Kategorien und Grenzen der empirischen Verankerung der Wirtschaftsforschung [Reprint 2016 ed.] 9783110505825, 9783828202245

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Kategorien und Grenzen der empirischen Verankerung der Wirtschaftsforschung [Reprint 2016 ed.]
 9783110505825, 9783828202245

Table of contents :
Inhaltsübersicht
Vorwort
1. Einleitung
2. Wirtschaftsstatistik als Voraussetzung empirischer Wirtschaftsforschung
3. Ausgewählte Ergebnisse der Wirtschaftsstatistik als Grundlagen der Wirtschaftsforschung
4. Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung als Grundlage der Wirtschaftsforschung
5. Implikationen für die empirische Wirtschaftsforschung
6. Optionen für eine verbesserte Fundierung der Wirtschaftsforschung
7. Literaturhinweise
8. Abkürzungsverzeichnis
9. Register

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Richter Kategorien und Grenzen der empirischen Verankerung der Wirtschaftsforschung

Kategorien und Grenzen der empirischen Verankerung der Wi rtschaftsforsch u ng von Josef Richter

mit 21 Übersichten und Tabellen

©

Lucius & Lucius · 2002

Anschrift des Autors: Dr. Josef Richter Windschutzstr. 14 A — 1140 Wien

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Richter, Josef: Kategorien und Grenzen der empirischen Verankerung der Wirtschaftsforschung : mit 21 Übersichten und Tabellen / von Josef Richter. - Stuttgart : Lucius und Lucius, 2002 ISBN 3-8282-0224-1

© Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart 2002 Gerokstr. 51, D-70184 Stuttgart www.luciusverlag.com

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigung, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung, Verarbeitung und Übermittlung in elektronischen Systemen.

Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier Druck und Einband: Ebner & Spiegel, Ulm

Printed in Germany

ν

Inhaltsübersicht

Seite Vorwort

VII

1.

Einleitung

2.

Wirtschaftsstatistik als Voraussetzung empirischer Wirtschaftsforschung Vorbemerkungen Anforderungsprofil Begrenzungen Lösungsansätze der Wirtschaftsstatistik Fundamentalentscheidungen Prozesse Theoriegehalt der Lösungsansätze Modelle zur Generierung Statistischer Information

5 5 7 14 18 19 25 38 41

Ausgewählte Ergebnisse der Wirtschaftsstatistik als Grundlagen der Wirtschaftsforschung Außenhandelsstatistik Konjunkturstatistik im produzierenden Bereich Leistungs- und Strukturerhebungen

50 50 56 71

2.1 2.2 2.3 2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.4.4 3. 3.1 3.2 3.3 4. 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7 4.7.1 4.7.2 4.7.3 4.7.4

Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung als Grundlage der Wirtschaftsforschung Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung zu laufenden Preisen Messung des Kapitaleinsatzes im Rahmen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung zu konstanten Preisen Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung zu internationalen Preisen Quartalsrechnung Input-Output Tabellen Empirischer Exkurs: Der Modellgehalt der Aggregate der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung Unter optimalen Voraussetzungen - Die österreichische Situation 1988 Unter Normalbedingungen Die österreichische Situation 1989 Im Revisionszyklus Im internationalen Vergleich A m Beispiel des eigengenutzten Wohnungsbesitz

1

82 82 127 149 173 205 216 250 250 257 262 268

VI

Seite 5. 5.1 5.2 6.

Implikationen für die empirische Wirtschaftsforschung Anspruch an die Datengrundlage und Grenzen der Umsetzung Datengenerierung durch die Wirtschaftsforschung

271 271 280

6.4 6.5

Optionen für eine verbesserte Fundierung der Wirtschaftsforschung Kurzfristige Optionen Strategien auf mittlere Sicht Erschließung neuer Informationsquellen Uberwindung der Kommunikationsbarrieren zwischen Datenproduzenten und Datenverwendern Differenzierung nach der Funktion Plädoyer für eine Reorientierung:

293 297 301

7.

Literaturhinweise

304

8.

Abkürzungsverzeichnis

335

9.

Register

336

6.1 6.2 6.3

285 285 288

VII

Vorwort Ziel dieser Arbeit ist es, die empirische Fundierung der empirischen Wirtschaftsforschung kritisch zu beleuchten. Es geht um jenen Ausschnitt des Problems der Wirklichkeitsverankerung der empirischen Wirtschaftsforschung, der daraus resultiert, daß die herangezogenen wirtschaftsstatistischen Daten dem Anforderungsprofil - das der Nutzer üblicherweise unreflektiert als erfüllt ansieht - notwendigerweise nicht genügen können. In die Grundlage der Wirtschaftsforschung fließen sehr unterschiedliche Kategorien des Wissens ein, woraus Grenzen der empirischen Verankerung resultieren. Absicht ist es nicht, einzelne Pannen in einem Wissenschaftszweig zu attackieren. Wenn die oft recht mangelhafte empirische Fundierung der empirischen Wirtschaftsforschung diskutiert wird, ist auch keineswegs intendiert, einen Beitrag zur Soziologie der empirischen Wirtschaftsforschung zu leisten. Es wird auch kein Beitrag zum Thema "Fortschritt in der Ökononomie" im Sinne etwa der Auseinandersetzung zwischen K U H N und P O P P E R geliefert. Im besten Fall werden am Rande einige Facetten und Teilaspekte dieser Diskussion beleuchtet. Diese Arbeit will auch keine grundlegende Methodologie der Ökonomie bereitstellen, obwohl dieser Zweig der Wissenschaftstheorie in den letzten Jahren einen beachtlichen Aufschwung genommen hat. Es soll im besten Fall eine Ergänzung versucht werden, denn auch wichtige Vertreter der neuen Methodologie (s. z.B. den Überblick bei B A C K H O U S E 1994) sehen im Wirklichkeitsbezug der empirischen Grundlagen der Wirtschaftsforschung (noch immer) kein Problem, das längerer Erörterungen für wert befunden würde. Vollständigkeit in der Darstellung wird keineswegs angestrebt. An Hand ausgewählter Beispiele wollen nur einige besonders relevante Problembereiche herausgearbeitet werden. Versucht wird eine erste Diagnose, nur im letzten Abschnitt werden Ansatzpunkte einer Therapie zumindest grob skizziert. Auf der Seite der empirischen Grundlagen dienen viele Beispiele aus Osterreich zur Veranschaulichung. Dies nicht, weil es sich dabei um Extrembeispiele handelt, sondern nur, weil die Vertrautheit mit der österreichischen Datenlandschaft ausgeprägter ist. Die Beispiele sollen auch ausschließlich Größenordnungen vermitteln, Aktualität der Daten wurde bewußt nicht angestrebt. Die Grundproblematik, die mit den Beispielen aufzuzeigen unternommen wird, ist vom Referenzjahr weitgehend unabhängig und ihrem Charakter nach international. Wenn generell die Beispiele aus den Industriestaaten dominieren, dann einerseits, weil diese Staaten über vergleichsweise gut ausgebaute Informationssysteme verfügen. Andererseits wurden sie gewählt, weil diese Systeme in Publikationen der E U und der O E C D gut dokumentiert sind.

Vili U m den Konnex zu den jeweiligen Datenquellen zu gewährleisten, wurde eine durchgehende Vereinheitlichung der Terminologie nicht versucht. Ohne die Hilfe zahlreicher Mitarbeiter in mehreren Statistischen Ämtern wäre es nicht möglich gewesen, diese Arbeit zu schreiben. Sie machten in vielen Fällen die für die Beurteilung kritischer Aspekte essentielle (aber nicht veröffentlichte) Information zugänglich. Besonderes gilt dies für Werner Budig, Alfred Franz, Franz Granner, Steven Keuning, Kishori Lai, Heinrich Lützel, Ursula Niki, Norbert Rainer, Reinhold Schwarzl, Liv Simpson, Carsten Stahmer, Anette Thomsen und Leopold Vanicek. Außerhalb des Bereichs der amtlichen Statistik wurde Unterstützung von Jörg Beutel, Bernhard Böhm, Veronika Eberharter, Karl Fröschl, Mikulas Luptacik, Matthias Schneider, Herbert Stoker und Josef Zweimüller bereitgestellt. Einen entscheidenden Beitrag leistete Hans Werner Holub. Er lieferte unzählige Impulse und förderte das Zustandekommen durch nachhaltiges Ermuntern. Besonderer Dank gilt meiner Frau und meinen Kinder. Sie halfen nicht nur mit zahlreiche Anregungen zur sprachlichen Verbesserung des Textes, sie hatten vor allem die Belastung der jahrelangen Beschäftigung mit dem Projekt mitzutragen. Daß diese Arbeit fertiggestellt wurde, ist auch vielen empirisch arbeitenden Wirtschaftsforschern zuzuschreiben, die nicht alle genannt werden können und sollen. Sie haben durch ihren sorglosen und unreflektierten Umgang mit der empirischen Basis ihrer Disziplin immer wieder jene Stimulanz erzeugt, die notwendig war, die Trägheit, ein solches Buch zu schreiben, zu überwinden. Manchem Leser wird diese Arbeit vielleicht als eine Ansammlung von Trivialitäten und Plattitüden erscheinen. Wenn er aber gleichzeitig die Praxis des empirischen Arbeitens in den Wirtschaftswissenschaften vor Augen hat, wird er sie vielleicht zu den "disregarded platitudes which it is not useless to repeat" ( H U T C H I N S O N 1964, S. 188) zählen.

ι

1.

Einleitung

Die Verankerung der Wirtschaftswissenschaften in der Wirklichkeit beruht auf dem Informationsvorrat über die wirtschaftliche Realität. Der empirisch orientierte Wirtschaftsforscher gebietet zwar über ein ähnliches methodisches Instrumentarium wie sein Kollege in den Naturwissenschaften, die Möglichkeit des wohlüberlegten, wiederholbaren Experiments steht ihm aber nicht im selben Maße zur Verfügung. Einige Aspekte dieser Grundsituation teilt er mit einzelnen Zweigen der Naturwissenschaften, wie etwa der Meteorologie, die ebenfalls nicht experimentieren kann und auf nicht wiederholbare Beobachtungen beschränkt bleibt. Im Normfall erfolgt die Apperzeption der Wirklichkeit für die Wirtschaftswissenschaften in einem mehrstufigen Prozeß. In jeder dieser Stufe bestimmen Konzepte und Konventionen das Ergebnis dieses Schrittes. Wenn die Wirtschaftswissenschaften auf Ergebnissen der Wirtschaftsstatistik aufsetzen, beruhen die Resultate der Wirtschaftsstatistik ihrerseits auf Meldungen von Buchhaltern, Lohnverrechnern, Betriebsleitern, Spediteuren, Steuerberatern, etc. Diese haben üblicherweise nicht die elementaren Beobachtungen selbst durchgeführt, sie greifen auf ihnen zur Verfügung gestellte Aufzeichnungen und Unterlagen zurück. Selbst wenn die Wirtschaftswissenschaften nicht mit aggregierten Daten arbeiten, sind mindestens zwei bis drei Bearbeitungsschritte zwischen elementarer Beobachtung und jener Größe erfolgt, welche als empirische Grundlage herangezogen wird. Erfolgt eine weitere Verdichtung der Information durch Transformation der Erhebungsergebnisse zu höheren statistischen Konstrukten, kommen weitere Bearbeitungsschritte hinzu. Insoferne jede Wissenschaft als eine Art von Datenkomprimierung gesehen werden kann (s. SIMS 1996), ist die Wirtschaftsstatistik bereits - von vielen Vertretern der Disziplin unerkannt - nicht Vorstufe zur, sondern bereits Teil der Wirtschaftswissenschaften und insbesondere der empirischen Wirtschaftsforschung. Der eigentliche Vorgang der Datenkomprimierung wird in viele Schritte zerlegt. In jedem dieser Schritte sind andere Personen mit unterschiedlichem Wissen und unterschiedlichen Interessen involviert. Die Schaffung des Informationsvorrates geschieht in einem extrem arbeitsteiligen Prozeß. Es ist sicher eine Besonderheit des Wirtschaftswissenschafters, daß er in der weit überwiegenden Zahl von Fällen mit empirischem Material zu arbeiten hat, das er nicht erstellt und auf dessen Erstellung er keinen Einfluß hatte. Die empirische Verankerung der Wirtschaftswissenschaften wird von den Konzepten und Konventionen jedes dieser Schritte und von der Kompatibilität dieser Schritte untereinander bestimmt. Wenige Ökonomen sind sich der Selbstverständlichkeit bewußt, die Zvi GRILICHES in seiner Presidential Address

2

1. Einleitung

1994 vor der American Economic Association aussprach: "Unser Verständnis davon, was in der Wirtschaft vorgeht, ist durch die Verfügbarkeit und die Qualität der verfügbaren Daten begrenzt" (GRILICHES 1994, S. 2). Und diese Daten sind fast ausschließlich wirtschaftsstatistische Daten. Sie reduzieren die außerordentliche Komplexität ökonomischer Phänomene - ein Hauptproblem der Wirtschaftswissenschaften (s. HAYEK 1989) - auf ein über-schaubares Maß und kondensieren die Fülle der Einzelinformationen. Damit begrenzen sie aber gleichzeitig das Wissen über die Wirklichkeit und prägen es vor. Bei der Qualität der Daten sind zumindest zwei Aspekte scharf zu unterscheiden. Der erste Aspekt betrifft die numerische Genauigkeit der Daten, das Ausmaß an Meß- und Beobachtungsfehlern und ihre richtige Einschätzung durch den Benutzer. Vor allem dieser Seite hat Oskar M O R G E N S T E R N sein viel zitiertes und kaum je beherzigtes Buch "Uber die Genauigkeit wirtschaftlicher Beobachtungen" (1965) gewidmet. Auch die ebenfalls vielzitierte Arbeit von PESARAN und SMITH (1992) beurteilt die Eignung der Daten nur in Hinblick auf ihre Genauigkeit und ihre Entsprechung gegenüber den theoretischen Konzepten. Der andere Aspekt betrifft die grundsätzliche Eignung der Daten für den Zweck, für den sie eingesetzt werden. Die gewählten Konzepte, mit deren Hilfe die empirischen Grundlagen gewonnen wurden, prägen diese Informationen vor. Diese unvermeidbare Prägung macht die Daten für die Analyse einiger Fragestellung geeignet und sollte ihre Verwendung für andere Zwecke ausschließen. Die Prägung bestimmt, für welchen Bereich der Wirklichkeit (räumlich, zeitlich, für welche Akteure, welche Gütergruppen) sie Information zu transportieren in der Lage ist. Vor allem mit diesem zweiteren Qualitätsaspekt will sich diese Arbeit beschäftigen. In den allermeisten Fällen liefert die Wirtschaftsstatistik die empirische Fundierung der empirischen Wirtschaftsforschung. Sie macht erst das wirklichkeitsbezogene ökonomische Denken mit dem Anspruch möglich, nicht nur für unrepräsentative Einzelfälle zu sprechen. Der in der Wirtschaftsstatistik gebündelte Informationsvorrat der Wirtschaftswissenschaften ist aber nicht unschuldiges Abbild der als existent angenommenen Wirklichkeit, das unreflektiert mit dieser gleichgesetzt werden könnte. Die empirischen Grundlagen nehmen eine Intermediärstellung zwischen den analytischen Konzepten der empirischen Wirtschaftsforschung und der Wirklichkeit ein. Da die Wirtschaftsforschung heute zumindest in den meisten Industriestaaten in den Grundcharakteristika gleichartige empirische Grundlagen vorfindet, auf die sehr ähnliche Grundtypen von analytischen Ansätzen zurückgreifen, gibt die Arbeit auch Hinweise darauf, wie es mit der empirischen Fundierung jener Arbeiten der empirischen Wirtschaftsforschung bestellt ist, welche zum Standardrepertoire der Disziplin zählen.

1. Einleitung

3

Die Frage der adäquaten empirischen Fundierung in der Wirklichkeit ist nicht nur eine nach dem Wirklichkeitsbezug eines Wissenschaftszweiges. Der von ALBERT (1971) geprägten Terminologie und Unterscheidung folgend, wird dabei in dieser Arbeit unter Wirklichkeits- oder Realitätsbezug stets der deskriptive, nicht der normative Zusammenhang einer Aussage oder Aussagemenge mit der Wirklichkeit verstanden. Die Frage der adäquaten empirischen Fundierung in der Wirklichkeit ist auch nicht nur eine nach dem wissenschaftlichen Fortschritt. Ökonomisches Wissen wird dazu verwendet, massiv in die Lebensbedingungen des Einzelnen, ganzer Gruppen einzugreifen. Deshalb ist es nicht unerheblich, ob dieses ökonomische Wissen in jener Wirklichkeit verankert ist, die dann auf der Grundlage dieses Wissens zu verändern unternommen wird. Denn es ist eine der vornehmsten Aufgaben der Modellbildung in der Wirtschaftstheorie, Aussagen zu treffen, "die nicht nur Implikationen sind, sondern die zumindest eine gewisse Chance haben, wahr zu sein" (HAAVELMO 1944, S. 2). Der Frage nach der empirischen Fundierung der empirischen Wirtschaftsforschung soll in drei großen Abschnitten nachgegangen werden: Im ersten Hauptteil wird die Spannung analysiert, in der die Wirtschaftsstatistik zwischen der von der Wirtschaftstheorie vorgegebenen analytischen Zielsetzung und den Grenzen der Beobachtbarkeit steht. Eine Inventur der Lösungsansätze der Wirtschaftsstatistik beleuchtet die Rolle, welche den in der Wirtschaftsstatistik zu treffenden strategischen Entscheidungen und den Prozeduren - die von der elementaren Beobachtung zum statistischen Ergebnis und Konstrukt führen - zukommen. Die Inventur schließt den in komplexeren Konstrukten stets präsenten Systemaspekt und die Bedeutung der theoretischen Vorprägung der Ergebnisse ein. Ein besonderer Schwerpunkt wird auf die Herausarbeitung der unterschiedlichen Kategorien des Wirklichkeitsbezugs gelegt. Die Auswirkungen der Lösungsansätze auf die Natur und die Aussagekraft statistischer Ergebnisse werden sowohl an Hand von Resultaten wirtschaftsstatistischer Erhebungen als auch an Hand von komplexeren statistischen Konstrukten (so z.B. Produktionsindizes) im Abschnitt 3 dargestellt. Der zentrale Abschnitt 4 ist der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und ihrer Verankerung in beobachtbaren Phänomenen gewidmet. Ein empirischer Exkurs illustriert mit Hilfe der Hauptaggregate der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung den großen Stellenwert modellhaft generierter Elemente in diesem Rechensystem. Die Inventur der Lösungsansätze erfolgt primär in Hinblick auf ihre Konsequenzen bei der Apperzeption der Wirklichkeit, der Implikationen für die der Wirtschaftsforschung bereitgestellten Daten. Die Arbeit will und kann keinen Uberblick über Methoden und Ansätze der Wirtschaftsstatistik liefern. Wenn die Beschreibung dennoch in manches Detail geht, dann nur mit der Absicht,

4

1. Einleitung

einige jener Charakteristika der Wirtschaftsstatistik herauszuarbeiten, die für den Wirklichkeitsbezug der empirischen Wirtschaftsforschung besonders relevant sind. Die oft beträchtliche Inkongruenz zwischen den theoretischen Variablen der Modellvorstellungen der Wirtschaftsforschung und dem empirischen Material, mit dem sie arbeitet, wird mit Hilfe einiger weniger Beispiele aus ausgewählten Bereichen der Wirtschaftswissenschaften demonstriert. Auch die Auswahl dieser Beispiele ist notwendigerweise subjektiv und unvollständig. Aus der Diagnose der in vielen relevanten Arbeitsgebieten präsenten sehr unterschiedlichen kognitiven Kategorien der Datengrundlagen wird abschließend in einem dritten Teil versucht, einige zusammenfassende Folgerungen für die Grenzen der empirischen Verankerung der Wirtschaftsforschung zu formulieren. Einige sehr wesentliche Aspekte der Entsprechung zwischen Datengrundlage und Modellvorstellung werden bewußt ausgeklammert. So wird etwa nicht untersucht, ob die Resultate der Wirtschaftsstatistik jene Eigenschaften aufweisen, die Voraussetzung der Verwendung des Instrumentariums der statistischen Inferenz sind. Nicht behandelt werden die potentiellen Probleme, die aus der Diskrepanz zwischen dem Aggregationsniveau, für welche eine Theorie konzipiert ist, und dem Aggregationsniveau der verfügbaren Daten folgern, obwohl sich die Analyse auf die Rolle aggregierter Daten beschränkt. Die Arbeit geht auch nur auf Beobachtungen ein, die aus dem Informationsvorrat der Wirtschaft selbst abgeleitet werden. Ausgespart werden so z.B. die Grundlagen der "experimental economics".

5

2.

Wirtschaftsstatistik als Voraussetzung empirisch orientierter Wirtschaftsforschung

2.1

Vorbemerkungen

Zur Beobachtung als existent angenommener ökonomischer Phänomene bedient sich die somit einer realistischen Weltsicht verpflichtete empirische Wirtschaftsforschung vor allem der Wirtschaftsstatistik im weitesten Sinne. Die Wirtschaftstatistik ist quasi das "Makroskop", das die Phänomene kondensierende Instrument, durch dessen Okular die ökonomische Wirklichkeit beobachtet wird (s. WINKLER 1984, S. 89). Die starke Fixierung der Apperzeption der Wirklichkeit mit Hilfe der Wirtschaftsstatistik und die damit verbundene Konzentration auf aggregierte Daten liegt einerseits in der Tradition der empirischen Wirtschaftsforschung. Andererseits - und dadurch wurde diese Tradition nicht zuletzt gebildet - in den informationstechnischen Möglichkeiten vergangener Jahrhunderte und Jahrzehnte. Erst in den letzten Jahrzehnten traten für die empirische Wirtschaftsforschung stärker Daten auf der Mikroebene - Querschnittsdaten, aber auch Paneldaten in den Blickpunkt des Interesses. Diese Daten sind ebenfalls bereits Resultat von für die Wirtschaftsstatistik typischen Transformationsprozessen, sodaß die für die Wirtschaftsforschung aus den Charakteristika der Wirtschaftsstatistik im engeren Sinne resultierenden Implikationen auch für diese Datengrundlage gelten. Die Wirtschaftsstatistik steht zwischen Wirtschaftsforschung und Wirklichkeit. Sie bezieht ihre analytischen Zielrichtungen aus der Wirtschaftstheorie und liefert der Wirtschaftsforschung ein Bild der Wirklichkeit. In Analogie zu der Weltsicht des Bürokraten "Quod non est in actis, non in mundo" (CICERO) wird für viele Wirtschaftsforscher der Umfang der sie interessierenden Phänomene durch das Datenangebot der Statistischen Amter abgegrenzt. Die wirtschaftsstatistischen Daten werden als Ausgangspunkt der Wirtschaftswissenschaft gesehen. Ubersehen wird (wie noch ausführlich darzustellen sein wird), daß sie nicht nur Vorstufe sind, sondern oft bereits Ergebnisse der empirischen Wirtschaftsforschung transportieren. Die Wirtschaftsstatistik ist beschreibende, deskriptive Statistik, deren wichtigsten Aufgaben sind: Beobachtung, Beschreibung Schaffung des empirischen Hintergrundes für die Theoriebildung Bereitstellung der Grundlage für das Testen der Theorie Bereitstellung der Grundlage für das Schätzen von Parametern Indem sie die ökonomische Wirklichkeit beobachtet und beschreibt, stellt sie Maßstäbe zur Verfügung: Wirtschaftsstatistische Größen (sowohl Niveaus, wie

6

2. Wirtschaftsstatistik als Voraussetzung empirischer W i r t s c h a f t s f o r s c h u n g

auch Anteile, Quoten, Zuwachsraten) werden als Zielvariable definiert. Die Erreichung gewisser Werte wird zur Aufgabe politischen Handelns. Das Erreichen wirtschaftsstatistischer Größen kann sowohl beim Einzelnen (etwa im Falle des Vorliegens einer Indexklausel) als auch bei Regionen oder Staaten (etwa im Falle der Bindung von Förderungsmittel an statistische Kriterien) unmittelbare Rechtsfolgen auslösen. In den drei anderen Funktionen dient die Wirtschaftsstatistik der empirischen Wirtschaftsforschung. Wirtschaftsstatistische Resultate inspirieren und stimulieren die Bildung ökonomischer Theorie unterschiedlichster Komplexität und Abstraktionsgrade. Das strenge Testen von Hypothesen spielt allerdings in der Ökonomie - im Gegensatz zu den Naturwissenschaften - nur eine untergeordnete Rolle (s. z.B. SUMMERS 1991). Dennoch war die Ökonometrie in ihren frühen Jahren sehr eng der POPPER'schen Vorgangsweise des Testens von Theorien, den Versuchen der Falsifizierung und Härtung verpflichtet (s. R E D M A N 1994). Selbst wenn Testen im strengen Sinne nicht möglich ist, sollen die Daten zumindest eine Evaluierung, eine Entscheidung zwischen Alternativen ermöglichen (s. z.B. PESARAN, SMITH 1992)1. Führt diese Konfrontation nicht zur Verwerfung oder Revision der theoretischen Vorstellung, gilt es, Parameter dieses Modells zu quantifizieren. Die folgenden Charakteristika der Wirtschaftsstatistik sind für ihre Rolle als empirische Basis der Wirtschaftsforschung von besonderer Bedeutung: a) Die vorgegebene Wahl der analytischen Ziele enthält notwendigerweise Wertungen. Darin unterscheidet sich die Wirtschaftsstatistik aber nicht von anderen Zweigen der Statistik. b) In der Wirtschaftsstatistik dominiert die amtliche oder halbamtliche Statistik, woraus ein zusätzlicher Anspruch resultiert. "Die amtliche Statistik versteht sich im wesentlichen vor allem als organisierte Tatsachenfeststellung. Das bedeutet: ex-post Feststellung von in Raum und Zeit objektivierten, manifesten Phänomenen" (FRANZ 1984, S. 128). c) Die Wirtschaftsstatistik hat in den seltensten Fällen mit Messen und Zählen zu tun. Es wird vielmehr erhoben oder berichtet, denn die Merkmalsausprägungen, die im Mittelpunkt des Interesses stehen (wie etwa der Umsatz eines Unternehmens oder der Preis eines Gutes), können nicht direkt gemessen werden.

' "Although the methodological difficulties discussed mean that it is probably impossible to test economic theories in a formal sense, it is possible within some conventions about inference to evaluate particular empirical models (based on theory and auxiliary assumptions) relative to alternatives" (PESARAN, SMITH 1992, S. 8).

2.1 Vorbemerkungen

7

d) Die Apperzeption der Wirklichkeit geschieht in einem sehr arbeitsteiligen Prozeß. Die elementare Rezeption der Wirklichkeit wird an jene - die Respondenten - delegiert, deren Tun auch Gegenstand der Beobachtung ist. Diejenigen, welche zu berichten haben, sind weder ausgebildete Wirtschaftsstatistiker noch Ökonomen, noch wissen sie üblicherweise, für welche analytischen Fragestellungen die von ihnen bereitgestellten Daten verwendet werden sollen. e) Was beobachtet, erhoben werden kann, hängt wesentlich von institutionellen Vorgaben ab. Die Wirtschaftsverfassung, die Steuergesetzgebung und ähnliche Vorgaben prädeterminieren die Definitionen von Merkmalen, bestimmen die Möglichkeiten der Abgrenzung von Erhebungsmassen, etc. f) Einzelfälle (z.B. Großunternehmen) spielen eine entscheidende Rolle. Andere für die Wirtschaftsstatistik charakteristische Eigenschaften, wie z.B. die übliche Beschränkung in der Darstellung der Ergebnisse auf Summen, Durchschnitte sind ihr nicht immanent, sondern vor allem durch Traditionen - und die Beschränkungen in den technischen Möglichkeiten - bedingt. Das Merkmal der Wirtschaftsstatistik, daß - wie schon MORGENSTERN (1965) deutlich herausgestellt hat - Ergebnisse meist ohne jeden Hinweis auf Beobachtungsfehler präsentiert werden, beruht einerseits auf Tradition. Andererseits ist es eine Konsequenz der Funktion Beobachtung, Beschreibung (s. oben), welche das Erreichen wirtschaftsstatistischer Größen zum Ziel politischen Handelns macht. Wenn statistischen Größen ein solcher Stellenwert zukommt, erscheint den meisten Nutzern die Angabe über mögliche Unschärfebereiche unerwünscht.

2.2

Anforderungsprofil

Die Wirtschaftsforschung fordert in der von HAAVELMO (1944) geprägten Terminologie beobachtete Variablê, die zwar Meßfehler enthalten und auch Fakten, welche von der Theorie her nicht zu messen beabsichtigt waren, die aber als bestmögliche Annäherung an die wahren Werte (Variable) beobachtbarer Phänomene gelten können. Von beiden Typen von Variablen zu unterscheiden sind theoretische Variable. Die theoretischen Variablen sind solche der Theorie, die gewissen inneren Bedingungen der Theorie genügen: von ihnen hofft man, daß sie von wahren 1

U m Mißverständnisse zu vermeiden, werden häufig verwendete umgangsprachlich besetzte Begriffe, wenn sie in einem spezifischen, technischen Sinne eingesetzt werden, kursiv dargestellt. Ebenso wird in der Schreibweise zwischen Spezialbegriffen - wie etwa dem Privaten Konsum im Sinne der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung - und Begriffen in ihrer umgangsprachlichen Bedeutung - wie dem privaten Konsum - differenziert.

8

2. Wirtschaftsstatistik als Voraussetzung empirischer Wirtschaftsforschung

Variablen repräsentiert werden können. Die theoretischen Variablen sind aber nicht durch Definition mit den wahren Variablen ident, sondern es ist die Aufgabe der Wirtschaftsstatistik, die möglichst vollständige konzeptionelle Entsprechung zwischen theoretischen und wahren Variablen zu sichern. Dieser Schritt wird auch als Operationalisierung theoretischer Vorgaben oder als Konzeptionalisierung bezeichnet. In dem Bestreben, eine der analytischen Aufgabestellung möglichst adäquate Erfassung und Beschreibung von an sich beobachtbaren ökonomischen Phänomenen zu schaffen, sind die strategischen Entscheidungen der Wirtschaftsstatistik zu treffen. Diese den Gestaltern der Wirtschaftsstatistik vorbehaltenen Entscheidungen können der analytischen Fragestellung adäquat oder inadäquat sein, sie können ebenso der Natur der zu beobachtenden Phänomene adäquat sein oder inadäquat. In diesem doppelten Spannungsverhältnis hat die Wirtschaftsstatistik Entscheidungen zu treffen, die fachliche, wissenschaftliche Entscheidungen sind. Jede dieser Entscheidungen (z.B. die Wahl einer statistischen Einheit, einer Klassifikation) kann ausschließlich im doppelten Hinblick auf die Eignung zur Erfüllung einer analytischen Zielsetzung und ihrer Entsprechung der Natur der zu beobachtenden Phänomene hin bewertet werden. Die einzelnen strategischen Entscheidungen sind voneinander nicht unabhängig. Die Wahl einer bestimmten Einheit kann z.B. gewisse Erhebungsinstrumente ausschließen, ebenso determiniert die Wahl gewisser Erhebungsinstrumente (z.B. im Bereich der Sekundärstatistik) die Wahl einer Einheit. Konsequenterweise kann eine statistische Größe, ein statistischer Indikator in seiner Eignung für ein analytisches Ziel nur bei genauer Kenntnis jeder der getroffenen strategischen Entscheidungen beurteilt werden. Soll statistische Information geeignete Grundlagen für die Wirtschaftsforschung bereitstellen, muß sie primär beobachtete Variable bereitstellen, die als bestmögliche Annäherung an die wahren Werte (Variable) beobachtbarer Phänomene gelten können. Diese wahren Variablen sollten konzeptionell vollständig den theoretischen Variablen der Wirtschaftstheorie korrespondieren. Für die Funktion Beobachtung fällt die Forderung nach Relevanz der ausgewählten Merkmale mit der zentralen Forderung nach Adäquation zusammen. Zusätzlich muß statistische Information einem Bündel weiterer Kriterien genügen. Die wichtigsten sind: 1) Repräsentativität; Erst die repräsentative Statistik macht das wirklichkeitsbezogene ökonomische Denken und Entscheiden mit dem Anspruch, nicht nur für Einzelfälle zu sprechen, möglich. Repräsentativität bezieht sich auf das Verhältnis der beobachteten Phänomene zur Gesamtpopulation der Phänomene und kann nur relativ gesehen werden.

2.2 Anforderungsprofil

9

2) Homogenität; Homogenität des Datenkörpers ist Voraussetzung für die Isolierung der interessierenden Phänomene von Unterschieden in technische Eigenschaften der Daten und eine notwendige Vorbedingung für den Einsatz des von der Wirtschaftsforschung benutzten Instrumentariums. Die Forderung nach Homogenität schließt die nach Vergleichbarkeit in mehreren Dimensionen ein: Im Raum (zwischen verschiedenen Regionen und Staaten), zwischen Wirtschaftsbereichen, in der Zeit und nicht zuletzt, in vergleichbarer Qualität. Homogenität ist auch bezüglich Definitionen, Erhebungsmethoden und Repräsentativität zu fordern. 3) Genauigkeit; Die erforderliche Genauigkeit ist immer im Bezug auf die eingesetzte Methodik und dem angestrebten Zweck zu sehen3. Die Verfügbarkeit von Information über Ausmaß und Charakteristika von Meßfehlern ist gleich wichtig wie das Meßergebnis selbst. 4) Objektivität; Statistik wird üblicherweise als die systematische Erfassung objektiver Tatsachen definiert. Von objektivierbaren Beobachtungen kann gesprochen werden, wenn eine Uberprüfung jedes Schrittes der arbeitsteiligen Erfassungskette durch Dritte zumindest dem Prinzip nach möglich ist. Das Ergebnis muß robust gegen den Austausch des Beobachters sein4. 5) Eindeutigkeit; Aus einem Fundus von Elementarinformation sollte für jeden Satz begrenzter strategischer Entscheidungen nur ein statistisches Ergebnis resultieren können. Eine solche Eindeutigkeit ist Voraussetzung zur Etablierung eines Beschreibungszusammenhangs zur elementaren Apperzeption beobachtbarer Phänomene. Eindeutigkeit - eine Punktlösung - ist sowohl für die Funktion Beobachtung als auch für die Bereitstellung der empirischen Fundierung der Wirtschaftsforschung essentiell. Die Forderung nach Eindeutigkeit und Nachvollziehbarkeit bezieht sich auf die Transformationsprozesse nach dem eigentlichen Beobachtungsvorgang und steht nicht in Widerspruch zur Existenz von Meßfehlern. 6) Kohärenz; Wenige, in einem konsistenten Rechenrahmen eingebettete Informationen sind wertvoller als umfangreichere, aktuellere, aber nicht miteinander sinnvoll in Beziehungen zu setzende Daten. N u r in wenigen Fällen kann für eine analytische Aufgabenstellung die hinlänglich adäquate Erfassung einer einzigen Variablen genügen. Meist erfordert schon die Erfüllung der Funktion ' Wenn Daten allzu unscharf sind oder ihre Fehlerschranken völlig unbekannt sind, können weder z.B. Falsifizierungsversuche ökonomischer Hypothesen Gültigkeit beanspruchen, noch ist es mit Hilfe der schließenden Statistik möglich, auch nur eine Vorauswahl von Hypothesen zu treffen (s. W A G N E R 1976). Verfahren sind auch verschieden empfindlich gegenüber Fehlern in der empirischen Basis (s. z.B. M O R G E N STERN 1965). 4

Objektivität in einem strengen Sinn kann nur dann als gegeben angesehen werden, wenn das "Beobachtungsergebnis statistisch unabhängig vom Beobachter ist" (FRANZ 1996a, S. 206).

10

2. Wirtschaftsstatistik als Voraussetzung empirischer W i r t s c h a f t s f o r s c h u n g

der Beobachtung, daß mehrere Größen, die verschiedene Aspekte eines interessierenden Komplexes (etwa der Konjunkturlage) beleuchten, gleichzeitig und in ihrer Verbindung zueinander analysierbar sind. Damit wird unverzichtbar, daß diese Größen ihrer Repräsentativität, ihrer Genauigkeit nach korrespondieren. Noch essentieller wird die Forderung nach einer wechselseitigen konzeptionellen Entsprechung unterschiedlicher Größen zur Erfüllung der Funktion der Schaffung des empirischen Hintergrunds für die Theoriebildung. N u r in wenigen Fällen kann für eine analytische Aufgabenstellung die hinlänglich adäquate Erfassung einer einzigen Variablen genügen. Sollen Querverbindungen zwischen mehreren Variablen hergestellt werden, wird die Einbettung dieser Größen in einen konsistenten Rechenrahmen unverzichtbar. Bezieht sich die Forderung nach Homogenität auf eine isoliert gesehene Variable, meint Kohärenz weitestgehende Kompatibilität zwischen Variablen, zumindest in bezug auf Konzepte und Definitionen. 7) Aktualität; Ihr kommt vor allem für die Funktion Beobachtung, Beschreibung ein besonderer Stellenwert zu. Alle genannten Kriterien betreffen die Frage, ob die Daten den analytischen Anforderungen adäquat sind. N u r für den Aspekt der Entsprechung auf der Ebene der Konzepte hat sich aber der Terminus Adäquationsproblematik durchgesetzt5. Die genannten Hauptkriterien stehen zueinander in Konkurrenz. Aktualität, höchste Repräsentativität und größte Genauigkeit im Sinne möglichst kleiner Beobachtungsfehler und höchster Kontrollintensität etwa können nicht gleichzeitig erzielt werden. Die Wirtschaftsforschung kommt somit nie um die Formulierung einer Rangordnung der Kriterien herum. Die Beurteilung der Frage, wie weit ein statistisches Konzept analytischen Zielsetzungen gerecht zu werden vermag, wird wesentlich dadurch erschwert, daß die analytischen Ziele, denen eine statistische Maßzahl entsprechen soll, oft nicht explizit formuliert werden. Bei vielen prominenten Indikatoren muß aus den Setzungen, den Konventionen, den Definitionen indirekt auf das intendierte Ziel geschlossen werden. Extensive und heftige Auseinandersetzungen um die Richtigkeit statistischer Größen - wie etwa jener der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung - nehmen daher oft den Charakter von Stellvertreterkriegen an. Während die Diskussion um Definitionen, Einheiten, Abgrenzungen - also

5

Da die theoretischen Modelle der Wirtschaftswissenschaften stark von ¡dealtypischen Begriffen geprägt sind, geht es nach SCHAICH (1984) bei Adequation darum, diese in statistische Gattungsbegriffe für Zwecke empirischer Untersuchungen (wie z.B. korrekte Abgrenzung von Grundgesamtheiten, Auswahl von Variablen, die den Begriffen möglichst nahe kommen, etc.) umzusetzen. Dabei sind es "die nicht-experimentellen Ermittlungen, wo große Adäquationsfehler zu befürchten sind" (MENGES 1982, S. 303). Da die nicht-experimentelle Ermittlung in der Wirtschaftsstatistik die Regel ist, kann die Adäquation im strengen Sinn bestenfalls graduell gelingen. Womit sich die empirische Wirtschaftsforschung bescheiden muß, ist eine möglichst akzeptable Entsprechung von Daten, Modell und Methode, also jene Adäquation, die WIEGERT (1982) auch als Adäquation 2. Art bezeichnet.

2.2 Anforderungsprofil

11

um strategische Entscheidungen, um das wie des Erfassens, der Operationalisierung - geführt wird, besteht der eigentliche Dissens um das Ziel, darüber, was gemessen werden soll. Die Diskussion über adäquate Erfassung kann aber erst beginnen, wenn Konsens über das zu erreichende analytische Ziel zwischen den Teilnehmern besteht. Genauso schwierig zu realisieren ist die Angemessenheit gegenüber der zu beobachtenden Realität. Angemessenheit gegenüber der zu beobachtenden Realität impliziert vor allem, daß die der ökonomischen Wirklichkeit eigene außerordentliche Komplexität als solche bewußt akzeptiert wird. Jede für ein analytisches Ziel erforderliche Abstraktion, Ausblendung eines Aspektes, ist als solche aufzufassen und zu registrieren. Dieses Festhalten jedes der Abstraktionsschritte, jeder Transformation ist eine Vorbedingung, um die Rolle dieser Schritte - die meist den Charakter heuristischer Annahmen tragen - auf das mögliche Bild der Realität mit den daraus resultierenden Konsequenzen für die spätere Evaluierung des Wirklichkeitsbezugs empirischer Aussagen präsent zu haben. Die Forderung nach Angemessenheit gegenüber der zu beobachtenden Realität weist zwei unterschiedliche Seiten auf. Der Versuch, Unbeobachtbares doch zu erfassen, wird der Realität ebenso nicht gerecht, wie der Verzicht auf die Erfassung evidenter Ausprägungen beobachtbarer Phänomene. Beobachtbarkeit im Sinne einer objektivierbaren Beobachtung ist vor allem für so prominente ökonomische Größen - theoretische Variable - wie Absichten, Erwartungen oder Präferenzen nicht gegeben. Humankapital, technische Kompetenz, soziale Anpassungsfähigkeit sind ebenfalls Merkmale, deren Ausprägungen nicht direkt erfaßt werden können. Zumindest nicht mit Mitteln der Wirtschaftsstatistik unmittelbar beschreibbare Variable sind z.B. Technologie, Umweltbelastung. Bei allen diesen theoretischen Variablen im Sinne der Terminologie von H A A V E L M O (1944) kollidiert die analytische Zielsetzung mit der Beobachtbarkeit. Eine Reihe von interessierenden Größen sind nicht grundsätzlich unbeobachtbar, sie sind aber nicht bei allen Elementen einer Population erfaßbar. Weitere Beschränkungen ergeben sich dadurch, daß nicht alles, was in einer räumlichen Abgrenzung (z.B. für ein Zollgebiet) beobachtbar ist, notwendigerweise in jeder anderen räumlichen Abgrenzung auch beobachtbar sein muß. Phänomene, die in einer zeitlichen Abgrenzung (z.B. Weizenproduktion in einem Jahr) der statistischen Beobachtung zugänglich sind, müssen nicht notwendigerweise in gleicher Weise in jeder anderen zeitlichen Abgrenzung (z.B. einem Monat) ebenso erfaßbar sein. Die Natur der zu beobachtenden Phänomene setzt Grenzen, die bei der Wahl der verschiedenen Abgrenzungen - wie Zeit oder Raum - nicht willkürlich überschritten werden können. Beobachtbarkeit ist nur unter einschränkenden Bedingungen möglich. Ist Beobachtbarkeit für eine

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2. Wirtschaftsstatistik als Voraussetzung empirischer Wirtschaftsforschung

Submenge gegeben, nicht aber für die Gesamtmenge, kollidiert das analytische Ziel mit dem Wunsch nach größtmöglicher Repräsentativität. Den grundsätzlichen Begrenzungen durch die Natur der Wirklichkeit verwandt sind jene, die aus dem Informationsvorrat der Respondenten resultieren. Die Frage nach den Aufwendungen im Sinne der kaufmännischen Buchführung kann - sinnvollerweise - nicht an Unternehmen gerichtet werden, die vom Gesetz her von der Pflicht zur Buchführung befreit sind. Der Informationsvorrat der einzelnen Glieder in der Kette der Informationsgewinnung ist zumindest in der kürzeren Frist als ein begrenzender Faktor anzuerkennen. Er ist Teil der zu beobachtenden Wirklichkeit. Da die eigentliche Apperzeption delegiert wird, ist die Erhebbarkeit wirtschaftsstatistischer Daten an das Wissen, die Unterlagen der Respondenten in den jeweils angesprochenen Einheiten, an die dort gewählten Definitionen und Abgrenzungen, etc. gebunden. Der Mindestumfang des Informationsvorrats wird durch Rechtsakte und andere institutionelle Vorgaben bestimmt (s. dazu Abschnitt 2.3). Viele Respondenten verfügen aber über einen Informationsvorrat, der über diesen Mindeststandard hinausgeht und für die Wirtschaftsbeobachtung genutzt werden kann. Die de facto bestehenden Unterschiede nach der Rechtsform, der Größe und anderen Charakteristika erlauben eine Erfassung relevanter Merkmale bei einigen Elementen der Population, aber auch durch diese Beschränkung nicht bei allen Elementen der Gesamtmenge. Die Erfassung von Merkmalen (Umsatz in tiefer Warengliederung), die z.B. im Handel bei Großbetrieben mit sehr ausgebauten elektronischen Abrechnungssystemen (z.B. Scannerkassen) mit hoher Aussagekraft möglich sind, kann mit dem gleichen Anspruch nicht auch bei Kleinstbetrieben erfolgen, bei denen alle Voraussetzungen einer ähnlichen Datenerfassung fehlen. Sowohl aus der Natur der zu beobachtenden Phänomene als auch aus dem Informationsvorrat der am Erfassungsvorgang Mitwirkenden resultieren für jede Variable unterschiedliche Bereiche - "domains" - innerhalb derer Beobachtbarkeit gegeben ist. Jeder Versuch, diese Bereichsgrenzen zu negieren, zieht schwerwiegende Konsequenzen für den Wirklichkeitsbezug, den empirischen Gehalt des Resultats nach sich. In der Wirtschaftsstatistik wird ausschließlich mit Auskunftsdaten operiert. Die Möglichkeit der Überprüfung der Validität dieser Daten durch Messen fehlt weitestgehend. Die Gefahr, daß Ergebnisse systematisch von Eigenschaften der Auskunftspersonen abhängig sind, kann in keinem Falle ausgeschlossen werden.

2.2 Anforderungsprofil

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Ein systematisches Testen dieser Vermutung scheidet jedoch wegen der in der Praxis gegebenen Unmöglichkeit des "von außen Uberprüfens" des ganzen Vorganges der Informationsgewinnung aus6. Die Forderung nach bestmöglicher Entsprechung gegenüber der Realität wird nicht nur durch die Negierung der Grenzen der Beobachtbarkeit verletzt. Der Wirklichkeit wird auch dann nicht adäquat entsprochen, wenn - wegen einer a priori vermuteten Nicht-Relevanz von Merkmalen - problemlos zu beobachtende Merkmale überhaupt nicht als potentiell interessant in Betracht gezogen werden. Wird die Wirklichkeit ausschließlich durch die sehr verengende Brille einer einzigen Theorie oder einer Theorienfamilie aufgenommen, kann jene empirische Evidenz erst gar nicht entstehen, die zu einer Modifikation der Ausgangstheorie und zu weiterer Theoriebildung führen könnte. Zur Selbstbeschränkung durch zu enge Paradigmen kommt besonders in den letzten Jahrzehnten der große Stellenwert, der dem Ziel internationale Vergleichbarkeit eingeräumt wird. Aspekte der Wirklichkeit, von denen angenommen wird, daß sie nicht in allen Ländern eine ähnliche Relevanz haben oder aus verschiedenen Gründen nicht vergleichbar sind, werden eben wegen dieser Unterschiedlichkeit aus den Beobachtungsprogrammen ausgeschieden. Dies, obwohl vielleicht gerade solche Aspekte unter Umständen Erklärungsansätze für die Unterschiedlichkeit anderer Größen zu liefern vermöchten. Vergleichbarkeit (in der Zeit, zwischen Staaten, etc.) und größtmögliche Adäquanz gegenüber der Wirklichkeit stehen oft in Widerspruch zueinander. Von den grundsätzlichen Grenzen der Beobachtbarkeit zu unterscheiden sind die praktischen Grenzen der Gestaltung des Wissens über die Wirklichkeit. Die Faktoren dieser zweite Gruppe von Beschränkungen sind zwar dem Prinzip nach veränderbar, bestimmen aber dennoch ganz wesentlich das Bild der Wirklichkeit für die Wirtschaftsforschung.

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Nur in engen Teilgebieten der Wirtschaftsstatistik im weiteren Sinne wurde bisher überhaupt der Versuch einer planmäßigen Uberprüfung möglicher Antwortfehler unternommen. Die Ergebnisse auf der Grundlage nachträglicher Kontrollen auf Stichprobenbasis (s. z.B. STRECKER, WIEGERT, KAFKA 1984) lassen vermuten, daß die systematischen Verzerrungen nicht unerheblich sind.

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2.3

2. Wirtschaftsstatistik als Voraussetzung empirischer Wirtschaftsforschung

Begrenzungen

Verfügbarkeit öffentlicher Mittel Wirtschaftsstatistik ist fast ausschließlich amtliche Statistik. Damit steht sie in Konkurrenz zu anderen Aufgaben der öffentlichen Hand um knappe Budgetmittel und Dienstposten. Wo sie halbamtliche Statistik ist - wie etwa bei Institutionen der Arbeitsmarktverwaltung oder der Sozialversicherung - stellt sie nur eine Nebenaktivität dieser Rechtsträger dar, die keineswegs im Mittelpunkt des Interesses steht. Vor dem Hintergrund der Budgetbedingungen und dem Widerstand durch die Respondenten kann die amtliche Wirtschaftsstatistik nie den möglichen Vorrat von adäquat beobachtbaren Phänomenen ausschöpfen. Immer gilt es, Prioritäten zwischen unterschiedlichen analytischen Zielvorstellungen zu setzen. Die Politik bestimmt damit notwendigerweise mit, was die Wirtschaftsforschung von der Wirklichkeit erfahren kann. Die Knappheit öffentlicher Ressourcen zwingt zu einem möglichst effizienten Mitteleinsatz. Es wird getrachtet, mit einer Informationserfassung mehreren analytischen Zielen gerecht werden zu können. Diese Strategie führt zu den zahlreichen methodischen Kompromissen und jenem multi-purpose Charakter, der in der Wirtschaftsstatistik so häufig anzutreffen ist. Belastbarkeit der Respondenten Ein ebenso wichtiger begrenzender Faktor ist die Belastbarkeit der Respondenten. Die Belastung der Auskunftsgebenden wird nicht nur durch den Zeit- und Mittelaufwand bestimmt, der von ihnen abverlangt wird. Genauso wichtig ist die empfundene Belastung ("perceived response burden"), die stark davon bestimmt wird, ob sie die von ihnen geforderten Mühen als notwendigen Beitrag zur Gewinnung eines Wissens sehen, das ihnen selbst - direkt oder indirekt zugute kommen kann. Die Belastung durch die Meldeverpflichtungen wird umso kleiner sein, je mehr die Definition der Merkmale denjenigen Größen entspricht, die in den kondensierten Aufzeichnungen eines Unternehmens vorliegen. Eine Erhebung der Größen der Gewinn- und Verlustrechnung oder der Bilanz wird weniger Widerstand hervorrufen als eine nach Merkmalen, die so nicht im regulären Informationssystem des Unternehmens anfallen. Je weiter in der arbeitsteiligen Kette der Informationsbereitstellung zu den Einzelbeobachtungen zurückgegangen werden muß, desto zahlreichere Ansprechpartner im Unternehmen müssen koordiniert werden, um eine einzige Meldung in der Wirtschaftsstatistik ausfüllen zu können7. 7 Eine Statistik wie die Konjunkturstatistik im produzierenden Bereich in Österreich (s. auch Abschnitt 3.2) erfordert in einem größeren Unternehmen zumindest die Mitwirkung des Personalleiters für den Merkmalsblock Beschäftigung, die der Personalverrechnung für den Merkmalsblock Verdienste, der Finanzbuchhaltung für den Merkmalsblock Umsatz und des Zusammenwirkens von mehreren Abteilungen, um dem Merkmalsblock Produktion in seiner Differenzierung gerecht werden zu können.

2.3 Begrenzungen

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Wenn mit nach analytischen Fragestellungen fein differenzierten Definitionen operiert wird, die von den institutionell vorgegebenen Standards (etwa der Finanzbuchhaltung) abweichen, kann nicht vorausgesetzt werden, daß der Respondent willens ist, diese Differenzierung nachzuvollziehen. Institutionelle Gegebenheiten Der Mindestumfang des Informationsvorrats der Respondenten wird durch Rechtsakte und andere institutionelle Vorgaben bestimmt. Von besonderer Bedeutung ist das Steuerrecht. Es determiniert die verwendeten Konzepte und Definitionen und legt Bewertungsregeln fest. Die Termine, zu denen Steuererklärungen vorzulegen sind, begrenzen die mögliche Aktualität und Periodizität der Statistik. Die Grenzen der Steuerpflicht markieren mögliche Erhebungsumfänge. Sie und Pauschalierungen stecken ab, welches Maß an Repräsentativität in einer Erhebung maximal erreicht werden kann. Merkmale von Einheiten, die von der Buchführungspflicht vollständig oder partiell befreit sind, können nicht in gleicher Weise beobachtet werden wie Merkmale voll buchführungspflichtiger Einheiten. Da die Grenzen der Steuerpflicht bei den einzelnen Abgaben unterschiedlich sind, ist der maximale Beobachtungsbereich nach Merkmalen ebenso unterschiedlich groß. Neben dem Steuerrecht prägen vor allem Bestimmungen des Sozialversicherungsrechts, Arbeitsschutzbestimmungen, Umweltschutznormen, etc. welche Aufzeichnungen in einem Betrieb verfügbar sein müssen. Da alle diese Bestimmungen nach Wirtschaftszweigen, Betriebsgrößen und Regionen differenzieren, ist der mögliche Erhebungsumfang von Merkmal zu Merkmal abermals verschieden. Die häufigen Modifikationen von Steuergesetzen und anderen relevanten Rechtsnormen beeinträchtigen die überhaupt erzielbare inhaltliche Kontinuität von Erhebungen und die Vergleichbarkeit statistischer Ergebnisse im Zeitverlauf. Sekundärstatistiken, welche etwa direkt auf Steuerbescheiden aufsetzen, sind vom Merkmalsvorrat auf dem jeweiligen Bescheid und von der Schnelligkeit der Arbeit der Finanzbehörden abhängig. Die Wirtschaftsbeobachtung muß sich auf jene Merkmale beschränken, die auch von der Finanzverwaltung, den Zollbehörden, den Arbeitsmarktverantwortlichen als relevant eingestuft werden. Unterschiedliche institutionelle Gegebenheiten in verschiedenen Staaten machen das Ziel der Erreichung weitgehender Vergleichbarkeit statistischer Ergebnisse illusorisch. Ist internationale Vergleichbarkeit - wie in der Europäischen Union - ein prioritäres Ziel, führt kein Weg an der Harmonisierung der Rechnungslegungsrichtlinien vorbei.

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2. Wirtschaftsstatistik als Voraussetzung empirischer Wirtschaftsforschung

Internationale Vorgaben Internationale Vorgaben bestimmen in vielfältiger Weise die Gestaltung der Wirtschaftsstatistik. Sie geben nicht nur Zielsetzungen vor, sondern ebenso Lösungen für die Fundamentalentscheidungen Einheiten, Definitionen, Klassifikationen und Konzepte (s. Abschnitt 2.4.1). Damit greifen sie massiv in wissenschaftliche Entscheidungen ein und beschränken den Gestaltungsspielraum des Statistikers ebenso wie in der Folge das Spektrum empirisch untersuchbarer Phänomene. Internationale Vorgaben regeln aber nicht nur was und wie, sondern durch ihre Normen bezüglich Umfang wie viele und bezüglich der Periodizität der Meldungen wie oft. Die von internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen und ihren Unterorganisationen, dem Internationalen Währungsfond IMF oder der O E C D aufgestellten Normen beruhen auf internationalen Verträgen. Die Schaffung des Binnenmarktes, der Vertrag von Maastricht und die Bildung einer Währungsunion in Europa haben zu einer darüber weit hinausgehenden Harmonisierung und Verrechtlichung der Statistik geführt. Die Harmonisierung ist Voraussetzung dafür, die resultierenden Statistiken unmittelbar zur Grundlage politischer und administrativer Entscheidungen auf europäischer Ebene machen zu können. Das Recht der Europäischen Union schafft einen Rahmen von Mindestnormen und Standards, die oft bis ins kleinste Detail gehen. Als Rechtsinstrument werden fast immer Verordnungen eingesetzt, die in den Mitgliedsstaaten unmittelbar wirksames Recht schaffen. Die internationalen Vorgaben prägen die wirtschaftsstatistischen Systeme und damit den Informationsfundus der Wirtschaftsforschung in mehrfacher Hinsicht. Erstens implizieren die Vorgaben geradezu einen Kanon der anerkannten analytischen Fragestellungen. Erhebungen, statistische Konstrukte, die nicht diesen Fragestellungen entsprechen, besitzen wenig Aussicht auf Realisierung. Für die Theoriebildung führen die internationalen Vorgaben ohne Zweifel zu einer wesentlichen Verengung des Bildes der Wirklichkeit. Zweitens hat die Erfüllung der internationalen Verpflichtungen im Arbeitsprogramm der nationalen Statistischen Amter üblicherweise erste Priorität. Die Erfüllung weiterer nationaler Zusatzwünsche scheitert an den Budgetgegebenheiten der Statistischen Ämter. Selbst wenn die Mittel verfügbar wären, wird die Belastbarkeit der Respondenten zum begrenzenden Faktor. Drittens ist in den internationalen Vorgaben eine klare Hierarchie der Kriterien beinhaltet. Es dominiert die internationale Vergleichbarkeit. Je mehr statistische Ergebnisse operative Bedeutung erlangen, desto strengere Maßstäbe werden an Repräsentativität und Genauigkeit gelegt. Auch der Zeitpunkt, zu dem Ergebnisse verfügbar sein müssen, ist Gegenstand der Rechtssetzung.

2.3 Begrenzungen

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In der Europäischen Union haben Ergebnisse der Statistik und selbst hochkomplexe statistische Konstrukte wie die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung nach dem ESVG 19958 (EG 1996) operative Funktionen zu übernehmen. Da sie unmittelbar Rechtsfolgen auslösen9, müssen die Definitionen, Konventionen und Methoden hinter diesen Resultaten zudem gegen Kritik immunisiert werden. Sensitivitätsanalysen über alternative Schätzansätze werden politisch brisant und unerwünscht. Damit ändert sich auch die Funktion des Wirtschaftsstatistikers: Statt einer wissenschaftlichen Herausforderung bestmöglich gerecht werden zu sollen, ist es unter diesen Rahmenbedingungen nur mehr seine Pflicht, Gesetze und ihre Ausführungsverordnungen möglichst penibel zu exekutieren. Kasuistische Tendenzen dominieren, um Grenzfälle zu lösen, die notwendige Flexibilität gegenüber neuen Aufgabenstellungen geht verloren, die rein formale Normerfüllung gewinnt Oberhand, das Denken in Alternativen wird verpönt (s. FRANZ 1997). Die Gefahr, die dem Wirklichkeitsbezug der empirischen Wirtschaftsforschung aus dieser europäischen Entwicklung droht, wird bisher noch kaum gesehen (s. RICHTER 1996). Kommunikationsprobleme Kommunikationsprobleme sind in jeder Stufe des arbeitsteiligen Prozesses zu überwinden, ebenso zwischen Ersteller und Nutzer des statistischen Ergebnisses. Denn wenn immer zwei Menschen Information austauschen, setzen sie eine Reihe von Annahmen über den Kontext, in dem diese Information zu interpretieren ist. Differieren diese Annahmen, kommt es zu Mißverständnissen (s. auch BRETHERTON, SINGLEYS, 1994). Innerhalb geschlossener Begriffswelten, wie der Finanzbuchhaltung, der Lohnverrechnung, aber auch der Wirtschaftsstatistik, der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, der Nationalökonomie herrscht jeweils ein gut etabliertes gemeinsames - wenn auch meist implizites - konzeptionelles Verständnis. Mit Hilfe der jedem dieser Kreise spezifischen Sprache kann Information gut weitergegeben werden. Erhebliche Fehlermöglichkeiten entstehen, wenn Grenzen des gemeinsamen Verständnisses zu überschreiten sind. Formalisierte Metadaten werden insbe8

In der Folge nur mehr als ESVG 1995 zitiert

' So legen z.B. die Ergebnisse der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung den maximalen Budgetrahmen fest, welcher von der Kommission in Anspruch genommen werden kann. Die Höhe des Bruttosozialprodukts jedes Landes bestimmt die Höhe der nationalen Beitragszahlungen. Die Bedingungen des Wachstums- und Stabilitätspakts sind an die Erreichung statistisch definierter Zielvariable (u.a. der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zu konstanten Preisen) gebunden, Ergebnisse der regionalen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung werden entscheidend, ob eine Region gefördert wird oder nicht, usw.. Da die Niveaus der Aggregate der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung für die Mitgliedsstaaten unmittelbare finanzielle Auswirkungen haben, erließ der Rat schon 1989 eine Richtlinie zur Harmonisierung der Erfassung des Bruttosozialprodukts. Zur Umsetzung wurden allein bis Ende 1999 weitere zehn Rechtsakte zur Sicherung der Vergleichbarkeit dieser europäischen "Steuerbemessungsgrundlage" erlassen (s. SCHWARZL, KASSBERGER, 2000).

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2. Wirtschaftsstatistik als Voraussetzung empirischer Wirtschaftsforschung

sondere an diesen Schnittstellen benötigt, um die exakte Bedeutung und richtige Interpretation der Sachdaten {object data) über diese Schnittstellen des gemeinsamen Verständnisses (context border) zu transportieren (s. FROESCHL 1999). Das Potential der Kommunikation über die Umgangssprache reicht nicht aus, Inhalte möglichst unverzerrt dem Benutzer der nächsten Stufe oder des statistischen Endprodukts zu vermitteln. Dennoch wird die Aufgabe der Uberwindung von context borders in der Terminologie der statistischen Informationstechnik im Erstellungsprozeß der Statistik fast ausschließlich der Umgangssprache übertragen. Die Begriffswelt und das Sprachverständnis der Respondenten wird von den Begriffen des institutionellen Hintergrunds, des Steuerrechts, der Sozialversicherungsbestimmungen, nicht von jenen der Wirtschaftsstatistik dominiert. Da für viele statistische Meldungen zudem auf Einzelbeobachtungen verschiedener Personen in einem unterschiedlichen Umfeld zurückgegriffen werden muß, besteht in jedem dieser Schritte die Gefahr der Fehlkommunikation (s. dazu ausführlicher RICHTER 1995a und 1995b). Für die Fundierung der empirischen Wirtschaftsforschung folgert, daß der Fundus an Information, welcher der Beobachtung dem Prinzip nach zugänglich wäre, nicht ausgeschöpft wird. Alle genannten Beschränkungen sind reduzierbar, wenn auch nur durch erhebliche Anstrengungen.

2.4

Lösungsansätze der Wirtschaftsstatistik

Die analytischen Zielsetzungen und das umfangreiche Anforderungsprofil werden der Wirtschaftsstatistik ähnlich einer multidimensionalen Zielfunktion vorgegeben. Die Natur der beobachtbaren Phänomene findet sie vor, die beschränkenden Faktoren sind zumindest in kurzer Frist als gegeben anzusetzen. Beide zusammen legen die Restriktionen fest. In diesem Spannungsverhältnis hat die Wirtschaftsstatistik durch ihre eigentlichen fachlichen Entscheidungen eine hochkomplexe Optimierungsaufgabe zu lösen. Die Lösung manifestiert sich einerseits in den strategischen Fundamentalentscheidungen, welche die Konzepte festlegen, andererseits in der Auswahl von Prozessen, die von der elementaren Beobachtung zum statistischen Ergebnis führen. Die Inventur der Lösungsansätze der Wirtschaftsstatistik verfolgt mehrere Ziele. Sie will einerseits die Konsequenzen der grundsätzlichen Weichenstellungen für die Eignung der Ergebnisse für die Wirtschaftsforschung beleuchten. Andererseits soll durch das Voranstellen der Diskussion der Basisoptionen bei der detaillierteren Besprechung wichtiger statistischer Grundlagen der empirischen Wirtschaftsforschung in den Abschnitten 3 und 4 das wiederholte, ausführliche Eingehen auf die immer gleiche Grundproblematik vermieden werden. Im Zentrum des Interesses stehen dabei nicht die technischen Eigen-

2.4 Lösungsansätze der Wirtschaftsstatistik

19

Schäften der statistischen Ergebnisse, sondern stets die Implikationen auf die Verankerung der empirischen Wirtschaftsforschung in der Realität.

2.4.1 Fundamentalentscheidungen Die unscheinbarste, deswegen aber nicht minder entscheidende Festlegung betrifft die Wahl der Basisinstrumente. Diese noch nicht erhebungsspezifischen Instrumente, die untereinander eng verbunden sind, stellen sozusagen das Fundament, die "unterste geologische Schicht des Systems" (s. FRANZ 1994b) dar. Zu diesem Fundament zählt vor allem die Festlegung der Statistischen Einheiten, sowie die Festlegung der Klassifikationen. Die Fundamentalentscheidungen müssen der analytischen Zielsetzung ebenso gerecht werden wie der Art der zu beobachtenden Phänomene. In beide Richtungen - in Hinblick auf die Wirklichkeit und in Hinblick auf die ontologischen Konzepte - besteht die Gefahr von Umsetzungsfehlern (s. FRANZ 1984). Wegen dieser zentralen Bedeutung ist es nur konsequent, daß im Bemühen um weitgehende europäische Harmonisierung jeder dieser Fundamentalentscheidungen eine eigene europäische Verordnung (s. EWG 1990, EWG 1993a, EWG 1993b, EWG 1993c) gewidmet ist. Wahl der statistische Einheiten Vor jeder systematischen Beobachtung sind die Elemente festzulegen, deren Merkmale zu beobachten sind. Für eine gegebene Erhebung wird die Einheit als unteilbar definiert und stellt eine black box dar. Merkmalsausprägungen beziehen sich stets auf die gesamte Einheit. Charakteristika innerhalb der Einheit, Vorgänge innerhalb der Einheit bleiben unbeachtet. Vereinfachend kann das Konzept der statistischen Einheit mit dem Konzept eines Punktes in der Mathematik verglichen werden. Seine Charakteristika (z.B. seine Lage) können beobachtet werden, nicht aber seine Ausdehnung. Wegen ihrer grundsätzlichen Unteilbarkeit kann jede Einheit nur einmal klassifiziert werden. Ist die Klassifizierung nicht eindeutig (ist die Einheit in bezug auf das Klassifikationskriterium nicht homogen), hat sie nach dem Schwerpunktprinzip zu erfolgen. Die Definition der Einheit ist nicht nur für die Erfassung und für die Interpretation von Ergebnissen von ausschlaggebender Bedeutung, sondern sie bestimmt auch unmittelbar den Umfang vieler Merkmalsausprägungen. Keine strategische Entscheidung der Wirtschaftsstatistik steht so offensichtlich im Spannungsfeld zwischen Beobachtbarkeit der Wirklichkeit und analytischer Zielsetzung. Homogenität der Einheiten ist die wichtigste zu erfüllende Anforderung, ist es doch vorrangige Aufgabe jeder Statistik, Daten für homogene Kategorien bereitzustellen (s. ISIC Rev.310 (UNITED N A T I O N S 1990), Punkt 54). Die 10

In der Folge nur mehr als ISIC Rev.3 zitiert

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2. Wirtschaftsstatistik als Voraussetzung empirischer Wirtschaftsforschung

beiden wichtigsten Aspekte von Homogenität - viele weitere sind denkbar - betreffen die Homogenität in bezug auf die wirtschaftliche Tätigkeit und in bezug auf den O r t oder die Region der Tätigkeit. Bei der überwiegenden Zahl der Einheiten fallen alle denkbaren Ebenen statistischer Einheiten zusammen. Dies wird bei allen Akteuren zutreffen, die nur an einem O r t einer einzigen ökonomischen Aktivität nachgehen. Es ist also keine Entscheidung zugunsten einer Einheit zu treffen. Die Frage nach der möglichst adäquaten, der "idealen statistischen Einheit" (s. u.a. F R A N Z 1985a, P O S T N E R 1986, R I C H T E R 1987, BLOEM 1990) stellt sich in aller Schärfe für jene komplexen wirtschaftlichen Einheiten, die in vielen Regionen (oder sogar Staaten) unterschiedliche Tätigkeiten ausüben. Für diese komplexen Gebilde sind von den vorgefundenen rechtlich und organisatorisch abgegrenzten Einheiten abweichende statistische Einheiten deshalb zu kreieren, weil die Zielsetzungen der institutionellen Vorgaben mit den analytischen Zielsetzungen der Wirtschaftsforschung und den daraus abgeleiteten Kriterien für die Wirtschaftsstatistik im Widerspruch stehen11. Die Antipode des Kriteriums der Homogenität ist das Kriterium der Beobachtbarkeit einer möglichst großen Merkmalsvielfalt. Schließt man jene Akteure, bei denen die Ebenen zusammenfallen aus, so ist jeder Schritt zu kleineren und damit zumindest potentiell homogeneren Einheiten mit dem Verlust der unmittelbaren, deskriptiven Beobachtbarkeit von Merkmalen verbunden. Die bei den unteren Ebenen angeführten Merkmale können ebenso bei den höheren Ebenen beobachtet werden, nicht aber notwendigerweise die bei den oberen Ebenen angeführten bei den unteren. In entscheidenden Fällen schließt sich die Beobachtung auf unterer Ebene sogar aus. Unternehmenssteuern etwa sind einer deskriptiven Erfassung auf jeder Ebene unterhalb der Unternehmensebene nicht zugänglich, da sie immer das Unternehmen als ganzes betreffen. Das gleiche gilt für andere unternehmensspezifische Merkmale wie Finanzierungskosten oder den Gewinn. Solche Merkmale können mit verschiedenen Methoden Einheiten unterer Ebenen zugerechnet werden. Durch eine solche Zurechnung wird aber die Deskription der Einheit der unteren Ebene verlassen, es werden Modellrechnungen vorgenommen (s. Abschnitt 2.4.4). Das gleiche gilt z.B. für die Zurechnung von Erlösen, Erträgen oder Gemeinkosten zu Produktionseinheiten ohne vollständiges Rechnungswesen und ohne Autonomie der Preisgestaltung. 11

Wie CARTER und POSTNER (1996) zeigen, kann auch das Unternehmen für die adäquate Beobachtung mancher Phänomene noch eine zu kleine Einheit sein. Dies trifft z.B. für die Erfassung der Produktion und des Vertriebs mancher Arten von Information zu. In solchen Konstellationen müßten zwei Arten von unternehmensübergreifenden Netzwerken unterschieden werden. In der ersten Art wird Information in Einheiten produziert, die im Eigentum und im Einfluß von mehreren Institutionen stehen, wobei diese zueinander in Beziehung stehen und die in mehreren Einheiten produzierte Information teilen und gemeinsam nutzen. Die zweite Art von Netzwerken betreiben die technische Seite der Datenübermittlung.

2.4 Lösungsansätze der Wirtschaftsstatistik

21

Solche Zurechnungen sind keine der objektivierbaren Überprüfung zugängliche Transaktionen zwischen Einheiten, noch von der Person des Zurechnenden unabhängige Merkmale. Eine Vielzahl von Methoden der Zurechnung sind denkbar, ohne daß - wie etwa bei einem Preis - eine Kontrolle zwischen autonomen Einheiten stattfände. Wenn als Transaktion aufgefaßt wird, was zwischen den Einheiten vorgeht, bestimmt die Wahl der Einheit den Umfang der Transaktionen. Die wichtigsten Beispiele sind Output und Vorleistungen. In allen Fällen, in denen Transaktionen zwischen Einheiten unterer Ebenen des gleichen Unternehmens stattfinden, ist die Summe der Outputs der Einheiten der unteren Ebenen größer als die Summe der Outputs der dazugehörigen Einheiten höherer Ebenen. Dieser Brutto-Effekt gilt analog für die Vorleistungen. Die Frage nach den angemessenen Einheiten stellt sich nicht nur auf der Produktionsseite. Bei Konsumausgaben etwa ist manchmal die Person, manchmal der Haushalt die adäquate Einheit. Am Arbeitsmarkt ist manchmal die Person, in anderen Fällen das Arbeitsverhältnis die geeignetste Beobachtungseinheit, usw. In der Gütersphäre ist auch a priori keineswegs gesichert, welche Einheit (z.B. Teile und Komponenten oder ganze Anlagen) der eigentliche Beobachtungsgegenstand zu sein hat. Begrifflich ist ferner zwischen Erhebungseinheit (in diesem Sinne wurde statistische Einheit bisher stets verstanden) und Darstellungseinheit zu differenzieren. In der Darstellung können durch Zusammenfassung von Merkmalsausprägungen von Erhebungseinheiten unterer Ebene Darstellungen für Einheiten höherer Ebene abgeleitet werden. Ist die Merkmalsausprägung von der Ebene der statistischen Einheit - wie etwa im Falle des Outputs - abhängig, ist eine bloße Zusammenfassung irreführend, es muß eine Konsolidierung vorgenommen werden. Die Implikationen der Einheitenproblematik für den Wirklichkeitsbezug der Wirtschaftsbeobachtung und für die Wirtschaftsforschung sind evident: Analytische Anforderungen und Beobachtbarkeit sind nur für eine Teilmenge der angetroffenen Gesamtpopulation zur Deckung zu bringen. Für die andere Teilmenge - die ökonomisch sehr relevante der komplexeren Akteure - wäre je nach Fragestellung eine andere statistische Einheit zu wählen, damit der mit den analytischen Bedingungen noch vereinbare maximal beobachtbare Merkmalsvorrat genutzt werden kann. Der Wunsch nach Abstraktion von einem Teil der Komplexität der ökonomischen Wirklichkeit (z.B. mit dem Ziel nach Homogenität, der Regionalisierung) führt notwendigerweise dazu, daß auf der diesen Zielen entsprechenden Ebene von Einheiten nicht alle Merkmale beobachtbar sind.

22

2. Wirtschaftsstatistik als Voraussetzung empirischer Wirtschaftsforschung

Dieser Trade-off würde ein sehr differenziertes System von Einheiten nahelegen (s. R I C H T E R 1987). Für jede Ebene von Einheiten wären gesonderte wirtschaftsstatistische Erhebungen mit unterschiedlicher Merkmalsfülle und unterschiedlicher analytischer Ausrichtung erforderlich. Die gegebenen Budget- und Belastungsbeschränkungen lassen eine solche Vielfalt kaum zu. In der Praxis kommt es zur Bildung von Kompromißeinheiten, von denen unterstellt wird, daß sie den angestrebten Ansprüchen in etwa entsprechen. Bei ihnen wird die Erfassung von Merkmalen versucht, die bei vielen Einheiten beobachtbar sind, bei anderen aber nicht. Bei der zweiten Gruppe wird zu Ersatzlösungen gegriffen (s. Abschnitt 2.4.4). Denn die absolute Begrenzung der Herstellung eines deskriptiven Bezugs zur Wirklichkeit durch die gewählte Ebene der Einheit wird von vielen Benutzern der Wirtschaftsstatistik entweder nicht gesehen oder nicht akzeptiert. Die Wahl der Einheit bestimmt nicht nur die Höhe mancher Merkmalsausprägungen, sondern auch die Ergebnisse jeder Klassifikation. Festlegung der Klassifikation Klassifikationen dienen dazu, die Vielfalt der Wirklichkeit in überschaubare und beherrschbare Gruppen zu gliedern. Das Klassifizieren schafft die Voraussetzung für Aggregation. Methodologisch unterliegt die klassifikatorische Typenbildung der Forderung nach systematischer Effizienz: Die Eigenschaften, welche zur Definition der verschiedenen Typen dienen, sollen nicht nur saubere Schubfächer zur Unterbringung aller Einzelfälle liefern, sie sollten eindeutige Zuordnungen ermöglichen, die einzelnen Kategorien müssen einander ausschließen. Klassifiziert werden müssen alle Einheiten (Akteure, Güter, etc.), als Klassifikationskriterien können alle Merkmalsausprägungen dienen. Klassifikationen legen fest, wonach differenziert werden soll, und was als nichtdifferenzierungswürdig angesehen wird. Sie focussieren auf einen Aspekt der Wirklichkeit und blenden dabei andere Aspekte aus. Diese Festlegung ist notwendigerweise in hohem Maße theoriegeladen. In jedem Fall wird die Heterogenität auf die Heterogenität zwischen den Klassen reduziert. Gleich klassifizierte Einheiten werden in der Folge ex-definitione als ähnlich behandelt. In der Wirtschaftsstatistik geht es stets um klassifikatorische Typenbildung (Bergbaubetrieb, Kleinbetrieb, Metallwaren, Holzprodukte, Nahrungsmittel), im Gegensatz zur Schaffung von Extrem- oder Idealtypen. Idealtypen sind hingegen in der Wirtschaftstheorie dominant. Aus dieser Spannung zwischen unterschiedlichen Typen resultiert oft, daß die empirischen Grundlagen den theoretischen Modellvorstellungen nicht adäquat sind. Die klassifikatorischen Unterscheidungen sind häufig - wie etwa im Falle der Differenzierung nach der Rechtsform von Unternehmen - scharf abgegrenzt und eindeutig beobachtbar. Bei anderen Unterscheidungen - etwa nach der Art der Tätigkeit von Betrieben - ist weder a priori klar, welche Arten der Tätigkeit

2.4 Lösungsansätze der Wirtschaftsstatistik

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als gleich und welche als ungleich zu behandeln sind, noch können die erhebbaren Merkmale unmittelbar (wie im Falle der Rechtsform) zur Klassifizierung herangezogen werden. Im günstigsten Fall kann aus anderen Merkmalen (z.B. Produktion nach Gütern) auf das eigentliche Klassifikationskriterium geschlossen werden. Der Theoriegehalt (s. Abschnitt 2.4.3) solcher Klassifikationen ist damit notwendigerweise höher. Stärker als andere Weichenstellungen prägen die Klassifikationssysteme die sinnvoll mögliche analytische Verwendung des klassifizierten Datenmaterials. So ist z.B. das Alter eines Betriebs in der Wirtschaftsstatistik üblicherweise kein Merkmal, nach dem klassifiziert wird. Da solche Klassifikationen nicht vorgenommen werden, müssen konsequenterweise auch Untersuchungen auf der Basis aggregierter Daten fehlen, ob das Alter ein bestimmender Faktor für andere Merkmalsausprägungen ist. Daß die in der "Nichtklassifizierung" implizite Annahme der Vernachlässigbarkeit nicht notwendigerweise eine zutreffende ist, zeigen Arbeiten auf der Grundlage von Mikrodaten 12 . Fast jede analytische Fragestellung erfordert eine spezifische Klassifikation, die nur selten aus den kleinsten verfügbaren Bausteinen der vorliegenden Klassifikationen gebildet werden kann. Manche analytische Fragestellungen - wie etwa die Input-Output Analyse - setzen sogar voraus, daß das Datenmaterial durch mehrere Klassifikationssysteme, wie etwa eine Aktivitätsklassifikation und eine Güterklassifikation, strukturiert vorliegt, die zueinander in wohldefinierter Beziehung stehen. Die Klassifikationssysteme, welche die empirisch arbeitende Wirtschaftsforschung vorfindet, sind trotzdem kaum je eindeutig auf ein wohldefiniertes analytisches Ziel hin orientiert, ihnen ist stets ein mehr oder minder ausgeprägter Kompromißcharakter eigen. Dies soll mit Hilfe des Abschnitts D (Sachgütererzeugung) der N A C E Rev. l 13 (EWG 1990) in Tabelle 1 illustriert werden. Die in Tabelle 1 vorgenommene Klassifikation der Klassifikationskriterien ist sehr problematisch und in hohem Maße willkürlich. Sehr häufig treffen mehrere Kriterien zusammen, sodaß auch hier eine schwerpunktmäßige Zuordnung zu treffen ist. Trotz aller Unschärfe (besonders bezüglich der Zuordnung zu b) bzw. c)) zeigt Tabelle 1 aber doch die Kriterienvielfalt. Wie Tabelle 1 belegt, sind die gebildeten Zusammenfassungen von Einheiten weder alle homogen in bezug auf die Verwendung ihres Outputs, noch homogen in bezug auf das eingesetzte Vorprodukt, noch homogen in bezug auf das dominierende Erzeugungsverfahren.

12 Ein Beispiel unter anderen ist die Arbeit von POWER (1998), welche einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem Alter eines Betriebs und seiner Produktivität ergaben. 13

In der Folge nur als NACE Rev. 1 zitiert

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2. Wirtschaftsstatistik als Voraussetzung empirischer Wirtschaftsforschung

Tabelle 1 Klassifikationskriterien im Bereich der Sachgütererzeugung in der NACE Rev. 1 Hauptklassifizierung erfolgt nach: a) Verwendung des Outputs b) Charakteristika des Outputs c) Hauptrohstoff d) Herstellungsverfahren e) Sonstige Insgesamt

Abteilung Zweisteller 7 10 4

Gruppe Dreisteller 21

2

55 15 9 3

23

103

Quelle: NACE Rev. 1

Jede empirische Analyse, die auf der Prämisse der Homogenität in bezug auf eines dieser Kriterien aufsetzt, hat somit mit ihr nicht adäquaten statistischen Daten zu operieren. Die Standardklassifikationen werden a priori vorgegeben, sie sind kaum je das Ergebnis empirischer Untersuchungen des Ausgangsmaterials bezüglich verschiedener Cluster von Ähnlichkeit. Der Kompromißcharakter der analytischen Ausrichtung der wichtigsten Klassifikationssysteme könnte dem Prinzip nach durch neue Klassifikationsstrategien zumindest graduell vermindert werden. Die Interdependenz zwischen den statistischen Einheiten und der Eindeutigkeit klassifikatorischer Zuordnung ist auch durch vermehrte Anstrengungen nicht überwindbar. In den Wirtschaftsklassifikationen, wie sie der Wirtschaftsforscher vorfindet, dominiert die Forderung nach internationaler Vergleichbarkeit. In der Europäischen Union sind Wirtschaftliche Aktivitäten grundsätzlich nach der N A C E Rev. 1, der "Statistischen Systematik der Wirtschaftszweige in der Europäischen Gemeinschaft", zu klassifizieren. Als Güterklassifikation ist die CPA 14 (Statistical Classification of Products by Activity in the European Community, E W G 1993c), die zur N A C E Rev. 1 symmetrische Gütersystematik, einzusetzen. Die Produktionsdaten im Sachgüterbereich sind nach der in der sogenannten PRODCOM-Liste festgelegten Gütersystematik (EWG 1991b) zu erfassen. Für die Erfassung der Außenhandelsdaten ist als Gütersystematik die "Kombinierte Nomenklatur" K N (EWG 1987) bindend vorgesehen. Die CPA als zentrale Gütersystematik stellt die Vergleichbarkeit von Produktionsdaten (gegliedert nach der PRODCOM-Liste) und Außenhandelsdaten (gemäß KN) auf detaillierter Ebene in ganz Europa sicher.

14

In der Folge nur als CPA zitiert

2 . 4 Lösungsansätze der Wirtschaftsstatistik

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Für den Wirklichkeitsbezug der Wirtschaftsbeobachtung und der Wirtschaftsforschung ist die Klassifikationsfrage genauso entscheidend wie die Wahl einer entsprechenden statistischen Einheit. Eine gegebene Klassifikation legt fest, welche analytischen Fragestellungen mit der so klassifizierten Information adäquat untersucht werden kann. In Verbindung mit der gewählten statistischen Einheit legt die Klassifikation den Bereich (domain) fest, für den deskriptiver eindeutiger Wirklichkeitsbezug möglich ist. Die Abgrenzung einer Erhebungsmasse bzw. eines Erhebungsbereichs setzt die vorherige Klassifizierung der Elemente voraus. Damit fließen alle Probleme und Setzungen, die durch die Wahl der Klassifikation getroffen wurden, in die Abgrenzung der Erhebungsmasse ein. Mit jeder der hier nur kurz skizzierten Fundamentalentscheidungen nimmt der Wirtschaftsstatistiker eine entscheidende Weichenstellung für den Wirklichkeitsbezug der empirischen Wirtschaftsforschung vor. Er legt fest, welche Analysen mit welcher Repräsentativität mit den Daten adäquat möglich sind und schließt mit jeder seiner strategischen Entscheidungen andere Untersuchungen aus. Jede alternative Entscheidung würde zu einem anderen Bild der Wirklichkeit mit anderen Analyseoptionen führen.

2.4.2 Prozesse Sind die Fundamentalentscheidungen getroffen, sind sie umzusetzen. Erst an diese Umsetzung können die eigentlichen statistischen Verarbeitungsprozesse anschließen. Sie führen von der Erfassung der eigentlichen Merkmale durch Komprimierung der Einzelinformationen zu einfacheren oder komplexeren statistischen Resultaten. Die Kenntnis der benutzten Verfahren ist Voraussetzung der Etablierung eines Erklärungszusammenhangs zwischen elementarer Beobachtung und statistischem Ergebnis. Sie ist ebenso conditio sine qua non für die korrekte Interpretation der Resultate wie die Vertrautheit mit den Konzepten. Zwei Gruppen von Prozessen können unterschieden werden. Zur ersten Gruppe zählen Fundamentalvorgänge, die Identifikation der Einheiten, die erforderlichen Klassifizierungen und die eigentlichen Erfassungsvorgänge. In die zweite Gruppe fallen die vielfältigen Transformationsschritte des Primärmaterials. Identifikation der Einheiten Da die elementare Beobachtung von der Wirtschaftsstatistik delegiert wird, ist zuerst eine Einheit zu finden, welche diese Erfassung vornimmt. Von der Festlegung der Meldeeinheit zu unterscheiden ist die statistische Einheit, für deren Merkmale die Beobachtungen erfolgen.

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2. Wirtschaftsstatistik als Voraussetzung empirischer W i r t s c h a f t s f o r s c h u n g

Eine unzweideutige Identifikation von statistischen Einheiten ist dann möglich, wenn die Wahl auf eine Einheit gefallen ist, die durch institutionelle Vorbedingungen wohl definiert ist. Die Identifikation von rechtlich abgegrenzten Einheiten, wie z.B. von Unternehmen, wird kaum auf Probleme stoßen. Bei allen mehr an analytischen Bedürfnissen ausgerichteten Einheiten besteht hingegen stets eine gewisse Unsicherheit in der Abgrenzung. "The profiling of companies or enterprises into their constituent units frequently requires the ability of Sherlock Holmes and the patience of a saint" (ADLER, SUNGA 1982, S. 54). Die einheitenkonstituierenden Kriterien - im Falle des Betriebs z.B. Autonomie, vollständiges Rechnungswesen - können kaum scharf erfaßt werden. Die Einheit wird zum Kompromiß, zum Resultat in einem Interessensausgleich zwischen Statistiker und Respondent. Bei der Vielzahl der in solche Kompromißfindungen involvierten Personen ist auch strenge Vergleichbarkeit de facto nicht sicherzustellen. Daran können auch Rechtsnormen, wie die Einheitenverordnung der Europäischen Gemeinschaften (EWG 1993a), nur wenig ändern. Die Unmöglichkeit, strikte Vergleichbarkeit sicherzustellen, führt dazu, daß alle Merkmale wie z.B. die Bruttoproduktion, die von der Wahl der Einheit unmittelbar betroffen sind, nicht immer eindeutig interpretierbar sind15. Klassifizierung Ein Großteil der Klassifikationsvorgänge, die zu einem statistischen Ergebnis führen, finden - unregistriert und unbeachtet von den meisten Verwendern beim Respondenten statt. Sie wird, so wie die elementare Beobachtung, vom Statistiker unter Vorgabe von Regeln delegiert. Die Klassifikation der einmal identifizierten statistischen Einheiten hingen ist Aufgabe des Statistikers. Einen besonderen Stellenwert nimmt die Klassifikation nach der Art der wirtschaftlichen Tätigkeit ein. Sie hat meist nach dem Schwerpunkt der Tätigkeit zu erfolgen, weil die meisten Einheiten nicht aktivitätshomogen sind. Da der Schwerpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit weder ein eindeutig definierter Begriff ist, noch seine vielfältigen Facetten unmittelbar der Beobachtung zugänglich sind, werden in allen Aktivitätsklassifikationen Grundregeln für die Klassifizierung festgelegt. Nach der ISIC Rev.3 hat die Klassifizierung einer Einheit nach ihrer Hauptaktivität zu erfolgen, wobei die Hauptaktivität "im Generellen" durch das vermarktete Hauptprodukt bestimmt wird (ISIC Rev.3, Punkt 114). Das Hauptprodukt einer Einheit sollte - idealerweise - jenes sein, welches den größten Beitrag zur Wertschöpfung aller Produkte der Einheit liefert. Da es in der Praxis nicht möglich sei, "diese Art von Information für 15

Die Präferenz vieler Benutzer in der empirischen Wirtschaftsforschung für einheitenneutrale Merkmalsausprägungen (wie die Netto-Produktionswerte) im Vergleich zu sensiblen Merkmalsausprägungen (wie die Brutto-Produktionswerte) mag auch aus dieser Unschärfe resultieren.

2.4 Lösungsansätze der Wirtschaftsstatistik

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einzelne Produkte zu erhalten" wird empfohlen, jenes Gut zu wählen, das den größten Beitrag zum Gesamtoutput liefert. Wo diese Methode nicht anwendbar ist, ist die Haupttätigkeit durch den Anteil der Beschäftigung in den einzelnen Aktivitäten an der Gesamtbeschäftigung heranzuziehen, um die Haupttätigkeit festzulegen (ISIC Rev.3, Punkt 115). Die in der Grundregel festgelegte Zuordnung nach dem "Wertschöpfungsgehalt" der einzelnen Produkte ist kein technisches Problem der Praxis, wie es Punkt 115 der ISIC Rev.3 suggeriert. Eine Zuordnung nach dem Produkt, welches den größten Beitrag zur Wertschöpfung der zu klassifizierenden Einheit liefert, ist nur in jenen (seltenen) Fällen überhaupt möglich, in denen jede der Einheiten der nächst unteren Stufe nur ein einziges Gut produziert und es möglich ist, für diese Untereinheiten ein vollständiges Produktionskonto zu erstellen. N u r in diesen Ausnahmefällen ist es möglich, den Wertschöpfungsgehalt eines Produktes (immer in der gegebenen Abgrenzung) zu beobachten. In allen anderen Fällen ist eine unüberbrückbare Diskrepanz zwischen dem analytischen Anspruch und dem Beobachtbaren gegeben. Ohne Rücksicht auf diese Spannung geht die N A C E Rev.l noch einen Schritt weiter und normiert, daß "die Haupttätigkeit einer Einheit die Tätigkeit ist, die den größten Beitrag zur Bruttowertschöpfung zu Faktorkosten dieser Einheit leistet" (NACE Rev.l, Punkt 52). Erreicht keine dieser Tätigkeiten einen Beitrag von 50%, ist nach der "top-down Methode" vorzugehen. Die Brutto-Wertschöpfung zu Faktorkosten entzieht sich aber im Gegensatz zur Brutto-Wertschöpfung zu Marktpreisen auf jeder Ebene unterhalb des Unternehmens - u.a. wegen der Unmöglichkeit der eindeutigen Zurechnung etwa der indirekten Steuern und Subventionen auf Betriebe - grundsätzlich jeder Beobachtung unterhalb der Unternehmensebene. Das genannte Kriterium hat nur deklamatorischen Charakter und erfüllt bestenfalls statistisch-ästhetische Anforderungen. Deshalb erlaubt die N A C E Rev.l in Punkt 53 Näherungsmethoden, nach denen die Haupttätigkeit nach anderen Kriterien ermittelt werden kann. Anerkannte Näherungsmethoden zur Klassifizierung nach der N A C E Rev.l sind: - Auf der Grundlage des Outputs: 1. Produktionwert der Einheit, d.h. Gesamtwert der aus den einzelnen Tätigkeiten hervorgegangenen Waren und Dienstleistungen 2. Verkaufswert der aus den einzelnen Tätigkeiten hervorgegangenen Güter; dieser Wert gilt in der Regel als ausreichende Annäherung an die (Brutto-)Produktion - Auf der Grundlage des Inputs: 1. Lohn- und Gehaltssummen für die einzelnen Tätigkeiten. Bei einer kapitalintensiven Tätigkeit mit einem relativ geringen Anteil von Löhnen und Gehältern an der Gesamtwertschöpfung kann zur Bewertung der relativen Bedeutung der verschiedenen Tätigkeiten das Sachanlagevermögen herangezogen werden. 2. Beschäftigung in den Wirtschaftszweigen nach Maßgabe des Anteils der in den einzelnen Tätigkeiten der Einheit tätigen Personen.

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2. Wirtschaftsstatistik als Voraussetzung empirischer Wirtschaftsforschung

Welcher dieser verschiedenen Maßstäbe heranzuziehen ist, bleibt offen, da sie als Annäherung an etwas empirisch Unbekanntes zu bewerten sein müßten. Die vier Hauptansätze, wenn man die beiden Outputmethoden zusammenfaßt, aber berücksichtigt, daß das dritte Kriterium zwei Ansätze umfaßt, müssen in der Regel zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Direkt beobachtbar sind nur die Outputindikatoren, bei allen Inputindikatoren tritt - dem Prinzip nach - das gleiche unlösbare Problem der deskriptiven Zuordnung von auf die gesamte Einheit bezogener Inputs zu einem Bündel verschiedener Outputs auf. Selbst wenn man nicht die Spezialfälle der vertikalen Integration, der Hilfstätigkeiten, der Lohnarbeit etc. betrachtet, ist ein großer Rest von mangelnder Eindeutigkeit der Zuordnungsregeln zu registrieren. Gleiche Zuordnung ergäbe sich nur, wenn sich Wertschöpfungsanteile, Lohn- und Gehaltanteile und Beschäftigtenanteile strikt proportional zu den Anteilen der einzelnen Güter bzw. Gütergruppen am Gesamtoutput verhielten. Wenn es auch nicht möglich ist, diese Prämisse empirisch zu überprüfen, spricht viel gegen diese Hypothese, welche der Annahme der Industrietechnologie bei der Ableitung von Technologietabellen aus Make- und Use-Tabellen (s. Abschnitt 4.6) korrespondiert. Sie ist vor allem mit der Grundforderung, nach Klassifizierung nach verschiedenen Aktivitäten, wobei diese durch das Hauptprodukt charakterisiert sind, inkonsistent. Die Bildung verschiedener Klassen erfolgt, um die Unterschiede in der Produktionstechnologie zu berücksichtigen. Der Ausgangspunkt der Klassifikation ist ja, daß die Wertschöpfungsanteile, Beschäftigungstangenten, Lohn- und Gehaltsanteile zwischen der Produktion verschiedener Güter unterschiedlich sind. D e r gegebene Methodenpluralismus bedingt, daß die Z u o r d n u n g e n in den allermeisten Fällen nicht eindeutig definiert und damit weder interpretierbar n o c h vergleichbar sind. Bei wievielen zu klassifizierenden E l e m e n t e n einer Gesamtmenge solche P r o b l e m e auftreten, ist für den A u ß e n s t e h e n d e n nicht zu beurteilen. N e b e n d e m Z u o r d n u n g s k r i t e r i u m w i r d das Ergebnis einer Z u o r d n u n g einer E i n h e i t m i t nicht ausschließlich charakteristischer P r o d u k t i o n v o n d e m gewählten Pfad der Vorgehensweise bestimmt 1 6 .

Erfassungsvorgänge In der langen K e t t e v o n Schritten, die schließlich z u m statistischen Ergebnis führen, stehen Erfassungsvorgänge a m Anfang. Sie stellen den unmittelbaren K o n n e x zur b e o b a c h t b a r e n W i r k l i c h k e i t her. Schon b e v o r der Statistiker tätig wird, erfolgen durch Werksleiter, Buchhalter und Verkaufsleiter jene A p p e r z e p tionsvorgänge, die U n t e r l a g e n , Belege, Aufzeichnungen schaffen, auf denen er direkt - o d e r nach weiteren Zwischenschritten der I n f o r m a t i o n s v e r d i c h t u n g aufsetzen kann. S c h o n in den v o r der eigentlich statistischen Erfassung liegenden V o r g ä n g e n k ö n n e n U n s c h ä r f e n nicht n u r aus echten Beobachtungsfehlern - der einzigen A r t von Einschränkungen,

auf welche die D a t e n v e r w e n d u n g

üblicherweise

" Sowohl nach der ISIC Rev.3 als auch nach der N A C E Rev.l sind die jeweiligen Einheiten immer auf der Ebene der Klasse zuzuordnen. Das Ergebnis wird aber auch davon bestimmt, ob direkt zugeordnet wird, ob der hierarchische Weg von der Grobzuordnung zur immer detaillierteren ("top-down") beschritten wird und welche Zwischenebenen dabei beschritten werden. Nur in Fällen, in denen eine Tätigkeit einen Beitrag von 50% erreicht, ist das Ergebnis vom Ansatz unabhängig.

2.4 Lösungsansätze der Wirtschaftsstatistik

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explizit Rücksicht nimmt - sondern vor allem aus nicht aufeinander abgestimmten Konzepten, institutionellen Gegebenheiten und den unvermeidlichen Kommunikationsproblemen resultieren. Die entscheidenden Probleme für den Wirklichkeitsbezug treten auf, wenn wegen des geringen Informationsvorrats des Angesprochenen, seinem Unwillen oder ähnlichen Gründen, an die Stelle der Erfassung der Wirklichkeit (so unvollkommen sie immer sein mag) ein Substitut tritt. Solche Ersatzvornahmen treten schon auf der Ebene der Urbelege auf. Fehlen z.B. Aufzeichnungen für die geleisteten Stunden eine Arbeiters in einem Monat, wird geschätzt. Meist mit Hilfe eines Analogieschlusses wird von der Leistung eines ähnlichen Beschäftigten ausgegangen oder von der Leistung des Betroffenen in einer anderen Periode. Oder es wird die Relation zwischen bezahlten und geleisteten Stunden einer anderen Periode übertragen. In all diesen Fällen wird eine einfache Modellvorstellung (s. Abschnitt 2.4.4) über Zusammenhänge zwischen dem Prinzip nach beobachtbaren Variablen entwickelt und eingesetzt. Schon in jedem Schritt vor der eigentlich statistischen Tätigkeit werden Beobachtungen und substituierte Informationen parallel auftreten. Der Spielraum für Substitutionen ist in den einzelnen Bereichen eines betrieblichen Informationssystems unterschiedlich. In der Finanzbuchhaltung etwa ist er durch institutionelle Regeln - keine Buchung ohne Beleg - eingeschränkter als in anderen Bereichen. Das betriebliche Informationssystem, die Grundlage, auf der statistische Erfassung aufsetzt, ist selbst kein homogener Datenkörper. Es setzt sich ähnlich einem Konglomerat aus Elementen unterschiedlicher Natur und unterschiedlicher Qualität zusammen. Auch das betriebliche Informationssystem kennt die Vorgänge des Klassifizierens, Zusammenfassens und Abstimmens. Als Ergebnis dieser Prozeduren entstehen kondensierte Informationssysteme wie die Bilanz, die Gewinn- und Verlustrechnung, etc. Diese Gesamtrechnungssysteme für die einzelnen wirtschaftlichen Akteure werden meist angesprochen, wenn von Mikrodaten die Rede ist. Diese Mikrodaten - oder die hinter ihnen stehenden Einzelinformationen - sind die eigentlichen Anknüpfungspunkte des statistischen Erfassungsvorganges, der zum Einzelbeleg der Statistik führt. In diesem Erfassungsvorgang hat vor allem eine Reorientierung der Information zu erfolgen. Die Informationen sind auf die analytischen Ziele der Erhebung auszurichten, wie sie sich in der Detaillierung, den Definitionen etc. niederschlagen. In diesem Schritt ist ebenfalls mit Unschärfen, Verletzungen der Definitionen, Kommunikationsproblemen etc. zu rechnen. Die Umsetzung erfolgt in jedem Fall durch den Respondenten. Der Statistiker, der mit dem Ergebnis, dem Einzelbeleg, konfrontiert wird, kann nicht unmittelbar erkennen, ob und wieweit eine direkt nachvollziehbare Beziehung zu elementaren Beobachtungen vorliegt. Er wird üblicherweise in einer Erhebungsunterlage Angaben vorfinden,

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2. Wirtschaftsstatistik als Voraussetzung empirischer Wirtschaftsforschung

die diesem Kriterium entsprechen und Angaben, die auf Schätzungen beruhen. Die hinter jeder Schätzung stehende Modellvorstellung des Respondenten ist ihm in den allerwenigsten Fällen bekannt. Modellkalkulationen durch die Respondenten fließen umso stärker ein, je weiter das Erhebungskonzept vom Informationsvorrat abweicht und je stärker die Erhebung den Rückgriff auf Einzelbelege oder neu anzustellende Elementarbeobachtungen notwendig machen würde. In diesem Fall ersetzt die Modellrechnung (etwa beim Schluß vom Vormaterialeinkauf auf den Vormaterialeinsatz) eine Erfassung, die der deskriptiven Beschreibung zugänglich wäre. Im Falle des Versuches der Erhebung von Merkmalen auf der Ebene einer statistischen Einheit, auf der sie nicht beobachtbar sind, erfolgen in jedem Fall Modellberechnungen. Ist der Respondent bereit, für Betriebe Angaben über Merkmale zu machen, für die er nur auf Unternehmensebene über Informationen verfügt, muß er diese Merkmale den Betrieben zurechnen. Das Modell besteht üblicherweise in "Schlüsseln", welche das interessierende, aber nicht direkt beobachtbare Merkmal (etwa einen Teil des nicht spezifischen Betriebsaufwandes) analog zur Verteilung beobachtbarer Merkmale (etwa die Zahl der Beschäftigten, die Zahl der Angestellten) zurechnet. In diesem Fall kreiert die Modellrechnung (ein Modell des Typs 3a im Sinne der Unterschiedung des Abschnittes 2.4.4) ein Merkmal, das der eindeutigen Erfassung auch mit großem Aufwand nicht zugänglich ist. Aus den dem Statistiker vorliegenden Erhebungsunterlagen ist nicht mehr ersichtlich, in welche Angaben Modellrechnungen welcher der beiden skizzierten Grundtypen eingegangen sind. Fehlen in Erhebungsunterlagen zu Merkmalen Angaben oder fehlen für einen Respondenten alle Angaben, tritt in vielen Fällen der Statistiker an die Stelle des Respondenten und versucht, den eigentlichen Erfassungsvorgang zu simulieren: 1) Ausfall von Respondenten {unit non-response) Liegt für einen Respondenten keine Meldung vor, sinkt die Repräsentativität, es liegt eine nicht geplante Stichprobe vor. Die erste Option für den Ersteller der Statistik liegt darin, auf alle weiteren Schritte zu verzichten und die niedrigere Repräsentativität zu dokumentieren. Die Alternative besteht im Einsatz eines Modells, das in der statistischen Praxis mit dem Terminus Imputation oder Ersatzvornahme umschrieben wird (s. dazu Abschnitt 2.4.4). 2) Meldung für die falsche Einheit Erfolgen Meldungen nicht für die gewünschte Einheit, sondern für eine Summe von Einheiten oder für eine unerwünschte Einheit (z.B. für das Unternehmen statt für mehrere Betriebe gesondert) liegt ein Sonderfall von unit non-response vor. Er ist oft nicht (nur) auf Meldeunwilligkeit zurückzuführen, sondern sehr

2.4 Lösungsansätze der Wirtschaftsstatistik

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oft darauf, daß die in der Erhebung benötigten Informationen für die vorgegebene Ebene der Einheiten nicht vorliegen. Es ist von einem systematischen Zusammenhang auszugehen, der noch dazu üblicherweise wirtschaftlich sehr potente Einheiten, nämlich Mehrbetriebsunternehmen betrifft. Besteht der Statistiker aus analytischen Gründen auf den vorgegebenen Einheiten, muß er modellhafte Zurechnungen vornehmen. Ein besonderes Problem jeder solchen artifiziellen Aufspaltung liegt in jenen Transaktionen, die zwischen den Einheiten der unteren Ebene erfolgen. Da als Ausgangspunkt was die Transaktionen betrifft - nur eine konsolidierte Meldung für die Einheit der höheren Ebene vorliegt, können am "grünen Tisch der Statistik" nur Aufspaltungen erfolgen. Für das Ausmaß an Transaktionen zwischen den Einheiten der unteren Ebene fehlen alle Anhaltspunkte. Üblicherweise wird daher auf eine Imputation verzichtet. In die Bruttotransaktionen der unteren Ebene wird damit ein systematischer Fehler getragen, bei Zusammenfassungen (z.B. über so zentrale Größen wie die (Brutto-)Produktionswerte) wird über Brutto- und Nettogrößen aggregiert. 3) Ausfall von Angaben über einzelne Merkmale (item non-response) Fehlen bei einem Respondenten zu einzelnen Merkmalen Angaben und erfolgt keine dezidierte Leermeldung, ist aus dem Systemzusammenhang zu entscheiden, ob für dieses Merkmal item non-response vorliegt. Bei Nichtmelden eines bestimmten Rohstoffverbrauchs, bei Nichtmelden von Investitionen ist es schwierig zu entscheiden, ob eine Imputation vorgenommen werden muß. Werden logische Bedingungen verletzt (etwa Angaben über Arbeiter, aber keine Löhne), besteht für den Statistiker (wenn alle Rückfragen erfolglos bleiben) kaum eine Alternative zur Imputation. Einen gewissen Sonderfall stellen Meldungen über eine Summe von Merkmalen dar. In diesen sehr häufigen Fällen ist in die gegebene Summe eine Verteilung über die Einzelmerkmale zu projizieren. In ein solches Modell können wieder die verschiedensten Hypothesen einfließen. Die Statistischen Amter bieten den Benutzern selten Information darüber an, in welchem Ausmaß Modellannahmen zur Ergänzung fehlender Angaben eingesetzt wurden (eine besonders lobende Ausnahme von dieser generellen Praxis ist z.B. BURG 1996). Das Fehlen solcher Offenlegungen ist nicht nur durch den Mangel an Willen zur Transparenz zu erklären. Die unterschiedlichen verwendeten Modelle werden - besonders da es sich meist nicht um formalisierte Abläufe handelt - kaum je systematisch dokumentiert. Es bestehen in den Amtern zwar "Regeln", die Modelle - üblicherweise als plausible Schätzungen getarnt - werden aber auch von unterschiedlichen Sachbearbeitern unterschiedlich angewandt. Der Vorteil von formalisierten Ansätzen liegt nicht nur in der Möglichkeit, die zu setzenden Parameter variieren zu können und damit Anhaltspunkte über die

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2. Wirtschaftsstatistik als Voraussetzung empirischer Wirtschaftsforschung

Sensitivität der Ergebnisse zu gewinnen. Der Ansatz macht vor allem die Notwendigkeit der Setzung vieler Parameter transparent. Uber die Größenordnungen, welche das Phänomen item. non-response bei Standardmerkmalen der Wirtschaftsstatistik annehmen kann, liegt selten empirische Evidenz vor. Wenn dies der Fall ist, wird einsichtig, daß das Ausmaß wesentlich höher als vermutet und akzeptabel ist17. Ahnlich wie mit fehlenden Merkmalen geht die Statistik mit Angaben um, die als fehlerhaft erkannt wurden. Wenn Rückfragen unmöglich, zu aufwendig oder ergebnislos sind, tritt in den meisten Fällen an ihre Stelle das Ergebnis einer Modellrechnung 18 . Durch solche Modellrechnungen wird ein "konservatives Element" in die Ergebnisse getragen. Die Imputationen bringen mit sich, daß struktureller Wandel im Zeitverlauf tendenziell ebenso unterschätzt wird wie die Varianz im Querschnittsvergleich. Die oft als Editing bezeichnete Ergänzung und Schätzung fehlender Merkmale führen üblicherweise zu einer starken Verkürzung der Heterogenität, da üblicherweise mit Durchschnitten und Normalwerten operiert wird (s. POSTNER 1996). Diese Tendenz wird allerdings nicht zuletzt deswegen nicht als sehr störend empfunden, weil die meisten Nutzer primär nur am Aggregat, an Durchschnitten, nicht aber an Verteilungen interessiert sind. Wie groß der Modellgehalt ist, der bei den verschiedenen Erfassungsvorgängen in die Resultate getragen wird, kann der Benutzer im günstigsten Fall indirekt erschließen. So kann z.B. die Zahl der Mehrbetriebsunternehmen Anhaltspunkte über die Dimension möglicher Modellmodule im Aggregat erschließen, die auf das modellhafte Zurechnen von Merkmalen höherer Ebenen statistischer Einheiten auf solche niedrigerer Ebenen zurückgehen. Die Isolierung des deskriptiven Kerns von den durch den Einsatz von Modellen ergänzten Teilen wird dadurch erschwert, daß die Ergänzungen von Respondent zu Respondent, von Merkmal zu Merkmal unterschiedlich sind.

17 Tabelle 12 - Bezug von Brenn- und Treibstoffen - der Vollerhebung für den Wirtschaftsbereich Handel und Lagerung für 1983 (ÖSTERREICHISCHES STATISTISCHES ZENTRALAMT 1986) vermittelt einen Einblick. Entgegen der üblichen Publikationspraxis werden in dieser Tabelle nicht nur die Bezüge, getrennt nach Energieträgern, wert- und mengenmäßig ausgewiesen. Für jeden Energieträger wird zusätzlich die Zahl der Betriebe angegeben, die Meldungen zu diesem Energieträger bereitgestellt haben. Die Angabe, daß 1201 von 57300 Betrieben insgesamt Erdgas bezogen haben, ist in Hinblick auf das Vorliegen von item non-response schwierig zu bewerten. Das Ergebnis, daß nur 37593 von 57300 Betrieben elektrische Energie bezogen haben, kann hingegen als Hinweis auf unvollständige Angaben interpretiert werden. 18 Für eine Reihe von Anwendungen, wie etwa für Erhebungen der Konsumausgaben, wurden formale Modelle des Umgangs mit Fehlmeldungen entwickelt (s. z.B. MAKI, NISHTYAMA 1996, SCHULTE N O R D H O L T 1998), die dann zur Datenkorrektur und -ergänzung eingesetzt werden können. Ahnliche formalisierte Prozeduren zur Datenkorrektur und Ergänzung werden inzwischen in zahlreichen Ländern in vielen Bereichen der Statistik eingesetzt (s. UNITED NATIONS STATISTICAL COMMISSION, ECONOMIC COMMISSION FOR EUROPE, 1997b).

2.4 Lösungsansätze der Wirtschaftsstatistik

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Da üblicherweise starke systematische Zusammenhänge - z.B. über die Zahl der potentiellen Teilungsfälle, über den unterschiedlichen Informationsvorrat von Groß- und Kleinbetrieben etc. - bestehen, sind sowohl nach Wirtschaftsbereichen als auch nach Regionen und nach Größenklassen immer im Verhältnis zu den Merkmalen große Unterschiede in den Anteilen zu erwarten. Auch im Zeitverlauf ist - z.B. wegen Änderungen in den institutionellen Bedingungen keineswegs immer Kontinuität des Anteils des deskriptiven Elements gegeben. Die Ergebnisse einer Erhebung, wie sie etwa in amtlichen Publikationen vorliegen, sind also keineswegs jene homogenen Datenkörper, als die sie die meisten Benutzer auffassen. Ohne Zweifel kann der Einsatz von Imputationsmodellen für manchen analytischen Zweck sehr sinnvoll sein. Für andere Zwecke mag die Zusammenfassung von Elementen unterschiedlichen Wirklichkeitsbezugs aber in die Irre führen. Transformation Transformationsschritte verschiedener Art führen von den Resultaten der Erfassungsvorgänge zum statistischen Ergebnis. Jeder Transformationsschritt beruht auf Prämissen, enthält Wertungen, ist auf ein analytisches Ziel hin ausgerichtet. Mit jedem Schritt steigt notwendigerweise der Theoriegehalt des Ergebnisses. Die meisten Daten, mit denen gearbeitet wird, haben viele Bearbeitungsschritte - oft als sekundäre Aufbereitung bezeichnet - durchlaufen. Die Setzungen, die hinter jedem dieser Schritte stehen, geschehen üblicherweise unbewußt, unreflektiert. Sie werden, sowohl was die Hypothesen wie auch was die anzustrebende analytische Ausrichtung betrifft (wobei diese beiden Eckpunkte zueinander wieder in Beziehung stehen), von Paradigmen gesteuert, die von den meisten Nutzern weder als solche empfunden noch in Frage gestellt werden. Aggregation Die häufigsten Transformationsschritte betreffen Zusammenfassungen. Solche Aggregationen finden auf allen Stufen der Generierung statistischer Ergebnisse statt. Das Ergebnis jeder Aggregation wird durch die vorangegangene Wahl der Klassifikation entscheidend vorgeprägt. Die Aggregation faßt alle Elemente, die gleich klassifiziert sind, zusammen. Für die aggregierten Daten wird unterstellt, daß sie bezüglich der Merkmale, nach denen nicht differenziert wird, in Hinblick auf das Ziel der Analyse als homogen behandelt werden können. Jeder Aggregationsschritt impliziert damit eine theoretische Vorstellung. Entweder wird angenommen, daß die evidente Unterschiedlichkeit für den intendierten Zweck vernachlässigt werden kann {Annahme der Vernachlässigbarkeit) oder es wird unterstellt, daß zur Vereinfachung einer zu komplexen Wirklichkeit vorerst diese Verdichtung tolerierbar sei {Heuristische Annahme).

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2. Wirtschaftsstatistik als Voraussetzung empirischer W i r t s c h a f t s f o r s c h u n g

Schon auf der Ebene des einzelnen Betriebs erfolgt Zusammenfassung in mannigfaltiger Weise. Der Statistiker verdichtet weiter. Er leitet aus Erhebungsmerkmalen Darstellungsmerkmale ab. Wenn er - wie üblich - Darstellungsmerkmale als Summen von Erhebungsmerkmalen bildet (der Produktionswert im Sinne der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ist ein prominentes Beispiel, s. auch Abschnitt 4.1), mißtraut er vor allem der Bewältigung der Klassifizierungsvorgaben durch den Respondenten und zieht sie an sich19. Neben Zusammenfassungen werden Saldierungen vorgenommen. Die Ableitung der Wertschöpfung im Sinne der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung erfolgt durch solche Saldierung. Eine Sonderform des Aggregierens sind auch jene Zusammenfassungen, welche das System of National Accounts SNA 1993 (s. EUROSTAT, IMF, O E C D , U N I T E D N A T I O N S , W O R L D BANK 199320) als compacted categories bezeichnet. Ein Beispiel sind die Lagerveränderungen. Wie bei jeder Saldierung geht der Konnex zu den beobachtbaren Elementen (Lagerbestand an einem Stichtag) verloren. Eine spezielle Art des Saldierens, der Konsolidierung wird auch eingesetzt, um einen Teil des (Brutto-)Produktionswerts der Kreditinstitute und der Versicherungsgesellschaften und des Spannenbruttoproduktionswerts im Handel abzuleiten. Auch hier enthalten die Gegenbuchungen (Ertragszinsen, Aufwandszinsen, Prämienzahlungen, etc.) Bruttogrößen, zwischen denen und den Salden ein unmittelbarer Bezug nicht mehr herstellbar ist. Wegen dieser fehlenden deskriptiven Entsprechung ist die Verwendung der symmetrischen spannenbezogenen Güter nie direkt beobachtbar und es muß zu Zurechnungsmodellen Zuflucht genommen werden (s. Abschnitte 2.4.4 und 4.1). Erfaßbar wären nur die Bruttotransaktionen. Die zuletzt skizzierten Transformationsschritte können sowohl auf der Ebene der einzelnen Mikroeinheiten als auch bereits auf der Ebene von Daten vorgenommen werden, die durch Zusammenfassung der Resultate mehrerer Mikroeinheiten entstanden sind. Denn der Statistiker aggregiert nicht nur über Merkmale, sondern vor allem über die Einzelelemente der Erhebungsmassen. Diese Art des Aggregierens ist der eigentliche Gegenstand der Aggregationstheorie. Auf dem Weg von den beobachtbaren Phänomenen zu statistischen Konstrukten, welche vorgegebenen analytischen Vorstellungen bestmöglich entsprechen, 19 Er überläßt es ihm im Falle der Ableitung des Brutto-Produktionswerts zwar, alle Erlöse und Erträge nach den vorgegebenen Definitionen (gleichbedeutend mit Klassifikationsregeln) zusammenzufassen. Er überträgt ihm auch die Aggregationen zur Bildung der anderen Bausteine des Brutto-Produktionswerts, nicht aber die Zusammenfügung der Bausteine selbst. Eine solche Arbeitsteilung, Schaffung von Zwischenaggregaten durch den Respondenten, Weiterverdichtung durch den Statistiker ist immer dort - und so ist es auch im Falle des (Brutto-)Produktionswerts - angebracht, wo Konzepte, Begriffe und Sprachverständnis der Welt des Respondenten von jenen des - von den analytischen Zielen her geprägten - Statistikers stark abweichen.

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In der Folge nur mehr als SNA 1993 zitiert; die näheren Angaben beziehen sich stets auf die Absatznummern

2.4 Lösungsansätze der Wirtschaftsstatistik

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erfolgen auch Transformationsschritte, die noch tiefer in die Integrität des Datenkörpers eingreifen als Zusammenfassungen und Saldierungen. Es erfolgen Zerlegungen und Umrechnungen verschiedenster Art. So werden z.B. beobachtbare Transaktionen wie die Käufe eines Gutes, bewertet zu Käuferpreisen in den Güterkauf zu Produzentenpreisen und die auf dieser Transaktion liegende Verteilerspanne "zerlegt". Die auf der einzelnen Transaktion liegende Verteilerspanne entzieht sich fast immer der direkten Beobachtung, deskriptiv greifbar sind nur Summen über die Verteilerspannen vieler Güter. Soll die Aufspaltung dennoch erfolgen, ist eine modellhafte Zurechnung dieser Summen auf Güter erforderlich. Mit dem Transformationsschritt wird der deskriptive Bezug zur beobachtbaren Realität ebenfalls aufgehoben. Üblicherweise führt eine lange Reihe von Transformationsschritten von den beobachtbaren Phänomenen zum statistischen Konstrukt. Das Ergebnis wird von den Konzepten hinter diesen Schritten bestimmt, andererseits von der gewählten Reihenfolge der Schritte (z.B. Aggregation vor Umrechnung, Umrechnung vor Aggregation) determiniert. Trotz dieser Abhängigkeit der Eignung eines Konstrukts für eine analytische Aufgabenstellung, hat von den vielen Transformationsschritten bisher nur die Aggregationsproblematik im engeren Sinne die Aufmerksamkeit der Theorie auf sich gezogen.

Rekonziliation Die Notwendigkeit der Anpassung von Teilergebnissen an bekannte Randsummen entsteht, wenn logische Bedingungen zu erfüllen sind oder wenn (z.B. aus institutionellen Gründen) die Information über Summen besser gesichert ist als jene über die Teile. Im zweiten Fall kann die Anpassung an die Summen sogar eine gewisse Härtung der Einzelelemente induzieren. Rekonziliationen können andererseits auch einzelne - isoliert gesehen - gut gesicherte Informationen verändern 21 . Daraus folgt, daß konsistente Ergebnisse nicht notwendigerweise zur gleichen Zeit genaue, richtige Ergebnisse sind (s. S T O N E 1986). Das Problem der Anpassung an Randsummen in fast allen seinen Facetten stellt sich schon auf der Mikroebene. Wenn die Urinformationen neu klassifiziert und aggregiert werden, kommt es leicht zu Abweichungen von angestrebten Randsummen, die z.B. aus Abschlußkonten vorliegen, die nicht durch Definitionsunterschiede erklärt werden können. Idealerweise kann eine detaillierte Uberprüfung die Natur der Abweichungen aufklären und sie eliminieren. Üblicherweise wird aber die Diskrepanz verteilt oder einer Restposition zugewiesen und damit der strikte Konnex zu den Einzelelementen verlassen. Gleichzeitig

21 Die Gefahr der Vernichtung gut gesicherter Einzelemente, gut gesicherter Relationen und anderer wertvoller Information ist bei jedem Ausgleichsalgorithmus gegeben, der nicht nach dem unterschiedlichen Charakter der Elemente der Ausgangslösung ausreichend zu differenzieren vermag. Einen Uberblick über die spezifischen Eigenschaften alternativer Verfahren bietet u.a. RICHTER (1991).

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2. Wirtschaftsstatistik als Voraussetzung empirischer Wirtschaftsforschung

wendet der Respondent damit ein Modell an, von dessen Natur und dessen Hypothesen der Statistiker nichts weiß. Läßt der Respondent die Diskrepanz offen, so wird - wenn eine Toleranzschwelle überschritten wird - eine Rückfrage durch den Statistiker erfolgen. Bleibt die Diskrepanz unter der Schwelle, nimmt der Statistiker selbst eine Anpassung an die Randsummen vor. In diesen Fällen werden vor allem Erfassungsfehler im engeren Sinne eliminiert. Anpassungen an Randsummen auf der Mikroebene werden auch erforderlich, wenn Daten aus unterschiedlichen Informationsbereichen - wie etwa Aufzeichnungen über den Verbrauch einerseits mit Inventurdaten andererseits - kombiniert werden. Hier ist in jedem Fall eine Wertung der Information vorzunehmen. Wird z.B. den Ergebnissen der Inventur höhere Verläßlichkeit zugeschrieben, geht der Konnex zu den individuellen Gegenbuchungen notwendigerweise verloren. Ausgleichsrechnungen sind auch vorzunehmen, wenn Diskrepanzen aus der Verknüpfung definitorisch nicht übereinstimmender Informationen resultieren. Stehen z.B. Verbrauchsinformationen nur relativ global zur Verfügung, Daten über den Wareneinkauf nach Gütern aber sehr detailliert, werden viele Respondenten bei ihren Verbrauchsangaben nach Gütern auf die zweite Informationsquelle zurückgreifen. Jede modellhafte Verteilung der Diskrepanz (die aus unterschiedlichen Bewertungskonzepten, unterschiedlicher zeitlicher Abgrenzung, etc. zu erklären ist) auf die Güter ändert nicht nur den Charakter des Ergebnisses, sondern zerstört ebenfalls den nachvollziehbaren Bezug zu den erfaßten Primärinformationen. Der zuletzt genannte Grundtyp der Rekonziliation wird um so häufiger bemüht, je komplexer, umfassender die statistischen Konstrukte werden. Für solche Rechenwerke ist charakteristisch, daß Informationen aus sehr verschiedenen Quellen - die unter sehr unterschiedlichen Prämissen generiert wurden - zusammengefaßt werden. Diskrepanzen gegenüber a priori vorgegebenen Summenbedingungen transportieren wertvolle Information. Sie geben einerseits Aufschluß über Erfassungsfehler, Mängel bei Transformationsvorgängen wie Hochrechnungen, etc.. Andererseits - und von den Unvollkommenheiten der ersten Gruppe nicht zu unterscheiden - liefern sie Anhaltspunkte dafür, welchen Stellenwert der Tatsache zukommt, daß Daten zumindest für einige Bausteine in einen Rechenrahmen gepreßt wurden, die in ihren Konzepten und Definitionen von jenen des Rechenrahmens abweichen. Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, in welche die Ergebnisse fast aller wirtschaftsstatistischer Erhebungen in der einen oder anderen Weise einfließen, stellt den Prototyp eines solchen Konstrukts dar. Die vielen Rekonziliationsschritte, die hinter ihren Ergebnissen stehen, machen jeden Versuch der Bewahrung der direkten Herleitung von den Primärinformationen zu einem hoffnungslosen Unterfangen.

2.4 Lösungsansätze der Wirtschaftsstatistik

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Jede Rekonziliation trägt Modellcharakter, für jeden Rekonziliationsschritt stehen verschiedene Ausgangshypothesen, Verfahren zueinander in Konkurrenz. Für jeden Rekonziliationsschritt ist demnach eine ganze Baumstruktur denkbarer Lösungen gegeben. Je nach der Reihenfolge der einzelnen Transformationsschritte - z.B. Rekonziliation vor oder nach einzelnen Aggregationsschritten - ergeben sich weitere Unterschiede in den Resultaten. Der Grad der Uneindeutigkeit der Lösung steigt mit der Zahl der Transformationsschritte. Dies ist umso mehr zu beachten, als Konstrukte höherer Art in der empirischen Wirtschaftsforschung eine dominierende Rolle spielen. Bei der immer weiter fortschreitenden Kondensation von Information wird in jedem Schritt danach getrachtet, zumindest einen Aspekt der übergroßen Komplexität der Wirklichkeit auszublenden. Es geht darum, "abgeleitete Maßzahlen zu entwickeln, die beinhalten, was relevant ist und die weglassen, was zufällig und nicht von Interesse ist" (KOOPMANS 1970a, S. 115). Das vor allem den Zielen größtmögliche Repräsentativität und größtmögliche internationale Vergleichbarkeit verpflichtete System der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zu laufenden Preisen etwa bedient sich der Mittel der mehrstufigen, weitestgehenden Aggregation und Konsolidierung und mißt dem durch Rekonziliation anzustrebenden Aspekt der Konsistenz höheren Wert zu als der unmittelbaren Verbindung zu den Elementarbeobachtungen. In diesem Abschnitt wurden nur einige wenige Prozesse, die von der elementaren Beobachtung zum statistischen Ergebnis führen, etwas ausführlicher behandelt. Andere Schritte, wie etwa der Schluß von Resultaten einer Stichprobe auf Grundgesamtheiten, Umbuchungen aller Art, die von deskriptiven Ausgangsdaten zu mehr analytisch orientierten Datenkörpern führen, der Einsatz von Uberleitungsmodellen etc., wurden nicht einmal gestreift. Für den Wirklichkeitsbezug der empirischen Wirtschaftsforschung ergeben sich die folgenden Konsequenzen: Die Fundamentalentscheidungen und jede einzelne der vielen Festlegungen über die Vorgehensweise bestimmen den Charakter der resultierenden statistischen Ergebnisse, "concepts do matter". Jedes andere Vorgehen in jedem der vielen aufeinanderfolgenden Schritte führt zu anderen Ergebnissen. Jedes dieser Vorgehen hat stark wertenden Charakter. Es wird eine Weichenstellung vorgenommen, für welche Analysen die Daten adäquat sind. Es ist bereits festgelegt, ob und wieweit die Ergebnisse für Beobachtung und Modellbildung herangezogen werden können. Einzelne Schritte weisen einen hohen Hypothesengehalt auf, andere heben die direkte Ableitbarkeit aus den Elementarbeobachtungen auf. Ohne detaillierte Kenntnis der Prozesse ist ein statistisches Konstrukt uninterpretierbar. Selbst wenn man annimmt, daß auf dem Weg zum statistischen Konstrukt nur zehn Weichenstellungen (Fundamentalentscheidungen über statistische Einheiten, Art der Klassifikation, Abgrenzung der Erhebungsmassen, etc. und Ent-

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2. Wirtschaftsstatistik als Voraussetzung empirischer Wirtschaftsforschung

Scheidungen über Verfahren, Reihenfolge der Prozesse, etc.) vorzunehmen sind, und zur Vereinfachung bei den Weichenstellungen keine breite Palette von Alternativen, sondern nur die Unterscheidung "der intendierten Analyse adäquat - nicht adäquat" im Auge behält, ergeben sich 210 (= 1024 !) mögliche Ergebnisse. In diesem stark vereinfachenden Modell führt nur ein einziger unter mehr als tausend Pfaden zur der der Aufgabenstellung entsprechenden Abbildung der Wirklichkeit. Die Praxis gewinnt dadurch weiter an Komplexität, daß bei den einzelnen Weichenstellungen das analytische Ziel kaum bekannt ist und deshalb häufig eine Vielzahl von miteinander konkurrierenden Zielen befriedigt werden sollen. Bei einer Reihe von Weichenstellungen - z.B. bezüglich der statistischen Einheit ist bei bekanntem Untersuchungsziel die Frage nach der adäquaten Lösung meist zu beantworten. Bei anderen - wie z.B. bei der Substituierung von Erfassungsvorgängen auf Grundlage des Kriteriums Ähnlichkeit, bei der Wahl eines Rekonziliationsansatzes - konkurrieren mehrere Lösungsmöglichkeiten miteinander, die nicht a priori als "adäquat" oder "nicht-adäquat" eingestuft werden können. Müssen Alternativen als immerhin mögliche Lösungen für den Wirklichkeitsbezug anerkannt werden, verästelt sich der Entscheidungsbaum weiter. An die Stelle einer Punktlösung treten mehrdimensionale Lösungsräume. Diese mangelnde Eindeutigkeit wird nicht dadurch aufgehoben, daß von einem Statistischen Amt nur eine einzige Lösung angeboten wird. Diese Lösungsräume werden um so größer sein, je mehr Schritte zu durchlaufen sind. Statistische Konstrukte höherer Art sind daher notwendigerweise weniger eindeutig in der Wirklichkeit verankert als statistische Ergebnisse, die nur wenige Transformationsschritte durchlaufen haben.

2.4.3 Theoriegehalt der Lösungsansätze Die Apperzeption der Wirklichkeit, der Versuch, durch systematische Erfassungsvorgänge und nachfolgende Schritte der Komprimierung eine gewisse Art von Evidenz über die Realität zu gewinnen, ist bewußtes Handeln zahlreicher in diesen Prozeß involvierter Beteiligter. Der Satz "Wir stolpern nicht über unsere Erfahrungen, wir lassen sie auch nicht über uns ergehen, wir machen unsere Erfahrungen. Wir sind es, die die Fragen an die Natur formulieren.." (POPPER 1982, S. 224) gilt in besonderem Maße für die Wirtschaftsstatistik. Das Bild der Wirklichkeit, das statistisch entworfen wird, ist nicht einfach ein Spiegel der Wirklichkeit, "der Gehalt an Wirklichkeit kann nicht mehr getrennt werden vom Gehalt an antizipierter theoretischer Interpretation" (FRANZ 1984, S. 124). Wie schon in Abschnitt 2.4.1 illustriert, sind alle strategischen Entscheidungen der Wirtschaftsstatistik und alle Festlegungen von Prozessen durch a priori

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Vorstellungen geprägt, die notwendigerweise Wertungen einschließen. Die Auswahl der zu erfassenden Merkmale ist immer selektiv und bestimmt die Theoriebildung mit (s. ALBERT 1971). Die Auswahl grenzt ab, welche Hypothesen überhaupt getestet, welche Art von Parameter geschätzt werden können. Die in letzter Zeit an Bedeutung gewinnenden Analysen mit Mikrodaten und Unternehmenspanels machen deutlich, daß viele der in der Wirtschaftsstatistik seit Jahrzehnten üblichen Abstraktionen wichtige Aspekte der Wirklichkeit ausblenden. So zeigten z.B. A U D R E T S C H und M A H M O O D (1995), daß für die Uberlebenswahrscheinlichkeit neu gegründeter Einheiten einheitenspezifische Merkmale wie die Eigentumsverhältnisse, die rechtliche Unabhängigkeit oder die Zugehörigkeit zu einer größeren Einheit als Zweigstelle etc. eine sehr große Rolle spielen. Studien auf der Ebene von aggregierten Daten konnten diesen Faktoren keine Aufmerksamkeit schenken, da diese Merkmale in den ihnen zur Verfügung stehenden empirischen Grundlagen nicht erfaßt wurden, womit auch nicht nach ihnen klassifiziert werden konnte. Der Einfluß dieser Faktoren wurde anderen Variablen zugeschrieben. Im Falle der Ergänzung oder vollständigen Substituierung von Erfassungsvorgängen werden umfangreiche Beziehungen zwischen beobachteten Merkmalen und unbeobachteten, zwischen Beobachtungen für eine Einheit und jener einer anderen, usw. unterstellt. Allein die Identifizierung eines "Spenders" für eine fehlende Meldung setzt die Formulierung einer Theorie der Ähnlichkeit voraus. Im Falle eines hedonischen Preisindex etwa liegt ein Modell des Schlusses von beobachtbaren Variablen auf eine nicht direkt beobachtbare Größe (Preis eines Gutes gleichbleibender Charakteristika) vor. Die theoretische Grundvorstellung hinter dem Ansatz geht davon aus, daß es die einzelnen unterschiedenen technischen Charakteristika eines Gutes sind, die für den Preis relevant sind. Dahinter steht die Idee, daß die technischen Eigenschaften separabel seien und nicht zueinander in einem gewissen Verhältnis zu stehen haben. Werden diese Prämissen akzeptiert, kann das Modell hedonischer Preisindizes sowohl zur Nutzentheorie als auch zur Produktionstheorie in Beziehung gesetzt werden, sie stellen also grundsätzlich keinen Fall von "Measurement without Theory" dar. Abweichend von auf der Produktionstheorie aufsetzenden Angebotsfunktionen oder von aus der Nutzentheorie abgeleiteten Nachfragefunktionen können sie aber empirisch verschiedene funktionale Formen annehmen (s. TRIPLETT 1990). Für jede Transformation stehen alternative Möglichkeiten zur Auswahl, zwischen denen nur auf der Grundlage theoretischer Erwägungen diskriminiert werden kann. Mit jeder Transformation steigt notwendigerweise der Theoriegehalt des Ergebnisses. Nicht zuletzt ist die Reihenfolge der Transformationsschritte festzulegen. Komplexe statistische Konstrukte weisen demnach einen aus den vielen theoretischen Setzungen in jeder Zwischenphase am Weg zum endgültigen Resultat resultierenden hohen Theoriegehalt auf.

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2. Wirtschaftsstatistik als Voraussetzung empirischer Wirtschaftsforschung

Eine explizit formulierte Theorie der optimalen Reihenfolge der Transformationsschritte fehlt üblicherweise. Eine nahezu nie einlösbare Forderung ist die nach Wahrung der Konsistenz zwischen den aufeinanderfolgenden Setzungen. Da sehr viele unterschiedliche Personen viele a priori Festlegungen treffen müssen, ist ein Mindestmaß an Konsistenz nur bei jenen statistischen Systemen einigermaßen gewährleistet, von denen ein prägender Einfluß auf die vorgelagerten Basisstatistiken ausgeht. Die ex-post Uberprüfung der Frage, wieweit bei einem statistischen Ergebnis Konsistenz gegeben ist, kann meist nicht beantwortet werden. Viele Setzungen werden nicht explizit vorgenommen, die Dokumentation der einzelnen Schritte ist mangelhaft. So schwierig es ist, den Theoriegehalt und seinen Einfluß auf das statistische Resultat zu erfassen, so kann für die Beurteilung des Wirklichkeitsbezugs der Wirtschaftsforschung festgehalten werden, daß "Measurement without Theory" (s. K O O P M A N S 1970a) im strengen Sinne nicht möglich ist. K O O P M A N S bezeichnet jedes Vorgehen abwertend als "theorielos" und als "empiristischen Ansatz", wenn die Entscheidungen, welche ökonomischen Phänomene beobachtet werden sollen und welche Maßzahlen definiert und berechnet werden, nicht mit einem Minimum an Unterstützung durch theoretische Konzepte oder Hypothesen über die Natur jener Prozesse, welche die zu beobachtenden Größen generieren, getroffen werden (s. K O O P M A N S 1970a). Der wesentliche Unterschied zwischen einem "empiristischen Ansatz" und einem Vorgehen, wie es K O O P M A N S propagiert, liegt darin, daß K O O P M A N S nur ein - oder nur Varianten eines - theoretischen Modells als Hintergrund der Entscheidungen zur Messung akzeptiert. Der alternative Ansatz würde trachten, empirisches Material für alternative Modellvorstellungen bereitzustellen, um mit Hilfe dieses Materials auch verschiedene Theorien evaluieren zu können. Auch dieses offenere Vorgehen ist notwendigerweise selektiv, wenn auch nicht nur einem einzigen Paradigma verpflichtet. Die gängigen Paradigmen bestimmen sowohl, welche theoretischen Vorstellungen anerkannt sind als auch, welche Lösungsmethoden als zulässig erkannt werden. Nach MUSGRAVE (1981) können drei Arten von Basisannahmen unterstellt werden. Sie alle führen zu einer Selektion: 1) Annahme der Vernachlässigbarkeit. Sie geht davon aus, daß vom Einfluß von gewissen bekannten Faktoren abstrahiert werden kann, weil ihr Einfluß sehr gering ist. Diese Annahme ist stets präsent. Sie wird - wenn überhaupt - aber nur in bezug auf diejenigen Faktoren genannt, von denen ein gewisser Effekt erwartet wird. Die Annahme der Vernachlässigbarkeit kann in bezug auf eine Variable richtig oder falsch sein, die Möglichkeit einer Überprüfung ihrer Geltung entfällt aber, wenn die Größe erst gar nicht erfaßt wird.

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2) Geltungsbereichsannahme ("domain assumption"). Diese Annahme unterstellt, daß gewisse Vereinfachungen zumindest für einen - wie immer, räumlich, in bezug auf die Art der Güter oder der wirtschaftlichen Tätigkeit, etc. abgegrenzten - Bereich tolerabel sind. Die Annahme des Geltungsbereiches kann aus einer Annahme der Vernachlässigbarkeit hervorgehen, wenn Information vorliegt, daß Faktoren für manche Bereiche relevant, für andere vernachlässigbar sind. Auch die Möglichkeit, gewisse Faktoren für gewisse Perioden vernachlässigen zu können, zählt zu den "domain assumptions", wobei der Geltungsbereich zeitlich abgegrenzt wird22. 3) Heuristische Annahmen. Sie unterstellen Bedingungen, die mit keiner realen Gegebenheit übereinstimmen, weil ein Ansatz der schrittweisen Annäherung verfolgt wird: "Zur Vereinfachung wird vorerst angenommen". Die Fragwürdigkeit der Geltung der Annahme bleibt immer bewußt. Besonders die ersten zwei Basisannahmen spielen in der Apperzeption der Wirklichkeit durch die Wirtschaftsstatistik eine entscheidende Rolle: Sie dienen zur Reduzierung der Merkmalsvielfalt, zur Abgrenzung der Erhebungsmassen. Die Berechtigung der Basisannahmen (und in besonderem Maße die "domain assumption") ist insbesondere bei der Verwendung der Ergebnisse komplexer statistischer Gesamtsysteme kritisch zu hinterfragen. Solche Systeme sind aus vielen Bausteinen zusammengesetzt, für welche die Basisannahmen in unterschiedlichem Maße Geltung haben: Prämissen, die für einige Bereiche der Wirtschaft gelten, müssen nicht im selben Maße für alle Bereiche Geltung haben. Voraussetzungen, die für eine Submenge von Einheiten (z.B. die Einbetriebsunternehmen) gelten, treffen für eine andere Submenge (z.B. die Mehrbetriebsunternehmen) nicht zu.

2.4.4 Modelle zur Generierung statistischer Information Wie in den letzten Abschnitten dargestellt, erfolgen theoretische Setzungen in allen Phasen der Erarbeitung statistischer Abbildungen der Wirklichkeit. Theoriegehalt ist unvermeidbar. In vielen Schritten fließen auch Modellberechnungen ein, die wiederum auf spezifischen theoretischen Setzungen aufbauen. Bevor in den Abschnitten 3 und 4 die Konsequenzen für den Wirklichkeitsbezug an Hand prominenter Beispiele der Wirtschaftsstatistik illustriert werden, soll noch der Versuch einer Typologie der grundsätzlich unterschiedlichen

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So war es etwa in Europa über lange Perioden möglich, der Frage des Altersaufbaus der Bevölkerung bei der Analyse der Konsumausgaben keine Aufmerksamkeit zu schenken, weil die Struktur des Altersaufbaus weitgehend konstant blieb. Erst die immer stärker werdende Uberalterung hat es fragwürdig erscheinen lassen, die Variable Altersaufbau zu negieren.

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2. Wirtschaftsstatistik als Voraussetzung empirischer Wirtschaftsforschung

Modelltypen unternommen werden: Die Typologie unterscheidet Modelle, die zu Ergebnissen unterschiedlicher Kategorien führen. In der Chronologie der Erstellung einer statistischen Zahl treten die unterschiedenen Modelltypen jede für sich in den einzelnen Phasen auf. Modelle des Typs 1 - Komprimierungsmodelle Modelle des Typs 1 gehen von bereits verfügbaren Einzelelementen der verschiedensten Ebenen aus. Die zu verknüpfenden Einzelelemente können deskriptiven Ursprungs oder bereits das Ergebnis eines anderen Modelltyps sein. Das Ziel ist immer Verdichtung von Information mit Hilfe genau definierter Bildungsgesetze. Einige Beispiele für den einfachen Fall der additiven Verknüpfung sind: Elementarbeobachtungen Einzelbuchungen Erhebungsmerkmale Bestandsmerkmale Einzelinformationen

- > Summen - > Kontensummen - > Darstellungsmerkmale (wie Bruttooder Netto-Produktionswerte) - > Daten über Veränderungen (z.B. Lagerveränderungen) - > Aggregatsdaten

Durch multiplikative Verknüpfung werden z.B. Indizes gebildet, aus der Verknüpfung von Volumina einer Periode mit Preisen einer anderen Periode entsteht eine "Rechnung zu konstanten Preisen", usw. Die Ergebnisse dieser Modellklasse können bei Kenntnis der Bildungsgesetze (z.B. der Aggregationsregeln) gut nachvollzogen werden. Die Wahl der Bildungsgesetze und ihrer Reihenfolge enthält stets eine a priori Wertung, ist theoriegeladen. Verfahren des Typs des Modell 1 erzeugen statistische Konstrukte, substituieren aber niemals Erfassungsvorgänge durch Modellberechnungen. Da verschiedene Verfahren zur Disposition stehen, sind auf der Grundlage identer Ausgangsinformationen eine Vielzahl statistischer Konstrukte denkbar. Für sie gilt in besonderem Maße: "Concepts matter". Jeder, der über die Einzelelemente verfügt, kann in der jeweiligen Phase von der Elementarbeobachtung zum Endergebniss alternative Versionen des Modelltyps 1 einsetzen. Im Sinne der von H O L U B und TAPPEINER (1997) geprägten Terminologie handelt es sich um reversible Vorgänge. Zwischen Alternativen des Typs 1 kann nicht auf der Grundlage empirischer Tests diskriminiert werden. Sie müssen in Hinblick darauf beurteilt werden, wie sehr sie der analytischen Zielsetzung und der Natur des Ausgangsmaterials gerecht zu werden vermögen. Sehr wohl aber können Sensitivitätstests darüber Aufschluß geben, wie sehr die Ergebnisse von einzelnen Setzungen (z.B. Wahl des Basisjahres bei einem Index) tangiert werden.

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Modelle des Typs 2 - Substitutionsmodelle Modelle dieses Grundtyps substituieren Information über der Beobachtung zugängliche Einzelelemente durch Information über andere Elemente. Ein Modell des Typs 2 erzeugt durch die Unterstellung funktionaler Zusammenhänge zwischen beobachtbaren Variablen (A und B) das grundsätzlich beobachtbare Einzelelement Β aus dem oder den tatsächlich beobachteten Elementen AI, A2, A3, usw. Β kann eine Merkmalsausprägung sein, die aus anderen Merkmalsausprägungen des gleichen Merkmalsträgers und anderer Merkmalsträger abgeleitet wird. So, wenn z.B. die Relation zwischen zwei Merkmalen A I und A2 bei einem Merkmalsträger auf das AI entsprechende Merkmal bei einem anderen Merkmalsträger übertragen wird, um das bei diesem fehlende Merkmal B2 zu generieren. Dieser Untertyp entspricht einem häufig angewandten Modelltyp im Falle des item non-response. Im Falle des unit non-response werden alle Merkmale eines Merkmalsträgers generiert. Häufig wird für die fehlende Meldung Β eine möglichst ähnliche Meldung A für die gleichen Referenzperiode gesucht und diese für die fehlende Meldung Β quasi dupliziert. Die Kenntnis darüber, welche vorliegenden Merkmalsausprägungen (wie etwa die Klassifikation nach der Art der Aktivität, nach der Region, nach der Größenklasse) Ähnlichkeit für alle zu imputierenden Merkmalsausprägungen konstituieren, muß entweder aus anderen Referenzperioden, für die Meldungen für A und Β vorliegen, stammen, oder sie ist a priori zu setzen. Die Auswahl einer Ähnlichkeitsfunktion ist stark theoriegeladen und bestimmt die sinnvoll möglichen Analysen mit. Werden alle Merkmale eines ähnlichen Spenders (donors) übertragen, erfolgt eine Reduzierung der Heterogenität der Einheiten einer Population. In der Wirtschaftsstatistik ist das Auffinden eines ähnlichen, in mehreren Charakteristika gleichartigen Spenders besonders bei größeren Einheiten de facto unmöglich. Da sowohl A als auch Β beobachtbar sind, ist eine empirische Uberprüfung der unterstellten funktionalen Zusammenhänge, der verwendeten Parameter grundsätzlich möglich. Wird ein Modell des Typs 2 eingesetzt, um vorläufige Werte für Β aus A zu generieren, weil Daten für A früher als jene für Β bereit stehen, so kann nicht nur nach Vorliegen von deskriptiven Werten für Β die vorläufige Schätzung ersetzt werden. Die gewonnene empirische Evidenz kann auch genutzt werden, um die unterstellte Beziehung zwischen A und Β zu modifizieren. Jede Hochrechnung stellt einen Sonderfall des Modells 2 (Modell 2b) dar. Aus den Merkmalen einer Teilmenge von A wird auf die Merkmale aller Elemente

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von A geschlossen. Man könnte die Hochrechnung aber auch so auffassen, daß die Gesamtmenge aus A und Β besteht und daß von den beobachteten Merkmalen von A auf die Merkmale von Β geschlossen wird. Modell 2b wird in der Wirtschaftsstatistik ungemein häufig eingesetzt, oft auch in mehreren Stufen hintereinander. So wird z.B. in der Preisstatistik zur Erstellung eines Verbraucherpreisindex zuerst von einer Stichprobe der beobachteten Preise von Transaktionen mit Gut i zu einem Stichtag auf die Preise aller Transaktionen mit Gut i zu diesem Stichtag geschlossen. Im nächsten Schritt wird eine funktionale Beziehung zwischen diesen Stichtagsbeobachtungen und den (ja durchaus der Beobachtung zugänglichen) Preisen an allen Tagen der Referenzperiode unterstellt. Im folgenden Schritt wird von den Preisen von Transaktionen mit Gut i auf die Preise aller Transaktionen mit Gut i und Gut j geschlossen. Das Stichprobenmodell geht davon aus, daß die Entwicklung der Preise j als direkte Funktion der Entwicklung der Preise des Repräsentanten i angesehen werden können. Sonderfälle des Modells 2 stellen auch die zahlreichen Ausgleichsverfahren dar, die Rekonziliationsmodelle. Im Falle der Abstimmung wegen Beobachtungsunschärfen (Modell 2c) werden aus inkonsistenten Werten von A konsistente Werte A' erzeugt. Dieser Modelltyp liegt unabhängig davon vor, ob die gesamte Differenz einem einzigen Element zugewiesen wird, ob eine proportionale Verteilung der Diskrepanz vorgenommen wird oder ob komplexere Ausgleichsalgorithmen wie etwa Kleinstquadrateverfahren eingesetzt werden. Erfolgt eine Abstimmung wegen Konzepts- und Definitionsunterschieden, liegt eigentlich der zuerst genannte Modelltyp 2a vor, bei dem aus Beobachtungen für A auf solche von Β geschlossen wird. Das so häufige Ubertragen von Strukturen aus einer Erhebung mit ihrem spezifischen Konzeptsrahmen auf Globalgrößen einer anderen Erhebung (mit abweichenden Definitionen) stellt ein solches Vorgehen dar. Wenn z.B. die Altersstruktur, die Verteilung nach Berufen und nach Qualifikationen der Berufstätigen, wie sie für einen Stichtag aus einer Volkszählung vorliegt, auf die Beschäftigten im Jahresdurchschnitt im Sinne der Konzepte der Wirtschaftsstatistik übertragen wird, liegt die Anwendung des Modelltyps 2a vor. A unterscheidet sich sowohl der Definition (Berufstätige lt. Volkszählung versus Beschäftigte lt. Wirtschaftsstatistik) als auch der Referenzperiode (Stichtag versus Jahresdurchschnitt) nach grundsätzlich von B. Ein weiterer Speziallfall des Modelltyps 2 (Modell 2d) liegt vor, wenn Ergebnisse unterschiedlicher Perioden verknüpft werden. Wird die Veränderung von A t gegenüber At., auf B t l übertragen, um Bt zu generieren, erfolgt eine ex-ante Schätzung, es wird ein Prognosemodell eingesetzt. Ein alternatives Prognosemodell 2d wird herangezogen, wenn für das nicht vorliegende Element Bt der Wert B[4 imputiert wird. Modelle des Typs 2d finden in der Praxis sowohl im Falle von unit non-response als auch im Falle von item non-response häufig An-

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wendung. Durch die Übertragung von Vorperiodenwerten der gleichen Einheit in die laufenden Erhebungen werden alle Änderungen, die im Zeitverlauf resultieren, ausgeblendet. Es erfolgt aber keine grundsätzliche Reduzierung der Heterogenität. Für die Varianten des Modells 2a, 2b und 2d ist charakteristisch, daß Beziehungen zwischen Größen unterstellt werden, die Ziel der Erkenntnis wirtschaftswissenschaftlichen Forschens sein können und sind. Die Varianten 2a und 2b werden vor allem eingesetzt, um Kosten der Erhebung zu sparen, die Belastung der Respondenten zu vermindern, Variante 2d, um Aktualität zu gewinnen. Fallen diese Beschränkungen weg, steht grundsätzlich die Option offen, die modellhaft generierten Daten durch auf Beobachtungen aufsetzende Ergebnisse zu ersetzen. Die gleiche Option besteht partiell auch für Modell 2c. Beobachtungs- und Umsetzungsfehler können durch zusätzlichen Aufwand verkleinert, wohl aber nie völlig eliminiert werden. Die Beziehungen zwischen den inkonsistenten Ausgangswerten A und ihren konsistenten Pendants A' werden auch kaum je Erkenntnisziel der Wirtschaftsforschung selbst sein, sie sind nur von statistischtechnischem Interesse. Die in den Modelltypen 2a, 2b und 2d unterstellten funktionalen Beziehungen können empirisch überprüft werden. Dies ist für Modell 2c kaum möglich. Für diesen Modelltyp steht nur die Möglichkeit offen, die Sensitivität der Ergebnisse in bezug auf die Setzung alternativer Annahmen über funktionale Zusammenhänge zu testen. Modell 2c weist bereits starke Charakteristika des Modelltyps 3 auf. Es kann bezweifelt werden, ob die unmittelbare deskriptive Erfassung von Elementen, die vollständig konsistent in einen logischen Beziehungsrahmen wie etwa in ein Güterkonto der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung - eingebettet sind, überhaupt möglich ist. Modelle des Typs 3 - Redefinitionsmodelle In Modellen dieses Typs erfolgt die Generierung von der Beobachtung nicht zugänglichen Einzelelementen auf der Grundlage von a priori Setzungen und Konventionen. Modelle des Tpys 3 erzeugen durch die Unterstellung funktionaler Zusammenhänge zwischen beobachtbaren Variablen A, B, etc. das grundsätzlich nicht beobachtbare Einzelelement C aus dem oder den tatsächlich beobachteten Elementen AI, A2, A3, Bl, B2 usw. Dabei können wieder drei Untertypen unterschieden werden. Im ersten Fall (Modell 3a) ist die Zielvariable C in einem gegebenen Rahmen (etwa für eine statistische Einheit, eine Periode oder in einen Raum) nicht beobachtbar, wohl aber in anderen Bezugsrahmen. Im Fall des Modells 3b ist die Zielvariable C grundsätzlich unter keiner Konstellation unmittelbar beobachtbar. Auch im

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Falle von Modellen des Typs 3c ist die Zielvariable nicht unmittelbar faßbar. Sie ergibt sich nur aus dem Gesamtsystem eines statistischen Konstrukts. Im Fall des Modells 3a werden die Beschränkungen des Geltungsbereichs überschritten. Beim Einsatz hedonischer Preisindizes werden etwa Preise für ein Gut χ zum Zeitpunkt t modellhaft generiert, das zum Zeitpunkt t nicht am Markt war, wohl aber zu einem Zeitpunkt t-n. Statt der eigentlich intendierten Merkmalsausprägungen - den Preisen - werden Stellvertretervariable (technische Charakteristika) herangezogen. Von ihnen - die im Zeitpunkt t beobachtbar waren wird auf die eigentlich interessierende Variable geschlossen. Die Grundannahme ist, daß die Preise der vielen verschiedenen Güter vor allem durch die geringe Zahl der ausgewählten Merkmale unterschieden sind (s. GRILICHES 1986). Empirisch sind zur Schätzung möglichst große Sets von Querschnittsdaten zum Zeitpunkt t - η erforderlich. Der prinzipielle Unterschied zwischen der Stichprobenvariante des Modells des Typs 2 und dem Modell des Typs 3a soll mit Hilfe eines einfachen Beispiels illustriert werden. Wird von einer Stichprobe der beobachteten Preise von Grundstückstransaktionen auf die Preise aller Grundstückstransaktionen der gleichen Periode und Region geschlossen, liegt ein Modelltyp 2b vor. Alle diese Preise wären ja in dieser Periode, in dieser Region grundsätzlich erfaßbar. Wird von den gleichen Beobachtungen auf die Preise aller Grundstücke - unabhängig davon, ob Transaktionen stattgefunden haben oder nicht - geschlossen, wird der Geltungsbereich der beobachtbaren Preise überschritten. Hätten für alle Grundstücke Transaktionen stattgefunden, wären auch die Preise der beobachteten Einzeltransaktionen beeinflußt worden. Die Stichprobe aus einer konkreten Wirklichkeit kann nicht auf eine andere, hypothetische Situation ("für alle Grundstücke fanden Transaktionen statt") übertragen werden, ohne daß eine Änderung des Wirklichkeitsbezugs erfolgt. Die Ähnlichkeit des formalen Vorgangs darf nicht über die Verschiedenheit des Modells hinwegtäuschen. Im Fall des Modells 3b werden nicht nur die Beschränkungen des Geltungsbereichs überschritten. Es werden funktionale Zusammenhänge zwischen beobachtbaren Variablen und grundsätzlich nicht beobachtbaren Größen unterstellt, für die es in keinem Geltungsbereich beobachtbare Beziehungen gibt. Von Modellen des Typs 3c kann bei allen jenen Elementen gesprochen werden, die sich residual aus einem Systemzusammenhang ergeben. Sie entsprechen keinen unmittelbar korrespondierenden Phänomenen, sie sind nur im Zusammenhang mit den anderen Elementen eines Rechensystems interpretierbar. Modelle dieses Typs sind sowohl auf der Mikroebene (z.B. der residual ermittelte Gewinn) wie auf der Makroebene (die vielen balancing items der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung) präsent.

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Die in den Modelltypen 3a und 3b unterstellten funktionalen Beziehungen können empirisch nicht überprüft werden. Die Evaluierung kann nur auf der Grundlage einer a priori gegebenen Axiomatik erfolgen. Einer empirischen Uberprüfung entziehen sich auch Modelle des Typs 3c. Auf der Grundlage einer Konvention wird der Informationsgehalt der erklärenden Variable(n) zur abhängigen Variablen umdefiniert. Sehr anschaulich wird diese Umettiketierung im Falle der Kostenkonvention bei der Generierung des Outputs der Nichtmarktproduzenten in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (s. dazu ausführlich Abschnitt 4.1). Gemessen werden die verschiedenen "anerkannten" Kosten, von der Summe dieser Kostenelemente wird unterstellt, daß sie gleich dem (unbeobachtbaren) Output sei. In den weiteren Schritten der Berechnung wird aber begrifflich mit dem Output operiert, "als ob" er beobachtet worden wäre. Der Einsatz von Modellen des Typs 1 ist zur Ableitung komprimierter Daten aus Elementarbeobachtungen nicht vermeidbar und ist für statistische Information systemimmanent. Modelle der Typen 2 hingegen trachten, Begrenzungen, mit denen sich die Statistik in der Praxis konfrontiert sieht, wie vor allem jene der fehlenden Ressourcen und der Belastbarkeit der Respondenten, aufzuheben. Modelle der Typen 3 versuchen, Barrieren, die aus der Natur der zu beobachtenden Realität resultieren, zu überwinden. Bei aller Ähnlichkeit der in den unterschiedenen Modelltypen eingesetzten methodischen Instrumente und Schätztechniken gehören die Ergebnisse unterschiedlichen Kategorien des Wissens an. Interessiert der Wirklichkeitsbezug der Datenkörper, mit dem gearbeitet wird, muß immer danach getrachtet werden, volle Klarheit darüber zu gewinnen, ob die Daten - eine von Richard S T O N E (1986) geprägte Matapher bemühend - der Schachtel mit der Aufschrift "Fakten" oder der Schachtel mit dem Etikett "Modellergebnisse" entnommen wurden. Besonders kritisch wird die unterschiedliche Natur der Bausteine im Falle der Aggregation. Auch wenn Elemente in gleichen Einheiten - wie etwa Geldeinheiten - ausgedrückt sind, muß eine sinnvolle Aggregation noch nicht notwendigerweise möglich sein. Wurden die Bausteine, um die Metapher weiter zu bemühen, verschiedenen Schachteln entnommen, führt die Zusammenfassung zu uninterpretierbaren Konglomeraten (s. RICHTER 1994). Der Einsatz von Modellen zur Generierung statistischer Information führt zu anderen Implikationen, wenn die Ergebnisse zur Erfüllung der Funktion Messung, Beschreibung, zusammenfassende Beobachtung herangezogen werden, als wenn sie als Grundlage für die Modellbildung und Schätzung dienen. Die Komprimierung von Einzelelementen mit Hilfe eines Modells des Typs 1 ist zur zusammenfassenden Beschreibung einer komplexen Wirklichkeit unvermeidbar und intendiert. Der Nutzer hat sich nur der Abhängigkeit des Ergebnisses vom jeweilig gewählten Modell bewußt zu sein.

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2. Wirtschaftsstatistik als Voraussetzung empirischer Wirtschaftsforschung

Die Ersetzung beobachtbarer Variabler durch modellhaft generierte im Falle eines Modells des Typs 2a wird ebenso wie im Falle eines Modells 2b die Funktion Beobachtung nur dann unwesentlich einschränken, wenn das Modell dem Beobachtungsziel adäquat ist. Die häufigst eingesetzten Modelle zielen primär auf die Ableitung der Summen, direkt auf Summen aufbauender Relationen, bzw. die Darstellung der Entwicklung dieser Größen ab. Die Beurteilung, wieweit ein Modell eine noch akzeptable zweitbeste Lösung darstellt, setzt die genaue Kenntnis des Modells und der Verwendung der Ergebnisse voraus. Modelle des Typs 2d sind wie Prognosemodelle zu beurteilen, sie schaffen Aktualität. Ambivalent ist die Rolle von Rekonziliationsmodellen des Typs 2c für die Funktion Beobachtung, Beschreibung einzustufen. Die Möglichkeit, mehrere Variable zueinander in formal konsistenter Weise in Beziehung setzen zu können, ist mit dem Verlust des unmittelbaren Konnex zu den Einzelbeobachtungen zu erkaufen. Modelle des Typs 3a suggerieren Wirklichkeitsbezug, der nicht gegeben ist. Da für einen Teilbereich Beobachtbarkeit gewährleistet ist, wird die Beschränkung auf diesen Teilbereich leicht übersehen. Wird der Geltungsbereich von Grundprämissen in geringem Ausmaß überschritten, mag die Zusammenfassung von Beobachtungen und modellhaften Ergänzungen - insbesondere wenn vor allem Relationen zu anderen Größen interessieren - für manche Beobachtungszwecke akzeptabel sein. Die Ergänzung der zu Marktpreisen beobachtbaren Transaktionen durch zu Herstellkosten bewerteten aktivierten Eigenleistungen zur Ableitung eines Produktionswerts als Approximation der Gesamtleistung einer Einheit ist ein Beispiel für eine solche, für die meisten Beobachtungsfunktionen tolerablen Erweiterung. Die Schätzung von Mieten für selbst genutzten Wohnraum auf der Basis qualitativer Kriterien (eigentlich ein Fall eines hedonischen Preisindex), wie sie in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung geschieht (s. Abschnitt 4.1), ist auch für die Funktion Beobachtung etwa des Konsums an Wohnungsleistung nicht im gleichen Maße unproblematisch. Modelle des Typs 3b liefern im günstigsten Falle Proxys für die intendierten Größen. Uber das Verhältnis zwischen der Stellvertretervariablen und der intendierten Größe kann es keine empirische Evidenz geben, da sich die Zielvariable der Beobachtung entzieht. Eine Verankerung in der Realität besteht nur für die Stellvertretervariable. Zur Erfüllung der Funktion Messung, Beschreibung, zusammenfassende Beobachtung, sind Modelle des Typs 1 unverzichtbare Instrumente. Modelle des Grundtyps 2 können zumindest zweitbeste Näherungslösungen anbieten. Grundsätzlich anders zu bewerten sind alle Modelltypen, werden die Ergebnisse zur Grundlage der Modellbildung und Parameterschätzung herangezogen. In dieser Funktion besteht die nicht zu unterschätzende Gefahr des "Modeling

2.4 Lösungsansätze der Wirtschaftsstatistik

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on the basis of model results" (s. RICHTER 1994, HOLUB, TAPPEINER 1997), des weitgehenden Verlustes jedes unmittelbaren Bezugs zur beobachtbaren Wirklichkeit. PESARAN und SMITH (1992) treffen eine - der vorgeschlagenen Typologie in manchem Aspekt ähnliche - Unterscheidung, allerdings nur im Hinblick auf die Eindeutigkeit, der numerischen Genauigkeit ("level of precision") der Beobachtungsergebnisse. Sie messen auf Transaktionen beruhenden Daten die größte Genauigkeit zu, da ihre Genauigkeit durch den Einsatz zusätzlicher Mittel beliebig erhöht werden könne. In einer zweiten, mittleren Gruppe klassifizieren sie vor allem höher verdichtete statistische Konstrukte. Ihre geringere Genauigkeit resultiere einerseits aus den mit jedem Aggregationsvorgang einhergehenden Informationsverlusten, andererseits aus den Imputationen, wie sie etwa in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung vorgenommen werden. Ein dritter Grund sind die durch inadäquate Stichproben bedingten Fehler. Der dritten Gruppe zählen sie Maßzahlen für nicht deskriptiv beobachtbare Phänomene zu. "At the lowest level of precision are the measures of the unobservables which play such a large role in economic theory" (PESARAN, SMITH 1992, S. 5). Modelle des Typs 1 sind in dem Sinne genau, daß sie für jedes Bildungsgesetz eine eindeutige, "genaue" Lösung bieten. Die Möglichkeit der Wahl unterschiedlicher Konzepte, wie etwa verschiedener Indexkonstruktionen, verschiedener Aggregationen und Reihenfolgen der Transformationsschritte schafft aber selbst für Modelle des Typs 1 einen Lösungsraum, aus dem auszuwählen ist. Ergebnisse von Modellen des Typs 2 sind immer wenig eindeutig, weil ihre Ergebnisse nicht nur von der Wahl des Konzepts, sondern auch von den eingesetzten Parametern, etc. bestimmt wird. Im Fall des Subtyps 2b - der Hochrechnung von Stichprobenergebnissen - wird dies unmittelbar evident. Sie werden von der Stichprobengröße (nur diesen Faktor würdigen PESARAN und SMITH) und dem Hochrechnungsmodell determiniert. Ergebnisse von Modellen des Typs 3 sind auch in dem Sinne "unpräzise", als sie sich jeder empirischen Uberprüfung entziehen. Die im vorliegenden Unterabschnitt vorgenommene Typisierung geht über die Differenzierung nach der numerischen Eindeutigkeit wesentlich hinaus. Sie stellt heraus, daß die Ergebnisse der einzelnen Grundtypen, nicht nur unterschiedlich "genau" im Sinne von PESARAN und SMITH sind, sondern verschiedenen Ebenen der Information angehören. Die Zusammenfassung unterschiedlicher Bausteine führt nicht nur zu Inhomogenität, sondern zu uninterpretierbaren Konglomeraten.

50

3.

Ausgewählte Ergebnisse der Wirtschaftsstatistik als Grundlagen der Wirtschaftsforschung

Die vorangegangene grobe Inventur der Lösungsansätze der Wirtschaftsstatistik versuchte herauszuarbeiten, welche Arten von Entscheidungen über Grundkonzepte und Prozesse am Weg von der elementaren Beobachtung zum statistischen Ergebnis und Konstrukt zu treffen sind. Es ging darum darzustellen, welche unterschiedlichen Kategorien von Wissen damit geschaffen werden. Im folgenden Abschnitt sollen die Auswirkungen dieser Lösungsansätze auf die Natur und den Wirklichkeitsbezug statistischer Resultate von großer Bedeutung für die empirische Wirtschaftsforschung näher beleuchtet werden.

3.1

Außenhandelsstatistik

Als eine der ältesten und am intensivst genutzten Beispiele einer Wirtschaftsstatistik im weiteren Sinne hat die Außenhandelsstatistik sowohl die Funktionen der Beobachtung und Beschreibung für die Wirtschaftspolitik, als auch jene der Bereitstellung des empirischen Hintergrundes für die Außenhandelstheorie zu erfüllen. Entsprechung gegenüber den analytischen Zielsetzungen Die Anforderungen, die von analytischer Seite an die Außenhandelsstatistik gestellt werden, sind außerordentlich hoch: Es wird die vollständige Erfassung aller Transaktionen (höchste Repräsentativität) normiert. N u r sehr wenige Waren, wie z.B. Messe- und Ausstellungsgut, Waren zur Verwendung in Katastrophenfällen, sind von der statistischen Erfassung ausgeschlossen.Um für die unterschiedlichsten einzelwirtschaftlichen (z.B. Marktforschung) und volkswirtschaftlichen analytischen Aufgaben Relevanz sicherzustellen, wird Merkmalsfülle und sehr hohe Disaggregierung vorausgesetzt: Neben Wertangaben sollen Mengenangaben in sehr hohem Güterdetail in Kreuzklassifikation mit dem Handelsland, dem Herkunftsland bzw. Bestimmungsland, dem Transportmittel, der Art des Geschäftes, usw. bereitstehen. Die außerordentliche Detailliertheit des Datenkörpers stellt extreme Anforderungen an die Qualität der Elementarbeobachtungen. Die volle Vergleichbarkeit mit den Ergebnissen anderer Länder wird durch idente Grundkonzepte und die Verwendung stark standardisierter Güterklassifikationen ("Harmonisiertes System") sichergestellt. Da die Außenhandelsstatistik auch für die Beobachtung der Konjunktur wichtige Aspekte beisteuert, werden unterjährige Ergebnisse, oft Monatsdaten, mit hoher Aktualität gefordert.

3.1 Außenhandelsstatistik

51

Für die Güterkonten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung liefert die Außenhandelsstatistik ebenso entscheidende empirische Grundlagen wie für die Zahlungsbilanzstatistik. Aus dieser Einbettung in den Systemzusammenhang resultieren zusätzliche Ansprüche an die Außenhandelsstatistik, wie z.B. daß die Bewertung der Transaktionen den Wert der Ware loco Grenze widerzuspiegeln hat (s. SNA 1993, 3.85). Angemessenheit gegenüber der zu beobachtenden Realität Wie sehr Anforderungsprofil und Möglichkeiten auseinanderklaffen, haben die Umstellungen bei der Schaffung einer Außenhandelsstatistik für den europäischen Binnenmarkt (INTRASTAT) gezeigt. Einige dieser Spannungen treffen nur für INTRASTAT zu, andere sind dem Gesamtsystem der Außenhandelsstatistik immanent. Problembereiche sind insbesondere die adäquate Klassifizierung auf der Zeitachse und die mengenmäßige Erfassung. Das betriebliche Informationswesen, auf dessen Informationsvorrat INTRASTAT aufsetzt, liefert insbesondere auf der Bezugsseite kaum verläßliche Mengenangaben. Zudem ist zwischen der Art des Gutes und dem Informationsvorrat über Mengen ein systematischer Zusammenhang zu vermuten. Für transportkostenintensive Rohstoffe werden besser gesicherte Informationen bereit stehen als für hochwertige technische Erzeugnisse, bei denen Transportkosten keine Rolle spielen. Die unterschiedliche empirische Verankerung der Mengenangaben je nach Gut stört Aggregationsvorgänge. Sie gewinnt aber an Dramatik, wenn Verhältniszahlen gebildet werden. Wert/Mengenrelationen für einzelne Güter (unit values) werden als Approximationen für Preisbeobachtungen herangezogen und dienen in der empirischen Wirtschaftsforschung als Indikatoren für den (unbeobachtbaren) Technologiegehalt von Gütern. Die unüberwindbare Spannung zwischen dem analytischen Ziel der homogenen Bewertung aller Güter loco Grenze und der Erhebbarkeit objektivierbarer Informationen (hier zur Transaktionsbewertung bei unterschiedlichen Lieferbedingungen, was Transport- und Versicherungskosten betrifft) zeigt sich auch in der Außenhandelsstatistik deutlich. Werden güterspezifische Schätzungen für die Transportkosten von/bis zur Grenze vorgenommen und diese mit den beobachtbaren Ausgangsdaten zusammengefaßt, wird ein Grauschleier wenig gesicherter Modellkalkulationen über gut beobachtbare, wenn auch unterschiedlich bewertete Daten gelegt. Begrenzungen Die Außenhandelsstatistik - und insbesondere INTRASTAT - führt durch die Pflicht, mindestens monatlich in großem Detail zu melden, zu einer außerordentlichen Belastung der Respondenten und der Statistischen Amter. Um auf die Belastung der kleineren und mittleren Unternehmen Rücksicht zu nehmen, ist nur meldepflichtig, wessen Intrahandelsumsätze über einer gewissen

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3. Wirtschaftsstatistik als Grundlage der Wirtschaftsforschung

Schwelle liegen. Für die kleineren meldepflichtigen Unternehmen gibt es ferner die Möglichkeit, vereinfachte Meldungen abzugeben. Die Schwellenregelungen machen I N T R A S T A T zu einer Stichprobenerhebung in der Form einer Konzentrationsstichprobe.

Begrenzungen - Institutionelle Gegebenheiten Wie extrem die Außenhandelsstatistik an institutionellen Gegebenheiten anknüpft, hat die Schaffung des Europäischen Binnenmarkts veranschaulicht. Es sind zwei Arten des Außenhandels, Extrahandel (Handel mit NichtMitgliedsländern) und Intrahandel (Handel mit Mitgliedsländern) zu unterscheiden. Diesen beiden Arten des Warenhandels korrespondieren wegen der Unterschiede in den institutionellen Voraussetzungen zwei gesonderte statistische Erhebungssysteme, EXTRASTAT und INTRASTAT. Für den Extrahandel bleibt die traditionelle Außenhandelsstatistik weitgehend unverändert. EXTRASTAT ist dem Charakter nach weiterhin eine Verkehrsstatistik und eine Sekundärstatistik. Anknüpfungspunkt ist der Grenzübertritt einer Ware über die EU-Zollgrenze, das ist die Außengrenze der Zollunion. Die Warenströme werden als "Nebenprodukt" eines administrativen Zollverfahrens erfaßt. I N T R A S T A T - der Statistik des Warenverkehrs zwischen Mitgliedstaaten der EU - ist hingegen eine unternehmensbezogene Primärstatistik. Anknüpfungspunkt ist eine umsatzsteuerpflichtige Lieferung bzw. ein umsatzsteuerpflichtiger Erwerb im innergemeinschaftlichen Verkehr. N u r umsatzsteuerpflichtige Unternehmen kommen als Auskunftspflichtige in Betracht. Für Privatpersonen besteht keine Meldepflicht. Trotz dieses grundsätzlich anderen Charakters wird - wieder aus analytischen Vorgaben heraus - Vergleichbarkeit zwischen I N T R A S T A T und der EXTRASTAT angestrebt. Deshalb wird gleiche Periodizität (monatlich) und gleiche Gütergliederung normiert.

Begrenzungen - Internationale Vorgaben Die Außenhandelsstatistik ist eine der schon am längsten durch internationale Normen harmonisierte Statistik, Standardkonzepte wurden schon vom Völkerbund festgelegt. INTRASTAT ist weitgehend durch Europäische Verordnungen geregelt, die bis ins Detail gehen (s.EWG 1991a, EWG 1992a, E W G 1992b, E W G 1992c). Als Gütersystematik ist die "Kombinierte Nomenklatur" K N (EWG 1987) bindend vorgesehen.

Begrenzungen - Kommunikationsprobleme Kommunikationsprobleme treten in der Außenhandelsstatistik besonders bei der Einordnung der Güter in die Systematik der Kombinierten Nomenklatur auf. Diese Nomenklatur ist nach Zollgesichtspunkten gestaltet. Ist der Meldende kein Zollfachmann, können gravierende Umsetzungsprobleme auftreten. Die markanten Änderungen in der Güterstruktur nach der Umstellung vom Zollverfahren auf Meldungen durch die Betriebe werden zu einem nicht geringen Teil diesen Kommunikationsproblemen zugeschrieben.

3.1 Außenhandelsstatistik

53

Lösungsansätze Lösungsansätze - Fundamentalentscheidungen In einigen der zu treffenden Fundamentalentscheidungen weichen die Lösungen von INTRASTAT und EXTRASTAT stark voneinander ab. Die Beobachtungseinheit ist im Falle von EXTRASTAT die einzelne Ware, die dem Zollverfahren unterliegt. Im Falle von INTRASTAT ist das umsatzsteuerpflichtige Unternehmen statistische Einheit. Die Erhebungsmassen sind ebenfalls unterschiedlich abgegrenzt. EXTRASTAT trachtet alle Warentransaktionen über die Grenze abzubilden; die wenigen Ausnahmen sind warenspezifische oder beziehen sich auf die Art des Geschäfts. INTRASTAT strebt ebenfalls Vollständigkeit an, kennt aber ebenfalls warenspezifische Ausnahmen. Die Abgrenzung der Masse der meldepflichtigen Unternehmen erfolgt aber grundsätzlich nach Kriterien des Umsatzsteuerrechts. Lösungsansätze - Prozesse In einer Zollunion erfolgt die zolltechnische Abfertigung bei den Bezügen an der Außengrenze. Wird die Ware anschließend in ein anderes Land des Binnenmarkts verbracht, erscheint der Bezug für dieses Land in INTRASTAT. Es tritt der Effekt ein, daß Waren von außerhalb des Binnenmarkts (z.B. Kaffee) in Ländern wie Osterreich in der Standarddarstellung als Gemeinschaftswaren und als Bezug aus Deutschland oder den Niederlanden erfaßt werden. Für diesen Effekt haben sich Termini wie "Hafeneffekt" oder "Rotterdam-Effekt" (s. z.B. G R A N N E R 1996) eingebürgert. Gelingt für solche Transaktionen die Erfassung des Ursprungslandes, kann eine Umbuchung zum Herkunftsland vorgenommen werden. Die Erfassung des Ursprungslandes stößt aber oft ebenfalls an die Grenzen des Informationsvorrats des Meldepflichtigen. Der Bezieher muß den Ursprung der Ware nicht notwendigerweise kennen. Oft kann der Versender - z.B. ein Großhändler - sogar ein ökonomisches Interesse daran haben, das Ursprungsland nicht offenzulegen. Obwohl für die Analyse der Warenströme gerade in einem Binnenmarkt das Wissen über das Ursprungsland an Bedeutung gewänne, kann der Versuch der Erfassung an der geänderten Wirklichkeit scheitern. Umsatzsteuerdaten des eigenen Landes und jene der Partnerländer liefern die Basis, um für Antwortausfälle und Transaktionen, die wegen der Schwellenregelung nicht erfaßt werden können, Schätzungen vornehmen zu können. Das Ausmaß solcher Imputation ist beachtlich groß (s. z.B. PINSOLITSCH 1997) und differiert vor allem stark nach Warengruppen, Transaktionsrichtung und Partnerländern. Selbst in der endgültigen Aufarbeitung wiesen 1998 in der Österreichischen Außenhandelsstatistik (INTRASTAT und EXTRASTAT) fast 7000 Elemente auf der untersten Darstellungsebene einen Modellgehalt von mehr als 20% auf. Das sind immerhin mehr als 2% aller Elemente. Verzichtet man auf die Differenzierung nach Ländern, sind es nur mehr rund 6 8 0 , aber immerhin 3,5% aller Elemente. Auf der Importseite liegen die Prozentsätze mit

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3. Wirtschaftsstatistik als G r u n d l a g e der W i r t s c h a f t s f o r s c h u n g

so hohen Modellanteilen erwartungsgemäß höher als auf der Exportseite 23 . Zudem ist die Außenhandelsstatistik starken Revisionen ausgesetzt. Selbst auf globaler Ebene können sie ein Ausmaß erreichen, daß die Ergebnisse verschiedener Versionen für die gleiche Berichtsperiode unterschiedliche Botschaften über die Entwicklung des Außenhandels vermitteln. Modellgehalt Die Resultate der Außenhandelstatistik enthalten mehr Modellelemente, als bei so nahe am Erfassungsvorgang liegenden Ergebnissen zu vermuten wäre. Es erfolgen Substitutionen von Merkmalsausprägungen durch Modelle des Typs 2a, oder es liegt im Falle vom Einsatz von Stichprobeninformationen der Modelltyp 2b vor. In dem Merkmal Wert loco Grenze, mit dem die Ergebnisse der Außenhandelsstatistik auch in das System der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung einfließen, werden in der weitaus überwiegenden Zahl der Einzelmeldungen statt Beobachtungen Ergebnisse von Modellen herangezogen24. Konsequenzen für den Wirklichkeitsbezug Selbst für die Ergebnisse einer Statistik, die sehr nahe an den elementaren Erfassungsvorgängen aufsetzt und zu deren Erarbeitung nur sehr wenige Transformationsschritte erforderlich sind, ist keineswegs eine direkte, unmittelbar nachvollziehbare Verankerung in der Wirklichkeit gegeben. Es muß mit Kommunikationsproblemen gerechnet werden, zentrale Merkmalsausprägungen - wie der Wert loco Grenze - sind im Informationsvorrat der Auskunftspflichtigen nicht verfügbar. Die verlangte Differenzierung nach Gütern geht über das Machbare beim Respondenten hinaus. Die durch die Schaffung eines Binnenmarkts ohne Zollgrenzen in Europa kreierte neue Wirklichkeit modifiziert Grundcharakter und Aussagekraft der Außenhandelsstatistik abermals. Die globalen Ergebnisse sind von dieser Änderung in den institutionellen Gegebenheiten weniger betroffen als die Resultate für einzelne Güter und Gütergruppen. Auf dieser Ebene können kaum " Die Auszählung der Darstellungselemente mit einem Modellgehalt von mehr als 20% wurde dankenswerter Weise von Franz G R A N N E R zur Verfügung gestellt. Die Schwelle von 20% wurde gewählt, weil in Osterreich Publikationszellen mit einem so hohen Schätzanteil besonders (kursiv gedruckt) dargestellt werden. 24

Der von EUROSTAT entwickelte elektronische Fragebogen IDEP sieht explizit Hilfsfunktionen vor, die dazu dienen, Merkmale aus anderen Merkmalen abzuleiten. Diese Hilfsfunktionen können von den Meldepflichtigen abgespeichert werden, sodaß es möglich wird, sie bei jeder Meldung routinemäßig einzusetzen. Die eine Hilfsfunktion erlaubt die Errechnung des zentralen Merkmals des statistischen Wertes als Funktion der Eigenmasse, der Besonderen Maßeinheit., des Rechnungsbetrags und/oder freier Variabler. Als Operanden sind alle Grundrechnungsarten zulässig, es können auch Klammerausdrucke verwendet werden. Fixe Formeln können auch zur Errechnung der Eigenmasse aus der Besonderen Maßeinheit eingesetzt werden (s. ÖSTERREICHISCHES STATISTISCHES ZENTRALAMT 1997a). In beiden Fällen werden de facto unbeobachtbare Merkmale aus beobachtbaren Merkmalen generiert.

3.1 Außenhandelsstatistik

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verläßliche Aussagen, was die Vollständigkeit der Erfassung und die Richtigkeit der Zuordnung nach Gütern anbelangt, getroffen werden. Die Masse der meldepflichtigen Unternehmen erfaßt wegen der Exkludierung der Akteure unter der Schwelle nicht alle am Außenhandel beteiligten Akteure. Die Konsequenzen dieser Stichprobeneigenschaft können auf Unternehmensebene beschrieben werden, nicht aber in der Güterdimension, da naturgemäß Informationen darüber fehlen, welche Güter von den Akteuren unter der Schwelle gehandelt werden. Die Ergebnisse in der Güterdimension - und nur sie sind verfügbar - werden damit weitgehend uninterpretierbar. Durch die Setzung der Schwellen ist zwar gewährleistet, daß insgesamt hohe Repräsentation erreicht wird. Für eine einzelne Ware kann bei der Detaillierung nach rund 10000 Waren in der K N nie ausgeschlossen werden, daß die Repräsentation gleich Null ist. Eine Hochrechnung, wie sie etwa in Osterreich vorgenommen wird, schafft einen sehr inhomogenen Datenkörper. Der Anteil deskriptiver Information ist von Ware zu Ware, von Handelsrelation zu Handelsrelation verschieden. Dies gilt für alle Transaktionen, die aus INTRASTAT abgeleitet sind, also für alle Transaktionen im Binnenmarkt. Nach den - an sich durchaus sinnvollen - Umbuchungen von Einfuhrland zu Ursprungsland enthalten auch die ausgewiesenen Importwerte aus Nicht-EU-Staaten in unbekanntem Ausmaß Imputationen. Zusätzlich mindert die Unsicherheit über die Vollständigkeit der Ursprungslandangaben ihre Aussagekraft im Sinne eines deskriptiven Zusammenhangs mit der Wirklichkeit. Ein Importwert aus einem Drittstaat setzt sich aus drei an sich unvergleichbaren Teilaggregaten zusammen: Erstens aus der Summe der in EXTRASTAT für diese Handelsrelation erfaßten Bezüge. Zweitens aus der Summe der in INTRASTAT erfaßten Bezüge mit Angaben über das Ursprungsland. Drittens aus INTRASTAT Imputationen, wobei bei der Hochschätzung für Antwortausfälle und Transaktionen unter der Schwelle alle Merkmale - also auch das Merkmal Ursprungsland - aus der Stichprobe übernommen wird. Da der Anteil dieser drei Ebenen von Information von Einzelergebnis zu Einzelergebnis variiert und unbekannt ist, steht dem Benutzer kein Wissen über den Wirklichkeitsbezug seiner empirischen Ausgangsdaten zur Verfügung. Die einzelnen EU-Staaten begegnen dem Problem der Antwortausfälle und der Unvollständigkeit auch auf durchaus unterschiedliche Weise. Wie einem internen EUROSTAT Dokument zu entnehmen ist, sehen vier Staaten von jeder Zuschätzung ab. Die deutschen und dänischen Ergebnisse enthalten Ergänzungen für Antwortausfälle, aber keine für Transaktionen unter den Schwellen. Andere Staaten, wie Portugal und Finnland, nehmen nur Imputationen für den durch die Schwellenregelungen nicht erfaßten Teil vor, negieren aber Antwortausfälle. Auf europäischer Ebene kommt somit zum unterschiedlichen deskriptiven Gehalt der einzelnen Ergebnisse noch ein hohes Maß an Unvergleichbarkeit hinzu.

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3.2

3. Wirtschaftsstatistik als G r u n d l a g e der W i r t s c h a f t s f o r s c h u n g

Konjunkturstatistik im produzierenden Bereich

Die verschiedenen Konjunkturstatistiken sind sehr intensiv genutzte empirische Grundlagen der Wirtschaftsforschung, die ebenfalls sehr nahe an den elementaren Erfassungsvorgängen liegen. Einige für die Konjunkturforschung wichtige Grundeigenschaften sollen am Beispiel der Konjunkturstatistik im produzierenden Bereich25, wie sie in Österreich seit Beginn 1996 besteht (s. u.a. HAMESEDER 1996), dargestellt werden. Erste und wichtigste Aufgabe der Konjunkturstatistik ist stets die Diagnose der aktuellen Wirtschaftssituation, die Beschreibung der Entwicklung des Aktivitätsniveaus, der "Realentwicklung". Die Darstellung in Zeitreihen (Monatswerte, Quartalswerte) dominiert über den Vergleich im Zeitpunkt. Aus der Beobachtung des aktuellen Aktivitätsniveaus (Produktion, Beschäftigung) sollen zusätzlich Hinweise auf die Entwicklung des Wirtschaftsgeschehens in näherer Zukunft gewonnen werden. Diese Funktion wird einerseits durch Klassifizierung der produzierten Güter nach ihrer Destination, vor allem aber durch den Versuch der Erfassung von Merkmalen (wie Auftragseingänge oder Auftragsbestände) angestrebt, die als vorauseilende Indikatoren gelten. Konjunkturbeobachtung wird nicht zuletzt mit dem Ziel unternommen, aktive Konjunkturpolitik betreiben zu können. U m den gezielten Einsatz wirtschaftspolitischer Mittel zu ermöglichen, muß die Konjunkturdiagnose branchliche Sonderentwicklungen aufzeigen können und in der regionalen Dimension verfügbar sein. Konjunkturstatistiken dienen häufig auch als Instrumente, um Nebenzielen gerecht zu werden. In manchen Ländern - wie in Osterreich - haben sie das Güteraufkommen im Sachgüterbereichen detailliert zu erfassen. Die Zeitreihen des Konjunkturverlaufs stellen eine empirische Grundlage für die Konjunkturtheorie dar. Während sich die Beobachtung sowohl auf die Resultate der Erhebungen selbst, als auch auf abgeleitete Indikatoren stützt, werden zur Theoriebildung fast ausschließlich Indikatoren herangezogen. Die Ergebnisse der Erhebung stellen für diese Funktion nur notwendige Zwischenstufen zur Isolierung der eigentlichen von der Wirtschaftsforschung gewünschten Variablen, wie z.B. der saisonbereinigten zusammengefaßten Entwicklung oder der Abweichungen von der stetigen Entwicklung dar. Für die Theoriebildung, das Testen alternativer Theorien und das Schätzen von Parametern in der empirischen Konjunkturforschung werden ebenfalls fast ausschließlich auf den Ergebnissen der Konjunkturerhebungen aufsetzende Indikatoren herangezogen, die bereits weitere Bearbeitungsschritte (Indexbildung, Bereinigungsverfahren, Anwendung von Filtern) durchlaufen haben.

25 Unter produzierender Bereich werden in den folgenden Abschnitten stets die Wirtschaftsklassen C, D, E und F der N A C E Rev. 1 verstanden.

3.2 Konjunkturstatistik im produzierenden Bereich

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Entsprechung gegenüber den analytischen Zielsetzungen Die Konjunkturbeobachtung und die Konjunkturtheorie konzentrieren sich auf die Entwicklung relativ weniger Variablen. Die folgenden Variablen gelten als "harter Kern" (so z.B. D A N T H I N E , D O N A L D S O N 1993), mit dem das Phänomen Konjunktur ausreichend beschrieben werden kann: Output, Konsum, Investitionen, Kapitalstock, Arbeitsvolumen (Arbeitsstunden) und durchschnittliche Produktivität. Für drei dieser zentralen Variablen (Produktion, Arbeitsvolumen und Produktivität) liefert die Konjunkturstatistik im produzierenden Bereich in Osterreich die Basisdaten, bzw. die Ausgangsdaten für die Berechnung. Zusätzlich informiert sie über Beschäftigung, Verdienste, Auftragsvolumen und Umsatz. Letztlich unüberwindbare Adäquationsprobleme stellen sich schon bei der Erfassung der Produktion. Sie interessiert sowohl in ihrer ökonomischen als in ihrer technischen Ausprägung. Hinter dem analytischen Ziel der Ableitung von Indikatoren für die Produktivität im Sinne eines Effizienzmaßes steht die Vorstellung von Produktion im technisch/naturwissenschaftlichen Verständnis. Produktion ist gegeben, sobald der technische Transformationsvorgang abgeschlossen ist. Es wird als irrelevant gewertet, ob das geschaffene Erzeugnis im Eigentum des Produzenten ist oder nicht. Es wird als ebenso irrelevant eingestuft, ob das Produkt in dieser Form unmittelbar vermarktbar ist oder auf Lager gelegt werden muß. Im Gegensatz dazu kann von ökonomische Produktion erst gesprochen werden, wenn ein Produkt vorliegt, für das Nachfrage besteht. Produktion liegt in einem strengen Sinne erst zu dem Zeitpunkt vor, zu dem das Produkt vermarktbar ist. Ökonomische Produktion ist unabhängig davon, wann der technische Prozeß abgeschlossen wurde, sie ist unabhängig davon, wer die Transformation durchgeführt hat. Mit dem naturwissenschaftlich/technisch geprägten Begriff der Produktivität als Ergiebigkeit des Einsatzes von Mitteln in einem Prozeß konkurriert das ökonomische Paradigma der Schaffung wirtschaftlicher Leistung mit möglichst geringem Mitteleinsatz, wobei der Mitteleinsatz nicht in Mengeneinheiten, sondern als Summe der Kosten aufgefaßt wird. Die Konjunkturstatistik im produzierenden Bereich trachtet diesen konkurrierenden Zielen dadurch gerecht zu werden, daß nicht weniger als fünf Arten von Produktion unterschieden werden. Für jedes Produkt - entsprechend der Güterklassifikation ÖPRODCOM 2 6 (ÖSTERREICHISCHES STATISTISCHES ZENTRALAMT 1996d) - erfolgt die getrennte Erfassung der Eigenproduktion, der abgesetzten Produktion, der durchgeführten Lohnarbeit, der vegebenen Lohnarbeit und - im Falle von Mehrbetriebsunternehmen - die der unternehmensinternen Lieferungen und Leistungen. Aus diesen Bausteinen werden drei unterschiedliche Produktionsgrößen abgeleitet. '' In der Folge nur als ÖPRODCOM zitiert

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3. Wirtschaftsstatistik als G r u n d l a g e der W i r t s c h a f t s f o r s c h u n g

Da das Konzept der ökonomischen Produktion mit dem Produktionskonzept der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung harmoniert, fließen die Ergebnisse über die Produktion nach Gütern in das System der Güterkonten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ein. Die Konjunkturstatistik im produzierenden Bereich liefert unmittelbar die Ausgangsdaten für die Erstellung der MakeMatrix für den produzierenden Bereich. Die Dichotomie zwischen ökonomischem und technisch/naturwissenschaftlichem Verständnis von Produktion betrifft die Frage, ob Produktion gegeben ist, den Umfang der Produktion und den Zeitpunkt, ab dem Produktion vorliegt. Soll die Beschäftigung und das Arbeitsvolumen zur Produktion in Beziehung gesetzt werden, ist eine analoge Differenzierung vorzunehmen. Die Konjunkturbeobachtung und -analyse beschränkt sich in der Produktionssphäre schon lange nicht mehr wie in ihren Anfängen auf wenige Referenzreihen wie die Stahlproduktion oder die Erzeugung von Baustoffen. In ihrem Bestreben um möglichst hohe Repräsentativität gerät sie in Konflikt mit dem analytischen Ziel der Konzentration auf Mengenentwicklungen. Produktionsaktivitäten wie etwa industrienahe Dienstleistungen (z.B. Reparaturen, Montagen, Planungsarbeiten) sind mengenmäßig nicht adäquat zu erfassen. Zur Zusammenfassung der Produktionsentwicklung so heterogener Güter wie Maschinen, Meßinstrumenten, Ziegeln und Garnen kann Aggregation über Mengenentwicklungen nicht genügen. Zur Komprimierung der Information müssen komplexe Indikatoren gebildet werden, deren Ergebnisse maßgeblich von der Wahl der Indexkonstruktion bestimmt werden. Wie hoch das Ziel einer hohen Repräsentation - unabhängig von den Unterschieden in den Erfassungsproblemen - bewertet wird, zeigen die Vorgaben, wie sie explizit in den europäischen Normen der P R O D C O M Verordnung (EWG 1991b) und der Verordnung über die Konjunkturindikatoren niedergelegt sind. Die P R O D C O M Verordnung sieht zwingend vor, daß auf der Ebene des N A C E Rev.l Vierstellers 90% der Produktion erfaßt werden muß. U m diesem Kriterium zu genügen, wurde in Österreich deshalb die Form einer Konzentrationsstichprobe gewählt27. Die gleichen Rechtsgrundlagen sollen auch ein sehr hohes Maß an internationaler Vergleichbarkeit sowohl für die Konjunkturindikatoren als auch für die Erfassung der Produktion gewährleisten. Dieser Stellenwert der Vergleichbarkeit ist weniger durch die Interessen und Anforderungsprofile der empirischen Wirtschaftsforschung bedingt. Den europäischen Institutionen soll ein kohärentes Bild der Konjunktursituation in Europa geboten werden. Im einheitli27

Wie bei vielen Konzentrationsstichproben leidet auch die Konjunkturstatistik unter dem Phänomen der Erosion der Erhebungsmasse, wodurch es zu systematischen Unterschätzungen der Dynamik der Wirtschaftsentwicklung kommt (s. VÖGEL 2000).

3.2 Konjunkturstatistik im produzierenden Bereich

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chen Wirtschafts- und Währungsraum wird den Realindikatoren der kurzfristigen Wirtschaftsentwicklung eine zentrale Funktion zur Formulierung einer gemeinsamen Geldpolitik zugewiesen 28 .

Angemessenheit gegenüber der zu beobachtenden Realität Die Ansprüche, die aus analytischen Gründen gestellt werden, sind in mehrfacher Hinsicht der zu beobachtenden Realität nicht angemessen. Nicht alle Produktionsvorgänge sind in einem Monat abgeschlossen und können eindeutig einer Monatsperiode zugerechnet werden. Nicht alle Produktionsergebnisse können adäquat mengenmäßig erfaßt werden. Würde man die beiden zuletzt genannten Gruppen (z.B. Großmaschinen einerseits und Dienstleistungen andererseits) exkludieren, würde die Vollständigkeit der Erfassung leiden. Die Komplexität der Wirklichkeit zwingt zur Differenzierung nach Produktionsarten. Lohnverarbeitende Betriebe verfügen nicht über Information über den Marktpreis der von ihnen erzeugten Waren. Sie können nur Daten über erzielte Entgelte (Lohngroschen) liefern. Der Merkmalskatalog der Konjunkturstatistik in Osterreich geht ebenso von den Gegebenheiten eines wohl organisierten industriellen Großbetriebs aus, wie die Qualitätsvorgaben und Standards, die in den E U Rechtsnormen niedergelegt sind. Das Streben nach Vollständigkeit zwingt andererseits dazu, viele kleine Einheiten einzubeziehen, für welche die Voraussetzungen im Informationswesen in keiner Weise gegeben sind. Der Zwang, solche Einheiten einzubeziehen, belastet nicht nur diese, sondern schadet der Qualität des gesamten statistischen Systems, denn es werden Informationen unterschiedlicher Aussagekraft und verschiedenen Charakters (Aufzeichnungen versus Schätzungen) zusammengefaßt 29 .

Begrenzungen Die Merkmalsfülle der Konjunkturstatistik und die vergleichsweise große Zahl der Meldepflichtigen stellt an das Statistische A m t außerordentliche Anforderungen. Die Kontrolltätigkeit erfordert sowohl qualitativ wie quantitativ außerordentliche Ressourcen.

Die Umstellung auf ein vereinheitlichtes System in Europa macht die Erreichung des Ziels Vergleichbarkeit in der Zeit illusorisch. Vor die Alternative gestellt, zwischen Vergleichbarkeit in der Zeit und Vergleichbarkeit im Raum zu wählen, mußte auf Grund der EU-Vorgaben die Entscheidung zugunsten der Vergleichbarkeit im Raum fallen. In Osterreich führt diese Harmonisierung zum Ende einer langen Tradition der Konjunkturbeobachtung auf der Grundlage von Indikatoren für die Industrie (s. R I C H T E R 1996). 28

Die Vergleichbarkeit von Daten zwischen - vereinfachend dargestellt - Großbetrieben und Kleinbetrieben ist eine bloß formale. Es werden nicht nur durch das Merkmal Betriebsgröße bedingte Unterschiede einander gegenübergestellt, sondern die Daten spiegeln ebenso die Verschiedenheit der Informationsgrundlagen wider. 29

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3. Wirtschaftsstatistik als Grundlage der Wirtschaftsforschung

Begrenzungen - Institutionelle Gegebenheiten Institutionelle Gegebenheiten tangieren insbesondere die Merkmalsblöcke Beschäftigung und Verdienste. Bei der Beschäftigung und beim Arbeitsvolumen ist die unterschiedliche sozialrechtliche Stellung von Arbeitern und Angestellten zu berücksichtigen, weil sie unterschiedliche Basisinformationen kreiert. Bei der Erfassung der Verdienste sind die Sonderzahlungen und die Abfertigungen gesondert auszuweisen, weil sie Zahlungen ohne unmittelbaren Bezug zum Produktionsprozeß in dem jeweiligen Referenzmonat darstellen.

Begrenzungen - Internationale Vorgaben Vor der Schaffung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft war die Konjunkturstatistik kaum durch internationale Vorgaben harmonisiert. Die EU hingegen normiert sowohl die Erstellung von Konjunkturindikatoren (s. EG 1998a) als auch die Erfassung der Güterproduktion.

Begrenzungen - Kommunikationsprobleme Kommunikationsprobleme zwischen den Statistikern und den Meldenden sind besonders mit Bezug auf die verschiedenen Produktionskonzepte zu erwarten. Die richtige Einordnung der Güter in die Produktionsnomenklatur mit ihrer am Zolltarif ausgerichteten Struktur schafft ebenfalls erhebliche Probleme.

Lösungsansätze Lösungsansätze - Fundamentalentscheidungen Die angestrebte Merkmalsvielfalt schließt eine Erhebung aller Ausprägungen auf der Ebene einer einzigen statistischen Einheit aus. Konsequenterweise sieht die Konjunkturstatistik im produzierenden Bereich Erhebungen sowohl auf der Unternehmensebene als auch auf der Ebene des Betriebs (im Sinne der Einheitenverordnung (EWG 1993a) kind of activity unit) vor. Die einzelnen Merkmale, die im Rahmen der Konjunkturstatistik beobachtet werden, sind jeweils bestimmten Einheiten zugeordnet.

Lösungsansätze - Prozesse Die eindeutige Identifikation der Unternehmen ist ohne Schwierigkeiten möglich, weil Unternehmen als juristisch definierte Einheiten scharf faßbar sind. Für den Betrieb im Sinne der Vorgaben der Einheitenverordnung (EWG 1993a) sind zwei Kriterien konstituierend. Einerseits Homogenität in bezug auf die Tätigkeit in der Abgrenzung einer Ö N A C E 1995 Abteilung, andererseits regionale Homogenität. Zum in der Wirklichkeit begründeten begrenzenden Faktor wird die Verfügbarkeit von genügend Unterlagen, um dem Merkmalskatalog einigermaßen gerecht werden zu können. Wegen der Einbindung der Ergebnisse in die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung sind für die Konjunkturstatistik und die Strukturerhebungen (s. Abschnitt 3.3) idente Einheiten zu wählen. Es sollte bei diesen Einheiten also nicht

3.2 K o n j u n k t u r s t a t i s t i k im p r o d u z i e r e n d e n Bereich

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nur der Merkmalskatalog der Konjunkturstatistik, sondern auch jener der Strukturerhebungen beobachtbar sein. Im Regelfall sind die Anforderungen an das Informationssystem in der stark auf das kaufmännische Rechnungswesen ausgerichteten Strukturerhebung höher als in der produktionsorientierten Konjunkturstatistik. Die wegen des Systemaspekts angestrebte Identifizierung größerer Einheiten in der Konjunkturstatistik geht notwendigerweise zu Lasten der optimalen Beobachtungseinheit der Konjunkturstatistik. Der Gestaltungsspielraum zur Erzielung maximaler Homogenität wird nicht ausgeschöpft 30 . Die Erfassungsvorgänge können für einige Merkmalsgruppen wie Beschäftigung und Verdienste auf betriebliche Aufzeichnungen zurückgreifen, die durch institutionelle Vorgaben wie das Sozialversicherungsrecht oder die Steuergesetzgebung sehr standardisiert sind und die - zumindest potentiell - einer strengen Kontrolle unterliegen. Für andere Merkmalsgruppen wie die Auftragsbestände oder die mengenmäßige Produktion nach Gütern bestehen solche Vorgaben nicht. Die Verknüpfung verschiedener Merkmale, wie sie z.B. zur Ableitung von Konjunkturindikatoren vorgenommen wird, kombiniert immer Informationen unterschiedlicher Konzeptstreue und unterschiedlicher Kontrollintensität. Bevor ausgefüllte Erhebungsunterlagen vorliegen, sind zahlreiche Klassifizierungsschritte erforderlich. Die Beschäftigten sind nach ihrer sozialen Stellung und ihrem Geschlecht zu klassifizieren, die Aufträge nach ihrer regionalen Herkunft, die bezahlten Stunden nach geleisteten Stunden und Ausfallstunden^, die erzeugten Güter nach der Erhebungsnomenklatur Ö P R O D C O M . Der starke Druck, aktuelle Daten liefern zu müssen, führt zur Notwendigkeit, zum Stichtag fehlende Meldungen durch Schätzungen (Prognose-Modelle des Typs 2d) zu substituieren. 1998 mußten in Osterreich im Jahresdurchschnitt für die im Mittelpunkt des Interesses der Forschung und der Politik stehenden ersten Ergebnisse rund 5% der Meldungen imputiert werden, das Imputationsmodell hat eine Reihe gravierender Implikationen 32 . Wie eine Untersuchung für 1997 30

Einen kleinen Einblick über die Größenordnungen möglicher Verfeinerungen durch die Wahl kleinerer, dem analytischen Ziel adäquaterer Einheiten gibt die Situation in Osterreich bis zum Jahr 1994. Im Bereich der nach institutionellen Kriterien abgegrenzten Industrie wurden für die Strukturerhebung 7366 Betriebe (davon 638 Zentralbüros), für den vergleichbaren Erhebungskreis der unterjährigen Konjunkturstatistik (welche einen der Konjunkturstatistik im Produzierenden Bereich weitestgehend vergleichbaren Merkmalskatalog aufwies), aber 8122 Einheiten (davon 650 Zentralbüros) identifiziert. 31

Der richtigen Klassifizierung nach geleisteten Stunden und Ausfallstunden sind in den Erläuterungen allein 52 Zeilen Text gewidmet, was die Schwierigkeit der richtigen Zuordnung ausreichend illustriert.

32 Das in Osterreich übliche Verfahren ersetzt eine für die Berichtsperiode t fehlende Meldung durch die letzte verfügbare Meldung t-n der identen Meldeeinheit. Diese Imputationsmethode hat eine Reihe von Implikationen. Hinkt ein Respondent mit seiner Meldung systematisch nach, erfolgt eine Verschiebung um eine oder mehrere Referenzperioden, es wird in weiterer Folge über Werte für unterschiedliche Berichtsperioden aggregiert. Für Betriebe, welche ihre Aktivitäten eingestellt haben, können unter Umständen noch fälschlicherweise - Produktionswerte eingesetzt werden. Für neu gegründete Einheiten muß dieser Ansatz ins Leere greifen, es fehlen ja Meldungen für Vorperioden (s. VÖGEL 2000).

62

3. Wirtschaftsstatistik als Grundlage der Wirtschaftsforschung

ergab, differierten die endgültigen Ergebnisse für die Monatswerte der abgesetzten Produktion insgesamt nur um durchschnittlich 0,5% von denen der ersten Aufarbeitung unter Einbeziehung von Imputationen. F ü r einzelne Wirtschaftsbereiche waren allerdings deutlich höhere Abweichungen zu beobachten, für einzelne Monate sogar über 10%. F ü r einzelne Güter waren diese Schätzfehler des Imputationsmodells noch sehr viel ausgeprägter, was die Eignung solcher erster Ergebnisse als Basis für die Berechnung von Produktionsindizes kritisch erscheinen läßt (s. V Ö G E L 2000). Das gewählte Imputationsmodell hat in jedem Fall eine stabilisierende Wirkung. Das frühzeitige Erkennen von Aufund Abschwüngen und die Identifizierung von Wendepunkten wird erschwert.

Exkurs: Produktionsindex der Industrie Österreich Z u r Erfüllung der Aufgabe der Konjunkturdiagnose sind primär zusammenfassende Aussagen über die Realentwicklung gefordert. D a sich eine direkte Aggregation einerseits wegen der unterschiedlichen Maßeinheiten, andererseits wegen des unterschiedlichen ö k o n o m i s c h e n Stellenwerts gleicher Maßeinheiten (kg Schotter versus kg geschliffene optische Linsen) ausschließt, werden Produktionsindizes geschaffen, die eine Kondensierung der I n f o r m a t i o n zu besorgen haben. D i e v o m Ö S T E R R E I C H I S C H E N S T A T I S T I S C H E N Z E N T R A L A M T gewählte Met h o d i k zur Erstellung eines Produktionsindex für die Industrie (s. STATISTISCHES ZENTRALAMT

ÖSTERREICHISCHES

1988, 1993) folgt den international üblichen Verfahren

(auch die V e r o r d n u n g der E G über Konjunkturstatistiken

( E G 1998a) sieht einen solchen

A n s a t z vor) und k a n n damit gut zur Diskussion der P r o b l e m a t i k herangezogen werden. E i n Wertschöpfungsgerüst der ihrer Aktivität nach klassifizierten Einheiten des Basisjahres wird mit H i l f e v o n Mengenentwicklungen der von den Einheiten erzeugten P r o d u k t e n fortgeschrieben. D a s Gewichtungsschema wird für die Gesamtperiode als fix gesetzt, es handelt sich also um einen Laspeyres-Index. D i e für die Fortschreibung notwendige Z u o r d n u n g von W a r e n zu institutionell abgegrenzten Aggregaten geht einerseits von der H y p o t h e s e aus, daß alle charakteristischen G ü t e r einer Aktivität mit der gleichen P r o d u k t i o n s f u n k t i o n erzeugt werden. Zusätzlich wird - t r o t z massiver gegenteiliger empirischer Evidenz - von der A n n a h m e der ausschließlich charakteristischen P r o d u k t i o n ausgegangen. D a nicht Brutto-, sondern

Nettoge-

wichte verwendet werden, erfolgt zusätzlich implizit eine Zurechnung der Vorleistungen zu Produkten11.

33 Für Österreich liegt Evidenz vor, daß die institutionell definierte Wertschöpfung der einzelnen Aktivitäten - wie sie für die Gestaltung des Gewichtungsschemas herangezogen wird - deutlich vom mit Hilfe des statischen offenen LEONTIEF-Modells kalkulierten Wertschöpfungsgehalt der symmetrischen Gütergruppen abweicht (s. R I C H T E R 1988): Vergleicht man die mit Hilfe der Hypothese der Gütertechnologie errechnete Wertschöpfung nach Gütergruppen mit der institutionellen Wertschöpfung auf der Ebene von 114 Aktivitäten/Gütergruppen (¡ene Aggregationsebene, die in Osterreich für die Indexgewichtung herangezogen wurde), ergeben sich in nicht weniger als 75 dieser Gruppen Abweichungen von mehr als 5%, in 36 Gruppen übersteigen die Abweichungen 10%, in 24 Gruppen 20%, in nicht weniger als 8 Gruppen 50%! Besonders stark sind die Abweichungen im sehr konjunkturreagiblen Metallbereich, wie z.B. bei der Erzeugung von Kraftmaschinen, Pumpen und Kompressoren mit einem Unterschied von 73%. Da die den Sachgütern insgesamt zugerechnete Wertschöpfung nur um 3% unter der institutionellen Wertschöpfung des Sachgüterbereichs liegt, ist unmittelbar ablesbar, daß es sich vor allem um Vertragungen zwischen den Teilaggregaten handelt. Der Einfluß auf die Anteile und damit das Gewichtimgsschema des Index ist somit noch größer, als es die isoliert gesehenen Prozentabweichungen suggerieren. Berechnungen auf der Basis der Gütertechnologieannahme liefern keine unproblematische, "richtige" Referenzlösimg. Die Gegenüberstellung soll nur zeigen, wie empfindlich die Ergebnisse für die Wertschöpfung - und damit für das Gewichtungsschema gegenüber Modifikationen in der Basisannahme sind.

3.2 Konjunkturstatistik im produzierenden Bereich

63

Neben der notwendigerweisen Un-Eindeutigkeit der Wahl des Gewichtungsschemas stellen jene Güter, die sich einer mengenmäßigen Erfassung entziehen, eine weitere grundlegende Einschränkung jedes Produktionsindex dar. Die involvierten Größenordnungen sind nicht unbedeutend. Von den über 2000 Produkten, auf denen der Index der Industrieproduktion 1990 = 100 in Osterreich aufbaute, waren auch 145 industrielle Dienstleistungen wie Repara-turen oder Montagen. H i e r wurde von Wertreihen, die preisbereinigt wurden, ausgegangen. Die Deflationierung erfolgt auf der Grundlage von Teilindizes des Verbraucherpreisindex, des Großhandelspreisindex, aber auch auf der Grundlage des Tariflohnindex. Der Tariflohnindex wird herangezogen, weil die Lohnkomponente die Preise sehr arbeitsintensiver Dienstleistungen wesentlich beeinflußt. Eine zweite preisbestimmende - und damit zu eliminierende - G r ö ß e ist die Entwicklung der Arbeitsproduktivität. Es werden in solchen Konstruktionen konsequenterweise Hypothesen für die Entwicklung der Arbeitsproduktivität gesetzt. Die Realentwicklung einer Dienstleistung, wie sie in den Index eingeht, wird als Funktion der wertmäßigen Entwicklung, der Entwicklung der Lohnkosten und der Arbeitsproduktivität kalkuliert. Auf die industriellen Dienstleistungen zu verzichten, hieße die Repräsentativität des Index mindern. Die industriellen Dienstleistungen entwickeln sich zudem sehr dynamisch. Die Implikationen für die Wirtschaftsforschung sind wieder sehr unterschiedlich, je nachdem, ob das Ergebnis zur isolierten ex-post Beobachtung verwendet oder ob es, verknüpft mit anderen Variablen, als Grundlage für Analysen dienen soll. Die Problematik im zweiten Fall soll an einem Beispiel der Berechnung von Kennzahlen der Beschäftigtenproduktivität demonstriert werden. Gleichung (1) zeigt die Veränderung der isoliert betrachteten Arbeitsproduktivität als Relation zwischen der Veränderung der realen Produktion - gemessen durch den Produktionsindex - und der Veränderung der Zahl der unselbständig Beschäftigten. Diese Formulierung setzt die a priori Vorstellung adäquat um.

Σ1

Woi

woi Ρ', Pro

-

b,

(1)

bo

pr t pr 0 q„ q oi w0,

Index der Beschäftigtenproduktivität Periode t Index der Beschäftigtenproduktivität Periode o Produzierte Menge des Gutes i in der Periode t Produzierte Menge des Gutes i in der Basisperiode o Indexgewicht des Gutes i in der Basisperiode o

b, b0

Zahl der unselbständig Beschäftigten in der Periode t Zahl der unselbständig Beschäftigten in der Basisperiode o

D a nicht für alle Güter i die mengenmäßige Produktionsentwicklung beobachtbar ist, ist Gleichung (1) in Gleichung (2) zu erweitern.

64

3. Wirtschaftsstatistik als Grundlage der Wirtschaftsforschung

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Dabei gilt i = /* u /** u i

D e r erste Subterm entspricht vollinhaltlich Gleichung (1), wobei gilt: qt¡< qoi