameruner Regierung teilte der GSK klipp und klar mit, dass Lohnabzüge unzulässig seien.807 Ghartey erhielt den Fehlbetrag von 19,02 Mark erstattet.808 Auch der bereits erwähnte, aus Lagos stammende Mbada beschwerte sich 1906 darüber, dass die GSK ihm noch Geld schulde: angeblich über 136 Pfund! Zudem behauptete er, es habe Zwangsrekrutierungen der von ihm geführten Arbeiter in die Schutztruppe gegeben, er sei verhaftet und einige afrikanische GSK-Arbeiter seien erschossen worden.809 Die Beschuldigten, Stationschef von Stein und GSK-Chef Kalmár, erklärten, dass Mbada lüge, sich 1903 auf französisches Gebiet aus dem Staub gemacht und dort für die Konkurrenz gearbeitet habe. Geld schulde ihm das Unternehmen auch nicht mehr, vielmehr habe er Verluste gemacht.810 Ob die Möglichkeit zur Beschwerde auch den Vai offenstand, die die größte Zahl ausländischer Arbeiter der GSK stellten, bleibt unklar. Beschwerden finden sich in den ausgewerteten Akten nur für Männer, die in Form des britischen Konsuls oder des deutschen Gouverneurs von Togo eine Macht hinter sich hatten, die vom Kameruner Gouvernement für satisfaktionsfähig gehalten wurde. Möglicherweise genossen britische oder deutsche Untertanen mit Zugang zu Behörden größeren Schutz, während Arbeiter aus Liberia auf sich allein gestellt waren.

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Vgl. BArch R 175-I/206, 17. Vgl. BArch R 175-I/206, 18. Vgl. BArch R 175-I/206, 24. Vgl. BArch R 175-I/206, 26. Vgl. BArch R 175-I/206, 54 f.; BArch R 175-I/206, 59. Vgl. BArch R 175-I/206, 71 ff.

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Offener Widerstand: Das Maroon-Dorf Bokamonene Wer sich nicht an offizielle Behörden um Hilfe wenden konnte oder wollte, dem blieb die Desertion, um sich gegen als ungerecht empfundene Arbeitsbedingungen zur Wehr zu setzen. Im Grenzgebiet zwischen Kamerun und Französisch-Kongo, beide gekennzeichnet durch schwache Staatlichkeit und mehr oder minder mächtige Konzessionsunternehmen, bot es sich nicht bloß an, zu desertieren und den Arbeitgeber zu wechseln, sondern auch fern der Heimat neue Gemeinschaften zu gründen. Das bedeutendste Beispiel einer solchen Gemeinschaft desertierter Arbeiter ist das Dorf Bokamonene. Als Zufluchtsort vor allem von Vai-Arbeitern und -Soldaten hatte es stets eine schwierige Beziehung zu den Europäern in Molundu. 1905 aber eskalierte sie, als einer seiner Bewohner den GSK-Agenten Ernst Kundenreich tötete. Kaeselitz und andere interpretieren die Tötung Kundenreichs als antikolonialen „Widerstand […] des Ortes Bokamonene“.811 Fraglich ist jedoch, wer wogegen Widerstand leistete. Die Forschung ignoriert, dass in Bokamonene nicht nur die lokale, kolonial unterworfene Bevölkerung lebte, sondern vor allem junge Männer aus den Gebieten des westafrikanischen Arbeitsmarktes. Der historischen Realität kommt Hoffmann näher, wenn er das Dorf als Beispiel einer „gegen die Fremdbestimmung gerichteten, gesellschaftsübergreifenden Bewegung“ begreift.812 Tatsächlich erlaubt Bokamonene einen seltenen Einblick in die Handlungsspielräume, die Gedankenwelt und den Widerstand von westafrikanischen Arbeitsmigranten. Bokamonene, am Bumba, ca. 30 Kilometer nördlich von Molundu gelegen, war ein Zufluchtsort für die Gestrandeten und die Unzufriedenen, die der koloniale Kapitalismus an fremde, feindliche Orte verschlagen hatte. Bokamonene war ein Bangala-Begriff und bedeutete „großes Dorf “.813 Seine 1000 Einwohner waren einerseits Ndsimu (Lissel), Kunabembe, Bombassa und Missangha, andererseits aber „Bangala vom Kongo, auch Deserteure vom Senegal und Monrovia“.814 Auch war es erheblich größer als die benachbarten Dörfer, die selten mehr als 100 Einwohner hatten.815 Kautschukhandel, Kolonialismus, westafrikanischer Arbeitsmarkt und die Entstehung von Bokamonene waren eng miteinander verknüpft.816 Zumindest ein Teil der Dorfbewohner war vor dem kolonialen Arbeitsregime der Kaufleute, Beamten und Militärs auf deutscher und französischer Seite geflüchtet. In Bokamonene schufen sie zusammen eine neue Gemeinschaft mit eigenen

811 812 813 814 815 816

Kaeselitz 1968, 46. Vgl. Zouya Mimbang 2013, 126; Hoffmann 2007, Bd. 1, 154 f. Hoffmann 2007, Bd. 1, 154. BArch R 1001/4289, 95; Koch 1913a, 275. BArch R 1001/4289, 95. Vgl. auch Koch 1913a, 275. Vgl. Koch 1913a, 286–304. Vgl. Koch 1913a, 275.

Arbeitermacht: Streiks, Beschwerden und neue Gemeinschaften

Regeln, analog etwa zu den karibischen Piraten oder den Maroons, die ebenfalls Sammelbecken für Menschen waren, die Kapitalismus und Kolonialismus dorthin befördert hatten, wo sie sie brauchen konnten.817 Die Maroons von Sangha-Ngoko schufen eine Gemeinschaft, die sich von den sozialen Strukturen ihrer Nachbarn unterschied. Scheunemann beschrieb Bokamonene als „ein Staatswesen eigentümlichster Art“, dessen Einwohner eine „Art Republik“ bildeten.818 Über ihre innere Gliederung, die Rechte der Einzelnen oder die Form der Entscheidungsfindung ist wenig überliefert. Bekannt ist nur, dass sie ähnlich ihren Nachbarn 20 Banjo-Chefs unterstellt waren.819 Deren Macht war möglicherweise nicht besonders groß, denn nach Koch wollten sie „keinerlei Zwang anerkennen“.820 Geschickt nutzten die Bokamonene-Leute „die unglücklichen Grenzverhältnisse, die Eigenart der Lage und die unzureichende militärische Macht der Molundu Station“ für ihre Zwecke821 und flohen notfalls auf die andere Seite der Grenze. Sie handelten mit der GSK, begingen aber auch Überfälle.822 Spannungen mit der Regierung bestanden deshalb nach Scheunemann seit längerer Zeit: Die Bokamonene-Leute waren der Schrecken der ganzen Umgegend. Sie bildeten für Karawanen und selbst für die Molundu-Station eine ständige, ernste Gefahr. Irgendwelche Anordnungen der Regierung wurden seit Jahren einfach verlacht. Soldaten die das Dorf passierten, wurden die Ausrüstungsstücke vom Leib gerissen. Dem Stationschef von Molundu ließen die Bokamonene’s verschiedentlich sagen: „man warte nur auf den Krieg, man sei bereit und werde ihn totschlagen wie einen Hund.“823

Dieses selbstbewusste Auftreten zeugte davon, wie sehr die Bokamonene-Leute die europäische Ordnung und ihre Symbole – Soldaten, Uniformen, Karawanen – verachteten. Bokamonene war eine Provokation für die Europäer. Da die Bokamonene-Leute sich der GSK und den deutschen Behörden nicht unterwarfen und zu einem großen Teil Arbeiter und Soldaten waren, die sich den Arbeitsbedingungen, ungerechter Behandlung oder einer als ungerecht empfundenen Bestrafung durch ihre Arbeitgeber entzogen hatten, galt das Dorf den Europäern als „Verbrechernest“ und seine Bewohnerinnen und Bewohner als „Raubgesindel“.824 Dass die Zahl der

817 818 819 820 821 822 823 824

Vgl. Linebaugh/Rediker 2008. BArch R 1001/4289, 95. Vgl. BArch R 1001/4289, 96; Scheunemann 1925, 130. Koch 1913a, 275. BArch R 1001/4289, 95. Vgl. BArch R 1001/3447, 93. BArch R 1001/4289, 96. Petersen 1936, 84; Koch 1913a, 275.

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Einwohner, die früher in deutschen oder französischen Diensten gestanden hatten, groß gewesen sein muss, zeigt Scheunemanns Hinweis, dass es im Dorf 300 „professionsmäßige Krieger“ gegeben habe.825 Dies war ungefähr ein Drittel der Einwohnerschaft und damit überproportional viel. Ein solches Dorf voller Migranten, die sich den Arbeitsverhältnissen der kolonialen Kautschukwirtschaft entzogen hatten, war kein Einzelfall.826 Zur selben Zeit existierte im französischen Ntum-Gebiet ein weiteres Südkameruner MaroonDorf, wo liberianische Arbeiter und desertierte Soldaten „eine kleine Republik“ gegründet hatten,827 und ebenso in Madong auf dem Weg zwischen Lolodorf und Jaunde. Dort lebten Menschen aus „der Republik Liberia, die unter dem Namen Kruboys an der ganzen Westküste von Afrika arbeiten […]. Wenn so ein Arbeiter irgend etwas verbrochen hat und die Strafe dafür fürchtet, so rückt er aus, wohin er eben kann. Und so sollen solche Flüchtlinge sich hier angesiedelt haben.“828 Während in Bokamonene ehemalige Wanderarbeiter der GSK sowie Soldaten der deutschen und französischen Regierung lebten, siedelten in Madong und dem Dorf im Ntum-Gebiet Migranten, die sich der Trägerarbeit für die Batanga-Firmen aus unterschiedlichsten Gründen entzogen hatten. Auf diese Weise brachte der Kautschukhandel in beiden Regionen analoge Strukturen hervor. Der Missionar Haarpaintner nannte Madong ebenfalls ein „Verbrecherdorf “.829 Bokamonene war keine isolierte Siedlung von Flüchtlingen, die sich gegen die benachbarte Bevölkerung hätte wehren müssen. Die Angst der Wanderarbeiter vor Versklavung hielt zwar viele Migranten in ihren Arbeitsverhältnissen. Doch die Bokamonene-Leute lebten mit lokalen Familien zusammen. Auch Madong und wahrscheinlich ebenso das dritte Maroon-Dorf waren Gemeinschaften mit Menschen aus der Region.830 In Bokamonene knüpften die Flüchtlinge ein enges Netzwerk mit ihren Nachbarn, etwa mit Biu, dem Missangha-Familienoberhaupt von Molundu, den Nguttu-, Mungungu- und Ngato-Leuten. Feindschaft hingegen herrschte mit den Bangandu.831 Der Gewalttat, die zum Ende des Dorfes Bokamonene führen sollte, gingen Spannungen zwischen den mit den BanganduFamilienoberhäuptern verbündeten Deutschen und dem Allianznetzwerk von Bokamonene voraus: Ende 1904 verhaftete Preuss Biu und 50 seiner Leute, weil dieser sich geweigert hatte, Nahrungsmittel ohne Bezahlung an die Soldaten zu liefern. Letztere nahmen den Bewohnern Elfenbein, Schafe, Ziegen, Hühner und

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BArch R 1001/4289, 96. Für eine ähnliche Entwicklung auf Fernando Po vgl. Sundiata 1975. BArch R 1001/4291, 121. Haarpaintner 1907, 115. Haarpaintner 1911, 168. Vgl. Haarpaintner 1911, 168. Vgl. BArch R 175-I/205, 67.

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Kanus, die Frauen der Station plünderten den Rest. Hiernach verstreute sich das Dorf Molundu vorrübergehend, woraufhin die GSK in ernste Schwierigkeiten geriet. Elfenbeinhandel und Lebensmittelversorgung brachen zusammen. Durch den fehlenden Einfluss Bius, vermeldete das Unternehmen, wurden die Straßen – etwa nach Nguttu und Bokamonene – unsicherer.832 Anfang November 1904 beschwerte sich der stellvertretende GSK-Direktor Schulze, dass die Bokamonene-Leute afrikanische Angestellte und Arbeiter der GSK ermordeten. Der Vai Tulla wurde bei Tschimbuli na may getötet und angeblich gegessen.833 Wenige Wochen später, am 21. November 1904, erschossen Unbekannte den „bei Eingeborenen und Weißen gleich unbeliebten“ GSK-Agenten Ernst Kundenreich.834 Kundenreich arbeitete mindestens seit 1903 für die GSK und war 1904 Faktoreileiter von Nginda.835 Er war auf der Straße von Molundu nach Norden überfallen worden, während die meisten seiner Arbeiter entkamen.836 Die Täter waren anfangs unbekannt. Später galt ein Mann namens Mazappa, möglicherweise ein früherer GSK-Arbeiter vom Oubangui, als Schuldiger.837 Der Hintergrund dieser Tat ist unklar. Aus den vorhandenen Quellen lässt sich nicht herauslesen, ob es sich um einen persönlichen Konflikt zwischen Mazappa und Kundenreich handelte, oder ob die Tötung politische Hintergründe hatte. Unwahrscheinlich ist, dass es sich bei dem Mord um einen gezielten Widerstandsakt gegen die Kolonisierung handelte, wie Zouya Mimbang und Kaeselitz meinen. Auch wenn die BokamoneneLeute sich explizit gegen die kolonialen Akteure wandten, profitierten sie doch von ihrer Anwesenheit und den neuen Grenzregimen. Naheliegender ist, dass Kundenreich sich wie bereits andernorts auch in Bokamonene unbeliebt gemacht hatte und deshalb Mazappa – oder wer auch immer der Täter war – beschloss, ihn zu beseitigen.838 Obwohl die Tötung Kundenreichs wahrscheinlich nicht politisch war, ereignete sie sich in einem Kontext, in dem die europäischen Akteure äußerst nervös waren. Der Tod eines anderen GSK-Agenten und die anschließende Militäraktion lagen erst ein Jahr zurück. Am oberen Nyong spitzte sich der Konflikt zwischen GSK, Maka und Batanga-Händlern zu. Zeitgleich mit Kundenreichs Tod glaubten die

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Vgl. BArch R 1001/3447, 89 f.; BArch R 1001/3447, 91 f. Vgl. BArch R 175-I/205, 59. Vgl. BArch R 175-I/65, 206; BArch R 175-I/205, 60. Vgl. AFS 415 GSK-Direktoriumssitzung, 05.02.1903. Scheunemann nennt Kundenreich irrtümlicherweise Faktoreichef von Bokamonene. Vgl. BArch R 1001/5446, 104; BArch R 1001/4289, 96. 836 Vgl. BArch R 1001/4289, 95; BArch R 1001/5446, 104. 837 Vgl. BArch R 1001/4289, 99; Petersen 1936, 87. 838 Zu Kundenreichs Rolle in Bidjum vgl. Kap. 4.1.

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europäischen GSK-Agenten in Jukaduma, sie würden ebenfalls umgebracht.839 Auch die Verwaltung hielt die Lage für prekär. Als Scheunemann beim Dorf Ngato in einen Hinterhalt geriet und mehrere Soldaten getötet wurden, urteilte er: „Bei etwas mehr Initiative [der Ngato-Leute – T. Oe.] wäre das Schicksal meiner kleinen Abteilung besiegelt gewesen und damit auch wahrscheinlich dasjenige der G.S.K. in Molundu und Umgegend.“840 Es war diese Stimmung, in der die GSK um Bestrafung der Bokamonene-Leute für den Tod Kundenreichs bat. Scheunemann verhandelte mit den Anführern des Dorfes. Diese weigerten sich jedoch, sich zu unterwerfen. In Abstimmung mit der GSK-Führung entschloss sich Scheunemann deshalb, das Dorf anzugreifen, das er am 4. Februar 1905 zerstörte. Dabei kamen 25 Bokamonene-Leute und drei Soldaten ums Leben. In den Militäraktionen der nächsten Wochen starben noch einmal mindestens 49 Menschen.841 Auch wenn Scheunemann Bokamonene zerstörte, war es doch nicht das Ende der damit verbundenen Ideen – wie auch immer sie genau aussahen. Zum einen siedelten sich Überlebende bald auf französischem Gebiet an.842 Von dort aus bereiteten sie weiterhin Probleme für GSK und französische wie deutsche Verwaltung.843 Anfang 1911 etwa fielen Männer, die sich selbst als Bokamonene-Leute bezeichneten, in den Ngato-Busch ein.844 Außerdem gab es auch nach dem Ende von Bokamonene in Sangha-Ngoko Bewegungen von desertierten Soldaten und Arbeitern. Ob sie mit Bokamonene identisch waren, bleibt unklar. Jedenfalls operierte 1905 von französischem Gebiet aus eine Gruppe von Deserteuren der Schutz- und der Polizeitruppe aus Kribi, Ebolowa, Campo und Sangha-Ngoko sowie früherer Arbeiter und Angestellter der Handelsfirmen. Beständig versuchten sie, weitere Soldaten und Arbeiter für ihre Sache zu werben. Scheunemann schrieb: „Diese Bande steht in fortgesetztem, theilweise brieflichem Verkehr (in der Monroviasprache) mit Soldaten der Stationen und den Monrovia-Arbeitern der Gesellschaft Süd-Kamerun und versucht unausgesetzt, ihre hier dienenden Landsleute herüberzulocken.“845 Folglich nutzten die Männer die von den Vai Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte Schrift als Agitationsmittel.846 Der Anführer der Gruppe war ein „Senegalese“, ein früherer Händler der Firma Karl Maaß, der anschließend in französischen Diensten gewesen war und später auch für die GSK gearbeitet hatte. Sein Name bleibt unbekannt. Der größte Teil der Mitglieder dieser Gruppe bestand aus Vai. Aber auch

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Vgl. BArch R 1001/3448, 146 f. BArch R 175-I/205, 50. Vgl. BArch R 1001/4289, 97. Zum Gefechtsverlauf vgl. BArch R 1001/4289, 99. Vgl. BArch R 1001/4290, 25. Vgl. Robineau 1967, 307. Vgl. Koch 1913a, 275; S Storck N Koch Tagebuch 1, 27.02.1911. BArch R 1001/4291, 255. Zur Vai-Schrift vgl. u. a. Holsoe 1967, 50 ff.; Klingenheben 1933.

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Lagos-Leute waren darunter. Im Dienst der französischen Konzessionsgesellschaft La Ngoko machte die Gruppe Jagd auf Händler der deutschen Küstenfirmen, die über die Grenze in das Gebiet des Unternehmens eindrangen.847 So plünderten sie Anfang 1905 den Kaufmann Brattström von der Bremer Westafrika-Gesellschaft aus und nahmen ihn gefangen.848 Zum anderen beflügelten Bokamonene und die Tötung Kundenreichs die Phantasie in Molundu. Noch 2016 war das freiheitsliebende Bokamonene voller Ausländer ein wichtiger Erinnerungsort für die Menschen der Region.849 Viele einflussreiche Familien an Bumba und Djah leiten heute ihre Herkunft von Bokamonene her.850 Auch die Europäer in Molundu schmückten die Geschichte mit den Jahren immer weiter aus. Eine große Rolle spielte das Motiv des Kannibalismus. Koch meinte, in den Ruinen des Dorfes einen Backofen gefunden zu haben, in den ein ganzer Mensch hineingelegt werden konnte.851 Auch Scheunemann fügte in seinen Erinnerungen derartige Elemente hinzu: Die Bokamonene-Leute hätten Kundenreich „ermordet, geschlachtet und gefressen. Sein Kopf wanderte geräuchert als Kriegsmedizin im Lande umher.“852 Petersen, der all die Geschichten aufsaugte, die in der GSK kursierten, erklärte, Bokamonene-Leute hätten zur angeblichen Sekte der Leopardenmenschen („Man-Tiger“) gehört, die für den Mord an Kundenreich verantwortlich gewesen seien.853 Karren, Esel und Kanus: Alternativen zur Trägerarbeit Mehrfach versuchte die GSK, ihre Abhängigkeit von teuren ausländischen Trägern wie von gepressten oder ad hoc rekrutierten lokalen Arbeiterinnen und Arbeitern

847 Vgl. BArch R 1001/4291, 254; BArch R 1001/4289, 119. Namentlich bekannte Mitglieder der Gruppe waren Sergeant Soppe (Polizeitruppe in Sangha-Ngoko, degradiert wegen Feigheit vor dem Feind, bestraft mit 2 Jahren Gefängnis), Unteroffizier Sandi (Polizeitruppe, bestraft wegen Marodierens mit Gefängnis), Gefreiter Anjedilla (Schutztruppe Ebolowa), Monrovia-Soldat Mbala III (Januar 1905 zu Franzosen desertiert). Vgl. BArch R 1001/4291, 256; BArch R 1001/4391, 254. 848 Vgl. BArch R 1001/4289, 152 ff.; BArch R 1001/4289, 154 f. 849 Vgl. Interview mit Mossa Dikou Raphael, Moloundou, 20.01.2016. 850 Vgl. Joiris 1998, passim. Joiris’ Interviewpartner bringen die Zerstörung Bokamonenes mit dem Ersten Weltkrieg zusammen. Vgl. Joiris 1998, 251. 851 Vgl. Koch 1923, 220 f. Möglicherweise handelte es sich um Figuren, die bei verschiedenen Südkameruner Kulten angelegt wurden. Vgl. die Darstellung in Tessmann 1913, Bd. 2, 71–90. 852 Scheunemann 1925, 129. 853 Vgl. Petersen 1936, 84. An gleicher Stelle schreibt Petersen auch von Kämpfen zwischen den VaiArbeitern und den Leopardenmenschen von Bokamonene. Ob es sich tatsächlich um Konflikte innerhalb verschiedener Gruppen der liberianischen GSK-Arbeiter handelte oder um eine Phantasie des Autors, ist nicht zu entscheiden. Zum transnationalen Phänomen der Man-Leopard-Murders vgl. Pratten 2007.

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zu verringern. Das Unternehmen experimentierte mit verschiedenen Möglichkeiten, Karawanenträger zu ersetzen – durch Tiere, Technik und Infrastruktur. Die meisten Versuche scheiterten – etwa die Idee, Kautschuk auf Karren zu transportieren. Hierfür mussten zuerst geeignete Straßen geschaffen werden. Ab 1903 baute die GSK unter Aufsicht des Agenten Arntzen einen 35 Kilometer langen fahrbaren Karrenweg inklusive Brücken von Molundu nach Bokamonene.854 Als Scheunemann anrückte, um das Dorf zu zerstören, entfernten die Bokamonene-Leute die Nägel aus den Brücken, um sie zu zerstören.855 Nachdem die Schutztruppe Bokamonene niedergebrannt hatte, war der 50.000 Mark teure Karrenweg sinnlos geworden.856 Daraufhin gab die Firma die Idee offenbar auf. Auch der Versuch, Träger durch Esel zu ersetzen, scheiterte. Ähnlichen Erfolg hatten Versuche mit Ochsen.857 Dass die GSK mindestens 1905, 1907 und 1908 versuchte, Esel zu nutzen, ohne ein anderes Ergebnis zu erzielen, zeigt Ausmaß und Dringlichkeit des Arbeiterproblems sowie die Hilflosigkeit der GSK.858 Erfolgreicher war die GSK darin, doch noch die Flüsse Südostkameruns schiffbar zu machen und so teilweise Träger einzusparen. Abgesehen vom Verkehr auf dem unteren Djah gelang ihr dies erst in späteren Jahren unter erheblichem technischem und personellem Aufwand. Um dem drückenden Arbeitermangel in der Nordzone abzuhelfen, ließ die GSK 1904 (nach dem Öffnen der Überlandverbindung) von Kribi aus einen in Einzelteile zerlegten Dampfer hunderte Kilometer durch den Regenwald bis Onanabessa am Nyong schaffen.859 Der Schutztruppenoffizier Paul Königs beobachtete, wie die Arbeiter der GSK die Gouverneur von Puttkamer durch den Wald schafften: „Die Stahlteile des Dampfers wurden auf niedrigen Karren befördert, Zugkarren mit mächtigen Deichseln als Lenker. Ein Mann genügte zur Bedienung. Zwanzig oder dreißig Neger zogen die Last mit einem langen Tau, das vorn am Karren festgemacht war.“860 Nach der Schiffstaufe im Dezember 1904 erforschten von Schlippenbach und der 21-jährige Agent Hans von Reppert, ehemaliger Seemann, zusammen mit von Stein den Nyong und machten ihn schiffbar. Mit Dynamit sprengten sie Felsen und Baumstämme, sie machten jedoch auch vor

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Vgl. BArch R 1001/3445, 45 f.; Petersen 1936, 75; BArch R 1001/3447, 156. Vgl. BArch R 175-I/205, 61; BArch R 1001/4289, 97. Vgl. BArch R 175-I/432, 9. Vgl. Petersen 1936, 75. Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Ramsay, 29.10.1907, 15; AGR CCCI 1683 GSK an Direktorium, 14.08.1908. 859 Vgl. Geschiere 1982, 136; Berthold 1912, 329; Petersen 1936, 174. 860 Königs 1943, 67 f. Zum Namen vgl. BArch N 2231/2 Schlippenbach an Puttkamer, 09.12.1904, o.S.

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den Fischfangeinrichtungen der Maka nicht halt und trugen so maßgeblich zu dem Gewaltausbruch bei, der ab 1905 die Nyong-Region erschüttern sollte.861 Auf den Böke, einen Nebenfluss des Bumba tief im Herzen der toten Zone, setzte die GSK 1905 einen Dampfer, um die Versorgung von Ngato und dem Ndsimu-Gebiet zu vereinfachen.862 Die Schiffbarmachung dieses Regenwaldflusses dauerte Jahre und war eine gewaltige Arbeit, versperrte doch eine große Zahl umgestürzter Bäume die Fahrrinne. „Dicke Baumstämme im Wasser mußten mit Äxten und Sägen beseitigt werden“, bemerkte von Stetten und lobte anerkennend die Leistung der Arbeiter, die dem Dampfer den Weg bahnten. „Mit den Sägen wurde oft unter Wasser gearbeitet. Nur zum Atmen kamen die Leute an die Oberfläche.“863 Schließlich fuhr Ende 1907 der Dampfer Böke zwischen Tinidy und Mongungu. Der Abtransport von Kautschuk aus den Faktoreien Ngato, Kul, Besam, Lomie, Assobam und Tinidy konnte dadurch verbessert werden, da nun deutlich weniger Träger notwendig waren.864 Doch noch immer war die GSK von ihren afrikanischen Arbeitern abhängig – diesmal vom Dampferpersonal. Wie bereits beschrieben, war 1908 der Dampfer eine Zeitlang verschwunden, da Kapitän Hillmann die Besatzung schlecht behandelt hatte. Diese floh in den Wald und Hillmann saß mitsamt seinem Dampfer in der toten Zone fest.865 Im Oktober 1908 schließlich sank das Schiff sogar – und diesmal wusste niemand, wo das Wrack lag, da die GSK-Leitung den einzigen, der seinen Standort kannte, fristlos entließ.866 Ab 1906 versuchte die GSK den Fluss Bumba als Wasserstraße nach Norden parallel zur Jukaduma-Route zu nutzen. Obwohl Molundu direkt an der Mündung des Bumba in den Djah lag, war der breite Fluss, auf dem bald Schnellen die Schifffahrt unmöglich machten, lange Zeit kaum erforscht. Noch 1906 starb der GSK-Agent

861 Vgl. Kaeselitz 1968, 46; BArch R 1001/4291, 120. Vgl. Königs 1943, 72 f. Ein Foto von Repperts von der Beseitigung einer Maka-Flusssperre findet sich auf S. 80. Zu Reppert vgl. Königs 1943, 72; BArch R 1001/3451, 17; BArch R 1001/4289, 140; StAH Hamburger Passagierlisten, 19.09.1904. 862 Vgl. BArch R 175-I/65, 217; AGR CCCI 1683 GSK an Direktorium, 15.11.1907, 11.12.1907; MfN, HBSB Zool. Mus., S III, Stetten, Richard Freiherr von. Stetten: Wasser- und Höhenverhältnisse, 10.05.1911. 863 WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 20.05.1907, 45. Die Erforschung des Böke dauerte von 1904 bis 1907. Vgl. AGR CCCI 1682 Grundeigentum und Plantagen (Konzessions-Konto), 31.12.1909. 864 Vgl. AGR CCCI 1683 GSK an Direktorium, 15.11.1907, 11.12.1907; MGF N von der Osten. Wenig an Osten, 07.12.1907. 865 Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 11.08.1908, 61. 866 Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 29.10.1908, 11; AGR CCCI 1683 GSK an Direktorium, 08.03.1909. Es ist unklar, ob die GSK den Schiffsverkehr danach wieder aufnahm. Obwohl der Böke als unrettbar verloren galt, findet er sich 1909 noch in einer Aufstellung über die Dampfer der GSK. Der Fluss wurde auch weiter gereinigt. Vgl. AGR CCCI 1683 GSK an Direktorium, 08.03.1909; AGR CCCI 1682 Dampfer und Flussmaterial in Afrika, 31.12.1909; AGR CCCI 1683 GSK an Direktorium, 03.01.1909.

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Gehrling bei dem Versuch, seinen genauen Verlauf zu erkunden.867 Sein Nachfolger Hörning hatte mehr Erfolg.868 Im folgenden Jahr richtete die GSK schrittweise einen Kanuverkehr auf dem Fluss ein.869 Der Einsatz von Geld, Material und Menschen unterstreicht, wie drängend das Problem des Trägermangels für die Firma war. Agent Petersen beschrieb die Zähmung des „mayi makassi“, das reißende Wasser, wie die Bangala den Fluss nannten,870 in seiner inoffiziellen GSK-Chronik: GSKAngestellte identifizierten schiffbare Abschnitte (Molundu-Gomedi, Mündung des Böke-Kumilla, Wasserfall-Mündung des Bange), die Bangala-Arbeiter mit im Kongo gefertigten Kanus befuhren.871 An den Endpunkten dieser Abschnitte ließ die GSK Depots errichten, jeweils mit Lagerhäusern, Schlafhütten für Träger und Ruderer, einem Wohnhaus für einen Clerk und einem Europäerhaus. Zwischen diesen Depots schlugen die Arbeiter Schneisen in den Wald. Auf diesen so verkürzten Strecken richtete das Unternehmen Trägerkarawanen ein, die das nächste Depot binnen eines Tages erreichen konnten. Nach Angaben Petersens ersetzten auf diese Weise 75 Bangala-Ruderer und 60 Träger 240 Karawanenarbeiter.872 Problemlos funktionierte der Verkehr auf dem Bumba allerdings nie. Häufig zerbrachen die teuren Holzkanus,873 ihre Ladung ging verloren und Menschen ertranken, wie z. B. 1908 der Headman Mba und zwei Jaunde-Arbeiter.874 Vor allem durch die mühsame und teure Nutzbarmachung der Wasserwege, der Wiederannäherung an das Modell einer Flussfirma, konnte die GSK sich ein wenig unabhängiger von ihren Karawanenarbeitern machen. Doch benötigten das große Faktoreinetz und ab 1907 die Produktionsstellen im Eigengebiet immer mehr Arbeiter, als die GSK zur Verfügung hatte.875 Teilweise konnte die GSK ihre Abhängigkeit verringern, die Verhandlungsmacht ihrer Arbeiter aber nicht brechen. Diese blieben zu wertvoll für das Unternehmen.

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Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 20.05.1907, 44. Vgl. BArch R 1001/3450, 145. Vgl. BArch R 1001/3451, 37; BArch R 1001/3898, 256. BArch R 1001/4375, 181. Vgl. Petersen 1936, 109 ff., 134; MfN, HBSB Zool. Mus., ZM S III, Stetten, Richard Freiherr von. Stetten: Wasser- und Höhenverhältnisse, 10.05.1911. Vgl. Petersen 1936, 134; BArch R 1001/3898, 256. Für eine Karte vgl. MFM KJh 23. Vgl. AGR CCCI 1682 Kalmar an Semler, 15.01.1910. Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Rother, 25.05.1908, 50. 1912 ließ Kalmár den BumbaTransport einstellen. Dies machte sein Nachfolger Pfützner direkt rückgängig. Vgl AGR CCCI 1682 GSK: Bericht Nr. 7, 22.10.1912. Vgl. Kap. 5.3.

Arbeitermacht: Streiks, Beschwerden und neue Gemeinschaften

Zwischenfazit Trotz staatlicher Unterstützung und der Zuführung von Zwangsarbeitern und -arbeiterinnen reichten die Arbeitskräfte der GSK nie aus. Das Unternehmen blieb abhängig von den professionellen Arbeitsmigranten, die wussten, welche Bedeutung sie besaßen. Gestützt auf ihre Unverzichtbarkeit, Professionalität, Mobilität und gemeinsame Arbeitskultur konnten Vai, Bangala, und Westafrikaner durch individuelle Vorstöße wie Beschwerden bei Regierungen, aber vor allem kollektive Aktionen wie Streiks und Massendesertionen das Unternehmen in seine Schranken weisen. Gerade das Beispiel Bokamonene und die beständige Gefahr, die von Gruppen desertierter Arbeiter im Grenzgebiet ausging, zeigen, dass die Konzessionsgesellschaft es mit einer militanten Arbeiterschaft zu tun hatte, die das Bestehende infrage stellte und neue, alternative Formen des Zusammenlebens ausprobierte. Die GSK konnte deshalb nicht mit ihren Arbeitern schalten und walten, wie sie wollte. In dem Fall musste sie damit rechnen, dass diese den Betrieb lahmlegen würden. Damit übten die Arbeitsmigranten einen erheblichen Einfluss auf den Arbeitsalltag aus. Obwohl die GSK massiv in Alternativen zur Trägerarbeit investierte, gelang es ihr nur teilweise, Karawanen zu ersetzen. Nie konnte sie sich bis zum Ersten Weltkrieg aus der Abhängigkeit von den Arbeitsmigranten für die Transportarbeit befreien. Diese Abhängigkeit machte das Unternehmen verwundbar, als es ab 1902 zunehmend in Konkurrenz mit den Firmen der Batanga-Küste stand.

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Konflikte und Reformen, 1902–1914

4.1 Trade back: Afrikanisierung des Handels, 1902–1907 Am 4. April 1905 betrat Carl Hinrichsen von der Bremer Westafrika-Gesellschaft, begleitet von einer großen Karawane und seinem Händler Bagalle, das Dorf Makamakoe. Hinrichsen arbeitete im Bane-Gebiet, hatte aber seit Ende 1904 sein Geschäft zunehmend nach Osten ausgedehnt – in die Region zwischen den Flüssen Djah und Nyong, die bereits im Konzessionsgebiet der GSK lag.1 Hinrichsen entsprach kaum dem Klischee des Batanga-Löwen: Er galt als „klein, schwächlich, schüchtern und ängstlich“.2 Nach Leutnant Jacob war er „für Afrika ganz ungeeignet“.3 Trotzdem war sein Verhalten „nicht einwandfrei, zum Mindesten aber sehr unvorsichtig“, wie Scheunemann urteilte,4 denn auch er beging Übergriffe gegen seine Handelspartner.5 Ab 1902 drangen Kaufleute wie Hinrichsen von der Küste kommend in den Ostteil der GSK-Konzession ein und praktizierten dort eine neue, auf trust-Krediten basierende Handelstechnik, die mit dem Pidgin-Begriff trade back bezeichnet wurde. Seitdem war die Region in Aufruhr.6 Afrikanische Subunternehmer, sogenannte tradebacks, waren nicht zimperlich, wenn sie ihre Kredite eintrieben. Die Wut auf die Kaufleute war deshalb groß, als Hinrichsen nach Makamakoe kam. Bereits mehrere afrikanische Händler und Arbeiter der Küstenfirmen waren in der Region getötet worden. Die Beamten Romberg und Jacob hatten Hinrichsen deshalb gewarnt, in das Gebiet zu ziehen. So angespannt war die Lage, dass Romberg dem Kaufmann verbot, ihn zu begleiten, denn er „wollte mit diesem Faktoristen und seinen Leuten, von denen ich nicht wissen konnte, was sie den Eingeborenen gegenüber auf dem Kerbholz hatten, nicht zusammen reisen.“7 Darüber, was in Makamakoe geschah, gibt es konkurrierende Versionen. Klar ist aber, dass Hinrichsens tradeback Bagalle seine zahlreichen Schuldner, die trust erhalten hatten, aufforderte, hierfür Kautschuk zu liefern. Hierzu erpresste er sie, wie das Familienoberhaupt Makosso aussagte:

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Vgl. BArch R 1001/3535, 64. Vgl. BArch R 1001/3535, 114. BArch R 175-I/966, 41. BArch R 175-I/67, 104. Vgl. BArch R 175-I/67, 104. Vgl. BArch R 1001/4380, 146 f.; BArch R 1001/4380, 149. BArch R 1001/8114, 167. Vgl. BArch R 175-I/966, 41.

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Konflikte und Reformen, 1902–1914

Ein Bewohner dieses Dorfes schuldete 6 Dollars (= 12 M in Waren) und gab Gummi im Werte von 5 Dollars. Später verlangte Bagalle den rückständigen Dollar, erhielt auch Gummi im gleichen Werte. Trotzdem verlangte er noch ein Schaf und drohte den Mann anzuzeigen, weil er gesagt habe, er habe nur Gummi im Werte von 5 Dollars, während er mehr Gummi hatte. Der Njemmann ließ sich herbei, auch noch ein Schaf zu zahlen. Bagalle nahm aber auch noch einen Jungen fest als Pfand für eine kleine Gummischuld […].8

Ein Handgemenge brach aus. Um Bagalle zu helfen, gab Hinrichsen einige Schreckschüsse ab. Der Bruder des Familienoberhauptes Ebolobingon aber legte auf Hinrichsen an und erschoss den Kaufmann. Nun töteten die Dorfbewohner auch Bagalle und Hinrichsens Träger. Anschließend zogen sie ins Dorf Massanga, wo sie Hinrichsens Faktorei plünderten. Die Bremer Westafrika-Gesellschaft verlor Waren und Produkte im Wert von 16.000 Mark.9 Die Tötung Hinrichsens, Bagalles und ihrer Karawane galt den Behörden als „Signal zum allgemeinen Aufstand“ in Südostkamerun.10 Von einem „Aufstand“ konnte aber keine Rede sein, da dieser eine etablierte Herrschaft voraussetzt, die in der Region nicht bestand.11 Stattdessen entwickelte sich ein Krieg zwischen Ndsimu, Badjoué (genannt Njem), Maka und anderen gegen die Kautschukfirmen und die Regierung. Letztere ging mit der sogenannten „Südexpedition“ 1905 bis 1907 militärisch gegen die Bevölkerung vor. Tausende Menschen starben. Zouya Mimbang, Florian Hoffmann und Kaeselitz interpretieren den Krieg als Widerstand gegen die Kolonialherrschaft in Form kapitalistischer Ausbeutung durch den Kautschukhandel, den GSK und Küstenfirmen in der Region vorantrieben.12 Auch Wirz erkennt in der Expansion der Küstenfirmen in das GSK-Gebiet und ihrem Konkurrenzkampf um Kautschuk den Grund für die Gewalt.13 Die dahinterliegenden ökonomischen Kräfte, kommerziellen Praktiken und Arbeitsbeziehungen sind jedoch unverstanden geblieben. Tatsächlich war die Konfrontation von Konzessionssystem und Freihandel auf demselben Territorium wohl einmalig in der Geschichte des Kautschukhandels in Afrika. Während Kongostaat und FranzösischÄquatorialafrika einseitig die Konzessionsunternehmen unterstützten, erlaubte die

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BArch R 1001/4291, 127. Vgl. BArch R 1001/3535, 68. BArch R 175-I/67, 104. Vgl. Hoffmann 2007, Bd. 1, 9–12. Vgl. Zouya Mimbang 2013, 124–136; Kaeselitz 1968, 46–54; Hoffmann 2007, Bd. 1, 354. Vgl. Wirz 1972, 138 f.

Trade back: Afrikanisierung des Handels, 1902–1907

deutsche Verwaltung eine Koexistenz von Freihandel und Konzession.14 Hierdurch war die Bevölkerung unterschiedlichen Formen des Kautschukhandels ausgesetzt, die mit jeweils anderen Mitteln ihre Arbeitskraft zu nutzen versuchten. Um die Gewalt in der Region zu verstehen, ist deshalb ein genauer Blick auf die Formen der Mobilisierung von Arbeit in der Kautschukwirtschaft nötig. Zentral für die konflikthafte Zuspitzung des Kautschukhandels war die neue trade back genannte Handelstechnik der Küstenfirmen. Sie umfasste verschiedene Methoden, die afrikanischen Akteuren und Krediten eine zentrale Bedeutung zumaßen. Schon zuvor hatten afrikanische Angestellte, Händler und Broker eine große Rolle beim Einkauf von Gummi gespielt. Nun aber setzten die Firmen auf eine gigantische Zahl afrikanischer Subunternehmer, die mit eigenen Arbeitskräften und europäischen Warenkrediten Kautschuk einkauften. Wirz hat trade back deshalb richtigerweise als „Nutzung afrikanischer unternehmerischer Initiative durch die europäischen Kaufleute“ beschrieben, die es ermöglichte, den Handel auch dorthin auszudehnen, wo er „für Europäer zu anstrengend, zu gefährlich und viel zu wenig ertragreich“ war.15 Die Forschung betont zudem ein konservatives Moment im trade back: Wirz sieht in ihm eine Fortsetzung vorkolonialer Handelspraktiken,16 Peter Geschiere vermutet, dass er durch Handelsgeschäfte mit Familienoberhäuptern die gerontokratische Ordnung stützte.17 Diese konservativen Tendenzen sollten aber nicht überschätzt werden. Zwar handelten tradebacks auch mit Familienoberhäuptern. Aber sie waren nicht „an die alte Ordnung gebunden“,18 wie Wirz meint. Vielmehr nutzten diese kolonialen Intermediäre Kautschukhandel und Kolonialherrschaft – und machten dazu auch vor Gewalt nicht Halt.19 Letztlich war trade back ein radikaler Bruch, eine qualitative Veränderung des Kautschukhandels. Indem die Firmen einen großen Teil des Handels sowie der Mobilisierung von Arbeitskräften an tausende Händler auslagerten, veränderte sich auch die Arbeit der Gummisucher sowie der Trägerinnen und Träger. Entscheidend war, dass nun alle Beteiligten – Händler, Karawanenarbeiterinnen und -arbeiter sowie Gummisucher – durch Schulden aneinandergebunden waren. Erst hierdurch entfaltete der Kautschukhandel sein volles Potential. Doch zu den Nebenerscheinungen dieser

14 Vgl. Coquery-Vidrovitch 1972, 227–230; Morel 1902. Jedoch kam es an den Rändern der Konzessionen zu Konkurrenzsituationen. Vgl. MAE-AA Statuts des Sociétés 1/SAB Delcommune an Cuvelier, 01.06.1899; MAE-AA Statuts des Sociétés 1/SAB Duyck an NN, 25.12.1898; Vos 2008. 15 Wirz 1972, 116 f. 16 Vgl. Wirz 1972, 117, 130. 17 Vgl. Geschiere 2005, 259; Geschiere 2007, 53. 18 Wirz 1972, 130. 19 Zu kolonialen Intermediären und ihren Möglichkeiten sich zu bereichern vgl. u. a. Moyd 2014; Glasman 2016; Lawrance/Osborn/Roberts 2006b; Mark-Thiesen 2012; Osborn 2003.

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Radikalisierung des Handels gehörte eine deutlich gesteigerte Gewalt im ohnehin brutalen Geschäft. Konzession oder Freihandel? GSK und Küstenfirmen in Konkurrenz Überraschend traf GSK-Agent Kalmár im November 1902 im Dorf Beman am Djah einen afrikanischen Händler der Firma Woermann. Adolph Mohr, der den Händler ins GSK-Konzessionsgebiet gesandt hatte, leitete seit 1900 das Geschäft der Firma im Bulu-Gebiet,20 das sich trotz des Bulu-Krieges um die Jahrhundertwende zur wichtigsten Kautschukregion für den Küstenhandel entwickelt hatte.21 Doch auch dort wanderte die Kautschukfrontier immer weiter nach Osten. 1902 hatte Mohr seine Faktorei bis Ndik an der Grenze zum GSK-Konzessionsgebiet vorgeschoben. Im Juli überschritt seine erste Karawane jene Grenze und im November schickte Mohr seine Händler bereits bis ins Operationsgebiet der GSK.22 Dass Mohr ausgerechnet für Adolph Woermann arbeitete, war besonders pikant, da der im GSK-Direktorium saß. Kalmár forderte Mohr auf, das Gebiet zu verlassen, da es Eigentum der GSK sei.23 Seinem Arbeitgeber berichtete er erschrocken über die hohen Preise, die Mohr für Kautschuk zahlte, und seine Ignoranz gegenüber den Methoden, mit denen dieser produziert wurde.24 Mit diesem Zwischenfall begann die brutale Konkurrenz zwischen Freihandel und Konzessionssystem. Bis dahin hatte die GSK-Leitung geglaubt, sich nicht um die Freihandelsfirmen sorgen zu müssen. Die vermeintlichen Garantien der Konzession sowie die Krise des Küstenhandels um 1900 wiegten sie in Sicherheit. Zu hohe Kosten und übergroßer Wettbewerb, so glaubte sie noch im Mai 1902, verhinderten dessen weitere Expansion.25 So sicher fühlte sich die GSK, dass sie den Westen ihrer Konzession, das Ndsimu-Gebiet am Djah-Bogen, vorerst nicht bearbeitete. Dabei hatte von Stein 1901 mitgeteilt, das Ndsimu-Gebiet sei das reichste an Elfenbein und Kautschuk, das er bisher gesehen habe, und verfüge über eine ausreichend große Bevölkerung, um diese Reichtümer zu nutzen.26 Doch die GSK erschloss zuerst den Norden. Das Ndsimu-Gebiet zu vernachlässigen,

20 Vgl. BArch R 1001/3421 Liste, Anfang 1902; Chamier-Glisczinski 1925, 102 f. (Kaufmann „M.“); Immigrant Ships Transcribers Guild o. J. Mohr arbeitete mindestens 1900–02 für Woermann. Vgl. ACW Bilanzen 1900–02. 21 Vgl. KA 1901, 81. 22 Vgl. BArch R 1001/3445 Mohr an GSK, 16.11.1902, o.S.; BArch R 1001/3445 Kalmár: Bericht, 10.11.1902, o.S. 23 Vgl. BArch R 1001/3445 Kalmár an Mohr, 14.11.1902, o.S. 24 Vgl. BArch R 1001/3445 Kalmár: Bericht, 10.11.1902, o.S. 25 Vgl. BArch R 1001/3455, 11. 26 Vgl. BArch R 1001/4378, 65.

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entpuppte sich als schwerwiegender Fehler. Schon Ende 1902 kamen Kaufleute und Händler der Küstenfirmen über das Bulu-Land von Süden in das Ndsimu-Gebiet. Auch von Norden, über Jaunde und Ngulemakong, drangen die Firmen ab 1903 in das Konzessionsgebiet ein, etablierten sich zwischen Nyong und Djah, im „Njem“,27 und stießen 1904 auch von dort ins Ndsimu-Gebiet vor.28 Die Küstenfirmen konnten nach Osten expandieren, weil sich erstens die Kautschukpreise erholt hatten.29 Zweitens senkte trade back ihre Kosten. Drittens blieb ihnen nichts anderes übrig, denn Kautschuk war außerhalb der GSK-Konzession kaum mehr vorhanden. Inhaber und Personal der Küstenfirmen hielten wenig von den Konzessionsgesellschaften, die Ende der 1890er überall im äquatorialen Afrika auftauchten. John Holt etwa bezeichnete sie als „white elephants“, die künstlich von guten Gummipreisen am Leben erhalten, aber keine langfristige Konkurrenz darstellen würden.30 Vor Ort in Südkamerun waren die Kaufleute weniger literarisch. Für sie bedeutete das Kürzel GSK „Geht Schnell Kaputt“.31 Seit Jahren war im Konzessionsgebiet der Küstenhandel spürbar gewesen. Bereits Ende Januar 1899 berichteten die Behörden, dieser dringe unaufhaltsam in das „Kongo-Gebiet“ vor.32 Plehn fand Ende 1899 im Besitz eines Bomome-Mannes ein Gewehr, das nachweislich von einer Firma der Batanga-Küste verkauft worden war.33 Von Stein konstatierte 1900 denn auch südlich des Djah bei den Njem eine recht bedeutende Ausfuhr nach der Süd-Kamerunküste. Perlen, Zeuge, Gewehre, Armringe pp. die mir aus meiner Lolodorftätigkeit wohlbekannt waren, fanden sich je weiter nach Westen immer mehr und fast in jedem Dorf waren Leute anzutreffen, die einen der Pangwedialekte [Bulu, Beti, Fang – T. Oe.] […] verstanden.34

27 Die Deutschen nannten die Bewohner Njem, während sie seit französischer Zeit als Badjoué bezeichnet werden. Später wurde ganz Sangha-Ngoko als „der Njem“ bezeichnet. Badjoué, Njem und Ndsimu sind einander kulturell sehr nahe. Vgl. Passarge/Rathjens 1920; Osman 1920, 101; Vallois 1950; Koch 1946. 28 Vgl. BArch R 1001/3818, 38–41. 29 Aufgrund der niedrigen Preise von 1901 kam 1902 weniger Kautschuk auf den Markt. Die Weltproduktion sank 1900–02 von 57.000 auf 54.000 t. Enttäuschte Erwartungen und größerer Bedarf führten ab Ende 1902 zu steigenden Preisen. Diese Tendenz setzte sich 1903 fort. Vgl. NN 1903c; Coates 1987, 137; Vaas 1921, 79. 30 BLO MSS. Afr. s 1525/19/4 Holt an Welsh, 02.01.1900. 31 AFS 415 Stetten an Stetten-Buchenbach, 01.11.1906. Hervorhebung im Original. 32 Vgl. BArch R 1001/4338, 81. 33 Vgl. BArch R 1001/4377, 16 f.; Schlechter 1900f, 175. 34 BArch R 1001/4377, 132. Auch im Nordwesten der Konzession bestanden 1901 Handelsverbindungen. Vgl. BArch R 1001/4378, 24.

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In einigen Teilen des Konzessionsgebietes kauften die Küstenfirmen über afrikanische Zwischenhändler folglich schon Kautschuk, bevor die GSK überhaupt dorthin vorgedrungen war. Die Verwaltung förderte die Expansion des Küstenhandels in das Konzessionsgebiet, indem sie Sangha-Ngoko mit dem restlichen Südbezirk verband. Im Mai 1901 zog von Stein nach Westen, erreichte Ngulemakong im Bane-Gebiet, kehrte aber wieder nach Sangha-Ngoko zurück.35 Im Februar 1902 kam die deutschfranzösische Grenzexpedition, die von der Küste gestartet war, zur Station am Ngoko.36 Mitte 1903 marschierte von Stein über Matulli, Akoafim, Ndik und Ngulemakong schließlich zum Meer.37 Philipp Engelhardt von der Grenzexpedition zog auf einer nördlichen Route durch das Maka-Gebiet nach Jaunde.38 Peter Scheunemann, der von Stein vertreten sollte, reiste Ende 1903 in entgegengesetzter Richtung nach Osten.39 Damit waren Küste und Sangha-Ngoko offiziell verbunden. Die Küstenfirmen beendeten das De-facto-Handelsmonopol der GSK. Nun wurde es erstmals nötig, zu klären, welche Rechte die Konzession ihr tatsächlich einräumte. Die Unternehmen, die ab 1904 als „Batanga-Firmen“ eine pressure group gegen die GSK bildeten,40 wollten nun wissen: Besaß die GSK ein Handelsmonopol? Wie konnte die GSK Land erwerben? Welche Konsequenzen hatte dies für europäische Wettbewerber und afrikanische Bevölkerung? Waren die toten Zonen, wo die Menschen ihren Kautschuk gewannen, „herrenlos“ und damit automatisch Eigentum der GSK? Die Konflikte der nächsten Jahre offenbarten unterschiedliche Vorstellungen darüber bei GSK und Verwaltung. Vor Ort wussten weder GSKAgenten noch Regierungsbeamte die Rechtslage zu deuten. Selbst von Stein war noch Ende 1905 unsicher, ob die GSK nicht doch ein Handelsmonopol haben könnte.41 Diese Rechtsunsicherheit heizte die Konkurrenz zwischen GSK und Küstenfirmen an. Die Batanga-Firmen bestanden darauf, dass auch im Konzessionsgebiet Handelsfreiheit herrsche. Sie verwiesen auf die Kongofreihandelszone, zu der Sangha-Ngoko gehörte, und auf ein Schreiben von Buchkas, der Lubcke und Randad & Stein 1899 mitgeteilt hatte: 35 Vgl. BArch R 1001/4378, 59–67. 36 Sie stellte fest, dass die Njem mit den Bulu handelten, aber noch nicht mit der GSK. Vgl. Hoesemann 1902b. 37 Vgl. BArch R 1001/4379, 211; BArch R 1001/4380, 18. 38 Vgl. ÜMB N Engelhardt Itinerar III, IV, V. 39 Vgl. BArch R 1001/4379, 309. 40 Es handelte sich um Randad & Stein, A. & L. Lubcke, Hamburg-Afrika-Gesellschaft und Bremer Westafrika-Gesellschaft. Woermann hingegen wehrte sich dagegen, die Interessen seiner Firma „mit denen der anderen ‚Batanga‘ Firmen auch nur in irgend einer Weise [zu] identifizieren“. BArch R 1001/3416, 31. Vgl. Hausen 1970, 243; Hieke 1941, 28. 41 Vgl. BArch R 1001/3450, 188 f.

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Befürchtungen, dass der Handel in der fraglichen Zone irgend eine Beschränkung seitens der konzessionierten Gesellschaft erfahren könnte, entbehren […] jeder Grundlage, vielmehr ist das Prinzip uneingeschränkter Handelsfreiheit für Jedermann in jeder Richtung nach wie vor gewährleistet.42

Kaufleute der Batanga-Firmen betraten deshalb ganz selbstverständlich das Konzessionsgebiet, um zu handeln.43 GSK-Agenten stoppten sie, verwiesen sie des Gebietes, beschlagnahmten den Gummi oder drohten ihnen gleich mit dem Gewehr.44 Die Kolonial-Abteilung stellte sich nicht offen gegen die GSK, verteidigte deren Rechte aber nicht. Nach von Buchkas Abgang hatte sich der Wind in Berlin gedreht: Sein Nachfolger Stuebel distanzierte sich von der Konzessionspolitik.45 Deutlich wird dies im Umgang mit den Landkäufen der GSK. Nach Ansicht der GSK durfte zumindest auf von ihr gekauftem Land niemand anderes handeln.46 Doch noch im Mai 1903 hatte die Regierung nicht einen einzigen Kauf genehmigt.47 Auch die Inbesitznahme angeblich „herrenlosen“ Landes, etwa der toten Zonen, erkannte die Regierung nicht an, da eine Bestätigung durch eine Landkommission fehle,48 obwohl es nach Wortlaut der Konzession reichte, wenn die GSK das Land aufsuchte und in Besitz nahm. Stuebel wollte die GSK nicht als Besitzer eines derart riesigen Landkomplexes sehen. Von Schlippenbach bekniete die Verwaltung, die Verträge anzuerkennen. Davon, so von Schlippenbach, hänge die Existenz der GSK ab.49 Aber bis November 1905, als die Regierung der GSK ein sogenanntes Eigengebiet zusprach,50 blieben die Landbesitzverhältnisse und damit die Frage, wer wo legitim handeln durfte, unklar. Deshalb setzten die Küstenfirmen alles daran, möglichst schnell viel Kautschuk in den Gebieten zu gewinnen, die ihnen vielleicht bald verschlossen sein würden. Als es darauf ankam, erwies sich die Konzession für die GSK als wertlos. Die Regierung hatte sie fallengelassen, sodass ab 1902 Freihandels-

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BArch R 1001/8114, 59. Vgl. BArch R 1001/3535, 24. Vgl. BArch R 1001/3535, 62; BArch R 1001/3449, 98. Vgl. Ballhaus 1968, 139. Ähnliches passierte ab 1905 auch in Französisch-Kongo. Vgl. CoqueryVidrovitch 1972, 233; Cookey 1966. Vgl. BArch R 1001/3445 Kalmár an Mohr, 14.11.1902, o.S. Vgl. BArch R 1001/3445 Lüdinghausen an Direktor, 01.10.1902, o.S.; BArch R 1001/3445, 22–27; BArch R 1001/3445, 85 f. Vgl. Ballhaus 1968, 147. Vgl. BArch R 1001/3445, 28. Vgl. Ballhaus 1968, 147 f.; Kap. 5.3.

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und Konzessionssystem brutal um Kautschuk und die Arbeitskraft der Bevölkerung konkurrierten.51 Das Ndsimu-Gebiet: Brennpunkt der Konkurrenz zwischen GSK und Küstenfirmen Zentrum des Konkurrenzkampfes zwischen GSK und Küstenfirmen war das Ndsimu-Gebiet zwischen oberem und unterem Djah. Es zerfiel in fünf Landschaften mit mehreren Dörfern, die jeweils von Familienoberhäuptern dominiert wurden: Kul, Tinidi, Lomie, Assobam und Bidjum/Bidja.52 Diese hatten bisher kaum Kontakt mit den Deutschen gehabt. Ihr Land lag 20 Tagemärsche entfernt von Molundu und der Station am Ngoko.53 Da sich die GSK auf die Nordroute konzentrierte, gab es noch Mitte 1902 im Ndsimu-Gebiet keinen Kautschukhandel. Die GSK kaufte dort einzig Elfenbein von Familienoberhäuptern, wie z. B. Kul.54 Dabei waren die Wälder die ertragreichsten Kautschukreviere Kameruns mit bis zu 1000 Funtumia-Exemplaren pro Quadratkilometer.55 Dieser Reichtum lockte die Batanga-Firmen an – und die GSK war nicht bereit, ihn der Konkurrenz zu überlassen. Weit weg von jeder Regierungsstation war der Handel dort dem freien Spiel der Kräfte überlassen. Ab Ende 1902 versuchten Küstenfirmen und Konzessionsgesellschaft fieberhaft, im Ndsimu-Gebiet Fuß zu fassen. Aufgeschreckt durch den Zusammenstoß Kalmárs mit Mohr, errichtete die GSK feste Faktoreien, von denen aus sie einen stationären Handel trieb: zuerst in Bidjum, dann 1903 in Lomie, Besam und Assobam.56 Die Küstenfirmen hingegen sandten Karawane um Karawane. In schneller Folge, so GSK-Agent Fritz Lange, der 1903 die Faktorei in Besam übernahm, erreichten sie das Gebiet: Bremer Westafrika-Gesellschaft, Hamburg-Afrika-Gesellschaft, Randad & Stein und Woermann. Fast jeden Tag traf eine Karawane in Besam ein. „Diese Firmen überschwemmten das ganze Gebiet wie die Ameisen“, klagte Lange. „In jedem Dorf setzten sich diverse Firmen mit einem ganzen Schwarm von Leuten fest.“57

51 Die GSK glich anderen territorial-privilegierten Kautschukunternehmen, wie z. B. Liberian Rubber Corporation oder Ivory Coast Rubber Estates, die ihre Rechte nicht durchsetzen konnten. Vgl. Munro 1981, 267–270. 52 Vgl. BArch R 175-I/88, 1. Zur Gesellschaftsstruktur der Ndsimu vgl. Graziani/Burnham 2005, 182 f. 53 Vgl. BArch R 1001/4380, 89. 54 Vgl. AFS 415 Schlippenbach, 27.04.1902. 55 Vgl. BArch R 1001/8114, 137. 56 Vgl. AFS 415 GSK-Direktoriumssitzung, 05.02.1903; BArch R 1001/4380, 85. 57 BArch R 1001/3448, 118.

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Wie die Batanga-Firmen vorgingen, lässt sich an der Ndsimu-Landschaft Assobam verdeutlichen. Bis Ende 1904 entwickelte sie sich zum Zentrum des Kautschukhandels in Sangha-Ngoko. Grund hierfür war die anstehende Lösung der Landfrage. Es war durchgesickert, dass GSK und Regierung darüber verhandelten, die tote Zone östlich von Assobam als Eigentum der GSK anzuerkennen.58 In der Folge schickten Randad & Stein, Bremer Westafrika-Gesellschaft und HamburgAfrika-Gesellschaft europäische Kaufleute nach Assobam. Dort sollten sie noch so viel Kautschuk kaufen wie möglich.59 Assobam war das mächtigste Ndsimu-Familienoberhaupt. Wahrscheinlich kontrollierte er ungefähr 6000 Menschen.60 Die Ndsimu erinnern Assobam als großen Hexer – ein Hinweis darauf, dass Zeitgenossen seinen Aufstieg kritisch sahen.61 Der Kautschukhändler Bernhard Lehning beschrieb Assobam als Gewaltherrscher: „Er behandelte seine Untertanen wie ein echter Tyrann, wer seinen Willen nicht tat, dem flog sein Speer in den Leib.“62 Assobam trat wahrscheinlich Anfang 1903 erstmals durch die GSK in Beziehungen mit Europäern.63 Nachdem GSK-Arbeiter in der Region getötet worden waren, nahm auch der stellvertretende Stationschef Preuss Kontakt mit ihm auf.64 Assobam wollte aber die Oberherrschaft der Deutschen nicht anerkennen. Nach einem Feldzug der Schutztruppe gegen die Ndsimu wurden Assobam und sein Nachbar Alaman 1904 Anführer der Unzufriedenen.65 Das Kautschukfieber im Assobam-Gebiet traf deshalb auf eine angespannte politische Lage. Zwei der Kaufleute, die Ende 1904 nach Assobam zogen, waren Walther Bartels von der Hamburg-Afrika-Gesellschaft und Bernhard Lehning von der Bremer Westafrika-Gesellschaft. Bartels kam 1902 mit 22 Jahren nach Südkamerun, wo er den 26-jährigen Lehning kennenlernte, der seit 1900 im Land war. Obwohl sie für unterschiedliche Firmen arbeiteten, zogen die beiden Freunde 1902 zusammen von Ebolowa nach Osten, um dort Gummi zu kaufen, und später weiter ins GSK-

58 Die GSK behauptete, von Stein habe die Küstenfirmen informiert, dieser, von Schlippenbach habe im Streit Randad & Steins Leuten davon erzählt. Vgl. BArch R 1001/3447, 119; BArch R 1001/3450, 203. 59 Vgl. BArch R 1001/3447, 119. 60 Vgl. BArch R 1001/3450, 14 f. 61 Interview mit Mopeho Gilbert und Mabia Jean Fontaine, Nzulabot, 30.01.2016. Zu Klientelismus bei den Ndsimu vgl. Graziani/Burnham 2005, 182 f. 62 SBB-PK Ms. germ. oct. 1355, 119. 63 Vgl. BArch R 1001/4380, 88. 64 Vgl. BArch R 1001/4380, 76–82. Zur lokalen Machtverteilung vgl. BArch R 1001/4380, 87. 65 Vgl. BArch R 1001/4289, 66.

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Konzessionsgebiet.66 Lehning erzählte Sauer später, wie er und Bartels im November 1904 nach Assobam zogen:67 Als wir mit unserer Karawane in das Hauptdorf des Assobam kamen, wollte jener mit uns keine Geschäfte machen und ließ uns sagen, wir sollten machen, daß wir weiter kämen, vorher aber ein gutes Geschenk geben. Da gingen wir Beiden, nachdem wir unsern Leuten befohlen hatten, sich am Dorfrande hinter ihren Lasten zu verschanzen und scharf Wache zu halten, mit einigen unserer besten Leute, die mit Gewehren versehen waren, zu dem Häuptling. Bei ihm ungehindert angelangt, hielten wir ihm unsere Revolver vor den Schädel und ließen ihm verdolmetschen, daß wir nicht eher von seinem Dorfe weiterzögen, bevor er seinen Leuten nicht erlaubt hätte, Handel mit uns zu treiben. Wolle er aber durchaus Krieg mit uns machen, so solle er gleich jetzt sterben, er sähe ja schon die kleinen Gewehre in unseren Händen.68

Dieses Vorgehen, so Lehning, imponierte Assobam. Er brachte Essen für die Karawane und erlaubte Handel für den nächsten Tag. Lehning und Bartels zeigten Assobam, dass sie keine Angst hatten: Nur mit einem Badetuch bekleidet gingen sie durch das Dorf. Unter dem Tuch jedoch versteckten sie ihre Revolver. Sie blieben, bis sie alle Waren gegen Gummi eingetauscht hatten. Zum Abschied beschenkten sie Assobam und marschierten so schnell wie möglich fort, in Angst, angegriffen zu werden.69 „Wir hatten viel gewagt aber auch gut verdient“,70 so Lehning. Die Assobam-Bonanza dauerte nur bis Februar 1905. Doch nach Schätzungen der GSK kauften die Küstenfirmen in diesem Zeitraum 40 Tonnen Kautschuk. So viel Gummi konnten die Firmen kaufen, weil sie vor allem mit Pulver und Gewehren handelten. 86.935 Gewehre und 604 Tonnen Pulver kamen 1903 und 1904 allein von der Atlantikküste nach Kamerun. Das meiste landete im Südbezirk.71 Gewehre und Pulver waren in der abgelegenen Region bisher selten gewesen. Im Maka-Gebiet etwa wurden Gewehre deshalb mit 30 Mark bewertet.72 Sie waren nicht nur militärisch relevant, sondern auch Teil von Brautgaben und Zeichen

66 Bartels, geb. 1880 in Hamburg, wanderte 1921 nach Brasilien aus. Lehning, geb. 1876 in Bremen, wurde Anfang 1915 in Spanisch-Guinea ermordet. Vgl. Mai 2017, 11; BArch R 1001/3994, 47; StAH 132–1 I/3842, 4a. 67 1909 machten sich beide als Lehning & Bartels selbständig. Vgl. NN 1912b, 186. Es handelte sich de facto um eine Tochterfirma der Bremer Westafrika-Gesellschaft. Vgl. SBB-PK Ms. germ. oct. 1355, passim. 68 SBB-PK Ms. germ. oct. 1355, 117 f. 69 Vgl. SBB-PK Ms. germ. oct. 1355, 119 f. 70 SBB-PK Ms. germ. oct. 1355, 120. 71 Vgl. BArch R 1001/4291, 99. 72 Vgl. BArch R 1001/3818, 40 f.

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männlicher Freiheit und Unabhängigkeit. Dank des Kautschukhandels verfügte in Sangha-Ngoko bis 1905 fast jeder freie Mann über eine Waffe.73 Hierdurch sah die Regierung die Sicherheit der Kolonie bedroht.74 Lehning und Bartels galten explizit als Kaufleute, die gegen das Interesse der Kolonie handelten, indem sie den Unzufriedenen in Assobam Gewehre verschafften.75 Gleichwohl schränkte die Regierung, ihrem Laissez-faire-Ansatz folgend, den Waffenhandel nicht ein, sondern folgten der Bitte der Batanga-Firmen, nicht nach Assobam zu kommen, um das gute Geschäft nicht zu stören.76 Romberg prophezeite aber im April 1905: „Der nächste Platz, wo Unruhen ausbrechen werden, ist Assobam.“77 Dasselbe vermuteten die Firmen, weswegen Lehning und Bartels ihren „fluchtartigen Rückzug“ aus Assobam antraten.78 Ein Vertreter von Randad & Stein sagte: Ich weiß wohl, […] daß es in Assobam bald losgeht. Die Leute wollen nur Pulver und Gewehre, dafür bezahlen sie alles, 2000 kg Kautschuk habe ich dort weggeholt, persönlich gehe ich dort nicht mehr hin, auch lasse ich dort keine größeren Quantitäten Kautschuk liegen, damit, wenn es los geht, der Verlust nicht so groß wird und der schwarze Händler kann sehen, wie er fertig wird.79

Im April 1905 schloss sich Assobam dem Krieg an und wurde Anfang Februar 1906 im Rahmen der Südexpedition von Scheunemann besiegt. Die Schutztruppe besetzte das Dorf und hungerte die geflohene Bevölkerung aus, indem sie auf alle schoss, die Nahrung aus der Farm holen wollten.80 Assobam und Alaman ergaben sich am 3. März 1906 und wurden in Lomie inhaftiert.81 Assobam starb nach wenigen Wochen,82 nach lokaler Überlieferung durch Selbstmord: Auf dem Weg nach Lomie tötete ein Soldat einen Gorilla. Dessen Fleisch war tabu für Assobam, dennoch aß er ein Stück und war am nächsten Morgen tot.83

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Vgl. BArch R 1001/3448, 84. Vgl. BArch R 1001/4291, 204. Vgl. BArch R 175-I/65, 208. Vgl. BArch R 1001/4291, 204. BArch R 1001/8114, 166. BArch R 1001/4291, 204. BArch R 1001/8114, 166. Vgl. Osman 1912a, Nr. 14. Vgl. BArch R 1001/4291, 216. Vgl. Osman 1912a, Nr. 14. Er starb vor Ende Oktober 1906. Vgl. AFS 344 Tagebuch, 29.10.1906. Vgl. Moïse 2003. Persönliche Mitteilung. Informanten aus der Ndsimu-Region hielten Assobam 2016 für unsterblich. Interview mit Mopeho Gilbert und Mabia Jean Fontaine, Nzulabot, 30.01.2016.

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Trade back: Die Afrikanisierung des Karawanenhandels Niedrige Kautschukpreise, die große Entfernung der Kautschukfrontier zur Küste und die Schwierigkeit, genügend Arbeitskräfte zu rekrutieren, hatten um die Jahrhundertwende zu einem Stillstand des Küstenhandels geführt. Noch Ende 1902 klagte John Holt darüber, dass angesichts der niedrigen Kautschukpreise kein Geld mehr in Südkamerun zu verdienen sei: „[T]he expenses of the interior trade are so enormous in proportion to the valuation of the rubber obtained.“84 Trade back löste diese Probleme, indem es Handel, Transport und Arbeitskräftemobilisierung zum Teil an Subunternehmer auslagerte. Alfred Dacqué, Hauptagent von A. & L. Lubcke, der ersten Firma, die trade back praktizierte,85 erklärte: „Ich selbst habe 1902 den trade back eingeführt, weil der Handel von festen Faktoreien aus zu teuer kam.“86 Diese neue Handelstechnik und ihre afrikanischen Protagonisten, die Lehning systematisch ausblendete,87 machte ab 1902 das Vordringen der Küstenfirmen in das GSK-Gebiet erst möglich. Paul Messis Bericht von seiner Arbeit als Kautschukhändler erlaubt einen Einblick in die Welt des trade back. Um 1886 in Mvolye nahe Jaunde geboren, besuchte er 1899 acht Monate lang die katholische Missionsschule in Kribi.88 Danach arbeitete er als Intermediär: als Dolmetscher für die Regierung und Soldat in der Schutztruppe.89 Zudem arbeitete er mit ca. 18 Jahren für Randad & Stein als Kautschukhändler. Hierüber berichtete Messi:90 „Im Jahre 1905 ging ich mit meinem Freund Onana [Michael Onana – T. Oe.] auf Faktoreiarbeit, und zwar in die Faktorei von Randat und Stein [sic!].“91 Anton Sutter,92 der für die Firma in diesen Jahren das Nyong-Geschäft aufbaute, stellte die jungen Männer als Händler ein. Onana schickte er nach Mbidemenge und Messi nach Nyimi. „Wir pflegten für

84 85 86 87 88 89

LRO 380 HOL 1/4/8, 89. Vgl. BArch R 1001/4291, 16. BArch R 1001/4291, 121. Ebenso: Osman 1920. Vgl. StAH 361–6/V 0179 Personalnachweis der Oberschulbehörde, o.D.; Messi/Heepe 1920, 125. Vgl. BArch R 1001/4294, 303; StAH 361–6/V 0179, 24. Nicht auszuschließen ist, dass er als Headman auf der Bimbia-Pflanzung arbeitete. Vgl. BArch R 175-I/186, 276. 90 1914 ersetzte Messi seinen Onkel, Karl Atangana, als Sprachgehilfen für Ewondo im Seminar für Kolonialsprachen am Hamburger Kolonial-Institut. Durch den Ersten Weltkrieg strandete Messi in Deutschland. Der Sprachwissenschaftler Heepe nutzte dies, um Berichte und Erzählungen Messis aufzuzeichnen. Nach dem Krieg publizierte er die Texte. Vgl. StAH 361–6/V 0179 Personalnachweis der Oberschulbehörde, o.D.; StAH 361–6/V 0179, 4; Heepe 1919, xi; Messi/Heepe 1920. Zu Messi in Hamburg vgl. Aitken/Rosenhaft 2013, 36, 126, 184. 91 Messi/Heepe 1920, 138. Zu Onana vgl. Messina 1998, 51. 92 Messi nennt ihn Anton Schütter, aber aus dem Kontext ist er eindeutig als Anton Sutter, Chef des Nyong-Geschäftes von Randad & Stein, zu identifizieren. Vgl. Messi/Heepe 1920, 138.

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ihn Gummi einzukaufen“, so Messi, „und es ihm auf dem Njong […] nach Jaunde herabzuschicken, und er sandte uns dafür Waren. Und so blieb ich in dem Dorf von Nyimi-Eyafa daselbst sechs Monate, dann kam Herr Schütter [Sutter – T. Oe.], um die Waren zu zählen, die ich in meinem Hause hatte (zur Kontrolle).“ Messi und Onana arbeiteten nicht selbst als Trade-back-Händler, da sie Waren nicht auf Kredit erhielten und von Sutter kontrolliert wurden. Jedoch rekrutierten sie Trade-back-Händler: Nach einem halben Jahr, so Messi, versetzte Sutter ihn näher an die Kautschukfrontier, weshalb Messi seine Subhändler zusammentrommelte: „So ging ich denn und rief meine Faktoreileute, und Herr Schütter [Sutter – T. Oe.] ging nach Akono-Olinga [Akonolinga – T. Oe.], und ich ging zuerst nach Mvoge Nyenge, und ich rief Franz Belibi, Mathias Etundi und Thomas Mfomo.“ Doch nicht alle seine Händler begleiteten ihn: „Etundi blieb dort zurück. Weil die Leute von Mvoge Nyenge noch Schulden bei ihm hatten und er erst diese Schulden alle eintreiben wollte“.93 Schulden waren charakteristisch für trade back. Zuvor hatten einzelne Händler trust erhalten, die damit im Innern Kautschuk kauften. Angeblich versuchten die Firmen noch 1902, die teuren Kreditgeschäfte angesichts der desolaten Lage des Handels abzuschaffen.94 Nun aber erhielten sehr viele Subunternehmer – genannt tradebacks, Wanderhändler oder fliegende Händler95 – von den Kaufleuten Waren auf Kredit. Hierfür verpflichteten sich diese, eine vorher festgelegte Menge Gummi zu liefern – etwa 250 Kilogramm Kautschuk für 600 Mark in Waren, wie es eine Abmachung zwischen Dacqué und einem tradeback vorsah.96 Dabei war es „einerlei wo und wie“ die Händler „dies erhalten und wie lange sie dazu brauchen“.97 Die tradebacks gaben einen Teil ihrer Waren als Kredit an Handelspartner oder Gummisucher weiter, der in Kautschuk zurückzuzahlen war. Einen anderen Teil behielten sie für sich. Gelang es einem tradeback, Gummi unter dem von seiner Firma angenommenen Einkaufspreis zu erwerben – etwa statt 600 Mark nur 400 Mark für die 250 Kilogramm Kautschuk zu zahlen –, konnte er die übrigen 200 Mark für sich behalten.98 Dies war sein Gewinn aus dem Handel. Ziel aller tradebacks war es deshalb, Kautschuk so billig wie möglich zu beschaffen. Die neue Handelstechnik machte das komplexe Kautschukgeschäft noch unübersichtlicher. Erstens ersetzte trade back nicht den bisherigen Handel, sondern ergänzte ihn. Europäer wie Mohr, Lehning und Bartels drangen noch immer selbst

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Alle Zitate: Messi/Heepe 1920, 138 f. Vgl. Schkopp 1903b, 190. Vgl. BArch R 1001/3551, 20; BArch R 175-I/66, 230; BArch R 1001/3416, 3. Vgl. BArch R 1001/4291, 121. Vgl. BArch R 1001/3416, 3. Vgl. BArch R 1001/4291, 121.

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nach Osten vor, gründeten Faktoreien und Buschfaktoreien. Zweitens war der Unterschied zwischen Angestellten und tradebacks fließend. Faktoreihändler handelten häufig so, als wären ihnen – wie bei tradebacks – die Waren als Besitz überlassen worden, über den sie frei verfügen konnten. Auch sie versuchten, Kautschuk möglichst billig zu kaufen und für den Gummiankauf gedachte Waren zu behalten. Da sie aber ein Gehalt erhielten, sollten sie sämtliche Waren zum Ankauf von Kautschuk verwenden – und bei günstigen Preisen eben mehr Kautschuk kaufen.99 Drittens waren mit dem Namen trade back verschiedene Praktiken verbunden. In einer Variante zog der tradeback von Dorf zu Dorf, vergab trust und sammelte auf dem Rückweg den Kautschuk ein; in einer anderen machte er ein Dorf zu seinem festen Standort, vergab trust oder sandte ihm zuarbeitende Händler mit den Waren aus, um diese als trust auszugeben oder Gummi zu kaufen.100 Mit dem trust sollten die tradebacks verschiedene Dinge bezahlen: Von den 1056,25 Mark in Waren, die die Firma Lubcke einem tradeback überließ, waren 600 Mark dafür gedacht, 250 Kilogramm Kautschuk zu kaufen, 400 Mark, um Trägerinnen und Trägern anzuwerben und zu bezahlen, und 56,25 Mark, um diese zu verpflegen.101 Über die tatsächliche Verwendung hatten die Firmen keine Kontrolle. Hauptagent R. L. Morris schrieb an John Holt & Co. in Liverpool: It is impossible to give you prices in the way you wish, this is apparent from our method of trading […]. […] The trader comes round now and again and collects the rubber, he can neither read or write. He […] is not able to give us any idea as to what he has paid for it. Our check upon him is that he gets so many „dollars“ or „kettles“ of cargo and has to return so many „dollars[“] or „kettles“ of rubber.102

Aber: „You may be sure we do not trade in such a manner as to be unable to tell whether we are being robbed or not.“103 Die Firmen kontrollierten folglich einzig den vereinbarten Limitpreis: Für ihre Waren wollten sie eine bestimmte Menge Gummi sehen – was ein tradeback im Einzelnen mit den Waren tat, war ihnen gleichgültig. Mit einem derartigen Geschäft war ein erhebliches Risiko von Kreditausfällen verbunden. Trade back zog Glücksritter an, die nicht über stabile Beziehungen zu den Firmen verfügten. Hier waren hohe Kredite ohne Sicherheit ein noch größeres Problem als generell beim trust-System. Dennoch nahmen die Firmen, wie ein

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Vgl. Buthut 1909, 590–593; Hoffmann 2007, Bd. 1, 46; Wirz 1972, 117. Vgl. BArch R 175-I/16, 11. Vgl. auch Wirz 1972, 117 f. Vgl. BArch R 1001/4291, 121. LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 05.03.1906. Tradebacks. LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 05.03.1906. Tradebacks.

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Untersuchungsrichter meinte, „ein Mass von Kreditwürdigkeit und Ehrlichkeit“ an, „das selbst im Handelsverkehr zwischen Europäern nicht vorausgesetzt zu werden pflegt“.104 Peter Mungeli etwa, der für John Holt als tradeback arbeitete, erhielt Waren im Wert von über 6000 Mark.105 Wie hoch das Ausfallrisiko solcher Kredite war, zeigt die Tatsache, dass die Afrikanische Kompanie 1906, als sie die Firma A. & L. Lubcke schluckte, das „Tradebackkonto“ nur zu 50 Prozent übernahm.106 Wie Morris bemerkte, lohnte sich das Geschäft dennoch: „There is […] always a certain amount of risk attached to this trade, nevertheless, it pays. […] Of course occasionally one [tradeback] loses his goods or does not return, still the method of trading is so cheap that it will stand some losses and still return cheap rubber.“107 Bald schickten alle Unternehmen tradebacks ins Hinterland – nicht nur von der Küste aus, sondern auch von den Faktoreien im Regenwald:108 Woermann sandte „trade-back-Carawanen“ von Ngulemakong aus ins Bane- und Njem-Gebiet, John Holt von Lolodorf aus.109 1906 hatten einige Firmen hunderte tradebacks.110 Jacob schätzte ihre Gesamtzahl auf mehrere Tausend.111 Die Handelstechnik verbreitete sich in der ganzen Kolonie und darüber hinaus.112 Trade back ermöglichte eine Periode „energischen Aufschwungs“ in Südkamerun. Der Handel begann, „sich in ungeahnter Weise zu entwickeln.“113 1899 bis 1902 hatte die Menge des jährlich exportierten Kautschuks um beinahe ein Viertel abgenommen. Nun explodierte sie: Von 1902 auf 1903 steigerten sich die Exporte um fast 40 Prozent auf ca. 701 Tonnen, von 1903 auf 1904 abermals um ca. 35 Prozent auf fast 950 Tonnen.114 Dies lag einerseits an sich erholenden Gummipreisen. Brasilien und Bolivien führten Krieg um die kautschukreiche Provinz Acre, wodurch eine Millionen Kilogramm Gummi weniger auf den Markt kam.115 Ebenso kauften Russland und Japan große Mengen des inzwischen kriegswichtigen Rohstoffs für ihren im Februar 1904 ausbrechenden Waffengang.116 Von den hohen Preisen

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BArch R 1001/4291, 16. Vgl. BArch R 175-I/966, 55. BArch R 1001/3551, 14. Ein weiterer Grund waren neue Gesetze gegen trade back. Vgl. Kap. 4.2. LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 05.03.1906. Tradebacks. Vgl. LRO 380 HOL 1/9/1 Meeting held at Hamburg by Batanga Firms, 05.02.1906. Vgl. BArch R 1001/4291, 121; LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 06.07.1906. Vgl. LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 05.03.1906. Tradebacks. Vgl. ANY FA 1/456, 53. 1906 schickten John Holt & Co. auch von Victoria am Kamerunberg und von Eloby in SpanischGuinea aus tradebacks los, um Gummi zu kaufen. Vgl. LRO 380 HOL 1/9/1 Duala, 01.01.1906. Habisch & Schmidt. Rubber; LRO 380 HOL 1/9/1 Eloby, 27.01.1906. Beide Zitate: Kremer 1911, 123. Eigene Berechnungen. Vgl. Tabelle 1. Vgl. NN 1903f. Vgl. Coates 1987, 138.

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profitierten die Firmen aber andererseits, indem sie mit trade back den Handel afrikanisierten und prekarisierten. Die Wanderhändler stellten ihre Arbeitszeit nicht in Rechnung und konnten Arbeitskräfte auf neuen Wegen mobilisieren. Sie banden die kleinsten Dörfer in den Handel ein, die zu besuchen sich für Angestellten der Firmen nicht lohnte.117 Erst trade back dehnte den Kautschukhandel in die Kapillare der Südkameruner Regenwaldpfade, in jedes Dorf aus. Dies ermöglichte eine kostengünstige Expansion des Handels und den Anstieg der Exportmengen. Trade back lohnte sich auch für afrikanische Händler. Mungeli etwa verdiente mit einer Reise ins Ntum-Gebiet 1042 Mark in bar.118 Messis Vermögen, das sicher auch aus anderen Quellen stammte, belief sich nach eigenen Angaben Mitte 1907, also wahrscheinlich kurz nach seiner Arbeit für Randad & Stein, auf „450 Mark, 8 Ziegen, 10 000 Eisenstäbe [bikie – T. Oe.], 1 Koffer mit Tüchern“.119 Nach Hauptmann Scheunemann behielten viele tradebacks ein Drittel aller Waren für sich.120 Solche Gewinnmargen erklären die große Zahl der tradebacks und die Tendenz afrikanischer Firmenangestellter, sich als tradeback auszugeben. Neben dem guten Einkommen war Unabhängigkeit ein wichtiger Faktor für die tradebacks. Sie blieben einer Firma nur für kurze Zeit verpflichtet und konnten freie ökonomische Entscheidungen treffen. Hermann Stümpell, Woermanns Hauptagent, erklärte, die tradebacks arbeiteten am liebsten für die Firmen, „die sie am wenigsten beaufsichtigen“.121 Daraus folgte, dass die Unternehmen ihre tradebacks nicht einschränkten. Sie vertrauten ihren Fähigkeiten, an Ort und Stelle gute Geschäfte zu machen. Für die Behörden war es eine schreckliche Vorstellung, afrikanische Händler würden „unkontrolliert“ Geschäfte machen.122 Auch der Arzt Külz bemerkte, „die Wege, die ein solcher schwarzer Händler zur Erreichung seines Zieles einschlägt, entziehen sich jeder Kontrolle. Darin liegt die größte Gefahr dieses Systems.“123 An der Küste waren tradebacks vor allem Batanga-, Mabea-, Ngumba- oder Edea-Leute.124 Im Osten zog 1905/06 „die rührige Jaundebevölkerung zu Tausenden in die entferntesten Gegenden […], um hier den Gummi einzuhandeln und

117 Vgl. Wirz 1972, 117. 118 Vgl. BArch R 175-I/966, 56. 119 Heepe 1919, 299. Dieser Besitz reichte aber nicht aus, um zu heiraten. Messi bat Anton Enege um weitere 350 M und um 50 Macheten. Im August 1908 konnte er heiraten. Vgl. Heepe 1919, 286, 299 f. 120 Vgl. BArch R 175-I/67, 119 f. 121 BArch R 1001/4291, 121. 122 BArch R 1001/4291, 121. 123 Külz 1910, 268. 124 Vgl. BArch R 1001/4380, 10; BArch R 175-I/16, 8.

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ihn alsdann dem weißen Kaufmann zuzuführen“.125 Viele tradebacks hatten schon vorher Kontakt mit Europäern gehabt. Mungeli etwa war 1893 mit ca. zehn Jahren mit den Pallottiner-Missionaren zur Erziehung und Taufe nach Limburg gereist. Nach seiner Rückkehr arbeitete er als Lehrer für die Mission. Zum Bruch mit dieser führte, dass Mungeli eine zweite Frau heiratete.126 „Peter Mungeli ist Schreiber irgendwo in Kribi“, schrieb 1903 sein Bekannter Andreas Toko.127 Mindestens seit 1904 arbeitete er für John Holt & Co. als Kautschukhändler.128 Michael Onana, Messi und seine Sub-Händler Thomas Mfomo und Franz Belibi hatten gemeinsam in Kribi die Schule der Pallottiner besucht und waren dort getauft worden.129 Auch Messis Händler Mathias Etundi bewegte sich im katholischen Kosmos Südkameruns.130 Angeblich waren unter den tradebacks auch viele frühere Plantagenarbeiter vom Kamerunberg.131 Spätestens ab 1906 arbeiteten auch Europäer, die Kommissionshändler, de facto als tradebacks.132 Die Behörden beklagten sogar ein „Überhandnehmen“ dieser selbständigen fliegenden Händler.133 Statt einen Anteil an den Handelswaren einzubehalten, setzten sie die Waren gegen eine Mindestmenge Kautschuk um und erhielten einen Anteil am Gewinn.134 Richard Krönig etwa bot man eine solche Stellung an – ohne Gehalt, ohne Verpflegung, aber mit einem Drittel Gewinnbeteiligung.135 Die meisten Kommissionshändler waren scheinselbständig und bestimmten Firmen verbunden.136 Einerseits verfügten sie über große Freiheit, anderseits waren sie abhängig von ihrem Handelserfolg. Unter so prekären Bedingungen arbeiteten laut Bezirksamtmann Steinhausen vor allem „minderwertige Personen“, die sonst nirgends Anstellung bekämen.137 Paul Schroeter z. B., der als

125 KA 1907, 53. Teilweise arbeiteten auch Afrikaner als tradebacks, die nicht aus Kamerun stammten. Vgl. BArch R 1001/4380, 10. 126 Zu Mungeli bzw. Mungili vgl. Aitken/Rosenhaft 2013, 52 f; Aitken 2015, 39, 49; BArch R 175-I/ 966, 56; Vieter 2011, 56; Otto 1897, 57. 1914–16 arbeitete Peter Mungeli als Dolmetscher für das Nigeria-Corps der Britischen Armee in Kamerun. Vgl. TNA WO 372/15/210918 Medal Card of Peter Mungeli. 127 PAP A.11/313 Toko an Kugelmann, 22.09.1903. 128 Vgl. BArch R 175-I/966, 52. 129 Vgl. Messina 1998, 51. 130 Vgl. Nekes 1912, 74. 131 Vgl. ANY FA 1/456, 53; BArch R 1001/4380, 10. 132 Vgl. Wirz 1972, 117. 133 BArch R 175-I/68, 288. 134 Hierbei existierten zumindest 1907 mehrere Systeme: Vgl. LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 03.12.1907. 135 Vgl. DHM Do 2005/34 Krönig an Krönig, 23.01.1908. 136 Vgl. BArch R 175-I/68, 288. 137 BArch R 175-I/66, 81.

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Pflanzungsassistent der WAPB einen Arbeiter totgeschlagen hatte. Nach drei Monaten Gefängnis ging er als fliegender Händler in den Süden.138 Alfred Pilz aber, der sich 1905 selbständig machte,139 war ein erfolgreicher Kautschukhändler. Er und einige andere waren „von der Firma Randad & Stein vorgeschobene Männer, welche von deren Chef, Herrn Pagenstecher, bis zu einem gewissen Grade mit Geldmitteln unterstützt werden und sich dafür verpflichten, die gewonnenen Landesprodukte zu Gunsten der Firma abzusetzen“.140 Für Pilz war das ein gutes Geschäft: 1906/07 kaufte er für Randad & Stein 25 Tonnen Kautschuk und hatte einen Umsatz von ca. 100.000 Mark!141 Trade back und die Mobilisierung von Arbeitskräften Vorteilhaft war die neue Handelstechnik für die Firmen auch, weil sie die Anwerbung der Karawanenarbeiterschaft ebenfalls an afrikanische Subunternehmer auslagerten. Hierdurch gelang es, die Arbeiterschaft weiter auszudehnen und für Reisen in Gebiete zu mobilisieren, die bisher für die Unternehmen kaum erreichbar waren. Trade back und Arbeitskräftemobilisierung waren eng gekoppelt. Der stellvertretende Bezirksamtmann Kribis, von Rudno, erläuterte: Der Händler x geht zum Kaufmann y und erklärt ihm, er will als Händler nach Ntum gehen. Der Kaufmann gibt ihm nun eine Anzahl Waaren auf Vorschuß, um damit Träger anzuwerben. Dies thut der Händler durch Ausgabe dieser Waaren ebenfalls wieder als Vorschuß. Hat er nun die Träger zusammen, so geht er zu dem Kaufmann mit ihnen zurück, wo er nun die Waaren zum Gummieinkauf erhält.142

Ein Händler konnte folglich nur größere Mengen trust erhalten, wenn er ausreichend Trägerinnen und Träger anwerben konnte.143 Damit rückte die Fähigkeit eines tradebacks, Arbeitskräfte zu rekrutieren, ins Zentrum der neuen Handelstechnik. Der Erfolg der tradebacks bei der Anwerbung war so groß, dass die Firmen im Binnenland selbst kaum mehr genügend Arbeitskräfte fanden.144 Tradebacks warben Leute an und zogen dann zur Küste. Denn dort entsprachen 600 Mark in

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Vgl. DITSL SA K. Luckhardt, Luckhardt an Fabarius, ?.07.1907. Vgl. NN 18.10.1905. ANY FA 1/518, 7 f. Vgl. LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 03.12.1907. BArch R 175-I/16, 11. LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 05.03.1906. Tradebacks. Vgl. LRO 380 HOL 1/9/1 Meeting held at Hamburg by Batanga Firms, 05.02.1906; BArch R 175-I/ 68, 287.

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Waren einer größeren Menge an europäischen Gütern als im Inneren, weil dort die Transportkosten nicht auf den Preis aufgeschlagen werden mussten.145 Durch Auslagerung der Anwerbung von Trägerinnen und Trägern an Subunternehmer veränderten sich die Karawanen. Den Karawanen der Firmen traten die der tradebacks zur Seite, die oftmals verhältnismäßig klein waren. 1907/08 zählte Regierungsarzt Haberer binnen einer Woche am zentralen Verkehrsknotenpunkt Lolodorf ca. 7200 Trägerinnen und Träger, die 879 Karawanen angehörten. Durchschnittlich hatte damit jede Karawane weniger als neun Träger.146 Angesichts der noch immer vorhandenen großen Karawanen dürften viele Händler mit zwei der drei Arbeiterinnen und Arbeitern gereist sein. Tradebacks hatten Mittel und Wege, um Arbeitskräfte zu gewinnen, die Europäern verschlossen waren. „We have no guarantee that they would carry for us if we ceased to employ them as tradebacks carriers“,147 bemerkte Morris zur Diskussion über die Abschaffung Handelstechnik. John Holt & Co. gingen davon aus, Trägerinnen und Träger würden nach Abschaffung von trade back mit einem „sit down“ reagieren – ein Pidgin-Begriff, abgeleitet vom Bulu-Ausdruck „tabe si“, der sich mit „niedersitzen, d. h. nichts tun, die Arbeit verlassen“ übersetzen ließ.148 Tradebacks griffen auf abhängige Arbeitskräfte aus ihren erweiterten Familien zurück: auf Kinder, jüngere Geschwister, Sklavinnen, Sklaven oder pawns. Messi etwa nutzte als Kautschukhändler seine „jungen Leute, die mir meine Lasten trugen“.149 Auch Anton Enege schrieb in einem (fiktiven?) Brief an Messi, dieser solle „junge (Leute)“ als Träger mitbringen.150 Das in beiden Fällen benutzte Ewondo-Wort bóngô (Singular: móngô) bezeichnete nach einem zeitgenössischen Lexikon Jugendliche oder Kinder.151 Unklar ist, ob der Begriff wörtlich gemeint war, oder ob die Trägerinnen und Träger des 18-jährigen Messi sozial jüngere, also Abhängige waren. In jedem Fall konnte Messi auf die „jungen Leute“ offenbar problemlos zugreifen. Aber nicht nur solche Hierarchien, sondern auch die des vorkolonialen Handels reproduzierten sich: Viele Batanga- oder Ngumba-tradebacks zogen mit Bulu oder Beti hinaus.152 Möglicherweise warben die Händler ihre „Buschleute“ als Klienten oder erhielten Abhängige von Familienoberhäuptern. Denkbar ist auch, dass die tradebacks die Schulden junger Männer aufkauften.153

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Vgl. LRO 380 HOL 1/9/1 Meeting held at Hamburg by Batanga Firms, 05.02.1906. Vgl. RKA 1909, 161. LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 05.03.1906. Tradebacks. LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 03.04.1906; Übersetzung: Hagen 1914, 299. Messi/Heepe 1920, 140. Heepe 1919, 301. Vgl. Heepe 1926, 99. Vgl. BArch R 175-I/16, 9 ff.; BArch R 175-I/966, 52–60. Vgl. Kap. 2.4.

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Andere tradebacks engagierten Lohnarbeiter, wobei diese Arbeitsbeziehungen oft auf Täuschung basierten, um Menschen für Arbeiten zu rekrutieren, die unbeliebt oder schlecht entlohnt waren.154 Dies zeigt das Beispiel der Headmen Bokone, Mwa, Kunde, Eto, Djena und ihrer 60 Jaunde-Träger.155 Mungeli täuschte sie in mehrfacher Hinsicht: Erstens heuerte er die Arbeiter als Trip-Träger für den Kautschuktransport von Ebolowa zur Küste an, wie Bokone aussagte. Nachdem Mungeli sie nach Ebolowa gebracht hatte, gab es dort aber keinen Gummi. Mungeli erklärte ihnen, sie müssten mit nach Ntum, um dort Kautschuk zu kaufen.156 Dies war ein Muster: „Besonders häufig wird den Trägern etc. verschwiegen“, meldete das Bezirksamt Kribi, „daß sie für einen sogenannten ‚Buschtripp‘ ins weitere Hinterland engagiert werden sollen; es ist nämlich sehr schwer Eingeborene zu finden, die sich freiwillig zu einem Marsch nach unbekannten Gegenden verpflichten.“157 Während es relativ einfach war, Trip-Trägerinnen und -Träger zu rekrutieren, sträubten sich die meisten Menschen, an die Kautschukfrontier nach Osten (etwa ins NdsimuGebiet) oder Süden zu gehen. Zweitens täuschte Mungeli sie über die Dauer der Beschäftigung. War eine Arbeit als Trip-Träger oder -Trägerin nach wenigen Wochen oder Monaten vorüber, bedeutete eine Reise an die Kautschukfrontier eine viel längere Verpflichtung: Mungelis Leute waren 14 Monate im Ntum-Gebiet.158 Drittens täuschte Mungeli seine Arbeiter über ihren Lohn. Sie gingen mit nach Ntum, weil er ihnen versprach, dass jeder an der Küste 200 Mark bekommen würde. Aber als die Träger im Februar 1906 in Kribi ankamen und in den Store von John Holt & Co. eintraten, erklärte Mungeli ihnen, jeder bekäme nur 80 bis 100 Mark Lohn. Wer sich beschwerte, den schlug Mungeli ins Gesicht. Die Träger erhielten 20 Mark in bar und durften sich Waren im Wert von 40 bis 60 Mark aussuchen. Generell war der Lohn von Trägerinnen und Trägern im trade back gering. Oft betrug er zusätzlich zum bereits erhaltenen Vorschuss nur 10 Dollar (11 Mark in Waren). Dabei war es gleichgültig, wie lange sie mit ihrem Händler im Kautschukgebiet gewesen waren. Trägerlöhne waren Sache des tradebacks und nicht der Firmen – und tradebacks zahlten nur bei Erfolg. Hatte ein Händler nicht genügend Kautschuk gekauft, kürzte er den Lohn seiner Träger, um selbst schadlos zu bleiben. Lieferte eine Karawane keinen Kautschuk ab, erhielten die Arbeiterinnen und Arbeiter keinen Lohn. Dies war Mitte 1906 das Problem vieler, die im französischen Ntum-Gebiet

154 Vgl. BArch R 175-I/966, 49. 155 Für das Folgende vgl. BArch R 175-I/966, 52–60. In den Unterlagen ist nur von Trägern die Rede. Ob Mungeli auch Trägerinnen beschäftigte, ist unklar. Headman Bokone sagte aus, Dominik habe ihnen „den Auftrag“ gegeben, mit Mungeli loszuziehen. Möglicherweise hatte Mungeli diesen um Vermittlung gebeten. BArch R 175-I/966, 52. 156 Vgl. BArch R 175-I/966, 52. 157 BArch R 175-I/966, 49. 158 Vgl. BArch R 175-I/966, 52

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gearbeitet hatten. Dort wiesen die Franzosen die Händler aus, wodurch diese ihre Kautschukeinkäufe verloren und folglich ihre Leute nicht bezahlten.159 Doch nicht nur war der Lohn oft niedriger als versprochen. Als vierte Täuschung stürzten tradebacks die Arbeitskräfte ohne ihr Wissen in Schulden. Mungeli etwa stellte sich vor die Träger und erklärte, mit den gerade erhaltenen Waren hätten sie bereits 30 Mark Vorschuss bekommen, für den sie abermals mit ihm in den Busch gehen müssten.160 Vorschüsse und damit de facto Schuldverhältnisse entwickelten sich zu einem wichtigen Mittel, um Arbeitskräfte an eine Firma zu binden.161 1906 erhielt jeder Träger 20 Dollar als Vorschuss.162 Vorschüsse (auf Ewondo: abôm)163 waren seit Beginn in den Trip-Karawanen üblich gewesen und dienten offiziell dazu, Verpflegung auf dem Marsch zu kaufen.164 Tradebacks und Küstenfirmen aber nutzten sie nun, um Arbeitskräfte an sich zu binden.165 Die Unsicherheit, ob eine Zahlung Lohn oder schon Kredit bedeutete, war fester Teil der Gleichung.166 Mungelis Auftraggeber Morris erklärte, den abzulöhnenden Leuten werde bei Auszahlung ihres Lohnes nicht gesagt, dass sie Vorschüsse erhielten.167 Die Behörden in Kribi berichteten: Es ist hier fast allgemein der Brauch, daß bei den Lohnzahlungen nach beendeter Dienstzeit gleichzeitig noch Waaren gegeben werden, die dann als Vorschuß gebucht werden und den Annehmenden zu einer neuen Dienstleistung verpflichten sollen. […] Die Eingeborenen wissen so gar nicht, daß sie der Firma noch verpflichtet sind.168

Solche Praktiken waren eine Folge der extremen Konkurrenz um Arbeitskräfte während der Höhenflüge des Kautschukpreises zwischen 1903 und 1907. Vorschüsse waren ein zweischneidiges Schwert: Einerseits gerieten Menschen in Abhängigkeit. Scheinbar schickten die Firmen von Zeit zu Zeit Drückerkolonnen, um derartig verpflichtete Leute zu requirieren.169 Andererseits nahmen einige bereitwillig Vor-

159 160 161 162 163 164 165 166 167 168 169

Vgl. BArch R 175-I/16, 11 f. Vgl. BArch R 175-I/966, 52–60. Vgl. BArch R 175-I/66, 80. Vgl. BArch R 175-I/16, 11. Vgl. Heepe 1926, 4, 226. Die Bulu bezeichneten mit abom auch den trust-Handel. Vgl. Hagen 1914, 388. Vgl. Vieter 1901a, 172; BArch R 1001/3230, 59. In anderem Zusammenhang hat Martino dieses Phänomen als „dash-peonage“ beschrieben. Martino 2017. Vgl. analog Hugh-Jones 1992, 49. Vgl. BArch R 175-I/966, 60. BArch R 175-I/966, 49. Vgl. BArch R 175-I/966, 49.

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schüsse an, um dann Wochen oder Monate später die Arbeit anzugehen.170 Sie ermöglichten vielen Arbeiterinnen und Arbeitern, Handel zu treiben, Konsumbedürfnisse zu befriedigen oder einen schlechten Arbeitgeber ohne Lohneinbußen frühzeitig zu verlassen.171 Auch nutzten Trägerinnen und Träger die Vorschüsse, um koloniale Akteure gegeneinander auszuspielen: Entweder Firmen und Regierung – denn wenn sie den Firmen verpflichtet waren, konnten sie sich der erzwungenen Arbeit für die Regierung entziehen; oder Firmen und Firmen, denn es gab zahllose Klagen darüber, dass die Menschen Vorschüsse einstrichen, aber die Arbeit lange hinausschoben oder gar nicht antraten.172 Trade back, trust, Schulden und Kautschukproduktion im Ndsimu-Gebiet An der Kautschukfrontier vergaben die tradebacks ihre Waren als Kredite an Gummisucher oder Handelspartner, die sie ihrerseits als Kredite weiterreichten. Es gab lang- und kurzfristige Varianten von Krediten der tradebacks. In der ersten Variante, die Händler mutmaßlich vor allem im Ntum-Gebiet südlich von Kamerun nutzen, wurden trust-Geschäfte in der Regenzeit abgeschlossen. Auf diese Weise versuchten die Händler, sicherzustellen, dass die Gummisucher in der kommenden Trockenzeit – der hauptsächlichen Kautschuksaison – ausschließlich für sie in den Wald gehen würden, um Gummi zu produzieren.173 Firmen erhielten den Kautschuk für ihren trust erst nach zwei Jahren zurück.174 Wo der Kautschukhandel besonders fieberhaft war, wie im Ndsimu-Gebiet, herrschte die kurzfristigere Variante vor. Hier ging es bei der Rückzahlung der Schulden manchmal nur um Wochen oder Tage.175 Wie bei den Vorschüssen in der Trägerrekrutierung war der eigentliche Zweck der Kredite, sich der Arbeitskraft der Schuldner zu versichern. Sie banden Händler und Gummisucher aneinander und brachten auch der Kautschukproduktion eine bisher unbekannte Unfreiheit. Hierin ähnelte der radikalisierte trust dem System, das im Kautschukhandel des Amazonasbeckens als „debt peonage“ bezeichnet wird.176 Sowohl in Südamerika als auch in Südkamerun gaben Händler den Gummisuchern Waren als Kredit bzw. Vorschuss, der sich immer weiter perpetuierte. Die Schuldner „may be kept in a constant state of indebtedness, not knowing if the

170 Vgl. BArch R 175-I/966, 38. 171 Zur ambivalenten Rolle des Vorschussgebens bei der Arbeiteranwerbung vgl. Martino 2017; MarkThiesen 2012, 29 f. Für Ostafrika vgl. Rockel 2006, 111 f., 222. 172 Vgl. BArch R 175-I/966, 39. 173 Vgl. NN 1914c, 481. Dieses Muster existierte schon in vorkolonialer Zeit. Vgl. Deemin 1976, 116. 174 Vgl. BArch N 2225/16, 230. 175 Vgl. BArch R 1001/3450, 146. 176 Vgl. Weinstein 1983, 22

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goods they receive are in payment for last year’s work, an advance on the next, or both at once.“177 Hierdurch entstand eine Klientelbeziehung, die zum einen ein gewisses Maß an Kontrolle über die Schuldner schuf.178 Zum anderen ermöglichte sie, gegenüber Konkurrenten exklusive Rechte auf Arbeit und Kautschuk eines Gummisuchers zu beanspruchen.179 Darüber hinaus mobilisierten Kredite Arbeit, wo es keinen Arbeitsmarkt gab. Es war unmöglich, Gummisucher gegen Lohn Kautschuk liefern zu lassen. Deshalb nutzten beide Seiten, was Michael T. Taussig „fiction of trade“ nennt: „Everything in this ‚system‘ depends upon the appearance of trade in which the debtor is neither slave nor wagelaborer [sic!] but a trader with an ironclad obligation to pay back the advance.“180 Die Gummisucher blieben in diesem Konstrukt unabhängige Händler statt abhängige Lohnarbeiter, auch wenn der Handel de facto auf eine Abhängigkeit der Schuldner vom Händler hinauslief. Auch wenn es vorkam, dass tradebacks Menschen dazu zwangen, Kredite anzunehmen,181 war trust trotz der damit verbundenen Abhängigkeit überall sehr begehrt. Ohne Bezahlung des Kautschuks im Voraus waren nirgends Handelsverbindungen zu knüpfen. Karl Kurrle, der neue Hauptagent von John Holt & Co., berichtete über die Gummisucher: „[T]hey only cut rubber when they see the goods and then even the goods must be given to them on credit for some months, before they feel inclined to cut the rubber, but they will never cut the rubber, before the goods are not given to them.“182 Familienoberhäupter und andere Männer gierten nach trust. So überfiel das Familienoberhaupt Nduggemange 1905 eine Karawane von Randad & Stein, „da dem Häuptling und seinen Leuten von der Firma kein trust gewährt“ wurde.183 Nduggemange und andere Familienoberhäupter hatten ein Interesse an trust, weil sie so Teil der Kautschukökonomie werden konnten. Nach Kurrle zogen die Händler „from village to village giving trust (credit) to the chiefs“.184 Solange die Gummisucher ihre Produkte direkt an die Kaufleute und festangestellten Händler der GSK oder der Küstenfirmen verkauft hatten, waren die Familienoberhäupter vom Handel größtenteils ausgeschlossen geblieben. Doch indem die tradebacks Familienoberhäuptern Kredite gewährten, entwickelte sich der Kautschukhandel von einer Gefährdung zu einer potentiellen Stütze der gerontokratischen Ordnung.185

177 178 179 180 181 182 183 184 185

Hugh-Jones 1992, 49. Vgl. Weinstein 1983, 23. Vgl. Hugh-Jones 1992, 65. Taussig 1987, 65. Vgl. BArch R 1001/8114, 139. LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 15.08.1908. BArch R 1001/4289, 119. LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 15.08.1908. Vgl. auch BArch R 175-I/67, 119. Vgl. Geschiere 2007, 52 f.

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Als tradebacks setzten die Küstenfirmen im Inneren Bane und vor allem Bulu ein, die teilweise den angesehensten Familien entstammten. So arbeitete etwa der Sohn des Bane-nkúkúma Belinga Ekodo (Balingekorre) aus Ngulemakong für Randad & Stein, wodurch die Firma bestehende Allianz- und Handelsnetzwerke nutzen konnte.186 Die Familienoberhäupter wiederum gaben den trust weiter – an andere Familienoberhäupter oder an Gummisucher, die für die Waren schließlich ihren Gummi abliefern mussten. Die trust-Zahlungen schufen in diesem Fall nicht nur Abhängigkeiten zwischen tradebacks und ihren Schuldnern, sondern kreierten oder verstärkten solche auch innerhalb der lokalen Gesellschaften.187 Aber auch nicht etablierte Männer nahmen trust von den tradebacks, selbst „kaum dem Kindesalter entwachsene Burschen“.188 Ca. 1910 hatten in Kaka-Dörfern im Osten Kameruns alle Männer trust-Schulden.189 Spätestens um den Höhepunkt des Kautschukbooms, wahrscheinlich aber bereits vorher, erhielt jeder, der wollte (und manchmal auch wer nicht wollte), trust. Einerseits drängten viele Händler den Menschen ihre Waren auf; andererseits begehrten letztere ebendiese Waren.190 Aus Amazonien ist bekannt, dass Gummisucher unbedingt Kredite wollten, denn es ermöglichte ihnen prompten Zugriff auf begehrenswerte Güter, die schwer und selten zu bekommen waren. Mungelis Arbeiter etwa transportierten die Schätze des Südkameruner Handels: Gewehre, Pulver, Salz, Hemden, Hüfttücher, Macheten, Handtücher, Perlen und Pomade.191 Auch im trade back führten folglich soziale Ungleichheit und die Spannungen zwischen den Generationen dazu, dass nicht etablierte Männer Schulden machten, um europäische Waren zu besitzen, die ihnen (etwa durch Heirat) einen höheren Status ermöglichten. Abhängigkeit von Händlern war für die nicht etablierten Männern scheinbar ein kalkulierbares Übel. Der Mangel an Arbeitskräften für die Kautschukproduktion, deren Mobilität und

186 Vgl. BArch R 1001/4380, 100. Quinn, Alexandre und Binet behaupten fälschlich, Beti und Bulu hätten nicht als Händler gearbeitet. Vgl. Quinn 2006, 65; Alexandre/Binet 1958, 35. 187 Vgl. analog Hugh-Jones 1992, 69. 188 Haase 1915, 94. 189 Petersen 1939a, 26 f. 190 Vgl. Hugh-Jones 1992, 54. Während Taussig betont, dass die Gruppen am Putumayo keine Waren wollten, argumentiert Hugh-Jones, dass diese eine hohe Anziehungskraft hatten und trotz ihrer ambivalenten Folgen begehrt wurden. Vgl. Taussig 1987, 70; Hugh-Jones 1992. Coomes und Barham argumentieren für Amazonien, dass Kredite in Form von Nahrungsmitteln und Material sowohl als Arbeitskapital als auch als Versicherung für schlechte Zeiten nutzbar waren. Offensichtlich traf dies für Südkamerun nicht zu. Erst um 1910 nahmen die Gummisucher Lebensmittel als Teil des trust an, um ihre gesamte Zeit der Produktion von Kautschuk zu widmen. Vgl. Coomes/Barham 1994, 247; Kap. 4.2. 191 Vgl. BArch R 175-I/966, 53.

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die fehlenden Möglichkeiten, diese effektiv zu überwachen, führten dazu, dass die Abhängigkeit, in die sich die Schuldner begaben, vergleichsweise limitiert war.192 Was viele Gummisucher in die Arme der Küstenfirmen statt der GSK trieb, waren die besseren Preise, die diese für Kautschuk zahlten. Bereits Kalmár beschwerte sich Ende 1902 nach dem ersten Zusammenstoß der Konkurrenten, Mohr zahle „für Gummi und Elfenbein was die Leute wünschten“ und verdarb in den Augen der GSK die Preise.193 Bislang war die GSK in vielen Teilen ihres Gebietes de facto ein Monopolist gewesen.194 Deshalb hatte sie den Gummi zu niedrigen Preisen kaufen können, die für die Gummisucher kleine Vermögen waren. Durch das Vordringen der Küstenfirmen aber bestimmten fortan Angebot und Nachfrage die Preise und nicht mehr die GSK. Die Konkurrenz der Handelsfirmen untereinander trieb ebenfalls die Preise hoch. Höhere Preise aber waren für die GSK existenzbedrohend. Da sich ihr Geschäft noch im Aufbau befand, sie verschiedene Rückschläge hatte hinnehmen müssen und an einer kaum lösbaren Arbeiterfrage laborierte, konnte sie nur mit niedrigen Einkaufspreisen Geld verdienen, wie von Schlippenbach bekannte: Wir sind uns darüber klar, daß ein Concurriren für uns absolut ausgeschlossen ist, denn abgesehen von Trägerlöhnen, hohen Frachtsätzen auf der Eisenbahn und unseren Dampfern, müssen wir die bedeutenden Ausfuhrzölle […] an die Verwaltung bezahlen, während die Küstenfirmen frei exportieren. Im Fall [, dass – sic!] das Gouvernement uns nicht in jeder Weise kräftig unterstützt ist unsere Arbeit unter allen Umständen aussichtslos.195

Durch Trip-Trägerinnen und -Träger sowie trade back konnten die Küstenfirmen ihre Kosten gering halten und die GSK überbieten. 1904 erklärten sämtliche durch Scheunemann befragten Männer, „daß sie über die Ausbreitung des Handels der Küstenfirmen sehr erfreut wären, da diese besonders für Gummi hohe Preise zahlten“.196 Während die GSK 1 Mark bot, zahlte die Bremer Westafrika-Gesellschaft 1904 im Ndsimu-Gebiet 3 Mark in Waren pro Kilogramm Kautschuk – und dann noch in Pulver und Gewehren.197

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Für Amazonien vgl. Coomes/Barham 1994, 250; Weinstein 1983, 23. BArch R 1001/3445 Kalmar: Bericht, 10.11.1902, o.S. In einigen Gebieten musste sie französische Konkurrenz fürchten. Vgl. BArch R 1001/4377, 166. BArch R 1001/3445 NN an Administrateur, 16.12.1902, o.S. BArch R 4380, 103. Vgl. BArch R 1001/3535, 38; BArch R 1001/4380, 88.

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Die Verlagerung des Handels von der GSK zu den Küstenfirmen und die erste Welle der Gewalt in Sangha-Ngoko Ein unbekannter GSK-Agent schrieb im April 1904 auf eine Postkarte: „So ganz ruhig sind die Eingeborenen wohl auch früher nie gewesen, doch in letzter Zeit war etwas reichlich Stank und Palaver.“198 Überall boten die Küstenfirmen ab Anfang 1903 eine Alternative zum Handel mit der GSK. Die Konzessionsgesellschaft, lange vielfach einzig möglicher europäischer Handelspartner und deshalb trotz Übergriffe auf Menschen und Eigentum attraktiv, wurde entbehrlich. Die Batanga-Firmen waren nun der Partner der Wahl für viele Gummisucher und Familienoberhäupter. In der Folge kam es vermehrt zu Angriffen auf die GSK. Die neue Entbehrlichkeit der GSK verschlechterte ihre Beziehungen zur Bevölkerung. Zum einen wurde das Unternehmen beraubt. So war es der GSK gelungen, 400 Ndsimu-Trägerinnen und -Träger anzuwerben, um Kautschuk und Elfenbein nach Molundu zu bringen. Auf dem Rückweg transportierten sie Tauschwaren für die Faktoreien der GSK. In ihrer Heimat angekommen, verschwanden die Leute mitsamt den Lasten. Anschließend zogen mehrere beteiligte Dörfer nach Westen, um sich den „unbequemen Weißen“ von der GSK zu entziehen und ihre Produkte in Zukunft bei den Küstenhändlern teurer zu verkaufen.199 Zum anderen wurden afrikanische Arbeiter und Angestellte der GSK im Ndsimu-Gebiet getötet. Zuerst erschlugen Anfang 1903 einige Ndsimu den Vai Moequale in Besam.200 Mitte 1903 wurden zwei Vai-Arbeiter, Sensi und Bundu, nahe Alaman und Adselansimu getötet.201 Im Juni 1903 sagten die Kul-Leute zu einem GSK-Agenten, mit dem Unternehmen „würden sie bald fertig“. „[V]on Tag zu Tag“, klagte er gegenüber der Direktion, schwinde die „Harmlosigkeit“ der Leute. Diese ließen sich zunehmend „Uebergriffe zu Schulden kommen, die ich vor Kurzem noch für unmöglich gehalten hätte“. Das Personal verspüre zunehmend ein „Gefühl der Schutzlosigkeit“ und weigere sich, notwendige Arbeiten zu übernehmen.202 Als Hauptschuldige für den Tod der Männer galten die Bulu-tradebacks, die überall die Familienoberhäupter aufforderten, sich gegen die GSK zu stellen.203 So erklärte etwa das Familienoberhaupt Mila aus Besam, Bulu-Händler hätten ihn dazu gebracht, Moequale töten zu lassen.204 Im Juli 1903 zog Preuss erstmals mit Soldaten ins Ndsimu-Gebiet,

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S Brekenfeld Belegsammlung NN an Brugmann, 03.04.1904. BArch R 175-I/88, 3. Vgl. BArch R 1001/4379, 299. Vgl. BArch R 1001/4291, 22; BArch R 1001/4380, 94. Alle Zitate: BArch R 1001/3445, 66 Vgl. BArch R 1001/3455, 107. Vgl. BArch R 1001/4380, 80.

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um dieses unter deutsche Herrschaft zu stellen und der GSK Respekt zu verschaffen.205 Schließlich hatte sogar das der GSK loyale Familienoberhaupt Lomie die GSK-Agenten gefragt, ob ihnen das Töten ihrer Arbeiter etwa egal sei.206 Preuss’ Militäraktion war ohne langfristigen Erfolg, da das grundsätzliche Problem des Ndsimu-Gebietes, die Konkurrenz zwischen GSK und Batanga-Firmen, bestehen blieb. Ein Familienoberhaupt namens Bidja geriet bald wieder in Konflikt mit der GSK. Er brannte den GSK-Posten in seinem Dorf nieder und ließ den Clerk Brandon töten, mit dem er sich um eine Frau gestritten hatte.207 Der GSKAgent Ernst Kundenreich drohte Bidja nun mit dem Gouvernement, sollte er ihm nicht einen besonderen Elfenbeinzahn verkaufen. Nach Angaben des Headman Wany führte diese Erpressung zu neuer Gewalt.208 Bevor Bidja am 19. Dezember 1903 gegen die GSK vorging, forderte sein Nachbar Bidjum die GSK-Leute auf, zu verschwinden. Kundenreich floh, doch wollte der 22-jährige Charles Monnier die Warenbestände retten.209 Er wurde von Bidjas Leuten getötet. Insgesamt verlor die GSK bei diesem Angriff neben Monnier auch drei Clerks, 20 Arbeiter und alle Waren und Produkte im Ndsimu-Gebiet.210 Nach Richter Wilhelm Lämmermann, der 1906 Vernehmungen durchführte, wurde Monniers „Leichnam zerstückelt und als Kriegsmedizin verwendet“.211 Der Vorfall sei ein politisches Signal zum Kampf gegen GSK und Regierung gewesen und die Aussage eines Njem zur Parole des späteren Krieges geworden: „[N]un erst wissen wir, dass wir Schwarzen auch einen Weissen töten können“.212 Dies ist unwahrscheinlich. Während der Südexpedition deuteten alle Akteure vorherige Ereignisse wie die Tötung Monniers zu einem auf den Krieg zulaufenden Narrativ um. Bidja leistete aber keinen Widerstand gegen die GSK,213 sondern wollte sie berauben.214 Die GSK-Faktoreien waren lohnende Beute: Denn dort lagerten nicht nur europäische Waren, sondern auch Kautschuk und Elfenbein, die die GSK

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210 211 212 213 214

Vgl. BArch R 1001/4380, 76. Vgl. BArch R 1001/4379, 299. Vgl. BArch R 1001/4380, 94; BArch R 1001/4380, 104. Vgl. BArch R 1001/4291, 22; BArch R 1001/4380, 94. Monnier, Schweizer aus Corgement, arbeitete seit 1903 für die GSK. Vgl. BArch R 1001/5446, 35; NN 19.03.1904. Kaeselitz und Hoffmann datieren die Tötung Monniers fälschlicherweise auf Januar 1903. Vgl. Kaeselitz 1968, 40; Hoffmann 2007, 152. Kaeselitz’ Darstellung ist auch geographisch falsch. Vgl. BArch R 1001/4291, 23; SMB-PK, EM N Langheld. Tagebuch Nr. 3, 06.06.1909. BArch R 1001/3455, 107. BArch R 1001/4291, 23. BArch R 1001/4291, 23. Für diese Interpretation vgl. Hoffmann 2007, Bd. 1, 151 f.; Kaeselitz 1968, 40. Vgl. BArch R 1001/4380, 103.

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aus Trägermangel nicht abtransportieren konnte.215 Diese ließen sich problemlos erneut an die Batanga-Firmen verkaufen. Die Tötung Monniers führte im März 1904 zu einer Militäraktion Scheunemanns, der die Gewalt auf Bidjum und Bidja begrenzen konnte.216 Mindestens 46 Menschen starben, darunter auch Bidja.217 Scheunemann ließ das Gebiet besetzen und gründete eine provisorische Station nahe Lomie, um die Gewalt im Ndsimu-Gebiet unter Kontrolle zu bekommen.218 Da sich der Kautschukhandel in das Ndsimusowie das Gebiet zwischen Nyong und Djah verlagerte und sich daraus immer neue Konflikte ergaben, verlegte das Gouvernement den Verwaltungssitz Sangha-Ngokos im Herbst 1904 dauerhaft nach Lomie.219 Allerdings befeuerten Scheunemanns Friedensregelungen die Konflikte. Die 14 beteiligten Familienoberhäupter sollten GSK und Regierung die durch den Krieg entstandenen Kosten erstatten und binnen eines Jahres Produkte im Wert von 15.600 Mark liefern, davon 9804 Mark für die GSK. Berechnet wurde Kautschuk mit einem Preis von einer Mark pro Kilogramm – angeblich der damalige Marktpreis. Nicht gelieferte Produkte sollten nach Fristende durch Zwangsarbeit abgeleistet werden.220 Um die Zahlung sicherzustellen, sperrte Scheunemann das Gebiet für die Küstenfirmen.221 Die Regierung konnte dieses temporäre Arrangement, das dem Konzessionssystem des Kongostaates ähnelte, jedoch nicht durchsetzen. Obwohl sie nun dauerhaft im Ndsimu-Gebiet präsent war, ignorierten sowohl die Küstenfirmen als auch die Bevölkerung das Handelsverbot. Lehning von der Bremer Westafrika-Gesellschaft zahlte nun 3 Mark für das Kilogramm Kautschuk.222 Diese hohen Preise waren ungemein attraktiver, als den Gummi zwangsweise ohne Bezahlung zur GSK zu bringen, weshalb Lehning große Kautschukmengen kaufen konnte. Wer von den phantastischen Preisen profitierte, bleibt unklar. Möglicherweise hatten die Familienoberhäupter ein Interesse daran, die Strafzahlungen zu leisten, während ihre Söhne, Brüder und Klienten lieber Kautschuk an die Batanga-Firmen verkauften. Kurz vor Fristende 1905 hatten die Dörfer jedenfalls nur Produkte im Wert von 3105 Mark geliefert. Die Regierung versuchte daraufhin eine Politik von

215 Vgl. BArch R 1001/4380, 104. 216 Auch unter den Ndsimu gab es Interessengegensätze. Während Bidjum sich auf Bidjas Seite schlug, beteiligten sich Lomie, Assobam und Tinidi nicht an der Gewalt gegen die GSK. Vgl. BArch R 175-I/88, 6 f. 217 Vgl. BArch R 175-I/88, 7 f. 218 Vgl. BArch R 1001/4380, 104 f. 219 Vgl. Kaeselitz 1968, 45 f. 220 Vgl. BArch R 1001/3447, 5. 221 Vgl. BArch R 1001/3447, 100 f. 222 Vgl. BArch R 1001/3535, 38.

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Zuckerbrot und Peitsche: Preuss ließ Soldaten die Kautschukschuld eintreiben.223 Zeitgleich verzichtete die Regierung auf Teile ihrer Entschädigung und verlängerte die Zahlungsfrist.224 Aber die gewaltsame Eintreibung des Gummis erbitterte die Menschen. Kaufmann Greve von Randad & Stein erklärte, die Leute „begriffen nicht, weshalb sie Strafzahlungen leisten sollten, sie sagten zu mir: ‚Wir wollten Gummi gewinnen und damit mit den Weissen Handel treiben, nun kommen die Soldaten des governor und nehmen uns den Gummi weg‘“.225 Im Mai 1906 waren lediglich 5570 Mark an die GSK geliefert worden. Scheunemann schlug schließlich vor, die GSK aus Regierungsmitteln auszuzahlen, um dem Gebiet Ruhe zu verschaffen.226 Die GSK geriet zunehmend in die Defensive. Bald unterhielten die BatangaFirmen überall im Konzessionsgebiet Faktoreien, von denen aus sie Händler und tradebacks aussandten: Anfang 1905 waren acht Firmen in Besam, Assobam, ja sogar in Jukaduma tätig.227 Vom Kautschuk, den Sangha-Ngoko 1904 produzierte, landete nach Schätzungen Scheunemanns nur ein Achtel bei der GSK.228 Nun zwangen ortsweise die GSK-Agenten die Menschen mit Waffengewalt, ihre Produkte an sie abzusetzen.229 Doch nirgends waren diese bereit, die groben Praktiken der GSK hinzunehmen. Ende 1904 stellte Scheunemann fest, dass die zahlreichen […] Unruhen einen Beweis dafür liefern dürften, dass die G.S.K. nicht im Stande ist, ohne ausgedehnten Schutz der Regierung mit den Eingeborenen zu handeln. Die Gesellschaft lebt neuerdings in permanentem Hader mit der Bevölkerung, wahrscheinlich, weil diese darüber aufgeklärt ist, dass sie ihre Produkte preiswerter an die Küstenhändler absetzen kann. Unruhen brechen gerade dort aus, wo die G.S.K. lange Zeit hindurch unbehelligt gehandelt hat […].230

Mitte 1903 schien die Prophezeiung der Kaufleute, die GSK ginge schnell kaputt, wahr zu werden: Ihre Landankäufe kamen nicht voran, die Konkurrenz kaufte den Gummi weg und zu allem Überfluss musste die GSK ihre profitablen Faktoreien südlich des Ngoko an die Franzosen abgeben.231 Kein Wunder, dass Adolph Woer-

223 224 225 226 227 228 229 230 231

Vgl. BArch R 1001/4291, 124. Vgl. BArch R 175-I/88, 110. BArch R 1001/4291, 125. BArch R 175-I/88, 116. Vgl. BArch R 175-I/65, 217. Vgl. BArch R 175-I/65, 214. Vgl. BArch R 1001/8114, 140. BArch R 1001/8114, 140. Vgl. BArch R 175-I/423, 85.

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mann und sein Vertrauter Max Schinckel aus dem GSK-Direktorium austraten.232 Woermann hatte sich spätestens seit dem Zusammenstoß seines Angestellten Mohr mit Kalmár Ende 1902 mit dem Gedanken getragen, die Gesellschaft zu verlassen.233 Er setzte auf sein eigenes Handelsunternehmen, das jetzt selbst nach Sangha-Ngoko vordrang. Woermanns Batanga-Geschäft machte 1903 fast 166.000 Mark Gewinn – knapp 60 Prozent aller von Woermann in Afrika erwirtschafteten Gewinne!234 Die GSK hingegen konnte zwar ihren Gewinn steigern. Doch der blieb trotz der gewaltigen eingesetzten Mittel bei lediglich 50.000 Mark.235 Gleichwohl nahm die GSK den Kampf mit den Batanga-Firmen auf. Ihre Agenten vertrieben Ende 1905 die Bremer Westafrika-Gesellschaft und die HamburgAfrika-Gesellschaft aus dem Bakinekoe-Gebiet, indem sie verbreiteten, die Firmen arbeiteten für einen kriegerischen Kommandanten, der ihnen folge; wer ihnen Kautschuk verkaufe, werde vom „Molundu-Commandanten“ und der GSK bestraft; der Verkauf von Nahrung sei „bei Todesstrafe“ verboten; das Salz der Küstenfirmen sei vergiftet; sie brächten die Pest ins Land.236 Gleichzeitig versuchte die GSK, die Batanga-Firmen aus dem Feld zu schlagen, indem sie mehr Waren zu besseren Preisen nach Sangha-Ngoko schaffte. Ende 1904 begann sie, ihr Konzessionsgebiet auch von der Küste aus zu bearbeiten, und kaufte eine Faktorei in Kribi.237 Außerdem übte sie Druck auf die Regierung aus, trade back zu verbieten. Scharlach drohte, die GSK würde ihr Konzessionsgebiet „wie die übrigen Firmen“ ausbeuten, „das heißt, durch Gewährung von ‚Trust‘ an schwarze Zwischenhändler“.238 Wenn die Regierung dies nicht wolle, könne sie ja das trustGeben allgemein verbieten.239 Vor allem aber erschloss sie für fast 50.000 Mark den Nyong als Wasserstraße.240 Bisher galt auch der Nyong nur von seiner Mündung bis Dehane, wenige Kilometer vom Meer entfernt, als mit Dampfern befahrbar. Die GSK stellte jedoch fest, dass der trübe dahinfließende Fluss im Binnenland schiffbar war. Mit Dampfern, so kalkulierte sie, würden die teuren Trägertransporte zwischen Küste und Kautschukfrontier teilweise entfallen. Im Oktober 1904 und im März 1905 ließ von Schlippenbach zwei Dampfer in Einzelteile zerlegt von der Küste bis 232 233 234 235 236

237 238 239 240

Vgl. BArch R 1001/3445, 44–47; Ballhaus 1968, 146. Vgl. AFS 415 Notiz Stetten-Buchenbach [Januar 1903]. Vgl. ACW Bilanzen 1903. Vgl. BArch R 1001/3445, 69; Jäckel 1909, 275. Vgl. BArch R 1001/4291, 118; BArch R 1001/3449, 61 f. Auch die Angestellten der Batanga-Firmen waren nicht zimperlich. Afrikanische Händler von Randad & Stein verprügelten Bewohner des Dorfes Selekanda, die ihren Gummi zur GSK bringen wollten. Vgl. BArch R 1001/3450, 146. Vgl. BArch R 1001/3455, 132. BArch R 1001/3828, 43. Vgl. BArch R 1001/3828, 44. Es blieb bei der Drohung. Ballhaus und Wirz nehmen fälschlicherweise an, die GSK habe trust genutzt. Vgl. Ballhaus 1968, 174; Wirz 1972, 118. Vgl. AGR CCCI 1682 Aufstellung Grundeigentum und Plantagen, 31.12.1909.

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Onanabessa an den Nyong transportieren und erforschte den Lauf des Flusses.241 Gleichzeitig erhielt auch von Stein den Auftrag der Regierung, dessen Schiffbarkeit zu erkunden.242 Der Nyong erwies sich ab der Jaunde-Straße bis zur Einmündung des Longmafog sechs Monate im Jahr als schiffbar. Zudem war es möglich, diese Strecke zu erweitern.243 Die Schiffbarmachung übernahm von Reppert.244 Mit Dynamit begann er, was er für Aufräumarbeiten hielt, aber die Lebensgrundlage der am Nyong-Ufer lebenden Maka bedrohte. Um Fischreusen zu befestigen, hatten sie Pfähle in den Fluss getrieben, die die Schifffahrt störten.245 Deren Entfernung führte zum Konflikt.246 Nach Angaben der Bremer Westafrika-Gesellschaft erschossen GSK-Angestellte einige Maka: „Wo sie aufmuckten, wurde einfach geknallt – ein paar Tote und es ging weiter!“247 Ob dies der Wahrheit entsprach, ist unklar.248 Im April 1905 transportierten zwei Dampfer und 70 Kanus Waren für die GSK.249 Die Kanus wurden vor Ort gekauft, die Besatzung bestand zumindest zum Teil aus Kru und Bangala.250 Doch ab Dezember 1904 häuften sich die Probleme am Nyong. Vai-Arbeiter der GSK wurden angegriffen, zwei Händler der Wollo-Faktorei getötet.251 In den nächsten Wochen vertrieben die Maka die GSK vom südlichen Nyong-Ufer. Auch von Steins Expedition geriet in Schwierigkeiten. Seit dem 9. März 1905 kam es zu Kämpfen.252 Mit Beginn des Krieges im April 1905 eskalierte die Gewalt. Von Stein wurde bei Atok eingeschlossen.253 Die Kanus und Faktoreien der GSK wurden angegriffen und beraubt. Bis auf die Headmen entliefen sämtliche Arbeiter.254 Zeitweise musste die GSK ihr Obernyong-Depot aufgeben und ihre Agenten nach Atok retten, zahlreiche afrikanische Angestellte wurden getötet.255

241 Vgl. BArch R 175-I/65, 102. Es handelte sich um die Dampfer Gouverneur von Puttkamer und Nyong. Vgl. BArch N 2231/2 Schlippenbach an Puttkamer, 09.12.1904; AGR CCCI 1682 Dampfer und Flussmaterial in Afrika, 31.12.1909. Ein Bild der Gouverneur von Puttkamer findet sich in Wagner 1910, 100. 242 Vgl. BArch R 175-I/67, 99. 243 Vgl. BArch R 1001/3447, 113; BArch R 175-I/67, 99. 244 Vgl. Königs 1943, 72; BArch R 1001/3451, 17; BArch R 1001/4289, 140. 245 Vgl. Fahrner 1940, 30. 246 Vgl. BArch R 1001/4291, 120. Für ein Foto der Zerstörung einer Fischreuse vgl. Königs 1943, 80. 247 BArch R 1001/4290, 7. 248 Von Reppert wurde später angeklagt, auf Menschen geschossen, sie eingefangen, verprügelt und zu Trägerdiensten gezwungen zu haben. Vgl. BArch R 1001/3451, 17. 249 Vgl. BArch R 175-I/135, 101. Kanus konnten ganzjährig fahren, Dampfer 8 Monate. Vgl. BArch R 1001/3889, 9. 250 Vgl. BArch R 1001/3448, 6 f.; BArch R 1001/3448, 11. 251 Vgl. BArch R 175-I/67, 100 f. 252 Vgl. BArch R 1001/3447, 144. 253 Vgl. BArch R 4289, 162; BArch R 1001/4289, 141. 254 Vgl. BArch R 1001/3448, 6 f. 255 Vgl. BArch R 1001/4289, 165.

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Zur fortdauernden Gewalt kam für die GSK ein Führungsproblem. Innerhalb eines Jahres verschied die gesamte Kameruner Leitung. Von Schlippenbach erkrankte an Schwarzwasserfieber und starb am 23. März 1905.256 Im November 1904 war bereits sein Stellvertreter Ernst Lüdemann gestorben. Nicht einmal einen Monat nach von Schlippenbachs Tod starb auch sein Nachfolger W. Schulze.257 Das Unternehmen geriet in einen Schlingerkurs,258 die GSK-Führung aber traute niemandem die Leitung zu. C. Hoffmann galt als schwach und musste bald ersetzt werden.259 Zwischenzeitlich erwog die GSK sogar, Langheld zu reaktivieren.260 Schließlich übernahm Kalmár den Posten.261 Infolge der wachsenden Gewalt kühlte sich das Verhältnis zwischen GSK und Lokalverwaltung ab. Stationschef von Stein, behauptete das Unternehmen 1906, sage offen, „er würde gegen die G.S.K. arbeiten, wie und wo er könne“.262 Nach Ausbruch des Krieges und der Querelen mit der GSK bat von Stein deshalb darum, Sangha-Ngoko nicht wieder leiten zu müssen, „da an ein erspriessliches Arbeiten meinerseits mit der Gesellschaft kaum gedacht werden kann“.263 Auch Scheunemann entwickelte sich zum Feind der GSK. Bereits Anfang 1905 beschwerte er sich, dass „den Eingeborenen in [sic!] hiesigen Bezirke das Verhältniß zwischen Regierung und Gesellschaft einfach völlig unklar ist und die G.S.K. gern eine Art Nebenregierung ausüben möchte“.264 Ebenso bemerkte Preuss, der anfangs als GSK-Freund galt, dass die Angestellten der GSK „aus der Konzessionsverleihung ganz besondere zum Teil recht bedenkliche Vorrechte für sich herzuleiten belieben“.265 Der Streit eskalierte nach den Ereignissen in Bokamonene. Als die GSK sich über die Zerstörung des Dorfes beschwerte, platzte Scheunemann der Kragen: Die GSK spiele sich als Herrin der Politik auf und fordere, „die Verwaltung möge ‚immer nur‘ in Uebereinstimmung mit ihr vorgehen“.266 Sie habe kein Recht, sich über sein Vorgehen in Bokamonene zu beschweren, denn dieses sei tatsächlich nach „vorheriger Rücksprache“ mit dem stellvertretenden GSK-Direktor Schulze erfolgt. Durch sein Eingreifen habe er auch die „Unruhen in Jukaduma im Keim erstickt“.

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Vgl. BArch R 1001/3447, 145; BArch R 1001/3455, 162. Vgl. BArch R 1001/3455, 162. Vgl. BArch R 1001/3450, 137. Vgl. AFS 415 Stetten an Stetten-Buchenbach, 01.11.1906. Vgl. BArch R 1001/3455, 162. Vgl. Kap. 5.3. BArch R 1001/3450, 145. BArch R 1001/3450, 189. BArch R 1001/3448, 49. BArch R 1001/3448, 47. BArch R 1001/3448, 141.

Trade back: Afrikanisierung des Handels, 1902–1907

Herr Schulze meinte allerdings, die Häuptlinge von Jukaduma müßten gehängt werden. Ich bedaure, daß ich mir diese Äußerung nicht habe schriftlich geben lassen. Ob auch die heimische Geschäftsleitung der Ansicht gewesen wäre, daß ich in dieser Beziehung in ‚Uebereinstimmung‘ mit der Direktion in Molundu hätte vorgehen müssen, erscheint mir zum Mindesten zweifelhaft.267

Immer wieder gab es Streit darüber, wer für die Gewalt verantwortlich war. Zu Recht gab die GSK-Leitung der Regierung eine Mitschuld. Diese trieb gewaltsam Strafzahlungen ein, verpflichtete Dörfer zu Arbeitsleistungen im Wegebau und ihre Soldaten stahlen den Menschen ihre Ernte. Im April 1905 beschwerte sich deshalb das Familienoberhaupt Bakinekoe beim GSK-Agenten Heuser: „Der ‚Gobina‘ [Governor] […] nimmt mir den Chop aus den Pflanzungen und holt fortwährend meine Leute zum Arbeiten weg“.268 Gewaltsame Übergriffe der Schutztruppe gegen die Bevölkerung waren häufig, weshalb diese allgemein als Landplage galt.269 Heuser beklagte, dass die Soldaten in Padom den Dorfchef und zwei seiner Leute grundlos erschossen hätten.270 A. Wolf zeigte an, dass eine Regierungspatrouille in Ambum zwölf Menschen, darunter Frauen und Kinder, bestialisch ermordet hatte. Scheunemann aber stellte sich hinter den Patrouillenführer, den Jaunde-Soldaten Isumba, leugnete das Massaker und ließ seinem Antisemitismus freien Lauf: Ich glaube diesem tapferen Mann [Isumba – T. Oe.] unbedingt mehr als dem Israeliten Wolf und seinem sauberen Clerk. […] Es ist ein höchst unwürdiger Standpunkt dieser Krämerseelen und Pfennigskehlen, daß sie dieselben Leute, deren Hilfe sie in ihrer Angst händeringend von Jehova erbeten, hinterher beschimpfen und verleumden.271

Überall geriet die GSK nun ins Hintertreffen. Bakinekoe sagte zu Heuser, er solle seine Waren nehmen und dorthin zurückgehen, woher er hergekommen sei.272 Die GSK, so Scheunemann, beschleiche „das Gefühl eines Hasen, wenn die Schonzeit vorüber“ ist.273

267 268 269 270 271

Alle Zitate: BArch R 1001/3448, 146 f. BArch R 1001/3448, 133. Vgl. Wirz 1972, 134; Morlang 2008, 56 f. Vgl. BArch R 1001/3448, 133. BArch R 175-I/205, 52 f. Kein Täter wurde bestraft. Vgl. BArch R 175-I/205, 63; BArch R 175-I/205, 65 f. 272 Vgl. BArch R 1001/3448, 133. 273 BArch R 1001/3448, 148.

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Trade back und Gewalt Auch wenn Scheunemann sich energisch mit der GSK stritt, ließ er doch auch kein gutes Haar am Handel der Küstenfirmen. In einem zweiten „Schulbeispiel“ zeigte er, wie auch trade back das Verhältnis zwischen Händlern und Bevölkerung belastete: Die Firma X. errichtet eine Handelsniederlassung bei einem einflußreichen NjemHäuptling seitwärts der Straße im Busch, den der gewandte farbige Bane-Händler der Firma X. geschickt ausbaldowert hat. Der Häuptling bekommt ein Quantum Waaren ins Haus gelegt und verpflichtet sich dafür Gummi zu liefern. […] Nun sitzt der Bane-Händler in der Wolle, genau wie der Jude bei uns beim Bauern in Hessen und in der Rheinpfalz. Er belegt die besseren Häuser des Dorfes und einen Teil der Viehherde mit Beschlag und läßt sich sicher nicht von den häßlichsten Weibern karessieren. Sollte der Häuptling Miene machen, sich über den Händler zu beschweren, so droht dieser, ihn beim Gouvernement als unruhigen Kopf zu denunziren. Das erste vom Weißen selbst vorschußweise verausgabe Waarenquantum ist schnell und richtig in Gummi umgesetzt. Einem so zuverlässigen Händler, der so prompt Gummi liefert, kann man schon das Vertrauen erweisen, ein größeres Warenquantum zu trusten. Auch das zweite Mal wird der entsprechende Gummi richtig geliefert. Daß dabei ein Drittel der Waren in die Tasche des Bane-Händlers gewandert ist, ist Nebensache. Das geht so lange gut, bis dem Njem-Häuptling die Geduld reißt und er den Bane-Händler totschlagen läßt.274

Für viele Familienoberhäupter und Gummisucher wurde bald offensichtlich, dass sie Bauch- gegen Zahnschmerzen getauscht hatten, indem sie die Küstenfirmen gegenüber der GSK bevorzugt hatten. Auch den Handel jener Firmen – allen voran trade back – kennzeichneten Übergriffe und Gewalt. Spätestens während des Krieges gewann die GSK wieder an Vertrauen. „Jeden Tag fast“, berichtete GSK-Agent von Stetten 1906 aus dem Ndsimu-Gebiet, „kommen Häuptlinge zu mir mit regelrechten Geschenken und bitten mich ich soll eine Faktorei errichten, sie würden viel Gummi bringen.“275 Dass es so weit kam, rührte daher, dass die Schuldner ihre Kredite begleichen mussten, indem sie genügend Kautschuk an den Händler lieferten. Der fliegende Händler besuchte von Zeit zu Zeit seine Schuldner und drängte auf Rückzahlung des trust. Hauptagent Kurrle erklärte: „After a month or two he comes again to collect the rubber for the goods he has given out and he is sure not to get even a basket so he has to come again month after month until he is able to collect

274 BArch R 175-I/67, 119 f. 275 AFS 415 Stetten an Stetten-Buchenbach, 01.11.1906.

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his rubber.“276 Auch tradebacks, die sich wie in Scheunemanns „Schulbeispiel“ dauerhaft in einem bestimmten Ort niederließen, erinnerten ihre Gastgeber an ihre Schulden, indem sie deren Besitz konsumierten.277 Tradebacks übten Druck auf ihre Handelspartner aus, weil sie selbst ihren Auftraggebern schließlich die vereinbarte Menge an Kautschuk bringen mussten. Nur so konnten sie sich als vertrauenswürdige Geschäftspartner erweisen und erneut Kredit erhalten. Da ihr Gewinn in der Differenz zwischen als trust an sie vergebenen Waren und eigentlichem Kaufpreis des Kautschuks lag, bestand für die Händler ein Anreiz, ihren Handelspartnern möglichst wenig zu zahlen oder gar Kautschuk ohne Gegenleistung zu erpressen. Gerade deshalb blieben die Wanderhändler nicht, wie Wirz vermutet, „mehr oder weniger an die alte Ordnung gebunden“,278 sondern rissen sie ein. Hierin lag das Problem des trade back: Das Eintreiben von Forderungen geschah „fast nie ohne Drohung und Gewalt“.279 Zu den bedeutendsten Konflikten gehörten Streitigkeiten über den Wert von Kautschuk und damit die Menge dessen, was die Schuldner zu liefern hatten.280 Der tradeback Bagalle bewertete (wie beschrieben) in Makamakoe den von einem Schuldner gelieferten Gummi mit 5 statt der geforderten 6 Dollar.281 Ob Bagalle zu Recht mehr Gummi forderte oder ob es sich um eine Strategie handelte, noch mehr aus seinem Schuldner herauszupressen, bleibt unklar. Dass er aber drohte, den Mann anzuzeigen und als Entschädigung zusätzlich ein Schaf forderte, das einen großen lokalen Wert hatte,282 macht deutlich, dass Bagalle seinen Schuldner erpresste.283 Während Kaufleute und tradebacks den Wert des Kautschuks in der ursprünglichen Abmachung fixiert hatten (etwa: 600 Mark in Waren für 250 Kilogramm Kautschuk), lag die Bedeutung der Handelstechnik gerade in der Flexibilität der Bewertungen. Tradebacks wollten Gummi besonders gering bewerten, um mehr Waren behalten zu können, ihre Handelspartner möglichst hoch. Konkurrierende Berechnungsmethoden wie Dollar, Mark und Kessel eröffneten Möglichkeiten hierzu. In den Quellen findet sich dieser Interessenkonflikt beschrieben als das Problem, dass tradebacks Waren als trust ausgaben, ohne vorher mit ihren Handelspartnern den zu zahlenden Preis, also die Menge zu liefernden Gummis, abzusprechen.284

276 LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 15.08.1908. 277 Dies war eine Pervertierung vorkolonialer Handelsbräuche. Handelspartner beherbergten und versorgten einander, bis der Handel abgeschlossen war. Vgl. Wirz 1972, 100 f. 278 Wirz 1972, 130. 279 KA 1908, 7. 280 Vgl. Geschiere 2007, 51 ff.; Geschiere 2005, 255 f. 281 Vgl. BArch R 1001/4291, 127. 282 Vgl. Koch 1946. 283 Vgl. BArch R 1001/4291, 127. 284 Vgl. BArch R 1001/8114, 163.

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Dies war kein Problem, das einzig trade back betraf. Aber die stark gestiegene Zahl von Händlern, die abhängig davon waren, Kautschuk möglichst günstig zu kaufen, machte Streit über die Bewertung häufiger. Um die Rückzahlung des trust zu erzwingen, nutzten tradebacks verschiedene gewalttätige Strategien. Wie von Scheunemann beschrieben und am Beispiel Bagalles gezeigt, drohten die Händler mit der Regierung. Diese „bay him strong“ genannte Technik war eine Extraversion kolonialer Macht:285 Die tradebacks nutzten die Regierung und ihr Gewaltpotential für eigene Zwecke. Für die Kolonialmacht war dies sehr ärgerlich, entfremdete es doch die Bevölkerung von ihr.286 Eine weitere Technik, um Druck auf die Schuldner aufzubauen und sich gleichzeitig zu bereichern, war die in anderen Kontexten panyarring genannte Praxis: „retaliatory seizure of goods or people“.287 GSK-Agent Zippelius etwa schrieb 1906 aus Besam, liefere ein Schuldner den Händlern ihren Gummi „nicht innerhalb einiger Tage, so holt sich der Einkäufer eine Ziege aus dem Dorfe oder einen Kochtopf etc. aus dem Haus des betreffenden Eingeborenen, um sich schadlos zu halten“.288 Bagalle praktizierte ebenfalls panyarring, denn er „nahm […] auch noch einen kleinen Jungen fest als Pfand für eine kleine Gummischuld“.289 Nach anderen Angaben versuchte er, ein Gewehr zu konfiszieren.290 Beschlagnahmungen und die Geiselnahme von Frauen, Kindern und Familienoberhäuptern waren übliche Praktiken, um die Rückzahlung von Schulden zu erzwingen.291 Nicht nur afrikanische Händler trieben trust auf diese Weise ein. Der Händler Bibamba erklärte, sein früherer Chef, der 25-jährige Victor Wenzel aus Konstanz,292 sei einer der wenigen Europäer, die dies selbst täten.293 Deshalb, so der Händler Salomon, hatte Wenzel im Dorf Wollo „immer viel Palaver, die Eingeborenen liebten ihn nicht wegen des Trustes und brachten ihm nicht gerne Gummi. Er schlug die Leute oft und machte ihnen Angst, indem er ihnen mit Schiessen drohte.“294 Auch

285 BArch R 1001/8115, 256. Zur Extraversion in Kamerun vgl. Michels 2004, 225. Allgemein vgl. Bayart 2000. 286 Vgl. KA 1908, 7. 287 Lovejoy/Richardson 1999, 344. Zum panyarring vgl. Ojo 2007; Austin 1993, 108 f. Panyarring war bereits in vorkolonialer Zeit im Kautschukgeschäft der South Coast an der Tagesordnung. Vgl. Deemin 1976, 116. 288 BArch R 1001/3450, 146. 289 BArch R 1001/4291, 127. 290 Vgl. BArch R 1001/4291, 123. 291 Vgl. Jobelmann 2017, 138; NN 1906c, 114. 292 Vgl. BArch R 1001/4291, 132. 293 BArch R 1001/4291, 127. Ebenso trieb Hans Jobelmann von der Meloko-Plantage den trust im Ntum-Gebiet selbst ein. Auf einer einzigen Reise gab es mehrere Tote. Vgl. Jobelmann 2017, 144, 146. 294 BArch R 1001/4291, 123.

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vor panyarring schreckte Wenzel nicht zurück. Im Dorf von Tugumedjoo, der nicht genügend Kautschuk für seinen trust liefern konnte, „fing Wenzel 2 Weiber und Tugumedjoo war mit [sic!] einverstanden, da er diese an Zahlungs statt mit sich führte“.295 Einige Europäer agierten folglich wie tradebacks. Dennoch waren Letztere aufgrund ihrer viel höheren Zahl bedeutsamer für die Gewalt an der Kautschukfrontier. Erpressungen, Diebstahl, Entführungen und Körperverletzungen führten dazu, dass sich immer wieder Dörfer gegen die Händler wehrten. Einer von Messis Sub-Händlern, Mathias Etundi, war möglicherweise Anfang 1904 in einen solchen Zwischenfall verwickelt. Damals arbeitete er als Headman in der Karawane des Händlers Balla von Randad & Stein. Dieser und fünf seiner Träger wurden – angeblich ohne Anlass – „über den Haufen geschossen“.296 Nur Etundi und ein schwerverletzter Träger entkamen. 200 Kilogramm Kautschuk wurden gestohlen.297 Ein Jahr später schrieb Johannes Ngumu, ein weiterer von Messis Mitschülern, Mathias Etundi habe Ärger in Mbidamenge, wo er als Händler arbeitete: „Die Wilden Leute wollten ihn zweimal Tod machen, und er hat ihnen gebietet. Und sie haben ihn freigelassen.“298 Trotz der um sich greifenden Gewalt interessierten sich die Firmenvertreter nicht dafür, wie ihre tradebacks arbeiteten. Die Übergriffe, klagte ein Beamter, waren ihnen ganz gleichgiltig, solange die Händler das vorgeschriebene Quantum Gummi abliefern. Auf welche Weise der Gummi erworben wird, interessiert den Kaufmann nicht und er hat bisher niemals Anzeige gemacht, wenn er seinen Gummi erhalten hat, auch dann nicht, wenn er erfahren hatte, daß der Händler das meiste [die meisten Waren – T. Oe.] für sich gebraucht hat.299

Das Einzige, was die Kaufleute dazu brachte, ihre tradebacks zu sanktionieren, waren Unterschlagungen, wenn diese also zu wenig Kautschuk brachten. Angeblich vergruben die Händler ihren Gummi und verkauften ihn an fremde Buschfaktoreien. Mitte 1906 erhielt das Bezirksamt Kribi täglich derartige Anzeigen gegen tradebacks. Da die Regierung die Strafverfolgung oft mangels Beweisen ablehnte, griffen viele Kaufleute zur Selbstjustiz. Knuth von A. Küderling schlug einen Händler ohnmächtig, Pisalle von Hatton & Cookson brachte einem tradeback 50

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BArch R 1001/4291, 127. Vgl. auch NN 1906c, 114. BArch R 175-I/86, 15. Vgl. BArch R 175-I/86, 15; BArch R 175-I/88, 27. Nekes 1912, 74. BArch R 175-I/16, 9 f.

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Peitschenhiebe bei, um angeblich verborgenen Gummi zu finden. Randad & Stein, Hatton & Cookson sowie R. & W. King ließen ihre Händler und Träger Verluste zwangsweise abarbeiten. Dass dies illegal war, interessierte sie nicht.300 Trade back und die Arbeit der Gummisucher Während GSK und Küstenfirmen an der Kautschukfrontier um Gummi konkurrierten, kämpften sie in der deutschen Öffentlichkeit um die Deutungshoheit.301 Im Juli 1905 erschien in der Kolonialen Zeitschrift ein von der GSK lancierter Artikel, der das Geschäftsgebaren der Batanga-Firmen angriff.302 Im September antworteten diese mit einem Artikel in der Weser-Zeitung, in dem sie den gerade begonnenen Krieg als „Machwerk der Gesellschaft Süd-Kamerun“ darstellten. Sie setzten die GSK in Bezug zum Kongostaat und nutzten so die Diskussionen über die Kongogräuel, die seit 1903 durch die Congo Reform Association einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden waren.303 Sie verwiesen auf die belgischen Financiers der GSK und warfen ihr vor, Kautschuk durch das „Kongosystem“ zu gewinnen, indem sie die Bevölkerung als „Sklaven“ betrachte und zwinge, Gummi zu liefern.304 Diese Auseinandersetzung wurde bis Mitte 1906 in vielen Medien geführt.305 Ein wichtiges Argument der GSK in diesem „Pressekrieg“ war der Verweis auf die Methoden der Kautschukproduktion.306 Denn während die GSK für sich in Anspruch nahm, Kautschuk nachhaltig gewinnen zu lassen, warf sie der Konkurrenz „Raubbau“ vor. Dies traf die Realität: Durch die Konkurrenz zwischen Konzessionsgesellschaft und Küstenfirmen veränderten sich die Produktionsmethoden für Kautschuk und somit die Arbeit der Gummisucher in Sangha-Ngoko. Während zuvor GSK und Regierung überall das Anzapfen von Bäumen nach Schlechters Methode gelehrt hatten, legten Firmen wie Randad & Stein und andere wenig Wert darauf, wie Gummisucher ihr Produkt gewannen. Mit ihren Händlern, trust und trade back kamen einerseits neue Anreize, Zwänge und Methoden nach Südostkamerun, andererseits aber auch professionelle Gummisucher aus fremden Gegenden.

300 301 302 303 304

Vgl. BArch R 175-I/16, 9 f. Vgl. Ballhaus 1968, 166 f. Vgl. NN 1905e; BArch R 1001/4290, 7. Zur Congo Reform Association vgl. Pavlakis 2016; Hochschild 2012. BArch R 1001/4290, 7. Auch auf den Artikel in der Kolonialen Zeitschrift waren bereits Antworten erfolgt. Vgl. NN 1905c; Bremer Westafrika-Gesellschaft 1905. 305 Vgl. u. a. NN 15.09.1905; NN 1905a; Ernst 1906; Stetten-Buchenbach 1906a; Stetten-Buchenbach 1906b; Vietor 1906; NN 1906c. 306 Ballhaus 1968, 167.

Trade back: Afrikanisierung des Handels, 1902–1907

In den vorangegangenen Jahren hatten die zerstörerischen Methoden im Hinterland der Küste große Werte vernichtet.307 Selbst im erst ab 1900 erschlossenen Bulu-Gebiet war Ende 1903 fast kein Gummi mehr zu haben.308 1905 erklärte Romberg nach mehrmonatiger Untersuchung, westlich von Sangha-Ngoko und südlich des Sanaga seien nahezu alle kautschukliefernden Pflanzen (vor allem Lianen) vernichtet.309 Dies, so die begründete Befürchtung bei GSK und Regierung, drohte nun auch den Funtumia-elastica-Bäumen in Sangha-Ngoko. Zum ökonomischen Verlust zählten nicht allein die vernichteten Lianen, sondern auch die Transportkosten der Küstenfirmen. Diese hatten – trade back hin oder her – mit steigenden Einstandspreisen zu kämpfen, die nur mit hohen Kautschukpreisen zu finanzieren waren. Während die Einkaufspreise für Gummi 1904 zwischen 0,80 und 1,50 Mark betrugen, beliefen sich die Einstandspreise an der Küste infolge des weiten Transports 1902 auf 1,67, 1903 schon auf 2,42 und 1904 auf 2,70 bis 3 Mark.310 Destruktive Methoden schädigten zudem den Wert des Kautschuks, da sie diesen mit Rinde, Harz und Flüssigkeiten verunreinigten. 1903 erzielte Batanga-Kautschuk 3,50 bis 6,20 Mark, GSK-Kautschuk aber 7,15 Mark.311 Die Batanga-Firmen kümmerten sich nicht um nachhaltige Methoden. Pelizaeus, Inhaber der Bremer Westafrika-Gesellschaft, fragte noch 1903 bei der KolonialAbteilung ungläubig nach, woher denn das Konzessionsunternehmen GSK, wenn nicht im Raubbau, denn „dann seine 83 Tons Gummi seit 1902 gezaubert hat!?“312 Bei den Kaufleuten vor Ort stand es nicht besser.313 Otto Dunckhorst von Randad & Stein erklärte angeblich: „Die Kautschukzapferei ist Unsinn […] [,] die Leute müssen alles umschlagen, dann bekommen wir mehr Kautschuk, was scheert [sic!] uns die Regierung; was kümmert uns die Kolonie; wir wollen Gummi.“314 Diese Einstellung teilten die Kaufleute mit vielen afrikanischen Händlern. Regierungsvertreter wiesen dem ausländischen afrikanischen Händler „aus allen möglichen fremden Kolonien, der hier schnell reich werden will“,315 eine besonders zerstörerische Rolle zu. Doch nicht nur Einstellung, auch Knowhow war bedeutsam. Bisher hatten die Küstenfirmen Lianen-Kautschuk gekauft, der sich kaum gewinnen ließ,

307 308 309 310 311 312 313 314

Vgl. BArch R 1001/8114, 160 f. Vgl. BArch R 1001/4380, 24 f. Vgl. BArch R 1001/8114, 160 f. Vgl. BArch R 1001/8114, 116. Vgl. BArch R 1001/8114, 15. BArch R 1001/8114, 56. Vgl. BArch R 1001/8114, 138. BArch R 1001/8114, 170. Es gab auch Ausnahmen. So bemühte sich Karnatz (Bremer WestafrikaGesellschaft), den Leuten weniger zerstörerische Methoden beizubringen. Vgl. BArch R 175-I/135, 126. 315 BArch R 175-I/135, 126.

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ohne die Pflanzen abzuschlagen. Mit Funtumia wussten sie nicht umzugehen. Ihre Leute behandelten die Bäume wie Lianen – und fällten sie, um dann durch Ringeln Kautschuk zu gewinnen. Diese Methoden verbreiteten sie dort, wo GSK und Regierung Schlechters Techniken noch nicht etabliert hatten. Andernorts zapften die Gummisucher die Bäume falsch oder zu häufig an. Ende 1906 jedenfalls hieß es, entlang der Route zwischen Djah und Nyong seien „alle Gummibäume bis 4 Stunden vom Weg vernichtet“.316 Dass sich destruktive Methoden schnell verbreiteten, lag an der anfänglichen Präferenz der neuen Gummisucher für die Händler von der Küste, deren Methoden sie aufgriffen. Angeheizt wurde ihre Verbreitung durch die hohen Preise.317 Viele Gummisucher sahen eine einmalige Chance, sich schnell zu bereichern. Als die tradebacks zunehmend ihre Kredite mit Gewalt eintrieben, war es auch der Druck der Schulden, der die Menschen dazu brachte, keine Rücksicht auf die Pflanzen zu nehmen.318 Darüber hinaus gab es einen Konkurrenzkampf mit sich professionalisierenden Zapfern von außerhalb um die Baumbestände des Gebietes, der die Einheimischen veranlasste, zu Methoden zu greifen, die die Bäume schädigten. Die Professionalisierung mobiler Gummisucher war ein Nebenprodukt von trade back. Einige tradebacks nutzten ihre als trust erhaltenen Waren nicht, um damit Kautschuk zu kaufen, sondern behielten sie nahezu vollständig. Stattdessen ließen sie ihre Karawanenarbeiterschaft Gummi produzieren. Mungeli etwa schickte seine Arbeiter in den Wald, um Gummi zu machen, während er mit den Waren Ziegen kaufte.319 Auf diese Weise wurden Mungeli und seine Träger genauso wie viele andere Trade-back-Karawanen zu Crews von Gummisuchern, die in fremden Waldgebieten Kautschuk produzierten. Andere tradebacks wiederum nutzten ihre Leute, um Defizite auszugleichen, wenn ihre Handelspartner nicht genügend Kautschuk lieferten.320 Weitere Karawanenarbeiter wurden zu Kautschukproduzenten, weil sie alle Tauschwaren für Lebensmittel verbraucht hatten und nun keinen Kautschuk mehr kaufen konnten.321 Kurzum: Gummiherstellung durch Landfremde war um 1905 ein Massenphänomen.322 Professionelle Gummisucher aus dem westlichen Südkamerun waren die Speerspitze destruktiver Methoden. Wenn sie bereits mit Techniken zur Kautschukgewinnung vertraut waren, dann mit jenen, die die Pflanzen schädigten.323 Wie sehr

316 317 318 319 320 321 322 323

AFS 344 Tagebuch, 21.10.1906. Vgl. BArch R 1001/3445 Kalmar: Bericht, 10.11.1902, o.S. Vgl. Mandeng 1973, 46; BArch R 1001/4291, 121; AFS 344 Stetten: Vortrag, o.D. Vgl. BArch R 175-I/966, 53. Vgl. BArch R 1001/4291, 121. Vgl. BArch R 1001/8114, 204. Vgl. BArch R 1001/8114, 165. Vgl. Behrend de Cuvry 1907.

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diese Methoden mit geographischer Herkunft verbunden waren, erfuhr die GSK, als sie 1904/05 begann, das Obernyong-Gebiet von der Küste aus mit im Westen Südkameruns angeworbenen Arbeitern zu bearbeiten. Diese machten auch selbst Kautschuk – indem sie alle Funtumia-Bäume fällten.324 Landfremde professionelle Gummisucher gingen nicht zimperlich mit den Kautschukbeständen um. Sie hatten keinen Grund, den Reichtum der Region zu schonen.325 Auch dies heizte Konflikte vor Ort an, vergingen sich die Fremden doch an einer wertvollen Ressource.326 Um die Gummibestände zu schützen, verbot das Gouvernement im August 1904 den Kautschuk-Raubbau in Sangha-Ngoko. Es trug aber der Tatsache Rechnung, dass nicht alle Teile der Bevölkerung bereits in nachhaltigen Methoden geschult waren, und bestrafte nur Gummisucher aus Gebieten, „in denen eine Belehrung der Eingeborenen über rationelle Gummigewinnung erfolgt“ war – mit Gefängnis bis zu drei Monaten oder Geldstrafe bis 1000 Mark.327 Auswirkungen hatte das Verbot kaum, da es vor Ort nicht durchzusetzen war.328 Karawanenarbeit, Nahrungsmittel und gewalttätige Karawanenkultur Ein weiterer Grund, warum Gewalt zunehmend den Kautschukhandel bestimmte, waren die Karawanen der Küstenfirmen. „Hunderte von Händlern […] und Träger lungern wochenlang in den Dörfern umher“, klagte Scheunemann, „verunreinigen die Häuser, vergewaltigen Weiber, stehlen etc.“329 Vor allem der Druck auf die Nahrungsmittelversorgung war oftmals verheerend, sodass einige Familienoberhäupter, wie z. B. Tupumetjoo aus dem Dorf Nku, später ihre Beteiligung am 1905 ausbrechenden Krieg mit ihrer Verzweiflung wegen der von den Karawanen ausgelösten Hungersnot begründeten.330 Die Bevölkerung im Ndsimu-Gebiet und anderswo konnte die vielen Trägerinnen und Träger nicht ernähren. 1903, so GSK-Agent Lange, habe das Dorf Besam ihn und seine 30 Vai problemlos versorgt. Essen hätten sie leicht gegen Perlen, Streichhölzer, Draht etc. erhalten. Dann seien die Karawanen der Batanga-Firmen gekommen: Zuerst die Bremer Westafrika-Gesellschaft, die Hamburg-Afrika-Gesellschaft, Randad & Stein, später auch Woermann.331 Fast jeden Tag traf eine Karawane in Besam ein. Die Karawanen waren darauf angewiesen, Lebensmittel in den Dörfern

324 325 326 327 328 329 330 331

Vgl. BArch R 1001/3450, 203 f. Vgl. BArch R 1001/8114, 165. Vgl. BArch R 1001/4291, 120. BArch R 1001/8114, 115. Vgl. BArch R 175-I/70, 7 f. BArch R 1001/4380, 194 f. Vgl. BArch R 1001/4291, 129. Vgl. BArch R 1001/3448, 118.

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zu kaufen, in denen sie rasteten. Dieser Modus des Reisens hatte sich in dichter besiedelten Gebieten entwickelt. Im Njem- und Ndsimu-Gebiet, wo nur wenige Menschen lebten, stieß er an Grenzen. Da der Kautschukhandel sich sehr plötzlich entwickelte, waren die dortigen Dörfer nicht darauf vorbereitet, so viele Menschen zu ernähren.332 Denn Nahrung produzierten die Einwohner nur für den Eigenbedarf. Ihnen fehlten die Zeit und wahrscheinlich auch die nötige Arbeitskraft, um zusätzliche Nahrung für den Verkauf zu produzieren. Viele der wenigen Männer gingen außerdem in den Wald, um Kautschuk zu machen, statt neue Felder zu schlagen. Alle Karawanen besuchten zudem die immer gleichen Dörfer, wie etwa Besam, die Anlaufstationen auf dem Weg durch die toten Zonen waren. In Besam weigerten sich die Menschen deshalb bald, Essen an die Karawanen zu verkaufen, da sie fürchteten, selbst nicht mehr genug zu haben. „Was blieb den Trägern der Konkurrenz weiter übrig“, so Lange, „als in die Eingeborenen-Farm zu dringen und zu stehlen!!“333 Im Besam-Gebiet brach schnell eine Hungersnot aus, da sämtliche Nahrungsvorräte aufgebraucht waren.334 Teilweise kalkulierten Händler den Diebstahl von Nahrungsmitteln ein, um einen größeren Gewinn zu erzielen. Sie gaben ihren Karawanen keine oder nicht ausreichende Mengen europäischer Waren für den Essenskauf mit. Gerade tradebacks rechneten die Waren, die dazu dienten, Nahrung zu kaufen, ihrem Gewinnanteil zu. Mungelis Träger litten bereits nach sechs Tagen unter Hunger, da sie kein Essen mehr kaufen konnten. Um zu überleben, klagten ihre Headmen, mussten sie in den Farmen am Wege stehlen. Später verkauften sie selbstgeschnitzte Löffel, um Essen zu erhalten.335 „Mundraub“, verharmloste der Kaufmann Pilz, der viele Händler ins Ndsimu-Gebiet sandte, sei beim trade back nicht zu vermeiden.336 Die schiere Zahl der Menschen in den Karawanen konnte durch die Nahrungsmittelvorräte im Ndsimu-Gebiet nicht versorgt werden. Im August 1906 traf Curt Knoch von der Bremer Westafrika-Gesellschaft mit 40 Trägerinnen, Trägern und Händlern in Bantum ein, Rudolph Fischer von A. & L. Lubcke mit 100 in Ngom, ebenso Luitpold Leipold und Fehlandt von Randad & Stein in Maniom und Lomie – „und alle diese Herren“, klagte Zippelius, „haben Einkäufer und Träger auch im kleinsten Dorfe“.337 Hinter ihren Händlern her sandten die Firmen große Karawanen, um neue Waren herzuschaffen und Kautschuk abzutransportieren. Wenzel (Woermann) etwa schickte 1905 von Wollo aus ca. 600 Bulu- und Bane-Trägerinnen

332 333 334 335 336 337

Vgl. BArch R 1001/4380, 194 f. BArch R 1001/3448, 118. Vgl. BArch R 1001/3448, 117. Vgl. BArch R 175-I/966, 53. BArch R 1001/4291, 122. BArch R 1001/3450, 146.

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und -Träger ins Ndsimu-Gebiet.338 All diese Karawanen begleiteten Mitläufer, sodass sie mitunter hunderte Personen zählten. So viele zusätzliche Menschen konnten die Dörfer nicht ernähren. Das Familienoberhaupt Suadschin verweigerte Lehning und Bartels deswegen 1904 die Unterkunft in seinem Dorf. Wie er Scheunemann klagte, hatten zuvor viermal hintereinander Karawanen mit 200 Köpfen sein Dorf heimgesucht. Lehning und Bartels blieben trotzdem.339 In Nzulabot nahe Besam wurde Scheunemann Ende April 1905 das Ausmaß des Problems klar. Die Nzulabot-Landschaft bestand aus fünf kleinen Dörfern mit insgesamt ca. 200 Einwohnern. Scheunemann traute seinen Augen kaum: Dort hielten sich „etwa 500 farbige Händler und Einkäufer mit Trägern“ der Firmen Woermann, Randad & Stein, Lubcke, Bremer Westafrika-Gesellschaft und Hatton & Cookson auf. Sämtliche Familienoberhäupter [b]eklagten sich über die Übergriffe der Händler: Diese nähmen alle Verpflegung aus den Farmen, ohne zu bezahlen. Sie selbst litten großen Hunger, da sie aus Menschenmangel nicht so große Farmen anlegen könnten, um derartige Karawanen zu verpflegen. Sie seien völlig machtlos gegen die Händler, da dieselben in der Überzahl wären und ständig mit dem Gouvernement drohten, wenn man ihnen nicht genug Verpflegung gäbe.340

Scheunemann berichtete: „Die hier aufgedeckte Form des Handels, welcher diese Bezeichnung kaum mehr verdienen dürfte, ist geeignet, das gummireiche Land binnen Kurzem wirtschaftlich zu ruinieren.“341 Dass die Karawanen teilweise über Monate in den Dörfern blieben, verschlimmerte die Lage. Freie Zeiteinteilung war ein fester Teil der Karawanenkultur, eine Konzession der Firmen an ihre Arbeitskräfte, um deren Gunst sie mit den anderen konkurrierten. Die Probleme, die dies verursachte, verschärften sich durch die Verschiebung der Kautschukfrontier nach Osten. Nach Kaufmann Greve von Randad & Stein kehrten früher die Karawanen nach zwei Wochen zur Faktorei in Ebolowa zurück, da es drei Tage entfernt noch Gummi zu kaufen gab. 1906 aber brauchten sie häufig zehn Monate.342 Tradebacks verweilten lange im Land. Mungeli und seine Leute etwa blieben 14 Monate im Ntum-Gebiet. Es dauerte, bis ihre Handelspartner den Kautschuk für den trust lieferten;343 und je länger der Kautschukhandel das Gebiet im Griff hatte, desto mehr Zeit war nötig. So erzählte ein Mann namens Ateke, dass seine Leute den Kautschuk „viele Tagesreisen weit 338 339 340 341 342 343

Vgl. BArch R 1001/8114, 164. Vgl. BArch R 1001/4380, 195 f. BArch R 1001/8114, 203. BArch R 1001/8114, 205. Vgl. BArch R 1001/4291, 124. Vgl. BArch R 1001/4291, 17.

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herbeiholen“ mussten, denn „in der nächsten Umgebung war längst aller Gummi verkauft“. Währenddessen blieben die Karawanen im Dorf oder zogen im Lande umher, machten selbst Kautschuk oder terrorisierten die Dörfer. „Die Träger verunreinigten unsere Hütten“, schimpfte Ateke, „spielten sich als die Herren auf, raubten Planten, Hühner und Schafe und übten Gewalt an unseren Weibern.“344 Diese Probleme waren nicht auf den Südosten beschränkt, sondern trafen auch die Transitregionen zur Küste entlang der Jaunde-Straße – besonders den LolodorfBezirk. Hier zogen Karawanen aus Sangha-Ngoko im Osten, aus Joko, Nanga Eboko und Dengdeng im Norden, sowie aus dem Ntum-Gebiet im Süden durch.345 Erstaunt schrieb die Missionarin Mackenzie 1904 an ihren Vater, Lolodorf sei gar nicht das Ende der Welt, wie anfangs gedacht: [I]t is really a most cosmopolitan region […]. The great highway that passes our gate is a river of life, – a mingling of many waters drawn from the dark places of the interior. The long files of carriers, that make from the interior to the beach and back again, stop in this neighborhood overnight […].346

Doch die Menge der Durchziehenden führte zu Konflikten. Der einstmals berüchtigte Ntunga verlegte sein Dorf in den Wald, um es nicht länger den Karawanen auszusetzen.347 Diese verunreinigten Straßen, Lager- und Wasserplätze, erpressten Lebensmittel, demolierten Dächer und Betten für Lagerfeuer. Wenn die Regierung die Leute schon zwinge, an der Straße zu wohnen und die Karawanen zu versorgen, so der Stationschef von Lolodorf, sei sie auch verpflichtet, die Leute zu beschützen.348 Doch nichts änderte sich.349 Für die Übergriffe waren nicht nur die Gier der Firmen und die Not der Karawanen verantwortlich,350 sondern auch Südkameruns gewalttätige Karawanenkultur. Hauptmann Schlosser, der Scheunemann als Bezirkschef ablöste, bemerkte: Die Bulus, Banes, Ngumbas, Genoas, Jaundes, die die Hauptbestandteile der Karawanen ausmachen, dürften häufig für so weite Reisen außerhalb ihrer Heimat nur durch das stillschweigende Einverständnis des Karawanenführers sich gewinnen lassen, daß sie nach Herzenslust rauben und plündern können.351

344 345 346 347 348 349 350 351

Beide Zitate: BArch R 1001/4291, 129. Vgl. BArch R 175-I/966, 65. Mackenzie 1916, 33. Vgl. BArch R 175-I/966, 83. Er starb wenig später am 29. März 1907. Vgl. Skolaster 1910a, 78. Vgl. BArch R 175-I/966, 4. Vgl. BArch R 175-I/966, 65. Vgl. Argenti 2008, 104; Winkler 1960, 256; Kaeselitz 1968, 39. BArch R 175-I/966, 77.

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Solche Arrangements waren in den Vai-Karawanen entstanden. Ihre lokal angeworbenen Nachfolgerinnen und Nachfolger übernahmen auch diesen Teil der Karawanenkultur. Besonders galt dies für Reisen nach Osten. Sobald die Karawanen die Gebiete verließen, in denen sie über Netzwerke verfügten, handelten sie, als wären sie in Feindesland. Sie hatten leichtes Spiel: „Ein mittelgroßes Dorf “, erklärte Schlosser, „ist gegen eine Karawane von 100–200, wenn auch unbewaffneten Männern machtlos und diese Herren der Lage.“352 Europäische und afrikanische Händler konnten oder wollten wenig gegen die gewaltsame Karawanenkultur tun. Als Lehning und Hübner von der HamburgAfrika-Gesellschaft am 21. September 1904 Bakinekoe erreichten, vertrieben ihre Trägerinnen und Träger die Einwohner aus ihren Hütten, raubten Verpflegung und stahlen, ohne dass die Europäer sie hinderten. „Auf die sich sträubenden Einwohner hieben die Träger mit Haumessern. Auch die Vey-Boys der Gesellschaft Süd-Kamerun wurden misshandelt, und Bernauer, der Hauptagent von S. K., wurd [sic!] angegriffen.“353 Bei seiner Vernehmung erklärte Lehning, „er habe keine Gewalt über eine Karawane von 150 Trägern“.354 Dies war nicht ausschließlich der Versuch, sich der Verantwortung zu entziehen. Auch GSK-Agent Lange unterstrich, dass die Europäer der Küstenfirmen wenig Handhabe gegenüber ihren Karawanen hatten. Vor allem die Mitläufer waren ein Problem, beklagte Lange: „Ein Weisser kann eine grosse Karawane, wobei sich oft Kranke, Weiber und Kinder befinden, beim besten Willen nicht gut zusammenhalten und für Ruhe und Ordnung sorgen. Viel mehr ist dies noch der Fall, wenn die Träger nur mit ihren Headleuten marschiren.“355 Einige Kaufleute nutzten die gewaltsame Karawanenkultur und machten aus ihren Leuten eine Räuberbande. R. Verdick von Randad & Stein und ein Herr Koehne hatten 1905 in Spanisch-Guinea bzw. dem nördlichen Gabun, wo sie sich der deutschen Verwaltung entziehen konnten, „auf eigene Faust […] Krieg geführt und Gefangene gemacht“.356 Verdick errichtete im Grenzgebiet „eine richtige Konquistadoren-Wirtschaft und Schreckensherrschaft“.357 Mit 100 Bewaffneten griff er Dörfer an und machte Gefangene – teilweise um die Rückzahlung von trust-Schulden zu erzwingen, teilweise um Gewehre, Ziegen und natürlich Kautschuk als Lösegeld zu erpressen. Koehne ließ auch Dörfer überfallen und plündern. Gefangene Frauen wurden vergewaltigt und ihre Säuglinge getötet.358

352 353 354 355 356 357 358

BArch R 175-I/966, 77. BArch R 1001/3535, 61. BArch R 1001/3535, 61 f. BArch R 1001/3448, 117. Vgl. BArch R 1001/8114, 206 f. BArch R 1001/8114, 207. Vgl. BArch R 1001/8114, 206.

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Bezahlungsmodelle, Beschleunigung und Brutalisierung des Handels „Es giebt im ganzen Sanga-Ngoko-Gebiete nur einen Götzen“, schimpfte Scheunemann angesichts der Gewalt, „um den sich alles dreht und dem der letzte Funke anständiger Gesinnung zum Opfer gebracht wird; und dieser Moloch heißt: Rubber!“359 Dass Betrug, mörderische Gewalt und die Zerstörung kautschukproduzierender Pflanzen so schnell um sich griffen, war den Profitmöglichkeiten des Kautschukhandels geschuldet. Europäische und afrikanische Angestellte waren durch das System der Entlohnung direkt am Gewinn beteiligt: Ihr Anreiz war nicht ihr festes Gehalt, sondern ihre Kommission, ihr Gewinnanteil, mit dem die Firmen dafür sorgten, dass ihre Händler möglichst viel Gummi kauften.360 Die Gewinnbeteiligung, so Rohrbach 1906, „spannt den Wetteifer der Firmen aufs schärfste an“.361 Dass Handelsunternehmen in Westafrika leitenden Angestellten eine Kommission zahlten, war nicht ungewöhnlich.362 Herausragend in Südkamerun waren Höhe und Verteilung der Kommissionen. Anfangs zahlten Lubcke und Randad & Stein nur Hauptagenten geringe Kommissionen. Dies änderte sich mit der Krise der Jahrhundertwende. Da sich Kautschukhandel zu diesem Zeitpunkt nur durch großen Umsatz rechnete, spornten die Firmen ihre Mitarbeiter an, möglichst viel Gummi zu kaufen.363 Zuerst zahlten sie 10 Pfennig pro Kilogramm, was aber die Kaufleute verleitete, Kautschuk auch zu unwirtschaftlichen Preisen zu kaufen.364 Kautschuk um jeden Preis zu kaufen, konnte dazu dienen, Konkurrenz aus dem Felde zu schlagen, war aber in Krisen ein Problem. Deshalb beteiligten die Firmen vor 1905 ihre Angestellten am Nettogewinn der von ihnen verwalteten Faktoreien.365 So hatten sie einen Anreiz, viel Kautschuk zu kaufen und ihre Faktoreien wirtschaftlich zu führen. Kommissionen waren für viele ein starker Ansporn – etwa für Richard Krönig, der 1907 für die Kleinfirma Theodor von Cloedt arbeitete: „Vorläufig hab ich nur den einen Gedanken: Ich will Gummi sehen, wieder Gummi sehen und schließlich nochmals Gummi sehen, um am Ende des Geschäftsjahres mit meiner Commission

359 360 361 362 363 364 365

BArch R 175-I/205, 53 f. Hervorhebung im Original. Vgl. BArch R 1001/4291, 16. Rohrbach 1907, 326. Vgl. Zöller 1885b, 119; Dorward 2001, 74. Vgl. BArch R 1001/3227, 59 f.; BArch R 1001/8114, 162. Vgl. LRO 380 HOL 1/4/11, 238. Vgl. BArch R 1001/8114, 162; NN 1905e, 293; Osman 1911, 37; DITSL SA T. Bicker-Caarten, 97; NN 1918, 141. Theodor von Cloedt zahlte 1907 an Krönig im 1. Jahr nur 5 % und versprach 10 % für das 2. Jahr. Vgl. DHM Do 2005/34 Krönig an Irma, 31.08.1907; DHM Do 2005/34 Krönig an Eltern, 06.03.1907.

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gut abzuschließen.“366 Viele der jungen Männer waren mittellos, hatten Schulden oder versuchten, schnell zu Geld zu kommen und sich selbständig zu machen.367 Mit den steigenden Kautschukpreisen und der nach 1902 wachsenden Kautschukmenge konnten Kaufleute bei 10 Prozent Anteil am Reingewinn sehr viel Geld verdienen. In einer Welt, in der große Vermögen in der Regel nur durch Heirat oder Erbschaft erworben wurden, waren die Kommissionen mehr als verlockend. Diese Form der Bezahlung und anziehende Kautschukpreise lösten Südkameruns Goldrausch aus. Schon 1905 verdienten „selbst einfache Buschangestellte“ durch ihre Kommissionen 10.000–15.000 Mark zusätzlich zu ihrem Gehalt, einige sogar bis zu 50.000 pro Jahr.368 Selbst wer erstmals nach Kamerun fuhr, häufte in kurzer Zeit 25.000–30.000 Mark an.369 Erfahrene Kaufleute, die besonders lukrative Faktoreien verwalteten, wie z. B. Anton Sutter, der für Randad & Stein das Obernyong-Geschäft führte, konnten große Vermögen aufbauen.370 Enorme Einnahmen bezogen die Hauptagenten: August Faasch von Randad & Stein erhielt 25.000 Mark Gehalt und zusätzlich 15 Prozent vom gesamten Reingewinn der Firma in Kamerun. 1903 soll er allein durch die Gewinnbeteiligung 120.000 Mark verdient haben. Auch Hermann Muth von der Bremer Westafrika-Gesellschaft verdiente 1903 angeblich 100.000 Mark.371 Dagegen waren die Kommissionen der GSK-Agenten bescheiden. Das Unternehmen orientierte sich am Kongostaat, wo Gewinnbeteiligungen ebenfalls den Umsatz steigern sollten.372 Die Direktoren in Kamerun erhielten zwei Prozent Kommission.373 In den Verträgen der Agenten fehlte ein solcher Passus.374 Aus Kulanz erhielten Faktoreileiter 4 Prozent auf ihre Gewinne.375 Für das Unternehmen machten hohe Kommissionen wenig Sinn, da es aus Arbeitermangel nicht in der Lage gewesen wäre, große Kautschukmengen abzutransportieren. Dem geringen Umsatz entsprechend waren die ausgezahlten Kommissionen niedrig.376 Die Gewinnbeteiligung afrikanischer Angestellter unterschied sich je nach Ort, Firma und Mitarbeiter. Einige bekamen eine Kommission zusätzlich zu ihrem

366 DHM Do 2005/34 Krönig an Irma, 31.08.1907. 367 Vgl. DHM Do 2005/34 Krönig an Eltern, 13.04.1908; DHM Do 2005/34 Krönig an Eltern, 15.03.1908; DHM Do 2005/37, 19. 368 BArch R 1001/3898, 38. 369 Vgl. BArch R 1001/8114, 161. 370 1909/10 erzielte sein Geschäftszweig 291.825 M Reingewinn. Vgl. NN 1918, 141. 371 Vgl. NN 1905e, 293; NN 1907c, 3. Vgl. auch BArch R 2225/17, 57. 372 Vgl. MFM KJh 16 Kalmár an Katalin, 24.12.1899; AFS 415 GSK-Direktoriumssitzung, 05.02.1903. Zu Kommissionen im Kongo vgl. Harms 1975, 79. 373 Vgl. BArch R 1001/3443, 144. 374 Vgl. AGR CCCI 1682 Proposition pour la réorganisation, o.D. 375 AFS Protokoll, 05.02.1903. 376 1902 erhielt Bernauer nur 2.934, Haremaker nur 511,96 Fr. Vgl. BArch R 1001/3455, 85.

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Gehalt. Zampa etwa erhielt monatlich 400 Mark Kommission.377 Bei der GSK waren die Kommissionen bei afrikanischen Angestellten im Gegensatz zu den europäischen vertraglich festgehalten. Der Clerk Ghartey erhielt neben seinem Gehalt 5 Centimes auf jedes Kilogramm gekaufter Produkte.378 Andere afrikanische Händler wurden ausschließlich mit der Kommission vergütet. Kauften sie nicht genug Kautschuk, hatten sie ein geringes Einkommen. 1909 erhielten Händler des Kaufmanns Wolff, John Holt & Co., 30 Pfennig pro angeliefertem Kilogramm Kautschuk als einzige Bezahlung.379 Genauso verfuhr die Afrikanische Kompanie. Die Hamburg-Afrika-Gesellschaft jedoch zahlte zusätzlich ein festes Gehalt von 20 bis 100 Mark, was sie zu einem beliebteren Arbeitgeber machte.380 Manchmal war die Form der Bezahlung sogar den einzelnen Kaufleuten überlassen. Die Logik, nach der diese verfuhren, machte Krönig, nun Bremer Kolonial-Handelsgesellschaft, klar: Die Händler würden bei sicherem Gehalt „gerne nichts tun, daher keinen Gummi liefern, denn Gehalt bekommen sie ja. Da ich aber Gummi haben will bleibt nur die Commission übrig. […] Wie hoch diese sein wird, kann ich im Augenblicke noch gar nicht sagen.“381 Die Händler arbeiteten für ihn also, ohne Gehalt und ohne genaues Wissen darüber, wie hoch ihre Gewinnbeteiligung ausfallen würde. Trotzdem scheint Krönig 1911, während der Höchstpreise für Kautschuk, stets über ausreichend Händler verfügt zu haben. Unter diesen Umständen hatten die Kaufleute wenig Interesse, sich um Methoden zur Kautschukgewinnung oder die Behandlung der Produzenten und sonstigen Bevölkerung zu kümmern. Stattdessen steuerte rücksichtslose Gier ihr Handeln, wie von Puttkamer feststellte: „Vom Hauptagenten herunter bis zum jüngsten Händler im Busch sind sie auf Tantiemen gestellt. Sie haben also nur das eine Interesse, daß sie selbst […] möglichst viel Gummi anschaffen, um nach einigen Jahren als wohlhabende Leute nach Hause zu fahren.“382 Langfristiges Interesse an den Ressourcen der Kolonie oder ihrer politischen Stabilität entwickelten unter diesen Bedingungen die wenigsten. Die Südexpedition: Ausbruch, Verlauf und Folgen des Krieges, 1905–1907 Im April 1905 landete Max Hinz, ein junger Kaufmann der Firma Woermann, in Longji. Nach nur drei Wochen brach der Neuling ins Innere auf, um die Faktorei seines Kollegen Wenzel in Wollo zu übernehmen. „Mir war in den ersten Nächten,

377 378 379 380 381 382

Vgl. BArch N 227/22, 18. Vgl. BArch R 175-I/206, 22. Vgl. LRO 380 HOL 1/9/1 Dengdeng, 08.01.1909. Vgl. SMB-PK, EM N Langheld Kopierbuch ohne Nr. Langheld an Ungebauer, 18.12.1912. DHM Do 2005/36, 84 f. BArch R 1001/8114, 196. Vgl. auch Hausen 1970, 204.

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die ich den Negertowns verbrachte, doch sehr beklommen ums Herz“, gestand er später.383 Als Hinz nach 19 Tagen das Njem-Gebiet erreichte, herrschte dort eine angespannte Lage. Wenzel war überfallen und beraubt, drei Schutztruppensoldaten waren getötet worden. Wenzel hatte, wie beschrieben, selbst trust eingetrieben, Geiseln genommen und Menschen misshandelt. Jedem, der es hören wollte, sagten die Bewohner von Wollo deshalb, sie würden Wenzel töten, „wenn er sich wieder bei ihnen blicken liesse“.384 Während Wenzel und Unteroffizier Krämer die Schuldigen suchten, sollten Hinz und seine Arbeiter die Faktorei bewachen. Doch am nächsten Tag ließ der „Kukuma“ Wollo die Faktorei umzingeln und drohte, wie Hinz erzählte, „die Faktorei auszuplündern, sie niederzubrennen, mich gefangen zu nehmen und zu schoppen (fressen).“ Nachts floh Hinz mit 20 Mann. Doch Wollos Leute nahmen sie gefangen. Drei Tage lang wurde Hinz in einer Hütte eingesperrt und misshandelt. Gerüchten zufolge legte man ihn gefesselt in einen Ameisenhaufen. Er selbst behauptet, 25 Peitschenhiebe bekommen zu haben.385 In der nächsten Nacht schnitt Hinz sich die Pulsadern auf – mit einem Löffel, nach anderen Angaben mit einer Gabel.386 Ein Mann fand ihn, bevor er verblutete. Wenige Stunden später kaufte ein Familienoberhaupt namens Pumu oder Makopo ihn frei, indem er dem nkúkúma sechs Frauen übergab.387 Pumu/Makopo brachte den jungen Mann zu Wenzel und Krämer nach Kam. Aufgewühlt schrieb Hinz nach Deutschland: „Ich befürchte, es wird hier ein zweites Südwest.“388 Die Angriffe auf Wenzel und Hinz waren die ersten Folgen der Erschütterung, die kurz zuvor durch die Tötung Hinrichsens einige Kilometer weiter ihren Ausgang genommen hatte. Hinrichsen wurde eher zufällig bei einem der zahllosen Konflikte um trust erschossen. Dennoch war es der Beginn einer Aktion gegen Kaufleute, deren Handelsgebaren den Familienoberhäuptern nicht passte. Die Beteiligten deuteten die Tötung Hinrichsens zu einer Kollektivaktion um. In Verhören behaupteten sie später, alle Dorfbewohner hätten daran Anteil gehabt.389 Ebolobingon, ein „junger, sehr energischer und einflußreicher Häuptling“, machte sich zum Anführer einer „Bewegung“,390 die das Gebiet an Djah und Nyong erfasste. Ebolobingon 383 Für dies und soweit nicht anders angegeben vgl. Hinz’ (anonyme) Berichte: NN 01.08.1905; NN 11.07.1905. Für die Klärung der Identität des Autors vgl. AFS 344 Tagebuch, 14.10.1906; Cameron 1913, 304 f. 384 BArch R 1001/4291, 24. 385 Vgl. AFS 344 Tagebuch, 14.10.1906; Cameron 1913, 305. 386 Vgl. Mackenzie 1916, 59; MfN, HBSB Zool. Mus., S III Zenker, G. Bd. 1, 255. 387 Vgl. MfN, HBSB Zool. Mus., S III Zenker, G. Bd. 1, 255; AFS 344 Tagebuch, 14.10.1906. Hinz waren nur 2 Frauen bekannt. Vgl. NN 01.08.1905. 388 NN 11.07.1905. Trotz dieser Episode blieb Hinz in Kamerun für Woermann tätig. Die Firma setzte ihn nun in den ruhigeren Gebieten Duala und Victoria ein. Vgl. ACW Bilanzen 1905–13. 389 Vgl. BArch R 1001/4291, 127; BArch R 1001/4291, 127. 390 Beide Zitate: BArch R 1001/4290, 69.

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erkannte, dass die Tötung Hinrichsens nicht ohne Folgen bleiben würde. Sofort reiste er deshalb nach Wollo und warnte, nun würden Europäer kommen, um sie zu töten. Sie sollten die Gelegenheit nutzen, Wenzel loswerden.391 Anderen diente der Krieg zur Bereicherung, da der Kautschukhandel immer schwieriger geworden war. Der Angriff auf Hinz folgte auch ökonomischem Kalkül, wie einer der Angreifer namens Blang aussagte: Wir wollten den Faktoreileiter Hinz – gegen den wir sonst nichts einzuwenden hatten – töten, weil wir glaubten, er werde Palaver machen, wenn wir seine Waaren nehmen. Wir wollten die Waaren haben, weil wir wussten, daß nun doch die Weißen Krieg machen und unsere Dörfer plündern werden. Auch hatten wir keinen Gummi mehr, Waren einzutauschen.392

Hinz war folglich nicht allein das Opfer allgemeiner Wut auf die Kautschukhändler. Der Überfall diente auch dazu, sich in einer vom rauschhaften Handel mit schwindendem Gummi geprägten Region zu bereichern. Zwar wollten Blang und andere Wenzel loswerden, aber nicht auf die materiellen Vorteile des Kautschukhandels verzichten. Ihnen war schlichtweg durch die destruktiven Methoden der Gummi ausgegangen, sodass sie ihre trust-Schulden nicht bezahlen konnten. Trotzdem wollten sie weiterhin europäische Waren haben. Da sie um den Terror wussten, der nach dem Überfall auf Wenzels Karawane kommen würde, griffen sie zur Gewalt, um noch vorher an Waren zu gelangen. Woermann verlor durch die Plünderung der Wollo-Faktorei 100.000 Mark: 20.000 Mark durch geraubte Waren und 80.000 Mark durch geraubten Kautschuk. Zudem wurden 380 Träger der Firma gefangen und getötet.393 Binnen weniger Wochen verschränkten sich die Konflikte an Nyong und Djah. Entgegen den Erwartungen von Kennern der Region kooperierten die Dörfer und Landschaften der Jebekollo, Sso, Maka, Ndsimu, Njem und Bulu-Gruppen wie Jelinda und Jetsang und vertrieben die Händler und Kaufleute.394 Die Regierung antwortete mit der Südexpedition unter Scheunemanns Oberbefehl, die nun Südostkamerun unterwerfen sollte:395 Die Kämpfe begannen im Juli 1905 mit einem Krieg gegen die Ndsimu. Als sich die Kämpfe immer mehr ausweiteten, sperrte die Regierung im August das gesamte Gebiet für den Handel und erklärte den Kriegszustand. Nun ging es an die Bestrafung der Sso für die Tötung Hinrichsens.

391 392 393 394 395

Vgl. BArch R 1001/4291, 128. BArch R 1001/4291, 128. Vgl. BArch R 1001/4455, 52. Vgl. BArch R 175-I/67, 103. Für das Folgende vgl. Hoffmann 2007, Bd. 1, 155–162.

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Makamakoe, der Tatort, wurde am 27. August besetzt. Nun dehnte die Regierung den Krieg auf die östlichen Bulu-Gebiete aus. Anfang 1906 unterwarf die Schutztruppe Assobam und bald auch die anderen Ndsimu. Anschließend verlagerte sich der Krieg auf das Gebiet am Nyong. Von Stein hatte hier die Maka schon seit März 1905 bekämpft. Im Herbst 1906 führten Dominik und Schlosser präventiv Krieg gegen Maka und Omvang nördlich des Nyong. Am 5. Januar 1907 unterwarf Dominik das wichtigste Omvang-Familienoberhaupt Ngelemenduka. Wenig später, am 3. März 1907, wurde die Südexpedition für beendet erklärt. Die Militäraktion dauerte fast zwei Jahre und kostete tausende Menschenleben. Allein den Maßnahmen von Steins zwischen März und Juli 1905 fielen bis zu 750 Maka zum Opfer.396 Einen guten Eindruck von der Härte der Kämpfe geben die Verluste der Schutztruppe. Schon bis Oktober 1905 waren zwei deutsche Offiziere und 103 afrikanische Soldaten gefallen. Bis März 1906 litt allein die 9. Kompanie unter 80 Prozent Ausfällen: 94 Soldaten waren tot oder verwundet.397 Der Krieg ließ ein zerstörtes Land zurück, wie Richter Lämmermann Anfang 1906 bei der Untersuchung der Kriegsursachen feststellen musste: Die Dörfer sind verlassen oder niedergebrannt, die Farmen verwildert und versengt. Um verkohlte Pfähle eingestürzter Dachfirste und zerbrochenes Hausgerät ranken sich blühende Winden und verhüllen gütig das Elend das hier vergraben liegt. […] Nach Angaben des Postenführers ist auch in den nächsten Tagemärschen keine Verpflegung zu erhalten, da die Eingeborenen entweder in den Krieg gezogen sind oder halbverhungert an der Straße liegen und Vorbeiziehende um Nahrung anbetteln.398

Auch GSK-Agent von Stetten fand Ende 1906 im Ndsimu-Gebiet überall leere oder zerstörte Dörfer. Viele Menschen hatten sich in den Wald zurückgezogen und litten Hunger. Ein Kind, das von Stetten sah, war nur noch „ein ganz fürchterliches Skelett“.399 Aber trotz des Hungerns, Sterbens und des amtlichen Betretungsverbots lockte Kautschuk noch immer hunderte Europäer und Afrikaner nach Südostkamerun. Zu groß war der mögliche Gewinn. Vor allem der Abschluss der GSK-Landfrage brachte viele Firmen dazu, ihre Leute weiterhin nach Osten zu senden. Zwar verhaftete das Militär Händler, die sich illegal in dem Gebiet aufhielten.400 Doch Ende 1906 fand von Stetten das Ndsimu-Gebiet noch immer oder bereits wieder voll

396 397 398 399 400

Vgl. Hoffmann 2007, Bd. 1, 159 f. Vgl. Hoffmann 2007, Bd. 1, 157. Lämmermann 1912, 46 f. AFS 344 Tagebuch, 21.10.1906. Vgl. AFS 344 Tagebuch, 17.10.1906, 18.10.1906, 19.10.1906. Vgl. AFS 344 Tagebuch, 19.10.1906, 31.10.1906.

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afrikanischer Händler und europäischer Kaufleute. Allein im kleinen Dorf Assuk traf er neun tradebacks, in Besam den Kaufmann Knoch von der Bremer WestafrikaGesellschaft.401 Von November auf Dezember 1906 verdoppelte sich die Anzahl der afrikanischen Händler am Weg von Besam nach Assobam. Sie gehörten zu den Firmen Randad & Stein, Lubcke und Bremer Westafrika-Gesellschaft.402 Alles ging weiter wie zuvor. Zwischenfazit Durch das einmalige Aufeinandertreffen von Freihandels- und Konzessionssystem entwickelte der Kautschukhandel 1903 bis 1907 eine bis dahin in Kamerun unbekannte Brutalität. Im Zentrum der Auseinandersetzungen, die ab 1905 in den Krieg der Südexpedition gegen die Bevölkerung führten, stand die neue, trade back genannte Handelstechnik der Küstenfirmen. Diese Radikalisierung des trust-Systems weitete erstens den Handel aus, zweitens afrikanisierte er ihn, drittens stellte er ihn auf Kredite um. Diese Veränderungen hatten Auswirkungen auf die Mobilisierung von Arbeit im Kautschukhandel: Karawanenträgerinnen und -träger wurden nun über lokale Rekrutierungsmodelle oder Schulden engagiert, Gummisucher mit Krediten kontrolliert. Kredite entwickelten sich zu einem wesentlichen Faktor in der Entstehung von Gewalt. Der harte Wettbewerb zwischen Küstenfirmen und GSK führte dazu, dass binnen kürzester Zeit enorm viele Menschen an die dünn besiedelte Kautschukfrontier zogen, die nicht ernährt werden konnten und ständig Übergriffe gegen die Bevölkerung verübten. All diese Konflikte eskalierten 1905 und verbanden sich zu einem großen Krieg.

4.2 Rubber Boom: Reform des Kautschukhandels und afrikanische Resilienz James G. Mullen aus Saltpond arbeitete als Clerk in den Obuasi Mines im Hinterland der Gold Coast. Wahrscheinlich Ende 1902 hörte er das Gespräch zweier Kollegen mit, die sich über die Möglichkeiten unterhielten, die die deutsche Kolonie Kamerun eröffnete:403 „We are all curious about this country which you speak about so much“, sagte der eine zum anderen, „and circumstances permitting, I should like to eke out of this stuffy dingy office, and go to this land where there seem such vast possibilities 401 Vgl. AFS 344 Tagebuch, 13.11.1906, 14.11.1906. 402 Vgl. AFS 344 Tagebuch, 12.12.1906. 403 Vgl. Mullen 2008, 20. Mullens Angaben sind widersprüchlich. Vgl. Newell 2008a. Newell hält „Mullen“ für ein Pseudonym, doch der Name lässt sich in Saltpond nachweisen. Vgl. NN 27.03.1920; NN 24.05.1919; NN 26.02.1921.

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for a man with brains.“ Mullens Interesse war geweckt. Nach einer Nacht, „very much disturbed by dreams of that land where so much good might be had for the taking“, und voller Lust, „to sojourn there to reap some of the good that came as a reward to every toiler in life“, sprach er die Kollegen an. Der ältere gab ihm eine Stellenanzeige der in Südkamerun mit Kautschuk handelnden Firma Krause & Fehrmann und sagte: „You may go, and if you do I guarantee you will become richer than ever you were“.404 Mullen kündigte und löste in Sekondi ein Ticket für den Woermann-Dampfer nach Plantation, Batanga-Küste. Auf dem Schiff traf er einen Händler aus Togo, der ebenfalls nach Südkamerun reiste und bereits dort gearbeitet hatte. Auch er hoffte auf das große Geld. Aber er warnte Mullen auch: „Many men are killed in the South Cameroons by the natives and many a man kills in self-defence.“405 In Kribi staunte Mullen, wie geschäftig der kleine Ort war: The shops were gay with merchandise of all description and in front of the factories, hundreds of men and women half naked, waiting for the word of command to start for the bush, were lined up with loads which they carried on their backs in cane baskets specially constructed for securing loads of 60 lbs weight each. […] Everywhere were bustle an animation. […] Every body seemed to be busy; from the seven-year old boy to the gray-haired man, and everything seemed to say aloud to every person do something, do it, do it.406

In Plantation, auf der Faktorei von Krause & Fehrmann, wurden Mullen und der Togo-Händler in den Clerk’s quarters am Strand untergebracht, einem kleinen Ziegelbau mit Wellblechdach. Der Koch, ein Batanga, erzählte ihnen „about life in the Cameroons, about some brave men, who, tired of life and the tameness of things started off into the great bush to find new things and how […] they found it was no bush at all, but a beautiful country full of young wives, fat cattle, game to hunt and enemies to kill“.407 Am nächsten Tag brachen die beiden Händler nach Jaunde auf. Bis zum Ersten Weltkrieg kaufte Mullen in Südkamerun für verschiedene Firmen Kautschuk.408 An Kamerun erinnerte er sich als einen Ort, „little less than an earthly paradise“.409 Mullens Kamerun widerspricht dem gewohnten Bild: Der privilegierte Händler, der die kolonialen Veränderungen zu nutzen wusste, zeigt Kamerun nicht nur

404 Alle Zitate: Mullen 2008, 21 f. Die angeblich im Gold Coast Leader veröffentlichte Anzeige ließ sich nicht finden. 405 Mullen 2008, 22. 406 Mullen 2008, 23. 407 Mullen 2008, 24. 408 Vgl. Newell 2008a; Mullen 2008. 409 Mullen 2008, 20.

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als Land der Prügelstrafe und Ausbeutung, sondern als vom Kautschukhandel geschaffene Frontier, wo sich der Schlaue und Mutige bewähren konnte; deren Reichtum Menschen von weit her anlockte. Dass afrikanische Händler wie Mullen, aber auch europäische Kaufleute und Firmen sowie lokale Gummisucher und Familienoberhäupter mit Gewalt und ohne Rücksicht in diesem Land der unbegrenzten Möglichkeiten nach dem schnellen Geld suchten, hatte 1905 den Krieg ausgelöst. Waren Firmen und Händler bereit, nach der Katastrophe ihr Vorgehen zu ändern? Wenig sprach dafür, denn gerade jetzt stiegen die Kautschukpreise in ungeahnte Höhen. In Südkamerun konnte jetzt sogar noch mehr verdient werden als jemals zuvor. Während Firmen und Händler in einen Goldrausch verfielen, zog die Kolonialverwaltung Konsequenzen aus dem Desaster und versuchte, den scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten Südkameruns zur schnellen Bereicherung Grenzen zu setzen: Um der Zerstörung der Bestände kautschukliefernder Pflanzen, der Plünderung der Dörfer durch Trägerinnen und Träger, der Gewalt der Kaufleute, Händler und tradebacks Einhalt zu gebieten, griff die Regierung ab 1906 erstmals regulierend in den Handel ein. Wirz meint, die Regierung habe sich ein „Instrumentarium zur effektiven Kontrolle und Regulierung des Handels geschaffen.“410 Hiervon kann keine Rede sein. Richtiger erscheint Hausens Einschätzung, die den „Kampf um die Kontrolle des Südhandels“ als vergeblich bewertet.411 Die Regierung sei zu schwach gewesen, um die Maßnahmen durchzusetzen. Ihre Verordnungen seien auf Druck der Firmen von vornherein nicht hart genug gewesen, um deren Profitgier Grenzen zu setzen.412 Diese Interpretation lässt jedoch entscheidende Akteure des Kautschukhandels außer Acht: die afrikanischen Händler, Headmen, Gummisucher sowie Trägerinnen und Träger. Die Regulierungsbemühungen hatten gar nicht das Ziel, den Handel der Firmen einzuschränken. Stattdessen sollten sie Afrikanerinnen und Afrikanern die Kontrolle der Kautschukproduktion, des Handels und der Arbeitsbeziehungen entreißen. Den „Kampf um die Kontrolle des Südhandels“ führte die Regierung nicht gegen die Firmen, sondern gegen Praktiken und Gewohnheitsrechte der afrikanischen Akteure. Gleichwohl blieben die Unternehmen weiterhin auf afrikanische Initiative angewiesen. Die Reformen scheiterten an der Bedeutung von Afrikanerinnen und Afrikanern, die von den Möglichkeiten des Kautschuk-Goldrauschs profitierten – und sei es auf Kosten anderer. Wo so schnell so viel Geld zu verdienen war, konnte ein schwacher Staat wie die Kolonie Kamerun kaum etwas ausrichten.

410 Wirz 1972, 142. 411 Hausen 1970, 261. 412 Vgl. Hausen 1970, 269; Winkler 1960, 279; Wirz 1972, 142.

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Reform und Reorganisation in Südkamerun, 1906–1909 Von Puttkamer erkannte Ende 1905, dass seine Politik des Laissez-faire gescheitert war: Wenn man nicht Mittel und Wege findet, um das Ausrauben des Landes und das Peinigen der Eingeborenen durch einzelne sich überall unkontrollierbar umhertreibende deutsche Händler zu verhüten […], so wird von friedlichen Gebieten hier bald nicht mehr die Rede sein. Die Zustände werden von Monat zu Monat schlimmer […]. […] die Gefängnisräume für Weiße reichen bei weitem nicht aus […].413

Doch der Gouverneur bekam keine Chance, seine Versäumnisse zu korrigieren. Im Januar 1906 wurde er nach zehn Jahren abberufen – nicht wegen der Südkameruner Katastrophe, sondern der Cousinchen-Affäre.414 Sein Abgang machte den Weg frei für einen Politikwechsel, der oft der „Ära Dernburg“ zugerechnet wird.415 Doch die Eingriffe in den Südhandel begannen bereits vor Bernhard Dernburgs Amtsübernahme als Kolonialdirektor. Ebenso kam der Anschub für die Reformen nicht aus Berlin, ja nicht einmal vom Gouvernementssitz Buea, sondern von den lokalen Beamten. Am 7. Juni 1906 lud Kolonialdirektor Ernst II. zu Hohenlohe-Langenburg zur „Gummi-Konferenz“, auf der sich in Berlin Beamte mit Vertretern aller wichtigen Kautschukhandelsfirmen Südkameruns trafen.416 Die Regierung verlangte die grundlegende Veränderung der Handelsmethoden.417 In einer streng vertraulichen Denkschrift machten die Beamten die Batanga-Firmen für Raubbau, Chaos und Gewalt im Südbezirk verantwortlich und belegten deren brutale Handelsmethoden mit Aktenauszügen. Dem Protokoll nach wagte kein Firmenvertreter zu widersprechen. „Die Zustände“, so die Denkschrift, „die sich […] infolge des herrschenden Raubbaues und der Art des Gummihandels herausgebildet haben, müssen als auf die Dauer unhaltbare und einer gründlichen Änderung dringend bedürftig bezeichnet werden.“418 Auf der Gummi-Konferenz nahmen die ersten Eingriffe in den Handel des Südens, der sich bisher beinahe unbeeinflusst von staatlicher Regulierung entwickelt hatte, Form an. Erstens sollten nicht „verkehrsreife Gebiete“ für den Handel gesperrt werden können, um Unruhen vorzubeugen, zweitens Wanderhandel (trade 413 414 415 416 417 418

BArch R 1001/4290, 102. Vgl. Hausen 1970, 307. Vgl. Rudin 1938, 182; Hausen 1970, 30; Mandeng 1973, 22 f.; Stoecker 1991, 171–178. Vgl. Hausen 1970, 264. Für eine Mitgliederliste vgl. BArch R 1001/8115 Protokoll, 07.06.1906, o.S. Vgl. Hausen 1970, 265. BArch R 1001/8115, 220.

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back) und destruktive Methoden der Kautschukproduktion verboten, drittens die Anmeldepflicht für Faktoreien ausgedehnt, viertens der Karawanenverkehr reguliert und fünftens Richter in Kribi und Lomie stationiert werden. Trägerlöhne waren mit Bargeld zu bezahlen. Um die Zerstörung von Kautschukpflanzen zu bekämpfen und Ersatz für die bereits vernichteten Bestände zu schaffen, war eine Kautschuk-Inspektion zu gründen.419 Bei Nachverhandlungen setzte die Regierung zudem einen Ausfuhrzoll auf Kautschuk durch, um die Firmen zur Finanzierung von Infrastruktur und Sicherheit heranzuziehen.420 Die Firmen wehrten sich erfolgreich gegen einen Wertzoll, dessen Höhe sich mit der Bewegung des Marktes veränderte. Stattdessen wurde jedes Kilogramm Kautschuk mit einem festen Zoll von 40 Pfennigen belegt – egal ob die Preise stiegen oder fielen.421 Umsetzen sollte diese Reformagenda der neue Gouverneur Theodor Seitz, der 1895 bis 1899 schon stellvertretender Gouverneur gewesen war.422 Auch die Firmen formierten sich für den Kampf um den Südhandel. Der Verein Westafrikanischer Kaufleute, ein seit 1902 bestehender Hamburger Lobbyverband, konzentrierte sich ab 1906 immer mehr auf Kamerun, wo viele Mitglieder infolge des Kautschukbooms gut verdienten.423 Wichtiger aber war die am 20. Oktober 1907 in Kribi gegründete Handelskammer für Südkamerun.424 Der neue Zusammenschluss war breiter und dauerhafter als die ältere Gruppe der „Batanga-Firmen“. Vorsitzender wurde Kurt Prange, 1905 kurzzeitig kaiserlicher Richter in Togo und erster Rechtsanwalt in Kamerun.425 Mithilfe der Handelskammer bildeten die Firmen „politisch und wirtschaftlich eine geschlossene Front“, so Seitz, „die ihren Einfluß in ganz andrer Weise zur Geltung brachte, als es den Kaufleuten in Duala und den Pflanzungsunternehmen am Kamerunberg möglich war.“ Die Han-

419 Vgl. BArch R 1001/8115, 117–121; BArch R 1001/8115 Protokoll, 07.06.1906, o.S. Hausen nennt implementierte und diskutierte Vorschläge. Vgl. Hausen 1970, 265. 420 Bisher hatte nur die GSK Ausfuhrzölle gezahlt, da sie den größten Teil ihrer Produkte über die Kongo-Freihandelszone verschiffte. An der Batanga-Küste waren bisher nur Importzölle erhoben worden. Während des Booms verlor die Regierung durch den Wertzoll viel Geld. Den Firmen waren die 0,40 M egal, solange sie hohe Preise für Gummi erzielten. Plantagenkautschuk klammerte die Regierung aus, um den Kautschukanbau zu fördern. Vgl. BArch R 1001/8116, 32 f. 421 Vgl. BArch R 1001/8115, 95–100. 422 Vgl. Hausen 1970, 307. 423 Vgl. Hausen 1970, 247 f. 424 Gründungsmitglieder waren AKAG, Bremer Westafrika-Gesellschaft, Hamburg-AfrikaGesellschaft, Hatton & Cookson, John Holt & Co., R. & W. King, Krause & Fehrmann, Küderling & Co., Randad & Stein, Woermann & Co. Bis Ende 1911 kamen hinzu: Bernauer & Schrader, BKH, GSK, Holtmann & Sutter, E. C. F. Köhne, Lehning & Bartels, Alfred Pilz. Vgl. Prange 1908, 1; Prange 1912, 1 f. Protokolle der Kammer sind bis 1912 fragmentarisch überliefert, ab 1912 wurden sie in der Kamerun-Post abgedruckt. 425 Vgl. Hausen 1970, 243; NN 1907d, 327.

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delskammer war ab 1907 „der stärkste politische und wirtschaftliche Faktor im Schutzgebiet“.426 Regierung und Firmen rangen in den folgenden Jahren um eine Regulierung des Kautschukhandels, wobei sie oft dieselben Interessen verfolgten. Gleichwohl gelang es auf kaum einem Politikfeld, den Handel zu zähmen. Rubber Boom: Die globale Preisentwicklung des Kautschukmarktes, 1906–1913 Ende 1906 besuchte der Kolonialbeamte und Publizist Paul Rohrbach die BatangaKüste: „Der Gummihandel beherrscht hier alles“, staunte er. „Man hat den Eindruck, als ob niemand von etwas anderem spricht, an etwas anderes denkt, als an Gummi.“ Die Kautschukhändler verdienten gut: „Es heißt, daß hier auch in gewöhnlichen Zeiten das Getränk des Menschen […] bei der Marke Henkell-Trocken anfängt.“427 Diese Sektlaune war erst der Anfang. Als 1910 in Europa und den USA die Preise für Pará-Gummi ihren Höchststand von 28 Mark pro Kilogramm erreichten,428 verdienten Firmen, Kaufleute, Händler, Trägerinnen und Träger sowie Gummisucher auch mit Kameruner Kautschuk mehr, als sie sich je hätten träumen lassen. In den 1930ern erinnerte sich ein Kaufmann an das Leben in Kribi während des Booms: Oh, war das schön! Was waren wir lustig! Kinder, war das ein Leben. Gesoffen haben wir, da war das Ende von weg. […] Gearbeitet haben wir auch, das versteht sich. Wochenlang haben wir im Busch gelebt, im größten Dreck, und haben Gummi aufgekauft. Und dann sind wir wieder ungezählte Tagemärsche zur Küste getippelt. Aber dann wurde es fidel, wenn wir ankamen. […] Wenn ich noch denke, der eine Abend im Hotel Meyer, da haben ein paar Kerls Klavier gespielt und so viel Krach gemacht, daß es uns zuviel wurde. […] Da gehen wir einfach hin, fassen das Klavier an und schmeißen es in den Hof. Peng! […] Ja, das waren Zeiten. Ein paar Kerls haben auf dem Hamburger Dom sogar ein Karussell gekauft und nach Kribi gebracht. Wir wollten auch in Kamerun mal Karussell fahren. Geld spielte keine Rolle. Für das Kilo Rohgummi kriegten wir zwölf Mark fünfzig. Damals nannte man uns die Gummilöwen von Südkamerun.429

426 Beide Zitate: Seitz 1927, Bd. 2, 28. Die Handelskammer für Mittelkamerun wurde 1903 gegründet, blieb aber ohne politisches Gewicht. 1913 gründete sich ein Verein der Nord- und MittelkamerunKaufleute. Vgl. Hausen 1970, 244; BArch R 1001/3418, 2. 427 Beide Zitate: Rohrbach 1907, 326. 428 Vgl. Zadow 1913, 535. 429 Mac Lean 1940, 43 f.

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Vor allem Duala entwickelte sich zum Vergnügungsort, wo Kaufleute und Händler ihr Geld loswurden. 1909 hatte Duala schon „einen etwas verfänglichen Namen“. Die „Gummionkels“ nannten es „bereits Dulala, oder noch bezeichnender: Drulala“.430 Als der Kampf um den Südhandel begann, erlebte die globale Kautschukwirtschaft eine bisher unbekannte Preisentwicklung. Infolgedessen gewann der Handel enorme wirtschaftliche, soziale, politische und ökologische Wucht, gegen die die Kolonialverwaltung kaum anregieren konnte. Zwischen 1904 und 1913 trieben zwei Konjunkturzyklen den Preis für Gummi in neue Höhen. Eine stark wachsende, kaum zu befriedigende Nachfrage nach Kautschuk auf dem Weltmarkt trieb diese an, aber auch Spekulationen, die den Rohstoff künstlich verknappten. Nachdem 1904 infolge russischer und japanischer Einkäufe ein Mangel auf dem Kautschukmarkt aufgetreten war, hielt die Knappheit 1905 durch den wachsenden Bedarf der Automobil- bzw. Reifenindustrie an.431 Geschäftsleute in London gründeten nun den „Brazilian Pool“, der mit Kautschuk spekulierte. Ab Mitte 1905 stiegen die Preise rapide: von durchschnittlich 0,68 Dollar pro Pfund 1903/04 auf 1,50 Dollar im Herbst 1905. „No one dealing in rubber or using it in industry had ever had to tackle anything like this“,432 schreibt Austin Coates. Die Preise während dieses „mini-boom“ waren so hoch, dass Fabriken teilweise ihren Kautschukeinkauf einstellten.433 Ab Mitte 1906 ließ der Pool die Preise sinken, nur um wenig später das Spiel zu wiederholen.434 1907 aber riss ein bank run in den USA die US-Automobilindustrie in die Krise. Große Kautschukvorräte gelangten auf den Weltmarkt. Die Preise gingen in die Knie.435 Pará-Kautschuk erreichte mit 0,55 Dollar pro Pfund einen so niedrigen Preis wie seit 1894 nicht mehr.436 Ende 1908 erholten sich die Preise, denn die US-Automobilfirmen holten ihre Einkäufe nach. Nun setzte eine noch stärkere Preisentwicklung ein. 1909 und 1910 blieb die globale Produktion von Kautschuk um tausende Tonnen hinter dem Verbrauch zurück, sodass Reserven angezapft und recycelte Bestände genutzt werden mussten.437 Auch der Brazilian Pool trieb die Preise mit Aufkäufen weiter hinauf:438

430 431 432 433 434 435

Karrillon 1912, 155. Vgl. Coates 1987, 138 f. Coates 1987, 141. Munro 1981, 271. Zum Brazilian Pool vgl. Coates 1987, 140–144. Vgl. Moen/Tallman 1992; Wirz 1972, 32; Treue 1955, 95 f.; Jöhlinger 1911, 62; Hobhouse 2003, 160; Vaas 1921, 79. 436 Vgl. Coates 1987, 143. 437 Vgl. Jöhlinger 1911, 62; NN 1913b, 577; Vaas 1921, 80; KWK 1913, 9 f. 438 Vgl. Coates 1987, 144; Zadow 1913; KWK 1911, 206; W. Mertens & Co. 1911, 156.

Rubber Boom: Reform des Kautschukhandels und afrikanische Resilienz

Im April 1910 erlebte der Kautschukboom seinen Höhepunkt. Ein Kilogramm Pará-Gummi kostete 27,80 Mark (bzw. 3,06 Dollar pro Pfund).439 Der „rubber boom“ bescherte der Londoner Börse „some of the wildest mania scenes ever witnessed“.440 Blasen bildeten sich:441 Erstens durch die künstliche Verknappung von Kautschuk, wodurch der Preis den eigentlichen Wert des Rohstoffs überstieg. Zweitens erlebte die Londoner Börse ein Gründungsfieber: Schon 1905 waren viele Kautschukhandelsfirmen und -Plantagen gegründet worden. Mitte 1909 aber entstanden drei neue Kautschukunternehmen pro Woche. Ihre Aktien waren sofort überzeichnet und konnten nach wenigen Monaten für den 30–40-fachen Preis verkauft werden.442 Allein 1910 wurden mehr als 260 Kautschukgesellschaften in London gegründet.443 Viele waren nicht mehr als Briefkastenfirmen oder reiner Betrug.444 Die Nyong Rubber Plantations Ltd. etwa, die 1911 in Südkamerun eine Plantage übernahm, „begnügte sich mit einem Stehpulte in dem Kontor eines Hauptmieters“.445 Die Preise für die Kameruner Mittelsorten folgten der globalen Preisentwicklung, denn Pará-Kautschuk aus Brasilien wurde zu teuer für viele Fabriken, sodass sie afrikanischen Gummi kauften.446 Als der Markt 1907/08 in die Krise schlitterte, brachen auch die Preise der Kameruner Sorten bis zu 50 Prozent ein.447 Der von der Regierung angegebene Gesamtwert der Kautschukexporte sank von 1907 auf 1908 um ca. 37 Prozent.448 Als die Konjunktur anzog, brachen die Preise für Kameruner Kautschuk aber alle Rekorde. Die Marke Südkamerun kostete im Januar 1908 in Hamburg 5 Mark pro Kilogramm. Im Oktober 1909 waren es 9,40 Mark! Im April 1910 erreichte sie einen Höchststand bei 14,80 Mark pro Kilogramm.449 Nach offizieller Statistik exportierte Kamerun 1910, 1911 und 1912 jährlich Kautschuk im Wert von ca. 11 Millionen Mark.450 Möglicherweise aber bewerteten die Behörden

439 440 441 442 443 444 445 446 447 448 449 450

Vgl. KZK 1910, 426; KZK 1911, 109; Coates 1987, 144. Munro 1981, 272. Vgl. Hobhouse 2003, 160 f. Vgl. Coates 1987, 150. Vgl. NN 1913b, 577. Die Aktien kosteten 2 Schilling und waren für den „Penny Bazaar“ gemacht. Vgl. Munro 1981, 272 f. Mothes, 18. Vgl. Kap. 5.2. Vgl. Freyer 1909, 790. Vgl. Lippe 1909b, 590. Vgl. Tabelle 1, Kap. 1. Vgl. NN 24.02.1910; NN 26.05.1910; NN 20.10.1910; NN 01.12.1910. Selbst einige afrikanische Mittelsorten erzielten 21 M. Vgl. KZK 1910, 426; KZK 1911, 109. Vgl. Tabelle 1, Kap. 1. Möglicherweise waren die Exporte viel höher. Angeblich schmuggelten einige Firmen die Hälfte ihrer Einkäufe. Vgl. S Brekenfeld N Falkenstein Falkenstein an Eltern, 07.05.1911. Vgl. analog Press 2021, 153–174.

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den Gummi zu niedrig – eine Tendenz, die auch bei anderen Rohstoffen beobachtet werden kann.451 Denn die Firmen gaben an, 1910 habe Kamerun Kautschuk für ca. 20 Millionen, 1911 und 1912 noch jeweils für 14 Millionen Mark exportiert – also 48 statt 33 Millionen Mark.452 Aufgrund dieser Preisentwicklung schrumpfte der Kautschukhandel in Südkamerun auch während der Südexpedition nicht. Weiterhin zogen die Karawanen zur Kautschukfrontier. Diese verlagerte sich jetzt zum einen in den äußersten Südosten des Ebolowa-Bezirks und die angrenzenden spanischen und französischen Gebiete, in denen die deutschen und britischen Firmen den Handel dank schwacher Kolonialverwaltungen und ineffektiver Konzessionsgesellschaften dominierten.453 Zum anderen schob sich die Kautschukfrontier in den fernen Osten der Kolonie vor – in den neu eingerichteten Dume-Bezirk: die Gebiete, die die GSK vergeblich unter größtem Aufwand hatte erschließen wollen.454 Der Dume-Bezirk, wo vor allem Maka, Kaka und Gbaya lebten, löste das Ndsimu-Gebiet als Hotspot des Kautschukhandels ab. Erstens waren die Bestände von Funtumia elastica im Ndsimu-Gebiet teilweise bereits erschöpft. Zweitens waren große Teile der GSK als Eigentum überlassen worden.455 Drittens sperrte die Regierung zwischen 1906 und 1908 den Ebolowa-Bezirk für den Handel, um eine Ausweitung des Krieges auf die Bulu zu verhindern.456 Damit war der wichtigste Durchzugskorridor ins Ndsimu-Gebiet blockiert. Nun wichen die Firmen nach Norden aus. Hier trafen große Funtumia-Bestände, eine verhältnismäßig dichte Bevölkerung und hohe Kautschukpreise aufeinander. Das nun entstehende Geschäft war ausgesprochen profitabel, da die Firmen den durch GSK und Regierung über 125 Kilometer schiffbar gemachten Nyong als Wasserstraße nutzen konnten.457 Viele Karawanen mit Waren für das Dume-Gebiet marschierten deswegen ab ca. 1906 nur noch bis zu den Durchgangsdepots am Nyong in Olama.458 Kanus transportierten die Waren bis nach Abongmbang, von wo aus Karawanen sie an die Faktoreien (Dume, Nyassi etc.) verteilten.459 Von dort kommender Kautschuk wurde von Abongmbang mit den Kanus Nyong-abwärts geschickt. Abongmbang entwickelte sich deshalb

451 Vgl. Press 2021, 89. 1894 wurde westafrikanischer Kautschuk in Hamburg mit 3,60–5,50 M/kg gehandelt, die Firmen gaben aber nur 2,40 M/kg an, der Kameruner Jahresbericht bewertete ihn deshalb mit 3 M/kg. Vgl. BArch R 1001/6493, 204. 452 Vgl. BArch R 1001/3837, 36. 453 Vgl. Viollette 1914, 256 ff. 454 Vgl. Wirz 1972, 112. Zur GSK-Aktivität vgl. Kap. 3.2. 455 Vgl. Kap. 4.1 und 5.3. 456 Vgl. Hausen 1970, 267. 457 Vgl. Hausen 1970, 12. 458 Vgl. Wirz 1972, 108; Pagel 1914b, 480. 459 Vgl. u. a. SBB-PK Ms. germ. oct. 1355, 161 f.

Rubber Boom: Reform des Kautschukhandels und afrikanische Resilienz

sozusagen zum Kribi des Hinterlands.460 Damit war eine erhebliche Ersparnis verbunden. Der Transport mit den GSK-Dampfern war zweimal, mit Kanus fünfmal so billig wie der Trägertransport.461 Alle Firmen stellten folglich ihren Verkehr ins Dume-Gebiet weitgehend auf Kanus um. Der Kautschukhandel im Dume-Bezirk entwickelte sich zu einer Art Goldrausch, bei der eine unübersehbare Zahl afrikanischer und europäischer Akteure versuchte, schnell Geld zu verdienen. Im Oktober 1910 klagte Hauptmann Schipper, Bezirkschef von Dume, der Handel habe „geradezu beängstigende Dimensionen angenommen“.462 „Mehrere Dutzend Kaufleute und viele Tausende fremder Farbigen [sic!]“, so Schipper, „gehen hier dem Gummi-Erwerb nach.“463 1911 hatte sich Delele zum Zentrum des Kautschukhandels entwickelt. Allein hier waren über 60 europäische Kaufleute und tausende afrikanische Händler ansässig.464 „In manchen Dörfern“, so der Journalist Emil Zimmermann, „kommt auf drei bis vier Eingeborenenhäuser ein Haus eines schwarzen Clerks“.465 Dieser gewaltigen Zahl von Händlern entsprach eine große Kautschukproduktion. Die Kaka, so Schipper, waren nun „die Haupt-Kautschuk-Bereiter des Schutzgebiets. Weit über die Hälfte der gesamten Gummi-Produktion findet in ihrem Gebiete statt.“466 Dies entsprach ca. 1400 Tonnen Kautschuk,467 der vielfach aber nicht aus dem Dume-, sondern aus dem GSK-Eigengebiet stammte.468 1911 war angeblich die Hälfte der Einwohner der Region ständig im Wald, um Gummi zu schneiden.469 Auch in Dengdeng, Dume, Baturi, Lomie, Molundu und Südost-Ebolowa, so die Regierung, befasste sich „der weit überwiegende Teil der Bevölkerung“ mit der Kautschukproduktion.470 Angesichts der zu erwartenden Gewinne versuchten neue europäische Akteure in Südkamerun Fuß zu fassen: Erstens stiegen Aktiengesellschaften mit viel Kapital in den Kautschukhandel ein. Von Schkopps neu gegründete Afrikanische Kompanie

460 461 462 463 464 465 466 467 468 469 470

Vgl. Petersen 1939b, 23. Vgl. ÜMB N Engelhardt. 2.2.2./2 Engelhardt an Gouvernement, 25.03.1908. BArch R 1001/4295, 44. BArch R 1001/4294, 198. Vgl. BArch R 1001/4295, 123. Zimmermann 1913, 11. BArch R 1001/4294, 198. Vgl. Tabelle 1, Kap. 1. Vgl. Kap. 5.3. Vgl. BArch R 1001/4296, 22. BArch R 1001/8118, 67. Während ansonsten im Bulu-Gebiet die Trägerarbeit die wichtigste Einnahmequelle war, gab im Südosten noch Kautschukhandel. Bei Akoafim etwa waren 1909 angeblich alle Männer im Wald, um Kautschuk zu produzieren. Ein differenzierteres Bild gab Stabsarzt Jaeger. Im Sommer 1910 waren von 2951 gezählten Männern 1113 abwesend. 131 von ihnen arbeiteten als Träger, 296 schnitten Kautschuk. Vgl. SMB-PK, EM N Langheld, Tagebuch Nr. 3, 20.05.1909; Jaeger 1912, 329 ff.

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Konflikte und Reformen, 1902–1914

AG (AKAG) schluckte A. & L. Lubcke.471 Die Bremer Kolonial-Handelsgesellschaft AG (BKH), die ihren Gründer Friedrich Oloff zum Selfmade-Millionär gemacht hatte und 1906 bis 1912 jährlich zwischen 8 und 17,5 Prozent Dividende zahlte, war eine der profitabelsten Westafrika-Firmen und dehnte ihr Geschäft in das boomende Südkamerun aus.472 Zweitens gründeten frühere Angestellte der alten Firmen neue Unternehmen. Besonders nach der Krise von 1908, die zu vielen Entlassungen geführt hatte, und dem langsamen Ende der Hochkonjunktur 1911 kamen neue Firmen hinzu. Anton Sutter etwa, früher Leiter von Randad & Steins Nyong-Geschäfts, tat sich 1910 mit seinem Schwager, dem früheren Prokuristen von G. L. Gaiser (Nigeria) zur Firma Holtmann & Sutter zusammen.473 Drittens entstanden Tochtergesellschaften der älteren Unternehmen: Lehning & Bartels etwa waren abhängig von der Bremer Westafrika-Gesellschaft.474 Insgesamt waren 1913 ca. 60 Handelsunternehmen in Kamerun aktiv – die meisten davon in Südkamerun.475 Sie alle konkurrierten um Kautschuk und Arbeitskräfte. Auf dem Höhepunkt des Kautschukbooms verdienten die Firmen viel Geld, wie Tabelle 6 zeigt: 1909/10 machte die AKAG fast 625.000 Mark Gewinn und zahlte 17 Prozent Dividende. Auch in den folgenden Jahren lag der Gewinn noch immer bei ca. 280.000 und 275.000 Mark.476 Woermanns Batanga-Geschäft machte 1910 über 390.000 Mark und 1911 über 350.000 Mark Profit. Hohe Gewinne erzielte auch die Bremer Westafrika-Gesellschaft: 1909 mehr als 277.000 Mark, 1910 mehr als 650.000 Mark und 1911 mehr als 326.000 Mark. Die größte Firma, Randad & Stein, dürfte 1909/10 in Südkamerun schätzungsweise 850.000 Mark Gewinn gemacht haben.477 Allein ihr Nyong-Geschäft unter Sutter erwirtschaftete

471 Von Schkopp engagierte den früheren GSK-Direktor Langheld, der zwischenzeitlich wieder im Kongostaat gearbeitet hatte, um Lubckes Geschäft zu begutachten. August Lubcke wurde Mitglied des Aufsichtsrats; Heinrich Lubcke und von Schkopp bildeten den Vorstand. Vgl. BArch N 2225/15, 31–43; BArch N 2225/16, 3 f.; BArch N 2225/16, 47–54. 472 Vgl. HADB F1/75 Oloff an Helfferich, 11.03.1914; Müller 1973, 97; BArch R 175-I/137, 91. Oloff gehörte mit 1,3 Mio. M zu den reichsten Bremern. Vgl. Martin 1912, 115. 473 Vgl. NN 1918; NN 18.05.1907; StAH 231–7 B 1995–349 Bd. 1 Tabelle zum Handelsregister. Zu Sutter vgl. Schmidt 2017; Holl 1964. 474 Vgl. SBB-PK Ms. germ. oct. 1355, passim. 475 Vgl. Hausen 1970, 211. 476 Vgl. BArch R 8024/90, 47. 477 Das Gummi-Syndikat der größten Firmen verteilte die Gewinne nach einem Schlüssel. Der Anteil von Randad & Stein lag bei 22,3 %, der der Afrikanischen Kompanie AG (AKAG) bei 16,5 %. Dieses Unternehmen machte 1909/10 fast 625.000 M Gewinn, der größtenteils aus Syndikatsgewinnen bestand. Dies ermöglicht eine Hochrechnung des Gewinns für Randad & Stein. Gewinne im Nord-Kamerun- und Nigeria-Geschäft waren nicht dem Syndikat unterworfen. Es ist also möglich, dass der Gewinn höher war. Vgl. BArch R 8024/90, 47; BArch N 2225/16, 182 f. Wie akkurat die Berechnung ist, zeigt, dass sich durch die Syndikatsanteile ein Gewinn der Hamburg-AfrikaGesellschaft von ca. 591.000 M errechnen lässt. Tatsächlich lag er bei ca. 580.000 M (vgl. BArch

Rubber Boom: Reform des Kautschukhandels und afrikanische Resilienz

mit ca. 292.000 Mark mehr Gewinn als andere mit ihrem gesamten Geschäft.478 1912 gehörten die Inhaber, Ludovic Pagenstecher und sein Sohn Louis, mit 2,1 bzw. 1,4 Millionen Mark Privatvermögen zu den reichsten Männern Hamburgs.479 Zudem hatten alle Firmen vor diesen hervorragenden Abschlüssen bereits Kommissionen von 10 Prozent und mehr an ihre Angestellten ausgezahlt. Einige von diesen kehrten nun mit sechsstelligen Ersparnissen nach Europa zurück.480 Tabelle 6 Gewinne und Verluste einiger am Kautschukhandel beteiligter Firmen. Leerstellen: keine Daten. Quellen: ACW Bilanzen; StAB 4,26–343, 3; StAB 4,26–343, 6; StAB 4,26–343, 8; BArch R 8024/90, 47; BArch R 1001/3551, 44; BArch 8024/90, 56; BArch 8024/90, 63; BArch R 1001/3452, 110; Jäckel 1909, 275; BArch R 1001/3456, 156; BArch R 1001/3452, 83; BArch R 1001/3452, 110; BArch R 1001/3457, 233; BArch R 1001/3458, 61; BArch R 1001/3459, 129. Jahr

  1884 1885 1886 1887 1888 1889 1890 1891 1892 1893 1894 1895 1896 1897

Gewinne und Verluste der jeweiligen Firma in Mark A. & L. C. Woermann Lubcke/ Gesellschaft (Batanga-Geschäft) AKAG Süd-Kamerun                   6.886,01     28.403,90     31.865,73     82.418,95     53.303,45     10.144,43     25.600,98     21.762,61           29.277,45     29.929,21    

  Bremer WestafrikaGesellschaft                            

  HamburgAfrikaGesellschaft                            

R 1001/3602, 6). Entsprechend ihren Syndikatsanteilen erwirtschafteten die anderen Mitglieder wahrscheinlich folgende Gewinne in Südkamerun: John Holt & Co.: ca. 303.000 M; Hatton & Cookson: ca. 380.000 M. 478 Vgl. NN 1918, 141. 479 Vgl. Martin 1912, 30, 39. Als Hamburger und Bremer Millionäre werden sonst nur noch folgende mit Kamerun verbundene Personen genannt: Ernest Merck (WAPB, 4,1 Mio. M), Eduard Woermann (3 Mio. M), Gertrud Woermann (3 Mio. M), Max Brock (3 Mio. M), Arnold Amsinck (3 Mio. M), E. Woermann (1 Mio. M), Kurt Woermann (1 Mio. M) (sämtlich C. Woermann bzw. Woermann-Linie), J. K. Vietor (10 Mio. M), Friedrich Oloff (BKH, 1,3 Mio. M). Vgl. Martin 1912, 12, 18, 19, 61, 101, 115. In den Bänden für Schleswig-Holstein und Hannover finden sich nur Angaben zu Pagenstechers. Vgl. Martin 1913b, 20, 22; Martin 1913a. 480 Vgl. Lomer 1913.

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Jahr

  1898 1899 1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913 1914

Gewinne und Verluste der jeweiligen Firma in Mark A. & L. C. Woermann Lubcke/ Gesellschaft (Batanga-Geschäft) AKAG Süd-Kamerun 50.244,03     66.803,11   35.245,05 22.609,63   -9.260,05 35.996,73   -13.111,66 16.150,14   11.498,99 165.954,17   49.523,92 216.919,98 190.000 43.530,67 136.464,25 378.000 155.413,16 101.170,56 271.879,31 8796,94 7197,05 -119.852,07 -54.333,37 -119.555,92 150.667,28 -63.917,81 20.785,98 624.850,66 392.516,06 390.838,79 278.477,20 332.773,33 353.239,44 275.178,35 338.518,91 -30.924,19 -507.577,71 174.352,75 -214.476,07   26.837,98      

Bremer WestafrikaGesellschaft                   55.060 4981,50 277.032,24 650.008,41 326.117,58 59.275,04 -307.287,43  

HamburgAfrikaGesellschaft                       578.391 797.689 224.751 342.800 -493.555  

Auch den Gummisuchern ermöglichten hohe Kautschukpreise und die Konkurrenz der Firmen, vom Handel zu profitieren. Zwar beschrieben die Behörden diesen als Erpressung und Beraubung: „Die Leute verschuldet und gehetzt, die Häuser verwahrlost und die Farmen vernachlässigt“, schimpfte ein Offizier. „Die Kaufleute füllen ihre Taschen und kümmern sich den Teufel um das Wohl und Wehe der Eingeborenen geschweige denn um das Gedeihen des Schutzgebiets.“481 Dies war höchstens die halbe Wahrheit. Der Handel war fiebrig und brutal. Aber die Gummisucher beteiligten sich, weil sie sehr gut verdienten: „Wie die Leute selber sagten“, erfuhr Zimmermann, „kann jemand, der die Sache einigermaßen versteht, in acht Tagen vier bis fünf Kessel Gummi machen, wofür er in der Faktorei 32 bis 40 Mark erhält.“482 Auch deshalb kamen tausende aus dem französischen Gebiet nach Kamerun.483 An der Kautschukfrontier reproduzierten sich die immer gleichen Phänomene: Nicht etablierte Männer zogen in den Wald, um möglichst viel Kautschuk zu machen. Andere Beschäftigungen, wie z. B. die Karawanenarbeit, lehnten die Menschen ab. Nach Kautschuk-Inspektor Leo Treichel konnte ein Gummisucher selbst im Funtumia-ärmsten Wald täglich Kautschuk für 1 Mark sammeln – und damit

481 BArch R 1001/4295, 44. 482 Zimmermann 1913, 8. 483 Vgl. BArch R 1001/4294, 199.

Rubber Boom: Reform des Kautschukhandels und afrikanische Resilienz

„unter den ungünstigsten Verhältnissen an jedem Schnitttage noch doppelt soviel verdienen wie der Träger, welcher viel schwerer arbeiten muss“.484 1913 musste ein Träger für die ab 1908 eingeführte Kopfsteuer fünf Wochen arbeiten, ein Gummisucher aber nur zwei Tage.485 Anderen neuen wirtschaftlichen Beschäftigungen, wie z. B. dem Anbau von cash crops, standen die Bewohner der Kautschukfrontier ebenfalls ablehnend gegenüber. Zimmermann sprach mit Familienoberhäuptern über den Anbau von Erdnüssen: „[D]ie Leute sahen mich ganz verständnislos an. ‚Wenn wir Geld brauchen‘, sagten sie, ‚gehen wir in den Wald. In acht Tagen machen wir 4 oder 5 Kessel Gummi und bekommen dafür 32 M. und 40 M. beim weißen Kaufmann. Weshalb also sollen wir viele Erdnüsse pflanzen?‘“486 Produktions- und Konsummuster veränderten sich ab ca. 1909 in den Bezirken Lomie und Dume durch die hohen Kautschukpreise. Immer mehr Menschen spezialisierten sich auf die Kautschukgewinnung und hörten auf, Landwirtschaft zu betreiben. Am Nyong habe die Bevölkerung „sich daran gewöhnt, im Walde herumzuziehen und Gummi zu schneiden, anstatt ihre Farmen zu bebauen. Der reiche Verdienst, den sie vom Ertrage des Gummisuchens hatten, erlaubte es ihnen, bei den scharenweise das Land durchziehenden Händlern Lebensmittel einzukaufen.“487 Die Gummisucher kauften Konserven, Reis und Stockfisch von den Kaufleuten oder Rindfleisch von den in immer größerer Zahl in den Kautschukhandel eintretenden Hausa.488 Fleisch, das bisher kaum auf dem Speisezettel gestanden hatte, wurde nun eine häufige Mahlzeit.489 Diese Veränderung des Produktionsund Konsumverhaltens machte es für die Firmen schwierig, ihre Trägerinnen und Träger zu versorgen: „It is in every rubber district the same trouble with food“, seufzte Hauptagent Kurrle von John Holt & Co., „nothing can be got and it is therefore very hard to get monthly boys for these places because they know well that it is very hard for them to get food. At Dume the boys have to go away for two days to buy their chop.“490 Die Behörden beschimpften die Menschen, die die Landwirtschaft aufgegeben hatten, als „faul“. Aber wer nicht in der Farm arbeitete, konnte mehr Kautschuk produzieren und verkaufen. Auch weil Karawanen die Farmen plünderten, war dies eine individuell ökonomisch sinnvollere Tätigkeit als die Landwirtschaft.491

484 485 486 487 488 489 490 491

BArch R 1001/8118, 171. Vgl. BArch R 1001/3837, 65. Zur Kopfsteuer vgl. Rudin 1938, 338–344. Zimmermann 1913, 119. Kuhn 1914, 123. Zum Kautschukhandel der Hausa vgl. Wirz 1972, 196–201. Vgl. Wirz 1972, 196 f.; RKA 1915, 347. LRO 380 HOL 1/9/1 Kurrle an John Holt & Co., 02.05.1909. Vgl. BArch R 1001/4293, 97.

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Dank des Kautschukbooms wurde Kamerun in Deutschland nun mit Gummi assoziiert. „Sie sitzen da unten in Kamerun […]“, spottete etwa der Schriftsteller Edmund Edel, „pflanzen Gummibäume, freuen sich über den Massenverbrauch von Pneumatiks in den vereinigten übrigen Erdteilen“…492 Nach der Übernahme Neu-Kameruns 1911 schafften es die Kautschukbäume dieser neuen, von der Schlafkrankheit heimgesuchten Erweiterung Kameruns ins Revuetheater. Dort sang der Kabarettist Guido Tielscher über „Deutsch-Kongo“: Schön am Kongo wie sonst nie, zeigt sich die Natur, ganz besonders groß ist die Gummibaum-Kultur. Gummibäume rings herum stehen im Revier, einer gibt’s ‚Arabicum‘ einer gibt’s ‚Radier!‘ […] Wenns regnet am Kongo, es klingt fast wie ein Traum, Da schneidt man sich die Jummischuh direkt vom Jummibaum!“493

Dabei trug Tielschers Duett-Partnerin das Kostüm einer Riesen-Tsetse-Fliege …494 Selbst nach dem verrückten Jahr 1910 war die Bonanza in Kamerun noch nicht vorbei. Zwar sanken 1911 die Preise für Hevea-Kautschuk, da erstmals HeveaPlantagengummi in nennenswerten Mengen auf den Weltmarkt kam. Dieser Preissturz betraf die Mittelsorten jedoch nur wenig. Die Industrie fragte sie weiter nach, um nicht erneut die Produktion umzustellen. Dadurch blieben die Preise für Kameruner Kautschuk hoch.495 Während in Brasilien die Kautschukwirtschaft bereits unter Druck geriet, ging die Jagd nach dem schnellen Geld in Kamerun vorerst weiter. Erst 1913 traf die Krise die Kolonie mit ungebremster Wucht.496 Verbote und Steuern: Vergebliche Regulierung der afrikanischen Kautschukhändler Angesichts der wirtschaftlichen Dynamik hatte sich die Regierung den schlechtesten Zeitpunkt ausgesucht, um erstmals den Handel unter Kontrolle zu bringen. 15 Jahre war dieser ohne staatliche Regulierung gewachsen, hatte seine eigenen Regeln hervorgebracht und ging nun seiner fiebrigsten Phase entgegen. Dieser Geist ließ sich nicht wieder in die Flasche sperren. Zu verlockend waren die zu erwartenden Gewinne. Das erste Ziel der Regierung war es, trade back abzuschaffen, das zu Recht als wichtigster Grund für den gewalttätigen Charakter des Handels galt. Der Impuls da492 Edel 1908, 78. 493 Freund/Nelson 1912. 494 Vgl. Maywald 1925, 163. Zur Schlafkrankheit in der Region vgl. Bauche 2007; Isobe 2009; Neill 2012. 495 Vgl. Vaas 1921, 80 ff., Zadow 1913, 535. 496 Vgl. Kap. 6.

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zu ging von den Lokalbehörden aus. Leutnant Jacob z. B. forderte seit Jahren, trade back zu verbieten, weil er vor Ort mit dessen chaotischen und gewaltsamen Folgen konfrontiert war.497 Sich auf die afrikanischen Händler zu fokussieren, schien folgerichtig, denn sie waren viel zahlreicher als ihre europäischen Kollegen und betrieben den Handel vor Ort. Hier zeigte sich bereits charakteristische Muster der Reformen: De facto trafen sie vor allem die Praktiken afrikanischer Akteure. Der Regierung mangelte es aber einerseits an Mitteln und Willen zur Durchsetzung, andererseits waren die afrikanischen Händler unverzichtbar. Es gelang den Behörden deshalb bis zum Ersten Weltkrieg nicht, trade back und ähnliche Praktiken zum Verschwinden zu bringen.498 Selbst den Firmenvertretern dämmerte, dass trade back mit zu vielen Nachteilen verbunden war. Ausschlaggebend für sie waren aber nicht Gewalt, Betrug und die Vernichtung von Pflanzenbeständen, sondern der spürbare Arbeitermangel in den Faktoreien und Buschfaktoreien, da die tradebacks alle verfügbaren Trägerinnen und Träger banden.499 Doch für die Firmen war es schwierig, trade back abzuschaffen: Rundheraus erklärte Hermann Stümpell, Hauptagent von Woermann: „Das trade-back-System ist falsch und führt zu gefährlichen Auswüchsen, aber wir müssen mitmachen, sonst unterliegen wir der Konkurrenz.“500 Woermann, Randad & Stein und die anderen Unternehmen fürchteten, von ihren Konkurrenten überflügelt zu werden, wenn nicht alle Firmen mitzogen.501 Im Februar 1906 aber einigten sie sich, trade back gemeinsam auszusetzen, da sie nicht mehr genügend Trägerinnen und Träger für die eigenen Karawanen fanden.502 Ausgehend hiervon konnte Pagenstecher auf der Gummi-Konferenz die Zustimmung der BatangaFirmen zum Verbot des „Hausierhandels“ erklären.503 Der Staat trat damit quasi als Garantiemacht für das Abkommen der Firmen auf. Dennoch war die Vereinbarung nicht das Protokollpapier wert. Anfangs führte die gemeinsame Aktion von Firmen und Politik dazu, dass an der Batanga-Küste der Handel „ziemlich lahm gelegt“ war.504 Aber unter den Kaufleuten herrschte Unklarheit, ob ihre Abmachung trade back ganz oder nur an der Beach abschaffte.505 Auf der Gummi-Konferenz erklärte Pagenstecher, er verstehe unter „Hausierhandel“

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Vgl. u. a. BArch R 175-I/966, 84. Vgl. Wirz 1972, 116. Vgl. LRO 380 HOL 1/9/1 Meeting held at Hamburg by Batanga Firms, 05.02.1906. Vgl. BArch R 1001/4291, 121. Vgl. auch BArch R 1001/4291, 122. Vgl. BArch R 175-I/90, 11. Vgl. LRO 380 HOL 1/9/1 Meeting held at Hamburg by Batanga Firms, 05.02.1906. Vgl. auch BArch R 175-I/68, 287. 503 BArch R 1001/8115 Protokoll, 07.06.1906, o.S. 504 BArch N2225/16, 47–54. 505 Vgl. LRO 380 HOL 1/9/1 Meeting held at Hamburg by Batanga Firms, 05.02.1906.

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„nur den von Schwarzen von der Küste aus auf eigene Rechnung […] betriebenen Handel […], nicht aber den Handel, der von den sogen. Buschfaktoreien aus durch Entsendung schwarzer im Dienst der Firmen stehender Händler ausgeübt wird.“506 Hierdurch hofften die Firmen, das Trägerproblem an der Küste in den Griff zu bekommen, aber gleichzeitig im Binnenland weiterhin afrikanischen Unternehmergeist und Mobilisierungsmöglichkeiten von Arbeit zu nutzen. Die Regierung jedoch differenzierte nicht zwischen Küste und Binnenland und drängte, alle Handelsformen, die mit Umherziehen zu tun hatten, abzuschaffen.507 Doch die Firmen wollten nicht auf afrikanische Subunternehmer verzichten, die den kapillaren Zuschnitt des Handels ermöglichten.508 Trade back blieb deshalb weiterhin bedeutend. Der Stationschef von Ebolowa, Hauptmann Horst Heinicke, beschwerte sich 1907 und 1908 darüber, dass die Firmen an der Südgrenze weiterhin tradebacks einsetzten.509 Noch während des Ersten Weltkriegs praktizierten sie trade back, wie etwa Magnus Eggers von der BKH, der seine Händler Ntonge und Ndongo 1915 „auf tradeback“ schickte.510 Da sich afrikanische Subunternehmer durch Verbote nicht ausschalten ließen, führte die Regierung 1908 „Wandergewerbescheine“ ein, um die Händler wenigstens zu kontrollieren.511 In der Verwaltung verschwand der Pidgin-Ausdruck trade back zunehmend hinter dem allgemeineren Begriff des Wanderhändlers, der auch mobile Hausa- und Kanuri-Händler miteinbezog. Alle Afrikaner, die außerhalb ihres Heimatdorfes oder Wohnortes selbständig oder für eine Firma Handel trieben, aber nicht Leiter einer dauerhaften Faktorei waren, galten als Wanderhändler. „Wandergewerbescheine“ sollten die Zahl der Händler reduzieren und Übeltäter dingfest machen. Händler hatten einen solchen Schein in ihrer Heimat zu beantragen und dafür 25 Mark Wandergewerbesteuer zu zahlen.512 Scheine konnten

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BArch R 1001/8115 Protokoll, 07.06.1906, o.S. Vgl. BArch R 1001/8115 Protokoll, 07.06.1906, o.S. Vgl. LRO 380 HOL 1/9/1 Bremer Westafrika-Gesellschaft an John Holt & Co., 21.05.[1906]. Vgl. BArch R 175-I/68, 256; BArch R 175-I/70, 204. Vgl. auch SMB-PK, EM N Langheld. Kopierbuch Nr. 7 Langheld an AKAG, 24.10.1912. 510 BArch R 1001/3660, 58. 511 Vgl. Ruppel 1912, 1021. Die Idee, den mobilen afrikanischen Handel mit Gewerbescheinen zu kontrollieren, ersannen Beamte und Offiziere vor Ort. Scheunemann schlug sie 1904 und 1906 vor. Auch die Einführung begann lokal bereits vor 1908. Vorweg ging Nordkamerun 1905/07, um den Hausa-Handel zu kontrollieren. Jabassi, Bamenda und Joko folgten. Joko vergab 1906 in 3 Wochen 266 Scheine – vornehmlich an Hausa-Händler. 204 von ihnen zogen an die Kautschukfrontier. Vgl. Rudin 1938, 344; Temgoua 2014, 155; BArch R 1001/8114, 140; BArch R 175-I/67, 121; Weiss 2000, 182; Wirz 1972, 199 f; BArch R 1001/4382, 157. 512 Die geplante Gebühr von 100 M verhinderten die Handelsfirmen. Vgl. Hausen 1970, 268.

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bei Vorstrafen, Unzuverlässigkeit oder zu großem Andrang versagt oder entzogen werden.513 Eine Kontrolle des Handels bewirkten die Scheine nicht. Sie schlossen kaum jemanden aus, der sein Glück als Händler versuchen wollte. Wer keine 25 Mark hatte, lieh sich die Summe. Oftmals streckten die Firmen das Geld vor.514 25 Mark waren Peanuts im Vergleich zu den Profiten: Im Dume-Bezirk etwa verdienten Wanderhändler 1912 „nicht unter 1500 Mark im Jahre; viele erzielen aber 3000 Mark Einnahmen und darüber“.515 Manche machten gar 5000 Mark.516 Stattdessen wurden die Wandergewerbescheine eine Einnahmequelle für die Regierung und ermöglichen, die Zahl der Händler zu schätzen.517 Im Rechnungsjahr 1911 betrugen die Einnahmen der Kolonie durch die Wandergewerbesteuer nicht weniger als 215.000 Mark, im Jahr darauf sogar 500.000 Mark!518 Die Regierung stattete 1912 also ca. 20.000 Händler mit einem Schein aus, von denen wahrscheinlich die meisten mit Kautschuk handelten. Da weder Selbstverpflichtungen der Firmen noch die Wandergewerbescheine den mobilen afrikanischen Handel stoppten, verbot die Regierung im November 1912 erneut das trust-System. Noch ausstehende trust-Schulden mussten die Kaufleute anmelden. Sie durften diese nur dann noch eintreiben.519 Hierdurch zog die Regierung quasi die Notbremse, denn an der Kautschukfrontier war es zu einer massenhaften, blasenartigen Überschuldung gekommen. Die ältere Literatur hat die trust-Geschäfte zwischen Duala und europäischen Firmen Ende des 19. Jahrhunderts fälschlich als Überschuldung und Schuldknechtschaft gedeutet.520 Um 1910 aber überschuldete sich die Bevölkerung im Süden und Osten wirklich: Bei den Duala brauchten in den 1880ern einige wenige Händler Kredite für ihre Geschäfte. An der Kautschukfrontier um 1910 aber war trust de facto ein Konsumkredit. Teilweise hatte 1913 die gesamte männliche Bevölkerung von den Familienoberhäuptern bis zu den Jugendlichen trust-Schulden.521 Bis zum 1. März 1913, dem Stichtag zur Eintragung von trust, meldeten die Firmen allein im Lomie-Bezirk

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Vgl. Ruppel 1912, 1021. Vgl. Prange 1912, 222. Zimmermann 1913, 4. Vgl. BArch R 1001/8118, 218. Vgl. Austen/Derrick 1999, 116. Vgl. Langheld 1914, 184; Zimmermann 1918, 5. Das Verbot betraf ausschließlich das Kautschuk-, nicht aber das Palmölgeschäft an der Küste. Vgl. Gouvernement von Kamerun 1913b. Einklagbar war trust auch zuvor kaum. Regelmäßig wiesen die Richter Klagen mit der Begründung ab, trust-Geschäfte seien „unverbindlich“. Prange 1912, 109. 520 Vgl. Hücking/Launer 1986, 31; Jaeck 1960, 35. Zur Kritik vgl. Wirz 1972, 69–73; Austen/Derrick 1999, 74 f. 521 Vgl. Haase 1915, 94.

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100.000 Kessel Kautschuk – also 400 bis 500 Tonnen Gummi – als ausstehenden trust. Da jeder Kessel mit 6 Mark in Bargeld bewertet wurde, betrugen die ausstehenden Schulden allein dort 600.000 Mark – bei ca. 40.000 Einwohnern. Selbst „mittellose“ Personen hatten 100, 200 oder gar 300 Kessel Schulden bei mehreren Firmen.522 Nach Angaben eines Kaufmanns waren gemeldete Schulden nur ein kleiner Teil der Gesamtschulden: Ein einziges Dorf von 300 Einwohnern im LomieBezirk schuldete den Firmen angeblich 30.000 Kessel – 180.000 Mark!523 Ob die Bevölkerung derart hohe Schulden zurückzahlen konnte, war fraglich. Waren noch genug Kautschukpflanzen vorhanden? Würde Gummi lange genug seinen Wert halten? Mehr als je zuvor war trust eine spekulative Wette auf die Zukunft. Er war außer Kontrolle. Auch das trust-Verbot war kein Angriff auf die Handelsfirmen, sondern auf die Praktiken ihrer afrikanischen Angestellten und Subunternehmer.524 Unsichere Kreditgeschäfte, die viel Kapital banden, waren nicht im Interesse aller Firmen. Der Inhaber von John Holt & Co., Jonathan Holt, freute sich über das trust-Verbot: „It is a rotten system, and a very risky one“.525 Schon im Oktober 1911 hatten die Firmen ein Verbot diskutiert.526 Doch an der Kautschukfrontier konnten sie ohne Kredit keinen Gummi kaufen: In Akoafim, Lomie und Molundu, so die Handelskammer, „schneidet der Eingeborene ohne den Trust keinen Gummi“.527 Trust gab es noch immer, weil Afrikaner von ihm profitierten oder glaubten, von ihm zu profitieren. Europäer standen zwar am Anfang, aber abgesehen davon war trust ein Kreditgeschäft zwischen Afrikanern: Händler gaben Kredit an Gummisucher, aber auch an „deren Anhang, de[n] Häuptling, die Familie und die dazugehörige Sippschaft sowie schließlich auch [an] solche Eingeborene […], die den Zwischenhandel zwischen dem Produzenten und dem eingeborenen Händler besorgen“.528 Kreditnehmer vergaben folglich selbst weitere Kredite. Oft genug spielten Europäer gar keine Rolle beim trust. Das trust-Geben war vielen festangestellten afrikanischen Händlern vertraglich verboten. Sie sollten mit ihren Waren Gummi kaufen, statt sie als Kredite zu verteilen. Doch viele hielten sich nicht daran.529 Die Kaufleute duldeten diese trust-Geschäfte stillschweigend oder erwarteten sie gar. Bei Ausfall des trust

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BArch R 1001/3828, 102 f., 106. Vgl. NN 1914c. Vgl. Wirz 1972, 119 f. BLO MSS. Afr. s. 1525/15/8, 179. Vgl. Prange 1912, 103 f. Prange 1912, 105. Prange 1912, 107. Vgl. Prange 1912, 107.

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aber verklagten sie ihre Händler wegen Unterschlagung.530 Dieser letzte Versuch, trust zu verbieten, wirkte, weil das Verbot zeitgleich mit dem Zusammenbruch des Kautschukhandels in Kraft trat. Doch bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurden die überschuldeten Gebiete die Händler nicht los, die versuchten, ihren ausstehenden trust einzutreiben. Kautschuk-Inspektion, Gummisyndikat und die Arbeit der Gummisucher Auch um Südkameruns Kautschukhandel nachhaltiger zu machen, setzte die Regierung nicht bei den Firmen an, sondern bei den Gummisuchern. Letztlich aber waren auch diese Eingriffe unter den Bedingungen des Kautschukbooms zum Scheitern verurteilt. Noch im Oktober 1906 verboten die Behörden, Bäume und Lianen umzuschlagen oder zu stark anzuzapfen.531 Bezirke konnten nun für die Kautschukgewinnung gesperrt werden. Es drohten bis zu drei Monate Gefängnis und Geldstrafen bis 10.000 Mark für „Nichteingeborene“ (Europäer und afrikanische Migranten) und dasselbe mit Prügelstrafe für „Eingeborene“.532 Da aller Kautschuk von Afrikanern produziert wurde, betraf das Verbot ausschließlich diese, nicht die Firmen. In der Fläche konnte die Regierung die Arbeit der Gummisucher jedoch nicht kontrollieren.533 Zwar ordnete das Gouvernement an, die Verordnung allen Europäern, Pflanzungsarbeitern und afrikanischen Angestellten bekannt zu machen und auch die Missionen und Schulen einzuspannen, damit möglichst viele Menschen von dem Verbot erfuhren.534 Diese Bemühungen hatten aber kaum Erfolg. Plantagenarbeiter, Clerks, Missionsschüler etc. stammten schließlich nicht von der Kautschukfrontier, sondern aus den Transitregionen. Um die Arbeit der Gummisucher zu beeinflussen, gründete die Regierung 1907 die Kautschuk-Inspektion. 1911 unterhielt sie Dependenzen in Akonolinga, DjahPosten, Dume-Mündung und Sangmelima.535 Sie sollte die Bevölkerung über nachhaltige Methoden der Kautschukgewinnung aufklären, afrikanische Kautschuk-

530 Richter bezweifelten häufig die Ernsthaftigkeit des Verbots und sprachen Händler frei. Vgl. Prange 1912, 108. 531 Vgl. Wirz 1972, 109. 532 Vgl. Ruppel 1912, 991 f., 814–817. Die bereits 1904 für Sangha-Ngoko erlassene Verordnung zum Schutz der Funtumia-Bestände wurde auf das gesamte Schutzgebiet ausgedehnt. Vgl. BArch R 1001/8114, 115; BArch R 1001/8114, Bl 114; BArch R 1001/8115, 90. 533 Hieran hatte sich seit der Diskussion Ende der 1890er nichts geändert. Vgl. Oestermann 2017. 534 Vgl. BArch R 1001/8115, 208–213. Verbreitet werden sollte die Längsschnitt-Methode, die der Leiter des Botanischen Gartens, Strunk, 1905 entwickelt hatte, und die als besser als der Grätenschnitt galt. Vgl. Strunk 1906. 535 Vgl. Hausen 1970, 84; BArch R 1001/4295, 125. Wirz nennt fälschlicherweise Ebolowa, Jaunde, Dengdeng und Dume. Vgl. Wirz 1972, 109.

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pflanzungen fördern und Wissen über Pflanzen und deren Bestände schaffen.536 Historikerinnen und Historiker schreiben aber zu Recht von einem „grotesken Mißverhältnis zwischen Ziel und Mitteln“:537 Weder gelang es der Inspektion, Funtumia zur „Volkskultur“ zu machen noch nachhaltige Anzapfmethoden zu verbreiteten. Bedeutend aber war, dass sie erstmals Wissen über die Kautschukbestände, die Techniken der Gummisucher sowie über die Landwirtschaft der Bevölkerung zusammentrug. Das nötige Knowhow holte sich das Gouvernement bei den Plantagenunternehmen. Kautschuk-Inspektor wurde Leo Treichel. Der ehemalige Soldat hatte Schulden gemacht und sich mit einem Zivilisten geprügelt. Sein Kommandeur brachte ihn 1900 bei einer Kameruner Plantage unter. Bis 1903 stieg er zum Leiter der Kautschukplantage Meanja auf.538 1910 ging er als Inspektor zur Regierung. Unablässig reiste er herum, sprach mit Gummisuchern und versuchte, die Größe der noch vorhandenen Bestände zu schätzen. Hierbei halfen ihm seine Erfahrungen auf Meanja, wo die Arbeit nicht ausschließlich im Pflanzen, sondern auch im Auffinden der wilden Funtumia bestanden hatte.539 Auch Max Mania war 1907 bis 1909 auf der Plantage Oechelhausen angestellt gewesen, bevor er zur Kautschuk-Inspektion stieß.540 Die Kautschuk-Inspektion zeigte auf, wie divers die Arbeit der Gummisucher war. Im Molundu-Bezirk zapften sie noch immer mit einem an eine Stange gebundenen Hohlmeißel bis in 4 Meter Höhe. Nur die Baka stiegen in die Bäume und nutzten die gesamte Stammoberfläche.541 Im benachbarten Lomie-Bezirk, wo der Handel stärker war, wurden mittelgroße Bäume bis 12 Meter, die größten bis in die Kronen – also 20–30 Meter Höhe – angeschnitten.542 Auch im Dume-Bezirk erkletterten die Menschen mithilfe einer Steigvorrichtung die Bäume, um noch mehr Kautschuk zu produzieren.543 Zweitens zeigte die Inspektion, mit welcher Dynamik die zerstörerischen Produktionsmethoden eine Kautschukfrontier im Südosten geschaffen hatten: Nicht nur fällten die Gummisucher die Bäume oder schnitten sie zu tief ein: Sie zapften 536 Für Holz, Ölpalmen und Kakao wurden ähnliche Inspektionen geschaffen. Vgl. Wirz 1972, 215; Hausen 1970, 84. Einfluss hatten sicher ähnliche Projekte etwa in Nigeria. Vgl. Fenske 2010, 23 f.; Christy 1911, 24. 537 Hausen 1970, 84. Vgl. auch Wirz 1972, 109. Rudin überschätzt die Kautschuk-Inspektion. Vgl. Rudin 1938, 255. 538 Vgl. Strümpell 1928, 20 ff., 8; Solf 1915; Tessmann 2012–2015, Bd. 3, 83 f.; NN 1903e, 602. Treichel starb 1914 in Molundu. Vgl. Strümpell 1928, 10. 539 Vgl. BArch R 1001/3529, 5. 540 Vgl. LASA DE, I 435, Nr. 98, 96; LASA DE, I 435, Nr. 98, 727; LASA DE, I 435, Nr. 98, 726. 541 Vgl. BArch R 1001/8118, 168. 542 Vgl. BArch R 1001/8118, 172. 543 Vgl. BArch R 1001/8118, 175 f.

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auch die ganz jungen Bäume an, die abstarben, bevor sie sich fortpflanzen konnten. Durch den Ausfall der älteren und der jüngeren Bäume wurden die Wälder dauerhaft geschädigt.544 Die Bestände brachen zusammen – mit Folgen für das Leben der Gummisucher, wie Treichel feststellte: „Die jetzigen Schnittstellen sind von den Dörfern auf den viel gewundenen, schlechten Buschsteigen teilweise schon 2 Tage weit entfernt.“545 Im Lomie-Bezirk zapften die Gummisucher die Bäume bereits zum zweiten, dritten oder vierten Mal an.546 Auch im Dume-Bezirk waren Anfang 1912 alle Bäume bereits genutzt worden. Die Bestände in Lomie, so Treichel, waren ohne Nachpflanzungen nicht zu retten, nur die des Molundu-Bezirks hatten noch eine Chance. Schonzeiten für die Bäume hielten die Gummisucher nicht ein. Der Druck auf die Bestände war so groß, dass Treichel empfahl: „Bei Nichtbefolgung der Schonvorschrift müsste die Hälfte aller arbeitsfähigen männlichen Einwohner des Dorfes auf 1 Jahr als Strafarbeiter zum Bahnbau geschickt werden. Sonst ist der wilde Gummi nicht zu retten.“547 Für 1914 rechnete Treichel mit dem Versiegen des Kautschuks in Lomie und Dume.548 Nur in Molundu würde es noch Gummi geben, wohin Mitte 1911 der Handel drängte und woher bereits ein Viertel allen Kautschuks stammte.549 Um den Kautschukhandel vor sich selbst zu retten und die Gummisucher aktiv anzusprechen, gestaltete Hermann Bücher, Direktor der Versuchsanstalt in Victoria, 1909 ein Flugblatt, das mit Fotos und Text die korrekte Art der Kautschukgewinnung zeigte:550 Wer in richtiger Weise Kautschuk zapfen will, muss dazu ein gutes Zapfmesser haben. Ein solches erhält man auf der Regierungsstation, für ganz wenig Geld. Mit diesem Messer macht man, wie es der Mann hier auch thut, einen langen Schnitt in die Rinde des Baumes. Dieser darf nicht bis ins Holz des Baumes gehen; denn sonst wird der Baum geschädigt und man bekommt doch nicht mehr Kautschuk. Von diesen Schnitten kannst du mehrere machen, jedoch nur soviele, dass jeder Schnitt von dem anderen 2 Hände breit entfernt ist. Wenn du mehr Schnitte am Baume machst, nützt es dir nichts, du machst dir unnötig Arbeit, weil du doch nicht mehr Kautschuk bekommst. Zum Sammeln der Milch kann man jedes reine Gefäss benutzen.

Über die Koagulation hieß es:

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Vgl. BArch R 1001/8118, 177. BArch R 1001/8118, 167. Vgl. BArch R 1001/8118, 173. BArch R 1001/8118, 171. Vgl. BArch R 1001/8118, 178. Vgl. BArch R 1001/8118 Treichel: Ergänzungsbericht, 27.08.1911, o.S. Vgl. BArch R 1001/8117 Bücher: Beiträge, 15.09.1909, o.S. Für das Flugblatt vgl. Bücher 1910.

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Man sammelt die Milch von allen Bäumen, die man an einem Tage angezapft hat, in einem grösseren Gefässe und geht möglichst schnell an die Herstellung des Kautschuks. Zu diesem Zwecke macht man sich aus weichem Holze glatt gehobelte Bretter von beliebiger Länge und Breite, die ringsum mit einer etwa einen Finger dick überstehenden Leiste versehen werden. Auf die so hergestellten flachen Holzschalen giesst man die Kautschukmilch in dünner Schicht aus. Beim Ausgiessen lässt man die Milch durch einen Lavalapp laufen, um die Rindenteilchen und den Schmutz daraus zu entfernen. Die ausgegossene Milch lässt man am besten in einer schattigen Halle eintrocknen. Ist sie eingetrocknet, so wird der Kautschuk abgezogen und am besten in Würste aufgerollt. Der so aufbereitete Kautschuk wird von den Faktoreien gerne gekauft werden.551

Die Flugblätter sollten den Gummisuchern die neuesten Methoden der Kautschukplantagen zugänglich machen. Bücher erklärte 1913, sein Flugblatt sei „zu Tausenden verteilt worden“.552 Aber auch dies änderte nichts am Vorgehen der Produzenten. Denn die Gummisucher passten ihre Vorgehensweise nicht an, weil sie Methoden anwandten, die ihnen am meisten nützten. Auch Bücher erkannte, dass die zerstörerischen Methoden durchaus rationell waren, wollte ein Gummisucher möglichst große Mengen ernten: Funtumia war bis in die Astspitzen anzapfbar – und das war viel leichter, wenn der Gummisucher den Baum fällte. Sollten die Menschen, so Bücher, „sich viel mehr Arbeit machen, mit Leitern auf den Baum klettern und sich mit einem viel geringeren Ertrage begnügen?“553 Auch die Qualität des Kautschuks blieb schlecht. Grund dafür war, dass die Firmen Qualitätssteigerungen nicht belohnten. Im Dume-Gebiet, berichtete Mania 1910, sei die Kautschukherstellung „so schlecht, daß das Produkt kaum noch Kautschuk genannt werden kann“.554 Durch die verwendete Zapfmethode landete viel Schmutz im Latex und beim Kochen brannte ein großer Teil an. Flüssigkeit und Pflanzenteile verblieben im Kautschuk, wodurch Fäulnisherde entstanden, die das Produkt „noch mehr entwerten“. Sogenannter „blauer Gummi“ wurde mit anderen Baumsäften gestreckt und wies eine sehr geringe Qualität auf.555 Gekauft wurde er trotzdem. Mania versuchte, die Qualität zu verbessern, indem er auf lokale Technik zurückgriff, etwa vorschlug, den Latex durch Binsensiebe zu filtern, die sonst zum Maissieben genutzt wurden. Auch regte er an, den Latex in Wasser zu kochen, um ein Anbrennen zu verhindern, und den Gummi anschließend zu pressen, um ihn von Wasser zu befreien. Aber die Gummisucher hatten kein Interesse an Qualität, sondern an Quantität: „Die Eingeborenen beklagen sich […], daß sie für derartig 551 552 553 554 555

Beide Zitate: BArch R 1001/8117 Bücher: Beiträge, 15.09.1909, o.S. BArch R 1001/3837, 65. BArch R 1001/8117 Bücher: Beiträge, 15.09.1909, o.S. Mania 1910, 106. Beide Zitate: BArch R 1001/3837, 65.

Rubber Boom: Reform des Kautschukhandels und afrikanische Resilienz

[nach Manias Methode – T. Oe.] zubereiteten Kautschuk verhältnismäßig schlechter bezahlt werden, da der Schmutz wegfällt und durch das Auspressen das Wasser entfernt wird; mithin die Maße des Kautschuks kleiner wird.“ Darüber hinaus lohnte sich die zusätzliche Arbeit nicht für die Gummisucher, denn: „Der Kaufmann […] zahlt für Kautschuk jeder Qualität denselben Preis.“556 Wozu sollten die Menschen mehr Zeit und Ressourcen in die Kautschukherstellung stecken, wenn dies in keiner Weise honoriert wurde? Obwohl guter Kautschuk bessere Preise erzielte, bemühten sich die Handelsunternehmen nicht, Qualität zu kaufen. In der Handelskammer für Südkamerun fiel der Satz: „Warum sollen wir denn nur guten Gummi liefern, wenn uns der ‚Dreck‘ abgekauft wird.“557 Der schlechteste Gummi – ca. 20 Prozent der Gesamtexporte – landete als Sorte „Batanga“ auf dem Markt, wobei noch zwischen „Ia Batanga“ und „IIa Batanga“ unterschieden wurde.558 Aber selbst diese Sorten fanden auf dem Höhepunkt des Booms ihren Käufer.559 Ob der Gummi feucht, verbrannt oder verschimmelt war, hatte keine Konsequenzen. Auch Inhaber, Manager und Kaufleute der Handelsfirmen folgten der Logik des Kautschukbooms und dachten einzig an hohe Umsätze – was sie kauften, war ihnen egal. Der Kautschuk in den Faktoreien des Dume-Gebietes, so Zimmermann, „roch auf einige hundert Meter Entfernung. Die Kaufleute bekommen einen elenden Gummi, mit Harzen aller Art gemischt; aber sie kaufen. Nehmen die das Zeug nicht ab, dann kauft’s die Konkurrenz.“560 Auch wo GSK und Regierung jahrelang nachhaltigere Produktionsmethoden gelehrt hatten, nahm die Qualität des Kautschuks ab. Inspektor Treichel schrieb 1911: „Wie guter Gummi gemacht wird, weiss auch im Molundu-Bezirk schon lange jeder Eingeborene.“561 Doch während die GSK nur guten Kautschuk gekauft hatte, nahmen die Küstenfirmen nun jede Qualität – und bezahlten jede Güte gleich.562 Diese Tendenz wurde durch das Kautschuk-Syndikat verstärkt, zu dem sich die größten Firmen 1909 zusammenschlossen. Solche Syndikate bzw. Pools waren im westafrikanischen Handel an der Tagesordnung.563 Einen ähnlichen Versuch hatten die Firmen bereits 1902 gestartet, aber eine „kleine Handelskrise“ ausgelöst, da die Gummisucher für den gebotenen Preis nicht in den Wald gingen.564 Neue

556 557 558 559 560 561 562 563

Beide Zitate: Mania 1910, 106. BArch R 1001/3837, 150. Vgl. AGR CCCI 1682 GSK: Bericht Nr. 6, 25.05.1912; AHkH 85. B. 2.12, 2. Vgl. BArch R 1001/3837, 141. Zimmermann 1913, 8. BArch R 1001/8118, 168. Vgl. BArch R 1001/8118, 168; BArch R 1001/8118, 172 f. Vgl. Lynn 1992, 31; Pedler 1974, 263–274; BArch R 1001/3816, 139; Fischer 2003/04, 56; Olorunfemi 1981, 26 f. 564 Lippe 1909a, 232.

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Preisabsprachen waren 1907/08 zunächst gescheitert.565 Aber angesichts der hohen Einkaufspreise einigten sich Randad & Stein, GSK, AKAG, Bremer WestafrikaGesellschaft, Hamburg-Afrika-Gesellschaft, Hatton & Cookson und John Holt & Co.566 Das Syndikat galt südlich des Sanaga und für Joko und Dengdeng. Aller dort erworbene Kautschuk wurde gemeinsam verkauft. Zuerst wurden die Gestehungskosten gedeckt und dann die Gewinne anteilig verteilt.567 Woermann, Krause & Fehrmann und die vielen Neugründungen waren nicht Teil des Syndikats. Dennoch erklärten sich vorerst alle Firmen bereit, „die Syndikatspreise zu halten“.568 Die Einheitspreise trugen zu den guten Geschäftsabschlüssen bei.569 Aber eine nicht intendierte Folge war die Gleichgültigkeit gegenüber der Qualität der Ware. Denn in der Praxis kostete Kautschuk nun immer 2 Mark – egal ob gut oder schlecht.570 Mangelnde Konkurrenz verhinderte eine Qualitätsverbesserung.571 Das Syndikat war eine Reaktion auf die hohen Einkaufspreise für Kautschuk. Um die Krise von 1907/08 zu überstehen,572 entließen die Firmen viele Angestellte, von denen sich einige selbständig machten.573 Als die Preise Ende 1908 wieder stiegen, konkurrierten alte und neue Firmen um den Gummi und zahlten immer höhere Preise: im Dume-Bezirk 1909 gar 5 Mark pro Kilogramm. Das war angesichts der Transportkosten unwirtschaftlich. Die GSK zog sich infolge dieser Überbietungsschlacht aus dem Dume-Gebiet zurück.574 Das Syndikat stimmte führende Kaufleute wie z. B. Langheld, inzwischen bei der AKAG, hoffnungsvoll: „[D]iese wahnsinnige Preistreiberei muß ein Ende nehmen.“575 Einheitspreise sollten verhindern, dass sich die Firmen gegenseitig überboten und so einen größeren

565 Vgl. BArch R 1001/3551, 33. 566 Den Vorsitz übernahm Pagenstecher als Inhaber des größten Handelshauses, Randad & Stein. Stellvertreter wurde Semler von der GSK. Die GSK war dem Syndikat beigetreten, um die Konkurrenten dazu zu zwingen, das Eigengebiet anzuerkennen. Ihr Anteil am Gummihandel lag unter dem im Vertrag ausgehandelten Wert – sie erhielt Geld, ohne Kautschuk kaufen zu müssen. Vgl. AFS 416 Semler an Direktoren, 18.07.1909; AGR CCCI 1683 GSK: Zusammenfassung, 17.11.1909. Anteile der Firmen: Randad & Stein 22,3 %, AKAG 16,5 %, Bremer Westafrika-Gesellschaft und Hamburg-Afrika-Gesellschaft je 15,6 %, GSK 12 %, Hatton & Cookson 10 %, John Holt & Co. 8 %. Vgl. BArch R 8024/270 Kamerun-Kautschuk-Syndikat, in: Berliner Tageblatt, 21.09.1909, o.S. 567 Vgl. BArch N 2225/16, 182 f. 568 Prange 1912, 99. 569 Vgl. AGR CCCI 1682 GSK: Bericht Nr. 1, 04.08.1910; BArch N 2225/16, 228; BArch N 2225/17, 13. 570 Vgl. NN 1912e. 571 Vgl. Mania 1910, 106 f. 572 Vgl. Ballhaus 1968, 175. 573 Vgl. LRO 380 HOL 1/5/4 Directors’ Meeting John Holt & Co., 12.02.1908; ÜMB N Engelhardt. 2.2.2./2 Bezirksamt Kribi: Jahresbericht 1908–09. 574 Vgl. AGR CCCI 1682 GSK: Bericht Nr. 1, 04.08.1910. 575 SMB-PK, EM N Langheld Kopierbuch 6, 44.

Rubber Boom: Reform des Kautschukhandels und afrikanische Resilienz

Profit ermöglichen.576 Je nach Marktlage sollte ein Komitee der Firmen diese verkünden.577 „In früheren Zeiten“, so die Handelskammer, „waren die […] Preise infolge der heftigen Konkurrenz den Marktpreisen gefolgt, so daß die günstige Konjunktur dem Südhandel geringe oder gar keine Vorteile brachte.“ Nun aber entkoppelten die Syndikatsfirmen Weltmarkt- und Einkaufspreis. Sie zogen damit eine Konsequenz aus der Krise von 1907/08, als die Gummisucher auf gesunkene Preise mit geringeren Lieferungen reagiert hatten, sodass sich die „Preisstürze auf dem europäischen Kautschukmarkte dem Handel in Südkamerun auf zweifache Art nachteilig erwiesen, durch geringeren Gewinn und durch den geringeren Umsatz“.578 Da die Firmen Preissenkungen nicht weitergeben konnten, wollten sie dies mit Preiserhöhungen nicht ohne Weiteres tun. Auch wenn die Firmen die Gummisucher auf diese Weise um Profite brachten,579 bestimmte das Syndikat nie längere Zeit flächendeckend die Preise: Zu groß war die Konkurrenz, sodass die Gummisucher häufig höhere Preise erhielten. Denn dem Höhepunkt des Booms folgte eine weitere Neugründungswelle. „Unter den Angestellten der grösseren Firmen“, so Heinrich Lubcke, nun Direktor der AKAG, „grassiert geradezu eine Sucht, sich selbständig zu machen“.580 Die niedrigen Syndikatspreise minimierten das Risiko. Um sich am Markt zu etablieren, mussten die neuen Firmen nur genauso viel oder wenig mehr zahlen als die Syndikatspartner.581 1910 befürchtete Langheld, das Syndikat würde vor allem denjenigen nützen, die es nicht einhielten.582 Da die Gummisucher Firmen bevorzugten, die die höchsten Preise boten, versuchten Unternehmen oder Händler, die Syndikatspreise zu umgehen.583 Die BKH überschritt 1911 den Fixpreis für Kautschuk – angeblich um ihren Warenvorrat zu leeren, wahrscheinlicher aber um einen größeren Kautschukumsatz zu erhalten.584 Ebenso wenig hielten sich die immer zahlreicheren Hausa-Händler an die Syndikatspreise. Um die europäische und afrikanische Konkurrenz auszuschalten, hoben die Firmen das Syndikat zwischen Dezember 1909 und Juli 1910

576 577 578 579 580 581 582

Vgl. BLO MSS. Afr. s. 1525/15/8, 101. Vgl. BArch R 1001/3451, 105. Beide Zitate: Prange 1912, 100. Vgl. Ballhaus 1968, 175; Hausen 1970, 244; Wirz 1972, 124 f. BArch N 2225/17, 13 f. Vgl. Hausen 1970, 244; Wirz 1972, 124 f. Vgl. SMB-PK, EM N Langheld Kopierbuch 6, 44. Generell sorgten die neuen Firmen für Unruhe. So hatten sich z. B. die Firmen 1907 geeinigt, sich nicht gegenseitig Leute abspenstig zu machen. Doch der BKH-Hauptagent, der frühere GSK-Agent Heuser, warb aggressiv um die Angestellten der etablierten Firmen. Vgl. Müller 1973, 97–101; ANY FA 6/75 Vertrag, 19.12.1907, o.S.; BArch R 1001/3660, 28; BLO MSS. Afr. s. 1525/15/8, 102; StAB 4,75/5 – 2007 Bezirksgericht Kribi an Hanseatisches Amtsgericht Bremen, 28.11.1910. 583 Vgl. BArch R 175-I/137, 52. 584 Vgl. BLO MSS. Afr. s. 1525/15/8, 100 f.

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vorrübergehend auf: „[P]our lutter contre de [sic!] nouvelles firmes qui s’étaient introduites dans certaines régions“,585 so die GSK. Unter dem hohen Konkurrenzdruck fiel das Syndikat auseinander. Anfang 1912 wurde der Syndikatspreis nur noch beim Ankauf von Kautschuk mit Bargeld eingehalten.586 Schließlich kündigten Hatton & Cookson das Syndikat zum 31. Oktober 1912.587 „Outsiders“ – neue Firmen –, so das Berliner Tageblatt, hätten das Syndikat unrentabel gemacht.588 Größere Firmen hofften, mit höheren Preisen die kleineren Konkurrenten aus dem Markt zu drängen.589 Doch erst die große Krise von 1913 brach den Neuen das Genick – aber auch die Großen blieben nicht ohne Blessuren. Reform und Abschaffung der Karawanenarbeit als Ziel staatlichen Handelns Im Gegensatz zur Arbeit auf den Plantagen, die seit 1898 gesetzlich geregelt war,590 hatte die Regierung die Trägerarbeit als wichtigste Form von Arbeit bisher nicht reguliert. Zum einen waren die Arbeitsbedingungen nicht so brutal wie auf den Plantagen. Der Anteil von Zwangsarbeiterinnen und -arbeitern war verschwindend, die Arbeit vergleichsweise selbstbestimmt. Todesraten wie auf den Plantagen, wo nicht selten 10 Prozent der Arbeitskräfte starben,591 waren in den Karawanen der Kaufleute unbekannt. Zum anderen scheute die Regierung gesetzliche Eingriffe, weil jeder Europäer in Kamerun Trägerinnen und Träger brauchte. Die Karawanenarbeit war ein seller’s market, bei dem die Arbeitskräfte vielfach die Regeln bestimmen konnten. Gängelte die Regierung sie zu sehr, konnte es sein, dass sie aufhörten, zu arbeiten. Da aber die Karawanenkultur große Wut in den Kautschukund Durchgangsgebieten schuf, war die erstmalige Regulierung der Karawanenarbeit das Herzstück des 1906 begonnenen Reformwerks. Mittelfristig wollte die Regierung jedoch die Karawanenarbeit nicht nur reformieren, sondern sie und mit ihr die Karawanenkultur abschaffen. Seitz maß der Reform der Trägerarbeit große Bedeutung zu. Abhilfe bei „den schlimmen Mißständen […], die sich auf dem Gebiet des Trägerwesens im Süden des Schutzgebiets herausgebildet hatten“,592 galt ihm als seine wichtigste Aufgabe: „Als ich auf meiner ersten Reise nach dem Süden von Jaunde zur Küste marschierte,

585 586 587 588 589 590

AGR CCCI 1682 GSK: Rapports von Stetten, Bericht Nr. 1/1911. Vgl. BLO MSS. Afr. s. 1525/15/8, 101. Vgl. BArch R 8024/90, 63. BArch R 1001/8118, 227. Vgl. auch Prange 1912, 101 f. Vgl. AGR CCCI 1682 GSK: Bericht Nr. 7, 22.10.1912. Vgl. Hausen 1970, 277. Dies bedeutete nicht, dass die Regeln eingehalten wurden. Vgl. Möhle 1999a. 591 Vgl. Clarence-Smith 1993b, 210. 592 Seitz 1927, Bd. 2, 28.

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zogen stundenlang Karawanen auf Karawanen an uns vorüber. Männer, Weiber und Kinder, kräftige und schwache, schleppten sich mit Lasten von und nach der Küste.“593 Ganz Kamerun schien in Bewegung geraten zu sein. Zwischen 1902 und 1904 hatte sich die Menge des exportierten Gummis von ca. 425 Tonnen auf ca. 950 Tonnen mehr als verdoppelt. Bis 1907 stieg sie erneut um mehr als 50 Prozent auf ca. 1500 Tonnen.594 Entsprechend mehr Menschen waren nötig, um den Gummi zu transportieren. Außerdem führte die Expansion der Kautschukfrontier dazu, dass die Firmen mehr Trägerinnen und Träger brauchten. Dem Gouverneur schienen die daraus erwachsende Mobilität der Karawanen, die Arbeit von Frauen und Kindern sowie die Belastungen für die Anwohner der Straßen untragbar: Die Zustände mussten „zum wirtschaftlichen und moralischen Ruin der Eingeborenen und zu den schwersten Unruhen führen“.595 Die Trägerverordnung vom April 1908 war nur ein erster Schritt zur Umgestaltung des Südens. Karawanenarbeit sollte geordneter, kürzer, leichter und effizienter werden. Die Regelung war aber, wie Seitz sich erinnerte, nur ein „Notbehelf “ – eine erste Maßnahme. Seitz wollte die bisherige Politik umkehren: Hatte sich die Regierung früher darum gesorgt, dass die Unternehmen möglichst viele Trägerinnen und Träger rekrutieren konnten, versuchte sie nun, die Trägerarbeit überflüssig zu machen. Durch die Karawanenarbeit waren die Dörfer „zum grossen Teil entvölkert und alle Bemühungen der Bezirksämter und Stationen, […] die vorhandenen Volkskulturen zu fördern und neue einzuführen, sind vergeblich, solange der Trägerdienst alle Kräfte aufzehrt“.596 Durch den Bau einer Eisenbahn, die Schiffbarmachung der Flüsse, den Bau befahrbarer Straßen für Lastwagen sollten die Karawanen verschwinden. Statt als Trägerinnen und Träger zu arbeiten, sollten Männer als Bauern cash crops produzieren: Kautschuk, Nahrungsmittel, Kakao, Palmöl. Frauen sollten Kinder gebären. Hierdurch sollte nicht nur Arbeitskraft wirtschaftlicher eingesetzt, sondern auch die Mobilität eingeschränkt werden, die den Beamten unheimlich war. Die neue Lebensform des Südkameruner Karawanenhandels, die Firmen, Regierung, Familienoberhäupter, ausländische und einheimische Träger und Trägerinnen seit 1892 geschaffen hatten, sollte einer „moderneren“ Platz machen. Auch diese Politik richtete sich nicht gegen die Handelsfirmen. Diese hatten ein Interesse an einem Wandel der Transportverhältnisse. Oloff, Chef der BKH, erklärte seinen Aktionären: „Das Südkamerungeschäft spielt sich ganz anders ab, als das der weiter fortgeschrittenen Kolonien […]. […] Da alle Waren mit Trägerkarawanen hinein und herausgeschafft werden müssen, sind die Unkosten 593 594 595 596

Seitz 1927, Bd. 2, 29. Vgl. Tabelle 1, Kap. 1. Seitz 1927, Bd. 2, 28. BArch R 1001/3416, 47.

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enorm“.597 Karawanenarbeiterinnen und -arbeiter waren ein extremer Kostenfaktor für die Unternehmen. Sie waren schwer zu bekommen und nie in ausreichender Zahl vorhanden. 90 Prozent der festangestellten Arbeiterschaft von Randad & Stein etwa arbeiteten in den Karawanen, nur 10 Prozent in den Faktoreien.598 Hinzu kamen tausende Trip-Trägerinnen und -Träger. Nach der Südexpedition herrschte aber großer Arbeitskräftemangel. Innerhalb kürzester Zeit hatten die Bezirksämter Trägerinnen und Träger für die Südexpedition rekrutiert. Allein das Bezirksamt Kribi besorgte 2000 – größtenteils durch Zwang.599 Viele Menschen starben zudem durch eine Pockenepidemie.600 Infolgedessen stiegen die hohen Trägerlöhne stark an: John Holt & Co. zahlten 1905 Trägerinnen und Trägern von Kribi nach Jaunde und zurück 8 Mark in Waren – 1906 erhielten sie 16 Mark in Waren!601 Infolge des Booms mit seinem gesteigerten Arbeitskräftebedarf stiegen die Preise weiter: 1907 zahlte die Firma 24 Mark in Waren.602 1913 kostete der Transport einer Last von Kribi nach Nyassi 26 Mark in bar.603 Die Trägerinnen und Träger hatten einen wichtigen Anteil an dieser Entwicklung, denn die „Träger, besonders die Jaundeund Ngumbaleute, gehen in die Faktoreien, die am meisten zahlen“.604 Trägerlöhne machten deshalb einen wesentlichen Teil der Kosten aus. Vor 1913 gab allein die AKAG jährlich 500.000 Mark für ihre Trägerinnen, Träger und Händler aus.605 Oloff schätzte, dass die Kautschukfirmen zwischen ca. 1910 und 1913 jährlich 3 bis 4 Millionen Mark an Trägerlöhnen zahlten – Mark, nicht Mark in Waren.606 Nach John Holt & Co. war der Südkamerun-Handel „one of the most expensive trades to work on the Coast of Africa“.607 Transportkosten zu sparen, war deshalb im Sinne der Unternehmen.

597 BArch R 1001/3660, 35. 598 Vgl. BArch R 1001/3231, 160. 599 Vgl. Külz 1910, 273; BArch R 175-I/86, 215–218. Gegen Zwangsrekrutierungen gab es Widerstand in der Verwaltung. Dominik weigerte sich, Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter für das Militär zu besorgen. Er rechtfertigte sich mit deren Vernachlässigung durch die Südexpedition. Auch Heinicke, Stationschef von Ebolowa, weigerte sich 1906, Bulu-Strafarbeiter zur Südexpedition zu schicken. Er geißelte den Umgang des Militärs mit Menschen: Die enormen Verluste an Menschenleben hätten vermieden werden können. So sei etwa in Scheunemanns Truppe kein Träger gestorben. Vgl. BArch R 175-I/86, 215–218; BArch R 175-I/87, 59. 600 Vgl. Wirz 1972, 140. 601 Vgl. LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 17.04.1906. 602 Vgl. LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 02.05.1907; BArch R 1001/3456, 8. Während der Krise von 1908 sanken sie kurzzeitig. Vgl. LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 15.08.1908. 603 Vgl. BArch R 1001/3838, 125. 604 NN 1907c, 3. 605 Vgl. BArch N 2225/17, 87. 606 Vgl. Oloff 1914, 146. 607 BLO MSS. Afr. s. 1525/15/9, 77.

Rubber Boom: Reform des Kautschukhandels und afrikanische Resilienz

Gouverneur Seitz und seine Nachfolger legten ein Infrastrukturprogramm auf, um die teuren Karawanen überflüssig und Menschen für eine zu schaffende Cashcrop-Landwirtschaft verfügbar zu machen, die den Handel versorgen sollte, wenn der Kautschuk verschwunden war. Eine „Südbahn“ von der Batanga-Küste ins Hinterland, vorgeschlagen von GSK-Direktoriumsmitglied Thys, „Erbauer“ der Kongobahn, wurde ab 1906 diskutiert.608 Doch baute die Regierung die Mittellandbahn, die von Duala über Edea an den schiffbaren Nyong führen sollte. Mit dem Bahnbau wären die Hauptfaktoreien in Kribi, Longji und Plantation bedeutungslos geworden. Südkameruns Handel hätte sich nach Norden, an den Nyong, nach Edea und Duala verlagert. Entsprechend groß war der Aufschrei der Firmen. Aber es hätte wenig Sinn gemacht, eine Bahn an die Batanga-Küste zu bauen, wo es im Gegensatz zu Duala keinen Hafen gab.609 Außerdem war unklar, welche Produkte der Süden exportieren sollte, wenn der Kautschuk weg war. Zudem bot die Mittellandbahn die Möglichkeit, die Zweiteilung der Kolonie in Nord und Süd zu überwinden.610 Doch bis zum Ersten Weltkrieg hatte der Bahnbau kaum Auswirkungen auf den Handel, da die Bahn den Nyong nicht erreichte. Als Trostpflaster versprachen die Behörden den Firmen Investitionen in den Straßenbau, um ein Zubringersystem für Nyong und Bahn zu schaffen.611 Lastwagen sollten die Trägerinnen und Träger ersetzen. Mit dem Ausbau der Jaunde-Straße kamen 1908 die ersten Motorräder und Ende 1911 durch Hans Paschen und Alfred Pilz die ersten Autos nach Südkamerun.612 Die beiden waren wahrscheinlich die reichsten Europäer der Kolonie: Paschen war Hauptagent von Randad & Stein, Pilz Inhaber der größten nur in Kamerun ansässigen Kautschukfirma und galt als Millionär.613 Paschen fuhr im Januar 1912 erstmals mit dem Auto von Kribi nach Jaunde. Er brauchte elf Stunden statt der üblichen elf bis 14 Tage.614 Auch Ebolowa konnte bald mit dem Auto erreicht werden.615 Doch noch 1912 gab es keine Brücke über den Nyong.616 Ebenso fehlte eine Beschotterung, die die Straßen in der Regenzeit haltbarer gemacht hätte.617 1912 waren nur die Strecken Kribi–Longji

608 Vgl. BArch R 1001/8115, 206; BArch R 1001/3456, 8. Rudin datiert es auf 1907. Vgl. Rudin 1938, 242 f. 609 Vgl. Rudin 1938, 242 f. 610 Vgl. Wirz 1972, 143. 611 Vgl. Wirz 1972, 143. 612 Vgl. NN 1913a. Zum Autoverkehr in Kamerun vgl. Pflug 1912, 201 f. 613 Vgl. ELAB G1/0837 Okjas/Roszat/Froese 1914, 108 f. 614 Vgl. NN 1913a; Haase 1915, 86; NN 1912a. Zur Autostraße vgl. Hausen 1970, 81. 615 Vgl. Prange 1912, 50. Prange und die Bremer Westafrika-Gesellschaft beschafften sich 1912 ebenfalls Autos. Vgl. NN 1913a; BArch R 8024/90, 64. 616 Vgl. NN 1913a. Unfälle gab es bei Flussüberquerungen. Straßen- und Brückenbau erfolgte aus Geldmangel möglichst billig. Vgl. Zimmermann 1912, 6; Fahrner 1940, 31. 617 Vgl. Prange 1912, 50; Waibel 1921, 32 f.

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(22 Kilometer) und Kribi–Bipindi (60 Kilometer) für Lastwagen befahrbar, die 227 Kilometer von Bipindi bis Jaunde nur für leichte Autos.618 1913, als die Kautschukkrise eine Senkung der Transportkosten unumgänglich machte, gründeten AKAG, Bremer Westafrika-Gesellschaft, Hamburg-Afrika-Gesellschaft und L. Pagenstecher & Co. die Südkameruner Lastautomobil-Gesellschaft.619 Im Mai fuhren die ersten Laster auf der Jaunde-Straße.620 Doch bereits im September liquidierten sie die Firma – angeblich weil Wagenbesitzer für Schäden an Straßen und Brücken haften sollten.621 Diese Kosten wollten die durch die Krise gebeutelten Firmen nicht übernehmen. Die technische Modernisierung des Südens, seine Verwandlung in eine Cash-crop-Ökonomie gelang der Regierung bis zum Krieg nicht. Träger und Trägerinnen blieben die wichtigste Transportmöglichkeit. Erst als nichts mehr zu transportieren war, beherrschten Lastwagen die Straßen.622 Resilienz der Karawanenkultur: Trägerverordnung und Arbeiterfrage Die Bedeutung von Trägerinnen und Trägern war ein enormes Problem für die Versuche der Regierung, die Arbeitsbeziehungen der Karawanen zu reformieren. Weil sie unverzichtbar blieben, erwies sich ihre Karawanenkultur als resilient gegenüber allen Reformbemühungen. Die Menschen blieben „verwöhnte Proletarier“, so der paradoxe Ausdruck eines Beteiligten, statt Cash-crop-Produzenten.623 Schon im Juni 1905 hatte Kolonialdirektor Stuebel eine Trägerverordnung angeregt, um die von den Karawanen ausgehende Unruhe in den Griff zu bekommen.624 Auch die Kameruner Verwaltung drängte auf eine gesetzliche Lösung. Im Dezember 1905 berichtete Jacob, Stationschef des Hauptdurchgangsortes Lolodorf, ausführlich über die Probleme des Karawanenverkehrs und forderte eine entsprechende Verordnung.625 Der Bezirksamtmann von Kribi, Steinhausen, und sein Stellvertreter, von Rudno, schlossen sich Jacob an und sandten dem Gouvernement im März 1906 unaufgefordert einen Entwurf für eine Trägerverordnung.626 Größtenteils

618 Vgl. Zimmermann 1912, 17. 619 Vgl. BArch R 8024/277 Südkameruner Lastautomobil-Gesellschaft an KWK, 21.07.1913, o.S.; Rudin 1938, 243. Schon vorher hatten die Firmen über eine Lastwagen-Betriebsgemeinschaft verhandelt. Vgl. BArch R 8024/90, 64. 620 Vgl. BLO MSS. Afr. s. 1525/15/9, 40. 621 Vgl. BArch R 8024/277 Liquidation der Südkameruner Last-Auto-Gesellschaft, in: Neue Preussische Kreuz-Zeitung, 15.10.1913, o.S. 622 Vgl. Hennemann 1916, 302. 623 Fickendey 1941, 101. 624 Vgl. BArch R 1001/3898, 100 f. 625 Vgl. BArch R 175-I/966, 38–41. 626 Vgl. BArch R 175-I/966, 42; BArch R 175-I/966, 44–51.

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nahm die Regierung die Vorschläge an.627 Die Verordnung trat aber erst am 1. April 1908 in Kraft,628 ebenso wie die Verordnung zur Barlöhnung.629 Die wichtigsten Punkte der Trägerverordnung waren die Beschränkung der Karawanenarbeit auf „ausgewachsene, arbeitsfähige und gesunde Leute“, eine Deckelung der Trägerlasten auf 30 Kilogramm plus bis zu 5 Kilogramm Verpflegung oder Tauschwaren (§ 1), die Definition eines verantwortlichen „Karawanenführers“, die Einführung einer Ausweispflicht der Karawanen (§ 2), eine Anmeldepflicht der Karawanen auf den Stationen (§ 3) und die Verpflichtung, die Karawanen zu verpflegen (§ 5). Zudem verbot die Verordnung, „zur Erreichung des Bestimmungsorts sowie der auf dem Wege zu passierenden Dienststellen eine längere Zeit zu verwenden, als von dem Gouvernement festgesetzt“ (§ 10).630 Diese Maßnahmen fanden die Zustimmung der Handelsfirmen.631 De facto nahmen sie die Kaufleute nämlich kaum in die Pflicht, sondern waren gut fürs Geschäft: Die Firmen hatten kein Interesse daran, dass ihre Karawanen Monate brauchten, bis sie ihren Bestimmungsort erreichten. Die festen Marschzeiten würden das Geschäft beschleunigen und die Arbeitskraft der Trägerinnen und Träger produktiver einsetzen.632 Die Kaufleute hatten auch kein Interesse daran, dass ihre Leute die Dörfer entlang der Straße plünderten. Sie duldeten diese Praxis zwar oder spekulierten darauf, um Verpflegung zu sparen. Aber wie sollten sie ihre Karawanen mit ausreichend Vorräten ausstatten, wenn diese ein halbes Jahr und länger auf dem Weg waren? Für die Einhaltung der meisten Punkte waren zudem nicht die Kaufleute, sondern die afrikanischen Karawanenführer verantwortlich. Diese sollten dafür sorgen, dass ihre Leute nun geschlossen marschierten, die Marschzeiten einhielten und keine Übergriffe begingen; sie hatten die Ankunft der Karawane sowie kranke oder verstorbene Trägerinnen und Träger den Behörden zu melden. Gerade die Firmen hatten gefordert, verantwortliche Karawanenführer zu schaffen, sogar auf ein Lizenzsystem gedrängt, das nicht eingeführt wurde.633 Die einzelnen Paragraphen dienten weniger dem Schutz der Trägerinnen und Träger vor den Praktiken der Firmen, sondern waren ein Angriff auf die Karawanenkultur, die sich seit Mitte der 1890er entwickelt hatte.634 Zwar enthielt die Verordnung auch Punkte, die dem Arbeitsschutz dienten. Die meisten jedoch sollten die Autonomie der Karawanen einschränken. Erstens griff die Verordnung die

627 628 629 630 631 632 633 634

Vgl. Ruppel 1912, 965 ff. Vgl. BArch R 1001/4313, 150–160; BArch R 1001/4313 Protokoll, 20.–22.02.1908, o.S. Vgl. Ruppel 1912, 965; BArch R 1001/4313, 127. Ruppel 1912, 965 ff. Vgl. Hausen 1970, 269. Vgl. LRO 380 HOL 1/9/1 Jaunde, 05.05.1908. Vgl. BLO MSS. Afr. s. 1657/7, 19. Vgl. Prange 1912, 135.

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Zeitsouveränität der Karawanen an. Bisher waren Trip-Trägerinnen und -Träger frei darin gewesen, die vereinbarten Strecken so schnell oder langsam zurückzulegen, wie es ihnen gefiel. Dem sollten die festen Marschzeiten ein Ende machen. Auch wenn die Trägerverordnung Tagesmärsche von lediglich „drei, höchstens vier Marschstunden“ und einen Ruhetag pro fünf Reisetage vorschrieb und somit noch immer viel Zeit zur freien Verfügung der Arbeiterinnen und Arbeiter ließ, schränkte sie die Karawanenkultur ein.635 Ebenso auf die Zeitsouveränität zielte der Artikel, die Karawane solle sich geschlossen bei der Station melden. Oftmals gingen bisher die Trägerinnen und Träger Stunden oder Tage entfernt voneinander.636 Zweitens versuchte der Staat die Gewalt der Karawanenkultur einzuschränken. Gewalt und Diebstahl verbot bereits das Strafrecht, aber die Ausweispflicht sollte die Headmen und ihre Leute auch auffindbar und haftbar machen. Drittens trafen selbst die fürsorglichen Bestimmungen, dass Arbeitskräfte erwachsen, arbeitsfähig und gesund sein sollten, Praktiken der Arbeiterschaft, nicht der Kaufleute. Sie zielten unter anderem auf die Mitläufer, die es ermöglichten, neben den Lohneinnahmen auch Handelsgewinne zu machen, aber auch auf die Praxis, die eigenen Abhängigen zu kapitalisieren.637 Anfangs schien sich die Lage auf Südkameruns Straßen, Wegen und Pfaden durch die Trägerverordnung tatsächlich zu verändern: 1908/09 ging die Zahl der Mitläufer zurück.638 Auch Seitz meldete im Februar 1910, dass die Regelung gut gewirkt habe. Weniger Kinder, Kranke und Schwache seien auf den Straßen zu finden, die Lasten nicht mehr so schwer, die Verpflegung habe sich gebessert.639 Diese Nachrichten waren entweder auf die schlechte Konjunktur zurückzuführen oder sie waren gelogen. Als die Preise anzogen und der Kautschukboom seinen Höhepunkt erreichte, siegte allerorten die Karawanenkultur. Diese konnte den Versuchen kolonialstaatlicher Reform standhalten, weil Südkameruns Arbeitsmarkt ein seller’s market blieb: Trägerinnen und Träger, Headmen und Familienoberhäupter diktierten den Europäern in alltäglichen Aushandlungsprozessen weiterhin die Regeln. Nach Einführung der Trägerverordnung und dem Abflauen der Krise von 1908 wuchsen die Kautschukexporte und damit der Karawanenverkehr stark. Allein von 1909 auf 1910 stiegen die exportierten Mengen um fast 30 Prozent, auf 1911 um mehr als 43 Prozent auf ca. 2800 Tonnen. Seit 1907 hatte sich die Exportmenge verdoppelt, seit 1900 sogar vervierfacht.640 Kamerun war damit der zweitgrößte

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Ruppel 1912, Nr. 511, 967. Vgl. BArch R 1001/4313, 159. Vgl. BArch R 1001/4313 Protokoll, 20.–22.02.1908, o.S.; BArch R 1001/3899, 73. Vgl. ÜMB N Engelhardt. 2.2.2./2 Bezirksamt Kribi: Jahresbericht 1908–09. Vgl. BArch R 1001/3899, 27. Vgl. Tabelle 1, Kap. 1.

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Kautschukexporteur Afrikas geworden, übertroffen nur noch vom Kongo.641 Um diese Mengen an Material zu transportieren, waren immer mehr Menschen nötig. Legt man die offizielle Zahl von 30 Kilogramm für eine Last zugrunde, machten die Exporte des Jahres 1911 theoretisch 93.700 Lasten aus. Der Handel erstreckte sich jedoch an der Kautschukfrontier kapillar in jeden Winkel des Regenwaldes. Zudem gab es mehrere Umschlagplätze, an denen Trägerinnen und Träger gewechselt wurden – etwa in Jaunde und Ebolowa, aber auch in Abongmbang oder den anderen Nyong-Depots. John Holt & Co. etwa mussten 1907 immer Träger von der Küste bis Jaunde engagieren, dann von Jaunde bis Nanga Eboko und von dort bis Dengdeng.642 Zudem blieben Trägerinnen und Träger neun oder zwölf Monate auf der Straße. Hinzu kamen Karawanen, die Lasten mit europäischen Waren ins Innere trugen, und die ähnlich marschierten. Für dieses Transportsystem waren deshalb sehr viele Menschen nötig. Die Firmen gaben 1910 an, jährlich mehr als 100.000 Menschen zu beschäftigen.643 Der Staatssekretär schätzte im Reichstag schon Anfang 1908 die Zahl der Trägerinnen und Träger gar auf 200.000.644 Weit entfernt von der Realität dürfte dies nicht gewesen sein. Allein die AKAG beschäftigte 1912 ca. 20.000 Trip-Trägerinnen und -Träger und 1394 feste Arbeiter.645 Rechnet man diese Zahl mithilfe der Anteile des Unternehmens am Gummi-Syndikat (16,5 Prozent) hoch und nimmt für die kleineren Nichtmitglieder des Syndikats eine Zahl von 25.000 Trägerinnen und Trägern an, ergibt sich ein Annäherungswert von ca. 154.000 Menschen, die in den Karawanen arbeiteten.646 Es ist deshalb durchaus plausibel, dass 1912 um die 200.000 Trägerinnen und Träger im Kautschukhandel arbeiteten.647 Der boomende Handel mit seinen Karawanen sorgte dafür, so Seitz, „daß überall eine Unruhe herrschte wie in einem aufgestöberten Ameisenhaufen“.648 Ein Beamter schrieb 1911, die Firmen zögen aus dem Bakoko-Gebiet „alle arbeitsfähigen Männer heraus. […] Auf Befragen erzählten mir die Häuptlinge der Männer nur: Der ist bei Woermann in Longji, der bei Randad & Stein, der als Händler im Ntum-

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Vgl. Whitford/Anthony 1926, eigene Berechnungen. Vgl. LRO 380 HOL 1/9/ Kribi, 23.07.1907. Vgl. AHkB Ko 8 Denkschrift. Vgl. NN 04.03.1908. Vgl. BArch N 2225/17, 82. Für den Syndikatsanteil vgl. BArch N 2225/16, 182 f. Wirz geht von 20.000–30.000 Trägern aus, Rudin von 85.000. Vgl. Wirz 1972, 32 f.; Rudin 1938, 236. In einem Dokument von 1913 hieß es, die Firmen gäben an, jährlich 300.000–400.000 Arbeiter aus dem Jaunde-Bezirk zu beschäftigen. Der Autor kommentiert dies mit „soll wohl heißen 30–40000“. Möglich sind aber Mehrfachbeschäftigungen. Vielleicht schlossen die Firmen jährlich 300.000–400.000 kurze Kontrakte. Vgl. BArch R 175-I/184, 190. 648 Seitz 1927, Bd. 2, 50.

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gebiet u.s.w.“649 Bei Sangmelima waren während der Hochkonjunktur „oft bis drei Viertel der arbeitsfähigen Männer zum Abtransport des Gummis vom Njem zur Küste unterwegs“.650 Auch der neue Gouverneur Otto Gleim stellte 1911 fest: „Das Gros der Männer befindet sich […] fast stets als Händler, Träger und Arbeiter unterwegs, und man trifft auf langen Wegstrecken in den Dörfern nur alte Männer, Weiber und Kinder.“651 Arbeit im Kautschukhandel war so attraktiv, dass sie eine Sogwirkung auf die Nachbargebiete entwickelte: Zahlreiche Mabea-Familien aus Spanisch-Guinea zogen ins Hinterland von Kribi, Longji und Plantation, um als Trägerinnen, Träger oder Headmen zu arbeiten.652 Zur Attraktivität der Karawanenarbeit trug bei, dass die Arbeitskräfte trotz der Trägerverordnung in der Lage blieben, ihre Vorstellungen von Arbeit durchzusetzen. Der Handel im fernen Osten der Kolonie und in den südlichen Nachbargebieten brauchte mehr Menschen als jemals zuvor. Wer arbeiten wollte oder über Menschen verfügte, die er zur Lohnarbeit vermieten konnte, war in der Lage, sich den Arbeitgeber aussuchen. Dies erlaubte Trägerinnen, Trägern und anderen Beteiligten, sich über die Gesetze hinwegzusetzen. Im Kampf um die raren Arbeitskräfte bestanden die Firmen nicht auf der Trägerverordnung. Ab 1909 brachten deshalb die Karawanen das Zeitregime wieder unter ihre Kontrolle. Die Marschzeiten, mit großer Akribie ausgearbeitet und im Amtsblatt veröffentlicht, hielten sie fast nie ein.653 Der neue Gouverneur Karl Ebermaier traf 1912 Karawanen, die 100 statt der vorgeschriebenen 20 Tage für ihre Reise gebraucht hatten. Die Firmen, so Ebermaier, hätten nicht gewagt, die Trägerinnen und Träger anzuzeigen, da sie fürchteten, von ihnen in Zukunft gemieden zu werden. Stattdessen baten sie, die Regierung möge die Marschzeiten kontrollieren. Dies war, wie Ebermaier einräumen musste, bisher kaum geschehen. Noch immer zogen die Karawanen mit ihren Waren zuerst in ihre Dörfer. Um sie daran zu hindern, zur Konkurrenz zu gehen, stellten die Firmen ihnen Urlaubsscheine aus, mit deren Hilfe sie die Trägerverordnung umgingen.654 Ein anderes Mittel, um den Arbeitskräften mehr Zeitsouveränität zu ermöglichen, waren vordatierte Marschzettel. Karawanen nutzten zudem Nebenwege, um sich der ohnehin kaum vorhandenen Kontrolle durch die Behörden zu entziehen.655

649 650 651 652 653 654 655

ANY FA 1/511, 171. Hagen 1915, 381. Vgl. auch BArch R 1001/4296, 68. BArch R 1010/4295, 123. Skolaster 1910a, 77. Vgl. Pagel 1914b, 480. Vgl. Prange 1912, 137 f.; BArch R 1001/3899, 36 f. Vgl. BArch R 175-IV/1011, 7. Ein GSK-Marschzettel findet sich in MRAC Mémoires des Belges 94.17 HA.O.I. 0189-5

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Auch andere Regelungen scheiterten an der Südkameruner Realität. Zwar waren die Firmen nun verpflichtet, ihre Trägerinnen und Träger mit ausreichend Nahrungsmitteln, Bargeld oder Tauschwaren auszustatten, um Essen zu kaufen. Letztlich funktionierte dies aber nur, wenn diese sich an die Marschzeiten hielten. Die Karawanen der Headmen Mbele und Albada Ndenga (beide AKAG) von Dume nach Abongmbang hatten 30 Kilometer von Dume entfernt keine Tauschwaren mehr. Karawanenführer Pensi hatte mit seinen sechs Trägern von Jaunde nach Nguelemenduka 19 statt sieben bis acht Tage gebraucht und keine Mittel mehr. Mwondo war mit vier Mann von Jaunde nach Dengdeng gezogen. Nach neun Tagen hatten sie von ihren 15 Mark Verpflegungsgeld nur noch für 6 Mark Salz. Den Rest hatten sie „zu Hause gelassen“.656 Külz beobachtete auf dem Weg von Jaunde nach Dume: [D]ie Leute waren von den absendenden Faktoreiinhabern in Jaunde sehr reichlich mit Bargeld für Verpflegung ausgestattet abmarschiert, hatten nun aber nicht etwa ihren Transport damit begonnen, sondern hatten sich zunächstmal in ihr Heimatdorf oder das des Headmanns begeben, dort den grössten Teil ihres Geldes für irgendeinen Zweck verausgabt und für einen kleinen Rest etwas Salz oder Zeug gekauft und schlugen sich nun damit durch.657

Am Rand des Schreibens bemerkte ein Beamter: „Das ist leider die Regel!“658 Die Trägerinnen und Träger nutzten das Verpflegungsgeld nicht, um Essen zu kaufen, sondern als zusätzlichen Lohn – und stahlen weiterhin einen Teil ihrer Nahrung.659 Auch die Lasten waren noch immer schwerer als erlaubt. Hier fanden die Interessen der Unternehmen und einiger Karawanenarbeiterinnen und -arbeiter zusammen und hebelten die Verordnung aus. Die Handelskammer für Südkamerun erklärte, dass vor 1908 kräftigere Träger schwerere Lasten trugen und hierfür mehr verdienten. Die Limitierung des Gewichts, so die Kammer, wurde „nicht vom Handel, sondern von den Eingeborenen als unbequem empfunden“, weshalb „es die Eingeborenen waren, die sich ihnen zu entziehen suchten“.660 Eine Mitverantwortung wiesen die Firmen zurück. Sie brächten alle Lasten auf das Maximalgewicht.661 Tatsächlich aber war es ihnen willkommen, dass sie mehr Gewicht auf teure und schwer zu beschaffende Schultern verteilen konnten.

656 657 658 659 660 661

BArch R 1001/4293, 183. BArch R 1001/4293, 182. BArch R 1001/4293, 182. Vgl. AHkH 85.B.212, 116. Prange 1912, 135. Vgl. Prange 1912, 135. Ähnlich Akurang-Parry 2002.

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Eigentlich sollte die Trägerverordnung professionelle Karawanenführer etablieren, die für derartige Missstände zur Verantwortung gezogen werden konnten. In der Hochkonjunktur aber stellten die Firmen de facto jeden als Headman ein, der Arbeitskräfte mobilisieren konnte. Karawanenführern boten sich neue Möglichkeiten, sich zu bereichern. Besonders berüchtigt waren 1909 Ngumba-Karawanenführer, denen die Firmen „gewerbsmäßige Begehung von Diebstählen, Betrügereien, Unterschlagungen und Hehlereien“ vorwarfen.662 Sie boten sich mit einer Anzahl von Leuten den Firmen an, erhielten Lasten mit Waren – und verschwanden auf Nimmerwiedersehen. Einige Firmen verloren 1909 dadurch zehntausende Mark. Die Handelskammer und auch führende Ngumba forderten die Todesstrafe und die kollektive Bestrafung von Dörfern.663 Gouverneur Seitz wiegelte ab: Wenn in Deutschland wertvolle Waren einem auf der Strasse aufgegriffenen Unbekannten, der sich Meier oder Müller nennt, anvertraut würden, so würden Veruntreuungen nicht weniger häufig sein als bei den ohne weitere Prüfung der Identität angenommenen Ngumbahädleuten vorkommen, und es würde niemand einfallen, Abhilfe hiergegen in Verschärfung der Strafen statt in geeigneter Auswahl der Vertrauensleute zu suchen.664

Selbst das Gebot, Trägerinnen und Träger nur noch in Bargeld zu bezahlen, hielten die Firmen nicht ein. Die Regierung sah im Bargeld einen wichtigen Modernisierungsschritt, der es ermöglichen sollte, Steuern einzutreiben. Doch noch 1914 zahlten die Firmen Lohn und Verpflegungsgeld in Waren.665 Arbeiterinnen und Arbeiter bestanden auf Waren, die selbst Währungscharakter und lokal eine größere Kaufkraft als Bargeld hatten. Die Unternehmen fürchteten deshalb bei einer Barlöhnung um ihre Arbeitskräfte. Das Problem der Firmen fasste Kurrle, Hauptagent von John Holt & Co., in einem internen Schreiben zusammen: Für den Trip zwischen Kribi und Jaunde erhielten Trägerinnen und Träger 24 Mark in Waren, die 13 Mark in bar entsprachen. Mit Bargeld ließ sich aber in den Faktoreien nicht dieselbe Menge an Waren kaufen, wie die Leute als Lohn in Waren erhielten, sondern nur Waren im Wert von 7 Mark. Angesichts dessen fürchtete Kurrle, dass weniger Leute für die Firmen arbeiten würden.666 Infolge der Verordnung stellte die Firma ihre Löhne auf Bargeld um und setzte im April 1908 einen Dollar gleich eine Mark. Doch für 8 Mark konnten die Arbeiterinnen und Arbeiter nun nur noch Waren für 4 Dollar kaufen.667 Die Barlöhnung stellte diejenigen, die an Bargeld nur für 662 663 664 665 666 667

Prange 1912, 232. Vgl. Prange 1912, 232–238. BArch R 1001/3899, 6. Vgl. AHkH 85. B. 2.12, 116. Vgl. LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 02.05.1907. LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 04.03.1908. Vgl. auch Jobelmann 2017, 113.

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die 1908 eingeführte Kopfsteuer, sonst aber an Waren interessiert waren, schlechter. Nachdem John Holt & Co. die Barlöhnung und die Regierung die Kopfsteuer eingeführt hatte, arbeiteten die Menschen anfangs nur, bis sie die Steuer bezahlen konnten, und blieben danach zuhause.668 Erst Bargeld und Steuer hatten sie zu target workers gemacht.669 Bald aber führte die Kopfsteuer zu einem „big rush of carriers asking to go to the beach or Deng Den[g]“.670 Häufig arbeiteten sie aber nur so lange für Bargeld, bis sie ihre Steuern gezahlt hatten, und bestanden dann auf Waren, die für sie vorteilhafter waren. Entfesselter Arbeitsmarkt: Karawanenarbeit während des Kautschukbooms Die Trägerverordnung sollte ebenfalls dafür sorgen, dass nur Menschen in den Karawanen arbeiteten, die dazu als körperlich fähig angesehen wurden. Doch auch dieses Ziel erreichten die Behörden nicht. Vielmehr verstärkte sich die Entwicklung der Karawanenarbeit zu einer Arena, in der Familienoberhäupter ihre Abhängigen kapitalisierten und Abhängige die Mobilität und das Einkommen aus der Lohnarbeit nutzten, um sich zu emanzipieren. Die Zahl der Frauen und Kinder in den Karawanen, deren Anblick Seitz 1907 überzeugt hatte, das Trägerwesen zu reformieren, verringerte die Trägerverordnung nicht. Wahrscheinlich nahm sie nach 1908 sogar zu. „In vielen Karawanen“, so der Arzt Philalethes Kuhn, „überwog die Zahl der Frauen.“671 Rohrbach, der 1913 erneut Kamerun besuchte, bemerkte auf der Jaunde-Straße, dass „mindestens die Hälfte der Träger, denen wir begegneten oder die wir überholten, Weiber waren, Weiber im besten, kräftigen, teilweise auch noch in jugendlichem, nicht vollreifem Alter“.672 Viele Europäer lehnten Karawanenarbeit von Frauen ab, weil sie nicht ihren Geschlechternormen entsprach. Kameruner Mädchen und Frauen sollten vor allem Kinder gebären und aufziehen. Auch die Handelskammer pflichtete bei (freilich erst nach dem Zusammenbruch des Kautschukhandels 1913), durch die Trägerarbeit würden „Weiber, Frauen und Mädchen […] ihrem natürlichen Beruf entzogen“.673 Die große Zahl von Trägerinnen zeigt, dass Abhängigkeitsstrukturen in der Karawanenarbeit bedeutsam blieben. Männer schickten ihre Familienmitglieder in

668 Vgl. LRO 380 HOL 1/9/1 Report on shipment per S/S „Balmore“, 24.03.1908. 669 Für eine Kritik des Target-worker-Konzepts vgl. Fall/Roberts 2019, 83; Hopkins 1988, 229; Hopkins 1966, 146 ff. 670 LRO 380 HOL 1/9/1 Jaunde, 05.05.1908. 671 BArch R 1001/5914, 309. 672 BArch R 1001/3416, 84. 673 BArch R 1001/3416, 79. Auch die Missionare schimpften auf die Frauenarbeit. Vgl. Vogel 1913, 333.

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kurzfristige Lohnarbeitsbeziehungen. 1912 sandte das Familienoberhaupt Owônô Bike „his women and others“ aus, um Kautschuklasten zur Küste zu tragen, damit er mit den Einnahmen eine Frau auslösen konnte, die er verpfändet hatte.674 Viele Familienoberhäupter hatten wahrscheinlich durch Karawanenarbeit heiraten können. Sie hatten zwar selbst in einer früheren Lebensphase von der sozialen Mobilität durch Lohnarbeit profitiert, reproduzierten aber nun die ältere soziale und geschlechtliche Arbeitsteilung.675 Sobald ein Mann ein mfaŋ mot – eine richtige Person – geworden war und über eigene Abhängige verfügte, entzog er sich der noch immer als degradierend empfundenen Trägerarbeit.676 Er delegierte sie an Frauen, Kinder, Sklaven, Sklavinnen und sonstige Abhängige. Andere Männer nahmen ihre Frauen und Kinder mit zur Karawanenarbeit, um sich diese zu erleichtern oder eigene Handelswaren zu transportieren.677 Aufgrund der wachsenden Nachfrage arbeiteten trotz Trägerverordnung immer mehr Menschen in den Karawanen, denen diese Arbeit gesetzlich untersagt war. Nicht nur Frauen und Kinder, auch Kranke trugen Lasten. Bereits 1908 waren 4 Prozent aller Trägerinnen und Träger, die Lolodorf passierten, an Lepra erkrankt.678 Verantwortlich hierfür waren nicht in erster Linie die Firmen. Diese duldeten diese Praxis zwar, aber Headmen, Familienoberhäupter und Karawanen umgingen die Verordnung, um von der Arbeitskraft ihrer Abhängigen zu profitieren. Sobald die Leute sich unbeobachtet fühlten, so Ebermaier, bürdeten sie ihre Lasten „minderjährigen oder schwächlichen Personen ihres Anhangs“ auf.“679 Teilweise kamen Headmen mit „einer Schar kräftiger Eingeborener“ in die Faktorei, ließen sich anwerben und zogen dann in ihre Dörfer, um die Lasten an Menschen zu verteilen, „die nach der Trägerverordnung zu schwach oder zu jung waren“.680 Auch Bartels schrieb: „Noch heute nimmt der kräftige Mann in der Factorei die Lasten in Empfang, bepackt aber nachher seine Kinder + Weiber damit, während er selbst im Dorfe später das Geld in Empfang nimmt.“681 Die Handelskammer erklärte ebenfalls, dass viele Frauen „ihre Lasten nicht vom europäischen Kaufmann, sondern von den eingeborenen Männern“ erhielten, „die sich ihrer Frauen

674 PHS R 57 George W. Schwab Papers, Box 1/7, 18. 675 Zu älteren sozialen Normen und neuen Arbeitsbeziehungen vgl. Waterman 1976, 182. Zu Lebensphasen und Lohnarbeit vgl. Eckert 2019, 26 f. 676 Vgl. Laburthe-Tolra 1981, 379. 677 Vgl. Haase 1916, 157–170. 678 Vgl. RKA 1909, 181. Vgl. auch RKA 1908, 130. 679 BArch R 1001/3899, 36. 680 Prange 1912, 136. 681 BArch R 1001/3837, 161.

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zu Erwerbszwecken bedienen“.682 Sicherlich versuchten die Firmen, ihren Anteil an den Gesetzesverstößen kleinzureden. Zugleich verwiesen sie aber auf alte und neue Abhängigkeiten in der Karawanenarbeit.683 Gleichzeitig war die Karawanenarbeit auch ein Risiko für die Familienoberhäupter. Mobilität und Lohnarbeit konnten nach der Jahrhundertwende und vor allem während des Booms für ihre Abhängigen ein Weg sein, sich zu emanzipieren. Mädchen und Frauen etwa nutzten die Trägerarbeit, um ihre Spielräume auszuweiten. „Die Trägerinnen auf der Jaundestraße […],“ so Rohrbach, „ziehen monatelang mit den Männern landauf, landab, nicht gezwungen, sondern freiwillig, mit Kaufmannsgütern beladen, um Geld zu verdienen.“684 Für einige Frauen war die monatelange Trägerarbeit eine Möglichkeit, einen ungeliebten Ehemann loszuwerden.685 Die Trägerin Germaine, die für ihren Mann Kautschuk zur Küste trug, empfand die Arbeit als Periode sexueller Freiheit.686 Insofern könnte sich hinter der Klage einiger Bulu-Familienoberhäupter über „die wachsende Sittenlosigkeit der Weiber“ eine zunehmende Emanzipation verbergen.687 Manche Frauen, besonders im Jaunde- und Bane-Gebiet, schlossen sich männlichen Trägern als Gefährtinnen auf Zeit an. Die Übergänge zwischen der bei den Beti praktizierten sexuellen Freizügigkeit und der Prostitution waren hierbei fließend. Rohrbach begegnete Frauen, die sangen: „Wir schlafen gern mit den Fremden, die durchziehen, aber sie müssen gut zahlen, sonst laufen wir fort, wenn sie uns haben wollen“.688 Auch Koch traf im Bane-Gebiet am Wegesrand Frauen, die „ein Häuptling ausgesandt hatte, um seine Finanzen aufzubessern!“689 In einer Erzählung, die die Episode behandelt, unterstrich er den freien Willen der Frauen: Ihr Ehemann sei alt, ließ er sie sagen, die jungen Männer ihres Dorfes alle als Träger unterwegs und sie würden gern mit durchziehenden Männern schlafen, die ihnen gefielen. „So kam es“, schrieb Koch über seine Karawane, „daß bald fast jeder Mann seine ständige Begleiterin hatte, die für ihn sorgte, mitunter seine Last eine Strecke weit trug, seine Mahlzeiten bereitete und die sonst einsamen und freudlosen Nächte verschönte.“690 Die mit der Karawanenarbeit einhergehende Mobilität von Abhängigen war nicht nur den Behörden ein Ärgernis. Familienoberhäupter sahen darin eine Gefahr für

682 BArch R 1001/4313 Protokoll, 20.–22.02.1908, o.S. Vgl. BArch R 1001/3899, 73; BArch R 175-IV/ 1011, 7. 683 Vgl. Akurang-Parry 2002. 684 BArch R 1001/3416, 84. 685 Vgl. Haase 1916, 157–170. 686 Vgl. Vincent 1976, 100. 687 Seitz 1927, Bd. 2, 77. 688 BArch R 1001/3416, 84. 689 Vgl. S Storck N Koch Tagebuch 1, 04.12.1911. 690 Koch 1923, 157.

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ihre Stellung. 1912 bat deswegen der Hilfslehrer M. Edanga Nku das Bezirksamt Jaunde, seinen Vater, das Familienoberhaupt Nku, dabei zu unterstützen, die Mobilität seiner Abhängigen einzuschränken: Mein Vater kann […] die Leute nicht ohne Erlaß des Gouvernements zusammen bekommen. Bezüglich dieser Gründe bitte ich das Kaiserliche Gouvernement ganz ergebenst, meinem Vater die Macht zu geben, sein Volk wieder zusammen zu bekommen. Das Bezirksamt Jaunde möchte ihm erlauben, seine Leute mit Polizisten herbei bringen zu dürfen. Sie sollen mit ihm zusammenwohnen, damit er dem kaiserl. Bez. Amt Jaunde recht und ohne Fehler dienen kann.691

Nku und Edanga Nku versuchten den Eindruck zu erwecken, Nku wolle den Forderungen der Regierung nach Arbeiterstellung nachkommen. Tatsächlich aber hatte er dieser nie Arbeitskräfte überlassen müssen.692 Lohnarbeit und Mobilität ermöglichten Menschen, über die Nku Rechte beanspruchte, sich von ihm zu emanzipieren.693 Auch Bezirksamtmann Alfred Priester betonte die Verbindung von Lohnarbeit, Mobilität und Emanzipation: „[A]b und zu erschien ein bejahrter Häuptling und forderte die Herausgabe eines seiner Untertanen, der z. B. bei einer Firma in Arbeit stand, mit der Begründung, der Mann sei sein Sklave.“694 Waren auch viele Menschen von ihren Familienoberhäuptern vermietet worden, ermöglichte dies doch einigen, sich zu befreien oder eine bessere Position in den alltäglichen Aushandlungsprozessen einzunehmen, die mit Sklaverei und anderen Formen von Abhängigkeit verbunden waren.695 Zwischenfazit Der Kautschukhandel, so wie Afrikanerinnen und Afrikanern ihn betrieben, besaß ein Eigengewicht, das ihn für den schwachen kolonialen Staat kaum reformierbar machte. Zwar entwarf die Regierung ab 1906 ein großes Reformprogramm, um 691 692 693 694 695

BArch R 175-I/137, 201. Vgl. auch BArch R 175-I/137, 213. Vgl. BArch R 175-I/137, 201. Zum Zusammenhang zwischen Mobilität und Emanzipation vgl. Rossi 2014. Priester 2012, 23. Vgl. Cooper 1979. Selbst in Nordkamerun führte die Kautschuk-Hausse zu Emanzipationsprozessen. Bei Dengdeng traten ab 1901 „Kaburra“ auf – „Unterworfene“ (vgl. Seige 2003, 70 f.) oder Sklaven der Fulbe-Lamidate. Nach Westermann waren es vor allem Gbaya, die in ihre Heimat zurückkehrten. Mit dem Dengdeng-Boom setzte eine Migration aus Ngaundere in die Kautschukgebiete ein. 1911 waren sie in Dengdeng die wichtigsten Kautschukproduzenten. Die Regierung wies sie 1911 gegen den Protest der Firmen als Landfremde aus, siedelte sie im Ebolowa-Bezirk an oder führte sie zu ihren Fulbe-Herren zurück. Vgl. Westermann 1914, 33; Prange 1912, 142 ff.; BArch R 175-I/137, 144.

Rubber Boom: Reform des Kautschukhandels und afrikanische Resilienz

nach 15 Jahren erstmals in den Kautschukhandel einzugreifen, bei dem sie vor allem die Praktiken der Afrikanerinnen und Afrikaner ins Visier nahm: die Kreditgeschäfte, die Kautschukproduktion, die Karawanenkultur. Doch der Höhepunkt von Südkameruns Goldrausch war für die Durchführung der Reformen ungeeignet. Die möglichen Verdienste waren so hoch, dass diese für europäische wie afrikanische Akteure ein starker Anreiz waren, die neuen Regelungen zu ignorieren. Unter diesen Umständen erwiesen sich die Praktiken der Kautschuksucher und -händler sowie der Trägerinnen und Träger als resilient gegen staatliche Eingriffe. Zu wertvoll war ihre Arbeit und zu weit weg waren die Behörden, als dass sich Praktiken geändert hätten, von denen viele Menschen enorm profitierten.

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5.

Vertragsarbeit, ca. 1905–1914

5.1

Monthly boys: Vertragsarbeit im Kautschukhandel

1906 war der 25-jährige Richard Krönig aus Charlottenburg wirtschaftlich ruiniert. Allein bei seiner Schwester hatte er 900 Mark Schulden. Sein Vater hatte für ihn eine so hohe Summe aufzuwenden, dass er ihm das Haus auf Jahre verbot.1 Um Geld zu verdienen und möglichst weit weg von zuhause zu sein, heuerte Krönig als Assistent bei Georg August Zenker in Bipindi an und bestieg im Oktober 1906 den Dampfer nach Kamerun.2 Die Stellung bei Zenker war nicht die beste. Günter Tessmann hatte sie wenige Monate zuvor ausgeschlagen und in Kribi bemitleideten viele den jungen Mann.3 Bereits im April 1907 kündigte er – nach eigenen Angaben wegen der unhaltbaren Bedingungen auf der kleinen Plantage und Zenkers gewalttätigem Umgang mit seinen Arbeitern.4 Zenker hingegen warf ihm „Unlust zur Arbeit“ und einen übergroßen Hunger und Durst vor.5 Wenige Tage später trat Krönig in den Dienst des 39-jährigen früheren Woermann-Kaufmanns Theodor von Cloedt, der sich gerade als Kautschukhändler selbständig gemacht hatte.6 Kleinunternehmen wie seines, das möglicherweise nie mehr als drei europäische Angestellte hatte, galten als „Eintags-Fliegen“, die nur unter dem Motto „Gummi um jeden Preis“ bestehen konnten.7 Krönig aber war begeistert, als Kautschukhändler arbeiten zu dürfen, und errichtete für von Cloedt eine Faktorei in Kumakuma nahe Lomie. Nun wollte er „Gummi sehen, wieder Gummi sehen und schließlich nochmals

1 Vgl. DHM Do 2005/34 Krönig an Eltern, 13.04.1908; DHM Do 2005/34 Krönig an Eltern, 15.03.1908; DHM Do 2005/37, 2. 2 Vgl. DHM Do 2005/34 Vorsatz. 3 Vgl. Tessmann 2012–2015, Bd. 1, 321; DHM Do 2005/34 Skolaster an Krönig, 19.04.1907. 4 Vgl. DHM Do 2005/34 Krönig an Eltern, 09.04.1907; DHM Do 2005/34 Krönig an Vater, 01.09.1907. 5 DHM Do 2005/34 Zenker an Krönig, 08.04.1907. Vgl auch PAZK N Zenker Bremer WestafrikaGesellschaft an Zenker, 08.04.1907. 6 Von Cloedt (1868–1910) reiste 1885 erstmals in die Tropen und war mindestens im Kongostaat und in Deutsch-Südwestafrika. 1899–1907 arbeitete er für Woermann in Südkamerun. Dass von Cloedt noch 1908 in der Woermann-Bilanz auftaucht, könnte daran liegen, dass sein Guthaben noch nicht ausgezahlt war. Oder die Firma von Cloedt war de facto eine Tochterfirma von Woermann, wie Alfred Pilz von Randad & Stein oder Lehning & Bartels von der Bremer Westafrika-Gesellschaft. Vgl. Stegemann 2014; Landois 1901/02, 136; ACW Bilanzen 1899–1908; DHM Do 2005/35 Krönig an Eltern, 16.09.1910; MARKK SCH 1.8, 97. 7 BArch R 175-I/70, 11.

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Vertragsarbeit, ca. 1905–1914

Gummi sehen, um am Ende des Geschäftsjahres mit meiner Commission gut abzuschließen“.8 Krönig überwarf sich mit dem lokalen Familienoberhaupt, haderte ständig mit seinem Chef, war sadistisch gegenüber seinen Arbeitern und verfiel in tiefe Depressionen. In Briefen an seine Eltern beschrieb er seine Krankheiten und Todesahnungen sowie seinen Rückzug aus dem sozialen Leben.9 Im Oktober 1908 kehrte er nach Berlin zurück – reiste aber im April 1909 erneut nach Kamerun, um bei der Bahnverwaltung zu arbeiten.10 Auch hier blieb er glücklos. 1911 erklärte er seinen Eltern, er sei wieder Kautschukhändler geworden – aus Sehnsucht „nach dem früheren Afrikaleben“.11 Er arbeitete nun bei der noch im Aufbau befindlichen BKH, die händeringend nach Kaufleuten suchte.12 Wieder zeigte Krönig, wie untauglich er für den Beruf war. Er missachtete Anordnungen seiner Vorgesetzten, verspekulierte sich beim Kautschukeinkauf und machte einen Verlust von 1000 Mark.13 Verzweifelt wollte er wieder als Bahnbeamter ins Ausland gehen – aber „nicht nach Kamerun, wohin anders. Jedwedes Land ist egal, wenns nur Kamerun nicht mehr ist.“14 Bis er Anfang 1912 nach Deutschland zurückkehrte, verwendete ihn die Firma als Arbeiteranwerber.15 Krönigs Briefe geben Einblick in die Welt der kleinen europäischen Kautschukhändler, die aus schwierigen Verhältnissen in die Kolonie kamen, um ihr Glück zu machen. Sie halten aber auch fest, wie sich just während Krönigs KamerunAufenthalten die Beschäftigung lokal angeworbener Vertragsarbeiter für den Kautschukhandel durchsetzte: 1907 marschierte Krönig von Sangmelima im BuluGebiet, wo sich von Cloedts Hauptfaktorei befand, mit 45 Arbeitern, die fortan seiner Faktorei als Yardboys zugeteilt waren, nach Kumakuma ab.16 Es handelte sich dabei nicht um Vai-Arbeitsmigranten, sondern um Bulu, Beti, Mabea und Ngumba.17 Krönig beschrieb riesige Karawanen seiner Firma: 70 Mann, 85 Mann, 150 Mann.18 Er berichtete auch, dass von Cloedt 1908 den professionellen Arbeiteranwerber Wiese engagierte, um auf einen Schlag 300 Mann anzuheuern.19 Deutlich wird, dass selbst Kleinfirmen einen riesigen Bedarf an fest engagierten 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19

DHM Do 2005/34 Krönig an Irma, 31.08.1907. Vgl. DHM Do 2005/34 Krönig an Eltern, 15.03.1908. Vgl. DHM Do 2005/34 Notizen. DHM Do 2005/36, 78. Vgl. DHM Do 2005/36, 67. Vgl. DHM Do 2005/36, 87; DHM Do 2005/37, 58 f. DHM Do 2005/37, 59. Vgl. DHM Do 2005/37, 79 f. DHM Do 2005/34 Krönig an Vater, 01.09.1907. Vgl. DHM Do 2005/34 Krönig an Erna, 30.08.1907. Vgl. DHM Do 2005/34 Krönig an Vater, 01.09.1907; DHM Do 2005/34 Krönig an Vater, 23.01.1908. Vgl. DHM Do 2005/34 Krönig an Eltern, 02.05.1908.

Monthly boys: Vertragsarbeit im Kautschukhandel

Arbeitskräften hatten, den sie über Vertragsarbeit in Südkamerun deckten. Für die BKH rekrutierte Krönig ab 1911 schließlich selbst mehrfach hunderte von Vertragsarbeitern.20 Nach dem Ende der Südexpedition, mit dem Höhepunkt des Kautschukbooms, weitete sich die Vertragsarbeit in Südkameruns gesamter, sich ausdifferenzierender Kautschukwirtschaft aus. Die Plantagen beschäftigten sich vermehrt mit dem Anbau von Kautschukpflanzen – und suchten lokale Vertragsarbeiter; die GSK erhielt ein Eigengebiet und produzierte dort selbst Kautschuk – mit lokalen Vertragsarbeitern. Und auch die Küstenfirmen beschäftigten in ihren Karawanen wieder mehr Vertragsarbeiter.21 Diese stammten jedoch nicht mehr vom westafrikanischen Arbeitsmarkt, sondern waren vor allem Jungen und junge Männer aus Kamerun. Handelsfirmen warben seit der Südexpedition für die Transportarbeit nicht nur wie bisher Trägerinnen und Träger für einen trip an, sondern sicherten sich zunehmend lokale Arbeitskräfte für Zeiträume. Solche festangestellten Träger ersetzten jedoch nie die Trip-Trägerinnen und -Träger auf den wichtigsten Karawanenrouten, sondern arbeiteten vor allem an der Kautschukfrontier, wo das Trip-Modell nie funktioniert hatte. Insgesamt wurden Arbeitsbeziehungen in der Kautschukwirtschaft durch die Vertragsarbeit stabiler, langfristiger und verlässlicher für die Firmen. Auch für die Vertragsarbeiter waren mit dieser Tendenz zu dauerhafteren Formen der Lohnarbeit Stabilität und höhere Einkommen verbunden – aber auch Einbußen an Freiheit und Flexibilität. Die Vertragsarbeit war noch weit entfernt von der durch Cooper beschriebenen „stabilization“ der afrikanischen Arbeiterschaft.22 Dennoch war die Zunahme von Arbeitsbeziehungen, die nicht für die Erfüllung einer bestimmten Aufgabe (z. B. die Trip-Trägerarbeit), sondern für eine bestimmte Zeit eingegangen wurden, eine bedeutende Veränderung. Vertragsarbeit, ob in Karawanen, auf Plantagen oder anderswo, war nicht gleichzusetzen mit freiwilliger Arbeit. Zwar schlossen die Arbeiter einen Vertrag (genannt „book“) mit ihrem Arbeitgeber.23 Doch in den Quellen findet sich zum Teil eine explizite Unterscheidung zwischen freiwilligen Arbeitern und Vertragsarbeitern.24 Bei der Anwerbung von Vertragsarbeitern kam erneut der „fetishism of the labour contract“ zum Tragen:25 Ob junge Männer sich entschieden, einen Vertrag abzuschließen oder mit Gewalt dazu gezwungen wurden, war für Arbeitgeber und auch

20 21 22 23 24 25

Vgl. DHM Do 2005/36, 76 ff.; DHM Do 2005/36, 87; DHM Do 2005/37, 79 f. Winkler etwa verneint die Existenz von Vertragsarbeit im Handel. Vgl. Winkler 1960, 268. Vgl. Cooper 1989; Cooper 1996. Vgl. Pagel 1914b, 479 f. Vgl. BArch R 1001/3232, 269; NN 1928, 11. Cooper 2017, 141.

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den kolonialen Staat unerheblich. Caroline Authaler schreibt sogar, dass Arbeiteranwerbung „per definitionem mit Zwang verbunden“ war.26 Jedoch führt es zu weit, jedwede Vertragsarbeit als Zwangsarbeit oder gar Sklaverei zu bezeichnen.27 Auch sie war eine hybride Form der Arbeit, in der sich verschiedene Elemente mischten. Der Aufstieg lokal angeworbener Vertragsarbeiter An der Kautschukfrontier griffen die Handelsfirmen mindestens bis zur Südexpedition auf Arbeitsmigranten zurück. Anfangs hatten sie hier Vai-Vertragsarbeiter eingesetzt. Einheimische Arbeitskräfte waren vor allem als Trip-Trägerinnen und -Träger oder als Arbeitskräfte der tradebacks tätig. 1905 beschäftigten sie noch immer viele Vai als Yardboys in ihren Faktoreien: Randad & Stein konnten der Regierung 20 Vai-Träger zur Verfügung stellen,28 und auf der Faktorei von A. & L. Lubcke in Molo an der Kautschukfrontier arbeiteten mindestens vier Vai namens Jonny, Njalla, Njo und Ndonga.29 Doch durch die Probleme mit Liberia, angefangen mit dem Humplmayr-Monopol, waren andere Migrantengruppen an die Seite der Vai getreten. Zampa, der 1899 für Randad & Stein im Yesum-Gebiet handelte, beschäftigte nicht nur 20 Vai, sondern auch 105 Bata-Mabea aus Gabun.30 1901 rekrutierten Randad & Stein 60 Arbeiter in Togo.31 Noch 1906 ließen John Holt & Co. 50 Mayumba-Arbeiter aus Gabun kommen, um sie „in a good district behind Yaundie“,32 also an der Kautschukfrontier, einzusetzen. Migrantische Vertragsarbeiter waren nötig, weil die Unternehmen zwar unproblematisch Trip-Trägerinnen und -Träger, aber für ihre Expansion nach Süden und Osten sowie für die Arbeit an der Kautschukfrontier in den Arbeiterreservoirs bei Mabea, Ngumba, Beti und Bulu kaum Arbeitskräfte finden konnten. Noch 1911 berichtete Krönig, Trägerinnen und Träger wollten „immer nur als äusserte Grenze zwischen Kribi und dem Dschah [Djah], also nur bis an den Njem gehen. Auf die Frage weshalb die Leute nicht in den Njem gehen wollen antwortete mir deren headmann, dass sie den Njem fürchteten, weil die Njems noch Menschen frässen.“33 Erstens war die Arbeit an der Kautschukfrontier hart und gefährlich. Während zur Küste die Wege zunehmend ausgebaut wurden, gab es im Osten ausschließlich

26 27 28 29 30

Authaler 2018, 94. Vgl. Allina 2012, 10. Vgl. BArch R 175-I/86, 33. Für weitere Beispiele vgl. BArch R 1001/4433, 20; Collignon 1909, 221. Vgl. BArch R 1001/4290, 91 f. Vgl. BArch N 227/22, 10; BArch R 1001/4454 Schaden der Semikore-Faktorei von Randad & Stein, o.D. [1901], o.S. 31 Vgl. BArch R 1001/3193, 20. 32 LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 17.04.1906. 33 DHM Do 2005/36, 80. Hervorhebung im Original.

Monthly boys: Vertragsarbeit im Kautschukhandel

enge Regenwaldpfade. Auf diesen kam es zu Überfällen – und Trägerinnen und Träger waren meist die ersten Opfer. Zweitens fehlten den Arbeitskräften im Osten schützende Verwandtschafts- und Allianznetzwerke. Drittens war die Versorgung von Trägerinnen und Trägern dort problematisch. 1907 liefen die Träger von John Holt & Co. wegen der schlechten Versorgungslage nur von Jaunde bis Nanga Eboko, wo die Firma neue für die Strecke bis Dengdeng beschaffen musste.34 Die Küste war viertens ein Sehnsuchtsort vieler Binnenlandbewohner. Dort gab es höhere Löhne und Waren, die die Trägerinnen und Träger für eigene Handelsgeschäfte nutzen konnten. Im Osten gab es nur Wald und Gummi. Fünftens und letztens bedeutete ein Marsch in den Osten auch eine längere Dienstzeit in einem Gebiet, in dem die Menschen aufgrund der geschilderten Bedingungen nicht in der Lage waren, so über ihre Arbeit zu bestimmen, wie sie es bei der Trip-Arbeit konnten. Da die Firmen auch weiterhin ständig Trip-Trägerinnen und -Träger zur Küste suchten, gab es folglich keinen Anreiz, in den Osten zu gehen. Also griffen die Firmen auf Migranten zurück, ließen tradebacks Kinder und Abhängige einsammeln oder täuschten Arbeitssuchende über ihren Einsatzort. Die erste Erwähnung von „Monatsarbeitern“, lokal angeworbenen Vertragsarbeitern, die für einen Zeitraum statt für eine Strecke beschäftigt wurden, findet sich in einem Schreiben der Bremer Westafrika-Gesellschaft aus Akoafim von Anfang 1905.35 Wahrscheinlich aber arbeiteten auch zuvor Menschen für Zeiträume bei den Unternehmen – entweder aus eigenem Antrieb oder weil ihre Familienoberhäupter sie für einen Zeitraum vermieteten. Während der Südexpedition werden die Erwähnungen lokaler Vertragsarbeiter häufiger. Wahrscheinlich erhöhte sich die Zahl der dauerhaft beschäftigten lokalen Arbeitskräfte, weil die Firmen im Osten nun extrem hohe Gewinne machen konnten und deshalb alles in Bewegung setzten (und vor Gewalt nicht zurückschreckten),36 um Trägerinnen und Träger für den gefährlichen Osten zu rekrutieren. Als eine zentrale Form der Beschäftigung im Kautschukhandel etabliert war die lokale Vertragsarbeit wahrscheinlich ab 1908, als die Regierung in vielen Regionen Kameruns eine Kopfsteuer von 6 Mark einführte.37 Wahrscheinlich entstanden die ersten dauerhaften Arbeitsverhältnisse aus persönlichen Beziehungen. Als Hinrichsen 1905 getötet wurde, kamen auch viele seiner Bane- und Bulu-Träger ums Leben.38 Familienoberhaupt Sibbebadde klagte

34 Vgl. LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 23.07.1907; LRO 380 HOL 1/9/1 Kurrle an Holt, 07.01.1909; BArch R 1001/3898, 168. 35 Vgl. BArch R 1001/4289 5, 150. 36 Zur Gewalt und zur Anwerbung vgl. Kap. 5.4. 37 Zur Kopfsteuer vgl. Rudin 1938, 338–344; Temgoua 2014, 187 f. 38 Vgl. BArch R 1001/4293, 110.

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Vertragsarbeit, ca. 1905–1914

1906, er habe dadurch seine „10 Söhne, die ich H. als Träger und Händler mitgegeben hatte“, verloren.39 Auch Tummu aus Atok hatte Hinrichsen Träger gestellt, die nun tot waren.40 Wahrscheinlich ruhten die Beziehungen, die dazu führten, dass die Familienoberhäupter Hinrichsen dauerhaft Arbeiter überließen, auf mehreren Säulen: Erstens bestanden freundschaftliche oder durch Heirat geschaffene Bande zwischen Kaufleuten und Familienoberhäuptern. Ein Beispiel hierfür ist Curt Buschmann von Randad & Stein, der in Dehane im Bakoko-Gebiet arbeitete, von seinen afrikanischen Nachbarn als Familienoberhaupt behandelt wurde und ohne Probleme Arbeitskräfte anwerben konnte. Sie kamen freiwillig zu ihm oder er erhielt sie von den Familienoberhäuptern, die ihre Abhängigen kapitalisierten.41 Zweitens gingen die Firmen feste Beziehungen mit einzelnen Dörfern ein, um eine regelmäßige Versorgung mit Trägern sicherzustellen. So finanzierten Randad & Stein ab 1905 eine katholische Missionsschule in einem Mabea-Dorf nahe ihrer Hauptfaktorei in Longji. „Die Firma“, so der Missionar Hermann Skolaster, „hatte ein Interesse an dieser Dorfgemeinde, weil sie deren Männer gern zu Trägerdiensten einstellte.“42 Drittens konnten dauerhafte Arbeitsbeziehungen aus kommerziellen Beziehungen zwischen Kaufleuten und Familienoberhäuptern entstehen – etwa durch pawning. So erhielt Hans Jobelmann im Ntum-Gebiet für gestundete 70 Dollar trust mehrere Träger als Pfand.43 Hierbei handelte es sich häufig um Kinder.44 Die Arbeitsbeziehungen zugrundeliegenden Beziehungen waren folglich divers und sind im Einzelfall kaum nachvollziehbar. Neben Beziehungen zwangen zeit- und ortsweise die Kaufleute die Menschen mit Gewalt in die Vertragsarbeit. Um 1905, als die Firmen besonders viele Trägerinnen und Träger für Karawanen ins Ndsimu-Gebiet brauchten, traf es die Bulu. Curt Knoch von der Bremer Westafrika-Gesellschaft schickte zum Trägeranwerben „seinen Koch mit einem 88er Karabiner los“.45 Hermann Schaeffer von der Hamburg-Afrika-Gesellschaft hielt Menschen auf der Straße an, fragte sie, „ob sie zur Küste Lasten tragen wollten“. Ein Gericht stellte fest, dass er sie, wenn sie sich ablehnend verhielten, festnahm, ihnen wider ihren Willen Lasten zu tragen gab, ihnen die eine Hand an ihren Hals festband oder mehrere Träger durch Schlingen

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BArch R 1001/4291, 126. Vgl. BArch R 1001/4291, 126. Vgl. Kap. 5.2. Skolaster 2013, 539. Die Kooperation endete 1907, als das Bezirksamt das Dorf an die Jaunde-Straße zwangsumsiedelte. Vgl. Skolaster 2013, 539. 43 Vgl. Jobelmann 2017, 140. 44 Vgl. BArch R 175-I/966, 50. 45 BArch R 1001/3450, 147.

Monthly boys: Vertragsarbeit im Kautschukhandel

um den Hals aneinanderkettete, mit sich fortführte und nachts in Hütten einsperrte und bewachen liess ohne ihre Fesseln zu lösen […].46

Auch Täuschung spielte eine große Rolle. Vertragsarbeitern wurde oftmals verschwiegen, dass sie nach Osten gehen sollten, oder sie erhielten heimlich Vorschüsse, um sie zu binden.47 Spätestens 1907 übernahmen die Firmen das Modell der Arbeiteranwerbung, das die Plantagen des Kamerunberges um 1900 entwickelt hatten. Auch hier spielten Gewalt und Täuschung eine Rolle. Hinzu kamen aber auch die guten Löhne, die die Firmen zahlten, und ab 1908 die von jedem Mann zu zahlende Kopfsteuer. Nachdem die Regierung angekündigt hatte, Kopfsteuern einzuführen, stieg das Angebot an Arbeitskräften deutlich. Im Ebolowa-Gebiet übertraf es sogar den Bedarf des 1908 an einer Krise leidenden Handels. Mit dem Lohn, der häufig höher als 6 Mark monatlich war, konnten die Arbeiter ihre Steuer schnell bezahlen.48 „In einzelnen Dörfern ist die ganze männliche Bevölkerung zu Träger-Arbeits-Dienst und Gelderwerb ausgezogen“,49 hieß es im Halbjahresbericht. Durchsetzen konnte sich die neue Form der Beschäftigung letztlich aber aufgrund einer limitierten Beschäftigungsdauer. Die neuen, lokalen, dauerhaften Arbeitsbeziehungen zeichneten sich dadurch aus, dass die Firmen den Vertragsarbeitern in Bezug auf die Dauer ihres Engagements entgegenkamen. Neben dem Begriff der Yardboys etablierten sich die Bezeichnungen „Monatsarbeiter“ bzw. auf Pidgin „monthly boys“ für lokale Vertragsarbeiter.50 Der Begriff macht klar, dass die Männer, die die Firmen anwarben, zumindest anfangs nicht dauerhaft oder ein Jahr für die Firmen arbeiteten, wie die meisten Migranten des westafrikanischen Arbeitsmarktes, sondern für einen oder mehrere Monate. Möglicherweise wurde die Beschäftigungsdauer mit zunehmender Verbreitung der Vertragsarbeit immer länger.51 Herkunftsregionen der Monatsarbeiter Zu Beginn der massenhaften Anwerbung von lokalen Vertragsarbeitern, der mit dem bis 1907 anhaltenden Kautschukrausch im Ndsimu-Gebiet zusammenfiel, waren die meisten Bulu.52 Die wichtigsten Routen an diese Kautschukfrontier,

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Beide Zitate: BArch R 1001/4928, 28. Vgl. BArch R 175-I/966, 49 f. Vgl. Prange 1912, 111. BArch R 1001/4385, 45. Vgl. u. a. BArch R 1001/3551, 79 ff.; BLO MSS. Afr. s. 1525/15/8, 2. Vgl. BArch R 175-I/182, 5; LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 17.04.1906. Vgl. BArch R 1001/4289, 150; LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 27.11.1907; BArch R 1001/4433, 73.

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aber auch an die auf spanischem und französischem Territorium führten durch das Bulu-Gebiet. Wahrscheinlich konnten die Firmen mühelos mithilfe von TripTrägerinnen und -Trägern eine Verbindung zwischen dem Bulu-Gebiet und den Hauptfaktoreien an der Küste herstellen. Wenn sie jedoch dorthin gelangen wollten, wo nun Kautschuk produziert wurde, brauchten sie Arbeitskräfte, die längere Zeit mit ihnen gingen – also Vertragsarbeiter. Anfangs setzten sie sicherlich auf Arbeitsmigranten. Doch bald dürften diese nicht mehr ausgereicht haben, sodass die Firmen auf lokale Arbeitskräfte zurückgriffen. Im Bulu-Gebiet stützte sich anfangs die Anwerbung von Vertragsarbeitern für das Ndsimu-Gebiet auf brutale Gewalt. Die „übliche Art der Träger-Anwerbung“ unter den Bulu, so der Stationschef von Ebolowa, sei „Überfall von Dörfern, Binden der Leute, Drohung mit der Station im Weigerungsfall nach dem Njem zu gehen“.53 Einzelne Kaufleute prahlten geradezu damit, dass sie ihre Träger mit der Waffe rekrutierten.54 Im Oktober 1906 sperrte die Regierung den EbolowaBezirk und verwies explizit auf die Übergriffe der Firmen bei der Anwerbung von Vertragsarbeitern für die Kautschukfrontier.55 Ausdrücklich verbot sie die Trägeranwerbung. Während die Kaufleute argwöhnten, dies diene zur Protektion der GSK,56 befürchtete Stationschef Heinicke einen Aufstand der Bulu aufgrund des Trade-back-Handels und der Trägeranwerbung.57 Erst im April 1908, mit Inkrafttreten der Trägerverordnung, hob die Regierung die Sperrung, die die Firmen durch Lobbyismus schon lange aufgeweicht hatten und durch illegale Anwerbungen unterliefen,58 wieder auf.59 Als schwerste Folge der viel beklagten Sperrung führte die Handelskammer denn auch an, dass sie „eine zahlreiche arbeitsfreudige Bevölkerung der Verwendung im Dienste des Handels auf lange Zeit entzogen hat“.60 Die Bulu blieben wichtige Arbeitskräfte für den Kautschukhandel,61 aber die Sperrung des Ebolowa-Bezirks beschleunigte dessen Verlagerung in den Dume-

53 BArch R 1001/4385, 32. 54 Vgl. BArch R 1001/3449, 146 f. 55 Vgl. BArch N 2225/104, 1 ff. Mandeng führt die Sperrung auf die „Trägerfrage“ zurück. Mandeng 1973, 60. 56 Vgl. BArch N 2225/104, 13; BArch R 1001/4433, 73. 57 Vgl. BArch R 175-I/87, 59; BArch R 1001/3819, 61 f. So eindeutig, wie die Regierung behauptete, waren die Verhältnisse allerdings nicht. Heinicke selbst hatte zuvor die Anwerbung von Trägern durch die Schutztruppe und deren oft tödliche Vernachlässigung angeprangert. Außerdem stellten die Firmen fest, „dass sich bei uns ein grösseres Angebot an Trägern und Arbeitern bemerkbar macht, sobald die Station Leute sucht“. (BArch R 1001/3551, 22 f.) Vgl. BArch R 175-I/87, 59. 58 Vgl. BArch R 1001/3820, 33; BArch R 1001/4385, 32; LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 22.03.1907. 59 Vgl. BArch R 1001/3898, 246. 60 Prange 1908, 8. 61 Vgl. BArch R 1001/8118, 196; Hagen 1915, 381.

Monthly boys: Vertragsarbeit im Kautschukhandel

Bezirk, den die Firmen über die Nyong-Region erreichten. Hierdurch verschob sich auch das Herkunftsgebiet der lokalen Vertragsarbeiter. Vor allem die Durchzugsgebiete am Nyong und das nördlich gelegene Maka-Gebiet entwickelten sich zu einem Arbeiterreservoir. Anfangs warben einige Firmen Beti für ihr NyongGeschäft an,62 andere brachten Arbeiter aus fernen Regionen Kameruns in den Süden: John Holt & Co. etwa schickten 1906 „Jabassi Boys“ aus der Umgebung von Duala und 1907 100 Arbeiter „from the Bassa district“ im Edea-Bezirk nach Kribi – „and they were quite willing to go“.63 Aber schon Mitte 1906 konnten Randad & Stein mithilfe der Familienoberhäupter von Akonolinga 600 Monatsarbeiter für ihr Nyong-Geschäft rekrutieren.64 Im September 1906 weigerten sich die Maka nördlich des Nyong gar, Kriegsentschädigungen zu zahlen, weil so viele Männer für die Faktoreien arbeiteten.65 Bis ca. 1910 entwickelten sich die Maka zur wichtigsten Gruppe der Vertragsarbeiter zwischen Abongmbang und Kautschukfrontier.66 Dies lag abermals an der fortschreitenden Zerstörung der gummiproduzierenden Pflanzen. Im Maka-Gebiet hatten Händler wie Zampa ab der Jahrhundertwende Kautschuk gekauft.67 Inzwischen gab es regionsweise zunehmend keinen Kautschukhandel mehr. 1910 hörte er fast ganz auf. Trägerdienste waren deshalb eine wichtige Einnahmequelle.68 Wo noch Kautschuk gewonnen wurde, war es unmöglich, Vertragsarbeiter zu finden, „weil sie durch Gummiausbeute viel schneller und müheloser Geld verdienen können.“69 Binnen kurzer Zeit professionalisierten die Maka die Trägerarbeit. Nach Angaben Fröhlichs konnte die Bremer Westafrika-Gesellschaft anfangs kaum Arbeitskräfte in Abongmbang rekrutieren. „Unsere Arbeiter müssen aus Baue [sic! Bane – T. Oe.], Jaunde und Buli hergeholt werden. Nur als Farmarbeiter benutzen wir Makkas.“70 Doch nach wenigen Jahren war die Rekrutierung von Monatsarbeitern im DumeBezirk fest etabliert. Zwischen 1908 und 1910 erhielt das Nyong-Geschäft der AKAG Maka-Arbeiter durch ihren Angestellten Albrechtsen in Dume. Von den 600 Monatsarbeitern der AKAG im Nyong-Geschäft waren 1910 mindestens die Hälfte Maka. Die Arbeiter stammten zum Teil aus weit entfernten Regionen, wie 62 63 64 65 66

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Vgl. SBB-PK Ms. germ. oct. 1355, 340; Fröhlich 03.09.1910. LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 06.09.1906; LRO 380 HOL 1/9/1 Duala, 08.08.1907. Vgl. BArch R 1001/3898, 120. Vgl. BArch R 175-I/135, 209. Während der französischen Mandatszeit gab es erneut einen Boom der Vertragsarbeit im MakaGebiet für die Plantagen am Nyong. Dort arbeiteten 1132 Maka, wodurch Lohnarbeit auf Plantagen „no longer a marginal aspect of the colonial economy in Makaland“ war. Geschiere 1983, 91. Gleiches gilt folglich auch für die deutsche Zeit. Vgl. BArch N 227/22, 9. Vgl. BArch R 1001/4294, 199 f. BArch R 1001/4294, 343. Fröhlich 03.09.1910.

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dem Gebiet des Omwang-Familienoberhauptes Nguelemendouka.71 1910 stellten dessen Leute „im Dume-Bezirk das Hauptkontingent an Trägern und Arbeitern für die dort angesiedelten Handelsfirmen“.72 Im Gegensatz zur Professionalisierung der Jaunde, die standardmäßig für einen Trip an die Küste oder ins Binnenland gingen, wurde unter den Maka die Vertragsarbeit die reguläre Form der Arbeit für die Firmen. Während Monatsarbeiter problemlos zu bekommen waren, konnten die Firmen hier nur schwer Trip-Trägerinnen und -Träger finden.73 Wie bei den Jaunde hatte auch bei den Maka die Regierung Anteil an der Entstehung dieses Arbeitskräftereservoirs. Sie forderte die Firmen explizit auf, ihre Arbeiter für das Dume-Gebiet unter den Maka anzuwerben. Weil das Gouvernement die begehrten Jaunde für den Bahnbau beanspruchte, riet es den Firmen, einen „Versuch mit anderen Leuten als Jaunde“ zu machen, und wies die Station Dume an, die Firmen bei der Anwerbung von Maka-Arbeitern zu unterstützen.74 Eine große Zahl von Arbeiteranwerbern zog deshalb um 1910 durch das Maka-Gebiet.75 Diese schlossen Abkommen mit Familienoberhäuptern oder Sklavenhändlern.76 Einige Arbeiter kamen aber auch aus eigenem Entschluss zu den Firmen – besonders aus dem Gebiet der Südmaka am Longmapfog. Grund dafür waren nicht nur die Löhne, sondern auch die Furcht vor der dort nun grassierenden Schlafkrankheit.77 Träger und Yardboys: Aufgaben der Vertragsarbeiter Die Monatsarbeiter übernahmen dieselben Aufgaben wie zuvor die Arbeitsmigranten: Erstens arbeiteten lokale Vertragsarbeiter in den Karawanen der europäischen und afrikanischen Händler, die in neue, gefährliche Handelsgebiete vorstießen. Wie zuvor die Vai wurden sie hierfür bewaffnet. Randad & Stein schickten auch 1905 noch bewaffnete Karawanen aus Vertragsarbeitern ins Njem-Gebiet.78 Wo immer die Regierung nicht hinsah oder nicht einschreiten konnte, bewaffneten die Kaufleute Teile ihrer Karawanen. Tessmann stellte 1907 für seine Reise nach Spanisch-Guinea eine „eigene Truppe“ auf.79 Hierzu besorgte ihm die Bremer Westafrika-Gesellschaft in Kribi zwei Jaunde-Arbeiter namens Ngoa und Schok

71 72 73 74 75 76 77 78 79

Vgl. BArch R 1001/4295, 49; NN 1911d, 8. BArch R 1001/4294, 82. Vgl. Handelskammer für Süd-Kamerun 1913a. BArch R 175-I/183, 33. Vgl. Fritz Sauer: SBB-PK Ms. germ. oct. 1355. Vgl. Kap. 5.4. Vgl. Kuhn 1914, 121 f. Vgl. BArch R 1001/4289, 102. BArch R 1001/4293, 76.

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als „Soldaten“.80 Auch Danielsen von Randad & Stein rüstete für seine Karawane nach Spanisch-Guinea fünf seiner Arbeiter mit Karabinern, Bajonetts sowie roten gestrickten Mützen aus, damit sie wie Soldaten der Schutztruppe aussahen.81 Zweitens setzten die Firmen auch im normalen Transportbetrieb auf wichtigen Routen Vertragsarbeiter ein – ohne allerdings die Trip-Karawanen zu ersetzen. Teilweise arbeiteten sie mit Trip-Trägerinnen und -Trägern zusammen. Tessmann z. B. ging 1906 mit einem Headman und drei fest engagierten Arbeitern nach Spanisch-Guinea, wo er als Elefantenjäger leben wollte.82 Um sein Elfenbein abzutransportieren, warb er zusätzlich Träger für einen trip in den Nachbardörfern an, die mit den fest engagierten gingen.83 Im größeren Maßstab nutzten die Handelsfirmen Vertragsarbeiter für die Versorgung der Kautschukfrontier im Dume-Gebiet. Sie stellten an der Küste Karawanen aus fest engagierten Trägern zusammen und schickten diese unter einem Headman mit Lasten auf der Jaunde-Straße zu den Durchgangsdepots am Nyong bei Olama. Dort luden die Vertragsträger ihre Lasten ab, erhielten ein Geschenk (Salz, Tabak, Süßkartoffeln etc.), ruhten einen Tag aus und gingen mit Kautschuk zur Küste. Diesen Kreislauf machten sie das ganze Jahr. Die Lasten wurden von Olama mit Kanus nach Abongmbang gebracht. Auf diese Weise mussten die Firmen nicht große Zahlen von Trägern finden, die in den Osten gehen würden. Ein Transport auf dem Wasser war zudem fünfmal so billig wie über Land.84 In Abongmbang wurden die Lasten erneut auf den Rücken von Vertragsarbeitern verladen und zu den Faktoreien an der Kautschukfrontier transportiert.85 Drittens teilten die Firmen die Vertragsarbeiter ihren europäischen und afrikanischen Händlern als Yardboys zu. Dies war die wichtigste Funktion dieser Arbeitskräfte. Nach Langheld machte „die Firma welche die meisten Waren[,] Händler und namentlich Yardboys hat“, „die besten Geschäfte“. „Yardboys sind eben Bedingung für das Geschäft.“86 Um einen Handel aufbauen zu können, waren festangestellte Arbeiter nötig, die die afrikanischen Händler in die Buschfaktoreien begleiteten.87 Sie mussten den gekauften Gummi von dort zu den Faktoreien schaffen und Nachschub an Handelswaren holen. Wenn dies nicht möglich war, stockte der Handel und die Firmen verloren Geld. Dementsprechend erhielten die Händler eine Anzahl

80 81 82 83 84 85 86 87

Tessmann 2012–2015, Bd. 2, 59. Vgl. BArch R 1001/4293, 80. Vgl. Tessmann 2012–2015, Bd. 1, 384. Vgl. Tessmann 2012–2015, Bd. 1, 389 ff. Vgl. ÜMB N Engelhardt 2.2.2. Engelhardt an Gouvernement, 25.03.1908. Vgl. Pagel 1914b, 480. SMB-PK, EM N Langheld Kopierbuch ohne Nr. Langheld an Ungebauer, 18.12.1912. Vgl. LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 06.02.1906. Assistants.

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von Yardboys zugeordnet oder mussten sie selbst engagieren. Darüber hinaus kauften die Yardboys zum Teil ebenfalls als Sub-Händler Kautschuk.88 Als die Regierung Ende 1912 verbot, trust auszugeben, verlegten die afrikanischen Firmenangestellten den Kautschukhandel direkt in den Wald zu den Produzenten, um der Konkurrenz maximal früh zuvorzukommen. Hierfür brauchten sie enorm viele Monatsarbeiter, die die Gummisucher aufsuchten und deren Kautschuk transportierten. Da die Monatsarbeiter nun Aufgaben übernahmen, die zuvor die Produzenten oder ihre Familienmitglieder ausgeführt hatten, waren viel mehr von ihnen nötig – die nicht zu bekommen und kaum zu bezahlen waren. Was für die afrikanischen Einkäufer angesichts hoher Kommissionen vorteilhaft war, war für die Firmen deshalb ein Problem.89 Zahlen: Verbreitung und Bedeutung der Monatsarbeiter Einen Überblick über die Größe des Phänomens Vertragsarbeit im Handel zu erhalten, ist angesichts der spärlichen, unklaren oder widersprüchlichen Zahlen kaum möglich. Aber wohl zehntausende Vertragsarbeiter arbeiteten auf dem Höhepunkt des Kautschukbooms in den Karawanen, Depots, Faktoreien und Buschfaktoreien. Dass es sich um erhebliche Größenordnungen handelte, wird daraus deutlich, dass bereits 1906, als der Aufstieg der Vertragsarbeit im Handel begann, allein 9000 Jaunde außerhalb des Jaunde-Bezirks (also vor allem im Njem- und NdsimuGebiet) als Vertragsarbeiter für die Handelsfirmen arbeiteten. Tausende arbeiteten zusätzlich in den Faktoreien des eigenen Bezirks.90 Schwierig ist die Berechnung wegen der teilweise sehr kurzen Beschäftigungsdauer von einem oder wenigen Monaten. Bei Zahlen ist deshalb oft nicht klar, ob es sich um Momentaufnahmen der Arbeiterschaft handelt oder um kumulierte Arbeiterzahlen für ein Jahr. Die Zahlen der einzelnen Firmen können dementsprechend nur der Annäherung an die Dimensionen dienen. 1912/13 gab die AKAG an, auf 18 Faktoreien mit 426 afrikanischen Händlern 1394 Arbeiter zu beschäftigen. Wahrscheinlich umfasste diese Zahl aber nicht sämtliche Arbeiter. Denn zusätzlich arbeiteten für die AKAG jährlich noch 20.000 Träger – die Quelle unterscheidet aber nicht zwischen Vertragsarbeitern und Trip-Trägerinnen bzw. -Trägern.91 Für verschiedene Geschäftszweige der Firmen sind Zahlen überliefert, die aber ebenfalls kaum helfen, Gesamtzahlen zu ermitteln. Randad & Stein als größtes Handelsunternehmen beschäftigten bereits 1906 „ca. 5000 contractlich angeworbene Jahresträger“ allein auf

88 89 90 91

Vgl. LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 03.04.1906. Vgl. Handelskammer für Süd-Kamerun 1913b, 11. Vgl. Wirz 1972, 119. Vgl. BArch R 175-I/86, 217. Vgl. BArch N 2225/17, 87.

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der Strecke nach Sangha-Ngoko via Bulu-Gebiet.92 Für ihr Nyong-Geschäft warb die Firma im selben Jahr 600 Vertragsarbeiter in Akonolinga an.93 Zahlen für einige Faktoreien zeigen, dass deren Arbeiterzahl sehr unterschiedlich ausfallen konnte. Die kleine Firma Lehning & Bartels beschäftigte 1911 in ihrem Nyong-Hauptdepot in Abongmbang 200 Vertragsarbeiter, die nur für den Verkehr zwischen dem Depot und den Faktoreien an der Kautschukfrontier angestellt waren.94 Für John Holt & Co. wiederum arbeiteten 1908 im boomenden Dengdeng 150 „monthly boys“.95 Weniger Vertragsarbeiter arbeiteten in kleineren Faktoreien. Woermanns zwei Kaufleute in Ndik und im Bane-Gebiet hatten 1906 125 festangestellte Arbeiter, die drei Kaufleute der Hamburg-Afrika-Gesellschaft in Ndik, Ebolowa und Bane je ca. 60 Arbeiter, John Holt & Co. nur 40.96 Fröhlich von der Bremer WestafrikaGesellschaft hatte 60 Yardboys in seiner Faktorei Miba.97 Krönig wiederum hatte in Kumakuma ca. 45 Arbeiter zur Verfügung. Davon blieben 10 auf seiner Faktorei, während ca. 35 Gummi und Waren zwischen Kumakuma und der Hauptfaktorei in Sangmelima transportierten.98 Abhängig von der Verfügbarkeit von Arbeitskräften und der Wichtigkeit der Faktoreien schwankte demnach die den Kaufleuten zugeteilte Anzahl von Arbeitern zwischen 40 und ca. 200. Auf der untersten Ebene arbeiteten die Vertragsarbeiter für die afrikanischen Händler in den Buschfaktoreien. Nach Mullen hatten die afrikanischen Angestellten in Njassi, im Kaka-Gebiet, 1914 folgende Arbeiterzahlen zur Verfügung: Er zählte „two Kwitta clerks with 26 yard boys, five Cameroon native clerks with 30 yard boys and two Gabon clerks with 6 yardboys. I had ten yardboys.“99 Der aus Victoria stammende Händler Paul Williams der AKAG erklärte, kurz vor dem Ersten Weltkrieg ebenfalls 30 Yardboys gehabt zu haben.100 Andere hatten viel weniger. Im südlichen Neukamerun hatten die Händler der AKAG zum Teil nur einen einzigen Monatsarbeiter, die von Randad & Stein jeweils sechs bis acht Yardboys.101 Wie die Zahlen von Gesamtunternehmen, Geschäftszweig, Faktorei und Buschfaktorei zusammenhingen, bleibt unklar. Zu ungenau sind die Angaben, zu sehr schwankten die jeweiligen Praktiken. Die BKH etwa stattete ihren Angestellten Krönig 1911 für den Aufbau des Geschäfts mit Trägern aus. Ihre afrikanischen

92 93 94 95 96 97 98 99 100 101

BArch R 1001/3819, 78. Vgl. BArch R 1001/3898, 120. Vgl. SBB-PK Ms. germ. oct. 1355, 162. LRO 380 HOL 1/9/1 Hemphill: Report, 20.01.1908. Vgl. LRO 380 HOL 1/9/1 Interview with Mr. Wennergren from Batanga. Vgl. Fröhlich 31.08.1910. Vgl. DHM Do 2005/34 Krönig an Familie, 20.05.1907. Mullen 2008, 1. Vgl. BArch R 1001/3551, 75. Vgl. SMB-PK, EM N Langheld Kopierbuch Nr. 7 Langheld an Puls, 19.11.1912.

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Händler hingegen sollten sich ihre Träger und Yardboys selbst suchen.102 Dass andere Firmen ähnlich verfuhren, ist wahrscheinlich, ob sie es immer und überall taten, nicht bekannt. Wie und ob sich solche Arbeitsbeziehungen in den angegebenen Beschäftigtenzahlen abbildeten, wussten sicher nicht einmal die Kaufleute selbst. Der Blick der Arbeiter auf die Vertragsarbeit Obwohl die Europäer stets betonten, dass es sich bei dauerhafter Beschäftigung um Lohnarbeitsverhältnisse handelte (selbst wenn sie – etwa bei vermieteten oder freigekauften Sklaven – eher hybrid waren), strukturierte die Sprache der sozialen Abhängigkeit und vor allem die der Sklaverei die Arbeitsbeziehungen der Westküste. Burton konnte in den 1860ern seine Kru-Arbeiter nicht davon abbringen, sich selbst als seine Sklaven zu bezeichnen.103 Auch Südkameruner Arbeiter konnten ihren Status als der Sklaverei angenähert verstehen. Georg Petersen, erster Hauptagent der Bremer Westafrika-Gesellschaft, drohte 1900 seinen Arbeitern, die bereits länger für ihn tätig waren, er würde ihnen die Ohren abschneiden, falls sie es wagten, von den frisch angelandeten Waren und Bauteilen zu stehlen.104 Er spielte damit auf die Praxis an, Sklaven ein Ohr zu amputieren, wenn sie etwas gestohlen hatten.105 Arbeit für Fremde war an der Westküste auch noch bis in die frühe Kolonialepoche so stark mit Abhängigkeit und Sklaverei verknüpft, dass Afrikanerinnen und Afrikaner auch europäische Faktoreiangestellte, die unter dem Befehl anderer Europäer arbeiteten, als deren Sklaven oder zumindest Abhängige ansahen. Robert Surry hatte 1880 Probleme, bei den Kru-Arbeitern seiner Faktorei als „master“ zu gelten, da er zuvor als Stewart auf demselben Schiff gearbeitet hatte wie sie. Auf Pidgin – „to-day be to-day, to-morrow be him“ – erklärte er ihnen, dass die Vergangenheit nichts mit dem Heute zu tun habe, und schlug einem der Kru mit voller Wucht ins Gesicht, um seinen höheren Status zu demonstrieren.106 In Liberia hießen die europäischen Woermann-Angestellten nicht selten „Mister Woermann him nigger“.107 „Nigger“ bezeichnete im Pidgin folglich keinen „rassischen“ Unterschied, sondern einen sozialen.108 Noch 1911 klagte die Handelskammer für Südkamerun, in den Augen der Bevölkerung sei jeder Europäer, der nicht Beamter sei, „ein ‚nigger‘

102 103 104 105

Vgl. Wirz 1972, 119; DHM Do 2005/36, 84 f. Vgl. Sundiata 1975, 36. Vgl. Schkopp 1905, 42 f. Die Praxis wurde auch verwandt, um Sklaven zu kennzeichnen. Vgl. Quinn 2006, 19; Conradt 1902, 335; Lips 1930, 172; Schoetz 1901, 33; BArch R 1001/4084, 36. 106 Surry 19.06.1880. 107 Buchner 1914, 40. Vgl. auch Karrillon 1912, 41. 108 Vgl. Schkopp 1905, 112; Buchner 1914, 40; Hagen 1908, 22.

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(Sklave) des beamteten Weißen“.109 Auf die Bezeichnung „boys“, mit der im Pidgin Europäer wie Afrikaner die Minderjährigkeit und damit Abhängigkeit von Arbeitsmigranten unterstrichen, ist bereits hingewiesen worden.110 Die Bezeichnung „boys“ wurde spätestens mit der Etablierung von lokaler Vertragsarbeit im Handel auch für Kameruner Vertragsarbeiter benutzt – etwa in den Bezeichnungen Yardboy oder monthly boy. Karawanenlaufzettel waren deshalb beschriftet mit: „[D]er Headman X geht mit 50 Boys in den Njem, um Gummi zu kaufen.“111 Vertragsarbeiter, stets als „boys“ bezeichnet, galten somit als minderjährige Abhängige. Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitern nahmen den Charakter von Klientelverhältnissen an.112 Lohnarbeit nach europäischen Vorstellungen blieb eine „illusion coloniale“.113 Stattdessen flossen Südkameruner Ideen über Arbeit und Abhängigkeit in die neuen Arbeitsbeziehungen ein. Junge oder nicht etablierte Männer waren spätestens im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in ganz Südkamerun Klientelbeziehungen eingegangen – besonders während der radikalen Akkumulation durch den Elfenbeinhandel. Für nicht etablierte Männer, deren Väter oder sonstige Familienoberhäupter zu arm oder bereits tot waren, die sich mit ihrer Familie zerstritten hatten oder auf andere Art und Weise gestrandet waren, war es eine wichtige Strategie, sich reichen und mächtigen Patronen anzuschließen. Hier erhielten sie Schutz, Nahrung und oft eine der Ehefrauen des Familienoberhauptes. Im Gegenzug schuldeten sie ihrem Patron Gefolgschaft, Gehorsam und Arbeitsleistungen. Sie waren Abhängige, gehörten zum Haushalt des Familienoberhauptes, blieben aber frei. Mit zunehmender Präsenz der europäischen Firmen erschienen auch deren Angestellte als vielversprechende Patrone für nicht etablierte Männer. Sklaven hofften ebenfalls auf größere Freiheit, wenn sie sich einem Europäer anschlossen. Die dauerhafteren Arbeitsbeziehungen, die auf diese Weise entstanden, waren aber keine Kopien der lokalen Klientelbeziehungen, sondern hybride Formen sozialer Abhängigkeit, in die auch die Praktiken und Vorstellungen Europas und des westafrikanischen Arbeitsmarktes einsickerten. Einige Europäer erkannten, dass diese europäisch-afrikanischen Arbeitsbeziehungen über eine kapitalistische Austauschbeziehung hinausgingen. In der Tat gingen sie auch in Europa noch häufig darüber hinaus. Von Schkopp konnte deshalb die Beziehungen zwischen Petersen und seinen afrikanischen Arbeitern vom Ideal des ostelbischen Junkertums ausgehend beschreiben: „Seine Arbeiter blickten mit Vertrauen auf ihn, denn er sorgte väterlich für ihre Bedürfnisse. Den saumse-

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Prange 1912, 256. Vgl. Kap. 2.4. BArch R 1001/4292, 200. Vgl. Glasman 2014, 99–105; Moyd 2014. Glasman 2014, 99.

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ligen und ungetreuen Knechten war er ein strenger Herr und ließ nicht mit sich spaßen.“114 Überlieferte Lieder, die Karawanen von Vertragsarbeitern während des Marsches oder beim Einzug in Dörfer sangen, können dazu dienen, sich zumindest dem anzunähern, wie Monatsarbeiter ihre Beziehungen zu ihrem Arbeitgeber interpretierten.115 Aufgeschrieben wurden diese Ad-hoc-Dichtungen nur von Europäern. Wie akkurat sie die Lieder überlieferten, die ihnen übersetzt werden mussten, ist schwer zu beurteilen. Auf Authentizität deuten die Ähnlichkeit aller Lieder und ihre erkennbare Funktion hin. Die Träger (wahrscheinlich Bulu) des GSK-Agenten Erich R. Petersen, überliefert in einer Erzählung, sangen beim Einzug in Bimba:116 Hört, ihr Leute von Bimba, // Njad kehrt zurück in den Busch! He, he! // // Kennt ihr noch Njad, den Büffeltöter? // Seht, dort geht er an unserer Spitze. // He, he! // Njad ist unser Vater, wir sind seine Kinder. // Rasch, bringt uns Fufu, denn wir sind hungrig. // He, he!117

Ihre hierarchische, patriarchale Beziehung kleideten die Träger in diesem Lied den Einwohnern von Bimba gegenüber in die Sprache der Verwandtschaft. Wie Klienten oder Sklaven bezeichneten die Arbeiter den jungen Europäer (Petersen war während seiner Zeit in Kamerun zwischen 24 und 28 Jahre alt) als ihren Vater und sich als seine Kinder.118 Unter Südkameruns Kaufleuten kamen deshalb eine Menge twenty-somethings in den Genuss, von ihren nur wenig jüngeren oder gar älteren Arbeitern als ihr Vater angesprochen zu werden.119 Im zitierten Lied nennen die Träger ihren Arbeitgeber darüber hinaus einen berühmten Jäger, wodurch sie an Ideale von Maskulinität anknüpfen. Mit einem solchen Karawanenführer verbunden zu sein, war keine Bürde, sondern eine Ehre. Arbeiter und möglicherweise auch Arbeiterinnen machten aber nicht nur die Hierarchie zwischen ihnen und ihrem Arbeitgeber deutlich, sondern auch, dass es sich um eine Beziehung mit gegenseitigen Rechten und Pflichten handelte. Sauers Vertragsarbeiter sangen: „Wir ziehen durch den Busch, // Unser Weißer ist gut, // Er giebt uns viel Essen und Tanzen, // Wir kommen von Abongmbang, // Ntem Elombe

114 Schkopp 1906, 18. 115 Zur Rolle von Gesang in Karawanen vgl. Rockel 2006, 98, 114. 116 Auf die Identität als Bulu weist die Bezeichnung des Protagonisten als „Njad“ hin, die Petersen mit „Büffeltöter“ übersetzt. Nyat ist der Bulu-Begriff für den Rotbüffel. Vgl. Hagen 1914, 279. 117 Petersen 1939a, 5 f. 118 Vgl. Kopytoff/Miers 1977, 25. Auch Zampa nannte von Morgen in seinen Briefen „Herrn Vater von Morgen“. BArch N 227/22, 22. Zu Petersen vgl. BArch R 9361 V 9072, Bild 114; StAE Sterbebuch Eckernförde-Stadt 1950, Nr. 164; StAE Heiratsbuch Eckernförde-Stadt 1926, Nr. 33. 119 Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 28.11.1907, 16.

Monthly boys: Vertragsarbeit im Kautschukhandel

heißt unser Weißer.“120 Die Träger akzeptierten, dass sie dem europäischen oder afrikanischen Händler wie ihrem leiblichen Vater oder einem Patron Gehorsam schuldeten und dieser von ihnen bestimmte Arbeitsleistungen verlangen konnte. Doch er hatte seinen „Kindern“ gegenüber auch Verpflichtungen. Dazu gehörten Schutz, Nahrung und die Beteiligung an seinem Reichtum in Form von Lohn und Geschenken. Andere Lieder dienten deshalb dazu, Erwartungen oder Forderungen an den Arbeitgeber zu formulieren. In seinen Erinnerungen überliefert Petersen ein weiteres Lied, dass seine Träger beim Einzug in Bimba sangen: „O, Weißer, gib uns Fufu und Fleisch, wir sind sehr hungrig.“121 In einem anderen hieß es, der Europäer „gibt uns Fufu und Fleisch jeden Tag,// Viel Fleisch, denn er ist unser Vater“.122 Auch das Lied, das Carl Volquarts’ Träger 1911 in Spanisch-Guinea sangen, diente dazu, ihn „darauf vorzubereiten, daß meine tapferen ‚Helden‘ außer ihrer Löhnung noch allerlei Geschenke erwarteten“. Sie sangen: Unser Herr kommt morgen an die Küste! […] Wir sind beladen reich mit Schätzen! … Auch wir werden unseren verdienten Lohn erhalten! … Und sicherlich bekommen wir noch Geschenke; denn wir haben einen guten Herrn! … Wir werden nicht genug Flaschen haben, um den Wein einzufüllen. … Unsere Frauen werden nicht genug Töpfe haben [.] … Wir werden die ganze Nacht nicht schlafen!123

Für ihre Arbeit verlangten die Träger eine adäquate Kompensation durch ihren Patron, der entsprechende Pflichten zu erfüllen hatte. Vertragsarbeiter wählten deshalb (wenn sie konnten) aus, bei wem sie Arbeit annahmen. Gunther von Hagen, Stationschef von Sangmelima, berichtete von den Auswahlkriterien der Bulu-Arbeiter. Deutlich wird, dass die Vertragsarbeiter mehr erwarteten als in einer rein kommodifizierten Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer: Wenn sich […] der Weiße gar nicht um das Privatleben seines Arbeiters kümmert, kein Wort seiner Sprache kann, ihm seine kurzen Befehle durch einen […] Dolmetscher übermitteln läßt, also nicht in der Lage ist, Beschwerden ohne Vermittler anhören zu können, wenn er nichts von den Sitten und der Religion des Volkes weiß, sich vielleicht noch über die lustig macht, sein Benehmen und Auftreten derartig ist, daß der Eingeborene wenig

120 SBB-PK Ms. germ. oct. 1355, 225. Sauer war für die Inhaltsangabe auf einen Übersetzer angewiesen. Er dürfte deshalb den Inhalt nur grob wiedergegeben haben. Jedoch deutet der wenig schmeichelhafte Spitzname (gebeugter Baum, da er einen Gehfehler hatte) auf Authentizität hin. Vgl. SBB-PK Ms. germ. oct. 1355, 225 f. 121 Petersen 1939b, 28. 122 Petersen 1939a, 21. Vgl. auch Petersen 1939a, 18. 123 Beide Zitate: Volquarts 1927, 89 f.

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Achtung vor ihm hat, dann muß er sich nicht wundern, wenn er trotz guter Behandlung und reichlicher Bezahlung keine Leute bekommt.124

Vorteile und Probleme der Vertragsarbeit Lokale Vertragsarbeiter waren eine zwiespältige Angelegenheit für die Firmen. Allen Kaufleuten war klar, was Langheld formulierte: „Eins ist sicher wer Leute hat macht hier das Geschäft, ohne Leute ist nichts zu machen.“125 Gleichzeitig waren die Vertragsarbeiter viel teurer als Trip-Trägerinnen und -Träger – und hatten ähnlich großen Einfluss auf den Arbeitsprozess. Die Firmen versuchten deshalb, die nötige Anzahl an Monatsarbeitern einzustellen, aber gleichzeitig die Kosten zu reduzieren. Monatsarbeiter waren teuer. Ihre Rekrutierer erhielten ein Kopfgeld, Familienoberhäupter und Angeworbene Geschenke.126 Arbeiter erhielten ein Gehalt – anfangs vor allem Pulver und Gewehre,127 1914 6 bis 8 Mark monatlich, die zum Vertragsende ausgezahlt wurden. Zudem mussten sie verpflegt werden.128 Krönigs Monatsarbeiter erhielten pro Woche ein head Tabak und ein Glas Salz zum Einkauf von Nahrung.129 Je nach Entwicklung des Kautschukmarktes schwankten die Ausgaben für Monatsarbeiter. John Holt & Co. zahlten während des Boomjahres 1907 ein Kopfgeld von 15 bis 20 Schilling und mehr, während der Krise von 1908 aber nur 6 bis 8 Schilling.130 Von 1911 auf 1912, als der Kautschukboom auf seinem Höhepunkt war, verdoppelten sich die Kosten für Monatsarbeiter, weil alle Firmen um sie konkurrierten.131 Grund hierfür war unter anderem das Aufkommen neuer, kleiner Firmen, die ebenfalls Arbeitskräfte nachfragten.132 Aufgrund der hohen Ausgaben wollten die Firmen möglichst wenige Monatsarbeiter einstellen. Wo immer möglich, versuchten sie, diese durch prekäre, billigere Trip-Trägerinnen und -Träger zu ersetzen.133 In den Bezirken Abongmbang und Dume, klagten die Firmen 1913, arbeiteten die Menschen aber nur ungern als Trip-Träger. Sie zogen es vor, als Monatsarbeiter zu den Firmen zu gehen. Die

124 125 126 127 128 129 130 131 132 133

Hagen 1915, 383 f. Vgl. SBB-PK, EM N Langheld Kopierbuch Nr. 7, Langheld an Puls, 19.11.1912. Vgl. Kap. 5.4. Vgl. BArch R 1001/3848, 129. Vgl. Pagel 1914b, 479. Vgl. DHM Do 2005/34 Krönig an Familie, 20.05.1907; DHM Do 2005/34 Krönig an Eltern, 02.05.1908. Vgl. LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 04.06.1908. Vgl. BLO MSS. Afr. s. 1525/15/8, 120. Vgl. BArch R 8024/90, 57. Vgl. BArch N 2225/17, 84.

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Handelskammer bat deshalb die Regierung, die Leute aufzufordern, als Trip-Träger zu arbeiten, um „die mit der jetzt üblichen Beschäftigung von Monatsarbeitern verbundenen grossen Handelsunkosten zu verringern“.134 Der Übergang von für eine bestimmte Aufgabe angeworbenen Arbeitskräften zu dauerhaft Beschäftigten war deshalb in den Augen der Firmen kein Fortschritt, sondern lediglich eine lästige und teure Notwendigkeit. Um Kosten zu sparen, griffen viele Firmen auf unfaire Methoden zurück. Oftmals erhielten die Arbeiter, selbst wenn sie im Hinterland angeworben worden waren, ihren Lohn an der Küste.135 So sparten sich die Firmen die Kosten, die nötig gewesen wären, um die Waren zuerst ins Hinterland zu transportieren, um sie dann an die Träger zu geben. Einige Kaufleute legten es darauf an, dass die Monatsarbeiter nach Ableistung ihrer Zeit desertierten, ohne ihren Lohn zu kassieren. Ludwig Reinhard, Leiter des AKAG-Geschäfts am Nyong,136 behielt angeblich 200 Maka, die sich 1909 für ein halbes Jahr verpflichtet hatten, absichtlich länger in Dienst, bis sie schließlich desertierten. 60 von ihnen beschwerten sich anschließend bei einem anderen AKAG-Angestellten in Lomie und verlangten vergeblich Bezahlung. Später ließ dieser ihnen in Reinhards Auftrag ausrichten, sie sollten nach Abongmbang kommen, um dort bezahlt zu werden. 18 kamen – und ließen sich erneut als Arbeiter engagieren.137 Da Vertragsarbeiter teuer und begehrt waren, übten sie, selbst wenn sie mit Gewalt angeworben worden waren, großen Einfluss auf ihre Arbeit aus – etwa auf die Lohnhöhe. Ende 1912 weigerten sich die Arbeiter der AKAG, „zu den alten Löhnen“ im südlichen Neukamerun zu arbeiten.138 Da das Unternehmen die Arbeiter brauchte, blieb ihm nur übrig, auf die Forderung einzugehen. Auch in Bezug auf ihren Einsatzort hatten sie manchmal ein Mitspracherecht. Arbeiter aus den Arbeiterreservoirs in Küstennähe weigerten sich 1909, für John Holt & Co. an die Kautschukfrontier im Osten zu gehen, weil dort Nahrungsmangel herrschte: „It is in every rubber district the same trouble with food“, berichtete Hauptagent Kurrle, „nothing can be got and it is therefore very hard to get monthly boys for these places because they know well that it is very hard for them to get food.“139 Für bestimmte Regionen mussten die Firmen deshalb besondere Monatsarbeiter anwerben. Ende 1907 planten John Holt & Co, ihr Geschäft im Njem-Gebiet auszubauen. Für dessen nördlichen Teil rekrutierte die Firma Träger und Arbeiter in Sangmelima und für

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Handelskammer für Süd-Kamerun 1913a. Vgl. BArch R 1001/3898, 120. Vgl. BArch R 1001/4295, 49. Vgl. BArch R 1001/4294, 82; BArch R 1001/4294, 89. SMB-PK, EM N Langheld Kopierbuch ohne Nr. Langheld an Ungebauer, 18.12.1912. LRO 380 HOL 1/9/1 Kurrle an John Holt & Co., 02.05.1909.

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den südlichen solche aus dem Ebolowa-Bezirk. Grund dafür war, dass die Männer aus Sangmelima sich weigerten, im südlichen Njem-Gebiet zu arbeiten.140 Kamen Arbeitgeber ihren Verpflichtungen nicht nach, griffen Vertragsarbeiter zu den bewährten Mitteln der Trip-Trägerinnen und -Träger, um sich zu entziehen: sie desertierten. Der Stationschef von Ebolowa, Heinicke, meinte 1912, wenn alle entlaufenen oder nicht ihre Arbeit antretenden Vertragsarbeiter den Firmen wieder zugeführt werden sollten, „so müßten die hiesigen Dienststellen […] in kurzer Zeit nur noch für die Firmen tätig sein, um ihnen derartige ‚Kontraktarbeiter‘ zuzuführen“.141 Arbeiter traten ihre Stellung nicht an oder zogen es vor, zu verschwinden. Zwar war dies theoretisch untersagt und die Kaufleute bemühten sich wieder und wieder, die Behörden dazu zu bewegen, Arbeiter zurückzubringen. Doch nicht immer konnten diese ein solches Anliegen durchführen, da es dem schwachen kolonialen Staat kaum möglich war, die Leute zu identifizieren und aufzufinden. Für viele Menschen entwickelte die Vertragsarbeit eine große Anziehungskraft. 1911 hieß es in einer Denkschrift über die Arbeitssituation im Bezirk Kribi: „Jeder Arbeitswillige findet hier im Lande selbst sofort unter günstigen Bedingungen Beschäftigung als Träger, ständiger Arbeiter, Händler, Diener oder Handwerker. Die Firmen nehmen jeden an, der Bedarf ist enorm.“142 Männer kamen zur Küste, um sich als Vertragsarbeiter anzubieten. An einem einzigen Tag im Jahr 1906 kamen ca. 100 zur AKAG in Groß-Batanga.143 Zwar dürften viele von ihren Familienoberhäuptern zur Lohnarbeit ausgeschickt worden sein. Andere aber nutzten die Möglichkeiten, die dauerhafte Arbeitsbeziehungen boten, um sich zu emanzipieren. Ein junger Mann namens Josef, ein „Jaundesklave“, war „seinem Herrn im Hinterlande entlaufen“,144 an die Küste gekommen und arbeitete anschließend für einen Kaufmann in Lolodorf. Zahlreiche Männer entwickelten einen auf Lohnarbeit gegründeten Lebensstil. Jobelmanns Mabea- und Musseki-Arbeiter hatten für mehrere Europäer gearbeitet, bevor sie zu ihm stießen.145 Ein Musseki vom unteren Campo-Fluss namens Bumbela, Jobelmanns „Führer, Dolmetscher, Unterund Gummi-Händler, im Notfall auch Koch, überhaupt Mann für Alles“,146 kannte „die ganze Westküste und den Congo francais [sic!]“.147

140 LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 27.11.1907. 141 BArch R 175-I/182, 208. Das Gouvernement bestand auf der Wiederzuführung, wenn die Arbeiter eine Dienstverpflichtung eingegangen waren und die Firmen Strafantrag gestellt hatten. Vgl. BArch R 175-I/182, 208. 142 BArch R 1001/8118, 74. 143 Vgl. BArch R 1001/3551, 21. 144 Beide Zitate: Seiwert 1921, 5 f. 145 Vgl. Jobelmann 2017, 141, 143. 146 Jobelmann 2017, 221. 147 Jobelmann 2017, 143.

Monthly boys: Vertragsarbeit im Kautschukhandel

Aber nicht für alle war Vertragsarbeit verlockend. Vor allem in Jaunde blieb die Trip-Arbeit weiterhin bedeutender und beliebter. Krönig berichtete 1911: Contracte auf 1 Jahr zu machen sind die Leute nicht bereit […]. Jedenfalls liegt es wohl daran, dass das Trägerwesen mehr und mehr als Akkordarbeit aufgefasst wird; dadurch ist der Schwarze natürlich in der Lage sich einen bedeutend höheren Monatslohn zu erarbeiten durch schnelleres Gehen als ein Contractarbeiter, der für schnelle oder langsame Arbeitsleistung immer nur gleichmäßig seinen Lohn erhält.“148

Was Krönig als Neuerung erschien, war die Fortführung der Trip-Karawanen. Diese Arbeit war auch beliebter, weil Vertragsarbeit große Nähe zu europäischen Arbeitgebern bedeuten konnte – etwa im Faktoreidienst oder in den Karawanen, die in neue Kautschukregionen vorstießen. Dies lieferte die Arbeiter den Disziplin- und Ordnungsvorstellungen der Europäer oder gar ihrer Willkür, ihrem Rassismus oder Sadismus aus. Wie hart die Arbeitsbedingungen sein konnten, zeigt das Beispiel Krönig. Innerhalb kürzester Zeit entwickelte er sich von einem jungen Mann, der drohte, Zenker wegen dessen brutaler Prügelei seiner Arbeiter anzuzeigen,149 und der mit von Cloedt in Streit geriet, weil er sich weigerte, seinen Koch zu schlagen,150 zu einem Sadisten, den seine Mutter zur Milde mahnen musste.151 Gab er einem Arbeiter eine Ohrfeige, waren dies immer „ein halbes Dutzend“.152 Er freute sich, wenn sein Dackel seine Arbeiter in die Beine biss, bis das Blut kam. „Ich hetze immer nach“, schrieb er seinen Eltern. Mit großer Freude sehe ich wie meine Leute mein Gebot, den Hund aus ihren Häusern, Küchen etc mit Prügeln zu vertreiben, genau befolgen, dadurch lernt der Köter die Schwarzen hassen, die ihn ohne Grund schlagen. So kriege ich hoffentlich recht oft blutige Beine zu sehen […].153

Als er eines Tages krank war, stellte er seinen Stuhl nach draußen, um seine Arbeiter beim Hausbau zu überwachen.

148 DHM Do 2005/36, 79 f. 149 Bereits in seinem ersten Brief beschrieb Krönig, dass Zenker „dem Pferdejungen ein paar Maulschellen verabreichte, die übrigens nicht von schlechten Eltern waren“. DHM Do 2004/34 Krönig an Eltern, Anfang Januar 1907. Krönig behauptete, Zenkers Arbeiter trügen Spuren grober Misshandlungen am Körper. Vgl. DHM Do 2005/34 Krönig an Vater, 01.09.1907. 150 Vgl. DHM Do 2005/34 Krönig an Heta, 02.09.1907. 151 Vgl. DHM Do 2005/34 Krönig an Eltern und Heta, 06.02.1908. 152 DHM Do 2005/34 Krönig an Eltern, 15.03.1908. 153 Beide Zitate: DHM Do 2005/34 Krönig an Eltern und Heta, 06.02.1908.

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Um mich keinesfalls ärgern zu müssen, wurde für zu langes Ausbleiben um Bambu [sic!] zu schlagen 25 – ebenso für alle etwa vorkommenden Streitigkeiten 10 Hiebe gegeben. Mein Prügeljunge kam kaum aus der Arbeit heraus. Circa 5 mal 25 und 10–12 mal 10 aber kräftige. Ich lag mit 40,7 Fieber im Stuhl und war kolossal erregt, wie man das hier bei Fieber immer ist. Einen Schwarzen habe ich einem nach Lomie gehenden Soldaten mit einem Brief wegen Gehorsamsverweigerung mitgegeben. Der gute Mann wird wol seine 14 Tage Kettenarbeit weg haben. Am Abend lag der eine Stock total zersplittert auf dem Tischchen neben mir.154

Grenzenlos treiben konnte Krönig solche Gewaltorgien nicht. Seine Arbeiter zwangen ihn etwa, ihnen für Hundebisse „ein kleines Schmerzpflaster in Gestalt eines head Tabak oder eines kleinen Glases Salz auf die Wunde zu tun“.155 Unklar bleibt, ob seine Arbeiter, wie er berichtete, tatsächlich an Entscheidungen über die Form der Bestrafung beteiligt waren: „Meistens wenn mein Urteil auf Prügel rausläuft so frage ich meine Leute wie die über die Strafe denken. Sagen sie: ‚sperr ihn ohne Essen einen Tag ein‘ […] gut so wird er eingesperrt und muß Körbe oder Ähnliches flechten, sagen sie 10 Hiebe auch gut.“156 Zwischenfazit Mit dem Vordringen der Küstenfirmen nach Sangha-Ngoko, aber vor allem während des Höhepunkts des Kautschukhandels um 1910 etablierten die Firmen eine neue Form der Arbeitsbeziehungen im Handel: lokal angeworbene Vertragsarbeit. Nicht mehr nur beschäftigten sie Kameruner für eine bestimmte Aufgabe, sondern dauerhaft für einen Zeitraum, was einen flexibleren Einsatz der Arbeitskräfte ermöglichte. Die Vertragsarbeit entstand aus persönlichen Beziehungen der Kaufleute zur lokalen Bevölkerung, durch Gewalt, durch Verlockungen oder auch mithilfe der von den Plantagen entwickelten Arbeiteranwerbung. Nach und nach verbreitete sich die Vertragsarbeit vom Bulu- über das Nyong- ins Maka-Gebiet. Vertragsarbeiter deuteten ihre Arbeitsbeziehungen wahrscheinlich als Klientelbeziehung zu ihrem Kaufmann: Eine Beziehung, in der beide Seiten Rechte und Pflichten hatten. Jedoch setzte die Nähe zu Europäern die Arbeiter auch einem höheren Maß an Gewalt aus.

154 DHM Do 2005/34 Krönig an Eltern, 15.03.1908. 155 DHM Do 2005/34 Krönig an Eltern und Heta, 06.02.1908. 156 DHM Do 2005/34 Krönig an Eltern, 15.03.1908.

„Kautschuk ist Gold“: Kautschukplantagen und Vertragsarbeit

5.2 „Kautschuk ist Gold“: Kautschukplantagen und Vertragsarbeit 1906 reiste der 25-jährige Hans-Albert Ossmann für Randad & Stein nach Südkamerun.157 Er war nicht bloß ein weiterer Kaufmann – Ossmann sollte sich um die neue Kautschukplantage der Firma kümmern.158 Ein Jahr lang hatte er die Deutsche Kolonialschule in Witzenhausen besucht. Dort war er nicht als Musterschüler aufgefallen, hatte die Einrichtung sogar vorzeitig verlassen.159 Aber anschließend hatte er als Pflanzer in der Südsee Erfahrungen gesammelt.160 Ernst Albert Fabarius, Direktor der Kolonialschule, der mit Ossmann zuvor seine liebe Not gehabt hatte, vermittelte ihn an Randad & Stein,161 die einen Fachmann für ihre Dehane-Plantage nahe der Nyong-Mündung suchten.162 In seinen Briefen aus Dehane beschwerte sich Ossmann bei Fabarius über seine dilettantischen Vorgänger: Die Faktorei liege auf der anderen Nyong-Seite als die Pflanzung, der Kakao kümmere, das Wegenetz sei überdimensioniert, außerdem ständen „blödsinnig viel Bananen in der Pflanzung“.163 Er war aber selbstkritisch genug, zuzugeben, noch immer nicht zu wissen, wie und wo Funtumia am besten wachse.164 Schließlich verfasste er ein Gutachten über Dehane, wie er Fabarius selbstironisch („bitte, lachen Sie nicht!“) mitteilte: „Unter 10 Blinden ist eben ein Taubstummer der einzige, der sehen kann.“165 Ein Jahr lang pflanzte Ossmann Funtumia und Hevea brasiliensis.166 Dann reiste er ins Innere, denn seine Firma wollte in Djah-Posten, „wohin die schlechteste Verbindung ist – wo sich die Füchse u Wölfe (pardon, Schakale und Leoparden) gute Nacht wünschen, – wohin eine Last etwa 40 M kostet, – eine Plantage anlegen […]! Schade um das schöne Geld!“167 Anfang 1908 erkrankte Ossmann und fuhr nach Deutschland zurück. Seine Karriere nahm eine Wendung: Im September veröffentlichte er den Artikel „Die Batangalöwen Südkameruns“ in der Deutschen Tageszeitung und verspottete mit beißender Ironie Südkameruns Kaufleute.168 Er

157 Vgl. DITSL SA H.-A. Ossmann, Lebenslauf, 25.01.1900; DITSL SA H.-A. Ossmann, Ossmann an Fabarius, 09.05.1906. 158 Vgl. DITSL SA H.-A. Ossmann, Ossmann an Fabarius, 09.05.1906. 159 Vgl. DITSL SA H.-A. Ossmann, Fabarius: Bescheinigung, 18.01.1906. 160 Vgl. DITSL SA H.-A. Ossmann, Ossmann an Fabarius, 29.03.1906. 161 Vgl. DITSL SA H.-A. Ossmann, Fabarius an Ossmann, 02.02.1906. 162 Vgl. DITSL SA H.-A. Ossmann, Fabarius an Ossmann, 10.02.1906; DITSL SA H.-A. Ossmann, Ossmann an Fabarius, 20.04.1906; DITSL SA H.-A. Ossmann, Ossmann an Fabarius, 09.05.1906. 163 DITSL SA H.-A. Ossmann, Fabarius an Ossmann,23.06.1906. 164 Vgl. DITSL SA H.-A. Ossmann, Ossmann an Fabarius, 23.08.1906. 165 DITSL SA H.-A. Ossmann, Ossmann an Fabarius, 23.08.1906. 166 Vgl. DITSL SA H.-A. Ossmann, Ossmann an Fabarius, 23.08.1906. 167 DITSL SA H.-A. Ossmann, Ossmann an Fabarius, 03.02.1907. 168 Vgl. DITSL SA H.-A. Ossmann, Ossmann an Fabarius, 25.11.1908. Vgl. Osman 1920.

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wurde Mitarbeiter der Zeitschrift Kolonie und Heimat.169 Bald erschien dort unter dem Pseudonym Hans A. Osman sein Schlüsselroman Buschklatsch über das Leben auf Dehane.170 1909 wurde er Kolonialredakteur der Deutschen Tageszeitung.171 Ossmanns Briefe und vor allem sein Roman ermöglichen einen Blick in die rasante Entwicklung von Kautschukplantagen in Kamerun ab 1906.172 Nicht nur die Plantagenunternehmen des Kamerunbergs, sondern auch Handelsfirmen wie Randad & Stein, europäische Kleinpflanzer, afrikanische Händler und Familienoberhäupter pflanzten nun Kautschukbäume. Dies war zum einen Folge der stark steigenden Preise, die Kautschukplantagen profitabel erscheinen ließen. Zum anderen aber suchten Unternehmen und Regierung nach Möglichkeiten, die Produktion von Gummi zu kontrollieren. Kautschuk sollte nicht mehr von unabhängigen Gummisuchern, sondern unter geordneten Bedingungen von Plantagenarbeitern produziert werden. Um die Jahrhundertwende leiteten die Unternehmen in Kamerun den Umstieg von Wild- auf Plantagenkautschuk ein und trieben ihn ab 1906 energisch voran.173 1905 waren noch 90 Prozent allen Plantagenlandes mit Kakao bepflanzt, Anfang 1913 waren es unter 50 Prozent.174 Dies war ein globales Phänomen. In allen tropischen Regionen folgten Europäer dem „plantation paradigm“: Europäisch geführte, technisierte Großplantagen galten als die rationellste Möglichkeit zur Herstellung tropischer pflanzlicher Rohstoffe – gerade angesichts der Vernichtung wildwachsender Bestände.175 Seit den 1870ern experimentierten die Briten deswegen mit Kautschukpflanzen für die Plantagenkultur, bis die Entwicklung um 1900 vor allem in Südostasien Fahrt aufnahm und dann ab 1906 in allen Tropenregionen der Welt schnell voranschritt.176 Kautschuk wurde damit Teil des „plantation complex“:177 Der Anbau der Bäume erfolgte in einer sozialen und ökonomischen Institution, die sich im 19. Jahrhundert von der Karibik aus in allen tropischen Gebieten ausgebreitet hatte. Sie beruhte auf europäischem Kapital, kolonialer Landnahme und der Ausbeutung von als minderwertig angesehenen Arbeitskräften.178

169 Vgl. DITSL SA H.-A. Ossmann, Ossmann an Fabarius, 25.11.1908. 170 Vgl. die Buchausgabe Osman 1911. Weitere Romane folgten, die teilweise nur als Fortsetzungen in Tageszeitungen erschienen. Vgl. Osman 1912b; Osman 10.06.1914; Osman 04.06.1919. 171 Vgl. DITSL SA H.-A. Ossmann, Ossmann an Fabarius, 17.07.1914. Er starb 1919. Vgl. NN 1919. 172 Winkler weist darauf hin, führt dies aber nicht aus. Eyongetah und Brain überschätzen diese hingegen. Vgl. Winkler 1960, 246; Eyongetah/Brain 1974, 79. 173 Vgl. Winkler 1960, 246; Hahn 1910, 49 f.; J. W. S. 1910, 631. 174 Vgl. Clarence-Smith 1993b, 206. 175 Ross 2014. Vgl. Ross 2014, 50. 176 Vgl. Munro 1981, 263, 271–276. Für einen Überblick über die Anbauversuche vgl. Tully 2011, 186–189. 177 Curtin 1998, xi. 178 Vgl. Curtin 1998, xif; Manjapra 2018, 361 ff. Beckert 2014, 12, spricht von „Kriegskapitalismus“.

„Kautschuk ist Gold“: Kautschukplantagen und Vertragsarbeit

Nach Kamerun kamen Plantagenparadigma und -komplex 1884, als die ersten Pflanzungen am Kamerunberg entstanden. Clarence-Smith nennt diese Plantagen ein „lethal labour system“ und Argenti vergleicht sie mit den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten.179 Junge, oftmals zwangsverpflichtete Männer wurden brutal ausgebeutet. Schlechte Behandlung und fürchterliche Lebensbedingungen führten vielerorts zu Todesraten von 10, in Ausnahmefällen 20 oder gar 30 Prozent.180 Kautschukpflanzungen weiteten ab 1906 die Plantagenwirtschaft in Kamerun stark aus und verschärften die Probleme, welche diese Form der Landwirtschaft aufwarf: Landraub, Zwangsarbeit, Gewalt und vielfaches Sterben.181 Plantagenarbeit hatte schon während der deutschen Herrschaft einen festen Platz in der Kameruner Kautschukwirtschaft – auch wenn der Übergang von der Wild- zur Plantagenkautschukökonomie in Kamerun wie in anderen afrikanischen Gebieten vorerst scheiterte.182 Zwar blieben die exportieren Mengen von Plantagenkautschuk im Vergleich zu Wildkautschuk gering. 1911 stammten nur ca. 7 Tonnen Gummi von Plantagen – gegenüber ca. 2800 Tonnen Wildkautschuk. Dennoch waren Anfang 1912 ca. 3800 Hektar mit Kautschukbäumen in Reinkultur und 3950 Hektar in Mischkultur mit Kakao und Kautschuk bepflanzt. Die meisten Bäume waren jung und produzierten noch keinen Gummi. Einige Jahre später aber hätten sie jährlich ca. 600 Tonnen geliefert.183 Um diese Flächen zu roden, zu bepflanzen, zu pflegen und dort Gummi zu ernten, waren bereits vor dem Ersten Weltkrieg tausende Arbeitskräfte nötig. Deren Arbeit unterschied sich fundamental von der im Kautschukhandel. Gummi war bislang ein wildwachsendes Waldprodukt gewesen, das sich weitgehend unabhängige Gummisucher angeeignet und an europäische Unternehmen verkauft hatten. Für die Plantagen waren Menschen von ihrem Land vertrieben und in Reservate gezwungen worden. Das Land und die darauf stehenden bzw. gepflanzten Kautschukbäume gehörten europäischen Unternehmen. Aussaat und Wachstum wurden von Menschen kontrolliert. Säen, Pflanzen, Reinigen und auch die Kautschukproduktion übernahmen Vertragsarbeiter, die oftmals mit Gewalt rekrutiert wurden und Ordnung, Kontrolle und Disziplin der Plantage unterworfen waren. Diese veränderten Arbeitsbeziehungen

179 Clarence-Smith 1993b, 211; Argenti 2008, 9. 180 Vgl. Clarence-Smith 1993b, 210; Rüger 1960b, 231 f.; Winkler 1960, 274; Kuczynski 1939, 52–60. 181 Zu den Kameruner Plantagen vgl. Rüger 1960b; Winkler 1960; Clarence-Smith 1993b; Epale 1985; Kuczynski 1939; Authaler 2018; Eckert 1995; Michel 1970; Ardener 1996; Bederman 1966; Belser 2004. 182 Vgl. Munro 1981, 265. 183 Vgl. KWK 1913, 55.

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waren ein Vorgeschmack auf die Ausdehnung derselben in der Zwischen- und Nachkriegszeit.184 Kameruns Plantagenkomplex: Entstehung und Entwicklung der Plantagen am Kamerunberg, 1884–1906 Die Verwandlung von Gummi in ein Plantagenprodukt nahm in Kamerun ihren Anfang am Kamerunberg. Während der deutschen Herrschaft entstand hier das größte Plantagengebiet Westafrikas.185 Binnen weniger Jahre implementierten Unternehmen und der koloniale Staat dort die Muster des Plantagenkomplexes: Landraub, kapitalintensive Monokulturen und erzwungene Arbeit. Diese ersten Plantagen, die vor allem Kakao anbauten, waren die ideologische und materielle Grundlage für die Transformation von Kameruns Kautschukwirtschaft. Nach 1884 kam es am Kamerunberg zu einem großen, durch den kolonialen Staat abgesicherten Landraub. Woermann, Jantzen & Thormählen sowie Knutson und Waldau erwarben (oftmals illegal) große Landstrecken.186 Die dort lebenden Bakwiri und Dörfer an der Küste wurden nach und nach von ihrem Land vertrieben und in Reservate gezwungen, um Platz für die Plantagen zu schaffen.187 Adolph Woermann hatte bereits 1879 Plantagen am Kamerunberg vorgeschlagen.188 Gemeinsam gründeten er und Jantzen & Thormählen 1885 dort die Kamerun-Landund Plantagengesellschaft (KLPG).189 Jantzen & Thormählen schufen in den nächsten Jahren weitere Pflanzungen: Isongo, Udje und Mokundange und 1887 in Bibundi die Tabakbau-Gesellschaft Kamerun.190 Ende der 1890er folgten diesen frühen Kleinplantagen neue Großunternehmen. Den Anfang machte die Westafrikanische Pflanzungs-Gesellschaft Victoria (WAPV), eine Aktiengesellschaft, die Zintgraff und der Bankier Max Esser mit

184 Vgl. Kippenberg 1996; Wells/Warmington 1962; Ardener/Ardener/Warmington 1960; Authaler 2018. 185 Vgl. Michel 1970, 184. 186 Vgl. Eckert 1995, 239; Clarence-Smith 1993b, 190 f.; Knutson/Ardener 2001, 51 f. 187 Vgl. Volz 1989; Eckert 1995; DeLorme/Kamerschen/Mbaku 1988, 152 ff; Epale 1985, 53 f; Gründer 1982, 142 f.; Hücking/Launer 1988, 90 f.; Michel 1970, 194–197; Möhle 1999a, 56 ff.; Ardener 1960, 311–315. 188 Vgl. Woermann 1880, 71. Woermann entwickelte die Plantagen-Idee in Südasien und erklärte 1879, die Zukunft Westafrikas liege nicht im Handel, sondern in Plantagen. Bereits 1878 hatte er in Sibange, Gabun, eine Kaffeeplantage anlegen lassen. Vgl. Bohner 1935b, 104 f.; Woermann 1880, 64; SBB-PK Slg. Darmstätter. Hermann Soyaux. Afrika. Soyaux an NN, 09.05.1878, 7. 189 Vgl. Rudin 1938, 160; Wohltmann 1896, 20. 190 Vgl. StAH 231-7 B 1986-1, 1; BArch R 1001/3511, 4; Wohltmann 1896, 28.

„Kautschuk ist Gold“: Kautschukplantagen und Vertragsarbeit

rheinischen Finanziers gründeten.191 Sie erwarb riesige Landflächen und sollte sich zur größten Plantage Kameruns, ja zur größten Kakaoplantage der Welt entwickeln.192 Nach Zintgraffs Tod wurde Esser „Cameroon’s Tycoon“:193 Er schuf WAPV-Tochtergesellschaften wie Soppo, Lisoka, Ekona, Koke, Meanja, Molyko, Bolifamba und Bulu.194 Die Gründung der WAPV löste einen run auf Land aus: Jantzen & Thormählen vereinigten mit frischem Kapital ihre Plantagen zur Westafrikanischen Pflanzungsgesellschaft Bibundi (WAPB).195 1899 übernahm die Moliwe-Pflanzungsgesellschaft – ebenfalls eine Aktiengesellschaft – einen riesigen Landbesitz.196 Auch kleinere Privatplantagen entstanden in den 1890ern: die Debundscha-Pflanzung unter der Leitung des Schweden Gunnar Linnell,197 die Soppo-Plantage198 sowie 1898 Oechelhausen und Idenau der Reichstagsabgeordneten Wilhelm Oechelhäuser und Ferdinand Scipio.199 Hauptsächlich bauten die Plantagen Kakao an, der in den 1880ern einen globalen Boom erlebte.200 Sie folgten den älteren Plantagenökonomien auf den Kamerun vorgelagerten Inseln, dem spanischen Fernando Po und dem portugiesischen São Thomé.201 Wegweisend war das zeitgenössische Paradigma, dass europäische, nach wissenschaftlichen Methoden und mit großem Kapitel arbeitende Plantagen

191 Vgl. Röschenthaler 2001, 8 ff.; Puttkamer 1912, 69; Esser 1898. Zu Esser vgl. auch Röschenthaler 2013. 192 Vgl. Kemner 1913, 533; Rohrbach 1937, 22. 193 Chilver/Röschenthaler 2001. 194 Vgl. BArch R 1001/3523, 8; BArch R 1001/3523, 78; BArch R 1001/3523, 86; BArch R 1001/3525, 3; BArch R 1001/3526 Esser an KA, 08.03.1901, o.S.; NN 1902b, 198; NN 1899c; BArch R 1001/3515, 10; BArch R 1001/3515, 80. 195 Vgl. StAH 231-7 B 1986-1, 1. 196 Nach Michel war Moliwe ein Gemeinschaftsprojekt von KLPG, WAPV und WAPB. Dies ist zumindest am Aufsichtsrat der Plantage nicht erkennbar. Es handelte sich um eine von Sholto Douglas’ Kolonialspekulationen. Vgl. Michel 1970, 190; BArch R 1001/3516, 3–6. 197 Vgl. Hahn 1910, 36 f.; Knutson/Ardener 2001, 189 f.; Uslar 1899, 283. 198 Vgl. NN 1897b, 15; NN 1897a; BArch R 1001/3515, 1 f.; BArch R 1001/5266, 3. 199 Vgl Hahn 1910, 40; Jaeger 1967, 188 f. Zu Scipio (1837–1905) vgl. Fischer 1935, 629; StAH 231-3/B 22821 Protokoll, 26.04.1895. Zu Oechelhäuser (1820–1902) vgl. Liebisch 1902. 200 Vgl. Clarence-Smith 1996; Clarence-Smith 2000. Anfangs hatten die Plantagen mit Tabak und Kaffee experimentiert. Tabak gaben sie wegen Arbeitermangel auf. Vor dem Ersten Weltkrieg entstanden wieder Tabakplantagen. Ca. 1912 existierten: Bremer Tabakbaugesellschaft Bakossi, Deutsche Tabakgesellschaft, W. B. Michaelsen & Co., Bremer Kolonialhaus F. Olof & Co., Joh. G. Undütsch, Tabakbau- und Pflanzungsgesellschaft Kamerun AG und eine Tabakpflanzung der Bremer Westafrika-Gesellschaft. Vgl. Rüger 1960b, 165; BArch R 1001/3426, 24; Hahn 1910, 6; BArch R 175-I/183, 77; AHkB M II 21 (13) Übersicht, o.D. Die Bedeutung von Bremer Firmen ging auf Bremens Rolle als Zentrum der Tabakfabrikation in Deutschland zurück. Vgl. Bargmann 1939. 201 Zum dortigen Kakaoanbau vgl. Clarence-Smith 1990b; Clarence-Smith 1993a; Higgs 2012; Sundiata 1996; Martino 2015; Martino 2016.

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afrikanischen Produzenten überlegen seien.202 Vor allem São Thomé wurde zum Vorbild:203 „Die Kakaokultur in Kamerun ist im Wesentlichen auf den in St. Thomé gemachten Erfahrungen aufgebaut“,204 erklärte von Puttkamer. Ende der 1890er holte vor allem die WAPV Personal und Knowhow von der Insel nach Kamerun.205 Wilhelm van de Loo etwa, der langjährige Pflanzungsleiter der WAPV, fuhr 1900 zuerst nach São Thomé, um dort den Kakaoanbau zu studieren, bevor er in Kamerun seinen Dienst antrat.206 Trotz ihres Kapitals und großer Regierungsunterstützung waren die Plantagen am Kamerunberg aber kein Erfolg, sondern, wie Clarence-Smith schreibt, „giants with feet of clay“:207 Zwar erhielten sie Land und Arbeitskräfte durch Zwangsmaßnahmen der Regierung, aber sie arbeiteten ineffektiv und unwissenschaftlich – mit großen menschlichen Kosten für die afrikanische Bevölkerung.208 In dieses dysfunktionale Modell gliederten Regierung und Unternehmen ab 1899 auch kautschukproduzierende Pflanzen ein. Hevea oder Funtumia? Kautschuk als Plantagenkultur in Kamerun In den 1890ern wurde zunehmend fraglich, ob die schrumpfenden natürlichen Bestände kautschukproduzierender Pflanzen den zukünftigen Bedarf decken konnten. Überall auf der Welt befassten sich deshalb Botaniker und Unternehmer mit der Idee, Kautschuk auf Plantagen zu gewinnen. Eine Vorreiterrolle nahmen die britischen Kolonien in Südasien ein. In Singapur, Malaya und Ceylon bauten Unternehmen vor allem und später ausschließlich die aus Brasilien stammende Hevea brasiliensis an. Der erfolgreiche Anbau dieses den besten Gummi liefernden Baums gilt als „the most extraordinary change in the entire annals of agriculture“209 oder gar als „one of the most significant events in human history“.210 Dass Hevea ein

202 Vgl. Ross 2014; Clarence-Smith 1993b. Afrikanische Pflanzer bauten bereits seit den 1870ern Kakao in Kamerun an. Vgl. Ekali 2009, 322; Wirz 1972, 202 ff.; Clarence-Smith 1993b, 194 ff.; Eckert 1999a, 112–116; Austen/Derrick 1999, 117 ff.; Monga 1996; Zöller 1885c, 116; Preuss 1899a, 18 ff. 203 Vgl. Epale 1985, 37 f.; Hausen 1970, 312; Michel 1970, 186 f.; Rudin 1938, 261; Röschenthaler 2001, 9. 204 Puttkamer 1912, 47. 205 Zur Verflechtung zwischen São Thomé und Kamerun vgl. u. a. Wohltmann 1896, 5, 18, 21, 38; Puttkamer 1912, 46; Uslar 1899, 307; BArch R 1001/3498, 65. 206 Vgl. Loo-Archief Willem van de Loo I 3003/XXc Rudloff 1982, 36; Loo-Archief Willem van de Loo I 3003/XXc Loo: Stukken – Studie in de Portugese Kolonië San Thomé voor de Plantagesondernemung Victoria in Kamerun. 207 Clarence-Smith 1993b, 188. 208 Vgl. Clarence-Smith 1993b, 188. 209 Coates 1987, 138. 210 Schultes 1993, 479.

„Kautschuk ist Gold“: Kautschukplantagen und Vertragsarbeit

geeigneter Plantagenbaum werden würde, war allerdings um die Jahrhundertwende keineswegs ausgemacht. Vielmehr gab es ein offenes Rennen um den geeigneten Kautschukbaum und damit die zukünftige Beherrschung des Weltmarktes für Plantagenkautschuk, an dem sich Botaniker, Unternehmen und Kolonialregierungen beteiligten. In Afrika fochten vor allem Deutschland und England diesen Wettbewerb aus.211 In Kamerun setzten die Deutschen auf die lokal vorkommende Funtumia elastica, da unklar war, ob Hevea in Kamerun wachsen würde. Diese Fehlkalkulation kostete die Unternehmen viel Geld und warf die Produktion von Plantagengummi um Jahre zurück. Erst 1908 setzte sich auch in Kamerun Hevea durch.212 Bis dahin aber galt der Funtumia die volle Aufmerksamkeit von Behörden, Wissenschaftlern und Unternehmen. Federführend bei der Suche nach geeigneten Kautschukpflanzen für den Plantagenanbau in Kamerun war der Botanische Garten in Victoria.213 Allgemein kommt diesem eine zentrale Rolle in der Entwicklung der Kameruner Plantagenwirtschaft und der Verbreitung des Kautschukanbaus zu. In allen Imperien waren im Laufe des 19. Jahrhunderts Netzwerke von Versuchsgärten entstanden, durch welche die Kolonialmächte Wissen über ökonomisch verwertbare Pflanzen produzierten und verbreiteten.214 Zentrum des deutschen Netzwerks war der Königliche botanische Garten in Berlin und die dort 1890 etablierte Botanische Zentralstelle für die Kolonien.215 Deren Gründung folgte die Einrichtung von botanischen Gärten in Kamerun und anderswo. Seit 1889 machte sich von Soden für einen solchen in Kamerun stark.216 Bis er 1891 gegründet wurde,217 pflanzten gärtnerisch veranlagte Beamte, über deren Ahnungslosigkeit sich Paul Preuss, erster Direktor des Botanischen Gartens, bitter beschwerte.218 Nach und nach entstand „im Zusammenspiel von Metropole und Kolonien ein leistungsstarkes System zum Transfer von Nutzpflanzen, Saatgut und botanischem Wissen in die deutschen Kolonien“.219

211 Vgl. Munro 1981, 263. 212 Vgl. Röschenthaler 2001, 15. Röschenthaler datiert den Umschwung auf 1906. 213 Auch in anderen Kolonien experimentierten botanische Gärten mit Kautschuk, allen voran in Singapur. Vgl. Coates 1987, 101; Harp 2016, 18. 214 Vgl. Wendt 1999, 215 ff.; McCracken 1997. 215 Vgl. Kaiser 2015; Timler/Zepernick 1987; Zepernick 1990; Kreye 2009, 129 f. Zur Geschichte des Botanischen Gartens vgl. Schnarrenberger/Scholz 1990; Timler/Zepernick 1978. Die Zentralstelle versorgte staatliche Gärten in den Kolonien mit Samen und Setzlingen, erteilte Auskünfte, schulte Gärtner und stattete Reisende mit botanischem Sammelgerät aus. Vgl. Zepernick 2002, 108 f.; Kaiser 2015, 226 ff.; Engler 1902. 216 Vgl. NN 1889c, 252. 217 Vgl. Timler/Zepernick 1987, 153; Wirz 1972, 204. Michel datiert die Gründung auf 1889, Epale auf 1890. Vgl. Michel 1970, 208; Epale 1985, 24. 218 Vgl. SBB-PK Slg. Darmstätter. Preuss, Paul. Afrika 1890, 50. 219 Kreye 2009, 131.

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Jedoch sollte man sich den Botanischen Garten in Victoria trotz seiner Bedeutung nicht zu großartig vorstellen. Noch 1894 trocknete Direktor Preuss den in der Versuchspflanzung erzeugten Kakao in seinem Wohnzimmer.220 Experimente mit Kautschukpflanzungen gab es in Kamerun seit 1889. Grund dafür war der Zusammenbruch der Landolphia-Bestände am Kamerunberg. Gouverneur von Soden bestellte deshalb in Berlin Samen von Hevea aus Brasilien, um „den Anbau von Kautschuk auch im Kamerungebiete zu versuchen“.221 Auch die französische Regierung in Gabun sowie Kautschukfirmen wie Woermann experimentierten mit verschiedenen Pflanzen, die vielleicht einmal die schwindenden lokalen Bestände ersetzen konnten.222 Anfangs lag auch in Kamerun der Fokus auf Hevea,223 doch nachdem Preuss 1898 die Erstbeschreibung von Funtumia elastica (bzw. Kickxia elastica) gelungen war, galt dieser die größte Aufmerksamkeit. Bereits in seinem Bericht über die Entdeckung äußerte sich Preuss euphorisch über die Möglichkeit ihrer Kultivierung: Funtumia sei bei der Frage der Kautschukkultur die höchste Aufmerksamkeit zu schenken. […] Sie wird für unsere Kolonien ohne Zweifel bedeutungsvoller werden als die Hevea brasiliensis […]. Die Vermehrung der Art und ihre Verbreitung in ganz Kamerun betrachte ich zunächst als eine der Hauptaufgaben des Versuchsgartens in Victoria.224

Mehrere Unternehmen baten Preuss um Pflanzen: die Soppo-Plantage, Alfred Küderling und das Bakwiri-Familienoberhaupt Efesoa.225 Auch international gab es Interesse. Die botanischen Gärten der britischen Kolonien Trinidad, Grenada und Guayana baten Preuss um Funtumia-Samen.226 Ebenso wurde der Baum im Kongostaat versuchsweise angepflanzt.227 Ein entscheidender Impuls zur Etablierung des Baumes als Plantagenkultur in Kamerun ging von Schlechters „Westafrikanischer Kautschuk-Expedition“ aus, die ja zum Ziel hatte, Kautschukplantagen in den deutschen Kolonien zu etablieren.228 Schlechter war ein begeisterter Anhänger der Idee, Funtumia auf Plantagen anzubauen. Nachdem er in Lagos die Pflanze kennengelernt hatte und bevor er ins

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Vgl. SBB-PK Slg. Darmstätter. Preuss, Paul. Afrika 1890, 58. Beide Zitate: BArch R 1001/8113, 9. Vgl. BArch R 1001/8113, 9 f.; Waldau 1905, 114; BArch R 1001/8113, 80; BArch R 1001/8113, 82 f. Vgl. BArch R 1001/8113, 136 ff. BArch R 1001/8113, 232. Vgl. BArch R 1001/8113, 264. Vgl. BArch R 1001/8113, 268.Vgl. auch Preuss 1901. Vgl. Schlechter 1900a, 30. Vgl. Schlechter 1900f, 5, 250–254.

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Konzessionsgebiet der GSK weiterreiste, machte er im April 1899 am Kamerunberg Station.229 Schlechter überzeugte die Pflanzungsleiter von KLPG, WAPB und Moliwe, sich auf Experimente mit dem Kautschukbaum einzulassen.230 Nach seiner Rückkehr aus Sangha-Ngoko prophezeite er im März 1900 in einem Vortrag beim Verein Kameruner Pflanzer, „dass den Kickxia-Plantagen in Kamerun eine grosse Zukunft bevorstehe“.231 Aber die meisten Unternehmen standen dem Anbau von Kautschukbäumen jedweder Art skeptisch gegenüber. Viel zu wenig war über deren Biologie bekannt bzw. die Bedingungen, die für ihr Wachstum und die Produktion von Latex nötig waren. Klar war einzig, dass die Firmen einige Jahre warten mussten, in denen eine Kautschukplantage nichts einbrachte, in der aber trotzdem Personal bezahlt, Kulturen gepflegt und Infrastruktur erhalten werden musste. Selbst der Botaniker Otto Warburg, ein Vorkämpfer des Kautschukanbaus,232 räumte ein: „Zweifellos bedingt die Einrichtung der Pflanzung […] Kosten, welchen auf absehbare Zeit keine genügenden Gewinnchancen entspricht.“233 Zum Experimentierfeld für den Anbau von Kautschuk in Kamerun wurde die Moliwe-Pflanzung. Deren gerade zitiertes Direktoriumsmitglied Warburg sorgte dafür, dass Schlechter dort experimentieren konnte,234 während sich die anderen Unternehmen abwartend verhielten. Möglicherweise versuchten die anderen Mitglieder des Direktoriums, Woermann und Thormählen, Moliwe als Versuchspflanzung für ihre eigenen Plantagen zu nutzen.235 Bis April 1900 wuchsen auf Moliwe auf 10 Hektar Kautschukbäume – auf 6,25 Hektar Funtumia, auf dem Rest die asiatischen Arten Ficus elastica, Ficus indica und die mittelamerikanische Castilloa elastica.236 Optimistisch meinte Pflanzungsleiter Richard Stammler, dass „an der Rentabilität derartiger Anpflanzungen nicht zu zweifeln“ sei.237 Aus diesem Grund plante die Leitung bis Mitte 1901 Funtumia und Kakao in gleichem Maße auszudehnen. Kautschuk sollte zum zweiten Standbein von Moliwe werden.238 Aber bis April 1901 waren 30 Prozent der Funtumia-Bäume eingegangen. Nun

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Für eine Chronologie seiner Reise vgl. Loesener 1926, 927 ff. Vgl. Schlechter 1900f, 31–35. Schlechter 1900e, 285. Vgl. auch NN 1900a. Vgl. Warburg 1900. Zum Lebenslauf Warburgs vgl. Leimkugel 2005, 29–50. Warburg 1898, 378. Vgl. BArch R 1001/3516, 88. Die WAPB legte 1899 Saatbeete für Funtumia an. Mitte 1900 war erst 12  ha bepflanzt. Vgl. BArch R 1001/3512 Geschäftsbericht WAPB 1898/99, o.S.; BArch R 1001/3512 Geschäftsbericht WAPB 1899/1900, o.S. 236 Vgl. BArch R 1001/3516, 114. 237 BArch R 1001/3516, 114. Zu Stammler vgl. Friederici 1901. 238 Vgl. BArch R 1001/3516, 120; BArch R 1001/3517, 30.

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hoffte Stammler auf Castilloa.239 Doch bis Ende 1901 fielen 40 Prozent einem Bohrkäfer (Phryneta leprosa bzw. Inesida leprosa) zum Opfer, sodass Moliwe die Kultur aufgab.240 Moliwe setzte nun wieder auf Funtumia. Erneut unterstrich das Unternehmen in seinem Jahresbericht, es wolle nicht nur auf Kakao setzen, sondern auch auf „eine rationelle Gummikultur“.241 Angesichts der durchwachsenen Ergebnisse herrschte jedoch Streit im Direktorium. Woermann etwa empfahl, sich auf Kakao zu konzentrieren.242 Mitte 1903, nachdem das Unternehmen 422 Hektar mit Kakao und 52 Hektar mit Funtumia bepflanzt hatte, stoppte es die weitere Ausdehnung dieser Kultur, „bevor die Rentabilität erwiesen ist“.243 Kakao stand wieder im Mittelpunkt,244 Funtumia wurde zum Allee- und Schattenbaum degradiert.245 Keine Pflanzung konzentrierte sich nach der Jahrhundertwende auf Kautschuk, denn wie die Erfahrungen auf Moliwe gezeigt hatten, blieb unklar, welcher Pflanze der Vorzug zu geben sei und ob sie kommerziell erfolgreich sein würde. Dass sich das Blatt 1906 wendete, lag an zwei unabhängigen Entwicklungen: Erstens führte der ab 1903 anziehende Kautschukmarkt zu einer Gründungswelle von Hevea-Plantagen in Südostasien, da diese nun als ernsthafte Alternative zum Wildkautschuk und damit als gute Geldanlage galten.246 Anfang 1904 schrieb Warburg mit Hinweis auf die Plantagengründungen auf Ceylon und in Malaya, er könne „nur jeder Pflanzungsunternehmung dringend empfehlen, sich möglichst schnell grössere Bestände Kautschukpflanzen heranzuzüchten als eine fürs erste zwar stille, aber für später äusserst nutzbringend angelegte Reserve“.247 Preuss, inzwischen Direktor der Neuguinea-Compagnie, urteilte: „Noch vor wenigen Jahren sagte man: Kakao ist Gold, Kaffee ist Silber. Jetzt muss es heißen: Kautschuk ist Gold, Kakao ist Silber.“248 Deshalb forderte er energische Investitionen in Kautschukplantagen: „Jedes Zögern bedeutet einen schweren Verlust für unser Nationalvermögen in den Kolonien.“249 Zweitens steckte der Kakao in Kamerun in einer Krise. Ab 1905 brachte Braunfäule die Monokulturen in Bedrängnis.250 1904/05 verlor die KLPG 50 Prozent, die WAPV 1905/06 sogar 75 Prozent ihrer Ernte und musste ihr Akti-

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Vgl. BArch R 1001/3516, 131. Vgl. NN 1902d, 583; Busse 1906, 24; Busse 1905, 36; NN o. J.a. BArch R 1001/3517, 86. Vgl. BArch R 1001/3517, 99. BArch R 1001/3517, 130. Zur Fläche vgl. BArch R 1001/3517, 164. Vgl. BArch R 1001/3517, 130. Vgl. NN 1902c. Ebenso bei der KLPG. Vgl. BArch R 1001/3428, 110. Vgl. Coates 1987, 141 f. Warburg 1904a, 19. Für die Entwicklung auf Ceylon vgl. Wenzlhuemer 2008, 96 ff. Preuss 1905, 298. Preuss 1905, 304. Vgl. Hausen 1970, 206; Clarence-Smith 1993b, 206.

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enkapital zusammenlegen.251 In dieser Situation schien Kautschuk den wankenden Riesen als Rettung. „Mit Recht […]“, bemerkte Warburg, „wenden sich auch die meisten der bestehenden Kakaopflanzungen dem für die Zukunft weit größeren Nutzen versprechenden Anbau von Kautschukpflanzen zu.“252 Bereits Ende 1903 war die Meanja-Pflanzung aufgelöst und mit dem klingenden Namen „KautschukPflanzung Meanja“ neu gegründet worden.253 Nun versuchten alle Plantagen, vom sich abzeichnenden Boom zu profitieren. Der Botanische Garten verteilte 1905/06 eine Millionen Funtumia-Samen – allein 600.000 erhielt die gebeutelte WAPV.254 Die KLPG versprach ihren Aktionären, „der Gummikultur besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden“.255 Justo Weiler, Plantagenleiter der WAPB, kündigte 1906 an, Kautschukanbau in großem Maßstab zu beginnen.256 Fatalerweise setzten die Plantagenunternehmen auf Funtumia statt Hevea. Die Gründe für diesen „false start“ waren vielseitig.257 Erstens war weltweit noch nicht klar, welche Pflanze sich am besten für Plantagen eignen würde. Der Hevea-Anbau war noch immer in der Experimentierphase. Ob er sich rentieren würde, war nicht abzusehen. Der Botaniker Sadebeck erklärte nach Fehlschlägen in Südasien apodiktisch: „Hevea brasiliensis ist eine Pflanze, welche nirgends, außer in ihrer Heimat, einen guten Kautschuk liefern wird.“258 20 Jahre später machte der Pilz Microcyclus ulei Henry Fords Traum eines Hevea-Anbaus in Brasilien zunichte. Bis heute ist er eine ständige Bedrohung für Hevea-Plantagen weltweit.259 Auf einen lokalen Baum wie die Funtumia zu setzen, von dem sicher war, dass er im Lande gedieh und Kautschuk produzierte, ergab Sinn. Deshalb waren die Deutschen nicht die einzigen, die Funtumia für die Zukunft hielten. Der Brite Cuthbert Christy veröffentlichte noch 1911, als in Kamerun längst klar war, dass die Unternehmen auf das falsche Pferd gesetzt hatten, eine euphorische Studie zum Funtumia-Anbau in Afrika.260 Zweitens gaben die Hevea-Pflanzen, die Anfang der 1890er im Botanischen Garten gepflanzt worden waren, durch Zufall nur wenig Latex. Von den Ergebnissen dieser

251 Vgl. Michel 1970, 208; Hausen 1970, 315; BArch R 1001/3428, 170; BArch R 175-I/66, 333; BArch R 1001/3502, 117. 252 Warburg 1906, 7. Vgl. auch Wirz 1972, 33. 253 Vgl. LAB A Rep. 342-02/9579, 28 f.; NN 1903e. Jedoch plante die Firma nicht, vor allem Kautschuk zu pflanzen, sondern die natürlichen Funtumia-Bestände ihres Landes zu nutzen. Vgl. LAB A Rep. 342-02/9579, 37 f. 254 Vgl. BArch R 175-I/66, 333. 255 BArch R 1001/3428, 170. 256 Vgl. BArch R 1001/8115, 66. 257 Röschenthaler 2001, 115. Vgl. Rudin 1938, 267. 258 Sadebeck 1899, 269. 259 Vgl. Tully 2011, 357. Zu Fordlândia vgl. Grandin 2009. Zur historischen Bedeutung des Pilzes vgl. Dean 1987. 260 Vgl. Christy 1911.

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wenigen Individuen ausgehend, schlossen die Verantwortlichen fälschlicherweise auf eine allgemeine Bedingung des Kamerunberges: Hevea, so Warburg, scheine an den vulkanischen, regenreichen Hängen nicht zu gedeihen.261 Erste Zapfversuche an Funtumia auf Moliwe schienen hingegen die kühnsten Erwartungen zu erfüllen: Ihr Gummi hatte hervorragende Qualität – ein Resultat, das „für die Rentabilität der Kickxiakultur ungeahnte Perspektiven erschliesst“.262 Drittens waren Hevea-Samen oder -Stecklinge nur schwer zu beschaffen.263 Direkt aus Brasilien importierte Samen hatten meist ihre Keimkraft bereits verloren.264 Noch 1911, als schon viele Hevea-Bäume in Kamerun wuchsen, bremste der Nachschub von Stecklingen und Samen den Ausbau.265 Während viele Plantagen große Summen in Funtumia-Anpflanzungen investierten, häuften sich ab 1905 die Warnungen. Selbst Preuss erkannte, dass Hevea deutlich rentabler als Funtumia werden würde, da Hevea-Gummi aufgrund der besseren Qualität höhere Preise erzielte.266 Außerdem wuchs das Wissen über Biologie und Physiologie der Bäume. Strunk, Preuss’ Nachfolger am Botanischen Garten, schrieb 1905/06, die Erträge von Funtumia seien aufgrund von Boden und Klima in Südkamerun etwa doppelt so hoch wie am Kamerunberg.267 Weberbauer, der nach ihm den Garten leitete, bestätigte die Ergebnisse.268 Kautschukinspektor Treichel fand zudem heraus, dass der Baum höchstens viermal angezapft werden konnte, bevor er einging, und dabei insgesamt maximal 1500 Gramm Kautschuk lieferte. Hevea hingegen konnte über viele Jahre regelmäßig angezapft werden. „Hatte die Weberbauer’sche Arbeit der Kikxia [sic!] in den Plantagen am Kamerungebirge das Todesurteil gesprochen“, schrieb Hermann Bücher, 1908–1913 Leiter des Botanischen Gartens, „so vernichtete das Treichel’sche Ergebnis jede Aussicht auf eine Rentabilität dieser Kultur überhaupt.“269 Die Debatte um den richtigen Baum, so Preuss, war „mit überwältigender Klarheit“ entschieden: „Die Überlegenheit der Hevea über alle anderen Kautschukpflanzen.“270 Angesichts dieser Ergebnisse wandten sich die Plantagen Hevea zu, taten in ihren Funtumia-Beständen nur noch das Nötigste oder zapften sie „tot“, um möglichst viel Gummi zu gewinnen und die

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Vgl. Warburg 1904c; Warburg 1904b, 313. NN 1905d. Vgl. Warburg 1905. Vgl. Warburg 1903, 8. Vgl. Preuss 1905, 300. Vgl. Fickendey 1911a, 114. Vgl. Preuss 1905, 303. Vgl. BArch R 1001/8115, 9; Strunk 1905; Strunk 1906, 146. Vgl. BArch R 1001/8118, 245 f. BArch R 1001/8118, 245 f. Zu Bücher vgl. Seiz 1955. Preuss 1907, 164.

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Fläche anderweitig zu nutzen.271 1910 war fast die Hälfte aller Kautschukbäume auf den Kameruner Plantagen Hevea.272 Dennoch blieben sie um Jahre hinter denen in Südostasien zurück, die ab 1913 die globale Kautschukproduktion beherrschen sollten. Die Gründungswelle: Kautschukplantagen am Kamerunberg und in Südkamerun Das Jahr 1906 brachte in Kamerun den Durchbruch: Kautschukproduzierende Pflanzen entwickelten sich zur zweitwichtigsten Plantagenkultur der Kolonie: Erstens entstanden neue Großplantagen am Kamerunberg, die einen Schwerpunkt auf Kautschuk legten. Zweitens gründeten Handelsfirmen Kautschukplantagen in Südkamerun. Drittens kamen Kleinplantagen von Privatpersonen hinzu. Mitte August 1906 läutete mit der Kamerun-Kautschuk-Compagnie (KKC) ein neues Großunternehmen die nächste Gründungswelle am Kamerunberg ein.273 Schon der Name zeigte, dass die Firma vor allem Gummi produzieren sollte. Hinter ihr standen W. Mertens & Co., die zahlreiche koloniale Unternehmen in Asien und Afrika gründeten und ab 1904 zu einem riesigen Konzern heranwuchsen.274 Neben Bergbauprojekten war die Anlage von Gummiplantagen ein zentrales Interesse des Mertens-Konzerns:275 Innerhalb weniger Jahre gründete die Firma die Samoa-Kautschuk Compagnie, die Ostafrikanische Pflanzung-AG, die BorneoKautschuk-Compagnie, die Safata-Samoa-Gesellschaft und eben die KKC.276 Im Nordosten des Kamerunbergs baute die KKC ab 1906 Funtumia an. Kern der neuen Plantage waren 2000 Hektar des Bakossi-Land-Syndikats, das zu Jantzen & Thormählen gehörte. Deren Angestellte hatten ein wenig Kakao gepflanzt, aber vor allem andere Plantagen mit Funtumia-Samen versorgt.277 Auf diese konnte die KKC nun zurückgreifen.278 Bis Ende 1911 pflanzte das Unternehmen 1.740.000 Funtumia-, 240.000 Hevea- und 520.000 Kakaobäume.279

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Zum „slaughter-tapping“ vgl. Giles-Vernick 2002, 160; Tully 2011, 201. Vgl. BArch R 1001/8118, 66. Vgl. StAF XII Fa Bro 26 Geschäftsbericht KKC 1906. Der Inhaber, Wilhelm Mertens (1862–1936), war seit 1887 Büroleiter der Deutschen KolonialGesellschaft und hatte sich 1904 selbständig gemacht. Vgl. Nagel 2013, 111–114. Zum Konzern vgl. Péhaut 1990, passim. Vgl. Prospektsammlung in StAF XII Fa Bro 25. Vgl. BArch R 8024/73 Kolonialwirtschaftliche Mitteilungen der Firma W. Mertens & Co., 15.05.1909, o.S. Vgl. HWA F 24/116, 5 f. Vgl. HWA F 24/116, 11; StAF XII Fa Bro 26 Geschäftsbericht KKC 1906. Vgl. StAF XII Fa Bro 26 KKC: Rundschreiben, 01.12.1911.

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Während die KKC eine neue Pflanzung aus dem Boden stampfte, übernahm das zweite Großunternehmen, die Deutsche Kautschuk AG (DKAG) die kleineren Plantagen Koke und Ekona. Vorsitzender war Heinrich Picht, der 1902 mit 18 Jahren als Pflanzungsassistent in Kamerun gewesen war, ab 1904 Jura studiert hatte, das Studium jedoch abbrach, da sich die Möglichkeit ergab, die DKAG zu gründen. Mit 22 Jahren wurde Picht Geschäftsführer des neuen Unternehmens und bald einer der mächtigsten Plantagenmanager Kameruns.280 Auf Koke und Ekona war bisher nur halbherzig vor sich hingepflanzt worden: Die neue Plantage übernahm Anfang 1907 ca. 4000 Hektar Land, von denen insgesamt 490 Hektar mit Kakao, 50 mit Funtumia und 102 mit Kola bepflanzt waren.281 Große Kautschukplantagen entstanden auch in Südkamerun, wo die Plantagengesellschaft Südkamerun (PGSK) ab 1906 eine solche am Campo-Fluss anlegte. Sie ging auf die Firma Küderling zurück.282 Seit 1894 pflanzte diese Kakao, experimentierte ab 1896 mit Manihot und ab 1897 auch mit Funtumia.283 1901/02 verkaufte Küderling sein Handelsunternehmen und zog nach Düsseldorf.284 Anfang 1904 ging die Plantage an Robert Guthmann, Besitzer eines Kalksandsteinwerkes im Berliner Umland und Schwiegervater von Curt von Morgen.285 Nachdem der Kakaoanbau „vollständig fehlgeschlagen“ war,286 entschloss sich die Leitung, Funtumia anzubauen.287 Bis zum Ersten Weltkrieg pflanzte das Unternehmen auf Dipikar 450.000 Kakao-, 20.000 Hevea- und 6500 Funtumia-Bäume und auf Ypono 695.000 Funtumia.288 Auch die Handelsfirmen nahmen Anteil an der globalen Transformation der Kautschukwirtschaft und legten Plantagen an.289 Hierdurch begann die Ära des kommerziellen Pflanzenbaus in Südkamerun, der bis heute eine große Rolle spielt. 280 281 282 283

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Zu Picht (geb. 1884) vgl. Röschenthaler 2001, 20; Picht 1934, 31, 37 f.; Wenzel 1929, 44. Vgl. LAB A Rep. 342-02/57363, 28; LAB A Rep. 342-02/57363, 36. Vgl. Leist 1893, 7. Vgl. BArch R 1001/3537, 28; BArch R 1001/3537, 28; ANY FA 1/540, 1; ANY FA 1/540, 10; Schlechter 1900b, 278 f. Bis 1898 erwarb er insgesamt 3000 ha. Vgl. ANY FA1/540, 58. Zur Gründung vgl. NN 21.11.1897. Einen Teil übernahm sein Angestellter Felix Krause, der nun unter eigenem Namen handelte (später Krause & Fehrmann), einen anderen Ruete & Schütte (später Ruete & Co.), die den alten Namen bis 1911 weiterführten, Vgl. ANY FA 1/523, 1; StAH 231-7/ B 1943-451, 2; StAH 231-B/ 1943-451 Tabelle; StADü Zeitungsausschnittsammlung XXIV 1771 Küderling, Alfred. Grosshandel in Kalk und Kalkstein. Wirtschafts-Berichte 30, 28.10.1939. Die Venezuela-Firma Ruete & Co. war seit Beginn an A. Küderling beteiligt. Vgl. BArch R 1001/3608, 4; StAH 231-7/B 1943-451, 2. Vgl. NN 14.07.1904; Hahn 1910, 41; Kemner 1922, 8; BArch N 227/11, 259. BArch R 1001/3537 Äußerung Seitz, 81. Vgl. ANY FA 1/540, 81. Vgl. BArch R 1001/3537, 155; BArch N 227/11, 259. Munro nimmt an, dass Westafrika-Handelsfirmen nicht zum Plantagenbau übergingen. Vgl. Munro 1981, 275 f.

„Kautschuk ist Gold“: Kautschukplantagen und Vertragsarbeit

Die Handelsfirmen reagierten damit erstens auf den globalen Trend, zweitens auf die hohen Preise für Gummi und drittens auf die zunehmende Vernichtung der wilden Bestände, an der sie einen großen Anteil hatten. Indem sie sich teilweise von Handels- in Plantagenunternehmen verwandelten, wollten sie das Geschäft auf eine nachhaltigere Grundlage stellen. Randad & Stein traten am energischsten in das Plantagengeschäft ein.290 Auch hier begannen die ersten Gedankenspiele zur Jahrhundertwende nach der Übernahme durch Ludovic Pagenstecher.291 Vier Pflanzungen legte die Firma bis zum Ersten Weltkrieg an: nahe der Hauptfaktorei bei Longji pflanzte die Firma bis 1910 50 Hektar Funtumia.292 In Campo pflanzten Randad & Stein ab 1906 an den Bongola-Fällen auf 504 Hektar vor allem Kautschuk.293 Am wichtigsten waren ihre Aktivitäten in Dehane, am Ende der Schiffbarkeit des Nyong. 1910, als Randad & Stein die Plantage an eine britische Firma verkauften, waren ca. 300 Hektar vor allem mit Funtumia bepflanzt.294 Anschließend legten Randad & Stein direkt daneben die Onge-Pflanzung an, wo bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges 693 Hektar mit Hevea, aber auch mit Ölpalmen bepflanzt waren.295 Dem Beispiel Randad & Steins folgten andere. Im Februar 1906 erwarb die Bremer Westafrika-Gesellschaft nahe Lolodorf 1500 Hektar für eine Kautschukpflanzung.296 Als Plantagenleiter holten sie Hermann Rackow, der 1891 bis 1899 die WAPB und ihre Vorgängerin geleitet hatte.297 Auf Hermannshof pflanzte das Unternehmen Funtumia und Hevea – bis Kriegsausbruch 260 Hektar.298 John Holt & Co. sprangen ebenfalls auf den Zug auf.299 1908 kaufte die Firma in Jabassi am Wuri-Fluss nahe Duala Land für eine Hevea-Plantage, wo bis zum Ersten Weltkrieg 280 Hektar bepflanzt waren.300 Ca. 1910 kamen auch in Südkamerun zwei He-

290 Lubcke plante 1899 und die AKAG 1910 eine Kautschukplantage, es blieb aber bei Versuchen. Vgl. ANY FA 1/499, 22; ANY FA 1/499, 91; BArch N 2225/16, 247; BArch N 2225/16, 3. 291 Vgl. ANY FA 1/511, 1; ANY FA 1/517, 15; ANY FA 1/517, 17. 292 Vgl. Hahn 1910, 42; Winkler 1906, 572. Nach dem Ersten Weltkrieg belief sich der anerkannte Schaden in der Pflanzung in Longji auf 103.419, der in Onge und Bongola auf je ca. 1 Mio. Goldmark. Vgl. BArch R 1001/9228, 59. 293 Vgl. ANY FA 1/507, 9; ANY FA 1/507, 12; Hahn 1910, 42. 294 Vgl. ANY FA 1/573, 58–63. 295 Vgl. BArch R 1001/9228, 41. 296 Vgl. BArch R 175-I/69, 397. 297 Zu Rackow vgl. Weidmann 1894, 143; Rackow 1902. Zu Rackows Engagement für die Bremer Westafrika-Gesellschaft vgl. u. a. ANY FA 1/456, 24. 298 Vgl. ANY FA 1/456, 100; KWK 1913, 73; NN 1924b, 164. 299 Auch außerhalb Kameruns betrieb die Firma Plantagen – mindestens in Sette Camma und am Ogowe. Vgl. LRO 380 HOL 1/9/1 Sette Camma, 22.09.1904; LRO 380 HOL 1/9/1 Sette Camma, 20.12.1904; Munro 1981, 275. 300 Vgl. LRO 380 HOL 1/9/1 Duala, 07.09.1908; LRO 380 HOL 1/13/9 Deemin: Statement, 30.06.1915.

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vea-Pflanzungen nahe Ebolowa hinzu. Zumindest eine hatte 300 Hektar.301 Auch die Deutsche Kamerun-Gesellschaft, die Rechtsnachfolgerin der KHG, pflanzte ab 1906 am Sanaga Kautschuk. Ca. 1911 standen auf Pungo-Sungo, Ndogobenan und Bonangango ca. 25.400 Kakao-, 8000 Funtumia- und 29.500 Hevea-Bäume. Weitere 20.000 zweijährige Hevea waren bereit zur Auspflanzung.302 Ebenfalls am Sanaga entstand die Kautschukpflanzung Dibongo, ein Nebenbetrieb von Moliwe – nach dem Krieg Keimzelle der berüchtigten Plantage Dizangué.303 Auch kleinere Unternehmen investierten in Kautschukplantagen. Lehning & Bartels etwa errichteten in Kolmaka eine Pflanzung. In Meloko ließ Werner Schladitz Funtumia pflanzen.304 So ansteckend war das Plantagenfieber, dass selbst die GSK mit Pflanzungen experimentierte. Für die „schüchteren [sic!] Versuche“ von Schlippenbachs in Tinidi fehlte es aber an Knowhow.305 Spätestens nach seinem Tod verwahrlosten die Pflanzungen und spotteten, so Lämmermann, „jeder Beschreibung“.306 1908 pflanzte Otto Römer – ein Zoologe! – bei Molundu Kautschuk und andere Kulturen.307 1910 wurden die Pläne der GSK konkreter. Kalmár bat das Gouvernement um 942 Hektar für eine Kautschukplantage.308 1910 erreichte der Londoner „rubber boom“ Kamerun. Windige Aktiengesellschaften sammelten in kürzester Zeit Geld ein, gründeten neue oder kauften alte Kautschukpflanzungen – vor allem in Südostasien, aber auch in Westafrika.309 Mindestens KKC, WAPB, Moliwe, Randad & Stein und die Bremer WestafrikaGesellschaft erhielten Offerten zum Ankauf ihrer Pflanzungen.310 Angesichts der Blase an der Londoner Börse überstiegen die gebotenen Summen den Wert der Plantagen: Eine britische Firma bot der WAPB für das Vorwerk Retzlafffelde über

301 Vgl. BLO MSS. Afr. s. 1525/15/8, 119. 302 Vgl. BArch R 8024/263, 1–5. Mithilfe der Deutschen Kamerun-Gesellschaft stieg deren Mutterfirma, Weber & Schaer, selbst in das Geschäft mit Kautschukplantagen ein. Insofern unterschied sich die Firma weniger von britischen Unternehmen, als Linneweh annimmt. Vgl. Linneweh 2019. 303 Vgl. Epale 1985, 29 f.; Kippenberg 1996, 14; Chamaulte 1942, 251; Firmenich 1940, 76; Wilbois 1934, 107. Zur Bedeutung Dizangués vgl. Kippenberg 1996; Manga Mado 1970. 304 Vgl. BArch R 1001/3837, 161; SBB-PK Ms. germ. oct. 1355, 121 f.; Jobelmann 2017, 103. 305 BArch R 1001/4291, 21. Vgl. BArch R 1001/8114, 95; BArch R 1001/8114, 104; BArch R 1001/8114, 140. 306 BArch R 1001/4291, 21. 307 Vgl. MFM KJh 17, 2. Zu Römer vgl. Heck 1922. Die Kautschukplantage umfasste nur 7000 Pflanzen. Sie lieferte 1908 ersten Gummi. Vgl. AGR CCCI 1683 GSK an Direktorium, 15.05.1908; AGR CCCI 1683 GSK an Direktorium, 04.09.1908; AGR CCCI 1683 GSK an Direktorium, 07.12.1908. 308 Vgl. AGR CCCI 1682 Kalmár an Semler, 15.01.1910; AGR CCCI 1682 Note confidentielle, voyage à Hambourg, 15.10.1910. 309 Vgl. Munro 1981. 310 Vgl. StAF XII Fa Bro 26 Geschäftsbericht KKC 1910; BArch R 1001/3518, 221; ANY FA1/456, 215.

„Kautschuk ist Gold“: Kautschukplantagen und Vertragsarbeit

500.000 Mark, obwohl der Buchwert nur 320.000 Mark betrug und Pflanzungsleiter Weiler meinte, eine ähnliche Pflanzung für 150.000 Mark neu anlegen zu können.311 Nur ein Unternehmen verkaufte seine Plantage: Randad & Stein veräußerten 1910 ihre Plantage in Dehane an die spätere Nyong Rubber Plantations Ltd. (NRP).312 So konnte die Firma die angesichts neuer Erkenntnisse relativ wertlosen Funtumia-Bäume mit Gewinn abstoßen. Den Erlös steckte sie in die benachbarte Onge-Pflanzung und ließ dort Hevea anbauen.313 Auch individuelle Farmer schufen ab 1906 Kautschukplantagen in Südkamerun. Mit der zunehmenden Sicherheit und der wachsenden Anzahl in die Jahre kommender Europäer entstanden kleine Farmen. Ehemalige Händler, Offiziere oder Aussteiger bauten dort Funtumia oder Hevea an. Einige Beispiele seien genannt: Zenker, der seit 1896 auf einer Farm in Bipindi lebte, kultivierte als gelernter Gärtner allerhand tropische Nutzpflanzen – und legte spätestens 1906 auch eine Kautschukpflanzung an.314 Ehemalige Kaufleute, die sich selbständig gemacht hatten, kombinierten Kautschukhandel und Landwirtschaft. Am erfolgreichsten war Alfred Pilz, der spätestens 1901 mit 26 Jahren für Randad & Stein nach Kamerun kam.315 1905 machte er sich mit Unterstützung der Firma und einem Kapital von 10.000 Mark als Kommissionshändler selbständig. Außerdem erwarb er 230 Hektar Land in Ngulemakong, die er mit Armin, Lothar, Eugen, Waldemar und Bernhard Pilz, seinen Vettern und Brüdern, bewirtschaftete.316 Bereits im April 1906 baute er Funtumia und Kakao an und pflanzte später auch Hevea, deren Samen er von Zenker erhalten hatte.317 In Bingingale pflanzte Hermann Muth, Hauptagent der Bremer Westafrika-Gesellschaft, ebenfalls mit einigen Brüdern Funtumia auf seiner Farm.318 Auch Hauptmann von Stein zu Lausnitz, ehemals Bezirkschef von Sangha-Ngoko, schied aus dem Dienst aus, machte sich mit einer Farm in Atok 311 Vgl. StAH 622-1/62/II 7 Konv. 18 Lutteroth an Fischer, 24.05.1910; StAH 622-1/62/II 7 Konv. 18 Merck an Scholtz, 23.05.1910. 312 Zum Mutterkonzern, dem Cort Syndicate, vgl. Munro 1981, 273. 313 Vgl. ANY FA 1/573, 58–63; BArch R 1001/9228, 41. 314 Vgl. DHM Do 2005/34 Krönig an Eltern, Anfang Januar 1907. Seinen Lebensunterhalt erwirtschaftete er vor allem als Sammler für Museen und Privatleute. Zenkers Pflanzung war wohl nie ökonomisch bedeutsam. Die Qualität seines Kakaos war z. B. zu schlecht. Vgl. PAZK N Zenker, Mappe „Lolodorf “ Pagenstecher an Zenker, o.D.; PAZK N Zenker, Mappe „Lolodorf “ Pagenstecher an Zenker, Datum abgerissen; Jobelmann 2017, 100. Zu Zenkers Sammeltätigkeit vgl. Kaiser 2018. 315 Vgl. BArch R 1001/3421 Liste Anfang 1901; NN o. J.d. 316 Vgl. BArch R 175-I/69, 403; ANY FA 1/456, 50; LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 03.12.1907; ANY FA 1/456, 50; NN 01.02.1923, 54; Heinicke 1917, 8; Tessmann 2012–2015, Bd. 3, 32, 267; NN 1912f; MARKK SCH 1.12, 55. 317 Vgl. BArch R 175-I/66, 216; BArch R 175-I/69, 403; Hennemann 1922, 146; PAZK N Zenker. Mappe „Lolodorf “ Pilz an Zenker, 19.08.1909. 318 Vgl. Hahn 1910, 46; BArch R 175-I/69, 402; Auskunft Frauke Muth. Auch weitere Hauptagenten kauften Land für Plantagen, etwa Hans Paschen von Randad & Stein oder Alfred Dacqué von der

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am oberen Nyong selbständig und pflanzte unter anderem Funtumia. Während der Nyong-Expedition 1904/05 und des Krieges 1906 hatte er Atok zu seinem Hauptquartier erkoren, an seinen Abschied gedacht und heimlich Experimente mit Funtumia gemacht.319 1910 ließ sich von Stein als Farmer in Atok nieder.320 Andere Neupflanzer waren Aussteiger, die versuchten, weit ab von staatlicher Aufsicht zu leben. Hierzu gehörte der amerikanische Tramp, Lehrer und Ornithologe George Latimer Bates, der ab 1905 in Bitje am Djah zum „Besitzer einer ausgedehnten Kautschukpflanzung“ wurde.321 Ein anderes Beispiel ist der frühere Wegebauer und GSK-Agent Karl Chales de Beaulieu, der sich ca. 1909 nach Spanisch-Guinea absetzte, um dort Elefanten zu jagen, Kautschuk zu kaufen und anzubauen.322 All die kleinen Farmen machten mit ihrem Kautschukanbau nie Gewinn, da die Bäume zu lange brauchten, um genutzt werden zu können. Aber dennoch: Überall im Land wurde Kautschuk angebaut – nicht nur auf den großen Plantagen. Arbeit auf einer Kautschukpflanzung Auf einer Plantage fielen andere Arbeiten an als in den bereits behandelten Varianten der Kautschukwirtschaft. Denn hier fanden die Arbeiter keine ausgewachsenen, wilden Lianen- oder Baumbestände vor. Stattdessen legten sie selbst unter Anleitung, Aufsicht und Kontrolle afrikanischer und europäischer Vorarbeiter künstliche Bestände an, pflegten und nutzten sie im Auftrag von Unternehmen. Damit unterschied sich diese Arbeit extrem von der anderer Arbeitskräfte der Kameruner Kautschukwirtschaft. Um eine Kautschukplantage anzulegen, musste zuerst der Regenwald gerodet werden. Diese Arbeit fand in der Trockenzeit statt. Je nach Jahr und Pflanzung begann sie im November, Dezember oder Januar und dauerte bis März oder April.323 Gearbeitet wurde ohne Maschinen. In einem Monat konnten 100 Arbeiter ca. 12 bis 15 Hektar Wald roden.324 Zuerst schlugen sie mit Haumesser und Hakenstock das Unterholz, dann die kleinen Bäume mit weichem Holz.325 Danach waren die größeren Bäume dran. Um einen Kapokbaum von 2 Metern Dicke zu fällen, brauchten

319 320 321 322 323 324 325

AKAG. Ebenso besaß der Kaufmann Syllm eine kleine Funtumia-Plantage bei Jaunde. Vgl. ANY FA 1/569, 6; ANY FA 1/569, 77; NN 1924a; Skolaster 2013, 458. Bis Ende 1907 wurden 160.000–200.000 Bäumchen gepflanzt. Die Inventur von 1912 verzeichnet nur 40.105. Vgl. BArch R 1001/3215, 22 ff.; BArch R 1001/3215, 30; BArch R 1001/3215, 110. Vgl. BArch R 1001/3215, 91; BArch R 1001/3215, 87. Schultze 1912, 247. Zur Biographie vgl. Cowles 1997, 216 f.; Jacobs 2016, 122 ff. Vgl. Volquarts 1927, 78; BArch R 1001/4293, 220; Anhuth/Chales de Beaulieu 1913, 9. Vgl. ANY FA 6/22 Bornmüller: Betriebsplan 1901, 29.11.1900, o.S.; BArch R 1001/3518, 191; Vollbehr 1912, 138 ff. Vgl. ÜMB N Engelhardt 2.2.2. Routenbuch, 18. Vgl. DITSL SA W. v. Corswant, 57 f.

„Kautschuk ist Gold“: Kautschukplantagen und Vertragsarbeit

16 Jaunde einen ganzen Tag. Ihr wichtigstes Werkzeug waren Äxte, die sie geübter handhabten als Sägen.326 Da diese Bäume mit ihren Brettwurzeln Probleme bereiteten, wurden sie oft mithilfe von Feuer gefällt. Rings um den Stamm stapelten die Arbeiter Holz und zündeten es an. Nach ein bis acht Tagen stürzten die verkohlten Baumriesen.327 Das Roden war die härteste, gefährlichste Arbeit auf der Plantage.328 Häufig kam es zu Unfällen. Oft war unklar, wohin ein Baum fallen würde, denn die Ökologie des Regenwaldes erschwerte die Arbeit, wie die Forstwissenschaftler Fritz Jentsch und Moritz Büsgen schilderten: Die Kronen der Nachbarn greifen ein, vor allem die von Baum zu Baum sich schlingenden Lianen hemmen, halten, ziehen. Sehr oft bleibt der unten vom Boden ganz getrennte Baum unter ihrer Einwirkung aufrecht hängen. Dann müssen erst die Nachbarn geschlagen werden, bisweilen eine ganze Gruppe, die dann, oft genug […] urplötzlich, mit Riesengewalt nach verschiedenen Seiten zusammenbricht und das Gebiet ringsum in ein unglaubliches Chaos verwandelt.329

Aus diesem Grund fällten die Arbeiter mehrere Bäume gleichzeitig. Schwächere, durch Lianen verbundene Bäume wurden in eine Richtung angeschlagen und dann der Hauptbaum gefällt, der die anderen mitriss.330 Jedes Jahr starben Arbeiter durch fallende Bäume oder wurden schwer verletzt.331 Entsprechend waren die Kolonnen so einzuteilen, dass die stürzenden Bäume nicht auf die anderen Arbeiter krachten.332 Trotz oder vielleicht gar wegen seiner Gefährlichkeit war das Roden eine der wenigen prestigereichen Arbeiten auf den Plantagen. Während die schwächeren Arbeiter das am Vortag geschlagene Gestrüpp zerkleinerten und aufhäuften, fällten die starken, erwachsenen Arbeiter die Bäume.333 Konrad Löns, Bruder des Heimatschriftstellers Hermann Löns,334 beschreibt, mit welchem Eifer sie einen großen Baum bearbeiteten:

326 327 328 329 330 331 332 333 334

Vgl. Jentsch/Büsgen 1909, 210 f. Vgl. DITSL SA W. v. Corswant, 57 f. Vgl. Clarence-Smith 1993a, 159. Jentsch/Büsgen 1909, 211. Vgl. Löns 1925, 70; Löns 1914, 71. Vgl. DITSL SA W. v. Corswant, 58; Jentsch/Büsgen 1909, 210. Vgl. Löns 1914, 71. Vgl. Löns 1914, 71. Mitteilung der Stadtbibliothek Hannover.

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Es ist ein harter Bursche, ein Momangibaum, eichenhaft sein Holz. Sechs Mann vor. Erst noch einmal die Äxte mit der Feile nachgestrichen, dann fliegen die Späne, Schlag um Schlag. Einer schräg von oben, einer schräg von unten, so schafft es. Schon ist der Splint durchhauen, der schön gemaserte Kern in Angriff genommen. […] Klingende Schläge, fallende Späne. Höher schwingt die Axt, härter schallt der Schlag. Geöffnete Lippen, pfeifend geht der Atem. Die Muskeln schwellen, die Augen glühen, der Ehrgeiz ist erwacht. Kurz abgebrochene Laute, zornig, eifernd, jubelnd. Und Ruf um Ruf und Schlag auf Schlag.335

Auch Jentsch, Büsgen und andere beobachteten, wie Jaunde-Holzfäller jedes Mal, wenn ein Baum fiel, jubelten und lachten.336 Nach Löns machten die jeweils einem Headman untergeordneten Mannschaften aus der Arbeit einen Wettbewerb. Stürzte ihr Baum zuerst, so war eine Gruppe vorn: „Hellauf jubeln die Schwarzen, sie rufen, sie brüllen. Siegerstimmung. Die nächste Kolonne gibt Antwort, sie ärgert sich, höhnende Worte fliegen hin und her, goddam! jetzt aber los!“337 Weiter angespornt wurden die Arbeiter durch die beim Roden mögliche Ausbeute an Wild und die Versprechen der Assistenten auf Tabak-Geschenke.338 Besonders die Jaunde galten als gute Holzfäller. Die KKC bemühte sich deshalb 1906 für die Anlage ihrer neuen Pflanzung beim Gouvernement um Holzfäller aus Jaunde,339 die nun Jahr für Jahr 400 Hektar Wald für die KKC schlugen. Hellmuth Guse beschäftigte 1908 auf dem KKC-Vorwerk Compenda 180 Holzfäller – die meisten Jaunde.340 „Die Leute dieses Stammes werden als Holzschläger allen anderen vorgezogen“, erklärten Jentsch und Büsgen. „Ein Jaunde schlägt in einem Monat 0,3 ha, andere, z. B. die Bakwiri, brauchen dazu 45 Tage. 130 Jaunde haben in 18 Monaten 750 ha niedergelegt.“341 Die Firmen fügten so der ethnic-occupational identity der Jaunde einen weiteren Aspekt hinzu. Diese Ethnisierung von Arbeit spiegelte sich in unterschiedlicher Bezahlung und trieb die Spezialisierung voran. Jaunde-Holzfäller erhielten im Monat 10 Mark, ein Bakwiri nur 8 bis 9 Mark.342 Grund für die positive Aufladung der Holzfällerarbeit und die scheinbar besondere Eignung der Jaunde war deren geschlechtsspezifische Arbeitsteilung. Das

335 336 337 338 339 340 341 342

Löns 1925, 70. Vgl. Jentsch/Büsgen 1909, 241; Corswant 1910, 89. Löns 1914, 71. Löns 1925, 68–71. Vgl. Vollbehr 1912, 138. Vgl. Jentsch/Büsgen 1909, 209. Jentsch/Büsgen 1909, 209. Vgl. Jentsch/Büsgen 1909, 209 f. Noch in der Zwischenkriegszeit galten Jaunde und Bulu als gute Holzfäller. In Französisch-Kamerun arbeiteten sie deshalb auch bei Holzunternehmen. Vgl. Weiler 1933, 443.

„Kautschuk ist Gold“: Kautschukplantagen und Vertragsarbeit

Baumfällen war bei den Beti, dem Kern der Jaunde-Arbeiter, um 1900 als Männerarbeit konnotiert. Männer schlugen jährlich gemeinsam ein Feld (esep) im Wald aus, das die Frauen bepflanzten.343 „The cutting of an esep plot was a feat of strength, and cutting one’s own esep was a marker of social adulthood“,344 schreibt Guyer. Beim Fällen von Bäumen konnten junge Beti demnach gemeinschaftlich ihre Männlichkeit beweisen. Dies wird deutlich in einem von Löns überlieferten Holzfällerlied seiner Jaunde-Arbeiter: „Du bist ein starker Baum“, sangen sie, „du hast sehr hartes Holz – aber wir sind stärker – unsere Äxte sind härter – siehst du das blanke Eisen – siehst du die scharfen Schneiden – sie werden dein Fleisch fressen – bald wirst du sterben.“345 Diese geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und die kulturelle Aufladung machten sich die Plantagenunternehmen unbewusst zunutze. Gefällte Stämme wurden zerhackt. Nur besonders große blieben liegen und verfaulten.346 Nach ca. sechs Wochen wurde das getrocknete Pflanzenmaterial in Brand gesetzt. Hierzu waren bei der WAPB 30 Arbeiter und ein Headman eingeteilt. Auch dies, so Löns, mochten die Leute, da das Feuer Tiere aufschreckte, die gefangen und gegessen werden konnten.347 Pflanzen und Pflege von Kulturen waren hingegen keine besonders verlockenden Aufgaben. Sie oblagen in der lokalen geschlechtlichen Arbeitsteilung meist Frauen und Mädchen.348 Immer wieder gab es deshalb Konflikte. Eigenhändig säte etwa Ossmann Hevea in Pflanzkörbe, weil seine Bassa- und Bakoko-Arbeiter auf Dehane es ihm nicht recht machten.349 Nach der ethnischen Arbeiterhierarchie galten für solche landwirtschaftlichen Arbeiten Menschen aus der Umgebung des Kamerunbergs als besonders geeignet.350 Noch in der Zwischenkriegszeit hieß es, u. a. Balundu und Bakossi seien gut „für Pflanzungsarbeiten und die Erntearbeiten am Kakao sowie für das Abhauen des Unkrauts.“351 Balundu- und Bakossi-Arbeiter waren häufig Kinder oder Sklaven, die in der lokalen Arbeitsteilung in der Landwirtschaft arbeiteten.352

343 Vgl. Quinn 2006, 22. Zur Arbeitsteilung der Geschlechter in der Ewondo-Landwirtschaft vgl. Guyer 1984; Guyer 1980. Zu esep vgl. Guyer 1980, 344–347. 344 Guyer 1980, 346. Die Bakossi bewerteten das Roden generell negativ. Vgl. Balz 1995, Bd. 1, 122. 345 Löns 1925, 70. Vgl. leicht abgewandelt in Löns 1920, 194. Ein ähnliches Ewondo-Holzfällerlied, aufgezeichnet 1967 von Pierre Betene, unterstreicht die Verbindung von Holzfällerarbeit und Männlichkeit: vgl. Quinn 2006, 120. 346 Vgl. DITSL SA W. v. Corswant, 58. 347 Vgl. Löns 1925, 71 f. 348 Vgl. z. B. für die Beti Guyer 1980. 349 Vgl. DITSL SA H.-A. Ossmann, Ossmann an Fabarius, 23.08.1906. 350 Vgl. DITSL SA W. v. Corswant, 59. 351 Weiler 1933, 443. 352 Vgl. BArch R 1001/3516, 121; BArch R 175-I/186, 2; Kirchhoff 1910, 245; Gutekunst 1913, 9.

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Sowohl Funtumia als auch Hevea wurden in von Matten beschatteten Saatbeeten oder direkt in Pflanzkörbe gesät und vorgezogen, bis sie 1 bis 2 Meter hoch waren.353 In den Saatbeeten arbeiteten die wenigen auf den Plantagen anwesenden Frauen und Kinder, denn vor allem die Funtumia-Pflänzlinge mussten vor den Raupen von Glyphodes ocellata geschützt werden. Alle paar Tage suchten Frauen und Kinder deshalb die Pflanzen ab.354 Hevea pflanzten die Plantagen vor allem als sogenannte „stumps“: „größere Saatpflänzlinge, die mitsamt der Wurzel ausgehoben und dann zurückgeschnitten werden.“355 Stumps hatten den Vorteil, dass sie sich leicht transportieren ließen – im Gegensatz zu den Samen, die leicht ihre Keimkraft verloren, wenn die Unternehmen sie aus Südasien einführten.356 Auf den gerodeten Flächen hoben die Arbeiter mit ihren Haumessern Pflanzlöcher aus.357 Da Funtumia Pfahlwurzeln besitzt, mussten für ihr Gedeihen Steine aus dem Untergrund entfernt werden. Nach einiger Zeit wurden die Löcher mit steinfreier Erde wieder befüllt.358 Anschließend setzten die Arbeiter in der Regenzeit die gezogenen Funtumia-Pflänzlinge in Pflanzkörben ein und markierten sie mit Stöcken.359 Da niemand genau wusste, wie sich Funtumia am besten anbauen ließ, probierten die Pflanzer herum. Auf Randad & Steins Dehane-Pflanzung ließen sie die Pflänzlinge zuerst in Niederungen setzen, erkannten dann aber, dass höhere Lagen sich besser eigneten. Anfangs pflanzte man im 4-Meter-Verband, dann im 3,50-Meter-Verband, im 2-Meter-Verband und schließlich im Meterverband.360 Auf den meisten Plantagen setzte sich schließlich diese „forstmäßige Anlage“ durch, da sie angesichts der Unsicherheiten des Funtumia-Anbaus und der langen Wartezeit, bis die Bestände ertragreich wurden, ein „möglichst billiges Anpflanzungssystem“ bevorzugten.361 Die enge Pflanzweise sollte Unkrautwuchs verhindern, damit eine Reinigung zwei- bis dreimal jährlich genügte. In der nächsten Regenzeit wurden die entstandenen Fehlstellen nachgepflanzt und nach zwei Jahren die Bestände ausgeforstet: Zurückgebliebene oder falsch geformte Bäume wurden gefällt – später auch „totgezapft“. Des Weiteren musste Funtumia beschnitten werden, denn die Bäume sollten nur einen, höchstens zwei gerade Stämme haben, damit sie eine 353 Vgl. Corswant 1910, 90 ff.; Ossmann 1907; Schulte im Hofe 1903, 465. 354 Vgl. BZKF Sonderdrucksammlung Kapsel Botan. Garten Jahresbericht. Afrika, Victoria, Kamerun Preuss: Jahresbericht, 6; Preuss 1903, 356 f. 355 Corswant 1910, 92. 356 Vgl. Corswant 1910, 92. Die stumps der KKC etwa stammten aus Ceylon. Vgl. LAB A Rep. 342-02/ 24100 Summermann: Entstehung. 357 Vgl. Himly 1926, 289. 358 Vgl. Corswant 1910, 90 ff. 359 Vgl. Corswant 1910, 90 ff. 360 Vgl. ÜMB N Engelhardt 2.2.2. Routenbuch, 17; DITSL SA H.-A. Ossmann, Ossmann an Fabarius, 23.08.1906. 361 Schulte im Hofe 1903, 465.

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große Anzapfungsfläche entwickelten.362 Danach, so der leitende Botaniker der PGSK, August Schulte im Hofe, brauchte die Pflanzung nur noch wenig Pflege und relativ wenige Arbeiter.363 Während z. B. die Debundscha-Plantage mit einem Arbeiter pro Hektar Kakao rechnete, nahm sie nur einen für 2 Hektar Kautschuk an.364 Eine andere Methode, um die Kosten einer Kautschukplantage im Rahmen zu halten, waren Zwischen- oder Mischkulturen. Zwischen die Funtumia-Reihen wurden Kakaobäume gepflanzt und umgekehrt – einerseits als Schattenpflanzen, andererseits, um die Zeit zu überbrücken, in denen die Kautschukbäume nur Geld kosteten:365 Während Funtumia noch wuchs, konnte Kakao bereits geerntet werden. Eine unausgesprochene Idee hinter der Mischkultur war, dass Unternehmen so innerhalb kurzer Zeit eine Kakao- in eine Kautschukplantage verwandeln konnten. Die DKAG verringerte so von 1907 bis 1908 ihre nur mit Kakao bepflanzte Fläche von 425 auf 118 Hektar. Gleichzeitig wuchs die mit Mischkultur Kautschuk/Kakao bepflanzte Fläche von null auf 736 Hektar.366 Solche Angaben machten sich gut im Jahresbericht. Dass die Plantagenunternehmen ihre Funtumia-Pflanzungen so anlegten, dass sie selten und nur in der Anfangszeit zu reinigen waren,367 lag daran, dass dies arbeitsintensiv und teuer war.368 Die WAPV brauchte 1899 1,7 Mann pro Hektar zu säubernder Kakao-Pflanzung und rechnete für 1900 mit 1,9 Mann pro Hektar.369 Außerdem war diese Arbeit, die in der heimischen Landwirtschaft Frauen oblag, bei den Arbeitern unbeliebt und führte zu Konflikten. In den 1920ern hieß es, dass man für das Reinigen nur „einige Krüppel und Kinder, dumme Grasländer oder sonstige minderwertige Leute bekommt“.370 Alle anderen weigerten sich. Die eigentliche Kautschukernte, bisher die Arbeit unabhängiger Gummisucher in den Wildbeständen, war theoretisch die arbeitsintensivste Phase des Anbaus. Da die Unternehmen aber erst spät Gummiplantagen anlegten, war diese Arbeit vor dem Ersten Weltkrieg wenig verbreitet. In Zukunft, so schätzten Unternehmen

362 Vgl. Corswant 1910, 91. 363 Vgl. Schulte im Hofe 1903, 465. Diese Methoden waren seit 1901/02 bekannt. Vgl. BZKF Sonderdrucksammlung Kapsel Botan. Garten Jahresbericht. Afrika, Victoria, Kamerun. Preuss: Jahresbericht 1901/02, 8. Vgl. auch Christy 1911, 94; StAF XII Fa Bro 26 Geschäftsbericht KKC 1908. 364 Vgl. BArch R 1001/3539, 238. 365 Vgl. Corswant 1910, 91; Picht 1920b, 11. Zur Mischkultur vgl. CZA A12/153 Denkschrift: DauerMischkulturen. 366 Vgl. BArch R 1001/3544, 13; BArch R 1001/3544, 24. 367 Vgl. Corswant 1910, 91. 368 Vgl. BArch R 1001/3516, 120. 369 Vgl. ANY FA 6/22 Bornmüller: Betriebsplan 1900, 29.09.1899, o.S. 370 NN 1928, 11.

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und Regierung, sollten jedoch Gummisucher einen großen Teil der Plantagenarbeiterschaft ausmachen: Die Behörden gingen davon aus, dass 10.000 Arbeiter für die Bewirtschaftung von 30.000 Hektar Kokospalmen, 20.000 Hektar Ölpalmen oder 12.000–15.000 Hektar Kakao, aber nur 5000 Hektar Hevea ausreichen würden. Allein für die 3000 Hektar Hevea, die 1913 in Kamerun standen, waren folglich bei Ertragsreife 6000 Arbeiter nötig.371 Für die noch vorhandenen Funtumia-Bestände liegen keine Zahlen vor. Dass dieser Arbeitskräftebedarf der Kautschukplantagen sich manifestierte, verhinderte der Weltkrieg. Dennoch entwickelte sich bereits eine neue Version der Kautschukproduktion unter den Bedingungen der Plantage. Gummisucher der Plantagen waren bis zum Ersten Weltkrieg vor allem mit dem „Totzapfen“ (slaughter-tapping) von Funtumia beschäftigt. Dies diente dazu, die eng gepflanzten, jungen Bestände planmäßig auszudünnen. Hierbei wurden schwächere Bäume so angezapft, dass sie möglichst viel Kautschuk gaben und danach eingingen.372 Bei der KKC begann 1911 das Totzapfen in den ältesten Funtumia-Beständen auf Mukonje. 1911/12 wurden insgesamt 296.000 FuntumiaBäume totgezapft und so 3678 Kilogramm Kautschuk mit einem Netto-Erlös von 32.764 Mark gewonnen.373 Die Umstellung von Funtumia auf Hevea steigerte die Bedeutung des Totzapfens. Als die KKC-Leitung erkannte, dass auch von älteren Funtumia-Beständen nur geringe Mengen Gummi zu ernten waren, Hevea aber deutlich bessere Ergebnisse zeitigte (160 Gramm pro Baum und Zapfung, insgesamt 1000 Gramm pro Baum und Jahr),374 ließ die KKC sämtliche Funtumia-Bestände totzapfen: Allein 1913 töteten ihre Gummisucher fast 500.000 junge Bäume, um Platz zu schaffen für Hevea und Ölpalmen.375 Während in den Regenwäldern eine Vielzahl von Methoden in unterschiedlich präziser Ausführung zum Einsatz kam, wurde die Arbeit der Gummisucher auf Plantagen normiert, an wissenschaftlichen Standards ausgerichtet und scharf kontrolliert. Im Gegensatz zu wildwachsenden Bäumen waren Plantagenbäume Kapital für ihre Besitzer. Jahrelang hatten sie nur Geld gekostet. Nun endlich sollten sie Rendite abwerfen. Einen Baum sieben Jahre zu pflegen und dann beim ersten Anschneiden zu töten, war ökonomischer Wahnsinn. Deshalb war es für die Unternehmen wichtig, dass die Gummisucher die Bäume nicht schädigten. Hierzu nutzten sie unterschiedliche Methoden. Bei der DKAG etwa wurden sie 1913 „von einem erfahrenen Sumatrapflanzer angelernt“.376 Wahrscheinlich nutzten sie den

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Vgl. BArch R 1001/8118, 250–253. Vgl. StAF XII Fa Bro 26 Rundschreiben KKC, 01.12.1911. Vgl. StAF XII Fa Bro 26 Geschäftsbericht KKC 1912. Vgl. StAF XII Fa Bro 26 Rundschreiben KKC, 01.12.1911; StAF XII Fa Bro 26 Geschäftsbericht KKC 1912; LAB A Rep. 342-02/24100 Summermann: Entstehung. 375 Vgl. StAF XII Fa Bro 26 Geschäftsbericht KKC 1913. 376 BArch R 907/2118 Geschäftsbericht DKAG 1913, o.S. Vgl. auch KWK 1913, 54.

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V- bzw. Y-Schnitt aus Südostasien.377 Bei der KKC wiederum ist die Verwendung des Grätenschnitts nachweisbar.378 Kautschukzapfer auf Plantagen waren „fairly highly skilled men“.379 Es dauerte lange, die Techniken zu erlernen und so anzuwenden, dass die Pflanzen nicht geschädigt wurden.380 Deswegen setzten die Plantagen erstens vor allem auf junge Männer. Zum Kautschukschneiden bestellte der britische Plantagenleiter der NRP, James Edwin Cort, 1913 bei der Regierung 50 Arbeiter: „Vorzugsweise, wunschen wir Knaben von funfzehn bis zwanzig Jahre alt haben, da sie konnen viel leichter als alter Leute Arbeit dieser Art lernen [sic!].“381 Junge Arbeiter hatten wahrscheinlich noch nie Kautschuk mit den zerstörerischen Methoden produziert, sodass sie eher bereit waren, die Techniken der Arbeitgeber zu akzeptieren. Die Leute sollten zudem für 18 Monate bleiben, denn zweitens bevorzugten die Unternehmen lange Verträge, „da den Leuten das Zapfen sehr schwer bei zu bringen ist und wir unmöglich jedes Jahr Neue anlernen können“.382 Drittens bevorzugten die Firmen als Gummisucher vor allem Jaunde. Moliwe bestellte 1913 beim Gouvernement 50 Mann, „da diese zum Zapfen am geeignetsten sind“.383 Die Mechanismen, die zu dieser ethnischen Zuschreibung führten, bleiben im Dunkeln. Nicht nur die Techniken, auch die Kontrolle über die eigene Arbeit unterschied die unabhängigen Gummisucher von denen der Plantagen. Während erstere sich ihre Zeit frei einteilen und selbst darüber entscheiden konnten, ob und wann sie wo Gummi machten, oder ob sie lieber jagten, schliefen oder Fallen stellten, waren letztere dem Zeit- und Kontrollregime ihrer Arbeitgeber unterworfen. Wahrscheinlich fand das Zapfen vor allem in der Trockenzeit statt.384 Die Gummisucher hatten feste Vorgaben, die ihre Arbeit zeitlich strukturierten. Bei der KKC hatte ein Arbeiter 1911 pro Tag 40 Funtumia-Bäume anzuzapfen.385 Bei Hevea vergrößerte sich die Zahl der zu bearbeitenden Bäume: Auf der DKAG-Pflanzung zapfte ein Arbeiter täglich in sechs Stunden 140–150 Hevea-Pflanzen an – eine Stunde lang zog er scraps (den auf der Rinde koagulierten Kautschuk), vier Stunden zapfte er und eine Stunde entleerte er die Zapfbecher. Auf hügeligem Gelände oder bei Kakao als

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Für einen Überblick der Zapfmethoden vgl. Zaepernick 1914, 111–121. Vgl. Staffe 1941, 19. Wells/Warmington 1962, 141. Anderswo hieß es, Funtumia anzuzapfen sei weniger arbeitsintensiv als gedacht und stellte „geringere Anforderungen an die Geschicklichkeit der Arbeiter“. Vgl. BArch R 1001/3544, 36. BArch R 175-IV/1054, 181. BArch R 175-I/185, 110. Vgl. BArch R 175-IV/1054, 181. BArch R 175-I/185, 112. Vgl. StAF XII Fa Bro 26 Geschäftsbericht KKC 1911. Vgl. StAF XII Fa Bro 26 Rundschreiben KKC, 01.12.1911.

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Zwischenkultur sank die Zahl der angezapften Bäume auf 100–110.386 Der Latex wurde auf Holzbrettchen gegossen und koagulierte dort.387 Bei der NRP kochten Arbeiter das Wasser für die Koagulation in einem Haus, dessen Wände und Dach aus Wellblech bestanden, in unerträglicher Hitze. Bei der Arbeit wurden die Leute eingesperrt.388 KKC: Arbeit, Disziplin und Kontrolle auf einer Kautschukplantage am Kamerunberg Die großen neuen Kautschukpflanzungen am Kamerunberg fügten sich in die etablierten Arbeitsverhältnisse der Großplantagen ein. Dies zeigt das Beispiel der KKC. Mit 3 Millionen Mark war sie neben der WAPV das kapitalkräftigste Plantagenunternehmen Kameruns.389 Ihr Land lag nicht direkt am Kamerunberg, sondern östlich im Bezirk Johann-Albrechtshöhe. Um dorthin zu gelangen, reiste man von Duala zwei Tage den Mungo-Fluss aufwärts.390 Dort schuf die KKC ab 1906 in kürzester Zeit die größte Kautschukpflanzung Kameruns.391 Die KKC war ein Musterbeispiel für den Plantagenkomplex. Lokale Landbesitzer wurden nach der amtlichen Vermessung in die Reservate Mundame, Mukonje, Kumba und Mambanda verbracht und erhielten pro Hütte lediglich 6 Hektar Land.392 Die KKC ließ rasend schnell große Flächen Regenwald zerstören. Jedes Jahr fielen über 400 Hektar Wald der Plantage zum Opfer. Nach nur vier Jahren waren 2500 Hektar gerodet und bepflanzt.393 Monokulturen ersetzten den Wald: Auf ca. 2000 Hektar wuchsen Kautschukbäume (erst Funtumia, ab 1907 Hevea), oftmals in Mischkultur mit Kakao, und auf ca. 400 Hektar Ölpalmen.394 Wie auf den anderen Großplantagen arbeiteten bei der KKC Vertragsarbeiter, die vielfach unter Zwang angeworben wurden. Anfangs hatten auch die Plantagen am Kamerunberg Arbeitsmigranten vom westafrikanischen Arbeitsmarkt beschäftigt: Kru, Vai, Accra-Leute und viele andere.395 Seit Ende der 1890er rekrutierten die Plantagen selbst und mithilfe der Regierung Vertragsarbeiter in Kamerun. Dabei

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Vgl. Picht 1920a, 48. Vgl. Picht 1920a, 50; NN 1909b; DHM Fs 89/2875 NN 1910b. Vgl. BArch R 175-IV/1054, 235. Vgl. J.W.S. 1910, 631; Hausen 1970, 312, 315; Hahn 1910 Mandeng bezeichnet die KKC irrtümlich als mittleres Unternehmen. Vgl. Mandeng 1973, 72. Vgl. DHM Do 1383, 2; LAB A Rep.342-02/24100 Summerman: Entstehung. Vgl. J.W.S. 1910, 637. Vgl. LAB A Rep.342-02/24100 Summerman: Entstehung; Jentsch 1911, 71. Vgl. DHM Do 1383, 2. Vgl. LAB A Rep.342-02/24100 Summerman: Entstehung; ANY FA 1/538, 179. Vgl. Epale 1985, 49 f.; Zintgraff 1894, 158. Zur Plantagenarbeit von Kru vgl. Behrens 1974, 75.

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entstand eine charakteristische, gewaltsame Form der Arbeitskräfterekrutierung, verharmlosend als Arbeiteranwerbung beschrieben.396 Die KKC übernahm dieses etablierte Modell. Zwar hoffte die Firma, freiwillige Arbeiter aus der Nähe der Pflanzung zu finden, die in ihren Dörfern wohnen bleiben und tagsüber auf der Plantage arbeiten könnten.397 Doch dieser Plan scheiterte. Mertens bat die Regierung um eine Erlaubnis, Arbeiter anwerben zu dürfen.398 Als der erste Plantagenleiter Josef Loag in Mukonje ankam, erhielt er von der Regierung 216 Bamum-Arbeiter gestellt. Mehrere europäische Angestellte, die bereits auf anderen Plantagen Kameruns gearbeitet hatten und deshalb „mit der Anwerbung und Behandlung der eingeborenen Arbeiter vertraut“ waren,399 rekrutierten zudem im Bakossi- und Jaunde-Gebiet, sodass das Unternehmen bald 500 Arbeiter hatte.400 In den nächsten Jahren warb die KKC vor allem im Bakossi-Gebiet an, das in unmittelbarer Nachbarschaft lag.401 1910 stammten 75 Prozent aller Arbeiter von dort, der Rest waren Jaunde, Banyang, Bali und andere aus der Umgebung.402 Dass die KKC im Johann-Albrechtshöhe-Bezirk anwarb, war nichts Besonderes. Alle Plantagen des Kamerunberges rekrutierten größtenteils in dessen Nachbargebieten.403 Die Forschung betont bisher die Bedeutung von Arbeitern aus dem Grasland – insbesondere aus Bali-Nyonga.404 Zwar kamen noch bis mindestens 1912 Bali-Arbeiter auf die Plantagen.405 1910 aber stammten mehr als 42 Prozent aller angeworbenen Arbeiter aus Johann-Albrechtshöhe, 1911 fast 39 Prozent. Folglich waren die meisten nicht Graslandbewohner, sondern Balundu, Bakossi und andere Menschen von der Ostseite des Kamerunbergs. 1910 folgte auf dem zweiten Platz der JaundeBezirk, abgeschlagen mit 15,83 Prozent, und auf Platz drei Edea mit 10,36 Prozent. Aus dem Bezirk Bamenda hingegen stammten nur 5,81 Prozent. 1910 lieferten die Bezirke rund um den Kamerunberg (Victoria, Johann-Albrechtshöhe, Ossidinge und Rio del Rey) insgesamt 59,78 Prozent aller Arbeiter und im nächsten Jahr 54,12 Prozent.406 Vertragsarbeiter auf den Plantagen waren vor allem Jungen und junge Männer. Nur wenige Frauen lebten auf den Pflanzungen. Häufig stammten sie aus den 396 397 398 399 400 401 402 403 404

Vgl. Kap. 5.4. Vgl. BArch R 1001/3543, 7. Vgl. BArch R 1001/3543, 13. StAF XII Fa Bro 26 Mertens an Gesellschafter, 21.07.1906. Vgl. ANY FA 1/538, 178a. Vgl. ANY FA 1/538, 179. Vgl. StAF XII Fa Bro 26 Geschäftsbericht KKC 1910. Vgl. Mandeng 1973, 78 f. Vgl. Clarence-Smith 1993b, 200; Chilver 1967; DeLancey 1974, 187; DeLancey 1978, 158; Michel 1970, 199; Rudin 1938, 322; Rüger 1960b, 202; Temgoua 2014, 163. 405 Vgl. Clarence-Smith 1993b, 208. 406 Vgl. BArch R 175-I/183, 85–98. Eigene Berechnung.

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umliegenden Dörfern und unterhielten sexuelle Beziehungen mit den Arbeitern. Einwohner des Dorfes Bibundi etwa vermittelten ihre Frauen und Töchter an Plantagenarbeiter der WAPB.407 Frauen als Arbeiterinnen sind kaum in den Quellen fassbar. Nur vereinzelte Hinweise zeigen ihre Anwesenheit. Frauen zählten etwa zu den Strafarbeitern, die die Regierung auf die Plantagen sandte. 1901 überwies die Schutztruppe der PGSK 52 Balundu-Kriegsgefangene – davon mehr als die Hälfte Frauen.408 Fraglich ist, ob es sich hierbei um eine Ausnahme oder ein Muster handelte. Ab 1910 erhöhte sich die Zahl der Frauen auf den Plantagen.409 1913 lebten bei der WAPB 137 Frauen und 46 Kinder, auf Moliwe 221 verheiratete Frauen und 39 Kinder.410 Ihre Herkunft und Rolle bleiben jedoch unbekannt. Begleiteten sie ihre Ehemänner? Waren sie selbst auf die Plantagen migriert? Waren sie Abhängige von Arbeitern oder Aufsehern? Unklar bleibt auch, ob die Frauen in der offiziellen Arbeiterstatistik aufgeführt wurden. Als Arbeiterinnen jedenfalls sprechen die Quellen nicht von ihnen, sondern von Ehefrauen, die reproduktive Aufgaben erfüllten. „Die Pflanzungen“, führte Carl Ladewig, Direktor von Moliwe, 1914 aus, sind ausnahmslos froh, wenn sie eine Anzahl von Frauen auf der Pflanzung haben, da hierdurch das psychische Befinden des betreffenden Ehemannes gehoben wird, da dieser vielfach zum seßhaften Arbeiter wird. Gern wird den Frauen irgendeine passende Arbeit zugewiesen, vielfach finden sie Beschäftigung als Köchinnen. Die verheirateten Arbeiter werden soweit angängig ist in besonderen Gruppen vereinigt und es wird in der Wohngelegenheit für sie besonders gesorgt.411

Ob diese Reduktion auf die Reproduktion der Realität entsprach, bleibt fraglich. Die KKC entwickelte sich zu einem großen Arbeitgeber. 1907 hatte sie durchschnittlich 550 Arbeiter, 1908 waren es 700 und 1913 sogar 988.412 Insgesamt arbeiteten jedoch viel mehr Menschen auf der Pflanzung: 1911 über das Jahr verteilt 3870 angeworbene Vertragsarbeiter.413 Auch dies war ein Muster, denn die häufig zitierten Durchschnittswerte der Arbeiterzahlen sagen wenig über die Belegschaften und damit die Reichweite der Plantagenarbeit aus. Winkler addiert

407 Vgl. BArch R 1001/3513, 91. 408 Vgl. BArch R 1001/4288 Neumann an NN, o.D., o.S.; BArch R 1001/4288, 98. Vgl. auch Rackow 1908, 28 ff. 409 Vgl. Corswant 1910, 94. 410 Vgl. BArch R 1001/3513, 128; BArch R 1001/3519, 96. 411 Ladewig 1914, 287. Vgl. auch BArch R 175-I/187, 129; Löns 1914, 153; Corswant 1910, 94. 412 Vgl. ANY FA 1/538, 179; ANY FA 1/538, 180; StAF XII Fa Bro 26 Geschäftsbericht KKC 1913. 413 Vgl.. BArch R 175-I/183, 85–98

„Kautschuk ist Gold“: Kautschukplantagen und Vertragsarbeit

durchschnittliche Arbeiterzahlen und kommt auf insgesamt 8159 Arbeiter in Kamerun für 1909 und 17.827 für 1913.414 Dadurch entgehen ihr die Individuen, die nur für kürzere Zeit auf den Pflanzungen beschäftigt waren, vor Ablauf ihres Vertrages in die Heimat zurückkehrten, flohen oder starben. Aufstellungen des Gouvernements ermöglichen einen realistischeren Blick: Bereits 1910 arbeiteten zwischen Kamerunberg und Campo 28.134 angeworbene Plantagenarbeiter, 1911 schon 36.656. Im ersten Halbjahr 1912 waren bereits 19.473 Menschen für die Plantagen angeworben worden.415 Nicht einbezogen sind diejenigen, die aus eigenem Entschluss auf die Pflanzungen gingen. Kleinplantagen fehlen ebenfalls. 1912 arbeiteten deswegen wahrscheinlich bereits 50.000 Menschen auf Plantagen. Das Wachstum der Zahl der Plantagenarbeiter war mit den aufkommenden Kautschukpflanzungen verbunden. Wie Tabelle 7 zeigt, waren 1910 und 1911 die DKAG und die KKC die zweit- und drittgrößten Arbeitgeber. Auch PGSK, Bai Rubber & Cocoa Estates und die Pflanzungen von Randad & Stein, auf denen Kautschuk eine wichtige oder gar die Hauptrolle spielte, waren bedeutendere Arbeitgeber als gemeinhin angenommen. Tabelle 7 Größte Arbeitgeber von Vertragsarbeitern unter den Plantagen. Quellen: BArch R 175-I/183, 85–98. 1910 Platzierung 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14.

  Unternehmen WAPV DKAG KKC Moliwe WAPB Bimbia Idenau PGSK Bai-Pflanzung Oechelhausen Meanja Randad & Stein Debundscha AFC

  Gesamtzahl der Arbeiter 4736 3856 3540 3532 3293 1859 1743 1659 1116 838 802 455 447 258

414 Vgl. Winkler 1960, 247. 415 Vgl. BArch R 175-I/183, 85–98. Vgl. auch Clarence-Smith 1993b, 209.

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1911 Platzierung 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19.

  Unternehmen WAPV DKAG KKC Moliwe WAPB Idenau Bimbia PGSK Randad & Stein AFC Meanja Bai-Pflanzung Oechelhausen Kamerun-Eisenbahn-Gesellschaft Deutsche Kamerun-Gesellschaft Debundscha DWH Holtfoth GNK

  Gesamtzahl der Arbeiter 7425 3894 3870 3380 2759 2208 2143 1509 1444 1411 1325 1294 973 928 718 712 273 215 195

Dass so viele Menschen auf den Plantagen arbeiteten, war eine Folge der hohen Fluktuation der Arbeiterschaften, die sich vor allem aus der kurzen Laufzeit der meisten Arbeitsverträge erklärt. Kru, Vai oder Lagos-Leute schlossen Verträge für ein Jahr. Die sie ersetzenden Kameruner blieben aber nur wenige Monate auf den Plantagen.416 Von den 770 Verträgen, die die Regierung 1907/08 für Bahn- und Plantagenarbeiter in Johann-Albrechthöhe abschloss, liefen 589 für neun, 181 für sechs Monate.417 Die Unternehmen hatten ein Interesse an längeren Verträgen, um Arbeiter nicht ständig neu anlernen und (aufgrund der oft schlechten körperlichen Verfassung) gesundpflegen zu müssen. Viele Menschen bzw. die sie vermittelnden Autoritäten bevorzugten aber offenbar kürzere Verweilzeiten in der Vertragsarbeit. Der Ausbau der Kautschukkultur fiel mit einer Tendenz zu längeren Verträgen zusammen. Einige Vertragsarbeiter der KKC blieben ein Jahr auf der Plantage, manchmal auch anderthalb oder zwei Jahre.418 Auch Wiederbeschäftigung wurde möglich. Ansatzweise professionalisierte sich die Plantagenarbeit. Dies scheint vor allem für Jaunde gegolten zu haben. Skolaster berichtete, dass einige Jaunde ihre

416 Vgl. Friederici 1898, 163. 417 Vgl. BArch R 175-I/70, 260. Auch in den Folgejahren liefen die meisten Verträge 0,5–0,75 Jahre. Vgl. Vöhringer 1910, 2; Bücher 1911, 195; Ladewig 1912, 18 f. 418 Vgl. Jentsch/Büsgen 1909, 210. Längere Verträge nach 1910 bemerkt auch Mandeng 1973, 97.

„Kautschuk ist Gold“: Kautschukplantagen und Vertragsarbeit

Löhne beim Abbia-Spiel verloren und deshalb nicht in die Heimat zurückkehrten.419 Nach Löns wiederum blieben andere Jaunde, weil sie fürchteten, in ihrer Heimat zum mörderischen Bahnbau zwangsrekrutiert zu werden.420 Auf Mokundange (WAPB) waren laut Löns Vertragsabschlüsse für eine zweite oder dritte Periode möglich, wenn die Arbeiter in der Zwischenzeit Urlaub erhielten, um in ihre Heimat zurückzukehren.421 Längere Verträge wurden von den Kautschukplantagen direkt eingefordert. Picht bat 1913 die Regierung, sicherzustellen, dass Gummisucher Verträge auf zwei Jahre abschlossen und ihre Löhne nicht stiegen. Nur so könne man mit der globalen Konkurrenz mithalten.422 Auch die Plantagenarbeit war durch die Löhne fest in die Warenökonomie eingebunden, die alle Handels- und Arbeitsbeziehungen der Kolonie durchzog. Am Ende ihres Vertrages erhielten die Arbeiter den größten Teil ihres Lohnes. Die meisten hatten zuvor bereits Vorschüsse erhalten, die bis zu 50 Prozent ausmachen konnten.423 Löhne mussten ab 1902 in Bargeld gezahlt werden,424 wodurch diese von 4 bis 20 Mark in Waren auf 4 bis 10 Mark in bar sanken.425 Regierungsarzt Plehn sah in der Barlöhnung eine „schwere Schädigung“ der Arbeiter,426 die darum baten, in Waren bezahlt zu werden.427 Sowohl die Arbeiter als auch ihre Familienoberhäupter wollten in erster Linie Waren, kein Geld, denn auch wo sie herkamen, dienten europäische Waren zum Konsum und als Währungen. Die erzwungene Barlöhnung beendete deshalb die Warenökonomie auf den Plantagen keineswegs. Auf Dehane erhielten Arbeiter weiterhin als „Saturday dash“ „ein paar Blätter Rauchtabak, eine Pfeife, eine Schachtel Streichhölzer, eine Büchse Pomade oder ein Stück Seife“.428 Diese Geschenke dienten erstens dem Konsum, zweitens waren sie informeller Teil des Lohns und drittens Marker einer patriarchalen Beziehung zwischen Plantagenassistenten und Arbeitern.429 Ihre Barlöhne setzten die Arbeiter direkt in den lokalen Faktoreien, die meist ihren Arbeitgebern gehörten, in Waren um.430 Löns

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Skolaster 1924, 227. Vgl. Löns 1914, 123. Vgl. Löns 1912, 8. Vgl. KWK 1913, 54. Vgl. BArch R 175-IV/1056 Hollm: Ablöhnung, 13.01.1910, o.S. Vgl. Schanz 1903, 342. Vgl. Clarence-Smith 1993b, 202; Rüger 1960b, 223–226; Winkler 1960, 270; Hausen 1970, 191. BArch R 1001/3229, 10. Vgl. BArch R 1001/3229, 11 f. Osman 1911, 130. Vgl. auch Löns 1914, 123; BArch R 175-I/182, 165; ANY FA 6/24 Kemner an Guse, 09.01.1914, o.S. Zur Praxis vor der Barlöhnung vgl. BArch R 1001/3511, 114; BArch R 1001/3427, 26. 429 Vgl. analog Glasman 2014, 101–105. 430 Die WAPV gründete 1899 eine Handelsabteilung. Bis 1898 wurden die WAPB-Arbeiter durch die Ambas Bay Trading Co. ausgezahlt, danach durch die Firma J. Weiler, deren stille Teilhaberin

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beschrieb seine Jaunde-Arbeiter nach Auszahlung der Löhne: „Am Abend sind sie wieder da, fein herausgeputzt, mit Hosen und neuen bunten Hemden, mit gelben Schuhen und hin und wieder ein Khakihelm; die Faktoreien haben reiche Ernte gemacht.“431 Dadurch nahmen die Firmen einen Teil der Löhne wieder ein.432 Die KKC-Leitung war tief im Plantagenkomplex verwurzelt. Der 36-jährige Loag hatte 1906 bereits zwölf Jahre Erfahrung als Pflanzer der Neuguinea-Compagnie hinter sich, für die er sieben Jahre lang eine Kautschukplantage geleitet hatte.433 Pflanzungsleiter Hellmuth Guse hatte sein Handwerk in Niederländisch-Indien gelernt, bevor er zur KKC ging.434 Drei der ersten Assistenten hatten zuvor in Kamerun auf Pflanzungen gearbeitet.435 Es ist anzunehmen, dass sie genaue Vorstellungen davon hatten, wie mit Plantagenarbeitern umzugehen war, und wenig Rücksicht auf diese nahmen. Rodung und Bepflanzung ihrer 2500 Hektar unternahm die Leitung in Rekordzeit. Wie hoch die menschlichen Kosten waren, ist unklar. Beim Roden jedenfalls starben nicht selten Arbeiter.436 Welche Folgen ein halsbrecherisches Tempo haben konnte, zeigte sich ab 1912, als Guse, der die „gewiß nicht leichte Schule bei Loag“ durchlaufen hatte,437 in Rekordzeit für die WAPV die Missellele-Pflanzung anlegte, wobei zeitweise 21 Prozent der Arbeiterschaft starben.438 Auf der KKC waren die Opferzahlen mutmaßlich geringer wegen der anderen naturräumlichen Bedingungen.439 Die Plantagenarbeit zeichnete sich bei der KKC wie anderswo dadurch aus, dass Arbeiter einer beständigen Kontrolle und Disziplinierung unterworfen waren. Auf den Plantagen herrschte ein rigides Zeitregime, das den Tag von morgens bis abends regulierte und den Arbeitern wenig Zeit zur freien Gestaltung ließ. Sechs Tage pro Woche wurde gearbeitet, nur der Sonntag war frei.440 Bei der KKC begann

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die WAPB war, ab 1902 durch die Handelsabteilung der WAPB. Die Arbeiter von Moliwe und KLPG erhielten ihren Lohn in Woermann-Faktoreien. Vgl. BArch R 1001/3500 Geschäftsbericht WAPV 1899, 1; BArch R 1001/3512 Geschäftsbericht WAPB 1897/98, o.S.; StAH 231-7/B 1986-1, 42; BArch R 1001/3517, 188. Löns 1914, 123. Nicht immer hatte diese Strategie Erfolg. 1904 machte die Handelsabteilung der WAPB nur minimale Gewinne, da die entlohnten Arbeiter einfach nicht dort einkauften. 1908 gab die Firma das Faktoreigeschäft auf. Vgl. StAH 231-7/B 1986-1, 55; StAH 231-7/B 1986-1, 75. Vgl. BArch R 1001/3543, 15; DHM Do 1383, 11. Vgl. Kaiser 1940, 3. Vgl. DHM Do 1383, 12. Vgl. Jentsch/Büsgen 1909, 210. Kaiser 1940, 3. Vgl. ANY FA 6/23 Kemner an Guse, 08.03.1912, o.S.; BArch R 175-I/183, 53. Missellele war in den Tiko-Sümpfen gelegen, mit Moskitos und bis zu 44 °Celsius. Vgl. BArch R 175-I/183, 57. Vgl. BArch R 1001/3511, 114. Sonntagsarbeit kam vor. Vgl. Vieter 1903, 77.

„Kautschuk ist Gold“: Kautschukplantagen und Vertragsarbeit

die Arbeit um 5:30 Uhr, um die morgendliche Kühle auszunutzen. Zwischen 11 und 13 Uhr war Mittagspause. Feierabend war um 17:30 Uhr.441 Dieses Zeitregime führte zu Konflikten mit den Arbeitern. Während viele Europäer dies rassistisch als „Faulheit“ deuteten, wies Alfred Mansfeld, Bezirksamtmann von Ossidinge, woher viele Arbeiter stammten, explizit auf die regulierte Zeit hin: Diese Arbeiter haben bis zum Tage ihrer Anwerbung als freie Menschen gelebt und tagsüber zu beliebiger Zeit drei bis vier Stunden auf der Farm, im Walde, im Hause gearbeitet. Vom ersten Tage an, den sie auf einer Pflanzung eingestellt sind, müssen sie früh um fünf antreten und mit zwei Stunden Mittagspause bis sechs Uhr abends, also zehn volle Stunden, arbeiten.442

Manchmal kollidierten europäische und lokale Zeitvorstellungen. Bei den Anyang etwa hatte eine Woche zehn Arbeitstage, auf die zwei Tage folgten, an denen Arbeit verboten war. Wer dann arbeitete, dem drohte nach dem Glauben der Anyang der Tod.443 Die Arbeiter brauchten Monate, um sich an das Zeitregime der Plantage zu gewöhnen,444 die ihnen die Pflanzer aber nicht immer zustanden. Die Leute seien die reglementierte und disziplinierte Arbeit über einen so langen Zeitraum nicht gewohnt, so von Stein. Statt auf sie einzugehen, würden „oft übertriebene und ungerechtfertigte körperliche Züchtigungen“ geübt.445 Im Gegensatz zu Vertragsarbeitern in Karawanen hatten Plantagenarbeiter wenige Chancen, ihre eigenen Vorstellungen über Zeit und Rhythmus ihrer Arbeit durchzusetzen. Auf einigen Plantagen – darunter die KKC – gab es jedoch auch Modelle von Akkordarbeit, bei der „die Einteilung der Arbeitszeit den Arbeitern selbst überlassen“ blieb.446 Dies scheint aber die Ausnahme gewesen zu sein.447 Auch bei der KKC dominierte die Überwachung: „Die einzelnen Arbeitsgruppen stehen unter der Kontrolle schwarzer Aufseher. Diese treiben durch fast unausgesetzte Zurufe zur Arbeit an.“448 Zugleich hieß es: „Schweigt der ‚Hetman‘ [Headman – T. Oe.] einmal still, erlahmt auch die Emsigkeit.“449 Arbeiter seien willig und fleißig,

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Vgl. BArch R 175-I/182, 165. Mansfeld 1924, 23. Vgl. Staschewski 1917, 55 f. Vgl. analog Atkins 1988. Vgl. NN 1900c, 143; Kaiser 1904, 39. BArch R 1001/3227, 62. BArch R 175-I/182, 165. Zur Akkordarbeit auf den Plantagen vgl. Löns 1920, 86 f.; KA 1902, 43; BArch R 1001/3428, 25; BArch R 1001/3227, 70. 447 Vgl. Kemner 1942, 28; Rüger 1960b, 222. 448 Jentsch/Büsgen 1909, 210. 449 Jentsch/Büsgen 1909, 210.

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so hieß es, solange sie sich beobachtet wüssten.450 Dies deutet darauf hin, dass Plantagenarbeit kein perfekt funktionierendes Ausbeutungssystem war, in dem oben befohlen und unten gehorcht wurde. Sie war ein ständiger Aushandlungsprozess zwischen Arbeitgebern und Arbeitern, die jede Möglichkeit nutzten, ihren Handlungsspielraum zu erweitern. Theodor Bindel von Debundscha etwa klagte, dass – wenn er weniger streng war – die Arbeiter sofort versuchten, das Beste für sich aus der Situation zu machen.451 Vor allem das Reinigen der Pflanzung nutzten sie, um den Rhythmus der Arbeit selbst zu bestimmen.452 Sie versteckten sich, wo Gelände und Vegetation dies erlaubten, und arbeiteten langsamer. In älteren Beständen brauchten die Unternehmen deshalb deutlich mehr Aufseher, denn die Arbeiter schlugen sich in die Büsche. Während in jüngeren Beständen ein Aufseher 50 oder mehr Arbeiter beaufsichtigen konnte, waren dies in älteren, dichteren Beständen nur 25–30.453 Das Zeit- und Kontrollregime wurde von europäischen und afrikanischen Aufsehern durchgesetzt. An der Spitze der Plantagenhierarchie standen die Europäer – an erster Stelle der Pflanzungsleiter, im Pidgin „bigmaster“ genannt:454 bei der KKC zuerst Loag, dann ab 1910 der aus demselben sauerländischen Dorf stammende Gustav Summerman.455 Er hatte in Afrika die Kontrolle über das Unternehmen. Ihm untergeordnet waren die europäischen Pflanzungsassistenten, die die Arbeiter beaufsichtigen, anlernen und zur Arbeit anhalten mussten.456 Wie die Kaufleute waren sie häufig Anfang 20, wenn sie nach Kamerun kamen.457 Auch sie mussten schnell große Verantwortung übernehmen, ohne genug über die lokalen Verhältnisse zu wissen.458 Einige machte dies stolz. Rolf Voigt etwa meinte: „[W]er hat in der Heimat mit 20–22 Jahren solche selbständige und verantwortungsreiche Tätigkeit wie wir Pflanzer!“459 Für andere war die Arbeit vor allem mit Frustration und Langeweile verbunden. 1908 klagte Bindel, es mache geradezu stumpfsinnig,

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Vgl. Jentsch/Büsgen 1909, 210. Vgl. DITSL SA T. Bindel, 68 f. Vgl. Tessmann 2012–2015, Bd. 1, 215. Vgl. Friederici 1897, 180. Vgl. auch Bachmann 1900, 40. Tessmann 2012–2015, Bd. 1, 346, 233. Vgl. LAB A Rep. 342-02/24100 Summerman: Entstehung. Summerman begleitete Loag 1906 nach Kamerun. Beide stammten aus Niederbergheim, das Gasthaus seiner Eltern stand nahe dem LoagBauernhof. Vgl. Kemner 1942, 184; LAB A Rep. 342-02/24102 Sterbeurkunde Summermann [sic!], 17.07.1958. Auskunft Ferdinand Ferber. Vgl. Schulte im Hofe 1904, 112. Einige waren noch jünger. Adolf Jankowski z. B. war 16, als er 1898 vom 23-jährigen Max Günther für die Soppo-Plantage engagiert wurde. Vgl. BArch R 1001/5266, 2 ff. Vgl. DITSL SA T. Bindel, 43. DITSL SA R. Voigt, Voigt an Fabarius, 08.12.1913.

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drei Jahre lang immer hinter einer Arbeiterkolonne herzulaufen.460 Albert Hoffmann teilte der Geschäftsleitung von Oechelhausen 1907 mit, „es gehöre ein großes Quantum Stumpfsinn dazu, auf einer Kakaoplantage zu arbeiten, denn eigentlich wären die sog. Assistenten nichts weiter als Arbeiter-Aufseher“.461 Die nächste Instanz waren die afrikanischen Aufseher bzw. Headmen.462 Auch die Arbeiterschaft der Plantagen war nach dem Headman-Modell organisiert, schließlich waren die ersten Arbeiter Kru, Vai und andere gewesen.463 Die Leute waren in „Headmanschaften“ zu je 20–30, teilweise auch 50 Arbeitern organisiert,464 bestehend aus dem Headman, den Arbeitern und einem Koch.465 Sie waren damit größer als die klassischen Kru-Sets. Innerhalb einer Headmanschaft bildete sich „ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl heraus“.466 Die Plantagenleitungen nutzten dieses, um die Arbeitsleistung durch Wettbewerbe unter den Headmanschaften zu steigern.467 Einige Headmen brachten eigene Arbeiter zur Plantage.468 Andere wurden von der Leitung ernannt.469 Oftmals stammten Arbeiter und Headmen deshalb nicht aus derselben ethnischen Gruppe. 1912 arbeiteten auf Missellele 300 Bakossi-, Bakoko-, Etua-, Banyang-, Balundu- und Bakundu-Arbeiter unter Jaunde-Headmen.470 Die profitable und prestigereiche Stellung des Headman war für viele attraktiv. Headmen hatten eine herausgehobene Stellung, wurden besser bezahlt und mussten weniger körperliche Arbeit leisten. Deshalb klagte 1914 Paul Schulz von Meanja, die Bakwiri kämen nicht als Arbeiter auf die Pflanzung, meldeten sich aber als Aufseher – „fast täglich und in solcher Zahl, daß bei Berücksichtigung aller Bewerber wohl sämtliche Pflanzungsunternehmungen im Schutzgebiet damit ihren Bedarf decken könnten“.471 Besonders gefragt waren Männer, die bereits als koloniale Intermediäre gearbeitet hatten. Der leitende Headman auf Dehane, in

460 Vgl. DITSL SA T. Bindel, 114. Die Langeweile betont auch Africanus 1902. 461 LASA, DE, I 435, Nr. 98, 767. 462 Anfangs arbeiteten vor allem Migranten als Aufseher – etwa aus Togo. Später wurden die Begriffe Headman und Aufseher synonym benutzt. Vgl. ANY FA 6/22 Bornmüller: Betriebsplan 1900, 29.09.1899, o.S.; Jentsch/Büsgen 1909, 210. Zu Headmen/Aufsehern auf den Plantagen vgl. Authaler 2018, 70 f. 463 Vgl. Zintgraff 1894, 158. 464 Löns 1913, 783. Vgl. auch BArch R 1001/3516, 64; BArch R 1001/3517, 11. 465 Zum Koch vgl. Carnap-Quernheimb 1900/01, 198; LRO 380 HOL 1/9/1 Jabassi-Plantation, 03.11.1911. 466 Löns 1913, 783. 467 Vgl. Löns 1913, 783. 468 Vgl. DITSL SA K. Luckhardt, Luckhardt an Fabarius, ?.07.1907; BArch R 175-I/187, 101. 469 Vgl. ANY FA 1/540, 68. 470 Vgl. BArch R 175-I/183, 48. Vgl. auch BArch R 100/3232, 293. 471 BArch R 175-I/185, 143.

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Ossmanns Roman Nimele genannt, war bereits Headman für Zintgraff gewesen.472 Auch viele frühere Schutztruppensoldaten arbeiteten als Aufseher.473 Der Jaunde Etundi heuerte nach 15 Jahren als Soldat bei der WAPV an. Auch seine Kollegen Olama und Samba gehörten zur „alten Garde“. Dementsprechend war ihr Regiment auf Missellele. Sie hielten, so der WAPV-Pflanzer Leo Herbst, „ihre Abteilung […] nach Soldatenart in wohltätigem Schwung.“474 Die Headmen setzten die Entscheidungen des Managements durch und waren in erster Linie für die Kontrolle und gewaltsame Disziplinierung ihrer Arbeiter verantwortlich.475 Auch bei den Kru war dies Aufgabe des Headmans gewesen. Aber die mangelnde Bindung zwischen Headman und Arbeitern auf den Plantagen brutalisierte die Beziehung. 1913 beschwerten sich zwei Arbeiter der Bimbia-Pflanzung, Nschumalli und Ndungo aus Dschang, der Jaunde-Headman Messi „schlüge sie so, dass Leute an den Folgen der Schläge gestorben seien. Der Jaunde-Vorarbeiter hätte auch geäussert, dass es nichts schadet, wenn noch mehr Grasländer in der Pflanzung stürben, es gäbe genug Ersatz im Grasland.“476 Auch die Arbeiter der NRP beschwerten sich 1912 über die „übermäßige Prügelei ihrer Vorleute“.477 Prügeln war in Kamerun das Disziplinierungsmittel der Wahl und wurde auf den Plantagen exzessiv auch von Europäern durchgeführt.478 Hans Himly, der 1910 zur KKC stieß, meinte, Afrikaner müssten bei großen Fehlern immer bestraft werden. Nachsicht würden sie als Schwäche auslegen.479 Schröder weist darauf hin, dass die Prügelstrafe während des Kaiserreichs und darüber hinaus auch in Deutschland in Gefängnis, Familie, Schule und Arbeitsbeziehungen üblich war.480 Die Prügelstrafe war also weniger „kolonial“, als sie heute erscheint. In den Kolonien wurde jedoch mit der Peitsche geprügelt. Außerdem erhielt das Prügeln eine rassistische Komponente, da Afrikaner als Kinder oder minderwertige Wesen galten, die einzig durch Schläge erzogen, diszipliniert oder konditioniert werden konnten.481 Hoffmann etwa schrieb, der Kameruner sei „das Gegenteil von fleissig, ehrlich und gut, er muss daher auch manchmal streng angefasst werden, sonst könnte jede Plantage nur schliessen“.482 Walter von Corswant meinte nach wenigen

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Vgl. Osman 1911, 119. Hier gab es in der Zwischenkriegszeit starke Kontinuitäten. Vgl. Authaler 2018, 103–113. Herbst 1922, 32. Vgl. auch Löns 1920, 147. Vgl. Authaler 2018, 70; Carnap-Quernheimb 1900/01, 200. BArch R 175-I/186, 276. BArch R 175-IV/1054, 165. Vgl. Müller 1962. Vgl. Himly 1926, 294. Zu Himly vgl. Himly, 20.04.1910. Vgl. Schröder 1997, 5–12. Vgl. Schröder 1997, 30–33. DITSL SA A. Hoffmann, 85 f.

„Kautschuk ist Gold“: Kautschukplantagen und Vertragsarbeit

Wochen auf Moliwe: „Ohne schlagen geht es nicht ab. Aber doch sollte man nur schlagen bei wirklich triftigem Grund, sicher aber bei etwaigen Anzeichen von Frechheit und Gehorsamsverweigerung und zwar gründlich mit Ohrfeigen oder mit der Reitpeitsche“ – aber, so von Corswant, „ohne natürlich roh zu werden“.483 Wann und wie genau ein Assistent zuschlagen sollte, war also wenig definiert. Nach Rackow schlugen die Assistenten die Arbeiter regelmäßig so, dass ihre Rücken bluteten.484 Besonders kleinlich strafte Cort, der britische Leiter der NRP. Arbeiter wurden auf den Boden gelegt, ihre Hände festgehalten. Dann schlug Cort ihnen mit der Peitsche auf das Gesäß: Bikogo bi Kumbe erhielt 20 Hiebe, weil er zu spät kam; Nbad Tje wurde geprügelt, weil er nach Ende seines Vertrags die Pflanzung verließ; Tega Jagot erhielt zehn Hiebe, weil er während der Arbeit urinierte; Manok ba Bonko war zu schwach zum Arbeiten und erhielt fünf Hiebe. Ngwem Njel hatte den Arbeitsplatz eigenmächtig gewechselt und bekam fünf Schläge. Basonog ba Janga hatte sein Zapfnäpfchen verloren und wurde deshalb nach Vertragsende nicht entlassen. Er floh, wurde eingefangen und erhielt 15 Peitschenhiebe. Bakoyop ba Ngwang schleppte sich krank zur Arbeit und vergaß seine Machete. Er wurde mit fünf Hieben bestraft.485 Gegen die brutalen Zustände auf den Plantagen am Kamerunberg leisteten die Arbeiter teilweise Widerstand. Da dies der kolonialen Ordnung widersprach, wurden solche Vorkommnisse totgeschwiegen. Himly merkte vielsagend an, man müsse Afrikaner zwar immer bestrafen, aber man dürfe nie ungerecht oder brutal sein – dann würden sich die Arbeiter rächen.486 Arbeiterkommissar von Carnap berichtete sogar, dass brutale Pflanzungsassistenten ihre Autorität gegenüber den Arbeitern verloren. Er selbst, so von Carnap, kam „einmal durch Schreien dazu veranlaßt dazu, wie die Schwarzen einem Weißen wegen dessen Ungerechtigkeit eine gehörige Tracht Prügel zuteil werden ließen“.487 Ein solcher Fall ereignete sich auch auf der Missions-Pflanzung Engelberg. Hier schlug ein Bruder einmal einen der Arbeiter. „Sogleich waren alle Arbeiter, wohl zwanzig, hinter ihm her mit Steinen und Knüppeln.“488 Nicht nur bei der Arbeit, auch nach Feierabend waren die Arbeiter der Kontrolle des Unternehmens unterworfen. Die Arbeiter lebten in zentralen Arbeiterdörfern,489 damit sie nicht desertierten oder sich unerlaubt von der Plantage entfernten. Denn auch die KKC hatte mit Desertionen zu kämpfen: „Der Kontraktbrüchige

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DITSL SA W. v. Corswant, 62. Vgl. Rackow 1911, 13. BArch R 1001/3232, 242 f. Vgl. Himly 1926, 294. Carnap-Quernheimb 1900/01, 199. Vieter 2011, 74. Vgl. Osman 1911, 120; Werner 1908, 368.

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verschwindet im Walde und ein Verfolgen und zwangsweises Zurückbringen hat kaum je Erfolg und wird deshalb meist gar nicht versucht.“490 Verschiedene Methoden sollten das Desertieren verhindern. Die NRP bestrafte das Verlassen der Pflanzung mit 2 Mark Lohnabzug, auf Onge bewachten Wächter die Arbeiter, die WAPV setzte auf Deutsche Schäferhunde.491 Trotzdem kommunizierten die Arbeiter mit der Außenwelt. Erstens riss die Verbindung mit den Heimatregionen nicht vollständig ab, da immer Menschen zwischen Kamerunberg und Herkunftsregionen hin- und herreisten.492 1907 wussten die Arbeiter der WAPB bereits, dass der Assistent Stieffel bei der Arbeiteranwerbung zwei Dörfer niedergebrannt hatte, noch bevor dieser zurückgekommen war.493 Zweitens tauschten sich die Arbeiter der Plantagen aus. 1904 fragten Arbeiter den Arbeiterkommissar von Lüdinghausen, warum sie auf Moliwe nur 6, die Leute der WAPV jedoch 10 Mark monatlich verdienten.494 Arbeiter auf Dehane sprachen regelmäßig mit denen der benachbarten Onge-Pflanzung – und beschwerten sich über schlechtere Bedingungen.495 Jaunde-Arbeiter wiederum trafen sich über die katholische Kirche. 1908 ließen sich 180 Arbeiter am Kamerunberg als Katechumene eintragen, 1909 sogar 350.496 Sie besuchten am Sonntag den Gottesdienst in Engelberg oder in der von der WAPV gestifteten Kirche in Victoria.497 „Wer nur immer dienstlich abkommen konnte, war jeden Sonntag im Gottesdienst. […] Leute, die auf weit entfernten, 4–6 Stunden entlegenen Vorwerken beschäftigt waren, kamen monatlich wenigstens ein- bis zweimal.“498 Die Jaunde-Arbeiter von Bimbia und Moliwe verkürzten sogar ihre Mittagspausen, damit sie ihre Arbeit früher beenden durften und zum Taufunterricht nach Victoria laufen konnten.499

490 Jentsch/Büsgen 1909, 210. 491 Vgl. BArch R 175-IV/1054, 52; BArch R 175-IV/1057, 58; Esser 1904, 274; Stephanitz 1923, 191; NN 1904c. 492 Vgl. BArch R 1001/3227, 63. 493 Vgl. DITSL SA W. Kettner, Kettner an Fabarius, 25.04.1904. 494 Vgl. BArch R 1001/3230, 143. 495 Vgl. BArch R 175-IV/1054, 216. 496 Vgl. Skolaster 1924, 156. 497 1904 schenkte Esser der Mission Land und 22.000 M für den Bau einer Kirche in Victoria und einer Schule am Weg Victoria-Buea. Van de Loo gab 10.000 M hinzu. Beiden verlieh der Papst hierfür den Sankt-Silvester-Orden. In der Presse galt dies als Schweigegeld des angeblichen Juden Esser an die Missionare wegen der Zustände auf der Plantage. Vgl. Vieter 2011, 207 f., 249, 263; Rudloff 1982, 37. Die Urkunde findet sich im Loo-Archief. Willem van de Loo I 3003/XXc. Angeblich wirkte die Förderung der kath. Mission auf die Arbeiterversorgung der WAPV zurück. Vgl. Skolaster 1924, 156. 498 Skolaster 1924, 155 f. Vgl. Hennemann 1922, 95. 499 Vgl. Skolaster 1924, 157.

„Kautschuk ist Gold“: Kautschukplantagen und Vertragsarbeit

Patronage und Militanz: Arbeitsbeziehungen auf einer Kaufmannsplantage Plantagenarbeit war nicht gleich Plantagenarbeit. Wichtige Unterschiede existierten zwischen den großen Pflanzungen am Kamerunberg und den kleineren Kautschukpflanzungen in Südkamerun, die von Handelsunternehmen angelegt wurden. Dies betraf besonders die Mobilisierung und Behandlung von Arbeitern. Die Kaufmannsplantagen, die Dehane-Pflanzung von Randad & Stein z. B., setzten in viel stärkerem Maße auf sogenannte freiwillige Arbeit und ließen den Arbeitern größere Freiräume. Schlüssel für den Erfolg von Dehane war die soziale Verankerung in der afrikanischen Nachbarschaft. Nachdem Pagenstecher 1900 die Firma Randad & Stein übernommen hatte, kündigte er an, ins Plantagengeschäft einzusteigen.500 Pagenstecher entstammte einer afrokaribisch-deutschen Familie, war auf Haiti geboren worden und vielleicht deshalb mit Plantagen vertraut.501 Im Edea-Bezirk, bei Dehane, plante die Firma, eine Funtumia-Plantage anzulegen. Doch anfangs ging der Ausbau nur schleppend voran. Von 100 Hektar Land waren im August 1904 wegen Arbeitermangel erst 8 bepflanzt.502 Dann aber machte die Pflanzung schnell Fortschritte:503 Die Firma hatte Curt Buschmann engagiert, einen Gärtner, der 1899 mit 24 Jahren erstmals nach Kamerun gekommen war, um bei der WAPB am Kamerunberg zu arbeiten. 1901 ging er für A. & L. Lubcke als Kautschukhändler nach Song Lepem im Bakoko-Gebiet.504 Zu den Bakoko entwickelte Buschmann enge Beziehungen, sodass er als Vermittler zwischen ihnen und der Regierung agierte.505 Buschmann identifizierte sich stark mit der Region. Als seine Firma sich von dort zurückzog, wechselte er den Arbeitgeber und baute für Randad & Stein eine Faktorei im Bakoko-Gebiet auf – in Dehane. Ossmann, der 1906 als Buschmanns Assistent nach Dehane kam, lässt ihn in seinem Schlüsselroman als Herr „Feldt“ auftreten.506 Nach seinen Angaben galt der 30-Jährige als „eine Art König da drüben am Flusse und auch weiter ins Innere hinein“.507 Buschmann hatte eine Bakoko-Frau geheiratet und sich mehrfach gegen Faktoristen gewandt, die

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Vgl. ANY FA 1/511, 1. Vgl. Oestermann 2021a. Vgl. ANY FA 1/511, 11. Vgl. ANY FA 1/511, 21. Vgl. BArch R 1001/4291, 131; ANY FA 4/511, 46 f.; BArch R 1001/3421, 18 f.; DITSL SA H.-A. Ossmann, Ossmann an Fabarius, 27.11.1906; Schkopp 1903a, 383; Schkopp 1906, 66. 505 Vgl. Schkopp 1903a, 383; Achenbach 1904, 586. 506 Vgl. Osman 1911, 35; DITSL SA H.-A. Ossmann, Ossmann an Fabarius, 09.05.1906. 507 Osman 1911, 152.

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Bakoko misshandelt hatten. Deswegen galt er als ihr Beschützer.508 Seine Nachbarn riefen ihn als Schiedsrichter an.509 Aufgrund dieser Beziehungen hatte Buschmann nicht nur im Handel alle Konkurrenten aus dem Feld geschlagen, sondern auch Plantagenarbeiter rekrutieren können. Im Gegensatz zu den meisten Plantagen am Kamerunberg beschäftigten Randad & Stein 1906 auf Dehane ca. 200 Bakoko und Bassa aus der Umgebung als sogenannte freiwillige Arbeitskräfte.510 Ossmann lässt Pagenstecher in seinem Roman auf diesen Unterschied zwischen den Plantagen in „Nordkamerun“ und Südkamerun hinweisen: Auf Dehane gebe es gute Arbeiterverhältnisse – „die Leute kommen freiwillig zur Arbeit. Wir brauchen sie nicht mühselig anzuwerben, wie die Nordkameruner“.511 Auch amtliche Quellen vermerkten, dass die Firma auf Dehane 400 „aus der Gegend selbst sich frei rekrutierende farbige Arbeiter“ beschäftigte.512 Nach dem Verkauf an die NRP hieß es im Prospekt, „billige Arbeitskräfte“ könnten in nächster Umgebung der Plantage rekrutiert werden.513 Freiwillige Arbeiter sind eine schwierig zu bewertende Kategorie. Eindeutig ist nur, dass die Europäer sie von den „angeworbenen“ Vertragsarbeitern abgrenzten, die größtenteils zur Arbeit gepresst wurden.514 Trotzdem verbargen sich hinter diesem Begriff verschiedene Wege in die Lohnarbeit. Einige Männer arbeiteten aus eigenem Entschluss auf den Plantagen, denn mit der Zeit etablierten sich die Plantagen als Fluchtpunkt für junge Männer, die der Macht ihrer Familienoberhäupter und anderer Autoritäten entkommen wollten.515 Andere wiederum waren Abhängige – Söhne, pawns oder Sklaven –, die für ihre Familienoberhäupter auf die Pflanzungen gingen. Dehane verfügte über ausreichend Arbeitskräfte, weil Buschmann seine Bekanntheit, seine Beziehungen und seinen guten Ruf unter den Nachbarn zur Arbeitermobilisierung einsetzte. Es sei für Buschmann „nicht schwer gewesen, Arbeiter zu finden, denn bei dem guten ‚Mister Fellet‘ [Buschmann – T. Oe.] wollten die Boys lieber auf der Pflanzung arbeiten als in Nordkamerun, wo sie einigermaßen straff herangenommen wurden“.516 Einige Arbeiter kamen, um Löhne zu verdienen. Andere wurden von ihren Familienoberhäuptern geschickt. Ein Arbeiter erzählte

508 Vgl. Osman 1911, 131, 127. Buschmann selbst war mehrfach verurteilt worden, weil er Afrikaner geohrfeigt hatte. Anklagen wegen Schlagens, Diebstahl und Nötigung blieben unbewiesen. Vgl. BArch R 1001/4291, 131. 509 Vgl. Osman 1911, 127, 169 f. 510 Vgl. Osman 1911, 130; DITSL SA H.-A. Ossmann, Ossmann an Fabarius, 23.06.1906. 511 Osman 1911, 35. 512 Vgl. ANY FA 1/511, 48. 513 Vgl. BArch R 8023/418 Prospekt NRP, Kölnische Zeitung, 17.03.1911, o.S. 514 Vgl. Kap. 5.4. 515 Vgl. Clarence-Smith 1993b, 208; Authaler 2018, 97. 516 Osman 1911, 128.

„Kautschuk ist Gold“: Kautschukplantagen und Vertragsarbeit

Ossmann, Buschmann habe Freundschaft mit seinem Vater geschlossen. Der Vater habe ihn dann dem Europäer mitgegeben, damit er arbeiten lerne.517 Es ist schwer zu sagen, ob es sich um die Abgabe eines Kindes als vertrauensfördernde Maßnahme handelte, oder ob der junge Mann ein Abhängiger war, der vermietet wurde. Allgemein war ein großer Teil der Arbeiterschaft Kinder. Von 142 Arbeitern waren 1911 auf Dehane 30 noch „kleine Burschen“, die nur leichte Arbeiten verrichten konnten.518 Plantagenarbeiter durch persönliche Beziehungen zu rekrutieren, war auf Südkameruns Kaufmannsplantagen die Regel. Auch die PGSK strebte an, vor allem Leute aus der Nachbarschaft zu verwenden.519 Erst 1906 begann sie, anderswo zu suchen.520 Rackow nutzte 1906 für die Bremer Westafrika-Gesellschaft ebenfalls seine Verbindungen zu Familienoberhäuptern, um Arbeiter zu bekommen. Er schlug der Firma vor, ihre Kautschukplantage bei Lolodorf anzulegen, da er in dieser Gegend „früher häufig Arbeiter rekrutiert hatte und bei den Leuten daselbst im besten Ansehen stand, so dass mir die Häuptlinge verschiedener Ortschaften […] Arbeitskräfte in ausreichender Menge zur Verfügung stellten“.521 Durch diese Netzwerke hatte Rackow bald „Arbeitskräfte in Hülle und Fülle“, da „sich mir die Leute aus meiner Nachbarschaft als Arbeiter geradezu aufdrängten“.522 Am Kamerunberg hingegen waren die „Freiwilligen“ bis zum Ende der deutschen Herrschaft in der Minderheit. In den 1880ern und 1890ern arbeiteten Bakwiri zwar aus eigenem Antrieb auf den Plantagen. Auch nach Beginn der Arbeiteranwerbung um 1900 war immer wieder von „Freiwilligen“ die Rede.523 1907 berichtete Karl Luckhardt, dass auf Oechelhausen „immer mehr Freiwillige“ zur Arbeit erschienen. Im Juni waren es 40 Arbeiter, sodass Plantagenleiter Otto Koethe überlegte, die Anwerbung durch Europäer zu unterlassen und die Arbeiterschaft nur aus „Freiwilligen“ und durch Afrikaner Geworbenen zu rekrutieren.524 Luckhardt erklärte sich den Zustrom durch die gestiegenen Preise, namentlich höhere Brautgaben.525 Die Anzahl der „Freiwilligen“ blieb jedoch bis zum Krieg gering. Schätzungen

517 Vgl. Osman 1911, 133. 518 Vgl. BArch R 175-4/1054, 7. 519 Vgl. ANY FA 1/540, 69. Ihre Arbeiter stammten vorwiegend aus dem benachbarten spanischen Muni-Gebiet. Vgl. Schulte im Hofe 1905, 422; BArch R 1001/4288 Die Unruhen in Campo im Jahre 1903, o.D., o.S. 520 Vgl. ANY FA 1/540, 69. 521 Rackow 1908, 43 f. Vgl. auch R 1001/5511, 4. 522 Rackow 1908, 49. 523 Vgl. BArch R 1001/3501, 43; BArch R 175-I/66, 358; Seitz 1927, Bd. 2, 30; BArch R 1001/3502, 117; StAF XII Fa Bro 26 Geschäftsbericht KKC 1909; Bücher 1911, 195. 524 DITSL SA K. Luckhardt, Luckhardt an Fabarius, ?.07.1907. 525 Vgl. DITSL SA K. Luckhardt, Luckhardt an Fabarius, ?.07.1907.

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bezifferten ihre Zahl 1913 auf 10 bis 20 Prozent.526 Moliwe glaubte ihren Bedarf von 400 neu einzustellenden Arbeitern durch 300 Angeworbene und 100 „Freiwillige“ decken zu können.527 Eine Ausnahme waren kleinere Plantagen, die ihren Arbeiterbedarf aus der Nachbarschaft deckten. Franz Fehse von der DWH betonte 1909: „Da wir direkt im Balundu-Gebiet liegen, haben wir nur freiwillige Leute, die aber stets nur 6 Monate arbeiten. Wir haben nicht einen einzigen angeworbenen Mann, selbst die Ossidinge- resp. Banjang sind freiw. Arbeiter.“528 Auf Dehane standen die Arbeiter in einem Klientelverhältnis zu Buschmann. Wie gezeigt, waren solche Beziehungen der Anfang vieler dauerhafter Arbeitsbeziehungen der Handelsfirmen – und letztlich entwickelte sich die Plantage von Randad & Stein aus dem Handelsgeschäft der Firma in Dehane. Aber auch darüber hinaus fühlten sich die Arbeitskräfte der Europäer nicht einem Unternehmen, sondern einer konkreten Person verpflichtet. Wurde der Kaufmann, Beamte oder Offizier ersetzt, betrachteten die Arbeiter häufig die Verträge als nicht mehr gültig.529 Dementsprechend prahlte Löns, seine Jaunde-Arbeiter seien „anhänglich an meine Person, nicht an die Gesellschaft“.530 Ossmann lässt den Bezirksamtmann von Edea sagen, es sei „eine allgemeine Erscheinung“, dass ein Afrikaner sich nur demjenigen verpflichtet fühlt, der mit ihm Kontrakt gemacht hat. Mit dem steht und fällt er, aber darüber hinaus geht sein Begriff über seine Verpflichtung als Arbeiter nicht. Wir haben das nicht nur bei Privatfirmen, sondern beinah noch im stärkeren Maße bei der Schutztruppe.531

Auch nach Seitz identifizierten sich die Soldaten mit ihrem Offizier, nicht mit der Regierung: „Da hieß es: ich bin Dominiksoldat, Steinsoldat oder wie der Kompanieführer hieß.“532 Dass Arbeitsbeziehungen auf persönlichen Beziehungen beruhten, hatte erheblichen Einfluss darauf, wie auf Dehane gearbeitet wurde. Dehane besaß eine militante Arbeiterschaft, die ein ihr gemäßes Arbeitstempo durchsetzen konnte. Bei Europäern, die andere Arbeitsbeziehungen auf Plantagen gewohnt waren, erzeugte dies Irritation. Ossmann lässt Pagenstecher sagen, die Arbeiter müssten zwar nicht mühselig angeworben werden, „aber sie müssen eben auch gut behandelt werden“. Dies bedeutete nicht, dass es keine Gewalt auf Dehane gab. Nach Ossmann bekamen die

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Vgl. BArch R 1001/3232, 258. Vgl. auch Clarence-Smith 1993b, 208. Vgl. BArch R 175-I/185, 111. BArch R 175-I/182, 15. Vgl. Seitz 1927, Bd. 1, 98. Löns 1914, 123. Osman 1911, 163. Seitz 1927, Bd. 1, 98.

„Kautschuk ist Gold“: Kautschukplantagen und Vertragsarbeit

Arbeiter durchaus einen „Klaps“, wie er verharmloste. Am besten sei es, man lasse die Bestrafung durch die Headmen durchführen. „Denen gibt man einen Wink, dann machen die die Abstrafung irgendwo in der Stille ab.“533 Dennoch konnte das Management mit den Arbeitern nicht so verfahren wie auf anderen Pflanzungen. Ossmann, der jahrelang auf Plantagen gearbeitet hatte,534 schrieb: „Ich muss die Leute sehr treiben, damit sie mein Pensum, das ich mir gesetzt habe erledigen. Neulich streikten sie infolgedessen, d. h. sie machten Abends eine Zusammenrottung“.535 Die Arbeiter versammelten sich, bewaffnet mit Macheten, und forderten ihn auf, sein Verhalten zu ändern.536 In seinem Roman berichtete Ossmann, wie ein Mann namens Ebanje, der enge Beziehungen zu Buschmann pflegte, weil er aus demselben Clan stammte wie dessen afrikanische Partnerin, sein Werkzeug fortwarf und rief: „Ich arbeite nicht mehr für Dich. Ich bin hergekommen, um für Mister Feldt [i.e. Buschmann – T. Oe.] zu arbeiten.. [sic!] Du aber schreist die ganze Zeit nur ‚los, los, vorwärts, vorwärts!‘ – Das ist keine Manier.“537 Nachdem Ossmann ihn verprügelte hatte, desertierte er. Die NRP, die 1911 Dehane übernahm, erbte die Militanz der Arbeiterschaft. Fritz Lüders, der fortan Dehane leitete, hatte seit 1907 die KKC mit aufgebaut und war folglich die dortige Arbeitsorganisation gewöhnt.538 Unter seine Leitung brachen die von Buschmann aufgebauten Netzwerke der Kaufmannsplantage zusammen, sodass die Firma nicht genügend Arbeiter finden konnte. Im August 1911 schrieb Lüders an die Regierung: „Trotz aller Bemühungen, ‚freiwillige Arbeiter‘ zu bekommen, ist uns dies leider noch nicht gelungen!“539 Verschärft wird die Lage noch durch die Unzufriedenheit und Widersetzlichkeit der Arbeiter, die bisher unter einer schwachen Leitung stehend, verwöhnt und arrogant geworden sind und uns bei ganz minimaler Arbeits-leistung [sic!] rechte Schwierigkeiten bereiten und zum Teil weglaufen.540

Lüders kannte nur die harten, oftmals auf Gewalt und Zwang gegründeten Arbeitsbeziehungen des Kamerunbergs. Auf Dehane, wo Arbeit auf persönlichen Beziehungen beruhte, hatte er dieselben Probleme wie Ossmann. Wenige Tage später kam es zu einer Massendesertion. 42 von 142 Arbeitern verließen über Nacht die

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Alle Zitate: Osman 1911, 35. Vgl. DITSL SA. H.-A. Ossmann, Ossmann an Fabarius, 29.03.1906. DITSL SA H.-A. Ossmann, Ossmann an Fabarius, 09.10.1906. Vgl. Osman 1911, 125. Vgl. Osman 1911, 130. Osman 1911, 131 f. Vgl. ANY FA 1/573, 24. BArch R 175-IV/1054, 31. BArch R 175-IV/1054, 32.

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Plantage.541 Eigentlich wollten sie 12 Monate bleiben, doch wegen Lüders gingen sie nach wenigen Monaten.542 Die Massendesertion erschien diesem existenzbedrohend. Sie schädige den Ruf der Plantage und habe katastrophale Auswirkungen auf die Arbeitsdisziplin, weshalb Lüders die Regierung bat, zumindest einige Leute mit Gewalt zurückzubringen.543 Im Oktober desertierten erneut acht Arbeiter in einer Nacht, die erst wenige Monate auf der Plantage gewesen waren.544 Insgesamt entliefen unter Lüders Leitung zwischen Juli 1911 und Mai 1912 88 Arbeiter, 14 starben und 18 wurden entlassen.545 Da Lüders keine „Freiwilligen“ mehr bekam, warb die NRP nun Vertragsarbeiter an, wie es auch die Plantagen am Kamerunberg praktizierten: Sie rekrutierte oftmals gewaltsam junge Männer. Ihr Arbeiteranwerber Paul Krause rekrutierte nun fast 300 Arbeiter im Edea-Bezirk.546 Mit den Vertragsarbeitern aber erreichten die Probleme der anderen Plantagen auch Dehane. Die Arbeiter kamen geschwächt an, vertrugen die Ernährung nicht und litten unter der schlechten Wasserversorgung.547 Eine Seuche tötete 14 Menschen.548 „Das Anwerben für die N.R.P. ist sehr schwierig geworden“, klagte Krause, „da die Leute mir erklären bei Herrn Lüders nicht mehr arbeiten zu wollen, wegen der unregelmäßigen Bezahlung u Verpflegung.“549 Arbeitermilitanz und Klientelbeziehungen blieben trotz der Umstellung auf Vertragsarbeit ein großes Problem für die NRP. Die Desertionen gingen weiter.550 Die Arbeiter klagten bei der Regierung über Gewalt.551 Im Juli 1912 forderte ein Headman die ihm unterstellten Arbeiter zum Streik auf. Sechs Arbeiter in der Kautschukproduktion entschädigten sich selbst für die harten Arbeitsbedingungen und stahlen 500 Kilogramm Gummi im Wert von 4000 Mark. Der Aufseher Mappa verließ die Pflanzung mit zahlreichen Werkzeugen. Selbst ein Clerk namens Langton stahl 1000 Mark in Waren.552 Arbeiteranwerber Krause sollte nach Lüders’ Entlassung eigentlich die Plantagenleitung übernehmen. Nach einem Streit mit dem Manager Cort kam es nicht mehr dazu. Krause, der einen großen Teil der Be-

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Vgl. BArch R 175-IV/1054, 7. Vgl. BArch R 175-IV/1054, 10. Vgl. BArch R 175-IV/1054, 9. Vgl. BArch R 175-IV 1054, 13. Vgl. BArch R 175-IV/1054, 183. Vgl. BArch R 1001/4294, 91; BArch R 175-IV/1054, 39; BArch R 175-IV/1054, 50; BArch R 175-IV/ 1054, 58; BArch R 175-IV/1054, 60. Vgl. BArch R 175-IV/1054, 82. Vgl. BArch R 175-IV/1054, 116; BArch R 175-IV/1054, 183. BArch R 175-IV/1054, 122. Vgl. BArch R 175-IV/1054, 165. Vgl. BArch R 175-IV/1054, 165. Vgl. BArch R 175-IV/1054, 215.

„Kautschuk ist Gold“: Kautschukplantagen und Vertragsarbeit

legschaft angeworben hatte, forderte nun alle Arbeiter auf, gemeinsam mit ihm die Plantage zu verlassen und auch da zu arbeiten, wo er eine Stelle gefunden habe.553 Cort übernahm nun die Leitung der Plantage – und die Verhältnisse verschlechterten sich weiter. Im April 1913 stellte der Arzt Bretthauer bei einer Revision die „denkbar schlechtesten“ Arbeiterverhältnisse fest, woraufhin die NRP von der Arbeiteranwerbung ausgeschlossen wurde.554 Die NRP kehrte daraufhin zum Modell der „freiwilligen“ Arbeit zurück. Cort entließ alle Vertragsarbeiter.555 Die Arbeiter waren nun „free labourers“, die monatlich ihren Lohn erhielten.556 Im Juli 1913 hatte die Plantage 80 Arbeiter, die selbst sagten, sie hätten sich freiwillig zur Arbeit gemeldet.557 Die härteste Zeit auf Dehane stand jedoch noch bevor. Cort, der selbst ein übler Schläger war, beschwerte sich über die Schrecken und Absurditäten der amtlichen Arbeiteranwerbung. Denn nachdem die Regierung Verbesserungen durchgesetzt hatte, wurde die NRP wieder zur Arbeiteranwerbung zugelassen und kam – wie die anderen Pflanzungen – in den Genuss der Mitte 1913 eingeführten amtlichen Arbeiteranwerbung, die de facto ein staatliches Zwangsarbeitsprogramm für die Plantagen darstellte.558 Im November erhielt die NRP 40 Arbeiter aus dem Edea-Bezirk. Aber zwei waren auf dem Weg gestorben, drei waren desertiert und sechs waren so alt oder krank, dass sie nicht arbeiten konnten.559 Von Anfang an leisteten die Arbeiter Widerstand, wie Cort berichtete: Wahrend [sic!] der Tages zeitneten [sic!] sie Abneigung gegen Arbeit, und bemerkten dass man sie zum Dienst gezwungen habe was tatsachlich wahr ist, da sie mit einem Strick um den Hals zusammen gebunden hier angekommen sind, und Ihr Soldat teilt mir mit, dass sie unterwegs, einen Versuch fortzulaufen gemacht haben Sie waren tatsachlich [sic!] die schlechteste Art farbiger Arbeiter die wir gesehen haben […].560

Bis auf zwei desertierten alle Arbeiter am nächsten Tag. Sie nahmen dabei alle Werkzeuge mit.561 17 brachte die Regierung zurück. Vier von diesen, so Cort, die mit Ketten zusammen gebunden sind, scheinen sterben entscheiden zu haben [sic!] und wollen nicht essen. Sie sind alles [sic!] abgemagert und schwach infolge ihre [sic!]

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Vgl. BArch R 175-IV/1054, 160. BArch R 175-I/3232, 241; BArch R 175-IV/1054, 286. Vgl. BArch R 175-I/3232, 241. BArch R 175-IV/1054, 195. Vgl. BArch R 175-IV/1054, 292. Vgl. Hausen 1970, 284–290 Vgl. BArch R 175-IV/1055, 18. BArch R 175-IV/1055, 20. Vgl. BArch R 175-IV/1055, 20.

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Krankheit, die Ruhr, aus leideten [sic!], und Halfte konnen [sic!] sie nicht arbeiten. Fast alle die arbeiten konnen [sic!] behaupten dass sie wollen es nicht tun und wollen nur wenig arbeiten als sie von Aufsehr gezwungen sind [sic!]. Was sollen wir mit dieselbe die zufällig sterben werden tun da wir keinen Schlussel [sic!] haben, die Ketten aufzumachen.562

Von den zurückgebrachten Arbeitern entflohen wieder einige. Die beiden Männer Somb und Mitungi sogar zweimal. „Es ist ganz deutlich“, stellte Cort fest, „dass samtliche Vertragsarbeiter wollen nicht arbeiten.“563 Auch die Arbeiter, die anfangs zu krank waren, entliefen, sobald sie gesund genug dazu waren.564 Kautschuk als Volkskultur: Die Kautschuk-Inspektion und die Anlage von Funtumia-Pflanzungen durch Afrikaner Das Plantagen-Paradigma und die brutale Ausbeutung von Menschen im Plantagenkomplex blieben in Kameruns Kautschukwirtschaft nicht ohne Widerspruch und Alternative. Zwischenzeitlich plante das Gouvernement, die Förderung der Kautschukplantagen einzustellen: Spätestens 1921, so Gouverneur Gleim 1911, sollte sämtlicher Kautschuk von afrikanischen Pflanzern produziert werden.565 Mit diesem Plan bewies das Gouvernement erstaunliche Weitsicht, denn in der Zwischenkriegszeit bewährten sich südostasiatische Kleinproduzenten auf dem Weltmarkt.566 Um dieses Ziel zu erreichen, propagierte, förderte und erzwang die Kautschuk-Inspektion den Anbau von Kautschukpflanzen durch Afrikanerinnen und Afrikaner.567 Hintergrund war ein Streit, wie koloniale Rohstoffe produziert werden sollten: nach dem Plantagen-Paradigma oder durch unabhängige Bauern im Rahmen einer „Eingeborenen-“ oder „Volkskultur“?568 Zwischenzeitlich entschieden die Behörden, afrikanische Produzenten zu fördern – auch um die Schrecken des Plantagenmodells mit Zwangsarbeit und hohen Todesraten hinter sich zu lassen. Letztlich hatten die Behörden wenig Erfolg, da Gummisucher und Familienoberhäupter kein Interesse hatten. Dennoch ist es wichtig, diese alternative Vision der

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BArch R 175-IV/1055, 19. BArch R 175-IV/1055, 24. Vgl. BArch R 175-IV/1055, 25. Vgl. BArch R 1001/8118, 68. Von Zimmerer hoffte 1892, dass der Botanische Garten in Victoria zum Ausgangspunkt des Gummianbaus durch die Bakwiri werden könnte. Vgl. BArch R 1001/8113, 103. Für ähnliche Projekte in Nigeria vgl. Fenske 2010. 566 Vgl. Clarence-Smith 2013; Harp 2016, 120–123. Für ein Lob der deutschen Förderung von Kleinproduzenten vgl. Clarence-Smith 1993b, 190. 567 Vgl. BArch R 1001/4295 1, 126. Für Zwang vgl. Essomba 2001, 340. 568 Vgl. Wirz 1972, 202–222; Essomba 2001.

„Kautschuk ist Gold“: Kautschukplantagen und Vertragsarbeit

Kautschukwirtschaft und der damit verbundenen Besitz- und Arbeitsverhältnisse aufzuzeigen, die wenige Jahre später anderswo zum Erfolg führte.569 Am Anfang des lokalen Kautschukanbaus stand weniger die Idee der Volkskultur als der Gedanke, dass Afrikanerinnen und Afrikaner die verwüsteten Bestände kautschukproduzierender Pflanzen ersetzen sollten. Auf der Gummikonferenz 1906 hatten sich die Firmen eigentlich verpflichtet, die küstennahen Bestände aufzuforsten, kamen dem jedoch nicht nach. In einer Sitzung des Gouvernementsrats im Dezember 1908 gelang es der Handelskammer für Südkamerun, ihre Selbstverpflichtung auszuhebeln. Obwohl einige Firmen längst Pflanzungen anlegten, erklärte die Handelskammer, die Verbindung von Handels- und Plantagenbetrieb sei „ungünstig“. Stattdessen, so einigte sie sich mit der Regierung, sollte die afrikanische Bevölkerung die Bestände ergänzen, indem die Regierung ihnen Samen liefere, „denn nur mit Hülfe der Eingeborenen sei auf diesem Gebiete etwas zu erreichen“.570 Bis Mitte 1909 entschieden sich Gouvernement und RKA, den Anbau von Funtumia durch afrikanische Produzenten im Rahmen des Volkskultur-Programms zu fördern.571 Damit machte die Regierung einen wichtigen Schritt weg vom Plantagen-Paradigma. Die Diskussion um die „Volks-“ bzw. „Eingeborenenkultur“ hatte ca. 1901 begonnen.572 Im Zentrum stand die Frage, wie die Rohstoffproduktion der Kolonien am besten zu erhöhen sei. Eine Seite befürwortete europäische Großplantagen, die andere afrikanische Kleinproduzenten.573 Nach der Dernburg’schen Reformperiode neigte das RKA Letzterer zu.574 Vorbild war die britische Gold Coast, die binnen weniger Jahre durch afrikanische Produzenten zu einem der wichtigsten Kakao-Exporteure aufstieg und die europäischen Plantagen überflügelte.575 Auch in Kamerun sollten die Menschen nun als landwirtschaftliche Produzenten zum ökonomischen Erfolg beitragen.576 Die Verwaltung ergriff deshalb Maßnahmen, um an der Küste den Anbau von Ölpalmen, im Norden von Baumwolle und im Süden von Kautschuk zu fördern.577

569 Für die negativen Folgen der Produktion von Kautschuk als cash crop in Südostasien vgl. Dove 1996. 570 Beide Zitate: BArch R 1001/8116, 225. 571 Michel datiert die Förderung von Volkskultur auf 1910. Vgl. Michel 1970, 210 f. Zur Diskussion vgl. BArch R 1001/8117, 69. 572 Vgl. Diehn 1956, 93–102. 573 Diese Diskussion wurde auch z. B. in Großbritannien geführt. Vgl. Philips 1989, 85–110. 574 Wirz 1972, 210. 575 Vgl. Ross 2014. 576 Vgl. Wirz 1972, 210 f. 577 Vgl. Wirz 1972, 213 ff.

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Letztlich war die Entscheidung für die Volkskultur auch eine Reaktion auf die Arbeitsverhältnisse auf den Plantagen und deren Folgen für die Kolonie. Bücher, der die Leitung der Kautschuk-Inspektion 1909 übernahm,578 war davon überzeugt, dass die Volkskultur besser für das Land sei – selbst wenn man die Menschen dazu zwingen müsse.579 Auf einer Versammlung von 1000 „Häuptlingen“ in Ebolowa, so erklärte Bücher sein Bekenntnis zur Gummi-Volkskultur, hätten diese nach der Rede Gouverneur Gleims ihre Wünsche äußern dürfen. Sie wünschten sich die Einstellung der Arbeiteranwerbung für Arbeit außerhalb des Bezirks: „[W]ir schicken all unsere Söhne hin und nur wenige kommen wieder.“ – „Das war ihr einziger Wunsch!“, so Bücher. Er deklarierte deswegen: „Ich persönlich bin gegen die Kautschuk-Grosskultur in Kamerun“.580 Besonders Hevea sei arbeitsintensiv und brauche immer mehr Menschen, die nicht vorhanden seien.581 Ab 1909 wurde die Anleitung der Bevölkerung zum Kautschukanbau zur wichtigsten Aufgabe der Kautschuk-Inspektion.582 Ihre Angestellten legten in den von ihnen bearbeiteten Dörfern Saatbeete für Funtumia an.583 Mania plante, in Dume im Herbst 1910 jedem Dorf 5000 bis 20.000 Pflänzlinge zu übergeben. Er unterrichtete die Bewohner, wie sie Pflanzgärten anlegten. Außerdem gingen Dorfbewohner auf die Dume-Station, um dort zu lernen, wie Saatbeete anzulegen seien.584 Auch die Stationen in Dengdeng, Akonolinga, Jaunde, Edea, Ossidinge oder Baturi zogen Funtumia-Setzlinge und verteilten sie an benachbarte Dörfer.585 Um den ehrgeizigen Plan, die Kautschukproduktion von Wildkautschuk auf afrikanische Kleinproduzenten umzustellen, zu verwirklichen, versuchte die Kautschuk-Inspektion, den Anbau von Funtumia in die lokale Landwirtschaft zu integrieren. Auf Grundlage seiner Beobachtungen sprach Inspektor Treichel sich dafür aus, im Jaunde-Bezirk Funtumia auf die Felder zu pflanzen, die im April mit Erdnüssen und Mais und danach mit Kassada, Kochbananen und Yams bestellt würden. Erdnusspflanzen würden von den Menschen hervorragend gepflegt, was dann auch der Funtumia zugutekommen würde. Für die nachfolgenden Früchte müsse Unkraut gejätet werden, sodass in den ersten kritischen Jahren 578 579 580 581 582 583

Vgl. BArch R 1001/8118, 242. Vgl. BArch R 1001/8117 Bücher: Beiträge, 15.09.1909, o.S. Alle Zitate: BArch R 1001/8118, 252. Vgl. BArch R 1001/8118, 253. Vgl. BArch N 2225/105, 5 f.; BArch R 1001/8117 Bücher: Beiträge, 15.09.1909, o.S. In den Versuchsgärten in Lolodorf, Jaunde, Ebolowa, Campo, Ossidinge, Fontemdorf und Edea sowie den Farmen Atok oder Djah-Posten hatte der Staat zuvor versuchsweise Funtumia angepflanzt. Einige Beamte wollten afrikanischen Funtumia-Anbau fördern, indem diese Farmen zu Baumschulen ausgebaut würden. Vgl. NN 1904a; BArch R 1001/4293, 87 f.; BArch R 1001/8114, 78 f.; BArch R 1001/4293, 87 f. 584 Vgl. Mania 1910, 107. 585 Vgl. NN 1909a; NN 1911e, 314–317; BArch R 175-I/805, 9; BArch R 1001/4296, 39.

„Kautschuk ist Gold“: Kautschukplantagen und Vertragsarbeit

Funtumia gut gepflegt würde. Die anderen Pflanzen würden zudem dafür sorgen, dass die Bäumchen gerade wüchsen. Hierdurch sei es möglich, ohne Mehrarbeit Kautschuk anzubauen, der zapffähig werde, wenn das Land eh brach liege.586 Stark betonte Treichel regionale Besonderheiten: Bei den Bulu und nahe Akonolinga sei der Erdnussanbau nicht so wichtig wie bei den Ewondo, sodass die Regierung anders vorzugehen habe: Er schlug vor, dass dort alle Männer eines Ortes ihre Funtumia-Bäume in eine gemeinsame Schonung pflanzten.587 Obwohl die Menschen vom Funtumia-Anbau profitieren sollten, war dessen Förderung vielerorts mit Zwangsmaßnahmen verbunden.588 Treichel war der Meinung, dass die Menschen unter strenger Aufsicht dazu verpflichtet werden sollten, jährlich 100 Bäumchen zu pflanzen und diese bis zum dritten Jahr zu pflegen.589 Im NjemGebiet war Treichel dafür, einen Kulturzwang mithilfe von Soldaten durchzusetzen, denn: „Ohne Zwang macht der Njem nichts.“590 Dies lag nicht daran, dass Afrikaner nicht die Vorteile eines Anbaus von Kautschukpflanzen gesehen hätten. In einigen Regionen Kameruns kultivierten Afrikaner bereits kautschukproduzierende Pflanzen. Schon 1892 bauten Bakwiri Landolphia-Lianen an.591 Das Familienoberhaupt Efesoa, dessen Kakaoplantage am Kamerunberg ca. 1898 enteignet wurde, bemühte sich danach um Funtumia-Samen, da er sich „mit der Kultur der Gummipflanzen auf seinem Dorfgebiete“ befassen wollte.592 Im Bakoko-Gebiet besaßen 1911 „einzelne Eingeborene Farmen von 7–800 Kakao- resp. Kautschukbäumen“.593 Aber nur bei Akonolinga und Djah-Posten entstanden mithilfe der KautschukInspektion Gummipflanzungen in größeren Dörfern.594 Andernorts blieben die Bemühungen erfolglos. In Akoafim nahmen die Familienoberhäupter die Pflänzlinge nur unter Zwang an.595 Deshalb wurde die Filiale der Kautschuk-Inspektion im Mai 1910 aufgegeben und nach Sangmelima verlegt. Dort ließ sie zwar insgesamt 32 Hektar mit Funtumia und Hevea bepflanzen und fast 120.000 Pflanzen an Familienoberhäupter abgegeben. Aber auch die legten scheinbar keinen Wert darauf,

586 Vgl. Treichel 1910, 232. Zur Beti-Landwirtschaft vgl. Guyer 1980; Guyer 1984. 587 Vgl. Treichel 1910, 233. 588 Vgl. Essomba 2001, 340. Diese erinnern an den vor allem in der Zwischenkriegszeit in vielen Kolonien praktizierten zwangsweisen Anbau von cash crops. Vgl. u. a. Ochonu 2018, 126; Santos 2015; Geschiere 1983. 589 Vgl. Treichel 1910, 233. 590 BArch R 1001/8118, 174. 591 Vgl. BArch R 1001/8113, 103. 592 BArch R 1001/8113, 262. Zu Efesoa vgl. Ardener 1996, 145. Auch in Victoria versuchten sich afrikanische Pflanzer an Funtumia aus dem Botanischen Garten. Vgl. BZKF Sonderdrucksammlung Kapsel Botan. Garten Jahresbericht. Afrika, Victoria, Kamerun. Preuss: Jahresbericht 1901/02, 6. 593 Fickendey 1911a, 115. 594 Vgl. BArch R 1001/8118, 194. 595 Vgl. NN 1911e, 312.

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eigene Kautschukbäume zu besitzen: Die Hälfte ging ein.596 Wenn die Menschen die Pflänzlinge vernachlässigten, war dies ein Mittel des Widerstands. Letztlich bedeutete auch ein gut an lokale Landwirtschaft angepasster Kautschukanbau einen tiefen Eingriff in die Arbeits-, Generationen- und Geschlechterbeziehungen.597 So warf der Anbau von Funtumia auf Erdnussfeldern, wie Treichel vorschlug, wahrscheinlich die Frage auf, wem die Bäume gehören würden. Denn bei den Erdnüssen kontrollierten die Frauen die Aufteilung der Ernte.598 Wenn die Regierung nun den Familienoberhäuptern die Bäume schenkte und zwang, sie auf die Felder der Frauen zu pflanzen, die sie mit ihrer Arbeit großzogen – wem gehörten dann Baum und Kautschuk? Dauerkulturen wie Funtumia stellten zudem Arrangements der geschlechtlichen Arbeitsteilung infrage.599 Darüber hinaus ergab es für viele Menschen ökonomisch keinen Sinn, Kautschukpflanzen zu pflegen. Sie kalkulierten wie die Europäer: Eine solche Pflanzung machte viel Arbeit, brachte aber jahrelang nichts ein. Zukünftige Gewinne wiederum waren fraglich. Für junge Männer war es einträglicher, als Gummisucher oder Karawanenträger zu arbeiten, und für Familienoberhäupter, ihre Abhängigen in die Karawanen statt in eigene Kautschukkulturen zu schicken. Hinzu kamen Probleme mit der Ökologie. Funtumia wuchs natürlicherweise vor allem östlich des Djah. Möglicherweise waren die Pflanzen nicht an das westliche Habitat angepasst. Mitte 1913 bat der zuständige Gärtner in Sangmelima, den Anbau aufzugeben oder zu verlagern. Die Ergebnisse seien „völlig negativ“ aufgrund des sowohl für Funtumia als auch Hevea ungeeigneten Bodens und der vielen Parasiten und Pilze.600 Auch in Ossidinge starben 90 bis 95 Prozent aller Pflanzen.601 Aufgrund der dürftigen Ergebnisse schlug Gouverneur Ebermaier Mitte 1912 vor, die Kautschuk-Inspektion abzuschaffen.602 Selbst Inspektor Treichel unterstützte ihn.603 Bücher hingegen wollte sie fortsetzen.604 Das RKA war ebenfalls gegen eine Aufhebung der Inspektion – vor allem, weil dies vor dem Reichstag nicht gut ausgesehen hätte.605 Die Kautschuk-Volkskultur kam jedoch nicht auf die Beine. Als

596 Vgl. BArch R 1001/8118, 194. 597 Zur Beti-Landwirtschaft und Geschlechterbeziehungen vgl. Guyer 1980; Guyer 1984. 598 Vgl. Guyer 1980, 348. Andernorts blockierten die Behörden den Anbau von Kautschuk durch Afrikaner. Fickendey lehnte etwa die Überlassung von Hevea-Samen an den ehemaligen Gouvernementsangestellten Lobe Manga ab, da Hevea-Anbau zu anspruchsvoll sei. Vgl. Essomba 2001, 341. 599 Vgl. Guyer 1980, 349. 600 BArch R 175-I/805, 126 601 Vgl. NN 1911e, 317. 602 Vgl. BArch R 1001/8118, 196 f. 603 Vgl. BArch R 1001/8118, 213. 604 Vgl. BArch R 1001/8118, 248, 256. 605 Vgl. BArch R 1001/8118, 274.

Ein Kautschukreich: Forstwirtschaftliche Kautschukproduktion im Eigengebiet der GSK, 1907–1914

der Konflikt zwischen Plantagen-Paradigma und Volkskultur erneut hochkochte, ging er zugunsten der Pflanzungsunternehmen aus: Ebermaier unterstützte sie in den folgenden Jahren mit einem großangelegten Zwangsarbeitsprogramm, das die Kolonie an den Rand des Kollapses brachte. Zwischenfazit Ab 1906 entwickelte sich Kautschuk in Kamerun zu einer Plantagenkultur. Gemäß dem Plantagen-Paradigma galten europäische Großunternehmen als diejenigen, die am besten auf das sich abzeichnende Ende der wilden Bestände reagieren konnten, indem sie Kautschukbäume mit vermeintlich wissenschaftlichen Methoden anbauten. Innerhalb weniger Jahre wurde die Kautschukproduktion Teil des Plantagenkomplexes: Monokulturen auf enteignetem Land, das größtenteils mit erzwungener Arbeit bewirtschaftet wurde. Ab 1906 entstanden Großunternehmen, die sich auf Kautschuk spezialisierten, Handelsunternehmen und kleinere Farmer legten Gummi-Pflanzungen an. Anfangs setzten sie vor allem auf Funtumia. Erst um 1908 erkannten Wissenschaftler und Manager, dass sich Hevea auch in Kamerun besser eignete. Auf diese Weise verzögerte sich die Plantagenproduktion, weshalb diese nicht ihr volles Gewicht entfalten konnte. Dennoch benötigten die Funtumia- und Hevea-Pflanzungen bereits tausende Arbeitskräfte aus allen Teilen der Kolonie. Plantagenarbeit, die sich fundamental von früheren Formen der Arbeit unterschied, wurde damit ein neuer Faktor in den Arbeitsbeziehungen der Kautschukwirtschaft. Wie nirgendwo sonst waren die Vertragsarbeiter der Plantagen Kontrolle, Disziplinierung und Zwang unterworfen. Plantagenarbeit konnte sich jedoch je nach Art des Unternehmens unterscheiden. Das Plantagen-Paradigma war zudem nicht unumstritten. Zeitweilig setzte das Gouvernement diesem die Idee der Volkskultur entgegen: Afrikanische Pflanzer sollten Gummi produzieren. Dieses Konzept scheiterte jedoch, sodass auch in Kamerun den Plantagen die Zukunft zu gehören schien.

5.3 Ein Kautschukreich: Forstwirtschaftliche Kautschukproduktion im Eigengebiet der GSK, 1907–1914 Eigentlich qualifizierte Oberst Ludwig von Stetten-Buchenbach nichts für einen Direktoriumsposten bei der GSK.606 Er verdankte ihn einzig dem Zufall und seiner

606 Zur Biographie von Stetten-Buchenbachs (1851–1930) vgl. Stetten 1998, 204a. Ballhaus verwechselt ihn mit Max von Stetten, dem ehemaligen Kommandeur der Schutztruppe. Sie fingiert zudem eine Empfehlung der KA für ebenjenen Max von Stetten. Vgl. Ballhaus 1968, 145.

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Chuzpe. Nach seinem Ausscheiden aus dem Militär schrieb er Ende 1902 auf Hinweis eines Freundes dem Direktor der GSK, Scharlach, er hätte gern „eine meiner sozialen Stellung entsprechende und demgemäß dotierte Tätigkeit“, sei aber weder kaufmännisch noch technisch gebildet.607 Scharlach war irritiert, stellte ihm jedoch einen Posten bei der GSK in Aussicht: Als Lobbyist brauche er nur Energie und Beherrschung der Form.608 Ende 1904 involvierte eine familiäre Krise von Stetten-Buchenbach stärker in der GSK: Die Offizierskarriere seines Cousins, Richard von Stetten, war gescheitert.609 Streit, Schulden und ein Verhältnis mit einer Sängerin führten dazu, dass er das Militär verließ, um einer unehrenhaften Entlassung zu entgehen.610 Von Stetten-Buchenbach schlug vor, der verkrachte Offizier könne doch als GSK-Agent in die Kolonien gehen! 1905 reiste der 26-jährige von Stetten nach Kamerun. Aber nach wenigen Monaten litt er an „Blutleere im Gehirn“, sei „nicht bei vollem Verstand, redet irre & hat Visionen“.611 In Kinshasa attestierte ihm ein Arzt Syphilis.612 Zurück in Europa drängte von Stetten aber, bald wieder ausreisen zu dürfen.613 Im Sommer 1906 fuhr er erneut nach Kamerun – diesmal um Ramsay bei der Abgrenzung des neu geschaffenen GSK-Grundbesitzes zu begleiten.614 Denn im Austausch gegen ihre Konzession hatte die Firma 1905 von der Regierung ein riesiges, angeblich unbesiedeltes Regenwaldterritorium zu Eigentum erhalten: den Assobam-Busch zwischen Assobam und Jukaduma. Dieses „Eigengebiet“ genannte Land umfasste 15.500 Quadratkilometer Wald mit sehr großer Dichte an Funtumia elastica. Nach der Abgrenzungsmission war von Stetten maßgeblich daran beteiligt, dort die Kautschukproduktion mit Vertragsarbeitern und einigen -arbeiterinnen auf sogenannten Produktionsstellen zu etablieren. Dieses „Kautschukreich“ der GSK ist bisher kaum erforscht.615 Einige Autorinnen und Autoren erwähnen das Eigengebiet, doch was das Unternehmen dort tat, bleibt vage: Ballhaus und Karin Hausen schreiben fälschlicherweise, die GSK habe Kautschukplantagen eingerichtet.616 Wirz erwähnt, dass das Unternehmen

607 AFS 415 Stetten-Buchenbach an Scharlach, 31.12.1902. Vgl. AFS 415 Kraetke an StettenBuchenbach, 20.12.1902. 608 Vgl. AFS 415 Scharlach an Kraetke, 02.01.1903. 609 Zur Biographie Richard von Stettens (1879–?) vgl. Stetten 1998, 319. 610 Vgl. AFS 415 Scharpff an Stetten, 07.09.1904; AFS 415 Anna an Stetten-Buchenbach, 21.09.1904; AFS 415 Notiz Stetten-Buchenbach. 611 Vgl. AFS 415 Briefauszug, 02.01.1906. 612 Vgl. AFS 415 Briefauszug, 04.01.1906. 613 Vgl. AFS 415 Stetten an Stetten-Buchenbach, 14.02.1906. 614 Vgl. AFS 344 Tagebuch, 19.09.1906; AFS 344 Vortragsmanuskript, o.D. [ca. 1921], 2. 615 Graetz 1913, 174. 616 Vgl. Ballhaus 1968, 176; Hausen 1970, 226; Stoecker/Drechsler/Sebald 1991, 144; Rudin 1938, 295; Rüger 1960b, 173 f.

Ein Kautschukreich: Forstwirtschaftliche Kautschukproduktion im Eigengebiet der GSK, 1907–1914

mit eigenen Arbeitern systematisch Gummi von wildwachsenden Bäumen produzieren ließ, geht jedoch nicht weiter darauf ein.617 Das erfolgreiche Tandem von Stetten und von Stetten-Buchenbach ist deshalb ein Glücksfall, um die neuartigen Arbeitsbeziehungen im Eigengebiet der GSK zu rekonstruieren: Von Stetten versorgte seinen Cousin mit Informationen aus Kamerun, durch die von StettenBuchenbachs Einfluss im Direktorium wuchs. In seinem Schatten stieg von Stetten vom kleinen Faktoreileiter zum Inspektor der GSK auf. Dabei produzierten sie detailliertes Quellenmaterial über das neue Produktions- und Arbeitsregime der GSK. Im Eigengebiet stellte die GSK ihr Geschäftsmodell auf eine forstwirtschaftliche Kautschukproduktion um.618 Statt Gummi von unabhängigen Produzenten zu kaufen, legte sie auf ihrem riesigen, nahezu unbewohnten Landbesitz Produktionsstellen an. Dort ließ sie Gummi aus den wilden Funtumia-Beständen mit extra zu diesem Zweck angeworbenen und hertransportierten Vertragsarbeitern gewinnen. Während derartige Modelle in Amazonien scheiterten,619 entwickelte sich die Kautschukproduktion im Eigengebiet zu einem großen wirtschaftlichen Erfolg für die GSK: 1907 lieferten die Produktionsstellen 22 Tonnen Kautschuk, 1909 bereits 62, 92 im Jahr 1911, 1913 dann 178 und 1914 allein 245 Tonnen bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges.620 Nachdem die Umstellung 1907 und 1908 zu Verlusten geführt hatte, machte die GSK 1909 bis 1912 über 1,2 Millionen Mark Gewinn.621 Sie wurde deshalb zum Vorbild für andere. Die 1910 gegründete französische Konzessionsgesellschaft Compagnie Forestière Sangha-Oubangui (CFSO) begann ebenfalls, ihr Konzessionsgebiet in Neukamerun und Französisch-Kongo mit eigenen Arbeitskräften forstwirtschaftlich auszubeuten.622 Wildkautschuk mithilfe von Lohnarbeit zu produzieren, war ein Bruch mit den bisherigen Formen der Arbeit von Gummisuchern in Südkamerun. Gummisucher waren nun nicht mehr unabhängige Produzenten, sondern abhängige Beschäftigte, deren Arbeit standardisiert und kontrolliert wurde. Die GSK hoffte, so die Qualität des Produktes zu steigern und die Baumbestände zu schonen. Diese rationalisierte Form der Kautschukgewinnung war eine Chimäre zwischen Wildkautschuk- und Plantagenwirtschaft: Einerseits nutzte die GSK wildwachsende Pflanzen, andererseits organisierte sie die Produktion mit stramm beaufsichtigen Lohnarbeiterinnen und -arbeitern. Dieses Kapitel untersucht, wie die GSK die großen Schwierigkeiten,

617 618 619 620 621 622

Vgl. Wirz 1972, 118. Vgl. Petersen 30.11.1926. Vgl. Coomes/Barham 1994, 245 f. Vgl. BArch R 1001/3453, 161; AGR CCCI 1682 Gesamtkautschukeinkäufe der GSK 1900–11. Vgl. Tabelle 6, Kap. 4.2. Zur CFSO vgl. Coquery-Vidrovitch 1972; zur Kautschukausbeutung durch eigene Arbeiter nach Muster der GSK vgl. Escherich 1938, 161–166; Giles-Vernick 2002, 160.

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die mit der forstwirtschaftlichen Regenwaldnutzung verbunden waren, löste: erstens die Mobilisierung von Arbeitskräften für den unbewohnten Wald, zweitens deren Versorgung, drittens die Durchsetzung von Arbeitsdisziplin, und viertens die Abwehr konkurrierender Ansprüche auf den Wald. Denn zum einen war die Übertragung an die GSK ein gigantischer Landraub, zum anderen führte der Kautschukboom dazu, dass afrikanische Glücksritter versuchten, von der Goldgrube der GSK zu profitieren, indem sie unerlaubt Gummi schnitten. Von der Konzession zum Eigengebiet: Die Abwicklung der Konzession Im November 1905 hörte die GSK auf, eine Konzessionsgesellschaft zu sein. Die Kolonial-Abteilung brachte die GSK dazu, auf ihre Rechte zu verzichten. Während die Schwestergesellschaft GNK noch bis 1910 vergeblich an ihnen festhielt,623 ließ sich die GSK im Ausgleich zur größten Landbesitzerin der Kolonie machen. Nach Abschluss der Verhandlungen besaß sie ein Gebiet, so groß wie das heutige Bundesland Schleswig-Holstein, während die störrische GNK de facto bankrottging.624 Die GSK-Führung war klug genug, sich gütlich mit der Kolonial-Abteilung über die Landfrage zu einigen.625 Angesichts der Fundamentalopposition der Regierung gegen die Landkäufe der GSK verlangte das Unternehmen am 11. Juni 1904 wenigstens die sofortige Übertragung der toten Zonen zu Eigentum, die doch nach zeitgenössischer Ansicht als herrenlos und damit als Kronland gelten mussten. Dies und weitere Vorschläge lehnten die Beamten aber als nicht gesetzeskonform ab. Schließlich kamen alle Beteiligten überein, wie es im Protokoll heißt, „dass die Konzession, wie sie ertheilt sei, der Gesellschaft die erhofften Vortheile nicht zu bieten vermöge, u. dass es daher in ihrem eigenen Interesse sei, die Konzession wieder in die Hände der Regierung zurückzulegen“.626 Als Ausgleich verlangten von Schlippenbach und von Stetten-Buchenbach einen größeren Landkomplex und eine Auswahl an kleineren Gebieten als Eigentum der GSK. Besiedelte Gebiete sollten als Reservate ausgeschieden werden.627 Am 19. November 1904 beantragte die GSK schließlich die Übereignung des zu Kronland zu erklärenden Landes zwischen Assobam und Jukaduma.628 Im September 1905 bestätigte der frühere Stationschef von Stein in einem Gutachten, dass der Assobam-Busch eine riesige, unbewohn-

623 Vgl. Ballhaus 1968, 169–173. 624 Vgl. Ballhaus 1968, 173. 625 Für eine Zusammenfassung der Landproblematik vgl. BArch R 1001/3450, 56–59; NN 1905b. Zu den Verhandlungen vgl. Ballhaus 1968, 147 f, 174 f. 626 BArch R 1001/3446, 45. 627 Vgl. BArch R 1001/3446, 45. 628 Vgl. BArch R 1001/3447, 19.

Ein Kautschukreich: Forstwirtschaftliche Kautschukproduktion im Eigengebiet der GSK, 1907–1914

te „tote Zone“ und als „herrenlos“ zu betrachten sei.629 Bereits kurz zuvor, am 19. August 1905, übertrug von Puttkamer der GSK dieses 15.500 Quadratkilometer große, von den Flüssen Ndjui, Bumba, Bök, Adjuaha, Djah, Wumu und Mbede umgrenzte Gebiet.630 Die Option auf zehn weitere Landkomplexe tauschte die GSK am 3. November 1905 gegen den „Dume-Zipfel“, ein über das Konzessionsgebiet hinaus nach Norden an den Dume-Fluss reichendes Waldgebiet.631 Die GSK wurde von einer Konzessionsgesellschaft zu einem Unternehmen mit riesigem Landbesitz. Am 6. September 1905 erging ein Zirkular des Bezirksamtes Kribi „an sämtliche Firmen“, dass der GSK ein Eigengebiet übertragen worden sei.632 Die GSK teilte den Batanga-Firmen am 22. Dezember 1905 ebenfalls mit, dass niemand im Eigengebiet Produkte erwerben oder gewinnen dürfe außer der GSK. Alles andere habe eine Anzeige wegen Diebstahls oder Hehlerei zur Folge.633 Auf GSK-Kosten markierte Ende 1906 eine Regierungsexpedition unter Ramsay die Grenzen des Eigengebietes. In vielen Monaten umrundeten Ramsay und seine Mitarbeiter, darunter GSK-Agent von Stetten, das Gebiet und grenzten es nach Vorgaben der Regierung durch Stein- oder Erdhügel, Zementpfeiler oder leere Flaschen ab. Dies war nicht unproblematisch: „Zum Erdhügel machen haben wir keine Spaten, Steine trifft man auf 100 km vielleicht einmal, Zement ist nicht vorhanden, und leere Flaschen kann ich erst haben, wenn ich den Inhalt nicht vorhandener Flaschen ausgetrunken habe“, unkte von Stetten.634 Eine erste Markierung erfolgte mit Schneisen. Doch die wuchsen schnell wieder zu. Nach einem Jahr waren sie unpassierbar, denn der neue Sekundärwald war viel dichter und stellte ein großes Hindernis dar. Statt auf einem breiten Durchhau gingen die GSK-Leute in den kommenden Jahren auf schmalen Fußwegen an dessen Rand.635 1909 erfolgte die Eintragung ins Grundbuch – unter Ausscheidung des Momie-Weges, da sich gezeigt hatte, dass dort Menschen lebten.636 Trotzdem waren die nun der GSK gehörenden Regenwaldgebiete gigantisch und enthielten eine unübersehbare Zahl von Funtumia. Die Frage war einzig, wie

629 Vgl. BArch R 1001/3448, 156–163. 1909 gab er zu Protokoll, dass in dem Gebiet nomadische „Bagielli“ (d. h. Baka) wohnten und sich dort die Dörfer Mata und Momie befanden. 1906 protestierte Scheunemann, im Eigengebiet wohnten 14.000 Menschen – was übertrieben war. Vgl. BArch R 1001/3463, 189; BArch R 1001/3450, 14 f. 630 Vgl. Ballhaus 1968, 147 f.; NN 1905b, 3. 631 Vgl. Ballhaus 1968, 175; NN 1905b, 3. 632 BArch R 1001/3448, 114. 633 Vgl. BArch R 1001/3449, 54 f. 634 AFS 344 Tagebuch, 29.11.1906. Vgl. zu dieser Mission BArch R 1001/3463. 635 Vgl. S Storck N Koch Koch o. J.b, 2, 5; AFS 344 Stetten: Vortrag, 8. 636 Vgl. BArch R 1001/3456 GSK-Direktoriumssitzung, 28.09.1909, o.S.; AFS 416 Semler: Protokoll, 21.08.1909. Zu Momie bzw. „Kribi“, „Neu-Kribi“, Gribe oder Damamie vgl. BArch R 1001/3463, 192; BArch R 1001/3463, 193; BArch R 175-I/128, 14; Toda 2014, 147; NN o. J.e, 11. Ich danke Mikako Toda für eine Kopie.

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es dem Unternehmen gelingen konnte, Gummi im unbewohnten Regenwald zu produzieren. Die Chimäre: Einrichtung und Organisation des Eigengebietes Abb. 7, aufgenommen von Carl W. H. Koch zwischen 1910 und 1914 im Eigengebiet der GSK,637 zeigt eine aus lokalem Baumaterial bestehende Hütte ohne Wände an einem Bachufer, umgeben von Regenwald: die Gummiküche einer Produktionsstelle. Im Vordergrund sitzt eine junge afrikanische Frau auf Ästen, die sie vor dem schlammigen, feuchten Boden schützen. In der Hand hält sie eine Machete, mit der sie ein Stück Holz bearbeitet, das sie mit dem Fuß fixiert. Neben ihr steht ein junger Europäer, die Arme in die Seiten gestützt. Vor ihm findet sich ebenfalls eine Machete und ein bereits bearbeitetes Holzstück. Wahrscheinlich bauen sie Pressen für den Gummi. Unter dem Dach der Gummiküche ist eine Feuerstelle zu sehen, darauf ein Kochtopf, in dem Kautschuk koaguliert wird. Das Dach der Hütte und die dahinterstehenden Bäume sind in aufsteigenden Dampf gehüllt. Mindestens fünf junge afrikanische Männer sind in der Hütte. Einige bedienen eine Presse. Links im Bild steht ein junger Mann mit den Füßen im Bach. Hinter ihm sind sieben Körbe zu sehen, ein weiterer steht rechts neben ihm, ein leerer Korb liegt am linken Ufer. Im Vordergrund des Bildes sind ebenfalls Körbe. Sie sind bis über den Rand gefüllt mit einer weißen Substanz: Kautschuk. In Hitze, Feuchtigkeit und Schlamm arbeiteten Männer und Frauen für die GSK, zapften Latex von den im Wald verstreuten Funtumia-Bäumen, koagulierten ihn in kochendem Wasser und befreiten ihn mit Holzpressen von Feuchtigkeit. Diese Form der Nutzung folgte keinem lang entwickelten Plan. Anfangs war unklar, was die GSK mit dem Eigengebiet anstellen sollte. Scharlach war dafür, es angesichts der Größe teilweise zu verpachten. Dies scheiterte an Thys’ Widerstand.638 Es ist nicht genau zu ermitteln, wie die GSK den Plan entwickelte, Kautschuk durch eigene Arbeiterinnen und Arbeiter zu produzieren. Petersen schreibt die Idee dem Direktor „Makassi“ zu, der Jenö Kalmár entspricht.639 Tatsächlich fielen Kalmárs Aufstieg zum GSK-Direktor und die Pläne für die Zukunft des Eigengebiets zeitlich zusammen. Die Idee war jedoch schon länger in der Welt. Bereits 1899 hatte die GSK derartige Pläne gehabt, aber aufgegeben.640 Womöglich waren die „centres d’exploitation en régie“, welche die SAB, die Muttergesellschaft der GSK, im Kongo

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Vgl. S Storck N Koch Fotosammlung. Vgl. BArch R 1001/3456, 7. Vgl. Petersen 1936, 122. Vgl. BArch R 1001/3443, 156; BArch R 1001/3443, 83; BArch R 1001/4291, 120; NN 1903b, 436.

Ein Kautschukreich: Forstwirtschaftliche Kautschukproduktion im Eigengebiet der GSK, 1907–1914

Abb. 7 Ohne Titel (Gummiküche auf einer Produktionsstelle im Eigengebiet der GSK). S Storck N Koch Fotosammlung. © Volker Storck.

eingerichtet hatte, ein Vorbild.641 Anfang 1905 hatte auch der frühere GSK-Agent Wille überlegt, sich im Konzessionsgebiet selbständig zu machen und mit eigenen Arbeitern Kautschuk zu gewinnen.642 Ebenso könnten die professionellen Gummisucher der Trade-back-Karawanen eine Inspiration gewesen sein. In jedem Fall begann die GSK, eine forstwirtschaftliche Bearbeitung ihres Landbesitzes zu planen. Ein forstwirtschaftlicher Betrieb bedeutete einen revolutionär-anderen Ansatz in der Produktion von Gummi in Südkamerun. Es war eine in Kamerun einmalige Antwort auf die einsetzende globale Tendenz zur Rationalisierung der Kautschukproduktion. Bisher hatte diese in Kamerun ausschließlich in den Händen unabhängiger Gummisucher gelegen, die das Produkt ihrer Arbeit besaßen und an Händler verkauften. Sie waren weitgehend frei gewesen, sich ihre Zeit nach Belieben einzuteilen. Sie konnten ihre Arbeit im Regenwald mit anderen Aktivitäten wie dem Jagen und Fallenstellen verbinden und selbst entscheiden, wie viel Kautschuk sie produzieren und verkaufen wollten. Die GSK jedoch gewann ihren Gummi mit Lohnarbeiterinnen und -arbeitern, deren Arbeit sie kontrollierte und standardisierte. Hierin ähnelte sie den Plantagen.643 Gleichwohl investierte die GSK ihr Geld

641 Vgl. Lederer 1965, 102, NN 1893a, 114. Über deren Natur und Organisation ist bisher nichts bekannt. 642 Vgl. BArch R 1001/8114, 188; BArch R 1001/8114, 189. 643 Vgl. Coates 1987, 141.

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und ihre Energie nicht in die Anlage neuer Kautschukpflanzungen, sondern setzte die natürlichen Funtumia-Bestände ihres Landbesitzes in Wert. Die GSK entwickelte ein chimärenhaftes Modell zwischen Sammel- und Plantagenwirtschaft – ein Produkt des sich andeutenden Umbruchs vom Wild- zum Plantagenkautschuk, der 1913 den alten Kautschukhandel weltweit vernichten sollte. In mancher Hinsicht ähnelte das Eigengebiet durch seine ökologische Beschaffenheit bereits einer Plantage. Leider finden sich in den erhaltenen GSK-Unterlagen keine Statistiken über die natürlichen Funtumia-Bestände. Scheunemann hatte aber von bis zu 1000 Exemplaren pro Quadratkilometer berichtet.644 Auch Ramsay schwärmte nach dem Marsch durch das Eigengebiet: „Der Gummireichtum in diesem von menschlichen Wesen noch nicht betretenen Wald ist erstaunlich; nicht ein Baum angezapft, Bäume, die wir nicht umspannen konnten – zuweilen fast Gummibaum-Plantagen“.645 Dem Agenten Petersen erschien das Eigengebiet im Rückblick ebenfalls als „riesige natürliche Gummipflanzung“. „Uns hat Afrika diese großartigste und älteste aller Plantagen aus der Fülle seines Reichtums geschenkt; fertig und zapfreif fanden wir den Gummibusch vor. Wir haben ihn nur zu erschließen und die Gummibäume zu suchen.“646 Die GSK konnte im Gegensatz zu den Plantagen auf das Pflanzen von Bäumen, die Zeit des Wachstums und die damit verbundenen Kosten verzichten. Hierin war die hybride Form der forstwirtschaftlichen Bearbeitung den Plantagen überlegen. Die erste Herausforderung bei der Umsetzung des Plans war, das Gebiet zu durchdringen. Größtenteils waren die nur von nomadischen Baka besiedelten Regenwaldgebiete den Europäern noch unbekannt. Um es nach und nach zu erschließen, richtete die GSK an den Rändern des Eigengebietes von Europäern geleitete „Produktionsstellen“ ein. Diese waren als Zentren für die Kautschukernte in einem ihnen jeweils zugeteilten Gebiet gedacht. Sobald im Umkreis einer Tagesreise kein Kautschuk mehr vorhanden war, sollten die GSK-Agenten weiter ins Innere des Eigengebietes vordringen – zuerst mit provisorischen „Buschlagern“, dann durch Verlegung der Produktionsstellen.647 Während die Gummisucher weiterzogen, sollten sich die Bäume erholen, sodass – wenn sich die Agenten in der Mitte des Gebietes trafen – die Funtumia am Rande wieder ausbeutbar sein sollte.648 1907 richtete die GSK die ersten Produktionsstellen ein. Ihre Zahl wuchs bis zum Kriegsausbruch 1914 auf 21 an.649

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Vgl. BArch R 1001/8114, 137. BArch R 1001/3463, 39. Beide Zitate: Petersen 1939b, 43. Vgl. Petersen 1939b, 59 ff. Vgl. AFS 344 Stetten: Vortrag, 5 f.; WKM HBM Af III 292 Stetten an Peter, 20.05.1908, 42. Vgl. AFS 416 Stetten an Stetten-Buchenbach, 25.09.1907; BArch R 1001/3453, 159 f.

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Jede Produktionsstelle war ein hierarchisch organisierter Mikrokosmos, ein kleines Dorf im Regenwald, wo die Arbeit größtenteils ohne Einmischung von außen ablief. Der europäische Leiter führte die Aufsicht über die Arbeiterschaft und traf strategische Entscheidungen, wie etwa die Produktionsstelle zu verlegen. Ihm waren zumindest mancherorts afrikanische Clerks untergeordnet. Koch etwa berichtet von einem Duala namens Jones, der an der Leitung beteiligt war.650 Planmäßig hatte eine Produktionsstelle 50 Arbeiter. Hiervon sollten sechs der Gummiküche und fünf der Farmarbeit zugeteilt werden. Vier wiederum wurde als durchschnittlicher Krankenstand gerechnet. Mithin sollten immer 35 Arbeiter im Wald Gummi schneiden.651 De facto aber schwankte die Zahl der Arbeitskräfte stark. Einige Produktionsstellen hatten aufgrund von Arbeitermangel zeitweise nur ein Dutzend Leute. Andere hatten mehr als 100 Arbeiter. Zu den Arbeitern kamen weitere Menschen, die auf einer Produktionsstelle lebten. Petersen berichtet, dass sich dort neben seinen 90 Arbeitern auch 20 Frauen und zahlreiche Kinder aufhielten.652 Produktionsstellen und die tastend vorgeschobenen „Buschlager“ hatten provisorischen Charakter. Sie sollten schnell gebaut und verlegt werden können, wenn der Kautschuk zur Neige ging. Das von Petersen neu angelegte „Buschlager“ Adjab bestand aus einer Hütte für ihn selbst, einer Küche, einer Hütte für seine Boys, einem Schuppen für Verpflegung und Gerät, der Gummiküche, dem Abtropfhaus für den fertigen Kautschuk und etwas abseits dem Arbeiterdorf. „In ganz niedrigen Hütten mit einem kl. Eingang von 40 cm im Quadrat ohne Fenster fühlen sich die Kerle am wohlsten“, schrieb von Stetten, wo sie „ständig offenes Feuer bei jedem Lager unterhalten“. Die Gummiküche war „ein flüchtiger Bau von vier oder sechs Posten mit einem Mattendach“.653 Eine solche ließ sich innerhalb eines Tages einrichten. Aufgrund des Wasserbedarfs für die Koagulierung des Kautschuks wurde die Gummiküche am Ufer eines Bachs errichtet.654 Dort „wurde die tagsüber gesammelte Milch in kochendem Wasser zum Gerinnen gebracht, herausgefischt, gepreßt und gewässert, um dann als fertiges Produkt auf Darren getrocknet zu werden“.655 Die Gummipresse bestand aus Holzblöcken, die Darren waren einfache Lattengerüste.656 Zum Inventar einer Produktionsstelle gehörten Werkzeuge für die Gummibereitung wie Töpfe, Kannen, Messer, Äxte, Walzen und Körbe, Ver-

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Vgl. Koch 1922, 64. Vgl. AGR CCCI 1682 Kalmár an Semler, 15.01.1910. Vgl. Petersen 1939b, 46. Koch 1938, 110. Vgl. Petersen 1939a, 34. Koch 1938, 111. Vgl. auch Petersen 1939b, 73. Vgl. Petersen 1939a, 34.

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pflegungsartikel wie Fufu, Salz, Tabak und Sardinen, und zusätzlich Artikel, die als Geschenke dienten: Stoffe, Gürtel, Messingkessel und Pomaden.657 Ihren Kautschuk lieferten die Produktionsstellen jeweils an ein Depot, wo dieser gesammelt und weitertransportiert wurde. Anfangs war das Eigengebiet in Nordund Südbezirk mit je einem Unterdirektor unterteilt. Im Süden standen die Produktionsstellen in ständigem Austausch mit der Hauptfaktorei in Molundu, die Anlagen im Norden hingegen mit dem Depot in Bimba am Dume.658 Während der Gummi von Molundu aus wie gehabt über Ngoko, Sangha und Kongo verschifft wurde, brachten ihn im Norden Karawanen von Bimba nach Abongmbang, von wo aus er auf dem Nyong Richtung Küste verschickt wurde. Waren und Nachschub wanderten den entgegengesetzten Weg.659 1910 kamen zwei Bezirke hinzu – einer im Osten mit Sitz in Bange und einer im Westen mit Sitz in Besam. Vertragsarbeiter für das Eigengebiet: Die Mobilisierung der Gummisucher Es überrascht, dass die GSK die systematische Bewirtschaftung eines praktisch unbewohnten Regenwaldgebietes mit einer großen Zahl eigener Arbeiterinnen und Arbeiter in Angriff nahm. Schließlich hatte sie seit ihrer Gründung unter schwerem Arbeitermangel gelitten. Woher sollten nun die Menschen kommen, die unter äußerst schwierigen Bedingungen in der toten Zone leben und mit der Kautschukproduktion eine Arbeit verrichten sollten, die ihnen viel größeren Gewinn ermöglichte, wenn sie sie auf eigene Rechnung ausführten? Die GSK verfolgte hierzu zwei Strategien: Einerseits warb sie Vertragsarbeiter unter Beti und Bulu an, den Arbeiterreservoirs des Küstenhandels. Andererseits bemühte sie sich weiterhin um Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter von der Regierung. Anfangs war die Arbeiterrekrutierung schwierig. Die Arbeit bot weniger Selbstbestimmung als unabhängige Kautschukproduktion oder Karawanenarbeit. Kalmár wollte 1907 die Aufnahme der Produktion hinausschieben, da die GSK nicht über genügend Arbeiterinnen und Arbeiter verfügte.660 Von Stetten verfügte im September 1907 für drei neu eingerichtete Produktionsstellen, den Ausbau von Assobam und das Schneisenschlagen nur über 37 Arbeiter: einerseits „Küstenleute“ (wahrscheinlich Vai), andererseits Maka-Zwangsarbeiter (wahrscheinlich Strafarbeiter

657 Vgl. Petersen 1939b, 63. 658 Vgl. Petersen 1939b, 31. 659 Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Hedwig, 10.09.1908, 3. Für diese Arbeit benutzte die GSK fest engagierte Karawanenarbeiter, meist Vai, deren Verträge 1 bis 2 Jahre liefen. Vgl. Petersen 1939b, 24. 660 Vgl. AFS 416 Stetten an Stetten-Buchenbach, 24.06.1907.

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und Kriegsgefangene der Südexpedition).661 Ende Oktober schrieb von Stetten an seine Schwester, er sei jetzt „Beherrscher eines Gebiets von der Größe des Großherzogtums Hessen. Meine Unterthanen sind allerdings vorläufig nur 3 Europäer u. etwa 60 Mann.“662 Um genügend Kautschuk zu machen, schnitt von Stetten selbst Funtumia-Bäume an.663 Arbeitermangel blieb bis 1910 das zentrale Problem, denn statt der benötigten 1800 Vertragsarbeiter verfügte die GSK lediglich über maximal 1100.664 Neun von zwölf Produktionsstellen hatten nicht genug Arbeiter. Als etwa der Agent Karl Schnorr seine Produktionsstelle übernahm, fand er nur zehn Leute vor.665 Teilweise mussten die Produktionsstellen die Arbeit einstellen.666 Im Norden konnte die GSK auf mehr Arbeiterinnen und Arbeiter zurückgreifen als im Süden – einerseits wegen der Nähe zu bevölkerungsreichen Gebieten der Maka, Gbaya und Kaka, andererseits weil der Stationschef von Dume, dem die GSK eine „attitude de bienveillance exagérée“ attestierte, welche bereitstellte.667 Anfang 1911 besserte sich die Lage. Nur noch auf drei Produktionsstellen herrschte Arbeitermangel.668 Bis zum Ersten Weltkrieg vergrößerte die GSK ihr Personal enorm: 1907 waren im Eigengebiet 625 Arbeiter tätig, 1908 waren es 800, 1911 schon 1150, 1913 dann 1500 und 1914 schließlich 1850 Arbeiter. Hinzu kamen noch hunderte Menschen in Karawanen und Faktoreien, sodass die GSK vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges über ca. 2500 Arbeitskräfte verfügte.669 Zwar klagte die GSK weiterhin über Mangel. Aber diese Steigerung war für die ehemalige Konzessionsgesellschaft bemerkenswert. Die GSK beschäftigte im Eigengebiet nicht nur Männer, sondern auch Frauen. Einige waren Ehefrauen oder Geliebte der Arbeiter. Andere Frauen fanden ihren eigenen Weg auf die Produktionsstellen. Zwar hatten sie keine Verträge wie die angeworbenen Männer. Dennoch betrachtete von Stetten sie als vollwertige GSKArbeiterinnen.670 Für die GSK war die Anwesenheit von Frauen und Kindern ein ökonomischer Vorteil. Sie übernahmen einerseits reproduktive Aufgaben.671 An-

661 Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Stetten-Buchenbach, 25.09.1907, 6 ff.; WKM HBM Af III 292 Stetten an Ramsay, 29.07.1907, 53. 662 WKM HBM Af III 292 Stetten an „Schwesterlein“, 27.10.1907, 10. 663 Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 28.10.1907, 12. 664 Vgl. AGR CCCI 1682 Traduction des procès-verbeaux [sic!], 10.02.1910. 665 Vgl. AGR CCCI 1682 Traduction des procès-verbeaux [sic!], 09.02.1910. 666 Vgl. AGR CCCI 1682 Rapports von Stetten, Berichte 1–13; AGR CCCI 1682 Stetten: Rapport général, 08.11.1910. 667 AGR CCCI 1682 GSK: Bericht Nr. 5, [17.02.1912]. 668 Vgl. AGR CCCI 1682 Stetten: Bericht über die 2. Inspektionsreise, o.D. 669 Vgl. BArch R 1001/3453, 162; BArch R 1001/3452, 151. 670 Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 25.05.1908, 47. 671 Vgl. Petersen 1939b, 50.

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dererseits arbeiteten sie „beim Gummikochen und bei Farmarbeiten“,672 während die Kautschukproduktion im Wald eine Männerarbeit blieb. Ein großer Teil der Arbeitskräfte stammte aus den Beti-, Bulu-, Maka- und Gbaya-Gebieten sowie benachbarten Regionen im Westen des GSK-Landbesitzes. Indem das Unternehmen dort Vertragsarbeiter für einen festgelegten Zeitraum anwarb, reihte es sich in die bereits beschriebene Tendenz ein: die Übernahme der Arbeiteranwerbung von den Plantagen am Kamerunberg für den zunehmenden Bedarf an verlässlichen, dauerhaften Arbeitskräften. Wie genau diese Anwerbungen abliefen, untersucht Kapitel 5.4. An dieser Stelle geht es deshalb nur darum, wo und warum die GSK ihre Leute anwarb und wie dies organisiert wurde. Mit der stabilen Verbindung zwischen Sangha-Ngoko und dem Hinterland der Batanga-Küste kamen nicht nur die Konkurrenzfirmen ins Konzessionsgebiet der GSK. Für Letztere öffneten sich auch neue Möglichkeiten. Nun konnte sie ebenfalls das Arbeiterreservoir im Beti- und Bulu-Gebiet nutzen. Nachdem das GSKDirektorium noch Ende 1907 angenommen hatte, dass nur Liberianer für die Arbeit im Eigengebiet geeignet seien, zwang der Arbeitermangel zum Umdenken: Die GSK warb Vertragsarbeiter, wo immer es ging. Von Stetten etwa warb 1908 Arbeiter bei den Bakoko, Bane und Bulu, die zusammen mit Jukaduma- und Sanaga-Leuten auf die Produktionsstellen verteilt wurden.673 Indem die GSK-Agenten auch im Westen der Kolonie nach Arbeitern suchten, wurde das Unternehmen unabhängiger von teuren liberianischen Arbeitsmigranten und der weiterhin praktizierten Zwangsrekrutierung. Im Westen konnte die GSK auf Erfahrungen und Netzwerke zurückgreifen, die ab September 1904 mit den Karawanen auf der Jaunde-Straße und den Kanus und Dampfern auf dem Nyong entstanden waren. Schon damals hatte die GSK gehofft, ihr Trägerproblem „jetzt, wo wir auch in den dicht bevölkerten Küstenregionen Niederlassungen errichtet haben“, zu lösen.674 Wie alle Firmen hatte die GSK großes Interesse an den Jaunde. Bedeutendster Standort für die Anwerbung von Arbeitern im Westen war denn auch die im Jaunde-Bezirk gelegene GSK-Faktorei in Akonolinga am Nyong – „Angel- und Stützpunkt“ für den Dampferverkehr der GSK.675 Nachdem das Unternehmen den Dampferverkehr 1908 einstellt hatte,676 leitete ein afrikanischer Clerk die Faktorei – und die Arbeiteranwerbung wurde zur wichtigsten Aufgabe des dortigen Europäers.677 1909 stationierte die GSK auch

672 AFS 416 Stetten: Vorschläge zur Reorganisation. 673 Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Ramsay, 21.01.1908, 22; WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 10.04.1908, 32; WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 27.04.1908, 37. 674 BArch R 1001/3449, 48. 675 BArch R 175-I/431, 6. 676 Vgl. BArch R 175-I/431, 6. 677 Vgl. BArch R 175-I/431, 16.

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offiziell einen ständigen Arbeiteranwerber in Akonolinga.678 Der erfahrene Agent Arntzen und sein Nachfolger Weßner bereisten fortwährend die Region, um für das Eigengebiet zu rekrutieren.679 1908/09 engagierte Arntzen nahe Akonolinga binnen eines Jahres 1200 Arbeiter. Er war so erfolgreich, dass er ein Verbot erhielt, Arbeiter zu schicken, wenn er keinen expliziten Befehl dazu hatte.680 Die dort Angeworbenen (Jaunde genannt) waren Yebekollo und Bane,681 wahrscheinlich aber auch Sso, Omvang und Maka. Darüber hinaus rekrutierte die GSK vor allem im Bulu-Gebiet nahe Sangmelima und in ihrer Kribi-Faktorei.682 Wie alle kolonialen Arbeitgeber in Kamerun unterschied die GSK ihre afrikanischen Beschäftigten nach ihrer scheinbaren ethnischen Zugehörigkeit, schrieb ihnen dementsprechende Eigenschaften zu und schuf Hierarchien. An deren Spitze standen Liberianer und Jaunde, an ihrem Ende Arbeiterinnen und Arbeiter aus der Region nördlich des Eigengebietes, die als Kaka, Gbaya oder Grasland-Leute bezeichnet wurden. Diese leisteten im Dienst der GSK erstmals Lohnarbeit, weshalb die damit zusammenhängenden Zwänge und Verhaltensweise noch nicht bei ihnen verankert waren. Hierdurch erklärt sich, dass die Leute 1910 an einen Produktionsstellenleiter „mit der naiven Frage“ herantraten, „wann sie abmarschieren können“, denn sie wollten „erst in ihre Dörfer zurückgehen, um ihre Farmen zu bestellen, sie würden sich dann gelegentlich einfinden, um den Gummi abzuernten“.683 Die GSK-Agenten deuteten die unterschiedlichen Einstellungen zu Lohnarbeit ethnisch und schimpften über die „faulen, unbrauchbaren Graslandneger[n], die nicht den 10. Teil, [sic!] von dem leisten, was man von einem Jaunde verlangt“.684 Durch die Transformation der GSK veränderte sich die Aufgabe ihrer Faktoreien. Zwar kauften deren Leiter weiterhin Gummi und Elfenbein. Zunehmend aber war die Kontaktaufnahme zur Bevölkerung, um Arbeitskräfte für das Eigengebiet anzuwerben, die zentrale Aufgabe. 1914, nach Ausbruch der Kautschukkrise, als die Faktoreien nur noch mit Verlust Gummi kaufen konnten, hielt die GSK dennoch an ihnen fest. Ansonsten, so die Leitung, müsse das Unternehmen auf das „recrutement des travailleurs pour notre propriété“ verzichten.685 Entsprechend diesem Funktionswandel arbeiteten alle GSK-Agenten zeitweise als Anwerber, um den enormen Bedarf des Eigengebietes zu decken.

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Vgl. AFS 416 Stetten: Vorschläge zur Reorganisation. Vgl. auch Petersen 1936, 176. Vgl. AGR CCCI 1683 GSK an Direktorium, 09.05.1908, 05.06.1908; Petersen 1939b, 16. Vgl. AGR CCCI 1682 Kallen an GSK, o.D. [1909]. Vgl. Petersen 1939b, 17. Vgl. AGR CCCI 1682 Kallen an GSK, o.D. [1909]; AGR CCCI 1683 GSK an Direktion, 01.10.1909. AGR CCCI 1683 Pfützner an Kalmár, 16.12.1910. AGR CCCI 1683 Pfützner an Kalmár, 04.01.1911. AGR CCCI 1682 Schwonberg an Périer, 13.02.1914.

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Genauso wie die Vertragsarbeiter des Handels und der Plantagen entwickelten auch im Eigengebiet die Arbeiter Klientelbeziehungen zu ihren europäischen Vorgesetzten. Als von Stetten zwischenzeitlich von Assobam nach Besam versetzt wurde, erregte dies unter seinen Maka-Arbeitern viel Ärger.686 Denn diese sahen in ihm ihren Patron, Beschützer und Versorger. Seiner Schwester gegenüber bemerkte von Stetten, seine Leute „wollen nur für mich arbeiten“.687 Auch die großen Kautschukmengen, die seine Produktionsstelle lieferte, führte er auf seine gute Beziehung zu den Arbeitern zurück.688 Eine solche Beziehung war für alle Beteiligten nützlich. Denn als die Maka-Arbeiter von seinen Kollegen um 350 Mark Lohn betrogen worden waren, setzte von Stetten sich für diese ein, denn er betrachtete sich „Als 2. Vater meiner Leute“.689 Die persönlichen Bindungen konnten auch zu Irritationen führen. Die Arbeiter betrachteten ihre Arbeitsleistungen und die daraus resultierenden Lohnansprüche nicht als an die Firma, sondern als persönlich an ihren GSK-Agenten gebunden: Arbeiteten sie für ihn, schuldete er ihnen den Lohn. Petersens Gbaya-Arbeiter waren deshalb besorgt, als er die Produktionsstelle Mbam von seinem Kollegen Schwab übernahm, da sie fürchteten, nach dem Wechsel keinen Lohn für die vergangenen Monate zu erhalten. Petersen beruhigte die Männer, indem er vor ihren Augen ihre Verträge durchging und jeden namentlich aufrief.690 Die Zuspitzung der Arbeiterfrage nach 1910, unter denen alle europäischen Arbeitgeber zu leiden hatten, verschärfte den Arbeitermangel der GSK vorrübergehend erneut. Bahnbau, Plantagen, Batanga-Firmen und GSK konkurrierten ab 1910 in denselben Regionen um Vertragsarbeiter. Vor allem die Zwangsrekrutierung für den Bau der Mittellandbahn, die hauptsächlich in den Bezirken Jaunde, Ebolowa, Edea und Duala stattfand,691 führte dazu, dass die GSK dort nicht genügend Arbeitskräfte finden konnte. Anfang 1910 begann auch das Arbeiterreservoir am Nyong zu versiegen.692 Nahe Akonolinga blieben nur noch wenige Arbeitsfähige zurück, die sich hartnäckig weigerten, für die GSK zu arbeiten. In einem Protokoll hieß es, die kleine Zahl derer, die nicht zum Bahnbau gezwungen worden waren, „ne veut plus avoir affaire à notre Société“.693 Dies war sicherlich auch auf die hohlen Versprechungen der Anwerber und die schlechten Bedingungen im Eigengebiet zurückzuführen. Hinzu kam der Ausbruch der Schlafkrankheit in den Gebieten

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Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 25.05.1908, 48 f. WKM HBM Af III 292 Stetten an „Schwesterlein“, 27.10.1907, 11. Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 28.10.1907, 12. WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 28.11.1907, 16. Vgl. Petersen 1939b, 47. Vgl. Mandeng 1973, 102–111. Vgl. AGR CCCI 1682 Kalmár an Semler, 15.01.1910. AGR CCCI 1682 Traduction des procès verbeaux [sic!], 02.03.1910.

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am Nyong.694 Anfang 1911 brach die Arbeiterversorgung aus dem Nyong-Gebiet deshalb vollständig zusammen, konnte aber ausgeglichen werden – auch durch wieder vermehrte Zwangsarbeit. Zwangsarbeiter für das Eigengebiet Mit zunehmender Konkurrenz um Arbeitskräfte wandte sich die GSK wieder an die Regierung, um Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter zu erbitten.695 Hierbei handelte es sich nicht allein um das Muster, das sich in Sangha-Ngoko entwickelt hatte, als die GSK noch eine Konzessionsgesellschaft war. Vorbild waren stattdessen die Plantagen am Kamerunberg, die sich mit der Regierung auf Hilfen in Form von Zwangsarbeiterlieferungen geeinigt hatten. Kalmár erklärte dem neuen GSKDirektor Johannes Semler Anfang 1910, um die Arbeiteranwerbung zu verstetigen sei es nötig, sich an den Plantagen zu orientieren: „Je peux donc résoudre cet important problème de la même façon qu’il a été résolu dans les diverses plantations de la côte & notamment comme le fait la Plantation Victoria (Dr Esser) c’est-à-dire par l’intervention de commissaires de travail gouvernementaux.“696 Kalmár berief sich gegenüber der Regierung auf den plantagenähnlichen Status der GSK: Sie besitze einen großen Landkomplex und brauche als einzige 1500 Arbeiter für ein eigenes Gebiet. Kalmár versprach sich von der Regierungshilfe jährlich 1800 Arbeiter – eine Zahl, die nach seinem Dafürhalten von der GSK selbst nicht erreicht werden konnte.697 Anfang 1910 verhandelte Kalmár direkt mit dem RKA über eine amtliche Anwerbung von Arbeitern und umging somit die häufig unwilligen Kameruner Behörden.698 Um den Arbeitermangel zu beheben, war Kalmár bereit, der Regierung weit entgegenzukommen. Gestellte Arbeiter sollten erheblich besser verpflegt werden als bei der Konkurrenz: nämlich neben lokalen Produkten mit Rindfleisch, Sardinen, Reis, Palmöl, Salz etc. Auch für die Regierung, argumentierte Kalmár, sei ein solcher Deal vorteilhaft: De cette façon, l’administration coloniale retirera une forte somme (capitation) & en ce qui concerne l’ordre & le contrôle (au point de vue de l’autorité comme au point de vue

694 Vgl. AGR CCCI 1682 GSK: Bericht Nr. 2, o.D. [Anfang 1911]. Zur Schlafkrankheit am Nyong vgl. Kuhn 1914, 114 ff.; Bauche 2007; Eckart 1997, 201–208; Neill 2012; Isobe 2009, 205–267. 695 Ganz hatte die Versorgung mit Zwangsarbeitern nie aufgehört. Im Dezember 1907 schloss von Stetten noch einen Vertrag mit der Station Lomie, in dem sich diese verpflichtete, 150 Arbeiter für das Eigengebiet anzuwerben. Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 28.11.1907, 17. 696 AGR CCCI 1682 Kalmár an Semler, 15.01.1910. 697 Vgl. AGR CCCI 1682 Traduction des procès verbeaux [sic!], 10.02.1910. 698 Vgl. AGR CCCI 1682 Traduction des procès-verbeaux [sic!], 01.03.1910.

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hygiénique au sens du décret gouvernemental du commencement de 1909) on arrivera à l’éducation régulière au travail d’une masse d’individus.699

Um Arbeiter zu erhalten, war Kalmár folglich sogar bereit, die allein für die Plantagen gültige Arbeiterverordnung von 1909 anzuerkennen.700 Als mögliche Arbeitskräfte, die die Regierung besorgen könne, schlug er Bulu und Bane, aber auch Maka vor.701 Kalmárs Argumentation, die GSK sei eigentlich eine Plantage, verfing in Berlin. Anfang 1911 führte ihr die Regierung probeweise Arbeiter zu: 100 aus dem Jukaduma- und 200 aus dem Dume-Bezirk.702 Anfang 1914 konnte die GSK vermelden, dass die Anwerbung von Arbeitern – genau wie zu diesem Zeitpunkt bei den Plantagen – zu einem bedeutenden Teil durch die Regierung erfolge.703 Die amtliche Arbeiteranwerbung bzw. die Versorgung der GSK mit Zwangsarbeiterinnen und -arbeitern war ständig Gegenstand von Konflikten zwischen Staat und GSK. Einerseits stritten sie sich über das zu zahlende Kopfgeld. Während die Regierung 15 Mark forderte, war die GSK nur bereit, 5 Mark zu zahlen.704 Was Berlin sinnvoll erschien, billigten zudem nicht zwingend die Beamten vor Ort. Bezirkschef von der Marwitz etwa verhielt sich 1913 „absolut ablehnend“ gegenüber einer amtlichen Anwerbung, so Koch an Curt Pfützner, Kalmárs Stellvertreter und Nachfolger,705 „da nach seiner Ansicht die Eingeborenen dem Bezirk durch ausgedehnte Farmbauten wertvollere Dienste leisten könnten als durch Tätigkeit bei unserer Gesellschaft!“706 Auch innerhalb der GSK war das Abkommen umstritten. Kalmár und Pfützner stritten darum, ob Zwangsarbeit nötig für das Unternehmen sei. Pfützner kritisierte vor allem das Mitspracherecht, das die GSK der Regierung bei der Behandlung der Angeworbenen eingeräumt hatte. Dies verbot die körperliche Züchtigung. Die Leute, so Pfützner, seien von der Station dahin belehrt, dass sie gut behandelt und gut bezahlt werden müssen; Pflichten hat man den Leuten anscheinend nicht auferlegt. Dass die Arbeiter, die doch zum

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Vgl. AGR CCCI 1682 Kalmár an Semler, 15.01.1910. Zur Arbeiterverordung vgl. Kap. 5.4. Vgl. AGR CCCI 1682 Kalmár an Semler, 15.01.1910. Vgl. S Strock N Koch Tagebuch 1, 21.09.1910, 52; AGR CCCI 1682 Bericht Nr. 1/1911, 07.02.1911. Vgl. AGR CCCI 1683 GSK: Bericht, 30.01.1914. Vgl. AGR CCCI 1683 GSK: Bericht, 30.01.1914. Pfützner arbeitete seit 1904 für die GSK, zuerst als Faktoreileiter im Dume-Bezirk, seit 1912 als Direktor. Nach dem Krieg leitete er das GSK-Geschäft in Niederländisch-Indien und BritischKamerun. Vgl. Ramsay 1929, 115. 706 S Storck N Koch Koch an Pfützner, 09.06.1913.

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Engagement gezwungen worden sind die ganze Tätigkeit als Zeitvertreib und Spielerei betrachten, ist jedem Kenner der Verhältnisse klar.707

Außerdem, so Pfützner, müssten die Leute gut versorgt werden, brächten aber nicht die entsprechende Leistung. Pfützner stellte deshalb das System der Zwangsarbeit generell infrage – nicht aus moralischer, sondern aus ökonomischer Perspektive: „Wären die Produktionsstellenleiter in der Lage gewesen ihren früheren Arbeitern solche Verpflegung und Behandlung […] angedeien [sic!] zu lassen, so könnte sich die Gesellschaft vor Arbeitern (Jaunde, Bule, Bane u. a.) nicht retten.“708 Pfützner glaubte also, statt wenig motivierte Zwangsarbeiter von der Regierung zu verlangen, sollten die Mittel lieber für eine ausreichende Bezahlung und Behandlung (mehr oder weniger) freiwilliger Vertragsarbeiter eingesetzt werden, bei denen die GSK mit größerer Arbeitsleistung rechnen könne. Die Ablehnung der Zwangsarbeit im Moment ihrer größten Ausdehnung fußte auf täglichen Erfahrungen mit Menschen, die gegen ihren Willen für die GSK arbeiteten. Viele Zwangsrekrutierte dachten gar nicht daran, ein Jahr lang für die GSK im Regenwald zu bleiben. Schon auf dem Marsch verschwanden Leute, um in die Heimat zurückzukehren. Als die Regierung 1910 der GSK Leute aus dem „Grasland“ (wahrscheinlich Gbaya) zur Verfügung stellte, entliefen 141 Mann innerhalb kürzester Zeit, was einige Produktionsstellen faktisch lahmlegte.709 So sorgten auch Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter für Tücken und Unwägbarkeiten. Verträge und Löhne der Gummisucher Auch wenn Arbeit im Eigengebiet der GSK häufig mit Zwang verbunden war, bedeutete dies nicht, dass diese Arbeit nicht bezahlt wurde. Vielmehr zeigte sich erneut die Hybridität der Arbeit für das Unternehmen: Egal wie die Männer ins Eigengebiet gekommen waren – sie wurden gut bezahlt. Vor dem Abmarsch ins Eigengebiet schlossen die Rekrutierten mit der GSK einen Vertrag, wie ihn das Gesetz vorsah. Zudem erhielten sie zur Identifizierung eine kleine Messingmarke mit der Nummer ihres Vertrags, die sie am Hüftband trugen.710 Die Verträge waren auf ein oder auch zwei Jahre terminiert.711 Einige

707 AGR CCCI 1683 Pfützner an Kalmár, 04.01.1911. 708 AGR CCCI 1683 Pfützner an Kalmár, 04.01.1911. 709 Vgl. AGR CCCI 1683 Pfützner an Kalmár, 20.12.1910; AGR CCCI 1683 Pfützner an Kalmár, 04.01.1911. Die GSK führte ihre Flucht darauf zurück, dass die Leute die ungewohnte Arbeit des Gummischneidens in Wald und Sumpf ablehnten. Vgl. AGR CCCI 1682 GSK: Bericht Nr. 3, 18.04.1911. 710 Vgl. Petersen 1936, 175 f.; Petersen 1939b, 47. 711 Vgl. Koch 1922, 69; Petersen 1939b, 17.

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verlängerten, wobei unklar ist, inwieweit sie dies freiwillig taten.712 Konflikte gab es über die Dauer des Vertrages. Petersen geriet in Streit mit seinen Gbaya-Arbeitern, da diese das Jahr nach dem Neumond berechneten. Nach zwölf Neumonden wollten sie gehen, während Petersen darauf bestand, dass es 13 Neumonde sein müssten, um ein Jahr abzugelten. Die Gbaya fürchteten, auf unbestimmte Zeit bleiben zu müssen. Deshalb kam es „zu einer regelrechten Arbeitsverweigerung“, die Petersen mit Gewalt beendete.713 Generell verursachten Verträge zur Steuerung von Arbeitszeit Probleme. Zwar beendete laut Plan immer nur die Hälfte der Arbeiter auf einer Produktionsstelle gleichzeitig ihren Vertrag, sodass die neu angekommenen Arbeiter von bereits eingearbeiteten Leuten lernen konnten.714 Aber immer wieder brach den Produktionsstellen die gesamte Belegschaft weg, weil ihre Verträge abgelaufen waren.715 Die Löhne der Gummisucher richteten sich einerseits nach den rechtlichen Vorgaben, andererseits nach im Laufe der Jahre entwickelten Entlohnungspraktiken sowie den Bedürfnissen der jeweiligen Arbeitergruppen. Am besten bezahlt waren noch immer die Vai. Sie erhielten 1909 monatlich 20 Mark in Waren. Bane und Jaunde hingegen verdienten nur 10–15 Mark in Waren.716 Obwohl die Regierung ab 1908 verlangte, alle Löhne in Bargeld auszuzahlen, stellte die GSK erst ab 1910 die Zahlungen um.717 Möglicherweise korrigierte sie dabei die Löhne nach unten: Kalmár rechnete Semler Anfang 1910 vor, dass jeder Arbeiter im Eigengebiet monatlich 16 Mark koste – 8 Mark Lohn, 8 Mark für Nahrungsmittel.718 Wie und ob Frauen entlohnt wurden, bleibt unklar. Weiterhin aber spielten neben dem vertraglich zugesicherten Lohn Geschenke (dash bzw. matabisch) in Form von Salz, Tabak oder Stoff eine bedeutende Rolle.719 Ob sich die Löhnung in Bargeld durchsetzte, variierte von Ort zu Ort. Noch 1911 entlohnte die Firma die Arbeiter der Produktionsstelle 1 nur mit Salz und Tabak. Hierüber beschwerten diese sich – sie wollten jedoch kein Bargeld, sondern zusätzlich Artikel wie Palmöl, Ringe etc.720 Möglicherweise richtete sich die Bezahlung nach der Herkunft der Arbeitskräfte. Denkbar ist, dass solche aus dem Jaunde-Bezirk, die seit Jahren in die Geldwirtschaft eingebunden waren, Bargeld erhielten, Maka, Gbaya oder Kaka aber Waren.

712 713 714 715 716 717 718 719

Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 29.01.1909, 31. Petersen 1939b, 145 f. Vgl. Atkins 1988; Atkins 1993; Cooper 1992. Vgl. Petersen 1939b, 146. Vgl. AGR CCCI 1682 Rapports von Stetten, diverse Berichte. Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 29.01.1909, 30. Vgl. AGR CCCI 1682 GSK: Bericht Nr. 5, [17.02.1912]. Vgl. AGR CCCI 1682 Kalmár an Semler, 15.01.1910. Vgl. AGR CCCI 1682 Rapports von Stetten, Nr. 28; WKM HBM Af III 292 Stetten an Hedwig, 10.09.1908, 3 f. 720 Vgl. AGR CCCI 1682 Rapports von Stetten, Nr. 23, o.D.

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Von einzelnen Vorschüssen abgesehen,721 erhielten die Arbeiter ihren Lohn nach Beendigung des Vertrages sowie zusätzlich ein Geschenk.722 Abhängig von ihrer Herkunft zahlte ihnen die GSK den Lohn vor Ort oder an der Küste.723 Die Bezahlung folgte der Lohnentwicklung der Kolonie: Sie stieg! Schließlich musste die GSK zumindest teilweise auf dem Arbeitsmarkt um junge Männer konkurrieren, denen sie eine Arbeit in einer unsicheren und unbeliebten Region anbot. Carl Kallen, der eine Zeitlang als GSK-Arbeiteranwerber in Ebolowa gearbeitet hatte,724 plädierte Ende 1909 für eine Lohnerhöhung, wie es auch die Küstenfirmen getan hätten, um konkurrenzfähig zu bleiben. Harry Wilhelm Roná, Anwerber der GSK in Kribi, habe anfänglich Löhne zwischen 5 und 6 Mark vereinbart.725 Doch dann konnte er kaum mehr Leute anwerben, aufgrund des „salaire dérisoire“, wie Kallen schrieb. Der Direktion trug er die Beschwerden der GSK-Arbeiter vor: Nos hommes réclament instamment une augmentation, & nous resterons dans peu de temps sans aucun renfort d’ouvriers, si nous n’accordons pas une majoration de salaires qu’ils considèreront comme équivalente à l’augmentation de travails que l’on réclame d’eux & à cela s’ajoute les périodes de famine par lesquelles nos gens doivent passer, surtout dans notre propre domaine. On entend dire tous les jours : „Nous sommes venus une fois à la G.S.K., mais nous n’y retournerons plus ; nous préférons toucher 6 à 8 M. chez les firmes côtières, car nous pouvons alors aller où nous voulons & manger tous les jours à notre faim.“726

Die Löhne müssten mindestens 8, besser 10 Mark erreichen. Er gab zu bedenken, dass die Arbeit im Eigengebiet viel härter sei als die im Faktoreidienst. Zudem müsse die GSK die Leute für den Hunger entschädigen, den sie häufig dort leiden müssten. Arbeiter und Arbeiterinnen, Anwerber, Regierung und Unternehmensleitung handelten schließlich ein hohes Lohnniveau aus. Vor dem Ersten Weltkrieg wurden Monatslöhne von 10 Mark in bar die Regel.727

721 722 723 724

Vgl. AGR CCCI 1682 Rapports von Stetten, Nr. 14, Kumilla, 16.12.1910. Vgl. Petersen 1939b, 146. Vgl. Petersen 1939b, 46. Vgl. AGR CCCI 1683 GSK an Direktorium, 08.02.1908, 03.03.1908. Der aus Düren stammende Kallen arbeitete mindestens 1902–10 für die GSK. Danach war er in Molundu als selbständiger Kaufmann tätig. Vgl. BArch R 1001/3848, 74; BArch R 175-I/206, 71; NN 1911d, 2; Graetz 1913, 77. 725 Vgl. AGR CCCI 1683 GSK an Direktion, 01.10.1909. 726 AGR CCCI 1682 Kallen an GSK, o.D. 727 Vgl. AGR CCCI 1683 Kalmár an Pfützner, 04.01.1911; AGR CCCI 1682 GSK: Bericht Nr. 6, 25.05.1912.

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Wildkautschukproduktion als Lohnarbeit: Arbeitsalltag der Gummisucher Die frisch angeworbenen Arbeiter waren wertvoll für die GSK. Für ihre Rekrutierung hatte das Unternehmen bereits viel Geld gezahlt: an den Anwerber, die Familienoberhäupter, die Leute selbst. Außerdem war es zwingend auf diese Menschen angewiesen. Entsprechend wollten die GSK-Agenten auf dem Marsch ins Eigengebiet um jeden Preis verhindern, dass die Männer es sich anders überlegten – was oft genug vorkam. „Wenn man nun die Leute engagiert hat“, schrieb von Stetten, „so hat man sie aber noch lange nicht in Lomie, denn sie wollen behandelt werden, wie rohe Eier.“728 Dies war so wichtig, dass sich der Ausdruck, „wie rohe Eier“ zu einem geflügelten Wort verwandelte, wenn GSK-Agenten über neue Arbeiter sprachen.729 Anwerber erleichterten ihnen deshalb den Weg. Sie verzichteten etwa darauf, ihre Arbeitskraft direkt für Transportzwecke zu nutzen: „Lasten waren ihnen nicht aufgeladen worden, um sie nicht zu vergrämen und zur Flucht zu veranlassen“.730 Gründe, zu fliehen, gab es genug. Glaubt man Petersen, fürchteten sich viele neue Neulinge. Der erfahrene Arbeiter Amugu, ein Jaunde, der sich an diese wandte, fasste ihre Ängste in Worte: „Pah, was wißt ihr vom Busch! […] Ihr wißt nicht, was es bedeutet, im Gummibusch zu leben, wo es keine Farmen und keine Dörfer gibt. Nur Sümpfe und Wald, sonst nichts.“731 Die dünn besiedelten Regenwälder des Ostens galten bei Beti und anderen als „Hungerland“ – „hungry country“.732 Die Mannschaften der GSK luden deshalb den Übertritt in den toten Busch symbolisch auf und kanalisierten ihre Angst durch Rituale. Petersens Arbeiter rasteten vor dem Eintritt ins Eigengebiet und rauchten gemeinsam eine Tabakpfeife. Erst danach gingen sie in den Wald hinein.733 Trotzdem griff in den gewaltigen Überschwemmungsgebieten im Dume-Zipfel die Furcht in seiner Karawane um sich: „Ich sehe den Kerlen die Angst vor dem toten Busch an der Nase an und bringe sie durch kleine Sticheleien zum Lachen. Allmählich teilt sich ihnen mein Frohsinn mit, Amugu stimmt ein Lied an, und so langen wir, triefend von Wasser, in Mbede an.“734 Von dort aus marschierten sie zur Produktionsstelle, um mit der Arbeit zu beginnen. Neben den Gefahren und Entbehrungen schreckte sicherlich die Transformation der Kautschukproduktion die Arbeiter am meisten ab. Stetten gab seiner Schwester einen Überblick darüber, wie diese im Buschlager idealtypisch ablief:

728 729 730 731 732 733 734

WKM HBM Af III 292 Stetten an Stetten-Buchenbach, 18.02.1908, 25. Vgl. AGR CCCI 1683 Pfützner an Kalmár, 04.01.1911. Koch 1922, 62. Petersen 1939b, 28. Koch 1922, 61; Haase 1915, 66 Vgl. Petersen 1939b, 27. Zu Ritualen in Karawanen vgl. Rockel 2006, 208 ff. Petersen 1939b, 37.

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Morgens 12  6 Uhr gebe ich das erste Signal, worauf sich alles zurecht macht. Auf das 2. Signal um 6 Uhr ist Apell. Dann gehen die Gummischneider in den Busch, die Gummikocher beginnen mit Kochen der Ernte des vergangenen Tages u die Verpflegungskarawane marschiert nach der oft 1  12  Tage entfernten Farm. Ich selbst bleibe entweder im Lager zur Beaufsichtigung der Gummikocher oder gehe mit einem meiner Jäger zur Kontrolle der Gummischneider. […] Wenn die Leute kurz vor Dunkelwerden zurückkommen, muß ich zuerst die Gummimilch abmessen, auf eingeschmuggelte Bestandteile kontrollieren und in große Behälter einfüllen. […] Genau so geht es am nächsten Tag, die Verpflegungskarawane nimmt dann auch den fertig gekochten Gummi mit zur Ansiedlung, wo derselbe vom Aufsichtspersonal zum Trocknen ausgebreitet wird.735

Im Eigengebiet war die Kautschukproduktion einem europäischen Zeitregime unterworfen. Sie unterschied sich folglich stark von der herkömmlichen Arbeit der unabhängigen Gummisucher. Die Arbeitskräfte waren in ein System integriert, das eng getaktet und kontrolliert wurde. Gummisucher waren Lohnarbeiter und ihre Zeit gehörte der GSK. Teilweise war der Taktgeber die Natur. Kautschuk wurde im GSK-Eigengebiet ebenfalls vor allem in der Trockenzeit produziert. Dann arbeitete fast das gesamte Personal in der Kautschukproduktion und war deshalb im Buschlager untergebracht.736 In der Regenzeit oder bei Regenwetter arbeiteten die Gummisucher nicht im Wald,737 „denn regennasse Gummibäume kann man nicht anzapfen“.738 Der Latex lief dann über den ganzen Stamm und nicht in die in die Borke gezogene Mittelrinne.739 Regnete es in der Nacht, konnte am nächsten Morgen ebenfalls nicht gearbeitet werden. Aus diesem Grund waren die Trockenzeiten Dezember bis Februar und Juli bis August die hauptsächliche Kautschuksaison.740 Um eine hohe Qualität des Gummis sicherzustellen, schrieb die GSK ihren Gummisuchern die Arbeitstechniken genau vor. Produktionsstellenleiter und Headmen sorgten dafür, dass die Gummisucher die Zapfmethode gebrauchten, die die lokalen unabhängigen Gummisucher in Sangha-Ngoko seit der Schlechter-Expedition von 1899 perfektioniert hatten: den Grätenschnitt. Von Stetten beschrieb seiner Schwester die 1908 angewandte Technik:

735 WKM HBM Af III 292 Stetten an Hedwig, 10.09.1908, 2 f. 736 Einige wenige Leute bewachten die Produktionsstelle, andere brachten von dieser aus Nahrung ins Buschlager. Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Hedwig, 10.09.1908, 2. 737 Vgl. Koch 1938, 111. 738 Petersen 1938a, 23. 739 Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Stetten-Buchenbach, 12.06.1908, 55 f. 740 Vgl. AGR CCCI 1682 GSK: Bericht Nr. 5, [17.02.1912].

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Der Arbeiter hat dazu ein Messer ähnlich einem Geisfuß [sic!], allerdings nicht zum Ziehen sondern zum Stossen; mit diesem Messer macht er in die Rinde der Kickxia elastica einen Längsschnitt von unten nach oben und von diesem aus schräge Schnitte in Abständen um den Baum herum. Die weiße Gummimilch kommt nun aus der Rinde in diese Rinnen u. fließt in einen untergestellten Behälter.741

Zusätzlich griff die GSK auf lokale Weiterentwicklungen von Schlechters Grätenschnitt zurück. Dies ist wenig verwunderlich, hatte die GSK die Kautschukproduktion doch bisher komplett in afrikanischer Hand belassen und mit dem Grätenschnitt nur die generelle Methode vorgegeben. Technische Probleme hatten die Gummisucher selbst gelöst. Noch 1910 benutzten sie ein in Molundu hergestelltes Kautschukmesser.742 Bis Ende 1909 zapften die Arbeiter auf den Produktionsstellen die Bäume mit der von den Kunabembe entwickelten Methode an, bei der ein Kautschukmesser an einen Speer oder Stab gebunden wurde. Hierdurch konnten die Bäume bis in 4 Meter Höhe angeschnitten werden.743 1910 führte die GSK einen Kletterapparat aus Seilen ein, den Gummisucher aus dem Dume-Gebiet entwickelt hatten. Mit dessen Hilfe ließen sich Bäume bis in die Krone anzapfen.744 Die Konstruktion bestand aus zwei mit Schlinge und Schlaufen versehenen und aus Rotan [Rotang] geflochtenen Stricken […]. Der Gummischneider legt die Stricke um den Stamm des Gummibaumes, zieht die Schlaufen durch die Schlingen, steckt das rechte Bein bis zum Oberschenkel in die obere und den linken Fuß in die untere Schlaufe, stemmt sich mit beiden Füßen gegen den Stamm und ersteigt unter wechselseitigem Hochschieben der Stricke den Baum.745

Dadurch, dass die GSK-Arbeiter nun den Baum bis in zuvor unerreichbare Höhen anzapfen konnten, steigerte das Unternehmen seine Produktivität enorm. Während ein Arbeiter mit der herkömmlichen Methode sieben bis acht Bäume anzapfen musste, um die täglich vorgeschriebene Arbeitsleistung zu erreichen, sank die Zahl mit dem Kletterapparat auf vier bis fünf Bäume. Denn ein bis in die Krone

741 742 743 744

WKM HBM Af III 292 Stetten an Hedwig, 10.09.1908, 4. Die GSK stellte auf ein europäisches Modell um. Vgl. AGR CCCI 1682 Stetten: Rapport, 08.11.1910. Vgl. AGR CCCI 1682 Kalmár an Semler, 15.01.1910. Vgl. Petersen 1939b, 71 f. Vgl. auch BArch R 1001/8118, 175 f.; Zouya Mimbang 2013, 139. Eine ähnliche oder gar identische Methode war auch in Benin, Süd-Nigeria, gebräuchlich. Vgl. CUL GBR/0115/Y304A100; CUL GBR/0115/Y304A101. Ich danke David Zeitlyn für die Überlassung der Fotos. 745 Petersen 1939b, 71 f.

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angezapfter Baum brachte mit 800 Gramm doppelt so reiche Ernte wie ein nur bis 4 Meter Höhe angezapfter.746 Neue Arbeiter mussten diese Form der Kautschukproduktion, manchmal sogar das Gummimachen erst erlernen. Zwar stammten einige aus früheren Kautschukregionen. Doch waren die jüngsten Arbeiter der GSK aus den dicht besiedelten Gebieten im Westen erst nach dem Kautschukboom geboren oder hatten höchstens als Kinder ihre Väter begleitet. Selbst wenn sie Gummi herstellen konnten, kannten sie nur Techniken, welche die GSK für nicht rationell befand, da sie die Bäume schädigten. Auch den Weg im Wald zu finden und Funtumia-Bäume zu erkennen, war für viele neu. Der Headman, meist ein erfahrener Arbeiter, war der Lehrmeister der Neulinge. Jeden Tag nimmt er einige andere mit in den Busch, erklärt ihnen, wie sie sich nach den Wasserläufen zurechtfinden und wie sie die Gummibäume schon von weitem an der eigentümlichen Gabelung der Äste und an dem dunklen Grün der langen, lederartigen Blätter erkennen können.747

Der Headman zeigte ihnen auch, wie sie die Bäume anzuzapfen hatten. Doch: Die ersten Versuche der jungen Gummischneider sind fast immer Fehlschläge. Sie sollen beim Hochklettern gleich die Mittelrinne des Grätenschnittes ziehen, und das mißlingt. Der Einschnitt wird krumm und schief, so daß die der Rinde entquillende Milch ausbricht und verloren geht, anstatt der Rinne zu folgen und sich in dem am Fuße des Baumes in den Boden eingelassenen Becher zu sammeln.748

Anfänger hatten oft einen schwierigen Start. Sie brachten kaum gefüllte Kannen zurück oder verliefen sich auf der Suche nach Funtumia und mussten die Nacht im Wald zubringen.749 Auch Bäume mit dem Kletterapparat zu erklimmen war für Anfänger nicht ungefährlich. „Wer ängstlich und ungewandt ist, erlernt das Klettern nicht“,750 erklärte Petersen. Nicht selten erlitten Neulinge an den glatten Stämmen Unfälle, wie der Arbeiter Akono aus Kochs Erzählung:

746 Vgl. AGR CCCI 1682 GSK: Bericht Nr. 5, [17.02.1912]. Wie stark sich die Ausbeute nach 1910 durch Techniken und Wissen erhöhte, wird klar, wenn man bedenkt, dass noch 1908 100 Gramm Kautschuk pro Baum als normales Resultat galt. Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Hedwig, 10.09.1908, 4. 747 Petersen 1939b, 72. 748 Petersen 1939b, 72. 749 Vgl. Petersen 1939b, 72. 750 Petersen 1939b, 72.

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[M]it vieler Mühe kam er schließlich einige Meter hoch hinauf, konnte dann aber nicht mehr hinunter. Unten standen die übrigen, verspotteten ihn und lachten. Endlich gelang es ihm, die rechte Schenkelschlinge am Baum zu lösen; da er dabei jedoch mit dem linken Fuße aus der zweiten Schlinge rutschte, glitt er den Baum ein Stück herunter, bis sich die erste Schlinge wieder zuzog, und schlug mit dem Schädel an den Stamm. Halb betäubt blieb er mit dem Kopf nach unten hängen, bis ihn die anderen, die still geworden waren, befreiten.751

Verletzungen bei der Arbeit waren häufig. Der Träger Ekoddo rammte sich einen Ast durch die Achselhöhle bis in die Brust. Schneisenhauer Wondo durchtrennte ein Messerhieb in den Arm eine Vene.752 Nicht nur im Wald passierten Unfälle, sondern auch im Gummischuppen, wo der Kautschuk lagerte. In einer alten Anlage krachte das oberste Trockengestell unter den Arbeitern zusammen und erschlug die darunter tätigen.753 In der Gummiküche herrschte ätzender Rauch.754 Der Gbaya-Arbeiter Ndiem zog sich dort bei der Arbeit mit den Walzen einen Bruch im Unterleib zu, an dem er verstarb.755 Im Gegensatz zu den Plantagen, die gesetzlich gezwungen waren, für ihre Arbeiter ein Mindestmaß medizinischer Versorgung bereitzustellen,756 wurde diese Regelung für die GSK nicht angewandt – obwohl dieselbe sich ja zumindest in Bezug auf die Versorgung mit Zwangsarbeitern als Plantage begriff. Die Behandlung von Krankheiten und Unfällen blieb den Männern und Frauen selbst sowie den GSK-Agenten überlassen. Unter diesen Bedingungen konnte z. B. eine Welle von Dysenterie zu einem großen Problem werden. 1910 sahen die Angestellten keine Möglichkeit, sie zu behandeln.757 Um eine gute Bewirtschaftung des Gebietes zu garantieren, mussten die Arbeiter Schneisen durch den Regenwald schlagen. Sie dienten einerseits als Transportrouten zwischen Buschlager, Produktionsstelle und Farmen. Andererseits erschlossen sie das Gebiet für die Kautschukproduktion. Petersen ließ vom Buschlager Adjab aus strahlenförmig acht Schneisen in alle Richtungen schlagen, die mit Querwegen verbunden wurden. Die so entstehenden Parzellen konnten die Gummisucher nun systematisch nach Funtumia-Bäumen absuchen.758 Anfangs führte die unsystematische Erschließung dazu, dass viele Agenten ihre Produktionsstellen zu

751 752 753 754 755 756 757

Koch 1922, 66. Für Unfälle vgl. auch Petersen 1939b, 72. Vgl. Petersen 1939b, 90. Vgl. Petersen 1936, 148 f. Vgl. Koch 1922, 68. Vgl. Petersen 1939b, 90 f Vgl. DeLancey 1978. Vgl. AGR CCCI 1682 Rapports von Stetten, Nr. 10, 25.09.1910; AGR CCCI 1682 Stetten: Bericht über die 2. Inspektionsreise, o.D. 758 Vgl. Petersen 1939b, 76.

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schnell ins Innere verlegten, da sie annahmen, alle Bäume wären abgeerntet.759 Mit der Parzellenstruktur konnte die GSK ihr Gebiet viel gründlicher ausnutzen. Das Schneisenschlagen aber war eine anstrengende Arbeit. Ein Europäer oder ein Headman lief dabei mit einem Kompass durch den Wald und markierte die Trasse. Ihm folgten acht Mann mit Buschmessern sowie ein Arbeiter mit einer 50-Meter-Messleine, anhand der sich die Abweichung zur Kompassrichtung markieren ließ.760 In der Regenzeit mit ihren weiträumigen Überschwemmungen war diese Arbeit sehr langsam. Nach fünf Stunden war eine Schneise manchmal nur eine Wegstunde weit vorangekommen.761 Doch scheinbar lohnte sich die Arbeit, da sie Wege verkürzte, gangbar machte und Produktionsstellenleitern, Headmen und Gummisuchern einen Überblick über die Funtumia-Bestände verschaffte. Nicht nur reglementierte die GSK die Methoden, mit denen die Gummisucher den Kautschuk produzieren sollten, sie gab auch vor, wie viel Latex jeder pro Tag aus dem Wald zu holen hatte. Zwischen frühem Morgen und spätem Nachmittag hatten die Gummisucher 8 Liter Latex zu sammeln.762 Diese Menge wurde kontrolliert und über Anreize gesteuert. Am Abend maßen die Produktionsstellenleiter die Menge des geernteten Latex, wie Petersen berichtet: Jeder muß seine Kanne vorzeigen und erhält ein [sic!] Vermerk in meiner Liste. Für den ausgelernten Gummisucher sind acht Liter Milch, die Ernte von 10 bis 12 Bäumen, tägliches Mindestmaß. Was darunter ist, wird vermerkt. Wiederholte Mängel stempeln den Betreffenden zum schlechten Arbeiter, der keinen Anspruch auf Fleisch und Geschenke hat. Alles, was über acht Liter täglich geliefert wird, gilt als Sonderleistung, die auch gesondert in Waren bezahlt wird.763

Dass die „besten Gummischneider“ am Abend zusätzlich zu ihrer normalen Ration Salz, Tabak oder Palmöl erhielten,764 führte aber dazu, dass schlechtere Zapfer versuchten, ihre Latexmenge durch andere Flüssigkeiten aufzufüllen. Nicht immer fiel dies auf – nur wenn sie es übertrieben und unwahrscheinlich große Mengen Latex brachten. Wasser, so Petersen, war nicht schlimm, vor allem, weil dies nur Neulinge hinzufügten. Andere Pflanzensäfte wiederum konnten die Ernte eines ganzen Tages

759 760 761 762

Vgl. AGR CCCI 1682 Kallen an GSK, 20.10.1909. Vgl. Koch 1922, 15 f. Vgl. Petersen 1939b, 51 ff. Vgl. Petersen 1939b, 73. Vgl. auch Koch 1938, 110. Nach Treichel schnitt ein GSK-Arbeiter 1912 täglich mindestens 6 L Latex. Vgl. BArch R 1001/3566, 42. 763 Petersen 1939b, 73. 764 WKM HBM Af III 292 Stetten an Hedwig, 10.09.1908, 2 f.

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entwerten, da der hergestellte Kautschuk nicht mehr die entsprechende Reinheit aufwies.765 In der Praxis schwankten die abends ins Lager gebrachten Mengen von Latex stark. Erfahrene Arbeiter konnten 10 bis 15 Liter Latex täglich produzieren – also weit über das Mindestmaß hinaus.766 Aus 10 Litern ließen sich 3,5 Kilogramm trockenen Kautschuks herstellen.767 Viele Gummisucher jedoch trugen deutlich weniger Latex nach Hause. Pfützner etwa erkannte an, dass gute Gummisucher am Tag 2,5 Kilogramm Kautschuk produzieren könnten. Aber dies sei so selten, dass man es keinesfalls zur Norm deklarieren dürfe.768 In ihren Planungen ging die GSK deshalb davon aus, dass jeder Arbeiter im Mittel monatlich 25 Kilogramm Gummi produzierte.769 Kalmár schrieb Anfang 1910 an die Direktion, ein Arbeiter mache durchschnittlich ein Kilogramm pro Tag. Bei 35 Gummisuchern, die jeweils 30 Tage im Wald waren, sollte jede Produktionsstelle monatlich ca. eine Tonne Kautschuk produzieren.770 In der Gummiküche wurde der Latex zuerst gesiebt, um ihn von Pflanzenresten zu säubern, und dann koaguliert.771 Die Arbeit in der Gummiküche galt als leicht. Aus diesem Grund arbeiteten hier Frauen und Kranke.772 Auch diese Arbeit folgte den 1899 von Schlechter etablierten Methoden. Die Arbeiterinnen und Arbeiter brachten Wasser in einem Topf zum Kochen und gossen dann tassenweise den Latex hinein. Durch Hinzufügen von kaltem Wasser koagulierte der Kautschuk und ballte sich zu Klumpen zusammen. Diese fischten die Arbeiterinnen und Arbeiter aus dem Wasser. Nun begann das Pressen und Kneten, um die Porenbildung, die Ansatzpunkt für Fäulnis und Oxidation war, gering zu halten. Anfangs geschah dies in Handarbeit, dann mit einer Presse aus zwei glattgehobelten Holzblöcken.773 Nach dem Pressen formten die Arbeiterinnen und Arbeiter aus dem Gummi Würste. Dicke und Länge der Gummiwürste waren genau festgelegt. Nichteinhaltung wurde bestraft.774 1911 war Kautschuk in Platten von 20 Zentimeter Durchmesser und 2 Millimeter Höhe herzustellen.775 Der fertige Kautschuk lagerte auf den Produktionsstellen in Schuppen auf übereinandergeschichteten Gestellen.776 Auch dort 765 766 767 768 769 770 771 772 773 774 775 776

Vgl. Petersen 1939b, 73. Vgl. Petersen 1939b, 73. Vgl. Petersen 1939b, 74. Vgl. AGR CCCI 1682 GSK: Bericht Nr. 5, [17.02.1912]. Vgl. AGR CCCI 1682 Rechnungsplan Ausbeutung des Eigengebietes, o.D. [1909]. Vgl. AGR CCCI 1682 Kalmár an Semler, 15.01.1910. Zum Sieben vgl. u. a. AFS 344 Stetten: Vortrag, 7. Vgl. Koch 1922, 66; S Storck N Koch Photographien. Vgl. KWK 1913, 70. Vgl. Koch 1922, 67. Vgl. AGR CCCI 1682 Bericht Nr. 1/1911, 07.02.1911. Vgl. Petersen 1936, 148.

Ein Kautschukreich: Forstwirtschaftliche Kautschukproduktion im Eigengebiet der GSK, 1907–1914

waren schwächere oder kranke Arbeiter eingesetzt, um den aus dem Buschlager eintreffenden Gummi zu zerpflücken und auszubreiten.777 Durch das Trocknen verlor der Kautschuk ca. 40 Prozent seines Gewichts und nahm eine braune Farbe an.778 Die Qualität des Kautschuks, die die Produktionsstellen mit diesen Techniken erreichten, war außerordentlich. In einer Welt, in der es noch keinen Plantagenkautschuk gab, sondern ausschließlich Wildkautschuk, dessen Qualität und Aussehen von Jahr zu Jahr, Pflanze zu Pflanze, Produzent zu Produzent und Region zu Region schwankte, war ein derart standardisiertes Produkt eine Ausnahmeerscheinung. Dies galt besonders für den sehr diversen afrikanischen Kautschuk. Unabhängige Gummisucher in Südkamerun produzierten keinen Kautschuk, der eine so hohe Qualität hatte. Fachleute in Europa zogen deshalb anfangs sogar in Zweifel, dass ein Gummi dieser Güte, wie ihn die GSK nun auf den Markt brachte, aus Kamerun stammen könne.779 Durch Sieben, Kneten, Pressen und Walzen ließ sich der Wert des Produkts um ca. ein Drittel im Vergleich zur eingekauften Ware steigern: Während Letztere 1912 in Europa Preise von 7,50 Mark pro Kilo erreichte, erzielte der reinere, qualitativ hochwertigere Gummi des Eigengebiets durchschnittlich 10 Mark.780 Die Nahrungsmittelversorgung Als von Stetten die ersten 180 Arbeiter angeworben hatte, schwante ihm bereits, er werde im Eigengebiet „noch Schwierigkeiten haben mit dem Unterbringen so vieler Leute, denn auf eine solche Menge Arbeiter sind die dort garnicht vorbereitet“.781 Die Lösung des Problems, dass im Eigengebiet keine Menschen lebten, die Gummi für das Unternehmen produzieren konnten, führte direkt in die nächste Misere: Nahrung für hunderte und später fast 2000 Arbeiterinnen und Arbeiter im „toten Busch“ zu organisieren, war schwierig. Allein von Stettens 70 Arbeiter aßen jeden Tag einen Kubikmeter Kassada und Kochbananen.782 Später schrieb er, 78 Arbeiter verbrauchten täglich 3,5 Zentner Kassada.783 Derart gewaltige Mengen musste das Unternehmen erst einmal auftreiben. Im Assobam-Busch gab es keine Landwirtschaft. Selbständige Kautschuksucher hatten von mitgebrachten Vorräten gelebt sowie ihre Zeit auch für Jagd und Fallenstellen genutzt. Eine Einteilung

777 778 779 780 781 782 783

Vgl. Petersen 1939b, 63 f. Vgl. Petersen 1939b, 74. Vgl. AFS 416 Kalmár an GSK, 12.06.1908. Graetz 1913, 74. WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 10.04.1908, 32. Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an „Cousinchen“, 07.06.1908, 53. Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 29.01.1909, 30.

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der Arbeitszeit in Nahrungsmittel- und Kautschukproduktion schwebte der GSK jedoch nicht vor. Ihre Leute, so Kalmár, sollten den ganzen Tag Gummi machen. Nahrung musste deshalb von außen zu den Produktionsstellen gebracht werden.784 Während die GSK die Strukturen des Eigengebietes einrichtete, waren die Nachbardörfer jenseits der Grenzen unersetzlich für das Unternehmen, um seine Arbeitermassen zu versorgen. Doch diese Abhängigkeit überforderte die potenziellen Lebensmittellieferanten. Nach der Südexpedition und den Umwälzungen, die der Kautschukhandel über das Land gebracht hatte, konnten sie nicht genügend Nahrung produzieren, um zusätzlich hunderte Menschen in der toten Zone zu versorgen. 1907 gab es keine Hühner und Ziegen mehr, stellte von Stetten fest, da die Schutztruppensoldaten alles aus dem Land herausgepresst hatten.785 Die Regierung und durchziehende Karawanen verlangten ebenfalls Essen für ihre Leute. Assobam war deshalb 1908 nicht in der Lage, die 70 Arbeiter auf von Stettens Produktionsstelle zu ernähren.786 Gegenüber seinem Vetter klagte er: „Die Eingeborenen lachen mich jetzt direkt aus, wenn ich Lebensmittel haben will.“787 Doch es ging nicht anders: Arbeiteten die Gummisucher der GSK nur im Wald in der Kautschukproduktion, musste Nahrung von außen kommen, damit die Arbeiterinnen und Arbeiter im „toten Busch“ nicht verhungerten. Lebensmittel waren eine Frage von Leben und Tod, die die GSK-Agenten zu Diebstahl, Bettelei und Gewalt verurteilte. Auf ihnen lastete ein enormer Druck. Um die vielen Menschen ernähren, die sie in den Wald geholt hatten, gerieten sie in gewalttätige Konflikte mit den Nachbarn. Von Stetten etwa verlangte im Juni 1908, in die Dörfer reiten zu dürfen und den Bewohnern zu drohen: „Wenn ich aber immer nur warten soll, bis sie zu mir kommen wollen, dann verhungern meine Leute.“788 Nur wenige Tage später schickte er seine Arbeiter nach Assobam und ließ Nahrung mit Gewalt nehmen.789 Doch dies war keine nachhaltige Lösung. Nach zwei Monaten musste von Stetten die Familienoberhäupter nahe Jukaduma bitten, ihn „nicht im Stich zu lassen“,790 damit er und die Arbeiterinnen und Arbeiter nicht jämmerlich im Wald starben. Diese unhaltbaren Zustände führten dazu, dass Kalmár Mitte 1908 einlenkte. Er erlaubte die Anlage von Farmen im Eigengebiet und machte sie zur Pflicht.791 Im

784 785 786 787 788 789 790 791

Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Stetten-Buchenbach, 12.06.1908, 56. Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Stetten-Buchenbach, 25.09.1907, 6. Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an „Cousinchen“, 07.06.1908, 53. WKM HBM Af III 292 Stetten an Stetten-Buchenbach, 12.06.1908, 56. WKM HBM Af III 292 Stetten an Stetten-Buchenbach, 12.06.1908, 56. Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 28.06.1908, 58. Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 02.08.1908, 59. Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 28.06.1908, 57.

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Laufe der Jahre ließ die GSK riesige Farmen anlegen, um die Ernährung ihrer Arbeiterinnen und Arbeiter sicherzustellen. Die wichtigsten waren die „Centralfarmen“ bei Balaga und Ngato. Doch der Ausbau der Nahrungsmittelproduktion dauerte viele Jahre. Arbeiter fehlten, Kassada-Setzlinge und die Trägerinnen und Träger, um diese zu den Farmen zu transportieren.792 Aber 1913 galt die Verpflegungsfrage als im Wesentlichen gelöst.793 Bei Kriegsausbruch 1914 unterhielt die GSK gigantische Verpflegungsfarmen, von denen 560 Hektar ertragfähig waren.794 Trotzdem blieb die GSK auf Nahrungsmittellieferungen durch ihre Nachbarn angewiesen.795 Einerseits versuchte die GSK, Dörfer an sich zu binden und deren landwirtschaftliche Produktion auf die Verpflegung der Arbeiterschaft auszurichten. Sie siedelte sie dazu auf ihrem eigenen Territorium an. Dies geschah etwa mit dem Kunabembe-Dorf Bange. Diese Politik führte jedoch zu Konflikten, denn die Neusiedler nutzten den Wald nicht nur, um Farmen anzulegen, sondern auch, um Gummi zu schneiden. Von Stetten beschwerte sich 1910, dass dies nicht nach den Regeln passierte, welche die GSK ihren Arbeitern vorschrieb. So kam es zu doppelten und „irrationalen“ Anzapfungen der Funtumia-Bäume, was wiederum die Arbeiter erzürnte – wahrscheinlich nicht zuletzt, weil man ihnen gegenüber harte Maßstäbe anlegte.796 Bis zum Ersten Weltkrieg professionalisierte die GSK den Einkauf von Verpflegung. Vor allem nahe Bimba, an der nördlichen Grenze des Eigengebietes, spezialisierten sich Landwirtschaft und lokaler Handel darauf, die GSK mit Nahrung zu versorgen. Bimba galt den Arbeitern „als Stadt des Fufus, des schmackhaften Mehles aus Kassada“.797 Fufu wurde dort von den Haushalten produziert und von Hausa-Frauen für 20–30 Pfennig pro Kilogramm an die GSK verkauft. Bis zu 10.000 Kilogramm Fufu pro Monat kaufte die GSK allein dort.798 Die Arbeit auf den GSK-Farmen war eine zusätzliche Aufgabe für die Vertragsarbeiter. Obwohl landwirtschaftliche Arbeit in der Region von Frauen geleistet wurde, oblag sie hier scheinbar vor allem den Männern. In der Regenzeit, wenn Kautschuk nur eingeschränkt geerntet wurde, setzten die GSK-Agenten ihre Leute zur Pflege der Farmen ein.799 Wichtig war, diese frei von Unkraut zu halten. Während der 792 793 794 795

796 797 798 799

Vgl. Petersen 1939a, 52. Vgl N Koch Pfützner an Koch, 25.07.1913. Vgl. BArch R 1001/3453, 163; Zwilling 1941, 62. Dies ist das Grundthema von Petersen 1939a. Der Autor stellt sich vor, eine Farm im Kaka-Gebiet anzulegen und dort Nahrung für die GSK (seinen Arbeitgeber) zu produzieren. Tatsächlich gab es Verträge zwischen dem früheren Hauptmann von Stein, der inzwischen eine Farm in Atok am Nyong betrieb, und der GSK über Nahrungsmittellieferungen. Vgl. ANY FA 6/12. Vgl. AGR CCCI 1682 Rapports von Stetten, Nr. 6, o.D. Schon 1909 gab es Versuche, Dörfer im Eigengebiet anzuseideln. Vgl. S Brekenfeld N Röder Tagebuch I, 26.03.1909. Petersen 1939a, 5. Vgl. Petersen 1939a, 9 f. Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Hedwig, 10.09.1908, 4.

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Trockenzeit, der Hauptproduktionszeit für Gummi, arbeiteten auf den Farmen vor allem leicht erkrankte Arbeiter.800 Nach Koch galt es auch unter Männern als vorteilhaft, dort zu arbeiten. Denn hier hatten die Leute sicheren Zugang zu ausreichend Nahrung.801 Außerdem konnten sie Tiere erbeuten und so ihren Speiseplan erweitern.802 Um das Essen der Arbeiterinnen und Arbeiter abwechslungsreicher zu gestalten, spielten Jagen und Sammeln eine große Rolle. Frauen sammelten Früchte und Pilze. Außerdem fischten sie in kleinen Bächen.803 Die GSK beschäftigte zudem Jäger, die zumindest die europäischen Angestellten mit Fleisch versorgten.804 Darüber hinaus gingen die meisten Agenten selbst auf Jagd, auch wenn die GSK dies verbot, da sie fürchtete, ihre Leute könnten ihre Arbeit vernachlässigen.805 Der unbewohnte Regenwald, in dem die GSK-Agenten und ihre Arbeiterinnen und Arbeiter wohnten, produzierte neben Kautschuk vor allem Wild. Ohne es zu ahnen, reproduzierten die GSK-Agenten deshalb ältere ökonomische Muster der Region. Wie die Baka tauschten sie die Produkte des Waldes – etwa das Fleisch von Antilopen, Elefanten oder Affen – bei den sesshaften, Landwirtschaft betreibenden Nachbarn außerhalb des Gebietes gegen Ackerbauprodukte.806 Die GSK-Agenten hatten sich der Logik des Waldes untergeordnet. Jagd diente nicht nur der Ernährung, sie hatte auch soziale Funktionen. Produktionsstellenleiter bekämpften damit ihre Langeweile, denn: „Es ist nicht jedermanns Sache, da zu leben“, so der Reisende Schultze.807 „Also Menschenkind“, klagte der Agent Passehl, „es ist grenzenlos, geradezu blödsinnig langweilig hier oben. Kein Mensch kommt bei mir durch, ich bin abgeschnitten von aller Welt. Monatelang hocke ich wie eine Art höheres Wesen unter lauter Schwarzen. Ich halte den Stumpfsinn einfach nicht aus.“808 Jagd bot hier eine interessante Abwechslung. Es gab aber auch „Menschen, die sich hier wohl fühlen können; aber sie sind nur unter den wenigen Auserwählten zu suchen, die in den unerschöpflichen und täglich neuen

800 801 802 803 804 805 806 807 808

Vgl. Petersen 1936, 153. Koch 1922, 62. Vgl. Petersen 1939a, 54. Vgl. Petersen 1939a, 34 f. Vgl. S Storck N Koch Koch an Pfützner, 15.07.1913; Petersen 1936, 158 f.; WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 28.06.1908, 58. Vgl. S Storck N Koch Arbeitsvertrag, 01.04.1913; AFS 416 Stetten an Stetten-Buchenbach, 25.09.1907; BArch R 1001/3451, 45. Vgl. S Storck N Koch Koch o. J.c, 5. Schultze 1912, 212. Petersen 1939b, 33. Vgl. auch Petersen 1939a; Petersen 1940; Bohn 1929; Heimbach 1930; Heimbach 1931; Koch 1938, 111

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Wundern des großartigen afrikanischen Tropenwaldes zu lesen verstehen.“809 GSKAgenten, die sich mit dem Leben im Wald anfreunden und botanische, zoologische, landwirtschaftliche oder jagdliche Interessen ausleben konnten, sich den Wald aneigneten, erwarben Prestige gegenüber ihren Leuten und bauten Klientelbeziehungen auf. Es war wichtig, „den Busch zu kennen“, wenn Produktionsstellenleiter von ihren Leuten ernst genommen werden wollten.810 Zudem half die Jagd als ausgesprochen männliche Beschäftigung ihre Position zu festigen. Indem sie ihre Jagdbeute an ihre Arbeitskräfte verschenkten, reproduzierten sie hierarchische Beziehungen.811 Durch diese Geschenke – und bei Gelegenheiten wie Geburtstagen oder an Weihnachten auch andere, wie z. B. Stoffe, Gürtel, Messingkessel, Pomaden812 – etablierten Europäer sich als großzügige Patrone und steigerten die Loyalität ihrer Leute.813 Arbeit, Disziplinierung und alltägliche Aushandlungsprozesse Die vollständige Transformation der Kautschukproduktion von einer Arbeit unabhängiger Produzenten in eine Aufgabe, die von streng kontrollierten Lohnarbeitern ausgeführt wurde, war eine große Herausforderung. Solche Veränderungen des Arbeitsprozesses, die die Freiheiten des Einzelnen beschnitten, mussten auf den Produktionsstellen und im Wald durchgesetzt werden. Die Kontrolle der Arbeiterinnen und Arbeiter war jedoch problematisch. Genau daran waren ähnliche Modelle in Amazonien gescheitert: „[W]age labor was not widely used during the Rubber Boom because it would have been very costly to monitor the efforts of widely scattered tappers to ensure the full delivery of tapped rubber in areas where itinerant traders tempted tappers with cash or goods in exchange.”814 Auch die GSK-Gummisucher nutzten Nischen, um der Kontrolle zu entkommen oder eigene Vorstellungen vom Ablauf der Arbeit durchzusetzen. Letztlich handelten Agenten und Arbeitskräfte auf den Produktionsstellen stets die Möglichkeiten und Grenzen von Kontrolle und Selbstbestimmung aus.

809 Schultze 1912, 212. Zwar muss man diese Selbststilisierungen z. B. Petersens kritisch hinterfragen. Dennoch lernten einige europäische GSK-Agenten den Wald in Begleitung lokaler Jäger gut kennen. Vgl. Petersen 1939b, passim; Petersen 1940. Zur Jagd in Südkamerun vgl. Koch 1968; Joiris 1998; Joiris 1993. 810 Vgl. Koch 1922, 40. 811 Vgl. Petersen 1939a, 18, 21, 57; Petersen 1939b, 28; Petersen 1940, 136 ff. 812 Vgl. Petersen 1938a, 9; Wieland 24.12.1905; Petersen 1939b, 63, 95; WKM HBM Af III 292 Stetten an Stetten-Buchenbach, 01.02.1909, 33. 813 Zu diesem Phänomen vgl. Moyd 2014, 2 f.; Glasman 2014, 101–105. 814 Coomes/Barham 1994, 245 f.

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Trotz der Ablieferungsquoten bot die Arbeit im Wald Möglichkeiten, sich der Aufsicht der Produktionsstellenleiter zu entziehen. Diese konnten die Leute, die sich auf der Suche nach Funtumia-Bäumen im Wald verteilten, nicht ständig überwachen. Sie machten daher Stichproben und versuchten, „ganz unerwartet bald hier bald dort aufzutauchen“.815 Harsch kritisierte von Stetten solche Produktionsstellenleiter, die ihre Niederlassung nicht verließen, um die Arbeiter zu kontrollieren, oder diese im Wald schlafen ließen: „Es ist eine bekannte Tatsache, dass die Arbeiter dann die Tage zum Einsammeln von Früchten, Fischen und Schlingen-legen verwenden und nur und nur [sic!] am letzten Tag Gummi ernten.“816 Frei von Druck und Kontrolle verbanden die Arbeiter den Aufenthalt im Wald mit Jagen und Sammeln. Solche Freiräume ergaben sich, wenn die Gummivorkommen zu weit von der Produktionsstelle entfernt waren. Auf Produktionsstelle 11 arbeiteten 1910 13 Mann drei Stunden und 18 Mann fünf Stunden vom Sitz des Leiters entfernt.817 Dort mussten sie nicht damit rechnen, dass dieser so weit marschierte, um nach ihnen zu sehen. Auch die Persönlichkeit von GSK-Agenten konnte Freiräume eröffnen. Der 25-jährige Otto Mildahn etwa galt als „trop bon pour les ouvriers, ce dont ils abusèrent“.818 Dass er oft krank war und deshalb nicht zu ihnen in den Wald konnte, ermöglichte seinen Arbeitern, ihre Zeit zu kontrollieren. Nach Mildahns Tod Ende 1910 brachten sie seinem Nachfolger am Ende eines Arbeitstages Kautschukmengen, die in einer Viertelstunde geerntet werden konnten. Darin fanden sich zudem Spuren vom Latex von Funtumia africana – der „falschen“ Funtumia.819 Wahrscheinlich hatten sie zu Mildahns Zeiten ebenso gearbeitet. Immer wieder kam es zu Machtproben zwischen den Europäern und ihrem afrikanischen Personal. Vor allem ereigneten sich diese Kämpfe, wenn eine Produktionsstelle einen neuen Leiter bekam. Dann ergaben sich für die Arbeiterinnen und Arbeiter Möglichkeiten, ihre Kontrolle über ihre Arbeit auszuweiten und ein Stück weit die Macht auf der Produktionsstelle zu erobern. Als von Stetten die Produktionsstelle Besam übernahm, streikten seine Njem-Arbeiter: Die erste Zeit war ich bei den Farmarbeitern, bis ich hörte, meine Njems im Busch streikten, der Headmann konnte sie weder durch Güte noch durch Strenge zur Arbeit bewegen, sie blieben einfach im Lager. […] Nun gab es mehr Prügel als Dressen, und dadurch wurden sie kuriert und arbeiteten wieder ganz ordentlich. Nach 10 Tagen bekam ich Nachricht meine Farmarbeiter streikten u stählen meine halb reife Kassada […], also mußte ich wieder aufpacken und dorthin gehen um ein Strafgericht abzuhalten. […]

815 816 817 818 819

Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Hedwig, 10.09.1908, 3. AFS 416 Stetten: Vorschläge zur Reorganisation. Vgl. AGR CCCI 1682 Rapports von Stetten, 28.09.1910. AGR CCCI 1682 Rapports von Stetten, Nr. 16, 14.01.1911. Vgl. NN 15.12.1910. Vgl. AGR CCCI 1682 Rapports von Stetten, Nr. 16, 14.01.1911.

Ein Kautschukreich: Forstwirtschaftliche Kautschukproduktion im Eigengebiet der GSK, 1907–1914

Gestern bekam ich Nachricht die Njems streikten wieder u wären schon 3 Tage nicht mehr zur Arbeit gegangen. Da mußte ich doch die Geduld verlieren. Ich ließ sofort alle zurückholen und heute bekamen die beiden Rädelsführer 25 auf den blosen [sic!] u 15 andere 10 Hiebe.820

Nach von Stetten wollten die Leute erstens ihren neuen Chef testen und sehen, wie weit sie gehen konnten. Zweitens endete ihr Kontrakt in zwei Wochen – sie versuchten nun, von Stetten dazu zu zwingen, ihren Abschied vorzuziehen.821 Schlussendlich ging es darum, wer über Ablauf der Arbeit, Zugang zu Nahrung oder Ende des Arbeitsverhältnisses bestimmen konnte. Fragen darüber, was die GSK legitimerweise von ihren Arbeiterinnen und Arbeitern verlangen konnte und was diesen wiederum zustand, waren der Kern der alltäglichen Aushandlungsprozesse. Wo es möglich war, setzten die Leute selbst Prioritäten, denen sich die Europäer oft fügen mussten. Beispielsweise hatten Kochs stets von Nahrungsmangel bedrohte Träger bei der Suche nach „Gummidieben“ im Eigengebiet wenig Interesse daran, diese zu verfolgen, als sie in einem Camp große Fleischvorräte entdeckten. Koch berichtete, dass er die „Diebe“ leider nicht habe festnehmen können, „da meine Kerls der Anblick des Fleisches in eine Ekstase versetzte, die sie völlig unbrauchbar machte“.822 Sich satt zu essen erschien ihnen notwendiger, als im Wald Krieg für ihren Arbeitgeber zu führen. Die Quellen über das Eigengebiet sind voll von Zeugnissen solch alltäglicher Kämpfe. In den Karawanen bedienten Arbeiterinnen und Arbeiter sich an ihren Lasten und nahmen sich, was sie glaubten, das ihnen zustehe. Sie wehrten sich damit gegen das Unternehmen, das sie ihrer Ansicht nach nicht ausreichend versorgte. Von Stetten schätzte, dass 10 Prozent aller Verpflegung in Form von Reis, Salz, Palmöl, Sardinen und Cornedbeef durch Diebstahl verloren gingen.823 Die Arbeiterinnen und Arbeiter billigten sich selbst auch europäischen Alkohol zu. Deshalb beschwerte sich von Stetten über halb leere Korbflaschen, die statt mit Wein mit stinkendem Wasser oder Urin gefüllt waren.824 Arbeiter auf den Verpflegungsfarmen und Karawanenträger verkauften auf eigene Rechnung Nahrung an Konkurrenzfirmen; ein Mann, der eine Flinte erhalten hatte, um Vögel vom Reisfeld zu vertreiben, nutzte diese zur Jagd und unterhielt einen gutgehenden Fleischhandel. Während von Stetten sich bemühte, diese Probleme abzustellen, hörten die Gummisucher auf, Kautschuk zu machen, und fingen lieber Fische. Seinen Eltern entwarf von Stetten einen Katalog der Übertretungen seines afrikanischen Personals: Sie würden die „Farm plündern, 820 821 822 823 824

WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 01.10.1908, 8. Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 01.10.1908, 8. S Storck N Koch Koch an Pfützner, 15.07.1913. AFS 416 Stetten: Vorschläge zur Reorganisation. Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 24.08.1908, 66.

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tagelang unentschuldigt auf Transport bleiben, ganz wenig Gummi produzieren oder durch Zusatz von Wasser zur Gummimilch mich betrügen oder unterwegs Last [sic!] bestehlen z. B. Löcher in Reissäcke schneiden u. 8–10 kg Reis stehlen u.s.w.“.825 Auch innerhalb der Arbeiterschaft gab es Hierarchien, Abhängigkeiten und Übergriffe. Koch betont in einer Erzählung, dass unter den afrikanischen Beschäftigten der GSK, wenn diese unter sich waren, andere Regeln galten. So beschäftigten Clerks heimlich Arbeiter (und wahrscheinlich auch Arbeiterinnen) der Produktionsstelle als Hausangestellte.826 Arbeiter, die als dumm und schwach galten, wurden von stärkeren Leuten ausgenutzt. Beispielsweise bürdeten sie ihnen Lasten auf, die sie selbst tragen sollten.827 Wer Zugriff auf Ressourcen hatte, nutzte diese, um andere auszubeuten. Die Bulu-Frau Ada denunzierte deshalb den Headman Samba. Dieser hatte einen Sack Fufu unterschlagen und mit der im Wald stets knappen Nahrung versucht, „die Gunst der Weiber zu gewinnen, die er mit Anträgen verfolge, während die Männer auf der Gummisuche sind“.828 Europäische Produktionsstellenleiter nutzten ebenfalls die Abgeschiedenheit ihres Arbeitsplatzes, um eigensinnige Zwecke zu verfolgen. Unter Umständen hatte auch dies mit der schlechten Verpflegung oder mit einer als unangemessen empfundenen Bezahlung zu tun. Von Stettens Beschwerden an seinen Vetter füllen viele Briefseiten.829 Auch Joseph Wenig klagte einem heimgekehrten Kollegen: „Hier giebts wieder mal nichts zu trinken und zu essen hat man grade soviel dass man nicht eingeht. Na, die paar Monate halte ich es noch aus.“830 Viele GSK-Agenten führten falsch Buch über bereits ausgebeutete Gebiete, damit ihr Nachfolger nicht mehr Gummi lieferte als sie selbst.831 Von den Arbeitern der Produktionsstelle 14 erfuhr von Stetten 1911, dass deren früherer Leiter Klose die Leute zur verbotenen Jagd auf Büffel und Elefanten eingesetzt hatte. Das Fleisch hatte Klose an die benachbarten Dörfer, aber auch an seine eigenen Arbeiter verkauft. Auf diese Weise hatte er einen großen Teil von deren Barvorschüssen in die eigene Tasche gesteckt.832 Auch Albert Heimbach bereicherte sich, indem er für die Arbeiter vorgesehene Sardinen an Nachbardörfer veräußerte und seinen Arbeitern das Palmöl verkaufte, das ihnen eigentlich kostenlos zustand.833 Angeblich kam es sogar vor,

825 826 827 828 829 830 831 832 833

WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 29.01.1909, 30 f. Vgl. Koch 1922, 64. Vgl. Koch 1922, 63. Petersen 1939b, 102 f. Vgl. AFS 416 Stetten an Stetten-Buchenbach, 25.09.1907. MGF N von der Osten. Mappe: Alte Briefe. Wenig an von der Osten, 07.12.1907. Vgl. AGR CCCI 1682 NN an GSK, o.D. AGR CCCI 1682 Rapports von Stetten, Nr. 14, 16.12.1910. Vgl. AGR CCCI 1682 Rapports von Stetten, Nr. 23, o.D.

Ein Kautschukreich: Forstwirtschaftliche Kautschukproduktion im Eigengebiet der GSK, 1907–1914

dass Agenten den Gummi ihrer Produktionsstellen an die Konkurrenz verkauften.834 Ob solcher Eigensinnigkeiten waren auch die Agenten der Kontrolle und Disziplinierung durch die Leitung unterworfen: 1908 entließ Kalmár einen Agenten wegen Faulheit.835 Den Angestellten Breunig hatte er wegen einer (mutmaßlich antisemitischen) Äußerung „windelweich durchgeprügelt“.836 Prügel trafen aber in der Regel die Arbeiter und Arbeiterinnen. Von Stetten schrieb einmal an seine Eltern: „Ich kann Euch nur sagen 3 Rohrstöcke gingen in Fetzen“.837 Die GSK versuchte durch verschiedene Formen der Bestrafung ihre Arbeitskräfte zu disziplinieren und von zu großen Eigenmächtigkeiten abzuhalten. Produktionsstellenleiter bekämpften die „Unsitte“,838 für Trägerarbeit Tage, Wochen oder Monate länger als nötig zu brauchen, mit Lohnabzügen für die säumigen Arbeiterinnen und Arbeitern. Wie überall in Kamerun war aber das Schlagen der Arbeiter mit Hand, Stock oder Peitsche auf den Produktionsstellen wichtiger. Auch die GSK-Agenten beriefen sich wie andere Europäer auf ein „väterliches Züchtigungsrecht“ ihren Arbeitern gegenüber,839 das es ihnen erlaube, zuzuschlagen. Dabei war das Schlagen der Arbeiter eindeutig illegal. Für Bestrafungen war ausschließlich die Regierung verantwortlich. Deren Beamte waren jedoch zu weit entfernt und deshalb die Kosten durch den Ausfall der Arbeitskräfte zu hoch, da diese erst nach Lomie, Molundu oder Dume hätten reisen müssen, um bestraft zu werden. Außerdem entsprach die Rechtsanschauung der kaiserlichen Beamten nicht immer der der GSK. Von Stetten etwa begründete seine Selbstjustiz mit der angeblich zu laxen Haltung des zuständigen Stationschefs Schlosser, der für von Stettens Geschmack angeklagte Arbeiter zu häufig freisprach.840 Über die Arbeiterbestrafung entwickelte sich ein andauernder Streit zwischen Staat und GSK, der sich verschärfte, als die Regierung dem Unternehmen Zwangsarbeiter stellte. Um deren gewaltsame Züchtigung zu unterbinden, schärften die Beamten Kaka-Arbeitern ein, Misshandlungen zu melden – in den Augen der GSK-Agenten ein Skandal:

834 Vgl. AGR CCCI 1682 Kallen an GSK, 20.10.1909. 835 Vgl. AFS 416 Kalmár an Stetten, 01.06.1908. 836 Vgl. AGR CCCI 1683 Kalmár an Semler, 26.01.1911. Kalmár, ungarischer Nationalist jüdischen Glaubens, ging rigoros gegen antisemitische Anfeindungen vor. So entließ er 1908 den Agenten Hillmann, weil dieser ihm „jüdische Handlungsweise“ vorgeworfen hatte. Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Ramsay, 27.04.1908, 41. 837 WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 14.02.1909, 36. 838 WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 01.10.1908, 8. 839 WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 29.01.1909, 30. 840 Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 14.02.1909, 36.

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Ces gens sont d’ailleurs autorisés par le gouvernement local à déserter, si un seul d’entre eux était l’objet de la moindre oppression. Et c’est précisement parce qu’ils savent qu’ils ne seront l’objet d’aucune repression qu’ils se montrent si paresseux ; et lorsqu’ils ne se dérobent, ils ne font le travail qu’à demi.841

Die gleiche Auflage galt für die Ende 1910 von der Dume-Station gestellten GbayaArbeiter. Pfützner, der den Norden des Eigengebietes leitete, war außer sich über diese Regelung. Er schrieb Kalmár wütende Briefe, weil dieser die Auflage akzeptiert hatte: [E]s ist uns unverständlich, wie die Direktion die die Negerbehandlung seit 13 Jahren kennt einen solchen Vorschlag unterschreiben kann. Die Neger sind von der Station dahin belehrt, dass sie gut behandelt und gut bezahlt werden müssen; Pflichten hat man den Leuten anscheinend nicht auferlegt.842

Hier kam die ganze Absurdität der Politik des Gouvernements zum Ausdruck, das Menschen zwangsrekrutierte und an die GSK verschacherte, aber diese gleichzeitig beschützen wollte. Während Gbaya an einem Arbeitstag mit 12  Liter Latex aus dem Wald kämen, so Pfützner, würde dies ein Jaunde nicht wagen – „der wüsste, was ihm passiert“.843 Der Katalog der mit Prügeln bestraften Verhaltensweisen reichte von Diebstahl bis zu Arbeitsverweigerung. Auch kulturelle Konflikte führten dazu, dass GSKAgenten zuschlugen. Als eines Tages ein Headman und zwei Arbeiter aus von Stettens Produktionsstelle ertranken, „glaubten die Leute, daß sie heute den ganzen Tag nichts anderes zu thun hätten, als zu schreien“, so von Stetten, „und so leid es mir that, ich mußte ihnen ordentlich grob werden“.844 Manchmal war Gewalt nicht an vermeintliches Fehlverhalten geknüpft. Koch berichtete in einer Erzählung von einem Produktionsstellenleiter, dessen afrikanische Frau ihn über Nacht verlassen und bestohlen hatte. Seinen Frust ließ er an den Arbeitern aus: „Die Hundspeitsche war dauernd in Bewegung, und wer dem Weißen in den Weg kam, hatte seine Prügel weg.“845 Prügel galten bei der GSK als notwendiger Bestandteil europäisch-afrikanischer Arbeitsbeziehungen. Gewalt, oft Folge ihrer Hilflosigkeit oder Machtphantasien, stellten die Agenten als eine Form der Arbeitermotivation dar. Seinem Vetter schrieb

841 842 843 844 845

AGR CCCI 1682 Rapports von Stetten, Nr. 28, o.D. AGR CCCI 1683 Pfützner an Kalmár, 04.01.1911. AGR CCCI 1683 Pfützner an Kalmár, 04.01.1911. WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 25.05.1908, 46 f. Koch 1922, 67.

Ein Kautschukreich: Forstwirtschaftliche Kautschukproduktion im Eigengebiet der GSK, 1907–1914

von Stetten, er habe das außerordentlich gute Ergebnis von 1100 Kilogramm Gummi in zwei Monaten zu Gestehungskosten von 1 Mark pro Kilogramm nur erreichen können, weil bei ihm „[u]nter schärfster Kontrolle mit Geschenken, Lob, Tadel, ab u. zu auch gründliche Hiebe“ gearbeitet werde.846 Seinen Eltern erklärte er, ein afrikanischer Arbeiter sei „wie ein Hund der ab u. zu einmal gehörig Prügel haben muß um ordentlich zu arbeiten. Diese Prügel nimmt er aber niemals übel. Er muß Furcht vor Strafe haben, sonst lacht er den Leiter aus u. arbeitet nicht.“847 Was die Arbeiter tatsächlich vom Prügeln hielten, ist nicht überliefert. Koch deutete bestimmte Verhaltensweisen, die Arbeiterinnen und Arbeiter der Produktionsstellen im Umgang mit ihren europäischen Vorgesetzten entwickelten, als Überlebensstrategien. Den Leuten sei klar geworden, daß der Weiße als solcher immer etwas anderes tut, als der Farbige erwartet; daß man ihn genau beobachten und auf jede Frage das antworten muß, was er gerne hört; versteht man ihn nicht, so sagt man „Ja, Massa“ und bespricht dann hinterher mit dem Vormann, was der Weiße wohl wollte. Kommt er in Sicht, muß man immer arbeiten, oder wenn er ruft, muß man laufen. Ist der Weiße schlecht gelaunt oder betrunken, so läßt man sich nicht blicken und geht am sichersten weit weg in die Farm. Man muß sich immer so stellen, als ob man Angst habe, dann meint der Weiße, er genieße Achtung. Prügelt er, so sagt man danke schön, prügelt er trotzdem weiter, so läßt man sich auf den Boden fallen und tut, als ob man tot sei […]; keinesfalls darf man weglaufen, denn dann wird der Weiße ganz wild, und es setzt ernsthafte Hiebe.848

So allgegenwärtig die Gewalt im Eigengebiet war, sie traf nicht alle Arbeitskräfte gleich hart. Vor allem nutzten Produktionsstellenleiter sie, um Arbeiterinnen und Arbeitern aus entfernten Teilen der Kolonie zu disziplinieren. Leute aus Jaunde, die fremd in der Region waren und den Wald und die Nachbarbevölkerung fürchteten, flohen in der Regel nicht, auch wenn die Agenten sie schlugen. Anders war dies mit den Arbeitern und Arbeiterinnen, die aus der Nachbarschaft, etwa aus Jukaduma, stammten. Da die Leute schnell in ihre Dörfer zurückkehrten, behandelten die Produktionsstellenleiter diese Arbeitskräfte viel geduldiger.849 Doch auch die aus fernen Regionen in den „toten Busch“ gebrachten Leute nahmen die gewalttätige Disziplinierung nicht immer klaglos hin. 1910 etwa verließen viele Arbeiter die Produktionsstelle 13, die Agent Grätschus leitete, der im Ruf stand, viel zu schlagen. 846 847 848 849

WKM HBM Af III 292 Stetten an Stetten-Buchenbach, 01.02.1909, 33. WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 29.01.1909, 30. Koch 1922, 64 f. Vgl. AGR CCCI 1682 Rapports von Stetten, Nr. 15, o.D. Gleiches galt für die Kaka-Arbeiter. Hier sorgte die Nähe zur Heimatregion für eine hohe Desertationsrate. Vgl. AGR CCCI 1682 Rapports von Stetten, Nr. 28, o.D.

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Bemerkenswerterweise liefen die Leute nicht davon, sondern beschwerten sich in Molundu bei der Leitung.850 Häufiger aber zeigten die Arbeiterinnen und Arbeiter ihre Unzufriedenheit, indem sie desertierten. Sie verließen die Produktionsstellen und legten den Betrieb lahm. Im „toten Busch“ zu entlaufen war gefährlich, denn für die Flüchtigen bestand die Gefahr, zu verhungern.851 Dennoch versuchten es immer wieder dutzende Menschen, größtenteils wohl erfolgreich. 200 Maka-Zwangsarbeiter desertierten Anfang 1911.852 Gerade die Produktionsstellen an der Grenze des Eigengebietes, von wo aus Flüchtlinge schnell in besiedelte Gebiete gelangen konnten, hatten ständig mit Desertionen zu kämpfen. Eine Produktionsstelle erhielt von den Arbeiterinnen und Arbeitern den Bulu-Namen „Tatup“, der „Reiß aus“ bedeutete, denn er war so unbeliebt, dass mehrfach die Belegschaft floh.853 Da Arbeitskräfte unbedingt nötig und Anwerbungen bedeutende Investitionen waren, versuchte das Unternehmen alles, um Flüchtlinge zurückzubekommen. Bei den erwähnten Maka setzte es auf die Regierung,854 in den staatsfernen Wäldern des Eigengebiets auf lokale Verbündete. Koch berichtete in einer Erzählung, dass sein Alter Ego kraft seiner früheren Stellung und des zweifelhaften Respekts, den er sich bei der Bevölkerung erworben hatte (Kochs Spitzname lautete „Small brother Dominik“855 ) durch ein Familienoberhaupt ein Abkommen mit Baka schließen konnte. Pro Flüchtling, den die Baka fanden, erhielt das Familienoberhaupt 20 Mark und der Anführer der Baka Geschenke.856 Koch lässt den Headman eingefangener Vai-Arbeiter sagen: „[W]irklich, wir haben keine Wahl, vorne ist nur toter Busch, und hinten lauern die Zwerge.“857 Zusätzlich erhielten entlaufene Arbeiter noch 15 Hiebe.858 In vielen Fällen aber waren die Leute nicht aufzuhalten. Koch erzählte von einem Fall, in dem der Produktionsstellenleiter seine Headmen hinter den Flüchtigen her sandte, die aber nicht die Verfolgung aufnahmen, sondern sich drei Tage im Wald versteckten.859 Ein andermal wehrten sich entlaufene Arbeiter mit Waffen gegen einen durch von Stetten ausgesandten Suchtrupp.860

850 851 852 853 854 855 856 857 858 859 860

Vgl. AGR CCCI 1682 Rapports von Stetten, Nr. 2, o.D. Vgl. Koch 1922, 70 f. Vgl. AGR CCCI 1682 Bericht Nr. 1/1911, 07.02.1911. Petersen 1939b, 44. Abgeleitet von Bulu „tup“ (fortlaufen). Hagen 1914, 339. Vgl. AGR CCCI 1682 Bericht Nr. 1/1911, 07.02.1911. S Storck N Koch Tagebuch 1, 05.03.1911, 73. Vgl. Koch 1922, 12 ff. Koch 1922, 25. Vgl. Koch 1922, 24. Vgl. Koch 1922, 67. Vgl. AGR CCCI 1682 Rapports von Stetten, Nr. 16, 14.01.1911.

Ein Kautschukreich: Forstwirtschaftliche Kautschukproduktion im Eigengebiet der GSK, 1907–1914

Angesichts der Möglichkeit zur Flucht, der mit Strafen und Verfolgungen kaum beizukommen war, konnte der GSK-Führung die Behandlung der afrikanischen Belegschaft nicht gleichgültig sein. Auf den Produktionsstellen gab es Ansätze eines Konfliktlösungsmechanismus. Von Stetten erklärte seiner Schwester, dass er sich jeden Abend Zeit nehmen müsse, um die Wünsche seiner Arbeiter anzuhören: „Da kommen manchmal die verrücktesten Sachen heraus, die ich alle erledigen muß, dabei muß der Neger sehen, daß man ihm wohlgesinnt ist, aber sich doch nichts gefallen läßt. Gerade das ist sehr wichtig um ein gutes Gummiresultat zu erreichen.“861 Der Inspektor, der die Arbeit auf den Produktionsstellen kontrollierte, hatte die Arbeiterinnen und Arbeiter nach ihrer Behandlung zu befragen. Als von Stetten diese Aufgabe ausfüllte, finden sich in seinen Berichten Beschwerden von Arbeitern: „J’ai reçu plusieurs plaintes des travailleurs parce qu’ils étaient payés exclusivement avec du sel et du tabac; ils désireraient également recevoir d’autres articles tel que huile de palme, anneaux, etc.“862 An anderer Stelle heißt es, die Arbeiter auf zwei Produktionsstellen beschwerten sich über die Leiter Hörning und Sandler.863 Unklar bleibt, ob diese Beschwerden Folgen hatten, ob allen Leuten diese Möglichkeit bewusst war oder ob sie sich fürchteten, Missstände anzuzeigen. Der umstrittene Wald: Die Beziehung der GSK zu den Nachbarn des Eigengebiets Das Eigengebiet war nach kolonialem Recht Eigentum der GSK: Nur sie allein durfte den Wald und vor allem seine Kautschukbäume nutzen. Doch der Anspruch der GSK auf ihr „Kautschukreich“ blieb eine Fiktion. Denn dieses Monopol war „in Wirklichkeit gar nicht durchzuführen“.864 Kein Zaun, keine Mauer trennte das Eigengebiet von seiner Umgebung. Die Grenze waren Flüsse oder schnell zuwachsende Schneisen. Steinhaufen und Betonsäulen waren kaum sichtbar,865 die Bäume der GSK mit Blechmarken zu markieren, scheiterte.866 Der Reisende Schultze fasste das Problem der GSK zusammen: „[W]er will die Eingeborenen der umliegenden bewohnten Gebiete daran hindern, sich aus einem Territorium, dessen Unantastbarkeit ihnen schwer zu Bewußtsein zu bringen ist, so viel Gummi herauszuholen, als ihnen paßt.“867 In der Tat entwickelte sich im Eigengebiet ein wilder Ressourcenkonflikt.

861 862 863 864 865 866 867

WKM HBM Af III 292 Stetten an Hedwig, 10.09.1908, 2 f. AGR CCCI 1682 Stetten: Bericht über die 2. Inspektionsreise, o.D. Vgl. AGR CCCI 1682 Stetten: Bericht über die 2. Inspektionsreise, o.D. Schultze 1912, 212. Zu diesen Methoden der Grenzmarkierung vgl. AFS 344 Tagebuch, 29.11.1906. Vgl. AFS 344 Tagebuch, 07.12.1906, 83. Schultze 1912, 212.

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Die unmittelbaren Nachbarn des Eigengebietes erhoben weiterhin Anspruch auf den Wald. Zwar hatten die Behörden sich bemüht, der GSK ein unbewohntes Gebiet zu übergeben. Die im Assobam-Busch lebenden Baka waren aber gar nicht erst in die Rechnung einbezogen worden. Auch die sesshafte Bevölkerung rund um das Eigengebiet war mit der Entscheidung der Kolonialverwaltung nicht einverstanden. Das Land war nicht ungenutzt, wie GSK und Regierung annehmen wollten. Beim Ausschlagen der Grenze entdeckte von Stetten Farmen oder gar Dörfer.868 Aber auch die außerhalb des Gebietes lebenden Menschen nutzten den Wald für Jagd, Fischfang und zum Holzschlagen. Sie waren deshalb erzürnt darüber, dass die Europäer ihre Eigentumsrechte mit Füßen traten: „[W]ir sind länger hier als ihr“, ließ Petersen das Familienoberhaupt Jukaduma in einer Erzählung sagen. Der „Busch hinter dem Bumba“ sei zwar nur von Baka bewohnt, „aber er gehört uns dennoch“.869 Ähnlich gab Koch die Worte eines Gbaya wieder: „Wir haben immer in diesem Busch gejagt, […] schon unsre Eltern und Voreltern, und es war schlecht vom Gouverneur, dass er Euch das Land verkauft hat, was wir brauchen.“870 Auch die Besam-Leute verübelten der GSK, dass diese ihnen ihren Wald genommen hatte.871 Der Schutztruppenoffizier Zipse warnte die GSK deshalb davor, den Leuten die Nutzung des Eigengebiets zu verbieten, weil dies die Menschen zu sehr erbittere.872 Angesichts des einsetzenden Höhepunkts des Kautschukbooms gab es auch Streit um die kautschukproduzierenden Pflanzen des Eigengebietes. Die Nachbarn wollte nicht nur Holz schlagen oder jagen, sondern auch Gummi machen. Sie betraten hierzu selbstverständlich weiter ihren Wald. Der Ndsimu Njosdom aus dem Dorf Selekanda etwa ging ca. 1911 mit seinen beiden Söhnen Nja und Medja ins Eigengebiet, um Gummi zu schneiden.873 Gleiches taten Leute aus Jukaduma, Assobam, Momie und anderswo.874 Im Gebiet von Momie erkannte die Regierung 1911 das Recht der 390 dortigen Gummisucher auf den Kautschuk in einem Teil des Eigengebietes an.875 Ihr Land wurde aus dem GSK-Gebiet herausgelöst. Gummisucher aus Nachbarregionen blieben im Eigengebiet präsent. Da die GSK lange Zeit nicht über genügend Arbeitskräfte verfügte, um dieses auszubeuten, duldete sie anfangs unabhängige Gummischneider – vorausgesetzt sie verkauften

868 869 870 871 872 873 874 875

Vgl. AFS 344 Tagebuch, 21.11.1906, 25.11.1906, 26.11.1906, 27.11.1906. Alle Zitate: Petersen 1936, 167 ff. S Storck N Koch Koch o. J.b, 5. Vgl. AGR CCCI 1682 Kallen an GSK, o.D. Vgl. BArch R 175-I/426, 44. Vgl. AGR CCCI 1682 Stetten an Station Lomie, o.D. [1911]. Vgl. Petersen 1936, 158; S Storck N Koch Koch o. J.b, 2. Vgl. BArch R 175-I/426, 25.

Ein Kautschukreich: Forstwirtschaftliche Kautschukproduktion im Eigengebiet der GSK, 1907–1914

ihr Produkt ausschließlich an das Unternehmen.876 Doch dies ließ sich weder kontrollieren noch durchsetzen. Der größte Teil des Gummis ging nicht an die GSK, sondern an die Batanga-Firmen. Denn diese gaben nach der Südexpedition weiter trust aus, den ihre Handelspartner in Gummi zurückzahlen mussten.877 Die zerstörerischen Methoden beschleunigten deren Drängen in die kautschukreichen Wälder der großen toten Zone. Die Assobam-Leute etwa baten die GSK gar um Erlaubnis, im Eigengebiet Gummi produzieren zu dürfen, denn in ihren Wäldern gebe es keinen mehr.878 Leute des Dorfes Mensimé prügelten sich mit den Arbeitern der Produktionsstelle Bimba. Sie drohten ihnen: „[S]i vous ne nous laissez pas couper du caoutchouc, nous emporterons nos fusils lorsque nous irons faire la récolte.“879 Angefeuert von einem auf Schulden basierenden Handel setzte sich der Konflikt zwischen GSK und Batanga-Firmen in der Auseinandersetzung der GSK mit ihren Nachbarn fort. Anfangs ignorierten auch die Batanga-Firmen das Eigengebiet. Regelmäßig schlugen sich Träger und Gummisucher der Küstenfirmen mit denen der GSK.880 Von Stetten fasste wenige Tage nach Beginn seiner Arbeiten im Eigengebiet drei Arbeiter von Woermann und konfiszierte 31,5 Kilogramm Kautschuk. Von der Bevölkerung erfuhr er, dass alle Firmen ihre Leute im Wald hätten, um Gummi zu machen.881 Ein wichtiges Einfallstor war der Weg zwischen Assobam und Jukaduma, der quer durch das Eigengebiet führte. Die Batanga-Firmen hatten von der Regierung die explizite Erlaubnis erhalten, diese Route zum Durchmarsch zu benutzen.882 Die direkten Probleme durch die Batanga-Firmen endeten 1908/09, nachdem GSK und Regierung gemeinsam gegen diese vorgegangen waren und als sie sich mit der GSK zum Gummi-Syndikat zusammenschlossen. Dies nutzte das Unternehmen dazu, die Konkurrenz zur Anerkennung des Eigengebietes zu zwingen.883 Doch bis dahin trugen viele Arbeiter der Batanga-Firmen große Mengen Kautschuk aus dem Wald. Nicht nur die direkten Nachbarn und die Arbeiter der Konkurrenz drangen regelmäßig in das Eigengebiet ein, um Kautschuk zu produzieren. Selbst Schutztruppensoldaten schickten heimlich Regierungsarbeiter dorthin, um Kautschuk

876 877 878 879 880 881 882

Vgl. AGR CCCI 1682 Rapports von Stetten, Nr. 5, o.D. Vgl. Petersen 1936, 159 f. Vgl. AGR CCCI 1682 Rapports von Stetten, Nr. 10, 25.09.1910. AGR CCCI 1682 Rapports von Stetten, Nr. 10, 25.09.1910. Vgl. BArch R 1001/8116, 176 f. Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 28.08.1907, 5. Um die Leute dort zu überwachen, veranlasste Kalmár 1908 die Gründung einer neuen Produktionsstelle an der Straße. Vgl. AFS 416 Kalmár an GSK, 12.06.1908. 883 Vgl. BArch R 1001/8116, 176; AFS 416 Semler an Direktoren, 18.07.1909.

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zu schneiden, den sie an die Batanga-Firmen verkauften.884 Zu den gefährlichsten Konkurrenzen aber wurden Gbaya- und vor allem Kaka-Gummisucher. Die Kaka lebten nordöstlich des Eigengebietes, um Baturi und Njassi herum. Ihr Gebiet entwickelte sich in jenen Jahren zum Zentrum des Kautschukhandels der Küstenfirmen, die große Mengen von trust ausgaben. Wie Copet-Rougier schreibt, zogen viele Kaka temporär in den Wald: „[D]es familles entières, voire des villages, partaient plusieurs mois pour récolter le latex, vivant de chasse, de pêche, de cueillette et de maigres cultures.“885 Einfallstor für die Kaka war der Nordosten des Eigengebiets, in dem die GSK lange keine Produktionsstelle unterhielt und wo die fremden Gummisucher deshalb ungestört arbeiten konnten.886 Kaka hielten sich bald in so großer Zahl im GSK-Wald auf, dass sie ein ernstes Problem für das Unternehmen darstellten und GSK-Agenten sie als ihre Feinde betrachteten.887 Die GSK hat die Kaka-Gummisucher gut dokumentiert: Sie kamen in kleinen und großen Gruppen. Koch zählte einmal neun Männer und eine ungenannte Anzahl Frauen,888 ein andermal je zwei Männer, Frauen und Kinder.889 Sie legten im Eigengebiet temporäre Dörfer an. Vor allem im nördlichen Teil des Eigengebietes waren, wie Koch bemerkte, „in allen Richtungen […] Pfade der eingeborenen Gummidiebe festzustellen“.890 Teilweise hielten sich die Leute monatelang im Gebiet auf, um Gummi zu schneiden. Die von Kochs Vai-Trägern gefangenen Kaka namens Kumbu und Nggamma sagten, sie hätten seit drei Monaten dort Gummi gemacht.891 Wie andere Gummisucher reproduzierten die Kaka ältere Formen geschlechtlicher Arbeitsteilung. Morgens gingen die Männer in den Wald, um ihre Fallen zu kontrollieren und Funtumia-Bäume anzuzapfen. Danach kehrten sie zurück ins Camp, um das von den Frauen vorbereitete Essen zu sich zu nehmen.892 Frauen und Kinder koagulierten den Kautschuk durch Kochen und transportierten denselben. Beim Zug in den Wald, beobachtete Petersen, trugen die Männer ihre Waffen und Werkzeuge, Frauen und Kinder hingegen die Tragekörbe mit Töpfen und Pfannen.893 Nicht nur Familien, sondern auch sich professionalisierende KakaGummisucher waren im Eigengebiet anzutreffen. Der „Vormann“ Galembem hielt sich mit 13 Leuten dort auf. Während die eine Hälfte im Wald verblieb, kehrte die

884 885 886 887 888 889 890 891 892 893

Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Stetten-Buchenbach, 20.08.1908, 63. Copet 1981, 515. Vgl. S Storck N Koch Koch o. J.b, 2. Vgl. Petersen 1939a, 29. Vgl. S Storck N Koch Koch o. J.b, 2. Vgl. S Storck N Koch Koch an Pfützner, 15.07.1913. S Storck N Koch Koch an Pfützner, 15.07.1913. Vgl. S Storck N Koch Koch o. J.b, 2. Vgl. S Storck N Koch Koch an Pfützner, 15.07.1913. Vgl. S Storck N Koch Koch o. J.b, 1. Vgl. Petersen 1939a, 29.

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andere mit Kautschuk in ihre Heimat zurück.894 Ob Galembem über den Kautschuk seiner Leute verfügen konnte, bleibt unklar. Petersen betonte die Autonomie der Kaka-Gummischneider. Ihm zufolge „suchte jeder auf eigene Faust seinen Gummi“. Strikt hätten sie sich gegen Formen gemeinsamen Arbeitens gewandt. Jeder „betrachtete die Ernte als sein Eigentum, über das nur er und allenfalls der Häuptling zu bestimmen hatte“.895 Der Kautschukhandel, das damit verbundene Einkommen und das Leben im Wald verstärktem die egalitären Tendenzen der Kaka.896 Wahrscheinlich konnten Leute wie Galembem höchstens über die Produkte ihrer direkten Abhängigen – also Kinder, Sklavinnen und Sklaven etc. – verfügen. Das Eindringen fremder Gummisucher in das Eigengebiet entwickelte sich zum Problem für die GSK. Sie verdienten am Kautschuk, den die GSK für sich beanspruchte. Zudem gefährdeten sie das nachhaltige Wirtschaftsmodell, denn die Kaka etwa nutzten zwar auch Grätenschnitt und Kletterschlingen, mit denen sie zu einer Höhe von 15 bis 20 Meter hinaufstiegen. Doch oft zapften sie die Bäume innerhalb kürzester Zeit zwei- oder dreimal an, wonach die Bäume meist eingingen.897 Dies war problematisch, weil es sich nicht um vereinzelte Abenteurer handelte, die im „toten Busch“ ihr Glück machen wollten. Insgesamt, so schätzte von der Marwitz, schnitten 1913 ca. 3000 Menschen andauernd Kautschuk im Eigengebiet.898 Dies waren doppelt so viele, wie die GSK dort an Arbeitern hatte. Von Stetten glaubte 1910, dass seit der administrativen Schaffung des Eigengebiets 1905 zwischen 800 und 1000 Tonnen Gummi an die Küstenfirmen verkauft worden waren.899 Überprüfen lassen sich derartige Vermutungen nicht. Klar ist, dass enorme Mengen den „toten Busch“ in Richtung Küste verließen. Koch etwa konfiszierte innerhalb eines Monats 436 Kilogramm Kautschuk. Er glaubte sogar, mit willigeren Arbeitern wäre drei- oder gar viermal so viel zu beschlagnahmen gewesen.900 Um des Problems Herr zu werden, verwickelte sich die GSK in einen Kleinkrieg mit den Kaka. Die Jagd auf Menschen, die die GSK als Diebe und Räuber kriminalisierte, entwickelte sich während des Höhepunkts des Kautschukbooms, ca. 1909–1913, zu einer wichtigen Aufgabe der Produktionsstellenleiter.901 Spätestens 1913 erlaubte von der Marwitz dem Unternehmen explizit, „diejenigen Diebe, die wir auf frischer Tat ertappen, festzunehmen und zur Station zu bringen“.902 Die

894 895 896 897 898 899 900 901 902

Vgl. S Storck N Koch Koch an Pfützner, 15.07.1913. Petersen 1939a, 34. Zur Sozialstruktur der Kaka vgl. Copet-Rougier 1987, 352; Copet 1981. Vgl. Copet 1981, 515. Vgl. Petersen 1939a, 37; S Storck N Koch Koch an Pfützner, 15.07.1913. Vgl. S Storck N Koch Koch an Pfützner, 09.06.1913. Vgl. AGR CCCI 1682 Rapports von Stetten, Nr. 10, 25.09.1910. Vgl. S Storck N Koch Koch an Pfützner, 27.07.1913. Vgl. Petersen 1936, 159. S Storck N Koch Koch an Pfützner, 09.06.1913.

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GSK mobilisierte ihre Belegschaft gegen die Eindringlinge. 1908 führte sie eine Gratifikation für ihre Agenten ein, wenn sie Fremde im Eigengebiet abfassten. Für jedes Kilogramm konfiszierten Kautschuks erhielten sie 50 Pfennige.903 Deswegen unterhielt etwa von Stetten ein Spitzelsystem in den umliegenden Dörfern. Seine Informanten gaben ihm Bescheid, wenn Arbeiter der Konkurrenz ins Eigengebiet gingen.904 Um die Leute dingfest zu machen, nutzten die Produktionsstellenleiter ortskundige Jäger und „ein paar handfeste Kerle“ unter ihren Arbeitern.905 Sie erhielten als Prämie 5 Mark pro gefangenem Dieb.906 Zunehmend militarisierte die GSK die Auseinandersetzung mit den Kaka. 1906 hatte sie eine Grenzwache aus „zuverlässige Schwarze[n] unter Aufsicht von Europäern“ aufgestellt.907 Diese aus Vai bestehende paramilitärische Truppe sollte Kaka-Gummisucher fassen.908 Koch suchte 1913 systematisch nach Kautschukräubern und ihren Wegen von Messo, Delele und der Ostgrenze ins Eigengebiet.909 Dieser Kleinkrieg intensivierte sich, je höher die Kautschukpreise stiegen. Kochs bewaffnete Vai umstellten die Camps. Die dort lagernden Kaka wehrten sich mit Speeren und verwundeten einige Vai.910 Mitte 1913 tötete der GSK-„Soldat“ Deromeo bei Produktionsstelle 12 einen Kaka, weitere wurden verwundet und 18 gefangen genommen.911 Die Auseinandersetzungen waren aber keine ausgemachte Sache. 1912 schlugen die Bewohner eines Camps eine Patrouille aus 20 Vai und Jaunde zurück und befreiten Kaka-Gefangene.912 Auch umgekehrt überfielen Kaka die Camps der GSK.913 Im Kampf mit den Kaka-Gummisuchern stand mehr auf dem Spiel als materielle Verluste durch „gestohlenen“ Kautschuk. Die Überfälle der Kaka bedrohten Disziplin und Loyalität der Belegschaft gegenüber den Produktionsstellenleitern.

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Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Peter, 20.05.1908, 43. Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Hedwig, 10.09.1908, 3. Petersen 1936, 159. Vgl. AGR CCCI 1682 Stetten an GSK, o.D. [1911]. BArch R 1001/3449, 101. Vgl. AGR CCCI 1682 Rapports von Stetten, Nr. 22, o.D.; BArch R 1001/3449, 101; BArch R 175-I/ 426, 44. Vgl. S Storck N Koch Pfützner an Koch, 20.06.1913. Seine Erlebnisse verdichtete er zu der Erzählung „Potta-Potta“. Vgl. S Storck N Koch Koch o. J.b. Deren Hauptperson ist der „Inspektor“. Koch arbeitete 1913–14 als Inspektor für die GSK. Vgl. S Storck N Koch Arbeitsvertrag, 01.04.1913. Petersen schreibt, einige Kaka verfügten über moderne Hinterladergewehre. Vgl. Petersen 1939b, 110. S Storck N Koch Koch an Pfützner, 27.07.1913. Vgl. S Storck N Koch Koch an Pfützner, 05.08.1913. Todesfälle scheinen selten gewesen zu sein. Vgl. S Storck N Koch Koch o. J.b, 3 f.; AGR CCCI 1682 Stetten: Bericht über die 2. Inspektionsreise, o.D. Vgl. BArch R 175-I/426, 44. Vgl. S Storck N Koch Koch o. J.c, 4.

Ein Kautschukreich: Forstwirtschaftliche Kautschukproduktion im Eigengebiet der GSK, 1907–1914

Kaka hatten Petersens Buschlager Adjab überfallen, während er und die Arbeiter eine neue Produktionsstelle anlegte. Sie verprügelten die Wachleute und stahlen – einen Wasserfilter. Trotz des geringen Schadens fühlte Petersen sich zum Handeln gezwungen, da „meine ganze Lage unhaltbar wird, wenn ich diese Beleidigung meines Ansehens hinnehme“.914 Er machte sich auf die Suche nach den Dieben, um sein Prestige gegenüber seinen eigenen Leuten zu wahren. Erwischt zu werden, bedeutete für die Kaka-Gummisucher ein ungewisses Schicksal. In der Regel übergaben die GSK-Leute sie der Regierung. Diese ging sehr unterschiedlich mit den Gefangenen um. Während die Station Lomie die Gummisucher zu drei Monaten Kettenhaft verurteilte, beließ es Molundu bei Ermahnungen.915 Die Arbeiter der GSK aber nutzten den Kampf gegen die Fremden als Möglichkeit, sich zusätzlich zu ihren Löhnen zu bereichern. Bei den Überfällen auf die Camps machten sie Beute: Nachdem sie die Kaka verjagt oder gefangen genommen hatten, plünderten sie deren Nahrungsvorräte und Habseligkeiten.916 Ergab sich die Gelegenheit, sicherten sie sich Abhängige – vor allem Ehefrauen – unter den Gefangenen. Kochs Boy etwa „hatte mit dem einen gefangenen Kaka das Abkommen getroffen, ihm seine 6–7jährige Tochter zu überlassen; unter welchen Drohungen, entzieht sich meiner Kenntnis“.917 Zusätzlich hielt sich die GSK durch vorrübergehende Zwangsarbeit der Gefangenen schadlos. Die Agenten zwangen sie, den in ihren Camps aufgefundenen Kautschuk zu tragen. Sie „erhielten schwere Lasten mit den Schulterbändern und dem Kopfgurt umgehängt, dann wurde ihnen die linke Hand lose an den Hals gebunden, und eine lange, feste Leine, die ihnen Bewegungsfreiheit und Spielraum liess, wurde von Kintscha zu Kintscha geknüpft“.918 So waren sie nicht in der Lage, ihre Lasten fortzuwerfen und zu fliehen. Der Konflikt mit den Kaka und den Nachbarn des Eigengebietes, das Töten, Gefangennehmen, die amtlichen Verurteilungen brachten Unruhe in die gesamte Ostregion. Im Dume-Gebiet war die Zahl der von den Behörden Bestraften so hoch, dass Stationschef Zipse fürchtete, Unruhen könnten ausbrechen.919 Selbst die verschiedenen Geschäftszweige der GSK gerieten in Konflikt über die Jagd nach Gummisuchern. So erwähnte Petersen einen Streit zwischen Produktionsstellenleitern, die Jukaduma-Leute im Eigengebiet beim Gummischneiden erwischt hatten und gefesselt in ihr Dorf brachten, und dem Faktoreileiter von Jukaduma, der mit den dortigen Menschen zusammenleben musste.920 Je höher die Weltmarktpreise

914 915 916 917 918 919 920

Petersen 1939b, 109. Vgl. AGR CCCI 1682 Stetten: Bericht über die 2. Inspektionsreise, o.D. Vgl. S Storck N Koch Koch o. J.b, 4. S Storck N Koch Koch an Pfützner, 27.07.1913. S Storck N Koch Koch o. J.b, 4. Vgl. BArch R 175-I/426, 44. Vgl. Petersen 1936, 165 f.

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stiegen, desto härter wurden die Konflikte über den knapper werdenden Rohstoff Kautschuk. Zwischenfazit Nachdem die GSK ihre Konzession an den Staat zurückgegeben hatte, wurde sie zum größten privaten Grundbesitzer Kameruns. In ihrem Eigengebiet begann sie 1907 mit der forstwirtschaftlichen Produktion von Kautschuk durch eigene Arbeitskräfte – eine Chimäre aus Sammel- und Plantagenwirtschaft, nutzte die GSK doch wildwachsende Pflanzen, die sie mit Vertragsarbeitern und -arbeiterinnen bewirtschaftete. Hierzu dehnte sie die Anwerbung von Arbeitern auf die Bezirke Ebolowa und Jaunde aus. Zudem gab es eine Kontinuität der Zwangsarbeit. Die Arbeit im Eigengebiet war hart, wurde aber gut entlohnt. Indem die GSK die Produktion von Kautschuk streng überwachte, transformierte sie die Arbeit der Gummisucher von einer Tätigkeit unabhängiger Produzenten in abhängige Lohnarbeit. Dies ging mit der entsprechenden Kontrolle einher, die teilweise mit Aushandlungen, teilweise mit Gewalt durchgesetzt wurde. Nachdem die GSK die Probleme des Eigengebietes wie Arbeitskräftemangel und schlechte Nahrungsmittelversorgung überwunden hatte, gelang es ihr, qualitativ hochwertigen Kautschuk zu produzieren und hohe Gewinne zu machen. Dennoch blieb das Eigengebiet stets umstritten zwischen dem Unternehmen und der Bevölkerung an seiner Peripherie, die ihre Ansprüche auf den Wald aufrechterhielt und die GSK in einen Kleinkrieg verwickelte.

5.4 „Ketch as ketch can“: Die Rekrutierung von Vertragsarbeit Josef Fomban wurde wahrscheinlich um 1897 im Grasland, im nordwestlichen Kamerun geboren – vermutlich in der Nähe von Dschang.921 Nach eigenen Angaben stammte er aus einer angesehenen Familie. Sein Großvater war ein reicher Mann, der über 100 Frauen geheiratet hatte. Im Alter von acht Jahren nahmen ihn die Pallottiner-Missionare 1905 mit nach Limburg, um ihn dort auszubilden.922 Aber nicht in seiner Heimat, dem Grasland, sondern am Kamerunberg geriet Fomban in die Obhut der Mission. Obwohl noch ein Kind, hatte er dort auf der Plantage der WAPV gearbeitet. Auf „Wunsch eines großen Wohltäters der Mission“

921 Die Pallottiner bezeichneten die Muttersprache seines Bruders als „Dschang“. Vgl. Baumann 1917, 330. 922 Vgl. NN 1910a, 11. Zur Datierung vgl. NN 1907b, 123. Fomban erhielt eine Ausbildung als Schuster und arbeitete ab 1907 für die Mission in Kamerun. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs war er Lehrer in Dschang. Vgl. Aitken 2015, 36, 49; Pohlmann 1916, 267.

„Ketch as ketch can“: Die Rekrutierung von Vertragsarbeit

(Max Esser, Gründer der WAPV, der oft für die Mission spendete)923 wurden „drei Negerknaben vom Stamme der Bali aus dem Kameruner Hinterlande“ in das Limburger Missionshaus gebracht.924 Viele sogenannte Bali-Leute arbeiteten auf den WAPV-Pflanzungen. In Limburg verfasste Fomban einen Schulaufsatz, in dem er Gebräuche seiner Heimat und sein bisheriges Leben festhielt. Dabei kam auch zur Sprache, wie die WAPV im Grasland Vertragsarbeiter rekrutierte – und damit, wie Fomban selbst zum Kamerunberg kam: Wenn die Weißen in Bali sind so schenken sie zuerst dem Häuptling Kleider, schwarze Perlen, rote Perlen u.s.w. Jetzt freut sich der Häuptling sehr, und spricht zu seinen Soldaten: „Nimm den Elefantenzahn und blase.[“] Die Leute kommen dann alle zusammen auf den Hof des Häuptling [sic!], und die Weißen zählen sie zusammen. Der Häuptling sagt zu den Weißen meine Leute werden nur 6 Monate arbeiten. Die Leute ziehen jetzt von Bali nach Victoria und bleiben dort bis 6 Monate wie es der Häuptling gesagt hat um sind. Wenn 6 Monate vorüber sind, dann holen sie ihr Geld und kaufen schöne Sachen, einer ein Gewehr, ein anderer Schwarze Perlen, rote Perlen, grüne Perlen und Kleider u.s.w. Sie ziehen von Victoria wieder nach Bali und sie schenken auch dem Häuptling Kleider, schwarze Perlen, rote Perlen, Geld u.s.w.925

Fomban beschreibt, was Quellen und Literatur verharmlosend „Arbeiteranwerbung“ nennen: Die Rekrutierung von Vertragsarbeitern für europäische Unternehmen in Kamerun. Die Historiographie hat die „Anwerbung“ für die Plantagen als wichtigen Faktor der Arbeits- und Sozialgeschichte Kameruns herausgestellt. Die ältere Literatur nimmt vor allem europäische Akteure in den Blick und fokussiert auf die mit der Rekrutierung verbundene Gewalt; Mandeng schreibt von „Menschenraub“ und „Menschenjagd“,926 Rüger von „Menschenhandel“.927 Diese Analysen sind stark geprägt von den Eingaben der Basler Mission, in deren Narrativ die auf die Plantagen transportierten Afrikaner ausschließlich als Opfer des kolonialen Staates und der Unternehmen erscheinen. Tatsächlich wurden Menschen mit Gewalt angeworben und arbeiteten unter „conditions analogous to slavery“.928 Authaler schreibt mit Verweis darauf, dass die Behörden explizit zwischen freiwilligen und angeworbenen Arbeitern unterschieden, dass Arbeiteranwerbung „per

923 Vgl. Vieter 2011, 207 f., 249, 263. 924 NN 1907b, 123. Die anderen waren Josef Sama und Max Ndifon. Vgl. NN 1910a, 12; Aitken 2015, 36. 925 NN 1910a, 11. Das Original findet sich in PAP D.1/7. 926 Mandeng 1973, 87. 927 Rüger 1960b, 235. Vgl. u. a. Winkler 1960, 259–264; Hausen 1970, 276–290; Wirz 1972, 136 f., 143. 928 Cooper 2000b, 132.

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definitionem mit Zwang verbunden“ war.929 Chilver, Saha, Argenti und andere wiederum betten die Anwerbung in lokale Strukturen ein. Sie verweisen auf die Bedeutung von Autorität, intergenerationeller Ausbeutung und Sklavenhandel im Grasland und damit afrikanischer Akteure für die Arbeiteranwerbung.930 Die bisherige Literatur ist jedoch limitiert. Die vorangegangenen Kapitel haben gezeigt, dass Vertragsarbeit in Kamerun nicht auf die Plantagen beschränkt war, wie bisher meist angenommen.931 Nach 1905 entwickelte sie sich zu einem integralen Bestandteil aller Arbeitsbeziehungen der Kautschukwirtschaft. Nicht nur Plantagen, auch Handelsfirmen und die GSK, ja sogar afrikanische Plantagenbesitzer setzten nun auf die sogenannte „Anwerbung“ von Arbeitern.932 Diese Expansion der Arbeiteranwerbung auf andere Wirtschaftsbereiche nimmt die Literatur nicht wahr. Zweitens ist wenig bekannt über den genauen Ablauf der Anwerbungen – nicht nur für Kamerun. Cooper verweist zum einen auf den Mangel an Quellen, die etwas über das Vorgehen der Werber verraten. Selbst wenn sie existierten, verrieten sie wenig: „Knowledge was contained and sterilized even when it was generated.“933 Zum anderen, so Cooper, ist das komplexe Zusammenspiel zwischen afrikanischen und europäischen Werbern einerseits sowie afrikanischen Autoritäten und potenziellen Arbeitskräften andererseits kaum zu entwirren: „The actual operations of labor recruitment took place in a subterranean world“,934 deren Beziehungen für Historikerinnen und Historiker kaum nachzuvollziehen sind. Dieses Kapitel unternimmt trotzdem den Versuch, die Anwerbung, ihre Abläufe und sozialen Zusammenhänge zu analysieren. Hierzu löst es das Phänomen aus der Verklammerung mit den Plantagen und nimmt es als Ganzes in den Blick. Neue Quellen, oftmals aus den anderen Wirtschaftsbereichen, erlauben Einblicke in die „Unterwelt“ der Anwerbung: Viele europäische Anwerber in Kamerun haben ihre Tätigkeit explizit beschrieben. Das Kapitel zeigt, dass die Plantagen die Pioniere waren, die als erste im großen Stil Vertragsarbeiter in Kamerun anwarben. Doch spätestens nach der Südexpedition weitete sich die Arbeiteranwerbung auf die anderen Branchen aus. Sie verwandelte sich in ein Geschäft, in dem Europäer 929 Authaler 2018, 94. 930 Vgl. u. a. Chilver 1967, 497; Saha 2013, 120; Argenti 2008. 931 Oft spricht die Literatur von Trägeranwerbung, ohne dies mit Vertragsarbeit zu beziehen oder anzunehmen, das von den Plantagen entwickelte Modell wäre von anderen Wirtschaftsbereichen übernommen worden. Vgl. Hausen 1970, 269, 279 f., 285; Winkler 1960, 283 f.; Mandeng 1973, 54 f. 932 Vgl. Monga 1996, 130; Eckert 1998, 139. Monga beschreibt zwar Anwerbungen von Lohnarbeitern durch Duala, die den europäischen entsprechen, aber ordnet diese nicht so ein. Zu den DualaPlantagen vgl. Wirz 1972, 202 ff.; Clarence-Smith 1993b, 194 ff.; Eckert 1999a, 112–116; Austen/ Derrick 1999, 117 ff. 933 Cooper 1996, 34. 934 Cooper 1996, 27.

„Ketch as ketch can“: Die Rekrutierung von Vertragsarbeit

und vor allem Afrikaner mit Gewalt, aber auch Verlockung und Täuschung tausende Jungen, Jugendliche und junge Männer als Arbeitskräfte für die boomende Kautschukwirtschaft rekrutierten. Arbeiteranwerbung: Entstehung eines Rekrutierungsmodells für Vertragsarbeit Das „Anwerbung“ genannte Rekrutierungsmodell entstand um die Jahrhundertwende auf den Plantagen am Kamerunberg. Bis dahin setzten die Kakao-Plantagen drei sich zeitlich überschneidende Methoden zur Arbeitermobilisierung ein: erstens Arbeitsmigranten vom westafrikanischen Arbeitsmarkt, zweitens vom Gouvernement gestellte Arbeiter (angeworben oder zwangsrekrutiert) sowie drittens privat in Kamerun angeworbene Arbeiter. Indem die Akteure diese verbanden, entwickelten sie die Arbeiteranwerbung. Diese dehnte sich zuerst räumlich und dann auch auf andere Wirtschaftsbereiche aus. Da lokale Arbeitskräfte nicht in ausreichender Zahl und zu den gewünschten Bedingungen verfügbar waren, setzten die Pflanzer anfangs wie alle europäischen Akteure auf den westafrikanischen Arbeitsmarkt. In den 1880ern arbeiteten auf den Plantagen Accra-Leute, Kru und Vai.935 Um die Jahrhundertwende aber stieg der Anteil von in Kamerun rekrutierten Arbeitskräften auf den Plantagen stark an. Mit westafrikanischen Arbeitsmigranten waren diese auf Dauer nicht profitabel: Ein Accra-Arbeiter erhielt monatlich 1 englisches Pfund bei freier Station, ein Headman 1.6 Pfund.936 Schon 1886 klagte die KLPG-Leitung über „die theuren Accra Arbeiter“.937 Ziel müsse es sein, einheimische, billigere Arbeiter zu bekommen.938 Den Ausschlag für die Umstrukturierung der Arbeiterschaft gab 1898 das Humplmayr-Monopol, das den Nachschub von liberianischen Arbeitsmigranten erschwerte. Immer mehr Arbeiter stammten nach 1900 aus der Kolonie selbst.939 Am 1. Juli 1900 waren noch 40 Prozent aller Plantagenarbeiter Migranten, im Juli 1901 nur noch ca. 27 Prozent und im März 1902 schließlich nur 14 Prozent.940 Einerseits engagierte sich ab 1898 der Staat verstärkt in der Versorgung der Plantagen mit Arbeitern, die nun vermehrt in Kamerun rekrutiert werden sollten. Auf einer Konferenz vereinbarten Regierung und Plantagen die Einstellung von Carnaps als Arbeiterkommissar, dessen einzige Aufgabe die Anwerbung von

935 936 937 938 939 940

Vgl. Rüger 1960b, 208–211; BArch R 1001/3426, 24. Vgl. BArch R 1001/3426, 24. BArch R 1001/3426, 26. Vgl. BArch R 1001/3426, 26. Vgl. Rüger 1960b, 193 f. Vgl. Rüger 1960b, 210.

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Arbeitern sein sollte.941 Ebenso begann die Regierung eine offene Zwangsarbeitspolitik zugunsten der Plantagen. Kanzler Leist hatte bereits Anfang 1893 der KLPG Zwangsarbeiter überwiesen.942 Deren Bedeutung wuchs aber, als von Puttkamer im März 1899 anordnete, dass sich die Schutztruppe aktiv an der Arbeiterversorgung der Plantagen zu beteiligen habe – durch freie Anwerbung, Strafarbeiterstellung und Sklavenbefreiung.943 In den nächsten Jahren rechneten die Pflanzer fest mit Zwangsarbeitern der Regierung. Einer sagte Anfang 1900 dem Bezirksamtmann von Victoria, um den Arbeitermangel zu bekämpfen, müsse die Regierung nur genügend Krieg führen, „dann sei allen geholfen“.944 1898 überstellte die Regierung den Pflanzungen ca. 6000 Arbeiter aus Kamerun und von der Westküste.945 Allein zwischen Oktober 1899 und April 1900 beschaffte sie über 1800 Plantagenarbeiter, 1100 aus Kamerun, 700 aus Lagos.946 Andererseits hatten die Plantagen an der Verschiebung vom westafrikanischen Arbeitsmarkt hin zu lokalen Arbeitskräften selbst großen Anteil. Sie entwickelten die Arbeiteranwerbung: die massenhafte Rekrutierung von Jungen und jungen Männern als Vertragsarbeiter. Private Anwerber erschlossen hierzu das Grasland als Arbeiterreservoir. Sie konnten dabei auf vorkoloniale Strukturen zurückgreifen, denn das Grasland war ein wichtiger Herkunftsort von Sklavinnen und Sklaven gewesen, die über den transatlantischen Sklavenhandel in die Amerikas gelangten.947 Nach dessen Ächtung nutzten die Duala Grasland-Sklavinnen und -Sklaven für den Palmölhandel.948 Dass im Grasland eine große Zahl potentieller Arbeitskräfte zu finden war, war deshalb den Europäern früh bekannt.949 Entscheidend für die Erschließung des Graslands als Arbeiterreservoir für die Plantagen und die Entstehung der Arbeiteranwerbung war das Abkommen zwischen Zintgraff als Vertreter der WAPV und dem Fon von Bali-Nyonga, Galega, von 1896. Die WAPV konnte Galega als Arbeiteranwerber gewinnen. Dieses Abkommen

941 Vgl. BArch R 1001/3226, 43 f. 942 Vgl. BArch R 1001/3426, 162. Die übrigen waren Abo, Wuri und Batanga, die die Regierung angeworben hatte. Auch Jaunde führte die Regierung 1894 der KLPG zu. Vgl. BArch R 1001/3225, 93; BArch R 1001/3225, 96; BArch R 1001/6493, 151; BArch R 1001/3225, 104. 943 Vgl. BArch R 1001/3226, 77 ff. Vgl. auch Rudin 1938, 321; Rüger 1960b, 195 f.; Mandeng 1973, 75 ff. 944 BArch R 1001/3227, 72. 945 Vgl. Carnap-Quernheimb 1900/01, 197. 946 Vgl. BArch R 1001/3512, 80. 947 Vgl. Chilver 1977, 155. Während des 18. Jahrhunderts verließen jährlich 15.000 versklavte Menschen das Grasland Richtung Kamerun-Ästuar und Old Calabar. Vgl. Warnier 1995, 255; Austen/ Derrick 1999, 23–31. 948 Vgl. u. a. Lynn 1997, 51 ff. Zum Übergang von Sklaven- zu Palmölhandel bei den Duala vgl. Austen/ Derrick 1999, 49–57; Wirz 1972, 60–66. 949 Vgl. Argenti 2008, 1.

„Ketch as ketch can“: Die Rekrutierung von Vertragsarbeit

führte dazu, dass später auch der kleine Fomban zum Kamerunberg kam. Zintgraff hatte bereits Erfahrungen mit Vertragsarbeit und deren Beschaffung gemacht, als er Vai-Träger für seine Expeditionen angeworben hatte.950 Nun entwickelte er die Idee, das Reservoir des Sklavenhandels von Old Calabar und Kamerun-Ästuar in ein Reservoir für der Plantagen des Kamerunbergs umzuwandeln. Spätestens 1890 verhandelte Zintgraff erstmals mit Galega über die Stellung von Arbeitern für die Pflanzungen. 1891 beauftragten KLPG und Jantzen & Thormählen ihn, Arbeiter bei Galega anzuwerben. Der Deal platzte, zeigt aber deutlich, um welche Art von Arbeit es sich handeln sollte: Laut Vertragsentwurf sollte Galega den Firmen Arbeiterinnen und Arbeiter für zehn Jahre überlassen und während dieser Zeit ihren Lohn erhalten.951 1896 wurden Zintgraff und Galega handelseinig. Sie vereinbarten, dass Galega jährlich hunderte Menschen als Arbeiter an die zu gründende WAPV schicken sollte. Zudem durfte jeder freie Bali je fünf Menschen als Arbeiter zur Küste senden.952 Diesmal sollten die Arbeiter aber jeweils nur einige Monate bleiben.953 Ende 1896 brachte Zintgraff tatsächlich Bali-Arbeiter an die Küste.954 1898 arbeiteten auf der WAPV-Pflanzung 900 bis 1100 Bali-Arbeiter.955 De facto handelten die Bali mit Sklaven bzw. vermieteten sie an die WAPV, weshalb Clarence-Smith treffend von einem „Bali slave system“ schreibt.956 Galega, sein Nachfolger Fonyonge und andere Bali überließen der WAPV versklavte Menschen und andere mit niedrigem sozialen Status und erhielten dafür materielle Vorteile: Geschenke und einen Teil der Löhne.957 Diese Anreize führten dazu, dass die Bali ihre Nachbarn terrorisierten und als Arbeiter zum Kamerunberg sandten. Denn viele Bali-Arbeiter stammten aus den Dörfern der Moghamo und Meta’.958 So wie Simon Peter Nguti, der von Männern aus Bali-Nyonga entführt wurde und nach Jahren als Sklave in Bali als Arbeiter auf die Plantagen geschickt wurde.959 Auch Fomban und die anderen Kinder, die als Bali-Arbeiter zur WAPV und dann nach Limburg kamen, stammten nicht aus Bali, sondern aus der Umgebung und waren

950 Vgl. Michels 2009, 64 f. 951 Vgl. BArch R 1001/3224, 49 ff.; BArch R 1001/3426, 123. Tatsächlich arbeiteten 1892 Bali für Jantzen & Thormählen. Anfang 1895 schlug Conrau vor, Bali-Arbeiter auf die Plantagen der Firma zu senden. Vgl. BArch R 1001/3815, 63; BArch R 1001/3815, 119. 952 Vgl. Michels 2004, 153 ff. 953 Vgl. Friederici 1898, 162; ANY FA 6/22 Bornmüller: Betriebsplan 1901, 29.11.1900, o.S.; BArch R 1001/3227, 70. 954 Vgl. BArch R 1001/3498, 106; BArch R 1001/3498, 108. 955 Vgl. Chun 1903, 99. 956 Clarence-Smith 1993b, 208. Vgl. auch Argenti 2008, 97 ff. 957 Vgl. Chilver 1967, 497; Michel 1970, 199. 958 Vgl. O’Neil 1996; Chilver 1967, 493. 959 Vgl. O’Neil 1996, 93.

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möglicherweise durch Krieg, Raub oder Tributzahlungen nach Bali gelangt.960 Zintgraff war sich bewusst, dass die Arbeiteranwerbung Sklavenhandel war. Es störte ihn jedoch in keiner Weise.961 Plantagenarbeiter wurden das wichtigste Exportprodukt des Graslandes.962 Zintgraff folgten andere nach. Gustav Conrau von Jantzen & Thormählen etwa glaubte, einen „Beitrag zur Lösung der Arbeiterfrage“ leisten zu können, indem er anregte, auch Menschen von Bani, Bagam, Bamum und anderswo als Arbeiter auf den Plantagen zu nutzen.963 Um die Jahrhundertwende konkurrierten bereits mehrere Akteure um Menschen aus dem Grasland: 1900 schloss die neu gegründete GNK ebenfalls einen Vertrag mit Galega, um Arbeiter zum Kamerunberg exportieren zu können.964 Ein akuter Arbeitskräftemangel, der die Plantagen an den Rand des Zusammenbruchs brachte, führte dazu, dass die Unternehmen die Anwerbung von Vertragsarbeitern ab 1900 ausweiteten. Während Rüger und Authaler schreiben, die private Anwerbung sei wenig erfolgreich gewesen und staatliche Anwerbung habe dominiert,965 begann vielmehr ab 1900 die private Anwerbung und boomte nach 1905. Der Mangel von 1900 war Folge der Schließung des westafrikanischen Arbeitsmarktes, des Krieges, den Bernhard von Besser Anfang 1900 im Nordwesten führte,966 aber auch des „sinnlosen Drauflospflanzens“ infolge der Esser’schen Gründungswelle, wie ein Beamter schrieb, „ohne Rücksicht, ob genügende Arbeiter vorhanden sind“.967 Es gab deshalb Vorschläge, chinesische oder indische Kulis nach Kamerun zu bringen.968 Doch stattdessen kamen Vertragsarbeiter nun aus neuen Regionen Kameruns. 1901 errichtete J. Weiler, eine Tochterfirma der WAPB, eine Faktorei in Bonge im Balundu-Gebiet, um dort ständig Arbeiter für den Mutterkonzern anzuwerben.969 1901/02 rekrutierte die KLPG im Banyang-Gebiet.970 Immer weiter zogen die Anwerber der Plantagen in Nordwestkamerun umher. Bis 1912 suchten sie bis zu 20 Tagesreisen weit im Inneren nach Arbeitern.971 Auch in Südkamerun warben private Anwerber ab 1901 Arbeiter und rekrutierten ab 1904/05 in Jaunde

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Fomban schreibt, Sama käme aus Batikal und Ndifon aus Bagnua. Vgl. NN 1910a, 12. Vgl. BArch R 1001/3426, 134. Vgl. Chilver 1977, 165. Vgl. BArch R 1001/3226, 111 ff. Vgl. Rüger 1960b, 202. Vgl. Rüger 1960b, 205 f.; Authaler 2018, 96. Vgl. BArch R 1001/3227, 44. Zur Besser-Expedition vgl. Michels 2004, 157–160; Hoffmann 2007, Bd. 1, 179–183; Ballhaus 1968, 133 f. BArch R 1001/3227, 71. Vgl. Rudin 1938, 163; Rüger 1960b, 210 f.; BArch R 1001/3227, 20. Vgl. ANY FA 1/497, 5. Vgl. BArch R 1001/3428, 110. Vgl. Ladewig 1912, 18.

„Ketch as ketch can“: Die Rekrutierung von Vertragsarbeit

und Joko im großem Stil.972 Private Anwerbung überstieg dabei die staatliche. Zwischen April 1904 und April 1905 rekrutierte der Staat im Jaunde-Bezirk 462 Mann für die Plantagen, private Anwerber warben hingegen 1154 Mann.973 Der räumlichen Ausdehnung der Arbeiteranwerbung folgte eine auf andere Branchen. Als die Handelsfirmen ab ca. 1905 einen erhöhten Bedarf an lokal rekrutierten Vertragsarbeitern entwickelten und die GSK ab 1907 ihr Eigengebiet in Wert setzte, griffen sie auf das Modell der Anwerbung zurück, das die Plantagen ab der Jahrhundertwende entwickelt hatten. Die Firma Lubcke etwa informierte die Regierung im Oktober 1905 darüber, dass sie aus Trägermangel einen ihrer Angestellten in dessen früheres Arbeitsgebiet, den Rio-del-Rey-Bezirk, schicken würde, um dort Leute anzuwerben.974 Dies war eines der wichtigsten Arbeiterreservoirs der Plantagen. Nach und nach gingen alle Handelsfirmen dazu über, ständig Angestellte zur Trägeranwerbung auszusenden.975 Teilweise arbeiteten die Handelsfirmen auch mit denselben professionellen Anwerbern zusammen wie die Pflanzungsunternehmen.976 Das Ergebnis war eine Ausweitung der privaten Anwerbung ab ca. 1905, die wahrscheinlich 1907 an Fahrt gewann und ab 1910, nach Einführung der Kopfsteuer 1908 und mit dem Höhepunkt des Kautschukbooms, zu einem wichtigen sozialen Faktor in ganz Kamerun wurde. Angesichts des Erfolgs der privaten Anwerbung und dem Politikwechsel nach Abgang von Puttkamers zog sich die Regierung weitgehend aus der Rekrutierung von Plantagenarbeitern zurück. Ab 1908 warb sie nur noch Arbeitskräfte an, wenn die Privatunternehmen Passagegebühren, Verpflegung und 10 Mark Kopfgeld zahlten.977 Im Januar 1911 beschränkte das Gouvernement die amtliche Anwerbung auf den Bahnbau.978 Die Unternehmen sollten sich selbst mit ausreichend Arbeitskräften versorgen.

972 Vgl. BArch R 175-I/136, 98. Für 1901 ist in den Quellen nur von staatlicher Anwerbung die Rede. Private Anwerbung ist ab 1904 belegt. Vgl. BArch R 1001/3227, 154; BArch R 175-I/966, 4. Zu Beginn der 1890er warb der Staat Jaunde als Pflanzungsarbeiter an. Vgl. BArch R 1001/3225, 104; Mandeng 1973, 52; Uslar 1899, 280. 973 Vgl. BArch R 1001/3231, 28. 974 Vgl. BArch R 1001/3231, 16. 975 Spätestens 1907 hatten John Holt & Co. und andere das Anwerbesystem für ihr Bamum-Geschäft übernommen: „The system on vogue in recruiting carriers is that every firm has one or more men constantly on the road looking for labourers, which naturally must incur heavy expenses.“ LRO 380 HOL 1/9/1 Duala, 14.05.1907. 976 Vgl. DHM Do 2005/34 Krönig an Eltern, 02.05.1908; ANY FA 6/22 van de Loo: Betriebsplan 1906, o.S. 977 Vgl. NN 1908a. 978 Vgl. BArch R 1001/3231, 204, 208.

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„Leute catchers“: Die Anwerber Die Tätigkeit, die in Verwaltungsakten und Forschungsliteratur gemeinhin als „Arbeiteranwerbung“ bezeichnet wird, wurde in Kamerun auf Pidgin als „ketschen“ bezeichnet – von Englisch „to catch“.979 Eher als der beschönigende Begriff der Arbeiteranwerbung beschreibt dieser Ausdruck, worum es bei der Rekrutierung ging. Fehlten Arbeitskräfte, sandten die Unternehmen ihre Angestellten aus, um neue Arbeiter zu „catchen“.980 Anwerber wurden dementsprechend als „Leute catchers“ bezeichnet.981 Im zynischen Jargon Südkameruns hieß „die Anwerbung von Schwarzen in ihren Dörfern“ unter den Europäern ironisch „Sklavenfang“.982 Entsprechend klagte von Stetten 1908 über die Konkurrenz durch rücksichtslose europäische „Sklavenfänger“.983 Über die Werber, die die Dörfer Nordwest- und Südkameruns abklapperten, ist bisher nichts bekannt. Es handelte sich, wie implizit in der Literatur angenommen, zum Teil um Europäer. Die Anwerbung war aber vielfach Aufgabe von Afrikanern.984 Man höre „von fernen Ländern, von Sklaven haltenden und raubenden Fullah’s“, beschrieb von Corswant seinen Mitschülern in Witzenhausen die Anwerbung von Arbeitern, „von reichen, dem freien Verkehr unerschlossenen Sultanaten, beherrscht von despotischen Islamiten; von dunklen Reitern in wehendem Burnuss in klirrendem Kettenpanzer und Saracenenhelm“.985 Was von Corswant in dieser Karl-May-Version beschrieb, war eine der „gefährlichsten Tätigkeiten im Schutzgebiet […], da sie den Eingeborenen die ihnen verhaßteste aller Arbeiten, die Plantagenarbeit [,] ohne jede Bedeckung und Schutz aufzudrängen beabsichtigt“.986 Entsprechendes berichteten diejenigen, die selbst durch die Dörfer zogen und Vertragsarbeiter rekrutierten: „Und überhaupt das Leuteanwerben“, notierte Fritz Sauer, der 1911 für Lehning & Bartels nach Arbeitern suchte, „ein anständiges Geschäft war das nicht. Der Schwarze war immer der Geprellte“.987 Auch für von Stetten, der für die GSK anwarb, war das Anwerbe-Geschäft eine der „unangenehmsten Beschäftigungen“.988

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BArch R 1001/4441, 16. DITSL SA W. v. Corswant, 59. SMB-PK, EM N Langheld Kopierbuch Nr. 7 Langheld an Ungebauer, 29.10.1912. SBB-PK Ms. germ. oct. 1355, 216. WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 21.02.1908, 26. Authaler verortet diese Entwicklung erst in der Zwischenkriegszeit. Vgl. Authaler 2018, 89. DITSL SA W. v. Corswant, 68. BArch R 175-I/136, 98. SBB-PK Ms. germ. oct. 1355, 219. WKM HBM Af III 292 Stetten an Stetten-Buchenbach, 18.02.1908, 25.

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Die europäischen Anwerber waren eine heterogene Gruppe, was die Bedeutung dieser Tätigkeit unterstreicht. Arbeiter anzuwerben war erstens zunehmend eine normale Aufgabe aller europäischen Angestellten. Auf vielen Plantagen war bald ständig mindestens ein europäischer Angestellter auf Arbeiteranwerbung.989 Gleiches galt auch für die Handelsfirmen und die GSK. Zweitens professionalisierte sich die Anwerbung. Spätestens 1906 beschäftigte die WAPB einen festangestellten Werber, die DKAG ab 1907.990 Auch die GSK stationierte Agenten, deren einzige Aufgabe die Arbeiterrekrutierung war. Drittens arbeiteten unabhängige, professionelle Werber auf eigene Rechnung und ließen sich von wechselnden Firmen engagieren. Der freie Werber Wiese, von Ossmann als „Arbeiteranwerber Griese“ porträtiert,991 war in Südkamerun „eine sehr bekannte Persönlichkeit“,992 wie Krönig berichtete. 1905 arbeitete er für die WAPV,993 1908 warb er im Jaunde-Gebiet 300 Träger für Theodor von Cloedt an.994 Wegen seiner Arbeit trug er den Spitznamen „der Sclavenjäger“.995 Viertens gab es die Tendenz, die gefährliche Anwerbung an Angestellte abzuwälzen, die als Taugenichtse galten.996 Tessmann etwa war gerade von der WAPB entlassen worden, als er für Moliwe auf Anwerbetour ging.997 Ähnlich ging es dem Kaufmann Gundlach, dem die AKAG 1912 bescheinigte, nicht zur Leitung einer Faktorei befähigt zu sein. Stattdessen sandte die Firma ihn zur Anwerbung von Monatsarbeitern nach Abongmbang.998 Auch Littmann, ebenfalls von der AKAG, erwies sich für die Arbeit im Handel als ungeeignet, weshalb ihn die Firma „versuchsweise nach Jaunde als Werber sandte“.999 Doch dort erschlug er einen Afrikaner mit einem Hammer.1000 Nicht alle europäischen Anwerber waren gefürchtet und verhasst. Einige waren paradoxerweise beliebt. Dies berichtete der Bezirksamtmann von Jaunde, Kirchhof, in einem sonst nichts beschönigenden Bericht.1001 Ein Beispiel hierfür war

989 Vgl. StAH 231-7 B 1986-1, 58; StAF XII Fa Bro 26 Geschäftsbericht KKC 1911; BArch R 907/2118 Geschäftsbericht DKAG 1911, o.S. 990 Vgl. BArch R 1001/3513, 54; BArch R 1001/3544, 13. 991 Osman 1911, 260. 992 DHM Do 2005/34 Krönig an Eltern, 02.05.1908. 993 Vgl. ANY FA 6/22 van de Loo: Betriebsplan 1906, o.S. 994 Vgl. DHM Do 2005/34 Krönig an Eltern, 02.05.1908. 995 DHM Do 2005/34 Krönig an Eltern, 02.05.1908. Bei Ossmann begrüßen ihn die Kaufleute scherzhaft mit „alter Sklavenhändler“. Osman 1911, 260. 996 Vgl. Koch 1923, 198. 997 Tessmann 2012–2015, Bd. 1, 250, 258 ff. 998 Vgl. BArch R 1001/3551, 79. 999 BArch N 2225/17, 90. 1000 Hierfür erhielt er lediglich eine Strafe von 7 Monaten und einer Woche Gefängnis und eine Geldstrafe von 600 M. Vgl. BArch N 2225/17, 90. 1001 Vgl. BArch R 175-I/183, 24.

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der bereits erwähnte Anwerber Wiese. Zwischen Küste, Edea und Jaunde war er sehr bekannt, befreundet mit „den meisten Häuptlingen“ und sprach „Bati wie ein Neger“.1002 Leute wie Wiese passten sich lokalen sozialen Strukturen an und übernahmen bereits bestehende Rollen – etwa die der Sklavenhändler. Essentiell für die Anwerbung waren aber nicht die europäischen Werber, sondern afrikanische Intermediäre: Headmen, Aufseher oder auch frisch angeworbene Leute.1003 Sie begleiteten die europäischen Anwerber und hatten, wie Petersen schrieb, „die Hauptrolle zu spielen“.1004 Tessmann etwa war auf seiner Anwerbung für Moliwe in Südkamerun unterwegs mit einem Koch, zwei Bassa-Leuten und einem Jaunde, „der nur Wĕdĕman“ (Headman) tituliert wurde, weil er sozusagen die Aufsicht über das Ganze führen sollte“.1005 Während Tessmann sich eher für Schmetterlinge interessierte, verhandelten seine Leute mit Familienoberhäuptern und potentiellen Arbeitern.1006 Derartige Konstellationen herrschten wahrscheinlich nicht nur, wenn der europäische Werber ein Schöngeist wie Tessmann war, sondern waren die Regel. Die meisten Kaufleute und Plantagen-Assistenten verfügten nicht über die nötigen lokalen, kulturellen und sprachlichen Kenntnisse. Unterstützung oder Federführung afrikanischer, aus den entsprechenden Regionen stammender Begleiter war unabdinglich. Sauer etwa sandte immer Leute in die Dörfer aus, um dort nach Arbeitern zu suchen.1007 Entsprechend lag der Erfolg europäischer Werber oft an ihrem afrikanischen Personal. Auch ohne Europäer rekrutierten afrikanische Anwerber Arbeiter. Pflanzungsleiter Otto Linke-Timler von der PGSK schickte ab ca. 1906 vor allem Afrikaner aus.1008 Oechelhausen setzte auf „indirect recruitment“ durch Headmen.1009 Zeitweise verbot die Regierung die Anwerbung durch Afrikaner wegen Übergriffen eines Vai-Werbers im Victoria-Bezirk.1010 Arbeiterkommissar von Lüdinghausen erklärte aber 1906, dass Afrikaner sowohl in Südkamerun als auch im VictoriaBezirk als Werber arbeiteten.1011 Als besonders erfolgversprechend galt, wenn Anwerber in ihre eigenen Dörfer gingen, um dort Menschen zu rekrutieren. Werber aus fremden Gebieten gab es auch, doch waren deren „Erfolge nie nennenswert“,

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Osman 1911, 261. Vgl. BArch R 175-I/188, 69; BArch R 175-I/187, 22; ANY FA 1/540, 69 Petersen 1936, 175. Tessmann 2012–2015, Bd. 1, 264. Vgl. Tessmann 2012–2015, Bd. 1, 287, 310 f. Vgl. SBB-PK Ms. germ. oct. 1355, 254. Vgl. ANY FA 1/540, 69; ANY FA 1/540, 69. Vgl. DITSL SA K. Luckhardt, Luckhardt an Fabarius, ?.07.1907; BArch R 175-I/187, 101. Zum Begriff vgl. Mark-Thiesen 2012. 1010 Vgl. BArch R 1001/3537, 60. 1011 Vgl. ANY FA 1/540, 71.

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wie ein europäischer Anwerber schrieb, weil angeblich „der von solchen Werbeversuchen betroffene Häuptling diese als einen unberechtigten Eingriff in seine Machtsphäre ansieht“.1012 Die Unternehmen nutzten folglich die sozialen Beziehungen und das kulturelle Knowhow ihrer afrikanischen Angestellten. Darüber hinaus war die Anwerbung durch Afrikaner billiger.1013 Im Kautschukhandel gab es auch unabhängige afrikanische Arbeiteranwerber, die sich als Headmen mit einer eigenen Arbeiterschaft bei den Unternehmen meldeten. Im Kribi-Bezirk kamen die Handelsfirmen 1909 auf zwei Arten zu ihren Vertragsarbeitern: Entweder dadurch, dass „eine Anzahl Eingeborener unter einem gewählten Hädmann sich zur Trägerarbeit melden, oder dass ein Hädman zunächst Arbeiter sammelt und mit diesen sich den Firmen zur Verfügung stellt“.1014 Die letzte Variante war de facto ein Subunternehmer-Modell, bei dem die Firmen sich nicht darum kümmerten, wie diese Vertragsarbeiter angeworben worden waren. Sicherlich griffen die Headmen dabei auf ähnliche Methoden zurück wie zuvor die tradebacks. Kommerzialisierung der Anwerbung Heinrich Picht, ab 1907 Chef der DKAG und weiterer Plantagen, war 1902 bis 1904 selbst als Plantagenassistent in Kamerun gewesen. 1903 ging er mit 19 Jahren auf eine Anwerbereise ins Hinterland, bei der ihm „die Anwerbung einer so erheblichen Zahl von Eingeborenen“ für die WAPV gelang, dass er sich „mit der für jeden Arbeiter gezahlten Prämie 1904 als Student in Berlin immatrikulieren konnte“.1015 Ob dieser Möglichkeiten war für viele Europäer und Afrikaner die Anwerbung nicht nur eine gefährliche Pflicht, sondern ein profitables Geschäft. Das wichtigste Instrument der Unternehmen, um ihre Angestellten zu motivieren, möglichst viele Arbeitskräfte anzuwerben, war das Kopfgeld, das diese für jeden erhielten, der einen Vertrag abschloss.1016 Da Arbeiter außerordentlich wertvoll waren, zahlten die Firmen hohe Summen. Hierdurch kommerzialisierte sich die Arbeiteranwerbung. Pro Monat, für den sich ein Arbeiter verpflichtete, erhielt ein Werber der Plantagen 50 Pfennige. Ein Jahr bedeutete folglich 6 Mark je

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Funk 1909, 563. Vgl. BArch R 175-I/185, 106. BArch R 1001/3899, 6. Picht 1934, 37. Noch im Mai 1904 zog er nach Bali, „um 100 Arbeiter für die Pflanzungen von Dr. Esser anzuwerben“. S Brekenfeld N Heigelin, 01.05.1904. 1016 Vgl. DITSL SA W. v. Corswant, 64; ANY FA 1/540, 71. Festangestellte Werber wurden gut bezahlt. Die WAPB zahlte jährlich 3600 M Gehalt plus Kopfgelder. Vgl. StAH 622-1/62/II 7 Konv. 18 Kalkulation, o.D.

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Mann.1017 Bei der GSK erhielt der Anwerber 1907 3, 1909 2, später wahrscheinlich 10 Mark Kopfgeld.1018 Die Kopfgelder, die die Werber der Handelsfirmen erhielten, waren geringer. Krönig erhielt 1911 1 Mark je Mann, andere bekamen 2 bis 3 Mark.1019 Unklar bleibt, ob die Beträge kleiner waren, oder dies auf kürzere Verträge zurückzuführen war. Noch durchschlagender war die Motivationswirkung des Kopfgeldes auf die Arbeiteranwerber ohne feste Anstellung, die einzig von der Zahl der angeworbenen Leute lebten und die Kosten für die Anwerbung selbst tragen mussten.1020 Wie die Kommissionen im Kautschukhandel führten die Kopfgelder dazu, dass die Werber Freiheit und körperliche Unversehrtheit der angeworbenen Arbeiter nicht achteten. Zum Beispiel übten sie bei der Vertragsunterzeichnung, die bei den Plantagen in Anwesenheit des Arbeiterkommissars vollzogen werden musste, Druck auf die Arbeiter aus, sich besonders lang zu verpflichten. Die Anwesenheit des Werbers hatte direkten Einfluss auf die Vertragsdauer und damit auf das zu verdienende Kopfgeld, wie Tessmann erfahren musste. Seine Kollegen in Moliwe rieten ihm, bei der Unterzeichnung unbedingt zugegen zu sein, damit die Arbeiter sich auf eineinhalb oder zwei Jahre verpflichteten. Tessmann, der sich mehr für Natur als für Geld interessierte, stieg aber lieber auf den Kamerunberg. Als er zurückkam, hatten die Leute sich für ein Jahr verpflichtet. Sein Ausflug kostete Tessmann damit 300 Mark – einen Vierteljahreslohn.1021 Andere ließen sich so viel Geld nicht entgehen und halfen entsprechend nach. Hans Stoffers, der 1912 für die Bimbia-Pflanzung arbeitete, gab bei Vertragsunterzeichnung wahrheitswidrig an, die Arbeiter wollten sich für zwei Jahre verpflichten statt für eines. Auf diese Weise verdiente er durch eine einzige Anwerbereise 2100 Mark.1022 Auch Gewalt war eine direkte Folge der kommerzialisierten Anwerbung, was sich im Laufe der Jahre immer mehr zu einem Problem für die Kolonialverwaltung entwickelte. Der Bezirksamtmann von Jaunde, von Krosigk, argwöhnte 1907, die Anwerber seien „pekuniär zu sehr an dem Erfolg der Anwerbung beteiligt“,1023 und führte deren Gewalttätigkeit darauf zurück. Auch afrikanische Werber erhielten wahrscheinlich ein Kopfgeld oder zumindest Geschenke. Andere wurden Headman. Einer von Zenkers Farmarbeitern etwa engagierte 1907 Arbeiter. Indem er deren Headman wurde, konnte er monatlich 8

1017 Vgl. BArch R 1001/4292, 81. 1018 Vgl. WKM HBM Af III 292, Stetten an Schwesterlein, 27.10.1907, 10; WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 14.02.1909, 37; Koch 1922, 61. 1019 Vgl. DHM Do 2005/37, 79; NN 1911d, 8. 1020 Vgl. BArch R 1001/4292, 81. 1021 Vgl. Tessmann 2012–2015, Bd. 1, 331 f. 1022 Vgl. BArch R 175-I/186, 202 f. 1023 BArch R 1001/4292, 81.

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bis 10 statt 4 bis 5 Dollar in Waren verdienen.1024 Headmen hatten eine herausgehobene Stellung, wurden besser bezahlt und mussten weniger körperliche Arbeit leisten. Außerdem war ihre Stellung mit der Möglichkeit zur Bereicherung verbunden.1025 Folglich spornte die Aussicht, Headman zu werden, erfahrene oder unternehmerische Arbeiter an, selbst Vertragsarbeiter zu rekrutieren. Afrikanische Autoritäten hatten ebenfalls Anteil an der Kommerzialisierung der Arbeiteranwerbung. Grasland-Herrscher wie Galega, sein Nachfolger Fonyonge oder auch König Njoya aus Fumban erhielten, wie der eingangs zitierte Fomban erklärte, Geschenke von den Europäern für die Anwerbung und nach der Rückkehr der Arbeiter einen Anteil ihres Lohnes. Njoya etwa erhielt 1912 von der Deutschen Tabakbau-Gesellschaft für 750 Arbeitskräfte pro Kopf und Monat 1 Mark – und noch mehr für Leute, die sich länger als ein Jahr verpflichteten – also über 9000 Mark im Jahr.1026 Hierdurch stärkte die Anwerbung vorkoloniale Machtstrukturen. Wo die Gemeinwesen kleiner und weniger zentralisiert waren, nahmen Familienoberhäupter eine ambivalente Position ein. Löns, der für die WAPB Arbeiter warb, beschrieb die Ankunft in einem Balundu-Dorf, dessen junge Männer sich verborgen hatten: Ein paar alte Leute, ein paar Kinder sind zu sehen, sonst Totenstille. Meine Ankunft ist durch Trommelsignale längst bekannt geworden. Der Häuptling tritt mir entgegen, ein graues Männchen. Mit einem Schwall von Worten erklärt er mir, daß keine jungen Leute im Dorfe wären, der Gouvernementsmaster hätte sie alle zum Wegebau geholt. Kalt sehe ich über ihn hinweg, ich weiß es besser. Ich werde nicht nachgeben, denn vom ersten Erfolg hängen die übrigen ab. […] Fünf Tage werde ich hier bleiben. Da jammert der Alte auf. Er hockt sich vor mich nieder, streichelt meine Beine. Fünf Tage, Master, das geht nicht. Deine Leute werden meine Farmen leeressen, die Weiber und Kinder werden hungern müssen.1027

Teilweise beschützten die Familienoberhäupter ihre Leute: Sie ließen sich verleugnen oder versuchten, die Anwerber zu überzeugen, dass in ihren Dörfern keine Arbeiter mehr zu holen seien oder sie schon genügend an Regierung und Plantagen gestellt hätten.1028 Viele Werber hatten deshalb Schwierigkeiten „infolge des passiven Widerstandes der Häuptlinge“.1029

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Vgl. DHM Do 2005/34 Brief an Eltern, 08.01.1907. Vgl. NN 1910a, 11 f. Vgl. Olpen 2014, 295 f. Löns 1929, 189. Vgl. Tessmann 2012–2015, Bd. 1, 288–291. Funk 1909, 563.

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Jedoch hatten auch Dorf- und Familienoberhäupter ein materielles Interesse an der Massenrekrutierung. Die Arbeiteranwerbung, so erklärte Koch, beruhte darauf, Familienoberhäupter durch Geschenke dazu zu bringen, „Sklaven auszuleihen, die selbstverständlich nach Rückkehr ihr Verdienst an ihre Herren abzuliefern hatten“.1030 Der Jaunde-nkúkúma Nambelle etwa nahm selbst Kontakt mit der WAPV auf, vermittelte ihr Arbeiter gegen reiche Geschenke.1031 Ein guter Arbeiteranwerber, so Löns, „spart nicht mit Geschenken“.1032 Denn Geschenke, bzw. das dash, waren die zentrale Institution der Anwerbung. In allen Regionen erhielten die Dorf- und Familienoberhäupter solche Zahlungen.1033 John Holt & Co. zahlte den Familienoberhäuptern 1906 ein dash im Wert von 10 Schilling pro Arbeiter.1034 Bis 1913 hatte sich eingebürgert, dass Familienoberhäupter in Südkamerun für die Möglichkeit, Vertragsarbeiter für die Handelsfirmen zu werben, eine „Pauschal-Kommission in bar oder vorzugsweise in Waren im Werte von ca. M. 20“ erhielten.1035 Im Omwang/Maka-Gebiet dienten als „Anwerbegeschenke“ für die Familienoberhäupter Stoffe, Blechteller, Messer, Gabeln, Seife und Streichhölzer.1036 Ein Mann namens Babo im Dorf Nkul versprach, für zwei Stück Zeug zwei Arbeiter zu stellen,1037 das Familienoberhaupt Manga vier oder fünf Leute für fünf Stücke Zeug und andere Waren.1038 Ebenso profitierten die Autoritäten und Familienoberhäupter von den Löhnen, die die Vertragsarbeiter nach Vertragsende nach Hause brachten.1039 In den Waldgebieten um den Kamerunberg und in Südkamerun stärkte die Arbeiteranwerbung die Autorität der Familienoberhäupter. Schon unter deutscher Herrschaft zogen diese Macht und finanziellen Profit daraus, dass sie als Intermediäre zwischen ihrer Bevölkerung und den Ansprüchen der Kolonialmacht auf deren Arbeitskraft standen.1040 Sie profitierten nicht nur finanziell von Geschenken, Vorschüssen und Lohnanteilen. Ihre Stellung gegenüber ihren Haushaltsmitgliedern wurde dominanter. Indem die Anwerber ihnen eine Möglichkeit eröffneten,

1030 S Storck N Koch Koch o. J.a, 7. Als Stationschef von Molundu warb Koch für die GSK an. Vgl. S Storck N Koch Tagebuch 1, 21.09.1910. 1031 Vgl. BArch R 1001/4288, 82. 1032 Löns 1920, 175 f. 1033 Vgl. Osman 1911, 260; Rohrbach 1907, 473 f. 1034 Vgl. LRO 380 HOL 1/9/1 Kribi, 06.07.1906. 1035 BArch N 2225/17, 90. 1036 SBB-PK Ms. germ. oct. 1355, 128. Vgl. auch SBB-PK Ms. germ. oct. 1355, 217, 222. 1037 Vgl. SBB-PK Ms. germ. oct. 1355, 284. 1038 Vgl. SBB-PK Ms. germ. oct. 1355, 359 f. 1039 Von den Plantagen zurückkehrende Banyang etwa mussten ihren Lohn an ihren Vater oder Besitzer abgeben. Die wiederum mussten dem Dorfoberhaupt einen Teil überlassen. Vgl. Staschewski 1917, 18. 1040 Vgl. Bayart 2014, 71 f.; Fall/Roberts 2019, 88–93.

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Menschen loszuwerden, die sich ihnen widersetzten, konnten sie ihre Abhängigen besser kontrollieren oder Menschen zu Abhängigen machen. Wohlverhalten belohnten sie und Widerstand sanktionierten sie durch Deals mit den Anwerbern. Dass es manchmal eine politische Dimension hatte, wer auf die Plantage oder in die Karawane musste, zeigt ein Fall aus dem Dorf Bumkwa nahe Jabassi. Dort erschoss Kiongtele Misogi Anfang 1914 einen Abgesandten des Dorfoberhauptes Kongo Joto. Sein eigener Bruder hatte ihn (zum zweiten Mal) für die Arbeit auf den Plantagen bestimmt, aber er wollte nicht als Arbeiter zur Küste gehen.1041 Ähnliches erlebte Sauer, als das Maka-Familienoberhaupt Bejenne ihm 1911 ohne viel Murren Leute gab: „Ich mußte diese vier auch gleich in Empfang nehmen, er wollte dieselben wohl los sein!“1042 Mittels der Arbeiteranwerbung schafften sich die Autoritäten Opponenten vom Hals.1043 Wo die Familienoberhäupter keine Kontrolle über ihre Abhängigen besaßen, erlaubten einige den Anwerbern, sich mit Gewalt zu holen, wen sie wollten. Im Jaunde-Bezirk kam es 1911/12 teilweise zu Menschenjagden, wie Bezirksamtmann Kirchhof schilderte: Meist geschieht dies auf die Weise, dass er [der Anwerber] dem Häuptling für jeden Mann, den dieser verspricht, ein Geschenk von 10 M und mehr giebt. Der Häuptling erklärt dann, dass er zwar selbst die Leute nicht stellen könne, dass er aber dem Anwerber das Recht einräume, die versprochenen Leute zu greifen. Da die Anwerber stets von einer Anzahl Getreuen begleitet sind, beginnt nun die Jagd und das Dorfgebiet wird solange durchstöbert, bis eine Anzahl Leute ergriffen ist. Sind die Leute erst einmal angebracht, so erklären sie sich dann auch meistens bereit als Arbeiter mitzugehen, weil sie wissen, dass das Bezirksamt verlangt, dass Arbeitsdienste geleistet werden und sie im Falle ihrer Weigerung Bestrafung fürchten.1044

Nicht nur Familienoberhäupter spielten eine Rolle bei der Massenanwerbung, sondern auch Broker oder alte und neue Sklavenhändler. Im Grasland war Sklavenhandel weit verbreitet. Dessen Netzwerke wurden problemlos für die Arbeiteranwerbung der Regierung oder der Unternehmen eingesetzt. Viele Bali, die bei Regierung oder Militär Geld verdient hatten, bauten kleine Sklavenhandelsunternehmen auf, die die Europäer mit Menschen versorgten.1045 Opfer dieses verborgenen Sklavenhandels waren oftmals Kinder. Ein Mann namens Tabula wurde möglicherweise von

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Vgl. BArch R 1001/3232, 231. SBB-PK Ms. germ. oct. 1355, 233. Vgl. Michels 2004, 346 f. BArch R 175-I/183, 24. Vgl. Chilver 1967, 497.

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seinem Vater verkauft, als ihn dieser 1906/07 zum Oberhaupt von Lensap schickte. Dort wurde er im Palast von Schleppern getäuscht und schließlich versklavt. Zusammen mit anderen reiste er zuerst nach Dschang, später in Nachtmärschen zum Kamerunberg, wo er auf einer Kakaoplantage arbeiten musste.1046 Auch in Südkamerun kam Sklavenhandel bei der Vertragsarbeiteranwerbung vor. Sauer warb 1911 Träger bei den Yebekollo, die über viele Maka-Sklavinnen und -Sklaven verfügten.1047 In Tommo kam ein Mann auf ihn zu, der ihn um die Begleitung von zwei von Sauers Leuten bat, um für ihn Leute anzuwerben. Nach einigen Tagen kam er mit 30 neuen Arbeitern zu Sauer zurück.1048 Hierbei handelte es sich möglicherweise um Sklaven oder sonstige Abhängige, die der Broker besorgen konnte. Dies war kein Einzelfall. Auch Hauptmann Schipper berichtete, bei den Omwang gebe es immer Leute, die gegen Bezahlung für die Kaufleute Arbeiter anwerben wollten.1049 Die Arbeiteranwerbung war teuer für die Unternehmen. Kopfgelder, Geschenke und sonstige Zahlungen an afrikanische Mittelsmänner, zu denen auch noch Transport- und Verpflegungskosten kamen, summierten sich. 1899/1900 zahlte die Moliwe-Pflanzung insgesamt 20 Mark pro Arbeiter: 10 Mark für die Anwerbung, 10 Mark für Transport und Verpflegung.1050 Noch teurer war die Anwerbung für die Kautschukhandelsfirmen während des Booms. Die AKAG zahlte 1913 für Vorschüsse, Werbekosten, Verpflegung, dash und Anwerbergehalt bis zu 25 Mark.1051 Billiger war eine Anwerbung durch Afrikaner. 1913 kostete dies die Plantagen in Johann-Albrechtshöhe nur 4,50 Mark pro Kopf.1052 Techniken: Verführung und Gewalt Auf die Frage, wie der Anwerber Wiese seine Arbeiter bekomme, legte ihm Ossmann in den Mund: „Ketch as ketch can!“ – „Krieg’ sie, wie du sie kriegen

1046 Vgl. Saha 2013, 120 f. Später gelangte er als Zwangsarbeiter ins spanische Fernando Po – wahrscheinlich in den Wirren des Ersten Weltkriegs. Zum Schlepperwesen im Kameruner Grasland vgl. Warnier 1995; Nkwi o. J. 1047 Vgl. Geschiere 1995, 208. 1048 Vgl. SBB-PK Ms. germ. oct. 1355, 368 f., 372. 1049 Vgl. BArch R 1001/4294, 200. 1050 Vgl. BArch R 1001/3516, 121. Idenau kalkulierte 1903 unterschiedliche Anwerbekosten. Während sie für 180 Arbeiter für die Pflanzungssäuberung 14 M Anwerbekosten rechnete, nahm sie für 120 Arbeiter für den Neuschlag von 100 ha 5 M Anwerbekosten an. Möglicherweise setzte sie für verschiedene Aufgaben auch unterschiedliche Bevölkerungsgruppen. Vgl. ANY FA 6/7 Wirtschaftsplan 1904, o.S. 1051 Vgl. BArch N 2225/17, 90. 1052 Vgl. BArch R 175-I/185, 106.

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kannst!“1053 Dies beschreibt das Vorgehen der Werber sehr gut: Denn die Methoden der Werber lassen sich nicht allein auf Gewalt, Bedrohung und Bezahlung von Familienoberhäuptern reduzieren. Auch Täuschung und Versprechungen gegenüber den zukünftigen Arbeitern gehörten zur Anwerbung. Diese war immer beides zugleich: Verführung und Gewalt. Die Werber nutzten Gewalt, um Familienoberhäupter gefügig zu machen, sodass sie die Menschen, über die sie verfügten – Freie, vor allem aber Abhängige –, auslieferten. Dabei konnte sich die Gewalt erstens gegen den Besitz der Familienoberhäupter richten. 1900 prahlte der Werber Habisch: „Ich bekomme stets Leute, denn wenn sie nicht wollen, schieße ich ihnen das Vieh weg.“1054 Andere Werber vergriffen sich an den Dorfbewohnern. Folglich waren zweitens Geiselnahmen an der Tagesordnung, um Arbeiter zu erpressen.1055 „Die Gefangennahme von Weibern“, so berichtete der Werber Paul Krause, „ist nämlich eine mit Vorliebe angewandte Methode, um einen Druck auf die Männer auszuüben, denn das ist der Schwarzen empfindlichster Punkt.“1056 Oft nahmen Anwerber oder ihre afrikanischen Begleiter Menschen auf Wegen, Straßen oder Farmen gefangen und verschleppten sie. Ein Arbeiter der Bremer Westafrika-Gesellschaft namens Isimbi beobachtete, „wie Leute vom Weißen in der Nähe Ngilas auf einer Farm 3 Leute gekecht [gecatched – T. Oe.], mißhandelt und sie gewaltsam mitgeschleppt haben“.1057 Um im Bulu-Gebiet Vertragsarbeiter für den Osten zu rekrutieren, war 1907 die „übliche Art der Träger-Anwerbung“ der „Überfall von Dörfern, Binden der Leute, Drohung mit der Station im Weigerungsfall nach dem Njem zu gehen“.1058 Curt Knoch von der Bremer Westafrika-Gesellschaft gab dies offen zu und spottete: „Na! Da sollten Sie erst sehen, wie es im Buleland zugeht!“ „Um Eingeborene als Träger zu engagiren“, so GSK-Agent Zippelius, „schickt derselbe Herr [Knoch – T. Oe.] seinen Koch mit einem 88er Karabiner los.“1059 Neben dieser direkten Gewalt gaben die Werber häufig vor, Abgesandte des kolonialen Staates zu sein und in dessen Auftrag zu rekrutieren. Durch Extraversion der kolonialen Macht nutzten sie deren Prestige und Gewaltpotential für ihre Zwecke.1060 Schon 1900, zu Beginn der Anwerbungen im Kameruner Hinter-

1053 1054 1055 1056 1057 1058 1059 1060

Osman 1911, 260. BArch R 1001/3277 Bitzer an Oehler, 24.08.1900, o.S. Vgl. BArch R 175-I/183, 24. Vgl. BArch R 1001/4294, 82. Vgl. auch Rohrbach 1907, 473; BArch R 1001/4292, 81; BArch R 1001/4291, 134. BArch R 175-I/136, 91. BArch R 1001/4385, 32. BArch R 1001/3449, 146 f. Zur Extraversion vgl. Michels 2004, 225, 248 f., 353–357.

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land, klagten die Missionare der Basler Mission über diese Technik.1061 Erstens täuschten die Werber durch Worte. „Der ‚Große Herr‘ in Buëa, der über uns alle gebietet, hat mich gesandt, eure jungen Leute zur Arbeit zu holen“,1062 ließ Löns in seinem Roman sein Alter Ego den Dorfbewohnern sagen. Zweitens konnten Dokumente wie Briefe oder ab 1902 die schriftliche Anwerbeerlaubnis dazu dienen, sich als Abgesandte des Gouvernements auszugeben. Robert Mockler etwa ließ sich 1908 einen kleinen Zettel voraustragen, den die Menschen als Regierungsanweisung interpretierten.1063 Drittens bewaffneten und uniformierten die Werber ihre Karawanenarbeiter, um sie als Soldaten auszugeben. Isimbi berichtete über den Anwerber Johannes Voss: „Die Leute des Weißen gehen ganz so gekleidet wie Soldaten, Khaki haben alle an, einige sogar goldene Knöpfe und rote Mützen“.1064 Isimbis deutscher Vorgesetzter fügte hinzu, dass Voss zuerst seine bewaffneten „boys“ vorausschickte und das Gerücht verbreiten ließ, „daß morgen ein ‚Governer‘ käme um Leute anzuwerben“. Voss stellte sich entsprechend vor und drohte, „Palaver“ zu machen, wenn die Familienoberhäupter ihm keine Leute gäben.1065 Da die Regierung die Gewalt der europäischen Werber als bedrohlich einstufte, hoffte sie, diese Probleme durch afrikanische Rekrutierer, die in ihren Heimatregionen Arbeiter suchten, lösen zu können.1066 Afrikaner durften nach der ersten Einschränkung der privaten Anwerbung 1902 weiterhin ohne staatliche Erlaubnis anwerben, denn es galt nicht als Anwerbung, wenn sie weniger als zehn Leute aus ihrem eigenen Dorf anheuerten.1067 Selbst nachdem die private Anwerbung 1913 verboten wurde, blieb sie für Afrikaner erlaubt.1068 Dabei nutzten afrikanische Werber alle Methoden, die Europäer gebrauchten. Auch sie griffen auf die Extraversion kolonialer Macht zurück. Anwerber, die zuvor für die Regierung gearbeitet hatten, machten sich ihre Verbindungen und ihr Prestige zunutze, um Menschen zu beeindrucken oder zu bedrohen, und traten als Abgesandte der Verwaltung auf. Namalui Schwamme hatte Zeit in Deutschland zugebracht und danach als Übersetzer für die Regierung im Lolodorf-Gebiet gear-

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Vgl. BArch R 1001/3277 Bitzer an Oehler, 24.08.1900, o.S. Löns 1920, 187 f. Vgl. BArch R 175-I/185, 1. BArch R 175-I/136, 91. Beide Zitate: BArch R 175-I/136, 91. Vgl. ANY FA 1/540, 70; ANY FA 1/540, 71; BArch R 175-I/188, 69. Vgl. NN 1908a. 1911 (möglicherweise weil mehr afrikanische Angestellte als Werber arbeiteten) konkretisierte die Regierung: Pflanzungsarbeiter, die unter ihren „engeren Stammesgenossen“ rekrutierten, brauchten keinen offiziellen Erlaubnisschein. Trotzdem mussten sie sich beim Bezirksleiter melden und einen Auftrag ihres Arbeitgebers vorlegen. NN 1911c, 6. Zur Regulierung der Arbeiteranwerbung vgl. Hausen 1970, 277. 1068 Vgl. BArch R 175-I/185, 106.

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beitet.1069 1905 warb er für die Bremer Westafrika-Gesellschaft Träger an. „Wie er als früherer Stationsdolmetscher, weiterhin mit goldenen Knöpfen […], dabei verfährt“, erklärte Stationsleiter Jacob, „liegt nahe, besonders da er sich ein Reitpferd hält.“1070 Auch Zampa, der gegen Ende seiner Karriere als Arbeiteranwerber für Randad & Stein arbeitete,1071 dürfte seine frühere Verbindung mit der Regierung eingesetzt haben. Afrikaner drohten ebenfalls mit der militärischen Macht des Gouvernements. So beschwerten sich im Rio-del-Rey-Bezirk die Dorfoberhäupter von Ilo und Funge, „daß ein Farbiger in das Dorf gekommen sei um Leute anzuwerben, derselbe habe auch mehrere Drohungen ausgestoßen, falls sie nicht mit ihm kämen, würden sie seitens der Station schwer bestraft“.1072 Gewalt und Erpressung waren aber nicht die einzigen Mittel der Anwerber. Von Corswant gab Einblicke in die Melange, die einen guten Arbeiteranwerber ausmachte: Reden muss man können wie ein Buch, schachern wie ein Jude, einem king eine alte Hose unter Weh und Ach mit 100 % Aufschlag als neu verkaufen. Das giebt Erfolg. Ab und zu, wenn gerade keine Mission zu fürchten ist, wird so ein obstinater König mal ein wenig über die Kiste gezogen, das imponiert dann dem ‚bushnigger‘ […]; da sagen die Schwarzen ‚Dis massa, he savez blackman-fashion‘; der versteht es mit unsereins umzugehen und dann bring dem ‚master‘ Leute […].1073

Gewalt und Verführung bildeten ein kaum zu trennendes Amalgam. Nicht in allen Regionen und für alle Jungen und jungen Männer, auf die es die Anwerber abgesehen hatten, galt Löns’ Beobachtung: „Der Häuptling wird bestimmen, und ohne Murren werden sie gehen.“1074 Oftmals mussten und konnten die potentiellen Arbeitskräfte überzeugt werden, wie Clarence-Smith schreibt: „[M]en were increasingly keen to escape from the despotic authority of their chiefs, especially in the Grassfields, and plantation labour was seen as one way of achieving this.“1075 Dies ist gilt für die gesamte Vertragsarbeit. Hinter einer gewaltvollen Anwerbung musste deshalb nicht unbedingt erzwungene Arbeit stehen. Löns etwa berichtete, dass er in einem Balundu-Dorf, wo kein Mann im fraglichen Alter anzutreffen war, Headman und Träger in die Farmen schickte, um Leute einzufangen. Den 42 so vorgeführten Leuten erklärte er,

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Vgl. Aitken/Rosenhaft 2013, 84. BArch R 175-I/966, 38. Vgl. Hennemann 1915, 132. Vgl. auch BArch R 175-I/187, 105. Vgl. BArch R 175-I/188, 65. DITSL SA W. v. Corswant, 68. Löns 1920, 173. Clarence-Smith 1993b, 208.

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daß ich nicht gekommen bin, sie mit Gewalt zu holen, […] aber ich sähe so viele hübsche junge Weiber, die nur darauf warteten, daß ein Mann sie ihren Eltern abkaufe. Ein verständnisvolles Lächeln geht über alle Gesichter, die Alten nicken und winken einigen Burschen aufmunternd zu. Sechs prächtige Jungens treten vor. Sie werden notiert und reichlich beschenkt. Das zieht, sechs weitere melden sich, da erkläre ich mich für befriedigt. Freudiges Beifallsgeschrei ertönt, das ganze Dorf umdrängt mich, die Alten drücken mir die Hände, jeder erhält ein kleines Geschenk.1076

Die Anwerber nutzten geschickt die sozialen Strukturen und den Generationenkonflikt der Balundu und anderer Gruppen. Indem sie jungen, aufstrebenden oder armen, verzweifelten nicht etablierten Männern europäische Waren und dadurch sozialen Aufstieg versprachen, gelang es ihnen, einige auf die Plantagen, in die Karawanen oder ins Eigengebiet zu locken.1077 Letztlich beruhte diese Verführung fast immer auf Täuschung.1078 Die Versprechungen, die die Werber machten, erfüllten sich für die wenigsten. Schwer hingegen wogen die Lebensbedingungen, die die Anwerber den Menschen verschwiegen: die harte Arbeit und die hohe Todesrate auf den Plantagen oder die mangelhafte Versorgung im Eigengebiet der GSK. Dass Verführung und damit auch Täuschung über die Natur und Bedingungen der Vertragsarbeit eine große Rolle bei der Arbeiteranwerbung spielten, ändert die Perspektive entscheidend. Junge und nicht etablierte Männer erscheinen nun nicht nur als Opfer von Gewalt, sondern werden als Akteure sichtbar, die aus ihrer jeweiligen Lebenssituation heraus individuell entschieden, ein Lohnarbeitsverhältnis einzugehen – als Plantagenarbeiter, Gummisucher oder Monatsarbeiter. Selbst wenn sie getäuscht wurden, ist es doch für eine Sozialgeschichte von Arbeitsbeziehungen im kolonialen Kamerun wichtig, diese Entscheidungen zur Kenntnis zu nehmen. Für einige nicht etablierte Männer waren Lohnarbeit und Mobilität eine Verheißung, durch die sie hofften, ihr Leben zu verbessern.1079 Eine große Rolle bei der Verführung der zukünftigen Arbeiter spielten afrikanische Intermediäre. Sie nutzten ihre Netzwerke und Sprachkenntnisse, ihr Prestige oder ihren neuen Besitz, die „verheißungsvollen Lockungen“,1080 um Dorfbewohnern die Arbeit für die Europäer schmackhaft zu machen. Nach Petersen wiesen gerade afrikanische Anwerber auf die materiellen Möglichkeiten und die Chance

1076 Löns 1929, 190. Vgl. auch Löns 1912/13; Löns 1920, 188. 1077 Vgl. Authaler 2018, 114–117; Löns 1920, 174. Anderswo berichtete Löns, dass bei der Arbeiteranwerbung die Notwendigkeit, die Kopfsteuer zu zahlen, ausschlaggebend war. Vgl. Löns 1920, 173. 1078 Zur Bedeutung von Täuschung vgl. Martino 2016. 1079 Vgl. Argenti 2008, 184 f. 1080 Löns 1920, 173.

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auf einen sozialen Aufstieg hin, um nicht etablierte Männer zu überzeugen, ins Eigengebiet der GSK zu gehen: Sieh einmal, Freund, […] im Gummibusch bekommst du regelmäßig dein Essen, dazu Fleisch, Sardinen und Tabak, – was du willst. Der Weiße schenkt dir Zeug, Öl und Lawendelwasser [sic!] für den Sonntag, er hilft dir in allem. Und wenn du ein Jahr oder zwei gearbeitet hast, bekommst du Geld, viel Geld, hundert Schilling, zweihundert Schilling, – einen ganzen Sack voll. Dann kommst du als großer Mann zurück in dein Dorf und kaufst dir ein Weib oder auch zwei. Hörst du, Freund? Nirgend sonst kannst du so rasch zu einer Frau kommen wie bei uns im Busch.1081

Sehr gut funktionierte Verführung, wenn die afrikanischen Helfer vor Ort bekannt waren: Bassa-Headman Júm ging mit Tessmann in sein Heimatdorf. Dort überredete er einen 14-Jährigen, mit Tessmann zu gehen – gegen den Widerstand seiner weinenden Mutter.1082 Vertrauensvorschüsse nutzten die Werber systematisch. „Und immer sandte er die Dorfgenossen zu dem eigenen Dorfe“, schrieb Löns über sein Alter Ego. „Dort werden sie froh empfangen, froh angestaunt um den Besitz stolzer Herrlichkeiten. […] Der [Ankömmling] aber weiß seine Worte gut zu setzen, und bald haben sich ihm ein Dutzend Männer und mehr mit Handschlag verpflichtet.“1083 Auf diese Weise, so Löns, „geht die Werbung gut voran, und die Angeworbenen stehen meistens schon bereit, wenn Liß [Löns Alter Ego – T. Oe.] die Dörfer betritt“.1084 Zur Verführung gehörten auch handfeste materielle Anreize. Wie die Familienoberhäupter erhielten auch die Angeworbenen einen Vorschuss.1085 Dieses „money for work“ von Monatsarbeitern betrug 1914 „ca. 10,- Mk. und einige Kleidungsund Schmuckstücke wie Hemden, Mützen, Armringe usw.“, so Pagel. „Je mehr die Leute erhalten, umso größer die Lust zum Mitgehen und das Vertrauen zum Europäer.“1086 Auch für die GSK lässt sich dies nachweisen.1087 Durch die Einwilligung, Vertragsarbeit zu leisten, gelangten junge Männer in den sofortigen Besitz des immer wichtiger werdenden Geldes oder der begehrten europäischen Waren. Für einige war dies ein starker Anreiz, mit den Anwerbern mitzugehen. Werber nutzten auch die brutalen Umstände der Kolonialherrschaft. Junge Männer, die etwa als Arbeiter ins Eigengebiet der GSK gingen, entschlossen sich nicht

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Petersen 1936, 175. Vgl. Tessmann 2012–2015, Bd. 1, 292 f. Löns 1920, 174. Löns 1920, 175. Vgl. Löns 1920, 188. Pagel 1914b, 479. Vgl. DHM Do 2005/37, 83. Vgl. WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 10.04.1908, 32.

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nur aus einem Grund, „ihr schönes, liebliches Palmenland zu verlassen und für ein oder zwei Jahre in dem düsteren, einsamen Gummibusch unter Aufsicht eines Weißen zu arbeiten“.1088 Auch wer sich ohne direkten Zwang durch das Unternehmen, den Staat oder sein Familienoberhaupt zur Arbeit bei der GSK verpflichtete, tat dies nicht unbedingt aus freien Stücken. In einer Erzählung über einen jungen Jaunde-Arbeiter namens Akono und seinen Weg zur GSK nennt Koch zwei Motive: Einerseits wollte er Geld verdienen, um die Brautgaben für seine Geliebte Dede zu bezahlen. Andererseits presste zeitgleich die Regierung Arbeiter zum Bau der Mittellandbahn. Anwerber der GSK nutzten diesen Umstand aus: „Schließlich zogen die meisten es vor, lieber in den als Hungerland übel verschrienen Kongobusch zu ziehen, als beim Bahnbau zu sterben.“1089 Nach 1910 waren dort die Verluste an Menschenleben enorm.1090 Akonos Gang zur GSK war deshalb die weniger gefährliche von zwei schlechten Alternativen. Mit Akono, so Koch, ließen sich fast 100 Leute anwerben. Das Beispiel zeigt die Ambivalenz der Vertragsarbeit, die sich nicht in ein dichotomes Schema von frei und unfrei pressen lässt. Sie ermöglichte einerseits, Geld bzw. Waren zu verdienen, um zu heiraten und sozial aufzusteigen, andererseits erfolgte die Entscheidung, Lohnarbeit anzunehmen, häufig unter starkem äußeren Druck. Von Abhängigen zu Arbeitern: Vertragsarbeit und sozialer Status Wer waren die Menschen, die die Anwerber rekrutierten? Fast alle, so scheint es, waren jung und männlich. Sie kamen aus der Umgebung des Kamerunbergs, dem Grasland, dem Beti- und Bulu-Gebiet und aus dem Dume-Bezirk. Unklar ist in vielen Fällen ihr sozialer Status. Einige Arbeiter waren junge Männer, die nach einem Weg suchten, ihr Leben zu verbessern und sich deshalb gegen Vorschüsse und Geschenke einem Anwerber anschlossen. Wie groß ihr Anteil war, lässt sich nicht sicher sagen. Er dürfte zeitlich, regional und branchenabhängig geschwankt haben. Plantagenarbeit war überall verhasst und gefürchtet – wegen der Art der zu verrichtenden Arbeit genauso wie wegen der hohen Todesraten. Noch 1914 hatten etwa die Bulu die Plantagen am Kamerunberg in böser Erinnerung. „Was aus den Tausend Bulus, die [der Offizier – T. Oe.] Bülow 1901 [als Strafarbeiter – T. Oe.] dorthin sandte, geworden ist“, so Stationschef von Hagen, „die Frage hört man noch immer.“1091 Trägerarbeit in den Trip-Karawanen für die Handelsfirmen war hingegen als gute und lukrative Arbeit etabliert. Hier dürfte es vielen jungen Männern leichter gefallen sein, sich als Monatsarbeiter zu melden. 1088 1089 1090 1091

Petersen 1936, 175. Koch 1922, 61. Vgl. auch AGR CCCI 1683 GSK an Direktion, 01.10.1909. Vgl. Mandeng 1973, 99–130. BArch R 175-I/116, 108.

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Der größte Teil der Vertragsarbeit bei europäischen Unternehmen beruhte aber wahrscheinlich auf lokalen Formen von Zwang. Das „Bali slave system“ war nur die Spitze des Eisbergs. Familienoberhäupter, Fons und andere Autoritäten wurden zu Gewaltakteuren, um vom lukrativen Arbeitergeschäft zu profitieren. Einige Herrscher, besonders die von Bali, veranstalteten im Grasland Sklavenjagden für die Plantagen. 1904 gelang der WAPV eine Massenanwerbung von 1700 Bali-Arbeitern. Dies konnte, so Stabsarzt Pfister, „nur unter Mithilfe der farbigen Miliz des Häuptlings Fonjonge bewerkstelligt werden“.1092 Schon wenige Monate zuvor hatte die Station Bamenda gemeldet, die Anwerbung von hunderten Bali-Arbeitern konnte „nur durch rücksichtslose Fangjagden der sogenannten Soldaten Fonjonges überhaupt geschehen“.1093 Teilweise lieferte Fonyonge über die Hälfte der männlichen Bevölkerung der von ihm unterworfenen Dörfer an die WAPV.1094 Auch im Bezirk Ossidinge konnten die Plantagen Sklavenhandelsnetzwerke nutzen. Die Banyang z. B. waren Intermediäre zwischen Grasland und Old Calabar im transatlantischen Sklavenhandel gewesen.1095 Nach dessen Ächtung blieb das Banyang-Gebiet eine wichtige Durchgangsstation für Sklavinnen und Sklaven. Zudem kauften die Banyang Sklavinnen und Sklaven von ihren Nachbarn, versklavten Straftäterinnen und Straftäter und entführten Menschen für die Palmölproduktion. Chem-Langhëë und Fomin gehen davon aus, dass Verbote den Sklavenhandel der Banyang während der deutschen Kolonialherrschaft abschwächten.1096 Sie berichten von einem Wiederaufleben während des Ersten Weltkrieges.1097 Tatsächlich aber änderte sich wohl nicht die Zahl der Verschleppten und Verkauften, sondern lediglich die Richtung: Die Plantagenunternehmen waren neue Abnehmer.1098 Erst als im Weltkrieg dieser Markt wegbrach, lebte die Handelsroute nach Nigeria wieder auf. Selbst im Dume-Bezirk, wo die Handelsfirmen ihre Monatsarbeiter anwarben, waren Abhängige bzw. Sklaven ein wichtiger Teil der Angeworbenen. Besonders das Omwang-Familienoberhaupt Nguelemendouka, der über eine große Zahl von versklavten Menschen verfügte, wurde zu einem wichtigen Intermediär in der

1092 BArch R 1001/3232, 216 f. Chilver betont die Ambivalenz dieses Arbeitergeschäfts und die teilweise positiven Folgen für die Zwangsrekrutierten: „Such traveled slaves often became important men in their masters’ households, were adopted into their lineages, and might even be selected to succeed them.“ Chilver 1967, 497. Ähnliches berichtete auch der Missionar Spellenberg. Trotz aller Brutalitäten besäßen die Rückkehrer bessere Kleidung und eine größere Weltgewandtheit. Vgl. BArch R 1001/3227 Bitzer an Oehler, 24.08.1900, o.S. 1093 BArch R 175-I/183, 190. 1094 Vgl. BArch R 175-I/183, 190. 1095 Vgl. Chem-Langhëë/Fomin 1995, 193 f.; Chilver 1977, 149 f. Ähnliches gilt wahrscheinlich auch für die Bakossi. Vgl. Balz 1995, Bd. 1, 115–124. 1096 Vgl. Chem-Langhëë/Fomin 1995, 194. 1097 Vgl. Chem-Langhëë/Fomin 1995, 200. 1098 Vgl. Mansfeld 1908b, 168. Zum Sklavenhandel vgl. Staschewski 1917, 24; Argenti 2008, 95 f.

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Arbeitskräftebeschaffung für die Karawanen des Ostens. Die Firmen konnten dort 50, 200 oder gar 250 Träger anwerben, die ihnen Nguelemendouka „unter dem üblichen Radau“, aber doch bereitwillig übergab.1099 Andere Abhängige waren Kinder wie Fomban. Besonders auf den Plantagen arbeiteten nicht nur „young adult males“,1100 sondern kleine Jungen vor ihrer Pubertät.1101 Kinder waren dort seit Beginn bedeutende Arbeitskräfte. Auch viele Kruund Vai-Plantagenarbeiter waren sehr jung oder gar Kinder. Diese „Bengel“ erhielten keinen Lohn.1102 Friederici äußerte sich lobend über die „kleinen Kinder“ der Kru – diese seien „so flink und gewandt namentlich beim Reinigen der Farm“.1103 Wahrscheinlich begann aber erst mit der massenhaften Arbeiteranwerbung in Kamerun die große Zeit der Kinderarbeit auf den Plantagen. Von Carnap, der 1898/99 als Arbeiterkommissar die ersten Plantagenarbeiter im Balundu-Gebiet anwarb, rekrutierte dort „ca. 400 Jungens“. Hierzu führte er aus: „Ich gebrauche absichtlich den Namen ‚Jungens‘; denn ein großer Teil war recht schwächlich und klein, eine Auswahl aber gab es nicht.“1104 Um 1900 arbeiteten „Balundukinder“ auf allen Pflanzungen.1105 Kinder machten einen großen Teil der Arbeiterlieferungen der Regierung und mutmaßlich auch der von den Plantagen selbst angeworbenen Leute aus. 1901 vereinbarten Gouvernement und Pflanzer gar, dass bei den abzuführenden Kopfgeldern Menschen, die kleiner als 1,45 Meter waren, nur halb gezählt würden. Von 188 Balundu-Arbeitern, die die Regierung 1901 an die KLPG lieferte, traf dies bei 41 Personen zu – dies waren mit großer Wahrscheinlichkeit Kinder.1106 Jungen gehörten erstens zu denjenigen Gruppen, auf die Dorf- und Familienoberhäupter am ehesten verzichten konnten. Mädchen waren gleichbedeutend mit Reichtum und boten die Möglichkeit für neue Allianzen. Jungen und junge Männer hingegen waren zwar Arbeiter und Krieger, aber mitunter widerständig und mussten irgendwann verheiratet werden. Zweitens gehörte diese Gruppe seit je zur Beute von Sklavenhändlern. Kinder waren stets ein großer Bestandteil der Versklavten

1099 BArch R 1001/4294, 82. 1100 Clarence-Smith 1993b, 210. 1101 Vgl. Mandeng 1973, 95 f.; Möhle 1999a, 59. Grier hat darauf hingewiesen, dass die Definition von Kindern kulturellen Setzungen unterliegt. Je nach Gesellschaft können junge Menschen bereits als Erwachsene oder noch als Kinder gelten, unabhängig von ihrem Alter. Grier definiert Kinder als Jungen und Mädchen vor der Pubertät. Dies nimmt auch die vorliegende Studie an. Vgl. Grier 1994, 28. 1102 Zintgraff 1894, S.158. 1103 BArch R 1001/3427, 67. 1104 Carnap-Quernheimb 1900/01, 196. 1105 Vgl. BArch R 1001/3516, 121; BArch R 175-I/186, 2. 1106 Vgl. BArch R 175-I/186, 14 f. Von Krosigk, der die Leute angeworben hatte, wehrte sich. Diese seien keine Kinder, sondern nur klein. Ein Arzt habe dies bestätigt. Vgl. BArch R 175-I/186, 20.

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– dies galt auch für Nordwestkamerun und die Sklavenmärkte des Graslands.1107 Drittens wurde es etwa bei den Banyang üblich, dass Väter ihre Söhne zur Arbeit ausschickten – und eventuelle Löhne an sich nahmen.1108 Karl Luckhardt, der auf Oechelhausen arbeitete, schrieb, Erwachsene kämen nur wenige als Arbeiter auf die Plantage, „sobald sie Kinder haben überhaupt nicht, denn dann schicken sie Letztere zur Arbeit“.1109 Der verbreitete Einsatz von Kinderarbeit wirft auch ein neues Licht auf die hohen Todesraten der Plantagen. Sie beschäftigten hunderte Zehnjährige fernab ihrer Heimat unter fürchterlichsten Bedingungen mit harter Arbeit und wunderten sich, dass diese starben. Viele Unternehmen, die die Kinderarbeit durchweg begrüßten,1110 nahmen wenig Rücksicht auf die körperliche Konstitution ihrer jungen Arbeiter, die häufig geschwächt auf den Pflanzungen eintrafen. Auf den Plantagen übernahmen Kinder zwar in der Regel leichtere Aufgaben. Sie reinigten die mit Kakao bepflanzten Flächen, im Funtumia-Anbau sammelten sie Raupen von den Pflänzlingen.1111 Später, als die Kautschukplantagen zapfreif wurden, setzten die Unternehmen sehr junge Männer auch zur Gummiernte ein.1112 Doch einige Unternehmen ließen Kinder auch die gefährliche Arbeit des Regenwaldrodens durchführen. Gerade dies trug zur hohen Zahl der Todesfälle bei. Apodiktisch erklärte von Carnap, „kleine schwächliche Jungen“ gehörten „in alte Pflanzungen, wo sie immer zu verwenden sind; und von diesen Jungen soll man nicht harte Arbeit, wie sie eine Neuanlage bedingt, verlangen“.1113 Auch ohne schwere Arbeit hatten die Kinder auf den Plantagen wohl die höchste Todesrate. Missionar Spellenberg klagte, auf den Pflanzungen seien „eine Menge kleiner 8–12 jähriger Knaben […] dem Klima erlegen“.1114 Die Kinderarbeit war nicht bloß ein Phänomen der zügellosen Anfangszeit der Plantagen. Bis zum Ersten Weltkrieg änderte sich de facto kaum etwas daran. In einem Brief an Fabarius schrieb Luckhardt 1905: „Der größte Teil der Leute ist noch

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1112 1113 1114

Vgl. Nwokeji/Eltis 2002, 202 f. Vgl. Staschewski 1917, 18; Schuster 1914, 948 f. DITSL SA K. Luckhardt, Luckhardt an Fabarius, ?.07.1907. Rackow erklärte, dass „die Lust zum Arbeiten und die Erziehungsfähigkeit mit den Jahren sehr schnell abnimmt und daher das beste Arbeitsmaterial, halbwachsene Burschen, und soweit es sich nicht um den Bedarf besonderer Körperkräfte der Einzelnen handelt ja unter Umständen Kinder abgeben“. BArch R 1001/3511, 113. Für diese Arbeit wurden auch Frauen eingesetzt. Vgl. BZKF Sonderdrucksammlung Kapsel Botan. Garten Jahresbericht. Afrika, Victoria, Kamerun. Preuss: Jahresbericht 1901/02, 6; Zitzow 1904, 240 f. Vgl. Kap. 5.2. Carnap-Quernheimb 1900/01, 198. BArch R 1001/3227 Bitzer an Oehler, 24.08.1900, o.S.

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jung und unausgewachsen, mancher ist kaum 5 Jahre alt“.1115 Auch auf Dehane machten Kinder ein Fünftel der Arbeiterschaft aus. Von 142 Arbeitern im August 1911 waren 30 „kleine Burschen“.1116 Auch beschränkte sich Kinderarbeit nicht auf deutsche Plantagen. John Holt & Co. waren 1910 froh, Steuerarbeiter von der Regierung für ihre Kautschukplantage zu erhalten, da sie dieser zuvor 100 Arbeiter geliehen hatten: „[A]ll men we got from them were big fellows while among those lent to the station were many not full grown boys.“1117 Auch unter den Monatsarbeitern der Handelsfirmen war eine große Zahl von Kindern. Schriftliche Quellen geben hierzu kaum Informationen. Fotos aber zeigen, dass viele Träger sehr jung waren. Ein Beispiel stammt aus dem Nachlass von Wassy Langheld. Es findet sich auf einer Albumseite mit der Beschriftung „Meine treuen Diener u. Träger“.1118 Auf dem von Langheld, früher Hauptagent der GSK und nun leitender Angestellter der AKAG, selbst aufgenommenen Bild sind wahrscheinlich die Träger seiner Reise nach Neukamerun Ende 1912 zu sehen.1119 28 junge Männer mit freiem Oberkörper, Hemden oder Überwürfen posieren in drei Reihen für das Foto. Bis auf zwei Männer mit Mützen in der mittleren Reihe erscheinen alle sehr jung. Einige, vor allem in der vorderen Reihe, sind augenscheinlich Kinder.1120 Verweigerung und Widerstand Trotz Gewalt und Drohungen, Verführung und Täuschung sowie Zahlungen an Familienoberhäupter waren Anwerber nicht immer erfolgreich. Werner warb in fünf Monaten 90 statt der 300 angepeilten Arbeiter an, Bodenstedt 55 statt 100, Schrader 40 statt 300, beim nächsten Mal 117 statt 150, Jules Oberer 55 statt 300 Arbeiter. Auch die Anwerber von Randad & Stein konnten 1912 für die Onge-Plantage dauerhaft viel weniger Arbeiter finden, als gebraucht wurden.1121 Wie sind diese Misserfolge zu erklären? Menschen konnten sich in vielen Fällen weigern, mit den Werbern mitzugehen. Gewalt und Drohungen waren schließlich verboten. Eine konsequente Strafverfolgung fand zwar nicht statt, aber nicht alle Anwerber setzten sich dieser Gefahr aus und griffen trotzdem zur Gewalt. Stattdessen nahmen sie zur Kenntnis, wenn

1115 1116 1117 1118 1119 1120

DITSL SA K. Luckhardt, Luckhardt an Fabarius, ?.07.1907. Vgl. auch BArch R 175-I/188, 74. BArch R 175-IV/1054, 7. BLO MSS. Afr. s. 1525/15/8, 64. SMB-PK, EM N Langheld, Album ohne Bezeichnung. Vgl. BArch N 2225/17, 36. Das Foto findet sich mehrfach in Langhelds Nachlass. Vgl. SMB-PK, EM N Langheld Album ohne Bezeichnung; Foto-Album No. 8; Album „Kamerun“. 1121 Vgl. BArch R 175-IV/1057 Verzeichnis, o.D., o.S.

„Ketch as ketch can“: Die Rekrutierung von Vertragsarbeit

sich Menschen weigerten. Krause versuchte 1912, Arbeiter für die NRP im EdeaBezirk anzuwerben. Dies war jedoch „sehr schwierig geworden, da die Leute mir erklärten bei Herrn Lüders nicht mehr arbeiten zu wollen, wegen der unregelmäßigen Bezahlung u Verpflegung“.1122 Auch Sauer bekam im Dorf Tom keine Arbeiter für Lehning & Bartels.1123 Er habe keine Macht dazu, schrieb Sauer, die Familienoberhäupter zu zwingen.1124 Auch Krönig, der um Schilderungen eigener Gewalttätigkeiten nicht verlegen war, beschrieb, wie er 1912 für die BKH vergeblich Träger im Bulu-Gebiet anwarb: Ich: Frage: Willst Du nicht arbeiten. Antwort: Für welche Firma. Ich: Antw. B. K. H. Antw. Nein. Ich bleibe vorerst in meinem Dorf und werde mich erholen, aber du kannst ja mal so in 4 Wochen wieder nachfragen. Ich: Ich will dir die 4 Wochen Zeit lassen, danach kommst Du auf meine Faktorei. Ich lasse Dir Geld (Handgeld) und den ausgefüllten Contract da. Antw. Ja, das ist gut, aber ich kann bis dahin krank sein und wenn ich dann nicht auf Deine Faktorei komme, meldest Du es dem Governer und der lässt mich durch Soldaten fangen, dann bekäme ich noch 25 Hiebe dazu. Es ist schon besser Du wartest noch, das Buch [= book = Vertrag – T. Oe.] und Geld kann ich ja nachher immer noch bekommen. […] So geht es ungefähr tag aus tag ein. Das ist sehr geistvoll, nichtwahr, und das so zirka 20–30 mal am Tag. Dabei kann man in Wut geraten, wenn man so garkeinen Erfolg sieht.1125

Besonders groß waren die Möglichkeiten, sich gegen die Vertragsarbeit bei Handelsfirmen zu wehren. Die Träger behielten eine stärkere Kontrolle darüber, wozu sie sich anwerben ließen und zu welchen Bedingungen sie wo und wann arbeiten wollten, als beispielsweise Plantagenarbeiter. Grund dafür war die scharfe Konkurrenz der Firmen. Die Anwerbung erfolgte deshalb z. B. häufig nicht sofort, sondern für einen späteren Zeitpunkt. Im Bane-Gebiet etwa sagten Männer zu von Stetten, sie seien von anderen Firmen engagiert, würden sich aber später von ihm abholen lassen. Hierauf ließ von Stetten sich ein.1126 Andere nutzten die Anwerbung, um koloniale Akteure gegeneinander auszuspielen. Da die Firmen immer auf der Suche nach Arbeitern waren, erklärten sie sich 1905 auch damit einverstanden, sie für einen unbestimmten Zeitpunkt zu engagieren. Diese erhielten von den Werbern einen Zettel, auf dem die Firma und ein Headman eingetragen waren. Jedoch gingen sie erst zur Küste, wenn die Regierung Arbeiter suchte. In diesem Fall nutzten sie

1122 1123 1124 1125 1126

BArch R 175-IV/1054, 122. Vgl. SBB-PK Ms. germ. oct. 1355, 235 f. Vgl. SBB-PK Ms. germ. oct. 1355, 253. Vgl. DHM Do 2005/37, 83 f. WKM HBM Af III 292 Stetten an Stetten-Buchenbach, 18.02.1908, 25.

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den Zettel der Kaufleute, um sich der verhassteren Arbeit zu entziehen. Hierdurch geriet die Verwaltung etwa im Lolodorf-Bezirk in große Verlegenheit, denn: „Das ganze Land ist mit Beschlag belegt von den Firmen.“1127 Einige Dörfer vertrauten nicht auf das Verständnis der Anwerber, sondern ließen deren Aktionen ins Leere laufen. Beispielsweise informierten sie ihre Nachbarn darüber, dass Werber in der Region aktiv waren. Nach Tessmanns erstem Versuch, Arbeiter zu finden, waren in den anderen Dörfern alle Leute weggelaufen, die Familienoberhäupter ließen sich verleugnen oder nur noch Frauen waren anwesend, während die Männer sich versteckten.1128 Die Dörfer bedienten sich der Sprechtrommel, mit der Nachrichten über große Entfernungen weitergegeben werden konnten. Von Stetten berichtete: Wenn ich nun in ein Dorf kam traf ich niemanden vor. Nach einiger Zeit kam ein älterer, kranker Mann, um für Verpflegung zu sorgen. Kaum hatte ich das Dorf verlassen, so rief er alle geflüchteten Leute mit der Sprechtrommel zurück und benachrichtigte das nächste Dorf auch mit der Sprechtrommel, daß ich bald dort eintreffen werde. Im nächsten Dorf traf ich natürlich wieder niemand und so ging es weiter bis ich mir nicht mehr zu helfen wußte u alle vorgefundenen Sprechtrommeln zerschlug. Nun wurde meine Ankunft im nächsten Dorf aber durch einen Boten mitgeteilt. So ging es 5 Tage lang bis mir endlich 5 Mann entgegen kamen, die von meiner Ankunft gehört hatten und die für mich arbeiten wollten.1129

Eine Zwischenlösung verfolgten Familienoberhäupter im Maka-Gebiet. Sie nahmen Sauers Geschenke an und versprachen, ihm „die Leute auf meinem Rückmarsche zu übergeben. In dieser Weise ging das Geschäft nun weiter, tagaus, tagein immer derselbe Dreh.“1130 Einige beschafften für den Vorschuss anderswo Menschen oder schmiedeten Koalitionen in ihrem Dorf, um Menschen abgeben zu können. Oftmals aber war es eine Hinhaltetaktik: Entweder die angeworbenen Leute oder das ganze Dorf hatten sich aus dem Staub gemacht, bevor Sauer zurückkam.1131 Obwohl die Anwerbung als gefährlich galt, scheint Gewalt gegen Anwerber nur selten vorgekommen zu sein. Im Jaunde-Gebiet etwa wurden 1913 zwar Anwerber mit Speeren beworfen.1132 Scheinbar aber wurden nur wenige getötet. Johannes Voss warb 1907 nahe Jaunde Arbeiter für die Bimbia-Pflanzung an und wurde von vier Männern angegriffen. Einer schlug ihm einen Knüppel über den Schädel, woran 1127 1128 1129 1130 1131 1132

BArch R 175-I/205, 112. Vgl. Tessmann 2012–2015, Bd. 1, 288–291. WKM HBM Af III 292 Stetten an Stetten-Buchenbach, 18.02.1908, 25. Vgl. auch NN 15.08.1906. SBB-PK Ms. germ. oct. 1355, 223 f. Vgl. SBB-PK Ms. germ. oct. 1355, 295. Vgl. BArch R 175-I/183, 296.

„Ketch as ketch can“: Die Rekrutierung von Vertragsarbeit

er sofort starb.1133 Der 24-jährige Dresdner Arno Bretscheider versuchte 1910 für John Holt & Co. Monatsarbeiter im Maka-Gebiet anzuwerben.1134 Dort war es zuvor zu Massenanwerbungen für Wasser- und wahrscheinlich auch Bahnbauarbeiten gekommen.1135 Obwohl er sich persönlich wohl nichts zu Schulden kommen ließ, lauerten ihm Männer auf, töteten ihn und verteilten angeblich seine Leiche für kannibalistische Praktiken. In Südkamerun erzählten die Kaufleute sich, die Maka hätten Bretschneider „gekätscht, gekillt und geschoppt [gegessen – T. Oe.]“.1136 Man beachte die Umkehrung: Nun wurde ein Europäer „gekätscht“. Der Transport Afrikanische Werber warben wahrscheinlich kleinere Gruppen an.1137 Europäer aber brachten, wenn sie Glück hatten, hunderte Jungen und junge Männer zu ihren Auftraggebern. 1903 brachte eine Expedition nach Bali 200 Arbeiter, eine andere ins Jaunde-Gebiet 700 Arbeiter zur WAPB.1138 Auch noch größere Karawanen von Vertragsarbeitern waren möglich. 1905 führte der frühere Beamte Franz Hutter 800 Arbeiter aus Bali zur Küste – dies galt als Misserfolg. Die WAPV hatte mehr erwartet.1139 Die Leute-catchers der Handelsfirmen warben weniger Menschen an als die Plantagen. Meist brachten sie nur 100 bis 150 Monatsarbeiter zu ihren Firmen.1140 So große Menschenmengen aber waren schwer zu kontrollieren. Immer herrschte die Gefahr, dass die wertvollen Arbeiter desertieren könnten, was nicht nur den Verlust von Arbeitskraft, sondern auch der bereits gezahlten Handgelder, Geschenke etc. bedeutete. Deshalb wurden Arbeiter auf dem Weg häufig „mit Stricken um den Hals aneinander gefesselt“,1141 möglicherweise immer zu zweit.1142 Zumindest in Nordwestkamerun waren dies Kontinuitäten des Sklavenhandels.1143 Aber auch im Jaunde-Gebiet marschierte der 20-jährige Hermann Schaeffer, Angestellter der Hamburg-Afrika-Gesellschaft, mit sieben gefesselten

1133 Vgl. BArch R 175-I/136, 87 f. Mandeng nennt Voss einen der erfolgreichsten Anwerber. Hierfür gibt es keine Belege. Vgl. Mandeng 1973, 85 f. 1134 Vgl. BArch R 1001/4294, 13; BArch R 1001/4294, 34. 1135 Vgl. BArch R 1001/4294, 19. 1136 Lomer 1913. 1137 Vgl. DHM Do 2005/34 Brief an Eltern, 08.01.1907. 1138 Vgl. ANY FA 6/22 Betriebsplan 1904, o.S. 1139 Vgl. ANY FA 6/22 van de Loo: Betriebsplan 1906, o.S. 1140 Vgl. Pagel 1914b, 480. 1141 BArch R 1001/3232, 259. 1142 Vgl. StAB 7,73/52, 269. 1143 Vgl. Staschewski 1917, 24.

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Trägern.1144 Die Dorfbewohner Wondommo, Ngammessi, Mwe, Ngoadua und andere sagten aus, dass Schaeffer auch Träger anwarb, indem er Leute auf dem Wege anhielt, fragte, ob sie für ihn arbeiten wollten und bei Ablehnung diese „festnahm, ihnen wider ihren Willen Lasten zu tragen gab, ihnen die eine Hand an ihren Hals festband oder mehrere Träger durch Schlingen um den Hals aneinanderkettete, mit sich fortführte und nachts in Hütten einsperrte und bewachen liess ohne ihre Fesseln zu lösen“.1145 Die Behörden bestraften das Fesseln der Vertragsarbeiter wegen Freiheitsberaubung mit mehreren Wochen Gefängnis.1146 Auch Schaeffer wurde zu 15 Tagen verurteilt.1147 Die Firmen beschwerten sich zu Recht, dass die Regierung „zweierlei Mass“ anlege:1148 Für eigene Expeditionen ließ sie Träger durch Soldaten einfangen. Gegen die Strafverfolgung brachte Rechtsanwalt Prange 1907 vor, dass Kaufleute zwar Träger zwangsrekrutiert und gefesselt hätten, aber dass diese Zwangs-Massnahmen und Fesselungen eine regelmäßige Erscheinung bei allen durch das Bezirksamt veranlassten Träger-Anwerbungen im Jaundebezirk waren; dass die massenhaft angeworbenen Träger gefesselt durch Jaunde an den Faktoreien der Kaufleute vorbeigeführt wurden und dass von einer Bestrafung derjenigen Soldaten, die die Träger anbrachten nichts bekannt geworden ist.1149

Das Fesseln von Arbeitskräften war gang und gäbe – bei privaten und staatlichen Anwerbern. Es war eine der „Vorsichtsmaßregeln“,1150 die zeigt, dass die Anwerbung eine gewalttätige Institution war – gleichgültig, ob Vertragsarbeiter durch Gewalt, Kauf oder Verlockung und Täuschung rekrutiert wurden. Denn das brutale Fesseln bedeutete nicht zwangsläufig, dass die Gebundenen gegen ihren Willen Vertragsarbeiter wurden. Murray hat gezeigt, dass in Transvaal auch Arbeiter, die aus freien Stücken in die südafrikanischen Minen zogen, erst durch die Mühlen von Zwang und Unfreiheit gehen mussten, die von den Anwerbern ausgeübt wurden.1151 Besonders war dies der Fall, wo die Anwerbung kommerzialisiert war und

1144 Angeblich hatte das Familienoberhaupt Nangommo sie ihm so aushändigt. Vgl. BArch R 1001/ 4928, 1, 8 f. 1145 BArch R 1001/4928, 28. 1146 Vgl. BArch N 2225/17, 90. 1147 Vgl. BArch R 1001/4928, 1, 8 f. 1148 BArch N 2225/17, 90. 1149 BArch R 1001/4928, 4 f. Eine Hochphase dieser Gewaltmaßnahmen begann mit der Eingliederung Neukameruns, für die eine große Zahl von Expeditionsträgern nötig wurden. Vgl. SMB-PK, EM N Langheld Kopierbuch Nr. 7 Langheld an Ungebauer, 29.10.1912. 1150 BArch N 2225/17, 90. Vgl. Rudin 1938, 326; Eloundou 2016, 233; Wirz 1972, 136 f. 1151 Vgl. Murray 1995, 397. Vgl. für eine ähnliche Konstellation auch Martino 2016.

„Ketch as ketch can“: Die Rekrutierung von Vertragsarbeit

die Anwerber pekuniär davon profitierten, wenn sie um jeden Preis alle Angeworbenen zu ihrem Arbeitgeber brachten. So konnten auch junge Männer, die fest entschlossen waren, ihrem alten Leben zu entkommen und von den Werbern mit Versprechungen geködert worden waren, mehr oder minder freiwillig auf einer Plantage, im GSK-Eigengebiet oder als Monatsarbeiter zu arbeiten, auf dem Weg dorthin in Fesseln gehen. Generell ist die Vorstellung der Angeworbenen als einer Gruppe gebrochener, trauriger, ihrem Schicksal entgegengehender oder -getriebener junger Männer nicht unbedingt richtig. Ein anderes Bild ergibt sich aus den Schilderungen von Stettens, der für die GSK Arbeiter im Bane-Gebiet anwarb und erst Richtung Küste, dann Richtung Osten führte: Es ist keine Kleinigkeit als einzelner Europäer eine schw. Bande von 90 Köpfen auf dem Marsch zusammenzuhalten und ich habe auch fast jeden Tag Widerwärtigkeiten, Schwierigkeiten mit der Verpflegung und Unterkunft. Die Kerls verschaffen sich auf alle möglichen Arten Rum und sind dann besoffen, und ich muß meine ganze Energie oft aufbieten um mit dieser Rasselbande fertig zu werden.1152

Erstens konnten Werber die großen Menschenmassen kaum unter Kontrolle halten, zweitens mussten die Leute verpflegt werden. Konnten die Werber dies nicht tun, desertierten die Angeworbenen. Dem erfahrenen Arbeiteranwerber Wiese entliefen 1908 ca. 300 Arbeiter, die er für eine Handelsfirma angeworben hatte,1153 obwohl er (nach Ossmann) damit angab, wen er „erst mal an der Strippe habe, den lasse ich nicht wieder los“.1154 Wenn möglich wurden deshalb größere Gruppen angeworbener Arbeiter bereits unter einem afrikanischen Vertrauensmann fortgeschickt.1155 Denn große durchziehende Arbeiterkolonnen bereiteten dieselben Probleme wie Karawanen, die aufgrund mangelnder Verpflegung aus dem Land lebten. „Ein Arbeiteranwerber verpflegte seine 470 angeworbenen Leute hier dadurch“, so Jacob 1906, „dass er je 50 Mann mit Hauern bewaffnet in die Farmen der Eingeborenen sandte“.1156 Auch die Vertragsarbeiter aus dem Jaunde- und Joko-Bezirk trugen neben den Handelskarawanen dazu bei, dass 1905/06 zwischenzeitlich der Bezirk Lolodorf als Hauptdurchzugsroute an die Grenzen seiner Kräfte geriet. Übergriffe auf die Bevölkerung waren nicht allein Folge der mangelhaften Versorgung der Vertragsarbeiter. Stattdessen führten dazu auch Männlichkeitsideale

1152 1153 1154 1155 1156

WKM HBM Af III 292 Stetten an Stetten-Buchenbach, 18.03.1908, 30 f. Vgl. DHM Do 2005/34 Krönig an Eltern, 02.05.1908. Osman 1911, 260. Vgl. Löns 1920, 176. BArch R 175-I/966, 84.

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und Versuche, eine bessere soziale Position zu erreichen. Die 300 Jaunde- und BuluArbeiter, die Karl Voss 1905 für die KLPG rekrutiert hatte, plünderten, stahlen und vergewaltigten im Edea-Bezirk. Doch nicht nur das: Sie nahmen sogar Menschen von dort gegen ihren Willen mit nach Victoria.1157 Dass Karawanen von Angeworbenen sich auf dem Weg eigendynamisch vergrößerten, war kein Einzelfall. Von Stettens frisch angeworbene Bane-Arbeiter warben beim Durchziehen ihrer Heimat selbst weitere junge Männer an. Die Zahl seiner Leute verdoppelte sich von 90 auf 180 Mann, sodass er kaum in der Lage war, sie ausreichend zu versorgen.1158 Möglicherweise versuchten einige, in den Headman-Status aufzusteigen, indem sie selbst Leute rekrutierten. Ebenso ist denkbar, dass sie mit den ihnen nun bevorstehenden Verdiensten prahlten und andere motivierten, mit ihnen zu gehen. Möglich ist auch, dass sie sich gewaltsam oder mit Geld Abhängige beschafften und diese mit zu ihrer Arbeit nahmen. Regulierung Die Arbeiteranwerbung wirkte sich zerstörerisch auf die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Strukturen der betroffenen Gebiete aus. Im Banyang-Gebiet sangen die Menschen über die Anwerbung: „Der weiße Mann ist ins Land gekommen, um ein Buch zu machen. Die Soldaten kommen, um die Leute totzuschlagen. Balundu-Leute verstehen zu arbeiten. Der Weiße nimmt die Männer zur Arbeit, und kleine Jungen schlafen bei unseren Frauen. Es dauert nicht lange, so sterben wir aus.“1159 Diese befürchtete Umkehrung der Verhältnisse war eine Folge des Ausmaßes, das die Anwerbung annahm, welches der Bezirksamtmann von Jaunde, Kirchhof, Anfang 1912 skizzierte: Die einzelnen Teile des Distriktes sind von weissen und schwarzen Anwerbern überflutet. Verlässt ein Anwerber ein Dorf, so kann man sicher sein, dass am nächsten Tage ein neuer wieder einzieht. Die Leute, die kaum vom Träger- oder Arbeiterdienst zurückgekehrt sind, haben keine Zeit in ihren Dörfern etwas der Ruhe zu pflegen; es müsste denn sein, dass sie tief in den Busch flüchten, da alle Strassen ständig von Anwerbern belagert sind.1160

Die Mobilisierung zigtausender Menschen, die häufig zwangsweise auf den Plantagen, im GSK-Eigengebiet oder in den Handelskarawanen arbeiten sollten, durch private, von Kopfgeldern motivierte Werber war ein erheblicher Unruhefaktor. Ihre 1157 Voss wurde wegen Anstiftung zur Freiheitsberaubung zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt. Vgl. BArch R 1001/4291, 132. 1158 WKM HBM Af III 292 Stetten an Eltern, 10.04.1908, 32. 1159 Staschewski 1917, 50. 1160 BArch R 175-I/183, 23 f.

„Ketch as ketch can“: Die Rekrutierung von Vertragsarbeit

Begleiterscheinungen waren so verheerend, dass sich selbst das auf Laissez-faire setzende Gouvernement von Puttkamers früh dazu durchrang, das Anwerbewesen zu regulieren – zumindest in dem Bereich der Vertragsarbeit, wo die Folgen am gravierendsten waren: den Plantagen. Andere Akteure konnten weiterhin ohne Regulierung Arbeitskräfte anwerben.1161 Hausen unterteilt die zunehmende staatliche Einmischung in die Arbeiteranwerbung in vier Etappen. Erstens schlossen Gouvernement und Plantagenunternehmen 1898 ein Abkommen über staatliche Unterstützung bei der Arbeiterbeschaffung. Als zweites folgte 1902 eine erste Arbeiterverordnung. Diese wurde drittens 1909 erweitert – zugunsten der Arbeiter. Viertens bahnte der Staat seit 1912 eine Reform der Arbeiterverhältnisse an. Hierbei räumten die Plantagen dem Staat das Monopol zur Anwerbung von Arbeitern ein.1162 Dies lief auf ein staatlich organisiertes Zwangsarbeitsprogramm für die Plantagen hinaus. Hausen und Olpen interpretieren dies vor allem als Einknicken vor den Forderungen der Unternehmen, die ihre Arbeiterfrage lösen wollten.1163 Dabei war die Verstaatlichung der Anwerbung, die sich ausschließlich auf die Plantagen bezog, während die Trägeranwerbung unreguliert blieb, nicht allein den Unternehmen geschuldet. Sie entsprach den Forderungen der lokalen Beamten, die sich eine Lösung der mit der Anwerbung verknüpften politischen, wirtschaftlichen, sozialen und ethischen Probleme versprachen. Diese hatte das Gouvernement schon 1901 versucht einzudämmen. Nachdem sich die Basler Missionare beschwert hatten, verordnete das Gouvernement eine Mitteilungspflicht für die Werber gegenüber dem Bezirk, in dem sie tätig waren.1164 Zu mehr konnte es sich vorerst nicht durchringen. Ambas Bay Trading Co. und Deutsch-Westafrikanische Handelsgesellschaft klagten im selben Jahr, dass das Gouvernement im Rio-del-Rey-Gebiet „mit Hilfe von Soldaten“ Arbeiter für die Plantagen „zusammentreiben“ würde.1165 Sie bezogen sich auf Stationschef Romberg, der prahlte: „[I]ch würde wenn die Regierung mir die Hälfte des Kopfgeldes zukommen ließe und mir die Verwaltung der Station Johann Albrechts Höhe übertragen würde, würde ich die Arbeiterfrage glatt lösen [sic!].“1166 In Berlin fand die Kolonial-Abteilung das unappetitlich. Im Dezember 1901 forderte sie explizit einen Runderlass, der alle Dienststellen auf das Verbot von Zwang bei der Arbeiteran-

1161 Vgl. Hausen 1970, 279 f. Dabei hatten im August 1906 einzelne Handelsfirmen eine amtliche Anwerbung von Trägern und Arbeitern im Jaunde-Bezirk gefordert. Dominik lehnte dies aber ab. Vgl. BArch R 175-I/135, 211. 1162 Vgl. Hausen 1970, 277; Rudin 1938, 325. 1163 Vgl. Hausen 1970, 283. 1164 Vgl. BArch R 1001/3227, 223. 1165 BArch R 1001/3228 Morin/Forman an Gouvernement, 11.02.1901, o.S. 1166 BArch R 1001/3229, 35 f.

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werbung hinweisen sollte.1167 In der Praxis hatten diese frühen Regulierungen gar keinen Effekt. Die größten Probleme löste auch die Arbeiterverordnung von 1902 nicht, die erstmals in größerem Umfang die Anwerbung regelte: Sie fand da statt, wo der Staat nicht genau hinsah – und staatliche Akteure selbst beteiligten sich an den gewalttätigen Maßnahmen. Die schriftliche Genehmigung zur privaten Anwerbung von Plantagenarbeitern, die dafür sorgen sollte, Anwerber haftbar zu machen, verbesserte kaum etwas.1168 Da die betroffenen Dörfer das Gouvernement fürchteten, wandten sie sich bei Übergriffen nicht an dieses. Stattdessen machten Werber mithilfe ihrer schriftlichen Genehmigungen den Dorf- und Familienoberhäuptern weis, diese seien verpflichtet Arbeiter zu stellen.1169 Unter Seitz versuchte die Regierung, dem Problem mithilfe des Strafrechts beizukommen. Die Anwerbung galt bald als „die übelste Beschäftigung […]. Mit einem Fuß steht man immer im Gefängnis“.1170 Nachhaltige Folgen hatte die Strafverfolgung aber nicht. Dingfest gemachte Anwerber beriefen sich auf die Familienoberhäupter und behaupteten, Gewalttaten seien ohne ihr Wissen geschehen.1171 Auch waren immer mehr Werber unterwegs. Denn die Probleme verschärften sich mit der Ausweitung der Vertragsarbeit auf GSK und Handelsunternehmen. Hinzu kamen ab 1906 die Werber des Staates für den Bahnbau. Außerdem konzentrierte sich die Anwerbung auf wenige Regionen und dort auf bestimmte Dörfer. Seitz erkannte deshalb 1907 eine „der Berechtigung nicht entbehrende[n] Unzufriedenheit“ der Menschen „derjenigen Eingeborenen-Stämme und Dorfschaften“ an, „welche durch Arbeiter- und Trägerstellung allzusehr in Anspruch genommen werden“.1172 Die Probleme waren weiterhin so groß, dass allen europäischen Akteuren klar war, dass etwas geschehen musste. Dass die Arbeiterverordnung von 1909 sich in ganzen 14 von 29 Punkten allein mit der Anwerbung befasste, zeigt, welchen Stellenwert die Beamten deren Regulierung beimaßen. Europäische Anwerber hatten beim Gouvernement eine Erlaubnis für eine bestimmte Anzahl von Arbeitern aus einem bestimmten Bezirk zu beantragen, die sie den lokalen Behörden vorlegen mussten. Nach Abschluss hatten die Werber ebendort Rechenschaft über den Verlauf der Reise abzulegen. Angeworben werden durften nur gesunde Leute. Die Regierung durfte ärztliche Untersuchungen anordnen und gegebenenfalls kranke Arbeiter zurückschicken.

1167 1168 1169 1170 1171 1172

Vgl. BArch R 1001/3228, 60. Vgl. Gründer 2004, 148. Vgl. Rüger 1960b, 204. Osman 1911, 260. Vgl. BArch R 175-I/183, 24. BArch R 1001/3231, 117.

„Ketch as ketch can“: Die Rekrutierung von Vertragsarbeit

Für Schäden oder Unruhen durch die Anwerbung hatten die Europäer zu haften und vorher eine Sicherheit von 500 Mark zu hinterlegen.1173 Der Anwerbung von Plantagenarbeitern waren demnach zumindest auf dem Papier enge Fesseln angelegt. Obwohl die Handelsfirmen um 1909 bereits Vertragsarbeiter rekrutierten, regelte die Arbeiterverordnung die Anwerbung von Monatsarbeitern explizit nicht. Ursprünglich hatte die Regierung geplant, auch dies zu regulieren, doch Rechtsanwalt Prange konnte es im Gouvernementsrat verhindern.1174 Nach 1910, auf dem Höhepunkt des Kautschukhandels, hatte die Anwerbung von Vertragsarbeitern im Süden (vor allem im Jaunde-Gebiet mit seinen überall beliebten Arbeitern) extreme Auswirkungen, wie der eingangs zitierte Bericht Kirchhofs veranschaulicht. Als das Gouvernement 1912 anordnete, der Jaunde-Bezirk habe 1500 Arbeiter zu stellen, weigerte sich Kirchhof. So viele Menschen seien bereits als freiwillige Arbeiter aus dem Bezirk weggegangen. Zudem seien für Expeditionen der Regierung im Dezember und Januar bereits 1720 amtliche Träger gestellt worden. Der Bezirk stehe am Abgrund, der Bedarf der Kolonie an Arbeitern liege über dem Angebot. Würden Handel und Plantagen auch noch auf Neukamerun ausgedehnt, drohten „noch schlimmere Folgen“.1175 Anwerber machten einander überall Konkurrenz. Folglich bat Kirchhof die Regierung wiederholt darum, Erlaubnisscheine auch für die Trägeranwerbung einzuführen, was diese jedoch ablehnte.1176 Die kleinteilige Regelung der Anwerbung änderte nichts an deren Methoden. Ebermaier bestätigte, dass eine Kontrolle der Werber nicht flächendeckend möglich sei, da es an Personal und Infrastruktur fehlte. Der Staat schreite nur gegen bekannt gewordene Übergriffe ein: Aber ich habe keine Gewähr, dass auch nur ein nennenswerter Bruchteil der Uebergriffe dieser auf Kopfgeld angestellten Anwerber zur behördlichen Kenntnis gelangt. Unter der Hand ist mir von einsichtigen Pflanzungsleitern, die das Anwerbegeschäft aus eigener Anschauung kennen, vertraulich auch zugestanden, dass in gewissen Gegenden ohne Zwang kein Mann zu erlangen ist.1177

Die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen führten zu wachsendem Widerstand durch viele Beamte in den betroffenen Bezirken. Gewalt, hohe Todesraten und die vielen anderen Probleme machten ihre Verwaltungsarbeit nicht

1173 1174 1175 1176 1177

Vgl. Ruppel 1912, 972–976. Vgl. BArch R 1001/3231, 161. BArch R 175-I/183, 42. Vgl. BArch R 175-I/183, 23. BArch R 1001/3232, 15. Vgl. auch Prange 1912, 140.

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Vertragsarbeit, ca. 1905–1914

einfacher. Einige versuchten deshalb, die Bevölkerung ihres Bezirks zu schützen. Im August 1904 etwa ging Kurt Wisliceny zur Anwerbung von Arbeitern für die WAPB in die Gebiete von Johann-Albrechtshöhe, Rio del Rey und Fontem. Zwar wurden ihm gerade diese Regionen vom stellvertretenden Gouverneur Ebermaier angewiesen, vor Ort jedoch verwiesen die Stationschefs überall auf die starke Beanspruchung ihrer Gebiete.1178 Selbst im Herzland der Arbeiteranwerbung, dem Bezirk Johann-Albrechtshöhe, bat der lokale Beamte, Godtknecht, Anfang 1908 darum, dass das Gouvernement eine Höchstzahl von Anzuwerbenden pro Dorf festsetze, um eine dauerhafte Schädigung der Bevölkerung zu vermeiden.1179 In anderen Fällen versuchten die Beamten, die Anwerber in die Nachbarbezirke zu lenken, um die eigenen Untertanen zu schonen: Das Bezirksamt Jaunde verwies 1912 auf den Ebolowa-, die Station Bamenda 1913 auf den Ossidinge-Bezirk.1180 Hierin zeigte sich, wie deutlich die Interessen von Zentralverwaltung und Bezirksbzw. Stationschefs auseinanderklafften. Teilweise gab es generellen Widerstand unter den Beamten gegen das Anwerbesystem. Jacob wandte sich scharf gegen die Ausdehnung der Plantagenwirtschaft nach Südkamerun, besonders aufgrund der mit dieser einhergehenden massenhaften Arbeiteranwerbung. Als schärfster Kritiker der Kautschukplantagen im Süden nahm er explizit auf die Entwicklungen am Kamerunberg Bezug: Um den Arbeitermangel zu beheben, schrieb er 1906, habe man eine „recht nachhaltige Schädigung der Gebiete, aus dem die Tausende von Arbeitern ähnlich wie bei Sklavenjagden weggeschleppt wurden“, in Kauf genommen.1181 Die „Verheerungen, die die Massentransporte der Arbeiteranwerber angerichtet haben“, habe er im Süden selbst gesehen.1182 Nicht nur die Anwerbe-, sondern auch die Durchzugsgebiete würden extrem geschädigt. Statt Großplantagen, wo die Menschen „zum Arbeitstier einzelner Kapitalisten“ gemacht würden, sollte man sie lieber zur Eingeborenenkultur anlernen.1183 Das Gouvernement schlug Jacobs Einwände in den Wind. Sein Brief verschwand in einer Grundstücksakte und das Antwortschreiben ging mit keinem Wort auf seine Argumente ein.1184 Viele Beamte befürworteten eine amtliche Anwerbung. Obwohl es sich um Zwangsarbeit handelte,1185 war ein wichtiges Motiv dafür der Schutz der Arbeiter und damit der öffentlichen Ordnung. Angesichts der vielen Übergriffe forderten

1178 1179 1180 1181 1182 1183 1184 1185

Vgl. BArch R 1001/3513, 32–36. Vgl. auch Michels 2004, 348. Vgl. BArch R 175-I/70, 259. Vgl. BArch R 175-I/183, 25; BArch R 175-I/183, 189. ANY FA 1/456, 51 f. ANY FA 1/456, 52. ANY FA 1/456, 53. Vgl. ANY FA 1/456, 55 f. Vgl. Winkler 1960, 263 f.

„Ketch as ketch can“: Die Rekrutierung von Vertragsarbeit

einige Beamte früh, die privaten Anwerber zu verbannen und die Anwerbung wieder selbst durchzuführen. Der Stationschef von Fontemdorf war im April 1906 einer der Ersten, die eine solche Rückkehr in ein verlorenes Paradies scheinbar guter, rationaler Zwangsarbeiteranwerbung forderten.1186 Die Zustimmung unter den Beamten wuchs nach 1910.1187 Immer wieder verwiesen sie auf den Schutz von Menschenleben. So erklärte Stationschef Rausch Ende 1912 in Dschang, die Todesrate der privat angeworbenen sei mit 16,2 Prozent doppelt so hoch wie diejenige der staatlich angeworbenen Arbeiter. Grund hierfür sei, dass die Regierung gesündere und kräftigere Menschen anwerben und so den Tod vieler verhindern könne. Es sei deshalb doch eine Pflicht, die Arbeiter durch die Behörden anwerben zu lassen.1188 Die Anwerbung allgemein und den ineffektiven, menschenfressenden Plantagenkomplex stellte aber kaum einer infrage. Ebermaier strebte ab 1912 eine Anwerbung von Plantagenarbeitern ausschließlich durch die Stationen und Bezirksämter an. Dies sollte alle Probleme zugleich lösen: die Arbeiterfrage der Plantagen, die Gewalt der Anwerber und die tödlichen Bedingungen auf den Pflanzungen. Ab Mai 1912 setzte Ebermaier den Plan um. Er sperrte Bezirke für private Anwerber und vereinbarte mit den Unternehmen eine größere Rolle des Staates bei der Rekrutierung. Dies geschah ohne Wissen des RKA, das erst auf Anfrage davon erfuhr.1189 De facto führte das Gouvernement ein staatliches Zwangsarbeitsregime ein.1190 Zuerst sollte die Regierung übergangsweise ein Arbeitsamt schaffen, dem die Plantagen ihren Arbeiterbedarf melden sollten. Dieser sollte geprüft und an das Gouvernement gemeldet werden, damit dieses die Anwerbung einleite. Jeder Bezirk sollte nach Leistungsfähigkeit herangezogen werden.1191 Eine große Rolle bei der Bedarfsschätzung der Plantagen spielten nun die Kautschukplantagen. Da diese in die Reifephase eintraten, stieg ihr Arbeiterbedarf pro 10 Hektar von sechs auf 20 Mann.1192 Sukzessive führte das Gouvernement die amtliche Anwerbung in den Bezirken ein, sodass sie Ende 1913 überall stattfand.1193 Anfangs funktionierte das neue Arbeitsamt nur leidlich.1194 Außerdem führte die Umstellung auf staatliche Anwerbung zu höheren Betriebskosten für die Plantagen.

1186 Vgl. BArch R 175-I/66, 179. 1187 Vgl. BArch R 175-I/183, 26; BArch R 175-I/183, 44. 1188 Vgl. BArch R 175-I/183, 146. Lediglich von der Marwitz, Bezirksamtmann von Jukaduma, argumentierte gegen die amtliche Anwerbung. Die private Anwerbung übe „einen heilsamen Zwang aus“, die Leute gut zu behandeln. BArch R 175-I/183, 300. 1189 Vgl. Hausen 1970, 284 f.; Olpen 2014, 291 ff.; Diehn 1956; Winkler 1960, 263 f. 1190 Vgl. Winkler 1960, 263 f. 1191 Vgl. Hausen 1970, 284 ff. 1192 Vgl. BArch R 1001/3232, 61 f.; Ladewig 1912, 18. 1193 Vgl. BArch R 1001/3232, 70. BArch R 1001/3417, 111. 1194 Vgl. BArch R 1001/3417, 111.

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Vertragsarbeit, ca. 1905–1914

Die WAPB etwa klagte über die erhöhten Löhne.1195 Auch die GSK ließ ab ca. 1913 Arbeiter durch die Regierung anwerben. Deren Leitung beschrieb das Ergebnis als „très satisfaisant“.1196 Unklar bleibt die Bedeutung der amtlichen Anwerbung für die Plantagen und ihre Versorgung mit Vertragsarbeitern. Denn die private Rekrutierung durch Afrikaner blieb weiterhin erlaubt. Der Bezirksamtmann Godtknecht schrieb, die weitere Anwerbung durch Afrikaner habe den Vorteil, dass diese auch junge Männer anwürben. Denn für die 10 Mark Kopfgeld für die amtliche Anwerbung bestünden die Plantagen auf erwachsene Männer als Arbeiter. Aber für den geringeren Preis der afrikanischen Anwerber nähmen sie die Jugendlichen gern. Dies, so Godtknecht, habe den Vorteil, dass diese lernten, zu arbeiten.1197 Dementsprechend ersetzte der Staat zwar die private Anwerbung durch Europäer, aber die durch Afrikaner lief weiter. Gegen die Zwangsarbeitspolitik der Regierung erhob sich schnell Widerstand von Aktivisten, Firmen und Politikern.1198 Die Basler Mission, aber auch J. K. Vietor und andere Firmen wie z. B. Woermann wandten sich gegen Ebermaiers Politik und berichteten Regierung, Presse und Reichstag von Männern, die gefesselt zu den Plantagen gebracht wurden.1199 Selbst die Handelskammer für Südkamerun protestierte dagegen, dass „freie, keinem gesetzlichen Arbeitszwang unterworfene Eingeborene im Wege der amtlichen ‚Anwerbung‘ in Herden und mit Stricken zusammengebunden“ würden.1200 Die Kampagne hatte Erfolg: Staatssekretär Wilhelm Solf zeigte sich entsetzt und richtete im Mai 1914 einen scharfen Brief an Ebermaier: Wenn die Schilderungen aus Kamerun stimmten, so Solf, „so wird im dortigen Schutzgebiet ein unmittelbarer Arbeitszwang geübt, mit dem ich mich in keiner Weise einverstanden erklären kann“.1201 Eine gewaltsame Arbeiteranwerbung durch Regierungsorgane müsse sofort beendet werden. Zu einer formellen Abschaffung kam es durch den Kriegsausbruch im August 1914 nicht. Der frühere Beamte August Full gab aber an, das Verfahren hätte abgeschafft werden sollen, wäre nicht der Krieg dazwischengekommen.1202

1195 1196 1197 1198 1199 1200 1201 1202

Vgl. BArch R 1001/3513, 128. AGR CCCI 1683 Bericht, 30.01.1914. Vgl. BArch R 175-I/185, 106. Vgl. Hausen 1970, 282–290; Olpen 2014, 290–324. Vgl. BArch R 1001/3232, 67. BArch R 1001/3232, 187. BArch R 1001/3232, 275. Vgl. auch Hausen 1970, 289. Vgl. Full 1932, 350 f.

„Ketch as ketch can“: Die Rekrutierung von Vertragsarbeit

Zwischenfazit Arbeiteranwerbung, die Rekrutierung von Vertragsarbeitern in Kamerun, wurde ab der Jahrhundertwende ein wichtiges Phänomen. Die Plantagen entwickelten dieses Modell der kommerziellen Arbeitskräftemobilisierung um die Jahrhundertwende, um unabhängig vom westafrikanischen Arbeitsmarkt zu werden. Nach und nach, vor allem ab ca. 1907, übernahmen die Handelsfirmen und die GSK das Modell, um Monatsarbeiter und Gummisucher anzuwerben. Als Anwerber arbeiteten europäische und afrikanische Angestellte, aber auch professionelle unabhängige Arbeiteranwerber. Die zentrale Rolle spielten die afrikanischen Werber, die allein oder von Europäern begleitet die Verhandlungen führten. Anwerbung wurde ein kommerzielles Geschäft: Anwerber erhielten lukrative Kopfgelder, Familienoberhäupter und andere afrikanische Autoritäten Zahlungen dafür, dass sie ihre Abhängigen auslieferten. Hierdurch, aber auch mit Gewalt oder Verführung rekrutierten die Anwerber junge Männer und Kinder. Nur selten stießen sie auf Widerstand – weder von den betroffenen Dörfern noch von der Regierung. Deren Regulierungsbemühungen zerstörten letztlich nicht das System der Anwerbung, sondern richteten 1913 ein kurzlebiges staatliches Zwangsarbeitsregime für die Plantagen ein, während die Handelsunternehmen weiterhin selbst anwarben. Die Anwerbung sorgte ab 1912 für extreme Unruhe. Auch sie konnte die Arbeiterfrage nicht lösen: Der Bedarf nicht zuletzt der Kautschukwirtschaft überstieg das Angebot an Arbeitskräften. Der Boom schuf einen überhitzten Arbeitsmarkt, dessen Zusammenbruch 1913 kurz bevorstand.

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6.

Ausblick: Kautschukkrise, Mandatszeit und Battle for Rubber

Was den Handel mit Kautschuk historisch bedeutsam macht, ist nicht nur seine schnelle, rauschhafte globale Kommodifizierung gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Ebenso bemerkenswert ist seine plötzliche Entwertung nach 1910 und vor allem 1913, als der globale Wildkautschukhandel zusammenbrach. 1913 endete Südkameruns Goldrausch abrupt. Billiger, qualitativ hochwertiger und in großen Mengen verfügbarer Plantagenkautschuk machte binnen kürzester Zeit Südkameruns Wildkautschuk unverkäuflich. Das Ende des Kautschukbooms erzeugte enorme Erschütterungen – für die Firmen, aber auch für deren Arbeitskräfte und die Gummisucher. Es war ein transformatives Ereignis, dessen Auswirkungen zwar anfangs vom Ersten Weltkrieg überlagert wurden, sich aber in der Zwischenkriegszeit zeigten. Mit dem Ende des Kautschukbooms verschwanden auch die massenhaften Lohnarbeitsbeziehungen. Stattdessen kam es durch den Aufstieg der Cash-cropÖkonomie zu einer Reintegration von Frauen und nicht etablierten Männern in die Haushalte der Familienoberhäupter, die jene als Arbeitskräfte für ihre neuen Farmen brauchten. Gleichwohl bedeutete die Krise von 1913 nicht das Ende der Kautschukproduktion – wohl aber das Ende einer Ära, in der dieser Rohstoff eine gesellschaftsverändernde Kraft besaß. Wildkautschuk hatte nur noch marginale Bedeutung – außer während des Battle for Rubber im Zweiten Weltkrieg, als Südkamerun einen erneuten Kautschukboom erlebte – nun jedoch verbunden mit Zwang.

Kautschukkrisis: Das Ende des Kautschukbooms 1913 Auf dem Weltmarkt hatten die Preise für Gummi ihren Höhepunkt bereits im April 1910 überschritten, denn die um 1905 in britischen und niederländischen Kolonien Südostasiens angelegten Plantagen produzierten ersten Kautschuk. Die Preise für wilden brasilianischen Hevea-Kautschuk sanken. Doch die afrikanischen Mittelsorten konnten ihr Niveau halten, da sich viele kautschukverarbeitende Unternehmen auf die billigeren Mittelsorten eingestellt hatten.1 1913 aber ließen auch hier die großen Mengen Plantagenkautschuk die Preise zusammensacken. Kameruner Wildkautschuk war schon durch seine biologische Herkunft von Landolphia-Arten oder Funtumia elastica von schlechterer Qualität als Hevea1 Vgl. Vaas 1921, 82.

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Ausblick: Kautschukkrise, Mandatszeit und Battle for Rubber

Kautschuk. Hinzu kam seine problematische Herstellung: Er enthielt Luftblasen, gefüllt mit Serum und Wasser, organische Fremdkörper oder Beimischungen anderer Pflanzensäfte. Häufig faulte er, war angebrannt und roch barbarisch. Dieses qualitativ schlechte Produkt war zudem noch sehr teuer, da es hunderte Kilometer auf dem Rücken von Menschen über Regenwaldpfade und ein nur in Ansätzen vorhandenes Straßennetz transportiert werden musste. Südostasiatischer Plantagenkautschuk hingegen stammte von Hevea brasiliensis, dem besten bekannten Kautschukbaum. Die Plantagen garantierten gleichbleibend hohe Qualität. Außerdem war er billig und nun in riesigen Mengen vorhanden. Die Industrie hatte keinen Grund, weiterhin Wildkautschuk zu kaufen. Die Preise für Südkameruns Kautschuk fielen deshalb ins Bodenlose, denn die Fässer voll stinkendem, faulendem Gummi, für den zuvor Menschen in Kamerun gestohlen, betrogen und getötet hatten, waren in kürzester Zeit unverkäuflich geworden! Wer sich mit dem Kautschukmarkt befasste, wusste, was auf Südkamerun zukommen würde. Firmen und Regierung wussten, dass die Briten und Niederländer in Südostasien gewaltige Flächen gerodet und mit Hevea bepflanzt hatten.2 Einige Fachleute diskutierten, ob wirklich eine Überproduktion drohte. Würden nicht größere Rohstoffmengen neue Anwendungsmöglichkeiten schaffen? Straßen aus Kautschuk etwa? Würde dann nicht der Bedarf weiter steigen und gute Preise garantieren?3 Andere fragten nur, wann die Überproduktion eintreten würde. Noch 1912 datierte die Handelskammer für Südkamerun dies auf 1916/17.4 Wahrscheinlich gingen die Kaufleute davon aus, dass erst die 1910 angelegten Plantagen, die dann zapfreif wurden, die Preise drücken würden. Deshalb schien für Kamerun eher eine andere Frage relevant: Reichten angesichts ihrer Zerstörung die FuntumiaBestände lange genug? Klar war aber, dass die „wirtschaftlichen Schwierigkeiten“ durch die Entwertung des Wildkautschuks, so der Gouverneur schon 1911, „die sich voraussichtlich in den nächsten Jahren in den Bezirken Südkameruns ergeben werden“,5 dramatisch sein würden. Regierung und Unternehmen bereiteten sich jedoch unzureichend vor. Zwar sollte die Kautschuk-Inspektion die Gummigewinnung nachhaltiger machen, Kautschukanbau in die lokale Landwirtschaft integrieren und die Qualität des Gummis verbessern; zwar sollten Infrastrukturprogramme wie die Mittellandbahn, die Nyong-Erschließung und der Straßenbau eine „Eingeborenenkultur“ von Palmöl, Kakao, Mais etc. für die Zeit nach dem Kautschukboom ermöglichen. Doch die Maßnahmen kamen nicht schnell und entschieden genug. Dabei war Kamerun

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Vgl. Ross 2017, 106. Vgl. Sandmann 1910, 118. Vgl. Prange 1912, 96 f. BArch R 1001/8118, 62.

Ausblick: Kautschukkrise, Mandatszeit und Battle for Rubber

finanziell abhängig von Kautschuk, wie Bücher darlegte: Verschwand der Gummihandel, musste der Fiskus auf Teile der Export- und Importzölle, der Wandergewerbesteuer und Teile der Eingeborenensteuer verzichten. Die Bezirke Ebolowa, Akonolinga, Dume, Lomie und Teile von Jaunde brachten außer Kautschuk „nicht für einen roten Pfennig andere Exportprodukte“.6 1910 machte Gummi 56 Prozent des Werts aller Exporte Kameruns aus, 1911 waren es 52 Prozent und 1912 49 Prozent.7 Durch die Importe, die mit dem Kautschukhandel zusammenhingen, beruhte 1910 fast die Hälfte des Gesamthandels – über 20 Millionen Mark – auf Gummi.8 Die Unternehmen wiederum kauften weiterhin fieberhaft Gummi, da noch immer große Summen zu verdienen waren. Niemand nahm Rücksicht auf die Kautschukbestände. Nach dem Zusammenbruch erklärte Pelizaeus von der Bremer Westafrika-Gesellschaft, „wie wichtig es gewesen ist, […] aus den entlegendsten [sic!] Gebieten Süd-Kameruns herauszuholen, was irgend möglich war“.9 Pagenstecher pflichtete ihm bei: Angesichts der fehlenden Alternativen habe man „solange die Gummipreise hoch waren, soviel als möglich aus dem Urwald gezogen“.10 Nur wenige große Firmen investierten in Alternativen zum Kautschukhandel: L. Pagenstecher & Co., ehemals Randad & Stein, etwa hatten Geld in ein Nigeria-Geschäft und in Plantagen gesteckt.11 John Holt & Co. sahen ihre Zukunft im Holzhandel.12 Woermann konzentrierte sich schon länger auf Duala und den Sanaga.13 Andere Firmen blieben vollkommen abhängig vom Kautschuk. „Rascher, als selbst die ärgsten Pessimisten es erwarteten“, brachen die Kautschukpreise 1913 ein.14 Im ersten Quartal begannen die Weltmarktpreise zu sinken.15 Auf den Märkten glaubten die Händler bereits an die Überproduktion, bevor sie überhaupt eintraf.16 Im zweiten Quartal traf es vor allem die bisher verschonten Mittelsorten, im dritten alle Sorten. Auch Plantagenkautschuk und Pará-Kautschuk

6 7 8 9 10 11

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BArch R 1001/8118, 250 f. Hervorhebung im Original. Vgl. Tabelle 2 und Graphik 3, Kap. 1. Vgl. BArch R 1001/8118, 65. KWK 1913, 56. KWK 1913, 67. Vgl. Yearwood 2018, 269 ff.; AFSch Pagenstecher 1935. Auch Bremer Westafrika Gesellschaft und BKH besaßen Plantagen. Vgl. AKhB M II 21 (13) Übersicht über in deutschen Kolonien ansässige Bremer Firmen, o.D. [1916?]. Vgl. BLO MSS. Afr. S. 1657/12, 30 ff.; LRO 380 HOL 1/9/1 Bata-Briefe ab 1908. Auch Pagenstecher begann 1913, Holzhandel zu treiben. Vgl. Escherich 1938, 64. Mitteilung von Kim Todzi. Die Verschiebung lässt sich auch erkennen an der Zusammenlegung sämtlicher Geschäftszweige (Woermann-Linie, Duala, Victoria, Sanaga, Batanga, Bimbia-Pflanzung) in der Hand des Hauptagenten Otto Breckwoldt. Vgl. Breckwoldt 1928, 79. Helfferich 1913, 529. Vgl. auch Bloem 1914, 57. Vgl. KZK 1913a; KZK 1913d. Vgl. Helfferich 1913, 530.

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Ausblick: Kautschukkrise, Mandatszeit und Battle for Rubber

verloren ein Drittel ihres Wertes.17 Mitte 1912 brachte Südkamerun-Kautschuk in Hamburg noch 8 Mark pro Kilogramm ein, im Dezember 1912 noch 7 Mark, Mitte 1913 aber waren es nur noch 5 Mark, im September nur noch 3,40 Mark. Bis Dezember sanken die Preise auf knapp über 3 Mark pro Kilogramm.18 Im Tropenpflanzer hieß es: „Für prima Südkamerun-Kickxia-Kautschuk fehlten selbst zu stark herabgesetzten Preisen Käufer zum Teil völlig.“19 Der Erlös des Kautschuks deckte nun die hohen Einstandspreise nicht mehr, wie Pelizaeus vorrechnete: 2,50 Mark zahlten die Firmen für 1 Kilogramm trockenen Kautschuk. Der Trägertransport kostete noch einmal 2,50 Mark. An der Küste musste der Kautschuk mit 40 Pfennig verzollt werden. Verschiffung, Versicherung etc. kosteten nochmals 1 Mark. Demnach belief sich der Einstandspreis auf 6,40 Mark pro Kilogramm von Ostkamerun bis Hamburg.20 Während des Booms hatten die hohen Preise große Faktoreinetze und lange Transportwege finanziert. In der Krise rächte sich, dass verbilligende Maßnahmen wie die Trägerverordnung oder der Bahn- und Straßenbau nicht vorangetrieben worden waren. Südkameruner Kautschuk war nicht mehr konkurrenzfähig. Die Firmen standen vor dem Abgrund: Die BKH etwa verlor 1913 pro gekauftem Kilogramm Kautschuk 2 Mark.21 John Holt & Co. ordneten deshalb im Juli 1913 an, die entlegenen Faktoreien Dengdeng, Pandu und Akoafim sofort zu schließen.22 Einen Monat später verboten einige Firmen zeitweise den Ankauf von Kautschuk ganz.23 Zu einem großen finanziellen Problem wurden die ins Hinterland transportierten Waren. Die AKAG z. B. lagerte dort Waren im Wert von 12  Millionen Mark,24 Pagenstecher, die größte Firma, angeblich Waren für 2 Millionen Mark.25 Kautschuk damit zu kaufen, lohnte sich nicht mehr, aber andere Produkte gab es nicht. Ein Rücktransport der Waren war wegen der hohen Kosten ausgeschlossen. Die Firmen mussten den größten Teil abschreiben. Einige Unternehmen gründeten im Februar 1913 ein neues Kautschuk-Syndikat, um die Einkaufspreise zu drücken: auf 1,20 Mark im Juli und knapp 1 Mark im Oktober. Trotzdem machten die Firmen Verluste. Als sie nur noch 50 Pfennig zahlten, ging niemand mehr in den Wald.26 Im zweiten Halbjahr 1913 gingen die 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26

Vgl. KZK 1913c; KZK 1913b. Vgl. BArch R 1001/3660, 41; BArch R 1001/3660, 44; KWK 1913, 57. KZK 1913b, 640. Vgl. KWK 1913, 58. Vgl. auch BLO MSS. Afr. s. 1525/15/9, 47. Vgl. HADB F1/75 Olof an Helfferich, 11.03.1914. Vgl. auch BArch N 2225/17, 177. BLO MSS. Afr. s. 1525/15/9, 68. Vgl. BLO MSS. Afr. s. 1525/15/9, 74; BArch N 2225/17, 177. Vgl. BArch N 2225/17, 209. Vgl. StAB 7,73/53, 34. Mitglieder waren AKAG, Bernauer & Schrader, Bremer Westafrika-Gesellschaft, GSK, HamburgAfrika-Gesellschaft, Hatton & Cookson, John Holt & Co., R & W King, Ernst C. F. Köhne, Krause

Ausblick: Kautschukkrise, Mandatszeit und Battle for Rubber

Einfuhren Kameruns stark zurück. Da Kautschuk nichts mehr wert war, hatten die Menschen keine Mittel mehr, um europäische Waren zu kaufen.27 Um ihre Warenbestände loszuwerden, verkauften die Firmen sie unter Preis gegen Bargeld. Dies funktionierte jedoch nur kurze Zeit, da die Bevölkerung bald ihr Bargeld aufgebraucht hatte oder es für andere Zwecke verwenden wollte. Profiteure waren die Hausa-Händler, die die Waren der Europäer en gros billig einkauften und im Norden teuer verkauften.28 Den Firmen war dies nicht möglich, da für sie Trägerarbeit zu teuer war, während Hausa auf Familienmitglieder, Sklavinnen und Sklaven zurückgreifen konnten. Einige Firmen kauften weiter Kautschuk, um die vorhandenen Waren loszuwerden. Tatsächlich erreichte der Kameruner Kautschukexport mit über 2877 Tonnen 1913 seinen Höhepunkt – auch wenn sicherlich ein großer Teil davon schon 1912 gekauft worden war, aber erst 1913 verschifft werden konnte. 1914 exportierte Kamerun bis Kriegsausbruch immerhin noch 711 Tonnen Gummi.29 Die Firmen verloren enorme Summen. „In regard to Mr. Pagenstecher“, schrieb Jonathan Holt, „we are quite sure that he is losing heaps of money; he cannot help but lose money.“30 Genaue Zahlen für Pagenstecher sind nicht überliefert. Aber andere Firmen zeigen die Dimensionen: Bereits 1912/13 machte die AKAG mehr als 500.000 Mark Verlust.31 1914 musste sie ihr Kapital von 2,5 auf 1,25 Millionen Mark zusammenlegen.32 Die BKH verlor 1913 350.000 Mark,33 die Bremer WestafrikaGesellschaft über 307.000 Mark.34 Auch Woermann hatte fast 215.000 Mark Verlust im Batanga-Geschäft.35 Reihenweise machten die kleineren Unternehmen „die Bude zu“, wie Friederici in der ersten Krise geschrieben hatte:36 Denn jetzt verloren all die kleinen Kaufleute im Süden, die auf eigene Rechnung gearbeitet haben, ihr ganzes im Laufe der Jahre sauer erworbenes Vermögen […]. Denn infolge des schlechten Gum-

27 28 29 30 31 32 33 34 35 36

& Fehrmann, Pagenstecher & Co., Ruete & Co. Vgl. BLO MSS. Afr. s. 1525/15/9, 62–65. Zur Preisentwicklung vgl. BLO MSS. Afr. s. 1525/15/9, 68; BLO MSS. Afr. s. 1525/15/9, 95; BArch R 1001/3838, 125. Vgl. NN 1914b, 478. Vgl. BArch R 1001/3838, 125. Vgl. Tabelle 1 und Graphik 1, Kap. 1. BLO MSS. Afr. s. 1525/15/9, 68. Vgl. BArch R 8024/90, 75. Vgl. Burkhardt 1940, 22. Vgl. HADB F1/75 Olof an Helfferich, 11.03.1914. Vgl. StAB 4,26-343, 11. Vgl. ACW Bilanz 1913. Vgl. Kap. 2.5; NN 1915b, 616.

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mipreises, vermögen sich die meisten nicht über Wasser zu halten und sind gezwungen, die ganzen Ersparnisse aufs Spiel zu setzen.37

Die GSK hingegen arbeitete noch im Januar 1914 mit Profit. Ihre Produktionsmengen im Eigengebiet stiegen, ohne dass hierfür mehr investiert werden musste. Der dort produzierte Kautschuk war von herausragender Qualität, auf dem Markt gut eingeführt und ähnelte mehr dem Plantagengummi als sonstige Kameruner Sorten. Lediglich schloss die GSK viele Faktoreien, die auf Trägertransport angewiesen waren.38 1913 machte sie noch immer 31.000 Mark Gewinn und genehmigte eine Dividende, da sie sicher war, gut durch die Krise zu kommen.39 Die GSK plante sogar, zu expandieren und die Konzession der ins Straucheln geratenen N’Goko-Sangha-Gesellschaft in Neu-Kamerun zu kaufen.40 An der Kautschukfrontier war die Kautschukkrise eine Schuldenkrise. Zwar konnten die allermeisten Menschen, auch wenn sie die Subsistenz in den letzten Jahren vernachlässigt hatten, zur Landwirtschaft zurückkehren. Doch im Vertrauen auf steigende Kautschukpreise hatten Gummisucher, Familienoberhäupter und andere sich bei den Firmen verschuldet – mit hunderten oder gar tausenden Mark. Alle Akteure hatten sich verspekuliert. Kautschuk war von heute auf morgen nichts mehr wert. Andere Produkte konnten die Gummisucher nicht verkaufen, da sich deren Transport zur Küste nicht lohnte. Also blieben riesige Schuldenberge, deren Eintreibung 1913 und 1914 zu Gewalt führte. Der Bevölkerung saßen die Händler im Nacken – mit allen in früheren Jahren erprobten Methoden des Schuldeneintreibens. Das Bezirksgericht Lomie wurde „überlaufen“, wie der örtliche Richter klagte, von Kaufleuten, die Schulden eintreiben, und Männern und Frauen, die Übergriffe durch Händler anzeigen wollten.41 Im August 1913 gewährte die Regierung den Schuldnern sechs Monate Zahlungsfrist.42 In Assobam, Besam und bei den südlichen Njem waren die Menschen aber so überschuldet, dass die Bezirksleitung 1914 anerkannte, dass zwei Jahre nötig sein würden, um die Schulden zurückzuzahlen.43 Dörfer wie Assobam und Kul entzogen sich zeitweise durch Flucht in den Wald.44 Alles schwirrte vor Gerüchten, die erklären sollten, warum der Handel so plötzlich aufgehört hatte: Viele Menschen meinten, die Europäer planten eine Militäraktion, weshalb kein Kautschuk mehr gekauft, sondern nur noch trust eingetrieben und

37 38 39 40 41 42 43 44

S Brekenfeld N Falkenstein Faltenstein an Eltern, 06.11.1913. Vgl. BArch R 1001/3459, 53. Vgl. BArch R 1001/3452, 110; BArch R 1001/3459, 4. Vgl. AGR CCCI 1683 GSK: Bericht, 30.01.1914. BArch R 1001/3828, 104. Vgl. auch Gouvernement von Kamerun 1913a. Vgl. BArch R 1001/3828, 82. Vgl. BArch R 1001/3828, 103. Vgl. BArch R 1001/3838, 236.

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Waren verschleudert würden.45 Einige flohen, da sich das Gerücht verbreitete, die Verwaltung würde den trust mit der Schutztruppe eintreiben.46 Auch europäisch gebildete, afrikanische Händler verstanden nicht, was vor sich ging. Sie kauften weiterhin Kautschuk und glaubten, wie z. B. Mullen, große Profite zu machen.47 Auch der Victoria-Mann Paul Williams verlangte nach dem Krieg für seinen 1913 und 1914 für die AKAG gekauften Gummi eine Kommission wie in den guten Zeiten.48 Der Zusammenbruch des Kautschukhandels führte dazu, dass auch die Karawanenarbeit schlagartig an Bedeutung verlor. Im Mai 1914 berichtete Bischof Hennemann: „An der Straße [nach Akok] herrscht gewöhnlich reges Leben. In allerletzter Zeit allerdings hat dieses Leben sehr nachgelassen. Es macht sich auch hier, oder besser gesagt, gerade hier, die Gummikrisis bemerkbar.“ Der Trägerverkehr habe „fast aufgehört. Da Meiste von dem Wenigen, was noch befördert wird, besorgen Lastautos.“49 Wie sich das auf Trägerinnen und Träger auswirkte, bleibt fraglich. Viele Menschen dürften in ihre Dörfer zurückgekehrt sein – etwa Frauen und Kinder, die für ihre Familienoberhäupter arbeiteten. Viele Männer konnten ebenfalls in die alten Strukturen ihrer Familien und Dörfer zurückkehren, die sie meist nie dauerhaft verlassen hatten. Andere jedoch hatten sich ganz auf Lohnarbeit eingestellt. Sie arbeiteten weiter als Trägerinnen und Träger, gingen auf die Plantagen oder gar zum Bahnbau.50 Ob der katastrophalen Lage hielt Kolonialstaatssekretär Solf den Firmen eine Strafpredigt und erklärte am 2. September 1913 in Kribi, sie hätten nicht wie Großkaufleute, „sondern wie Krämer gehandelt […]. […] Sie müssen schon seit Jahren vorausgesehen haben, dass Sie die Grenzen guter kaufmännischer Grundsätze überschritten haben und dass Ihr Verhalten zu dem vorliegenden Ergebnis führen musste.“ Statt auf Qualität zu achten, hätten sie „Dreck“ gekauft, den jetzt keiner mehr haben wollte.51 Auch den Firmen dämmerte, dass ihr Geschäft auf einer „spekulativen Basis“ bestanden hatte. „Wir stehen […] vor einer Schüssel abgerahmter Milch“, erklärte Carl Roghé, Direktor der AKAG, „und wir müssen erwägen und untersuchen, ob etwas, und was aus dem Reste, den Überbleibseln noch wird herauszuholen sein“.52 Die Firmen müssten ihr Geschäftsmodell ändern: „Während es früher hiess, soviel Gummi wie nur möglich herzuschaffen, ohne

45 46 47 48 49 50 51 52

Vgl. BArch R 1001/3838, 127. Vgl. BArch R 1001/3828c, 35. Vgl. Mullen 2008, 3. Vgl. BArch R 1001/3551, 75. Hennemann 1916, 302. Vgl. BArch R 175-I/184, 32; Mandeng 1973, 128 f. Beide Zitate: BArch R 1001/3837, 150. Beide Zitate: BArch N 2225/17, 82.

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Ansehung der Kosten, ist die Parole heute: scharf kalkulieren nach jeder Richtung hin, wie es auch überall sonst in der Welt geschieht.“53 Nachdem die Firmen Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hatten, wurde der Exportzoll auf Kautschuk ausgesetzt und in einen Gleitzoll umgewandelt. Die großen Faktoreinetze sollten durch zentrale Einkaufsstellen ersetzt werden, staatliche Qualitätskontrollen die Stellung von Südkamerun-Kautschuk auf dem Weltmarkt verbessern. Doch all diese Maßnahmen hatten vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914 keinen Effekt mehr.54

Cash crops, Arbeit und die Bewertung der deutschen Herrschaft, 1919–1939 Der Erste Weltkrieg verdeckte die langfristigen Folgen der Kautschukkrise in Südkamerun.55 Unter der französischen Mandatsherrschaft löste der Anbau von cash crops den Kautschukhandel als wichtigsten Wirtschaftsbereich ab.56 Die Zusammenhänge zwischen diesem und den ökonomischen Veränderungen der deutschen Kolonialherrschaft – vor allem durch den Kautschukhandel – sind bisher nicht klar. Deshalb sind die folgenden Ausführungen notwendigerweise nur eine erste spekulative Skizze. Südkameruns Cash-crop-Boom stand wahrscheinlich in direktem Zusammenhang mit dem im Kautschukhandel erworbenen Kapital.57 Wie die deutschen Behörden und einige Firmen in den 1910ern geplant hatten,58 bauten Kameruner nach dem Krieg Exportprodukte an. Männer, die den Kautschukhandel genutzt hatten, um Kapital zu erwerben (etwa Rechte über Menschen), investierten dieses in den Anbau von Kakao. 1929 berichtete ein nach Kamerun zurückgekehrter Kaufmann aus Ambam: „Der alte Händler Aikin und auch Haefert haben in Ekin eine große Kakaopflanzung.“59 Auch ausländische Händler, die während der deutschen Zeit Kautschuk gekauft hatten, pflanzten nun Kakao. William Heyford aus der Gold Coast etwa erklärte: „I have three small cocoa plantations in the bush near by.“60 Nicht mehr der Transport-, sondern der wachsende Agrarsektor benötigte nun die meisten Arbeitskräfte. Trägerarbeit verlor ihre ökonomische und soziale Be-

53 54 55 56 57 58 59 60

BArch N 2225/17, 87. Vgl. Wirz 1972, 125; Hausen 1970, 270–273. Zum Ersten Weltkrieg in Kamerun vgl. Schulte-Varendorff 2011. Vgl. u. a. Guyer 1984; Walker-Said 2015. Vgl. für die Gold Coast Dumett 1971; Arhin 1980. Vgl. Wirz 1972, 202–227; BLO MSS. Afr. s. 1525/8, 173 f. NN 1929, 14. Gleiches galt für den Dolmetscher Lembile. Vgl. NN 1929, 15. O’Brien 1938, 237.

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deutung, denn Güter wurden auf den wichtigen Strecken durch Lastwagen und Eisenbahn transportiert. Anderswo blieb (und bleibt) das Tragen zwar bedeutsam. Dennoch war Karawanenarbeit nun viel unwichtiger.61 Dies war das Ende der Karawanenkultur als einer durch selbstbewusste, professionelle und mobile Arbeiterinnen und Arbeiter bestimmte Lebensweise. Es kam zu einer Demobilisierung von Arbeitskräften und deren Reintegration in große, nun mit Kakaoanbau beschäftigte Haushalte. Schon 1919 beklagten afrikanische Katechisten der presbyterianischen Mission Übergriffe der Familienoberhäupter auf Frauen und nicht etablierte Männer im Zusammenhang mit der Cash-crop-Ökonomie. Nach Walker-Said war der Grund the irregulate state of marriage and family building as a result of chiefs’ requisitioning of laborers for their farms, which expanded after the expulsion of the Germans. Even in the transitional years before the French mandate of Cameroon was established, hard, often unpaid plantation work for young men and the incorporation of young women as junior wives into a powerful chief ’s household were common enough fates that many Africans hid in the American Presbyterian mission stations […].62

Viele Frauen und junge, nicht etablierte Männer, die zuvor Lohnarbeit für die europäischen Firmen verrichtet hatten, verloren durch das Ende des Kautschukhandels ihre Mobilität sowie die Möglichkeiten, ein eigenes Einkommen und Unabhängigkeit von ihren Familienoberhäuptern zu erlangen. Der Boom der cash crops basierte nicht mehr auf Lohnarbeit, sondern auf pseudotraditionellen Arbeitsverhältnissen. Die Demobilisierung der Südkameruner Bevölkerung, der Rückgang der Lohnarbeit und das Aufblühen scheinbar traditioneller Arbeitsbeziehungen geschahen jedoch nicht unangefochten. Viele nicht etablierte Männer suchten sich Lohnarbeit in anderen Sektoren oder migrierten nach Britisch-Kamerun oder Fernando Po, um dort auf den Plantagen zu arbeiten und dem Einfluss ihrer Familienoberhäupter zu entkommen.63 Möglicherweise erklären der Aufstieg der Cash-crop-Wirtschaft, die Demobilisierung der Lohnarbeiterschaft und deren Reintegration als Arbeitskräfte in die Haushalte auch, warum Südkameruns Karawanenkultur in Vergessenheit geriet und stattdessen ein düsteres Bild der Trägerarbeit entstand. Mehr Forschung ist nötig, aber es ist zu vermuten, dass Selbstbewusstsein, Verhandlungsmacht und Militanz, die mit der Karawanenarbeit verbunden waren, unter dem Deckmantel pseudotraditioneller Beziehungen in den Haushalten von Familienoberhäuptern

61 Vgl. Kaptué 1986, 158 ff. 62 Walker-Said 2015, 402. 63 Vgl. Authaler 2018, 103, 119–123; Mveng 1969.

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verschwanden. Letztere gehörten in den 1960ern und 1970ern zu den Informanten von Ethnologinnen und Historikern.64 Befragt zur deutschen Herrschaft schilderten die Familienoberhäupter die Arbeit in den Karawanen als zwangsweises Aufbrechen traditioneller Strukturen durch den Kolonialismus. Dabei hatten Familienoberhäupter als Arbeitskräftelieferanten eine wichtige Rolle darin gespielt. Auch hatte ein großer Teil des Karawanenverkehrs auf Lohnarbeit beruht, deren emanzipatives Moment vielfach die Macht der Familienoberhäupter bedroht hatte. An diese Aspekte der Karawanenarbeit zu erinnern, hatten die Familienoberhäupter kein Interesse. Sie verschwiegen die Karawanenkultur – und diejenigen, die diese Arbeit während der deutschen Herrschaft übernommen hatten, wurden selten gefragt. Kamen sie doch zu Wort, wie die frühere Trägerin Germaine, so unterschied sich ihre Geschichte deutlich von der der Eliten.65

Battle for Rubber: Kameruns zweiter Kautschukboom, 1941–1945 Die Geschichte des Kautschuks in Kamerun war allerdings mit dem Zusammenbruch des Marktes 1913 und dem Ende der deutschen Herrschaft nicht beendet. Während des Battle for Rubber im Zweiten Weltkrieg erlebte Kamerun ein „second golden age of rubber“.66 Da die Produktion von Gummi erneut das Leben sehr vieler Menschen bestimmte, haben die Jahre 1941–1945 großen Eindruck im kollektiven Gedächtnis sowie in der Historiographie des Kautschukhandels hinterlassen: Von der Gummiproduktion des Battle for Rubber wird auf die der deutschen Zeit geschlossen.67 Dabei ist es wichtig, beide Phasen analytisch zu trennen: Während der Kautschukboom der deutschen Periode auf der Arbeit unabhängiger Gummisucher beruhte, die versuchten, Anteil an der Exportwirtschaft zu erhalten, wurde die Kautschukproduktion während des Zweiten Weltkriegs zwangsweise vom Staat verordnet. Eric T. Jennings und Clarence-Smith erwecken den Eindruck, das Battle for Rubber habe die Wildkautschukproduktion wiederbelebt, die seit 1913 geruht habe. Aber in Südkamerun kam diese nie zum Erliegen.68 Kautschuk blieb in der Zwischenkriegszeit zeit- und ortsweise bedeutend. 1926 war Gummi mit mehr als 1000 Tonnen das drittwichtigste Exportprodukt des französischen Mandatsgebietes.69 Im Gegensatz zu Britisch-Kamerun blieb die Plantagenproduktion von

64 65 66 67 68 69

Vgl. Laburthe-Tolra 1981; Quinn 2006. Vgl. Vincent 1976. Jennings 2015b, 195. Vgl. Zouya Mimbang 2013, 136 f.; Rupp 2011, 191. Vgl. Zouya Mimbang 2013, 190. Nugent betont dies auch für Amazonien. Vgl. Nugent 2018, 3–10. Vgl. Tabelle 8.

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Gummi im französischen Mandatsteil unterentwickelt. Bis 1937 stammte der größte Teil der Kautschukexporte aus wilden Beständen.70 Folglich gab es keinen Bruch in Bezug auf die Kautschukbereitung und die damit verbundenen Techniken. Das Kautschukmachen war jedoch nicht mehr die Hauptbeschäftigung der Menschen, sondern ermöglichte ein zusätzliches Einkommen. Vor allem in Ostkamerun blieb Wildkautschuk ein wichtiger Faktor in der Markt- oder Exportproduktion. 1921 hieß es über Ostkamerun: „[L]a vie économique est liée assez étroitement aux cours du caoutchouc, malgré la chute des cours des caoutchoucs africains“.71 Grund für diese vermeintliche Abhängigkeit blieben die schlechten Verkehrswege, die es vorerst unmöglich machten, andere Produkte für den europäischen Markt zu produzieren. Gleichzeitig waren die Preise für Kautschuk auf dem Weltmarkt so niedrig, dass es sich kaum lohnte, Gummi mit Trägern zu transportieren.72 Die Mandatsregierung forcierte deshalb den Straßenbau – auch um Cash-crop-Anbau (vor allem Kaffee) im Osten attraktiv zu machen.73 Aber bis in die 1930er blieb Kautschuk das einzige halbwegs marktfähige Produkt.74 Tabelle 8 Kautschukexporte Kameruns unter Mandat. Leerstellen: keine Daten. Quellen: République Française: Rapport annuel 1921–1938; Full 1932; Lieb 1932; Schoen 1936; Jennings 2015, 194. Kautschukexporte Mandatszeit Französisches Mandat Jahr Menge in kg 1919   1920 573.340 1921 568.586 1922 560.789 1923 760.714 1924 967.987 1925 753.800 1926 1.037.432 1927 890.000 1928 790.194 1929 945.195 1930 518.200

70 71 72 73 74

  Wert in Francs   1.925.974 1.269.241 280.403         6.047.438 6.062.745 2.074.000

Vgl. RF 1939, 68; Weiler 1933, 433; Weiler 1958, 80. RF 1922, 45. Vgl. RF 1922, 122. Vgl. RF 1924, 131; RF 1929, 55. Vgl. RF 1931, 67.

    Britisches Mandat Menge in kg Wert       0 0 0 0 17.000 602.000 1.033.000 1.468.000 1.059.000 1.080.000

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1931 1932 1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 1945 1946 1947 1948 1949 1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958 1959 1960 1961

86.300 67.000 102.000 373.800 749.000 1.197.000 1.349.000 1.437.000       2.013.000 2.262.000 2.191.000     2.000.000     1.600.000         3.400.000   3.000.000        

230.000 102.000 119.000 516.000 1.360.000 2.320.000 5.105.000 9.194.000            

     

790.000 195.000                                                          

                                                     

Zeitweise erhielt die französische Mandatsregierung den Kautschukhandel künstlich am Leben. Kautschuk war nicht mehr genug wert, seine Produktion lohnte sich nicht. Da die Regierung aber an einer Exportwirtschaft in Ostkamerun interessiert war, damit die Bevölkerung Kopfsteuern zahlen konnte,75 steigerte sie die Kautschukproduktion mit Druck und Zwang.76 Während ab 1923 die Kautschukproduktion angesichts der durch den Stevenson-Plan leicht steigenden Preise wuchs,77 brach sie ab 1930 infolge der Weltwirtschaftskrise ein.78 Der Staat zahlte

75 76 77 78

Vgl. Zouya Mimbang 2013, 192. Vgl. Zouya Mimbang 2013, 190; Geschiere 1983, 88 ff. Vgl. RF 1924, 131 f.; RF 1926, 70, 72; RF 1927, 70. Vgl. RF 1931, 63, 67.

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nun Exportprämien von 1,50 Francs an die Produzenten.79 Doch auch dies änderte nichts daran, dass niemand mehr in den Wald ging, um Gummi zu machen. Die Wildkautschukproduktion hörte 1932 einfach auf.80 Dies zeigt die geringe Rolle, die Kautschuk im Leben der Menschen inzwischen spielte. 1933 gelangte Wildkautschuk aus Ostkamerun aber wieder auf den Weltmarkt. 1938 produzierte Französisch-Kamerun 633 Tonnen.81 Dass Gummi in Kamerun während des Zweiten Weltkriegs wieder ein bedeutender, das Leben der Menschen bestimmender Rohstoff werden würde, lag an den Strukturen der Kautschukproduktion in der Zwischenkriegszeit. Im 19. Jahrhundert war die Welt abhängig von Brasilien gewesen, das quasi ein Monopol auf Kautschukexport hatte. Zwischen 1890 und 1913 diversifizierten sich die Produktionsstandorte: Kautschuk kam noch immer vor allem aus Brasilien, aber auch aus dem Rest Lateinamerikas, Australasien, und eben in großen Mengen aus Afrika. Nach 1913 etablierte sich ein neues Monopol: Die Welt wurde abhängig von den Kautschukpflanzern Südostasiens. Die in Afrika produzierten Mengen fielen in den 1920er- und 1930er-Jahren kaum mehr ins Gewicht. Der gesamte Kontinent lieferte 1939 lediglich 1 Prozent der Weltproduktion, trotz der in den 1920ern geschaffenen Firestone-Plantagen in Liberia.82 Der Zweite Weltkrieg zeigte, wie gefährlich ein regionales Monopol in einer Welt war, deren gesamte Industrieproduktion am Kautschuk hing. 1941 besetzte die japanische Armee Südostasien, wo 90 Prozent aller kultivierten Hevea-Bäume wuchsen – und schnitt damit die Alliierten von diesem kriegswichtigen Rohstoff ab!83 Doch ohne Kautschuk konnte in den 1940ern keine Armee der Welt mehr Krieg führen: In einem B-7-Bomber waren eine halbe Tonne, in einem US-Panzer eine ganze Tonne und in einem US-Kriegsschiff 75 Tonnen Kautschuk verbaut.84 So wurden plötzlich die afrikanischen Wälder wieder wichtig für die globale Kautschukproduktion. In einer gewaltigen Anstrengung versuchten die Alliierten, möglichst viel Gummi in Afrika zu gewinnen. Hierzu dienten Plantagen – aber auch Wildkautschuk, der selbst in Regionen, die bisher wenig mit der Kautschuk zu tun gehabt hatten, bedeutend wurde.85 Kamerun spielte im Battle for Rubber eine bedeutende Rolle. Auf den nun erneut enteigneten deutschen Plantagen in Britisch-Kamerun wurde aller Kautschuk

79 Vgl. RF 1932, 62; Och 1931, 84 f.; Full 1932, 402; Schoen 1936, 50. 80 Die 67 exportierten Tonnen stammten aus dem Vorjahr, weitere Lagerbestände blieben unverkäuflich. Vgl. RF 1933, 99, 114 f. 81 Vgl. RF 1939, 68. 82 Vgl. Clarence-Smith 2015, 166. Zur Preisentwicklung in der Zwischenkriegszeit vgl. Coates 1987, 205–289. 83 Vgl. Clarence-Smith 2015, 171; Coates 1987, 290–299. 84 Vgl. Clarence-Smith 2015, 171. 85 Vgl. Hobson 1974, 536 ff.; Tembo 2013.

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geerntet.86 Besonders wichtig war jedoch Französisch-Kamerun, das ehemalige Südkamerun. Dieses und Französisch-Äquatorialafrika hatten sich de Gaulles Freiem Frankreich angeschlossen. Sie sollten nun helfen, den Kautschukbedarf der Alliierten zu decken.87 Französisch-Kamerun und die französischen Nachbargebiete entwickelten sich zum sechstgrößten Kautschukproduzenten der Alliierten.88 Kamerun steigerte seine Kautschukproduktion deutlich. Die Zahlen sind nicht eindeutig, aber während das Mandatsgebiet 1938 nur 633 Tonnen produzierte,89 steigerte sich der Export bis 1942 auf 2013, 1943 auf 2262 Tonnen. Auch 1944 waren es noch immer 2191 Tonnen. Andere Quellen sprechen sogar von einer Steigerung auf bis ca. 3300 Tonnen.90 Im Battle for Rubber konnte die Mandatsverwaltung das Knowhow der Bevölkerung nutzen, die teilweise seit mehr als 30 Jahren Gummi herstellte.91 Dieser zweite Boom 1941–1945 unterschied sich gleichwohl deutlich vom ersten während der deutschen Kolonialherrschaft. Damals löste die Nachfrage nach Gummi einen fieberhaften Goldrausch aus, an dem sich viele Menschen beteiligten, weil er ihnen ungeahnte Chancen eröffnete. Zwar begleitete Gewalt dieses Goldfieber auf Schritt und Tritt. Dennoch war Freiwilligkeit in der Kautschukproduktion eine Konstante des deutschen Booms. Der zweite Boom war jedoch nicht die Rückkehr des Goldrausches, sondern die Einführung eines Zwangssystems, das die Franzosen 30 Jahre zuvor in Kameruns Nachbarkolonien praktiziert hatten.92 Die wichtigsten Regionen, die Kautschuk für den Krieg produzierten, waren dieselben wie vor 1913.93 Im Südosten des Landes ist diese zwangsweise Produktion von Kautschuk noch sehr präsent – viel präsenter als diejenige der deutschen Zeit. Über letztere, erklärten viele Interviewpartner und -partnerinnen, könnten sie wenig sagen: „Il faut raconter ce qui est vrai“, „Je peux pas mentir“ oder „Je ne sais rien de ça“ waren die Antworten.94 Lieber sprachen sie über die französische Zeit. So meinte Legou Robert, Chef von Moloundou village, geboren 1944, während der deutschen Zeit habe es keinen Kautschukhandel gegeben. Der habe angefangen, als

86 Vgl. Wells/Warmington 1962, 130 f. Zur Geschichte der deutschen Plantagen während der britischen Mandatsherrschaft vgl. Authaler 2018; Epale 1985. 87 Vgl. Jennings 2015b, 183 f. 88 Vgl. Jennings 2015a, 205. 89 Vgl. Tabelle 8; RF 1939, 68. 90 Vgl. Jennings 2015b, 194. Dies würde auch den Angaben von Despois entsprechen, der allein für Ostkamerun eine Steigerung auf ca. 1800 t angibt. Vgl. Despois 1946, 34. 91 Interview mit Bekabeka Loupe Richard, Moloundou, 19.01.2016. 92 Vgl. Jennings 2015b, 191. 93 Vgl. Despois 1946, 36. 94 Vgl. Voignier 2017, 99; Interview mit Legou Robert, Moloundou, 19.01.2016; Interview mit Kalawassa Jacques, Moloundou, 19.01.1916.

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die Franzosen kamen.95 Auch Sabangawi Dieudonné, Chef von Makoka II, meinte zum Kautschukhandel: „C’était après la guerre. […] Les allemands sont partis.“96 In der lokalen Erinnerung vermischen sich die beiden Phasen. Bekabeka Loupe Richard, geboren 1939, meinte sogar, die Deutschen hätten Molundu erst nach dem Zweiten Weltkrieg verlassen.97 Alle Informanten waren sich jedoch einig, dass der Kautschukhandel, den sie selbst erinnerten oder von dem ihre Eltern erzählt hatten, mit Zwang und Gewalt verbunden war. 1942 führten die französischen Behörden eine Quote ein. Jeder Mann musste pro Quartal 6 Kilogramm Kautschuk abliefern.98 Andere Instrumente waren die Eintreibung von Kautschuk als Steuer, durch Bedrohung und Zwang.99 Die Menschen, vor allem in der Region Molundu, berichteten von Gefängnis, Folter und Schlägen mit der Nilpferdpeitsche, wenn die Quoten nicht erfüllt wurden.100 Der Schriftsteller Henri-Richard Manga Mado schrieb: „[C]elui qui ne remplirait pas son quota serait non seulement battu, mais frappé d’une amende et conduit pour quinze jours de prison en ville.“101 Kautschuk blieb ein ambivalentes Produkt, denn die Beamten und Kaufleute bezahlten den zwangsweise gelieferten Kautschuk gut. Nach Manga Mado waren die Einnahmen „une fortune“.102 Erneut entwickelte er sich zu einer wichtigen Einnahmequelle für die Bevölkerung. Pro Kilogramm erhielten die Gummisucher 8–12 Francs – eine gewaltige Steigerung zur Vorkriegszeit, als Kautschuk nur mit 1 Franc bezahlt wurde.103 Die Quoten setzten die wilden Bestände unter enormen Druck und so zeitigte die Kautschukgewinnung ähnliche ökologische Folgen wie 30 Jahre zuvor. Vor allem nutzten die Gummisucher den Grätenschnitt, um die Bäume anzuzapfen.104 Falsch 95 96 97 98

99 100

101 102 103 104

Vgl. Voignier 2017, 48; Interview mit Legou Robert, Moloundou, 19.01.2016. Interview mit Sabangawi Dieudonné, Makoka II, 19.01.2016. Später korrigierte er sich. Interview mit Bekabeka Loupe Richard, Moloundou, 19.01.2016. Vgl. Jennings 2015b, 189. Möglicherweise variierte die Quote von Ort zu Ort. Manga Mado nennt für Nanga-Eboko 15 kg. Angaben wie die von Pierre Goueïda, nach denen jeder Mann alle 14 Tage 100 kg Kautschuk bringen musste, oder Bekabeka Loupe Richards Angabe von 50 kg sollen wohl ausdrücken, dass es sich um kaum zu bewältigende Mengen handelte. Vgl. Manga Mado 1970, 31; Voignier 2017, 68; Interview mit Bekabeka Loupe Richard, Moloundou, 19.01.2016. Selbst Britisch-Kamerun führte 1943 eine Quote von 3 Pfd. Wildkautschuk pro Mann und Monat ein. Vgl. Clarence-Smith 2015, 176 f. Möglicherweise wurde die Quote zuvor lokal ausprobiert. Vgl. Geschiere 1983, 90. Vgl. Jennings 2015b, 190. Vgl. Voignier 2017, 48 f., 68; Interview mit Bekabeka Loupe Richard, Moloundou, 19.01.2016; Interview mit Sabangawi Dieudonné, Makoka II, 19.01.2016; Interview mit Legou Robert, Moloundou, 19.01.2016; Interview mit Ndinga Marcel, Moloundou, 19.01.2016. Manga Mado 1970, 43. Zu Manga Mado vgl. Deutsche Afrika-Gesellschaft 1962, 9 P. Manga Mado 1970, 44. Vgl. Despois 1946, 34; Jennings 2015b, 190. Vgl. Guillaume 1944, 74.

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angewandt, tötete er die Bäume – und war es nicht dies, so doch der Zwang, die Quote zu erfüllen, der zu schnellen Mehrfachzapfungen führte. Schon 1943 wurden Wildkautschukpflanzen durch die massenhafte Anzapfung des Vorjahres selten.105 Schnell mussten die Gummisucher immer weiter in den Wald, um Kautschuk zu finden.106 Bald gingen die Männer für Wochen oder Monate weg, während ihre Frauen ihnen Nahrung brachten und Gummi abtransportierten.107 Söhne halfen ihren Vätern bei der Suche nach Funtumia-Bäumen. In den Worten von Manga Mados Ich-Erzähler, ein Kind während des Krieges: „La corvée de caoutchouc à laquelle était astreint mon père ne me fut pas épargnée. Je l’aidais comme je pouvais. Nous partions tous les deux en forêt où nous restions des mois et des mois à récolter notre caoutchouc.“108 Auch andere Folgen ähnelten denen des ersten Kautschukbooms: Um schnell viel Gummi zu gewinnen, vernachlässigten die Menschen alle anderen wirtschaftlichen Aktivitäten – Landwirtschaft und Cash-crop-Produktion –, aber auch die Instandhaltung ihrer Häuser, der Straßen und ihr Familienleben. Auch ermöglichte das Leben im Wald, sich dem Zugriff der Verwaltung oder der mächtigen Chefs zu entziehen.109 Die Auswirkungen waren folglich trotz der unterschiedlichen Umstände ähnlich: Während der deutschen Zeit lag das Leben brach, weil alle Welt mit Kautschuk schnell reich werden wollte, während des Zweiten Weltkriegs, weil alle fürchteten, ihre Quote nicht zu erfüllen. Selbst die Transportwege ähnelten denen der deutschen Zeit: Molundu und Lomie hatten noch immer starke Verbindungen zur französischen Kongo-Kolonie und der Export von Gummi erfolgte über Djah und Ngoko. Das Dume-Gebiet exportierte seinen Kautschuk wie vor 30 Jahren mit Kanus über den Nyong. Träger (und Trägerinnen?) waren jedoch nur noch auf kurzen Distanzen vom Regenwald zu den großen Straßen nötig. Von dort erfolgte der Abtransport mithilfe von Lastwagen.110 Plantagen spielten im französischen Mandatsgebiet ebenfalls eine Rolle im Battle for Rubber. Zum einen die gigantische Plantage Dizangué, wo Zwangsarbeiter Hevea anzapften.111 Darüber hinaus kam es zu einer Wiederbelebung der deutschen Kleinund Kaufmannsplantagen. Henri Chamaulte, Chef von Dizangué, veröffentlichte eine Übersicht über die aus deutscher Zeit stammenden Bestände.112 Wie ein

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Vgl. Jennings 2015a, 206. Vgl. Interview mit Bekabeka Loupe Richard, Moloundou, 19.01.2016. Vgl. Despois 1946, 34; Kaptué 1986, 169. Manga Mado 1970, 37. Vgl. Despois 1946, 34; Kaptué 1986, 169 f. Vgl. Despois 1946, 36. Vgl. Jennings 2015b, 185 f. Zu Dizangué: Kippenberg 1996; Manga Mado 1970, 79 ff.; Wilbois 1934, 107 f. 112 Vgl. Chamaulte 1942.

Ausblick: Kautschukkrise, Mandatszeit und Battle for Rubber

französischer Generalinspektor 1944 bemerkte, erlaubte der Krieg „la reprise de la saignée sur les plantations de funtumias établies par les Allemands, antérieurement à l’occupation française, et que l’on jamais passés au ‚magasins des accessories‘ devant la concurrence victorieuse de l’hévéa“.113 Auch nach Ende des Krieges hörte die Produktion von Wildkautschuk in Kamerun nicht von heute auf morgen auf. Bekabeka Loupe Richard machte noch 1951 mit zwölf Jahren Kautschuk.114 Doch südostasiatischer und künstlicher Kautschuk machten Wildkautschuk irrelevant. Im nördlichen Grenzgebiet FranzösischKongos und sicher auch im benachbarten Kamerun kauften Europäer bis Mitte der 1950er Gummi. Danach aber gehörte das Kautschuksammeln zu den „activités de fortune“, wie Claude Robineau schreibt, le lot de populations déshéritées qui s’efforcent d’accroître leurs ressources, ici quelques aventuriers, exploitants ou commerçants, essayaient, économiquement, de survivre et de se justifier en se lançant dans des entreprises aléatoires qui, au mieux, leur permettaient d’amasser quelques gains.115

Endgültig hatte die Kautschukwirtschaft ihre gesellschaftlich prägende Kraft verloren. Heute exportiert Kamerun sehr viel mehr Kautschuk als während des Booms. 2013 waren es 55.605 Tonnen.116 Der Spitzenwert der deutschen Zeit war 2877 Tonnen. Kamerun produziert Hevea-Plantagengummi, gepflanzt von Kleinproduzenten und Großkonzernen wie der CDC, HEVECAM und SAFACAM. Ca. 33.000 Menschen arbeiteten 2013 in der Kameruner Kautschukwirtschaft.117 Doch während vor 1913 die Kautschukwirtschaft das Leben vieler, wenn nicht aller Menschen in Südkamerun bestimmte, nahmen die sinkenden Preise ihr diese transformative Kraft. Die Kautschukwirtschaft ist heute vor allem ein regionales Phänomen. Gummi ist eine Ressource unter vielen für die Kameruner Exportwirtschaft und auch wenn Probleme wie Vertreibungen und Konflikte um Landnutzung andauern, beeinflusst er nur noch das Leben von verhältnismäßig wenigen Menschen.118

113 Guillaume 1944, 73. Zuvor waren Plantagen aufgrund von Arbeitermangel nur bei außerordentlich hohen Preisen genutzt worden. Vgl. RF 1924, 131; RF 1926, 76. 114 Vgl. Interview mit Bekabeka Loupe Richard, Moloundou, 19.01.2016. 115 Robineau 1967, 331 f. Vgl. auch Voignier 2017, 135. 116 World Atlas 2018. Damit stand Kamerun auf Platz 15 der größten Kautschukproduzenten weltweit. 117 Vgl. Fon/Tarla/Mbondji 2015. 118 Vgl. u. a. Gerber 2008.

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Martin Paul Zampa diente fünf Jahre als Soldat in der Kameruner Schutztruppe. 15 Jahre aber arbeitete er für Randad & Stein. Einen Großteil seines Lebens bestimmten der Kautschukhandel und damit auch dessen vielgestaltige, hybride Formen von Arbeit. Am Ende dieser Studie lassen sich seine in der Einleitung zitierten Einlassungen über seine Arbeitskräfte entziffern. Kautschuk kaufte Zampa bei lokalen Gummisuchern oder Familienoberhäuptern. Er transportierte ihn mit Arbeitsmigranten – Vai aus Liberia oder Bata-Mabea aus Gabun. Außerdem konnte er lokale Familienoberhäupter als Rekrutierer einspannen und wohl auch Trägerinnen und Träger vor Ort finden, die gegen Lohn in seinen Karawanen arbeiteten. Zampa machte in den folgenden Jahren alle Veränderungen des Kautschukhandels mit. Irgendwann zwischen 1908 und 1913 arbeitete er für Randad & Stein in Olama, am Nyong-Depot, von wo die Firma den Verkehr in den boomenden Dume-Bezirk organisierte.1 Gleichzeitig arbeitete er als Arbeiteranwerber, um den zunehmenden Bedarf seines Unternehmens an lokalen Vertragsarbeitern zu decken. Die Krise des Kautschukhandels 1913 veränderte sein Leben – und trug möglicherweise zu seiner politischen Radikalisierung bei. Schon länger war Zampa mit seiner Stellung bei Randad & Stein nicht mehr glücklich gewesen. 1913 schied er aus dem Arbeitsverhältnis aus und zog nach Ebolowa ins Bulu-Land, das er in früher Kindheit verlassen hatte. In Ebolowa versuchte Zampa, neue Einkommensquellen zu erschließen. Er bat vergeblich darum, von der Regierung als Richter am sogenannten Eingeborenengericht angestellt zu werden. Als er sich widerrechtlich einer vom Gericht bereits verhandelten Sache erneut annahm, erhielt er eine kurze Gefängnisstrafe. Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges stand er angeblich an der Spitze einer Verschwörung mächtiger Bulu gegen die Kolonialmacht, die ihn das Leben kostete. Er wurde verurteilt und hingerichtet.2 Zampa war, wie diese Studie herausgearbeitet hat, nicht der einzige, dessen Leben die Kautschukwirtschaft zwischen 1890 und 1913 tiefgreifend veränderte. Stattdessen prägte diese das Leben der meisten Menschen in Kamerun. Ein entscheidender Faktor bei dieser Transformation waren die neu entstehenden Arbeitsbeziehungen der Kautschukwirtschaft. Am Beispiel von Kautschukproduktion und Transportarbeit in Südkamerun hat die Studie erstmals Entstehung und Entwicklung derartiger Arbeitsbeziehungen während des globalen Kautschukbooms, ca. 1890 bis 1913, untersucht. Sie hat danach gefragt, warum und unter welchen Bedingungen Menschen

1 Vgl. BArch N 227/22, 22; Hennemann 1915, 133. 2 Vgl. Hennemann 1915, 132 f.

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in Südkamerun ab 1890 ihre Arbeitskraft in die entstehende Kautschukökonomie einbrachten. Südkamerun mit seiner Vielzahl an Modellen der Kautschukproduktion und des Kautschukhandels hat sich als idealer Forschungsgegenstand erwiesen, um zu untersuchen, wie Arbeit in einer kolonialen afrikanischen Kautschukwirtschaft während des globalen Booms mobilisiert, organisiert und durchgeführt wurde. Sowohl die bisher dominierende Annahme, dass Südkameruns Bevölkerung vor allem mit Zwang und Gewalt dazu gebracht wurde, Gummi zu produzieren und zu transportieren, als auch die in anderen Kontexten entwickelte Idee, dass der Kautschukhandel sich vor allem auf bereits existierende lokale Formen von Arbeitskräftemobilisierung stützte, lassen sich nicht halten. Die Analyse zeigt erstens, dass Arbeitsbeziehungen in Südkameruns Kautschukwirtschaft extrem variabel waren. Dies war eine Folge der vielfältigen Formen der Kautschukproduktion, die dort koexistierten: Während von der Batanga-Küste aus Freihandelsfirmen ihre Karawanen immer weiter ins Binnenland sandten, erhielt im Südosten die GSK eine staatliche Konzession zur Ausbeutung von Kautschuk. Zudem wurde Kautschuk auf Plantagen angebaut und im forstwirtschaftlichen Betrieb gewonnen. Zweitens nutzten die verschiedenen Formen der Kautschukwirtschaft jeweils eine große Zahl von Methoden, um Arbeit zu mobilisieren und zu organisieren, sodass sich nicht einer Form der Kautschukökonomie nur eine bestimmte Form der Arbeitskräftemobilisierung zuschreiben ließ. Drittens lassen sich verschiedene Muster nicht sauber trennen. Lokale, atlantische und europäische Formen der Arbeitskräftemobilisierung koexistierten, überlappten und verbanden sich zu neuen, hybriden Formen. Viertens waren Zwang und Gewalt durch Europäer weniger bedeutsam für die Organisation von Arbeit als angenommen. Zwangsarbeit, Diebstahl, Erpressung, Prügel und Mord begleiteten Südkameruns Kautschukwirtschaft und waren zeitund ortsweise bestimmende Faktoren. Doch das Geschäft mit Kautschuk eröffnete gleichzeitig beinahe überall auch neue Chancen, die Teile der Bevölkerung enthusiastisch ergriffen. Europäer konnten sowohl in der Kautschukproduktion als auch im Transportbereich nur wenig und oftmals schwache Kontrolle über den Arbeitsprozess ausüben. Dass Arbeiterinnen und Arbeiter diesen vielfach organisierten, erlaubte ihnen im Alltag große Freiheiten. Die Mobilisierung von Arbeit war die entscheidende Voraussetzung für das Wachstum von Südkameruns Kautschukproduktion und -handel. Für eine funktionierende Kautschukwirtschaft mussten Handels-, Konzessions- oder Plantagenunternehmen die geringe lokale Bevölkerung der Regenwaldregionen zur Produktion von Gummi oder zur Arbeit in den Karawanen veranlassen, Arbeitskräfte in benachbarten Arbeiterreservoirs innerhalb der Kolonie finden oder Arbeiter von außen nach Südkamerun bringen. Die Bedeutung von Arbeit und die Schwierigkeit, diese in dünn besiedelten Regenwäldern zu mobilisieren, erklärt die Varianz der Arbeitsbeziehungen. Der mikrohistorische Blick dieser Studie sowie ihre durch

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die New History of Capitalism und die Global Labor History geschärfte Analyse der Arbeiterschaft der verschiedenen, in Südkameruns Kautschukwirtschaft aktiven Handels-, Konzessions- und Plantagenunternehmen zeigen, dass der koloniale Kapitalismus dort auf die ganze Bandbreite möglicher Arbeitsbeziehungen zurückgriff: Lohnarbeit, aber auch selbständige Arbeit, Sklavenarbeit, Zwangsarbeit, Arbeitsmigration, Schuldknechtschaft und die Arbeitskraft von Haushalten waren in verschiedenen Regionen, zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Sektoren der Kautschukwirtschaft zu finden. Um die unter den Bedingungen des globalen Kautschukbooms möglichen Gewinne zu realisieren, bedienten sich die Unternehmen jeder Form der Arbeitskräftemobilisierung, die ihnen zur Verfügung stand. Welche Formen dies jeweils waren, hing ab von Ort, Zeit, Politik der Kolonialmacht sowie sozialen, politischen und wirtschaftlichen Bedingungen in den afrikanischen Gesellschaften. Gleichzeitig wandelten sich die Methoden, wie sich Arbeitskraft mobilisieren ließ, stets. Dieser Wandel hatte jedoch keine Richtung – weder hin zu freieren Arbeitsbeziehungen noch zu unfreieren. Vielmehr entstand eine hybride Mischung aus europäischen, kolonialen und lokalen Formen von Arbeitsbeziehungen, in denen Menschen mit unterschiedlichem und sich oftmals veränderndem sozialen Status tätig waren. In der Kautschukproduktion, so das Ergebnis dieser Studie, konnten Unternehmen Arbeit auf unterschiedliche Weise mobilisieren. Die rapide Kommodifizierung von Gummi in den 1890ern, der als neues Produkt bis dahin nicht in die soziale Ordnung eingebettet war, ermöglichte neuen Akteuren einen Anteil an der bisher auf die Familienoberhäupter beschränkten Exportwirtschaft. Vor allem junge, nicht etablierte Männer konnten so während der kurzen Zeit, in der die Gummigewinnung in dem von ihnen bewohnten Gebiet möglich war, Kautschuk von verschiedenen Lianen-Arten herstellen und dafür im Austausch schnell größere Mengen an europäischen Waren erlangen. Vorkoloniale soziale Konflikte zwischen den Generationen sowie Vorstellungen von Maskulinität trieben die Kommodifizierung von Kautschuk in Südkamerun voran. Kautschukproduktion wurde eine Arbeit meist junger, noch nicht etablierter Männer, die bisher politisch und sozial ausgegrenzt waren. Neben Formen des Konsums ermöglichten ihnen europäische Waren vor allem, Brautgaben zu zahlen, zu heiraten und sich auf diese Weise ebenfalls als Familienoberhaupt zu etablieren. Diese Gummisucher produzierten deshalb größtenteils aus eigenem Antrieb und für ihren eigenen Nutzen Kautschuk. Soweit rekonstruierbar, verfügten sie selbst über ihre Zeit, ihre Methoden und ihr Produkt. Diese soziale Konstellation führte dazu, dass eine große Zahl junger, nicht etablierter Männer in die Wälder zog, um Kautschuk zu gewinnen. Ein Blick auf die Praktiken der Gummisucher und die materiellen Grundlagen der Kautschukproduktion hat gezeigt, dass es sich bei dieser in vielen Regionen des Südkameruner Hinterlandes um eine kurzlebige, goldrauschartige Phase handelte. Destruktive

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Methoden, die die europäischen Handelsunternehmen wie C. Woermann und Jantzen & Thormählen aus Gabun mitgebracht hatten, töteten die Lianen schnell ab. Hierdurch entstand eine schmale Kautschukfrontier, an der Gummi produziert wurde und die sich jeden Monat weiter ins Binnenland verlagerte. Sobald die Kautschukfrontier aber über eine Region hinweggegangen war, wurde Kautschuk zu einem Nischenprodukt, wo es kaum lohnte, die wenigen verbliebenen kautschukproduzierenden Pflanzen zu suchen. Kautschukherstellung war somit in den meisten Regionen eine temporäre Beschäftigung der nicht etablierten Männer. Anders gelagert war die Kautschukproduktion, wenn diese im Zusammenhang mit dem trust-System und ab 1902 dem ähnlichen trade back stand, die auf Warenkrediten beruhten. Noch immer war vor allem die Möglichkeit, europäische Waren erwerben und sich sozial etablieren zu können, ausschlaggebend dafür, dass nicht etablierte Männer begannen, Kautschuk zu produzieren. Indem aber europäische und afrikanische Händler den Gummisuchern ihre Waren auf Kredit gaben und sie dadurch mithilfe von Schulden an sich banden, war die Kautschukproduktion deutlich weniger frei. Zumindest in der Theorie waren die Produzenten nun an ihre Kreditgeber gebunden und mussten Kautschuk herstellen, um ihre Schulden zurückzuzahlen. Um dies zu gewährleisten, griffen die Händler nicht selten zu Gewalt. Kautschukproduzenten waren nicht mehr frei, Gummi zu produzieren oder nicht. Doch das Versprechen schnellen sozialen Aufstiegs brachte viele dazu, sich temporär an die Händler zu binden, um später über größere Autonomie verfügen zu können. Kautschukproduktion durch unabhängige und für das eigene soziale Fortkommen arbeitende Gummisucher lag auch dem Kautschukhandel der ab 1899 aktiven Konzessionsgesellschaft GSK zugrunde. Entgegen der bisherigen Forschung hat sich gezeigt, dass die GSK zwar den Produzenten vorschrieb, mit welchen Methoden sie Kautschuk von den Funtumia-elastica-Bäumen ihres Konzessionsgebietes gewinnen sollten. Doch junge, nicht etablierte Männer griffen diese neuen Methoden auf, entwickelten sie weiter und produzierten Gummi, ohne dass die Konzessionsgesellschaft sie dazu zwingen musste. Auch die GSK konnte Kautschuk von ihrem eigenen Fortkommen verpflichteten Gummisuchern kaufen, denen der Rhythmus ihrer Arbeit und die für die Kautschukproduktion aufgewandte Zeit selbst überlassen blieben. Erst mit dem Aufkommen der Kautschukplantagen ab 1899 und verstärkt ab 1906, so zeigt es diese Untersuchung, erhielt die Arbeit der Kautschukproduktion andere Grundlagen. Während an der Kautschukfrontier weiterhin unabhängige Gummisucher auf eigene Rechnung Kautschuk produzierten, unterwarfen die Plantagenunternehmen am Kamerunberg und auch in Südkamerun die Kautschukproduktion der rigiden Ordnung des Plantagenkomplexes. Gummisucher waren nun Lohnarbeiter, die nicht mehr über ihre Zeit, ihre Methoden und Produkte verfügen konnten. Stattdessen bestimmte die Unternehmensleitung, wann und wie

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lange die Gummisucher mit welchen Methoden den auf den Plantagen angebauten Kautschuk ernteten, und setzte dies mit Gewalt durch. Während sich im Handel die Gummisucher zudem selbst entschieden hatten, ihre Arbeitskraft der Kautschukwirtschaft zur Verfügung zu stellen, arbeiteten auf den Plantagen Vertragsarbeiter, die vielfach von unternehmerischer, staatlicher oder lokaler, afrikanischer Seite dazu gezwungen worden waren. Nur wenige – vor allem auf den Kaufmannsplantagen – arbeiteten dort, weil sie hofften, durch Löhne ihr eigenes Leben zu verbessern und unabhängiger von ihren Familienoberhäuptern zu werden. Verlockungen und Zwang mobilisierten in unklaren Mischungsverhältnissen die Arbeitskraft, die nötig war, um aus Kautschuk in Kamerun ein Plantagenprodukt zu machen. Dasselbe galt auch für die forstwirtschaftliche Kautschukproduktion, die die GSK ab 1907 in ihrem Eigengebiet entwickelte. Vertragsarbeiter produzierten dort unter einer rigide kontrollierten und mit Gewalt durchgesetzten Ordnung nach vorgegebenen Methoden und Rhythmen Wildkautschuk wie auf einer Plantage. Obwohl 1913, beim globalen Zusammenbruch der Kautschukpreise, noch immer unabhängige Produzenten den größten Teil des Kautschuks herstellten, zeigte sich eine klare Tendenz: Angesichts durch destruktive Produktionsmethoden verschwindender wilder Bestände kautschukproduzierender Pflanzen unterwarfen die Europäer die Arbeit der Gummisucher mehr und mehr von ihnen kontrollierten Formen. Auch in Kamerun war damit die weltweite Transformation der Kautschukwirtschaft von Wild- zu Plantagenkautschuk spürbar. Viel enger mit europäischen Unternehmen verbunden als die Produktion von Kautschuk war Transportarbeit. Indem die Handelsfirmen ab 1892 den Kautschukhandel von der Küste ins Binnenland verlagerten und sich von maritimen bzw. Flussfirmen in Landfirmen verwandelten, entwickelten sie sich zu großen Arbeitgebern, die nun nicht mehr dutzende, sondern hunderte oder tausende Arbeitskräfte beschäftigten. Grund hierfür war, dass Südkamerun nicht über schiffbare Flüsse verfügte. Europäische Waren und Kautschuk mussten deshalb über Land transportiert werden – und da der Einsatz von Tieren ausgeschlossen war, trugen Menschen diese in Karawanen auf ihrem Rücken. Um die nötigen Trägerinnen und Träger zu mobilisieren, beschritten die Unternehmen eine große Anzahl unterschiedlicher Wege. Der transimperiale Blick dieser Studie auf die ersten Karawanenarbeiter Südkameruns zeigt, dass diese westafrikanische, vor allem liberianische, männliche Arbeitsmigranten waren – die Vai-Arbeiter. Wie fast alle Kolonien West- und Äquatorialafrikas litt Südkamerun unter der Arbeiterfrage: Regierungen und Unternehmen gelang es vorerst nicht, vor Ort ausreichend Arbeitskräfte zu rekrutieren. Lohnarbeit war in Südkamerun bisher nicht verbreitet. Zu sehr standen soziale und kulturelle Strukturen gegen die Arbeit für Fremde. Deshalb engagierten die Handelsunternehmen – allen voran die Newcomer Randad & Stein und A. & L. Lubcke – liberianische Arbeitsmigranten. Sie griffen auf Arbeitskräftereservoirs

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zurück, die diese Studie als den westafrikanischen Arbeitsmarkt bezeichnet hat: An bestimmten Orten der Westküste konnten koloniale Regierungen und Unternehmen Vertragsarbeiterinnen und -arbeiter engagieren, deren Mobilisierung oftmals in Kontinuität zum transatlantischen Sklavenhandel stand. Die Vai-Mittelsmänner in Monrovia und Cape Mount etwa hatten bis Mitte des 19. Jahrhunderts Sklavinnen und Sklaven sowie indentured laborers in die Amerikas geschickt. Nachdem sich ab ca. den 1870ern die Nachfrage nach Arbeitskräften an die afrikanische Westküste selbst verschob, lieferten sie Vertragsarbeiter an Kolonialregierungen und -unternehmen. Viele der Vai-Arbeitsmigranten, die diverse ethnische Hintergründe hatten, besaßen in ihrer Heimat einen abhängigen Status (Sklaven, pawns, Schuldner etc.) und wurden von denjenigen, die Rechte über sie beanspruchten, mithilfe von Mittelsmännern und europäischen (vor allem deutschen) Firmen wie C. Woermann als Arbeitsmigranten vermittelt. Andere wiederum nutzten die Möglichkeiten der Migration, um ihr Leben zu verbessern. In Südkamerun behandelten die Arbeitgeber die Vai trotz ihrer in der Regel unfreien Herkunft als Lohnarbeiter. Diese hybride Form von Arbeitsbeziehung – Sklaven, pawns und andere, die Löhne erhielten – ermöglichte einigen von ihnen, die Migration zu nutzen, um sich zu emanzipieren. Nicht wenige blieben in Kamerun, arbeiteten weiterhin für Europäer oder zogen es vor, sich der europäischen Wirtschaft so weit wie möglich zu entziehen. Erzwungene Mobilität und Lohnarbeit konnten für die Arbeiter des westafrikanischen Arbeitsmarktes auf diese Weise emanzipative Wirkung entfalten. Die Analyse der mit der Karawanenarbeit verbundenen Praktiken in dieser Untersuchung zeigt, dass die Vai-Arbeiter und damit atlantisch geprägte Arbeitsbeziehungen erheblichen Einfluss auf die Ausgestaltung von Arbeit in Südkameruns Kautschukwirtschaft hatten. Die jungen, männlichen Migranten etablierten eine eigene, selbstbewusste, von gewalttätiger Maskulinität geprägte Karawanenkultur, die alle späteren Arbeitsbeziehungen Südkameruns beeinflusste. So prägten die Vai die Techniken und die Organisation der Karawanenarbeit. Vai arbeiteten wie viele Migranten des westafrikanischen Arbeitsmarktes (allen voran die Kru) unter Headmen genannten Aufsehern. Headmen entwickelten sich zum grundlegenden Organisationsmodell von Arbeit in Kamerun: Karawanen, Plantagenarbeiter und Soldaten arbeiteten unter Headmen, die als Intermediäre die Arbeit beaufsichtigten, kontrollierten, disziplinierten und zwischen Arbeitern und Arbeitgebern vermittelten. Darüber hinaus prägten die Vai auch Rhythmus und Selbstverständnis der Karawanen. Da sie meist ohne europäischen oder afrikanischen Händler, sondern unter eigenen Führern auf den Karawanenwegen zogen, wo sie niemand kontrollieren konnte, beanspruchten sie Souveränität über die Zeit, in der ihre Arbeit zu leisten war. Karawanen brauchten deshalb Wochen oder Monate für kurze Strecken, denn die Träger teilten sich ihre Zeit so ein, wie es ihren Bedürfnissen entsprach. Diesen Anspruch übernahmen spätere Karawanen. Ebenfalls beeinflussten die

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Vai-Arbeiter ihre lokalen Nachfolger in Bezug auf die Gewalt, die sie gegen die Bevölkerung, vor allem Frauen und Mädchen, ausübten. Ab ca. Mitte der 1890er gelang es den Handelsunternehmen, in Südkamerun selbst billigere Trägerinnen und Träger anzuwerben. Mabea, Ngumba, Beti und Bulu, vor allem aber sogenannte Jaunde-Leute arbeiteten als Trip-Trägerinnen und -Träger: Sie ließen sich nicht für einen Zeitraum anwerben, sondern lediglich für eine Reise (trip) – etwa zum Transport von Gummi aus dem Hinterland an die Küste. Hinter dieser Fassade der Werkverträge stützte sich der koloniale Kapitalismus de facto auf eine große Bandbreite unterschiedlicher Formen von Arbeit: Einerseits arbeiteten in den Karawanen junge, nicht etablierte Männer als Lohnarbeiter, die nach neuen Möglichkeiten suchten, europäische Waren für ihren eigenen sozialen Aufstieg zu verdienen, nachdem die Kautschukfrontier über ihre Heimat hinweggegangen war. Andererseits aber waren unter den Trägerinnen und Trägern die Abhängigen der Familienoberhäupter: Ehefrauen, Sklavinnen, Sklaven, pawns, Kinder oder Klienten. Sie wurden von denen, die Rechte über sie beanspruchten, ausgeschickt, um einen Teil zum Familieneinkommen beizutragen. Auf diese Weise gelang es den Familienoberhäuptern, ihre soziale Position nach dem Karneval des Kautschukhandels wieder zu stabilisieren. Südkameruns Kautschukkarawanen hatten vor allem aus diesem Grund einen sehr hohen Anteil an Frauen. Auch hier kam es zu einer Hybridisierung der Arbeitsbeziehungen: Vermietete Sklaven leisteten Lohnarbeit. Zudem hatten Mobilität und Löhne oftmals ein emanzipatives Element. Unfreie kehrten z. B. unter Umständen nicht in den Haushalt ihres Herrn zurück. Die Studie hat herausgearbeitet, dass sich binnen kurzer Zeit die einheimischen Trip-Trägerinnen und -Träger professionalisierten. Sie übernahmen Teile der VaiKarawanenkultur, mischten sie mit eigenen Elementen und den Ergebnissen neuer Aushandlungsprozesse. Die Folge war eine Form der Arbeit, die trotz der damit einhergehenden körperlichen Belastungen für viele Männer und Frauen in Südkamerun attraktiv war. Dass die Firmen nie genug Karawanenarbeiterinnen und -arbeiter finden konnten, um die riesigen Mengen an Kautschuk zur Küste und um Waren ins Inland zu transportieren, ermöglichte den Arbeitskräften enorme Freiheiten. Karawanenarbeit war ein seller’s market, in dem sich die Unternehmen immer wieder den Forderungen ihrer Trägerinnen und Träger beugen mussten. Auf diese Weise eroberten sich die Trägerinnen und Träger große Freiräume zur Gestaltung ihrer Arbeit nach ihren zeitlichen, körperlichen und sozialen Bedürfnissen. Auch sie blieben Monate auf den Karawanenwegen, bevor sie ihren Bestimmungsort erreichten. Trip-Trägerinnen und -Träger waren selbstbewusste, professionelle Lohnarbeiterinnen und -arbeiter, die die Kontrolle über den Rhythmus ihrer Arbeit behielten und als größte Gruppe die Karawanenarbeit bis zum Ersten Weltkrieg prägten. Auch die GSK musste Trägerinnen und Träger für den Überlandtransport nutzen. Die Antwort des Konzessionsunternehmens auf das Transportproblem ähnelte

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einerseits der der Handelsfirmen, wich aber in einem entscheidenden Punkt von ihr ab. Ebenfalls engagierte die GSK zu Anfang Vai-Träger auf dem westafrikanischen Arbeitsmarkt und andere Arbeitsmigranten auf einem sekundären westafrikanischen Arbeitsmarkt im Kongostaat. Sie bildeten das Rückgrat der GSK-Karawanen. Jedoch gelang es der Konzessionsgesellschaft in den folgenden Jahren nicht, ein lokales Arbeitskräftereservoir zu erschließen, wie den Handelsfirmen der Küste. Entscheidend war, dass durch die nachhaltigere Kautschukproduktion im GSK-Gebiet, die auf besseren Methoden, einer anderen Pflanze, geringer Bevölkerungsdichte und der Art der kaufmännischen Durchdringung des Gebietes basierte, keine Kautschukfrontier entstand. Die Produktion von Gummi blieb immer eine lohnendere und anerkanntere Arbeit als die Karawanenarbeit. Um den Kautschuktransport zu verbilligen, griff die GSK zusätzlich zu Arbeitsmigranten und lokal erfolgreichen Ad-hoc-Anwerbungen auf Zwangsarbeit zurück. Der koloniale Staat versorgte die Konzessionsgesellschaft mit Zwangsarbeiterinnen und -arbeitern, die nun für die GSK Gummi und europäische Waren innerhalb ihres Faktoreinetzwerkes transportierten. Dies war der entscheidende Unterschied zu den Handelsunternehmen der Batanga-Küste, die nie auf staatliche Zwangsarbeit angewiesen waren und zu keinem Zeitpunkt einen so breiten Zugang zu ihr hatten. Da die Zwangsarbeit die Transportprobleme der GSK nie löste und nie in dauerhafte Institutionen überführt wurde, blieben die Vai-Arbeitsmigranten von großer Bedeutung für das Unternehmen. Diese einzigen verlässlichen Arbeiter gelangten in eine Position, in der sie der Firma oftmals diktieren konnten, wie ihr Arbeitsalltag aussehen sollte. Nach der Jahrhundertwende bemühten sich die Firmen, längerfristige Arbeitsverhältnisse mit einheimischen Trägerinnen und Trägern einzugehen. Im Zuge der Verbreitung von trade back lagerten die Küstenfirmen ab 1902 einen Teil der Arbeitskräftemobilisierung an afrikanische Subunternehmer aus. Diese nutzten verschiedene Möglichkeiten, um Arbeitskräfte für einen längeren Zeitraum anzuwerben und nicht nur für einen einzelnen trip: etwa ihre familiären Netzwerke, Betrug, Schulden und Zwang. Schon zuvor, vor allem aber nach der Südexpedition, die 1905–1907 Südkamerun verheerte, setzten die Handelsfirmen zunehmend auf lokale Vertragsarbeit, um längerfristige Arbeitsverhältnisse zu begründen. Sie übernahmen die Techniken der Arbeiteranwerbung, die die Plantagen am Kamerunberg um die Jahrhundertwende entwickelt hatten, und rekrutierten nun verstärkt Vertragsarbeiter mit Gewalt und mithilfe von Familienoberhäuptern, die als Intermediäre für die Arbeiteranwerber dienten. Gleichzeitig sorgte ab 1908 die Kopfsteuer dafür, dass viele Menschen in langfristige Lohnarbeitsverhältnisse eintraten. Während der Kautschukboom um 1910 seinen Höhepunkt erreichte, wurde im Handel die Vertragsarbeit zu einer immer bedeutenderen Institution. Doch erneut handelte es sich nur um eine illusionäre Lohnarbeit. Der scheinbar kapitalistischen, kommodifizierten Arbeit unterlagen Klientelbeziehungen zwi-

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schen europäischen oder afrikanischen Patronen und ihren sich in temporärer Abhängigkeit befindenden Klienten. Innerhalb von ca. 25 Jahren, das hat diese Studie gezeigt, sorgte der Kautschukhandel in Südkamerun für eine starke Ausdehnung von Arbeit in der Exportproduktion und von Lohnarbeitsbeziehungen. Entlang der Kautschukfrontier und ab 1900 im Südosten Kameruns arbeitete ein großer Teil, wenn nicht zeit- und ortsweise die gesamte nicht etablierte männliche Bevölkerung in der Kautschukproduktion. Und während in den 1890ern die meisten Karawanenarbeiter noch von außen kamen, arbeiteten nach der Jahrhundertwende zehntausende Kameruner – und gegen Ende des Booms um 1912 wahrscheinlich 200.000 Menschen aus Regionen, in denen kein Kautschuk mehr gewonnen werden konnte, als Trägerinnen und Träger in der Kautschukwirtschaft. Unter der Oberfläche verbargen sich verschiedenste Formen der Arbeit: Lohnarbeit, Sklaverei, Familienarbeit, Klientelverhältnisse, Schuldknechtschaft, Zwangsarbeit und andere. Frauen und Männer, ob sie aus eigenem Entschluss arbeiteten oder von ihren Familienoberhäuptern bzw. von Europäern zur Arbeit gezwungen wurden, erhielten Löhne – und ermöglichten so die Illusion freier Lohnarbeit. Diese hybride Form von Lohnarbeit war um 1910 überall im Süden verbreitet und gehörte zum Leben wahrscheinlich jeden jungen Mannes und vieler junger und älterer Frauen. Die Mobilität und das Einkommen, die mit der Arbeit in der Kautschukwirtschaft einhergingen, ermöglichten vielen Männern und Frauen eine gewisse Autonomie gegenüber den lokalen Autoritäten – etwa ihren Familienoberhäuptern. Doch mit dem Ende des Kautschukbooms 1913 und dem Aufschwung der Cash-cropÖkonomie in der Zwischenkriegszeit schrumpfte der Teil der Bevölkerung, der Lohnarbeit verrichtete – zugunsten pseudotraditioneller Arbeitsbeziehungen auf den Farmen von Familienoberhäuptern, die nun Kakao und anderes für den Markt produzierten. Während die Arbeit im Kautschukhandel mit großer Autonomie für nicht etablierte Männer und für Frauen verbunden gewesen war, nahm diese in der Zwischenkriegszeit wahrscheinlich vielerorts wieder ab. Diese Ergebnisse unterstützten erstens die These, dass im Freihandel Afrikanerinnen und Afrikaner aus Eigeninitiative Kautschuk produzierten und stark vom Handel profitierten. Darüber hinaus wird aber auch deutlich, dass selbst in Kameruns Konzessionsgebiet die Kautschukproduktion auf der Initiative der lokalen Bevölkerung beruhte. Inwieweit dies auch für andere Regionen zutraf, in denen das Konzessionssystem praktiziert wurde, bleibt eine offene Frage. Zudem zeigt sich, dass die Arbeitsbeziehungen des Kautschukbooms in Afrika komplexer waren als bisher angenommen. Nicht nur griffen das europäische Konzessionsunternehmen auf Zwang und der Freihandel auf lokale, vermeintlich traditionelle Strukturen der Arbeitskräftemobilisierung zurück. Zumindest in Südkamerun mobilisierten Unternehmen Arbeit – wie oben zusammengefasst – auf sehr unterschiedliche Art und Weise. Eine eindeutige Trennung zwischen Konzessions- und Freihandels-

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modell ist nicht auszumachen: Freihandelsfirmen setzten zeit- und ortsweise auf Zwang, die GSK auf Lohnarbeit, Kategorien überlappten oder Menschen wechselten zwischen ihnen. Eine Übertragung der Erkenntnisse der neuen Geschichte des Kapitalismus und der Global Labor History auf den kolonialen Kontext zeigt: Eine kapitalistische Wirtschaft stützte sich gerade in den Kolonien auf eine Vielzahl von Arbeitsbeziehungen. Unterschiedliche Formen der Arbeitskräftemobilisierung involvierten verschiedene ethnische und soziale Gruppen und beide Geschlechter, sie veränderten sich im Laufe der Zeit und der Konjunkturentwicklung, sie passten sich lokalen Gegebenheiten an oder veränderten diese. Darüber hinaus zeigt die Analyse eine emanzipative Tendenz, die die hybriden Formen der Arbeit in der Kautschukwirtschaft Südkameruns entwickelten. Arbeit in einer afrikanischen Kautschukökonomie konnte nicht nur entweder erzwungen oder traditionell, sondern stattdessen sozial transformativ sein. Zweitens korrigiert die Analyse das Bild des Kautschukhandels als voraussetzungslose wirtschaftliche Beschäftigung. Die Herstellung von Gummi beruhte auf Techniken und ökologischen Gegebenheiten, die sich von Region zu Region unterschieden. Welche Techniken wie angewandt wurden, hatte (etwa in Form der Kautschukfrontier) enorme Auswirkungen auf die Entwicklung der Kautschukwirtschaft. Diese Studie kann die Techniken der Kautschukproduktion, die eigentlich dort stattfand, wo Europäer nicht präsent waren, erstmals detailliert rekonstruieren. Die verwendeten Techniken waren nicht schon vor dem Kautschukboom in Südkamerun präsent. Stattdessen wanderten einige über die Grenzen von Imperien hinweg: etwa von Gabun nach Südkamerun; oder von Singapur über die Gold Coast nach Sangha-Ngoko; andere wurden vor Ort ad hoc entwickelt. Durch diese Analyse entsteht drittens ein neues Bild der deutschen Kolonialherrschaft in Kamerun und der während dieser Zeit entstandenen Arbeitsbeziehungen. Die bisherige Literatur betont mit wenigen Ausnahmen, dass die deutsche Herrschaft und der Kautschukhandel mit Gewalt und Zwang einhergingen. Eine mikrohistorische Analyse und ein Blick auf Praktiken zeigen jedoch, dass der Kautschukhandel und ein großer Teil der damit einhergehenden Arbeitsbeziehungen nicht auf Zwang beruhten und selbst in unfreien Konstellationen vielfach ein emanzipatives Potential entfalteten. Gewalt und Ausbeutung waren zwar essenzielle Teile der Kautschukwirtschaft – sie lässt sich jedoch nicht auf diese reduzieren. Der goldrauschartige Kautschukhandel verursachte im kolonialen Südkamerun enorme soziale, politische, wirtschaftliche und ökologische Zerstörung. Zugleich aber verwandelte er die Region in eine Arena ambitionierter Individuen, die versuchten, von den Veränderungen zu profitieren. Einigen gelang es, sich bietende Chancen zu ergreifen, andere wiederum wurden deren Opfer. Die deutsche Kolonie Kamerun war nicht ausschließlich geprägt von Gewalt und Ausbeutung. Für viele Afrikanerinnen und Afrikaner waren Kautschukhandel und Kolonialherrschaft

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eine Katastrophe. Für andere aber verwandelten gerade diese brachialen sozialen Umbrüche Kamerun in einen Ort unbegrenzter Möglichkeiten. Diese Studie leistet viertens über die Geschichte des Kautschukhandels hinaus einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der Arbeit in Afrika vor dem Ersten Weltkrieg, indem sie gezielt die Arbeitsbeziehungen der frühkolonialen Handelsunternehmen in den Blick nimmt. Da dort wenige klassische Arbeitsbeziehungen anzutreffen waren, blieben diese bisher meist außerhalb von arbeitshistorischen Analysen. Arbeitsbeziehungen im Handel lagen oftmals andere Beziehungen zugrunde – etwa, wenn die Arbeiterinnen und Arbeiter die Kinder, Sklavinnen und Sklaven, Klienten oder sonstigen Abhängigen von Familienoberhäuptern waren, die sie zur Arbeit bestimmten. Solche Beziehungen blieben – auch aufgrund der von den afrikanischen Akteuren aktiv befeuerten Prekarität – trotz der Lohnarbeitsbeziehungen bestehen. Arbeiter und Arbeiterinnen übernahmen bestimmte Aufgaben, verpflichteten sich aber nicht für längere Zeiträume und kehrten danach in ihre sozialen Zusammenhänge zurück. Gleichzeitig ermöglichte die Lohnarbeit aber auch einer wachsenden Zahl von Menschen, sich ebendiesen Beziehungen zu entziehen. Fünftens zeigt die Studie zum einen die Kontinuität und Transformation atlantischer afrikanischer Mobilität; zum anderen aber schafft sie eine neue Sicht auf koloniale Arbeit in West- und Äquatorialafrika, die eng verbunden ist mit maritimen und atlantischen Formen von Arbeit. Hierdurch ergeben sich neue Perspektiven auf die Geschichte der Migration und der afrikanischen Diaspora. Atlantische afrikanische Mobilität blieb auch während der Kolonialherrschaft bedeutsam. Die Erfahrung der Migration endete nicht mit dem transatlantischen Sklavenhandel, sondern bestand bis weit ins 20. Jahrhundert fort. Westafrikanische Migranten arbeiteten nicht allein in Kamerun, sondern entlang der gesamten Westküste. Ihre Bedeutung aber ist bisher nicht erforscht. In Südkamerun beeinflusste der westafrikanische Arbeitsmarkt Entstehung und Entwicklung von Arbeitsbeziehungen entscheidend. Vai und andere mobile Arbeitskräfte, deren Rekrutierung tief verstrickt war in die Kontinuitäten des transatlantischen Sklavenhandels, prägten mit ihren individuellen Erfahrungen, den sozialen Konflikten ihrer Heimat, den Formen ihrer Arbeitsorganisation sowie ihren Techniken die Art und Weise, wie in Südkameruns Kautschukwirtschaft gearbeitet wurde. Die Studie integriert mit ihrem transimperialen Ansatz sechstens die Geschichte der deutschen Herrschaft in die Gesamtgeschichte Afrikas. Sie lokalisiert allgemeine Tendenzen der west- und äquatorialafrikanischen Geschichte auch in der deutschen Kolonie. Hierdurch trägt sie zu einer Normalisierung des Bildes der deutschen Kolonialherrschaft bei. Dieser war kein Sonderweg, sondern hatte zumindest in Südkamerun mit denselben Phänomenen zu tun wie andere Kolonien der Region – und reagierte auf ähnliche Weise. Andersherum fügt die Studie hierdurch dem Bild der Kolonialepoche im atlantischen Afrika neue Puzzlesteine hinzu, die zu

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einem besseren Verständnis führen können. Etwa indem sie die Bedeutung Kameruns als boomende Exportökonomie, die internationale Wichtigkeit von Firmen wie Woermann oder die bisher unterschätzte Rolle westafrikanischer, atlantischer Arbeitsmigration unterstreicht. Aus diesen neuen Ergebnissen folgen neue Fragen. Einerseits zur Geschichte Kameruns: Zur Entstehung, Entwicklung und Bedeutung der Plantagenwirtschaft in Kamerun herrscht noch viel Forschungsbedarf. Des Weiteren sind die Kontinuitäten und Brüche zwischen deutscher und französischer Herrschaft noch unklar. Studien, die die bisher getrennten Bereiche der Forschung auf guter Quellengrundlage untersuchen, sind dringend nötig. Welche Entwicklungen gingen weiter, welche brachen ab? Darüber hinaus stellen sich Fragen nach der Rolle deutscher Akteure wie etwa Unternehmen für die afrikanische Geschichte insgesamt. Arbeiten etwa zur Firma C. Woermann in Liberia und Gabun oder zur Bedeutung der Woermann-Linie für ganz Afrika wären für die gesamte Wirtschaftsund Sozialgeschichte Afrikas bedeutend. Des Weiteren stellt sich allgemeiner die Frage, inwieweit die Ergebnisse zur Kautschukökonomie Südkameruns verallgemeinerbar sind. Wichtig wären ähnlich angelegte Studien zu anderen afrikanischen Kautschukwirtschaften. Ein besonderes Desiderat ist dabei eine Geschichte der Arbeit in der Kautschukökonomie des Kongostaates, die einen neuen Blick auf die Quellen wirft und zu einem differenzierteren Bild kommt, das die Gräueltaten der Konzessionsgesellschaften ebenso miteinschließt wie die Kautschukproduktion für den Markt und die massenhafte Immigration westafrikanischer Lohnarbeiter. Hiervon ausgehend kommen Fragen nach einer Weiterentwicklung der in dieser Arbeit benutzten Quellen und Methoden in den Blick. Unternehmensquellen bzw. deren verstreute Reste, Nachlässe von Managern und Angestellten, ihre nicht besonders literarischen Veröffentlichungen ermöglichen eine neue, nicht staatliche Perspektive auf die Kolonialherrschaft. Diese bietet sich auch für andere koloniale Kontexte an. Bereits mehrfach erwähnt worden sind die Fragen, die die Arbeit in Bezug auf die Arbeitsmigration des westafrikanischen Arbeitsmarktes aufgeworfen hat. Ihre Kontinuität zum transatlantischen Sklavenhandel, ihr Ausmaß, ihre Organisation und die Richtung der Migrationsströme sind bisher nicht ansatzweise verstanden. Dabei sind genau dies Puzzleteile, die zu einem tieferen Verständnis zumindest von Arbeits-, wohl aber auch kulturellen Beziehungen in einer Reihe von Ländern des atlantischen Afrikas beitragen würden.

Karten

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Karte 1 Westküste Afrikas.

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Karte 2 Südkamerun.

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Karte 3 Plantagen am Kamerunberg (Auswahl), 1914.

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Karte 4 Ungefähre Lage ausgewählter Kautschukplantagen in Kamerun, ca. 1914.

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Privatarchiv Zenker Kamerun (PAZK) N Zenker Nachlass Georg August Zenker Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin (PAAA) RV Monrovia Generalkonsulat bzw. Konsulat Monrovia R 901/5276 Deutsches Konsulat Libreville R 141567 Deutsches Konsulat Libreville R 141568 Deutsches Konsulat Libreville Presbyterian Historical Society, Philadelphia – Vereinigte Staaten von Amerika (PHS) RG 55 Silas Franklin Johnson Papers RG 57 George W. Schwab Papers RG 133 William Caldwell Johnston Papers RG 169 Adolphus Clemens Good Papers RG 217 Peter Menkel Papers Sammlung Carsten Brekenfeld (S Brekenfeld) N Falkenstein Nachlass Franz Falkenstein N Heigelin Nachlass Theodor von Heigelin N Röder Nachlass Otto Röder Belegsammlung Sammlung Volker Stork (S Storck) N Koch Nachlass Carl W. H. Koch Sächsische Landes-, Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Dresden (SLSUD) Mscr.Dresd.App.3045 Nachlass Bruno Knochenhauer School of Oriental and African Studies, London – Großbritannien (SOAS) MS 381151 Photograph album relating to Big Batanga [Grand Batanga, Cameroon] and wider West Africa Staatsarchiv Bremen, Bremen (StAB) 3-A.3.A.2 Afrika Auswärtige Angelegenheiten 4,26 Generalsteueramt Einkommen- und Armensteuer 4,75/5 Amtsgericht Handelsregistersachen 7,73 Nachlass J. K. Vietor 9.V B Materialsammlungen als Zeugnisse der Alltagsgeschichte Staatsarchiv Hamburg, Hamburg (StAH) 111-1 Senat

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Benutzte Online-Zeitungsdatenbanken African Newspapers (Readex) https://www.readex.com/content/african-newspapers-series-1and-2-1800-1925 Anno Historische Zeitungen und Zeitschriften (Österreichische Nationalbibliothek) http:// anno.onb.ac.at/ Deutsches Zeitungsportal (Deutsche digitale Bibliothek) https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/newspaper Europeana-Newspapers (Europeana) https://www.europeana.eu/de/collections/topic/18newspapers?page=1&view=list

Interviewpartnerinnen und -partner in Kamerun Bekabeka Loupe Richard Kalawassa Jacques Legou Robert Mabia Jean Fontaine Mekek Pierre Beaudevie Mopeho Gilbert Mossa Dikou Raphael Ndinga Marcel Sabangawi Dieudonné Tonguesse Mimi Julianne

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