Karl Marx Das Kapital ; eine Einführung [3., überarb. Aufl] 9783825240493, 3825240495

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German Pages 266 Seiten 2 schw.-w. Tabellen 185 x 120 mm [266] Year 2014

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Karl Marx Das Kapital ; eine Einführung [3., überarb. Aufl]
 9783825240493, 3825240495

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Michael Berger

Karl Marx: Das Kapital Eine Einführung 3., überarbeitete Auflage

Fink Verlag

Der Autor: Michael Berger, geb. 1937, Studium der Theologie, Politik und Geschichte. 1963-2000 Akademischer Rat am Historischen Seminar der Universität Freiburg. Mitbegründer und langjähriger Aufsichtsrat der Ökobank.

Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National-bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

3., überarbeitete Auflage 2013 © 2003 Wilhelm Fink, München (Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn) Internet: www.fink.de Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Herstellung: Ferdinand Schöningh, Paderborn UTB-Band-Nr.: 2456 ISBN 978-3-8252-4049-3

Inhalt VORBEMERKUNG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I.

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Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. 2. 3. 4.

Karl Marx (1818-1883) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Materialistische Geschichtsauffassung . . . . . . . . Das Vorbild der Klassik: David Ricardo. . . . . . . . . . . Politische Ziele des Kapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Karl Marx, Das Kapital. Kritik der Politischen Ökonomie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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ÜBERSICHT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1.

Vergesellschaftung durch private Arbeit. . . . . . . . . . . 1. 1. Die Ware und ihr Wert MEW 23, 49-55 . . . . . . . 1. 2. Die Wertform MEW 23, 56-84 . . . . . . . . . . . . . . 1. 3. Die Bewusstseinsform: Der Fetischcharakter der Ware MEW 23, 85-98. . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kapital und Lohnarbeit: Die Ausbeutung. . . . . . . . . .

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ÜBERSICHT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. 1. Elemente und Struktur des Warentauschs MEW 23, 99-102 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. 2. Die Funktion des Geldes MEW 23, 102-160 . . . 2. 3. Der Unterschied von Geld und Kapital MEW 23,161-169 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. 4. Die Entstehung des Mehrwerts aus Arbeit MEW 23,170-232 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. 5. Die Produktion des Mehrwerts im Rahmen des Normalarbeitstags MEW 23,233-331 . . . . . 2. 6. Die Produktion des Mehrwerts durch technische Verbesserungen MEW 23, 331-530 . . . . . . . . . . 2. 7. Natur, Lohnarbeit und Wertproduktion MEW 23, 531-588 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2.

50

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6

Inhalt

3.

Das Kapitalistische System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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ÜBERSICHT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 1. Voraussetzungen des Wirtschaftswachstum MEW 23, 589-601 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 2. Technischer Fortschritt, Arbeitslosigkeit und Lohnhöhe MEW 23, 640-675 . . . . . . . . . . . . . . . 3. 3. Geschichte und Zukunft des Kapitalismus MEW 23, 741-791 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 4. Der Geld -und Warenkreislauf Das KAPITAL 2. Band MEW 24, 31-430. . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 5. Die Auswirkung der Konkurrenz Das KAPITAL 3. Band MEW 25, 33-209. . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 6. Kapitalismus und Krise MEW 25, 223-242 . . . . 3. 7. Das Handelskapital MEW 25, 278-349 . . . . . . . 3. 8. Das zinstragende Kapital MEW 25, 350-450. . . 3. 9. Der Kredit MEW 25, 451-626 . . . . . . . . . . . . . . 3. 10. Die Grundrente MEW 25, 627-821 . . . . . . . . . 3. 11. Zusammenfassung: Wert als soziale Struktur MEW 25, 822-919 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Fünf Generationen danach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. 2.

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Marx und die soziologogische Forschung . . . . . . . . . Nationalökomische Theorie und Marxian Economics . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marxismus und Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kurzbiographien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dank. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Werkausgaben Marx Engels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nachschlagewerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zitierte Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3.

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Vorbemerkung Das Wissen über den Menschen wurde durch die Forschungen von Marx, Darwin und Freud grundlegend verändert. Marx zeigte, dass menschliches Verhalten weitgehend gesellschaftlich bestimmt ist. Darwin erforschte den Zusammenhang des Menschen mit dem Tier und Freud bewies, dass scheinbar autonome und bewusste Entscheidungen von unbewussten und unkontrollierbaren Motiven gelenkt werden. Diese Erkenntnisse sind heutzutage Allgemeingut. Während die Namen Darwin und Freud wenig öffentliche Emotionen wecken, ist die Erwähnung von Marx häufig noch Anlass schlecht informierter Polemik. Die Geschichte sozialistischer Gesellschaften gilt als Beweis seiner Irrtümer. Darwin und Freud genießen in ihren Fachwissenschaften hohes Ansehen, Marx ist umstritten. Sein Hauptwerk, Das Kapital, wird oft erwähnt, aber wenig gelesen. Das liegt nicht nur am Umfang von rund 4000 Seiten. Seine Schriften benutzen philosophische Begriffe, die heute weitgehend unbekannt sind, seine Sprache und Grammatik gehören deutlich dem 19. Jahrhundert an, die Bedeutung ökonomischer Begriffe hat sich verändert. Ohne Erläuterung ist vieles schwer verständlich. Diese Einführung ging aus Lehrveranstaltungen an der Universität Freiburg hervor und richtet sich an Leserinnen und Leser, die sich erstmalig mit Marx befassen. Einleitend werden nach biographischen Angaben die Marx leitende materialistische Geschichtsauffassung sowie die für Marx vorbildliche ökonomische Theorie David Ricardos vorgestellt und die politischen Ziele des Kapital erläutert. Im Hauptteil folgen ausgewählte Texte aus den drei Bänden des Kapital in der Reihenfolge des Originals, die jeweils kommentiert werden. Entsprechend dem Aufbau des Werkes werden drei Themen behandelt: 1. Die Besonderheiten kapitalistischer Vergesellschaftung, 2. der Ursprung des Kapitals aus der Lohnarbeit und 3. die Merkmale der kapitalistischen Entwicklung. Die Texte folgen der Fassung in der MEW (Marx Engels Werke). Die Anmerkungen wurden nicht übernommen. Es empfiehlt sich daher, die Bände der MEW parallel zu benutzen. Die Seitenangaben stehen in Klammern, der Seitenwechsel wird durch Doppelstriche (//) kenntlich gemacht. Ein Glossar, Informationen über die im Text erwähnten Personen, Nachschlagewerke und die zitierte Literatur finden sich im An-

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Vorbemerkung

hang. Der Text der MEW wurde mit orientierenden Zwischenüberschriften versehen und alle Auslassungen durch eine Schere (✂) gekennzeichnet. Die Kommentierung der Texte geht nur ausnahmsweise auf die vielfältigen und oft sehr speziellen Auslegungen von Marx ein (Elbe 2010) und fragt nicht, was hat Marx „wirklich“ gemeint, sondern wie Texte von Marx heute diskutierbar sind. Das Buch erscheint nun in der dritten Auflage. Neben einigen stilistischen Korrekturen und Berücksichtigung der seit 2004 erschienenen Literatur wird der Unterschied der Wirtschaftstheorie und der Gesellschaftstheorie von Marx genauer dargestellt. In seiner Wirtschaftstheorie will Marx die Mängel der der Klassischen Ökonomie korrigieren, hält aber trotz seiner erkennbaren Zweifel am Muster der Arbeitsmengenlehre Ricardos fest. Alle Einwände gegen die „objektive Wertlehre“ der Klassischen Wirtschaftstheorie gelten auch gegen Marx. Für die heutige Weltwirtschaft hat das Kapital nur noch eingeschränkten Erklärungswert. Anders seine Gesellschaftstheorie. Die gegenwärtige Wirtschaftssoziologie ist zwar angesichts des inzwischen hinzugekommenen Tatsachenmaterials differenzierter, bestätigt aber die Richtigkeit seiner Analyse der Struktur der kapitalistischen Gesellschaft.

I. Grundlagen 1. Karl Marx (1818-1883) Als 1867 der erste Band des Kapital erschien, war Marx 49 Jahre alt. Das Buch war das Ergebnis Jahrzehnte langer Studien sowie persönlicher und politischer Erfahrungen. Marx lebte seit 1849 in London im Exil, wohin er nach dem Scheitern der Revolution 1848 in Deutschland geflohen war. Seine systematische Beschäftigung mit ökonomischen Fragen begann während seines Aufenthaltes in Paris 1843. Dort lernte Marx auch eine Reihe französischer Frühsozialisten persönlich kennen. Er las die englischen Nationalökonomen in französischer Übersetzung: unter anderem Smith, Ricardo und J. St. Mill. Nach seiner Ausweisung 1845 begann in Brüssel die bleibende Freundschaft mit Engels, den er schon kurz in Paris kennengelernt hatte. (Sperber 2013, 146 f) Eine gemeinsame sechswöchige Studienreise nach England 1845 und das intensive Studium der zeitgenössischen Politischen Ökonomie, sowie der Technik-Bank- und Handelsgeschichte vertieften seine Kenntnisse. In London besuchte er fast täglich die Bibliothek des Britischen Museums und exzerpierte alle wichtigen zeitgenössischen ökonomischen Schriften (Schumpeter 1942, 43). Die Kritik der Begriffsbildung der Politischen Ökonomie beschäftigte Marx lebenslang. Theoretische Basis war die Auseinandersetzung mit der Hegelschen Philosophie. Während seines Studiums in Berlin gehörte Marx einem Doktorclub der Junghegelianer an (Eßbach 1988). Ihr zentrales Thema war die historische Bibelkritik und die Philosophie des Selbstbewusstseins der drei antiken Philosophenschulen, der Skeptiker, Epikuräer und Stoiker. Diese galten als die „Aufklärer“ der Antike. Aus diesem Themenkreis hatte Marx 1841 über den Unterschied der Naturphilosophie von Demokrit und Epikur promoviert (MEW Ergbd. I, 257-373). In Paris entstanden Die philosophisch-ökonomischen Manuskripte (1844 MEW Ergbd. I , 465-590), in der die Methode der Kritik in Grundzügen ausgearbeitet war. Aber erst in der Zusammenarbeit mit Engels in Brüssel löste sich Marx von den Junghegelianern. In zwei Arbeiten: Die Heilige Familie (1844/45, MEW 2, 3- 224), und Die Deutsche Ideologie (1846, MEW 3, 9-532)

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Grundlagen

wurde die materialistische Geschichtsauffassung entworfen. Das im Auftrag des Bundes der Kommunisten im Januar 1848 entstandene Manifest der Kommunistischen Partei (MEW 4, 459-493) war das erste Ergebnis der neuen kritischen Theorie. Die politischen Erfahrungen von Marx waren durch seine Tätigkeit als Journalist und seine Aktivitäten in der frühen Arbeiterbewegung geprägt. Als Chefredakteur der Rheinischen Zeitung 1842-43, und als Herausgeber der Neuen Rheinischen Zeitung 1848-1849 vertrat er radikalliberale Positionen. In Paris lernte er durch J. Proudhon und Moses Hess das frühsozialistische Gedankengut kennen, das er sehr kritisch beurteilte. In London versuchte Marx die Neue Rheinische Zeitung als Monatsschrift herauszugeben, die aber nur in wenigen Lieferungen erschien. Mit rückhaltloser Klarheit zog Marx die Schlussfolgerungen aus der gescheiterten Revolution. Wie die Wirtschaftskrise Auslöser der Revolution gewesen sei, so habe die einsetzende Prosperität seit 1849 sie zum Scheitern gebracht. Noch 15 bis 50 Jahre Bürgerkrieg und Völkerkämpfe seien vor einer Revolution notwendig. Diese Nüchternheit führte zu seiner Isolation innerhalb der Flüchtlingsbewegung in London. Von 1851-1862 verfasste Marx einige hundert Artikel über soziale und wirtschaftliche Fragen für die New York Daily Tribune und schrieb für wenige europäische Zeitungen. Zahlreiche Artikel gingen als Material in das Kapital ein. Die politische Praxis von Marx war immer von heftigen Auseinandersetzungen begleitet, nicht nur mit den Arbeiterverbrüderungen, sondern auch mit Fraktionen des Kölner Arbeitervereins während der Revolution 1848. Das setzte sich in London fort, selbst in der Ersten Internationale, die Ende September 1864 in London gegründet worden war. Sie verdankte ihr Entstehen der Initiative englischer und französischer Arbeiter. Marx war eines der 32 Mitglieder des Komitees und Leiter des Generalrats. Er schrieb die Inauguraladresse, das Programm der ersten Internationale, (MEW 16, 5 ff), verfasste Manifeste und Resolutionen und viele Briefe. In der Schrift Der Bürgerkrieg in Frankreich, (MEW 17, 321 ff) analysierte Marx den Kommuneaufstand von März bis Mai 1871. Kämpferisch deutete Marx die Kommune als Diktatur des Proletariats, die kurz die Möglichkeit einer klassenlosen Gesellschaft gezeigt habe. Das entsprach seinen nie ganz aufgegebenen Hoffnungen auf eine Revolution der Arbeiter. Lenin griff die Mythologisierung des Kommuneaufstandes auf und erhob sie zum Rang einer Marxschen Staatslehre. Eine wesentlich nüchterne Sicht entwickelte Marx in seiner Kritik des Gothaer Programms der deutschen Sozialdemokratie 1875 (MEW 19, 11 ff)

2. Die Materialistische Geschichtsauffassung

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Das Leben von Marx entsprach nur wenig seiner bürgerlichen Herkunft aus einer Advokatenfamilie in Trier. Aus Geldnot hatte er erst nach neunjähriger Verlobungszeit im Juni 1843 die Nachbarstochter Jenny von Westphalen heiraten können. Lange Zeit war er auf Gönner und Zuwendungen des Elternhauses angewiesen. Auf eigenen Wunsch wurde er 1845 staatenlos. Eine Teilauszahlung seines Erbes ging mit der Finanzierung der Neuen Rheinischen Zeitung 1848 verloren. Vor allem das Leben in London war von krasser Geldnot geprägt, die von Engels durch ständige Zuwendungen gemildert wurde. Die inzwischen sechsköpfige Familie bewohnte zwei Zimmer, für die unmittelbaren Lebensbedürfnisse musste er öfter den Hausrat verpfänden. Hinzu kamen Krankheiten, seine Ernährung war ungesund, er rauchte und trank. Marx war oft ungeduldig, jähzornig und unzufrieden, seine Stimmung unausgeglichen. Seine Polemiken stecken voller Beleidigungen und sind oftmals grob. Männer hielt er für die bessere Hälfte der Bevölkerung. Seine Briefe sind voll von abwertenden Bemerkungen über Frauen. (Beetz 1989). Klagen über das Familienleben, das seine Arbeit behindere, füllen seine Briefe. Für seine Töchter, die in neurotischer Liebe an ihm hingen, war Marx ein patriarchalisch autoritärer Vater (Goch, 1988). Mit seiner Haushälterin Helene Demuth hatte Marx einen Sohn, den er lebenslang verleugnete. (Sperber 2013, 268 f) Ab Januar 1869 erhielt er von Engels eine Jahresrente, aber Haushalten war nicht Marx’ Stärke, Geld und kleine Erbschaften zerrannen ihm schnell unter den Händen. Nachdem 1867 der erste Band des Kapital erschienen war, bearbeitete er die riesige Menge von Manuskripten, Exzerpten und Vorstudien für die weiteren geplanten Bände nicht mehr weiter, sondern fügte ihnen umfangreiche Auszüge über Chemie, Geologie, Bank- und Geldfragen hinzu. Langsam wurde Marx auch in wissenschaftlichen Kreisen bekannt, es erschien eine zweite Auflage des Kapital 1873 sowie eine französische und russische Übersetzung. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich zunehmend. 1882 machte er Erholungsaufenthalte in Frankreich, Algier und der Schweiz und starb überraschend am 14. März 1883 im Alter von 64 Jahren.

2. Die Materialistische Geschichtsauffassung Marx verwendet im Kapital sehr unterschiedliche Methoden der Darstellung. Die allgemeine Grundlage ist jedoch seine Geschichtsauffassung. Ihr Ursprung liegt in der Religionskritik der Junghegelianer, die

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Grundlagen

das religiöse Bewusstsein als Schulfall für die Verkennung historischer Ursachen ansahen. In einem kurzen, sehr lesenswerten Text fasste Marx 1844 die Diskussion zusammen (MEW 1, 378-379). Religion ist soziologisch zu erklären. Der Mensch macht die Religion. Sie ist, wie Ludwig Feuerbach (1841) gezeigt hatte, eine Projektion der irdischen Verhältnisse in den Himmel. Als illusorischer Trost über das irdische Elend kann sie auch als Protest gegen diese Zustände entziffert werden. Nach der philosophischen Kritik ist es Aufgabe der Geschichte, d. h. der gesellschaftlichen Praxis, die falschen Tröstungen der Religion durch ein besseres Diesseits überflüssig zu machen (Eßbach 1995) Das Muster, Bewusstseinsinhalte auf die materielle Produktion und Reproduktion des Lebens zurückzuführen, wurde von Marx und Engels in einem umfangreichen gemeinsamen Manuskript 1845/46 erarbeitet. Die Deutsche Ideologie fand keinen Verleger und wurde erst 1932 vollständig publiziert (Heinrich 1999 b, 130). Das Manuskript diente ihnen zur Selbstverständigung über eine Neuorientierung ihrer Gesellschaftstheorie. Die wichtigsten Aussagen können auf wenigen Seiten nachgelesen werden (MEW 3, 20-36). In seinen früheren Arbeiten gründete die Kritik von Marx an den gesellschaftlichen Verhältnissen noch auf einer philosophischen Wesensbestimmung des Menschen. In der Auseinandersetzung mit dem Materialismus Feuerbachs und dem Nominalismus Stirners kamen Marx und Engels zu der Überzeugung, dass jede Wesensbestimmung des Menschen selbst schon Resultat historisch gesellschaftlicher Prozesse sei. Abstrakte, scheinbar überzeitlich gültige Wesensbestimmungen müssten zugunsten historischer Erklärungen aufgegeben werden. Dazu sollte eine allgemeine Theorie des Geschichtsverlaufs dienen, die Engels 1892 rückblickend als „Historischen Materialismus“ bezeichnete. Gebräuchlicher blieb der Ausdruck materialistische Geschichtsauffassung.

Grundzüge der Theorie Alle historischen Strukturen, Ereignisse oder Gedanken müssen aus der materiellen Produktion des Lebens empirisch erklärt werden. Diese prägt sowohl die sinnliche Wahrnehmung als auch die gedankliche Verarbeitung der Realität. Wahrnehmungsweisen aus vergangenen Produktionsformen können noch wirksam bleiben wie z. B. die Religion. Die vorherrschenden Sichtweisen von Natur und Gesellschaft sind Ausdruck der jeweiligen Herrschaftsverhältnisse. „Die Klasse, welche die

2. Die Materialistische Geschichtsauffassung

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herrschende Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht.“ (MEW 3, S.46) Der Geschichtsverlauf ist durch Arbeit, die Auseinandersetzung des Menschen mit der Natur bestimmt. Es kommt zu einer ständig wachsenden Arbeitsteilung: zwischen Mann und Frau, Herr und Knecht, Kopf- und Handarbeit, Stadt und Land, und zur immer weiter entwickelten technischen Zerlegung von Arbeitsvorgängen. Aus der Zusammenarbeit der Menschen, den „Produktivkräften“, entstehen gesellschaftliche Verkehrsformen und Herrschaftsverhältnisse: „Produktionsverhältnisse“, die wieder auf die die Wahrnehmungsweisen und das Denken der Produktivkräfte zurückwirken. Die Dynamik der wechselseitigen Beeinflussung von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen ist völlig offen, es gibt kein Ziel der Geschichte. Historisch entstand ein Abfolge von „Produktionsweisen“: Urgesellschaft, Sklavenhaltergesellschaft, Feudalismus und Kapitalismus, der wiederum ein notwendiges Durchgangsstadium zu einer neuen Gesellschaft ist. Die Befreiung der Individuen aus gesellschaftlichen Zwängen besteht in ihrer vielseitigen Entwicklung, die sie nicht auf eine bestimmte Tätigkeit lebenslang festlegen. Für jeden sollten alle Fähigkeiten der Gattung Mensch erlernbar sein. Das ist der zentrale Gehalt des Wortes „Emanzipation“. Dabei soll die Freiheit des Einzelnen nicht die Grenze, sondern die Ermöglichung der Freiheit des Anderen sein. Die politische Emanzipation, die Bürgerrechte, sind ein unverzichtbarer Schritt, aber nur die Vorstufe der menschlichen Emanzipation. Diese ist nur zusammen mit der Entwicklung der gesamten Menschheit der Welt möglich. In späteren Arbeiten ergänzen Marx und Engels diese Thesen durch einige zusätzliche Annahmen: Die Eigentumsverhältnisse an den Produktionsmitteln führen zur Bildung von zwei Grundklassen, Ausbeuter und Ausgebeutete; die Geschichte ist eine Geschichte von Klassenkämpfen, seit der Industrialisierung zwischen Kapitalisten und Arbeitern. Ziel ist die Abschaffung des Privateigentums, des Grundübels der Klassengesellschaft. Mit der Beseitigung des Privateigentums kann eine klassenlose Gesellschaft entstehen. In ihr wird der Staat überflüssig, dessen Funktion unter anderem darin besteht, die Herrschaft einer Klasse sicherzustellen. Das Proletariat hat die weltgeschichtliche Aufgabe, diesen Prozess voranzutreiben. In ihren historischen Untersuchungen haben Marx und Engels den methodischen Ansatz, von den materiellen Lebensbedingungen auszugehen, erfolgreich demonstriert. Ein Schule bildendes Beispiel ist Marx’ Analyse des Staatsstreichs Louis Bonapartes 1851 (MEW 8, 111-207) Marx untersuchte die politischen Machtverhältnisse Frank-

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Grundlagen

reichs auf der Grundlage der wirtschaftlichen Interessen und ideologischen Bindungen der Parteien und zeigte, wie Louis Bonapartes die Uneinigkeit des Bürgertums mit Hilfe des Militärs und seiner Massenbasis, der Bauernschaft zur Machtergreifung nutzen konnte. Orientiert an seiner allgemeinen Geschichtstheorie schilderte Marx detailliert den Prozess, der schließlich zum Erfolg Napoleons III. führte. Die Studie wurde zur Vorlage einer Arbeit zur Machtergreifung des Faschismus (Thalheimer 1928). Der Begriff des Bonapartismus diente zum Leitfaden vieler politologischer Analysen (Wippermann 1978) und wurde zum theoretischen Rahmen einer Darstellung der Bismarckschen Innenpolitik (Wehler 1969). Eine systematische Darstellung des Historischen Materialismus haben Marx und Engels nicht mehr in Angriff genommen. Auch die Einleitung zu den Grundrissen 1857 (MEW 13, 615 ff) blieb ein Bruchstück. Im Kapital (1867) verbannte Marx seine Thesen in verschiedene Fußnoten (MEW 23, 92-96). Offenkundig zweifelte er inzwischen an der Möglichkeit einer allgemeinen Theorie des Geschichtsverlaufs und beschränkte sich auf die Theorie der kapitalistischen Entwicklung.

Offene Probleme der Theorie Schon die Texte der Deutschen Ideologie sprechen sehr kritisch über die Begründbarkeit allgemeiner geschichtstheoretischer Annahmen. Zwar müsse die Theorie von den wirklichen Menschen und ihren materiellen Lebensbedingungen ausgehen, aber die Autoren wissen, dass auch ihre eigene empirische Wahrnehmung und Begriffsbildung historisch geprägt ist. Diese historischen Bedingungen können zwar reflektiert, aber nicht überholt werden. Für Marx und Engels gibt es kein Außen, von dem aus der Prozess gesellschaftlicher Entwicklung beschrieben werden könnte. Sie sehen auch, wie schwierig ihre Forderung zu erfüllen ist, die Wechselwirkung von Individuen und Gesellschaft, Produktivkräften und Produktionsverhältnissen, wirtschaftlicher und politischer Verhältnisse „empirisch und ohne alle Mystifikation und Spekulation“ (MEW 3,25) nachzuweisen. Ihr Problembewusstsein zeigt sich beispielsweise an ihren Überlegungen zur Sprachentstehung. Sprache hat physikalische Grundlagen: Luft, Schwingungen, Sprechapparat und Ohr. Sie entsteht aus der „Notdurft des Verkehrs“, damit die Menschen sich verständigen können. Der „Verkehr“ stellt aber schon überindividuelle Muster, die schon vorhandene Sprache, zur Verfügung, auf die die

2. Die Materialistische Geschichtsauffassung

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Sprechenden zurückgreifen müssen, „eine menschliche Umgebung, die etwas zu hören gibt.“ (MEW 3,133) Marx verwendet später dafür die Formel, (MEW 8, 115) Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber nicht unter selbst gewählten Umständen – was die Problemlage zwar benennt, aber ungeklärt lässt, wie historische Ereignisse einzelnen Menschen oder den Umständen zugerechnet werden können. Auf das gleiche Problem stoßen Marx und Engels auch bei der Religion. Das religiöse Bewusstsein deutet die übermächtige Natur und menschliches Unglück als Wirkung überirdischer Mächte. Mit wachsender Naturbeherrschung verändert sich das Verhältnis zu Natur und Mitmenschen, die religiöse Interpretation der Welt wird überwindbar. Mit welchen Lernschritten das vonstatten geht, wird jedoch nicht erläutert. Im Kapital thematisiert Marx nochmals dasselbe Problem. Die Warenproduzenten müssen ihre Waren verkaufen, also individuell handeln. Dazu brauchen sie den Markt, den sie nicht geschaffen haben und gegen dessen vorgefundene Regeln sie nicht verstoßen dürfen. (MEW 23,100) Wie aber diese Wechselwirkung zwischen Individuum und Gesellschaft funktioniert, bleibt offen. Zentrale Themen bei der Weiterentwicklung der Theorie im 20. Jahrhundert waren Fragen nach der Gesetzmäßigkeit und Zielgerichtetheit des Geschichtsverlaufs, dem Einfluss der Biologie neben der Ökonomie und nach der Eigenständigkeit der Entwicklung künstlerischer und ideologischer Strömungen. Die Debatten fanden fast ausschließlich in Deutschland und Russland statt (Weiss 1968). Die differenzierten theoretischen Erörterungen in der Sowjetunion wurden durch einen dogmatischen Beitrag Stalins 1938 unterbunden. Er beschränkte die Theorie des Historischen Materialismus auf die Produktionsweise der materiellen Güter und die angeblich darauf beruhende gesetzmäßige historische Entwicklung. Erst nach Stalins Tod (1953) wurde die sterile Einengung dieser Form des Historischen Materialismus gelockert und in Richtung einer „marxistischen Soziologie“ entwickelt (Koch 1977). Die neu entstehende Sozialgeschichtsschreibung in der Bundesrepublik nach 1968 war stark vom Historischen Materialismus beeinflusst (Iggers 1997). Eine kurzfristige Belebung der theoretischen Debatte brachte die 1976 erschienene Aufsatzsammlung von Jürgen Habermas mit dem programmatischen Titel: Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus. Ein Kreis von Mitarbeitern hatte seit Ende der sechziger Jahre eine Reihe empirischer Forschungen und theoretischer Arbeiten vorgelegt (Honneth 1977, Eder 1976). Marx habe richtig gesehen, dass die Produktionsverhältnisse den Zugang zu den Produktionsmitteln ge-

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Grundlagen

sellschaftlich regulieren. Die prinzipielle Schwäche des Historischen Materialismus sei jedoch, dass er nicht zeigen könne, durch welche gesellschaftlichen Lernprozesse die soziale Evolution vor sich gehe. Fortschritte des technischen Wissens müssten durch kommunikatives Handeln vermittelt werden, das Regeln der Konfliktregelung und Identitätsangebote durch Weltbilder bereithalte. Die Entwicklung normativer Strukturen sei der Schrittmacher der sozialen Evolution. Nur durch sie seien neue Produktivkräfte sozial integrierbar (Habermas 1976, 35). Daher müsse der Historische Materialismus durch eine genetische Handlungstheorie, die Theorie des Kommunikativen Handelns ergänzt werden, die Habermas wenige Jahre später in einem umfangreichen Werk darlegte. (Habermas 1981) Die „postrukturalistischen“ Sozialwissenschaften haben dieses Thema erneut aufgenommen. (Butler 1991, S. 35; Moebius 2008; vergl. auch S. 208 ff dieses Buches).

3. Das Vorbild der Klassik: David Ricardo (1772-1823) Kritik der Politischen Ökonomie lautet der Untertitel des Kapital. Politische Ökonomie heißt „(Haus)wirtschaftslehre eines politischen Gemeinwesens“ und war der zeitgenössische Titel für den Gegenstand der heutigen Volkswirtschaftslehre. Es erfordert etwas Geduld, sich in diese vergangene Begriffswelt einzudenken, zumal die verwendeten Begriffe heute oft eine andere Bedeutung haben und ihr Erklärungswert nicht unmittelbar einleuchtet. Seit dem 16. Jahrhundert dehnte sich in Europa zunehmend eine neue Art der „des Arbeitens für einander“ oder der gesellschaftlichen Arbeit aus: die private Herstellung von Waren. Die Menschen produzierten Lebensmittel, Werkzeuge, etc. nicht mehr für sich selbst, sondern um sie gegen andere Waren einzutauschen. Die eigene Arbeit als Handwerker oder Landwirt diente überwiegend dazu, fremde Waren erwerben zu können. Der Inhalt der eigenen Arbeit wurde gegenüber diesem Hauptzweck relativ gleichgültig. Wie viel dabei jemand als Gegenwert für die eigenen Produkte auf dem Markt erhielt, hing vom Wert der eigenen Produkte ab. Daher lautete eine Hauptfrage der Politischen Ökonomie: wie entsteht der Wert und was bestimmt seine Größe. Die Wertlehre wurde zum Kern der Produktions- und Verteilungstheorie. Marx war fünf Jahre alt, als David Ricardo starb. Bei seinen wirtschaftlichen Analysen knüpft er meistens an die Problemstellung an,

3. Das Vorbild der Klassik: David Ricardo

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die er bei Ricardo vorfand (Schumpeter 1942, 45). Seine Exzerpte und Anmerkungen umfassen rund 500 Druckseiten. (MEW 26.2, 158-584) Auch im Kapital spricht er voller Respekt über die Leistungen Ricardos. (Kurz 2006, S. XLIII) Ricardo hatte die industrielle Revolution in England und ihre sozialen Folgen erlebt. Er war Zeitgenosse der Errichtung des immensen britischen Kolonialreichs und kannte die Rückwirkungen der französischen Revolution und der napoleonischen Kriege auf England: die steigenden Lebenshaltungskosten durch das Ausbleiben der Getreideimporte und die Inflation durch die Aufhebung der Goldeinlösungspflicht des Pfundes 1797 (Ott 1985, 44). Wie viele seiner Zeitgenossen registrierte er aufmerksam die krisenhaften Verläufe der Wirtschaft. 1819 wurde er ins Parlament gewählt, seine Beiträge zu Währungsproblemen und zum Freihandel hatten große Wirkung. Erst 1817 erschien sein Hauptwerk: Principles of political Economy and Taxation. Die führenden politisch ökonomischen Zeitschriften und auch die Enzyclopaedia Britannica waren in der Hand von Ricardos Schülern. Die populäre Literatur und Parlamentsdebatten wiederholten Ricardos Lehre. Vor allem durch John Stuart Mill (1806-1873) setzte sich die Klassische Ökonomie in England durch. Mills gut verständliches Buch Principles of Political Economy (1848) wurde durch eine Übersetzung 1852 auch in Deutschland populär. Die Kenntnis der Werttheorie von Ricardo ist zum Verständnis von Marx unabdingbar. Hierzu ein kurzer Auszug aus seinem Hauptwerk.

David Ricardo: Über die Grundsätze der Politischen Ökonomie und Besteuerung 31821 Über den Wert Abschnitt 1 Der Wert einer Ware oder die Quantität einer anderen Ware, gegen die sie ausgetauscht wird, hängt ab von der verhältnismäßigen Menge an Arbeit, die zu ihrer Produktion notwendig ist, nicht aber von dem höheren oder geringeren Entgelt, das für diese Arbeit gezahlt wird. Adam Smith stellt fest, daß das Wort Wert zwei verschiedene Bedeutungen hat, manchmal die Nützlichkeit eines bestimmten Gegenstandes ausdrückt und manchmal die Fähigkeit, andere Ware zu kaufen, die der Besitz dieses Gegenstandes verleiht. Die eine kann man Gebrauchswert die andere Tauschwert nennen. Die „Gegenstände“, fährt er fort, die den größten

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Gebrauchswert haben, besitzen häufig einen geringen oder gar keinen Tauschwert, während andererseits diejenigen, die den größten Tauschwert haben, einen geringen oder keinen Tauschwert besitzen. Wasser und Luft sind außerordentlich nützlich; sie sind sogar für unsere Existenz unentbehrlich, und doch erhält man unter normalen Umständen nichts im Austausch für sie. Hingegen kann man für Gold, obwohl es im Vergleich mit Luft oder Wasser nur geringen Nutzen besitzt, eine große Menge anderer Ware eintauschen. Nützlichkeit ist also nicht das Maß des Tauschwertes, obwohl sie absolut notwendig für ihn ist. Wenn eine Ware in keiner Weise nützlich wäre – anders ausgedrückt, wenn sie durch nichts zu unserem Wohlbefinden beitrüge-, so würde ihr jedweder Tauschwert mangeln, gleichgültig, wie selten sie sei oder wieviel Arbeit notwendig wäre, um sie zu beschaffen. //9// Sobald sie Nützlichkeit besitzen, beziehen Waren ihren Tauschwert aus zwei Quellen: Aus ihrer Seltenheit und der zu ihrer Gewinnung nötigen Arbeitsmenge. Es gibt einige Waren, deren Wert nur von ihrer Seltenheit abhängt. Keine Arbeit kann ihre Zahl vermehren, und daher kann ihr Wert nicht durch ein vermehrtes Angebot herabgesetzt werden. Einige auserlesene Statuen und Bilder, seltene Bücher und Münzen, Wein von spezieller Qualität, der nur aus Trauben gekeltert werden kann, die auf besonderem Boden sehr beschränkter Ausdehnung gedeihen, gehören zu dieser Kategorie. Ihr Wert ist völlig unabhängig von der zu ihrer Produktion ursprünglich erforderlichen Menge Arbeit, und er verändert sich mit dem Wechsel des Wohlstandes und der Neigungen derer, der sie zu besitzen wünschen. Allerdings stellen diese Waren nur einen sehr kleinen Teil der Warenmasse dar, die täglich auf dem Markt ausgetauscht wird. Der weitaus größere Teil der Gegenstände, für die ein Bedürfnis besteht, wird durch Arbeit gewonnen. Sie können nicht nur allein in einem, sondern in vielen Ländern in fast unbegrenzter Menge vermehrt werden, wenn wir dazu bereit sind, die für ihre Erzeugung notwendige Arbeit aufzuwenden. Wenn wir also von Waren, ihrem Tauschwert und den Prinzipien reden, die ihre relativen Preise bestimmen, so haben wir stets nur solche im Auge, deren Menge durch menschliche Arbeit vermehrt werden kann und deren Produktion durch uneingeschränkte Konkurrenz beherrscht wird. In den frühen Stufen der gesellschaftlichen Entwicklung ist der Tauschwert jener Waren oder das Gesetz, welches bestimmt, wie viel von einer Ware für eine andere hingegeben werden muss, fast ausschließlich von der verhältnismäßigen Menge Arbeit abhängig, die auf jede verwandt wurde. „Der wirkliche Preis jedes Dinges“, sagt Adam Smith, „das, was jedes Ding den Mann kostet, der es zu erwerben wünscht, ist die Mühe und Beschwerlichkeit des Erwerbes. //10// Was jedes Ding für denjenigen wert ist, der es sich

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verschafft hat und der es zu veräußern oder für was anderes auszutauschen wünscht, ist die Mühe und Beschwerlichkeit, die es ihm selbst dadurch erspart und anderen auferlegt“. „Arbeit war der erste Preis – das ursprüngliche Kaufgeld, mit dem alle Dinge bezahlt wurden“. Weiter: „In jenem frühen und rohen Zustande der Gesellschaft, der sowohl der Akkumulation von Kapital als auch der Aneignung des Bodens vorangeht, scheint das Verhältnis zwischen den zur Erlangung verschiedener Gegenstände erforderlichen Arbeitsmengen die einzige Grundlage zu sein, aus der irgendeine Regel für den wechselseitigen Austausch abgeleitet werden kann. Wenn in einem Stamm von Jägern beispielsweise die Erlegung eines Bibers zweimal soviel Arbeit wie die eines Hirsches kostet, so wird natürlich der Biber gegen zwei Hirsche ausgetauscht oder zwei Hirsche wert sein. Es ist selbstverständlich, dass das normale Produkt zweitägiger oder zweistündiger Arbeit doppelt soviel wert ist wie das, was normalerweise das Erzeugnis eintägiger oder einstündiger Arbeit ist. Dass dies tatsächlich die Grundlage des Tauschwerts aller Dinge ist, ausgenommen jener, die durch menschliche Arbeit nicht vermehrbar sind, ist ein Lehrsatz von größter Bedeutung in der politischen Ökonomie; denn in dieser Wissenschaft entspringen keiner anderen Quelle so viele Irrtümer und Meinungsverschiedenheiten, wie den unbestimmten Vorstellungen, die an das Wort Wert geknüpft werden. Wenn die in den Waren enthaltene Arbeitsmenge ihren Tauschwert bestimmt, dann muss jede Vergrößerung des Arbeitsquantums den Wert der Ware, für die es verwendet wurde, erhöhen, ebenso wie jede Verminderung ihn senken muss. (11) Über ein unveränderliches Maß des Wertes. Abschnitt 6 Sobald sich Waren in ihrem relativen Wert verändern, ist das Vorhandensein von Mitteln wünschenswert, mit denen man feststellen kann, welche von ihnen in ihrem wirklichen Wert gefallen und welche gestiegen sind. Das kann nur erreicht werden, in dem man eine nach der anderen mit einem unveränderlichen Standardmaß des Wertes vergleicht, das selbst keiner der Schwankungen unterworfen ist, denen andere Waren ausgesetzt sind. Der Besitz eines solchen Maßes ist aber nicht möglich, da es keine Ware gibt, die nicht den gleichen Veränderungen ausgesetzt ist wie diejenigen Dinge, deren Wert festgestellt werden soll; das bedeutet, es gibt keine Ware, deren Produktion nicht mehr oder weniger Arbeit erfordern kann. (40) ✂. . . Es ist für mich auch notwendig zu bemerken, dass ich nicht behauptet habe, weil auf eine Ware Arbeit verwendet worden ist, die 1000

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Pfund kostet, und auf eine andere für 2000 Pfund, dass deshalb nun der Wert der einen 1000 Pfund und der //43// der anderen 2000 Pfund betragen wird. Ich habe aber gesagt, dass sich ihr Wert zueinander wie zwei zu eins verhalten wird und dass sie in diesem Verhältnis ausgetauscht werden. Es hat für die Richtigkeit dieser Behauptung gar keine Bedeutung, ob die eine dieser Waren für 1100 Pfund und die andere für 2200 Pfund verkauft wird, oder aber für 1500 Pfund und für 3000 Pfund. Diese Frage behandle ich gegenwärtig nicht. Ich betone lediglich, dass sich ihre relativen Werte nach den verhältnismäßigen Mengen Arbeit bestimmen, die zu ihrer Produktion verwendet wurden. Es sind die Produktionskosten, die letztlich die Preise der Waren bestimmen müssen und nicht, wie oft behauptet worden ist, das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage. Das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage kann allerdings zeitweise den Marktpreis einer Ware beeinflussen, bis sie in größerer oder geringerer Menge geliefert wird, je nachdem, ob die Nachfrage gestiegen oder zurückgegangen ist. Das wird aber nur eine Wirkung von zeitweiliger Dauer sein. (44) ✂. . . Man verringere die Produktionskosten von Hüten, und ihr Preis wird schließlich auf ihren neuen natürlichen Preis zurückgehen, obwohl sich die Nachfrage verdoppelt, verdreifacht oder vervierfacht haben mag. Man verringere die Unterhaltskosten der Arbeiter, in dem man den natürlichen Preis der Nahrungsmittel und der Kleidung, die das Leben erhalten, senkt, und die Löhne werden schließlich sinken, trotzdem die Nachfrage nach Arbeitern sehr erheblich gestiegen sein mag. Die Auffassung, dass der Preis der Waren ausschließlich von dem Verhältnis des Angebots zur Nachfrage oder der Nachfrage zum Angebot abhängt, ist in der Politischen Ökonomie fast zu einem Axiom geworden und ist die Quelle vieler Irrtümer in dieser Wissenschaft gewesen. (354)

Erläuterungen Ricardos Werk ist seit seinem Erscheinen bis in die jüngste Zeit sehr unterschiedlich ausgelegt worden. (H. D. Kurz 2006, S. XI-LXX) In einem ausgedehnten und kontroversen Briefwechsel mit Thomas Malthus (1766-1834) und John McCulloch (1789-1864) diskutiert er die beiden Neuauflagen seines Buches bis 1821, ohne jedoch den Inhalt wesentlich zu ändern. (Lipitsch 1957, 165-212). Er betont, dass sein Wertbegriff nicht die realen wirtschaftlichen Vorgänge abbilde, sondern nur ein Modell sei, sie zu deuten. Hauptaufgabe der Nationalökonomie sei es nicht, die Ursachen des Wohlstands herauszufinden, sondern „die Aufteilung des Arbeitsergebnisses unter jene Klassen (zu) bestimmen,

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die zu dem Ergebnis beigetragen haben“. (ebd. S. 42) Die Verteilung erfolge durch den Tausch von Gütern, wobei das Axiom gelte „Kein Gut, das Wert hat, kann ohne Arbeit hergestellt werden“ (ebd. S. 63) Das entsprach der Lehre von John Locke (1632-1704). Eigentum entsteht durch Arbeit, denn Arbeit gehört zweifelsfrei den arbeitenden Menschen. Fügen sie ihre Arbeit den von Gott gegebenen natürlichen Gegenständen hinzu, werden diese ihr Eigentum (Heinrich 1991, 28). Natürliche Grenze des Eigentums ist der Eigenbedarf. Jeder darf nur soviel horten, dass nichts verdirbt. Alle Menschen müssen dieselben Möglichkeiten der Aneignung von Naturgütern erhalten. Durch die Einführung des Geldes werden nach Locke diese Eigentumsschranken überwunden. Verderbliche Güter dürfen gegen unverderbliche (Gold, Silber) eingetauscht werden, durch Schatzbildung können ungleiche Eigentumsverhältnisse entstehen, die immer noch durch den „Naturzustand“ gerechtfertigt sind. Unausgesprochen wird der Warenproduzent als „natürlicher Mensch“ gesehen. Die ungleichen Besitzverhältnisse machen allerdings den Staat als Garant der Besitzverhältnisse erforderlich. Mit der staatlich organisierten Gemeinschaftsbildung wird der „Naturzustand“ verlassen, die Menschen vergesellschaften sich. „Gerechter“ Tausch von Äquivalenten der durch Arbeit geschaffenen Werte dient zur Erklärung und Rechtfertigung der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Diese Theorie des „Besitzindividualismus“ (Macpherson 1967) war die gemeinsame ideologische Basis der klassischen Ökonomie. Wert, Arbeitsmenge, natürlicher Preis, Tauschwert, absoluter Wert Nach Ricardo besteht der Wert eines Arbeitsprodukts in der physischen Arbeitsmenge, die für seine Herstellung erforderlich war. Hinzu zu rechnen sind die Arbeitsmengen für die Vorprodukte. Es zählen jedoch nur die Arbeitsmengen, die dem durchschnittlichen technischen Standard entsprechen, unnötige Arbeitsmengen, wie beispielsweise bei der veralteten Garnproduktion mit einer Handspindel bleiben unberücksichtigt. Extrem seltene Waren (z. B. Weine einer exklusiven Lage) unterliegen nicht dieser Wertbestimmung, sondern nur Güter, die fast überall mit den gängigen Verfahren hergestellt werden können. Gegen Adam Smith betont Ricardo, dass der Austausch nach Werten nicht nur für vorindustrielle Gesellschaften mit dem einzigen Produktionsfaktor Arbeit (z. B. die Jagd von Bibern und Hirschen), sondern auch für die zeitgenössische Wirtschaft mit den zusätzlichen Produktionsfaktoren Kapital (Geld, Rohstoffe und Werkzeuge) und Boden gelten soll. Auch unter modernen Bedingungen werden Güter analog zu

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den in ihnen aufgespeicherten Arbeitsmengen getauscht. Ihr „Wert“ ist allerdings nur relativ im Verhältnis zu einem anderen Gut zu bestimmen. Diesen proportionalen Wert nennt Ricardo „Tauschwert“ oder „Natürlichen Preis“. „Wenn wir wissen, dass eine Unze Gold an irgend einem Zeitpunkt gegen zwei Yards Tuch .. einen Zentner Zucker, einen Quarter Weizen, drei Quarter Hafer getauscht wird, so wissen wir den proportionalen Wert aller dieser Güter und können sagen, .. dass ein Quarter Weizen dreimal den Wert eines Quarters Hafers hat“ (Lipschitz 1957, 154) Wünschenswert wäre ein absoluter Maßstab des Werts, den es nicht gibt. Weder Gold noch Weizen können als Standardmaß dienen, da sie nicht mit langfristig gleichbleibenden Arbeitsmengen hergestellt werden. Im Gegensatz zum Längenmaß (Fuß) oder Zeitmaß (Stunde) gibt es für den Wert kein unveränderliches, unabhängiges, z. B. an der Natur ablesbares Maß. (ebd. S. 155) Tauschwert und Marktpreis können durch zahlreiche Umstände vom Wert abweichen. Kapitalkosten (Zinsen), Produktionszeit, technische Faktoren, Verzögerung beim Verkauf oder die Lohnhöhe sind mögliche Ursachen. Langfristig fallen diese Faktoren gegenüber der Arbeitsmenge nur geringfügig ins Gewicht, wie Ricardo im 4. Kapitel seines Werkes erläutert. Wenn z.B. durch einen Modewechsel mehr Seidenstoffe und weniger Wollstoffe verlangt werden, ändern sich kurzfristig Löhne und Profite, aber die Konkurrenz wird das ursprüngliche Austauschverhältnis wiederherstellen und die Marktpreise werden sich den natürlichen Preisen annähern. Für die Analyse der Gesetze des Warentauschs können die Preisschwankungen infolge Angebot und Nachfrage unberücksichtigt bleiben. (Schumpeter 1965 I, S. 728-31) Die durch Arbeitsmengen bestimmten Werte regulieren den Markttausch und so die Verteilung des Arbeitsergebnisses auf die Klassen. Um zu verstehen, warum Marx an den Wertbegriff Ricardos anknüpfen konnte, muss man sich über den Charakter dieses Begriffes klar werden. Wert meint vordergründig die aufgewandte physische Arbeitsmenge für ein Produkt. Allerdings zählt beim Tausch auf dem Markt nur die standardmäßig technisch erforderliche Arbeitsmenge, eine Durchschnittsgröße, die der Produzent nicht kennt und nicht beeinflussen kann. Der Wert ist lediglich ein hypothetisches Maß, (Heinrich 1991, S.48 Anm. 35) von dem axiomatisch angenommen wird, dass die realen Tauschwerte (Ware gegen Ware) und Preise (Geld gegen Ware) von dem hypothetischen Wert zeitweise abweichen können, aber auf Dauer mit ihm übereinstimmen. Am ehesten entspricht der Begriff dem Weberschen Idealtypus, ein aus der Empirie gewonnenes gedankliches Modell, mit dessen Hilfe reale Tauschvorgänge gedeutet werden. Qua-

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litativ unterschiedliche Arbeiten (z.B. Schreinerarbeit und Obstanbau) werden durch den Wert quantitativ vergleichbar. Marx wird darlegen, dass Wert kein gedankliches Modell, sondern eine soziale Realität ist, die nicht im Kopf, sondern durch das Tauschhandeln entsteht. Unternehmergewinn, Löhne, Grundrente Der Profit oder Kapitalgewinn ist der Motor des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Er ist nach Ricardo ein Residualeinkommen des Unternehmers: das, was übrigbleibt, wenn er alle Kosten beglichen hat. Als Kosten betrachtet er die Ausgaben für Rohstoffe, Maschinen etc. und Löhne. Beide begrenzen den Profit. Die Grundrente zählt nicht zu den Kosten. (vergl. S. 197 dieses Buches) Die entscheidende Beschränkung des Kapitalprofits kommt von den Löhnen. Der „natürliche Preis“ der Arbeit ist die erforderliche Preissumme für Ernährung, Wohnen, Fortbildung und Fortpflanzung der Arbeitskräfte. Ricardo unterscheidet nicht wie Marx Arbeit und Arbeitskraft, er behauptet, die Arbeit wird bezahlt. Da die Lebensmittelproduktion mit dem Bevölkerungswachstum nicht Schritt halten kann, tendiert der Reallohn der Arbeiter zum Existenzminimum, das allerdings nicht nur die physische Erhaltung, sondern auch die gewohnheitsmäßigen Annehmlichkeiten umfasst, die örtlich und zeitlich erhebliche Unterschiede aufweisen können. („soziales Existenzminimum“) Der „natürliche Preis“ kann außerdem durch Angebot und Nachfrage über – oder unterschritten werden. Hieraus folgert Ricardo, dass der Kapitalprofit die Tendenz hat, zu sinken, da die Lohnquote mit wachsender Bevölkerung ansteigt. Bevor die Profitrate jedoch null erreiche, dürfte es zu einem Rückgang der Bevölkerung kommen. Ricardo teilte die Ansichten seines Freundes Malthus zur Bevölkerungsentwicklung. Dieser hatte auf Grund empirischer Studien die These nochmals begründet, dass die Bevölkerung im geometrischen Maßstab (1, 2, 4, 8. . ) wachse, während die erforderlichen Lebensmittel nur im algebraischen Maßstab (1, 2, 3, 4. . ) erzeugt werden könnten. Nicht die Gesellschaft, sondern jeder einzelne sei für seine Lage verantwortlich. Um die Armut zu bekämpfen, müssten weniger Nachkommen zur Welt kommen (Heimann, 1949, 106). Zur Kritik der Arbeitsmengenlehre Gegen die Arbeitsmengentheorie waren von mehreren Ökonomen schon im Laufe des 19. Jahrhunderts triftige Einwände zusammengetragen worden. (Burkitt 1984).

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1. Arbeitsmengen als physische Größen müssten sich eindeutig quantifizieren lassen, wenn ihnen ein ausschlaggebender Einfluss auf Wert und Preis unterstellt werde. Das Maß der Arbeitsmenge könne nur die Zeit sein. Offenkundig entstehe aber in einer Stunde Architektenarbeit ein höherer Wert als in einer Stunde Maurerarbeit. Um verschieden qualifizierte Arbeiten mit der derselben Zeiteinheit messen zu können, müssten sie auf eine Art Einheitsarbeit reduzierbar sein. Dies sei empirisch nicht möglich. Dass der Markt eine Stunde Architektenarbeit irgendeiner größeren Stundenzahl Maurerarbeit quantitativ gleichsetze, sei zufällig. 2. Eine Arbeitsmengentheorie müsse darüber hinaus plausibel machen, wie handelbare Naturgüter, in denen noch keine Arbeit steckt (Kohlenflöze, Ölquellen) ihren Preis bilden. Ferner müsse die Rolle von Bodenfruchtbarkeit und Klima bei der Preisbildung geklärt werden. Wenn die Arbeitsmenge von 1000 Stunden auf einem guten Boden den dreifachen Weizenertrag eines schlechteren Bodens erwirtschafte, könne die Arbeitsmenge nicht mehr preisbestimmend wirken. 3. Ein weiteres Problem der Arbeitsmengentheorie seien verbundene Produktionen. Wie werden verkäufliche „Abfallprodukte“ bewertet, die bei der Produktion eines anderen Gutes anfallen. z. B. Teer bei der Benzinherstellung. Ein zusätzlicher Einwand sei die Überlegung, wie der Preis zustande kommt, wenn zwei Produzenten verschiedene Arbeitstechniken verwenden, die beide profitabel, aber zeitlich unterschiedlich sind. 4. Bestimmten ausschließlich die Arbeitskosten den Wert, müssten Kapitalisten mit vielen Beschäftigten einen höheren Profit erzielen. Dasselbe gelte für Güter, deren Produktion länger dauert. Dies aber widerspreche der Erfahrung, dass infolge der Konkurrenz die Profitraten in den einzelnen Produktionszweigen sich annähern oder ausgleichen. Die ab 1870 neu entstehende ökonomische Schulrichtung der Marginalisten (Stavenhagen 1969, 227 ff) ersetzte die klassische Arbeitswertlehre durch die Grenznutzen/kostentheorie. 1960 hat der Herausgeber der Werke von Ricardo, Piero Sraffa die Ricardo‘schen Theorie in einer viel diskutierten Arbeit noch einmal neu begründet, ohne jedoch die genannten Einwände ausräumen zu können.

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4. Politische Ziele des Kapital Mit seiner wissenschaftlichen Analyse des Kapitalismus wollte Marx auch zum politischen Handeln anleiten. Seine Mitarbeit in der Ersten Internationale ab 1863 war ein wichtiges Motiv, den ersten Band des Kapital endlich fertig zu stellen. Obschon er gegenüber der Möglichkeit einer Revolution skeptischer geworden war, hält er an den im Manifest der Kommunistischen Partei (MEW 4, S. 464-467) formulierten Zielen und ihrer Begründung ausdrücklich fest. Wie die Entstehungsgeschichte des Manifests zeigt, wollten Marx und Engels politische Forderungen der Arbeiterbewegung nicht länger mit philosophischen oder religiösen Argumenten begründet wissen, sondern als Schlussfolgerung aus historischen Analysen (Büsch, Herzfeld 1975). Sie würdigen mit unverhohlener Bewunderung die Leistungen der Bourgeoisie. Der Kapitalismus wird als großer Fortschritt für die Menschheit angesehen. Allerdings wird sein baldiges Ende vorausgesagt, da er die sozialen Widersprüche, die er erzeugt, nicht beseitigen kann. Die Gesellschaft spaltet sich in zwei Klassen: Bourgeoisie und Proletariat. Die Bourgeoisie ist zunehmend unfähig, ihren Sklaven die Existenz zu sichern. So wird sie ihr eigener Totengräber. Der Sieg des Proletariats ist unvermeidlich. Bei dieser hoffnungsfrohen Prognose übernahm Marx geschichtsphilosophische Muster Hegels (Heinrich 1997). Die Unvermeidlichkeit einer Entwicklung, die Hegel dem Weltgeist zugeschrieben hatte, wurde auf die soziale Entwicklung übertragen. Marx hat im Kapital die Umstände, die die Zwangsläufigkeit dieser Entwicklung unterbrechen, genauer herausgearbeitet, aber an der Prognose im wesentlichen festgehalten (Cowling 1998) Die Liste notwendiger Veränderungen wird von den Autoren historisch begründet. Größere Verteilungsgerechtigkeit soll durch Abschaffung des Grundeigentums, des Erbrechts und durch progressive Steuern erreicht werden. Größere reale soziale Gleichheit durch unentgeltliche polytechnische Bildung, den Ausgleich von Stadt und Land und der Abschaffung von Einkommen ohne Arbeit. Entwicklungsvoraussetzungen sind die Verbesserung des Transportwesens, die Urbarmachung von Land und der Ausbau des Kreditwesen. Mit dieser Aufzählung wird nicht der Himmel auf Erden beschworen. Auch Sätze, die utopisch klingen, werden historisch begründet. Nach erfolgreicher Revolution des Proletariats und Beseitigung der Klassenherrschaft der Bourgeoisie, soll Herrschaft überhaupt verschwinden. An Stelle der bürgerlichen Gesellschaft soll eine Assoziation treten, in der

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freie Entwicklung eines jeden, die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist, schreibt Marx. Die Verheißungen der französischen Revolution sollen endlich praktisch angegangen werden. Allerdings soll sich Freiheit nicht nur auf liberale Freiheitsrechte oder die Gewerbefreiheit beschränken. Gleichheit soll nicht in der formalen Rechtsgleichheit der Geld- und Warenbesitzer bestehen, sondern in der Chancengleichheit aller Bedürfnisse. Die Solidarität soll gewährleisten, dass die Freiheit des einen nicht die Grenze der Freiheit der anderen, sondern die Ermöglichung der Freiheit aller ist. Die ständige Entwicklung aller Fähigkeiten soll nicht auf Kosten anderer Menschen, sondern gemeinsam mit ihnen erfolgen. An diesem Begriff von Emanzipation hat Marx immer festgehalten. Gleichheit, Emanzipation und solidarische Gemeinschaft sind für Marx selbstverständliche, nicht weiter begründungsbedürftige normative Leitvorstellungen. Das Ideal übersichtlicher kleiner Gemeinschaften und unmittelbarer Verständigung ihrer Mitglieder blieb unausgesprochen der kritische Maßstab kapitalistischer Verhältnisse. Die Attraktivität der Marxschen Theorie hatte in dieser populären Utopie eine entscheidende Stütze. Die Steuerungs- und Integrationsprobleme großer Nationen blieben ausgeblendet. Das Problem, wie Normen, die in kleinen Gemeinschaften (z. B. Klöstern) möglich sind, in modernen Gesellschaften verwirklicht werden können, hat Marx nicht behandelt.

II. Karl Marx, Das Kapital. Kritik der Politischen Ökonomie Übersicht Das Kapital war ursprünglich in mehreren Bänden geplant (Hecker 1999, 222). Sechs Themen sollten behandelt werden: Kapital, Grundeigentum, Lohnarbeit, Staat, auswärtiger Handel und Weltmarkt. Die Entwürfe hierzu hatte Marx bis 1863 niedergeschrieben, fertig gestellt hat er nur den ersten Band, dessen zweite Auflage 1873 er noch selbst bearbeitete. Die Manuskripte des zweiten und dritten Bandes wurden posthum von Friedrich Engels, der vierte Band von Karl Kautsky herausgegeben. Warum Marx diese Bände nicht selbst veröffentlichte, ist unklar. Politische Tagesaufgaben, Krankheiten, finanzielle Probleme und vermutlich auch wissenschaftliche Bedenken, das Werk nach dem Muster des ersten Bandes vollenden zu können, haben ihn daran gehindert. Der erste Band beginnt mit einem gesellschaftstheoretischen Abschnitt. Darauf aufbauend untersucht er die industrielle Fertigung von Waren in einem typisierten Einzelunternehmen. Dabei erläutert Marx die Entstehung von Gewinnen durch unbezahlte Arbeit und die verschiedenen Methoden, den Gewinn des Unternehmens zu steigern: Verlängerung der Arbeitszeit und Verbesserung der Produktionsmethoden durch Einführung arbeitssparender Maschinerie. Er diskutiert Probleme des Arbeitslohns und unterlegt seine Darstellung mit umfangreichem historischem Material aus der Industrialisierungsgeschichte Englands. Anschließend analysiert er das Zusammenwirken der einzelnen Unternehmen und die Bedingungen des Wirtschaftswachstums in einer geschlossenen Nationalwirtschaft. Er schildert die Wirkungen des Wirtschaftswachstums auf die Lage der Arbeiterschaft und formuliert sein „allgemeines Gesetz der kapitalistischen Akkumulation“. Mit wachsender Wirtschaft kommt es zu einer immer stärkeren Konzentration des Kapitals und zugleich zu einer immer größeren Verelendung der Arbeiterschaft. Zugleich wird sie durch den kapitalistischen Produktionsprozess geschult. Mit Hilfe ihrer Organisationen kann sie gegen das durch ständige Krisen erschütterte Kapital revoltieren und schließlich die politische Macht ergreifen.

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Karl Marx, Das Kapital

In einem Rückblick schildert Marx abschließend die Entstehung des Kapitalismus im 15. und 16. Jahrhundert. Für die Entstehung des Kapitalismus waren nicht das Handelskapital und die Ausraubung der Kolonialländer entscheidend. Lohnarbeit und innerer Markt waren die wichtigsten Vorbedingungen des Kapitalismus. Durch die massenhafte Vertreibung der Bauern vom Land und der damit verbundenen Entstehung eines Lohnarbeiterproletariats in den Städten entstand ein Markt für landwirtschaftliche Produkte und industriell hergestellte Waren. Ähnlich wie in anderen theoretischen Darstellungen der Nationalökonomie sah Marx im ersten Band des Kapital von allen Umständen ab, die für die allgemeine Theorie der kapitalistischen Produktionsweise unwesentlich sind. Im zweiten und dritten Band des Kapital werden schrittweise bisher zurückgestellte Probleme in die Darstellung mit aufgenommen. Der zweite Band beschäftigt sich ausschließlich mit der „Zirkulationssphäre“. Wie die zeitgenössische Ökonomie unterscheidet Marx zwischen Produktion und Zirkulation. Die Produktion umfasst die Herstellung der Waren in Landwirtschaft, Handwerk und Industrie. Zum Zirkulationsbereich gehört der An- und Verkauf der Waren und alle Prozesse, die damit verbunden sind. In einer privat organisierten Wirtschaft darf jeder produzieren, kaufen und verkaufen, was er will und soviel er will. Marx versucht zu klären, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit dieses private Tauschsystem funktionieren kann, zumal alle Bedingungen des Funktionierens auch mögliche Ursachen von Krisen sein können. Der dritte Band untersucht auf der Grundlage der bisher entwickelten theoretischen Annahmen die realen Prozesse der Produktion und Zirkulation. Die Auswirkung der Konkurrenz, die Entwicklung der Unternehmensgewinne, die Rolle des Handels- und Bankkapitals und des Grundbesitzes sollen im Lichte der Theorie neu gedeutet werden. Marx will zeigen, dass seine Theorie nicht ein wirklichkeitsfremdes Modell ist, sondern zur Erklärung der wahrnehmbaren Realität taugt. Der vierte Band (Theorien über den Mehrwert) setzt sich eingehend mit den zeitgenössischen Ökonomen auseinander und ergänzt zahlreiche Aussagen der übrigen Bände. Wie der Untertitel des Werkes: Kritik der Politischen Ökonomie programmatisch ankündigt, wird im gesamten Werk die Begriffsbildung der Politischen Ökonomie historisch hinterfragt. Dabei wird herausgearbeitet, dass die verkehrten Begriffe der Wissenschaft das getreue Abbild der verkehrten Wirtschaftsweise sind. Nur mit der radikalen Änderung

Übersicht

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des Wirtschaftens werde sich auch das Denken ändern (Kößler/Wienold 2001, 31 ff). Die Grundlagen der Kritik werden im ersten Abschnitt des Kapitals behandelt. Marx knüpfte dabei an den Wertbegriff Ricardos an und veränderte seine Bedeutung. Er hat seine Überlegungen, vor allem für die zweite Auflage des Kapital 1873 immer wieder überarbeitet. (MEW 23, 18). Zum leichteren Verständnis der von vielen Wiederholungen und Neuanläufen geprägten Darstellung folgender Überblick. Ausgangspunkt Ricardos sind die individuellen Arbeitskräfte. Ihre durchschnittlich aufgewandte, inhaltlich unbestimmte, physische Arbeitsmenge bestimmt den Wert der Waren, die getauscht werden. Ausgangspunkt von Marx ist der Tausch, also gesellschaftliches Handeln. Erst beim Tausch zeigt sich der Wert der Waren, die relativen Arbeitsmengen, die ausgetauscht werden. Beim Tausch werden zwei qualitativ unterschiedliche Arbeitsmengen (z. B. Tische und Weizen) quantitativ gleichgesetzt. Beide Tauschpartner abstrahieren also von den qualitativen Unterschieden, sie behandeln ihre Waren als Teile „abstrakter“ Arbeit. Durch ihr gesellschaftliches Handeln stellen sie diesen Zusammenhang abstrakter Arbeit erst her. Ihr soziales Handeln erzeugt die Struktur abstrakte Arbeit, in der sie sich bewegen, ein soziales Netz, das alle Warenproduzenten und Waren miteinander verbindet. Durch ständige Wiederholung stellt sich allmählich in ihrem Bewusstsein ihr gesellschaftlicher Zusammenhang nur noch als sachlicher Zusammenhang von Dingen und nicht mehr als ein sozialer Zusammenhang von Personen dar. Die sozialen Beziehungen der Warenproduzenten scheinen nur noch durch den Austausch von Waren und Geld reguliert. Wert bedeutet daher in Abwandlung Ricardos nicht nur Teil einer Arbeitsmenge, sondern gleichzeitig Teilhabe an dem sozialen Netz austauschbarer Dinge. Die folgenden Texte sind schwer zu verstehen, weil Marx die methodischen Voraussetzungen seiner Darlegungen, nicht diskutiert (Backhaus 1997). Seine Darstellung geht vom Gegenstand des Austauschs, der Ware aus und leitet scheinbar deduktiv alle Eigenschaften des kapitalistischen Systems schrittweise aus dem Begriff der Ware her. Die Eigenschaften dieses System und das Ziel seiner Argumente werden jedoch noch nicht genannt. Eine weitere Schwierigkeit der Texte besteht darin, dass Marx seinen veränderten Begriff von Wert neben dem Wertbegriff Ricardos benutzt, ohne jeweils zu kennzeichnen, welchen Begriff er gerade meint (Heinrich 1999 b, 211).

1. Vergesellschaftung durch Private Arbeit 1.1. Die Ware und ihr Wert: MEW 23, 49-55 Gebrauchswert Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine „ungeheure Warensammlung“, die einzelne Ware als seine Elementarform. Unsere Untersuchung beginnt daher mit der Analyse der Ware. Die Ware ist zunächst ein äußerer Gegenstand, ein Ding, das durch seine Eigenschaften menschliche Bedürfnisse irgendeiner Art befriedigt. (49) ✂. . . Die Nützlichkeit eines Dings macht es zum Gebrauchswert. Aber diese Nützlichkeit schwebt nicht in der Luft. Durch die Eigenschaften des Warenkörpers bedingt, existiert sie nicht ohne denselben. Der Warenkörper selbst, wie Eisen, Weizen, Diamant usw., ist daher ein Gebrauchswert oder Gut. Dieser sein Charakter hängt nicht davon ab, ob die Aneignung seiner Gebrauchseigenschaften dem Menschen viel oder wenig Arbeit kostet. Bei Betrachtung der Gebrauchswerte wird stets ihre quantitative Bestimmtheit vorausgesetzt, wie Dutzend Uhren, Elle Leinwand, Tonne Eisen usw. Die Gebrauchswerte der Waren liefern das Material einer eignen Disziplin, der Warenkunde. Der Gebrauchswert verwirklicht sich nur im Gebrauch oder der Konsumtion. Gebrauchswerte bilden den stofflichen Inhalt des Reichtums, welches immer seine gesellschaftliche Form sei. In der von uns zu betrachtenden Gesellschaftsform bilden sie zugleich die stofflichen Träger des – Tauschwerts. (50) Erläuterungen Der erste Satz des Kapital nennt das Programm des Vorhabens. Das Wort herrscht signalisiert, dass der Ausgangspunkt der Untersuchung die voll entwickelte kapitalistische Gesellschaft ist. „Das Nachdenken über die Formen des menschlichen Lebens, also auch ihre wissenschaftliche Analyse, schlägt überhaupt einen der wirklichen Entwicklung entgegengesetzten Weg ein. Es beginnt post festum (hinterher) und daher mit den fertigen Resultaten des Entwicklungsprozesses“, schreibt Marx etwas später (MEW 23, 89). Es geht nicht um eine historische Darstellung, wie die Warenproduktion entstand, sondern um die systematische Untersuchung einer Gesellschaft, deren Reichtum aus einer ungeheuren Warensammlung besteht. Mit dem Wort Elementarform wird nahegelegt, dass die kapitalistische Gesellschaft gleichsam streng naturwissenschaftlich analysiert

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werden soll. Auch an anderen Stellen spricht Marx davon, dass er Naturgesetze der kapitalistischen Gesellschaft enthüllt, obschon er Naturgesetze und soziale Gesetzmäßigkeiten meist klar unterscheidet (Lotter 1984, 133 ff). Die Verwendung des Wortes Form betont gleichfalls die systematische Absicht. Dazu später mehr. Die Wortwahl, dass die Ware ein nützliches Ding sei, zielt absichtsvoll auf spätere Ausführungen, dass Dinge und nicht Personen die Wahrnehmung der gesellschaftlichen Verhältnisse bestimmen. In der kapitalistischen Gesellschaft herrschen die Dinge über die Menschen. Menschliche Beziehungen werden durch Waren und Geld vermittelt. Der Gebrauchswert von Weizen ist davon unabhängig, ob er mit viel Arbeit auf kargen Berghängen oder mit weniger Arbeit auf kanadischen Feldern angebaut wird. Der Gebrauchswert verwirklicht sich nur im Gebrauch. Ein Diamant kann als Schmuckstück dienen oder in einem Glasschneider verwendet werden. Reichtum hat immer einen stofflichen Inhalt: Lebensmittel, Kleider, Bücher beispielsweise. Von dem stofflichen Inhalt ist seine gesellschaftliche Form zu unterscheiden, die historisch entstandenen Rechtsverhältnisse, unter denen gewirtschaftet wird. Etwas vereinfachend unterscheidet das Kapital antike, feudale und kapitalistische Produktionsverhältnisse. Tauschwert Der Tauschwert erscheint zunächst als das quantitative Verhältnis, die Proportion, worin sich Gebrauchswerte einer Art gegen Gebrauchswerte anderer Art austauschen, ein Verhältnis, das beständig mit Zeit und Ort wechselt. Der Tauschwert scheint daher etwas Zufälliges und rein Relatives, // 50 // ein der Ware innerlicher, immanenter Tauschwert (valeur intrinseque) also eine contradictio in adjecto. (= Widerspruch in sich selbst) Betrachten wir die Sache näher. Eine gewisse Ware, ein Quarter Weizen z. B. tauscht, sich mit x Stiefelwichse oder mit y Seide oder mit z Gold usw., kurz mit andern Waren in den verschiedensten Proportionen. Mannigfache Tauschwerte also hat der Weizen statt eines einzigen. Aber da x Stiefelwichse, ebenso y Seide, ebenso z Gold usw. der Tauschwert von einem Quarter Weizen ist, müssen x Stiefelwichse, y Seide, z Gold usw. durch einander ersetzbare oder einander gleich große Tauschwerte sein. Es folgt daher erstens: Die gültigen Tauschwerte derselben Ware drücken ein Gleiches aus. Zweitens aber: Der Tauschwert kann überhaupt nur die Ausdrucksweise, die „Erscheinungsform“ eines von ihm unterscheidbaren Gehalts sein. ✂. . . Dies Gemeinsame kann nicht eine geometrische, physikalische, chemische oder sonstige natürliche Eigenschaft der Waren sein. Ihre körperlichen

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Eigenschaften kommen überhaupt nur in Betracht, soweit selbe sie nutzbar machen, also zu Gebrauchswerten. Andererseits aber ist es grade die Abstraktion von ihren Gebrauchswerten, was das Austauschverhältnis // (51) der Waren augenscheinlich charakterisiert. ✂. . . Als Gebrauchswerte sind die Waren vor allem verschiedner Qualität, als Tauschwerte können sie nur verschiedner Quantität sein, enthalten also kein Atom Gebrauchswert. (52) Erläuterungen Der Text beginnt mit einer empirischen Feststellung. Der Tauschwert ist das quantitative Verhältnis von zwei Waren. Tauschen sich heute ein Kilo Weizenmehl gegen eine Dose Schuhcreme, dann ist eine Dose Schuhcreme der Tauschwert des Weizenmehls. Bekommt man morgen zwei Dosen Schuhcreme, hat sich der Tauschwert des Mehls verdoppelt, oder der Tauschwert der Schuhcreme halbiert. Das ist nicht zu entscheiden. Der Tauschwert gibt lediglich die Relation zwischen zwei Waren an. Da er ständig wechselt, scheint er etwas Zufälliges zu sein, was Marx widerlegen will. Der Text argumentiert erst einmal nach dem Muster: sind zwei Größen einer Dritten gleich, so sind sie untereinander gleich. Waren, die gleich viel wert sind, werden an einem gemeinsamen Maßstab gemessen. Aber was ist das Dritte von zwei Waren? Die Schwierigkeit der Suche nach diesem Gehalt des Tauschwerts liegt darin, dass nicht nach einer natürlichen Gemeinsamkeit der Waren gesucht werden darf, nicht nach einer Gemeinsamkeit ihrer natürlichen oder produzierten Eigenschaften: ihrer Gebrauchswerte. Die Gleichsetzung von Waren beim Austausch abstrahiert gerade von allen brauchbaren Eigenschaften. Das leuchtet sofort ein, wenn man – was der Text hier bewusst vermeidet – die Waren mit einem Geldbetrag gleichsetzt. Wenn eine Tonne Weizen 60 Euro kostet, enthalten diese kein Atom Gebrauchswert Weizen. Der Text will jedoch ohne den Rückgriff auf Geld den gemeinsamen Gehalt des Tauschwerts herausarbeiten. Der Gehalt des Tauschwertes, der die Gleichsetzung der Waren ermöglicht, muss also etwas anderes sein, lautet die Behauptung, die bewiesen werden soll. Der Tauschwert ist nur Erscheinungsform eines von ihm unterscheidbaren Gehalts. Der Begriff Erscheinungsform spielt in der Marxschen Theorie eine zentrale Rolle. Meistens bedeutet er die sinnliche Wahrnehmbarkeit eines verborgenen aber wesentlichen Sachverhalts. Marx folgt hier philosophischen Auffassungen des 17. Jahrhunderts (z. B. Descartes, Leibniz, Spinoza), und naturwissenschaftlichen Auffassungen des 19. Jahrhunderts, dass hinter der sichtbaren Welt eine gemeinsame Substanz existiere, die sich bewege, for-

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male Qualitäten habe und unabhängig von der subjektiven Wahrnehmung mathematisch erfasst werden könne (Postone 1993, 123ff). Programmatisch sagt Marx an anderer Stelle, „alle Wissenschaft wäre überflüssig, wenn Erscheinung und Wesen unmittelbar zusammenfielen“ (MEW 25, 349). Wesen ist der nur theoretisch erschließbare, identische Gehalt von zwei polaren Erscheinungsformen (vergl.S.41), die auseinander hervorgegangen sind. (Rambaldi 1999,1753) Arbeit Sieht man nun vom Gebrauchswert der Warenkörper ab, so bleibt ihnen nur noch eine Eigenschaft, die von Arbeitsprodukten. Jedoch ist uns auch das Arbeitsprodukt bereits in der Hand verwandelt. Abstrahieren wir von seinem Gebrauchswert, so abstrahieren wir auch von den körperlichen Bestandteilen und Formen, die es zum Gebrauchswert machen. Es ist nicht länger Tisch oder Haus oder Garn oder sonst ein nützlich Ding. Alle seine sinnlichen Beschaffenheiten sind ausgelöscht. Es ist auch nicht länger das Produkt der Tischlerarbeit oder der Bauarbeit oder der Spinnarbeit oder sonst einer bestimmten produktiven Arbeit. Mit dem nützlichen Charakter der Arbeitsprodukte verschwindet der nützliche Charakter der in ihnen dargestellten Arbeiten, es verschwinden also auch die verschiedenen konkreten Formen dieser Arbeiten, sie unterscheiden sich nicht länger, sondern sind allzusamt reduziert auf gleiche menschliche Arbeit, abstrakt menschliche Arbeit. (52) Erläuterungen Der Text beschreibt ein Verfahren der Abstraktion, das auf den ersten Blick wie ein Verfahren der Begriffsbildung erscheint. Wenn man von verschiedenen Tischformen: Schreibtischen, Operationstischen, Cafehaustischen abstrahiert, kommt man zum Allgemeinbegriff Tisch. Aber dieses Abstraktionsverfahren ist hier nicht gemeint. Die Abstraktion von den verschiedenen Gebrauchswerten führt zu einer anderen Wirklichkeit, nicht zu einem Allgemeinbegriff, sondern zu einer sozialen Beziehung. Der Begriff Arbeitsprodukt hat sich unter der Hand verwandelt, da er nicht erkennen lässt, dass ein soziales Verhältnis beschrieben wird. Die Gleichsetzung verschiedener Gebrauchswerte „abstrahiert“ von den natürlichen Eigenschaften der Waren und damit auch von der konkreten Arbeit, die diese Eigenschaften erzeugt hat. Abstrakte Arbeit ist das Gemeinsame der getauschten Waren, die Ermöglichung ihrer Vergleichbarkeit. Diese Abstraktion erfolgt nicht in Gedanken, sondern

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durch die gesellschaftliche Praxis des Tauschs. Abstrakte Arbeit ist daher keine gedankliche Konstruktion, sondern eine gesellschaftlich erzeugte Struktur, die mit dem Warentausch entsteht. Ein soziales Verhältnis, das nicht mehr als soziales Verhältnis erkennbar ist, sondern sich als Tauschverhältnis von Dingen, von Waren darstellt. Ein von Marx etwas später benutzter Vergleich kann die Eigenart dieser Begriffsbildung erleichtern. Der Begriff Herrschaft meint gleichfalls eine soziale Beziehung: die Beziehung von Herr und Knecht beispielsweise (MEW 23, 66). Auch Herrschaft ist nichts naturgegebenes, sondern eine gesellschaftliche Aktion, ein soziales Verhältnis zwischen übergeordneten und untergeordneten Personen. Abstrakte Arbeit meint ein soziales Verhältnis zwischen formell gleichberechtigten Personen, die beim Tausch von der Ungleichheit der Produzenten und der Ungleichheit ihrer Arbeiten (z. B. Schmiedearbeiten oder und Schreinerarbeiten) abstrahieren. Abstrakte Arbeit ist der praktizierte gesellschaftliche Zusammenhang, der alle Arbeiten vergleichbar und daher austauschbar macht. Abstrakte Arbeit ist gesellschaftlich erzeugte Austauschbarkeit. Wert Betrachten wir nun das Residuum der Arbeitsprodukte. Es ist nichts von ihnen übriggeblieben als dieselbe gespenstige Gegenständlichkeit, eine bloße Gallerte unterschiedsloser menschlicher Arbeit, d. h. der Verausgabung menschlicher Arbeitskraft ohne Rücksicht auf die Form ihrer Verausgabung. Diese Dinge stellen nur noch dar, daß in ihrer Produktion menschliche Arbeitskraft verausgabt, menschliche Arbeit aufgehäuft ist. Als Kristalle dieser ihnen gemeinschaftlichen gesellschaftlichen Substanz sind sie Werte – Warenwerte. // 52 // Im Austauschverhältnis der Waren selbst erschien uns ihr Tauschwert als etwas von ihren Gebrauchswerten durchaus Unabhängiges. Abstrahiert man nun wirklich vom Gebrauchswert der Arbeitsprodukte, so erhält man ihren Wert, wie er eben bestimmt ward. Das Gemeinsame, was sich im Austauschverhältnis oder Tauschwert der Ware darstellt, ist also ihr Wert. Der Fortgang der Untersuchung wird uns zurückführen zum Tauschwert als der notwendigen Ausdrucksweise oder Erscheinungsform des Werts, welcher zunächst jedoch unabhängig von dieser Form zu betrachten ist. (53) Erläuterungen Der Text sucht offenkundig nach passenden Begriffen, die die zeitgenössische Wissenschaft noch nicht zur Verfügung stellt. Mit den Ausdrücken

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gespenstige Gegenständlichkeit oder Gallerte soll die schwierige Fassbarkeit der abstrakten Arbeit angezeigt werden. Der Begriff Residuum verweist darauf, dass der Ursprung der abstrakten Arbeit konkrete Arbeit ist, deren Inhalt, z. B. schlossern, bedeutungslos wird. Der Ausdruck aufhäufen ist irreführend, da abstrakte Arbeit als ein soziales Verhältnis sich nicht aufhäufen lässt. Unter dem Einfluss naturwissenschaftlicher Begriffsbildung und der Hegelschen Naturphilosophie wird abstrakte Arbeit als Substanz bezeichnet, die zu Wert kristallisiert, wobei Substanz mit unbestimmt, aber quantifizierbar konnotiert ist. Entscheidend ist jedoch, dass diese gesellschaftliche Substanz den Waren nur gemeinschaftlich zukommt. Nicht die einzelne Ware hat Wert (das wäre das Verständnis von Smith und Ricardo), sondern Wert ist ihre gemeinsame Eigenschaft (Heinrich 1999 b, 215). Nur austauschbare Arbeit ist „wertvoll“. Ohne weitere Erläuterung bezeichnet der Text den Tauschwert als Erscheinungsform des Werts. Marx meint eine Entwicklungsreihe: Abstrakte Arbeit erscheint als Wert, der Wert erscheint als Tauschwert, der Tauschwert als Geld, das Geld als Kapital. Die Sozialstruktur abstrakte Arbeit erscheint in immer neuen Metamorphosen (Verwandlungen). Der Kapitalismus soll als ein System verschiedener Erscheinungsformen des sozialen Verhältnisses abstrakter Arbeit dargestellt werden. Hintergrund dieser Argumentation ist der Systembegriff Hegels. Nach Hegel ist ein System nur dann erklärt, wenn alle seine wesentlichen Bestimmungen aus einem zentralen Begriff hergeleitet werden. Der Begriff muss sowohl die sichtbaren Erscheinungen des Systems erklären, als auch das Begreifen dieser Erscheinungsformen gewährleisten. Für Hegel war der einzig taugliche Zentralbegriff „Geist“, womit er Gott meinte. Marx greift diese Systematik auf und ersetzt den Begriff Geist durch den Begriff abstrakte Arbeit. Die Metamorphosen der abstrakten Arbeit sollen alle wesentlichen Sachverhalte der kapitalistischen Produktionsweise erklären und zugleich das Denken über diese Sachverhalte verständlich machen. Auf die methodischen Voraussetzungen dieser Argumentation wird später eingegangen. (vergl. 201 ff) Wertgröße und Zeit Ein Gebrauchswert oder Gut hat also nur einen Wert, weil abstrakt menschliche Arbeit in ihm vergegenständlicht oder materialisiert ist. Wie nun die Größe seines Werts messen? Durch das Quantum der in ihm enthaltenen „wertbildenden Substanz“, der Arbeit. Die Quantität der Arbeit selbst mißt sich an ihrer Zeitdauer, und die Arbeitszeit besitzt wieder ihren Maßstab an bestimmten Zeitteilen, wie Stunde, Tag usw.

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Es könnte scheinen, daß, wenn der Wert einer Ware durch das während ihrer Produktion verausgabte Arbeitsquantum bestimmt ist, je fauler oder ungeschickter ein Mann, desto wertvoller seine Ware, weil er desto mehr Zeit zu ihrer Verfertigung braucht. Die Arbeit jedoch, welche die Substanz der Werte bildet, ist gleiche menschliche Arbeit, Verausgabung derselben menschlichen Arbeitskraft. Die gesamte Arbeitskraft der Gesellschaft, die sich in den Werten der Warenwelt darstellt, gilt hier als eine und dieselbe menschliche Arbeitskraft, obgleich sie aus zahllosen individuellen Arbeitskräften besteht. Jede dieser individuellen Arbeitskräfte ist dieselbe menschliche Arbeitskraft wie die andere, soweit sie den Charakter einer gesellschaftlichen Durchschnitts – Arbeitskraft besitzt und als solche gesellschaftliche Durchschnitts Arbeitskraft wirkt, also in der Produktion einer Ware auch nur die im Durchschnitt notwendige oder gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit braucht. (53) ✂. . . Waren, worin gleich große Arbeitsquanta enthalten sind, oder die in derselben Arbeitszeit hergestellt werden können, haben daher dieselbe Wertgröße. Der Wert einer Ware verhält sich zum Wert jeder andren Ware wie die zur Produktion der einen notwendige Arbeitszeit zu der für die Produktion der andren notwendigen Arbeitszeit. „Als Werte sind alle Waren nur bestimmte Maße festgeronnener Arbeitszeit. (MEW 13, 18) » (54) Die Wertgröße einer Ware bliebe daher konstant, wäre die zu ihrer Produktion erheischte Arbeitszeit konstant. Letztere wechselt aber mit jedem Wechsel in der Produktivkraft der Arbeit. Die Produktivkraft der Arbeit ist durch mannigfache Umstände bestimmt, unter anderen durch den Durchschnittsgrad des Geschickes der Arbeiter, die Entwicklungsstufe der Wissenschaft und ihrer technologischen Anwendbarkeit, die gesellschaftliche Kombination des Produktionsprozesses, den Umfang und die Wirkungsfähigkeit der Produktionsmittel, und durch Naturverhältnisse. // 54 // ✂. . . Gelingt es, mit wenig Arbeit Kohle in Diamant zu verwandeln, so kann sein Wert unter den von Ziegelsteinen fallen. Allgemein: je größer die Produktivkraft der Arbeit, desto kleiner die zur Herstellung eines Artikels erheischte Arbeitszeit, desto kleiner die in ihm kristallisierte Arbeitsmasse, desto kleiner sein Wert. Die Wertgröße einer Ware wechselt also direkt wie das Quantum und umgekehrt wie die Produktivkraft der sich in ihr verwirklichenden Arbeit. (55) Erläuterungen Marx repetiert die Lehre der zeitgenössischen Ökonomie, dass beim Warentausch nicht die individuelle, sondern nur die in einer Gesellschaft durchschnittlich erforderliche Produktionszeit als Wert zählt. Zu langsame Arbeit oder Einsatz veralteter Maschinen ist wertlos. Maß des Wertes ist die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit. Messbar ist eine

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Arbeitsmenge konkreter Arbeit: acht Stunden Bauarbeit und zwölf Stunden Bäckerarbeit sind 20 Stunden Arbeit. Arbeit wird dabei als Arbeit ohne bestimmten Inhalt verstanden. Der Text hingegen spricht von „abstrakt menschlicher Arbeit“ also einer sozialen Struktur, Der Begriff „wertbildende Substanz“ steht in Anführungszeichen. Wie aber lässt sich eine Struktur, ein soziales Verhältnis wie zum Beispiel Herrschaft messen? Sicherlich nicht mit ihrer Produktionszeit. Dann wieder sagt der Text, abstrakte Arbeit sei in der Ware vergegenständlicht oder materialisiert und bezeichnet sie weiter unten als kristallisierte Arbeitsmasse. Unbekümmert um diese Widersprüche stellt der Text fest: die „Quantität der Arbeit“ misst sich an ihrer Zeitdauer, in Stunden Tagen usw. Mit einem Wort: Arbeit wird hier doppeldeutig verwendet: Der Text lässt offen, ob Arbeit ohne Inhalt (Ricardo) oder abstrakte Arbeit (Marx) gemeint ist. Die ricardianische Lesart Aus Sicht der Klassischen Ökonomie befindet sich die Arbeit aller Gesellschaftsmitglieder einer Nation gleichsam in einem Topf. Die Arbeitsmasse im Topf bestimmt sich nach Anzahl der Arbeitenden und ihrer Arbeitszeit. Jede Arbeit gilt gleich. Auf jede hergestellte Ware entfällt ein Bruchteil der gleichförmigen Arbeitsmasse, sie sind Teile festgeronnener Arbeitszeit. Alle Waren gelten daher als homogene Bruchteile der gesamten Arbeit im Topf, oder der jeweiligen Nationalwirtschaft. Als zeitlich gemessene Bruchteile dieser homogenen Arbeitsmasse tauschen sich alle Waren aus. Eine bestimmte Nationalwirtschaft produziert z. B. in einer Minute 60 Hosen gleicher Qualität. Dann ist der Wert einer Hose eine Sekunde und tauscht sich gleichwertig mit allen anderen Waren, die gleichfalls in einer Sekunde produziert werden, z. B. Uhren. Die Einführung einer produktiveren, arbeitssparenden Technik in der Textilbranche, z. B. eines neuen Webstuhls, wirkt sich auf den relativen Wert sowohl der Hosen wie der Uhren aus. Produktivkräfte gehören dem Bereich der konkreten Arbeit an. Der Text zählt die einzelnen Faktoren auf, die die Produktivkraft beeinflussen: Ausbildung der Arbeitenden, Stand der Wissenschaft und Technik und natürliche Voraussetzungen. Durch Verbesserung der Produktivität steigt die Anzahl der produzierten Waren. In derselben Zeit z. B. einer Stunde, werden mehr Waren hergestellt, mit der Folge, dass auf die einzelne Ware weniger Zeit und damit weniger Wert entfällt, sie also billiger werden kann.

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All diese Überlegungen sprechen von konkreter Arbeit. Zwar von Arbeit ohne bestimmten Inhalt, aber keinesfalls von abstrakter Arbeit als einem gesellschaftlichen Verhältnis von Warenproduzenten. Marx erläutert nicht, warum die Zeit als Maß konkreter Arbeit auch für abstrakte Arbeit Gültigkeit haben soll. Eine andere Lesart Marx unterscheidet nicht zwischen konkreter und abstrakter Zeit, verwendet seinen Zeitbegriff aber im Sinne von abstrakter Zeit. (Hawkin 1988, 29ff) Konkrete Zeit ist an Ereignisse gebunden. Die Zeit, die man braucht, um Kartoffeln zu kochen oder ein Lied zu singen, ist konkrete Zeit. Tag und Nacht, die Jahreszeiten Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter, kirchliche Zeiten: Ostern, Weihnachten, Pfingsten sind Einteilungen konkreter Zeit. Abstrakte Zeit dagegen ist inhaltsleer und hängt nicht an einem Ereignis. Sie ist eine Dauer, die in vereinbarten Einheiten gemessen wird: Stunden, Minuten, Sekunden. Abstrakte Zeit hängt eng mit dem Begriff des Raumes zusammen. Zeit ist die Dauer, die benötigt wird, um einen Körper in einem Raum zu bewegen (Postone 1993, 192). Dieser inhaltsleere Zeitbegriff ist in Westeuropa entstanden. In Indien, China oder auch in der Antike und auch noch im Mittelalter war er unbekannt. Die Entstehung der abstrakten Zeit und ihrer Messung durch gleichförmig laufende Uhren hängt eng mit der Entstehung des Kapitalismus in Europa zusammen. In der mittelalterlichen Tuchindustrie wurden Werksuhren eingeführt, die gleiche Arbeitszeiten unabhängig von der Länge und Kürze des Tages ermöglichten. Mit fortschreitender Organisation der Arbeit und Verbesserung der Uhren wurde diese abstrakte Zeit Maß der Arbeit. In diesem Sinne argumentiert der Text, dass die Wertgröße einer Ware konstant bleibt, wenn die Produktionszeit dieselbe bleibt. Oder etwas später: „Dieselbe Arbeit ergibt daher in denselben Zeiträumen stehts dieselbe Wertgröße, wie immer die Produktivkraft wechsle“ (MEW 23, 61). In einer gesellschaftlichen Arbeitsstunde entsteht immer derselbe Wert (das Produkt aus Anzahl der Arbeitskräfte und ihrer Arbeitszeit), der sich je nach Produktivität auf verschieden viele Produkte verteilt und damit ihre Wertgröße bestimmt. Das bedeutet, dass alle Produzenten einer Zeitnorm unterworfen sind. Wer für die Herstellung seiner Ware mehr Zeit, als die in einer Gesellschaft übliche Produktionszeit braucht, scheidet über kurz oder lang aus dem Markt aus. Die gesellschaftlich notwendige Durchschnittsarbeitszeit ist ein Zwangsgesetz,

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mit dem die Produzenten konfrontiert sind, es ist „die zeitliche Dimension der abstrakten Herrschaft der abstrakten Arbeit“ (Postone 1993, 192). Die Wertgröße einer einzelnen Ware ist nicht berechenbar, sondern wird nur im Tausch als relative Größe erkennbar. Wertgrößen regeln die die quantitativen Austauschverhältnisse zwischen einzelnen Waren und der Gesellschaft im Ganzen und unterliegen einem zeitlichen Maß, auf das die einzelnen Individuen keinen Einfluss mehr haben, was später in den Texten als Kapitalverhältnis bezeichnet wird. Auch die abstrakte Zeit verdinglicht sich, als Zeitnorm reguliert sie den Warentausch, ist jedoch nicht mehr als Zeit erkennbar (Postone 1993, 192). In dieser Allgemeinheit kann Marx seinen neuen Wertbegriff als einer sozialen Struktur mit dem Arbeitsmengenbegriff der Klassischen Ökonomie zusammenhalten. Eine zusätzliche Schwierigkeit der bisherigen Texte liegt darin, dass eine Momentaufnahme: die relative Wertgröße aller Waren als Entwicklungsprozess dargestellt wird. Damit soll sichtbar werden, dass Warenproduktion und Warentauschs historisch entstanden sind und sich ständig verändern. Die Texte bergen zwei mögliche Missverständnisse: entweder die begriffliche Entwicklung für das Abbild der historischen Entwicklung zu halten oder die Begriffe statisch zu verstehen, um daraus die Berechenbarkeit der Wertgrößen zu folgern. Beiden Fehldeutungen wird in den folgenden Abschnitten entgegengetreten (MEW 23, 56-61). Die Argumente werden mit teilweise anderen Formulierungen und anderen Beispielen nochmals wiederholt, ohne aber die Doppeldeutigkeit des Arbeitsbegriffs aufzugeben.

1.2. Die Wertform: MEW 23, 56-84 Das einfache Austauschverhältnis Waren kommen zur Welt in der Form von Gebrauchswerten oder Warenkörpern, als Eisen, Leinwand, Weizen usw. Es ist dies ihre hausbackene Naturalform. Sie sind jedoch nur Waren, weil Doppeltes, Gebrauchsgegenstände und zugleich Wertträger. Sie erscheinen daher nur als Waren oder besitzen nur die Form von Waren, sofern sie Doppelform besitzen, Naturalform und Wertform. ✂. . . Man mag daher eine einzelne Ware drehen und wenden, wie man will, sie bleibt unfaßbar als Wertding. Erinnern wir uns jedoch, daß die Waren nur Wertgegenständlichkeit besitzen, sofern sie Ausdrücke derselben gesellschaftlichen Einheit, menschlicher Arbeit, sind, daß ihre Wertgegenständ-

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lichkeit also rein gesellschaftlich ist, so versteht sich auch von selbst, daß sie nur im gesellschaftlichen Verhältnis von Ware zu Ware erscheinen kann. Wir gingen in der Tat vom Tauschwert oder Austauschverhältnis der Waren aus, um ihrem darin versteckten Wert auf die Spur zu kommen. Wir müssen jetzt zu dieser Erscheinungsform des Wertes zurückkehren. Jedermann weiß, wenn er auch sonst nichts weiß, daß die Waren eine mit den bunten Naturalformen ihrer Gebrauchswerte höchst frappant kontrastierende, gemeinsame Wertform besitzen – die Geldform. Hier gilt es jedoch zu leisten, was von der bürgerlichen Ökonomie nicht einmal versucht ward, nämlich die Genesis dieser Geldform nachzuweisen, also die Entwicklung des im Wertverhältnis der Waren enthaltenen Wertausdrucks von seiner einfachsten unscheinbarsten Gestalt bis zur blendenden Geldform zu verfolgen. Damit verschwindet zugleich das Geldrätsel. Das einfachste Wertverhältnis ist offenbar das Wertverhältnis einer Ware zu einer einzigen verschiedenartigen Ware, gleichgültig welcher. // 62 // ✂. . . x Ware A= y Ware B, oder 20 Ellen Leinwand= 1 Rock. Das Geheimnis aller Wertform steckt in dieser einfachen Wertform. Ihre Analyse bietet daher die eigentliche Schwierigkeit. (63) Erläuterung Der folgende Abschnitt wurde von Marx in die zweite Auflage des Kapital 1873 neu eingefügt (Heinrich 1999 b, 220 ff) und erläutert die grundlegende Differenz zur Begriffsbildung der Klassischen Ökonomie. Er ist daher auch der Interpretationsmaßstab für die vorherigen Texte. Die Argumentation beginnt noch einmal von vorne. Ausgangspunkt ist der Tausch von zwei Waren. Von den unzähligen Austauschprozessen von Waren wird ein einzelner isoliert als Typus betrachtet. Eine Ware kann nur mittels einer anderen Ware ihren Wert zeigen. Daher sind die beiden Waren in Wertform. Die logischen Implikationen dieser Struktur werden schrittweise entfaltet. Die Naturalform zeigt die Natur eines Gegenstandes, z. B. dass er Eisen, Weizen oder Leinwand ist. Diese Naturalform ändert sich durch den Austausch mit anderen Gegenständen nicht. Durch den Tausch erhalten zwei getauschte Gegenstände jedoch Doppelform. Eine „natürliche Form“, die in ihren nützlichen Eigenschaften sichtbar wird und eine „gesellschaftliche Form“, die bei ihrem Austausch sichtbar wird. (vergl. S. 204) Von dem Ausdruck Form macht Marx keinen eindeutigen Gebrauch. Ihm sind die verschiedenen Bedeutungen, die der Begriff im Verlauf der Philosophiegeschichte erfahren hat, geläufig (Pechmann 1999).

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Teilweise verwendet Marx den Begriff empirisch, im Sinne von „äußerer Gestalt“, vor allem wenn er von „Erscheinungsform“ spricht. Zum anderen verwendet er den Begriff im Sinne der traditionellen philosophischen Unterscheidung von Materie und Form. Die Form bringt das Wesen einer Sache zum Vorschein. Form ist nicht nur etwas äußerliches, vom Wesen der Sache unabhängiges, sondern an der Form wird das Wesen einer Sache erkennbar. In diesem Sinne spricht Marx von Wertform, Naturalform oder Geldform. In einem dritten Sinn verwendet Marx Form im Kantschen Sinne, als Bewusstseinsform, allerdings nicht als transzendental gegebene subjektive Anschauungsformen (z. B. Raum und Zeit bei Kant), sondern als sozial erzeugte Bewusstseinsformen. In diesem Sinne spricht er von „gesellschaftlich gültigen also objektiven Gedankenformen. . . . der Warenproduktion“ (MEW 23, 90). Gemeinsam ist allen drei Verwendungsarten des Begriffes, dass Form die historisch gesellschaftlichen Bedingungen der Erscheinungsweise eines Inhalts anzeigt. Ein scheinbar gleicher Inhalt, z.B. „reiten“ erhält durch die Form seine exakte Bedeutung: Das Reiten eines mittelalterlichen Ritters ist vom Reiten eines Jockey vollständig unterschieden. Arbeit eines leibeigenen Bauern im Mittelalter ist etwas völlig anderes als die Arbeit in der Fabrik. Die Arbeit des Leibeigenen ist in Feudalform, die des Fabrikarbeiters in Wertform. Die Wertformanalyse soll zeigen, welche spezielle gesellschaftliche Form die Arbeit unter den Bedingungen der modernen Warenproduktion annimmt. Unmissverständlich macht der Text deutlich, dass die Wertform ein soziales Verhältnis der Waren ist und nicht durch die konkrete Arbeit der Produzenten entsteht. Von einer einzelnen isolierten Ware kann nie gesagt werden, wie viel sie wert ist. Wert haben Waren nur in Beziehung auf einander und im Bezug zum Ganzen. Nur durch die gesellschaftliche Gleichsetzung im Austausch gelten sie als Ausdrücke derselben gesellschaftlichen Einheit, etwas Abstraktem, der abstrakt menschlichen Arbeit. Die beiden Pole des Wertausdrucks: Relative Wertform und Äquivalentform Es spielen hier zwei verschiedenartige Waren A und B, in unsrem Beispiel Leinwand und Rock, offenbar zwei verschiedene Rollen. Die Leinwand drückt ihren Wert aus im Rock, der Rock dient zum Material dieses Wertausdrucks. Die erste Ware spielt eine aktive, die zweite eine passive Rolle. Der Wert der ersten Ware ist als relativer Wert dargestellt, oder sie befindet

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sich in relativer Wertform. Die zweite Ware funktioniert als Äquivalent oder befindet sich in Äquivalentform. Relative Wertform und Äquivalentform sind zueinander gehörige, sich wechselseitig bedingende, unzertrennliche Momente, aber zugleich einander ausschließende oder entgegengesetzte Extreme, d. h. Pole desselben Wertausdrucks; sie verteilen sich stets auf die verschiedenen Waren, die der Wertausdruck aufeinander bezieht. Ich kann z. B. den Wert der Leinwand nicht in Leinwand ausdrücken. 20 Ellen Leinwand = 20 Ellen Leinwand ist kein Wertausdruck. Die Gleichung sagt vielmehr umgekehrt: 20 Ellen Leinwand sind nichts andres als 20 Ellen Leinwand, ein bestimmtes Quantum des Gebrauchsgegenstandes Leinwand. Der Wert der Leinwand kann also nur relativ ausgedrückt werden, d. h. in andrer Ware. (63) ✂. . . // Ob eine Ware sich nun in relativer Wertform befindet oder in der entgegengesetzten Äquivalentform, hängt ausschließlich ab von ihrer jedesmaligen Stelle im Wertausdruck, d. h. davon, ob sie die Ware ist, deren Wert, oder aber die Ware, worin Wert ausgedrückt wird. (64) ✂. . . Erläuterung Zur Erläuterung der einfachen Wertform führt der Text weitere Begriffe ein. Die linke Seite der Gleichung (die Ware A) erhält den Namen relative Wertform, weil der Wert dieser Ware in Relation (Beziehung) zu einer anderen Ware ausgedrückt wird. Die rechte Seite heißt Äquivalentform, weil die Ware B als Äquivalent (gleichwertiges Gut ) der Ware A fungiert. Relative Wertform und Äquivalentform sind nur Funktionen der Wertform. Ihre Stellung in der Gleichung entscheidet über ihre Funktion. Die Waren auf beiden Seiten der Gleichung können ihre Plätze tauschen und nehmen dann jeweils die andere Funktion wahr. Der Rock könnte in relativer Wertform, die Leinwand in Äquivalentform sein. Vielleicht nennt daher der Text die beiden Seiten der Gleichung „Pole“, wie die Pole eines Elektromagneten. Form meint hier, dass ein unsichtbarer, aber wesentlicher Gehalt sinnlich wahrnehmbar wird. Der Wert der Leinwand kann nur relativ ausgedrückt werden, das ist die Grundtatsache der Wertformanalyse. Ein Kleidungsstück oder ein Werkzeug können für sich allein nicht sichtbar machen, was sie wert sind. Ein Gegenstand benötigt einen anderen Gegenstand, um zu zeigen, was er wert ist. Der Preiszettel ist nichts anderes als die Gegenüberstellung mit einem anderen Gegenstand, dem Geld. Um den sozialen Gehalt der Wertform herauszuarbeiten, untersucht Marx die beiden Pole der Wertform, jeweils nach ihrer inhaltlichen und quantitativen Seite.

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Allgemeine Eigenschaften der Wertform Menschliche Arbeitskraft im flüssigen Zustand oder menschliche Arbeit bildet Wert, aber ist nicht Wert. Sie wird Wert in geronnenem Zustand, in gegenständlicher Form. Um den Leinwandwert als Gallerte menschlicher Arbeit auszudrücken, // 65 // muß er als eine „Gegenständlichkeit“ ausgedrückt werden, welche von der Leinwand selbst dinglich verschieden und ihr zugleich mit andrer Ware gemeinsam ist. Die Aufgabe ist bereits gelöst. (66) ✂. . . In der Produktion des Rockes ist tatsächlich, unter der Form der Schneiderei, menschliche Arbeitskraft verausgabt worden. Es ist also menschliche Arbeit in ihm aufgehäuft. Nach dieser Seite hin ist der Rock „Träger von Wert“, obgleich diese seine Eigenschaft selbst durch seine größte Fadenscheinigkeit nicht durchblickt. Und im Wertverhältnis der Leinwand gilt er nur nach dieser Seite, daher als verkörperter Wert, als Wertkörper. Trotz seiner zugeknöpften Erscheinung hat die Leinwand in ihm die stammverwandte schöne Wertseele erkannt, Der Rock kann ihr gegenüber jedoch nicht Wert darstellen, ohne daß für sie gleichzeitig der Wert die Form eines Rockes annimmt. So kann sich das Individuum A nicht zum Individuum B als einer Majestät verhalten, ohne daß für A die Majestät zugleich die Leibesgestalt von B annimmt und daher Gesichtszüge, Haare und manches andre noch mit dem jedesmaligen Landesvater wechselt. Im Wertverhältnis, worin der Rock das Äquivalent der Leinwand bildet, gilt also die Rockform als Wertform. Der Wert der Ware Leinwand wird daher ausgedrückt im Körper der Ware Rock, der Wert einer Ware im Gebrauchswert der andren. Als Gebrauchswert ist die Leinwand ein vom Rock sinnlich verschiednes Ding, als Wert ist sie „Rockgleiches“ und sieht daher aus wie ein Rock. So erhält sie eine von ihrer Naturalform verschiedne Wertform, Ihr Wertsein erscheint in ihrer Gleichheit mit dem Rock wie die Schafsnatur des Christen in seiner Gleichheit mit dem Lamm Gottes. (66) ✂. . . Erläuterung Konkrete menschliche Arbeit bildet Wert, ist also die Voraussetzung des Austauschs. Konkrete Arbeit schafft Gebrauchswerte: Tische, Bücher etc. Beim Austausch zeigt sich, dass nicht die individuelle Arbeit und Arbeitszeit, sondern als Wert nur die in einer Gesellschaft durchschnittlich erforderlichen Produktionszeit zählt. Erst der Markt legt die Wertgröße fest. Um den Durchschnittswert sichtbar zu machen, braucht die Ware eine andere Ware, die von ihr dinglich verschieden ist und dennoch etwas gemeinsam hat, nämlich demselben gesellschaftlichen Zusammenhang anzugehören.

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Das klingt kompliziert, aber der Text formalisiert nur den Vorgang, der sich bei jedem praktischen Tausch vollzieht und beschreibt seine theoretischen Implikationen. Die Aufgabe selbst ist bereits gelöst, durch die tägliche Praxis der Warenproduzenten und Warenhändler. Mit den beiden Vergleichen des Werts mit Herrschaft und Christsein betont der Text die soziale Herkunft des Werts. Herrschaft ist ein soziales, kein naturgegebenes Verhältnis von Menschen. Die Herrschaft von A über B setzt die Anerkennung (ob freiwillig oder erzwungen) von A durch B voraus. Ein gleichsinniges Verhalten vermittelt die Herrschaftsbeziehung. Dieses Verhalten ist von der Natur von A und B ganz unabhängig, es ist Ergebnis einer gesellschaftlichen Aktion. Wie der Wert den Warenkörper, so kann auch die Majestät den Träger wechseln. Der Text diskutiert nicht die natürlichen Voraussetzungen von Macht und Herrschaft, eben sowenig den Prozess der Herrschaftsentstehung. Der Vergleich soll nur demonstrieren, dass der Wert nichts natürliches, sondern Ergebnis des Tauschs, etwas rein gesellschaftliches ist. Die gesellschaftlich erzeugte Gleichheit der Waren findet eine Analogie in der Gleichheit der Christen, spottet Marx. Vor Gott sind alle gleich und daher untereinander gleich, unabhängig von ihren individuellen Unterschieden. Die Vergesellschaftung als Gläubige, die Gemeindebildung macht ihre Mitglieder vor Gott gleich. Die Gleichheit von Schafsnatur und Lamm Gottes ist ein gesellschaftlicher, kein natürlicher Tatbestand. Auch an anderen Stellen betont Marx denselben Gedanken, dass das Christentum mit seinem Kultus des abstrakten Menschen, namentlich in seiner bürgerlichen Entwicklung, dem Protestantismus, Deismus usw. (MEW 23, 93). die angemessenste Religionsform für eine Gesellschaft von Warenproduzenten sei. Max Weber hat die Strukturähnlichkeit von protestantischer Religion und kapitalistischem Geist in einer berühmten und vieldiskutierten Arbeit aufgegriffen und soziologisch vertieft (Weber 1905). Der Widerspruch von realer Ungleichheit und formaler Gleichheit ist die untergründige Melodie vieler Schriften von Marx seit dem Kommunistischen Manifest. Die immer wiederkehrende Frage heißt: warum erscheint die reale Ungleichheit der Menschen als Gleichheit. Warum hebt die Gleichheit vor dem Gesetz, nicht die Ungleichheit von Herkunft, Bildung, Besitz, Fähigkeiten auf. Warum kann trotz des Tauschs von Äquivalenten die wirtschaftliche Ungleichheit bestehen bleiben und noch zunehmen.

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Die linke Seite der Gleichung: Die relative Wertform ✂. . . Die Gleichung: „20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder: 20 Ellen Leinwand sind 1 Rock wert“ setzt voraus, daß in 1 Rock gerade so viel Wertsubstanz steckt als in 20 Ellen Leinwand, daß beide Warenquanta also gleich viel Arbeit kosten oder gleich große Arbeitszeit. Die zur Produktion // (67) von 20 Ellen Leinwand oder 1 Rock notwendige Arbeitszeit wechselt aber mit jedem Wechsel in der Produktivkraft der Weberei oder der Schneiderei. (68) ✂. . . // Wirkliche Wechsel der Wertgröße spiegeln sich also weder unzweideutig noch erschöpfend wider in ihrem relativen Ausdruck oder in der Größe des relativen Werts. Der relative Wert einer Ware kann wechseln, obgleich ihr Wert konstant bleibt. Ihr relativer Wert kann konstant bleiben, obgleich ihr Wert wechselt, und endlich brauchen gleichzeitige Wechsel in ihrer Wertgröße und im relativen Ausdruck dieser Wertgröße sich keineswegs zu decken. (69) Erläuterung Auf den Seiten MEW 23, 67-69 wird ausführlich erörtert, dass im Austauschverhältnis von zwei Waren nur ihr relativer Wert zueinander feststellbar ist. Über die Wertgröße einer einzelnen Ware oder ihren Anteil an dem Wert aller Waren können keine Aussagen gemacht werden. Verändert sich beispielsweise das Tauschverhältnis von Leinwand zu Röcken, statt 20 Ellen gibt es jetzt 40 Ellen Leinwand für einen Rock, kann dies an den Produktionsbedingungen sowohl der Leinwand als auch der Röcke liegen. Die natürlichen Voraussetzungen (z. B. Bodenfruchtbarkeit) oder der Produktivität (Maschineneinsatz) können sich auf beiden Seiten ändern. Die Veränderungen können die eine, die andere oder beide Waren erfassen. Empirisch feststellbar sind lediglich die quantitativen Austauschverhältnisse der beiden Waren. Marx bewegt sich mit diesen Darlegungen völlig im Rahmen der Klassischen Ökonomie und der Annahme, dass Arbeitsmengen den Wert der Waren bestimmen. Für seinen sozialen Wertbegriff bräuchte Marx diese Erörterungen nicht. Die Austauschbarkeit von Waren (ihr Wertsein) ändert sich nicht durch die Wertmengen, die ausgetauscht werden. Auf der anderen Seite befinden sich diese Überlegungen auch nicht im Widerspruch zu seinem Wertbegriff, da keine quantitative Berechnung der Wertgrößen versucht wird. Die rechte Seite der Gleichung: Die Äquivalentform Man hat gesehn: Indem eine Ware A (die Leinwand) ihren Wert im Gebrauchswert einer verschiedenartigen Ware B (dem Rock) ausdrückt, drückt

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sie letzterer selbst eine eigentümliche Wertform auf, die des Äquivalents. Die Leinwandware bringt ihr eignes Wertsein dadurch zum Vorschein, daß ihr der Rock, ohne Annahme einer von seiner Körperform verschiednen Wertform, gleichgilt. Die Leinwand drückt also in der Tat ihr eignes Wertsein dadurch aus, daß der Rock unmittelbar mit ihr austauschbar ist. Die Äquivalentform einer Ware ist folglich die Form ihrer unmittelbaren Austauschbarkeit mit anderer Ware. Wenn eine Warenart, wie Röcke, einer andren Warenart, wie Leinwand, zum Äquivalent dient, Röcke daher die charakteristische Eigenschaft erhalten, sich in unmittelbar austauschbarer Form mit Leinwand zu befinden, so ist damit in keiner Weise die Proportion gegeben, worin Röcke und Leinwand austauschbar sind. ✂. . . Die Äquivalentform einer Ware enthält vielmehr keine quantitative Wertbestimmung. (70) Erläuterung Der Text wiederholt das zentrale Argument: der Wert einer Ware zeigt sich nur in der konkreten Gestalt einer anderen Ware. Der Wert zeigt sich nicht unmittelbar, hat keine eigene Gestalt, sondern braucht, um erkennbar zu werden, eine andere Ware, eine fremde Gestalt. Die Leinwand kann ihr eigenes Wertsein nur dadurch ausdrücken, dass der Rock mit ihr unmittelbar austauschbar ist. Was hier am zufälligen Beispiel des Rocks demonstriert wird, soll allgemein gelten: Die Äquivalentform ist die Form der unmittelbaren Austauschbarkeit. Diese Begriffsbestimmung wird leichter verständlich, wenn man weiß, dass sie die spätere Gelddefinition vorbereiteten soll: Geld ist unmittelbar austauschbar gegen alle anderen Waren. Geld ist eine Ware in allgemeiner Äquivalentform. Die Ware in Äquivalentform, hier der Rock, hat immer ein bestimmtes Quantum. Die Anzahl oder Menge ist für ihre Funktion, Äquivalent zu sein, gleichgültig. Äquivalent sind die Röcke durch den Austausch, ihre Äquivalentform erhalten sie durch die Stellung im Wertausdruck auf der rechten Seite. Die Differenzierung zwischen der Funktion der Röcke und ihrer Quantität richtet sich gegen die gegenteilige Auffassung Samuel Baileys (1791-1870), mit dessen scharfsinniger Begrifflichkeit sich Marx eingehend beschäftigt hatte (MEW 26/2, 138-166). Die Eigentümlichkeiten der Äquvalentform Die erste Eigentümlichkeit, die bei Betrachtung der Äquivalentform auffällt, ist diese: Gebrauchswert wird zur Erscheinungsform seines Gegenteils, des Werts. // (70) Die Naturalform der Ware wird zur Wertform. ✂. . . Ein Zucker-

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hut, weil Körper, ist schwer und hat daher Gewicht, aber man kann keinem Zuckerhut sein Gewicht ansehn oder anfühlen. Wir nehmen nun verschiedene Stücke Eisen, deren Gewicht vorher bestimmt ist. ✂. . . Diese Rolle spielt das Eisen nur innerhalb dieses Verhältnisses, worin der Zucker oder irgend ein anderer Körper, dessen Gewicht gefunden werden soll, zu ihm tritt. Wären beide Dinge nicht schwer, so könnten sie nicht in dieses Verhältnis treten und das eine nicht zum Ausdruck der Schwere des anderen dienen. ✂. . . Wie der Eisenkörper als Gewichtsmaß dem Zuckerhut gegenüber nur Schwere, so vertritt in unserem Wertausdruck der Rockkörper der Leinwand gegenüber nur Wert. Hier hört jedoch die Analogie auf. Das Eisen vertritt im Gewichtsausdruck des Zuckerhuts eine beiden Körpern gemeinsame Natureigenschaft, ihr Schwere, während der Rock im Wertausdruck der Leinwand eine übernatürliche Eigenschaft beider Dinge vertritt: ihren Wert, etwas rein gesellschaftliches. (71) In der Form der Schneiderei wie in der Form der Weberei wird menschliche Arbeitskraft verausgabt. Beide besitzen daher die allgemeine Eigenschaft menschlicher Arbeit und mögen daher in bestimmten Fällen, z. B. bei der Wertproduktion, nur unter diesem Gesichtspunkt in Betracht kommen. All das ist nicht mysteriös. Aber im Wertausdruck der Ware wird die Sache verdreht. Um z. B. auszudrücken, daß das Weben nicht in seiner // (72) konkreten Form als Weben, sondern in seiner allgemeinen Eigenschaft als menschliche Arbeit den Leinwandwert bildet, wird ihm die Schneiderei, die konkrete Arbeit, die das Leinwand-Äquivalent produziert, gegenübergestellt als die handgreifliche Verwirklichungsform abstrakt menschlicher Arbeit. Es ist also eine zweite Eigentümlichkeit der Äquivalentform, daß konkrete Arbeit zur Erscheinungsform ihres Gegenteils, abstrakt menschlicher Arbeit wird. Indem aber diese konkrete Arbeit, die Schneiderei, als bloßer Ausdruck unterschiedsloser menschlicher Arbeit gilt, besitzt sie die Form der Gleichheit mit andrer Arbeit, der in der Leinwand steckenden Arbeit, und ist daher, obgleich Privatarbeit, wie alle andre, Waren produzierende Arbeit, dennoch Arbeit in unmittelbar gesellschaftlicher Form. Ebendeshalb stellt sie sich dar in einem Produkt, das unmittelbar austauschbar mit andrer Ware ist. Es ist also eine dritte Eigentümlichkeit der Äquivalentform, daß Privatarbeit zur Form ihres Gegenteils wird, zu Arbeit in unmittelbar gesellschaftlicher Form. (73) Erläuterung Der Wert einer Ware ist nicht unmittelbar erkennbar, sondern nur mittels einer anderen Ware. Diesen Sachverhalt beschreibt der Text als „Eigentümlichkeiten der Äquivalentform“ in mehreren, vorsätzlich paradoxen Formulierungen. Der Gebrauchswert zeigt den Wert, oder anders: die

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konkrete Arbeit zeigt die abstrakte Arbeit. Das heißt auch: die Privatarbeit wird zum Ausdruck der gesellschaftlichen Arbeit. Oder nochmals anders: die Naturalform wird zur Wertform. Die drei Eigentümlichkeiten der Äquivalentform sind jeweils nur andere Formulierungen dafür, dass unter den historischen und gesellschaftlichen Bedingungen der privaten Herstellung von Waren „Arbeit für einander“, die gesellschaftliche Arbeit, nicht mehr direkt und unmittelbar, sondern nur noch mittels ausgetauschter Produkte stattfindet. Die Äquivalentform ist also der zusammenfassende Begriff für die historisch entstandene Struktur einer Gesellschaft, die ihre Vergesellschaftung durch abstrakte Arbeit organisiert. Der Vergleich mit der Waage soll nochmals den Unterschied von natürlichen und gesellschaftlichen Ursachen deutlich machen. Das Gewicht eines Zuckerhuts wird auf einer Balkenwaage nur an dem eisernen Gegengewicht erkennbar. Schwere ist ein Naturverhältnis, der Wert etwas rein Gesellschaftliches. Durch eine Beziehung von zwei Dingen ändern sich ihre natürlichen Eigenschaften nicht. Der Rock in seiner Funktion als Äquivalent ändert nicht seine natürlichen Eigenschaften, aber zeigt zusätzlich den Wert der Leinwand. Marx greift hier auf die Tradition der philosophischen Lehre von den Relationsbegriffen zurück. In der Anmerkung wiederholt er nochmals den Vergleich zwischen den beiden Sozialbeziehungen Tausch und Herrschaft. „Es ist mit solchen Reflexionsbestimmungen überhaupt ein eigenes Ding. Dieser Mensch ist z. B. nur König, weil sich andre Menschen als Untertanen zu ihm verhalten. Sie glauben umgekehrt Untertanen zu sein, weil er König ist.“ (MEW 23, 72). Während bei der Herrschaft die soziale Realität erkennbar ist, wird sie beim Wert unkenntlich. Die Beziehung von zwei Dingen ist nicht ohne weiteres als soziales Verhältnis durchschaubar. Daher sind die Eigentümlichkeiten der Äquivalentform der Schlüssel zum Verständnis der historischen und sozialen Besonderheit der Wertproduktion. Der Begriff „Arbeit“ bleibt mehrdeutig. Im letzten Abschnitt beispielsweise werden drei unterschiedliche Bedeutungen von Arbeit mit einander verknüpft: konkrete Produktionsarbeit, z. B. Schneidern (1), konkrete Produktionsarbeit ohne bestimmten Inhalt (2) und Austauschbarkeit der Arbeitsprodukte: abstrakte Arbeit. (3) Der Arbeitsbegriff der Klassischen Ökonomie (2) soll mit dem neuen Begriff der Arbeit (3) verträglich erscheinen. Indem aber diese konkrete Arbeit (1), die Schneiderei, als bloßer Ausdruck unterschiedsloser menschlicher Arbeit (2) gilt, besitzt sie die Form der Gleichheit mit andrer Arbeit (3), der in der Leinwand stecken-

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den Arbeit (1), und ist daher, obgleich Privatarbeit (1), wie alle andre, Waren produzierende Arbeit (2), dennoch Arbeit (3) in unmittelbar gesellschaftlicher Form. Ebendeshalb stellt sie sich dar in einem Produkt, das unmittelbar austauschbar mit andrer Ware ist. Es ist also eine dritte Eigentümlichkeit der Äquivalentform, daß Privatarbeit (1) zur Form ihres Gegenteils wird, zu Arbeit (3) in unmittelbar gesellschaftlicher Form. (73) Die Geldform Die spezifische Warenart nun, mit deren Naturalform die Äquiqalentform gesellschaftlich verwächst, wird zur Geldware oder funktioniert als Geld. Es wird ihre spezifisch gesellschaftliche Funktion, und daher ihr gesellschaftliches Monopol, innerhalb der Warenwelt die Rolle des allgemeinen Äquivalents zu spielen. ✂. . . D) Die Geldform: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock = 10 Pfd. Tee = 40 Pfd. Kaffee = 1 Qrtr. Weizen = 1/2 Tonne Eisen = x Ware A =

2 Unzen Gold

(MEW 23, 83-84)

Erläuterung In einem recht umständlichen Text (MEW 23, 74-83) wird dargelegt, dass die einfache Wertform, in der sich nur zwei Waren tauschen, auf beiden Seiten beliebig erweitert werden kann. Dadurch verwandelt sie sich in die allgemeine Wertform. An Stelle der Leinwand können Tee, Kaffee, Weizen, Eisen oder x beliebige andere Waren treten. Wie auch immer: die Waren, deren Wert ausgedrückt wird, befinden sich in relativer Wertform. Statt dem Rock als Äquivalent, könnten andere Waren als Äquivalent dienen zum Beispiel Vieh, Muscheln, Perlen, Gold. Welche Ware zur bevorzugten Geldware wird, hängt von historischen Umständen ab. Allmählich wird Metall wegen seiner natürlichen Eigenschaften der Teilbarkeit und Haltbarkeit zur einzigen Geldware. Marx geht an späterer Stelle genauer darauf ein. Wie auch immer, die Geldware befindet sich in Äquivalentform.

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Sobald eine Geldware allgemein als Zahlungsmittel akzeptiert wird, befindet sie sich in allgemeiner Äquivalentform, allgemein, weil unmittelbar mit allen Waren austauschbar. Der Tausch gegen Geld ist lediglich eine Erweiterung der einfachen Wertform. Die einfache Wertform ist der Keim der Geldform. Die Herren Ökonomen haben bisher das höchst Einfache übersehen, daß die Form: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock nur die unentwickelte Basis von 20 Ellen Leinwand = 2 Pfund (Sterling), daß also die einfachste Warenform, worin ihr Wert noch nicht als Verhältnis zu allen anderen Waren, sondern nur als Unterschiedenes von ihrer eigenen Naturalform ausgedrückt ist, das ganze Geheimnis der Geldform und damit in nuce aller bürgerlichen Formen des Arbeitsprodukts enthält (MEW 31, 306). Form wird hier wiederum als Sichtbarwerden eines unsichtbaren (gesellschaftlichen) Gehalts verwendet. Das Zitat enthält auch einen methodischen Hinweis. Geld als allgemeine Äquivalentform kann aus der einfachen Wertform nur deshalb begrifflich entwickelt werden, weil die voll entwickelte Geldwirtschaft schon besteht. Die Wertformanalyse macht keine Aussage über den historischen Verlauf der Geldentstehung, sondern untersucht nur die logische Struktur des Systems.

1.3. Die Bewusstseinsform: Der Fetischcharakter der Ware: MEW 23, 85-98 Auch diesen Abschnitt hat Marx neu in die zweite Auflage 1873 eingefügt. Er ist eine Kurzfassung aller bisherigen Ausführungen unter dem Gesichtspunkt, der richtigen oder falschen Wahrnehmung der gesellschaftlichen Verhältnisse des Kapitalismus. Schon wegen der Sprache lohnt es sich, die dreizehn Seiten in der MEW vollständig zu lesen. Es ist einer der meist zitierten Abschnitte des Kapital. Die hier getroffene Textauswahl berücksichtigt nur das Neue gegenüber den bisherigen Darlegungen. Die Grenzen empirischer Wahrnehmung Eine Ware scheint auf den ersten Blick ein selbstverständliches, triviales Ding. Ihre Analyse ergibt, daß sie ein sehr vertracktes Ding ist, voll metaphysischer Spitzfindigkeit und theologischer Mucken. Soweit sie Gebrauchswert, ist nichts Mysteriöses an ihr, ob ich sie nun unter dem Gesichtspunkt betrachte, daß sie durch ihre Eigenschaften menschliche Bedürfnisse befriedigt oder diese Eigenschaften erst als Produkt menschlicher Arbeit erhält.

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Es ist sinnenklar, daß der Mensch durch seine Tätigkeit die Formen der Naturstoffe in einer ihm nützlichen Weise verändert. Die Form des Holzes z. B. wird verändert, wenn man aus ihm einen Tisch macht. Nichtsdestoweniger bleibt der Tisch Holz, ein ordinäres sinnliches Ding. Aber sobald er als Ware auftritt, verwandelt er sich in ein sinnlich übersinnliches Ding. Er steht nicht nur mit seinen Füßen auf dem Boden, sondern er stellt sich allen andren Waren gegenüber auf den Kopf und entwickelt aus seinem Holzkopf Grillen, viel wunderlicher, als wenn er aus freien Stücken zu tanzen begänne. (85) ✂. . . Erläuterungen Die Warenproduzenten orientieren sich nicht an Werten sondern an den Marktpreisen, die sich durch die Konkurrenz auf den Märkten bilden. Sie tauschen Gebrauchswerte und glauben vielleicht den Ökonomen, dass die Marktpreise den Werten entsprechen. Ironisch bemerkt der Text, man könne der bisherigen Analyse metaphysische oder theologische Spitzfindigkeiten unterstellen, vergleichbar scholastischen Diskussionen, wie viel Engel auf einer Nadelspitze Platz hätten. Oder noch schlimmer, die Darlegungen über den Wert der Waren seien so mysteriös wie das Tischrücken in spiritistischen Sitzungen, die nach 1848 in Europa in Mode kamen (Linse 1996). Marx weiß genau, dass seine Wertformanalyse sehr bestimmte philosophische Voraussetzungen hat, die er nicht erläutert. „Natürlich“ erscheinende Eigenschaften der Waren sind gesellschaftlich erzeugte Eigenschaften, das ist eine soziologische und keine metaphysische oder theologische Aussage, hält der Text dagegen. In Kürze repetiert Marx (an den hier ausgelassenen Textstellen) alle bisherigen Ergebnisse und fährt dann fort: Die Äquivalentform als Ursprung der verdrehten Wahrnehmung ✂. . . Woher entspringt also der rätselhafte Charakter des Arbeitsprodukts, sobald es Warenform annimmt? Offenbar aus dieser Form selbst. Die Gleichheit der menschlichen Arbeiten erhält die sachliche Form der gleichen Wertgegenständlichkeit der Arbeitsprodukte, das Maß der Verausgabung menschlicher Arbeitskraft durch ihre Zeitdauer erhält die Form der Wertgröße der Arbeitsprodukte, endlich die Verhältnisse der Produzenten, worin jene gesellschaftlichen Bestimmungen ihrer Arbeiten betätigt werden, erhalten die Form eines gesellschaftlichen Verhältnisses der Arbeitsprodukte. Das Geheimnisvolle der Warenform besteht also einfach darin, daß sie den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eignen Arbeit als ge-

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genständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche Natureigenschaften dieser Dinge zurückspiegelt, daher auch das gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit als ein außer ihnen existierendes gesellschaftliches Verhältnis von Gegenständen. Durch dies Quidproquo (Verwechslung) werden die Arbeitsprodukte Waren, sinnlich übersinnliche oder gesellschaftliche Dinge. (86) ✂. . . Dagegen hat die Warenform und das Wertverhältnis der Arbeitsprodukte, worin sie sich darstellt, mit ihrer physischen Natur und den daraus entspringenden dinglichen Beziehungen absolut nichts zu schaffen. Es ist nur das bestimmte gesellschaftliche Verhältnis der Menschen selbst, welches hier für sie die phantasmagorische (vorgestellte) Form eines Verhältnisses von Dingen annimmt. Um daher eine Analogie zu finden, müssen wir in die Nebelregion der religiösen Welt flüchten. Hier scheinen die Produkte des menschlichen Kopfes mit eignem Leben begabte, untereinander und mit den Menschen in Verhältnis stehende selbständige Gestalten. So in der Warenwelt die Produkte der menschlichen Hand. Dies // 86 // nenne ich den Fetischismus, der den Arbeitsprodukten anklebt, sobald sie als Waren produziert werden, und der daher von der Warenproduktion unzertrennlich ist. Dieser Fetischcharakter der Warenwelt entspringt, wie die vorhergehende Analyse bereits gezeigt hat, aus dem eigentümlichen gesellschaftlichen Charakter der Arbeit, welche Waren produziert. (87) Erläuterungen Marx erläutert, warum in modernen Gesellschaften die Beziehungen zwischen Personen (bei der Produktion und auf dem Markt) nur noch als Beziehung von Sachen erscheinen. Beim Tausch von Leinwand gegen einen Rock bleibt der Rock äußerlich unverändert. In seiner sachlichen Form (der Äquivalentform) steht er für den Wert der Leinwand. Die Gleichsetzung eigentlich unvergleichbarer Gebrauchswerte (der sprichwörtlichen Äpfel und Birnen) unterstellt, dass alle Waren etwas wert sind, sie haben die gleiche Wertgegenständlichkeit. Ihre Wertgröße zeigt sich in den Preisen. Auf die Preise haben die Marktteilnehmer nur geringen Einfluss, der Markt gibt sie vor, ihre eigene Arbeitszeit spielt kaum noch eine Rolle. Sie müssen die gültigen Zeitnormen (Produktionsstandards) einhalten, um am Markt bestehen zu können. Austauschbarkeit (Wert) und Preise (Wertgröße) sind für die Warenhändler äußere Daten, ein außer ihnen existierendes gesellschaftliches Verhältnis der Sachen. Die lange Gewöhnung führt dazu, dass diese historisch entstandene gesellschaftliche Praxis als „natürlich“, genauer als Natureigenschaften der Waren erscheinen. Die Waren werden zu sinnlich übersinnlichen Dingen, sie sind nur als Gebrauchswer-

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te sinnlich wahrnehmbar, aber ihr Wert und ihre Wertgröße sind außersinnlich, unsichtbar, hinter dem Rücken der Produzenten entstanden. Diese Erklärung folgt den Regeln der materialistischen Geschichtsauffassung. Das Bewusstsein der Menschen entsteht aus der Art und Weise ihres füreinander Arbeitens. Marx hatte das Werk von Brosses (1760) über den Fetischismus gelesen, in dem dargelegt wurde, dass Naturvölker bestimmten Gegenständen magische Zauberkräfte zuschreiben. Außerdem übernahm er die Interpretation Hegels, dass ein Fetisch Ausdruck undurchschauter Naturverhältnisse sei (Yigbe 1996, 46). Entsprechend bezeichnet der Text die undurchschauten gesellschaftlichen Ursachen der Warenproduktion als Fetischismus. Aus dem Fetischcharakter der Waren entwickelt sich der Fetischcharakter des Geldes (MEW 23, 108) und des Kapitals (MEW 25, 405), wie später ausgeführt wird. In den hier ausgelassenen Texten (MEW 23, 87-88) wiederholt Marx nochmals kurz Ergebnisse seiner bisherigen Untersuchung und betont, dass die Durchsetzung versachlichter Gesellschaftsverhältnisse lange dauerte und mit brutalen Disziplinierungsprozessen verbunden war. Die Grenzen wissenschaftlicher Aufklärung ✂. . . Das Gehirn der Privatproduzenten spiegelt diesen doppelten gesellschaftlichen Charakter ihrer Privatarbeiten nur wider in den Formen, welche im praktischen Verkehr, im Produktenaustausch erscheinen – den gesellschaftlich nützlichen Charakter ihrer Privatarbeiten also in der Form, daß das Arbeitsprodukt nützlich sein muß, und zwar für andre – den gesellschaftlichen Charakter der Gleichheit der verschiedenartigen Arbeiten in der Form des gemeinsamen Wertcharakters dieser materiell verschiednen Dinge, der Arbeitsprodukte. Die Menschen beziehen also ihre Arbeitsprodukte nicht aufeinander als Werte, weil diese Sachen ihnen als bloß sachliche Hüllen gleichartig menschlicher Arbeit gelten. Umgekehrt. Indem sie ihre verschiedenartigen Produkte einander im Austausch als Werte gleichsetzen, setzen sie ihre verschiednen Arbeiten einander als menschliche Arbeit gleich. Sie wissen das nicht, aber sie tun es. Es steht daher dem Werte nicht auf der Stirn geschrieben, was er ist. Der Wert verwandelt vielmehr jedes Arbeitsprodukt in eine gesellschaftliche Hieroglyphe. Später suchen die Menschen den Sinn der Hieroglyphe zu entziffern, hinter das Geheimnis ihres eignen gesellschaftlichen Produkts zu kommen, denn die Bestimmung der Gebrauchsgegenstände als Werte ist ihr gesellschaftliches Produkt so gut wie die Sprache. Die späte wissenschaftliche Entdeckung, daß die Arbeitsprodukte, soweit sie Werte, bloß sachliche Ausdrücke der in ihrer Produktion verausgabten

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menschlichen Arbeit sind, macht Epoche in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit, aber verscheucht keineswegs den gegenständlichen Schein der gesellschaftlichen Charaktere der Arbeit. Was nur für diese besondre Produktionsform, die Warenproduktion, gültig ist, daß nämlich der spezifisch gesellschaftliche Charakter der voneinander unabhängigen Privatarbeiten in ihrer Gleichheit als menschliche Arbeit besteht und die Form des Wertcharakters der Arbeitsprodukte annimmt, erscheint, vor wie nach jener Entdeckung, den in den Verhältnissen der Warenproduktion Befangenen ebenso endgültig, als daß die wissenschaftliche Zersetzung der Luft in ihre Elemente die Luftform als eine physikalische Körperform fortbestehn läßt. (88) Erläuterungen Für das Bewusstsein der Warenproduzenten ist ihre Praxis ausschlaggebend. Sie tauschen privat produzierte Gegenstände, sie brauchen hierzu keine Theorie und keine Anleitung. Es bedarf keines Wissens um die Implikationen des Warentauschs. Der Text vergleicht die Entstehung des Warentauschs mit der Entstehung der Sprache (Steger 1992, Bd. 7. 1, 677 ff). Sprache entsteht aus der Praxis des Sprechens in Zusammenhang mit Arbeitsvorgängen, aus der Notdurft des Verkehrs mit anderen Menschen (MEW 3, 30) Frühe Gesellschaften sind durch Sprachgemeinschaft, Blutsverwandtschaft und Arbeitsteilung beschreibbar, sagt Marx in früheren Arbeiten. Die Sprache wird benutzt, ihr Ursprung ist für die Sprecher unklar und auch nicht wichtig. Sie nehmen an dem gesellschaftlichen System der Sprache teil, das sich durch die Sprechenden weiterentwickelt. Kein einzelner hat entscheidenden Einfluss auf die Sprache, obschon alle an ihr mitwirken. Erst rückblickend kann eine Grammatik formuliert werden. Ähnlich sieht der Text die Entstehung des Warentauschs. Er ist eine gesellschaftliche Praxis, an der zunehmend alle teilhaben. Erst rückblickend kann erkannt werden, was der Warentausch beinhaltet: die Gleichsetzung verschiedener Arbeiten als abstrakte Arbeit. Die wissenschaftliche Erkenntnis dieser Struktur verändert weder die Praxis des Tauschs noch das Bewusstsein davon. Die Struktur der allseitigen Bezogenheit aller Arbeiten aufeinander ist die Luft, die alle atmen. Das Wissen um die Zusammensetzung der Luft aus Sauerstoff und Stickstoff ändert nicht die Notwendigkeit zu atmen und auch nicht das Bewusstsein, dass es Luft ist, die man atmet. Die spätere Unterscheidung von Handeln und System in der soziologischen Theorie (Treibel 2000; Stark/Lahusen 2002) wird von dem Text noch nicht getroffen. Der Text hält beide Begriffe zusammen, ohne dem einen oder anderen einen Vorrang einzuräumen. Sprache wie Wa-

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renproduktion entstehen aus menschlichen Handlungen. Diese Handlungen werden zu einem System, das auf die Handlungen zurückwirkt. Das System selbst wird durch Handlungen weiter verändert. Die Prozesse, die Handeln und System vermitteln, werden als funktionierend vorausgesetzt und nicht weiter erläutert. Die Struktur bürgerlichen Denkens: Ideologie ✂. . . In der Tat befestigt sich der Wertcharakter der Arbeitsprodukte erst durch ihre Betätigung als Wertgrößen. Die letzteren wechseln beständig, unabhängig vom Willen, Vorwissen und Tun der Austauschenden. Ihre eigne gesellschaftliche Bewegung besitzt für sie die Form einer Bewegung von Sachen, unter deren Kontrolle sie stehen, statt sie zu kontrollieren. Es bedarf vollständig entwickelter Warenproduktion, bevor aus der Erfahrung selbst die wissenschaftliche Einsicht herauswächst, daß die unabhängig voneinander betriebenen, aber als naturwüchsige Glieder der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit allseitig voneinander abhängigen Privatarbeiten fortwährend auf ihr gesellschaftlich proportionelles Maß reduziert werden, weil sich in den zufälligen und stets schwankenden Austauschverhältnissen ihrer Produkte die zu deren Produktion gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit als regelndes Naturgesetz gewaltsam durchsetzt, wie etwa das Gesetz der Schwere, wenn einem das Haus über dem Kopf zusammenpurzelt. Die Bestimmung der Wertgröße durch die Arbeitszeit ist daher ein unter den erscheinenden Bewegungen der relativen Warenwerte verstecktes Geheimnis. ✂. . . (89) // So war es nur die Analyse der Warenpreise, die zur Bestimmung der Wertgröße, nur der gemeinschaftliche Geldausdruck der Waren, der zur Fixierung ihres Wertcharakters führte. Es ist aber eben diese fertige Form – die Geldform – der Warenwelt, welche den gesellschaftlichen Charakter der Privatarbeiten und daher die gesellschaftlichen Verhältnisse der Privatarbeiter sachlich verschleiert, statt sie zu offenbaren. Wenn ich sage, Rock, Stiefel usw. beziehen sich auf Leinwand als die allgemeine Verkörperung abstrakter menschlicher Arbeit, so springt die Verrücktheit dieses Ausdrucks ins Auge. Aber wenn die Produzenten von Rock, Stiefel usw. diese Waren auf Leinwand oder auf Gold und Silber, was nichts an der Sache ändert als allgemeines Äquivalent beziehn, erscheint ihnen die Beziehung ihrer Privatarbeiten zu der gesellschaftlichen Gesamtarbeit genau in dieser verrückten Form. Derartige Formen bilden eben die Kategorien der bürgerlichen Ökonomie. Es sind gesellschaftlich gültige, also objektive Gedankenformen für die Produktionsverhältnisse dieser historisch bestimmten gesellschaftlichen Pro-

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duktionsweise, der Warenproduktion. Aller Mystizismus der Warenwelt, all der Zauber und Spuk, welcher Arbeitsprodukte auf Grundlage der Warenproduktion umnebelt, verschwindet daher sofort, sobald wir zu andren Produktionsformen flüchten. (90) Erläuterungen Gesellschaftliches, Personen bezogenes Verhalten wird zunehmend durch sachbezogenes Verhalten ersetzt. Die Akzeptanz dieser Norm dauerte Jahrhunderte, sagt der Text. In Familien, Dorfgemeinschaften, Kirchengemeinden, aber auch in Betrieben gelten noch lange traditionelle Verhaltensnormen. Marx weiß um die philosophische Eigenart (und hegelsche Herkunft) seiner Argumentation. Stiefel und Rock als Verkörperung abstrakt menschlicher Arbeit zu decodieren, scheint verrückt zu sein. Ein konkretes einzelnes Ding, ein Rock oder ein Geldstück soll Ausdruck des Allgemeinen: der Austauschbarkeit und der sie regierenden Zeitnorm sein. Aber diese verrückte Praxis ist gesellschaftliche Realität, wenn Waren getauscht werden. Das falsche Denken darüber, die Blindheit gegenüber dieser Struktur ist lediglich eine gesellschaftlich gültige, also objektive Gedankenform. Der Text verwendet nicht den Ausdruck Ideologie. Nur indirekt wird gesagt, dass das Festhalten an der vordergründigen Erfahrung und die daraus resultierende Sachlichkeit keine Manipulation, kein Betrug der Meinungsmacher ist. Das Bewusstsein der Warenproduzenten ist in einem richtig und falsch. Richtig, weil es an den empirisch feststellbaren Sachbezügen anknüpft, falsch, weil es deren Entstehungsgeschichte ausblendet und verkürzt (Barthes 1964). Erst in der Studentenbewegung 1968 wurde die uneingeschränkte Anerkennung sachgerechten Verhaltens als gesellschaftliche Norm wieder in Zweifel gezogen. („Warum sachlich, wenn es auch persönlich geht“). Irreführend spricht der Text vom Wertgesetz als einem Naturgesetz, das sich vergleichbar der Schwerkraft durchsetze. Der Ausdruck Naturgesetz wird im Kapital in dreifacher Weise verwendet. 1.) Das Existenzminimum der Arbeiter ist durch ein Naturgesetz reguliert, das physische Minimum, um sie am Leben zu halten (MEW 25, 866). 2.). Neben dieser exakten Verwendung finden sich zahlreiche Stellen, an denen Marx die falsche Verwendung des Begriffs für einen sozialen Tatbestand kritisiert. Ökonomische Schriftsteller des 18. Jahrhunderts hätten den Antagonismus der kapitalistischen Produktion als Naturgesetz begriffen (MEW 23, 675). Bei der Zündholzproduktion gelte es als Naturgesetz, dass die Jungen auch während des Essens die Hölzer in das giftige

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Phosphor tunken müssten (MEW 23, 500). 3.) Schließlich finden sich zahlreiche metaphorische Verwendungen des Begriffs. Kasten und Zünfte entspringen aus demselben Naturgesetz, welches die Sonderung von Pflanzen und Tieren in Arten und Unterarten regelt (MEW 23, 360). Gelegentlich wird die Metaphorik sogar erläutert. Die handwerkliche Dequalifizierung der Arbeiter durch die Maschinerie setze sich als überwältigendes Naturgesetz und mit der blind zerstörenden Wirkung eines Naturgesetzes durch (MEW 23, 511). Die naturhafte Wirkung des „Wertgesetzes“ wurde in der Folge vor allem von Engels strapaziert (MEW 25, 904-908). Aber auch Marx hat den Unterschied von Naturgesetzen und sozialen Gesetzen gelegentlich verwischt (MEW 23,791). Soziale Gesetze setzen sich nur gegen mannigfache Gegenwirkungen durch, sind eher eine Tendenz als eine unvermeidliche Entwicklung (Kößler/Wienold 2001, 47). Marx demonstriert das an vormodernen Gemeinschaftsformen. Robinson Crusoe Da die politische Ökonomie Robinsonaden liebt, erscheine zuerst Robinson auf seiner Insel. Bescheiden, wie er von Haus aus ist, hat er doch verschiedenartige Bedürfnisse zu befriedigen und muß daher nützliche Arbeiten verschiedner Art verrichten, Werkzeuge machen, Möbel fabri // zieren, Lama zähmen, fischen, jagen usw. Vom Beten u. dgl. sprechen wir hier nicht, da unser Robinson daran sein Vergnügen findet und derartige Tätigkeit als Erholung betrachtet. Trotz der Verschiedenheit seiner produktiven Funktionen weiß er, daß sie nur verschiedne Betätigungsformen desselben Robinson, also nur verschiedne Weisen menschlicher Arbeit sind. Die Not selbst zwingt ihn, seine Zeit genau zwischen seinen verschiednen Funktionen zu verteilen. Ob die eine mehr, die andre weniger Raum in seiner Gesamttätigkeit einnimmt, hängt ab von der größeren oder geringeren Schwierigkeit, die zur Erzielung des bezweckten Nutzeffekts zu überwinden ist. Die Erfahrung lehrt ihn das, und unser Robinson, der Uhr, Hauptbuch, Tinte und Feder aus dem Schiffbruch gerettet, beginnt als guter Engländer bald Buch über sich selbst zu führen. Sein Inventarium enthält ein Verzeichnis der Gebrauchsgegenstände, die er besitzt, der verschiednen Verrichtungen, die zu ihrer Produktion erheischt sind, endlich der Arbeitszeit, die ihm bestimmte Quanta dieser verschiednen Produkte im Durchschnitt kosten. Alle Beziehungen zwischen Robinson und den Dingen, die seinen selbstgeschaffnen Reichtum bilden, sind hier so einfach und durchsichtig, daß selbst Herr M. Wirth sie ohne besondre Geistesanstrengung verstehn dürfte. Und dennoch sind darin alle wesentlichen Bestimmungen des Werts enthalten. (90-91)

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Erläuterungen Der Text ironisiert die Romanfigur Daniel Defoes (1719) als Unternehmer in einer Ein-Personengesellschaft. Da bis zur Unterwerfung Freitags keine andere Person anwesend ist, scheint Robinsons individuelle Arbeit zugleich gesamtgesellschaftliche Arbeit zu sein. Seine „gesamtgesellschaftliche Arbeitszeit“ regelt den „Wert“ seiner Arbeitsprodukte. Max Wirth (1822-1900), ein deutscher Publizist, dürfte mit der marxschen Erläuterung der Fabel dennoch erhebliche Schwierigkeiten gehabt haben. Robinson produziert nicht für den Austausch, seine Arbeit ist nur konkrete Arbeit, seine Produkte haben daher auch keinen Wert. Es ist kaum einsichtig, dass in dem Beispiel alle wesentlichen Bestimmungen des Werts enthalten sind. Robinson hätte schon eine Ein-Personen GmbH gründen müssen, die von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit ist. Der Text sucht die Nähe zur Arbeitsmengentheorie Ricardos, der gleichzeitig in einer Fußnote verhöhnt wird, da er Preistabellen der Börse von 1817 den Tauschverhältnissen von Urjäger und Urfischer unterstelle. Der Text sagt also nur, dass in vorkapitalistischen Produktionsweisen die Arbeitsprodukte die Arbeitszeit erkennen lassen und kein gesellschaftlich entstandenes Produktionsverhältnis verbergen. Lohnarbeit und Fronarbeit Versetzen wir uns nun von Robinsons lichter Insel in das finstre europäische Mittelalter. ✂. . . Persönliche Abhängigkeit charakterisiert ebensosehr die gesellschaftlichen Verhältnisse der materiellen Produktion als die auf ihr aufgebauten Lebenssphären. Aber eben weil persönliche Abhängigkeitsverhältnisse die gegebne gesellschaftliche Grundlage bilden, brauchen Arbeiten und Produkte nicht eine von ihrer Realität verschiedne phantastische Gestalt anzunehmen. Sie gehn als Naturaldienste und Naturalleistungen in das gesellschaftliche Getriebe ein. Die Naturalform der Arbeit, ihre Besonderheit, und nicht, wie auf Grundlage der Warenproduktion, ihre Allgemeinheit, ist hier ihre unmittelbar gesellschaftliche Form. Die Fronarbeit ist ebensogut durch die Zeit gemessen, wie die warenproduzierende Arbeit, aber jeder Leibeigne weiß, daß es ein bestimmtes Quantum seiner persönlichen Arbeitskraft ist, die er im Dienst seines Herrn verausgabt. // 91 // ✂. . . die gesellschaftlichen Verhältnisse der Personen in ihren Arbeiten ✂. . . sind nicht verkleidet in gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen, der Arbeitsprodukte. (91-92) Erläuterungen Der Text spielt verschiedene Produktionsweisen durch, die nicht durch die Warenproduktion bestimmt sind. Gemeinsam ist ihnen, dass den Ge-

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sellschaftsmitgliedern ihre gesellschaftlichen Beziehungen nicht als versachlichte Verhältnisse erscheinen. Der Leibeigene weiß, wann und wie viel er für den Grundherrn und für sich arbeitet. Andere Ideologien dienten zur Herrschaftssicherung: magische Vorstellungen, Tradition, Religion etc. sie beruhen entweder auf der Unreife des individuellen Menschen, der sich von der Nabelschnur des natürlichen Gattungszusammenhangs mit andren noch nicht losgerissen hat, oder auf unmittelbaren Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnissen. Sie sind bedingt durch eine niedrige Entwicklungsstufe der Produktivkräfte der Arbeit und entsprechend befangene Verhältnisse der Menschen innerhalb ihres materiellen Lebenserzeugungsprozesses, daher zueinander und zur Natur (MEW 23, 93). Der Text idealisiert keineswegs vergangene Produktionsverhältnisse. Das hier weggelassene Beispiel einer ländlichen Familie soll lediglich die Besonderheit der Warenproduktion demonstrieren. Die Bauernfamilie arbeitet von vornherein für einander, ihr gemeinschaftliches oder „gesellschaftliches Produkt“ verteilt sie nach Bedarf. Zeit könnte die Arbeit messen, aber sie bestimmt nicht die Verteilung, weil die individuelle Arbeit aller Familienmitglieder unmittelbar gemeinschaftlich ist. Gesellschaftliche Normen der Warenproduktion gelten nicht für vormoderne Gemeinschaften. (Tönnies 1887) In einer Anmerkung (30) weist Marx darauf hin, dass die historische Entstehung des Privateigentums aus dem Gemeineigentum noch nicht ausreichend erforscht sei. Die Utopie realer Gleichheit ✂. . . Stellen wir uns endlich, zur Abwechslung, einen Verein freier Menschen vor, die mit gemeinschaftlichen Produktionsmitteln arbeiten und ihre vielen individuellen Arbeitskräfte selbstbewußt als eine gesellschaftliche Arbeitskraft verausgaben. Alle Bestimmungen von Robinsons Arbeit wiederholen sich hier, nur gesellschaftlich statt individuell. Alle Produkte Robinsons // 92 // waren sein ausschließlich persönliches Produkt und daher unmittelbar Gebrauchsgegenstände für ihn. Das Gesamtprodukt des Vereins ist ein gesellschaftliches Produkt. Ein Teil dieses Produkts dient wieder als Produktionsmittel. Er bleibt gesellschaftlich. Aber ein anderer Teil wird als Lebensmittel von den Vereinsgliedern verzehrt. Er muß daher unter sie verteilt werden. Die Art dieser Verteilung wird wechseln mit der besondren Art des gesellschaftlichen Produktionsorganismus selbst und der entsprechenden geschichtlichen Entwicklungshöhe der Produzenten. Nur zur Parallele mit der Warenproduktion setzen wir voraus, der Anteil jedes Produzenten an den Lebensmitteln sei bestimmt durch seine Arbeitszeit. Die Arbeitszeit würde also eine doppelte Rolle spielen. Ihre gesellschaftlich planmäßige

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Verteilung regelt die richtige Proportion der verschiednen Arbeitsfunktionen zu den verschiednen Bedürfnissen. Andrerseits dient die Arbeitszeit zugleich als Maß des individuellen Anteils des Produzenten an der Gemeinarbeit und daher auch an dem individuell verzehrbaren Teil des Gemeinprodukts. Die gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen zu ihren Arbeiten und ihren Arbeitsprodukten bleiben hier durchsichtig einfach in der Produktion sowohl als in der Distribution. (92-93) Erläuterungen In knappster Form entwirft der Text die Utopie eines Vereins freier Menschen. Sie produzieren keine Waren, sie arbeiten unmittelbar füreinander. Der Text spricht nicht von einem Kloster, in dem alle füreinander arbeiten, die Verteilung der Konsumgüter aber nicht von der Arbeitsleistung abhängt. Das Vorbild ist eher eine Genossenschaft. Die erforderliche Arbeitszeit für ein Produkt soll von der Genossenschaft gemeinsam festgelegt werden. Das beinhaltet auch eine gemeinsame Entscheidung darüber, was überhaupt produziert werden darf. Die Verteilung des gemeinschaftlichen Produkts soll sich dann nach der individuellen Arbeitszeit, dem Anteil an der gesamtgesellschaftlichen Arbeitszeit regeln. Wer noch nicht oder nicht mehr arbeitet, muss aus dem Fond für Produktionsmittel unterhalten werden, der von vornherein nicht zur Verteilung ansteht. Aus diesem Fond müssten auch alle Infrastrukturmaßnahmen (Bildung, Gesundheit, Verkehr etc.) bestritten werden. Die Verwirklichbarkeit dieses Modells für größere, territorial ausgedehnte Gemeinschaften bleibt ausgeblendet, etwa wie die ausreichende Informationsvermittlung funktionieren könnte. (Kittler 2002) Es soll lediglich nochmals illustriert werden, dass die Art des Arbeitens das Bewusstsein formt. Wird die Zeit gemeinsam geplant, bleiben die Verhältnisse durchsichtig, meint der Text allzu optimistisch. Voraussetzungen des richtigen Denkens ✂. . . Der religiöse Widerschein der wirklichen Welt kann überhaupt nur verschwinden, sobald die Verhältnisse des praktischen Werkeltagslebens den Menschen tagtäglich durchsichtig vernünftige Beziehungen zueinander und zur Natur darstellen. Die Gestalt des gesellschaftlichen Lebensprozesses, d. h. des materiellen Produktionsprozesses, streift nur ihren mystischen Nebelschleier ab, sobald sie als Produkt frei vergesellschafteter Menschen unter deren bewußter planmäßiger Kontrolle steht. Dazu ist jedoch eine materielle Grundlage der Gesellschaft erheischt oder eine Reihe materieller

1. Vergesellschaftung durch Private Arbeit

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Existenzbedingungen, welche selbst wieder das naturwüchsige Produkt einer langen und qualvollen Entwicklungsgeschichte sind. Die politische Ökonomie hat nun zwar, wenn auch unvollkommen Wert und Wertgröße analysiert und den in diesen Formen versteckten // 94 // Inhalt entdeckt. Sie hat niemals auch nur die Frage gestellt, warum dieser Inhalt jene Form annimmt, warum sich also die Arbeit im Wert und das Maß der Arbeit durch ihre Zeitdauer in der Wertgröße des Arbeitsprodukts darstellt? (95) ✂. . . Wie sehr ein Teil der Ökonomen von dem der Warenwelt anklebenden Fetischismus oder dem gegenständlichen Schein der gesellschaftlichen Arbeitsbestimmungen getäuscht wird, beweist u. a. der langweilig abgeschmackte Zank über die Rolle der Natur in der Bildung des Tauschwerts. Da Tauschwert eine bestimmte gesellschaftliche Manier ist, die auf ein Ding verwandte Arbeit auszudrücken, kann er nicht mehr Naturstoff enthalten als etwa der Wechselkurs. (97) Erläuterungen Der religiöse Widerschein der wirklichen Welt ist Ergebnis eines undurchschauten Verhältnisses zur Natur. Nur eine vernünftige, aufgeklärte Praxis, die sich über die natürlichen Voraussetzungen und gesellschaftlichen Bedingungen Rechenschaft ablegt und die Verhältnisse entsprechend ändert, kann den quasireligiösen Fetischcharakter der Waren beseitigen. Aufklärung allein reicht nicht aus, die Warenproduktion selbst muss aufhören. Wie das geschehen soll, wird hier nicht gesagt. Nur Ziel und Mittel werden formuliert: Freiheit und gemeinschaftliche Planung. Die immensen Informations- und Steuerungsprobleme einer Planwirtschaft von großen Flächenstaaten hat Marx noch nicht erkannt. Als Voraussetzung nennt er nur ein hohes Maß an technischer Naturbeherrschung wie sie der Kapitalismus qualvoll einführt. Der Abschnitt schließt mit einer Würdigung Ricardos und einer Polemik gegen andere zeitgenössischen Ökonomen (MEW 23, S. 94-98 Anm. 31 bis 36). Ricardo habe die relativen Tauschwerte beispielsweise von Diamanten und Perlen als Arbeit erkannt. Ihm sei nicht gelungen, für diese inhaltlich unbestimmte Arbeit den Begriff „abstrakte Arbeit“ zu formulieren und den inneren Zusammenhang dieses einzig korrekten Begriffs von Arbeit mit dem gesellschaftlichen Ursprung von Wert und Wertform darzustellen, ein Verdienst, das Marx als seinen alleinigen Beitrag zur klassischen Ökonomie beansprucht. Die ausufernde Polemik gegen die „Vulgärökonomen“ überdeckt die unzureichende Auseinandersetzung von Marx mit der Rolle der Naturgüter bei der Wertbildung. Marx teilt die Überzeugung Ricardos, dass Erz- und Kohlelager, brachliegende Grundstücke oder Wasserfälle, auf

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die noch keine Arbeit aufgewendet wurde, keinen Wert besitzen, obschon sie als Waren gehandelt werden. Böhm-Bawerk hat in seiner klugen Besprechung der drei Bände des Kapital zutreffend festgestellt, dass Marx bei seiner Definition des Warenwerts die Naturgüter von vornherein ausschließt. „Hätte Marx an der entscheidenden Stelle die Untersuchung nicht auf die Arbeitsprodukte eingeengt, sondern auch bei den tauschwerten Naturgaben nach dem Gemeinsamen gesucht, so wäre es handgreiflich gewesen, daß die Arbeit das Gemeinsame nicht sein kann.“ (Böhm-Bawerk 1896, 85) Die scharfsinnigen logischen Erörterungen der ersten 100 Seiten des Kapital seien wegen des falschen empirischen Ausgangspunktes gegenstandslos. Böhm-Bawerk hat recht, wenn man Marx denselben Arbeitsmengenbegriff wie Ricardo unterstellt. Wie bisher gezeigt, verändert aber Marx den Arbeitsmengenbegriff zu einem soziologischen Begriff: abstrakte Arbeit ist das erst durch den Tausch hergestellte Gemeinsame der Waren. Die durchschnittlich erforderliche verkörperte Arbeitsmenge ist nur Voraussetzung, aber nicht die soziale Ursache der abstrakten Arbeit. Diese Argumentation beachtet Böhm-Bawerk nicht, da es ihm als Vertreter der Grenznutzentheorie nur um die empirisch gestützte Grundlagenkritik der Arbeitsmengentheorie geht. Für Marx folgt der Tausch von Naturgütern denselben sozialen Regeln, wie der Tausch von Arbeitsprodukten, in ihnen ist ein soziales Verhältnis versteckt. (MEW 23, 117)

2. Kapital und Lohnarbeit: Die Ausbeutung Übersicht Die bisher besprochenen Texte des Kapital beschäftigten sich mit der sozialen Struktur der Warenproduktion. Nun wendet sich Marx seinem zweiten zentralen Thema zu: der Entstehung des Kapitals aus der Lohnarbeit. Kapital ist ein Geldbetrag, der investiert wird, um einen Gewinn zu erzielen, oder allgemeiner ausgedrückt, Kapital ist Geld, das sich vermehrt. Ein Händler kauft Hosen in der Fabrik und verkauft sie teurer, als er sie eingekauft hat. Er macht einen Gewinn, sein eingesetztes Geld hat sich vermehrt. Aus methodischen Gründen verwenden die Texte nicht den Ausdruck Gewinn sondern Mehrwert, und sie sprechen nicht von Preisen, sondern von Werten. Dabei wird vorläufig unterstellt, dass Werte und Preise, Gewinn und Mehrwert identisch sind. Marx zeigt, dass die Entstehung von Gewinnen (= Mehrwert) nicht durch einen Preisaufschlag auf den Einkaufspreis erklärbar ist. Der Händler verkauft die Hosen zum selben Preis (=Wert), wie sie auch der Hosenfabrikant ohne Beteiligung des Händlers verkauft hätte. Der Händler nimmt dem Fabrikanten nur die Verkaufsarbeit ab, sein Mehrwert kommt nicht aus einem Preisaufschlag, sondern von einem Preisnachlass des Hosenfabrikanten. Mit anderen Worten, der Händler realisiert lediglich einen Geldbetrag als Mehrwert, der schon in der Hosenfabrik entstanden ist. So heißt die Frage, wie kann in der Fabrik der Mehrwert des Unternehmers (und des Händlers) entstehen. Unterstellt wird ferner, dass bei dem gesamten Vorgang niemand betrogen wird. Die Regeln des Äquivalententausch werden eingehalten. Der Unternehmer kauft Rohstoffe, Maschinen und Arbeitskräfte zu ihren Werten, und verkauft die hergestellten Waren gleichfalls zu ihren Werten. Wie kann unter diesen Bedingungen Mehrwert (= Gewinn) entstehen. Die Antwort muss beim Arbeitslohn gesucht werden. Was bezahlt der Unternehmer mit dem Lohn: die Arbeit oder die Arbeiter. Würde er die Arbeit bezahlen, könnte kein Mehrwert entstehen. Er bezahlt die Arbeiter, deren Arbeit glücklicherweise mehr Wert erzeugen, als für ihren Lohn erforderlich ist. Eingehend beschäftigen sich die Texte mit den zwei Wegen, den Mehrwert zu steigern: die Verlängerung der Arbeitszeit und die Steigerung der Produktivität durch Maschineneinsatz. Der Text der MEW (Bd. 23, 99-590) enthält zahlreiche Wiederholungen und sehr zeitgebundene Erörterungen. Er wird daher in einer

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rigide gekürzten Fassung vorgestellt. Wie bisher verwendet Marx zwei Begriffe von Wert nebeneinander: Wert als vergegenständlichte Arbeitsmenge und Wert als versachlichte soziale Beziehung der Privatproduzenten. Der Grund wird in diesem Abschnitt besonders deutlich: Ausbeutung ließ sich auf dem Boden der Arbeitsmengentheorie einfach herleiten, während Marx’ sozialer Wertbegriff eine ungleich komplizierte Beweisführung erforderlich macht.

2.1. Elemente und Struktur des Warentauschs: MEW 23, 99-102 Geltungsgründe von Rechtsverhältnissen Die Waren können nicht selbst zu Markte gehn und sich nicht selbst austauschen. Wir müssen uns also nach ihren Hütern umsehn, den Warenbesitzern. Die Waren sind Dinge und daher widerstandslos gegen den Menschen. Wenn sie nicht willig, kann er Gewalt brauchen, in andren Worten, sie nehmen. Um diese Dinge als Waren aufeinander zu beziehn, müssen die Warenhüter sich zueinander als Personen verhalten, deren Willen in jenen Dingen haust, so daß der eine nur mit dem Willen des andren, also jeder nur vermittelst eines beiden gemeinsamen Willensakts sich die fremde Ware aneignet, indem er die eigne veräußert. Sie müssen sich daher wechselseitig als Privateigentümer anerkennen. Dies Rechtsverhältnis, dessen Form der Vertrag ist, ob nun legal entwickelt oder nicht, ist ein Willensverhältnis, worin sich das ökonomische Verhältnis widerspiegelt. Der Inhalt dieses Rechts- oder Willensverhältnisses ist durch das ökonomische Verhältnis selbst gegeben. Die Personen existieren hier nur // 99 // füreinander als Repräsentanten von Ware und daher als Warenbesitzer. Wir werden überhaupt im Fortgang der Entwicklung finden, daß die ökonomischen Charaktermasken der Personen nur die Personifikationen der ökonomischen Verhältnisse sind, als deren Träger sie sich gegenübertreten. ✂. . . (100) Geld als Medium des Warentauschs ✂. . . In ihrer Verlegenheit denken unsre Warenbesitzer wie Faust. Im Anfang war die Tat. Sie haben daher schon gehandelt, bevor sie gedacht haben. Die Gesetze der Warennatur betätigten sich im Naturinstinkt der Warenbesitzer. Sie können ihre Waren nur als Werte und darum nur als Waren aufeinander beziehn, indem sie dieselben gegensätzlich auf irgendeine andre Ware als allgemeines Äquivalent beziehn. Das ergab die Analyse der Ware.

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Aber nur die gesellschaftliche Tat kann eine bestimmte Ware zum allgemeinen Äquivalent machen. Die gesellschaftliche Aktion aller andren Waren schließt daher eine bestimmte Ware aus, worin sie allseitig ihre Werte darstellen. Dadurch wird die Naturalform dieser Ware gesellschaftlich gültige Äquivalentform. Allgemeines Äquivalent zu sein wird durch den gesellschaftlichen Prozeß zur spezifisch gesellschaftlichen Funktion der ausgeschlossenen Ware. So wird sie – Geld. ✂. . . // 101 // Die historische Ausweitung und Vertiefung des Austausches entwickelt den in der Warennatur schlummernden Gegensatz von Gebrauchswert und Wert. Das Bedürfnis, diesen Gegensatz für den Verkehr äußerlich darzustellen, treibt zu einer selbständigen Form des Warenwerts und ruht und rastet nicht, bis sie endgültig erzielt ist durch die Verdopplung der Ware in Ware und Geld. In demselben Maße daher, worin sich die Verwandlung der Arbeitsprodukte in Waren, vollzieht sich die Verwandlung von Ware in Geld. (102 ) ✂. . . Erläuterungen Der Text erörtert die Entstehung des Geldes unter dem Gesichtspunkt von individuellem Handeln und gesellschaftlichen Handlungsbedingungen. Die ironischen Zitate aus Goethes Faust sollen zeigen, dass die Taten der Warenproduzenten gesellschaftliche Voraussetzungen haben, die sie nicht geschaffen haben. Der Text legt nahe, dass die Umstände bestimmender sind, als die Handlungsfreiheit der Warenproduzenten. Implizit widerspricht Marx der Naturrechtslehre von Hobbes. Der Kampf aller gegen alle ist kein „Naturzustand“, sondern selbst schon ein historisches Ergebnis, Ausdruck des Interessenkampfes der Warenbesitzer. Die staatliche Garantie des Eigentums beendet keineswegs ein „natürliches“ Verhältnis der Menschen, sondern ist eine weitere Stufe des Zivilisationsprozesses (MacPherson 1967). Der Begriff Charaktermaske entspricht in etwa dem späteren soziologischen Begriff der Rolle. Beide Begriffe verweisen auf das Theater. Die Erklärung des Verhaltens von Kapitalist und Lohnarbeiter darf nicht aus den persönlichen Motiven oder Charaktereigenschaften erfolgen, sondern aus ihrer Stellung im gesellschaftlichen System. Die Redeweise des Textes von der Personifikation ökonomischer Verhältnisse sollte nicht zu eng verstanden werden. Im Kontext des Kapital wird unter Ökonomie immer ein soziales Verhältnis verstanden und nicht nur die wirtschaftliche Betätigung. Auf das schwierige Problem, auf welche Weise und in welchen Schritten aus Handlungen Systeme entstehen, geht der Text nicht ein. Es wird nur eine Entsprechung zwischen Warentausch und Vertragsrecht behauptet. Die historische Entstehung des Vertragsrechts aus dem Warentausch wird nicht dargestellt.

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In einer längeren Anmerkung wenige Seiten zuvor hatte der Text eine missverständlich vereinfachende Formulierungen aus der Einleitung zur Kritik der Politischen Ökonomie von 1859 wiederholt (MEW 13, 8-9). Die ökonomische Struktur der Gesellschaft sei die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebe und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewusstseinsformen entsprächen (MEW 23, 96). Die Art und Weise, wie die Menschen ihr Leben gewinnen, erkläre, warum z. B. die Geschichte des Grundeigentums die Geheimgeschichte der antiken römischen Republik bilde. Daher könne auch das Mittelalter nicht aus dem Katholizismus erklärt werden. Schon Don Quichotte habe den Irrtum gebüßt, dass er die fahrende Ritterschaft mit allen ökonomischen Formen der Gesellschaft gleich verträglich wähnte. Diese lockeren Bemerkungen erklären nur wenig. Die Begriffe Basis und Überbau werden nicht definiert, die Prozesse der Vermittlung nicht erläutert. Weitaus vorsichtiger hieß es noch 1852 in der Einleitung zum 18ten Brumaire des Louis Bonapartes: Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen (MEW 8, 115). Welche Veränderungsmöglichkeit der Einzelne hat, bleibt in der Schwebe. Max Weber (1864-1920), einer der wirkungsmächtigsten Soziologen des 20. Jahrhunderts, hat mit seiner soziologischen Theorie die Gegenposition bezogen (Bader 1976; Käsler 1995). Ausgangspunkt der Erklärung gesellschaftlicher Verhältnisse ist nicht wie bei Marx vergesellschaftetes Arbeiten, sondern individuelles Handeln. Soziales Handeln ist in seinem Ablauf ursächlich nur erklärbar, wenn der subjektiv gemeinte Sinn der Handelnden erfasst wird (Weber 1956, 3). Aber auch Max Weber kannte die Grenzen des „Methodischen Individualismus“(Fistetti 1999). Markt, Tausch und Geldgebrauch unterstellen eine Orientierung des Handelns an den unterschiedlichen Interessen unbestimmt vieler anderer Individuen. Da dies unrealistisch ist, greift Weber zu der Hilfskonstruktion, den Markt als Gebilde zu betrachten, „als ob eine auf seine Herbeiführung abgezweckte Ordnung geschaffen worden wäre“ (Weber 1956, 489). Der Markt wird somit von Weber nicht aus den Absichten der Handelnden erklärt, sondern als eine äußere Ordnung behandelt. Noch deutlicher wird dies beim Tausch. Die Händler müssen, um ihren Vorteil zu wahren, die Angebote anderer antizipieren und zu unterbieten versuchen. Dabei orientieren sie sich am Preis. Auf diesen haben weder sie noch die anderen Marktteilnehmer unmittelbaren Einfluss. Die Marktteilnehmer orientierten sich also nicht mehr an unbestimmt vielen Personen, sondern an einem Geldbetrag. Sie beurteilen den eigenen Vorteil

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durch ein äußeres Datum, die Marktlage (Weber 1956, 43). In den Preisen kommen nicht die Zielvorstellungen der Händler, sondern die Ergebnisse des Marktes zum Vorschein. Die handlungstheoretische Erklärung ist dafür unzureichend (Bader 1976).

2.2. Die Funktion des Geldes MEW 23, 102-160 Fehlerhafte Gelddefinitionen Geld als Zeichen Man hat gesehn, daß die Geldform nur der an einer Ware festhaftende Reflex der Beziehungen aller andren Waren. Daß Geld Ware ist, ist also nur eine Entdeckung für den, der von seiner fertigen Gestalt ausgeht, um sie hinterher zu analysieren. Der Austauschprozeß gibt der Ware, die er in Geld verwandelt, nicht ihren Wert, sondern ihre spezifische Wertform. Die Verwechslung beider Bestimmungen verleitete dazu, den Wert von Gold und Silber für imaginär zu halten. Weil Geld in bestimmten Funktionen durch bloße Zeichen seiner selbst ersetzt werden kann, entsprang der andre Irrtum, es sei ein bloßes Zeichen. Andrerseits lag darin die Ahnung, daß die Geldform des Dings ihm selbst äußerlich und bloße Erscheinungsform dahinter versteckter menschlicher Verhältnisse. In diesem Sinn wäre jede Ware ein Zeichen, weil als Wert nur sachliche Hülle der auf sie verausgabten menschlichen Arbeit. Indem man aber die gesellschaftlichen Charaktere, // 105 // welche Sachen, oder die sachlichen Charaktere, welche gesellschaftliche Bestimmungen der Arbeit auf Grundlage einer bestimmten Produktionsweise erhalten, für bloße Zeichen, erklärt man sie zugleich für willkürliches Reflexionsprodukt der Menschen. Es war dies beliebte Aufklärungsmanier des 18. Jahrhunderts, um den rätselhaften Gestalten menschlicher Verhältnisse, deren Entstehungsprozeß man noch nicht entziffern konnte, wenigstens vorläufig den Schein der Fremdheit abzustreifen. ✂. . . (106) Der Fetischcharakter des Geldes Wir sahen, wie schon in dem einfachsten Wertausdruck, x Ware A = y Ware B, das Ding, worin die Wertgröße eines andren Dings dargestellt wird, seine Äquivalentform unabhängig von dieser Beziehung als gesellschaftliche Natureigenschaft zu besitzen scheint. Wir verfolgten die Befestigung dieses falschen Scheins. Er ist vollendet, sobald die allgemeine Äquivalentform mit der Naturalform einer besondren Warenart verwachsen oder zur Geldform kristallisiert ist. Eine Ware scheint nicht erst Geld zu werden, weil die andren Waren allseitig ihre Werte in ihr darstellen, sondern sie scheinen umgekehrt

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allgemein ihre Werte in ihr darzustellen, weil sie Geld ist. Die vermittelnde Bewegung verschwindet in ihrem eignen Resultat und läßt keine Spur zurück. Ohne ihr Zutun finden die Waren ihre eigne Wertgestalt fertig vor als einen außer und neben ihnen existierenden Warenkörper. Diese Dinge, Gold und Silber, wie sie aus den Eingeweiden der Erde herauskommen, sind zugleich die unmittelbare Inkarnation aller menschlichen Arbeit. Daher die Magie des Geldes. Das bloß // 107 // atomistische Verhalten der Menschen in ihrem gesellschaftlichen Produktionsprozeß und daher die von ihrer Kontrolle und ihrem bewußten individuellen Tun unabhängige, sachliche Gestalt ihrer eignen Produktionsverhältnisse erscheinen zunächst darin, daß ihre Arbeitsprodukte allgemein die Warenform annehmen. Das Rätsel des Geldfetischs ist daher nur das sichtbar gewordne, die Augen blendende Rätsel des Warenfetischs. // 108 // Erläuterungen In den hier übergangenen Texten (MEW 23, 102 –104) wird die lange und von vielen Zufälligkeiten bestimmte Entwicklung des Geldmaterials bis hin zum Edelmetall geschildert, Marx beschränkt sich dabei auf die Tauschfunktion des Geldes, kulturbezogene Entstehungstheorien des Geldes diskutiert Marx nicht. (Ch. Braun 2012) Geld ist eine Ware wie ein Rock, nur in allgemeiner Äquivalentform, unmittelbar gegen alle Waren austauschbar. Diese Wertform erhält das Geld durch die gesellschaftliche Praxis des Tauschs, erinnert der Text an die vorhergehenden Ausführungen. Dagegen richtet sich der Wert des Geldes nach den üblichen Produktionskosten des Geldmaterials, Gold oder Silber beispielsweise. Ohne seinen Materialwert würde niemand Geld annehmen. Marx ist wie Smith und Ricardo Metallist. Geld wird also nicht nur Geld, weil alle es als Geld akzeptieren, wie Max Weber später streng handlungstheoretisch formulierte (Weber 1956 I/ 53). In einer Anmerkung (MEW 23, 99) verspottet Marx die Reformvorschläge von J. Proudhon, Geld durch Arbeitsstundenzettel zu ersetzen. Durch die ständige Senkung der Produktionskosten der Waren würden sie fortschreitend überbewertet. Wer vorschlage, das Geld überhaupt abzuschaffen, könne ebenso fordern, den Papst abzuschaffen und den Katholizismus bestehen zu lassen. (MEW 23, 102) Der Warentausch macht Geld unausweichlich erforderlich. Geld ist kein bloßes Zeichen, oder ein Symbol für den Anteil an der gesamtgesellschaftlichen Arbeitszeit sagt der Text. Münzgeld kann zwar durch Banknoten oder Schuldscheine ersetzt werden, aber die gesetzliche Einlösepflicht gegen Gold widerspricht dem bloßen Zeichencharakter. Die Täuschung, die vom Geld ausgeht ist viel grundle-

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gender. Gold und Silber, wie sie aus den Eingeweiden der Erde herauskommen, scheinen von Natur aus der natürliche Gegenwert aller Waren, d. h. Geld zu sein. Das Wissen, dass die Geldfunktion erst durch das atomistische Produktions- und Tauschverhalten der Menschen entstand, ist nicht mehr präsent. Der Fetischcharakter der Ware, der bei dem Tausch von Dingen die historischen und gesellschaftlichen Ursachen verhüllt, verstärkt sich durch den ständigen Geldgebrauch. Die vermittelnde Bewegung verschwindet in ihrem eignen Resultat und läßt keine Spur zurück. Die historischen Ursprünge des Geldgebrauchs werden endgültig vergessen. Geld wird zu einem Mythos des Alltags. (Barthes 1964) Der Text ist ein anschauliches Beispiel wie Marx Ricardos Arbeitsmengentheorie mit seiner Gesellschaftstheorie verbindet. Der Metallwert des Geldes besteht aus der aufgewandten Arbeitsmenge, der das Bewusstsein bestimmende Geldgebrauch kommt aus der sozialen Praxis. Die Unterscheidung von Wert und Preis Die Preisform ✂. . . Ich setze überall in dieser Schrift, der Vereinfachung halber, Gold als die Geldware voraus. Die erste Funktion des Goldes besteht darin, der Warenwelt das Material ihres Wertausdrucks zu liefern oder die Warenwerte als gleichnamige Größen, qualitativ gleiche und quantitativ vergleichbare, darzustellen. So funktioniert es als allgemeines Maß der Werte, und nur durch diese Funktion wird Gold, die spezifische Äquivalentware, zunächst Geld. Die Waren werden nicht durch das Geld kommensurabel. Umgekehrt. Weil alle Waren als Werte vergegenständlichte menschliche Arbeit, daher an und für sich kommensurabel sind, können sie ihre Werte gemeinschaftlich in derselben spezifischen Ware messen und diese dadurch in ihr gemeinschaftliches Wertmaß oder Geld verwandeln. Geld als Wertmaß ist notwendige Erscheinungsform des immanenten Wertmaßes der Waren, der Arbeitszeit. (109) ✂. . . Der Preis oder die Geldform der Waren ist, wie ihre Wertform überhaupt, eine von ihrer handgreiflich reellen Körperform unterschiedne, also nur ideelle oder vorgestellte Form. ✂. . . // 110 // Jeder Warenhüter weiß, daß er seine Waren noch lange nicht vergoldet, wenn er ihrem Wert die Form des Preises oder vorgestellte Goldform gibt, und daß er kein Quentchen wirkliches Gold braucht, um Millionen Warenwerte in Gold zu schätzen. In seiner Funktion des Wertmaßes dient das Geld daher als nur vorgestelltes oder ideelles Geld. ✂. . . Dienen daher zwei verschiedne Waren, z. B. Gold und Silber, gleichzeitig als Wertmaße, so besitzen alle Waren zweierlei ver-

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schiedne Preisausdrücke, Goldpreise und Silberpreise, die ruhig nebeneinander laufen, solange das Wertverhältnis von Silber zu Gold unverändert bleibt, z. B. = 1:15. (111) ✂. . . Es ist zunächst klar, daß ein Wertwechsel des Goldes seine Funktion als Maßstab der Preise in keiner Weise beeinträchtigt. Wie auch der Goldwert wechsle, verschiedne Goldquanta bleiben stets in selbem Wertverhältnis zueinander. Fiele der Goldwert um 1000%, so würden nach wie vor 12 Unzen Gold 12mal mehr Wert besitzen als eine Unze Gold, und in den Preisen handelt es sich nur um das Verhältnis verschiedner Goldquanta zueinander. // 113 // Erläuterungen Der Unterschied von Wert und Preis ist auch im heutigen Sprachgebrauch geläufig. Eine Jacke ist ihr Geld wert heißt so viel, dass Qualität und Preis sich entsprechen. Bei Wohltätigkeitsbazaren werden überhöhte Liebhaberpreise verlangt, die Artikel sind ihr Geld nicht wert. Dieser Sprachgebrauch entspricht dem Unterschied von Gebrauchswert und Tauschwert. Das ist im Text nicht gemeint, sondern dass der Wert (Austauschbarkeit und Abhängigkeit von gesamtgesellschaftlichen Zeitnormen) mit verschiedenen Geldsorten sichtbar werden kann. Der identische Wert eines Rockes kann verschiedene Preise haben, je nachdem ob mit Goldwährung, Silberwährung oder einer anderen Währung gezahlt wird. Verhält sich der Wert von Silber zu Gold 2 : 1, dann ist bei gleichem Wert der Silberpreis des Rockes doppelt so hoch wie der Goldpreis. Allgemein gesagt: Preis ist der Ausdruck eines Wertes in einem bestimmten Geldmaterial. Die Preisform, die Erscheinungsweise des Preises, zeigt den Wert in einer bestimmten Währung (z. B. Dollar oder Euro). Dieses Verständnis von Preis und Preisform weicht vom heutigen Sprachgebrauch ab. Der Text setzt das Wissen voraus, dass in England seit 1821 die Eintauschbarkeit des umlaufenden Geldes in Gold gesetzlich garantiert war (Dürr 1981, 699). Bis zum Ende des Jahrhunderts gingen die meisten Staaten zum Goldstandard über. Daher kann der Text vereinfachend Gold als Geld ansehen. Das Geldmaterial kann wie andere Waren mehrere Gebrauchswerte haben. Der Gebrauchswert von Gold zum Reparieren von Zähnen oder als Schmuck bleibt unabhängig von seiner Verwendung als Geld erhalten. Nach dem ersten Weltkrieg wurde in vielen Ländern die Golddeckung abgeschafft, in den USA erst 1933. Die Konvertibilität der Währungen gegen Gold spielte im internationalen Zahlungsverkehr bis 1967 noch eine gewisse Rolle. (Sinn 2012, 212) Der Eigenwert des Geldma-

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terials ist angesichts des überwiegend bargeldlosen Zahlungsverkehrs und Papiergeldes heute unwichtig (Borchert 1997). Der Irrtum, dass Waren erst durch das Geld kommensurabel werden, und nicht schon durch das Tauschhandeln, verhärtet sich. Die moderne volkswirtschaftliche Preistheorie geht von anderen theoretischen Voraussetzungen als Marx aus und beschäftigt sich nur noch mit der Frage, welche Preise für einzelne Güter zustande kommen, wenn bestimmte Gütermengen von den Haushalten nachgefragt und von Unternehmen angeboten werden (Hesse 1981). Die Abweichung des Preises vom Wert ✂. . . Die Wertgröße der Ware drückt also ein notwendiges, ihrem Bildungsprozeß immanentes Verhältnis zur gesellschaftlichen Arbeitszeit aus. Mit der Verwandlung der Wertgröße in Preis erscheint dies notwendige Verhältnis als Austauschverhältnis einer Ware mit der außer ihr existierenden Geldware. In diesem Verhältnis kann sich aber ebensowohl die Wertgröße der Ware ausdrücken, als das Mehr oder Minder, worin sie unter gegebnen Umständen veräußerlich ist. Die Möglichkeit quantitativer Inkongruenz zwischen Preis und Wertgröße, oder der Abweichung des Preises von der Wertgröße, liegt also in der Preisform selbst. Es ist dies kein Mangel dieser Form, sondern macht sie umgekehrt zur adäquaten Form einer Produktionsweise, worin sich die Regel nur als blind wirkendes Durchschnittsgesetz der Regellosigkeit durchsetzen kann. Die Preisform läßt jedoch nicht nur die Möglichkeit quantitativer Inkongruenz zwischen Wertgröße und Preis, d. h. zwischen der Wertgröße und ihrem eignen Geldausdruck zu, sondern kann einen qualitativen Widerspruch beherbergen, so daß der Preis überhaupt aufhört, Wertausdruck zu sein, obgleich Geld nur die Wertform der Waren ist. Dinge, die an und für sich keine Waren sind, z. B. Gewissen, Ehre usw. , können ihren Besitzern für Geld feil sein und so durch ihren Preis die Warenform erhalten. Ein Ding kann daher formell einen Preis haben, ohne einen Wert zu haben. Der Preisausdruck wird hier imaginär wie gewisse Größen der Mathematik. Andrerseits kann auch die imaginäre Preisform, wie z. B. der Preis des unkultivierten Bodens, der keinen Wert hat, weil keine menschliche Arbeit in ihm vergegenständlicht ist, ein wirkliches Wertverhältnis oder von ihm abgeleitete Beziehung verbergen. (117) Erläuterungen Der Wert der Waren ist Produzenten und Händlern unbekannt. Wahrnehmbar sind nur die Preise, die den Wert in dem jeweiligen Geldmaterial anzeigen. Die Preise können zufällig mit den Werten übereinstimmen, in der

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Regel weichen sie vom Wert ab. Schon unterschiedliches metallisches Geldmaterial (Gold, Silber, diverse Legierungen) bringen unterschiedliche Preise für denselben Wert hervor. Aber selbst bei einheitlichem Geldmaterial z.B. Gold kann derselbe Wert unterschiedliche Preise haben. Die fast beliebige Teilbarkeit von Gold, ohne seine Qualität zu verändern, ermöglicht technisch, dass der Preis ein Mehr oder Minder der Wertgröße sein kann. Wintermäntel werden je nach Außentemperatur zu einem Mehr oder Minder ihres Wertes gehandelt. Die Preisform des Geldes ist die technische Voraussetzung von Angebot und Nachfrage auf dem Markt. Im dritten Band des Kapital wird erläutert, warum die Preise aus anderen Gründen fast immer vom Wert abweichen. (Vergl. S. 168 ff) Mit Ricardo stimmt Marx überein, dass Angebot und Nachfrage nur den Preis bestimmen. Die Austauschbarkeit der Waren, ihr Wert, wird nicht davon berührt, ob sie zu hohen oder niedrigen Preisen gehandelt werden. Übereinstimmend mit der Arbeitsmengentheorie hält Marx fest, dass Naturgüter (Bauerwartungsland oder unerschlossene Erzminen), für die noch keine Arbeit aufgewendet wurde, keinen Wert, aber einen Preis haben. Der Handel mit ihnen beruht auf einer vom Wertverhältnis abgeleiteten Beziehung, wie im dritten Band genauer dargestellt wird. (vergl. S. 194 ff.) Auch Ehre und Gewissen werden gegen Geld getauscht und praktisch so behandelt wie Arbeitsprodukte. Auf den folgenden Seiten der MEW (23, 118-160) finden sich vorwiegend historische Darlegungen, die kurz referiert werden. Handelskapital und Wucherkapital waren am Ende des Mittelalters die beiden vorherrschenden Kapitalformen. Durch An- und Verkauf von Tuchen, Gewürzen und anderen Waren erzielten Kaufleute Gewinne. Durch Verleihen von Geld gegen hohe Zinsen vermehrte sich das Kapital der Geldverleiher. Ausführlich wird die Funktion des Geldes für die Entwicklung des Warentauschs geschildert, und bisherige Ausführungen über die Wertform wiederholt. Geld ermöglicht, die zeitlichen, örtlichen und individuellen Schranken des Naturaltauschs zu überwinden. Verkauf und Kauf von Waren müssen nicht mehr unmittelbar zusammenfallen. Das kann auch die Ursache von Krisen sein (MEW 23, 127, 128, 152). Die erforderliche Geldmenge einer Volkswirtschaft hängt von der Warenmenge und der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes ab. Geld ermöglichte die Schatzbildung, die Vorratshaltung in Geld. Geldvorräte sichern auch bei schleppendem Geschäft die Kontinuität des Handels und sorgen damit für eine gewisse Preisstabilität. Die Geldwirtschaft war lange moralisch fragwürdig. Die antike Gesellschaft glaubte, dass Geld die Menschen zum Bösen verleite. Das Geld ändert das Verhalten von Menschen. Um es zu horten, müssen

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Menschen darauf verzichten, es auszugeben. Arbeitsamkeit, Sparsamkeit und Geiz sind die Kardinaltugenden des Schatzbildners. Geld löscht alle Unterschiede aus, es kann Privateigentum eines jeden werden. Die gesellschaftliche Macht wird so zur Privatmacht der Privatpersonen (MEW 23, 146).

2.3. Der Unterschied von Geld und Kapital: MEW 23, 161-169 Geldumlauf und Kapital Der Unterschied von Schatz und Kapital ✂. . . Der Trieb der Schatzbildung ist von Natur maßlos. Qualitativ oder seiner Form nach ist das Geld schrankenlos, d. h. allgemeiner Repräsentant des stofflichen Reichtums, weil in jede Ware unmittelbar umsetzbar. Aber zugleich ist jede wirkliche Geldsumme quantitativ beschränkt, daher auch nur Kaufmittel von beschränkter Wirkung. Dieser Widerspruch zwischen der quantitativen Schranke und der qualitativen Schrankenlosigkeit des Geldes treibt den Schatzbildner stets zurück zur Sisyphusarbeit der Akkumulation. Es geht ihm wie dem Welteroberer, der mit jedem neuen Land nur eine neue Grenze erobert. (MEW 23, 147) Zwei Formen der Geldzirkulation ✂. . . Die Warenzirkulation ist der Ausgangspunkt des Kapitals. Warenproduktion und entwickelte Warenzirkulation, Handel, bilden die historischen Voraussetzungen, unter denen es entsteht. Welthandel und Weltmarkt eröffnen im 16. Jahrhundert die moderne Lebensgeschichte des Kapitals. Sehn wir ab vom stofflichen Inhalt der Warenzirkulation, vom Austausch der verschiednen Gebrauchswerte, und betrachten wir nur die ökonomischen Formen, die dieser Prozeß erzeugt, so finden wir als sein letztes Produkt das Geld. Dies letzte Produkt der Warenzirkulation ist die erste Erscheinungsform des Kapitals. Historisch tritt das Kapital dem Grundeigentum überall zunächst in der Form von Geld gegenüber, als Geldvermögen, Kaufmannskapital und Wucherkapital. Jedoch bedarf es nicht des Rückblicks auf die Entstehungsgeschichte des Kapitals, um das Geld als seine erste Erscheinungsform zu erkennen. Dieselbe Geschichte spielt täglich vor unsren Augen. Jedes neue Kapital betritt in erster Instanz die Bühne, d. h. den Markt, Warenmarkt, Arbeitsmarkt oder Geldmarkt, immer noch als Geld, Geld, das sich durch

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bestimmte Prozesse in Kapital verwandeln soll. Geld als Geld und Geld als Kapital unterscheiden sich zunächst nur durch ihre verschiedne Zirkulationsform. // (161) // Die unmittelbare Form der Warenzirkulation ist W-G-W, Verwandlung von Ware in Geld und Rückverwandlung von Geld in Ware, verkaufen, um zu kaufen. Neben dieser Form finden wir aber eine zweite, spezifisch unterschiedne vor, die Form G-W-G, Verwandlung von Geld in Ware und Rückverwandlung von Ware in Geld, kaufen, um zu verkaufen. Geld, das in seiner Bewegung diese letztre Zirkulation beschreibt, verwandelt sich in Kapital, wird Kapital und ist schon seiner Bestimmung nach Kapital. (162) ✂. . . Der Kreislauf W-G-W geht aus von dem Extrem einer Ware und schließt ab mit dem Extrem einer andren Ware, die aus der Zirkulation heraus und der Konsumtion anheimfällt. Konsumtion, Befriedigung von Bedürfnissen, mit einem Wort, Gebrauchswert ist daher sein Endzweck. Der Kreislauf GW-G geht dagegen aus von dem Extrem des Geldes und kehrt schließlich zurück zu demselben Extrem. Sein treibendes Motiv und bestimmender Zweck ist daher der Tauschwert selbst. In der einfachen Warenzirkulation haben beide Extreme dieselbe ökonomische Form. Sie sind beide Ware. Sie sind auch Waren von derselben Wertgröße. Aber sie sind qualitativ verschiedne Gebrauchswerte, z. B. Korn und Kleider. Der Produktenaustausch, der Wechsel der verschiednen Stoffe, worin sich die gesellschaftliche Arbeit darstellt, bildet hier den Inhalt der Bewegung. Anders in der Zirkulation G-W-G. Sie scheint auf den ersten Blick inhaltslos, weil tautologisch. Beide Extreme haben dieselbe ökonomische Form. Sie sind beide Geld, also keine qualitativ unterschiedne Gebrauchswerte, denn Geld ist eben die verwandelte Gestalt der Waren, // 164 // worin ihre besondren Gebrauchswerte ausgelöscht sind. Der allgemeine Begriff des Kapital Erst 100 Pfd. St. gegen Baumwolle und dann wieder dieselbe Baumwolle gegen 100 Pfd. St. austauschen, also auf einem Umweg Geld gegen Geld, dasselbe gegen dasselbe, scheint eine ebenso zwecklose also abgeschmackte Operation. Eine Geldsumme kann sich von der andren Geldsumme überhaupt nur durch ihre Größe unterscheiden. Der Prozeß G-W-G schuldet seinen Inhalt daher keinem qualitativen Unterschied seiner Extreme, denn sie sind beide Geld, sondern nur ihrer quantitativen Verschiedenheit. Schließlich wird der Zirkulation mehr Geld entzogen, als anfangs hineingeworfen ward. Die zu 100 Pfd. St. gekaufte Baumwolle wird z. B. wieder verkauft zu 100 + 10 Pfd. St. oder 110 Pfd. St. Die vollständige Form dieses Prozesses ist daher G-W-G’, wo G’= G + D G, d. h. gleich der ursprünglich vorschos-

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senen Geldsumme plus einem Inkrement. Dieses Inkrement oder den Überschuß über den ursprünglichen Wert nenne ich Mehrwert (surplus value). Der ursprünglich vorgeschoßne Wert erhält sich daher nicht nur in der Zirkulation, sondern in ihr verändert er seine Wertgröße, setzt einen Mehrwert zu oder verwertet sich. Und diese Bewegung verwandelt ihn in Kapital. (165) ✂. . . Erläuterungen Der Text erinnert kurz an die Entstehungsgeschichte des Kapitalismus, die in einem späteren Kapitel ausführlicher geschildert wird (MEW 23, 741 ff). Hier sollen die ökonomischen Formen des Geldgebrauchs nicht historisch, sondern systematisch untersucht werden. Der Text führt einige Begriffe ein, die nun ständig verwendet werden. Die Zirkulation (Kreislauf) umfasst alle Vorgänge des Warentauschs: Einkauf von Rohstoffen, Maschinen, Arbeitskräften, Miete oder Kauf von Gebäuden, Kreditaufnahme, Verkauf der fertig gestellten Waren, Werbung, Versicherung, etc. Die eigentliche Produktion ist also in zahlreiche Zirkulationsvorgänge eingebunden. Die Untersuchung des Zusammenwirkens Produktion und Zirkulation wird methodisch für den zweiten und dritten Band des Kapital zurückgestellt. Kapital wird vorläufig ganz formal definiert. Kapital ist ein Geldkreislauf, bei dem sich Geld vermehrt, was für das Handelskapital unmittelbar einleuchtet. Die Ursachen für die Vermehrung des Geldbetrags werden noch nicht genannt. Zur Vorbereitung der Argumentation werden Warenkreislauf und Geldkreislauf miteinander verglichen Ziel und Zweck des Warenkreislaufs: W-G-W ist der Konsum einer Ware. Ein Bäcker verkauft Brötchen und kauft danach eine Zeitung. Das Geld vermittelt den Austausch und dient als Recheneinheit. Anders der Geldkreislauf G-W-G. 100 Pfund Baumwolle zu kaufen, um sie wieder zum selben Preis zu verkaufen, macht keinen Sinn. Ziel und Zweck des Geldkreislaufs ist ein höherer Verkaufserlös, ein Zuwachs an Geld. Diesen Zuwachs nennt der Text – scheinbar nur beschreibend – Mehrwert. Wert und Mehrwert werden hier nicht als Arbeitsmengen verstanden. Der Mehrwert ist ein Abkömmling des Werts und hat dieselben Eigenschaften. Mehrwert ist keine dingliche Größe in den Waren, genauso wenig wie der Wert. Er wird nur im Mehrerlös sichtbar, der bei erfolgreichem Verkauf von Waren entsteht. Seine Natur soll hier offen bleiben. Die Formulierung: der Wert erhält sich daher nicht nur in der Zirkulation, sondern in ihr verändert er seine Wertgröße, setzt einen Mehrwert zu oder verwertet sich. Und diese Bewegung verwandelt ihn in Kapital verweist auf die weiter unten erfolgende Erklärung des Mehrwerts.

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Die Rolle der Kapitalisten ✂. . . Das Ende jedes einzelnen Kreislaufs, worin sich der Kauf für den Verkauf vollzieht, bildet daher von selbst den Anfang eines // 166 // neuen Kreislaufs. Die einfache Warenzirkulation der Verkauf für den Kauf dient zum Mittel für einen außerhalb der Zirkulation liegenden Endzweck, die Aneignung von Gebrauchswerten, die Befriedigung von Bedürfnissen. Die Zirkulation des Geldes als Kapital ist dagegen Selbstzweck, denn die Verwertung des Werts existiert nur innerhalb dieser stets erneuerten Bewegung. Die Bewegung des Kapitals ist daher maßlos. ✂. . . Als bewußter Träger dieser Bewegung wird der Geldbesitzer Kapitalist. Seine Person, oder vielmehr seine Tasche, ist der Ausgangspunkt und der Rückkehrpunkt des Geldes. Der objektive Inhalt jener Zirkulation, die Verwertung des Werts ist sein subjektiver Zweck, und nur soweit wachsende Aneignung des abstrakten Reichtums das allein treibende Motiv // 167 // seiner Operationen, funktioniert er als Kapitalist oder personifiziertes, mit Willen und Bewußtsein begabtes Kapital. Der Gebrauchswert ist also nie als unmittelbarer Zweck des Kapitalisten zu behandeln. Auch nicht der einzelne Gewinn, sondern nur die rastlose Bewegung des Gewinnens. Dieser absolute Bereicherungstrieb, diese leidenschaftliche Jagd auf den Wert ist dem Kapitalisten mit dem Schatzbildner gemein, aber während der Schatzbildner nur der verrückte Kapitalist, ist der Kapitalist der rationelle Schatzbildner. Die rastlose Vermehrung des Werts, die der Schatzbildner anstrebt, indem er das Geld vor der Zirkulation zu retten sucht, erreicht der klügere Kapitalist, indem er es stets von neuem der Zirkulation preisgibt. (168) Erläuterungen Der Tauschwert und nicht der Gebrauchswert ist das Ziel kapitalistischer Produktionsweise. Solange Gebrauchswerte Ziel des Wirtschaftens sind, bleibt der Reichtum begrenzt, auch wenn er im Einzelfall sehr groß und die Verteilung ungerecht ist. Die 192 Paar Schuhe von Prinzessin Diana galten zwar als beneidenswerter Luxus, gehören aber der Form nach zu einer vorkapitalistischen Produktionsweise. Noch mehr Schuhe anzuschaffen, hätte wenig Sinn gemacht. Ganz anders, wenn der Tauschwert Ziel des Wirtschaftens ist. Der Gelderwerb kennt keine innere Grenze. Aus der Sicht von Verbrauchern ist Gelderwerb um des Gelderwerbs willen, irrational. Aber das Kapital hat nicht die Sicht von Verbrauchern. Max Weber hat das sehr anschaulich dargestellt. „Streben nach Gewinn, nach Geldgewinn, nach möglichst hohem Geldgewinn hat an sich mit Kapitalismus gar nichts zu schaffen. Dies Streben fand und findet sich bei Kellnern, Ärzten, Kut-

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schern, Künstlern, Kokotten, bestechlichen Beamten Soldaten, Räubern, Kreuzfahrern Spielhöllenbesuchern, Bettlern: man kann sagen bei „all sorts and conditions of men“ zu allen Epochen aller Länder der Erde ✂. . . Schrankenlose Erwerbsgier ist nicht im mindesten gleich Kapitalismus, noch weniger mit dessen „Geist“. Kapitalismus kann geradezu identisch sein mit Bändigung, mindestens mit rationaler Temperierung dieses irrationalen Triebes. Allerdings ist Kapitalismus identisch mit dem Streben nach Gewinn im kontinuierlichen, rationalen kapitalistischen Betrieb, nach immer erneutem Gewinn, nach „Rentabilität“. Denn er muss es sein“ (Weber 1963, 5). Anders als Max Weber erklärt Marx dieses Verhalten aus der Struktur des Geldes. Der Verkaufserlös ist zwar höher als die Geldsumme für den Wareneinsatz, aber der Erlös bleibt dennoch eine beschränkte Wertsumme. Wird er nicht wieder zum Kauf von Waren eingesetzt, fällt er aus seiner Rolle und hört auf Kapital zu sein. In der Anmerkung zitiert Marx Aristoteles (Über den Staat). Jede Tätigkeit, die ihr Ziel nicht als Mittel, sondern als Endzweck ansieht, ist unbegrenzt in ihrem Streben. Die rastlose Bewegung des Gewinnens ist keine Charaktereigenschaft des Kapitalisten, sondern eine Systemnotwendigkeit. Bei Strafe des Untergangs muss er sich so verhalten, sagt Marx etwas später. Es kann dem Kapitalisten nicht um Gebrauchswerte gehen, um Stiefel, Hüte, Eier, Kattune und andere höchst familiäre Sorten von Gebrauchswert (MEW 23, 168). Es ist gleichgültig, ob er mit Margarine oder Kanonen sein Geld macht. Selbstredend haben auch Unternehmer oft einen persönlichen Bezug zu ihren Produkten, aber ausschlaggebend ist die Rentabilität. Sobald Kapitalgesellschaften an die Stelle der Unternehmer treten, wird das völlig eindeutig (shareholder value). Der Kapitalist als rationeller Schatzbildner nimmt Max Webers Bestimmungen des rationalen Wirtschaftens (Weber 1963, 1-15) vorweg: Rationalität als Zweckrationalität: der Einsatz optimaler Mittel für Ziele, die aus einem Spektrum von Möglichkeiten ausgewählt wurden. Theorie des Kapitals Kapital als automatisches Subjekt Die selbständigen Formen, die Geldformen, welche der Wert der Waren in der einfachen Zirkulation annimmt, vermitteln nur den Warenaustausch und verschwinden im Endresultat der Bewegung. In der Zirkulation G-W-G funktionieren dagegen beide, Ware und Geld, nur als verschiedne Existenzweisen des Werts selbst, das Geld seine allgemeine, die Ware seine besondre,

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sozusagen nur verkleidete Existenzweise. Er geht beständig aus // 168 // der einen Form in die andre über, ohne sich in dieser Bewegung zu verlieren, und verwandelt sich so in ein automatisches Subjekt. Fixiert man die besondren Erscheinungsformen, welche der sich verwertende Wert im Kreislauf seines Lebens abwechselnd annimmt, so erhält man die Erklärungen: Kapital ist Geld, Kapital ist Ware. In der Tat wird der Wert hier das Subjekt eines Prozesses, worin er unter dem beständigen Wechsel der Formen von Geld und Ware seine Größe selbst verändert, sich als Mehrwert von sich selbst als ursprünglichem Wert abstößt, sich selbst verwertet. Denn die Bewegung, worin er Mehrwert zusetzt, ist seine eigne Bewegung, seine Verwertung also Selbstverwertung. Er hat die okkulte Qualität erhalten, Wert zu setzen, weil er Wert ist. Er wirft lebendige Junge oder legt wenigstens goldne Eier. Als das übergreifende Subjekt eines solchen Prozesses, worin er Geldform und Warenform bald annimmt, bald abstreift, sich aber in diesem Wechsel erhält und ausreckt, bedarf der Wert vor allem einer selbständigen Form, wodurch seine Identität mit sich selbst konstatiert wird. Und diese Form besitzt er nur im Gelde. Dies bildet daher Ausgangspunkt und Schlußpunkt jedes Verwertungsprozesses. Er war 100 Pfd. St., er ist jetzt 110 Pfd. St. usw. Aber das Geld selbst gilt hier nur als eine Form des Werts, denn er hat deren zwei. Ohne die Annahme der Warenform wird das Geld nicht Kapital. Das Geld tritt hier also nicht polemisch gegen die Ware auf, wie in der Schatzbildung. Der Kapitalist weiß, daß alle Waren, wie lumpig sie immer aussehn oder wie schlecht sie immer riechen, im Glauben und in der Wahrheit Geld, innerlich beschnittne Juden sind und zudem wundertätige Mittel, um aus Geld mehr Geld zu machen. Kapital als prozessierende Substanz Wenn in der einfachen Zirkulation der Wert der Waren ihrem Gebrauchswert gegenüber höchstens die selbständige Form des Geldes erhält, so stellt er sich hier plötzlich dar als eine prozessierende, sich selbst bewegende Substanz, für welche Ware und Geld beide bloße Formen. Aber noch mehr. Statt Warenverhältnisse darzustellen, tritt er jetzt sozusagen in ein Privatverhältnis zu sich selbst. Er unterscheidet sich als ursprünglicher Wert von sich selbst als Mehrwert, als Gott Vater von sich selbst als Gott Sohn, und beide sind vom selben Alter und bilden in der Tat nur eine Person, denn nur durch den Mehrwert von 10 Pfd. St. werden die vorgeschossenen 100 Pfd. St. Kapital, und sobald sie dies geworden, sobald der Sohn // 169 // und durch den Sohn der Vater erzeugt, verschwindet ihr Unterschied wieder und sind beide Eins, 110 Pfd. St.

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Der Wert wird also prozessierender Wert, prozessierendes Geld und als solches Kapital. Er kommt aus der Zirkulation her, geht wieder in sie ein, erhält und vervielfältigt sich in ihr, kehrt vergrößert aus ihr zurück und beginnt denselben Kreislauf stets wieder von neuem. G-G’, geldheckendes Geld money which begets money lautet die Beschreibung des Kapitals im Munde seiner ersten Dolmetscher, der Merkantilisten. Drei Formen des Kapitals Kaufen, um zu verkaufen, oder vollständiger, kaufen, um teurer zu verkaufen, G-W-G’, scheint zwar nur einer Art des Kapitals, dem Kaufmannskapital, eigentümliche Form. Aber auch das industrielle Kapital ist Geld, das sich in Ware verwandelt und durch den Verkauf der Ware in mehr Geld rückverwandelt. Akte, die etwa zwischen dem Kauf und dem Verkaufe, außerhalb der Zirkulationssphäre, vorgehn, ändern nichts an dieser Form der Bewegung. In dem zinstragenden Kapital endlich stellt sich die Zirkulation G-W-G’ abgekürzt dar, in ihrem Resultat ohne die Vermittlung, sozusagen im Lapidarstil, als G-G’, Geld, das gleich mehr Geld, Wert, der größer als er selbst ist. In der Tat also ist G-W-G’ die allgemeine Formel des Kapitals, wie es unmittelbar in der Zirkulationssphäre erscheint. (170) Erläuterungen: Scheinbar beschreibt der Text empirische Vorgänge: den Wechsel von Geld zu Ware und wieder zu Geld. Aber vor aller Empirie soll dreierlei gezeigt werden: 1. Die drei Formen des Kapitals: Kaufmannskapital, industrielles Kapital und Bankkapital funktionieren nach der Regel Geld – Ware – Geld. G – W – G ist daher die allgemeine Formel des Kapitals. 2. Zirkulierendes Geld, das sich vermehrt, ist Kapital. 3. Wert und Mehrwert unterscheiden sich nur durch ihre Quantität und ihre zeitliche Abfolge. Qualitativ, ihrer „Natur“ nach sind Wert und Mehrwert identisch. Der Text setzt die früheren Darlegungen über den Wert voraus. Wert wird hier nicht als Arbeitsmenge verstanden, sondern als Ergebnis gleichsinnigen sozialen Verhaltens, dem Austausch privat produzierter Güter. Waren und Geld sind nur verschiedene Existenzweisen der Austauschbarkeit. Geld, da unmittelbar gegen alle Waren austauschbar, ist die allgemeine Existenzweise des Werts, die einzelne Ware je eine besondere. Die Austauschbarkeit von Geld und Waren, der Wert, hat somit Eigenschaften, die gewöhnlich einem Subjekt zugeschrieben werden:

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identischer Träger verschiedener Zustände zu sein. Da aber die Austauschbarkeit kein menschliches Subjekt ist, sondern Ergebnis gesellschaftlichen Handelns, bezeichnet der Text den Wert als automatisches Subjekt, oder als übergreifendes Subjekt, sozusagen als artifizielles Subjekt. An anderer Stelle wird der Begriff automatisch erläutert. Sobald die Arbeitsmaschine alle zur Bearbeitung des Rohstoffs nötigen Bewegungen ohne menschliche Beihilfe verrichtet und nur noch menschlicher Nachhilfe bedarf, haben wir ein automatisches System der Maschinerie, das indes beständiger Ausarbeitung im Detail fähig ist (MEW 23, 402). Das automatische Subjekt hat keine physische Existenz, wie ein Mensch, aber ist durchaus real und keine Fiktion. Die gesellschaftliche Realität der Austauschbarkeit aller Waren ist nicht unwirklich, sie kommt durch unzählige gesellschaftliche Prozesse zustande. So kann der Text den Wert als Träger, als Subjekt eines Prozesses bezeichnen, der bei dem Austausch von Ware und Geld seine Größe selbst verändert. Die Zeitnorm, die Wertgröße, wird von keinem einzelnen Mitglied der Gesellschaft entscheidend beeinflusst. Die den Wert (hier gleich Preis) bestimmende Zeitnorm ist wie die Austauschbarkeit Ergebnis eines gesellschaftlichen Prozesses, zufälliges Ergebnis aller Produktionsvorgänge, deren Ergebnisse sich erst auf den Märkten zeigen. So kann der Text die Veränderung der Wertgrößen als Selbstverwertung bezeichnen. Der Mehrwert ist in dieser außerordentlich abstrakten Betrachtungsweise, die eigene Bewegung des Werts. Erst in den folgenden Abschnitten beschreibt Marx, dass nur die Lohnarbeit Mehrwert produziert. Im Text heißt es nur kryptisch allgemein: Ohne die Annahme der Warenform wird das Geld nicht Kapital. Die Lohnarbeit entwickelt sich in großem Umfang erst mit der privaten Warenproduktion. Daher kann die Lohnarbeit als Selbstverwertung des Werts deklariert werden. Über die Methode solcher Argumentation hatten Marx und Engels in der Deutschen Ideologie noch gespottet. Sie schrieben: Wohlfeilste Methode, deutsch – tief und spekulativ zu erscheinen. Z. B.: Faktum: Die Katze frißt die Maus. Reflexion: Katze – Natur, Maus – Natur, Verzehren der Maus durch die Katze = Verzehren der Natur durch die Natur = Selbstverzehren der Natur. Philosophische Darstellung des Faktums: Auf dem Selbstverzehren der Natur beruht das Gefressen werden der Maus von der Katze. Nachdem also auf diese Weise der Kampf des Menschen mit der Natur mystifiziert ist, wird die bewußte Tätigkeit des Menschen in Beziehung auf die Natur mystifiziert, indem sie als Erscheinung dieser bloßen Abstraktion wirklicher Kämpfe gefaßt wird (MEW 3, 469-470).

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Aber wie schon im ersten Abschnitt des Kapital greift Marx immer dann auf das hegelsche philosophische Instrumentarium zurück, wenn empirische Sachverhalte gesellschaftstheoretisch erklärt werden sollen. Allerdings betont der Text, dass die abstrakten Bestimmungen von Wert und Selbstverwertung des Werts selbst Ergebnis eines historischen Prozesses sind. Die Abstraktionen sind keine Abstraktionen des Kopfes, sondern der gesellschaftlichen Praxis. In der einfachen Warenzirkulation und bei der Schatzbildung stehen sich Ware und Geld noch polemisch gegenüber, Ware und Geld sind empirisch feststellbare Gegensätze. Erst bei voll entwickelter kapitalistischer Warenproduktion ist die problemlose wechselseitige Verwandlung von Ware und Geld möglich, erst dann kann der Kapitalist sicher sein, dass alle Waren Geld, innerlich beschnittene Juden (Haury 2010; Kaplan 1990) und wundertätige Mittel der Geldvermehrung sind. Erst in einem entwickelten kapitalistischen System zeigt die Ware ihre theologischen Mucken (MEW 23, 85). Ironisch erinnert der Text an die blutigen kirchlichen Auseinandersetzung des vierten Jahrhunderts über die Wesensgleichheit oder Wesensähnlichkeit des Gottessohnes mit Gottvater (Kettler 1962). Wert und Mehrwert sind wesensgleich: Ergebnis eines gesellschaftlichen Prozesses, bei dem konkrete, private Arbeit zu Wert wird, und Mehrarbeit, die ein Mehrprodukt erzeugt, als Mehrwert erscheint. Es ist derselbe gesellschaftliche Prozess, der die prozessierende sich selbst bewegende Substanz einerseits als Wert andererseits als Mehrwert in Erscheinung treten lässt. Substanz meint hier dasselbe wie automatisches Subjekt: eine verselbständigte gesellschaftliche Realität als Träger von Prozessen, die durch das Handeln aller zustande kommt und dennoch von niemandem allein wirksam beeinflusst werden kann. Der Größenwechsel des Werts besagt lediglich, dass der Anteil der einzelnen Ware am Gesamtwert wechseln kann. Eine größere Summe Geld stellt einen höheren Anteil am Gesamtwert dar, als eine kleinere Geldsumme. Es ändert sich die Relation der Teile zueinander und zum Gesamten (wobei auch der Gesamtwert wachsen kann). Der Mehrwert ist ein Verhältnis des Werts zu sich selbst. Der Vergleich mit der Trinitätsspekulation dürfte noch einen anderen Hintergrund haben. Er thematisiert Thesen der Hegelschen Erkenntnistheorie. Ein Subjekt geht aus sich heraus zum Objekt, erkennt den Unterschied zu sich selbst und kehrt mit dieser Erkenntnis zu sich zurück. Es ist formal dasselbe Muster wie Vater-Sohn-Geist. Wenn der Text – zwar ironisch – in dieser Weise die Bewegung des Werts konstruiert, wird damit zweierlei nahegelegt. Erstens ist Wertsein ein Prozess, nichts Stillstehendes, kein individueller, sondern ein gesellschaftlicher

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Prozess. Der Prozess hat seine eigene Dynamik, er bewegt sich selbst, er braucht keinen äußeren Anstoß. Er ist Selbstbeweger, das entspricht der aristotelischen Definition von Gott. Der Trinitätsvergleich legt damit zweitens nahe, den Hegelschen Geist (= Gott) und gesellschaftlichen Prozess gleichzusetzen. Der Wert und seine Metamorphosen, das Kapitalverhältnis, ist der säkularisierte Gott, sich selbst bewegend, unsichtbar und alles beherrschend wie Gott. Implizit sagt somit der Text, dass die Hegelsche Philosophie die Bewegung der bürgerlichen Gesellschaft begrifflich erfasst habe und daher ein geeignetes Instrumentarium sei, sie zu analysieren. Der langen Rede kurzer Sinn. Marx kennt die Problematik seiner Begriffe und Methode. Die bloß empirische Beschreibung der kapitalistischen Produktionsweise hält er für unzureichend, zumal in jede empirische Beschreibung philosophische Vorentscheidungen über die gewählten Begriffe eingehen. Marx weiß, dass auch die Hegelsche Philosophie historische Voraussetzungen hat und kein überzeitliches Instrument der Gesellschaftsanalyse darstellt. Aber zur Analyse der bürgerlichen Gesellschaft taugen ihre Begriffe. Unter diesen Voraussetzungen sagt der Text, der Kapitalismus ist ein historisch entstandenes System, dessen Struktur sich mit der Formel Geld – Ware – Geld erfassen lässt. Geld und Ware sind nur unterscheidbare Erscheinungsformen abstrakt gesellschaftlicher Arbeit, des Werts oder der allseitigen Austauschbarkeit von Produkten der gleichsam wie Atome voneinander isolierten Privatleute. Veränderungen der Wertgröße, der Mehrwert muss innerhalb dieser Struktur begreifbar gemacht werden. Dies ist das Thema der nächsten Abschnitte.

2.4. Die Enstehung des Mehrwerts aus Arbeit: MEW 23, 170-232 Historische und begriffliche Voraussetzungen Falsche Erklärungsversuche der Entstehung des Mehrwerts ✂. . . Werden Waren oder Waren und Geld von gleichem Tauschwert, also Äquivalente ausgetauscht, so zieht offenbar keiner mehr Wert aus der Zirkulation heraus, als er in sie hineinwirft. Es findet dann keine Bildung von Mehrwert statt. In seiner reinen Form aber bedingt der Zirkulationsprozeß der Waren Austausch von Äquivalenten. Jedoch gehn die Dinge in der Wirklichkeit nicht rein zu. Unterstellen wir daher Austausch von Nicht-Äquivalenten. ( 174 ) ✂. . .

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Gesetzt nun, es sei durch irgendein unerklärliches Privilegium dem Verkäufer gegeben, die Ware über ihrem Werte zu verkaufen, zu 110, wenn sie 100 wert ist, also mit einem nominellen Preisaufschlage von 10%. Der Verkäufer kassiert also einen Mehrwert von 10 ein. Aber nachdem er Verkäufer war, wird er Käufer. Ein dritter Warenbesitzer begegnet ihm jetzt als Verkäufer und genießt seinerseits das Privilegium, die Ware 10% zu teuer zu verkaufen. Unser Mann hat als Verkäufer 10 gewonnen, um als Käufer 10 zu verlieren. Das Ganze kommt in der Tat darauf hinaus, daß alle Warenbesitzer ihre Waren einander 10% über dem Wert verkaufen, was durchaus dasselbe ist, als ob sie die Waren zu ihren Werten verkauften. Ein solcher allgemeiner nomineller Preisaufschlag der Waren bringt dieselbe Wirkung hervor, als ob die Warenwerte z. B. in Silber statt in Gold geschätzt würden. Die Geldnamen, d. h. die Preise der Waren würden anschwellen, aber ihre Wertverhältnisse unverändert bleiben. (175) ✂. . . Die Gesamtheit der Kapitalistenklasse eines Landes kann sich nicht selbst übervorteilen. Man mag sich also drehen und wenden, wie man will, das Fazit bleibt dasselbe. Werden Äquivalente ausgetauscht, so entsteht kein Mehrwert, und // werden Nicht-Äquivalente ausgetauscht, so entsteht auch kein Mehrwert. Die Zirkulation oder der Warenaustausch schafft keinen Wert. (177) ✂. . . Soll die Verwertung des Handelskapitals nicht aus bloßer Prellerei der // 179 Warenproduzenten erklärt werden, so gehört dazu eine lange Reihe von Mittelgliedern, die hier, wo die Warenzirkulation und ihre einfachen Momente unsre einzige Voraussetzung bilden, noch gänzlich fehlt. Was vom Handelskapital, gilt noch mehr vom Wucherkapital (179) Kapital kann also nicht aus der Zirkulation entspringen, und es kann ebensowenig aus der Zirkulation nicht entspringen. Es muß zugleich in ihr und nicht in ihr entspringen. Ein doppeltes Resultat hat sich also ergeben. Die Verwandlung des Geldes in Kapital ist auf Grundlage dem Warenaustausch immanenter Gesetze zu entwickeln, so daß der Austausch von Äquivalenten als Ausgangspunkt gilt. (180) Erläuterungen Der Text kehrt aus den abstrakten Höhen zurück und stellt fest, dass die allgemeine Formel des Kapitals offen lässt, auf welchem Wege Geld sich selbst vermehren kann. Der Zuwachs des Geldes erfolgt durch Tauschvorgänge, also in der Zirkulationssphäre, aber nicht jeder Tausch ist Ursache von Zugewinn. Im einfachen Warentausch (z. B. Brot gegen Geld, Geld gegen eine Zeitung ) dient das Geld nur als Recheneinheit, um den Wert der Waren in Preisen auszudrücken. Der Tausch ist lediglich ein Formwechsel von Ware und Geld. Er bewirkt ebenso wenig eine Änderung

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der Wertgröße wie das Wechseln eines Euros in zwei fünfzig Cent Stücke. Die Geldvermehrung kann auch nicht durch Preisaufschläge erklärt werden. Der Winzer, der seinen Wein mit 10% über Wert verkauft, wird binnen kurzem beim Bäcker 10% mehr für Brot bezahlen müssen. Was er als Verkäufer gewinnt, verliert er als Käufer. Der Text der MEW diskutiert eine Reihe anderer denkbarer Fälle und kommt schließlich zum Ergebnis: Die Kapitalisten eines Landes können sich auf Dauer nicht selbst übervorteilen. Der bloße Warenaustausch schafft keinen Mehrwert. Auch Betrug verteilt den Gesamtwert der getauschten Waren nur anders zwischen den Besitzern, erzeugt aber keinen Mehrwert. Die naheliegenden Fragen, wie die Gewinne des Handelskapitals oder Zinsen ohne Preisaufschlag erklärbar sind, werden vom Text ausdrücklich zurückgestellt. (vergl. S. 178 ff) Eine Erklärung der Kapitalbildung muss zudem die Voraussetzung einhalten, dass Äquivalente getauscht werden. In der Anmerkung zu dieser Textstelle heißt es klarer: Wie kann Kapital entstehn bei der Regelung der Preise durch den Durchschnittspreis, d. h. in letzter Instanz durch den Wert der Ware? (MEW 23, 180-181). Freie Lohnarbeit als historische Voraussetzung des Kapitalismus ✂. . . Um aus dem Verbrauch einer Ware Wert herauszuziehn, müßte unser Geldbesitzer so glücklich sein, innerhalb der Zirkulationssphäre, auf dem Markt, eine Ware zu entdecken, deren Gebrauchswert selbst die eigentümliche Beschaffenheit besäße, Quelle von Wert zu sein, deren wirklicher Verbrauch also selbst Vergegenständlichung von Arbeit wäre, daher Wertschöpfung. Und der Geldbesitzer findet auf dem Markt eine solche spezifische Ware vor – das Arbeitsvermögen oder die Arbeitskraft. Unter Arbeitskraft oder Arbeitsvermögen verstehen wir den Inbegriff der physischen und geistigen Fähigkeiten, die in der Leiblichkeit, der lebendigen Persönlichkeit eines Menschen existieren und die er in Bewegung setzt, sooft er Gebrauchswerte irgendeiner Art produziert. Damit jedoch der Geldbesitzer die Arbeitskraft als Ware auf dem Markt vorfinde, müssen verschiedne Bedingungen erfüllt sein. (181) ✂. . . Methodische Bedenken Zur Verwandlung von Geld in Kapital muß der Geldbesitzer also den freien Arbeiter auf dem Warenmarkt vorfinden, frei in dem Doppelsinn, daß er als freie Person über seine Arbeitskraft als seine Ware verfügt, daß er andrerseits andre Waren nicht zu verkaufen hat, los und ledig, frei ist von allen zur Verwirklichung seiner Arbeitskraft nötigen Sachen.

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Die Frage, warum dieser freie Arbeiter ihm in der Zirkulationssphäre gegenübertritt, interessiert den Geldbesitzer nicht, der den Arbeitsmarkt als eine besondre Abteilung des Warenmarkts vorfindet. Und einstweilen interessiert sie uns ebensowenig. Wir halten theoretisch an der Tatsache fest, wie der Geldbesitzer praktisch. Eins jedoch ist klar. Die Natur produziert nicht auf der einen Seite Geld- oder Warenbesitzer und auf der andren bloße Besitzer der eignen Arbeitskräfte. Dies Verhältnis ist kein naturgeschichtliches und ebensowenig ein gesellschaftliches, das allen Geschichtsperioden gemein wäre. Es ist offenbar selbst das Resultat einer vorhergegangenen historischen Entwicklung, das Produkt vieler ökonomischen Umwälzungen, des Untergangs einer ganzen Reihe älterer Formationen der gesellschaftlichen Produktion. Auch die ökonomischen Kategorien, die wir früher betrachtet, tragen ihre geschichtliche Spur. Im Dasein des Produkts als Ware sind bestimmte historische Bedingungen eingehüllt. ✂. . . (183) Warenproduktion und Warenzirkulation können stattfinden, obgleich die weit überwiegende Produktenmasse, unmittelbar auf den Selbstbedarf gerichtet, sich nicht in Ware verwandelt, der gesellschaftliche Produktionsprozeß also noch lange nicht in seiner ganzen Breite und Tiefe vom Tauschwert beherrscht ist. ✂. . . Oder betrachten wir das Geld, so setzt es eine gewisse Höhe des Warenaustausches voraus. ✂. . . Anders mit dem Kapital. Seine historischen Existenzbedingungen sind durchaus nicht da mit der Waren- und Geldzirkulation. Es entsteht nur, wo der Besitzer von Produktions – und Lebensmitteln den freien Arbeiter als Verkäufer seiner Arbeitskraft auf dem Markt vorfindet, und diese eine historische Bedingung umschließt eine Weltgeschichte. Das Kapital kündigt daher von vornherein eine Epoche des gesellschaftlichen Produktionsprozesses an. (184) Erläuterungen Der Text benennt die historischen Vorraussetzungen der kapitalistischen Warenproduktion: das Vorhandensein freier Arbeitskräfte, persönlich frei und „frei“ von eigenen Produktionsmitteln. Die Prozesse, die zu dieser Struktur führten, werden in einem späteren Kapitel behandelt (MEW 23, 741 ff.). Weder Sklaven noch Leibeigene sind praktisch für eine kapitalistische Produktion geeignet. Diese Überzeugung teilt Marx mit der zeitgenössischen Ökonomie (MEW 23, 210; Lotter 1984, 320322). Etwas schnoddrig formuliert der Text, warum es seit dem 16. Jh. freie Arbeitskräfte gebe, interessiere einstweilen nicht. Damit überdeckt Marx den methodischen Bruch mit seiner bisherigen Argumentation. Sie folgte den Regeln, die Hegel für eine systematische Darstellung aufgestellt hatte: aus einem allgemeinen Begriff und seinen Metamorphosen die erschei-

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nende Wirklichkeit zu erklären. Wie oben dargestellt entwickelte Marx aus dem allgemeinen Begriff abstrakte Arbeit die Begriffe Wert, Tauschwert, Geld und Kapital, um damit den inneren Zusammenhang der kapitalistischen Produktionsweise verstehbar zu machen. Nach Ansicht Hegels war es unzulässig, in eine systematische Darstellung Argumente aufzunehmen, die nicht aus dem allgemeinen Begriff abgeleitet wurden. Der Text jedoch erklärt lakonisch, dass der Begriff des Kapitals ohne die historische Existenz der Lohnarbeit nicht erklärbar sei. Die spätere Soziologie hat diese These uneingeschränkt übernommen (Weber 1963). Im Bewusstseins dieses Methodenbruchs erinnert Marx an eine der Grundannahmen des historischen Materialismus: die ökonomischen Kategorien, die wir früher betrachtet, tragen ihre geschichtliche Spur. Abstrakte Arbeit, Wert, Tauschwert, Geld, Kapital sind keine ahistorischen, überzeitlichen Begriffe, sie gelten nur für eine Gesellschaft mit überwiegend privater Warenproduktion und freier Lohnarbeit. Waren und Geld gab es schon in antiken und feudalen Gesellschaften. Sie können aber nicht mit den Begriffen Wert und abstrakter Arbeit erfasst werden, da die Waren von Sklaven, Leibeigenen oder selbstständigen Handwerkern hergestellt wurden. Erst mit der breiten Existenz der freien Lohnarbeit kann Kapitalismus entstehen, nur unter diesen historischen Voraussetzungen gelten die Begriffe abstrakte Arbeit, Wert etc. Wertbestimmung der Ware Arbeitskraft Lebensunterhalt, Fortpflanzung, Ausbildung Diese eigentümliche Ware, die Arbeitskraft, ist nun näher zu betrachten. Gleich allen andren Waren besitzt sie einen Wert. Wie wird er bestimmt? Der Wert der Arbeitskraft, gleich dem jeder andren Ware, ist bestimmt durch die zur Produktion, also auch Reproduktion, dieses spezifischen Artikels notwendige Arbeitszeit. Soweit sie Wert, repräsentiert die Arbeitskraft // 184 // selbst nur ein bestimmtes Quantum in ihr vergegenständlichter gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit. ✂. . . Zu seiner Erhaltung bedarf das lebendige Individuum einer gewissen Summe von Lebensmitteln. Die zur Produktion der Arbeitskraft notwendige Arbeitszeit löst sich also auf in die zur Produktion dieser Lebensmittel notwendige Arbeitszeit, oder der Wert der Arbeitskraft ist der Wert der zur Erhaltung ihres Besitzers notwendigen Lebensmittel. ✂. . . Die Summe der Lebensmittel muß also hinreichen, das arbeitende Individuum als arbeitendes Individuum in seinem normalen Lebenszustand zu erhalten. Die natürlichen Bedürfnisse selbst, wie Nahrung, Kleidung, Heizung, Wohnung usw., sind verschieden je nach den klimatischen und andren na-

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türlichen Eigentümlichkeiten eines Landes. Andrerseits ist der Umfang sog. notwendiger Bedürfnisse, wie die Art ihrer Befriedigung, selbst ein historisches Produkt und hängt daher großenteils von der Kulturstufe eines Landes, unter andrem auch wesentlich davon ab, unter welchen Bedingungen, und daher mit welchen Gewohnheiten und Lebensansprüchen die Klasse der freien Arbeiter sich gebildet hat. Im Gegensatz zu den andren Waren enthält also die Wertbestimmung der Arbeitskraft ein historisches und moralisches Element. Für ein bestimmtes Land, zu einer bestimmten Periode jedoch, ist der Durchschnitts – Umkreis der notwendigen Lebensmittel gegeben. Der Eigentümer der Arbeitskraft ist sterblich. ✂. . . Die Summe der zur Produktion der Arbeitskraft notwendigen Lebensmittel schließt also die Lebensmittel der Ersatzmänner ein, d. h. der Kinder der Arbeiter, so daß sich diese Race eigentümlicher Warenbesitzer auf dem Warenmarkte verewigt. Um die allgemein menschliche Natur so zu modifizieren, daß sie Geschick und Fertigkeit in einem bestimmten Arbeitszweig erlangt, entwickelte und spezifische Arbeitskraft wird, bedarf es einer bestimmten Bildung oder Erziehung, welche ihrerseits eine größere oder geringere Summe von Warenäquivalenten kostet. Je nach dem mehr oder minder vermittelten Charakter der Arbeitskraft sind ihre Bildungskosten verschieden. Diese Erlernungskosten, verschwindend klein für die gewöhnliche Arbeitskraft, gehn also ein in den Umkreis der zu ihrer Produktion verausgabten Werte. Ein Zahlenbeispiel Der Wert der Arbeitskraft löst sich auf in den Wert einer bestimmten Summe von Lebensmitteln. Er wechselt daher auch mit dem Wert dieser Lebensmittel, d. h. der Größe der zu ihrer Produktion erheischten Arbeitszeit. ✂. . . Gesetzt, in dieser für den Durchschnittstag nötigen Warenmasse steckten 6 Stunden gesellschaftlicher Arbeit, so vergegenständlicht sich in der Arbeitskraft // 186 // täglich ein halber Tag gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit, ✂. . . Wenn sich ein halber Tag gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit ebenfalls in einer Goldmasse von 3 sh. oder einem Taler darstellt, so ist ein Taler der dem Tageswert der Arbeitskraft entsprechende Preis. Bietet der Besitzer der Arbeitskraft sie feil für einen Taler täglich, so ist ihr Verkaufspreis gleich ihrem Wert und, nach unsrer Voraussetzung, zahlt der auf Verwandlung seiner Taler in Kapital erpichte Geldbesitzer diesen Wert. (187) ✂. . . Die Ideologie des liberalen Utilitarismus Die Sphäre der Zirkulation oder des Warenaustausches, innerhalb deren Schranken Kauf und Verkauf der Arbeitskraft sich bewegt, war in der Tat ein wahres Eden der angebornen Menschenrechte. Was allein hier herrscht, ist

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Freiheit, Gleichheit, Eigentum und Bentham. Freiheit! Denn Käufer // 189 // und Verkäufer einer Ware, z. B. der Arbeitskraft, sind nur durch ihren freien Willen bestimmt. Sie kontrahieren als freie, rechtlich ebenbürtige Personen. Der Kontrakt ist das Endresultat, worin sich ihre Willen einen gemeinsamen Rechtsausdruck geben. Gleichheit! Denn sie beziehen sich nur als Warenbesitzer aufeinander und tauschen Äquivalent für Äquivalent. Eigentum! Denn jeder verfügt nur über das Seine. Bentham! Denn jedem von den beiden ist es nur um sich zu tun. Die einzige Macht, die sie zusammen und in ein Verhältnis bringt, ist die ihres Eigennutzes, ihres Sondervorteils, ihrer Privatinteressen. Und eben weil so jeder nur für sich und keiner für den anderen kehrt, vollbringen alle, infolge einer prästabilierten Harmonie der Dinge oder unter den Auspizien einer allpfiffigen Vorsehung, nur das Werk ihres wechselseitigen Vorteils, des Gemeinnutzens, des Gesamtinteresses. (190) Erläuterungen Höchst sachlich und scheinbar kühl erörtert der Text die Produktionskosten der Ware Arbeitskraft und wiederholt, was auch die zeitgenössische Ökonomie dazu sagte. Ohne erläuternden Hinweis verwendet der Text den Arbeitsmengenbegriff Ricardos. Zur täglichen Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit ist ein bestimmter Warenkorb erforderlich. Er muss zumindest das physische Existenzminimum gewährleisten. Was jedoch zum normalen Lebensunterhalt einer Arbeitskraft gehört, ist je nach Land und Epoche verschieden. Welche Verbesserungen Arbeiterinnen und Arbeiter durch ihre Organisationen erkämpfen konnten oder staatliche Gesetzgebung gegen die Unternehmen durchsetzte, kann sehr unterschiedlich sein. Zu den Produktionskosten gehören auch die Kinder und die Ehefrau, sofern sie nicht selbst arbeiten müssen, ebenso die Kosten der Ausbildung der Arbeitskraft. Der Wert der Arbeitskraft ist also grundsätzlich quantifizierbar, sagt der Text, und nennt als Rechengröße 3 sh (shilling) als Tageswert. Gegen die Quantifizierbarkeit des Werts der Arbeitskraft wurden seither viele Einwände formuliert. Marx selbst erörtert im Zusammenhang mit der Länge des Arbeitstags, dass der Wert der Arbeitskraft letztlich unbestimmbar sei, weil Lohnhöhe und Arbeitsbedingungen erheblichen Einfluss auf die Lebenserwartung der Arbeitenden hätten. Der Anspruch auf die gleiche Lebenserwartung aller sei daher legitime Grundlage jeder noch so hohen Lohnforderung (MEW 23, 248). Seit dem 19. Jahrhundert hat sich der Warenkorb, der zur Wiederherstellung der Arbeitskraft notwendig erscheint, in den Industrieländern stark verändert. Zu den anerkannten Grundbedürfnissen zählen z. B. bestimmte Wohnansprüche und Wohnungsausstattung, sanitäre Ein-

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richtungen, Haushaltsgeräte, Lärmschutz und Urlaubsreisen. Die Ausgaben für die Qualifikation der Arbeitskraft haben erheblich zugenommen. Die Zufahrtswege zum Arbeitsplatz sind länger geworden. Zu den notwendigen Ausgaben gehören auch Steuern, Beiträge zur Sozialversicherung, die andererseits gegen Arbeitslosenhilfe, Sozialhilfe und andere Sozialleistungen aufzurechnen wären (Hofmann 1969, 51). Durch die ständige Inflation bewegt sich das Preisniveau in allen kapitalistischen Ländern nach oben. Gleichzeitig sinken die Warenpreise infolge der gewaltigen Steigerung der Arbeitsproduktivität. Eine plausible Berechnung des Werts der Arbeitskraft ist kaum möglich. (Hofmann 1969, 49). Eine noch weitergehende Kritik an Marx wurde in der feministischen Diskussion herausgearbeitet (Heinrich 1999b, 259-63). In den Wert der Ware Arbeitskraft ginge fälschlicherweise nur der Wert der Waren ein, die für den Arbeiterhaushalt gekauft werden. Die Ausbeutung des Mannes in der Fabrik sei aber nur durch die Ausbeutung der Frau im Haushalt möglich (Werlhof 1983). Marx gehe von der vorindustriellen Arbeitskraft aus, die männlich definiert werde (Beetz 1989, 252 f). Marx huldige dem Modell des bürgerlichen Familienernährers und unterschlage die weibliche Reproduktionstätigkeit der Kindererziehung und Hausarbeit. Die Produktion des Menschen werde als rein tierischer Vorgang aufgefasst, die psychische Reproduktion der Ware Arbeitskraft könne mit dem Arbeitsbegriff von Marx als Auseinandersetzung des Menschen mit der Natur nicht erfasst werden (Neusüß 1985). Diese Kritik übersieht, dass der Text lediglich die prinzipielle Quantifizierbarkeit des Werts der Arbeitskraft behaupten will und keineswegs alle Faktoren, die in den Wert der Arbeitskraft eingehen, diskutiert. Zweifelsohne hat Marx bei seiner patriarchalischen Einstellung der Hausfrauenarbeit keinerlei Aufmerksamkeit gewidmet. Im Rahmen seiner Theorie gehört sie zu den „unproduktiven“, d. h. nicht wertbildenden Tätigkeiten (MEW 23, 532) und spielt daher für die Wertbestimmung der Ware Arbeitskraft keine Rolle. Mit der Wertbestimmung der Arbeitskraft ist keineswegs ein bestimmtes Familienmodell unterstellt, wie der Abschnitt über die sozialen Folgen der Industrialisierung zeigt, in dem auf die wünschenswerte Auflösung der bürgerlichen Familie und die neuen beruflichen Möglichkeiten von Frauen hingewiesen wird (MEW 23, 513). Dass Marx auch für Arbeiterfamilien den bürgerlichen Lebensstandard einfordert, bedeutet für ihn keinesfalls die Festschreibung kleinbürgerlicher Familienverhältnisse. Somit bleibt als Kernaussage übrig: der Wert der Arbeitskraft muss quantifizierbar sein, da sonst ein messbarer Überschuss zwischen dem

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Wert der Arbeitskraft und der von ihr produzierten Güter nicht behauptbar wäre. Alle Zahlenangaben sind rein illustrativ. Der Schluss des Textes polemisiert gegen Jeremy Bentham (17481832), einen wichtigen Vertreter des Utilitarismus (MEW 23, 637, Anmerkung). Nur vordergründig herrschen Freiheit, Gleichheit, Eigentum, wie sie die französische Revolution propagierte und als formelle Freiheit und Gleichheit teilweise durchgesetzt hat. Die reale Freiheit und Gleichheit der Menschen wurde damit nicht erreicht. Der Widerspruch der Verheißungen der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer sozialen Realität ist ein immer wieder aufgegriffenes Thema des Kapital. Die Entstehung des Gebrauchswerts durch Arbeit: Der Arbeitsprozess Konkrete Arbeit // 192 // ✂. . . Die Produktion von Gebrauchswerten oder Gütern ändert ihre allgemeine Natur nicht dadurch, daß sie für den Kapitalisten und unter seiner Kontrolle vorgeht. Der Arbeitsprozeß ist daher zunächst unabhängig von jeder bestimmten gesellschaftlichen Form zu betrachten. Die Arbeit ist zunächst ein Prozeß zwischen Mensch und Natur, ein Prozeß, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigne Tat vermittelt, regelt und kontrolliert. Er tritt dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegenüber. Die seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für sein eignes Leben brauchbaren Form anzueignen. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigne Natur. Er entwickelt die in ihr schlummernden Potenzen und unterwirft das Spiel ihrer Kräfte seiner eignen Botmäßigkeit. ✂. . . // 193 // Wir unterstellen die Arbeit in einer Form, worin sie dem Menschen ausschließlich angehört. Eine Spinne verrichtet Operationen, die denen des Webers ähneln, und eine Biene beschämt durch den Bau ihrer Wachszellen manchen menschlichen Baumeister. Was aber von vornherein den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, daß er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut. ✂. . . Der Gebrauch und die Schöpfung von Arbeitsmitteln, obgleich im Keim schon gewissen Tierarten eigen, charakterisieren den spezifisch menschlichen Arbeitsprozeß, und Franklin definiert daher den Menschen als „a toolmaking animal“, ein Werkzeuge fabrizierendes Tier. Dieselbe Wichtigkeit, welche der Bau von Knochenreliquien für die Erkenntnis der Organisation untergegangner Tiergeschlechter, haben Reliquien von Arbeitsmitteln für die Beurteilung untergegangner ökonomischer Gesellschaftsformationen. Nicht

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was gemacht wird, sondern // 195 // wie, mit welchen Arbeitsmitteln gemacht wird, unterscheidet die ökonomischen Epochen. ✂. . . Im Arbeitsprozeß bewirkt also die Tätigkeit des Menschen durch das Arbeitsmittel eine von vornherein bezweckte Veränderung des Arbeitsgegenstandes. Der Prozeß erlischt im Produkt. Sein Produkt ist ein Gebrauchswert, ein durch Formveränderung menschlichen Bedürfnissen angeeigneter Naturstoff. Die Arbeit hat sich mit ihrem Gegenstand verbunden. Sie ist vergegenständlicht, und der Gegenstand ist verarbeitet. Was auf seiten des Arbeiters in der Form der Unruhe erschien, erscheint nun als ruhende Eigenschaft, in der Form des Seins, auf seiten des Produkts. Er hat gesponnen, und das Produkt ist ein Gespinst. ✂. . . Tote und lebendige Arbeit Eine Maschine, die nicht im Arbeitsprozeß dient, ist nutzlos. Außerdem verfällt sie der zerstörenden Gewalt des natürlichen Stoffwechsels. Das Eisen verrostet, das Holz verfault. Garn, das nicht verwebt oder verstrickt wird, ist verdorbne Baumwolle. Die lebendige Arbeit muß diese Dinge ergreifen, sie von den Toten erwecken, sie aus nur möglichen in wirkliche und wirkende Gebrauchswerte verwandeln. Vom Feuer der Arbeit beleckt, als Leiber derselben angeeignet, zu ihren begriffs- und berufsmäßigen Funktionen im Prozeß begeistet, werden sie zwar auch verzehrt, aber zweckvoll, als Bildungselemente neuer Gebrauchswerte, neuer Produkte, die fähig sind, als Lebensmittel in die individuelle Konsumtion oder als Produktionsmittel in neuen Arbeitsprozeß einzugehn. (198) ✂. . . Der Arbeitsprozeß, wie wir ihn in seinen einfachen und abstrakten Momenten dargestellt haben, ist zweckmäßige Tätigkeit zur Herstellung von Gebrauchswerten, Aneignung des Natürlichen für menschliche Bedürfnisse, allgemeine Bedingung des Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur, ewige Naturbedingung des menschlichen Lebens und daher unabhängig von jeder Form dieses Lebens, vielmehr allen seinen Gesellschaftsformen gleich gemeinsam. Wir hatten daher nicht nötig, den Arbeiter im Verhältnis zu andren Arbeitern darzustellen. Der Mensch und seine Arbeit auf der // 199 // einen, die Natur und ihre Stoffe auf der andren Seite genügten. So wenig man dem Weizen anschmeckt, wer ihn gebaut hat, so wenig sieht man diesem Prozeß an, unter welchen Bedingungen er vorgeht, ob unter der brutalen Peitsche des Sklavenaufsehers oder unter dem ängstlichen Auge des Kapitalisten, ob Cincinnatus ihn verrichtet in der Bestellung seiner paar jugera (Morgen) oder der Wilde, der mit einem Stein eine Bestie erlegt.

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Erläuterungen Der Schilderung der Produktionsprozesses schickt Marx einen erstaunlichen Abschnitt über die menschliche Arbeit voraus, wie sie allen Gesellschaftsepochen eigen sein soll. Entgegen seinem sonstigen Darstellungsprinzip, dass alle Begriffe historisch geprägt sind, entwickelt Marx ahistorische anthropologische Bestimmungen der Arbeit. Arbeit ist ein Prozess zwischen Mensch und Natur, wobei der Mensch seine eigene Natur verändert. Der Begriff Natur wird hier mehrdeutig verwendet, als äußere Natur und als Wesen. Der Mensch hat im Gegensatz zu christlichen oder naturrechtlichen Auffassungen kein unveränderliches Wesen, sondern erzeugt seine eigene Natur über die Beherrschung der Naturkräfte. Marx hat zur Herrschaft über die Natur noch eine ungebrochen optimistische Einstellung. Erst die Kritische Theorie thematisierte die Rückwirkungen der Naturbeherrschung auf die Psyche und das soziale Verhalten der Europäer (Horkheimer/Adorno 1947). Auch Jürgen Habermas stützt seine Kritik am angeblich instrumentellen Arbeitsbegriff von Marx auf den obigen Text (Habermas 1976, 145 ff). Erstaunlicherweise erinnert Marx hier nicht an seine Position aus der Deutschen Ideologie, dass der Mensch das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse ist. Im Gegenteil, er sagt, es sei nicht nötig, den Arbeiter im Verhältnis zu anderen Arbeitern darzustellen. Konsequenterweise fehlt jeder Hinweis auf die Arbeitsteilung und Herrschaftsentstehung: der Abwälzung von Arbeit auf andere (MEW 23, 534). Wichtiger als der gesellschaftliche Bezug ist für den Text in Anlehnung an Benjamin Franklin (1706-1790) die Abgrenzung vom Tier. Der Text trifft keine Unterscheidung von Arbeit und sonstigen Tätigkeiten des Menschen z. B. sprechen, singen, spielen. Arbeiten und leben scheinen fast identisch. Überraschend wird festgestellt, dass die ökonomischen Epochen sich durch die Arbeitsmittel unterscheiden und nicht, wie sonst im Kapital, durch die gesellschaftlichen Arbeitsorganisation. Der Text wiederholt die Positionen der Naturphilosophie Lockes, dass die Arbeit sich mit einem Gegenstand verbindet und sich dadurch vergegenständlicht, womit Locke das Eigentumsrecht an den Gegenständen begründet hatte (Heinrich 1991, 27). Auffallend ist, dass im Gegensatz zu den frühen Marxtexten der Begriff Entfremdung nicht mehr verwendet wird. (Sperber 2013, 156) Jeder Hinweis auf die Mühsal der Arbeit fehlt. Marx übergeht, dass es neben der Notwendigkeit zu arbeiten, Motive der Arbeit als Selbstverwirklichung gibt. Er übernimmt nicht den Hymnus von Adam Smith, dass die Arbeit den Erdball verändere, ebenso wenig übernimmt er Kants Auffassung von der Arbeit als Pflicht (Hund 1999).

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Der ganze Abschnitt dient offensichtlich nur dazu, den Doppelcharakter der Arbeit als konkrete und abstrakte Arbeit nochmals in Erinnerung zu rufen. Mit der konkreten Arbeit werden bisherige Arbeitsprodukte erhalten. Die Entgegensetzung von lebendiger und toter Arbeit knüpft an zeitgenössische ökonomische Ausdrücke an: Kapital als Ergebnis vergangener, toter Arbeit. Es mag sein, dass der Text mit dieser Wortwahl weiterreichende Assoziationen wecken will, die Herrschaft der Toten über die Lebendigen oder die Notwendigkeit, Totes wieder zum Leben zu erwecken. Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden heißt es im 18ten Brumaire (MEW 8, 115). Jacques Derrida hat zu diesen Texten sehr freie aber lesenswerte Interpretationen verfasst (Derrida 1995, 173 ff). Die Entstehung des Mehrwerts durch Arbeit: der Verwertungsprozess Die Auswirkung kapitalistischer Organisation der Arbeit ✂. . . Der Arbeitsprozeß, wie er als Konsumtionsprozeß der Arbeitskraft durch den Kapitalisten vorgeht, zeigt nun zwei eigentümliche Phänomene. Der Arbeiter arbeitet unter der Kontrolle des Kapitalisten, dem seine Arbeit gehört. Der Kapitalist paßt auf, daß die Arbeit ordentlich vonstatten geht und die Produktionsmittel zweckmäßig verwandt werden, also kein // 199 // Rohmaterial vergeudet und das Arbeitsinstrument geschont, d. h. nur so weit zerstört wird, als sein Gebrauch in der Arbeit ernötigt. Zweitens aber: Das Produkt ist Eigentum des Kapitalisten, nicht des unmittelbaren Produzenten, des Arbeiters. Der Kapitalist zahlt z. B. den Tageswert der Arbeitskraft. Ihr Gebrauch, wie der jeder andren Ware, z. B. eines Pferdes, das er für einen Tag gemietet, gehört ihm also für den Tag. (200) ✂. . . Die Wertbestandteile der Ware: Rohmaterial und Werkzeug In der Tat, da es sich hier um Warenproduktion handelt, haben wir bisher offenbar nur eine Seite des Prozesses betrachtet. Wie die Ware selbst Einheit von Gebrauchswert und Wert, muß ihr Produktionsprozeß Einheit von Arbeitsprozeß und Wertbildungsprozeß sein. Betrachten wir den Produktionsprozeß nun auch als Wertbildungsprozeß. Wir wissen, daß der Wert jeder Ware bestimmt ist durch das Quantum der in ihrem Gebrauchswert materialisierten Arbeit, durch die zu ihrer Produktion gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit. Dies gilt auch für das Produkt, das sich unsrem Kapitalisten als Resultat des Arbeitsprozesses ergab. Es ist also zunächst die in diesem Produkt vergegenständlichte Arbeit zu berechnen.

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Es sei z. B. Garn. Zur Herstellung des Garns war zuerst sein Rohmaterial nötig, z. B. 10 Pfund Baumwolle. Was der Wert der Baumwolle, ist nicht erst zu untersuchen, denn der Kapitalist hat sie auf dem Markt zu ihrem Wert, z. B. zu 10 sh. gekauft. In dem Preise der Baumwolle ist die zu ihrer Produktion erheischte Arbeit schon als allgemein gesellschaftliche Arbeit dargestellt. Wir wollen ferner annehmen, daß die in der Verarbeitung der Baumwolle verzehrte Spindelmasse, die uns alle anderen aufgewandten Arbeitsmittel repräsentiert, einen Wert von 2 sh. besitzt. Ist eine Goldmasse von 12 sh. das Produkt von 24 Arbeitsstunden oder zwei Arbeitstagen, so folgt zunächst, daß im Garn zwei Arbeitstage vergegenständlicht sind. // 202 // ✂. . . Die Wertbestandteile der Ware: Die Arbeitsleistung Es handelt sich also nun um den Wertteil, welchen die Arbeit des Spinners selbst der Baumwolle zusetzt. ✂. . . Es ist nun entscheidend wichtig, daß während der Dauer des Prozesses, d. h. der Verwandlung von Baumwolle in Garn, nur die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit verzehrt wird. Müssen unter normalen, d. h. durchschnittlichen gesellschaftlichen Produktionsbedingungen, a Pfund Baumwolle während einer Arbeitsstunde in b Pfund Garn verwandelt sein, so gilt nur der Arbeitstag als Arbeitstag von 12 Stunden, der 12 x a Pfund Baumwolle in 12 x b Pfund Garn verwandelt. Denn nur die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit zählt als wertbildend. // 204 // ✂. . . Beim Verkauf der Arbeitskraft ward unterstellt, daß ihr Tageswert = 3 sh., und in den letztren 6 Arbeitsstunden verkörpert sind, dies Arbeitsquantum also erheischt ist – um die Durchschnittssumme der täglichen Lebensmittel des Arbeiters zu produzieren. Verwandelt unser Spinner nun während einer Arbeitsstunde 1 2/3 Pfund Baumwolle in 1 2/3 Pfund Garn, so in 6 Stunden 10 Pfund Baumwolle in 10 Pfund Garn. Während der Dauer des Spinnprozesses saugt die Baumwolle also 6 Arbeitsstunden ein. Dieselbe Arbeitszeit stellt sich in einem Goldquantum von 3 sh. dar. Der Baumwolle wird also durch das Spinnen selbst ein Wert von 3 sh. zugesetzt. Die Wertbestandteile und Gesamtwert der Ware Sehn wir uns nun den Gesamtwert des Produkts, der 10 Pfund Garn an. In ihnen sind 2 ½ Arbeitstage vergegenständlicht, 2 Tage enthalten in Baumwolle und Spindelmasse, ½ Tag Arbeit eingesaugt während des Spinnprozesses. Dieselbe Arbeitszeit stellt sich in einer Goldmasse von 15 sh. dar. Der dem Wert der 10 Pfund Garn adäquate Preis beträgt also 15 sh., der Preis eines Pfundes Garn 1 sh. 6 d.

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Kalkulation und Raisonnement des Unternehmers Unser Kapitalist stutzt. Der Wert des Produkts ist gleich dem Wert des vorgeschossenen Kapitals. Der vorgeschossene Wert hat sich nicht verwertet, keinen Mehrwert erzeugt, Geld sich also nicht in Kapital verwandelt. Der Preis der 10 Pfund Garn ist 15 sh. , und 15 sh. wurden verausgabt auf dem Warenmarkt für die Bildungselemente des Produkts oder, was dasselbe, die Faktoren des Arbeitsprozesses: 10 sh. für Baumwolle, 2 sh. für die verzehrte Spindelmasse und 3 sh. für Arbeitskraft. // 206 // ✂. . . Der Kapitalist, der in der Vulgärökonomie Bescheid weiß, sagt vielleicht, er habe sein Geld mit der Absicht vorgeschossen, mehr Geld daraus zu machen. Der Weg zur Hölle ist jedoch mit guten Absichten gepflastert, und er konnte ebensogut der Absicht sein, Geld zu machen, ohne zu produzieren. Er droht. Man werde ihn nicht wieder ertappen. Künftig werde er die Ware fertig auf dem Markt kaufen, statt sie selbst zu fabrizieren. Wenn aber alle seine Brüder Kapitalisten desgleichen tun, wo soll er Ware auf dem Markt finden? Und Geld kann er nicht essen. Er katechisiert. Man soll seine Abstinenz bedenken. Er konnte seine 15 sh. verprassen. Statt dessen hat er sie produktiv konsumiert und Garn daraus gemacht. Aber dafür ist er ja im Besitz von Garn statt von Gewissensbissen. ✂. . . Er beruhige sich also dabei, daß Tugend der Tugend Lohn. ✂. . . Er stellt sich trutzig auf die Hinterbeine. Sollte der Arbeiter mit seinen eignen Gliedmaßen in der blauen Luft Arbeitsgebilde schaffen, Waren produzieren? Gab er ihm nicht den Stoff, womit und worin er allein seine Arbeit verleiblichen kann? Da nun der größte Teil der Gesellschaft aus solchen Habenichtsen besteht, hat er nicht der Gesellschaft durch seine Produktionsmittel, seine Baumwolle und seine Spindel, einen unermeßlichen Dienst erwiesen, nicht dem Arbeiter selbst, den er obendrein noch mit Lebensmitteln versah? Und soll er den Dienst nicht berechnen? Hat der Arbeiter ihm aber nicht den Gegendienst erwiesen, Baumwolle und // 207 // Spindel in Garn zu verwandeln? Außerdem handelt es sich hier nicht um Dienste. Ein Dienst ist nichts als die nützliche Wirkung eines Gebrauchswerts, sei es der Ware, sei es der Arbeit. Hier aber gilt’s den Tauschwert. Er zahlte dem Arbeiter den Wert von 3 sh. Der Arbeiter gab ihm ein exaktes Äquivalent zurück in dem der Baumwolle zugesetzten Wert von 3 sh. Wert für Wert. Unser Freund, eben noch so kapitalübermütig, nimmt plötzlich die anspruchslose Haltung seines eignen Arbeiters an. Hat er nicht selbst gearbeitet? Nicht die Arbeit der Überwachung, der Oberaufsicht über den Spinner verrichtet? Bildet diese seine Arbeit nicht auch Wert? Sein eigner overlooker und sein Manager zucken die Achseln. Unterdes hat er aber bereits mit heitrem Lächeln seine alte Physiognomie wieder angenommen. Er foppte uns mit der ganzen Litanei. Er gibt keinen Deut darum. Er

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überläßt diese und ähnliche faule Ausflüchte und hohle Flausen den dafür eigens bezahlten Professoren der politischen Ökonomie. Er selbst ist ein praktischer Mann, der zwar nicht immer bedenkt, was er außerhalb des Geschäfts sagt, aber stets weiß, was er im Geschäft tut. Der Unterschied von Gebrauchswert und Tauschwert der Arbeitskraft Sehn wir näher zu. Der Tageswert der Arbeitskraft betrug 3 sh. , weil ihr selbst ein halber Arbeitstag vergegenständlicht ist, d. h. weil die täglich zur Produktion der Arbeitskraft nötigen Lebensmittel einen halben Arbeitstag kosten. Aber die vergangne Arbeit, die in der Arbeitskraft steckt, und die lebendige Arbeit, die sie leisten kann, ihre täglichen Erhaltungskosten und ihre tägliche Verausgabung, sind zwei ganz verschiedne // 207 // Größen. Die erstere bestimmt ihren Tauschwert, die andre bildet ihren Gebrauchswert. Daß ein halber Arbeitstag nötig, um ihn während 24 Stunden am Leben zu erhalten, hindert den Arbeiter keineswegs, einen ganzen Tag zu arbeiten. Der Wert der Arbeitskraft und ihre Verwertung im Arbeitsprozeß sind also zwei verschiedne Größen. Diese Wertdifferenz hatte der Kapitalist im Auge, als er die Arbeitskraft kaufte. ✂. . . Der Gebrauchswert der Arbeitskraft, die Arbeit selbst, gehört ebensowenig ihrem Verkäufer, wie der Gebrauchswert des verkauften Öls dem Ölhändler. Der Geldbesitzer hat den Tageswert der Arbeitskraft gezahlt; ihm gehört daher ihr Gebrauch während des Tages, die tagelange Arbeit. Der Umstand, daß die tägliche Erhaltung der Arbeitskraft nur einen halben Arbeitstag kostet, obgleich die Arbeitskraft einen ganzen Tag wirken, arbeiten kann, daß daher der Wert, den ihr Gebrauch während eines Tags schafft, doppelt so groß ist als ihr eigner Tageswert, ist ein besondres Glück für den Käufer, aber durchaus kein Unrecht gegen den Verkäufer. Arbeitszeit und Mehrwert Unser Kapitalist hat den Kasus, der ihn lachen macht, vorgesehn. Der Arbeiter findet daher in der Werkstätte die nötigen Produktionsmittel nicht nur für einen sechsstündigen, sondern für einen zwölfstündigen Arbeitsprozeß. ✂. . . Aber die Wertsumme der in den Prozeß geworfenen Waren betrug 27 sh. Der Wert des Garns beträgt 30 sh. Der Wert des Produkts ist um 1/9 gewachsen über den zu seiner Produktion vorgeschoßnen Wert. So haben sich 27 sh. in 30 sh. verwandelt. Sie haben einen // 208 // Mehrwert von 3 sh. gesetzt. Die Logik der Theorie: Äquivalententausch und Zirkulation Das Kunststück ist endlich gelungen. Geld ist in Kapital verwandelt. Alle Bedingungen des Problem sind gelöst und die Gesetze des Warenaustau-

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sches in keiner Weise verletzt. Äquivalent wurde gegen Äquivalent ausgetauscht. Der Kapitalist zahlte als Käufer jede Ware zu ihrem Wert, Baumwolle, Spindelmasse, Arbeitskraft. Er tat dann, was jeder andre Käufer von Waren tut. Er konsumierte ihren Gebrauchswert. Der Konsumtionsprozeß der Arbeitskraft, der zugleich Produktionsprozeß der Ware, ergab ein Produkt von 20 Pfund Garn mit einem Wert von 30 sh. Der Kapitalist kehrt nun zum Markt zurück und verkauft Ware, nachdem er Ware gekauft hat. Er verkauft das Pfund Garn zu 1 sh. 6 d. , keinen Deut über oder unter seinem Wert. Und doch zieht er 3 sh. mehr aus der Zirkulation heraus, als er ursprünglich in sie hineinwarf. Dieser ganze Verlauf, die Verwandlung seines Geldes in Kapital, geht in der Zirkulationssphäre vor und geht nicht in ihr vor. Durch die Vermittlung der Zirkulation, weil bedingt durch den Kauf der Arbeitskraft auf dem Warenmarkt. Nicht in der Zirkulation, denn sie leitet nur den Verwertungsprozeß ein, der sich in der Produktionssphäre zuträgt. // 209 // ✂. . . Erläuterungen Der Text führt eine Modellrechnung vor, die die Herkunft des Mehrwerts aus der unbezahlten Arbeit in der zweiten Hälfte des Arbeitstags plausibel machen soll. Stillschweigend liegt Ricardos Arbeitsmengenbegriff zu Grunde, da er im Gegensatz zu Marx’ Wertbegriff als soziale Beziehung quantifizierbar zu sein scheint: Wert ist die in ihrem Gebrauchswert materialisierten Arbeit, unter Berücksichtigung der zu ihrer Produktion gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit. Zum Verständnis der Zahlen muss man wissen, dass ein Pfund Sterling aus 20 Shilling bestand, ein Shilling aus 12 Pence, ein Pence aus vier Farthing. Die genannten Preise entsprechen in etwa den Preisen von 1867 in England. Die Übereinstimmung von Werten und Preisen wird unterstellt. Ausgangspunkt ist die Setzung, dass der Wert (= Preis) eines 12 stündigen Arbeitstages 6 sh. beträgt, das bedeutet, an einem Arbeitstag werden Waren im Wert von 6 sh. produziert, gleichgültig ob es sich um Baumwolle, Garn, Spindeln oder Arbeitskräfte handelt. Willkürlich unterstellt Marx, dass die Reproduktionskosten der Arbeitskraft dem Wert und Preis eines halben Arbeitstages, also 3 sh. entsprechen. Der Arbeitslohn beträgt daher 3 sh. pro Tag. Die Arbeitskraft produziert aber in 12 Stunden voraussetzungemäß Garn im Wert von 6 sh. und daher eine Mehrprodukt und einen Mehrwert von 3 sh. Zusammenfassend ergibt die umständliche Berechnung von Marx: Für 20 Pfund Garn hat der Unternehmer täglich Kosten von 27 sh. und Erlöse von 30 sh. Sein Gewinn beträgt 3 sh. pro Tag und Arbeitskraft, weil der Gegenwert des Lohnes schon nach einem halben Tag durch

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den Verkaufswert des Garns kompensiert ist. Marx differenzierte Aufteilung der Kosten auf Rohmaterial, Maschine und Arbeitskraft ist unwichtig, sie täuscht eine Exaktheit der Zahlen vor, die wegen der einfachen Teilbarkeit so gewählt wurden. Das Tagesergebnis kann selbstverständlich auf Stunden und Minuten zurückgerechnet werden, der Wert jeder Arbeitssekunde besteht zur Hälfte aus Mehrarbeit. Der Kern des Arguments lautet: nach der Produktion des Garns ist ein Überschuss vorhanden. Da die sachlichen Produktionsmittel (Baumwolle, Spindel etc) ihren Wert nur übertragen, kann nur die Arbeitskraft diesen Überschuss produziert haben. Die Arbeitskraft produziert Waren, deren Erlös die Lohnkosten übersteigt Der Unternehmer macht sich rechtmäßig die Differenz zwischen den Kosten für die Arbeitskraft und dem Ertrag aus der Arbeitsleistung der Arbeitskraft zu nutze. Nicht die Arbeitsleistung, sondern die Reproduktionskosten der Arbeitskraft werden mit dem Lohn bezahlt. Insofern werden die Regeln des Äquivalententauschs eingehalten. Auffällig ist, dass der Text jede moralische Argumentation vermeidet. Auch die Überlegungen des Kapitalisten werden trotz allem Spott ernst genommen. Der Umstand, dass die Arbeitskraft mehr Wert produzieren kann als sie selbst kostet, ist ein besonderes Glück für den Käufer aber durchaus kein Unrecht gegen den Verkäufer. Obschon sonst im Kapital der Begriff Ausbeutung vielfach verwendet wird, fehlt er hier. Der Grund für diese Zurückhaltung dürfte darin liegen, dass der Text lediglich die einzelne Arbeitskraft betrachtet, nicht aber die sozialen Verhältnisse, die zur Ausbeutung gehören. Für die Arbeitskraft findet ein ungleicher Tausch von Zeit statt. Es besteht eine zeitliche Differenz zwischen zwei Arbeitsmengen: „der im Arbeitslohn repräsentierten und der vom Arbeiter geleisteten lebendigen Arbeit“ (J. Berger 1994, 737). Ungleicher Tausch von Zeit ist aber nur ein Element der Ausbeutung. Auch zwischen Eltern und Kindern oder unter Freunden findet ungleicher Tausch von Zeit statt, ohne dass man von Ausbeutung sprechen kann. Auch in einer kommunistischen Gesellschaft oder in einer Assoziation freier Menschen müsste äquivalenzloser Zeittausch stattfinden, wie Marx besonders klar in der Kritik des Gothaer Programms der Sozialdemokratie festhält. (MEW 19, 13 –34) Für Gemeinschaftsaufgaben müssen Abzüge vom Lohn einbehalten werden, nie kann der unverkürzte Arbeitsertrag den Arbeitenden zugute kommen. Ausbeutung setzt eine Klasse voraus, die ausbeutet, die auf Grund sanktionierter Rechtsverhältnisse sich äquivalenzlos Zeit aneignen kann. Nicht die Ausbeutung bringt die Klassen hervor, vielmehr sind Klassen die Voraussetzung von Ausbeutung.

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Der Begriff der Ausbeutung wurde im antikapitalistischen Schrifttum des 19. Jahrhunderts insbesondere durch die Frühsozialisten und Linksricardianer ausgiebig verwendet (Gerster 1973, 183). Er bezeichnete die unrechtmäßige Vorenthaltung eines Teils des Arbeitslohns. Der Kampf gegen eine Eigentumsordnung, die die Ausbeutung legitimiert, wurde ethisch gerechtfertigt. Marx befreite den Begriff von seiner ethischen Konnotation und gab ihm einen präzisen Gehalt; die rechtlich erlaubte Ausnutzung einer Zeitdifferenz. Die nachmarxistische Wirtschaftstheorie hat keine ausgebildete Ausbeutungslehre. Abgesehen von einigen katholischen Publizisten im Einflussbereich der päpstlichen Rundschreiben Rerum novarum (1891) und Quadragesimo anno (1931) wird der Begriff vermieden (Wiles, 1963). In den gängigen Wirtschaftslexika kommt der Begriff so gut wie nicht vor. Einige Marginalisten, z. B. Pigou, Robinson und Bloom, sind auf den Begriff eingegangen (Gerster 1973, 90 ff) und haben versucht, ihm eine abgeschwächte Bedeutung beizumessen. Pigou spricht von Ausbeutung, wenn der Arbeitslohn unter dem Preis des physischen Grenzprodukts der Arbeit liegt. Unter physischem Grenzprodukt versteht man die zusätzliche Ausbringung, die durch Hinzufügung einer Arbeitseinheit entsteht, sofern die anderen Produktionsfaktoren: Kapital und Boden konstant bleiben. Der Lohn wird durch den durchschnittlichen Ertrag aller Beschäftigten eines Betriebes bestimmt. Sinkt der Lohn jedoch unter den Ertrag der letzten eingesetzten Arbeitseinheit, sieht Pigou Ausbeutung gegeben (Samuelson 1972, 2, 217-224). Die Ausweitung des Ausbeutungsbegriffs auf die terms of trade zwischen den Industrieländern und den Ländern der Dritten Welt hat sich als sehr fragwürdig erwiesen (Wolff 2000, 130 ff). Durch Autoren des analytischen Marxismus wurde versucht den Begriff der Ausbeutung von der Werttheorie abzukoppeln. Andere versuchten die Marxsche Theorie mathematisch zu fassen (J. Berger 1994, 742). Ganz unabhängig von der präzisen theoretischen Fassung und der nicht möglichen Berechenbarkeit der Ausbeutung hat der Begriff eine machtvolle politische Wirkung in den sozialen Bewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts entfaltet und wurde Motor zur Durchsetzung von größerer sozialer Gerechtigkeit. Einfache und komplizierte Arbeit ✂. . . Es wurde früher bemerkt, daß es für den Verwertungsprozeß durchaus gleichgültig, ob die vom Kapitalisten angeeignete Arbeit einfache, gesellschaftliche Durchschschnittsarbeit oder kompliziertere Arbeit, Arbeit von

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höherem spezifischen Gewicht ist. Die Arbeit, die als höhere, kompliziertere Arbeit gegenüber der gesellschaftlichen Durchschnittsarbeit gilt, ist die // 212 // Äußerung einer Arbeitskraft, worin höhere Bildungskosten eingehn, deren Produktion mehr Arbeitszeit kostet und die daher einen höheren Wert hat als die einfache Arbeitskraft. Ist der Wert dieser Kraft höher, so äußert sie sich daher auch in höherer Arbeit und vergegenständlicht sich daher, in denselben Zeiträumen, in verhältnismäßig höheren Werten. Welches jedoch immer der Gradunterschied zwischen Spinnarbeit und Juwelierarbeit, die Portion Arbeit, wodurch der Juwelenarbeiter nur den Wert seiner eignen Arbeitskraft ersetzt, unterscheidet sich qualitativ in keiner Weise von der zusätzlichen Portion Arbeit, wodurch er Mehrwert schafft. Nach wie vor kommt der Mehrwert nur heraus durch einen quantitativen Überschuß von Arbeit, durch die verlängerte Dauer desselben Arbeitsprozesses, in dem einen Fall Prozeß der Garnproduktion, in dem andren Fall Prozeß der Juwelenproduktion. // 213 // Andrerseits muß in jedem Wertbildungsprozeß die höhere Arbeit stets auf gesellschaftliche Durchschnittsarbeit reduziert werden, z. B. ein Tag höherer Arbeit auf x Tage einfacher Arbeit. Man erspart also eine überflüssige Operation und vereinfacht die Analyse durch die Annahme, daß der vom Kapital verwandte Arbeiter einfache gesellschaftliche Durchschnittsarbeit verrichtet. Erläuterungen Bei der Verwendung des Wertbegriffs als Arbeitsmenge entsteht unvermeidlich das Problem der Quantifizierbarkeit verschieden qualifizierter Arbeiten. Erzeugt die Arbeit eines Steinklopfers und eines Bildhauers in der gleichen Zeit, z. B. einer Stunde denselben Wert? Das Problem beschäftigte seit Adam Smith die Klassische Ökonomie und Marx hat trotz vielfacher Anstrengungen dafür ebensowenig eine Lösung gefunden wie marxistische Ökonomen nach ihm. Ein ausgezeichneter Überblick über die Debatte bis heute findet sich bei Krätke (1994). Marx ist sich über die Schwierigkeiten des Problems völlig klar, wie die verschiedenen Anläufe in den Vorarbeiten zum Kapital zeigen. Für einen zahlenmäßigen Vergleich des Werts einfacher Arbeit – z. B. eines Goldwäschers – und des Werts komplizierter Arbeit – z. B. eines Goldschmieds – müsste ein Umrechnungsfaktor gefunden werden, der beide Sorten Arbeit wertmäßig berechenbar macht. Die präzise Umrechnung verschieden qualifizierter Arbeiten ist jedoch nicht möglich. Das weiß Marx und argumentiert, dass eine quantitativ genaue Umrechnung gar nicht erforderlich sei. Die industrielle Produktionsweise ebnet nach Marx die unterschiedlichen Qualifikationen der Arbeit zunehmend ein. Der Wertunterschied der Arbeiten ruht auf unterschiedlichen Ausbil-

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dungskosten, die jedoch zunehmend weniger ins Gewicht fallen und daher auch theoretisch vernachlässigt werden können. Wie Böhm – Bawerk überzeugend gezeigt hat, ist diese Annahme von Marx unzutreffend (Böhm – Bawerk 1896). So argumentiert Marx etwas unwirsch, wenn es keinen quantitativen Unterschied von Kosten und Erlösen gäbe, entstünde auch kein Gewinn. Dabei wird man es belassen müssen. Das Maß der Ausbeutung ist nicht berechenbar. Wertschöpfung und Werterhaltung Die verschiednen Faktoren des Arbeitsprozesses nehmen verschiednen Anteil an der Bildung des Produkten – Werts. ✂. . . Der Arbeiter arbeitet nicht doppelt in derselben Zeit, nicht einmal, um der Baumwolle durch seine Arbeit einen Wert zuzusetzen, und das andremal, um ihren alten Wert zu erhalten, oder, was dasselbe, um den Wert der Baumwolle, die er verarbeitet, und der Spindel, womit er arbeitet, auf das Produkt, das Garn, zu übertragen. Sondern durch bloßes Zusetzen von neuem Wert erhält er den alten Wert. Da aber der Zusatz von neuem Wert zum Arbeitsgegenstand und die Erhaltung der alten Werte im Produkt zwei ganz verschiedne Resultate sind, die der Arbeiter in derselben Zeit hervorbringt, obgleich er nur einmal in derselben Zeit arbeitet, kann diese Doppelseitigkeit des Resultats offenbar nur aus der Doppelseitigkeit seiner Arbeit selbst erklärt werden. In demselben Zeitpunkt muß sie in einer Eigenschaft Wert schaffen und in einer andren Eigenschaft Wert erhalten oder übertragen. // 214 // ✂. . . Diese doppelseitige Wirkung derselben Arbeit infolge ihres doppelseitigen Charakters zeigt sich handgreiflich an verschiednen Erscheinungen. ✂. . . (216) Die Begriffe konstantes und variables Kapital Der Teil des Kapitals also, der sich in Produktionsmittel, d. h. in Rohmaterial, Hilfsstoffe und Arbeitsmittel umsetzt, verändert seine Wertgröße nicht im Produktionsprozeß. Ich nenne ihn daher konstanten Kapitalteil, oder kürzer: konstantes Kapital. Der in Arbeitskraft umgesetzte Teil des Kapitals verändert dagegen seinen Wert im Produktionsprozeß. Er reproduziert sein eignes Äquivalent und einen Überschuß darüber, Mehrwert, der selbst wechseln, größer oder kleiner sein kann. Aus einer konstanten Größe verwandelt sich dieser Teil des Kapitals fortwährend in eine variable. Ich nenne ihn daher variablen Kapitalteil, oder kürzer: variables Kapital. Dieselben Kapitalbestandteile, die sich vom Standpunkt des Arbeitsprozesses als objektive und subjektive Faktoren, als Produktionsmittel und Arbeitskraft unterscheiden, unterscheiden sich vom

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Standpunkt des Verwertungsprozesses als konstantes Kapital und variables Kapital. // 224 // ✂. . . Erläuterungen Der hier stark gekürzte Text diskutiert Probleme der Klassischen Ökonomie, die im zweiten und dritten Band des Kapital ausführlicher erörtert werden. (vergl. S. 158 ff) Der Text führt zwei neue Begriffe ein: konstantes und variables Kapital. Bei der Wertschöpfung (Kapitalbildung) im Produktionsprozess kennzeichnen sie die doppelte Wirkung der Arbeitskraft. Mit demselben Arbeitsvorgang erzeugt die Arbeitskraft Neuwert und erhält und überträgt den Wert der Vorprodukte. Die Unterscheidung von Neuwertschöpfung und Werterhaltung des Materials erlaubt, die unterschiedlichen Auswirkungen von Produktivitätssteigerungen auf die Wertgröße des Endprodukts zu erklären. Mit einer verbesserten Spinnmaschine kann beispielsweise die sechsfache Menge Baumwolle in derselben Arbeitszeit zu Garn verarbeitet werden. Die Neuwertschöpfung bleibt gleich, aber sie verteilt sich auf die sechsfache Menge Garn, d. h. der Wert und Preis des Garns sinkt. Diese Wertsenkung wirkt auch auf das schon früher produzierte Garn zurück, es kann nicht mehr zum alten Wert verkauft werden. Ebenso bewirkt der Wert einer verbesserten Spinnmaschine eine Entwertung der älteren Maschinen. Umgekehrt wirkt eine Preis-(Wert)steigerung der Baumwolle z. B. durch schlechte Ernten oder Kriege, auch wenn die sonstigen Produktionsbedingungen unverändert bleiben. Der Wert des Garns steigt, unabhängig davon, wann es produziert wurde. Bei der Wertabgabe der Produktionsmittel an ein neues Produkt gibt es Unterschiede. Betriebsstoffe wie Kohle und Öl beispielsweise werden vollständig verbraucht. Ihr Wert wird vollständig auf das neue Produkt übertragen. Marx führt später hierfür den Begriff zirkulierendes Kapital ein. Langlebige Produktionsmittel z. B. eine Maschine oder ein Fabrikgebäude, übertragen ihren Wert nur nach dem Maß ihrer Abnutzung. Hat z. B. eine Maschine eine zehnjährige Lebensdauer, so geht in dieser Zeit ihr Wert stückweise auf die neuen Produkte über. Betriebswirtschaftlich und steuerrechtlich entspricht das der Abschreibung. Dieser Kapitalteil wird später fixes Kapital genannt, weil es eine Zeitlang im Produktionsprozess fixiert ist. Wind, Wasser, Erde tragen zum Wert der Produktion bei, ohne wertschaffend zu sein. Marx wiederholt in dem hier ausgelassenen Text die Annahmen der Klassischen Ökonomie zur Wertlosigkeit der Naturgüter, ohne die ihm bekannten Einwände zu behandeln. Konstantes Kapital ist also der Sammelbegriff für die Kosten aller Vorprodukte, deren Wert im Neuprodukt erhalten (konstant) bleibt. Die

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Kosten für Löhne zählen zum variablen Kapital, da es sich durch die Neuwertschöpfung der Arbeitskraft vergrößert. Die heutige Volkswirtschaftslehre hat einen anderen Begriff der Wertschöpfung (Gabler 1979). In der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung gilt die Summe der Entgelte eines Jahres für die drei Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und Boden als Wertschöpfung. Der Begriff wird synonym mit Nettoinlandsprodukt verwendet und dient für statistische Vergleiche. Mit ausdrücklicher Kritik an Marx versuchte Samuleson (1972, 2, 455-479) zu zeigen, dass wirtschaftliches Wachstum in erster Linie durch technischen Fortschritt zustande kommt. Arbeit sei immer mit einer bestimmten Technik verbunden, die für die Wertschöpfung ausschlaggebend sei. Bei der statistischen Würdigung des Kapitalwachstums, des Kapitalkoeffizienten und des Bodenwerts sei das ständige Ansteigen der Reallöhne in den letzten hundert Jahren sonst nicht zu erklären.

2.5. Die Produktion des Mehrwerts im Rahmen des NormalArbeitstags MEW 23, 233-331 Zur Geschichte des Normalarbeitstages Die Begriffe notwendige Arbeit, Mehrarbeit und Ausbeutungsrate ✂. . . Wenn der Wert seiner täglichen Lebensmittel im Durchschnitt 6 vergegenständlichte Arbeitsstunden darstellt, so muß der Arbeiter im Durchschnitt täglich 6 Stunden arbeiten, um ihn zu produzieren. Arbeitete er nicht für den Kapitalisten, sondern für sich selbst, unabhängig, so müßte er, unter sonst gleichbleibenden Umständen, nach wie vor im Durchschnitt denselben aliquoten Teil des Tags arbeiten, um den Wert seiner Arbeitskraft zu produzieren, und dadurch die zu seiner eignen Erhaltung oder beständigen Reproduktion nötigen Lebensmittel zu gewinnen. ✂. . . Den Teil des Arbeitstags also, worin diese Reproduktion // 230 // vorgeht, nenne ich notwendige Arbeitszeit, die während derselben verausgabte Arbeit notwendige Arbeit. Notwendig für den Arbeiter, weil unabhängig von der gesellschaftlichen Form seiner Arbeit. Notwendig für das Kapital und seine Welt, weil das beständige Dasein des Arbeiters ihre Basis. Die zweite Periode des Arbeitsprozesses, die der Arbeiter über die Grenzen der notwendigen Arbeit hinaus schanzt, kostet ihm zwar Arbeit, Verausgabung von Arbeitskraft, bildet aber keinen Wert für ihn. Sie bildet Mehrwert, der den Kapitalisten mit allem Reiz einer Schöpfung aus Nichts anlacht. Diesen Teil des Arbeitstags nenne ich Surplusarbeitszeit, und die in ihr ver-

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ausgabte Arbeit: Mehrarbeit (surplus labour). So entscheidend es für die Erkenntnis des Werts überhaupt, ihn als bloße Gerinnung von Arbeitszeit, als bloß vergegenständlichte Arbeit, so entscheidend ist es für die Erkenntnis des Mehrwerts, ihn als bloße Gerinnung von Surplusarbeitszeit, als bloß vergegenständlichte Mehrarbeit zu begreifen. Nur die Form, worin diese Mehrarbeit dem unmittelbaren Produzenten, dem Arbeiter, abgepreßt wird, unterscheidet die ökonomischen Gesellschaftsformationen, z. B. die Gesellschaft der Sklaverei von der der Lohnarbeit. ✂. . . Der Mehrwert verhält sich zum variablen Kapital, wie die Mehrarbeit zur notwendigen, oder die // 231 // Rate des Mehrwerts m/v = Mehrarbeit / Notwendige Arbeit. Beide Proportionen drücken dasselbe Verhältnis in verschiedner Form aus, das eine Mal in der Form vergegenständlichter, das andre Mal in der Form flüssiger Arbeit. Die Rate des Mehrwerts ist daher der exakte Ausdruck für den Exploitationsgrad der Arbeitskraft durch das Kapital oder des Arbeiters durch den Kapitalisten. // 232 // Erläuterungen Ausführlich schildert das Kapital die Geschichte des Kampfes um die tägliche Arbeitszeit. Dazu werden heute ungewohnte Begriffe benutzt, die kurz vorgestellt werden müssen. Die Arbeitszeit für den eigenen Lebensunterhalt heißt notwendige Arbeitszeit, weil sie zu allen Zeiten, unabhängig von der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit, geleistet werden musste. Infolge der Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt konnten Arbeiterinnen und Arbeiter keineswegs frei wählen, wie lange sie täglich arbeiten wollten. Sie waren in der Regel gezwungen, die Arbeitszeit zu akzeptieren, die von den Unternehmen angeboten wurde. Marx nennt daher die Arbeitszeit, die akzeptiert werden muss, um überhaupt Arbeit zu bekommen, absolute Arbeitszeit. Abgeleitet davon, nennt er den Mehrwert, der in dieser absoluten, erzwungenen Arbeitszeit produziert wird, absoluten Mehrwert. Der Kampf der Arbeiterschaft um die Verkürzung des Normalarbeitstages wird daher als Kampf um den Umfang des absoluten Mehrwerts bezeichnet. Mehrarbeitszeit, Mehrarbeit und Mehrprodukt gibt es schon in vorkapitalistischen Produktionsweisen. Erst in einer privat produzierenden kapitalistischen Gesellschaft verwandelt sich Mehrarbeit und Mehrprodukt in Mehrwert. Für vorkapitalistische Produktionsweisen ist dieser Begriff unangemessen. Auch die abstraktesten Kategorien tragen, wie oben erläutert, ihre historische Spur. Wert wird hier wie bei Ricardo als vergegenständlichte Arbeitsmenge verstanden. Die Erörterungen über den inneren „trinitarischen“ Zu-

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sammenhang von Wert und Mehrwert sollen aber Gültigkeit behalten. (Vergl. S. 77 ff) Mehrwert und Wert unterscheiden nur dadurch, welchem Teil der täglichen Arbeitszeit der Wert zugerechnet wird. Notwendige Arbeit wie Mehrarbeit bilden Wert. Obschon Marx weiß, dass der Wert zahlenmäßig nicht präzise beziffert werden kann, spricht er von einer Rate des Mehrwerts, als dem exakten Ausdruck des Ausbeutungsgrads. Nach allem bisher Gesagten heißt das nur, dass prinzipiell eine Quantifizierung des Werts und Mehrwerts möglich sein soll, auch wenn der genaue Betrag nicht beziffert werden kann. Alle Zahlenbeispiele der Texte sind rein illustrativ. Die Grenzen des Arbeitstags ✂. . . Obgleich nun der Arbeitstag keine feste, sondern eine fließende Größe ist, kann er andrerseits nur innerhalb gewisser Schranken variieren. Seine Minimalschranke ist jedoch unbestimmbar. Allerdings, setzen wir ✂. . . die Mehrarbeit, = 0, so erhalten wir eine Minimalschranke, nämlich den Teil des Tags, den der Arbeiter notwendig zu seiner Selbsterhaltung arbeiten muß. Auf Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise kann die notwendige Arbeit aber immer nur einen Teil seines Arbeitstages bilden, der Arbeitstag sich also nie auf dies Minimum verkürzen. Dagegen besitzt der Arbeitstag eine Maximalschranke. Er ist über eine gewisse Grenze hinaus nicht verlängerbar. Diese Maximalschranke ist doppelt bestimmt. Einmal durch die physische Schranke der Arbeitskraft. Ein Mensch kann während des natürlichen Tags von 24 Stunden nur ein bestimmtes Quantum Lebenskraft verausgaben. So kann ein Pferd tagaus, tagein nur 8 Stunden arbeiten. Während eines Teils des Tags muß die Kraft ruhen, schlafen, während eines andren Teils hat der Mensch andre physische Bedürfnisse zu befriedigen, sich zu nähren, reinigen, kleiden usw. Außer dieser rein physischen Schranke stößt die Verlängrung des Arbeitstags auf moralische Schranken. Der Arbeiter braucht Zeit zur Befriedigung geistiger und sozialer Bedürfnisse, deren Umfang und Zahl durch den allgemeinen Kulturzustand bestimmt sind. Die Variation des Arbeitstags bewegt sich daher innerhalb physischer und sozialer Schranken. // 246 // ✂. . . Wenn die Durchschnittsperiode, die ein Durchschnittsarbeiter bei vernünftigem Arbeitsmaß leben kann, 30 Jahre beträgt, ist der Wert meiner Arbeitskraft, den Du mir an einem Tag in den anderen zahlst, 1: 365 x 30 oder ein 10950 stel ihres Gesamtwerts. Konsumierst Du sie aber in 10 Jahren ✂. . . .stiehlst Du mir täglich 2/3 des Werts meiner Ware. // 248//

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Recht und Gewalt ✂. . . Von ganz elastischen Schranken abgesehn, ergibt sich aus der Natur des Warentauschs selbst keine Grenze des Arbeitstags, also keine Grenze der Mehrarbeit. Der Kapitalist behauptet sein Recht als Käufer, wenn er den Arbeitstag solang als möglich und womöglich aus einem Arbeitstag zwei zu machen sucht. Andrerseits schließt die spezifische Natur der verkauften Ware eine Schranke ihres Konsums durch den Käufer ein und der Arbeiter behauptet sein Recht als Verkäufer, wenn er den Arbeitstag auf eine bestimmte Normalgröße beschränken will. Es findet hier also eine Antinomie statt: Recht wider Recht. Beide gleichmäßig durch das Gesetz des Warenaustauschs besiegelt. Zwischen gleichen Rechten entscheidet die Gewalt. Und so stellt sich in der Geschichte der kapitalistischen Produktion die Normierung des Arbeitstages als Kampf um die Schranken des Arbeitstags dar ein Kampf zwischen dem Gesamtkapitalisten d. h. der Klasse der Kapitalisten und dem Gesamtarbeiter, oder der Arbeiterklasse. // 249 //. Erläuterungen In dem hier ausgelassenen Text der MEW (23, 184-187) wiederholt Marx, dass der Wert der Arbeitskraft nach Zeit, Ort und Kulturstand sehr unterschiedlich sein kann. Er macht damit deutlich, dass eine zahlenmäßige Berechenbarkeit des Werts der Arbeitskraft nicht möglich ist und fügt ein weiteres Argument hinzu. Mit dem Anspruch auf gleiche Lebenserwartung wie der Unternehmer wird der Wert der Arbeitskraft gänzlich unbestimmbar. Die rechtliche Gleichheit der Warenbesitzer versetzt sie gleichsam zurück in den Naturzustand, den Kampf aller gegen alle. Gewalt bleibt auch in der Zivilgesellschaft das einzige Mittel, zu seinem „Recht“ zu kommen. Die Formen des Kampfes mögen friedlicher werden, die Durchsetzung von Ansprüchen ist jedoch von Macht und Machtmitteln abhängig. Ein Zusammenbruch des Kapitalismus oder ein Sieg des Proletariats wird nicht in Aussicht gestellt. Geschichte ist eine Geschichte der Klassenkämpfe. Ebenso wenig wird von einer notwendigen Verelendung der Arbeiterschaft gesprochen, es wird lediglich festgestellt, dass auf Grund der Rechtslage Gewalt das einzige Mittel ist, die eigene Lage zu verbessern. Mit einem detailreichen Rückblick auf die Kämpfe um die Länge des Normalarbeitstags stellt der hier weggelassene Text der MEW (23, 249318) riesiges Anschauungsmaterial zusammen. Mehrarbeit ist keine Erfindung des Kapitals. Bei der Fronarbeit war noch klar, wie viel ein Bauer für sich oder für den Fronherrn arbeitete. Die Lohnarbeit in der Fabrik dagegen verwischt den Unterschied. Scheinbar wird die Arbeits-

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zeit bezahlt und nicht die Arbeitskraft. Die Mehrarbeit pro Woche, Tag, Stunde oder Minute ist von der notwendigen Arbeit nicht mehr unterscheidbar. Friedrich Engels hatte schon 1845 die soziale und wirtschaftliche Lage der englischen Arbeiterinnen und Arbeiter geschildert (MEW 2, 224-506). Marx wertet zusätzlich Berichte der englischen Fabrikinspektoren, Zeitungsartikel und andere Quellen aus und berichtet über die Arbeitszeitregelungen in England seit dem 14. Jahrhundert. Er schließt mit einem Ausblick auf Frankreich und die USA im 19. Jahrhundert. In England blieb bis 1844 eine zwölfstündige Arbeitszeit selbst für Kinder erlaubt. Nach heftigen Kämpfen der Arbeiterbewegung um den Factory Act von 1850 sank die gesetzliche Arbeitszeit für Kinder und Frauen auf durchschnittlich 10 Stunden. Ein Motiv der gesetzlichen Beschränkung des Arbeitstages war der miserable Gesundheitszustand von Arbeitern bei der Musterung zum Militär. Im großen und ganzen jedoch, betont Marx, hing der Normalarbeitstag aber nicht vom guten oder bösen Willen des einzelnen Kapitalisten ab: die freie Konkurrenz macht die immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion dem einzelnen Kapitalisten gegenüber als äußerliches Zwangsgesetz geltend“ (MEW 23, 286).

2.6. Die Produktion des Mehrwerts durch technische Verbesserungen MEW 23, 331-530 Voraussetzungen und Begriffe Die Begriffe absoluter und relativer Mehrwert Die Arbeit, die vom Gesamtkapital einer Gesellschaft tagaus, tagein in Bewegung gesetzt wird, kann als ein einziger Arbeitstag betrachtet werden. Ist z. B. die Zahl der Arbeiter eine Million und beträgt der Durchschnittsarbeitstag eines Arbeiters 10 Stunden, so besteht der gesellschaftliche Arbeitstag aus 10 Millionen Stunden. Bei gegebner Länge dieses Arbeitstags, seien seine Grenzen physisch oder sozial gezogen, kann die Masse des Mehrwerts nur vermehrt werden durch Vermehrung der Arbeiteranzahl, d. h. der Arbeiterbevölkerung. Das Wachstum der Bevölkrung bildet hier die mathematische Grenze für Produktion des Mehrwerts durch das gesellschaftliche Gesamtkapital. Umgekehrt. Bei gegebner Größe der Bevölkrung wird diese Grenze gebildet durch die mögliche Verlängerung des Arbeitstags. Man wird im folgenden Kapitel sehn, daß dies Gesetz nur für die bisher behandelte Form des Mehrwerts gilt. // 325 // ✂. . .

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Dies einmal unterstellt, kann die zur Produktion der Arbeitskraft oder zur Reproduktion ihres Werts notwendige Arbeitszeit nicht abnehmen, weil der Lohn des Arbeiters unter den Wert seiner Arbeitskraft, sondern nur wenn dieser Wert selbst sinkt. Bei gegebner Länge des Arbeitstags muß die Verlängrung der Mehrarbeit aus der Verkürzung der notwendigen Arbeitszeit entspringen, nicht umgekehrt die Verkürzung der notwendigen Arbeitszeit aus der Verlängrung der Mehrarbeit. ✂. . . Dies ist jedoch unmöglich ohne eine Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit. Mit gegebnen Mitteln kann ein Schuster z. B. ein Paar Stiefel in einem Arbeitstag von 12 Stunden machen. Soll er in derselben Zeit zwei Paar Stiefel machen, so muß sich die Produktivkraft seiner Arbeit verdoppeln, und sie kann sich nicht verdoppeln ohne eine Änderung in seinen Arbeitsmitteln oder seiner Arbeitsmethode oder beiden zugleich. Es muß daher eine Revolution in den Produktionsbedingungen seiner Arbeit eintreten, d. h. in seiner Produktionsweise und daher im Arbeitsprozeß selbst. ✂. . . // 333 // Durch Verlängrung des Arbeitstags produzierten Mehrwert nenne ich absoluten Mehrwert; den Mehrwert dagegen, der aus Verkürzung der notwendigen Arbeitszeit und entsprechender Verändrung im Größenverhältnis der beiden Bestandteile des Arbeitstags entspringt relativen Mehrwert. // 334 // Bedingungen der Produktion des relativen Mehrwerts ✂. . . Um den Wert der Arbeitskraft zu senken, muß die Steigerung der Produktivkraft Industriezweige ergreifen, deren Produkte den Wert der Arbeitskraft bestimmen, also entweder dem Umkreis der gewohnheitsmäßigen Lebensmittel angehören oder sie ersetzen können. Der Wert einer Ware ist aber nicht nur bestimmt durch das Quantum der Arbeit, welche ihr die letzte Form gibt, sondern ebensowohl durch die in ihren Produktionsmitteln enthaltne Arbeitsmasse. Z. B. der Wert eines Stiefels nicht nur durch die Schusterarbeit, sondern auch durch den Wert von Leder, Pech, Draht usw. Steigerung der Produktivkraft und entsprechende Verwohlfeilerung der Waren in den Industrien, welche die stofflichen Elemente des konstanten Kapitals, die Arbeitsmittel und das Arbeitsmaterial, zur Erzeugung der notwendigen Lebensmittel liefern, senken also ebenfalls den Wert der Arbeitskraft. In Produktionszweigen dagegen, die weder notwendige Lebensmittel liefern noch Produktionsmittel zu ihrer Herstellung, läßt die erhöhte Produktivkraft den Wert der Arbeitskraft unberührt. ✂. . . // 334 // Wenn ein einzelner Kapitalist durch Steigerung der Produktivkraft der Arbeit z. B. Hemden verwohlfeilert, schwebt ihm keineswegs notwendig der Zweck vor, den Wert der Arbeitskraft und daher die notwendige Arbeitszeit

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pro tanto (überhaupt) zu senken, aber nur soweit er schließlich zu diesem Resultat beiträgt, trägt er bei zur Erhöhung der allgemeinen Rate des Mehrwerts. ✂. . . Die Art und Weise, wie die immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion in der äußern Bewegung der Kapitale erscheinen, sich als Zwangsgesetze der Konkurrenz geltend machen und daher als treibende Motive dem individuellen Kapitalisten zum Bewußtsein kommen, ist jetzt nicht zu betrachten, aber soviel erhellt von vornherein: Wissenschaftliche Analyse der Konkurrenz ist nur möglich, sobald die innere Natur des Kapitals begriffen ist, ganz wie die scheinbare Bewegung der Himmelskörper nur dem verständlich, der ihre wirkliche, aber sinnlich nicht wahrnehmbare Bewegung kennt. Dennoch ist zum Verständnis der Produktion des relativen Mehrwerts und bloß auf Grundlage der bereits gewonnenen Resultate folgendes zu bemerken. ✂. . . (335) Ökonomische Auswirkungen der Produktivitätssteigerung Es gelinge nun einem Kapitalisten, die Produktivkraft der Arbeit zu verdoppeln und daher 24 statt 12 Stück dieser Warenart in dem zwölfstündigen Arbeitstag zu produzieren. ✂. . . Der individuelle Wert dieser Ware steht nun unter ihrem gesellschaftlichen Wert, d. h. , sie kostet weniger Arbeitszeit als der große Haufen derselben Artikel, produziert unter den gesellschaftlichen Durchschnittsbedingungen. ✂. . . Verkauft also der Kapitalist, der die neue Methode anwendet, seine Ware zu ihrem gesellschaftlichen Wert von 1 sh., so verkauft er sie 3 d. über ihrem individuellen Wert und realisiert so einen Extramehrwert von 3 d. Andrerseits stellt sich aber der zwölfstündige Arbeitstag jetzt für ihn in 24 Stück Ware dar statt früher in 12. Um also das Produkt eines Arbeitstags zu verkaufen, bedarf er doppelten Absatzes oder eines zweifach größern Markts. Unter sonst gleichbleibenden Umständen erobern seine Waren nur größern Marktraum durch Kontraktion ihrer Preise. Er wird sie daher über ihrem individuellen, aber unter ihrem gesellschaftlichen Wert verkaufen, sage zu 10 d. das Stück. So schlägt er an jedem einzelnen Stück immer noch einen Extramehrwert von 1 d. heraus. Diese Steigerung des Mehrwerts findet für ihn statt, ob oder ob nicht seine Ware dem Umkreis der notwendigen Lebensmittel angehört und daher bestimmend in den allgemeinen Wert der Arbeitskraft eingeht. Vom letztren Umstand abgesehn, existiert also für jeden einzelnen Kapitalisten das Motiv, die Ware durch erhöhte Produktivkraft der Arbeit zu verwohlfeilern. // 336 // Relativer Mehrwert und gesellschaftliche Gesamtarbeit ✂. . . Der Wert der Waren steht in umgekehrtem Verhältnis zur Produktivkraft der Arbeit. Ebenso, weil durch Warenwerte bestimmt, der Wert der Arbeits-

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kraft. Dagegen steht der relative Mehrwert in direktem Verhältnis zur Produktivkraft der Arbeit. Er steigt mit steigender und fällt mit fallender Produktivkraft. Ein gesellschaftlicher Durchschnittsarbeitstag von 12 Stunden, Geldwert als gleichbleibend vorausgesetzt, produziert stets dasselbe Wertprodukt von 6 sh. , wie diese Wertsumme sich immer verteile zwischen Äquivalent für den Wert der Arbeitskraft und Mehrwert. Fällt aber infolge gesteigerter Produktivkraft der Wert der täglichen Lebensmittel und daher der Tageswert der Arbeitskraft von 5 sh. auf 3 sh. , so wächst der Mehrwert von 1 sh. auf 3 sh. Um den Wert der Arbeitskraft zu reproduzieren, waren 10 und sind jetzt nur noch 6 Arbeitsstunden nötig. Vier Arbeitsstunden sind frei geworden und können der Domäne der Mehrarbeit annexiert werden. Es ist daher der immanente Trieb und die beständige Tendenz des Kapitals, die Produktivkraft der Arbeit zu steigern, um die Ware und durch die Verwohlfeilerung der Ware den Arbeiter selbst zu verwohlfeilern. (338) ✂. . . da also derselbe identische Prozeß die Waren verwohlfeilert und den in ihnen enthaltnen Mehrwert steigert, löst sich das Rätsel, daß der Kapitalist, dem es nur um die Produktion von Tauschwert zu tun ist, den Tauschwert der Waren beständig zu senken strebt ✂. . . (339) Erläuterungen Auf der empirischen Ebene ist der hier thematisierte Sachverhalt einfach nachzuvollziehen. Bei gleichbleibender Technik und unveränderten natürlichen Ressourcen werden an einem Arbeitstag (z. B. in 10 Millionen Arbeitsstunden) eine bestimmte Menge Güter hergestellt, deren Werte ihren (standardmäßigen) Herstellungszeiten entsprechen. Ist die Länge des Arbeitstages gesetzlich beschränkt, können zusätzliche Güter nur durch Einsatz von zusätzlichen Arbeitskräften oder von zeit- und arbeitssparender Maschinen produziert werden. Im letzteren Fall verteilen sich die vorläufig gleichbleibenden Lohnkosten eines Unternehmens auf beispielsweise zehn mal mehr Produkte. Ohne Berücksichtigung der Anschaffungskosten für Maschinen und Rohstoffe sinkt dadurch der Wert des einzelnen Produkts. Solange die Konkurrenz noch in der alten Weise produziert, kann ein Unternehmen seinen Gewinn steigern, allerdings müsste es auch zehn mal so viel Ware verkaufen. Das gibt der Markt nicht ohne weiteres her. So werden die Produkte irgendwo zwischen dem marktüblichen alten und dem neuen Produktionspreis verkauft. So entsteht für das Unternehmen ein Extragewinn und das Motiv, seine Waren weiter durch Erhöhung der Produktivität zu verbilligen. In der Regel werden die konkurrierenden Unternehmen gleichfalls ihre Produktivität erhöhen, sodass sich in der jeweiligen Branche wie-

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der eine durchschnittliche Produktivität und damit ein neuer gesenkter Durchschnittspreis herausbildet. Ein unmittelbarer Effekt wäre die Steigerung der Reallöhne bei gleichbleibendem Nominallohn. Für den gleichen Lohn können mehr Schuhe, Kleider, Lebensmittel etc. gekauft werden. Entscheidend für die Unternehmen ist, dass durch die höheren Stückzahlen und geringere Produktionskosten ihr Gewinn steigt. Der Text argumentiert aber nicht auf dieser empirischen Ebene. Die Art und Weise, wie die immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion in der äußern Bewegung der Kapitale erscheinen, sich als Zwangsgesetze der Konkurrenz geltend machen und daher als treibende Motive dem individuellen Kapitalisten zum Bewusstsein kommen, ist jetzt nicht zu betrachten.Erst in Bd. 2 und 3 sollen diese Fragen behandelt werden. (vergl. S. 164 ff) Grundlage der Argumentation ist die Annahme, dass bei gleichbleibender Anzahl der Arbeitskräfte und gleicher Arbeitszeit stets derselbe Wert entsteht. Durch steigende Produktivität wächst der Wert nicht, er verteilt sich nur auf mehr Produkte, sie werden billiger. Anders gesagt: Die Austauschbarkeit aller Produkte (ihr Wert) ändert sich durch Erhöhung der Produktivität nicht. Was sich ändert, ist ihre Wertgröße. Es entstehen andere Austauschrelationen, als vor der Steigerung der Produktivität. (Heinrich 1999b, 218) Auch der Wert von Produkten, die noch herkömmlich hergestellt werden, können infolge gesunkener Preise ihrer Vorprodukte sinken. Die Arbeitskräfte erzeugen Wert, indem sie einerseits den Wert der Vorprodukte erhalten, also Wert übertragen, andererseits Neuwert produzieren, indem sie ihre (ausgebildete) Arbeitskraft einsetzen. Jeder Neuwert enthält immer einen Anteil Selbstreproduktion der Arbeitskraft, der im Lohn repräsentiert ist, und einen Anteil Mehrwert der in der unbezahlten Arbeitszeit repräsentiert ist. Verringert sich der Lohnanteil am Neuwert wächst notwendig der Mehrwertanteil. Auf dieser Abstraktionsebene kann der Text dann feststellen: Der Wert (= Wertgröße) der Waren steht in umgekehrtem Verhältnis zur Produktivkraft der Arbeit. (steigt die Produktivität, werden die Waren billiger) Ebenso, weil durch Warenwerte bestimmt, der Wert (= die Wertgröße) der Arbeitskraft. Dagegen steht der relative Mehrwert (gemeint ist der Mehrwertanteil am Neuwert) in direktem Verhältnis zur Produktivkraft der Arbeit. Er steigt mit steigender und fällt mit fallender Produktivkraft. Ob und wie der gestiegene Mehrwertanteil von den Unternehmen realisiert werden kann, interessiert den Text an dieser Stelle überhaupt nicht. Es soll lediglich ein nicht empirisches Argument

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formuliert werden, dass mit steigender Produktivität der Mehrwertanteil jedes Produkts steigt. Gelingt es, die Produkte zu ihrem Wert zu veräußern, wird nach gestiegener Produktivität ein höherer Mehrwert realisiert, ohne die Regeln des gleichen Tauschs zu verletzen. Um den Wert der Arbeitskraft zu senken, muss die Steigerung der Produktivität allerdings Industriezweige ergreifen, deren Produkte den Wert der Arbeitskraft beeinflussen (MEW 23, 334). Damit kehrt der Text auf die empirische Ebene zurück. Rüstungsproduktion oder Weltraumtechnik beispielsweise haben wenig Einfluss auf den Konsum der Arbeitenden. Die Steigerung der Produktivität zielt nicht auf eine Verkürzung des Arbeitstags, sondern nur auf eine Verkürzung der Produktionszeit für eine einzelne Ware (MEW 23, 339). Infolge der Konkurrenz wird Steigerung der Produktivität zum Hauptmotor der gesellschaftlichen Entwicklung. Die folgenden 170 Seiten des Kapitals (MEW 23, 356-530) schildern diesen Prozess mit offener Bewunderung für den technischen Fortschritt und harter Kritik an den sozialen Folgen. Trotz der chronologischen Vorgehensweise erzählt der Text keine Geschichte der Industrialisierung, sondern nennt Perspektiven, unter denen eine Geschichte der Industrialisierung geschrieben werden sollte. Die Texte sind gut verständlich und können ohne Kommentar gelesen werden. Einige wenige Textproben sollen zur ausführlicheren Lektüre der MEW einladen. Perspektiven einer Sozialgeschichte der Industrialisierung Die Kooperation und die Leitung von Arbeitsprozessen Mit der Kooperation vieler Lohnarbeiter entwickelt sich das Kommando des Kapitals zum Erheischnis für die Ausführung des Arbeitsprozesses selbst, zu einer wirklichen Produktionsbedingung. Der Befehl des Kapitalisten auf dem Produktionsfeld wird jetzt so unentbehrlich wie der Befehl des Generals auf dem Schlachtfeld. Alle unmittelbar gesellschaftliche oder gemeinschaftliche Arbeit auf größrem Maßstab bedarf mehr oder minder einer Direktion, welche die Harmonie der individuellen Tätigkeiten vermittelt und die allgemeinen Funktionen vollzieht, die aus der Bewegung des produktiven Gesamtkörpers im Unterschied von der Bewegung seiner selbständigen Organe entspringen. Ein einzelner Violinspieler dirigiert sich selbst, ein Orchester bedarf des Musikdirektors. Diese Funktion der Leitung, Überwachung und Vermittlung, wird zur Funktion des Kapitals, sobald die ihm untergeordnete Arbeit kooperativ wird. Als spezifische Funktion des Kapitals erhält die Funktion der Leitung spezifische Charaktermale. // 350 // ✂. . .

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Der Kapitalist ist nicht Kapitalist, weil er industrieller Leiter ist, sondern er wird industrieller Befehlshaber, weil er Kapitalist ist. Der Oberbefehl in der Industrie wird Attribut des Kapitals, wie zur Feudalzeit der Oberbefehl in Krieg und Gericht Attribut des Grundeigentums war. // 352 // ✂. . . Weil die gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit dem Kapital nichts kostet, weil sie andrerseits nicht von dem Arbeiter entwickelt wird, bevor seine Arbeit selbst dem Kapital gehört, erscheint sie als Produktivkraft, die das Kapital von Natur besitzt, als seine immanente Produktivkraft. // 353 // ✂. . . Die Rolle des Handwerks in der Manufaktur Die Manufakturperiode, welche Verminderung der zur Warenproduktion notwendigen Arbeitszeit bald als bewußtes Prinzip ausspricht, entwickelt sporadisch auch den Gebrauch von Maschinen, namentlich für gewisse einfache erste Prozesse, die massenhaft und mit großem Kraftaufwand auszuführen sind. So wird z. B. bald in der Papiermanufaktur das Zermalmen der Lumpen durch Papiermühlen und in der Metallurgie das Zerstoßen der Erze durch sogenannte Pochmühlen verrichtet. Die elementarische Form aller Maschinerie hatte das römische Kaiserreich überliefert in der Wassermühle. Die Handwerksperiode vermachte die großen Erfindungen des Kompasses, des Pulvers, der Buchdruckerei und der automatischen Uhr. Im großen und ganzen jedoch spielt die Maschinerie jene Nebenrolle, die Adam Smith ihr neben der Teilung der Arbeit anweist. Sehr wichtig wurde die sporadische Anwendung der Maschinerie im 17. Jahrhundert, weil sie den großen Mathematikern jener Zeit praktische Anhaltspunkte und Reizmittel zur Schöpfung der modernen Mechanik darbot. Die spezifische Maschinerie der Manufakturperiode bleibt der aus vielen Teilarbeitern kombinierte Gesamtarbeiter selbst. // 372 // ✂. . . Die Bedeutung der Maschinen für die industrielle Revolution ✂. . . die Werkzeugmaschine, ist es, wovon die industrielle Revolution im 18. Jahrhundert ausgeht. Sie bildet noch jeden Tag von neuem den Ausgangspunkt, sooft Handwerksbetrieb oder Manufakturbetrieb in Maschinenbetrieb übergeht. // 393 // ✂. . . Die Dampfmaschine selbst, wie sie Ende des 17. Jahrhunderts während der Manufakturperiode erfunden ward und bis zum Anfang der 80er Jahre des 18. Jahrhunderts fortexistierte, // 395 // rief keine industrielle Revolution hervor. Es war vielmehr umgekehrt die Schöpfung der Werkzeugmaschinen, welche die revolutionierte Dampfmaschine notwendig machte. Sobald der Mensch, statt mit dem Werkzeug auf den Arbeitsgegenstand, nur noch als Triebkraft auf eine Werkzeugmaschine wirkt, wird die Verkleidung der Triebkraft in menschliche Muskel zufällig und kann Wind, Wasser, Dampf usw. an die Stelle treten. // 396 // ✂. . .

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Die große Industrie mußte sich also ihres charakteristischen Produktionsmittels, der Maschine selbst, bemächtigen und Maschinen durch Maschinen produzieren. So erst schuf sie ihre adäquate technische Unterlage und stellte sich auf ihre eignen Füße. Mit dem wachsenden Maschinenbetrieb in den ersten Dezennien des 19. Jahrhunderts bemächtigte sich die Maschinerie in der Tat allmählich der Fabrikation der Werkzeugmaschinen. Jedoch erst während der letztverfloßnen Dezennien riefen ungeheurer Eisenbahnbau und ozeanische Dampfschiffahrt die zur Konstruktion von ersten Motoren angewandten zyklopischen Maschinen ins Leben. // 405 // ✂. . . Zusammenfassende Bewertung des technischen Fortschritts Die von der kapitalistischen Anwendung der Maschinerie untrennbaren Widersprüche und Antagonismen existieren nicht, weil sie nicht aus der Maschinerie selbst erwachsen, sondern aus ihrer kapitalistischen Anwendung! Da also die Maschinerie an sich betrachtet die Arbeitszeit verkürzt, während sie kapitalistisch angewandt den Arbeitstag verlängert, an sich die Arbeit erleichtert, kapitalistisch angewandt ihre Intensität steigert, an sich ein Sieg des Menschen über die Naturkraft ist, kapitalistisch angewandt den Menschen durch die Naturkraft unterjocht, an sich den Reichtum des Produzenten vermehrt, kapitalistisch angewandt ihn verpaupert usw. , erklärt der bürgerliche Ökonom einfach, das Ansichbetrachten der Maschinerie beweise haarscharf, daß alle jene handgreiflichen Widersprüche bloßer Schein der gemeinen Wirklichkeit, aber an sich, also auch in der Theorie gar nicht vorhanden sind. Er spart sich so alles weitre Kopfzerbrechen und bürdet seinem Gegner obendrein die Dummheit auf, nicht die kapitalistische Anwendung der Maschinerie zu bekämpfen, sondern die Maschinerie selbst. // 465 // ✂. . . Die zwiespältigen Folgen der Industrialisierung Die moderne Industrie betrachtet und behandelt die vorhandne Form eines // 510 // Produktionsprozesses nie als definitiv. Ihre technische Basis ist daher revolutionär, während die aller früheren Produktionsweisen wesentlich konservativ war. Durch Maschinerie, chemische Prozesse und andre Methoden wälzt sie beständig mit der technischen Grundlage der Produktion die Funktionen der Arbeiter und die gesellschaftlichen Kombinationen des Arbeitsprozesses um. ✂. . . Wenn aber der Wechsel der Arbeit sich jetzt nur als überwältigendes Naturgesetz und mit der blind zerstörenden Wirkung eines Naturgesetzes durchsetzt, das überall auf Hindernisse stößt, macht die große Industrie durch ihre // 511// Katastrophen selbst es zur Frage von Leben oder Tod, den Wechsel der Arbeiten und daher möglichste Vielseitig-

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keit der Arbeiter als allgemeines gesellschaftliches Produktionsgesetz anzuerkennen und seiner normalen Verwirklichung die Verhältnisse anzupassen. Sie macht es zu einer Frage von Leben oder Tod, die Ungeheuerlichkeit einer elenden, für das wechselnde Exploitationsbedürfnis des Kapitals in Reserve gehaltenen, disponiblen Arbeiterbevölkerung zu ersetzen durch die absolute Disponibilität des Menschen für wechselnde Arbeitserfordernisse; das Teilindividuum, den bloßen Träger einer gesellschaftlichen Detailfunktion, durch das total entwickelte Individuum, für welches verschiedne gesellschaftliche Funktionen einander ablösende Betätigungsweisen sind. Ein auf Grundlage der großen Industrie naturwüchsig entwickeltes Moment dieses Umwälzungsprozesses sind polytechnische und agronomische Schulen, ein andres sind die „écoles d‘enseignement professionnel“, worin die Kinder der Arbeiter einigen Unterricht in der Technologie und praktischen Handhabe der verschiednen Produktionsinstrumente erhalten. ✂. . . (512) So furchtbar und ekelhaft nun die Auflösung des alten Familienwesens innerhalb des kapitalistischen Systems erscheint, so schafft nichtsdestoweniger die große Industrie mit der entscheidenden Rolle, die sie den Weibern, jungen Personen und Kindern beiderlei Geschlechts in gesellschaftlich organisierten Produktionsprozessen jenseits der Sphäre des Hauswesens zuweist, die neue ökonomische Grundlage für eine höhere Form der Familie und des Verhältnisses beider Geschlechter. Es ist natürlich ebenso albern, die christlich germanische Form der Familie für absolut zu halten als die altrömische Form, oder die altgriechische, oder die orientalische, die übrigens untereinander eine geschichtliche Entwicklungsreihe bilden. Ebenso leuchtet ein, daß die Zusammensetzung des kombinierten Arbeitspersonals aus Individuen beiderlei Geschlechts und der verschiedensten Altersstufen, obgleich in ihrer naturwüchsig brutalen, kapitalistischen Form, wo der Arbeiter für den Produktionsprozeß, nicht der Produktionsprozeß für den Arbeiter da ist, Pestquelle des Verderbs und der Sklaverei, unter entsprechenden Verhältnissen umgekehrt zur Quelle humaner Entwicklung umschlagen muß. (514) ✂. . . Industrialisierung und Landwirtschaft In der Sphäre der Agrikultur wirkt die große Industrie insofern am revolutionärsten, als sie das Bollwerk der alten Gesellschaft vernichtet, den „Bauer“, und ihm den Lohnarbeiter unterschiebt. Die sozialen Umwälzungsbedürfnisse und Gegensätze des Landes werden so mit denen der Stadt ausgeglichen. An die Stelle des gewohnheitsfaulsten und irrationellsten Betriebs tritt bewußte, technologische Anwendung der Wissenschaft. Die Zerreißung des ursprünglichen Familienbandes von Agrikultur und Manufaktur, welches die

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kindlich unentwickelte Gestalt beider umschlang, wird durch die kapitalistische Produktionsweise vollendet. Sie schafft aber zugleich die materiellen Voraussetzungen einer neuen, höheren Synthese, des Vereins von Agrikultur und Industrie, auf Grundlage ihrer gegensätzlich ausgearbeiteten Gestalten. Mit dem stets wachsenden Übergewicht der städtischen Bevölkerung, die sie in großen Zentren zusammenhäuft, häuft die kapitalistische Produktion einerseits die geschichtliche Bewegungskraft der Gesellschaft, stört sie andrerseits den Stoffwechsel zwischen Mensch und Erde, d. h. die Rückkehr der vom Menschen in der Form von Nahrungs- und Kleidungsmitteln vernutzten Bodenbestandteile zum Boden, also die ewige Naturbedingung dauernder Bodenfruchtbarkeit. Sie zerstört damit zugleich die physische Gesundheit der Stadtarbeiter und das geistige Leben der Landarbeiter. Aber sie zwingt zugleich durch die Zerstörung der bloß naturwüchsig entstandnen Umstände jenes Stoffwechsels, ihn systematisch als regelndes Gesetz der gesellschaftlichen Produktion und in einer der vollen menschlichen Entwicklung adäquaten Form herzustellen. ✂. . . // 529// Erläuterungen In den hier ausgelassenen Texten beschäftigt sich Marx intensiv mit den sozialen Folgen der Industrialisierung. Er untersucht den Wandel des Handwerks, die zunehmende Frauen- und Kinderarbeit, die wachsende Dequalifizierung der männlichen Arbeiterschaft und die Disziplinierung der Arbeiterbevölkerung durch die Erfordernisse der Maschinenarbeit. Die sozialgeschichtliche Forschung (Abrate/Mieck 1993) hat diese Themen aufgegriffen und eingehend bearbeitet. Ein wichtiges Randthema war für Marx die Intensivierung der Arbeit: der technische Ablauf der Arbeitsvorgänge bleibt unverändert, wird aber beschleunigt, das Fließband läuft schneller. Der ökonomische Effekt ist derselbe wie bei einer Produktivitätssteigerung: pro Zeiteinheit werden mehr Güter produziert, der von den Arbeitskräften erzeugte Neuwert verteilt sich auf mehr Waren, ihre Wertgröße sinkt. Marx verwendet hier den klassischen Arbeitsmengenbegriff. Die Intensivierung der Arbeit dient zur Erklärung verschiedener Phänomene. Sie ermöglicht die Steigerung der Real – oder Nominallöhne bei gleichzeitigem Steigen des Gewinns (=Mehrwerts). Da die Intensivierung der Arbeit unmittelbar keine zusätzlichen Kosten verursacht, können die Unternehmen einen Teil des Mehrertrags z. B. in Form von Akkordlöhnen an die Arbeitenden abgeben, ohne selbst einen Verlust zu erleiden (MEW 23, 542-552). Des weiteren erklärt die unterschiedliche Intensität der Arbeit die nationalen Unterschiede von Arbeitslöhnen bei vergleichbarer Produktivität der Arbeit (MEW 23, 583-584).

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Die oben zitierten Texte über die Folgen der Industrialisierung für Arbeit und Berufstätigkeit von Frauen haben eine lange Debatte ausgelöst. Seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurde die Bedeutung der Hausfrauenarbeit für die Reproduktion der Arbeitskraft thematisiert (Gamble 1999), seit Anfang der achtziger Jahre stand die Frage im Vordergrund, ob für die Unterdrückung der Frauen das Patriarchat oder die kapitalistische Klassengesellschaft verantwortlich sei (Hennessy/Metz 1999). Die theoretischen Auseinandersetzungen im Umkreis des Woman’s Liberation Movement in den USA knüpften methodisch an Marx an (Hartsock 1995) und plädierten (in einer repräsentativen Sammlung theoretischer Texte) für einen feministischen historischen Materialismus. Unter dem Einfluss von Lacan, Foucault und Derrida verschob sich aber die Erklärung der Unterdrückung der Frauen von ökonomisch – sozialen Gründen zu kulturgeschichtlichen Ursachen (Maihofer 1995; Butler 1997). Geschlecht sei kein „natürlicher“, biologisch-anatomischer Sachverhalt, sondern zugleich eine sozial bedingte Konstruktion. Diese Unterscheidung erlaubt auch einen differenzierten Blick auf die Geschichte der marxistischen Frauentheorie. Während Marx, Engels und August Bebel das biologische Geschlecht als Naturtatsache betrachten, gibt es bei Alexandra Kollontai schon Ansätze, das biologische Geschlecht für eine gesellschaftliche Erfindung zu halten (Bebel 1883; Herrmann 1997; Kollontai 1978-80). Diese Sichtweise blieb jedoch vereinzelt. Marxistisch orientierte Feministinnen haben bis in die neunziger Jahre die Rolle kultureller Einflüsse gegenüber sozioökonomischen Faktoren systematisch unterschätzt. (Gamble 1999). Die Bemerkungen des Textes zur Landwirtschaft wiederholen die schon im Kommunistischen Manifest ausgesprochene Überzeugung, dass die kapitalistisch betriebene und technisch verbesserte Landwirtschaft ein großer Fortschritt ist. Verstreut über das ganze Werk kommt Marx immer wieder auf die extrem schlechten Lebensverhältnisse der Landarbeiter zu sprechen, deren Widerstand im Vergleich zur städtischen Arbeiterschaft schwer organisierbar ist. Nur ausnahmsweise berücksichtigt Marx die ökologischen Folgen des Verbrauchs der natürlichen Ressourcen und sieht darin ein Problem für die zukünftigen Generationen (MEW 25, 784). Eine systematische Berücksichtigung ökologischer Probleme lag außerhalb seiner Theorie, die hier in der Sichtweise des 19. Jahrhundert befangen bleibt (Kößler/Wienold 2001, 154 ff).

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2.7. Natur, Lohnarbeit und Wertproduktion: MEW 23, 531-588 Wandel des Begriffs „produktive Arbeit“ ✂. . . Mit dem kooperativen Charakter des Arbeitsprozesses selbst erweitert sich daher notwendig der Begriff der produktiven Arbeit und ihres Trägers, des produktiven Arbeiters. Um produktiv zu arbeiten, ist es nun nicht mehr nötig, selbst Hand anzulegen; es genügt, Organ des Gesamtarbeiters zu sein, irgendeine seiner Unterfunktionen zu vollziehn. Die obige ursprüngliche Bestimmung // 531 // der produktiven Arbeit, aus der Natur der materiellen Produktion selbst abgeleitet, bleibt immer wahr für den Gesamtarbeiter, als Gesamtheit betrachtet. Aber sie gilt nicht mehr für jedes seiner Glieder, einzeln genommen. Andrerseits aber verengt sich der Begriff der produktiven Arbeit. Die kapitalistische Produktion ist nicht nur Produktion von Ware, sie ist wesentlich Produktion von Mehrwert. Der Arbeiter produziert nicht für sich, sondern für das Kapital. Es genügt daher nicht länger, daß er überhaupt produziert. Er muß Mehrwert produzieren. Nur der Arbeiter ist produktiv, der Mehrwert für den Kapitalisten produziert oder zur Selbstverwertung des Kapitals dient. Steht es frei, ein Beispiel außerhalb der Sphäre der materiellen Produktion zu wählen, so ist ein Schulmeister produktiver Arbeiter, wenn er nicht nur Kinderköpfe bearbeitet, sondern sich selbst abarbeitet zur Bereicherung des Unternehmers. Daß letztrer sein Kapital in einer Lehrfabrik angelegt hat, statt in einer Wurstfabrik, ändert nichts an dem Verhältnis. Der Begriff des produktiven Arbeiters schließt daher keineswegs bloß ein Verhältnis zwischen Tätigkeit und Nutzeffekt, zwischen Arbeiter und Arbeitsprodukt ein, sondern auch ein spezifisch gesellschaftliches, geschichtlich entstandnes Produktionsverhältnis, welches den Arbeiter zum unmittelbaren Verwertungsmittel des Kapitals stempelt. Produktiver Arbeiter zu sein ist daher kein Glück, sondern ein Pech. // 532 // ✂. . . Naturbedingungen der Produktion des Mehrwerts und die Entstehung von Herrschaft Braucht der Arbeiter alle seine Zeit, um die zur Erhaltung seiner selbst und seiner Race nötigen Lebensmittel zu produzieren, so bleibt ihm keine Zeit, um unentgeltlich für dritte Personen zu arbeiten. Ohne einen gewissen Produktivitätsgrad der Arbeit keine solche disponible Zeit für den Arbeiter, ohne solche überschüssige Zeit keine Mehrarbeit und daher keine Kapitalisten, aber auch keine Sklavenhalter, keine Feudalbarone, in einem Wort keine

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Großbesitzerklasse. So kann von einer Naturbasis des Mehrwerts gesprochen werden, aber nur in dem ganz allgemeinen Sinn, daß kein absolutes Naturhindernis den einen abhält, die zu seiner eignen Existenz nötige Arbeit von sich selbst ab und einem andern aufzuwälzen, z. B. ebensowenig wie absolute Naturhindernisse die einen abhalten, das Fleisch der andern als Nahrung zu verwenden. Es sind durchaus nicht, wie es hier und da geschehn, mystische Vorstellungen mit dieser naturwüchsigen Produktivität der Arbeit zu verbinden. Nur sobald die Menschen sich aus ihren ersten Tierzuständen // 534 // herausgearbeitet, ihre Arbeit selbst also schon in gewissem Grad vergesellschaftet ist, treten Verhältnisse ein, worin die Mehrarbeit des einen zur Existenzbedingung des andern wird. In den Kulturanfängen sind die erworbnen Produktivkräfte der Arbeit gering, aber so sind die Bedürfnisse, die sich mit und an den Mitteln ihrer Befriedigung entwickeln. Ferner ist in jenen Anfängen die Proportion der Gesellschaftsteile, die von fremder Arbeit leben, verschwindend klein gegen die Masse der unmittelbaren Produzenten. Mit dem Fortschritt der gesellschaftlichen Produktivkraft der Arbeit wächst diese Proportion absolut und relativ. Das Kapitalverhältnis entspringt übrigens auf einem ökonomischen Boden, der das Produkt eines langen Entwicklungsprozesses ist. Die vorhandne Produktivität der Arbeit, wovon es als Grundlage ausgeht, ist nicht Gabe der Natur, sondern einer Geschichte, die Tausende von Jahrhunderten umfaßt. Naturbedingungen des Kapitalismus Von der mehr oder minder entwickelten Gestalt der gesellschaftlichen Produktion abgesehn, bleibt die Produktivität der Arbeit an Naturbedingungen gebunden. Sie sind alle rückführbar auf die Natur des Menschen selbst, wie Race usw., und die ihn umgebende Natur. Die äußeren Naturbedingungen zerfallen ökonomisch in zwei große Klassen, natürlichen Reichtum an Lebensmitteln, also Bodenfruchtbarkeit, fischreiche Gewässer usw. , und natürlichen Reichtum an Arbeitsmitteln, wie lebendige Wassergefälle, schiffbare Flüsse, Holz, Metalle, Kohle usw. In den Kulturanfängen gibt die erstere, auf höherer Entwicklungsstufe die zweite Art des natürlichen Reichtums den Ausschlag. Man vergleiche z. B. England mit Indien oder, in der antiken Welt, Athen und Korinth mit den Uferländern des Schwarzen Meeres. // 535 // ✂. . . Die kapitalistische Produktion einmal vorausgesetzt, wird, unter sonst gleichbleibenden Umständen und bei gegebner Länge des Arbeitstags, die Größe der Mehrarbeit mit den Naturbedingungen der Arbeit, namentlich auch der Bodenfruchtbarkeit, variieren. Es folgt aber keineswegs umgekehrt, daß der fruchtbarste Boden der geeignetste zum Wachstum der kapitalistischen Produktionsweise. Sie unterstellt Herrschaft des Menschen über die

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Natur. Eine zu verschwenderische Natur „hält ihn an ihrer Hand wie ein Kind am Gängelband“. Sie macht seine eigne Entwicklung nicht zu einer Naturnotwendigkeit. Nicht das tropische Klima mit seiner überwuchernden Vegetation, sondern die gemäßigte Zone ist das Mutterland des Kapitals. Es ist nicht die absolute Fruchtbarkeit des Bodens, sondern seine Differenzierung, die Mannigfaltigkeit seiner natürlichen Produkte, welche die Naturgrundlage der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit bildet und den Menschen durch den Wechsel der Naturumstände, innerhalb deren er haust, zur Vermannigfachung seiner eignen Bedürfnisse, Fähigkeiten, // 536 // Arbeitsmittel und Arbeitsweisen spornt. Die Notwendigkeit, eine Naturkraft gesellschaftlich zu kontrollieren, damit hauszuhalten, sie durch Werke von Menschenhand auf großem Maßstab erst anzueignen oder zu zähmen, spielt die entscheidendste Rolle in der Geschichte der Industrie. // 537 // Erläuterungen Der Text übernimmt weitgehend Positionen der zeitgenössischen Politischen Ökonomie. Der Begriff produktiv weicht vom heutigen Sprachgebrauch ab. Marx teilte mit den Klassischen Ökonomen die Ablehnung der „unproduktiven“ Klassen, die von der Arbeit anderer leben wie z. B. Adel, Bürokratie und Geistlichkeit. Bei der Erörterungen unterschiedlicher Begriffe von Produktivität (MEW 26, 365 ff) fasst Marx jedoch den Begriff enger, als Smith und Ricardo. Nur die Arbeiter sind produktiv, die Mehrwert produzieren. Zum Gesamtarbeiter gehört die Arbeiterin am Fließband so gut wie der Aufsichtsratsvorsitzende. Der Lehrer einer Privatschule ist produktiver Arbeiter, der Lehrer einer öffentlichen Schule nicht. Er wird aus Steuergeldern bezahlt, er vermehrt nicht das Kapital, er verbraucht es. Alle, die nur mit der Umsetzung von Waren in Geld beschäftigt sind, also beispielsweise Kaufleute gehören gleichfalls zu den unproduktiven Arbeitern. Ausschlaggebend ist, ob der Lohn (z. B. für eine Putzfrau) aus dem Betriebskapital oder dem privaten Einkommen des Unternehmers bezahlt wird. Im ersteren Fall soll Mehrwert entstehen, im zweiten Fall wird nur Geld ausgegeben. In den deutschen Theoriedebatten der leninistischen Parteigründer der siebziger Jahre wurde behauptet, Marx habe die Zugehörigkeit zur revolutionären Arbeiterbewegung an die produktiven Arbeiter gebunden und ihnen die Führung in der kommenden Revolution vorbehalten. Marx hat diese kuriose These nicht vertreten. Ein Dauerproblem der Klassischen Ökonomie war der Anteil der Natur am Wertprodukt. Der Text vermeidet jede quantitative Argumentation, sondern stellt nur allgemein fest, dass die Naturbedingungen auf den Ertrag Einfluss haben. Schon in vorkapitalistischen Gesellschaften

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(Sklavenhaltergesellschaft, Feudalgesellschaft) gab es ein Mehrprodukt. In nomadischen Gesellschaften war das Mehrprodukt sehr gering, größeren Umfang nahm es erst nach dem Übergang zu sesshaften, agrarischen Gesellschaften an. Der Text argumentiert auf dem Hintergrund umfangreicher historischer und ethnologischer Studien, die Engels schließlich 1884 in einer Studie zum Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates zusammenfasste (MEW 21, 25-173). In der Beurteilung des gemäßigten Klimas als Voraussetzung für den Kapitalismus folgt der Text zeitgenössischen Auffassungen, die in den Anmerkungen zitiert werden. Heute wird dem Klima nur noch eine untergeordnete Rolle gegenüber den innovativen Techniken der landwirtschaftlichen Produktion zugewiesen (Diamond 1998). Beiläufig hält der Text fest, daß Herrschaft auf der Aneignung des Mehrprodukts anderer Menschen beruht und es gelingt, die nötige Arbeit von sich selbst ab und einem anderen aufzuwälzen. Marx hat in Vorarbeiten zum Kapital die historische Entstehung von Herrschaft an der Entwicklung asiatischer, antiker und germanischer Gemeindeformen untersucht (Kößler/Wienold 2001, 185-199). Das Vorhaben, einen gesonderten Band über den Staat zu veröffentlichen, hat er nicht mehr verwirklicht. Die quantitative Unbestimmbarkeit des Verhältnisses von Wert der Arbeitskraft und Mehrwert Wir unterstellen, 1. daß die Waren zu ihrem Wert verkauft werden, 2. daß der Preis der Arbeitskraft wohl gelegentlich über ihren Wert steigt, aber nie unter ihn sinkt. Dies einmal unterstellt, fand sich, daß die relativen Größen von Preis der Arbeitskraft und von Mehrwert durch drei Umstände bedingt sind: 1. die Länge des Arbeitstags oder die extensive Größe der Arbeit; 2. die normale Intensität der Arbeit oder ihre intensive Größe, so daß ein bestimmtes Arbeitsquantum in bestimmter Zeit verausgabt wird; 3. endlich die Produktivkraft der Arbeit, so daß je nach dem Entwicklungsgrad der Produktionsbedingungen dasselbe Quantum Arbeit in derselben Zeit ein größeres oder kleineres Quantum Produkt liefert. Sehr verschiedne Kombinationen // 542 // sind offenbar möglich, je nachdem einer der drei Faktoren konstant und zwei variabel, oder zwei Faktoren konstant und einer variabel, oder endlich alle drei gleichzeitig variabel sind. Diese Kombinationen werden noch dadurch vermannigfacht, daß bei gleichzeitiger Variation verschiedner Faktoren die Größe und Richtung der Variation verschieden sein können.

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Notwendige Arbeit in nachkapitalistischen Gesellschaften ✂. . . Gesteigerte Produktivkraft der Arbeit und ihre wachsende Intensität wirken nach einer Seite hin gleichförmig. Beide vermehren die in jedem Zeitabschnitt erzielte Produktenmasse. Beide verkürzen also den Teil des Arbeitstags, den der Arbeiter zur Produktion seiner Lebensmittel oder ihres Äquivalents braucht. Die absolute Minimalgrenze des Arbeitstags wird überhaupt gebildet durch diesen seinen notwendigen, aber kontraktiblen Bestandteil. Schrumpfte darauf der ganze Arbeitstag zusammen, so verschwände die Mehrarbeit, was unter dem Regime des Kapitals unmöglich. Die Beseitigung der kapitalistischen Produktionsform erlaubt, den Arbeitstag auf die notwendige Arbeit zu beschränken. Jedoch würde die letztre, unter sonst gleichbleibenden Umständen, ihren Raum ausdehnen. Einerseits weil die Lebensbedingungen des Arbeiters reicher und seine Lebensansprüche größer. Andrerseits würde ein Teil der jetzigen Mehrarbeit zur notwendigen Arbeit zählen, nämlich die zur Erzielung eines gesellschaftlichen Reserve und Akkumulationsfonds nötige Arbeit. ✂. . . Intensität und Produktivkraft der Arbeit gegeben, ist der zur materiellen Produktion notwendige Teil des gesellschaftlichen Arbeitstags um so kürzer, der für freie, geistige und gesellschaftliche Betätigung der Individuen eroberte Zeitteil also um so größer, je gleichmäßiger die Arbeit unter alle werkfähigen Glieder der Gesellschaft verteilt ist, je weniger eine Gesellschaftsschichte die Naturnotwendigkeit der Arbeit von sich selbst ab und einer andren Schichte zuwälzen kann. Die absolute Grenze für die Verkürzung des Arbeitstags ist nach dieser Seite hin die Allgemeinheit der Arbeit. In der kapitalistischen Gesellschaft wird freie Zeit für eine Klasse produziert durch Verwandlung aller Lebenszeit der Massen in Arbeitszeit. // 552 // Die Verwechslung von Wert der Arbeit und Wert der Arbeitskraft ✂. . . Was dem Geldbesitzer auf dem Warenmarkt direkt gegenübertritt, ist in der Tat nicht die Arbeit, sondern der Arbeiter. Was letztrer verkauft, ist seine Arbeitskraft. Sobald seine Arbeit wirklich beginnt, hat sie bereits aufgehört, ihm zu gehören, kann also nicht mehr von ihm verkauft werden. Die Arbeit ist die Substanz und das immanente Maß der Werte, aber sie selbst hat keinen Wert. Im Ausdruck: „Wert der Arbeit“ ist der Wertbegriff nicht nur völlig ausgelöscht, sondern in sein Gegenteil verkehrt. Es ist ein imaginärer Ausdruck, wie etwa Wert der Erde. Diese imaginären Ausdrücke entspringen jedoch aus den Produktionsverhältnissen selbst. Sie sind Kategorien für Erscheinungsformen wesentlicher Verhältnisse. Daß in der Erscheinung die Dinge sich oft verkehrt darstellen, ist ziemlich in allen Wissenschaften bekannt, außer in der politischen Ökonomie. //552// ✂. . .

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Die Form des Arbeitslohns löscht also jede Spur der Teilung des Arbeitstags in notwendige Arbeit und Mehrarbeit, in bezahlte und unbezahlte Arbeit aus. Alle Arbeit erscheint als bezahlte Arbeit. Bei der Fronarbeit unterscheiden sich räumlich und zeitlich, handgreiflich sinnlich, die Arbeit des Fröners für sich selbst und seine Zwangsarbeit für den Grundherrn. Bei der Sklavenarbeit erscheint selbst der Teil des Arbeitstags, worin der Sklave nur den Wert seiner eignen Lebensmittel ersetzt, den er in der Tat also für sich selbst arbeitet, als Arbeit für seinen Meister. Alle seine Arbeit erscheint als unbezahlte Arbeit. Bei der Lohnarbeit erscheint umgekehrt selbst die Mehrarbeit oder unbezahlte Arbeit als bezahlt. Dort verbirgt das Eigentumsverhältnis das Fürsichselbstarbeiten des Sklaven, hier das Geldverhältnis das Umsonstarbeiten des Lohnarbeiters. Man begreift daher die entscheidende Wichtigkeit der Verwandlung von Wert und Preis der Arbeitskraft in die Form des Arbeitslohns oder in Wert und Preis der Arbeit selbst. Auf dieser Erscheinungsform, die das wirkliche Verhältnis unsichtbar macht und grade sein Gegenteil zeigt, beruhn alle Rechtsvorstellungen des Arbeiters wie des Kapitalisten, alle Mystifikationen der kapitalistischen Produktionsweise, alle ihre Freiheitsillusionen, alle apologetischen Flausen der Vulgärökonomie. // 562 // ✂. . . Erläuterungen Der Abschnitt über die Herkunft des Mehrwerts schließt mit einer ausführlichen Wiederholung der Eigenschaften der Lohnarbeit, die hier übergangen werden können. Endgültig wird festgehalten, dass das Verhältnis von Wert der Arbeitskraft und Mehrwert nicht bezifferbar ist. Mit Blick auf den in der deutschen Arbeiterbewegung einflussreichen Ferdinand Lasalle (1825-1864) und seiner Forderung des „unverkürzten Arbeitsertrags“ warnt der Text vor illusionären Erwartungen an eine Zukunftsgesellschaft. Die Mehrarbeit kann nicht vollständig den Arbeitenden zu gute kommen. In jeder Gesellschaft müssen Teile des Arbeitsertrags für allgemeine Aufgaben (Schulen, Straßen etc.) abgezweigt werden. Die Forderung des Kommunistischen Manifests nach Verkürzung der Arbeitszeit durch einen allgemeinen Arbeitszwanges wird hier wiederholt. Mehr freie Zeit zur Weiterbildung und gesellschaftlichen Kommunikation ist die erste Forderung zur Veränderung der bestehenden Gesellschaft. Der hier ausgelassene Text wiederholt ausführlich alle Argumente zur Wertbestimmung der Arbeitskraft und der Entstehung des Mehrwerts aus Arbeit und resumiert: Arbeit ist die Substanz und das immanente Maß der Werte, aber sie selbst hat keinen Wert. Damit kehrt der Text zum Wertbegriff des ersten Kapitels zurück. Wert ist abstrakte

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Arbeit, eine soziale Beziehung zwischen Privatproduzenten (Substanz), die einer zeitlichen Norm unterliegt (Maß). Die Arbeitskräfte verkaufen nicht ihre Arbeit, sondern nur ihre Fähigkeit zu arbeiten, ihr Arbeitsvermögen. Wenn die konkrete Arbeit beginnt, gehört sie nicht mehr den Arbeitskräften, weil sie schon beim Abschluss des Arbeitsvertrags verkauft wurde, meint der Text etwas rabulistisch. Der Begriff Wert meint sowohl Tauschbeziehung als auch Wertgröße. Hier wie auch an anderen Stellen umgeht Marx die Frage, warum Arbeiter und Arbeiterinnen keine Dienstleistung verkaufen. Dienstleistungen sind Waren, bei denen Produktion und Konsum gleichzeitig erfolgt, z.B. beim Haare schneiden. Marx kennt noch nicht die heutige Unterscheidung von Arbeitsvertrag und Dienstleistungsvertrag. Bei letzterem wird eine genau definierte Aufgabe vergütet, der Arbeitsvertrag ist inhaltlich offen und kann je nach Erfordernis einseitig vom Unternehmen neu definiert werden. Marx polemisiert gegen J. B .Say (1767-1832) und definiert: Ein Dienst ist nichts als die nützliche Wirkung eines Gebrauchswerts, sei es der Ware, sei es der Arbeit (MEW 23, 207). Unter Dienste zählt Marx auch die Wirkung von kostenlosen Naturkräften, die Wertabgabe von Maschinen sowie die „unproduktiven“ Dienstleistungen von Personen, die keinen Mehrwert erzeugen (MEW 23, 647; MEW 26,1:122ff), z.B. Kindermädchen. Der Grund für diese Festlegung ist klar. Der Wert (und Preis) einer Dienstleistung ist auf dem Boden der Arbeitswertlehre nicht zu bestimmen. Sie richtet sich nach der subjektiven Einschätzung des Nutzens (des Gebrauchswerts) der Dienstleistung. Dann würde der Lohn nicht mehr die Reproduktionskosten der Arbeitskraft entgelten, sondern die Dienstleistungsarbeit. Die spätere marginalistische Theorie hat diesen Schritt vollzogen. Mit dem Lohn wird nur der Nutzen der Arbeitskraft entgolten, der Nutzen berechnet sich nach dem Ertrag den die Arbeitskraft dem Unternehmen bringt. (Vergl. S. 213 f) Auch bei der Definition der „produktiven“ Arbeit dürfte Marx diese Gefährdung der Mehrwerttheorie erkannt haben. Eine für ein Geburtstagsfest engagierte Sängerin ist unproduktiv, sie verursacht Kosten, eine angestellte Opernsängerin bringt einen Ertrag, sie produziert Mehrwert für den Veranstalter. Ist der Nutzen einer Arbeitskraft Kapitalvermehrung, handelt es sich um Arbeit, alle anderen nützlichen Tätigkeiten sind Dienste. Vermutlich hat Marx das Willkürliche dieser Unterscheidung gesehen. Hauptgesichtspunkt des Textes ist die verkehrte Wahrnehmung der Lohnarbeit. Im Gegensatz zur Sklavenarbeit und Fronarbeit scheint bei

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der Lohnarbeit die ganze Arbeitszeit bezahlt zu sein. Die Täuschung ist kein Betrug und keine Manipulation, sondern ist unvermeidlich. Sie ist Erscheinungsform wesentlicher Verhältnisse. Der Lohnfetisch ist eine Variation des Warenfetischs. Reale Lohnunterschiede bei gleicher Arbeit oder Lohnunterschiede bei Teilzeitarbeit stützen die Vorstellung, mit dem Lohn werde die Arbeitsleistung und nicht die Arbeitskraft bezahlt (MEW 23, 564). Diese „realistische“ aber verdrehte Auffassung ist die Grundlage aller Rechtsvorstellungen von Tarifverträgen. Die anschließenden Texte erörtern die Vorteile des Stücklohns für die Unternehmen und erklären die nationalen Unterschiede von Löhnen bei vergleichbarem technischem Stand mit der unterschiedlichen Intensität der Arbeit. Lohnunterschiede können darüber hinaus auf sehr unterschiedliche Umstände zurückführbar sein. Es ist deutlich, dass Marx die Vielfalt der quantitativen Probleme kennt, und ihre Verschiebung in einen gesonderten Band des Kapital vorsieht. Der Text sollte daher als Hinweis gelesen werden, dass Marx diese Probleme offen ließ.

3. Das Kapitalistische System Übersicht Die Verwandlung einer Geldsumme in Produktionsmittel und Arbeitskraft ist die erste Bewegung, die das Wertquantum durchmacht, das als Kapital fungieren soll. Sie geht vor auf dem Markt, in der Sphäre der Zirkulation. Die zweite Phase der Bewegung, der Produktionsprozeß, ist abgeschlossen, sobald die Produktionsmittel verwandelt sind in Ware, deren Wert den Wert ihrer Bestandteile übertrifft, also das ursprünglich vorgeschossene Kapital plus eines Mehrwerts enthält. Diese Waren müssen alsdann wiederum in die Sphäre der Zirkulation geworfen werden. Es gilt, sie zu verkaufen, ihren Wert in Geld zu realisieren, dies Geld aufs neue in Kapital zu verwandeln, und so stets von neuem. Dieser immer dieselben sukzessiven Phasen durchmachende Kreislauf bildet die Zirkulation des Kapitals. Die erste Bedingung der Akkumulation ist, daß der Kapitalist es fertiggebracht hat, seine Waren zu verkaufen und den größten Teil des so erhaltenen Geldes in Kapital rückzuverwandeln. Im folgenden wird vorausgesetzt, daß das Kapital seinen Zirkulationsprozeß in normaler Weise durchläuft. Die nähere Analyse dieses Prozesses gehört ins Zweite Buch. Der Kapitalist, der den Mehrwert produziert, d. h. unbezahlte Arbeit unmittelbar aus den Arbeitern auspumpt und in Waren fixiert, ist zwar der erste Aneigner, aber keineswegs der letzte Eigentümer dieses Mehrwerts. Er hat ihn hinterher zu teilen mit Kapitalisten, die andre Funktionen im großen und ganzen der gesellschaftlichen Produktion vollziehn, mit dem Grundeigentümer usw. Der Mehrwert spaltet sich daher in verschiedne Teile. Seine Bruchstücke fallen verschiednen Kategorien von Personen zu und erhalten verschiedne, gegeneinander selbständige Formen, wie Profit, Zins, Handelsgewinn, Grundrente usw. Diese verwandelten Formen des Mehrwerts können erst im Dritten Buch behandelt werden. // 589 // ✂. . . Wir betrachten also zunächst die Akkumulation abstrakt, d. h. als bloßes Moment des unmittelbaren Produktionsprozesses. ✂. . . Was also bei unsrer Darstellung der Akkumulation unterstellt wird, ist bei ihrem wirklichen Vorgang unterstellt. Andrerseits verdunkeln die Zerspaltung des Mehrwerts und die vermittelnde Bewegung der Zirkulation die einfache Grundform des Akkumulationsprozesses. Seine reine Analyse erheischt daher vorläufiges Wegsehn von allen Phänomenen, welche das innere Spiel seines Mechanismus verstecken. // 590 //

3. Das Kapitalistische System

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Erläuterungen Der vorherige Abschnitt behandelte die Entstehung des Mehrwerts am Beispiel eines typisierten Einzelunternehmens. Von allen Rahmenbedingungen wurde methodisch abgesehen. Ab jetzt werden diese Vereinfachungen schrittweise aufgegeben. Systematisch soll sich die abstrakt gesellschaftliche Arbeit als der Kernbegriff erweisen, von dem her das System der kapitalistischen Gesellschaft entschlüsselbar ist. Nur die Durchführung der Untersuchung kann diesen Nachweis erbringen. Allerdings verwendet Marx in den Entwürfen zum zweiten und dritten Band noch nicht den erst 1873 endgültig formulierten gesellschaftstheoretischen Begriff der abstrakten Arbeit, sondern weitgehend den Arbeitsmengenbegriff Ricardos. Der Text erinnert in knapper Form, was alles behandelt werden müsste, bevor das Funktionieren des kapitalistischen Systems verstehbar wird. Vor der Produktion müssen Rohstoffe, Maschinen, Gebäude etc. beschafft, Arbeitskräfte eingestellt, die Vorfinanzierung der Kosten gesichert werden. Nach der Produktion müssen die Waren verkauft, Zinsen gezahlt, Darlehen getilgt, Mieten und Steuern beglichen werden. Verlauf und Koordination dieser Zirkulationsprozesse ist immer störungsanfällig und mögliche Ursache von Krisen. Marx hat den hier skizzierten Plan nicht mehr ausgeführt. Erst Engels hat nach dem Tod von Marx 1883 die umfangreichen Manuskripte zusammengestellt, den zweiten Band 1885 und den dritten Band 1894 herausgegeben (Heinrich 1999b). Viele Texte sind bruchstückhaft und vorläufige Annäherungen an den Gegenstand. Alle sind vor der endgültigen Abfassung des ersten Bandes entstanden. Vieles von dem Material ist eine Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen politischen Ökonomie und ist nur noch historisch interessant. Eine zuverlässige, aber unkritische Nacherzählung des Inhalts des zweiten und dritten Bandes findet sich in den ehemaligen DDR Lehrbüchern der Politischen Ökonomie (Cagolov 1972). Um die Texte besser einordnen zu können, ist ein knapper Überblick nützlich. Die erscheinende Realität der kapitalistischen Gesellschaft soll in Begriffen der allgemeinen Theorie verstehbar werden. Die Theorie soll zeigen, daß sich die erfahrbare Welt des Kapitalismus mit den theoretisch gewonnenen Begriffen: abstrakte Arbeit, Wert, Kapital als automatisches Subjekt genauer verstehen lässt, als mit einer empirischen Beschreibung, die sich über die Herkunft ihrer Begriffe keine Rechenschaft gibt. Im wesentlichen sind es drei Problemfelder, die erläutert werden. 1. Gefragt wird nach den Funktionsbedingungen einer privat organisierten Wirtschaft. Wie kann die ausreichende Produktion von Gütern

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und eine zahlungsfähige Nachfrage gewährleistet werden. Wie ist ein angemessenes Verständnis von Prozessen möglich, die ohne zentrale Steuerung ablaufen und dennoch zum gewünschten Erfolg führen sollen? Diese Fragen leiten die letzten Abschnitte des ersten Bandes und den ganzen zweiten Band des Kapital, der die stationäre Wirtschaft, das Wirtschaftswachstum, die Geld- und Warenströme sowie die Gleichgewichtsbedingungen für Angebot und Nachfrage von Konsum- und Produktionsgütern behandelt. 2. Gefragt wird, ob die empirischen Befunde mit der Annahme verträglich sind, dass die Arbeit die einzige Quelle des Werts ist. Auf den ersten Blick müssten Unternehmen mit vielen Arbeitskräften hohe Gewinne machen, Unternehmen mit wenigen Arbeitskräften geringe Gewinne. Und weiter: Bringt nicht ganz unabhängig von der Arbeit ein Kapital Zinsen und der Boden Erträge. Mit der Erklärung der Konkurrenz und ihrem Ausgleich der Profitrate zwischen den einzelnen Branchen und den Darlegungen über Zins und Grundrente wird dieses Problem systematisch angegangen. 3. Durch alle diese Erörterungen zieht sich das dritte Problemfeld: wie werden die Preise von den Werten reguliert. Sichtbar sind nur die Preise und zweifelsfrei weichen sie notwendig von den Werten ab. Weder die Konkurrenz, noch der Handel wären sonst theoretisch erklärbar. Die Texte suchen (vergeblich) zu zeigen, dass Werte in Preise umrechenbar sind und eine eindeutige Relation zwischen Werten und Preisen besteht. Insgesamt analysieren die Texte die Bestandsbedingungen des kapitalistischen Systems in der Überzeugung, dass Krisen unvermeidlich und schließlich zum Ende des Kapitalismus führen werden. Im tendenziellen Fall der Profitrate liegt die ökonomische Ursache der Endlichkeit des Systems. Aber nur die Kämpfe der Arbeiterklasse können dieses Ende herbeiführen.

3.1. Voraussetzungen des Wirtschaftswachstum MEW 23, 589-601 Wirkungen der Einfachen Reproduktion Die stationäre Wirtschaft (einfache Reproduktion) Welches immer die gesellschaftliche Form des Produktionsprozesses, er muß kontinuierlich sein oder periodisch stets von neuem dieselben Stadien durchlaufen. So wenig eine Gesellschaft aufhören kann zu konsumie-

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ren, so wenig kann sie aufhören zu produzieren. In einem stetigen Zusammenhang und dem beständigen Fluß seiner Erneuerung betrachtet, ist jeder gesellschaftliche Produktionsprozeß daher zugleich Reproduktionsprozeß. Die Bedingungen der Produktion sind zugleich die Bedingungen der Reproduktion. Keine Gesellschaft kann fortwährend produzieren, d. h. reproduzieren, ohne fortwährend einen Teil ihrer Produkte in Produktionsmittel oder Elemente der Neuproduktion rückzuverwandeln. Unter sonst gleichbleibenden Umständen kann sie ihren Reichtum nur auf derselben Stufenleiter reproduzieren oder erhalten, indem sie die, während des Jahres z. B., verbrauchten Produktionsmittel, d. h. Arbeitsmittel, Rohmateriale und Hilfsstoffe, in natura durch ein gleiches Quantum neuer Exemplare ersetzt, welches von der jährlichen Produktenmasse abgeschieden und von neuem dem Produktionsprozeß einverleibt wird. (591) ✂. . . Als periodisches Inkrement des Kapitalwerts, oder periodische Frucht des Kapitals erhält der Mehrwert die Form einer aus dem Kapital entspringenden Revenue. Dient diese Revenue dem Kapitalisten nur als Konsumtionsfonds oder wird sie ebenso periodisch verzehrt wie gewonnen, so findet, unter sonst gleichbleibenden Umständen, einfache Reproduktion statt. Obgleich letztere nun bloße Wiederholung des Produktionsprozesses auf derselben Stufenleiter, drückt diese bloße Wiederholung oder Kontinuität dem Prozesse gewisse neue Charaktere auf oder löst vielmehr die Scheincharaktere seines nur vereinzelten Vorgangs auf. (592) Die Verwandlung des ursprünglichen Kapitals in angeeignetes Kapital ✂. . . Wenn jemand sein ganzes Besitztum aufzehrt dadurch, daß er Schulden aufnimmt, die dem Wert dieses Besitztums gleichkommen, so repräsentiert eben das ganze Besitztum nur die Gesamtsumme seiner Schulden. Und ebenso, wenn der Kapitalist das Äquivalent seines vorgeschoßnen Kapitals aufgezehrt hat, repräsentiert der Wert dieses Kapitals nur noch die Gesamtsumme des von ihm unentgeltlich angeeigneten Mehrwerts. Kein Wertatom seines alten Kapitals existiert fort. Ganz abgesehn von aller Akkumulation verwandelt also die bloße Kontinuität des Produktionsprozesses, oder die einfache Reproduktion, nach kürzerer oder längerer Periode jedes Kapital notwendig in akkumuliertes Kapital oder kapitalisierten Mehrwert. War es selbst bei seinem Eintritt in den Produktionsprozeß persönlich erarbeitetes Eigentum seines Anwenders, früher oder später wird es ohne Äquivalent angeeigneter Wert oder Materiatur, ob in Geldform oder anders, unbezahlter fremder Arbeit. (595)

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Die Auswirkungen auf Arbeitskräfte und Kapital Andrerseits kommt der Arbeiter beständig aus dem Prozeß heraus, // 595 // wie er in ihn eintrat, ✂. . . Da vor seinem Eintritt in den Prozeß seine eigne Arbeit ihm selbst entfremdet, dem Kapitalisten angeeignet und dem Kapital einverleibt ist, vergegenständlicht sie sich während des Prozesses beständig in fremdem Produkt. ✂. . . Der Arbeiter selbst produziert daher beständig den objektiven Reichtum als Kapital, ihm fremde, ihn beherrschende und ausbeutende Macht, und der Kapitalist produziert ebenso beständig ✂. . . den Arbeiter als Lohnarbeiter. Diese beständige Reproduktion oder Verewigung des Arbeiters ist das sine qua non (die notwendige Bedingung) der kapitalistischen Produktion. (596) ✂. . . Wenn der Kapitalist einen Teil seines Kapitals in Arbeitskraft umsetzt, verwertet er damit sein Gesamtkapital. Er schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe. Er profitiert nicht nur von dem, was er vom Arbeiter empfängt, sondern auch von dem, was er ihm gibt. Das im Austausch gegen Arbeitskraft veräußerte Kapital wird in Lebensmittel verwandelt, deren Konsumtion dazu dient, Muskel, Nerven, Knochen, Hirn vorhandner Arbeiter zu reproduzieren und neue Arbeiter zu zeugen. Innerhalb der Grenzen des absolut Notwendigen ist daher die individuelle Konsumtion der Arbeiterklasse Rückverwandlung der vom Kapital gegen Arbeitskraft veräußerten Lebensmittel in vom Kapital neu exploitierbare Arbeitskraft. (597) ✂. . . Von gesellschaftlichem Standpunkt ist also die Arbeiterklasse, auch außerhalb des unmittelbaren Arbeitsprozesses, ebensosehr Zubehör des Kapitals als das tote Arbeitsinstrument. Selbst ihre individuelle Konsumtion ist innerhalb gewisser Grenzen nur ein Moment des Reproduktionsprozesses des Kapitals. Der Prozeß aber sorgt dafür, daß diese selbstbewußten Produktionsinstrumente nicht weglaufen, indem er ihr Produkt beständig von ihrem Pol zum Gegenpol des Kapitals entfernt. Die individuelle Konsumtion sorgt einerseits für ihre eigne Erhaltung und Reproduktion, andrerseits durch Vernichtung der Lebensmittel für ihr beständiges Wiedererscheinen auf dem Arbeitsmarkt. Der römische Sklave war durch Ketten, der Lohnarbeiter ist durch unsichtbare Fäden an seinen Eigentümer gebunden. Der Schein seiner Unabhängigkeit wird durch den beständigen Wechsel der individuellen Lohnherrn und die fictio juris (die rechtlichen Annahmen) des Kontrakts aufrechterhalten. (599) Die Folgen der einfachen Reproduktion für das Gesellschaftssystem ✂. . . Der kapitalistische Produktionsprozeß reproduziert also durch seinen eignen Vorgang die Scheidung zwischen Arbeitskraft und Arbeitsbedingungen. Er reproduziert und verewigt damit die Exploitationsbedingungen des

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Arbeiters. Er zwingt beständig den Arbeiter zum Verkauf seiner Arbeitskraft, um zu leben, und befähigt beständig den Kapitalisten zu ihrem Kauf, um sich zu bereichern. Es ist nicht mehr der Zufall, welcher Kapitalist und Arbeiter als Käufer und Verkäufer einander auf dem Warenmarkt gegenüberstellt. Es ist die Zwickmühle des Prozesses selbst, die den einen stets als Verkäufer seiner Arbeitskraft auf den Warenmarkt zurückschleudert und sein eignes Produkt stets in das Kaufmittel des andren verwandelt. ✂. . . // 603 // Der kapitalistische Produktionsprozeß, im Zusammenhang betrachtet oder als Reproduktionsprozeß, produziert also nicht nur Ware, nicht nur Mehrwert, er produziert und reproduziert das Kapitalverhältnis selbst, auf der einen Seite den Kapitalisten auf der andren den Lohnarbeiter. // 604 // Erläuterungen Um die ökonomischen Wachstumsbedingungen zu analysieren beginnt der Text mit einer theoretischen Annahme, wie sie noch heute in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung verwendet wird. Die Wiederherstellung des Ausgangszustandes ist notwendige Voraussetzung von Wachstum. Unterstellt man, dass alle während eines Jahres verbrauchten Produktionsmittel und alle Arbeitskräfte ohne Zuwachs ersetzt werden, so dass wertmäßig alle Materialien wieder vorhanden, alle Löhne gezahlt und die Unternehmer ihre Einkommen verzehrt haben, findet einfache Reproduktion statt. Durch die Wiederholung dieses Prozesses auf derselben Stufenleiter treten grundlegende Veränderungen ein. Durch das wirtschaftliche Handeln entsteht eine Struktur, die durch folgende Merkmale gekennzeichnet ist. 1. Das von den Unternehmen ursprünglich vorgeschossene Kapital wird in der Wiederholung des Prozesses aufgezehrt und durch Mehrwert ersetzt. Hat der Produktionsprozess beispielsweise mit einer Million Dollar begonnen, und wird jährlich ein Mehrwert von 200 000 Dollar erzeugt, so ist nach fünfjähriger Wiederholung das ursprünglich vorgeschossene Kapital verschwunden. Es ist vollständig durch neu produzierten Mehrwert ersetzt. Der vorgeblich gerechte Tausch zwischen Kapitalist und Lohnarbeiter erfolgt nicht mehr aus den eigenen Mitteln des Kapitalisten, sondern aus Mitteln, die ihm zwar rechtlich gehören, aber von den Arbeitskräften geschaffen wurden. Die formelle Gerechtigkeit des Tauschs verdeckt die inhaltliche Ungerechtigkeit, dass die Arbeitenden mit ihren eigenem Produkt bezahlt werden. Offenkundig verwendet der Text hier den klassischen Wertbegriff: Wert als vergegenständliche Arbeitsmenge, eine Substanz, wird zum Nachteil der Arbeitenden umverteilt. 2. Die Arbeitskräfte sind Lohnarbeiterinnen und Lohnarbeiter, und bleiben es. Der Text verwendet den Ausdruck entfremdet nicht mehr in

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der philosophischen Bedeutung der frühen Schriften von Marx (Lotter, 1984, 93-97). Dort bedeutete er Entfremdung vom Wesen, Entfremdung vom Produkt, Entfremdung von sich selbst und Entfremdung vom Mitmenschen. Im Text schwingt nur noch die Erinnerung an das handwerkliche Ideal mit, dass die Arbeitskraft sich in seinem Arbeitsprodukt wiedererkennen können soll. Die Betonung liegt jetzt auf dem Sachverhalt, dass die Arbeitenden das Kapital als ihnen fremde, das heißt sie beherrschende Macht mit produzieren, ohne begreifen zu können, dass sie selbst es sind, die diese Macht hervorbringen. 3. Die Arbeiterfamilien konsumieren kapitalistisch produzierte Lebensmittel. Auch Freizeit und Erholung der Arbeitskräfte findet mit kapitalistisch produzierten Produkten statt. Ihre Kaufkraft ist Bestandsbedingung des Systems. Der Text betrachtet nur die Stabilität des Systems und die nachteiligen Folgen für die Arbeiterschaft. Die mögliche Steigerung des Lebensstandards, die Aufstiegsmöglichkeiten einzelner, die Ausweitung politischer Partizipation infolge besserer Lebensumstände bleiben völlig außer Betracht. Der Text erzeugt eine düstere Stimmung über die unentrinnbaren Zwangsverhältnisse, vergleichbar den späteren Bemerkungen Max Webers über das stahlharte Gehäuse des Kapitalismus (Weber 1905, 188). Wirtschaftswachstum (erweiterte Reproduktion) Ersparnis und Investition Früher hatten wir zu betrachten, wie der Mehrwert aus dem Kapital, jetzt wie das Kapital aus dem Mehrwert entspringt. Anwendung von Mehrwert als Kapital oder Rückverwandlung von Mehrwert in Kapital heißt Akkumulation des Kapitals. (605) ✂. . . Es ist die alte Geschichte: Abraham zeugte Isaak, Isaak zeugte Jakob usw. Das ursprüngliche Kapital von 10000 Pfd. St. bringt einen Mehrwert von 2000 Pfd. St., der kapitalisiert wird. Das neue Kapital von 2000 Pfd. St. bringt einen Mehrwert von 400 Pfd. St.; dieser, wiederum kapitalisiert, also in ein zweites zusätzliches Kapital verwandelt, bringt einen neuen Mehrwert von 80 Pfd. St., usw. (607) ✂. . . Das ursprüngliche Kapital bildete sich durch den Vorschuß von 10000 Pfd. St. Woher hat sie ihr Besitzer? Durch seine eigne Arbeit und die seiner Vorfahren! antworten uns einstimmig die Wortführer der politischen Ökonomie, und ihre Annahme scheint in der Tat die einzige, die zu den Gesetzen der Warenproduktion stimmt. Ganz anders verhält es sich mit dem Zusatzkapital von 2000 Pfd. St. Seinen Entstehungsprozeß kennen wir ganz genau.

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Es ist kapitalisierter Mehrwert. Von Ursprung an enthält er nicht ein einziges Wertatom, das nicht aus unbezahlter fremder Arbeit herstammt. Die Produktionsmittel, denen die zuschüssige Arbeitskraft einverleibt wird, wie die Lebensmittel, von denen diese sich erhält, sind nichts als integrierende Bestandteile des Mehrprodukts, des der Arbeiterklasse jährlich durch die Kapitalistenklasse entrissenen Tributs. Wenn diese mit einem Teil des Tributs von jener zusätzliche Arbeitskraft kauft, selbst zum vollen Preise, so daß Äquivalent sich austauscht gegen Äquivalent es bleibt immer das alte Verfahren des Eroberers, der den Besiegten Waren abkauft mit ihrem eignen, geraubten Geld. (608) ✂. . . Theoretische Überlegungen: Form und Inhalt des Austauschs ✂. . . sofern jede einzelne Transaktion fortwährend dem Gesetz des Warenaustausches entspricht, der Kapitalist stets die Arbeitskraft kauft, der Arbeiter sie stets verkauft, und wir wollen annehmen selbst zu ihrem wirklichen Wert, schlägt offenbar das auf Warenproduktion und Warenzirkulation beruhende Gesetz der Aneignung oder Gesetz des Privateigentums durch seine eigne, innere, unvermeidliche Dialektik in sein direktes Gegenteil um. Der Austausch von Äquivalenten, der als die ursprüngliche Operation erschien, hat sich so gedreht, daß nur zum Schein ausgetauscht wird, indem erstens der gegen Arbeitskraft ausgetauschte Kapitalteil selbst nur ein Teil des ohne Äquivalent angeeigneten fremden Arbeitsproduktes ist und zweitens von seinem Produzenten, dem Arbeiter, nicht nur ersetzt, sondern mit neuem Surplus ersetzt werden muß. Das Verhältnis des Austausches zwischen Kapitalist und Arbeiter wird also nur ein dem Zirkulationsprozeß angehöriger Schein, bloße Form, die dem Inhalt selbst fremd ist und ihn nur mystifiziert. Der beständige Kauf und Verkauf der Arbeitskraft ist die Form. Der Inhalt ist, daß der Kapitalist einen Teil der bereits vergegenständlichten fremden Arbeit, die er sich unaufhörlich ohne Äquivalent aneignet, stets wieder gegen größeres Quantum lebendiger fremder Arbeit umsetzt. Ursprünglich erschien uns das Eigentumsrecht gegründet auf eigne Arbeit. Wenigstens mußte diese Annahme gelten, da sich nur gleichberechtigte Warenbesitzer gegenüberstehn, das Mittel zur Aneignung fremder Ware aber nur die Veräußerung der eignen Ware, und letztere // 609 // nur durch Arbeit herstellbar ist. Eigentum erscheint jetzt auf Seite des Kapitalisten als das Recht, fremde unbezahlte Arbeit oder ihr Produkt, auf Seite des Arbeiters als Unmöglichkeit, sich sein eignes Produkt anzueignen. Die Scheidung zwischen Eigentum und Arbeit wird zur notwendigen Konsequenz eines Gesetzes, das scheinbar von ihrer Identität ausging. (610)“. . .

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Unvermeidlichkeit der Entwicklung Dies Resultat wird unvermeidlich, sobald die Arbeitskraft durch den Arbeiter selbst als Ware frei verkauft wird. Aber auch erst von da an verallgemeinert sich die Warenproduktion und wird sie typische Produktionsform; erst von da an wird jedes Produkt von vornherein für den Verkauf produziert und geht aller produzierte Reichtum durch die Zirkulation hindurch. Erst da, wo die Lohnarbeit ihre Basis, zwingt die Warenproduktion sich der gesamten Gesellschaft auf; aber auch erst da entfaltet sie alle ihre verborgnen Potenzen. Sagen, daß die Dazwischenkunft der Lohnarbeit die Warenproduktion fälscht, heißt sagen, daß die Warenproduktion, will sie unverfälscht bleiben, sich nicht entwickeln darf. Im selben Maß, wie sie nach ihren eignen immanenten Gesetzen sich zur kapitalistischen Produktion fortbildet, in demselben Maß schlagen die Eigentumsgesetze der Warenproduktion um in Gesetze der kapitalistischen Aneignung. (613) Rolle und Bewusstsein der Kapitalisten Ein Teil des Mehrwerts // 617 // wird vom Kapitalisten als Revenue verzehrt, ein andrer Teil als Kapital angewandt oder akkumuliert. ✂. . . Von dem Teil des von ihm erhobnen Tributs, den er akkumuliert, sagt man, er spare ihn, weil er ihn nicht aufißt, d. h., weil er seine Funktion als Kapitalist ausübt, nämlich die Funktion, sich zu bereichern. (618) ✂. . . Als Fanatiker der Verwertung des Werts zwingt er rücksichtslos die Menschheit zur Produktion um der Produktion willen, daher zu einer Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte und zur Schöpfung von materiellen Produktionsbedingungen, welche allein die reale Basis einer höheren Gesellschaftsform bilden können, deren Grundprinzip die volle und freie Entwicklung jedes Individuums ist. Nur als Personifikation des Kapitals ist der Kapitalist respektabel. Als solche teilt er mit dem Schatzbildner den absoluten Bereicherungstrieb. Was aber bei diesem als individuelle Manie erscheint, ist beim Kapitalisten Wirkung des gesellschaftlichen Mechanismus, worin er nur ein Triebrad ist. Außerdem macht die Entwicklung der kapitalistischen Produktion eine fortwährende Steigerung des in einem industriellen Unternehmen angelegten Kapitals zur Notwendigkeit, und die Konkurrenz herrscht jedem individuellen Kapitalisten die immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise als äußere Zwangsgesetze auf. Sie zwingt ihn, sein Kapital fort während auszudehnen, um es zu erhalten, und ausdehnen kann er es nur vermittelst progressiver Akkumulation. // 618 // ✂. . . Akkumulation um der Akkumulation, Produktion um der Produktion willen, in dieser Formel sprach die klassische Ökonomie den historischen Beruf der Bourgeoisperiode aus. Sie täuschte sich keinen Augenblick über

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die Geburtswehn des Reichtums. (621) ✂. . . .Nassau W. Senior zu Manchester ✂. . . hatte ✂. . . der Welt eine andre Entdeckung angekündigt. „Ich“, sagte er feierlich, „ich ersetze das Wort Kapital, als Produktionsinstrument betrachtet, durch das Wort Abstinenz. „ Ein unübertroffenes Muster dies von den „Entdeckungen“ der Vulgärökonomie! ✂. . . Daß der Wein die Zeit erhält, auszugären, Abstinenz des Kapitalisten! Der Kapitalist beraubt seinen eignen Adam, wenn er die // 623 // „Produktionsinstrumente dem Arbeiter leiht“ (!), alias sie durch Einverleibung der Arbeitskraft als Kapital verwertet, statt Dampfmaschinen, Baumwolle, Eisenbahnen, Dünger, Zugpferde usf. aufzuessen oder, wie der Vulgärökonom sich das kindlich vorstellt, „ihren Wert“ in Luxus und andren Konsumtionsmitteln zu verprassen. Wie die Kapitalistenklasse das anstellen soll, ist ein von der Vulgärökonomie bisher hartnäckig bewahrtes Geheimnis. Genug, die Welt lebt nur noch von der Selbstkasteiung dieses modernen Büßers, des Wischnu, des Kapitalisten. (624) Erläuterungen Der Text rekapituliert die Lehre der Klassischen Ökonomie, dass Wirtschaftswachstum durch Reinvestition der Gewinne ermöglicht wird. Ein Teil des Mehrwerts darf nicht verzehrt, sondern muss gespart und wieder investiert werden. Die praktischen Voraussetzungen und Methoden werden an späterer Stelle erörtert (MEW 23, 625-635). Das Hauptaugenmerk des Textes ruht auf den strukturellen Folgen des Wachstums. Was sich in der einfachen Reproduktion schon anbahnte, wird bei der erweiterten Reproduktion unvermeidlich: Der Tausch von Äquivalenten wird endgültig zum äußeren, mit rechtlichen Mitteln durchgesetzten Schein. Die Arbeitskraft wird aus dem Mehrwert, seinem eigenen Produkt bezahlt. Der Text spricht von einer inneren unvermeidlichen Dialektik der Warenproduktion. Marx verwendet diesen Ausdruck offenkundig metaphorisch, da er sonst Dialektik als Form des Denkens bezeichnet. Erst Engels hat den Begriff auf die historische Entwicklung ausgedehnt und schließlich sogar von einer „Dialektik der Natur“ gesprochen, und damit den Begriff entstellt (Lotter, 1984, 74 ff). Der Text meint einen Strukturwandel, der am ehesten in dialektischen Begriffen fassbar wird. Die Handlungselemente private Produktion und Lohnarbeit verändern unmerklich die Struktur des Tauschs. Er verwandelt sich zum bloß formellen Tausch der Arbeitskräfte mit dem von ihnen selbst geschaffenen Kapital. Dialektik bedeutet hier, dass die Entstehung und Veränderung einer Struktur aus der wechselseitigen Einwirkung der Struktur und ihrer Elemente begriffen werden muss, ohne der Struktur oder den

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Elementen einen Vorrang einzuräumen. Ohne auf Marx Bezug zu nehmen hat Niklas Luhmann (1927-1998) eine Theorie sozialer Systeme entworfen, deren Entwicklungsdynamik diesem Muster folgt. Seine Theorie autopoetischer Systeme und strukturbildenden Anschlusshandelns lassen sich am besten dialektisch verstehen (Treibel 2000, 36). Jede moralische Betrachtungsweise liegt dem Text fern. Es gibt keine Verantwortlichen in diesem Prozess. Die innere Dynamik der Entwicklung wird mit nicht mit den Absichten handelnder Individuen erklärt. Alle sind Agenten eines Prozesses, den sie nur in sehr geringem Umfang beeinflussen können. So wird auch die Deutung des Kapitalismus aus den subjektiven Motiven der Kapitalisten hohnvoll zurückgewiesen. Zum Sparen d. h. der „Abstinenz“ des Kapitalisten gehören Systemvoraussetzungen, unter denen Sparen erfolgreich sein kann. Marx polemisiert gegen die „Vulgärökonomen“ zu denen er außer Smith und Ricardo fast alle zeitgenössischen Ökonomen zählt. Sie fragen nicht nach der Wahrheit eines Theorems, sondern ob es dem Kapital nützlich oder schädlich, bequem oder unbequem, polizeiwidrig oder nicht ist (MEW 23, 21). Gegen allen Anschein ist der Kapitalist nicht frei, sondern den Zwangsgesetzen der Konkurrenz unterworfen. Bei aller Vergänglichkeit seines Tuns hat er eine wichtige Funktion für die Zukunft der Gesellschaft. In seinem rastlosen Drang nach Gewinn zwingt er der Menschheit eine technische Entwicklung auf, die allein die Grundlage einer neuen Gesellschaft sein kann. Diese neue Gesellschaft bleibt allerdings merkwürdig unbestimmt: volle und freie Entwicklung jedes Individuums. Das ist das alte Programm der deutschen Ideologie und ohne Erläuterung, wie diese Entwicklung sich vollziehen können soll. Auffällig ist die Heftigkeit der Polemik gegen Nassau W. Senior (1790-1864). Er hatte das Sparen Abstinenz genannt, also der sachlichen Notwendigkeit des Sparens ein moralisch bewertetes, subjektives Motiv hinzugefügt (Schumpeter 1965, 808). Senior wollte damit einen Beitrag zu einem von der Klassischen Ökonomie ungelösten Problem leisten, nämlich wie neben dem Unternehmergewinn eine zusätzliche Verzinsung des eingesetzten Kapitals zu rechtfertigen sei, nämlich als Entgelt für einen zeitweisen Verzicht des eingesetzten Kapitals (Stavenhagen 1964, 85; Pribram 1992, 343). Marx erklärt dagegen die Aufspaltung des Kapitalertrags in Zins und Unternehmergewinn neutral: als Folge der Teilung in Eigenkapital und Leihkapital. „Leiht“ sich der Unternehmer das Geld von sich selbst, macht er einen Anspruch auf die Zinsen geltend, die er sonst der Bank hätte zahlen müssen (MEW 25, 340). Es ist wohl kaum diese inhaltliche

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Differenz, die zu den hohnvollen Anmerkungen des Textes geführt hat. Vermutlich erkannte Marx, dass sich in der Argumentation Seniors die grundsätzliche Infragestellung der Ricardo – Marxschen Wertlehre anbahnte. Indem Senior Zinsen als Entgelt für den zeitweisen Verzicht auf Nutzen begreift, bestimmt sich der Wert eines Gutes nicht mehr nach den objektivierbaren Arbeitskosten, sondern nach der subjektiven Wertschätzung des Investors. „Abstinenz“ war die Vorwegnahme des „Grenzleids“, das der Unternehmer für einen künftigen Gewinn auf sich zu nehmen bereit war. Das war ein Bruch mit der überkommenen Werttheorie. (Vergl. S. 213 ff.)

3.2. Technischer Fortschritt, Arbeitslosigkeit und Lohnhöhe MEW 23, 640-675 Die industrielle Reservearmee Die „organische Zusammensetzung des Kapitals“ ✂. . . Wir behandeln in diesem Kapitel den Einfluß, den das Wachstum des Kapitals auf das Geschick der Arbeiterklasse ausübt. Der wichtigste Faktor bei dieser Untersuchung ist die Zusammensetzung des Kapitals und die Veränderungen, die sie im Verlauf des Akkumulationsprozesses durchmacht. Die Zusammensetzung des Kapitals ist in zweifachem Sinn zu fassen. Nach der Seite des Werts bestimmt sie sich durch das Verhältnis, worin es sich teilt in konstantes Kapital oder Wert der Produktionsmittel und variables Kapital oder Wert der Arbeitskraft, Gesamtsumme der Arbeitslöhne. Nach der Seite des Stoffs, wie er im Produktionsprozeß fungiert, teilt sich jedes Kapital in Produktionsmittel und lebendige Arbeitskraft; diese Zusammensetzung bestimmt sich durch das Verhältnis zwischen der Masse der angewandten Produktionsmittel einerseits und der zu ihrer Anwendung erforderlichen Arbeitsmenge andrerseits. Ich nenne die erstere die Wertzusammensetzung, die zweite die technische Zusammensetzung des Kapitals. Zwischen beiden besteht enge Wechselbeziehung. Um diese auszudrücken, nenne ich die Wertzusammensetzung des Kapitals, insofern sie durch seine technische Zusammensetzung bestimmt wird und deren Änderungen widerspiegelt: die organische Zusammensetzung des Kapitals. ✂. . . Endlich //640// ergibt uns der Gesamtdurchschnitt der Durchschnittszusammensetzungen sämtlicher Produktionszweige die Zusammensetzung des gesellschaftlichen Kapitals eines Landes, und von dieser allein in letzter Instanz ist im folgenden die Rede. (641) ✂. . .

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Steigerung der Produktivität als Ursache abnehmender Beschäftigung Die allgemeinen Grundlagen des kapitalistischen Systems einmal gegeben, tritt im Verlauf der Akkumulation jedesmal ein Punkt ein, wo die Entwicklung der Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit der mächtigste Hebel der Akkumulation wird. //650// ✂. . . Der wachsende Größenumfang der Produktionsmittel im Vergleich zu der ihnen einverleibten Arbeitskraft drückt die wachsende Produktivität der Arbeit aus. ✂. . . Diese Veränderung in der technischen Zusammensetzung des Kapitals, das Wachstum in der Masse der Produktionsmittel, verglichen mit der Masse der sie belebenden Arbeitskraft, spiegelt sich wider in seiner Wertzusammensetzung, in der Zunahme des konstanten Bestandteils des Kapitalwerts auf Kosten seines variablen Bestandteils. //651// ✂. . . Da die Nachfrage nach Arbeit nicht durch den Umfang des Gesamtkapitals, sondern durch den seines variablen Bestandteils bestimmt ist, fällt sie also progressiv mit dem Wachstum des Gesamtkapitals, statt, wie vorhin unterstellt, verhältnismäßig mit ihm zu wachsen. Sie fällt relativ zur Größe des Gesamtkapitals und in beschleunigter Progression mit dem Wachstum dieser Größe. (658) ✂. . . Die kapitalistische Akkumulation produziert vielmehr, und zwar im Verhältnis zu ihrer Energie und ihrem Umfang, beständig eine relative, d. h. für die mittleren Verwertungsbedürfnisse des Kapitals überschüssige, daher überflüssige oder Zuschuß – Arbeiterbevölkerung. ✂. . . Mit der durch sie selbst produzierten Akkumulation des Kapitals produziert die Arbeiterbevölkerung also in wachsendem Umfang die Mittel ihrer eignen relativen Überzähligmachung. Es ist dies ein der kapitalistischen Produktionsweise eigentümliches Populationsgesetz, wie in der Tat jede besondre historische Produktionsweise ihre besondren, historisch gültigen Populationsgesetze hat. Ein abstraktes Populationsgesetz existiert nur für Pflanze und Tier, soweit der Mensch nicht geschichtlich eingreift. //660// Notwendigkeit der Reservearmee für den Strukturwandel Wenn aber eine Surplusarbeiterpopulation notwendiges Produkt der Akkumulation oder der Entwicklung des Reichtums auf kapitalistischer Grundlage ist, wird diese Übervölkerung umgekehrt zum Hebel der kapitalistischen Akkumulation, ja zu einer Existenzbedingung der kapitalistischen Produktionsweise. Sie bildet eine disponible industrielle Reservearmee, die dem Kapital ganz so absolut gehört, als ob es sie auf seine eignen Kosten großgezüchtet hätte. Sie schafft für seine wechselnden Verwertungsbedürfnisse das stets bereite exploitable Menschenmaterial, unabhängig von den Schranken der wirklichen Bevölkerungszunahme. Mit der Akkumulation und der sie begleitenden Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit wächst die plötzliche Expansionskraft des Kapitals, nicht

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nur, weil die Elastizität des funktionierenden Kapitals wächst, und der absolute Reichtum, wovon das Kapital nur einen elastischen Teil bildet, nicht nur, weil der Kredit, unter jedem besondren Reiz, im Umsehn ungewöhnlichen Teil dieses Reichtums der Produktion als Zusatzkapital zur Verfügung stellt. Die technischen Bedingungen des Produktionsprozesses selbst, Maschinerie, Transportmittel usw. ermöglichen, auf größter Stufenleiter, die rascheste Verwandlung von Mehrprodukt in zuschüssige Produktionsmittel. Die mit dem Fortschritt der Akkumulation überschwellende und in Zusatzkapital verwandelbare Masse des gesellschaftlichen Reichtums drängt sich mit Frenesie (wahnsinniger Energie) in alte Produktionszweige, deren Markt sich plötzlich erweitert, oder in neu eröffnete, wie Eisenbahnen usw., deren Bedürfnis aus der Entwicklung der alten entspringt. In allen solchen Fällen müssen große Menschenmassen plötzlich und ohne Abbruch der Produktionsleiter in andren Sphären auf die entscheidenden Punkte werfbar sein. Die Übervölkerung liefert sie. // 661// ✂. . . Überstunden und Arbeitslosigkeit Die Überarbeit des beschäftigten Teils der Arbeiterklasse schwellt die Reihen ihrer Reserve, während umgekehrt der vermehrte Druck, den die letztere durch ihre Konkurrenz auf die erstere ausübt, diese zur Überarbeit und Unterwerfung unter die Diktate des Kapitals zwingt. Die Verdammung eines Teils der Arbeiterklasse zu erzwungnem Müßiggang durch Überarbeit des andren Teils und umgekehrt, wird Bereicherungsmittel des einzelnen Kapitalisten und beschleunigt zugleich die //665// Produktion der industriellen Reservearmee auf einem dem Fortschritt der gesellschaftlichen Akkumulation entsprechenden Maßstab. Wie wichtig dies Moment in der Bildung der relativen Übervölkerung, beweist z. B. England. Seine technischen Mittel zur „Ersparung“ von Arbeit sind kolossal. Dennoch, würde morgen allgemein die Arbeit auf ein rationelles Maß beschränkt und für die verschiednen Schichten der Arbeiterklasse wieder entsprechend nach Alter und Geschlecht abgestuft, so wäre die vorhandne Arbeiterbevölkerung absolut unzureichend zur Fortführung der nationalen Produktion auf ihrer jetzigen Stufenleiter. Die große Mehrheit der jetzt „unproduktiven“ Arbeiter müßte in „produktive“ verwandelt werden. Abhängigkeit der Lohnhöhe von dem Umfang der Arbeitslosigkeit Im großen und ganzen sind die allgemeinen Bewegungen des Arbeitslohns ausschließlich reguliert durch die Expansion und Kontraktion der industriellen Reservearmee, welche dem Periodenwechsel des industriellen Zyklus entsprechen. Sie sind also nicht bestimmt durch die Bewegung der absoluten

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Anzahl der Arbeiterbevölkerung, sondern durch das wechselnde Verhältnis, worin die Arbeiterklasse in aktive Armee und Reservearmee zerfällt, durch die Zunahme und Abnahme des relativen Umfangs der Übervölkerung, durch den Grad, worin sie bald absorbiert, bald wieder freigesetzt wird. ( 666) Erläuterungen Der schwer lesbare Text untersucht den Zusammenhang von Bevölkerungswachstum, Beschäftigung und Lohnhöhe bei einer wachsenden kapitalistischen Wirtschaft. Er ist stark von Auseinandersetzungen mit der zeitgenössischen politischen Ökonomie geprägt, wie die zahlreichen Anmerkungen im Text der MEW zeigen. Der Text will beweisen, dass mit wachsender Produktivität die Arbeitslosigkeit steigt und die Löhne sinken. Die Bevölkerung in England war zwischen 1781 und 1851 von 7, 5 Millionen auf 17, 9 Millionen gewachsen (Heinsohn 1979, 93). William Petty (1623 –1687) hatte schon 1676 die Behauptung aufgestellt, die Menschheit wachse in geometrischem Maßstab, während die Nahrungsmittelproduktion nur in arithmetischem Maßstab wachse. 1798 trug Thomas Robert Malthus (1766-1834) in seinem weit verbreitetem „Essay on the Principle of Population“ nochmals alle bekannten Argumente für diese These zusammen (Pribram 1992, 293). Es gab keine plausible Erklärung für das rasche Wachstum der Bevölkerung, Smith, Ricardo und auch noch Marx sahen das Bevölkerungswachstum als Naturtatsache an und daher als exogenen Faktor der Wirtschaftsentwicklung. Geburtenregelung (z. B. mittels eines Schwämmchens) wurde nur ausnahmsweise, erstmals 1822 propagiert (Heinsohn 1979, 109). Die Bindung der Sexualität an die Ehe als Institution zur Fortpflanzung war als normative Vorstellung in England bis zum letzten Drittel des 19. Jahrhunderts fest verankert. Marx machte hier keine Ausnahme. Marx knüpft wie oft an Ricardo an. Für Ricardo waren die Unternehmensgewinne durch die Ausgaben für die Grundrente (Bodenpacht) einerseits und die Löhne andererseits begrenzt. Die Obergrenze der Löhne („der natürliche Preis“) seien die durchschnittlichen, je nach Kulturstand unterschiedlichen Reproduktionskosten der Arbeitskräfte. Durch marktbedingte Nachfrage könne der Lohn steigen. Steigende Löhne minderten den Gewinn, begrenzten daher die Reinvestition und das damit verbundenene Angebot von Arbeit, mit der Folge, dass sich der Lohn wieder zum sozialen Existenzminimum zurückbewege. Nach Smith und Ricardo stand einer Volkswirtschaft immer nur ein bestimmter „Fond“ für Lohnzahlungen zur Verfügung, den sich die jeweilige Anzahl von Arbeitskräften teilen müsse. Für die Lohnhöhe war also die

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Bevölkerungsgröße die entscheidende Variable. Steigenden Löhnen suchten die Unternehmen auch durch den Einsatz arbeitssparender Maschinen entgegen zu wirken. Dadurch entstehe eine technologische Arbeitslosigkeit und die Lage der Arbeiterklasse verschlechtere sich (Schumpeter, 1965, 811-837). Marx gewichtet die Ursachen von Arbeitslosigkeit und Lohnhöhe umgekehrt. Die Lohnhöhe ist nicht von der Bevölkerungsgröße abhängig, sondern von dem Umfang der arbeitslosen Bevölkerung. Diese wird durch technische Neuerungen systematisch produziert. Für die Beweisführung definiert der Text nochmals einen Begriff. Das wertmäßige Verhältnis von konstantem Kapital zu variablem Kapital (c/v) heißt organische Zusammensetzung des Kapitals. Das entspricht in etwa dem modernen Begriff des Kapitalkoeffizienten: der erforderliche Einsatz von Produktionsmitteln pro Arbeitskraft (Heinrich 1999, 316). Die organische Zusammensetzung des Kapitals unterscheidet sich in den einzelnen Produktionszweigen. Nach den Regeln der Bruchrechnung ist die organische Zusammensetzung des Kapitals niedrig, wenn viele Arbeitskräfte beschäftigt werden, z. B. in der Textilindustrie. Werden relativ wenige Arbeitskräfte beschäftigt, z. B. im Energiesektor, ist der Kapitalkoeffizient hoch. Der hier stark gekürzte Text argumentiert mit verallgemeinerten empirischen Befunden der industriellen Entwicklung Englands im 19. Jahrhundert und sucht ihre Übereinstimmung mit den allgemeinen Annahmen der Werttheorie aufzuzeigen. Bei steigenden Investitionen steigt die Nachfrage nach Arbeitskräften und normalerweise auch der Arbeitslohn. Auf der anderen Seite erlahmen die Investitionen, wenn die Löhne zu stark wachsen. Die Erhöhung der Löhne bleibt in den Grenzen, die ständige Rentabilität sichern (MEW 23, 649). Bei steigender Produktivität kann zwar die absolute Zahl der Beschäftigten wachsen, aber tendenziell sinkt die Nachfrage nach Arbeitskräften durch den Einsatz arbeitssparender Maschinen. Die kapitalistische Akkumulation produziert dadurch ständig eine für die mittleren Verwertungsbedürfnisse des Kapitals überschüssige Arbeiterbevölkerung, eine industrielle Reservearmee. Ihr Umfang wird von den Investitionen gesteuert und ist von den Schranken der wirklichen Bevölkerungszunahme unabhängig. Gleichzeitig wird der arbeitende Teil der Bevölkerung durch den Einsatz der Maschinen und der Konkurrenz der Arbeitslosen zu intensiverer Arbeit genötigt. Die empirische Beschreibung dieser Prozesse ist völlig plausibel und bis heute beobachtbar. Die Einführung neuer Techniken als Ursache technischer Arbeitslosigkeit ist unbestritten. Der Text will jedoch die

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Zwangsläufigkeit der geschilderten Entwicklung beweisen. Dieser Nachweis ist nicht gelungen (Heinrich 1999b, 324). Durch die steigende Produktivität sinkt der Wert der Produktionsmittel wie auch der Wert der Arbeitskraft infolge billigerer Konsumgüter. Eine rechnerische Quantifizierung dieser Werte und damit auch der organischen Zusammensetzung des Kapitals ist nicht möglich. Ein theoretischer Beweis, dass auf Grund des wachsenden konstanten Kapitalteils die Beschäftigung abnehmen muss, ist daher ausgeschlossen. Durch die staatliche Sozial- und Konjunkturpolitik (Lampert 1998) sind heute zudem erhebliche Veränderungen eingetreten, die Marx noch nicht kennen konnte. In den hier ausgelassenen Texten erörtert Marx, dass mit dem Wachstum des Kapitals auch die Anzahl der Kapitalisten wächst, allerdings erfolgt im Laufe der Akkumulation eine Konzentration des Kapitals. Die Unternehmen wachsen, die Anzahl der Kapitalisten sinkt. Die Gesetzmäßigkeiten der Zentralisation, der Verwandlung vieler kleinerer, in wenige große Kapitale, will der Text hier noch nicht darlegen (MEW 23, 654). Die wichtigste Ursache ist der Konkurrenzkampf. Größere Kapitale haben es leichter durch Maschinisierung die Produktivität zu steigern und ihr Warenangebot zu verbilligen. Zunehmend wächst auch der Minimalumfang eines Einzelkapitals, das notwendig ist, um ein Geschäft unter normalen Bedingungen zu betreiben. Konkurrenz und Kredit werden die beiden mächtigsten Hebel der Zentralisation. Ergänzt wird diese Entwicklung durch neue Unternehmensformen, etwa die Aktiengesellschaft. Ohne diese neuen Formen der Kapitalkonzentration wäre die Entwicklung z. B. der Eisenbahnbau viel langsamer verlaufen oder gar nicht zustande gekommen (MEW 23, 656). Zukunftsperspektiven Zunahme der Arbeitslosigkeit und Armut im Kapitalismus ✂. . . Je größer der gesellschaftliche Reichtum, das funktionierende Kapital, Umfang und Energie seines Wachstums, also auch die absolute Größe des Proletariats und die Produktivkraft seiner Arbeit, desto größer die industrielle Reservearmee. Die disponible Arbeitskraft wird durch dieselben Ursachen entwickelt wie die Expansivkraft des Kapitals. Die verhältnismäßige Größe der industriellen Reservearmee wächst also mit den Potenzen des Reichtums. Je größer aber diese Reservearmee im Verhältnis zur aktiven Arbeiterarmee, desto massenhafter die konsolidierte Übervölkerung, deren Elend im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Arbeitsqual steht. Je größer endlich die Lazarusschichte der Arbeiterklasse und die industrielle Reservearmee, // 673

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// desto größer der offizielle Pauperismus. D i e s i s t d a s a b s o l u t e , allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulat i o n . Es wird gleich allen andren Gesetzen in seiner Verwirklichung durch mannigfache Umstände modifiziert, deren Analyse nicht hierher gehört. Man begreift die Narrheit der ökonomischen Weisheit, die den Arbeitern predigt, ihre Zahl den Verwertungsbedürfnissen des Kapitals anzupassen. Der Mechanismus der kapitalistischen Produktion und Akkumulation paßt diese Zahl beständig diesen Verwertungsbedürfnissen an. Erstes Wort dieser Anpassung ist die Schöpfung einer relativen Übervölkerung oder industriellen Reservearmee, letztes Wort das Elend stets wachsender Schichten der aktiven Arbeiterarmee und das tote Gewicht des Pauperismus. ✂. . . Verelendung Wir sahen im vierten Abschnitt bei Analyse der Produktion des relativen Mehrwerts: innerhalb des kapitalistischen Systems vollziehn sich alle Methoden zur Steigerung der gesellschaftlichen Produktivkraft der Arbeit auf Kosten des individuellen Arbeiters; alle Mittel zur Entwicklung der Produktion schlagen um in Beherrschungs- und Exploitationsmittel des Produzenten, verstümmeln den Arbeiter in einen Teilmenschen, entwürdigen ihn zum Anhängsel der Maschine, vernichten mit der Qual seiner Arbeit ihren Inhalt, entfremden ihm die geistigen Potenzen des Arbeitsprozesses im selben Maße, worin letzterem die Wissenschaft als selbständige Potenz einverleibt wird; sie verunstalten die Bedingungen, innerhalb deren er arbeitet, unterwerfen ihn während des Arbeitsprozesses der kleinlichst gehässigen Despotie, verwandeln seine Lebenszeit in Arbeitszeit, schleudern sein Weib und Kind unter das Juggernaut – Rad* des Kapitals. Aber alle Methoden zur Produktion des Mehrwerts sind zugleich Methoden der Akkumulation, und jede Ausdehnung der Akkumulation wird umgekehrt // 674 // Mittel zur Entwicklung jener Methoden. Es folgt daher, daß im Maße wie Kapital akkumuliert, die Lage des Arbeiters, welches immer seine Zahlung, hoch oder niedrig, sich verschlechtern muß. Das Gesetz endlich, welches die relative Übervölkerung oder industrielle Reservearmee stets mit Umfang und Energie der Akkumulation in Gleichgewicht hält, schmiedet den Arbeiter fester an das Kapital als den Prometheus die Keile des Hephästos an den Felsen. Es bedingt eine der Akkumulation von Kapital entsprechende Akkumulation von Elend. Die Akkumulation von Reichtum auf dem einen Pol ist also zugleich Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei, Unwissenheit, Brutalisierung und moralischer Degradation auf dem Gegenpol, d. h. auf Seite der Klasse, die ihr eignes Produkt als Kapital produziert. (675) *An großen indischen Feiertagen warfen sich Gläubige unter die Räder des Festwagens auf dem sich ein Bildnis des Wischnu Juggernaut befand

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Erläuterungen Der Text fügt der Beschreibung der industriellen Reservearmee eine langfristige Prognose über die Lage der Arbeiterschaft im Kapitalismus an. Mit der Reservearmee wächst auch der Pauperismus. Die Lage der Arbeiter, hoch oder niedrig bezahlt, wird sich verschlechtern. Die Akkumulation von Kapital bedingt eine Akkumulation von Elend. Auf etwa 70 Seiten (MEW 23, 677-740) berichtet Marx über die Lage der englischen Arbeiterschaft in der Kohlen- und Eisenindustrie zwischen 1846 und 1866. Weiter schildert er die Situation der Heimarbeit, der Kleinhandwerker, Wanderarbeiter und irischen Bauern. Er stützt sich wie schon früher auf Zeitungsberichte und die Ergebnisse parlamentarischer Untersuchungskommissionen. Es ist üblich geworden, dieses Elend als Anfangsschwierigkeiten oder Entwicklungsstörungen zu bagatellisieren und gegenüber vergleichbaren Zuständen in „Entwicklungsländern“ gleichgültig zu sein. Eine richtigere Sichtweise müsste Entschädigungsansprüche für die Opfer und ihre Erben geltend machen. Der Text über das wachsende Elend der Arbeiterklasse gehört zu den meist zitierten und auch immer wieder diskutierten Marxstellen. Sie gilt als eine der Hauptbelege, wie sehr sich Marx in seinen Prognosen der kapitalistischen Entwicklung geirrt habe. Das kann man zugestehen. Die erste Hälfte des 19.Jahrhunderts war ein zu kurzer Zeitraum, um daraus ein allgemeines Gesetz der Akkumulation abzulesen. Dem Text ist die starke Betroffenheit und Empörung über die Lage der Arbeiterschaft anzumerken. Der Prozess der fortschreitenden Pauperisierung der Arbeiterschaft war ein viel behandeltes Thema in England. Fraglich ist, ob Marx von der Zwangsläufigkeit der Entwicklung wirklich überzeugt war. In Lohn, Preis und Profit (MEW 16, 98 -152) und in den Theorien über den Mehrwert (MEW 26,1-26,3) zeigt er, dass ein Fall des Nominallohns nicht notwendig die Lage der Arbeitenden beeinträchtigt, wenn sich gleichzeitig die Waren verbilligen. Im Kapital als auch in anderen Schriften (Kritik des Gothaer Programms 1875, Inauguraladresse der Internationalen Arbeiterassoziation 1864) wird die Lohnhöhe als Ergebnis eines Kampfes zwischen Arbeiterklasse und Kapitalistenklasse dargestellt. Von einem zwangsläufigen Niedergang der Reallöhne ist sonst nirgends die Rede (Hofmann 1969, 31ff). Wenige Seiten nach dem obigen Text wird betont, das wachsende Elend führe zur revolutionären Erhebung der Arbeiterklasse (MEW 23, 791). Eine schicksalhaft unvermeidliche Verelendung kann der Text nicht behaupten wollen. Was also rhetorisch als „Gesetz“ bezeichnet wird, ist eine Tendenz,

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die sich durchsetzt, wenn nicht energische Gegenmaßnahmen ergriffen werden.

3.3. Geschichte und Zukunft des Kapitalismus MEW 23, 741-791 Die Entstehung des Proletariats Die bürgerliche Sichtweise ✂. . . Diese ursprüngliche Akkumulation spielt in der politischen Ökonomie ungefähr dieselbe Rolle wie der Sündenfall in der Theologie. Adam biß in den Apfel, und damit kam über das Menschengeschlecht die Sünde. Ihr Ursprung wird erklärt, indem er als Anekdote der Vergangenheit erzählt wird. In einer längst verfloßnen Zeit gab es auf der einen Seite eine fleißige, intelligente und vor allem sparsame Elite und auf der andren faulenzende, ihr alles und mehr verjubelnde Lumpen. Die Legende vom theologischen Sündenfall erzählt uns allerdings, wie der Mensch dazu verdammt worden sei, sein Brot im Schweiß seines Angesichts zu essen; die Historie vom ökonomischen Sündenfall aber enthüllt uns, wieso es Leute gibt, die das keineswegs nötig haben. Einerlei. So kam es, daß die ersten Reichtum akkumulierten und die letztren schließlich nichts zu verkaufen hatten als ihre eigne Haut. Und von diesem Sündenfall datiert die Armut der großen Masse, die immer noch, aller Arbeit zum Trotz, nichts zu verkaufen hat als sich selbst, und der Reichtum der weniger, der fortwährend wächst, obgleich sie // 741 // längst aufgehört haben zu arbeiten. Solche fade Kinderei kaut Herr Thiers z. B. noch mit staatsfeierlichem Ernst, zur Verteidigung der propriété, den einst so geistreichen Franzosen vor. Aber sobald die Eigentumsfrage ins Spiel kommt, wird es heilige Pflicht, den Standpunkt der Kinderfibel als den allen Altersklassen und Entwicklungsstufen alleingerechten festzuhalten. In der wirklichen Geschichte spielen bekanntlich Eroberung, Unterjochung, Raubmord, kurz Gewalt die große Rolle. In der sanften politischen Ökonomie herrschte von jeher die Idylle. Recht und „Arbeit“ waren von jeher die einzigen Bereicherungsmittel, natürlich mit jedesmaliger Ausnahme von „diesem Jahr“. In der Tat sind die Methoden der ursprünglichen Akkumulation alles andre, nur nicht idyllisch. (742) Die Auflösung feudaler Arbeitsverhältnisse ✂. . . Die ökonomische Struktur der kapitalistischen Gesellschaft ist hervorgegangen aus der ökonomischen Struktur der feudalen Gesellschaft. Die Auflösung dieser hat die Elemente jener freigesetzt.

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Der unmittelbare Produzent, der Arbeiter, konnte erst dann über seine Person verfügen, nachdem er aufgehört hatte, an die Scholle gefesselt und einer andern Person leibeigen oder hörig zu sein. ✂. . . // 743 // Die Expropriation des ländlichen Produzenten, des Bauern, von Grund und Boden bildet die Grundlage des ganzen Prozesses. Ihre Geschichte nimmt in verschiedenen Ländern verschiedene Färbung an und durchläuft die verschiedenen Phasen in verschiedener Reihenfolge und in verschiedenen Geschichtsepochen. Nur in England, das wir daher als Beispiel nehmen, besitzt sie die klassische Form. (744) ✂. . . Die Disziplinierung der Expropriierten seit Ende des 15. Jahrhunderts. So wurde das von Grund und Boden gewaltsam expropriierte, verjagte und zum Vagabunden gemachte Landvolk durch grotesk – terroristische Gesetze in eine dem System der Lohnarbeit notwendige Disziplin hineingepeitscht, – gebrandmarkt, – gefoltert. ✂. . . Im Fortgang der kapitalistischen Produktion entwickelt sich eine Arbeiterklasse, die aus Erziehung, Tradition, Gewohnheit die Anforderungen jener Produktionsweise als selbstverständliche Naturgesetze anerkennt. Die Organisation des ausgebildeten kapitalistischen Produktionsprozesses bricht jeden Widerstand, die beständige Erzeugung einer relativen Übervölkerung hält das Gesetz der Zufuhr von und Nachfrage nach Arbeit und daher den Arbeitslohn in einem den Verwertungsbedürfnissen des Kapitals entsprechenden Gleise, der stumme Zwang der ökonomischen Verhältnisse besiegelt die Herrschaft des Kapitalisten über den Arbeiter. Außerökonomische, unmittelbare Gewalt wird zwar immer noch angewandt, aber nur ausnahmsweise. // 765 // ✂. . . Der innere Markt als Voraussetzung des Kapitalismus Die Expropriation und Verjagung eines Teils des Landvolks setzt mit den Arbeitern nicht nur ihre Lebensmittel und ihr Arbeitsmaterial für das industrielle Kapital frei, sie schafft den innern Markt. In der Tat, die Ereignisse, die die Kleinbauern in Lohnarbeiter und ihre Lebens und Arbeitsmittel in sachliche Elemente des Kapitals verwandeln, schaffen gleichzeitig diesem letztern seinen inneren Markt. Früher erzeugte und bearbeitete die Bauernfamilie die Lebensmittel und Rohstoffe, die sie nachher größtenteils selbst verzehrte. Diese Rohstoffe und Lebensmittel sind jetzt Waren geworden; der Großpächter verkauft sie, in den Manufakturen findet er seinen Markt. Garn, Leinwand, grobe Wollenzeuge, Dinge deren Rohstoffe sich im Bereich jeder Bauernfamilie vorfanden und von ihr zum Selbstgebrauch versponnen und verwebt wurden verwandeln sich jetzt in Manufakturartikel, deren Absatz-

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markt grade die Landdistrikte bilden. Die zahlreiche zerstreute Kundschaft, bisher bedingt durch eine Menge kleiner, für eigne Rechnung arbeitender Produzenten, konzentriert sich jetzt zu einem großen, vom industriellen Kapital versorgten Markt. // 775 // ✂. . . ✂. . . Das durch Wucher und Handel gebildete Geldkapital wurde durch die Feudalverfassung auf dem Land, durch die Zunftverfassung in den Städten an seiner Verwandlung in industrielles Kapital behindert. Diese Schranken fielen mit der Auflösung der feudalen Gefolgschaften, mit der Expropriation und teilweisen Verjagung des Landvolks. Die neue Manufaktur ward in See – Exporthäfen errichtet oder auf Punkten des flachen Landes, außerhalb der Kontrolle des alten Städtewesens und seiner Zunftverfassung. In England daher erbitterter Kampf der corporate towns gegen diese neuen industriellen Pflanzschulen. // 778 // Andere Faktoren der Entwicklung Kolonisation und Handelskriege Die Entdeckung der Gold- und Silberländer in Amerika, die Ausrottung, Versklavung und Vergrabung der eingebornen Bevölkerung in die Bergwerke, die beginnende Eroberung und Ausplünderung von Ostindien, die Verwandlung von Afrika in ein Geheg zur Handelsjagd auf Schwarzhäute bezeichnen die Morgenröte der kapitalistischen Produktionsära. Diese idyllischen Prozesse sind Hauptmomente der ursprünglichen Akkumulation. Auf dem Fuß folgt der Handelskrieg der europäischen Nationen, mit dem Erdrund als Schauplatz. Er wird eröffnet durch den Abfall der Niederlande von Spanien, nimmt Riesenumfang an in Englands Antijakobinerkrieg, spielt noch fort in den Opiumkriegen gegen China usw. Die verschiednen Momente der ursprünglichen Akkumulation verteilen sich nun, mehr oder minder in zeitlicher Reihenfolge, namentlich auf Spanien, Portugal, Holland, Frankreich und England. In England werden sie Ende des 17. Jahrhunderts systematisch zusammengefaßt im Kolonialsystem, Staatsschuldensystem, modernen Steuersystem und Protektionssystem. Diese Methoden beruhn zum Teil auf brutalster Gewalt, z. B. das Kolonialsystem. Alle aber benutzten die Staatsmacht, die konzentrierte und organisierte Gewalt der Gesellschaft, um den Verwandlungsprozeß der feudalen in die kapitalistische Produktionsweise treibhausmäßig zu fördern und die Obergänge abzukürzen. Die Gewalt ist der Geburtshelfer jeder alten Gesellschaft, die mit einer neuen schwanger geht. Sie selbst ist eine ökonomische Potenz. (779) ✂. . .

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Die Rolle des Staates und des Kreditwesens Die öffentliche Schuld wird einer der energischsten Hebel der ursprünglichen Akkumulation. Wie mit dem Schlag der Wünschelrute begabt sie das unproduktive Geld mit Zeugungskraft und verwandelt es so in Kapital, ohne daß es dazu nötig hätte, sich der von industrieller und selbst wucherischer Anlage unzertrennlichen Mühwaltung und Gefahr auszusetzen. ✂. . . Von ihrer Geburt an waren die mit nationalen Titeln aufgestutzten großen Banken nur Gesellschaften von Privatspekulanten, die sich den Regierungen an die Seite stellten und, dank den erhaltnen Privilegien, ihnen Geld vorzuschießen imstande waren. Daher hat die Akkumulation der Staatsschuld keinen unfehlbareren Gradmesser als das sukzessive Steigen der Aktien dieser Banken, deren volle Entfaltung von der Gründung der Bank von England datiert (1694). Die Bank von England begann damit, der Regierung ihr Geld zu 8% zu verleihen; gleichzeitig war sie vom Parlament ermächtigt, aus demselben Kapital Geld zu münzen, indem sie es dem Publikum nochmals in Form von Banknoten lieh. ✂. . . Allmählich wurde sie der unvermeidliche Behälter der Metallschätze des Landes und das Gravitationszentrum des gesamten Handelskredits. Um dieselbe Zeit, wo man in England aufhörte, Hexen zu verbrennen, fing man dort an. Banknotenfälscher zu hängen. ✂. . . // 783 //. Da die Staatsschuld ihren Rückhalt in den Staatseinkünften hat, die die jährlichen Zins – usw. Zahlungen decken müssen, so wurde das moderne Steuersystem notwendige Ergänzung des Systems der Nationalanleihen. Die Anleihen befähigen die Regierung, außerordentliche Ausgaben zu bestreiten, ohne daß der Steuerzahler es sofort fühlt, aber sie erfordern doch für die Folge erhöhte Steuern. ✂. . . // 784 // Erläuterungen Zum Abschluss des ersten Bandes des Kapital behandelt Marx die historischen Voraussetzungen für die Entstehung und Weiterentwicklung des Kapitalismus. Der sehr lesenswerte, hier aber extrem gekürzte Text ist eher eine Skizze und nennt die Themen, die eine historische Darstellung berücksichtigen müsste: Enteignung und Vertreibung der Landbevölkerung, Entstehung kleiner Betriebe mit Lohnarbeit, Bildung eines Binnenmarktes, Beschleunigung der Entwicklung durch Investition schon vorhandenen Kapitals aus Handel und Leihkapital, planvolle Disziplinierung der Arbeitskräfte durch Abschreckung und Erziehung, systematischer Aufbau des Kreditwesens, staatliche Nachfrage nach Darlehen und Gütern, Neuorganisation des Steuerwesens, Ausdehnung des Außenhandels und Inbesitznahme von Kolonien. Die Entstehungs-

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geschichte des Kapitalismus muss als Geschichte der Entstehung der Lohnarbeit und des inneren Marktes geschrieben werden, ist der leitende Gesichtspunkt der Darstellung. Durch seine Sprache und die Zuspitzung seiner Thesen hat er in den Sozialwissenschaften große Beachtung gefunden und war der Ausgangspunkt umfangreicher historischer Arbeiten. Dabei wurden auch von Marx vernachlässigte kulturgeschichtliche Aspekte untersucht. Besonders erwähnenswert sind die Arbeiten von Wallerstein (1974), Foucault (1975), Braudel (1979), Laslett (1988), Dülmen (1982, 1990, 1998), Morris (2011) Wilson (1993) und Daunton (1995). Neuere Untersuchungen der Dekolonisierung benutzten das Kapitel über die ursprüngliche Akkumulation, um Bedingungen der Unterentwicklung und die Wichtigkeit des inneren Marktes zu analysieren (Nohlen 1998). Arbeiterklasse und Revolution Die Schranken vorkapitalistischer Produktionsweise ✂. . . Das Privateigentum des Arbeiters an seinen Produktionsmitteln ist die Grundlage des Kleinbetriebs, der Kleinbetrieb eine notwendige Bedingung für die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktion und der freien Individualität des Arbeiters selbst. Allerdings existiert diese Produktionsweise auch innerhalb der Sklaverei, Leibeigenschaft und andrer Abhängigkeitsverhältnisse. Aber sie blüht nur, schnellt nur ihre ganze Energie, erobert nur die adäquate klassische Form, wo der Arbeiter freier Privateigentümer seiner von ihm selbst gehandhabten Arbeitsbedingungen ist, der Bauer des Ackers, den er bestellt, der Handwerker des Instruments, worauf er als Virtuose spielt. Diese Produktionsweise unterstellt Zersplitterung des Bodens und der übrigen Produktionsmittel. Wie die Konzentration der letztren, so schließt sie auch die Kooperation, Teilung der Arbeit innerhalb derselben Produktionsprozesse, gesellschaftliche Beherrschung und Reglung der Natur, freie Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte aus. Sie ist nur verträglich mit engen naturwüchsigen Schranken der Produktion und der Gesellschaft. Sie verewigen wollen hieße, wie Pecqueur mit Recht sagt, „die allgemeine Mittelmäßigkeit dekretieren“. Auf einem gewissen Höhegrad bringt sie die materiellen Mittel ihrer eignen Vernichtung zur Welt. Von diesem Augenblick regen sich Kräfte und Leidenschaften im Gesellschaftsschoße, welche sich von ihr gefesselt fühlen. Sie muß vernichtet werden, sie wird vernichtet. Ihre Vernichtung, die Verwandlung der individuellen und zersplitterten Produktionsmittel in gesellschaftlich konzentrierte,

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daher des zwerghaften Eigentums vieler in das massenhafte Eigentum weniger, daher die Expropriation der großen Volksmasse von Grund und Boden und // 789 // Lebensmitteln und Arbeitsinstrumenten, diese furchtbare und schwierige Expropriation der Volksmasse bildet die Vorgeschichte des Kapitals. Sie umfaßt eine Reihe gewaltsamer Methoden, wovon wir nur die epochemachenden als Methoden der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals Revue passieren ließen. Die Expropriation der unmittelbaren Produzenten wird mit schonungslosestem Vandalismus und unter dem Trieb der infamsten, schmutzigsten, kleinlichst gehässigsten Leidenschaften vollbracht. Das selbsterarbeitete, sozusagen auf Verwachsung des einzelnen, unabhängigen Arbeitsindividuums mit seinen Arbeitsbedingungen beruhende Privateigentum wird verdrängt durch das kapitalistische Privateigentum, welches auf Exploitation fremder, aber formell freier Arbeit beruht. Entwicklungstendenzen des Kapitalismus Sobald dieser Umwandlungsprozeß nach Tiefe und Umfang die alte Gesellschaft hinreichend zersetzt hat, sobald die Arbeiter in Proletarier, ihre Arbeitsbedingungen in Kapital verwandelt sind, sobald die kapitalistische Produktionsweise auf eignen Füßen steht, gewinnt die weitere Vergesellschaftung der Arbeit und weitere Verwandlung der Erde und andrer Produktionsmittel in gesellschaftlich ausgebeutete, also gemeinschaftliche Produktionsmittel, daher die weitere Expropriation der Privateigentümer, eine neue Form. Was jetzt zu expropriieren. Ist nicht länger der selbstwirtschaftende Arbeiter, sondern der viele Arbeiter exploitierende Kapitalist. Diese Expropriation vollzieht sich durch das Spiel der immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion selbst, durch die Zentralisation der Kapitale. Je ein Kapitalist schlägt viele tot. Hand in Hand mit dieser Zentralisation oder der Expropriation vieler Kapitalisten durch wenige entwickelt sich die kooperative Form des Arbeitsprozesses auf stets wachsender Stufenleiter, die bewußte technische Anwendung der Wissenschaft, die planmäßige Ausbeutung der Erde, die Verwandlung der Arbeitsmittel in nur gemeinsam verwendbare Arbeitsmittel, die Ökonomisierung aller Produktionsmittel durch ihren Gebrauch als Produktionsmittel kombinierter, gesellschaftlicher Arbeit, die Verschlingung aller Völker in das Netz des Weltmarkts und damit der internationale Charakter des kapitalistischen Regimes. Mit der beständig abnehmenden Zahl der Kapitalmagnaten, welche alle Vorteile dieses Umwandlungsprozesses usurpieren und monopolisieren, wächst die Masse des Elends, des Drucks, der Knechtschaft, der Entartung, der Ausbeutung, aber auch die Empörung der stets anschwellenden // 790 // und durch den Mechanismus des kapitalistischen Produktionsprozesses

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selbst geschulten, vereinten und organisierten Arbeiterklasse. Das Kapitalmonopol wird zur Fessel der Produktionsweise, die mit und unter ihm aufgeblüht ist. Die Zentralisation der Produktionsmittel und die Vergesellschaftung der Arbeit erreichen einen Punkt, wo sie unverträglich werden mit ihrer kapitalistischen Hülle. Sie wird gesprengt. Die Stunde des kapitalistischen Privateigentums schlägt. Die Expropriateurs werden expropriiert. Die aus der kapitalistischen Produktionsweise hervorgehende kapitalistische Aneignungsweise, daher das kapitalistische Privateigentum, ist die erste Negation des Individuellen, auf eigne Arbeit gegründeten Privateigentums. Aber die kapitalistische Produktion erzeugt mit der Notwendigkeit eines Naturprozesses ihre eigne Negation. Es ist Negation der Negation. Diese stellt nicht das Privateigentum wieder her, wohl aber das individuelle Eigentum auf Grundlage der Errungenschaft der kapitalistischen Ära: der Kooperation und des Gemeinbesitzes der Erde und der durch die Arbeit selbst produzierten Produktionsmittel. Die Verwandlung des auf eigner Arbeit der Individuen beruhenden, zersplitterten Privateigentums in kapitalistisches ist natürlich ein Prozeß, ungleich mehr langwierig, hart und schwierig als die Verwandlung des tatsächlich bereits auf gesellschaftlichem Produktionsbetrieb beruhenden kapitalistischen Eigentums in gesellschaftliches. Dort handelte es sich um die Expropriation der Volksmasse durch wenige Usurpatoren, hier handelt es sich um die Expropriation weniger Usurpatoren durch die Volksmasse. (791) Erläuterungen Der Text wiederholt die wesentlichen Aussagen des Kommunistischen Manifests. Das Ideal der künftigen Gesellschaft ist nicht rückwärts gewandt, die Mittelmäßigkeit vorkapitalistischer Produktionsweisen ist nicht zukunftsfähig. Die Entwicklungsrichtung wird nach den Grundsätzen der materialistischen Geschichtsauffassung skizziert. Die gesellschaftlichen Verhältnisse sind eine Fessel für die Produktivkräfte und werden gesprengt. Wie aus den feudalen Verhältnissen der Kapitalismus hervorgegangen ist, so wird nach der weltweiten Vollendung der kapitalistischen Produktionsweise eine neue Gesellschaftsform entstehen, die allerdings nicht weiter beschrieben wird. Der Satz: Die kapitalistische Produktion erzeugt mit der Notwendigkeit eines Naturprozesses ihre eigene Negation. Es ist die Negation der Negation verwischt unzulässig den Unterschied von Naturgesetzen und sozialen Gesetzmäßigkeiten und kokettiert ohne ersichtlichen Grund mit der hegelschen Terminologie. Der Unterschied von individuellem Eigentum und Privateigentum wird nicht erläutert. Vielleicht ist mit individuellem Eigentum Verfügungsrecht ohne Besitzrecht gemeint.

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Der Weg zu einer neuen Gesellschaft wird aus der Beobachtung gegenwärtiger Prozesse entwickelt. Die Konzentration der Wirtschaft führt zu einer beständig abnehmenden Anzahl von Kapitalbesitzern, die durch eine Revolution der Arbeiterklasse schließlich enteignet werden. Optimistisch meint der Text, dies gehe rascher als die Entstehung des Kapitalismus. Das Elend und die Empörung der Arbeiterklasse ist die Voraussetzung der Revolution, zu deren Erfolg eine geschulte Arbeiterorganisation erforderlich ist. In den Schriften von Marx finden sich viele Aussagen über Klasse und Arbeiterklasse (Lotter 1984) aber er hat keine Klassentheorie ausgearbeitet (J. Berger 1998). Klassenunterschiede sind durch die unterschiedliche Ausstattung mit Produktionsmitteln und durch die Stellung im Austauschprozess definiert. Hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse unterscheidet Marx Grundeigentümer, Kapitalisten und Arbeiter. Die Kapitalistenklasse beutet die Arbeiterklasse aus, Vorbedingung der Ausbeutung ist das politische Herrschaftssystem. Beide Klassen stehen sich antagonistisch gegenüber (MEW 25, 892). Die objektive Klassenlage macht die Angehörigen der Klasse noch nicht handlungsfähig. Dazu müssen sie sich organisieren. Die französischen Parzellenbauern um 1850 waren in der gleichen wirtschaftlichen Lage, konnten aber ihre gemeinsamen Interessen nicht organisieren und bildeten insofern keine Klasse (MEW 8, 198, MEW 16, 77). Das Kommunistische Manifest behauptete noch eine Tendenz zur Vereinfachung der Klassenverhältnisse, sodass sich zunehmend nur noch Bourgoisie und Proletariat gegenüberstünden. Klassenkämpfe würden ideologisch, ökonomisch und politisch geführt. Nach dem Sieg des Proletariats werde es zur Aufhebung aller Klassen kommen (MEW 4, 463). Diese Aussagen gaben den Anstoß zu vielen umfangreichen empirischen Studien über die Klassenlage der Bevölkerung in Europa und USA. Der Begriff Klasse wurde durch Schicht ersetzt. Nicht nur die Höhe des Einkommens, sondern auch Geschlecht, Alter, lokale und regionale Umstände, Ausbildung, Berufstätigkeit, sowie das soziale und kulturelle Milieu führten zu sehr unterschiedlichen Einstellungen und Handlungsorientierungen in der Bevölkerung. Aber auch die empirische Forschung bestätigte, dass trotz der erheblichen Verbesserung des Lebensstandards in Europa und USA nach 1945 die soziale Ungleichheit sich vertiefte. Die Mehrheit der Bevölkerung sei nach wie vor durch Vermögenslosigkeit, Beschäftigungsunsicherheit, abhängige Stellung und stark eingeschränkter Aufstiegsmöglichkeiten in eine andere Schicht gekennzeichnet. Ein „Klassenbewusstsein“ entstehe nicht durch die gemeinsame Klassenlage, sondern durch gemeinsames Handeln, wie schon Marx beobachtet hatte.

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Zur revolutionären Erhebung der Arbeiterklasse hat sich Marx von den frühesten Schriften bis in sein Spätwerk immer wieder geäußert (Lindner 1972). Einen zusammenhängenden Text zu diesem Thema hat er nicht geschrieben. Noch in der Wirtschaftskrise 1857 rechnete er mit einer revolutionären Erhebung, als sich jedoch die Lage rasch wieder stabilisierte, wurde er zunehmend skeptischer gegenüber den Möglichkeiten einer Revolution. Nach seinen geschichtstheoretischen Annahmen entstehen Revolutionen aus dem Widerspruch von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen und führen zu einer Verschärfung der Klassenkämpfe und der Herausbildung einer revolutionären Klasse. Jedoch können Revolutionen nicht willkürlich zu beliebigen Zeitpunkten angezettelt werden, sondern müssen an eine Krise anknüpfen. Die alte Gesellschaft muss die Möglichkeiten der neuen Gesellschaft in sich schon entwickelt haben, sonst sind alle Kämpfe Don Quichotterie (MEW 23, 97). Eingehend untersuchte Marx zeitgenössische revolutionäre Vorgänge: die Klassenkämpfe in Frankreich 1848, den Putsch Louis Bonapartes 1851, den amerikanischen Bürgerkrieg 1865 und den Kommuneaufstand in Paris 1871. Hierbei schilderte er sehr präzise die sozialen, ökonomischen, politischen und ideologischen Elemente dieser Ereignisse. Auf diesem Hintergrund darf man die mutige Zuversichtlichkeit des Textes über die Chancen der proletarischen Revolution nicht überbewerten. Sie haben zu einer intensiven politischen und wissenschaftlichen Debatte innerhalb und außerhalb der Arbeiterbewegung über die Zukunft des Kapitalismus, einer möglichen Revolution und die Rolle der Arbeiterklasse geführt. Dabei wurde erkannt, dass moderne Gesellschaften nicht durch einen einzigen zentralen Widerspruch, den von Kapital und Arbeit strukturiert werden. Konflikte zwischen den Generationen, den Geschlechtern, nationalen Minderheiten und Mehrheiten, staatlicher Bürokratie und Bürgerinitiativen lassen sich nicht nur auf den Widerspruch von Kapital und Arbeit reduzieren. Darüber hinaus bestreitet die soziologische Forschung die Möglichkeit einer kollektiv handlungsfähigen Arbeiterklasse, die eine neue Gesellschaft revolutionär herbeiführen könnte. Als wichtigstes empirisches Argument wird angeführt, dass jeder Arbeiter und jede Arbeiterin in erster Linie an der Besserstellung ihrer Lage interessiert seien. Falls sie diese Besserstellung mit Reformen erreichen könnten, schreckten sie vor einer Revolution zurück. Die umfangreiche empirische Erforschung von Revolutionen (Widmaier 2000) enttäuschte andererseits die Erwartungen, Revolutionen voraussagen oder im Vorfeld wirksame Gegenmaßnahmen entwickeln

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zu können. Bei dem schwierigen Unterfangen, überhaupt den Begriff zu definieren, und verschiedene Typen von Revolutionen zu differenzieren, dient immer noch die französische Revolution von 1789 als Modell. Infolge der historischen Vielfalt von Vorgängen und der Komplexität der zu erklärenden Verläufe gilt eine allgemeine Theorie der Revolution als unmöglich. Die soziologische Forschung hat sich daher auf die Beschreibung des sozialen Wandels verlagert (Zapf 1969). Gegen Marx wurde mit empirischen Arbeiten eingewandt, dass Armut und Elend keine ausreichende Voraussetzung von Revolutionen sind. Neben zahlreichen politischen, wirtschaftlichen und ideologischen Randbedingungen ist der plötzliche Abbruch einer schon begonnenen Verbesserung der Lage auslösend (Malecki 1996). Revolutionäre Erhebungen werden nicht von den ärmsten Schichten, sondern von der Mittelschicht begonnen. Klasse und Revolution sind nach allem Gesagten unscharfe Begriffe. Ihr empirischer Gehalt muss jeweils historisch und sozialgeschichtlich neu beschrieben werden. Richtiger ist es, sie als Begriffe des politischen Kampfes und der politischen Rhetorik zu verstehen. Sie verbinden sich je nach historischer Situation mit Mythen, von denen sie ihre Überzeugungskraft und Wirksamkeit gewinnen (Hardt 1992).

3.4. Der Geld- und Warenkreislauf: Das KAPITAL 2. Band MEW 24, 31-430 Vorbereitende Überlegungen zur Bedeutung der Zeit Die drei Stadien des Kreislaufs von Geld und Ware Der Kreislaufprozeß des Kapitals geht vor sich in drei Stadien, welche, nach der Darstellung des ersten Bandes, folgende Reihe bilden: Erstes Stadium: Der Kapitalist erscheint auf dem Warenmarkt und Arbeitsmarkt als Käufer; sein Geld wird in Ware umgesetzt oder macht den Zirkulationsakt G-W durch. Zweites Stadium: Produktive Konsumtion der gekauften Waren durch den Kapitalisten. Er wirkt als kapitalistischer Warenproduzent; sein Kapital macht den Produktionsprozeß durch. Das Resultat ist: Ware von mehr Wert als dem ihrer Produktionselemente. Drittes Stadium: Der Kapitalist kehrt zum Markt zurück als Verkäufer; seine Ware wird in Geld umgesetzt oder macht den Zirkulationsakt W-G durch. ✂. . .

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Das erste und dritte Stadium wurden im ersten Buch nur erörtert, soweit dies nötig für das Verständnis des zweiten Stadiums, den Produktionsprozeß des Kapitals. Die verschiednen Formen, worin das Kapital in seinen verschiednen Stadien sich kleidet, und die es bei wiederholtem Kreislauf bald annimmt, bald abstreift, blieben daher unberücksichtigt. Sie bilden jetzt den nächsten Gegenstand der Untersuchung. // 31 // Um die Formen rein aufzufassen, ist zunächst von allen Momenten zu abstrahieren, die mit dem Formwechsel und der Formbildung als solchen nichts zu tun haben. Daher wird hier angenommen, nicht nur, daß die Waren zu ihren Werten verkauft werden, sondern auch, daß dies unter gleichbleibenden Umständen geschieht. Es wird also auch abgesehn von den Wertveränderungen, die während des Kreislaufsprozesses eintreten können. (32) ✂. . . Das Nebeneinander, wodurch die Kontinuität der Produktion bedingt wird, existiert aber nur durch die Bewegung der Teile des Kapitals, worin sie nacheinander die verschiednen Stadien beschreiben. Das Nebeneinander ist selbst nur Resultat des Nacheinander. Stockt z. B. W‘-G‘ für einen Teil, ist die Ware unverkäuflich, so ist der Kreislauf dieses Teils unterbrochen und der Ersatz durch seine Produktionsmittel wird nicht vollzogen; die nachfolgenden Teile, die als W‘ aus dem Produktionsprozeß hervorgehn, finden ihren Funktionswechsel durch ihre Vorgänger gesperrt. Dauert dies einige Zeit fort, so wird die Produktion eingeschränkt und der ganze Prozeß zum Stillstand gebracht. (107) ✂. . . Erläuterungen Von den rund 1500 Seiten des zweiten und dritten Bandes des Kapital werden im folgenden nur winzige Ausschnitte vorgestellt. Es ist durchaus lohnend, die umfangreichen und gut verständlichen historischen Erörterungen vor allem im dritten Band zu lesen. Die hier getroffene Auswahl soll nur die wichtigsten Themen der von Marx geplante Systematik vorstellen. Die Texte am Anfang des zweiten Bandes dienen zur Vorbereitung der Darstellung des kapitalistischen Systems als Kreislauf von Geldund Güterströmen. Das industrielle Kapital kann nur als kontinuierlicher, komplexer Prozess in ständiger Bewegung begriffen werden, die bisherige isolierende Betrachtungsweise einzelner Verläufe war nur eine methodische Vereinfachung. Die Vorstellung eines Wirtschaftskreislaufs geht auf den Begründer der physiokratischen Wirtschaftstheorie François Quesnais (1694-1774) zurück. Marx knüpft an dessen Theorie an, aber wandelt sie in entscheidenden Punkten ab (Schumpeter 1965, 307). Während die Physiokraten die Natur als Quelle des

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wirtschaftlichen Wachstums betrachteten, sieht Marx die Arbeit als einzigen Faktor der Überschussproduktion. Der Text beginnt mit der Beschreibung von Teilkreisläufen, die formal nach ihrem jeweiligen Anfang unterschieden werden: 1. Ankauf von Arbeitskräften und Produktionsmitteln, 2. Die Produktion 3. Der Verkauf der produzierten Waren. Je nach der gewählten Perspektive kommt den drei Kreisläufen eine unterschiedliche Funktionen zu. 1. Verwertung des vorgeschossenen Kapitals, 2. Periodizität der Verwertung und 3. Realisierung der Gewinne. Die Teilkapitale befinden sich nebeneinander in den verschiedenen Phasen. Die Kontinuität des Gesamtprozesses ergibt sich nur als eine komplizierte Einheit von verschiedenen, selbständigen Teilkreisläufen, der ebensoviele Möglichkeiten der Unterbrechung und damit der Krise beinhaltet. Die Aufteilung des Gesamtkapitals muss in zudem bestimmten Proportionen erfolgen, wobei auch die Zeit, in der Kapitalteile in den einzelnen Stadien verharren, wichtig ist. Die richtigen Proportionen und die richtigen Zeitabläufe sind daher Bedingungen einer krisenfreien Produktion. In einer privatwirtschaftlich organisierten Gesellschaft ist das keineswegs selbstverständlich, sondern eher unwahrscheinlich. Auf der anderen Seite reichen diese allgemeinen Feststellung noch nicht aus, krisenhafte Verläufe zu analysieren, wie Marx immer wieder betont. Die Kosten der Zirkulation Wertproduktion und Zirkulationskosten ✂. . . Nach wie vor schafft Kauf und Verkaufszeit keinen Wert. Eine Illusion kommt herein durch die Funktion des Kaufmannskapitals. Aber, ohne hier noch näher darauf einzugehn, ist so viel von vornherein klar: Wenn durch Teilung der Arbeit eine Funktion, die an und für sich unproduktiv, aber ein notwendiges Moment der Reproduktion ist, aus einer Nebenverrichtung vieler in die ausschließliche Verrichtung weniger verwandelt wird, in ihr besondres Geschäft, so verwandelt sich nicht der Charakter der Funktion selbst. ✂. . . // 133 // Unter allen Umständen ist die hierauf verwandte Zeit eine Zirkulationskost, die den umgesetzten Werten nichts zuführt. Es ist die Kost, erforderlich, sie aus Warenform in Geldform zu übersetzen. Soweit der kapitalistische Warenproduzent als Zirkulationsagent erscheint, unterscheidet er sich vom unmittelbaren Warenproduzenten nur dadurch, daß er auf größrer Stufenleiter verkauft und kauft, und daher in größrem Umfang // 134 // als Zirkulationsagent fungiert.

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Ein Sonderfall: Transportkosten Es ist nicht nötig, hier auf alle Details der Zirkulationskosten einzugehn, wie z. B. Verpackung, Sortierung etc. Das allgemeine Gesetz ist, daß alle Zirkulationskosten, die nur aus der Formverwandlung der Ware entspringen, dieser letztren keinen Wert hinzusetzen. Es sind bloß Kosten zur Realisierung des Werts oder zu seiner Übersetzung aus einer Form in die andre. ✂. . . Transportkosten spielen aber eine zu wichtige Rolle, um sie hier nicht noch kurz zu betrachten. (150) ✂. . . Produktmassen vermehren sich nicht durch ihren Transport. Auch die durch ihn etwa bewirkte Veränderung ihrer natürlichen Eigenschaften ist mit gewissen Ausnahmen kein beabsichtigter Nutzeffekt, sondern ein unvermeidliches Übel. Aber der Gebrauchswert von Dingen verwirklicht sich nur in ihrer Konsumtion, und ihre Konsumtion mag ihre Ortsveränderung nötig machen, also den zusätzlichen Produktionsprozeß der Transportindustrie. Das in dieser angelegte produktive Kapital setzt also den transportierten Produkten Wert zu, teils durch Wertübertragung von den Transportmitteln, teils durch Wertzusatz vermittelst der Transportarbeit. Dieser letztre Wertzusatz zerfällt, wie bei aller kapitalistischen Produktion, in Ersatz von Arbeitslohn und in Mehrwert. // 151 // Erläuterungen In der Zirkulationssphäre entstehen Kosten, die von den dort tätigen Unternehmen aufgebracht werden müssen. Wie auch immer sie vorfinanziert werden, durch Eigenkapital oder Kredite, letztendlich müssen sie aus dem Mehrwert beglichen werden. Der Text erinnert nochmals an die Ergebnisse des ersten Bandes: Mehrwert entsteht nur durch die Arbeitskraft im Produktionsprozess (MEW 23, 179 ff). Der Verkauf fügt ihnen keinen zusätzlichen Wert zu. Der Handel realisiert mit dem Verkaufspreis nur den in der Produktion entstandenen Mehrwert. Würden die produzierenden Unternehmen ihre Waren selbst verkaufen, fiele ihnen der gesamte Mehrwert zu. Sie geben aber ihre Produkte an den Handel mit einem Abschlag des von ihnen produzierten Mehrwerts ab. Diesen Abschlag vom Mehrwert realisiert der Handel durch Verkauf der Waren. Im Handel entstehen weitere Kosten, die gleichfalls aus dem überlassenen Mehrwertanteil bezahlt werden müssen und daher den Gewinn der Handelsunternehmen schmälern. Hierzu gehören z. B. Vertreterprovisionen, Werbungskosten, Kosten für Buchführung, Bürokosten, Versicherungen, Kreditzinsen und Steuern. Auf die Rolle des Handelskapital für die Gesamtwirtschaft, insbesondere das Verhältnis von

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Handelsprofit zu Unternehmensprofit geht Marx an späterer Stelle ein. (vergl. S. 178) Die Überlegungen des Textes zu den Transportkosten zeigen nochmals, wie formal die Grenze zwischen Produktion und Zirkulation gezogen wird. Angesichts der Ausmaße des Zirkulationssektors und seiner Durchmischung mit Produktionsvorgängen ist es heute befremdlich, ihn pauschal als unproduktiv zu definieren. Wenn innerhalb des Zirkulationssektors Produktionsvorgänge stattfinden, entsteht Mehrwert. Transport von einer Produktionsstätte in eine andere oder in das Verkaufslager ist eine Form der Produktion. Die Entwicklung von Finanzprodukten beispielsweise im Bankensektor (z.B. Aktienfonds) oder bei Versicherungen (z.B. Bausparen) dienen nicht nur der Umsetzung fertiger Waren in Geld und sind daher produktive Arbeit im Sinne der Theorie. Umschlagszeit, zirkulierendes und fixes Kapital Die Umschlagszeit im Unterschied zu Umlaufzeit und Produktionszeit ✂. . . Für den Kapitalisten ist die Umschlagszeit seines Kapitals die Zeit, während deren er sein Kapital vorschießen muß, um es zu verwerten und in der ursprünglichen Gestalt zurückzuerhalten. Bevor wir den Einfluß des Umschlags auf den Produktions- und Verwertungsprozeß näher untersuchen, sind zwei neue Formen zu betrachten, die dem Kapital aus dem Zirkulationsprozeß anschießen und auf die Form seines Umschlags einwirken. (157) Fixes und zirkulierendes Kapital ✂. . . Ein Teil des Kapitals ist in der Form von konstantem Kapital, d. h. von Produktionsmitteln vorgeschossen worden. ✂. . . Mit der Funktion und daher der Abnutzung des Arbeitsmittels geht ein Teil seines Werts auf das Produkt über, ein andrer bleibt fixiert im Arbeitsmittel und daher im Produktionsprozeß. Der so fixierte Wert nimmt beständig ab, bis das Arbeitsmittel ausgedient und daher auch sein Wert sich in einer längern oder kürzern Periode über eine Masse von Produkten verteilt hat, die aus einer Reihe beständig wiederholter Arbeitsprozesse hervorgehn. ✂. . . Durch diese Eigentümlichkeit erhält dieser Teil des konstanten Kapitals die Form: Fixes Kapital. Alle andern stofflichen Bestandteile des im Produktionsprozeß vorgeschoßnen Kapitals dagegen bilden im Gegensatz dazu: Zirkulierendes oder flüssiges Kapital. (159)

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Fixes Kapital und Konjunkturverlauf ✂. . . In derselben Kapitalanlage haben die einzelnen Elemente des fixen Kapitals eine verschiedne Lebenszeit, daher auch verschiedne Umschlagszeiten. (170) ✂. . . Man kann annehmen, daß für die entscheidendsten Zweige der großen Industrie dieser Lebenszyklus jetzt im Durchschnitt ein zehnjähriger ist. Doch kommt es hier nicht auf die bestimmte Zahl an. Soviel ergibt sich: Durch diesen eine Reihe von Jahren umfassenden Zyklus von zusammenhängenden Umschlägen, in welchen das Kapital durch seinen fixen Bestandteil gebannt ist, ergibt sich eine materielle Grundlage der periodischen Krisen, worin das Geschäft aufeinanderfolgende Perioden der Abspannung, mittleren Lebendigkeit, // 185 // Überstürzung, Krise durchmacht. Es sind zwar die Perioden, worin Kapital angelegt wird, sehr verschiedne und auseinanderfallende. Indessen bildet die Krise immer den Ausgangspunkt einer großen Neuanlage. Also auch – die ganze Gesellschaft betrachtet – mehr oder minder eine neue materielle Grundlage für den nächsten Umschlagszyklus. (186) Erläuterungen Die empirisch argumentierenden Texte stellen Bedingungen eines störungsfreien Funktionierens kapitalistischer Wirtschaftsweise vor, die immer auch Krisenursachen sein können. Erneut wird die Rolle der Zeit thematisiert. Marx unterscheidet die Arbeitsperiode, die Zeit, in der wirklich gearbeitet wird, von der Produktionszeit. Zu ihr gehören die notwendigen Pausen, z. B. zum Trocknen von Holz, Gären von Wein, aber auch andere Arbeitsunterbrechungen wie Nachtzeit, Mittagspausen, und Streiks. Der Unternehmer wird immer versuchen, die Arbeitsperiode zu verlängern oder zu intensivieren, ebenso wie er sich bemüht, die Zirkulationszeit oder die Umlaufzeit für den Ankauf von Rohstoffen, Maschinen und den Verkauf der fertiggestellten Waren zu verkürzen, da nur in der Produktionszeit Mehrwert entsteht. Umlaufzeit plus Produktionszeit ist Umschlagszeit, so wie der Ausdruck bis heute verwendet wird. Die Auswirkung der unterschiedlichen Umschlagszeiten (z. B. im Schiffsbau oder in der Lebensmittelindustrie) auf die Preisbildung werden von Marx später behandelt. (vergl. S. 181) Für die Erläuterung der Kreislaufprozesse werden zwei weitere Begriffe der Klassischen Ökonomie aufgegriffen. Marx wählt dabei eine andere Festlegung als Smith und Ricardo (Cagolov 1972, 291). Zum fixen Kapital zählt er die Elemente des Kapitals, deren Gebrauchswert in der Produktion erhalten bleibt und die ihren Wert nur stückweise über mehrere Arbeitsperioden hinweg an die Produkte abgeben. Marx refe-

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riert an dieser Stelle die Erfahrungswerte der englischen Eisenbahn mit der Abnutzung von Schienen, Wagen und Lokomotiven. Alle anderen Bestandteile des Produktionsprozesses bilden dagegen das zirkulierende Kapital. Hierzu gehören die Rohstoffe und die Hilfsstoffe: Kohle für Energie, Schmiermittel und das variable Kapital, die Lohnkosten. Der Text legt einen Zusammenhang zwischen der Anlagedauer des fixen Kapitals und dem zeitlichen Abstand von Konjunkturen nahe. Diese Annahme ist unrealistisch. Sie würde unterstellen, dass in den führenden Industrien das Anlagevermögen etwa gleichzeitig erneuert würde. Aus einer rein rechnerisch ermittelten durchschnittlichen Abschreibung des fixen Kapitals kann nicht auf den Konjunkturverlauf geschlossen werden (Bader 1975, 285-288 ). Der Kreislauf der Wirtschaft: Die Reproduktionsschemata Die Problemstellung: Wertersatz und Gebrauchswertersatz Die Frage, wie sie unmittelbar vorliegt, ist die: Wie wird das in der Produktion verzehrte Kapital seinem Wert nach aus dem jährlichen Produkt ersetzt, und wie verschlingt sich die Bewegung dieses Ersatzes mit der Konsumtion des Mehrwerts durch die Kapitalisten und des Arbeitslohns durch die Arbeiter? Es handelt sich also zunächst um die Reproduktion auf einfacher Stufenleiter. (392) Solange wir die Wertproduktion und den Produktenwert des Kapitals individuell betrachteten, war die Naturalform des Warenprodukts für die Analyse ganz gleichgültig, ob sie z. B. aus Maschinen bestand oder aus Korn oder aus Spiegeln. Es war dies immer Beispiel, und jeder beliebige Produktionszweig konnte gleichmäßig zur Illustration dienen. ✂. . . Diese nur formelle Manier der Darstellung genügt nicht mehr bei Betrachtung des gesellschaftlichen Gesamtkapitals und seines Produktenwerts. Die Rückverwandlung eines Teils des Produktenwerts in Kapital, das Eingehn eines andern Teils in die individuelle Konsumtion der Kapitalisten wie der Arbeiterklasse bildet eine Bewegung innerhalb des Produktenwerts selbst, worin das Gesamtkapital resultiert hat; und diese Bewegung ist nicht nur Wertersatz, sondern Stoffersatz, und ist daher ebensosehr bedingt durch das gegenseitige Verhältnis der Wertbestandteile des gesellschaftlichen Produkts wie durch ihren Gebrauchswert, ihre stoffliche Gestalt. (393) Das Modell: Die zwei Abteilungen der gesellschaftlichen Produktion Das Gesamtprodukt, also auch die Gesamtproduktion, der Gesellschaft zerfällt in zwei große Abteilungen:

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1. Produktionsmittel, Waren, welche eine Form besitzen, worin sie in die produktive Konsumtion eingehn müssen oder wenigstens eingehn können. 2. Konsumtionsmittel, Waren, welche eine Form besitzen, worin sie in die individuelle Konsumtion der Kapitalisten- und Arbeiterklasse eingehn. // 394 // ✂. . . Wie der Wert jeder einzelnen Ware, so zerfällt also auch der des gesamten Jahresprodukts jeder Abteilung in c + v + m. Der Wertteil c, der das in der Produktion verzehrte konstante Kapital darstellt, deckt sich nicht mit dem Wert des in der Produktion angewandten konstanten Kapitals. // 395 // ✂. . . Dagegen sind wir hier, bei Betrachtung des gesellschaftlichen Gesamtprodukts und seines Werts, genötigt, wenigstens vorläufig von dem durch Verschleiß von fixem Kapital während des Jahrs auf das Jahresprodukt übertragnem Wertteil zu abstrahieren, soweit dies fixe Kapital nicht während des Jahrs auch wieder in natura ersetzt worden ist. (396) Das Reproduktionsschema Für unsre Untersuchung der einfachen Reproduktion wollen wir folgendes Schema zugrunde legen, worin c = konstantes Kapital, v = variables Kapital, m = Mehrwert ist und das Verwertungsverhältnis m/v zu 100% angenommen wird. Die Zahlen mögen Millionen Mark, Franken oder Pfund Sterling bedeuten. I. Produktion von Produktionsmitteln: Kapital: 4000c + 1000v = 5000. Warenprodukt: 4000c + 1000v + 1000m = 6000, existierend in Produktionsmitteln. II. Produktion von Konsumtionsmitteln: Kapital: 2000c + 500v = 2500. Warenprodukt: 2000c + 500v + 500m = 3000, existierend in Konsumtionsmitteln. Die Austauschprozesse ✂. . . Wenn wir nun die auf Grundlage einfacher Reproduktion, wo also der ganze Mehrwert unproduktiv konsumiert wird, notwendigen Umsätze untersuchen und dabei zunächst die sie vermittelnde Geldzirkulation unbeachtet lassen, so ergeben sich uns von vornherein drei große Anhaltspunkte. (396) 1. Die 500v, Arbeitslohn der Arbeiter, und die 500m, Mehrwert der Kapitalisten der Abteilung II, müssen in Konsumtionsmitteln verausgabt werden. Aber ihr Wert existiert in den Konsumtionsmitteln zum Wert von 1000v,

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Karl Marx, Das Kapital

die in den Händen der Kapitalisten, Abteilung II, die vorgeschoßnen 500v ersetzen und die 500m repräsentieren. Arbeitslohn und Mehrwert // 396 // der Abteilung II werden also innerhalb Abteilung II gegen Produkt von II umgesetzt. Damit verschwinden aus dem Gesamtprodukt (500v + 500m) II = 1000 in Konsumtionsmitteln. 2. Die 1000v + 1000m der Abteilung I müssen ebenfalls in Konsumtionsmitteln verausgabt werden, also in Produkt von Abteilung II. Sie müssen sich also austauschen gegen den von diesem Produkt noch übrigen, dem Belauf nach gleichen, konstanten Kapitalteil 2000c. Dafür erhält Abteilung II einen gleichen Betrag von Produktionsmitteln, Produkt von I, worin der Wert der 1000v + 1000m von I verkörpert. Damit verschwinden aus der Rechnung 2000 II c und (1000v + 1000m) I. 3. Es bleiben noch 4000 I c. Diese bestehn in Produktionsmitteln, die nur in Abteilung I vernutzt werden können, zum Ersatz ihres verzehrten konstanten Kapitals dienen, und daher durch gegenseitigen Austausch zwischen den einzelnen Kapitalisten von I ebenso ihre Erledigung finden wie die (500v + 500m) II durch Austausch zwischen den Arbeitern und Kapitalisten, resp. zwischen den einzelnen Kapitalisten von II. // 428 // Die Gleichgewichtsbedingung ✂. . . Der Totalwert der Konsumtionsmittel II ist daher gleich der Summe des neuen Wertprodukts sub I + II, oder II(c + v + m) = I(v + m) + II(v + m), also gleich der Summe des von der Jahresarbeit in Form von v + m produzierten Neuwerts. // 429 // Erläuterungen Der stark gekürzte Text ist nicht ganz einfach zu verstehen und soll deshalb nochmals zusammengefasst werden. In einer privatwirtschaftlich organisierten Gesellschaft ist prinzipiell offen, ob die hergestellten Waren abgesetzt werden können. Es muss nicht nur eine Nachfrage sondern eine zahlungsfähige Nachfrage vorhanden sein. Niemand kann kaufen, ohne vorher verkauft zu haben. Das Grundproblem einer nicht planmäßig organisierten Gesamtwirtschaft heißt also, welche und wie viele Güter können produziert werden, für die eine zahlungsfähige Nachfrage zu erwarten ist. Marx hat in Abwandlung des physiokratischen Schemas ein abstraktes Gleichgewichtsmodell einer privat Waren produzierenden Gesellschaft entworfen, das bis heute als besondere Leistung von Marx gilt (Schneider 1965, 22 ff). Um die Bedingungen einer gleichgewichtigen Produktion herauszufinden, machte Marx mehrere vereinfachende Annahmen. Die Gesamt-

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produktion teilt sich in zwei große Klassen: Die Herstellung von Produktionsgütern (Abteilung I) und die Herstellung von Konsumgütern (Abteilung II). Die Löhne der Arbeiter wie auch das Einkommen des Kapitalisten werden bei einfacher Reproduktion vollständig für Konsumgüter ausgegeben. Es wird nichts für Investitionen gespart. Für beide Abteilungen gilt, dass der Wert jedes Produktes aus konstantem und variablem Kapital und Mehrwert besteht (c + v + m). Die Unterscheidung von fixem und zirkulierendem Kapital bleibt außer Betracht. Es wird eine Mehrwertrate von 100% unterstellt. Da alle Konsumgüter für beide Abteilungen in der Abteilung II produziert werden, muss für eine gleichgewichtige Produktion die Wertproduktion der Abteilung II der Summe der Löhne und Einkommen beider Abteilungen entsprechen. Als Formel ausgedrückt: WII = v1 + m1 + v2 + m2. Andererseits kann die Abteilung II nicht mehr Produktionsmittel (Maschinen, etc.) von Abteilung I bezahlen, als Konsumgüter von Abteilung I gekauft werden. Daher gilt cII = m1 + v1. Die Gleichgewichtsbedingung lautet daher: der Wert des bei der Konsumgüterherstellung (Abteilung II) verbrauchten konstanten Kapitals muss gleich dem Wert der in der Produktionsmittelabteilung (Abteilung I) erzieltem Einkommen der Arbeiter und Unternehmer sein. Marx unterscheidet, wie oben dargestellt, neben der einfachen die erweiterte Reproduktion. Bei der erweiterten Reproduktion wird unterstellt, dass die Unternehmen einen Teil ihres Mehrwerts nicht verzehren, sondern sparen und wieder in die Produktion investieren (I1) Analog zu dem Zahlenschema der einfachen Reproduktion entwickelt Marx das mögliche jährliche gleichgewichtige Wachstum beider Abteilungen. Die entsprechende Gleichgewichtsbedingung lautet dann cII = m1 + v1I1 Die Summe der in Abteilung I verdienten Einkommen ist größer ist als der Wert der Käufe in Abteilung II (Stavenhagen 1964, 153). Es ist klar, dass Marx nur ein sehr abstraktes Gleichgewichtsmodell der kapitalistischen Wirtschaft entwirft. Er unterstellt eine einheitliche Mehrwertrate in allen Produktionszweigen. Ferner abstrahiert er von der Existenz von Handel und Banken, ebenso vom Einfluss des Staates. Auch Außenhandel und Kredit bleiben ausgeklammert. Es wird die Übereinstimmung von Wert und Preis unterstellt, Änderungen der Produktivität und Sondergewinne einzelner Unternehmen bleiben unberücksichtigt. Die Aussagefähigkeit der Reproduktionsschemata für das Funktionieren oder Nichtfunktionieren der kapitalistischen Wirtschaft bewegt sich daher in sehr engen Grenzen. Die Reproduktionschemata zeigen lediglich in allgemeiner Weise, dass ein störungsfreies Wachs-

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tum dann möglich ist, wenn die Grundbedingung der einfachen oder erweiterten Reproduktion eingehalten werden. Genau dies schließt auch die Möglichkeit von Disproportionen und damit von Krisen ein. Jede Bedingung des normalen Verlaufes kann in eine Krisenursache umschlagen. Für einen krisenfreien Verlauf wäre zudem erforderlich, dass die Gleichgewichtsbedingungen nicht nur zwischen den beiden großen Abteilungen, sondern auch zwischen den Branchen innerhalb der Abteilungen einigermaßen eingehalten würden (Bader 1975, 308). Die Kreislaufanalyse unter Gleichgewichtsbedingungen wurde von der theoretischen Volkswirtschaftlehre und in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung wiederholt aufgenommen, zuletzt von Keynes (Ihring 1998, 12 ff). Anstoß war die Suche nach einer wirklichkeitsnahen Konjunkturtheorie. Erich Preiser knüpfte dabei nochmals an die Schemata von Marx an (Preiser 1933). In den heute gängigen Kreislauftheorien wurde das marxsche Schema weitgehend verändert. Ausgangs- und Zielpunkt der Kreisläufe sind nicht mehr die beiden Produktionsabteilungen, sondern die Einheiten Haushalte, Unternehmen, Staat und Außenhandel. Das Erkenntnisinteresse dieser Rechnungen zielt vor allem auf den Vergleich verschiedener Volkswirtschaften. Zur Prognose und Verhinderung von Krisen sind sie nur sehr bedingt tauglich.

3.5. Die Auswirkung der Konkurrenz: Das KAPITAL 3. Band MEW 25, 33-209 Zielsetzung der folgenden Darstellung Im ersten Buch wurden die Erscheinungen untersucht, die der kapitalistische Produktionsprozeß, für sich genommen, darbietet, als unmittelbarer Produktionsprozeß, bei dem noch von allen sekundären Einwirkungen ihm fremder Umstände abgesehn wurde. Aber dieser unmittelbare Produktionsprozeß erschöpft nicht den Lebenslauf des Kapitals. Er wird in der wirklichen Welt ergänzt durch den Zirkulationsprozeß, und dieser bildete den Gegenstand der Untersuchungen des zweiten Buchs. Hier zeigte sich, namentlich im dritten Abschnitt, bei Betrachtung des Zirkulationsprozesses als der Vermittlung des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses, daß der kapitalistische Produktionsprozeß, im ganzen betrachtet, Einheit von Produktions und Zirkulationsprozeß ist. Worum es sich in diesem dritten Buch handelt, kann nicht sein, allgemeine Reflexionen über diese Einheit anzustellen. Es gilt vielmehr, die konkreten Formen aufzufinden und darzustellen, welche aus dem Bewegungsprozeß des Kapitals, als Ganzes betrachtet, hervorwach-

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sen. In ihrer wirklichen Bewegung treten sich die Kapitale in solchen konkreten Formen gegenüber, für die die Gestalt des Kapitals im unmittelbaren Produktionsprozeß, wie seine Gestalt im Zirkulationsprozeß, nur als besondere Momente erscheinen. Die Gestaltungen des Kapitals, wie wir sie in diesem Buch entwickeln, nähern sich also schrittweis der Form, worin sie auf der Oberfläche der Gesellschaft, in der Aktion der verschiedenen Kapitale aufeinander, der Konkurrenz, und im gewöhnlichen Bewußtsein der Produktionsagenten selbst auftreten. // 33 // Erläuterungen Der Text formuliert das Programm des dritten Bands des Kapitals: die konkreten, sinnlich wahrnehmbaren Erscheinungen der kapitalistischen Wirtschaftsweise im Lichte der Theorie zu entschlüsseln. Wie Marx oft betont, widersprechen die empirischen Befunde den theoretischen Annahmen. Er will zeigen, wie diese Widersprüche zustande kommen. Die empirischen Befunde sind nicht falsch, sondern müssen auf dem Boden der Werttheorie richtig gedeutet werden. Die folgenden Texte behandeln nacheinander das Verhältnis von Werten und Preisen, die Wirkung der Konkurrenz, die Möglichkeit von Krisen, das Handels- und Bankkapital und die Erträge aus Grundbesitz. Ziel der Darstellung ist es, sowohl die wirtschaftlichen Verhältnisse als auch ihre Repräsentation im Bewusstsein verstehbar zu machen. Nochmals sei daran erinnert, dass Marx den Text nicht mehr selbst zu Ende geführt hat und daher viele Brüche und Widersprüche in dem Manuskript enthalten sind. Das Verhältnis von Mehrwert und Profit, Mehrwertrate und Profitrate Die Sichtweise des Kapitalisten Dem Kapitalisten ist es gleichgültig, die Sache so zu betrachten, daß er das konstante Kapital vor schießt, um aus dem variablen Gewinn zu schlagen, oder das variable vorschießt, um das konstante zu verwerten; daß er Geld in Arbeitslohn auslegt, um Maschinen und Rohmaterial höhern Wert zu geben, oder das Geld in Maschinerie und Rohmaterial vorschießt, um die Arbeit exploitieren zu können. Ob gleich nur der variable Teil des Kapitals Mehrwert schafft, so schafft er ihn unter der Bedingung, daß auch die andren Teile vorgeschossen werden. ✂. . . Der Profit des Kapitalisten kommt daher, daß er etwas zu verkaufen hat, das er nicht bezahlt hat ✂. . . dem Überschuß des Warenwerts über ihren Kostpreis, d. h. in dem Überschuß der in der Ware enthaltnen Gesamtsumme von Arbeit über die in ihr enthaltne bezahlte Summe Arbeit. Der Mehr-

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wert, woher er immer entspringe, ist sonach ein Überschuß über das vorgeschoßne Gesamtkapital. Dieser Überschuß steht also in einem Verhältnis zum Gesamtkapital, das sich ausdrückt in dem Bruch m/C, wo C das Gesamtkapital bedeutet. So erhalten wir die Profitrate m/C = m/(c + v), im Unterschiede von der Rate des Mehrwerts m/v. // 52 // Obgleich der Überschuß des Werts der Ware über ihren Kostpreis im unmittelbaren Produktionsprozeß entsteht, wird er erst realisiert im Zirkulationsprozeß, und erhält um so leichter den Schein, aus dem Zirkulationsprozeß zu entspringen, als es in der Wirklichkeit, innerhalb der Konkurrenz, auf dem wirklichen Markt, von Marktverhältnissen abhängt, ob oder nicht, und zu welchem Grad, dieser Überschuß realisiert wird. // 53 // ✂. . . der Mehrwert selbst erscheint nicht als Produkt der Aneignung von Arbeitszeit, sondern als Überschuß des Verkaufspreises der Waren über ihren Kostpreis, welcher letztre daher leicht als ihr eigentlicher Wert (valeur intrinsèque) sich darstellt, so daß der Profit als Überschuß des Verkaufspreises der Waren über ihren immanenten Wert erscheint. // 54 // Die Sichtweise der Theorie: Identität von Mehrwert und Profit ✂. . . Der Überschuß also, wenn er, hegelisch gesprochen, sich aus der Profitrate // 57 // in sich zurückreflektiert, oder anders, der Überschuß, näher durch die Profitrate charakterisiert, erscheint als ein Überschuß, den das Kapital über seinen eignen Wert hinaus jährlich, oder in einer bestimmten Zirkulationsperiode, erzeugt. Obgleich daher die Profitrate von der Rate des Mehrwerts numerisch verschieden ist, während Mehrwert und Profit in der Tat dasselbe und auch numerisch gleich sind, so ist der Profit jedoch eine verwandelte Form des Mehrwerts, eine Form, worin sein Ursprung und das Geheimnis seines Daseins verschleiert und ausgelöscht ist. ( 58) Das Ausgangsproblem: Unterschiedliche Größe von Mehrwertrate und Profitrate ✂. . . Gleich große Stücke des Gesamtkapitals in den verschiednen Produktionssphären schließen ungleich große Quellen des Mehrwerts ein, und die einzige Quelle des Mehrwerts ist die lebendige Arbeit. Bei gleichem Exploitationsgrad der Arbeit hängt die Masse der von einem Kapital = 100 in Bewegung gesetzten Arbeit, und daher auch der von ihm angeeigneten Mehrarbeit, von der Größe seines variablen Bestandteils ab. Wenn ein Kapital, das prozentig aus 90c + 10v besteht, bei gleichem Exploitationsgrad der Arbeit ebensoviel Mehrwert oder Profit erzeugte wie ein Kapital, das aus 10c + 90v besteht, dann wäre es sonnenklar, daß der Mehrwert und daher der Wert überhaupt eine ganz andre Quelle haben müßte als die

3. Das Kapitalistische System

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Arbeit und daß damit jede rationelle Grundlage der politischen Ökonomie wegfiele. ✂. . . Sollte es anders sein, so müßten Wert und Mehrwert etwas andres sein als vergegenständlichte Arbeit. Da also Kapitale in verschiednen Produktionssphären // 158 //, prozentig betrachtet oder gleich große Kapitale, sich ungleich einteilen in konstantes und variables Element, ungleich viel lebendige Arbeit in Bewegung setzen und daher ungleich viel Mehrwert, also Profit erzeugen, so ist die Rate des Profits, die eben in der prozentigen Berechnung des Mehrwerts auf das Gesamtkapital besteht, in ihnen verschieden. ✂. . . Andrerseits unterliegt es keinem Zweifel, daß in der Wirklichkeit, von unwesentlichen, zufälligen und sich ausgleichenden Unterschieden abgesehn, die Verschiedenheit der durchschnittlichen Profitraten für die verschiednen Industriezweige nicht existiert und nicht existieren könnte, ohne das ganze System der kapitalistischen Produktion aufzuheben. Es scheint also, daß die Werttheorie hier unvereinbar ist mit der wirklichen Bewegung, unvereinbar mit den tatsächlichen Erscheinungen der Produktion und daß daher überhaupt darauf verzichtet werden muß, die letztren zu begreifen. (162) Erläuterungen Wenn Mehrwert und Gewinn nur von den Arbeitskräften stammt, müssten theoretisch Betriebe mit vielen Beschäftigten höhere Gewinne haben. Empirisch entspricht jedoch der Gewinn nicht der Anzahl der eingesetzten Arbeitskräfte, sondern dem jeweils insgesamt eingesetzten konstantem und variablen Kapital. Wäre es anders, könnte eine privatwirtschaftlich organisierte Wirtschaft nicht funktionieren. Marx beschäftigte sich eingehend mit den Überlegungen Ricardos hierzu (MEW 26,3: 64 ff) und formuliert gut verständlich den Ausgangspunkt seiner Argumentation. Den Unternehmen sind die theoretischen Unterscheidungen von konstantem und variablen Kapital, Wert und Mehrwert nicht nur unbekannt, sondern völlig gleichgültig. Die Unternehmer rechnen nicht in Werten sondern mit Preisen, genauer mit Kostpreis (k) und Profit (p). Der Kostpreis ist der Aufwand für Produktionsmittel und Arbeitskräfte (c + v), der Profit ist identisch mit dem Mehrwert (m). Profite entstehen beim Verkauf der Waren, also in der Zirkulationssphäre, sie sind ein Überschuss über die Kosten (c + v). Die Profitrate (m/(c+v)) muss in allen Branchen tendenziell ähnlich sein, sonst käme es zu einer ungleichgewichtigen Produktion, die Versorgung mit den notwendigen Gütern wäre nicht mehr gewährleistet. Das anschauliche Bild des folgenden

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Karl Marx, Das Kapital

Textes spricht von einer Aktiengesellschaft, die auf gleiche Kapitalanteile, den gleichen Gewinn auszahlt. Wie aber entsteht dieser Ausgleich der Profitrate? Offenbar dadurch, dass Werte und Preise differieren. Damit entsteht das Problem, das rechnerische Verhältnis von Werten und Preisen zu erklären (Bader 1975, 336). In der bisherigen Darstellung war die Identität von Werten und Preisen unterstellt worden. Jetzt gilt: der Warenpreis muss keineswegs mit dem Warenwert übereinstimmen, ebenso wenig wie der Profit mit dem Mehrwert oder der Arbeitslohn mit dem Wert der Arbeitskraft. In der Regel weichen Werte und Preise aus vielen Gründen voneinander ab. Aber langfristig muss in einer Volkswirtschaft (solange von Kredit und Außenhandel abstrahiert wird) die Summe der Werte mit der Summe der Preise übereinstimmen, sonst gäbe es Werte, die ohne Arbeit entstanden wären, was axiomatisch ausgeschlossen ist. Trotz der Abweichung der Werte von den Preisen müssen „letztendlich“ die Werte die Preise regulieren, so das theoretische Postulat. Das Rechenmodell des Ausgleichs der Profitrate Nehmen wir fünf verschiedene Produktionsphären mit jedesmal verschiedener organischer Zusammensetzung der in ihnen angelegten Kapitale etwa wie folgt // 164 // Nr.

Kapital

Kapital

Mehrwertrate

I. II. III. IV. V.

80 c 70 c 60 c 85 c 95 c

+ 20 v + 30 v + 40 v + 15 v +5v

100% 100% 100% 100% 100%

Mehrwert 20 30 40 15 5

Produktwert 120 130 140 115 105

Profitrate 20% 30% 40% 15% 5%

Wir haben hier für verschiedne Produktionssphären bei gleichmäßiger Exploitation der Arbeit sehr verschiedne Profitraten, entsprechend der verschiednen organischen Zusammensetzung der Kapitale. (165) ✂. . . Die Preise, die dadurch entstehn, daß der Durchschnitt der verschiednen Profitraten der verschiednen Produktionssphären gezogen und dieser Durchschnitt den Kostpreisen der verschiednen Produktionssphären zugesetzt wird, sind die Produktionspreise. Ihre Voraussetzung ist die Existenz einer allgemeinen Profitrate, und diese setzt wiederum voraus, daß die Profitraten in jeder besondren Produktionssphäre für sich genommen, bereits auf ebensoviel Durchschnittsraten reduziert sind. ✂. . .

3. Das Kapitalistische System

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Infolge der verschiednen organischen Zusammensetzung der in verschiednen Produktionszweigen angelegten Kapitale ✂. . . sind die Profitraten, die in verschiednen Produktionszweigen herrschen, ursprünglich sehr verschieden. Diese verschiednen Profitraten werden durch die Konkurrenz zu einer allgemeinen Profitrate ausgeglichen, welche der Durchschnitt aller dieser verschiednen Profitraten ist. Der Profit, der entsprechend dieser allgemeinen Profitrate auf ein Kapital von gegebner Größe fällt, welches immer seine organische Zusammensetzung, heißt der Durchschnittsprofit. // 167 // Obgleich daher die Kapitalisten der verschiednen Produktionssphären beim Verkauf ihrer Waren die in der Produktion dieser Waren verbrauchten Kapitalwerte zurückziehn, so lösen sie nicht den in ihrer eignen Sphäre bei der Produktion dieser Waren produzierten Mehrwert und daher Profit ein, sondern nur so viel Mehrwert und daher Profit, als vom Gesamtmehrwert oder Gesamtprofit, der vom Gesamtkapital der Gesellschaft in allen Produktionssphären zusammengenommen, in einem gegebnen Zeitabschnitt produziert wird, bei gleicher Verteilung auf jeden aliquoten Teil des Gesamtkapitals fällt. Pro 100 zieht jedes vorgeschoßne Kapital, welches immer seine Zusammensetzung, in jedem Jahr oder andern Zeitabschnitt den Profit, der für diesen Zeitabschnitt auf 100 als den sovielsten Teil des Gesamtkapitals kommt. Die verschiednen Kapitalisten verhalten sich hier, soweit der Profit in Betracht kommt, als bloße Aktionäre einer Aktiengesellschaft, worin die Anteile am Profit gleichmäßig pro 100 verteilt werden und daher für die verschiednen Kapitalisten sich nur unterscheiden nach der Größe des von jedem in das Gesamtunternehmen gesteckten Kapitals, nach seiner verhältnismäßigen Beteiligung am Gesamtunternehmen, nach der Zahl seiner Aktien. (171) ✂. . . Der wirkliche Größenunterschied zwischen Profit und Mehrwert nicht nur zwischen Profitrate und Mehrwertsrate in den besondren Produktionssphären versteckt nun völlig die wahre Natur und den Ursprung des Profits, nicht nur für den Kapitalisten, der hier ein besondres Interesse hat, sich zu täuschen, sondern auch für den Arbeiter. Mit der Verwandlung der Werte in Produktionspreise wird die Grundlage // 177 // der Wertbestimmung selbst dem Auge entrückt. ✂. . . (178) Erläuterungen In der von Marx sorgfältig konstruierten Tabelle beträgt der Durchschnittsprofit 110/5= 22 %. Die Unternehmen erwarten, auf ihr eingesetztes Kapital unabhängig von der organischen Zusammensetzung diesen Durchschnittsprofit erwirtschaften zu können. Ihr Kostpreis (c + v) zuzüglich des Durchschnittsprofits ergibt den Produktionspreis, zu dem die Waren mit Gewinn verkauft werden können.

170 Nr.

Karl Marx, Das Kapital

Kapital

Kapital

Kostpreis

(c+v)+ 22%

Produktwert

Abweichung

I.

80 c

+ 20 v

100

122

120

II.

70 c

+ 30 v

100

122

130

-8

III.

60 c

+ 40 v

100

122

140

-18

IV.

85 c

+ 15 v

100

122

115

+7

V.

95 c

+5v

100

122

105

+17

+2

Der Erlös der Unternehmen liegt über (+ 17) oder unter (- 18) dem Produktwert. Das interessiert die Unternehmen nicht, da sie den Produktwert ohnehin nicht kennen. Der durchschnittliche Ertrag ist höher als der Kostpreis und daher eine ausreichende Motivation für eine gleichgewichtige Produktion. Die Tabellen konstruieren nur das denkbare Resultat, die Beschreibung der notwendigen Prozesse zur Angleichung der Profitraten erfolgt im anschließenden Abschnitt. Das polemische Vorwort von Engels zum zweiten Bande des Kapital 1885 provozierte eine lange Debatte über die Richtigkeit des marxschen Rechenmodells (Quaas 1992). Es war fehlerhaft, wie Böhm – Bawerk (1896) und Bortkiewicz (1906/07) nach Erscheinen des dritten Bandes nachwiesen. Der Kostpreis ist nur eine Addition der Werte c und v und der Durchschnittsprofit nur die durchschnittliche Mehrwertrate. Das Marxsche Verfahren ist nur eine Umverteilung von Werten, für eine Preisrechnung hätte er schon c und v als Preise bestimmen müssen. Im Anschluss an Bortkiewitz wurden zahlreiche mathematische Lösungen diskutiert mit dem Ergebnis, dass mit drei Gleichungen und vier Unbekannten eine Umrechnung im marxschen Sinne möglich ist (Seton 1957). Die weitere ökonomische Debatte (im exklusiv kleinen Kreis) führte im Anschluss an Srafa zum Ergebnis, dass auf dem Boden der marxschen Annahmen die Quantifizierung von Produktionspreisen möglich ist, ohne auf Werte zurückgreifen zu müssen. Physische Mengen von Produktionsmitteln und Arbeitszeiten reichen zur Bestimmung von Produktionspreisen aus. Die Umrechnung von Werten in Preise erscheint daher überflüssig (Heinrich 1999b, 275). Das Ergebnis ist nicht sehr befriedigend. Der Umrechnungsvorschlag von Marx kann als Versuch gelesen werden, den empirischen Begriffen Produktionspreis, Kostpreis, Profit die nichtempirischen Begriffe Wert, variables und konstantes Kapital und Mehrwert zuzuordnen und eine Erklärung zu formulieren, warum der innere Zusammenhang dieser beiden Begriffsebenen sich der Beobachtung entzieht. Zugleich wusste

3. Das Kapitalistische System

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er wohl, dass ihm der quantitative Nachweis nicht gelungen war (Heinrich 1999b, 283). Die Realität der Konkurrenz Die Fragestellung ✂. . . Es ist klar, daß der Durchschnittsprofit nichts sein kann als die Gesamtmasse des Mehrwerts, verteilt auf die Kapitalmassen in jeder Produktionssphäre nach Verhältnis ihrer Größen. ✂. . . Die eigentlich schwierige Frage ist hier die: wie diese Ausgleichung der Profite zur allgemeinen Profitrate vorgeht, da sie offenbar ein Resultat ist und nicht ein Ausgangspunkt sein kann. // 183// Technologischer Marktwert und nachfragebedingter Marktpreis ✂. . . Was die Konkurrenz, zunächst in einer Sphäre, fertigbringt, ist die Herstellung eines gleichen Marktwerts und Marktpreises aus den verschiednen individuellen Werten der Waren. Die Konkurrenz der Kapitale in den verschiednen Sphären aber bringt erst hervor den Produktionspreis, der die Profitraten zwischen den verschiednen Sphären egalisiert. Zu dem letztren ist höhere Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise erheischt als zu dem frühern. Damit Waren derselben Produktionssphäre, derselben Art und annähernd derselben Qualität zu ihren Werten verkauft werden, ist zweierlei nötig: Erstens müssen die verschiednen individuellen Werte zu einem gesellschaftlichem Wert, dem oben dargestellten Marktwert, ausgeglichen sein, und dazu ist eine Konkurrenz unter den Produzenten derselben Art Waren erfordert, ebenso wie das Vorhandensein eines Markts, auf dem sie gemeinsam ihre Waren ausbieten. //190// ✂. . . Nimm nun an, die große Masse dieser Waren sei ungefähr unter denselben normalen gesellschaftlichen Bedingungen produziert, ✂. . . dann ist der Marktwert bestimmt durch den Wert der unter mittlern Bedingungen produzierten Waren. Der Wert der gesamten Warenmasse ist gleich der wirklichen Summe der Werte aller einzelnen Waren zusammengenommen, sowohl deren, die innerhalb der mittlern Bedingungen, als deren, die unter oder über ihnen produziert sind. In diesem Fall ist der Marktwert oder der gesellschaftliche Wert der Warenmasse die notwendig in ihnen enthaltne Arbeitszeit bestimmt durch den Wert der großen mittlern Masse. //192 // ✂. . . Die Grenzen, worin das auf dem Markt repräsentierte Bedürfnis für Waren – die Nachfrage – quantitativ verschieden ist von dem wirklichen gesellschaftlichen Bedürfnis, ist natürlich für verschiedne Waren sehr ver-

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Karl Marx, Das Kapital

schieden; ich meine die Differenz zwischen dem verlangten Quantum Waren und dem Quantum, das verlangt würde mit andren Geldpreisen der Ware oder andren Geld – resp. Lebensverhältnissen der Käufer. Es ist nichts leichter, als die Ungleichmäßigkeiten von Nachfrage und Zufuhr einzusehn und die daraus folgende Abweichung der Marktpreise von den Marktwerten. Die eigentliche Schwierigkeit besteht in der Bestimmung dessen, was unter Deckung von Nachfrage und Zufuhr zu verstehn ist. //199 // Die Wirkung von Angebot und Nachfrage ✂. . . Bestimmt Nachfrage und Zufuhr den Marktpreis, so andrerseits der Marktpreis und in weitrer Analyse der Marktwert die Nachfrage und Zufuhr. Bei der Nachfrage ist dies augenscheinlich, da diese sich in umgekehrter Richtung zum Preise bewegt, zunimmt, wenn dieser fällt, und umgekehrt. Aber auch bei der Zufuhr. Denn die Preise der Produktionsmittel, die in die zugeführte Ware eingehn, bestimmen die Nachfrage nach diesen Produktionsmitteln und daher auch die Zufuhr der Waren, deren Zufuhr die Nachfrage nach jenen Produktionsmitteln einschließt. Die Baumwollpreise sind bestimmend für die Zufuhr von Baumwollstoffen. //200// Damit eine Ware zu ihrem Marktwert verkauft wird, d. h. im Verhältnis zu der in ihr enthaltnen gesellschaftlich notwendigen Arbeit, muß das Gesamtquantum gesellschaftlicher Arbeit, welches auf die Gesamtmasse dieser Warenart verwandt wird, dem Quantum des gesellschaftlichen Bedürfnisses für sie entsprechen, d. h. des zahlungsfähigen gesellschaftlichen Bedürfnisses. Die Konkurrenz, die Schwankungen der Marktpreise, die den Schwankungen des Verhältnisses von Nachfrage und Zufuhr entsprechen, suchen beständig das Gesamtquantum der auf jede Warenart verwandten Arbeit auf dieses Maß zu reduzieren. (202) Zusammenfassende Darstellung der Konkurrenz Werden die Waren aber zu ihren Werten verkauft, so entstehn, // 205 // wie entwickelt, sehr verschiedne Profitraten in den verschiednen Produktionssphären, je nach der verschiednen organischen Zusammensetzung der darin angelegten Kapitalmassen. Das Kapital entzieht sich aber einer Sphäre mit niedriger Profitrate und wirft sich auf die andre, die höheren Profit abwirft. Durch diese beständige Aus- und Einwandrung, mit einem Wort, durch seine Verteilung zwischen den verschiednen Sphären, je nachdem dort die Profitrate sinkt, hier steigt, bewirkt es solches Verhältnis der Zufuhr zur Nachfrage, daß der Durchschnittsprofit in den verschiednen Produktionssphären derselbe wird und daher die Werte sich in Produktionspreise verwandeln.

3. Das Kapitalistische System

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✂. . . Die beständige Ausgleichung der beständigen Ungleichheiten vollzieht sich um so rascher, 1. je mobiler das Kapital, d. h. je leichter es übertragbar ist von einer Sphäre und von einem Ort zum andern; 2. je rascher die Arbeitskraft von einer Sphäre in die andre und von einem lokalen Produktionspunkt auf den andren werfbar ist. // 206 // ✂. . . Weitre Ausführungen hierüber gehören in die Spezialuntersuchung der Konkurrenz. //207// Erläuterungen Der gegenüber der MEW extrem gekürzte Text skizziert die Konkurrenz in sehr abstrakter Weise und macht dabei bis heute gültige Annahmen zum Modell der vollständigen Konkurrenz (Bader 1975, 270-345). Die Klassische Ökonomie hatte sich nicht mit der Beschreibung des Wettbewerbs befasst (Schumperter 1965, 667). Es wird eine vollständige Mobilität des Kapitals unterstellt. Das heißt im einzelnen: Handel und Kreditsystem sind voll entwickelt, es besteht vollständige Marktinformation aller Produzenten und Konsumenten. Ferner wird die Abwesenheit aller Monopole, jeglicher außerökonomischen Gewalt, und das Fehlen staatlicher Intervention unterstellt. Vorausgesetzt wird ferner, dass alle Warenarten beliebig verfügbar und produzierbar sind, dass es kein Problem bereitet, Arbeitskräfte bestimmter Qualifikation zu erhalten und keine einschränkenden Naturbedingungen für bestimmte Produktionen gibt. In dem Modell vollständiger Konkurrenz wird weiterhin unterstellt, dass die Lohnarbeiter vollkommen mobil sind, und keine politischen oder juristischen Schranken für den Wechsel der Beschäftigung bestehen. Um den Prozess der Konkurrenz verständlich zu machen, entwirft Marx abstrakte Entstehungsstadien des endgültigen Verkaufspreises, die durch die Begriffe Wert, Marktwert, Marktpreis und Marktproduktionspreis (oft nur Produktionspreis) gekennzeichnet sind. Diese Trennung ist rein analytisch, da alle Prozesse nebeneinander herlaufen. Der Durchschnittsprofit ist ein ständig wechselndes Resultat, er ist nicht geplant, er ist kein Ausgangspunkt für die Preiskalkulation der Unternehmen. (MEW 25, 183). Die Unternehmen kennen nur Preise, die immer schon Produktionspreise sind. Der Preis (= Marktpreis) eines Produkts wird von dem Marktführer vorgegeben, der in der Regel über die kostengünstigsten technischen Produktionsbedingungen verfügt. Dieser Preis oszilliert um den Marktwert oder Wert des Produkts, entspricht also der durchschnittlich gesellschaftlich notwendigen Arbeit, die zu seiner Herstellung erforderlich ist. Der Wert ist dem Unternehmen unbekannt. Eine Preissenkung wird durch Verbesserung der Herstellungsmethoden des Produkts oder seiner Vorprodukte ermöglicht.

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Karl Marx, Das Kapital

Das Unternehmen erzielt solange einen Extraprofit, bis die konkurrierenden Unternehmen nachgezogen haben. Ob die in einer Branche erzeugten Waren zu dem Preis verkauft werden können, der dem hypothetischen Marktwert entspricht, hängt davon ab, ob diese Waren auf eine entsprechende zahlungsfähige Nachfrage treffen. Entsprechend der Nachfrage schwanken die Marktpreise und weichen von den hypothetischen Marktwerten ab, jedoch kommt dem Angebot die entscheidende Bedeutung zu. Fallen die Produktionskosten, weitet sich der Markt aus. Steigen sie, verengt sich der Markt. Nachfrage und Zufuhr erklären also nur die zeitweise Abweichung der Markpreise von den hypothetischen Marktwerten (MEW 25, 190-99). Der Anreiz für die Kapitalbewegungen zwischen den Branchen geht von den Marktpreisen aus, je nach der Erwartung, wo die Profitrate sinkt oder steigt, bewirken die Kapitalbewegungen, dass sich der Durchschnittsprofit in den verschiedenen Produktionssphären angleicht. Dies gelingt um so eher, je höher die kapitalistische Entwicklung in einer gegebenen nationalen Gesellschaft ist und die realen Konkurrenzbedingungen dem Modell entsprechen. Was ist das Ergebnis dieser verwickelten Darlegungen. Marx stellt sich den empirischen Befunden. Die Erklärung der realen Vorgänge mittels der Arbeitsmengentheorie ist mühsam. Es soll gezeigt werden, dass der Tausch äquivalenter Arbeitsmengen, der Werte, letztendlich das Geschehen regelt. Der Weg führt über die Preise, die meist von den Werten abweichen, aber auf Dauer, ohne dass die Produzenten das merken, das Gleichgewicht der Werte herbeiführen. Produktionswerte und Verkaufspreise, Marktwerte und Marktpreise sollen auf Dauer übereinstimmen. Das ausbleibende Gleichgewicht zeigt sich in zeitweiligen Krisen. Kernstück der Beweisführung musste daher das quantitative, berechenbare Verhältnis von Werten und Preisen sein. Vermutlich wusste Marx, dass er dieses Problem nicht gelöst hatte.

3.6. Kapitalismus und Krise MEW 25, 223-242 Der tendenzielle Fall der Profitrate ✂. . . Es ist ebenso nur ein andrer Ausdruck für die fortschreitende Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkraft der Arbeit, die sich grade darin zeigt, daß vermittelst der wachsenden Anwendung von Maschinerie und fixem Kapital überhaupt mehr Roh- und Hilfsstoffe von derselben Anzahl Arbeiter in derselben Zeit, d. h. mit weniger Arbeit in Produkte verwandelt

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werden. Es entspricht diesem wachsenden Wertumfang des konstanten Kapitals – obgleich er nur entfernt das Wachstum in der wirklichen Masse der Gebrauchswerte darstellt, aus denen das konstante Kapital stofflich besteht – eine wachsende Verwohlfeilerung des Produkts. Jedes individuelle Produkt, für sich betrachtet, enthält eine geringre Summe von Arbeit als auf niedrigem Stufen der Produktion, wo das in Arbeit ausgelegte Kapital in ungleich größrem Verhältnis steht zu dem in Produktionsmitteln ausgelegten. Die im Eingang hypothetisch aufgestellte Reihe drückt also die wirkliche // 222 // Tendenz der kapitalistischen Produktion aus. Diese erzeugt mit der fortschreitenden relativen Abnahme des variablen Kapitals gegen das konstante eine steigend höhere organische Zusammensetzung des Gesamtkapitals, deren unmittelbare Folge ist, daß die Rate des Mehrwerts bei gleichbleibendem und selbst bei steigendem Exploitationsgrad der Arbeit sich in einer beständig sinkenden allgemeinen Profitrate ausdrückt. (223) ✂. . . Also dieselbe Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkraft der Arbeit drückt sich im Fortschritt der kapitalistischen Produktionsweise aus einerseits in einer Tendenz zu fortschreitendem Fall der Profitrate und andrerseits in beständigem Wachstum der absoluten Masse des angeeigneten Mehrwerts oder Profits; so daß im ganzen der relativen Abnahme des variablen Kapitals und Profits eine absolute Zunahme beider entspricht. Diese doppelseitige Wirkung kann sich, wie gezeigt, nur darstellen in einem Wachstum des Gesamtkapitals in rascherer Progression als die, worin die Profitrate fällt. ✂. . . Die steigende Produktivkraft der Arbeit erzeugt also, auf kapitalistischer Grundlage, mit Notwendigkeit eine permanente scheinbare Arbeiterübervölkerung. ( 233) ✂. . . Wenn man die enorme Entwicklung der Produktivkräfte der gesellschaftlichen Arbeit selbst nur in den letzten 30 Jahren, verglichen mit allen frühern Perioden, betrachtet, wenn man namentlich die enorme Masse von fixem Kapital betrachtet, das außer der eigentlichen Maschinerie in die Gesamtheit des gesellschaftlichen Produktionsprozesses eingeht, so tritt an die Stelle der Schwierigkeit, welche bisher die Ökonomen beschäftigt hat, nämlich den Fall der Profitrate zu erklären, die umgekehrte, nämlich zu erklären, warum dieser Fall nicht größer oder rascher ist. Es müssen gegenwirkende Einflüsse im Spiel sein, welche die Wirkung des allgemeinen Gesetzes durchkreuzen und aufheben und ihm nur den Charakter einer Tendenz geben, weshalb wir auch den Fall der allgemeinen Profitrate als einen tendenziellen Fall bezeichnet haben. (242) Erläuterungen Der Fall der Profitrate gehörte zum Lehrbestand der Klassischen Ökonomie. Marx sucht darüber hinaus die Grenzen des kapitalistischen Systems nachzuweisen. Die Schranke der kapitalistischen Produktion

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tritt darin hervor, dass die Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit im Fall der Profitrate ein Gesetz erzeugt, das ihrer eigenen Entwicklung auf einem gewissen Punkt feindlichst gegenübertritt (MEW 25, 268). Marx nennt dieses Gesetz das in jeder Beziehung wichtigste Gesetz der modernen politischen Ökonomie: die kapitalistische Produktionsweise steuert in ihrem Entwicklungsgang ihrem selbsterzeugten Ende zu. Dieselbe Gesetzlichkeit, mit der Kapitalismus sich entwickelt führt zu seinem Untergang. Es wird ein Ziel – Mittel Konflikt formuliert. Das Mittel: Entwicklung der Produktivkräfte, ist dem Ziel: Verwertung des Kapitals inadäquat. Der Kapitalismus wird seine Probleme nicht lösen können (Bader 1975, 390-394). Marx will den Nachweis in rein theoretischer Weise führen. Eine bloß statistische Begründung wäre für ihn kein ausreichender Nachweis der historischen Begrenztheit des Kapitalismus (Kößler/Wienold 2001, 49). In seiner allgemeinsten Formulierung heißt das Gesetz: mit der Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise fällt die Rate des Profits (MEW 25, 268). Mag auch die Gesamtsumme des Mehrwerts stetig wachsen, so nimmt doch das Verhältnis des Mehrwerts zum konstanten Kapital ständig ab, weil das konstante Kapital rascher wächst als der Mehrwert (MEW 25, 252). Wären nicht entgegenwirkende Einflüsse im Spiel, die die Wirkung des allgemeinen Gesetzes durchkreuzen und aufheben und ihm nur den Charakter einer Tendenz geben (MEW 25, 242), so würde der Prozess der kapitalistischen Produktion bald zum Erliegen kommen. Die Formulierung des Gesetzes beinhaltet verschiedene Voraussetzungen. Das Gesetz handelt vom Fall nationaler Profitraten und berücksichtigt nicht den Weltmarkt. Es handelt vom Fall der Durchschnittsprofitrate, nicht der Profitraten in einzelnen Branchen. Von einer möglichen Veränderung der Profitrate durch das Handelskapital und durch Preisbewegungen wird abstrahiert. Marx hat auf unterschiedlichen Wegen eine Begründung unternommen, die jedoch nicht stichhaltig ist (Heinrich 1999, 330). Eine Begründungsvariante nimmt ihren Ausgang vom Zusammenhang von organischer Zusammensetzung des Kapitals und Mehrwertrate. Dieser ist formelhaft darstellbar. Die Profitrate ist : p=

m ––––– c+v

geteilt durch v:

p=

m/v ––––– c/v + 1

m/v ist die Mehrwertrate, c/v die organische Zusammensetzung des Kapitals. Sinkt v, wird c/v größer und die Profitrate fällt.

3. Das Kapitalistische System

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Die Formel behauptet, was eigentlich bewiesen werden müsste, dass die steigende organische Zusammensetzung des Kapitals durch eine steigende Mehrwertrate nicht kompensiert werden kann. Bei wachsender Produktivität entfällt weniger Wert auf die einzelnen Waren, sie werden billiger. Es muss bei gleichem Output weniger c und v eingesetzt werden. Für einen allgemeinen Nachweis müsste gezeigt werden, dass c/v wirklich steigt und die Steigerung durch m/v nicht kompensiert werden kann. Dazu müsste ein quantitativer Faktor angegeben werden können, wie sich eine Produktivitätssteigerung unter allen denkbaren Umständen anteilig auf c und v auswirkt. Dieser Nachweis ist in allgemein gültiger Weise nicht möglich. Derselbe Einwand gilt auch für die anderen Begründungsvarianten (Heinrich 1999b, 333-341). Selbst wenn die Zunahme von c und der Fall der Profitrate empirisch beobachtbar wäre, ist eine notwendige Entwicklungsrichtung mit dem von Marx eingeschlagenen Verfahren unbeweisbar. Die marxsche „Krisentheorie“ Marx hat sich an verschiedenen Stellen seines Werkes zur Krise geäußert, aber nie eine zusammenhängende Darstellung verfasst. Die Texte, die Engels im dritten Band des Kapitals zusammenstellte (MEW 25, 251-278) enthalten sehr unterschiedliche theoretische Ansätze und müssen als unfertige Vorüberlegungen zu einer Krisentheorie betrachtet werden. In den später entstandenen Texten des ersten Bandes hat sich daher Marx sehr vorsichtig über die Möglichkeiten einer Krisentheorie geäußert (MEW 23, 128). Marx hatte die verschiedenen industriellen Krisen England 1825, 1836, 1845/47 studiert und die Krise 1857/58 vorausgesagt. Insbesondere für die Krise von 1857 erwartete er revolutionäre Erhebungen. Nachdem es zu einer raschen Überwindung der Krise kam, gab Marx die Verknüpfung von Krise und Revolution auf und sprach nicht mehr von einem Zusammenbruch des Kapitalismus aufgrund von Krisen (Heinrich 1999b, 346-351). Die wichtigsten Aussagen von Marx zu Krisen sind folgende: Der allgemeinste Grund der Krise ist die widersprüchliche Einheit von Gebrauchswert und Tauschwert der Ware. Der Gebrauchswert erfüllt nur ein gesellschaftliches Bedürfnis, wenn die Ware verkauft wird und ihr Tauschwert sich realisiert. Aber niemand kann kaufen ohne vorher verkauft zu haben. Das Auseinanderfallen von Kauf und Verkauf, von privater und gesellschaftlicher Arbeit schließt die Möglichkeit von Kri-

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Karl Marx, Das Kapital

sen ein. Diese allgemeine Möglichkeit von Krisen erklärt aber nicht Entstehung und Verlauf konkreter Krisen. Marx weiß, „die reale Krisis kann nur aus der realen Bewegung der kapitalistischen Produktion, Konkurrenz und Kredit dargestellt werden. . die. . nicht in seinem bloßen Dasein als Ware und Geld eingeschlossen sind“ (MEW 26, 2, 513). Krisen sind für ihn nicht bloße Disproportionskrisen, also ungleichgewichtige Produktion in verschiedenen Wirtschaftssektoren, die leicht überwunden werden können (Schumpeter 1942, 71 ff). Über einen langen Zeitraum scheint Marx überzeugt gewesen zu sein, dass die eigentliche Ursache der Krisen die fehlende Kaufkraft der Bevölkerung sei: zu geringe Löhne erzeugen „Unterkonsumtionskrisen“, die zu „Überproduktionskrisen“ führen. Marx sah jedoch zunehmend, dass auch diese Form der Krise mit kapitalistischen Mitteln lösbar war: Vernichtung oder Entwertung des konstanten Kapitals, Erhöhung der Produktivität durch Anwendung neuer Maschinen und verbesserter Arbeitsmethoden oder Entlassung von Arbeitskräften. Mit solchen Maßnahmen könne in einer Krise eine spätere Erweiterung der Produktion erfolgreich vorbereitet werden (MEW 25, 265). Daher scheint Marx schließlich die Unterkonsumtionstheorie verlassen zu haben (Heinrich 1999b, 366). Nicht allein die Konsumnachfrage der Bevölkerung, sondern auch der Umfang der Investitionsnachfrage der Unternehmen sei für die Verwertungsmöglichkeiten des Kapitals wichtig. Marx hat jedoch diese Überlegungen nicht zu Ende geführt. Dazu hätte er die Rolle des Kredits, der Geldmengensteuerung und der Staatsintervention aufarbeiten müssen, was er zwar plante, aber nicht mehr ausführte (Bader 1975, 2, 417).

3.7. Das Handelskapital MEW 25, 278-349 „Unproduktiver“ Charakter des Handelskapitals Das Kaufmannskapital ist nichts als innerhalb der Zirkulationssphäre fungierendes Kapital. Der Zirkulationsprozeß ist eine Phase des gesamten Reproduktionsprozesses. Aber im Zirkulationsprozeß wird kein Wert produziert, // 290 // also auch kein Mehrwert. Es gehn nur Formveränderungen derselben Wertmasse vor. Es geht in der Tat nichts vor als die Metamorphose der Waren, die als solche mit Wertschöpfung oder Wertveränderung nichts zu tun hat. Wird beim Verkauf der produzierten Ware ein Mehrwert realisiert, so, weil dieser bereits in ihr existiert; bei dem zweiten Akt, dem Rückaustausch des Geldkapitals gegen Ware (Produktionselemente), wird daher auch vom

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Käufer kein Mehrwert realisiert, sondern hier nur durch Austausch des Geldes gegen Produktionsmittel und Arbeitskraft die Produktion des Mehrwerts eingeleitet. ✂. . . Funktionen des Handelskapitals Das Kaufmannskapital schafft daher weder Wert noch Mehrwert, d. h. nicht direkt. Sofern es zur Abkürzung der Zirkulationszeit beiträgt, kann es indirekt den vom industriellen Kapitalisten produzierten Mehrwert vermehren helfen. Soweit es den Markt ausdehnen hilft und die Teilung der Arbeit zwischen den Kapitalen vermittelt, also das Kapital befähigt, auf größrer Stufenleiter zu arbeiten, befördert seine Funktion die Produktivität des industriellen Kapitals und dessen Akkumulation. Soweit es die Umlaufszeit abkürzt, erhöht es das Verhältnis des Mehrwerts zum vorgeschoßnen Kapital, also die Profitrate. Soweit es einen geringern Teil des Kapitals als Geldkapital in die Zirkulationssphäre einbannt, vermehrt es den direkt in der Produktion angewandten Teil des Kapitals. (MEW 25, 291) Teilhabe des Kaufmannskapital am Durchschnittsprofit Dennoch, da die Zirkulationsphase des industriellen Kapitals ebensosehr eine Phase des Reproduktionsprozesses bildet wie die Produktion, muß das im Zirkulationsprozeß selbständig fungierende Kapital ebensosehr den jährlichen Durchschnittsprofit abwerfen wie das in den verschiednen Zweigen der Produktion fungierende Kapital. Würfe das Kaufmannskapital einen höhern prozentigen Durchschnittsprofit ab als das industrielle Kapital, so würde sich ein Teil des industriellen Kapitals in Kaufmannskapital verwandeln. Würfe es einen niedrigem Durchschnittsprofit ab, so fände der umgekehrte Prozeß statt. Ein Teil des Kaufmannskapitals würde sich in industrielles verwandeln. Keine Kapitalgattung hat größre Leichtigkeit, ihre Bestimmung, ihre Funktion zu ändern, als das Kaufmannskapital. Da das Kaufmannskapital selbst keinen Mehrwert erzeugt, so ist klar, daß der Mehrwert, der in der Form des Durchschnittsprofits auf es fällt, einen Teil des von dem gesamten produktiven Kapital erzeugten Mehrwerts bildet. Aber die Frage ist nun die: Wie zieht das Kaufmannskapital den ihm zufallenden Teil des vom produktiven Kapital erzeugten Mehrwerts oder Profits an sich? (MEW 25, 293 ) Industrieller Profit und kommerzieller Profit ✂. . . In der Durchschnittsprofitrate ist bereits der auf das Handelskapital fallende Teil des Gesamtprofits eingerechnet. Der wirkliche Wert oder Produktionspreis des gesamten Warenkapitals ist daher = k + p + h (wo h der kommerzielle Profit). Der Produktionspreis oder der Preis, wozu der indust-

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rielle Kapitalist als solcher verkauft, ist also kleiner als der wirkliche Produktionspreis der Ware; oder, wenn wir die Gesamtheit der Waren betrachten, so sind die Preise, wozu die industrielle Kapitalistenklasse sie verkauft, kleiner als ihre Werte. ✂. . . Wir wollen den Ausdruck Produktionspreis in dem oben entwickelten nähern Sinn beibehalten. Es ist dann klar, daß der Profit des industriellen Kapitalisten gleich dem Überschuß des Produktionspreises der Ware über ihren Kostpreis und daß, im Unterschied von diesem industriellen Profit, der kommerzielle Profit gleich dem Überschuß des Verkaufspreises über den Produktionspreis der Ware, welcher ihr Kaufpreis für den Kaufmann ist; daß aber der wirkliche Preis der Ware = ihrem Produktionspreise + dem merkantilen (kommerziellen) Profit ist. Wie das industrielle Kapital nur Profit realisiert, der als Mehrwert schon im Wert der Ware steckt, so das Handelskapital nur, weil der ganze Mehrwert oder Profit noch nicht realisiert ist in dem vom industriellen Kapital realisierten Preis der Ware. Der Verkaufspreis des Kaufmanns steht so über dem Einkaufspreis, nicht weil jener über, sondern weil dieser unter dem Totalwert steht. Das Kaufmannskapital geht also ein in die Ausgleichung des Mehrwerts zum Durchschnittsprofit, obgleich nicht in die Produktion dieses Mehrwerts. Daher enthält die allgemeine Profitrate bereits den Abzug vom Mehrwert, der dem Kaufmannskapital zukommt, also einen Abzug vom Profit des industriellen Kapitals. (MEW 25, 297) ✂. . . Zirkulationskosten Dies ist jedoch nur richtig, wenn wie bisher angenommen wird, daß der Kaufmann keine Unkosten hat oder daß er außer dem Geldkapital, das er vorschießen muß, um die Ware vom Produzenten zu kaufen, kein andres Kapital, zirkulierendes oder fixes, im Prozeß der Metamorphose der Waren, des Kaufens und Verkaufens vorzuschießen hat. Dem ist jedoch nicht so, wie man gesehn hat bei Betrachtung der Zirkulationskosten (Buch II, Kap. VI). Und diese Zirkulationskosten stellen sich dar, teils als Kosten, die der Kaufmann zu reklamieren hat von andren Zirkulationsagenten, teils als Kosten, die direkt aus seinem spezifischen Geschäft hervorgehn. ✂. . . //299// Die rein kaufmännischen Zirkulationskosten (also mit Ausschluß der Kosten für Spedition, Transport, Aufbewahrung etc.) lösen sich auf in die Kosten, die nötig sind, um den Wert der Ware zu realisieren, ihn, sei es aus Ware in Geld oder aus Geld in Ware zu verwandeln, ihren Austausch zu vermitteln. Es wird dabei gänzlich abgesehn von etwaigen Produktionsprozessen, die während des Zirkulationsakts fortdauern ✂. . . //299// Der Fuhrunternehmer, der Eisenbahndirigent, der Schiffsreeder sind keine „Kaufleute“. Die Kosten, die wir hier betrachten, sind die des Kaufens und die des Verkaufens. (300)

3. Das Kapitalistische System

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Die Rolle der Lohnarbeit in der Zirkulation Es fragt sich jetzt: Wie verhält es sich mit den kommerziellen Lohnarbeitern, die der kaufmännische Kapitalist, hier der Warenhändler, beschäftigt? Nach einer Seite hin ist ein solcher kommerzieller Arbeiter Lohnarbeiter wie ein andrer. // 303 // ✂. . . Da der Kaufmann als bloßer Zirkulationsagent weder Wert noch Mehrwert produziert ✂. . . , so können auch die von ihm in denselben Funktionen beschäftigten merkantilen Arbeiter unmöglich unmittelbar Mehrwert für ihn schaffen. // 304 // ✂. . . Die Funktion selbst, kraft deren sein Geld Kapital ist, läßt der kaufmännische Kapitalist großenteils durch seine Arbeiter verrichten. Die unbezahlte Arbeit dieser Kommis, obgleich sie nicht Mehrwert schafft, schafft ihm aber Aneignung von Mehrwert, was für dies Kapital dem Resultat nach ganz dasselbe; sie ist also für es Quelle des Profits. Das kaufmännische Geschäft könnte sonst nie auf großer Stufenleiter, nie kapitalistisch betrieben werden. (305) Die Wirkung der Umschlagsgeschwindigkeit auf die Preise ✂. . . Der Profit des Kaufmanns ist bestimmt, nicht durch die Masse des Warenkapitals, das er umschlägt, sondern durch die Größe des Geldkapitals, das er zur Vermittlung dieses Umschlags vorschießt. Ist die allgemeine Jahresprofitrate 15% und schießt der Kaufmann 100 Pfd. St. vor, so, wenn sein Kapital einmal im Jahr umschlägt, wird er seine Ware zu 115 verkaufen. Schlägt sein Kapital fünfmal im Jahr um, so wird er ein Warenkapital zum Einkaufspreis von 100 fünfmal im Jahr zu 103 verkaufen, also im ganzen Jahr ein Warenkapital von 500 zu 515. Dies macht aber auf sein vorgeschoßnes Kapital von 100 nach wie vor einen Jahresprofit von 15. Wäre dies nicht der Fall, so würfe das Kaufmannskapital, im Verhältnis zur Zahl seiner Umschläge, viel höhern Profit ab als das industrielle Kapital, was dem Gesetz der allgemeinen Profitrate widerspricht. // 323 // ✂. . . Folgen für die Theoriebildung Es scheint namentlich, durch diesen Einfluß der Umschläge, als ob der Zirkulationsprozeß als solcher die Preise der Waren bestimme, unabhängig, innerhalb gewisser Grenzen, vom Produktionsprozeß. Alle oberflächlichen und verkehrten Anschauungen des Gesamtprozesses der Reproduktion sind der Betrachtung des Kaufmannskapitals entnommen und den Vorstellungen, die seine eigentümlichen Bewegungen in den Köpfen der Zirkulationsagenten hervorrufen. Wenn, wie der Leser zu seinem Leidwesen erkannt hat, die Analyse der wirklichen, innern Zusammenhänge des kapitalistischen Produktionsprozesses ein sehr verwickeltes Ding und

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eine sehr ausführliche Arbeit ist; wenn es ein Werk der Wissenschaft ist, die sichtbare, bloß erscheinende Bewegung auf die innere wirkliche Bewegung zu reduzieren, so versteht es sich ganz von selbst, daß in den Köpfen der kapitalistischen Produktions- und Zirkulationsagenten sich Vorstellungen über die Produktionsgesetze bilden müssen, die von diesen Gesetzen ganz abweichen, und nur der bewußte Ausdruck der scheinbaren Bewegung sind. Die Vorstellungen eines // 324 // Kaufmanns, Börsenspekulanten, Bankiers sind notwendig ganz verkehrt. Die der Fabrikanten sind verfälscht durch die Zirkulationsakte, denen ihr Kapital unterworfen ist, und durch die Ausgleichung der allgemeinen Profitrate. // 325 // Erläuterungen Marx wollte dem Handel ein eigenes Buch des Kapitals widmen. Die umfangreichen Manuskripte, die Engels für den dritten Band des Kapitals redigierte (MEW 25, 278-349) beschäftigen sich vorwiegend mit dem Problem, wie die empirisch wahrnehmbaren Warenpreise mit den allgemeinen Annahmen der Werttheorie vereinbar sind, also trotz ihrer unbestrittenen Abweichung von den Werten letztendlich von den Werten reguliert werden. Die wichtigen Funktionen des Handels für die kapitalistische Produktion werden kurz aufgezählt (MEW 25, 291). Es gilt die Voraussetzung, dass im Zirkulationssektor durch das Kaufmannskapital kein Mehrwert entsteht, sondern lediglich der Mehrwert in Geld zurückverwandelt wird. Der Text betont, dass damit der Begriff des Handelskapitals sehr eng gefaßt ist. Produktionen innerhalb des Zirkulationssektors zählen nicht zum Handelskapital, Fuhrunternehmer, Eisenbahndirigenten, Schiffsreeder sind keine Kaufleute (MEW 25, 300). Dasselbe gilt analog für andere Produktionen im Zirkulationssektor wie Werbeagenturen, Versicherungsbüros etc. Die Abgrenzung ist somit rein theoretisch, da es in der Realität wenige Unternehmen gibt, die ausschließlich mit dem An- und Verkauf von Waren beschäftigt sind. Der Text erinnert auch nochmals daran, dass voraussetzungsgemäß auch die Lohnarbeit im Zirkulationssektor keinen Mehrwert schafft. Selbstverständlich gibt es auch hier unbezahlte Arbeit, ihre Funktion ist jedoch, die Kosten des Handels zu senken und damit den vom Industriekapital übernommenen Mehrwertanteil in größtmöglichem Umfang den Handelskapitalisten zukommen zu lassen. Auch diese Feststellung hat nur theoretische Bedeutung. Eine Kaufhausangestellte an der Kasse verwandelt Ware in Geld, dieselbe Angestellte leistet beim Einräumen des Warenregals produktive Transportarbeit. Das Kaufmannskapital wird theoretisch als verselbstständigter Teil des Industriekapitals angesehen, obschon die historische Entwicklung

3. Das Kapitalistische System

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anders verlief (MEW 25, 298). Ein Industriebetrieb könnte seine Produkte selbst verkaufen, dann fiele ihm der gesamte Mehrwert zu. Überträgt der Industriebetrieb den Verkauf seiner Produkte einem Handelsunternehmen, gibt es seine Produkte mit einem Abschlag (= Großhandelspreis) an den Handel ab. Der Handel erwirtschaftet beim Verkauf der Waren nur den Abschlag, also den von dem Industriebetrieb produzierten Mehrwert. Das ist der Ausgangspunkt aller folgenden Argumente. Für das Kaufmannskapital müssen dieselben Verwertungsbedingungen gelten wie für das produzierende Kapital, sonst würde rasch ein Ungleichgewicht zwischen kaufmännischem und Industriekapital entstehen. In den hier weggelassenen Texten stellt Marx Modellrechnungen vor (MEW 25, 296 f), wie der Handel die durchschnittliche Profitrate erzielen kann. Daher unterscheidet der Text den Produktionspreis vom wirklichen Produktionspreis der Ware. Der Produktionspreis ist der Großhandelspreis, zu dem der Industriekapitalist seine Produkte an den Kaufmann abgibt, der wirkliche Produktionspreis ist der Endverkaufspreis des Kaufmanns. Die Modellrechnungen werden nochmals dadurch modifiziert, dass der Handel nicht nur Kapital zum Ankauf von Waren, sondern zusätzliches Betriebskapital einsetzt, das ebenfalls die Durchschnittsprofitrate erwirtschaften muss. Das Ergebnis der Rechnungen lautet: durch die Beteiligung des Handels sinkt der Durchschnittsprofit für alle Beteiligten, aber die Waren werden nicht über Wert verkauft. Alle Preisbewegungen bleiben im Rahmen des Gesamtwerts der Waren c + v + m. Gegen die Modellrechnungen lassen sich dieselben Einwände erheben wie gegen die Darstellung der Durchschnittsprofitrate. Gerechnet wird hier mit Werten, nicht mit Preisen. Der Text endet mit der Feststellung, dass die Preisbildung des Handels sich gegen die theoretische Deutung durch die Mehrwertheorie sperrt. Besonders deutlich zeigt sich das am Einfluss der Umschlagsgeschwindigkeit auf die Warenpreise. Werte und Preise haben keinen erkennbaren Zusammenhang mehr. Die Beweisführung für die Theorie kann nicht empirisch sein, und muss dennoch die Verträglichkeit mit den empirischen Befunden erklären. Trotz der polemischen Ausdrucksweise erhebt der Text keine Vorwürfe gegen die Vorstellungen der Kaufleute, Börsenspekulanten und Bankiers, sondern attestiert, dass sie notwendig verkehrt seien. Der Text deutet damit an, dass die Analyse der wirklichen, inneren Zusammenhänge gegebenenfalls auch nicht gelingen könnte.

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3.8. Das zinstragende Kapital MEW 25, 350-450 Besonderheiten des Leihkapitals ✂. . . Was wird beim gewöhnlichen Verkauf veräußert? Nicht der Wert der verkauften Ware, denn dieser ändert nur die Form. Er existiert als Preis ideell in der Ware, bevor er reell in der Form von Geld in die Hand des Verkäufers übergeht. Derselbe Wert und dieselbe Wertgröße wechseln hier nur die Form. Das eine Mal existieren sie in Warenform, das andre Mal in Geldform. Was wirklich vom Verkäufer veräußert wird und daher auch in die individuelle oder produktive Konsumtion des Käufers übergeht, ist der Gebrauchswert der Ware, die Ware als Gebrauchswert. Was ist nun der Gebrauchswert, den der Geldkapitalist für die Zeit des Ausleihens veräußert und an den produktiven Kapitalisten, den Borger, abtritt? Es ist der Gebrauchswert, den das Geld dadurch erhält, daß es in Kapital verwandelt werden, als Kapital fungieren kann, und daß es daher einen bestimmten Mehrwert, den Durchschnittsprofit (was darüber und was darunter ist, erscheint hier zufällig) in seiner Bewegung erzeugt, außerdem, daß es seine ursprüngliche Wertgröße wahrt. Bei den übrigen Waren wird in der letzten Hand der Gebrauchswert konsumiert, und damit verschwindet die Substanz der Ware und mit ihr ihr Wert. Die Ware Kapital dagegen // 363 // hat das Eigentümliche, daß durch die Konsumtion ihres Gebrauchswerts ihr Wert und ihr Gebrauchswert nicht nur erhalten, sondern vermehrt wird. Diesen Gebrauchswert des Geldes als Kapital – die Fähigkeit, den Durchschnittsprofit zu erzeugen – veräußert der Geldkapitalist an den industriellen Kapitalisten für die Zeit, während deren er diesem die Verfügung über das verliehne Kapital abtritt. Das so verliehene Geld hat insofern eine gewisse Analogie mit der Arbeitskraft in ihrer Stellung gegenüber dem industriellen Kapitalisten. Nur zahlt der letztre den Wert der Arbeitskraft, während er den Wert des geliehenen Kapitals einfach zurückzahlt. // 364 // Zins als irrationeller Preis des Geldes ✂. . . Was der Käufer einer gewöhnlichen Ware kauft, ist ihr Gebrauchswert; was er zahlt, ist ihr Wert. Was der Borger des Geldes kauft, ist ebenfalls dessen Gebrauchswert als Kapital; aber was zahlt er? Sicher nicht, wie bei den andren Waren, ihren Preis oder Wert. Zwischen Verleiher und Borger geht nicht, wie zwischen Käufer und Verkäufer, ein Formwechsel des Werts vor, so daß dieser Wert das eine Mal in der Form des Geldes, das andre Mal in der Form der Ware existiert. Die Dieselbigkeit des weggegebnen und des rückempfangnen Werts zeigt sich hier in ganz andrer Weise. // 365 //

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✂. . . Beide geben dieselbe Geldsumme als Kapital aus, der Verleiher und der Borger. Aber nur in der Hand des letzteren fungiert sie als Kapital. Der Profit wird nicht verdoppelt durch das doppelte Dasein derselben Geldsumme als Kapital für zwei Personen. Es kann für beide als Kapital nur fungieren durch Teilung des Profits. Der dem Verleiher zufallende Teil heißt Zins. ✂. . . Will man den Zins den Preis des Geldkapitals nennen, so ist dies eine irrationelle Form des Preises, durchaus im Widerspruch mit dem Begriff des Preises der Ware. Der Preis ist hier auf seine rein abstrakte und inhaltslose Form reduziert, daß er eine bestimmte Geldsumme ist, die für irgend etwas, was so oder so als Gebrauchswert figuriert, gezahlt wird; während seinem Begriff nach der Preis gleich ist dem in Geld ausgedrückten Wert dieses Gebrauchswerts. (366) ✂. . . Wie soll nun eine Wertsumme einen Preis haben außer ihrem eignen Preis, außer dem Preis, der in ihrer eignen Geldform ausgedrückt ist? Preis ist ja der Wert der Ware ✂. . . im Unterschied von ihrem Gebrauchswert. Preis, der qualitativ verschieden vom Wert, ist ein absurder Widerspruch. Als Ware aber erscheint das Kapital selbst hier, soweit es auf dem Markt ausgeboten und wirklich der Gebrauchswert des Geldes als Kapital veräußert wird. Sein Gebrauchswert aber ist: Profit zu erzeugen. Der Wert des Geldes oder der Waren als Kapital ist nicht bestimmt durch ihren Wert als Geld oder Waren, sondern durch das Quantum Mehrwert, das sie für ihren Besitzer produzieren. (367) Zins und Unternehmergewinn Der Kapitalist, der mit eignem Kapital, so gut wie der, der mit geborgtem arbeitet, teilt seinen Rohprofit ein in Zins, der ihm als Eigentümer, als seinem eignen Verleiher von Kapital an sich selbst, und in Unternehmergewinn, der ihm als aktivem, fungierendem Kapitalisten zukommt. ✂. . . Der Zins befestigt sich also derart, daß er nun nicht als eine der Produktion gleichgültige Teilung des Bruttoprofits auftritt, die nur dann gelegentlich stattfindet, wenn der Industrielle mit fremdem Kapital arbeitet. Auch // 388 // wenn er mit eignem Kapital arbeitet, spaltet sich sein Profit in Zins und Unternehmergewinn. Hiermit wird die bloß quantitative Teilung zur qualitativen; sie findet statt unabhängig von dem zufälligen Umstand, ob der Industrielle Eigentümer oder Nichteigentümer seines Kapitals ist. Es sind nicht nur an verschiedne Personen verteilte Quota des Profits, sondern zwei verschiedne Kategorien desselben, die in verschiednem Verhältnis zum Kapital, also in einem Verhältnis zu verschiednen Bestimmtheiten des Kapitals stehn. (389) Für den einzelnen Kapitalisten ist dies praktisch richtig. Er hat die Wahl, ob er sein Kapital, sei es, daß es im Ausgangspunkt schon als Geldkapital

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existiert oder daß es erst in Geldkapital zu verwandeln ist, als zinstragendes Kapital verleihen oder als produktives Kapital selbst verwerten will. // 390 // ✂. . . Die Verwandlung des sämtlichen Kapitals in Geldkapital, ohne daß Leute da sind, die die Produktionsmittel kaufen und verwerten, ✂. . . ist natürlich Unsinn. Es steckt der noch größre Unsinn darin, daß auf Basis der kapitalistischen Produktionsweise das Kapital Zins abwerfen würde, ohne als produktives Kapital zu fungieren, d. h. ohne Mehrwert zu schaffen, wovon der Zins nur ein Teil; daß die kapitalistische Produktionsweise ihren Gang gehn würde ohne die kapitalistische Produktion. Wollte ein ungebührlich großer Teil der Kapitalisten sein Kapital in Geldkapital verwandeln, so wäre die Folge ungeheure Entwertung des Geldkapitals und ungeheurer Fall des Zinsfußes; viele würden sofort in die Unmöglichkeit versetzt, von ihren Zinsen zu leben, also gezwungen, sich in industrielle Kapitalisten rückzuverwandeln. (391) Der Kapitalfetisch ✂. . . Im zinstragenden Kapital erreicht das Kapitalverhältnis seine äußerlichste und fetischartigste Form. Wir haben hier G-G‘, Geld, das mehr Geld erzeugt, sich selbst verwertenden Wert, ohne den Prozeß, der die beiden Extreme vermittelt. // 404 // ✂. . . Das Kapital erscheint als mysteriöse und selbstschöpferische Quelle des Zinses, seiner eignen Vermehrung. Das Ding (Geld, Ware, Wert) ist nun als bloßes Ding schon Kapital, und das Kapital erscheint als bloßes Ding; das Resultat des gesamten Reproduktionsprozesses erscheint als eine, einem Ding von selbst zukommende Eigenschaft; es hängt ab von dem Besitzer des Geldes, d. h. der Ware in ihrer stets austauschbaren Form, ob er es als Geld verausgaben oder als Kapital vermieten will. Im zins – tragenden Kapital ist daher dieser automatische Fetisch rein herausgearbeitet, der sich selbst verwertende Wert, Geld heckendes Geld, und trägt es in dieser Form keine Narben seiner Entstehung mehr. Das gesellschaftliche Verhältnis ist vollendet als Verhältnis eines Dings, des Geldes, zu sich selbst. Statt der wirklichen Verwandlung von Geld in Kapital zeigt sich hier nur ihre inhaltlose Form. Wie bei der Arbeitskraft wird der Gebrauchswert des Geldes hier der, Wert zu schaffen, größren Wert, als der in ihm selbst enthalten ist. Das Geld als solches ist bereits potentiell sich verwertender Wert und wird als solcher verliehen, was die Form des Verkaufens für diese eigentümliche Ware ist. Es wird ganz so Eigenschaft des Geldes, Wert zu schaffen, Zins abzuwerfen, wie die eines Birnbaums, Birnen zu tragen. // 405 // Erläuterungen Die von Engels redigierten Textfragmente zum Zins und der Zinsrate beschäftigen sich vorwiegend mit Begriffsbestimmungen, der Entwick-

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lung der Zinshöhe und warum die wirkliche Herkunft der Zinsen aus der Lohnarbeit so vollständig aus dem Alltagsbewusstsein verschwinden kann. Alle heute wichtigen Fragen zur Funktion der Zinsen für das kapitalistische Wirtschaftssystem konnten von Marx noch gar nicht behandelt werden. In der Mitte des 19. Jahrhunderts war die Steuerungsfunktion der Zentralbanken für die Geldmenge noch unentwickelt. Erst nach 1945 setzte sich unter dem Einfluss der Theorie von Keynes eine staatliche Konjunkturförderung durch, bei der die Leitzinsen der formell unabhängigen Zentralbanken eine wichtige Rolle spielen. Hinzu kommt, dass die zinstheoretische Debatte in der wissenschaftlichen Volkswirtschaftslehre erst nach dem Tod von Marx einsetzte (Lutz 1967). Die Klassische Ökonomie hatte keine ausgebildete Zinstheorie. Sie betrachtete Zinsen vergleichbar der Bodenrente als einen leider unvermeidlichen Abzug vom Profit. Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts wurden in Auseinandersetzung mit kirchlichen Zinsverboten vor allem die ethisch – moralische Berechtigung des Zinsnehmens diskutiert, die wirtschaftliche Bedeutung und Funktion der Zinsen und das Zustandekommen der Zinsrate blieben Randthemen. Nur vereinzelt tauchten Überlegungen auf, dass Güterkapital (Boden, Fabrikanlagen) einen Ertrag erbringen und daher Geldkapital gleichfalls einen Ertrag haben müsse, wenn es produktiv verliehen wird (Schumpeter 1965, 807 ff). Der Text geht von dem Sachverhalt aus, dass Geld selbst nochmals zu einer Ware werden kann. In der bisherigen Darstellung war Geld lediglich die sichtbare, eigenständige Gestalt des Werts, mit der Funktion, Tauschmittel und Wertmaßstab zu sein. Aus der Sicht der metallistischen Geldtheorie entspricht der Metallwert des Geldmaterials sowohl seinen Herstellungskosten als auch den Herstellungskosten der gekauften Waren. Im Rahmen dieser Theorie müssten daher 20 Dollar (= x Gramm Gold) immer auch zwanzig Dollar kosten, einen Preis darunter, wie er im Zins zum Ausdruck kommt, muss daher als irrationaler Ausdruck erscheinen. Offenkundig wird mit dem Zins noch ein zusätzlicher Gebrauchswert des Geldes bezahlt, sagt der Text, also die Möglichkeit, es produktiv einzusetzen und Erträge zu erwirtschaften. Später in Band 1 hielt Marx fest, dass das Geld einen Preis für Dinge ermöglicht, die keinen Wert haben, wie Ehre, Gewissen, Titel, etc (MEW 23, 117). Der Handel mit Nutzungsrechten sowie mit Wechseln, Währungen Aktien und Beteiligungen war ihm gut bekannt. Das zeigt die Aufzählung der zurückgestellten Probleme, die er im Zusammenhang mit Zins und Kredit für klärungsbedürftig hält (MEW 25, 371). Marx kannte zudem die zeitgenössische Literatur zum Bankwesen sehr genau. Seine heftige Polemik

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gegen Seniors Abstinenztheorie des Zinses (MEW 23, 237) macht ebenfalls deutlich, dass Marx im Zins und der Zinsrate ein für die Werttheorie grundlegendes Problem erkannte. Wenn in einem erheblichen Umfang der Gesamtumsätze einer Wirtschaft die Preise sich nicht nach den Werten, sondern nach dem Gebrauchswert richten, rührt das an die Grundlagen der Theorie. Ähnlich wie bei den Preisen für Dienste wäre für die Zinsvereinbarung doch der subjektive Nutzen preisbestimmend, wie das die marginalistische Theorie später postulierte. Marx geht darauf nicht weiter ein, sondern hält nur abwehrend fest, dass ein Widerspruch von Preis und Wert absurd wäre. Auf den folgenden hier nicht wiedergegebenen Seiten der MEW untersucht Marx die wechselnden Zinshöhen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und kommt zum Ergebnis, dass keine Gesetzmäßigkeiten der Zinsraten feststellbar sind (MEW 25, 374), sondern durch Angebot und Nachfrage reguliert werden (MEW 25, 377). Theoretisch muss der Zinssatz weit unterhalb der durchschnittlichen Profitrate liegen. Wenn Industrie oder Handel den Banken die durchschnittliche Profitrate auf das entliehene Kapital zahlen müssten, wären Kredite unrentabel. Nur ausnahmsweise zur Rettung eines Betriebes kann ein Unternehmen kurzfristig den Gesamtgewinn als Zinsen zahlen. Das Leihkapital ist nicht an der Bildung der Durchschnittsprofitrate beteiligt. Es kann nicht zweimal am Ausgleich der Profitrate mitwirken erst als Kredit, dann als Investition. Dennoch können die Banken die allgemeine Durchschnittsprofitrate (zum Beispiel 5 %) erreichen und überschreiten. In der Regel verleihen sie nicht nur ihr Eigenkapital, sondern das Geld, das von Einlegern bei ihnen deponiert wurde. Der Zins, den die Bank den Einlegern zahlt, ist niedriger als der Zins, den die Bank für ihre Darlehen erhält. Verfügt eine Bank über ein Eigenkapital von 100 Mio. Euro und Einlagen in Höhe von 300 Mio. Euro, die mit 3 % Zins verliehen werden, so erwirtschaftet sie einen Profit von 9% auf ihr Eigenkapital. Durch Industriebeteiligungen haben die Banken eine weitere Möglichkeit ihre Gewinne noch weiter über die Durchschnittsprofitrate zu steigern. (MEW 25, 402 –403). Die Verzinsung von Geld führt zur praktisch richtigen Unterscheidung von Zins und Unternehmergewinn, sagt der Text und übernimmt die übliche Auffassung der zeitgenössischen Politischen Ökonomie. Ein Unternehmen das Geld leiht, muss Zinsen zahlen. Das schmälert den Gewinn. Ein Unternehmen, das mit Eigenkapital arbeitet, muss schon aus Konkurrenzgründen die Verzinsung des Eigenkapitals mit einkalkulieren. Es kann sich nicht günstiger rechnen als Unternehmen mit geliehenem Kapital.

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Wie der Strom aus der Steckdose scheinen die Zinsen von der Bank zu kommen. Dass Zinsen nur gezahlt werden können, weil Arbeiterinnen und Arbeiter in der Industrie Mehrwert produzieren, entzieht sich der gewöhnlichen Wahrnehmung. Der Fetischcharakter der Ware vollendet sich im Fetischcharakter des Zinses.

3.9. Der Kredit MEW 25, 451-626 Methodische Vorbemerkungen Die eingehende Analyse des Kreditwesens und der Instrumente, die es sich schafft (Kreditgeld usw. ), liegt außerhalb unsers Planes. Es sind hier nur einige wenige Punkte hervorzuheben, notwendig zur Charakteristik der kapitalistischen Produktionsweise überhaupt. Wir haben es dabei nur mit dem kommerziellen und Bankierkredit zu tun. Der Zusammenhang zwischen dessen Entwicklung und der des öffentlichen Kredits bleibt außer Betracht. Mit der Entwicklung des Handels und der kapitalistischen Produktionsweise, die nur mit Rücksicht auf die Zirkulation produziert, wird diese naturwüchsige Grundlage des Kreditsystems erweitert, verallgemeinert, ausgearbeitet. Im großen und ganzen fungiert das Geld hier nur als Zahlungsmittel, d. h. die Ware wird verkauft nicht gegen Geld, sondern gegen ein schriftliches Versprechen der Zahlung an einem bestimmten Termin. Diese Zahlungsversprechen können wir der Kürze halber sämtlich unter der allgemeinen Kategorie von Wechseln zusammenfassen. Bis zu ihrem Verfall- und Zahlungstage zirkulieren solche Wechsel selbst wieder als Zahlungsmittel; und sie bilden das eigentliche Handelsgeld. (MEW 25, 413) Die Rolle des Kredits in der kapitalistischen Produktion Die allgemeinen Bemerkungen, wozu das Kreditwesen uns bis jetzt Veranlassung gab, waren folgende: I. Notwendige Bildung desselben, um die Ausgleichung der Profitrate zu vermitteln oder die Bewegung dieser Ausgleichung, worauf die ganze kapitalistische Produktion beruht. II. Verringerung der Zirkulationskosten. 1. Eine Hauptzirkulationskost ist das Geld selbst, soweit es Selbstwert. Es wird in dreifacher Art durch den Kredit ökonomisiert. A. Indem es für einen großen Teil der Transaktionen ganz wegfällt. B. Indem die Zirkulation des umlaufenden Mediums beschleunigt wird. // 451 // ✂. . . C. Ersetzung von Goldgeld durch Papier. 2. Beschleu-

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nigung, durch den Kredit, der einzelnen Phasen der Zirkulation oder der Warenmetamorphose, weiter der Metamorphose des Kapitals und damit Beschleunigung des Reproduktionsprozesses überhaupt. (Andrerseits erlaubt der Kredit, die Akte des Kaufens und Verkaufens länger auseinanderzuhalten, und dient daher der Spekulation als Basis.) Kontraktion der Reservefonds, was doppelt betrachtet werden kann: einerseits als Verminderung des zirkulierenden Mediums, andrerseits als Beschränkung des Teils des Kapitals, der stets in Geldform existieren muß. III. Bildung von Aktiengesellschaften. Hierdurch: 1. Ungeheure Ausdehnung der Stufenleiter der Produktion und Unternehmungen, die für Einzelkapitale unmöglich waren. Solche Unternehmungen zugleich, die früher Regierungsunternehmungen waren, werden gesellschaftliche. 2. Das Kapital, ✂. . . erhält hier direkt die Form von Gesellschaftskapital ✂. . . und seine Unternehmungen treten auf als Gesellschaftsunternehmungen im Gegensatz zu Privatunternehmungen. Es ist die Aufhebung des Kapitals als Privateigentum innerhalb der Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise selbst. 3. Verwandlung des wirklich fungierenden Kapitalisten in einen bloßen Dirigenten, // 452 // Verwalter fremdes Kapitals, und der Kapitaleigentümer in bloße Eigentümer, bloße Geldkapitalisten.

Auswirkungen des Kredits auf die wirtschaftliche Entwicklung ✂. . . Es ist dies die Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise selbst und daher ein sich selbst aufhebender Widerspruch, der prima facie als bloßer Übergangspunkt zu einer neuen Produktionsform sich darstellt. Als solcher Widerspruch stellt er sich dann auch in der Erscheinung dar. Er stellt in gewissen Sphären das Monopol her und fordert daher die Staatseinmischung heraus. Er reproduziert eine neue Finanzaristokratie, eine neue Sorte Parasiten in Gestalt von Projektenmachern, Gründern und bloß nominellen Direktoren; ein ganzes System des Schwindels und Betrugs mit Bezug auf Gründungen, Aktienausgabe und Aktienhandel. Es ist Privatproduktion ohne die Kontrolle des Privateigentums. // 454 // ✂. . . Wenn das Kreditwesen als Haupthebel der Überproduktion und Überspekulation im Handel erscheint, so nur, weil der Reproduktionsprozeß, der seiner Natur nach elastisch ist, hier bis zur äußersten Grenze forciert wird, und zwar deshalb forciert wird, weil ein großer Teil des gesellschaftlichen Kapitals von den Nichteigentümern desselben angewandt wird, die daher ganz anders ins Zeug gehn als der ängstlich die Schranken seines Privatkapitals erwägende Eigentümer, soweit er selbst

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fungiert. Es tritt damit nur hervor, daß die auf den gegensätzlichen Charakter der kapitalistischen Produktion gegründete Verwertung des Kapitals die wirkliche, freie Entwicklung nur bis zu einem gewissen Punkt erlaubt, also in der Tat eine immanente Fessel und Schranke der Produktion bildet, die beständig durch das Kreditwesen durchbrochen wird. Das Kreditwesen beschleunigt daher die materielle Entwicklung der Produktivkräfte und die Herstellung des Weltmarkts, die als materielle Grundlagen der neuen Produktionsform bis auf einen gewissen Höhegrad herzustellen, die historische Aufgabe der kapitalistischen Produktionsweise ist. Gleichzeitig beschleunigt der Kredit die gewaltsamen Ausbrüche dieses Widerspruchs, die Krisen, und damit die Elemente der Auflösung der alten Produktionsweise. (457) ✂. . . Kredit als „fiktives Kapital“ Mit der Entwicklung des zinstragenden Kapitals und des Kreditsystems scheint sich alles Kapital zu verdoppeln und stellenweis zu verdreifachen durch die verschiedne Weise, worin dasselbe Kapital oder auch nur dieselbe Schuldforderung in verschiednen Händen unter verschiednen Formen erscheint. Der größte Teil dieses „Geldkapitals“ ist rein fiktiv. Die sämtlichen // 488 // Depositen, mit Ausnahme des Reservefonds, sind nichts als Guthaben an den Bankier, die aber nie im Depositum existieren. Soweit sie zum Girogeschäft dienen, fungieren sie als Kapital für die Bankiers, nachdem diese sie ausgeliehen haben. Sie zahlen sich untereinander die wechselseitigen Anweisungen auf die nichtexistierenden Depositen durch Abrechnung dieser Guthaben gegeneinander. (489) ✂. . . Die Eigentumstitel auf Gesellschaftsgeschäfte, Eisenbahnen, Bergwerke etc. sind, wie wir ebenfalls gesehn haben, zwar in der Tat Titel auf wirkliches Kapital. Indes geben sie keine Verfügung über dies Kapital. Es kann nicht entzogen werden. Sie geben nur Rechtsansprüche auf einen Teil des von demselben zu erwerbenden Mehrwerts. // 494 // ✂. . . Gewinnen und Verlieren durch Preisschwankungen dieser Eigentumstitel sowie deren Zentralisation in den Händen von Eisenbahnkönigen usw. wird der Natur der Sache nach mehr und mehr Resultat des Spiels, das an der Stelle der Arbeit als die ursprüngliche Erwerbsart von Kapitaleigentum erscheint und auch an die Stelle der direkten Gewalt tritt. Diese Sorte imaginären Geldvermögens bildet nicht nur einen sehr bedeutenden Teil des Geldvermögens der Privaten, sondern auch des Bankierkapitals, wie schon erwähnt. // 495 // ✂. . . Auswirkungen des Kreditsystems in einer Krise In einem Produktionssystem, wo der ganze Zusammenhang des Reproduktionsprozesses auf dem Kredit beruht, wenn da der Kredit plötzlich

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aufhört und nur noch bare Zahlung gilt, muß augenscheinlich eine Krise eintreten, ein gewaltsamer Andrang nach Zahlungsmitteln. Auf den ersten Blick stellt sich daher die ganze Krise nur als Kreditkrise und Geldkrise dar. ✂. . . Das ganze künstliche System gewaltsamer Ausdehnung des Reproduktionsprozesses kann natürlich nicht dadurch kuriert werden, daß nun etwa eine Bank, z. B. die Bank von England, in ihrem Papier allen Schwindlern das fehlende Kapital gibt und die sämtlichen entwerteten Waren zu ihren alten Nominalwerten kauft. Übrigens erscheint hier alles verdreht, da in dieser papiernen Welt nirgendswo der reale Preis und seine realen Momente erscheinen, sondern nur Barren, Hartgeld, Noten, Wechsel, Wertpapiere. (507) ✂. . . Grenzen der metallistischen Geldtheorie ✂. . . Das Monetarsystem ist wesentlich katholisch, das Kreditsystem wesentlich protestantisch. „The Scotch hate gold.“ Als Papier hat das Gelddasein der Waren ein nur gesellschaftliches Dasein. Es ist der Glaube, der selig macht. Der Glaube in den Geldwert als immanenten Geist der Waren, der Glaube in die Produktionsweise und ihre prädestinierte Ordnung, der Glaube in die einzelnen Agenten der Produktion als bloße Personifikationen des sich selbst verwertenden Kapitals. So wenig aber der Protestantismus von den Grundlagen des Katholizismus sich emanzipiert, so wenig das Kreditsystem von der Basis des Monetarsystems. (606) ✂. . . Erläuterungen Auch das Kreditwesen wollte Marx in einem eigenen Buch behandeln. Die von Engels teilweise abgeänderten Texte in Band 3 des Kapital haben überwiegend den Charakter von Exzerpten und sind über weite Strecken eine kenntnisreiche Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Nationalökonomie (Heinrich 1999b, 284). Viele kritische Beobachtungen z.B. über die Börsenspekulation sind unverändert gültig. Die Texte argumentieren empirisch und stützten sich auf die Entwicklung der Finanzmärkte in England des 19. Jahrhunderts. Auf die Werttheorie wird kaum noch Bezug genommen. Vermutlich sah Marx deutlich die Schwierigkeiten, die seiner Theorie bei der Behandlung des Kreditwesens entstanden wären. In seinen umfangreichen Studien zum Kreditwesen und Zahlungsverkehr kamen Marx erhebliche Zweifel an der metallistischen Geldtheorie, dennoch hielt er an ihr fest. (Krätke 2001) Zahlreiche Kredite wurden bargeldlos abgewickelt oder bestanden in Schuldverschreibungen, Wechseln, Zahlungsversprechungen etc. Schon von der Menge des

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umlaufenden Geldes wurde eine Golddeckung auf Dauer sehr unwahrscheinlich. Der ironische Vergleich des Kreditwesens mit dem Protestantismus zeigt, dass Marx die Entwicklung zu einem nicht durch Gold gedeckten Geldsystem deutlich sieht, aber sich noch nicht von der metallistischen Geldtheorie lösen will. Er erkennt, dass die papierne Welt der Geldzeichen zum Funktionieren der Gesamtwirtschaft unentbehrlich ist. Im ersten Band des Kapital, der nach diesen Exzerpten entstand, erwähnt er zwar, dass Geld durch Geldzeichen ersetzt werden kann. Die Konsequenzen für die langfristige Nichtübereinstimmung von Werten und Preisen (dem metallischen Geldmaterial) hat er nicht explizit gezogen. Ein größeres Problem entstand für die Arbeitsmengentheorie durch das „fiktive Kapital“. Marx war klar, dass die Mehrzahl der Bankkredite eine Geldschöpfung bewirkte, der zunächst keine Waren gegenüberstehen. Darüber hinaus kannte Marx die Praxis, Forderungen zu verkaufen. Ihr Verkaufspreis richtet sich nach Laufzeit und Zinssatz, so dass beispielsweise eine in fünf Jahren fällige Forderung für das Doppelte ihres Nominalwertes verkauft wurde. Diesem Preis steht kein Wert gegenüber. Diese und zahlreiche andere durch das Kreditwesen entstehenden Sachverhalte gerieten in Konflikt mit der axiomatischen Annahme, dass auf Dauer die Summe der Werte sich der Summe der Preise angleichen. Es ist anzunehmen, dass Marx die Grenzen der Erklärungskraft der Arbeitmengentheorie deutlicher sah, als in den Texten erkennbar wird. Hier weggelassene Texte beschäftigen sich eingehend mit dem vorkapitalistischen Kredit: dem Wucherkapital (MEW 25, 607 ff). Es zentralisierte das Geldvermögen, aber führte nicht zur Änderung der Produktionsweise. Das moderne Kreditwesen war eine Reaktion gegen das parasitäre Wucherkapital. Private Kreditvermittler und Pfandhäuser sind noch gegenwärtige Formen des Wucherkapitals. Die Überlegungen von Marx zur Überwindung des kapitalistischen Systems durch die immanenten Folgen der Kreditwirtschaft wurden in der Imperialismustheorie Lenins (Lenin 1917) wieder aufgegriffen. Die Texte im Kapital sind außerordentlich vorsichtig mit einer Prognose und betonen, dass Konzentration und Entprivatisierung des Kapitals nur theoretisch die Chance des Endes der Privatwirtschaft als Folge einer umfassenden Krise ermöglichen (MEW 25, 621).

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3.10. Die Grundrente MEW 25, 627-821 Vorbemerkung Die Analyse des Grundeigentums in seinen verschiednen geschichtlichen Formen liegt jenseits der Grenzen dieses Werks. Wir beschäftigen uns nur mit ihm, soweit ein Teil des vom Kapital erzeugten Mehrwerts dem Grundeigentümer anheimfällt. Wir unterstellen also, daß die Agrikultur, ganz wie die Manufaktur, von der kapitalistischen Produktionsweise beherrscht, d. h. daß die Landwirtschaft von Kapitalisten betrieben wird, die sich von den übrigen Kapitalisten zunächst nur durch das Element unterscheiden, worin ihr Kapital und die von diesem Kapital in Bewegung gesetzte Lohnarbeit angelegt ist. Für uns produziert der Pächter Weizen usw. wie der Fabrikant Garn oder Maschinen. Die Unterstellung, daß die kapitalistische Produktionsweise sich der Landwirtschaft bemächtigt hat, schließt ein, daß sie alle Sphären der Produktion und der bürgerlichen Gesellschaft beherrscht, daß also auch ihre Bedingungen, wie freie Konkurrenz der Kapitale, Übertragbarkeit derselben von einer Produktionssphäre in die andre, gleiche Höhe des Durchschnittsprofits usw. , in ihrer ganzen Reife vorhanden sind. ✂. . . //627// Vor- und Nachteile kapitalistischer Landwirtschaft Es ist eines der großen Resultate der kapitalistischen Produktionsweise, daß sie einerseits die Agrikultur aus einem bloß empirischen und mechanisch sich forterbenden Verfahren des unentwickeltsten Teils der Gesellschaft in bewußte wissenschaftliche Anwendung der Agronomie verwandelt, soweit dies überhaupt innerhalb der mit dem Privateigentum gegebnen Verhältnisse möglich ist; daß sie das Grundeigentum einerseits von Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnissen völlig loslöst, andrerseits den Grund und Boden als Arbeitsbedingung gänzlich vom Grundeigentum und Grundeigentümer trennt, für den er weiter nichts vorstellt, als eine bestimmte Geldsteuer, die er vermittelst seines Monopols vom industriellen // 630// Kapitalisten, dem Pächter, erhebt: [daß sie] so sehr den Zusammenhang loslöst, daß der Grundeigentümer sein ganzes Leben in Konstantinopel zubringen kann, während sein Grundeigentum in Schottland liegt. Das Grundeigentum erhält so seine rein ökonomische Form, durch Abstreifung aller seiner frühern politischen und sozialen Verbrämungen und Verquickungen, ✂. . . Die Rationalisierung der Agrikultur einerseits, die diese erst befähigt, gesellschaftlich betrieben zu werden, die Rückführung des Grundeigentums ad absurdum andrerseits, dies sind die großen Verdienste der kapitalistischen Produktionsweise. Wie alle ihre andern histori-

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schen Fortschritte, erkaufte sie auch diesen zunächst durch die völlige Verelendung der unmittelbaren Produzenten. //631// ✂. . . Der Begriff der Grundrente Die Voraussetzung bei der kapitalistischen Produktionsweise ist also diese: die wirklichen Ackerbauer sind Lohnarbeiter, beschäftigt von einem Kapitalisten, dem Pächter, der die Landwirtschaft nur als ein besondres Exploitationsfeld des Kapitals, als Anlage seines Kapitals in einer besondern Produktionssphäre betreibt. Dieser Pächter – Kapitalist zahlt dem Grundeigentümer, dem Eigentümer des von ihm exploitierten Bodens, in bestimmten Terminen, z. B. jährlich, eine kontraktlich festgesetzte Geldsumme (ganz wie der Borger von Geldkapital bestimmten Zins) für die Erlaubnis, sein Kapital in diesem besondern Produktionsfeld anzuwenden. Diese Geldsumme heißt Grundrente, einerlei ob sie von Ackerboden, Bauterrain, Bergwerken, Fischereien, Waldungen usw. gezahlt werde. Sie wird gezahlt für //631// die ganze Zeit, während deren kontraktlich der Grundeigentümer den Boden an den Pächter verliehen, vermietet hat. Die Grundrente ist also hier die Form, worin sich das Grundeigentum ökonomisch realisiert, verwertet. Wir haben ferner hier alle drei Klassen, welche den Rahmen der modernen Gesellschaft konstituieren, zusammen und einander gegenüber Lohnarbeiter, industrieller Kapitalist, Grundeigentümer. //632// Der Bodenpreis als Kapitalisierung der Grundrente Die Grundrente kann in einer andern Form mit dem Zins verwechselt und so ihr spezifischer Charakter verkannt werden. Die Grundrente stellt sich dar in einer bestimmten Geldsumme, die der Grundeigentümer jährlich aus der Verpachtung eines Stücks des Erdballs bezieht. Wir haben gesehn, wie jede bestimmte Geldeinnahme kapitalisiert werden, d. h. als der Zins eines imaginären Kapitals betrachtet werden kann. Ist z. B. der mittlere Zinsfuß 5%, so kann also auch eine jährliche Grundrente von 200 Pfd. St. als Zins eines Kapitals von 4000 Pfd. St. betrachtet werden. Es ist die so kapitalisierte Grundrente, die den Kaufpreis oder Wert des Bodens bildet, eine Kategorie, die prima facie, ganz wie der Preis der Arbeit irrationell ist, da die Erde nicht das Produkt der Arbeit ist, also auch keinen Wert hat. Andrerseits aber verbirgt sich hinter dieser irrationellen Form ein wirkliches Produktionsverhältnis. Kauft ein Kapitalist Grund und Boden, der eine jährliche Rente von 200 Pfd. St. abwirft, für 4000 Pfd. St., so bezieht er den durchschnittlichen jährlichen Zins zu 5% von 4000 Pfd. St., ganz ebenso, wie wenn er dies Kapital in zinstragenden Papieren angelegt oder es direkt zu 5% Zinsen ausgeliehen hätte. ✂. . . Es folgt daher, daß, die

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Grundrente als konstante Größe vorausgesetzt, der Bodenpreis steigen oder fallen kann, umgekehrt wie der Zinsfuß steigt oder fällt. Fiele der gewöhnliche Zinsfuß von 5 auf 4%, so stellte eine jährliche Grundrente von 200 Pfd. St. die jährliche Verwertung eines Kapitals von 5000 Pfd. St. statt von 4000 Pfd. St. vor, und so wäre der Preis desselben Grundstücks von 4000 auf 5000 Pfd. St. gestiegen. // 636// ✂. . . Die Grundrente als fiktiver Preis einer Naturkraft Bei Analyse der Bodenrente wollen wir zunächst von der Voraussetzung ausgehn, daß ✂. . . ihre Verkaufspreise sind gleich ihren Kostelementen (dem Wert des aufgezehrten konstanten und variablen Kapitals) plus einem Profit, bestimmt durch die allgemeine Profitrate, berechnet auf das vorgeschoßne Gesamtkapital, ✂. . . Es fragt sich dann, wie unter dieser Voraussetzung sich eine Grundrente entwickeln, d. h. ein Teil des Profits sich in Grundrente verwandeln, daher ein Teil des Warenpreises dem Grundeigentümer anheimfallen kann. Um den allgemeinen Charakter dieser Form der Grundrente zu zeigen, unterstellen wir, die Fabriken in einem Lande würden in überwiegender Anzahl durch Dampfmaschinen getrieben, eine bestimmte Minderzahl jedoch durch natürliche Wasserfälle. //653// ✂. . . Da die bestimmten Zahlenverhältnisse hier vollständig gleichgültig sind, wollen wir ferner annehmen, daß der Kostpreis in den Fabriken, die durch Wasserkraft getrieben werden, nur 90 statt 100 betrage. Da der den Markt regulierende Produktionspreis der Masse dieser Waren = 115, mit einem Profit von 15%, so werden die Fabrikanten, die ihre Maschinen mit Wasserkraft treiben, ebenfalls zu 115 verkaufen, d. h. zu dem den Marktpreis regulierenden Durchschnittspreis. Ihr Profit betrüge daher 25 statt 15; der regulierende Produktionspreis erlaubte ihnen einen Surplusprofit von 10% zu machen, nicht weil sie ihre Ware über, sondern weil sie sie zu dem Produktionspreis verkaufen, weil ihre Waren produziert werden oder ihr Kapital fungiert unter ausnahmsweis günstigen Bedingungen, Bedingungen, die über dem Durchschnittsniveau der in dieser Sphäre herrschenden ständen. //654// ✂. . . Denken wir uns nun die Wasserfälle, mit dem Boden, zu dem sie gehören, in der Hand von Subjekten, die als Inhaber dieser Teile des Erdballs gelten, als Grundeigentümer, so schließen sie die Anlage des Kapitals am Wasserfall //658// und seine Benutzung durch das Kapital aus. Sie können die Benutzung erlauben oder versagen. Aber das Kapital aus sich kann den Wasserfall nicht schaffen. Der Surplusprofit, der aus dieser Benutzung des Wasserfalls entspringt, entspringt daher nicht aus dem Kapital, sondern aus der Anwendung einer monopolisierbaren und monopolisierten Naturkraft

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durch das Kapital. Unter diesen Umständen verwandelt sich der Surplusprofit in Grundrente, d. h. er fällt dem Eigentümer des Wasserfalls zu. Zahlt der Fabrikant diesem 10 Pfd. St. jährlich für seinen Wasserfall, so beträgt sein Profit 15 Pfd. St. ; 15% auf die 100 Pfd. St. , worauf dann seine Produktionskosten sich belaufen; und er steht sich ganz ebenso gut, möglicherweise besser, als alle andren Kapitalisten seiner Produktionssphäre, die mit Dampf arbeiten. Es würde nichts an der Sache ändern, wenn der Kapitalist selbst den Wasserfall eignete. Er würde nach wie vor den Surplusprofit von 10 Pfd. St. nicht als Kapitalist, sondern als Eigentümer des Wasserfalls beziehn, und eben weil dieser Überschuß nicht aus seinem Kapital als solchem, sondern aus der Verfügung über eine von seinem Kapital trennbare, monopolisierbare, in ihrem Umfang beschränkte Naturkraft entspringt, verwandelt er sich in Grundrente. //659// ✂. . . Das Grundeigentum befähigt den Eigentümer, die Differenz zwischen dem individuellen Profit und dem Durchschnittsprofit abzufangen; der so abgefangne Profit, der sich jährlich erneuert, kann kapitalisiert werden und erscheint dann als Preis der Naturkraft selbst. ✂. . . //661// Erläuterungen Die Erörterung der Bodenrente umfasst mehr als 200 Seiten im Text der MEW. Es ist weitgehend eine Auseinandersetzung mit der Rententheorie Ricardos, die bis ins 20. Jahrhundert akzeptiert war (Ziercke 1988). Wie schon der Zins berührte die Grundrente ein Grundlagenproblem der Werttheorie: wie können Kohlenminen oder Wasserfälle einen Preis (= Wert) haben, ohne dass Arbeit investiert wurde. Ein weiteres Problem: Ein Pächter, als Landwirt oder Bergwerksunternehmer, investiert Kapital z. B. für Dünger, Maschinen und Arbeitskräfte. Dieses Kapital erwirtschaftet Mehrwert. Der Mehrwertanteil des Pächters kann in der Regel nicht höher oder niedriger sein als der Durchschnittsprofit, der in Industrie und Handel erzielt wird. Wie also erwirtschaftet der Pächter das Geld für die Bodenrente, die er dem Grundbesitzer zahlen muss. Generell nahm Ricardo an, dass mit wachsender Bevölkerung immer schlechtere Böden in Bearbeitung genommen werden müssen. Die Kosten für die Bearbeitung schlechter Böden sind höher als für die Bearbeitung besserer Böden. Die Preise für die Bodenerträge richten sich nach den schlechtesten Bedingungen, oder den höchsten Kosten. Sie sind die Grundlage der „absoluten Rente“, die an die Grundeigentümer gezahlt wird. Die Pächter besserer Böden erzielen einen zusätzlichen Gewinn, oder eine „Differentialrente“, die sie an die Grundeigentümer abführen müssen. Die Höhe dieser Rente richtet sich nach den Erträgen

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aus einer vergleichbaren Geldanlage, also nach dem durchschnittlichen Zinssatz. (Schumpeter 1965, 820 ff) Marx übernahm im wesentlichen die Auffassung Ricardos. Offenbar muss der Pächter bei der Erwirtschaftung des Durchschnittsprofits einen zusätzlichen Kostenvorteil haben, um die Bodenrente zahlen zu können. Dieser Kostenvorteil wird durch die Natur ermöglicht: die Bodenfruchtbarkeit, die Reichhaltigkeit einer Mine, Wasser- bzw. Windkraft. Wertfreie Naturgaben wie fruchtbare Böden oder leicht abbaubare Bodenschätze haben denselben Effekt wie Produktivitätssteigerungen: der Wert einer Arbeitsstunde verteilt sich auf mehr Weizen oder Kohle und senkt den Wert (und Preis) pro produzierter Einheit. Im Unterschied zu industriellen Produktivitätssteigerungen sind die Naturgaben kostenlos. Der Pächter kann den Durchschnittsprofit mit weniger Kosten erwirtschaften, muss aber diesen Vorteil als Bodenrente an den Eigentümer abgegeben. Die Bodenrente wird also aus dem Mehrwert gezahlt, der vom Bodenpächter erwirtschaftet wird, wobei er den Kostenvorteil der Naturkraft nutzt. Die Bodenrente ist kein „natürlicher“ Ertrag, sondern entsteht aus der Arbeit des Pächters und seiner Lohnarbeiter. Die Grundrente ist mit dem Zins vergleichbar, ein Abzug vom Mehrwert des industriellen oder Handelskapitalisten für geliehenes Kapital. Das geliehene Kapital des Pächters ist kein Geldbetrag, sondern ein Stück Boden. Der Grundbesitzer kann sich ohne eigene Arbeit einen Anteil am Mehrwert aneignen, weil er ein Monopol an dem nicht vermehrbaren Naturgut Boden hat. Marx geht davon aus, dass die Landwirtschaft überwiegend kapitalistisch betrieben wird, die Bodenprodukte auf eine zahlungsfähige Nachfrage treffen, dass die Produkte der schlechtesten Böden noch absetzbar sind etc. Der Text bekennt sich uneingeschränkt dazu, dass der kapitalistische Betrieb der Landwirtschaft ein großer Fortschritt gegenüber der traditionellen Produktionsweise ist, auch wenn er mit der Verelendung der Landbevölkerung einhergeht.

3.11. Zusammenfassung: Wert als soziale Struktur MEW 25, 822-919 Kritik der Vulgärökonomie ✂. . . Kapital – Zins, Boden – Grundrente, Arbeit – Arbeitslohn ✂. . . Sieht man sich nun diese ökonomische Dreieinigkeit näher an so findet man:

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Erstens die angeblichen Quellen des jährlich disponiblen Reichtums gehören ganz disparaten Sphären an und haben nicht die geringste Analogie untereinander. Sie verhalten sich gegenseitig etwa wie Notariatsgebühren, rote Rüben und Musik. (822) ✂. . . Die Vulgärökonomie tut in der Tat nichts, als die Vorstellungen der in den bürgerlichen Produktionsverhältnissen befangenen Agenten dieser Produktion doktrinär zu verdolmetschen, zu systematisieren und zu apologetisieren. Es darf uns also nicht wundernehmen, daß sie gerade in der entfremdeten Erscheinungsform der ökonomischen Verhältnisse, worin diese prima facie (auf den ersten Blick) abgeschmackt und vollkommene Widersprüche sind – und alle Wissenschaft wäre überflüssig, wenn die Erscheinungsform und das Wesen der Dinge unmittelbar zusammenfielen, -. wenn gerade hier die Vulgärökonomie sich vollkommen bei sich selbst fühlt..(825) ✂. . . Wert als nicht empirische Größe Es // 836 // scheint nicht nur so, sondern es ist hier in der Tat der Durchschnittspreis der Waren verschieden von ihrem Wert, also von der in ihnen realisierten Arbeit, und der Durchschnittsprofit eines besondren Kapitals verschieden von dem Mehrwert, den dies Kapital aus den von ihm beschäftigten Arbeitern extrahiert hat. Der Wert der Waren erscheint unmittelbar nur noch in dem Einfluß der wechselnden Produktivkraft der Arbeit auf Sinken und Steigen der Produktionspreise, auf ihre Bewegung, nicht auf ihre letzten Grenzen. Der Profit erscheint nur noch akzessorisch bestimmt durch die unmittelbare Exploitation der Arbeit, soweit diese nämlich dem Kapitalisten erlaubt, bei den scheinbar unabhängig von dieser Exploitation vorhandnen regulierenden Marktpreisen einen vom Durchschnittsprofit abweichenden Profit zu realisieren. (837) ✂. . . Verdienste der Klassischen Ökonomie Im Kapital – Profit oder noch besser Kapital – Zins, Boden – Grundrente, Arbeit – Arbeitslohn: in dieser ökonomischen Trinität als dem Zusammenhang der Bestandteile des Werts und des Reichtums überhaupt mit seinen Quellen ist die Mystifikation der kapitalistischen Produktionsweise, die Verdinglichung der gesellschaftlichen Verhältnisse, das unmittelbare Zusammenwachsen der stofflichen Produktionsverhältnisse mit ihrer geschichtlich sozialen Bestimmtheit vollendet: die verzauberte verkehrte und auf den Kopf gestellte Welt, wo Monsieur le Capital und Madame la Terre als soziale Charaktere und zugleich unmittelbar als bloße Dinge ihren Spuk treiben. Es ist das große Verdienst der klassischen Ökonomie diesen falschen Schein und Trug diese Verselbständigung und Verknöcherung der verschiednen ge-

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sellschaftlichen Elemente des Reichtums gegeneinander, diese Personifizierung der Sachen und Versachlichung der Produktionsverhältnisse, diese Religion des Alltagslebens aufgelöst zu haben, indem sie den Zins auf einen Teil des Profits und die Rente auf den Überschuß über den Durchschnittsprofit reduziert, so daß beide im Mehrwert zusammenfallen; (838) ✂. . . Wert als soziale Struktur der kapitalistischen Warenproduktion Es sind zwei Charakterzüge welche die kapitalistische Produktionsweise von vornherein auszeichnen. Erstens. Sie produziert ihre Produkte als Waren. Waren zu produzieren unterscheidet sie nicht von andern Produktionsweisen; wohl aber dies, daß Ware zu sein der beherrschende und bestimmende Charakter ihres Produkts ist. Es schließt dies zunächst ein, daß der Arbeiter selbst nur als Warenverkäufer und daher als freier Lohnarbeiter, die Arbeit also überhaupt als Lohnarbeit auftritt. // 886 // ✂. . . Die Hauptagenten dieser Produktionsweise selbst, der Kapitalist und der Lohnarbeiter sind als solche nur Verkörperungen Personifizierungen von Kapital und Lohnarbeit; bestimmte gesellschaftliche Charaktere, die der gesellschaftliche Produktionsprozeß den Individuen aufprägt; Produkte dieser bestimmten gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse. Der Charakter 1. des Produkts als Ware und 2. der Ware als Produkt des Kapitals schließt schon die sämtlichen Zirkulationsverhältnisse ein, d. h. einen bestimmten gesellschaftlichen Prozeß, den die Produkte durchmachen müssen und worin sie bestimmte gesellschaftliche Charaktere annehmen; er schließt ein ebenso bestimmte Verhältnisse der Produktionsagenten, von denen die Verwertung ihres Produkts und seine Rückverwandlung sei es in Lebensmittel sei es in Produktionsmittel bestimmt ist. Aber auch abgesehn hiervon ergibt sich aus den beiden obigen Charakteren des Produkts als Ware oder Ware als kapitalistisch produzierter Ware die ganze Wertbestimmung und die Regelung der Gesamtproduktion durch den Wert. In dieser ganz spezifischen Form des Werts gilt die Arbeit einerseits nur als gesellschaftliche Arbeit; andrerseits ist die Verteilung dieser gesellschaftlichen Arbeit und die wechselseitige Ergänzung der Stoffwechsel ihrer Produkte die Unterordnung unter und Einschiebung in das gesellschaftliche Triebwerk dem zufälligen sich wechselseitig aufhebenden Treiben der einzelnen kapitalistischen Produzenten überlassen. Da diese sich nur als Warenbesitzer gegenübertreten und jeder seine Ware so hoch als möglich zu verkaufen sucht (auch scheinbar in der Regulierung der Produktion selbst nur durch seine Willkür geleitet ist) setzt sich das innere Gesetz nur durch vermittelst ihrer Konkurrenz, ihres wechselseitigen Drucks aufeinander, wo-

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durch sich die Abweichungen gegenseitig aufheben. Nur als inneres Gesetz den einzelnen Agenten gegenüber als blindes Naturgesetz wirkt hier das Gesetz des Werts und setzt das gesellschaftliche Gleichgewicht der Produktion inmitten ihrer zufälligen Fluktuationen durch. Es ist ferner schon in der Ware eingeschlossen und noch mehr in der Ware als Produkt des Kapitals die Verdinglichung der gesellschaftlichen Produktionsbestimmungen und die Versubjektivierung der materiellen Grundlagen der Produktion, welche die ganze kapitalistische Produktionsweise charakterisiert. (887) ✂. . . Obgleich die Form der Arbeit als Lohnarbeit entscheidend für die Gestalt des ganzen Prozesses und für die spezifische Weise der Produktion selbst, ist nicht die Lohnarbeit wertbestimmend. In der Wertbestimmung handelt es sich um die gesellschaftliche Arbeitszeit überhaupt, das Quantum Arbeit, worüber die Gesellschaft überhaupt zu verfügen hat und dessen relative Absorption durch die verschiednen Produkte gewissermaßen deren respektives gesellschaftliches Gewicht bestimmt. (889) Erläuterungen Engels hat an den Schluss des dritten Bandes eine ausführliche Zusammenfassung der Ergebnisse gestellt, um zu zeigen, wie sich Marx von der Klassischen Theorie unterschieden wissen wollte. Wert ist keine empirisch bestimmbare Arbeitsmenge, sondern eine soziale Struktur. Wertbestimmend ist nicht die konkrete Arbeit bei der Produktion der Waren, sondern die Teilhabe an der gesamtgesellschaftlichen Arbeit auf dem Markt. Lohnarbeiter und Kapitalist sind Agenten eines Prozesses, den sie kaum beeinflussen können. Ihre Beziehungen zueinander erscheinen ihnen als versachlicht. Die empirisch erfassbaren Erscheinungen entschlüsseln sich nur dem theoretisch geleiteten Blick. Marx würdigt die Leistungen der Klassischen Ökonomie im Unterschied zur apologetischen Vulgärökonomie. Er wusste, was er Smith, Ricardo und anderen verdankte. Den Unterschied seiner Theorie zur Klassik sah er vor allem in der Wertformanalyse. Auf ihre methodischen Probleme soll abschließend eingegangen werden. Wert ist die historisch entstandene gesellschaftliche Struktur der allseitigen Austauschbarkeit von Waren und Geld, scheinbar ein Verhältnis von Dingen und nicht von Personen. Der Austausch setzt die Abstraktion von allen konkreten Eigenschaften der Waren voraus, Wert ist daher Ausdruck abstrakter Arbeit. Die Metamorphosen der abstrakten Arbeit: Wert, Tauschwert, Geld, Kapital bilden das System der Gesellschaft, die Struktur des Warentauschs kehrt auf allen Ebenen des Systems in verwandelter Form wieder.

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Wert als gesellschaftliche Struktur lässt sich nicht quantifizieren. Sie mag eine zeitliche Erstreckung haben, aber das quantitative Ausmaß der Ausbeutung ist unbestimmbar. Vermutlich deshalb verwandte Marx auch weiterhin den Wertbegriff Ricardos: die hypothetisch durchschnittlich erforderliche Arbeitsmenge, die in Waren vergegenständlicht ist. Diese Vermischung gab Anlass zu den unterschiedlichsten Interpretationen des Wertbegriffs. (Heinrich 1999a, 164). Im Kapital hat Marx die empirische Realität der kapitalistischen Gesellschaft mit den Ergebnissen seiner Wertformanalyse interpretiert. Er wollte keineswegs nur eine allgemeine Theorie des Kapitalismus entwerfen, sondern die sinnlich wahrnehmbaren Erscheinungen der Industriegesellschaft verstehbar machen. Die schier unübersehbare deutschsprachige Literatur zum Kapital kann man kann man danach einteilen, inwieweit sie dieses positivistische Interesse von Marx ernst nimmt. Orientiert an Th. W. Adorno befassen sich zahlreiche Arbeiten ausschließlich mit den philosophischen Fragen der Marxschen Kapitalismusanalyse. Repräsentativ sind die Bücher von Georg Backhaus (1969), Helmut Reichelt (2008) und die Veröffentlichung des ISF (2009), jeweils mit dem Anspruch, Marx zu „rekonstruieren“, d. h. ihn besser zu verstehen, als er sich selbst. Die weitaus umfangreichste Literatur erkennt zwar das empirische Interesse von Marx an, beschäftigt sich jedoch überwiegend mit immanent exegetischen Problemen der marxschen Texte. Die leitende Fragestellung ist, ob es Marx gelungen sei, seine Wertformanalyse widerspruchsfrei darzustellen. Eine enzyklopädische Übersicht über diese Literatur hat Ingo Elbe (2010) verfasst. Zu nennen sind daneben die Arbeiten von Jan Hoff (2006; 2009), Heinz Bude (2010) und ihrer Mitautoren. Führende Verlage sind Westfälisches Dampfboot und VSA. Dem empirischen Anliegen von Marx kommen Arbeiten am nächsten, die Marx mit Ricardo vergleichen, ihn also historisch interpretieren. Zu nennen sind vor allem Michael Heinrich (1991) Robert Kurz (1999), Helmut Lethen u.a. (2010) und die neue Biographie von Sperber (2013) Gestützt auf Pierro Sraffa (1960), versuchen eine Reihe von Arbeiten vorwiegend in der US amerikanischen Literatur (Howard / King 1992) eine neue Synthese von Ricardo und Marx. Eine Variante dieser Richtung ist die analytische Marx Interpretation: die gesellschaftstheoretischen Begriffe werden als unscharf kritisiert, aber die Theorie als Ganzes unter ricardianischen Voraussetzungen verteidigt. Die wichtigsten Vertreter sind John Elster (1985) und John E. Roemer (1994a). Schließlich gibt es noch eine umfangreiche Literatur, die die Wertformanalyse als metaphysische Konstruktion verwirft und Marx die

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unzureichende Berücksichtigung der Empirie vorhält. Der klassische Repräsentant dieser Position ist Böhm – Bawerk (1896), einem wichtigen Repräsentant der Grenznutzenschule. Inzwischen dürfte klar sein dass das Kapital nicht nach einer einheitlichen Methode verfasst ist. Neben historischen Erklärungen finden sich kausale Erklärungen, funktionale Erklärungen, Erklärungen, die man nach soziologischem Sprachgebrauch handlungstheoretisch und andere, die man systemtheoretisch einstufen würde. Historisch erklärt Marx beispielsweise die Wahl des Geldmaterials. Ob Perlen, Häute oder Vieh als Geldmaterial dienen, entscheiden die geschichtlichen Umstände (MEW 23, 103). Eine kausale Erklärung verwendet Marx mit der Feststellung, dass die Konkurrenz die Unternehmen bei Strafe des Untergangs zu ständig wachsender Produktivität zwingt (MEW 23, 654 f). Funktional (wegen der vorteilhaften Folgen für die Unternehmer) ist die Erklärung der Ausdehnung der Kinderarbeit Mitte des 19. Jahrhunderts in England (MEW 23, 309). Handlungstheoretisch wird das Verhalten der Warenbesitzer erklärt, die Waren produzieren und zu Markte tragen. Systemtheoretisch werden ihre Handlungsbedingungen erläutert. Sie müssen sich als Eigentümer anerkennen, um mit einander Geschäfte machen zu können (MEW 23, 99). Neben diesen Methoden findet sich im Kapital aber ein Vorgehen, das Marx manchmal explizit als dialektisch bezeichnet (MEW 23, 609). Er hat sich zu seinen Methoden nur ausnahmsweise geäußert. (Haug 1995). In Vor- oder Nachworten finden sich kurze Bemerkungen, eine systematische Ausarbeitung der erkenntniskritischen Grundlagen seiner Theorie hat er verschoben (MEW 23, 183), aber nie verfasst. Eine außerordentlich sorgfältige Würdigung der marxschen Denkweisen findet sich bei John Elster (Elster 1985). Marx’ dialektische Erklärungen trete in drei Formen auf: als Deduktion, als Negation der Negation und als Erklärung von Widersprüchen. Gegen alle drei Formen von Dialektik hat Elster schwerwiegende Einwände. Marx Deduktionen seien willkürlich. Er behaupte logische Ableitungen, wo er historische Abfolgen beschreibe (Arbeit – Ware – Geld – Kapital ). Was Max Weber später empirisch erforschte, habe Marx als logische Abfolge dargestellt. Die Reinvestitionen der Unternehmer im Frühkapitalismus beispielsweise seien nicht aus dem Begriff des sich selbst vermehrenden Geldes, sondern nur aus den Motiven der Unternehmer zu erklären. Die Negation der Negation sei bestenfalls ein Beschreibungsmuster, entspreche aber selten der Sache selbst. Der Sinn dieser Operation lasse sich am ehesten mit drei Stadien einer Entwicklung p, q, r be-

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schreiben, die paarweise unverträglich sind aber weder übersprungen noch rückentwickelt werden können: beispielsweise Glaube, Zweifel, Überzeugung. Keinesfalls dürfe die Negation der Negation als universales Entwicklungsmuster verstanden werden. Marx‘ Erklärung des Widerspruchs mache nur als sozialer Widerspruch Sinn. Er liege vor, wenn verschiedene Individuen über andere etwas denken, was für jeden einzelnen wahr, für alle zugleich aber falsch sei. Die Kapitalistenklasse kann sich nicht als ganze übervorteilen, was jeder einzelne tut und tun kann, gilt nicht für alle zugleich, ohne das System aufzuheben. Die scharfsichtigen Einwände Elsters werden dem Theorieentwurf von Marx nicht ganz gerecht. Elster ist Vertreter des methodischen Individualismus. Demzufolge müssen komplexe soziale Phänomene aus den Eigenheiten, Zielen, Überzeugungen und Handlungen von Individuen empirisch erklärt werden. Strukturen werden als ungewollte Nebenwirkungen verstanden, die wiederum zu Handlungsbedingungen werden. Habermas (1981, II, 496 f) erläutert zutreffender als Elster die dialektische Methode als Verknüpfung von handlungstheoretischen und systemtheoretischen Grundbegriffen. Der Werttheorie falle die Aufgabe zu, Übersetzungsregeln zu benennen, nach denen Handlungen (z. B. arbeiten) dem System (Wertschöpfung) zugeordnet werden müssen. Aus Handeln, dem privaten Arbeiten, entstehen Waren, deren Tausch gesellschaftliche Beziehungen als Sachbeziehungen erscheinen lassen. Das kapitalistische System wird so zur mystifizierten Gestalt eines Handlungszusammenhangs, genauer gesagt, einer Klassenbeziehung. Empirisch erscheint nur noch der sachliche Zusammenhang des Systems, der historisch gesellschaftliche Zusammenhang mit dem Handeln wird unsichtbar. Voraussetzung dieses Erklärungsmodells der kapitalistischen Gesellschaft sei die von Hegel übernommene Vorstellung einer zugrundeliegenden gesellschaftlichen Realität, die sowohl handlungstheoretisch als auch systemtheoretisch beschrieben werden könne. Dialektik ist also eine Form der gedanklichen Verarbeitung der sozialen Wirklichkeit, oder wie Marx sagt, eine Form der Darstellung (MEW 23, 27), die sich über die philosophischen und historischen Voraussetzungen ihrer Begriffe Rechenschaft ablegt. Das Handeln des Kapitalisten kann nicht ausreichend aus seinen Motiven erklärt werden. Es erfordert eine Struktur, die er nicht geschaffen hat, die ihm ermöglicht, vom Geldbesitzer zum Kapitalisten zu werden. Marx’ Dialektik ist der Versuch, die Entstehung und Veränderung einer Struktur durch ihre Elemente zu erklären, und zugleich die Elemente von der Struktur

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her zu begreifen, ohne die Struktur oder ihre Elemente ursächlich auseinander hervorgehen zu lassen. Zugleich soll die Entwicklungsdynamik von Handlungen und System verständlich werden. Mit dialektischen Begriffen werden keine historischen Vorgänge beschrieben, sondern historische Vorgänge mit abstrakten Begriffen in ihrer Dynamik beschrieben. Hierzu dient der Begriff des Widerspruchs. Ein Widerspruch besteht für Marx nicht zwischen Mann und Frau, Tag und Nacht, tot und lebendig, etc., also Erscheinungen, die sich wechselseitig ausschließen. Ein dialektischer Widerspruch besteht nur dort, wo etwas sich mit seinem selbsterzeugten Gegenteil zusammenschließt (J. Berger 1978, 18): Privatarbeit mit gesellschaftlicher Arbeit, Gebrauchswert mit Tauschwert, Kapital mit Lohnarbeit, Produktivkraft mit Produktionsverhältnis. Dieses „etwas“, das die widersprüchlichen Erscheinungen annimmt wird von Marx auch als „Wesen“ bezeichnet. Dieses „etwas“ hat keine dingliche Realität, wie ein Tisch, es ist auch nicht ein „Gedankending“, ein bloßer Begriff, sondern ist gesellschaftlich erzeugt, eine Realität eigener Art. Dialektische Begriffe sind nicht für sich definierbar, sondern sind durch ihren Komplementärbegriff mitdefiniert. Kennzeichen des dialektischen Widerspruchs ist es, dass seine Lösung den zugrunde liegenden Widerspruch nicht beseitigt, wie ein Hindernis, das im Wege liegt, sondern aufhebt (im süddeutschen Sprachgebrauch), ihn aufbewahrt, indem er in einem Folgewiderspruch eine neue Form erhält. Der Widerspruch von privater und gesellschaftlicher Arbeit beispielsweise wird in der Ware aufbewahrt und aufgehoben, das heißt weiterentwickelt, und beweglich gemacht. Der Widerspruch von Gebrauchswert und Tauschwert der Ware wird im Geld aufbewahrt und weiterentwickelt. Und so fort. Die Realität, die mit dialektischen Begriffen getroffen wird, sind gesellschaftliche Beziehungen, die ihre Ursachen aufbewahren und weiterentwickeln. Ihre Geschichte kann unsichtbar werden oder vergessen werden, aber sie bleibt wirksam. Die „Wertform“ ist das zusammenfassende Kürzel für dieses komplexe Beziehungsgefüge. Wert ist die Struktur der gesellschaftlichen Gleichsetzung aller privaten Arbeiten. Sie entsteht durch Handeln, der Privatarbeit, und zwingt die Handelnden zur Anerkennung dieser Struktur. Andererseits wird diese Struktur durch das Handeln ständig verändert, ohne dass ein Einzelner einen angebbaren Einfluss hätte. Handeln ändert die Struktur, aber in den Grenzen der Struktur. Dennoch kann Handeln einen Strukturbruch herbeiführen wie z. B. eine Revolution. Eine genauere Erklärung moderner Gesellschaften hat die soziologische Theorie bisher auch nicht hervorgebracht. (Moebius /Reckwitz 2008)

III. Fünf Generationen danach Wer sich ein wenig in die Texte von Marx vertieft, kann sich kaum der machtvollen Sprache, der leidenschaftlichen Argumentation und der inneren Logik der Texte entziehen. Wie auch immer man ihren analytischen Nutzen für heute beurteilt, die Texte sind in ihrer Lebendigkeit faszinierend und mitreißend. Es war sicher auch diese Sprache, mit der die Marxsche Theorie ihre Wirkung erzielte, selbst dann, wenn die Argumente nicht ganz stichhaltig waren. Ein weiterer Grund für die Verbreitung der Marxschen Theorie war, dass ein riesiges empirisches Material systematisch geordnet und gedeutet wurde. Darüber hinaus verband Marx seine Theorie mit einer historisch und nicht nur moralisch begründeten Kritik der sozialen Missstände und machte praktische Vorschläge zu ihrer Bekämpfung. Er verknüpfte nüchternen Positivismus mit der prophetischen Überzeugung, am Ende siegreich zu sein (Schumpeter, 1942, 21). Keine andere Theorie hat so große politische Veränderungen bewirkt, soziale Bewegungen beeinflusst und intellektuelle Auseinandersetzungen hervorgerufen. Im Rückblick auf das 20. Jahrhundert ist eine unbefangene Lektüre von Marx nicht mehr möglich. Wer die Texte nicht nur als historische Dokumente, sondern als Auseinandersetzung mit der Gegenwart liest, fragt, was von den Aussagen gültig bleibt. Was bleibt von ihrem utopischen Gehalt, nachdem die Forderung nach Emanzipation durch die Geschichte des realen Sozialismus stark beschädigt wurde? Wie steht es um die Ökonomische Theorie von Marx im Blick auf die Anstrengungen der heutigen Wirtschaftstheorie, was bleibt von seiner Gesellschaftstheorie angesichts der soziologischen Forschung der letzten hundert Jahre?

1. Marx und die Soziologogische Forschung Seit dem Erscheinen des Kapital hat sich die Welt erheblich verändert. Die Weltbevölkerung ist rapide gewachsen, die Anzahl der Großstädte hat sich vervielfacht. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist erheblich gestiegen. Informationstechnologie und Massenmedien haben entscheidende Bedeutung für alle Bereiche des Lebens errungen. Berufli-

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che Spezialisierung und Weiterqualifizierung ist Voraussetzung des sozialen Fortkommens. Die Rolle des Staates und seiner Bürokratie ist immens gewachsen. Überkommene Sozialformen wie die Familie haben sich grundlegend verändert. Traditionelle Werthaltungen wurden brüchig, alle Normen sind ungeachtet des immer noch großen Einflusses der Religionen hinterfragbar geworden. Die Kunst löst ihren alten Anspruch auf Autonomie erst jetzt wirklich ein und wird in Glücksfällen zum Vehikel der Gesellschaftskritik. Viele Bereiche der Gesellschaft haben sich verselbstständigt und folgen nur ihren eigenen Regeln. Der wissenschaftliche Zugriff auf die Welt kennt keine Grenzen mehr: Waffen und Gentechnik werden ohne Rücksicht auf möglicherweise verheerende Folgen entwickelt. Der Unterschied von arm und reich ist weiter gewachsen (Ziegler 2003). Von Chancengleichheit kann auch in demokratisch verfassten Gesellschaften keine Rede sein. Die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts entstehende Soziologie (Korte 1995; Treibel 2000) hat diese Prozesse empirisch untersucht. Soziale Gruppen, Organisationen und Institutionen, Konflikte, politische Macht und Herrschaft, die Rolle des Wissens und verschiedener Rationalitätsformen, Begründbarkeit und Geltungsgrund gesellschaftlicher Normen, Entstehung und Untergang von sozialen Strukturen wurden detailliert erforscht (Bahrdt 1997). Leitend war der Gesichtspunkt, dass moderne Gesellschaften nicht aus einem einzigen zentralen Widerspruch erklärt werden können. Kulturelle Traditionen beeinflussen wirtschaftliche und politische Entscheidungen, die Medien entfalten Wirkungen, die nicht allein durch Klassenverhältnisse erklärbar sind. Das umfangreiche empirische Material führte zu zahlreichen Spezialtheorien (Kneer 1997; Stark/Lahusen 2002). Die Kritik an Marx war in der Regel mit großem Respekt für seine Leistungen verbunden und gab Anlass zu zahlreichen empirischen Studien. Eine Besonderheit war das 1924 gegründete Frankfurter Institut für Sozialwissenschaft, das die Marxsche Theorie durch eine interdisziplinäre sozialwissenschaftliche Forschung ergänzen wollte, die in der ab 1932 erscheinenden Zeitschrift für Sozialforschung publiziert wurden. (Wiggershaus 1997) 1933 mussten die Mitglieder des Instituts wegen ihrer jüdischen Herkunft ins Exil. Die Erfahrung mit dem Faschismus in Europa und den gesellschaftlichen Verhältnissen in den USA führten zu einen Bruch mit diesem Programm, das nach 1949 nicht mehr aufgenommen wurde (Honneth 1985, 115-21). Max Horkheimer (1895-1973) und Theodor Wiesenthal Adorno (1903-1969) kehrten nach dem Krieg an die Universität Frankfurt zurück und hatten großen Einfluss auf die Intellektuellen der entstehenden Bundesrepublik (Albrecht 1999).

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Die soziologische Forschung seit Max Weber distanzierte sich von den philosophischen Grundlagen der Marxschen Begriffe. Es entstanden zwei konkurrierende Erklärungsansätze von Gesellschaft: die Handlungstheorie und Systemtheorie. Für die Handlungstheorie bestehen Gesellschaften aus Netzwerken von Akteuren, die ihre Entscheidungen aus mehr oder minder rationalen Präferenzen treffen. Nach Auffassung der Systemtheorie bestehen moderne Gesellschaften aus sich selbst erzeugenden Systemen, die unabhängig voneinander operieren und nur indirekt über wechselseitige Beobachtungen miteinander kommunizieren (Habermas 1998, 212). Während Marx und teilweise noch Max Weber Handlung und Struktur zusammenzuhalten suchten, wurden daraus verselbständigte Erklärungsprinzipien gesellschaftlicher Prozesse. Marx hatte die Entwicklung der modernen Gesellschaft unter den Gesichtspunkten von Unterdrückung und Ausbeutung analysiert. Dagegen forderte Max Weber die Wertfreiheit der Wissenschaften. In seinem Gefolge entwickelte die Soziologie scheinbar neutrale Kriterien des Modernisierungsprozesses, dem traditionale Gesellschaften unterliegen. Agrargesellschaften wandelten sich allmählich zu Industriegesellschaften und bildeten mit der Marktwirtschaft demokratische Herrschaftsformen aus. Mit dieser Entwicklung sei steigender Wohlstand, Massenkonsum und wohlfahrtsstaatliche Intervention verbunden. Zugleich veränderten sich die Individuen, die Sozialstruktur und Kultur, es entstünden neue soziale Konflikte um Zugang und Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums (Zapf 1995). Modernisierungstheorien unterstellen, dass der im Westen eingeschlagene Weg unumkehrbar ist und von den anderen Teilen der Welt erfolgreich nachgeholt werden kann. Oft sind diese Theorien von einem Fortschrittsoptimismus bestimmt, der Kämpfe, Konflikte und die „sozialen Kosten“ der Modernisierung unterschlägt (J. Berger 1996). Unausgesprochen gehen Modernisierungstheorien davon aus, dass die vernünftige Begründbarkeit allgemein verbindlicher Normen nicht mehr möglich sei. Jürgen Habermas hat in umfangreichen Arbeiten diese Annahme kritisiert und in seiner Theorie des kommunikativen Handelns zu zeigen versucht, wie Menschenrechte universale Geltung beanspruchen können (Habermas 1998). Eine eigenständige Auseinandersetzung mit Marx war die französische Kulturtheorie nach 1945. Die Kommunistische Partei war an der Befreiung von der deutschen Herrschaft wesentlich beteiligt und in den ersten Nachkriegsregierungen vertreten. Politisch ausgerichtete Gewerkschaften, Streiks und Widerstand gegen Regierungsmaßnahmen

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hatten eine gefestigte Tradition. Das zentral organisierte Bildungssystem, die beherrschende Rolle der Hochschulen von Paris und die selbstverständliche Verknüpfung von Philosophie und Politik führten zu einer besonderen französischen Diskussionskultur einer kleinen Schicht führender Intellektueller (Descombes 1981). Der Umgang mit Marx war entspannter als in Deutschland, es bestand kein ausdrückliches Abgrenzungsbedürfnis. Marx war ein wichtiger Autor unter vielen, dem man teils zustimmte, aber Differenzen nicht eigens betonen musste. Der französische Marxismus mit ihren Vertretern Jean-Paul Sartre (1905-1980) und Maurice Merleau-Ponty (1908-1961) hatte nach 1945 existentialistische Ansätze mit der Marxschen Theorie verbunden. Bis 1966 nahm der Strukturalismus einen unaufhaltsamen Aufschwung. Ausgehend von der Linguistik Ferdinand de Saussures (1857 –1913) wurde die Prägung individuellen Verhaltens durch bestimmende Strukturen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens unterstellt. Louis Althusser (1918-1990) interpretierte Marx aus der Sicht des Strukturalismus (Althusser 1965). Die Erfahrungen des Mai 1968 („Strukturen gehen nicht auf die Straße“) und theoretische Gründe führten ab Mitte der siebziger Jahre zur allmählichen Ablösung des strukturalistischen Paradigmas. Die geschichtliche Bedingtheit von Strukturen wurde wieder deutlicher gesehen, die Rolle der Akteure neu bewertet. Das Denken öffnete sich in Richtung unbestimmter „nomadischer“ Begriffe, das Vielfältige wurde gegen das Eine gesetzt. „Dekonstruktion“ wurde zum methodologischen Programm (Dosse 1999, 164). An den Arbeiten von Michel Foucault (1926-1984) und Gilles Deleuze (1925-1995) lassen sich diese Wandlungsprozesse exemplarisch beobachten. Beide Autoren hatten sich gegen den Strukturalismus einerseits und gegen Hegel anderseits gewandt. Implizit bedeutete das auch eine Kritik an Marx. Als vorbildlicher Denker des Neuen galt Nietzsche (Hardt 1993). An die Stelle dualer Gegensätze : Innen-Außen, Subjekt-Objekt, Körper-Geist, eines – vieles sollte die Vielfältigkeit als unmittelbar Gegebenes treten, eine Mannigfaltigkeit der Kräfteverhältnisse, der Übertragung, die nicht mehr über eine Zweiteilung verläuft (Deleuze 1986, 117). Foucault und Deleuze stellten die traditionellen Auffassungen von Kontinuität der Geschichte, der Identität von Subjekten und der Totalität gesellschaftlicher Arbeit prinzipiell in Frage. Diskontinuität, Nichtidentität und Singularität werden zu Leitvorstellungen, mit denen die Vielfältigkeit der Erscheinungen beschrieben wurden. An Stelle des Gegensatzes von Handeln und System treten flüssige Übergänge, Brüche, Prozesse des Werdens und des Wandels, Bewegung, ständige Re-

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organisation, unbekannte Entwicklungen, Fluchtlinien, Veränderungen. Kämpfe verlaufen dezentral, vielfältig und nicht zielgerichtet. Die Grenzen philosophischer, sozialwissenschaftlicher und literarischer Argumentation werden vorsätzlich unterlaufen und neue Verknüpfungen geschaffen. Es werden ungewohnte Verbindungen zwischen Körperwahrnehmungen, Wörtern, Bildern, Vorstellungen, Phantasien, Geschichten, Ereignissen etc. geknüpft, die den kulturellen Wandel einer Gesellschaft erfahrbar machen, wenn auch nicht immer in einer methodisch gesicherten Weise. Kulturwissenschaftliche Studien, die sich von dieser ungewöhnlichen Methodenvielfalt leiten ließen, haben zu überraschenden Einsichten über die Vielfalt von Gesellschaftsbildung geführt (Theweleit 1999). Eine spezielle Wirtschaftssoziologie entstand Ende des 19. Jahrhunderts als Kritik der aufblühenden neoklassischen Wirtschaftstheorie. Nach fulminantem Start fiel sie mit dem Tod Max Webers 1920 in einen langen Winterschlaf, aus dem sie erst 1980 als „neue Wirtschaftssoziologie“ erwachte. Ihre Themen sind in einem sehr guten Handbuch dargestellt. (Maurer 2008) Hauptziel der Wirtschaftssoziologie ist, das Modell des „homo oeconomicus“ der Wirtschaftstheorie durch ein realitätsnäheres Handlungsmodell zu ersetzen. (M. Schmid in: Maurer (2008) S.87 ff) Wirtschaftliches Handeln erfolgt in sozialen Netzwerken, die die ökonomische Nutzenmaximierung einschränken. Die neue Wirtschaftssoziologie versteht sich als empirische Sozialforschung. Handlung und Struktur bilden ein „Fließgleichgewicht“ (Baecker 2006, S. 130) deren jeweiliger Anteil nur empirisch bestimmt werden kann. Die Position von Marx, dass empirische Wahrnehmung im Licht ihrer historischen Entstehung gedeutet und der Schein ihrer Gewissheit gebrochen werden muss, bleibt undiskutiert. Marx wird als Vorläufer des Fachs gewürdigt, ansonsten als antiquarischer Gegenstand behandelt. (S. Kühl in Maurer (2008) S.124) Ein programmatischer Aufsatz trägt alle Einwände der Wirtschaftssoziologie zusammen. (überarbeitet: J. Berger (2009) S.102-126) Marx habe keinen quantitativen Beweis der Ausbeutung geführt. Selbst wenn die abgelieferte Arbeitsmenge der Arbeitskräfte größer sei als die in Löhnen berücksichtigte Arbeitsmenge, sei unklar, ob die Differenz nicht vollständig auf die von der Unternehmung bereitgestellte Technologie zurückgehe. Eine Differenz von Löhnen und Ertrag sei unvermeidlich, habe schon Marx bei der Kritik am Gothaer Programm der Sozialdemokratie herausgestellt. Die unbestreitbare Einkommensungleichheit sei keine Erfindung des Kapitalismus, sondern in allen Hochkulturen vorhanden. Empirisch nehme sie im Laufe der kapitalistischen Ent-

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wicklung ab. Nicht der Markt sei für Ungleichheit verantwortlich, im Gegenteil, unbeschränkte Konkurrenz beseitige Ungleichheit, wie auch Marx beim Ausgleich der Profitrate gezeigt habe. Wenn Ungleichheit der Preis für Wachstum sei, solle man sie akzeptieren. Die Behauptung, durch den Kapitalismus nehme die Armut zu, sei hochgradig von der Armutsdefinition und den Messverfahren abhängig. Der sozialstaatliche Kapitalismus habe durch das Instrument der Transfereinkommen erheblich zum Abbau von Armut beigetragen. Unbestritten sei die Krisenanfälligkeit des Systems. Empirische Analysen von Krisen müssten jedoch zeigen, was der Funktionsweise des kapitalistischen Wirtschaftens und was Politikfehlern zuzurechnen sei. Die betriebliche Herrschaft sei zunehmend rechtlich domestiziert worden und vor allem zeitlich beschränkt. Auch der Vorgesetzte sei nicht persönlicher Herr, sondern stehe in einer unpersönlichen Ordnung von Befehlsketten. „Theoretische Gründe und empirische Beobachtungen sprechen dafür, dass kein anderes Wirtschaftssystem zur kontinuierlichen Anhebung des Lebensstandards besser geeignet ist als der Kapitalismus.“ (ebd. S. 117). Eine grundlegende Änderung des Systems sei nur denkbar, wenn durch ein allgemeines Grundeinkommen der Arbeitszwang entfiele, die betriebliche Herrschaft durch Selbstverwaltung abgelöst und die Lohnform durch Beteiligung am Gewinn und Verlust des Betriebs ersetzt würde. Ganz abgesehen von der Finanzierungsmöglichkeit verändere das Grundeinkommen grundlegend das Arbeitsethos. Ob eine Gesellschaft überleben könne, die Vergütungen nicht an Gegenleistung binde, sei unabsehbar. Ob Betriebe in Selbstverwaltung genauso effektiv seien wie konventionell geführte Unternehmen, könne mit guten Gründen bezweifelt werden. Ob Gewinnbeteiligung am Betriebsergebnis statt eines vertraglich abgesicherten Lohns die Arbeitskräfte besser stelle, sei unwahrscheinlich. Unklar sei daher, wer an solchen Veränderungen ein wirkliches Interesse haben könne. Auf der anderen Seite hebt der Aufsatz die grundlegenden Leistungen der marxschen Kapitalismusanalyse hervor. Die Beschäftigung von Lohnarbeitern durch die Inhaber eines Monopols an Produktionsmitteln als historische Bedingung des Kapitalismus, die „doppelte“ Freiheit der Arbeitskräfte: formale, rechtliche Freiheit bei „Freiheit“ von eigenen Produktionsmitteln, die Kündigungsdrohung als wirksamstes Steuerungsinstrument des Arbeitsanreizes, die Unterscheidung von Arbeit und Arbeitskraft, die Eigenart des Arbeitsvertrags als Mietvertrag, das Prinzip der gefühllosen baren Zahlung als ausschließliches Mittel der Vergesellschaftung, die Verkehrung von Zweck und Mittel der Produktion, der Markt als anonymer Mechanismus, die historisch einmaligen

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Entstehungsbedingungen in Europa und die transformierende sich weltweit durchsetzende Kraft des kapitalistischen Systems seien bis heute gültige soziologische Erkenntnisse von Marx.

2. Nationalökomische Theorie und Marxian Economics Marx hatte seine Theorie als Kritik der Klassischen Politischen Ökonomie formuliert. Mit den Mitteln der damals modernsten Sozialwissenschaft sollten die Strukturen der kapitalistischen Gesellschaft durchsichtig und damit veränderbar werden. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts vollzog die Politische Ökonomie nun selbst einen methodischen Bruch mit ihrer Vergangenheit. Von wenigen Ausnahmen abgesehen kam es weder von marxistischer Seite noch durch die bürgerlichen Nationalökonomen zu einer auf einander bezogenen Debatte über Voraussetzungen und Einzelfragen ihrer Theorien. Zum Schaden beider immunisierten sich die Denkrichtungen gegeneinander.

Historischer Hintergrund des Marginalismus Wenige Jahre nach Erscheinen des ersten Bands des Kapitals (1867) war unabhängig voneinander in Österreich, England und der Schweiz eine neue Wirtschaftstheorie entwickelt worden. Carl Menger (18381917) veröffentlichte 1871 seine „Grundsätze der Volkswirtschaftslehre“. Im selben Jahr publizierte William Stanley Jevons (1835-1882) sein Werk „Theory of Political Economy“, das auch Marx bekannt war. (Sperber (2013, S. 462) 1876 erschienen von dem Begründer der Lausanner Schule Léon Walras (1834-1910) die vorwiegend mathematisch argumentierenden „Élements d‘economie politique pure“. Die neue Theorie änderte die Analysetechnik. Während sich die Klassische Ökonomie (und Marx) mit dem wirtschaftlichen Verhalten von Bevölkerungsgruppen (Kapitalisten, Grundeigentümer, Arbeiter) befassten, wandte sich der Marginalismus dem Verhalten eines typisierten Individuums zu. Der Wirtschaftsverlauf wurde mikroökonomisch statt wie bisher makroökonomisch untersucht. Das Erkenntnisinteresse der Klassik war die Erklärung, wie ein wirtschaftlicher Überschuss entsteht, verteilt und verwendet wird. Die Hauptfrage der Neoklassik war die „Allokation“: wie knappe Ressourcen auf alternative Verwendungsmöglichkeiten verteilt werden (Felderer/Homburg 2003, 26). Während

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die Klassik den langfristigen Wirtschaftsablauf analysierte, untersuchte die Neoklassik Einzelvorgänge, vor allem die Preisbildung. Die Gründe für diesen Perspektivenwechsel waren vielfältig. In England und Frankreich schien durch den technischen Fortschritt das Problem der Güterproduktion gelöst, zunehmende Schwierigkeiten dagegen bereitete der kostendeckende Absatz und die Gewinnung neuer Märkte (Ott 1985, 221). Daher gewann die subjektive Nachfrage als Erklärungsgrund wirtschaftlicher Vorgänge an theoretischem Interesse. Seit Mitte des 19.Jahrhunderts war nicht mehr der Adel Gegenpol des Bürgertums, sondern das erstarkende Proletariat. Von der klassischen Arbeitswerttheorie war es ein kurzer Weg zur Theorie der Ausbeutung, wie Linksricardianer und Marx gezeigt hatten. Die Rechtfertigung der Unternehmergewinne durch die klassische Theorie erschien zunehmend als unbefriedigend. Auch hatte sie weder für die soziale Frage noch gegen den erstarkenden Nationalismus und Imperialismus brauchbare Ratschläge. Die neue Theorie schien einige Fragen lösbar, andere überflüssig zu machen.

Grenznutzen und Grenzkosten Die Grenznutzenlehre ging von der allgemeinen Annahme aus, dass jedes Individuum seine Bedürfnisse mit knappen Gütern befriedigen muss. Im Gegensatz zur klassischen Ökonomie wurde unterstellt, dass der Tauschwert (= Preis) einer Ware nicht durch die aufgewandte Arbeitsmenge, sondern durch die subjektive Wertschätzung des Nutzens der letzten brauchbaren Einheit eines Gutes bestimmt wird. Ein Unternehmen wird solange weitere Einheiten eines Gutes einsetzen, bis der Einsatz einer weiteren Einheit keinen Ertrag mehr bringt. Eine Firma mit 25 Arbeitskräften wird eine 26. Arbeitskraft nur einstellen, wenn deren Arbeitsertrag mit Gewinn verkauft werden kann. Entsprechendes gilt für den Einsatz von Maschinen, Rohstoffen, geliehenem Kapital etc. Während die klassische Ökonomie (mit Ausnahme Ricardos vergl. S. 22) den Wert der Ware substantiell (als Arbeitsmenge) definierte, begriff die Grenznutzen/kostentheorie den Wert als hypothetische Größe, als subjektive Einschätzung. Die ontologische Theorie der Klassik wurde durch die nominalistische Theorie der Neoklassik ersetzt (Pribram 1992). Insofern darf man von einem Paradigmenwechsel der Politischen Ökonomie, oder der „Marginalrevolution“ sprechen (Ziegler 1998). Eine Verständigung zwischen solch grundlegend unterschiedlichen Denkweisen war schwer möglich.

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Mit großen theoretischen Anstrengungen wurde nun versucht, die Grenznutzenlehre für alle Bereiche der bisherigen Theorie brauchbar zu machen. Der Zins, den der Kapitalbesitzer erhalte, vergüte das Grenzleid, das er ertrage, wenn er sein Kapital nicht verzehre, sondern abwarte. Zu den Produktionskosten wurde auch der „entgangene Nutzen“ gezählt, den man bei anderweitiger Verwendung der Güter hätte realisieren können (opportunity costs). Der Lohn des Arbeiters bestimme sich danach, welches Grenzleid er auf sich zu nehmen bereit sei, ehe er sich weigere, zu arbeiten. Die Höhe des Lohns werde durch den Grenzertrag bestimmt, den die Arbeitskraft in der letzten wirtschaftlich noch zulässigen Produktion erziele (Stavenhagen 1964, 260). Damit war das Argument ausgehebelt, der Lohn verdecke die unbezahlte Arbeitszeit und Ausbeutung.

Die Verbindung mit der Gleichgewichtstheorie Durch Léon Walras (1834-1910) und seinen Schüler Vilfredo Pareto (1848-1923) wurde die Grenznutzenlehre mit einer Gleichgewichtslehre verknüpft. Damit sollte die gleichzeitige Preisbildung auf verschiedenen Märkten erklärt werden. Walras verwendet das Bild eines Versteigerers, der den Preis solange erhöht oder senkt bis Angebot und Nachfrage sich decken (Ziegler 1998, 157). Das Modell unterschied zwischen Haushalten und Unternehmen. Haushalte fragen Güter nach und bieten Produktionsfaktoren an (Arbeit, Boden, Kapitalgüter), Unternehmen bieten Güter an und fragen Produktionsfaktoren nach. Zu jedem Preis wird eine bestimmte Menge angeboten und nachgefragt. Daraus ergibt sich eine Angebots- und Nachfragekurve. Mit steigenden Preis steigt das Angebot und sinkt die Nachfrage, mit fallendem Preis sinkt das Angebot und steigt die Nachfrage. Der Gleichgewichtspreis ist erreicht, wenn sich Angebot und Nachfrage entsprechen, die Kurven sich an einem bestimmten Punkt schneiden. So entsteht ein System relativer Preise, bei dem das Geld nur vermittelnde Funktion hat, es ist lediglich Preismaßstab. Da viele Güter wechselseitig substituierbar sind, können die Preise nicht auf einem vereinzelten Markt, sondern nur in Abhängigkeit von allen anderen Märkten bestimmt werden. Die Marktvorgänge lassen sich auf diese Weise in eine Reihe mathematischer Gleichungen auflösen, die die Gleichgewichtsbedingungen für den Markt mit freier Konkurrenz, beziehungsweise für einen monopolisierten Markt fixieren. Die gesamte Volkswirtschaft wurde als Gleichgewicht aller Einzelwirtschaften verstanden, die Veränderungen eines Preises führen zur Verände-

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rung anderer Preise, bis ein neuer Gleichgewichtszustand wieder hergestellt ist (Stavenhagen 1964, 263). Bei Gleichgewichtspreisen entsprechen die Verkaufserlöse der Güter den Faktorkosten. Die Besitzer von Arbeitskraft, Boden und Kapital erhalten das, was ihre Faktoren zum Wert des Produkts beisteuern, Ausbeutung kann nicht stattfinden (Heinrich 1991, 65). Das sogenannte „Pareto Optimum“ bezeichnet ein Gleichgewicht der Einkommensverteilung, bei dem durch Umverteilung kein Individuum besser gestellt werden kann, ohne ein anderes zu benachteiligen. Bei der Weiterentwicklung der Theorie wurde erkannt, dass in dieser Weise keine kausale Erklärung der Preise möglich war, sondern nur ihre funktionale Zuordnung. Bald wurde auch klar, dass sich Nutzen und Grenznutzen nicht wirklich quantifizieren ließen. Konsequenterweise wurde daher schon durch Pareto und dann von F. Y. Edgeworth (18451926) der Grenznutzen durch Indifferenzkurven ersetzt. Auf einer Indifferenzkurve liegen diejenigen Mengenkombinationen von Waren, denen gegenüber ein Konsument sich indifferent verhält, da er sich von ihnen dieselbe Bedürfnisbefriedigung verspricht. Ökonomie erschien dadurch nur noch als Spezialfall rationaler Wahlhandlungen.

Neoklassik und Wohlfahrtsökonomie In England wurde Jevons durch Alfred Marshall (1842-1924), dem Begründer der Cambridger Schule fortgeführt. Sein Ziel war es, Jevons Grenzleidlehre wieder stärker mit der Theorie Ricardos zu verbinden. Für die Angebotsseite betonte er stärker die Kosten, nur die Nachfrageseite sei durch den Nutzen bestimmt (Ott, 1985, 227). In seinem Hauptwerk „Principles of Economics“ 1890 untersuchte Marshall betriebswirtschaftliche Fragen, führte den Begriff der Elastizität ein und wurde durch seine Verbindung von Klassik und Grenznutzenlehre zu einem der führenden Nationalökonomen seiner Epoche. Der Eklektizismus Marshalls trug wesentlich zur Durchsetzung des Marginalismus in England bei. Die Bezeichnung „Political Economy“ wurde auf seinen Vorschlag durch „Economics“ ersetzt. Das Totem der Volkswirtschaftslehre, die sich kreuzenden Angebots- und Nachfragekurven, geht auf ihn zurück. Unter seinem maßgeblichen Einfluss wurden 1903 in Cambridge die Wirtschaftswissenschaften ein eigener Studiengang. Marshall gilt auch als Begründer der „Welfare Economics“. Er und sein Nachfolger in Cambridge, Arthur C Pigou (1877-1959) dessen Hauptwerk „Wealth and Welfare“ 1912 erschien, vertraten die Auffassung, dass der Nutzen einer Geldeinheit in den Händen von

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Reichen geringer sei, als in den Händen von Armen. Daher erhöhe eine Angleichung der Einkommen den Nutzen der Gesamtheit der Einkommensbezieher und damit des Volkes als Ganzem (Stavenhagen 1964, 369 ff). Das war schön gedacht, aber ohne politischen Anspruch vorgetragen und blieb praktisch auch folgenlos. Das Grundmuster der Neoklassik ist bis heute in Geltung. Volkswirtschaften bestehen aus einer Vielzahl wechselseitig abhängiger Märkte, die tendenziell einem Gleichgewicht zustreben. Die Marktteilnehmer handeln nach Gesichtspunkten des Grenznutzens oder der Grenzkosten. Die Aussagen der Modellkonstruktionen werden in stark formalisierter, wenn möglich in mathematischer Form getroffen. Der praktische Nutzen der Modellrechnungen ist sehr umstritten (Ziegler 1998, 183).

Kritik der Neoklassik 1899 erschien in den USA das Buch von Thorstein B. Veblen (18571929): Theory of the Leisure Class. Veblen bezweifelte die Voraussetzungen, auf denen die Gleichgewichtstheorie beruhe. Insbesondere die Annahme eines konstanten, rationalen und normalen Verhaltens des wirtschaftenden Menschen sei völlig wirklichkeitsfremd. Die Menschen seien durch ein Gemisch von Egoismus, Arbeitsamkeit, Neugier und Spieltrieb bestimmt, deren Verhalten nicht nach Gleichgewichtsmodellen darstellbar sei. In seinem zweiten großen Werk, The Theory of Business Enterprise (1904) entwickelte er den Konflikt zwischen der produktiven Kraft der Technik und dem ihr abträglichen Geist des kaufmännischen Gewinnstrebens. Von den Schülern Veblens wurde in der Folge eine Volkswirtschaftslehre entwickelt, die nicht mehr von einem Gleichgewichtszustand oder einer automatisch sich herstellenden Harmonie ausging, sondern von einem Interessenkonflikt verschiedener Institutionen der Gesellschaft (Familie, Unternehmen, Gewerkschaft, Verbände und Staat), die zu einem Ausgleich ihrer Interessen kommen müssten. Nach dem ersten Weltkrieg wurde von dieser Schule ein „Bureau of Economic Research“ gegründet, das wirtschaftsstatistische Daten sammelte. Damit entstand in den USA eine eigene, realitätsnähere Wirtschaftstheorie, die Probleme der unvollkommenen Konkurrenz, soziale und kulturelle Rahmenbedingungen und Statistik berücksichtigte. Der Weltwirtschaftskrise ab 1928 stand sie jedoch ebenso hilflos gegenüber wie die neoklassische Wirtschaftstheorie. Die genaueste Kritik der Neoklassik wurde von Joan Robinson (19031983) in zahlreichen Arbeiten formuliert. Nutzen und Gleichgewicht sind

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nach Robinson metaphysische Begriffe. Durch die Grenznutzentheorie scheint der Nutzen quantifizierbar und mit einem Geldbetrag messbar. Dieselbe Preissumme ist jedoch für einen Armen eine höhere Belastung als für einen Reichen, und damit unvergleichbar. Die angeblich messbare Nutzeneinheit ist dieselbe Art von Fata Morgana wie Ricardos absoluter Wert oder Marxens abstrakte Arbeit, schreibt Robinson. Da hilft auch nicht weiter, den Nutzen durch ein Präferenzsystem zu ersetzen. Präferenzen sind nicht wertfrei. Rauschgiftsüchtige sollten kuriert werden und Kinder zur Schule gehen. Wie entscheidet man, welche Präferenzen respektiert oder unterdrückt werden? Nicht besser steht es nach Robinson um den Begriff des Gleichgewichts. Er ist ein analytischer Begriff zur Vorbereitung einer Beweisführung, aber völlig ungeeignet für Hypothesen, die durch Tatsachen überprüft werden sollen. Wohin sich ein Ausgangszustand im Laufe einer unbestimmten Zeit entwickle, sei völlig offen. Die Mathematisierung von Nutzen und Gleichgewicht verdecke die zugrundeliegenden unbewiesenen gesellschaftstheoretischen Annahmen: das größte Glück der größten Zahl werde erreicht, wenn jeder (Kapitalist oder Arbeiter) seinen Nutzen maximiert. Aber das Individuum mit vollständiger Marktinformation, um alternative Warenbündel auszuwählen, sei eine Fiktion. Es unterliege dem Einfluss der Gesellschaft, der Reklame, der Nachbarn. Die Theorie des Grenzleids kann nach Robinson bestenfalls das Verhalten eines Brombeeren pflückenden Jungen erklären. Er beendet sein Brombeerpflücken, wenn sein Grenzleid den erhofften Ertrag übersteigt, oder er hört auf, wenn er keine Lust mehr hat. Zur Erklärung des Verhaltens von Arbeiterinnen und Arbeitern sei eine so simple Theorie, die von allen sozialen Zwängen absehe, völlig untauglich. Sie diene nur dazu, Lohnarbeit und Unternehmergewinn auf dieselbe moralische Stufe zu heben (Robinson, 1962, 66-115).

Keynes und die Folgen Nach dem ersten Weltkrieg herrschte in den Vereinigten Staaten eine langandauernde Hochkonjunktur, in Großbritannien dagegen waren die Gewinne niedrig und es gab viele Arbeitslose. Deutschland fand erst nach 1925 zu einer wirtschaftlichen Konsolidierung, die die Weltwirtschaftskrise 1928 beendete. Die Hilflosigkeit der Neoklassik gegenüber der Krise war der letzte Anstoß zu dem Hauptwerk von John Maynard Keynes (1883-1946). Das 1936 erschienene Buch The General Theory of Employment, Interest and Money brach mit der Auffassung, dass das ökonomische

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System sich selbst reguliere und dadurch Gleichgewicht auf den Märkten, insbesondere Vollbeschäftigung auf dem Arbeitsmarkt sichere (Felderer/Homburg 2000, 98ff). Während die Neoklassik nur eine „freiwillige Arbeitslosigkeit“ unterstellte: die fehlende Bereitschaft zum vorherrschenden Lohnsatz zu arbeiten, bewies Keynes, dass „unfreiwillige Arbeitslosigkeit“ das normale Ergebnis der freien Marktwirtschaft sei. Trotz der Bereitschaft zum herrschenden Lohnsatz zu arbeiten, finden Arbeiterinnen und Arbeiter keine Arbeit (Ziegler 1998, 186). Die Einzelheiten der General Theory müssen hier nicht dargestellt werden. Keynes zeigte, dass selbst bei völlig elastischen Löhnen keine Vollbeschäftigung eintreten müsse, weil zu hohe Zinssätze und unzureichende Güternachfrage eine Ausdehnung der Produktion verhinderten. Zur Stabilisierung der Wirtschaft müssten daher steuernde Maßnahmen ergriffen werden, insbesondere durch die Geldpolitik der Notenbanken, Steuersenkung oder durch konjunkturbelebende staatliche Investitionen (Jarchow 1994, 193 ff). Das Aufsehen, das Keynes erregte, rührte daher, dass er erstmals wieder eine Gesamttheorie des Wirtschaftssystem entwarf, die zudem Bezug auf soziale Sachverhalte nahm und dass er wirtschaftspolitische Vorschläge machte. Nach 1945 wurden in den USA die Maßnahmen der „New Economics“ unter Kennedy/Johnson, in der Bundesrepublik die Bekämpfung der Rezession 1966/67 durch das „Stabilitätsgesetz“ mit Berufung auf die Keynessche Theorie begründet. Die Keynessche Theorie führte bis heute zu einer Spaltung der Wirtschaftstheorie (Felderer/Homburg 2003, 29). Neben der weiterbestehenden neoklassischen Analysetechnik entwickelten sich gesamtwirtschaftliche Untersuchungen, die mit verschiedenen Namen wie Neo-Neu-Postkeynesianisch bezeichnet werden. Zum Verständnis des Unterschieds zu Marxschen Theorie müssen sie hier nicht dargestellt werden. Auch die von sozialpolitischen Zielen geleiteten Theorieansätze wie die Soziale Marktwirtschaft, Monetarismus, Chicago School und Neue Institutionen Ökonomik werden hier übergangen (Söllner 2001, 218; Erlei 1999).

Finanzkrisen seit 2007 Von den Krisen des Finanzsektors ab 2007 wurde die wissenschaftliche Nationalökonomie völlig überrascht und sie fand nur langsam Erklärungen, die über die bloße Beschreibung hinausgingen. (Otte 2009) Eine gute Übersicht über den Verlauf findet sich in Wikipedia. Die

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langfristigen Ursachen reichen in die 70er Jahre zurück. (Sinn (2009; Wagenknecht 2008) Das Zusammenwirken von dem Versagen staatlicher Aufsicht, (Deregulierung), der raffinierten Weiterentwicklung bestehender Finanzinstrumente mittels der Mathematik (Verbriefung), der weltweiten Verflechtung der Banken und der Beschleunigung der Geldströme durch den Computerhandel schufen Märkte, die nicht mehr von Angebot und Nachfrage bestimmt wurden. Preise bilden sich über die Erwartung künftiger Preise, ein System von Antizipationen, wobei „das künftige Geschehen von den Erwartungen an das künftige Geschehen mitgeformt“ wird. (Vogl 2010, S.155)

Marxian Economics Die Geschichte der an Marx orientierten wissenschaftlichen Ökonomie zwischen 1890 und 1990 haben M.C. Howard und J. E. King detailliert und kritisch dargestellt. Bis 1918 war das wichtigste Thema die Entwicklung vom Konkurrenzkapitalismus zum Monopolkapitalismus. Auf dem Boden der Arbeitswerttheorie in ihrer ricardianischen Fassung wurden die Konzentration des Kapitals, die Unvermeidlichkeit von Krisen, die Verelendung der Arbeiterschaft und die Möglichkeit des revolutionären Umsturzes erörtert. Die Theorie des Imperialismus, der Lenin 1917 die erfolgreichste Fassung gab, sollte erklären, warum die prognostizierte Entwicklung sich verzögerte. Die führenden Theoretiker: Rosa Luxemburg, Karl Kautsky, Otto Bauer und W. I. Lenin haben sich nicht mit der Neoklassik auseinandergesetzt. Der grundlegenden marginalistischen Marxkritik (1896) des angesehenen Gelehrten Eugen Böhm-Bawerk (1851-1914) entgegnete Rudolph Hilferding erst acht Jahre später, ohne auf die Argumente Böhm-Bawerks wirklich einzugehen (Howard/King 1989, 52). Das blieb auch künftig so. Bis zum Erscheinen der „General Theory“ von Keynes wurde die „bürgerliche Ökonomie“ so gut wie nicht zur Kenntnis genommen. An Keynes wurde sein Festhalten an der neoklassischen Mikroökonomie und seine ausschließliche Beschäftigung mit der Zirkulationssphäre kritisiert, ohne eine bessere Erklärung der Weltwirtschaftskrise vorzulegen. Die Arbeiten von Paul Sweezy (Theorie der kapitalistischen Entwicklung, 1942) und Paul Baran (Politische Ökonomie des Wachstums, 1957) und schließlich ihr gemeinsames Buch Monopolkapital (1966) suchten nach einer mehr empirisch gestützten Erklärung der kapitalistischen Entwicklung und gewannen vor allem in der entwicklungspolitischen Debatte großen Einfluss.

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Im Gefolge dieser Arbeiten wandelte sich die leninsche Imperialismustheorie zur Dependenztheorie. Der ungleiche Tausch zwischen den Zentral- und Perepherinationen sollte für die Abhängigkeit der Entwicklungsländer verantwortlich sein. Im Gegensatz zu Marx wurde der Kapitalismus nicht mehr als Motor der Entwicklung, sondern zur Ursache der Unterentwicklung erklärt (M. Berger 2001). Die Weltwirtschaftskrise von 1973 belebte erneut Diskussionen über den Zusammenhang von Profitrate und Krise. Die Verteidigung Ricardos gegen die Neoklassik durch Piero Sraffa 1960 löste nochmals eine extensive Debatte über die Quantifizierbarkeit der Werttheorie, d.h. der Umrechenbarkeit der Werte in Preise aus. Die Auseinandersetzungen blieben allerdings auf einen exklusiven Kreis weniger englischer und US-amerikanischer Autoren begrenzt und wurden in der Bundesrepublik nur in speziellen Zeitschriften rezipiert (Prokla, Mehrwert; Schefold 1989). Eine Öffnung der an Marx orientierten Wirtschaftstheorie zur neoklassischen Theorie erfolgte erst durch den „Analytischen Marxismus“. John E. Roemer (Analytical Foundations of Marxian Economics 1981) und Jon Elster (Making sense of Marx 1985) suchten die marxsche ökonomische Theorie mit Mitteln des methodischen Individualismus zu korrigieren. Eine der bemerkenswerten Ausnahmen in der Auseinandersetzung mit der herrschenden Nationalökonomie war Oskar Lange (1904-1964). 1935 schrieb er einen Aufsatz über „Marxian Economics and Modern Economic Theory“, dessen Ergebnisse mit geringfügigen Einschränkungen immer noch Geltung haben. Es sei anmaßend, schreibt Lange, einfachhin von einer Überlegenheit der Marxschen Theorie über die bürgerliche Ökonomie zu sprechen. Es gebe eine Reihe von Problemen, die die marxsche Ökonomie völlig ausgeblendet habe, wie z. B. Monopolpreise, Geld-Kredittheorie, die Auswirkung von Steuern, die Folgen technischer Innovationen für die Löhne und anderes mehr. Um eine Bank zu leiten, sei die marxsche Ökonomie leider ungeeignet. Die bürgerliche Ökonomie sei in der Lage, Alltagsprobleme der kapitalistischen Wirtschaft auf eine Weise zu erfassen, die allem, was Marxisten dazu sagen, weit überlegen sei (Lange 1977, 23ff). In einem Aufsatz von 1958 vertieft er diese Überlegungen. Wie Marx zu seiner Zeit müsse man sich alle Ergebnisse der bürgerlichen Ökonomie zu nutze machen. Eine Verbindung der Marxschen Entwicklungstheorie mit den Instrumentarium des Marginalismus sei für die sozialistische Wirtschaftsplanung wie für die Entwicklungsländer außerordentlich hilfreich (Lange 1977, 47 ff). Howard und King beenden ihren Überblick mit einer solidarischen aber skeptischen Bilanz: der Beitrag der „Marxian Economics“ zu den

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Wirtschaftsproblemen des 20.Jahrhunderts ist dürftig, ihre Fähigkeit, wirtschaftliche Erscheinungen zu interpretieren und dadurch zu ändern sehr beschränkt. Eine Prognose der Zukunft oder gar eine Utopie zukünftigen Wirtschaftens ist nicht erkennbar. Die quantitative Arbeitswerttheorie hat die ihr zugemuteten theoretischen Probleme nicht gelöst. Arbeitsmengen lassen sich nicht eindeutig quantifizieren, die Vergleichbarkeit verschieden qualifizierter Arbeit ist ungenau, die wertmäßige Abgrenzung von Vorprodukten, Haupt- und Nebenprodukten unmöglich, die Umrechenbarkeit von Werten in Preise fragwürdig. Ein zwingender Zusammenhang zwischen technischem Fortschritt und dem Fall der Profitrate ist nicht erweisbar, eine analytischen Erfordernissen genügende Krisentheorie ist gescheitert. Die prognostizierte materielle Verelendung der ArbeiterInnen in kapitalistischen Ländern ist nicht eingetreten, die Anpassungsfähigkeit des Kapitalismus und die Rolle des Staates bei der Wirtschaftssteuerung wurden unterschätzt (Bischoff 1998). Diese Einwände, aus der Sicht der Neoklassik formuliert, sind zutreffend, soweit Marx Positionen der Klassischen Ökonomie übernahm. Eine Reihe neuer Publikationen seit der Finanzkrise ab 2007 mit den Titeln „Warum Marx recht hat“ übersehen das. Aktuell bleibt Marx als Wirtschaftssoziologe. Die Analyse des Kapitalismus als dynamisches System, das sich aus historischen Bedingungen von innerem Markt und „freien“ Arbeitskräften entwickelt, die Unterscheidung von Arbeit und Arbeitskraft, der scheingerechter Tausch von Zeiteinheiten (Nutzinger 1998) sind unabhängig von den Annahmen der Arbeitsmengentheorie. Wie Joan Robinson gezeigt hat, lässt sich auch gegenüber der neoklassischen Wirtschaftstheorie eine gravierende Mängelliste eröffnen. Wie der gesellschaftliche Reichtum ohne die Aneignung unbezahlter Arbeitszeit erklärt werden kann, darauf hat die moderne Wirtschaftstheorie keine Antwort. Dennoch ist die Attraktion der Marxschen ökonomischen Theorie begrenzt. Die Protestbewegungen gegen die Globalisierung beispielsweise beriefen sich nicht auf Marx. (Grefe 2002, Kößler/Wienand 2001, 241ff) Ebenso wenig die Kapitalismuskritik der Linkspartei. (Wagenknecht 2012) Das liegt nicht nur an dem Paradigmenwechsel der ökonomischen Theorie, sondern vor allem an den enttäuschenden Erfahrungen aus der Geschichte sozialistischer Staaten.

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3. Marxismus und Politik Der Begriff Marxismus war in Frankreich um 1870 in polemischer Absicht von Anarchisten geprägt worden. Hierauf bezog sich auch Marx’ Äußerung, dass er kein Marxist sei (MEW 22, 68-70). In der deutschen Arbeiterbewegung hatte lange Zeit Lasalle höheres Ansehen als Marx, auch in der ersten Internationale (1864-76) konnte sich das marxsche Gedankengut nur schwer durchsetzen (Rubel 1971). Sehr vereinfacht kann man drei Entwicklungsrichtungen der Marxrezeption unterscheiden, die sich typisierend mit den Namen Bernstein, Lenin und Mao Tse Tung verbinden lassen. Aus der politischen Praxis der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften entstand der sogenannte Revisionismus von Eduard Bernstein (18501932). Die wirtschaftliche Hochkonjunktur seit 1896 und die ökonomischen und sozialen Veränderungen bis zum Ende des Jahrhunderts überzeugten ihn von der Reformfähigkeit des Kapitalismus. Obschon Bernstein die Chancen einer nicht revolutionären Änderung überschätzte, befreite er den reformerischen Teil der SPD aus den Erstarrungen der deterministischen Auslegung der Marxschen Schriften durch Karl Kautsky (1854-1938). Bernsteins Grundsätze prägen sozialdemokratische Politik bis heute und führten nach 1945 in Europa zur Durchsetzung des sozialstaatlichen Kompromisses, der weitreichende Verbesserungen der sozialen Sicherung bewirkte (Flora 1986; Frerich /Frey 1996). Eine entscheidende Veränderung der Marxschen Theorie erfolgte durch Wladimir Iljitsch Lenin (1870-1924). An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert hatte eine umfassende Auseinandersetzung mit der naturwissenschaftlichen Weltsicht eingesetzt. Der Neukantianismus von Rickert und Cunow erarbeitete die Eigenständigkeit sozialwissenschaftlicher Erkenntnis. Diltheys Lebensphilosophie und Nietzsches Kritik der Tradition stellten indirekt die Marx-Engelssche Weltsicht grundlegend in Frage. Die russischen Marxisten rezipierten Avenarius und Ernst Mach. Nach intensiven philosophischen Studien vertrat Lenin in seinem Buch Empiriokritizismus (1908) einen extremen erkenntnistheoretischen Realismus, in dem Subjekt und Objekt schroff geschieden waren. Lenins intensive Beschäftigung mit Hegels Dialektik blieb für seine Erkenntnistheorie und politische Theorie folgenlos (Anderson 1995, 252). Er machte die marxsche Theorie zu einem System der proletarischen Weltanschauung und verließ damit ihren kritischen Anspruch. Alle Zweifel an der Angemessenheit marxistischer Weltdeutung wurden entschieden zurückgewiesen und gegen Kritik immunisiert.

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Lenins wichtigster Beitrag zur marxistischen Theorie bestand in seiner Lehre von der Partei (Williams 2000, 83 ff). Der Staat als Organ der herrschenden Klasse kann nur von der Partei der Arbeiterklasse erobert werden. Da die breite Mehrheit der Arbeiter kein revolutionäres Bewusstsein entwickeln könne, müsse sie von einer straff organisierten Gruppe von Berufsrevolutionären angeführt werden. Damit knüpfte er an den von Marx abgelehnten Blanquismus an. Louis Auguste Blanqui (1805-1881) hatte die Theorie einer revolutionären Elite entwickelt, die unabhängig von gesellschaftlichen Verhältnissen eine Revolution herbeiführen könne. Die Festschreibung des Lehrgebäudes des Leninismus erfolgte ab 1924 durch Jossif W. Stalin (1879-1953). Mit dem ideologischen Programm Aufbaus des Sozialismus in einem Lande setzte er gewaltsam die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft durch und forcierte die Industrialisierung im Bergbau und der Schwerindustrie. Vermeintliche und wirkliche Gegner wurden in blutigen Säuberungen beseitigt. Mithilfe der roten Armee setzte er nach dem mit ungeheuren Verlusten verbundenen Krieg gegen Hitlerdeutschland in den angrenzenden Ländern kommunistische Regierungen ein. Ungeachtet der terroristischen Methoden hatte Stalins Regime große Austrahlungskraft. 1945 beginnt eine Erfolgsgeschichte des Kommunismus. Sukarno verkündete 1945 eine Verbindung von Islam und Sozialismus in Indonesien. Josip Tito (1892-1980) bricht 1948 mit Stalin und organisiert ein jugoslawisches Modell des Sozialismus. Von Arbeitern selbst verwaltete Betriebe standen unter Aufsicht einer Bank, die sie einerseits finanziell kontrollierte andererseits vor Übernahme durch andere Betriebe schützte. (Roemer 1994b). 1949 siegte die kommunistische Partei Mao Tse Tungs in China. Nordkorea behauptete sich in dem Krieg von 1950-53 gegen die USA, Nasser führte Ägypten zum Sieg über England, Frankreich erlitt 1954 eine vernichtende Niederlage gegen das Vietnam Ho Chi Minhs. Fidel Castro eroberte 1959 die Macht in Kuba. In Afrika entstanden zahlreiche Parteien und Regimes, die sich auf Marx beriefen (Nohlen 1998). Durch die Verbindung mit den jeweils eigenen Denktraditionen entstand eine Vielfalt von marxistischen Doktrinen. Gemeinsam war ihnen eine von Europa gänzlich unterschiedene politische, soziale und kulturelle Ausgangslage: es waren agrarisch bestimmte Gesellschaften, in denen die Industrialisierung noch nicht begonnen hatte. Dementsprechend sah Mao Tse Tung (1893-1976) den Marxismus als westliche Ideologie an. Bei ihm wurden aus der komplizierten Marxschen Analyse des Kapitalismus schlichte Regeln der Auseinandersetzung von arm und reich, die in ihrer Einfachheit mit traditionalen Über-

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zeugungen unterschiedlichster Gesellschaften in Asien und Afrika vereinbar waren. Beliebige Aufgaben wie die Beseitigung des Analphabetismus oder die Bekämpfung von Seuchen konnten als Nahziel kommunistischer Fernziele ausgegeben werden. Aus einer Theorie der Überwindung des Kapitalismus wurde eine Theorie der Entwicklungspolitik mit dem Ziel der Industrialisierung. Noch schärfer als Lenin betonte Mao Tse Tung den Führungsanspruch der avantgardistisch organisierten Partei. In Europa fanden durch die Dekolonisierung ab den sechziger Jahren kommunistische Befreiungsbewegungen zunehmende Aufmerksamkeit. Seit dem Vietnamkrieg wurde von linken Gruppierungen die Kritik an der Politik der Vereinigten Staaten als Kritik des Kapitals vorgetragen. In den Studentenbewegungen ab 1967 in den USA, Frankreich und Deutschland sammelten sich alle Spielarten des Marxismus. Die Begeisterung für den chinesischen, kubanischen, albanischen, italienischen, tschechischen, sowjetischen, vietnamesischen, kambodschanischen oder sandinistischen Kommunismus als Totengräber des Kapitals ruhte auf illusionären Vorstellungen, ohne die Realität dieser Gesellschaften zu sehen (Furet 1995, 614). In der Sowjetunion hatte sich nach Stalins Tod 1953 die Theorie langsam in Richtung einer marxistischen Soziologie geöffnet. Der Nachfolger Stalins Nikita Chrustschow (1894-1971) klagte in einer berühmten Rede 1956 den Stalin‘schen Terror an und rehabilitierte die von Stalin verfolgte Intelligenz und ermutigte die Opposition. Von der sowjetischen Führung wurde der Aufstand in Ungarn im November 1956 noch brutal niedergeschlagen und der Widerstand in Polen und der Tschechoslowakei unterdrückt. Aber von nun an wurde die Forderung nach Demokratie, der Wunsch nach einem angenehmeren Leben und die Berücksichtigung ethnischer und nationaler Gefühle unübersehbar (Furet 1996, 624). Ab 1980 hing das ökonomisches Wachstum weitgehend von technischen Innovationen ab. Die Rüstungsindustrien nahmen alle Ressourcen in Anspruch, billige Massenkonsumgüter konnten nicht ausreichend produziert werden (Roemer 1994b, 45). Die moderate Öffnung zur Gesellschaft, die begrenzte Aussetzung des Polizeiterrors (Glasnost) und wirtschaftliche Reformen (Perestrojka) durch Michail Gorbatschow wurden vom Westen unterstützt. Gegen den Putsch der Apparatschiks vom August 1991 siegten schließlich demokratische Kräfte, allerdings stürzte Gorbatschow und die Sowjetunion löste sich auf. Das Ende der Sowjetunion wurde im Westen eher erstaunt, als schadenfroh wahrgenommen. Die internationale Entspannung und der Einfluss der Medien hatten den öffentlichen Antikommu-

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Fünf Generationen danach

nismus geschwächt. Der Lebensstandard in den westlichen Industriestaaten und die Erfolge der Sozialdemokratie und Gewerkschaften bei der sozialen Absicherung der Bevölkerung hatten die Vorbildlichkeit der russischen Revolution und der sozialistischen Organisation der Gesellschaft immer fragwürdiger werden lassen. Im Lichte dieser Erfahrungen sind die Marxschen Texte über die Revolution und die revolutionäre Rolle des Proletariats anachronistisch geworden. Die Theorie der proletarischen Revolution, der Arbeiterklasse als dem einzigen revolutionären Subjekt und der Führungsanspruchs einer Partei sind mit der Sowjetunion endgültig untergegangen. Das Schwarzbuch des Kommunismus listet Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf, die nicht zu entschuldigen sind (Courtois 1998). Die Annahmen über die zunehmende Spaltung der Gesellschaft in zwei antagonistische Klassen, die Erwartung einer unaufhaltsamen materiellen Verelendung ist zumindest in westlichen Industrieländern nicht eingetroffen. Durch Mitbestimmung, Sozialversicherung und Sozialhilfe sind Härten der Lohnarbeit gemildert worden. Die generelle Erwartung, der Sozialismus gewährleiste die bessere Versorgung einer Massenbevölkerung mit Lebensmitteln hat sich nicht erfüllt, selbst wenn der Vergleich Chinas mit Indien zugunsten Chinas ausfällt. Dennoch behält die Zielvorstellung des Kommunistischen Manifests von einer Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist, ihre Richtigkeit. Mit welchen Mitteln dieses Ziel zu erreichen ist und wie diese Freiheit aussehen kann, dafür hat Marx zumindest den methodischen Weg angegeben: durch die historische Analyse und theoretisch Interpretation der Gegenwart. Der Sozialstaat mit seinen Nebenfolgen von bürokratischer Macht, seiner Behandlung von Minderheiten, Immigranten oder Asylsuchenden hat seine Unschuld verloren. (Habermas 1990, 236) Wie Marx richtig sah, stehen in einer privatwirtschaftlich organisierten Gesellschaft gleiche Rechte gegen gleiche Rechte, zwischen denen die Gewalt entscheidet. Auch das Ausmaß der Verwirklichung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit hängt an Gewaltverhältnissen. Der Kampf um gleiche Rechte wird durch keine Sozialreform abgeschafft werden können, auch wenn die Mittel dieses Kampfes gemäßigter werden.

Glossar Absolute Arbeitszeit: die Arbeitszeit, die akzeptiert werden muss, um überhaupt Arbeit zu bekommen. absoluter Mehrwert: → Mehrwert, der durch Verlängerung der vertraglichen Arbeitszeit entsteht. Abstrakte Arbeit: Austauschbarkeit. Gemeinsame, gesellschaftlich erzeugte Beziehung aller Waren untereinander und zur Gesamtheit aller Waren, sofern von jeder konkreten Eigenschaft der Waren abgesehen wird. Akkumulation: Wachstum des Kapitals durch Rückverwandlung von → Mehrwert in Kapital Äquivalentform: Die →Form ihrer unmittelbaren Austauschbarkeit mit einer anderen Ware Arbeit: Ein Prozess zwischen Mensch und Natur, bei der sich Mensch und Natur verändert. Das Produkt der Arbeit sind Gebrauchsgegenstände. Arbeitskraft: 1) Fähigkeit von Personen, geistig und körperlich zu arbeiten. 2) Arbeiter und Arbeiterinnen Arbeitslohn: Gegenwert in Geld oder Naturalien für die → Reproduktion der → Arbeitskraft Arbeitstag: Tägliche Arbeitszeit, bestehend aus → notwendiger Arbeitszeit und Mehrarbeitszeit Arbeitsteilung: Zerlegung von Arbeitsprozessen in Teilvorgänge und Zuweisung an bestimmte Personen. Ausbeutung: Rechtlich abgesicherte Aneignung unbezahlter Arbeitszeit durch eine Klasse Assoziation freie: Klassenlose Gesellschaft, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist. Basis: Metaphorischer Ausdruck für die → Produktivkräfte: arbeitende Menschen mit technischem Wissen und Fähigkeiten. Sie bewegen sich in einem „Überbau“, den gesellschaftlichen, juristischen und politischen Verhältnissen, die sie historisch vorfinden, von denen sie geprägt sind, aber auch verändern.

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Glossar

Dialektik: Denk- und Darstellungsform, die gesellschaftliche Erscheinungen als widersprüchliche, sich ständig verändernde Bewegungen begreift, wobei Subjekt und Objekt des Denkens sich in wechselseitiger Abhängigkeit befinden. Distribution: Verteilung der produzierten Güter in einer Gesellschaft. Mit der Änderung der → Produktionsweise (antike, feudale, kapitalistische Produktionsweise) ändern sich auch die Verteilungsverhältnisse. Durchschnittsprofit: Theoretisch unterstellter Durchschnitt aller Unternehmensgewinne pro eingesetzter Kapitaleinheit in einer Nationalwirtschaft. Eigentum: auf der Grundlage eigener Arbeit rechtlich gesicherter Anspruch auf Besitz und Verfügungsrechte. Einfache Arbeit: → Komplizierte Arbeit Emanzipation: allseitige Entwicklung der Fähigkeiten des Menschen, Befreiung von ökonomischen, politischem und persönlichem Zwang. Entfremdung: Ein undurchschaubar gebrochenes Verhältnis zum Produkt der eigenen Arbeit, zu anderen Menschen und zu sich selbst. Erscheinung, Erscheinungsform: a) äußeres, sinnlich wahrnehmbares Aussehen. b) sichtbar und erfahrbar werdende Gestalt des → Wesens. Der Zusammenhang von Wesen und Erscheinung sind nur → dialektisch zu begreifen. Extramehrwert: →Mehrwert, der durch einen technischen Vorsprung vor anderen Produzenten ermöglicht wird. Extraprofit: Der Geldbetrag, der dem Extramehrwert entspricht Fetischismus: Historisch entstandene Zuschreibung einer unnatürlichen oder übernatürlichen Eigenschaft an einen Gegenstand. Form: a) Äußere Gestalt b) Die historisch entstandene sichtbare Seite des → Wesens Gebrauchswert: Die Nützlichkeit eines Dings Geld: a) Wertausdruck einer Ware. b) eine Ware, die historisch zum allgemein akzeptierten Äquivalent und Wertmaßstab wurde. Geldform: ein Geldmaterial, das sich in allgemeiner → Äquivalentform befindet. Gesellschaft: Gesamtheit von Personen und ihrer Beziehungen eines Terretoriums Gesellschaftsformation: Kennzeichnung einer Wirtschaftsweise verbunden mit den dazugehörigen politischen und kulturellen Umständen: z. B. antike, feudale, kapitalistische Gesellschaftsformation.

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Gesellschaftliche Arbeit: Arbeit für einander Grundrente: Ertrag aus Bodeneigentum Idealtypus: Ein aus der Empirie konstruiertes Modell, mit dessen Hilfe unterschiedliches soziales Verhalten miteinander verglichen werden kann: Macht ist die Chance bei einem angebaren Personenkreis für einen Befehl Gehorsam zu finden. (Max Weber) Identität: Diesselbigkeit. Aufhebung von Differenz. Nach dem Grad noch vorhandener Differenzen erreicht die Identität verschiedene Grade: zwei Euros sind identisch und jeder ist mit sich identisch. Ideologie: a) Bewusstsein. b) Bewusstsein, das sich über seine historische Entstehung und gesellschaftlichen Ursachen keine Rechenschaft zu geben vermag. Industrielle Reservearmee: Durch die technische Entwicklung arbeitslos gewordene Arbeitskräfte. Intensivierung der Arbeit: Beschleunigung von technisch unveränderten Arbeitsprozessen pro Zeiteinheit Kapital: → Geld das sich durch Tausch mit der Ware Arbeitskraft vermehrt. Klasse: Personengruppe, die durch die Ähnlichkeit ihrer wirtschaftlichen Lage und ihrer politischen und kulturellen Erfahrungen fähig sind, gemeinsam ihre Interessen zu verfolgen. Heute fast gleichbedeutend mit Schicht. Klassenkampf: Kämpfe von Klassen (Schichten) innerhalb eines Staates um politische Beteiligung, wirtschaftliche Besserstellung und kulturelle Anerkennung. Erstes Ziel der Klassenkämpfe ist die Eroberung der politischen Macht. Endziel ist die Aufhebung der kapitalistischen Gesellschaftsform und der Herrschaft von Menschen über Menschen. komplizierte Arbeit: Arbeit, die als qualifizierter gegenüber der „normalen“ gesellschaftlichen Durchschnittsarbeit gilt. Konstantes Kapital (c): Der Teil des Kapitals, der für Produktionsmittel, z. B. Rohmaterial, Hilfsstoffe, Maschinen, Gebäude etc. aufgewandt wurde. Ihr konstant bleibender Wert wird auf die Endprodukte übertragen. Kostpreis (k): Die Summe der Ausgaben eines Unternehmens für Löhne (v) und Produktionsmittel (c) Kritik: Das Verfahren, empirische Sachverhalte und Bewusstseinsinhalte auf die materielle Produktion und Reproduktion des Lebens zurückzuführen, d. h. historisch zu erklären.

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Lohnarbeit: Im Unterschied zur Sklaverei oder Zwangsarbeit „frei“ vereinbartes, zeitlich begrenztes Arbeitsverhältnis gegen Geld. Mehrprodukt: Überschussertrag aus konkreter Arbeit, z. B. der Ernteertrag aus landwirtschaftlicher Arbeit. Mehrwert (m): Zuwachs an → Wert durch Hinzufügung lebendiger Arbeit. Unter Bedingungen der privaten Warenproduktion wird Mehrprodukt zu Mehrwert. Mehrwertrate: Theoretisch unterstelltes Verhältnis von Mehrwert zum eingesetzten variablen Kapital (Löhne) (m/v) Die Mehrwertrate ist keine empirisch messbare Größe. Mensch: Vernunftbegabte Lebewesen, die ihre Lebensmittel produzieren. (toolmaking animal) Notwendig: Gegenteil von zufällig. Der Begriff behauptet eine unvermeidliche Entwicklung von einem Zustand a zu einem Zustand b. Während naturnotwendige Prozesse zwangsläufig erfolgen, können soziale Prozesse durch entgegegenwirkende Ursachen aufgehalten werden. Notwendige Arbeit(szeit): Teil der täglichen Arbeitszeit, in der die → Arbeitskraft den Gegenwert ihres Lohns (also sich selbst) reproduziert. Organische Zusammensetzung des Kapitals: das Wertverhältnis von → konstantem Kapital (c) zu → variablem Kapital (v). Der Begriff entspricht in etwa dem Kapitalkoeffizient, dem Aufwand von Kapital pro Arbeitskraft, um eine Einheit einer Ware zu produzieren. Politische Ökonomie: Die Lehre von der (Haus)Wirtschaft eines politischen Gemeinwesens. Der Begriff entspricht in etwa dem heutigen Begriff der Volkswirtschaftslehre. Preis: Ausdruck des → Werts einer Ware mit einem bestimmten Geldmaterial: Gold, Silber, Papier. Der gleiche Wert kann je nach Währung verschiedene Preisausdrücke haben. Preisform: → Erscheinungsform des Preises. Die Gegenüberstellung einer Ware mit Geld oder einer Preisangabe. Die Preisform ermöglicht die Abweichung zwischen Wertgröße und Preis. Produktion: Die Herstellung von Lebensmitteln, Werkzeugen, Büchern, Kunstwerken etc. Produktivkräfte – Produktionsverhältnisse: Zu den Produktivkräften zählen die Arbeitenden, ihr Wissen und ihre Fähigkeiten. Zu den

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Produktionsverhältnissen die gesellschaftlichen Umstände, die durch ihre Arbeit entstehen. Beide Pole entwickeln sich teils mit – teils gegeneinander. Der Widerspruch zwischen den Produktivkräften und Produktionsverhältnissen dient zur Erklärung von Kollisionen verschiedener Klassen, ideologischer Auseinandersetzungen, politischer Kämpfe etc. und des sozialen Wandels. Produktionsmittel: alles, was mit Ausnahme der Arbeitskräfte zur Herstellung eines Gegenstandes erforderlich ist, also z. B. Gebäude, Rohstoffe, Maschinen, Energie etc. Produktionspreis: Der Geldbetrag, der der Summe aus Herstellungskosten (→ Kostpreis) und → Durchschnittsprofit entspricht. Produktionsweise: Zusammenfassende Bezeichnung historischer Wirtschaftsformen und den entsprechenden gesellschaftlichen Verhältnissen. Unterschieden werden asiatische antike, feudale, kapitalistische Produktionsweise. Produktive Arbeit: Arbeit, die → Mehrwert produziert. Profit (p): Unternehmergewinn. Überschuss über das für eine Produktion eingesetzte Kapital für Produktionsmittel ( c ) und Löhne ( v ). Profitrate (r): Das Verhältnis von Unternehmergewinn zu dem für eine Produktion eingesetzten Kapital. r = m/c + v relativer Mehrwert: Der → Mehrwert, der aus der technisch ermöglichten Verkürzung der → notwendigen Arbeitszeit und damit automatisch eintretenden Verlängerung der Mehrarbeitszeit entsteht. Reproduktion: Wiederherstellung des Ausgangszustandes. Revenue: Einkommen aus Kapital oder Grundeigentum Schein: → Erscheinung Struktur: Das Verhältnis einer unbestimmten Anzahl von Elementen zueinander Staat neuzeitlicher: Soziale Institution, die ein angebliches oder wirkliches Allgemeininteresse gegenüber den egoistischen Sonderinteressen der Warenproduzenten notfalls gewaltsam herstellt. Tauschwert: das quantitative Austauschverhältnis von zwei oder mehreren Gebrauchswerten Totalität: Gesamtheit aller denkbaren und realen Zusammenhänge einer Gesellschaft Ursprüngliche Akkumulation: Entstehungsprozesse des Kapitalismus ab dem 15. Jahrhundert

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Variables Kapital: (v) Der bei der Produktion für Arbeitskräfte aufgewendete Teil des Kapitals. Die Arbeitskraft reproduziert ihr eigenes Äquivalent und einen Überschuß darüber. Das für Arbeitskräfte eingesetzte Kapital vergrößert sich und heißt daher variables Kapital. Verdinglichung: Die Unerkennbarkeit der historischen und gesellschaftlichen Entstehung Ursachen bei Gegenständen der sinnlichen Wahrnehmung, z. B. Ware, Geld, Zins, Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit etc. siehe auch Warenfetisch Verelendung: Unaufhaltsame materielle und immaterielle Verschlechterung der Lage der unmittelbaren Produzenten. Verwertungsprozess: Produktion des Mehrwerts durch Arbeit Ware: privat für den Austausch hergestellter Gegenstand Warenfetisch: gewohnheitmäßig verfestigte Zuschreibung sachlicher Eigenschaften an gesellschaftliche Verhältnisse. Sachlichkeit als Norm gesellschaftlicher Beziehungen. Wert: a) die in einer Ware vergegenständlichte gesellschaftlich durchschnittlich erforderliche Arbeitsmenge b) gesellschaftlich erzeugte Gemeinsamkeit der Waren, die sie austauschbar macht: → abstrakte Arbeit. Wert ist gesellschaftlich erzeugte Austauschbarkeit. Wertprodukt: Summe der von den Vorprodukten übertragenen und bei der Herstellung neu entstandenen Werts. Wert der Arbeit: irrationeller Ausdruck für den → Wert der Arbeitskraft, der den unbezahlten Teil der Arbeitszeit der Arbeitskraft unerkennbar macht. Wert der Arbeitskraft: Summe der durchschnittlich notwendigen Herstellungskosten einer Arbeitskraft, vergleichbar den Produktionskosten anderer Waren Wertform: → Erscheinungsform des Werts: x Ware A= y Ware B: zwei Waren im Austausch. Gemeinsame Wertform der Waren ist die → Geldform. Wertgröße: gesellschaftlich standardisierte Zeitnorm, die für die Produktion einer Ware theoretisch unterstellt wird. Die Wertgröße ist empirisch nicht messbar. Sie kann zufällig, muss aber nicht mit dem Preis übereinstimmen. Wesen: Komplementärbegriff zu Erscheinung. Inbegriff der unverzichtbaren Eigenschaften von etwas. Traditionell wird Wesen durch die Angabe der Gattung und des spezifischen Unterschieds definiert: Mensch als vernunftbegabtes Tier. Widerspruch: Innerer Zusammenhang und Bewegungsform eines Gegensatzpaares.

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Zeit: Maß für den Ablauf von Prozessen oder der Bewegung im Raum. Zentralisation: Ballung von Wirtschaftsmacht bei immer weniger Unternehmen Zins: Forderung aus Leihkapital Zirkulation: Zusammenfassender Begriff aller Tauschvorgänge, die der Produktion vorangehen oder ihr folgen. Zyklus: Kreislauf. Periodischer konjunktureller Auf- und Abschwung der Wirtschaft

Im Text erwähnte Personen Adorno Theodor Wiesenthal (1903-1969) Philosoph, Soziologe, Musiktheoretiker und Komponist, neben Max Horkheimer Hauptvertreter der Kritischen Theorie. Ab 1949 Professor in Frankfurt. Althusser Louis (1918-1990) Algerisch-französischer Sozialphilosoph. Professor an der Ecole Superieure Normale in Paris. Verfasser einer strukturalistischen Interpretation von Marx. Aristoteles (384-322) Naturforscher und Philosoph. Erzieher Alexander des Gr. Seine Lehren über Natur, Politik, Ethik und Kunst prägen das abendländische Denken bis heute. Avenarius Richard (1843-1896) Philosoph und Wissenschaftstheoretiker. Professor an der Universität Zürich. Zusammen mit Ernst Mach gilt er als Begründer des Empiriokritizismus. Bailey Samuel (1791-1870) Englischer Philosoph und Ökonom. Seine Kritik der Ricardo’schen Arbeitswerttheorie wurde von Marx teilweise übernommen. Baran Paul (1910-1964) US amerikanischer Nationalökonom. 1928 freier Mitarbeiter der Frankfurter Instituts für Sozialforschung. Im Anschluss an sein Exil ab 1949 Professor in Stanford. Barbon Nicholas (1640-1698) Englischer Ökonom. Entwickelte eine Form der subjektiven Wertlehre und Geldtheorie Bauer Otto (1881-1938) Sozialistischer Politiker und Theoretiker des Austromarxismus. 1918 Außenminister Österreichs. Nach dem Einmarsch Hitlers Exil in der Tschechoslowakei. Bebel August (1840-1913) Mitgründer und ab 1869 Vorsitzender der sozialdemokratischen Arbeiterpartei, Mitglied des Reichstags seit 1867. Theoretiker der Frauenfrage. Mitgestalter des Erfurter Programms 1891. Bentham Jeremy (1748-1832) Englischer Sozialphilosoph. Theoretiker des Utilitarismus: „des größten Glücks der größten Zahl“ mit erheblichen Einfluss auf Ricardo und J. St. Mill. Bernstein Eduard (1850-1932) Journalist und Schriftsteller. Mitglied der SPD seit 1872. Theoretiker des sog. Revisionismus. Mitverfasser des Görlitzer Programms von 1921. Mitglied des Reichstags.

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Kurzbiographien

Blanqui Louis Auguste (1805-1881) Wegen Beteiligung an Aufständen (1830, 1848, 1871) 36 Jahre im Gefängnis. Seine Schriften über den bewaffneten Aufstand hatten großen Einfluss auf Lenin. Böhm-Bawerk Eugen (1851-1914) Österreichischer Nationalökonom. Professor in Innsbruck und Wien, wiederholt österreichischer Finanzminister, Wichtiger Vertreter der Grenznutzenschule und scharfsichtiger Kritiker der marxschen Theorie.. Bortkiewicz Ladislaus von (1868-1931) Ab 1901 Professor der Staatswissenschaften in Berlin. B. verfasste eine vielbeachtete mathematische Studie zu Marx’ Umrechnung von Werten in Preise. Breschnew Leonid Iljiitsch (1906-1982) Löste 1964 Chruschtschow ab, rehabilitierte Stalin und unterdrückte die Bürgerrechtsbewegung. Außenpolitisch verfolgte er eine maßvolle Entspannungs- und Abrüstungsdiplomatie. Étienne Cabet (1788-1856) Rechtsanwalt. Im Londoner Exil entsteht der Roman Die Reise nach Ikarien (1842) über ein diktatorisches, wirtschaftlich blühendes Gemeinwesens. 1848 gründet er mit Kolonisten in Nauvoo am Mississippi sein Ikarien. Ihr Scheitern erlebt er nicht mehr. Castro Ruz Fidel (1927-) Rechtsanwalt. Nach der Revolution gegen den Diktator Batista ab 1959 Ministerpräsident und anerkannter Führer Kubas. Theorieelemente des Marxismus – Leninismus wandelte er in den siebziger Jahren zur Ideologie des Fidelismus. Chruschtschow Nikita Sergejewitsch (1894-1971) Nach dem Sturz Stalins 1953 leitete er die Entstalinisierung und ein Programm der friedlichen Koexistenz ein. Unter seiner Führung Unterdrückung des Aufstandes in Ungarn 1956 und den Bau der Berliner Mauer 1961. Cincinatus () Römischer Patrizier, Konsul 460 v. Chr. Diktator zwischen 458 und 439. Trotz seiner aristokratischen Stellung bestellte er angeblich seine Felder selbst. Cunow Heinrich (1862-1936) Deutscher Politiker. Von 1917 bis 1923 Schriftleiter der sozialdemokratischen Zeitschrift „Neue Zeit“ und Autor wichtiger völkerkundlicher Untersuchungen. Darwin Charles (1809-1882) Englischer Naturforscher. Seine Evolutionstheorie (1859) veränderte grundlegend die wissenschaftliche Biologie. Defoe Daniel (1660-1731) Englischer Schriftsteller. Neben dem Roman „The life and strange adventures of Robinson Crussoe“ (1719) wurde vor allem seine Schilderung der Pest in London (1722) berühmt.

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Deleuze Gilles (1825-1995) Ab 1969 Professor an der Reformuniversität Paris VIII. Gegen die Identitätsphilosophie und gegen den Strukturalismus begründete er zusammen mit Felix Guattari eine eigenwillige Philosophie der Vielfalt und Differenz. Demuth Helene (1820-1890) Haushaltshilfe seit 1834 bei den späteren Schwiegereltern von Marx. Von 1843 bis 1883 Haushälterin bei der Familie Marx. Demuth Henry Frederick (1851-1929) von Marx verleugneter Sohn mit Helene Demuth. Wuchs in einer Pflegefamilie auf und wurde Büchsenmacher. Nach dem Tod seiner Mutter war er Kassenwart der Metallarbeitergewerkschaft und Mitgründer der Labourpartei in Hackney. Derrida Jacques (1930-2004) Algerisch-Französischer Philosoph. Seine Arbeiten zu den Themen Sprache, Kunst und Ästhetik wurden lange von der französischen Bildungselite abgelehnt. Descartes René (1596-1650) Französischer Mathematiker und Philosoph. Seine Theorie den methodischen Zweifels hatte nachhaltigen Einfluss auf das europäische Denken der Moderne. Dilthey Wilhelm (1833-1911) Ab 1882 Professor für Philosophie in Berlin. Er gilt als Begründer der Erkenntnistheorie der Geisteswissenschaften und der Hermeneutik. Diodorus Siculus (80-29 ) Griechischer Geschichtsschreiber. Verfaßte eine Geschichte der Völker des Altertums bis 54 v. Chr. Dühring Karl Eugen (1833-1921) Philosoph und Nationalökonom. Seit 1863 Privatdozent in Berlin, dem wegen seiner Kritik am Universitätsbetrieb die Lehrerlaubnis entzogen wurde. Wegen seines Einflusses auf die deutsche Arbeiterbewegung wurde er von Friedrich Engels heftig bekämpft. Edgeworth Francis Ysidro (1845-1926) Englischer Volkswirtschaftler. Professor in Oxford, Wegbereiter der mathematischen Wirtschaftstheorie. Engels Friedrich (1820-1895) Fabrikantensohn aus Barmen. Universal gebildet arbeitete er seit 1844 eng mit Marx zusammen und unterstützt ihn mit erheblichen finanziellen Zuwendungen. Er publizierte zahlreiche historische, militärwissenschaftliche und ökonomische Studien und popularisierte das Werk von Marx. Epikur (341-271 v. Chr. ) Griechischer Philosoph. Maßstab der Wahrheit sei die sinnliche Wahrnehmung. Wahres Glück sei nur durch unerschütterliche Ruhe (Ataraxie) erreichbar.

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Feuerbach Ludwig (1804-1872) Philosoph. Seine materialistische Erkenntnislehre und psychoanalytische Religionstheorie hatten großen Einfluss auf Marx und Engels. Foucault Michel (1926-1984) Schriftsteller und Kulturphilosoph. Seit 1970 Professor am College de France in Paris. F. verfasste grundlegende Arbeiten zur Entstehung der modernen Gesellschaft. Fourier Charles (1772-1837) Französischer Sozialphilosoph. Entwarf ein umfassendes System des utopischen Sozialismus das großen Einfluß auf die Entwicklung der Genossenschaftsbewegung hatte. Franklin Benjamin (1706-1790) Amerikanischer Staatsmann und Schriftsteller. Arbeiten zur Theorie der Elektrizität, Erfinder des Blitzableiters und Kondensators. Mitunterzeichner der Unabhängigkeitserklärung 1776, Mitautor der amerikanischen Verfassung. Freud Sigmund (1856-1939) Begründer der Psychoanalyse, Professor in Wien ab 1902, ab 1938 im Exil in London. Neben seinem weltweiten Einfluss auf die psychotherapeutische Behandlung prägte er maßgebend die moderne Kulturtheorie. Goethe Wolfgang v. (1749-1832) Deutscher Dichter und Kulturphilosoph Gorbatschow Michail (1931-) sowjetischer Politiker, seit 1971 Mitglied des Zentralkomitees, 1990-1991 Staatspräsident der UdSSR. Seine Reformpolitik zielte auf eine Erneuerung der SU und der Beendigung des Kalten Krieges. Habermas Jürgen (1929-) Soziologe, Sozialphilosoph und politischer Publizist. Seit 1961 Professor in Heidelberg, Frankfurt und Starnberg. Sein Einfluss auf das intellektuelle Leben der Bundesrepublik ist kaum zu überschätzen. Hegel Georg Wilhelm Friedrich (1770-1831) Philosoph. Wichtigster Vertreter des deutschen Idealismus, mit bleibender Wirkung auf die deutsche Philosophie und marxistische Theorie. Hess Moses (1812-1875) Frühsozialist, Mitgründer und Redakteur der Rheinischen Zeitung, Berater und Mitarbeiter von Marx und Engels bis 1845. Gilt als Vorläufer des Zionismus. 1862 entwarf er sein Konzept zur Errichtung eines jüdischen Nationalstaats. Hilferding Rudolph (1877-1941) Arzt und Sozialwissenschaftler, Theoretiker des Austromarxismus. Schriftleiter des „Vorwärts“ 19071916, Mitglied der USPD, Mitglied des Reichstags, zweimal Reichsfinanzminister. Ab 1933 im Exil, stirbt er 1941 in Gestapohaft in Paris. Hobbes Thomas (1588-1679) Englischer Naturphilosoph und Staatstheoretiker. Der Naturzustand des Kampfes aller gegen alle wird nach

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H. durch den Staat beendet, dessen beste Form die absolute Monarchie ist. Ho Chi Minh (1890-1969) Vietnamesischer Politiker. Nach dem Studium in Paris, Mitgründer der KP Indochinas (1930). Seit 1945 Präsident der Demokratischen Republik Vietnams und ab 1954 Staatspräsident von Nordvietnam. Leitfigur im amerikanisch-vietnamesischen Krieg. Horkheimer Max (1895-1973) Philosoph und Soziologe. Ab 1931 Direktor des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt, emigrierte 1933 in die USA, kehrte 1949 nach Frankfurt zurück und übte starken Einfluß auf die entstehende Studentenbewegung aus. Jevons William Stanley (1835-1882) Englischer Volkswirtschaftler und Philosoph. Nach beruflicher Arbeit in Australien ab 1866 Professor in Manchester, ab 1876 in London. Mitbegründer der Grenznutzentheorie. Kant Immanuel, (1724-1804) Philosoph. Ab 1770 Professor für Logik und Metaphysik in Königsberg. Seine „Kritik der reinen Vernunft“ (1781) stellt die Erkenntnistheorie, die Theorie der Naturwissenschaften und der Ethik auf eine neue Grundlage. Kautsky Karl (1854-1938) Österreichischer Sozialdemokrat. Von 1883-1917 Herausgeber der Zeitschrift „Die Neue Zeit“. Mitverfasser des Erfurter Programms 1891. Bekämpfte den Revisionismus und lehnte den Bolschewismus ab. Keynes John Maynard (1883-1946) Britischer Volkswirtschaftler. Von 1920-1946 Professor am Kings College in Cambridge. Seine Wirtschaftstheorie hatte nachhaltige Wirkung auf die Wirtschaftspolitik der Nachkriegszeit in Europa und USA. Kollontai Alexandra (1872-1952) Russische Theoretikerin und Politikerin. Mitglied im ersten Kabinett Lenins. Nach dem Bruch mit Stalin Botschafterin in Schweden. In ihren Schriften trat sie für die Frauenemanzipation, Lockerung der Ehemoral und grundlegenden Wandel des Geschlechterverhältnisses ein. Kugelmann Ludwig (1830-1902) Arzt. Teilnehmer der Revolution 1848, ständiger Briefpartner von Marx und Engels. Unterstützt finanziell das Erscheinen des Kapital 1867. Lacan Jacques (1901-1981) französischer Psychoanalytiker und Philosoph. Seine Sprachtheorie hatte großen Einfluss auf die moderne Literaturwissenschaft, Soziologie und Ethnologie. Lange Oskar (1904-1965) Polnischer Volkswirtschaftler. Exil 1938 in USA, Professor in Chicago bis 1945, dann polnischer Botschafter.

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Ab 1949 Mitglied des Zentralkomitees der polnischen Arbeiterpartei und des Staatsrats. Lassalle Ferdinand (1825-1864) Publizist und Politiker. Mitbegründer und Präsident des allgemeinen deutschen Arbeitervereins 1863, forderte das allgemeinen Wahlrecht und eine staatliche Sozialpolitik. Law John (1671-1729) schottischer Bankier und Wirtschaftstheoretiker. 1716 Chef einer privaten Notenbank in Paris, 1720 Generalkontrolleur der Finanzen. Die erste Papiergeldinflation und schwere Wirtschaftskrise 1720 hatte Law mit zu verantworten. Leibniz Gottfried Wilhelm (1646-1716) Mathematiker und Philosoph. 1673 Mitglied der Royal Society London, 1700 Präsident der Societät der Wissenschaften in Berlin. Mitbegründer der modernen Mathematik. Lenin Wladimir Iljitsch (1870-1924) Russischer Revolutionär und Politiker. Von 1905 bis 1914 im Exil (Genf, Paris und Krakau) Nach der Revolution 1917 Vorsitzender des Rats der Volkskommissare. 1921 ersetzte er den „Kriegskommunismus“ der Bürgerkriegszeit durch die „Neue Ökonomische Politik“ (NEP) und reorganisierte den Partei- und Staatsapparat. Locke John (1632-1704) Englischer Arzt und Staatstheoretiker. Begründer des Empirismus und der Erkenntniskritik der Aufklärung. Seine Staatstheorie wurde Grundlage demokratisch parlamentarischer Verfassungen. Luhmann Niklas (1927-1998) Verwaltungsjurist und Soziologe. Schüler von Talcott Parsons. Von 1968 bis 1993 Inhaber des Lehrstuhls für Soziologie an der Universität Bielefeld. Hauptvertreter der Systemtheorie. Luxemburg Rosa (1871-1919) Schriftstellerin und Politikerin. Redakteurin der „Leipziger Volkszeitung“ und der „Neuen Zeit“, ab 1907 Dozentin an der Parteischule der SPD. Von 1915 bis 1918 inhaftiert, Mitgründerin der KPD, Einflussreiche Theoretikerin des linken Parteiflügels und Kritikerin Lenins. Am 15. Januar 1919 wurde sie von Freikorpssoldaten ermordet. Mach Ernst (1838-1916) Professor für Mathematik und Physik in Prag (1867) und Wien (1895). Grundlegende Forschungen zu Schall- und Flüssigkeitswellen, sowie zu Überschallbewegungen. Seine positivistische Erkenntnistheorie erlangte großen Einfluss. Malthus Thomas Robert (1766-1834) Britischer Nationalökonom und Sozialphilosoph. Ab 1805 Professor für Geschichte und politische Ökonomie in Hailebury. Vertreter des Theorie, dass die Bevölkerung stärker wachse als der Nahrungsspielraum zulasse.

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Mao Tse-Tung (1893-1976) Chinesischer Politiker. Mitgründer der KP Chinas 1921. Von 1934-1945 Sicherung seiner Machtbasis durch Landreform und Aufbau einer Armee in der Provinz Jianxi. Nach dem Sieg im Bürgerkrieg 1949 besaß er fast unbeschränkte Macht, die er mit der „Kulturrevolution“ 1965-1969 nochmals festigte. Marshall Alfred (1842-1924) Britischer Nationalökonom. Professor in Cambridge 1885 bis 1908. Mitbegründer der Neoklassik. Mitglied der Royal Comission of Labour. McCulloch John Ramsay (1789-1864) Schottischer Volkswirtschaftstheoretiker und Anhänger Ricardos. 1828 erster Professor für politische Ökonomie der Universität London mit Schwergewicht Statistik. Menger Carl (1840-1921) Österreichischer Volkswirtschaftler. 18791903 Professor in Wien; Mitbegründer der Wiener Schule der Nationalökonomie (Grenznutzenschule). Merleau-Ponty Maurice (1908-1961) Seit 1952 Professor für Philosophie am College de France in Paris, der zwischen den verschiedenen Strömungen der Französischen Philosophie zu vermitteln sucht. Mill John Steward (1806-1873) Englischer Philosoph und Volkswirt. Zusammen mit Harriet Taylor (1807-1858) schrieb Mill „Grundsätze der politischen Ökonomie“ (1848), „Über die Freiheit“ (1859) und „Hörigkeit der Frau“ (1869). Ihre Werke wurden europaweit gelesen und rezipiert. Napoleon III Louis Bonapartes (1808-1873) Französischer Politiker. 1848 Präsident der 2. Republik, nach seinem Staatsstreich 1851 Kaiser der Franzosen. Er stürzt nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71. Nasser Gamal (1918-1970) Ägyptischer General und Politiker. Seit dem Sturz König Faruks 1952 beherrschende Stellung als Oberbefehlshaber der Armee und Ministerpräsident. Seine Regierungszeit ist durch Verstaatlichung des Suezkanals (1956), Unterstützung der algerischen Befreiungsfront (1958-1962 ), den Zusammenschluss mit Syrien (1958-1961), Durchführung einer Landreform und Bau des Assuanstaudamms geprägt. Mit Tito und Nehru war er Sprecher der blockfreien Staaten. Nietzsche Friedrich (1844-1900) Altphilologe und Philosoph. 1869 bis 1879 Professor in Basel. Danach freier Schriftsteller, ab 1889 muss er geistesverwirrt gepflegt werden. N. ist die Schlüsselfigur für die Abwendung der europäischen Philosophie vom deutschen Idealismus und der Neuinterpretation von Geschichte und Gesellschaft in der Literatur- und Gesellschaftstheorie.

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Owen Robert (1771-1858) Englischer Unternehmer und Sozialpolitiker. Führte in seinem Betrieb Arbeitsschutzmaßnahmen sowie Kranken- und Alterspensionskassen ein. Sein Versuch einer kommunistischen Siedlung (1825-1829) in New Harmony in USA scheiterte. Owen hatte großen Einfluss auf die Genossenschafts- und Gewerkschaftsbewegung sowie auf die englische Sozialgesetzgebung. Pareto Vilfredo (1848-1923) Italienischer Volkswirtschaftler und Soziologe. Ingenieur in der Eisenindustrie, danach 1893-1911 Professor für politische Ökonomie in Lausanne als Nachfolger von L. Walras, Mitbegründer der Lausanner Grenznutzenschule. Pecqueur Constantin (1801-1887) französischer Frühsozialist und Ökonom. Péreire Isaak (1806-1880) Portugiesisch französischer Bankier. Zusammen mit seinem Bruder Jacob Émile Péreire (1800-1875) gelangte er durch den Eisenbahnbau zu Reichtum und als Abgeordneter zu politischem Einfluss. 1852 gründeten sie die Aktienbank Crédit Mobilier, die viele in- und ausländische Unternehmen kontrollierte. Ideologisch stand er den Saint-Simonisten nahe. Petty William (1623-1687) Englischer Ökonom und Statistiker. Seine Arbeitswertlehre und Bevölkerungstheorie werden von Ricardo aufgenommen und systematisiert. Pigou Arthur Cecil (1877-1959) Britischer Volkswirtschaftler. 1908 Nachfolger von Marshall als Professor in Cambridge. 1920 erschien sein Hauptwerk über die Wohlfahrtsökonomik. Proudhon Pierre Joseph (1809-1865) Französischer Sozialist, Schriftsetzer und Publizist. Mit seiner Eigentumslehre (Eigentum ist Diebstahl) geriet er in schroffen Gegensatz zu Marx. 1848 Abgeordneter der französischen Nationalversammlung. Vordenker des Anarchismus. Quesnay François (1694-1774) Wundarzt, Sozialökonom und Naturrechtsphilosoph. Mitglied des Kreises der Enzyklopädisten. Schulhaupt der Physiokraten. Vertreter des politischen Liberalismus. Begründer eines nationalökonomischen Lehrsystems mit geschlossener Kreislauflehre. Ricardo David (1772-1823) Wichtigster Theoretiker der klassischen Schule der englischen Volkswirtschaftslehre. Ab 1819 Mitglied des Unterhauses, bekämpfte die protektionistische Zollpolitik zugunsten des unbeschränkten Freihandels. Seine Schüler beherrschten die ökonomische Publizistik im England des 19. Jahrhunderts. Rickert Heinrich (1863-1936) Professor der Philosophie in Freiburg (1894) und Heidelberg (1916). R. vertritt die neukantianische Erkenntnistheorie mit dem Festhalten an übersubjektiven vorempiri-

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schen Erkenntnisbedingungen. Seine Unterscheidung von Kulturund Naturwissenschaften wurde schulebildend. Robinson Joan Violet (1903-1983) Britische Nationalökonomin. Nach ihrem Examen in Cambridge 1925 arbeitete sie zwei Jahre in Indien. Ab 1928 gehörte sie zum Lehrkörper des King Colleges in Cambridge, erhielt aber erst 1965 eine Professorenstelle. 1979 wurde sie das erste weibliche Ehrenmitglied. Ihre keynessche Interpretation von Marx und ihre Kritik der Neoklassik fand weite Beachtung. Maos Kulturrevolution wurde von ihr enthusiastisch begrüßt. Sartre Jean-Paul (1905-1980) Französischer Philosoph und Schriftsteller. Begründer des französischen Existentialismus. Eine der einflußreichsten Intellektuellen in Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg. Engagierte sich politisch in verschiedenen linken Gruppierungen, vor allen für die anti-kolonialen Bewegungen. Saint-Simon Claude Henri (1760-1825) Französischer Sozialtheoretiker, Teilnehmer am amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und der französischen Revolution. Seine gesellschaftstheoretischen Überlegungen wurden erst nach seinem Tode systematisiert. Saussure Ferdinand de (1857-1913) Schweizerischer Sprachforscher. Begründer der modernen Linguistik. Seine Theorie beeinflusste stark das strukturalistische Denken in den Sozialwissenschaften. Say Jean Baptiste (1767-1832) Französischer Ökonom, seit 1819 Professor in Paris. Vertritt in Frankreich die Lehren von Adam Smith. Seine Theorie der Absatzwege besagt, daß Produkte nur mit Produkten gekauft werden können und daher eine dauerhafte Überproduktion ausgeschlossen ist. Schumpeter Joseph Alois (1883-1950) österreichischer Volkswirtschaftler und Sozialwissenschaftler. Professor in Graz, Bonn und seit 1932 in Havard. Durch seine Geschichte der Ökonomischen Analyse wurde er einer der einflussreichsten Volkswirtschaftler des 20. Jahrhunderts. Senior Nassau William (1790-1864) Englischer Nationalökonom. Als Professor in Oxford führte er die Theorie Ricardos fort. Mitglied mehrerer wichtiger königlicher Kommissionen. Smith Adam (1723-1790) Schottischer Moralphilosoph und Volkswirtschaftler. Ab 1751 Professor an der Universität Glasgow. Mit seinem Hauptwerk „Der Reichtum der Nationen“ 1776 beginnt die klassische Nationalökonomie. Spinoza Baruch de (1632-1677) Niederländischer Philosoph. Sein philosophisches Hauptwerk erschien postum 1677; In der französischen Philosophie nach 1945 wurde Spinoza neu rezipiert.

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Srafa Piero (1898-1983) Ialienischer Nationalökonom. Seit 1926 Professor am Trinity College in Cambridge. Herausgeber der Werke Ricardos mit großem Einfluss auf marxistisch orientierte Nationalökonomen. Stalin Jossif Wissarionowitsch (1879-1953) Sowjetischer Politiker. Nach der Revolution 1917 in der Regierung Lenins, ab 1922 Generalsekretär der KPdSU. Nach gewaltsamer Auschaltung seiner Konkurrenten ab 1928 bis zu seinem Tod diktatorischer Führer der Partei und des Staates. Stirner Max (Pseudonym) (1806-1865) Philosoph und Schriftsteller, Begründer einer Theorie des Individualismus und Anarchismus. Wichtiger Anreger von Marx. Sukarno Achmed (1901-1970) Indonesischer Politiker. Ingenieur. Verfasser des Programms der Panca Shila: der Verbindung von Islam, Sozialismus und hindujavanischen Traditionen. Als Staatspräsident ab 1949 verfolgte er außenpolitisch Blockfreiheit. 1967 von Suharto gestürzt. Sweezy Paul (1910-) US amerikanischer Nationalökonom. Ab 1933 Dozent in Havard arbeitete er ab 1942 auch für das Militär. Seiner Entlassung durch McCarthy 1949 kam er zuvor und gründete mit Leo Hubermann die Zeitschrift „Monthly Review“. Ständige enge Zusammenarbeit mit Paul Baran. Thiers Louis-Adolphe (1797-1877) Französischer Historiker und Politiker. Minister unter Napoleon III, Präsident der Republik 18711873. T. war für die blutige Niederschlagung des Kommuneaufstands verantwortlich. Tito Josip (1892-1980) Jugoslawischer Politiker. Ministerpräsident 1943-53, Staatspräsident seit 1953. 1948 Bruch mit Stalin, Entwicklung der in der Verfassung von 1953 verankerten Arbeiter-Selbstverwaltung der Wirtschaft (Titoismus). Ab 1955 Sprecher der blockfreien Staaten. Innenpolitisch wechselten Repressionsmaßnahmen mit föderalistischem Ausgleich der historischen Konfliktpotenziale. Veblen Thorstein Bunde (1857-1929) amerikanischer Volkswirtschaftler und Soziologe. Infolge seiner Herkunft und fehlender gesellschaftlicher Verbindungen war er lange ohne Dozentenstelle. Von 1896 bis 1926 unterrichtete er an verschiedenen Universitäten, die er teilweise wegen seines ungewöhnlichen Lebenswandel wieder verlassen musste. Wagner Adolph (1835-1917) Volkswirtschaftler und Finanzwissenschaftler, Professor in Wien, Dorpat, Freiburg und ab 1870 in Berlin. 1882-85 Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses, ab 1910 des

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preußischen Herrenhauses. Mitbegründer des Vereins für Socialpolitik. Walras Léon (1834-1910) Schweizerischer Volkswirtschaftler. Ursprünglich Literaturwissenschaftler, von 1871-92 Professor in Lausanne. Gehört zu den Begründern der Grenznutzenschule und den Hauptvertretern der Neoklassik. Weber Max (1864-1920) Soziologe und Sozialökonom. Seit 1893 Professor in Berlin, Freiburg, Heidelberg und München. Durch seine methodischen und historischen Arbeiten hat er wesentlichen Anteil an der Entstehung der wissenschaftlichen Soziologie. Sein Werk wurde erst nach 1945 umfassend rezipiert. Wilhelm Weitling (1808-1871) Schneidergeselle, Mitgründer des „Bund der Gerechten“, dem späteren Bund der Kommunisten. Nach Konflikten mit Marx, wurde er ausgeschlossen emigrierte nach New York und schloß 1851 sich der Kolonie Communia (Iowa ), die 1854 bankrott ging. Danach arbeitete er in New York wieder als Schneider. Westphalen Ludwig von (1770-1842) Schwiegervater und intellektueller Lehrer von Karl Marx. Sein Sohn Ferdinand Otto Wilhelm (1799-1876) war eine der schärfsten Vertreter der preußischen Reaktion der 50 er Jahre. Wirth Max (1822-1900) Nationalökonom und Publizist. 1856 Herausgeber der Zeitschriften: „Der Arbeitgeber“ und „Frankfurter Handelsblatt“. 1861 Mitgründer des Frankfurter Arbeiterbildungsvereins. Seit 1874 Redakteur der „Neuen Freien Presse“ in Wien.

Dank Für Rat und Kritik habe ich vielen zu danken, nicht zuletzt den Teilnehmern meiner Seminare. Besonders erwähnen möchte ich Thomas, Margret und Joel Berger, Isolde Berghanner, Jochen Bruhn, Georg Cremer, Claudia Engelskirchen, Wolfgang Eßbach, Oliver Franz, Gerd Krumeich, Ernst Köhler, Kerstin Scheidecker, Alexander Schiller, Vadim Seherr-Thoss, Hans Peter Schwander, Gerrit Walter.

Literatur 1. Werkausgaben Marx Engels Karl Marx ; Friedrich Engels, Gesamtausgabe : MEGA-Berlin Abteilung 2: Das Kapital und Vorarbeiten; Bd. 1 ff Marx Karl; Engels Friedrich, Werke Band: 23: Das Kapital, Bd. 1 1969. Band: 24: Das Kapital, Bd. 2.-1969. Band: 25: Das Kapital, Bd. 3.-1969. Band: 26,: Theorien über den Mehrwert-1971. Band: 26,2: Theorien über den Mehrwert-1972. Band: 26,3: Theorien über den Mehrwert-1972. Marx, Engels, ausgewählte Werke.-Berlin: Directmedia Publ., 2000.-1 CD-ROM; Reihe: Digitale Bibliothek 11

2. Internet www.mlwerke.de www.marxists.org www.marxforschung.de

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Literatur

www.marx-forum.de www.rote-ruhr-uni.com/cms/

3. Nachschlagewerke Das Marx-Engels-Lexikon: Begriffe von Abstraktion bis Zirkulation / Hg. von Konrad Lotter-Köln 2006 Geschichtliche Grundbegriffe: historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland / hrsg. von Otto Brunner Bd. 1-8 – Stuttgart 1979-1997 Historisches Wörterbuch der Philosophie / hrsg. von Joachim Ritter Bd. 1-13 – Darmstadt 1971-2007 Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus / hrsg. von Wolfgang Fritz Haug. Bd. 1-8.1 – Hamburg 1994-2012 Lexikon Dritte Welt: Länder, Organisationen, Theorien, Begriffe, Personen / hrsg. von Dieter Nohlen – Reinbek 2002. Lexikon linker Leitfiguren / hrsg. Von Edmund Jacoby – Frankfurt 1989 Media Marx: ein Handbuch / hrsg. von Jens Schröter u.a. – Bielefeld 2006. Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft: eine vergleichende Enzyklopädie / hrsg. von C. D. Kernig. Bd. 1-6 – Freiburg 1966 -1969

4. Zitierte Literatur Abrate Mario/ Mieck Ilja (1993) Europäische Wirtschafts- und Sozialgeschichte von der Mitte des 17. Jahrhunderts bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts – Stuttgart Albrecht Clemens (1999) Die intellektuelle Gründung der Bundesrepublik: Eine Wirkungsgeschichte der Frankfurter Schule – Frankfurt Althusser Louis (1965) Das Kapital lesen – dt. Reinbeck 1972 Altvater Elmar u. a. (1999) Kapital. Doc – Münster Anderson Kevin (1995) Lenin, Hegel and Western Marxism – Chicago Bader Veit Michael u. a. (1975) Krise und Kapitalismus bei Marx. 2 Bde. – Frankfurt Bader Veit Michael u. a. (1976) Einführung in die Gesellschaftstheorie. Gesellschaft, Wirtschaft und Staat bei Marx und Max Weber 2 Bde. – Frankfurt Backhaus Hans-Georg (1997) Dialektik der Wertform – Freiburg

4. Zitierte Literatur

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Baecker, Dirk (2006) Wirtschaftssoziologie – Bielefeld Bahrdt Hans Paul (1997) Schlüsselbegriffe der Soziologie – München Barthes Roland ( 1964 ) Mythen des Alltags – Frankfurt Bebel August (1883) Die Frau und der Sozialismus – Frankfurt 1976 Beetz Manuela (1989) Die Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens. Das Familien- und Geschlechterverhältnis bei Karl Marx und Friedrich Engels – Köln Berger Johannes (1978) Probleme der Dialektik im „Kapital“ von Karl Marx. Diskussionsbeiträge zur Politischen Ökonomie Nr. 11 – Universität Bielefeld Berger Johannes (1979) Ist die marxsche Werttheorie eine Preisstheorie? In: Leviathan S. 560-65 Berger Johannes (1994) Ausbeutung. In: Historisch – Kritisches Wörterbuch des Marxismu. von W. F. Haug Bd. 1, 736-742 Berger Johannes (1996) Was behauptet die Modernisierungstheorie wirklich – und was wird ihr bloß unterstellt ? In: Leviathan S. 45-62 Berger Johannes (1998) Was behauptet die marxsche Klassentheorie – und was ist davon haltbar. In: Konflikt in modernen Gesellschaften hrg. von Hans-Joachim Giegel – Frankfurt Berger Johannes (1999) Die Wirtschaft der modernen Gesellschaft – Frankfurt Berger Johannes (2009) Der diskrete Charme des Marktes: zur sozialen Problematik der Marktwirtschaft – Wiesbaden Berger Michael (2001) Aufklärung, Verklärung, Abklärung: warum Imperialismustheorien zu verabschieden sind. In: Blätter IZ3W Heft 251 S. 28-30 Berger Michael (2008) Karl Marx – München Berger Michael (2010) Karl Marx. Das Problem der verkehrten Wahrnehmung. In: Der blaue Reiter. Journal für Philosophie 30, 2010 S. 98-102 Bischoff Joachim (1998) Kapitalismus und Sozialismus zu Beginn des neuen Jahrtausends. In: Hobsbawm Eric, Das Manifest – heute: 150 Jahre Kapitalismuskritik S. 283-298 – Hamburg Blaug Mark (1985) Economic Theory in Retrospect – Cambridge Böhm – Bawerk Eugen v. (1896) Zum Abschluss des marxschen Systems. In: Eberle F. [Hrg] (1973) Aspekte des marschen Systems I. S. 25-129 – Frankfurt Borchert Manfred (1997) Geld und Kredit – München; Bortkiewicz Ladislaus von (1906/07) Wertrechnung und Preisrechnung im Marxschen System. In: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik Bd. 23, 1906, S. 1-50; Bd. 24, 1907, S. 10-51, 445-488

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Literatur

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4. Zitierte Literatur

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Literatur

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4. Zitierte Literatur

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Heinsohn Gunnar, Knieper Rolf, Steiger Otto (1979) Menschenproduktion. Allgemeine Bevölkerungstheorie der Neuzeit – Frankfurt Hennessy Rosemary, Metz – Göckel Sigrid (1999) Feminismus. In: Historisch-Kritisches Wörterbuch des Marxismus Bd. 4, 289-305 Herrmann Ursula (1997) [Hrg] August und Julie Bebel, Briefe einer Ehe – Bonn Hesse Helmut (1981) Preise. In: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaften Bd. 6 S. 173 ff Hofmann Werner (1969) Verelendung. In: Folgen einer Theorie. Essays über das Kapital von Karl Marx S. 27-60 – Frankfurt Hoff Jan / Petrioli Alexis / Stützle Ingo / Wolf Frieder Otto (2006) Das Kapital neu lesen – Beiträge zur radikalen Philosophie – Münster Hoff Jan (2009) Marx Global – Berlin Hollander Samuel (2008) The Economics of Karl Marx – New York Honneth Axel, Jaeggi Urs (1977) Theorien des Historischen Materialismus 2 Bde. – Frankfurt Honneth Axel (1985) Kritik der Macht – Frankfurt Horkheimer Max, Adorno Theodor W. (1947) Dialektik der Aufklärung, Philosophische Fragmente – Frankfurt 1979 Howard M. C., King J. E. (1989) A History of Marxian Economics Vol. I: 1883-1929 – Princeton Howard M. C., King J. E. (1992) A History of Marxian Economics Vol. II: 1929-1990 – Princeton Hund Wulf D. (1999) Arbeit. In: Enzyklopädie Philosophie hrg. von Hans Jörg Sandkühler S. 82-88 – Frankfurt Iggers Georg G. (1997) Deutsche Geschichtswissenschaft – Wien; Ihring Frank (1998) Die Tübinger Konzeption des Wirtschaftskreislaufs – Tübingen ISF (2000) Der Theoretiker ist der Wert – Freiburg ISF (2009) Das Konzept Materialismus – Freiburg Jarchow Hans-Joachim (1994) Der Keynesianismus. In: Geschichte der Nationalökonomie hrg. von Otmar Issing – München Käsler Dirk (1995) Max Weber. Eine Einführung in Leben,Werk und Wirkung – Frankfurt Kaplan Francis (1990) Marx antisémite ? – Paris Kettler F. H. (1962) Trintät. In: Religion in Geschichte und Gegenwart Bd. 6 Sp. 1025-1032 Tübingen Kittler Friedrich (2002) Optische Medien. Berliner Vorlesungen 1999 – Berlin

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Literatur

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4. Zitierte Literatur

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Literatur

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Register absolute Arbeitszeit 104 Abstinenztheorie 188 abstrakte Arbeit 29, 35, 37, 38, 48, 54, 61, 62, 86, 93, 127, 218 abstrakte Zeit 38, 39 Abstraktion 32, 33, 80, 201 Adorno 92, 202, 208 Akkumulation 19, 27, 73, 126, 129, 132, 134, 138, 139, 141, 142, 143, 144, 145, 147, 148, 149, 150, 179 Aktiengesellschaft 142, 168, 169 Althusser 210 Angebot und Nachfrage 20, 22, 23, 72, 128, 172, 188, 215, 220 Antike 9, 38 Äquivalentform 41, 42, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 65, 67, 68 Arbeit 4, 11, 13, 14, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 23, 24, 25, 27, 29, 30, 31, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 41, 43, 44, 45, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 61, 62, 63, 67, 68, 69, 71, 72, 74, 81, 82, 84, 86, 87, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 98,99, 100, 101, 103, 104, 105, 107, 108, 109, 110, 111, 112, 113, 114, 116, 117, 118, 119, 120, 121, 122, 123, 124, 125, 126, 127, 128, 129, 130, 132, 133, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 145, 146, 149, 150, 151, 153, 156, 158, 165, 166, 167, 168, 172, 173, 174, 175, 176, 177, 179, 181, 182, 191, 195, 197, 198, 199, 200, 201, 203, 205, 210, 212, 214, 215, 218, 219, 222 Arbeiterbewegung 10, 25, 107, 120, 123, 153, 223 Arbeiterklasse 106, 128, 130, 133, 137, 139, 140, 141, 143, 144, 146,

149, 151, 152, 153, 160, 161, 224, 226 Arbeitskraft 23, 34, 36, 43, 47, 51, 58, 59, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 90, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 100, 101, 102, 103, 104, 105, 106, 107, 108, 109, 110, 111, 112, 117, 121, 122, 123, 124, 125, 126, 130, 131, 132, 133, 134, 135, 137, 138, 141, 142, 157, 168, 173, 179, 184, 186, 212, 214, 215, 216, 222 Arbeitslohn 63, 97, 98, 99, 141, 146, 157, 161, 162, 165, 168, 198, 199 Arbeitslosigkeit 5, 137, 139, 140, 141, 142, 219 Arbeitsmenge 18, 19, 21, 22, 24, 29, 37, 62, 64, 69, 79, 100, 104, 131, 137, 201, 202, 211, 214 Arbeitstag 94, 96, 97, 105, 106, 107, 108, 109, 110, 114, 122 Arbeitsteilung 13, 54, 92 Aristoteles 77 Assoziation 25, 98, 226 Assoziation freie 98 Ausbeutung 4, 63, 64, 89, 98, 99, 101, 150, 152, 202, 209, 211, 214, 215, 216 Ausbildung 37, 86, 88, 152 Avenarius 223 Bank 9, 11, 136, 148, 188, 189, 192, 221, 224 Baran 220 Basis 9, 21, 50, 66, 103, 114, 134, 186, 190, 192 Bebel 117 Bentham 88, 90 Bernstein 223 Besitz 17, 19, 44, 95

260 Bevölkerung 11, 23, 116, 140, 141, 147, 152, 178, 197, 226 Bewusstsein 12, 15, 29, 53, 54, 56, 60, 69, 111, 134, 165, 224 Blanqui 224 Boden 18, 21, 24, 51, 64, 99, 103, 116, 119, 124, 128, 146, 150, 165, 170, 187, 194, 195, 196, 198, 199, 215, 216, 220 Böhm-Bawerk 62 Bonapartes 13, 14, 66, 153 Börse 58 Bortkiewicz 170 Bourgoisie 152 Bürgerkrieg 10, 153 Castro 224 Charaktermaske 65 China 38, 147, 224 Cunow 223 Darwin 7 Deismus 44 Deleuze 210 Demuth 11 Derrida 93, 117 Descartes 32 Deutschland 9, 15, 17, 210, 218, 225 Dialektik 133, 135, 203, 204, 223 Dienstleistung 124 Differentialrente 197 Distribution 60 Durchschnittsprofit 169, 170, 171, 172, 173, 174, 179, 180, 183, 184, 197, 198, 199, 200 Edgeworth 216 Eigentum 21, 88, 90, 93, 129, 133, 150, 151 einfache Arbeit 100 Einkommen 25, 120, 131, 163, 217 Eisenbahn 160 Emanzipation 13, 26, 207 Engels 5, 7, 9, 11, 12, 13, 14, 15, 25, 27, 57, 80, 107, 117, 121, 127, 135, 170, 177, 182, 186, 192, 201

Register England 9, 17, 70, 97, 107, 119, 139, 140, 144, 146, 147, 148, 177, 192, 203, 213, 214, 216, 224 Entfremdung 92, 132 Entwertung 102, 178, 186 Entwicklung 7, 13, 14, 15, 16, 18, 25, 26, 28, 30, 39, 40, 44, 57, 59, 64, 68, 72, 85, 112, 115, 116, 120, 121, 134, 135, 136, 138, 139, 141, 142, 143, 144, 147, 148, 149, 158, 171, 174, 175, 176, 182, 186, 189, 190, 191, 192, 193, 203, 209, 212, 220, 221, 226 Epikur 9 Erscheinung 33, 43, 80, 81, 122, 190 Erscheinungsform 31, 32, 34, 35, 40, 41, 46, 47, 67, 69, 73, 123, 125, 199 Extramehrwert 109 Extraprofit 174 Familie 9, 11, 59, 89, 115, 121, 208, 217 Fetisch 53, 186 Feudalgesellschaft 121 Feuerbach 12 fiktives Kapital 191 fixes Kapital 102, 158 Form 15, 30, 31, 34, 39, 40, 41, 42, 43, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 58, 60, 61, 64, 65, 69, 71, 73, 74, 76, 78, 79, 82, 90, 91, 103, 104, 107, 108, 113, 114, 115, 116, 123, 127, 128, 129, 133, 135, 146, 148, 149, 150, 157, 158, 161, 162, 165, 166, 178, 179, 184, 185, 186, 190, 194, 195, 196, 200, 201, 204, 205, 217 Foucault 117, 149, 210 Franklin 90, 92 Frankreich 10, 11, 107, 147, 153, 214, 223, 224, 225 Frau 13, 89, 205 Freiheit 13, 26, 61, 88, 90, 212, 226 Freud 7 Fronarbeit 58, 106, 123, 124 Frühsozialisten 9, 99

Register Funktion 4, 13, 42, 46, 48, 49, 65, 67, 69, 70, 72, 112, 134, 136, 156, 158, 179, 181, 182, 187, 215 Gebrauchswert 17, 18, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 43, 45, 46, 47, 50, 65, 70, 74, 76, 77, 78, 84, 91, 93, 96, 97, 157, 159, 160, 177, 184, 185, 186, 187, 188, 205 Geburtenregelung 140 Gedankenform 56 Gegenstand 16, 29, 30, 42, 91, 92, 127, 155, 164, 211 Gehalt 13, 32, 33, 42, 99, 154, 207 Geist 35, 44, 77, 81, 82, 192, 210, 217 Geld 4, 5, 11, 21, 22, 26, 29, 31, 32, 35, 42, 46, 49, 50, 63, 64, 65, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 95, 96, 120, 126, 128, 133, 136, 148, 154, 155, 158, 165, 172, 178, 180, 181, 182, 184, 185, 186, 187, 188, 189, 193, 197, 201, 203, 205, 215, 221 Gerechtigkeit 99, 131 Gesamtarbeit 52, 55, 109 Geschichte 2, 5, 7, 12, 13, 15, 66, 73, 103, 104, 106, 112, 117, 119, 120, 132, 145, 146, 149, 205, 207, 210, 220, 222 Geschlecht 117, 139, 152 Gesellschaft 8, 10, 12, 13, 14, 15, 19, 23, 25, 30, 31, 36, 38, 39, 43, 44, 48, 60, 66, 72, 80, 82, 86, 90, 95, 98, 104, 107, 115, 116, 122, 123, 127, 128, 129, 134, 136, 145, 147, 149, 150, 151, 152, 153, 156, 159, 160, 162, 165, 169, 174, 194, 195, 201, 202, 204, 208, 209, 211, 212, 213, 217, 218, 225, 226 Gesellschaft, 14, 19, 23, 30, 36, 48, 116, 147, 165, 201, 218, 225 Gesetz 18, 27, 44, 55, 106, 107, 116, 133, 143, 144, 145, 146, 157, 176, 181, 200, 201

261 Gewalt 64, 91, 106, 145, 146, 147, 173, 191, 226 Gewerkschaft 217 Gewinn 27, 63, 76, 77, 97, 101, 110, 111, 136, 137, 140, 157, 165, 167, 168, 169, 188, 197, 212, 214 Gleichgewicht 143, 174, 201, 215, 216, 217, 218, 219 Gleichheit 25, 26, 43, 44, 47, 48, 51, 53, 54, 59, 88, 90, 106 Gold 18, 21, 22, 31, 49, 55, 67, 68, 69, 70, 72, 83, 147, 187, 193 Gorbatschow 225 Gott 21, 35, 44, 78, 82 Grenzkosten 214, 217 Grenznutzen 24, 214, 216 Grundeigentum 27, 73, 194, 195, 197 Grundrente 5, 23, 126, 128, 140, 194, 195, 196, 197, 198, 199 Habermas 15, 16, 92, 204, 209, 226 Handel 27, 72, 73, 128, 147, 148, 157, 163, 173, 182, 183, 187, 188, 190, 197 Handlungstheorie 16, 209 Handwerk 28 Hausarbeit 89 Hegel 25, 35, 85, 204, 210 Herrschaft 13, 25, 34, 37, 39, 44, 48, 59, 92, 93, 118, 119, 121, 146, 208, 209, 212 Hess 10 Hilferding 220 Ho Chi Minh 224 Hobbes 65 Holland 147 Horkheimer 92, 208 Identität 78, 133, 166, 168, 210 Ideologie 9, 12, 14, 55, 56, 80, 87, 92, 136, 224 Indien 38, 119, 226 Individualismus 66, 204, 221 Individuum 15, 43, 86, 115, 214, 216, 218 Industrialisierung 13, 89, 112, 114, 115, 116, 117, 224, 225

262 industrielle Reservearmee 137, 138, 141, 142, 143 Intensivierung der Arbeit 116 Internationale 10, 25, 223 Jevons 213, 216 Juden 78, 81 Junghegelianer 9, 11 Kampf 65, 80, 99, 104, 106, 147, 226 Kant 41 Kapital 1, 4, 5, 7, 8, 9, 10, 11, 14, 15, 16, 17, 19, 21, 25, 27, 28, 29, 30, 31, 35, 40, 50, 56, 62, 63, 65, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 81, 83, 84, 85, 86, 87, 90, 92, 93, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 113, 118, 120, 121, 125, 126, 127, 128, 129, 130, 131, 132, 134, 135, 136, 137, 138, 139, 141, 142, 143, 144, 146, 147, 148, 150, 153, 154, 155, 157, 158, 159, 160, 161, 163, 165, 166, 167, 168, 169, 170, 172, 173, 174, 175, 176, 178, 179, 180, 181, 182, 183, 184, 185, 186, 188, 190, 191, 192, 193, 194, 195, 196, 197, 198, 199, 200, 201, 202, 203, 205, 207, 214, 215, 216 Kapitalismus 5, 13, 25, 28, 35, 38, 50, 61, 75, 76, 77, 82, 84, 86, 106, 119, 121, 127, 128, 132, 136, 142, 144, 145, 146, 148, 149, 150, 151, 152, 153, 174, 176, 177, 202, 211, 212, 221, 222, 223, 224, 225 Kapitalkoeffizient 141 Katholizismus 66, 68, 192 Kaufmann 180, 181, 183 Kautsky 27, 220, 223 Keynes 164, 187, 218, 219, 220 Klasse 12, 13, 87, 98, 106, 122, 143, 152, 153, 154, 224 Klassische Ökonomie 17, 100, 173, 187, 213 Klima 24, 120, 121 Kollontai 117 Kolonisation 147 Kommunikation 123

Register Kommunismus 224, 225, 226 komplizierte Arbeit 99 Konflikt 176, 193, 217 Konkurrenz 5, 18, 22, 24, 28, 51, 104, 107, 109, 110, 111, 112, 128, 134, 136, 139, 141, 142, 164, 165, 166, 169, 171, 172, 173, 178, 194, 200, 203, 212, 215, 217 Konstantes Kapital 102 Konsum 75, 112, 124, 128 Konzentration 27, 142, 149, 152, 193, 220 Kooperation 112, 149, 151 Kosten 23, 26, 88, 97, 98, 101, 102, 103, 116, 124, 127, 138, 143, 156, 157, 167, 180, 182, 197, 198, 209, 216 Kostpreis 165, 166, 167, 169, 170, 180, 196 Kredit 5, 139, 142, 163, 168, 178, 187, 188, 189, 190, 191, 193 Krieg 113, 208, 224 Krise 5, 153, 156, 159, 174, 177, 178, 191, 192, 193, 218, 221 Kritik 4, 9, 10, 12, 16, 23, 27, 28, 29, 66, 89, 92, 98, 103, 112, 144, 198, 207, 208, 210, 211, 213, 217, 223, 225 Kunst 208 Lacan 117 Landwirtschaft 28, 115, 117, 194, 195, 198, 224 Lange 11, 221 Leibniz 32 Lenin 10, 193, 220, 223, 225 Locke 21, 92 Lohnarbeit 4, 7, 27, 28, 58, 63, 80, 84, 86, 104, 106, 118, 123, 124, 125, 134, 135, 146, 148, 149, 181, 182, 187, 194, 200, 201, 205, 218, 226 Luhmann 136 Luxemburg 220 Mach 223 Macht 13, 27, 44, 73, 88, 106, 130, 132, 208, 224, 226

Register Malthus 20, 23, 140 Manufaktur 113, 115, 147, 194 Marginalismus 213, 216, 221 Markt 15, 16, 18, 22, 24, 28, 38, 43, 52, 66, 72, 73, 84, 85, 94, 95, 97, 110, 126, 139, 146, 147, 154, 166, 171, 174, 179, 185, 196, 201, 212, 215, 222 Marktpreis 20, 22, 171, 172, 173, 196 Marktwert 171, 172, 173, 174 Marshall 216 Maschine 91, 98, 102, 114, 143 Maß 18, 19, 22, 24, 36, 38, 39, 51, 55, 60, 61, 69, 101, 102, 122, 123, 124, 134, 139, 172 Materialismus 12, 14, 15, 16, 86, 117 Max Weber 44, 66, 68, 76, 77, 132, 203, 209, 211 McCulloch 20 Medien 208, 225 Mehrprodukt 81, 97, 104, 121, 139 Mehrwert 28, 63, 75, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 95, 96, 97, 100, 101, 103, 104, 105, 107, 108, 109, 110, 111, 112, 118, 120, 121, 123, 124, 126, 129, 131, 132, 133, 135, 144, 157, 158, 159, 161, 162, 163, 165, 166, 167, 168, 169, 170, 176, 178, 179, 180, 181, 182, 183, 184, 185, 186, 189, 197, 198, 199, 200, 221 Mehrwertrate 163, 165, 166, 168, 170, 176, 177 Menger 213 Mensch 12, 13, 21, 48, 51, 80, 90, 91, 92, 105, 113, 116, 138, 145 Merleau - Ponty 210 Metall 49 Metamorphose 178, 180, 190 Methode 9, 80, 82, 109, 203, 204 Mill 9, 17 Mitbestimmung 226 Mittelalter 38, 41, 58, 66 Modell 20, 22, 23, 28, 89, 154, 160, 173, 174, 211, 215, 224 Modernisierung 209

263 Monopol 49, 190, 198 Mythen 154 Nation 37 Natur 4, 12, 13, 15, 22, 40, 44, 52, 59, 60, 61, 69, 73, 75, 79, 80, 85, 87, 89, 90, 91, 92, 106, 109, 113, 118, 119, 120, 135, 149, 155, 169, 190, 191, 198 Naturalform 39, 40, 41, 43, 46, 48, 49, 50, 58, 65, 67, 160 Naturbeherrschung 15, 61, 92 Naturgesetz 55, 56, 57, 114, 201 Naturgüter 24, 61, 62, 72, 102 Naturzustand 21, 65, 106 Negation 151, 203, 204 Neoklassik 213, 214, 216, 217, 218, 219, 220, 221, 222 Neuwert 102, 111, 116 Nietzsche 210 Norm 56, 124 notwendig 10, 17, 18, 19, 88, 105, 108, 111, 113, 118, 128, 129, 142, 144, 171, 182, 183, 189 notwendige Arbeit 18, 36, 45, 55, 86, 93, 94, 103, 104, 105, 108, 122, 123 Objekt 81, 210, 223 Papst 68 Pareto 215, 216 Pauperismus 143, 144 Pecqueur 149 Periode 87, 103, 129, 158 Personifikation 65, 134 Petty 140 Philosophie 9, 82, 210 Pigou 99, 216 Pol 130, 143 Portugal 147 Preis 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 63, 66, 69, 70, 71, 72, 75, 80, 87, 94, 95, 97, 99, 102, 121, 123, 124, 140, 144, 163, 173, 174, 179, 180, 184, 185, 187, 188, 192, 193, 195, 196, 197, 198, 212, 214, 215 Preisbildung 24, 159, 183, 214, 215 Preisform 69, 70, 71, 72

264 Preistheorie 71 Privateigentum 73, 149, 150, 151, 190, 194 Produktionskosten 20, 68, 88, 111, 174, 197, 215 Produktionsmittel 36, 59, 60, 91, 93, 95, 96, 98, 101, 102, 108, 126, 129, 131, 133, 137, 138, 139, 142, 149, 150, 151, 155, 161, 163, 167, 172, 179, 186, 200 Produktionspreis 110, 169, 170, 171, 173, 179, 180, 183, 196 Produktionsverhältnisse 13, 15, 31, 55, 59, 68, 199, 200 Produktionsweise 13, 15, 28, 30, 35, 56, 58, 67, 71, 76, 82, 86, 100, 104, 105, 108, 114, 116, 119, 123, 134, 138, 146, 147, 149, 150, 151, 171, 175, 176, 186, 189, 190, 191, 192, 193, 194, 195, 198, 199, 200, 201 Produktionszeit 22, 36, 37, 38, 43, 112, 158, 159 Produktivität 37, 38, 45, 63, 110, 111, 112, 117, 119, 120, 138, 140, 141, 142, 163, 177, 178, 179, 203 Produktivkräfte 13, 16, 37, 59, 119, 134, 149, 151, 175, 176, 191 Profit 23, 24, 126, 144, 165, 166, 167, 168, 169, 170, 172, 179, 180, 181, 185, 187, 188, 196, 197, 199 Profitrate 23, 128, 165, 166, 167, 168, 169, 171, 172, 174, 175, 176, 177, 179, 180, 181, 182, 183, 188, 189, 196, 212, 221, 222 Protestantismus 44, 192, 193 Proudhon 10, 68 Prozess 13, 14, 44, 81, 82, 92, 112, 136, 144, 155, 173, 176 Qualität 18, 32, 37, 70, 72, 78, 171 Quantität 17, 32, 35, 37, 46, 79 Rationalität 77 Recht 106, 133, 145, 149 Reichtum 30, 31, 57, 76, 114, 119, 129, 130, 134, 139, 142, 143, 145, 222

Register Relation 32, 42, 81, 128 relative Wertform 42, 45 relativer Mehrwert 107 Religion 12, 15, 44, 59, 200 Reproduktion 12, 86, 89, 103, 108, 117, 128, 129, 130, 131, 132, 135, 156, 160, 161, 163, 164, 181 Reservearmee 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 144 Revenue 129, 134 Revolution 9, 10, 17, 25, 26, 90, 108, 113, 120, 149, 152, 153, 154, 177, 205, 224, 226 Ricardo 4, 9, 16, 17, 21, 22, 23, 24, 35, 61, 62, 68, 72, 104, 120, 136, 137, 140, 159, 197, 201, 202 Rickert 223 Robinson Crusoe 57 Rolle 24, 28, 32, 41, 47, 49, 52, 59, 61, 65, 70, 76, 77, 89, 113, 115, 117, 120, 121, 134, 145, 148, 153, 157, 159, 178, 181, 187, 189, 208, 210, 222, 226 Sartre 210 Say 124 Schatz 73 Schein 54, 61, 67, 114, 130, 133, 135, 166, 199, 211 Schicht 152, 210 Schule 13, 120, 213, 216, 217, 218 Schumpeter 9, 17, 22, 136, 141, 155, 178, 187, 198, 207 Schwerkraft 56 Silber 21, 55, 67, 68, 69, 70, 72, 83 Sinn 41, 53, 66, 67, 70, 75, 76, 82, 119, 137, 180, 203, 204, 220 Sklave 123, 130 Smith 9, 17, 18, 21, 35, 68, 92, 100, 113, 120, 136, 140, 159, 201 Sowjetunion 15, 225, 226 Sozialdemokratie 10, 98, 211, 223, 226 soziale Beziehung 34, 64, 97, 124 Sozialismus 207, 224, 226 Soziologie 15, 86, 208, 209, 225

Register Spanien 147 Sparen 136 Spinoza 32 Sprache 7, 14, 50, 53, 54, 149, 207 Srafa 170 Staat 13, 21, 27, 77, 121, 164, 217, 224 Stadt 13, 25, 115 Stalin 224, 225 Stoffwechsel 90, 116, 200 Struktur 4, 5, 8, 29, 34, 37, 39, 40, 48, 50, 54, 55, 56, 63, 64, 66, 77, 82, 85, 131, 135, 145, 198, 200, 201, 202, 204, 205, 209, 211 Strukturalismus 210 Studentenbewegung 56 Stufenleiter 129, 131, 139, 150, 156, 160, 179, 181, 190 Stunde 22, 24, 35, 37, 100, 107, 151 Subjekt 77, 78, 79, 80, 81, 127, 210, 223, 226 Substanz 32, 34, 35, 36, 37, 78, 81, 122, 123, 124, 131, 184 Sukarno 224 Sweezy 220 System 5, 29, 35, 54, 55, 65, 80, 81, 82, 126, 127, 146, 167, 190, 192, 201, 204, 205, 210, 215, 219, 220, 222, 223 Tauschwert 17, 18, 19, 21, 22, 31, 32, 34, 35, 40, 61, 70, 74, 76, 82, 85, 86, 95, 96, 110, 177, 201, 205, 214 Technik 9, 37, 103, 110, 217 Thiers 145 Tito 224 Totalität 210 Transport 157, 158, 180 Trinität 199 Überbau 66 Überschuss 89, 98, 167, 213 Uhr 57, 113 Unternehmergewinn 23, 136, 185, 188, 218 USA 70, 107, 117, 152, 208, 217, 219, 224, 225

265 Utopie 26, 59, 60, 222 variables Kapital 101, 102, 137, 161 Veblen 217 Verdinglichung 199, 201 Verelendung 27, 106, 143, 144, 195, 198, 220, 222, 226 Vergesellschaftung 4, 7, 30, 44, 48, 150, 151, 212 Verhältnis 15, 19, 20, 22, 31, 32, 33, 34, 35, 37, 38, 40, 41, 44, 47, 48, 50, 52, 62, 64, 65, 70, 71, 81, 85, 88, 91, 92, 104, 109, 110, 111, 118, 123, 133, 137, 138, 140, 141, 142, 157, 160, 165, 166, 168, 171, 172, 174, 175, 176, 179, 181, 185, 186, 201 Verteilung 21, 22, 59, 60, 76, 169, 172, 200, 209 Vertrag 64 Verwertungsprozess 93 Vietnam 224 Vulgärökonomie 95, 123, 135, 198, 199, 201 Wahrnehmung 12, 14, 31, 33, 50, 51, 124, 189, 211 Walras 213, 215 Warenkorb 88 Warenproduktion 30, 39, 41, 52, 53, 54, 55, 56, 58, 59, 61, 63, 73, 80, 81, 85, 86, 93, 113, 132, 133, 134, 135, 200 Weltanschauung 223 Weltmarkt 27, 73, 176 Wert 4, 5, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 29, 30, 34, 35, 36, 37, 38, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 58, 61, 62, 63, 64, 65, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 86, 87, 88, 89, 90, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 100, 101, 102, 103, 104, 105, 106, 108, 109, 110, 111, 112, 121, 122, 123, 124, 126, 127, 129, 131, 133, 135, 137, 142, 154, 156, 157, 158, 159, 160, 161, 162, 163,

266 165, 166, 167, 168, 170, 171, 173, 177, 178, 179, 180, 181, 183, 184, 185, 186, 187, 188, 193, 195, 196, 197, 198, 199, 200, 201, 202, 205, 214, 216, 218 Wert der Arbeit 86, 87, 88, 89, 90, 96, 106, 108, 109, 110, 112, 121, 122, 123, 137, 142, 168, 184 Wert der Arbeitskraft 86, 87, 88, 89, 90, 96, 106, 108, 109, 110, 112, 121, 122, 123, 137, 142, 168, 184 Wertform 4, 39, 40, 41, 42, 43, 45, 46, 48, 49, 50, 61, 67, 68, 69, 71, 72, 205 Wertgröße 35, 36, 38, 39, 43, 45, 51, 52, 53, 55, 61, 67, 71, 72, 74, 75, 80, 82, 84, 101, 102, 111, 116, 124, 184 Wertprodukt 110, 120 Wertschöpfung 84, 101, 102, 103, 178, 204 Wesen 33, 41, 92, 132, 199, 205 Westphalen 11

Register Widerspruch 31, 44, 45, 71, 73, 90, 153, 185, 188, 190, 204, 205, 208 Wirth 57, 58 Wirtschaftswachstum 5, 128, 132, 135 Wissenschaft 19, 20, 28, 33, 34, 36, 37, 115, 143, 150, 182, 199 Wucher 147 Zeichen 67, 68 Zeit 11, 20, 24, 31, 35, 36, 37, 38, 39, 41, 57, 58, 59, 60, 98, 100, 101, 102, 105, 106, 108, 113, 118, 121, 122, 123, 135, 145, 148, 154, 155, 156, 158, 159, 174, 184, 195, 218, 221, 223 Zeitnorm 38, 39, 56, 80 Zentralisation 142, 150, 151, 191 Zins 126, 128, 136, 148, 184, 185, 186, 187, 188, 195, 197, 198, 199, 200, 215 Zirkulation 28, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 82, 83, 87, 96, 97, 126, 134, 156, 158, 181, 189, 190 Zyklus 139, 159