Karl Heim - Du Herr bist Kraft und Leben

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DU HERR BIST KRAFT UND LEBEN KARL MEIM Sein Leben und ne Dargestellt und ausgewählt von Gert Schörle

J.F.STEINKOPF STUTTGART

VERLAG

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Einband Erwin Maier. Gesetzt auf Linotype in Weiß-Antiqua. Alle Rechte vorbehalten.

Gedruckt

bei J. F. Steinkopf,

Stuttgart,

1961.

EINFÜHRUNG

I. LEBEN

Karl Heim schrieb im hohen Alter seine Lebenserinnerungen. Er wählte als Leitwort den Psalmvers: „Ich gedenke der vorigen Zeiten; ich rede von allen deinen Taten und sage von den Werken deiner Hände“ (Ps. 143, 5). Heim schrieb nicht eine Biographie im üblichen Sinn, er gab ein Zeugnis von Gottes Taten und wunderbaren Führungen in seinem Leben. Das folgende Lebensbild will im Sinn Heims beides zusammenfassen, das äußere Leben und das innere, unsichtbare Lenken Gottes. Freilich kann niemand ganz durchschauen, wie Gott das Leben eines anderen Menschen führt. Gottes Walten in einem Menschenleben geschieht so intim und individuell, daß nach außen immer Rätsel stehenbleiben. Vor solchen letzten Geheimnissen muß man sich auch bei Heims Leben bescheiden zurückhalten.

Das Erbe

Gott hatte das Lebenswerk Karl Heims schon durch das Erbe der Väter in den wesentlichen Grundzügen vorbestimmt. Biologisches und geistiges Erbgut strömte zusammen. Der Großvater väterlicherseits war der Magister F. J. Philip Heim. Ein sehr vielseitiger Mann! Seine

theologische Lebensarbeit war eine neue, wissenschaftlich exakte Bibelübersetzung. In der Inneren Mission erwarb er sich Verdienste durch die Gründung der „Paulinenpflege“ in Winnenden. Auch durch Predigt und Seelsorge wirkte er an vielen Menschen segensreich. Ein junger kaufmännischer Angestellter war von seinen Predigten so getroffen, daß er sich entschloß, Missionar zu werden. Es war Elias Schrenk, der später über die Basler Mission nach Afrika ging, danach als Evangelisationsprediger durch Deutschland, durch die Schweiz und durchs Baltikum zog. Doch wie seltsam sind manchmal Gottes Wege! Gerade dieser Elias Schrenk sollte ein halbes Jahrhun-

dert später den Enkel inneren Wende führen. die Rede sein. Der Magister Philip so vielseitig ausfüllte, 6

Karl zu einer entscheidenden Davon wird noch ausführlich

Heim, der seinen Pfarrberuf hatte erstaunlicherweise eine

ausgeprägte mathematisch-naturwissenschaftliche Begabung. In seiner Dissertation hatte er sich mit der Wärmelehre und mit Sätzen der Euklidischen Geometrie auseinandergesetzt. Die Vielseitigkeit, das offene Herz für jede Frage und für die verschiedensten Aufgaben findet sich bei Karl Heim wieder, ebenso der Hang zur Mathematik und Naturwissenschaft. Der Großvater mütterlicherseits war von künstlerischer Natur. Auch seine Anlage wirkte im Enkel weiter. Karl Heim zeichnete und malte gern, und er hatte einen gut einfühlenden Sinn für Iyrische Werke. Aber noch wichtiger an diesem künstlerischen Erbe war Heims Talent, anschaulich zu sprechen und zu schreiben. Er konnte mit Worten, Gleichnissen und Beispielen malen, wie man das bei Theologen nur ganz selten findet. Die abstraktesten Gedankengänge bekamen Farbe. Schwerverständliche Probleme wurden überraschend einsichtig, wenn Heim sie durch ein treffendes Bild umschrieb. Als Kind nahm Heim viel von der Wesensart der Mutter in sich auf, besonders ihre stille, verinnerlichte Frömmigkeit. Die Mutter lehrte in einer feinen Art das Beten. Sie sprach einfache Gebete Satz für Satz vor. Das Kind sprach die Sätze nach und lernte es bald, selbst ein freies Herzensgebet zu sprechen.

Zu den wichtigen Eindrücken der Kindesseele gehören auch Erzählungen eines in England lebenden Verwandten. Dieser verbrachte oft seinen Sommerurlaub im Heimschen Pfarrhaus. Er gehörte zur Londoner Baptistengemeinde und war von dem berühmten Erweckungsprediger Spurgeon getauft worden. Er erzählte viel Interessantes. Die gewaltigen, geistesmächtigen Predigten Spurgeons lebten in seinen Schilderungen auf. Er erzählte, wie Spurgeon den Laien in der Gemeinde wichtige Aufgaben zuteilte. Jedes Gemeindeglied sollte selbst zu einem Missionar und Seelsorger an den Mitmenschen werden. Der junge Heim bewunderte den großen Prediger, durch den Tausende zu Jesus Christus fanden, und es ist, als ob hier ein Samenkorn für das Hauptanliegen seines

späteren Wirkens gelegt wurde: In der wissenschaftlichen Arbeit wie in der Predigt gingesHeim in erster Linie um die „Erweckung”“, um das Hinführen der Menschen zu Jesus Christus. Auch der Vater und der Großvater wiesen Karl Heim in diese Richtung. Beide gehörten dem Pietismus an, jener Frömmigkeitsbewegung, die seit dem 18. Jahrhundert auf neuen Wegen geistliches Leben zu wecken sucht. Der Pietismus war aufgekommen, als der ursprüngliche frische Geist der Reformation seine Kraft durch manche dogmatische Erstarrung und 8

durch eine zunehmende Verweltlichung der Kirche zu verlieren drohte. Karl Heim stand ganz im pietistischen Erbe seiner Vorfahren, es war die Grundlage seines gesamten theologischen Schaffens. Soviel Heim dem Pietismus verdankt, so sehr hat er ihn auch befruchtet. Er befreite den Pietismus von manchen zu eng gesetzten Schranken und gab ihm eine universale geistige Weite. Dieses Verdienst, das im folgenden noch näher zu beschreiben ist, rückt ihn in die Reihe der großen Pietisten Württembergs. Der Name Karl Heim darf in einem Zug genannt werden mit Bengel, Oetinger, Michael Hahn, Johann Christoph Blumhardt und Ludwig Hofacker.

Weite des Schaffens Heims Schaffen war durch das vielseitige Erbe von vorneherein auf eine außerordentliche Breite angelegt. Schon in seinem ersten Buch „Weltbild der Zukunft” setzte sich Heim mit Theologie, Philosophie und Naturwissenschaft auseinander. Die Grenzfragen _ zwischen Theologie und Naturwissenschaft wurden dann das beherrschende Thema seiner akademischen Arbeit. Heim studierte Probleme der Mathematik, Physik und Astronomie. Ebenso traten Biologie und 9

Paläontologie in sein Blickfeld. Er durchdachte Fragen der Gehirnphysiologie und der Gehirnpathologie. Er wollte den Naturwissenschaftlern das Vertrauen geben: hier nimmt ein Theologe unsere Fragen ernst, mit denen wir uns täglich beschäftigen müssen, hier redet man nicht von hoher Christenwarte über unsere Köpfe hinweg, hier stellt sich einer, der uns das Evangelium sagen will, brüderlich auf unsere Ebene. In der Auseinandersetzung mit der Philosophie bewegten ihn die alten erkenntnistheoretischen Probleme Kants ebenso wie die neuen Fragen Heideggers und Jaspers’. Sehr stark beeindruckte ihn die philo-

sophische Deutung der ‚personalen Begegnung‘ durch Ferdinand Ebner, Martin Buber und Eberhard Griesebach. Diese Philosophen wiesen ihm die Richtung für seine Gedanken über das ‚Ich‘ und ‚Du‘, über Begegnung und Fremdheit in der menschlichen Gemeinschaft, die er in dem Buch „Glaube und Denken“ ausführte. In der eigenen Fakultät bemühte sich Heim, Teile der christlichen Dogmatik, die seit der Aufklärung mehr und mehr verdrängt wurden, der Theologie wieder zurückzugewinnen. Er stellte die Gedanken über die Wiederkunft Jesu in neuer Form dar und versuchte die schwerverständlichen biblischen Aus10

sagen über eine satanische Gegenmacht Gottes neu zu erklären. So kann man Heim mit Recht einen Universalisten

nennen. Es ist heute eine Not der akademischen Arbeit, daß der Einzelne die Grenzen seiner Fakultät nicht mehr zu überschreiten vermag. Und selbst innerhalb der Fakultät wird vielfach nur in eng eingegrenzten Spezialgebieten gearbeitet. Heim löste sich von solch enger Bindung. Er wollte die Welt, das Leben und den Glauben in einer umfassenden geistigen Gesamtschau durchdringen.

Gottvertrauen

Heim hatte ein tiefes Gottvertrauen. In allem ließ er sich von seinem Herrn lenken. Er hatte ein geübtes Gehör für Gottes Weisungen, gleich, ob Gott durch die Bibel, oder in einer inneren Stimme, oder durch andere Menschen zu ihm sprach. Zwei Beispiele mögen dies innere, bereitwillige Horchen auf Gott zeigen. Heim stand als Vikar an einem Volksschullehrerseminar im Dienst. In dieser Zeit fiel eine Entscheidung, die den Berufsweg in eine ganz andere Richtung bringen sollte, als zunächst geplant war. Dem Vor11

stand der Deutschen Christlichen Studentenvereinigung in Berlin war bekannt, daß Heim sich während seines Studiums um den Aufbau eines christlichen Studentenkreises bemüht hatte, was damals an den Universitäten noch etwas ganz Neues war. Nun wurde Heim gebeten, das Amt eines Reisesekretärs der Christlichen Studentenvereinigung zu übernehmen. In dieser Arbeit sollte er deutsche und ausländische Universitäten besuchen, Vorträge halten und in den verschiedenen Universitätsstädten am Aufbau von christlichen Studentenkreisen mithelfen. Heim bat um eine Bedenkzeit. Dann suchte er einen in der Nähe des Seminars gelegenen Bauernhof auf. Er wollte dort mit einem Hahnschen Gemeinschaftsbruder über die zu treffende Entscheidung sprechen. In der Morgenfrühe traf Heim den Bauern an, wie er, gleich einem alttestamentlichen Patriarchen, inmitten seiner Söhne das Morgengebet sprach. Heim trug ihm dann alles vor. Der fromme Bauer gab ihm den Rat, die Aufgabe anzunehmen. Heim sah in dem Zuspruch des christlichen Bruders einen Ruf Gottes und erklärte sich in seinem Antwortschreiben nach Berlin bereit, den Reisedienst zu übernehmen. Eine andere wichtige Stunde, da Gott ihn durch Menschenmund rief, war die Begegnung mit dem schon erwähnten Erweckungsprediger Elias Schrenk. 12

In Frankfurt/Main war 1893 eine Studentenkonferenz, an der Heim teilnahm. Schrenk sprach bei dieser Tagung über Jes. 43, 18ff.: „Gedenket nicht an das

Alte und achtet nicht auf das Vorige! Denn siehe, ich will ein Neues machen; jetzt soll es aufwachsen, und ihr werdet’s erfahren, daß ich einen Weg in die Wüste mache und Wasserströme in die Einöde.” Heim war von Schrenks Auslegung im Innersten getroffen. Er hatte dieselbe Predigt Schrenks kurze Zeit zuvor in Tübingen

gehört. Nun

wurde

ihm alles „wie von

einem zweiten Hammerschlag” tief eingeprägt. Am nächsten Tag sprach er mit Schrenk. In dem Gespräch erkannte Heim, daß Gott eine restlose Hingabe an Jesus

Christus

verlangt.

Er beugte

sich in dieser

Stunde mit ganzem Herzen, mit seinem Denken, mit seinem Leben unter die Führermacht Jesu Christi. „Es

war der schöpferische Neubeginn meines Lebens”, schrieb Heim später. Es war ihm, als sei in dieser befreienden Hingabe an Jesus Christus die ganze Welt zu etwas Anderem, Neuem geworden: „Als ich einige Tage später mit einem meiner Freunde Frankfurt verließ, um nach einer Fußwanderung durch das deutsche Mittelgebirge wieder nach Tübingen zurückzukehren, war mir, als wäre nicht nur in mir selbst etwas verändert worden, sondern als wäre auch die ganze Natur, durch die wir wanderten, mitverwandelt worden. 13

Es schien mir, der Himmel über den deutschen Buchenwäldern sei nie in so tiefem Blau erstrahlt, die Wälder hätten ein leuchtenderes Grün, die Vögel jubelten heller hoch in den Zweigen, die Bauernkinder in den Dörfern, durch die wir kamen, lachten uns freundlicher an.”

Dienende Menschenliebe

Neben der Breite des theologischen Schaffens und der Innigkeit des Vertrauens zu Gott erscheint als dritter charakteristischer Wesenszug Heims seine demütige und dienende Menschenliebe. Heim stand als Theologieprofessor mit führenden Männern der verschiedenen Fakultäten in wissenschaftlichem Gespräch, mit evangelischen und katholischen Theologen, mit Philosophen, Physikern und Medizinern. Er war aber zugleich auch ein Freund der „Stillen im Lande“. An manchem Sonntagnachmittag saß er mit den Hahnschen Gemeinschaftsleuten zusammen. Diese schwäbischen Pietisten, meist Handwerker und Bauern, halten in einem familiären Kreis ihre „Stunde”. Es wird ein Abschnitt aus der

Bibel gelesen, dann sagt jeder der Männer reihum, wie er das biblische Wort versteht. An solchem ge14

meinsamen Auslegen der Heiligen Schrift beteiligt sich Heim, desgleichen an den ebenfalls reihum gesprochenen Gebeten. Bis ins hohe Alter bestand Heims Freundschaft mit den Hahnschen Glaubensbrüdern. In einer feinen, kameradschaftlichen Art nahm Heim sich auch der jungen Generation an. Als Reisesekretär der Deutschen Christlichen Studentenvereinigung gelang es ihm vielfach, gerade die brennendsten Anliegen der Studenten herauszuspüren und helfende Antworten zu geben. Nach den Vorträgen saß er oft bis tief in die Nacht mit den jungen Menschen zusammen und hörte Fragen und Einwände an, auch manches erschütternde Bekenntnis von persönlicher Not und Schuld. In diesen Gesprächen war er nicht Lehrender, sondern Bruder. Er stellte sich mit «denen, die sich um ihn scharten, auf die gleiche menschlich-brüderliche Ebene. Während des ersten Weltkrieges führte Heim einen ausgedehnten seelsorgerlichen Briefwechsel mit Studenten, die an der Front standen. Und auch in der Tübinger Zeit war es wieder vor allem die junge Generation, an der er nicht nur als dozierender Professor, sondern auch als beratender Freund seine Aufgabe sah. Der Andrang zu den offenen Gesprächsabenden, zu denen Heim in seine Wohnung einlud, 18

war oft so groß, daß Platzkarten ausgegeben werden mußten. Die Studenten, die in Heims Wohnung in der Tübinger Neckarhalde kamen, wußten: hier ist einer, der uns versteht und der uns in den Geistesstürmen unserer Zeit einen Weg zeigen kann.

Heims seelsorgerliche Liebe zu den Mitmenschen ist im letzten Grunde auch der Schlüssel zum Verständnis seines theologischen Werkes. Seine umfassende Denkarbeit hatte vornehmlich das Ziel, den Menschen in ihren Glaubensnöten zu helfen. Heims Leben und Werk war, wie Thielicke einmal in einer Gedenkvorlesung sagte, in umfassendstem Sinn Diakonie.

Lebenslauf — Wichtige Daten Karl Heim wurde am 20. Januar 1874 in Frauen-

zimmern geboren. Das Dorf, eine ehemalige Niederlassung der Zisterzienser Nonnen, liegt im nördlichen Württemberg in der Nähe der Stadt Lauffen am Neckar. Hier verbrachte Heim in der Ungebundenheit des ländlichen Lebens, im Erleben der Natur mit ihren Wäldern, wogenden Getreidefeldern, Obstgärten und Weinbergen glückliche Kinderjahre. Dazu kam der innig-fromme Geist des elterlichen Pfarr16

hauses, der bei dem heranwachsenden

Jungen den

Grund zu einem lebendigen Christenglauben legte. Um sich nach dem Vorbild des Vaters auf den Pfarrberuf vorzubereiten, besuchte Heim die Seminare Schöntal und Urach. Danach trat er 1892 in das ‚Tübinger Stift‘ ein. In diesem Studenteninternat, das untrennbar zur Geschichte des schwäbischen Geisteslebens gehört — Hegel, Schelling, Mörike und andere bedeutende Schwaben gingen aus ihm hervor —, wird von alters her in Verbindung mit der Universität ein besonders intensives Theologiestudium durchgeführt. Heim war hier bis zum I. theologischen Examen. In Giengen a. d. Brenz begann Heim seinen kirchlichen Dienst. Er war, wie es in der württembergischen Landeskirche üblich ist, zunächst Vikar. Dann kam er als assistierender Lehrer und Prediger an das Volksschullehrerseminar Tempelhof bei Crailsheim. Von hier aus wurde er, wie schon erwähnt, von der

Deutschen Christlichen Studentenvereinigung nach Berlin berufen, um dort das Amt eines Reisesekretärs anzutreten. Noch ehe Heim den Reisedienst begann, legte er die II. theologische Dienstprüfung ab, denn er wollte später eine Pfarrstelle übernehmen. Aber es kam anders. Nach seiner Vortragsarbeit, die ihn bis nach Petersburg geführt hatte, wurde Heim 1905 von Professor Martin Kähler als Inspektor an 17

das theologische Internat in Halle/Saale berufen. Er hatte hier mit den Internatsstudenten theologische Ubungen abzuhalten und die jungen Menschen seelsorgerlich zu betreuen. In dieser Zeit schrieb Heim sein erstes Buch: „Weltbild der Zukunft.”

1907 habilitierte sich Heim und hielt als Privatdozent Vorlesungen an der Universität Halle. Die Aufforderung zur Habilitation war ihm praktisch schon mit der Ernennung zum Konviktsinspektor gegeben worden. Im Jahre 1912 fiel die Entscheidung, von der Heim später schrieb: „Sie war mir noch wichtiger als die

Berufung zum ordentlichen Professor. Es wurde mir aus einer schon mit meinen Eltern und meiner Schwester befreundeten Familie eine Lebensgefährtin geschenkt, die im Innersten mit mir übereinstimmte und

mir für meinen ganzen Dienst als Gehilfin zur Seite stehen konnte.” Es war die Ehefrau Hedwig, geborene Uhl. Im Kriegsjahr 1914 wurde Heim an die neugegründete evang.-theologische Fakultät Münster als ordentlicher Professor berufen. Acht Jahre später, 1922, kam er an seine Hauptwirkungsstätte, die Tübinger Universität. Er erhielt hier die theologischsystematische Professur. Die Vorlesungen, die Heim in Halle, Münster und Tübingen hielt, hatten einen 18

ungewöhnlich großen Zulauf. Nicht nur Theologen, auch Studenten der anderen Fakultäten füllten dicht gedrängt den Hörsaal, wenn Heim sich mit aktuellen Geistesproblemen auseinandersetzte. 1931 veröffentlichte Karl Heim „Glaube und Denken“, den ersten Band des weitgespannten Werkes „Der evangelische Glaube und das Denken der Ge-

genwart”. Über zwei Jahrzehnte lang arbeitete er an dem sechsbändigen Werk, dessen Schlußteil „Welt-

schöpfung und Weltende” 1952 erschien. Diese sechs Bände sind der Hauptteil des literarischen Gesamtwerkes. Andere größere Veröffentlichungen sind: „Das Gewißheitsproblem in der systematischen Theologie bis Schleiermacher” (1911), „Glaubensgewißheit“ (1916), „Glaube und Leben — Gesammelte Aufsätze und Vorträge” (1926). Mit dem zeugnishaft und in herzlicher Wärme geschriebenen Erinnerungsbuch „Ich gedenke der vorigen Zeiten” (1956) beschloß Heim seine literarische Arbeit. Übersetzungen der Bücher Heims fanden in Japan große Verbreitung; auch in Amerika, England, Schweden und Holland werden Heims Werke gelesen. Von Tübingen aus unternahm Heim verschiedene Reisen. Chinesische Studenten Iuden ihn 1922 zusammen mit dem früheren Reichskanzler Michaelis zur Teilnahme an der Konferenz des Christlichen 19

Studentenweltbundes in Peking ein. Nach der Konferenz reiste Heim durch Ostasien und lernte chinesische und japanische Religionen kennen. Er wertete diese Eindrücke später in seiner theologischen Arbeit aus. Eine zweite Reise führte ihn in den Orient. Der Anlaß war die Missionstagung in Jerusalem im Jahre

1928. Heim war auch hier wieder stark von dem Problem „Christentum und außerchristliche Religionen”

bewegt. Von besonderer Bedeutung für Heim war eine Vortragsreise nach Amerika. Heim war eingeladen worden, in Richmond (Virginia) über verschiedene theologische Themen zu sprechen. Bald nach der Rückkehr in die Heimat erhielt Heim einen Ruf an einen theologischen Lehrstuhl der Universität Princeton. Der Ruf an die bedeutendste amerikanische Universität erfolgte auf Grund der in Richmond gehaltenen Vorträge und der in Amerika bekannt gewordenen Bücher Heims. Aber Heim lehnte — wenngleich schweren Herzens — den ehrenvollen Ruf ab. Er wollte sein Vaterland in der schicksalsschweren Zeit, die mit Hitlers Machtübernahme begonnen hatte, nicht verlassen. Heim beschloß seine aktive Lehrtätigkeit im Jahre

1941. Er verbrachte seinen Lebensabend in Tübingen. 20

Auch diese Jahre waren noch reich angefüllt mit theologischer Arbeit, Am 30, August 1955 starb Karl Heim, Er war innerlich längst vorbereitet auf diesen Augenblick, da er aus dem Glauben ins Schauen, aus der Zeit in die Dimension der Ewigkeit eingehen sollte, Er hatte ein paar Jahre zuvor seine Lebenserinnerungen mit dem Vers beschlossen, den einst Kierkegaard auf seinen Grabstein schreiben ließ, Dieser Vers war jetzt für Karl Heim in Erfüllung ge-

gangen:

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„Noch eine kleine Zeit, dann ist’s gewonnen, Dann ist der ganze Streit in nichts zerronnen, Dann darf ich laben mich an Lebensbächen Und ewig, ewiglich mit Jesus sprechen,”

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I. WERK

Heim sah in der tiefen Kluft, die seit Jahrhunderten Theologie und Naturwissenschaft voneinander trennt, einen der Gründe für die Glaubensnot des heutigen Menschen. Heim wollte diese Kluft schließen. Vor ihm haben sich andere schon um dieses Anliegen bemüht. Aber Heims Weg ist neu. Und er ist vielleicht von allen Versuchen, die hier schon angestellt wurden und heute noch überlegt werden, der einzige tatsächlich mögliche Weg. Heim wollte keinen harmonischen Ausgleich, keine vagen Kompromisse, er wollte eine innere Verbindung, ein gemeinsames Denkfundament. So suchte er nach Denkelementen und Wirklichkeitsaussagen, die sowohl in der Naturwissenschaft als auch in der Theologie gültig sind. Er fand zwei wichtige Verbindungslinien: das Raumdenken und das dynamistische Weltverständnis. 22

Raum-Denken

In der Mathematik wie in der Physik nimmt der

Raumbegriff eine beherrschende Stellung ein. In der Mathematik läßt sich das recht vielseitige Raumdenken einteilen in die beiden großen Gebiete der euklidischen Geometrie und der gesamten nichteuklidischen Geometrien. Ein Grundzug der nichteuklidischen Geometrien ist die Möglichkeit, daß in diesen Geometriesystemen mit Räumen gerechnet werden kann, die mehr als drei Dimensionen haben. Auch geometrische Gebilde, die weniger als drei Dimensionen besitzen, werden als Räume bezeichnet. So gibt es den ein-dimensionalen Linienraum, oder den zwei-dimensionalen Raum einer euklidischen Ebene. — (Für Heims Raumbegriff ist dieser umfassende Sinn des Wortes ‚Raum‘ grundlegend wichtig; unser gewöhnlicher Körperraum ist in diesem

Zusammenhang nur als Sonderfall einer größten Vielfalt verschiedener denkmöglicher Räume anzusehen.) In der Physik hat das Raumproblem in neuer Zeit

vorwiegend durch die Relativitätstheorie große Aktualität erlangt. Auch hier lassen sich zwei große Gebiete gegeneinander abgrenzen: Die Auffassung des Raumes als eines Behälters der ganzen kosmischen 23

Welt — wie man lange Zeit im Anschluß an Newton gedacht hatte —, und andererseits die Auffassung des Raumes als einer bloßen „Lagerungs-Qualität” (Einstein) der kosmischen und mikrokosmischen Welt —

wie es besonders in der Relativitätstheorie erkannt wurde. In einer gewagten, aber durchaus möglichen Analogie redet Heim, ausgehend vom mathematisch-naturwissenschaftlichen Raumdenken, auch in der Theologie von Räumen. Gott wird als unendlicher, in sich unabschließbarer Raum von höchster, allumfassender Dimensionalität bezeichnet. Auch das menschliche Ich ist nach Heims Anschauung ein unendlicher Raum. Aber während der menschliche Ich-Raum von der Gegensätzlichkeit bestimmt ist, oder wie Heim sagt, in polaren Spannungen existiert, ist im Unterschied dazu der Raum Gottes überpolar. Die zwischenmenschlichen Begegnungen sowie die Begegnungen des Menschen mit der unpersönlichen Materiewelt haben die Eigenart, daß sich diese Räume zwar gegenseitig durchdringen, sich aber zugleich ausschließen und einander fremd bleiben. Die Ursache für diese Fremdheit in der Begegnung ist der hinter jedem Willensraum stehende Totalitätsanspruch, selbst die alleinige und ganze Welt zu sein. 24

Der Ich-Raum wie der physikalische Raum ist für Heim ein Willensereignis. Eine der neuesten Abhandlungen über das Raumproblem ist das Buch „Concepts of space” des Physikers Max Jammer (1). In sehr sorgfältiger historischer Quellenarbeit wird die Entwicklung des Raumdenkens vom Altertum bis in die Neuzeit aufgezeigt. Im Zusammenhang mit Heims Anliegen sind Jammers Hinweise auf jüdisch-christliche Gedanken über den Raum von besonderem Interesse. Im palästinensischen Judentum der alexandrinischen Zeit wird häu-

fig Gott und der Raum (makom) gleichgesetzt. ‚Der ewige Gott ist ein Raum. Der Herr ist der Raum seiner Welt, aber seine Welt ist nicht sein Raum.’ Die Vorstellung, daß Gott zu gleicher Zeit überall ist, „hatte in der jüdischen Theologie keine pantheisti-

schen Konsequenzen, führte jedoch zu der Verbin-

dung von Gott und Raum als Ausdruck seiner Allgegenwart”. Diese Gedanken hatten, wie Jammer weiterhin zeigt, über verschiedene Verbindungswege einen erheblichen Einfluß auf die physikalischen Raumtheorien Newtons und Mores und verschiedener anderer christlicher Naturwissenschaftler des 17. und 18. Jahrhunderts. Teils wurde der Raum als ein At-

tribut Gottes angesehen, teils wurde er sogar mit Gott identisch gesetzt. In den darauffolgenden Jahrhunder23

ten ist die Gedankenverbindung von Gott und Raum mehr und mehr zurückgetreten und ging schließlich ganz verloren. Von daher gesehen tritt die Bedeutung der Heimschen Konzeption noch deutlicher in Erscheinung. Ohne jene alten Begriffsverbindungen von Gott und Raum gekannt zu haben, die Jammer zeigt, ahnte Heim, daß im Raumdenken eine Möglichkeit der inneren Verbindung von theologischem und naturwissenschaftlichem Denken liegen muß. Das Ergebnis von Heims Arbeit auf diesem Gebiet ist ein grundlegender Anfang. Es muß daran weitergearbeitet werden! Das theologische Raumdenken muß in der rechten Korrelation mit den immer komplizierter werdenden naturwissenschaftlichen Überlegungen und Vorstellungen über das Wesen des Raumes bleiben. Die einmal geknüpfte Verbindung sollte jetzt nicht mehr abreißen! Dynamische Welt

Die zweite Verbindungslinie zwischen Naturwissenschaft und Theologie sah Heim in dem Satz: Die Welt ist dynamisches Ereignis. Von verschiedenen Seiten her wurde dieses neue Weltverständnis eingeleitet. In der Naturphilosophie gaben Schertel und Dacque wichtige Impulse für die dynamistische Weltdeutung. 26

Dacqu£ zeigte den Wahrheitskern der magischen Lebenslehre und uralter Menschheitsmythen. Die Erde

ist in ihrer Struktur und ihrer Entwicklungsgeschichte ein Spiel geheimnisvoller Wirkungen, sie ist von geistigen Kräften durchwaltet. In der Biologie begründete Hans Driesch den Neovitalismus. Der wesentliche Unterschied zwischen einem lebendigen Organismus und der anorganischen Materie besteht darin, daß Organismen, sei es die einzelne Zelle oder die ganze Pflanze, das Tier oder der Mensch, eine sich selbst ausgestaltende Kraft besitzen. Driesch übernahm hier den alten aristotelischen Gedanken der Entelechie. In der Physik führten die Entdeckungen von Planck, Bohr, Heisenberg, Einstein und de Broglie zum dynamistischen Weltverständnis. Raum und Zeitsind keine absoluten Größen, kein starrer Weltbehälter, sondern Form bzw. Qualität eines Geschehens. So ist z. B. ein Felsblock keine massive, statische Materie, die an einem bestimmten Ort des Raumes und der Zeit ruht,

sondern er ist wie alle andere Materie raumzeitliche Ereignismenge. Und ebenso ist das Atom selbst, aus dem sich die „Materie“ aufbaut, nicht ein Materiepartikel oder ein System verschiedener solcher Partikeln, sondern eine Vielfalt von latenten oder wirkenden Energien. DT

Heim gab diesem dynamistischen Weltbild seine notwendige theologische Grundlage. Was die genannten Forscher erkannten und in ihrer philosophischen und naturwissenschaftlichen Begriffssprache ausdrückten, ist, theologisch verstanden, das stete Aktualwirken Gottes. Das raumzeitliche, kosmische Geschehen ist Gottes Geschehen, die Kraft im Atom, in der Zelle, in der Erde ist Gottes Kraft! Die vordergründigen Ergebnisse der naturwissenschaftlichen Forschung entsprechen dem, was in der Bibel vom göttlichen Hintergrund alles Seins gesagt wird. Gott ist der Schöpfer, Erhalter und Lenker der Welt! Bei dieser theologischen Aussage ist es wichtig, daß gerade die zweite und dritte Umschreibung Gottes nicht übersehen wird — Erhalter und Lenker. Gott hat nicht in einem einmaligen Schöpfungsakt die Welt geschaffen, sondern Gott ist immer und überall

pausenlos am Werk. Gottes Erhalten ist ständiges Neu-Schaffen. Die alte Dogmatik hatte das als die ‚creatio continua’ bezeichnet. Die größten Spiralnebelsysteme wie die Energieladungen eines Atoms sind Gottes stete Machtentfaltung. In der ununterbrochen wirkenden Kraft Gottes schlägt jedes Menschenherz und in ihr spielt sich der Assimilationsvorgang einer Pflanze ab. Die Welt ist das universale Kraftwirken Gottes. 28

Heim zog die Linie der dynamistischen Welterklärung weiter und deutete auch das menschliche ‚Ich‘ und ‚Du‘ und die unpersönliche ‚Es-Welt‘ dynamisch. Und zu dem universalen Kräftegeschehen rechnete er auch den Kampf zwischen Gott und der satanischen Macht. Kampf der Mächte

Der Wille ist das tiefste Geheimnis des Menschen. Das wollende Ich gehört nicht dem dreidimensionalen, gegenständlichen Raum an, auch nicht der eindimensionalen Zeitstrecke. Der Wille steht außerhalb unserer praktischen Erfahrungswelt. Nur das, was er äußert oder verwirklicht, manifestiert sich in Raum und Zeit. Das wollende Ich steht in unablässiger Auseinandersetzung mit dem wollenden Du und mit der unpersönlichen Gegenstandswelt, die Heim ebenfalls als Willensmacht versteht. Alle diese dynamischen Seins-

räume stehen in einer grundsätzlich feindlichen Haltung einander entgegen. Nur durch Liebe kann bei den personalen Räumen diese natürliche Gegensätzlichkeit bis zu einem gewissen Grad überwunden werden, aber es wird immer ein Rest an Feindschaft bleiben. Im günstigsten Fall erhält sich von 29

der ursprünglichen Kampfeshaltung noch die Fremdheit. Sie ist schmerzlich genug, wenn zwei Menschen merken, daß sie trotz aller Kraft der Liebe nie zu einer absoluten Einheit finden können. Heim weist mehrfach hin auf Eberhard Griesebachs Wort vom ‚ewig fremden Du‘. — Nur wenn die Welt durch Jesus Christus in den überpolaren Raum zurückgenommen wird, findet der Kampf und die Fremdheit der Seinsräume ein Ende. Der Hintergrund alles menschlichen Mächteringens ist der Kampf zwischen Gott und der satanischen Macht. Alles Leben, der ganze Kosmos, ist in diesen Kampf mit einbezogen. Die satanische Macht ist in einer paradoxen, unserem Denken unfaßbaren Spannung sowohl Gottes Gegenmacht als auch Gottes Werkzeug. Als Gegenmacht Gottes will der Satan die Schöpfung zerstören. Der Mensch ist dadurch, daß er nicht in der unmittelbaren Gemeinschaft mit Gott lebt, dieser vernichtenden Macht ausgeliefert. Jede Sünde, die der Mensch

begeht, genauer gesagt, jede Tat, die in der Trennung von Gott geschieht, zerstört etwas an ihm, schwächt ihn, zerbricht sein Leben. Aber in der Unfähigkeit, den satanischen Vernichtungswillen zu überwinden, darf sich der Mensch auf die Seite von Jesus Christus stellen, der den Sieg über

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den Satan errungen hat. Jesus hat der satanischen Macht bis zum Letzten widerstanden und sie durch sein Leben, Leiden und Sterben überwunden. Das war nur möglich, weil Jesus von Anfang an bis zum Ende in einer ungebrochenen Willenseinheit mit Gott blieb. Nur dadurch konnte bei ihm nirgends der Einbruch der satanischen Macht gelingen. Der Sieg Jesu über den Satan ist endgültig. Der Machtkampf ist entschieden. Aber die weltweite Auswirkung dieses Sieges ist erst im Kommen. Jesus Christus ist das Zeichen der neuen Welt Gottes, die naht. „Noch ist die Herrschermacht Christi über die Welt unsichtbar. Es ist wie bei der Lebenskraft der Natur in der Winterszeit, wenn die Erde mit Schnee und Eis bedeckt ist. Die Kraft der Natur scheint erstorben zu sein. Aber das scheint nur so. In Wahrheit trägt die erstarrte Erde die ganze ungeheure Kraft in sich, einen neuen Frühling erblühen zu lassen, ja, die wogenden Kornfelder des Sommers und fruchtbeladenen Bäume des Herbstes aus sich hervorzubringen. So trägt diese Welt, seit Christus als lebendiges Samenkorn in sie eingesenkt worden ist, den Keim zu einer neuen Welt in sich, in der die Ernte Gottes reift. Schon jetzt bereitet sich überall da die neue Erde vor, die in der Schrift verheißen wird, wo der lebendige Herr seine Gemeinde sammelt.“ 31

Glaube als Erlebnis

Auch unser Glaubensverhältnis zu Gott wird von Heim dynamisch gedeutet. Der Glaube ist nicht nur das Wissen der objektiven Heilstatsache: mir sind meine Sünden vergeben, der Glaube ist zugleich auch Erlebnis. Der in Jesus Christus mit Gott versöhnte

Mensch erlebt eine neue Existenz. Die Kraft Gottes wird ihm sichtbar, fühlbar, erfahrbar. Er hat geöffnete Augen für die Realität von Gottes Wirken im eigenen Leben und in der Welt. Er sieht auch in rückwärtigem Erkennen, was sein Leben zuvor ohne Jesus Christus

war. Erst als erlöster Christ erkennt er, in welch abgrundtieferNot und Verlorenheit jeder ist, der in der Trennung von Gott lebt. Manche Theologen bestreiten ein konkretes Erleben des Glaubens und sehen das Verhältnis zwischen Gott und Mensch nur in abstrakten Paradoxien. Demgegenüber verteidigt Heim die Tradition des Pietismus. Der schwäbische Pietist und Theosoph Oetinger sprach den Satz aus: „Leiblichkeit ist das

Ende der Wege Gottes.“ Diesen Grundgedanken hat auch Heim. Der Glaube oder Nichtglaube verleiblicht sich in realem Lebensgeschehen. Heim führte in seinen Predigten wie in seinen wissenschaftlichen Abhandlungen eine Fülle von Glau32

benserfahrungen an. Er konnte in seinen akademischen Vorlesungen oft davon sprechen, wie ein Mensch unter der Begegnung mit Christus total umgewandelt wurde, oder wie Gott ein Gebet erhörte. Selbst Gedankengänge, die zunächst ganz theoretisch erschienen, endeten schließlich im Hinweis auf das konkrete Erleben. Eine komplizierte Erörterung über die Räume schließt Heim ab mit dem, was geschieht, wenn sich einem Menschen in der Nachfolge Jesu der

„ewige Urraum” merken

das Neue:

erschließt. Wir erfahren, spüren, „Sobald wir es auf sein Wort

wagen, durch einfachen Tatgehorsam auf den Boden seiner Gebote zu treten, erfahren wir das ‚Innewerden‘, von dem Jesus (Joh. 7, 16f.) redet. Wir

spüren, daß der Boden trägt, auf den wir getreten sind. Wir merken, daß wir hier im Sinn und Geist der Macht handeln, die das Weltganze geschaffen hat.” Verkündigung

Karl Heim wollte Menschen zu Christus führen. Er war ergriffen von der Kraft Gottes, dies trieb ihn in einen geradezu leidenschaftlichen missionarischen Eifer hinein. Er hatte Gottes Gnade erfahren, und er

wollte jeden dafür gewinnen, die in Christus angebo33

tene Gnade Gottes auch zu ergreifen. Er sagt einmal mit Paulus: „Es liegt eine Notwendigkeit auf mir, denn wehe, wenn ich die Botschaft nicht verkündigen würde!” (1. Kor. 9, 16)

Es liegt in der Konsequenz dieser Haltung, daß es für Heim keine eindeutige Trennung zwischen akademischer Arbeit und Predigt geben konnte. In beidem steckte letztlich die gleiche Absicht. Auch die akademische Arbeit war vorwiegend von einem missionarischen Impuls getragen. Heim trieb nicht Wissenschaft um der Wissenschaft willen, sondern die wissenschaftliche Arbeit wurde ihm Mittel zur Erfüllung seines inneren Auftrages, Menschen zu Christus zu führen. Eine Beschreibung von seinem Wirken als Prediger möge das in kurzem Umriß entworfene Persönlichkeitsbild Heims beschließen. (3)

Ein werbender, einladender Klang durchzog Heims Predigten. Sosehr Heim das Gewissen aufzurütteln verstand, war er keineswegs ein einseitiger, herber Bußprediger, sondern vielmehr Evangelist, Missionar, Erweckungsprediger. Es hieß nicht: „Entscheide dich für Christus, daß er dich annehmen kann“, sondern: „Christus hat sich für dich entschieden, nun entscheide

du dich für ihn!” — „Lasset uns ihn lieben, denn er hat uns zuerst geliebt!” 34

Die Einladung zu Jesus Christus wurde aber nicht

unvermittelt dem Predigthörer vorgesetzt. Genau so, wie Heim in seiner wissenschaftlichen Arbeit in einem weiten Umweg die gegenwärtigen Glaubensnöte durchdachte und einen neuen Zugang zur Christuswahrheit suchte, so stellte er sich in seelsorgerlichem Einfühlen auf die Predigthörer ein. Er rechnete nicht mit fertigen Menschen, sondern mit solchen, die „noch unterwegs“ sind, die vielleicht erst

den allerkleinsten Anfangsschritt zu Christus hin gemacht haben. Er sprach einmal von Menschen, die mit dem, was im Glaubensbekenntnis über Jesus Christus

steht, noch nichts anfangen können, die aber schon begonnen haben, einige seiner Weisungen ernst zu nehmen: „Wir können schon im Kraftfeld Jesu stehen,

Gottes Werk an uns kann schon begonnen haben, und doch können wir den hohen Anspruch Jesu, Gottes

Sohn zu sein, noch nicht fassen und glauben. Aber nun ist es ganz klar, daß das nur ein Anfangsstadium sein kann, bei dem es nicht bleiben darf.“ Dann achtete Heim sehr auf die leichte Faßlichkeit seiner Predigten. Der exegetische Gehalt eines biblischen Textes wurde zu einem prägnanten Thema zusammengefaßt und nach einigen einleitenden Sätzen an den Anfang der Predigt gestellt. Der Redestil war schlicht, aber eindringlich. Viele Bilder aus der Welt 35

der Technik oder der Natur dienten der Veranschaulichung, auch Beispiele aus der Geschichte oder Zitate von Dichtern und Schriftstellern halfen zum Verständnis einzelner Predigtgedanken. Am besten zeigte sich die seelsorgerliche Haltung darin, wie Heim auf die Lebensnöte und Glaubensanfechtungen seiner Predigthörer einging. Der Verlust einer Arbeitsstelle, Todesleid, die verborgene Bindung an eine schwere Sünde, Nöte der Ehe,

Angst — all das menschliche Leid in seiner vielfältigen Gestalt kam zur Sprache. Der Hörer konnte merken: es geht um mich, dieser Prediger nimmt das ernst, was mich immer so schwer bedrückt. Und Heim suchte auch nach einer Antwort. Er gab sie nicht leichthin. Er wußte, wie sehr gerade dem leidenden Menschen leere Phrasen weh tun. So forschte er gewissenhaft und im Gedanken an eigene Leidens-

erfahrungen in der Heiligen Schrift nach dem lösenden, tröstenden Wort, das er den Bedrängten sagen konnte. Zum Vertrauensverhältnis zwischen Heim und den Predigthörern trug auch seine Liebe zum Volk, zur Heimat und zur deutschen Geschichte bei. Er nahm in seinen Predigten Stellung zu den politischen, wirtschaftlihen und volksgesundheitlichen Sorgen Deutschlands. Aber es war ihm über all dem die 36

größte Sorge, daß Gott sein Wort dem deutschen Volk einmal entziehen könnte, daß „das Reich Gottes

von uns genommen und einem Volk gegeben werden könnte, das seine Früchte bringt”. (4)

BEMERKUNGEN

ZUR TEXTAUSWAHL

Die Auswahltexte aus Heims literarischem Werk sind in keine einzelnen Kapitel aufgegliedert, es wurden auch keine Überschriften beigefügt. Die Heimschen Zitate mögen ohne jede Beigabe auf den Leser wirken. i Trotzdem ist natürlich ein innerer Zusammenhang da. Bestimmte Leitgedanken waren für die Auswahl und Gliederung maßgebend. Die folgende Übersicht zeigt den Gedankengang der Texte. So ist, wenn auch nicht bei den Zitaten, so doch hier dem Leser eine ungefähre Orientierungsmöglichkeit an die Hand gegeben. S. 40 ff. Der unerlöste Mensch. Sein Zwiespalt mit Gott zeigt sich in der polaren Spannung des Glücks, in der Unschlüssigkeit im Handeln, in der Ur-Schuld, im geängsteten Gewissen. S.56 ff. Die Versöhnung des Menschen mit Gott durch Jesus Christus. Jesus als Seelsorger.

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S. 64 ff. Menschliches Leid. Das Leid und die satanische Macht. Gott liebt den leidenden Menschen. Die Überwindung der Sorge. S. 82 ff. Der Mensch erlebte Gottes tragende Kraft im Gebet, in der Bibel, in der Predigt des Evangeliums. S.94 ff. Dynamistische Deutung der Passion und Auferstehung Jesu. Die christliche Enderwartung.

S.109 ff. Die Spannung zwischen Naturwissenschaft und Theologie. Forderung der Wahrhaftigkeit. Der Zweifel hat eine positive Seite. Die Kraft des ungesicherten Glaubens. S. 113 ff. Raum-Denken. Die Verbindung zwischen Naturwissenschaft und Theologie. Der überpolare Christusraum. S. 133 ff. Der Wille als fundamentale Wirklichkeit. Allbeseeltheit der Natur.

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AUSWAHL

AUS

KARL

DEN HEIMS

WERKEN

De Glück, das es für uns in dieser Welt gibt, ist nur da durch den Gegensatz zu dem Leid des ungestillten Verlangens, von dem es uns zu erlösen verspricht. Die Freude währt also nur so lange, als der polare Gegensatz zu dem Leid noch gefühlt wird, von dem sie uns befreit hat. Der Trunk erquickt uns nur so lange, als wir noch den Durst fühlen. Die Ruhe ist nur süß nach der anstrengenden Arbeit. Ist das Verlangen gestillt, das ersehnte Ziel erreicht und der unbefriedigte Zustand aus der Erinnerung verschwunden, schlägt die Befriedigung sofort in Langeweile und Überdruß um. Eine Sache begeistert uns darum nur so lange, als sie noch im Kampf mit unbesiegten Gegnern steht, solange sich also an der Überwindung dieser Gegner die Siegesfreude immer neu entzünden kann. Ist das Ziel erreicht, um das man so heiß gekämpft hat, liegen alle Feinde am Boden und ist der ersehnte ungestörte Friedenszustand endlich da, wird auıch die herrlichste Sache in kurzer Zeit langweilig. Mein Wollen und Fühlen kann darum immer nur durch etwas angeregt werden, was ich noch nicht habe, 40

was also erst als verlockendes Ziel vor mir liegt, oder durch etwas, was mir soeben zuteil wurde, was also noch den Reiz der Neuheit hat. Was nicht mehr neu ist, das fesselt mich schon nicht mehr. Mein Verlangen geht schon wieder darüber hinaus. Das sehen wir sowohl an unserem Wollen wie an unserem Gefühlsleben. Jedes Ziel, das meinem Willen vorschwebt, mag es ein großes Vermögen sein oder ein Eigenheim oder eine gesicherte Stellung oder der Völkerfriede oder die klassenlose Gesellschaft, erscheint mir nur so lange wirklich erstrebenswert, als es noch ein Zukunftsbild ist, das ich mir in leuchtenden Farben ausmalen kann. Kaum ist das Ziel erreicht, so fange ich auch schon an, der Sache überdrüssig zu werden. Der Wille kann dabei nicht zur Ruhe kommen. Das Erreichte dient nur zum Ausgangspunkt für ein ferneres Ziel, das sofort dahinter auftaucht. Der Wille verlangt zwar fortwährend nach etwas, worin er Erfüllung finden und ausruhen könnte. Hat er es gefunden, offenbart sich darin nach Pascal nur immer von neuem der Abgrund der inneren Leere und tödlichen Langeweile. „Die Ruhe wird unerträglich, und der Kampf, die Jagd, das Spiel beginnt von neuem. Dieses Oszillieren zwischen Ruhe und Unruhe ist die Grundverfassung unseres menschlichen Lebens.” (5) 41

D ie Frage, was wir tun sollen, ist der Ausdruck der Unschlüssigkeit, die Shakespeare in der Gestalt des Hamlet so erschütternd dargestellt hat. Das Hamlet-Schicksal, das unser Handeln fortwährend hemmt und uns hindert, sichere und gewisse Schritte zu tun,

ist etwas Allgemeinmenschliches. Gewiß gibt es Fälle, in denen sich das, was geschehen soll, unmittelbar aus der Situation ergibt. Das Vaterland ist von Feinden überfallen. Wir eilen zu den Waffen, um Haus und Herd zu schützen. Ein Kind ist mitten auf einer verkehrsreichen Straße hingefallen. Wir springen zu, um es aufzuheben. Die Flammen schlagen nachts aus einem Haus. Wir eilen zum Feuermelder. Aber diese Fälle, in denen die Last der Reflexion über das, was geschehen soll, so von uns abfällt, in denen es nur

eine einzige Möglichkeit gibt, für die wir uns einsetzen müssen, sind in unserm Leben nicht die Regel, sondern eine seltene Ausnahme. Das sieht man daran,

daß wir diese Fälle trotz der Aufregung und Lebensgefahr, die sie meistens mit sich bringen, immer als eine große Befreiung empfinden. 42

Im August 1914 wurde eine ganze Menge von

Menschen, die nicht wußten, was sie mit ihrem Leben anfangen sollten und infolgedessen unter depressiven Gemütszuständen litten, mit einem Schlag gesund. Die Mobilmachung hatte sie in die Kaserne gerufen und unter eine eiserne Befehlsgewalt gestellt, die ihnen jede Stunde vorschrieb, was sie machen mußten. Der drückende Alp der ungelösten Frage, wie sie die nächste Stunde ausfüllen sollten, war von ihnen gewichen. Sie atmeten wieder frei. In solchen Fällen erleben wir mitten in der höchsten Not und Aufregung etwas von jenem Urzustand des Menschen, wie er, wenn auch in ganz anderer Form, über Dichter und Künstler in großen Augenblicken der Inspiration kommt. Es ist der Urzustand, in dem es noch keine Wahl gibt, in dem wir noch diesseits jeder Entscheidung stehen. Diese Fälle, in denen wir gleichsam in hellseherischer Sicherheit auf dem schmalen Grat zwischen zwei Abgründen entlanggehen, sind außerordentlich selten. Sie kommen im allgemeinen nur in hochdramatischen Augenblicken der Geschichte vor, in weltgeschichtlichen Stunden. Sobald wieder Ruhe herrscht und wir in den normalen Zustand zurückgekehrt sind, kommt die alte Unschlüssigkeit wieder über uns, die Angst, ob wir auf dem rechten Wege sind, ob es nicht ganz 43

verkehrt ist, was wir machen, das unsichere Gefühl, im Nebel zu wandern. Nur weil diese hamletartige Unschlüssigkeit unser durchschnittlicher Zustand ist, haben wir Menschen ein Bedürfnis, welches das instinktsichere Tier in dieser Art nicht zu kennen scheint, nämlich das Bedürfnis nach Ethik, nach Gesetzen, Geboten, Ordnungen, Normen, Wertformen, Idealen, Vorbildern, kurz nach irgend etwas, das uns den Weg in die dunkle Zukunft hinein wenigstens ein Stück weit erhellt und vorzeichnet. Dieses Bedürfnis würde gar nicht entstanden sein, wenn wir in dem Urzustand bleiben könnten, den wir in jenen seltenen Augenblicken des wahllosen Handelns erleben. Schon das Bedürfnis nach Ethik ist also verglichen mit dem, was wir in jenen großen Stunden als ferne Möglichkeit ahnen, etwas Abnormes, ein Abfall. Darum ist auch alles, was zur Stillung dieses Bedürfnisses geschieht, immer nur ein Notbehelf oder ein ungenügender Ersatz für das, was wir eigentlich nötig hätten, nämlich die Inspiration des Augenblicks. Keine auch noch so spezialisierte Ethik oder Kasuistik kann mir ja jemals die Last der Ungewißheit über

das, was ich in diesem Augenblick tun soll, wirklich abnehmen. (6)

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es und Melanchthon haben auf eine Tatsache hingewiesen, die seither immer wieder von Menschen aus ihrer Erfahrung heraus bestätigt worden ist. Was uns aufs Gewissen fällt, wenn wir vor Gottes Angesicht stehen, das sind gar nicht in erster Linie die Entscheidungen in unserm Leben, die wir nach ruhiger und ernster Überlegung aller entgegengesetzten Möglichkeiten im hellen Licht unseres Bewußtseins getroffen haben. Bei diesen Bewußtseinsentscheidungen treten im allgemeinen alle ethischen Hemmungen und „Dressate”

(Künkel) in Kraft, die wir unserer

sittlichen Erziehung verdanken. Diese legen unseren starken Naturtrieben Zügel an und schützen uns vor Entgleisungen. In unserem Gewissen machen uns darum die Regungen viel mehr zu schaffen, bei denen diese Hemmungen ausgeschaltet sind. Das sind die Regungen, die ganz unwillkürlich auftreten, noch ehe eine ethische Überlegung einsetzen kann. Einige Beispiele aus dem Leben: Ich bekomme die Nachricht, mein Geschäftskonkurrent und langjähriger Nebenbuhler habe einen Autounfall erlitten und 45

liege im Krankenhaus schwer darnieder. Die erste Regung ist Schadenfreude. Sofort hinterher setzt die sittliche Besinnung ein, die anerzogenen Hemmungen werden eingeschaltet. Ich schäme mich meiner gemeinen Empfindung. Ich habe herzliches Mitleid mit dem Mann und erkundige mich in aufrichtiger Teilnahme bei seinen Angehörigen nach seinem Befinden. Ein zweites Beispiel. Ein hochbegabter junger Mensch, der mich durch seine Erfolge immer in Schatten gestellt hat, hat auf Grund seiner Leistungen eine Stelle bekommen, die ihn mit einem Schlag berühmt macht. Das erste, was sich bei dieser Nachricht in mir regt, ist Neid. Sofort hinterher tritt meine gute sittliche Erziehung in Kraft. Es reut mich, daß ich einer so gemeinen Empfindung Raum gegeben habe. Mein besseres Ich gewinnt die Oberhand. Ich gönne meinem jungen Freund diesen Erfolg und beeile mich, ihm von ganzem Herzen dazu zu gratulieren. In diesen beiden Fällen handelt es sich um Regungen, die noch diesseits jeder bewußten Entscheidung stehen. Sie brechen ganz unwillkürlich in mir hervor, ehe der bewußte Wille in Kraft tritt. Nun entsteht die Frage: Können wir darum, weil hier kein bewußter Willensentschluß vorliegt, jede Verantwortung für diese schmutzigen Regungen von Schadenfreude, Neid, Haß und Wut ablehnen? Sind

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wir an ihnen unschuldig? Stehen wir ihnen genauso gegenüber wie einer Krankheit oder einem körperlichen Schmerz, der uns ohne unser Zutun überfällt, so daß wir uns keinen Vorwurf darüber machen können? Das bringen wir offenbar nicht fertig. Im Gegenteil. Gerade dieser ganz instinktiven unwillkürlichen Regungen von gemeinem Geschäftsneid, Brotneid, Künstlerneid, von unverhohlener, beinahe sadistischer Schadenfreude über das Elend eines Menschen, die in den ersten noch unbewachten Augenblicken in mir hervorbrechen, schäme ich mich noch mehr als der falschen Entscheidungen, die ich bei klarer Überlegung getroffen habe. Ich erschrecke über die abgrundtiefe Gemeinheit, die sich in diesen Regungen offenbart und deren ich mich gar nicht für fähig gehalten hätte. Ich bin aber nicht imstande, die dunklen Instinkte, unter deren Macht ich stehe, nur als ein Schicksal gleichgültig hinzunehmen. Ich weiß nur allzu genau, daß es innerste Regungen meines Herzens sind. Ich fühle mich dadurch befleckt. Ich bereue sie, wie man eine Schuld bereut. Für jeden, der diese Tatsache aus eigener Erfahrung zugibt, ist damit die Behauptung ein für allemal widerlegt, wir könnten uns nur für etwas schuldig fühlen, für das wir uns mit vollem Bewußtsein entschieden haben. Es hat sich gezeigt: Wohl steht im

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alltäglichen Leben die Verantwortung für bewußte Entscheidungen im Vordergrund und behält nach wie vor ihre große Bedeutung. Aber das Schuldbewußtsein ist etwas viel Umfassenderes und Undurchschaubareres, als wir zunächst gedacht hatten. Unterhalb des Schuldgefühls, das gleichsam vor unseren Augen im Tageslicht unseres Bewußtseins zustande kommt, gibt es eine Schuld, die den nächtlichen Tiefen unseres Wesens angehört und nur in besonderen Augenblicken an die Oberfläche des Tagesbewußtseins emporsteigt.

Wenn eine blinde Wut gegen einen Mitmenschen aus der Tiefe unseres Herzens hervorbricht oder Neid und Eifersucht gegen den glücklichen Nebenbuhler oder irgendeine andere Regung, die unsere Seele vergiftet, so sind alle diese vulkanischen Ausbrüche nicht Entscheidungen, die erst in dem betreffenden Augenblick getroffen werden. Es sind Entladungen einer Kraft, die potentiell schon da ist, die aber in diesem Augenblick durch gewisse äußere, vielleicht ganz geringfügige Anlässe ausgelöst wird, etwa so, wie die Schwerkraft, mit der ein Schiff vom Schwimmdock in sein nasses Element hinuntergleitet, durch den Axthieb ausgelöst wird, mit dem ein Matrose das Tau durchschlägt, durch das das Schiff bisher noch festgehalten wurde, oder so, wie durch einen Druck auf 48

einen Knopf der Schluß hergestellt wird, der den elektrischen Strom zum Kreisen bringt. Der Axthieb oder der leichte Druck sind nicht die eigentliche Ursache. des Vorgangs. Es sind verhältnismäßig geringfügige Anlässe im Vergleich zu der eigentlichen Treibkraft, die in der Schwere des Schiffes und in der latenten elektrischenSpannungenthalten ist. Dielatente Kraft, die je nach den mannigfaltigen Umständen des Lebens in ganz verschiedenen Formen entladen wird, ist der Gotteshaß der satanischen Macht, die in uns will. Das ist die eigentliche Schuld in der Schuld. Darum erschrecken wir immer wieder vor den Abgründen unseres Herzens, wenn etwa ganz unerwartet, durch einen äußeren Reiz ausgelöst, ganz gemeine sadistische Regungen aus uns hervorbrechen, deren wir uns niemals für fähig gehalten hätten. Es macht deshalb nach der Bergpredigt vor Gott keinen wesentlichen Unterschied, ob es nur zu einem unflätigen Schimpfwort oder zum Mord kommt (Matth.5,21f.), ob ich mich zum Ehebruch fortreißen lasse oder ob es beim begehrlichen Blick bleibt, also beim „Ehebruch im Herzen“. (Matth. 5, 27ff.) (7)

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8: Seelengeschichte des jungen Luther, die sich abspielte, ehe er öffentlich hervortrat, gehört zum Gewaltigsten, was in der Geistesgeschichte der Menschheit geschehen ist. Es ist nicht die Geschichte eines Einzelnen, es tritt darin etwas allgemein Menschliches zutage, was sich tausendfach wiederholt hat. Die katholische Geschichtsschreibung hat wohl nicht ganz mit Unrecht gesagt, der Mönch Luther sei ein Skrupulant gewesen, d. h. er habe an einer Seelenkrankheit gelitten, die in den Klöstern von alters her gerade bei ernstesten Ordensleuten eine häufige Erscheinung ist und die die Moraltheologen des späteren Mittelalters pussilanimitas nannten. Was ist das für eine merkwürdige Krankheit? Der stumpfe Durchschnittsmensch kennt sie nicht. Aber jeder feiner organisierte Mensch, der auch nur einige Monate lang versucht hat, ein einziges Gebot Gottes ernst zu nehmen, etwa das Gebot, keusch zu sein, oder das Gebot, Gott über alle Dinge zu lieben, der wird sehr bald merken, wie nahe uns allen diese Krankheit liegt. Wir brauchen uns nur einmal klarzumachen, was das be50

deutet, daß jede verlorene Minute unseres Lebens in alle Ewigkeit nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Jeder einzelne unreine Gedanke, der mir aufsteigt, während ich in der Gegenwart Gottes stehe, ist also unendlich ernst zu nehmen. Jede Abschwei-

fung eines Gedankens von ihrem Ziel kann mich um die ewige Seligkeit bringen. Jeder Gedanke, den ich denke, gleicht einem Fußtritt in eine weiche Masse, die nachher fest wird und die Fußspur für alle Zeiten aufbewahrt. Geschehenes kann nie mehr ungeschehen gemacht werden. Anselm von Canterbury sagte, ein einziger Blick gegen Gottes Willen irgendwohin geworfen, sei eine so große Sünde, daß sie nicht wieder gutgemacht werden könnte, auch wenn man alle Welten dafür hingäbe. Was Luther im Kloster erlebte, ist gar nichts anderes, als was jeder Mensch mit starker Leidenschaft erlebt, wenn ihm etwa unter dem Eindruck eines schweren Schicksalsschlages mit einem Male deutlich wird, daß Gott ist, daß er ein allgegenwärtiger Richter ist, daß er alles sieht, und dem wir keinen Augenblick entrinnen können. Luther hatte die Empfindung: Wenn Gott ist, wenn er mir näher ist, als ich mir selber bin, wenn er mich von allen Seiten umgibt, wie es Psalm 139 heißt, dann ist das Jüngste Gericht schon angebrochen. Der Todesaugenblick, dem wir 51

entgegengehen, indem wir vor Gottes Angesicht treten werden, ist schon jetzt. Die kurze Spanne, die uns von ihm trennt, diese Sekunde angesichts der Ewigkeit, hat gar keine Bedeutung. Im Jüngsten Gericht aber, das empfand Luther, wird niemand bei mir sein. Ich muß meine Sache ganz allein mit Gott ausmachen. In einer Wittenberger Predigt von 1522 sagte er: „Wir seindt allsampt zu dem tod gefordert und wirt keyner für den anderen sterben, sondern ein yeglicher in eygener person für sich mit dem todt

kempffen ... .; ich würd denn nit bey dir seyn noch die du bey mir.” (Holl, Luther, S. 18. Anm.) Wenn aber Gott ist, so real, wie wir ihn am Jüngsten Tag

fühlen werden, dann muß Gott fordern, daß ich ihn liebe von ganzem Herzen, von ganzer Seele, aus ganzem Gemüte und aus allen meinen Kräften. Er, der Geber alles Guten, kann verlangen, daß ich ihn aus ganzer Seele liebe. Jede Liebe zu Gott mit halbem Herzen, etwa bloß aus Angst vor der Hölle, ist nicht nur eine verzeihliche Schwäche und Unvollkommenheit, nein eine furchtbare Sünde und Empörung. Die Kämpfe Luthers drehen sich um das, was Ibsen in seinem Drama „Brand“ so eindrucksvoll dargestellt

hat. Dieses Drama ist wie ein Nachklang von Luthers Klosterkämpfen. Die Pflicht hält den Pfarrer Brand im Dorf am Strand im kalten Fjord fest, wo er seiner 52

Gemeinde dienen muß. Aber er hat Frau und Kind. Dem Kind fehlt der Sonnenschein. Es siecht dahin und stirbt. Brand bringt es zum Opfer. Auch Frau Agnes ist bereit, es hinzugeben. Aber sie will wenigstens weinen dürfen um das Kind, das drüben auf dem Friedhof liegt, oder seine Kleidchen noch einmal ansehen. Brand aber sagt zu ihr: „Was du auch beutst, versinkt im Abgrund allzumal, sobald du den Verlust bereust.” Gott läßt nicht mit sich handeln. Gott spricht: „Wisse, daß ich viel begehre, alles fordere oder nichts.” „Und gibst du alles, nicht dein Leben,

so wisse: du hast nichts gegeben.” Auch auf Luther könnte man die Worte anwenden, die im Schlußakt dieses norwegischen Seelendramas der verführerische Geist

dieser

Erde

zu

Pfarrer

Brand

sagt:

„Drei

Wörtlein sind der Herd deiner Krankheit, deren kalte Schauder dich mit Wahnsinn schlagen. Denen mußt du ganz entsagen, die aus dem Gedächtnis bleichen, die von jeder Tafel streichen, die sind all des Schreckgesichts, das dich anfiel, anzuklagen. — Sag sie! — Alles oder nichts.” Gott will keinen erzwungenen Dienst, denn das ist keine Liebe von ganzem Herzen und von ganzer

Seele. Nur ein Wollen, das aus innerstem Drang geboren ist, aus dem jeder Rest von Sollen und Müssen, von Zwang und Gewalt verschwunden ist, also ein 53

ganz freies und ungeteiltes Wollen könnte Gott gefallen. „Nullum violentum perpetuum” (Nichts Erzwungenes hält stand). Erzwungenes Wollen hat keine Wurzeln in unserem innersten Wesen. Es gleicht der unter die Steine gesäten Saat, die nur spärlich aufgeht. Also sind auch gerade die Höchstleistungen menschlicher Selbstüberwindung, die von Menschen am meisten bewundert werden, die asketischen Übungen, bei denen der Mensch in der Klosterzelle sich geißelt und fastet, um sich zu besiegen, wenn wir sie in der Gegenwart Gottes betrachten, unrein. Denn es sind ja Gewaltakte, zu denen wir uns zwingen müssen. Vor Gott aber gilt nur eine freiwillige Hingabe des ganzen Herzens. Alles oder nichts. Jede halbe Hingabe ist Empörung. Auch in dem Verlangen, in den Himmel zu kommen und selig zu werden, liegt nach Luther dasselbe egoistische Begehren wie in der gemeinsten fleischlichen Begierde. Wenn wir wirklich Gott von ganzem Herzen lieben, so müssen wir ebenso freudig in die Hölle gehen, wenn uns Gott dort hinschickt. Wir mögen also ein Mönchsleben führen, um in den Himmel zu kommen, oder ein Weltleben, immer ist die Selbstliebe als zweiter Beweggrund dabei. Wir geben Gott nur ein halbes Herz. Wir können also, sobald wir uns selbst wirklich 54

kennengelernt haben, vor Gott nur verzweifeln. Und kein Mensch kann uns aus dieser Verzweiflung retten. Denn jeder einzelne steht ja ganz allein vor Gott. Erst wenn wir an diesem Punkt angelangt sind, sind wir wirklich erwacht. Wir stehen an der Stelle, an der wir entweder untergehen müssen oder Gott finden. Als Luther an diesem Punkt stand, war es ihm ohne weiteres klar: Wenn es in dieser Lage überhaupt eine Hilfe gibt, eine Rettung vor dem Untergang, so kann diese nur in einer ganz bedingungslosen Vergebung bestehen. Man sieht ja manchmal aus der Tiefe eines Schachtes, der sich oben nach dem Himmel zu öffnet, in der Abenddämmerung einen Stern am Himmel, der oben über Tage noch nicht sichtbar geworden ist. Denn oben ist man durch die Tageshelle geblendet. Aber drunten, im Dunkel des Schachtes, erweitern sich die Pupillen. Von der Tiefe aus sieht man darum Dinge am Himmel, die man oben nicht sehen kann. So ist Gottes Handeln mit der Menschheit, wie es die Bibel beschreibt, nur aus dem

tiefen Schacht der Verzweiflung des Menschen an sich selbst heraus sichtbar. In der Tageshelle, die auf der Oberfläche des Lebens herrscht, kann man Gott nicht sehen. Da erscheint die Heilsgeschichte, die die Bibel erzählt, wie ein Mythus, wie ein unwirkliches Phantasiegebilde. Nur in jener dunklen Tiefe, in der man 3)

den Abstand von Gott, das Ausgeschlossensein von seiner Gemeinschaft, in seiner ganzen Furchtbarkeit fühlt, erweitert sich der Blick, da geht uns die innere Notwendigkeit dessen auf, was Gott in Christus getan hat. Es hat Gott gefallen, ein Volk unter den Völkern als Priestervolk auszuwählen und aus diesem Volk einer Person für alle Zeiten die Vollmacht zu geben, in seinem Namen das lösende Wort zu sprechen, das „Wort von der Versöhnung”, und dieses

Wort durch sein Leiden und Sterben zu besiegeln. „Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit ihm selber.” Schon beim ersten Auftreten Jesu, als er dem

Gichtbrüchigen sagte: Dir sind deine Sünden vergeben, wußten die Juden: entweder ist das Gotteslästerung, oder er ist der, der da kommen soll. Denn niemand kann Sünden vergeben als Gott allein. Nur von jenem Tiefpunkt der Verzweiflung aus, an dem Luther im Kloster stand, ist dieses Wort für einen Menschen hörbar. Nur von dort her, von jenem tiefen Schacht aus, der unterhalb der Oberfläche des Lebens liegt, kann verstanden werden, was dieses Wort von der Vergebung durch Christus bedeutet. (8)

56

re

entsteht aus der eigentümlichen Span-

nung, die sich durch das Lebenswerk Jesu hindurch-

zieht: einerseits, er ringt um die Seelen, es erfolgt ein „Ziehen des Vaters zum Sohn”, die Menschen

sollen erlöst werden aus ihrer Drehung um sich selber, aus den Dornen, aus der Fremde, von den Trebern, aus allem, in was sie hineinkommen, wenn sie

sich selber ausleben, sie sollen hingezogen werden zum Vaterhaus, ins Sterben, in die Beugung hinein; andererseits erfolgt aber dieses Ziehen immer so, daß der Mensch jeden Schritt aus eigenster Initiative und aus seiner innersten Organisation heraus tut, daß er dabei nur noch tiefer seine eigene Individualität findet, daß das Sterben Leben ist; daher Jesu heilige Zurückhaltung den Seelen gegenüber. In diesem Doppelten liegt die ungeheure, die ganze Menschheitsgeschichte erfüllende Spannung des Werkes Christi, die das erzeugt, was man Seelsorge nennt. Hierin liegen alle Probleme der Seelenpflege beschlossen. In diese Spannung sehen wir hinein, wenn er über Jerusalem klagt: Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne ihre Küchlein unter ihre Flügel, aber ihr habt nicht gewollt. Wie leicht hätte 57

er nach Art eines Bar Kochba und anderer Messiasse durch suggestive Erregung eines nationalreligiösen Rausches die Massen fortreißen können. Aber er darf sie nicht ziehen, wenn sie nicht aus eigenstem Wollen heraus ihm entgegeneilen. Welche Sehnsucht, die Gebundenen zu befreien, spricht aus den Worten, in denen Jesus in Nazareth das Programm seiner ganzen Wirksamkeit zusammenfaßt: Er hat mich gesandt, zu verkündigen das Evangelium den Armen, zu heilen die zerstoßenen Herzen, zu predigen den Gefangenen, daß sie los sein sollen, und den Blinden das Gesicht. Und doch, wie er dem reichen Jüngling mit einem liebevollen Blick seine Gebundenheit aufgedeckt hat (verkaufe alles, was du hast) und dieser traurig weggeht, läuft ihm Jesus nicht nach, er läßt ihn mit heiliger Zurückhaltung gehen und überläßt diese Seele ihrer Einsamkeit und dem Sturm, den er in ihr entfesselt hat. Wenn wir fragen, wie es Jesus mit einer Seele anfing, um sie zum Erwachen zu bringen, wie er „das Herz auftat”, so ist vielleicht die bedeutendste Beobachtung, die wir machen können: er hatte überhaupt keine Methode, sondern die größte individuelle Mannigfaltigkeit. Einem Skeptiker wie Pilatus gegenüber läßt er die Wahrheit nur wie ferne, tiefe Glokkenschläge erklingen: Mein Königreich ist nicht von 58

dieser Welt,.... wer aus der Wahrheit ist, der höret meine Stimme; er läßt ihn die weltumspannende Macht ahnen, die auch ihn in der Gewalt hat, wenn er ihm sagt: Du hättest keine Gewalt über mich, wäre sie dir nicht von oben gegeben. Und die skeptische Antwort des Pilatus zeigt, daß er hier an eine Wunde gerührt hatte. Einem Suchenden wie Nathanael greift er sofort mit einem unendlich persönlichen Wort ins Innerste, so daß er sich völlig durchschaut und wie von einer überirdischen Helle umleuchtet fühlt: Als du unter dem Feigenbaum warst, sah ich dich. Mit diesem einen Pfeilschuß hat er die Festung erobert. Wo ein innerer Besitz da ist, wenn auch noch so erstarrt oder verschüttet, geht Jesus in vielen Fällen auf

diesen ein und zeigt die Stelle, wo der seitherige Besitz über sich hinausweist. Den Schriftgelehrten, der ihn fragt: was muß ich tun, daß ich das ewige Leben ererbe? fragt er: Was steht im Gesetz geschrieben? und stellt ihn unter die Wucht der Forderung, die im höchsten Gebot des Alten Bundes enthalten ist. Das aufgeschreckte Gewissen sucht einen Ausweg in der Frage, wer sein Nächster sei. Aber Jesus gibt nicht die erwünschte kasuistische Definition, die einen solchen Ausweg vielleicht gestattet hätte, sondern legt ihm durch eine einfache, unvergeßliche Geschichte seinen Nächsten so anschaulich auf die Seele, daß er 59

sich gefangen geben muß. Ebenso weist er den reichen Jüngling auf das Halten der Gebote hin. Wo ein schwacher Funke von Glauben ist, wenn auch nur als glimmender Docht, da löscht ihn Jesus nicht aus, sondern knüpft daran an. Er lobt den Glauben des Hauptmanns (Matth. 8, 10). Im Gedränge der Hunderte fühlt er die Berührung des blutflüssigen Weibes,

weil ein Funke von Glauben in dieser Berührung lag, wenn auch in abergläubischer, fast fetischistischer Form, und hebt ihn mit einem Wort über sich selbst hinaus, indem er dem zitternden Weibe sagt: Dein Glaube hat dir geholfen. Wenden wir uns nun weiter zu der Art, wie Jesus die Seelen weiterführt, die einmal unter seinem Einfluß erwacht sind, so zeigt sich hier noch deutlicher die Spannung zwischen dem Drang, möglichst viel zu geben, und der Scheu vor jedem gewaltsamen Eingriff in die innere Entwicklung. Zweierlei ist es, was wir gerne haben möchten und was wir bei Jesus nicht finden. Entweder wir wünschen kasuistische Einzelregeln für den vorliegenden Fall, oder wir möchten allgemeine ethische Prinzipien haben, aus denen wir mit logischer Sicherheit das Verhalten im Einzelfall ableiten könnten. Jesus gibt weder das eine noch das andere, weder eine Ethik noch eine Kasuistik, sondern ein Drittes. Er greift irgend60

einen sehr anschaulichen Fall heraus und gibt für diesen einen ganz radikalen, extremen, beinahe unmöglich erscheinenden Imperativ, der sich ins Gewissen eingräbt, und läßt uns mit diesem Eindruck allein. In diesem Stil sind die meisten sittlihen Weisungen Jesu gehalten: Wer

dich schlägt auf einen Backen,

dem biete den andern auch dar. Wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon die Ehe mit ihr gebrochen. Gib dem, der dich bittet. Segnet, die euch fluchen. Sorget nicht für den andern Morgen. Ärgert dich dein rechtes Auge, so reiß es aus und wirf es von dir. Wenn du ein Mahl machst, so rufe die Lahmen, die Krüppel, die Blinden herein. Wer nicht haßt Vater, Mutter, Brüder, der kann nicht mein Jünger sein. Diese Worte können nicht als Teile einer Kasuistik gemeint sein — dazu wären sie viel zu un-

vollständig —, aber auch nicht als allgemeine ethische Grundsätze; denn so gefaßt würden sie sich vielfach gegenseitig widerstreiten und aufheben (z. B. Wenn dich jemand nötigt eine Meile, so gehe mit ihm zwei; und: Laß die Toten ihre Toten begraben.). Vielmehr wie ein großer Künstler durch ein paar starke Farbentöne die Stimmung einer ganzen Landschaft wiedergibt, so gibt uns Jesus hier durch wenige starke Farben und große Konturen eine Intuition von jenem hohen, sorglosen Leben in Gott, in das er uns hinein61

ziehen möchte. Offenbar will Jesus die Seele weder

dem Zwang eines ethischen Systems noch dem Zwang kasuistischer Regeln unterwerfen, sondern in eine unmittelbare Abhängigkeit von ihm hineinführen, die völlig frei macht und fähig, mit intuitiver Sicherheit den Willen des Vaters zu treffen. Wen der Sohn frei macht, der ist recht frei. Die Weisheit und Zartheit, mit der Jesus der freien

Entfaltung der Seele entgegenkommt, sie leitend und doch nicht vergewaltigend, zeigt sich auch in der Behandlung der Hindernisse, die sich dem aufkeimenden Glauben entgegenstellen. Es ist hier ein charakteristischer Unterschied zwischen der Behandlung der sittlichen Hindernisse und der Behandlung des Zweifels. Wo das eigene Ich, das fleischliche und seelische Element sich hemmend vordrängt, ist Jesus der Gärtner, der mit scharfem Messerschnitt die Rebe am Weinstock von schlechten Trieben reinigt, daß sie mehr Frucht bringt. Die schärfsten Worte Jesu richten sich gegen den, der einer Seele Ärgemis gibt. Er verdient, daß ihm ein Mühlstein an den Hals gehängt und er im Meer ertränkt wird. Wie scharf schneidet Jesus

den egoistischen Traum der Zebedaiden vom Sitzen zur Rechten und Linken des Weltenthrons ab! Wie schroff schlägt er den fleischlichen Eliaseifer der Jünger nieder, die feurige Rache auf die Städte nieder62

gehen lassen wollen, ebenso das aufkeimende Machtbewußtsein der siegreich von ihrer Mission zurückkehrenden Jünger („darüber freut euch nicht, daß euch die Geister untertan sind”), die seelische Todesbegeisterung, die sich in die Hingabe des Petrus mischt („der Hahn wird nicht zweimal krähen, ehe du mich

dreimal verleugnest”). Dem Nachfolger, der keinen ganzen Bruch mit seinen bisherigen Verhältnissen vollziehen will, schneidet er mit den scharfen Worten den Rückzug ab: Laß die Toten ihre Toten begraben! Ganz anders ist bei Jesus die Behandlung des Zweifels. Hier beginnt er nicht mit dem Vorwurf, der gerade dem Zweifler so weh tut, sondern mit einer Tat, die Gottes Macht spürbar macht, und dann erst kommt das Strafwort mit um so einschneidenderer Wirkung. So bei der Stillung des Sturms nach Mk. 4. Von den Wogen hin- und hergeworfen, zweifeln sie an Gottes Führung: Herr, kümmert’s dich nicht, daß wir zugrunde gehen? Er aber erhebt ohne ein Wort des Vorwurfs die Gebieterhand über den See. Und dann erst, wie sie unter dem Eindruck seiner Gewalt stehen, kommt das Strafwort: Was seid ihr so furchtsam, warum habt ihr keinen Glauben? Ebenso, wie der Täufer im Gefängnis zweifelt, läßt Jesus erst die Taten reden: Geht hin und sagt Johannes, was ihr sehet und höret; und dann erst kommt der liebevolle 63

und gerade darum unendlich schwere Vorwurf: Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert. Thomas läßt er erst die Tatsache mit Händen greifen, um ihm dann zu sagen: Selig sind, die nicht sehen und doch glauben. Plastisch wird diese Behandlung des Zweifels durch die Geschichte vom sinkenden Petrus veranschaulicht, den Jesus erst bei der Hand ergreift und heraufhebt, um ihm dann zu sagen: Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt? (9)

A

Aus

einer Predigt über Luk.

13, 10—17

m Felsengestade der Nordsee sieht man manchmal Felsblöcke, die eine tiefe Höhlung zeigen. Sie sind von der Brandung ausgewaschen worden. Jahrhundertelang, jahrtausendelang hat die ruhelose Meereswelle an ihnen emporgebrandet. Es gibt Menschen, deren Seele einem solchen ausgehöhlten Felsen gleicht. Monatelang, jahrelang hat immer derselbe Schmerz wie eine ruhelose Brandung an den Felsen ihres Herzens geschlagen, bis er ganz ausgehöhlt war. „Und sie

war krumm”, heißt es von der Frau in unserm Evangelium, „und konnte nicht aufsehen.” Wieviel muß über sie hingegangen sein, bis es soweit mit ihr gekommen war! Wieviel Tage, da sie vielleicht, wie Hölderlin in den Zeiten seiner beginnenden Umnach64

tung, immer wieder mit inbrünstiger Sehnsucht den Tod anrief, er möchte sie erlösen! Wieviel Tage grenzenloser Lebensmüdigkeit müssen über ihre Seele gegangen sein, bis die Krankheit ihr Werk vollbracht hatte und sie zu einer Jammergestalt geworden war,

zu einer gebückten Lastträgerin, die war, aufzuschauen. Immer, wenn auch nur ein einziges Menschenschicksal täglich vor unsern es, daß wir es selber erleben, oder

nicht mehr fähig

solches schweres Augen steht, sei daß wir es miterleben, weil es einen nahestehenden Menschen getroffen hat, stehen wir vor dem tiefsten Rätsel unseres Menschendaseins. Denn hier kommen wir nicht mehr mit dem Gedanken durch: Es ist eben ein Erziehungsmittel, um uns zu bessern; die Rebe am Weinstock muß beschnitten werden, daß sie mehr Frucht bringe. Nein, wenn ein Mensch zwanzig Jahre, dreißig Jahre so schwer gelitten hat, daß er beinahe den Verstand verliert, dann ist eben allzuviel von diesem Menschenleben zerstört, als daß noch eine Frucht daraus erwachsen könnte. Es ist nur noch eine Ruine zurückgeblieben. Warum darf so etwas sein? Wie kommt es, daß Menschen geschaffen werden mit der schrecklichen Bestimmung, sich an einer hoffnungslosen Qual langsam zu verzehren? Warum dürfen Kinder geboren werden, die schon durch die Sünde der Väter 65

ein erbliches Leiden mitbekommen, das sie schon von der Wiege an zur Verblödung bestimmt? Kann in einem solchen Schicksal irgendein Sinn sein? Wir werden dieses dunkle Rätsel in diesem Leben nie lösen. Aber gerade heute in dem hoffnungslosen Leid unseres Volkes sind wir für jeden Lichtstrahl dankbar, der aus der ewigen Welt in dieses Dunkel fällt. Zwei Lichtstrahlen sind es, die aus unserm Evangelium in dies dunkle Rätsel unseres Daseins hineinfallen. Zwei Wahrheiten machen es uns deutlich: 1. Es gibt eine satanische Macht, die darauf ausgeht, das Werk Gottes zu zerstören. 2. Aber das ist das tiefste Geheimnis der göttlichen Weltregierung, auch die Macht des Satans muß dazu dienen, daß Gott dadurch verherrlicht wird.

I „Sollte nicht gelöst werden am Sabbat diese, die

doch Abrahams Tochter ist, von diesem Bande, welche Satan gebunden hatte nun

wohl achtzehn

Jahre?”

Können wir heute ein derartiges Wort noch ernst nehmen? Gehört der Glaube an ein satanisches Reich

nicht ins finstere Mittelalter? Damals glaubten die Menschen noch an ein Reich des Teufels. Hexen sausten durch die Nacht und hielten Feste auf Berges66

höhen, es wimmelte von Kobolden und Werwölfen, von Wesen, die Menschen und Vieh verhexen konnten. Es gab Zaubertränke und Besprechungen. Keiner wußte vom andern, ob er sich nicht dem Teufel verschrieben hatte. Eine namenlose Angst lastete auf den Menschen. Hat uns nicht eine fortschreitende Wissenschaft von diesem ganzen Teufelsspuk befreit, insbesondere von dem Wahn, als ob hinter einer Krankheit eine finstere Macht stehen könnte? Es ist wahr, von den Bildern und massiven Vorstellungen sind wir

allerdings frei geworden, die sich eine kindlichere Zeit von dem Reich der Finsternis gemacht hatte, das uns umgibt. Aber die Sache selber, die mit diesen Bildern und Vorstellungen gemeint ist, ist dadurch nur noch unheimlicher geworden, daß wir es aufgegeben haben, uns irgendwelche Vorstellungen davon zu machen. Wir sind ja alle dankbar für den Fortschritt der ärztlichen Wissenschaft. Dennoch stoßen wir auch mitten in der Gegenwart immer wieder auf Dinge, die zeigen, daß das Leben eine unheimliche Nachtseite hat, die keine ärztliche Wissenschaft erklären kann. In Häusern, wo in unserer Zeit die elendesten Menschen, die vielleicht von allen Ärzten aufgegeben waren, Hilfe suchten, wie in Bad Boll, in Möttlingen oder Teichwolframsdorf, sind immer wieder Fälle vorgekommen, die ganz handgreiflich zeigen, daß eine 67

finstere Macht in unser Leben hineinragt. Ich will nur auf einen Fall hinweisen, der sich in ähnlicher Form öfters wiederholt hat. Ein junger Mann kommt in ein solches Haus, der einen schweren Fall getan hat und seitdem ruhelos, von Verzweiflung gejagt, immer wieder versucht hat, sich das Leben zu nehmen. Man bringt ihn in einem Zimmer unter. Am Abend kommen in einem andern Flügel des Hauses einige Brüder zusammen, um für ihn zu beten. In dem Augenblick aber, da mit dem Gebet begonnen wird, hört man aus dem Zimmer des jungen Mannes ein furchtbares Geschrei und Gepolter, daß die ganze Nachbarschaft zusammenläuft. Er wird von schrecklichen Krämpfen umhergeworfen. Die Brüder hören auf zu beten, damit er zur Ruhe kommen soll. Sie fürchten, die Polizei könnte ihnen auf den Hals kommen. Am nächsten Tag warten sie, bis er tief eingeschlafen ist, so daß er unter keinen Umständen etwas davon merken kann, daß im andern Teil des Hauses jemand für ihn betet, und fangen wieder in später Mitternachtstunde an, für ihn einzustehen. Aber kaum haben sie begonnen, so fährt der arme Mensch wie wild aus dem Schlafe auf, fängt an, abwechselnd zu fluchen und zu Gott um Erbarmen zu schreien, bis er endlich nach anhaltendem Gebet zur Ruhe kommt. Es ist ihm, als schrie eine finstere Macht aus ihm 68

heraus: „Ich muß gehen; das ewige Beten kann ich

nicht aushalten!” Wer auch nur einmal so etwas miterlebt hat, der weiß es ein für allemal: es ist nicht bloß eine abergläubische Vorstellung, wenn die Bibel von einem „Geist der Krankheit”

redet, von

einer Fessel des

Satans, die auch den Körper eines Menschen in ihre Gewalt bringen kann.

Aber diese finstere Macht zeigt sich nicht bloß in rätselhaften Krankheitserscheinungen, wir können sie auch in den Weltereignissen oft geradezu mit Händen greifen. Daß eine ganze Welt von einem Lügengewebe betört werden konnte, ohne daß jemand imstande ist, es zu zerreifen, daß eine Lawine sich löste und in wenigen Jahren alles zerstörte, was Jahrhun-

derte gebaut hatten, das alles kann man überhaupt nur verstehen, wenn man mit einer satanischen Macht rechnet, die Gottes Schöpfung vernichten will, die darauf ausgeht, alles, was unter Gottes Leitung gewachsen ist, unter dem Hohngelächter der Hölle in einen rauchenden Trümmerhaufen zu verwandeln. Warum sind so viele Menschen, die früher an Gott glaubten, über den Ereignissen der letzten Jahre an Gott irre geworden? Sie hatten nicht mit dieser finsteren Macht gerechnet. Sie hatten an einen Vater im

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Himmel geglaubt, der es seinen Kindern wohlgehen läßt. Dieser Glaube brach ihnen schon im dritten Kriegsjahr zusammen. Sie hatten nur die Lichtseite des Christentums verstanden; mit der Nachtseite des Lebens hatten sie nicht gerechnet. Die ersten Christen verzweifelten nicht an Gott, als in der Christenverfolgung Neros die Lüge triumphierte, als man ihnen die gemeinsten Verbrechen andichtete, ohne daß jemand das Lügengewebe zerreißen konnte, als man die Menschen, deren die Welt nicht wert war, als Fackeln in den kaiserlichen Gärten verbrannte. Die ersten Christen waren auf solches Schicksal gefaßt. Sie hatten von vornherein damit gerechnet. Sie wußten, es gibt eine Macht des Satans, der es in dieser Weltzeit erlaubt ist, die Gemeinde Gottes aufs äußerste zu versuchen, ob sie nicht abfalle. Darum gingen sie mit soldatischem Geist, mit Heldensinn dem Feind entgegen. Auch wir würden den Qualen, die jetzt über uns kommen, heldenhafter entgegengehen und nicht so viel jammern und einander die Sache dadurch noch schwerer machen, wenn wir uns von vornherein klar machten, in welcher Lage wir als Christen in dieser Welt sind. Wir sind nicht auf der Welt, um uns auszuleben, nein, wir stehn mitten in einer Schlacht. Jeder von uns ist an einer bestimmten Stelle der Front

eingesetzt in dem großen Kampf zwischen Christus 70

und der satanischen Macht, die das Werk Gottes zerstören will: „Wir haben nicht mit Fleisch und Blut

zu kämpfen, sondern mit Fürsten und Gewaltigen, nämlich mit den Herren der Welt, die in der Finsternis dieser Welt herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel.” Wenn es so steht, dürfen wir nicht darüber erstaunt sein, wenn rechts und links Geschosse einschlagen und immer wieder einer als Schwerverwundeter zurückgetragen wird. Es ist nur natürlich, daß gerade die wertvollsten Menschen dem

schwersten Kreuzfeuer ausgesetzt sind. Im Krieg zielt der Feind immer zuerst nach den Führern. Um sie tobt der schwerste Kampf. Wir wundern uns oft, daß gerade die kostbarsten Menschen förmlich verfolgt sind von schweren Schlägen. Ihr Glaube wird Belastungsproben ausgesetzt, die bis an die Grenze dessen gehen, was ein Mensch ertragen kann. Es ist wie bei Hiob, als Gott dem Satan erlaubte, immer stärkere Mittel anzuwenden, um den Glaubensmann, wenn es

möglich wäre, zum Abfall zu bringen. Jesus bereitet seine Jünger auf diese Belastungsprobe vor, indem er zu Petrus sagt: „Simon, Simon, siehe, der Satanas hat

euer begehrt, daß er euch möge sichten wie den Weizen. Ich aber habe für dich gebeten, daß dein Glaube nicht aufhöre!” Jesus vergleicht hier die Probe, die die Jünger zu bestehen haben, mit dem Sieb, das ge|

braucht wurde, um den Weizen von der Spreu zu scheiden. Dieses Sieb wurde so lange heftig gestoßen, bis alle Spreu herausgefallen war und nur die Weizenkörner zurückblieben. Wie schwer sind die Stöße des Satans, die darauf ausgehen, die Gemeinde zum Abfall zu bringen! Paulus wurde von einem Engel des Satans mit Fäusten geschlagen, er flehte vergeblich um Entlastung, die Bürde wurde ihm nicht abgenommen. Wir dürfen uns nicht wundern, daß auch unter den Älteren von uns mancher eine schwere Last trägt oder eine Wunde in seinem Herzen hat, die immer brennt. 74

1:

Die Macht der Finsternis ist groß; aber das ist das wunderbare Geheimnis in Gottes Weltregierung, auch die Werke des Teufels müssen zuletzt dazu dienen, daß Gott dadurch verherrlicht werde. Unser Evangelium erzählt von einem Augenblick im Leben eines Menschen, der so groß war, daß er das Elend von achtzehn Leidensjahren aufwog. „Da sie aber Jesus

sah, rief er sie zu sich und sprach zu ihr: Weib, sei los von deiner Krankheit! und legte die Hand auf sie. Und alsobald richtete sie sich auf und pries Gott.” Und dann ist es wie ein festlicher Augenblick für das 72

ganze Volk, das diese leidende Frau seit Jahren gekannt hatte. „Und alles Volk freute sich über alle

herrlichen Taten, die von ihm geschahen.” Kriegsgefangene, die jahrelang in russischer Gefangenschaft gewesen waren und dann über Schweden ausgetauscht wurden, haben mir manchmal erzählt, es sei der größte Tag ihres Lebens gewesen, als sie endlich entlassen über die russische Grenze schritten, während der letzte Kosak hinter den russischen Grenzpfählen verschwand. Nun wurden sie von schwedischen Schwestern in eine saubere Baracke geführt. Sie wagten die schneeweißen Betten gar nicht zu berühren. Die weißen Linnen kamen ihnen wie etwas Heiliges vor. Sie hatten jahrelang auf dem nackten Boden oder in Erdlöchern gelegen und konnten gar nicht glauben, daß das für sie bestimmt sei. Sie dachten immer noch, das Ganze könnte vielleicht nur ein schöner Traum sein, aus dem sie plötzlich wieder zur schrecklichen Wirklichkeit erwachen müßten. So muß es dieser Frau zumute gewesen sein, als unter der Berührung Jesu mit einemmal in ihrem Rücken sich alles löste. „Alsobald richtete sie sich auf und pries Gott.” Zum erstenmal nach achtzehn Jahren konnte sie wieder einen ganz tiefen Atemzug tun und mit befreiter Seele in den blauen Himmelsdom hinaufschauen. Wie gleichgültig war ihr das Schelten des Obersten der Schule, der 18

ärgerlich war, daß sie am Sabbat geheilt worden war. Das war alles Nebensache im Vergleich zu dem Großen, was in diesem Augenblick durch ihre Seele ging. Es mag ihr wie ein Traum vorgekommen sein. Sie hatte ja gar nicht darauf gewartet. Sie hatte nichts dazu getan. Ein neues Dasein war ihr als unerwartetes Gottesgeschenk in den Schoß gelegt worden. „Sie

richtete sich auf und pries Gott.” Diese achtzehn Leidensjahre waren nur eine Vorbereitung gewesen für diesen größten Augenblick ihres Lebens, in dem sich alles löste. Möge es auch in unserm Leben so gehen! Mancher unter uns hat viel verloren. Die kalte Hand, die in unser Leben eingreift, hat viel zerstört und viel geknickt, was nie mehr hergestellt werden kann. Mancher von uns hat vielleicht seine ganze Jugend über einem großen Leid verloren. Aber was sind Jahr-

zehnte von Druck und Entbehrung, wenn sie uns reif machen für dieses Allergrößte, was einem Menschen begegnen kann, für einen Tag, der für alles entschädigt, für einen Tag, an dem es auch bei uns heißen wird: Und er richtete sich auf und pries Gott! Das Größte, was einem Menschen zuteil werden kann, ist, daß ein Dank gegen Gott aus seiner Seele hervorbricht, ein Jubel, bei dem alle Glocken der Seele zusammenläuten, um Gott zu preisen, nicht bloß für das 74

neue Glück, sondern auch für das ganze Leid, das ihn für dieses Glück reif gemacht hat. Für manche unter uns kommt dieser Tag der Befreiung nicht mehr in diesem Leben. In seinem Lied an das Schicksal schaut der unglückliche Hölderlin auf den Todestag hinaus, dem er entgegenreift, wie eine Traube in der Flamme der Mittagssonne dem Erntetag. „Im heiligsten der Stürme fallen zusammen meines Kerkers Wand, und herrlicher und freier walle mein Geist ins unbekannte Land.” Auch mancher von uns weiß: in diesem Leben werde ich nie mehr ganz glücklich sein, mein Fall ist hoffnungslos. Dieses Lebens Glück ist zerstört. Aber einmal kommt der Tag, da die Kerkerwände fallen. Wenn wir Frieden gefunden haben in Jesus, so lernen

wir danken, nicht bloß für das Leben, das uns geschenkt ist, nein auch dafür, daß wir sterben dürfen, daß dies Leben, dieser wirre Knäuel von verschlungenen Fäden einmal gelöst wird und zu Ende geht. Wir lernen danken für den Tod. Jesus sagt einmal von den Stürmen der Endzeit: „Um der Auserwählten

willen werden die Tage verkürzt. Wo diese Tage nicht verkürzt würden, so würde kein Mensch selig.” Wir können das auch auf unser kleines Leben anwenden. Es ist Gnade, daß der Lebenstag von uns Menschen so kurz ist, daß das Menschenleben nur siebzig Jahre währt und, wenn’s hoch kommt, achtzig Jahre. 719)

Ein kurzer Lebenstag; kaum hat die Mittagsglut die Höhe erreicht, dann kommen schon die kühlen Schatten des Abends. Ein kurzer heißer Schlachttag, während dessen wir den Anläufen des Feindes ausgesetzt sind, dann ist alles vorüber. Was sind Jahrzehnte des Kampfes im Vergleich mit jenem Siegeslied, jenem gloria de profundis, das anhebt, wenn die Fessel fällt und die Kerkerwände zusammengestürzt sind! Aber es gilt nicht bloß für eine ferne Zukunft, daß die Werke der Finsternis dazu dienen müssen, Gott zu verherrlichen, nein, es gilt auch schon für die Gegenwart, für die Zeit, da wir noch unter dem Druck leben. Wir machen ja immer wieder eine merkwürdige Erfahrung. Gerade die Menschen, die selbst eine schwere Wunde in sich tragen, sind die, die andern am besten helfen können. Sie sind schon jetzt in dieser Welt am meisten wert. Es ist eine merkwürdige Führung im Leben von Bodelschwingh, daß ihm, ehe er sein großes Werk begann, in wenigen Wochen alle seine vier blühenden Kinder im Alter von einem bis sechs Jahren hintereinander starben. Die Wunden, die den Herzen der Eltern in diesen Wochen geschlagen wurden, sind nie ganz ausgeheilt. Der Mutter fingen seit der Zeit die Haare an auszufallen, und ihre Hände zitterten beim Schreiben. Vier Kinder herzugeben in dem Alter, in dem sie den Eltern am meisten 76

Freude machen, das war zuviel für sie gewesen. Und Vater Bodelschwingh sah man eines Tages mit einem Brett und vier Pfählen zum Kirchhof gehen, um an der stillen Stelle, wo die vier Kinder lagen, eine kleine Bank zu machen, damit er dort mit der Mutter zugleich nachdenken könne, was Gott ihnen durch dieses

Leid sagen wollte. Er fühlte die dunkle Macht, die kalte Hand, die zerstören will, was Gott geschaffen hat. Aber gerade dieses Werk einer dunklen zerstörenden Macht mußte dazu dienen, diesen Mann für das Werk auszurüsten, das zu einer Heilquelle werden sollte für die Not unseres ganzen Vaterlandes. Bald darauf stand dieser seiner Kinder beraubte Vater mitten unter den Epileptischen, diesen hoffnungslos Elenden, die der Verblödung entgegengingen. Und nun zeigte sich etwas Wunderbares. Der Schmerz, der ihn getroffen hatte, als ihm alle seine vier Kinder starben, gab ihm die Kraft, der Vater der Hoffnungslosen zu werden. Denn seitdem lebte er, wie er so oft sagte, „ganz dicht vor den Toren Jerusalems”, der

hochgebauten Stadt, wohin ihm seine Kinder vorangegangen waren. Seine ganze Seele war auf den einen Ton gestimmt: Dieser Zeit Leiden sind nicht wert der Herrlichkeit, die an uns soll offenbar werden. Von diesem Herrlichkeitsziel aus gesehen erschien ihm der Gegensatz gar nicht mehr so groß zwischen den Ge77

sunden, die in voller Kraft ins Leben hineinstürmten, und den Kranken, die der Auflösung ihrer Geisteskräfte entgegengingen. Es kam ja alles nur auf das Ende an. Wenn nur das Ende gut war, wenn nur das Ziel Herrlichkeit war, so war auch ein Leben der langsamen Auflösung ein Reifwerden für den großen Erntetag. So hatte gerade diese Wunde, die er im Herzen trug, sein Herz weich gemacht und ihm die große Liebe zu den Ärmsten und Hoffnungslosesten gegeben. Einem Vater, der sich über den Tod seines Kindes nicht trösten konnte, sagte er einmal später das merkwürdig vielsagende Wort: „Als unsere vier Kinder gestorben waren, merkte ich erst, wie hart Gott gegen uns Menschen sein kann. Und darüber bin ich barmherzig geworden gegen andere.” Vielleicht ist jemand unter uns, der heute in der Stimmung hierhergekommen ist: Mein Leben hat wirklich keinen Sinn mehr. Ich kann ja doch nicht mehr gesund werden. Mir ist alles zerstört. Es mag sein, daß dein Leben für dich selber keinen Wert mehr hat. Aber vielleicht hat es gerade darum sehr viel Wert für andere. Diese Wunde, die du in dir trägst, ist das Kostbarste, was du hast. Sie ist gerade das, was dir wie Bodelschwingh einen Zugang gibt zum Herzen anderer, die dich am nötigsten brauchen. Sie gibt dir das Herz des barmherzigen Samariters, das Auge, das 78

den Verwundeten sieht. So gibt dir gerade dein Leid eine große Lebensaufgabe. Ein Mensch ist um so wertvoller für seine Mitmenschen, je mehr Leid er in Gott getragen hat. (10)

Aus einer Bibelarbeit (1946) über einzelne (

Abschnitte der Bergpredigt, Matth. 5, 1}.

ehet die Vögel unter dem Himmel an, sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen, und euer himmlischer Vater ernähret sie doch, seid ihr denn nicht viel mehr denn sie?” — Die Vögel sind ganz vogelfrei. Jeden Augenblick kann eine Katze heimlich heranschleichen und einen Vogel erwischen und erwürgen, oder es kann ein harter Winter kommen, so daß der Vogel auf der verschneiten und vereisten Erde verhungern und erfrieren muß und tot zur Erde fällt. Dennoch schwingt er sich fröh-

lich von Zweig zu Zweig, singt sein Lied und kreist in den Lüften. Er lebt mitten in der völligen Unsicherheit seines Lebens völlig sorglos im Augenblick und denkt nicht an die Zukunft. Und dann richtet Jesus unseren Blick auf „die Lilien auf dem Felde”.

Das sind die schlichten roten Anemonen, die man 79

heute noch am Olberg und überall in Galiläa zwischen kahlen Steinen blühen sieht. Mit tiefem Naturgefühl sagt er, daß sie schöner sind, als der König Salomo mit seinen purpurnen Prachtgewändern gewesen ist. Auch diese Blumen haben nur eine kurze, rasch vergehende Blütezeit und sind jeden Augenblick in Gefahr, abgerissen oder vom Fuß des Menschen zertreten zu werden. Sie sind, wie Jesus sagt, „ein Gras, das heute stehet und morgen in den Ofen geworfen wird”. Dennoch blühen sie still und sorglos und leben in dem Augenblick, den Gott jetzt schenkt. Nur wir Menschen reflektieren über den kommenden Tag und lassen das Heute durch die Ungewißheit des Morgen beschatten und belasten, obwohl wir wissen, daß unser Leben durch dieses fortwährende Sorgen für den morgigen Tag nicht erleichtert, sondern nur erschwert wird. „Wer ist unter euch”, sagt Jesus, „der seiner

Lebenszeit auch nur eine Spanne zusetzen könnte, ob er gleich darum sorget.” „Darum sorget nicht für den andern Morgen; denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, daß ein jeder Tag seine eigene Plage habe.” Wir wenden natürlich gegen diese Mahnung Jesu ein: Das wäre doch ein sträflicher Leichtsinn, so in den Tag hineinzuleben und nicht fortwährend an die Zukunft zu denken. Aber das ist kein Leichtsinn, 80

wenn es tatsächlich wahr ist, was Jesus sagt, der in die Hintergründe des Weltgeschehens tiefer hineinschaut als wir alle: Der Vater, der die Milchstraßen bewegt und die Sonnensysteme lenkt, hat auch das Allerkleinste in seiner Gewalt, was mir in der nächsten Stunde bevorsteht. Jede Kugel, die mich trifft, muß zuerst an Gott vorbei. Jeder schwerwiegende Brief, der mir eine furchtbare Nachricht bringt, auch jeder Absetzungsbefehl muß zuerst an Gott vorbei, ehe er mich erreicht. Denn nichts geschieht „ohne den Vater”.

Unsere schwerste Sorge im Blick auf die Zukunft ist immer die: Werde ich auch die Kraft haben, tapfer auf mich zu nehmen, was mir bestimmt ist? Werde ich darüber auch nicht innerlich zusammenbrechen ? Gerade diese Sorge ist mir abgenommen, wenn ich weiß, daß nichts ohne den Vater geschieht. Denn dann ist der Vater auch jeden Augenblick mit seiner Kraft dabei, wenn mich ein schwerer Schlag trifft. Er läßt mir nichts geschehen, ohne daß er mir im selben Augenblick aus seiner unerschöpflichen Fülle auch die Kraft darreicht, es zu tragen. (11)

81

Io Kant ist das Gebet eine Schwäche, deren sich ein höherer Mensch schämt, weil sie unter seiner

Menschenwürde ist. An die Stelle des Gebets tritt als Ersatz ein Monolog, bei dem das Ich in sich selbst einkehrt und sich auf seine höhere Bestimmung besinnt. „Pflicht, du erhabener großer Name!”, so unterbricht Kant einmal eine moralphilosophische Abhandlung durch eine feierliche Anrede, die beinahe an ein Gebet erinnert. Ähnliche Monologe finden wir bei Fichte. Aber schon Pascal hat erkannt, daß wir in diesem einsamen Selbstgespräch keine Ruhe finden. Das einsame Ich befindet sich nach Pascal nicht in einem Zustand stolzen Selbstbewußtseins, es gleicht vielmehr, sobald es mit sich selber allein ist, einem Abgrund (abysse), in den es hinunterstürzt. Weil wir diese Icheinsamkeit nicht aushalten können, suchen

wir irgendeine Zerstreuung, die uns von uns selbst ablenkt und über der wir uns selbst vergessen können, etwa ein Handelsgeschäft oder eine politische Tätigkeit. Aber auch diese Selbstbetäubung endet zuletzt in Schwermut (desespoir). 82

(tristesse) und Verzweiflung

Aus diesem gebetslosen Zustand können wir Menschen uns nicht selbst befreien. Wir können den unergründlichen Abgrund unseres Ich, von dem Pascal redet, nicht selbst ausfüllen. Wir werden aus dieser verzweifelten Icheinsamkeit nur erlöst, wenn ganz ohne unser Zutun ein anderer kommt, der gleichsam an unsere Tür klopft, zu uns hereintritt und ein Gespräch mit uns beginnt und zuhört, wenn wir darauf eingehen und ihm antworten. Dieser befreiende Wendepunkt tritt nach der biblischen Erzählung in der alttestamentlichen Geschichte in der großen Stunde ein, in der es heißt: „Und Gott sprach zu Abraham: Gehe aus deinem Vaterland und aus deiner Freundschaft und aus deines Vaters Haus in ein Land, das

ich dir zeigen will. Und ich will dich zum großen Volk machen und du sollst ein Segen sein.” Keiner von uns kann aus seinem gebetslosen Dahinvegetieren und seinem einsamen Monolog mit sich selber befreit werden, wenn nicht in seinem Leben irgend etwas geschieht, was dem ähnlich ist, was Abraham in jener großen Stunde erlebte. Es kann unter der Last eines schweren Schicksals geschehen oder in der Todesgefahr mitten in der Schlacht oder am Sterbebett einer Mutter, an dem sich uns die Nähe der ewigen Welt handgreiflich aufdrängt. Was es auch immer sein mag, immer ist es etwas so unendlich Befreiendes und Be83

glückendes, wenn sich ohne mein Zutun der Himmel über mir öffnet und Gott das Gespräch mit mir beginnt. Ich bin fortan nicht mehr allein. Der Vater ist bei mir. Nun löst sich alle Verkrampfung meines Herzens. Nun wird alles gut. Über mir ist der offene Himmel und überstrahlt mit seinem Glanz die ganze blutgetränkte Erde. Ich brauche nicht mehr zu meditieren und Monologe mit mir selber zu halten. Ich darf beten. Es ist einer da, der mir das Wort abnimmt und mir verstehend zuhört. Mit ihm darf ich alles durchsprechen. Ihm darf ich alles sagen, womit ich nicht allein fertig werde. Das ist die tiefgreifendste Wendung meines ganzen Lebens. Das ist das größte Geschenk, ‘das mir in den Schoß gefallen ist. Auch wenn es mir unter den allerschwersten äußeren Verhältnissen zuteil wird, kann ich immer nur dafür danken. Ein Offizier, der eine defaitistische Äußerung getan hatte, wurde zur Strafe in einen dunklen Kerker geworfen, wo er monatelang mit zusammengefesselten Händen sitzen mußte. Nachher sagte er, er möchte keinen Tag dieser schrecklichen Haft missen. Denn in der Verzweiflung dieser Stunden habe zum erstenmal in seinem Leben Gott mit ihm gesprochen und er habe beten gelernt. Beten dürfen, das bedeutet nicht bloß morgens und abends Gott einige Bitten vortragen. Beten dürfen 84

bedeutet eine neue Existenz. Es bedeutet, daß die Mitte meines ganzen persönlichen Denkens und Arbeitens eins geworden ist mit der Mitte des Seins. Mein Leben kreist um Gott, wie die Planeten um die Sonne kreisen, die von ihr Licht und Wärme empfangen. Beten dürfen ist darum ein neuer Gesamtzustand, der mein ganzes Leben beherrscht und der, wenn er einmal da ist, nie mehr verlorengehen kann. Mein ganzes Leben ist zu einer Zwiesprache mit Gott geworden, die bis in Ewigkeit nicht mehr aufhören kann. (21)

er ganzes menschliches Geistesleben ist im letzten Grunde Gebet. Wir beten ohne Unterlaß. Das Ich, diese geheimnisvolle letzte Wirklichkeit, tut sich kund in einem Sprechen. Sein Leben ist ein Sprechen, ein ununterbrochenes Sprechen, das niemals aufhört, auch im Traum nicht, das unser ganzes Dasein, auch unsere vegetativen Funktionen und tierischen Regungen, unser ganzes Handeln und Leiden, wie eine fortwährende hohe Musik begleitet. Das Sprechen ist aber immer, wenigstens in Gedanken, auf einen bezogen, der zuhört und versteht. Sonst verliert es seinen Sinn. Nun kann uns aber nur Gott verstehen. 85

Menschen nur dann, wenn sie vorübergehend Medien Gottes sind. Also ist in jedem Gedanken, den wir denken, wir mögen philosophieren oder dichten, wir mögen rechnen oder Naturgesetze aussprechen oder Geschichte schreiben, Gott angesprochen. Alles Denken und Dichten entsteht aus dem elementaren Drang des Ich, sich auszusprechen und durch dieses Sprechen zu leben, in dieser fortwährenden Aussprache als Ich zu existieren. Das Ich sucht in allen diesen Ausdrucksformen, in diesem leisen und lauten Reden, ununterbrochen sein Du. Gewöhnlich meint man, das Gebet sei eine abnorme Tätigkeit, die den normalen Bewußtseinsverlauf des Denkens und Wollens unterbricht, eine Schwäche, die uns anwandelt, wenn das Denken und Wollen versagt. In Wahrheit ist es umgekehrt. Das Gebet ist die Urfunktion unseres Geistes. Denken und Wollen sind nur abgewandelte Formen des Gebets. Wenn wir uns in besonders ernsten Augenblicken unseres Lebens zum Gebet sammeln, so tun wir dabei nur das mit besonderer Absicht und Konzentration, was wir eigentlich immer und überall tun, wenn wir nicht ins tierische und pflanzliche Vegetieren herabsinken, wenn wir bei uns selber sind. Augustin hat in seinen Konfessionen sein ganzes Leben in ein einziges großes Gebet gefaßt, das sich 86

durch alle dreizehn Bücher dieses Werkes hindurchzieht. Er hat seine Lebensbeschreibung gebetet. Aber nicht nur der Rückblick auf sein Leben ist für ihn ein Gebet, nein, auch die logischen und erkenntnistheoretischen Betrachtungen über Raum und Zeit und ewige Wahrheiten, die er anstellt. Auch diese hat er gebetet. Auch für Johann Sebastian Bach waren seine Musikwerke ein Gebet. Es war ihm zuletzt gleichgültig, ob Menschen seine Werke verstehen würden. Wenn nur einer ihn verstand, Gott. In Wahrheit ist das bei uns allen so, sobald wir zu uns selbst gekommen sind. Wir beten unser Leben. Wir beten unsere Gedanken.

Wir beten unsere Gedichte und Kunst-

schöpfungen. Wir tun das auch, wenn wir uns dessen noch gar nicht bewußt geworden sind. Es ist ein allgegenwärtiges Du da, zu dem hin wir geschaffen sind, auf das wir vom ersten Atemzug an bezogen sind, auf das alle Bewegungen des Ich von vorneherein angelegt sind. Dieses absolute Ich, das allein keines Du bedarf, um zu existieren, ist Gott, die ewige und allgegenwärtige Wirklichkeit. Gott hört mir überall und in jeder Lage zu. Jeden Gedanken, den ich denke, denke ich in seiner Gegenwart. Ihm werfe ich immer aufs neue das Seil zu, und er nimmt es auf und zieht mich ans Ufer. Mein Denken und Wollen ist darum kein sinnloser Drang, kein Schrei, 87

der in der leeren Unendlichkeit verhallt. Er erreicht sein Ziel. Der elementare Drang, sich auszusprechen, der zu allem Denken und Dichten und Schaffen des Geistes geführt hat, kommt zur Ruhe in ihm. Ich finde mein Du. Ich lebe von einer Stunde zur anderen von der Antwort Gottes auf mein Sprechen. Ich lebe von einem jeden Wort, das durch den Mund Gottes geht. Dann ist das Gebet, in dem sich mein ganzes Geistesleben wie in einer höchsten Spannung zusammenfaßt, ein beglückendes Tun. Es ist das tiefe Atemholen des Geistes, in dem sich alle Spannungen lösen. (13)

Aus einer Predigt über Ps. 119, 89, 90, 96

M... hat alte Bibeln aus der Zeit des Dreißig-

jährigen Krieges und aus der Verfolgungszeit der Gegenreformation gefunden, die zum Teil in zugemauerten Wandlöchern oder hohlen Bäumen versteckt waren. In diesen Bibeln haben bei den Kernsprüchen, bei den großen Verheißungen, die Buchstaben manchmal die Farbe verloren. Die Tränen derer, die hier Trost suchten, haben den Druck gebleicht, die Hände derer, die diese Bibelstellen in Todesnöten buchstabiert haben, haben ihre Spuren auf dem vergilbten 88

Papier hinterlassen. Die alten Bibeln sind stumme Zeugen von dem, was Tausende von Christen in allen Jahrhunderten erfahren haben:

„Wenn dein Gebot

nicht mein Trost gewesen wäre, so wäre ich vergangen in meinem Elend.“ Ich durfte einmal in einem Feldlazarett an der flandrischen Front einen jungen Krieger, der an schwerem Kopfschuß darniederlag und dem Tod entgegenging, eine Woche lang täglich besuchen. Er mußte aufs äufßerste geschont werden. Viel unterhalten durfte er sich nicht. Ich durfte immer nur zweimal am Tage ganz kurz bei ihm sein. Da suchte ich die herrlichsten Kapitel der Bibel zusammen und las sie ihm in diesen kostbaren Viertelstunden langsam vor, während das ununterbrochene Rollen des Kanonendonners von der Front her die Bibelworte wie eine ernste Musik begleitete. In diesen Tagen ist es mir aufgegangen, wie wunderbar das Schriftwort auf das Bedürfnis eines elenden Menschen eingerichtet ist. Wenn wir zu schwach sind, menschliche Gedanken zu denken, wenn uns auch Goethes „Faust“ nichts mehr sagt, diese Worte sind wie Rettungsgürtel, die unser Geist fassen kann, an denen er sich über Wasser halten kann. Sie sind so einfach, daß sie ein Kind versteht, und so abgrundtief, daß kein Verstand sie ausschöpfen kann. (14) 89

Aus einer Predigt über 1. Thess. 2, 9—13

DE

Epistel versetzt uns mitten hinein in ein

großes Ereignis, den Einbruch der Christusbewegung in das damals noch ganz heidnische Europa. Hier begann die Geisterschlacht, die das ganze Bild Europas so völlig verändert hat. Schon bei diesem ersten Einbruch des Christusglaubens in Europa brach der ganze Widerstand los, den das Abendland Christus entgegensetzte. Was in den mazedonischen Städten Philippi und Thessalonich vor sich ging, war wie eine Vorahnung der Kämpfe, die bis auf den heutigen Tag auf europäischem Boden zwischen Christentum und Antichristentum ausgefochten werden sollten. Der bekehrte Kerkermeister in Philippi hatte Paulus und Silas in der Nacht die Striemen abgewaschen, die Spuren der rohen Mißhandlung, welche die Apostel in Philippi erlitten hatten. Dann waren sie, noch mit Narben bedeckt, morgens nach Thessalonich weitergewandert, um hier die zweite Stellung einzunehmen, die zu erobern war. Aber kaum waren sie da, so zog auch dort eine wütende Volksmenge vor das Haus, das sie beherbergte, und schrie: „Diese, die den ganzen Weltkreis erregen, sind auch hierher gekommen?” 90

Wie kam es denn, daß diese zwei Menschen, ohne Geld und ohne militärische Begleitung, eine solche Aufregung hervorriefen, daß ganze Volksmassen sich zusammenrotteten und man sie als eine Gefahr für die Ruhe der ganzen Welt ansah? Während die Apostel in schwacher Menschensprache vom Heiland der Sünder zeugen, machen diese Worte im Herzen der Hörer eine Verwandlung durch. Sie werden aufgenommen nicht mehr als Menschenwort, sondern als Gotteswort. Damit ist aus dem Ohnmächtigsten, was es auf der Welt gibt, dem Menschenwort der Predigt, das Mächtigste geworden, was es gibt, das Wort Gottes, „welches auch wirket in

euch, die ihr glaubt”, also das Wort, hinter dem die

ganze Macht Gottes steht. Wir wollen dieses Wunder miteinander betrachten, das der Heilige Geist vollbringt und durch das die Gemeinde Gottes immer neu entsteht, das Wunder, das wir täglich neu erleben können, wenn wir betend mit der Bibel umgehen, die wunderbare Verwandlung eines Wortes, das als Menschenwort ausgesprochen wird, in ein Gotteswort, das die Kräfte der Ewigkeit in sich trägt. Es ist schon wunderbar genug, wenn wir den Kupferdraht sehen, der in der Nähe unserer Stadt an hohen Trägern über Berg und Tal geleitet wird. Dieser Draht sieht nicht anders aus als jeder andere 91

starke Draht. Es ist nichts Besonderes daran zu sehen. Er unterscheidet sich kaum von dem Draht, mit dem man eine alte Hausglocke in Bewegung setzt. Und doch trägt dieser unscheinbare Draht Riesenkräfte in sich. Er schlägt den stärksten Mann zu Boden, der ihn berührt. Er kann ein ganzes Land mit Kraft und Licht versorgen. Denn er kommt von einem fernen Wasserfall her und hat die Kraft der stürzenden Wassermassen in sich aufgenommen. So sieht das unscheinbare Wort der Apostel zunächst genauso aus wie andere Menschenworte, die Menschen zu Menschen gesprochen haben. Und doch trägt es eine Macht in sich, die den stärksten Menschen zu Boden werfen kann, weil es die Kraft in sich aufgenommen hat, die

von den fernen rauschenden Wassern der Ewigkeit herkommt. Augustin hörte im Garten des Alypius im singenden Ton die Worte: „Nimm und lies.” Er ergriff die Buchrolle mit den Schriften des Paulus und las: „Nicht in Fressen und Saufen, nicht in Kammern und Unzucht, nicht in Hader und Neid, sondern ziehet an den Herrn Jesum Christum!” „Ich las nicht weiter”, schreibt er in seinen Bekenntnissen, „es war wahrlich

nicht nötig. Denn alsbald am Ende dieser Worte kam das Licht des Friedens in mein Herz und die Nacht des Zweifels war entflohen.” Durch ein einziges Wort 92

des Neuen Testaments hat Gott diesem Manne die Ketten zerrissen und die Binde von den Augen genommen. Dieses eine Bibelwort hat dem ganzen Mittelalter seinen führenden Geist gegeben. Ein einziger Vers im ersten Kapitel des Römerbriefes hat Luther befreit und ist ihm zur „Pforte des Paradieses” ge-

worden. Dieser eine Vers des Neuen Testamentes hat eine Wendung der ganzen Geschichte des deutschen Volkes herbeigeführt. Wie ist das möglich? Nur dadurch, daß Gott mit seinem Geist in diesem Wort gegenwärtig ist. Wenn wir vor Gott stehen, wenn er mit uns redet, dann „weicht alles hinter sich“. Dann ist der Mensch, der uns dieses Wort sagt, mit einemmal ganz gleichgültig und nebensächlich, und wir sind allein mit Gott, wie Mose auf dem Berg Sinai mit Gott allein war. Wenn Gott da ist, dann ist alles da, was Gott gibt und hat, die Macht Gottes über die Gewalten, die uns von allen Seiten her bedrängen, die Macht Gottes, uns von der Last unseres Gewissens zu befreien, die Macht Gottes, uns ein neues Herz und einen neuen Geist zu geben. Es ist, wie Luther sagt: „Wir kommen in eine andere Schule, da der Heilige Geist Schulmeister ist, der da macht, daß diese Worte mit feurigen Flammen und nicht mit Federn und Tinte dir ins Herz geschrieben werden.” Melanchthon sagt: 93

„Durch das Studium allein wird niemand erreichen,

daß er die Heiligen Schriften versteht, sondern es ist nötig, daß er, indem der Heilige Geist der Lehrer ist, ihre Kraft in den verschiedenen Wechselfällen des Lebens erfährt.“ (15)

Jesu Todeskampf ist kein bloßer Anschauungsunterricht, in dem Gott seine Vergebungsbereitschaft, die auch unabhängig davon immer da ist, eindrucksvoll vor Augen stellt. Es ist aber ebensowenig ein Handel, den Gott mit uns Menschen als seinen Partnern und zahlungsunfähigen Schuldnern abschließt, um einen Vergleich herbeizuführen. Was sich im heißen Todesringen Jesu entscheidet, liegt vielmehr auf der überpolaren Ebene. Es ist die Auseinandersetzung zwischen Gott und der Gegenmacht, die ihn entthronen will. Die Empörung gegen Gott, in die wir alle verwickelt sind, besteht ja im letzten Grunde nicht darin, daß wir das Gesetz Gottes nicht erfüllt und viele seiner Gebote übertreten haben. Gottes Gebote sind vielmehr immer nur eine Ausdrucksform seines Totalitätsanspruchs auf unser Leben. Die Willenskraft, die im Ungehorsam gegen Gottes Gesetz in uns her94

vorbricht, richtet sich darum nicht gegen die Gebote als solche, sondern gegen die Majestät Gottes, die hinter diesen Geboten steht. Gott soll vernichtet werden. „Wir wollen nicht, daß dieser über uns herrsche”

(Luk. 19, 14).

In dem Kampf, der auf diese Weise entbrennt, steht also auf der einen Seite der satanische Gotteshaß, den wir handgreiflich fühlen, wenn wir die Passion Jesu, dieses gewaltigste Drama der ganzen Weltgeschichte, in den Evangelien lesen. Auf der andern Seite aber steht der Zorn Gottes gegen die Empörung, die gegen Gott gerichtet ist. Jede Sünde ist eine Verneinung Gottes. Wir merken das daran, daß sofort, wenn wir etwa eine Lüge nicht gleich wieder in Ordnung bringen, eine Umnachtung über unsere Seele herabsinkt, bei der wir die Gegenwart Gottes nicht mehr spüren, sondern nur noch Gottes Zorn fühlen. Daß jede einzelne menschliche Sünde dieses unendliche Gewicht hat, das ist nur begreiflich, weil es dabei um mehr geht als um Übertretungen einzelner Gebote. In jeder Unwahrhaftigkeit, in jedem Wort, durch das wir einen andern verwunden, flammt in unserm Herzen der Vernichtungswille gegen den auf, dessen Totalitätsanspruch an unser Leben hinter jedem seiner Gebote steht. Darum steht nach Luther hinter jeder Menschensünde >)

die „satanische Sünde” als ihr letzter Ursprung und unheimlicher Hintergrund. Als Jesus sich zum Waffengang bereit machte und die Seinen aufforderte, mit ihm zum letzten Sturm vorzugehen, mit den Worten: „Stehet auf, lasset uns

von hinnen gehen!”, da machte er eine Bemerkung, die uns mit blitzartiger Deutlichkeit zeigt, was für eine Ausrüstung er brauchte, um diesen Kampf wagen zu können. „Es kommt der Weltfürst”, sagt er, „und hat nichts an mir” (Joh. 14, 30). Das heißt: Er hat kein Recht auf mich, ich biete ihm keine Angriffsfläche, ich habe keine Achillesferse, an der mich seine Pfeile verwunden könnten. Warum kann keiner von uns den Kampf mit der satanischen Macht aufnehmen? Wir alle bieten dieser Macht einen Angriffspunkt, die es ihr ermöglicht, uns sofort niederzuschlagen, ehe der Kampf wirklich beginnt. Darum hängt der ganze Erfolg der Versöhnungstat ganz allein davon ab, daß Christus allein in den großen Kampf, in dem wir alle unterlegen sind, rein hineinging. „Er hat sich durch den ewigen Geist Gott makellos dargebracht” (Hebr. 9, 14). An diesem Punkt hängt in der Tat alles. Wer ganz rein ist und nie aus der Gemeinschaft mit Gott herausfiel, der ist in dem Kampf, der hier ausgefochten werden muß, allein der wahrhaft Starke. 96

Alles hängt für uns davon ab, ob es wahr ist, was er nach dem Johannesevangelium von sich sagt: „Mein Speise ist die, daß ich tue den Willen des, der mich gesandt hat, und vollende sein Werk“

(Joh. 4,

V. 34). „Der Sohn tut nichts von ihm selber, was er nicht sieht den Vater tun“ (Joh. 5, 19). „Wie mich mein Vater lehrt, so rede ich” (Joh. 8, 28). „Wie ich

höre, so richte ich“ (Joh. 5, 30). Dieses durch nichts getrübte ununterbrochene Eingehen auf den Willen des Vaters, bei dem sein ganzes Wollen vom Vater kam und wieder zum Vater zurückströmt, das ist die

Gottessohnschaft Christi. Auf ihr allein ruht die Vollmacht zur Versöhnung und Möglichkeit, dem Satan in überlegener Kraft entgegenzutreten. Dieses Ruhen des Sohneswollens im Willen des Vaters ist nach dem Zeugnis des Neuen Testaments nicht erst an irgendeiner Stelle der Zeit entstanden. Sein Ursprung geht hinter alle Zeit in die Ewigkeit zurück. Der Prolog des Johannesevangeliums redet davon im Präsens der Ewigkeit: „Der im Schoße des Vaters ist, der hat es

uns verkündigt“ (Joh. 1, 18). Aber auch wenn wir diese Gotteskindschaft bis in die Ewigkeit zurückverfolgen, so können wir nichts anderes in ihr entdecken als das wunderbare Verhältnis von zwei Willen. Der Sohneswille ruht im Vaterwillen. Diese Ruhe ist aber zugleich die ewige Bewegung, in der der Sohneswille 97

sich dem Vaterwillen weiht, wie ein Strom, der an der Mündungsstelle alle seine Wasser ununterbrochen ins Meer ergießt. (16)

Dr

als an irgendeiner anderen Stelle empfin-

den wir in dem Ringen Jesu mit dem Satan die letzte

Antinomie der Wirklichkeit, an der unser vernünftiges Denken verblutet, den unlösbaren gordischen Knoten, der durch die beiden Urwahrheiten entsteht, die wir nicht mehr miteinander ausgleichen dürfen, die erste Urwahrheit: Gott, der alles in allem ist, wirkt auch im Satan, „der Teufel ist Gottes Teufel”,

und die zweite Urwahrheit: Für die satanische Gegenaktion trägt Gott keine Verantwortung, sonst würde unsere Mitschuld an dieser Gegenaktion ihren Ernst verlieren. Diese beiden Urwahrheiten müssen einander das Gleichgewicht halten, wie zwei Waagschalen, auf deren jeder ein gleich schweres Gewicht liegt. Nur wenn wir die Hochspannung zwischen diesen beiden Wahrheiten aushalten, ohne einen Ausgleich zu versuchen, stehen wir in der Wirklichkeit. Der echte Gottesglaube hält den Widerspruch aus, der entsteht, wenn er seinen Inhalt in menschlichen 98

Worten und Gedanken aussprechen will. Er zerbricht nicht an diesem Widerstreit. Er weiß, daß er ihn nicht selbst lösen darf. Nur Gott kann ihn lösen, und er wird es tun, wenn der Glaube in Schauen verwandelt wird. Nur in dieser eschatologischen Gewißheit läßt sich der Widerspruch ertragen. (17)

Ar es einen Endsieg Gottes gibt über die Gegenbewegung, die störend in die Schöpfung eingegriffen hat, dann genügt dazu nicht, daß ein „Reich persönlicher Geister” aufgerichtet wird, die in seliger Ruhe über den Trümmern der vergänglichen Körperwelt schweben. Damit hätte Gott gegenüber den Mächten, die um die körperliche Gestaltung der Wirklichkeit ringen, kapituliert. Er hätte sich aus der harten Tatsachenwelt in die überzeitliche Sphäre zurückgezogen, wo Gedanken und unerfüllte Ideen „leicht beieinander wohnen”, solange sie keinen Anspruch auf die materielle Wirklichkeit erheben. Soll Gott das letzte Wort im Weltgeschehen behalten, dann muß sich sein Wille verleiblichen. Er muß sich darstellen als eine vollendete Gestalt, von der alle Schranken weggenommen sind, die infolge der Gottentfremdung und des tragischen Gesetzes der gegenseitigen Verdrängung die volle Entfaltung der Leiblichkeit im ge99

genwärtigen Weltzustand noch aufhalten. Nur aus dieser Schau heraus geht uns der Gehalt der Auferstehung Christi auf; und wir begreifen, daß jeder, der sie sah, dadurch selbst zum zweitenmal geboren wurde. Die Auferweckung Christi ist der Anbruch der vollendeten Leiblichkeit, deren schattenhaftes Vorstadium die ganze bisherige Körperlichkeit ist. Die Jünger, denen es vergönnt war, den Auferstandenen zu sehen, haben darum in der Tat etwas Ungeheures, mit Menschenworten gar nicht zu Beschreibendes, geschaut. Schon von den Frauen, die am leeren Grabe standen und ahnten, was geschehen war, heißt es: „Sie flohen von dem Grabe, denn es war sie Zittern und Entsetzen angekommen” (Mark. 16, 8); Paulus, als er vor Damaskus vom Lichtglanz des Auferstandenen umleuchtet war, wurde zu Boden geworfen und war drei Tage blind, aß nicht und trank nicht (Apg. 9, 3ft.). Es ist begreiflich, daß die Berichte, die die Zeugen davon gaben, seltsam widersprechend sind. Jesus sagt zu Thomas: „Reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite” (Joh. 20, 27), und dann wieder zu Maria: „Rühre mich nicht an!” (Joh. 20,

V.17). Die Emmaus-Jünger erkannten ihn zunächst überhaupt nicht wieder, als er neben ihnen ging: so verwandelt war er. Und als sie ihn erkannten, verschwand er vor ihnen (Luk. 29, 13 ff.). Man sieht aus 100

diesen Unstimmigkeiten: die Jünger konnten nicht beschreiben, was sie gesehen hatten. Aber sie wußten,

daß sie an einer kleinen Stelle für ganz kurze Zeit in die Wirklichkeit hineingeschaut hatten, die das Schicksal der ganzen kommenden Welt, die Zukunft der Natur und der Menschen in sich schloß. Paulus, der letzte Zeuge der Auferstehung, kann den Korinthern die Möglichkeit des Auferstehungswunders nur verständlich machen, indem er auf die schöpferische Urkraft Gottes hinweist, die schon in der uns bekannten Schöpfungswelt spielend eine unerschöpfliche Fülle von Formen hervorbringt. Du Narr, sagt er, schaue doch hinein in die große Natur, schaue das Weizenkorn an, aus dem die Ähre herauswächst, das Vieh, die Fische, die Vögel, die „irdischen Körper” und die strahlenden Gebilde der Sternenwelt. Gottes Handeln ist ein fortgesetztes Ver-

nichten und ein fortgesetztes Schaffen neuer Formen (1.Kor. 15, 36ff.). Gott, der eine solche Fülle von Möglichkeiten hat, sich zu materialisieren, kann nicht bloß die Stofflichkeit hervorbringen, deren körnige Struktur unsere Atomphysik untersucht. Gottes Machtfülle kann sich auch in einer völlig neuen Form niederschlagen, für die uns in der jetzigen Weltzeit keinerlei Analogie verfügbar ist, die wir darum physikalisch auch nicht mehr analysieren können. 101

Der Auferstandene ist unabhängig von räumlichen Entfernungen. Er erscheint den im Obergemach in Jerusalem versammelten Jüngern, und dann wieder viele Meilen davon entfernt am Galiläischen Meer, er begleitet die einsamen Wanderer auf dem Weg nach Emmaus und umstrahlt mit seinem Glanz Saulus bei Damaskus. Die „vorher erwählten Zeugen” be-

kommen also schon jetzt etwas zu sehen von der den ganzen Raum durchstrahlenden Seinsmacht, mit der Christus am Ende der Weltzeit erscheinen wird, „wie

der Blitz leuchtet vom Aufgang und scheint bis zum Niedergang”, so daß „ihn sehen werden aller Augen”. Diese neue Leiblichkeit steht also in einem völlig andern Verhältnis zum Raum als unsere jetzige Leiblichkeit, in der wir uns nur unserer nächsten Umgebung unmittelbar sichtbar und greifbar machen können. Was das für eine neue Leiblichkeit ist, davon können

wir uns keine Vorstellung machen. Wir können sie mit nichts vergleichen, was dem Bereich unserer bisherigen Erfahrung angehört, auch nicht mit spiritistischen Materialisationen oder sogenannten Astralleibern. Was wir verstehen, ist nur das, was Paulus im .Auferstehungskapitel sagt, daß Gott, der eine solche Fülle verschiedenartiger Körper geschaffen hat, imstande ist, eine neue Leiblichkeit zu schaffen, die uns noch unbekannt ist. (18) 102

7A ee die Weltgeschichte nicht eine Aufwärtsbewegung ist, wenn sie vielmehr einer immer gewaltigeren Zusammenballung der antichristlichen Macht zustrebt, so kann das Kommen Jesu, um das die Ge-

meinde bittet, nicht eine geradlinige Fortsetzung und Vollendung der Weltgeschichte sein, sondern ein Ereignis, das aus einer ganz anderen Dimension kommt, die bisherige Entwicklung jäh abbricht und die ganze Grundordnung der gegenwärtigen Welt aus den Angeln hebt. Im Traum des Weltherrschers Nebukadnezar im zweiten Kapitel des Danielbuches erscheint die Weltmacht als ein Koloß, der aus 'Gold, Silber, Erz und Eisen, also aus scheinbar unzerstörbarem Material, aufgebaut ist, der aber auf tönernen Füßen steht. Die jähe Wendung tritt dadurch ein, daß von einer unsichtbaren Macht geworfen „ohne Hand” ein Stein von oben herabrollt. Dieser schlägt den Koloß an seine Füße und zermalmt sie. Dann aber bricht der mächtige Koloß in sich zusammen. Er wird vom Wind verweht wie Spreu von der Sommertenne. „Der Stein aber, der das Bild schlug, wuchs zu einem großen Berg empor, der die ganze Welt füllte” (Dan. 2, V. 35). Das ist die erste prophetische Vorahnung des103

sen, was die neutestamentliche Gemeinde vom Kommen Jesu erwartete. Wir können auch nur bildhaft von diesem Ereignis sprechen, von dem wir uns von den jetzigen Machtverhältnissen der Welt aus keine Vorstellung machen können. Wir können das Ereignis, das Jesus voraussagt, dahin zusammenfassen: Alle Weltmächte, die in der seitherigen Weltgeschichte miteinander gerungen haben, werden mit einem Schlag entmächtigt werden, und der eine, dem Gott die Weltherrschaft übertragen hat, wird kommen

„mit des

Himmels Wolken”. Christus tritt aus der Wolke der Unsichtbarkeit heraus, die ihn bisher verhüllt hatte, und ergreift,die Zügel der Weltregierung. Der kleine Stein, der den Koloß der Weltmächte schlug, daß er zusammenstürzte, wächst zu einem Berg empor, der das ganze Weltall ausfüllt. Der Menschensohn, der als Sämann werbend und einladend über die Erde ging, tritt jetzt vor die ganze Menschheit in einer neuen Gestalt. Er kommt im Glanz der göttlichen Macht als der, der das Weltschicksal in seinen Händen trägt. Alle Menschen „wer-

den ihn sehen, wie er ist” (1. Joh. 3, 2f.). Bisher ist er also noch nicht in seiner wahren Wirklichkeit gesehen worden. Jetzt erst erscheint er in seiner wahren Gestalt, wenn er sagen kann: „Ich bin der Erste und

der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, 104

ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel der Hölle und des Todes” NZ):

(Offb. 1,

Was ist das Ziel des öffentlichen Gerichtstages, zu dem die Menschen aller Völker und aller Jahrtausende zusammengerufen werden? Hat Gott mit diesem Gericht den Zweck, an seinen Feinden Rache zu nehmen und sie seine Macht fühlen zu lassen? Das wäre nur ein negatives Ziel. Der Zweck des Tages Gottes ist nach allem, was Jesus darüber andeutet, durchaus positiv. Das Ziel ist die Auslese einer neuen Menschheit für die neue Welt, die Gott durch Verwandlung der alten schaffen will. Zu dem Knecht, der mit dem Gut seines abwesenden Herrn gewuchert hat, sagt der Herr: „Du guter und getreuer Knecht, über wenigem warst du treu, über vieles werde ich dich setzen; gehe ein zu deines Herrn Freude!” (Matth. 25, 21). Die Menschen, die sich in der Zeit seiner leiblichen Abwesenheit bewährt haben, sollen also nicht etwa durch paradiesische Freuden belohnt werden, wie sie Mohammed seinen Gläubigen, die im heiligen Kriege gefallen sind, verspricht. Sie sollen vielmehr noch größere Aufgaben bekommen, als die sind, die sie bisher gehabt haben. Sie sollen „über viel gesetzt werden”. Wir sehen daraus, was der letzte Sinn der langen Zwischenzeit ist, in der Gott schweigt und seine Macht 105

zurückhält, während die Seinigen entehrt und mißhandelt werden. In dieser Zeit soll aus der Masse der Menschen die auserlesene Schar herausgerufen werden, die als Kerntruppe in das Reich der Zukunft aufgenommen werden kann. Dazu sind nur die geeignet, die sich wie echtes Gold im Feuer der Trübsal bewähren. Es sind die Menschen, die unter dem steigenden und zunehmenden Druck der Gegenmacht, die sich zu einem immer gewaltigeren Machtgebilde zusammenballt, mitten im großen Abfall auf verlorenem Posten aushalten. Es sind die, die nur eine Ehre kennen, nämlich die, ihres gekreuzigten Königs wert zu sein, der,ihnen gesagt hat: „Wer Vater oder Mutter, Bruder oder Schwester mehr liebt als mich, der ist mein nicht wert” (Matth. 10, 37). „Nur, wer über-

windet”, sagt Christus, „den will ich zur Säule im Tempel meines Gottes machen” (Offenb. 3, 12). Wie Christus einst in souveräner Vollmacht nach einer Nacht einsamer Zwiesprache mit seinem Vater aus dem ihn begleitenden Volk die Jünger auswählte, die er in die Welt senden wollte, so sucht er jetzt mit derselben Vollmacht, aus der Masse aller um ihn versammelten Völker die Menschen aus, die sich in der langen Zwischenzeit mit der Tat bewährt haben, und stellt sie als verwandelte Menschen hinein in eine verwandelte Welt. (19) 106

. die sozialen Ordnungen, an denen wir jetzt arbeiten, der Staat, das Recht, die Arbeitsteilung, sind nicht versinkende Schattengebilde und Spinngewebe, die wir zerreißen sollen. Sie haben eine Zukunft. Es ist noch gar nicht entschieden, was sie sein werden. Sie sind wie Larven, die erst einen Todesprozeß durchmachen müssen, aus denen aber einst ein Schmetter-

ling hervorgehen wird. Alles, was an Kraft und Eigenart in einem Volk liegt, hat eine ewige Bestimmung. Es wird sterben in Schwachheit, aber es wird auferstehen in Kraft. Wir wissen noch nicht, was die Völker sein werden. Ein Volkstum gleicht einem roh gehauenen Block, aus dem einst, wenn erst das Vergängliche daran heruntergeschlagen ist, eine Statue herausgemeißelt werden soll. Ja, die ganze kreatürliche Welt, die jetzt der Vergänglichkeit unterworfen ist wider ihren Willen, wartet nur auf den Augenblick, da sie frei werden wird vom Dienst des ver-

gänglichen Wesens, zur herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. In diesen Gedanken des Urchristentums liegt eine 107

gewaltige Lebensbejahung, ein Glaube an diese Erde, der uns begeistern kann. Aus dieser Lebensbejahung kommt die Freude, die Jesus selbst auf seinem Todes-

weg noch an allem hat, was das Leben schön macht, an Gastmählern, duftender Narde, Perlen, spielenden Kindern, Lilien und Vögeln. In allem sieht er einen ewigen Inhalt. Die ganze sterbende Welt ist eine große Aussaat, aus der ein wogendes Erntefeld hervorwachsen wird. (20)

(he den Ursprung, von dem wir herkommen, müssen wir dasselbe sagen, wie über das letzte Ziel, zu dem wir unterwegs sind. Im Uranfang, in dem die ganze polare Welt und die ganze Zeitlichkeit erst werden, ist Gott alles in allem. Für Gottes Schaffen

gibt es noch keinen Widerstand. Und im letzten Ende, in dem die polare Welt vollendet und aufgehoben wird, ist wieder Gott alles in allem. Für Gottes Schaffen gibt es keinen Widerstand mehr. In Gottes Weltvollendung ist der satanische Gotteshaß aufgehoben. So ist Gott das A und das O, der Anfang und das Ende. (21) 108

are: uns ein Suchender über den Darwinismus

befragt, und wir verschweigen ihm die Tatsachen, die dafür sprechen, karikieren die Argumente der Gegner und rücken nur die Gründe für unsere eigene Überzeugung ins Licht, so fehlt es uns an völliger Hingabe an Gott, an Beugung unter den Heiligen und Wahrhaftigen, der lieber einen ehrlichen Atheismus will, als daß man zu seiner Ehre lügt. Derartige Sünden gegen unser intellektuelles Gewissen machen uns zu unfreien, gebrochenen Menschen, die Angst haben vor Zeiten einsamen Nachdenkens, die sich vor dem Zusammensein mit einem denkenden Weltmenschen fürchten. Eine solche Vergewaltigung des Geistes ist wie ein nach innen getriebener Ausschlag am Körper. Er vergiftet den ganzen Organismus und bricht irgend einmal an einer anderen Stelle wieder hervor. Leute, die ein Brandmal in ihrem intellektuellen Gewissen haben, verbieten auch anderen zu denken, vergewaltigen die geistige Entwicklung ihrer Mitmenschen, wirken auf andere wie finstere Inquisitoren und Ketzerrichter, die das Drängen und Fragen junger Geister künstlich niederhalten wollen. (22) 109

9% Zweifel wird aus dem erwachenden Glauben geboren. Es ist ein erhabener Augenblick in unserem Leben, wenn zum erstenmal im Ernst die Frage erwacht, ob Gott ist, wenn diese bange Menschheitsfrage zum erstenmal die ganze Seele erschüttert. Fast jede starke Seele muß einmal durch diese Frage hindurch. Wer sie längst hinter sich zu haben glaubt, der hat sie vielleicht noch vor sich. Bei manchen, die diese Frage nie kannten, taucht sie noch unmittelbar vor dem Tode auf. Wenn sich die Last dieser Frage zum erstenmal auf unsere Seele legt, erleben wir eine eigentümliche innere Verwandlung. Die Seele erwacht aus dem träumerischen Anschluß an das Anerzogene. Das ganze Heer der Einflüsse von Vätern und Müttern und kirchlicher Erziehung scheint für einen Augenblick ins Nichts zu versinken. Die Seele wird

zum erstenmal einsam und läßt die ganze Gewalt der rätselhaften Wirklichkeit ungebrochen auf sich einstürmen, wie einer, der zum

erstenmal aus dem

Elternhaus auszieht in die Fremde und nun heimatlos dasteht, allein mit sich selbst und mit dem großen Rätsel des Daseins. (23) 110

W. den heißen Lebensstrom, das Dringen in Gott in glühendem, immer ungestilltem Verlangen, die leidenschaftliche Bewegung in unser Dasein hineinbringt, das ist eben gerade die qualvolle Unbeweisbarkeit der göttlichen Existenz, das Schwanken der Überlieferung über Jesus, die dunkle Wolke, die über Golgatha lagert. Nach der Sage haben die Götter auf die Riesen, die im Sturm in den Himmel dringen wollten, Berge gelegt, um sie niederzuzwingen. So hat Gott auch auf uns Berge ungelöster Fragen gelegt, damit jene Gottesmacht in uns geboren würde, die Berge versetzt. (24)

W. der Freundschaft den warmen Pulsschlag des Persönlichen gibt, das ist gerade die schmerzliche und doch selige Erfahrung, daß wir den Freund nicht durchschauen können und ihm doch nicht widerstehen können. So liegt auch gerade die Seligkeit des Glaubens an Jesus darin, daß wir nicht schauen, daß wir nicht beweisen können, daß uns beim Blick in den Abgrund 111

entgegenstehender Möglichkeiten schaudert, und daß wir dennoch zitternd und selig zu ihm hineilen, nicht gedrängt durch Beweise für ihn, sondern im Innersten überführt durch ihn selber, durch seine Majestät und Liebesmacht. (25)

& wenn wir in schwerer Not zu Gott dringen wollen, müssen wir erst einige Schritte zitternd in blindem Glauben wagen, wie man auf einem schmalen Steg ohne Geländer über einen tosenden Gießbach geht. Dann erst, wenn wir es gewagt haben, kommen wir ans andere Ufer, spüren die Wirklichkeit der ewigen Welt und werden von den Armen des Vaters aufgenommen. Nur wenn wir dazu imstande sind, wenn wir den Mut der Verzweiflung haben, einige Schritte in völliger Dunkelheit zu gehen, ohne Halt, ohne Geländer, ohne Pfand, ohne Aussicht aufs andere Ufer, im blinden Vertrauen auf den, den wir nicht sehen, dann sind wir geschickt zum Reiche Gottes. (26)

112

en Glaube und Naturwissenschaft kann heute nur dann eine Brücke des gegenseitigen Verständnisses geschlagen werden, wenn es möglich ist, den Begriff des Raums, der in der heutigen Physik eine zentrale Bedeutung erlangt hat, in einem höheren Sinn auf das Weltbild des Glaubens zu übertragen. Der euklidische Raum, der nach Kant a priori gegeben ist, beruht mathematisch betrachtet vor allem auf dem sogenannten Parallelenaxiom: Wenn ein Punkt gegeben ist und eine gerade Linie, so kann durch diesen Punkt nur eine Gerade gezogen werden, die jener Linie parallel ist. Es gibt also nur eine zweite Gerade, die mit der ersten in einer Ebene liegt und sie nicht schneidet. In den zwanziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts machten der Ungar Bolyai und

der Russe Lobatschefsky etwa gleichzeitig die Entdeckung, daß es zwar der Anschauung widerspricht, aber mathematisch möglich ist, an die Stelle des euklidischen Parallelenaxioms ein anderes Axiom zu setzen, nach welchem durch einen Punkt mehrere Parallelen zu einer Geraden gezogen werden können. Man kann auf diesem Axiom genauso gut eine in sich 113

geschlossene Geometrie aufbauen wie auf dem euklidischen Parallelenaxiom. Bald darauf hat der deutsche Mathematiker Riemann den Raumbegriff über den euklidischen Raum hinaus erweitert. Er ging dabei nicht wie Bolyai und Lobatschefsky vom Parallelenaxiom aus, sondern von der Tatsache, die schon Gauß entdeckt hatte, daß man eine gekrümmte Fläche, etwa

die Oberfläche einer Kugel, als eine zweidimensionale Ebene behandeln kann. Man kann die Figuren, die sich auf diese Fläche zeichnen lassen, in analoger Weise mathematisch darstellen wie die ebenen Figuren auf einer Fläche innerhalb des euklidischen Raums, nur daß sich die Maße entsprechend ändern. Die Winkelsumme innerhalb eines sphärischen Dreiecks beträgt zum Beispiel mehr als einhundertachtzig Grad. An die Stelle der geraden Linie, die bei Euklid die kürzeste Entfernung zwischen zwei Punkten ist, tritt der Begriff der geradesten Linie. Solche geradesten Linien sind die Großkreise, die durch zwei diametral gegenüberliegende Punkte hindurchgehen. Diese geradesten Linien schneiden sich also alle in den beiden Punkten, die die Pole darstellen. Das widerspricht dem euklidischen Parallelenaxiom. Mit dem allem sind wir zunächst immer nur von einer zweidimensionalen Ebene ausgegangen und haben untersucht, wie sich auf dieser Ebene die Maße 114

verändern, wenn wir an die Stelle der euklidischen Fläche eine Kugelfläche setzen, die, euklidisch gesehen, gekrümmt ist, und diese als Ebene behandeln. Wir müssen uns dabei in das Bewußtsein eines Wesens hineindenken, das nur in zwei Dimensionen lebt, und für das die Fläche, auf der es sich bewegt, die Maße einer Kugelfläche hat. Bis dahin können wir uns alles noch ohne weiteres anschaulich vorstellen. Nun aber kommt der nächste Schritt, bei dem uns die Anschauung verläßt. Wir müssen

das, was

wir uns

zunächst an einer zwei-

dimensionalen Fläche anschaulich gemacht haben, auf ein dreidimensionales Raumgebilde übertragen. Dieses Raumgebilde unterscheidet sich vom ganzen euklidischen Raum mit seinen drei Dimensionen genau so, wie sich die Geometrie einer zweidimensionalen Kugelfläche von der Geometrie einer zweidimensionalen Ebene unterscheidet. Wie die zweidimensionale Oberfläche einer Kugel in sich selbst zurückkehrt, so kehrt auch dieses neue stereometrische Raumgebilde in sich selbst zurück. Das läßt sich innerhalb des dreidimensionalen Raums nicht mehr anschaulich machen. Wir stehen hier vor einem Raum, der höher dimensioniert

ist als der euklidische Raum. Wir können in diesem Zusammenhang die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, mathematisch nicht 515

mehr weiter verfolgen. Es genügt, geworden ist, daß Riemann damit gewinnt, der viel umfassender ist, gewesen war. Es sind nun beliebig

wenn uns deutlich einen Raumbegriff als der euklidische viele Räume denk-

bar, die sich durch ihr „Krümmungsmaß“ unterschei-

den. Der euklidische Raum ist der Raum, dessen Krümmungsmaß gleich Null ist. Neben ihm stehen beliebig viele andere Räume mit positiver und negativer Krümmung, bei denen das Parallelenaxiom jedesmal wieder eine andere Form annimmt. Alle

diese Räume sind mathematisch gleichberechtigt. Selbst wenn es möglich sein sollte, uns an einen Raum zu gewöhnen, dessen Krümmungsmaß nur wenig von dem unseren abweicht, so ist es doch auf alle Fälle ausgeschlossen, daß wir uns mit unserem Vorstellungsvermögen in einen Raum hineindenken, der mehr als drei Dimensionen hat, in dem also mehr als drei gerade Linien aufeinander senkrecht stehen können. Gerade die Tatsache, daß wir heute mit mehr als drei Dimensionen algebraisch rechnen und sie physikalisch erschließen können, macht es uns nur noch verständlicher, warum Kant dabei blieb, daß die Welt uns Menschen nur so weit anschaulich ist, als sie in der zweidimensionalen Zeitstrecke an uns vorüberzieht und uns im dreidimensionalen Körper-Raum gegenübertritt. Denn der Fortschritt der Mathematik 116

und Physik regt uns ja unwillkürlich dazu an, auf Flügeln der dichterischen Phantasie die Grenzen des euklidischen Raums zu überfliegen und den Versuch zu machen, uns einen Raum vorzustellen, in dem mehr als drei Koordinaten aufeinander senkrecht stehen. Aber alle diese Versuche, unsere Grenzen zu überfliegen, enden immer nur damit, daß wir mit versengten Flügeln auf den Boden unseres euklidischen Körperraums zurückfallen. Wenn wir den Schritt, der uns von der eindimensionalen Zeitstrecke und von dieser zum Flächenraum und von diesem zum Körperraum führt, noch einmal machen wollen, um uns zu einem mehrdimensionalen Raum emporzuschwingen, stoßen wir auf ein unüberwindliches Hindernis, gleichsam auf einen elektrisch geladenen Stacheldraht, der uns unerbittlich in unsere Schranken zurückwirft. Im euklidischen Raum selbst sind mindestens zwei Teilräume enthalten, der eindimensionale Linienraum und der zweidimensionale Flächenraum. Außerdem ergibt sich aus der mathematischen Betrachtung der Axiome und des Krümmungsmaßes unseres euklidischen Raums, daß es ohne weiteres möglich ist, Räume anzunehmen, die eine völlig andere Struktur haben als die Räume, die in unserem Anschauungsraum enthalten sind. Dadurch werden wir auf den Gedanken geführt, daß es Räume gibt, die wir uns zwar nicht 117

anschaulich vorstellen können, deren Struktur sich aber algebraisch ohne weiteres darstellen läßt. Die Wirklichkeit ist offenbar viel reicher, unergründlicher und abgrundtiefer, als sie uns auf den ersten Blick erscheint. Auch der ganze Gegenstandsraum, den wir mit dem Teleskop und mit dem Mikroskop durchforschen können, ist nur ein Weltaspekt, neben dem es noch viele andere geben kann. Wenn wir, wie sich gezeigt hat, in einem Raum stehen können, ohne daß wir uns dessen schon bewußt sind, wenn uns also dieser Raum erst erschlossen werden muß, so führt uns das auf die Frage: Worin können wir in.einem bestimmten Fall erkennen, daß uns ein neuer Raum aufgegangen ist, daß wir es nicht bloß mit einer neuen, bisher noch unentdeckten Region unseres schon bekannten Weltraums zu tun haben? In einen Raum kann ja nicht von außen etwas hereinbrechen, wie das Sonnenlicht, das eine Wolkendecke durchbricht, in eine Gegend hineinstrahlt, die in Nebelgrau eingehüllt war. Denn ein Raum in dem Sinne, in dem wir hier von einem Raum sprechen, ist ja nicht ein in sich abgeschlossenes Ganzes, in dessen äußere Hülle von außen her eine Lücke gerissen werden könnte, sondern er ist nach allen Seiten offen und durch keinerlei materielle Wände begrenzt. Wie kann sich unter diesen Umständen ein neuer Raum manife118

stieren? Das ist nur auf eine Weise möglich. Denken wir zunächst an das Parallelenaxiom innerhalb des euklidischen Raums und die Veränderung, die eintritt, wenn. an die Stelle dieses euklidischen Raums ein sphärischer Raum getreten ist. Wir erkennen das daran, daß eine Gerade auftaucht, nämlich ein Großkreis des Kugelraums, zu der durch keinen Punkt eine Parallele, also ein parallel laufender Großkreis, gezogen werden kann, der sich nicht mit ihr in einem Punkt schneidet. Das ist innerhalb der euklidischen Ebene ein Widerspruch, eine Aufhebung eines der Grundaxiome, auf das der euklidische Raum aufgebaut ist. Das Dasein eines neuen Raums tut sich also darin kund, daß etwas eine unleugbare Tatsache ist, das innerhalb des bisher bekannten Raums einen Widerspruch darstellt. Im zweiten Raum ist etwas möglich, das innerhalb des ersten Raums widerspruchsvoll ist. Das ist das Zeichen, durch das sich ein neuer bisher unbekannter Raum manifestieren kann. Wir können jedes Bild, das sich unseren Augen darbietet, mag es eine Landschaft sein oder das Innere eines Zimmers, zunächst rein flächenhaft sehen als ein Nebeneinander von Farben und Linien, wie sie ein Maler auf die zweidimensionale Fläche seiner Leinwand aufträgt. Vielleicht sieht ein Säugling, der mit 119

seinen Händchen nach dem Mond greift, die Welt zunächst rein flächenhaft. Dieselbe Wirklichkeit mit denselben Farben und Konturen wird aber plötzlich körperhaft, wenn sich und wie durch einen Ruck, der alles verwandelt, die Tiefendimension erschließt. Nun sind zwei Räume zugleich da, in die alles eingeordnet ist. Wir stehen nach wie vor im Flächenraum; gleichzeitig hat sich uns ein umfassender Raum erschlossen, dessen Teilraum der Flächenraum ist. Wenn wir das, was hier geschehen ist, das Aufgehen eines neuen, umfassenderen Raums, im Rahmen des alten, zweidimensionalen Flächenraums ausdrücken wollen, müssen wir eine paradoxe Aussage machen. Wir müssen sagen: Nun ist etwas möglich, was innerhalb des Flächenraums unmöglich und widerspruchsvoll wäre. Wenn im Flächenraum auf einer Geraden drei Punkte ABC hintereinander liegen und ich will von A nach C gelangen, ohne den Weg durch B hindurch zu nehmen, so stehe ich innerhalb der Fläche vor einem Entweder-Oder von zwei Möglichkeiten. Ich kann nur entweder rechts oder links um Bherumgehen. Hat sich aber der Körperraum erschlossen, so ist plötzlich eine dritte Möglichkeit gegeben, die über dem EntwederOder steht, das der Flächenraum darbot, also über den beiden Möglichkeiten, die innerhalb der Fläche allein offenstanden. Ich kann eine dritte Richtung ein120

schlagen und in einer dritten Dimension, je nachdem oberhalb von B hinweg oder unterhalb von B hindurch, von A nach C gelangen. Dadurch wird die Fessel gesprengt, in die ich innerhalb des Flächenraums eingeschlossen gewesen bin. Unsere Stelle, an der wir innerhalb des dreidimensionalen Körperraums auf die unsichtbare Gegenwart des Ich stoßen, das einem andern Raum angehört, ist die perspektivische Mitte, also der sehende Punkt, an dem das ganze Panorama der sich stetig verändernden Körperwelt wie auf einer beleuchteten Bühne vorüberzieht. Mit diesem perspektivischen Mittelpunkt unseres Weltbildes hat es eine besondere Bewandtnis. Er gehört in das gegenständliche Gesamtbild hinein. Und doch ist dieser Mittelpunkt unsichtbar. Der sehende Punkt kann sich selbst nicht sehen. Ich kann mir die Mitte, von der aus das Bild allein sichtbar wird, nicht objektiv gegenüberstellen. Wenn ich diesen Mittelpunkt beschreiben will, muß ich also zwei Aussagen machen, die einander widersprechen. 1. Dieser Punkt gehört in das Bild selbst hinein, er ist ein unentbehrlicher Bestandteil des Bildes, in dem er eine ganz bestimmte Stelle hat. Ohne ihn wäre das Bild unvollständig. Er gehört genau so notwendig dazu, wie der Mittelpunkt eines Kreises, den wir an die Wandtafel zeichnen, notwendig zur Kreisfläche gehört. 121

2. Dieser Mittelpunkt gehört nicht zum Bilde. Denn er kann ja überhaupt nicht objektiviert werden. Er steht also vollständig außerhalb des ganzen Gegenstandsraums. Er hat überhaupt keinen Ort innerhalb der gegenständlichen Ebene. Er ist nirgends in ihr lokalisierbar. Jeder Sehakt ist also eine Zusammenschau, die nur

von einem Punkt aus möglich ist, der außerhalb der ganzen objektiven Welt liegt. Bei dieser Zusammenschau sind, wie sich gezeigt hat, immer zwei Dinge zusammen da, die einander innerhalb des gegenständlichen Raums ausschließen. Es ist ein Punkt gegeben, der innerhalb des Bildes liegt, und der doch gleichzeitig außerhalb des Bildes steht, weil er überhaupt nicht zur gegenständlichen Welt gehört. An diesem Paradoxon der Zusammenschau, die wir bei jedem Sehakt vollziehen, wird uns ganz besonders anschaulich, daß wir immer in zwei entgegengesetzten Räumen leben. Jeden Augenblick erschließt sich uns der neue Raum, der außerhalb der Maße und Struktur-

gesetze des objektiven Weltraums steht und kraft dessen etwas möglich wird, was innerhalb der Gegenstandswelt unmöglich und widerspruchsvoll wäre. (27)

19»

W.

können alle Erfahrungsräume, so verschie-

denartig ihre Struktur im einzelnen sein mag, in einem Raum zusammenfassen und diesen als den Raum der Polarität oder den polaren Raum bezeichnen. Ist nun die polare Weltform die einzige Daseinsform, die es gibt? Steht nicht nur unsere menschliche Existenz, sondern überhaupt alles, was war und was ist und was irgend einmal sein könnte, unentrinnbar und ein für allemal unter dieser einen Weltformel? Oder gibt es noch eine andere Daseinsform außer der Polarität? Wenn es diese zweite Seinsform gibt, in der die polare Form nicht auf negative, sondern auf positive Weise aufgehoben ist, genügt dazu nicht, daß dieses zweite Sein nur als verlorenes Paradies hinter uns steht oder als Wunschtraum vor uns liegt. Dieses zweite Sein darf auch nicht bloß als fernes Jenseits

„droben im Himmel” in räumlicher Transzendenz hoch über uns schweben. Denn in allen diesen Fällen ist ja die polare Welt, in der wir gefangen sind, nicht wirklich überwunden. Denn dann wäre gerade die Wirklichkeit, in der wir leben, und die uns von allen Seiten bedrängt, vom überpolaren Sein ausgenommen. 123

Auf diesem Kampfplatz, wo jeder von uns mit seinem Schicksal ringt, wäre die Polarität, in der wir eingeschlossen sind, nicht ausgeschaltet. Das ist nur dann der Fall, wenn dieses andere Sein ganz genau so allgegenwärtig und allumfassend ist und dieganze Wirklichkeit in sich schließt, wie das bei dem polaren Sein der Fall ist, in dem wir gefangen sind. Wenn das wirklich der Fall sein soll, dann muß auch das überpolare Sein ein Raum sein, wie die polare Welt ein Raum ist, und wie der körperliche Anschauungsraum, der uns von allen Seiten bedrängt, ein Raum ist. (28)

DR Apostel Johannes, einer der ältesten Augen-

und Ohrenzeugen des Lebens Jesu, faßt im Eingang seines ersten Briefs seinen Eindruck von Christus dahin zusammen:

„Wir haben gesehen und bezeugen

und verkündigen euch das Leben“, und im Prolog seines Evangeliums: „In ihm war das Leben ... alle

Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, das gemacht ist”. Mit andern Worten: Der Mutterschoß, aus dem im Uranfang der Schöpfung das ganze Weltall hervorging, ist der Logos, der in Christus Fleisch geworden ist. Ähnlich heißt es im Hebräerbrief: „Er trägt alles (das All) 124

durch das Wort seiner Macht.” Ähnlich sagt Paulus Kol. 1 von Christus: „Alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen worden. Er ist vor allem, und alles hat in ihm seinen Bestand (ist in ihm zusammengefaßt)... Er ist die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt.” Alle diese ungeheuren, universalen Sätze sind von der Gewißheit getragen: Er, der im Namen Gottes unter uns getreten ist, redet aus dem Sinn des

Weltganzen heraus. Er durchschaut die Tiefen des Alls. Als der Dichter Max Dauthendey unter schweren Lebensschicksalen in der Zeit des ersten Weltkrieges Christus entdeckt hatte, faßte er den Eindruck, den er beim Lesen des Neuen Testaments von den Worten Christi erhielt, in den Satz zusammen: „Jedes seiner Worte ist aus der Mitte des Weltalls gesprochen.” Der Gottesbote gibt aus dem Sinn des Ganzen

heraus den konkreten Marschbefehl für diese Stunde, der aus allem Schwanken erlöst und uns fähig macht, zwischen den Klippen hindurch zu steuern, die rechts und links drohen. Hier hat sich also das, was von Anfang war, in dem der ganze Sinngehalt der Welt, die noch werden sollte, potentiell enthalten war, in einer Einzelgestalt enthüllt, in der die ganze Lichtfülle des Kosmos

wie in einem

Brennpunkt

gesammelt

ist.

Christus tritt darum in die Welt nicht als ein Fremder, sondern „er kam in sein Eigentum”, nämlich als der, 125

der im Weltganzen daheim war wie der Sohn in dem Haus, das sein Vater gebaut hat. Er ist darum imstande, im Sinn des Schöpfungsganzen Verfügungen zu treffen. Die Gebote Jesu sind deshalb für keinen Menschen, der dieser Welt angehört, Befehle eines fremden Usurpators, der sich eine Befehlsgewalt über uns angemaßt hätte. Seine Stimme ist die Stimme des Hirten, dem die Schafe eigen sind. Christus kann zu dem Heiden Pilatus sagen: „Wer aus der Wahrheit

ist”, das heißt, jeder, der ehrlich gegen sich selbst ist, „der höret meine Stimme”.

Daß uns die höchste Befehlsstelle in Christus gegeben ist, dem Erfüller und Vollender der Gesetzgebung des Alten Bundes und aller übrigen Sittenlehren, die es vor ihm gegeben hat, das können wir darum auch nicht mehr begründen und mit zwingenden Argumenten beweisen. Um zu beweisen, daß Christus diese Befehlsvollmacht hat, müßten wir ja seine Gebote mit einem Maßstab messen, der über ihm steht. Wenn es aber einen solchen gäbe, dann wäre Christus nicht mehr der Kyrios, also die höchste Instanz. Es gibt darum nur einen Anhaltspunkt, um der Vollmacht Jesu gewiß zu werden; und das ist der, den Jesu nach dem Johannesevangelium uns selbst an die Hand gibt, wenn er sagt: „Meine Lehre ist nicht mein, sondern des, der mich gesandt hat. So jemand 126

will des Willen tun, der wird innewerden, ob diese Lehre von Gott sei, oder ob ich von mir selbst rede” (Joh. 7, 16f.). In der Zuschauerhaltung ist diese Gewißheit also nicht zu erreichen. Sobald wir es aber auf sein Wort wagen, durch einfachen Tatgehorsam auf den Boden seiner Gebote zu treten, erfahren wir das „Innewerden“, von dem Jesus hier redet. Wir spüren,

daß der Boden trägt, auf den wir getreten sind. Wir merken, daß wir hier im Sinn und Geist der Macht handeln, die das Weltganze geschaffen hat. Wir fühlen den Felsengrund der Ewigkeit unter unsern Füßen, der in sich selber ruht und uns durch alle Schwierigkeiten des Lebens hindurch trägt, ohne daß wir uns auch nur im geringsten anzustrengen brauchten, ihn festzuhalten. Diese Erfahrung ist vom polaren Raum aus völlig unverständlich. Denn sie ist das Gegenteil von der krampfhaften Anstrengung, mit der der Positivismus seinen Höchstwert setzen und festhalten muß. Jene Erfahrung ist nur verständlich, wenn es einen überpolaren Raum gibt, in dem die Gesamtwirklichkeit, die sich im polaren Raum in unabschließbare Reihen auflöst, in einer höheren Ordnung als Einheit zusammengeschaut wird. Unter dem Eindruck der Person Jesu erschließt sich uns dieser ewige Urraum, in dem wir zusammen mit der ganzen Wirklichkeit 127

stehen, für den wir blind waren, solange wir im Bann der polaren Welt gefangen waren. Jesus sagt nach der Heilung des Blindgeborenen: „Ich bin auf diese Welt

gekommen ..., auf daß, die da nicht sehen, sehend werden” (Joh. 9, 39). Er vergleicht also die Veränderung, die wir erleben, wenn wir unter seine Gewalt kommen, mit der Verwandlung des ganzen Wirklichkeitsbildes, die ein Blindgeborener erlebt, der vorher nur Töne und Tastempfindungen kannte, wenn ihm plötzlich der ganze Reichtum des dreidimensionalen Körperraums erschlossen wird; mit dem Eintritt in die Jüngerschaft Jesu sehen wir die ganze Wirklichkeit

mit neuen-ÄAugen. Wir sind in eine höhere Ordnung aufgenommen und für das empfänglich, was uns aus dieser höheren Ordnung zufließt. Glaube ist der Gesamtzustand, in dem wir sind, wenn wir mit vollem Bewußtsein und mit derselben Ruhe und Sicherheit im überpolaren Raum leben, mit der der konsequente Säkularist ganz im polaren Raum lebt und nur das für Wirklichkeit hält, was ihm in der Form dieses Raums gegenübertritt, also das, was man sehen und betasten und aus handgreiflichen Tatbeständen erschließen kann. Wer mit seinem ganzen Denken im polaren Raum befangen ist, dem ist die ganze Seelenhaltung, die im Glauben zum Ausdruck kommt, völlig unbegreiflich. Denn für ihn gibt es 128

zwar auch unsichtbare Realitäten. Das sind die unsichtbaren Ursachen, die man aus ihren Wirkungen erschließen kann, die uns sichtbar vor Augen stehen, wenn man zum Beispiel aus vulkanischen Eruptionen auf einen unsichtbaren Feuerherd unter der Erde schließt oder aus den rudimentären Hinterbeinen von Walen auf ihre ausgestorbenen Ahnen, die auf dem Lande gelebt zu haben scheinen. Aber alle diese unsichtbaren Ursachen haben eben darum, weil wir sie nicht sehen, sondern nur erschließen können, „hypo-

thetischen” Charakter. Ihre Realität mag einen noch so hohen Prozentsatz von Wahrscheinlichkeit haben, sie bleibt doch immer gleich weit entfernt von der absoluten, hundertprozentigen Gewißheit. Dieses Maximum der Gewißheit gehört gerade zum Wesen des Glaubens. Ohne das ist er nicht der unerschütterliche Felsengrund, der dem Anprall der ganzen sichtbaren Welt gewachsen ist. „Ich bin gewiß”, sagt Paulus, „daß weder Tod noch Leben ..... uns scheiden kann von der Liebe Gottes” (Röm. 8, 38f). Eine Gewißheit über etwas, das niemand je gesehen hat, kann nur aus derselben Quelle kommen,

aus der der „ewige Auftrag”, die „heilige Notwendigkeit” stammt, in der die Seele der Glaubenszeugen anstrengungslos ruhte, während über ihren Körper alle Qualen des Martyriums hingingen. 129

Damit wird die Frage nur noch drängender: Wie kann uns der Raum der Ewigkeit, in dem der Glaubende lebt, zur Gewißheit werden, wenn er weder durch experimentelle Feststellung noch durch ein Postulat zugänglich ist? Wir können auf diese Frage nur antworten: Wenn es zur Entdeckung des Raums der Ewigkeit kommen soll, muß in den Tiefen unserer Existenz eine Verwandlung eingetreten sein, die wir nicht in unserer Gewalt haben. Das Ereignis,

das hier eintreten muß, steht vollständig außerhalb des Bereichs, über den wir verfügen können. Wir können immer nur hinterher, wenn das Ereignis eingetreten ist, von einem Anlaß sprechen, der dieses alles umwandelnde Ereignis bei einem Menschen in einem bestimmten Fall ausgelöst hat. Mit dem Wort „Anlaß“ meinen wir aber nicht etwa eine „auslösende Ursache”, wie sie bei maschinellen Vorgängen in Kraft tritt, um einen Prozeß in Gang zu setzen, hinter dem ein bestimmtes

Energiequantum

als „wir-

kende Ursache” steht. Eine solche auslösende Ursache ist zum Beispiel der leichte Stoß, den wir dem Pendel einer Uhr geben, und durch den das Uhrwerk in-Gang kommt, das durch die Schwerkraft der Gewichte getrieben wird. Von einer solchen auslösenden Ursache ist der „Anlaß“, von dem wir hier sprechen, grundverschieden. Denn bei der auslösenden Ur130

sache — denken wir an den Stoß, den das Uhrpendel erhält — können wir sicher voraussagen, daß er die Maschine in Gang setzen wird. Beim „Anlaß“ in dem Sinn, in dem wir das Wort hier meinen, ist der Erfolg völlig unberechenbar. Dasselbe Ereignis, das bei einem Menschen in seiner heutigen Lage die Entdeckung des ewigen Urraums veranlaßt, kann an einem andern Menschen oder beim gleichen Menschen in einer andern Situation spurlos vorübergehen. Ein Anlaß, durch den in dieser unberechenbaren Weise der Raum der Ewigkeit erschlossen werden kann, kann fast jedes Ereignis sein, das uns bis in die Tiefen unserer Existenz erschüttert. Es kann der Tod eines nahestehenden Menschen sein, bei dem uns die ewige Welt plötzlich ganz nahe rückt. Es kann die Begegnung mit einem Menschen sein, dem wie Bengel sagt, das Wort „Ewigkeit“ auf der Stirn geschrieben steht.

Es kann das leuchtende Auge eines Kindes sein, das uns wie ein Abglanz einer reineren Welt erscheint, aus der dieses Kind kommt. Es kann eine wunderbare Lebensrettung sein, wie Tausende sie im Krieg erlebt haben. Es kann aber auch eine furchtbare Katastrophe sein, die uns die Vergänglichkeit alles Irdischen für alle Zeiten unvergeßlich vor Augen gestellt hat. Es kann der Aufenthalt in der Todeszelle sein, in der wir als zum Tode verurteilte Verbrecher un131

sere letzten Lebenswochen verbringen müssen. Es kann eine wissenschaftliche Entdeckung sein, die in einer Nacht ein Problem mit einem Schlage löst, um dessen Lösung wir jahrzehntelang gerungen haben, und die uns nun wie ein Geschenk des Himmels in den Schoß fällt. Es kann eine mathematische Erkenntnis sein, wie bei Pascal, den das Geheimnis der mathematischen Unendlichkeit unmittelbar vor Gott stellte. Für zahllose Menschen aller Jahrhunderte der neueren Geschichte war der eine große, allentscheidende Anlaß, der die Verwandlung ihres Weltbildes herbeiführte, die Begegnung mit dem einen, der ihnen mit einem Schlag den Raum Gottes aufschloß, der sie seitdem von allen Seiten umgibt wie ein Kraftfeld, ohne das sie nicht mehr leben können, die Erscheinung der Person Christi auf Erden und sein Gang zum Kreuz. Sobald ich diesen neuen Raum entdeckt habe, weiß ich vom ersten Augenblick an, daß dieser Raum nicht erst in der Stunde entstanden ist, in der er mir erschlossen wurde. Ich weiß vielmehr: Dieser Raum war immer da, und ich war immer in ihm; aber ich habe in ihm gelebt, wie ein Blinder, der inmitten einer paradiesischen Landschaft, die von strahlendem Sonnenschein übergossen ist, sich mit einem Stock mühsam weitertastet, weil er den Raum, in dem er lebt, 132

nicht sieht. Ich weiß aber von dem Augenblick an, da ich für einen neuen Raum sehend geworden bin, nicht nur, daß ich selbst immer schon von diesem Raum umschlossen war, obwohl ich es bisher nicht wußte; sondern ich weiß auch, daß alle meine Mitmenschen, die noch mit Blindheit geschlagen sind und mich darum für einen Schwärmer halten, genau wie ich in diesem Raum stehen, daß nur ihre Augen noch gehalten sind. Ich weiß zwar, daß ich keine Macht habe, den andern Menschen, denen er noch verschlossen ist,

die Augen dafür zu öffnen. Ich weiß aber auch, daß sie alle, ohne es zu wissen, schon jetzt mitten in diesem Raume stehen. (29)

ana

Stelle der Wille

im Gesamtbild

der

Wirklichkeit einnimmt, das geht uns nur auf, wenn wir die Welt nicht statisch als ein ruhendes Sein betrachten, das sich im Stillstand befindet, sondern dynamisch als ein Geschehen im Sinn des Wortes, das ein heutiger Atomphysiker ausgesprochen hat: Die Materie ist nicht, die Materie geschieht. Daraus ergibt sich: Wir können auch von einem Marmorblock, von der Eigerwand, von einer Sandmasse oder 133

einer Meereswelle, wenn wir uns ganz genau ausdrücken wollen, immer nur sagen, daß sie in der bestimmten Gestalt, in der sie uns entgegentreten, soeben noch gegenständlich gewesen sind. Denn nur das, was gewesen ist, schlägt sich gegenständlich nieder. Was diese materiellen Wirklichkeiten im nächsten Augenblick sein werden, der aus dem jetzigen Augenblick geboren wird, das steht noch nicht wirklich fest. Ich kann es in sehr vielen Fällen mit höchster Wahrscheinlichkeit voraussagen, ja wie eine Sonnenfinsternis vorausberechnen. Aber auch die höchste Wahrscheinlichkeit, die eine gute Prognose besitzt, ist nie Gewißdheit, sie ist von absoluter Gewißheit immer noch durch einen Abgrund geschieden, der erst übersprungen werden muß. Gewißheit ist ein Ereignis immer erst dann, wenn es vollendet ist und die Akten darüber geschlossen sind. Solange dies noch

nicht geschehen ist, kann noch im letzten Augenblick ein Hindernis eintreten. Aus den unbekannten Tiefen des Weltalls kann ganz unerwartet ein Faktor auftauchen, den wir nicht in Rechnung gestellt hatten und der die ganze Vorhersage über den Haufen wirft. Auch die festesten Dinge, die es in der Welt gibt, wie Felsblöcke, Betonklötze und Steinquader sind genau betrachtet keine absolut unabänderlichen Größen, 134

sondern immer nur Geschehnisse, auch wenn sie, wie die Pyramiden, die die Pharaonen gebaut haben, jahrtausendelang völlig unverändert dagestanden haben, so fällt doch auch in diesem jetzigen Augenblick immer wieder aufs neue die Entscheidung dar-

über, ob sie auch den nächsten Augenblick überdauern werden, oder ob ihre Zeit abgelaufen ist. Weil es so steht, darum muß ich nicht bloß mit meinen Mitmenschen oder mit Lebewesen überhaupt in den unsichtbaren Nahkampf eintreten, in dem ich um eine neue Weltgestalt mit ihnen ringe. Derselbe geheimnisvolle Ringkampf ist auch zwischen mir und einer anorganischen Substanz möglich, von der mein Schicksal abhängt. Auch diese scheinbar tote und unveränderliche Masse durchläuft mit mir zusammen jeden Augenblick aufs neue das Stadium, in dem über die Gestalt entschieden wird, die sie im kommenden Augenblick haben wird. Auch die anorganische Welt nimmt immer wieder erst dann gegenständliche Form an, wenn über ihre Gestalt entschieden ist. Wenn ich also im Stadium der Unentschiedenheit mit dieser Substanz in Beziehung trete, befindet sie sich dabei noch in einem nichtgegenständlichen Stadium. Sie steht also mit mir zusammen in demselben Raum, in dem ich und du einander begegnen. Die unsichtbare Kraft, die wir mit dem Wort 135

„Willen“ meinen, ist nicht in die engen Schranken unseres kleinen menschlichen Daseins eingeschlossen. Denn da das wollende Ich unobjektivierbar ist, steht es diesseits des ganzen gegenständlichen Weltraumes, außerhalb aller seiner räumlichen Größenmaße. Der Wille ist darum nicht im menschlichen Körper, diesem begrenzten gegenständlichen Gebilde, lokalisierbar, weder im Gehirn noch im Herzen. Wohl ist mein wollendes Ich auf diesen Menschenkörper schicksalhaft bezogen. Er ist mein wichtigstes Werkzeug. Aber der Wille selbst, das wollende Ich und das wollende Du stehen noch diesseits des ganzen gegenständlichen Weltgeschehens, auf das sie bezogen sind, also außerhalb des Bereiches der naturwissenschaftlichen Beobachtung. Alles, was vom Willen psychologisch objektiviert werden kann, das ist nicht mehr der Wille selbst, sondern es gehört schon zu seiner beginnenden Verwirklichung, die Kant ausdrücklich vom Willen selbst unterscheidet. Zur beginnenden Verwirklichung innerhalb der gegenständlichen Ebene gehören vor allen Dingen die von lebhaften Wertempfindungen begleiteten Zukunftsbilder, die die Phantasie erfüllen, die Pläne und Hoffnungen, die Komplexe des individuellen und überindividuellen Unterbewußtseins. Das alles ist nicht der Wille selbst, sondern der gegenständliche Ausdruck und Niederschlag des Willens, 136

in dem der Widerstreit zwischen dem wollenden Ich und dem wollenden Du zunächst im seelischen Geschehen in Erscheinung tritt, ehe er auf der körperlichen Ebene in Tat umgesetzt wird. Der Wille selbst steht noch diesseits des dreidimensionalen Raums und diesseits des eindimensionalen gegenständlichen Zeitstroms. Diese Überräumlichkeit des Willens kann man besonders daran erkennen, daß in manchen Fällen ein Wille von verschiedenen Menschenkörpern, die räumlich weit voneinander entfernt sind, gleichzeitig Besitz ergreifen und sie mit dämonischer Gewalt als seine Instrumente gebrauchen kann. (30)

Enke daß uns ganz ohne unser Zutun das „Los” zugefallen ist, nicht als beseelte Moleküle oder als Pflanzen oder als Virusindividuen, sondern als Menschen ins Dasein getreten zu sein, können wir bei unserem Schlußverfahren immer nur die Sprache deuten und verstehen, die menschliche Lebensäußerungen, menschliche Gebärden und menschliche Worte sprachen. Weil wir Menschen sind, sind diese Äußerungen für uns die Ausdrucksform einer Innenwelt, die wir daraus erschließen können. Dagegen ist für 1377

uns das Aufblühen einer Rosenknospe oder das Wachsen eines Kristalles oder das Summen einer Biene keine Ausdrucksform, die uns unmittelbar anspricht. Wir können die Sprache der Blumen und der Kristalle nicht verstehen, und wir können die Innenwelt, die dahinter verborgen sein mag, nicht deuten, wenn wir auch mit dichterischer Phantasie versuchen, unsere menschliche Innenwelt in diese uns völlig fremden Wesen hineinzuprojizieren. Nur weil die perspektivische Mitte unseres Weltbildes in einem Menschenkörper liegt, nehmen wir an, daß den Klängen, die ein Menschenkörper von sich gibt, dem Mienenspiel, das wir an ihm beobachten, eine ebenso reiche Innenwelt entspricht, wie wir sie selbst haben. Von diesem festen Punkt gehen wir bei unserem ganzen Schlußverfahren aus und stellen von da aus die unermeßlich vielen und verschiedenartigen Wesen, von denen wir umgeben sind, von dem mit uns verwandten Säugetier bis herunter zur Pflanze und von da bis zum Kristall und zu den Molekülen, aus denen ein Sandstein oder ein Bleiklumpen aufgebaut ist, gleichsam in eine Reihe und ordnen sie nach dem Grad ihrer größten oder geringeren Menschenähnlichkeit. Nachdem das geschehen ist, machen wir in unserem naiven Egozentrismus und Anthropomorphismus die Annahme, das Innenleben der Wesen, 138

die wir um uns herum sehen, werde genau in dem Maß ärmer, dumpfer, inhaltsleerer sein und nur noch ein leiser Vorklang des inneren Reichtums, in dem wir leben, je menschenunähnlicher diese Wesen von außen betrachtet aussehen. In unserer menschlichen Selbstüberhebung dekretieren wir: schon das Tier, etwa ein Reh, das einen tödlichen Schuß erhält, oder ein Stier, der in den Stiergefechten einer spanischen Arena sein Leben läßt, „stirbt“ überhaupt nicht, es „verendet“ bloß. Das Sterben ist uns Menschen in

unserem reichen Innenleben allein vorbehalten, bei Wesen, die noch menschenunähnlicher sind als das Tier, kann nicht einmal von Verenden gesprochen werden. Sie versinken einfach ins Nichts. Und so wie das Erleben des Todes mit der Menschenähnlichkeit steht und fällt, so wird auch das Seelenleben auf allen anderen Gebieten immer armseliger, je weiter es sich von dem erhabenen Vorbild von uns Menschen entfernt, es erreicht also den Nullpunkt und erlischt in der Nacht der völligen Bewußtlosigkeit, wenn wir am Ende der Reihe angekommen sind und den Tiefpunkt der völligen Menschenunähnlichkeit erreicht haben, also etwa den Zustand, in dem sich die starre Substanz eines anorganischen Wesens befindet. Diese ganze Stufenreihe, die wir hier aufgestellt haben, die absteigende Skala der Wesen samt allen Schlüssen, 159

die sich für uns daraus ergeben, ist, wie wir gesehen haben, wirklich nichts anderes als das perspektivische Bild der Wirklichkeit, die von unserem menschlichen Standpunkt aus innerhalb unseres menschlichen Horizontes entsteht. Wie von einem bestimmten Punkt aus gesehen, auf dem ich stehe, die Vögel, die in der Luft fliegen, und die Gestirne, die am Nachthimmel leuchten, um so kleiner erscheinen, je weiter sie von diesem Punkt entfernt sind, so sieht von meinem menschlichen Gesichtswinkel aus das Innenleben der anderen Wesen um so dürftiger aus, je weiter diese Wesen vom Menschen entfernt sind. Aus diesem perspektivischen Eindruck objektive Erkenntnisse ableiten zu wollen, wäre genauso naiv, wie wir als kleine Kinder angenommen haben, Sonne, Mond und Sterne seien wirklich nicht viel größer, als sie uns von unserem irdischen Beobachtungspunkt aus am Nachthimmel erscheinen. Wenn wir das eingesehen haben, müssen wir den ernsthaften Versuch machen, uns von dem naiven Wirklichkeitsbild und allen seinen perspektivischen Verkürzungen radikal zu befreien, auf das wir durch eine falsche Voraussetzung geführt worden sind. Wie man in der Relativitätstheorie versucht hat, die Körperbewegungen innerhalb des Weltalls durch Transformationsgleichungen auf einen mathematischen Ausdruck zu bringen, der von der Wahl des Bezugs140

körpers unabhängig ist, so müssen wir uns auch hier auf einen Boden stellen, der völlig neutral ist gegenüber den unendlich vielen perspektivischen Bildern, die in der Frage der Weltbeseelung möglich sind, je nachdem man sie vom Standpunkt eines Menschen oder irgendeines anderen Wesens aus betrachtet, für das vielleicht ein dem menschlichen entgegengesetztes Gesamtbild entsteht. Würde mein perspektivischer Mittelpunkt zum Beispiel in einem Molekül liegen, so würde mir die Innenwelt dieses Moleküls in heller Beleuchtung vor Augen stehen. Dagegen würde ich das Riesengebilde eines Menschenkörpers, das vom molekularen Standpunkt aus so groß erschiene wie uns ein ganzes Sonnensystem, nur von außen sehen und daraus vielleicht den Schluß ziehen, die Annahme, dieses Gebilde könnte eine Seele haben und eine verborgene Innenwelt in sich tragen, sei mindestens so phantastisch und fragwürdig, wie uns heute die Gestirnsbeseelung des Astronomen Kepler erscheint. Sobald wir auch nur versuchen, diesen neutralen Boden zu gewinnen, von dem aus die ganze Frage der Naturbeseelung völlig anders erscheint, als es von dem beschränkten menschlichen Gesichtskreis aus der Fall war, kommt auch uns das besonders stark zum Bewußtsein, was Rainer Maria Rilke in seinen Duineser Elegien so ergreifend zum Ausdruck gebracht hat. 141

Wir kommen uns als Menschen seltsam fremd vor inmitten dieser rätselvollen Welt, von der wir weitaus den größten Teil nur gegenständlich von außen sehen, während uns ihr Innenleben ewig fremd und für immer verschlossen bleibt. In der achten Duineser Elegie hat Rainer Maria Rilke vielleicht das Tiefste gesagt, was jemals über das Innenleben des Tieres gesagt worden ist:

Mit allen Augen sieht die Kreatur das Offene... Was draußen ist, wir wissens aus des Tieres Antlitz allein; denn schon das frühe Kind wenden‘wir um und zwingens, daß) es rückwärts Gestaltung sehe, nicht das Offene, das im Tiergesicht so tief ist. Frei vom Tod... Ihn sehen wir allein; das freie Tier hat seinen Untergang stets hinter sich und vor sich Gott, und wenn es geht, so gehts

in Ewigkeit, so wie Brunnen gehen. Wir haben nie, nicht einen einz’gen Tag den einen Raum vor uns, in dem die Blumen

unendlich aufgehn; immer ist es Welt und niemals, nirgends ohne Nicht... . Wer hat uns also umgedreht, daß wir,

was wir auch tun, in jener Haltung sind von einem, welcher fortgeht?.... 142

Wie er auf dem letzten Hügel, der ihm ganz sein Tal noch einmal zeigt sich wendet, anhält, weilt —, so leben wir und nehmen immer Abschied! Wenn wir diese Verse Rilkes auf uns wirken lassen, in denen er uns die innere Überlegenheit des freien Tieres über unser in sich selbst zurückgewendetes, reflektiertes Menschendasein ahnen läßt, fühlen wir deutlicher, als es uns durch lange theoretische Betrachtungen zum Bewußtsein gebracht werden könnte, daß wir unsere Kompetenz weit überschritten haben, wenn wir die vielen Wesen um uns her, deren gegenständliche Ausdrucksformen wir nicht verstehen, für ärmer halten, als wir selber sind. Woher wollen wir denn das wissen? Wir können doch immer nur sagen: Die Innenwelt, die hinter dem äußeren Gesicht steht, das wir allein sehen können, ist anders als die unsrige, und zwar um so verschiedener von der unsrigen, je weniger uns ihre Äußerungen verständlich sind. Der französische Philosoph Bergson hat in seiner „Evolu-

tion creatrice” die Vermutung ausgesprochen, wir Menschen seien vielleicht nur deshalb Handwerker geworden und hätten die Technik zu einer solchen Vollendung gebracht, daß wir meinen, wir könnten 143

die Welt damit beherrschen, weil wir in einem ent-

scheidenden Punkt innerlich viel ärmer sind als alle übrigen Lebewesen. Wir sind das instinktärmste Wesen. Das Wort Instinkt, das wir hier gebrauchen, ist ja nur ein menschlicher Ausdruck für ein Innenleben, das wir Menschen nicht durchschauen und nicht verstehen können, weil es uns selber abgeht. Sehen wir zum Beispiel, um nur einen Fall unter Tausenden herauszugreifen, einem Trichterwickler zu, der in ein Birkenblatt eine Kurve hineinschneidet, deren Linie so verläuft, daß sie zu einer Tüte zusammengerollt allen Bedürfnissen der Nachkommenschaft angepaßt ist. Dieser, Käfer erreicht dasselbe Ziel, das wir Menschen auf dem mühsamen Umweg über mathematische Berechnungen und technische Überlegungen zustande bringen würden (unsere Mathematiker haben sich ja schon mit der Kurve des Trichterwicklers beschäftigt), auf einem viel einfacheren und unmittelbareren Weg mit einer viel größeren Sicherheit, als das uns Menschen möglich wäre, nämlich durch einen hellseherischen Instinkt. Wenn wir diese Instinkthandlungen betrachten, so drängt sich uns die Frage auf: Steht nicht vielleicht hinter diesen hellseherischen Akten der Tiere und Pflanzen eine Innenwelt, die wenigstens in einem entscheidenden Punkt viel reichere Möglichkeiten in sich schließt als all unser 144

menschliches Handwerken und technisches Schaffen? Daß uns die langsamen Bewegungen, die die Pflanzen und Bäume ausführen, wie Symptome eines Schlafzustandes oder eines träumerischen Seelenlebens erscheinen, das kommt, wie schon oben erwähnt, offenbar nur daher, weil wir das Pflanzenleben von unserem menschlichen Standpunkt aus mißverstanden haben. Unter dem Zeitraffer gesehen, bewegt sich die Pflanze mindestens ebenso lebhaft und leidenschaftlich wie wir. Nur weil wir Menschen ein anderes Zeittempo haben, haben wir aus dem völlig anderen Lebensrhythmus, den die Pflanze im Verhältnis zu uns Menschen hat, falsche Schlüsse gezogen. Dem Kampf, den auch die Pflanze gegen Tausende von Feinden um ihr Leben und Wachstum zu kämpfen hat, könnte ein ebenso reiches, nur größere Zeiträume umfassendes Seelenleben entsprechen, als wir Menschen es haben. Und seit sich für die Atomphysik die Starrheit der toten Materie in winzige Räume aufgelöst hat, in denen Elementarteilchen wie lebendige Individuen mit ungeheuren Geschwindigkeiten planmäßige Bewegungen ausführen, ist auch der letzte Grund dafür hin-

gefallen, die anorganische Welt als eine bewußtlose tote Masse anzusehen. Es ist auch hier nur die naive Selbstüberhebung von uns Menschen, wenn wir meinen, weil diese nach Menschenmaß gemessen winzig 145

kleinen Welten, in denen Elektronen um Protonen kreisen, mit einem Menschenkörper in bezug auf Größe und Gestalt nichts mehr gemeinsam haben, darum müsse auch die Innenwelt dieser unvorstellbar kleinen Wesenheiten nur ein Minimum von dem sein, was an Freuden oder Schmerzen, an Kämpfen und Niederlagen von einer Menschenseele erlebt wird. Wenn wir uns auch hier von der menschlichen Perspektive vollständig frei machen, können wir im Blick auf diese Welt des Kleinen und des Allerkleinsten immer nur sagen: Was zum Beispiel in den vermehrungsfähigen Molekülen innerlich vor sich geht, braucht darum nicht bloß „eine Spur von einer Emp-

findung” zu sein. Es braucht darum, weil es uns Menschen unverständlich ist, nicht ärmer zu sein als das, was wir innerlich erleben. Es ist nur anders, total anders als unsere menschliche Innenwelt. Wir müssen also mit der Möglichkeit rechnen, daß auch diese ganze

Welt anorganischer Substanzen eine beseelte Welt sein könnte. (31)

146

LITERATURVERZEICHNIS Für die Darstellung Textauswahl

wurden

von

Heims

Leben und Werk

folgende Bücher Heims

und für die

benützt:

Ich gedenke der vorigen Zeiten, Erinnerungen aus acht Jahrzehnten. Furche-Verlag Hamburg, 2. Aufl. 1957. Glaube und Denken, Philosophische Grundlegung einer christlichen Lebensanschauung. Furche-Verlag Berlin, 3. Aufl. 1934 (GD). Jesus der Herr, Die Herrschervollmacht Jesu und die Gottesoffenbarung in Christus. Furche-Verlag Hamburg, 4. Aufl. 1955 (JH). Jesus der Weltvollender, Der Glaube an die Versöhnung und Weltverwandlung. Furche-Verlag Hamburg, 3. Aufl. 1952 (JW). Der christliche Gottesglaube und die Naturwissenschaft. FurcheVerlag Hamburg, 2. Aufl. 1953 (CHR). Die Wandlung im naturwissenschaftlichen Weltbild. Furche-Verlag Hamburg, 3. Aufl. 1954. Weltschöpfung und Weltende. Furche-Verlag Hamburg, 2. Aufl. 1952. Glaube

und

Leben,

Gesammelte

Aufsätze

und

Vorträge,

Furche-

Verlag Berlin, 3. Aufl. 1928 (GL). Das Wesen des evangelischen Christentums. Verlag Quelle und Meyer

Leipzig, 1925 (WESEN).

Die Bergpredigt Jesu, Für die heutige Zeit ausgelegt. Furche-Verlag KG. Tübingen, 1946 (BERGP). Stille im Sturm, Sechzehn Predigten. Brunnquell-Verlag Metzingen, 6. Aufl. 1951 (STILLE). Das Wort vom Kreuz, Predigten,

Osiandersche

Buchhandlung

Tü-

bingen, 2. Aufl. 1932 (KREUZ). Herausgeber und Verlag danken dem Furche-Verlag in Hamburg, dem Verlag Quelle und Meyer in Heidelberg und dem Verlag der Osianderschen Buchhandlung in Tübingen für die freundliche Ge-

nehmigung des Nachdrucks der einzelnen Abschnitte,

147

QUELLENANGABEN UND 1 Max

Jammer,

ANMERKUNGEN

Das Problem

des Raumes,

Die Entwicklung

der

Raumtheorien, Wissenschaftliche Buchgemeinschaft Darmstadt, 1960

Aus dem Englischen übersetzt von Wilpert (Concepts of space, Cambridge/USA). »”

Der

Physiker

Dr. H. Hermann,

der Heim

in manchen

Fragen

beraten hatte, weist kritisch auf grundsätzliche Fehler in Heims Verständnis der mathematischen Raumauffassung hin. — Es kann hier nicht auf diese fachlichen Einzelheiten eingegangen werden. Aber es sei darauf verwiesen, daß es Heim bei seinem theologischen Raumdenken nicht in erster Linie um exakte Begriffsparallelen zwischen Mathematik und Theologie ging, sondern weit mehr um eine Analogie. Nicht die gemeinsamen Definitionen waren ihm das Entscheidende, sondern die gemeisamen Grundzüge und Ausgangspunkte im Raum-Denken. ww

>

Diesem Abschnitt liegt eine unveröffentlichte Studie ther Hillenberg „Karl Heim als Prediger“ zugrunde. Neuere Veröffentlichungen

über das Leben und Wirken

Adolf Köberle, Das Glaubensvermäctnis

Akademische

Gedenkreden

von

(S. 62ff.),

GünHeims:

der schwäbischen Väter,

Furche-Verlag

Hamburg,

1959,

Friedrich Hauss, Karl Heim, Der Denker des Glaubens, BrunnenVerlag Gießen, 1960. Alfred Ringwald, Karl Heim, Ein Prediger Christi vor Naturwissenschaftlern, Weingärtnern und Philosophen. (Gotteszeugen, Eine Schriftenreihe für Jugend und Gemeinde, Heft 61.) Verlag

Junge Gemeinde Stuttgart, 1960. Die theologische Schule Karl Heims: Heim bemühte sich nie intensiv um eine mit seinem Namen verbundene theologische Schule. Doch führte eine größere Gruppe von

148

Theologen Heims Gedanken

in zahlreichen wissenschaftlichen Wer-

ken weiter. Von diesen in erweitertem Sinn zu bezeichnenden „Heim-Schülern* sind vor allem zu nennen: Prof. Dr. Otto Dilschneider, Berlin, Prof. Eduard Ellwein, Neuendettelsau, Prof. Dr. Hans Engelland, Hamburg, Prof. D. Ernst Haenchen, Münster, Prälat Dr. Karl Hartenstein f, Stuttgart, Prof. D. Wilfried Joest,

Erlangen, Prof. D. Adolf Köberle, Tübingen, Prof. D. Dr. Walter Künneth, Erlangen, Dr. Friso Melzer, Geislingen, Prof. D. Hans Müller-Schwefe, Hamburg, Prof. D. Walter Ruttenbeck, Bonn, Prof. D. Otto Schmitz j, Münster, Pfarrer Erich Schnepel, Großalmerode, Prof. Liz. Theophil Spoerri, Basel, Prof. D. Dr. Gustav Stählin, Mainz.

Bemerkung zu den Auswahltexten: Verschiedene Zitate sind aus einzelnen Teilstücken zusammengesetzt, ohne daß immer die Nahtstellen erkennbar sind. Unwesentliche Bindewörter oder Präpositionen, die sich auf vorangehende nicht zitierte Sätze beziehen, wurden in manchen Fällen weggelassen. Beides soll dazu dienen, daß die Texte so flüssig wie möglich gelesen werden können. 5 JH 25—26. Heim fußt hier, wie er in der Einleitung zu diesem Abschnitt angibt, auf Gedanken Pascals und Schopenhauers.

6 JH 82—84. 7 JH 125—127, JW 34. 8 WESEN

68—76.

Das Buch „Das

Wesen

des evangelischen

Chri-

stentums“ ist die schriftliche Umarbeitung einer Vorlesung, die Heim 1929 hielt. Köberle sagt in einer akademischen Gedenkrede darüber:

„Es war ein dramatischer Höhepunkt

in der Geschichte

unserer Tübinger Universität, als in zwei aufeinanderfolgenden Semestern der Jahre 1923/24 Karl Adam und Karl Heim hintereinander lasen über das Wesen des Katholizismus und das Wesen des evangelischen Christentums, beide Male unter unvorstellbarem Zulauf aus Universität und Stadt. Während Karl Adam das Wesen des Katholizismus in leuchtenden Farben zu schildern wußte als die Kirche, die wie eine Mutter ihren weiten Mantel

149

über die verschiedenartigsten

Frömmigkeitserscheinungen

breitet,

um sie alle liebend zu umfassen und gelten zu lassen, stellte Karl

Heim im Anschluß an die russische Legende vom Großinquisitor eindrucksvoll heraus, wie das evangelische Christentum nur von der einen Möglichkeit weiß und wissen will, daß das in Jesus Christus gesprochene arme und doch so mächtige Wort der Wahrheit immer aufs neue in der Kraftwirkung des Heiligen Geistes Herzen bezwingt, Liebe und Vertrauen zu Gott schafft und die also Herausgerufenen zu einer Gemeinde der mit Gott Versöhnten zusammenschließt.“ (Das Glaubensvermächtnis der schwäbischen Väter, S. 72—73). GL 593—601. 10 STILLE

86—94.

11 BERGP

58—60. Die Schrift „Die Bergpredigt Jesu“ ist eine Zusammenfassung von Vorträgen, die Heim 1946 in der Evangelischen Akademie in Bad Boll hielt.

12 BERGP

50—52.

13 GL 520—524, Aus einem

dentenkonferenz: 14 15 16

Vortrag 1925 bei der 28. Aarauer Stu„Das Gebet als philosophisches Problem.“

STILLE 16. KREUZ 155—163. JW 100—102, 87—89.

17 JW 120—121. Im einleitenden Satz des Zitates wurden die Worte „in dem Ringen Jesu mit dem Satan“ nach dem Sinnzusammenhang ergänzend eingefügt. 18 JW 180—183, 19

JwW 200—205.

20 GL

313—314. Aus einem Vortrag 1916 bei der 25. Allgemeinen Deutschen Christlichen Studentenkonferenz in Wernigerode: „Tolstoj und Jesus.“

150

21

JW 19.

22—25 GL 578—587. Aus einem Vortrag 1905 bei der 15. Allgemeinen Deutschen Christlichen Studentenkonferenz in Wernigerode: „Bilden ungelöste Fragen ein Hindernis für den Glauben?“ 26 SEIELEE 73.

CHR 130—152. Eine Verbindung von christlicher Glaubenslehre und Naturwissenschaft im Sinn eines theologischen Universalismus’ sucht Hans Lachenmann in seinem Buch: Welt in Gott, Skizze einer universalen Theologie, Furche-Studien, Bd. 32, Hamburg 1960. Lachenmann fußt in seiner ‚universalen Synopse‘ auf Böhme, Luther, Pascal und Heim.

CHR 161—167. Das Problem der Denkmöglichkeit der überpolaren, himmlischen Welt behandelt der Herausgeber, ausgehend von Heims Dimensionenauffassung, in: Himmel und Raum-Zeit-Welt, Ist der Himmel im heutigen naturwissenschaftlichen Weltbild denkbar? Berghausen/Bd. 1960. CHR Zu

195—198, den

Zitaten

248—253. 27—29:

Die Heim’sche

Dimensionendenk weise,

besonders der Gedanke der perspektivischen Mitte, findet in der

heutigen Theologie bei Ulrich Mann, der sich um ein fruchtbares Verhältnis von Theologie und Philosophie bemüht, starke Beachtung: Gottes Nein und Ja, Vom Grundriß und Richtmaß theologischen

Denkens,

Furche-Studien

Bd. 26, Hamburg

1959;

Theologische Religionsphilosophie im Grundriß, Hamburg 1960; Der Begriff der Dimension und seine Bedeutung für die systematische Theologie, Nr. 12 und 13. 30 CHR

70—73.

31 CHR

100—105.

Deutsches

Pfarrerblatt,

Essen,

1957,

151

INHALTSANGABE

Einführung . I. Leben Das Erbe Weite des Schaffens . Gottvertrauen

® wa a

M

Dienende Menschenliebe

Lebenslauf — Wichtige Daten . Il. Werk

16 22

Raum-Denken .

23

Dynamische Welt

26

Kampf der Mächte .

29

Glaube als Erlebnis .

32

Verkündigung .

33

Bemerkungen zur Textauswahl (Übersicht)

37

Auswahl aus den Werken Karl Heims .

39

Literaturverzeichnis

147

Quellenangaben und Anmerkungen .

148

= 8175 .H54

Heim, Karl, 1874-1955. Du Herr bist Kraft und Leben.

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Heim, Karl.

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Du Herr Leben.

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THEOLOGY LIBRARY

SCHOOL OF THEOLOGY AT CLAREMONT CLAREMONT, CALIFORNIA

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