Karl Barth: Leben - Werk - Wirkung 9783838550930, 3838550935

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Karl Barth: Leben - Werk - Wirkung
 9783838550930, 3838550935

Table of contents :
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Title Page
Impressum
Inhalt
Vorwort
I. Warum Karl Barth? Eine erste Annäherung und zwölf Blitzlichter
1. Die Gottesfrage
2. Die Wiederentdeckung der Bibel
3. Die Bibel verstehen
4. Der Vorrang der Offenbarung
5. Das Problem der „natürlichen Theologie“
6. Dialektische Theologie
7. Der Horizont des einen Bundes
8. Die Menschlichkeit Gottes
9. Das Nichtige und die Sünde
10. Theologie der Freiheit
11. Dogmatik und Ethik
12. Ökumene und weltweite Solidarität
II. Karl Barths Lebensweg
1. Herkunft, Jugend und Studium
2. Der „rote Pfarrer von Safenwil“
3. „Gott ist uns ein Fremder geworden“
4. Professor in Göttingen, Münster und Bonn
5. Karl Barth im Kirchenkampf
6. Die Ökumene
7. Die Kirchliche Dogmatik
8. Der unbequeme Zeitgenosse
9. Auf dem Bruderholz
III. Barth lesen
1. Ambitionierte Bescheidenheit
2. Im Konflikt mit der natürlichen Theologie: Die mögliche Unmöglichkeit
3. Wahrheit und Methode
Exkurs: „Kritischer müssten mir die Historisch-Kritischen sein!“
4. Theologia viatorum
5. Von der Schönheit und Gefährlichkeit der Theologie
IV. Theologische Perspektiven
1. Gott wird nur durch Gott erkannt: Der Weg theologischer Erkenntnis
1.1 „Theologie des Wortes Gottes“
1.2 „Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie“
1.3 Prolegomena zur Kirchlichen Dogmatik
1.3.1 Der Ort der Theologie: Theologie als Funktion der Kirche
1.3.2 Die Denkform der Theologie: Credo ut intelligam
1.3.3 Die Aufgabe der Prolegomena
1.4 Offenbarung
1.5 Die dreifache Gestalt des Wortes Gottes
1.6 Trinitarische Hermeneutik
1.7 Zusammenfassende und zuspitzende Thesen
2. Offenbarung und Religion
2.1 Religion im Licht der Offenbarung
2.1.1 Der Christ als Bourgeois – Barths Religionskritik
2.1.2 Die Rechtfertigung der Religion
2.2 Zusammenfassende und zuspitzende Thesen
3. Erwählung und Bund
3.1 Erwählung als Teil der Gotteslehre
3.2 Erwählung als Summe des Evangeliums
3.3 Die Erwählung Israels und der Kirche
3.3.1 Die eine Gemeinde
3.3.2 Die große ökumenische Frage
3.4 Evangelium und Gebot – Dogmatik und Ethik
3.5 Zusammenfassende und zuspitzende Thesen
4. Schöpfung und Bund
4.1 Gott als Schöpfer
4.1.1 Der sekundäre Charakter der Erkenntnis des Schöpfers
4.1.2 Urgeschichte als reine Sage
4.2 Schöpfung und Bund
4.2.1 Die Schöpfung als Voraussetzung des Bundes
4.2.2 Der Bund als Voraussetzung der Schöpfung
4.2.3 Schöpfung als Wirklichkeit
4.3 Das Geschöpf vor seinem Schöpfer
4.3.1 Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis
4.3.2 Die Gottebenbildlichkeit des Menschen
4.3.3 Zeit und Ewigkeit
4.4 Gottes Vorsorge für die Welt – die Lehre von Gottes Vorsehung
4.4.1 Das Thema der providentia Dei
4.4.2 Die drei Gestalten der Vorsorge Gottes
4.4.3 Leben als Geschöpf
4.4.4 Das Böse als das Nichtige, die Engel und die Dämonen
4.5 Das Gebot der Freiheit
4.5.1 Allgemeine und spezielle Ethik
4.5.2 Freiheit für den Willen Gottes
4.6 Zusammenfassende und zuspitzende Thesen
5. Versöhnung und Bund
5.1 Die Mitte aller christlichen Erkenntnis – Die Erfüllung des Bundes
5.2 Die Architektur der Versöhnungslehre
5.3 Die Christologie
5.3.1 Wahrer Gott – wahrer Mensch
5.3.2 Die Selbsterniedrigung Gottes und die Erhöhung des Menschen
5.3.3 Er sitzt zur Rechten Gottes
5.4 Der Mensch der Sünde
5.4.1 Hochmut und Fall
5.4.2 Trägheit und Elend
5.4.3 Lüge und Verdammnis
5.5 Die Soteriologie
5.5.1 Rechtfertigung
5.5.2 Heiligung
5.5.3 Berufung
5.6 Der Heilige Geist – Die Grundlegung des christlichen Lebens
5.6.1 Die Versammlung der Gemeinde
5.6.2 Die Auferbauung der Gemeinde
5.6.3 Die Sendung der Gemeinde
5.7 Das Gebot des Versöhners – Taufe, Vaterunser und Abendmahl
5.8 Zusammenfassende und zuspitzende Thesen
V. Aspekte der Wirkungsgeschichte
1. Ein Überblick
2. Die Krise und die Theologie
3. Die Königsherrschaft Jesu Christi
4. Gottes Heilsplan und die Unordnung der Welt
5. Glauben und Verstehen
6. Die Realisierung der Freiheit
7. Kirche und Israel
8. „Resident Aliens“ – Ansässige Fremdlinge
Ausgewählte Literatur
1. Publikationen von Karl Barth
2. Quellen
3. Weitere Literatur
4. Internetquellen
Namensregister

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Als der wohl größte Theologe des 20. Jahrhunderts hat Karl Barth die aktuelle Lebendigkeit des Wortes Gottes in der je neuen Lebenssituation in den Fokus der Aufmerksamkeit seiner Theologie gerückt. Gemessen an der Lebendigkeit des Geschehens der Selbsterschließung Gottes kann die Theologie niemals mehr sein als ein Versuch, den „Vogel im Flug“ zu beschreiben. Dieser Versuch bleibt darauf ausgerichtet, dass dieses biblisch bezeugte Geschehen selbst bestimmend bleibt. Michael Weinrichs Einführung in Leben, Werk und Wirkung Barths geht einfühlend auf die Problem­konstellationen ein, aus denen Barth die Theologie befreien wollte, und arbeitet ­profiliert die neuen Akzentsetzungen heraus, mit denen seine Theologie uns immer noch voraus ist.

Karl Barth

Theologie | Religionswissenschaft

Michael Weinrich

Karl Barth

ISBN 978-3-8252-5093-5

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Weinrich

Dies ist ein utb-Band aus dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen.

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Michael Weinrich

Karl Barth Leben – Werk – Wirkung

Vandenhoeck & Ruprecht

Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2019, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Karl Barth 1931; © Karl Barth-Archiv, Basel (Schweiz) Umschlaggestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com UTB-Band-Nr. 5093 ISBN 978-3-8385-5093-0

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9   I. Warum Karl Barth? Eine erste Annäherung und zwölf Blitzlichter . . . . 13   1. Die Gottesfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17   2. Die Wiederentdeckung der Bibel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19   3. Die Bibel verstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21   4. Der Vorrang der Offenbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23   5. Das Problem der „natürlichen Theologie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25   6. Dialektische Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27   7. Der Horizont des einen Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29   8. Die Menschlichkeit Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31   9. Das Nichtige und die Sünde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 10. Theologie der Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 11. Dogmatik und Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 12. Ökumene und weltweite Solidarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 II. Karl Barths Lebensweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 1. Herkunft, Jugend und Studium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2. Der „rote Pfarrer von Safenwil“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3. „Gott ist uns ein Fremder geworden“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 4. Professor in Göttingen, Münster und Bonn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 5. Karl Barth im Kirchenkampf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 6. Die Ökumene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 7. Die Kirchliche Dogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 8. Der unbequeme Zeitgenosse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 9. Auf dem Bruderholz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 III. Barth lesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 1. Ambitionierte Bescheidenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 2. Im Konflikt mit der natürlichen Theologie: Die mögliche Unmöglichkeit 159 3. Wahrheit und Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 Exkurs: „Kritischer müssten mir die Historisch-Kritischen sein!“ . . . . . . 168 4. Theologia viatorum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 5. Von der Schönheit und Gefährlichkeit der Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . 181

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Inhalt

IV. Theologische Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 1. Gott wird nur durch Gott erkannt: Der Weg theologischer Erkenntnis . . 188 1.1 „Theologie des Wortes Gottes“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 1.2 „Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 1.3 Prolegomena zur Kirchlichen Dogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 1.3.1 Der Ort der Theologie: Theologie als Funktion der Kirche . . . . 194 1.3.2 Die Denkform der Theologie: Credo ut intelligam . . . . . . . . . . . 198 1.3.3 Die Aufgabe der Prolegomena . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 1.4 Offenbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 1.5 Die dreifache Gestalt des Wortes Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 1.6 Trinitarische Hermeneutik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 1.7 Zusammenfassende und zuspitzende Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 2. Offenbarung und Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 2.1 Religion im Licht der Offenbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 2.1.1 Der Christ als Bourgeois – Barths Religionskritik . . . . . . . . . . . 233 2.1.2 Die Rechtfertigung der Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 2.2 Zusammenfassende und zuspitzende Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 3. Erwählung und Bund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 3.1 Erwählung als Teil der Gotteslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 3.2 Erwählung als Summe des Evangeliums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 3.3 Die Erwählung Israels und der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 3.3.1 Die eine Gemeinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 3.3.2 Die große ökumenische Frage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 3.4 Evangelium und Gebot – Dogmatik und Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 3.5 Zusammenfassende und zuspitzende Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 4. Schöpfung und Bund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 4.1 Gott als Schöpfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 4.1.1 Der sekundäre Charakter der Erkenntnis des Schöpfers . . . . . . 299 4.1.2 Urgeschichte als reine Sage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 4.2 Schöpfung und Bund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 4.2.1 Die Schöpfung als Voraussetzung des Bundes . . . . . . . . . . . . . . 303 4.2.2 Der Bund als Voraussetzung der Schöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . 308 4.2.3 Schöpfung als Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 4.3 Das Geschöpf vor seinem Schöpfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 4.3.1 Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 4.3.2 Die Gottebenbildlichkeit des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 4.3.3 Zeit und Ewigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 4.4 Gottes Vorsorge für die Welt – die Lehre von Gottes Vorsehung . . . . 328 4.4.1 Das Thema der providentia Dei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 4.4.2 Die drei Gestalten der Vorsorge Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 4.4.3 Leben als Geschöpf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 4.4.4 Das Böse als das Nichtige, die Engel und die Dämonen . . . . . . 335

Inhalt

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4.5 Das Gebot der Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 4.5.1 Allgemeine und spezielle Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 4.5.2 Freiheit für den Willen Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 4.6 Zusammenfassende und zuspitzende Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 5. Versöhnung und Bund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 5.1 Die Mitte aller christlichen Erkenntnis – Die Erfüllung des Bundes . . 357 5.2 Die Architektur der Versöhnungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 5.3 Die Christologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 5.3.1 Wahrer Gott – wahrer Mensch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 5.3.2 Die Selbsterniedrigung Gottes und die Erhöhung des Menschen 370 5.3.3 Er sitzt zur Rechten Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 5.4 Der Mensch der Sünde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 5.4.1 Hochmut und Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 5.4.2 Trägheit und Elend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 5.4.3 Lüge und Verdammnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 5.5 Die Soteriologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 5.5.1 Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 5.5.2 Heiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 5.5.3 Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 5.6 Der Heilige Geist – Die Grundlegung des christlichen Lebens . . . . . 397 5.6.1 Die Versammlung der Gemeinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 5.6.2 Die Auferbauung der Gemeinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 5.6.3 Die Sendung der Gemeinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 5.7 Das Gebot des Versöhners – Taufe, Vaterunser und Abendmahl . . . 407 5.8 Zusammenfassende und zuspitzende Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 V. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Aspekte der Wirkungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 Ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 Die Krise und die Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 Die Königsherrschaft Jesu Christi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 Gottes Heilsplan und die Unordnung der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 Glauben und Verstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 Die Realisierung der Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 Kirche und Israel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 „Resident Aliens“ – Ansässige Fremdlinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459

Ausgewählte Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 1. Publikationen von Karl Barth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 2. Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 3. Weitere Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 4. Internetquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486 Namensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487

Vorwort

„In der Kirche gibt es keine Vergangenheit, darum auch nicht in der Theologie.“1

Die letzten hundert Jahre der Theologiegeschichte lassen sich ohne eine eingehende Wahrnehmung von Karl Barth (1886–1968) nicht angemessen verstehen. Seit seinem Vortrag „Der Christ in der Gesellschaft“ 1919 in Tambach (Thüringen) zog er den Fokus der theologischen Aufmerksamkeit auf sich. Es hat keine fünf Jahre benötigt, bis Barth, der inzwischen auf einer Stiftungsprofessur außerordentlicher Professor in Göttingen geworden war, im Bereich von Theologie und Kirche so ziemlich in aller Munde war. Seitdem befindet sich der theologische Diskurs nicht nur in der systematischen Theologie, wenn nicht in einer direkten, so doch in einer indirekten Auseinandersetzung mit Karl Barth. Gewiss kann man sich gegen ihn stellen und ihm auf der ganzen Linie widersprechen, aber wenn man auf der Höhe der Zeit sein will, wird es kaum möglich sein, seine Theologie einfach zu ignorieren. Deshalb ist es in jedem Falle geboten, eine möglichst ausgewiesene Vorstellung von den Motiven und Anliegen dieser Theologie zu haben. Darum geht es in diesem Buch. Zur Präsentation eines so umfänglichen und auch höchst unterschiedlich wahrgenommenen Werkes wie das von Barth können verschiedene Formen der Annäherung und Darstellung gewählt werden. Für das vorliegende Buch wurde ein Mittelweg zwischen elementaren Grundinformationen und gelehrter Gesamtdarstellung eingeschlagen. Letztere wäre verfrüht und für den Rahmen eines Studienbuches zu ambitioniert. Erstere bliebe andererseits hinter den Ansprüchen eines soliden Studienbuches zurück, weil sie nicht tatsächlich dazu in der Lage sein kann, der Vielschichtigkeit der Theologie Barths gerecht zu werden, die sie erst zu dem macht, was sie ist. Es gibt eine Form der Unterschreitung ihrer Komplexität, die zwangsläufig dazu führt, dass die Pointen dieser Theologie von der für sie charakteristischen Bewegung isoliert werden. Damit wird sie aber genau um das Moment gebracht, dem Barth in immer neuen Anläufen den nötigen Nachdruck zu verleihen versuchte, weil nur so über die überkommenen Gewohnheiten der Theologie hinauszukommen ist. 1 Barth, Die Protestantische Theologie im 19. Jahrhundert, 3.

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Vorwort

Das Regulativ seiner Theologie besteht vor allem in einer Verhältnisbestimmung der Theologin bzw. des Theologen zu der Besonderheit des sie interessierenden und engagierenden lebendigen Gegenstandes. An all den verschiedenen Orten, die von der Theologie in Betracht gezogen werden, ist diese Verhältnisbestimmung immer wieder neu und durchaus auch jeweils anders wahrzunehmen, wenn das, was Theologinnen und Theologen ihrer Profession nach zu sagen aufgefordert sind, in der angemessenen Verantwortlichkeit zur Sprache gebracht werden soll. Barth wollte seine Leserinnen und Leser entschieden weniger von den Resultaten seiner theologischen Einlassungen überzeugen als vielmehr von der bestimmten Gestalt einer theologischen Existenz, in der er zu seinen Gedanken gefunden hat und in der schließlich auch jede und jeder zu den je neu zu formulierenden theologischen Gedanken finden muss, die es je heute zu sagen gilt. Wenn man so will, geht es um die Einübung einer bestimmten Blickrichtung, die dann auch dazu befähigen soll, selbst zu entscheiden, ob und wie weit es möglich ist, Barth auch in seinen Resultaten zu folgen, oder ob eine überzeugendere Perspektive ins Auge zu fassen ist, die dann ebenso zur Diskussion gestellt werden kann, wie es Barth mit der seinigen getan hat. Barth wünscht sich grundsätzlich freie Leserinnen und Leser, die leidenschaftlich und engagiert Theologie treiben. Es sind bei Barth stets mehrere Fäden, die miteinander verwoben werden und somit auch jeweils zusammen beachtet werden wollen. Zum Verständnis kommt es entscheidend darauf an, die damit verbundene spezifische Dynamik in den Blick zu bekommen. Erst wenn die Hintergründigkeit der vordergründigen Einfachheit seiner Theologie mit in den Blick kommt, kann damit gerechnet werden, dass es tatsächlich Barth ist, von dem da die Rede ist und eben nicht nur eine theologie­ geschichtliche Schublade, in der wir lediglich ein neues Arrangement der ansonsten bekannten, weil üblichen Bestandteile der überkommenen Theologie wiederfinden. Möglicherweise besteht die Hauptschwierigkeit, Barth angemessen zu verstehen, darin, dass er weit verständlicher daherkommt, als er es tatsächlich ist. Das würde auch erklären, warum er immer wieder missverstanden und karikiert wird. Und dies kann genauso gut zugleich auch anders herum gesagt werden: Barths Theologie erscheint so überaus hintergründig und kompliziert, weil das im Grunde einigermaßen Einfache, was seine Theologie ausmacht, nicht mehr recht in die neuzeitliche theologische Landschaft zu passen scheint, so dass es entweder als vorneuzeitlich oder sogar als naiv im Sinne von distanzlos unkritisch verstanden werden kann. Das im Grunde recht Einfache seiner Theologie, das aber eben in der Theologie in dieser Ausdrücklichkeit keineswegs eine allgemeine Selbstverständliche ist, besteht darin, dass sie von vornherein ein lebendiges Einverständnis mit dem christlichen Glaubensbekenntnis voraussetzt: Theologie gibt es allein um des Glaubens an Jesus Christus willen, und in der Theologie wird nach einem angemessenen Verstehen dieses Glaubens gefragt. Sie hat nicht die Aufgabe, diesen Glauben zu begründen, ihn anzubahnen, für ihn zu werben oder ihn zu verteidigen. Damit wäre sie heillos überfordert. Wohl aber soll sie sich auf die ihm eignende Erschließungskraft und die mit ihr verbundenen Verstehenshorizonte konzentrieren und dabei

Vorwort

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nach einem ebenso ausgewiesenen wie belastbaren Verstehen fragen, dass sich kritisch über den Glauben Rechenschaft abzulegen versucht. Als diese Rechenschaft ist Theologie von Belang für die Gemeinschaft der Glaubenden, d. h. für die christliche Gemeinde bzw. die Kirche. Indem theologisches Nachdenken von Belang sein muss und will, ist es auf Nachvollziehbarkeit hin angelegt, d. h. es hat einen benennbaren Entdeckungshorizont und vollzieht sich in einem argumentativ nachvollziehbaren Begründungshorizont. Das ist es, was die Theologie zur Wissenschaft macht, dass sie sich um ein begründetes und auf Nachvollziehbarkeit hin angelegtes Verstehen des christlichen Glaubens als ihres Gegenstandes bemüht. Die Besonderheit ihres Gegenstandes besteht allerdings darin, dass seine Relevanz nicht von dem Resultat seiner kritischen Überprüfung abhängt, sondern allem Verstehen immer schon vorausläuft. – Hier zeigt sich bereits, dass es bei Barth unversehens voraussetzungsvoll und verwickelt wird, selbst dann, wenn nur versucht wird, die im Grunde ganz einfache Grundvoraussetzung seiner Theologie zu benennen. Dabei kann nicht einmal wirklich ausgemacht werden, ob Barth uns diese Schwierigkeiten bereitet oder ob wir es nicht eher selbst sind, die sich so schwertun. Die weitere Vertiefung sei den späteren Ausführungen überlassen. Schließlich sollte noch ein weiterer Aspekt bereits hier angedeutet werden. Genau genommen geht es in der Theologie nicht allein um den Denkbedarf der Gemeinde bzw. der Kirche, sondern um eine bedachte und sich neu vergewissernde Orientierung der fundamentalen Beziehung, in der sie sich immer schon befindet. Die biblisch-­theologische Referenz für diese dynamisch lebendige Beziehungswirklichkeit ist für Barth der Bund, der, von Gott initiiert, den Raum bezeichnet, in dem der Mensch als Partner Gottes seine Freiheit leben kann. Gott erweist sich als der Gott, der unser Gott sein will, und der Mensch ist dazu konstituiert, gemeinschaftlich in Beziehung zu ihm zu leben. Damit kommen wir zu der entscheidenden erkenntnistheoretischen Voraussetzung seiner Theologie: Gott wird nur in der unserer Wahrnehmung vorauslaufenden und sie überhaupt erst ermöglichenden Beziehung zum Menschen erkannt, so wie sich auch der Mensch erst dann recht verstehen kann, wenn er von dieser Beziehung Gottes zu ihm aus betrachtet wird. In diesem Sinne ist die Theologie gerade nicht nur Gotteserkenntnis, sondern es ist der bereits von Gott erkannte und darin Gott erkennende Mensch, den die Theologie in den Blick nimmt, um sich je aktuelle Rechenschaft über das wahrzunehmende Verhältnis Gottes zum Menschen abzulegen. Es macht grundsätzlich keinen Sinn, Gott an und für sich betrachten zu wollen. Nach Barth vollzieht sich Theologie im Horizont der Aktualität des von Gott gestifteten Bundes, in dem zu leben die Bestimmung des Menschen ist, so dass es danach zu fragen gilt, was es mit diesem Bund auf sich hat. Indem für Barth dieses Beziehungsverhältnis des Bundes das eigentliche Drama ist, dem die Theologie zu folgen hat, wird der Bund zu der für Barth charakteristischen Dimension seiner Theologie, die sie in allen ihren Teilen durchzieht. Daher gibt es in diesem Buch auch kein besonderes Kapitel zum Bundesverständnis bei Barth, sondern die Verbindung zu dem fundamentalen Bundesverhältnis begleitet uns durch die ganze Darstellung hindurch.

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Vorwort

Damit sind wir bei den Regieanweisungen. Barth ist kein theologischer Schnellimbiss für Sofortverwerter, ebenso wenig ein vielgängiges Gourmetmenu für ästhetisch sensibilisierte Häppchengenießer. Ohne eine gewisse Geduld und eine interessierte Neugier mit einem konzentrierten Stehvermögen werden sich die Einlassungen Barths nicht recht erschließen. In ermäßigter Form gilt das auch für dieses Studienbuch, das um der erforderlichen Differenziertheit willen seinen Leserinnen und Lesern immer wieder auch kompliziertere Zusammenhänge zumutet, die sich nur mit Substanzverlust vereinfachen ließen. Die Grundlinie sollte sich allerdings auch erschließen, wenn sich nicht jede Einzelheit auftut. Auch wird man sich von vornherein von der Vorstellung verabschieden müssen, hier eine neutrale, gleichsam objektive Barthdarstellung präsentiert zu bekommen. Diese kann es ebenso wenig geben wie eine neutrale und objektive Darstellung Luthers oder Calvins. In jedem Fall kann es immer nur um einen möglichst gut ausgewiesenen Blickwinkel gehen, der grundsätzlich andere Blickwinkel nicht ausschließt. Zudem soll ausdrücklich darauf hinzuwiesen werden, dass auch im Blick auf Barth ebenso wie auf Luther und Calvin Vollständigkeit kein realistisches Ideal sein kann; das gilt ebenso für die Fülle des vorliegenden Werkes als auch den nicht mehr übersehbaren Umfang der Sekundärliteratur. Für beide Bereiche bleibt ein gewisses Maß an Zufälligkeit einzuräumen, das nicht auf mangelnde Umsicht, sondern allein auf die Endlichkeit der Ressourcen zurückzuführen ist, die für die Erarbeitung eines solchen Buches mobilisiert werden können. Gelegentlich kommt es zu Wiederholungen, die vor allem der Intention geschuldet sind, die einzelnen Kapitel je für sich verständlich zu halten. So lässt es sich beispielsweise nicht vermeiden, dass es in der Betrachtung der Biographie Barths (vgl. Kap. II) Begebenheiten zu berichten gibt, die auch im Blick auf seine Wirkungsgeschichte (vgl. Kap. V) bedeutsam sind. In solchen Fällen waren um der Lesbarkeit des jeweiligen Kapitels willen Doppelungen in einem begrenzten Maße hinzunehmen, aber auch im Blick auf systematische Fundamentalentscheidungen Barths, die eben auch bei Barth selbst in unterschiedlichen Zusammenhängen erneut angesprochen werden. Schließlich gilt es, einen ganz besonderen Dank auszusprechen an Brigitte Schroven und Hartmut Lenhard, die sich einigermaßen kurzfristig der entsagungsvollen Mühe unterzogen haben, das umfangreiche Manuskript durchzusehen. Aus ihrem größeren Abstand zu den Einlassungen in diesem Buch haben sich zahlreiche Anregungen ergeben, die teilweise auch über die nun vorliegende Fassung hinausgehen und weiterwirken werden. Ebenso danke ich für die bereits bewährte professionelle Zusammenarbeit mit dem Verlag, insbesondere Jörg Persch, Elisabeth Hernitscheck und Carla Schmidt. Gewidmet sei dies Buch meiner Frau, Rosemarie Weinrich, die schon seit langem, mit durchaus unterschiedlichen Anmutungen und teilweise mit geduldigen Entsagungen dem offenkundig unerschöpflichen Mysterium Karl Barth Asyl in unserem Leben gewährt. Paderborn, Quasimodogeniti 2018

Michael Weinrich

I. Warum Karl Barth? Eine erste Annäherung und zwölf Blitzlichter

Ohne Übertreibung kann gesagt werden, dass Karl Barth wohl der bedeutendste Theologe des 20. Jahrhunderts gewesen ist. Der Grund dafür liegt vor allem in seiner Neuentdeckung der besonderen Aufgabe der Theologie und der von ihm entschlossen vollzogenen kritischen Revision ihrer Tradition in ihrer ganzen Breite. Auch dort, wo Barths Impulse auf Skepsis oder auf unterschiedlich intensive Ablehnung stießen, nötigten sie dazu, die überkommenen theologischen Einsichten und die ihnen zugrunde liegenden methodischen und inhaltlichen Orientierungen kritisch zu sichten und erneut zu begründen. Indem Barth vor allem die liberale Theologie und den Kulturprotestantismus, die beide im 19. Jahrhundert bestimmend wurden, grundsätzlich in Frage stellte und zugleich sehr ambitionierte Anforderungen an eine den Bedingungen des 20. Jahrhunderts gerecht werdende Theologie stellte, war eine selbstverständliche Fortschreibung der herrschenden theologischen Konventionen nicht mehr möglich. Und so ist es vor allem seine Theologie gewesen, die den theologischen Kontroversen vor allem in der protestantischen Theologie direkt oder indirekt eine spezifische Prägung gegeben hat. Kein anderer theologischer Entwurf hat eine vergleichbar herausfordernde Beachtung gefunden. Auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts erweist sich Barths Theologie unter den sich rasant verändernden Umständen und Bedingungen in durchaus neuer Weise als ein keineswegs abgegoltener Entwurf mit teilweise überraschender Aktualität. Dabei hat ihre Wahrnehmung längst konfessionsübergreifenden Charakter gewonnen. Zunächst war es im 20. Jahrhundert die katholische Theologie, die ein bis in die Gegenwart anhaltendes Interesse an seiner Theologie zeigte. Heute kann festgestellt werden, dass sie sowohl in den dogmatischen als auch in den ethischen Auseinandersetzungen weltweit eine ökumenische Bedeutung erlangt hat, die nur sehr wenigen theologischen Entwürfen zuteilwird. Gewiss werden Barths Vorschläge sehr unterschiedlich wahrgenommen, aber es scheint sich eine Art Konsens über die von Barth angeregten theologischen Sensibilisierungen herauszubilden, der nicht zuletzt auf dem ökumenischen Potenzial seiner auf das Wort Gottes ausgerichteten biblisch orientierten Theologie basiert. Eine ganz andere Frage bleibt, ob die Anliegen Barths immer in angemessener Weise wahrgenommen wurden. Häufig wurden seine Zuspitzungen in der Rezeption verharmlosenden Entschärfungen, teilweise entstellenden Akzentverschiebungen oder sogar eigenwilligen Verdrehungen unterworfen, und zwar nicht nur von denen, die sie skeptisch und ablehnend bewerteten. Das wohlwollende Missverständnis hat dem abweisenden durchaus nichts voraus. Die Auseinandersetzung darüber hält

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Warum Karl Barth? Eine erste Annäherung und zwölf Blitzlichter

bis heute an. Bei theologischen Entwürfen eines solches Formats werden sie wohl auch so lange nicht an ein Ende kommen, solange ihnen noch eine orientierende Bedeutung zugetraut wird, durchaus vergleichbar mit der Diskussion so bedeutender Theologen wie Augustin, Thomas von Aquin, Martin Luther oder Johannes Calvin. Historisch betrachtet hat Barth in eine Zeit hineingesprochen, in der es viele Anzeichen für eine erreichte Grenze bzw. eine einzugestehende fundamentale Krise gegeben hat. Sie betraf das aufklärerische Pathos der Neuzeit und das auf das menschliche Subjekt konzentrierte moralische Selbstbewusstsein des 19. Jahrhunderts, ebenso wie die Theologie, die sich nicht zuletzt in apologetischer Absicht diesem Selbstbewusstsein angepasst hat. Barth war nicht der erste, der diese Grenze im Grunde bereits überschritten sah, sondern er konnte sich u. a. auf Friedrich Nietzsche, Sören Kierkegaard, Franz Overbeck oder Fjodor Dostojewski berufen. Die Repräsentanten der Kirchen standen allerdings vornehmlich den staatstragenden gesellschaftlichen Kreisen nahe. Sie ließen sich in Deutschland beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs beinahe restlos von der nationalistischen allgemeinen Kriegs­ begeisterung anstecken, was sich nicht nur in den Waffensegnungen einen demonstrativen Ausdruck verschaffte, sondern auch die Predigten dieser Zeit prägte.1 Barth stand einigermaßen allein da, als er den Ausbruch des Ersten Weltkriegs als das katastrophale Scheitern einer besinnungslos selbstbezogenen Politik und illusionären Kultur anprangerte. Vor allem aber sah er den vorgängigen Weg der Kirche und eben auch der Theologie an ein definitives Ende gekommen. Es war nicht weniger als Gott selbst, der ihnen in ihrem Betrieb verlorengegangen war, ohne dass es noch die Möglichkeit gab, ihn nun einfach wieder an seinen alten Platz zu stellen. Erst als die Erschütterungen und Abgründe im weiteren Verlauf des Krieges allseits sichtbar wurden, kam es angesichts des bis dahin beispiellosen Gemetzels auf den Schlachtfeldern und des katastrophalen Ausgangs des Krieges zu einer allgemeinen Wahrnehmung dieser Krise. Das bisher weithin geltende geschichtsphilosophische Credo – der idealistische Optimismus einer sich permanent selbst vervollkommnenden Selbstverwirklichung des Menschen – war zumindest zwischenzeitlich bis in seine Wurzeln erschüttert. Damit war nun auch in der Theologie ein Boden dafür bereitet, die bisherigen Symbiosen und Koalitionen in Frage zu stellen. Beinahe alle für verlässlich gehaltenen Orientierungen gerieten ins Wanken, und die prinzipiell skeptisch gestimmte Frage, was in dem, was wir Wirklichkeit nennen, überhaupt noch Verlässlichkeit beanspruchen kann, wurde verbreitet gestellt – in der Philosophie ebenso wie in der Theologie, aber auch in der Literatur, im Theater, in der Musik und der Kunst. Der Ausgang des Ersten Weltkrieges evozierte beinahe überall ein tief empfundenes Krisenbewusstsein, das – auch wenn es sich im Laufe der Jahre erstaunlich bald wieder weitgehend verflüchtigte – für das Verständnis des 20. Jahrhunderts insgesamt zumindest als Narbe bedeutsam bleibt. Unbeschadet von Barths besonderer Wahrnehmung dieser Krise bildete dieses epochale Krisenbewusstsein den allgemeinen Resonanzboden für seine theolo­ 1 Vgl. Pressel, Die Kriegspredigt 1914–1918; Missalla, „Gott mit uns“.

Warum Karl Barth? Eine erste Annäherung und zwölf Blitzlichter

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gischen Interventionen, sowohl für seine Diagnose und Zustandsbeschreibung der Katastrophe als auch für seine radikale theologische Deutung. Es war dieser Resonanzboden, der zunächst einen nicht unerheblichen Teil seines enormen Erfolgs ausmachte, und zugleich ist er auch einer der Gründe für die zahlreichen Missverständnisse und problematischen Aneignungen, denen seine Theologie von Anfang an ausgesetzt gewesen ist. Einerseits eignete diesem Resonanzboden eine ungewöhnliche Reichweite und andererseits war er von einer unbeschreiblichen Diffusität geprägt, die es zwar ermöglichte, dass er von recht unterschiedlichen Seiten aus betreten werden konnte, aber zugleich verhinderte, dass sich ein klares Profil der Krise identifizieren ließ. Barth hat später selbst diese Situation im Blick auf die verbreitete Wahrnehmung seiner Interventionen als durchaus ambivalent bewertet (vgl. Kap. V.2). Barths eigener Zugang war von vornherein ein entschlossen theologischer, auch wenn für ihn stets die historischen Umstände, unter denen sich etwas ereignete, von großem Interesse waren. Als Theologe empfand er es beim Ausbruch des Krieges als einen Skandal, in welcher Weise da Gott in das blindwütige Treiben hinein­ gezogen wurde, so als lasse er sich für jede Schandtat in Anspruch nehmen, um sich das jeweilige Ansinnen von ihm absegnen lassen. Es könne nicht sein, dass sich mit Gott alles rechtfertigen lasse. Wenn es sich bei Gott nicht nur um einen Spuk handeln soll, könne es dem Menschen nicht einfach freigestellt sein, wie von ihm zu reden ist und in welcher Weise er jeweils in dem konkreten Zeitgeschehen in den Blick genommen wird. Und so könne es der Theologie auch nicht freigestellt sein, von wo aus sie die Welt betrachtet und in welcher Weise die Beziehung Gottes zum Menschen angemessen zur Sprache gebracht wird. Wenn sie eine sinnvolle Unternehmung sein soll, muss es für die Theologie eine verbindliche Orientierung geben, an der sich ihre Gottesrede und dann eben auch ihre Wirklichkeitsbetrachtung messen lassen müssen. Es kann nicht einfach eine Frage ihres freien Ermessens sein, von wo aus sie sich in den Verlegenheiten, in die sich der Mensch durch die Krise versetzt sieht, eine Orientierung erhofft. Allein, es bleibt die Frage, wie sie sich darin vergewissern kann, dass sie in der richtigen Richtung nach Orientierung Ausschau hält? Es gehört zu dem besonderen Charakter seiner Intervention, dass Barth, wenn es um Gott geht, dem Menschen die Möglichkeit bestreitet, von sich aus auch nur in die richtige Richtung blicken zu können. Gott ist kein Gegenstand, auf den die menschliche Erkenntnis früher oder später durch eigene Anstrengungen geführt werden könnte. Und so ist die Theologie alles andere als eine selbstverständliche oder auch nur naheliegende Möglichkeit des Menschen. Wenn schon sonst gilt, dass alle Orientierungen, die sich der Mensch selbst zu geben vermag, unablässig auch wieder in Zweifel gezogen werden, wie viel mehr hat dies in der Theologie zu gelten, deren Gegenstand ihr noch viel weniger zur Verfügung steht als alle anderen Gegenstände menschlicher Erkenntnis! Es ist gerade nicht so, dass da, wo die menschliche Erkenntnis unweigerlich an ihre Grenze stößt, nun Gott in die Bresche springt. Ganz im Gegenteil kommt mit Gott eine per se weit grundsätzlichere

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Warum Karl Barth? Eine erste Annäherung und zwölf Blitzlichter

Infragestellung unserer Erkenntnis auf den Plan, die sich auch nicht durch die Theologie auffangen lässt. Die Krise, die Barth vor Augen hatte, bietet von sich aus keinen Ausgang an, den der Mensch nun einfach aufsuchen könnte (vgl. Kap. II.3). Barth hat aber der Theologie nicht nur ihre Zeit bestritten, sondern auch ihren Ort, denn sie könne längst nicht mehr beanspruchen, von allgemeinem Interesse zu sein. Und je mehr sie diesem faktisch annullierten Anschein dennoch hinterherzulaufen versuche, umso mehr werde sie auch den Rest an Interesse verspielen, der ihr noch von der Seite zukommt, die sich noch der christlichen Tradition verbunden weiß. Ihr Ort ist nicht einfach der Areopag (Apg 17), der allgemeine Marktplatz der Weltanschauungen, auf dem sie vor einer diffusen Öffentlichkeit einem unbekannten Gott ein Gesicht zu geben versucht, sondern sie hat ihren Ort zunächst und eben auch prägend in der Kirche, die sich mit ihrem Bekenntnis auf den in der christlichen Tradition vorausgesetzten Gott beruft. Der besondere Denkbedarf der Theologie entsteht darin, dass es in der Kirche nicht beliebig sein kann, in welcher Weise sie von Gott spricht. Es ist nicht das allgemeine Gegenwartsbewusstsein, an das sich Barth wendet, sondern er bescheidet sich auf den besonderen Horizont, für den erklärtermaßen die Rede von Gott nach christlichem Verständnis von vornherein eine existenzielle Dimension hat. Das ist die Kirche, und es gilt, vor allem die Kirche selbst daran zu erinnern. Diese Konzentration auf die Kirche und ihre Verkündigung zeigt an, dass es Barth nicht um einen allgemein zu führenden Diskurs etwa über die Sinnhaftigkeit der Gottesfrage oder gar um eine Bekämpfung des Atheismus geht. Nebenbei gesagt war ihm der Atheismus zeitlebens in vieler Hinsicht deutlich weniger suspekt als die vorfindliche Theologie und die Kirche mit ihrem überaus nachlässigen, weil im Grunde unernsten Umgang mit der Wirklichkeit Gottes. Stattdessen hat Barth die in der Gemeinde bzw. der Kirche immer wieder neu zu stellende Frage nach den Bedingungen und Konsequenzen einer angemessenen Rede von Gott aufgeworfen, die seiner lebendigen Selbsterschließung und nicht nur unseren Phantasien und Wünschen gerecht wird. Wir stoßen bei Barth immer wieder auf Hinweise auf die prinzipielle Verlegenheit, in der sich die Theologie befindet, wenn sie die von ihrem Begriff und von ihrer konkreten Situation ausgehende Aufgabe tatsächlich ernst nimmt. Barth bleibt sich zeitlebens bewusst, dass der Anspruch der Theologie weit über das hinausgeht, was mit unseren begrenzten Möglichkeiten geleistet werden kann. Diesem sachlich bedeutsamen Aspekt seiner Theologie werden wir in unterschiedlichen Zusammenhängen immer wieder begegnen. Er steht für den dynamischen und unabschließ­ baren Charakter ihres unablässigen Ringens um ihren in seiner Lebendigkeit niemals erfassbaren Gegenstand, der uns jeweils dazu nötigt, uns ganz neu auf den Anfang zurückwerfen zu lassen. Barth vergleicht die Theologie mit dem unzulänglich bleibenden Versuch, einen „Vogel im Fluge“ zu beschreiben.2 Es könnte nur eine Verkennung einer recht verstandenen Theologie sein, wenn sie den Anschein 2 Barth, Der Christ in der Gesellschaft, 565.

Die Gottesfrage

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erwecken würde, dass sie mit einem mehr oder weniger umfassenden Bündel wiederholbarer Lehren die Wirklichkeit Gottes erfassen könne. Im Rahmen dieser ersten allgemeinen Annäherung sollen zunächst zwölf markante Aspekte als Blitzlichter markiert werden, die später an verschiedenen Stellen in den folgenden Kapiteln wieder aufgegriffen und weiter vertieft werden. 1. Die Gottesfrage These

Gegenüber der gewohnheitsmäßigen selbstverständlichen Berufung auf Gott hebt Barth die Fremdheit und Andersartigkeit Gottes im Horizont des christlichen Bekenntnisses hervor. Gott erschließt sich allein aus seiner Besonderheit, durch das auch das Allgemeine in ein neues Licht gerät.

Es war die allseits ebenso selbstverständliche wie unspezifische Berufung auf Gott, die Barth angesichts des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs als eine sich verborgen haltende Infragestellung Gottes empfand. Er sah die Kirche ebenso wie die Theologie dazu herausgefordert, sich ganz neu und grundlegend mit der Irritation zu beschäftigen, die er unweigerlich damit verbunden sah, wenn der Mensch es wagt, von Gott zu sprechen. Barth empfand es als eine Ungeheuerlichkeit, auf welche Weise man sich es sich mit Gott gleichsam bequem gemacht hatte. Es war ein für die eigene Weltsicht domestizierter Gott, der von der Kirche und der Theologie, aber auch von einem Teil der gesellschaftlich einflussreichen Verantwortungsträger gerne da im Spiel gesehen wurde, wo sich jeweils die eigenen geschichtlichen Sympathien und Optionen fanden. Barth erhob den Vorwurf, dass die Inanspruchnahme Gottes zu einer beinahe voraussetzungslos zur Verfügung stehenden Berufungsinstanz verschlissen sei, mit der diesem oder jenem Geschehen – je nach Bedürfnislage – eine entsprechende Dignität bzw. religiöse Weihe verliehen werden konnte. Der längst vor allem auf sich selbst gegründete neuzeitliche Mensch hatte inzwischen beinahe alle Bereiche seiner Wirklichkeit vollständig in die eigene Regie genommen und Gott dabei die Rolle zugewiesen, die vom Menschen sich selbst zugemessene Dignität mit einer besonderen religiösen Weihe zu umgeben. Wo der neuzeitliche Mensch Gott nicht längst als überflüssiges und hinderliches Relikt abgeschüttelt hatte, diente er – pointiert formuliert – vor allem der religiösen Selbstergötzung des stets zur Selbstvergewisserung auf weitere Selbstbestätigung ausgerichteten Subjekts. Es waren die weithin zusammengeschmolzenen Reste des schwindenden menschlichen Selbstzweifels, denen als willfähriges Ermutigungsangebot ein nützlich partikularisierter Gott in möglichst greifbarer Nähe gehalten werden sollte. Gott war zu einer in Anspruch zu nehmenden Möglichkeit des sich auf seine Möglichkeiten verlassenden modernen Menschen geworden.

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Warum Karl Barth? Eine erste Annäherung und zwölf Blitzlichter

Wenn Barth beklagte, dass die Rede von Gott nichts anderes im Schilde führe, „als in etwas erhöhtem Ton vom Menschen [zu] reden“,3 so wollte er darauf aufmerksam machen, dass eine solche Rede von Gott ihren spezifischen Inhalt verloren habe, durch den sie allein zu einer sinnvollen Anstrengung werden könnte. Gott sei gleichsam zu einem allgemeinen Ausstattungsgegenstand unseres Wirklichkeitsverständnisses verkommen. Gewiss mag man sich wohl noch hier und da recht gern seiner bedienen, aber von ihm gibt es nicht wirklich etwas Besonderes zu erwarten oder zu befürchten, weil er konsequent der Agenda des Menschen nachgeordnet wird, mit der er seine Geschichte in die eigenen Hände genommen hat. Abgedrängt in den Sonderbereich der Religion ist er zu einem wehrlosen Spiegel menschlicher Selbstgerechtigkeit verharmlost worden, der sich beinahe für alles in Anspruch nehmen lässt, was gerade für das Gute, Wahre und Schöne gehalten wird. Gegenüber diesem weltanschaulich eingepassten Gott, der sich in allen Lebenslagen den eigenen Erwartungen gefügig hält, hebt nun Barth entschieden hervor, dass Gott „der ganz Andere“4 sei. Er will damit daran erinnern, dass Gott nicht einfach eine Allgemeinheit zukommt, die jederzeit und allseits zur Verfügung steht. Vielmehr ist er das schlechterdings Besondere, das sich weder aus den Bedingungen der Welt und unseren Erfahrungen ableiten lässt noch ihnen einfach zugeordnet werden kann. Im Blick auf Gott versagt die zu allgemeiner Geltung erhobene Erkenntnisregel, nach der jedes Besondere immer nur als eine Variante eines Allgemeinen erkannt werden kann. Soll ernsthaft von Gott die Rede sein, so müsse es um etwas Anderes gehen als um eine besondere Spezies aus einem angenommenen Genus des allgemein Göttlichen und den Vorstellungen, die wir uns davon machen. Wir wissen keineswegs schon von uns aus, was es heißen könnte, dass Gott in Erscheinung tritt und was von ihm dann zu erwarten wäre. Gott ist keine Variante einer uns bekannten allgemeinen Größe mit einem bestimmten Eigenschaftspotenzial. Vielmehr kann für Gott die allgemein geltende Erkenntnisregel grundsätzlich nur in ihrer Umdrehung gelten: Nur vom Besonderen aus lässt sich das Allgemeine erkennen, d. h. nur wenn und indem die unvergleichliche Besonderheit Gottes in Erscheinung tritt, wird es uns möglich, etwas über Gott zu sagen und – wie sich dann zeigen wird – nicht nur über Gott, sondern auch über den Menschen und unsere ganze Wirklichkeit, zu der Gott, wenn und wo er in Erscheinung tritt, immer schon in einer ganz bestimmten Beziehung steht. Gott lässt sich nicht unseren Erkenntnisregeln unterwerfen so wie es nicht an uns ist, ihm den ihm zukommenden Platz zuzuweisen, sondern rechte Gotteserkenntnis kann nur aus der von ihm selbst eröffneten Beziehung zu uns kommen, in der uns dann auch unser eigener Platz erschlossen wird, über den ja ebenfalls keine selbstverständliche Klarheit zur Verfügung steht. Es ist diese Wiederentdeckung 3 Barth, Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie [1922], 158. 4 Diese Formulierung ist charakteristisch für Barth, Römerbrief (Zweite Fassung), 47, 59, 66, 76, 223, 435, 498, 522.

Die Wiederentdeckung der Bibel

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der Fremdheit, der Andersartigkeit und zugleich der sich selbst vergegenwärtigenden Gegenständlichkeit Gottes, die Barth den allseitigen und selbstverständlichen Berufungen auf Gott entgegenhält. Wie bereits angedeutet, wendet sich Barth nicht an die Gottesleugner, nicht an diejenigen, die sich nicht mehr auf Gott berufen oder diesen gar mehr oder weniger offensiv bestreiten, um nun ihnen gegenüber Gott oder die Religion zu verteidigen, wie es Friedrich Schleiermacher in seinen berühmten Reden „Über die Religion“ im Blick auf „die Gebildeten unter ihren Verächtern“ getan hat. Er sieht sich vielmehr in erster Linie von dem desaströsen Zustand des Gottesverständnisses bei denjenigen provoziert, die sich ausdrücklich auf Gott berufen und vorgeben, als seine Protagonisten aufzutreten. Er wendet sich an diejenigen, die das Christentum für sich in Anspruch nehmen und sich auf den Gott der christlichen Tradition berufen. Ihnen wirft Barth vor, dass zum Schaden der Kirche und damit auch zugleich der ganzen Gesellschaft nicht mehr deutlich ist, was das Bestimmte und somit Orientierende dieses Gottes ist. Barth hält der Kirche und der Theologie entgegen, dass es sich verbiete, Gott in unsere jeweilige Weltanschauung einzubauen, weil es in seiner Konsequenz nur als absurd bezeichnet werden könne, wenn sich Gott je nach Lage unserem Ermessen unterwerfen ließe. Vielmehr stehe umgekehrt mit der Gottesfrage immer auch unsere ganze Weltanschauung zur Debatte. Mit der angemessenen Wahrnehmung der Gottesfrage steht zugleich die Kirche als Kirche auf dem Spiel. Barth mahnte zu einer grundlegenden Umkehr, ohne welche die Kirche ihrer spezifischen Freiheit verlustig gehe und somit ihre geschichtliche Legitimation verlöre. Es bleibt es eine durchaus anspruchsvolle und ambitionierte Angelegenheit, wenn der Mensch es wagt, im Blick auf sich und die von ihm erschließbare Wirklichkeit von Gott zu reden.

  Weitere Entfaltung und Vertiefung dieses Aspektes in Kap. II.3; IV.1; V.2. 2. Die Wiederentdeckung der Bibel These

Die grundlegende Orientierung für die Erkenntnis Gottes und seiner Geschichte mit dem Menschen findet die christliche Gemeinde im biblischen Zeugnis, das in dieser Funktion durch nichts anderes ersetzt werden kann.

Wenn Barth das gewohnheitsmäßige Christentum so energisch an die besondere Andersartigkeit Gottes erinnert, beruft er sich auf die Bibel und die charakteristische Art und Weise, in der in ihr von Gott und seinem Handeln die Rede ist. In den biblischen Texten finde sich das grundlegende Gotteszeugnis, an dem sich unser Gotteszeugnis von heute immer wieder neu auszurichten habe. Ohne Orientierung

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Warum Karl Barth? Eine erste Annäherung und zwölf Blitzlichter

an der biblischen Perspektive der Gotteserkenntnis bleibt alle Gottesrede im Horizont des christlichen Glaubens willkürlich und unbegründet. Wenn Barth von der „neuen Welt in der Bibel“ spricht, geht er davon aus, dass sie in der Substanz „eben gar nicht die rechten Menschengedanken über Gott, sondern die rechten Gottesgedanken über den Menschen“ mitteilt.5 Damit wird nicht in Abrede gestellt, dass wir in der Bibel durchgängig auf menschliche Gedanken treffen. Aber es kommt entscheidend darauf an, woraufhin wir dieses menschliche Gotteszeugnis lesen. Solange wir es so lesen, dass wir uns möglichst selbst darin wiedererkennen wollen, werden wir dort auch vor allem uns selbst begegnen. Wird die Bibel als ein Buch zur Orientierung einer moralischen Lebensführung gelesen, so wird sie uns hier eine Auskunft geben. Je nachdem, welche Fragen wir an sie richten, wird sie uns mit mehr oder weniger überzeugenden Antworten beschäftigen. Aber solange wir lediglich versuchen, unsere Lebensfragen in den Lebensorientierungen der antiken Verfasser der Bibel zu spiegeln, um uns dann diese oder jene Pointe bestätigen zu lassen, sind wir noch nicht auf das Besondere des biblischen Zeugnisses gestoßen. Solange wir uns allein an unseren eigenen Fragen orientieren, bleiben wir grundsätzlich in unserem eigenen menschlichen Möglichkeitshorizont und gingen damit an dem eigentlichen Anliegen des biblischen Zeugnisses und seinen Fragen an uns vorbei. Barth hebt hervor, dass von den Verfassern der Bibel neben all dem Alten, was uns im Grunde immer schon irgendwie bekannt ist, vor allem eine neue Welt in den Blick gerückt wird, die nicht von unseren Möglichkeiten beherrscht wird, sondern in der sich die von uns aus unzugängliche Wirklichkeit Gottes in ihrer Beziehung zu unserer menschlichen Wirklichkeit zeigt. Es ist diese von unseren Möglichkeiten nicht erreichbare neue Welt, die im biblischen Zeugnis in unsere alte Welt hineinragt und um derer willen es als unvergleichliche Orientierungsquelle ernst zu nehmen bleibt. Nur wenn wir die Bibel mit der Erwartung lesen, in ihr mehr finden zu können, als wir uns selbst zu sagen vermögen, werden wir der Intention ihrer Verfasser gerecht, denn sie wollen uns auf diese neue Welt Gottes aufmerksam und auch neugierig machen. Barth spricht vom ‚Ton vom Ostermorgen‘6, wie er im Grunde durch das ganze biblische Zeugnis hindurch zu vernehmen sei. Es spricht von dem Gott, der Christus vom Tode auferweckt hat und uns in den Verheißungshorizont dieser Auferstehung stellt. Es ist dieser Ton vom Ostermorgen, der wie nichts anderes für die neue Welt Gottes steht, die in unserer alten Welt längst wirksam ist und sich weiter Raum verschaffen will. Barth appelliert an den notwendigen Mut, diesen der alten Welt gegenüber grundlegend neuen Ton nicht in dem von uns veranstalteten Betrieb besinnungs- und heillos zu überhören. Die Kirchen erweisen sich darin als Repräsentanten der alten Welt, dass auch sie sich immer wieder daran beteiligt haben, diesen in die Welt drängenden unver5 Barth, Die neue Welt in der Bibel [1917], 335. 6 Vgl. ebd., 322.

Die Bibel verstehen

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gleichlichen „Ton“ Gottes durch die Betriebsamkeit ihrer Frömmigkeitspraxis und ihre Gesinnungsappelle zu übertönen. In unseren anhaltenden Selbstrechtfertigungen übersehen wird Gottes Engagement für die Menschen. Die besondere Gerechtigkeit Gottes wird durch unsere menschlichen Gerechtigkeitsoptionen und ihre kategorialen Fixierungen gleichsam aus unserer Welt herausgehalten, weil wir nicht den Mut aufbringen, ihr eine wirkliche Bedeutung zuzumessen. Die Bibel haben wir mehr und mehr den Wahrnehmungsprämissen der verschiedenen menschlichen Gerechtigkeiten unterworfen, so dass die in ihr bezeugte andere Gerechtigkeit Gottes, wie sie im Ton vom Ostermorgen zum Klingen kommt, unbeachtet übergangen wird. Soll Gott nicht nur der religiöse Spiegel menschlicher Selbstgerechtigkeiten sein, so gilt es, der Bibel mit dem Vertrauen zu begegnen, von ihr auf die Blickrichtung gewiesen zu werden, in der sich die Wirklichkeit Gottes in unserer Wirklichkeit erkennbar machen will.

%  Weitere Entfaltung und Vertiefung dieses Aspektes in Kap. III.3. 3. Die Bibel verstehen These

Die Methoden zur Erschließung des rechten Verständnisses der Bibel dürfen diese nicht von außen an sie herangetragenen Vorstellungen oder Erwartungen unterwerfen, sondern sollen offen für ihre Selbstbezeugung sein.

Barths neue Konzentration auf die Bibel ist überaus voraussetzungsvoll und keineswegs als ein mehr oder weniger naiver Biblizismus zu verstehen. Das bedeutet aber nicht, dass Barth nun eine ganz spezifische Bibelhermeneutik vorträgt, mit der er einen Weg gebahnt sieht, auf dem diese erwähnte „neue Welt in der Bibel“ zuverlässig in Erscheinung treten kann. In dieser Hinsicht hält sich bei Barth ein durchaus fundamentaler Methodenskeptizismus durch. Ohne seinerseits einen Königsweg der Exegese zu propagieren, versucht er einerseits, in kritischer Auseinandersetzung mit der Praxis, in der er die zeitgenössische Theologie Exegese treiben sah, deren als kritisch stilisierte Übergriffigkeit und die daraus resultierenden Desiderate zu annoncieren, und andererseits – soweit es irgend geht –, der unterstellten inhaltlichen Solidität des Textes im Horizont des Gesamtzeugnisses der Bibel auf die Spur zu kommen. Barth distanziert sich von Umgangsweisen mit den biblischen Texten, die sie den Verstehenskategorien des modernen historischen Bewusstseins unterwerfen. Hier werde bereits durch die Methode den biblischen Texten konsequent die essenzielle Chance abgeschnitten, etwas zur Sprache zu bringen, was wir uns nicht auch selber

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Warum Karl Barth? Eine erste Annäherung und zwölf Blitzlichter

sagen könnten. Wenn grundsätzlich nur dasjenige gelten kann, wozu es aus gegenwärtigen Erfahrungen auch Entsprechungen gibt, so dass wir uns erlauben, es für historisch wahrscheinlich zu halten, wird von vornherein allem Einmaligen und Besonderen die gerade hier angesprochene besondere Aufmerksamkeit entzogen. Eine solche Lektüre der Bibel wird nicht von wirklicher Neugierde, sondern mehr von dem Interesse an Harmonie und Bestätigung bewegt. Sie gibt sich bereits damit zufrieden, dass aus dem Wald herauskommt, was man in ihn hineinruft. Ohne die erwartungsvolle Offenheit, im biblischen Zeugnis tatsächlich über unsere eigenen Möglichkeiten hinaus geführt zu werden, bleiben die Auslegungen im Horizont der eigenen Voraussetzungen gefangen und konsolidieren auf diese Weise den Ausleger gegenüber dem Text. Von Anfang an hat Barth die Alternative von historisch-kritischer Exegese und theologischer Exegese nicht gelten lassen. Es kann nicht infrage gestellt werden, dass wir natürlich die Texte historisch-kritisch zu lesen haben, aber es kommt entscheidend darauf an, was damit gemeint ist. Auch bleibt entschieden einzuräumen, dass es sich bei der Bibel um ein mit allen Mängeln des Menschlichen behaftetes Zeugnis handelt. Es ist durchaus mit Ungenauigkeiten, Irrtümern und tendenziellen Zuspitzungen zu rechnen. Aber die Orientierung am biblischen Zeugnis verlöre jede substanzielle Bedeutung, wollte man annehmen, dass ihr Zeugnis von Gottes Handeln am Menschen so sehr von diesen Mängeln verdeckt sei, dass es nun darauf angewiesen ist, von uns erst hinter den biblischen Texten ausgegraben und zum Leuchten gebracht zu werden. Die entscheidende Frage lautet: Ist die historische Kritik der Anwalt des Lesers gegenüber dem Text oder der Anwalt des Textes gegenüber dem Leser. In dieser Alternative kann es nach Barth nur so sein, dass dem Text ein Anwalt zugesprochen werden muss, weil der Leser durchaus sein eigner Anwalt ist. Barth macht darauf aufmerksam, dass ein Text noch nicht verstanden ist, wenn möglichst differenziert die Bedingungen ergründet werden, auf welche Weise er zustande gekommen ist. Es müsse vielmehr ebenso intensiv versucht werden, möglichst klar zu benennen, was er mitteilen will. Die Exegese kommt erst dann an ihr Ziel, wenn es ihr gelingt, mit eigenen Worten das zu sagen, was der jeweilige Autor uns mit seinem Zeugnis eröffnen wollte. Dabei bleibt zu beachten, dass es nicht um den Besuch einer alten Pyramide geht, bei dem das aufzuspürende Neue prinzipiell immer nur eine längst versunkende Herrlichkeit der Vergangenheit sein kann. So sehr uns das biblische Zeugnis zweifellos in antiker Gestalt übermittelt ist, so sehr weist es zugleich über die spezifischen Bedingungen seiner Zeit hinaus. Indem es auf die Bezeugung der lebendigen Wirklichkeit des Handelns Gottes ausgerichtet ist, zielt es auf das unvergleichlich Besondere der Lebendigkeit Gottes, das auch heute nur dann angemessen wahrgenommen werden kommen kann, wenn wir uns vom biblischen Zeugnis orientieren lassen. Biblische Hermeneutik im Sinne von Barth ist schlicht und folgenreich die Anstrengung, bei der Auslegung der biblischen Texte möglichst genau in die Blickrichtung des jeweiligen Textes zu sehen in der Erwartung, von dort aus mög-

Der Vorrang der Offenbarung

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lichst genau das zu hören zu bekommen, was die Verfasser zur Abfassung ihres Zeugnisses motiviert hat.

%  Weitere Entfaltung und Vertiefung dieses Aspektes im Exkurs in Kap. III.3. 4. Der Vorrang der Offenbarung These

Gott kann nur dann angemessen zum Gegenstand der Erkenntnis werden, wenn er selbst zum Subjekt seiner Erkenntnis wird und unserer diesseitsverschlossenen Erkenntnis gleichsam auf die Sprünge hilft. In diesem Sinne steht die Offenbarung für die fundamentale Verwiesenheit des Menschen auf die Selbstvergegenwärtigung Gottes.

Der skizzierte Umgang mit dem biblischen Zeugnis bringt eine eigene Erkenntnistheorie mit sich, auf die Barth die Theologie verwiesen sieht, wenn sie sich aufmacht, nicht nur von sich, sondern tatsächlich auch von Gott zu reden. Gott kann kein von der Theologie aufzusuchender Gegenstand sein. Es kann nur anders herum funktionieren: Nur da ist sinnvoll von Gott zu reden, wo man sich selbst von Gott aufgesucht weiß. Der Erkenntnisaktivität des Menschen muss grundsätzlich eine Aktivität Gottes vorausgehen, wenn anders es nichts zu erkennen gibt. Die von der Bibel bezeugte Offenbarung ist nicht nur der Gegenstand der Erkenntnis, sondern eben auch ihr Subjekt. Das ist die grundlegende Voraussetzung und zugleich die entscheidende Verlegenheit jeder theologischen Unternehmung: Gott kann nur da erkannt werden, wo er sich selbst zu erkennen gibt. Rechte Erkenntnis des Offenbarungszeugnisses kann selbst nur ein Resultat von Offenbarung sein. Der Wirklichkeitserweis des Offenbarten kann allein durch die geoffenbarte Wirklichkeit selbst erfolgen und nicht durch die Instrumentarien der uns zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten. Die damit angedeutete innere Differenzierung des Offenbarungsverständnisses wird von Barth trinitarisch konkretisiert. Gott ist das Subjekt der Offenbarung (der Vater), er ist das Objekt der Offenbarung (der Sohn) und er ist das Prädikat der Offenbarung, ihr Vollzug (der Heilige Geist) – er ist „in unzerstörter Einheit, aber auch in unzerstörter Verschiedenheit der Offenbarer, die Offenbarung und das Offenbarsein.“7 Hinsichtlich ihrer Gegenständlichkeit verweist die Offenbarung auf Jesus Christus als das Mensch gewordene Wort Gottes. Er ist der Schlüssel zu dem, was die Geschichte Gottes mit dem Menschen ausmacht und vom Menschen nun

7 Barth, Die Kirchliche Dogmatik [KD], Bd. I/1, 311 (Im Folgenden erscheinen die Belege aus der KD mit Band- und Seitenangabe im Text).

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Warum Karl Barth? Eine erste Annäherung und zwölf Blitzlichter

zu erkennen ist. Hier hat die für Barth charakteristische christologische Konzentration seiner Theologie ihren entscheidenden Grund. Es reicht allerdings nicht aus darauf zu verweisen, dass sich Gott hier und da in der Vergangenheit offenbart habe, zumal sich die Erkenntnis, dass er sich hier und da offenbart habe, nicht an den in Anspruch genommenen Ereignissen evident machen lässt und somit auch nicht argumentativ demonstriert werden kann. Die Evidenz kann sich vielmehr nur durch die im biblischen Zeugnis angesprochene Wirklichkeit Gottes selbst erschließen. Mit der Betonung dieser konsequenten Verwiesenheit auf die freie Selbsterschließung Gottes erinnert Barth an die altkirchliche Einsicht: Gott wird nur durch Gott erkannt (Hilarius von Poitiers). Das sich in seinem Erkenntnisvermögen selbst spiegelnde und unablässig bestätigende neuzeitliche Subjekt wird in der Theologie mit seiner prinzipiellen Grenze konfrontiert. Der mit Hilfe des Denkens vollzogenen Selbstermächtigung des Menschen („Cogito ergo sum“ [„Ich denke, also bin ich“] – Descartes) tritt eine sich selbst behauptende Wirklichkeit entgegen, der gegenüber sich das Denken nur seine Unzulänglichkeit und Zufälligkeit eingestehen kann. Es wird sich hier herausstellen, dass all die für das Denken bemühte Kraft der Kritik vor allem in die Richtung auf die so wichtige Selbstkritik gründlich zu kurz greift. Wenn es um Gott geht, ist es nicht das menschliche Erkenntnisvermögen, das sich spekulativ einen Weg in die Transzendenz hinein verschafft, sondern es findet sich mit der Evidenz eines Wirklichkeitshorizontes konfrontiert, durch den die menschliche Erkenntnis in grundsätzlich andersartige Orientierungsbedingungen versetzt wird. Indem durch die Selbstmitteilung Gottes die Wirklichkeit in ein neues Licht gestellt wird, geraten in gewisser Weise alle Erkenntnisse des Menschen in eine neue Perspektive, durch welche Licht und Schatten gegenüber der bisherigen Perspektive eine ganz neue und durchaus überraschende Verteilung erhalten. Die Passivität dieser Erkenntnis wird insbesondere darin deutlich, dass hier der Mensch nicht auswählt und auslegt, sondern sich ausgewählt und ausgelegt entdeckt und findet. Der neuzeitlichen Mentalität, nach welcher es der Mensch ist, der durch seinen Zweifel und sein Denken seinen Wahrnehmungen das zu entlocken versteht, was ihm dann als Wirklichkeit gilt, wird der Wirklichkeitsanspruch Gottes entgegengestellt. Dadurch wird der Mensch in einen Horizont versetzt, der ihn einerseits von den Zermürbungen der unablässigen Wirklichkeitskonstitution entlastet und ihn andererseits in eine Lebensperspektive versetzt, die ihn aus seiner Selbstgefangenschaft befreit und zu einem der lebendigen Zugewandtheit Gottes entsprechenden gemeinschaftlichen Leben ermutigt. Das, was für die Reformation die Rechtfertigungslehre war, an der sich alles Weitere für die Theologie entscheidet, ist im 20. Jahrhundert für Barth die Frage nach der angemessenen Erkenntnis der Offenbarung, die er – wie es die Reformation mit der Rechtfertigung des Menschen getan hat – ganz auf die Seite Gottes rückt. Damit erteilt Barth der neuzeitlichen Apologetik der Theologie eine Absage und stellt die Theologie zunächst und betont in den Verantwortungshorizont der Kirche zur kritischen Rechenschaft über das von ihr zu erwartende Zeugnis in Wort und

Das Problem der „natürlichen Theologie“

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Tat. Mit dieser konsequenten Selbsternüchterung der Theologie und der offensiven Wahrnehmung ihrer tatsächlichen Partikularität ist Barth bis heute der Zeit immer noch voraus. Es geht ja nicht um einen Selbstrückzug der Theologie aus der akademischen Debatte, wohl aber um eine nüchterne und sachgemäße Präzisierung der Reichweite des von ihr einzubringenden Blickwinkels und der von ihr zu erwartenden Argumentationsebene. Weitere Entfaltung und Vertiefung dieses Aspektes in Kap. IV.1. % 

5. Das Problem der „natürlichen Theologie“ These

Indem Gotteserkenntnis keine dem Menschen zur Verfügung stehende Möglichkeit ist, verbietet sich die Berufung auf geschichtliche oder psychologische Erfahrungen als einer Brücke zur Gottesfrage und somit auch als ein Entdeckungshorizont für fundamentaltheologische Orientierungen. Barths Abweisung der „natürlichen Theologie“ versucht diesem Umstand konsequent gerecht zu werden.

Indem Barth die Verwiesenheit der Theologie auf die allein in der Hand Gottes liegende Offenbarung hervorhebt, zieht er die aus seiner Sicht notwendige erkenntnistheoretische Konsequenz aus der reformatorischen Erkenntnis der Alleinwirksamkeit Gottes im Rechtfertigungsgeschehen. Was die Reformatoren für die Soteriologie exponiert haben, wird unter den veränderten Bedingungen der Neuzeit nun zu einer Voraussetzung der Möglichkeit von Theologie überhaupt. Das hat zur Folge, dass Barth sich konsequenter als die Reformatoren gegen alle Formen einer „natürlichen Theologie“ wendet. Was ist damit gemeint? Mit „natürlicher Theologie“ wird eine Theologie bezeichnet, die ihren Ausgang und ihre Perspektive in dem Bereich unmittelbar zugänglicher menschlicher Erfahrungen sucht. Indem es in der Neuzeit insbesondere die Geschichte ist, durch deren Gestaltung der Mensch sich selbst sein Selbstbewusstsein als tätiges Subjekt bestätigt – er ist es, der Geschichte schreibt –, steht die natürliche Theologie vorrangig für die geschichtsphilosophischen Horizonte, die der Theologie vonseiten der menschlichen Selbsteinschätzung gleichsam als ihr „natürlicher“ Entfaltungsraum vorgegeben werden. In weitesten Sinne kann gesagt werden: Natürliche Theologie ist nach Barth die Theologisierung eines bereits gegebenen und als solches auch anerkannten Selbst- und Wirklichkeitsbewusstseins, das unabhängig von den Orientierungen der Offenbarung zustande gekommen ist. Barth kritisiert die Inanspruchnahme des jeweiligen Selbstverständnisses des Menschen als fundamentalen Anknüpfungspunkt für die aus der Offenbarung zu gewinnenden Einsichten. Die theologische Würdigung und damit Überbewertung des Vorverständ-

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Warum Karl Barth? Eine erste Annäherung und zwölf Blitzlichter

nisses kanalisiert und selektiert die Verstehensweise der Offenbarung, so dass im Resultat wiederum nur eine vom Vorverständnis geprägte Variante herauskommen kann. Wohlgemerkt bestreitet Barth weder die Gegebenheit eines Vorverständnisses noch seine prägende Kraft, von der wir uns nicht einfach abwenden können, aber er wehrt sich gegen seine theologische Anerkennung als Referenzrahmen für die von der Theologie zu bedenkenden Orientierungshorizonte und Fragestellungen. Barth weist damit grundsätzlich die Inanspruchnahme der Möglichkeit ab, dass die Beziehung zu Gott zu einem Moment der menschlichen Selbstbestimmung werden kann. Er spricht von einer christlichen Adaption der durch die Erkenntnis vollzogenen Weltbemächtigung im Gefolge von Descartes, d. h. von einem „christlichen Cartesianismus“ (KD I/1, 224), wenn der Glaube zu einer Möglichkeit des Menschen wird, die seiner Entscheidungsfähigkeit so oder so anheimgestellt wird. Pointiert könnte man sagen, dass im Horizont der natürlichen Theologie die Theologie als eine dem Menschen mögliche Möglichkeit ausgegeben wird. Sie ist sich dabei nicht der Unmöglichkeit bewusst, in der ihr allein die Chance erwächst, ihrem lebendigen Gegenstand tatsächlich zu begegnen (vgl. Kap. I.6). Immer wieder unterliegt der Mensch der Versuchung der „Domestizierung der Offenbarung“ (KD II/1, 155), in der die Wirklichkeit Gottes zwar nicht abgewiesen, aber eben in den eigenen Betrieb genommen wird, was dann unterm Strich aber als eine besonders subtile und respektlose Form der Abweisung zu bewerten ist. Tatsächlich geht es um nicht weniger als um die Sicherung des Vorrangs des Menschen gegenüber Gott. Die Domestizierung Gottes für die eigene Weltwahrnehmung sichert der natürlichen Theologie ihren Boden, dem seit dem 18. Jahrhundert ein fundamen­tal­theo­logischer Rang zugemessen worden ist. Die Karriere der natürlichen Theologie ist für Barth schlicht die Kehrseite davon, dass dem Selbstbewusstsein des neuzeitlichen Menschen das Faktum der Sünde so grundsätzlich suspekt geworden ist. Gewiss bleibt einzuräumen, dass die natürliche Theologie tatsächlich so unvermeidlich wie die Sünde ist, aber sie ist eben auch ebenso wenig zu wollen oder gar zu fordern wie diese. Dazu muss sie aber zunächst als ein Problem erkannt und vergegenwärtigt werden. Es wäre eine Illusion zu meinen, dass sich die natürliche Theologie eliminieren ließe, aber die Theologie sollte sich über die von ihr ausgehenden Gefährdungen und Versuchungen stets bewusst sein, um ihr nicht selbst noch ausdrücklich einen Weg zu bahnen. Die Theologie wird nicht auf der Seite Gottes, sondern von ebenso fehlbaren wie auch der Sünde unterworfenen Menschen betrieben und hat deshalb keinen Anlass, mit irgendwelchen exponierten Ansprüchen aufzutreten. Sie wird von Barth immer wieder an die Demut erinnert, in der sie allein eine verheißungsvolle Anstrengung werden kann. Weil sie sich nicht selbst rechtfertigen kann, bleibt sie ebenso wie der einzelne Mensch, seine Religion oder auch die Kirche auf die göttliche Recht­ fertigung angewiesen. Immer wieder verweist Barth auf die offenkundig kaum akzeptabel zu vermittelnde Verlegenheit der Kirche, dass sie allen an sie gestellten Erwartungen entgegen weder über die Wahrheit verfügt noch die ‚Welt‘ mit irgendwelchen von ihr zu verwaltenden, vermeintlich immerwährenden Werten zu beleh-

Dialektische Theologie

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ren vermag. Sie kann nur schlicht auf Gott und seinen sich auch heute bestätigenden Selbsterweis hinweisen.

%  Weitere Entfaltung und Vertiefung dieses Aspektes in Kap. III.2 6. Dialektische Theologie These

Indem die Theologie als menschliche Anstrengung ein prinzipiell vorbehaltliches Unterfangen bleibt, kann sie ihrem Wesen nach nur eine dialektische Theologie sein. Bei aller Entschlossenheit zu klaren und verlässlichen Einsichten gehört auch eine eigens zu pflegende Umsicht zur Wahrnehmung ihrer Aufgabe, sich immer wieder auch selbst ins Wort zu fallen, ebenso wie die fundamentale Offenheit, sich immer wieder von neuen biblisch begründeten Einsichten infrage stellen zu lassen.

Im Horizont der von Barth zeitlebens hervorgehobenen prinzipiellen Vorbehaltlichkeit der Theologie liegt auch der Grund für den dialektischen Charakter des theologischen Denkens und Argumentie­rens, wie es sich bei Barth durchgängig finden lässt. Auch wenn die Bezeichnung „dialektische Theologie“ insbesondere den Herausgebern der Zeitschrift „Zwischen den Zeiten“ und ihren Sympathisanten bereits im Herbst 1922 „von irgendeinem Zuschauer angehängt worden“ war8, so hat Barth doch das spezifische Wahrheitsmoment dieser Bezeichnung ausdrücklich gewürdigt.9 Als solche trifft der Begriff „dialektische Theologie“ zunächst einerseits eine vor allem von Barth angestoßene theologische Richtung und andererseits eine für Barths eigenes Denken begrenzte Entwicklungsphase seiner Theologie in den 1920er Jahren. Heute wird darüber hinaus zudem davon ausgegangen, dass Barth auch später in modifizierter Weise eine grundlegende dialektische Dimension in seiner Theologie bewahrt hat. Damit bleibt anerkannt, dass sich durchaus deutliche Änderungen in der Perspektive und auch im Blick auf den Begründungshorizont seiner Theologie im Laufe der Zeit ausmachen lassen, und zugleich wird unterstrichen, dass Barths Theologie bis in ihre späte Gestalt eine Theologie geblieben ist, die um ihren prinzipiell vorläufigen und vorbehaltlichen Charakter wusste. So kann bestenfalls zwischen zwei Phasen im Umgang mit der Dialektik der Theologie unterschieden werden, aber genau genommen nicht zwischen einer dialektischen und einer an

8 Barth, Abschied, 497. 9 Vgl. dazu seine Ausführungen über den dialektischen Weg in: Barth, Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie, 166–172.

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Warum Karl Barth? Eine erste Annäherung und zwölf Blitzlichter

der Analogie orientierten Phase.10 Ausdrücklich heißt es: „‚Analogie‘ bedeutet im Unterschied zu Gleichheit und Ungleichheit: Ähnlichkeit d. h. teilweise und darum die Gleichheit und Ungleichheit begrenzende Entsprechung und Übereinstimmung zwischen zwei oder mehreren verschiedenen Größen.“ (KD II/1, 254) Der Begriff der Analogie im Sinne Barths wäre also zutiefst missverstanden, wenn nicht auch das in ihm liegende dialektische Moment essentiell gewürdigt wird, weil bei aller erreichbaren Entsprechung niemals die auch bleibende Differenz aus dem Blickfeld verschwinden darf. Entgegen aller Entschiedenheit, die seine Theologie gewiss ausstrahlen mag, ist Barth ein Theologe geblieben, der sich auch immer wieder selbst ins Wort fallen konnte. Barth wusste um die mit der Theologie auf der einen Seite unausweichlich verbundene Überforderung, die mit dem auf der anderen Seite nicht zu vermeidenden Anspruch verbunden bleibt, in der Theologie die Angemessenheit unseres menschlichen Redens von Gott am Maßstab des biblischen Zeugnisses einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Zwar wird Gott auch im biblischen Zeugnis nicht greifbar, aber es steht unter der Verheißung, ihn doch immerhin so distinkt erkennbar machen zu können, dass dem Orientierungsbedürfnis des Glaubens ausreichend Genüge getan werden kann. Für Barth steht die Anerkennung der Selbstmitteilung Gottes im Zentrum. Sie erschließt sich in seinem in Jesus Christus Mensch gewordenen Wort, d. h. in seinem sich im Christusgeschehen vollziehenden Handeln. Sie ermöglicht es dem Menschen, in bestimmter Weise von Gott zu reden. Auch wenn diese Ermöglichung über sein Fassungsvermögen und somit auch über seine Sprach- und Verstehensmöglichkeiten hinausgeht, wie sich besonders an dem entscheidenden Schlüssel des Geschehens, nämlich der Auferweckung Jesu zeigt, ist damit eine unerschöpfliche Ermöglichung menschlicher Gottesrede gegeben. Es ist also nach Barth die Offenbarung selbst, die aus der Unmöglichkeit menschlicher Gottesrede eine mögliche macht, ohne dass sie irgendwann zu einem Gegenstand seiner Möglichkeiten werden könnte. In diesem Gefälle wird die Theologie zu einer von Gott ermöglichten Möglichkeit, die als solche immer wieder auf die Ermöglichung durch Gott angewiesen bleibt. Wenn Gott keine Möglichkeit des Menschen ist, kann es nur Gott selbst sein, der ein Reden über ihn ermöglichen und diesem Reden dann auch die nötige Erschließungskraft verleihen kann. Von den Möglichkeiten des Menschen aus gesehen bleibt dies eine Unmöglichkeit. Indem aber dem Menschen genau das ermöglicht wird, was ihm von sich aus unmöglich bleibt, soll hier im Blick auf Barths Verständnis der Theologie als von einer möglichen Unmöglichkeit gesprochen werden. Wenn Barth in seiner Dogmatik dann von der Sünde als einer unmöglichen Möglichkeit sprechen wird, kommt exakt die eigenwillige Nichtentsprechung zu der von Gott eröffneten Möglichkeit zur Sprache (vgl. Kap. IV.5.4). Es kommt entscheidend darauf an, das dialektische Moment der Theologie zu bewahren. Ihre Ermöglichung bleibt auf Gott verwiesen, um dann aber tatsächlich 10 Diese nur teilweise berechtigte Unterscheidung wurde einführt von v. Balthasar, Karl Barth, 93 ff.

Der Horizont des einen Bundes

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zu einer allerdings nicht auf Dauer zu stellenden menschlichen Möglichkeit zu werden. Und zugleich stößt sie als diese dem Menschen ermöglichte Möglichkeit stets auch an die Grenzen seiner Möglichkeiten und erinnert ihn damit daran, dass sie als ermöglichte Möglichkeit niemals zu einer seiner Möglichkeiten werden kann und insofern eine Unmöglichkeit bleibt – Theologie ist eine mögliche Unmöglichkeit und muss deshalb grundsätzlich eine vorbehaltliche und vorläufige und in diesem Sinne dialektische Theologie bleiben.

%  Weitere Entfaltung und Vertiefung dieses Aspektes in Kap. III. 7. Der Horizont des einen Bundes These

Die von der Theologie zu bedenkende Geschichte Gottes mit dem Menschen wird durch den Bund Gottes mit Israel und seiner menschheitlichen Erfüllung in Christus orientiert. Er ist verankert in der ewigen Gnadenwahl Gottes, in der sich Gott in seiner Freiheit dazu bestimmt, des Menschen Gott zu sein. Als solcher ist der Bund bereits Gegenstand der Gotteslehre und damit zugleich ein fundamentales Element im Bedenken ihrer materialtheologischen Distinktionen in Schöpfungs-, Versöhnungs- und Erlösungslehre.

Die gesamte Theologie Barths bewegt sich in dem Horizont der Geschichte, die sich in dem Bund Gottes mit den Menschen vollzieht. Der Bund ist der Rahmen und die Bühne aller theologischen Einlassungen, auch wenn er nicht in jedem einzelnen Aspekt ausdrücklich hervorgehoben wird. Er ist ebenso Ausdruck des Wesens Gottes wie der Ökonomie seines Handelns. Im Begriff des Bundes „vollendet sich der Begriff Gottes selbst“ (KD II/2, 564). Er intoniert das zentrale Thema der Theologie Barths, indem er einerseits der besondere Ausdruck der freien Selbstbindung Gottes ist, die im ewigen Entschluss seiner Gnadenwahl wurzelt, und andererseits den freien Lebensraum bezeichnet, in dem der Mensch seine besondere Bestimmung als Beziehungspartner Gottes leben kann. Es gehört zu dem besonderen Profil der Theologie Barths, dass sie sich unter Berufung auf das biblische Zeugnis durchgängig auf den Leitfaden des Bundes bezieht. Schon in seinen Frühschriften greift Barth gern den Gottesnamen ‚Immanuel‘ auf: ‚Gott mit uns‘. Wie kein anderer annonciert dieser Name das besondere Verhältnis Gottes zum Menschen. Es ist dieser ‚Immanuel‘, der in besonderer Weise für Gottes freie Selbstbestimmung zum Stifter, Begleiter und Vollender des mit dem Bund bezeichneten spezifischen Beziehungsverhältnisses zum Menschen steht. In diesem Namen versammelt sich gleichsam das ganze Verheißungspotential, das grundsätzlich mit jedem Inerscheinungtreten Gottes verbunden ist. Die Vorrangigkeit des Bundes zeigt sich in der Bestimmung der Schöpfung als Ermöglichungsgrund

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Warum Karl Barth? Eine erste Annäherung und zwölf Blitzlichter

des Bundes ebenso wie in dem Verständnis der Versöhnung als die Erfüllung des Bundes. Sowohl noetisch als auch ontisch ist er ein zentrales inhaltliches Regulativ für die Beschreibung der Entdeckungszusammenhänge theologischer Fragestellungen, die in ihm ihr spezifisches Stehvermögen im Gesamtzusammenhang der Theologie bekommen. Das ‚Gott mit uns‘ gilt für Barth „als Kern der christlichen Botschaft“ (KD IV/1, 3). Die Selbstcharakterisierung Gottes wird nicht durch einen Begriff angezeigt, sondern durch seinen Namen. Er steht sowohl für die Erkennbarkeit als auch für die Unverfügbarkeit Gottes, der auch in seiner Offenbarung verborgen bleibt. So gewiss die Bibel unterschiedliche Bünde bezeugt und die Unterscheidung von einem alten und einem neuen Bund kennt, so werden doch alle Unterscheidungen von dem einen Bundeswillen Gottes umfasst, dessen Wurzeln in der ewigen Erwählung zu suchen sind. Barth spricht pointiert vom „Bogen des einen Bundes“ (KD II/2, 220). Von der Bundestreue Gottes bleibt auch die Erwählung Israels umfasst, so dass Barth in symbolträchtiger Weise anlässlich seines Papstbesuches 1966 die Beziehung zum Judentum als die eigentlich zentrale ökumenische Herausforderung hervorgehoben hat – eine Herausforderung, deren Reichweite bisher nur von wenigen in Ansätzen geahnt wird. Die geheimnisvolle Namensoffenbarung Gottes am brennenden Dornbusch (Ex 3) erschließt sich in ihrer Tiefe in dieser gesamtbiblischen bundestheologischen Perspektive, in der Gott nicht durch seine absolute Macht, sondern durch seinen konsequenten Beziehungswillen charakterisiert wird. Barth schreibt Gott keine abstrakte Allmacht zu, die sich in irgendwelchen Demonstrationen ihrer prinzipiellen Überlegenheit ergeht. Das Streben nach einer solchen Allmacht, die vor allem sich selbst will, ist vielmehr ein Attribut des Teufels, von dem Barth als einer Personifizierung des Bösen allerdings nur sehr vorbehaltlich Gebrauch macht. Es ist die potentia, die willkürlich jeden Weg nutzt, sich in Szene zu setzen, und deshalb nur zu fürchten ist. Die Allmacht Gottes benennt Barth dagegen mit potestas. Es ist die Macht, die Gott dazu befähigt, das, was er will – und Gott will etwas Bestimmtes und nicht einen abstrakten Machtbeweis –, auch zu verwirklichen und durchzusetzen (KD II/1, 591 f). Gott will entschieden nicht unerreichbare Macht sein, der gegenüber dem Menschen nichts anderes bliebe, als sich zu fürchten, sondern sein freier Wille weist auf den Bund und den erwählten Partner des Bundes, auf die Beziehung zu dem von ihm darin ihm selbst ähnlich geschaffenen Menschen (Gen 1,26 f), dass er beziehungsfähig ist und nun seinerseits auf die Zuwendung Gottes eine eigene freie Antwort geben kann. Es ist diese gewiss asymmetrische und dennoch ganz und gar gegenseitige Beziehung, auf die der Wille Gottes zielt und für die Gott dann auch alles macht (Allmacht), die sowohl die Bestimmung als auch die Geschichte des Bundes ausmacht. Damit ist die prägende Perspektive benannt, in der sich die Geschichte vollzieht. Auf Grund der permanenten Nichtentsprechung des Menschen zu der ihm von Gott verliehenen herausgehobenen Würde ist diese Geschichte allerdings de facto von einer Dramatik gekennzeichnet, in der unentwegt die Orientierungen durcheinan-

Die Menschlichkeit Gottes

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dergehen. Diese Geschichte des Bundes und das sich in ihm vollziehende Geschehen, in dem sich der Mensch immer bereits so oder so befindet, ist der Horizont, der von der Theologie in den Blick zu nehmen ist. Eine unbeteiligte Betrachtung kann hier nicht in Frage kommen, sondern sie wird sich stets dazu herausgefordert sehen, sich in diesem Geschehen zu positionieren. Auch dort, wo sie dies in Verkennung ihrer Aufgabe unterlässt, positioniert sie sich unwillkürlich, dann allerdings in problematischer Weise.

%  Als durchlaufendes Thema kommt der Bund in allen inhaltlichen Perspektiven immer wieder vor; vgl. Kap. IV.3, IV.4 und IV.5. 11

8. Die Menschlichkeit Gottes These

So wie die freie Selbstbestimmung Gottes zu seiner unverbrüchlichen Menschlichkeit in seiner ewigen Gnadenwahl als die Summe des Evangeliums zu betrachten ist, so steht in der Mitte des Evangeliums die Versöhnung des Menschen mit Gott und damit die Wiederherstellung der ein erfülltes Leben ausmachenden Beziehung des Menschen zu Gott und zu seinen Mitmenschen.

Wenn Barth bisweilen vorgeworfen wird, er habe sich in seiner Theologie vor allem um Gott gekümmert und dabei den Menschen vergessen, wird vor allem anderen, was es dazu noch zu sagen gäbe, übersehen, dass er wie kein anderer die unerschütterliche Menschlichkeit Gottes im Zentrum des christlichen Gottesverständnisses verankert sieht. Es gibt keine Wahrnehmung Gottes ohne die Wahrnehmung seiner Menschlichkeit und damit seiner auf Antwort ausgerichteten Beziehung zum Menschen. Der von Gott aus betrachtete Mensch erscheint dabei nicht nur als Adressat der Zuwendung Gottes, sondern als das freie Gegenüber Gottes, durch das die von Gott angestrebte und ermöglichte Beziehung erst tatsächlich zustande kommen kann. Barth kann pointiert vom Menschen als Partner Gottes sprechen (KD III/2, 207 u. ö.). Die Entschlossenheit und Konsequenz des Eintretens Gottes für den Menschen wird nicht nur als die Mitte der Geschichte seiner Beziehung zum Menschen thematisiert, sondern insofern auch als die „Summe des Evangeliums“ (KD II/2,1) bezeichnet, als diese Mitte auch ganz und gar der freien Selbstbestimmung Gottes in seiner ewigen Gnadenwahl entspricht. Man geht kaum zu weit, wenn man sagt, dass Gott sich selbst gleichsam durch seine Menschlichkeit definiert wissen will. Barth distanziert sich mit diesem Akzent allerdings deutlich von allen theologischen Konzepten, die mehr oder weniger vollständig von der Frage geprägt sind, 11 Vgl. dazu auch kompakt Weinrich, Bund.

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Warum Karl Barth? Eine erste Annäherung und zwölf Blitzlichter

welchen Nutzen der Mensch aus der Wahrnehmung Gottes für sich verbuchen kann. Natürlich wird niemand diese Frage so direkt stellen, aber es ist doch überaus verbreitet, dass die Theologie und auch die Kirche vorrangig damit beschäftigt sind, den Gewinn herauszustreichen, der dem Menschen aus der Wahrnehmung Gottes für sich verbuchen kann. Bis hinein in die neueren Kirchenlieder wird Gott ständig und einigermaßen hemmungslos von den unterstellten Bedürfnisprofilen des mehr oder weniger um seine Frömmigkeit kreisenden Menschen aus in den Blick genommen. Und so erscheint Gott in der kirchlichen Spiritualität unentwegt als eine nach allen Seiten offenstehende Ressource für die Aufrichtung und Stärkung des ansonsten im Grunde recht selbstgewissen Menschen, der um dieser göttlichen Unterstützung willen bereit ist, seine Bedürftigkeit einzuräumen. Natürlich kann die Luther zugeschriebene Frage „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ eine berechtigte Frage sein, aber da, wo sie den Ausgangspunkt und dann auch noch den ganzen Orientierungshorizont der Theologie beansprucht, wird wohl von einer problematischen Reduktion der Theologie auf die Soterio­logie zu reden sein, die nicht nur der Religionskritik eine kaum abzuweisende Einladung anbietet, sondern auch auf kaum mehr als einen heilsegoistisch gerupften Gott verweisen kann. Wenn Barth diese utilitaristisch-anthropologische Dressur Gottes nicht mitmacht, heißt dies noch lange nicht, dass es in seiner Theologie nichts Bedenkenswertes über den Menschen zu lesen gäbe. Eher ist das Gegenteil der Fall, denn Barth verlässt konsequent die wehleidige oder stolze Ebene der permanenten Selbstthematisierung des Menschen, in dem dann auch Gott hier und da eine entsprechende Betätigungsmöglichkeit eingeräumt wird. Stattdessen konzentriert er sich auf die freie Zuwendung Gottes zum Menschen, die für diesen vor allem als eine Befreiung aus der Gefangenschaft in den stets nur wenig belastbaren und de facto flatterhaften Selbstdefinitionen zu verstehen ist. Die Radikalität, in der Barth über die Soteriologie hinaus die Menschlichkeit Gottes und von da aus dann auch die Menschlichkeit des Menschen betrachtet, zeigt sich in nichts deutlicher als darin, dass er sie in dem ewigen Gnadenratschluss Gottes verankert sieht. Seine Neufassung der Prädestinationslehre bzw. der Erwählungslehre betritt gegenüber der bisherigen Tradition vollkommen neues Gelände. Er schert aus der Linie aus, nach welcher der Erwählung eines Teils der Menschen die Verwerfung des anderen entspricht, und hebt die ausnahmslose Erwählung des Menschen hervor, deren Risiko Gott ganz und gar auf seine Seite übernommen hat. Es ist Gott selbst, der in seiner barmherzigen Gerechtigkeit die Verwerfung, die seiner Erwählung entspricht, ganz und gar seinem eigenen trinitarischen Leben anlastet. Im Blick auf den Menschen ist konsequent allein von seiner Erwählung zu sprechen. Damit steht die Soteriologie bei Barth zwar nicht einfach in einer zwingenden Konsequenz zu den erwählungstheologischen Pointen seiner Gotteslehre, wohl aber in einem sachlichen Orientierungshorizont, der ihr auch den letzten Rest eines kontingent schicksalshaften Beigeschmacks nimmt. Bei Barth ist die Menschlichkeit Gottes so sehr mit seinem Wesen verknüpft, dass sie nur durch die Verleugnung Gottes in Abrede gestellt werden kann. Und umgekehrt heißt das: wo

Das Nichtige und die Sünde

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von Gott die Rede ist, wird die Angemessenheit dieser Rede daran zu bemessen sein, in welcher Weise sie von der Menschlichkeit geprägt ist, in der es Gott gefallen hat, sich in seiner Beziehung zum Menschen vorzustellen. Gott ist so wesenhaft mit seiner Menschlichkeit verbunden, dass sie für Barth eine Absage an einen „Deus absconditus“ – an einen „verborgenen Gott“ mit einer möglicherweise dunklen Seite Gottes – insofern überflüssig macht, als eine solche Absage, wie sie etwa von Luther ausgesprochen wird (vgl. dazu KD II/1, 608 ff), nur dann sinnvoll ist, wenn mit einer solchen anderen Seite des verborgenen Gott irgendwie gerechnet wird. Aber hinter der Offenbarung Gottes bleibt „kein verborgener Gott, kein Deus absconditus […] zurück, mit dessen Existenz und Wirksamkeit wir dann über sein Wort und seinen Geist hinaus gelegentlich auch noch zu rechnen, den wir hinter seiner Offenbarung auch noch zu fürchten und zu verehren hätten.“ (236 f) Weitere Entfaltung und Vertiefung dieses Aspektes in vgl. Kap. IV.3.2 u. IV.4.3. % 

9. Das Nichtige und die Sünde These

Wenn in gebotener Weise eine dualistische Weltwahrnehmung vermieden werden soll, kann das Übel ebensowenig wie die Sünde als eine Gegenmacht Gottes verstanden werden. Zugleich muss ausgeschlossen bleiben, dass sie unmittelbar als Ausdruck des Willens Gottes verstanden werden. Sie bleiben in ihrem Ursprung unableitbar und führen hinsichtlich des Willens Gottes das vor Augen, was Gott nicht will, so dass sie nur mit ihrer Überwindung zu rechnen haben.

Die soeben betonte Abweisung eines Deus absconditus bleibt auch dann zu betonen, wenn theologisch einzuräumen bleibt, dass wir nicht darum herumkommen, selbst das Böse in irgendeiner Beziehung zu Gott zu verstehen, wenn anders es unvermeidlich in ein Gegenüber zu Gott gerät, wo es dann als eine Art Gegenspieler anzuerkennen wäre. Auch wenn sich hier und da versprengte dualistische Motive in der biblischen Tradition ausmachen lassen, kann es keinem Zweifel unterstehen, dass es gerade ein Kennzeichen der überlegenen Souveränität des hier bezeugten Gottes ist, dass er keiner Bewährung in einem antagonistischen Dualismus von Gut und Böse ausgesetzt ist. Er ist darin der Souverän, dass es keinen wirklich zu befürchtenden Gegenspieler zu erwarten gibt, so wie er sich darin als der Schöpfer erweist, dass er die Welt aus dem Chaos der Urflut hervorruft und damit die von ihm ausgehende Bedrohung zurückdrängt, um dem Leben den benötigten verlässlichen Entfaltungsraum zu bereiten (Gen 1). Und es ist genau diese von Gott zu bekennende Souveränität, die unweigerlich seinem Verstehen das Problem einträgt, dass

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es nun außer Gott selbst keine haftpflichtige Zuschreibungsmöglichkeit mehr gibt, der nun die Übel und das Böse zugewiesen werden könnten. Auch als das Zurückgewiesene, das nicht zum Werk der Schöpfung gehört, bleiben sie mit einem nicht ableitbaren Bedrohungspotenzial präsent, so dass unweigerlich auf die Souveränität Gottes ein Schatten zu fallen scheint. In der Neuzeit ist aus diesem Umstand die sogenannte Theodizeefrage erwachsen, die sich nicht mehr mit der (Gottes-)Antwort des Hiobbuches zufriedengibt (Hi 38–40) und für die Rechtfertigung Gottes eine stringent nachvollziehbare Antwort einfordert. Alle philosophischen Versuche, eine plausible Lösung für dieses Dilemma zu finden, können als gescheitert gelten.12 Die Theologie sollte nicht versuchen, mit den philosophischen Konzepten konkurrieren zu wollen. Für Barth kann nur eine Perspektive in Frage kommen, die einerseits dem Konflikt nicht seine Ernsthaftigkeit nimmt und sich andererseits von dem Problem auch nicht übermäßig beeindrucken lässt, weil damit dann zugleich auch demjenigen das Wort abgeschnitten würde, der als Einziger den hier nötigen Widerspruch einlegen könnte. Wenn Barth damit argumentiert, dass durch das von Gott nicht Gewollte noch einmal ein besonderes Licht auf das von ihm Gewollte fällt, so darf dies nicht als eine intellektuelle Notlösung missverstanden werden. Vielmehr will Barth mit dieser Zuspitzung einmal mehr unterstreichen, dass es theologisch nicht aussichtsreich sein kann, jenseits des Bekenntnisses zu der Unerschütterlichkeit der Menschlichkeit Gottes nach einer Lösung Ausschau zu halten, weil sich das Böse einer rationalen Erklärung entzieht. Er spricht hier von dem Nichtigen, das gleichsam die unbegreifliche Seinsform (!) des Nichtseins in das Sein einträgt – ein durchaus mehrschichtiges Konzept.13 Damit soll keineswegs – wie ihm immer wieder unterstellt wird – die Brisanz der Herausforderung ermäßigt, wohl aber das Gewicht des im Glauben zu sprechenden Bekenntnisses noch einmal klar unterstrichen werden. Es ist ein eigenes Thema, wenn es in diesem Zusammenhang auch von der Sünde zu sprechen gilt. Während die Neuzeit dem Bösen eine bis dahin beispiellose Reverenz erweist und sich durchaus einigermaßen leichtsinnig bereit zeigt, ihm gleichsam Gott zu opfern, spielt sie auf der anderen Seite die Bedeutung der Sünde des Menschen zu dem Eingeständnis seiner – zumindest vorläufig noch – einzuräumenden Unvollkommenheit herunter. Der neuzeitliche Mensch verlässt sich zunehmend rückhaltlos auf die ihm vermeintlich schöpfungsmäßig garantierte Gottebenbildlichkeit,14 in der er zwar überaus selbstbewusst meint, Gott mehr oder weniger alle Arbeit abnehmen zu können, ohne aber auch noch bemerken zu wollen, dass er ihm gerade damit – im Grunde immer schon – ganz besonders zu schaffen macht. Der sich mit seinen vermeintlichen Stärken Gott gegenüber behauptende Mensch, der sich der Welt nun seinerseits als Schöpfer zu präsen12 Vgl. dazu Link, Theodizee. 13 Vgl. dazu Wüthrich, Gott und das Nichtige. 14 Vgl. dazu klassisch Pico della Mirandola, De hominis dignitate.

Das Nichtige und die Sünde

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tieren bemüht, präsentiert in nichts anderem unverschämter sein Sündersein als genau in seiner Leugnung der Sünde und der Zurückweisung der Gnade Gottes, in der er eine unnötige göttliche Überversorgung unterstellt. Die Sündenvergessenheit verhindert die Wahrnehmung der tatsächlichen Heillosigkeit sowohl der vom Menschen in seine Regie genommenen Welt als auch der eigenen Situation und lässt damit den hoffnungslosen circulus vitiosus unentdeckt, in den sich der Mensch immer tiefer verstrickt. Die Sünde bezeichnet kein moralisches Versagen, sondern den Unglauben bzw. das Misstrauen Gott gegenüber. Besonders hinter dem Pathos der Moral kann sich eine resistente Erscheinungsweise der Sünde verbergen, gerade dann, wenn sich die Einhaltung der Moral als gottgefällig und hoffnungsvoll präsentiert. Barth unterscheidet drei Gestalten der Sünde, die er genau als die Gegenbewegungen zu den Bewegungen versteht, welche die heilsame Zuwendung Gottes zum Menschen ausmachen. Zum einen ist dies der Hochmut, in dem sich der Mensch gegen die Selbsterniedrigung Gottes in seiner bis in die Tiefe des Leidens und Sterbens reichende Menschwerdung stemmt. Der hochmütige Mensch zelebriert den ebenso unermüdlichen wie tatsächlich erfolglosen Beweis, mit dem er vorgibt, sich dadurch rechtfertigen zu können, dass er alles für sich Notwendige und für die Welt Erforderliche aus eigener Kraft zu bewerkstelligen vermag. Er versucht zu demonstrieren, dass es ausreicht, wenn er selbst für sich eintritt. Und so ist er tatsächlich für sich selbst, ohne aber zu realisieren, dass dies nur funktionieren kann, wenn er auch für die Anderen ist. Obwohl die Folgen davon offensichtlich sind, beklagt er vor allem die Uneinsichtigkeit der Anderen, ohne zu bemerken, dass die zerstörerische Dynamik des aufgeführten Risikospiels in der zum Prinzip erhobenen Vorrangigkeit der Selbstsorge seine Wurzeln hat. Zum zweiten hat die Sünde die Gestalt der Trägheit, mit der sich der Mensch gegen seine mit dem Kreuz Christi vollzogene Aufrichtung stellt. Er duckt sich immer genau dann weg, wenn es darum geht, aufgrund des erkannten Elends das Ruder in eine bessere Richtung auszurichten. Und so taumelt das unheilvolle Geschehen beinahe an allen sich anbietenden Auswegen achtlos vorbei, weil der Mensch sich ausgerechnet da und dann auf seine Ohnmacht besinnt, wo und wenn er gefragt wird, die ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten wirksam zum Einsatz kommen zu lassen. Schließlich ist die dritte Gestalt der Sünde die Unaufrichtigkeit, in der sich der Mensch seine Lage schönredet und für jede neue Schandtat rationale Legitimationen erdenkt, mit denen er möglichst unbehelligt seiner Eigenwilligkeit den Weg weiterhin freizuhalten versucht. Die perfekte Lüge verkleidet sich immer mit dem Anschein einer Wahrheit, so dass sie auf ihren kurzen Beinen in der Regel doch recht weit zu kommen scheint, wenn auch nicht tatsächlich. Barth nennt diese dritte Gestalt der Sünde die spezifisch christliche Gestalt der Sünde, weil ihr Skandal nur da in die Augen sticht, wo sich bereits die Wahrheit der Rettung und der Hoffnung vernehmbar gemacht hat und macht, wie es eben in der christlichen Gemeinde der Fall ist. Indem die Kirche aber, anstatt die lebendige Selbstbezeugung Jesu zu verkünden, dieses Zeugnis nach ihren eigenen Bedarfslagen oder den unterstellten Bedarfslagen der von ihr

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Warum Karl Barth? Eine erste Annäherung und zwölf Blitzlichter

zu adressierenden Welt domestiziert, kehrt sie ihrer Berufung und damit auch sich selbst den Rücken zu. Weitere Entfaltung und Vertiefung dieses Aspektes in Kap. IV.4.4.4 u. IV.5.4. % 

10. Theologie der Freiheit These

So wie der Mensch durch die Abkehr von Gott wie der Zauberlehrling nicht aus der Gefangenschaft der von ihm nun gerufenen Geister entkommen kann, wird ihm durch Kreuz und Auferstehung Christi genau die Freiheit restituiert, die er durch die Hybris seiner Selbsterhebung verspielt hat, nämlich die Freiheit, sein Leben aus dem Vertrauen zu Gott zu empfangen und als Antwort auf seine Zuwendung gestalten zu können. In diesem Sinne ist Freiheit der Begründungshorizont christlicher Existenz.

Auch wenn sich Barth dagegen gewehrt hat, die Freiheit zum einzigen Leitbegriff des christlichen Lebens zu erheben,15 bleibt sie doch die entscheidende Bestimmung zu seiner Begründung. Auch wenn es für die konkrete Gestaltung des christlichen Lebens nicht ausreicht, sich unablässig auf seine Freiheit zu berufen, bleibt sie doch die Grundbestimmung, aus der dann auch weitere Bestimmungen zu seiner Gestaltung erwachsen können, die sich dann immer auch als Ausdruckformen der grundlegenden Freiheit verstehen lassen. Es wird allerdings entscheidend darauf ankommen, was unter dieser Freiheit verstanden wird. Eine Möglichkeit des Verstehens kann von vornherein ausgeschlossen werden. Die Freiheit würde sich unversehens gegen sich selbst kehren, wollte man sie als Beliebigkeit oder gar als Willkür verstehen. Wenn sie nicht zu einer wirklichkeitsfremden Illusion verkümmern will, gilt es ein Augenmaß dafür zu entwickeln, in welche Richtung sie gedeihen kann und aus welcher Richtung ihr Gefahren oder gar ihre Stilllegung erwachsen können. Indem sie im Bund Gottes mit dem Menschen begründet ist, wird der Raum dieses Bundes als ihr Betätigungshorizont zu erkennen sein, in dem ihrer Ermöglichung auch eine Bestimmung zugewiesen wird. Der Bund steht für den Wirklichkeitshorizont, in dem sich das Leben durch die Freiheit beflügeln lassen darf und somit lebendig halten kann. Es lässt sich auch so ausdrücken: Die Beziehungen, in denen das Leben zu seiner Bedeutung durchfindet, müssen nicht erst gefunden und zum Leben erweckt oder gar überhaupt erst erfunden werden, sondern sie sind bereits vital, sprechen uns immer schon an und müssen nur wahrgenommen und aufgegriffen werden, damit sie auch in unserem Leben ihre lebendige Bedeutung entfalten können. Das gilt ebenso für die Beziehung zu Gott 15 Vgl. dazu Barth, Das christliche Leben, 56 f.

Theologie der Freiheit

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als auch für diejenige zu den Mitmenschen, denen der Mensch in seiner Freiheit, in der er vor allem von der Sorge um sich selbst befreit, tatsächlich Mitmensch sein kann. Freiheit kann sich hier konsequent als selbständiges Antworten, als eigenständige Reaktion und kreative Mitgestaltung verstehen. Das Entscheidende ist, dass weder Gott noch der Mitmensch als Begrenzung meiner Freiheit verstanden werden, weil sich meine Freiheit nicht als die Freiheit der Selbstverwirklichung in Konkurrenz zu ihrer Freiheit versteht, sondern Gott und Mitmensch geben ihr eine Bestimmung, durch die sie erst recht zum Leben erweckt wird und die ihr damit eine eigene Erfüllung verheißen. Barth spricht von dem „Geschenk der Freiheit“16 und stellt sie damit jeder Vorstellung von Freiheit gegenüber, zu der erst durch einen Akt der Selbstbefreiung zu gelangen ist. In theologischem Verständnis ist Freiheit weder das Resultat einer bestimmten Aktion des Menschen oder eine in Aussicht gestellte Möglichkeit, die ganze bestimmte Bedingungen formuliert, wie zu ihr zu gelangen ist. Schon gar nicht ist sie ein Postulat der praktischen Vernunft, das zwingend erforderlich ist, um den ethischen Charakter der moralischen Pflicht nicht preisgeben zu müssen,17 sondern eine essenzielle Bestimmung des Menschen, der als Geschöpf Gottes zu einer lebendigen Beziehung mit seinem Schöpfer und seinem Mitmenschen erschaffen ist. Streng genommen kann nur eine geschenkte Freiheit tatsächlich Freiheit sein, weil sich jede andere durch die Nötigung, zu ihrer Ermöglichung erst bestimmte Bedingungen erfüllen zu müssen, von vornherein in einem nicht auflösbaren Widerspruch zu sich selbst befindet. Nur eine geschenkte Freiheit befreit von den Zwängen der Selbstbefreiung und entlässt aus der Nötigung unablässiger Selbstverteidigung.18 Sie konstituiert sich bereits in der Wahrnehmung ihrer Zueignung und wird bewahrt im Vollzug der mit ihr einhergehenden Ermöglichungen, so wie sie in der Abkehr von der sie aufrichtenden Quelle unversehens zum Erliegen kommt, weil sie in den Horizont eines Zwecks gezwängt wird, der nicht mehr sie selbst ist. Ein wenig paradox gewendet kann im Sinne Barths gesagt werden, dass die Freiheit nur da der Knechtschaft irgendwelcher Gesetze entnommen ist, wo das Evangelium das Gesetz der Freiheit ist. Die hier angesprochene Selbstzwecklichkeit der Freiheit wäre allerdings missverstanden, wenn sie einen richtungslosen und somit leeren Freiheitsbegriff im Visier hätte, denn dieser gerät früher oder später ebenfalls genau in den benannten Widerspruch. Wenn Barth von einer durch Gott qualifizierten Freiheit spricht, grenzt er sich deutlich von einer Wahlfreiheit ab, in welcher der Mensch immer wieder wie Herkules am Scheideweg vor eine sein Schicksal entscheidende Wahl gestellt wird (KD III/1, 301). Ebenso ist es auch keine Freiheit, die uns gleichsam zur Wahl gestellt wird. Wo sich der Mensch vor die Frage gestellt sieht, sich für sie 16 Barth, Das Geschenk der Freiheit. 17 Zu den Postulaten der reinen praktischen Vernunft vgl. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, 140– 153 (= Originalausgabe 1797, 223–241). 18 Vgl. dazu Weinrich, (Ver-)Bindungen der Freiheit.

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Warum Karl Barth? Eine erste Annäherung und zwölf Blitzlichter

oder gegen sie entscheiden zu sollen, so als könne es auch eine andere jenseits von ihr geben, hat er sich bereits gegen sie gestellt (KD IV/1, 834), weil sie nicht als eine seiner Möglichkeiten in Erscheinung tritt, sondern als die wirkliche Wahrheit und die wahre Wirklichkeit Gottes, der nur in befreiter Anerkennung entsprochen werden kann (oder besser gesagt: der schlicht in befreiter Anerkennung entsprochen werden darf). Das macht ja erst die positive Qualifikation dieses Freiheitsverständnisses aus, dass mit der Freiheit nicht mehr das Schicksal des Menschen auf dem Spiel steht, was doch nur zeigen würde, dass sie nicht tatsächlich frei ist. Die Wahl ist nicht die entscheidende Signatur der Freiheit, zumal auch dem unfreien Menschen nicht einfach abgesprochen werden kann, dass er wählen könne. Es lässt sich kaum sinnvoll als ein Ausdruck echter Freiheit ausgeben, dass sich der Mensch in seinem Eigensinn auch immer wieder vor die ihn gefährdende Möglichkeit gestellt sieht, dem Raum der von Gott eröffneten Freiheit den Rücken zu kehren in der doch so unbesonnenen Hoffnung, sich am Ende als Schmied des eigenen Glückes feiern zu können. Die Sünde ist nicht, wie es etwa vom emanzipatorischen Idealismus im 19. Jahrhundert gerne angenommen wurde, Ausdruck der Freiheit eines nun endlich zu sich findenden Menschen, sondern die ebenso misstrauische wie wohl auch ahnungslose Stilllegung der Freiheit, durch die er unweigerlich den Gesetzen der Selbstkonstitution verfällt, die ihm früher oder später seine tatsächliche Gefangenschaft vor Augen führen werden (KD IV/2, 559 f). Wenn die Freiheit im von Gott ermöglichten Vertrauen in seinen Bund begründet ist, kann sie nicht zugleich ausgerechnet auch noch für das gegen Gott gerichtete Misstrauen in Anspruch genommen werden. So wie sie in der Treue Gottes ihren Grund hat, kann sie auch nur in der darauf antwortenden Treue des Menschen gelebt werden; Barth spricht dann gern und regelmäßig vom freien Gehorsam, was sich heute nicht mehr ohne weiteres verständlich machen lässt, aber er hat dabei eben diese vertrauensvolle Treue zu Gott im Blick. Weitere Entfaltung und Vertiefung dieses Aspektes in Kap. IV.4.5. % 

11. Dogmatik und Ethik These

Wie schon bei Calvin ist auch bei Barth die Perspektive der Theologie nicht nur auf die Rechtfertigung des Menschen und seines Lebens, sondern konsequent noch einen Schritt weiter auf deren Heiligung ausgerichtet. So wie es das ethische Versagen von Theologie und Kirche angesichts des Ersten Weltkriegs war, von dem sich Barth zu einer grundsätzlichen Neubesinnung der Theologie genötigt sah, so zielt seine theologische Arbeit stets auf die konkrete Gestalt des christlichen Lebens, d. h. Dogmatik und Ethik gehören für ihn immer unauflöslich zusammen.

Dogmatik und Ethik

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Die genuine Verquickung von Dogmatik und Ethik gehört zu den Charakteristika seiner Theologie. Damit wird eine Fundamentalentscheidung seiner Theologie angesprochen, die unterschiedliche Orientierungsebenen hat, welche aber nicht auseinandergerissen werden dürfen. Für das Verständnis der Dogmatik gilt, dass sie als kritisches Reflexionsorgan kirchlicher Praxis nicht nur ihre Aufgabenstellung aus dem Leben der Kirche bezieht, sondern auch mit ihren Resultaten und Perspektiven auf das Leben der Kirche im Horizont ihrer jeweiligen Lebensumstände und den aus ihnen resultierenden Versuchungen zielt. Indem das Leben der Kirche insbesondere in seiner verkündigenden Gestalt die Notwendigkeit einer kritischen Theologie herausfordert, bleibt es auch das christliche Leben, auf das sie mit ihren Bemühungen ausgerichtet ist. Die von Barth betonte Kontextualität der Theologie als die von ihr zu fordernde Pünktlichkeit („Bibel und Zeitung“) drängt sie einerseits zu einer erkennbaren Konkretheit, wie sie andererseits zugleich vor unangemessenen Generalisierungen warnt, die in der Regel mit unverbindlichen Abstraktionen verbunden sind. Wenn Barth entschlossen den bekennenden Aspekt der Kirche ins Zentrum rückt, wird dieser Lebens- und Verantwortungsaspekt unterstrichen.  Es ist vor allem die sachliche Umkehrung der lutherischen Grundunterscheidung von Gesetz und Evangelium, welche die pointierte Stoßrichtung Barths deutlich erkennbar macht. An die Stelle des lutherischen Gegensatzpaares tritt die als Komplementärfigur zu verstehende Horizontbestimmung der Theologie als Evangelium und Gesetz (Gebot). Dabei hebt Barth die Komplementarität von Inhalt und Form hervor, die wohl unterschieden, aber niemals voneinander getrennt werden können. So wie das Evangelium der Inhalt des Gesetzes ist, bleibt das Gesetz die Form des Evangeliums.19 Es kann deshalb auch nicht verwundern, wenn die Grundlegung der Ethik bereits in der für Barth besonders bedeutungsvollen Erwählungslehre reflektiert wird (KD II/2). Die Lebensrelevanz der Theologie zeigt sich darin, dass es in ihr keinen Inhalt gibt, dessen hinreichende Erfassung nicht auch in irgendeiner Weise den Bereich tangiert, der mit dem Begriff Ethik allerdings nur sehr unzureichend etikettiert wird. Barth übernimmt nicht einfach ein Konzept der Ethik, das er dann in seine Kirchliche Dogmatik implementiert, sondern er versieht seine dogmatischen Überlegungen von vornherein mit einer Reichweite, die bis in die Gestaltung des christlichen Lebens hineinreicht. Da es in allem, was die Theologie zu reflektieren hat, um Beziehungsverhältnisse Gottes zum Menschen geht, betrifft es auch immer zugleich die Beziehung des Menschen zu Gott ebenso wie die Beziehung zum Mitmenschen. Es geht also nicht um eine zweite Fragestellung, sondern allein um das Ausziehen der dogmatischen Reflexion bis hinein in das christliche Leben, wofür Barth dann die traditionelle Bezeichnung Ethik verwendet. Von dieser fundamentaltheologischen Ebene bleibt die praktisch-theologische Ebene zu unterscheiden, wo es dann auch zu konkreten Entscheidungen und Stel19 Vgl. Barth, Evangelium und Gesetz.

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Warum Karl Barth? Eine erste Annäherung und zwölf Blitzlichter

lungnahmen kommt, die für Barth auch stets eine wichtige Bedeutung gehabt haben.20 Viele seiner öffentlichen Stellungnahmen sind äußerst kontrovers aufgenommen worden. Gewiss sind sie ebenso wenig unfehlbar wie auch alle anderen Überlegungen und Zuspitzungen Barths, aber es bleibt wahrzunehmen, dass Barth nicht ohne Nachdruck darauf hingewiesen hat, dass er auch diese Äußerungen stets in einer unmittelbaren Beziehung zu dem verstanden wissen wollte, was ihn sonst in der Theologie bewegt und orientiert hat. Gewiss bleibt zwischen den theologischen Zuspitzungen und den politischen Konkretionen immer auch Hiatus, der schon durch die jeweils zu Rate gezogenen unterschiedlichen Informationsstände offenkundig wird. Insofern kann hier in den meisten Fällen nicht nur eine Option als die einzig richtige angesehen werden. Es bleibt aber zu beachten, dass Barth auch den politischen Bereich nicht als einen eigengesetzlichen Bereich gesehen hat, in dem dann auch andere Dynamiken zu akzeptieren seien. Vielmehr kann es in allen konkreten Lebensfragen keine anders orientierte Freiheit als die Freiheit des Glaubens mit ihren besonderen Orientierungen geben. Es kann schließlich nicht überraschend sein, dass es Barth in seinen Positionierungen in der Regel weniger um die Anwendung von bereits ausgefeilten ethischen Überlegungen, sondern um die Konsequenzen aus als fundamental apostrophierten dogmatischen Einsichten gegangen ist. Es war vor allem das Ernstnehmen der Auferstehung und damit der lebendigen Gegenwart Christi, auf die sich Barth nicht nur in seinen Ermutigungen zu einem entschlossenen Kampf gegen den Nationalsozialismus als unabweislichen Grund dafür berief, dass die Kirche nicht einfach unbeteiligt dem sich vor ihren Augen abspielenden Drama zusehen könne. Weitere Entfaltung und Vertiefung dieses Aspektes in Kap. II.7, IV.4.3, IV.5.7, V.3 u. V.6. % 

12. Ökumene und weltweite Solidarität These

Auch wenn Barth die sich in seiner Zeit formierende ökumenische Bewegung mit nur kurzer Unterbrechung vor allem skeptisch beurteilte, kann nach seinem Verständnis rechte Theologie immer nur ökumenische Theologie, d. h. eine auf die ganze Gemeinde ausgerichtete Theologie sein. Barths Theologie ist dann auch insofern zu einem ökumenischen Ereignis geworden, als sie zu den wenigen Theologien gerechnet werden kann, die bis heute eine ökumenische Beachtung gefunden haben.

Aus dem reformatorischen Umfeld verfügt kaum eine andere Theologie des 20. Jahrhunderts über eine vergleichsweise hohe ökumenische Wahrnehmung und 20 Vgl. Barth, Offene Briefe (drei Bände).

Ökumene und weltweite Solidarität

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Anschlussfähigkeit wie die von Karl Barth. Vermutlich ist es allein Dietrich Bonhoeffer, dem eine vergleichbare Beachtung und Wirkung zugeschrieben werden kann. Das gilt auch hinsichtlich der unterschiedlichen Dimensionen, die mit dem Begriff der Ökumene verbunden sind. Grob gesprochen steht die Ökumene einerseits für die unterschiedlichen Ebenen zwischenkirchlicher und interkonfessioneller Verständigung und andererseits für die mit ihrer weltweiten Ausbreitung verbundene Verantwortung der Kirche. Zwar hat sich Barth nur sehr zurückhaltend zu der ökumenischen Bewegung verhalten und das Thema der Ökumene explizit nur wenig bearbeitet, aber faktisch kommt ihr sowohl im Blick auf die Dialog-­Ökumene als auch die Verantwortungsökumene eine überaus große Bedeutung zu.21 Ein Grund für die hohe Akzeptanz, die Barths Theologie in der Ökumene genießt, mag gerade darin liegen, dass sie sich weder einem ökumenischen Programm verschreibt noch eine bestimmte ökumenische Vision verfolgt und sich damit weder in einer umstrittenen Gemengelage auf eine der gegeneinander stehenden Seiten schlägt noch einer bestimmten ökumenischen Stimmungslage zu entsprechen versucht. Es hat sich gezeigt, wie schnell sich in der Ökumene Stimmungslagen und damit ökumenische Bewertungen verändern können, so dass theologische Konzepte, die sich eng an die konkrete historische Bewegung der Ökumene anlehnen, eben auch ihrem Akzeptanzverlauf unterworfen sind. Es hat sich gezeigt, dass die Theologien, die ausdrücklich ökumenisch sein wollen, wie etwa die von Jürgen Moltmann, oder die darüber hinaus sogar interreligiös perspektiviert sind, wie die von Hans-Martin Barth, vor allem das Gespräch in der eigenen Konfession anregen und bestenfalls noch diejenigen in den anderen Konfessionen erreichen, die aus der Perspektive ihrer jeweiligen eigenen Tradition heraus ebenfalls eine auf die Ökumene zentrierte Theologie vertreten. Jürgen Moltmann gehört zweifellos zu den weltweit am meisten wahrgenommenen Theologen, aber es sind vor allem die weit gestreuten verschiedenen reformatorischen theologischen Traditionen, die sich von ihm zu einer von ihrer eigenen Tradition ausgehenden ökumenischen Vision anregen lassen. Darin liegt zweifellos eine große ökumenische Kraft, von der aber abzuwarten bleibt, wieweit sie auch über die Verständigungsgewohnheiten der eigenen Konfessionsfamilie hinaus anregend sein kann. Erfahrungen aus Dialogen mit römisch-katholischen oder orthodoxen Theologen stimmen da eher skeptisch.

Die ökumenische Anschlussfähigkeit der Theologie Barths hat ihren Grund weder in einer kongenialen noch einer gesuchten Nähe zu den ökumenischen Aufbrüchen im 20. Jahrhundert. Vielmehr stand er unbeschadet verschiedener Einlassungen in das sich formierende Engagement des Ökumenischen Rates der Kirchen sowohl dem hier gewählten Ausgangspunkt als auch dem ins Auge gefassten Weg eher skeptisch bis ablehnend gegenüber. Ökumene kann nach seinem Verständnis nur das Resultat eines nach vorn blickenden Bekenntnisses, das die Kirche als Ausdruck der Antwort formuliert, zu der sich die Kirche in den Nöten der Gegenwart unter 21 Vgl. Weinrich, Karl Barth und die Ökumene.

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strikter Wahrung bzw. Wahrnehmung ihrer theologisch belastbar auszuweisenden Verantwortung vor Gott gedrängt sieht. Ein solches Bekenntnis stand Barth in der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 vor Augen. Alle seine Versuche, den ökumenischen Rat zu einer Unterstützung der mit diesem Bekenntnis annoncierten Positionierung der Kirche gegenüber der vom Nationalsozialismus ausgehenden Bedrohung zu bewegen, blieben weithin unerhört. Auch wenn ihm eine unmittelbare ökumenische Resonanz zu dieser ihn zutiefst bewegenden Herausforderung versagt geblieben ist, so wurde doch die theologische Grundsätzlichkeit des hier bearbeiteten Konflikts auch außerhalb der unmittelbar beteiligten Kirchen bald anerkannt. Zudem wird Barth auch außerhalb der reformatorischen Tradition als ein Theologe wahrgenommen und dann auch akzeptiert, der sich im Horizont der gegenwärtig an die Theologie gestellten Anforderungen auf einer soliden Basis mit den großen Themen der Theologie beschäftigt, welche die Kirche in ihrer Geschichte immer wieder bewegt haben. Indem sich Barth kenntnisreich und achtsam auch mit den vorreformatorischen Auseinandersetzungen und Entscheidungen der Theologie auseinandersetzt, ergibt sich für das Gespräch mit der katholischen und der orthodoxen Tradition ein selten großer gemeinsamer Orientierungshorizont und Diskussionsraum. Da auch die anderen Traditionen nicht einfach wiederholen, was die Alte oder mittelalterliche Kirche gesagt hat, ist es in der Regel kein Problem, wenn Barth dann zu durchaus abweichenden eigenen Antworten kommt, die seine reformatorische Prägung erkennen lassen. Aber es wird offenkundig registriert, dass Barth nicht nur behauptet, sich an den gleichen Fragen abzuarbeiten, wie die Theologien anderer Konfessionen, sondern dies mit den Orientierungen und der Denkarbeit seiner Theologie auch unter Beweis stellt und damit zur Auseinandersetzung einlädt. In dieser Hinsicht ist das Ökumenische seiner Theologie die konstruktive und belastbare Aufmerksamkeit auf die ganze Tradition der Kirche. Theologie ist in dieser Wahrnehmung ökumenisch, wenn sie sich ebenso schlicht wie argumentationsbereit auf die der Kirche gemeinsame Tradition einlässt und nicht nur die eigene Tradition möglichst ökumenefähig zu machen versucht. Wenn Barths Theologie zudem auch für die von der Ökumene wahrzunehmende Weltverantwortung eine hohe Anschlussfähigkeit mitbringt, so hat dies vor allem zwei Gründe. Einerseits liegt sie in der theologisch ausgewiesenen Widerstandsfähigkeit seiner Theologie gegenüber den Ansprüchen des Nationalsozialismus begründet, wie sie sich in besonderer Weise in der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 niedergeschlagen hat. Neben der dann leider erst später erfolgenden weltweiten Rezeption des Barmer Bekenntnisses ist es vor allem der von Barth hervorgehobene konfessorische Charakter der theologischen Existenz, der die Beachtung gilt: Theologie muss ihrem Wesen nach in dem Sinne bekennende Theologie sein, dass sie auf das heute zu sprechende Bekenntnis in Wort und Tat ausgerichtet ist. Und damit hebt Barth in seiner Theologie zugleich mit besonderem Akzent die vorbehaltlose Solidarität der Christen mit einer nüchtern wahrgenommenen Welt hervor. Diese Solidarität orientiert sich unabhängig von allen unterschiedlichen weltanschau­

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lichen und ideologischen Prägungen an den Nöten der Menschen. In diesen Zusammenhang gehört nicht zuletzt die überraschende Rezeption, welche die Theologie Barths in der katholischen Theologie der Befreiung in Lateinamerika erfahren hat. Bis heute allein geblieben ist Barth allerdings mit seinen bereits angedeuteten israeltheologischen Herausforderungen, vor die er die Kirche vor allem um Gottes willen gestellt sieht, nicht nur in ihrem Selbstverständnis als Volk Gottes, sondern auch hinsichtlich der über die Kirche hinausreichenden Treue Gottes zu seiner Erwählung. Wenn Barth die eine Gemeinde Jesu Christi als die aus Israel und Kirche bestehende Gemeinde versteht (KD II/2, § 34.1), bewegt er sich auf einer Ebene, von der aus alle bisherigen ökumenischen Orientierungen grundlegend neu zu orientieren wären.22 Weitere Entfaltung und Vertiefung dieses Aspektes in Kap. II.6; IV.3.3.2 % 

* Auch wenn sich mühelos weitere Akzente der Theologie Barths benennen ließen, mag es im Zusammenhang dieser Einführung zunächst mit diesen zwölf Blitzlichtern sein Bewenden haben. Sowohl der Entdeckungshorizont als auch der Begründungshorizont für eine gründliche und selbstkritische Revision der gesamten Theologie sind ebenso erkennbar geworden wie die spezifischen erkenntnistheoretischen Prämissen, denen Barth eine die Selbstreferenz ihres Gegenstandes respektierende Theologie unterworfen sah. Theologie ist alles andere als eine selbstverständliche und routinisierbare Angelegenheit zur Reinerhaltung der christlichen Tradition. Vielmehr steht sie in der Verantwortung, immer wieder neu darüber Rechenschaft abzulegen, wie angemessenen zu antworten ist auf die heute ergehende Anrede Gottes, wie sie sich im je gegenwärtigen Hören auf das vom Zeugnis der Bibel bezeugte Wort Gottes vernehmbar macht. Wenn Barths Theologie als eine Theologie des Wortes Gottes bezeichnet wird, gilt die Aufmerksamkeit weder einem als besonders wichtig erkannten Bedarf des Menschen noch einer für den Erhalt der Kirche als förderlich oder gar rettend ausgewiesenen Perspektive, sondern sie verweist alle begründbaren Hoffnungen des Menschen und die zu lebenden Perspektiven der Kirche auf das lebendige Wort Gottes, in dem, wenn es ernsthaft als solches vernommen wird, auch für die Bedarfe des Menschen und die Perspektiven der Kirche ausreichend gesorgt ist. Da sich die Theologie grundsätzlich mit ihren Einsichten weder am Ziel noch auch nur im vorläufigen Besitz der Wahrheit wissen kann, geht nichts mehr an Barth vorbei als der Vorwurf einer von ihm angestoßenen Neo-Orthodoxie. Vielmehr lässt sich umgekehrt die Wahrnehmung gut begründen, dass seine Theologie den meisten Problemwahrnehmungen der gegenwärtigen theologischen Diskurse durchaus noch voraus ist. Zweifellos ist uns der unmittelbare Zugang inzwischen 22 Vgl. dazu Weinrich, Ökumene am Ende?, 149 ff.

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erschwert, so dass wir ohne eine gewisse Historisierung nicht mehr auskommen. Das sind wir schon der von Barth selbst betonten Kontextualität seiner Theologie schuldig. Eine nähere Beschäftigung mit Barth wird dann aber auch schnell zeigen, dass das theologische Potenzial, das in dieser Theologie steckt, sich nicht in seiner historischen Bedeutung erschöpft, sondern in vielen der gegenwärtigen Problemkonstellationen immer noch eine erschließende und dann auch weiterführende sachliche Anregung bereitstellen könnte.23 Es ist bemerkenswerterweise vor allem die neuere theologische Diskussion in den Vereinigten Staaten von Amerika, die uns in dieser Entdeckung heute voranzugehen scheint.24

23 Vgl. dazu u. a. Fazakas/Árpád (Hg.), Ist die Theologie Karl Barths noch aktuell? 24 Vgl. dazu Gockel, Jede Stunde neu anfangen.

II. Karl Barths Lebensweg

1. Herkunft, Jugend und Studium Karl Barth wurde am 10. Mai 1886 in Basel geboren. Er war das erste von fünf Kindern von Fritz Barth (1856–1912) und seiner Frau Anna, geborene Sartorius (1863– 1938). Sein Vater, der erst seit Anfang des Jahres an der noch jungen freikirchlich orientierten Baseler Christlichen Predigerschule unterrichtete, habilitierte sich 1889 an der Theologischen Fakultät der Universität Bern und wurde ebenda bald darauf als Nachfolger von Adolf Schlatter, der einem Ruf nach Tübingen gefolgt war, erst zum außerordentlichen und dann zum ordentlichen Professor für Kirchengeschichte und Neues Testament ernannt. So verbrachte Karl seine Kindheit und Jugend vor allem in Bern. Dennoch sollte Basel nicht nur sein Geburtstort bleiben, sondern auch zu seiner langjährigen Wirkungs- und Lebensstätte werden, zu der er sich auch angesichts all der Auseinandersetzungen, die er hier zu durchstehen hatte, ausdrücklich bekannt hat. Er war sich der besonderen Luft Basels durchaus bewusst und machte sich vor allem die Elemente von ihr zu eigen, die besonders die von ihm geschätzte selbstbewusste Schweizer Unabhängigkeit und Freiheit beflügelt haben. In Basel wurde Karl Barth schließlich auch am 13. Dezember 1968 auf dem stattlichen Hörnli-Friedhof beigesetzt. Sein Vater Fritz bzw. genau Johann Friedrich Barth entstammt einer Familie, die seit dem 16. Jahrhundert im Aargau ansässig war. Er war das jüngste von fünf Kindern des zuletzt in Basel wirkenden Pfarrers Franz Albert Barth (1816–1879). Aus dem Hause der Großeltern war bei Barths Bismarck in der Gestalt eines Nussknackers präsent, der bei dem Kind Karl einen vitalen Eindruck hinterließ. Die Vorfahren der Großmutter väterlicherseits kamen aus dem Elsass nach Basel. Als erfolgreicher Seidenfärber bekleidete ihr Vater Peter Friedrich Lotz (1787–1841) öffentliche Ehrenämter, aus denen er als temperamentvolle und eigenwillige Persönlichkeit in Erinnerung ist. Karl Barth berief sich später gelegentlich auf diesen „Lotzenzorn“, von dem er einen Anteil mitbekommen habe. – Auch seine Mutter entstammt einer Baseler Theologenfamilie mit neun Kindern, deren Wurzeln nach Oberfranken reichen. Die Familie Sartorius war ebenfalls von anerkannten und gelehrten Charakteren geprägt. Es ist besonders sein lebhaftes Interesse an der

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Karl Barths Lebensweg

Historie, das Karl Barth dieser Linie seiner Familie zu verdanken meinte. Insgesamt kann gesagt werden, dass Barth aus gewachsenen und selbstbewussten bürgerlichen Verhältnissen stammt, wie sie in besonderer Weise für die Kultur und Bildungstradition des 19. Jahrhunderts prägend gewesen sind. Ihrer Zeit entsprechend war die Erziehung Karls und seiner Geschwister streng, aber auch verständnisvoll. Im Rückblick stand die Dankbarkeit für eine behütete Kindheit und „eine Unmenge von unbewußt Empfangenem“1 im Vordergrund. Besonders erinnerte sich Barth an den tiefen Eindruck, den seine erste Begegnung mit Mozart im Alter von fünf oder sechs Jahren bei ihm hinterlassen hat, als ihm der Vater auf dem Klavier ein paar Takte aus der Zauberflöte („Tamino mein, oh welch ein Glück …“) intonierte.2 Auch Frömmigkeitsprägungen vor allem durch das Elternhaus haben Karl geprägt. Nach zweifelhaften Erfahrungen in der Gemeinde hatte der Vater die Sonntagsschule für seine Kinder zu Hause in sein Arbeitszimmer verlegt, wo er ihnen den Kindergottesdienst hielt. Auch in der freien Schule, die Karl besuchte und an der sein Vater bis zu seinem Lebensende Religionsunterricht erteilte, lag auf der Glaubenserziehung und der religiösen Praxis ein ausdrücklicher Akzent. Von außen wurde sie als eine „für ein paar Herrensöhnlein in pietistischem Sinne errichtete Schule“ bespöttelt, was gewiss auch einen Aspekt dieser Einrichtung traf.3 Im Gegensatz zu dem als zunehmend freisinnig empfundenen offiziellen Schulunterricht stand diese Schule im Zeichen einer bibelgläubig-positiven Ausrichtung, was sich besonders in regelmäßiger Gebetspraxis und intensivem Choralgesang niederschlug. Die Verehrung, die Barth seinem Vater entgegenbrachte, bezieht sich besonders auf die mit seiner Frömmigkeit verbundenen authentischen Gradlinigkeit, in der dieser immer auch für Erneuerung und Bewegung in den überkommenen Ausrichtungen gesorgt und dabei auch den Konflikt etwa in der Schule, aber auch in der Gemeinde oder an der Fakultät nicht gescheut hat. Trotz der gelegentlichen Konflikte wurde er wegen seiner abgewogenen Einschätzungen durchaus geachtet und auch immer wieder zu Rate gezogen. Theologisch schlug sich diese Eigenständigkeit einerseits in vorsichtigen Öffnungsversuchen nieder, mit denen er den Erkenntnissen der historischen Forschung im Bibelverständnis Gehör zu verschaffen versucht hat, und andererseits in seiner zunehmend besorgten Aufmerksamkeit gegenüber den sozialen Herausforderungen, vor denen sich das christliche Gewissen nicht einfach verschließen könne, wenn es darum gehe, das Evangelium in einer sich verändernden Welt zu bewähren. So stand er gewissermaßen zwischen den Stühlen, was seiner weiteren Karriere geschadet hat, weil er den Liberalen nicht entschieden genug erschien und den „Positiven“ mit seiner vermeintlich „linken“ Empfindlichkeit nicht mehr als vollkommen zuverlässig galt. Berufungen an die „positiven“ Fakultäten in Halle und Greifswald scheiterten an

1 2 3

Zit. n. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 23. Barth, Mozart, 7 u. Barth, Letzte Zeugnisse, 17. Vgl. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 26.

Herkunft, Jugend und Studium

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seiner Leugnung der Jungfrauengeburt.4 Möglicherweise ist es aber genau diese Haltung gewesen, in der sich der Vater seinen Überzeugungen und der aus ihnen resultierenden Verantwortung treu blieb, die zu dem „unbewußt Empfangenem“ gehört und auf Karl einen tiefen und nachhaltigen Eindruck gemacht hat – beide Eigenschaften finden sich schließlich in eigener Ausprägung deutlich bei ihm selbst wieder. Erst nach dem frühen Tod des Vaters im Alter von 55 Jahren, als Karl bereits in einer Landgemeinde im Kanton Aargau als Pfarrer arbeitete, ist ihm die große Bedeutung, die sein Vater für hatte, erst einigermaßen bewusst geworden. Auch was die körperlichen Herausforderungen anging, brachte sein Vater für die Kinder ein besonderes Verständnis auf, indem er sich häufig nach dem Mittagessen die Zeit nahm, um mit seinen Söhnen Ring- und Boxkämpfe zu zelebrieren. Im Blick auf seine Kindheit und Jugendzeit erinnerte sich Barth an zahlreiche Balgereien und Streiche, bei denen ihm eine gewisse Anführerrolle zugekommen sei. Es wurden Fehden zwischen den Schulen ausgetragen, aber auch zwischen rivalisierenden Gruppen an der eigenen Schule, an denen sich Karl zum Teil maßgeblich beteiligte. Er widmete sich zudem intensiv dem Spiel mit Zinn- bzw. Bleisoldaten, in dem er mit seinen Brüdern sachkundig ganze Schlachten nachgespielt habe. In einem der seinerzeit in der Schweiz verbreitet zu findenden „Kadettenkorps“, dem er im Alter von elf Jahren beitrat, habe er dann über mehrere Jahre hinweg auch eine beinahe regelrechte militärische Ausbildung durchlaufen. Dass daneben die von den Eltern gewünschte Ausbildung an der Geige in ihren Anfangsgründen stecken blieb, kann kaum verwundern (mehr schon, dass er sich später zu Beginn seines Studiums ausgerechnet mit der privaten Erteilung von Geigenstunden sein Taschengeld verdiente). Allerdings sang er gern und inbrünstig, was er bis in hohe Alter hinein nicht aufgab. In der nicht besonders geliebten Schule waren Deutsch und Geschichte seine Favoriten, ergänzt durch intensive eigene Lektüre vornehmlich historischer Literatur. Im Verhältnis zur Mathematik dagegen konnte weder er dieser noch diese ihm etwas Besonderes abgewinnen. Die Schule stand in anhaltender Konkurrenz zu den mit Elan verfolgten eigenen Interessen. So wundert es kaum, wenn sich im Zeugnis unter Betragen Einträge finden wie „träumt oft“. Neben der anhaltenden Lektüre fand er sich auch bereits früh zu eigenem Schreiben ermutigt. Mit 13 stellte er seine bis dahin verfassten Schriften zusammen unter dem Titel: „Karl Barths Gesammelte Werke, gewidmet seiner Großmama“.5 Unter den Geburtstags- und Weihnachtswünschen fanden sich immer Bücher, die er gern mit ausgeschnittenen Annoncen auf den zu hinterlegenden Wunschzetteln vermerkte. „Ein Denkmal der Großtaten in den Befreiungskriegen von 1808–1815“ von Christian Niemeyer hat er mehrmals verschlungen und den Inhalt tief ins Gedächtnis eingeprägt. Er verfügte über ein umfängliches historisches Wissen, das er auch selbständig einzusetzen verstand – das hat ihm später in seiner politischen Urteilsbildung 4 5

Barth 1961 in einem Gespräch mit Methodistenpredigern, in: Barth, Gespräche 1959–1962, 192. Zit. n. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 39.

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zu einer breiten Orientierung verholfen. Eberhard Busch bringt es mit dem Einfluss der geliebten Großmutter Johanna Sartorius in Verbindung, die Karl besonders gern in Basel in ihrer geschichtsträchtigen Wohnung besuchte, dass er bis weit über seine Jugend hinaus mit Fleiß und Umsicht Portraits großer Persönlichkeiten in Geschichte und Gegenwart sammelte und sich mit ihnen vertraut machte.6 Eine besondere Begeisterung brachte er – wie viele Heranwachsende in dieser Zeit – für die Werke Friedrich Schillers auf, wobei ihn insbesondere „Wilhelm Tell“ und das darin enthaltene mit der Schweiz verbundene leidensbereite Pathos für die Freiheit nachhaltig beeindruckt haben. Einerseits wurden Szenen aus Dramen Schillers mit den Geschwistern und Freunden einstudiert und im Gartenhäuschen aufgeführt, und andererseits fühlte sich Karl animiert, auch mit selbst verfassten dramatischen Schauspielen aufzuwarten. Unter dem Eindruck einer Reise mit seinem Vater an den Genfer See verfasste er 1901 sein umfangreichstes Schauspiel „Leonardo von Montenuova oder Freiheit und Liebe“, das dann später 1931 von Bonner Studenten unter der Regie von Helmut Gollwitzer in Barths Haus aufgeführt wurde.7 Auch engagierte sich Karl in einem Schülerverein, rezitierte Gedichte und hielt Vorträge zu historischen Themen, womit er mehr als ausgefüllt war und die Schule eben gleichsam nur mitlaufen ließ. Im Zusammenhang mit dem 1901/02 gern besuchten Konfirmandenunterricht fasste Karl gut zwei Jahre vor seinem Abitur am Abend des Konfirmationstages den Entschluss, Theologie zu studieren. Neben seinem Vater war es vor allem der Pfarrer der Nydeggkirche Robert Aeschbacher, der mit seinem in apologetischer Manier eindrucksvoll dozierend erteilten Konfirmandenunterricht ebenso wie mit seinen anregenden Predigten vor einer meist voll besetzten Kirche bei Karl ein vertieftes Interesse an der Theologie geweckt hat. Dabei war es nicht der Beruf des Pfarrers, der ihn reizte, sondern es ging ihm darum, „zur Realisierung eines mir dunkel vorschwebenden sachlichen Verstehens des Glaubensbekenntnisses zu gelangen.“8 Kurz nach dem Abitur begann er im Oktober 1904 zunächst in Bern sein Studium. Noch im Alter hat sich Barth gern an diese Zeit in Bern erinnert, insbesondere an seine Mitgliedschaft in der Studentenverbindung „Zofingia“. An den Aktivitäten der Verbindung nahm er nicht nur gern teil, sondern er hat sich auch selbst eingebracht, insbesondere mit einer engagierten Anregung zu einer grundsätzlichen Neuorientierung ihres Selbstverständnisses, wie er es in einem Vortrag im Januar 1906 „Zofingia und Sociale Frage“9 vorgetragen hat. Sein Vortrag führte zu heftigen Auseinandersetzungen, die aber nicht nur in Bern im Schwange waren, sondern auch an anderen Orten das Verbindungsleben in unterschiedlicher Form erreichten und in Bewegung versetzten. Es war diese Verbindung, die ihm die Bekanntschaft mit Eduard Thurneysen, seinem späteren Freund und Wegbegleiter, einbrachte, der 6 7 8 9

Vgl. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 30. Vgl. Bethge, Dietrich Bonhoeffer, 217. Zit. n. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 43. Vgl. Barth, Zofingia und Sociale Frage.

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seinerseits dieser Verbindung in Basel angehörte. Das ordentlich absolvierte Studium vermochte ihn in Bern noch nicht in seinen Bann zu ziehen, auch wenn er besonders interessiert den Vorlesungen seines Vaters folgte. Nach der 1906 abgelegten propädeutischen Prüfung wechselte er für drei intensive Semester nach Berlin. Diese Entscheidung war ein mit dem Vater ausgehandelter Kompromiss zwischen dem Wunsch des Vaters, der Karl gern in Halle oder Greifswald unter dem Einfluss einer positiv-biblisch orientierten Theologie von Martin Kähler oder Hermann Cremer gesehen hätte, und seinem eigenen Wunsch, sein Studium in Marburg als dem Geburtsort des Neukantianismus fortzusetzen. Neben der Faszination, die er für Adolf Harnack (ab 1914: Adolf von Harnack) empfand, waren es vor allem der Ritschlianer Julius Kaftan und der Mitbegründer der religionsgeschichtlichen Schule Hermann Gunkel, denen die besondere Aufmerksamkeit Barths galt. In dieser Zeit entzündete sich auch das Interesse an dem Marburger Systematiker Wilhelm Herrmann, dessen Lektüre ihm das erste Mal das Gefühl vermittelte, „mit selbständiger Aufmerksamkeit dabei gewesen zu sein in der Theologie“.10 Der Wunsch, in Marburg zu studieren, hatte sich in Berlin weiter verstärkt. Aber es sollte zunächst noch nicht dazu kommen. Karl kehrte nach Bern zurück, wo er sich nun ganz in die Fänge des Verbindungslebens begab. Er ließ sich zum Präsidenten der „Zofingia“ wählen, was dann mit dem Kommentar versehen wurde, dass ein Ketzer zum Papst geworden sei.11 Das Studium trat zum Ärger seines Vaters in den Hintergrund, und Karl genoss das Studentenleben in vollen Zügen. Er verliebte sich bis über die Ohren in Rösy Münger, eine junge Bernerin. Auch dies stieß auf Ablehnung im Elternhaus und führte, als sich mehr als zwei Jahre später eine Verlobung abzuzeichnen begann, zu massiver Einflussnahme der Eltern auf Karl („Elternwille ist Gotteswille“), so dass dieser im Mai 1910 die Verbindung löste, was ihm dann zeitlebens nachgegangen ist. 2007 gab Karl zum Ende des Berner Semesters dem Druck seines Vaters nach und ging für ein Semester nach Tübingen, um dort widerwillig Adolf Schlatter zu hören. Endlich konnte Karl den Widerstand seines Vaters gegen das liberale Marburg brechen. Im Sommer 1908 wechselte er erwartungsvoll dorthin, wo er sich vor allem den Wunsch erfüllte, den Schüler Albrechts Ritschls und Neukantianer Wilhelm Herrmann als den herausragenden Vertreter der Marburger Schule zu hören. In der Perspektive Schleiermachers und im Horizont von Kants Vernunftbegriff galt Herrmanns Aufmerksamkeit dem spezifischen Charakter der Religion als einer aus dem individuellen Erlebnis kommenden und Gewissheit stiftenden besonderen Wirklichkeitserfahrung. Die Theologie ist der unzulänglich bleibende Versuch, das prinzipiell Individuelle des religiösen Erlebens zum Wohl der Gemeinschaft mit dem Allgemeinen zu verbinden. Die dem Erlebnis entsprechende freie Hingabe stellt die Religion in den genuin mit ihr verbundenen Horizont der Sittlichkeit. Das Erlebnis 10 Barth, Die dogmatische Prinzipienlehre bei Wilhelm Herrmann [1925], 552. 11 Vgl. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 52.

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steht für die Offenbarung des Willens Gottes. Als solches verschafft es dem nach der Wahrheit und dem Guten ausschauenden Menschen in der bedrückenden Spannung von Sein und Sollen die gesuchte Erlösung, in der er ganz und gar auf Christus verwiesen wird. Diese christologische Konzentration hat Barth mit besonderer Aufmerksamkeit gewürdigt, weil sie der Theologie ihren spezifischen Gegenstand gibt und sie damit aus der Abhängigkeit von anderen Disziplinen befreit. Freilich kommt bei Herrmann diese christologische Konzentration in einer spezifischen Weise in den Blick, indem sie sich auf die Wahrnehmung des inneren Lebens Jesu konzentriert, in dem sich das Wunder der erlösenden Herrschaft Gottes im Menschen zeige. Wenn Barth später für sich auch die christologische Konzentration in das Zentrum seiner theologischen Orientierung stellen wird, bekommt sie eine inhaltlich vollkommen andersartige Wendung, die sich konsequent an dem biblischen Zeugnis orientiert. Barth hatte sich ganz und gar der liberalen Theologie hingegeben. Nach dem im Herbst 1908 abgelegten Examen und einem kurzen Vikariat kehrte Barth nach Marburg zurück, um dort an der Seite von Martin Rade als Redaktionsassistent der wohl bedeutendsten kulturprotestantisch geprägten Zeitschrift „Die Christliche Welt“ zu arbeiten und darüber hinaus vor allem Kant und Schleiermacher zu studieren. In einem pointierten Beitrag „Moderne Theologie und Reichgottesarbeit“ in der „Zeitschrift für Theologie und Kirche“ formulierte Barth 1909 eine diagnostisch feinsinnige Stellungnahme zur modernen Theologie, in der er sich zu ihren beiden Fundamentalentscheidungen bekennt, nämlich ihrem Individualismus und ihrem historischen Relativismus. Schließlich hat er es „als eine Einweihung für alle Zukunft aufgefaßt“12, als ihn beim Antritt seines ersten Pfarramtes in Genf, wohin Barth als Hilfsprediger in die deutschsprachige Gemeinde berufen war, fünf Minuten vor seiner ersten Predigt die ihm per Post von Wilhelm Herrmann zugeeignete vierte Auflage seiner Ethik erreichte. Auch das in Genf betriebene Studium der Institutio Christianae Religionis, das Hauptwerk des Genfer Reformators Johannes Calvin, hat keine grundsätzlichen Anfragen an seine liberalen Grundüberzeugungen geweckt. Zu den nicht einmal zwei Jahren als Hilfsprediger in Genf, in denen Barth auch Konfirmandenunterricht zu halten hatte, gehört die Begegnung mit der siebzehnjährigen Nelly Hoffmann, der jüngsten Tochter eines bereits verstorbenen Juristen, die mit ihrer Mutter in Genf lebte, um ihren fünf Töchtern eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Nelly bereitete sich mit der Geige am Konservatorium auf ein Musikstudium vor. Sie war Konfirmandin in Barths erstem Jahrgang, der im Mai 1910 konfirmiert wurde. Bereits im Mai 1911 fand die Verlobung statt, der dann 1913 in Safenwil die Hochzeit folgte.

12 Barth, Die dogmatische Prinzipienlehre bei Wilhelm Herrmann, 552.

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2. Der „rote Pfarrer von Safenwil“ Am Sonntag, den 9. Juli 1911, wurde Barth von seinem Vater in der Bauern- und Arbeitergemeinde Safenwil im Kanton Aargau als Pfarrer in sein Amt eingeführt. Erst vor 40 Jahren war das wachsende Dorf mit seinen inzwischen 1625 Einwohnern, von denen 1487 Protestanten waren, eine selbständige Kirchengemeinde geworden. Das Dorf befand sich im Zuge einer zunehmenden Industrialisierung in einem durchgreifenden Strukturwandel, der mit großen sozialen Problemen verbunden war. Ein immer größerer Anteil der Erwerbstätigen kehrte der ertragsarmen Landwirtschaft den Rücken, um sich durch Industriearbeit mit überaus niedrigem Lohnniveau den Lebensunterhalt zu verdienen, etwa in der Strickerei Hochuli, den ansässigen Textilfabriken oder dem Sägewerk der Familie Hüssy. Neben vielem anderen waren es zunächst vor allem zwei Bereiche, denen Barth nun – auch im sich intensivierenden Austausch mit verschiedenen Kollegen, die sich in einer vergleichbaren Lage befanden – seine besondere Aufmerksamkeit widmete: einerseits der sorgfältigen Vorbereitung auf die sonntägliche Predigt und andererseits die Bekämpfung des sozialen Elends in seiner Gemeinde. Mit seinen in der Regel recht langen, Wort für Wort ausformulierten und dann doch frei gehaltenen Predigten hat er seine Hörerinnen und Hörer nicht selten mit theologischen Abwägungen überfordert, was mit ein Grund dafür gewesen sein mag – gewiss nicht der einzige (!) –, dass es nur einen schlechten Gottesdienstbesuch zu verzeichnen gab. In liberaler Manier spricht er die Gemeinde mit „liebe Freunde“ an, um ihr dann die Größe Gottes als der ewigen Liebe vor Augen zu stellen wie sie in besonderer Weise an Jesus erkannt werden könne. Deutlich lässt sich die Tonart vor allem der Theologie von Wilhelm Herrmann vernehmen: Die erste kleine Entfaltung des Keimleins in der Erde wie die Weiterentwicklung des fünfzigjährigen Baumes, sie wären nicht denkbar ohne die milden Strahlen dieser großen Wohltäterin [sc. die Sonne] unserer sichtbaren Welt. […] So leben wir Menschen aus Gott. Kraft, Freude und Frieden sind in ihm zu Hause und nur in ihm. Er ist die Quelle alles Guten, der Ursprung von Allem, was wahr und schön ist. […] Wenn Gott sich uns schenkt, wenn sein Licht und seine Wärme uns erreichen, an uns kommen, das ist das Evangelium.13

Eine besondere Deutlichkeit bekommt der liberale Akzent der Predigten in der Christologie, die im Kreuz ihre spezifische sachliche Mitte vergegenwärtigt: Es kann keine Rede davon sein, daß wir verzweifeln, daß wir uns stumm dem Leiden und der Sünde hingeben müßten, als ob sie notwendig wären. Der Blick auf das Kreuz befreit uns von diesem Wahn. Dort sehen wir einen, der diese ganze große Not durchgemacht und sie schließlich überwunden hat, ohne an Gott irre zu werden. […] Es ist die stille Heiterkeit und Sicherheit einer Seele, die von vornherein weiß, daß sie tragen kann und siegen muß. Unver13 Barth, Predigten 1914, 79 (Predigt am 15.02.1914 über Röm 1,16).

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gleichlich groß sehen wir diese Art an Christus in seinen letzten bitteren Stunden. Das ist die größte Tat Gottes für uns, daß er ein solches unvergleichliches Bild vor unsere schwache Seele hingestellt hat. Er hat es getan, indem er Christus diese bittere Stunde hat durchmachen lassen. Wir wollen dankbar sein und annehmen, was uns Gott da gegeben hat. Amen. (150)

Neben der Predigt beschäftigte Barth vor allem das soziale Elend der Industriearbeiter, das sich nicht zuletzt in einem verbreiteten Alkoholismus widerspiegelte. Er sah es vom Evangelium aus geboten, sich konkret damit zu befassen, und so erwies es sich als notwendig, sich intensiv mit den Rechtsverhältnissen und den aktuellen Konfliktlinien der Gewerkschaftspolitik vertraut zu machen. In dem Klassengegensatz, den ich in meiner Gemeinde konkret vor Augen hatte, bin ich wohl zum ersten Mal von der wirklichen Problematik des wirklichen Lebens berührt worden. Dies hatte zur Folge, daß […] mein eigentliches Studium sich [nun] auf Fabrikgesetz­gebung, Versicherungswesen, Gewerkschaftskunde und dergl. richtete und mein Gemüt durch heftige, durch meine Stellungnahme auf Seiten der Arbeiter ausgelöste, lokale und kantonale Kämpfe in Anspruch genommen war.14

Wie bereits mit einigen Hinweisen angedeutet wurde, war die wahrgenommene Herausforderung für Barth nicht neu, und sie wurde auch keineswegs nur von Barth gesehen. „Jeder nicht schlafende oder sonst irgendwie hinter dem Mond lebende oder aus irgendeinem Grund verbockte jüngere Schweizer Pfarrer war damals im engeren oder weiteren Sinne ‚religiös-sozial‘.“15 Schon seit 1911 hielt Barth nicht nur vor dem „Arbeiterverein“ Vorträge, in denen er sich offensiv auf die Seite des Sozialismus stellte. Bereits in seinem Elternhaus und dann in seinem Engagement in der Zofingia hatte er sich mit der sozialen Frage auseinandergesetzt, wenn auch vergleichsweise theoretisch. Sein Bruder Peter hatte 1912 in der „Christlichen Welt“ engagiert auf den Zusammenhang von Calvin und dem Sozialismus aufmerksam gemacht und dabei eine bedeutungsvolle Differenz zur lutherischen Orientierung an der individuellen Seligkeit annonciert.16 In einem Brief an Rade im Januar 1914 hebt Karl seinerseits hervor, dass er „ja von der Theologie, bes. Calvin, auf die sozialen Sachen gekommen“17 sei. Barth reiht sich auf eine durchaus eigene Weise ein in den religiösen Sozialismus, der zu dieser Zeit insbesondere durch seine Hauptvertreter Hermann Kutter und Leonhard Ragaz von sich reden machte. Beiden ist Barth mehrmals begegnet; Kutter hat er verschiedene Male besucht und dieser war auch nicht nur einmal bei Barth in Safenwil zu Gast. Intensiv tauschte sich Barth besonders mit seinem Amtskollegen im Nachbardorf Leutwil, Eduard Thurneysen, über die Stärken und Schwächen 14 15 16 17

Zit. n. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 81. Barth, Offene Briefe 1945–1968, 189. Peter Barth, Was wollen die Schweizer Religiös-Sozialen? Barth/Rade, Briefwechsel, 89.

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des religiösen Sozialismus und ihre spezifische Rolle als Pfarrer aus. Zwar waren sie sich in der Zofingia und auch in Marburg bereits begegnet, doch hier wurde nun der Grund für eine Freundschaft zwischen den beiden gelegt, die sich dann in den bald kommenden Turbulenzen und Umbrüchen vertiefte und beinahe ein Leben lang bewährte. Zugleich gab es auch einen lebhaften Austausch mit anderen Kollegen in der Umgebung. So sehr Barth die offiziellen Pfarrkonvente verabscheute, so sehr schätzte er doch den lebhaften Austausch mit denjenigen, die sich mit vergleichbaren Problemen herumschlugen. In diesem Zusammenhang wurde Barth mehr und mehr bewusst, dass es deutlich zweierlei war, einerseits einen auf Diskussion hin angelegten Vortrag über soziale Gerechtigkeit zu halten und andererseits konkret und ergebnisorientiert die Interessen der ausgebeuteten Arbeiter zu vertreten, denen in der Regel schon eine differenzierte Wahrnehmung ihrer Situation verschlossen blieb. Sollte den Arbeitern wirklich geholfen werden, dann galt es einerseits, ihnen Anleitung zu einem organisierten Vorgehen zu geben, damit sie die Lähmung ihrer Wehrlosigkeit hinter sich lassen konnten, und andererseits, ihnen durch Mitwirkung im „Blauen Kreuz“ in ihrem Alkoholproblem konkret zur Seite zu stehen. Die Brisanz der Frage des Alkoholismus mag daran abgelesen werden, dass in dieser Zeit fast die Hälfte aller Pfarrer sich für die Abstinenz entschieden. Auf einen scharfen öffentlichen Angriff vonseiten des Fabrikanten Walter Hüssy, mit dem er Barths Engagement als weltfremden Idealismus lächerlich zu machen versuchte, reagierte Barth mit einer ebenso zugespitzten öffentlichen Antwort, die einerseits deutlich zu erkennen gibt, wie sehr er sich bereits mit den Sachfragen auseinandergesetzt hatte, und andererseits jede Polemik des Angreifers parierte: Zum Schluß noch ein Wort über Ihre Phrase, daß zwischen Theorie und Praxis ein Unterschied bestehe. (Denn Sie werden doch selbst nicht den Mut haben, diesen Gemeinplatz als einen Gedanken zu bezeichnen?) Sie wollen damit sagen, daß man die Praxis mit der Theorie möglichst ungeschoren lassen sollte. Dieser Wunsch ist in Ihrem Munde höchst begreiflich. Was Sie mit der Praxis meinen, das ist der Privatnutzen, und was ich mit der Theorie meine, das ist die Gerechtigkeit. Sie tun sehr klug daran, dem Privatnutzen die Gerechtigkeit möglichst vom Leibe zu halten und gewisse fatale Bibelsprüche als „alt und deshalb nicht mehr zeitgemäß“ zu erklären. Aber wir wollen es abwarten, wessen Licht länger brennt, dasjenige Ihrer Klugheit, die die Theorie von der Praxis trennt, oder dasjenige des Sozialismus und der Bibel, die an die Stelle des Privatnutzen die Gerechtigkeit setzen.18

Nachdem er entsprechende Einladungen und Aufforderungen mehrfach abgelehnt hat, trat er 1915 schließlich doch noch in die sozialdemokratische Partei ein, um sich auch konkret in den politischen Auseinandersetzungen zu positionieren. Am 5. Feb. 1915 schreibt er an Thurneysen:

18 Barth am 06.02.1912 ab Walter Hüssy, in: Barth, Offene Briefe 1909–1935, 16.

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Ich bin nun in die sozialdemokratische Partei eingetreten. Gerade weil ich mich bemühe, Sonntag für Sonntag von den letzten Dingen zu reden, ließ es es mir nicht mehr zu, persönlich in den Wolken über der jetzigen bösen Welt zu schweben, sondern es musste gerade jetzt gezeigt werden, daß der Glaube an das Größte die Arbeit und das Leiden im Unvollkommenen nicht aus- sondern einschließt.19

Im Abwägen zwischen Kutter und Ragaz – mit beiden stand er auch im persönlichen Kontakt – schlug er sich eher auf die Seite Kutters, weil er sich zunehmend kritisch gegen jede religiöse Überhöhung des politischen Engagements etwa als die uns gebotene Arbeit am Reich Gottes aussprach, wie sie von Ragaz immer wieder eingefordert wurde. Wiederum an Thurneysen schreibt er: Versteht es sich denn von selbst, daß „wir“ das Gottesreich „vertreten“ (ein ganz toller Ausdruck! […])? […] Haben wir denn das Gottesreich in seinem radikalen Ernst überhaupt erfaßt, erlebt? Ist der Glaube nur auch für Ragaz persönlich, geschweige denn für die übrige Menschheit eine selbstverständliche Voraussetzung, über die man einfach hinweghüpft, um nun das Gottesreich eins20 zu vertreten? Kein Wort von der „Erkenntnis Gottes“, von der „Umkehr“, dem „Warten“ auf das Gottesreich, […] das doch das Apriori alles „Vertretens“ ist! (69 f)

Eine besondere Bedeutung hatte schließlich im April 1915 ein mehrtägiger Besuch bei Christoph Blumhardt in Bad Boll, der ihm in ausgiebigen Gesprächen vor allem die Unterscheidung zwischen unserem politischen und somit weltlichen Engagement und dem Warten und Hoffen auf das Reich Gottes, das allein durch das Handeln Gottes selbst herbeigeführt wird, prägend ins Bewusstsein einschrieb. Allein die Zuversicht, die der Wirklichkeit Gottes zugewandt bleibt, vermag auch die Handlungsspielräume und Entschlossenheiten in eben das relative Recht zu versetzen, in dem unser Engagement allein seine ebenfalls immer nur relative Bedeutung bekommen kann. Die betonte Relativität steht dabei nicht nur für die zu realisierende Bescheidenheit, sondern in gleichem Maße auch für die wahrzunehmenden Beziehungszusammenhänge, in denen unsere menschliche Geschichte überhaupt erst eine theologisch tragfähige Orientierung gewinnen kann. Es war insgesamt eine Zeit, in der die Brüchigkeit des Überkommenen bereits zu einer Gewissheit geworden war, ohne dass sich bereits absehen ließ, in welche Richtung es weitergehen sollte. Die Fragen wurden immer drängender und die Antworten immer ungreifbarer. Im Rückblick schreibt Barth 1955 an seine Söhne, dass er zu dieser Zeit „wie eine Hummel gegen alle die verschlossenen Fenster angerannt“ sei.21 Das Problem der Predigt rückte ihm mit einer ganz neuen Grundsätzlichkeit auf den Leib, was er in einer dann in der ganzen Gemeinde verteilten Predigt über falsche Prophetie in Auslegung von Ez 13 auch mitzuteilen versuchte unter der 19 Barth/Thurneysen, Briefwechsel Bd. I, 30. 20 „Eins“: eine Verstärkung des „nun“, etwa in der Richtung: „jetzt wollen wir mal …“ Ebd., 70. 21 Zit. n. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 98.

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Überschrift: „Der Pfarrer, der es den Leuten recht macht“.22 Tatsächlich polarisierte sich die Gemeinde zunehmend, und Barth wurde mit scharfer Kritik, persönlichen Angriffen, dem Rücktritt von Gemeinderepräsentanten (Kirchenpfleger) aus dem Gemeinderat und auch Kirchenaustritten konfrontiert, was sich unschwer nachvollziehen lässt. Das hatte ihn durchaus auch belastet, und er fragte seinen Freund Thurneysen weniger zweifelnd als selbstermutigend, ob sie da tatsächlich „mitsamt unsern Gemeinden“ hindurchmüssten?23 3. „Gott ist uns ein Fremder geworden“ Mit diesen letzten Überlegungen bewegen wir uns bereits im gründlich veränderten Horizont einer Zeit, die durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs am 1. August 1914 bestimmt wird. Während in Deutschland der Ausbruch des Krieges weithin mit Begeisterung und Enthusiasmus begrüßt wurde, wurde er von Barth als eine katastrophale Kapitulation eines in seinem Narzissmus gegenüber der Realität zunehmend erblindenden Fortschrittsglaubens wahrgenommen. Insbesondere für die Theologie erlebte Barth den Kriegsausbruch nicht zuletzt deshalb als eine grundstürzende Krise, weil er unter einem am 3. Oktober veröffentlichtem Manifest „An die Kulturwelt!“24 mit den Unterschriften von 93 Intellektuellen, in dem der Kriegsausbruch und das deutsche Vorgehen propagandistisch gerechtfertigt werden, mit Entset­zen auch die Namen ungefähr aller meiner deutschen Lehrer (mit ehren­voller Ausnahme Martin Rades!) entdecken [musste]. Eine ganze Welt von theologischer Exegese, Ethik, Dogmatik und Predigt, die ich bis dahin für grundsätzlich glaubwürdig gehalten hatte, kam damit und mit dem, was man damals von den deutschen Theologen sonst zu lesen bekam, bis auf die Grundlagen ins Schwanken.25

An dem „ethischen Versagen“ wurde Barth zugleich auch deutlich, „daß auch ihre exegetischen und dogmatischen Voraussetzungen nicht in Ordnung sein könnten.“26 Barth wurde es schrecklich zu Mute, wenn zu dem Durcheinander von Kriegslust und Vaterlandliebe schließlich auch noch „die Theologen kommen und alles nun religiös verklären wollen mit ihrer furchtbar gewandten Dialektik. Da regt sich aller Widerspruch in mir, […]“27 Die selbstverständliche Inanspruchnahme Gottes als religiöse Bestätigungsinstanz einer doch vor allem ohne ihn vorangetriebenen Geschichte nimmt Gott die ihm zukommende Souveränität und macht ihn zu seinem ornamentalen Element der gerade protegierten politisch-militärischen Pra22 23 24 25 26 27

Vgl. Barth, Predigten 1916, 44–62. Barth/Thurneysen, Briefwechsel Bd. I, 408. Dokumentiert in: Das Zeitalter der Weltkriege und Revolutionen, 1–3. Barth, Nachwort, 293. Zit. n. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 93. Brief an Helene Rade vom 20.12.1914 in: Barth/Rade, Briefwechsel, 127 f.

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xis. Doch auch schon vor der Veröffentlichung des Manifestes beklagte Barth am 30. August 1914 in einer Predigt, „wie jetzt der Name Gottes hereingezogen wird in das sündliche, leidenschaftliche Treiben des Menschen, als sei er einer von den alten Kriegsgöttern, zu denen unsere heidnischen Vorfahren riefen.“28 Und hinsichtlich der Kommentierung des Kriegsausbruches in der „Christlichen Welt“ schrieb er Martin Rade: „Aber warum lassen Sie bei dieser ganzen weltlichen, sündigen Notwendigkeit Gott nicht aus dem Spiele?“29 Da „wird fortgesetzt etwas mit Gott, Gotteserfahrung, Gotteswillen begründet, was ich mit dem Gegenteil von Gott in Verbindung setzen muß, wenn ich nicht allen klaren Inhalt des Wortes ‚Gott‘ preisgeben soll.“ (127) Rade verwies dagegen auf die Tiefe des Erlebens, die es nicht zulasse, Gott hier außen vor zu lassen, selbst wenn da auf den verborgenen Gott zugegriffen werden müsse. Doch Barth hielt dem entgegen, dass Gott zwangsläufig partikularisiert und zu einem wehrlosen Parteigänger der jeweils ablaufenden Geschichte gemacht werde, wenn er vom menschlichen Erleben aus in den Blick genommen werde. Die Frage, die sich hier für Barth folgenreich auftut, ist die ebenso unruhige wie grundlegende Frage, von woher menschliche Gottesrede überhaupt zu einem gewissen Stehvermögen kommen kann. Eröffnet eine bestimmte Wahrnehmung unserer Lebensumstände eine belastbare Perspektive auf Gott, in der sich erkennen ließe, auf welche Weise Gott in Anspruch genommen werden kann? Oder müsste es nicht umgekehrt darum gehen, dass Gott sich dem Menschen zuwendet und ihn in einer ganz besonderen Weise in Anspruch nimmt – aber wie kann es zu einer verlässlichen Erkenntnis dieser Zuwendung Gottes kommen? Barth liegt vorrangig daran, die Aporie in den Blick zu rücken, die er nun unausweichlich mit der Gottesfrage verbunden sieht. In einer Predigt konstatiert Barth angesichts der allzu selbstverständlichen Bereitstellung Gottes für die jeweiligen geschichtlichen Bedarfe die Möglichkeit, dass damit zu rechnen sei, dass er gerade nicht da ist, wo wir ihn gern postieren: Und nun ist uns Gott ein Fremder geworden. Das ist unser Zustand. Wir haben uns so verhalten, daß er nicht bei uns bleiben konnte. […] Der Hochmut überfiel uns, daß wir mehr sein wollten als Gottes Kinder, große, selbständige Wesen wollten wir werden, wohl gar Gott selber gleich, selber wollten wir ausmachen und wissen, was gut und böse sei. Und Gott ließ uns gehen. Nein, er ließ uns stehen, da wo wir uns hingestellt, und ging weiter, ohne uns, und wurde uns ein Fremder.30

Barth erhebt den Vorwurf, dass wir längst die Gerechtigkeit Gottes unseren doch eher kontingenten moralischen, rechtlichen und religiösen Gerechtigkeiten untergeordnet haben. In der Religion zeigt sich der Selbstbetrug am deutlichsten; es geht 28 Barth, Predigten 1914, 451; vgl. ebd., 645. 29 Barth/Rade, Briefwechsel, 96. 30 Am 13.12.1914, in: Barth, Predigten 1914, 616.

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nicht um Gott, sondern vor allem um uns selbst. Ist sie nicht „ein Turm von Babel, über den Teufel lauter lacht als über alles Andere?!“31 Was soll all das Predigen, Taufen, Konfirmieren, Läuten und Orgeln? all die religiösen Stimmungen und Erbauungen, all die „sittlich-religiösen“ Ratschläge „den Eheleuten zum Geleite“, die Gemeindehäuser mit und ohne Projektionsapparat, die Anstrengungen zur Belebung des Kirchengesanges, unsere unsäglich zahmen und nichtssagenden kirchlichen Monatsblättlein und was sonst noch zu dem Apparat moderner Kirchlichkeit gehören mag! Wird denn dadurch etwas anders in unserm Verhältnis zur Gerechtigkeit Gottes? Erwarten wir auch nur, dass dadurch etwas anders werde? (238 f)

Barth beklagt die Selbstverschlossenheit all unserer Lebensdimensionen, die sich bestenfalls um ein Surrogat, aber eben nicht um die Wirklichkeit selber drehen – Barth spricht in dieser Zeit immer wieder von einem „als ob“, mit dem wir uns über die Wirklichkeit hinwegtäuschen. Ihre Wurzel hat diese Täuschung in dem Umstand, dass wir längst das der von uns beherrschten Welt gegenüber prinzipiell Neue und Andersartige Gottes den Bedingungen und Bedürfnissen unserer alten Welt unterworfen haben, und es bleibt zu fragen, von wo aus sich dies Neue und Andersartige Gottes wieder entdecken lässt. Zwar hatte Barth auch vor dem Kriegsausbruch die Andersartigkeit Gottes durchaus im Blick,32 aber sie war ganz und gar von der vorherrschenden idealistischen Orientierung geprägt. Jetzt wurde er von ersten Zweifeln an den Grundentscheidungen der Theologie des 19. Jahrhunderts erfasst, die alle in irgendeiner Weise mit dem Namen Friedrich Schleiermacher verbunden sind. Gotteserkenntnis könne sich nur dort auf einem verheißungsvollen Weg befinden, wo nicht von einer prästabilisierten Harmonie ausgegangen wird, die es dann nur noch freizulegen gilt, sondern wo um die grundsätzliche Schwierigkeit gewusst wird, dass es dem Menschen keineswegs offenstehe und nahe liege, in angemessener Weise von Gott zu reden. Nicht die Frage nach der Existenz Gottes ist gemeint – in dieser Frage bleibt der Mensch im Grunde unerschüttert bei sich selbst –, sondern die viel brisantere, die sich aus der Voraussetzung seiner Existenz ergibt, weil diese dann auch uns selbst in Frage stellt. Den einzigen Grund, den wir in dieser Situation wieder unter die Füße bekommen können, könne allein im Zeugnis der Bibel gefunden werden, das uns über die uns liegenden Möglichkeiten hinausführen will. Wenn Barth 1917 in einem Vortrag „Die neue Welt in der Bibel“ die an die Bibel zu stellenden Erwartungen dazu ermutigt, von ihren Auskünften über Gott mehr zu erwarten als das, was sich der Mensch über Gott selber zu sagen geneigt ist, dann klingt hier in einer eher versteckten Formulierung das erste Mal das zentrale theologische Motiv an, das von nun an in zunehmender Deutlichkeit seine ganze Theologie prägen wird. Er spricht

31 Vgl. Barth, Die Gerechtigkeit Gottes [1916], 239. 32 Vgl. u. a. eine Predigt vom 12.07.1914 in: Barth, Predigten 1914, 366.

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von dem besonderen „Tone vom Ostermorgen“,33 der grundsätzlich über all das hinausgeht, was sich im Horizont unserer Erfahrungen erwarten lässt. Damit wird die entscheidende Herausforderung unserer Erwartung angesprochen, zu der uns die Bibel ermutigt, auch wenn diese über all das hinausgeht, was es vom Menschen und den Bedingungen seiner Welt aus zu erwarten gibt. Wenn es um Gott geht, steht mehr zur Debatte als die idealisierte Duplizierung unserer zufälligen Wertschätzungen in unserem Umgang mit unserer Welt. Der von Barth diagnostizierte Skandal der ebenso beliebigen wie abgründigen Inanspruchnahme Gottes als religiöse Stütze für unsere jeweiligen moralischen Werthaltungen hatte für ihn die Konsequenz, ganz neu die Frage nach den Orientierungen für ein angemessenes Reden von Gott zu stellen, die in der Bibel zu suchen sind. Nach einem Selbstzeugnis von Barth war es sein Freund Eduard ­Thurneysen, der „für Predigt, Unterricht und Seelsorge […] eine ‚ganz andere‘ theologische Grundlegung“ einforderte34, und diese war eben ganz neu in dem biblischen Zeugnis zu suchen, an dem sich die Theologie von alters her und doch immer wieder in anderer Weise orientiert hat und von dem sie auch immer wieder grundlegend erneuernde Impulse empfangen hat. Unter dem Apfelbaum im Pfarrgarten wandte sich Barth im Sommer 1916 einer intensiven Lektüre des Textes zu, der nicht zuletzt in der Reformation zu grundlegenden wie auch einschneidend verändernden Orientierungen geführt hatte: dem Römerbrief des Paulus. Es ging Barth bei dem entschlossen aufgenommenen Textstudium darum, den Römerbrief so zu lesen, als habe er ihn noch nie gelesen, Satz für Satz, und er schrieb auf, was er angesichts der Worte des Paulus und mit oder gegen die zu Rate gezogene Literatur meinte verstehen zu sollen. Gewiss ist es nicht möglich, die mitgebrachten Prägungen ganz auszuschalten – niemand blickt ohne eigene Prägungen in die Bibel –, aber Barth entdeckte in seiner geschärften Aufmerksamkeit auf die Andersartigkeit des biblisch bezeugten Gottes gegenüber all den Vereinnahmungen, mit denen sich die Theologie angewöhnt hat, Gott einen Platz in unserer Weltwahrnehmung zuzuweisen, den Einspruch des Paulus gegen den von der Kirche in ihrem eigenen Betrieb gepflegten harmlosen Gott. So erhaben er auch in Szene gestellt werden mag, so grundsätzlich unterscheidet sich dieser verharmloste und unseren Bedingungen angepasste Gott von dem, der nach dem Zeugnis des Paulus von sich aus die Erkenntnis des Menschen herausfordert und in Anspruch nimmt. Gegenüber der vom Menschen gepflegten religiösen Welt ist die Frage nach Gott „die Frage […] nach dem ganz Andern“35, das uns nicht einfach zur Verfügung steht, sondern um dessen Erkenntnis nur immer wieder neu gebeten werden kann. Wirkliche Gotteserkenntnis aber weiß sich gerade mit ihren letzten Gewißheiten […] nicht am Ende, sondern am Anfang der Arbeit, ist mit den Rätseln und Schwierigkeiten des Lebens 33 Barth, Die Neue Welt in der Bibel [1917], 322. 34 Barth, Nachwort, 294. 35 Barth, Biblische Fragen [1919], 684.

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nie fertig, sondern hebt von Stunde zu Stunde neu an mit ihnen zu ringen. Gotteserkenntnis ist kein Entrinnen in die sichere Höhe reiner Ideen, sondern ein mitleidendes und mitschaffendes und mithoffendes Eintreten auf die Not der jetzigen Welt. Die im Christus geschehene Offenbarung ist ja eben nicht die Mitteilung einer intellektuellen Klarheit, einer Weltformel, deren Besitz die Möglichkeit einer Beruhigung böte, sondern Kraft Gottes, die uns in Bewegung setzt, Schöpfung eines neuen Kosmos, Durchbruch eines göttlichen Keims durch wiedergöttliche Schalen, anhebende Aufarbeitung der unerlösten Reste, Arbeit und Kampf an jedem Punkt und für jede Stunde.36

Die hier vollzogene Neuorientierung führte auch zu einer deutlichen Distanzierung vom religiösen Sozialismus, weil Barth auch hier eine unheilige Vermischung der menschlichen Aktivitäten und Bewegungen mit der Geschichte Gottes witterte, wie er sie auch selbst noch wenige Jahre zuvor propagierte hatte. In seinem berühmten Tambacher Vortrag „Der Christ in der Gesellschaft“ (1919), in dem Barth das für Ragaz vorgesehene Thema nach dessen Absage übernommen hatte, provozierte Barth mit der These, dass es in theologischer Perspektive nicht auf den Christen in der Gesellschaft, sondern auf Christus in der Gesellschaft ankomme. In dem kleinen thüringischen Ort Tambach waren etwa hundert Teilnehmer zu einer Tagung im Haus Tannenberg angereist, die in der religiös-sozialen Bewegung einen auch gesellschaftspolitisch hoffnungsvollen Neuaufbruch eines engagierten und demokratisch gesinnten Christentums sahen und vor allem einen jugendbewegt idealisierten Sozialismus der Bergpredigt propagierten. Gegenüber der etablierten konservativen Kirche sah man sich auf der richtigen Seite und auf der Höhe der Zeit. Barths Warnung vor allen (pathetischen) Vereinnahmungen des christlichen Glaubens für irgendwelche historischen Bewegungen war nicht das, was die Teilnehmer dieser Tagung erwartet hatten. Vielmehr setzten sie darauf, ermutigenden theologischen Rückenwind für ihr als richtig erkanntes Engagement zu bekommen. Indem Barth ihnen nun bedeutete, dass die Theologie nicht die Aufgabe habe, irgendwelche gesellschaftlichen Optionen zu sanktionieren, sondern die Beunruhigung zu bedenken habe, die von Gottes keineswegs einfach für eine gesellschaftspolitische Gesinnung vereinnehmbaren Zuwendung zur Welt ausgehe und alle menschlichen Geschichtsentwürfe in Frage stelle, versetzte er die ganze Versammlung in eine irritierende Verlegenheit. Barths programmatisch vorgetragene Kritik galt der wiederum allzu selbstverständlichen Inanspruchnahme des Willens Gottes für das eigene geschichtliche Engagement und damit der theologischen Überhöhung der eigenen politischen Option. Barth warnte in Tambach sein engagiertes Publikum nachdrücklich davor Christus zum soundsovielten Male zu säkularisieren, heute z. B. der Sozialdemokratie, dem Pazifismus, dem Wandervogel zu Liebe, wie ehemals den Vaterländern, dem Schweizertum und Deutschtum, dem Liberalismus der Gebildeten zu Liebe, das möchte uns allenfalls 36 Barth, Der Römerbrief (Erste Fassung), 356.

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gelingen. Aber nicht wahr, da graut uns doch davor, wir möchten doch eben Christus nicht ein neues Mal verraten.37

Während die einen – wie auch Ragaz – durch die dialektische Position Barths die „revolutionäre Wirkung [sc. der religiös-sozialen Botschaft] paralysiert“38 sahen, verstanden andere die Ausführungen Barths als einen berechtigten Weckruf. Auch wenn er sich in Tambach zunächst nur begrenztes Gehör verschaffen konnte, so weckte aber in der Nachwirkung sein energisches Drängen auf die nicht einfach geschichtlich verrechenbare Besonderheit des Themas der Theologie schon bald eine sich mehr und mehr ausbreitende Aufmerksamkeit. Barth ging es ja in keiner Weise um eine Distanzierung von der Idee und den Zielen des Sozialismus, wohl aber von seiner christlich-theologischen Überhöhung zu einem von Gott ins Recht gesetzten Werkzeug des Willens Gottes. Wiederholt benutzte er zur Kennzeichnung der hier ins Auge zu fassenden wichtigen Differenz in seinem Römerbriefkommentar bereits die später durch Dietrich Bonhoeffer weithin bekanntgewordene Unterscheidung zwischen den vorletzten und den letzten Dingen: Daß ihr als Christen mit Monarchie, Kapitalismus, Militarismus, Patriotismus und Freisinn nichts zu tun habt, ist so selbstverständlich, daß ich es gar nicht zu sagen brauche. „Die wir der Sünde gestorben sind, wie sollten wir in ihr weiterleben können?“ ([Röm]6,2). Viel näher liegt euch natürlich die andere Möglichkeit, die im Christus kommende Revolution willkürlich vorauszunehmen und dadurch hintanzuhalten. Und davor warne ich Euch! Die Sache der göttlichen Erneuerung darf nicht vermengt werden mit der Sache des mensch­ lichen Fortschritts. Das Göttliche darf nicht politisiert und das Menschliche nicht theologisiert werden, auch nicht zugunsten der Demokratie und Sozialdemokratie. Ihr müsst euch, mag eure Stellung in den vorletzten Dingen sein, welche sie wolle, freihalten für das Letzte. Ihr dürft in keinem Fall in dem, was ihr gegen den jetzigen Staat tun könnt, die Entscheidung, den Sieg des Gottesreiches suchen.39

Es war dann auch dieser Römerbriefkommentar, durch den Barth jetzt in Deutschland wahrgenommen wurde. Nachdem der Verkauf des Buches zunächst nur äußerst schleppend verlief und vor allem auf die Schweiz beschränkt war, wurde Barth nach seinem Tambacher Vortrag in Deutschland zu einer bekannten und zugleich umstrittenen Person, so dass der inzwischen vom Münchener Christian Kaiser Verlag übernommene Band bald vergriffen war und nach einer neuen Auflage verlangte. Der umtriebige Münchener Pfarrer und theologische Berater des Kaiser Verlages, Georg Merz, prophezeite in seiner Rezension von Barths Römerbrief, dass Barth es sei, der „den Gang der Theologie auf lange hinaus bestimmen

37 Barth, Der Christ in der Gesellschaft, 560. 38 Zit. n. Kupisch, Karl Barth, 45. 39 Barth, Der Römerbrief (Erste Fassung), 509.

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werde.“40 Es liegt aber im spezifischen Charakter dieses Buches als Dokument eines entschlossen gewagten Neuanfangs und zugleich ungewissen Übergangs auf ein noch unbestelltes Feld, dass Barth sich nicht in der Lage sah, das Buch einfach unverändert ein zweites Mal in den Druck zu geben. Aber da er nun einmal – ohne es beabsichtigt zu haben – am Glockenseil gezogen und damit nicht ohne eigenes Erschrecken verbreitet Aufmerksamkeit auf sich gezogen habe – so schreibt Barth im Rückblick auf seinen Weg –, habe er sich genötigt gesehen, nun auch behutsam weiterzugehen in die eingeschlagene Richtung.41 Es ist ein sprechender Beleg für die keineswegs abgeschlossene Dynamik der sich auch für Barth erst nach und nach deutlicher abzeichnenden Konturen der vorzunehmenden Fundamentalrevision der Theologie, dass er seinen „Römerbrief “ nur nach einer gründlichen Überarbeitung erneut veröffentlichen konnte, bei der von der ersten Auflage „kein Stein auf dem andern geblieben“42 sei. 1922 erschien der Römerbrief in vollkommen neu bearbeiteter Gestalt, in der er dann schnell hintereinander mehrere Auflagen erlebte. Barth bemühte sich, der ins Auge zu fassenden Wende eine konsequentere Richtung zu geben. Es ist das Ernstmachen mit der Gottheit Gottes und d. h. mit der besonderen Wirklichkeit Christi, die uns in aller Deutlichkeit darauf stößt, dass Gott „der ganz Andere“ ist. Barth betont die Diastase gegenüber den mensch­ lichen Sehnsüchten und Wünschen, in die Gott „senkrecht von oben“ das Nein und Ja seines Zornes und seine Gnade ergehen lässt. Er bezieht sich auf die Christentumskritik von Blumhardt, Overbeck und Dostojewski ebenso wie auf die Feuerbachs und Nietzsches. Erst wenn die Instrumente durchschaut sind, mit denen der neuzeitliche Mensch sich angewöhnt hat seine tatsächliche Existenznot mehr oder weniger trügerisch zu überspielen, besteht die Chance, die Offenbarung Gottes in ihrer unverrechenbaren Besonderheit in den Blick zu bekommen und damit zu einer Wahrnehmung der Wirklichkeit vorzudringen, die erkennen lässt, wie es tatsächlich um uns bestellt ist. Seit 1919 hängt über Barths Schreibtisch das für ihn in besonderer Weise sinnbildlich gewordene Altarbild des Isenheimer Altars von Matthias Grünewald.43 In seinem ebenso programmatischen wie verschlüsselten Vortrag vor der christlichen Studentenkonferenz 1920 in Aarau mit dem eher blassen Titel „Biblische Fragen, Einsichten und Ausblicke“ ist dieses Bild ein Impulsgeber, auf den er auch später immer wieder zurückgekommen ist: Wir denken an Johannes den Täufer auf Grünewalds Kreuzigungsbild mit seiner in fast unmöglicher Weise zeigenden Hand. Diese Hand ist’s, die in der Bibel dokumentiert ist.44 40 41 42 43 44

Zit. n. Kupisch, Karl Barth, 41. Vgl. Barth, Christliche Dogmatik, 7 f. Barth, Der Römerbrief (Zweite Fassung), 5. Vgl. dazu R. Marquard, Karl Barth und der Isenheimer Altar. Barth, Biblische Fragen, 677.

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Werden wir es wagen, der zeigenden Hand des Grünewaldschen Täufers mit unserm Blick zu folgen? Wir wissen, wohin sie zeigt. Sie zeigt auf Christus. Aber auf Christus den Gekreuzigten, müssen wir sofort hinzufügen. Das ist’s! sagt die Hand. (685) Die Mater dolorosa, die Maria Magdalena und der Jünger Johannes, die auf Grünewalds Altarbild das Gegenstück bilden zu dem zeigenden Täufer, sie scheinen anzudeuten, dass es möglich ist, vor dem Geheimnis des Kreuzes in Ratlosigkeit, Entsetzen und Verzweiflung stehen zu bleiben. (692)

Es zeichnet sich der Fokus ab, der Barth gegen das „vermeintliche Besitzen, Schmausen und Austeilen, die verblendete Unart der Religion,“ aufgebracht hat, um nun „einem ehrlichen grimmigen Suchen, Bitten und Anklopfen Platz zu machen“ (694). Zwei Jahre später sagt er seinen Vortrag „Not und Verheißung der christlichen Verkündigung“ pointiert: Seufzen: „Veni creator spiritus!“ [„Komm Schöpfer Geist!“] ist nun einmal nach Röm. 8 hoffnungsvoller als triumphieren, wie wenn man ihn schon hätte. Sie sind in „meine Theologie“ eingeführt, wenn Sie diesen Seufzer gehört haben.45

4. Professor in Göttingen, Münster und Bonn Es geht auf die Anregung einiger reformierter Gemeinden und insbesondere auf das Verhandlungsgeschick des Erlanger reformierten Theologen E.F. Karl Müller zurück, an der Theologischen Fakultät der Universität Göttingen nach jahrelangen müh­seligen Verhandlungen einen außerordentlichen Lehrstuhl für reformierte Theologie einzurichten, der mit finanzieller Unterstützung amerikanischer Presbyterianer als eine Stiftungsprofessur seinen Anfang nehmen sollte. Für Barth war es „sehr neu“, Anfang 1921 durch die überraschende Einladung, sich im Blick auf die zu besetzende Professur in Göttingen vorzustellen, auf seine „Eigenschaft als reformierter Theologe in so verpflichtender Weise angeredet zu werden“.46 Als Pfarrer, der nicht in den Startlöchern für eine Bewerbung auf eine Professur stand, hatte er darauf gedrungen, anstelle der Probevorlesung eine Predigt halten zu dürfen, wie es dann am 27. Februar auch geschah. Nach einigem Zögern und ratsuchender Korrespondenz vor allem mit Rade und Thurneysen nahm er bald nach einem weiteren im Juni abgestatteten Besuch in Göttingen den Ruf auf die niedrig dotierte Honorarprofessur an und begann dort – übrigens zusammen mit dem zeitgleich nach

45 Barth, Not und Verheißung der christlichen Verkündigung, 97. 46 Barth, Der Römerbrief (Erste Fassung), 9 (Vorwort zum Nachdruck dieses Buches 1963).

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Göttingen berufenen Emanuel Hirsch – bereits in der zweiten November­woche seine Lehrtätigkeit.47 Damit vollzog sich eine entscheidende Wende in Barths Leben. Er nahm die unerwartet veränderte Situation vor allem als Herausforderung und Gelegenheit, nun in der gebotenen Gründlichkeit das entfalten zu können, auf das er bisher nur hatte hinweisen können. Vor allem galt es nun zu bewähren, wie es möglich ist, mit den in seiner Römerbriefauslegung annoncierten Einsichten an der Universität Theologie zu treiben. Wir hatten Verantwortlichkeiten zu übernehmen, die wir, solange wir einfach in der Opposition standen, so nicht gekannt hatten. Uns war jetzt plötzlich Raum gegeben, um in der Theologie zu sagen, wie wir es denn eigentlich meinten, und in der Kirche zu zeigen, was wir eigentlich wollten und könnten. […] Wir hatten doch einen Weg erst angetreten, den nun jeder an seinem Ort mühsam genug zu gehen hatte. Im einzelnen war ja alles erst zu entdecken, zu klären und vor allem zu bewähren. Aus der Nähe sahen viele Dinge so ganz anders aus, als wir sie im ersten Anlauf zu sehen meinten.48

Diese Herausforderung hat Barth zunächst durchaus mehr bedrängt als ermutigt. Er empfand seine Entscheidung für die akademische Theologie als einen Sprung, den er mit zusammengebissenen Zähnen wagte. Unter den „achtbaren Gelehrten“ der Fakultät fühlte er sich wie ein umherschweifender „Zigeuner […], der nur ein paar verlöcherte Kessel sein eigen nennt und dafür gelegentlich ein Haus anzündet.“49 Mit großem Respekt vor der nun von ihm wahrzunehmenden Aufgabe, der ihm auch manchen dramatischen Traum bescherte, und zugleich auch mit einigen Befürchtungen im Blick auf die Kollegenschaft und dem nicht ganz zu unterdrückenden Zweifel, die Entscheidung für Göttingen zu rasch gefällt zu haben, stürzte sich Barth engagiert in die Arbeit, die ihn nicht selten bis tief in die Nacht hinein in Atem hielt. Im ersten Semester hielt er eine Vorlesung über den Heidelberger Katechismus und eine Vorlesung über den Epheserbrief. Auch wenn Barth mit der konfessionellen Beschränkung seines Lehrstuhls haderte – in dieser Hinsicht ist es dann auch immer wieder zu Konflikten mit der lutherisch geprägten Fakultät gekommen –, arbeitete er sich in den ersten Semestern intensiv in die profilbildenden Quellen der reformierten Tradition ein. In den anschließenden Semestern folgten je eine Vorlesungen über Calvin, Zwingli und die reformierten Bekenntnisschriften. Zugleich bemühte er sich mit konsequentem Exzerpieren um ein Studium der protestantischen Orthodoxie ebenso wie der Alten Kirche und des Spätmittelalters. „Da gabs nun ein tage- und nächtelanges Studieren und Hin- und Herwälzen von alten und neuen Büchern, bis ich einigermaßen – ich will nicht sagen, aufs Roß, aber wenigs47 Vgl. dazu Freudenberg, 17 ff. 48 Barth, Offene Briefe 1945–1968, 192. 49 Barth/Thurneysen, Briefwechsel 1921–1930, 21.

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tens auf den akademischen Esel kam, so daß ich reiten konnte an der Universität.“50 In atemberaubender Geschwindigkeit eignete sich Barth ein umfängliches Wissen an, das ihm eine solide Basis zur Explikation seiner nun auch gegenwärtig zu verantwortenden Theologie gab. Neben seinen akademischen Verpflichtungen nahm Barth zahlreiche Einladungen zu Vorträgen an, die ihm die Bekanntschaft mit vielen Pfarrern und theologisch interessierten Gemeindegliedern verschaffte. Umgekehrt gelangte er unversehens zu einer überaus verbreiteten Bekanntheit auch über den universitären Bereich hinaus. Oft waren es gerade diese Vorträge, in denen sich Barth programmatisch zu deutlichen Zuspitzungen vorwagte, die dann in der akademischen Arbeit noch einmal konjugiert werden mussten. Ab der zweiten Hälfte der 1920er Jahre waren es dann auch umgekehrt häufig Früchte seiner akademischen Lehrtätigkeit, auf die er in seinen Vorträgen zurückgreifen konnte. Da es in der Regel schnell zu einer Publikation seiner Vorträge (zudem 1924 und 1928 auch bereits in zwei Sammelbänden) kam, war dafür gesorgt, dass seine theologische Arbeit eine ungewöhnliche hohe und breite Aufmerksamkeit genießen konnte, so dass er schon ebenso ungewöhnlich früh auch selbst zum Gegenstand theologischer Untersuchungen und Auseinandersetzungen wurde. Es ist gewiss ein Indiz für die auf ihn gerichtete interessierte Aufmerksamkeit, dass ihn eine ledige Mutter, die ihn aus seinen Schriften kannte, um Rat ersuchte und um die Patenschaft für ihren Sohn bat, die er dann auch gern übernahm – dieser in Dortmund geborene Sohn ist der später bekannt gewordene Schriftsteller Peter Rühmkorf.51 Als er für das Sommersemester 1924 nun eine reguläre Vorlesung „Prolegomena zur Dogmatik“ ankündigen wollte, wurde ihm dies von der Fakultät verweigert, und er wurde auf die vereinbarte Beschränkung auf die reformierte Theologie verwiesen, die – um das gleich hinzuzufügen – nach einer Bemerkung seines lutherischen Kollegen Carl Stange einer Kirche im Rang einer „Millennium-Sekte“ diene.52 Im Protokoll der entscheidenden Fakultätsratssitzung zur Berufung von Barth am 12. Mai 1921 war die Zuständigkeit dieser Professur strikt auf die „Einführung in das reformierte Bekenntnis, reformierte Glaubenslehre und reformiertes Gemeindeleben“ beschränkt worden, und eben diese Formulierung findet sich dann auch in den entsprechenden Dokumenten, mit denen Barth in Göttingen etabliert wurde. Und so dürfe Barth nun auch nur eine Vorlesung zur „reformierten“ Dogmatik ankündigen. Auch sonst wurde kaum eine Gelegenheit ausgelassen, Barths Position soweit es irgend geht zu marginalisieren, indem er etwa im Personalverzeichnis erst hinter den Privatdozenten unter der Überschrift „Lehrauftrag für reformierte Theologie“ aufgeführt wurde oder seine Lehrveranstaltungen in den Ankündigungen erst ganz am Schluss nach den angebotenen logopädischen Übungen und Arbeitsgemeinschaften – auf dem schwarzen Brett waren die Vorlesungen 50 Zit. n. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 140. 51 Vgl. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 197. 52 Barth/Thurneysen, Briefwechsel 1921–1930, 77.

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Barths bei den Hinweisen auf Musik- und Sportveranstaltungen zu suchen. Nun aber im Konflikt um die Ankündigung der Dogmatikvorlesung kam Barth mit seiner Geduld an eine Grenze, weil er den Anspruch auf Allgemeingültigkeit seiner Theologie in Frage gezogen sah: „Die reformierte Dogmatik ist oekumenisch so gut wie jede andere, verbittet sich also eine solche Firma!“53 – alles andere könnte nur eine sinnlose Interpretation seines Lehrauftrages sein. Es kam zu einem monatelangen Konflikt, der bis in das Ministerium getragen wurde und schließlich zu dem Kompromiss führte, dass Barth seine Vorlesung mit dem ins Deutsche übersetzten Titel des dogmatischen Hauptwerkes von Calvin „Unterricht in der christlichen Religion. Prolegomena“ ankündigte.54 Neben diesen provinziellen Göttinger Universitätspossen kam es aber auch zu grundsätzlichen Kontroversen, unter denen die öffentlich geführte Auseinandersetzung mit seinem Berliner Lehrer Adolf von Harnack besonders hervorsticht, einerseits weil in ihr zwei grundlegend unterschiedliche Bestimmungen der Aufgabe der Theologie aufeinanderprallten, und andererseits, weil es nicht möglich war, noch eine gemeinsame Ebene zu finden, auf der sich die gegeneinander stehenden Positionen als fähig erweisen konnten, sich einen gegenseitigen Respekt zu erweisen.55 Da stießen zwei theologische Welten und auch Generationen aufeinander, die unter sich keine gemeinsame Schnittmenge mehr zu haben schienen. Während Harnack bei Barth einen zum Atheismus tendierenden Kulturskeptizismus ausmacht und ihm Wissenschaftsverachtung vorwirft, hebt Barth die Bindung der Theologie an die unverfügbare Offenbarung und ein dieser Bindung gerecht werdendes Wissenschaftsverständnis hervor. Für Barth muss die Wissenschaft in der Lage sein, der von der Theologie zu fordernden besonderen Sachlichkeit zu entsprechen, wenn anders sie ihren Gegenstand nur verfehlen kann. Es könne nicht angehen, dass die Sachlichkeit der Theologie aus einem unabhängig von ihrem Gegenstand gewonnenen Wissenschaftsverständnis abgeleitet wird, das sich als allgemein ausgibt, faktisch aber auch nur Ausdruck einer im Grunde zufälligen geschichtlichen opinio communis ist. Harnack sieht Barth dagegen „eine Dialektik zu Hilfe“ rufen, „die uns auf einen unsichtbaren Grat führt zwischen dem absoluten religiösen Skeptizismus und dem naiven Biblizismus“ (88). Auf unterschiedlichen Ebenen wirft man sich gegenseitig einen zerstörerischen Relativismus vor: ­Harnack sieht in der unterstellten subjektiven Willkür Barths letztlich die Auflösung des Christentums drohen. Es sei diese subjektive Usurpation, die schließlich faktisch zu einer Relativierung führen werde. Barth wittert dagegen im historischen Relativismus Harnacks eine gegenstandlos gewordene Theologie, die im Grunde auf die menschlichen Grenzen der religiösen Phantasie beschränkt bleibt und damit auf andere Weise in die Gefangenschaft menschlicher Subjektivität und des aus ihr abgeleiteten Selbstbewusstseins gerät. 53 Zit n. Kupisch, Karl Barth, 64. 54 Vgl. zum ganzen Absatz Freudenberg, Karl Barth und die reformierte Theologie, 58 ff. 55 Briefwechsel mit Adolf von Harnack [1923] in: Barth, Offene Briefe 1909–1935, 55–88.

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Barth ging es hinsichtlich der Wissenschaft nicht um ein Mitsingen in dem Untergangschor, der in den Zeiten der Krise inzwischen deutlich angewachsen war und dessen Stimme Harnack womöglich bei Barth vernahm, sondern es ging ihm um die Klärung der genuinen Aufgabe der Theologie, die er in der Frage nach einem angemessenen Reden von Gott bzw. vom Wort Gottes benannt sah.56 Diese Diagnose bestätigt sich, wenn Barth später dem Neuprotestantismus Harnacks attestierte, dass sein „eigentlicher Glaubensgegenstand nicht Gott in seiner Offenbarung, sondern der an ein Göttliches glaubende Mensch selber gewesen“ (KD I/2, 404) sei.57 Das ist das Verdikt, unter das Barth die ‚Liberale Theologie‘ in der Nachfolge vor allem von Schleiermacher und Albrecht Ritschl insgesamt gestellt sah.58 Viel radikaler als Barth hatte sich der thüringische Pfarrer Friedrich Gogarten unter dem Eindruck der Grundlagenkrise im Horizont des sinnlosen Wütens im Ersten Weltkriegs von seinen Lehrern losgesagt und diese mitsamt ihrer Wissenschaft auf den Friedhof verwiesen: „Das ist tot, worauf die Wissenschaft […] ihren Blick richtet und was sie begreifen kann. […] Ich will der Wissenschaft keinen Vorwurf machen. Nicht sie tötet. So stark ist sie nicht. Sie darf nur Totes angreifen.“ – So Gogarten in seinem Beitrag „Zwischen den Zeiten“ 1920 in der ‚Christlichen Welt‘.59 Auch wenn Barth Gogarten gegenüber eine niemals ganz überwundene Reserviertheit – insbesondere hinsichtlich seiner Bewertung der Geschichte – verspürte, kam es 1922 zusammen mit ihm, Georg Merz und Eduard Thurneysen zur Gründung einer Zeitschrift unter eben dem Titel von Gogartens radikalem Angriff auf die überkommene Theologie. Diese Zeitschrift „Zwischen den Zeiten“ wurde unter der glücklichen Schriftleitung von Merz für elf Jahre zum wichtigsten Organ der „Dialektischen Theologie“, die schon bald als eine eigene Richtung in den theologischen Auseinandersetzungen identifiziert wurde. Die meisten der ebenso lebhaft wie kontrovers diskutierten Vorträge, die Barth in den zwanziger Jahren neben der ihn in Atem haltenden Lehrtätigkeit hielt, wurden zunächst in dieser Zeitschrift publiziert. Zu denjenigen, die diese Zeitschrift im Wesentlichen geprägt und getragen haben, gehörte auch der von Barth geschätzte Schweizer Theologe Emil ­Brunner, der sich mit seiner Kampfschrift „Erlebnis, Erkenntnis und Glaube“ (1921) an die Seite Barths begeben hatte. Die Arbeitsgemeinschaft mit Brunner erwies sich aber ebenso wie die mit Gogarten als durchaus vorbehaltlich, und Barth sah sich in seinen Thurneysen gegenüber immer wieder geäußerten Bedenken bestätigt, als es dann im Zusammenhang mit dem Erstarken des Nationalsozialismus mit beiden zu einem schmerzlichen Bruch und damit auch zu einem abrupten Ende der Zeitschrift „Zwischen den Zeiten“ kam. 56 Vgl. Kupisch, Karl Barth, 57. 57 Zur Kontroverse zwischen Harnack u. Barth vgl. Braun, Der Ort der Theologie; Drewes, Die Auseinandersetzung mit Adolf von Harnack; Hunsinger, The Harnack/Barth Correspondence; Rumscheidt, Revelation and Theology. 58 Vgl. dazu die Einleitung von Schwöbel in: Barth/Rade, Briefwechsel, 44 ff, 54 ff. 59 in: Moltmann (Hg.), Anfänge der dialektischen Theologie, Bd. 2, 95–101, 97.

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Insgesamt bleibt zu fragen, ob die spezifische Pointe von Barths Interventionen von seinen temporären Mitstreitern tatsächlich verstanden wurde, sah sich Barth doch immer wieder allein auf sich selbst und seine Bemühungen um Verdeutlichung und tiefere Begründung zurückgeworfen. Die spätere Entwicklung lässt seine Distanz von beinahe all seinen Weggenossen deutlicher werden, so dass mit guten Gründen bereits der Konsens im Blick auf die Wahrnehmung der Krise in Frage gestellt werden kann. Möglicherweise verdankt Barth, wie bereits angedeutet wurde (vgl. Kap. I), die ihm zugewandte Aufmerksamkeit weniger der Wahrnehmung seiner stets mehrschichtigen Argumentation als vielmehr der allgemeinen Krisenstimmung nach dem katastrophalen Ausgang des Ersten Weltkriegs, die in einem abgründigen Kulturpessimismus allem Überkommenen und Bestehenden eine Absage erteilte und sich vor allem in der Negation erging. Die Rezeption Barths scheint mehr der vermuteten Entsprechung zur herrschenden Depression als dem gefolgt zu sein, was Barth mit seinen Überlegungen zu bedenken geben wollte.60 Niemals ging es ihm allein um das Nein. Spenglers „Untergang des Abendlandes“ stand er ganz und gar ablehnend gegenüber. Vielmehr war sein Impuls von einem nicht mehr erkennbaren bzw. einem verdrängten Ja getrieben, um dessen willen es vorläufig und entscheiden auch Nein zu sagen gelte, aber eben nicht schon als die Botschaft selbst, sondern bestenfalls als Ausdruck der mit ihr verbundenen Veränderungen und Zuspitzungen unserer Wahrnehmungen. Selbst auf dem Höhepunkt seiner Skepsis kann Barth 1919 formulieren: Die Einsicht in die echte Transzendenz des göttlichen Ursprungs aller Dinge erlaubt, ja gebietet uns, immer auch das jeweilige Seiende und Bestehende als solches in Gott, in seinem Zusammenhang mit Gott zu begreifen. Der direkte, der schlichte, der methodische Weg führt uns notwendig zunächst nicht zu einer Verneinung, sondern zu einer Bejahung der Welt, wie sie ist. […] Nur aus dieser Bejahung kann sich dann die echte, die radikale Verneinung ergeben, die bei unseren Protestbewegungen offenbar gemeint ist. 61

Nicht zuletzt die oben skizzierte Auseinandersetzung um seine Dogmatikvorlesung hatte in Barth den Wunsch gesteigert, aus der schlecht dotierten und von seinen Kollegen klein gehaltenen Stelle auf eine besser situierte Professur zu wechseln. In der regelmäßigen Korrespondenz mit Thurneysen, der wir viele lebhaft und ungeschminkt präsentierte Einblicke in Barths Wahrnehmungen des eignen Weges verdanken, bezeichnete er seine Kollegen als „Giftspritzer“ und „Beiß-Zangen“.62 Unterschiedliche Möglichkeiten eines Wechsels waren im Gespräch, darunter auch die Möglichkeit als Nachfolger Kutters die Pfarrstelle in der Zürcher Neumünstergemeinde zu übernehmen. Als ihn im Sommer 1925 die Absicht der evangelisch-­ theologischen Fakultät in Münster erreichte, ihn zum Professor für Dogmatik und 60 Vgl. dazu auch v. Norden, Die Weltverantwortung der Christen neu begreifen, 41 ff. 61 Barth, Der Christ in der Gesellschaft, 577. 62 Barth/Thurneysen, Briefwechsel Bd. II, 365, 398.

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Neues Testament zu berufen, zögerte er nicht lange und fand sich bereits im Oktober in Münster wieder, zunächst allein und ab März 1926 im neu erworbenen Haus in der Himmelreichallee mit der ganzen Familie. Bereits 1922 hatte die Fakultät Barth, der ohne einen akademischen Grad nach Göttingen berufen worden war, „wegen seiner mannigfachen Beiträge zur Revision der religiösen und theologischen Fragestellung“ mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet, was Barth in der schwierigen Göttinger Situation mit einer gewissen Genugtuung erfüllte und nun den Wechsel nach Münster beflügelt hatte. In diese Zeit des Wechsels nach Münster fiel auch – zunächst in der Gestalt eines intensiven Briefwechsels – der Beginn der Beziehung zu Charlotte von Kirschbaum (1899–1975), derzeitig Krankenschwester in Krefeld, die Barth durch Georg Merz 1924 kennengelernt hatte. Diese schnell an Intensität zunehmende Beziehung wird Barths weiteres Leben in entscheidender Weise prägen – „eine große unerfüllt-­ erfüllte Liebesgeschichte“63 und zugleich eine intensive und produktive Arbeitsgemeinschaft, ohne die nach Barths eigenem Zeugnis sein Werk nicht das Ausmaß hätte annehmen können, das es schließlich angenommen hat. Die von Barth eingestandene Liebe zu Charlotte von Kirchbaum und sodann 1929 auch ihr Einzug in das Haus der Familie Barth führten nach belastenden Ungewissheiten schließlich aber nicht zur Scheidung von seiner Frau Nelly. Die Familie arrangierte sich unterschiedlich erfolgreich mit der schwierigen, alle Beteiligten immer wieder belastenden Konstellation, was nach außen zu mancher Irritation führte. „Lollo“ – wie sie bald nicht nur von Barth genannt wurde – stand mit all ihrer Arbeitskraft und mit wachsendem eigenem Verständnis nicht nur als Sekretärin, sondern auch als Rat gebende und wachsam kritische, selbständige Mitarbeiterin Barth bis 1964 zur Seite bis dahin, dass sie ihn in verschiedenen Zusammenhängen selbständig vertreten und ebenso selbständig einen nicht unwesentlichen Teil seiner Korrespondenz führte (vgl. Kap. II.7, S. 145).64 Im Sommer 1926 hielt Barth eine Vorlesung „Geschichte der protestantischen Theologie seit Schleiermacher“, in der er sich durchgängig darum bemühte, auch das jeweilige Recht und Wahrheitsmoment der dann schließlich doch im Ganzen als nicht tragfähig abgewiesenen Konzepte eigens zum Leuchten zu bringen. Mit dieser positiven Würdigung der Geschichte wandte sich Barth nicht zuletzt deutlich gegen die um sich greifende agitatorische Verdrossenheit, mit der es verbreitet üblich wurde, vor allem auf die liberalisierenden Impulse des letzten Jahrhunderts verächtlich einzuschlagen. Seine Neuzeitkritik hat sich nirgends an dem zeitgenössischen vor allem deutschen Antiliberalismus beteiligt. Im Blick auf Schleiermacher heißt es in der späteren Publikation dieser Vorlesung: „Wer von dem Glanz, der von dieser Erscheinung ausgegangen ist und noch ausgeht, nichts gemerkt hätte, – ja ich möchte fast sagen: wer ihm nie erlegen wäre, der mag in Ehren andere und vielleicht bessere Wege gehen, er sollte es aber unterlassen, gegen diesen Mann 63 Drewes in seinem Vorwort zu Barth/von Kirschbaum, Briefwechsel, Bd. 1, XX. 64 Vgl. dazu Köbler u. Selinger.

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auch nur den Finger aufzuheben.“65 – Ebenfalls in die Münsteraner Zeit fällt nicht zuletzt eine bewusste und respektvolle Begegnung mit der katholischen Theologie – vor allem eine prägende Begegnung mit dem im Zusammenhang mit einer Lehrveranstaltung über Thomas von Aquin eingeladenen Münchener Jesuiten Erich ­Przywara (1889–1972)66 – ebenso wie mit dem eigenständigen Reformiertentum in den Niederlanden. Vor allem aber war Barth fieberhaft mit der Überarbeitung seiner Göttinger Dogmatikvorlesung befasst, die ähnlich wie beim Römerbrief auf eine gänzliche Neufassung hinauslief, auch wenn die Disposition weithin erhalten blieb. Es war insbesondere die nun ins Zentrum gerückte Christologie, mit der Barth auch ausdrücklichen Anschluss an die altkirchliche Lehrentwicklung suchte, die der Rede vom Wort Gottes nun zu einer Differenzierung verhalf, die für seine spätere Theologie dann charakteristisch bleiben sollte. Die Lehre vom Wort Gottes bekommt ihren Platz in den Prolegomena als dem Ort zugewiesen, wo mit einer charakteristischen Betonung in der neuzeitlichen Theologie die Voraussetzungen und der allgemeine Bedingungshorizont der Theologie als Wissenschaft erörtert werden. Nicht von allgemeinen Überlegungen über Vernunft und Glaube oder über das Wesen der Religion ist auszugehen, sondern von der Besonderheit des Wortes Gottes, das in seinen unterschiedlichen Gestalten der Theologie nicht nur ihren Gegenstand gibt, sondern ihr auch eine spezifische Form auferlegt, die mit der Charakterisierung als ‚dialektisch‘ nur teilweise erfasst wird. Es ist nicht das Methodische, auf das die Dialektik verweist, sondern die Diastase zwischen Gott und Mensch und die daraus resultierende Unzulänglichkeit und Vorläufigkeit aller theologischen Einsichten angesichts der prinzipiellen Unverfügbarkeit ihres Objektes.67 Das Wort Gottes als der sachliche Ausgangspunkt der Theologie muss zum Subjekt ihrer Erkenntnis werden – nur so kann es dann auch ihr Objekt sein. Alle Fixierungen, die hier vorgenommen werden, treten der Lebendigkeit des Wortes Gottes mehr in den Weg, als dass sie ihm tatsächlich auf die Sprünge zu helfen vermöchten. Der in den Sommerferien 1927 mit Unterstützung von Charlotte von Kirschbaum fertiggestellte erste Band einer auf mehrere Bände geplanten „Christlichen Dogmatik“ erscheint im Chr. Kaiser Verlag als das erste dogmatische Buch Barths. In dem Vorwort markiert er selbst die Veränderung, dass nun aus den bisherigen Randglossen eine neue Theologie geworden sei, die nun aber dem Korrektiv verpflichtet sei, mit dem er sich bisher zu Wort gemeldet habe. Als Theologe könne man nicht auf Dauer in der Prophetengebärde verharren, sondern müsse sich in der dem Menschen angemessenen irdischen Weise möglichst genau Rechenschaft von einem möglichst adäquaten Umgang mit dem seinerseits unverfügbaren Wort Gottes ablegen: „Ich war und bin ein gewöhnlicher

65 Barth, Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert, 380. 66 Vgl. dazu Mechels, Analogie bei Erich Przywara und Karl Barth. 67 Vgl. dazu ausführlich Ruschke u. Beintker, Dialektik.

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Theologe, dem nicht das Wort Gottes, sondern bestenfalls eine ‚Lehre vom Wort Gottes‘ zur Verfügung steht.“68 Im Sommer 1928 und im Winter 1928/29 schloss Barth eine ihm verschiedentlich vorgehaltene Lücke, indem er eine Vorlesung über die Ethik hielt. Darin stellt er sich gegen die Aufteilung, dass die Dogmatik das Tun Gottes und die Ethik nun das Tun des Menschen bedenke. Vielmehr gehe es auch in der Ethik um das Wort Gottes, und zwar nicht unter dem Gesichtspunkt, dass nun der Mensch für sein Handeln dieses Wort in Anspruch nimmt, sondern unter dem, „daß dieses Wort Gottes […] den Menschen in ganz bestimmter Weise in Anspruch nimmt.“69 1929 erhielt Barth im Sommer einen Ruf nach Bonn, den er bald annahm. Im Frühjahr 1930 nahm er dort seine Lehrtätigkeit auf, womit auch für die Bonner Fakultät eine unvergleichliche Blütezeit begann, die allerdings nur gute vier Jahre währte. Viele Studierende wechselten nach Bonn, vor allem um Barth zu hören, so dass seine Lehrveranstaltungen hoffnungslos überfüllt waren. Für die unter dem Ansturm bereits doppelt durchgeführten Seminare (je 30 ordentliche Teilnehmer + 15 außerordentliche) wurden Aufnahmeprüfungen eingeführt, an der bis zu zwei Drittel der Bewerber scheiterten. Auch die Zahl katholischer und ausländischer Studierende wuchs. Es waren diese kurzen Jahre, in denen Barth die meisten seiner später bedeutenden Schüler wie Georg Eichholz, Walther Fürst, Helmut Gollwitzer, Walter Kreck oder Karl Gerhard Steck prägte. Ernst Wolf wurde 1931 mit Unterstützung Barths berufen. Karl Ludwig Schmidt und sein Assistent Emil Fuchs, vor allem aber sein ehemaliger Vikar und sozialistischer Kampfgenosse Fritz Lieb, Experte für russische Kirchengeschichte, gehörten zu dem sich weithin gedeihlich aufeinander beziehenden Lehrkörper der Fakultät, in der es auch möglich war, sich in einer Weise offen über politische Wahrnehmungen zu verständigen, wie es Barth in Deutschland bis dahin nicht erlebt hat. Barth hat im Rückblick die Bonner Zeit – nicht zuletzt aufgrund der noch zu beleuchtenden Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus, die es bald zu bestehen galt – als die wohl intensivste Zeit seines Lebens erlebt, an die er später gern zurückgedacht hat bis hin zu der dann aber schnell verworfenen Möglichkeit, nach dem Zusammenbruch im Zweiten Weltkrieg wieder an die Bonner Fakultät zurückzukehren. Auch sonst genoss Barth in Deutschland größte Aufmerksamkeit. Zu seinem Vortrag „Die Not der evange­lischen Kirche“ im Januar 1931 kamen in Berlin 1400 Hörerinnen und Hörer in die Aula der Berliner Universität, und auch an anderen Orten hatte Barth einen ungewöhnlich regen Zulauf. In dieser Zeit erschienen zwei wichtige Arbeiten Barths: Zunächst 1931 sein sogenanntes Anselmbuch „Fides quaerens intellectum“ („Glaube, der nach Verstehen sucht“), in dem er nach eigenem Zeugnis in Auseinandersetzung mit Anselm von Canterbury zu den für ihn dann später in der Kirchlichen Dogmatik (KD) bestimmenden Präzisierungen in der Bestimmung der Theologie und ihrer besonderen 68 Barth, Die christliche Dogmatik im Entwurf, 8. 69 Barth, Ethik I, 29.

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Denkform durchdringt.70 Später hat Barth von dem Buch gesagt, dass er es mit größter Liebe geschrieben habe, und hebt inhaltlich hervor: Das positive Neue war dieses: ich hatte in diesen Jahren zu lernen, daß die christliche Lehre ausschließlich und folgerichtig und in allen ihren Aussagen direkt oder indirekt Lehre von Jesus Christus als von dem uns gesagten lebendigen Wort Gottes sein muß, um ihren Namen zu verdienen und um die christliche Kirche in der Welt zu erbauen, wie sie als christliche Kirche erbaut sein will.71

Während sich das Buch vor allem auf Kapitel zwei bis vier des „Proslogion“ konzentriert, in dem Anselm seinen berühmten ontologischen Gottesbeweis entfaltet, gibt der Titel eine häufig zitierte Wendung Anselms aus der Vorrede seines Proslogion wieder. Um bei der Vorrede Anselms zu bleiben, geht es um den überhaupt das Verstehen erst ermöglichenden Glauben: credo ut intelligam – ich glaube, damit ich verstehe. Es ist die mit der Glaubensverwiesenheit unseres Verstehens verbundene christologische Konzentration, die Barth den Blick auf den besonderen Charakter der theologischen Erkenntnis schärft, die ihn nun auch auf Schwächen der reformatorischen Theologie aufmerksam macht, so dass er sich gedrängt sieht, in der Konsequenz auch über diese hinsichtlich der Abwehr der natürlichen Theologie hinausgehen zu müssen (vgl. Kap. I.5; III.2). So sah er sich genötigt, die 1927 erschienenen Prolegomena zur christlichen Dogmatik noch einmal gründlich zu überarbeiten, was sich dann auch in der Veränderung des Titels wiederspiegelt. 1932 erschien der erste Teilband der besagten „Kirchlichen Dogmatik“ (KD), dem theologischen Hauptwerk von Barth, von dessen geplanten fünf Bänden bis zu seinem Lebensende vier in dreizehn teilweise sehr umfänglichen Teilbänden veröffentlicht wurden (vgl. Kap. II.7). Zweifellos gehört die KD zu den bedeutendsten theologischen Werken der ganzen Kirchengeschichte. In seinem ersten Teilband seiner Prolegomena, in denen es „nicht um die vorher, sondern um die zuerst zu sagenden Dinge“ (KD I/1, 41) geht, fokussiert Barth die theologische Aufmerksamkeit auf das rechte Verständnis des Wortes Gottes, das als solches ganz und gar auf die lebendige Selbsterschließung des dreieinigen Gottes angewiesen bleibt. In vertiefender Weise wird bekräftigt, dass das Wort Gottes nicht das zu untersuchende Objekt der Theologie darstellt, sondern es kommt erst dann angemessen wahrgenommen, wenn es auch das Subjekt der Gotteserkenntnis bleibt, die ihrem Wesen nach die menschlichen Erkenntnismöglichkeiten übersteigt. Die zeitgeschichtlichen Umstände erzwingen es, dass Barth sich in seiner Bonner Zeit in zahlreichen engagierten Beiträgen vor allem mit der Bestimmung der Kirche und des von ihr zu erwartenden Zeugnisses beschäftigte. Damit wird sein prägendes und wirkungsgeschichtlich bedeutsames Engagement im so genannten

70 Vgl. Barth, Fides quaerens intellectum, Vorwort zur 2. Aufl. [1958], 6 f. 71 Barth, How my mind has changed, 632.

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„Kirchenkampf “ angesprochen, der bereits vor 1933 seine Schatten vorauswirft. Ihm wird ein eigenes Kapitel gewidmet (vgl. Kap. II.5). Im Juni 1935 wurde Barth aus sogleich zu erläuternden Gründen von dem zuständigen Reichsministerium in Ruhestand versetzt. Nur drei Tage später erreichte ihn der Ruf an die Universität Basel, dem er alsbald folgte und bereits am 8. Juli Deutschland verließ, nicht zuletzt mit dem Gefühl, dass die in die Krise geratene Bekennende Kirche sich ohnehin seiner Dienste nicht weiter bedienen werde. Ein letztes Mal vor 1945 kehrte Barth am 7. Oktober nach Deutschland zurück, um seinem wegen des ihm auferlegten Redeverbots von Karl Immer in Barmen verlesenen Vortrag „Evangelium und Gesetz“ beizuwohnen, der dann als sein Abschiedswort an die Christen in Deutschland empfunden wurde. Danach betrat er für die zehn kommenden Jahre deutschen Boden nicht mehr. Vor der Hand war es aber nicht Barths gegen die Gleichschaltung der Kirche in einer Reichskirche gerichtetes Engagement, das zu seiner Amtsenthebung führte, sondern seine negative Haltung zum gegenwärtigen Staat. Diese wurde durch seine Bedingung in die amtliche Aufmerksamkeit gerückt, den vom Staat eingeforderten Beamteneid auf den Führer nur zu leisten, wenn ihm der Zusatz „soweit ich es als evangelischer Christ verantworten kann“72 eingeräumt werde. Barth hat diese Bedingung schließlich fallen gelassen, nachdem sich die Kirche – nicht ohne deutliches Zögern – zur Eidesfrage erklärt hatte, dass ein unter Anrufung Gottes geleisteter Eid den Gehorsam gegenüber Gott grundsätzlich nicht suspendieren könne. Die Eidesfrage hatte damit ihre Brisanz verloren und wurde dann von der Behörde zunächst auch nicht weiterverfolgt. Der Vorwurf, dass Barth ein politisch unzuverlässiger Beamter sei, berief sich nun vor allem auf seine konsequente Unterlassung des angeordneten Hitlergrußes zu Beginn seiner Lehrveranstaltungen und verschiedene politische Äußerungen, die Barth während seiner Begegnung mit Mitgliedern des Pfarrernotbundes in Berlin am 30. Oktober 1933 im Hause des Pfarrers Gerhard Jacobi getan habe. Am 20. Dezember 1934 wurde er von der Kölner Dienststrafkammer aus dem Dienst entlassen unter Bewilligung der Hälfte des zustehenden Ruhegehalts für ein Jahr. In dem von Barth mit Unterstützung seines Rechtsanwalts Otto Bleibtreu angestrengten Berufungsverfahren wurde zwar in Berlin am 14. Juni 1935 das Kölner Urteil aufgehoben und in eine Geldstrafe umgewandelt, aber nur wenige Tage später wurde er vom Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Bernhard Rust am 22. Juni unter Berufung auf § 6 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums in den Ruhestand versetzt73; ihm wurde vorgeworfen, dass sein problematisches Verhältnis zum nationalsozialistischen Staat ihn als Lehrer der deutschen Jugend disqualifiziere – der nicht geleistete Beamteneid kam in diesem Zusammenhang erneut auf den Tisch. Bereits am 10. Februar hatte sich Barth, der infolge des Kölner Urteils die Bonner Fakultät nicht mehr betreten durfte, auf einer Bibelfreizeit für Studenten der 72 Zit. n. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 268. 73 Wortlaut dieses Gesetzes s. im Literaturverzeichnis unter: Internetquellen.

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bekennenden Kirche in Godesberg von seinen Studentinnen und Studenten verabschiedet.74 Am 1. März 1935 wurde er zudem unter Redeverbot gestellt, so dass er sich auf beratende Tätigkeiten vor allem in der Bekennenden Kirche beschränken musste. Die Bemühungen um eine Stelle für Barth in der Schweiz waren zu diesem Zeitpunkt schon im Gange. Zugleich nahm er eine Einladung der Universität Utrecht an und hielt 16 Vorlesungen über „Hauptprobleme der Dogmatik“ anhand des Apostolischen Glaubensbekenntnisses, die noch im gleichen Jahr im Chr. Kaiser Verlag unter dem Titel „Credo“ veröffentlicht wurden. Barth verließ Bonn äußerst ungern, aber es wurde durch die bereits 1934 vollzogenen (Karl Ludwig Schmidt, Fritz Lieb, Ernst Fuchs) und die nun folgenden Entlassungen (Helmut Gollwitzer, Ernst Wolf) deutlich, dass es auch um die Zerschlagung der ‚roten Fakultät‘ ging. Der gerade erst begonnene Aufschwung, den die Bonner Fakultät beflügelt hat, fand unversehens ein jähes Ende. 5. Karl Barth im Kirchenkampf Nicht erst seit der Wahl Adolf Hitlers zum Reichskanzler beobachtete Barth die Entwicklung in Deutschland mit wachsender Skepsis. Die Verelendung großer Bevölkerungsteile durch die einschneidende Wirtschaftskrise brachte eine tiefe Verunsicherung mit sich. Längst hatte sich das politische Klima radikalisiert. Im September 1930 ging die NSDAP als stärkste Oppositionspartei aus der Wahl hervor, was zu einer weiteren Radikalisierung des öffentlichen Lebens führte, die sich immer wieder in heimtückisch organisiertem, agitatorischem Politterror vor allem vonseiten der „Braunhemden“ (SA) austobte. Die weithin ungeliebte Weimarer Republik war zunehmend einer tiefgreifenden Erosion ausgesetzt. Der Protestantismus hatte sich nicht zur Demokratie bekehren lassen, sondern favorisierte rückwärtsgewandte deutschnationale Einstellungen, wie sie vor allem von der demokratiekritischen Deutschnationalen Volkspartei vertreten wurden. Er profilierte sich nicht ohne vordergründigen Erfolg gegen die herrschenden politischen Verhältnisse. Davon waren auch die theologischen Fakultäten nicht ausgenommen, so dass Barth 1947 im Rückblick feststellen konnte: [Insbesondere] fand ich die Professorenschaft, wie ich sie gesellschaftlich, in Sprechzimmern, Senatssitzungen und anderswo kennen lernte, mit wenigen Ausnahmen … gegenüber der armen Weimarer Republik – weit entfernt davon, daß man ihr auch nur eine faire Chance gegeben hätte – in der Haltung, die ich … nur mit dem Wort Sabotage bezeichnen kann […] Sie hat mit ihrer … mit der größten Selbstverständlichkeit vertretenen Geschichtsphilosophie die Hitlerei so kräftig vorbereitet, als es in ihrem Bereich nur geschehen konnte.75 74 Eine Nachschrift der Ansprache Barths findet sich in Barth, Das Evangelium in der Gegenwart, 8–17. 75 Zit. n. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 203.

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Gleichzeitig sah Barth die Kirche sich am Ende der 1920er Jahre geradezu propagandistisch mit der zurückgewonnenen Stärke brüsten, in der sie sich besser als der Staat bewährt habe. Dieser plakative kirchenpolitische Triumphalismus brachte nun Barths bisher gepflegte Zurückhaltung ein erstes Mal zum Erliegen. Die mit der ungeliebten Weimarer Verfassung (Art. 137: „Es besteht keine Staatskirche.“) verbundene, weithin als Demütigung empfundene Schwächung sei nun überwunden.76 Barth zitiert den Herausgeber des ‚Kirchlichen Jahrbuchs‘ Johannes Schneider u. a. mit folgender Passage: Gezeigt hat sich, daß der religiöse Gedanke doch tiefer in der deutschen Volksseele verwurzelt war, als nach außen hin in Erscheinung trat. Das heilige ‚Dennoch‘ hat sich durchgesetzt. Bewährt hat sich das, was wir die empirische Kirche nennen, sowohl in seiner Dauerkraft als auch in seiner Elastizität. Die Kirchenführung des letzten Jahrzehnts war ein Meisterstück – […] wir sind aus dem Engpaß heraus und sehen vor uns ein freies Feld.77

Barths Intervention tönt wie eine Explosion von bereits länger aufgestautem Verdruss: Wo die Kirche ein solches Selbstbewusstsein zur Schau trägt, da stoße man auf „die eigentliche, gefährliche Verschwörung gegen die Substanz der Kirche.“ (529) Wo die Kirche sich vor allem selber will und beginnt, sich selbst zu rühmen „wie eine Marktbude neben anderen“ (532), hat sie „glatt aufgehört, Kirche zu sein“ (532). Sie hat zugunsten einer „Ideologie des gehobenen Mittelstandes“ die zu ihrem Wesen gehörende Verlegenheit selbstzerstörerisch übertönt, in der sie nur unter dem Kreuz in der Anerkennung ihrer prinzipiellen Bedürftigkeit bittende Kirche sein kann.78 Die auf den ersten Blick recht erstaunliche Schroffheit des Einspruchs Barths wird erst verständlich, wenn registriert wird, dass Barth hier zunächst nur ein Ventil öffnete, durch das dann der ganze Druck entweicht, während er noch das andere Ventil geschlossen hält, hinter dem die flagranten völkischen und deutschnationalen Neigungen pressierten, unter denen sich die Kirche längst in problematischer Weise politisiert hatte. Barth sah die Kirche nicht nur ihr theologisches Fundament verspielen, sondern damit auch ihre spezifische Freiheit, ohne die ihr in den zu erwartenden Auseinandersetzungen das nötige Stehvermögen fehlen würde. Doch auch in politischer Hinsicht begann Barth, zu Beginn der 1930er Jahre vorsichtig von seinem selbstauferlegten Schweigen abzurücken. Zwar hatte Barth seit 1926 neben der Schweizer auch die deutsche Staatsbürgerschaft, aber ganz bewusst hielt er sich zunächst weiterhin mit öffentlichen politischen Aussagen zurück. Später hat er eingeräumt, die Gefahr des Nationalsozialismus, der ihm selbst nur als absurd erschienen war, unterschätzt zu haben.79 Ihm lag daran, der 76 Vgl. u. a. den Präses der Rheinischen Provinzialsynode Walther Wolff, Die Deutschen Evangelischen Kirchen nach 1919, in: Quellen zur Geschichte des deutschen Protestantismus, 166–170. 77 Zit. n. Barth, Quousque tandem …?, 527 f (Seitenzahlen im Text); vgl. dazu Bormuth, 247 f. 78 Vgl. dazu Barth, Die Not der evangelischen Kirche (Zitat: 110). 79 Vgl. ebd.

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entschlossen angegangenen theologischen Auseinandersetzung nicht durch politisch möglicherweise anstößige Positionierungen die notwendige Konzentration zu entziehen. Wäre erst einmal der Eindruck entstanden, dass er sich für eine politisch weithin als anrüchig eingeschätzte Position einsetze, wäre es wohl schnell dazu gekommen, ihn auch theologisch zu marginalisieren. Ganz ausschließen konnte er eine politische Diskreditierung freilich nicht, war doch seine Sympathie für die Sozialdemokratie durchaus bekannt, zumal er aus wachsendem Verdruss über den sich ausbreitenden nationalsozialistischen Ungeist und der mit ihm verbundenen Gefährdung der Demokratie am 1. Mai 1931 in die SPD eingetreten war. Schließlich verwandte er sich öffentlich für den verfemten religiösen Sozialisten Günther Dehn (1882–1970), der wegen seiner politischen Einstellung von deutschnationalen Studenten beginnend mit seinem Dienstantritt 1932 in Halle so sehr gemobbt worden war, dass er sich zur Beantragung eines Studienurlaubs gedrängt sah.80 Barth hatte bereits seinerseits in der Vergangenheit – schon in Göttingen – immer wieder die verbreitete Dominanz des Politischen zu spüren bekommen, so dass er hier eine besondere Vorsicht walten ließ. Aber die zunehmende unselige Vermischung von Politik und Kirche, in der das Politische das Bestimmende und die Kirche zwangsläufig die Kompromittierte waren, brachten Barth schließlich dazu, seine Zurückhaltung aufzugeben. Es waren weniger die durchaus erfolgreich an die Öffentlichkeit drängenden, dem Nationalsozialismus treu ergebenen ‚Deutschen Christen‘ (DC), die Barths Unmut mobilisierten, sondern es waren vor allem die vermittelnden Kompromisse, die ihn besonders aufbrachten. Es sind die „vermeintlich Besseren unter den Deutschen Christen und alle diejenigen Kreise der Opposition, die bisher […] nicht grundsätzlich gekämpft haben“, von denen Barth in ihrer „unentschiedenen neuprotestantischen Mittelmäßigkeit“ eine größere Gefahr ausgehen sieht als „von dem früher oder später sicher zum Abwirtschaften verurteilten besonderen System der Deutschen Christen […].“81 Er witterte hier ein besonders gefährliches Verführungspotenzial, weil sie einen Weg propagierten, auf dem die Christen ohne eignen Identitätsverlust dem Nationalsozialismus grundsätzlich die Hand reichen könnten, ohne sich ihm ganz zu ergeben. Einigermaßen blauäugig werde in diesen Kreisen davon ausgegangen, dass die grundsätzliche Zustimmung zum Nationalsozialismus dann auch einen Raum schaffen könne, in dem wirksam die nötige Kritik geübt werden könne, um etwa die Auswüchse des Rassismus und der Expansionsgelüste zurückzuweisen. Doch Barth hielt dem entgegen, dass hier leichtsinnig verkannt werde, dass es sich beim Faschismus nicht um eine anpassungsfähige Weltanschauung, sondern um eine den ganzen Menschen erfassende Religion handele, die auch sein Privatleben in Beschlag nehme.

80 Vgl. dazu Bizer, Der „Fall Dehn“; Mühling, Karl Ludwig Schmidt, 99–109; Der „Fall Dehn“ (s. im Literaturverzeichnis unter: Internetquellen). 81 Barth, Lutherfeier 1933, 6.

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Der internationale Faschismus mit seinem „Rasse, Volk, Nation!“ ist, was er ist, genau in dem, was ihn von einer Weltanschauung unterscheidet und als Religion charakterisiert: in seinem dogmatisch fixierten Wissen um diese eine, die nationale Wirklichkeit, in seinem Appell an Gründe, die gar keine Gründe sind, in seinem Auftreten als unqualifizierte Macht, in seiner für uns alle, die wir vor 20 Jahren uns bildeten, so befremdlichen Unfreiheit und Ungeistigkeit. Wer nicht sieht, daß hier eine neue oder uralte Naturreligion am Werke ist, der wird mit seinem Zorn oder Gelächter über Gestalten wie Mussolini und Hitler nur daneben­greifen können.82

Hier identifiziert Barth eine spezifische Differenz zwischen 1914, wo es um Weltanschauung gegangen sei, und dem nationalsozialistischen Frühling, wie er ihn 1931 wahrnahm. Zwar lasse auch diese Religion mit sich reden, aber sie werde sich niemals ihr Credo und den mit diesem Credo verbundenen Rigorismus ausreden lassen, so dass das „Christentum“ – Barth setzt es bewusst in Anführungszeichen – vor die Frage gestellt sei, „ob es sich denn selber verstanden hat?“ (153) Ähnliche den Glauben des Menschen ganz und gar in Anspruch nehmende Religionen sah er seinerzeit übrigens im (russischen) Kommunismus und – „weniger bewußt und aufdringlich und dafür mannigfaltiger in seiner Erscheinung“ (146) – im Amerikanismus. Nach Günther van Norden handelt es sich bei diesem Text „um einen der ersten Ideologievergleiche mit totalitätstheoretischem Ansatz überhaupt.“83 Es ist diese Einschätzung, die auch hinter dem vor allem gegen Gogarten gerichteten Abschied Barths von der Zeitschrift „Zwischen den Zeiten“ steht. Barth sah Gogarten der bereits benannten Illusion eines strategischen Kompromisses mit dem Nationalsozialismus aufsitzen, in dem vertretbare Zugeständnisse die Möglichkeit einer zähmenden Einflussnahme auf den Nationalsozialismus eröffnen sollten. Aber schon das zu unterbreitende Zugeständnis bedeutete für Barth eine Preisgabe des christlichen Bekenntnisses zugunsten des „Stapelschen Theologumenon, dass das Gesetz Gottes für uns identisch sei mit dem Nomos des deutschen Volkes“.84 Dabei stand der Name Wilhelm Stapel für die Theologisierung des ideologischen Zentralmotivs des Nationalsozialismus, in dem das Volkstum in das Zentrum der Lebensauffassung gerückt wurde.85 Auch wenn man sich fragen mag, wie es dazu kommen konnte, wurde in „Zwischen den Zeiten“ 1932 ein Vortrag von Gogarten unter dem Titel „Schöpfung und Volkstum“ abgedruckt, in dem das Volkstum und das mit ihm verbundene Gesetz als die vorzügliche Gabe Gottes präsentiert wurde: „Er, der ewige Schöpfer, ist das Subjekt des Willens, der in dem Gesetz des Volkstums, der in der lebendigen Sitte eines Volkes über die Menschen herrscht.“86 Nicht wir geben unserem Leben eine Gestalt (492), es hat sich vielmehr in „Hörigkeit“ der 82 83 84 85 86

Barth, Fragen an das „Christentum“, 146. V. Norden, Die Weltverantwortung der Christen neu begreifen, 26. Barth, Abschied, 507–509. Vgl. dazu Weinrich, Karl Barths theologischer Kampf, 401–405. Gogarten, Schöpfung und Volkstum, 503.

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Bestimmung des Schöpfers zu fügen, so dass der Mensch zu realisieren habe, dass er nicht selbst, sondern seinem Volk gehöre (494). Mit einer solchen Theologie mochte Barth nicht einmal von Ferne in irgendeinen Kontakt gebracht werden, weil es da nichts mehr zu diskutieren gebe, denn die Voreingenommenheit für die aktuelle ‚Lage‘ werde bereits für die ‚Sache‘ der Theologie gehalten. Er gibt „Zwischen den Zeiten“ den Abschied, um nicht weiter befürchten zu müssen, im nächsten Heft z. B. irgend eine sanft-kluge Verteidigung des Arierparagraphen auf Grund der Schöpfungsordnungen als einen immerhin auch möglichen Beitrag zur „biblisch reformatorischen Einsicht“ zu lesen zu bekommen. […] Ich meine, wahrhaft kirchlich hätte unsere Zeitschrift in der heutigen Zeit nur dann sein können, wenn sie sich als ein bescheidener aber nicht zu durchbrechender Damm gegen die deutsch-christliche Überschwemmung bewährt hätte.87

In den Deutschen Christen sieht er „die letzte, vollendetste und schlimmste Ausgeburt des neu-protestantischen Wesens“ (504), von dem er sich nun seit Jahren abzusetzen versuche, so dass jede Brücke, die nun zwischen seinem theologischen Neuaufbruch und dieser heillosen Anpassungsmentalität geschlagen werde, nur als eine Zurücknahme all der Einsichten verstanden werden könne, von denen er zumindest gehofft hatte, dass er sie mit seinen Weggefährten teilen würde. Barth hat immer wieder solche Situationen erlebt, in denen es darum gegangen ist, dass sich gemeinsam formulierte Einsichten zu bewähren hatten, und in denen er sich dann unversehens allein oder aber nur noch in einer sehr kleinen Schar von Aufrechten zurückgelassen fand, während sich gleichzeitig die Dinge genau in die Richtung bewegten, gegen die man sich zunächst selbst definiert hatte. Gogarten antwortete auf Barths Grenzziehung dann später (1937) mit einer „Streitschrift gegen Karl Barth“ unter dem Titel „Gericht oder Skepsis“ und rief die „deutsche Theologie“ zu einem Zeitpunkt dazu auf, sich aus „dem Bann“ der Theologie Barths zu befreien,88 an dem Barth längst aller ernsthaften Einflussmöglichkeiten auf die deutsche Diskussion beraubt war. Kirchenpolitisch ging es nach der positiv aufgenommenen Regierungserklärung Hitlers vom 23. März 1933, in welcher den Kirchen die Wahrung der bestehenden Rechte zugesagt wurde, um die von großen Teilen der Kirche und mit anderem Akzent auch von Hitler gewünschte Gleichschaltung der Kirche zu einer Reichskirche. Der Dreiklang „Ein Volk, ein Reich, ein Führer!“ sollte nun durch „eine Reichskirche“ ergänzt werden, die aus der Zusammenführung der verschiedenen Landeskirchen hervorgehen sollte. Im Mai 1933 kam es unter dem Einfluss von Barth zu einer ersten bekenntnismäßigen „Theologischen Erklärung zur Gestalt der Kirche“, den sogenannten „Düsseldorfer Thesen“89, denen jedoch nur wenig 87 Barth, Abschied, 507 f. 88 Vgl. Gogarten, Gericht oder Skepsis, 157. 89 Vgl. Bülow, 101 ff; Busch, Reformiert, 63 ff.

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Beachtung geschenkt wurde, wohl nicht zuletzt, weil sie reformierten Ursprungs waren. Die erste These zitiert ebenso schlicht wie pointiert die erste These des Berner Synodus von 1528: Die heilige christliche Kirche, deren einiges Haupt Christus ist, ist aus dem Wort Gottes geboren; in demselben bleibt sie und hört nicht die Stimme eines Fremden.90

Barth hat in einer eigens dazu eingesetzten Arbeitsgemeinschaft mit Studierenden über diese Thesen diskutiert. Am 23. Juli 1933 bescherten dann die reichsrechtlich angeordneten Kirchenwahlen nicht zuletzt infolge ausdrücklicher Unterstützung durch Hitler persönlich, der sich am Vorabend über den Rundfunk an die Wähler wandte, den Deutschen Christen einen fulminanten Sieg. Das war der kirchenpolitische Horizont, in dem sich Barth, von dem sich viele längst eine Stellungnahme zu den aktuellen Entwicklungen erwartet hatten, unmittelbar nach den Kirchenwahlen mit seinem zunächst als Beiheft zur Zeitschrift „Zwischen den Zeiten“ veröffentlichen Votum „Theologische Existenz heute!“ zu Worte meldete. Angesichts der allseitigen Beifallsbekundungen hinsichtlich der jüngsten politischen Veränderungen war Barth der Meinung, dass sein auffälliges Schweigen bereits als ein sprechender Kommentar zur Lage verstanden werden könne, und auch jetzt wolle er mehr zur Sache als zur Lage sprechen. In dieser vielbeachteten Schrift – Georges Casalis vergleicht sie mit den 95 Thesen Luthers im 16. Jahrhundert91 – verbindet Barth eine pointierte Diagnose der zeitgeschichtlichen Situation der Kirche mit einem entschiedenen Appell, dass sich die Kirche auf ihre besondere ‚Sache‘ zu besinnen habe, wenn sie es nicht aufgeben wolle, auch in Zukunft noch Kirche zu sein. Er sieht – wie er später formulierte – den Protestantismus, der sich „tatsächlich schon seit Jahrhunderten allerhand andern weniger ostentativen und aggressiven Fremdmächten allzu sehr ‚gleichgeschaltet‘ hatte“,92 wieder einmal – nun allerdings in nicht mehr überbietbarer Konsequenz – seiner Neigung erliegen, sich aus selbstvergessenen Opportunitätsmotiven seiner Umgebung anzupassen und damit selbst aufzugeben. Gegen die unablässigen und eilfertigen Anpassungsofferten an die neue politische Lage verweist Barth darauf, dass er sich mit seinen Bonner Studenten darum bemühe, „Theologie und nur Theologie zu treiben“ – „vielleicht in leise erhöhtem Ton, aber ohne direkt Bezugnahmen“.93 Gerade in seinem konsequent theologischen Charakter verstand er sein die Kirche ermahnendes Votum indirekt auch als eine politische Stellungnahme (281). In die Richtung der deutsch-christlichen Erfolge hält er mit seiner Einschätzung in keiner Weise zurück, indem er darauf verweist, dass diese Bewegung 90 K. D. Schmidt (Hg.), Bekenntnisse 1933 (s. Literaturverzeichnis unter: Quellen), 149; Niesel (Hg.), Bekenntnisschriften, 327 (s. Literaturverzeichnis unter: Quellen). 91 Casalis, Karl Barth, 28. 92 Karl Barth im Kirchenkampf, 62. 93 Barth, Theologische Existenz heute, 280.

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den Stempel der Verkehrtheit so deutlich auf der Stirn trägt, daß in einer gesunden Kirche schon ein Konfirmand hätte merken müssen, daß er da weder mit dem lutherischen noch mit dem Heidelberger Katechismus in der Hand nur eine Stunde dabei und unter irgend einem Vorwand mittun könne. (334)

Aber: „Allein um der Abwehr der ‚Deutschen Christen‘ willen würde ich nicht das Wort ergriffen haben. […] wir haben auch dringendere und ernsthaftere Sorgen als die, die ‚Deutschen Christen‘ theologisch widerlegen und belehren zu wollen.“ (327, 330) Mehr als die DC irritierte Barth die einhellige Bereitschaft zur Kirchenreform im Sinne der oben erwähnten Gleichschaltung mit der solennen Installation eines Reichsbischofs, weil sie anstatt theologischen Orientierungen zu folgen, vor­rangig politischen, bestenfalls aber kirchenpolitischen Motiven folge, ohne überhaupt nach den zu erwägenden theologischen Kriterien zu fragen – und dies auch noch aus vorauslaufendem Gehorsam. Spürbar aufgebracht fragt Barth: Ist die theologische Verwilderung eigentlich schon so weit fortgeschritten im evangelischen Deutschland, dass man es nachgerade ohne Risiko wagen darf, ein beliebiges neues Dogma mir nichts dir nichts ohne Autorität nicht nur, sondern auch ohne den Schatten eines theologischen Beweises, nur weil es einem so passt und weil ja ohnehin Revolution ist, auszurufen und dass es sich dann ereignen kann, dass niemand […] nach dem theologischen Beweis auch nur fragt, sondern jedermann (in Revolutionszeiten ist ja zu theologischer Besinnung nicht die Zeit!) sich für überzeugt hält, dass es mit dem neuen Dogma wohl seine Richtigkeit haben werde? (313 f)

Die Situation muss als desaströs bezeichnet werden. In den Augen Barths zeigte sich hier einerseits die ungeschminkte Konsequenz des Neuprotestantismus und andererseits – vor allem in der Jungreformatorischen Bewegung – eine nicht weniger besinnungslose Reanimierung der zweigleisig orientierten konservativen Vermittlungstheologie. Die eingestellte Zeitschrift „Zwischen den Zeiten“ wurde dann einerseits durch eine von Barth und Thurneysen herausgegebene Schriftenreihe ersetzt, die den Titel von Barths viel beachteter Zeitansage „Theologische Existenz heute“ bekam und in der Barth nun eine Zeit lang seine theologischen Vorträge publizierte, nicht ohne auch in den Vorworten die Gelegenheit zu nutzen, etwas zur jeweiligen Lage zu formulieren. Als dann im Spätsommer 1934 aufgrund einer Intervention der Behörden der Fortbestand der Reihe davon abhängig gemacht wurde, dass diese zeitkritischen Kommentierungen zu unterbleiben hätten, forderte Barth die Leser dazu auf, den Texten zum rechten Verständnis den Untertitel hinzuzufügen: „Zwischen den Zeilen“. Im Oktober 1936 wurde Barth dann die Mitwirkung an dieser Schriftenreihe ganz untersagt. Die Hefte 47 bis 64 (1939) wurden allein von Thurneysen herausgegeben, von da an wurde die Reihe bis zu ihrer Einstellung 1941 (Heft 77) von Karl Gerhard Steck betreut. Andererseits erschien unter der Schriftleitung von Ernst Wolf 1934 der erste Jahrgang der Zeitschrift „Evangelische Theologie“, deren

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Erscheinen allerdings bereits mit dem fünften Jahrgang ihr Ende fand bzw. bis 1946 unterbrochen werden musste. Unbekümmert von Barths vehementem Widerspruch im Juli 1933 schien die Gleichschaltung der Kirche ihr Ziel zu erreichen. Im September 1933 wurde Ludwig Müller durch die in Wittenberg zusammengerufene Nationalsynode zum Reichsbischof gewählt. Doch für den radikalen Flügel der DC ging die inhaltliche Anpassung der Kirche an die Revolution des Nationalsozialismus noch nicht weit genug. Zum Gedenken an den 450. Geburtstag Luthers wurde unter dem Thema „Die völkische Sendung Luthers“ am 13. November im Berliner Sportpalast eine spektakuläre Massenveranstaltung inszeniert, die nun die Richtung anzeigen sollte, in der sich die Kirche zu bewegen habe, wenn sie sich auf der Höhe der Zeit bewegen wolle. Diese von 20 000 Teilnehmenden besuchte Veranstaltung geriet allerdings zu einem beispiellosen Skandal, insbesondere die Rede des Berliner DC-Gau­obmanns Studienrat Dr. Reinhold Krause94 und die von der Versammlung zunächst begeistert verabschiedete Entschließung mit den Forderungen einer Befreiung „von allem Undeutschen in Gottesdienst und Bekenntnis, insbesondere vom Alten Testament und seiner jüdischen Lohnmoral“ und „der Verkündigung der von aller orientalischen Entstellung gereinigten schlichten Frohbotschaft und einer heldischen Jesus-Gestalt als Grundlage eines artgemäßen Christentums, in dem an die Stelle der zerbrochenen Knechtsseele der stolze Mensch tritt, der sich als Gotteskind dem Göttlichen in sich und in seinem Volke verpflichtet fühlt.“95 Inhaltlich wird deutlich, dass Barth nicht zu hoch greift, wenn er dem Tübinger Theologen Karl Fezer, der den Deutschen Christen angehörte, im Januar 1934 zurief: „Wir haben einen anderen Glauben, wir haben einen anderen Geist, wir haben einen anderen Gott“ – so Barth in einem der besagten Vorworte.96 Jenseits der Begeisterung im Sportpalast löste diese Veranstaltung eine allseitige Empörung aus, besonders auf der Seite der Evangelischen Kirche, und zwar bis in die Kreise der gemäßigteren DC hinein, aber auch in der NSDAP, die aufgrund des erkennbar werdenden grundsätzlichen Konfliktpotenzials nun einschließlich des Führers auf deutliche Distanz zu den DC gingen. Es kam zu Massenaustritten aus der ‚Glaubensbewegung‘. Der Bogen war nun derartig überspannt worden, dass die ganze Bewegung in Misskredit geriet. Ungewöhnlich offensiv, unüberhörbar gereizt und zugleich nur wenig hoffnungsvoll kommentiert Barth in einem Vorwort zu Heft 5 der Schriftenreihe „Theologische Existenz heute“ die Situation: So wenig Erkenntnis war unter uns, dass es des groben Heidentums des Herrn Krause bedurfte, um den Sturm der Entrüstung zu entfesseln, die, wenn sie echt gewesen wäre, spätestens seit vergangenem Juni hätte losbrechen müssen. […] So wenig scheinen viele Hunderte 94 Barth, Theologische Existenz heute, 280. 95 Vgl. dazu Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich, Bd. I, 701 ff; Meier, Der evangelische Kirchenkampf, Bd. I, 122 ff. 96 Zit. n. Das Zeitalter der Weltkriege und Revolutionen, 105 (s. Literaturverzeichnis unter: Quellen).

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von Pfarrern im vergangenen Sommer gewusst zu haben, was sie taten, als sie an der Spitze ihrer Gemeinden den Deutschen Christen beitraten, dass sie der Leitung ihrer „Bewegung“ (ihrer „Glaubensbewegung“!) die Gefolgschaft, kaum zugesagt, so schnell wieder versagen konnten, um morgen – wer weiß? – welcher anderen „Bewegung“ zu verfallen. […] Und so sehr sind wir, die wir nun doch mit so vielen „Bischöfen“ gesegnet sind, verlassen von jeder echten, eindeutigen, zuverlässigen Führung, dass man wohl fragen kann, ob die evangelische Kirche wohl je so sehr eine Herde ohne Hirten gewesen ist.97

Die Spannungen drohten zu einem Bekenntniskonflikt auszuwachsen, welcher der noch neuen Regierung an dieser Stelle ganz und gar nicht willkommen war. Ein wichtiges Element der Strategie Hitlers bereits 1920er Jahren war die konsequente Vermeidung des Anscheins, als bringe der Nationalsozialismus gleichsam auch eine neue Konfession mit sich, die sich in die Konkurrenz und dann eben auch in einen risikoreichen zermürbenden Konflikt mit den überkommenen Kirchen begeben wolle.98 Barths Einschätzung, dass sich die DC früher oder später selbst ihrer vollkommenen Abwegigkeit überführen würden, bestätigte sich schneller als erwartet. Der Reichsbischof legte seine Schirmherrschaft über die DC nieder und das in Wittenberg gebildete Geistliche Ministerium trat wenig später zurück. Der bereits im September gegründete Pfarrernotbund unter dem Berliner Pfarrer Martin Niemöller, der sich vor allem gegen die Übernahme des das staatliche Berufsbeamtentum betreffenden „Arierparagraphen“ in das Pfarrerdienstrecht der Kirche wandte, bekam großen Zulauf. Bereits kurz vor dem Sportpalastskandal war es zu einer Annäherung zwischen Barth und dem Pfarrernotbund gekommen im Zusammenhang mit seinem am 30. Oktober in Berlin gehaltenen Vortrag zum Thema „Reformation als Entscheidung“. Es war nicht zuletzt die aus Furcht vor einem tiefgreifenden Konflikt resultierende zwischenzeitliche Zurückhaltung des Staates, die der sich nun aus dem Pfarrernotbund heraus formierenden Bekennenden Kirche die nötige Atempause für ihre theologische Konstitution bis hin zur Bekenntnissynode Ende Mai 1934 in Wuppertal-Barmen verschaffte. In zahlreichen engagierten und in der Regel sehr gut besuchten Vorträgen vor allem über das Wesen der Kirche im Lichte der reformatorischen Tradition plädierte Barth leidenschaftlich für eine Rückgewinnung der theologischen Substanz, die eine Kirche überhaupt erst wieder zu einer Kirche machen könne. Dabei rückte er zunehmend auch das Verhältnis der Kirche zum Staat und den Dienst, den die Kirche dem Staat zu leisten habe, in den Blick, wobei sich Barth an der Phalanx einer konservativ interpretierten lutherischen Zwei-Reiche-Lehre abzuarbeiten hatte, hinter der sich der deutsche Untertanengeist gern zu verstecken pflegte. Am 4. Januar 1934 tagte in Barmen die „Freie Synode“ von 167 reformierten Gemeinden, die sich eine von Barth verfasste „Erklärung über das rechte Verständnis der reformatorischen Bekenntnisse in der Deutschen Evangelischen Kirche der 97 Vorwort zu Barth, Gottes Wille und unsere Wünsche (TEH 7), München 1934, 4. 98 Vgl. dazu Weinrich, Karl Barths theologischer Kampf, 405–407.

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Gegenwart“99 zu eigen machte, mit der die Kirche an ihre grundlegenden Orientierungen erinnert wird. Sie stellt sich gegen den die Kirche verwüstenden Irrtum, „daß neben Gottes Offenbarung, Gottes Gnade und Gottes Ehre auch eine berechtigte Eigenmächtigkeit des Menschen über die Botschaft und die Gestalt der Kirche […] zu bestimmen habe.“ (71) Die am nächsten Tag versammelte Hauptversammlung des Reformierten Bundes beschloss neben der Annahme dieser Erklärung zugleich die Unvereinbarkeit der Mitgliedschaft im Reformierten Bund mit einer Mitgliedschaft bei den DC. Die Versuche des Reichsbischofs Müller, einzelne Landeskirchen gleichzuschalten, ließen allerdings auch in der angespannten Situation nicht nach. Die mit Unterstützung seines „Rechtswalters“ August Jäger gewaltstreichartige Eingliederung der württembergischen Landeskirche brachte dann das Fass zum Überlaufen, so dass sich auch hier eine Widerstandsfront zu formieren begann. Die am 22. April in Ulm von den Bischöfen Theophil Wurm (Württemberg) und Hans Meiser (Bayern) veranstaltete Protestversammlung beanspruchte in der von ihr abgegebenen Erklärung als die „rechtmäßige evangelische Kirche Deutschlands“ zu sprechen.100 Aus den überall anwachsenden Bekenntnisgruppen und ihren „Bruderräten“ konstituierte sich ein „Reichsbruderrat“ unter dem Vorsitz des westfälischen Präses Karl Koch, der gegenüber dem Reichsinnenministerium unter Berufung auf das kirchliche Notrecht den Anspruch der Bekennenden Kirche (BK) als legitime Repräsentantin der Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK) erhob. Zur öffentlichen Bekräftigung dieses Anspruchs wurde Ende Mai eine reichsweite Synode der BK in Barmen zusammengerufen, auf der 139 überaus verschiedene Vertreter aus 18 Landeskirchen zusammenkamen, um sich auf eine gemeinsame theologische Basis zu verständigen, auf die sich ihr Anspruch berufen konnte. Zur Vorbereitung der von dieser Reichssynode abzugebenden Erklärung war eilends ein kleiner unter konfessionellen Gesichtspunkten zusammengestellter Ausschuss beauftragt worden, einen Text vorzubereiten. Diesem gehörten Karl Barth für die Reformierten, Thomas Breit und Hans Asmussen für die lutherischen Kirchen an. Sie trafen sich am 16. Mai im Hotel „Baseler Hof “ in Frankfurt/M., wo es vor allem Barth war, der – wie es heißt, während des Mittagsschlafes der Lutheraner mit der Unterstützung durch einen starken Kaffee und 1–2 Brasil-Cigarren101 – dem Entwurf seine später nicht mehr einschneidend veränderte Gestalt gegeben hat. Im Nachhinein ist es von vielen als ein Wunder empfunden worden, dass die Synode einstimmig die sechs Thesen mit ihren Antithesen in Barmen verabschiedete. Zwar wurde bewusst lediglich von einer theologischen Erklärung und nicht von einem Bekenntnis gesprochen, aber in der Präambel heißt es deutlich genug:

  99 Barth, Erklärung über das rechte Verständnis der reformatorischen Bekenntnisse. 100 Ulmer Erklärung (siehe Internetquellen). 101 Vgl. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 258.

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Wir bekennen uns angesichts der die Kirche verwüstenden und damit auch die Freiheit der Deutschen Evangelischen Kirche sprengenden Irrtümer der Deutschen Christen und der gegenwärtigen Reichskirchenregierung zu folgenden evangelischen Wahrheiten: […]102

Der Schlüssel zum Inhalt der ganzen Erklärung liegt in der ersten Wahrheit, die ganz und gar die Handschrift Barths trägt und der theologischen Akzentsetzung seines 1932 erschienen ersten Teilbandes der Kirchlichen Dogmatik (KD) entspricht: […] (Joh 14,6) […] Joh 10,1.9 Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.   Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Wort Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen. (37)

Diese Formulierung deckt sich knapp und pointiert mit dem theologischen Anliegen, dem Barth seit dem Tambacher Vortrag in Theologie und Kirche Gehör zu schaffen versucht hatte. Erst die Wahrung der hier unterstrichenen Konzentration kann so etwas wie eine theologische Existenz konstituieren. Erst in der strikten Abweisung aller geschichtstheologischen Koalitionen finden Theologie und Kirche zu ihrer spezifischen Perspektive und Freiheit, die sie dann – gleichsam im Ernstfall – auch dazu ermächtigen, den an sie ergehenden Vereinnahmungs- und Gleichschaltungsversuchen entgegenzutreten. Für Barth war die Barmer Theologische Erklärung das entscheidende Schlüsselereignis für die notwendige Selbstbesinnung der Kirche, auf das er sich dann immer wieder in den unterschiedlichsten Zusammenhängen – insbesondere auch hinsichtlich der voranzutreibenden Ökumene – berufen hat. Tatsächlich waren allerdings die in Barmen ausgesprochenen „Wahrheiten“ schon bald einer theologischen Kritik ausgesetzt, die sich nicht zuletzt gegen die Dominanz der Theologie Barths wandte. Bereits am 11. Juni erschien der in erster Linie von Werner Elert in Zusammenarbeit mit Paul Althaus verfasste „Ansbacher Ratschlag“, der sich gegen die Vorordnung des Evangeliums vor das Gesetz, gegen die Uminterpretation der Zwei-Reiche-Lehre und die Vernachlässigung der Ordnungstheologie in der Barmer Erklärung richtet, um zugleich auch ausdrücklich Gott für das Geschenk des Führers „als frommen und getreuen Oberherrn“ zu danken.103 Es war vor allem die klare Abweisung der natürlichen Theologie, wie sie in der Barmer Erklärung deutlich formuliert wird, die in gewisser Weise treffsicher attackiert wird, weil sie jeder Berufung auf das besondere Gebot der geschichtlichen Stunde

102 Barmer Theologische Erklärung, 36 (Hervorhebung M.W.). 103 Dokumentiert in: Das Zeitalter der Weltkriege und Revolutionen, 112 f (s. Literaturverzeichnis unter: Quellen).

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ein radikale Absage erteilt und damit dem deutlichen Vermittlungsinteresse der Gegner entgegentritt. Zugleich und durchaus bedeutsamer war die Barmer Erklärung der kirchenpolitischen Bewährung gegenüber der anhaltenden Gleichschaltungspolitik der Reichskirchenregierung ausgesetzt, ging es doch nun darum, den Widerstand gegen den aufgebauten Gleichschaltungsdruck zu konkretisieren. Indem mit der Abweisung der natürlichen Theologie theologisch implizit das konsequente Ernstnehmen des ersten Gebots unterstrichen wurde, stand zugleich die Frage zur Debatte, ob das Bekenntnis nicht auch über die Kirchenpolitik hinausgreife und unter den Bedingungen eines totalitären Staates per se auch eine politische Positionierung einschließe. Indem dieses Problem aber nicht diskutiert wurde, obwohl es offenkundig allseits präsent war, tauchten verbreitet Ersatzkonflikte auf, mit denen wohl daraufgesetzt wurde, den eigentlichen Konflikt mit seiner offensichtlichen Brisanz unbearbeitet lassen zu können. Um die kirchenpolitischen Konsequenzen aus der ersten Bekenntnissynode zu erörtern, wurde im Oktober in Berlin eine zweite Bekenntnissynode einberufen. Kurz vorher traf sich zur Vorbereitung der Synode in Oeynhausen eine Vorbereitungsgruppe, an der auch Barth beteiligt war. Barth schildert die sensiblen Umstände, unter denen es überhaupt nur möglich war, sich auf eine gemeinsame Linie zu einigen bzw. einen gemeinsamen Text zu formulieren: [Das] immer wieder so uneinige Deutschland – auch das der Bekenntnissynode – zu einer solchen Sache zusammen zu bekommen, ist wirklich eine Aufgabe, der gegenüber Flöhe zu hüten einem wohl als leichter erscheinen könnte. Immer wieder galt es, hier gegen Ängstlichkeit, hier gegen Übermut, hier gegen pastorale Fülle, dort gegen sonstige Geschwätzigkeit, hier gegen politische, hier gegen klerikale Überbetonungen auf der Hut zu sein und Unglück zu verhindern und darüber zu wachen, daß nun wirklich etwas gesagt werde, mit dem auch etwas getan sei.104

Die Synode selbst, die nicht zuletzt infolge eines Hilferufes von Bischof Meiser (Bayern) nach Berlin-Dahlem einberufen wurde, war an sich ein Erfolg. Es wird beschlossen, sich unter Inanspruchnahme des Notrechts offiziell von der Reichskirche zu trennen und somit allein die Bekennende Kirche als rechtmäßige Kirche anzusehen. Doch unversehens nach der Synode begann die in Barmen konstituierte und Berlin bekräftigte Einmütigkeit zu erodieren. Als nach der Synode und gewiss im Wissen um die Beschlusslage der Synode staatlicherseits der Druck auf Meiser und Wurm (Württemberg) zurückgenommen wurde, distanzierten sich beide zusammen mit Marahrens (Hannover) nach einer Privataudienz bei Hitler von den Dahlemer Beschlüssen und desavouierten damit faktisch die Autorität des Reichsbruderrates. Für die Rettung der ‚Volkskirche‘ gelte es eine erkennbare Nähe zum Staat zu wahren – ein Argument, dem sich dann auch so entschiedene Gestalten wie Koch oder Joachim Beckmann nicht mehr entgegenstellten. Barth beklagte, 104 Barth/Thurneysen, Briefwechsel Bd. III, 715.

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dass die oberen Repräsentanten der Kirchen den in Sinne des Barmer Bekenntnisses Kämpfenden immer wieder in den Rücken fallen. Nach schwierigen Verhandlungen wurde schließlich unter dem Druck der Bischöfe eine „Vorläufige Kirchenleitung“ mit Marahrens an der Spitze und Koch als seinem Stellvertreter vonseiten des Reichsbruderrates gebildet, was dazu führte, dass Barth, Hermann Albert Hesse (Direktor des reformierten Predigerseminars in Wuppertal-Elberfeld und Moderator des Reformierten Bundes), Karl Immanuel Immer (Pfarrer in Wuppertal-Barmen) und Niemöller unter Protest dem Reichsbruderrat den Rücken kehrten, der sich dann von der damit verbundenen Schwächung nicht wieder tatsächlich erholt hat. Zugleich nahm der Widerwillen gegenüber Barth – auch innerhalb der BK – zu, indem er zunehmend als „Störenfried“ gefürchtet wurde. Bischof Meiser machte dann auch ganz unverhohlen die Nicht-Teilnahme Barths zur Bedingung für seine Zustimmung zur Durchführung der dritten Bekenntnissynode im Juni 1935 in Augsburg. In einem Brief an Hesse vom 30. Juni sah Barth nun seine „wirklich nicht angenehme Funktion in diesem kirchlichen Raum als beendigt“105 an. Zwar blieb die BK weiter ein Faktor, der nicht einfach ignoriert werden konnte, aber sie blieb nun deutlich hinter den Ansprüchen zurück, für welche die Barmer Theologische Erklärung stand, so dass Barth zwar weiter mit einzelnen Vertretern der BK in Verbindung blieb, von ihr als ganzer aber kaum noch bemerkenswerte Impulse erwartete. Die kirchenleitenden Kreise waren vor allem an einer Vermittlung mit der Reichskirche interessiert, so dass Barth ihnen natürlich ein Dorn im Auge war. Schon in einem Brief vom 23. Nov. 1934 an Thurneysen verschaffte Barth seiner tiefen Enttäuschung über die jüngste Entwicklung in der BK Luft und zitierte Marahrens mit den Worten: „Sie werden doch auch der Meinung sein, daß die größte Gefahr für die D.E.K. augenblicklich Karl Barth ist“.106 Barths noch in diesem Jahr erfolgender Wechsel in die Schweiz nach Basel (vgl. Kap. II.4, S. 72f) wird von nicht wenigen Repräsentanten der Kirche mit einer deutlichen Erleichterung registriert worden sein. Zunehmend traf ihn der Unmut von kirchlichen Verantwortungsträgern, die seine theologische Entschlossenheit als eine Verhinderung des so dringend herbeigesehnten Arrangements mit dem Staat fürchteten. Dass sich die Kritik an Barth vor allem entweder auf konfessionalistische (er dränge die deutsche Kirche in calvinistisches Fahrwasser) oder nationalistische (als Schweizer habe er keine Beziehung zum deutschen Volkstum) Argumente verlegte, gibt zu erkennen, dass es offensichtlich nicht so leicht war, ihm substanziell theologisch entgegentreten zu können. Darin zeigte sich die recht unbequeme Verlegenheit, dass sich einerseits Barths theologische Positionen nicht einfach abweisen ließen, wenngleich andererseits die mit ihnen verbundenen Konsequenzen gescheut wurden, weil sie mit – teilweise durchaus überschätzten – Konflikten verbunden waren, die, soweit es irgend ging, vermieden werden sollten. Und so wurde in Barth vor allem ein theologisch rechthaberischer Unruhestifter gesehen, der ohne Rücksicht 105 Zit. n. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 274. 106 Brief v. 23.11.1934, in: Briefwechsel Bd. III, 758.

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auf Verluste nur seinen dogmatischen Fixierungen folge und damit das Verhältnis von Kirche und Staat in eine schwer zu kalkulierende Unruhe versetze, welche von den Kirchenrepräsentanten als bedrohlich empfunden wurde. Im Rückblick wird man nicht zu weit gehen mit der Feststellung, dass es nicht zuletzt die Abkehr großer Teile der BK von Barth gewesen ist, die dann auch den staatlichen Behörden den Weg geebnet hat, ihre bisherige Zurückhaltung aufzugeben und Barth des Landes zu verweisen, ohne allzu großes Aufsehen befürchten zu müssen. Im Verweis auf zahlreiche Quellen kann Hans Prolingheuer pointiert von einer „Vertreibung“ Barths sprechen, an der Mitglieder der BK auch aktiv beteiligt gewesen waren.107 Obwohl ihn tatsächlich eine große Aufmerksamkeit begleitete, empfand Barth im Blick auf seine theologischen Anliegen eine zunehmende Einsamkeit, die sich dann auch in Schweiz wider Erwarten sogar noch verstärken sollte. Barth seinerseits kommentiert die BK kurz nach seinem Wechsel nach Basel: Die uralte Bindung des Evangeliums an die menschliche Vernunft, der Kirche an den Staat hat sich auch in der Bekennenden Kirche in ihrer ganzen Gefährlichkeit erwiesen. Man kann und muß wohl dieser Bekennenden Kirche vorhalten, daß sie den Feind von ferne nicht in seiner eigentlichen Gefährlichkeit erkannt und ihm das die menschliche Lüge und Ungerechtigkeit richtende Wort Gottes von ferne nicht in der Unzweideutigkeit und Kraft entgegengehalten habe, wie es ihr als der Kirche Jesu Christis zukam. […] Wie ihr Kampf endigen wird? Es ist, auf das Menschliche gesehen, nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern sehr wahrscheinlich, daß er mit einem faulen Kompromiß endigen wird.108

Im Grunde beschreibt der Schluss des Zitats den Zustand, in dem sich die BK längst befand und von dem sie sich auch nicht mehr erholt hat. Deutlicher und für Barth seit seiner Rückkehr in die Schweiz ganz und gar charakteristisch formuliert er 1939: Um was ging und geht es? Sehr einfach darum, daran festzuhalten und das ganz neu zu verstehen und zu praktizieren: daß Gott über allen Göttern ist und daß die Kirche in Volk und Gesellschaft und gegenüber dem Staat auf alle Fälle ihre eigene, durch die heilige Schrift bestimmte Aufgabe, Verkündigung und Ordnung hat. Aber es konnte nicht anders sein – obwohl viele in der Bekennenden Kirche dies bis heute nicht einsehen und wahrhaben wollen –, als daß eben dies im Raume des Nationalsozialismus nicht nur eine „religiöse“, nicht nur eine kirchenpolitische, sondern ipso facto auch eine politische Entscheidung bedeutet: die Entscheidung gegen einen Staat, der als totaler Staat eine andere Aufgabe, Verkündigung und Ordnung als seine eigene, einen anderen Gott als sich selbst nicht anerkennen kann und der darum, je mehr er sich entfaltete, um so mehr auch zur Unterdrückung der Kirche als solcher, um so mehr auch zur Beseitigung alles menschlichen Rechtes und aller menschlichen Freiheit auf allen Gebieten übergehen mußte.109 107 Prolingheuer: Der Fall Karl Barth: 1934–1935. Chronographie einer Vertreibung. 108 Karl Barth zum Kirchenkampf, 34. 109 Barth, How my mind has changed, 635 f.

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Freilich ließ Barth in Deutschland auch Freunde zurück, die weiter entschieden für die Optionen eintraten, für welche die sich formierende Bekennende Kirche in Barmen ihre Stimme erhoben hatte. Viele von ihnen fanden sich ein, als Barth bei seinem letzten Besuch in Deutschland vor dem Zusammenbruch 1945 sich in Wuppertal der Diskussion um den wegen des Redeverbots von Karl Immer verlesenen Vortrag „Evangelium und Gesetz“ stellte. Wie in kaum einem anderen Vortrag bringt Barth hier die für seine Position im Kirchenkampf grundlegenden systematischen Entscheidungen in einen prägnanten Zusammenhang, indem er pointiert die insbesondere für das Luthertum zentrale Grundunterscheidung von Gesetz und Evangelium umkehrt. Die Vorordnung des Gesetzes hatte in den Auseinandersetzungen der letzten Jahre die theologische Urteilskraft in einem Ausmaß desorientiert, dass Barth ganz grundsätzlich die Reihenfolge von Gesetz und Evangelium in Frage stellt, weil sie nicht sicherstellen kann, dass es sich bei dem zuerst thematisierten Gesetz um das Gesetz Gottes handelt, so dass auch mit einer entstellenden Perspektive auf das Evangelium zu rechnen sein wird, womit dann schließlich das Ganze in Frage steht: Es verhält sich nämlich so, daß, wer wirklich und ernstlich zuerst Gesetz und dann erst und unter Voraussetzung dieses zuerst Gesagten, Evangelium sagen würde, beim besten Willen nicht vom Gesetz Gottes und darum dann sicher auch nicht von seinem Evangelium reden würde.110

Barth fasst in gewisser Weise die zentrale Pointe der von ihm noch und noch eingeforderten theologischen Existenz in dieser sachlich ernst zu nehmenden Umstellung von Gesetz und Evangelium zusammen. „Das Gesetz wäre nicht das Gesetz, wenn es nicht geborgen und verschlossen wäre in der Lade des Bundes.“ (1) Für eine theologische Perspektive bleibt es konstitutiv, dass sie auf das Wort Gottes ausgerichtet ist, wie es in der ersten Wahrheit des Barmer Bekenntnisses ausgesprochen wird. Dieses Wort Gottes hat das Evangelium zu seinem Inhalt und das Gebot Gottes zu seiner Form, wobei sich das eine nicht vom anderen trennen lässt, wie es in der zweiten Barmer Einsicht unterstrichen wird. Barth gibt in diesem Vortrag den in Barmen verabschiedeten Wahrheiten noch einmal einen fundamentaltheologischen Horizont, den er nicht zuletzt für das nötige Stehvermögen der BK in den weiterhin zu erwartenden Auseinandersetzungen für grundlegend hält. Die Ethik wird ganz und gar an die Zuwendung Gottes in der Gnade seines Evangeliums gebunden (vgl. Kap. I.11). Es ist der hier benannte, aber nicht weiter vertiefte bundestheologische Horizont, der in seiner christologischen Interpretation als die Mitte der Selbst­ offenbarung Gottes zu verstehen ist (vgl. Kap. I.7). Allein in dem Eintreten Gottes für uns können wir erkennen, „was Gott mit uns und von uns will“ (7). Die Ethik rückt konsequent in den Horizont der Bezeugung der Gnade Gottes: 110 Barth, Evangelium und Gesetz, 1.

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Es geht immer um den Glauben an Jesus Christus, den Gekreuzigten und Auferstandenen. Es kann also nie Ansprüche und Anforderungen geben, die anderswoher oder die in sich selber Gesetzeskraft hätten: es kann nur Zeugnisse geben. […] Und das Gesetz und alle seine Gebote werden von uns gehalten und erfüllt, wenn sie bei uns Glauben finden, den Glauben an Jesus Christus, das heißt den Glauben, der sich an ihn hält und bei ihm bleibt, einfach darum, weil er das ewige Wort im Fleische ist, das alles vollbracht hat. In diesem Glauben ist aller Gehorsam beschlossen. (12 f)

In der Ethik geht es um nicht mehr, aber eben auch um nicht weniger als um die Konformität unseres Handelns mit dem Handeln Gottes. Es entspricht der hier von Barth angeschlagenen Grundsätzlichkeit, wenn der vorgeschlagene Perspektivenwechsel bis in die 1960er Jahre immer wieder diskutiert worden ist.111 So gut es irgend ging, versuchte Barth auch von Basel aus unter immer schwerer werdenden Bedingungen die Verbindungen nach Deutschland zu halten, aber von allen Möglichkeiten einer direkten Einflussnahme war er jetzt abgeschnitten. Durch das 1938 ergangene Verbot aller seiner Schriften in Deutschland bekam diese Isolation eine zusätzliche Deutlichkeit. Immerhin nahmen eine gewisse Anzahl von Studierenden aus Deutschland die Möglichkeit wahr, für einige Semester zum Studium nach Basel zu gehen, bis schließlich ab 1939 diese in Deutschland nicht mehr anerkannt wurden. Nun kam es zudem in der Schweiz dazu, dass Barth, nachdem er nicht ohne Zurückhaltung zunächst willkommen geheißen wurde, auch hier bald seinen Weg weithin allein und unter einem wachsenden Argwohn insbesondere der Schweizer Administration zu gehen hatte, die darum fürchtete, dass der durch ihre Neutralität gesicherte Friede in der Schweiz gefährdet sein könnte, wenn die radikale Kritik von Barth als die Position der Schweiz angesehen werde. Es kann durchaus davon gesprochen werden, dass Barth nun auch in der Schweiz einen eigenen Kirchenkampf zu führen hatte, in dem er ebenso wenig wie in Deutschland die Kirchen auf seiner Seite wissen konnte. Bezogen auf seinen Einfluss in Deutschland bleiben schließlich zwei Begebenheiten zu erwähnen, in denen deutlich wird, dass die inzwischen eingetretene Distanz mehr das Missverstehen als das Verstehen beförderte: 1. Unmittelbar nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im Frühjahr 1938 hielten es die Kirchenleitungen der meisten Landeskirchen – wie sich später herausstellte ohne jede staatliche Veranlassung – für opportun, ihren Pfarrern nach dem aktuellen Vorbild der evangelischen Kirche in Österreich nun auch ausdrücklich den Treueid zum Führer abzuverlangen in expliziter Bezugnahme auf die beeidete Treuepflicht der staatlichen Beamten. In diesem Zusammenhang sollte auch die noch unvollendete Einführung des Arierparagraphen in die Kirche komplettiert werden. Für die DC und die sogenannten ‚intakten Kirchen‘ schien 111 Vgl. dazu Kinder/Haendler (Hg.), Gesetz und Evangelium.

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beides kein Problem zu sein, während sich in den ‚zerstörten‘ Kirchen der altpreußischen Union deutlicher Widerstand regte. In einem nach Deutschland übermittelten Ratschlag vom 18. Mai 1938, der in hektographierter Form in der BK verbreitet wurde, lehnte Barth jede Eidesleistung ab, weil es in der aktuellen Situation nur noch darum gehen könne, die Staatsgewalt „an ihre Würde als die von Gott eingesetzte Obrigkeit zu erinnern“112. Auf der ersten Tagung der sechsten Bekenntnissynode der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union in Berlin machte sich die BK den Ratschlag Barths nicht zu eigen. Als dann auf der zweiten Tagung der Synode Präses Koch den Präsidenten des Evangelischen Oberkirchenrates mit der Auskunft zitierte, dass der Eid ausdrücklich vom Staat erwartet werde, schwand der Widerstand und 60 % der Pfarrer folgten der Eideserwartung. Unmittelbar nachdem die Eide geleistet wurden, teilte der NS-Reichsleiter Martin Bormann mit, dass der Staat keinerlei Veranlassung für diesen Eid gegeben habe. Deshalb spiele für die Partei „der Unterschied zwischen den Geistlichen, die den Eid auf den Führer nach 5 Jahren nationalsozialistischer Erhebung geleistet haben und solchen Pfarrern, die ihn nicht leisten, keine Rolle.“113 Die Folge war eine schwere Vertrauenskrise, die auf die Selbstkompromittierung hinwies, unter welcher offenkundig zahlreiche Pfarrer die Eidesleistung vollzogen hatten. Die längst geschwächte BK verlor weiter an ernstzunehmender Bedeutung. 2. Eine besonders einschneidende Irritation ist mit dem berühmt-berüchtigten Brief verbunden, den Barth angesichts der Tschechen- bzw. Sudetenkrise und der mit ihr verbundenen akuten Kriegsgefahr am 19. Sept. 1938 an seinen Prager Freund Josef Hromádka schrieb. Die exzessive Kriegsrhetorik Hitlers brachte die Westmächte dazu, Deutschland weitere Konzessionen einräumen, um nicht in den Krieg gezwungen werden. Für Barth bedeutete dieses Zurückweichen eine politische Resignation, welche leichtfertig die Augen vor den weiterreichenden Absichten Hitlers verschloss. Für ihn war klar, dass es nun an der Zeit sei, dem deutschen Unrechtssystem entgegenzutreten, so dass er u. a. folgende Sätze an Hromádka schrieb, die sich dann am 25. Sept. auch in der deutschsprachigen „Prager Presse“ wiederfanden: Das eigentlich Furchtbare ist ja nicht der Strom von Lüge und Brutalität, der von dem hitlerischen Deutschland ausgeht, sondern die Möglichkeit, daß in England, Frankreich, Amerika – auch bei uns in der Schweiz – vergessen werden könnte: mit der Freiheit Ihres Volkes steht und fällt heute nach menschlichem Ermessen die von Europa und vielleicht nicht nur von Europa. Ist denn die ganze Welt unter den Bann des bösen Blickes der Riesenschlange geraten? […] Jeder tschechische Soldat, der dann streitet und leidet, wird es auch für uns – und, ich sage es heute ohne Vorbehalt: er wird es auch für die Kirche Jesu Christi tun, die in dem Dunstkreis der Hitler und Mussolini nur entweder der Lächerlichkeit oder der Ausrottung verfallen kann. Merkwürdige Zeiten, lieber Herr Kollege, in denen man bei gesunden Sinnen 112 Barth, Offene Briefe 1935–1942, 91. 113 Zit. n. Kupisch, Karl Barth, 96.

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unmöglich etwas Anderes sagen kann, als daß es um des Glaubens willen geboten ist, die Furcht vor der Gewalt und die Liebe zum Frieden entschlossen an die zweite und die Furcht vor dem Unrecht, die Liebe zur Freiheit ebenso entschlossen an die erste Stelle zu rücken!114

Auf dem Umweg über die Niederlande kam der Inhalt des Briefes nach Deutschland. Er war nicht nur das gefundene Fressen für das Propagandaministerium, sondern löste bis tief in die Reihen der BK Unverständnis und Empörung aus. Die BK wurde bedrängt, sich nun endlich öffentlich von Barth loszusagen.115 Es wurde gefragt, ob Barth ein „Wahnsinniger“ oder ein „Verbrecher“ sei. Nur wenige Mitglieder der Bruderräte hatten Verständnis für Barths Zuspitzungen. Martin Rade kritisierte vor allem die Veröffentlichung. Auch in der Schweiz galt der Brief als „schwere Abirrung“. Es wurde ihm vorgeworfen, dass er nun genau das mache, was er in Deutschland so energisch bekämpft habe, indem er Politik und Theologie vermische und damit den Boden von Barmen I verlasse. Genau dies habe Barth selbst stets abgewiesen und unterstrichen, es sei ihm um das in der jeweiligen Situation aus christlicher Perspektive zu Sagende und nicht um eine politische Option mit theologischer Überhöhung gegangen. In einem Brief an seinen Freund Pierre Maury in Paris schrieb er am 12. Okt. 1938 zu diesem Vorwurf: „Habe ich immer vertreten, daß alle menschlichen Entscheidungen dem göttlichen Urteil und der göttlichen Revision unterliegen, so habe ich doch nie vertreten, daß es deshalb menschliche Entscheidungen gar nicht geben dürfe oder daß wenigstens wir Theologen solchen Entscheidungen möglichst auszuweichen oder sie möglichst zu verheimlichen hätten.“ (126) Die Auswirkungen dieses Briefes reichten bis weit in die Nachkriegszeit hinein, wo der inzwischen berühmte „tschechische Soldat“ – wie Barth in der Auseinandersetzung immer wieder formulierte – 1950 in der Debatte um die Wiederaufrüstung Deutschlands116 und über Barth hinaus in den heftigen Auseinandersetzungen um den Nato-Nachrüstungsbeschluss präsent blieb, als über die Legitimität und Dringlichkeit des gebotenen Widerstandes gestritten wurde. In der konkreten Situation 1938 sollte Barth darin Recht behalten, dass durch die Duldung Hitlers der Konflikt nur vertagt werde und somit zu befürchten sei, dass er später ungleich schwieriger sein werde, weil zur Zeit der Sudetenkrise Hitler noch nicht wirklich zum Krieg bereit gewesen sei, was aber nichts daran ändere, dass seine Politik früher oder später auf einen Krieg zulaufe. Und im Blick auf diesen Krieg war sich Barth in aller Deutlichkeit klar darüber, dass er um des Rechts und um der Freiheit willen unvermeidlich zu führen sei, was er auch in alle Himmelrichtungen mit Nachdruck aussprach, ohne damit die Mentalität eines Rachefeldzuges beflügeln zu wollen. Charakteristisch für die vielen Äußerungen, die Barth in dieser Sache wiederholt hat, mag die Passage aus einem Brief vom 7. Sept. 1939 stehen:

114 Offene Briefe 1935–1942, 112–115. 115 Vgl. auch zum Folgenden ebd., 119–133. 116 Vgl. Barth, Offene Briefe 1945–1968, 202–214.

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Es hat wohl schon lange keinen Krieg mehr gegeben, in dem man jedenfalls auf der einen Seite wußte, daß man Alles um einer guten Sache willen auf sich nahm und daß sich jedes Opfer lohnen werde. Aber eben: da ist die andere Seite, die das nicht wissen kann und … nun doch Alles an Opfer und Leiden auch auf sich nehmen muß: für eine in jeder Hinsicht verlorene Sache. So muß man mit den armen Deutschen bestimmt am Meisten Erbarmen haben.117

Der Krieg sei gleichsam als Polizeimaßnahme in Wahrheit auch für Deutschland zu führen und nicht als ein wie auch immer gearteter heiliger Krieg mit der entsprechenden religiösen Begleitmusik.118 Wurde Barth im Zusammenhang mit seiner sozialistischen Option gern „Pazifismus“ zum Vorwurf gemacht, so wurden ihm nun seine Appelle zur Verteidigungsbereitschaft der Schweiz als „Militarismus“ vorgeworfen. In besonderer Weise stand für ihn die Schweiz für das, was es gegen den Nationalsozialismus zu verteidigen galt und um dessen willen dem Konflikt mit dem Nationalsozialismus nicht mit faulen Kompromissen ausgewichen werden könne, wie er sie allerdings die Schweizer Politik – in der Regel auch wieder im vorauslaufenden Gehorsam – immer wieder eingehen sah.119 Das genau ist der Hintergrund, weshalb Barth nun auch von der Schweiz als Sicherheitsrisiko und somit als staatsgefährdend eingestuft und entsprechend beobachtet, abgehört und sogar bis hin zum Redeverbot reglementiert wurde.120 Er appellierte an die Kirchen, dass sie ihrer Verantwortung gegenüber dem Staat nachkommen sollten, indem sie diesen vor einem Einknicken gegenüber dem Nationalsozialismus warnen sollten. Es wurde ihm vorgeworfen, die Theologie zur Verbrämung seiner problematischen politischen Ansichten zu instrumentalisieren, und verbat sich vonseiten der Administration die Einmischung der Theologie in die Politik. Theologisch dürfe er freilich reden, aber er solle sich ganz der Politik enthalten. Barth, der sich energisch gegen diese Vorwürfe verwahrte, die er als Angriff auf das reformierte Bekenntnis verstand, war dagegen davon überzeugt, mit seinem Engagement nichts anderes zu tun, als eben die Schweiz gegen ihre Selbstaufgabe zu verteidigen und damit die dem Christen im Staat zugewiesene Verantwortung wahrzunehmen. Die aus Berlin zu vernehmenden Verstimmungen über seine Beurteilung Deutschlands konnte er nur als Bestätigung seiner Einschätzungen registrieren. Als Konsequenz seines Plädoyers für eine wehrhafte Verteidigungsbereitschaft meldete er sich im April 1940 zum bewaffneten Hilfsdienst, was konkret bedeutete, dass er nun bis zum Kriegsende immer wieder für ein paar Wochen (insgesamt 104 Tage) als Soldat für militärische Wachdienste zur Verfügung stehen musste. Die gleiche nachdrückliche Ermutigung zu standfester Verteidigung richtete er auch beinahe an alle Kriegsgegner Deutschlands, insbesondere an die Kirchen und ihre Verantwortungsträger. Um nach dem Krieg zu erwartenden Legendenbildungen von vornherein das Wasser abzugraben, 117 Zit. n. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 312. 118 Vgl. Brief an einen amerikanischen Kirchenmann im Okt. 1942, 374 f, 380–382. 119 Vgl. Barth, Unsere Kirche und die Schweiz. 120 Vgl. dazu erhellend u. erdrückend die Dokumentation: Busch (Hg.), Die Akte Karl Barth.

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sorgte Barth gleich 1945 für eine Veröffentlichung seiner wichtigsten Texte zu dem Konflikt um Deutschland, die er mit einem prägnanten Vorwort versah.121 Diese Dokumentation wird eröffnet mit dem bereits veröffentlichten Vortrag „Rechtfertigung und Recht“, den Barth 1938 an verschiedenen Orten gehalten und in dem er die theologischen Voraussetzungen für seine entschiedenen Positionierungen formuliert hat. Die göttliche Gerechtigkeit und die menschliche Gerechtigkeit haben nicht nur – wie auch die Reformatoren sagten – je ihr eigenes Recht und bestehen daher nebeneinander, sondern – und das ist Neue, was es heute klar ins Auge zu fassen gelte – es besteht auch ein innerer und notwendiger Zusammenhang zwischen beiden, den es zu bedenken und dann auch zu bezeugen gilt.122 Während für die Reformatoren vor allem Joh 18,36 (Mein Reich ist nicht von dieser Welt) der Ausgangspunkt gewesen sei, lenkt Barth die Aufmerksamkeit auf Joh 19,11, wo Jesus Pilatus darauf hinweist, dass er auch nur die Macht über Jesus habe, die ihm ‚von oben‘ gegeben sei (10). Auch im Staat befinden sich daher die Christen im soteriologischen Bereich, d. h. er hat nicht nur als eine aus den wie auch immer zu verstehenden Abgründen der menschlichen Geschichte entstandene Größe in Gott seine dann auch im Auge zu haltende Grenze, sondern in ihm begegnet uns – freilich in indirekter Weise – auch die Herrschaft Christi (20 f). Insofern rückt der Staat in die Perspektive der allein von Gott ausgehenden Rechtfertigung, womit zugleich das prophetische Mandat der Gemeinde gegenüber den jeweiligen realpolitischen Verhältnissen begründet ist (25 f), in dem sie durch ihr Gebet für die Machthabenden und im öffentlichen Engagement den Staat darin begleitet, dass die von ihm geschützte Freiheit und das von ihm geschützte Recht nicht schon in ihm selbst bestehen. Der Staat muss es offenlassen, wie der Mensch jenseits der Freiheit und des Rechts, die durch seine Gewalt geschützt werden, sein Heil erlangt. Er darf nicht zur Kirche werden, die nur zu einer Götzenkirche werden könnte, so wie die Kirche sich nicht auch noch die Rolle des Staates zuzumessen darf, was sie zu einem in jeder Hinsicht unzulänglichen Pfaffenstaat verkehren würde (31). Die hier gebotene Bescheidenheit darf aber keine Trübung der Entschlossenheit bedeuten, mit der die Kirche, welche die Rechtfertigung verkündigt, zugleich für das Recht eintritt, das unter den irdisch-geschichtlichen Bedingungen dieser Verkündigung den nötigen Raum sichert. Barth kann sagen, dass der Staat heimlich davon lebt, dass die Kirche die ihr hier gebotene Verantwortung tatsächlich wahrnimmt (40). Diese Argumentation setzt konsequent die weltanschauliche Neutralität des Staates voraus – er sorgt für die äußeren Lebensbedingungen, ohne die Menschen innerlich an sich zu binden (42). Ebenso wie es absurd wäre, für einen Staat zu beten, welcher der Kirche die Freiheit ihrer Verkündigung bestreitet (38), so wäre ebenfalls unsinnig, sich an Gott mit einer Fürbitte für den Staat zu wenden, ohne sich auch selbst mit den eigenen Möglichkeiten politisch für diesen Staat einzusetzen. Man kann nicht „beten, daß der Staat uns erhalten, und zwar als Rechtsstaat erhalten 121 Barth, Eine Schweizer Stimme 1938–1945. 122 Vgl. Barth, Rechtfertigung und Recht, 7.

Karl Barth im Kirchenkampf

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bleiben oder zum Rechtsstaat wieder werden möge, ohne sich in eigener Person, in eigener Besinnung und mit eigener Tat dafür einzusetzen, daß dies geschehe“ (44). Es ist für Barth ausdrücklich kein Zufall, „daß es gerade im Bereich der christlichen Kirche im Laufe der Zeit gerade zu ‚demokratischen‘, d. h. auf der verantwortlichen Betätigung aller Bürger sich aufbauender Staaten gekommen ist.“ (43) In dem Widerstand gegen die Usurpation des Nationalsozialismus geht es um den in seiner Einleitung erwähnten „politischen Gottesdienst“ (3), zu dem die Kirchen in Wahrnehmung und zur Verteidigung der sie konstituierenden und zu bezeugenden Freiheit aufgerufen sind. Dieses Kapitel kann nicht abgeschlossen werden, ohne noch ausdrücklich auf ein Thema hinzuweisen, das Barth in seiner Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus stets mit im Blick gehabt hat, auch wenn er es in seinem öffentlichen Auftreten nur selten besonders exponiert hat.123 Nach den Pogromen gegen die Juden und ihre Synagogen im November 1938 war endgültig der Zeitpunkt gekommen, von dem an definitiv nicht weiter mit geheimer Diplomatie und persönlichem Engagement auszukommen war. Vor dem „Schweizerischen Evangelischen Hilfswerk für die Bekennende Kirche in Deutschland“ hielt Barth am 5. Dezember 1938 in ­Wipkingen einen Vortrag mit dem Thema „Die Kirche und die politische Frage von heute“, in dem er die Kirche dazu aufruft, sich als Zeugin Jesu Christi entschiedener und eindeutiger zu positionieren, weil inzwischen der Charakter und die Ambitionen des Nationalsozialismus unmissverständlich vor Augen stünden, die es verböten, sich auf eine neutrale Position zurückzuziehen. Es hat heute keinen Sinn mehr, sich die Augen davor zu verschließen und zu leugnen: daß der Sinn und Charakter des Nationalsozialismus schon als politisches Experiment die totale, die prinzipielle, die den Menschen und die Menschen in schlechthinniger Ganzheit nach Leib und Seele nicht nur umfassende und bestimmende, sondern in ihrer Humanität aufhebende, die menschliche Freiheit nicht nur begrenzende und ordnende, sondern vernichtende Diktatur ist […]: diese Staatsform, die totale, die prinzipielle Diktatur, stellt uns vor die Gottesfrage und also vor die Glaubensfrage.124

Dann kommt Barth auf den prinzipiellen Antisemitismus als den eigentlich biblisch-­ theologisch durchschlagenden Grund für die Wahrnehmung des Nationalsozialismus als „grundsätzlich antichristliche Gegenkirche“ (90, 93) zu sprechen: Wenn das geschieht, was in dieser Sache in Deutschland jetzt offenkundig beschlossen und schon ins Werk gesetzt ist: die „physische Ausrottung“ gerade des Volkes Israel, der Verbrennung gerade der Synagogen und Thorarollen, die Perhorreszierung gerade des „Judengottes“ und der „Judenbibel“ als Inbegriff alles dessen, was dem deutschen Menschen ein Greuel sein soll – dann ist damit, allein schon damit darüber entschieden: da wird die christliche 123 Zu diesem Thema vgl. ausführlich Busch, Unter dem Bogen des einen Bundes. 124 Barth, Die Kirche und die politische Frage von heute, 84.

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Kirche in ihrer Wurzel angegriffen und abzutöten versucht. […] Was wären, was sind wir denn ohne Israel? Wer den Juden verwirft und verfolgt, der verwirft und verfolgt doch den, der für die Sünden der Juden und dann und damit erst auch für unsere Sünden gestorben ist. Wer ein prinzipieller Judenfeind ist, der gibt sich als solcher, und wenn er im übrigen ein Engel des Lichtes wäre, als prinzipieller Feind Jesu Christi zu erkennen. Antisemitismus ist Sünde gegen den Heiligen Geist. Denn Antisemitismus heißt Verwerfung der Gnade Gottes. Der Nationalsozialismus aber lebt und webt eben im Antisemitismus. […] Was für Zeichen müssen eigentlich noch geschehen, wenn gerade dieses Zeichen der Kirche nicht sagt, daß sie mit dem Nationalsozialismus positiv nichts, gar nichts zu tun haben, daß sie erwachen und ihm auf der ganzen Linie ein entschlossenes Nein entgegenzustellen hat? (90)

Barth sieht die Kirche hier in den status confessionis, in die Entscheidung zwischen Kirche und Gegenkirche versetzt, die als solche unausweichlich auch eine politische Entscheidung ist: „Was ist denn eine Glaubensentscheidung, wenn sie nie, wenn sie gerade heute, gerade in dieser Sache nicht eine politische, diese politische Entscheidung wird.“ (93 f) Es geht nicht um eine politische Einschätzung, sondern um ein klares Bekenntnis, das sich als solches nicht mit der Rezitation von Glaubenseinsichten zufriedengeben kann, sondern sich erst in der konkreten politischen Positionierung bewährt. Im Dezember 1941 kam es auf der vierten Wipkinger Tagung beinahe zum Bruch, weil Emil Brunner mit der Mehrheit der Versammlung die präsentische Relevanz des Satzes Joh 4, 22 „das Heil kommt von den Juden“ in Abrede stellte und damit in Harmonie mit der verbreiteten antisemitischen Stimmung die von Barth als konstitutiv erkannte theologische Bedeutung Israels für die Kirche bestritt.125 Damit wird eine fundamentale Dimension der Theologie Barths angesprochen, von der er später bedauert hat, sie nicht auch schon in Barmen und all den späteren Auseinandersetzungen deutlicher angesprochen zu haben: Ich empfinde es längst als eine Schuld meinerseits, daß ich sie [sc. die Judenfrage] im Kirchenkampf jedenfalls öffentlich (z. B. in den beiden von mir verfaßten Barmer Erklärungen von 1934) nicht ebenfalls als entscheidend geltend gemacht habe. Ein Text, in dem ich das getan hätte, wäre freilich 1934 bei der damaligen Geistesverfassung auch der „Bekenner“ weder in der reformierten noch in der allgemeinen Synode akzeptabel geworden. Aber das entschuldigt nicht, daß ich damals […] in dieser Sache nicht wenigstens in aller Form gekämpft habe.126

&  Algner, Kirchliche Dogmatik im Vollzug.

125 Vgl. dazu ausführlicher Kap. V.3. 126 Barth, Brief an E. Bethge, 555.

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6. Die Ökumene Der Hromádkabrief ist nicht zuletzt auch ein Beispiel dafür, dass Barth sich aufgrund seiner Isolation von Deutschland mehr und mehr an die Christen der Deutschland umgebenden Länder, aber auch an die der übrigen Welt wandte. Unmittelbar nach seinem Umzug von Bonn nach Basel intensivierte sich seine Zuwendung zur Ökumene und – wenn auch eher zögerlich – zu den Bemühungen insbesondere in Genf, ihr nun auch in einem Weltkirchenrat einen institutionellen Rahmen für die Bündelung und die Organisation der ökumenischen Aktivitäten zu geben. Noch im Juli 1935 hielt er in Genf auf Einladung von Adolf Keller, seinem ehemaligen Genfer Vikariatsleiter, im Namen des ‚Ökumenischen Rates für Praktisches Christentum‘ vier Vorlesungen zum Thema „Die Kirche und die Kirchen“, verbunden mit Seminarveranstaltungen zu Calvins Katechismus. Barth plädiert für eine aus dem Bekenntnis des Glaubens perspektivierte Einheit der Kirchen und stellt sich damit gegen die in Genf favorisierte Option, die unterschiedlichen ekklesiologischen Profile miteinander ins Gespräch zu bringen. Es kann von vornherein „nicht um das moralisch-soziologische Ideal der Einheitlichkeit, Einmütigkeit und Eintracht“ gehen, sondern allein „um den zwingenden Inhalt der Erkenntnis, daß der Herr, der Glaube, die Taufe, Gott Eines, ein Einziges sind über Allen, für Alle, in Allen (Eph. 4,5).“127 Einheit könne als solche nicht gemacht, „sondern nur im Gehorsam gegen die in Christus schon vollzogene Einheit gefunden und anerkannt werden“ (225). Barth verwies auch in den kommenden Jahren immer wieder auf die Barmer Theologische Erklärung als ein ökumenisches Ereignis, als ein die Kirchen verbindendes öffentliches Tatzeugnis, in dem nicht erst die unterschiedlichen Bekenntnistraditionen abgestimmt wurden, sondern von den unterschiedlichen Bekenntnissen aus „nach der von Christus gebotenen praktischen Entscheidung gefragt“ (230) wurde in einer Situation, in der sich die Kirche als Kirche zu bewähren hatte, wenn sie sich nicht weltanschaulich untermischen lassen wollte. Ökumene ist in den Augen Barths in erster Linie eine Frage der Verbindlichkeit des Lebens der Kirche und nur in zweiter Linie eine Angelegenheit zu formulierender Übereinstimmungen und Lehren. Allerdings ging es für Barth nicht wie Nathan Söderblom128 um eine praktisch-diakonische Betätigung der Kirche, durch die sich Erfahrungen ergeben würden, die dann auch die Kirchen näher zusammenrücken ließen, wodurch sich ihre dogmatischen Differenzen gleichsam von selbst relativieren würden. Barth setzte dagegen auf den lebendigen Wesenserweis der Kirche, in dem die Kirche sich nicht um ihre konfessionelle Selbstdefinition sorge, sondern sich als Kirche in einer konfessorischen Existenz tatsächlich lebendig erweise. Anstatt sich sorgenvoll um ihre Selbstbeschreibung zu kümmern, solle 127 Barth, Die Kirche und die Kirchen, 217. 128 1866–1931, Erzbischof von Uppsala, Friedensnobelpreisträger und Initiator der Stockholmer Weltkirchenkonferenz für „Praktisches Christentum“ von 1925; ihm wird die Formel „Lehre trennt, Dienst eint“ zugeschrieben.

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sie lieber schlicht und ohne besondere eigene Ambitionen einfach Kirche sein, d. h. lebendig und pünktlich unter den jeweils gegebenen Umständen tätig für den sie tragenden Glauben einstehen. Der dabei mitschwingende kritische Akzent hatte die in den Kirchen gern gepflegte Neigung vor Augen, sich vor allem mit sich selbst zu beschäftigen und vor allem die eigene Konfession gegen die anderen zu verteidigen. Barths Skepsis galt aber nicht vor allem der Bewegung für „Praktisches Christentum“, an deren Stockholmer Weltkirchenkonferenz von 1925 Adolf Keller maßgeblich beteiligt war, sondern ebenso der 1927 in Lausanne weltweit angestoßenen Bewegung „Glauben und Kirchenverfassung“ – „Faith and Order“ – und ihrer vorrangigen Fokussierung auf die Ekklesiologie. Nach seinem Eindruck werde hier die Frage nach der Identität der Kirche vor die von ihnen heute wahrzunehmende konkrete Verantwortung geschoben und damit wirksam dafür gesorgt, gegenseitig vorläufig erst einmal auf Abstand zu bleiben. Beiden Richtungen gegenüber berief er sich auf das „Wunder“ von Barmen, weil es dort gelungen war, in der konkreten Situation und jenseits der unterschiedlichen konfessionellen Bindungen in der Abweisung der die Kirche bedrohenden Irrlehren die eine christliche Kirche wahrnehmbar zu machen. Insofern galt Barmen für Barth zeitlebens – ich folge hier der These von Thomas Herwig – als Paradigma für sein Verständnis von Ökumene, um dessen Wahrnehmung, Zustimmung und Rezeption er sich in seinem ökumenischen Engagement vorrangig verwandt hat.129 Dem rein äußerlichen Zusammenrücken der Kirchen allein vermochte Barth noch nichts abzugewinnen, weshalb er der von Keller hervorgehobenen Nähe zwischen dem Streben nach kirchlicher Einheit und dem Anliegen der dialektischen Theologie,130 mit der dieser Barth für die Ökumene zu gewinnen versuchte, skeptisch gegenüberstand. Diesem mehr quantitativen Aspekt stellte er betont die qualitative Perspektive gegenüber, die auf das zeichenhafte und dann eben repräsentative Ereignis ausgerichtet ist, in dem sich die Wahrheit der christlichen Kirche in ihrer konkreten Bedrängnis die ihr angemessene universale Geltung verschafft. In diesem Sinne wehrte er sich gegen eine hinter der partikularkirchlichen Wirklichkeit stehende abstrakte Universalität, um die Universalität gerade in der lokalen Wirklichkeit der Kirche zu erkennen und zum Leuchten zu bringen. Genau dafür steht auch das Barmer Bekenntnis, und zwar ganz unabhängig davon, ob ihm seine Protagonisten später treu geblieben sind oder nicht. Bereits im August 1934 hob Barth auf einer internationalen ökumenischen Konferenz für Studierende in La Châtaigneraie in seinem Vortrag „Der Christ als Zeuge“ gewissermaßen die Unzuständigkeit der Kirche für ihre Einheit hervor, um gleichzeitig den Zeugendienst der Christen auf die Assistenz am Selbstzeugnis Gottes zu bescheiden: Die Kirche steht nicht in der Welt mit einer Botschaft von gewissen Ideen und Weisungen über den Zustand der Welt, sondern wir stehen in der Welt im Grunde nur mit einem Buch 129 Herwig, Karl Barth und die Ökumenische Bewegung, 9, 21 f. 130 Vgl. Keller, Der Weg der dialektischen Theologie.

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in der Hand und haben keine andere Möglichkeit, Zeugnis abzulegen, als die, dieses Buch zu erklären. […] Ein Zeuge im Sinne der Heiligen Schrift ist nur ein Ausleger, ein Erklärer, ein Hermeneut, ein Mann, der dahin zeigt, wo die Propheten und Apostel gesprochen haben.131

Es könne grundsätzlich nicht um die Selbstpräsentation der Kirche gehen, sondern immer nur um den Dienst der Kirche an der Selbstpräsentation Gottes in seinem auch heute ergehenden lebendigen Wort. In der damit ins Bewusstsein gehobenen Alternative findet sich bereits die Alternative der beiden für die Ökumene ins Auge zu fassenden Möglichkeiten. Für Barth kann nur der Weg der Einordnung der Kirche in die Assistentinnenrolle der Zeugin in Frage kommen, auf dem die Kirche sich nicht anmaßt, eine nicht bestehende Einheit herstellen zu wollen. Ihre Perspektive kann vielmehr nur darin bestehen, sich in die bestehende Einheit einzufügen. Barths Versuch, seinem Publikum den engen Zusammenhang von Kirchenkampf und Ökumene vor Augen zu stellen, stieß aber weithin auf Unverständnis und Widerwillen. Barth gewann den enttäuschenden Eindruck, einem Publikum gegenübergestanden zu haben, das sich in seiner gutwilligen Berufung auf die Erfahrung auf der teils neuprotestantischen und teils pietistischen Linie bewegte, auf die sich auch die Gegner der BK in Deutschland beriefen. Er sah sich in seiner Skepsis bekräftigt und begegnete den Versuchen, ihn in Genf mehr oder ganz in die ökumenische Arbeit einzubeziehen, mit deutlicher Zurückhaltung, so dass er schließlich 1935 von Bonn nach Basel gezogen und nicht den mehrfach ausgesendeten Einladungen nach Genf gefolgt ist. An dem bereits erwähnten bespitzelten Meinungsaustausch, der nach dem in Berlin gehaltenen Vortrag „Reformation als Entscheidung“ am 30. Oktober 1934 im Hause von Gerhard Jacobi stattfand und schließlich bei der Entlassung Barths eine wesentliche Rolle spielte, hatte der Präsident des ‚Federal Council of the Churches of Christ in America‘ Charles S. McFarland teilgenommen. Barth hatte ihn bedrängt, dass die Ökumene nicht weiter nur Zuschauer in dem Konflikt bleiben dürfe, sondern sich dringend dazu durchringen solle, nicht nur die BK anzuerkennen, sondern eben auch den Kirchen die Anerkennung zu entziehen, die mit der Übernahme des Arierparagraphen rassistischen Bedingungen Eingang in ihr Selbstverständnis gewährt hatten. Barth hatte damit die auch von Bonhoeffer ausgesprochene Einschätzung zum Ausdruck gebracht, dass die Anerkennung der BK sich nicht vertrage mit einer gleichzeitigen Aufrechterhaltung normaler Beziehungen zur Deutschen Evangelischen Kirche (DEK). Das Sowohl-als-auch, das dann von der erst vorläufig in Genf konstituierten ökumenischen Bewegung zu vernehmen war, war für Barth ein deutliches Zeichen, dass von der Ökumene (noch) keine wirkliche Hilfe zu erwarten war. Für ihn war damit erwiesen, dass von der hier auf die Einheit der Kirche gerichteten Aufmerksamkeit nichts ausgehen werde, was für den Kampf um die wahre Kirche in Deutschland von irgendeiner besonderen Bedeutung sein könne. Damit sah er die ökumenische Bewegung insgesamt dis131 Barth, Der Christ als Zeuge, 380.

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kreditiert, zumal ihm bekanntlich durch die Glaubensbewegung der DC oder die ‚Jungreformatorische Bewegung‘ der Begriff der Bewegung ohnehin überaus suspekt war und blieb. In den verschiedenen partikularisierenden Selbstbezeichnungen dieser Bewegungen klinge immer ein eigenwilliger Ton mit, der sich mit den von der Kirche anzuschlagenden Tönen gerade nicht harmonisieren lasse. In aller Deutlichkeit konnte Barth sagen: Wo das Bekenntnis ist, da ist die eine heilige Kirche im Kampf mit dem Irrtum, in welchem sie nicht unterliegen wird. Wo dagegen „Bewegungen“ sind, auch in bester Meinung und Absicht, da ist selber schon Irrtum und Sekte mindestens in größter Nähe. Der heilige Geist braucht keine „Bewegungen“. Und die allermeisten „Bewegungen“ hat wahrscheinlich der Teufel erfunden.132

Auch seinem Freund Adolf Willem Visser‘t Hooft gegenüber hielt Barth seine Vorbehalte gegenüber der Ökumene nicht zurück, wenn er beispielsweise von einem ‚christlichen Cirkus‘ sprach, bei dem eigentlich nichts herauskomme.133 Es war vor allem die Unverbindlichkeit sowohl des Zusammenschlusses als auch seiner Entschließungen, von denen er sich angesichts der tatsächlichen Bedrängnisse der Kirche, die in Deutschland ja nur in besonderer Deutlichkeit zutage traten, seine Zeit so wenig wie irgend möglich stehlen lassen wollte. Seine eigene Option für die Ökumene wird er in seinen bereits erwähnten Vorträgen im Juli 1935 in Genf erkennbar, in denen er den Ton auf eine überkonfessionelle Bekenntnisgemeinschaft legt, deren Beteiligte selbst durchaus ein unterschiedliches konfessionelles Profil haben können, die aber nach dem Vorbild von Barmen gemeinsam den Finger auf die notwendigen Unterscheidungen, Scheidungen und Entscheidungen legen. Mit den Trennungen und Spaltungen sei im Übrigen umzugehen, „wie man mit der eigenen und fremden Sünde umgeht. […] Man soll sie als Schuld verstehen, die wir selbst auf uns nehmen müssen, ohne uns selbst von ihr befreien zu können.“134 Eine Ökumene, die nicht selbst einen kirchlichen Anspruch erhebt, sondern sich lediglich als Moderatorin eines sich gegenseitig wahrnehmenden Gesprächs versteht, war in den Augen Barth ein Widerspruch in sich selbst, in dem keine belastbare theologische Perspektive zu finden sei. Der „heute notwendige und rechte Ausdruck des christlichen Glaubens“ könne allein in der Bekräftigung der Bekenntnisfront bestehen, in der in Deutschland das Sein der Kirche auf dem Spiel stehe.135 Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in die nach der Sudetenkrise noch verbliebene Tschechei im März 1939, durch den sich Barths bereits angesichts des Münchener Abkommens geäußerte Prognose bestätigte, rief der Erzbischof von Canterbury Cosmo Gordon Lang zu entschlossenem Widerstand gegen Deutschland auf 132 Barth, Theologische Existenz heute!, 357. 133 Brief an Visser’t Hooft am 04.07.1935 in: Barth/Visser’t Hooft, Briefwechsel 1930–1968, 37. 134 Barth, Die Kirche und die Kirchen, 220. 135 Vgl. Barth, Karl Barth antwortet auf eine Frage, 63 f.

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und wandte sich dabei auch an die internationale Christenheit. In einer daraufhin von führenden deutschen Kirchenrepräsentanten verlautbarten sogenannten Godesberger Erklärung vom 26. März 1939 wurde im Verweis auf die mit den Schöpfungsordnungen gegebenen Bindungen der Internationalismus der Kirchen gegeißelt, womit natürlich auch der inzwischen vorläufig konstituierte Ökumenische Rat der Kirchen attackiert werden sollte. Von mehreren Seiten – eben auch von Karl Barth – wurde Visser’t Hooft bedrängt, vernehmbar auf diesen Angriff zu reagieren, was dann auch im Mai nach der Überwindung von allerlei Hindernissen in einer konzertierten Aktion von Barth, William Temple, dem Erzbischof von York, und V ­ isser’t Hooft geschah und den erwartbaren weiteren Protest der DEK – unerträgliche Einmischung in innerdeutsche Angelegenheiten – hervorrief. Dies Dokument entsprach mit all den in ihm verbliebenen Unschärfen der von Barth für die Ökumene eingeforderten Wahrnehmung des kirchlichen Wächteramtes in der Perspektive des Barmer Bekenntnisses, blieb aber ein von Einzelpersonen verantwortetes Dokument, während sich der ‚Vorläufige Ausschuss‘ des ÖRK weiterhin an seine bisher vertretene Linie hielt, alle Kräfte auf die Erhaltung des Friedens zu konzentrieren. Hier zeigte sich deutlich, was sich dann auch weiterhin bestätigen sollte, dass der ÖRK als ganzer über keine ausgewiesene und belastbare Wahrnehmung der politischen Verhältnisse in Europa verfügte. Innerhalb des Vorläufigen Ausschusses des ÖRK, der im Übrigen nicht autorisiert war, im Namen der Kirchen zu sprechen, herrschte keineswegs Einigkeit, was zusätzlich die Handlungsfähigkeit auf ein Minimum reduzierte. Es war das nicht beneidenswerte Los des Generalssekretärs, einerseits inhaltlich die Erwartungen Barths häufig durchaus nachvollziehen zu können und andererseits kein Mandat von den Instanzen zu bekommen, vor denen er sein Handeln zu verantworten hatte. Soweit es ging, folgte er dem Rat Barths, den Bereich seiner Kompetenz auch eigenständig zu definieren, aber immer wieder stieß er dabei schnell auf die ihm gesetzten Grenzen. Ihm war durchaus klar, dass der Krieg nun die Christen in all den betroffenen Ländern vor genau die Entscheidungsfrage stellt, die der BK in Barmen 1934 gestellt war. In einem Memorandum vom April 1940 schreibt er: Genauso wie die Bekennende Kirche in Deutschland deutlich Stellung beziehen mußte, als der Nationalsozialismus ein nationales Problem wurde, so muß die Ökumenische Bewegung jetzt deutlich aussprechen, daß diese aggressive ‚Gegen-Kirche‘ ganz offensichtlich ein internationales Problem geworden ist.136

Doch alle Versuche, den Vorläufigen Ausschuss zu motivieren, in diese Richtung öffentlich tätig zu werden, scheiterten an der Mehrheit des Ausschusses – insbesondere den Skandinaviern –, die sich die immer noch für möglich gehaltene Option eines Arrangements mit Hitler unter keinen Umständen verbauen lassen wollten. Das heißt allerdings nicht, dass Visser’t Hooft stets mit Barth übereinstimmte. In zwei Punkten gingen ihre Meinungen besonders weit auseinander. Einmal im Blick 136 Zit. n. Herwig, Karl Barth und die Ökumenische Bewegung, 82.

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auf die von Barth ausgehende Anregung einer an Deutschland gerichteten Radiosendung für den absehbaren Fall des Ausbruchs des „eindeutig von Deutschland und Italien gewollten Krieges“ mit der Kernaussage, daß der Krieg im Sinn der Christen aller Länder nicht gegen das deutsche Volk, sondern gegen dessen gemeingefährlich gewordenen Usurpatoren sich richte und daß wir die Frage an das Gewissen aller Christen in Deutschland zu stellen hätten, ob es nicht ihre Sache sei, zur Verhinderung dieses Krieges bzw. eines Sieges der Usurpatoren ihrerseits alles in ihren Kräften Stehende zu tun.137

Was Barth hier als eine ökumenische Konsequenz aus seiner Forderung des politischen Gottesdienstes der christlichen Gemeinde einforderte, stieß vor allem hinsichtlich der impliziten Aufforderung zur Sabotage auch bei Visser’t Hooft und dem gemeinsamen Freund Maury auf deutliche Ablehnung. Was für Barth schlicht ein konsequent zu Ende gedachter Zusammenhang war, der darauf ausgerichtet war, den Krieg so kurz wie irgend möglich zu halten, war für die Freunde ein zweiter Schritt, den sie allein den Deutschen selbst überlassen wollten. Für Barth war es dagegen ein halbherziges Unternehmen, wenn den Christen in Deutschland nicht deutlich gemacht werde, „daß sie nach unsrer ernstlichen Meinung nicht wohl Krieg für Hitler führen dürften.“ (95) Auch Helmut Gollwitzer hatte sich gegen diese Konsequenz ausgesprochen, auch wenn er seine Haltung später „als allzu taktisch“ bezeichnete, denn „die ohnehin schwer kämpfende Bekennende Kirche in Deutschland gerate damit in die unheilvolle Alternative, entweder als landesverräterisch verfolgt zu werden, oder sich gegen das Wort der Oekumene erklären zu müssen.“138 Es zeigt sich eine nicht einfach ausräumbare Verlegenheit, in der beide Seiten nachvollziehbare Gründe für ihre Haltung anführen konnten, die sich nicht mit dem Hinweis auf eine allzu kompromisslose Radikalität oder eine zaudernde Ängstlichkeit entkräften lassen. Da sich die Genfer Ökumene immer wieder in der Situation befand, sich nicht eindeutig positionieren zu können – die jeweiligen Gründe waren nicht immer so plausibel wie in dem zuletzt skizzierten Fall –, sah sich Barth gedrängt, nun persönlich an die Stelle zu treten, an welcher er gern die Kirche – in diesem Fall eine sich als Kirche verstehende Ökumene – gesehen hätte. Er entschloss sich im Sinne der Visser’t Hooft nahegelegten Kompetenzanmaßung, nun „gewissermaßen auf eigene Faust meine ‚ökumenische Bewegung‘“ zu vollziehen.139 Und so wandte er sich in von ihm selbst als ökumenische Sendschreiben verstandenen Briefen an die Christen in Holland, Frankreich, England, Norwegen und die USA, um sie in der Blickrichtung des ökumenischen Bekenntnisses von Barmen in ihrem möglichst konsequent zu gestaltenden Widerstand gegen Deutschland zu ermutigen, was konkret 137 Barth/Visser’t Hooft, Briefwechsel, 91 f. 138 Gollwitzer, Krieg und Christsein in unserer Generation, 338. 139 Barth, How my mind has changed, 629.

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hieß, den Krieg gegen Deutschland als einen gerechten Krieg (Verteidigungskrieg) nach Kräften zu unterstützen. Theologisch ging es ihm um die Durchsetzung einer politischen Ordnung, die sich mit einem Staat verträgt, der sich nicht über die nach Gottes Anordnung ihm zugewiesene Aufgabe, „nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen“ (Barmer Theologische Erklärung, 5. These), hinwegsetzt. Barth stand dabei die ökumenische Perspektive des politischen Gottesdienstes vor Augen, der sich unter den gegebenen Umständen jetzt zu konkretisieren habe. Indem sich diese Sendschreiben an unterschiedliche Adressaten wandten, bemühte sich Barth, den unterschiedlichen Orientierungen und Umständen seiner Adressaten nach bestem Ermessen gerecht zu werden, was natürlich niemals vollkommen gelingen konnte. Die mit Barmen verbundene kategorische Abweisung aller natürlichen Theologie musste in England mit Widerspruch rechnen, wie sie von William Temple bereits 1934 in durchaus schroffer Form vorgetragen worden war,140 so dass sich Barth hier in seinem entscheidenden Punkt nicht wirklich verstanden wissen konnte. Bis heute wirken die Vorbehalte gegenüber Barth in der Church of England nach. Die Verständigung mit den reformierten Christen in den Niederlanden stand unter deutlich günstigeren Voraussetzungen. Sowohl in seinem Brief nach Frankreich als auch dem in die USA äußerte Barth auch freimütig seine Bedenken hinsichtlich der anhaltenden Enttäuschung über die Passivität der ökumenischen Bewegung, die nicht über die nötige kirchliche Autorisierung verfüge, um mit entsprechender Vollmacht öffentlich auftreten zu können – er verglich den ÖRK mit dem ebenfalls in Ohnmacht gehaltenen Völkerbund und erhoffte sich eine Aufwertung mit handlungsfähiger „geistlicher Macht“, die nicht zuletzt von Amerika ausgehen könnte.141 Zu dieser Auseinandersetzung im Zusammenhang mit dem Ausbruch des Krieges kam dann ein sehr grundsätzlicher zweiter Konflikt dazu zu einem Zeitpunkt, in dem dieser insofern in seine entscheidende Phase trat, als die Alliierten die Oberhand gewannen, so dass sich für Barth bereits das Ende des Krieges abzuzeichnen begann. Hier geriet Barth – diesmal überaus ernsthaft – in Konflikt mit Visser’t Hooft im Zusammenhang mit seinem 1943 im Blick auf die Neuordnung der Kirche nach dem Ende des Krieges ein erstes Mal artikulierten Vorstoß, die mit der Volkskirche genuin verknüpfte Säuglingstaufe zugunsten einer der Bekenntniskirche entsprechenden Entscheidungstaufe zu problematisieren.142 Für ihn hatte es sich erwiesen, dass es vor allem die volkskirchlichen Strukturen waren, die sich als unfähig erwiesen hatten, sich dem gesamtgesellschaftlichen Gleichschaltungssog wirksam entgegenzustellen. Barth startete seinen Angriff auf die überkommene Taufpraxis auf einer Studententagung der Schweizer theologischen Fakultäten in Gwatt. Er warf erbost Visser’t Hooft vor, in der von ihm geleiteten Diskussion eine 140 Vgl. Temple, Nature, Man and God, 396. 141 Vgl. Eine Schweizer Stimme, 301. 142 Vgl. Barth, Die kirchliche Lehre von der Taufe.

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unangemessene vermittelnde Position eingenommen zu haben, indem er besonders den Gegnern Gelegenheit zur Entfaltung gegeben habe, wodurch sich Visser’t Hooft mit einem „Abgrund von Mißtrauen“ konfrontiert und in seiner Integrität angriffen sah, was Barth wiederum nicht dazu brachte, mildere Töne anzuschlagen. Erst eine vermittelnde Intervention von Henriette Visser’t Hooft konnte verhindern, dass es zu einem offenen Zerwürfnis kam.143 Es wird durchaus deutlich, dass sich in diesem Konflikt bei Barth auch eine generelle Enttäuschung gegenüber der Ökumene Luft verschaffte, was in gewisser Weise den Falschen traf. Jenseits dieses sehr persönlich ausgetragenen Konfliktes, in dem sich auch die Explosionskraft von Barths selbst eingestandenen ‚Lotzenzorns‘ zeigt (vgl. Kap. II.1, S. 45), begann mit der Wende im Krieg seit dem Herbst 1942 für Barth eine neue Herausforderung auch für die Ökumene in das Blickfeld zu rücken. Barth reagierte auf die deutlicher werdenden Erfolge der Alliierten mit einer sofortigen Veränderung der inhaltlichen Ausrichtung seiner Stellungnahmen. Ging es ihm bisher in seinen Briefen an die Christen in den von Deutschland bedrohten oder bereits unterworfenen Ländern um die Stärkung des Widerstandswillens gegen die Destruktionsmacht des Nationalsozialismus, so rückt nun bereits deutlich vor dem tatsächlichen Ende des Krieges die Frage des Neuaufbaus nach dem Krieg in das Zentrum seiner Äußerungen. Der eben angesprochene Vorstoß zur Revision der Taufpraxis gehört bereits in diesen Orientierungszusammenhang. Ohne eine monokausale Erklärung für sinnvoll zu halten, stand Barth vor Augen, dass es zwischen dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem Ausbruch des zweiten zumindest eine verhängnisvolle Verbindungslinie gab, deren Hypothek einer sinnvollen politischen Entwicklung und Demokratisierung in Deutschland entgegengerichtet war. Es galt zu verhindern, dass nach dem Krieg wiederum ein heilloses Aufrechnen von unbezahlten und teilweise auch unbezahlbaren Rechnungen jeden vernünftigen Neuanfang unmöglich machte. Und so wandte sich Barth nicht nur an die Kirchen, sondern ebenso an die politischen Akteure hinsichtlich der von ihnen wahrzunehmenden Verantwortung. Sowohl einer Rachementalität der Alliierten galt es rechtzeitig entgegenzutreten wie auch allen Selbstentschuldigungsversuchen Deutschlands durch den gern angestrengten Versuch, sich durch den Verweis auf diese oder jene widrigen Umstände die Wahrnehmung der eigenen Verantwortung und Schuld möglichst vom Leib zu halten. Beides sollte sich als höchst notwendig erweisen. Dass er zugleich weiterhin nachhaltig tief enttäuscht war von der mangelhaften Wachsamkeit und dem ebenso geringen wie unentschlossenen Engagement der Ökumene, wird aus dem Vorwort der 1945 publizierten „Schweizer Stimme“ deutlich: Sie haben geschlafen mit den Schlafenden. Sie haben geltend gemacht, daß der in Genf residierende Ökumenische Rat der nicht-römischen Kirchen erst „im Prozeß der Bildung“ begriffen sei und also noch keine Stimme habe. Und in dem allem waren sie noch zu Ende des Krieges nicht weiter als zur Zeit seines Anfangs. So haben sie nicht wiederkehrende 143 Vgl. dazu den frequenten Briefwechsel in: Barth/Visser’t Hooft, Briefwechsel, 168–183.

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geschichtliche Stunden, in denen sie priesterlich und prophetisch hätten reden müssen, versäumt. […] ich muß die Tatsache, daß diese Spitzen [sc. der Kirchen] jedenfalls diesmal gänzlich versagt haben, darum erwähnen, weil sie die Erklärung bildet für die auffallende und tief unbefriedigende Tatsache meines isolierten und durch keinen amtlichen Auftrag gedeckten Hervortretens.144

So bewusst Barth bisher die von ihm wahrgenommene Rolle ausdrücklich als die eines Stellvertreters für die Ökumene wahrgenommen hatte, so vorbehaltlos – wenn auch mit geschärfter Wachsamkeit – ließ er sich nach dem Krieg in die nun von der Ökumene ausgehenden Aktivitäten einbinden, einmal für ihre nicht konfliktfreie Zuwendung zu den deutschen Kirchen in der Gestalt der im August 1945 in Treysa begründeten EKD und zum anderen hinsichtlich der Vorbereitung der wegen des Krieges verschobenen Gründungsvollversammlung des ÖRK 1948 in Amsterdam. Für Deutschland standen zwei Aspekte im Vordergrund. Im Blick auf die Siegermächte lag es Barth vor allem daran, dass Deutschland nun ein tragfähiger Weg in die Demokratie ermöglicht werde, der es wirksam gegenüber solchen Verirrungen wie dem Nationalsozialismus schützen sollte. Unmittelbar vor Kriegsende schreibt Barth für ein britisches Publikationsorgan: Es wird nun […] alles darauf ankommen, daß die Sieger – bei denen ich angesichts des russischen Rätsels hier zunächst an die westlichen Sieger denke – den Besiegten durch die Art, in der sie ihre Gewalt in Deutschland ausüben, durch das Verhalten ihres Militärs, ihrer Verwaltungsbeamten und Gerichtspersonen, durch ihre Maßnahmen zur Durchführung der öffentlichen Ordnung und zur allmählichen Wiederherstellung des Verkehrs, der Wirtschaft, der Schulen und Kirchen, der sozialen und kulturellen Organisationen einen praktischen Anschauungsunterricht bieten hinsichtlich dessen, was man außerhalb Deutschlands und besonders im Westen unter Demokratie, Freiheit, Loyalität, Menschlichkeit, Weisheit, fair play, savoir vivre und unter männlicher Gerechtigkeit und Festigkeit versteht. Man kann sich darüber nicht klar genug sein, daß die übergroße Mehrzahl der deutschen Menschen das alles noch nie aus der Nähe gesehen, sondern, solange sie denken können, immer nur in unbeholfenen deutschen Nachahmungen oder in den feindseligen Verzerrungen der deutschen Propaganda kennen gelernt haben. (372)

Mit dem zweiten Aspekt wandte sich Barth an die Deutschen. Ihre Fähigkeit zu einem wirklichen Neuanfang sei in weitem Maße davon abhängig, inwieweit es nun gelingen werde, sich der ihnen zukommenden Verantwortung für die Katastrophe der jüngsten Geschichte zu stellen, indem sie sich möglichst genau die verschiedenen Aspekte ihres Versagens, ihrer Schuld und Desorientierung vor Augen führten, um dann auch die Chance zu haben, den bisher so blauäugig gegangenen abgründigen Weg verlassen und bewusst einen neuen verheißungsvolleren Weg einschlagen zu können. In diesem Aspekt konnte er sich nun auch mit der Ökumene verbunden 144 Barth, Eine Schweizer Stimme, 7.

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wissen, die ein Zugehen auf die deutschen Kirchen von einem Eingeständnis ihrer Mitschuld bzw. einem Zeichen der Reue im Blick auf ihr Verhalten abhängig machte, was sie den deutschen Kirchenvertretern, die sich in dieser Frage bis in die Reihen der Bekennenden Kirche hinein sehr schwer taten, auch ausdrücklich zur Kenntnis brachte. Es ging Barth um eine nüchterne und augenöffnende Rechenschaftsablage über die eigene Beteiligung bzw. Blindheit, die nur erreicht werden konnte, wenn die Schuld nicht auf unbeeinflussbare Faktoren oder gar auf irgendwelche eigenmächtig agierende Dämonen abgeschoben wurde. Es kam schlicht darauf an, dass der eigene Anteil am Irrweg Deutschlands eingestanden wurde. Barth befand sich ganz und gar im Einvernehmen mit Visser’t Hooft, der seinerseits entsprechend appelliert hatte, als er am 28. September 1945 wohl bewusst niedrigschwellig an Niemöller schrieb, dass es nicht um solennes ‚Schuldbekenntnis‘ gehe, ebensowenig wie um eine theologische Erklärung, aber bitte auch kein Hinweis auf Teufel und Dämonen, auf die allgemeine Erbsünde, auf die Schuld der Andern usf., nur klipp und klar und ohne Zutat und Einschränkung die Feststellung: wir Deutschen haben uns geirrt, daher das heutige Chaos, und wir Christen in Deutschland waren eben auch Deutsche! – Es bedarf heute einer Entgiftung und Reinigung, wenn die Teilnahme und Hilfe des christlichen Auslandes freudig, ernstlich und kräftig werden soll. […] Die Andern müssen zu hören bekommen, daß die Deutschen sich selber gegenüber distanziert haben.145

Dies hatte dann auch seine Bedeutung für den Neuanfang selbst: Ohne das Eingeständnis der eigenen Beteiligung an dem Versagen konnte es keine wirkliche Erneuerung geben. Alle Versuche der Selbstrechtfertigung standen in der Gefahr, als ein unbelehrtes Verharren in den alten Orientierungen verstanden zu werden, das dann auch unversehens die Schritte wieder in die alten Wege zurücklenken konnte. Unermüdlich warb Barth auf der einen Seite für eine entschlossene Zuwendung zu den Menschen in Deutschland, und ebenso unermüdlich wiederholte er in den verschiedensten Variationen, dass sich die Menschen in Deutschland ihrer Geschichte selbstkritisch zu stellen hätten. Schließlich verschloss sich die EKD der Bitte der Ökumene nicht und äußerte sich – wenn auch sehr zurückhaltend – am 18./19. Oktober 1945 in der Stuttgarter Schulderklärung (102). Damit machte sie den Weg für eine Rehabilitation in der Ökumene frei. Deutlicher als die Erklärung selbst waren in Stuttgart allerdings die Worte Niemöllers, die er den anwesenden Gästen aus der Ökumene als eine klar formulierte Verstehenshilfe für den Geist der Erklärung mitzugeben versuchte (97 f). Da jedoch die Vertreter der Ökumene dem problematischen Eindruck aufgesessen waren, dass die BK als solche in Deutschland für den Widerstand stehe, wurden diese selbstkritischen Töne wohl eher überhört. Weil die BK als Sprecherin der Schulderklärung aufs Ganze gesehen als integer galt, ist es auch einem so auffallend vorsichtigen Wort wie der Stuttgarter Schuld145 Dokumentiert in: Die Schuld der Kirche, 86 (s. im Literaturverzeichnis unter: Quellen).

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erklärung geschenkt worden, die Barrieren zwischen der Ökumene und der EKD ausräumen zu können. Im Februar 1946 beschloss der Vorläufige Ausschuss des ÖRK in seiner ersten Nachkriegstagung, im August 1948 in Amsterdam die verschobene Vollversammlung abzuhalten, auf der es dann endlich zur offiziellen Etablierung des ÖRK kommen sollte. Es mag mit den Resonanzen zusammenhängen, die Barth nach Kriegsende in diesem Bereich nun mit der Genfer Ökumene registrieren konnte, dass er sich nun auch in die Vorbereitung der Gründungsvollversammlung und dann auch – nach erneutem Zögern – zur Teilnahme und zur Übernahme des in das Generalthema einführenden Eröffnungsvortrags einbinden ließ.146 Er beteiligte sich an der Vorbereitungskommission I und sorgte dafür, dass in dem Vorbereitungs­ material den Delegierten möglichst viel von der Ekklesiologie und den Erfahrungen der BK einschließlich ihrer bibeltheologischen Begründung an die Hand gegeben wurde. Auf einer Vorbereitungstagung im Château de Bossey bei Genf kam es zu einer anregenden Begegnung mit dem schwedischen Lutheraner Anders Nygren, in dem Barth erfreut ein anderes Luthertum traf, als es ihm von Deutschland in bedrückender Weise bekannt war: Da wurde mir ein ganz anderer Luther vorgetragen. Da habe ich gesagt: das wäre ja fabelhaft, wenn das Luther wäre, aber was werden denn die in Deutschland dazu sagen? Seid ihr sicher, daß das der historische Luther ist? Und da hat man mir geantwortet, die deutsche Lutherforschung sei eine verirrte Angelegenheit, die hätten den richtigen Luther.147

Barth konnte sich überraschend mit Nygren sowohl auf eine angemessene Rezeption der Zwei-Reiche-Lehre als auch auf eine die Konfessionen relativierende und zugleich nicht überspringende Perspektive auf die Einheit der Kirche verständigen, auch wenn ihn der schriftliche Niederschlag dieser Verständigung dann schon wieder unbefriedigend erschien. Es war wohl insbesondere diese Erfahrung, die Barths Wahrnehmung der Ökumene positiv veränderte, so dass er sie nun auch als ein brauchbares Instrument für eine sinnvolle interkonfessionelle Verständigung anerkennen konnte. Freilich blieb Barths Urteil über die Ökumene weiterhin überaus schwankend, deutlich abhängig von den Möglichkeiten, die er gerade von ihr ausgehen sah bzw. denen sie an anderer Stelle im Wege stand. Ohne die besondere Beziehung, die Barth zu Visser’t Hooft hatte, wäre Barth mit seiner gewiss nicht besonders ausgeprägten Geduld wohl längst am Ende gewesen. In seinem Eröffnungsreferat am 23. August 1948 zum Generalthema der Vollversammlung „Die Unordnung der Welt und Gottes Heilsplan“ beschränkt sich Barth darauf, „einige Anmerkungen zum Ganzen“ zu machen.148 Dass er damit beginnt, erst einmal die Themenstellung gleichsam umzudrehen, weil die Unordnung der 146 Vgl. dazu ausführlich Herwig, Karl Barth und die Ökumenische Bewegung, 128­–194. 147 Barth, Brechen und Bauen, 115. Vgl. zum Ganzen Schweitzer, Dunkle Schatten – helles Licht. 148 Barth, Die Unordnung der Welt und Gottes Heilsplan, 136.

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Welt allein von dem Heilsplan Gottes aus angemessen wahrgenommen genommen werden könne, gehört zu dem, womit für alle zu rechnen war, die auch nur ein wenig von Barths Theologie wussten. In einer nachträglichen Auseinandersetzung mit Richard Niebuhr über die fundamentaltheologische Differenz zwischen der angelsächsischen und der kontinentalen Theologie hebt er genau dies hervor, dass sich allein von Gottes Heilsplan aus überhaupt erst ermessen lasse, „in was die ‚Unordnung der Welt‘ eigentlich bestehen und was allenfalls gegen sie getan werden könne.“149 Barth liegt daran, möglichst gründlich den Weg zu versperren, auf dem der Eindruck hätte entstehen können, als stünde die Kirche mit dem Wissen um den Heilsplan Gottes der Unordnung der Welt gegenüber. Bei den von der Ökumene zu treffenden Verabredungen könne es in keinem Fall um einen ‚christlichen Marshall-Plan‘ gehen (138), sondern allein um die Bekräftigung des von der Kirche als dem Leib Christi zu erwartenden Zeugnisses, dass in Christus der Heilsplan Gottes bereits eine präsente Wirklichkeit ist, so dass sie der Welt die Freiheit anempfehlen könne, die der Psalm 37 in die Worte fasst: „Befiel dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn, er wird’s wohl machen!“ (140) Wir sollten den Gedanken gleich an diesem ersten Tag unserer Beratungen gänzlich fahren lassen, als ob die Sorge für die Kirche und die Welt unsere Sorge sein müsse. Beladen mit diesem Gedanken, würden wir nichts ausrichten, würden wir die Unordnung der Kirche und Welt nur noch vermehren können. Denn eben das ist schließlich die Wurzel und der Grund aller menschlichen Unordnung: die schreckliche, die gottlose, die lächerliche Meinung, als sei der Mensch der Atlas, dem das Himmelgewölbe zu tragen verordnet sei. (140)

Es liegt in der Konsequenz dieser Fundamentalaussage, wenn Barth die Mission möglichst deutlich von der Konkurrenz mit dem angeblich erst die Moderne beeinträchtigenden Säkularismus abrückt und damit jedem „Quantitätsdenken“, das sich von messbaren Erfolgen leiten lässt, eine grundsätzliche Absage erteilt (144). Im Zusammenhang mit dem ökumenischen Aufbruch, der in dieser Versammlung angestoßen werden sollte, empfand Barth es als inkonsequent, für das Abendmahl ausein­anderzugehen, um es getrennt zu feiern, anstatt in diesem Stadium „einer nicht mehr ganz bestehenden Trennung und einer noch nicht recht erreichten Einheit unserer Kirchen“ auf die Feier des Abendmahls zu verzichten, was dann gerade im Zusammenstehen den provisorischen und allemal unbefriedigenden Zustand des Verhältnisses der Kirchen zueinander tatsächlich hätte spürbar werden lassen (141). Barth beschließt seinen Vortrag mit einer konkreten zeitgenössische Aufgabenzuweisung an die Ökumene, indem er den Zeugendienst der Kirche als einer bekennenden Kirche mit dem von ihr wahrzunehmenden politischen Wächteramt und dem sozialen Samariterdienst verknüpft, die sich als solche grundsätzlich nicht in den Dienst irgendeines Systems stellen – eine vergleichsweise milde Anspielung auf 149 Barth/Daniélou/Niebuhr, Amsterdamer Fragen und Antworten, 32.

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den Ost-West-Konflikt –, sondern allein als praktischer Ausdruck der zu bezeugenden christlichen Hoffnung recht verstanden werden können. Neben der Mitarbeit in der Sektion I „Die Kirche in Gottes Heilsplan“ und – zusammen mit Martin Niemöller und Richard Niebuhr – in der Arbeitsgruppe „Leben und Arbeit der Frauen in der Kirche“, in der er sich aus unterschiedlichen Gründen nicht recht wohl fühlte, hielt Barth im Konvent der reformierten Delegierten ein zweites durchaus beachtenswertes Referat, in dem er den Reformierten in der Ökumene aufgrund ihrer Positionierung etwa in der Mitte des ökumenischen Spektrums zwischen den Orthodoxen auf der rechten und der Heilsarmee auf der linken Seite eine besondere integrative Rolle zumisst: Ich erläutere ganz kurz: wir [sc. die Reformierten] haben es zur Rechten mit der Betonung der geschichtlichen Kontinuität der Kirche zu tun. Darum Bischofsamt mit apostolischer Sukzession, darum Tradition, Sakrament und Liturgie. Und wir haben es zur Linken zu tun mit dem Prinzip der souveränen Freiheit und Bewegung des Wortes und des Geistes. Wir Reformierten müssen notwendig um Beides wissen: um das „katholische“ und um das „protestantische“ (wir sagen lieber: das „evangelische“) Prinzip. Wir sind gewissermaßen von Haus aus katholische Protestanten und protestantische Katholiken, nicht das eine oder das andere. […] Gott schafft seine Kirche immer wieder neu. Daß wir, indem beides Wahrheit ist, die Leute zur Rechten und die zur Linken, jedenfalls die in unserer nächsten Nachbarschaft nicht mehr loslassen können, das versetzt uns ganz von selbst in die ökumenische Situation.150

Zugleich hebt er – wohl ein wenig überpointiert und allzu offenherzig – hervor, dass es keinen Grund gäbe, über die abwesende römische Kirche irgendwelche „sentimentalen Tränen“ (15) zu vergießen, da sie ihrem Selbstverständnis nach tatsächlich nicht dazu gehöre (die französische Originalfassung sei gegenüber der bereits geglätteten deutschen Übersetzung noch angriffiger wesen). Der Ton mag dabei gewiss auf „sentimental“ gelegen haben, weil es Barth schlicht um die nüchterne Wahrnehmung des offiziellen Ist-Zustandes ging. Die Bemerkung hatte aber zugleich einen recht provokativen Charakter, der dann im Nachhinein für einen bitteren Nachgeschmack der Vollversammlung gesorgt hat, weil der römisch-katholische Gast Jean Daniélou SJ seiner tiefen Enttäuschung über Barths ‚unchristliche‘ Behandlung dieses Umstandes eine deutliche Rückmeldung widmete (16 f). Barth spitzte daraufhin in der Sache die Differenz auf die seines Erachtens überfordernde Paradoxie zu, „daß wir Ihren unbedingten Superioritätsanspruch ernstnehmen und uns doch nach Ihrer Anwesenheit hätten sehnen sollen“ (19). Aus heutiger Sicht wird man sagen müssen, dass eine Feststellung dieser Art wohl kaum das letzte Wort zu dieser zweifellos gegebenen Spannung sein kann; aber man wird auch kaum überschätzen können, wie sehr sich zwischen 1948 und heute die ökumenische Gesprächslage verändert hat. In Amsterdam hatte Barth seine kurze Ansprache vor dem reformierten Konvent mit einer kritischen Bemerkung zu der andau150 Barth/Daniélou/Niebuhr, Amsterdamer Fragen und Antworten, 12.

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ernden Selbstfeier der Ökumene und ihrer Akteure (15) beschlossen, die bis heute leider kaum etwas an Relevanz eingebüßt hat. Nach der Vollversammlung bekannte Barth in Basel in seinem öffentlichen Bericht, dass er als „neubekehrter Ökumeniker“ zurückgekehrt sei.151 Als bereits zwei Jahre später die Vorbereitungen für die nächste Vollversammlung in Evanston 1954 begannen, ließ sich Barth spontan für Mitarbeit an dem vorläufig formulierten Hauptthema ‚Die christliche Hoffnung‘ gewinnen. Die drei Vorbereitungstagungen nahmen nach inhaltlichen Startschwierigkeiten und erneuter Müdigkeit Barths insbesondere über die „Anglosachsen, das ökumenische Lächeln, […] das ewige Ausgleichen der verschiedenen points“ (198) in Barths Wahrnehmung einen erfreulichen Verlauf, weil es trotz der heterogenen Zusammensetzung der Kommission gelungen war, in wichtigen Fragen zu gemeinsamen Positionierungen durchzudringen, in welchen die Kirchen zur Wahrnehmung ihres Wächteramtes angehalten und an ihre bekennende Dimension erinnert werden. Indem das Vorbereitungsdokument sich auf die Umkehr der Kirchen konzentrierte und nicht einfach irgendwelche Forderungen nach außen annoncierte, entsprach es in seiner erstaunlichen Einvernehmlichkeit in einem unerwarteten Ausmaß den Erwartungen, die Barth an eine kirchliche Verlautbarung stellte. Dennoch sagte er dann doch ohne irgendwelche Selbstdistanzierungen seine Teilnahme an der Vollversammlung ab, weil er seine Dogmatik, die er als seinen eigentlichen Beitrag zur gegenwärtigen theologischen Selbstbesinnung der Kirche ansah, nicht so lange liegen lassen wolle. Immerhin hat sich Barth weiter in einem Seminar intensiv mit dem Vorbereitungsdokument beschäftigt, was dann zu einem vom Seminar ausgearbeiteten Ergänzungsvorschlag zu dem vorliegenden Dokument führte, der dann auch den Delegierten der Vollversammlung zur Abstimmung vorgelegt wurde. Dieser Ergänzungschorschlag greift das bereits von Visser’t Hooft registrierte Fehlen der Hoffnung für die Juden in grundsätzlicher Weise auf und hebt die ökumenisch grundlegende Bedeutung Israels nicht nur für die Eschatologie, sondern auch für das Selbstverständnis der Kirche in ihrem Streben nach Einheit hervor. Im Anschluss an Röm 11,1 f wird die bleibende Erwählung Israels infolge der Treue Gottes in ihrer ekklesiologischen Bedeutung zur Geltung gebracht. Damit wird ein emotional hoch aufgeladenes Thema in die Aufmerksamkeit der Ökumene gerückt, das dazu geeignet war, tiefe Gräben aufzureißen. In diesem Ergänzungsvorschlag findet sich ein Satz, der für Barths spätere Bestimmungsversuche des ökumenischen Problems ein grundlegendes Gewicht behalten sollte: „Das Problem der Einheit der Kirche mit Israel ist das erste Problem der ökumenischen Einigung.“ (221) In Evanston konnte sich die Vollversammlung dem Vorschlag aus Basel nicht anschließen, und bis heute hat der ÖRK dies Desiderat nicht mit der nötigen theologischen Sorgfalt aufgegriffen. Auch im Blick auf das Zweite Vatikanische Konzil kritisierte Barth das Israel-Defizit, und ausgerechnet angesichts der besonderen Herausforderungen, denen er sich bei seinem Besuch in Rom 1966 ausgesetzt sah, 151 Zit. n. Herwig, Karl Barth und die Ökumenische Bewegung, 182.

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hob er genau diesen Fundamentalaspekt erneut hervor und regte damit eine Neuorientierung für das Ökumeneverständnis an, deren systematische Reichweite bis heute im besten Fall geahnt wird: Es gibt viele gute Beziehungen zwischen der römisch-katholischen Kirche und vielen protestantischen Kirchen […] Aber wir sollten nicht vergessen, daß es schließlich nur eine tatsächlich große ökumenische Frage gibt: unsere Beziehung zum Judentum.152

Barth deklarierte seine Entscheidung gegen Evanston als eine Prioritätenentscheidung und nicht als eine Entscheidung gegen die Ökumene. Tatsächlich hielt er sich von diesem Zeitpunkt an konsequent gegenüber der Ökumene im Hintergrund. Immerhin zeigen die Hinweise in den in dieser Zeit erscheinenden Bänden der Versöhnungslehre, daß Barth unter weitgehender Zurückstellung seiner gebliebenen Vorbehalte in den von der Ökumene ausgehenden Impulsen einen verheißungsvollen Aufbruch zu würdigen wusste. Beiden Hauptwurzeln der Genfer Ökumene konnte Barth nun etwas abgewinnen: Die Bewegung für Praktisches Christentum („Life and Work“) erinnert die Ökumene daran, dass die Einheit für die Kirche kein Selbstzweck sein darf, und „Glaube und Kirchenverfassung“ („Faith and Order“) sorgt sich um die Herstellung und Bewahrung des notwendigen Zusammenhangs zwischen der kirchlichen Einheit und der christlichen Botschaft an die Welt. Zudem würdigte Barth die sich weiter entwickelnde politische Rolle der Ökumene, in der sie als internationales Organ beispielgebend für die Verständigung im Ost-West-Antagonismus auftrat (KD IV/3, 37–39). Seit dem Ende der 1950er Jahre galt Barths Aufmerksamkeit allerdings mehr dem Verhältnis zur römisch-katholischen Kirche. Dies hat einerseits seinen Grund darin, dass diese im Zuge der Vorbereitung des Zweiten Vatikanischen Konzils in unerwarteter Weise in Bewegung geriet, und zum anderen schlicht darin, dass seine Theologie zu den wenigen protestantischen Stimmen gehörte, die in der katholischen Theologie wahrgenommen und diskutiert wurden. Barth beteiligte sich nicht an den vor allem in Genf gepflegten Mutmaßungen, wie sich die in Rom vollziehende Erneuerung („aggiornamento“) auf das Gespräch mit Genf auswirken werde, oder an der kirchenpolitischen Mutmaßung, ob Rom nun versuche werde, in der Frage nach der Einheit der Kirche das Heft des Handelns auf seine Seite zu ziehen und damit Genf früher oder später das Wasser abzugraben. Was Barth faszinierte, war ein Erneuerungsimpuls, der auch die in die Genf versammelten Kirchen zu eigener Erneuerung anregen möge, weil er „nicht nur in der Bewahrung des vielberufenen ‚Erbes der Reformation‘, nicht nur in der Pflege unserer eigenen Konventionen und Traditionen, nicht nur […] in allerlei zeitgemäßen Auseinandersetzungen, Geschäftigkeiten, Korrekturen, Neuansätzen, sondern in der Erfahrung und im Fruchtbarwerden einer Grundlagenkrisis bestehen würde“.153 Das vitale Bewusstsein um die 152 Freiburger Rundbrief, Folge XXVIII, 1976, 27; dazu Weinrich, Ökumene am Ende?, 149–164. 153 Barth, Überlegungen zum Zweiten Vatikanischen Konzil, 14.

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eigene Erneuerungsbedürftigkeit steht für Barth im Vordergrund, das vor allem durch die problematische Selbsteinschätzung gefährdet werde, dass man sich bereits auf dem richtigen Weg befinde. Es könnte „eine christlich gesunde Regel sein […], sich selbst gegenüber immer ein bißchen bedenklicher zu sein als dem Anderen gegenüber“ (17). Schließlich ist für Barth die Zielperspektive nicht in einer interkonfessionellen Vereinigung zu suchen, sondern in der Ausgießung des Heiligen Geistes auf die gespaltene Kirche, die in all ihren Teilen dieser Bitte bedürftig bleiben werde. Das spiegelt sich auch deutlich in Barths Formulierung wieder, die sich als sein fundamentales ökumenisches Credo bezeichnen lässt: Der Weg zur Einheit der Kirche kann von dort, kann aber auch von hier aus nur der ihrer Erneuerung sein. Erneuerung heißt aber Buße. Und Buße heißt Umkehr: nicht der Anderen, sondern eigene Umkehr. (18)

Sachlich ist Barth seinen Überlegungen von 1935 treu geblieben, als er in Genf das erste Mal im Rahmen einer von der Ökumene organisierten Veranstaltung aufgetreten war. Seinerzeit hielt Barth die Abwesenheit Roms in der ökumenischen Bewegung „nicht für ein Unglück“154, weil er in der katholischen Kirche die nötige kritische Selbstdistanz nicht erkennen konnte. Jetzt aber räumte er mit anhaltender Vorsicht und zugleich ermutigender Zuversicht ein, dass natürlich auch für die katholische Kirche gelte, was es an Hoffnungsvollem für die Einheit der im ÖRK versammelten Kirchen zu sagen gäbe. In den Interviews und Gesprächen, die uns aus den Jahren zwischen 1963 und 1968 erhalten sind, spielt die vom Konzil ausgehende Herausforderung an die ganze Ökumene eine große Rolle. Da Barth aus gesundheitlichen Gründen 1963 die Einladung des im Juni 1960 eingerichteten „Sekretariats für die Förderung der Einheit der Christen“ zur Teilnahme als Beobachter an den beiden letzten Sessionen des Konzils nicht annehmen konnte, fragte er im Mai 1966 den Präsidenten des Einheitsrates Augustin Kardinal Bea, ob er seinen Besuch nachholen könne, um sich genauer über die Bedeutung des Konzils informieren zu können. Er trat gut vorbereitet155 zusammen mit seiner Frau und seinem vierzig Jahre jüngeren katholischen Arzt und Freund Alfred Briellmann Ende September seine einwöchige Reise nach Rom an, wo er Gelegenheit zu zahlreichen Gesprächen fand und auch von Papst Paul VI zu einem Gespräch empfangen wurde. Im Wintersemester 1966/67 setzte sich Barth intensiv in einem Kolloquium mit der von ihm besonders geschätzten Konstitution des zweiten Vatikanums „Dei Verbum“ auseinander – mit einer Sondersitzung über die Offenbarungskonstitution am 25. Feb. 1967, in welcher der seinerzeit in Tübingen lehrende Joseph Ratzinger zu Gast war. Im Winter 1967/68 stand dann die Kirchenkonstitution „Lumen gentium“

154 Barth, Die Kirche und die Kirchen, 225. 155 Vgl. dazu die von Barth ausgearbeiteten Fragen in: Barth, Ad Limina Apostolorum, 21–43.

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auf dem Plan156 – aus gesundheitlichen Gründen konnte Barth diese Lehrveranstaltung nicht bis zum Semesterschluss durchführen. Wenn er sich dazwischen im Sommersemester 1967 Calvin zuwandte, so hatte auch dies eine von Barth immer wieder betonte ökumenische Dimension, denn für ihn war Calvin gleichsam der Vater ökumenischer Theologie.157 Die letzten – unabgeschlossen gebliebenen – Überlegungen, die Barth vor seinem Sterben in der Nacht vom 9. auf den 10. Dezember 1968 niederschrieb, galten auch der Ökumene. Gewiss hat dies etwas Zufälliges, aber es zeigt immerhin, dass er sich angesichts der Tatsache, dass er mehr oder weniger allen an ihn herangetragenen Bitten eine Absage erteilen musste, dieser Anfrage öffnete, weil er glaubte, zu dem angefragten Thema noch etwas sagen zu sollen. Er hatte für den Januar 1969 einen Vortrag über die Einheit der Kirche und die gegenwärtige ökumenische Situation zugesagt, der im Rahmen der ökumenischen Gebetswoche in der Paulusakademie in Zürich vor einem katholischen und evangelischen Publikum gehalten werden sollte – Barth spricht in seinem Vortragskonzept präziser von „petrinisch-katholischen“ und „evangelisch-katholischen“ Christen.158 Seine Überlegungen sollten in drei Schritten erfolgen, die er unter die ebenso programmatisch wie dynamisch zu verstehende Überschrift stellte: Aufbrechen – Umkehren – Bekennen. Es sind die Verben, die in besonderer Weise für die Bewegung stehen, in der sich Kirche ökumenisch ereignet, und zwar jenseits der nicht einfach zu überwindenden konfessionellen Trennungen. 7. Die Kirchliche Dogmatik Das theologische Hauptwerk Barths ist die Kirchliche Dogmatik. Sie hat seit den 1930er Jahren bis beinahe zu seinem Lebensende einen großen Teil seiner Schaffenskraft in Anspruch genommen. Bereits 1927 hatte Barth mit einem ersten Band ein umfassendes dogmatisches Werk angekündigt. Doch den vorgelegten Prolegomena zu einer Christlichen Dogmatik im Entwurf folgten nicht die vorgesehenen zwei Folgebände mit den inhaltlichen Darlegungen, sondern Barth entschloss sich, seinen Anlauf noch einmal ganz neu zu konzipieren. Dafür führte er neu erschlossene Einsichten, aber auch „die inzwischen eingetretenen Verschiebungen in der theologischen, kirchlichen und allgemeinen Lage“ (KD I/1, VI) an. Nachdem er sich vom Verlag aufgefordert fand, die ausgehende erste Auflage der Prolegomena seiner Christlichen Dogmatik für eine Neuauflage durchzusehen, wiederholte sich der Umstand, mit dem er sich auch zwölf Jahre vorher angesichts der geplanten zweiten Auflage seines Römerbriefkommentars schon einmal konfrontiert sah:

156 Vgl. dazu die aussagekräftigen Protokolle in Busch, Meine Zeit mit Karl Barth. 157 Vgl. Busch, Meine Zeit mit Karl Barth, 216, 269. 158 Barth, Aufbrechen – Umkehren – Bekennen, 62.

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[Ich] konnte und wollte dasselbe sagen wie einst; aber so wie ich es einst gesagt, konnte ich es jetzt nicht mehr sagen. Was blieb mir übrig, als von vorn anzufangen, und zwar noch einmal dasselbe, aber dasselbe noch einmal ganz anders zu sagen? […] Alle Probleme haben sich mir eben in den fünf Jahren noch sehr viel reicher, bewegter und schwieriger dargestellt. Ich mußte weiter ausholen und breiter begründen. (KD I/1, VI f)

Der Ersetzung des Wortes „christlich“ durch „kirchlich“ im Titel beschreibt Barth als eine Abkehr von einer grundsätzlich zu groß dimensionierten Vokabel und als die gebotene Konzentration auf den konkreten Raum, in dem die Dogmatik allein eine „mögliche und sinnvolle Wissenschaft“ (KD I/1, VIII) ist. Dem Vorwurf, dass er der überlebten Scholastik wieder Eingang die Theologie verschaffe, begegnet er gelassen mit einem Gegenangriff auf das Banausentum, das überall, wo es seinen Ethizismus nicht wiedererkennt, über „Spekulation“ meint jammern zu dürfen […] Oder soll ich lachen über das schon phonetisch so komische Gerede von fides quae und fides qua, mit dem sich etliche offenbar aller scholastischen Sorgen auf einen Hieb meinen entschlagen, mit dem sie auch mit mir eiligst meinen fertig werden zu können? Oder soll ich vielmehr weinen über die immer noch zunehmende Verwilderung, Langweiligkeit und Bedeutungslosigkeit des modernen Protestantismus, dem […] eine ganze dritte Dimension (sagen wir einmal: die Dimension des […] Geheimnisses) abhanden gekommen ist: damit er mit allem möglichen nichtsnutzigen Ersatz gestraft werden, damit er auf Hochkirche, Deutschkirche, Christengemeinschaft, religiösen Sozialismus und ähnliche betrübte Rotten und Sekten um so hemmungsloser hereinfallen, damit so oder so mancher seiner Prediger und Gläubigen schließlich im Rauschen seines nordischen Blutes und beim politischen „Führer“ religiösen Tiefsinn entdecken lernen möchte. (KD I/1, IX f)

Barth ist sich durchaus bewusst, dass es die Kirche, zu der er sich mit seiner Dogmatik bekennt, nicht einfach so gibt – vielmehr registriert er eine verbreitete Theologieabstinenz –, aber nur derjenige könne „auf eine sich selbst ernst nehmende evangelische Kirche […] warten“, der selbst versucht, „an seinem Ort und so gut er es versteht, solche Kirche zu sein.“ (KD I/1, XI) Im Vorwort des 1932 erschienenen ersten Halbbandes der Prolegomena notiert Barth die vorgesehene Gliederung des ganzen Werkes, das dann in den mehr als dreißig Jahren der Bearbeitung schließlich nicht zum Abschluss gebracht werden konnte. Im Wissen um die unterschiedlichen Möglichkeiten, den Weg der Dogmatik zu gestalten, hält sich Barth an die ebenso traditionelle wie schlichte Konzeption, die der inneren Struktur des christlichen Gottesverständnisses folgt, indem sie zunächst den trinitarischen Zugang zu Gott und dann die drei Erscheinungsweisen Gottes in Vater, Sohn und Heiligem Geist bedenkt. Neben den Prolegomena (Bd. I, zwei Teilbände) liegen die Gotteslehre (Bd. II, zwei Teilbände), die Schöpfungslehre (Bd. III, vier Teilbände) und die Versöhnungslehre (Bd. IV, fünf Teilbände und ein posthum erschienener Band mit Fragmenten der nicht mehr fertiggestellten Ver-

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söhnungsethik159) vor = 13 Teilbände mit insgesamt 9720 zum Teil überaus engbedruckten Seiten. Die Lehre vom Heiligen Geist, die Erlösungslehre, die für den fünften Band vorgesehen war, hat Barth nicht mehr in Angriff nehmen können. Er bekannte sich bei seinem Neuanfang ausdrücklich zu der Ausführlichkeit, in der er sich gedrängt sah, seine theologische Perspektive entfalten zu müssen, und zugleich konnte er in dem für ihn so charakteristischen Humor, der die Selbstdistanz belegt, die er sich zeitlebens bewahrt hat, im Nov. 1949 an seinen Sohn Christoph schreiben, dass er sich manchmal die Frage stelle: „Salomonischer Tempelbau oder babylonischer Turmbau?“; unabhängig von dieser nicht zu entscheidenden Alternative sei er sich sicher, „daß die Engel manchmal kichern über mein Unternehmen; aber wir wollen einmal vermuten, es könnte auch ein wohlwollendes Kichern sein.“160 Auch wenn Barth die Gliederung der KD fest vor Augen stand, so blieb sie doch ein Unternehmen, in dem sich Barth immer wieder durch neue Einsichten auf vorher kaum geahnte Wege gewiesen fand, so dass er sich auch nicht scheute, früher gemachte Überlegungen neu zu akzentuieren bzw. in eine veränderte Perspektive zu bringen. Es wäre ein gründliches Missverständnis, von der auf den ersten Blick traditionellen Form auf einen ebenso traditionellen Inhalt zu schließen. Der Inhalt ist allein insofern traditionell, als Barth sich wie kaum jemand vor ihm darum bemüht, die Tradition – einschließlich die der alten Kirche – zu Worte kommen zu lassen und sie auf diese Weise zu vergegenwärtigen. Seine eigenen Pointierungen sind jedoch alles andere als traditionell, weil Barth im Horizont seiner biblischen Orientierungen durchgängig zu Neuakzentuierungen durchdringt. Das eine gehört essenziell mit dem anderen zusammen. Die intensive Beschäftigung mit der Tradition zeigt, dass Barth seine eigenen Vorschläge auf der einen Seite nicht einfach unvermittelt und freihändig in den Raum stellt, sondern sich konsequent im Gespräch mit den Entscheidungen der Lehrauseinandersetzungen der Kirche befindet und sich somit ausdrücklich in ihre Geschichte hineinstellt. Es kann grundsätzlich nicht darum gehen, nun etwa eine neue Kirche anfangen zu wollen. Auf der anderen Seite geht er durchgängig davon aus, dass die Tradition nicht um ihrer selbst willen bemüht wird, sondern erst darin recht verstanden und in Anspruch genommen wird, dass sie uns dazu befähigt und ermächtigt, heute auch über das von ihr Gesagte hinaus unser eigenes Wort zu sagen. Erst wenn wir selber – an unserem konkreten Ort und in unserer konkreten Zeit – sagen können, was wir die Kirche in ihrer bisherigen Geschichte zu sagen versuchen hören, wenn wir also für uns weiter zu verdeutlichen versuchen, was die Kirche in ihrem bisherigen Bemühen um rechtes Verstehen unterschiedlich deutlich und überzeugend formuliert hat, stellt sich die Kirche der von ihr zu erwartenden Verantwortung, der sie nicht einfach im Verweis auf die Tradition gerecht werden kann. Und so bleibt die KD bei aller Stringenz der Gesamtarchitektur kontinuierlich und spürbar im Gespräch mit dem Kontext ihrer sich auch verändernden Zeit, auch wenn Barth dies nur selten explizit macht. 159 Barth, Das christliche Leben. 160 Zit. n. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 388.

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Die Bekenntnisse der Kirche und ihre Tradition fungieren als ernst zu nehmende Verstehenshilfen, in der je konkreten Situation auf die Fragen, welche die Kirche sowohl aus der Bibel wie auch der Zeitung vernimmt, nun ihre heute zu sprechende Antwort zu formulieren und ihre heute wahrzunehmende Verantwortung zu erkennen – das hat Barth bis zu seiner letzten Vorlesung immer wieder betont. Im Zusammentreffen von Bibel und Zeitung – das berühmte, möglicherweise auf Christoph Blumhardt anspielende Zitat findet sich in einem Brief von Barth an Thurneysen vom 11. Nov. 1018, wo er davon spricht, dass er „abwechselnd über der Zeitung und dem N. T.“ brüte161 – wird die Kirche in den Zusammenhang gestellt, in dem die theologische Aufgabe erst ihre spezifische Brisanz bekommt. Ganz schlicht kann Barth im Gespräch mit einem Journalisten formulieren: Die Bibel lehrt uns, die menschlichen Dinge in ihrem Zentrum, in ihrer Höhe, in ihrer Tiefe zu sehen. Die Zeitung ist der tägliche Bericht über das, was sich in der Menschheit zuträgt. Und die Bibel lehrt uns, daß eben diese Menschheit von Gott geliebt ist.162

Es sind die konkreten gegenwärtigen Herausforderungen, die nicht nur mit der Bibel, sondern auch mit der theologischen Tradition zusammenstoßen, und Barth geht sehr grundsätzlich davon aus, dass die gesuchte Lösung weder allein in der Inanspruchnahme einer überkommenen Lösung bestehen noch ohne deren Konsultation zuverlässig gefunden werden könne. Darüber hinaus unterscheidet er auch ausdrücklich zwischen regulärer und irregulärer Dogmatik, die beide ihr eigenes Recht haben, ohne aber vollkommen voneinander getrennt zu werden: Unter regulärer Dogmatik ist ein solches Fragen nach dem Dogma zu verstehen, bei dem es auf diejenige Vollständigkeit abgesehen ist, die der besonderen Aufgabe der Schule, des theologischen Unterrichts, angemessen ist. […] Unter irregulärer Dogmatik ist demgegenüber ein solches Fragen nach dem Dogma zu verstehen, bei dem die Aufgabe der Schule zunächst nicht ins Auge gefasst und bei dem es darum auf die bewusste Vollständigkeit zunächst nicht abgesehen ist. […] Sie wird vielleicht aus bestimmtem geschichtlichem Anlaß nur ein bestimmtes Thema herausgreifen und in den Mittelpunkt rücken. (KD I/1, 292–294)

Im Unterschied zu Melanchthon und Calvin sei beispielsweise Luther „ein geradezu charakteristisch irregulärer Dogmatiker“ (294). Auch Barths Bonner Assistent, der spätere Berliner Theologieprofessor Berlin Helmut Gollwitzer (1908–1993), der sich unter anderem engagiert an den von der 1968er Studentenbewegung auf die Tagesordnung gesetzten gesellschaftspolitischen Debatten beteiligte, oder Dietrich Bonhoeffer (1906–1945) waren unter dem Druck der jeweiligen geschichtlichen Umstände eindrucksvolle und auch einflussreiche irreguläre Dogmatiker. Wenn Barth für die KD aber den Weg einer regulären Dogmatik ins Auge fasst, verwies er 161 Barth/Thurneysen, Briefwechsel Bd. I, 300. 162 Barth, Gespräche 1964–1968, 243.

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darauf, dass auch der Protestantismus eine schulmäßige, d. h. systematische Gesamtorientierung benötige. Über weite Strecken habe er sich mit irregulärer Dogmatik zufriedengegeben, was ihm nicht immer gutgetan habe (295). Diese Entscheidung wäre aber zutiefst missverstanden, wenn sie als eine Absage an kontextuelle Bezugnahmen verstanden würde. Auch die reguläre Dogmatik wird immer an einem konkreten Ort und in einer konkreten Zeit vollzogen, auch wenn diese nicht die vorrangig treibenden Kräfte für ihre Systematik darstellen. Neben der benannten christologischen Konzentration, die nicht nur das Wahrheitskriterium der KD, sondern mit dem gleichen Nachdruck auch das Wirklichkeitskriterium bezeichnet, ist vor allem die durchgängige biblische Orientierung hervorzuheben, die auch da ihren explorativen Charakter behält, wo Barth sich mit auf den ersten Blick unstrittigen Aspekten der Lehrtradition beschäftigt. Pointierter noch als im Leitsatz zu § 1 in KD I/1 hat Barth die Aufgabe der Dogmatik in seiner Bonner Vorlesung von 1947 „Dogmatik im Grundriß“ bestimmt: Dogmatik ist die Wissenschaft, in der sich die Kirche entsprechend dem jeweiligen Stand ihrer Erkenntnis über den Inhalt ihrer Verkündigung kritisch, d. h. am Maßstab der hl. Schrift und nach Anleitung ihrer Bekenntnisse Rechenschaft gibt.163

Die Bibel als das „Dokument der Epiphanie des Wortes Gottes in der Person Jesu Christi“ (KD I/1, 13) muss die Quelle unserer Einsicht bleiben, weil sie das „maßgebende Zeugnis von Gottes Selbstbezeugung“ (14) bleibt. Und die dem biblischen Zeugnis nachgeordneten Bekenntnisse stehen für Barth im Zeichen des fünften Gebots, Vater und Mutter zu ehren, d. h. für die relative Autorität der überkommenen Lehre, die uns daran erinnert, dass wir nicht die ersten sind, die sich um eine angemessene Rechenschaftsablage über ein angemessenes Verständnis des in Christus ergangenen Wortes Gottes bemühen. Für Barth ist ein Dogma schlicht das, „was in der Kirche gelten sollte als Wiedergabe des Wortes Gottes“ (14). Die Dogmatik zielt aber nicht auf die Fixierung von Lehrstandpunkten oder den Bau eines Lehrgebäudes, sondern hält Ausschau nach einer „Anleitung zu einem Weg, der zu gehen ist, als Darstellung der Bewegung, als eine Sache, die überhaupt nur in dynamischen Begriffen beschrieben werden kann und nicht in statischen.“164 Auch wenn die erwähnte Kontextualität der KD keineswegs nur auf ihren ethischen Gehalt verweist, bleibt besonders darauf aufmerksam zu machen, dass sie natürlich auch eine ethische Seite hat. Für Barth stellt die Ethik kein eigenes theologisches Gebiet dar, das neben der Dogmatik auch noch zu behandeln wäre. Vielmehr gehören Dogmatik und Ethik unauslöslich zusammen, d. h. die Dogmatik hat selbst ethische Relevanz, die auch jeweils zu reflektieren ist (genau das ist Ethik), so wie umgekehrt die Ethik sich allein in ihrer Verbindung zur Dogmatik als theologische Ethik zu qualifizieren vermag. Dieser Aspekt wurde oben bereits bei Barths 163 Barth, Dogmatik im Grundriß, 9. 164 Barth, Gespräche 1963, 301; vgl. dazu bes. Hunsinger, Karl Barth lesen.

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Neubestimmung des Verhältnisses von Evangelium und Gesetz angesprochen (vgl. Kap. II.5, S. 87 f). Es gehört zu den charakteristischen Besonderheiten KD, dass sie die Ethik konsequent als einen unverzichtbaren integrativen Bestandteil der Dogmatik behandelt, zielt doch das Verstehen des Inhalts des Glaubens nicht auf eine abstrakte Erkenntnis, sondern auf das Leben im Glauben, dem die Ethik ihre besondere Aufmerksamkeit widmet (vgl. Kap. I.11). Der Ethik liegt kein abstraktes Gesetz zugrunde, sondern sie ist auf den Willen und das Gebot des gnädigen Gottes ausgerichtet und fragt nach unseren Entsprechungen zur Gnade Gottes (KD II/2, 640). So wie Gottes gnädige Anrede und Aufrichtung des Menschen den tragenden Aspekt der menschlichen Selbsterkenntnis ausmachen, bleiben sie auch die Befähigung und Ermutigung zu einem dieser Konstitution entsprechenden Leben, das sich als zustimmende Antwort auf die besondere Zuwendung Gottes gestaltet. Die Ethik hat entschieden kein eigenes Thema, sondern reflektiert einen besonderen Aspekt der Dogmatik, der in all ihren Hauptthemen mit zu bedenken ist. Nur so bleibt der unauflösliche Zusammenhang von Rechtfertigung und Heiligung, von Glauben und Leben gewahrt. Gewiss wird damit ein Aspekt angesprochen, der in der reformierten Tradition eine besondere Aufmerksamkeit erfahren und auch zu kontroverstheologischen Debatten geführt hat, aber er hat inzwischen in allen konfessionellen Traditionen seine eigene Anerkennung gefunden. Allerdings hat sich Barth in der Konsequenz der soeben benannten Gründe stets geweigert, die Ethik – wie es insbesondere in der reformierten Tradition üblich war – als eine Auslegung der zehn Gebote oder auch nur einzelner Gebote zu präsentieren. Gewiss konnte er sich auch grundlegend auf den Dekalog berufen, aber er wollte unter allen Umständen vermeiden, die Ethik als eine Lehre von Verhaltensmaßregeln zu verstehen. Im Zentrum steht das vom Bund Gottes eröffnete und von ihm gehaltene Leben des Menschen mit Gott in der von ihm geschaffenen Schöpfung, das seine Orientierung vor allem in dem konsequenten Eintreten Gottes für seinen Bund findet. Die Versöhnungsethik (KD IV/4 unvollendet) rückt das christliche Leben in den Horizont von Taufe (der mit der Wassertaufe öffentlich vollzogene Eintritt in die Gemeinde als Antwort auf den vom Heiligen Geist geweckten Glauben), Gebet (Vaterunser: Geheiligt werde dein Name!) und Abendmahl (als Danksagung für die Gegenwart Jesu Christi). In seiner Konzeption hatte Barth einen fünften großen Band für die Eschatologie vorgesehen: die „Lehre von der Erlösung“. Neben den Anspielungen, die sich verstreut in den vorliegenden Bänden finden, skizzierte Barth 1961 in einem Brief den Fokus seiner Aufmerksamkeit für diesen dann nicht mehr geschriebenen Band, der erkennbar werden lässt, dass auch hier noch einmal eine markante Revision der bisherigen Lehrtradition zu erwarten gewesen wäre: Das „ewige“ Leben ist kein anderes, zweites hinter unserem jetzigen Leben, sondern eben dieses, aber in seiner uns jetzt und hier verborgenen Kehrseite, so wie Gott es sieht: in seinem Verhältnis zu dem, was er in Jesus Christus für die ganze Welt und so auch für uns getan hat. Wir warten und hoffen also – auch im Blick auf unseren Tod – darauf, mit ihm

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(dem von den Toten auferstandenen Jesus Christus) offenbar zu werden in der Herrlichkeit des Gerichts, aber auch der Gnade Gottes. Das wird das Neue sein: daß die Decke, die jetzt über der ganzen Welt und so auch über unserem Leben liegt (Tränen, Tod, Leid, Geschrei, Schmerz) weggenommen sein, Gottes (in Jesus Christus schon vollzogener) Ratschluß uns vor Augen stehen, der Gegenstand unserer tiefsten Beschämung, aber auch unsres freudigen Dankes und Lobes sein wird.165

Barth hat seine KD konsequent in einem unmittelbaren Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Lehrer seiner Studierenden erarbeitet, was nicht zuletzt auch der Grund dafür ist, dass sie nach seiner letzten Vorlesung 1962 keine entschlossene Fortführung mehr erfahren hat. Stück für Stück wurden die ausformulieren Entwürfe in seiner Vorlesung vorgetragen und in dazugehörigen Seminaren und Übungen diskutiert, um dann für den Druck entsprechend überarbeitet zu werden. Neben dem weggefallenen Antrieb durch die Studierenden traf ihn mehr noch die Erkrankung von Charlotte von Kirschbaum, die 1964 mit einer voranschreitenden Demenz einem Pflegeheim anvertraut werden musste, so dass auch die enge Teamarbeit zwischen Karl und ‚Lollo‘ an ihr schmerzlich empfundenes Ende kam. Ohne ihre ebenso treue wie verständnisvolle unermüdliche Hilfe sah sich Barth spätestens 1964/65 nicht mehr im Stande, sein opus magnum weiter zu bearbeiten. Es wird sich nicht recht ermessen lassen, wie groß der Anteil ist, den Charlotte von Kirschbaum insbesondere an diesem Hauptwerk Barths hat, aber es ist davon auszugehen, dass Barth kaum übertreibt, wenn er ihr attestiert, in ihr eine für sein Projekt unverzichtbare und unermessliche Hilfe zu haben, ohne die es niemals die Gestalt angenommen hätte, in der es nun tatsächlich vorliegt (vgl. Kap. II.4, S. 68).166 Was die Wahrnehmung und die Rezeption der KD anlangt, so hatte Barth den Eindruck, dass sie insbesondere von Pfarrern, aber auch von Nicht-Theologen und dann bemerkenswerter Weise auch von Katholiken, weniger allerdings von der Zunft der systematischen Theologen insbesondere in Deutschland gelesen werde, was er bisweilen mit einem gewissen Unmut registrierte. Im Blick auf die von ihm vertretenen Akzentsetzungen hielt er es weiterhin so, wie schon in der ersten Fassung seines Römerbriefs, dass seine Bücher warten könnten und die Zeit ihrer Beachtung möglicherweise erst noch kommen werde. Zu dem eher ungewöhnlichen Umstand, dass seine Theologie schon zu seinen Lebzeiten zu einem Gegenstand zahlreicher theologischer Untersuchungen und entsprechender Diagnosen geworden ist, bemerkte Barth in gelassener Distanz 1963 im Vorwort zum Wiedererscheinen seines ersten Römerbriefs von 1919: Gelegentlich kommt es mir auch vor, als läge ich als Träger einer besonders interessanten Krankheit, umgeben von zahlreichen älteren und jüngeren Feierlichen in Weiß, auf dem Operationstisch und habe nun mitanzuhören, was jetzt Dieser, jetzt Jener nach dem Maß seiner 165 Barth, Briefe 1961–1968, 9 f. 166 Vgl. Barth, KD III/3, VII; IV/4, VIII.

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Sachverständigkeit über die Beschaffenheit und Zustände meiner verschiedenen Organe und deren Ursprünge in meiner früheren Geschichte entdeckt und mitzuteilen hat.167

Wie bereits erwähnt (vgl. Kap. I.6), wird verbreitet die Ansicht vertreten, Barth habe sich im Zuge der Ausarbeitung seiner KD immer weiter von der für seine dialektische Theologie charakteristischen Betonung der Andersartigkeit und Fremdheit Gottes distanziert und betone nun zunehmend die wesentliche Menschlichkeit Gottes, wie sie sich in aller Konsequenz in Jesus Christus gezeigt habe. Es handele sich um eine Abkehr von der Dialektik ohne Synthese, von der Diastase zwischen Gott und Mensch, und um eine Hinwendung zur Analogie, freilich nicht einer analogia entis, die Barth als der entscheidende Grund galt, nicht katholisch sein zu können (KD I/1, VIII f), wohl aber zu einer analogia fidei, zu deren Wahrnehmung Barth sich insbesondere durch Anselm von Canterbury animiert gesehen habe.168 Diese Diagnose kann durchaus viele Indizien für sich reklamieren bis hin zu diversen Selbstzeugnissen von Barth. Sie trifft aber nur einen hinzugewonnenen fundamentalen Aspekt, der nun der weiterhin mit Respekt zu wahrenden Dialektik zu einer Balance verhilft, in der es auch ausreichend Raum für die Entfaltung der vom Glauben bezeugten Selbsterschließung Gottes gibt (vgl. Kap. IV.5.3, S. 369 f). Es sind insbesondere zwei Vorträge, an denen gern die Differenz des späteren Barth gegenüber dem dialektischen etwa des Tambacher Vortrages verdeutlicht wird, und die zugleich auch als eine Leseanleitung zum rechten Verständnis der KD gelten können. Es handelt um den 1953 vor 1000 Hörerinnen und Hörern in Bielefeld gehaltenen Vortrag „Das Geschenk der Freiheit“, in dem er den für ihn charakteristischen unauflöslichen Zusammenhang von Dogmatik und Ethik am Zentralbegriff der Freiheit herausstellt. Die Essenz dieses Vortrags versammelt sich in dem so schlicht daherkommenden und zugleich überaus voraussetzungsreichen Leitsatz zum zweiten Teil seines Vortrags: „Die dem Menschen geschenkte Freiheit ist die Freudigkeit, in der er Gottes Erwählung nachvollziehen und also als Mensch Gottes sein Geschöpf, sein Bundesgenosse, sein Kind sein darf.“169 Die Freiheit als Geschenk Gottes kann ihrem Wesen nach mit der Freiheit Gottes nicht in einem Widerspruch stehen (10). Sie entspricht dem Wesen der Freiheit Gottes als einer Freiheit für sein Gegenüber, die nur als solche auch eine Freiheit von etwas, eben von allen Behinderungen dieses Für-Seins ist. Gott sagt Ja. Nur in und mit diesem Ja verneint er dann auch, erklärt und erweist er sich also auch „frei von“ allem ihm Fremden und Feindseligen. Und wieder nur in und mit seinem Ja ist er dann auch frei für sich selbst, zu seiner eigenen Ehre. Die dem Menschen geschenkte Freiheit ist Freiheit in dem so, in dem durch Gottes eigene Freiheit abgesteckten Raum, nicht anders. (10 f) 167 Barth, Der Römerbrief (Erste Fassung), 6. 168 Vgl. v. Balthasar, Karl Barth. 169 Barth, Das Geschenk der Freiheit, 2.

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Der andere ebenfalls sehr beachtete Vortrag trägt den Titel „Die Menschlichkeit Gottes“ und wurde 1956 in Aarau vor dem Schweizerischen Pfarrverein gehalten. Er galt insbesondere als das Dokument des von Barth vollzogenen Wandels, das dann auch auf die KD noch einmal ein neues Licht geworfen hat. „Für mich war das nur ein Rückblick, aber für viele ist das eine Entdeckung gewesen.“170 Barth stellt den Menschen in das Licht Gottes, dessen Göttlichkeit sich nicht deutlicher erkennen lässt als eben in seiner Menschlichkeit. Und so gerät auch der Mensch ganz und gar in die Aufmerksamkeit, wie es Barth in seiner Anthropologie (KD III/2) bereits eingehend dargelegt und damit den immer wieder vernehmenden Vorwurf entkräftet hatte, dass seine Theologie Gott auf Kosten des Menschen groß mache – ein bei genauerem Hinsehen in jeder Hinsicht nur als abwegig zu bezeichnender Vorwurf (vgl. Kap. I.8), der aber bis heute nicht verstummt ist.171 Es ist der Blick auf Jesus Christus, der uns das wahre Verhältnis Gottes zu uns und zugleich auch das wahre Verhältnis des Menschen zu Gott erschließt. In Jesus Christus ist wie keine Verschlossenheit vom Menschen her nach oben so auch keine von Gott her nach unten. Eben in ihm handelt es sich vielmehr um die Geschichte, um den Dialog, in welchem Gott und der Mensch zusammentreffen und zusammen sind, um die Wirklichkeit des von ihnen beiderseitig geschlossenen, gehaltenen und vollendeten Bundes.172

Barth nimmt durchaus offensiv den Begriff des Humanismus auf, nicht ohne darauf zu verweisen, damit auch einem limitierten Wahrheitsmoment der anthropologisch orientierten Theologie des 19. Jahrhunderts die Gültigkeit zu erhalten (10). Aber die Theologie hat sich an den Humanismus Gottes zu orientieren, der nicht einfach als eine Spielart der vom Menschen aus möglichen Humanismen betrachtet werden kann (23). Die Humanität wird ganz und gar in die sich zwischen Gott und Mensch ereignende Beziehungswirklichkeit gestellt, in der sich die spezifische Herausgehobenheit des Menschen und damit die spezifische Menschlichkeit in der Blickrichtung des biblischen Zeugnisses erkennen lässt. Sie hat sich, da Gott in seiner Göttlichkeit menschlich ist, weder mit Gott an sich, noch mit dem Menschen an sich, sondern mit dem dem Menschen begegnenden Gott und mit dem Gott begegnenden Menschen zu beschäftigen: mit ihrer Zwiesprache und Geschichte, in der ihre Gemeinschaft Ereignis wird und zu ihrem Ziele kommt. Eben darum kann sie nur im Blick auf Jesus Christus und von ihm her denken und reden. (18)

Die von Barth ausdrücklich als Selbstpräzisierung charakterisierte theologische Veränderung hat durchaus eine tiefgreifende Dimension. Aber sie wäre zutiefst missverstanden – wozu es ebenfalls zahlreiche Selbstzeugnisse Barths gibt –, wenn von 170 Barth, Gespräche 1964–1968, 162. 171 Vgl. dazu Plasger, Die Konzeption der Versöhnungslehre Barths, 18–21. 172 Barth, Die Menschlichkeit Gottes, 11.

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zwei in Spannung zueinanderstehenden Schaffensphasen Barths gesprochen würde, in deren Abfolge die spätere die vorauslaufende überwindet und somit gleichsam nachträglich reklamiert. Barth zitiert vielmehr den Vers aus dem bekannten Abendlied „Siehst du den Mond dort stehen? Er ist nur halb zu sehen“ (7) und erläutert die Veränderung mit dem hinzugekommenen Versuch, nun auch die zweite Hälfte in den Blick zu bekommen, allerdings ausdrücklich ohne den Anspruch zu erheben, damit nun das Ganze vor Augen zu haben und übersehen zu können. Es ist vor allem das Wahrnehmungsgefälle, dem Barth treu bleibt. Es geht ja auch in der KD nicht darum, dass wir in Jesus unsere Menschlichkeit wiedererkennen oder Gott als einen besonderen Exponenten unserer Menschlichkeit betrachten, so als könnte der Mensch bereits von sich aus ein allgemein evidentes Verständnis seiner selbst erlangen, das dann auch auf das Handeln Gottes in irgendeiner Steigerungsform in Anwendung gebracht werden könnte. Vielmehr wird uns in Jesus überhaupt erst ein rechtes Verständnis unserer Menschlichkeit vor Augen gestellt, denn es gibt sonst keinen Menschen, an dem die von Gott gemeinte Menschlichkeit ohne fundamentale Trübungen erkannt werden könnte – das ist der Grund, weshalb Jesus der „wahre Mensch“ genannt wird. Und zudem wäre auch der Begriff der Analogie nicht im Sinne Barths verwendet, wollte man in seinem Verständnis den Ton auf die Gleichheit und eben nicht auf die Entsprechung legen, die immer auch von ebenso zu bedenkenden Unterschieden geprägt bleibt, was im Verständnis eines Begriffs wie dem der Gottebenbildlichkeit in aller Deutlichkeit evident wird. Anstatt von zwei unterschiedlichen Schaffensperioden ist besser von einem weiteren Voranschreiten zu sprechen, das dann gewiss auch mit Akzentverschiebungen und Kehrtwendungen verbunden ist, im Ganzen aber als eine Präzisierung und weiterführende Klärung zu verstehen ist, die ihren Aufbruch von der Entdeckung der radikalen Andersartigkeit Gottes keineswegs vergessen machen will. War das, was wir damals entdeckt zu haben meinten und vorbrachten, kein letztes, sondern ein retraktionsbedürftiges, so war es doch ein wahres Wort, das als solches stehenbleiben muß, an dem es noch heute kein Vorbeikommen gibt, das vielmehr die Voraussetzung bildet, was heute weiter zu bedenken ist. Wer jene frühe Wendung nicht mitgemacht haben, wem es etwa noch immer nicht eindrücklich geworden sein sollte, daß Gott Gott ist, der würde, was nun als wahres Wort seiner Menschlichkeit weiter zu sagen ist, sicher auch nicht in Sicht bekommen. (7)

Keine Revision, sondern ein Weiterschreiten ist gemeint, das als solches nicht einfach schnurgeradeaus, sondern immer auch – wie Barth es formuliert – mit Wendungen verbunden ist.173 In Barths Zurückhaltung gegenüber dem Begriff ‚Systematische Theologie‘ kommt seine grundsätzliche Abneigung gegenüber theologischen Systembildungen und methodologischen Fixierungen zum Ausdruck (vgl. Kap. III.3). Auch die Architektur der KD folgt keiner systematischen Konzeption, sondern schlicht 173 Vgl. dazu Beintker, Resümee: Periodisierung des Barthschen Denkens.

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aus den Gegenständen, die durch die Frage nach einer angemessenen theologischen Erkenntnis unweigerlich in den Blick kommen, denn die Erkenntnis fragt nach dem Subjekt, dem Objekt und dem Prädikat des Wortes Gottes, folgt also konsequent der Anerkenntnis des Umstands, dass Gott in bestimmter Weise geredet hat und als solcher auch heute redet (vgl. Kap. IV.1). Über die trinitarische Grundstruktur hinaus sollte sich die Theologie vor systematisierenden Regulierungen weitgehend hüten, um nicht zu einer abstrakten Lehre zu erstarren. Auch wenn es – insbesondere für die Versöhnungslehre – gewiss ein wenig überpointiert tönt, bleibt das Selbstzeugnis Barths zu beachten: Es gab nach meiner Erinnerung kein Stadium meines theologischen Weges, auf dem ich mehr als die allernächsten Schritte nach vorwärts im Auge gehabt und geplant hätte. Sie ergaben sich jeweils von selber aus denen, die ich schon hinter mir hatte, und unter den Eindrücken meines Bildes von den sich mir an einem neuen Tag und [in] einer neuen Lage darbietenden Notwendigkeiten und Möglichkeiten. […] Ich habe kaum je so etwas wie ein Programm gehabt und dann ausgeführt, sondern meine Arbeit verlief in meinen Begegnungen mit den auf mich zukommenden Menschen, Dingen, Ereignissen, Fragen, Rätseln. […] So geht es mir […] auch gerade bei der Ausarbeitung der Kirchlichen Dogmatik: von einem Semester zum anderen, von einer Woche in die andere hinein. […] Es waren lauter kleine und große Bäume, die gewissermaßen vor mir aufschossen, wuchsen, sich ausbreiteten, deren Leben nicht von mir abhing, das ich vielmehr nur mit gesammelter Aufmerksamkeit zu begleiten hatte.174

In diesem Zusammenhang soll auf eine Begebenheit hingewiesen werden, die gewiss nicht überschätzt werden sollte, die aber doch ein bezeichnendes Licht auf Barths Umgang mit der Dogmatik wirft. Ein ehemaliger Bonner Student von Barth aus Schottland, George L.B. Sloan, mit dem Barth seinerzeit regelmäßig seine Englischkenntnisse vertiefte und der darum wusste, dass Barth besonders den Kriminalromanen von Dorothy L. Sayers zugetan war, die ihn nicht nur sprachlich erfreuten, schickte ihm 1938 einen Essay eben dieser Autorin „The Greatest Drama Ever Staged“, in dem sich diese in ebenso unbefangener wie ernsthafter Weise theologisch zu Worte meldete. Sie schrieb: Die offizielle kirchliche Verkündigung hat seit einiger Zeit eine „schlechte Presse“. Man versichert uns dauernd, die Kirchen seien darum so leer, weil die Prediger zu viel Gewicht auf die Lehre legten: auf das „langweilige Dogma“, wie man zu sagen pflegt. Man lasse mich einmal sagen, daß genau das Gegenteil wahr ist; es ist die Vernachlässigung des Dogmas, die die Predigten so langweilig macht. Der christliche Glaube ist das aufregendste Drama, das der menschlichen Einbildungskraft je geboten wurde. Und gerade im Dogma ist er als dieses Drama verstanden und dargestellt!175

174 An Theodore A. Gill im Herbst 1958, in: Offene Briefe 1945–1968, 453 f. 175 Sayers, Das größte Drama aller Zeiten, 27.

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Barth wäre es kaum in den Sinn gekommen, einen theologischen Text eines englischsprachigen Kollegen zu übersetzen, in diesem Fall aber gefiel es ihm, in seinem Urlaub schlicht in die Rolle des Übersetzers zu schlüpfen, um den Essay auch mit all seinen wohl wahrgenommenen Stolpersteinen zu übersetzen, um ihn dann auch für das deutschsprachige Publikum zu veröffentlichen (es ist dem dann ausbrechenden Krieg geschuldet, dass dies dann erst 1959 zusammen mit dem Essay „Der Triumph von Ostern“ geschah). In dem dieser Publikation vorangestellten Vorwort Barths heißt es: Einige flotte Saloppheiten der Sprache und auch einen gewissen dem Einfluß des Erasmus auf die englische Christenheit entsprechende[n] Semipelagianismus […] werden ihr verständige Leser nicht übel nehmen. Daß sie sich die Aussage des Evangeliums in atemlosen Erstaunen über ihren zentralen Gehalt schwungvoll zu eigen gemacht und daß sie weltoffen, aber unerschrocken und ohne alles apologetische Gerüchlein schlagfertig – vor allem aber: freudig und zur Freude anregend wiedergegeben hat, dafür darf man ihr, wie man sich auch im einzelnen zu ihren Darlegungen stellen möge, dankbar sein. (14 f)

Barth verweist hier auf die Blickrichtung der Dogmatik, die wichtiger ist als die ohnehin nicht ganz kontrollierbare Sorge um die rechte Lehre. Barths theologischer Neuaufbruch ging grosso modo seit 1914 in die dann auch von der KD weiter festgehaltene Richtung, indem auch bereits in der Zeit der sogenannten dialektischen Theologie – einige Beispiele wurden genannt – jedes auszusprechende Nein allein von dem ihm überlegenen Ja legitimiert war. Die grundsätzliche Kritik am Neuprotestantismus wurde – auch wenn die Freiheit wächst, den einen oder anderen Aspekt positiv zu würdigen – ebenso wenig zurückgenommen wie das vitale Wissen um die prinzipielle Vorbehaltlichkeit aller theologischen Einsichten. Letztere verschafft sich in der KD immer wieder darin Ausdruck, dass Barth sich am Ende einer entschlossen vorangetriebenen Argumentation selbst ins Wort fällt und andere Beleuchtungsweisen oder Fragestellungen in Bezug auf den gerade verhandelten Aspekt als eine gleichberechtigte Wahrnehmungsweise in Erwägung zieht, die dann auch damit rechnen lassen, am Ende möglicherweise an einer durchaus anderen Stelle herauszukommen. Bereits im ersten Band der Prolegomena äußert er für das eigene Unternehmen die Befürchtung, in der theologischen Rückgewinnung der großen Begriffe „Gott, Wort, Geist, Offenbarung, Glaube, Kirche, Sakrament usw. […] viel zu positiv zu werden.“ (I/1, 168) Es hängt gewiss mit der lebendigen Diskutierfreudigkeit seiner eifrigen Bonner Studierenden zusammen, die er durchaus erfreut in dem von ihm erschlossenen Raum sich tummeln sieht, wenn er eine gerade in die eigene Richtung blickende Warnung ausspricht: Ich denke an eine gewisse Sicherheit der Stimmung, Sprache und Haltung, mit der wir, wie es scheint, auf dem neuen bzw. alten Feld meinen arbeiten zu können, an eine gewisse Getrostheit, mit der wir jene großen Begriffe meinen in den Mund […] nehmen zu können […], als redeten wir darum von ihnen, weil wir relativ so hemmungslos über sie zu reden wissen.

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Eine Sicherheit, Getrostheit und Munterkeit, die vielleicht nur noch größer wird, indem wir auch noch das Moment der Unsicherheit oder gar der „getrosten Verzweiflung“ oder gar eine „Todeslinie“ oder dgl. in unsere mehr oder weniger geistreichen Rechnungen einzubeziehen verstehen. Ist unserem Geschlecht auch lebensmäßig (nicht nur gedanklich) klar, daß das „Ernsthafte“ ernsthafter theologischer Arbeit darin begründet ist, daß ihrer Gegenstand nie und in keinem Sinn uns zu Gebote steht […] Inwiefern ist unser theologisches Gespräch kein Gerede? (I/1, 168 f.)

Damit ist nun freilich in der kritischen Selbstreflexion eine unüberschreitbare Grenze der Argumentation erreicht, die nicht selbst zum Habitus werden darf. Und zugleich wird auch für den theologischen Streit festgehalten, dass es grundsätzlich nicht um die Fixierung von alternativlosen Optionen gehen kann, auch wenn jede ins Auge gefasste Option unter durchaus hoch gesteckten Erwartungen und Ansprüchen steht, denen nicht zuletzt durch die konsultierte theologische Tradition ein nicht zu unterschreitendes Niveau vorgegeben wird. 8. Der unbequeme Zeitgenosse Barths ausgeprägtes historisches Interesse, das ihm zu einem umfänglichen Wissen über geschichtliche Zusammenhänge und politische Entwicklungen verholfen hat, brachte es mit sich, dass er sich zeitlebens sorgfältig politisch informiert und engagiert hat. Immer wieder hat er sich deutlich und pointiert zu Worte gemeldet, wobei er seine jeweiligen politischen Optionen in einen engen Zusammenhang mit seinen theologischen Einsichten sah. Mehrfach betonte er, dass, wer ihm politisch grundsätzlich widerspreche, ihn auch theologisch nicht angemessenen verstanden haben könne. Um auf diesem mit Stolpersteinen übersäten Feld nicht zu Fall zu kommen, bietet es sich an, grundsätzlich zwei Aspekte zu unterscheiden und zugleich im Auge zu halten: Einerseits ist mit Günther van Norden festzustellen, dass es besonders provozierende geschichtlich Umstände waren, die Barth theologisch herausgefordert und zu einer Neujustierung seiner Theologie gebracht haben.176 Andererseits ist Barth – und hier können wir Michael Beintker folgen177 – in seinem Umgang mit den jeweiligen Herausforderungen weder einfach den jeweiligen politischen Dynamiken gefolgt noch hat er sich irgendwelchen gesellschaftspolitischen Zielperspektiven verschrieben, sondern er sah sich als ein Theologe gefordert, der – wie er es später formulierte – ‚in erster Linie Zeitgenosse Christi‘ (KD IV/3, 419), d. h. Zeitgenosse des auferstandenen und zur Rechten Gottes sitzenden Versöhners ist und nur als solcher auch ein Zeitgenosse der aktuellen geschichtlichen Umstände. Barth hatte – jedenfalls nach 1914 – sehr genau die Versuchung vor Augen gehabt, in der sich die Theologie den jeweils gerade wirksamen geschichtsphilosophischen 176 Vgl. v. Norden, Die Weltverantwortung der Christen neu begreifen, 12 f, 58 ff. 177 Vgl. Beintker, Die politische Verantwortung der Christengemeinde.

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oder auch nur zeitgeistigen Prämissen unterwarf, um ihnen dann willfährig mit einer zusätzlichen religiösen Weihe so oder so unterstützend zur Seite zu springen. Um dieser Versuchung, die im Wesentlichen das ausmacht, was Barth die „natürliche Theologie“ genannt hat, nicht zu erliegen, kam es entscheidend darauf an, die jeweiligen geschichtlichen Umstände in den Horizont des je neu zu vernehmenden Wortes Gottes zu stellen, der sich nicht unmittelbar in diesen Umständen zeigt, sondern in Auseinandersetzung mit dem biblischen Zeugnis immer wieder neu zu suchen ist. So sehr also die „Zeitung“ oder auch das von Barth gern benutzte Radio die aktuelle Tagesordnung bestimmen vermag, so wenig kann es ihnen überlassen bleiben, wie sie zu beurteilen und dann zu bearbeiten ist. Man muss wohl sogar noch einen Schritt weiter gehen: So sehr die jeweilige Lage auch die Tagesordnung der Theologie beeinflussen und diese auch entscheidend verändern kann, so wenig enthält sie zugleich auch schon die Kriterien dafür, wie mit den jeweiligen Konstellationen angemessen umzugehen ist. Barths sozialpolitisches Engagement in seiner Gemeinde in Safenwil, seine differenzierte Stellung zu den religiösen Sozialisten und dann – nach einer später von ihm selbst als zu lang bewerteten bewussten Zurückhaltung – besonders seine Stellungnahme gegenüber dem Nationalsozialismus sowie dessen verharmlosende und abwartende Wahrnehmung auch durch die Deutschland umgebende Welt sind bereits zur Sprache gekommen. Jetzt soll der Blick auf die Zeit nach 1945 geworfen werden, in der Barth den seit 1938 eingeschlagenen Weg fortsetzte, den Charlotte von Kirschbaum mit der durchaus treffenden Bemerkung kommentiert hatte, dass Barth jetzt in sein „prophetisches Stadium“ gewechselt habe.178 Bevor am Ende dieses Absatzes nach den besonderen Bestimmungen des Prophetischen bei Barth gefragt wird, sollen zunächst einige exemplarische Begebenheiten und Überlegungen skizziert werden, in denen Barth mit teilweise sehr zugespitzten Voten die kirchliche und auch die öffentliche Diskussion beschäftigte. Barth lag entschieden an einem möglichst gründlichen, aber keineswegs utopischen Neuanfang, der wenigstens in ein paar entschlossenen Schritten erkennbar macht, dass aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt wurde.179 Es ging – wie er am 8. Juli 1945 in einem Brief an die deutschen Theologen in der Kriegsgefangenschaft unterstrich – um die „Theologische Existenz 1945“, die nicht bei der „Theologischen Existenz heute“ von 1933 stehen bleibt, sondern sich entschlossen auf die Höhe der Zeit mit ihren heutigen Herausforderungen vorwagt.180 Darin galt es nun Deutschland und eben auch die Kirchen nach Kräften zu unterstützen, witterte er doch vor allem in den Kirchen die Macht der Beharrungskräfte, denen nur an einer Restauration der alten Verhältnisse gelegen war. In der Schweiz, aber auch den Siegermächten gegenüber betonte er, dass nun der im Zuge der scharfen Bekämpfung 178 So Barth an seinen Freund Pierre Maury am 12. Okt. 1938, Offene Briefe 1935–1942, 124; vgl. dazu Koch, Karl Barths „prophetisches Stadium“? 179 Barth, Die geistigen Voraussetzungen für den Neuaufbau, 415. 180 Barth, Offene Briefe 1945–1968, 55 f.

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des nationalsozialistischen Deutschland gewachsenen allgemeinen Verbitterung und dem angestauten Hass entschlossen entgegenzutreten sei, um die Deutschen nicht zu isolieren, sondern sie ebenso fürsorglich wie kritisch in ihrem Neuanfang zu ermutigen. Mit diesem Plädoyer stand Barth wiederum nicht auf der Seite der Mehrheit. Schon vor dem Kriegsende betonte Barth in einem Vortrag: Wir mußten uns an unserem Ort verwahren und wehren gegen die Übergriffe, die im Namen dieses Volkes und nicht ohne seine Zustimmung und Mitwirkung begangen wurden. Aber wenn wir das recht getan haben, dann haben wir es doch nicht gegen, sondern auch für dieses Volk, zu seinem eigenen wohlverstandenen Besten getan. Und wenn diese Abwehr nun in absehbarer Zeit überflüssig werden, wenn der deutsche Kriegerstaat unschädlich gemacht am Boden liegen wird, dann wird es unsere Sache nicht sein können, wo Gott gerichtet hat, nochmals zu richten.181

Auch die Deutschen stieß er auf ihre eigene Verantwortung und wehrte sich gegen die auf eine Selbstentschuldigung hinauslaufende Ansicht, dass sich Deutschland in den Händen von Dämonen befunden habe. Da diese vermeintlichen Dämonen nun erledigt seien, stand zu befürchten – und das wurde ja auch ganz offen so gesagt –, dass es heißen werde, wieder da anzuknüpfen, wo es diese Fremdbestimmung noch nicht gegeben habe. Barths Hinweise darauf, dass doch die Kirche selbst dieser Fremdbestimmung hinterhergelaufen sei und sie nach Kräften ihrerseits ermächtigt habe, stieß weithin auf einen unbußfertigen Selbstbehauptungswillen, der kaum von ferne erkennen ließ, dass auch nur ansatzweise die größeren Zusammenhänge der deutschen Geschichte wahrgenommen wurden, die Barth bis zurück zu Friedrich dem Großen für ausdrücklich bedenkenswert hielt.182 Schon kurz nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands konnte Barth als einer der ersten Ausländer mit amerikanischer Genehmigung nach Deutschland reisen, wo er in Frankfurt am Main an einer Versammlung der Bruderräte der Bekennenden Kirche teilnahm. Dort traf er nach mehr als zehn Jahren wieder mit Martin Niemöller zusammen, der zum Kriegsende aus dem KZ in Dachau befreit worden war. Es ging um eine Vorbereitung auf die gleich anschließend tagende Kirchenführerkonferenz in Treysa, an der eine zehnköpfige Delegation der Bruderräte mit Barth und Niemöller an der Spitze teilnahm. Wie Barth vermutete bzw. mehr befürchtete, war die große Frage, ob eine Neuordnung der Kirche nach den theologischen Vorstellungen der BK oder lediglich eine Normalisierung im Sinne einer Wiederherstellung der Verhältnisse von vor 1933 angestrebt werden solle. Eindeutig dominierte die Neigung, auf einer theologisch eher neutralen Linie möglichst schnell die alten Strukturen wiederherzustellen. Auch unter den Vertretern der BK gab es hinsichtlich einer bruderrätlichen Verfassung vor allem von denjenigen Bedenken, die nun gerade erst in kirchleitende Positionen aufgerückt waren, die von Deutschen 181 Barth, Verheißung und Verantwortung der christlichen Gemeinde, 331. 182 Vgl. Barth, How my mind has changed, 644.

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Christen nach Kriegsende geräumt werden mussten, so dass der Eindruck entstand, dass die „zerstörten“ Kirchen bereits wieder auf dem Wege waren, zu „intakten“ Kirchen zu werden. Der entschlossene Wille, an der Volkskirche festzuhalten, stellte mehr oder weniger alle Weichenstellungen in Richtung Restauration, die zudem auch alle pragmatischen Argumente auf ihrer Seite hatte. Nicht zuletzt konnte sich diese Lösung auch auf die Praxis in den meisten anderen europäischen Ländern berufen. Barth beklagte vor allem die Zähigkeit und Behäbigkeit der Vertreter der Kirchenleitungen, „einen verstärkten Konfessionalismus und Klerikalismus vor allem, und daneben […] einen in allen Spielarten florierenden Liturgismus.“ (195) Er sah genau das konservative Luthertum den Ton angeben, welches er auch für die katastrophale Unterwürfigkeit der Kirche unter den Nationalsozialismus verantwortlich sah. Unversehens zog er sich mit Äußerungen solchen Inhalts wieder den Unmut vieler Kirchenrepräsentanten zu, so dass er erneut mit dem ihm bereits bekannten Vorwurf konfrontiert wurde, als Schweizer die deutsche Situation nicht verstehen zu können, um es einmal bei der mildesten Form der Ablehnung zu belassen. Es war für Barth schnell absehbar, dass seine Option für eine „Grundsätzliche Neubesinnung über die von der Schrift und vom Glauben her gebotene Gestalt der christlichen Gemeinden und ihres gesamtkirchlichen Zusammenschlusses (Aufbau von unten!)“183 keine wirkliche Chance auf Verwirklichung hatte. Zwar folgte er nicht dem ihm von verschiedenen Seiten angetragenen Wunsch, wieder an seine alte Wirkungsstätte in Bonn zurückzukehren und dort gar das Amt des Rektors zu übernehmen, aber er übernahm dort mit erwartungsvollem Elan und zugleich einer abwartenden Neugier im Sommersemester 1946 und 1947 eine Gastprofessur, zu welcher er von Basel unter Weiterzahlung seiner Bezüge beurlaubt wurde. Er stieß dort nach einer eindrucksvollen Reise auf einem Rheinfrachter wieder auf eine große Resonanz, ebenso wie bei den zahlreichen Vorträgen, die er im ganzen Land während dieser Zeit hielt. Durch die Vermittlung eines kulturbeauftragten sowjetrussischen Offiziers, Oberst Tulpanow, gab es auch in Berlin Gelegenheit, mit den Verantwortlichen der Sozialistischen Einheitspartei in einen mehrstündigen Austausch zu treten. Damit ist die von Barth erzählte schöne Anekdote verbunden, dass Wilhelm Pieck Barth gesagt habe: „‚Herr Professor, was wir in Deutschland nötig haben, das sind die Zehn Gebote!‘ Da habe ich gesagt: ‚Ja, Herr Präsident, insbesondere auch das erste!‘“184 Es gab auch Gelegenheit, vertraulich die Engländer zu bitten, sich ausdrücklicher der Förderung der den Deutschen so fremden Demokratie zu widmen, was durchaus aufmerksam gehört wurde. Einerseits war Barth zutiefst berührt von all den auf ihn gerichteten Erwartungen und der Offenheit, in der er von verschiedenen Seiten empfangen wurde, und andererseits spürte er eine latente, als solche aber durchaus lähmende Unbußfertigkeit, durch welche er all die Zustimmung konterkariert sah, die seinen theologischen Beiträgen erwiesen wurde. Am 24. Mai 1946 schreibt er während seines Semesters 183 Brief vom 16.02.1946 an Gustav Heinemann: Barth, Offene Briefe 1945–1968, 62. 184 Barth, Gespräche 1963, 87.

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in Bonn an seinen Freund Arthur Frey, Leiter des späteren TVZ Verlages und Herausgeber des Schweizerischen Evangelischen Pressedienstes: [Es] sind noch viel Nebel über Szene. Man muß hierzulande immer wieder an den Blocksberg denken, wo einst Goethe ebenfalls viel Nebel und darin alle möglichen geistigen und geistlichen Spukgeister wahrgenommen hat.185

Nur zu gut hatte Barth aus eigener Erfahrung die Dominanz der demokratiefeindlichen Einstellungen der durch und durch nationalistisch geprägten Kollegenschaft an den deutschen Universität in Erinnerung, so dass nicht damit zu rechnen war, dass es nun ohne eine entschiedene Abkehr von der Vergangenheit und einen bewusst vollzogenen Neuanfang zu der erwarteten Demokratisierung der Gesellschaft kommen könne. Er wies ausdrücklich auf die Gefahr hin, die dieser Neuanfang durch die ältere Generation ausgesetzt sei: Es gibt auch unter dieser älteren Generation ehrenvolle Ausnahmen. Und es ist klar, daß die Wenigen, die hier zu nennen wären, viele Andere aufwiegen. Aber es sind zu viel dieser Anderen, die viel zu wenig gelernt und viel zu wenig vergessen haben, als daß sie der akademischen Jugend gerade bei der für ihre Zukunft so dringend nötigen Klärung des Verhältnisses von deutscher Vergangenheit und Gegenwart und zu einer wirklichen Aufgeschlossenheit für neue Fragestellungen hilfreich sein könnten: keine Bösewichte, keine Nazis, nur unverbesserliche Nationalisten in der Art derer, die das zum ersten Mail frei gewordene Deutschland 1918–1933 dem neuen Verderben entgegengeführt, es schließlich ans Schlachtmesser geliefert, dann sich als „anständige Leute“ aufs Grollen und wohl auch aufs Komplottieren gegen Hitler verlegt haben und nun längst wieder zu mehr oder weniger vernehmlichem Grollen gegen die letztlich nicht ohne ihre ganz besondere Mitschuld entstandene Lage übergegangen sind. Es ist fatal, daß so viele deutsche Studenten dem Unterricht, der Erziehung, dem Vorbild gerade dieses Professorentypus ausgeliefert sind. In dieser Schule werden sie keine freien Menschen werden. (122)

Barth sah sich regelmäßig immer dann einer teilweise unverhältnismäßig massiven Kritik ausgesetzt, wenn er sich nicht darauf beschränkte, die Not der Deutschen zu beklagen und für entsprechende Solidarität zu werben, sondern es wagte, auch auf das zu sprechen zu kommen, „was bei den Deutschen selbst anders werden müßte, wenn den Deutschen geholfen werden soll“ (129). Gegen die oben zitierten Wahrnehmungen wurde ihm von dem Heidelberger Zoologen Erich von Holst vergleichsweise unaufgeregt vorgehalten, dass seine Feststellungen ein vollkommen verzerrtes Bild zeichneten. Barth hat ihm darauf geantwortet: Wer heute, 1947, im Rückblick auf 1918 noch immer über die damalige deutsche Niederlage und Versailles reflektiert, statt einzusehen, daß damals dem deutschen Volk zum ersten Mal 185 Barth, Offene Briefe 1945–1968, 72.

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die Chance geboten war, als ein freies (von einem System der Unfreiheit befreites!) Volk seiner Zukunft inmitten der anderen Völker in seine eigene Hand zu nehmen, – wer das heute, 1947, noch nicht einsieht, in dessen Schule werden die deutschen Studenten keine „freien“ Männer werden. Warum nicht? Weil er offenbar heute, im Rückblick auf 1945, erst recht einem neuen Unfug, einem neuen 1933 entgegenreflektiert. Ich erlaube mir, ihn, welches auch seine persönlichen Vorzüge und wissenschaftlichen Meriten sein mögen, für eines der Hindernisse auf dem Weg des heutigen deutschen Studenten anzusehen. (135)

Anstatt sich um die wichtigen Fragen der eigenen Erneuerung zu kümmern, ließen sich auch die Kirchen, deren Verstocktheit Barth Niemöller gegenüber beklagte, im Zuge der forcierten Ost-West-Polarisierung auf die neue Ostfront einschwören.186 Barth hatte offenkundig den Eindruck, trotz der ihm entgegengebrachten Aufmerksamkeit im Grunde keine ernstzunehmende Rolle in der realen kirchenpolitischen Gemengelage wahrnehmen zu können, so dass er sich nach einigen engagierten Einlassungen wieder bewusst für einige Jahre ganz aus Deutschland fernhielt, nicht zuletzt um sich weiter seiner Hauptarbeit an der Kirchlichen Dogmatik widmen zu können. Es kann davon ausgegangen werden, dass bei dieser Zurückhaltung gegenüber einem erneuten Engagement in Deutschland ein gewisser Überdruss darüber mit im Spiele war, im Entscheidenden in Deutschland auch nach dem Krieg auf exakt die gleichen Machtkonstellationen bis hin zu deren Repräsentanten gestoßen zu sein, die in ihrer relevanten Mehrheit auch im Kirchenkampf vor allem ein schiedlich-friedliches Arrangement mit dem Staat suchten und sich dabei allen theologischen Einsichten verschlossen und deren Protagonisten teilweise schutzlos in den Regen gestellt haben. Er sah sich mit dem gleichen verängstigten Kleinmut konfrontiert wie im Kirchenkampf, in dem dieser deutlich mehr Gründe für sich reklamieren konnte. Barth sah diesen Kleinmut grundsätzlich als eine den Christen und überhaupt den freien Menschen unangemessene Haltung an, der er im Horizont der Frage „Was sollen wir denn tun?“ entgegenhielt, dass es vor allem darum gehe, nicht so viel Angst zu haben.187 Gerade in diesem Zusammenhang war ihm der gespreizte deutsche Klerikalismus nicht nur kirchenleitender Persönlichkeiten ein Gräuel. Aus leidvoller Erfahrung wusste er, dass ihm all die Aufmerksamkeit, die ihm von vielen Seiten freundlich entgegenschlug, im konkreten kirchenpolitischen Klein-Klein kein wirkliches Standing zu verschaffen vermochte, so dass er es vorzog, sich diesem eher abschüssigen Parkett ganz zu entziehen, was dann auch konkret bedeutete, dass er bis 1951 Deutschland bewusst gemieden hat. Barth beschränkte sich keineswegs auf eine kritische Kommentierung der kirchlichen Restauration, sondern griff auch entschlossen politische Themen auf, zu denen sich die Kirche nicht einfach neutral verhalten könne. Dabei bleibt ein fundamentaler Unterschied zwischen den 1930er Jahren und der Nachkriegszeit zu beachten. 186 Vgl. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 354. 187 Vgl. Barth, Was sollen wir denn tun?; Michael Beintker spricht von einer für Barth charakteristischen „Entängstigung“; Beintker, Die politische Verantwortung, 160–163.

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Sah Barth zu Beginn der 1930er Jahre die Kirche mehr und mehr ihre theologische Existenz zugunsten einer politischen Eingenommenheit für den Nationalsozialismus verspielen, so dass er die politisierte Kirche an ihr theologisches Fundament zu erinnern hatte, so stellte sich nach dem Krieg die Situation zumindest äußerlich betrachtet andersherum dar, indem die Kirche unter Berufung auf ihr Bekenntnis ihre Eigenständigkeit gegenüber dem Staat betonte und dabei ihre politische Neutralität unterstrich. Erneut – wenn auch auf eine ganz andere Weise – verfehlte sie die von ihr wahrzunehmende politische Verantwortung, denn faktisch stellte sie sich in ihrer vermeintlichen Neutralität in der noch unübersichtlichen und teilweise durchaus offenen Gemengelage schlicht auf die Seite der jeweils dominanten politischen Kräfte und wurde somit wiederum zu einem Stabilisator im Sinn der herrschenden Machtverhältnisse. Es ermangelte ihr an der von ihr zu erwartenden Wachsamkeit, die in beiden Fällen auf ein theologisches Defizit verweist – in den 1930er Jahren ein Defizit an eigener theologischer Standfestigkeit, die ihr auch eine kritische Distanz und dann auch Widerstandsfähigkeit gegenüber der politischen „Revolution“ verliehen hätte, und später dann ein Defizit an politischer Verantwortlichkeit, weil sie wiederum mit unterbestimmtem theologischen Selbstbewusstsein vor allem in ihrer Selbstsorge gefangen war. Eine genauere Betrachtung zeigt freilich, dass beide Situationen bedrückend ähnlich sind, weil die Kirche die ihr eigne Freiheit zugunsten der Anpassung an ihre jeweilige Umgebung vernachlässigte, von deren Gunst sie sich die erhoffte Stabilität versprach. Barth betont ausdrücklich, dass der Staat nicht nur teilnahmslos hinzunehmen sei, sondern um seiner das Zusammenleben der Menschen ordnenden Funktion auch ausdrücklich zu wollen sei, was dann eben auch eine eigene politische Verantwortlichkeit der Kirche miteinschließe, wie er es 1946 in seiner Schrift „Christengemeinde und Bürgergemeinde“ mit einem klaren Plädoyer für die Demokratie dargelegt hat. Es handelt sich um eine konsequente Vertiefung seiner Überlegungen in der Schrift „Rechtfertigung und Recht“ von 1938, in der er bereits dargelegt hatte, dass ein recht verstandenes Gebet für den Staat auch eine entsprechende politische Positionierung und Praxis bis hin zum öffentlichen Widerstand mit einschließe, das vor allem der Sicherung einer kontrollierbaren Rechtsstaatlichkeit zu gelten habe (vgl. Kap. II.5, S. 92 f). „Christengemeinde und Bürgergemeinde“ gilt als der klassische Text für die von Ernst Wolf so bezeichnete Lehre von Königherrschaft Jesu Christi als dem reformierten Gegenüber zu der lutherischen Zwei-Reiche Lehre,188 nach der sich Kirche und Staat wie zwei konzentrische Kreise zueinander verhalten, deren innerer die Kirche, deren äußerer der Staat und deren gemeinsames Zentrum die Herrschaft des auferstandenen Christus ist. Diese Zuordnung macht dann auch gleich die unterschiedlichen Verantwortungsbeziehungen deutlich. Die Christengemeinde beteiligt sich aber gerade in der Erfüllung ihrer eigenen Aufgabe auch an der Aufgabe der Bürgergemeinde. Indem sie an Jesus Christus glaubt und Jesus Chris188 Vgl. Wolf, Königsherrschaft Christi und lutherische Zwei-Reiche-Lehre.

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tus verkündigt, glaubt und verkündigt sie ja den, der wie der Herr der Kirche so auch der Herr der Welt ist. Und ihre Glieder befinden sich ja, indem sie jenem inneren Kreis angehören, automatisch auch in jenem äußeren, können also mit dem ihnen befohlenen Werk des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung an der Grenze dieser beiden Bereiche […] nicht Halt machen. Im Raum der Bürgergemeinde ist die Christengemeinde mit der Welt solidarisch und hat sie diese Solidarität resolut ins Werk zu setzen.189

Dabei ist es nicht die Aufgabe der Kirche, eine Lehre vom rechten Staat zu entwickeln, sondern sie „beteiligt“ sich an der Suche nach der bestmöglichen Gestalt des Gemeinwesens im Wissen um die Relativität aller geschichtlichen Lösungen (15). Sie folgt also keinen politischen Prinzipien, sondern bemüht sich jeweils um die besten Entsprechungen des Rechts zu der den Menschen konstituierenden Rechtfertigung. Barth spricht von „Richtung und Linie“ (17 u. ö.), um den dynamischen Charakter der wahrzunehmenden Verantwortung anzuzeigen, die der Erwartung der endgültigen Wiederkunft des auferstandenen Christus zu entsprechen versucht. Die Richtung und Linie des christlich politischen Unterscheidens, Urteilens, Wählens, Wollens und Sicheinsetzens bezieht sich auf die Gleichnisfähigkeit und die Gleichnisbedürftigkeit des politischen Wesens. Das politische Wesen kann weder eine Wiederholung der Kirche noch eine Vorwegnahme des Reiches Gottes darstellen. (22) Sie [sc. die Christengemeinde] tritt in den Entscheidungen der Bürgergemeinde immer auf die Seite, wo die Herrschaft Jesu Christi über das Ganze und also auch über diesen ihr fremden Bereich nicht verundeutlicht, sondern verdeutlicht wird. Sie will, daß die Gestalt und die Wirklichkeit des Staates inmitten der Vergänglichkeit dieser Welt auf das Reich Gottes hin und nicht von ihm wegweise. (24) Sie wird also nie auf der Seite der Anarchie und nie auf der Seite der Tyrannei zu finden sein. Ihre Politik wird auf alle Fälle dahin drängen, daß die Bürgergemeinde diesen Grundsinn ihrer Existenz: des Menschen Begrenzung und des Menschen Bewahrung durch Rechtsfindung und Rechtssetzung ernst nehme. (26) Die Christengemeinde steht im politischen Raum als solche und also notwendig im Einsatz und Kampf für die soziale Gerechtigkeit. Und sie wird in der Wahl zwischen den verschiedenen sozialistischen Möglichkeiten […] auf alle Fälle die Wahl treffen, von der sie jeweils […] das Höchstmaß von sozialer Gerechtigkeit erwarten zu sollen glaubt. (27)

Konsequent spitzt Barth Schritt für Schritt seine Argumentation zu, indem er ebenso konsequent Abstand hält von einem christlichen Programm und d. h. auch von einer christlichen Partei oder gar einem christlichen Staat. Das Politische der Christen wird sich vielmehr gerade darin erweisen, dass sie „in jeder Partei gegen die Par189 Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 12.

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tei für das Ganze“ stehen (43). Grundsätzlich sollten diese Orientierungen in jeder Staatsform gelten, auch wenn ihnen die Demokratie – solange sie sich tatsächlich als solche gestaltet – zweifellos am deutlichsten entspricht. Barth spricht von einer „Affinität zwischen der Christengemeinde und der Bürgergemeinde der freien Völker!“ (36) Wurden schon solche theologischen Erwägungen weithin mit Skepsis und Misstrauen registriert, so galt aber Barths konkreten Stellungnahmen zu dem den gerade erst beendeten Krieg auf eigene Weise fortsetzenden Ost-West-Konflikt eine eilfertige empörte Ablehnung, vor allem weil er sich weigerte, nun dem Kommunismus eine ebenso kategorische Abweisung zu erteilen wie dem Nationalsozialismus. Wieder fiel die Presse vor allem in der Schweiz über ihn her und verunglimpfte ihn als Kommunistenfreund, was ihn automatisch wiederum in das Licht einer prinzipiellen Gefährlichkeit rückte. In der Schweiz war es Emil Brunner, der es übernahm, gleichsam im Namen der schweigenden Mehrheit Barth zu einem Bekenntnis gegen den Kommunismus aufzurufen. Barth verwies darauf, dass im Unterschied zum Nationalsozialismus der Kommunismus im Westen nicht gerade eine Versuchung darstelle, von den Menschen vergöttert zu werden. Auch könne es nicht der Sinn eines Bekenntnisses sein, nun noch einmal das zu sagen, was ohnehin in aller Munde ist. Stattdessen plädierte er engagiert für eine Ernüchterung in dem ideologisch eingeheizten, durchaus explosiven Konflikt, damit sich dieser nicht in einem weiteren Krieg entlade. Barth hielt die nun aufgebaute Spannung nicht für einen echten Gegensatz, sondern für einen bloßen Machtkonflikt, an dem man sich vernünftigerweise nicht beteiligen dürfe.190 Messer weg! Kein weiteres Öl in dieses Feuer! Denn so, indem hier fernerhin herüber und hinüber geflucht wird, bis schließlich nur noch ein drittes Mal geschossen werden kann, – so wird nichts besser, so wird keinem Menschen geholfen und keine Frage gelöst. Der Weg kann auf alle Fälle nur ein dritter Weg sein! Möge die Kirche im Osten zusehen, daß sie dort dasselbe sage! Wir aber, die Kirche im Westen, haben in diesem Konflikt nur das zu sagen. (134)

In dem Ost-West Antagonismus, der in Deutschland unmittelbar aufeinandertraf, plädierte Barth für einen dritten Weg. Damit war bereits Anlass genug gegeben, um in das Visier des amerikanischen Geheimdienstes zu kommen.191 Aber auch den Kirchen im Osten empfahl er, sich nicht von der verheerenden Propaganda vereinnahmen zu lassen und nach diesem eigenen Weg „mitten hindurch zwischen den … Systemmenschen“ zu suchen (419). Die regelmäßig aufwallende Presseempörung überging zuverlässig die entscheidenden differenzierenden Töne in Barths Stellungsnahmen. Doch in dieser inszenierten Aufregung dürften sich die Kirchen nicht ihre Freiheit beschneiden lassen, sich gegenüber den vorherrschenden Ansichten und Stimmungen eine eigene Wahrnehmung des dem Westen nun Gebotenen zu erlau190 Vgl. Barth, Die Kirche zwischen Ost und West, 129. 191 Vgl. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 396.

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ben, schon um nicht in problematischer Weise mit seinem ebenfalls ideologisch verbrämten Auftreten identifiziert zu werden und damit der von ihnen zu vertretenden Sache zu schaden. Die von den Kirchen in der Adenauer-Ära unterstützte Westintegration Deutschlands ließ nicht nur das Defizit eines fehlenden weitsichtigen politischen Urteilsvermögens sichtbar werden, sondern vor allem jeden auch nur zaghaften Versuch einer theologischen Bewertung dieser Parteinahme vermissen. [Die Kirchen] haben der Sache des Evangeliums durch die weithin völlig unbesonnene Art, in der sie sie mit der eben so schlecht konzipierten wie ungeschickt geführten Sache des Westens identifiziert haben – Rom war darin nicht besser als Genf und Genf nicht besser als Rom! – einen Schaden zugefügt, der nach menschlichem Ermessen auch durch die besten ökumenischen und missionarischen Anstrengungen auf längste Zeit nicht wiedergutzumachen sein wird. Sie haben der östlichen Gottlosigkeit, statt sie praktisch zu widerlegen, neue schwer zu überwindende Argumente geliefert.192

In seinem wiederholt zur Gehör gebrachten und zu dieser Frage einschlägigen Vortrag „Die Kirche zwischen Ost West“ wehrte sich Barth gegen die Parole „Rot wie Braun, ein Totalitarismus wie der andere“193 und geriet damit in den Ruf, ein naiver und zugleich leichtfertiger Sympathisant des Kommunismus zu sein. Da es jedoch für diese Klassifizierung keinerlei zitierfähige Anhaltpunkte gab, wurde allein die Tatsache, dass Barth hinsichtlich des Kommunismus und des mit ihm verbundenen Gottlosentums für eine sachlichere und differenzierte Argumentation eintrat, als hinreichendes Indiz für den Vorwurf der politischen Schwärmerei genommen. Was auch immer Barth in dieser Sache zu sagen versuchte, wurde von einer Welle der Entrüstung übertönt, so dass seine Argumente weithin ungehört blieben. Barths Versuch, den Rigorismus des Sowjetkommunismus von dem Totalitarismus des Nationalsozialismus abzuheben, war in diesem Zusammenhang zweifellos der sensibelste und tatsächlich auch am meisten provozierende Punkt. Im Unterschied zu der irrationalen und nihilistisch-destruktiven Ideologie des Nationalsozialismus stehe hinter der kommunistischen Ideologie Sowjetrusslands, dessen schmutzige und blutige Hände zu Recht angeprangert würden, immerhin eine konstruktive Idee zur Lösung einer brennenden Frage, nämlich der sozialen Frage, deren Ungelöstheit im Westen ebenfalls mit einer gern übersehenen Unmenschlichkeit einhergehe (137), so dass die Beteiligung der Christen einzig und allein in der Zuwendung zu den Opfern auf beiden Seiten bestehen könne (125). Pointiert konnte Barth sagen: Nicht, daß ich für den östlichen Kommunismus im Blick auf seine bisherige Selbstdarstellung irgendeine Zuneigung aufzubringen vermöchte; ich ziehe es entschieden vor, nicht in seinem Bereich leben zu müssen, und wünsche es auch keinem anderen, dazu gezwungen 192 Barth, How my mind has changed, 656. 193 Barth, Die Kirche zwischen Ost und West, 135.

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zu sein. Ich sehe aber nicht ein, daß es politisch oder gar noch christlich geboten und erlaubt sein soll, solcher Abneigung und Ablehnung die Folgen zu geben, die man ihr im Westen seit fünfzehn Jahren in zunehmender Schärfe gegeben hat. Ich halte den prinzipiellen Antikommunismus für das noch größere Übel als den Kommunismus selber.194

Barth war kein Kommunist, aber eben auch kein Antikommunist, weil man als Christ zwar gegen den Kommunismus sein könne, aber nicht gegen die Menschen, die ihn vertreten. Auch in der neutralen Schweiz sah er „auffallend viele kleine McCarthys“ (204) agieren, was der Empörung seiner Kritiker erneut Wasser auf ihre Mühlen spülte. Besonders hohe Wellen schlug eine etwas ausdehnte Auseinandersetzung mit dem Regierungsrat Markus Feldmann, der dem Berner Großen Rat angehörte, nachdem dieser Barth vorgeworfen hatte, die Existenzgrundlage der Schweiz zu gefährden.195 Tröstlich war ihm die Solidarität von etwa 70 Berner Pfarrern, für die sich Barth in einem offenen Brief bedankte und dabei erfreut erwähnte, dass ihn eine Torte mit der Aufschrift erreicht habe „Multorum corda non Agricolae sed Barbae sunt“ – Die Herzen Vieler sind nicht für den Bauern [den Feldmann], sondern für den Bart [Barth].196 Mit besonderer Genugtuung erfüllte ihn im Januar 1952 die von ihm unter Bezug auf Ps 23,5 providenziell verstandene Verleihung der königlichen Medaille „for Service in the Cause of Freedom“ durch den britischen König, die Barth aufgrund der Anwendung eines Baseler Gesetzes von 1846 erst 1962 nach seiner Emeritierung entgegennehmen konnte.197 Barth trifft hier ebenso wie in Deutschland der Vorwurf, dass er in unhaltbarer Weise Theologie und Politik vermische und somit nun genau das praktiziere, wogegen er sich seit seinem Tambacher Vortrag bis hin zu seinem Engagement im Kirchenkampf so entschieden gewandt habe. Es wird deutlich, dass er 1919 ebenso wenig angemessen verstanden wurde wie auch jetzt, denn einerseits ging es Barth niemals um politische Abstinenz oder politische Theologie, sondern um den je besonderen theologischen Blick auf die politischen Optionen, der eben in dem einen Fall zu einer bewussten Distanzierung und im anderen zu einem entschlossenen Einspruch führt. Eine generelle Aversion gegen oder eine generelle Sympathie für ein politisches Engagement stand niemals zur Debatte, gehört doch das Politische fundamental mit zu der Welt, in welcher die Christen ihren Glauben leben. Und andererseits gab es bei Barth seit 1938 im Zusammenhang mit der Sudetenkrise und der sogenannten Reichsprogromnacht eine deutlichere Betonung des Wächteramtes der Kirche und ihres „politischen Gottesdienstes“198 zu beobachten, wobei nun auch die prophetische Dimension eine ausdrücklichere Wahrnehmung erfuhr. 194 Barth, How my mind has changed, 653. 195 Vgl. Barth, Offene Briefe 1945–1968, 214–273; vgl. zum Berner Kirchenstreit: Ficker Stähelin, Karl Barth und Markus Feldmann; Weinrich, Der Katze die Schelle umhängen, 385–392. 196 Offene Briefe 1945–1968, 291. 197 Vgl. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 399. 198 Barth, Gotteserkenntnis und Gottesdienst, 203–216.

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Der von Barth intendierte „dritte Weg“ steht für ein konsequentes Friedensengagement, das sich entschlossen gegen den Kalten Krieg stellt, in dem sich der erste und der zweite Weg gegenseitig in gefährlicher Weise anfeinden. Dieser dritte Weg ist von den Christen auf beiden Seiten unter den je konkreten Bedingungen zu gehen und gerade nicht so, dass die eine Seite der anderen sagt, was sie zu sagen habe. Grundsätzlich sollte dem Balken im eigenen Auge mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden als dem in seiner Größe nicht von uns abzuschätzenden Splitter im Auge des Anderen. Während die Christen im Osten selbst ihren Weg zu suchen hätten, seien die Christen im Westen an ihre Machthaber gewiesen. Nach der Abweisung des propagandageschürten Antikommunismus findet dieser dritte Weg im Westen seine logische Fortsetzung in dem Kampf zunächst gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands und dann einige Jahre später auch gegen die Stationierung atomarer Waffen in Deutschland. Beides waren Themen, die ganz Europa bewegten und mit nicht unerheblicher Emotionalität diskutiert wurden. Barth war davon überzeugt, dass sich die Kirche zu keiner anderen als einer ablehnenden Haltung durchringen müsse. Seine eigene öffentliche Positionierung zusammen mit anderen Einzelpersonen empfand er als ein die Kirche vorläufig stellvertretendes und diese dann auch zur Umkehr drängendes Engagement, für das eigentlich die ganze Gemeinde stehen sollte. Erneut meldete er sich zu Wort mit einer Schrift, in der er – ebenso wie bereits in „Rechtfertigung und Recht“ (1938; vgl. Kap. II.5, S. 92 f) und „Christengemeinde und Bürgergemeinde (1946; vgl. S. 129 f) – ein in der aktuellen Praxis virulentes Problem, das für eine verbreitete Aufregung sorgte, theologisch grundsätzlich aufgriff: „Politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens“. Einmal mehr wollte Barth in einer emotionalisierten Konfliktsituation – die von den Alliierten gewünschte Remilitarisierung Deutschlands – einen Beitrag zu einer Versachlichung leisten, indem er die theologischen Aspekte anspricht, die in der bisherigen Auseinandersetzung nicht in der nötigen Weise berücksichtigt wurden. Wieder begibt sich Barth mit seinen Überlegungen auf den reichlich verminten Boden manifester traditioneller Fixierungen, die nur schwer durch eine sachliche Argumentation erreicht werden. Ausdrücklich erinnert er eingangs daran, dass seit 1934 die Anerkennung des politischen Auftrags der Kirche nicht mehr als ein Spezifikum der reformierten Theologie angesehen werden könne.199 Insbesondere in einer volkskirchlich geprägten Situation könne es gar nicht anders sein, als dass es immer wieder Einzelpersonen sein werden, denen es zufällt, die „in der Freiheit und Gebundenheit ihrer persönlichen christlichen Verantwortung“ (5) der Gesamtkirche in der Wahrnehmung ihres Wächteramtes vorangehen, um diese dann auch an ihre Verantwortung zu erinnern. Es sind jeweils zwei Dimensionen, die es zusammenzuhalten gilt, wenn am Ende ein belastbares Ergebnis herauskommen soll. Eine nüchterne Situationsanalyse ist mit einer möglichst differenzierten Sachanalyse der unterschiedlichen Optionen zusammenzubringen mit der Frage nach den diese Optionen bestimmenden Geis199 Vgl. Barth, Politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens, 3.

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ter, die sich am Willen Gottes und seines Geistes dann zu messen haben. Der Christ steht hier „mitten im Feld der Verstandes- und Ermessensfragen vor der Gehorsamsfrage.“ (8) Und diese Frage ist dann auch an die ganze Gemeinde zu richten, der die Frage nach dem Willen Gottes ebenfalls nicht gleichgültig sein kann, so dass sie sich entweder überzeugen lassen oder aber mit einer ebenso begründeten theologischen Argumentation darzulegen haben, warum eine andere Entscheidung besser dem Willen Gottes entspricht. Es ist diese Gehorsamsfrage, durch die der Christ und so auch die Gemeinde in den status confessionis versetzt wird. Wenn Barth den status confessionis nicht auf die absolute Ausnahmesituation beschränkt, sondern einen etwas weitereichenden Gebrauch von seinem potenziellen Auftreten macht, wird einerseits die große Bedeutung unterstrichen, die auf der je und je zu fällenden ethischen Entscheidung liegt, und andererseits generell die ekklesiologische Relevanz der Ethik als der praktische Bewährungsfall der Dogmatik hervorgehoben. Auch ethische Fragen können die Einheit der Gemeinde in Frage stellen, wie es tatsächlich ja auch immer wieder geschieht – eine Herausforderung, die uns in der Gegenwart immer deutlicher auf den Leib gerückt ist. Wenn die Kirche Kirche bleiben will, kann sie sich um der Einheit des Glaubens willen auch die ernsthafte Mühe um eine möglichst ausgewiesene Entsprechung zum Willen Gottes nicht ersparen. In einer Kirche, die nicht tot ist, sondern lebt, muß gerade das nicht nur möglich sein, ist gerade das notwendig: daß ihre Einheit tatsächlich je und je in Frage gestellt wird, um dann erst auf einer höheren Stufe, in einer weiteren Stunde ihrer Geschichte wiedergefunden u. zw. neu und besser wiedergefunden zu werden. (10)

Eine Kirche, die sich dieser Herausforderung nicht stellt, wird kaum für sich in Anspruch nehmen können, ihre politischen Entscheidungen in theologischer Verantwortung zu vollziehen. Nur diejenigen werden sich der Auseinandersetzung entziehen, die ihre politische Entscheidung nicht der sachlichen und theologischen Diskussion aussetzen wollen. Die Kirche hat praktisch keine andere Wahl als die, entweder ihre politische Verantwortlichkeit wahrzunehmen und sich damit dem Risiko solcher Krise auszusetzen, oder sich solche Krise zu ersparen, um dann ihrer politischen Verantwortung sicher nicht gerecht zu werden. […] Wer den politischen Auftrag der Kirche grundsätzlich kennt und anerkennt, der muß bereit sein, um Gottes Willen etwas Tapferes zu tun oder es sich mindestens gefallen zu lassen, wenn es an seiner Stelle nun eben vorläufig von Anderen getan wird. (14)

Wie Sachlichkeit und die Frage nach dem Willen Gottes zusammengehören, so nennt Barth für den konkreten Umgang mit politischen Entscheidungen drei weitere Anforderungen, die jeweils durch zwei zusammenzuhaltende Dimensionen charakterisiert werden: Nüchternheit im Sinne von Sachgemäßheit und Prophetie bzw. drängende Liebe, Mut und Demut und schließlich drittens Freudigkeit und Strenge. Dahinter steht die Dialektik der Entsprechung, die auch zutiefst um die

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bleibende Nichtentsprechung weiß; ihren beiden Seiten folgen auf der einen Seite die Entschiedenheit und auf der anderen das Wissen um die bleibende Vorläufigkeit all unserer Entscheidungen. Das Problem, um das es Barth in diesem Beitrag geht, ist prägnant zusammengefasst in einer kleinen Anekdote, die Busch in seiner Biographie erwähnt: Barth wird von aufgebrachten Disputanten gefragt, warum er seine politischen Ansichten so vortrage, dass zugleich die Ansichten der Gegenseite in Frage gestellt werden. Ohne sich von der Frage irritieren zu lassen, antwortet er mit der ebenso schlichten wie bezeichnenden Gegenfrage: „Warum tragen Sie Ihre Ansicht nicht in der gleichen christlichen Verbindlichkeit vor?“200 Ein besonderer Schatten fiel seinerzeit vor allem von denjenigen auf Barth, die es ihm gleich- bzw. einfach nachzumachen versuchten, indem sie ihre Predigten dazu benutzten, den Gemeinden unter Berufung auf ihren theologischen Lehrer zugespitzte politische Optionen ans Herz zu legen, ohne aber in entsprechender Weise die theologische Perspektive zu entfalten, durch welche sich dem christlichen Zeugnis eben diese oder jene Richtung nahelege. Solche Erscheinungen werden gewiss auch mit im Blick gewesen sein, wenn er sich immer wieder selbst nicht zu den „Barthianern“ zählte.201 An seine Freunde in Japan schreibt er 1956: Und nun möchte ich nicht, daß das Ergebnis meines Lebens die Bildung einer neuen Schule wäre. Ich pflege hier Jedermann, der es hören will, zu sagen, daß ich selbst jedenfalls kein „Barthianer“ bin: weil ich, nachdem ich Einiges gelernt habe, frei bleiben möchte, weiter zu lernen. […] Ein guter Theologe wohnt nicht in einem Gehäuse von Ideen, Prinzipien, Methoden. Er durchschreitet alle solchen Gehäuse, um immer wieder ins Freie zu kommen. Er bleibt unterwegs.202

Als abschreckend stand ihm dabei auch das zunehmend als problematisch empfundene Verhältnis insbesondere der deutschen Lutheraner zu Luther vor Augen, ohne sich mit Luther vergleichen zu wollen. Er sah eine beinahe manische Fixierung auf die eine idealisierte Person einer im Übrigen relativ beliebigen Inanspruchnahme gegenüberstehen, was weder dazu angetan war, Luther gerecht zu werden, noch der jeweiligen konkreten Herausforderung. Aber es gab auch Gründe, die er für diese Rezeption in Luther selbst angelegt sah, indem dieser immer wieder als autoritatives und überaus empfindliches Genie aufgetreten sei. Für Barth war Calvin darin ein Vorbild, dass er anders als Luther als sachlich konzentrierter Lehrer der Kirche aufgetreten sei, der den mitgehenden Leser nicht zwingt, „die Resultate seines Studiums zu übernehmen, wohl aber sein Studium aufzunehmen, in seiner Spur neuen Resultaten entgegen.“203 Wenn Barth sich selbst von seinen Schülern in problema-

200 Busch, Karl Barths Lebenslauf, 420. 201 Ich „bin nie Barthianer gewesen.“ Barth, Gespräche 1963, 21, vgl. 24, 29, 219. 202 Barth, Offene Briefe 1945–1968, 375. 203 Zit. n. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 455.

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tischer Weise in Anspruch genommen sah, identifizierte er darin eine besondere Gefährdung seines Anliegens, die sich aber offenkundig nicht ganz vermeiden ließ. Es waren nicht zuletzt diese ‚Barthianer‘, die Barth den zweifelhaften Ruf einbrachten, dass er den theologischen Nachwuchs in die Linksdrift seines Fahrwassers ziehe. Es blieb ein sensibles und immer wieder auch misslingendes Unterfangen, einerseits die politischen Fragen nicht theologisch zu usurpieren und damit für die Kirche ein besonderes politisches Mandat zu beanspruchen und andererseits aber in der Gemeinde darauf zu drängen, dass sie auch in ihren politischen Einschätzungen und Optionen nicht ohne eine wohl überlegte theologische Argumentation auskomme. Es geht nicht um Geschmacksurteile oder subjektive Neigungen, sondern um den Versuch, die jeweilige Lage so gut es irgend geht im Horizont des je heute zu vernehmenden Wortes Gottes zu erwägen. Diese interne Abwägung könne sich die Kirche/Gemeinde grundsätzlich nicht ersparen, auch wenn die schließlich ins Auge gefasste Option nicht mehr ist als eine der gerade zur Debatte stehenden profanen Möglichkeiten. Mit dem von Barth propagierten Wächteramt verbindet sich keine Bevormundung oder gar eine Weisungsbefugnis der Kirche, sondern mit ihrem Wächteramt nimmt die Kirche ihre gesellschaftliche Verantwortung durch ihre Beteiligung an den allgemeinen demokratischen Auseinandersetzungen wahr. Nichts lag Barth ferner als eine Verkirchlichung der Politik204, was sich besonders deutlich in seiner entschiedenen Ablehnung der Gründung einer christlichen Partei in Deutschland – konkret der CDU – zeigte. 1946 fragte Barth Gustav Heinemann, der sich in einem Brief an ihn für die Gründung einer christlichen Partei ausgesprochen hat: Solle man in Deutschland aus der englischen, amerikanischen – ich kann hinzufügen: auch aus der schweizerischen – Entwicklung nicht lernen, daß man die allerdings bitter notwendige Herstellung einer positiven Beziehung zwischen der Kirche und der politischen Aufgabe gerade nicht auf dem Weg einer christlichen Parteibildung realisieren wollen sollte?205

So wichtig es ihm war, dass die Kirche und auch die einzelnen Christen ihren „politischen Gottesdienst“ ernst nehmen und solide bedenken müssen, so energisch wandte er sich gegen die Vorstellung, dass es so etwas geben könne wie christliche Politik. Partei und ‚christlich‘ stehen per se in einem unaufhebbaren Spannungsverhältnis zueinander. Es gibt Christen in der Politik – jede Christin und jeder Christ sind zu politischer Verantwortung aufgerufen –, aber es gibt keine christliche Politik, weil gerade die programmatischen Fixierungen, die das Wesen von Parteien ausmachen, in einem Gegensatz zu der die christliche Existenz auszeichnenden Freiheit und der allein an sie gebundenen Verantwortlichkeit stehen. Christen „werden in

204 Vgl. Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 19 f. 205 Barth, Offene Briefe 1945–1968, 62.

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jeder Partei gegen die Partei für das Ganze und gerade so im primären Sinn politische Menschen sein.“206 [Der christlichen Gemeinde] muß doch alles daran liegen, daß die Christen sich im politischen Raum, wo sie die alle Menschen angehende christliche Botschaft im Gleichnis ihrer von daher begründeten Entscheidungen zu vertreten und hörbar zu machen haben, gerade nicht zusammenballen, sich gerade als die zeigen und verhalten, die, indem sie ihren besonderen Weg gehen, nicht gegen Irgendwelche, sondern schlechterdings für Alle, für die gemeinsame Sache der ganzen Bürgergemeinde sind. Im politischen Raum kann ja die Christengemeinde gerade das Christliche, nämlich ihre Botschaft, gar nicht direkt, sondern eben nur im Spiegel ihrer politischen Entscheidungen sichtbar machen und können diese Entscheidungen nicht dadurch, daß sie christlich begründet, sondern allein dadurch, daß sie politisch besser, zur Erhaltung und zum Aufbau des Gemeinwesens faktisch heilsamer sind, einleuchtend gemacht und zum Sieg geführt werden. […] Im politischen Raum können nun einmal die Christen gerade mit ihrem Christentum nur anonym auftreten. (37 f)

Ein weiteres Mal kam Barth allein aus dem Grund ins Gerede, weil er sich nicht zu Wort gemeldet hat, nämlich 1956 im Zusammenhang des Ungarn-Aufstandes und seiner gewaltsamen Niederschlagung. Ganz davon abgesehen, dass Barth es grundsätzlich nicht als seine Aufgabe sah, in bereits laut tönende Chöre auch noch einzustimmen, war er der Meinung, dass sich der Kommunismus in Ungarn selber sein Urteil spreche, das keiner weiteren Kommentierung bedürfe. Barth sah, dass es nicht darum ging, ihn nun noch zu einer Stellungnahme zu drängen, sondern aus seinem Schweigen propagandistisches Kapital zu schlagen, indem er ein weiteres Mal zu einem „heimlichen Prokommunisten“ gemacht werden sollte.207 Die Frage, warum er sich nicht äußere, galt bereits selbst als eine Deskreditierung, so dass sich Barths anstößige Position im Grunde bereits gezeigt habe, ganz gleich, wie er nun auch auf diese Provokation öffentlich eingegangen wäre. Der nächste Konflikt war 1957/58 mit der Frage der atomaren Rüstung verbunden, in der sich für Barth die Gefährlichkeit des Kalten Krieges mit besonderer Brisanz zeigte. Er schloss sich dem Appell Albert Schweitzers und deutscher Wissenschaftler an. Im Januar 1958 folgte Barth einer Bitte aus den Kreisen der Bruderschaften um Unterstützung im Kampf gegen die Stationierung atomarer Waffen auf dem Gebiet der Bundesrepublik und formulierte zehn Thesen, denen er den Ratschlag hinzufügte, seinen Namen nicht nennen, damit die Thesen eine Chance bekämen.208 Mit einer geringfügigen Änderung machten sich die kirchlichen Bruderschaften im Februar 1958 die Thesen zu eigen und überstellten sie zur Beratung und Beschlussfassung an die Synode der EKD. Ihre Pointe bestand darin, dass eine Zustimmung zur Nuklearbewaffnung oder auch nur eine Neutralität in dieser Frage 206 Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 42 f. 207 Vgl. Barth, Offene Briefe 1945–1968, 412. 208 Vgl. Möller, Im Prozess des Bekennens, 50 f. Barths Urfassung der Thesen ebd., 393.

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dem Bekenntnis des christlichen Glaubens entgegenstehe. Es ging also wieder um den status confessionis, über den Barth sich in seiner Schrift über die „Politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens“ bereits 1952 klar geäußert hatte. Ziel war eine generelle Ächtung der Nuklearwaffen, da der Atomkrieg in keinem Sinne mehr ein gerechter Krieg sein könne, weil er allein der Vernichtung Aller diene. Sie sind grundsätzlich kein Mittel der Verteidigung, sondern in jeder Hinsicht nur ein Mittel der Bedrohung. Diesmal gab es neben der gewohnten scharfen Ablehnung zwar auch eine deutliche Unterstützung bis hinein in die Reihen der Anhänger der CDU, aber das hat weder die EKD Synode oder auch nur eine der Kirchenleitungen der Landeskirchen noch die Politik tatsächlich beeindruckt.209 Es kam dann nach einem langen Beratungsprozess eines von der EKD einberufenen Ausschusses 1959 unter maßgeblicher Beteiligung von Carl Friedrich von Weizsäcker zu den Heidelberger Thesen, in denen die Abschreckung mit Atomwaffen als eine „heute noch mögliche christliche Handlungsweise“ anerkannt wurde (These 8).210 Dass in dieser Situation sein Mitstreiter von Barmen, Hans Asmussen, der sich zwischenzeitlich Schritt für Schritt von Barth distanziert hatte, der Aussage dieser Thesen, dass nämlich schon die Vorbereitung des Atomkrieges als Sünde zu bezeichnen sei, diametral mit der Behauptung widersprach, dass auch die Unterlassung des Abwurfs einer Atombombe Sünde sein könne, gehört zu den schmerzlichen Erfahrungen, dass sich einstige Weggenossen später öffentlich gegen ihn positioniert haben.211 Besser als mit den meisten Kirchenrepräsentanten hatte sich Barth in dieser Frage beispielsweise mit dem Kabarettisten Hanns Dieter Hüsch verstanden, dessen Veranstaltungen er gern besuchte und mit dem er auch persönlichen Kontakt pflegte. Auf einem in Basel verbotenen und dann in London abgehaltenen Internationalen Kongress gegen die Atomrüstung ließ Barth Fritz Lieb eine solidarische Grußadresse von ihm verlesen, in welcher er sich erneut für eine Entspannung in dem besinnungslosen Ost-West-Antagonismus aussprach, von der dann auch für die Atomfrage eine Ernüchterung ausgehen könne.212 Dass Barth hier auch auf der östlichen Seite Inkonsequenzen zu beklagen hatte, für die er sich allerdings weniger zuständig fühlte, zeigt sich immerhin deutlich genug darin, dass er sich gegenüber der mit Prag verbundenen Christlichen Friedenkonferenz (CFK), in welcher er manche seiner engagierten Freunde mitwirken sah, durchaus bedeckt verhielt. Die Angst, die in der Regel hinter dem Heulen mit den Wölfen stehe, könne schlicht der Ausdruck gelebter Gottlosigkeit sein, der dann auch nicht anders als im rechten und fröhlichen Glauben beizukommen sei. Seine in diesem Sinne in einem langen offenen Brief „An einen Pfarrer in der Deutschen Demokratischen Republik“ (411– 439) dargelegte Position erregte dann nicht nur im Westen, sondern diesmal auch von den offiziellen Stellen im Osten Anstoß, während sich die betroffenen Chris209 Vgl. zum Ganzen ebd., 42–85; Greschat, Protestantismus im Kalten Krieg, 280 ff. 210 Heidelberger Thesen (Hervorhebung M.W.; s. Literaturverzeichnis unter: Quellen). 211 Vgl. auch zum Folgenden Busch, Karl Barths Lebenslauf, 446–450. 212 Vgl. Barth, Offene Briefe 1945–1968, 455–458.

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ten positiv angesprochen fühlten. Es war dieser Brief, der Bundespräsident Theodor Heuss dazu veranlasste zu verhindern, dass Barth im Herbst 1958 der „Friedenspreis des deutschen Buchhandels“ verliehen wurde, der dann an seinen philosophischen Kollegen in Basel Karl Jaspers ging. Offenkundig stieß Barth mit seinen Äußerungen ebenso wie mit seinem Schweigen zunächst verbreitet immer wieder auf vehemente Ablehnung, auch wenn es stets Einzelne gegeben hat, die sich mit ihm auch öffentlich solidarisierten. Anstelle des spontanen Erfolges kann allerdings eine durchaus bemerkenswerte Langzeitwirkung registriert werden, indem seine offensiv demokratischen Ansichten – wenn auch nicht gleich in den Kirchenleitungen – in der aufgeschlossenen Theologenschaft und bei engagierten Gemeindegliedern mehr und mehr Resonanz finden und dann auch über die Gemeinden hinaus in der Gesellschaft Wirkung zeigen. Auch wenn gewiss unterschiedliche Gründe im Spiel waren, wurde 1966 beispielsweise seine auch politisch pointierte Stellungnahme gegen die Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“ weithin zustimmend zur Kenntnis genommen und in der Folgezeit immer wieder positiv rezipiert. In seiner sehr kurzen Stellungnahme fragte er die 25 000 Teilnehmer an der Großveranstaltung in der Dortmunder Westfalenhalle: Seid ihr willig und bereit, eine ähnliche „Bewegung“ und „Großkundgebung“ zu starten und zu besuchen: Gegen das Begehren nach Ausrüstung der westdeutschen Armee mit Atomwaffen? Gegen den Krieg und die Kriegsführung der mit Westdeutschland verbündeten Amerikaner in Vietnam? Gegen die immer wieder sich ereignenden Ausbrüche eines wüsten Antisemitismus (Gräberschändungen) in Westdeutschland? Für einen Friedensschluß Westdeutschlands mit den osteuropäischen Staaten unter Anerkennung der seit 1945 bestehenden Grenzen? Wenn euer richtiges Bekenntnis zu dem nach dem Zeugnis der Heiligen Schrift für uns gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus das in sich schließt und ausspricht, dann ist es ein rechtes, kostbares und fruchtbares Bekenntnis. Wenn es das nicht in sich schließt und ausspricht, dann ist es in seiner ganzen Richtigkeit kein rechtes, sondern ein totes, billiges, Mücken-seigendes und Kamele-verschluckendes und also pharisäisches Bekenntnis. (520 f)

Der Pietismus und die Erweckung, auf welche sich die Bekenntnisbewegung so ausdrücklich beruft, gehören mit der betonten Pflege der eigenen Frömmigkeit und der Betonung der Bekehrung für Barth nicht nur historisch in das 18. und 19. Jahrhundert, sondern auch sachlich in den vorherrschenden selbstbezogenen Anthropozentrismus dieser Zeit. Die politisch folgenlose Frömmigkeitspflege, die sich zudem über den Weg plakativer Evangelisationen an die große Öffentlichkeit als der rechte Weg empfahl, blieb Barth auch dort anstößig, wo sie sich auf theologisch richtige Einsichten stützte – ‚richtig‘ und ‚recht‘ können durchaus entgegengesetzte Bewegungsrichtungen bezeichnen.

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Das politische Engagement Barths stand – zumindest seit 1938 – in Zeichen des Prophetischen, das in besonderer Weise die Wahrnehmung des sogenannten Wächteramtes der Kirche beflügelt. Es geht um die Beteiligung der Gemeinde am prophetischen Amt Jesu Christi, dem Barth im dritten Teil seiner Versöhnungslehre eine exponierte Bedeutung zumisst, die deutlich über das hinausgeht, was in der theologischen Tradition bisher unter dem prophetischen Amt Jesu Christi verhandelt wurde. Die unmittelbare Konsequenz der Auferstehung, die Barth für die Theologie als das „Axiom aller Axiome“ (KD IV/1, 382) hervorhebt, ist der Umstand, dass unsere Zeit in erster Linie eine Zeit ist, in welcher der Auferstandene zur Rechten Gottes sitzt. Das Geschick der Welt ist nicht einfach ihr selbst oder – worauf heute allerdings auch kaum noch jemand käme – dem Engagement der Kirche überlassen. Barth geht von dem Wirklichkeitscharakter des Christusgeschehens aus und rückt somit Gottes Herrschaft über die Welt in das Licht des Versöhnungshandelns Christi, weshalb die Geschichte – auch wenn es noch sehr den Anschein haben mag – weder einem mehr oder weniger kontingenten Schicksal ausgeliefert ist noch einfach in den tatsächlich doch unzuverlässigen Händen des Menschen liegt. Es ist der bereits zu Ostern wiedergekommene und nun bis zu seiner endgültigen Wiederkunft immer noch wiederkommende Christus,213 welcher der Geschichte eine Finalität gibt, die sich nicht einfach an den vorgängigen Ereignissen ablesen lässt, sondern allein vom Glauben und der von ihm geschärften Wahrnehmungsfähigkeit orientiert wird. In ihrer Teilnahme an der Geschichte folgt die christliche Gemeinde nicht der vermeintlich besten unter den miteinander in Konkurrenz stehenden Weltverbesserungsoptionen. Sie hat kein eigenes Konzept, dem sie nun mit ihrem Engagement zur Durchsetzung zu verhelfen versucht, indem sie der sie umgebenden Welt die entsprechenden Ratschläge erteilt. Vielmehr belässt sie den Gesamtzusammenhang im Horizont der providentia Dei – der gnädigen Fürsorge, die Gott seiner Schöpfung zuteilwerden lässt –, ohne deshalb dem Geschehen einfach seinen Lauf zu lassen. Ihre Aufmerksamkeit gilt der im Wort Gottes zu vernehmenden Lebensrichtung, d. h. der heute zu vernehmenden Selbstvergegenwärtigung des Auferstandenen, der sich als sein eigener Prophet vergegenwärtigt und damit die Gemeinde an seiner Prophetie beteiligt. Damit wird eine Dimension der Existenz der Gemeinde angesprochen, die das ganze Leben der Gemeinde umfasst und ebenso wenig nur auf das Politische beschränkt werden darf, wie es dieses etwa umgehen könnte. Im Blick auf ethische Perspektive spricht Michael Beintker von einer „christonom gebundenen Situationsethik“214, die sich besonders in dem prophetischen Wächteramt der Gemeinde Ausdruck verschaffe. Sie ist nicht einer benennbaren gesellschaftspolitischen Konzeption verpflichtet, sondern bleibt darauf verwiesen,

213 Barth unterscheidet diese drei Formen der Parusie: ihr Anheben, ihre Gegenwart und ihre eschatologische Vollendung; vgl. Kap. IV.5.3.3. 214 Beintker, Die politische Verantwortung der Christengemeinde, 155, 165.

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„von Fall zu Fall, von Situation zu Situation urteilen“215 zu müssen. Hier zeigt sich der tatsächliche Anspruch, der auf dem je aktuellen Hören liegt. Das Prophetische erwächst aus den sich in diesem Hören auftuenden Erschließungen der Hoffnung, die auf das Reich Gottes ausgerichtet ist. Insofern kann grundsätzlich keine gegen die Welt gerichtete Kritik zur Debatte stehen, denn es geht in jedem Fall um ein besonderes Eintreten für die Welt. Ein schlichter Konformismus ist damit ebenso ausgeschlossen. Bereits in der Grundlegung seiner Ethik in der Erwählungslehre (1942) orientiert Barth den Begriff der Verantwortlichkeit ganz und gar an der lebendigen Beziehung zwischen Gott und Mensch, in welcher der Mensch „Gottes Wort hört und als Hörer dieses Wortes handelt“ (KD II/2, 607). – Das ist der theologische Reflexionshorizont, in dem Barths zugespitzte Positionierungen verstanden und abgewogen sein wollen. 9. Auf dem Bruderholz Mit dem Abschluss des 70. Lebensjahres hätte Barth 1956 regulär emeritiert werden müssen, sein Dienstverhältnis wurde jedoch ausnahmsweise vorläufig verlängert. Bereits im Oktober 1955 war er umgezogen von der Pilgerstraße in die Bruderholzallee 26. Zwar bliebt auch die neue Wohnung der Ausgangspunkt für zahlreiche Exkursionen – beispielsweise kommt es noch zu der immer wieder aufgeschobenen Reise in die USA –, aber zugleich bekam der Lebensmittelpunkt eine zunehmende Bedeutung, einerseits als Rückzugsraum angesichts der anhaltend überdurchschnittlichen Beanspruchung und andererseits als gern aufgesuchter Begegnungsort für eine wachsende Anzahl von Besuchern aus aller Welt.216 Bis zu seinem Lebensende verbrachte er regelmäßig geraume Zeit an seinem Schreibtisch, auch wenn die Erholungspausen schließlich aufgrund nachlassender Kräfte immer mehr Zeit beanspruchten. Zugleich empfing er neben seinen Freunden die unterschiedlichsten Gäste, die ihn um eine Begegnung ersuchten – bis hin zu Neugierigen aus den USA, denen vor allem an einem Foto von ihm gelegen war, die er dann gern auf den Baseler Zoo verwies, weil er sich als ein touristisches Besichtigungsziel missbraucht fühlte. In das Jahr 1956 fiel nicht nur sein feierlich begangener 70. Geburtstag, sondern auch der allseits gewürdigte 200. Geburtstag von Wolfgang Amadeus Mozart. Barths Geburtstag, der auf einem Himmelfahrtstag lag, begann mit einem Gottesdienst in der Baseler Strafanstalt, wo er seit zwei Jahren immer wieder predigte, nicht ohne einige der Insassen auch in ihren Zellen besucht zu haben. Es war gelegentlich zu vernehmen, dass man schon im Baseler Gefängnis einsitzen müsse, um Barth pre-

215 Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 16. 216 Schon Karl Kupisch hat in seiner Barthbiographie für den letzten Lebensabschnitt Barths zu dieser Überschrift Zuflucht genommen.

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digen hören zu können.217 Angesichts der anschließend in seinem Hause und dann insbesondere im Rahmen der offiziellen Feier am 11. Mai gehaltenen Festreden und den dort überreichten diversen Festschriften, fragte er: „Was aber hätte Kierkegaard zu solcher Veranstaltung gesagt? Was […] wäre vom NT her dazu zu bemerken?“218 Aber die Bedenken solcher Art hinderten ihn nun gerade nicht, sich in besonderer Weise auch aktiv an dem Mozart-Jubiläum zu beteiligen. Neben einigen Gedenkartikeln – insbesondere seinem berühmt gewordenen „Dankbrief an Mozart“ im Himmel – hielt er bei der offiziellen Feier in Basel, die im Rundfunk übertragen wurde, die Gedenkrede,219 was ihm im Vorlauf die nicht immer ungetrübte Freude einbrachte, sich eingehend mit der musikwissenschaftlichen Diskussion über Mozart beschäftigen zu müssen, die in seinen Bücherregalen längst einen breiten Platz für sich beanspruchte. Barth preist Mozarts Freiheit, in der er sein Leben ganz und gar in den Dienst der Musik stellt und nicht umgekehrt die Musik für sich oder für irgendwelche philosophischen, moralischen oder gar weltanschaulichen Botschaften in Anspruch nimmt. In ihrer Mitte ereignet sich eine herrliche Störung der Balance, eine Wendung, in deren Kraft das Licht steigt und der Schatten, ohne zu verschwinden, fällt, die Freude das Leid, ohne es auszulöschen, überholt, das Ja stärker als das immer noch vorhandene Nein zum Klingen kommt. […] Gleichgewicht und also Ungewißheit und Zweifel wird man in Mozarts Musik nie wahrnehmen. Das gilt von seinen Opern wie von seiner Instrumentalmusik und erst recht von seinen kirchlichen Werken. Ist da nicht jedes noch so tief ansetzende Kyrie oder Miserere wie getragen von der Zuversicht, daß das angerufene Erbarmen längst Ereignis ist? Benedictus qui venit in nomine Domini! In Mozarts Version ist er offenbar schon gekommen. Dona nobis pacem! Das ist bei Mozart allem zum Trotz schon erfüllte Bitte. Schon darum ist gerade seine kirchliche Musik allen bekannten Einwänden zuwider als wahrhaft geistliche Musik zu bezeichnen. Mozart hat nie gejammert, nie gehadert. Er hätte es wohl auch tun können. Er vollzog aber an Stelle dessen immer diese tröstliche, diese für jeden, der sie vernimmt, köstliche Wendung. Das scheint mir, sofern man das annähernd sagen darf, das Geheimnis seiner Freiheit und damit der Inbegriff seines Besonderen zu sein, nach dem wir uns eingangs gefragt haben. (45 f)

Jeden Morgen ertönte im Hause Barth die Schallplattenaufnahme eines Mozartwerkes, und nicht selten wurde auch abends zur Entspannung ein bewusst für den zu Ende gehenden Tag ausgewähltes Werk Mozarts zu Gehör gebracht. Seine Frau sollte ihren Mann schließlich unter Klängen Mozarts, mit denen sie ihn zu wecken pflegte, am 10. Dez. 1968 offenkundig friedlich entschlafen in seinem Bett finden. Viele seiner Reisen waren nun damit verbunden, Ehrendoktorhüte oder andere Ehrungen wie etwa 1963 den renommierten Sonning-Preis in Kopenhagen entgegenzunehmen. Zu Weihnachten 1959 wartete „Der Spiegel“ mit der Titelgeschichte „Got217 Vgl. Nachbemerkungen v. Martin Schwarz zu Barths Predigtband „Den Gefangenen Befreiung“. 218 Zit. n. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 432. 219 Seine Beiträge sind gesammelt in: Barth, Wolfgang Amadeus Mozart.

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tes fröhlicher Partisan. Dialektischer Theologe Karl Barth“ auf. Die Rundfunkanstalten bemühten sich, Barth für Interviews sowohl zu theologischen (religiösen) als auch zu zeitgeschichtlichen Fragen zu gewinnen. Neben verschiedenen anderen Ehrungen und Mitgliedschaften in für maßgebend gehaltenen wissenschaftlichen Akademien erhielt er – und nicht, wie er bemerkte, ein vom Sprachgeschehen bewegter Hermeneutiker (gemeint ist Gerhard Ebeling) – als Würdigung der „Sprachkraft seiner wissenschaftlichen Prosa“ noch kurz vor seinem Tod im Oktober 1968 den „Sigmund-Freud-Preis“, den er dann nicht mehr persönlich entgegennehmen konnte.220 An der Stelle von ausgearbeiteten Vorträgen bevorzugte Barth es zunehmend, sich zu teilweise sehr ausführlichen Gesprächen – sogenannten „Fragebeantwortungen“ – einladen zu lassen. Die in drei Bänden der Gesamtausgabe dokumentierten Gespräche zeigen eindrucksvoll, wie präsent und pointiert er auch kompliziert vorgetragene Fragen aufzunehmen und abzuwägen verstand. Einerseits galt er als die überragende theologische Autorität dieser Zeit, während sich zugleich auch Stimmen zu Worte meldeten, die diesen Stern bereits verblassen sahen. Barth war ausdrücklich positiv zu diesen „Fragebeantwortungen“ eingestellt, entsprachen sie doch auch in besonderer Weise seinem spontanen Temperament und seiner rhetorischen Begabung. In einem Gespräch mit Bruderschaftsvertretern aus Württemberg sagte er: Ich glaube, die Zeit der großen Vorträge, wo einer so stundenlang redet, und die Anderen sind verdammt, dem nun zuzuhören, was dem alles in den Sinn gekommen ist, was er da aufs Papier gebracht hat oder was durch seinen Kopf geht, diese Zeit ist vielleicht – nicht nur für mich, sondern vielleicht überhaupt ein bißchen vorbei. Sondern was wir nötig haben in der Theologie und in der Kirche, sind […] „Gespräche“ […]: daß man miteinander redet und miteinander dann vorzudringen versucht zu Antworten, statt daß da jemand irgendwie, als ob ihm der Heilige Geist diktiert hätte, den Anderen etwas vorzutragen versucht.221

Er konnte sich in den konkreten Gesprächsverläufen mit seinen Antworten weit außerhalb der von ihm bevorzugten Formulierungen bewegen und fand sich beinahe durchgängig bereit, auch in die Blickrichtung seiner Kritiker zu blicken, denen er dann aber auch abverlangte, sich begründet und ausgewiesen zu artikulieren. In dem unvollendeten Manuskript zu seinem letzten dann nicht mehr gehaltenen Vortrag erinnert sich Barth: Mir hat vor Jahren ein junger Mann in einer Versammlung von Pfarrern entgegengeschmettert: „Herr Professor, Sie haben Geschichte gemacht, aber nun sind sie auch Geschichte geworden. Wir Jungen aber sind im Aufbruch zu neuen Ufern!“ Ich antwortete ihm: „Wie schön, das höre ich gern, erzählen Sie uns etwas von diesen neuen Ufern!“ Er wußte nur leider nichts davon zu erzählen.222 220 Vgl. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 512. 221 Barth, Gespräche 1963, 44. 222 Barth, Aufbrechen – Umkehren – Bekennen, 65.

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Barth spielt hier in der Erinnerung auf ein ausführliches Gespräch mit rheinischen Jugendpfarrern im November 1963 in Basel an (vgl. Kap. V.5, S. 448 f). Tatsächlich war es hier in unvergleichlicher Weise zu einer heftigen Auseinandersetzung mit ihm gekommen, in der ihm unter anderem vorgeworfen wurde, dass er sich – wie auch das gerade geführte Gespräch bestätige – die ihm unliebsamen Positionen schon rhetorisch so zurechtlege, dass sich eine weitere Diskussion von selbst erübrige. Ihm wurde entgegengehalten, dass er sich den in diesen Positionen enthaltenen Anfragen nicht ernsthaft stelle, was sich dann in der gegen ihn gerichteten Feststellung zuspitzte: „Ich glaube nicht, daß eine sachliche Diskussion noch möglich ist.“223 Barth sah sich damit gleichsam vor die Tür gesetzt, was er aber angesichts der Tatsache seiner nach wie vor lebendigen Anteilnahme am Leben der Kirche kaum als eine für die Gemeinde in Frage kommende Lösung der Situation ansehen könne. Vielmehr gelte es in dem weiter zu führenden Gespräch vor allem darüber zu diskutieren, ob die neuere Theologie tatsächlich zu neuen Ufern aufgebrochen oder nicht eher im Begriff sei, einschließlich der Bultmannschule die Regression ins 19. Jahrhundert anzutreten. In dieser Meinung sah sich Barth vor allem durch die aufkommende Gott-ist-tot-Theologie in den USA und den bedenklich stimmenden riesigen Erfolg des kleinen Buches von John A. T. Robinson „Gott ist anders – Honest to God“ (1963, 13. Aufl. 1967) bestätigt. Wenn Barth die Begrüßung der Erneuerung in der Katholischen Kirche gern mit der gleichzeitig ausgesprochenen Warnung verband, nun im Eifer des Gefechts nicht zu protestantisch zu werden, hatte er wohl vor allem die – wie er schreiben konnte – „Plattfußtheologie des Bischof von Woolwich“224 im Sinn. Seine aufrichtige Bereitschaft zur Selbstrelativierung war verbunden mit dem theologischen Anspruch, dass die Einsprüche und Neuorientierungen das von der Theologie erreichte sachliche Niveau zu halten in der Lage seien und nicht wieder in Fragestellungen und Lösungsoptionen zurückfielen, deren Unzulänglichkeit oder gar Kurzschlüssigkeit bereits als erkannt gelten könnten bzw. sollten. Sein anhaltendes Plädoyer für die Offenheit der Theologie für das in der Bibel immer wieder neu zu vernehmende Wort Gottes, sein leidenschaftlicher Einsatz für die Wahrung der die Theologie ausmachenden Freiheit war keine Erlaubnis zu theologischer Nachlässigkeit oder gar Beliebigkeit, sondern eine Ermutigung zu der eigenen sachgemäßen Antwort auf die heute wahrgenommene Anrede Gottes – die entscheidende theologische Herausforderung liegt in dem „sachgemäß“. Aufgrund der nachlassenden Kräfte wollte Barth nun nach Vollendeng seines 75. Lebensjahres nach dem Sommersemester 1961 seine Lehrtätigkeit definitiv beenden, so dass auch die Bemühungen um einen Nachfolger in vollem Gange waren. Doch im Sommer konnte nicht wie erwartet über die Nachfolge entschieden werden, weil nicht nur in Basel, sondern auch in der übrigen Schweiz ein heftiger – auch öffentlich ausgetragener – Streit über den von Barth favorisierten Kandidaten, nämlich den inzwischen in Berlin lehrenden Helmut Gollwitzer, entbrannt war. Die 223 Barth, Gespräche 1963, 315. 224 Vorbemerkung zur Neuauflage 1964 von Rudolf Bultmann. Ein Versuch ihn zu verstehen, 5.

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Entscheidung fiel schließlich auf den weniger profilierten Heinrich Ott, von dem man sich offenkundig eine weniger aufsehenerregende Amtsführung versprach. Wegen der sich hinziehenden Verhandlungen entschloss sich Barth, gleichsam seinen Nachfolger für das Wintersemester 1961/62 zu vertreten. Vor einem während des Semesters noch anwachsenden Publikum hielt er in einem großen Hörsaal und schließlich in der Aula der Universität eine Vorlesung mit dem schlichten Titel „Einführung in die evangelische Theologie“, in welcher er nun gerade nicht versuchte, den theologischen Extrakt seiner Dogmatik vorzutragen. Vielmehr wollte sich Barth ausdrücklich im Sinne einer Einführung Rechenschaft darüber ablegen, „was ich auf dem Feld der evangelischen Theologie fünf Jahre als Student, zwölf Jahre als Pfarrer und dann vierzig Jahre als Professor auf allerlei Wegen und Umwegen bis jetzt grundsätzlich erstrebt, gelernt und vertreten habe.“225 In einer Art theologischem Testament denkt Barth weithin ohne ambitionierte Abgrenzungen in vier jeweils vierteiligen Kapiteln über den „Ort der Theologie“, die „theologische Existenz“, die „Gefährdung der Theologie“ und schließlich über die „theologische Arbeit“ nach. Wichtig für sein Selbstverständnis bleibt der für jede angemessen betriebene Theologie zu reklamierende ökumenische Anspruch: Nicht alle „protestantische“ ist evangelische Theologie. Und es gibt evangelische Theologie auch im römischen, auch im östlich-orthodoxen Raum, auch in den Bereichen der vielen späteren Variationen und auch wohl Entartungen des reformatorischen Neuansatzes. Mit „evangelisch“ soll hier sachlich die „katholische“, die oekumenische (um nicht zu sagen: die „konziliare“) Kontinuität und Einheit all der Theologie bezeichnet sein, in der es inmitten des Vielerlei aller sonstigen Theologien und (ohne Werturteil festgestellt) verschieden von ihnen darum geht, den Gott des Evangeliums, d. h. den im Evangelium sich kundgebenden, für sich selbst zu den Menschen redenden, unter und an ihnen handelnden Gott auf dem durch ihn selbst gewiesenen Weg wahrzunehmen, zu verstehen, zur Sprache zu bringen. (11)

Eine so verstandene Theologie ist ihrem Wesen nach eine „bescheidene Wissenschaft“ (13), die als solche eine „freie, d. h. ihren Gegenstand freigebende“ und zugleich durch ihren Gegenstand „befreite Wissenschaft“ (15) und zugleich „eminent kritische“ (16), aber eben auch in der Ermutigung durch ihren Gegenstand „fröhliche Wissenschaft“ (18) ist. Im Anschluss an die letzte Vorlesung am 1. März 1962, die dem Thema der Liebe gewidmet war, ergriff der Rektor der Universität Basel, der deutsche Wirtschaftswissenschaftler Edgar Salin, zur Verabschiedung Barths das Wort und hielt es dabei für angemessen, ein weiteres Mal kritisch auf Barths politische Haltung zu verweisen, was von dem Publikum dann aber mit deutlichen Unmutsbekundungen quittiert wurde. Diese Entgleisung zeigt, wie prägend sich die Konflikte um und mit Barth in das Gedächtnis eingeschrieben hatten. Im Vorwort der Veröffentlichung seiner 225 Barth, Einführung in die Evangelische Theologie, 7.

Auf dem Bruderholz

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Vorlesung schreibt Barth, das dies „kleine Drama oder Dramolet“ seinen „inneren Frieden in keiner Weise zu stören vermocht“ (8) habe. Befreit von seinen Lehrverpflichtungen trat Barth dann im Sommer 1962 seine immer wieder aufgeschobene Reise in die USA an226, die ihn in Begleitung von Charlotte von Kirschbaum und seinen Söhnen Christoph und Markus sieben Wochen lang quer durch das weitläufige Land mit unterschiedlichen Präsentationen – insbesondere die übersetzten ersten fünf Vorlesungsabschnitte aus seiner „Einführung in die evangelische Theologie“ – und zahlreichen Gesprächen brachte. Er sammelte viele unerwartet positive Eindrücke und stieß seinerseits sowohl bei der Presse – das Magazin „Time“ widmete seinem Besuch sogar eine Titelgeschichte – als auch bei dem in großen Zahlen zu seinen Vorträgen strömenden Publikum auf großes Interesse. Die ersten drei Wochen verbrachte er in Chicago, wo er in Kontakt mit den unterschiedlichsten Menschen kam und dort einen weiteren theologischen Ehrendoktor feierlich zuerkannt bekam. Auf einem Podium vor zwei- bis dreitausend Zuhörern regte er abschließend an, der am Individuum orientierten Liberalität, wie sie von der Freiheitsstatue von New York pathetisch symbolisiert werde (liberty), eine Theologie der Freiheit (freedom) entgegenzustellen, nicht zuletzt zur auch weltpolitisch bedeutsamen gründlichen Verabschiedung jeden Überlegenheitskomplexes. In Princeton war er Hörer einer Predigt von Martin Luther King und in Washington hatte er ein Gespräch mit einigen Mitgliedern des unmittelbaren Stabs von Präsident John F. Kennedy. Über Richmond, wo er seinen 76. Geburtstag feierte, verlief die Reise über Los Angeles und San Francisco schließlich nach New York, wo er das Union Theological Seminary besuchte. Er interessierte sich für die amerikanischen Gefängnisse, in die er auch einen ihn erschreckenden Einblick bekam, und erkundigte sich intensiv nach dem Stand der Entwicklung in der Rassenfrage. Mehr wird den Gastgebern gefallen haben, dass er auch ein lebhaftes Anschauungsinteresse an den Schauplätzen des amerikanischen Bürgerkrieges zeigte, der ihm aus seinen Geschichtsstudien durchaus deutlich präsent war. Schon nach dem einsemestrigen Abstand von der Universität bekam er wieder Sehnsucht nach den Studierenden, obwohl der Groll auf die Basler Universität noch nicht verflogen war. Er beschloss neben den Treffen seines Doktorandenkreises, zu dem sich u. a. auch einmal der Prager Marxist Milan Machovec zur Diskussion einladen ließ, ohne Ankündigung im Vorlesungsverzeichnis im benachbarten Restaurant „Bruderholz“ Seminare – Barth sprach von „Colloquien“ – anzubieten, die auch unerwartet schnell einen großen Zuspruch fanden (selbst das englischsprachige Seminar zählte 50–60 Teilnehmerinnen und Teilnehmer). Daneben gab es immer noch eine große Fülle von Verpflichtungen und Begegnungen, die häufig auch mit Reisen verbunden waren – allein 1963 dreimal nach Paris –, so dass erwartungsgemäß von einem Ruhestand nichts zu spüren war. Mit dem Jahr 1964 beginnt die Zeit, in der sich nun das Arbeitstempo Barths deutlich verlangsamte. In einem Rundbrief an seine Freunde teilt er mit: „Offenge226 Vgl. auch zum Folgenden Busch, Karl Barths Lebenslauf, 473 ff.

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Karl Barths Lebensweg

standen: ich hatte mir ja das Altwerden […] etwas leichter und hatte mir auch den sog. ‚Ruhestand‘ […] irgendwie vergnüglicher vorgestellt.“227 Mit einem operativen Eingriff im August 1964 begann eine Reihe mehrerer Krankenhausaufenthalte. Das Thema Gesundheit und Pflege wurde nun auch ein den Alltag zu Hause begleitendes Thema. Immer wieder wurde er von depressiven Stimmungen bedrückt. Besonders schmerzhaft traf ihn die Hirnerkrankung von Charlotte von Kirschbaum, die zum Jahreswechsel 1965/66 in ein Pflegeheim in Riehen gebracht werden musste, wo sie Barth – soweit es irgend ging – Sonntag für Sonntag mit dem von seinem ihm besonders nahestehenden Schwiegersohn Max Zellweger chauffierten Auto besuchte, um eine Weile bei ihr zu sein, die er nicht selten auch damit zu gestalten versuchte, dass er ihr einige Choräle vorsang. ‚Lollo‘ starb erst 1975 nach langem Leiden; sie wurde im Familiengrab der Barths beigesetzt, die Beerdigung wurde von Helmut Gollwitzer gehalten.228 Seit dem Herbst 1965 stand Eberhard Busch als persönlicher Assistent Barth bis zu seinem Tode zur Seite, der dann 1986 ein späterer Nachfolger Barths auf dem Lehrstuhl für Reformierte Theologie in Göttingen werden sollte.229 Auch die Predigten in der Strafanstalt konnten nicht mehr fortgesetzt werden; seine eigene Teilnahme am Gottesdienst geschah vorzüglich nur noch am Radio, wo er dann gern hintereinander den evangelischen und den katholischen Gottesdienst verfolgte. Da sich Barth nun entschlossen hatte, sich nicht weiter den Mühen der Weiterarbeit an seine Dogmatik zu unterziehen, wurde ihm verschiedentlich nahegelegt, auf sein Leben in einer Biographie zurückzublicken. Dieser Gedanke erschien ihm ebenso reizvoll wie auch merkwürdig, so dass er zwar die Arbeit daran aufnahm, um dann zugleich jede Möglichkeit zu nutzen, ihr wieder aus dem Wege zu gehen. Lieber erzählte er – gelegentlich ausführlich – aus seinem Leben, was Busch dann ausführlich in seinem Tagebuch aus dem Gedächtnis zu protokollieren pflegte. Aber Barth ließ sich nicht von der Vergangenheit bestimmen, auch wenn sie nun einen immer größeren Raum seines Interesses beanspruchte, sondern nahm weiter regen Anteil vor allem am Leben seiner großen Familie, in der sich schließlich die ersten Urenkel einstellten, an denen er eine besondere Freude hatte. Ebenso nahm er weiterhin interessiert Anteil an der theologischen Diskussion und den politischen Entwicklungen, auch wenn dies nun durchaus bewusst aus der Perspektive des Zuschauers geschah. Als Barth seinen achtzigsten Geburtstags beging, gedachte er all derjenigen, die nun schon gestorben waren, und freute sich an der illustren Schar seiner internationalen Gäste, denen auch die Gelegenheit geboten wurde, bereits am Tag vor der offiziellen Feier am 9. Mai in der Martinskirche an einem von Max Geiger geleitetes Mozart-Konzert teilzunehmen. Der nun amtierende Rektor der Basler Universität bemühte sich, den Eklat von 1962 im Anschluss an Barths letzte Vorlesung wieder auszubügeln. Neben der umfänglichen Festschrift „Parrhesia“ gab es zahlreiche Ansprachen, auf die Barth mit einer Dankesrede antwortete, in der er sich 227 Zit. n. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 487 f. 228 Vgl. Gollwitzer, Charlotte von Kirschbaum. 229 Vgl. dazu Busch, Meine Zeit mit Karl Barth.

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im Wissen, dass „allzu große Demut auch eine Gestalt des Hochmuts sein“ kann,230 einerseits für all die ihm erwiesene Ehre – nachdem er sie entschlossen relativiert hat – herzlich bedankte und andererseits darum bemühte, auf die ihm eigene Weise seinen Weg und die Rolle zu beschreiben, in denen er selbst sein Lebenswerk bestenfalls verstanden wissen mochte: Nun, es gibt ja in der Bibel einen richtigen Esel – es ist eigentlich eine Eselin, aber sagen wir also: einen Esel und der hat den Herrn Jesus nach Jerusalem tragen dürfen. Wenn ich etwas geleistet habe in diesem meinem Leben, so ist es die Leistung eines Verwandten jenes Esels, der damals immerhin mit einer gewichtigen Last seines Weges zog. Die Jünger haben vorher zum Besitzer gesagt: „Der Herr bedarf ihrer“. Und so scheint es Gott gefallen zu haben, daß er in unserer Zeit meiner bedurfte, so wie ich war, und trotz all des Fatalen, das mir nachzusagen ist und bleibt. Und dann bin ich auch gebraucht worden. […] Es brauchte in unserer Zeit offenbar eine etwas andere Theologie, als sie vorher da war, und nun durfte ich der Esel sein, der diese bessere Theologie wenigstens ein Stück weit tragen durfte und zu tragen versuchte, so gut ich das konnte. (619)

Es war im späten Sommer dieses Jahres, als sich Barth dann für eine knappe Woche zu der bereits erwähnten Romreise aufmachte, einerseits deutlich vom Alter gezeichnet und andererseits überaus präsent und klarsichtig. Weil er sich nie hinsichtlich der Erneuerungen irgendwelchen Illusionen hingegeben hatte, war er offen genug, sich von diesem Besuch in besonderer Weise beeindrucken zu lassen, immerhin so sehr, dass er später gelegentlich den Wunsch geäußert hat, ein weiteres Mal nach Rom eingeladen zu werden. Es blieb dann bei einer Korrespondenz. Allerdings fanden sich unter den Besuchern Barths, die nach wie vor nach Basel kamen, nun auch häufiger katholische Gruppen, die zu einer „Fragebeantwortung“ anreisten. Dass er auch in der Dogmatik sein letztes Wort noch nicht gesagt hatte, zeigt sich darin, dass er sich noch daransetzte, die bereits ausgearbeitete Tauflehre für den Druck zu bearbeiten, damit sie dann 1967 als erster Teil der von ihm geplanten Versöhnungsethik erscheinen konnte (KD IV/4). Er hatte sich ja schon gelegentlich Widerspruch eingehandelt mit seinem Vorschlag, die Säuglingstaufe als eine unordentliche Taufpraxis in Frage zu stellen. Es war für ihn eine grundlegende Frage der Ekklesiologie, die er in der Konsequenz des in Barmen formulierten Bekenntnisses sah, auch wenn ihm bewusst war, dass er kaum damit rechnen konnte, damit jetzt auf offene Ohren zu stoßen. In seinem Vorwort unterstreicht Barth, dass sich die in diesem Band geübte Kritik an der gängigen Taufpraxis erst von dem Positiven her erschließe, dem er mit seiner Entsakramentalisierung der Taufe „als Begründung des christlichen Lebens“ Raum verschaffen wolle. Und zugleich heißt es in für ihn klassischer Manier: Aber allerdings: auch das Positive, um das es mir geht, wird überall da unverstanden bleiben, wo man sich weigert, dem hier erhobenen Einwand gegen die herrschende Taufpraxis und 230 Barth, Dankesworte, 617.

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Karl Barths Lebensweg

die dahinter stehende herrschende Tauftheorie wenigstens Gehör zu schenken. Ich sehe voraus, daß ich mit diesem Buch, das nach menschlichem Ermessen meine letzte größere Veröffentlichung sein wird, noch einmal in der gewissen Einsamkeit auf dem theologisch-kirchlichen Plan stehen werde, in der ich ihn vor bald 50 Jahren betreten habe, daß ich mir also mit ihm einen schlechten Abgang zu verschaffen im Begriff stehe. Sei es denn! Der Tag wird kommen, an dem man mir auch in dieser Sache nachträglich Recht geben wird. (IV/4, XII f)

Aus Gesprächen mit kirchleitenden Persönlichkeiten wie Präses Joachim Beckmann und Präses Ernst Wilm wusste Barth um den zu erwartenden energischen Widerstand gegen seinen Vorstoß, der sich dann auch bald in einem Konflikt zwischen der Evangelischen Kirche von Westfalen und dem seinerzeit in Gütersloh tätigen Pfarrer Dieter Schellong in aller Deutlichkeit konkretisieren sollte.231 Nach dem Erscheinen dieses Teilbandes kam es zu keinen weiteren größeren Publikationen. Umso mehr stürzte sich Barth in die Lektüre keineswegs nur theologischer Provenienz. Einen großen Teil seiner Korrespondenz überließ er Eberhard Busch, mit dem er in ständigem Austausch stand und dem er – als dem designierten Autor einer Biographie – in langen und dennoch häufig kurzweiligen Gesprächen einen Einblick in so manchen Zusammenhang gewährte, den wir nun tatsächlich in dem von ihm verfassten Lebenslauf und dem inzwischen auch veröffentlichen Tagebuch aus den Jahren 1965 bis 1968 nachlesen können. Gewiss ist bei der Lektüre nun auch zu spüren, dass nicht alles, was da gesprochen wurde, für die große Öffentlichkeit gemeint gewesen war. Auch für eine neue Freundschaft war es nicht zu spät. Im Sommer 1967 besuchte er in Saas-Fee den Dichter Carl Zuckmayer mit der Wirkung, dass sich ein intensiver Briefwechsel zwischen beiden ergab und 1968 ein Gegenbesuch Zuckmayers in Basel stattfand.232 Am Montagabend nach dem zweiten Advent 1968 wurde Barth in seiner Vorbereitung für seinen Ökumenevortrag in Zürich durch einen Anruf von Eduard Thurneysen unterbrochen, und sie sprechen eine ganze Weile über die eher bedrückende als ermutigende Gegenwartslage. Barth ermutigt seinen Freund: „Aber nur ja die Ohren nicht hängen lassen! Nie! Denn – ‚es wird regiert‘!“233 Mit diesem Zitat von Christoph Blumhardt erinnert Barth an die Zeit des Anfangs ihrer langen und bewegten Verbundenheit. In der Nacht zum 10. Dezember ist Barth dann verstorben; seine Frau fand ihn am Morgen mit gefalteten Händen tot in seinem Bett. Der klein gehaltenen Beerdigung am 13. Dezember folgte am 14. mit zahlreich angereisten Freunden und auswärtigen Gästen im überfüllten Baseler Münster eine feierliche Gedenkfeier, auf der auch Mozart nicht fehlte.234

231 Vgl. dazu Schellong (Hg.), Warum Christen ihre Kinder nicht mehr taufen lassen. 232 Vgl. Zuckmayer/Barth, Späte Freundschaft in Briefen. 233 Busch, Karl Barths Lebenslauf, 515. 234 Vgl. Karl Barth 1986–1968. Gedenkfeier im Basler Münster.

III. Barth lesen

Es ist keineswegs selbstverständlich, gleich den rechten Zugang zur Theologie von Barth zu finden. Das spiegelt sich auch in dem Umstand, dass wir immer wieder auf Empfehlungen stoßen, wie denn Barth zu lesen sei.1 In der Tat gibt es eine sich früher oder später zeigende Hürde, die genommen werden muss, wenn man nicht unentwegt mit ihm anecken will. Diese Hürde tritt in seinen unterschiedlichen Texten nicht immer in gleicher Weise markant in Erscheinung. Den niedrigschwelligsten Zugang zu Barth bieten die Interviews und Gespräche, wie sie besonders der ältere Barth gerne anstelle von Vorträgen wahrgenommen hat, weil hier der von Barth geführte Dialog explizit geführt wird und die Fragen, auf die Barth zu antworten versucht, auch ausdrücklich formuliert sind; freilich sind es nicht unbedingt immer die Fragen, die auch für ihn im Vordergrund standen. Als nächstes kommen seine Aufsätze und Vorträge insbesondere aus den 1930er Jahren in Betracht. Sie erschließen sich meist unmittelbarer als die Überlegungen in der Kirchlichen Dogmatik, die einen längeren Atem und eine geduldige Konzentration erforderlich machen. Nicht selten werden Texte von Barth konsterniert zur Seite gelegt, weil sie so wenig für die Sache der Theologie werben und es unterlassen, die Leserinnen und Leser an die verschiedenen Themen der Theologie irgendwie vorsichtig heranzuführen, und stattdessen so unverschämt selbstverständlich die Lebendigkeit Gottes voraussetzen, wie sie sich in Jesus Christus gezeigt und von der die Theologie eben auch heute zu reden habe. Als Leserin oder Leser findet man sich beinahe ohne jede Vorwarnung in einen Horizont versetzt, in dem ganz eigene Voraussetzungen bestimmend sind, ohne dass sich diese erst einmal ordentlich legitimieren. Im Folgenden soll einerseits versucht werden zu zeigen, warum Barth zwar keine Hürde aufrichtet, wohl aber die angedeutete Irritation für theologisch unvermeidlich hält (vgl. Kap. III.1). Es gibt keinen Weg, der uns verlässlich zu dem Thema der Theologie führen könnte. Gott tritt nicht als Produkt unserer Erklärungs- oder gar Definitionsversuche in Erscheinung. Er wird nicht dadurch geweckt, dass wir ihn enthüllen. Weder die Theologie noch die Kirche kann tatsächlich zum Glauben führen, sondern sie werden umgekehrt von diesem auf ihren Weg gebracht. Ihr Gegenstand ist kein Objekt unserer Betrachtung, sondern zunächst einmal ihr 1

Vgl. u. a. Hunsinger, Karl Barth lesen; Neven, Barth lezen; Schellong, Barth lesen.

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Barth lesen

Subjekt, durch welches unsere Wahrnehmungen animiert werden. „Der Anfang unserer Erkenntnis Gottes […] ist nicht ein Anfang, den wir mit ihm machen könnten. Es kann immer nur der Anfang sein, den er mit uns gemacht hat.“ (KD II/1, 213) Nach Barth soll die Theologie der Dynamik ihrer Ermöglichung folgen, die als solche keine unserer Möglichkeiten darstellt. Dabei wird sie sich immer wieder neu gegen die niemals ganz abzustellende Versuchung der natürlichen Theologie zu besinnen und auf ihre Ermöglichung zu beziehen haben (vgl. Kap. III.2). Der damit verbundene Aktualismus sperrt sich im Verständnis von Barth gegen jede methodische Kanalisierung oder auch Archivierung in einem ständig zu erweiternden Traditionsbestand (vgl. Kap. III.3). Wenn Barth hervorhebt, dass Theologie theologia viatorum (viator = Wanderer, Reisender, Pilger) sei, liegt der Ton auf ihrer Vorläufigkeit und Unvollkommenheit, was aber niemals als Entschuldigung für Nachlässigkeit herangezogen werden kann (vgl. Kap. III.4). Theologie vollzieht sich in der vom Glauben geweckten Freiheit und Pünktlichkeit. Barth kann sie als „fröhliche Wissenschaft“ bezeichnen, die als solche auch eine eigene Schönheit hervorzubringen vermag. Diese zeigt sich bei Barth nicht zuletzt in der Bewegung der sie charakterisierenden besonderen Sprache, die in ihren bisweilen endlos erscheinenden Sätzen die Vielstelligkeit der Verknüpfungen anzeigt, von der sie geprägt wird.2 Zugleich weiß Barth auch, dass die Theologie in Verzweiflung führen kann, weil sie permanent mit ihren eigenen Grenzen konfrontiert wird, oder aber – was noch schlimmer ist – zur Hybris verführen kann, indem sie sich mit ihren Plausibilisierungen übernimmt und damit dem Geheimnis Gottes zu nahe tritt. Sie kann aber auch schlicht verlottern und sich selbst irrelevant machen, indem sie sich mit kulturwissenschaftlichen Selbstbetrachtungen zufriedengibt, für die sie ja durchaus keine eigene Kompetenz ins Feld führen kann (vgl. Kap. III.5). Bevor diese Aspekte eingehender betrachtet werden, soll noch ein allgemeiner Punkt angesprochen werden, der Barth in ein eher ungewohntes Licht rückt. Obwohl Barth nicht nur allseits bekannt gewesen ist, sondern auch mit vielen Zeitgenossen vor allem in brieflichem Kontakt gestanden hat, ist ihm immer wieder, nicht zuletzt aufgrund von eigenen Bekundungen (KD IV/4, XII), eine durchaus bemerkenswerte Einsamkeit attestiert worden.3 Immer wieder fand er sich in einer Situation, in der er alleine stand und sich gedrängt sah, stellvertretend für die im Übrigen schweigende Kirche das Wort zu erheben.4 Allzu oft fand er sich selbst in der von ihm beschriebenen Rolle des einzelnen Christen vor, der „nicht im Chor, sondern nun doch – in der Hoffnung, daß der Chor dereinst einfallen möchte – gar sehr Solo zu singen“ (KD III/4, 589) hatte. Aber auch in den regulären theologischen Auseinandersetzungen fühlte er sich weithin nicht angemessen, zumindest aber nur begrenzt verstanden. Was Paul Schempp bereits Ende der 1920er Jahre – also in einer Zeit, in der Barths Theolo2 3 4

Zur Sprache Barths vgl. Maurer, Sprache bei Barth. Zuletzt Hunsinger, The Loneliness of the Long-Distance Theologian. Vgl. u. a. Barth, Eine Schweizer Stimme 1938–1945, Vorwort.

Barth lesen

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gie in einem unvergleichlichen Maße die theologischen Debatten prägte – überaus pointiert für die Wahrnehmung Barths annonciert (vgl. Kap. V.2, S. 429 ff), lässt sich auf die ganze theologische Biographie Barths ausweiten: Er wurde stets nur ausschnitthaft, meist einseitig doktrinär wahrgenommen, die Kritik erging sich vor allem in Beckmessereien, und auch seine Anhänger beschnitten ihn gern auf bestimmte Bedarfslagen. Seine wiederholten Warnungen vor den „Barthianern“ hatten durchaus unterschiedliche Gründe. Insbesondere im Spiegel der ihm entgegenschlagenden Kritik ließ sich erkennen, wie wenig selbstverständlich es war, sich auf die Bewegungen einzulassen, die Barth in seinem Denken vollzog und auf die er mit seinem Denken hinweisen wollte. Stattdessen werden Einzelaussagen herausgegriffen bzw. noch verbreiteter Schlussfolgerungen unterstellt, die Barth im Grunde nur als Karikaturen verstehen konnte, auf die allzu häufig nur mit der schlichten Empfehlung zu antworten war, noch einmal nachzulesen, wie die Argumentation tatsächlich verläuft. Einwendungen wie denen, dass er mit seiner Theologie den Menschen zu Gunsten Gottes eliminiere oder dass er die Religion aus dem Christentum verbannt habe, können im Grunde nur als Bekundungen einer Weigerung verstanden werden, sich irgendwie ernsthaft mit seiner Theologie auseinanderzusetzen. Es ist mehr als verständlich, dass Barth es dann auch müde wurde, solchen abstrusen Deutungen immer wieder entgegenzutreten als habe er nicht längst zu diesen Einwendungen das Nötige gesagt. Insgesamt bleibt es ein grundsätzliches Missverständnis, Barth als einen positiven Theologen lesen zu wollen, der dargelegt habe, was in der Kirche von Gott zu gelten habe. Es fehlt häufig an dem langen Atem, der erforderlich ist, um den differenziert entfalteten Bewegungen zu folgen, mit denen Barth seine umsichtig bedachten Vorschläge für eine angemessene Reflexion kirchlicher Praxis vorträgt. Aus der gewiss von ihm verspürten Vergeblichkeit eines großen Teils seiner Anstrengungen heraus hat er gelegentlich seiner Hoffnung Ausdruck gegeben, dass der weitgehende Ausfall irdischer Adressaten für seine Theologie doch durch die Engel ein wenig kompensiert werden möge, die sich an seinen Überlegungen erfreuen können. Das war nicht der Ausdruck eines narzisstischen Trotzes, sondern die indirekte Benennung der tatsächlich prekären Situation, in der Barth die Theologie weithin gefangen sah.5 Schlimmer noch als die Einsamkeit und die möglicherweise mit ihr verbundenen Zweifel, die Barth ja auch nicht nur auf sich, sondern auf die christliche Existenz als solche bezog, ist schließlich die Anfechtung. Sie besteht schlicht darin, dass wir keinen überzeugenden Anteil bekommen an der unablässig vorausgesetzten lebendigen Selbstvergegenwärtigung Gottes. Auch die beste Theologie kann sich nicht vor dieser Anfechtung schützen, so dass die ganze Unternehmung immer wieder auch ganz und gar in Frage gestellt scheint. Einschneidender noch als sich dieses eingestehen zu müssen, ist es allerdings, dieses Schweigen Gottes angesichts all des weitergehenden Geredes der Kirche und auch der Theologie gar nicht zu bemer5

Vgl. Schellong, Bürgertum und christliche Religion, 113 f.

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Barth lesen

ken.6 Damit kommt eine Infragestellung der Theologie in den Blick, über die sich keine Theologie erhaben fühlen sollte. „Der Theologe kann Gott nur für sich haben, indem er ihn auf der ganzen Linie auch gegen sich hat. Und nur indem er sich das gefallen lässt, kann er dann auch seinerseits für ihn sein wollen.“ (151) Es geht in der Theologie niemals ohne Bilderdienst ab, sie vermag eben nicht – wie noch zu zeigen sein wird – tatsächlich den Gefangenschaften der natürlichen Theologie zu entkommen (vgl. Kap. III.2); sie wird nicht darauf verzichten, das, was sie sagt, auch für bedeutsam und gewichtig auszugeben (151 f); sie wird ebenso eingeholt von menschlicher Eitelkeit und Rechthaberei wie andere Wissenschaften (152 f), so wie sie sich mit ihrem Theoretisieren immer auch ein wenig weltfremd aufführen und damit doch wohl faktisch auf der Flucht vor Gott befinden wird (154 f), um von den Verführungen und Irreführungen, mit denen sie den Dienst der Kirche nicht selten eher behindert als befördert hat, ganz zu schweigen (156 f). Wir stoßen damit an die markanteste Grenze, die der Theologie gezogen bleibt, in der ihr gleichsam die Rückseite ihrer Verwiesenheit auf die Gnade Gottes deutlich wird. Als solche will die Anfechtung „ausgehalten und ertragen werden. Wo gerade sie nicht ausgehalten und ertragen wird, da kann die Theologie keine fröhliche Wissenschaft sein.“ (158) Die angekündigte Fröhlichkeit der Theologie wird hier schon, bevor wir ihrer ansichtig geworden sind, bereits in eine prinzipielle Distanz zu aller selbstgenügsamen Gemütlichkeit gebracht. 1. Ambitionierte Bescheidenheit Auf den ersten Blick gibt es wenig oder gar keine Anstrengungen Barths, mit denen er für die für ihn in Wirkung stehenden Voraussetzungen der Theologie um unser Einverständnis wirbt. Stattdessen werden wir höchst direkt mit der Eröffnung konfrontiert, dass es Gott selbst sei, der uns als Theologinnen und Theologen in Anspruch nehme. Nicht um Gott an und für sich gehe es, wohl aber um den Menschen, der erst im Lichte der Zuwendung Gottes als der erkannt werden könne, der er tatsächlich ist. Bevor es dazu kommen könnte, einmal auszuhandeln, unter welchen Bedingungen uns die Gottesfrage interessant werden könnte, werden wir ungefragt von Barth in einen Horizont versetzt, in dem wir bereits von Gott betroffen sind. Und Barth führt uns mit dieser Eröffnung nicht an ein zu unterbreitendes Angebot heran, über das es sich lohnen könnte, bei Gelegenheit einmal nachzudenken, sondern es geht um die brandaktuelle und somit grundsätzlich unaufschiebbare Eröffnung des Grundes und der Perspektive unseres Lebens, durch welche die allgemeine Wahrnehmungsperspektive, in der wir die Wirklichkeit wahrzunehmen gewohnt sind, beiseitegeschoben und durch einen vollkommen ungewohnten Blickwinkel ausgewechselt scheint. In den Texten Barths werden wir, wenn nicht unablässig, so aber doch regelmäßig mit einer Lebendigkeit Gottes konfrontiert, in der 6

Barth, Einführung in die Theologie, 149 (Seitenzahlen im Text).

Ambitionierte Bescheidenheit

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wir, ohne je recht gefragt zu werden, immer schon vorkommen als diejenigen, mit denen Gott nicht nur etwas vorhat, sondern für die Gott bereits alles aufgewendet hat, um sie aus einer lebensbedrohlichen Gefahrenzone zu retten, die sie bisher als solche nicht einmal wirklich erkannt haben. Und es drängt sich bei der Lektüre unversehens spürbar auf, dass es mehr als überfällig ist, sich unsererseits auch entsprechend dazu zu verhalten, wenn Gott nicht weiterhin brüskiert werden soll. Es gibt da eine gewisse Unruhe, die sich auf die Leserinnen und Leser überträgt, weil die intellektuelle Skepsis gegenüber einem sinnvollen Gottesdiskurs von Barth einfach achtlos übergangen wird. Es drängt sich der keineswegs trügerische Eindruck auf, als versetze er uns in eine Situation, in der nicht wir es sind, die von Gott reden, sondern in der wir gleichsam von Gott zur Rede gestellt werden. Wenn man noch nicht mit dem besonderen Blickwinkel vertraut ist, von dem aus Barth seine Theologie organisiert, kann das schnell etwas Bedrängendes bekommen, weil man sich von Voraussetzungen vereinnahmt fühlt, über die doch erst einmal zu sprechen wäre. Beinahe auf jeder Seite ist es zu spüren, dass es um weit mehr geht als um einen Paradigmenwechsel, durch den wir dazu angehalten werden, uns auf neue Weise in unserer Wirklichkeit zu orientieren. Nicht nur unserem Blick auf die Wirklichkeit wird zugemutet, sich gründlich neu auszurichten, sondern es ist auch eine ganz neue Wirklichkeit, in die wir hier versetzt werden, und zwar nicht neben oder jenseits dessen, was wir bisher als Wirklichkeit zu erkennen gewohnt waren, sondern genau an der Stelle dessen, was sich uns bisher als Wirklichkeit imponiert hat. Es könnte den Anschein haben, als befände sich Barth woanders als seine Leserinnen und Leser, und in gewisser Weise mag dies auch tatsächlich der Fall sein. Es sagt dann aber mindestens ebenso viel über die Leserinnen und Leser wie über Barth aus, denn er nimmt schlicht und einfach für sich in Anspruch, als Theologe und Mitglied der Kirche nach der Verkündigung dieser Kirche zu fragen, über die sie allen Grund hat, sich immer wieder neu kritisch Rechenschaft abzulegen. Wenn gern gesagt wird, dass Barths Theologie stets von der Not des je heutigen Predigers geprägt war, sollten wir dies nicht zu eng verstehen als wäre es ihm im Sinne der Praktischen Theologie vor allem um den gottesdienstlichen Sprechakt gegangen. Mit der Predigt ging es ihm um die Angemessenheit nicht nur unserer Rede von Gott, sondern um das ganze von der Kirche unter ihren jeweiligen Zeitumständen zu erwartende Zeugnis. Aus dieser Aufgabenbestimmung der Theologie kommt uns zugleich ihre Platzanweisung bzw. Selbstverortung entgegen: Sie ist an erster Stelle eine Funktion der Kirche und wird somit als Praxisreflexion eben da wahrgenommen, wo die von ihr reflektierte Praxis stattfindet, also im Raum der Kirche. Ihr Verständnis als Wissenschaft wird daran zu bemessen sein, dass sie dieser Aufgabe tatsächlich gerecht zu werden vermag. Die Theologie ist zuallererst da zu betreiben, wo sie unmittelbar nötig ist, und das ist die sorgfältige Abwägung des aktuellen Zeugnisses der Kirche. Nur wenn sie hier tatsächlich engagiert ist, kann sie auch etwas beitragen, zu dem außerhalb der Kirche geführten Leben und Gespräch. Es wäre keineswegs überraschend, wenn wir uns eingestehen müssten, dass ein nicht unwesentlicher Teil der Befremdlichkeit, die Barth bei uns auslöst, damit

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Barth lesen

zusammenhängt, dass wir uns nicht an diesem Ort befinden, wo wir unweigerlich von der Frage nach der Angemessenheit unseres Zeugnisses bedrängt werden. Vielleicht würden wir sagen, dass unsere Verlegenheit viel grundsätzlicher ist und sich deshalb weit früher zu Worte meldet als erst im Angesicht der Kanzel, von der es dann kein Zurück mehr gibt. Bevor wir uns an diesen Ort in Sichtweise der Kanzel begeben könnten, möchten wir uns gern erst einmal darüber versichern lassen, dass es sinnvoll ist, sich überhaupt in die Nähe der Kanzel, d. h. in die Mitte der auf das Wort Gottes hörenden Gemeinde zu begeben. Gemessen an der Selbstverortung Barths befinden wir uns in der Regel an einem ganz anderen Ort, von dem aus man sich überhaupt erst einmal umsehen muss, in welche Richtung nach so etwas wie Kirche sinnvollerweise Ausschau gehalten werden muss, und was uns dazu bringen könnte, dass wir uns dann auch tatsächlich in diese Richtung aufmachen wollten. Und tatsächlich sehen wir eher eine ganze Menge von Hürden, die genommen sein wollen, bevor wir eine Kanzel ins Auge fassen könnten. Unsere Skepsis hält uns auf Distanz, genau genommen nicht nur von der Kanzel und damit auch der Kirche, sondern schon von einem vermeintlichen Wort Gottes, das da an uns ergangen sein und auch heute noch ergehen soll. Und so stellen wir eine mehr oder weniger große Anzahl an Plausibilitätsbedingungen, deren Einlösung uns erst in die Lage versetzen könnte, auch ein Zeugnis auf einer Kanzel in Erwägung zu ziehen. Beim Lesen von Texten von Barth mag es bisweilen so aussehen als stünden wir außerhalb von etwas, wo wir Barth drinnen wähnen. Und es wird uns dann unversehens an Barth ärgerlich, dass er uns permanent mit einem vermeintlichen Vorsprung konfrontiert, der ihn nun dazu berechtige, uns in einer entwaffnenden Vollmacht zu begegnen, der es prinzipiell deshalb nichts entgegenzusetzen gibt, weil unsere Bitte um einen Brückenschlag von draußen nach drinnen als unerfüllbar abgewiesen wird. Und so entsteht die missliche Schieflage als sei es Barth, der hier etwas aufbieten könne, das uns verschlossen sei. Nur zu gut kann ich mich auch selbst noch an meine ersten literarischen Begegnungen mit Karl Barth im Theologiestudium erinnern. In seiner Vollmundigkeit schien er mir, jede dem Menschen mögliche Autorität maßlos zu übersteigen. Mit dem, was er uns unterbreitet, kommt ein Theologe in den Blick, der sich vollkommen übernommen hat. Die von ihm so unbescheiden in Anspruch genommene Veranlassung der Theologie, lässt die von ihm so unermüdlich eingeforderte Bescheidenheit in einem merkwürdigen Licht erscheinen. Was bei der Feststellung dieser unvermittelten Beanspruchung durch die Theologie Barths – aus dem Abstand betrachtet – unentdeckt bleibt, ist der Umstand, dass es nicht Barth ist, der uns da so nahetritt, sondern das von ihm bedachte Thema, an dem wir uns reiben. Barth weiß sich auch selbst von der Aufgabe der Theologie in eine Bedrängnis gebracht, für die es keinen einfachen Ausweg gibt.7 Es ist sein dezidiertes Verständnis von Theologie, nach dem wir nicht von uns aus zu denken haben, sondern von Gott aus, weil er ja auch die entscheidende Veranlassung für 7

Vgl. Barth, Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie, 148.

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unsere theologischen Bemühungen ist; zwar nicht Gott als solcher, wohl aber Gott in seinem Verhältnis zum Menschen, Gott in seiner Einlassung auf unsere Wirklichkeit und das eben nicht in ferner Vergangenheit, die nun von uns für die Gegenwart zu aktualisieren wäre, sondern höchst aktuell in der Gegenwart, die nicht etwa wir mit Gott in Verbindung bringen, sondern die immer schon mit Gott in Verbindung ist, zu der wir ihr aus unseren eigenen Kräften heraus auch niemals verhelfen könnten. Es ist von unserer Wirklichkeit gar nicht anders zu reden als von vornherein in ihrer Beziehung zu Gott. Es gibt sie nicht erst einmal an und für sich, und Gott wird dann erst in einem zweiten Schritt eingefügt, so dass dann hier und da ein wenig oder auch etwas mehr nachjustiert werden muss. Für die Theologie kann es kein sinnvolles auch nur zeitweiliges Absehen von Gott geben. Und damit macht Barth ernst. Nicht Barth bedrängt seine Leserinnen und Leser mit einem besonderen Anspruch, sondern er sieht sie gleichsam immer schon bedrängt von der Wirklichkeit, mit der sich die Theologie zu beschäftigen hat. Symbolisch für die besondere theologische Konzentration, auf die uns Barth aufmerksam machen will, steht das erste Gebot als Evangelium und Weisung. In ihm stellt sich Gott als unser Befreier vor und bindet uns zur Wahrung dieser Freiheit an sich. Es ist die ebenso befreiende wie zugleich bindende Ungeheuerlichkeit des Anspruchs des ersten Gebots, von der Barth ausgeht und die er konsequent im Auge hält. Das gibt seinen Texten diesen konfessorischen Charakter, der häufig als befremdlich empfunden wird. Es ist aber genau genommen die unvermeidliche Befremdlichkeit, die sofort ins Spiel kommt, wenn von Gott die Rede ist. Will man also von Gott reden, so lässt sie sich nicht umgehen. Sie lässt sich deshalb nicht umgehen, weil wir, wenn wir von Gott reden, immer von mehr reden als wofür wir auch tatsächlich einstehen könnten. Die Theologie beschäftigt sich ihrem Wesen nach unentwegt mit Fragen, deren Erörterung den Rahmen unserer begrenzten Ausdrucksmöglichkeiten und erst recht unserer Zuständigkeiten transzendiert. Gottesrede hat immer auch etwas Entblößendes; sie entblößt in gewisser Weise sowohl denjenigen, der sie in den Mund nimmt, als auch den, der mit ihr konfrontiert wird. Die Entschiedenheit des Redners oder Rednerin stellt in gewisser Weise immer auch seine Hörerinnen und Hörer in einen Horizont von Entscheidung – das ist in der Theologie nicht grundsätzlich anders als in der Predigt, nur in der Predigt ist man eher darauf eingestellt, so dass es da weniger befremdlich erscheint. Man kann den christlichen Glauben nicht bedenken, ohne sein Bekenntnis zur Sprache zu bringen, und somit partizipiert auch die Theologie an dem bekennenden Charakter des Glaubens, über den sie Rechenschaft ablegt. Sie vollzieht sich ja nicht als beschreibende Beobachtung – wie etwa die Religionswissenschaft –, sondern in der Blickrichtung des Glaubens.8 Der Gott, von dem hier zu reden ist, taucht nicht als einer unter seinesgleichen auf, die bereits eine gewisse Bekanntheit genießen, sondern in seinem Inerscheinungtreten werden die anderen Götter, denen wir den von ihnen beanspruchten 8

Vgl. dazu auch Weinrich, Wir sind aber Menschen, 36–40.

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Weihrauch bisher nicht verweigert haben, unversehens zu Götzen, die uns in Ägypten um unserer Arbeit willen festhalten wollen. Barth selbst nennt das erste Gebot als die Selbstthematisierung Gottes das unhintergehbare Axiom der Theologie und meint doch viel mehr als mit einem Axiom ins Feld geführt werden könnte.9 Ja, es ist genau diese Differenz zwischen einem theologischen Axiom und der im ersten Gebot in die Aufmerksamkeit gerückten Wirklichkeit, die es uns ermöglicht, zu unterscheiden zwischen einer von Barth aus uns bedrängenden Zumutung und der von Gott selbst ausgehenden Ermutigung, die es eben auszusprechen gilt, auch auf das Risiko hin, uns als eine Zumutung zu erreichen. Als theologisches Axiom könnte es sich um eine theologische Entscheidung Barths handeln, mit der er nun versucht, uns auf seine Seite zu ziehen, was in diesem konkreten Fall offenkundig nicht so reibungslos gelingen will. Das Axiom wäre ein konstituierendes theoriebegründendes Kalkül für ein theologisches Konzept, mit dem sich sein Protagonist weit über die ihn zur Verfügung stehenden Argumentationspotenziale hinaus exponiert, so dass dieser dann auch die Anstößigkeit seiner Behauptungen auszubaden hätte, wie es Barth tatsächlich auch immer wieder ergangen ist. Dieser Anmaßung ist nur zu entkommen, wenn die Bezeichnung als Axiom nur der ebenso energische wie inadäquate Hinweis auf eine die Theologie überhaupt erst ermöglichende und dann auch ganz und gar organisierende Bindungskraft des sich uns mit Gott erschließenden unbedingten Wirklichkeitsanspruchs verstanden wird. Jede Reklamation einer in das Licht Gottes gerückten Wirklichkeit wird die uns ausmachenden Grenzen überschreiten und ist insofern niemals davor geschützt, als eine maßlose Anmaßung gehört zu werden. Es gilt also zu realisieren, dass hier nicht Barth die Theologie mit einem persönlichen Anliegen oder einem von ihm ausgewählten Axiom konfrontiert, sondern dass er lediglich den Anspruch weitergibt, der mit der Theologie unweigerlich auf die Tagesordnung kommt, wenn sie nicht ihr spezifisches Thema preisgeben will. Mit dem Begriff des Axioms wird kein wissenschaftstheoretischer Raum betreten, sondern er verweist auf die grundsätzlich nicht hintergehbare Gesetztheit der Voraussetzung der Theologie in der Aktualität der Wirklichkeit Gottes. Es geht hier um alles andere als um irrelevante Haarspalterei. Es wird entscheidend darauf ankommen, hier nicht einen individuellen Konzeptualisierungsversuch Barths für die Theologie zu unterstellen, sondern die von Barth ausgesprochene Erinnerung an das die Theologie überhaupt erst konstituierende und formierende „Kerngeschäft“ wahrzunehmen. Weil die Theologie in all ihren Themen niemals von dem so unzulänglich als Axiom benannten Wirklichkeitsanspruch Gottes absehen kann, ist es nicht verwunderlich, wenn dieser sich dann auch in den Texten Barths immer wieder zu Worte meldet. Wenn in diesem Zusammenhang schließlich zudem festzustellen bleibt, dass die Unterscheidung des einen vom anderen allein im Glauben vollzogen werden kann, wird nichts anderes gesagt, als dass nicht wir für Gott einstehen können, sondern es kann allein Gott selbst sein, der für sich einsteht. Die damit zu reklamierende 9

Vgl. Barth, Das erste Gebot als theologisches Axiom.

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prinzipielle Bescheidenheit der Theologie kann aber nicht dadurch zum Ausdruck gebracht werden, dass wir uns der Rede von diesem Anspruch enthalten, sondern allein darin, dass unsere Rede von diesem Anspruch tatsächlich auf diesen Selbsterweis ausgerichtet bleibt. Es ist dieser Dienst des der Kirche anzubietenden Beistandes, der die Theologie „ein bescheidenes Unternehmen“ (KD IV/3, 1010) bleiben lässt, das sich grundsätzlich in allen „Zusammenhängen nur in Annäherungen“ (KD IV/1, 301) zu artikulieren vermag. Sie bleibt allerdings darin ambitioniert, dass sie der wahrgenommenen Wirklichkeit der Zuwendung Gottes nicht ausweicht, sondern ihr zu entsprechen versucht. Genau an diese prinzipielle Bescheidenheit erinnert Barth die Kirche, so wie er sich ihr auch selbst verschreibt, weil in ihr allein die Ermutigung liegen kann, den besonderen Anspruch zur Sprache zu bringen, der mit der Rede von Gott in der christlichen Perspektive verbunden ist. Natürlich weiß Barth, dass auch anders von Gott gesprochen werden kann und weithin auch gesprochen wird, aber er wirft die Frage auf, ob nicht dem christlichen Bekenntnis die entscheidende Substanz entzogen würde, wenn es anders als eben von dem Evangelium und Gebot des trinitarisch verstandenen ersten Gebots aus in den Blick genommen wird. Nichts anderes besagt die erste These der Barmer Theologischen Erklärung von 1934, auf die Barth immer wieder zurückgekommen ist. Es geht um eine Bescheidenheit, die dem Zuspruch und Anspruch Gottes gerecht zu werden versucht und diesem nicht ausweicht, um sich selbst der eigenen Bescheidenheit zu rühmen. Es bleibt diese überaus ambitionierte Bescheidenheit, von der in diesem Zusammenhang zu reden ist. Sie bezieht ihre Stärke aus der im Glauben erfahrenen Ermutigung und vermag deshalb mit der Schwäche zu leben, die in der ihr zugrundeliegenden Ermutigung aufgedeckt und von ihr zugleich im dreifachen Sinn des Wortes „aufgehoben“ wird. Für Barth kann Theologie nur mit Theologie beginnen. Alles, was zuvor gesagt werden mag und zu ihr hinführen soll, kann in der Sache schließlich auch nur dies besagen. Auch die Bestimmung ihrer Wissenschaftlichkeit kann nicht ihrem Thema vorauslaufen, sondern kann diesem nur entsprechen, indem sie sowohl seinen Anspruch als auch die mit ihm verbundene Bescheidenheit wahrt. 2. Im Konflikt mit der natürlichen Theologie: Die mögliche Unmöglichkeit Als ein Hauptkennzeichen der Theologie Barths gilt ihre konsequente Abweisung jeder Form von natürlicher Theologie. Da sich diese Aussage nicht selbst erklärt und zudem auch Missverständnisse hinsichtlich ihres Verständnisses in Umlauf sind, bedarf es einiger Hinweise. Bis heute ist der gegen Barth erhobene Vorwurf nicht ganz verstummt, dass er durch die von ihm für die Theologie in Anspruch genommene Gottunmittelbarkeit den Glauben gleichsam in die Luft stelle. Er kehre mit seiner Theologie den Erfahrungen des Menschen den Rücken und damit der Religion, der Kultur und auch

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der jeweils gegebenen historischen Lage. Schon zum Zeitpunkt des Erscheinens des ersten Bandes der Prolegomena seiner Kirchlichen Dogmatik bekundete Barth seinen Überdruss, sich immer wieder gegen diesen Vorwurf zu Wehr setzen zu müssen (KD I/1, 218). Wo es Barth um die theologisch motivierte Wahrung einer spezifischen Blickrichtung ging, wurde ihm vorgehalten, nur einen höchst begrenzten Blickwinkel zu dulden und damit eine Menge von dem auszublenden, was in unserem Leben aber eine große Rolle spielt. Tatsächlich ist es schon erstaunlich, wie es zu diesem Vorwurf kommen konnte, angesichts des Umstandes, wie sehr sich Barth etwa in seinen Römerbriefauslegungen gerade auf die tatsächlichen Abgründe und vermeintlichen Höhen unseres Umgangs mit der Wirklichkeit eingelassen hat, bzw. des Faktums, wie konkret sich Barth dann später vor allem zu den Selbstpositionierungen der Kirche in den jeweils gegebenen historischen Umständen geäußert hat. Es hat den Anschein, als ginge es nicht allein um die Wahrnehmung der menschlichen Wirklichkeit, sondern vor allem um die Würdigung ihres so oder so zu realisierenden Nutzens nicht nur für das Selbstverständnis des Menschen, sondern auch für den Orientierungshorizont der Theologie. Doch damit stößt der Einwand genau auf eine distinkte Grenze, die Barth der Theologie allerdings gezogen sieht, und zwar nicht um irgendwelche Bereiche der Wirklichkeit von ihr auszuschließen, sondern um ihren Ausgangspunkt in dem Handeln Gottes zu wahren und ihre Perspektive nicht von den vermeintlichen Leuchttürmen des sich von und durch sich selbst imponierenden Menschen irrlichtern zu lassen. Doch der theologisch zugespitzte Hinweis, dass der Blick in unsere Wirklichkeit keinen Durchblick zur Wirklichkeit Gottes ermögliche, besagt doch mit keiner Silbe, dass nun auch der von Gott orientierte Blick diese Wirklichkeit nicht erreiche. Man kann es auch noch pointierter sagen: Die Abweisung der Möglichkeit, Gott durch unsere irdische Erfahrung auf die Spur zu kommen, schließt doch in keiner Weise aus, dass das Inerscheinungtreten Gottes zu einem Element unserer Erfahrung werden kann. Oder mit George Hunsinger inhaltlich gesagt: „Gnade ist außerhalb der Natur, aber Natur ist nicht außerhalb der Gnade.“10 Es kommt auf die Blickrichtung an, die nicht einfach umgedreht werden kann. Und theologisch kommt es auf die von der Selbstbezeugung Gottes eröffnete Blickrichtung an, in der auch die ganze Wirklichkeit in ein neues Licht gerät, so dass der vom Glauben informierte Blick unsere bisherigen Wahrnehmungen reklamiert, denn theologisch ernst genommen waren sie es, die in der Luft standen. Barth nennt die natürliche Theologie einen „christlichen Cartesianismus“ (KD I/1, 224), der darin besteht, Gott in den Versuch der Selbstvergewisserung des Menschen durch seine Wirklichkeitsbemächtigung zu integrieren. Pointiert gesagt ist sich im Gefälle der natürlichen Theologie der Mensch selbst die Wahrheit, ohne sich noch eine Bereitschaft dafür bewahrt zu haben, sich von einer Wahrheit außerhalb seiner selbst behelligen zu lassen (KD II/1, 150). Hier tritt das Wort Gottes als eine vom Menschen ergriffene bzw. zu ergreifende Möglichkeit in Erscheinung 10 Hunsinger, Karl Barth lesen, 105.

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(KD I/1, 222), so dass die Überlegenheit Gottes schließlich ganz und gar in die Regie des Menschen genommen wird. Das aber scheint ein hermeneutischer Zirkel zu sein, der mit keinem Widerspruch zu rechnen hat. Damit der Mensch zu sich selbst als seinem Ziel gelangen kann, macht er sich einfach zum Ausgangspunkt aller Erkenntnis. Diesem anthropologischen Zirkel wird der ihm entgegengesetzte offenbarungstheologische hermeneutische Zirkel, wie er von jeher in der Theologie bestimmend war, als Entmündigung des Menschen verunglimpft wird, obwohl der Grad seiner Beliebigkeit entschieden radikaler gezügelt und somit seine inhaltliche Auskunftsfähigkeit deutlich stringenter ist im Vergleich mit dem anthropologischen Zirkel. Barth nennt die „Vitalität der natürlichen Theologie […] die Vitalität des Menschen als solchen“ (KD II/1 185), d. h. des sich auf sich selbst verlassenden Menschen, welcher der Wirklichkeit gegenüber selbst an der Stelle Gottes stehen will – das ist die Ursünde des Menschen schon im Paradies, der wir alle verfallen sind, nicht weil es uns vererbt wurde, sondern weil wir offenkundig nicht belehrbar sind und dem Vertrauen auf Gott die Versuchung des Selbstvertrauens vorziehen. Wenn deutlich ist, in welchem Horizont Barth die natürliche Theologie nicht nur lauern, sondern immer bereits in Aktion sieht, wird es unmittelbar einleuchten, dass Barth sich zu keinem Zeitpunkt der Illusion hingegeben hat, dass sich die natürliche Theologie tatsächlich überwinden lasse: Die Illusion, daß wir uns selbst desillusionieren könnten, ist die größte von allen Illusionen. Und eine Theologie, die dem Menschen die natürliche Theologie als solche ausreden und verbieten zu können meint, ist bestimmt selber noch natürliche Theologie. (KD II/1, 190)

Als menschliche Anstrengung kann sich die Theologie grundsätzlich nicht davon freisprechen, immer auch natürliche Theologie zu treiben. Ist sie ihr nicht ganz verfallen, so kann sie aber – wie die Religion (vgl. Kap. IV.2) – auch im besten Fall nicht darüber hinauskommen, eine ambivalente Angelegenheit zu bleiben, die ganz und gar auf die Rechtfertigung durch Gott angewiesen bleibt. Das ist eine für Barths Verständnis der Theologie fundamentale Wahrnehmung, die nicht aus dem Blick geraten sollte, damit man nicht Gefahr läuft, der Theologie eine unsere menschlichen Möglichkeiten überschreitende Autorität zuzumessen. Wenn später von der Theologie auch noch zu sagen sein wird, dass sie eine „fröhliche Wissenschaft“ sei, so darf dies in keinem Fall gegen die hier festgehaltene Einsicht ausgespielt werden, vielmehr kann jenes nur gelten, wenn auch dieses gilt. Auch in ihrer besten Gestalt vermag die Theologie niemals bis auf die Höhe der Gewissheit des Glaubens aufzuschließen. Sie bleibt damit grundsätzlich hinter dem Entscheidenden zurück, was idealtypisch von ihr zu erwarten wäre. Der Eindruck einer besonderen Unbescheidenheit der Theologie Barths trügt also ganz und gar. Er ist allein der überbewertete Reflex des Versuches, sich soweit es irgend geht, an dem Wahrheits- und Wirklichkeitsanspruch des Handelns Gottes auszurichten, hinter dem sie aber dann – wie Barth in seiner Theologie nicht nachlässt, immer wieder zu betonen – deutlich, um nicht zu sagen himmelweit zurückbleibt und allein

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auf das Ereignis der Selbstmitteilung Gottes verweisen kann. Zwar mag die Theologie die Gewissheit des Glaubens bedenken – und in dieser Hinsicht befindet sich Barth in der Tradition der reformatorischen Theologie –, aber sie kann diese niemals vermitteln, es sei denn der Heilige Geist verhilft ihr dazu auf die Sprünge. In diesem Sinne gilt das bereits in der Darstellung seines Lebenslaufes erwähnte Diktum (vgl. Kap. II.3, S. 62) auch über die Zeit der Dialektischen Theologie hinaus: „Seufzen: ‚Veni creator spiritus! [Komm Schöpfer Geist]‘ ist nun einmal nach Römer 8 hoffnungsvoller als triumphieren, wie wenn man schon hätte.“ Was hat es nun aber mit Barths Abweisung der natürlichen Theologie auf sich angesichts des Umstandes, dass sie sich nicht wirklich abwenden lässt? Angesichts ihrer Unabstellbarkeit geht es Barth allein um die im Bewusstsein zu haltende Warnung, sie neben der zu beklagenden Unvermeidlichkeit auch noch ausdrücklich zu wollen, womit er all diejenigen beschäftigt sah, die sich nach Anknüpfungspunkten oder Schöpfungsordnungen umsahen, um diese als Wegmarkierungen für die menschliche Gottessuche in der Theologie zu etablieren. Der natürlichen Theologie gegenüber kann man nur selbstkritisch auf der Hut sein, auch wenn dies immer nur von begrenztem Erfolg gekrönt sein wird; wird sie aber dagegen zu einer theologischen Tugend erhoben, dann muss ihr aller theologischer Widerstand entgegenstehen.11 Eben dies ist das „Nein!“, das Barth 1934 Brunner so entschlossen entgegengehalten hat.12 Die Verlegenheit, mit der die Theologie gegenüber der natürlichen Theologie Frieden schließen muss, ist der Umstand, dass ihr der ihre Erkenntnis animierende Gegenstand nicht zur Verfügung steht. Sie steht mit seltsam leeren Händen da, so dass sie sich einzugestehen hat, im Grunde eine Unmöglichkeit zu sein. „Wir sollen als Theologen von Gott reden. Wir sind aber Menschen, und können als solche nicht von Gott reden.“13 Sie stößt in beinahe alle Richtungen ununterbrochen auf ihre Grenzen und kann sich allein dann ein relatives Recht zumessen, wenn sie diese Grenzen auch permanent im Bewusstsein hält. Die Benennung ihrer Grenzen sind selbst ein wesentlicher Teil der Wahrnehmung ihrer Aufgabe, nicht weil sie etwa immer auch noch mit einem Deus absconditus [verborgenen Gott] zu rechnen hätte, sondern weil sich Gott auch in seiner Offenbarung verhüllt, so dass seine Denkbarkeit konstitutiv mit seiner Undenkbarkeit zusammengeht und zwar so, dass die Undenkbarkeit selbst zu einem Element der Denkbarkeit wird. In diesem Sinne definiert die Offenbarung in distinkter Weise die Nichtdefinierbarkeit Gottes – das erhellt Barth in der trinitarischen Hermeneutik seines Verständnisses des Wortes Gottes (vgl. Kap. IV.1). Erst und nur in der Wahrnehmung dieser Verlegenheit ihrer vollkommenen Verwiesenheit, die ihr ihre Unmöglichkeit vor Augen hält, wird die Theologie zu einer Möglichkeit, in der sie in der Treue des ihr gebotenen Hörens auf das bib11 Vgl. auch Schellong, Barth lesen, 39. 12 Vgl. Barth, Nein! 13 Barth, Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie, 151.

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lische Zeugnis dann auch nach bestem Vermögen entschlossen zu einem eigenen Reden durchfindet (KD I/2, 946). Erst in der möglichst genauen Wahrnehmung ihrer Unmöglichkeit liegt dann auch die Wahrnehmung ihrer Möglichkeit. In diesem Sinne bleibt sie eine mögliche Unmöglichkeit, die in ihrer Unmöglichkeit ihre Möglichkeit erkennt und in ihrer Möglichkeit um ihre Unmöglichkeit weiß, indem sie von dem lebt, was sich ihren Möglichkeiten ganz und gar entzieht. Im Horizont dieser Möglichkeit kann es in der Theologie allerdings nicht allein beim Warnen und Einspruch erheben bleiben, sondern sie hat sich auch um die Explikation des Inhalts der biblischen Botschaft zu bemühen und damit lehrende Theologie zu werden, damit die Kirche in ihrem Reden auch etwas zu sagen hat. Sie hat „nicht nur die kritische, sondern auch die positive Aufgabe […], zu neuem Zeugnis von Gottes Offenbarung aufzurufen“ (988). Aus der Bindung an den ihr unverfügbaren Gegenstand macht sie von der in ihrem Gegenstand eröffneten und qualifizierten Freiheit Gebrauch und gewinnt darin ihre besondere Bedeutung. Die Anerkennung ihrer spezifischen Abhängigkeit bedeutet für die Theologie gerade nicht Passivität, sondern im Gegenteil die Ermutigung zu einem mutigen Worte, zu dem sie sich ohne diese spezifische Bindung niemals ermutigt sehen könnte. Anerkennung steht für Barth für die bewusste und entschlossene Teilnahme, denn sie ist bestimmt durch „persönliche Erkenntnis“, „Gutheißen“, „Entscheidung“, „Bewegung“ und eben auch durch „Selbstbestimmung“ (KD I/1, 214–217; 209). Wenn Barth damit auf seine Weise das Neuzeitthema der menschlichen Selbstbestimmung aufnimmt, wird deutlich, dass er sich nicht damit zufrieden gibt, formal der Freiheit des Menschen die Möglichkeit einzuräumen, sondern er sieht sich im Horizont der wirklichkeitsgerechten Anerkennung der Beziehung Gottes zum Menschen dazu veranlasst, die Freiheit auch inhaltlich zu bestimmen (vgl. Kap. I.10).14 In dem, was dann als die zu bezeugende Wahrheit zur Sprache kommen wird, wird sie selbst an die ambitionierte Bescheidenheit und die möglichst konsequente Abstinenz gegenüber der natürlichen Theologie erinnert, denn sie umfasst immer auch „die Erkenntnis, daß wir im Lichte Gottes offenbar sind als Finsternis, in Gottes Gericht durchschaut als Lügner, daß wir die Wahrheit immer gegen uns selbst denken und reden werden“ (KD I/2, 990). Wenn Barth der Theologie eine zu wahrende Demut ans Herzt legt, steht diese ganz und gar nicht für die Verordnung eines Stillschweigens, sondern für den konsequent im Bewusstsein zu haltenden Umstand, dass sie ihren Anfang, ihr Zentrum und ihr Ziel nicht in die eigene Verfügung zu bringen vermag. Deshalb hat sie auch alle Anstrengungen zu unterlassen, diese in ihre Verfügung zu bekommen. Diese Demut steht mindestens ebenso deutlich im Zeichen der Wahrung ihres Dienstcharakters wie im Zeichen der Selbstzurücknahme. Sie schließt eine engagierte und entschlossene Wahrnehmung ihrer spezifischen Aufgabe nicht aus und begibt sich damit in einen ausdrücklichen Gegensatz zu jeder Form von Resignation. Indem 14 Vgl. dazu Schellong, Karl Barth als Theologie der Neuzeit, 92 f; Nielsen, Die Rationalität der Offenbarungstheologie, 58 ff.

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sich der resignierte Mensch davor verschließt, sich noch etwas sagen zu lassen, wird die Resignation gerade nicht zum Ausdruck einer recht verstandenen Hinnahme, sondern erscheint eher als eine Form der Selbstverschließung des Menschen, die insofern seinen Hochmut zum Ausdruck bringt, als er sich mit seiner Resignation vor allem ein weiteres Mal bestätigt, selber für alle Hoffnung und für allen Trost einstehen zu müssen (KD II/1, 240 f).

&  Schlegel, Theologie als unmögliche Notwendigkeit. 3. Wahrheit und Methode Unter diesem auf seine Weise auch für Barth passenden Titel des berühmten Hauptwerkes von Hans-Georg Gadamer wenden wir uns der Frage nach den Methoden zu, die in seiner Theologie verwendet werden. Indem für die Wahrheit, um die es der Theologie geht, gilt, dass sie uns weder zur Verfügung steht noch jemals in unsere Verfügung geraten kann, kann es auch keine Methode geben kann, mit welcher sie sich zuverlässig erreichen ließe. Wird zudem ausgeschlossen, dass sie uns ganz und gar verschlossen bleibt, kann als letzte Möglichkeit nur noch davon ausgegangen werden, dass sie sich von sich aus einen Weg zu uns bahnt und, weil sie von uns nicht festgehalten und in Besitz genommen werden kann, sich auch immer wieder neu bestätigt oder, weil sie in jeder Situation in einem anderen Licht erscheint, immer wieder aktualisiert. Wenn in diesem für die Theologie grundlegenden Horizont über Methoden nachgedacht wird, kann es grundsätzlich nur um Methoden gehen, die im Umgang mit der Wahrheit nicht nur ihrer Selbst­imponierung eine Chance geben, sondern diese Selbstimponierung dann auch in ihrer Berufung auf sie beständig offenhalten. Nach den im letzten Kapitel vorgetragenen Überlegungen wird es zunächst nicht überraschen, wenn wir bei Barth auf eine fundamentale Skepsis gegenüber der Festlegung der Theologie auf eine Methode oder ein Ensemble von Methoden stoßen. Diese Skepsis ist darin begründet, dass Barth in der Theologie die Methode immer wieder über ihren Inhalt herrschen sieht, so dass sie diesem, anstatt ihm auf die Sprünge zu helfen, vor allem im Wege steht. Das kann wohl generell gesagt werden, dass die jeweils gewählten Methoden nicht unwesentlich daran beteiligt sind, was in den Blick kommt, was ins Zentrum gerückt wird, was nur am Rande zu stehen kommt oder was auch gar keine Beachtung findet. Methoden kanalisieren die Aufmerksam und präfigurieren die Resultate ihrer Erkundungen. Methoden eröffnen Wege und Perspektiven und legen zugleich die Richtung und die Tiefenschärfe der jeweiligen Blickrichtung fest. Sie bringen ebenso etwas zum Vorschein wie sie anderes unentdeckt übergehen. In diesem Sinne sind sie in jedem Fall ein Vorschlag zur Reduktion von Komplexität. Als solche sind sie geprägt von Unterstellungen für die Reichweite der zu erwartenden Ergebnisse und legen möglicherweis auch fest, wovon sich die Aufmerksamkeit nicht irritieren lassen sollte, wenn sie zu

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belastbaren Einsichten kommen will. Sie können auch zur „Zwangsjacke“ werden, wie Barth sie etwa in der existenzialen Methode von Rudolf Bultmann entdeckt.15 Die Relativitätstheorie hat gezeigt, in wie hohem Maße auch in den Naturwissenschaften die zu gewinnenden Erkenntnisse von den Bedingungen und Perspektiven abhängig sind, unter denen bzw. in denen gewonnen werden. Das ist in den Geisteswissenschaften keineswegs anders, und in den letzten Jahren hat sich in allen Bereichen deutlich das Bewusstsein dafür geschärft, in wie weitreichendem Maße unsere Einsichten von den Voraussetzungen abhängig sind, von denen aus wir zu ihnen gelangt sind. Niemand wird heute bestreiten, dass die jeweils gewählten Methoden keineswegs nur für die Nachvollziehbarkeit eines Erkenntniswegs von Bedeutung ist, sondern mindestens ebenso auch für das, was sich schließlich als Ergebnis der Bemühungen präsentieren lässt. Den etwa noch von Adolf von Harnack in den vermeintlichen Objektivismus der historischen Methode gesetzten Optimismus, mit dem er 1923 energisch und höchst beunruhigt dem ebenso vermeintlichen Offenbarungs-Subjektivismus des Barthschen Biblizismus entgegentrat (vgl. Kap. II.4, S. 65 f), würde heute wohl niemand mehr teilen, auch wenn er nicht Barths Einwänden gegen Harnack folgen würde.16 Die Situation hat sich also seitdem gründlich geändert und das Verständnis für Barths Methodenskepsis dürfte inzwischen deutlich gewachsen sein. Zugleich wird aber auch zu unterstreichen sein, dass es für Barth nicht ausreicht, seine Methode darin sehen zu wollen, dass er auf jede Methode verzichtet, d. h. das Unmethodische zur Methode erhoben habe. Zwar lassen sich Formulierungen Barths finden, die genau diese Annahme nahelegen, aber es empfiehlt sich, genau hinzuhören, was da genau gesagt wird: „Es gibt keine Methode, um die Offenbarung zur wirklich vernommenen Offenbarung zu machen“ (KD I/1, 190).17 Barth spricht hier vom Zugang zur Offenbarung und nicht von der Denkarbeit der Theologie. Die Theologie ist aber für Barth nicht die Erschließung eines Weges zur Offenbarung – das wurde ja gerade ausdrücklich ausgeschlossen –, so dass es sich hier nicht um eine Aussage über den Aufgabenbereich der Theologie handelt, sondern bestenfalls um eine der auch der Theologie vorauslaufenden Voraussetzungen, denen die Theologie die entsprechende Rücksichtnahme zu sichern hat. Es geht hier um die zu unterstreichende Einsicht, dass die sich selbst annoncierende Offenbarung deshalb keiner unserer menschlichen Methoden unterworfen werden darf, weil wir der Freiheit des Geistes Gottes keine Vorschriften zu machen haben durch die Unterstellung oder Etablierung einer Methode, in der er dann von uns gleichsam ertappt werden könnte. Das Hören des Wortes Gottes liegt nicht im Bereich der Humanität, sondern hier kann es nur bezeugt werden (193). Wo es um das Wirken Gottes geht, können unsere Methoden, die ja immer nur menschlichen Vorstellungen folgen könnten, nur grundsätzlich abgewiesen werden. 15 Barth/Bultmann, Briefwechsel 1922–1966, 197 (Brief vom 24.12.1952). 16 Vgl. die Auseinandersetzung zwischen Harnack und Barth in: Barth, Offene Briefe 1909–1935, 55–88. 17 Vgl. auch schon Barth, Der Römerbrief (Zweite Fassung), 154.

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Das ist aber anders, wenn es um die von uns zu erwartenden Anstrengungen geht, besonders dann, wenn durch sie nicht den Selbstmitteilungen Gottes in den je und je ergehenden Offenbarungsereignissen zu nahegetreten werden soll. Für den vom Menschen auszufüllenden Aufgabenbereich kann es sich ausdrücklich „nicht darum handeln, als die wahre Methode nun etwa die Einsicht zu empfehlen, daß es hier keine Methode geben kann!“ (191) Allerdings wird sich jede in Anwendung einer Methode an die methodische Generalanweisung zu halten haben, dass alle theologischen Entscheidungen immer wieder neu ihrer kritischen Selbstüberprüfung zu unterziehen bleiben, so dass Barth sogar von einer „Strenge und Deutlichkeit der Methode“ sprechen kann (294). Es wird vor allem dafür Sorge zu tragen sein, dass es sich nicht um eine dem Gegenstand der Theologie übergestülpte, sondern eine ihm entsprechende Methode handelt. Es muss sich um eine Methode handeln, die der Theologie vor allem ihre Erkenntnisordnung sichert (KD II/1, 6), denn hinsichtlich der Erkenntnisse selbst wird sich die Prognostik überaus zurückhaltend zu verhalten haben, weil sie in dieser Hinsicht in ebenso lebendiger Bewegung bleiben muss, wie das von ihr bedachte Wort Gottes, so dass sich nicht im Vorhinein festlegen lässt, was auch noch morgen zu sagen sein wird. Die Halbwertzeit ihrer Erkenntnisse wird der Halbwertzeit der Lebendigkeit des Lebens entsprechend kurz bemessen vorzustellen sein, wenn sich die Theologie mit ihnen nicht in einem Gestern verschanzen will. Aber das Wahrnehmungsgefälle und die Blickrichtung der Theologie, die von der theologischen Methode beschrieben werden, unterliegen nicht einfach einem solchen Wandel, sondern haben ihre Aufmerksamkeit zu konzentrieren und zu disziplinieren, wenn sie sich nicht einfach den unterschiedlichen Situationen preisgeben, sondern in ihnen zu angemessenen und ausweisbaren Einsichten gelangen will. Die von der Methode beschriebene Erkenntnisordnung hat der Seinsordnung zu entsprechen, nach der Gott als der sich Gebende und der Mensch als der Empfangende zu gelten hat (8). Kommt die Theologie dann auch tatsächlich zu solchen belastbaren Einsichten oder kann gar zu einer annähernden Übereinstimmung mit ihrem Gegenstand durchzustoßen, so liegt das aber nicht im Bedingungsfeld ihrer Methode, sondern allein im Wirkungsbereich der Lebendigkeit Gottes. Es gehört zum besonderen Wesen der Gegenständlichkeit der Theologie, dass sie es direkt niemals mit ihrem Gegenstand, also dem sich selbstvergegenwärtigenden Wort Gottes zu tun bekommt, sondern immer nur mit den praktischen Reflexen auf ihren Gegenstand – entweder in der Kirche oder auch bei den Theologinnen und Theologen, die sich als solche auch selbst der Gemeinde Jesu Christi zurechnen (KD I/1, 84). Barth zählt es zu den genuin kritischen Aufgaben der Theologie, diesen Abstand zu dem spezifischen Charakter des von ihr niemals erreichbaren Gegenstandes ausdrücklich zu wahren.18 Barth spricht gern von Entsprechungen und verortet die Einsichten der Theologie im Horizont von Analogien, nämlich dem der analogia fidei, warnt aber zugleich entschieden vor allen Hoffnungen auf allzu unmittelbare Intimität mit der zu beden18 Vgl. Nielsen, Theologie als kritische Wissenschaft, 414.

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kenden und zur Sprache zu bringenden Wirklichkeit (vgl. Kap. I.6). Da die Entsprechung niemals vollkommen ist, bleibt sie stets verbunden mit Nichtentsprechung, so wie die Analogie eine Ähnlichkeit bei gleichzeitiger Unähnlichkeit bezeichnet (KD II/1, 254). In Anlehnung an die klassische Definition des IV. Laterankonzils19 spitzt Barth diese Aussage zu, es gehe „um eine Ähnlichkeit bei größerer Unähnlichkeit“ (KD I/1, 252), so dass auch mit dem Instrument der Analogie äußerst vorsichtig umzugehen bleibt. Methodisch ist es möglicherweise deutlich weniger zentral als weithin angenommen wird. Es ist schließlich zumindest bemerkenswert, dass Barth in seinem Buch „Fides quaerens intellectum“ (1931), das auch nach eigenem Bekunden als sein Durchbruch zu der Neuausrichtung seiner Denkweise in der Kirchlichen Dogmatik gilt, von der Methode der Analogie keinen Gebrauch macht. Wenn wir es im Falle der Analogie mit einer möglicherweise in besonderer Weise für die Ethik probaten methodischen Möglichkeit zu tun haben, wird auch hier die methodische Generalanweisung nach permanenter kritischer Selbstkontrolle nicht außer Kraft gesetzt. Gelegentlich wird von Barth die Inanspruchnahme von Analogien sogar ausdrücklich abgelehnt, wie beispielsweise im Falle der sogenannten vestigia trinitatis, den metaphorischen Illustrationen, die gern zum Verständnis der Trinitätslehre herangezogen werden (KD I/1, 354 ff), oder auch bei dem für Taufe und Abendmahl verwendeten Sakramentsbegriff, der nicht einfach in einer Entsprechung zu dem eigentlichen Sakrament, nämlich Jesus Christus, verwendet werden könne.20 Es darf in keinem Falle passieren, dass durch die in Anspruch genommene Analogie das Geheimnis Gottes durch irdische Entsprechungen gleichsam begehbar zu sein scheint. Barth spricht in diesem Zusammenhang von einem ‚uralten tronjanischen Pferd‘ (KD I/1, 355), durch das gleichsam die Gefährdungslage umgekehrt wird, indem stillschweigend unter der Hand eine Umdrehung der gebotenen Blickrichtung vorgenommen und der Anschein erweckt wird, doch irgendwie des Geheimnisses Gottes ansichtig werden zu können. Unberührt von den benannten Einschränkungen bleibt die Verpflichtung der Theologie auf eine schlüssige und nachvollziehbare Argumentation, die dann aber gleich auch als hinreichend dafür angesehen wird, was das Verständnis der Theologie als Wissenschaft anlangt (KD I/1, 6). Im Unterschied zu der soeben bedachten methodischen Grundanweisung wird in diesem Bereich eine große Freiheit zu methodischer Vielfalt einzuräumen sein (KD I/2, 863). In keinem Fall kann es aber angesichts der Diffusität der gegenwärtigen Wissenschaftslage um das tatsächlich auch unnötige Hofieren einer ja auch immer nur zufällig ausgewählten Wissenschaftsvorstellung gehen, denn ein „Pachtrecht auf den Namen ‚Wissenschaft‘ hat keine Wissenshaft“ (KD I/1, 9). Von dem den Naturwissenschaften immer wieder fälschlicherweise unterstellten Methodenmonismus kann ganz und gar geschwie-

19 Zum klassischen Verständnis vgl. Track, Analogie, 639. 20 Vgl. dazu Weinrich, Karl Barths Sakramentsverständnis.

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gen werden, weil es diesen im Grunde nur in dem doch eher naiven weltanschaulichen Credo eines empiristischen Naturalismus gibt.21 Die Existenz der anderen Wissenschaften, die höchst achtunggebietende Treue, mit der wenigstens manche von ihnen ihren Axiomen und Methoden nachgehen, kann und muß sie daran erinnern, daß auch sie ihrer eigenen Aufgabe ordentlich, d. h. mit entsprechender Treue nachgehen soll. Sie kann sich aber nicht von jenen darüber belehren lassen, was das in ihrem Fall konkret zu bedeuten hat. […] Sie hat sich nicht vor ihnen zu rechtfertigen, vor allem nicht dadurch, daß sie sich den Anforderungen eines zufällig oder nicht zufällig allgemeinen gültigen Wissenschaftsbegriffs unterzieht. (KD I/1, 6)

Vor allem kann und sollte sich die Theologie „die Mühsal einer besonderen Apologetik ersparen“ (KD IV/3, 1011), auch wenn es darum geht, von den Anderen wahrgenommen werden zu wollen; sie wird am ehesten dann auch von außen Interesse finden, wenn sie sich nicht ihren Blickwinkel von außen verordnen lässt, sondern bei ihrer Sache bleibt und „vor ihren Augen und Ohren stracks ihren eigenen Weg“ (1011) verfolgt. Die Gelassenheit, die Barth an dieser Stelle auszeichnet, darf nicht als Signal für einen Auszug der Theologie aus der Universität verstanden werden, wenngleich auch diese Möglichkeit für den Fall nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich die Universität einem so engen Wissenschaftsverständnis verschreiben könnte, in dem dann für die Theologie kein Platz mehr ist, aber dann würde dies auch einen Großteil der Geisteswissenschaften mitbetreffen. Exkurs: „Kritischer müssten mir die Historisch-Kritischen sein!“ In der konkreten Auslegung biblischer Texten ist Barth bereit, eine Vielfalt unterschiedlicher Methoden anzuerkennen, sofern die erwähnte methodische Generalanweisung für die Theologie durch sie nicht außer Kraft gesetzt wird (vgl. Kap. I.3). Eine sogenannte pneumatische Exegese, wie sie gern unter Berufung auf Barth in evangelikalen Kreisen als Alternative zur historisch-kritischen Exegese gefordert wird, entkommt nach Barth keineswegs automatisch besser der Gefahr, etwas in den Bibeltext einzulegen, als andere Methoden. Umgekehrt kann der historisch-kritischen Forschung nicht abgesprochen werden, auch zu theologisch erhellenden Einsichten zu führen. Mit seinem berühmten Stoßseufzer im Vorwort der zweiten Fassung seines Römerbriefkommentars von 1922 „Kritischer müssten mir die Historisch-Kritischen sein!“22 wird der historischen Kritik in keiner Weise das Recht bestritten, wohl aber wird ihr vorgeworfen, dass ihre Kritik defizitär bleibe. Das 21 Für die neuere Physik weist beispielsweise Christian Link darauf hin, dass wir – ähnlich wie es von Barth für die Theologie reklamiert wird – nicht nur Zuschauer, sondern immer auch Teilnehmer des betrachteten Geschehens sind; Link, Theologie als originelle Wissenschaft, 419. 22 Barth, Der Römerbrief (Zweite Fassung), 14.

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hat seinen Grund darin, dass Barth die Exegeten zwar kritisch mit den jeweiligen Texten umgehen sieht, aber nicht recht erkennen kann, dass die umgekehrt von den Texten ausgehende Kritik in ihrem festzuhaltenden Recht unangetastet bleibt. Adolf Jülicher hatte in seiner Besprechung von Barths Römerbrief schon recht, wenn er Barth sich neben Paulus stellen sieht, „während wir Anderen gelassen als Beobachter dem Paulus gegenübertreten.“23 Allerdings sieht er Barth damit die wissenschaftliche Perspektive in eine homiletische Perspektive eintauschen, während Barth mit diesem Perspektivenwechsel gerade die Theologie an ihre kritische Aufgabe zu erinnern versucht, die eben darin bestehe, der Intention des Textes so nahe wie möglich zu kommen, was nur gelingen könne, wenn versucht wird, die Blickrichtung des Textes einzunehmen soweit wie es möglich ist. Die Exegeten scheinen mehr an den Umständen interessiert zu sein, unter denen ein Text entstanden sein mag, als an dem, was er in diesen Umständen mitzuteilen hatte. Dabei droht sich der Inhalt gleichsam in die Umstände aufzulösen, unter denen er verfasst wurde, weil diese bereits zu erklären scheinen, warum etwas so und eben nicht anders gesagt wurde. Zweifellos bestreitet Barth in keiner Weise, dass es von großer Bedeutung ist, so viel wie möglich über die jeweiligen historischen Umstände der Entstehung eines biblischen Text in Erfahrung zu bringen, aber neben der Tatsache, dass uns diese Umstände auch bei noch so großer Anstrengung doch vor allem im Dunkeln bleiben werden, ist mit ihrer Rekonstruktion bestenfalls die Form, aber keineswegs auch schon der Inhalt eines Textes tatsächlich gewürdigt worden. Die exegetische Arbeit endet hier schon dort, wo sie nach der optimalen Aufklärung der unterstellten historischen Umstände überhaupt erst zu ihrer entscheidenden Aufgabe kommt, nämlich zur Sprache zu bringen, worin nun das Zeugnis des jeweiligen Textes besteht. Die Exegeten lassen weithin durch ihre historischen Rekonstruktionen die Zeugen so gut es geht wieder lebendig werden, ohne sich dabei aber wirklich für ihr Zeugnis zu interessieren. Die biblischen Zeugen haben aber nicht geredet, damit sie selbst und ihre Lebensumstände in der Erinnerung gehalten werden, sondern weil sie uns etwas zu sagen hatten, so dass wir ihnen auch erst dann tatsächlich gerecht werden können, wenn wir sie das sagen lassen, was zu sagen sie sich gedrängt sahen. Gegen die Historisierungen und die damit verbundenen Psychologisierungen wendet Barth ein, dass ein Zeuge kaum gründlicher missachtet werden kann als durch Missachtung seines Zeugnisses. Es geht hier um ein Grundproblem menschlicher Kommunikation, die Barth nicht unwesentlich dadurch belastet sieht, dass die Mitteilungen eines Gegenübers in immer größerem Maße nur als Instrumente der Selbstmitteilung verstanden werden. Die Mitteilung wird aber nicht schon darin recht verstanden, daß wir ergründen, aus welchen Voraussetzungen und in welcher Lage, in welchem sprachlichen Sinn und in welcher Absicht, in welchem konkreten Zusammenhang – und in diesem 23 Jülicher, Ein moderner Paulusausleger, 97.

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Sinn: in welcher Meinung der Andere uns nun eben dies oder das gesagt haben möchte. Und es kann die Auslegung seines Wortes unmöglich nur in der Auslegung bestehen, die ich mir, indem ich ihn anhöre, unwillkürlich oder auch bewußt, von ihm selbst, dem Redenden, zu machen versuche. Mit all dem wäre ich ja an sein Wort als solches gerade noch nicht herangekommen. Ich hätte mich mit dem Allen bestenfalls auf das Hören, Verstehen, Auslegen vorbereitet. Würde ich diese Vorbereitung schon für das Hören, Verstehen, Auslegen selbst halten und also dabei stehen bleiben, mich mit dem Wort als solchem und seinem Sprecher zu beschäftigen, wie […] gänzlich vergeblich würde der andere dann für mich geredet haben. (KD I/2, 513 f)

Und Barth bleibt noch in dieser kommunikationstheoretischen Perspektive, wenn er weiter zuspitzt: Welcher gewissenlosen Gewalttat würde ich mich ihm [sc. dem Anderen] gegenüber schuldig machen, wenn der Ertrag meiner Begegnung mit ihm nun etwa nur der sein sollte, daß ich ihn jetzt kenne oder etwas besser kenne als zuvor? […] Wieviel Unrecht tut man sich dauernd an, wieviel unleidliche Verstopfung der menschlichen Beziehungen, wieviel Abgeschlossenheit und Armut, in der infolgedessen die Einzelnen leben müssen, hat nur darin seinen Grund, daß man diesen doch in sich sonnenklaren Anspruch, den jedes von Einem an den Anderen gerichtete Wort bedeutet, nicht ernstnimmt. (515)

Auch wenn eingeräumt wird, dass sich gerade aus kommunikationstheoretischen Gründen zu dieser Argumentation mit vielen ausweisbaren Gründen auch eine ernstzunehmende Gegenargumentation anführen ließe, lässt sich wohl schwerlich bestreiten, dass Barth hier einen allemal bemerkenswerten Aspekt anspricht, der die Kommunikation vor ihrer vollkommenen inhaltlichen Entleerung zu bewahren helfen soll. Es geht um den Hinweis auf die Gefahr, dass ein allzu konsequentes Ernstnehmen der Personen und der sie prägenden Umstände dazu führen kann, sie am Ende gar nicht ernst zu nehmen, weil wir sie durch unsere Verrechnungen ihrer Mitteilungen mit dem Kenntnisstand über ihre persönlichen Eigenheiten gleichsam entmündigt haben, uns abgesehen von ihrer Person noch etwas Bedeutsames mitteilen zu können. Am Ende steht hier schließlich eine Form des Selbstschutzes, die sich gegen Behelligungen immunisiert, die über die Verrechnungsmöglichkeiten hinausgehen, die uns von uns aus begehbar zu sein scheinen. Wir messen uns mit diesen Verrechnungen ein Urteil darüber zu, was als was wahrgenommen zu werden verdient. Es ist eine nach außen gerichtete Kritik, die möglicherweise gerade einer Kritik in den Weg treten soll, die sich auch an uns wenden könnte, und sei es auch nur in der Form einer Horizonterweiterung, die – indem sie unsere bisherigen Festlegungen durchbricht – auch als eine Bereicherung erfahren werden könnte. Diese Zuspitzung der von Barth allgemein formulierten Sorge zeigt ihre besondere Brisanz in ihrer Beziehung auf unsere Kommunikation mit dem biblischen Zeugnis, weil sein Inhalt uns mehr oder weniger unentwegt auch etwas zumutet, das den Rahmen unserer Verrechnungsmöglichkeiten überschreitet und somit der

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Gefahr ausgesetzt ist, für ein nicht mehr nachvollziehbares Relikt der Vergangenheit gehalten zu werden, das wir deshalb nun heute bedenkenlos übergehen können. Dagegen fordert Barth die für die Kommunikation notwendige Gegenseitigkeit ein, die an die Stelle der Einseitigkeit unseres Zugriffs auf die Texte treten muss, damit diese nicht nur als Dokumente ihrer Zeit zu uns sprechen, sondern auch tatsächlich etwas sagen können, das auch unsere Aufmerksamkeit heute auf sich zu ziehen verdient. Wenn eingeräumt wird, dass es in der Bibel nicht darum geht, dass sie uns etwas über die Frömmigkeit antiker Juden und Christen im Mittelmeerraum erzählen will, sondern vor allem darum, was diese uns von ihrer Begegnung mit Gott zu bezeugen haben, kann es nicht wirklich verwundern, dass da dann auch uns Fremdes und Unvorstellbares zur Sprache kommt, es sei denn wir nehmen an, dass mit Gott nur eine bestimmte Seite der uns jederzeit und überall zugänglichen Wirklichkeit gemeint sei. Die biblischen Zeugen sprechen von etwas, was wir uns nicht einfach selbst sagen können und das sich auch nicht im Horizont allgemeiner Wirklichkeitserfahrung einfach verifizieren lässt. Die diesen Nachrichten gegenüber gebotene Haltung kann eigentlich nur Neugierde sein, es sei denn, wir wollen es bei dem Kreislauf des immer wieder mit ausgetauschten Mitteln angestrengten Versuchs der Selbstbestätigung bewenden lassen. Gefordert ist also eine Kritik, die den kritischen Pointen der Texte nicht ihre Spitze abknickt, sondern diese in der Reichweite nachzuvollziehen versucht, wie es die biblischen Zeugen es uns ans Herz zu legen versuchen. Das hier zu führende Gespräch kann nicht dadurch zustande kommen, dass wir die Bibel zunächst einmal über das Potenzial ihrer Überzeugungskraft belehren, sondern allein dadurch, dass wir ihr zunächst einmal zuhören und sie auch ausreden lassen, so dass als erstes hermeneutisches Prinzip – mit Friedrich-Wilhelm Marquardt gesprochen – gelten kann: „Ausharren beim Text durch Vertrauen zum Text.“24 Es wird sich dann schnell zeigen, dass die Verstehenshindernisse, die der Text aufgrund seiner historischen Abständigkeit mitbringt, durchaus weniger gewichtig sind als die, die von unserer Seite aus seinem Inhalt entgegengestellt werden. Rudolf Smend weist in genau diesem Sinne darauf hin, dass für Barth in dem Lessingproblem des ‚garstig breiten Grabens‘ zwischen damals und heute das deutlich geringere Problem gegenüber dem Petrusproblem („Herr, gehe hinaus von mir, denn ich bin ein sündiger Mensch!“; Lk 5,8) liegt; ja, die Lessingfrage könne geradezu für ein willkommenes Ausweichmanöver gegenüber der eigentlichen Herausforderung des biblischen Zeugnisses benutzt werden.25 Dagegen ist aber die Ausgangsposition im Verhältnis zur Bibel nun eben diese, dass zwar der Inhalt der Bibel für ihre Verfasser ebenso belangvoll ist wie für ihre Leserinnen und Leser, dass aber die Leserinnen und Leser diesen Inhalt nicht anders als durch die biblischen Zeugnisse übermittelt bekommen können. Hinsichtlich des Inhalts des Wortes Gottes bleiben wir auf das biblische Zeugnis angewiesen, so dass wir mit der Infragestellung ihres Zeugnisses uns ganz vom 24 Marquardt, Exegese und Dogmatik in Karl Barths Theologie, 661. 25 Vgl. Smend, Karl Barth als Ausleger der Heiligen Schrift, 30.

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Wort Gottes abschneiden, weil es keinen Ort gibt, von dem aus sich dieses Defizit dann verlässlich beheben lässt. Wenn wir uns nicht zu der theologischen Grundannahme durchringen können, dass sich die biblischen Autoren in ihrem Zeugnis von Ereignissen zum Schreiben veranlasst sahen, die sie als Selbstoffenbarung Gottes verstanden und bezeugt haben, wird es keinen exegetischen Blickwinkel geben, aus dem heraus dies evident gemacht werden könnte. Dass das Zeugnis der Bibel nicht nur bestgemeintes Zeugnis, sondern auch bezeugte Wirklichkeit – eben die Wahrheit der von ihr bezeugten Wirklichkeit – ist, kann letztlich nur im Akt des von dieser Wirklichkeit geweckten Glaubens bekannt und weder am Text noch durch seine Wirkungsgeschichte bewiesen werden. Die von Barth unermüdlich betonte Gegenständlichkeit des biblischen Zeugnisses kann nur aus der Anerkennung ihrer tatsächlichen Gültigkeit heraus begründet werden. Wir kommen hier keineswegs zufällig auf die Unausweichlichkeit des bereits oben angesprochenen Zirkels zurück, der dem Zirkel der Selbstverschlossenheit des Menschen gegenüberzustellen bleibt. Das Problem der Exegese ist in gewisser Weise das Problem der Theologie überhaupt, so dass wir uns mit diesem Exkurs ganz und gar nicht vom Thema dieses Kapitel abgewandt haben. Barth hat mehrmals die Lebendigkeit der Wirklichkeit, von der die Theologie zu reden hat, in die Metapher eines fliegenden Vogels gefasst. Alle Versuche, ihn zu beschreiben, bleiben unzulänglich, weil sich die Lebendigkeit seines Fliegens nicht in unsere Beschreibungen und Interpretationen hineinholen lässt. So wie schon das biblische Zeugnis nur ein Bild von ihm abgibt, umso deutlicher ist dies dann auch in unseren redlichsten Interpretationen dieses Zeugnisses der Fall. „Der Vogel macht alle nur erdenklichen Anstrengungen zu fliegen, aber schließlich ists doch auch wieder ein gemalter Vogel, wie es nicht anders sein darf.“26 Aus der Situation dieser Verlegenheit kann uns nur die Wahrnehmung seines tatsächlichen Fliegens herausführen. Es wird keine theologische Methode geben können, die uns dahin zu bringen vermag, bestenfalls wird sie es uns ein wenig erleichtern, ihn dann zu erkennen, wenn sich uns sein Flügelschlag zeigt. Dass er sich aber zeigt, dass ist die fundamentale Verheißung, von der her und auf die hin die Bibel zu lesen und in der Theologie auf ihren Inhalt hin zu befragen ist. In dem Maße, in dem die Wahrnehmung der theologischen Aufgabe als „wissenschaftliche Selbstprüfung der christlichen Kirche hinsichtlich des Inhalt der ihr eigentümlichen Rede von Gott“ (KD I/1, 1) an das Zeugnis der Bibel verwiesen ist, wird sie auch in ihrer dogmatischen Methode die methodischen Grundsätze der Exegese nicht aus den Augen verlieren dürfen. * Genau an der Stelle, wo sie hingehört – nämlich in den Prolegomena zur Dogmatik – findet sich eine ausdrückliche Methodenreflektion zur Dogmatik (KD I/2, 26 Barth an Thurneysen am 03.12.1920: Barth/Thurneysen, Briefwechsel, Bd. I, 448.

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§ 24.2: Die dogmatische Methode). Ziel des Abschnittes ist es zu begründen, warum Barth mit seiner Dogmatik auf die alte Loci-Methode zurückgreift und sich damit gegen den Trend stellt, die Dogmatik im Rahmen eines prägenden systematischen Konzepts zu präsentieren, mit dem die Verfasser immer auch ein eigenes theologisches Programm ins Fenster stellen. In ihrer Bindung an das Wort Gottes hat sich die Dogmatik über seinen biblisch bezeugten Inhalt Rechenschaft abzulegen und die Kirche darin kritisch zu begleiten, wie sie diesen Inhalt in ihrem Reden und Tun bestimmend bleiben lässt. Wenn Barth hier von dem „paradigmatische[n] Vollzug der notwendigen Beziehung des Hörens auf das Lehren“ spricht (KD I/2, 955), geht es vor allem darum, dass die Kirche in ihrem Reden auch das zur Sprache bringt, was ihr zu sagen aufgetragen ist, bzw. genauer gesagt, was ihr zu sagen jeweils aufgetragen wird. Barths Formulierung deutet an, dass es um das jeweilige „Lehren“ der Kirche geht und nicht um eine womöglich für alle Zeiten aufzustellende „Lehre“ der Kirche. Die Dogmatik unterbreitet in der jeweiligen Gegenwart einen Vorschlag für „ein durch den Inhalt des Wortes Gottes notwendig und wirklich gemachtes Denken und Reden.“ (955) Zwar kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass sich der Inhalt des Wortes Gottes nicht ändert, so wie sich seine biblische Bezeugung nicht ändert, aber es wird als das lebendige Wort Gottes in verschiedenen Situationen auf unterschiedliche Weise zu uns sprechen und in unterschiedlicher Weise gehört werden. „Könnte nicht morgen fundamental werden, was uns heute nicht fundamental erscheint und umgekehrt?“ (967) Der von der dogmatischen Arbeit einzuschlagende Weg – also die dogmatische Methode – hat „der in der Schrift bezeugten Offenbarung als Wort Gottes“ (957) und dem von ihr vorgezeichneten Weg zu folgen. Dogmatik ist für Barth – mit Eberhard Jüngel gesprochen – in erster Linie „konsequente Exegese“.27 Methodisch ist sie als „Folgeleistung gegenüber dem ihr im Schriftwort vorangehenden lebendigen Gotteswort“ (KD IV/3, 33) ganz und gar an dieses gebunden. In der Dogmatik machen sich der Theologe und die Theologin das Anliegen des biblischen Zeugnisses gleichsam zu eigen und lassen „sich in dessen Bereich und Wirkung einbeziehen“, um dann den Anderen „seine [bzw. ihre] nach bestem Willen und Gewissen vollzogene Entscheidung, damit als hoffentlich ernst zu nehmende Anfrage, als hoffentlich gut begründeten Vorschlag, als hoffentlich beachtlichen und wertvollen Rat, aber grundsätzlich doch nur als Anfrage, Vorschlag und consilium, nicht aber als letztlich und absolut bindendes Gebot vorlegen zu können“ (KD I/2, 961). Es ist dies bindende Einverständnis, das der Dogmatik ihre spezifische Freiheit verleiht. Die „Autonomie der Dogmatik bezeichnet ihren Gehorsam gegen das Wort Gottes, sofern dieser Gehorsam die eigene, freie Entscheidung des menschlichen Subjekts der Dogmatik ist“ (959). Für Barth ist es nun entscheidend, dass die Dogmatik sich in ihrer Wahrnehmung des Wortes Gottes nicht von irgendwelchen Grundannahmen steuern lässt, die am Ende alle Wahrnehmungen zu einem stimmigen System anzuordnen ver27 Jüngel, Einführung, 46.

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suchen. Solche Grundanschauungen übernehmen unversehens „die Stellung und Funktion, die nach allen unseren Überlegungen allein dem Worte Gottes zukommen kann.“ (964) Jeder Nachlass im Blick auf die Dominanz ihres Gegenstandes bedeutet unweigerlich auch eine Einschränkung ihrer Freiheit. Offensichtlich sieht Barth die Theologie so sehr von dieser Versuchung der Systematisierung bedrängt, dass sich seine Überlegungen zur Methode weithin als Abweisungen von Festlegungen lesen. Diese Abweisungen kommen darin überein, dass sie die Theologie vor Stilllegungen bewahren wollen, die sie genau in dem behindern, worin sie gerade ihre jeweils aktuelle Notwendigkeit hat. Die Traditionsbindung der Kirche steht ebenso wie die ihr ja keineswegs abzusprechende Trägheit eher für Bestandswahrung als für lebendige Flexibilität. Diese Gesetze ihrer institutionellen Natur benötigen keine eigene Unterstützung durch die Theologie. Wohl aber bleibt sie unablässig neu von der aktuellen Lebendigkeit des Wortes Gottes zu mobilisieren, und dazu bedarf sie der Theologie, die sie auch vor allem um dieser Aufgabe willen ausdrücklich wollen sollte, um der Gefahr ihrer Selbstversteifung nicht ganz zu erliegen. An irgendeiner Stelle in der Kirche muß das Bewußtsein dieser Gefahr oder positiv: das Bewußtsein der Notwendigkeit des Offenbleibens ihres Verhältnisses zum Worte Gottes wachbleiben. Und eben damit das geschehe, bedarf es offenbar der kirchlichen Wissenschaft der Dogmatik. (967 f)

Und so kann es nicht mehr verwundern, wenn Barth dann zugespitzt formuliert: Grundsätzlich in diesem Offenhalten und nur darin besteht die dogmatische Methode. Sie besteht in der immer wieder zu treffenden Vorsorge, daß der Gegenstand selber für sich selber sprechen kann, daß seine Wirkung auf das menschliche Denken und Reden nicht gestört werde. […] Dogmatische Methode besteht also schließlich schlicht darin, daß Gottes Werk und Handeln in seinem Wort über Alles (wirklich über Alles!) geehrt, gefürchtet und geliebt werde. (970)

Es ist kein Zufall, dass diese Zusammenfassung uns wieder an das erste Gebot erinnert, diesmal in Anspielung auf Luthers Erklärung im Kleinen Katechismus. Die hier von Barth geforderte Offenheit ist eine überaus qualifizierte Offenheit und unterscheidet sich damit ihrem Grunde nach von jeder Beliebigkeit. Sie steht um der Freiheit Gottes willen gegen alle die Theologie organisierenden Grundannahmen, selbst die Orientierung an der Christologie (974) oder dem Bekenntnis der Kirche (967), ja, nicht einmal der Ehre Gottes (976). Den einzigen Beweis, den es in der Theologie geben kann, ist der Selbsterweis Gottes (KD I/1, 169), und auf diesen Beweis wird von Barth dann auch immer wieder verwiesen (u. a. KD II/1, 49 ff, 342).28 Die Aufgabe der Dogmatik wird grundsätzlich verkannt, wenn sie als Hüterin irgendeiner alten oder neuen Orthodoxie – der rechten Lehre der Kirche – ver28 Vgl. dazu Nielsen, Die Rationalität der Offenbarungstheologie, 40 ff.

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standen wird. Sie würde damit die Kirche vor allem in ihren problematischsten Neigungen bekräftigen anstatt sie immer wieder neu an die Quelle ihrer Lebendigkeit zu erinnern. Der Gegenstand der Dogmatik, der diese ihre Methode diktieren muß, ist das Wort Gottes und keine Konzeption vom Worte Gottes, also kein Grunddogma, kein Fundamentalsatz, kein Prinzip, keine Definition vom Wesen des Christentums, überhaupt keine verfügbare Wahrheit. Gewiß hat die Dogmatik einen Grund, ein Fundament, ein Zentrum. Aber – gerade unter dem Gesichtspunkt der Autonomie der Dogmatik haben wir dies zu bedenken – nicht ein Verfügbares, sondern ein Verfügendes ist dieses Zentrum. (968 f) Grundlegung heißt in der Dogmatik die Erinnerung daran, daß der Grund gelegt ist und die Erwartung, daß er immer wieder gelegt werden wird. Auf dieser Erinnerung und Erwartung läßt sich kein System gründen. Diese Grundlegung bedeutet vielmehr die Erschütterung aller nun etwa doch entstehenden systematischen Sicherheiten. Gewiß kann sie sachlich auch deren Bestätigung bedeuten, aber ebensowohl auch ihre Aufhebung und ganz sicher ihre Infragestellung. (971)

So wie sich die Lebendigkeit der Kirche daran entscheiden wird, dass sie immer wieder neu auf das Wort Gottes hört, so entscheidet sich die Angemessenheit der Theologie daran, dass sie diese Infragestellung immer wieder vollzieht. Gerade von ihrer Mitte und Grundlage her ist darüber entschieden, daß es in der Dogmatik streng genommen keine Totalansichten, keine letzten Abrundungen, Abschlüsse und Resultate, sondern eben nur Forschung und Lehre im Akt der dogmatischen Arbeit gibt, die an jedem einzelnen Punkt streng genommen immer wieder mit dem Anfang anfangen muß. (971)29

Damit hat Barth nicht nur seine Begründung für die von ihm in neuer Weise aufgegriffene Loci-Methode seiner Kirchlichen Dogmatik gegeben, sondern auch bedeutsame Hinweise darauf, wie er seine Dogmatik insgesamt recht verstanden wissen will. Es zeigt sich einmal mehr, dass der gegen ihn erhobene Vorwurf, dass er eine Neo-Orthodoxie betreibe, vollkommen ins Leere stößt. Die Loci-Methode steht für Barth gerade nicht für eine Versäulung der Theologie, indem dort die theologisch fraglichen Aspekte einigermaßen gleichrangig nebeneinander abgehandelt werden, so als werde mit jedem Thema ein neuer Raum eines im Ganzen nicht in den Blick zu bekommenden Gebäudes betreten, sondern sie steht dafür, dass die sich biblisch aufdrängenden Aspekte des sich zum Menschen in Beziehung setzenden Gottes je in ihrer essenziellen Substanz für das Ganze wahrgenommen werden, so dass sich grundsätzlich von jedem einzelnen Aspekt aus das Ganze erschließt. 29 Belege zur mehrfach verwendeten Formulierung „mit dem Anfang anfangen“ bei Jüngel, Provozierende Theologie, 55.

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Daraus ergeben sich zwei für Barth charakteristische Konsequenzen. Einerseits wird in jedem Aspekt je aus einem anderen Blickwinkel das Ganze in Betracht gezogen. Indem sich Barth bemüht, mit seiner Dogmatik dem Selbstbeweis Gottes zu folgen, hat sie von dem einen Gott in seiner trinitarischen Einheit und zudem von den seinen drei Seinsweisen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes zu sprechen. Jeder der in dieser Perspektive konzipierten vier Bände der Kirchlichen Dogmatik wendet sich einem der vier zu behandelnden Loci zu (De Deo: der dreieinige Gott und die ewige Gnadenwahl, De creatione: der Vater als der Schöpfer, De reconciliatione: der Sohn als der Versöhner und De redemptione: der Geist als der Erlöser) und kann in gewisser Weise je als eine eigene Dogmatik gelesen werden, in der je unter einem bestimmten Aspekt die ganze Geschichte Gottes mit dem Menschen zur Sprache kommt. Dies gilt umso mehr als Vollständigkeit ohnehin keine Zielperspektive der Dogmatik sein kann. Und andererseits führt diese Fundamentalentscheidung dazu, dass die Theologie in jedem ihrer Aspekte auch wieder ganz auf ihren Anfang zurückgeworfen wird, weil nichts als bereits erledigt bzw. bewältigt gelten kann, sondern unter dem anderen Aspekt wieder neu zu befragen und zu bewähren ist. Weil weder die Kirche noch die Theologie das Wort Gottes als solches zu sagen, sondern zu bezeugen haben, müssen sie sich nicht mit der Sorge herumschlagen, wie sie am besten die Autorität des Ganzen zusammenzuhalten vermögen, sondern sie dürfen sich mit der deutlich ermäßigten Sorge arrangieren, in der jeweils pünktlichen Wahrnehmung des jeweils vernommenen Teils seine Beziehung zum Ganzen erkennbar zu machen. Wenn Barth den verschiedenen Dimensionen des allein trinitarisch in den Blick kommenden Gottes folgt, gilt die alte trinitätstheologische Maxime: opera trinitatis ad extra indivisa sunt – die [voneinander zu unterscheidenden] Werke der Trinität nach außen lassen sich nicht voneinander trennen. Nur so wird es einerseits möglich, auch in den Unterscheidungen stets den einen Gott im Blick zu halten, und andererseits, diesen Unterscheidungen im Horizont der Selbsterschließung Gottes je für sich auch ihr eigenes notwendiges Recht einzuräumen. 4. Theologia viatorum Auch wenn Barth nicht besonders häufig von dem Begriff Gebrauch macht und sich bisweilen sogar von einem problematischen Verständnis in der Dogmengeschichte abwendet, kann seine Theologie in besonderer Weise als theologia viatorum verstanden werden. Sie steht für die kritische Begleitung einer Praxis, die ihrerseits nicht auf die Pflege eines Status quo, sondern auf die von ihrer Hoffnung getragene Bewegungsrichtung der Kirche ausgerichtet ist. Es gehört zu den spezifischen Aufgaben, die besonders von der Theologie wahrzunehmen sind, dass sie das Unterwegssein der Kirche in einem ständigen Kontakt mit dem sich ständig erneuernden Hören auf das Wort Gottes hält. Sie steht, wie soeben unterstrichen wurde, für das notwendig zu pflegende Bewusstsein der Kirche, ihr Verhältnis zum Worte Got-

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tes offen und somit lebendig zu halten. Die skizzierte dogmatische Methode rückt dieses Offenhalten in das Zentrum des Verhältnisses zum biblischen Zeugnis (vgl. Kap. III.3). Die Kirche steht ja nicht einem von der Bibel definierten und somit einigermaßen einholbaren Gott gegenüber, sondern dem von der Bibel bezeugten Gott, der sich in seiner freien Lebendigkeit zum Menschen in eine Beziehung gesetzt hat, in der er nicht nur als deren Initiator oder Stifter erinnert wird, sondern in der er der bleibt, als der er sich gezeigt hat, nicht um beständig das zu wiederholen, was von ihm bezeugt wird, sondern um sich als der Lebendige zu erweisen, als der er auch bezeugt wird. So sehr die Theologie damit an das Zentrum ihrer unverfügbaren Ermöglichung erinnert wird, so sehr wird ihr damit zugleich auch ihre im Bewusstsein zu haltende Begrenzung annonciert. Sie kann „immer nur theologia viatorum sein“ (KD III/4, 36 – Hervorhebung M.W.); der Ton liegt auf dem „nur“. Indem sie unterwegs ist, ist es ihr weder beschieden, an ihr Ziel zu gelangen, noch irgendwo eine Bleibe aufzufinden, wo sie sich länger als für einen Moment lang einrichten könnte. Grenze und Ermöglichung kommen in ihrer Bestimmung als theologia viatorum zusammen: „Unsere Theologie ist bestenfalls theologia viatorum. Sie steht aber unter der Verheißung dieses besten Falles: daß sie eben theologia viatorum sein kann“ (KD II/1, 235), und als solche durchaus „echte Erkenntnis verheißt“ (KD III/4, 50). Dennoch behält sich Gott im Entscheidenden seine Erkenntnis selber vor. Die Theologie kann sie nicht bewirken, sondern ihr bestenfalls folgen und eben dabei auch zu bedeutungsvollen Erkenntnissen gelangen, aber sie ist dabei immer wieder neu auf die Selbsterschließung Gottes angewiesen, die Barth der Kontingenz eines unverfügbaren Ereignisses zuschreibt, dass allein der Lebendigkeit des Geistes Gottes bzw. des auferstandenen Christus zugeschrieben werden kann. So sehr auch die Theologie von diesem Ereignis lebt, so wenig kann sie es für ihre Wahrnehmungen in besonderer Weise beanspruchen. Wo sie versucht, diese Verlegenheit zu überspielen, ist sie unversehens damit befasst, in gewiss bester Absicht und zugleich höchster Anmaßung Gott in die Gestalt eines goldenen Kalbes zu gießen. Auch das Volk Israel hat ja am Sinai nicht dem unsichtbaren Gott einen Götzen entgegenstellen wollen (Ex 32), sondern wohl auch in bester Absicht versucht, diesem die Gestalt ihrer Vorstellungskraft zu geben und damit Gott die Freiheit zu nehmen, sich von dieser Vorstellungskraft niemals ganz einholen zu lassen (KD I/1, 265). Der angesichts des goldenen Kalbes entbrannte Zorn Gottes ist wohl nicht zuletzt als ein Hinweis auf die Unermesslichkeit des Abstandes des mit allem menschlichen Reichtum ausgestatteten Bildes von der unsere Sinne transzendierenden Wirklichkeit Gottes zu verstehen. Hier liegt der entscheidende Grund dafür, dass Barth in provozierender Weise sowohl der Theologie als auch der Kirche nicht nur abspricht, jemals in eine tatsächliche Konformität mit ihrer Bestimmung vorzudringen, dem Wort Gottes tatsächlich förderlich zu dienen, sondern ausdrücklich bereits mit dem Wunsch Frieden schließt, dass beide dem Wort Gottes möglichst wenig behindernd in den Weg treten mögen. Provozierend beantwortet Barth 1961 die ihm vom Magazin „Christia-

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nity Today“ gestellte Frage: „What are the most prevalent false gods of our time and how do you asses their relative significance?“: Der Ort, wo die falschen Götter stehen und verehrt werden, ist heute wie zu allen Zeiten zuerst die Kirche selbst. Sie glaubt an die Güte und Macht ihrer eigenen Tradition, Moral und religiösen Aktivität. Sie glaubt an die Vortrefflichkeit der Christen im Unterschied zu den sie umgebenden Indifferenten, Atheisten und Kommunisten. Sie glaubt an das von ihr entworfene Menschenbild, Weltbild und Gottesbild. Sie tut damit dasselbe wie die, die an das Geld, den Sport, die Technik, die Sexualität oder auch einfach an die Herrlichkeit eines bequemen Lebens glauben. Die Kirche hat zu beweisen, daß sie selbst an den Gott glaubt, der die Menschen von allen falschen Göttern befreit hat.30

In diesem Sinne sieht er die Wachsamkeit der Theologie mehr auf die Eindämmungen der Behinderungen des Wortes Gottes als in der Operationalisierung seiner Beförderung gewiesen, was wiederum an den zu wahrenden Vorrang der lebendigen Selbstbezeugung Gottes erinnert, wie Barth ihn besonders in KD IV/3 hervorhebt mit der Betonung, dass Jesus Christus selbst sein eigener wahrer Zeuge sei, der auch durch die Lüge als der besonderen christlichen Gestalt der Sünde (vgl. Kap. IV.5.4.3) nicht zum Schweigen gebracht werden kann. Die vonseiten des Menschen nicht abzustellende Verwicklung mit dem Nichtigen, das sich in der Sünde ihren Ausdruck verschafft (vgl. Kap. I.9; IV.4.4.4), führt nicht zuletzt auch die unausweichliche Gebrochenheit der Theologie vor Augen, wie sie für die Begrenztheit der theologia viatorum kennzeichnend bleibt: Es gibt keinen theologischen Bereich, in der sie [sc. die Gebrochenheit] sich nicht bemerkbar machte. Alle Theologie ist theologia viatorum: ein der natürlichen Aspiration alles menschlichen Denkens und Redens auf Vollständigkeit und Geschlossenheit nicht genügendes Werk, nicht Ausweis seines Gegenstandes, sondern nur Hinweis auf ihn – Hinweis, dessen Wahrheitsgehalt es immer nur dem Selbstzeugnis seines Gegenstandes und nicht seiner eigenen Kunst verdanken kann, gebrochenes Denken und Reden insofern, als es immer nur in einzelnen, von verschiedenen Seiten auf den einen Gegenstand gerichteten Gedanken und Sätzen verlaufen, nicht aber ein System bilden und diesen Gegenstand erfassen, gewissermaßen „einfangen“ kann. (KD III/3, 332)

Ihrem Gegenstand gegenüber kann die Theologie „nur als Stückwerk Bestand und Sinn haben“ (332). Der Dogmatiker muss sich selbst immer wieder ins Wort fallen und unablässig die Alternativen durchdeklinieren, was einen großen Teil der Extensität der Kirchlichen Dogmatik Barths ausmacht und sie davor bewahrt, material-doktrinäre Festlegungen zu propagieren.31 Es handelt sich dennoch nicht um eine ausweglose Dilemma-Situation, weil die auch noch so gebrochene Reflexion 30 Barth, Offene Briefe 1945–1968, 501. 31 Vgl. dazu Schellong, Barth lesen, 39 ff.

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von der Auseinandersetzung Gottes mit dem Nichtigen erzählen kann und auf diese Weise die Aufmerksamkeit auf die definitive Gegenbewegung lenkt, deren Ereignis der Verheißungshorizont aller theologischen Anstrengungen bleibt.32 Christopher Green sieht Barth mit seiner Theologie die Rolle des sinkenden Petrus (Mt 14,22– 33 parr.) einnehmen, der sich auch in seiner Unzulänglichkeit dazu ermutigt weiß, im Vertrauen auf die Gegenwart Christi seiner Aufforderung zu folgen und auf ihn zuzugehen.33 In positiver Wendung spricht Barth davon, dass die Theologie „wesentlich gymnastischen Charakter“ habe (KD I/1, 80), womit ebenfalls die fragmentarische und – an dem sie konstituierenden Ereignis bemessen – uneigentliche Aufgabe hervorgehoben wird; wie ein Training hat sie eine konditionierende Funktion, in der sie das sich von ihr unabhängig ereignende eigentliche Geschehen begleitet und in seiner Wahrnehmung intensiviert. Sie ist nicht der Ernstfall, auch wenn dieser stets im Blick bleibt. Ihre Erkenntnisse bleiben unter den realen Lebensbedingungen inadäquat, was es im Bewusstsein zu halten aber keineswegs zu beklagen gilt, denn „adäquates Erkennen Gottes jetzt und hier wäre kein wirkliches Erkennen, so wenig wie ein direktes Sehen in die Sonne ein wirkliches Sehen wäre. Blendung also Blindheit müßte hier wie dort die Folge sein. Wer Gott jetzt und hier sähe, wie er ist und wie er sich selbst sieht, müßte sterben.“ (KD III/4, 36)34 Es kann sich in unseren Erkenntnissen immer nur „um Segmente der Peripherie, nicht um deren Totalität und erst recht nicht um die sie konstituierende Mitte“ handeln, die aber als solche als „echte Zeichen und Bezeugungen des einen wahren Wortes“ verstanden werden können, „wenn und sofern sie […] als genaue Segmente der Peripherie dieses Kreises auf dessen Totalität und damit auf seine Mitte hinweisen“ (KD IV/3, 137). Ein besonderes Kennzeichen der theologia viatorum, die keinen Stillstand duldet, ist, dass sie grundsätzlich nicht mit der schlichten Wiederholung bereits formulierter theologischer Ansichten oder der Rezitation überkommener Bekenntnisse zufriedengeben darf. Sie kommt erst da an ihr Ziel, wenn sie zu eigenen Worten findet. Ihre Frage lautet: „Was willst du nun sagen? Wohlverstanden nicht als Kenner der Bibel, des Thomas, der Reformatoren, des altem Blumhardt, sondern verantwortlich, ernst zu nehmen, zu behaften bei deinen Worten: du? Und: Was willst du sagen?“35 Der Theologie muss anzumerken sein, ob sie es tatsächlich versucht hat, um den „brennenden Busch“ (Ex 3,2) selbst herumzugehen.36 Will das theologische Zitat mehr sein als die Bekundung der Weigerung, den von der Theologie zu gehenden Weg tatsächlich weiter zu gehen und sich damit an der Grenze zur Häresie zu platzieren, dann kann es nur als Bestätigung einer erneuten Anstrengung verwendet werden, in deren Bemühen es sich schließlich ein weite32 Vgl. dazu Wüthrich, Gott und das Nichtige, 284 ff. 33 Vgl. Green, Doxological Theology, 219 f. 34 Mose ist die Ausnahme, die genau diese Regel bestätigt, vgl. Ex 33,17–23. 35 Barth, „Unterricht in der christlichen Religion“ I, 6. 36 Ebd.

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res Mal als treffender Ausdruck des gewonnenen Ergebnisses bewähren mag. Das Gleiche gilt für die Bekenntnisse der Kirche, die als Markierungen eines erreichten theologischen Erkenntnisstandes missbraucht würden, wenn nicht noch einmal von Grund auf überprüft würde, ob sich dieser Kenntnisstand tatsächlich immer noch mit den in dem Bekenntnis gewählten Formulierungen angemessen zum Ausdruck bringen lässt. Das mag in Einzelfällen durchaus der Fall sein, aber es wird zunächst einmal zu bezweifeln sein, und in dem Fall, dass es bewahrt werden soll, weil es sich immer noch als ein adäquates Ausdrucksmittel bewähren kann, wird es in der Regel mit einer aktuellen Auslegung zu versehen sein. Es lässt sich zeigen, dass Barth, der sich ja selbst in ungewöhnlichem Umfang auf überkommene Bekenntnistraditionen beruft, durchaus an seiner eigenen Richtlinie messen lassen will, indem ihm die Berufung auf die Tradition durchgängig nicht zur Abkürzung der eigenen theologische Denkanstrengung dient, sondern immer erst dann in den Blick genommen wird, wenn damit auch eine bestimmte Neuakzentuierung in Aussicht genommen werden kann. Obwohl Barth selbst immer wieder gern an das Barmer Bekenntnis und vor allem sein Anliegen erinnert hat, weigert er sich im Jahre 1964 der Bitte nachzukommen, einen kleinen Artikel zum 30. Jahrestag der Barmer Bekenntnissynode abzufassen: Aber denken Sie: den Artikel, den Sie mir auftragen, möchte ich lieber nicht schreiben. Sicher bin ich nach wie vor an dem, was im Raum der deutschen evangelischen Kirche […] vor sich geht, sehr interessiert. Es beunruhigt mich aber tief, daß Barmen nun immer wieder (20, 25, 30 Jahre) Anlaß zu so etwas wie Jubiläen wird. Gingen die Dinge in Ordnung, dann hätte man im Eifer und Schwung, auf der Linie von Barmen zu denken, zu leben, zu reden, gar keine Zeit, Lust, Kraft und Bedürftigkeit, sich immer wieder in Erinnerung zu rufen, wie bedeutsam diese Sache damals gewesen sein und wohl auch heute noch sein möchte. An dem ist es aber notorisch nicht, und was soll es da, daß insbesondere wir „alten Kämpfer“ von damals immer wieder davon reden?37

Die Bekenntnisse genießen als besondere pünktliche Freiheitsbekundungen der Kirche eine besondere Autorität, die darin zum Zuge kommt, sie sich in dieser von ihnen in Anspruch genommenen Freiheit gesetzt sein zu lassen bzw. hinter sich zu lassen.38 Weil für Barth Antworten, die man hat, nur Ausdruck der Selbstvergessenheit der Theologie sein könnten, können sie nur dann Ausdruck aktueller theologischer Bemühungen sein, wenn die Kirche durch ihre Inanspruchnahme vor der allseits lauernden Versuchung bewahrt werden soll, gleichsam an sich selbst zu erstarren. Mit der von der Theologie zu wahrenden Bindung an ihren besonderen unverfügbaren Gegenstand korrespondiert die von diesem Gegenstand immer wieder neu provozierte Freiheit (KD I/2, 957). 37 Barth, Offene Briefe 1945–1968, 512. 38 Vgl. dazu Plasger, Die reale Autorität des Bekenntnisses; Weinrich, Karl Barth – ein reformierter Reformierter.

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Die gewiss auch aus ihrer Begrenzung zu verstehende Möglichkeit einer theologia viatorum erscheint auf diesem Hintergrund bereits als der eher selten anzutreffende Glücksfall einer gelingenden Theologie angesichts ihres tatsächlich dominierenden irreführenden Versagens zu sein. Mit ihrer besonderen biblischen Konzentration verteidigt Barth damit zugleich die einzige Existenzberechtigung des Protestantismus gegenüber den anderen Traditionen. In dem kontinuierlichen Hinweis auf die Unerschütterlichkeit des niemals zu relativierenden Gegenübers von biblischem Zeugnis und Kirche hat er seine theologische Bedeutung für die ganze Ökumene. Wo der Protestantismus allerdings diesem Hinweis nicht mehr den nötigen Nachdruck verleiht, hat er seine Existenzberechtigung verspielt (KD I/1, 279 f). Wegen dieses Hinweises bleibt er aber unbedingt zu verteidigen, weil Barth zu der für ihn charakteristischen Konzentration auf das biblische Anliegen keine für die Theologie tragfähige Alternative zu sehen vermag, weder in der neuzeitlichen Bewusstseinstheologie noch in der vormodernen Metaphysik mit ihren katholischen Nachfahren.39 5. Von der Schönheit und Gefährlichkeit der Theologie Unter allen Wissenschaften ist die Theologie die schönste, die den Kopf und das Herz am reichsten bewegende, am nächsten kommend der menschlichen Wirklichkeit und den klarsten Ausdruck gebend auf die Wahrheit, nach der alle Wissenschaft fragt, am nächsten kommend dem, was der ehrwürdige und tiefsinnige Name einer „Fakultät“ besagen will, eine Landschaft mit fernsten und doch immer noch hellen Perspektiven wie die von Umbrien oder Toskana, und ein Kunstwerk, so wohl überlegt und so bizarr wie der Dom von Köln oder Mailand. Arme Theologen und arme Zeiten in der Theologie, die das etwa noch nicht gemerkt haben sollten! – Aber unter allen Wissenschaften ist die Theologie auch die schwierigste und gefährlichste, diejenige, bei der man am ehesten in der Verzweiflung oder, was fast noch schlimmer ist: im Übermut endigen, diejenige, die, zerflatternd oder verkalkend, am schlimmsten von allen zu ihrer eigenen Karikatur werden kann. Gibt es eine Wissenschaft, die so ungeheuerlich und die so langweilig werden könnte wie die Theologie? Der wäre kein Theologe, der vor ihren Abgründen noch nie erschrocken wäre oder der vor ihnen zu erschrecken aufgehört hätte.40

Es ist seiner Theologie deutlich anzumerken, dass Barth ein leidenschaftlicher Theologe gewesen ist, der bei allen unermesslichen Anstrengungen, die er auf sich genommen hat, ebenso engagiert wie auch konsequent für die von ihm gesehene Perspektive eingetreten ist. Es hat ihm auch selbst gefallen zu erkennen, welche Reichweite von der Theologie auch dann noch durchmessen werden kann, wenn sie all den Gefangennahmen und weitläufigen Bindungen ihrer Tradition erst ein39 Vgl. Nielsen, Theologie als kritische Wissenschaft, 412. 40 Barth, Offenbarung, Kirche, Theologie, 202 f.

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mal den Rücken kehrt und sich genau auf den Nerv besinnt, von dem sie ihre zentrale Herausforderung erfährt. Wenn Barth diesen zentralen Nerv keineswegs nur in seiner frühen Theologie in der Verlegenheit der Verkündigung hinsichtlich ihres Inhalts gesehen hat, vollzieht er in jeder Hinsicht einigermaßen rigoros eine durchaus überraschende Konzentration, die ihn dazu bringt, die ganze Unternehmung der Theologie grundlegend neu zu perspektivieren. Die Theologie wird genau durch den besonderen Bedarf gerechtfertigt, der allein von ihr bearbeitet werden kann. Es geht um den Bedarf an Selbstreflexivität der Kirche hinsichtlich ihrer zentralen Aufgabe der Verkündigung des Wortes Gottes jetzt und hier. Es ist ein Bedarf, der nicht ohne tatsächliche Anteilnahme an der Aufgabe bedacht werden kann, die durch ihn befördert werden soll. Die damit vollzogene Neuperspektivierung der Theologie hat Barth in eine Freiheit versetzt, die er überaus intensiv genutzt hat, auch wenn er sich niemals über die Disziplin erhoben hat, in die er sich von der theologischen Tradition gestellt sah. Barth konnte sich als ein weitreichender Neugestalter der Theologie betätigen, ohne aber zu ihrem Neuerfinder werden zu müssen. Es war die ihm sich von seinem Gegenstand aus erschließende Freiheit, in der er sich sowohl mit den Beständen der Theologie als auch dem Selbstverständnis der Kirche kritisch auseinandersetzte. Von dieser durchaus „gymnastisch“ genutzten Freiheit ist sein Umgang mit der Tradition geprägt, der gegenüber Barth niemals in eine despektierliche Haltung verfällt, sondern die er im Zweifel zumindest dadurch in Ehren hält, dass sie ihn zu diesen oder jenen Neuorientierungen angeregt habe. Er nutzt seine Freiheit nicht nur gymnastisch, sondern durchaus auch experimentell, indem er durchprobiert, zu welchen Konsequenzen ihn diese oder jene Perspektivierung führen wird. Das zeigt sich etwa deutlich in der Entfaltung der Erwählungslehre (vgl. Kap. IV.3), die zu dem spezifischen Freiheitsraum wird, von dem aus sich für Barth dann neue Zugänge zu allen weiteren Themen der Theologie geöffnet haben. Entscheidend bleibt, dass es sich bei der von Barth beanspruchten Freiheit, von der seine ganze Theologie geprägt ist, nicht um die Freiheit eines von ihm ausgewählten Perspektivenwechsels bzw. der von ihm vorgenommenen Konzentration handelt, sondern um eine Freiheit, zu der er sich durch seine Wahrnehmung des biblischen Zeugnisses ermutigt gesehen hat, und zwar keineswegs für seine theologische Basisentscheidungen, sondern auch in der Schritt für Schritt zu vollziehenden Begehung der verschiedenen Aspekte des von der Theologie zu bedenkenden Inhalts. Will man eine Vorstellung von dem bekommen, was Barth mit der eingangs zitierten Schönheit der Theologie gemeint haben könnte, so könnte man beispielsweise auf die Architektur seiner Versöhnungslehre verweisen (vgl. Kap. IV.5.2), die in all ihrer Vielschichtigkeit und Differenziertheit dann aber auch eine gut memorierbare Grundbewegung abbildet, zu der sich Barth von dem Christushymnus des Philipperbriefes (Phil 2,5–11) animiert sah. Das ästhetische Moment, in dem Barth die von ihm wahrgenommene Freiheit theologisch zum Zuge bringt, erscheint in der systematischen Stringenz seines theologischen Vorschlags, den er ausdrücklich gegen die meisten Konzepte einer Systematischen Theologie stellt, die ihre Syste-

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matik von einer eigenen strukturbildenden Idee aus organisieren, weil sie der systematischen Selbstorganisation der zu bedenkenden Inhalte von vornherein nicht den dafür nötigen Entfaltungsraum freihalten. Auch wenn die Versöhnungslehre die Schönheit der Theologie in die Richtung der Architektur zu weisen scheint, bleibt doch die Bemerkung von George Hunsinger höchst bedenkenswert, dass die theologische Konzeptualisierung bei Barth aufs Ganze gesehen schließlich doch eher musikalisch als architektonisch zugänglich sei.41 Die Bewegung, das niemals Fixierbare, der Reichtum an Varianten und auch die wechselnde Dynamik, von denen alle Bemühungen seiner Theologie begleitet werden, haben in der Musik eine beinahe kongeniale Entsprechung. Genau besehen ist es kein Zufall, dass wir uns erst in vier Kapiteln mit Abgrenzungen und Selbstzurücknahmen der Theologie zu beschäftigen hatten, bis wir schließlich auch bei ihrer Schönheit ankommen. Wahrt sie die ihr gebotene Bescheidenheit und entspricht damit auch durchaus gelassen dem Vorrang der schlechterdings heilsamen Selbstvergegenwärtigung Gottes, so wird sie auch selbst die Schönheit der von ihr zur Sprache zu bringenden Geschichte auf eigene Weise widerspiegeln. Man kann „nur entweder gerne oder gar nicht Theologe sein“ (KD IV/3, 1010). „Evangelische Theologie hat es mit dem Immanuel, Gott mit uns! zu tun. Wie sollte sie von diesem ihrem Gegenstand her nicht dankbare und darum fröhliche Wissenschaft sein?“42 Die ihr ans Herz gelegte Gotteserkenntnis hat – auch wenn sich in ihr manche Abgründe auftun werden – keine Abgründe des zu erkennenden Gottes zu befürchten, so dass sie tatsächlich in jeder Hinsicht freudig aufgenommen werden kann (KD II/1, 246 f), handelt es sich doch recht verstanden um ein vom Dank motiviertes Denken.43 Der hier durchlaufene Weg macht deutlich, dass durch die Einräumung von Schönheit und Fröhlichkeit keine Leichtfüßigkeit legitimiert werden soll. Auch wenn es durchaus genügend Hinweise darauf gibt, dass Barth die Theologie davor warnt, sich selbst allzu ernst zu nehmen, kann dies niemals als eine Aufforderung zur Ermäßigung der Ernsthaftigkeit ihrer Aufgabe verstanden werden. Entlastet wird sie aber – und das in einer durchaus überraschenden Entschiedenheit – von dem in ihre Ergebnisse gelegten Ernst, weil diese prinzipiell überboten werden von der vorausgesetzten und eben auch immer wieder vorauszusetzenden Selbstreferenz der Gegenwart Gottes, deren Ausbleiben ohnehin alles, was die Theologie meint zu sagen zu haben, ganz und gar in die Luft stellt. Der ihr zuzuschreibende „freie Humor“ (KD IV/3, 1010) hat keine fatalistische Färbung, in der sich ihre prinzipielle Unzulänglichkeit beschwichtigt, sondern entspricht dem Vertrauen in die zurechtrückende Selbstbezeugung Gottes. Es steht der Theologie gut an, mit ihrem Hinweischarakter klar im Bewusstsein zu halten, dass einerseits Hinweise noch nicht die Sache selbst sind und dass sie andererseits ihren Dienst durchaus auch dann 41 Vgl. Hunsinger, The Loneliness of the Long-Distance Theologian, 290. 42 Barth, Einführung in die evangelische Theologie, 18. 43 Vgl. Trowitzsch, Theologie als fröhliche Wissenschaft, 408.

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schon erfüllen können, wenn sie noch nicht über die Präzision verfügen, mit der sie ihren Gegenstand bereits genau identifizieren könnten, weil dieser sich selbst identifiziert und damit grundsätzlich über alle Hinweise hinausgeht, welche die Theologie je zu geben vermag. All die Einschränkungen der vier vorangegangenen Kapitel sind als Grenzmarkierungen und Warnungen zu lesen, welche die Gefahren eindämmen sollen, denen die Theologie ständig ausgesetzt und hier und da auch ganz erlegen ist. Die Gefährlichkeit der Theologie sieht Barth auf zwei sich gegenüberstehende Seiten verteilt. Auf der einen Seite wird sie mit Erwartungen konfrontiert, die sie nicht einlösen kann, was sie dann ihrerseits in Zweifel oder gar Verzweiflung treiben kann, und auf der anderen Seite lässt sie sich zu Verstiegenheiten animieren, mit denen sie ihren Gegenstand in ihre Regie zu bekommen versucht und sich damit ihm ganz und gar entgegenstellt. Barth scheute bekanntlich keinen schmalen Grat, wenn es darum ging, den rechten Weg auszumachen. Auf solchen riskanten Wegen kann man sich nur halten, wenn einem ständig vor Augen bleibt, dass es rechts und links in den Abgrund geht. Auch sein Vergleich, dass eine Theologie, die nicht um ihre besondere Gefährdung wüsste, einem Uhrwerk ohne Pendel entspräche (KD I/1, 169), signalisiert in aller Deutlichkeit, dass sie auch in ihrer eigentlichen Bestimmung immer nur im Kontakt mit den sie bedrohenden Gefahren betrieben werden kann. Beide Seiten ihrer Gefährdung erhellen, wie schnell die Theologie Überforderungen erliegen kann, die aus einer defizitären Wahrung der faktisch gegebenen und als solche unüberwindliche Distanz zu ihrem Gegenstand resultieren. Nicht dass sie tatsächlich ihrem Gegenstand gefährlich werden könnte, sie wird vielmehr sich selbst gefährlich. Ihre Gefährlichkeit wendet sich gegen die Theologinnen und Theologen selbst und die gewiss bescheiden bleibende Zahl derer, die sich – einschließlich der Kirche – auf ihre Bemühungen verlassen. Dass allerdings die Kirche zumindest von der zweiten Gefahr ebenso bedroht wird wie die Theologie, steht auf einem anderen Blatt, das bei Barth ja keineswegs unbeschrieben geblieben ist. Neben diesen beiden Abgründen gibt es noch als dritte Gefahr die Möglichkeit einer Selbstentmündigung der Theologie, der sie vermutlich am ehesten erliegt, indem sie sich dadurch auf die jeweilige Höhe der Zeit zu stellen versucht, dass sie insbesondere die jeweils von der Philosophie und heute ebenso von den Kulturwissenschaften favorisierten Themen aufgreift und sich gleichsam anverwandelt, um sich als ebenbürtige Gesprächspartnerin präsentieren zu können. Dabei kommt weniger in den Blick, dass sie gerade durch diese Anpassung möglicherweise als Gesprächspartnerin eher an Attraktivität verliert als gewinnt, weil sich die umworbenen Gesprächspartner in der Theologie lediglich wiedererkennen können und nichts in Aussicht gestellt bekommen, was sie sich in eigener Profession nicht ebenfalls sagen könnten. Das ist die gleiche Versuchung, wie sie auch für die Selbstsäkularisierung der Kirche zu bedenken ist, die sich vor allem mit ihrer Selbstanpassung an ihre Umgebung zu empfehlen versucht. Wenn Barth in dem eingangs angeführten Zitat auch von der Gefahr der Langeweile spricht, vor der sie sich zu hüten habe, dann wird er nicht zuletzt an eine Theologie und Kirche gedacht haben,

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die sich vor allem als das geschmeidige Echo ihrer Umwelt präsentieren. Wer eine solche Theologie interessant findet, hat es längst aufgegeben, von der Theologie noch irgendetwas Substanzielles zu erwarten. Auf der anderen Seite – und darüber sollten sich die Theologinnen und Theologen auch Gedanken machen – lässt sie all diejenigen Gesprächspartner im Regen stehen, die von ihr noch erwarten, dass sie etwas über die Besonderheit Gottes zu sagen haben sollte. Es kann durchaus als ein Zeichen einer gewissen Verlotterung angesehen werden, wenn die Theologie so häufig gerade da ausfällt, wo sie tatsächlich gefragt ist. Hält sich die Theologie gegenüber diesen Gefahren auf ausreichend Abstand, dann kann sie durchaus fröhlich und zuversichtlich ihrer Straße ziehen in dem Wissen, dass sie sich mit dem verheißungsvollsten Gegenstand beschäftigt, mit dem man sich als Mensch überhaupt beschäftigen kann. Im Nachhinein erweisen sich die oben bedachten Einschränkungen und Grenzziehungen gerade nicht als Behinderungen der Theologie, sondern im Gegenteil als ein wichtiger Beitrag zu ihrer Ermöglichung. Es handelt sich keineswegs um Restriktionen und Belastungen, sondern um Freilegungen des ihr angemessenen Weges, auf dem sie dann in der von ihrem Gegenstand eröffneten Freiheit unverzagt zu gehen mag. Indem die Theologie nicht nur in der Blickrichtung ihres Gegenstandes getrieben wird, sondern vor allem auf seine besondere Veranlassung hin, ist sie in der ihr eigenen Fröhlichkeit und der von ihr angestrebten Schönheit immer auch Doxologie.44 Diese Nähe zur Doxologie unterstreicht einmal mehr die angedeutete Affinität zur Musik. Für Barth gilt diese für die Theologie in der Tradition der orthodoxen Kirchen prägende Dimension als Signatur der Zuversicht, in der sie sich auf ihren Gegenstand einlassen und von ihm in Bewegung versetzen lassen kann. Eine Theologie, die nicht auch Lobpreis Gottes sein wollte, könnte nur ein Widerspruch in sich selbst sein. Gewiss hat sie immer auch ausreichend Grund zur Klage, aber diese wird immer eher ein Ausdruck des Abstands und weniger der Nähe zu ihrem Gegenstand sein, wie beispielsweise in besonderer Weise an Barths Vorsehungslehre zu zeigen sein wird (vgl. Kap. IV.4.4). In ihrer Substanz wird sie immer von einer Hoffnung getragen sein, die unseren Klagen vor allem das Widerständige gegen Gott austreibt.

44 Vgl. dazu Green, Doxological Theology.

IV. Theologische Perspektiven

Barths Theologie lebt von den Facetten ihrer Betonungen, von den Spannungen ihrer Gleichzeitigkeiten, von dem Gefälle ihrer Begründungen, von den konzentrierten Differenzierungen der jeweils behandelten Aspekte, von der Gelassenheit ihrer prinzipiellen Nachrangigkeit und zugleich von dem Drängen ihrer Gewissheiten; sie bleibt geprägt von einer grundsätzlichen Vorbehaltlichkeit, indem sie um ihre Angewiesenheit auf die unverfügbare Lebendigkeit des Heiligen Geistes weiß, und ist zugleich getragen von dem Überzeugtsein seiner Präsenz, von der Anteilnahme an der Bewegung der Geschichte des Handelns Gottes und zugleich immer wieder neu herausgefordert von der Verlegenheit ihrer Unfasslichkeit, von dem uneinholbaren Vorsprung des biblischen Zeugnisses und der Ausrichtung auf das Zeugnis der Kirche; sie weiß sich bewegt von der Wirklichkeit des auferstandenen und somit lebendigen Christus und den in ihrem Licht wahrnehmbaren Selbstentstellungen des Menschen, von den Gewissheiten bereits geschehener Erfüllungen und dem Elend ihrer nach wie vor dominanten Verdrängungen und Verdunkelungen, von der Stärke der souveränen Freiheit des Gottes ‚Immanuel‘ und der aufwendigen Phantasie menschlicher Widerspenstigkeit. Es kann im Folgenden nicht um den Versuch gehen, die ganze Reichweite der Theologie Barths zu erschließen. Die Ausführlichkeit insbesondere seiner Kirchlichen Dogmatik ist ja nicht das Resultat mangelnder Konzentra­tions­fä­hig­keit oder eines zweifelhaften Vollständigkeitsbedürfnisses, sondern Ausdruck einer sachlichen Verantwortlichkeit und des achtsamen Respekts gegenüber der bereits geleisteten theologischen Denkarbeit, ohne welche die je aktuelle Rechenschaftspflicht über die Angemessenheit unseres heute zu verantwortenden Redens von Gott einigermaßen hilflos in der Luft hinge. Es gilt in besonderer Weise für die Kirchliche Dogmatik, dass sich Inhalt und Form nicht einfach voneinander trennen lassen. Jede komprimierte Zusammenfassung von Barths theologischer Lehre geht mit der kaum abzuweisenden Gefahr einer dogmatischen oder gar dogmatistischen Versteifung einher, der er selber gerade entgegenzuarbeiten versucht hat. Um Barth in seiner ganzen Reichweite zu erfassen, bleibt in der unmittelbaren Lektüre seiner Schriften das Gespräch mit ihn zu suchen. Und auch dabei wird es nicht unwesentlich darauf ankommen, mit welcher Aufmerksamkeit und mit welchen Erwartungen Barth jeweils gelesen wird (vgl. Kap. III).

Theologische Perspektiven

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Wenn hier dennoch der Versuch unternommen wird, eine tragfähige Einführung auch in die inhaltlichen Dimensionen der Theologie Barths zu geben, so wird die Aufmerksamkeit einerseits auf Barths Fundamentalentscheidungen gelenkt und andererseits auf die von seiner Theologie vollzogenen Bewegungen und eröffneten Räume, mit denen er seinen Leserinnen und Lesern eine Hilfe anzubieten versucht, ihre je eigene „theologische Existenz heute“ zu orientieren und zu begründen. Dieses Kapitel über die Theologie Karl Barths hat dazu einen Weg gewählt, der vor allem die besonderen Entscheidungen und thematischen Schwerpunkte aufsucht, die für seine Theologie in charakteristischer Weise als profilbildend angesehen werden können. Einerseits soll gezeigt werden, wie sich diese Theologie orientiert und artikuliert, und andererseits, welche inhaltlichen Aussagen sie herausstellt und zu bedenken gibt. Aus den auf diesem Weg aufgesuchten Akzenten der Theologie Barths ergeben sich sowohl eine Orientierung über ihre prägende Denkmentalität als auch über ihren spezifischen inhaltlichen Beitrag zur Bestimmung einer angemessenen theologischen Verständigung, die sich dann auch für die gegenwärtige Gesprächslage entsprechend erschließen lassen. In Vielem war Barth seiner Zeit und ihren Möglichkeiten voraus. In anderen Fragen ist die Zeit inzwischen über ihn hinweggegangen. In jedem Falle kommt es darauf an, ihn nicht allein von den Resultaten aus zu verstehen, sondern eben auch in seinen Fragestellungen und Perspektiven, die sich durchaus auch als haltbarer erweisen können als die einzelnen inhaltlichen Zuspitzungen. Nicht zuletzt sollten wir ihn auch in seinen Irritationen verstehen, ohne die für ihn eine angemessene theologische Existenz vollkommen undenkbar bleibt. Der in den folgenden Unterkapiteln durchlaufene Weg folgt grosso modo der von der Kirchlichen Dogmatik ausgezogenen Linie, allerdings nicht im Sinne einer kompakten Zusammenfassung, sondern im Aufsuchen von Grundentscheidungen und exemplarischen Perspektivierungen, die für Barth besonders signifikant sind. Er nimmt seinen Ausgang bei den von Barth neu bedachten Bedingungen der Möglichkeit einer ausweisbaren Theologie und der Bestimmung ihrer spezifischen Aufgabe (vgl. Kap. IV.1). Mit diesem Ausgangspunkt bleibt eine Abgrenzung verbunden, die für Barth fundamental bleibt und bis heute ihren herausfordernden Charakter nicht verloren hat, nämlich die Abgrenzung gegenüber der Möglichkeit, die Religion als ein so oder so bestimmtes allgemeines Phänomen als Ausgangspunkt für die Theologie zu wählen, um von ihr aus dann nach der Besonderheit der christlichen Religion als eine ihrer Varianten zu fragen, wie es in der Nachfolge Schleiermachers nicht nur im 19. Jahrhundert verbreitet geschehen ist (vgl. Kap. IV.2). Im Blick auf die Gotteslehre Barths (KD II) wird sodann die Aufmerksamkeit besonders auf die Gnadenwahl Gottes und den eben hier begründeten Bund Gottes mit den Menschen konzentriert (vgl. Kap. IV.3). Für die anschließende Schöpfungslehre (KD III) wird gezeigt, wie konstitutiv sie mit dem Bund verknüpft ist als Bestimmung der mit der Schöpfung eröffneten Geschichte. Zudem liegt ein eigener Ton auf der heute weithin aus der Theologie eliminierten Vorsehungslehre, die Gottes handelndes Begleiten seiner Schöpfung durch die Geschichte bedenkt (vgl. Kap. IV.4). In der

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Theologische Perspektiven

Versöhnungslehre wird anschließend die sich in Jesus Christus ereignende Erfüllung des Bundes bedacht als das besondere Eintreten Gottes für den Menschen, in dem sich dann auch der Mensch der Sünde, der genau in der Gegenbewegung zur Versöhnung angetroffen wird, als der zurechtgebrachte Adressat der Versöhnung zeigt (vgl. Kap. IV.5). In den Kapiteln IV, 3–5 kommen jeweils auch die ethischen Implikationen der dogmatischen Profilierungen zur Sprache. Die einzelnen Unterkapitel werden jeweils mit zusammenfassenden Thesen abgeschlossen, die in ihren Zuspitzungen auch die gegenwärtige Relevanz besonders herausstellen. 1. Gott wird nur durch Gott erkannt: Der Weg theologischer Erkenntnis These

Gott kann nur dann zum Gegenstand theologischer Erkenntnis werden, wenn er zugleich ihr Subjekt ist und bleibt. Er ist die Quelle der Erkenntnis, ihr Gegenstand und ihre Aktualität. Das sind die drei Dimensionen der unverfügbaren Selbsterschließung Gottes, die der Theologie in der ihr gestellten Aufgabe, das je aktuelle Reden von Gott in der Kirche kritisch auf seine Angemessenheit zu überprüfen, den ihr entsprechenden primären Orientierungshorizont erschließen.

1.1 „Theologie des Wortes Gottes“ Die Theologie Karl Barths wird als Wort-Gottes-Theologie bezeichnet. Damit wird ein zentraler Aspekt seiner Theologie angesprochen, allerdings kommt es sehr darauf an, was darunter verstanden wird. Am unverfänglichsten ist zunächst die theologiegeschichtliche Feststellung, dass Barth die treibende Kraft der theologischen Richtung zu Beginn des 20. Jahrhunderts gewesen ist, die auch als die „Theologie des Wortes Gottes“ bezeichnet wird. In ihren unterschiedlichen Facetten – außer Barth sind in der ersten Generation insbesondere Emil Brunner, Rudolf Bultmann, Friedrich Gogarten und Eduard Thurneysen dazu zu rechnen – wird sie von der Überzeugung zusammengehalten, dass der sogenannte Neuprotestantismus (liberale Theologie und Kulturprotestantismus) in der Prägung von Friedrich Schleiermacher, Albrecht Ritschl und Wilhelm Herrmann aus apologetischen Gründen die eigentliche Aufgabe der Theologie preisgegeben habe. Dem Neuprotestantismus wird der Vorwurf gemacht, dass er sich, anstatt sich in den Dienst des Verstehens des Wortes Gottes zu stellen, dem Orientierungshorizont des modernen Menschen verschrieben und die Inhalte des christlichen Bekenntnisses mit seinem historisch aufgeklärten Selbstbewusstsein harmonisiert

Gott wird nur durch Gott erkannt: Der Weg theologischer Erkenntnis

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habe. Damit habe er sich an die Bestimmungen und Bedürfnisse der Selbstwahrnehmung des modernen Menschen gebunden und mehr oder weniger konsequent das charakteristische kritische Potenzial des christlichen Bekenntnisses preisgegeben. Die Grundbewegung des Neuprotestantismus vollziehe sich unter Anerkennung des aufgeklärten neuzeitlichen Selbstbewusstseins in einer Anpassung an den Horizont, in dem der moderne Mensch noch geneigt ist, etwas für glaubwürdig zu halten. Es gelten die Bedingungen des in der Neuzeit insbesondere von den aufblühenden Naturwissenschaften gründlich veränderten Weltverhältnisses des modernen Menschen und der daraus resultierenden Zentralstellung des Menschen als dem Subjekt einer allein von immanenten Bedingungen zu verstehenden Geschichte. Das Verstehen des christlichen Bekenntnisses werde im Neuprotestantismus konsequent an den Möglichkeiten orientiert, die dem modernen Menschen noch als erwägenswerte Möglichkeiten eines Glaubens nahegelegt werden können. Pointiert gesagt: An die Stelle der traditionellen an den Inhalten orientierten Dogmatik sei die am Selbstbewusstsein des modernen Menschen bemessene Glaubenslehre getreten. Als Schlüssel diente dem Neuprotestantismus die Exposition der Religion als fundamentale anthropologische und kulturtheoretische Bezugsgröße, die der Theologie sowohl als Ausgangspunkt als auch als Zielperspektive zu dienen habe. Die von der Theologie zu bedenkenden Inhalte werden eingepasst in den Rahmen dieses anthropologisch generierten Religionsverständnisses. In diesem Horizont habe die Theologie die Aufgabe übernommen, den gesamten Traditionsbestand in die Koordinaten des bestimmenden Religionsverständnisses einzufügen, unbeschadet des einzuräumenden Eingeständnisses, dass diese Koordinaten durchaus unterschiedlich wahrgenommen und bewertet werden.1 Die Wort-Gottes-Theologie erinnert die Theologie an die zu wahrende vorrangige Bindung an ihren besonderen Gegenstand – es wurde auch gern von der „Sache der Theologie“ gesprochen – und verpflichtet sie auf die von ihr zu bedenkenden Inhalte, von denen sie als besondere Disziplin auf den Plan gerufen wird. Das „Wort Gottes“ steht in diesem Zusammenhang für den besonderen Gegenstand der Theologie, dem sie nicht ausweichen darf. Dabei steht sie nicht über dem Wort Gottes, sondern hat sich immer wieder neu unter ihm zu orientieren. Es ist diese besondere Verantwortung gegenüber dem Wort Gottes, durch welche die Theologie überhaupt erst zu dem wird, was sie in ihrem Begriff annonciert. Wenn in dieser Weise exponiert das Wort Gottes zur „Sache“ der Theologie erklärt wird, wie es in der dialektischen Theologie in den 1920er Jahren geschehen ist, liegt der Ton auf dem transzendentalen Ausgangspunkt der Theologie. Das Wort Gottes steht uns nicht einfach zur Verfügung. Es ist kein greifbarer Gegenstand und kann deshalb auch nicht einfach mit der Bibel in eins gesetzt werden. Wir haben das Wort Gottes nicht. Man kann also nicht einfach nach dem Wort Gottes greifen und es dann erklären, sondern es bleibt in der Verfügung Gottes, der es uns durch seinen Geist erschließt. Damit wird sowohl auf die Verlegenheit als auch auf die Verhei1

Vgl. dazu Weinrich, Religion und Religionskritik, bes. 63–93, 237–262.

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ßung verwiesen, welche die Theologie bestimmen. Das Wort Gottes kann nur da in angemessener Weise zum Objekt der Theologie werden, wo es selber zunächst ihr Subjekt ist und dann auch immer wieder zu ihrem Subjekt wird. Darin liegt ein im Bewusstsein zu haltender Hinweis auf die Unabschließbarkeit von Theologie, ja, auf ihre prinzipielle Offenheit. Es wäre zudem ein Missverständnis, in dem Wort Gottes so etwas wie eine besondere Autorisierung der Theologie zu sehen, kraft derer sie sich ermächtigt finden könnte, für ihre Aussagen allgemeinen Respekt einfordern zu dürfen. Diesem autoritären Missverständnis bleibt entgegen zu halten, dass das Wort Gottes keine Autorisierung, sondern eine Verpflichtung der Theologie darstellt, in der sie sich vor allem selbst auch immer wieder in Frage gestellt sieht, ist doch das Wort Gottes unendlich viel mehr, als der Mensch in der Lage ist, mit der Reichweite seiner Worte zu erfassen. Gegenüber ihren spekulativen Versuchungen wird die Theologie an die Treue erinnert, die sie ihrer lebendigen Quelle zu erweisen hat, wenn sie bei der Aufgabe bleiben will, die sie überhaupt erst tatsächlich relevant macht. Stand insbesondere für Luther, aber auch für die Reformation insgesamt das „Wort Gottes“ für das Evangelium, die gute Botschaft und somit den zentralen Inhalt der Theologie, so bekommt es in der „Theologe des Wortes Gottes“ insofern eine umfassendere Bedeutung, als es die ganze Spannweite der an die Menschen adressierten Selbsterschließung Gottes bezeichnet und damit zu dem fundamentaltheologischen Begründungshorizont aller ausweisbaren Aussagen der Theologie wird. Am „Wort Gottes“ hat sich nicht nur die ganze Lehrbildung der Theologie inhaltlich auszurichten, sondern es steht darüber hinaus auch für den Bedingungshorizont jeder belastbaren theologischen Erkenntnis. Gott an und für sich bleibt uns verborgen, aber er tritt durch sein Handeln in Erscheinung, und dies Handeln ist in spezifischer Weise identisch mit seinem Wort, dessen besondere Auszeichnung es ist, dass es in Jesus Christus Mensch geworden ist. Das Wort Gottes bestimmt ebenso den Inhalt wie auch die Form der Theologie. 1.2 „Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie“ In seinem berühmten Vortrag „Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie“ 1922 vor der Versammlung der „Freunde der Christlichen Welt“ hat Barth vor allem die Verlegenheit herausgestellt, in der sich die Theologie angesichts des Wortes Gottes befindet. Dieser Vortrag ist gewiss ein klassisches Beispiel für die fundamentale Intervention, die Barth in dieser Zeit mit seiner dialektischen Theologie für notwendig hielt. Gewiss verändert bzw. präzisiert sich später sowohl sein Zugang zu den hier ausdrücklich betonten Aporien als auch ihr Verständnis (vgl. Kap. IV.1.3), aber man würde ihn auch später falsch verstehen, wenn man die Verlegenheit – er konnte auch von der Armut sprechen2 – vergessen würde, aus der die Theologie 2

Barth, Der Christ in der Gesellschaft, 566.

Gott wird nur durch Gott erkannt: Der Weg theologischer Erkenntnis

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ihrem Gegenstand und ihrer Aufgabe gegenüber prinzipiell niemals ganz heraustreten kann (vgl. Kap. III.1). Gegenüber der verbreiteten Orientierung der Theologie an den von dem jeweiligen Religionsverständnis unterstellten Bedürfnissen der Menschen verweist Barth auf die Bedrängnis, in der sich die Theologie befindet. Diese Bedrängnis ist nicht einfach ein Ausdruck der erschwerten Bedingungen, unter denen sich in der Neuzeit die Theologie zu behaupten hat, sondern sie hat prinzipiellen Charakter, weil es sich um eine mit dem Wesen der Theologie verbundene Irritation handelt. Sie liegt in der Sache, in der uns gestellten Aufgabe. Wie weit sie von Diesem und Jenem empfunden wird, ist eine Frage für sich. […] Ich möchte diese unsre Situation in folgenden drei Sätzen charakterisieren: Wir sollen als Theologen von Gott reden. Wir sind aber Menschen und können als solche nicht von Gott reden. Wir sollen Beides, unser Sollen und unser Nichtkönnen, wissen und eben damit Gott die Ehre geben. Das ist unsre Bedrängnis. Alles Andre ist daneben Kinderspiel.3

Wenn es in der Hauptsache darum geht, Gott die Ehre zu geben, kommt es entscheidend darauf an, sich in aller Konsequenz klar zu machen, was denn sinnvoller Weise in den Blick genommen werden könnte, wenn von Gott die Rede ist. Und genau dies ist die Frage, um derer willen sich die Menschen an die Theologie wenden, weil sie sich ihrerseits in der Bedrängnis befinden, sich selber keine Antwort auf diese Frage geben zu können. Sie sind ja selbst die Frage und sehen sich mit ihrer Endlichkeit konfrontiert. Es geht dem Menschen nicht um irgendwelche Lösungen, die er sich auch selbst geben könnte, sondern um Erlösung, die nur von Gott kommen kann. Ihm steht Gott gegenüber als das Unmögliche dem Möglichen, als der Tod dem Leben, als die Ewigkeit der Zeit. Die Auflösung des Rätsels aber, die Antwort auf die Frage, das Ende der Existenznot ist das schlechthin neue Geschehen, daß das Unmögliche selbst das Mögliche wird, der Tod das Leben, die Ewigkeit Zeit, Gott Mensch. Ein neues Geschehen, zu dem kein Weg führt, für das der Mensch kein Organ hat. Denn der Weg und das Organ sind selber das Neue, die Offenbarung und der Glaube, das Geschautwerden und Schauen des neuen Menschen. Nur auf den Ernst dieses Versuches, von Gott zu reden, möchte ich hinweisen – das Gelingen ist eine andre Frage –, auf den Einsatzpunkt. (159)

Es kann nur von Gott selbst kommen, wenn es über ihn etwas Bemerkenswertes zu sagen geben sollte. Denn von Gott reden würde, wenn es ernst gelten soll, heißen, auf Grund der Offenbarung und des Glaubens reden. Von Gott reden würde heißen Gottes Wort reden, das Wort, das nur von ihm kommen kann, das Wort, daß Gott Mensch wird. Diese vier Worte können wir sagen, aber wir haben damit noch nicht das Wort Gottes gesagt, in dem das Wahrheit ist. 3

Barth, Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie, 151.

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Theologische Perspektiven

Das zu sagen, daß Gott Mensch wird, aber als Gottes Wort, wie es eben wirklich Gottes Wort ist, das wäre unsere theologische Aufgabe. (160 f)

Die von Menschen betriebene Theologie ist grundsätzlich überfordert mit dem, was von ihr erwartet wird. In der Bestimmung, dass sie die Wahrheit Gottes erschließen soll, zeigt sich die prinzipielle Überforderung. Das von Barth hier ins Auge gefasste christologische Bekenntnis kann wohl ausgesprochen werden, aber die Evidenz seiner Wahrheit, die es als Wort Gottes mit sich bringt, ist damit in seiner ganzen Reichweite noch nicht erfasst. Bei allem, was das Christusgeschehen zu erkennen gibt, überschreitet es zugleich die Möglichkeiten des Menschen und kann durch keine theologische Methode vollständig durchdrungen werden. Barth nennt beispielhaft drei Wege der Theologie, auf denen sie der Botschaft zu einem angemessenen Verständnis zu verhelfen versucht, um zugleich auch auf ihre Grenzen und somit ihre Unzulänglichkeit zu verweisen: 1. der dogmatische Weg positiver Theologie, der unbeirrt in orthodoxer Manier den Inhalt des christlichen Bekenntnisses gegen seine zeitbedingten Auflösungen verteidigt, womit aber die Fragen des Menschen gleichsam überrollt werden, 2. der kritische Weg negativer Theologie, der die Skepsis zum Prinzip erhebt und damit unter Berufung auf Gott auf eine Negation der Verstehensbedürfnisse des Menschen und seiner Fragen zuläuft und 3. der dialektische Weg, der zwar die Stärken der beiden zuvor benannten Wege zusammenbringt und – indem er Position und Kritik auf einander bezieht – auch um die Begrenztheit aller erreichbaren Einsicht weiß, der aber auch genau dort abbricht, wo es darauf ankäme, dem von ihm annoncierten Zeugnis zu der Mitte zu verhelfen, aus der dann die Wahrheit des Wortes Gottes selbst zu sprechen vermag. Aber diese Möglichkeit, die Möglichkeit, daß Gott selbst spricht, wo von ihm gesprochen wird, liegt nicht auf dem dialektischen Weg als solchem, sondern dort, wo auch dieser Weg abbricht. Den Behauptungen des Dialektikers kann man sich, wie der Augenschein lehrt, auch entziehen. Der Dialektiker ist als solcher nicht besser dran als der Dogmatiker und der Kritiker. Ihre eigentliche Schwäche, ihr Unvermögen, wirklich von Gott zu reden, ihr Zwang, immer von etwas Anderem reden zu müssen, das alles erscheint sogar beim Dialektiker potenziert: gerade weil er alles sagt und alles im Hinblick auf die lebendige Wahrheit selbst, muß ihm die unvermeidliche Abwesenheit dieser lebendigen Wahrheit in seinem Alles-Sagen nur um so schmerzlicher zum Bewußtsein kommen. […] Wir können nicht von Gott reden. (171 f)

Die Theologie kann nicht die prinzipielle Verlegenheit überwinden, dass „von Gott nur Gott selber reden kann“ (173), so dass ihr Ziel in der Sorge um das rechte Zeugnis der Kirche – auf welchem Weg auch immer – nur darin bestehen kann, dass „Gott selber rede“ (174). In allem redlichen Bemühen besteht die Lösung in dem

Gott wird nur durch Gott erkannt: Der Weg theologischer Erkenntnis

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bewussten Ausharren in der Verlegenheit, das jedem noch so bedachten Versuch überlegen bleibt, der Theologie einen Weg bahnen zu wollen, auf dem sie meint, mit ihren Möglichkeiten einen lebendigen Kontakt mit der Wahrheit des Wortes Gottes herstellen zu können. Positiv gewendet wird die Theologie – wie Barth in einem anderen Zusammenhang ausführt – mit der Aufgabe betraut, dem Wort Gottes selbst die ihm eignende Freiheit einzuräumen gegenüber den Bildern, Phantasien und Spekulationen, die wir uns selbst von und über Gott machen.4 Wenn Barth die Theologie als Wort-Gottes-Theologie versteht, muss das Wort Gottes in diesem Sinne das Prinzip der Theologie sein.5 Bestenfalls kann es der Theologie geschenkt werden, ein irdenes Gefäß des Wortes Gottes zu sein.6 Diese auf ihr liegende Verheißung hat dort ihre größte Chance auf Erfüllung, wo sie sich nicht an den kontingenten und ebenso kurzlebigen Bedürfnissen des jeweiligen Gegenwartsbewusstseins, sondern vor allem am biblischen Zeugnis orientiert. Wie die Religion für den Neuprotestantismus ist das Wort Gottes für die dialektische Theologie eine fundamentaltheologische Kategorie, die den Ausgangspunkt und den Orientierungshorizont der Theologie bezeichnet. Damit ist der entscheidende Perspektivenwechsel benannt, der die Theologie von der Konzentration auf die zu gestaltenden Ermöglichungen und Verwirklichungen der Religion abzieht, um sie in den Horizont des dem Menschen nicht verfügbaren Wortes Gottes zu stellen, in dem sie immer nur vorläufig und vorbehaltlich nach seiner möglichst angemessenen Bezeugung zu fragen hat. Es ist die Intervention gegen die längst konventionalisierte Inanspruchnahme Gottes und seines Willens für das Selbstverständnis und die Handlungsoptionen des Menschen, die hier im Vordergrund steht. Die Theologie wird gleichsam zu ihrem besonderen Gegenstand zurückgerufen und dabei auf die von diesem Gegenstand gesetzten besonderen Bedingungen und Grenzen verwiesen, die zu überschreiten sie sich ebenso leichtfertig wie folgenreich angewöhnt hat. Die Grundsätzlichkeit des Einwandes dominiert zunächst alle von Barth auch in dieser Zeit bedachten inhaltlichen theologischen Aussagen, die über das konsequent zu vernehmende ‚Nein‘ hinausgehen und die verheißungsvolle Perspektive der vom Wort Gottes ausgehenden Krisis ausmachen. Barth betont auch in dieser Zeit immer wieder die Überlegenheit des göttlichen ‚Ja‘, die Botschaft von der neuen Welt, die bereits in der alten Welt Fuß gefasst habe, den Ton vom Ostermorgen und die mit der Auferstehung Jesu in den Blick kommende Erlösung des Menschen aus seiner Bedrängnis. Aber all dies kann nur dann tatsächlich angemessen wahrgenommen werden, wenn auch die Radikalität des mit dieser Botschaft einhergehenden ‚Nein‘ zu der alten Welt, in der wir uns allen Aussichtslosigkeiten zum Trotz mit der Religion und der Theologie so bequem wie möglich eingerichtet haben, in den Blick genommen wird. Wenn in dieser Zeit das ‚Nein‘ das hinter und über ihm stehende ‚Ja‘ zu übertönen droht, so 4 5 6

Barth, Kirche und Theologie, 677. Barth, Theologische und philosophische Ethik, 553 Barth, Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie, 175.

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Theologische Perspektiven

resultiert dies gewiss aus dem Überdruss Barths an der schwer zu erschütternden Selbstgefälligkeit in Theologie und Kirche, wo man sich mit den selbst produzierten Surrogaten und religiösen Betulichkeiten zufriedengibt. Barth hat sich jedoch niemals daran beteiligt, die Menschen allein mit der Eröffnung der Bodenlosigkeit ihrer Existenz zu behelligen.

& Beintker, Die Dialektik in der „dialektischen Theologie“ Karl Barths. Van der Kooi, Anfängliche Theologie. McCormack, Theologische Dialektik und kritischer Realismus. Ruschke, Entstehung und Ausführung der Diastasentheologie.

1.3 Prolegomena zur Kirchlichen Dogmatik Wenn Barth im Laufe der 1920er Jahre und schließlich im ersten Band seiner Kirchlichen Dogmatik 1932 nach Wegen sucht, das tragende sachliche Gefälle vom ‚Ja‘ zum ‚Nein‘ deutlicher zu explizieren, so sind es vor allem zwei Bereiche, in denen er mit entsprechenden Konsequenzen zu einer belastbaren Klarheit gelangt: 1. Die Bestimmung des Ortes und der Reichweite der Theologie, die den konkreten Wirkungsbereich erkennen lässt, in dem sie sinnvoll und dann auch notwendig wird. 2. Die Bestimmung der Denkform, in der die Theologie in ihrem spezifischen Orientierungshorizont zu ihren Einsichten findet. 1.3.1 Der Ort der Theologie: Theologie als Funktion der Kirche

Die Präzisierung der Ortsbestimmung der Theologie spiegelt sich bereits in der im Titel vorgenommenen Veränderung wieder, indem Barth sein 1927 begonnenes Projekt einer „Christlichen Dogmatik“ nicht fortsetzt, sondern noch einmal neu beginnt, nun als „Kirchliche Dogmatik“. Er stellt die Theologie ausdrücklich in „den Raum der Kirche“ (KD I/1, III), weil sie der geschichtliche Ort ist, an dem das eigene Selbstverständnis in charakteristischer Weise davon geprägt ist, sich zu Gott zu bekennen. Indem in der Kirche von Gott geredet und unter mehr oder weniger deutlichem Bezug auf ihn gehandelt wird, vollzieht sie per se Theologie. Es reicht aber nicht aus, dass die Kirche unbewusst, gleichsam beiläufig, schlicht durch ihr Dasein Theologie treibt, sondern sie bedarf einer ausdrücklichen kritischen Rechenschaftsablage darüber, wie sie von Gott redet und sich in ihrem Tun auf ihn beruft. Solange sie ihre Bezugnahme auf Gott nicht einfach der Beliebigkeit überlassen will, wird die Kirche über die Bedingungen und die tatsächliche Wahrnehmung ihrer Verantwortlichkeit für ihre Gottesrede und Glau­bens­praxis – das schließt auch die Fragen nach ihrer Gestalt mit ein – nachzudenken und in einer jeweils zu formulierenden Lehre zu artikulieren haben. In diesem Sinne ist „Theologie […] eine Funktion der Kirche“ (1).

Gott wird nur durch Gott erkannt: Der Weg theologischer Erkenntnis

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Mit der entschlossenen Konzentration auf den Raum der Kirche trägt Barth einerseits dem voranschreitenden Faktum der Säkularisierung Rechnung, wie sie sich seit der Aufklärung unübersehbar ausbreitet, so dass sich längst nicht mehr die ganze Gesellschaft auf Gott ansprechen lässt, und schon gar nicht auf den Gott, wie er vom Bekenntnis der Kirche verstanden wird. Aber um diesen Gott geht es der Theologie, so dass sie in den Bereich hineingehört, der sich ausdrücklich auf dieses Bekenntnis ansprechen lässt und beruft, und das ist die Kirche. Damit wird zunächst schlicht der geschichtlichen Realität entsprochen. Andererseits besteht diese Konzentration auf den „Boden und das Dach der Kirche“7, die recht verstanden nicht mit der verfassten Kirche identifiziert werden darf, nicht einfach in einem Rückzug auf ein weltanschauliches Segment der Gesellschaft. Es geht in der Zuordnung der Theologie zur Kirche als ihrem gesellschaftlichen Subjekt nicht allein um eine Beschränkung, sondern vor allem um eine qualitative Neuaufstellung, durch welche die Kirche dann auch ihrer besonderen Sendung an die sie umgebende Welt eine neue Perspektive zu geben vermag. Eine Beschränkung wäre vor allem ein Rückzug, um sich der eigenen Identität zu versichern und den eigenen spezifischen Charakter zu bekräftigen. Aber dabei würde sie unversehens früher oder später einen sektiererischen Charakter annehmen, weil sie die Vernunft so sehr mit eigenen Spielregeln belegen würde, dass die Anschlussfähigkeit und somit die Kommunikation mit der außerhalb dieses Segmentes gebräuchlichen Vernunft im Laufe der Zeit verloren ginge. Die Kirche würde unweigerlich zu einer esoterischen Unternehmung, die ihre Bestimmung schon in sich selbst hätte. Die Kirche hat aber ihre Bestimmung nicht in sich selbst, sondern in ihrer Sendung an die Welt, in der sie sich, die sie selbst ein Teil dieser Welt ist, mit der sie umgebenden Welt in denkbar tiefster Verbundenheit und Solidarität verbunden wissen sollte – alles andere wäre ein fundamentales Selbstmissverständnis (vgl. Kap. IV.5.6). Barth bewegt sich auch in seiner Konzentration auf die Kirche entschieden im Horizont des aufgeklärten neuzeitlichen Selbstbewusstseins, das einen bestimmten historischen Entwicklungsstand widerspiegelt, der nicht per se normativ ist, sondern bezogen bleibt auf die derzeitige geschichtliche Entwicklung und daher relativ und als solcher immer auch weiter diskutierbar ist. In diesem Sinne ist er davon überzeugt, dass das aufgeklärte neuzeitliche Selbstbewusstsein vor allem deshalb noch weiter an sich zu arbeiten habe, weil es mit seinen erkenntnistheoretischen Prämissen nur noch einer Wirklichkeitswahrnehmung den Raum offenhalte, der ganz und gar für die Selbstwahrnehmung des menschlichen Subjekts und den von ihm vorgenommenen Selbstbestimmungen reserviert ist. Wenn mit der Einweisung der Erkenntnis in diesen einen Raum nicht der Verdacht genährt werden soll, dass durch die mit ihm gegebene Erkenntnisperspektive eine bestimmte weltanschauliche Selbstwahrnehmung bzw. (bürgerliche) Ideologie untermauert werden soll, muss sie sich fragen lassen, ob es tatsächlich vernünftig ist, nur das als vernünftig gelten zu lassen, was sich als eine Erscheinungsform von etwas Allgemeinen ausweisen 7

Barth, Fides quaerens intellectum, 61.

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Theologische Perspektiven

oder zumindest verstehen lässt. Kann es noch etwas wirklich Besonderes geben, wenn es erst dadurch als akzeptabel gilt, dass es sich als eine Variante des anerkannt Allgemeinen verstehbar machen und sich damit von der usurpierten Instanz des Allgemeinen die Anerkennbarkeit bescheinigen lässt? Kann nur das Anspruch auf Wirklichkeit erheben, dem der Mensch von sich aus einen Platz zugewiesen hat, so dass er keinerlei Aufmerksamkeit mehr darauf verwenden muss, dass er auch von außerhalb seiner selbst mit irgendetwas behelligt werden könnte, das seine Vorstellungskraft übersteigt und ihm damit auch grundsätzlich in den Weg treten könnte? Nach den neuzeitlichen Vorstellungen der konsequenten Selbstkonstitution des Menschen als wirklichkeitsbestimmendes Subjekt ist für solche Möglichkeiten im Grunde kein Platz mehr vorgesehen. Das ist der Punkt, zu dem Barth – mehr indirekt als direkt – mit seiner Bestimmung der Theologie als einer menschlichen Erkenntnisbemühung Diskussionsbedarf annonciert. Es ist wohlgemerkt eine von der Neuzeit etablierte Bedingung der Vernunft und audrücklich nicht die Vernunft, die Barth kritisiert, indem er – um zunächst noch auf der allgemeinen erkenntnistheoretischen Ebene zu bleiben – darauf hinweist, dass eben auch das, was als das Allgemeine gilt, immer seinerseits bereits von Bestimmungen abhängt, deren Evidenz nicht einfach als allgemein gegeben vorausgesetzt werden kann. Auch das Allgemeine bleibt in durchaus basaler Weise von besonderen Bestimmungen abhängig, die ihm überhaupt erst das Verständnis als Allgemeines ermöglichen und vergewissern. Das lässt sich nicht zuletzt daran erkennen, dass auch das Allgemeine immer nur eine begrenzte Reichweite hat und zudem keineswegs einfach als weltumspannend angesehen werden kann. Was hier so undogmatisch daherkommt, folgt durchaus einem verborgenen Dogma, wie etwa dem Dogma, dass immer nur dasjenige Wirklichkeit beanspruchen könne, was sich zu der bereits bekannten Wirklichkeit als analogiefähig und somit integrierbar erweist. Mit solchen Überlegungen stellt sich Barth ausdrücklich auf den Boden der Neuzeit und stimmt nicht in den zu seiner Zeit wachsenden Chor der antiliberalen Neuzeitskeptiker ein, die den nicht näher bezeichneten neuzeitlichen Relativismus als die Wurzel aller Übel und auch der Katastrophe des Ersten Weltkriegs ausgemacht haben. Allerdings setzt er sich – wie gezeigt – kritisch mit der Neuzeit auseinander und lässt es sich nicht verbieten, ein erst von der Neuzeit aufgerichtetes Tabu in Frage zu stellen, das er insbesondere der Theologie grundsätzlich entgegengerichtet sieht. Soll von Gott geredet werden, so kann dies nur sinnvoll geschehen, wenn er nicht als eine Partikularwirklichkeit von einer ihm übergeordneten allgemeinen Wirklichkeit gedacht wird – es könnte sich hier nur um einen vom Menschen geschaffenen Götzen handeln –, sondern wenn mit ihm etwas Besonderes auf den Plan kommt, von dem dann auch das Verständnis des Allgemeinen durchdrungen und orientiert sein will. Wollte man die Anerkennung Gottes von der Möglichkeit seiner Analogiefähigkeit abhängig machen, könnte er entweder nur noch als eine unserer Wirklichkeit immanente Größe vorgestellt werden oder müsste grundsätzlich als unvernünftig und ideologisch gebrandmarkt werden, wie es heute insbesondere im sogenannten neuen Atheismus (Richard Dawkins, Sam Harris, Michael Onfray u. a.)

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geschieht, die aus den naturwissenschaftlichen Verfahrensweisen und ihren Plausibilisierungsbemühungen eine eindimensionale Weltanschauung gemacht haben, in welcher der empirisch-positivistisch orientierte Rationalismus einen geradezu fundamentalistischen Charakter angenommen hat.8 Damit wird ein Einwand angesprochen, auf den Barth zwar im Nachdenken über die zeitgenössischen Bedingungen der Theologie gestoßen ist, der aber auch darüber hinaus eine grundsätzliche Bedeutung hat, wie sich beispielhaft an der Diskussion über die Dialektik der Aufklärung (Theodor W. Adorno, Max Horkheimer u. a.) zeigen ließe. Mit seiner Platzanweisung der Theologie in den Selbstverständigungshorizont der Kirche verabschiedet sich Barth also keineswegs aus dem allgemeinen Ringen um die nicht einfach abschließbare menschliche Suche nach dem rechten Verstehen der Wirklichkeit. Vielmehr schreibt er der Theologie in gewisser Weise eine stellvertretende Rolle zu, die sie aber auch entschlossen wahrnehmen sollte (KD I/1, 4 ff). Es ist die neu in den Blick gekommene Gottesfrage, insbesondere das Problem der Erkenntnis Gottes, welche diese grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Selbstbewusstsein des neuzeitlichen Menschen mit sich bringt. Wo Gott allerdings keine eigene Rolle mehr spielt, drängt sich diese Auseinandersetzung nicht unmittelbar auf, aber in der Kirche kann ihr nicht ausgewichen werden. Die von Barth nüchtern wahrgenommene Säkularisierung, die nach seiner Einschätzung bereits weit vorangeschritten war, animierte ihn nicht zu einem apologetischen Einspruch. Es hängt mit dem spezifischen Charakter der Gotteserkenntnis zusammen, dass er es nicht als die Aufgabe der Theologie ansieht, Gott in einer ihm gegenüber gleichgültig gewordenen Welt zur Sprache zu bringen und zu verteidigen. Was möglicherweise eine der zentralen Aufgaben der in die Welt gesandten Kirche sein mag, darf nicht zugleich als die Aufgabenbestimmung der Theologie verstanden werden, wenn diese nicht zu einer opportunitätsorientierten Strategieunternehmung einer bereits ihrer selbst gewissen Kirche werden soll. Als Funktion der Kirche steht sie vielmehr in der Verantwortung der kritischen Selbstrechenschaft der Kirche und hat die Aufgabe, den Glauben zu verstehen, nicht aber die Aufgabe, ihn anzubahnen und zu begründen (vgl. Kap. IV.1.3.2 u. 1.4). Der Apologetik der zeitgenössischen Theologie attestiert Barth einen prinzipiell widersprüchlichen Charakter, der nicht selten bis in die Selbstaufgabe reiche, indem ihre Erschließungen weniger das erhellen, was es von der Theologie aus zu bedenken gäbe, sondern vor allem den modernen Menschen mit einer (weiteren) seiner Möglichkeiten konfrontieren, die ihn vor allem auch wieder mit sich selbst beschäftigen. Der Inhaltslosigkeit der Apologetik entspricht dann auch ihre faktische Erfolglosigkeit. So entschieden sich Barth auf den „Raum der Kirche“ bescheidet, so konsequent wird diese aber darin ernst genommen, dass sie sich als ein Teil dieser Welt von der sie umgebenden Welt dadurch unterscheidet, dass sie Gott nicht als ein Produkt ihrer Wahl thematisiert, sondern sich von ihm angeredet erkennt, was zu der durchaus signifikanten und folgenreichen Differenz in der Weltwahrnehmung führt, die für sie konstitutiv ist. 8

Vgl. dazu Swarat, Kein wissenschaftlich fundiertes Denksystem.

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Theologische Perspektiven

Nur indem sie dies dann auch zur Sprache bringt und in seinen Konsequenzen bedenkt, kann sie dann auch für die sich umgebende Welt von Bedeutung sein.

& Schellong, Bürgertum und christliche Religion. Steck/Schellong, Karl Barth und die Neuzeit.

1.3.2 Die Denkform der Theologie: Credo ut intelligam

Als weiteren Grund, seine „Christliche Dogmatik“ nicht weiter zu schreiben und stattdessen noch einmal ganz von vorn zu beginnen, führt Barth an, dass er sich infolge gewachsener Einsicht nun konsequent dazu gedrängt sieht, alles auszuscheiden, was „nach existentialphilosophischer Begründung, Stützung oder auch nur Rechtfertigung der Theologie allenfalls aussehen mochte“ (KD I/1, VIII). Es ist dabei an solche Motive zu denken, die er etwa in seinem Vortrag „Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie“ hervorgehoben hat, als er den Menschen als Frage beschrieb, deren Bedrängnis auf eine aus der Transzendenz in die Immanenz kommende Antwort ausgerichtet sei (vgl. Kap. IV.1.2). Auf diese Weise werde die Menschwerdung Gottes in die Erlösungsbedürftigkeit der vorgängigen menschlichen Existenz eingezeichnet und damit ein Korrespondenzverhältnis behauptet, das die menschliche Gottesrede zu einem nicht geringen Teil vom Menschen aus rechtfertigt bzw. geradezu einfordert. Paul Tillich stützte sich später ausdrücklich in seiner Systematischen Theologie auf die Methode der Korrelation, die davon ausgeht, dass nur die Elemente der Gotteserkenntnis verstanden werden können, die sich als göttliche Antworten auf die vom Menschen gestellten existenziellen Fragen verstehen lassen.9 Das ist die methodisierte Gestalt der Denkform der Theologie, der auch Barth in seinen früheren Beiträgen bisweilen gefolgt ist und die er nun als unangemessen identifiziert und abweist.

Barth stellt alle vorausgesetzten seinsmäßigen (ontologischen) Entsprechungen in Frage, auf die sich die Theologie berufen könnte und greift damit grundsätzlich die Vorstellung von einer analogia entis an, die für das Verhältnis zwischen Gott und Mensch unterstellt wird. Sie bildet die Grundlage für die theologische Apologetik, die den Menschen vor allem mit der Selbsteinsicht zu beeindrucken versucht, um ihn dann auch mit der Evidenz Gottes imponieren zu können, was sich allerdings in der Praxis bisher nicht als besonders wirkungsvoll erwiesen hat. Aber es geht nicht um die Effektivität, sondern um die sachliche Tragfähigkeit. Diese wird von Barth nun entschieden zurückgewiesen, weil sie anthropologisch illusionär und im Blick auf Gott restriktiv sei. Barth sieht den Neuprotestantismus in unbesonnener Weise auf diesem Weg wandeln, der in besonnenerer Gestalt von der römisch-­katholischen 9

Tillich, Systematische Theologie, 73–80.

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Theologie beschritten wird, worin er sachlich den entscheidenden Grund annonciert, nicht katholisch werden zu können (KD I/1, VIII f). Es war insbesondere seine Beschäftigung mit Anselm von Canterbury, die Barths Verständnis einer angemessenen Denkform der Theologie weiter klären half. Als Ausgangspunkt stellt Barth heraus, dass die Theologie weder die Aufgabe habe, zum Glauben zu führen oder ihn zu bestärken, noch die, ihn von seinen Zweifeln zu befreien.10 Vielmehr gehe es ganz und gar um ein dem Glauben inhärentes Bedürfnis, nämlich dass er von sich aus auf Verstehen drängt: Credo ut intelligam – ich glaube, damit ich verstehe. Es geht um die Einsicht, zu welcher der Mensch durch den Glauben gebracht wird und die er sich ohne diesen Glauben nicht verschaffen könnte. Es ist der Glaube, der dem Menschen seine Wirklichkeit erschließt und ihm auch sagt, wer der Mensch ist, was er aus sich selbst heraus nicht wissen kann. Insofern appelliert der Glaube seinem Wesen nach an die Erkenntnis, die durch ihn gleichsam beflügelt wird, ohne aber von ihr jemals ganz und gar erfasst werden zu können, denn das würde ja bedeuten, dass er sie sich im Grunde doch selbst erschießen könnte. Seinen Grund hat der Glaube in Gott, der den Menschen durch sein Wort mit der Wahrheit in Berührung bringt, die als solche auch verstanden werden will, so dass sie vom Menschen im Glauben auch in dem Maße erkannt werden kann, in dem sie das Verhältnis Gottes zum Menschen und seiner Wirklichkeit betrifft. Von hier aus ergeben sich dann auch die Möglichkeit und die Bestimmung der Theologie. Indem der Glaube seinen Grund in dem Wort Gottes hat, besteht ihre Ermöglichung schlicht in der Anerkennung des Wortes Gottes. Dabei wird sie einerseits auf das biblische Zeugnis verwiesen, aber auch auf das Bekenntnis der Kirche, das in seiner menschlichen Gestalt dieses Wort Gottes aufgenommen hat und die gedankliche Orientierung ihrer Verkündigung darstellt. Damit sind die notwendigen Bedingungen der Theologie benannt, die sich zudem dem Höchstmaß der logischen Disziplin – Barth spricht auch von einer „Spitzenleistung des menschlichen Denkens“ (37) – zu bedienen hat, zu welcher der menschliche Verstand befähigt ist. Theologische Erkenntnis ist die gedanklich stringente Fortschreibung und Explikation des Credos der Kirche. „Intellegere kommt zustande durch Nachdenken des vorgesagten und vorbejahten Credo.“ (26) Intellegere meint ein vertieftes legere im Sinne des Literalsinns von intellegere, nämlich intus legere (40), ein glaubendes legere (41). Dabei ist es gerade nicht damit getan, sich auf die Autorität der Heiligen Schrift oder gar der Kirche zu berufen, sondern die überzeugende Argumentation ist hier gefragt (42 f). Wohlgemerkt behandelt die Theologie nicht die Frage, warum der Mensch glaubt – hinter das Faktum des sich auf das Wort Gottes berufenden Glaubens kann grundsätzlich nicht zurückgegangen werden –, sondern sie ist auf den inhaltlichen Gehalt des Glaubens und der mit ihm verbundenen Wahrnehmungen konzentriert. Dabei weiß sie nicht nur, dass sie niemals die ganze Tiefe des Glaubensgrundes ausmessen wird, sondern auch, dass ihre Aussagen niemals tatsächlich 10 Barth, Fides quaerens intellectum, 15.

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dem Gegenstand des Glaubens adäquat sind, sondern über den Modus der „Bildrede“ (39) nicht hinauskommen können. So treu sie auch ihrem Gegenstand zu sein versucht, so unausweichlich bleibt sie daher auch „spekulativ“ (29), was ihren vorläufigen Charakter unterstreicht. „Theologische Aussagen sind als solche angefochtene Aussagen, angefochten von der Unvergleichlichkeit ihres Gegenstandes her.“ (29) Positiv gewendet sind theologische Aussagen auf die Konformität mit der vom Wort Gottes annoncierten Wahrheit ausgerichtet. Hier hat die von Barth exponierte analogia fidei ihren sachlichen Anhaltspunkt, welche die abgewiesene analogia entis ersetzt. Sie verweist auf die Entsprechung des Verstehens des Glaubens zu seiner Veranlassung, wobei Entsprechung eben nicht einfach Übereinstimmung bedeutet, sondern im angedeuteten Sinne immer auch den unausräumbaren Unterschied zwischen der Wahrheit und ihrem menschlichen Verstehen voraussetzt (vgl. Kap. III.3, S. 166 f). Die gesuchte Konformität besteht in der Entsprechung unserer Vernunft (ratio) zu der spezifischen Sachlichkeit der Zuwendung Gottes, die ihre eigene ratio mit sich bringt. Die Vernunft der Erkenntnis des Glaubensgegenstandes besteht in der Anerkennung der dem Glaubensgegenstand selbst eigenen Vernünftigkeit. Die ontische Rationalität geht der noetischen voraus. (50) Während dem Begriffs- und Urteilsvermögen des untersuchenden Theologen nirgends die Funktion zukommt, den festen Punkt oder die festen Punkte zu setzen, von denen aus argumentiert wird, sondern immer nur: einerseits die Auswahl unter den verschiedenen anderweitig gesetzten Punkten, andererseits die ihm angemessene Aufgabe, nach den Regeln der auf den Satz des Widerspruchs aufgebauten Logik die zur Auflösung jenes x notwendigen Definitionen, Schlüsse, Unterscheidungen und Verknüpfungen (im Rahmen des ihm Möglichen!) zu vollziehen und so – nicht den Gegenstand meisternd, sondern von ihm gemeistert – zur (wahren) noetischen ratio, zum tatsächlichen Vernehmen der ontischen ratio des Glaubensgegenstandes und so zum intellectus fidei zu werden. (54 f)

Die Theologie geht auf dem Boden des Bekenntnisses der Kirche von der Gegebenheit der Wirklichkeit des Handelns Gottes und der in ihr zu findenden Wahrheit aus. Ihre Frage ist nicht die, ob Gott existiert oder ob sich die Wahrheit Gottes erkennen lässt, sondern inwiefern seine Wahrheit von uns aufzunehmen und zu verstehen ist. Sie ist streng genommen Erkenntnis des Glaubens, wobei – wie gesagt – der Glaube nur dann angemessen als ihr Objekt in den Blick kommt, wenn er auch ihr Subjekt ist. Ein Gott, dem der Mensch erst intellektuell seine Möglichkeit bzw. seine Denkbarkeit schaffen müsste, könnte nur ein Produkt des Menschen sein, das ebenso existieren kann, wie es auch nicht existieren kann – das hängt dann wiederum von unserer Zustimmung und somit von unseren Neigungen und Gewogenheiten ab. Wer erst wissen will, worauf er sich einlässt, wenn er sich mit Gott einlässt, lässt sich bestenfalls auf eine weltanschauliche Idee, aber niemals mit Gott ein, weil es

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nun einmal grundlegend so ist, dass Gott sich auf uns einlässt, was dann ebenso die Frage nach der Existenz Gottes erübrigt wie die Möglichkeit, ihn einfach zu ignorieren. Alle religionsphilosophischen Plausibilisierungen gehen an der spezifisch theologischen Aufgabe vorbei, weil sie nicht von der so oder so zu beantwortenden Gottesfrage ihre Agenda erhält, sondern von dem vernommenen Wort Gottes auf den Plan gerufen wird, auf das nicht zuletzt auch dadurch geantwortet wird, dass es so weit wie möglich erfasst und verstanden wird, um es dann auch verantwortlich bezeugen zu können. Natürlich können auch Theologinnen und Theologen die Frage nach der Existenz Gottes stellen – und es wird kaum welche geben, die das nicht auch tun, doch darin agieren sie dann nicht als Theologinnen und Theologen, sondern partizipieren an der die Kirche unentwegt von außen begegnenden Skepsis, die auch vor der geschichtlichen Kirche nicht Halt macht, aber nicht zu ihrem Wesen und ihrem Selbstverständnis gehört. Im Grunde legt Barth hier nur entschlossen den Akzent auf einen durchaus traditionellen Aspekt, der sich in irgendeiner Gestalt in allen Theologien findet, wenn etwa eingeräumt wird, dass nicht wir die Kirche schaffen und auferbauen, sondern dass es entscheidend auf den Heiligen Geist und somit auf Gott selbst ankomme. Das, was in den meisten Theologien allerdings eher ein Art Eingeständnis ist, das dem eigenen apologetischen Elan eine gewisse Grenze setzt – schon um sich nicht selbst zu überfordern –, wird bei Barth zum Ausgangspunkt und Bedingungshorizont der Theologie. Wenn es richtig ist, dass es für das Sein der Kirche grundlegend und entscheidend auf den Heiligen Geist und somit das lebendige Wirken Gottes ankommt, dem sie ihre Existenz verdankt, ist es nicht nur naheliegend, sondern auch sachlich geboten, den Ausgangspunkt und den Orientierungshorizont der Theologie von vornherein mit dieser Einsicht zu verknüpfen. Damit bleibt es der Theologie erspart, im Nachhinein die Unvermeidlichkeit eines Eingeständnisses einräumen zu müssen, das ja – genau besehen – keinen nachträglichen Vorbehalt zur Kenntnis bringt, sondern im Grunde eingesteht, dass bisher das Entscheidende noch gar nicht zur Sprache gekommen ist. Wenn aber in der Theologie das Entscheidende gleichsam nur in einem nachgeschobenen, weil unvermeidlichen Eingeständnis zur Sprache kommt, legt sich die Frage nahe, ob diese Theologie ausreichend selbstkritisch über ihren Bedingungshorizont und ihre Aufgabe nachgedacht hat. In diesem Sinne konfrontiert Barth die Theologie von vorneherein mit der zu bedenkenden Besonderheit ihres Gegenstandes, die sich fundamental auf die Perspektive ihrer Erkenntnisarbeit und somit ihre Denkform auswirkt. Inhaltlich geht es substanziell um die Erkenntnis des Schöpfers durch das Geschöpf sowie um die Selbsterkenntnis des Geschöpfes als Geschöpf. Der Mensch erkennt sich angesprochen durch den Ursprung alles Seins und somit auch seiner selbst. Er erkennt seine Angewiesenheit auf die Erschließung der Wirklichkeit und seiner selbst durch den Schöpfer, der allein um die Bestimmung und Verheißung der Schöpfung weiß. Hier greift nun das erste Gebot, auf das Barth in seiner Theologie immer wieder zurückkommt, sowohl hinsichtlich des in ihm enthaltenen Evangeliums, dass Gott sich als Ursprung aller Wirklichkeit und in seinem anhaltenden

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Verhältnis zu seinem Geschöpf zu erkennen gibt, als auch hinsichtlich des in ihm enthaltenen Gebots, allein von ihm und nicht von irgendwelchen von anderen sich imponierenden Größen grundlegende Orientierung zu erwarten. In diesem Rahmen kann nun nicht den differenzierten Distinktionen des von Barth erschlossenen Gottesbeweises von Anselm nachgegangen werden (vgl. 75–174). Anselm benennt den Namen des Schöpfers nicht mit einer Definition, sondern mit der Abgrenzung aliquid quo nihil maius cogitari possit – „Etwas, über dem ein Größeres nicht gedacht werden kann“ (76). Damit wird keine Bezeichnung eines allgemeinen menschlichen Wissens aufgegriffen, sondern ein Glaubenssatz formuliert (78), nämlich der Glaubenssatz des Geschöpfes, das vor seinem Schöpfer steht (79, 155). In seiner Konsequenz erschließt dieser als Glaubenssatz formulierte Name die Bestimmungen Gottes, die ihm als Schöpfer von seinem Geschöpf unausweichlich zugeschrieben werden müssen: Gott wird nicht nur gedacht, er ist nicht nur ein Implikat des Glaubens, sondern er existiert als Ursprung aller Wirklichkeit und zwar im Unterschied zu allem Anderen in einer Weise, dass seine Nichtexistenz sinnvoll nicht gedacht werden kann. Dieser sogenannte ‚ontologische Gottesbeweis‘ zielt nicht auf den neutralen Nachweis der Existenz eines Wesens, das sich als solches vergegenständlichen lässt. Von einem solchen Wesen wäre auch seine Nicht-Existenz zumindest denkbar. Im strengen Sinne kann es somit auch nicht bewiesen werden. Wenn auch die Nichtexistenz denkbar wäre, ist zudem als Größeres immer noch ein Wesen denkbar, dessen Nicht-Existenz nicht denkbar wäre. Eben dies ist der Schöpfer, dessen Existenz sich nicht demonstrieren lässt, sondern allein bewiesen (d. h. dem Verstehen des Glaubens evident gemacht) werden kann (98). „Gottes Existenz ist aber die nicht nur einzigartige, sondern eigentlich und erstlich einzige, alle anderen Existenzen schlechthin begründende Existenz, eben darin auch die allein in strengem Sinne beweisbare Existenz.“ (101) Beweis meint dabei den unausweichlichen gedanklichen Nachweis, dass der Glaube nicht nur einen eingebildeten oder vermuteten Grund hat, sondern auf die Wahrheit der alles bestimmenden Wirklichkeit bezogen ist. Nur im „Wunder der Torheit ist es möglich, Gott als nicht-daseiend zu denken.“ (169) Wo gesagt wird „Es gibt keinen Gott“ – wie immer zu hören ist –, wird nur ein Götze verleugnet (171). Wie gesagt, geht es nicht um die neutrale Demonstration einer vorstellbaren Gegenständlichkeit Gottes, der niemand seine Zustimmung verweigern kann, weil nun auf ihn gezeigt werden kann wie auf den Pariser Eifelturm, sondern um die konsequente logische Durchdringung des Glaubens des Geschöpfes an seinen Schöpfer als dem Ursprung aller über die Wirklichkeit erschließbaren Wahrheit. Nicht die Existenz irgendeines Dinges oder Sachverhaltes steht zur Debatte, sondern „die Frage der Existenz selber“ (101). Es ist die Konsequenz des dem Schöpfer zugeordneten Namens, der auf die Unausweichlichkeit seiner niemals ganz erfassbaren Wirklichkeit hinweist, die sich uns im Wort Gottes vergegenwärtigt. Gott existiert […] in derjenigen einzigartigen Weise, die ihm als dem eigentlich und erstlich allein Existierenden zukommt. Was außer ihm ist, das hat seine Existenz durch seine Gnade,

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ist durch ihn aus dem Nichts geschaffen und wird auch nach seiner Erschaffung allein durch dasselbe gnädig-schöpferische Tun Gottes vor dem Absturz in das Nichts bewahrt. Abgesehen von Gottes Wollen und Tun würde also Alles, was nicht Gott ist, nicht existieren. Seine Existenz wäre dann sozusagen verschlossen in der Absicht des göttlichen Denkens. Es hat an sich und von sich aus nicht einmal die Möglichkeit der Existenz. Es hat sie von Gott, aber auch nur von Gott aus. Es bekommt Existenz durch das Wort Gottes. Es hat aber auch nicht anders Existenz als im Wort Gottes; es ist, indem es und was es dort ist: im Wort und durch das Wort. (99 f)

Der Schluss des Zitats weist schließlich auf einen wichtigen Aspekt der Blickrichtung der Theologie. Sie blickt nicht vor allem auf Gott, um nach dem Zustandekommen des Wortes Gottes und den Umständen seines Sprechers zu fragen. Sie hat nicht die Aufgabe, das Geheimnis Gottes zu erschließen und über die Bedingungen seiner Werkstatt zu spekulieren. Der Begriff der Theologie wäre missverstanden, wenn angenommen würde, dass sie allein Gott zu betrachten und verstehen hätte. Das wäre wohl ein recht aussichtsloses Unternehmen, wollte der Mensch es versuchen, mit seinen Wahrnehmungsmöglichkeiten ein Bild von Gott zu bekommen. Er bliebe wohl zwangsläufig bei sich selbst und käme nie bei Gott an. Wir sind es nicht, die Gott in das Licht unserer Betrachtungsmöglichkeiten stellen, sondern die Theologie hat wahrzunehmen (als Wahrheit zu nehmen) – deshalb betont Barth immer wieder das Nachdenken –, dass Gott sein Licht in unsere Wirklichkeit ergehen lässt, von dem wir uns auf die Spur unserer Erkenntnis bringen lassen sollen. Gott ist niemals an und für sich der Gegenstand unserer Betrachtung, er ist nicht einfach als solcher die Sache der Theologie, sondern er thematisiert sich in seinem Wort, in seiner Zuwendung zur Welt und den sich aus dieser Zuwendung ergebenden Wahrnehmungen unserer Wirklichkeit und unserer selbst. Gott ist in seiner dem Menschen zugewandten Selbstthematisierung die Veranlassung und Orientierung der Theologie. Prägnant kann Barth formulieren: Die Theologie „wird nicht mit einem auf die Erde aufgestellten Schweinwerfer den Himmel abzuleuchten suchen, sondern sie wird versuchen, die Erde im Lichte des Himmels zu sehen und zu verstehen.“11 Anstelle unserer allseits unternommenen Versuche, etwas mit unseren Mitteln zu beleuchten, folgt die Theologie dem Licht Gottes, in dem die Wirklichkeit so erkennbar wird, wie sie wirklich ist. Es geht um die Wahrnehmung der Erhellungen unserer Wirklichkeit durch das ihre Wahrheit erschließende Wort Gottes, das uns dann auch zu uns selbst führt. In diesem Zusammenhang muss eine fundamentale Dimension des Wortes Gottes ausdrücklich betont werden, die implizit in den vorausgehenden Überlegungen immer schon einbezogen war. Das Wort Gottes ist nicht nur der hermeneutische Schlüssel unserer Wirklichkeitserkenntnis, es ist nicht nur eine Verstehenshilfe unserer Existenz, indem es einen bestimmten Blickwinkel einnimmt und von da aus einen besonderen Interpretationsvorschlag unterbreitet, der uns ganz, in Teilen 11 Barth, Das erste Gebot als theologisches Axiom, 234.

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oder gar nicht einleuchten mag. Es ist keine Theorie und schon gar nicht eine Weltanschauung. Es spricht nicht nur unseren Verstand an, um damit seinen Einfluss auf die Gestaltung unseres Lebens zu beeinflussen. Als sein Wort ist es vielmehr der Inbegriff des Handelns Gottes und somit Ausdruck seiner wirklichkeitskonstituierenden Macht. Gott handelt, indem er spricht, und was er spricht, das geschieht, d. h. es wird nicht nur angekündigt oder als eine Möglichkeit in den Raum gestellt, sondern es ist in Kraft. Das ist die spezifische Überlegenheit des Wortes Gottes gegenüber unseren Worten, dass es nicht nur spricht – nicht nur Worte macht, wie wir, sondern auch handelt: es bewirkt, was es sagt.12 Es ist die unvergleichliche Besonderheit des Wortes Gottes, dass es durchgängig diesen performativen Charakter hat. Wort und Tat sind nicht zweierlei, sondern Gott handelt durch sein Wort; sein Wort erschließt uns die in Gott gründende Wirklichkeit, sein auf unsere Wirklichkeit bezogenes Handeln. Ist es einmal wahrgenommen, so kann nicht einfach wieder davon abgesehen werden, weil sich nun die Kriterien geändert haben, so dass ein Verbleiben bei den alten Orientierungen nur noch als ein Anachronismus möglich wäre. Wo es dagegen ignoriert wird, ist es nicht tatsächlich als Wort Gottes gehört worden, sondern lediglich als eine religiöse Rede, die uns grundsätzlich bei uns selbst belässt, indem es gleichsam Vorschläge zur eigenen religiösen Selbstinterpretation unterbreitet (vgl. Kap. IV.2). B althasar, Karl Barth. &   Nielsen, Die Rationalität der Offenbarungstheologie. Spiekermann, Gotteserkenntnis.

1.3.3 Die Aufgabe der Prolegomena

Das Wort Gottes steht also für Gott selbst, soweit er sich uns zu erkennen gibt. Als solches ruft es – da wo es gehört wird: in der Kirche – die Theologie auf den Plan, die sich von diesem Wort Gottes aufgerufen weiß, die Wirklichkeit in seinem Licht zu verstehen. Dabei steht die Wahrnehmbarkeit des Wortes Gottes unter keinen zuvor zu bedenkenden Bedingungen, so dass es auch in der Theologie nichts zu bedenken und zu sagen gibt hinsichtlich der Voraussetzungen theologischer Erkenntnis. Weder sucht sie sich ihr Thema noch findet sie auf einem bestimmten Weg zu ihm, so dass sie die Entscheidungen darzulegen hätte, die sie bei der Bestimmung ihres Gegenstandes gefällt hat. Es gibt keine die Wahrnehmung des Wortes Gottes vorbereitende Voraussetzungen zu bedenken, ebenso wenig wie vorab geklärt werden könnte, wie es um das Verhältnis des vom Wort Gottes geweckten Glaubens zu dem den Menschen orientierenden Wissen steht. Die Theologie spricht nicht einen eigens zu bedenkenden Sektor der menschlichen Vernunft an, so wenig wie sie auf eine bestimmte Dimension seiner Psyche – etwa einem unterstellten religiösen Bedürfnis – ausgerichtet ist. So gewiss sie vom Menschen betrieben wird, so wenig 12 Barth, Gottes Offenbarung nach der Lehre der christlichen Kirche, 221 f.

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folgt die Theologie im Blick auf ihren Entdeckungshorizont einer vom Menschen gestellten Frage. Sie wird allein durch die Begegnung mit dem heute vernommenen Wort Gottes angeregt, indem der vom Wort Gottes geweckte Glaube danach drängt, verstanden zu werden. Sie ist also die vom Glauben ausgehende menschliche Bemühung um seine angemessene Wahrnehmung, was sowohl die intellektuelle Erfassung als auch die praktische Orientierung anlangt. Wenn Barth seine Kirchliche Dogmatik auch mit Prolegomena beginnt, folgt er nicht der insbesondere im 19. Jahrhundert intensivierten Konvention, all die Voraussetzungen zu klären, die es unter den Bedingungen des aufgeklärten Selbstbewusstseins des Menschen sinnvoll machen, auch weiterhin in einer besonderen Weise Theologie zu treiben. Prolegomena verstanden sich in der Regel als eine Vorbereitung auf die Theologie im Horizont der aktuellen geschichtlichen Bedingungen. Angesichts der verschiedenen Infragestellungen, die sie vor allem vonseiten der Aufklärung bedrängten, sollten sie der Theologie einen plausiblen Raum und eine einleuchtende Aufgabe sichern. Bevor sie zu ihren inhaltlichen Themen kommt, versucht sie der Sinnhaftigkeit ihrer Anstrengungen eine möglichst allgemein akzeptable Basis zu geben, um dann auch bei den Inhalten weiter auf eine gewogene Aufmerksamkeit hoffen zu können. Die klassische Aufmerksamkeit der Prolegomena galt vor allem der Religion im Allgemeinen und der Erscheinung des Christentums als Religion und dann insbesondere des evangelischen Christentums in Abgrenzung zum Katholizismus. Damit verbinden sich in der Regel Überlegungen zum Wissenschaftscharakter der Theologie, zur Bedeutung der Bibel und der Bekenntnisse und zum Verständnis des Glaubens im Verhältnis zum Wissen bzw. zum modernen Selbstbewusstsein des Menschen.13 Aus dieser Tradition steigt Barth entschlossen aus und betont: Prolegomena zur Dogmatik sind nur möglich als ein Teilstück der Dogmatik selber. Die Silbe Pro- im dem Wort Prolegomena ist uneigentlich zu verstehen: es handelt sich nicht um die vorher, sondern um die zuerst zu sagenden Dinge. (KD I/1, 41)

Nicht die externen Voraussetzungen, sondern die besonderen Grundlagen der Theologie stehen zur Debatte. Nicht nach den Bedingungen der Umstände, unter denen die Theologie betrieben wird, ist an erster Stelle zu fragen, sondern nach den Bedingungen ihres besonderen Gegenstandes, so wie es auch sonst in der Wissenschaft der zu bearbeitende Gegenstand ist, der jeweils ganz bestimmte Erkenntniswege erforderlich macht. Die Besonderheit der Theologie ist nicht die Besonderheit ihrer wissenschaftlichen Orientierung, sondern die Besonderheit ihres Gegenstandes, der sich als solcher nicht einfach lokalisieren lässt. Gewiss wird es in der Theologie auch einen Ort geben müssen, sich über die konkreten Umstände Rechenschaft 13 Vgl. dazu exemplarisch die Dogmatiken von Richard A. Lipsius, August F.C. Vilmar, Julius Kaftan, Friedrich A.B. Nitzsch oder Theodor Haering; vgl auch die seinerzeit weit verbreiteten Kompendien (Lehrbücher) von Karl von Hase (Hutterus redivivus) und Christoph E. Luthard.

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abzulegen, unter denen sie jeweils getrieben wird, aber das kann erst dann sinnvoll geschehen, wenn sie dies unter dem Gesichtspunkt ihres besonderen Gegenstandes und nicht einfach in allgemeiner Abstraktion vollzieht. Zu beginnen hat sie mit ihrem besonderen Gegenstand und den Bedingungen, die von ihm für seine Erkennbarkeit ausgehen. Diese Grundentscheidung behält ihre Gültigkeit in der Auseinandersetzung der Theologie mit anderen Wissenschaften. Auch für das Gespräch mit der die Kirche umgebenden Welt macht es keinen Sinn, die sich aus ihrem besonderen Gegenstand erschließende Perspektive erst einmal zurückzustellen, um das Gespräch auf dem Boden der ihr begegnenden Skepsis zu suchen, weil sie für ihre Ermöglichung nicht auf allgemeine Evidenzen verweisen kann, sondern allein auf die Realität des Wortes Gottes. Wir kommen hier noch einmal zurück auf Barth Beschäftigung mit Anselm, in der ihm konsequent deutlich wurde, dass von Gott reden immer nur heißen kann, aus Gott reden. Barth stellt sich auf die Seite Anselms, von dem er sagt, dass er sich nicht in der Lage sähe, „der Welt mit etwas anderem zu dienen als mit dem, womit ihm selbst gedient ist.“14 Wohl […] könnte Anselm jene erstaunliche Voraussetzung vielleicht gewagt haben im Blick auf die Mächtigkeit der objektiven, durch die summa veritatis von oben her erleuchteten und erleuchtenden ratio des Glaubensgegenstandes selber, der Anselm es zugetraut hat, daß sie zu lehren vermöge und immer wieder lehre, was kein Menschen den andern lehren kann […], bei der man also über das tragische Non credo des Hörers mit einem in diesem Fall nicht nur erlaubten, sondern geradezu gebotenen Humor zur Tagesordnung überzugehen hat. Vielleicht wußte Anselm vom christlichen Credo gar nicht anders zu reden, als indem er Sünder als Nicht-Sünder, Nicht-Christen als Christen, Ungläubige als Gläubige ansprach, in dem großen Als ob, das doch kein Als ob ist, das schließlich zu allen Zeiten die entscheidende Ermöglichung des Redens des Gläubigen zum Ungläubigen gewesen ist. (71)

Indem für Barth das Wort Gottes den besonderen Gegenstand der Theologie bezeichnet, steht dies am Anfang der Theologie und es ist nach dem ihm entsprechenden Erkenntnismodus bzw. den ihm entsprechenden Erkenntnisbedingungen zu fragen. So lautet auch der entsprechende Leitsatz: „Prolegomena zur Dogmatik nennen wir den einleitenden Teil der Dogmatik, in welchem es sich um die Verständigung über ihren besonderen Erkenntnisweg handelt.“ (KD I/1, 23) Diese Verständigung mag zu anderen Zeiten nicht nötig gewesen sein. Heute – in der aufgeklärten Neuzeit – aber ist sie unausweichlich geworden (25), weil die meisten Verwirrungen und auch Verirrungen (Barth greift in diesem Zusammenhang das heute weithin ignorierte Problem der Häresie neu auf; 31 ff) in der Theologie ihre Wurzeln entweder in einer Unklarheit oder aber in einer unangemessenen Einschätzung des Weges theologischer Erkenntnis haben. Die meisten theologischen Auseinandersetzungen, die Barth zum Teil mit ungewöhnlicher Heftigkeit insbe14 Barth, Fides quaerens intellectum, 68.

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sondere im sogenannten Kirchenkampf geführt hat (mit Gogarten, Brunner, Althaus, Elert u. a.), entzündeten sich an der Frage nach dem rechten Erkenntnisweg der Theologie. Wenn er sich gegen eine schielende Theologie und eine schielende Kirche ausgespricht (KD IV/3, 797), wendet er sich gegen die verbreiteten Bemühungen der Theologie, zwei Bilder aufeinander abgleichen zu wollen: die konkrete Gegenwartserfahrung des Menschen und die aus der Offenbarung resultierenden Erhellungen. Doch diese beiden Perspektiven lassen sich gerade nicht gegenseitig zur Deckung bringen, sondern verhalten sich sperrig zueinander, so dass der Versuch, zwischen beiden eine so oder so geartete Korrespondenz herstellen zu wollen, unweigerlich Verzerrungen und Entstellungen mit sich bringt. Will die Theologie einem klaren Blick bekommen, darf sie nicht versuchen, zwei Perspektiven zugleich einnehmen zu wollen, sondern sie hat ihre Erkenntnis an ihrem besonderen Gegenstand auszurichten und wird dann und nur dann von da aus auch ein klares Bild von all den anderen Gegenstände bekommen, die sie in der Tat ebenfalls zu betrachten hat. Die Sorge, dass die konkrete Gegenwartserfahrung durch die Konzentration auf das Wort Gottes etwa zu kurz kommen könnte, hat Barth stets als unbegründet bezeichnet. Die Gefahr, dass der nach dem Wort Gottes fragende Mensch, der immer auch ein Mensch ist, der an den Gegenwartserfahrungen Anteil hat, diese einfach außer Acht lassen würde, könne wohl als überaus gering erachtet werden. Es entspricht dem fundamentaltheologischen Charakter der Prolegomena, wenn sich Barth mit der Bedeutung und der Erkenntnis des Wortes Gottes beschäftigt. Es ist die Aufgabe der Prolegomena, „nach dem Wort Gottes als nach dem Kriterium der Dogmatik“ (KD I/1, 43) zu fragen. Diese Frage nimmt bei Barth sachlich die Stelle ein, die in der altprotestantischen Orthodoxie die Lehre von der Heiligen Schrift (De scriptura sacra) eingenommen hat. Die Lehre von der Heiligen Schrift als dem maßgebenden Zeugnis des Wortes Gottes wird bei Barth zu einem Teilaspekt seiner umfassender verstandenen Lehre vom Wort Gottes. Elmer, Das Wesen der Häresie. & 

1.4 Offenbarung „Gottes Wort ist Gott selbst in seiner Offenbarung.“ (311) Bevor wir uns Barths Lehre von der dreifachen Gestalt des Wortes Gottes zuwenden, gilt es einen Blick auf sein Verständnis von Offenbarung zu werfen. Mit dem Thema Offenbarung greift Barth ein variantenreich erörtertes Thema der neuzeitlichen Theologie auf, das sich ebenfalls noch nicht in der altprotestantischen Lehrbildung findet, und zugleich gibt er ihm eine spezifische pointierte Wendung. Seit dem 18. Jahrhundert ringt die Theologie im Horizont der sich durchsetzenden Aufklärung um ein Verständnis von Offenbarung, das dazu geeignet ist, die theologische Erkenntnis mit den Fragen allgemeiner Erkenntnis in Beziehung zu halten. Dabei geht es um eine Ersetzung eines in diesem Zusammenhang als autoritär identifizierten Offenbarungsverständnisses, dem sich der Mensch unter Zurückstellung aller vernünftigen Einsicht

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zu unterwerfen habe, durch ein Verständnis, das gleichsam von dem besonderen Erkenntnisvermögen des Menschen aus organisiert wird. Aus der Offenbarung als einer von außen den Menschen treffenden und unterwerfenden Konfrontation wird ein sich innerhalb des durch seine Vernunft privilegierten Menschen vollziehendes Geschehen, das in besonderer Weise dazu geeignet ist, ihm seine unvergleichliche Herausgehobenheit und Wirklichkeitsmächtigkeit zu attestieren. Der Mensch wird hier gleichsam zum Offenbarungsmittler und somit zu der über die Erkenntnis der Wirklichkeit entscheidenden Instanz. Hier konsolidiert sich der von René Descartes (1596–1650) betretene Weg, auf dem der Mensch in die Zentralstellung einer Wirklichkeit vorrückt, die überhaupt erst durch sein kritisches Erkenntnisvermögen konstituiert wird und in Erscheinung tritt. Das der Tradition gegenüber beanspruchte Privileg des Menschen, das ihm nun diese Mittelpunktstellung zumisst, beruft sich auf den Umstand, dass die Wirklichkeit darauf angewiesen bleibt, überhaupt erst einmal identifiziert zu werden. Dazu bedarf es der Erkenntniskraft des Menschen, weil sich die Wirklichkeit nicht selbstreferentiell präsentiert. Hier liegt der Schlüssel zu dem neuzeitlichen Selbstbewusstsein des Menschen. Die für den Menschen, für seine Orientierung und Entscheidungen relevante Wirklichkeit ist nicht einfach eine gegebene Wirklichkeit, sondern sie kommt insofern überhaupt erst durch die menschliche Erkenntnis zustande, als sie erst da tatsächlich in Erscheinung tritt, wo sie identifiziert und benannt wird. Sie ist nicht eine vorfindliche Gegebenheit, die alle Menschen in gleicher Weise herausfordert und in Anspruch nimmt, sondern sie wird im Grunde erst in ihrer Benennung konstituiert, d. h. in ihrer Erschließung durch die menschliche Wahrnehmung, in der sie in dieser oder jener Kontur gleichsam sichtbar gemacht wird und auf diese Weise die Gestalt annimmt – genauer gesagt: zugewiesen bekommt –, in der sie dann auch für den Menschen Relevanz beanspruchen kann. Erst die von der Erkenntnis bestimmte Wirklichkeit ermöglicht sinnvolles menschliches Handeln. Unbenanntes mag es geben, aber – schlicht formuliert – bekommt es erst Bedeutung, wenn es entdeckt und benannt wird. Der Mensch entwirft sich durch seine Erkenntnis selbst sowie die für ihn bedeutsame Wirklichkeit. Wenn nun in der Theologie die Erkenntnisfrage unter dem Thema der Offenbarung zur Debatte stand, wurde vor allem um die Beziehung zwischen Offenbarung und Vernunft gerungen. Angesichts des aggressiv widersprüchlichen Umgangs mit der Offenbarung im nachreformatorischen Konfessionalismus wurde an die Vernunft appelliert, sie allein könne und müsse die unterschiedlichen Ansprüche prüfen und dann auch so begrenzen, dass nichts Widervernünftiges mehr akzeptiert werden musste (Herbert von Cherbury, Baruch de Spinoza, John Locke, John Toland). Die Vernunft wird in diesem Horizont selbst zum Ereignisort natürlicher Offenbarung. Sie ist als solche das Instrument, übernatürliche Offenbarung angemessen zu erfassen und in die Weltwahrnehmung zu integrieren (Gottfried W. Leibniz). Die Harmonie zwischen Offenbarung und Vernunft wird zum Bedingungshorizont eines akzeptablen Offenbarungsverständnisses, dessen Evidenz etwa über das Gewissen (Jean-Jaques Rousseau) oder eine näher zu bezeichnende seelische bzw. ästhetische

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Empfindsamkeit (Johann Gottfried Herder) – das so oder so im Menschen lokalisierte Gefühl (Friedrich Schleiermacher) – demonstriert wird. Offenbarung steht mehr und mehr für übersinnliche Anschauung, wobei eine Unterscheidung zwischen einer den Menschen erreichenden Mitteilung und der menschlichen Selbstfindung nicht mehr möglich ist, so dass der Begriff häufig nur noch „der rhetorischen Pointierung“15 dient. Der Herablassung eines Höheren entspricht die Erhebung des Wahrnehmenden, auf dessen Bestätigung das Integrationsinteresse von Offenbarung und Vernunft zielt. Die Offenbarung vollzieht sich im Menschen, der dafür sorgt, dass es zu keinem Konflikt mit der Vernunft kommt, so sehr sie auch zu besonderen – die Vernunft beflügelnden – Einsichten führen mag. Das alte supranaturalistische Offenbarungsverständnis berief sich dagegen auf die menschliche Transzendenzverschlossenheit, die nur durch ein Einwirken der Transzendenz auf die Immanenz des Menschen – eben durch Offenbarung – durchbrochen werden könne, so dass die in der Offenbarung liegende Kontingenz zu ihrem Wesen gehöre. Die Front der theologischen Auseinandersetzungen verlief zwischen dem alten supranaturalistischen und dem aufgeklärten anthropologisch gebundenen Offenbarungsverständnis. Die natürliche Offenbarung wurde im Blick auf den mit ihm verbundenen Subjektivismus angegriffen, die supranaturalistische Offenbarung wegen ihres widervernünftigen Autoritätsanspruchs und des sich auf diesen berufenden assertorischen Dogmatismus. Dabei brachten die Auseinandersetzungen ein ganzes Spektrum an unterschiedlichen Bestimmungen hervor, in dem sich auch die recht verschiedenen Sichtweisen des Menschen widerspiegeln. Es ist offensichtlich, dass von den jeweiligen Bestimmungen Entscheidendes nicht nur für die Wirklichkeit des Menschen, sondern auch für das Verständnis der Wirklichkeit Gottes abhängt, so dass der Diskussion um die Offenbarung eine sensible Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Die Religionskritik hat in ihren unterschiedlichen Facetten jedes supranaturalistische Verständnis der Offenbarung attackiert. Es war dieser Frontalangriff, von dem sowohl die theologischen Verteidigungsversuche als auch die philosophischen Harmonisierungen keineswegs unbeeindruckt waren. Angesicht der fundamentalen Neuorientierungen in der Neuzeit hinsichtlich der Frage nach verlässlicher Erkenntnis wurde die Frage nach der Offenbarung für die Theologie zu einem Fundamentalthema, das bis heute kaum seine Brisanz eingebüßt hat. Wenn Barth nun entschlossen für eine Befreiung des Offenbarungsverständnisses aus den erkenntnistheoretischen Umstellungen plädiert, die es in der Neuzeit mit dem natürlichen Selbstverständnis des Menschen gleichgeschaltet haben, positioniert er sich in einer ebenso lang wie auch vielschichtig geführten Debatte und drängt auf eine Lösung, die vor allem der Theologie das freie Gegenübersein Gottes zum Menschen sichert und erst dann auch nach dem Verhältnis zur Vernunft fragt. Barth geht es dabei ganz und gar nicht um eine autoritäre Setzung, der sich dann die Vernunft zu unterwerfen habe, sondern er lenkt die Aufmerksamkeit auf die besonderen Ermöglichungen, die der Vernunft im Horizont einer verantwort15 Scholtz, Offenbarung, 1123.

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lich betriebenen Theologie durch das Ernstnehmen der Offenbarung zuwachsen. Es ging entschieden nicht um eine Einengung der Vernunft oder gar Hintanstellung, sondern um eine dezidierte Form ihrer Beflügelung, die ihr durch ein gegenstandsorientiertes und darin dann dialogisches Denken zuwächst. Es war Hans Joachim Iwand, der im Blick auf das 20. Jahrhundert den mit der Offenbarungsfrage für die Theologie zur Debatte stehenden Konflikt als die fundamentale Entscheidungsfrage der Theologie verstanden hat, in der sich auch mit weitreichenden Konsequenzen die Frage nach dem rechten Verständnis der Kirche entscheide. Er vergleicht die Situation mit dem Fundamentalkonflikt zur Zeit der Reformation: Was für die Reformatoren die Frage nach der Rechtfertigung war, scheint heute für uns die Lehre von der Offenbarung werden zu sollen.16

Iwand wollte damit zum Ausdruck bringen, dass ein unzureichendes Offenbarungsverständnis die Kirche und die Theologie ebenso substanziell gefährde, wie das im Mittelalter durch ein unzureichendes Rechtfertigungsverständnis der Fall gewesen ist. Es gibt nicht das eine große Zentralthema der Theologie, das sich durch alle Zeiten hindurch behauptet. Vielmehr ändern sich – zweifellos nicht von heute auf morgen – die Bewährungsfragen, in denen die Kirche ihre ganze Substanz zur Debatte gestellt sieht, wo es dann eine klare Entscheidung zu fällen gibt. Die Alte Kirche hat ihre fundamentalen Entscheidungsfragen in der Auseinandersetzung um das trinitarische Gottesverständnis und dann um die Christologie gesehen, und das mit Augustin beginnende Mittelalter hat bis hinein in die Reformation in dem Thema der Rechtfertigung diese Brisanz erkannt. Heute nun würde die Theologie ihre entscheidende Herausforderung verschlafen, wenn sie weiterhin „in den Schützengräben der Reformation“ verharren würde17, ohne zu erkennen, dass sie längst in der Gefahr steht, an einer anderen Stelle ihre Substanz preiszugeben. Es ist die schleichende Anthroplogisierung der Theologie, die Barth als „Feuerbachianismus“18 brandmarkt, unter welcher sie ihr Gegenüber verliert und sich mehr und mehr nur noch mit den vom Menschen aus zugänglichen Themen beschäftigt. Solange es mehr um das menschliche Organ zur Wahrnehmung von Offenbarung als um die sich in der Offenbarung anzeigende Initiative Gottes geht, kommt die augenöffnende sachliche Substanz ihres Ereignisses nicht in den Blick. Es geht nicht um den Menschen und die in ihm vermuteten Möglichkeiten, gleichsam als Medium der Offenbarung zu agieren, sondern um die unsere Möglichkeiten prinzipiell überschreitende Selbstannoncierung Gottes, die dem Verständnis der Offenbarung sein Gewicht und seine sachliche Perspektive geben. Barth versteht Offen16 Iwand, Prinzipienstreit, 231. 17 Iwand, Der moderne Mensch und das Dogma, 99 f. 18 Barth, Fides quaerens intellectum, 124. Der Begriff taucht bei Barth meines Wissens nur hier, das gemeinte Problem allerdings immer wieder auf.

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barung konsequent als die Selbstoffenbarung bzw. Selbstenthüllung Gottes (KD I/1, 332 f, 338, 342 u. ö.). Offenbarung ist nicht die individuelle religiöse Versiegelung menschlicher Subjektivität. Sie kann nicht für die menschliche Erkenntnis in Anspruch genommen werden. Vielmehr geht sie dieser voraus und nimmt diese in Anspruch. Für die Theologie kann die menschliche Erkenntnis nur etwas Sekundäres sein, wie sie selbst auch einen prinzipiell sekundären Charakter hat. Recht verstandene Erkenntnis kann in der Theologie nur reaktiv – und eben nicht initiativ – sein; sie reagiert auf das Ereignis der Offenbarung oder sie spricht von etwas anderem als von der Offenbarung. Angemessene Gottesrede kann allein diejenige sein, die sich darauf bezieht, dass er bereits geredet hat. Sie kann sich nur als durch Offenbarung orientierte Rede artikulieren. „Nur indem sich Gott selbst setzt als Gegenstand, ist der Mensch gesetzt als Erkennender Gottes.“ (KD II/1, 22) Gott macht sich selbst zum Gegenstand unserer Erkenntnis. Sachlich greift Barth entschlossen und pointiert die altkirchliche Einsicht auf, dass Gott nur durch Gott erkannt werden könne. Hilarius von Poitiers (gest. 367): „Gott wird nicht erkannt, es sei denn durch Gott“ „Gott kann nur durch Gott erkannt werden.“19 Barth: „Gott wird durch Gott, Gott wird nur durch Gott erkannt. Seine Offenbarung ist nicht nur seine eigene, sondern auch des Menschen Bereitschaft zu seiner Erkenntnis; seine Offenbarung ist also Gottes Erkennbarkeit.“ (KD II/1, 200 f)

Die Frage, ob Gott erkennbar sei, mag eine philosophische Frage sein; eine theologische Frage ist sie nicht (KD I/1, 28 u. ö.). Es ist ja nicht die Theologie, die es wagt, von Gott zu reden, und nun dazu alle zur Verfügung stehenden Evidenzen mobilisiert. Es lohnt sich hier die Frage aufzuwerfen, was das für ein Gott sein könnte, zu dem uns erst die Theologie (ver)führen müsste? Tatsächlich aber führt sie nicht zu Gott hin, sondern kommt immer schon von ihm her, was allerdings ausdrücklich nicht bedeutet, dass sie deshalb von jedem Irrtum verschont bleibt. Erst dadurch, dass sich der Mensch durch Gott selbst gleichsam in den Glauben versetzt findet und sich durch die Veranlassung des Glaubens – die Offenbarung – dazu gedrängt sieht, von Gott zu reden, wird die Theologie auf den Plan gerufen mit der Frage, wie denn angemessen von diesem Gott geredet werden kann. Von hier aus wird dann auch in aller Konsequenz deutlich, dass alle Versuche des Menschen, von sich aus von Gott zu reden, niemals tatsächlich auf Gott stoßen werden, sondern grundsätzlich ins Leere greifen (KD II/1, 238). Dabei handelt es sich um ein Eingeständnis, das erst durch die von Gott selbst ermöglichte Erkenntnis die nötige Klarheit bekommt. Trevor Hart weist darauf hin, dass die Unmöglichkeit, dass der Mensch von sich aus Gott angemessen erkennen könne, der ihr entsprechenden Unmög19 Hilarius, Zwölf Reden über die Dreieinigkeit (im Literurverzeichnis unter: Quellen), 239 f.

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lichkeit der Erkenntnis der Auferstehung vom Tode entspreche. Nicht zufällig werde in der Bibel für das Verständnis des Glaubens die Auferstehungsmetaphorik herangezogen.20 Gotteserkenntnis im Sinne Barths kann sich nur durch das Erscheinen des auferstandenen Christus durch die von unserer Seite aus verschlossenen Türen der Todeswelt vollziehen.21 Die Offenbarung ist gleichsam der „göttliche ‚Übergriff ‘“ (KD II/1, 76), mit dem er nach uns und unserer Erkenntnis greift, um uns über uns selbst und unsere Wirklichkeit ins rechte Bild zu setzen. Das gilt nicht nur für die Vergangenheit, in der wir uns auf eine Reihe besonderer Ereignisse berufen, in denen sich Gott als Handelnder erwiesen hat und von denen wir bis heute zehren, sondern er bleibt das Subjekt seines Erkanntwerdens, eben auch schon für die Ereignisse der Vergangenheit, die ja nicht einfach für sich selbst sprechen, sondern erst dann recht zu sprechen beginnen, wenn sich uns heute die Evidenz des ‚göttlichen Übergriffs‘ in ihnen erschließt. Barth kann die mit dem Wort Gottes identifizierte Offenbarung auch als „Zeichengebung“ bezeichnen; sie hat damit den Charakter eines Sakramentes (II/1, 56), ja man wird von dem Sakrament zu sprechen haben, an dem sich zu messen haben wird, was sonst in der Kirche als Sakrament bezeichnet wird. Als sprechendes Beispiel hat sich Barth immer wieder auf die Geschichte vom nicht verbrennenden Dornbusch in der Wüste (Ex 3) bezogen (besonders ausführlich 65 f), der in exemplarischer Weise den spezifischen Charakter der Zeichengebung von Offenbarung veranschaulichen kann. Die Offenbarung vollzieht sich in welthafter Gestalt, die nun aber in einer Weise in Anspruch genommen wird, die grundsätzlich die in ihr liegenden Möglichkeiten übersteigt. So wird sie in gewisser Weise greifbar und wahrt dabei zugleich ihr Geheimnis, indem sie die welthafte Gestalt in wundersamer Einzigkeit vor Augen führt. Es kann nun nicht etwa darum gehen, dieses Geheimnis zu ergründen. Mose wird in seiner verständlichen Neugier ausdrücklich dazu aufgefordert, dem Dornbusch nicht zu nahetreten. Die mit der Offenbarung einhergehende Enthüllung vollzieht sich wiederum in Verhüllung; sie offenbart, indem sie zugleich verborgen hält, ja gleichsam Verborgenheit demonstriert, die vom Menschen nicht erschlossen werden soll. In diesem Sinne offenbart sie Verhüllung (206). Die damit geschützte Verborgenheit Gottes verweist also nicht nur auf unser Nichtwissen um Gott, sondern auch dezidiert auf unser Wissen um ihn (215), der als ein seinem Wesen nach verborgener gewusst werden will – niemand kann Gott schauen (Ex 33, 20.23; Joh 1,18; 1Tim 6,16 u. ö.). Und auch dies wird an der Erzählung vom brennenden Dornbusch deutlich: Offenbarung ist veränderndes Eingreifen Gottes, durch das sich die Situation des Menschen grundlegend verändert. Damit ist die spezifische Dialektik von Offenbarung benannt: sie enthüllt in Verhüllung, indem die Enthüllung ihre Verhüllung annonciert (60 f). Zugleich wird die Modalität des Erkennens im Glauben beschrieben (57), denn die Enthüllung macht den Glauben nicht überflüssig. Vielmehr ist sie seine spezifische Veranlassung; die 20 Hart, Revelation, 43. 21 Torrance, Trinity, 73.

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Offenbarung ergeht doch gerade um der Begründung des Glaubens willen (60). Die Erkenntnis des Glaubens darf weder schlicht dem Realismus der Hülle verfallen (das ist die fundamentalistische Versuchung), noch forsch idealistisch diese für überflüssig erklären (das ist die Versuchung der ‚liberalen‘ Theologie). Gestalt und Gehalt der Offenbarung finden nicht in einer Synthese zusammen, sondern die Gestalt erschließt den Gehalt, ohne dass wir diesen in unsere Verfügung bekommen (KD I/1, 180–183). Jeder Versuch, eine Synthese bilden zu wollen, käme dem Versuch gleich, „den Widerschein des schönen silbernen Mondes in einem Sieb aus dem Teich schöpfen“ (226) zu wollen. Darin erhellt dann auch der spezifische Charakter der Offenbarung als Gegenstand der Theologie. Barth spricht von einer „bekleideten Gegenständlichkeit“ (KD II/1, 16); in Fortführung der oben vollzogenen Bestimmungen ließe sich auch von einer verhüllten Gegenständlichkeit sprechen, die uns zunächst mit ihrer Hülle konfrontiert, um die Aufmerksamkeit auf das Verhüllte zu lenken, die dann aber nur insoweit befriedigt wird, dass sich in dieser – und keiner anderen – Hülle das als solches unzugängliche Besondere zeigen will. Der Gegenstand der Theologie bleibt ein nichtgegenständlicher Gegenstand, indem er nicht nur ein Ereignis war, sondern auch ein solches bleibt (294 ff), eben „das Ereignis, in dem der freie Gott seine freie Gnade walten und wirken läßt“ (KD I/1, 120). Doch dieser Umstand verstellt der Theologie ausdrücklich „die Flucht in die Nicht-Gegenständlichkeit“ (KD II/1, 11), in der sie zu einer abstrakten Unternehmung würde und sich unweigerlich an sich selbst verlöre. Wenn Barth so entschieden auch den objektiven Charakter der Offenbarung hervorhebt, geht es ihm um das nicht zu eliminierende Entgegenstehen der Selbsterschließung Gottes gegen die ebenso rastlosen wie restlosen Erschließungsambitionen des Menschen, mit denen er die ganze Wirklichkeit für seine Verfügung zu verdinglichen versucht. Die Objektivität ist kein Attribut der Erfassbarkeit oder gar einer bestimmten Verwendbarkeit des Gegenstandes, sie entzieht sich jeder strategisch abgezweckten Hantierbarkeit, wie sie von Fundamentalisten als den selbsternannten Handlangern Gottes so gern in Anspruch genommen wird, sondern der Ton liegt vor allem auf ihrer von der menschlichen Anerkennung unabhängigen Gegebenheit, was in der Sache weniger eine Bedrängnis als ein tatsächlicher Trost ist. Die mit der Offenbarung einhergehende Objektivität bezeichnet gerade ihre Sperrigkeit gegenüber dem Verdinglichungsbedürfnis, mit dem sich der Mensch die Souveränität seiner Handlungsfähigkeit zu sichern versucht.22 Die Offenbarung wird gerade nicht durch die Erkenntnis und die von ihr benutzten Maßstäbe anerkannt; vielmehr erschließen sich erst in ihrer Anerkennung die Möglichkeiten ihrer Erkenntnis und die von der Erkenntnis zu verwendenden Maßstäbe. Das ist der Horizont, in dem sich die theologische Rechenschaft über das rechte Verstehen des Glaubens vollzieht und der zugleich die unausräumbare Verlegenheit der Theologie bezeichnet. Die Theologie kommt von der Selbstmitteilung Gottes her und zielt zugleich auf diese; sie vollzieht sich „auf dem schmalen Weg von 22 Vgl. dazu Schellong, Von der Unmöglichkeit, Barth weiterzuführen, 202–206.

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der geschehenen Offenbarung her zu der verheißenen Offenbarung hin“ (KD I/1, 13). Schon die Alte Kirche wusste um diese Verlegenheit, auch wenn sie sich von ihr nicht so bedrängt sah, wie das heute für uns der Fall ist. Wenn sie – wie bereits erwähnt – betont hat, dass ‚Gott allein durch Gott erkannt‘ werde, so bringt sie mit dieser Feststellung vor allem die Dankbarkeit für die Gnade zum Ausdruck, dass Gott sich zu erkennen gegeben hat. Wenn wir heute mit dieser theologisch schwerlich vermeidbaren Aussage konfrontiert werden, trifft sie uns in der Regel nicht in der Gewissheit, sondern gerade in der Suche nach Vergewisserung, so dass die erkenntnistheoretische Zumutung, die in dieser Formel steckt, in aller Deutlichkeit ins Auge springt. Sie verweist erneut auf den spezifischen erkenntnistheoretischen Zirkel der Theologie, der die Theologie im Laufe ihrer Geschichte immer wieder beschäftigt hat. Natürlich kann darauf hingewiesen werden, dass auch anderen Wissenschaften zirkelhafte Erkenntnisbedingungen nicht fremd sind, aber das hilft nur wenig darüber hinweg, dass die Dynamik des auf die Offenbarung verwiesenen Zirkels in der Theologie eine besondere Dimension mit sich bringt, die gerade nicht verallgemeinerungsfähig ist. Auf der anderen Seite gewinnt auf diesem Hintergrund die Entscheidung Barths, die Theologie entschlossen in den Raum der Kirche zu stellen, eine hohe Plausibilität. Diese Selbstbescheidung gibt ihr die nötige Freiheit, bei der Suche nach Klarheit der spezifischen Gewissheit ihres Glaubens so konsequent wie möglich treu bleiben zu können. E icher, Offenbarung &  Hart, Revelation Spiekermann, Gotteserkenntnis

1.5 Die dreifache Gestalt des Wortes Gottes Für Barth ist das Wort Gottes der „Zentralbegriff “ seiner Prolegomena und der Theologie überhaupt (KD I/1, 90). Das Wort Gottes ist identisch mit der Selbstoffenbarung Gottes (120, 307 f, 311 u. ö.), die in ihrer soeben bedachten besonderen Gegenständlichkeit die Erkenntnisquelle und die Erkenntnisperspektive der Theologie ausmacht. Es steht für den nicht weiter ableitbaren und begründbaren Ausgangspunkt all ihrer Erkenntnisbemühungen. Aber es besagt als solches zunächst wenig über den Weg der theologischen Erkenntnis. Vielmehr scheint es in der Offenbarung für die vor allem entwaffnend verstandene Bewegung der Gotteserkenntnis „senkrecht von oben“23 zu stehen, die den Menschen ganz und gar der Kontingenz des Ereignisses überlässt und ihm alles aus der Hand nimmt, mit dem er auch nur versuchen könnte, sich einen Zugang zu einer Erkenntnis Gottes zu verschaffen. In Barths expressionistischer Ausdrucksweise zur Zeit der frühen dialektischen Theologie scheint die Offenbarung den vollkommen entkleideten Menschen zu treffen, so 23 Barth, Der Christ in der Gesellschaft, 564, 596; ders., Der Römerbrief (Zweite Fassung), 51, 77, 144, 191.

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dass der Vorwurf, dass Barth eine autoritäre Wort Gottes Theologie vertrete, noch beinahe wie eine Verharmlosung klingen könnte. Doch die Perspektive des Verständnisses von Offenbarung und Wort Gottes gilt nicht der Demontage des Menschen, sondern der Erkenntnis seiner Bedrängnis und dem Zulassen seiner Bedürftigkeit. Es geht nicht um die unsinnige Behauptung der Gottverlassenheit des Menschen, die dann ja wohl auch für Karl Barth selbst in Anschlag zu bringen wäre. Barth veranstaltet hier keine Inszenierung, die Gott aus seiner vollkommenen Abwesenheit nun zu einem vollkommen unverhofften Auftritt verhelfen soll. Ebenso wenig tritt Barth nun als der Wissende oder gar der Erleuchtete den Menschen gegenüber, die sich in ihrer uneingestandenen Ignoranz eine trügerische Selbstsicherheit einzureden bemüht sind, um diese nun wie ein Kartenhaus einstürzen zu lassen. Angemessener könnte man die Interventionen Barths als den Versuch einer Neujustierung der Aufmerksamkeit verstehen. Er zielt darauf, sich da nicht abzuwenden, wo in der Begegnung mit dem Worte Gottes der Maßstab der gewohnten Lebensbedingungen überschritten wird und Aussagen in den Blick kommen, die über das Vorstellbare hinausgehen. Das Wort Gottes, die Offenbarung, der besondere Gegenstand des Glaubens verharrt nicht im Jenseits, um sich dann hier und da zu diesem oder jenem Blitzschlag „senkrecht von oben“ veranlasst zu sehen. Vielmehr ist das Wort Gottes immer schon die Voraussetzung unserer Existenz, auch wenn es als solches nicht unablässig wahrgenommen wird. Auf die oben bedachte Bestimmung des besonderen Erkenntnisgegenstandes der Theologie folgt nun die Erörterung des diesem Gegenstand entsprechenden Erkenntnisweges. Entgegen verbreiteten Erwartungen präsentiert Barth nun keine assertorischen Deduktionen, die er der Theologie, die sich über ihren besonderen Gegenstand klar geworden ist, gleichsam als Bedingungen diktiert. Vielmehr orientiert er sich ganz und gar induktiv an den Phänomenen, in denen der Mensch heute dem Wort Gottes begegnet. Es geht zunächst um den Entdeckungshorizont des Wortes Gottes. Dieser wird in der Lehre von der dreifachen Gestalt des Wortes Gottes benannt, die in ihren unterschiedlichen Durchgängen auf die Betonung seiner Einheit hinausläuft (KD I/1, § 4.4, § 5.4, § 6.4). In einem zweiten Schritt geht es ihm dann um die Form theologischer Erkenntnis, die er auf dem Hintergrund der Entdeckungen im Blick auf die dreifache Differenzierung des Wortes Gottes in der trinitarischen Orientierung aller theologischen Erkenntnis zu bestimmen versucht. Dabei beginnt Barth dort, wo er bei seiner Lehre vom Wort Gottes herausgekommen ist, d. h. bei der Einheit der dreifachen Gestalt, um dann den im Zusammenhang mit dem Entdeckungshorizont durchlaufenen Weg spiegelbildlich wieder zurück bis zu seinem Anfang zu durchlaufen. Er steigt mit dem verkündigten Wort Gottes ein (§ 3; § 4.1) und beschließt seine Prolegomena wiederum mit einer eingehenden Erörterung der Bestimmung der Verkündigung der Kirche (§ 22–24). Damit ist dann die Aufgabe der Prolegomena, in denen es um die Rechenschaft über die besondere Erkenntnisperspektive der Theologie geht, erschöpft, und es folgt dann der Inhalt theologischer Erkenntnis in den die folgenden Bände ausmachenden material-theologischen Darlegungen. Die in den Prolegomena vollzogene Doppelbewegung, die in

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der kirchlichen Praxis ihren Ausgang nimmt, steuert schließlich nach allen durchlaufenen Reflexionsschritten wieder auf die kirchliche Praxis zu. Das ist eine Denkbewegung, die für Barth nicht nur in den Prolegomena charakteristisch ist. Praxis meint dabei allerdings nicht Handlungsanweisung oder gar Anwendungsrezept, sondern Wirklichkeitsorientierung und konkrete Lebensperspektive, deren lokale Realisierung weder dogmatisch noch ethisch dekretiert werden kann. Barth unterstreicht, dass die in den Prolegomena diskutierte Form der Erkenntnis dem in der Dogmatik zu bedenkenden Inhalt der Erkenntnis entspricht. Die in den Prolegomena bedachte die Form der Erkenntnis hat von vornherein im Blick zu halten, dass es nicht um irgendeine Form geht, sondern um die dem besonderen Inhalt entsprechende Form. Umgekehrt heißt das, dass in den Prolegomena zwar niemals von dem Inhalt des Wortes Gottes abgesehen werden kann, dieser aber noch nicht als solcher durchdrungen, sondern zunächst nur unter dem Gesichtspunkt der Form seiner Wahrnehmbarkeit thematisiert wird. Wenn Barth den Einstieg in die Wahrnehmung des Wortes Gottes in der kirchlichen Verkündigung wählt (die kirchliche Verkündigung als die erste Gestalt des Wortes Gottes), so folgt er konsequent seiner Voraussetzung, dass Gott nur dort erkannt werden kann, wo er sich selbst zu erkennen gibt, wo er selbst das Subjekt der Erkenntnis ist. Dabei bleiben zwei Pointen festzuhalten. Einmal ist es bemerkenswert, dass Barth in der Gegenwart einsetzt und dies wohl aus zwingenden Gründen. Nur dann kann es überhaupt um Erkenntnis Gottes aus seiner Selbstoffenbarung gehen, wenn diese auch in der Gegenwart geschieht. Der Grundsatz der Selbstvergegenwärtigung Gottes impliziert ihre Aktualität. Ohne diese Aktualität wären wir entweder von der Gotteserkenntnis abgeschnitten oder der Grundsatz der Selbstoffenbarung Gottes müsste aufgegeben werden. Rechte Gotteserkenntnis wäre an ihr Ende gekommen, wenn Gott sich gegenwärtig nicht mehr zu erkennen geben würde. Nur dann kann sinnvoll von Gottes Selbstoffenbarung gesprochen werden, wenn auch für die Gegenwart mit ihr gerechnet werden kann. Jede andere Option würde auf eine Vermittlungsinstanz setzen müssen und damit die Selbstoffenbarung Gottes unter Bedingungen stellen, die im Entscheidenden nicht von ihr selbst ausgefüllt und zur Geltung gebracht würden. Die Gegenwart wird damit zu der substanziellen Bewährung des theologischen Axioms der Selbsterschließung Gottes. Die Bedeutung dieses Aspektes sollte nicht unterschätzt werden. Die zweite Pointe liegt in der Perspektive, in die Barth die kirchliche Verkündigung stellt. Zunächst könnte ja eingewandt werden, dass auch Barth die Selbstoffenbarung Gottes an Bedingungen knüpft, indem er sie mit der kirchlichen Verkündigung des Wortes Gottes in Verbindung bringt. Es ist aber eine Bedingung, die einerseits ihre Voraussetzungen bereits in der Selbstoffenbarung Gottes hat und zudem ohne die Selbstoffenbarung Gottes gar nicht zum Zuge kommt. Sie beruft sich auf die Offenbarung und setzt auf die Offenbarung und insofern ist sie der Offenbarung nicht vorgeordnet, sondern ihr konsequent nachgeordnet und verweist lediglich darauf, dass die Selbstoffenbarung Gottes bereits eine eigene Geschichte hat und nicht erst heute beginnt. Es sind zwei Botschaften, die hier festzuhalten blei-

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ben: Einmal geht es um die Angewiesenheit der heute agierenden Kirche auf die Selbstoffenbarung Gottes. So redlich sie auch ihre Verkündigung betreiben mag, es ist nicht sie, die dem Evangelium Wirkung und Verbreitung zu geben vermag. Sie ist nicht das irdische Vollzugsorgan der göttlichen Botschaft, um von einer Heilsmittlerin ganz und gar zu schweigen, sondern bestenfalls ihre Zeugin, die als solche ganz und gar auf die Rechtfertigung durch die Gegenwart Gottes angewiesen bleibt. Bemerkenswerterweise zitiert Barth im zweiten Teilband seiner Prolegomena anstelle eines Vorworts ausführlich Luther u. a. mit dem zwar bekannten, aber in der Regel nicht tatsächlich ernstgenommenen Satz: Wir sind es doch nicht, die da künden und die Kirche erhalten, unser Vorfarn sind es auch nicht gewesen, unser Nachkomen werdens auch nicht sein, Sondern der ists gewest, ist noch, wirds sein, der da spricht, Ich bin bey Euch bis an der Welt ende. (KD I/2, VI)24

Zwar stellt Barth die Selbstoffenbarung pointiert einem missverstandenen Selbstbewusstsein der Kirche entgegen, aber zugleich verbindet er sie ebenso entschieden mit der Kirche. Die Kirche bleibt darin zu würdigen, dass Gott sich immer wieder ihres zweifellos höchst unvollkommenen Zeugnisses bedient hat, um sich selbst als lebendig zu erweisen. Die auf der Kirche liegende Verheißung, auf die auch Luther in dem angeführten Zitat verweist, ist kein leeres Versprechen. Indem sich ihre Verkündigung als Dienst am Worte Gottes gestaltet, darf sie auch für ihr Tun auf die Präsenz Gottes setzen, der sie all ihr Bemühen anvertraut. Die Verkündigung der Kirche ist getragen von der Hoffnung, dass sich durch sie das Wort Gottes selber vernehmbar macht. Nur in diesem Vertrauen kann ihre Anstrengung eine sinnvolle sein. „Wirkliche Verkündigung heißt […]: Menschliche Rede von Gott, in der und durch die Gott selber von sich selber redet.“ (KD I/1, 97) Das ist die erste Gestalt des Wortes Gottes, die sich in der gegenwärtigen kirchlichen Verkündigung ereignet, die erst dann zu ihrem Ziele kommt, wenn Gott sich selbst in ihr vergegenwärtigt, indem er ihr die seinem Wort entsprechende Evidenz verleiht. Von hier aus kommt dann die zweite Gestalt des Wortes Gottes in den Blick, denn die Verkündigung beruft sich auf die bereits geschehene Offenbarung, wie sie im biblischen Zeugnis überliefert wird (101 ff). So wie die kirchliche Verkündigung ist auch das biblische Zeugnis Menschenwort mit allen Implikationen, die damit verbunden sind, aber als solches das Menschenwort, durch das es sich ereignet, dass Gottes eigenes Wort hörbar wird. Die Bibel ist Gottes Wort, sofern sie Gott sein Wort sein läßt, sofern Gott durch sie redet. Man kann bei dieser zweiten Gleichung so wenig wie bei unserer ersten („die kirchliche Verkündigung ist Gottes Wort“) abstrahieren von dem freien Handeln Gottes, in welchem und durch welches er es jetzt und hier an uns und für uns wahr sein läßt, daß das biblische

24 Luther, WA 54, 470.

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Menschenwort sein eigenes Wort ist. Der Satz: „Die Bibel ist Gottes Wort“ ist ein Glaubensbekenntnis, ein Satz des im biblischen Menschenwort Gott selbst hörenden Glaubens. (112)

Als Zeugnis hat die Bibel selbst sekundären Charakter, der dann darin durchgehalten bleibt, dass es auch für ihr Verstehen auf Gottes eigenes Reden angewiesen bleibt. Insofern ist das Wort Gottes nicht an das biblische Zeugnis gebunden, sondern umgekehrt dieses an das sich selbst vernehmbar machende Wort Gottes (KD I/2, 569). Die Bibel ist nicht das Wort Gottes, wohl aber kann sie dieses werden durch Gottes eigenes Wirken (KD I/1, 112 f, 116), „wie das Wasser im Teich Bethesda bewegt wurde, um dadurch un[s] so heilsam zu werden“ (114). Allein Gott kann sie zur Heiligen Schrift machen. Indem das Wort Gottes geschieht, lässt es sich nicht konservieren, auch nicht in der Bibel, die immer wieder neu auf die lebendige Inspiration durch Gott selbst wartet, durch welche der Text zum gegenwärtigen Reden Gottes werden kann. Das schließt auch die Möglichkeit ein, dass der Text eben auch stumm bleiben kann, was aber niemals schon ein hinreichender Grund sein kann, einen Text als ‚stroherne Epistel‘25 abzuweisen. Die Bibel ist kein „griffbereit vorliegendes Gotteswort“ (KD I/2, 576), vielmehr erweist sich das Wort Gottes umgekehrt gerade darin, dass es nach uns greift (KD I/1, 112 f), um uns in durchaus überraschender Weise die Augen zu öffnen und damit in einen neuen Wirklichkeitshorizont zu versetzen. Zu seinem Ereignis gehört diese Veränderung hinzu. Die in dem Verb „greifen“ liegende Dynamik soll den Zusammenhang von Wort und Tat Gottes anzeigen (148), wie er oben im Blick auf den performativen Charakter des Wortes Gottes angesprochen wurde (vgl. Kap. IV. 1.3.2, S. 204). Es wird nicht bloß neutral zur Kenntnis genommen, gleichsam als zusätzliche Information zu den bereits vorhandenen Kenntnissen, sondern versetzt den Menschen in einen anderen Wahrnehmungshorizont, von dem sich dann nicht einfach wieder absehen lässt. Die dritte Gestalt des Wortes Gottes ist schließlich das Ereignis der Offenbarung selbst. Sachlich ist dies natürlich die erste Gestalt (124), aber in dem phänomenologisch angegangenen Entdeckungshorizont kommt es erst als dritte in den Blick. Es ist selbst das Wort Gottes in seinem Gesprochenwerden (122), was Bibel und kirchliche Verkündigung je und je erst werden müssen (120 f). Seiner Form nach ist das Ereignis der Offenbarung Rede – eben Wort Gottes – in einem alles entscheidenden Sinne, denn das hier gemeinte deus dixit besagt: Es ist vollbracht! (119) Das ist die Selbstoffenbarung des Offenbarers in der mit der Offenbarung verbundenen Verhüllung. Es ist der Immanuel, wie er sich in Jesus Christus gezeigt hat. Es ist kein Zufall, dass wir an diesem zentralen Punkt der Erläuterung des Offenbarungsverständnisses von Barth eine ganze Reihe von sich gegenseitig erläuternden Entsprechungen finden, die als solche alle für das entscheidende Kriterium der Dogmatik stehen:

25 Luther zum Jakobusbrief WA DB 7, 384.

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Offenbarung ↔ Ereignis des Wortes Gottes ↔ deus dixit ↔ Es ist vollbracht! ↔ Gott mit uns ↔ das Wort ward Fleisch ↔ Jesus Christus. In dieser Gestalt zeigt sich das sachliche Zentrum der Rede vom Wort Gottes, von dem aus das biblische Zeugnis und ebenso die kirchliche Verkündigung zum Wort Gottes werden. Als solches ist es aber auch nicht ohne die beiden anderen Gestalten das, was es ist. Insofern gehören alle drei Gestalten des Wortes Gottes untrennbar zusammen, so sehr sie sich auch voneinander unterscheiden lassen. Barth fasst die sich ergebenden Relationen der drei Gestalten des Wortes Gottes prägnant zusammen: Offenbartes Wort Gottes kennen wir nur aus der von der Verkündigung der Kirche aufgenommenen Schrift oder aus der auf die Schrift begründeten Verkündigung der Kirche. Geschriebenes Wort Gottes kennen wir nur durch die die Verkündigung erfüllende Offenbarung oder durch die von der Offenbarung erfüllte Verkündigung. Verkündigtes Wort Gottes kennen wir nur, indem wir die durch die Schrift bezeugte Offenbarung oder indem wir die die Offenbarung bezeugende Schrift kennen. (124) Muis, Die Rede von Gott und das Reden Gottes & 

1.6 Trinitarische Hermeneutik Die den Zusammenhang erhellenden Relationen der drei Gestalten des einen Wortes Gottes wecken unwillkürlich Assoziationen zur Einheit der drei zu einander in Beziehung stehenden Seinsweisen Gottes: Es gibt nur eine Analogie zu dieser Lehre vom Wort Gottes. Genauer gesagt: Die Lehre vom Wort Gottes in seiner dreifachen Gestalt ist selber die einzige Analogie zu der Lehre, die uns bei der Entwicklung des Begriffs der Offenbarung grundlegend beschäftigen wird: zur Lehre von der Dreieinigkeit Gottes. Daß man für Offenbarung, Schrift und Verkündigung die göttlichen ‚Person‘namen Vater, Sohn und Heiliger Geist einsetzen kann, und umgekehrt und daß man hier wie dort auf dieselben Grundbestimmungen und gegenseitigen Verhältnisse stoßen wird, daß auch die entscheidende Schwierigkeit und die entscheidende Klarheit hier wie dort dieselbe ist, darin wird man eine gewisse Unterstützung hinsichtlich der inneren Notwendigkeit und Richtigkeit des hier über das Wort Gottes Ausgeführten erblicken dürfen. (124 f)

Nun geht es um den Erkenntnisweg der Offenbarung als der Selbstoffenbarung Gottes. Die entscheidende Pointe besteht wiederum darin, dass Barth die Alleinwirksamkeit Gottes in seiner Selbsterschließung hervorhebt. Weder bedient er sich eines von ihm unterschiedenen Mediums, um sich mitzuteilen, noch offenbart er etwas anderes als sich selbst. „Gott offenbart sich. Er offenbart sich durch sich selbst. Er offenbart sich selbst.“ (312) Er ist das Subjekt des Geschehens, sein Ereignis und

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auch seine Bestimmung. Nichts geht in diesem Geschehen in die Hand des Menschen oder der Kirche über, ebenso wenig wie in einen greifbaren Umstand unserer immanenten Lebensumstände wie etwa eine Schöpfungsordnung oder die Aussonderung heiliger Orte. Alle Vermittlungen zwischen Gott und Mensch werden von Barth eliminiert, so dass sich die Erkenntnis nicht auf irgendwelche allgemein zugänglichen Teileinsichten berufen kann, die sie dann zur rechten Gotteseinsicht führen oder zumindest auf sie vorbereiten. Es ist die durch das ganze biblische Zeugnis hindurch annoncierte Unnahbarkeit des Namens Gottes, die sich in spezifischer Weise in dem Offenbarungsgeschehen erschließt, das nicht anders als in einer trinitarischen Perspektive verstanden werden kann. In diesem Sinne kann Barth sagen: „Die Trinitätslehre ist nichts Anderes und will nichts Anderes sein als eine explizierende Bestätigung dieses Namens.“ (368) Sie versucht nachzuvollziehen, inwiefern Gotteserkenntnis in biblischer Perspektive konsequent nur als Selbsterschließung Gottes verstanden werden kann. Der Verweis auf ihr Geschehen bleibt am Ende wieder allein auf ihr tatsächliches Geschehen angewiesen, wie es bereits in der Erörterung des Problems der Offenbarung betont wurde (vgl. Kap. IV.1.4). Die Erinnerung an die geschehene Offenbarung vollzieht sich in erster Linie in der Hoffnung auf ihr gegenwärtiges Ereignis, ohne welches auch das vergangene verschlossen bleibt. Allen Personen- und Seinsrelationen Gottes, welche die Tradition der Trinitätslehre geprägt haben, stellt Barth sachlich eine grammatikalische Überlegung voran. Die für die Offenbarung stehende Formel „Deus dixit“ ist ein Satz, der darin zu verstehen ist, dass sein „Subjekt, Prädikat und Objekt sowohl gleichzusetzen als auch zu unterscheiden sind“ (316). Es ist Gott (Subjekt), der gesprochen hat, so wie Gott in seinem Sprechen (Prädikat) handelt, indem er dann auch etwas gesagt und d. h. bewirkt hat (Objekt). Hier erschließt sich die im Leitsatz zu § 8 benutzte Bestimmung Gottes als des Offenbarers, der Offenbarung und des Offenbarseins (311). Es geht um Identität und Unterscheidung von Subjekt, Handeln und Wirkung (312; KD II/1, 294). Wer tritt da in Aktion, worin besteht die Aktion und was ist ihre Wirkung (KD I/1, 313)? Es geht um die spezifische Weise, in der Gott in seiner Offenbarung er selbst ist. Von hier aus drängen sich die spezifischen Unterscheidungen auf, die dann in der Trinitätslehre gemacht werden. „Es ist Gott selber, es ist in unzerstörbarer Einheit der gleiche Gott, der nach dem biblischen Verständnis der Offenbarung der offenbarende Gott ist und das Ereignis der Offenbarung und dessen Wirkung am Menschen.“ (315) In diesen Differenzierungen geht es fundamental um den rechten Zugang zum christlichen Monotheismus (374). Barths Ausgangspunkt für den trinitarischen Weg theologischer Gotteserkenntnis liegt in dem für die Bibel charakteristischen Umstand, dass der in seinem Wesen unenthüllbare Gott (332 f) von der zu seinem Wesen gehörenden Möglichkeit Gebrauch macht, „sich von sich selbst zu unterscheiden, sich selber ungleich zu werden und doch der gleiche zu bleiben“ (337 f). Gott erscheint in seiner Offenbarung in einer von sich selbst unterschiedenen Seinsweise, ohne in dieser Seinsweise weniger Gott zu sein. Gott wahrt seine wesenhafte Verborgenheit und offenbart

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zugleich diese Verborgenheit (334). Mit einer Formulierung von Robert W. Jenson gesprochen wird offenbart, „daß Offenbarung geschehen kann“ in einer Weise, wie sie bereits geschehen ist.26 Nicht Gott an und für sich steht zur Debatte, sondern Gott in seiner Zuwendung zum Menschen und zu seiner Schöpfung. In seinem Wesen bleibt Gott uns verborgen und zugleich ist davon auszugehen, dass er in seiner Zuwendung kein anderer als er selbst ist. Alles, was dem Menschen zu wissen notwendig ist, wird in seiner Offenbarung erschlossen; es gibt keinen Deus absconditus, keinen in dem Sinne verborgenen Gott, der sich in seiner Beziehung zum Menschen eine für ihn charakteristische Dimension seines Wesens vorbehalten hätte (vgl. Kap. I.8; IV.3.2, S. 265). Indem Gotteserkenntnis in Entsprechung zu dem performativen Charakter seines Wortes als ein Handeln Gottes am Menschen zu verstehen ist, erschließt sie sich allein in der Wahrnehmung der Wirklichkeit des Beziehungsgeschehens zwischen Gott und Mensch, in welchem die Gotteserkenntnis unmittelbar mit der menschlichen Selbsterkenntnis verbunden ist. Gottes freier Entschluss, nicht nur für sich selbst Gott zu sein, ist ebenso Ausdruck seiner unbedingten Souveränität wie die Erkennbarkeit in seiner Selbstvergegenständlichung und schließlich drittens auch seine Selbstvergegenwärtigung selbst. Das sind die drei Dimensionen seiner Souveränität, in denen sich für Barth das „Herrsein Gottes“ Ausdruck verschafft. Es sind die drei Seinsweisen der göttlichen Souveränität, die erst zusammengenommen die Gotteserkenntnis des Glaubens ausmachen und somit den Weg der theologischen Erkenntnis bezeichnen. Gott ist „in dreimaliger Wiederholung der eine Gott […] so, daß diese Wiederholung selbst in seiner Gottheit begründet ist, also so, daß sie keine Alteration seiner Gottheit bedeutet“ (369). Es entspricht diesem das Geheimnis Gottes wahrenden Denkgefälle Barths, dass nicht die Gestalt Gott, sondern Gott sich in der besonderen Gestalt offenbart (338 f). Er verbirgt sich in der ihn offenbarenden Gestalt, die ihn nicht einfach greifbar macht, sondern in der er selbst es bleibt, welcher allein der Erkenntnis die Augen zu öffnen vermag. Gott nimmt Gestalt an (der Sohn), er gibt sich in dieser Gestalt zu erkennen und tritt zum Menschen in Beziehung (der Geist) und bleibt auch der, der keine Gestalt annimmt (der Vater). Daraus ergibt sich die trinitarische Wahrnehmung Gottes als des Offenbarers, der identisch ist mit seiner Offenbarung und mit seinem Offenbarsein (312). Das damit charakterisierte Offenbarungsgeschehen erweist sich darin als Geschichte, dass es den Menschen hineinnimmt und ihm eine eigene Teilhabe gewährt, wie es dann besonders in der für Barth charakteristischen Bundestheologie eingehend ausgeführt wird (335; vgl. Kap. IV.3–5). Erkenntnis wird in diesem Zusammenhang grundsätzlich im alttestamentlichen Sinne verstanden, nach dem sie nicht nur ein noetischer Akt ist, in dem etwas zur Kenntnis genommen wird, sondern immer die ganze Existenz betrifft und somit ein durch das Geschehen geweckter Anerkennung begründetes Beziehungsgeschehen bezeichnet. 26 Jenson, Karl Barth, 50.

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Formal ist damit der theologische Erkenntnisweg umrissen. Er wird von Barth entfaltet als eine Annäherung an das christliche Verständnis von Offenbarung und bezieht sich sachlich auf die traditionelle Problemstellung, die durch die spezifische Herausforderung des Christusbekenntnisses aufgeworfen wird: Im konsequenten Festhalten an der Einzigkeit Gottes gilt es, der Christologie die fundamentale Bedeutung einzuräumen, die ihr als der entscheidende Schlüssel für das Gottesverständnis zukommt. Der Verlauf, den der durchaus traditionelle Erkenntnisweg bei Barth dann tatsächlich nimmt, zeigt allerdings, dass Barth zur Entfaltung seiner Trinitätslehre einen ganz eigenen Orientierungshorizont ins Auge fasst, der den traditionellen trinitarischen Distinktionen ganz neue Dimensionen zumisst. Indem dabei die traditionelle Rede von den Personen durch die der Seinsweisen Gottes ersetzt wird, bekommt sie den für Barth charakteristischen dynamischen Charakter, ohne dabei der Gefahr eines Modalismus zu erliegen. Im Vordergrund steht die Unterscheidung von Offenbarung, Offenbarer und Offenbarsein. Durch sie wird der für die Theologie unausweichliche erkenntnistheoretische Charakter der Trinitätslehre in den Vordergrund gerückt, was dann auch zur Folge hat, dass sie ihren dogmatisch grundlegenden Ort in den Prolegomena der Dogmatik bekommt und somit als eine Grundlagenüberlegung für alle theologischen Inhalte vorgetragen wird. Wenn Barth es nicht bei der einen Bestimmung (Offenbarung, Offenbarer und Offenbarsein) belässt, sondern gerade im sachlichen Zentrum auch alternative Benennungen der drei Dimensionen vornimmt, wird unterstrichen, dass es sich in jedem Fall nur um einen provisorischen Plausibilisierungsversuch handelt, der dem spezifischen Charakter christlicher Gotteserkenntnis Rechnung zu tragen versucht, ohne diese damit fixieren zu wollen. In erkenntnistheoretischer Richtung kann er auch von ‚Enthüllung, Verhüllung und Mitteilung‘ bzw. von ‚Gestalt, Freiheit und Geschichtlichkeit‘ (351) sprechen. Es ist kein Zufall, wenn diesen Dimensionen der Gotteserkenntnis liturgisch drei Höhepunkte des Kirchenjahres entsprechen: Karfreitag, Ostern und Pfingsten. Sind diese erkenntnistheoretischen Markierungen für die Gotteserkenntnis verstanden, dann kann gewiss auch von ‚Sohn, Vater und Geist‘ (ebd.) gesprochen werden, weil jetzt nicht mehr die Gefahr besteht, drei Akteure irgendwie in eine Beziehung zueinander zu setzen, sondern deutlich bleibt, dass „wirklich dreimal unauflöslich anders dreimal dasselbe gesagt“ (ebd.) wird. Die Trinitätslehre wird zu einer die Aufmerksamkeit orientierenden Antwort auf das biblische Zeugnis von der Offenbarung Gottes (352). Es geht darum, den bereits mehrfach angesprochenen Geheimnischarakter der Offenbarung in begründeter Weise als wesentlich bzw. essenziell für die christliche Gotteserkenntnis wahrzunehmen, und zwar nicht um Gott auf diese Weise in einem unnahbaren Nebel zu halten, sondern um unsere bleibende Angewiesenheit auf seine Selbsterschließung, die in jedem Fall die uns zur Verfügung stehenden Maßstäbe und Kriterien transzendiert, im Blick zu halten. Es geht in der Offenbarung in gewisser Weise um ein in seiner prinzipiellen Geheimnishaftigkeit verstandenes und somit wirkliches Geheimnis, das es dann auch als solches zu wahren gilt (KD II/1, 44). Die Offenbarung will als Offenbarung verstanden werden und d. h.,

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dass sie nicht auch nur dem Versuch unterworfen werden sollte, in die diesseitigen Bedingungen der von uns begriffenen Welt möglichst restlos integriert zu werden, so sehr sie zweifellos ihr spezifisches Licht auf die Bedingungen unserer diesseitigen Lebensumstände wirft.

& Barth, Die christliche Dogmatik im Entwurf, 165 ff. Maurer, Grammatik des biblischen Redens von Gott. Weinrich, Theologischer Ansatz und Perspektive der Kirchlichen Dogmatik.

1.7 Zusammenfassende und zuspitzende Thesen 1. Barths theologischer Neuaufbruch bezeichnet theologiegeschichtlich seine profilgebende Bedeutung für die „Theologie des Wortes Gottes“, die sich in der verbreitet wahrgenommenen Grundlagenkrise beim Ausgang des Ersten Weltkriegs formiert hat. Es ging vor allem um die Überwindung der anthropologischen Konditionierung der Theologie durch den Neuprotestantismus, der die Fremdheit und Andersartigkeit Gottes gegenübergestellt wird. Gott erschließt sich nicht in unseren geschichtlichen Erfahrungen, sondern allein in seinem besonderen Wort, das in Jesus Christus in besonderer Weise zusammengefasst wird. Der konfrontative Charakter des allein in seiner Selbstoffenbarung zu erkennenden Wortes Gottes greift vor allem die affirmativen Verblendungen der religiösen Selbstreflexion des neuzeitlichen Menschen an und bestreitet ihm die Tragfähigkeit seiner subjektivitätstheoretischen Selbstkonstitution, deren Scheitern nicht zuletzt in der Katastrophe des Ersten Weltkrieges offenkundig geworden sei. 2. Barth reklamiert es als einen fundamentalen Irrweg der Theologie, dass sie sich im 19. Jahrhundert auf den Weg der Selbsterforschung des Menschen im Horizont der Erkenntnis der Glaubensverwiesenheit seines Selbstverständnisses begeben habe. Als eine an den menschlichen Potenzialen orientierte Glaubenslehre bleibt sie hinter dem mit ihr zu verbindenden Anspruch zurück, die sich im Wort Gottes ereignende Zuwendung Gottes zum Menschen unter den je konkreten geschichtlichen Umständen angemessen zur Sprache zu bringen. Sie habe nicht den Bedürfnissen des Menschen zu folgen, sondern dem Inhalt des von der Kirche zu verkündigenden Wortes Gottes, in dem die ‚neue‘ Welt Gottes als die Überwindung der ‚alten‘ Welt des Menschen und den von ihr genährten babylonischen Bedingungen in den Blick gerückt wird. Weder der Theologie noch der Kirche kommt die Aufgabe zu, das Wort Gottes zu vermitteln – sie können sich nicht einfach auf eine besondere Autorisierung durch das Wort Gottes berufen –, sondern können lediglich auf seine Selbstvermittlung hinweisen, auf die auch sie ihrerseits angewiesen bleiben. 3. Für die Theologie kann das unsere Erkenntnis bestimmende Gefälle vom Allgemeinen zum Besonderen nicht gelten, weil es keinen Sinn macht, von Gott als dem Besonderen von etwas Allgemeinem zu sprechen. Barth widerspricht der spezifisch neuzeitlichen Konditionierung der Vernunft, indem er mit der Theologie eine Alternative zur Diskussion stellt. Er gibt nicht die konsequente Bemühung der Vernunft

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preis, fordert von ihr aber eine andere Orientierung als die im neuzeitlich vorherrschenden Paradigma, das sich vor allem auf die erkenntnistheoretischen Prämissen von Descartes und damit auf die Selbstkonstitution des Menschen durch sein Denken beruft. Barth bringt für die Theologie konsequent genau das umgekehrte Gefälle zur Orientierung der Vernunft ein, indem er vom schlechterdings Besonderen auf das Allgemeine hindenkt. Es ist das besondere Wort Gottes, das den Horizont für all das erschließt, was es dann allgemein über den Menschen und seine Wirklichkeit zu sagen gibt. Gott ist nicht der Träger bemerkenswerter Zuschreibungen, sondern durch ihn werden wir überhaupt erst auf Bemerkenswertes gestoßen. Und so ist Theologie keine einfach im Menschen per se liegende Möglichkeit, vielmehr beruft sie sich auf eine die menschlichen Bedingungen transzendierende Ermöglichung, die ihr den spezifischen Wirklichkeitssinn zuwachsen lässt, der ihrer Betätigung eine Validität zumisst, die grundsätzlich über alle subjektivitätstheoretischen Selbstsetzungen hinausgreift. Die Ernsthaftigkeit dieses Vorstoßes lässt sich nicht zuletzt daran ablesen, dass Barth konsequent den Weg der Apologetik vermeidet, weil dieser in nichts anderem bestehen könnte, als den spezifischen Charakter der theologischen Erkenntnis mit Hilfe des neuzeitlichen subjektivitätstheoretischen Paradigmas zu plausibilisieren und auf diese Weise in dieses zu integrieren. 4. Das gesellschaftliche Subjekt der Theologie ist die Kirche, die dem von ihrem Glaubensbekenntnis evozierten Denkbedarf nachgeht, um je neu der an sie ergehenden Anrede nach bestem Ermessen gerecht werden zu können. Diese Zuordnung zur Kirche erübrigt der Theologie die Apologetik, denn diese bahnt den Glauben weder an noch vermittelt sie ihn, sondern sie wird von ihm konstituiert. Die Theologie bestimmt nicht das Wesen der Kirche, vielmehr denkt sie den aus der Bestimmung der Kirche folgenden Einsichten nach, zu denen sie sich durch eben diese Bestimmung aufgefordert sieht. 5. Der spezifische Denkweg der Theologie wird für Barth nicht dadurch orientiert, dass er sich an dem den Glauben infrage stellenden Zweifel abarbeitet. Primär folgt er vielmehr dem mit dem Glauben einhergehenden Bedürfnis nach Verstehen. Es geht in der Theologie um den Appell des Glaubens an die von uns zu vollziehende Erkenntnis der ihn charakterisierenden eigenen Vernünftigkeit. Die Erkenntnis steht dabei nicht vor den Abgründen der eigenen Möglichkeiten, der ihr – wie bei Descartes – am Ende nur den Friedensschluss mit dem Zweifel überlässt. Sie kommt vielmehr aus der Gewissheit einer Perspektive, um deren Klarheit sie jeweils neu zu ringen hat. Sie wird konstituiert in der Anerkennung des Wortes Gottes, wie sie es im biblischen Zeugnis bezeugt findet, und ist darauf ausgerichtet, dem konkreten Credo der Kirche zu einer möglichst stringenten Verstehbarkeit zu verhelfen. 6. Indem es der Theologie um die Entsprechung des Verstehens zu seiner Veranlassung in der Offenbarung geht, kann Barth von einer analogia fidei als die zu suchende Konformität der zu formulierenden Erkenntnis mit dem Wort Gottes sprechen. Sie bezieht ihre spezifische Pointe aus einem entschiedenen Abrücken von jeder Vorstellung einer zu unterstellenden analogia entis, die immer schon von einer prästabilisierten seinsmäßigen Konformität unserer geschöpflichen Selbst-

Gott wird nur durch Gott erkannt: Der Weg theologischer Erkenntnis

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erkenntnis mit den Bestimmungen des Schöpfers ausgeht. Damit kehrt sich Barth dezidiert von dem Weg einer natürlichen Theologie ab, die er in allen ihren Varianten grundsätzlich problematisiert. Er ist sich bewusst, dass sich die Bezugnahmen auf die reichlichen Ressourcen der natürlichen Theologie niemals ganz vermeiden lassen, weil wir unser Vorverständnis niemals ganz hinter uns lassen können. Aber das darf nicht dazu führen, die natürliche Theologie zu sanktionieren oder gar ausdrücklich zu wollen (vgl. Kap. III.2). 7. Die Theologie wäre ein aussichtloses Unternehmen, wollte sie Gott in das Licht unserer Betrachtungsmöglichkeiten stellen. Indem sie sich stattdessen darauf ausrichtet, den Menschen und seine Lebensbedingungen in dem von Gottes Zuwendung zur Welt ausgehenden Licht des Glaubens zu erkennen, zielt sie nicht auf die Erschließung des Geheimnisses Gottes, sondern auf die Erkenntnis der im Lichte des Handels Gottes sichtbar werdenden Wirklichkeit des Menschen und seiner Lebensbedingungen. Es geht um die Wahrheit, wie es um unsere Wirklichkeit bestellt ist, und immer zugleich auch um die Wirklichkeit, die in der Wahrheit der Zuwendung Gottes in Erscheinung tritt. 8. Prolegomena der Dogmatik thematisieren nach Barth nicht die Fragen, die zu klären sind, bevor die Theologie mit ihrer eigentlichen Arbeit beginnt, sondern sie sind bereits ein essenzieller Teil der dogmatischen Arbeit, der sich mit den zuerst zu bedenkenden Fragen befasst, der als solcher fundamentaltheologischen Charakter hat und somit für alle späteren Überlegungen grundlegend bleibt. Es geht um die Grundlagenentscheidungen in der Rechenschaft über den der Theologie gesetzten Ausgangspunkt und den ihr gewiesenen Weg der Erkenntnis. Beinahe alle Problematisierungen, die Barth für andere theologische Konzepte mehr oder weniger offensiv annonciert hat, haben ihre Veranlassung in ausgemachten Differenzen im Blick auf den von der Theologie einzuschlagenden Erkenntnisweg. 9. Es ist nicht sein eigenes Erkenntnisvermögen, durch das der Mensch auf Gott stößt und ihn erkennt. Wenn Barth Offenbarung konsequent als die Selbsterschließung Gottes in seinem Wort versteht, stellt er sich gegen alle Varianten eines Offenbarungsverständnisses, das einer besonderen Dimension oder Empfindlichkeit des menschlichen Erkenntnisvermögens oder Empfindens zugeordnet wird, wo sich der Mensch dafür prädisponiert hält, mit der Transzendenz in Kontakt zu treten bzw. Mitteilungen Gottes als solche wahrzunehmen. Barth stellt jede menschliche Potenzialität in Abrede, mit der er sich Zugang zu Gott verschaffen könnte und verbindet mit dem Begriff der Offenbarung ein Verständnis, das exklusiv auf die Initiative Gottes setzt, der sich in seiner Freiheit durch seinen Geist in seinem Wort dem Menschen zu erkennen gibt. Gott bleibt dabei das Subjekt seines Erkanntwerdens, indem die Offenbarung nicht einen einmal wahrzunehmenden und dann festzuhaltenden Umstand bezeichnet, sondern auf das niemals fixierbare Handeln des lebendigen Gottes verweist, durch das der Glaube der Kirche und der Einzelnen konstituiert wird, der sie dann im antwortenden Bekenntnis zu Gott zu einem neuen Verstehen ihrer ganzen Existenz bewegt. Offenbarung wird verstanden als eine ‚Zeichengebung‘, deren Evidenz allein in ihr selbst liegt, die sich also ohne ihre

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je neue Bestätigung nicht bewahren lässt. Daraus erhellt der spezifische Charakter des nichtgegenständlichen Gegenstandes der Theologie, wie er vorzüglich durch das Wort Gottes bezeichnet wird. Es geht gerade um einen Gegenstand, der sich den menschlichen Verdinglichungsbedürfnissen gegenüber als sperrig erweist. Erst wenn die Theologie um ihre damit verbundene Verlegenheit weiß, kann sie als ein verheißungsvolles Unternehmen angegangen werden. 10. Theologische Erkenntnis hat der Besonderheit ihres Gegenstandes zu entsprechen. Die Lehre von der dreifachen Gestalt des Wortes Gottes benennt den Entdeckungshorizont der besonderen Gegenständlichkeit, die nicht einfach von uns in Anspruch genommen werden kann, sondern sich erst darin als solche erweist, dass sie uns von sich aus in Anspruch nimmt. Die kirchliche Verkündigung als die erste Gestalt des Wortes Gottes kommt erst dann zu ihrem Ziel, wenn sich Gott durch sie hindurch selbst vergegenwärtigt. Auch das biblische Zeugnis als die zweite Gestalt des Wortes Gottes ist nicht schon als historisches Dokument evident. Es bedarf der Selbsterschließungskraft Gottes, um das Wort Gottes in ihm zu vernehmen. Und das gilt dann auch für die dritte Gestalt des Wortes Gottes, das sich in Christus geoffenbart hat: die Evidenz als Selbstoffenbarung Gottes erschließt sich nicht schon in der Betrachtung des Ablaufs der Geschehnisse, sondern bekommt seine augenöffnende und damit den Glauben begründende Bedeutung erst aus der lebendigen Erschließungskraft der je aktuellen Gegenwart Gottes, durch die sich in der Verhüllung die spezifische Enthüllung Gottes erst offenbart. Indem jede Gestalt des Wortes Gottes nicht ohne die je beiden anderen ist, zeigt sich die Offenbarung des einen Wortes Gottes in einem ebenso bestimmten wie unumgänglichen Verweisungszusammenhang. 11. Diesem besonderen Entdeckungshorizont theologischer Erkenntnis entspricht dann auch die Form des theologischen Erkenntnisweges, der davon gekennzeichnet bleiben muss, dass er konsequent der Alleinwirksamkeit Gottes in seiner Selbsterschließung entspricht. Die in der Lehre des Wortes Gottes gewonnene grundlegende Einsicht, dass Gott sich selbst durch sich selbst offenbart, hat ihre Konsequenz in der Form eines trinitarischen Erkenntnisweges, der anzeigt, dass Gott sowohl das Subjekt als auch das Objekt sowie das Ereignis des Geschehens ist: der Offenbarer, die Offenbarung und das Offenbarsein, in denen sich die drei besonderen zusammengehörigen Seinsweisen Gottes im Geschehen seiner Offenbarung zeigen, in welcher der eine Gott mit seinem unverwechselbaren Namen in Erscheinung tritt. In seiner Offenbarung erscheint Gott in einer von sich selbst unterschiedenen Seinsweise. In dieser von ihm unterschiedenen Seinsweise ist er in keiner Weise weniger oder ein in seinem Wesen von sich selbst unterschiedener Gott, wahrt aber zugleich seine transzendente Verborgenheit.

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2. Offenbarung und Religion These

Die Religion ist nicht der vorauszusetzende anthropologische Resonanzboden für die Wahrnehmung von Offenbarung, sondern die Offenbarung ist die Krisis der Religion als einer Angelegenheit des Menschen. Im Spiegel der Offenbarung zeigt sich, wie sehr der Mensch die Religion für sich domestiziert. In theologischer Perspektive wird die Religion vor ihr Rechtfertigungsproblem gestellt und dieses wird analog zur Rechtfertigung des Menschen entfaltet. Als angemessen gelebte Entsprechung des Menschen zu der Wirklichkeit der Zuwendung Gottes kann die gerechtfertigte und darin ‚wahre Religion‘ ebenso wenig unmittelbar demonstriert werden wie der gerechtfertigte Mensch.

Bis heute sind Barths Prolegomena zur Kirchlichen Dogmatik für ein Thema besonders anstößig geblieben, nämlich das Thema der Religion. In seiner entschlossenen Abkehr von der Theologie des 19. Jahrhunderts, in welcher die Religion zum fundamentaltheologischen Ausgangspunkt für die Theologie geworden war, habe Barth nun der Religion konsequent den Rücken gekehrt und sie mit dem immer wieder zitierten Satz „Religion ist Unglaube“ (KD I/2, 327) aus dem Horizont der Theologie verbannt.27 Es wurde dann gern von einem Gegensatz gesprochen, den Barth zwischen dem christlichen Glauben (dem Christentum) und der Religion aufgemacht habe, um die Theologie dann an den christlichen Glauben zu binden, ohne sich weiter um das Thema der Religion kümmern zu müssen. Die Theologie sei allein auf das Wort Gottes verwiesen und habe den Bestimmungen des Offenbarungsverständnisses zu folgen, wie sie im letzten Kapitel entfaltet wurden (vgl. Kap. IV.1.4). Die Religion werde bei Barth gleichsam von einem bestimmten Vorurteil aus ins Abseits gestellt, um sich ihr dann nicht weiter stellen zu müssen, was insbesondere angesichts des inzwischen bedeutsamer gewordenen Faktums eines beinahe allgegenwärtigen Religionspluralismus eine schlechterdings unakzeptable Position darstelle, weil zugleich unterstellt wird, dass bei Barth das Christentum exklusiv über alle anderen Religionen erhaben sei. Würden diese Wahrnehmungen der Position Barths zutreffen, nach denen sich die Theologie über die Niederungen der Religion erhaben wissen dürfe, so wäre dies in der Tat nicht erst heute eine ganz und gar unzulängliche Problemwahrnehmung. Aber weder im Blick auf den Inhalt noch auf die Perspektive lässt sich diese Diagnose bestätigen. Gewiss gilt es nach Barth, Offenbarung und Religion fundamental voneinander zu unterscheiden, aber dabei handelt es sich vor allem um die Fundamentalunterscheidung von Gott und Mensch, die von der Theologie stets zu beachten bleibt. Aber so wenig wie der Mensch von der Theologie nicht über27 Vgl. u. a. Althaus, 164 f; Joest, 83; Pöhlmann, 36 ff; Rödding, 51; Thielicke, 423 ff; Zahrnt, 144 f; Zirker, 47 ff.

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sehen werden darf, kann sie auch der Religion nicht einfach den Rücken kehren. Vielmehr bleibt die Religion für die Theologie ein unumgänglicher Bezugspunkt, der aber als solcher für sie keine eigengesetzliche Voraussetzung darstellt, sondern ebenso wie alle anderen Fragestellungen in die kritische und zugleich auch ermutigende Beleuchtung der Offenbarung gestellt werden muss. Zweifellos hatte Barth eine auch affektive Abneigung gegenüber dem verbreiteten „Religionismus“, wie er sagen konnte (KD I/2, 316, 319, 321), und hat diese durchaus auch bekundet: „‚religion‘ (I hate the word!)“.28 Aber das hat ihn beispielsweise später nicht daran gehindert, die Unausweichlichkeit der Religion für die Theologie etwa gegen Bonhoeffers These von einem zu erwartenden „religionslosen Christentum“29 hervorzuheben. Bei aller entschlossen vorzunehmenden Religionskritik ist die Religion keineswegs ohne Verheißung, auch wenn sie nicht bereits aus sich heraus für diese Verheißung steht. Indem die Religion substanziell als eine – wenn nicht gar die – Angelegenheit des Menschen anzusehen ist, öffnet sich sachlich von Barth aus sogar ein eigener Weg zu einer Theologie der Religionen bzw. zum interreligiösen Dialog, auch wenn Barth unter den Bedingungen seiner Zeit noch nicht wirklich in diese Richtung geblickt hat (vgl. Kap. IV.2.1.2, S. 244 f). Zwar fällt sein gelegentlich erkennbar werdendes theologisches Urteil über andere Religionen vor allem abweisend aus, aber das kann nicht als eine zwingende Konsequenz seines Religionsverständnisses ausgegeben werden. Vielmehr bleibt die für Barth charakteristische theologische Dialektik zu beachten, die einerseits vor allem der christlichen Religion gegenüber zu ausgesprochen harten Urteilen führt, die deutlich an Argumentationen der Religionskritik erinnern, und andererseits der Unausweichlichkeit der Religion auch pointierte und als solche durchaus überraschende Absolution erteilt. In diesem Kapitel geht es um diesen besonderen theologischen Zugang zur Religion, die im Lichte der Offenbarung einerseits als Ausdruck des Unglaubens und zugleich als die verheißene ‚wahre‘ Religion bedacht wird. Für die Religion bleibt – ebenso wie für das Verständnis des Menschen – eine geschichtlich nicht suspendierbare charakteristische Ambivalenz im Auge zu behalten. 2.1 Religion im Licht der Offenbarung Wenn Barth die Religion in eine noch näher zu bestimmende Beziehung zur Offenbarung, d. h. zum Wort Gottes stellt, bleibt konsequent seine Fundamentaleinsicht im Bewusstsein zu halten, dass die Offenbarung nur dann tatsächlich Offenbarung ist, wenn sie als Selbsterschließung Gottes verstanden wird, der gegenüber sich der Mensch allein empfangend verhalten kann. Tatsächlich aber ist der Mensch, gerade wenn es um Gott geht, niemals nur empfangend, sondern immer schon in dieser oder jener Weise aktiv, indem er sich aus seinen Möglichkeiten heraus zu verste28 Brief an Herbert Kubly vom 16.07.1963; Barth, Briefe 1961–1968, 161. 29 Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, 402 ff, 477 ff, 529 ff.

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hen versucht. Er möchte es selbst sein, der Gott einen bestimmten Platz in seinem Leben zuweist. Er schickt sich an, auch Gott in den Horizont seiner Lebenssorge zu integrieren, oder er versucht, ihn aus dem Umgang mit seiner Lebenssorge auszuschließen. Im Zusammenhang mit seiner Selbstpflege wird Gott zu einer zu ergreifenden oder eben auch abzuweisenden Möglichkeit. Er mag durchaus im Zweifel darüber sein, wer er tatsächlich ist, wie er über sich denken sollte, um sich recht zu verstehen. Die Varianten für die Gestaltung seines persönlichen Credos sind überaus zahlreich und beschränken sich keineswegs auf unterschiedliche Formen des Gottesglaubens. Die Offenbarung trifft nicht auf ein unbeschriebenes Blatt, sondern auf einen Menschen, der bereits damit beschäftigt ist, sich seinen Lebens- und Glaubenshorizont selbst auszustaffieren. In diesem Sinne steht der Offenbarung der religiöse Mensch gegenüber, der längst die Sorge um seinen eigenen Glauben in die eigene Hand genommen hat. Barth hat in der Regel einen sehr weitgefassten Religionsbegriff vor Augen. Religion steht für weit mehr als die konkrete Wahrnehmung einer traditionellen Frömmigkeit. In der zweiten Fassung seines Römerbriefkommentars von 1922 umfasst der Religionsbegriff „das religiöse Jasagen sowohl wie das antireligiöse Neinsagen, das Tempelbauen und das Tempelstürzen, […] Martensen und Kierkegaard […] bis hinab in die Niederungen der gewöhnlichen Pfaffenfresser, also auch die antitheologische Romantik der Ästheten, der Sozialisten, der Jugendbewegung aller Schattierungen.“30 Die Religion reicht „von den Exerzitien im Benediktinerkloster bis zum Weltanschauungszirkel des sozialdemokratischen Volkshauses“ (550). Etwas abgeklärter, aber in der Sache keineswegs grundlegend anders formuliert auch der späte Barth: Man wird unter den Religionen unterscheiden müssen: die verkappten, in denen es sich um die nur verschämt und wohl gar noch unter antireligiösen Protesten unternommene religiöse Auszeichnung, Verehrung und Pflege bestimmter säkularer Werte (wie Macht, Besitz, Bildung, Fortschritt und dergleichen) handelt, und die bewußt und explizit als Gottesglaube, Gottesverehrung, Gottesdienst sich darstellenden, im üblichen Sinn so zu nennenden Religionen. Man wird aber beide zusammen sehen müssen. Dasselbe gilt dann auch von dem Verhältnis zwischen den sogenannten höheren, „ponderablen“, geistigen und insofern „edleren“, weil intellektuell und moralisch durchreflektierten und den sogenannten primitiven, d. h. naiven, gröber, krasser erfundenen und strukturierten Religionen. Die Unterscheidung mag sich aufdrängen. Sie ist aber mehr als problematisch. Was heißt „höhere“, was heißt „primitive“ Religion? Ernstlich „hoch“ ist keine, weil jede Religion auf alle Fälle ein Werk der Welt ist, der der wahre lebendige Gott ein Unbekannter ist. Ernstlich „primitiv“ ist aber auch keine, weil jede Religion auf alle Fälle ein Werk ist, mit welchem sich die Welt mit diesem Gott immerhin besonnener und wirksamer als mit dem Versuch, ihn zu leugnen, abzufinden, sich ihm gegenüber in Sicherheit zu bringen versucht. […] Die verschiedenen Religionen sind die verschiedenen Verse, die sich die Welt auf die ihr bekannte, von ihr aber nicht erkannte 30 Barth, Der Römerbrief (Zweite Fassung), 187.

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Gegenwart und Offenbarung Gottes zu machen versucht. In der Religion versucht sie, den ihr bekannten und doch so unbekannten und fremden Gott zu domestizieren, ihn in ihrem natürlichen und geistigen Gesichtskreis und Machtbereich unterzubringen.31

Für Barth ist die Religion in gewisser Weise omnipräsent. „Starb eine Religion, dann starb sie bis jetzt an dem Sieg einer anderen Religion“ (KD I/2, 352), ist sie doch schlicht das Vermögen, „in der Welt und Mensch zu sein, […] und sich selbst zu rechtfertigen und heiligen“ (354), d. h. irgendwie an das Leben zu glauben und aus diesem Glauben das Leben zu gestalten. Niklas Luhmann hat später diesen Umstand aus soziologischer Sicht damit charakterisiert, dass er die Religion als selbstsubstitutiv beschrieben hat: Religion kann nur durch Religion ersetzt werden, so dass sie faktisch unausweichlich ist, womit allerdings noch nichts über ihre Qualität gesagt ist.32 Die Religion bezeichnet den von der Seite des Menschen propagierten und ausgemessenen Glauben und die aus diesem Glauben resultierende Lebenspraxis. In der Religion wird Gott – oder was der Mensch meint an die Stelle Gottes setzen zu sollen – zu einer Angelegenheit des Menschen. Gott wird in der Religion je nach Einschätzung eine Rolle zugewiesen, und der Mensch nimmt für sich in Anspruch, sich so oder so für oder auch gegen ihn entscheiden zu können. Der Glaube an Gott wird in der Religion zu einem Gegenstand menschlicher Möglichkeiten. In dieser Perspektive steht die Religion dann aber faktisch dem Anspruch der Offenbarung – nämlich, dass der Glaube eine Angelegenheit Gottes und eben nicht die des nach sich selbst fragenden Menschen ist – entgegen, weil sie es unterlässt, der ergangenen Anrede Gottes zu folgen und nach einer entsprechenden Antwort des Lebens zu suchen. Tatsächlich repräsentiert die Religion anstelle der getreuen Akzeptanz des Wortes Gottes vor allem die Domestizierung Gottes für die eigenen Bedürfnisse des Menschen bzw. das, was er für seine Bedürfnisse hält (vgl. Kap. IV.2.1.1). Damit sind wir genau an dem Punkt, auf den Barth die kritische Aufmerksamkeit zu lenken versucht. Idealtypisch kann zwar der theoretische Idealfall einer gleichsam makellosen gottgefälligen Religion gedacht werden, in welcher der Anrede Gottes eine ungetrübte Antwort des Menschen entspricht. In diesem theoretischen Fall würden Offenbarung und Religion mit einander korrespondieren, d. h. der Glaube des Menschen würde zusammen mit der mit ihm verbundenen Frömmigkeit und der in ihr vollzogenen Gestaltung des Lebens konsequent der Offenbarung Gottes entsprechen, durch welche sich der Mensch seine Frehiet orientieren lässt. In allen anderen Fällen, d. h. im tatsächlich gelebten Leben, ist die Religion immer auch mehr oder weniger intensiv durchmischt von der Eigenwilligkeit des sich selbst behauptenden Menschen. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass die Religion als ein ambivalentes Phänomen kritisch in den Blick zu nehmen ist. 31 Barth, Das christliche Leben, 212 f. 32 Vgl. Luhmann, Funktion der Religion, 46 f.

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In der zweiten Fassung seines Römerbriefkommentars ist die Religion für Barth „ein verlorener Posten, der aber als solcher gehalten werden muss.“33 Barth geht mit der für ihn in dieser Zeit rhetorisch ausgereizten Dialektik bis an die Grenzen des Aussagbaren und zwar wohlgemerkt ausdrücklich ohne der Religion den Rücken zuzukehren.34 Es ist für seine Theologie insgesamt kennzeichnend, dass er die Religion einer pointierten theologischen Kritik unterzieht, die aber nicht wie die Religionskritik vor allem des 19. Jahrhunderts zum Ziele hat, die Religion als eine illusionäre Scheinlösung zu eliminieren und durch etwas anderes zu ersetzen. Barth intendiert vielmehr eine konsequente Ernüchterung der Religion gegenüber, durch die deutlich werden soll, dass die Religion niemals schon in sich selber bzw. aus sich heraus gerechtfertigt ist. Dabei kann er – wie bereits angedeutet – im Unterschied zu den meisten seiner Kollegen vielen Argumenten der Religionskritik durchaus etwas abgewinnen. In theologischer Perspektive bedarf die Religion als Angelegenheit des Menschen ebenso wie dieser vor allem der Rechtfertigung durch Gott, d. h. sie ist konsequent in das Licht der Offenbarung Gottes zu stellen. Genau das aber wird nach Barths Diagnose von „der modernen protestantischen Theologie“ unterlassen, weil sie ihren besonderen „Gegenstand, die Offenbarung, in seiner Eigenart und damit das Senfkorn des Glaubens, mit dem sie Berge, auch den Berg der modernen humanistischen Kultur, versetzen konnte, verlor.“ (KD I/2, 320) Allein der Umstand, dass der Religion eine derartig prominente Aufmerksamkeit gewidmet wird, kann als ein verlässlicher Hinweis darauf verstanden werden, dass die Theologie ihren kritischen Maßstab verloren hat. Schon der Versuch, Religion und Offenbarung systematisch auf eine gemeinsame Ebene rücken zu wollen, könnte nur zu erkennen geben, dass der Offenbarung der kritische Stachel gezogen werden soll. Barth kann sich nicht mit einem so oder so oszillierenden Äquivalenzverhältnis von Religion und Offenbarung zufriedengeben, weil es unausweichlich darauf hinausläuft, dass die Religion der Offenbarung ihren Platz zuwiese anstatt sich umgekehrt von ihr ihren Orientierungshorizont zuweisen zu lassen. Der Mensch bleibt hier im Zirkel seiner Selbsteinschätzungen festgehalten. Eine systematische Zusammenordnung […] von Offenbarung und Religion kann […] schon darum nicht in Betracht kommen, weil das Zweite sowohl in seiner Existenz als auch in seiner Beziehung zum Ersten gar nicht anders als von jenem Ersten her zu sehen, geschweige denn zu bestimmen ist. In Betracht kommen kann dann nur eines, nämlich die Erzählung der Geschichte, die zwischen diesem Ersten und diesem Zweiten stattfindet, und zwar in der Weise stattfindet, daß, was über Existenz, Wesen und Wert des Zweiten zu sagen ist, schlechterdings und ausschließlich im Licht des Ersten, also im Lauf des zu beschreibenden souveränen Handelns Gottes am Menschen sichtbar wird. Der im Licht der Offenbarung sichtbar werdende Mensch und nur er ist der theologisch ernst zu nehmende Mensch, und so ist auch das Problem der Religion in der Theologie nicht die Frage: wie die vorher und 33 Barth, Der Römerbrief (Zweite Fassung), 459. 34 Vgl. dazu Weinrich, Karl Barths Weg von der Krisis zur Kritik, 85 ff.

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im allgemeinen also untheologisch bestimmte Wirklichkeit Religion mit den theologischen Begriffen der Offenbarung, des Glaubens usw. in ein ordentliches und plausibles Verhältnis zu setzen sei? sondern, ohne Unterbrechung der theologischen Fragestellung: was das sein möchte, was von der Offenbarung, vom Glauben her gesehen als Religion in der menschlichen Wirklichkeit sichtbar wird? (KD I/2, 323)

Es wird deutlich, dass sich Barth ganz und gar auf die theologische Perspektive konzentriert. Diese hat als solche stets ihren Ausgangspunkt in der orientierenden Aufmerksamkeit auf das Wort Gottes, d. h. die Offenbarung. Es geht also darum die Ordnung zwischen den Begriffen Offenbarung und Religion in der Weise wieder herzustellen, daß die Beziehung zwischen beiden wieder verständlich wird als identisch mit jenem Geschehen zwischen Gott und Mensch, in welchem Gott Gott, d. h. der selber richtende und allein rechtfertigende und heiligende Herr und Meister des Menschen, der Mensch aber der Mensch Gottes, d. h. der durch Gottes Strenge und Güte von ihm An- und Aufgenommene ist. In Erinnerung an die christologische Lehre von der assumptio carnis und in sinngemäßer Anwendung dieser Lehre reden wir von der Offenbarung als der Aufhebung der Religion. (KD I/2, 324)

Der Zusammenhang verdeutlicht den erwähnten und von den Barth-Interpreten immer wieder übersehenen Umstand, dass ‚Aufhebung‘ definitiv nicht die Verabschiedung, sondern in losem Anschluss an die von Georg Wilhelm Hegel beschriebene Dialektik die rechte Aufrichtung der Religion meint. Sie erscheint in diesem Horizont dann allerdings nicht mehr als ein besonderes Resultat der Anstrengungen des sich selbst konstituierenden Menschen, sondern findet ihren theologisch fundierten Raum im Zusammenhang mit der Heiligung, in welcher der von Gott befreite Mensch als eigenes Subjekt an der von Gott eröffneten Beziehung beteiligt wird (vgl. Kap. IV.2.1.2). Die Hervorhebung dieser dezidiert theologischen Perspektive gilt auch dem ausdrücklichen Hinweis darauf, dass es neben ihr zweifellos auch ausreichend Raum gibt für andere Perspektiven – religionsphilosophische, religionssoziologische, religionspsychologische oder religionsphänomenologische. Deren Recht wird von Barth nicht bestritten, aber mit diesen Wahrnehmungen will Barth weder in Konkurrenz treten noch sich bei ihnen einmischen. Wohl aber fordert er, dass die Religion in der Theologie vor allem anderen theologisch und d. h. nach den Maßstäben und Kriterien der Theologie in den Blick zu nehmen ist. Dieser Weg wird von Barth konsequent eingeschlagen. Der Umstand, dass Barth die Religion in den Prolegomena seiner Kirchlichen Dogmatik bedenkt, weist keineswegs – wie angenommen werden könnte – auf ihre nur marginale Bedeutung hin, weil das Entscheidende dann ja erst in der materialen Dogmatik der folgenden Bände bedacht werde, sondern signalisiert umgekehrt die fundamentale Bedeutung, die Barth einer theologisch verantworteten Wahrnehmung der Religion beimisst. Es geht um den Orientierungshorizont der Theologie

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und ihren besonderen Erkenntnisweg und somit um Fundamentalbestimmungen, die dann für alles, was es später zu sagen gibt, in Kraft bleiben. Zu diesen Fundamentalbestimmungen gehört für Barth die für alle folgenden dogmatischen Überlegungen im Auge zu behaltende Verhältnisbestimmung von Offenbarung und Religion. Auch hier geht es wie bei dem zuvor erörterten Erkenntnisproblem um eine die Form (und noch nicht den Inhalt) betreffende Frage, nämlich die Frage nach der Form der Lebensgestaltung und des dabei in Erwägung zu ziehenden Orientierungshorizontes. Damit bleibt Barth genau in der Perspektive, in der er die Prolegomena ausgerichtet hat. Einerseits vollzieht Barth damit eine ausdrückliche Abkehr vom kulturtheologisch orientierten Neuprotestantismus, in dem die Religion als Treffpunkt von den unterstellten anthropologischen Allgemeinbestimmungen mit den besonderen Anliegen des christlichen Glaubens zum probaten Ausgangspunkt der Theologie erklärt wurde. Auf diese Weise verlässt Barth entschlossen den Weg der Theologie, sich unter emphatischer Berufung auf die Allgemeinheit der Religion gegen die Angriffe der Religionskritik einen festen Platz unter den Wissenschaften zu sichern.35 Und andererseits bestätigt Barth dabei durchaus, dass sich die Theologie dem Thema der Religion zu stellen habe, weil auch der christliche Glaube geschichtlich nicht anders als eine Religion in Erscheinung tritt, so dass der geschichtlichen Gegebenheit des „Christentums“ auch theologisch nicht ausgewichen werden kann. 2.1.1 Der Christ als Bourgeois – Barths Religionskritik

Religion bleibt ambivalent. In keinem Fall ist sie die reine und ungetrübte Antwort auf die Anrede Gottes, die das ganze menschliche Leben orientiert. Vielmehr wird sie immer auch von der Unvollkommenheit des Menschen und seinen Wünschen und Eigenwilligkeiten geprägt. So sehr sie sich als Ausdruck der Treue Gott gegenüber zu präsentieren versucht, so bleibt sie doch immer auch durch eine zumindest problematische Gottesverehrung bestimmt. Der Realismus der Bibel geht sogar so weit, dass die Religion zum Inbegriff der Untreue des Menschen gegenüber Gott und zum ausdrücklichen Widerspruch gegen ihn werden kann (z. B. der goldene Stier am Sinai, prophetische Kultkritik, die Tempelreinigung Jesu). Es liegt im Gefälle des biblischen Zeugnisses, diese selbstbezogene Neigung, mit der die Religion vor allem den eigenen Interessen und Wünschen des Menschen und nicht dem Willen Gottes folgt, eher als dominant und nicht nur als eine negative Begleiterscheinung wahrzunehmen. Wir befinden uns also in der Religion auf einem durchaus abschüssigen Gelände, das von sich aus nicht klar zu erkennen gibt, auf welchem Weg verlässlich voranzukommen ist. Es ist diese Ambivalenz der Religion, die Barth nun theologisch in den Blick nimmt und dabei zu seinen umstrittenen pointierten Aussagen kommt, dass die 35 Vgl. dazu M. Weinrich, Religion und Religionskritik, § 7: Religion als Thema der neueren Theologie.

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Religion einerseits als Unglaube und andererseits der christliche Glaube als die wahre Religion zu verstehen sei. Beide Aussagen haben sich als zuhöchst missverständlich erwiesen, weil sie aus ihrem spezifischen Kontext in den Prolegomena der Dogmatik herausgenommen und damit von ihren theologischen Prämissen und ihrer biblischen Begründung isoliert wurden. Barth geht davon aus, dass die Religion als eine Lebensäußerung und Ausdrucksform des Menschen zu verstehen ist. In theologischer Perspektive heißt, vom Menschen zu reden, vom Menschen coram deo zu sprechen und d. h. genauer von dem „Menschen, für den (ob er es weiß oder nicht) Jesus Christus geboren, gestorben und auferstanden ist, der (ob er schon gehört hat oder nicht) im Worte Gottes gemeint ist“ (KD I/2, 324). Es ist dieser von der Offenbarung orientierte Blick, der auf die Religion trifft und den Menschen damit beschäftigt sieht, sich vor Gott mit den ihm zur Verfügung stehenden mehr oder weniger geeigneten Mitteln in möglichst probater Weise in Szene zu setzen. Angesichts des Eintretens Gottes für den Menschen wird der Mensch in der Bemühung angetroffen, mit seinen Möglichkeiten für Gott einzutreten bis hin zu dem Hochmut, selbst an die Stelle Gottes treten zu können. Das Vertrauen, das insbesondere der neuzeitliche Mensch in sich selbst und seine Möglichkeiten setzt, bemisst und bestimmt die Reichweite seines Gottvertrauens bzw. Selbstvertrauens. Die Religion repräsentiert in dieser Perspektive den Menschen, der sich auf gottgefälligen Wegen wähnt und sich auf seine Möglichkeiten verlässt. In pointierter Gestalt tritt dieser Mensch in der Neuzeit als derjenige auf, der sich die Bedingungen für die Gottesbegegnung gleichsam selbst vorbehält. Er erhebt sich aus seinem Zweifel, mit dem er alles zu Fall gebracht hat, dem er sich zu unterwerfen hätte, wie der Phönix aus der Asche, um sich seinem Gott mit der zurückgewonnenen Freude über ihn zu empfehlen (Descartes), bzw. gar zum Prometheus Goethes, der die Götter den ‚hoffnungsvollen Toren‘ überlässt und sich auf die ‚Glut‘ im eignen ‚Herd‘ verlässt. Wenn Barth der Religion den theologischen Spiegel vorhält, hat er vor allem das die Kirchen prägende selbstbeschauliche und auf permanente Selbststeigerung ausgerichtete christliche Bürgertum seiner Zeit vor Augen, dem das Christentum als ein willfähriges weltanschauliches Stabilisierungselement dient, das in seiner Harmlosigkeit im Grunde nicht tatsächlich ernst genommen werden kann. Bereits in einem Vortrag aus dem Jahr 1917 heißt es: Darum hat doch z. B. der Kapitalismus die Religion nie ernst genommen, sondern ganz ruhig Kirchen und Schulen gebaut ohne die geringste Furcht, dass von daher jemals eine ihm gefährliche Gegenkraft sich erheben könnte. Darum nimmt der Militarismus die Religion so wenig ernst, dass er ganz ruhig Feldprediger anstellt, die auf Feldkanzeln zwischen zwei Geschützen ihre Gesinnungssprüchlein sagen dürfen, wie die Spatzen, die zwischen den Zähnen eines Krokodils herumhüpfen. Das militärische Ungeheuer weiß eben ganz genau, dass es von den wackeren Feldpredigern nichts Böses zu befürchten hat. Es wird keine Kraft von ihnen ausgehen. Darum sagt der Sozialismus ganz freundlich: Religion ist Privatsache!, nimmt auch ganz duldsam Notiz von uns paar sozialdemokratischen Pfarrern ohne eine Spur

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von Furcht vor den Kräften, die von daher ins Spiel kommen und die seinen Kräften eines Tages ernstliche Konkurrenz machen könnten. Religion nimmt man doch nicht ernst! Die Vorstellung, dass sie etwas Reales sei, etwas mitwirklichen Kräften zu tun haben könnte – diese Vorstellung gibt es einfach nicht in der Welt, und wenn wir uns auf den Kopf stellen.36

Die Religion hat sich durch ihre Privatisierung gleichsam verallgemeinert und ist zu einem von und für den Menschen einsetzbaren variablen Faktor geworden, der für die Ausgewogenheit der menschlichen Lebensgleichung sorgen hilft, ohne aber dabei bestimmte Anforderungen zur Bedingung zu machen. Wir greifen noch einmal auf den frühen dialektischen Barth zurück, wo Barth die Religion neben den Staat und das geltende Recht als ein Ersatzmittel zur Beruhigung des individuellen Gewissens stellt: Es gibt leider Gottes kein sichereres Mittel, uns vor dem Alarmruf des Gewissens in Sicherheit zu bringen als Religion und Christentum. Ein wundervolles Gefühl der Geborgenheit und Sicherheit stellt sich ein gegenüber der Ungerechtigkeit, deren Macht wir überall wittern, wenn die Religion uns die Möglichkeit gibt, neben und über den Widrigkeiten des Verkehrs mit uns selbst und den Mitmenschen, des Geschäfts und der Politik auch noch weihevolle Stunden der Andacht zu feiern, uns zum Christentum zu flüchten, als auf die ewig grüne Insel im grauen Meere des Alltags. Es ist eine wundervolle Illusion, wenn wir uns damit trösten können, dass in unserm Europa neben Kapitalismus, Prostitution, Häuserspekulation, Alkoholismus, Steuerbetrug und Militarismus auch die kirchliche Verkündigung und Sitte, das „religiöse Leben“ ihren unaufhaltsamen Gang gehen. Noch sind wir Christen! Noch ist unser Volk ein christliches Volk! Eine wundervolle Illusion, aber eine Illusion, ein Selbstbetrug!37

Ihre individuelle Relevanz mag unterschiedlich eingeschätzt werden, in keinem Fall kommt ihr jedoch eine Dringlichkeit zu, welcher der Mensch um seines Lebens willen nicht ausweichen kann. Ist die Notwendigkeit des ausgedrückten, des dargestellten religiösen Lebens eine andere als die limitierte, uneigentliche, gelegentliche, bloß ornamentale Notwendigkeit des kindlichen Spiels, der ernsten und der heiteren Kunst? Könnten die Gottesgedanken der Religion nicht zur Not auch ungedacht, ihre Lehren nicht auch unausgesprochen, ihre Riten und Gebete nicht auch unvollzogen, ihre asketischen und moralischen Vorschriften nicht auch in Freiheit unbeachtet bleiben? (KD I/2, 345)

Indem der Mensch die Religion zu seiner eigenen Angelegenheit erklärt hat, folgt sie vor allem seinen eigenen Ansprüchen und Bestimmungen. Sie spiegelt seine Einstellungen, Erwartungen und Handlungsoptionen, von denen er sein Leben orientiert wissen will, und gibt somit Auskunft über seine Selbst- und Weltwahrnehmung. 36 Barth, Religion und Leben, 430. 37 Barth, Die Gerechtigkeit Gottes, 238.

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Indem Barth ihr diesen weltanschaulichen Charakter zumisst, sieht er sie in ihrer christlichen Adaption als ein selbstgenügsames Stabilisierungsinstrument des im 19. Jahrhundert gesellschaftlich avancierten Bürgertums: Seine Besitzes- und Standesinteressen, seine durch den Rahmen der Nöte und Aufgaben, der Gesichtspunkte und Ideale des Handwerker- und Kaufmannslebens bedingte Lebensauffassung und Moral, seine aufstrebende Bildung, werden nun mit immer größerer Selbstverständlichkeit die formenden Kräfte, die bei den mehr und mehr in seine Hände geratenden religiös-kirchlichen Fragen in Aktion treten. Es ist typische Mittelstandsideologie mit ihrem gediegenen, aber etwas beschränkten Horizont, mit ihrer bescheidenen, aber in sich gegründeten Selbstzuversicht, mit ihrer klugen Fügsamkeit nach oben und mit ihrer Behäbigkeit nach unten, mit ihrer Richtung auf das Praktische und Greifbare und mit ihrem berechtigten Wunsch nach äußerem Frieden und innerer Ruhe, mit ihrem Bedürfnis nach Erhebung über die Sorgen des Alltags und mit ihrer soliden Abneigung gegen unverständliche Paradoxien, was, wenn wir von dem christlichen Inhalt einmal absehen wollen, etwa den Liturgien und Gesangbüchern, aber auch den Predigtinhalten dieser Zeit das Gesicht gegeben hat.38

Es passt zu dieser Perspektive, wenn Barth seine Kritik auf die kapitalistische Mentalität des selbstbezogenen Bürgertums lenkt. Das Gottvertrauen des bürgerlichen Menschen korrespondiert seinem Selbstvertrauen. Seine Erwartungen entsprechen damit den Wertschätzungen, die ihm bereits für sich selbst bestimmend sind. [Er ist] mindestens potentiell, mindestens im Hinblick auf sein religiöses Können, in dem er Befriedigung sucht, schon befriedigt […] Er ist einem reichen Mann zu vergleichen, der, im Bedürfnis, noch reicher zu werden (das doch kein absolutes Bedürfnis sein kann!), einen Teil seines Vermögens in ein Nutzen versprechendes Unternehmen steckt. (KD I/2, 344)

Es kommt dabei nicht auf das Christentum an. Vielmehr kann es durch jede andere Weltanschauung einschließlich des Atheismus ersetzt werden, solange die angestrebte Resonanz mit den eigenen Interessen in Aussicht steht. Angesichts der sich ausbreitenden Säkularisierung, die Barth als weithin vollzogen voraussetzt, bleibt festzustellen, dass sich der Mensch zwar aus der überkommenen religiösen Tradition verabschieden kann, ohne aber deshalb gleich dem religiösen/welt­an­schau­li­chen Markt grundsätzlich den Rücken zukehren zu müssen. Barth bleibt im Bild des bürgerlichen Wirtschaftslebens, wenn er auch die Abkehr von einer religiösen Ausrichtung als eine vom Menschen vollzogene Investitionsentscheidung charakterisiert: Er verliert nichts bei diesem Rückzug; er zieht ja bloß sein Kapital zurück aus einer Unternehmung, die ihm nicht mehr rentabel erscheint: die Vitalität und Intensität, die er bis jetzt an die Gestalt des Gottesbildes und die Erfüllung des Gesetzes seiner Religion verwendete, schlagen nun nach innen, werden nun fruchtbar gemacht zugunsten und in der Richtung 38 Barth, Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert, 71.

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der gestaltlosen und werklosen, der gedankenlosen und willenlosen Wirklichkeit, aus deren Reichtum die Religion einst hervorging, um nun in sie zurückgenommen zu werden. […] Dasselbe so gar nicht bedürftige religiöse Bedürfnis sucht seine Befriedigung nun in einer solennen Nicht-Befriedigung, in einem pathetischen Verzicht auf die Darstellung, in einem pathetischen Schweigen, in einem pathetischen Zur-Ruhe-Kommen der Seele in sich selbst, in der feierlichen Leere, die es der ebenso feierlichen Fülle von vorher nun auf einmal vorziehen zu wollen glaubt. (347)

Indem auch die Abweisung der Religion weithin ein eigenes Pathos entwickelt, bekommt sie einen weltanschaulichen Charakter und nimmt dabei unversehens selbst wieder den Charakter einer Religion an. Auch wenn Barth den Menschen nicht dazu verurteilt, in jedem Falle auf irgendeine Weise ausdrücklich religiös sein zu müssen – Religion gehört nach Barth nicht genuin zum Wesen des Menschen –, so hat er doch – wie bereits gezeigt wurde – einen über die Grenzen des traditionellen Religionsverständnisses alle Menschen umfassenden hinausreichenden Religionsbegriff vor Augen, den er in engem Zusammenhang mit der Selbstwahrnehmung und der andauernden feierlichen Selbstreferenz des modernen Menschen entworfen hat. Wenn es der Mensch auf der Linie Adams aufs höchste bringt, dann eben zu solcher „religiösen“ Selbsthingabe als der vollkommensten Form der Selbstverherrlichung, bei der Gott in Wirklichkeit aufs Vollkommenste in den Dienst des Menschen gestellt und eben damit unter dem Schein des vollkommensten Bekenntnisses zu ihm samt dem Mitmenschen aufs Vollkommenste verleugnet wird.39

Wenn Barth in seiner Auseinandersetzung mit der sogenannten natürlichen Theologie vom „Christ als Bourgeois“ (KD II/1, 157, 183) spricht), bestätigt sich, dass Barth in seiner auf die Kirche konzentrierten Religionskritik diese bürgerliche Verharmlosung der christlichen Tradition vor Augen hat.40 Die Kritik zielt auf die Religion, die sich der Mensch zu seiner Verfügung hält. Das Verhältnis zur Religion wird durch den eigenen Nutzen reguliert. Der späte Barth spricht von einer Domestizierung Gottes, mit welcher die Religion versucht, „ihn in ihrem natürlichen und geistigen Gesichtskreis und Machtbereich unterzubringen“, indem sie sich in ihr passend erscheinenden „Gottesbildern, Gottesverehrungen, Gottesdiensten Surrogate seines und des durch ihn geforderten menschlichen Seins und Tuns“ schafft.41 Der Religion selbst kommt dabei im Grunde kein eigenes Potenzial zu. Genau darin besteht ihre Harmlosigkeit, in der sie zu einem leicht austauschbaren Requisit des Menschen geworden ist. Die der Religion eignende Schwäche besteht schlicht und entschieden darin, dass sie „nie grundsätzlich mehr und etwas anderes […] [ist] als ein Spiegelbild dessen, was der Mensch selbst […] ist und hat.“ (KD I/2, 345) 39 So Barth in der Auslegung der dritten Versuchung Jesu nach Lk 4: KD IV/1, 290. 40 Vgl. dazu Schellong, Bürgertum und christliche Religion. 41 Barth, Das christliche Leben, 213.

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Als eine pointierte Zusammenfassung der theologiegeschichtlich-systematischen Diagnose Barths, nach der die Religion aus dem christlichen Glauben eine dem Menschen dienliche weltanschauliche Harmlosigkeit gemacht habe, kann der folgende Absatz gelesen werden: [Die Kirche] hat den so energisch auf sich selbst sich stellenden modernen Menschen grundsätzlich anerkannt, um sich dann zu fragen, wie sich das Christentum nun wohl diesem Menschen am besten empfehlen möchte. Sie nahm die ihr zugewiesene Hilfestellung an und bemühte sich, sich in ihr unentbehrlich zu machen, d. h. zu zeigen und sichtbar zu machen: die Wahrheit der christlichen Religion […] bestehe darin, daß eben die recht verstandene Lehre von Jesus Christus und die ihr entsprechende Lebensordnung die geheime Kraft habe, den Menschen zum Anstreben und Erreichen seiner im übrigen selbständig erwählten Ziele und Zwecke innerlich fähig zu machen. Im Suchen nach dieser neuen Selbstempfehlung ist das Christentum in den zusammengehörigen Linien des Jesuitismus, des Pietismus und der Aufklärung in derselben Weise säkular-anthropologisch geworden, wie es im Mittelalter säkular-theologisch gewesen war. Und eben im Suchen nach dieser neuen Selbstempfehlung ist es dann u. a. zu jener Entdeckung des Allgemeinbegriffs „Religion“ gekommen […]. Es kam nun alles darauf an, innerhalb dieses auch von der nichtchristlichen Welt anerkannten anthropologischen Allgemeinbegriffs in zuverlässiger Weise das besondere „Wesen des Christentums“ ans Licht zu stellen und darzustellen: auf derselben menschlichen Ebene und unter denselben Gesichtspunkten, auf dem Niveau derselben Argumente, die auch die derer waren, die seiner entraten zu können meinten, nämlich auf dem Feld menschlicher und menschlich einsichtiger Vorzüge und Nachteile, Stärken und Schwächen, Wahrscheinlichkeiten und Unwahrscheinlichkeiten, Hoffnungen und Befürchtungen. Nicht ohne Ähnlichkeit mit der Situation der römischen Kaiserzeit – nur eben ohne das Korrektiv der äußeren Unterdrückung – wurde nun das Christentum als die bessere Begründung von Weltanschauung und Sittlichkeit, als die bessere Befriedigung der letzten Bedürfnisse, als die bessere Aktualisierung der höchsten Ideale des modernen Menschen seinen verschiedenen Konkurrenten gegenübergestellt. (368)

Dieser Harmlosigkeit entspricht dann aber auch ihre theologische Anstößigkeit. Die Religion stellt nicht nur ihre Unselbständigkeit und Partikularität unter Beweis, sondern sie erschließt auch die Abgründigkeit und Hybris des Menschen, denn in ihr lässt der Mensch Gott nicht Gott sein, sondern macht ihn zu seinem Götzen, der seinem Wesen nach ein „Nicht-Gott“42 ist. Im Ereignis der Religion als solchem ist der Mensch der Schöpfer Gottes, ist Gott in bedenklichster Weise des Menschen Gott, Prädikat seines, des Menschen Wesens und Lebens. Die Unerhörtheit dieses Sachverhalts kann auch durch die aufrichtigste Ehrfurcht und Dankbarkeit, in der er sich diesem Geschöpf nun seinerseits hingibt, nicht aufgehoben und nicht ganz verhüllt werden: in der Religion als solcher macht sich der Mensch selber einen Gott, verehrt und verherrlicht er also auf einem kleinen Umweg sich selber. Beruht die Religion auf 42 Diese Formulierung hat Barth gern in der zweiten Fassung seines Römerbriefs (1922) verwendet.

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der letzten, tiefsten Möglichkeit der menschlichen Seele, so ist sie als dieses Ereignis, in sich betrachtet, gewiss auch der letzte Akt des Widerspruchs gegen Gott, in dem der Mensch existiert, die offen ausbrechende Empörung, die Sünde, die Sünde gegen das erste Gebot, neben der alle anderen nur abgeleitete Bedeutung haben können. Die Theologie auf die Wirklichkeit der Religion begründen, heißt sie auf die Eigenmacht des Menschen begründen, in der er Gott nicht nur fern bleibt, sondern in der er seine Entfernung von Gott gerade vollzieht.43

In dieser Perspektive ist die Religion Ausdruck des Unglaubens. Sie wird von Barth zu den babylonischen Turmbauten der menschlichen Selbstgerechtigkeiten gerechnet, mit denen er sich Gott gegenüber einen eigenen Namen zu machen versucht, ja, sie ist die raffinierteste Art des Turmbaus, „über den der Teufel lauter lacht als über alles Andere“44, weil er sich hinter einer ausdrücklichen Berufung auf Gott verbirgt und auf diese Weise seinen Angriff auf den Namen Gottes möglichst unerkennbar gestaltet. [Der] Unglaube ist immer der Glaube des Menschen an sich selbst. Und dieser Glaube besteht immer darin, daß der Mensch das Geheimnis seiner Verantwortung zu seinem eigenen Geheimnis macht, statt es das Geheimnis Gottes sein zu lassen. Eben dieser Glaube ist die Religion. (KD I/2, 343)

Auf diesem Hintergrund wird plausibel, inwiefern die Religion als Mittel zur Selbstdarstellung des Menschen bzw. als der Horizont seiner Selbstthematisierung für Barth „die Angelegenheit des gottlosen Menschen“ (327) ist. Und so darf auch der Satz, dass Religion Unglaube sei, nicht als eine menschliche Selbstdistanzierung verstanden werden, sondern er muss konsequent als Urteil Gottes verstanden werden. Um dem menschlichen Hochmut auch hinsichtlich der Fähigkeit zur Religionskritik die Tür ganz zuzuhalten, fügt Barth hinzu, dass das Urteil dieses Satzes wohl nur diejenigen angemessen „verstehen können, die mit diesem Menschlichen als solchen durchaus nicht ohnehin fertig sind, denen es vielmehr etwas wert ist, die mindestens ahnend wissen, was es bedeutet, die Welt der Götter Griechenlands oder Indiens oder die Welt der Weisheit Chinas oder auch die Welt des römischen Katholizismus oder auch unsere eigene protestantische Glaubenswelt als solche in dem umfassenden Sinn jenes göttlichen Urteils wirklich preiszugeben.“ (328) Barth bringt die Religion in einen Zusammenhang mit dem Bilderdienst des Menschen, der nach biblisch eindeutiger Bekundung durch das Inerscheinungtreten Gottes nicht zu einer Neuausrichtung oder einer theologischen Nachbesserung animiert, sondern kategorisch als Unglaube und Götzendienst abgetan wird. In der christologischen Zuspitzung bekommt dieses Urteil seine dezidierte Unausweichlichkeit:

43 Barth, Die christliche Dogmatik im Entwurf, 414–416. 44 Barth, Die Gerechtigkeit Gottes, 239.

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Wie Jesus Christus alle menschlichen Versuche, Gott nach eigenem Ermessen zu denken und darzustellen, nicht etwa ergänzt und verbessert, sondern als Gottes Selbstdarbietung und Selbstdarstellung ersetzt und damit schlechterdings überbietet und in den Schatten stellt, in den sie gehören, so tritt er, indem Gott in ihm die Welt mit sich selber versöhnt, auch an die Stelle aller menschlichen Versuche, Gott mit der Welt zu versöhnen, aller menschlichen Rechtfertigungs- und Heiligungs-, Bekehrungs- und Errettungsversuche. (336)

Im Lichte der Offenbarung wird deutlich, dass die Religion auf der ganzen Linie die mit ihr verbundenen Intentionen verfehlt. Das von ihr gestaltete Credo bleibt das Bekenntnis des Menschen zu den Möglichkeiten seiner Selbstberuhigung, die vordergründig durchaus wirksam erscheinen können, tatsächlich aber die abgründige Verlegenheit verschleiern, in der sich der Mensch hinsichtlich seiner selbst befindet. Wenn Barth hier so pointiert vom Unglauben spricht, dann nicht, weil in der Religion etwa nichts geglaubt würde; nirgends wird so hingebungsvoll und gewiss auch opferbereit geglaubt wie in der Religion. Die Frage jedoch ist, worauf sich dieser Glaube stützt, was ihn trägt, woher er kommt und woher er seine Hoffnung bezieht. Wenn auf all diese Fragen immer nur geantwortet werden kann, dass dieser Glaube in seiner Substanz den Versuch des Menschen darstellt, sich einen Weg zu bahnen, auf dem er mit sich selbst und dem mit sich verbundenen unausweichlichen Selbstzweifel zurechtkommen kann, kommt der willkürliche und illusionäre Charakter dieses Glaubens zum Vorschein. Er gibt keinen wirklichen Halt und erfüllt damit nicht, was er suggeriert. Er gründet sich nicht auf eine tragfähige Gewissheit und wird damit zu einer fiktiven Stütze des Menschen. Er lässt den Menschen mit sich allein und belässt ihn damit in der Not, gegen die er sich richtet. Er bleibt eine unausgewiesene Idee mit all den Hilflosigkeiten, die solche Ideen mit sich bringen. Er gibt etwas vor, was er auf der ganzen Linie nicht einzulösen vermag. Der Glaube der Religion des Menschen ist nur ein vollkommen unzulängliches Substitut dessen, was durch die Offenbarung als Glauben begründet und getragen wird. Die qualitative Differenz ist so fundamental, dass er im Lichte dessen, was in der Offenbarung als Glaube konstituiert wird, nur als Unglaube bezeichnet werden kann. Man kann durchaus sagen, dass Barth seine Beschäftigung mit der Religion von hinten nach vorn aufzäumt. Wenn die Religion im Lichte der Offenbarung zunächst als Unglaube attackiert wird, lässt Barth nicht einfach einem Ressentiment freien Lauf, sondern er geht von einer klaren Vorstellung von dem aus, was theologisch sinnvoll unter Glaube zu verstehen ist. Es ist diese Bestimmtheit des Glaubens, von der aus der in der Religion praktizierte und gleichsam vorgeführte Glaube als Unglaube enttarnt wird. Wenn man so will, geht es um das sich im rechten Glauben artikulierende Aufklärungspotential der Offenbarung. Angesichts der verbreiteten Hochschätzung der Religion als Fundamentalbestimmung für die Prolegomena theologischer Lehre wendet sich Barth zunächst dieser Kritik der Religion zu, bevor er das dabei immer schon vorausgesetzte Verständnis des Glaubens in der von ihm gesehenen Beziehung zur Religion bedenkt. Indem die Religion – eben auch in der Kirche – immer schon da ist, ist ihre Kritik das Erste, was notwendig

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zu sagen ist, wenn die Offenbarung auf die Religion des Menschen trifft. Als dieses Erste ist es aber keineswegs alles, was es theologisch zur Religion zu sagen gibt. Das Wesen von Offenbarung wäre grundlegend verkannt, wenn es nicht mehr zu sagen gäbe. Sie zielt ja nicht auf die Bloßlegung der Verlegenheit des Menschen, sondern auf deren Überwindung. Damit kommen wir zu dem Zweiten als dem im Grunde sachlich ersten, was es aus der Perspektive Barths für die Religion zu bedenken gilt. 2.1.2 Die Rechtfertigung der Religion

In dem Zweiten, das es zur Religion im Lichte der Offenbarung zu sagen gibt, rückt Barth nun den durch die Offenbarung konstituierten Glauben selbst – und nicht nur seine menschliche Rückseite – in den Fokus der Aufmerksamkeit. Als Erschließung der Wahrheit geht die Offenbarung nicht darin auf, den anmaßenden Charakter der Wahrheitsusurpationen des Menschen bloßzulegen, sondern sie stellt auch die von ihr beleuchtete Wirklichkeit in das Licht ihrer eigenen Wahrheit. Die Voraussetzung der Erkenntnis dieser Wahrheit liegt in der Anerkennung der Einsicht, dass die ihrem Wesen nach unselbständige Religion nicht dazu in der Lage ist, sich zu bewahrheiten und somit als Repräsentantin einer eigenen Wahrheit aufzutreten. Erst durch die konsequente Anerkennung ihrer eigenen Unfähigkeit zur Selbstbewahrheitung wird die Religion gleichsam aufnahmefähig für eine sich an ihr vollziehende Bewahrheitung, die nicht in ihrem eigenen Vermögen liegt, sondern die ihr in der Anerkennung ihrer hilflosen Bedürftigkeit von außen widerfährt. Barth sieht hier eine Entsprechung zur Rechtfertigung des Menschen, die er ebenfalls nicht aus eigener Kraft zu vollziehen vermag, sondern die ihm nur von jenseits seiner eigenen Möglichkeiten widerfahren kann. Keine Religion ist wahr. Wahr, d. h. entsprechend dem, als was sie sich gibt und wofür sie gehalten sein will, kann eine Religion nur werden, und zwar genauso so, wie der Mensch gerechtfertigt wird, nur von außen, d. h. nicht aus ihrem eigenen Wesen und Sein, sondern nur kraft einer ihrem Wesen und Sein fremd, von ihr ihr selbst aus unbegreiflich, ohne Eignung und Verdienst widerfahrenden Anrechnung, Annahme und Auszeichnung. Die wahre Religion ist wie der gerechtfertigte Mensch ein Geschöpf der Gnade. […] Die Aufhebung der Religion durch die Offenbarung braucht nicht bloß zu bedeuten: ihre Negation, nicht bloß das Urteil: Religion ist Unglaube. Die Religion kann in der Offenbarung, obwohl und indem ihr jenes Urteil gilt, wohl aufgehoben sein, sie kann von ihr gehalten und in ihr geborgen, sie kann durch sie gerechtfertigt und – fügen wir gleich hinzu: geheiligt sein. Offenbarung kann Religion annehmen und auszeichnen als wahre Religion. (356 f)

In der Sache spricht Barth hier von der Verheißung, die auf der Kirche liegt, sofern „sie durch Gnade von Gnade lebt“ (304, 378). Dabei geht es nicht um die Auszeichnung einer Religion gegenüber anderen Religionen, sondern um die Qualifikation, welche dem Leben der Gemeinde als der von ihr gelebten Religion im Lichte der Selbstzuwendung Gottes verheißen ist. Barth betritt hier nicht das weite Feld der

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Religionsgeschichte oder Religionsphänomenologie, um hier irgendwelche qualitativen Differenzen zu markieren. Er bleibt vielmehr konsequent im Horizont der kritischen theologischen Selbstreflektion der Kirche, der seinerseits bereits mit sehr unterschiedlichen und durchaus verschiedenartigen Religionen bevölkert ist. Die theologische Aussage ist schlicht die: Nichts, was sich da in der Kirche als Religion tummelt, ist von sich aus gerechtfertigt; der ganze kirchliche Betrieb mit seiner Pracht ebenso wie mit seiner Demut, die ganze Frömmigkeit und die von ihr disziplinierte Lebensführung können dem Glauben nicht tatsächlich als Halt dienen – allein im Licht der den Glauben begründenden Offenbarung kann die Verheißung ergriffen werden, dass Gott in seiner Gnade in diesem kirchlichen Betrieb auch tatsächlich Kirche, Gemeinde und rechte Frömmigkeit und somit wahre, weil durch Gott selbst bewahrheitete Religion, rechten christlichen Glauben und somit wahre christliche Religion erweckt. Es geht einerseits um das Eingeständnis der bleibenden Verlegenheit auf unserer Seite, die alles betrifft, was von uns aus mit einem besonderen „christlichen“ Anspruch etikettiert wird: Wir haben überhaupt zu bedenken, daß das gewichtige Adjektiv „christlich“ – mit dem wir ja ausdrücklich den Namen Jesus Christus aussprechen – keinen Griff nach unserem eigenen Besitz, sondern nur ein uns Ausstrecken nach dem in diesem Namen beschlossenen Besitz Gottes und also ein Fragen nach unserer Erwählung, eine Bitte darum sein kann. (383 f)

Und andererseits gilt es die spezifische Bewahrheitungskraft der Offenbarung zu annoncieren, so dass Barth dann fortfahren kann: Wo dieses Adjektiv wirklich gilt, da hat Erwählung stattgefunden. Und eben die Erwählung macht die christliche Religion zur wahren Religion. (384)

Es kommt darauf an, dass der Offenbarungscharakter der ins Auge zu fassenden Wahrheit nicht angetastet wird, d. h. die wahrzunehmende Wahrheit strikt eine sich allein durch den Glauben erschließende Wahrheit bleibt, die als solche nicht in die Verfügungsmacht unserer Urteilskompetenz überführt werden kann. Als eine niemals einfach auf Dauer zu stellende Gotteserkenntnis bleibt sie insofern an Gott selbst angebunden, als allein er das Subjekt dieser Erkenntnis sein kann, während alles andere eine Selbstanmaßung wäre. Barth verweist auf Jakobs Kampf am Jabbok, dessen Austragungsort Jakob den Namen Pniel gibt, „denn ich habe Gott gesehen von Angesicht zu Angesicht und bin mit dem Leben davongekommen“ (Gen 32,31): Auch die Stätte der Erkenntnis der Wahrheit der christlichen Religion wird ein solches Pniel sein müssen und nur ein solches Pniel sein können, wo der Mensch ganz und gar wider Gott steht und eben in diesem seinen Widerstand gegen Gott ein von Gott Gezeichneter wird und eben als solcher gar nicht anders kann als bitten: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!

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und eben in diesem seinen Gebet erhört und also gesegnet wird und eben als so Gesegneter Gottes Angesicht sieht und in ihm die Wahrheit erkennt. (371)

Wenn Barth sagt, „die christliche Religion ist die wahre Religion“ (357), so ist das eine höchst riskante Formulierung, die zu all den Missverständnissen geführt hat, die in dem Vorwurf gipfeln, dass Barth religionstheologisch „so etwas wie der Bösewicht des Exklusivismus“ sei, der in allen anderen Religionen nichts anderes als Götzendienst sehen könne.45 Und um wie viel mehr wird diese Exposition noch zugespitzt, wenn es sogar heißt, dass „der christliche Protestantismus“ als „die wahre Religion“ angesehen werden könne (376)? Es finden sich eine ganze Reihe von Formulierungen bei Barth, die in eine solche grundsätzlich höchst problematische Richtung zu weisen scheinen. Allerdings muss nachdrücklich darauf hingewiesen werden, dass diese Aussagen deutlich gegen die grundsätzliche Sprechrichtung Barths verstanden werden, wenn sie als die Plakatierung eines besonderen christlichen oder gar protestantischen Überlegenheitsbewusstseins wahrgenommen werden. Die Überlegenheit könnte allein in der Radikalität der Wahrnehmung der eigenen Unzulänglichkeit und dem Verweis auf die vollkommene Angewiesenheit auf die Gnade Gottes liegen, von der wir nur wissen können, wenn sie sich allein aus sich selbst heraus erschließt im Namen Jesu Christi. Von der Wahrheit der Religion kann im Grunde nur auf der Ebene des Lobes Gottes gesprochen werden und niemals im Verweis auf unsere eigene Vorfindlichkeit. Das Verstehen dieser Wahrheit rückt sie gerade nicht in den Horizont der wahrnehmbaren Geschichte, sondern sie bleibt ein Bekenntnis des Glaubens, das hier ebenso wie auch sonst weit über das hinausgreift, was sich phänomenologisch verifizieren ließe. Es kann allein die Kraft der von Gott erschlossenen Wahrheit sein, mit der auch die Verheißung verbunden ist, dass Gott in seiner Gnade auch das von dem Glauben an diese Wahrheit geprägte Leben heiligt und auf diese Weise bewahrheitet. Jede rechte Gotteserkenntnis ist immer auch Gottesdienst.46 Der zitierte Satz „die christliche Religion ist die wahre Religion“ ist in diesem Sinne ebenso wie jede theologische Aussage über die wahre Kirche konsequent als ein doxologischer Satz zu verstehen, der als solcher nur eine Resonanz des Glaubens darstellt, in dem sich die hier thematisierte göttliche Gnade den menschlichen Ausdruck verschafft, der ihr unmittelbar als eine Bezeugung des Handelns Gottes zu entsprechen versucht. Der Satz, daß die christliche Religion die wahre Religion sei, ist, wenn er ein gehaltvoller Satz sein will, nur im Gehör auf Gottes Offenbarung zu wagen. Ein im Gehör auf Gottes Offenbarung gewagter Satz kann aber nur ein Glaubenssatz sein. (KD I/2, 357) 45 Vgl. Winkler, „… um selbst in aufrichtigem und geduldigem Dialog zu lernen“, 261. Vgl. auch u. a. Gäde, „Einseitig bezogen …“, 131; Knitter, Horizonte der Befreiung, 18; Pfüller, Die Bedeutung Jesu im interreligiösen Horizont, 23 f; v. Stosch, Komparative Theologie, 73 ff; Stichwort ‚Interreligiöser Dialog‘ im Internet-Lexikon der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen. 46 Vgl. Barth, Gotteserkenntnis und Gottesdienst, 120, 126, 128.

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Es geht um die Beziehung zu einer Wahrheit, die überhaupt erst da in den Blick genommen werden kann, wo bereits konsequent mit allen Selbstbewahrheitungen Schluss gemacht wurde. Wird die Gnade als die besondere Wahrheit des christlichen Glaubens hervorgehoben, so lässt sich dies nicht darin angemessen festhalten, dass das Christentum als eine Gnadenreligion verstanden wird, sondern „auch die Gnadenreligion [kann] nur durch die Gnade selbst und gar nicht durch sich selbst gerechtfertigt werden und zur wahren Religion gemacht sein.“ (372) Der positive Gehalt dieses Bekenntnisses lässt sich nicht vor Augen führen. Darin liegt ja ein Hauptnerv der Theologie Barths insgesamt, dass grundsätzlich die ‚Habenmentalität‘ der Kirche attackiert wird, in er sie meint das Göttliche irdisch verwalten zu können,47 „als ob sie im Besitz überweltlicher […] Goldbarren wäre“, die sie dann als „klingende Münze, sogenannte ‚religiöse Werte‘“48 austeilen könne. Und so lässt sich auch die wahre Religion nicht demonstrieren – sie ist „nirgends direkt sichtbar“ (369) –, zumal ihre Wahrheit ja gerade die denkbar größte Relativierung auch der christlichen Religion impliziert. Es zeichnet gerade die Stärke des Glaubens aus, dass ihn diese Schwäche der konsequent relativierten Religion nicht anficht. Es wird der Glaube vielmehr seine Kraft darin beweisen, es wird der christliche Mensch gerade darin leben, in der Kraft seines Glaubens, daß der Glaube ihn dauernd nötigt, über sein religiöses Selbstbewußtsein hinaus zu denken und also auch mit der Relativierung seiner christlichen Religion durch Gottes Offenbarung ständig zu rechnen. Und wohlverstanden: eben von hier aus und nur von hier aus wird dann auch die Entscheidung für die Wahrheit der christlichen Religion mit wirklicher Kraft fallen können. (363)

Das gilt bei Barth auch ausdrücklich in der Auseinandersetzung mit den „nichtchristlichen Religionen“, in der im Grunde von vornherein solange das Thema verfehlt wird, wie auch nur damit gerechnet wird, dass die Religion jemals eine zur Gestalt gewordene Wahrheit sein könne (364). Die fundamentale Differenz zwischen der Wahrheit und der Religion bleibt auch hier die entscheidende Bedingung jeder sinnvollen Auseinandersetzung. Die Bewahrheitung, um die es Barth geht, lässt sich prinzipiell nicht instrumentalisieren für Grenzziehungen und Religionsvergleiche, die sich auf die geschichtlichen Erscheinungsformen der Religionen beziehen. Bei der theologischen Rede von der wahren Religion bleibt fundamental zu beachten: Nicht Menschen bekommen da recht gegen andere Menschen, nicht ein Teil der Menschheit gegen andere Teile derselben Menschheit, sondern Gott gegen und für alle Menschen, die ganze Menschheit. (392)

In diesem Ansatz liegt ein bisher noch kaum genutztes Potenzial für eine Theologie der Religionen. Es erwächst aus der Radikalität der Selbstrelativierung der Religion 47 Vgl. Schellong, Karl Barth als Theologe der Neuzeit, 71. 48 Barth, Biblische Fragen, Einsichten und Ausblicke, 678.

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auf dem Hintergrund der Anerkennung des Umstandes, dass grundsätzlich nicht der Mensch für die Wahrheit zuständig ist. Der Mensch kann auf die Wahrheit nur verweisen, er kann sie nur bezeugen als etwas, was sich allein durch sich selbst als evident erweisen kann. Auch in den anderen Religionen wird das Verhältnis der Menschen zur Wahrheit durch den Glauben beschrieben, womit anerkannt wird, dass sie unter der Wahrheit stehen und diese nicht einfach als ihr Besitz reklamiert werden kann. Die Religionen setzen auf die Selbstevidenz der Wahrheit und nehmen damit dem Menschen, der für sich die Wahrheit zu usurpieren geneigt ist, die Waffen aus der Hand. Recht verstanden hält jede Religion immer auch den anderen Religionen den Platz frei, weil sie darauf setzt, dass sich die Wahrheit allein durch sich selbst durchsetzen wird. Sie stehen darin zusammen, dass sie den Menschen an die von ihnen unberührbare Überlegenheit der Wahrheit erinnern. Gewiss pflegen sie einen unterschiedlichen Kontakt zur Wahrheit, der sie jeweils einen Boden unter den Füßen spüren lässt, aber sie wissen ebenso, dass es nicht an ihnen ist, dieser Wahrheit zur Durchsetzung verhelfen zu müssen. Die Tatsächlichkeit der Berührung mit der Wahrheit wird sich in der konsequenten Relativierung der eigenen Wahrheitsansprüche sowie auch der Relativierung anderer menschlicher Wahrheitsansprüche erweisen, um dem Respekt vor der Wahrheit den nötigen Raum freizuhalten. Wer selbst dem Respekt und der Ehrfurcht vor der Wahrheit Beachtung zu verschaffen sucht, wie es insbesondere die rechte Aufgabe der Religion ist, wird sich grundsätzlich nicht daran beteiligen können, mit eigenen Wahrheitsansprüchen andere Menschen oder Religionen zu bedrängen oder gar zu bekämpfen. Das scheint mir die Linie zu sein, in welche Barths Religionstheologie in die Richtung einer Theologie der Religionen weiter ausgezogen werden könnte, was er selbst nicht mehr getan hat. An dieser Stelle soll es bei diesen Andeutungen bleiben.49 Barth selbst bleibt auf die Selbstwahrnehmung der Kirche konzentriert und schärft ihr die Ambivalenz der Religion ein. Es steht nicht in ihrer Macht, die Schattenseiten der Religion abzuschütteln und sich selbst zu reinigen, um sich am Ende als rechte Religion präsentieren zu können. Nur dadurch, dass Gott durch seinen Geist die Religion der Kirche heiligt, kommen „die Kirche Gottes und die Kinder Gottes“ (KD I/2, 377) in den Blick, d. h. allein da, wo von Gott geheiligte Kirche ist, und da, wo es von Gott geheiligte Kinder Gottes gibt, ist wahre Religion. Es bleibt deutlich das Gefälle von Gott zum Menschen gewahrt, ohne dass dabei auf eine bestimmte anthropologische Dimension als Konstitutionsmoment der Religion Rekurs genommen wird. Obwohl wir diese nicht inszenieren können, gibt es rechte Gottesverehrung und gottgefälliges menschliches Leben und somit wahre Religion eben dort, wo sich der Mensch in seiner Verkehrtheit das Wirken des Geistes Gottes gefallen lässt. Indem Barth bemerkenswerterweise die Kirche vor den einzelnen Christen

49 Vgl. dazu u. a. Dahling-Sander/Plasger, Hören und Bezeugen; Krötke, Impulse für eine Theologie der Religionen; Weinrich, Von der Humanität der Religion; Ensminger, Karl Barth’s Theology as a Resource for a Christian Theology of Religions.

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nennt, wird einmal mehr der Neigung zu subjektiver religiöser Selbstkonstitution ein Hemmnis entgegengestellt. Die theologische Pointe findet sich darin, dass der spezifische Charakter der Gnade Gottes sich nirgends deutlicher zeigt als in Jesus Christus: Weil er, Jesus Christus, der ewige Sohn Gottes und als solcher der ewige Gegenstand des göttlichen Wohlgefallens ist, weil er als dieser ewige Sohn Gottes Mensch wurde, weil also in ihm nun auch der Mensch nicht aus Verdienst und Würdigkeit, sondern nach der Gnade, die sich in Gottes Sohn des Menschen angenommen, Gegenstand des göttlichen Wohlgefallens geworden ist, weil in diesem Einen die Offenbarung Gottes unter den Menschen, die Versöhnung des Menschen mit Gott, ein für allemal vollzogen ist, weil er den Heiligen Geist gibt – darum und dadurch, in diesem Einen gibt es eine Kirche Gottes, gibt es Kinder Gottes. Sie sind, was sie sind, und sie haben die wahre Religion, weil er an ihrer Stelle steht, und also um seinetwillen. (379)

Ohne die schöpferische, die erwählende, rechtfertigende und heiligende Kraft des auch heute lebendigen Christus verliert die Rede von der wahren Religion oder auch nur von der christlichen Religion ihre Substanz (379–397). Es ist die Konsequenz dieser Zuspitzung, dass Barth schließlich in seiner Versöhnungsethik das christliche Leben als Leben in der Anrufung beschreibt. Gerade das Gebet als eine ausgesprochen religiöse Handlung kann die beschriebene Ambivalenz der Religion veranschaulichen. Es kann sowohl in der Selbstverpflichtung des eigenen Frömmigkeitslebens gesprochen werden, um der Aufmerksamkeit Gottes besondere Milde nahezulegen, oder aber in der aufrichtigen Anrufung des um seine Angewiesenheit auf Gott wissenden Menschen. Von uns aus wissen wir nicht, was wir beten sollen (Röm 8,26). Auf ihre Bitte „Herr, lehre uns beten“ (Lk 11,1) hin gibt Jesus seinen Jüngern das „Vaterunser“. Barth hebt die erste Bitte als die Zusammenfassung des ganzen Gebets und Zentrum des christlichen Lebens hervor: „Geheiligt werde Dein Name!“ Er [sc. Gott] wird gebeten, der Dämmerung, in der die Welt, die Kirche, wir Christen im Verhältnis zu ihm existieren, von sich aus ein Ende, und zwar ein totales, definitives Ende zu machen: die Sonne aufgehen, die Nacht gänzlich vergehen, den Tag eindeutig anbrechen zu lassen. [Barth spricht von der, A. d. V.] […] reine[n] Bitte, die über alles gegenwärtige und auch künftige menschliche Eifern, Wollen, Vermögen und Vollbringen hinausblickt auf ein Werk, dessen Subjekt ganz allein Gott selber, das die Tat seines Wollens, Vermögens und Vollbringens sein wird.50

Hier erschließt sich das Wesen der Anrufung und damit zugleich das Zentrum und die Substanz des christlichen Lebens als wahrer Religion. Die dieser Bitte des Vaterunsers entsprechende Anrufung heißt: „sich aufmachen, wie es der verlorene 50 Barth, Das christliche Leben, 254 f, 260.

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Sohn tat, als Kind des Vaters den Weg in der Richtung zu ihm hin antreten, um ihn vertraulich anzusprechen und sein Gehör für sich in Anspruch zu nehmen.“ (137) Zeitlebens hat Barth die Rede vom Menschen als „Kind“ Gottes etwa im Unterschied zu Friedrich Gogarten bevorzugt, der in den 1950er Jahren als ein Wegbereiter der theologischen Verteidigung der Säkularisierung als Verwirklichung der christlichen Freiheit aufgetreten ist und zur Kennzeichnung der freien menschlichen Verantwortung „sein Sohnsein Gott gegenüber“ im ausdrücklichen „Unterschied zum Kind“ hervorhebt.51 Barth betont die gänzliche Angewiesenheit der Gott gegenüber unmündigen Menschen, die mit leeren Händen zum Vater laufen,52 während Gogarten den Menschen der unmündigen Kindheit entwachsen sieht als ein selbständiges Gegenüber zum Vater. Es ist das Besondere dieser Bitte des Vaterunsers, dass sie einerseits um etwas bittet, was allein Gott geben kann, und die zugleich nur recht in der Gewissheit gesprochen werden kann, dass sie selbst bereits ein Ausdruck ihrer Erfüllung ist (183, 168). Die wahre Religion besteht in der Kontingenz eines rückhaltlosen Vertrauens in Gott, zu dem der Mensch nicht durch frommes Bemühen, sondern allein durch die Begegnung mit der lebendigen Zuwendung Gottes selbst zu gelangen vermag, durch welches sein Leben geheiligt wird. Sie ist kein Gegenstand menschlicher Gestaltung, sondern die ihrerseits lebendige und somit tätige Anerkennung der „gegebenen unmittelbaren Präsenz Gottes“ (149). Sie benennt gleichsam das geheiligte Leben der durch die Rechtfertigung konstituierten Gemeinde und ihrer Glieder. Als solche ist sie die Verheißung, unter der es allein sinnvoll ist, sich über die angemessene Gestalt des christlichen Lebens ernsthafte Gedanken zu machen. 2.2 Zusammenfassende und zuspitzende Thesen 1. Barth kehrt sich von der theologischen Tradition des 19. Jahrhunderts ab, nach der die Religion der Theologie die Verbindung zu etwas Allgemeinem sichert, innerhalb dessen dann das Christliche als eine besondere Variante zu bedenken ist. Es entspricht konsequent seinem theologischen Ansatz (vgl. Kap. IV.1.4), wenn Barth das Erkenntnisgefälle umkehrt und die Religion von der besonderen Offenbarung Gottes aus in den Blick nimmt und nicht nach den besonderen Räumlichkeiten für das christliche Verständnis der Offenbarung in dem weitläufigen großen Gebäude der Religion fragt. Als Ausgangspunkt verweist er strikt auf die Offenbarung, die allein im Empfangen der Selbsterschließung Gottes wahrgenommen werden kann. Da der Mensch jedoch niemals einfach ein unbeschriebenes Blatt ist, trifft die Offenbarung auf einen seine Möglichkeiten abschätzenden Menschen, der die Sorge um die Wahrnehmung seiner Wirklichkeit und somit sein ‚Credo‘ längst selbst in die Hand genommen hat. Die Offenbarung trifft auf den immer bereits mit seiner Religion beschäftigten Menschen. 51 Vgl. Gogarten, Verhängnis und Hoffnung der Neuzeit, 123 f. 52 Barth, Das christliche Leben, 126 ff.

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2. Im Unterschied zu den Religionswissenschaften hat Barth ein überaus weites Reli­gionsverständnis vor Augen, dem im Grunde nicht zu entkommen ist. Jeder auf Verstehen ausgerichteten Weltwahrnehmung wohnt insofern ein dezisionistisches, d. h. auf eigene Entscheidung zurückgehendes Element inne, für das sich keine weiteren Ableitungen bzw. Gründe mehr beibringen lassen, sondern das letztlich kontingent als ein Axiom gesetzt wird, durch welches dann die verschiedenen Wahrnehmungen in einen sinnvollen Zusammenhang gebracht werden. Ohne ein solches ‚Bekenntnis‘ kann es keine sinnvolle Wirklichkeitserkenntnis geben. Indem das Verhältnis des Menschen zu diesem Bekenntnis ein Verhältnis des Glaubens ist, bringt Barth den Menschen für seine weltanschaulichen Grundentscheidungen, die in dem jeweiligen ‚Credo‘ enthalten sind, in gewisser Weise unausweichlich mit Religion in Verbindung als einem auf Glauben gründenden Weltverhältnis. Sie ist insofern die Angelegenheit des Menschen, als sich jeder Mensch, wenn er sich selbst und seine Welt verstehen will, in der Verlegenheit befindet, ein solches ‚Credo‘ entweder zu übernehmen – was bekanntlich auch ganz unbewusst etwa durch die Sozialisation geschehen kann – oder selbst formulieren zu müssen. Das Verhältnis des Menschen zu sich selbst und zur Welt gestaltet sich in jedem Falle religiös, weil es nicht ohne Glaubensentscheidungen auskommt, die ihm seinen entscheidenden Halt geben. 3. In dem Maße, in dem sich der Mensch seiner Verwiesenheit auf den Glauben bewusstwird, sollte ihm auch die Religionskritik zu einer existenziellen Angelegenheit werden. Barth hat das geistesgeschichtlich grundlegende Modell dafür in der Religionskritik Ludwig Feuerbachs gesehen. Allen vom Menschen formulierten Bekenntnissen bleibt demnach zu misstrauen, weil sie sich nicht von dem Verdacht freimachen können, lediglich einer subjektiven Projektion zu folgen. Soweit sich der Mensch selbst dazu entschließt, von sich aus sein ‚Credo‘ zu formulieren, kann es sich nur um einen Akt der Willkür und nicht um den Ausdruck eines tatsächlichen Glaubens handeln. Gewissheit kann es nur bei einem ‚Credo‘ geben, das sich der Mensch nicht selbst verordnet oder zu dem er nicht infolge einer eigenen subjektiven Entscheidung kommt, sondern dessen Veranlassung in einer außerhalb seiner Subjektivität sich dem Menschen gleichsam aufdrängenden Evidenz liegt. Die damit angedeutete philosophische Frage stand Barth zwar deutlich vor Augen, aber er hat sie nicht weiter erörtert, weil er sich durch die Grundentscheidungen seiner Theologie zu einer entschieden radikaleren Religionskritik veranlasst gesehen hat. 4. Indem Barth die Religion als eine menschliche Angelegenheit betrachtet, gerät sie im Horizont einer von der Selbstoffenbarung Gottes ausgehenden Theologie in eine prinzipielle Spannung zu dem Anspruch Gottes, allein aus sich selbst heraus, d. h. durch den Heiligen Geist, erkannt zu werden. Der Mensch erkennt sich und seine Welt gleichsam durch Gott und bekommt in dem von dieser Erkenntnis geweckten Glauben die sein Leben tragende Gewissheit. Nur als durch Gott in spezifischer Weise Erkannter kann er sich recht und seine Wirklichkeit recht erkennen. Es gibt nichts, was sich der Mensch dieser Einsicht gegenüber vorbehalten könnte, vor allem aber nicht den Raum für eine Entscheidung, in dem Gott gleichsam

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als eine sich ihm anbietende Möglichkeit erscheint, zu der er sich so oder so und zudem mit möglichst vielen eigenen Wünschen und Bedingungen verhalten kann. Damit gerät die Religion insofern in ein fundamental kritisches Licht, weil sie sich als eine Angelegenheit präsentiert, die sich der Mensch gleichsam selbst verordnet und somit auch ihre Bedingungen festlegt. Durch die Offenbarung wird der Mensch erwählt, in der Religion aber steht Gott zur Wahl. Das ist die Spannung, in der die theologische Religionskritik Barths ihre Wurzeln hat. 5. Indem die Offenbarung auf den immer schon religiösen Menschen trifft, legt sie den von der Religion gepflegten und zugleich beruhigten Irrglauben bzw. Unglauben bloß. Sie wird durch ihre Verankerung im Menschen als eine Ersatzhandlung entlarvt, durch die sich der Mensch der Verlegenheit seiner Existenz durch selbstaufgerichtete Götter bzw. selbstausgemalte Gottesbilder oder andere religiöse Surrogate zu entschlagen versucht und sich damit eine ebenso illusionäre wie gefährliche Sicherheit erschleicht, die im Lichte der Offenbarung unversehens als seine eigenwillige Gottesfeindschaft in Erscheinung tritt. Gewiss wird in der vom Menschen gestalteten Religion durchaus geglaubt, ja gemessen am Grad der sich jenseits der Religion selbst zugemessenen Aufgeklärtheit geradezu erstaunlich viel geglaubt. Erst im Spiegel des von der Selbsterschließung Gottes konstituierten Glaubens kann der von der Religion umfriedete Glaube als Unglaube bezeichnet werden, für den die marxistische Metapher des Opiums keineswegs so abwegig ist. Barth stand dabei nicht zuletzt die ganze Harmlosigkeit und Betulichkeit des religiösen Normalbetriebs der klerikalisierten Kirche vor Augen, der sich nur im allzu seltenen Ausnahmefall auf der tatsächlich gebotenen Höhe seiner konkreten Zeit bewegt. 6. Als Angelegenheit des Menschen eignet der Religion abbildlich die den Menschen kennzeichnende Ambivalenz, Schwäche und auch Abgründigkeit. Sie ist ein Instrument seiner Selbstpflege, mit dem er Gott seinen vermeintlichen Bedürfnissen entsprechend präpariert, um dessen willen sich der Mensch durchaus die eine oder andere Frömmigkeitsverpflichtung gefallen lässt. Wenn Barth pointiert vom Christen als Bourgeois spricht, hat er genau das selbstbezogene und rücksichtslos auf beständige Selbststeigerung ausgerichtete Bürgertum vor Augen, an welches Schleiermacher 1799 seine Reden ‚Über die Religion‘ adressiert hat. Nur die Religion kann hier bestehen, die sich als lohnendes Investment präsentiert. Sie dreht sich um den für den Menschen herausspringenden Gewinn und eben nicht um die Ehre Gottes, weshalb sie zur Not durchaus auch ohne Gott auskommen kann oder sich auch ausdrücklich gegen ihn wenden kann (Atheismus). Die Infamie der Religion besteht darin, dass sie nicht davor zurückscheut, Gott zu einem Instrument der eigenen Selbstvergottung zu depravieren. Es ist dieser mehr oder weniger unverschämte Selbstbezug, der den hier propagierten Glauben zum Unglauben macht, was ihm unversehens den Charakter des Götzendienstes einträgt. Es mag sein, dass sich manche der von Barth mit dem Bürgertum verbundenen Wesenszüge zwischenzeitlich ein wenig verändert haben. Das ändert aber kaum etwas daran, dass es nach wie vor noch weithin genau den Menschen gibt, den Barth hier im Bürgertum lokalisiert hat.

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7. Die tatsächliche Gottlosigkeit der Religion wird aus der Perspektive der Offenbarung Gottes ebenso wenig einfach ins hoffnungslose Abseits verdrängt wie auch der gottlose Mensch nicht nur mit seiner tatsächlichen Haltlosigkeit und Verlorenheit konfrontiert wird. Indem die Selbsterschließung Gottes der Rechtfertigung des gottlosen, d. h. des trotz seines Glaubens ungläubigen Menschen gilt, bleibt auch die Religion des Menschen von der Verheißung ihrer Rechtfertigung nicht ausgeschlossen. Die Konfrontation der Religion mit der Unmöglichkeit ihrer Selbstrechtfertigung geht einher mit der Verheißung ihrer Rechtfertigung von außen, die sich als solche ihrem Wesen nach nicht geschichtlich demonstrieren lässt, denn sie fällt mit der Kontingenz der göttlichen Begnadigung zu einem Leben aus der Gnade Gottes zusammen. Wenn Barth in diesem Zusammenhang dann von der „wahren Religion“ spricht, gilt die Entsprechung zur theologischen Rede von der „wahren Kirche“, die ebenfalls grundsätzlich von keiner geschichtlichen Kirche einfach auf sich bezogen werden kann. Um der Konsequenz der Offenbarung willen aber bleibt das Motiv im Blick auf die geschichtlich gelebte Religion ebenso notwendig wie die Rede von der wahren Kirche für geschichtlich manifeste Kirchen. So wie die Kirche niemals aus sich selbst gerechtfertigt ist, so kann sich auch die in ihr gelebte Frömmigkeit nicht selbst rechtfertigen, sondern auch das religiöse Leben bleibt ganz auf die Rechtfertigung durch Gott angewiesen, der es sich in seiner Gnade nicht nehmen lässt, auch der wahren Religion zum Ereignis zu verhelfen. Die Rede von der wahren Religion wäre aber ganz und gegen ihre spezifische Pointe gebürstet, wenn sie zur Begründung irgendeines Überlegenheitsbewusstseins des Christentums gegenüber anderen Religionen benutzt würde. Ihr Genus ist mehr das der Doxologie als das der theologischen Lehre. Sie artikuliert den der theologischen Lehre immer auch eignenden doxologischen Charakter. Barth wendet sich entschieden gegen die Haben- und Besitzmentalität der Kirche und bringt damit einen zentralen Nerv seiner kritischen theologischen Arbeit überhaupt zum Ausdruck. Auch wenn Barth unter den Bedingungen seiner Zeit ganz und gar auf die kritische Selbstreflexion der Kirche konzentriert bleibt, lassen sich sachlich produktive Anschlussstellen für eine heute zu bedenkende Theologie der Religionen aufzeigen, die sich ihrerseits ebenso dem Umstand der Ambivalenz von Religion als auch der Unverfügbarkeit der Wahrheit zu stellen haben wird. 8. Im Horizont der theologischen Religionskritik Barths steht das christliche Leben im Zeichen der Anrufung Gottes. Das Gebet hat als ein religiöser Akt auch Anteil an der beschriebenen Ambivalenz der Religion. Den denkbar reinsten Ausdruck der Anrufung verbindet Barth mit der ersten Bitte des Vaterunsers, mit dem Jesus seine verlegenen Jünger beten lehrt: Geheiligt werde Dein Name! Recht verstanden kann diese Bitte nur als Ausdruck der Gnade gesprochen werden. Das ist die achtsam im Auge zu haltende Richtung, in welche die theologische Rede von der „wahren Religion“ blickt. Es geht um die grundlegende Einsicht, dass die Religion allein von Gott bewahrheitet werden kann. Jenseits dieser Perspektive kann die Formulierung wohl nur in die Irre führen.

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& Herlyn, Religion oder Gebet. Kraus, Theologische Religionskritik. Krötke, Der Mensch und die Religion nach Karl Barth. Weinrich, Von der Humanität der Religion.

3. Erwählung und Bund These

Barths Lehre von Gottes freier Gnadenwahl gibt als fundamentaler Teil der Gotteslehre der traditionellen Lehre von der (doppelten) Prädestination im Horizont des Bundes Gottes eine vollkommen neue Ausrichtung. Indem uns in Jesus Christus der erwählende Gott und der erwählte Mensch begegnet, zeigt sich der ewige Erwählungswille Gottes, der für den Menschen Gottes ewiges Erbarmen bedeutet. In der Auferstehung Christi zeigt sich das Ja des Lichtes der ewigen Gnade Gottes und im Kreuz das von diesem Ja umschlossene Nein zum gottlosen Menschen. Indem Christus das Licht der in diesem Sinne doppelten Erwählung vor Augen stellt und zugleich selbst den in diesem Licht sichtbar werdenden Schatten auf sich nimmt, kann die Erwählung für den Gott gegenüberstehenden Menschen nur als Evangelium verstanden werden. Dies wird der Welt bezeugt von der aus Israel und Kirche bestehenden Gemeinde als der unmittelbaren Umgebung Jesu. Die ewige Gnadenwahl als zentraler Aspekt der Gotteslehre ist zugleich der sachliche Ort, an dem der fundamentale Begründungshorizont für das rechte Verständnis von Gottes Gebot und somit der theologischen Ethik zu suchen ist.

Beginnen wir zunächst mit einigen architektonischen Bemerkungen: Auf die trinitarisch perspektivierten Prolegomena (KD I), die nach dem besonderen Weg bzw. der Form der theologischen Erkenntnis fragen (was freilich ohne die Wahrnehmung ihres besonderen Inhalts nicht gelingen kann), folgt im zweiten Band der Kirchlichen Dogmatik, mit dem die eigentliche Erschließung des Inhalts theologischer Erkenntnis beginnt, die Gotteslehre (wo sich nun die bedachte Form der Erkenntnis zu bewähren hat). Die Gotteslehre ist als die Grundlegung und Justierung der Perspektive für die in den folgenden Bänden näher entfaltete Beziehung Gottes zum Menschen in seinen drei Seinsweisen zu verstehen, gleichsam als das fundamentale sachliche Vorzeichen für die dann je einen Band (mit mehreren Teilbänden) füllende Schöpfungslehre (KD III), die Versöhnungslehre (KD IV) und die vom Konzept her vorgesehene, aber nicht mehr realisierte Erlösungslehre (KD V). Die Gotteslehre ist die grundsätzliche Perspektivierung für alles, was es dann im Einzelnen von der Geschichte Gottes mit dem Menschen zu bedenken gilt. Gott gibt sich so zu erkennen, wie er erkannt werden will, auch wenn wir von seiner unbegreiflichen Fülle immer nur einen kleinen Ausschnitt wahrnehmen kön-

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nen. Hier kommt erneut die spezifische Spannung einer auf die Offenbarung verwiesenen Theologie in den Blick. Da Gott nicht mit Hilfe uns zugänglicher Erklärbarkeiten, sondern allein aus sich selbst heraus erkannt werden kann (KD II/1, 44), bleibt jede Erkenntnis immer auch von der Unauflösbarkeit seines Geheimnisses umgeben (KD II/1, § 27.1). Für die redliche Gotteserkenntnis gehört die bleibende Geheimnishaftigkeit Gottes zur Substanz ihrer Erkenntnis. Zugleich und ebenso nachdrücklich wird der Mensch mit dem, was sich seiner Erkenntnis durch das Wort Gottes erschließt, nicht im Unklaren über Gottes Beziehung zum Menschen (und zu seiner ganzen Schöpfung) gelassen (§ 27.2). Deshalb kann sich der Mensch konsequent dazu ermutigt wissen, auch in der Geheimnishaftigkeit Gottes keinen anderen zu wähnen als eben den, der sich ihm im Horizont des biblischen Zeugnisses zu erkennen gegeben hat und gibt. Es gehört nun zur Besonderheit der Gotteslehre Barths, dass sie in eigentümlicher Veränderung der überkommenen theologischen Traditionen die Prädestinationslehre und die Grundlegung der Ethik mit umfasst („Meines Wissens ist dies bis jetzt überhaupt noch nie so gehalten worden.“ KD II/2, 82). Der umfänglichere zweite der beiden Teilbände von KD II thematisiert in eingehenden Kapiteln einerseits „Gottes Gnadenwahl“ und zum anderen „Gottes Gebot“. Damit annonciert Barth einerseits seine besondere Verbundenheit mit der reformierten Tradition, und zugleich gibt er – und das ist gerade charakteristisch für seine Verbundenheit mit der reformierten Tradition53 – diesen beiden Lehrzusammenhängen eine grundlegend neue Fundierung und Ausrichtung, durch welche er die überkommenen Wege der Tradition entschlossen hinter sich lässt. Es war nicht – wie bis heute immer wieder vorgetragen wird – Calvin, durch den die Prädestinationslehre über Augustin hinaus zu der zentralen Weichenstellung der Theologie insgesamt erklärt wurde54, sondern Karl Barth, der sie als Erwählungslehre in einer konsequent christologischen Interpretation als „die Summe des Evangeliums“ (KD II/2, 1), als „Inbegriff der frohen Botschaft, die Jesus Christus heißt“ (9), „als Voraussetzung des ganzen vollkommenen Handelns Gottes (als das eigentlich Vollkommene in seiner Vollkommenheit)“ (96) und somit als erstes und letztes Wort Gottes der theologischen Aufmerksamkeit anbefiehlt. Das ganze prophetisch-apostolische Zeugnis bezieht seine „Substanz und Basis“ aus der Wahrnehmung, dass es das entscheidende Moment der Selbstbestimmung Gottes ist, dass „Gott den Menschen wählt“ (98). Es gibt kein besonderes Moment des biblischen Zeugnisses, das nicht von ihr aus verstanden werden wollte, das in irgendeiner religiösen oder weltanschaulichen Willkür oder Eigenmacht von anderswoher als von ihr aus verstanden werden könnte. Eben von dieser Selbstbestimmung Gottes, kraft deren er schlechterdings Gott in Jesus Christus und also der Herr Israels und der Kirche sein will und als solcher und nicht anders der Schöpfer, Versöhner

53 Vgl. dazu Weinrich, Karl Barth – ein reformierter Reformierter. 54 Klassisch für diese Position Schweizer, Centraldogma, u. Bohatec, Vorsehungslehre.

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und Erlöser der Welt und des Menschen – eben von dieser göttlichen Urentscheidung redet aber die Erwählungslehre. (Ebd.)

Zwar schätzt Barth – im Unterschied zur neueren Calvinforschung – ausdrücklich das Gewicht der Erwählungslehre bei Calvin recht hoch ein55, aber indem er nun seinerseits ihre Erörterung von der Soteriologie in die Gotteslehre verlegt, bekommt sie einen für die ganze Dogmatik unvergleichlich fundamentalen Charakter, den sie so bei Calvin nicht hat. Indem Barth an dieser Stelle mit seiner christologischen Konzentration ernst macht, wird konsequent ein Riegel vor jeden Versuch geschoben, vor oder jenseits von Christus noch Vorstellungen oder Vermutungen Raum zu lassen, in denen auch noch mit „einem Gott an sich“ oder einem verborgenen Gott gerechnet wird, von dem auch etwas Anderes zu erwarten stehen könnte als das Evangelium. Von Gott selbst ist nicht anders zu reden als von der „Summe des Evangeliums“.56 Während sich der Mainstream der neuzeitlichen Theologie von der Prädestinationslehre ganz und gar verabschiedet hat, weil sie unweigerlich in die Aporie führt, neben der Erwählung auch die Verwerfung – oder harmloser formuliert: die Nichterwählung – in ein plausibles Verhältnis mit dem Willen Gottes bringen zu müssen, wird sie von Barth entschlossen in die Gotteslehre eingezeichnet. Sie bekommt eine so in der Theologie bisher noch nicht vertretene Zentralstellung. Gott genügt sich nicht einfach selbst, sondern erwählt sich in seiner bedingungslosen Freiheit und grundlosen Gnade ein außerhalb seiner selbst lebendes Gegenüber, um mit ihm in eine besondere Beziehung zu treten. Barth schließt dabei an das Motiv an, dass die Prädestinationslehre substanziell immer Gnadenlehre sein wollte, auch wenn sie immer mit dem Schatten einhergegangen ist, dass sie neben der betonten hellen Seite auch eine irritierende dunkle Seite auf den Plan gerufen hat. Indem Barth aber diesen Schatten als die Folge einer theologischen Inkonsequenz diagnostiziert, weil Gott neben dem sich in Christus zeigenden Willen noch ein anderer unnahbarer Wille unterstellt wurde, versucht er seinerseits der zur Lehre von der Gnadenwahl zugespitzten Prädestinationslehre einen weiterführenden Weg zu bahnen. Damit verteidigt er einerseits die sachliche Notwendigkeit der von ihr thematisierten Fragestellung und bringt andererseits ihr ursprüngliches Anliegen auch tatsächlich zu dem Ziel, das sie bisher niemals ganz zu erreichen vermochte. Die Erwählungslehre eliminiert aus dem überkommenen Prädestinationsverständnis durch ihre durchgehaltene Konzentration auf den christologischen Orientierungshorizont jedes Drohpotenzial, das sich im Zuge der neuzeitlichen Individualisierung immer mehr zu einer Quelle von religiösen Zwangsvorstellungen oder eines unbiblischen Fatalismus entwickelt hat. Es geht Barth darum, „jenes Zwielicht“, das mit der traditionellen Prädestinationslehre verbunden ist, konsequent zu zerstreuen, was jedoch nicht heißen kann, den mit dem Licht verbundenen Schatten zu 55 Vgl. den Exkurs KD II/2, 92 f. 56 Vgl. Krötke, Die Summe des Evangeliums, 69.

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verleugnen, sondern es gilt, das gewiss auch zu vernehmende ‚Nein‘ so konsequent in die Entfaltung des alles überragenden ‚Ja‘ zu integrieren, dass es in keinem Fall als eine von der Erwählung ausgehende Drohung verstanden werden kann (12). Es kommt ganz und gar darauf an, „daß als Tenor des Ganzen das auch und gerade in dieser Lehre enthaltene und zu verkündigende Evangelium, daß so oder so auch hier und gerade hier das Wort von der freien Gnade Gottes als Dominante, als der eigentliche Sinn der ganzen Aussage zur Sprache gebracht und hörbar wird.“ (18) Es geht um „das aller Selbstbestimmung des Geschöpfes vorangehende und allen Wechsel seiner Selbstbestimmung überdauernde Ja: die Vorherbestimmung, unter der es unter allen Umständen leben darf.“ (32) Die Frage, die durch die Erwählungslehre ins Bewusstsein gehoben wird, zielt auf den spezifischen Charakter der Zuwendung Gottes zum Menschen. Die Erwählungslehre hat ihre Notwendigkeit darin, die Liebe Gottes einerseits davor zu bewahren, als ein apriorisches göttliches Prinzip angesehen zu werden, womit unterschlagen würde, dass es ausdrücklich als das seinem Willen entsprechende Handeln zu verstehen ist. Und andererseits gilt es der Sichtweise einen Riegel vorzuschieben, es handele sich bei der Erwählung um eine kontingente Laune Gottes, neben der sich auch ganz andere Optionen vorstellen lassen. Für Barth geht es um die Näherbestimmung der Glaubenserfahrung durch die Begegnung mit Christus und ausdrücklich nicht um eine zwangsläufig vage bleibende Spekulation über einen abstrakten Gott. Gott ist nicht einfach ein Synonym für die Liebe, was unweigerlich dazu führen müsste, ihn lediglich als eine bestimmte Teilwirklichkeit unserer auch andere Dimensionen oder Mächte umfassenden Wirklichkeit anzusehen. Die Identifikation Gottes mit der Liebe käme gleichsam einer Reduzierung Gottes zu einer Art kosmischen Weltprinzip gleich, nach welcher er für eine bestimmte Seinsdimension unserer Existenz stünde, deren Gegebenheit uns so oder so affiziert. Oder pointierter gesagt: Die Liebe als Inbegriff Gottes wäre eine im Grunde ohnmächtige Gegebenheit, die von uns aufzusuchen wäre, um ihr die ihr entsprechende Resonanz zu verleihen. Die Erwählungslehre befreit die Liebe gleichsam aus dieser idealistischen Gefangenschaft und vertraut sie der entschlossenen Wirkmächtigkeit Gottes an, die daran hängt, dass Gott als handelnde Person wahrgenommen wird (KD II/1, 361). Erst dadurch, dass Gott nicht nur die Liebe repräsentiert, von der dann noch zu sagen wäre, was sie eigentlich ausmacht, sondern sich als die alles bestimmende Wirklichkeit ganz und gar durch die Liebe bestimmt sein lassen will, bekommt sie die nötige Dynamik, in der sie auch da noch vertrauenswürdig und hoffnungsvoll bleibt, wo sie nicht unmittelbar gespürt bzw. reklamiert wird. Indem sich Gott ausdrücklich zur Liebe entscheidet, wird sie auch zu dem seinem Wesen entsprechenden Willen. Es ist dieser freie und ewige, d. h. nicht der Zeit unterworfene Akt der Selbstbestimmung Gottes, durch den er seine Liebe in seinem ausgesprochenen Willen verankert. Das ist deutlich etwas anderes als die ebenso problematische wie anzügliche Aussage, dass Gott die Liebe sei. Die andere abzuweisende Perspektive ist die, dass die liebende Zuwendung Gottes nur als eine unter durchaus verschiedenen mit Gott zu verbindenden Möglichkeiten

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verstanden wird. Neben der Liebe Gottes wäre dann etwa der Zorn Gottes oder auch seine Gerechtigkeit zu bedenken, und es wäre dann jeweils auszumachen, womit wir es gerade zu tun haben. Indem sich Gott aber in aller Konsequenz zu der liebenden Zuwendung zum Menschen bestimmt, können der Zorn Gottes oder auch seine Gerechtigkeit nur von seiner Liebe aus verstanden werden. Es wird dann nicht mit einem anderen Zorn Gottes oder einer anderen Gerechtigkeit Gottes zu rechnen sein, als sie eben von seiner Barmherzigkeit und Liebe hervorgebracht werden. Das Erbarmen Gottes darf entschieden nicht von seiner Gerechtigkeit getrennt werden, wie es in der traditionellen Fassung der Prädestinationslehre geschieht. Seine Liebe beschreibt eine konkrete und als solche lebendige Beziehungswirklichkeit, in der immer auch die Gerechtigkeit mit im Blick ist. Dieser Aspekt der Erwählungslehre Barths wird insbesondere dadurch hervorgehoben, dass die ewige Willensentscheidung Gottes verbunden wird mit der geschichtlichen Etablierung, Pflege und Durchsetzung des von Gott gestifteten Bundes, der in seinen unterschiedlichen Gestalten als der eine dem Bundeswillen Gottes entsprechende Bund anzusehen ist. In konsequenter Entsprechung zum Erwählungsverständnis ist gerade mit ihm in besonderer Weise das Verständnis der Treue Gottes verbunden, ohne welche der durch die Erwählung eröffneten Perspektive jeder verlässliche Boden entzogen wäre. Diese für die ganze KD geltende bundestheologische Grundierung hält die verschiedenen theologischen Kapitel mit der erwählungstheologischen Selbstbestimmung Gottes zusammen. Für Barth wird im „Begriff des Bundes erst […] der Begriff Gottes selbst [vollendet]. […] Man hätte Gott nicht vollständig, man hätte ihn darum gar nicht erkannt, wenn man ihn nicht als Stifter und Herrn dieses Bundes zwischen ihm und dem Menschen erkannt hätte“ (KD II/2, 564), so dass der Bund ebenso wie die Erwählungslehre bereits in der Gotteslehre verankert wird. Der Bund ist der Horizont des in Christus offenbarten Handelns und Wollens Gottes, die immer auf das Verhältnis zwischen Gott und Mensch ausgerichtet sind. So wie die Erwählungslehre die Aufrichtung dieses Bundes Gottes mit dem Menschen als souveränes Handeln des freien Gottes bedenkt, so erhellt sie auch die Bestimmung dieses Bundes, indem sie auch den Willen bedenkt, den Gott für den Menschen mit seinem Bund annonciert. Indem der Bund als die Aufrichtung und Durchsetzung des Willens Gottes zu verstehen ist, gehört schließlich auch das Bedenken des Gebotes Gottes bereits mit in die Gotteslehre, so dass es zu der für Barth kennzeichnenden unauflöslichen Verknüpfung von Dogmatik und Ethik kommt (vgl. Kap. IV.3.4). Hier wird ein Grundimpuls seiner Theologie bekräftigt, den er beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges so energisch reklamiert hat, dass nämlich das anlässlich des Kriegsausbruchs zu registrierende ethische Versagen der Kirche vor allem auch ein Ausdruck ihrer dogmatischen Unterbestimmung und Unzuverlässigkeit sei (vgl. Kap. II.2). Dies Thema hat Barth kontinuierlich begleitet57 und dabei immer wieder eine neue Dringlichkeit bekommen. Mit der konsti57 Vgl. bes. K. Barth, Der Römerbrief (Zweite Fassung), 571–591.

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tutiven Implementierung der Grundlegung der Ethik in der Gotteslehre löst Barth eine fundamentale Forderung an die Theologie ein, mit der er seit 1914 so nachdrücklich den liberalen und kulturprotestantischen Konzepten entgegengetreten ist. Zur allgemeinen Einführung in den Problemhorizont der Prädestinationslehre: Zeindler, Erwählung. & 

3.1 Erwählung als Teil der Gotteslehre Die Erwählungslehre verweist als Teil der Gotteslehre auf „die grundlegende Bezeugung des gnädigen Gottes als des Anfangs aller göttlichen Wege und Werke. Sie bezeichnet die Gnade als den Ausgangspunkt alles weiteren Nachdenkens und Redens, als den Generalnenner, der nachher in keinem Satz mehr vergessen werden darf, der nachher womöglich in jedem Satz so oder so zur Geltung kommen sollte.“ (100) Es ist gerade diese systematische Neuplatzierung und die mit ihr verbundene konsequente Neufassung der Erwählungslehre, die sich wie kaum eine andere Grundentscheidung Barths folgenreich für die ganze Kirchliche Dogmatik auswirkt, so dass Hans Urs von Balthasar Recht zu geben ist, wenn er in der Erwählungslehre „das Herzstück der barthschen Theologie“ ausmacht, das bis dato „ohne Zweifel der großartigste, einheitlichste und am sorgfältigsten fundierte Teil des Gesamtwerkes“ ist.58 Wenn der katholische Dogmatiker von Balthasar postuliert, dass in Barth „zum erstenmal der echte Protestantismus eine – seine – völlig konsequente Gestalt“ gefunden habe,59 stand ihm vor allem die Erwählungslehre vor Augen. Bruce McCormack ist sogar davon überzeugt, dass die Neufassung der Erwählungslehre der bedeutendste Beitrag Barths zur Theologie des 20. Jahrhunderts sei.60 Mit der in KD II/2 vorgetragenen Erwählungslehre, in der Barth auch deutlich über seine bisherigen durchaus pointierten Erörterungen der Prädestinationslehre hinausgeht,61 hat die Kirchliche Dogmatik erst die entscheidende Schärfe ihres besonderen Fokus gefunden, so dass sie tatsächlich – nochmal mit Balthasar gesprochen – zu ihrem „Angel- und Drehpunkt“ wird.62 Die wachsende Klarheit in dieser Frage, in der sich aus der doppelten Prädestination als Krisis des Glaubens im zweiten Römerbriefkommentar die Verkündigung des Trostes der Gnadenwahl 58 Balthasar, Karl Barth, 187, vgl. Krötke, Die Erwählung der einen Gemeinde, 67. 59 Balthasar, Karl Barth, 32. 60 „When the history of theology in the twentieth century is written from the vantage point of, let us say, one hundred years from now, I am confident that the greatest contribution of Karl Barth to the development of church doctrine will be located in his doctrine of election. It was here that he provided his most valuable corrective to classical teaching; here too his dogmatics found both its ontic ground and its capstone.“ (McCormack, Grace and being, 92) 61 Vgl. Barth, Der Römerbrief (Erste u. Zweite Fassung) (1919 u. 1921); ders., Unterricht II (1925); ders., Gottes Gnadenwahl (1936); ders., Gotteserkenntnis und Gottesdienst (1938). 62 Balthasar, Karl Barth, 201.

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herausschält, geht einher mit der wachsenden Konsequenz, in der Barth die von ihm pointiert hervorgehobene christologische Konzentration für die Theologie tatsächlich zur Geltung bringt, indem er stringent das Versöhnungshandeln in Christus mit dem ewigen Willen Gottes in eine unauflösliche Verbindung gestellt sieht.63 Die ganze systematische Reichweite der in seiner Auseinandersetzung mit Anselms von Canterbury gewonnenen Orientierung findet erst in KD II/2 in der Lehre von der Gnadenwahl die befreiende Klarheit, die dann auch für seine weitere Theologie bestimmend bleibt. Damit fällt nun ein erhellendes Licht in viele Bereiche, in denen Barth vorher vor allem vor falschen Gewissheiten gewarnt hat. Die Bestimmtheit, mit der Barth die traditionelle Prädestinationslehre neu in den Blick nimmt, bleibt zugleich in stimmiger Weise eine Konsequenz zu den Überlegungen, die er in den Prolegomena über die Erkenntnis der Offenbarung bzw. des Wortes Gottes gemacht hat (vgl. Kap. IV.1). Wenn Gott nur durch sich selbst erkannt werden kann, er also nur dann der Gegenstand der Erkenntnis sein kann, wenn er auch ihr Subjekt ist, dann ist damit der Horizont der Gotteslehre von vornherein einigermaßen klar abgegrenzt. Es geht nicht um einen allgemeinen Gottesbegriff oder die Bedingungen seiner Denkbarkeit, sondern um die Selbsterschließung Gottes durch sein eigenes Wort. Es geht grundsätzlich nicht um einen Gott, den wir erst ausfindig zu machen hätten, indem wir „nach der Erkenntnis des Weltgrundes oder der Weltseele, des höchsten Gutes oder des höchsten Wertes, des Dings an sich oder des Absoluten, des Schicksals oder des Seins oder der Idee oder auch des Ursprungs als der Einheit von Sein und Idee fragen“ (KD II/1, 4), sondern allein um den, der sich jenseits jeder menschlichen Wahl in seinem Wort gezeigt hat, so dass wir in der Erkenntnis an eben dieses Wort gebunden sind (5). In der Theologie kann man nur von Gott herkommen, aber niemals zu ihm mit unseren Mitteln vordringen.64 Und diese Perspektive der Gotteserkenntnis bestimmt dann auch das Thema der Gotteslehre selbst. „In der christlichen Gotteslehre geht es um die Bezeichnung und Erklärung des Subjektes alles dessen, was in der christlichen Kirche zu hören und zu sagen ist.“ (KD II/2, 3; vgl. KD II/1, 1) Für die Gotteslehre bleibt es für Barth von zentraler Bedeutung, dass sie konsequent ihr Gefälle wahrt, indem sie Gott selbst das Subjekt ihrer Erkenntnis bleiben lässt, wie es sich in seinem Wort und d. h. im Entscheidenden in Jesus Christus als der Fülle der Gottheit (Kol 2,9) geoffenbart hat. Immer dann wird ja Gott verdrängt durch das hypostasierte Spiegelbild des Menschen, wenn die Theologie sich unter irgendeinem Vorwand von diesem Namen abdrängen läßt, wenn sie nicht mit ihm anfangen will, sondern mit vermeintlich besseren oder doch naheliegenderen und einleuchtenderen allgemeinen Voraussetzungen […] oder wenn sie nicht mit ihm

63 Vgl. Krötke, Die Summe des Evangeliums, 75 f. 64 Barth verweist noch einmal ausdrücklich an die in der Auseinandersetzung mit Anselm von Canterbury gewonnenen Einsichten (KD II/1, 2; vgl. dazu Kap. IV.1.3.2).

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endigen will, sondern mit vermeintlich selbständigen, wiederum allgemeinen Ergebnissen des Besonderen […]. (KD II/2, 2)

Es geht um die „regierende Stimme, durch die wir uns von Gott selbst über Gott unterrichten“ lassen (2). Wolf Krötke stellt die Frage, ob Barth infolge seiner neuen besonderen Hervorhebung der Erwählungslehre in II/2 seine vor allem erkenntnistheoretischen Ausführungen zur Trinitätslehre in den Prolegomena später in der Versöhnungslehre modifiziert habe zugunsten eines mehr relationalen Verständnisses der Trinität.65 Genauso plausibel ließe sich allerdings diese zweifellos bestehende Differenz mit den unterschiedlichen Zusammenhängen erklären, in denen Barth auf die Trinität zu sprechen kommt. Es ist für seine Theologie keineswegs einmalig, dass die Erörterung der gleichen Themen an verschiedenen dogmatischen Orten zu unterschiedlichen inhaltlichen Akzentsetzungen geführt hat. Der gewichtige Leitsatz zur Bestimmung des Charakters der Erwählungslehre lautet: Die Erwählungslehre ist die Summe des Evangeliums, weil dies das Beste ist, was je gesagt und gehört werden kann: daß Gott den Menschen wählt und also auch für ihn der in Freiheit Liebende ist. Sie ist in der Erkenntnis Christi begründet, weil dieser der erwählende Gott und der erwählte Mensch in Einem ist. Sie gehört darum zur Lehre von Gott, weil Gott, indem er den Menschen wählt, nicht nur über diesen, sondern in ursprünglicher Weise über sich selbst bestimmt. Ihre Funktion besteht in der grundlegenden Bezeugung der ewigen, freien und beständigen Gnade als des Anfanges aller Wege und Werke Gottes. (1)

Die Lehre von „Gottes Gnadenwahl“ gehört in die Gotteslehre, weil sie die „Selbststimmung Gottes selber“ (96) reflektiert, ohne welche sein Handeln als Schöpfer, Versöhner und Erlöser die alles zusammenhaltende Perspektive verlieren würde. In der Erwählung geht es um den „Sinn und die Absicht des ganzen göttlichen Werkes“ (96). Zu der mit Gott in Betracht gezogenen Wirklichkeit gehört fundamental die Wirklichkeit seiner Gnadenwahl. Es kann grundsätzlich nicht von der Entscheidung – Barth spricht auch von einem „Souveränitätsakt“ (8) – abgesehen werden, nach welcher Gott sich selbst zu seiner Beziehung zum Menschen bestimmt (5). Das heißt konkret: „Gott wählt sich selber zum Bundesgott.“ (10) „Gott gibt sich selbst die Bestimmung, sich nicht genügen zu lassen an sich selbst, obwohl er sich selbst genügen könnte.“ (9) Als solche ist die Erwählung das ebenso charakteristische wie entscheidende Vorzeichen vor allem anderen, was es vom Handeln und Gottes und seiner Geschichte mit dem Menschen zu sagen gilt. Sie „ist der ewige Anfang aller Wege und Werke Gottes“ (101).

65 Vgl. Krötke, Die Summe des Evangeliums, 77 f.

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Alle Freude, alle Wohltat seines ganzen Werkes als Schöpfer, Versöhner und Erlöser, alles göttlich Gute und damit wirklich Gute, die ganze Verheißung des explizierten Evangeliums ist darin begründet und beschlossen, das Gott der Gott der ewigen Wahl seiner Gnade ist. (13)

Von Ewigkeit her, d. h. schon vor der Schöpfung und über diese hinaus hat sich Gott in seiner Freiheit dazu bestimmt, sich als der Liebende zu erweisen, so dass es nichts in seinem Handeln geben kann, was nicht als Ausdruck dieser Liebe zu verstehen ist. In der freien Selbstbestimmung zu einer durch seine Liebe getragenen Geschichte in einer über ihn selbst hinausgehenden Beziehung sieht Barth die urgeschichtliche Verankerung des von ihm gestifteten geschichtlichen Bundes zwischen sich und „dem Volk seiner […] Menschen“ (7). Diese zunächst vage Formulierung wird später zu konkretisieren sein. Die sachliche Konzentration sieht Barth in der „Vorher-Bestimmung, prae-destinatio“ (18), die allen geschöpflichen Entscheidungen vorausgeht und damit ausschließlich Ausdruck der freien Selbstbestimmung Gottes ist. Sowenig das Geschöpf die Veranlassung dieser Selbstbestimmung Gottes ist, sowenig kann es diese annullieren. Die gnädige Erwählung als vor der Zeit liegender Ratschluss Gottes ist von jeher die zentrale Bedeutung der Prädestinationslehre gewesen, auch wenn die Klarheit dieser Einsicht dann immer wieder durch anschließende Verwerfungsspekulationen getrübt wurde. Dabei ist die Freiheit, die hier für Gottes Wählen vorausgesetzt wird, keine Laune eines abstrakten höchsten Wesens, die sich auch ganz anders hätte ausrichten können. Als geheimnisumwitterte Wahlfreiheit würde sie auf einen unnahbaren Schicksalsgott verweisen, der auch ganz anders hätte entscheiden können. Nach biblischem Verständnis aber entspricht diese Wahl keiner abstrakten Freiheit, sondern der Freiheit der Liebe Gottes. Die Wahl entspricht dem Willen, die ihm eignende souveräne Liebe auch nach außen zu betätigen – ja sie ist selbst Ausdruck der „Betätigung seiner Liebe“ (26). Und zugleich ist die Wahl Ausdruck der Gerechtigkeit Gottes, der als Richter schließlich auch die verlorene Sache seines Geschöpfs zu ihrem Ziele bringen wird (35). Bereits im ersten Teilband der Gotteslehre hebt Barth die zentrale Bedeutung der Freiheit für das Gottesverständnis hervor. Es kommt entscheidend darauf an, nicht einfach die von der Neuzeit propagierte Freiheit für die eigene Selbstverwirklichung, die faktisch ja nicht zuletzt die weltanschauliche Stütze unseres Konkurrenzindividualismus und der von ihm inspirierten kapitalistischen Wirtschaft mit all ihren inzwischen offenkundigen Verheerungen ist, auf Gott zu projizieren. Freiheit bleibt unterbestimmt, solange sie nur die Abwesenheit von Zwang adressiert, um dann einen Raum der Beliebigkeit zu eröffnen, in dem sich dann zu zeigen hat, wozu sie ihr Subjekt ermächtigt. Wenn Barth betont, dass Gott nicht zu einem Gefangenen der eigenen Freiheit werden kann, sondern auch gerade dieser Freiheit der Unbestimmtheit gegenüber frei ist, steht ihm die Kurzatmigkeit des neuzeitlichen Freiheitspathos vor Augen, dass sich gerade um der Freiheit willen noch nicht ausreichend Rechenschaft über ihre Reichweite und den mit ihm einhergehenden dunklen Schatten abgelegt hat. Gott wird nicht durch Freiheit definiert, sondern er

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ist derjenige, der in bestimmter Weise seine Freiheit definiert. Sie geht nicht in der Wahrung der eigenen Unabhängigkeit auf, sondern begibt sich entschieden in die Koexistenz. Anstatt über den anderen verfügen zu wollen, zielt sie in der Koexistenz auf die Freiheit bzw. die Befreiung des Gegenübers. Gottes Freiheit zeigt sich in dem, wozu er sich bestimmt sein lassen will, was sich in dem zeigt, was er tut. Gott hat nach dem biblischen Zeugnis den Vorzug, frei zu sein ohne Beschränkung durch diese seine Freiheit von aller äußeren Bedingtheit, frei auch dieser seiner Freiheit gegenüber, frei dazu, sich, ohne sich ihrer zu begeben, ihrer nun doch auch dazu zu bedienen, sich in jene Gemeinschaft zu begeben und in jener Gemeinschaft jene Treue zu betätigen und eben so wirklich frei, frei in sich selber zu sein. Gott muß nicht nur unbedingt, Gott kann und will in seiner Unbedingtheit, in dem er jene Gemeinschaft aufnimmt, auch bedingt sein. […] Dieses in seinem Handeln bewährte und bewiesene Können ist seine Freiheit. (KD II/1, 341)

Für Gottes Freiheit ist wesentlich, dass sie die Willkür ausschließt (358). In seiner Freiheit bestimmt sich Gottes zu etwas Bestimmten, nämlich zur Koexistenz, die seine Freiheit nicht aufhebt, sondern zu dem seinem Willen entsprechenden Ziel bringt. Auf diesem bedeutungsvollen Hintergrund kann die Prädestinationslehre nicht als Interpretation der Allmacht und des Allmachtswillens Gottes vorgetragen werden, denn in diesem Gefälle käme es unversehens zu einer deterministischen Weltanschauung, sondern es verhält sich genau anders herum: die Gnadenwahl ist eine fundamentale Bestimmung zum rechten Verständnis der Allmacht Gottes, die keine abstrakte Allmacht, sondern die Allmacht dieses erwählenden Gottes ist (KD II/2, 46 f; vgl. Kap. I.7). Für Barth hängt die Pointe des christlichen Gottesverständnisses daran, dass es konsequent ein abstraktes Verständnis der Absolutheit Gottes und seiner Souveränität als unnahbarer Weltregent hinter sich lässt zugunsten der Wahrnehmung, dass Gott seinem Wesen nach nur konkret durch seinen bestimmten Willen und die sich in ihm ausdrückende Bindung angemessen erkannt werden kann (52 f). Wir müssen zuvor wissen, wer dieser Regent ist und was er in seinem Regiment will und tut. Eben dieses Konkrete seines Regierens ergibt sich aber aus der Anschauung und dem Begriff der Erwählung. Eben in ihr ist Gott und offenbart er sich als der, der er ist und als das, was er ist im Unterschied zu allen Göttern und Götzen. Eben da und insofern gewissermaßen in der Erwählung selbst und nicht in einem hinter ihr liegenden höheren Prinzip, aus dem sie erst abgeleitet wäre, haben wir also ihren Grund zu suchen. […] Eben da: damit dann von da aus auch die göttliche Vorsehung und Weltregierung, aber nicht erst sie, sondern schon die Schöpfung – und nicht nur sie, sondern wirklich die Gesamtheit alles anderen Handelns Gottes sichtbar und verständlich werde. (54)

Die Erwählung ist das Wort, das stets mitzusprechen ist, wenn von dem offenbarten Wesen Gottes die Rede ist „als die Bestimmung der Entscheidung, welcher Gott Gott ist.“ (86) Wenn Barth hier von einer „Urbeziehung“ spricht (55), wird unterstrichen, dass es hier ebenso um die Bestimmung aller folgenden Beziehungen wie auch um

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eine Selbstcharakterisierung Gottes geht, die als solche für die Gotteslehre essenziell ist. Die Erwählung ist die „Ur- und Grundentscheidung“, ohne die von Gottes konkreter Lebendigkeit nicht gesprochen werden kann (85). Sie verdeutlicht, dass Gott von Ewigkeit her und in alle Ewigkeit hinein […] kein Anderer ist als der in seinem Sohne oder Wort wählende – sich selbst und in und mit sich selbst das Volk seiner Menschen wählende Gott. […] Keine nachfolgende Erkenntnis Gottes aus seiner Offenbarung und aus dem in seiner Offenbarung sichtbar werdenden Werk Gottes, die nicht als solche Erkenntnis dieses Wählens wäre! […] Weil dem so ist, darum gehört die Erwählungslehre an die Spitze aller anderen christlichen Sätze. […] Da wäre also eben das Subjekt aller christlichen Sätze als solches nicht wirklich gesehen und verstanden, wo der Lehre von Gott das Moment fehlen würde, das eben der besondere Inhalt der Erwählungslehre ist. (82 f)

Wenn Barth immer wieder betont, dass es um ewige Entscheidung geht, die uns im Namen Jesus Christus vor Augen gerückt wird „als die Substanz der ganzen vorausgehenden Geschichte Israels und als die Hoffnung der ganzen nachfolgenden Geschichte der Kirche“ (56), wird unterstrichen, dass es nicht erst der Sünde bedarf, um die Barmherzigkeit Gottes zu wecken; vielmehr wird umgekehrt die Absurdität der Sünde angesichts der Erwählung erst in ihrem vollem Ausmaß erkennbar. Weil hier das „Zentrum der göttlichen Selbstoffenbarung“ (63) in seiner ganzen Konkretheit auszumachen ist, wird bei Barth die Erwählungslehre zu einem essenziellen und somit notwendigen Teil der Gotteslehre. Der Name Jesus Christus ist es, der laut der göttlichen Selbstoffenbarung den Fokus bildet, in welchem die beiden entscheidenden Lichtstrahlen der sich hier aufdrängenden Wahrheit: der erwählende Gott und der erwählte Mensch zusammentreffen und Eines sind, auf welchem also alle christliche Lehre dieser Wahrheit hinzublicken, von dem sie herzukommen und dem sie entgegenzustreben hat. (63)

In diesem Sinne hat das „Geheimnis der Erwählung nicht mit Finsternis, sondern mit Licht zu tun“ (158). Es ist als solches offenbar und zielt auf die Bejahung des Menschen. Barth spricht ausdrücklich von dem besonderen „christlichen Geheimnis“ (173). Mit der Hervorhebung dieser christologischen Konzentration, in der wir mit Gottes decretum concretum konfrontiert werden, lässt Barth die traditionellen Verknüpfungen der Prädestinationslehre mit einem wie auch immer gearteten über die Menschheit verhängten decretum absolutum hinter sich, nicht ohne dabei ausdrücklich zu betonen, dass die reformatorischen Prädestinationsvorstellungen einschließlich der Konsequenz eines decretum horribile66 immer noch einem vollkommenen Verzicht auf eine Erwählungslehre vorzuziehen seien.67 66 Vgl. Calvin, Unterricht, III, 23.7; sachlich auch bei Luther in ‚De servo arbitrio‘ (1525), WA 18, 600– 787 oder Kurt Aland (Hg.), Luther Deutsch, Bd. 3, 151–334. 67 Vgl. dazu den dogmengeschichtlichen Exkurs KD II/2, 64–82.

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3.2 Erwählung als Summe des Evangeliums Barth geht es um ein möglichst konsequentes Nachzeichnen der „biblischen Linie“ (KD II/2, 165), von welcher er die bisherigen Erörterungen der Prädestinationslehre immer abweichen sieht, indem sie entweder bestimmte Einzelaussagen nicht in ausreichendem Maße in den Gesamtzusammenhang gestellt haben oder aber gar philosophischen Fragestellungen oder Prämissen so viel Raum gegeben haben, dass die Aufmerksamkeit auf das biblische Offenbarungszeugnis in den Hintergrund gedrängt wurde. „Diese alte Willkür gutzumachen ist der Sinn unserer These.“ (167) Dabei weiß sich Barth in der Berufung auf die Bibel durchaus mit „den Alten“ einig und nimmt ausdrücklich für sich nicht in Anspruch, nun einen vollkommen neuen Weg zu betreten. Vielmehr will er bisher in dieser Frage übersehene biblische Zusammenhänge in die Aufmerksamkeit rücken, aus welchen erhellt, dass der ewige Ratschluss gerade nicht im Dunkeln liegt, so dass wir ihn als solchen einfach hinzunehmen hätten, sondern eben im Licht seiner Offenbarung, wenn anders das Verständnis der Reichweite der Offenbarung in Jesus Christus und damit auch die Reichweite des Evangeliums unterbestimmt bliebe. So besehen stellt allerdings das in der Tradition ausgemachte Defizit keinen marginalen Mangel dar, sondern nimmt ausgerechnet dem Anker den Halt, an dem die für den Glauben notwendige Gewissheit festgemacht ist. In folgendem schlichten Satz fasst Barth seine „Neuerung“ der Erwählungslehre zusammen: Es besteht der Nerv dieser These in der Erkenntnis, daß wir uns auch hinsichtlich der Prädestination von Gottes Offenbarung als solcher nicht entfernen dürfen und auch nicht zu entfernen brauchen, weil uns gerade in Gottes Offenbarung auch die Prädestination offenbart und also nicht verborgen, sondern erschlossen ist. (170)

Es sind Barths hermeneutische Grundentscheidungen, die hier ihre Konsequenzen zeigen, was Barth möglicherweise in seiner ganzen Reichweite auch erst in diesem Zusammenhang voll bewusst geworden ist.68 Die daraus resultierenden Folgerungen sind allerdings erdrutschartig und verändern die ganze theologische Landschaft, auch wenn es nur eine vergleichsweise kleine Akzentverschiebung war, durch welche die ganze Statik so weitreichend modifiziert wurde. Ist diese im Grunde naheliegende Erkenntnis einmal gemacht, so erscheinen im Rückblick all die Mutmaßungen über ein unnahbares decretum absolutum geradezu als unchristlich (172), zumindest aber als theologisch höchst inkonsequent, so sehr sie auch dazu in der Lage gewesen sein mögen, der sich allseits aufdrängenden Erfahrung von Unglaube und Verworfenheit eine plausible Erklärung zu präsentieren. Es war diese von der Erfahrung getragene Erklärungskraft, die den Schaden, der im Grunde durch den propagierten Dualismus der Substanz der Offenbarung und somit des Evangeliums zugemutet wurde, so lange hinzunehmen bereit war. Zudem bleibt einzuräumen, dass sich in der Bibel 68 Vgl. Krötke, Die Summe des Evangeliums, 76 ff.

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auch massive Verwerfungsaussagen und Verwerfungsverheißungen finden, die sich in diesen Erfahrungen zu bestätigen scheinen. Für Barth sind auch diese Aussagen ganz und gar in das Licht des in Christus erschlossenen Willens Gottes zu stellen, so dass sich deren Stellenwert verändert, ohne sie bestreiten zu müssen. Gegenüber dem decretum absolutum bezeichnet Barth den mit Christus gefallenen Entschluss Gottes – wie bereits erwähnt – als das „decretum concretum“ (108, 173 f). Barths systematische Platzierung der Erwählungslehre in der Gotteslehre bezieht ihre Plausibilität aus der konsequenten Konzentration auf Christus als dem fundamentalen und hinreichenden Orientierungshorizont für die Theologie insgesamt. Alle von Barth identifizierten Nötigungen für eine inhaltliche Neuausrichtung der Theologie kommen aus dieser theologischen Grundentscheidung. In dem sich in Christus zeigenden „Willen Gottes […] erkennen wir […] den ewigen Willen Gottes“ (171), neben dem wir nach keinem anderen Willen zu fragen haben. Wenn es jetzt in diesem Kapitel um den Inhalt der Erwählungslehre gehen soll, gilt es im Grunde schlicht den Umstand zu erfassen und in seiner Reichweite zu bedenken, dass in Christus einerseits „Gott vor dem Menschen“ und andererseits „der Mensch vor Gott“ steht (101). In aller Konsequenz wird eine solche Aussage durch die Präexistenzaussagen des Neuen Testaments ermöglicht, unter denen der Prolog des Johannes-Evangeliums besonders prominent ist. Auch Barth steigt in die Erörterung des Inhalts der Erwählungslehre mit Joh 1,1–2 ein (102–106). Der Ton liegt darauf, dass das von Ewigkeit her bei Gott seiende Wort selbst Gott war, so dass überall, wo es dann ergeht, Gott selbst handelt. Es ist „nicht ein Wort, sondern das Wort“ (104). Wir vernehmen es, indem es an uns ergeht, und indem wir es vernehmen, erschließt sich uns nicht nur irgendeine geschichtliche Aktualität, sondern Gott selbst in der seinem Wesen und Willen entsprechenden Zugewandtheit zu dem von ihm erwählten Gegenüber. Deshalb spricht Barth von der Gnadenwahl als der „Summe des Evangeliums“ bzw. als dem „Evangelium in nuce“ (13). Es ist für den Barth der Kirchlichen Dogmatik mehr und mehr charakteristisch, dass die anzuerkennende und eben auch zu preisende freie Souveränität Gottes zusammengeht mit seiner Bindung an den von ihm gewollten und dann auch verwirklichten Bund, in dem er sich zum Partner des Menschen und den Menschen zu seinem Partner macht. Dazu werden insbesondere in der Erwählungslehre die Weichen gestellt. Die Betonung der Souveränität Gottes soll also keineswegs, wie immer wieder beklagt wird, den Menschen seiner Ohnmacht und Abhängigkeit überführen. Die Souveränität Gottes steht keineswegs nur der angemaßten Souveränität des Menschen entgegen, indem sie ihn konsequent in seine Schranken weist, sondern sie erweist sich insbesondere darin, dass sie sich in der ihr eigenen Freiheit den Menschen als Partner erwählt. Wolf Krötke hat auf die das Wesen Gottes selbst charakterisierende „Partnerschaft“ hingewiesen, aus der heraus „er die Menschheit erwählt, sie erschafft und mit ihr eine Geschichte als ihr ‚Freund und Partner‘ (177) beginnt.“69 So wie die innertrinitarische Lebendigkeit Gottes als „Geschichte in Part69 Krötke, Gottes Souveränität und Menschlichkeit, 303.

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nerschaft“ zu verstehen ist (KD IV/2, 384 f), so eben auch „sein ganzes Wollen und Tun nach außen, in seinem decretum et opus ad extra, in seinem beschlossenen und durchgeführten Verhältnis zu einer von ihm verschiedenen […], dem geschöpflichen Sein beschenkten Wirklichkeit […]: die Erwählung des Menschen zum Bund mit ihm“ (386). In diesem allerdings zu beachtenden Gefälle wird die Vorstellung von einem „menschenlosen Gott“ (534) abwegig, ohne dass deshalb Gott in eine Abhängigkeit von dieser Welt geraten würde. Gottes Souveränität, in der er sich durchaus selbst genügt, und seine Partnerschaft mit dem Menschen schließen sich keineswegs nicht aus. Die durch die Erwählung begründete Partnerschaft ist vielmehr selbst als „Souveränitätsakt“ (KD II/2, 8) Gottes zu verstehen, der den Menschen weder entmündigt noch gar zu einer Marionette seiner Souveränität degradiert; ganz im Gegenteil werden die Menschen durch diesen Souveränitätsakt zu ‚selbständig tätigen freien Subjekten‘ (KD IV/3, 383) berufen.70 „Jesus Christus ist Gottes ewiges Wort, Gottes ewiger Beschluss, Gottes ewiger Anfang allem dem gegenüber, was außer Gott wirklich ist.“ (KD II/2, 106) Die Pointe dieser Erkenntnis steht gegen die sonst schwerlich zu vermeidende Annahme einer unfassbaren Absolutheit Gottes. Der Anfang alles Handelns Gottes besteht in seiner ebenso freien wie konsequenten Selbstbestimmung bzw. Selbstverpflichtung für den dem Menschen zugewandten Bund einschließlich seiner endgültigen Verwirklichung durch die eigene Selbsthingabe in seinem Sohn, der als sein Wort auch er selbst ist (109). Gott wird nicht von einem neutralen Ort aus in den Blick genommen, sondern der Bund bezeichnet immer schon den Wirklichkeitshorizont, von dem aus es überhaupt erst möglich wird, in sinnvoller Weise von Gott zu reden. Es ist dieser Bund, auf den die Erwählung abzielt, und es ist Christus, in dem sie sich manifestiert, nicht nur akzidentiell, sondern essenziell, d. h. sowohl hinsichtlich des Subjekts der Erwählung als auch hinsichtlich ihres Objekts. Indem Barth die Wahl Gottes ganz und gar als Erwählung in Christus versteht, bedeutet sie inhaltlich die Verwirklichung des Bundes. In diesem Sinne spricht Hans Theodor Goebel von der „Erwählung Jesu Christi“ als der „Grund-Geschichte des Bundes Gottes mit dem Menschen.“71 Ihr entspricht das doppelte Ja der Erwählung, in der sich erstens Gott selbst zur Gemeinschaft mit dem Menschen und zweitens den Menschen zur Gemeinschaft mit sich bestimmt; das ist recht verstanden die doppelte Prädestination (KD II/2, 176 f).72 In Christus steht der erwählende Gott – als der wahre Gott – vor den Menschen und zugleich steht in ihm der wahre Mensch vor Gott. Damit werden in beide Richtungen die Rede von einem decretum absolutum und die mit ihr verbundenen Spekulationen gleichsam abgestellt, so dass die aus ihren leeren Flecken resultierende Finsternis der Erwählungslehre als überwunden gelten kann. Wenn Barth betont, dass Christus nicht nur der erwählte Mensch, sondern auch der erwählende Gott ist, soll unterstrichen werden, dass er „nicht nur Maßnahme 70 Vgl. Krötke, Gottes Souveränität, 305 f; vgl. dazu auch ders., Gott und Mensch als „Partner“. 71 Goebel, Vom freien Wählen Gottes und des Menschen, 21. 72 Vgl. Frettlöh, „Das Ja vor jeder Frage“, 110 f.

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und Instrument der göttlichen Freiheit [ist], sondern er ist zuerst und eigentlich die göttliche Freiheit selber, sofern diese nach ‚außen‘ in Kraft tritt.“ (KD II/2, 112) Nur wenn es auch seine eigene Wahl ist, bleibt ausgeschlossen, dass hinter ihm nicht doch wieder die Finsternis eines decretum absolutum den Horizont eintrübt. Nur wenn uns im Sohn auch der Vater offenbar wird, nur wenn „wir es in Jesus Christus unmittelbar mit dem erwählenden Gott selbst zu tun haben“ (115), können wir im Blick auf Christus überhaupt theologisch belastbar von einem göttlichen Erwählen sprechen. Barth sieht die Wurzel der Finsternis, die selbst das so eindrucksvolle Bekenntnis Calvins zu Gottes Gnadenwahl umwittert, darin, dass der erwählende Gott „ein Deus nudus absconditus [ist], nicht der Deus revelatus, der als solcher auch der Deus absconditus, der ewige Gott ist.“ (119) Dagegen ist konsequent offenbarungstheologisch und somit trinitarisch zu argumentieren, d. h. die Gottheit des Vaters darf nicht von der des Sohnes abgesetzt werden. Allein in dieser Perspektive gibt es „keinen vom Willen Christi verschiedenen Willen Gottes.“ (124) Nun ist auch die andere Seite zu bedenken, dass Christus zugleich vor Gott der erwählte Mensch ist, in dem auch wir uns als erwählt erkennen können. Barth hat nicht zuletzt diese eher überraschende Reihenfolge gewählt, weil von vornherein diese menschliche Seite ohne die göttliche Seite nicht auskommt. Keinem bloß geschöpflichen Menschen könnte von sich aus die Autorität zugemessen werden, auch andere mit sich erwählt sein zu lassen. „Das ist von keinem anderen Erwählten zu sagen: daß in und mit seinem Erwähltsein auch die anderen erwählt sind.“ (125) Ohne Abstriche an der tatsächlichen Menschlichkeit Jesu bleibt diese zugleich fundiert in seiner Göttlichkeit, die seiner Menschlichkeit eine keinem anderen Menschen zukommende Autorität zuweist, kraft derer sich in seiner Erwählung als wahrer Mensch zugleich die Erwählung der von seinem Bund umfassten Menschheit vollzieht. Indem Gott in und durch Christus (als wahrer Gott) den wahren Menschen und somit sich selbst erwählt, zielt der damit bekundete Wille auch auf die anderen. Das ist der Sinn der Selbstbestimmung, die Gott durch seine Gnadenwahl vollzieht. Ein eigenes und durchaus heikles Problem hinsichtlich der Erwählung des Menschen Jesu wird mit der Frage aufgeworfen, ob und inwiefern auch das Leiden und der Tod Jesu in die Gnadenwahl eingeschlossen gedacht werden müssen. Barth sieht das Motiv der Erwählung unauflöslich mit der Verwerfung dessen verbunden, was Gott nicht will. Der sich in Christus zeigende Erwählungswille Gottes enthält durchaus ein Ja und ein Nein. Darin liegt gerade das Evangelium, dessen Summe Barth in der Gnadenwahl annonciert sieht, dass es in Christus um die Erwählung der Verlorenen geht, d. h. derjenigen, die im signifikanten Unterschied zu ihm den Versuchungen des Satans nicht standhalten und – erst einmal darauf gebracht (das ist die Rolle der Schlange im Paradies) – sich selbst die Stellung Gottes zu erschleichen geneigt sind (131). Barth geht in seiner an dieser Stelle selbstverständlichen Berufung auf den Satan von einer tatsächlichen Verführungskraft des Bösen aus, die zwar von Gott verneint ist und somit nur in der Verneinung als ‚Nicht-Sein‘ (186) existiert, das als solches aber existiert in der „Existenzmöglichkeit des Unmöglichen“ bzw. der „Existenzwirklichkeit des Unwirklichen“ (185). Darüber wird im Rahmen

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der Schöpfungslehre genauer nachzudenken sein (vgl. Kap. IV.4.4.4). Der Mensch, der nach Gottes ewigem Willen im Menschensohn zum Partner des Bundes erhoben wird, ist der dem Bösen nicht standhaltende und darin schuldige Mensch, ja, der dem Bösen verfallene Mensch, der sich nicht damit abfindet, zwar ein ganz und gar gutes Geschöpf, aber eben nicht der Schöpfer zu sein. Die das begrenzte Geschöpf von Gott unterscheidende eingeschränkte Souveränität trägt ihm in der Umgebung des von sich aus machtlosen, aber um die Macht des Menschen werbenden Bösen eine Gefährdung ein, der es ohne die unversehrte Bezogenheit auf Gott nicht standhalten kann. (178) Der Erfolg des an die Macht des Menschen appellierenden Bösen im Paradies kann jenseits von Eden vom Menschen ohne Weiteres nicht wieder geheilt werden, aber die Geschichte des Menschen bleibt in dem Horizont des Gnadenbundes, den zu seinem Ziel zu bringen die ewige Gnadenwahl Gottes ausmacht. Und so bleibt hervorzuheben: „Das Zeugnis der Gemeinde Gottes an jeden einzelnen Menschen lautet dahin, […] daß er von Ewigkeit her Jesus Christus angehört und also nicht verworfen […] ist.“ (336) Gott hätte den Menschen „um der Problematik seiner Freiheit willen überhaupt nicht schaffen“ (181) dürfen, wenn es nicht sein ausgesprochener Wille gewesen wäre, eben dieses Geschöpf zu seinem Bundesgenossen zu wählen und das mit diesem selbstlosen Willen zugelassene Unheil zu seiner eigenen Sache zu machen. In dem Ratschluss Gottes ist „der Gefahrenpunkt seiner Versuchlichkeit und der tote Punkt seines Sündenfalls“ (185) bereits miteingeschlossen, d. h. er impliziert das Risiko der Selbstkompromittierung und das eigene Engagement zu seiner heilsamen Bereinigung. Darin und in nichts anderem besteht in Barths Perspektive die als Gnadenwahl verstandene doppelte Prädestination: Bedeutet es für den Menschen sicher unendlichen Gewinn, unerhörte Erhöhung, daß Gott sich ihm zu eigen geben, sein Gott sein will, so muß es für Gott auf alle Fälle eine Kompromittierung bedeuten, wenn er sich selbst dazu entschließt, diesen Bund einzugehen. Wo der Mensch nur gewinnen kann, da kann Gott nur verlieren. Eben das ist aber der Inhalt, der doppelte Inhalt der ewigen göttlichen Vorherbestimmung, weil diese mit der Erwählung Jesu Christi identisch ist: Gott will verlieren, damit der Mensch gewinne. Sicheres Heil für den Menschen, sichere Gefahr für Gott selber! (177)

In seiner freien Selbstbestimmung von Ewigkeit her – und deshalb als spezifische Pointe dieser Gnadenwahl so unerschütterlich verlässlich (vgl. 134–136) – setzt Gott dem Bösen eine definitive Grenze, indem die auf die Erwählung des Menschen abzielende Erwählung Christi auch die diesen anstelle des Menschen betreffende Verworfenheit impliziert. Es geht darum, dass Gott seine Schöpfung nicht dem sie umwerbenden Bösen überlässt, sondern entschlossen an ihr festhält. Es geht schließlich auch von vornherein um Gottes eigene Rechtfertigung hinsichtlich seines Geschöpfes (180 f). Von Anfang an erweist sich „seine Gerechtigkeit als eine barmherzige und gerade so die vollkommene Gerechtigkeit“ (133, vgl. 182). Gottes Gnadenwahl in Christus (extra nos) ist – mit Magdalene Frettlöh gesprochen einer-

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seits „repräsentierend, was die Erwählung betrifft,“ und andererseits „substituierend, was die Verwerfung betrifft.“73 Die Lehre von der Gnadenwahl blickt auf das Geheimnis Gottes, aber eben dezidiert auf seine Leuchtkraft, mit der sie sowohl die Finsternis des unbekannten Gottes als die des unbekannten Menschen erhellt. In dieser Eliminierung der Finsternis aus der Prädestinationslehre sieht Barth nun das von ihr im Grunde immer schon gesuchte, aber dann doch regelmäßig durch den unsachgemäßen Rückgriff auf den unbekannten Gott verfehlte Ziel erreicht (160). Es geht um das uns in Christus zugewandte Gesicht Gottes, in dem Gott sich nicht nur unter bestimmten geschichtlichen Umständen zeigt, sondern in dem sich das Gesicht des dreieinigen Gottes als solchem zeigt. Sollten wir die vorzeitige Ewigkeit und also den Bereich der Prädestination, sollten wir gerade das, was im Anfang bei Gott war, auf einmal ohne Jesus Christus denken, während uns dasselbe hinsichtlich der überzeitlichen und nachzeitlichen Ewigkeit, hinsichtlich dessen, was ist und sein wird, mit Recht verboten ist? Ist Jesus Christus der, der war und ist und sein wird, oder ist er es nicht? Ist er es aber, woher kommt dann die Nötigung oder die Erlaubnis, bei diesem „er war“ nicht zu Ende zu denken oder vielmehr auf den realen Anfang aller Dinge bei Gott zurückzugehen, d. h. dann aber auch die Prädestination, die göttliche Vorherbestimmung, Gottes ewige Gnadenwahl als durch ihn und in ihm geschehen zu verstehen? (166)

Nur weil wir das Gesicht Gottes kennen, können wir uns auch an ihn halten (162). Nur indem der Erwählungswille Gottes von vornherein auch die Rechtfertigung des Menschen einschließt, werden wir aus dem aussichtslosen Zirkel der Selbstrechtfertigung befreit, in dem auch nur der kleinste Rest an Ungewissheit eine prinzipielle Infragestellung der Barmherzigkeit Gottes im Ganzen darstellt. Aus diesem Grund kommt der Gnadenwahl Gottes eine so fundamentale Bedeutung zu. Und so heißt es pointiert: Prädestination heißt: der von Gott von Ewigkeit her beschlossene Freispruch des Menschen von der Verwerfung zu Gottes eigenen Ungunsten, der Freispruch des Menschen, in welchem Gott sich selbst zum Verlierenden, zum Verlassenen, zum Verworfenen an Stelle des Freigesprochenen bestimmt: von Anbeginn der Welt her zu jenem Lamm, das geschlachtet wird. […] Im Glauben, im Gehorsam, in der Dankbarkeit gegenüber der göttlichen Prädestination, in der rechten Erkenntnis ihres Geheimnisses werden wir in ihr niemals die Verwerfung des Menschen, weder unsere eigene noch die irgendeines anderen Menschen beschlossen sehen können. Nicht weil wir diese nicht verdient hätten, wohl aber weil Gott sie nicht gewollt […] hat. (183)

Barth betont hier die überaus folgenreiche Einsicht, dass „Gott die Auseinandersetzung mit dem Bösen sich selbst vorbehalten“ hat (189), so dass sich die Bestim73 Frettlöh, „Das Ja vor jeder Frage“, 123.

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mung des Menschen darauf beschränkt, sich an Gott als den Stifter und Garanten des Bundes zu halten und ihm, der sich die Ehre des Menschen so viel kosten lässt, freudig und in der ihm gegebenen Selbständigkeit allein die Ehre zu geben. Eine theologische Ethik, die von dieser Einsicht ihren Ausgang nimmt, wird einen spezifischen Weg einzuschlagen haben (vgl. Kap. IV.3.4). Das Gefälle dieser Überlegungen verdeutlicht, dass die Erwählungslehre in eine größtmögliche Distanz zu jeder Vorstellung eines göttlichen Determinismus gebracht werden soll. Schon die Annahme, dass nun mit der stark gemachten Gnadenwahl Gottes alle weiteren Fragen bereits gelöst seien, geht vollkommen an der Pointe Barths vorbei, denn sie zielt ganz und gar auf die Freiheit des Menschen, in welcher der Mensch als Bild Gottes zu verstehen ist, und damit auf die Höhen und Tiefen der konkreten Geschichte des von Gott mit dem Menschen eingegangenen Bundes. Barth greift hier rhetorisch überraschend hoch und hebt den Menschen hervor „als Sinn der ganzen Schöpfung, der Mensch, der in seinem Raume nun wirklich Autonomie haben, ein König sein darf und soll.“ (198) Insofern ist auch in der Betonung aller Ewigkeit die Erwählung gerade kein statischer Begriff, sondern lebendiger Akt Gottes, der auf die lebendige Beziehung in dem besonderen Freiheitsraum des Bundes zielt. Gottes barmherziger Erwählungsbeschluss kann „kraft dessen, daß es Gott gefallen hat, ihn diesen konkreten Beschluß sein zu lassen, ihm diesen Inhalt zu geben, nicht aufhören Ereignis zu sein“, d. h. er kann als „ewige[n]s Geschehen […] nie Vergangenheit werden.“ (202) Gerade „ewig heißt doch nicht tot, sondern lebendig. Eben […] das wahrhaft Unveränderte [kann] doch nicht das Unbewegte, sondern nur das alles Bewegende und als solches das in sich selbst Bewegte sein.“ (203) Indem die Gnadenwahl geschieht, kommen wir zum Glauben und werden in den von ihr bestimmten Wirklichkeitsraum versetzt, d. h. in den in Christus zu seinem Ziel gebrachten Bund einbezogen. Der Begriff des Ereignisses schließt ein, dass es sich nicht um eine zur Kenntnis zu nehmende Information handelt, der gegenüber sich der Mensch neutral verhalten könnte, vielmehr wird die Gnadenwahl nur als eine den Menschen immer bereits betreffende wahrgenommen. Hier bestätigt sich, dass rechtes theologisches Denken und Reden nur aus einer von ihrem Gegenstand bewirkten Betroffenheit kommen können. Allerdings sieht Barth nicht das Individuum im Vordergrund stehen, sondern lässt ihm die Erwählung Israels und der Kirche vorangehen. 3.3 Die Erwählung Israels und der Kirche Gottes Gnadenwahl „geschieht in der Begründung, in der Existenz und Führung Israels und der Kirche.“ (204) Sie gehören zusammen und bilden zusammen die Gemeinde. Israel gehört als das erwählte Volk Gottes zur Kirche, und die Kirche ist ohne Israel nicht angemessen zu denken. Barth sieht also in Israel und somit im Judentum einen essenziellen Teil der Ekklesiologie, und zwar in einer Deutlichkeit, die später selbst von der sich ausdrücklich als „Theologie nach Auschwitz“ verstehenden Theologie in der Regel keineswegs durchgängig erreicht wird. Indem die

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Kirche nur einen Teil der Gemeinde darstellt, hat sie in ihrem universalen Anspruch immer auch ihre prinzipielle Partikularität zu realisieren. Barth stellt pointiert fest, dass es für die Kirche keine Frage des geschichtlichen menschlichen Ermessens ist, auf welche Weise sie ihr Verhältnis zu Israel gestaltet, sondern im Horizont der ewigen Gnadenwahl findet sich die Kirche in den mit Israel geschlossenen Bund mit einbezogen, so dass sie als solche in einer durch die Gnadenwahl gegebenen Verbundenheit mit Israel in einer Gemeinde existiert, in der genau genommen Israel der Vorzug des Ersterwählten zukommt und die Kirche die Hinzugekommene ist. In einer Zeit, in der sich in NS-Deutschland die fabrikmäßig arbeitende Mordmaschinerie vor allem gegen die Juden formiert, gibt Barth dem Volk Israel in seiner Erwählungslehre einen hervorgehobenen Platz, an dem es dem Heilswillen Gottes entsprechend auf gleicher Höhe mit der Kirche zu der von Gott erwählten Gemeinde zu rechnen ist. Damit schert er entschlossen aus der überkommenen Tradition des kirchlichen und theologischen Antijudaismus und Antisemitismus aus, nach welcher die Kirche als von Gott erwählte an die Stelle Israels getreten sei (Substitutionstheorie) und die Juden nur deshalb noch gleichsam als anstößiger Anachronismus existierten, um den Christen die Verwerfung vor Augen zu halten, weshalb es von diesen auch nicht als ein Problem empfunden wurde, dass die Juden beinahe durch die ganze Geschichte hindurch seit dem vierten Jahrhundert mit Wissen der Kirche und häufig auf ihr Betreiben hin rechtlich zurückgesetzt und auf beinahe jede erdenkliche Art bedrängt und malträtiert wurden.74 Es bleibt zu beachten, dass Barth hier keine eigenständige Israellehre vorträgt, wie immer wieder unterstellt wird, sondern im Horizont der Entfaltung seiner Erwählungslehre die ekklesiologischen Konsequenzen seiner neu gefassten christologischen Begründung bedenkt. Genau genommen geht es, nachdem Barth zunächst den Vollzug der Gnadenwahl bedacht hat (§ 33), nun um die Bezeugung der Gnadenwahl durch die Gemeinde (§ 34), und es folgt dann die Frage ihres konkreten Adressaten (§ 35).75 Wenn es um die geschichtlichen Resonanzen des erwählenden Gottes geht, wäre jede unmittelbare Konzentration auf die Kirche ein klares Statement gegen den Teil Israels, der nicht in die Kirche übergegangen ist. In diesem Zusammenhang wurde gern angeführt, dass der Teil, der von Israel tatsächlich das Volk Gottes war – und das sei stets nur ein kleiner Teil gewesen –, bereits die Keimzelle der Kirche gewesen sei, die sich nun von der ungläubigen Mehrheit des Volkes Israel getrennt habe. Dieser Teil Israels sei auch bereits vor dem Kommen Christi als die Kirche zu verstehen. Gegen diese theologische Option, von der die christliche Theologie beinahe von ihren Anfängen an immer wieder Gebrauch gemacht hat, stellt sich Barth nun entschlossen, indem er die Kirche in ein unauflösliches positives Verhältnis auch zu dem Israel setzt, das in Christus nicht seinen Messias erkannt hat. Wird im Sinne Barths theologisch konsequent nach der Erwählung als einem Akt der freien Selbstbestimmung Gottes gefragt, kommt unweigerlich auch 74 Vgl. dazu Weinrich, Antisemitismus. 75 Vgl. Busch, Unter dem Bogen des einen Bundes, 453.

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das erwählte Volk Israel in den Blick, und für Barth ist es vollkommen klar, dass jede Denkmöglichkeit, nach der die Erwählung Israels zugunsten der an seine Stelle getretenen Kirche aufgekündigt sei, theologisch nicht in Frage kommen kann, und zwar nicht nur um der Juden willen, sondern auch um der Kirche willen, weil diese in dem Fall einer Abwendung Gottes von seinem Bund mit Israel keinerlei Grund hätte anzunehmen, dass sich angesichts der Geschichte ihres eigenen Versagens Gott nicht inzwischen auch von ihr abgewandt habe (221, 313, 333 f). 3.3.1 Die eine Gemeinde

Angesichts der bleibenden Erwählung Israels spricht Barth weder von zwei unterschiedlichen Heilswegen oder gar zwei Gottesvölkern, sondern er spricht dezidiert von der einen Gemeinde, in die auch Israel miteingeschlossen ist, obwohl es nicht an Christus glaubt. Gerade und nur in diesem Zusammenhang kann es gewährleistet sein, dass die von der Gemeinde zu erwartende Bezeugung des ewigen Ratschlusses von Gottes Gnadenwahl die entscheidende nötige Deutlichkeit bekommt. Die eine Gemeinde besteht aus den an Christus glaubenden Juden und den in den Bund hinzuberufenen Heiden und zudem eben aus dem nicht an Christus glaubenden Israel. Die systematische Einbindung der Erwählungslehre in die Gotteslehre bringt es mit sich, dass die Gnadenwahl nicht nur für ein möglicherweise besonders hoch einzuschätzendes Handeln Gottes, sondern für Gottes Handeln und sein Wesen als Ganzes steht. Somit kann nicht an dem Umstand gezweifelt werden, dass die Wahl Gottes für den Menschen ganz und gar gnädige Wahl und nicht etwa Verwerfung bedeutet. Wahl ist gnädige Zuwendung Gottes und nicht von Gott vorgenommene Auswahl. Das hat sich mit aller notwendigen Deutlichkeit in Jesus Christus gezeigt, dass das mit dem Ja Gottes verbundene Nein nicht den Menschen, sondern stellvertretend allein im Kreuz den menschgewordenen Gott trifft, und davon darf nun auch nicht abgesehen werden, wenn die sich als erwählt verstehende Kirche auf die Erwählung Israels blickt. Mit Eberhard Busch formuliert geht es um die These: „Die doppelgestaltige, aber eine Gnadenwahl in Jesus Christus, die Selbstwahl Gottes zur Gemeinschaft mit Sündern und die darin eingeschlossene Wahl der Sünder zur Gemeinschaft mit Gott bezeugt sich und wird bezeugt in Israel und der Kirche, darum durch beide, weil sie in ihrer Doppelgestalt die eine erwählte Gemeinde Gottes sind.“76 Um den Bund Gottes konsequent als einen Gnadenbund bezeugen zu können, gehören beide unauflöslich zusammen. Dabei steht im Fokus der Überlegungen, dass sich die Kirche nur dann recht als Gemeinde Christi verstehen kann, wenn sie den für die Gemeinde konstitutiven Platz Israels auch angesichts der offenkundigen Zurückweisung Christi unangetastet lässt und in ihr Selbstverständnis einbezieht. Auf diese Weise wird auch durch das nicht an Christus glaubende Israel die Erwählung bezeugt, weil sie nicht durch den verweigerten Glauben rückgängig oder unwirk76 Ebd., 456 f.

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sam gemacht wird. Bezogen auf Christus repräsentiert Israel in dieser Perspektive den von der Erwählung umfassten Unglauben der Gemeinde, womit allerdings noch keineswegs das entscheidende Wort über Israel gesagt ist. Barth folgt mit seinen Überlegungen den durchaus verschlungenen Kernaussagen von Röm 9–11 als dem locus classicus zu diesem Thema, dem er eine ausführliche Exegese widmet.77 Auch wenn sich Barth jenseits des exegetischen Mainstreams sehr zielgerichtet einen eigenen Weg durch die herausfordernde Problematik bahnt, misst er auch und gerade den Sperrigkeiten, mit denen sich der Judenchrist Paulus in diesem Abschnitt herumschlägt, eine hohe Bedeutung zu, die ihm manche Schwierigkeit einträgt, der er nicht durch einen Hinweis auf die mittlerweile eingetretene geschichtliche Veränderung der Situation der Kirche den Stachel zieht. Sieht man von der Kernaussage des § 34 in der benannten ekklesiologischen Abhängigkeit der Kirche von Israel ab, so präsentieren sich bei aller sachlichen Stringenz die weiteren Binnendifferenzierungen in einer schwer zugänglichen Entfaltung, weil sich die dort konsequent vorgetragene Dialektik zwischen Glauben und Unglauben in der typologischen Gestalt von Kirche und Israel als die eine Gemeinde in einer kaum auszuräumenden Spannung mit der Kernaussage zu bewegen scheint, die vor allem dann ins Auge springt, wenn der Text mit jüdischen Augen gelesen wird. Es drängt sich immer wieder der Eindruck auf, dass ein Teil der Überlegungen im Widerspruch zu Barths offenkundigem Engagement für eine kirchliche Verantwortung hinsichtlich der bleibenden Erwählung Israels als einem essenziellen Teil der Gemeinde zu stehen scheint. Zwar lässt Barth keinen Zweifel daran aufkommen, dass es im Verweis auf Röm 11,31 um das entschiedene gegenwärtige Eintreten der Kirche für die Juden geht, so dass ein „Abschieben der Judenfrage in die Eschatologie […] unmöglich gemacht wird“ (KD II/2, 335), aber es bleibt zugleich der Empfehlung Eberhard Buschs zu folgen, die an den hermeneutischen Rat Luthers erinnert, soweit wie es geht zu versuchen, die dunklen Stellen von den hellen Stellen aus zu verstehen.78 Einerseits argumentiert Barth mit seinen Ausführungen nachdrücklich gegen alle Enterbungsaussagen der theologischen Tradition, und andererseits wurde ihm kaum mehr als eine Generation später auch von ihm sonst durchaus geneigten Theologen und Theologinnen entgegengehalten, dass er im Blick auf eine grundlegende Erneuerung der Wahrnehmung Israels nicht weit genug gegangen sei.79 Zwar habe sich Barth mit dem Festhalten an der Erwählung Israels deutlich gegen jede Form der Judenfeindschaft gestellt – „Antisemitismus ist Sünde gegen den heiligen Geist“80 –, dabei habe er aber gleichwohl an einer Reihe klassischer antijüdischer Stereotype festgehalten, die ihre Wurzel im Unglauben an den von Israel ans Kreuz 77 Vgl. KD II/2, 222–226, 235–256, 264–285, 294–336. 78 E. Busch, Unter dem Bogen des einen Bundes, 441. 79 Vgl. u. a. Marquardt, Die Entdeckung des Judentums; Klappert, Israel und die Kirche; Sonderegger, That Jesus Christ Was Born as a Jew. 80 Barth, Die Kirche und die politische Frage von heute, 90.

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gebrachten Messias haben. Möglicherweise hätte eine intensivere Wahrnehmung des Umstandes, dass es einen Unterschied ausmacht, ob eine Aussage von einem sich als Juden verstehenden Christen oder später unter grundsätzlich veränderten Bedingungen von einem die Verhältnisse betrachtenden Heidenchristen gemacht wird, auch zu anderen begründeten Akzentsetzungen führen können. Korrespondierend zu den oben für den in Christus erwählenden Gott und erwählten Menschen gemachten Differenzierungen versucht Barth in möglichst treuer Gefolgschaft zu Paulus möglichst konsequente Entsprechungen zu identifizieren, durch welche sich das Handeln Gottes in Christus dann auch geschichtlich auf irgendeine Weise nachzeichnen lasse. Dass dabei das Vorzeichen aller Differenzierungen die andauernde Erwählung Israels als die festzuhaltende und dann eben auch praktisch zur Geltung zu bringende Prärogative Israels bei keinem der zu bedenkenden Aspekte aus dem Blick gerät, scheint nicht konsequent genug gesichert zu sein. Es bleibt aber auch zur Kenntnis zu nehmen, dass in der seinerzeit aktuellen zeitgenössischen Situation der wachsenden Bedrängnis der Juden und der Verunsicherung der Kirche die Überlegungen Barths offenkundig als durchweg hilfreiche und klare Orientierung empfunden wurden.81 Heute wird auch im innertheologischen Diskurs allerdings nicht mehr damit gerechnet werden können, dass die hier vorgetragene innerekklesiologische Dialektik der Plausibilität des Eintretens der Kirche für Israel tatsächlich dienlich ist. Die zwei Seiten der Erwählung des Menschen führen bei Barth zu folgenden Entsprechungen: Die bleibende Erwählung Israels repräsentiert die seinen Unglauben überbietende Barmherzigkeit Gottes, und somit steht Israel für das in der Erwählung des Menschen von der Gnade umschlossene Nein, ohne welches die Unermesslichkeit des Eintretens Gottes für den Menschen kaum recht in den Blick käme. Dagegen repräsentiert die Kirche in ihrer Konstitution auf dem auferstandenen Christus das den Glauben begründende Erbarmen Gottes und somit das von der Erwählung annoncierte Ja, das infolge des Unglaubens Israels nun auch ausdrücklich den Heiden gilt. Auch wenn Barth betont, dass sich der Unglaube Israels auch in der Kirche und ebenso der Glaube der Kirche auch in Israel finde (deshalb die große Bedeutung, die Barth den Judenchristen zumisst), bleibt die Gegenüberstellung Unglaube und Glaube wenn auch nicht für das Verhältnis von Israel und Kirche, so doch für ihre Unterschiedenheit im Zentrum der Wahrnehmungen. Allzu schnell gerät in Vergessenheit, dass die Unterschiede allein auf dem Hintergrund der betonten Gemeinsamkeit der gnädigen Erwählung betrachtet werden können. Ein Teil der an Barth geübten Kritik geht auch hier an den nuancierten Überlegungen Barths vorbei, weil die christologische Perspektive Barths entweder nicht ausreichend beachtet oder aber im Grundsatz nicht geteilt wird. Zu einem anderen Teil wird man Barth tatsächlich fragen müssen, ob nicht die von ihm selbst vorgenommene deutliche Relativierung der Zuordnung des in der Erwählung enthaltenen Nein zu Israel und des Ja zur Kirche zwingend dazu hätte führen müssen, 81 Vgl. Busch, Unter dem Bogen des einen Bundes, 437 f.

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von den typologischen Identifikationen Abstand zu nehmen und auf dialektischere Bestimmungen zuzugehen. Gewiss tritt mit der Christologie ein für die Theologie fundamentales Unterscheidungsmoment auf den Plan, aber dieses darf nicht zu zwischenmenschlich grundsätzlichen Unterscheidungen verleiten, die sich in der gegenseitigen Wahrnehmung zu einer Selbsterhebung bzw. der pauschalen Herabsetzung des Anderen instrumentalisieren lassen, wie es jetzt bei Barth über weite Strecken der Fall ist, auch wenn dies gewiss nicht dem eigentlichen, aber leider nur teilweise unmittelbar zugänglichen Fokus seiner Argumentation entspricht. In der folgenden Darstellung liegt der Ton auf den Stärken der Überlegungen Barths, ohne die daneben einzuräumenden Schwächen in gleicher Deutlichkeit zu präsentieren. Doch so viel sei gleich zu Anfang angedeutet: Das die Probleme verursachende Moment liegt möglicherweise gleich in dem Einstieg, auch wenn in ihm zugleich auch gerade die Stärke von Barths Plädoyer für die Juden zu finden ist. Als die eine Gemeinde bilden Israel und Kirche „in besonderer Weise die natürliche und geschichtliche Umgebung des Menschen Jesu“ (216) und bilden zusammengenommen als die unmittelbaren Adressaten der Offenbarung das von den Ereignissen privilegierte Volk Gottes. Es ist Barths Absicht, an diesem Gottesvolk die ganze Reichweite des Ratschlusses Gottes als Spiegel der ganzen Reichweite des Christusgeschehens in Kreuz und Auferstehung zu demonstrieren. Und so stehen Israel und Kirche weniger für die beiden Möglichkeiten der Resonanz auf das sich in Christus vollziehende Erwählungsgeschehen als vielmehr für die Bezeugung der ganzen Reichweite des Erwählungshandelns Gottes, auf welche alle Menschen in der nachfolgenden Geschichte in irgendeiner Weise Bezug nehmen sollen, wenn sie sich über die in Christus geschehene Gnadenwahl zu verständigen versuchen. Während Barth versucht, gerade im gemeinsamen Horizont der Gnadenwahl die Zusammengehörigkeit zu betonen und zu sichern, indem auch die Berufung auf die so unterschiedliche Wahrnehmung Jesu nicht dazu gebraucht werden darf, Israel von der Kirche zu trennen („die Gemeinde als primärer Gegenstand der in Christus geschehenen und geschehenden Erwählung [ist] Eine“ [217]), gerät schließlich die im Gefälle der Überlegungen systematisch durchaus stimmige Differenzbeschreibung zu einer Gegenüberstellung, in der es zumindest dem Anschein nach einen privilegierten Partner gibt, dem durchaus nicht nachrangig die Sorge um die Defizite des anderen Partners nahegelegt wird – zwar ausdrücklich nicht in der Gestalt andauernder zielgerichteter Mission (312), aber eben im spezifisch adressierten Glaubenszeugnis, was zumindest nach dem gegenwärtigen Verständnis dann doch in die Richtung von Mission blickt. Barth spricht von der „doppelten Existenzform“ der unauflösbar einen Gemeinde (218) und betont in der für ihn charakteristischen dialektischen Weise: „Eben als Kirche ist sie Israel und eben als Israel ist sie Kirche.“ (219) Indem Israel dann aber „als das seiner göttlichen Erwählung sich widersetzende Volk der Juden“ und die Kirche als „die auf Grund ihrer Erwählung berufene Versammlung aus Juden und Heiden“ (ebd.) beschrieben werden, wird eine doppelte Perspektive eröffnet, die Licht und Schatten klar zu unterscheiden weiß, ohne dass die bei Barth stets mit-

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laufende Dialektik dabei ausreichend präsent bleibt. Wie schon der Leitsatz zu § 34 formuliert, steht Israel in der einen Gemeinde für die Darstellung des in die Erwählung eingeschlossenen (heilsamen) Gerichts (§ 34,2).82 Es hört zwar die Verheißungen Gottes, glaubt ihnen aber nicht (§ 34,3) und ist somit die vergehende Gestalt der Gemeinde (§ 34,4). Obwohl im Zuge der Darlegungen immer mehr der merkwürdige Anschein entsteht, als wolle Barth eine Art Israeltheologie vortragen, in der sich nun der ganze Schatten der Erwählung versammelt, geht es in der Sache um den in der Tat erwägenswerten Umstand, dass die in Christus erwählte Gemeinde anstatt sich des Erbarmens zu freuen sich selbst zum Gericht lebt. Obwohl sie hört, glaubt sie nicht, und bringt damit eher den alten vergehenden Adam als die in Christus konstituierte neue Kreatur zur Darstellung, ohne dass von all dem eine Infragestellung der Erwählung abgeleitet werden könnte, da ihre Näherbestimmung durch die Gnade bereits all diese Dimensionen mit umfasst. Es soll gezeigt werden, dass das Zeugnis der Gemeinde von Gottes Zuwendung in seinem Bund gerade diese unvergleichliche Reichweite der Gnadenwahl umfasst. Anstatt tatsächlich der Kirche die Augen für ihre eigene Unempfänglichkeit des Erwählungsratschlusses zu öffnen, entsteht der nur wenig vor Missbrauch geschützte Anschein einer geradezu typologisierten Zuschreibung der negativen Implikationen der Botschaft an Israel und der positiven Seite der Botschaft an die Kirche (233), womit Barth seine eigene Intention in verhängnisvoller Weise eintrübt. Zweifellos gilt, dass Gott in seiner Erwählung den selbst in der Gemeinde zur Darstellung kommenden Schatten im Kreuz auf sich genommen hat, aber es drängt sich in der deduzierenden Darstellung der Eindruck auf, als bedürfe es Israels, um die Unermesslichkeit der Gnadenwahl in dem auf ihm liegenden Schatten angemessen ahnen zu können. Barth bleibt in dieser Perspektive so konsequent, dass er für die Momente, in denen auch in Israel Glaube an Gottes Verheißungen zur Darstellung kommt, von der „Präexistenz der Kirche in Israel“ (ebd.) spricht. Der Umkehrschluss wäre, dass es dort, wo es auch in der Kirche Unglaube zu beklagen gibt – und wo wäre das nicht der Fall? –, den Fortbestand Israels in der Kirche zu annoncieren gäbe, was so von Barth nicht ausdrücklich gesagt wird, weil da, wo unter den sich möglicherweise auch der Kirche zurechnenden „Heiden“ nicht geglaubt wird, eben auch keine Kirche ist. Die typologisch enggeführte Motivik möchte die Stringenz seiner christologisch konzentrierten Überlegungen ausweisen, aber tatsächlich kommt dabei ein inner-ekklesiologischer Dualismus heraus, der dem zweifellos im Hintergrund stehenden Ansinnen eines konsequenten Eintretens der Kirche für die verfolgten Juden wenig förderlich ist. Es entsteht der Anschein einer paradoxen Intervention, der aber – zumindest unter heutigen Bedingungen – zu bescheinigen sein wird, dass sie ihr Ziel wohl eher verfehlen wird. 82 Eberhard Busch macht in seinem Barth wohl am nächsten kommenden Interpretationsversuch der bleibenden Erwählung Israels darauf aufmerksam, dass das „Gericht […] für die ‚Gerichteten‘ gerade nicht deren gnadenlose Preisgabe ins Verderben, sondern die gnädige Nichtpreisgabe an die Gnadenlosigkeit“ bedeutet (Unter dem Bogen des einen Bundes, 447; vgl. KD II/1, 408 f, 412, 438).

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Positiv zusammengehalten werden die beiden Gestalten der einen Gemeinde durch den „Bogen des einen Bundes“, durch den die „unauflösliche Einheit ins Licht gestellt wird“ (220; vgl. KD IV/1, 749). Wo sie also als Zeugen desselben Gnadenbundes verstanden werden, wird es plausibel, sie in einer aus Israel und Kirche bestehenden Gemeinde zusammengehalten zu sehen. Indem diese Erkenntnis von Christus ausgeht, räumt Barth ausdrücklich ein, dass es sich im Rahmen einer Kirchlichen Dogmatik um eine für die Kirche essenzielle Erkenntnis handelt, die als solche nicht einfach auf das jüdische Selbstverständnis übertragen werden darf.83 Aber als christliche theologische Erkenntnis bleibt sie für das Selbstverständnis der Kirche in dem Sinne fundamental, dass sie als Kirche ohne die Verbundenheit mit Israel gar nicht Kirche sein könnte (KD II/2, 222). Tatsächlich geschieht hier nicht weniger, als dass Barth den nicht für die Juden eintretenden Kirchen ihr Kirchesein abspricht. „Sie wäre […] nicht die Kirche, wenn sie nicht in der Verantwortung auch für Israel existierte.“ (313) Der Bund Gottes mit Israel, die mit ihm verbundenen Orientierungen und Verheißungen sind die ebenso achtsam zu pflegenden Wurzeln der Kirche wie auch der Umstand, dass Christus seiner menschlichen Herkunft nach aus Israel kommt (Röm 9,1–5). Im Blick auf Joh 4,22 hat Barth entschieden das Präsens der Aussage betont „Das Heil kommt von den Juden“ (225; vgl. Kap. V.3, S. 436) und damit theologisch hervorgehoben, dass die Verbundenheit mit Israel nicht nur eine historische ist, sondern auch für das je aktuelle Selbstverständnis der Kirche essenziell bleibt. Die Gemeinde ist nicht nur die Gemeinde des Messias Israels, sondern sie hat selbst auch „israelitische Gestalt“ (258), zumal die Heiden genau genommen „die Hinzugekommenen in Israel“ (322) sind und bleiben, berufen zur „Teilnahme an Israels Erwählung“ (325). Insbesondere darin hat die Kirche immer wieder in die Schule Israels zu gehen, dass sie die Achtsamkeit des Hörens „auf Satz, Wort und Buchstaben“ nicht preisgibt und sich „in freie Spekulation“ (257) oder „ungläubige Gojim-Weisheit“ (260) verliert. Auch darin hat Israel in der Gemeinde eine die Kirche an ihre Tradition erinnernde Bedeutung, ohne welche die Kirche nicht Kirche bleiben kann. Und wenn Israel schließlich in der Gemeinde die Kirche daran erinnert, dass die Auferstehung nicht ohne das Kreuz recht in den Blick kommen kann, wird sie davor bewahrt, die Auferstehung zu einem „leeren Wort werden“ (287) zu lassen. Die Gemeinde Gottes macht in ihrer israelitischen Gestalt sichtbar, was Gott für sich erwählt hat, indem er in seiner ewigen Gnadenwahl die Gemeinschaft mit den Menschen erwählt. […] Im Schicksal dieses Volkes, in seiner von seinem Leiden in Ägypten bis zum letzten Untergang Jerusalems und darüber hinaus bis auf diesen Tag immer neu wiederholten Preisgabe, Ausrottung und Zerstörung, in der Ohnmacht, Plage und Krankheit dieses Hiob, dieses seltsamsten Gottesknechtes unter den Völkern – es hat nicht wenig dafür zu bezahlen, Gottes erwähltes Volk zu sein! – spiegelt sich der Radikalismus, in welchem Gott selbst sein 83 Merkwürdigerweise kann Barth gleichzeitig von einer „sektiererische[n] Selbstbehauptung“ Israels oder gar einer „gespensterhaften Gestalt der Synagoge“ sprechen (230).

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Erbarmen mit dem Menschen wahr macht, die Rätselhaftigkeit seiner Selbsthingabe. Es entspricht der Tiefe der Not dieses Volkes die Tiefe, in die um seines ewigen Bundes mit dem Menschen willen Gott sich selbst herabzulassen sich nicht zu teuer ist. […] Von dem überwundenen Leid, von dem getöteten Tod, von dem in und nach allem Vergehen bleibenden Leben würde die Kirche umso gehaltvoller reden dürfen, je bestimmter sie durch das in ihrer Mitte lebende Israel an den Weg erinnert wäre, auf dem dieser Sieg gewonnen, diese Wahrheit Wahrheit geworden ist und immer wieder wird. (287 f)

Israel ist auch bereits Gefäß des Evangeliums der Erwählung, und es ist „schon in seiner Mitte von Anfang an der Trost und der Segen und die rettende Kraft des Wortes und Willens Gottes lebendig gewesen und auf Grund besonderer Erleuchtung und Leitung inmitten aller Gerichte und Heimsuchungen von vielen Einzelnen erkannt und geschmeckt worden.“ (293) Barth bleibt zwar bei seiner am Glauben an die Auferstehung Jesu bemessenen typologischen Gegenüberstellung von Kirche und Israel, aber er weiß ebenso darum, dass sich auch in Israel rechter Glaube und in der Kirche entschlossener Unglaube findet. Aber anstatt angesichts dieser gegen die Grundlinie einzuräumenden Umkehrung die traditionelle Typologie infrage zu stellen, spricht hier Barth von der Präexistenz der Kirche in Israel und bleibt damit in der systematischen Konsequenz der von ihm vorgenommenen Bestimmungen. Es hätte sich mit nur geringer Einbuße an systematischer Stringenz auch eine Perspektive denken lassen, in der das Licht der Erwählung die Gleichzeitigkeit von Licht und Schatten bzw. die nicht suspendierbare Implikation des Nein in das dieses umschließende und überbietende Ja gerade als eine mit unterschiedlichen Akzenten versehene charakteristische Gemeinsamkeit von Israel und Kirche in den Blick gekommen wäre. Immerhin sagt Barth, dass es gemäß Röm 11 nicht die Aufgabe der Kirche ist, sondern Gottes eigene Aufgabe bleibt, Israel bei der Wiederkunft Christi in den Horizont der Zustimmung zu seinem Handeln in Christus bringen, so dass die eigene auf Gott gesetzte Hoffnung ohne jeden Vorbehalt auch die Hoffnung für Israel einschließt (312 f). Israels Unglaube ist dabei als gottgewolltes „zeitlich-begrenztes Faktum“ (324) zu verstehen, durch welches sich der die Erwählung geschichtlich anzeigende Bund zu den Heiden öffnet. Es ist vielmehr gerade das Selbstbekenntnis Gottes zu seinem Willen mit Israel, in dem allein die Erwählung der Kirche ins Spiel kommt. Es ist Gott selbst, der Israel gleichsam zwischenzeitlich zur Seite nimmt, um auch Platz für die Heiden zu schaffen, nicht aber um Israel damit dem Abseits zu überlassen, sondern um sich schließlich im Eschaton auch an ihm als der zu erweisen, der sich in Christus als der erwählende Gott und der erwählte Mensch erwiesen hat. Wenn die Heiden nach dem Ölbaumgleichnis genau in die Stellung Israels gebracht und somit „aller Vorzüge und Vorrechte Israels teilhaftig“ (327) werden, handelt es sich im Grunde um das Wunder einer atemberaubenden Ausweitung des Bundes, der gegenüber das noch zu erwartende Wunder der „Umkehr der Juden das kleinere ist“ (328). Wenn zu betonen ist, dass der Erwählung Israels kein Verdienst auf seiner Seite vorausgeht, so bleibt dies in ungleich größerem Maße für das Hinzuerwählen

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der Heiden zu konstatieren. Es kann offenkundig nicht um irgendwelche menschlichen Vorzüge, sondern allein um ein seinem Willen entsprechendes Handeln Gottes gehen, wenn Gott auch die Heiden in seinen in Christus verwirklichten Bund einbezieht. Hinsichtlich des dennoch zeitweiligen Zurückstellens Israels versucht sich Barth so weit wie möglich in die Dramaturgie des Paulus in Röm 11 zu versetzen: Daß die Heiden von aller Welt Enden zum Berg Zion kommen, um mit Israel anzubeten: mit ihm das eine Volk des einen Gottes, das ist doch die Erfüllung aller Israel gegebenen Zusagen Gottes; eben das ist doch die Offenbarung seiner Erwählung. […] Wie sollte es da nicht in Kürze zu der Versammlung von ganz Israel und also zum Einpfropfen der jetzt abgeschnittenen Zweige kommen müssen? Es handelt sich, nachdem das große Wunder voran ging, um eine Folgeerscheinung, die nicht ausbleiben kann, deren Unbegreiflichkeit eigentlich weniger in ihrem Wesen als darin besteht, daß sie noch nicht eingetreten ist. (328) Es wäre aber Gottes Erbarmen nicht die Gegenwart der Heiden, wenn sie nicht die Zukunft auch der Juden wäre. (335)

Dass dies jedoch bisher nicht eingetroffen ist, das ist das „Geheimnis“, von dem in Röm 11,25 die Rede ist. Dass die Bekehrung der Heiden der Bekehrung der Juden vorausgeht, das ist das Unbegreifliche des Geschehens (329). Die Kinder des Hauses müssen warten, „während die Fremden von allen vier Windrichtungen her versammelt schon im Reiche Gottes mit Abraham, Isaak und Jakob zu Tische sitzen (Luk 13,28 f).“ (330) Barth bringt diesen Umstand in die neutestamentliche Sichtweise des Erbarmens Gottes, welches die natürliche Ordnung umkehrt, indem nach ihr die Ersten Letzte und die Letzten Erste sein werden. Die Reichen erscheinen als die Armen und die Armen als die Reichen, die Erwählten als die Verworfenen und die Verworfenen als die Erwählten: Die Heiden dürfen vorangehen, weil sie in ihrer natürlichen Erniedrigung den Juden gegenüber das gegebene Objekt der Erhöhung durch den von Zion ausgehenden Erretter sind. Die Juden müssen nachfolgen, weil sie in ihrer natürlichen Erhöhung den Heiden gegenüber das gegebene Objekt der Erniedrigung durch denselben Erretter sind. In diesem Unterschied wird Gottes Beiden zugewendetes Erbarmen wirklich und sichtbar. […] Und das jüdische Erstgeburtsrecht, die ursprüngliche Beziehung der Erwählung Gottes auf Israel, kommt offenbar gerade in dieser Umkehrung erst recht zur Geltung. Die Juden wären nicht die Letzten, wenn sie nicht eigentlich die Ersten wären. (331 f)

Indem Gottes Erbarmen sein allem Geschehen vorausgehender Gnadenwille ist, kann an der Unerschütterlichkeit der Erwählung kein begründbarer Zweifel aufkommen: [Sie] sind Geliebte Gottes, nicht um ihres Seins und Tuns willen – aber das könnte und dürfte ja auch die Kirche für ihre eigene Gegenwart nicht geltend machen – wohl aber um der Treue

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Gottes willen, der immer zuerst liebt, der auch da liebt, wo er nicht wieder geliebt wird, der sich in seinem Sohn gerade für seine Feinde dahingegeben hat. (333) Busch, Unter dem Bogen des einen Bundes, 401–492. & 

3.3.2 Die große ökumenische Frage

Der Ton, den Barth auf die eine Gemeinde legt, welche Kirche und Israel umfasst, verdeutlich zweierlei: Einerseits wird erkennbar, dass für Barth mit der Ekklesiologie auch die Frage nach der Ökumene systematisch mit der Erwählungslehre zu verknüpfen ist, und andererseits, dass von Barth das Verhältnis der Kirche zu Israel als die zentrale ökumenische Herausforderung angesehen wird, der gegenüber die zwischen den Kirchen auszumachenden Trennungen insofern ein beschämendes Bild abgeben, als sie vor allem ein Ausdruck von eigenwilliger Selbstbezogenheit sind, in der sie sich selber wichtiger nehmen als das von ihnen auszurichtende Zeugnis. Durch beide Aspekte bekommt Barths Aufmerksamkeit auf die Ökumene einen deutlich eigenen Akzent, durch den sie sich fundamental von dem unterscheidet, was üblicherweise unter Ökumene verstanden wird. Die Hauptdifferenz von Barths Ökumeneperspektive zu den gängigen und tatsächlich ja auch nur bescheiden erfolgreichen ökumenischen Anstrengungen liegt darin, dass sie nicht von der Kirche und den Bedingungen ihrer Einheit ausgeht, sondern mit der Erwählung nicht nur eine Absicht Gottes, sondern eine Beziehungswirklichkeit in das Zentrum der Aufmerksamkeit rückt, in welcher die Sorge um die eigene Tadellosigkeit eindeutig weit hinter dem von der Kirche zu erwartenden Zeugnis rangiert. Die Kirche ist nicht für sich selber da, sondern sie ist in der Erwählung durch Christus begründet und bewährt sich in ihrer Sendung, d. h. sie lebt weder aus sich selbst noch für sich selbst. Ihre Sendung richtet sich an die ganze bewohnte Welt und trifft damit den ursprünglichen Wortsinn des griechischen Begriffs οἰκουμένη. Die gängigen Prämissen und Kriterien der Ökumene geraten gründlich durcheinander, wenn die Frage nach einer angemessenen Einheit nicht mehr von den Bekenntnisständen der Kirchen oder ihren Selbstverwirklichungsoptionen aus gestellt wird, sondern wenn die Aufmerksamkeit auf das Erwählungshandeln Gottes gelenkt wird. Dieses Erwählungshandeln Gottes zeigt sich in seiner ganzen Konsequenz in Jesus Christus, in dem sich aber kein anderer zeigt als der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, d. h. der Gott Israels, auch wenn Israel diesen Gott in Jesus Christus nicht wiedererkennt. Da die Kirche aber von dieser Wahrnehmung der Identität Jesu Christi mit dem Gott Israels niemals absehen kann, steht es ihr auch nicht frei, an der Erwählung Israels Zweifel anzubringen und sich selbst in einem anderen Bund zu verorten als dem nach wie vor Israel geltenden einen Bund. Wenn die Kirche sich nur als zu Israel gleichsam hinzuerwählte erkennen kann, wird sie auch in ihrem Selbstverständnis niemals von Israel absehen können, auch nicht durch

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den Verweis auf die Zurückweisung Jesu als Messias Israels. In der Wahrnehmung des seiner Gnadenwahl entsprechenden Handelns Gottes erscheint unweigerlich auch Israel als Gemeinde Gottes, ja als sein Volk, das von den ihm gegebenen Verheißungen lebt. Für Barth ist es vor allem ein Ausdruck der Treue der Theologie zum biblischen Zeugnis, der die systematischen Konsequenzen zu folgen haben. Es geht hier also nicht zuletzt schlicht um eine von Paulus in seinem Römerbrief uns zu bedenken gegebene Herausforderung. Ausgerechnet bzw. gerade in Rom hebt Barth bei seinem Besuch 1966 kurz nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, das in den Kirchen den ökumenischen Elan so sehr beflügelt hat, pointiert hervor: „Wir sollen nicht vergessen, dass es schließlich nur eine tatsächlich große ökumenische Frage gibt: unsere Beziehung zum Judentum.“84 Dass es sich dabei nicht um eine situativ bedingte Provokation, sondern tatsächlich um Barths auch in anderen Zusammenhängen geäußerte Überzeugung handelt, zeigt sich besonders deutlich in folgendem Zitat aus der Kirchlichen Dogmatik aus der Zeit vor dem Konzil, in der sich der Vatikan in ausdrücklicher Distanz zur Genfer Ökumene gehalten hat: „Auch die ökumenische Bewegung von heute leidet schwerer unter der Abwesenheit Israels, als unter der Roms und Moskaus!“ (KD IV/3, 1007) Schon seit seiner ersten Auslegung des Römerbriefs hat sich Barth immer wieder mit dieser unausräumbaren Irritation für das Selbstverständnis der Kirche beschäftigt.85 Es zeigt sich, dass die Gottesfrage verbindet und zugleich trennt, aber das Trennende bleibt entschieden im Horizont der Verbundenheit. Es gibt also einen Riss innerhalb der Gemeinde zu bedenken, über den hinweg Gemeinschaft zu leben ist, ohne dass dabei die Aussicht im Vordergrund stehen könnte, diesen Riss als solchen schließen zu können. Jeder ökumenische Triumphalismus fällt hier in sich zusammen, denn es geht ausdrücklich nicht um die Präparierung gegenseitiger Anschlussstellen und die Ausarbeitung bestimmter Konvivensbedingungen, welche das Zusammenleben kanalisieren sollen, sondern um eine von der Zuwendung Gottes zu seinem erwählten Volk begründete Wirklichkeit, die ganz und gar nicht unseren Konditionierungen folgt und uns dennoch einen Lebenshorizont erschließt, an dem wir nur mit einer Brüskierung des zentralen Engagements Gottes vorbeisehen können. Indem dieser Riss als ein Riss innerhalb der Gemeinde verstanden wird, kann wohl davon ausgegangen werden, dass Barth die durch die Geschichte getrennten Kirchen immer auch bereits im Horizont der einen Gemeinde versammelt sieht. Die Einheit in der Vielfalt der sich gegenseitig keineswegs nur freundlich begegnenden Kirchen bleibt grundsätzlich als die gottgegebene Voraussetzung für jede einigermaßen sinnvolle Bemühung der um ihre Gemeinschaft ringenden Kirchen anzusehen. So sehr wir uns gründlich Rechenschaft abzulegen haben über die Substanz unseres Kircheseins, so wenig ist es unsere Aufgabe, uns gegenseitig das Kirchesein zuzusprechen oder abzusprechen. 84 In: Freiburger Rundbrief, Folge 28, 1976, 27. 85 Vgl. Baier, Unitas ex auditu, 73, 132 ff, 151 f, 161.

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Es ist unmöglich, was man da von hüben und drüben und umgekehrt leise oder ausdrücklich, in offener Härte oder in schonender Freundlichkeit zueinander sagt oder sich doch faktisch zu verstehen gibt und jedenfalls übereinander denkt: Ihr habt einen anderen Geist als wir! Ihr seid nicht drinnen, sondern draußen! Ihr seid gar nicht, was anmaßenderweise auch ihr euch nennt: Gemeinde Jesu Christi! (KD IV/1, 755)

Wenn Barth von „unmöglich“ spricht, bestreitet er nicht, dass es nicht der Fall sein kann, wohl aber, dass es sich um etwas handelt, das, wo es tatsächlich der Fall ist, sich in irgendeiner Weise rechtfertigen lassen könnte. Das ist der Sprachgebrauch, den Barth für die Sünde verwendet (vgl. Kap. I.9; IV.5.4). Kirchentrennung ist die eigenwillige Zerstörung der vom Bund Gottes begründeten und umfassten Gemeinschaft mit Gott und mit den Mitmenschen, was insofern als eine Unmöglichkeit zu gelten hat, als unsere Untreue nicht die von Ewigkeit her bestimmte Treue Gottes zu seiner freien Gnadenwahl tatsächlich in Frage stellen kann. Da die Einheit der Gemeinde immer eine bereits gegebene ist, bleibt es ein theologischer Unfug, die Einheit der Kirche herstellen zu wollen – bestenfalls kann die von den Kirchen praktizierte Verdunkelung dieser Einheit zurückgedrängt werden. Tatsächlich vermittelt die Zersplitterung der Kirchen in der heutigen sich weiter säkularisierenden Welt – mit Wolf Krötke gesprochen – „den unsinnigen Eindruck, Jesus Christus sei dafür gestorben, daß wir uns auf eine bestimmte Weise organisieren oder auf eine bestimmte Weise das Abendmahl feiern.“86 Dagegen bleibt daran festzuhalten, dass es Gottes Erwählung ist, durch welche die Kirche in ihrer Einheit auch jenseits der von ihren immer auch in Sünde verstrickten Vertretern bewahrt wird. In dieser Hinsicht bleibt die Gemeinde zu unterscheiden von der Unzulänglichkeit ihrer Mitglieder – genau dies Moment wird von Barth für Israel hervorgehoben, dass es nicht aus dem Bund verstoßen und somit aus der Gemeinde verdrängt wird, obwohl es sich der Offenbarung Gottes in Christus verschließt. Nicht nur jede einzelne Kirche ist ein corpus permixtum, ein von Glaubenden, Heuchlern und auch Ungläubigen durchmischter Körper, in dem es nicht uns zukommt, das Unkraut vom Weizen auszusondern, sondern auch die immer schon gegebene Ökumene ist ebenso ein durchmischter Körper, der uns gewiss Unterscheidungen erlaubt, aber keine Trennungen oder gar Verdammungen. Wenn die zu pflegende Verbundenheit mit Israel die Maßgabe für die Wahrung der Gemeinschaft ist, wird deutlich, wie grundsätzlich andersartig unsere Ökumene aussehen müsste, als es tatsächlich der Fall ist. Es geht um ein Zusammenstehen derjenigen, die den gleichen Gott anrufen und sich zu ihm bekennen. Noch weiter könnte formuliert werden: Es geht um die Gemeinschaft derer, denen Gottes Zuwendung gilt, und das geht auch noch über die Gemeinschaft der Glaubensverwandten hinaus. Barth hätte sich bestimmt mit der ebenso unbequemen wie essenziellen Forderung Bonhoeffers einverstanden erklärt, dass sich das Leben der Gemeinde nicht über die Gesetze von Sympathie und Antipathie reguliert, auch nicht über die Zustim86 Krötke, Die Erwählung der einen Gemeinde, 78.

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mung zu einer bestimmten Theologie; vielmehr vollzieht es sich in der von Christus erschlossenen Wirklichkeit der Versöhnung, deren Substanz doch gerade darin besteht, dass ihre Reichweite deutlich über unsere engen Grenzen individueller Zuneigungen und Abneigungen hinausgeht.87 Das Leben unter dem „Bogen des einen Bundes“ steht zur Debatte, in dem wir dazu berufen sind, uns als Partner des den Menschen von Ewigkeit her erwählenden Gottes zu bewähren durch das an die uns umgebende Welt gerichtete gemeinsame Zeugnis in Wort und Tat. Das ist das in dem Evangelium der Gnadenwahl implizierte Gebot. K rötke, Die Erwählung der einen Gemeinde. &   Weinrich, Das Wort Gottes und die Ökumene.

3.4 Evangelium und Gebot – Dogmatik und Ethik Christliche Gotteslehre kann gerade nicht „nur“ Gott, sie muß, weil ihr Gegenstand dieser Gott ist, auch den Menschen zum Inhalt haben, sofern dieser in Jesus Christus zum Genossen des von Gott beschlossenen und begründeten Bundes gemacht ist. […] Wir können […] nicht hinter die freie Entscheidung seiner Liebe zurückgehen wollen, […] in der er sich dem Menschen tatsächlich in der ganzen Barmherzigkeit seines Wesens zugewendet, in der er den Menschen in der ganzen Treue seines Wesens sich selbst zugeordnet hat. (KD II/2, 564 f)

Der Unbedingtheit des ewigen Erwählens Gottes entspricht „die Unbedingtheit des bestimmten Anspruchs“ an den „Partner seines Bundes“ (10). Man kann nicht „vor der Gnade gewissermaßen salutieren […], um dann doch seine eigenen Wege zu gehen!“ (584, vgl. 783) Indem in Jesus Christus der Mensch zu einem Teil der Gotteslehre geworden ist, bleibt es unausweichlich, dass auch die Bestimmung des Menschen als „Partner des von Gott zwischen sich und ihm beschlossenen und begründeten Bundes“ (565) bereits in der Gotteslehre zu bedenken ist. „Die Lehre von Gottes Gnadenwahl ist das eine und die Lehre von Gottes Gebot ist das andere Element des rechten, christlichen Begriffs vom Bunde Gottes mit dem Menschen.“ (564) Ein Missverständnis an dieser Stelle beträfe nicht nur den Bund, sondern übertrüge sich unvermeidlich auch auf das Gottesverständnis, das ohne die Wahrnehmung der Gabe des Gebots nicht vollständig wäre (603), so dass es einen anderen Gott in den Blick nähme als den, der sich Jesus Christus geoffenbart hat. Indem Barth die Ethik konstitutiv in die Dogmatik einbindet, rückt er die klassische Formel von „Gesetz und Evangelium“, wie sie vor allem für die lutherische Theologie prägend geworden ist, in eine kritische Beleuchtung. Die mit in der Erwählungslehre gefällten systematischen Entscheidungen führen in ihrer bundestheologischen Perspektive einerseits Dogmatik und Ethik unverbrüchlich zusammen, und stellen andererseits damit das Gesetz konsequent in das Licht des Evan87 Vgl. Bonhoeffer, Gemeinsames Leben, 15–34.

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geliums, was zu einer Umkehrung der traditionellen lutherischen Formel führt.88 Nicht die Erkenntnis der eigenen Hilflosigkeit und Aussichtslosigkeit des eigenen Bemühens treibt den Menschen in die Arme der Barmherzigkeit Gottes, sondern es ist die dem Menschen zugewandte Liebe Gottes, in deren Konsequenz er neben seiner Erwählung dann auch seine eigene Hilflosigkeit ebenso wie die Bestimmung seines Lebens erkennt. Pointiert hebt Barth den gebietenden Charakter bzw. den lebensorientierenden Charakter des Evangeliums hervor: Eben das Evangelium selbst und als solches hat die Form und Gestalt des Gesetzes. Das eine Wort Gottes ist Evangelium und Gesetz: kein Gesetz für sich und unabhängig vom Evangelium, aber auch kein Evangelium ohne Gesetz. Es ist Evangelium nach seinem Inhalt, Gesetz nach seiner Form und Gestalt. Es ist zuerst Evangelium und dann Gesetz. Es ist das Evangelium, das das Gesetz enthält und in sich schließt wie die Bundeslade die Tafeln am Sinai. […] Das eine Wort Gottes […] ist […] auch Vorentscheidung über des Menschen Selbstbestimmung, auch die Inanspruchnahme der menschlichen Freiheit, auch die Regelung und Beurteilung des Gebrauchs, der von dieser Freiheit gemacht wird. […] Der Begriff des in Jesus Christus geschlossenen Bundes zwischen Gott und dem Menschen erschöpft sich insofern nicht in der Lehre von Gottes Gnadenwahl, als die Gnadenwahl selbst und als solche danach verlangt, als Gottes an den Menschen gerichtetes Gebot verstanden zu werden. (KD II/2, 567)

Die Gotteslehre, ebenso wie die Dogmatik überhaupt, umfasst auch eine Ethik als ein Implikat, das eigens expliziert werden muss. So wie in der Gotteslehre die Grundlegung der Ethik bedacht wird, so ist für die dann folgende nähere Betrachtung der drei Seinsweisen Gottes als Schöpfer, Versöhner und Erlöser ebenfalls jeweils als Schlusskapitel die Explikation der ethischen Implikationen des dogmatisch Reflektierten in Aussicht genommen (609–612). Die konsequente Einbindung der Ethik in die Dogmatik in allen ihren Teilen stellt sich gegen eine Verselbständigung der Ethik, in der es um den Menschen und seine Möglichkeiten gehe, während sich die Dogmatik mit Gott zu befassen habe. Die Ethik hat der Wirklichkeit zu entsprechen, die in der Theologie bedacht wird, d. h. sie hat dem Wort Gottes und der sich in ihm erschließenden Wirklichkeit zu folgen. „Man kann das Geheimnis der Weihnacht, man kann das Kreuz und die Auferstehung Jesu Christi nicht recht verstehen, ohne sie sofort auch als Gebot zu verstehen.“ (625) Zusammenfassend zitiert Barth eine in der lateinischen Kirche verbreitete Wendung: „Darin besteht für mich das Gute: mich an Gott zu halten.“ (612; vgl. Ps 73,28) Im Bezug auf die Gnade Gottes hat die Ethik der den Menschen bestimmenden Wirklichkeit der Erwählung zu entsprechen. Es geht um den „Anspruch, den das Evangelium selbst und als solches an uns richtet“ (619). Und das gilt auch umgekehrt: Wer im Gebot nicht das Ja Gottes zum Menschen „hört, der hört es überhaupt nicht“ (821). Deshalb gilt für die Ethik: 88 Vgl. schon Barth, Evangelium und Gesetz (vgl. Kap. I.11; II.5, S. 87).

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Sie kann ihre Blickrichtung und ihr Thema nicht wechseln. […] Sie kann dem Worte Gottes nicht den Rücken kehren, um nun zur Abwechslung zu sehen, was aus dem das Wort Gottes vernehmenden Menschen geworden sein oder noch werden möchte. Theologie ist auch als Ethik Erkenntnis und Darstellung des Wortes und Werkes Gottes ganz allein. […] Wir können auch in dieser Hinsicht nicht vagabundieren, wir können uns nicht an irgend einen Menschen, vielleicht an den und jenen nach unserer Meinung exemplarischen Christen oder an diesen oder jenen Menschentypus, vielleicht an diese oder jene uns besonders einleuchtende Vertretung christlicher Lebensgestaltung in dieser oder jener Gruppe oder Richtung in Geschichte und Gegenwart halten. […] Was das rechte Handeln des Menschen ist, das ist schlechterdings beschlossen im rechten Handeln Gottes. Es ist in Jesus Christus beschlossen. Er ist der erwählende Gott und der erwählte Mensch in Einem. Er ist aber auch der heiligende Gott und der geheiligte Mensch in Einem. Indem Gott in seiner Person recht gehandelt hat an uns, hat in derselben Person auch der Mensch recht gehandelt für uns. […] Wir bedürfen neben diesem einen Bilde keines anderen: weder eines anderen Bildes von Gott noch eines anderen Bildes vom Menschen und seinem rechten Handeln […]. Es kann also […] „recht handeln“, „das Gute verwirklichen“ auf alle Fälle nichts anderes bedeuten als: […] leben als Mensch, dem in Jesus Christus Gottes Gnade widerfahren ist. Eben darum kann aber kein Wechsel der Blickrichtung und des Themas stattfinden, wenn die Dogmatik zur Ethik wird, vielmehr: ihren ethischen Gehalt sichtbar macht. Sie kann dabei nicht weniger, sie muß auch dabei ganz von der Erkenntnis des Wortes und Werkes Gottes, von der Erkenntnis Jesu Christi leben. […] Die Gnade Jesu Christi selbst und sie allein ist ja die Wirklichkeit, in der von Haus auch der Mensch seine Wirklichkeit hat. […] Es kann das ethische Problem der kirchlichen Dogmatik nur in der Frage bestehen, ob und inwiefern das menschliche Tun ein Lobpreis der Gnade Jesu Christi ist? (597–600)

Nicht nur um Gottes willen, sondern auch um des Menschen willen ist die Ethik unumgänglich. Der Mensch würde in seiner Existenz nicht tatsächlich ernst genommen, kämen nicht auch sein Handeln und die dabei in Anspruch genommenen Orientierungen ausdrücklich in den Blick. „Als Mensch existieren, heißt ja handeln.“ (594) Indem „die Erwählung letztlich die Bestimmung des Menschen ist, erhebt sich die Frage nach der dieser Bestimmung entsprechenden menschlichen Selbstbestimmung.“ (566) Der Mensch sieht sich durch die Bestimmung Gottes gefragt, wie er sich nun selbst mit seinem Leben zu dieser Bestimmung verhält, d. h. wie er nun seinerseits auf die Zuwendung Gottes antwortet. Eine angemessene Antwort wird kaum darin bestehen können, dass der Mensch nun Gott gegenüber sein eigenes Gesetz des Handelns aufrichtet, indem er vorgibt, bereits von sich aus zu wissen, was das Gute ist. Das gerade wäre die Wurzel der Sünde, in der sich der Mensch selbst die Rolle Gottes zuzumessen versucht. Der Mensch, der hier in Betracht kommt, ist der, von dem sich sagen lässt, dass er „Gottes eigenes Ebenbild ist“ (573). Ihm ist mit der Gnade Gottes gesagt, was gut ist (596). Nicht aus sich selbst beansprucht der Mensch gut zu sein, vielmehr wird er durch die Erwählung in besonderer Weise zum Guten befähigt. Die ethische Frage wird gleichsam durch die Gnade Gottes mit beantwortet (574).

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Wenn anders Theologie und so auch theologische Ethik grundsätzlich Wissenschaft von dem in der Offenbarung, in der heiligen Schrift, in der Verkündigung der Kirche bezeugten Worte Gottes ist, dann muß der Mensch gegenüber ihren Sätzen der Gefragte, dann darf sie mit ihren Sätzen nicht die auf die Fragen des Menschen Antwortende sein. Nicht das vom Menschen in Anspruch genommene Wort Gottes ist ihr Gegenstand: nicht der Mensch, der mit dem Wort Gottes, sondern das Wort Gottes, das mit dem Menschen etwas anfangen will. (606)

Barth distanziert sich mit seinem theologischen Verständnis der Ethik als einem Implikat der Dogmatik grundsätzlich von allen Varianten einer allgemeinen Ethik, die sich selbst für die Bestimmung des Guten als zuständig erklärt. Eine Absolutsetzung des Imperativs (oder gar eines ‚kategorischen Imperativs‘ wie bei Immanuel Kant; 743 f), einer Idee des Guten oder des Gewissens sind ebenso konsequent zu vermeiden wie eine Freigabe der Ethik an die Beliebigkeit oder gar Willkürlichkeit. Und zugleich wird betont, dass sich die theologische Ethik auch nicht auf sich selbst in einen Sonderbereich zurückziehen darf; vielmehr wird sie sich fortwährend mit der allgemeinen Ethik auseinandersetzen müssen, was auch einschließt, dass sie von dort durchaus eigene Impulse erhalten kann. Dabei wird sie sich jedoch der allgemeinen Ethik gegenüber grundsätzlich nicht apologetisch gerieren können, weil sie stets konsequent ihr eigenes ebenso wenig verfügbares wie privatisierbares Woher? und Wohin? im Auge zu halten hat (581 ff). Auch der römisch-katholische Weg wird trotz aller einzuräumenden Vorzüge gegenüber den individualistischen Konzepten des Neuprotestantismus von Barth abgewiesen, weil dieser nach seiner Wahrnehmung im Rahmen des Komplementärverhältnisses von Natur und Gnade die Radikalität der Gnade und damit zugleich die Reichweite der Offenbarung und im Gefolge von beidem auch Gott selbst in seinem Eintreten für den Menschen nivelliere. Der Ernst der menschlichen Lage vor Gott werde verharmlost, ebenso wie der Ernst der sich gegen Gott erhebenden menschlichen Sünde (589 f). Was der Neuprotestantismus dilettantisch mache, werde in der katholischen Moraltheologie „gewissermaßen prinzipiell begangen“ (593), weil sie die grundsätzliche Vermittelbarkeit des Göttlichen und des Menschlichen zu ihrer Voraussetzung erhoben habe. Das dabei vorausgesetzte optimistische Urteil über den Menschen gehe gleichsam unbeeindruckt an der Radikalität der Güte Gottes vorüber, an deren Erkenntnis aber die entscheidende Substanz des Ganzen hängt. Die theologische Ethik ist kein Spiel mit unterschiedlichen Dispositiven, sondern hat der Entschiedenheit und Wirklichkeit des Handelns Gottes zu folgen. Barth folgt der reformatorischen Tradition, wenn er, obwohl er tatsächlich sehr häufig vom Hören und dem ihm entsprechenden Gehorsam spricht, die theologische Ethik in den Horizont einer christlich verantworteten Freiheit stellt, d. h. einer Freiheit, die der von Gott durch seine Erwählung konstituierten Wirklichkeit gerecht wird und der gegenüber jede anders konstituierte Freiheit am Ende schließlich nicht mehr als Willkür sein kann (660). Der Gehorsam, um den es Barth geht, ist der „Gehorsam des freien Menschen gegen den freien Gott“ (623) und eben kein „Sklavengehorsam“ (662). Angesichts des Verschleißes, dem das Wort Gehorsam inzwi-

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schen verfallen ist, wäre wohl besser von einer Entsprechung des Menschen zum Handeln Gottes zu sprechen. Es „geht in Gottes Anspruch darum, daß das Tun des Menschen das Tun eines solchen werde, sei und bleibe, der sich das Tun Gottes recht sein läßt.“ (638, 643 f) Das ist der Raum der Freiheit, in den der Mensch durch die Gnade Gottes gewiesen wird, in dem sich der Mensch nicht selbst bestimmen oder gar erst befreien muss. Pointiert kann Barth sagen: „Das Gebot Gottes gebietet uns, frei zu sein.“ (653, 659 f) Der Mensch soll als ein solcher leben, „für den Gott ist“ (663), d. h. er soll die ihm geschenkte Freiheit betätigen. Dabei bleibt für Barths Freiheitsverständnis besonders hervorzuheben, dass Freiheit nicht an der Selbstverwirklichung des Individuums orientiert ist, sondern sie ist „nie eine andere Freiheit als die in der Gemeinschaft“ (801). Der Weisung Gottes entspricht eine Freiheit, durch welche die Gemeinschaft nicht angegriffen, sondern erst aufgebaut und gestaltet wird, so sehr ihre konkrete Wahrnehmung durchaus bedeuten kann, dass es zunächst erst einmal einzelne sind, welche die vorfindliche Gemeinschaft zu einer ernsthaften Prüfung des Willens herausfordern müssen, wie es sich in Barths eigenen politischen Entscheidungen immer wieder gezeigt hat (vgl. Kap. II.8). Freiheit – auch die Freiheit der Aufklärung – ist niemals bindungslos, sondern sie hat stets ein Scharnier, in dem sie verankert ist und von dem aus sie agiert. Für das christliche Verständnis der Freiheit kann dieses Scharnier wohl in nichts anderem bestehen als in der rückhaltlosen Bindung an Gott, der in Jesus Christus den Menschen erst recht auf seine Füße gestellt hat und damit seinen an den Menschen adressierten Willen kundgetan hat und kundtut. Für das reformatorische Freiheitsverständnis steht in besonderer Weise Luthers berühmte Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ (1520), in der er auf seine Weise die spezifische Dialektik des christlichen Freiheitsverständnisses und seine Gemeinschaftsverpflichtung darlegt. Barth geht von einer ganz und gar vergleichbaren Dialektik aus, auch wenn er dabei andere Akzente setzt: Frei ist unser Handeln ja nur insofern, als es unsere eigene, die von uns selbst gegebene Antwort ist auf das, was uns von Gott gesagt ist. Als Antwort ist sie gebunden. In dieser Bindung geschieht es als gutes Handeln. Also besteht sein Gutes auf alle Fälle in seiner Verantwortlichkeit. Verantwortliches Handeln ist gut, weil das göttliche Reden, weil Gott selbst gut ist.   Man kann es auch so sagen: der Mensch handelt gut, sofern er christlich handelt. Christlich heißt: als Einer, der weiß, daß Gott sich seiner in Jesus Christus angenommen, daß in Jesus Christus als dem ewigen Wort Gottes über ihn Beschluß gefaßt und daß er durch Jesus Christus als das in der Zeit gesprochene Wort Gottes in den Bund mit ihm gerufen ist. (607)

Das ist für Barth „die Summe und der Inbegriff der Theologischen Ethik“ (607), wobei die Anrede Gottes als „eine geschehende Wirklichkeit“ (609) zu verstehen ist, die im Vertrauen auf den Heiligen Geist immer wieder neu pünktlich und kontextuell zu vernehmen ist. Das Gebot ist Zusage der Liebe Gottes (821) und als solches als „ein Ereignis“ des Handelns Gottes mit dem Menschen zu verstehen (819).

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Die Betonung dieses Geschehens hat Barth zeitlebens zögerlich bleiben lassen, seine Ethik materialiter etwa vom Dekalog oder den neutestamentlichen Paränesen aus zu entwickeln. Bestenfalls hätte er sich wohl darauf verständigen können, dem ersten Gebot (Ex 20,2 f; Dtn 5,6 f) und dem Doppelgebot der Liebe (Mk 12,29–31 parr.) einen exponierten Rang einzuräumen. Vielmehr hat er sich etwa in seinen Ermutigungen zum Widerstand gegen den totalitären Nationalsozialismus darauf berufen, dass Christus vom Tode auferstanden sei, somit als der vom Tode schon wiedergekommene und bis heute wiederkommende lebendige Herr zur Rechten Gottes des Vaters sitze und als solcher bis heute nicht aufgehört hat zu sprechen (vgl. auch 630 f).89 So kann es pointiert heißen: „Nein, ‚es gibt‘ kein Gebot Gottes! Was ‚es gibt‘, das ist als solches nicht das Gebot Gottes. Sondern das ist der Sachverhalt: daß Gott sein Gebot gibt, sich selbst uns gibt zum Gebieter.“ (609) Es geht exakt um den Umgang mit dem Wort Gottes, der auch sonst über die Angemessenheit der Selbstwahrnehmung der Kirche entscheidet. In diesem Gefälle kann Barth zugespitzt formulieren, dass die „Sätze der christlichen Ethik […] Sätze der christlichen Dogmatik“ sind (670). Der Inhalt des Gebotes und somit der theologischen Ethik wird am umfassendsten in dem neutestamentlichen Begriff der Nachfolge annonciert (632). Er bezeichnet die gebotene und von Gott ermöglichte Form des Lebens im Rahmen des von Gott gestifteten und erfüllten Bundes mit seinem Volk (634 ff). Der Mensch ist „zum Partner des gnädigen Gottes bestimmt“, als welcher er als Ebenbild Gottes in seiner ganzen Verschiedenheit von Gott zu einem Spiegel bestimmt ist, in dem Gott sein Handeln wiedererkennen kann (639). Es kann auch ganz schlicht und konsequenzenreich heißen: „was Gott von uns und von allen Menschen will, ist dies, daß wir an Jesus Christus glauben sollen.“ (647) Das ist die Bindung, die uns „auf ihn verpflichtet und als Verpflichtung auf ihn uns frei macht.“ (677)90 Den gnädigen Charakter des Gebotes hebt Barth damit besonders hervor, daß es Erlaubnis ist: Gewährung einer ganz bestimmten Freiheit […] und eben darin unterscheidet es sich grundlegend und endgültig von allen anderen Geboten. […] Das Gebot Gottes setzt den Menschen in Freiheit. Das Gebot Gottes erlaubt. So und nicht anders gebietet es. […] Das Gebot Gottes wird uns, in welchem Gewand es uns auch begegne, seinem Grund und Inhalt entsprechend, immer auf einer bestimmten Linie in Freiheit setzen. Es wird den Menschen nicht zwingen, sondern es wird die Tore des Zwangs, unter dem er gelebt hat, sprengen. […] Es wird nicht an seine Angst, sondern an seinen Mut appellieren, und es wird ihm auch nicht Angst, sondern Mut einflößen. (650 f)

In der rechten Wahrnehmung der durch das Handeln Gottes konstituierten Wirklichkeit wird es so sein, dass der Mensch das Gebot „wirklich gerne tut“ (627, 89 Vgl. dazu Weinrich, Christus als Zeitgenosse. 90 Dazu besonders lesenswert die ausführliche Auslegung der Perikope vom reichen Jüngling, Mk 10,17– 31 parr., 681–701.

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„freudig“ (653), denn „Ihr seid nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade“ (Röm 6,14, 656). Nach Jak 1,2 ist der rechte Täter des Wortes „nur sein freier und freudiger Täter“ (659). Wo diese Dimension nicht präsent ist, hat sich die Reichweite des Eintretens Gottes für den Menschen diesem noch nicht ausreichend erschlossen. „Würden wir nicht frei gemacht, so wären wir überhaupt nicht Gegenstand der Erwählung Gottes. Denn die Erwählung Gottes ist als solche ein freies Erwählen zur Freiheit.“91 Theologisch gesprochen wäre dann wohl vor allem von einem dogmatischen und nicht einem ethischen Defizit zu sprechen, weil dem Licht der Offenbarung nicht ausreichend Aufmerksamkeit geschenkt wird. Wenn der Heidelberger Katechismus die Ethik auf die Ebene der Dankbarkeit stellt, wird genau dem Umstand Rechnung getragen, dass Gott es ist, der den Menschen in Lage versetzt, sein Leben als freie Entsprechung und Antwort auf seine Zuwendung zu gestalten (vgl. auch 457). Gewiss erhebt das Gebot auch Einspruch, weil es die Freiheit des Menschen schützt, derer er schnell verlustig gehen kann, wenn er auf andere Stimmen als das Wort Gottes hört, und so kann es sagen: laß das, weil das die Fortsetzung von Adams Sündenfall wäre, weil das der dir zugewendeten Gnade nicht entsprechen, sondern widersprechen würde, weil du das nur als der Gefangene tun müßtest, der du doch nicht bist, weil du, der Freie, dessen überhoben bist, das tun zu müssen: dadurch wirklich überhoben, daß du in Jesu Christi Auferstehung schon gerecht und herrlich gemacht, durch ihn gerade von dieser Möglichkeit, die da vor dir liegt, tatsächlich abgeschnitten bist! (652)

Indem die Gnade ebenso wie das Gebot für den Menschen einsteht, können sie als eine Erlaubnis und Ermutigung zu einer Freiheit verstanden werden, in der wir all die uns umstellenden Freiheitsangebote als Unterwerfungswerbung unter die Heteronomie erkennen und abweisen können (661; Gal 5,1). Die Sorge um sich selbst ist dem Menschen genommen, so dass er den Versprechungen all der Instrumente zur Bekämpfung seiner Angst kein Vertrauen mehr abzweigen muss. Es kann nicht überraschen, dass die theologische Ethik konsequent vom Glauben ausgeht. Sie ist selbst als Glaubensreflexion zu verstehen, die sich immer wieder neu am Worte Gottes vergewissert. Außerhalb des Glaubens, d. h. außerhalb des Wortes Gottes selbst müßten wir uns bestimmt immer entweder zur Rechten in irgend einem Zustand der Gesetzlichkeit: unter irgend einem Sollen, das kein Dürfen ist – oder zur Linken in irgend einem Zustand der Gesetzlosigkeit: in irgend einem Dürfen, das kein Sollen ist, entdecken. (671)

Weil das Gebot uns nicht in einem Ideal, sondern in Jesus Christus begegnet, wird hier die Frage entschieden, wen oder was der Mensch als Herrn bzw. Autorität über 91 Barth, Gespräche 1964–1968, 273.

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sich anerkennt. In diesem Zusammenhang zeigen sich einerseits die andauernde Brisanz des Fremdgötterverbots und andererseits die exponierte Bedeutung der Verantwortlichkeit für die theologische Ethik. Die Verantwortung lenkt die Aufmerksamkeit darauf, dass die ethischen Entscheidungen des Menschen möglichst adäquat den Entscheidungen Gottes über ihn entsprechen, so dass sie tatsächlich als eine Antwort auf das Handeln Gottes verstanden werden können (713 ff). Dabei wird immer wieder die von Barth unterstrichene Offenheit in den Fokus gerückt, mit der in jeder Situation neu zu hören und zu antworten ist. Diese „völlige Offenheit“ (720) ist der Ausdruck der lebendigen Beziehung, der gegenüber sich jeder Traditionalismus erst zu bewähren hat ebenso wie jeder Erneuerungseifer. Barths Sorge gilt der Pünktlichkeit des aktuellen und situationsbezogenen Hörens und Antwortens, die weder einfach durch Kontinuität noch durch unbedingte Veränderung eingelöst werden kann, sondern die uns je aktuell auf das lebendige Wort Gottes weist. Nur so kann die bleibende „Souveränität der göttlichen Entscheidung“ (722) gewahrt werden, die weder einfach der Regie noch dem Bestand menschlicher Verfügung überlassen werden darf. Das ist keine Absage an die Tradition, aber die von ihr bewahrte Wahrheit gilt es nicht einfach unverändert zu bewahren, sondern sie erweist sich erst dann als hilfreich, wenn sie sich in der je konkreten Situation bewährt. Wir haben uns nicht vor unserer Tradition zu verantworten, sondern sind dem lebendigen Wort Gottes gegenüber verantwortlich, das sich uns auch heute durch den Heiligen Geist erschließt. Wenn Barth die individuelle Verantwortung in den Rahmen der Gemeinschaft stellt, kann er im Sinne der angesprochenen Würdigung der allgemeinen Ethik auch ausdrücklich auf Kant verweisen (730 f). So sehr sich der Mensch gewiss von der ethischen Frage umgetrieben wissen mag, so wenig wird er mit ihr allein gelassen; weil ihm gesagt ist und immer wieder gesagt wird, was gut ist, hat seine Antwort auf diese Frage eine deutliche und je aktuelle Weisung, die alle Bereiche seines Lebens betrifft und nicht auf einen bestimmten Bereich begrenzt werden kann, jenseits dessen anderen Orientierungen der Vorrang eingeräumt werden dürfte. Jeder Rückzug in eine vermeintliche Neutralität könnte nur eine Distanzierung von dem wirklichkeitssetzenden Wort Gottes bedeuten, das auch da seine Weisung ergehen lässt, wo es sich nicht ausdrücklich als Gebot artikuliert. Es geht um lebendige Teilhabe an der Geschichte des göttlichen Gnadenbundes, in dem die Weisung ganz und gar an die wahrgenommene Gottesbeziehung des Menschen gebunden wird. „Der Herr im Vollzuge dieses seines Werkes ist selbst das Gebot Gottes.“ (787) Ein von diesem Handeln Gottes absehendes für sich stehendes Gebot findet sich nicht in der Bibel, und so kann es auch keine von der Erwählung an irgendeiner Stelle absehende theologische Ethik geben (755 ff). Barth bleibt konsequent auf der mit seiner Gotteslehre betretenen Linie, wenn er schließlich die Aufmerksamkeit auch noch auf Gott als den Richter lenkt und als „äußerste[n] Grenze der Gotteslehre“ (819) das Gericht thematisiert. Einerseits kommt damit neben dem orientierenden Charakter des Gebots gleichsam als dessen Rückseite sein urteilender – und d. h. unausweichlich sein verurteilen-

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der – Charakter in den Blick, und andererseits wird dieses Urteil ganz und gar in das Licht des barmherzigen Erwählungshandelns Gottes gestellt, so dass es nicht zu fürchten, sondern in der ihm vor Augen gerückten unendlichen Reichweite der Gnade und Liebe Gottes freudig zu erwarten ist (822 f). Gerade die am Kreuz deutlich werdende Härte des Gerichts verdeutlicht die Radikalität des Eintretens Gottes für den Menschen, das sich seiner annimmt ohne alle Beschönigungen. Erst dadurch, dass auch unsere tatsächliche Untreue Gott gegenüber offenbar gemacht wird, bekommt die Entschiedenheit der Gnade Gottes ihre besondere Unerschütterlichkeit, indem jede Möglichkeit einer Zurücknahme aufgrund eines übersehenen oder unterbewerteten Umstands ausgeschlossen wird. Bei allem Erschrecken über die im Gericht vor Augen gerückten Abgründe steht die Wahrnehmung dieser Abgründe ganz und gar im Dienst der rechten Erkenntnis der Barmherzigkeit Gottes und nicht etwa in deren Verunsicherung. Es geht nicht um unsere Selbsteinschätzung mit all ihren Entschuldigungen, mit denen wir meinen uns selbst beurteilen zu können und damit vorgeben, uns irgendwie rechtfertigen zu können, sondern um die Aufdeckung unseres wirklichen Verhältnisses zu Gott. Gottes Erwählungshandeln ist auf dieses wirkliche Verhältnis zu Gott ausgerichtet und nicht auf eine verharmloste Variante unserer Selbsteinschätzung, die vor allem darauf ausgerichtet ist, die Ausweglosigkeit unserer Sündenverfallenheit, d. h. der Selbsterhebungen und Selbstbehauptungen Gott gegenüber, zu leugnen. Das genau sind die allein christologisch ausweisbare Hoffnung auf das Gericht und der mit ihm verbundene Trost. Das ist der objektive Sinn unserer Rechtfertigung in Gottes Gericht: daß Gott sich durch unsere Sünde nicht hindern und aufhalten läßt auf seinem Wege, daß er uns gegenüber Recht behält: nicht nur im Gegensatz zu uns […] sondern in Gemeinschaft mit uns, und darum nicht nur in Form der Aufdeckung und Züchtigung unseres Unrechts, sondern in der Erledigung des Unrechts durch das Recht. Weil Gott nicht nur für sich, sondern in Gemeinschaft mit uns Recht haben und weil er das Unrecht nicht nur als solches offenbaren, sondern erledigen will, darum ist unser Freispruch im Gericht, ist die Vergebung unserer Sünde das letzte und entscheidende Wort, das das Gebot uns zu sagen hat […]. (845)

Der Schlüssel zu dieser Erkenntnis liegt wiederum in der Auferstehung Christi (848), in der sich die Gemeinschaft mit Gott als das Ziel des stellvertretend am Kreuz vollzogenen Gerichts über den in seiner Selbstbehauptung sich selbst an die Stelle Gottes stellenden Menschen, als das Zentrum und Wesen des Handelns Gottes offenbart. Das ist der zentrale Inhalt des christlichen Glaubens, um dessen Lebendigkeit wir in dem Gebet bitten „Veni Creator spiritus!“ (875)

&  Matheny, Dogmatics and Ethics

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3.5 Zusammenfassende und zuspitzende Thesen 1. Wenn Barth die Prädestinationslehre bzw. die Lehre von der Gnadenwahl, wie er bevorzugt zu sagen, in das Zentrum seiner Gotteslehre stellt, betritt er theologiegeschichtlich einen neuen Weg, auch wenn es in der augustinischen und der sich auf Augustin berufenden reformierten Tradition bereits eine besondere Hervorhebung des Motivs der Prädestination gegeben hat. Im Rahmen seiner christologisch orientierten Wort-Gottes-Theologie steht der von Ewigkeit her gefasste Erwählungsratschluss Gottes für das in seiner Freiheit gesetzte verlässliche Vorzeichen allen Handelns Gottes in seiner Geschichte mit dem Menschen. Dabei trägt er konsequent dem ursprünglichen Anliegen der Prädestinationslehre Rechnung, dass sie substanziell Gnadenlehre sein wollte, auch wenn sie sich nicht dazu in der Lage gesehen hat, angesichts des flagranten und selbstgefälligen Unglaubens den dunklen Schatten der Verwerfung abzuschütteln, so dass ihre Frohbotschaft immer auch mit einer Drohbotschaft einhergegangen ist. Es war der Blick in die von Gott bestimmte Geschichte, die auf einen doppelten Willen zu weisen schien, nach dem Gott nicht nur erwählt, sondern auch verwirft. Barth macht dieser Tradition nun zum Vorwurf, dass sie neben dem in Christus geoffenbarten Willen Gottes auch noch mit einem unbekannten verborgenen Willen Gottes rechne und sich damit – möglicherweise unter Berücksichtigung philosophischer Fragestellungen – auf einen abschüssigen Boden der Spekulation begeben habe, wodurch nicht zuletzt auch der in Christus erkennbare Wille Gottes eine schwerlich reparierbare Trübung hinzunehmen hatte. Der Wille Gottes spiegele sich nicht einfach in unserer menschlichen Geschichte, sondern sei allein in der Geschichte Jesu Christi erkennbar, so dass die menschliche Geschichte in ihr Licht zu stellen sei und nicht umkehrt zur Interpretationsoption für die Geschichte Christi usurpiert werden dürfe. Die von der zeitgenössischen Theologie weithin ganz und gar verabschiedete Erwählungslehre bekommt bei Barth die kaum zu überbietende Bedeutung des entscheidenden inhaltlichen Schlüssels zur Gotteslehre und somit seiner ganzen Theologie überhaupt. Die hier gewonnenen Einsichten benennen den Horizont, von dem alle theologischen Inhalte umfasst werden. Nicht weniger als die für den Glauben entscheidende Gewissheitsfrage steht für Barth hier zur Debatte. 2. Die geschichtliche Seite der mit der Erwählung vorgenommenen freien Selbstbestimmung Gottes tritt fundamental in der Stiftung, Begleitung, Erneuerung und Erfüllung des Bundes in Erscheinung. Es entspricht der Zentralstellung des Erwählungsmotivs, wenn Barths Theologie von einer durchgängigen bundestheologischen Grundierung bestimmt wird. Der Bund ist der geschichtliche Raum, der durch den ewigen Erwählungsratschluss Gottes einen ebenso verlässlichen wie orientierenden Wirklichkeitshorizont bekommt. So wie er für die Gnade und Barmherzigkeit Gottes steht, so ist er zugleich der Inbegriff der Treue Gottes, ohne welche dem Erwählungsmotiv seine Substanz entzogen wäre. Dem Erwählungswillen Gottes entspricht sein Bundeswille, so dass sachlich auch von einem ewigen Bund gesprochen werden kann.

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3. Im Rahmen seiner Wort-Gottes-Theologie hebt Barth pointiert hervor, dass allein in der Konzentration auf Jesus Christus als dem von Gott geoffenbarten Wort begründete und tragfähige Einsichten gewonnen werden können. In Christus gilt es nicht ein Wort Gottes zu entdecken und zu erkennen, sondern „das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben“ (Barmer Theologische Erklärung, These I). Barth hat nicht nachgelassen, immer wieder auf diese für ihn grundlegende Maxime hinzuweisen. Jedes Abweichen von der im Auge zu haltenden christologischen Konzentration führe unversehens zu unkontrollierbaren Spekulationen, wie sie durch die ganze Theologiegeschichte für die Prädestinationslehre zu beklagen seien, indem neben dem in Christus erkennbaren Gnadenwillen Gottes auch noch ein anderer Wille Gottes unterstellt wurde, auf den die Verwerfungen zurückzuführen seien, von denen scheinbar offenkundig ein großer Teil der Menschen betroffen und stigmatisiert sei. In Christus zeigt sich sowohl der erwählende Gott als auch der erwählte und verworfene Mensch, dessen Verwerfung durch die stellvertretende Erfüllung des Bundes hindurch in seiner Auferstehung darin überwunden wird, dass Gott im Kreuz den von der Untreue des Menschen angerichteten Schaden auf sich nimmt, so dass dem gottlosen Sünder die Verheißung des gnädigen Urteils Gottes gilt. 4. Dabei geht Barth mit der klassischen Prädestinationslehre von zwei Seiten der Erwählung aus, die er aber in eine grundsätzlich neue Perspektive rückt. Die Erwählung ist darin eine doppelte, als sich einerseits Gott selbst zur Gemeinschaft mit dem Menschen und andererseits den Menschen zur Gemeinschaft mit sich bestimmt. Im Rahmen dieser zweiten Seite der Erwählung kommt auch die in Christus überwundene Verwerfung des sich hochmütig vor Gott selbst rechtfertigenden Menschen in den Blick. Der sich in Christus zeigende Wille der Erwählung des Menschen tritt auch in der Überwindung dessen zutage, was Gott nicht will und somit verwirft, nämlich den sich auf sich selbst verlassenden sündigen Menschen, der selbst sein eigener Schöpfer zu sein beansprucht. Der sich durchsetzende Wille Gottes steht zugleich für die Überwindung dessen, was er nicht will. Sein Ja impliziert auch ein Nein, eben das Nein zur menschlichen Selbstbezogenheit und der mit ihr verbundenen verheerenden Selbstvergottung. Aber dieses in dem Ja zum Menschen enthaltende Nein und die von ihm identifizierten Missstände samt dem mit ihnen verbundenen Elend hat Gott um der Erwählung des Menschen willen für sich selbst erwählt, wie es uns im Kreuz Christi vor Augen gerückt wird. So bedeutet die sich in Christus vollziehende Erwählung und Verwerfung das von ihm annoncierte Ja mit dem vom ihm umfassten Nein für den hilflos in sich selbst verfangenen Menschen, seine bedingungslose Erwählung, seine Rechtfertigung und Heiligung in dem von Gott gestifteten Bund. Im Erwählen vollzieht Gott seine Barmherzigkeit, in dem Verwerfen seine Gerechtigkeit; beide lassen sich nicht auseinanderdividieren. So wie die in Christus als dem wahren Menschen offenbar werdende Erwählung für die Erwählung des Menschen steht, so übernimmt dieser umgekehrt die den Menschen treffende Verwerfung in seiner Selbsthingabe im Kreuz. So bleibt für den Menschen Gottes Erwählungsentschluss nicht in der Schwebe, sondern

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tritt als „Summe des Evangeliums“ in Erscheinung. Auch wenn das Ja Gottes ein Nein impliziert, bleibt die Gnadenwahl bedingungslose Zuwendung und bedeutet als solche nicht Auswahl. 5. Die bundestheologische Interpretation des erwählenden Handelns Gottes schließt konsequent jedes Missverständnis der Prädestination im Sinne eines ‚decretum absolutum‘ aus. Die Vorstellung der Determination eines bestimmten Zustands geht vollkommen an der Ausrichtung von Gottes Erwählung vorbei. Vielmehr verdeutlicht die Aufrichtung und Durchsetzung des Bundes, dass die Erwählung auf eine gegenseitige partnerschaftliche Beziehung zwischen Gott und Mensch setzt. Der Bund wird dabei als der der Erwählung entsprechende Freiheitsraum verstanden, in dem der Mensch auf die Zuwendung Gottes antwortet in dankbarer Entsprechung zu der ihm zu tragfähigem Grund unter seinen Füßen verhelfenden Anrede. 6. Zugleich schließt die Erwählung von vornherein die Gefahr der Selbstkompromittierung Gottes ein, die in dem in Kauf genommenen Risiko liegt, dass der Mensch die ihm verliehene Freiheit nicht für die Gestaltung seines Lebens im Beziehungshorizont des Bundes Gottes nutzt, sondern sie zur eigenwilligen Selbstbehauptung Gott gegenüber pervertiert und damit die Erwählungsabsicht Gottes brüskiert. Es ist nicht zuletzt ein Akt der Selbstrechtfertigung Gottes, wenn Gott mit seiner Erwählung sein Projekt nicht einfach der durchaus wahrscheinlichen Möglichkeit des Scheiterns aussetzt, sondern von vornherein selbst dafür einsteht, dass durch den fahrlässigen Leichtsinn des Menschen sein Erwählungswille nicht sein Ziel verfehlt. Damit wird unterstrichen, dass Gottes Selbststimmung zur Gnade und Barmherzigkeit essenziell zu seinem Wesen gehören, so dass niemals davon abgesehen werden kann, auch wenn möglicherweise alles Erleben dagegen zu sprechen scheint. Die in diesem Zusammenhang betonte Ewigkeit des Ratschlusses Gottes zielt vor allem auf die Einsicht, dass Gottes Ratschluss nicht aufhören wird, Ereignis zu sein. Wir haben es nicht mit einem starren vor der Zeit gefällten Entschluss zu tun, sondern mit der Qualität der spezifischen lebendigen Präsenz Gottes, die als solche ewig ist, weil Gott als Herr der Zeit auch in der Zeit ewig ist. 7. Eine folgenreiche Konsequenz aus Barths systematischer Priorisierung der Erwählungslehre ist die essenzielle Verbundenheit der Kirche mit Israel. Die eine Gemeinde besteht aus Israel und Kirche. Israel wird damit eine unüberspringbare ekklesiologische Bedeutung zugemessen. An der Treue Gottes gegenüber Israel hängt auch das Vertrauen auf Gottes Treue gegenüber der Kirche. Eine angemessene Bezeugung des ewigen Erwählungsratschlusses kann seitens der Kirche nur in der erkannten Verbundenheit mit Israel erfolgen, in der sie sich stets auch ihren eigenen Unglauben hinsichtlich der in Christus durchgesetzten Verwirklichung des Bundes einzugestehen haben wird. Noch weniger als Israel, das sich die Erwählung nicht aufgrund eines Verdienstes zugutehalten kann, werden sich die hinzuerwählten Heiden auf irgendwelche Vorzüge berufen können. Der Weg Gottes zu den Heiden über den Umstand einer zeitweiligen Verdunkelung der Erkenntnis des wohl größeren Teils Israels bleibt nach Barth vielmehr ein Geheimnis Gottes, dessen endzeitliche Auflösung allein in seinen Händen liegt. Weil die bleibende

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Erwählung Israels nicht in Frage gestellt werden kann, sieht Barth für die Kirchen keinen Anlass, dass sie vor der Auflösung dieses Geheimnisses mit eigenen auf eine Bekehrung ausgerichteten Missionsanstrengungen Gott und seinem Weg mit Israel zuvor- oder auch nur entgegenkommen sollten. 8. Indem Barth das Selbstverständnis der Kirche nicht zuletzt an ihre Verbundenheit mit dem nicht an Christus glaubenden Israel bindet, werden die Frage nach der Einheit der Kirche und somit ihre ökumenischen Ambitionen in einen folgereich veränderten Horizont versetzt. Wir werden hier an ein zentrales ökumenisches Anliegen Barths erinnert, mit dem er in den unterschiedlichen zeitgenössischen ökumenischen Anstrengungen der Kirche auf keine Resonanz gestoßen ist und dem in der Ökumene bis heute die sachlich gebotene Beachtung verweigert wird. Auf Erichs Geldbachs Option einer „Ökumene in Gegensätzen“92 könnte angesichts der Wahrnehmung Israels als Teil der einen Gemeinde Jesu Christi ein vollkommen neues Licht fallen, in dem die Qualität des Einheitsverständnisses nicht mehr von der Reichweite unserer Konsenswilligkeit abhängig gemacht wird, sondern an dem Handeln Gottes in Christus ausgerichtet wird. Zwar wird auch jetzt weithin von der Einheit als einer Gabe Gottes ausgegangen, aber der geschichtliche Zugang zu ihr bleibt von den von uns formulierten Erfordernissen abhängig, deren Einlösung den Weg zu ihrer konkreten Wahrnehmung erst ebnet. Es geht nicht um die Kompatibilität der unterschiedlichen Ekklesiologien, sondern um die Entschlossenheit und Klarheit des von der Kirche zu erwartenden Zeugnisses, das sich durchaus mit recht unterschiedlichen Ekklesiologien verträgt. Indem die Verbundenheit mit Israel zu diesem Zeugnis unbedingt hinzuzurechnen ist, wird deutlich, dass es in der Gemeinde um eine Gemeinschaft geht, die auch von den einzugestehenden Rissen nicht in Frage gestellt werden darf. Der Weite, der innerhalb der konkreten Einzelgemeinde Raum einzuräumen ist, gilt es auch zwischen den Kirchen Geltung zu verschaffen. Dass damit noch nicht die gemeinschaftsbildende Dimension der Kirche angemessen ausgeschöpft wird, wird von der auch zu lebenden Gemeinschaft mit Israel verdeutlicht, die neben ihrer spezifischen theologischen Begründung zugleich auch eine paradigmatische Bedeutung für eine christlich qualifizierte Gemeinschaft enthält. 9. So wie die Gotteslehre nicht Gott an und für sich, sondern Gott in seiner Beziehung zum Menschen thematisiert, wie sie uns in Jesus Christus vor Augen gerückt ist, hat sie neben der Erwählung des Menschen auch seine durch diese Erwählung gegebene Bestimmung zu bedenken. Durch seine Konstitution durch den für Gott wesenseigenen ebenso freien wie gnädigen Beziehungswillen wird der Mensch in dem ihm gestifteten Bund unter die Treue Gottes gestellt, in welcher Gott den Menschen nicht nur aufrichtet, sondern auch in seinem Leben orientiert. Dem mit der Erwählung eröffneten Beziehungsverhältnis zwischen Gott und Mensch entspricht eine Weisung, durch welche der Mensch in dem Bund auf die ihm zugewendete Beziehung Gottes seinerseits mit einer lebendigen Beziehung zu Gott zu 92 vgl. Geldbach, Ökumene in Gegensätzen.

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Theologische Perspektiven

antworten befähigt wird. Dem Evangelium der Erwählung entspricht ein Gebot der Erwählung, durch welches das Leben des Menschen geheiligt wird. So wie die Gotteslehre die Grundlage für eine differenzierte Betrachtung des Handelns Gottes als Schöpfer, Versöhner und Erlöser ist, so ist sie auch die Grundlage für aus den drei Seinsweisen Gottes resultierenden besonderen Weisungen. Barth führt konsequent Dogmatik und Ethik zusammen, indem er die Ethik nicht als eine selbständige Fragestellung versteht, sondern als die Entfaltung des ethischen Gehalts der Dogmatik. Dem dogmatischen Inhalt entspricht eine ihm adäquate Form für den auf diesen Inhalt bezogenen, im konkreten Leben wahrgenommenen Glauben. Die Ethik hat im unablässigen Kontakt zum Handeln Gottes am Menschen zu stehen; es geht um den Anspruch der mit diesem Handeln Gottes verbunden ist. Nur so kann gewährleistet werden, dass die Ethik im lebendigen Kontakt mit der lebendigen Beziehung Gottes zum Menschen bleibt. 10. Die Ethik kann nicht als ein Wertesystem oder durch einen moralischen Imperativ entfaltet werden, sondern hat der Offenheit zu entsprechen, in der Gottes Handeln am Menschen immer wieder neu Ereignis wird. Es könnte von einer Verantwortungsethik die Rede sein, wenn strikt im Blick bleibt, dass sie nicht auf eine überschaubare oder gar in kirchliche Verfügung genommene Tradition antwortet, sondern auf das des je neu zu hörende und somit seinerseits lebendige Wort Gottes. Sie vollzieht sich in der spezifischen Freiheit, zu welcher der Mensch immer wieder neu durch die lebendige Anrede des auferstandenen Christus ermächtigt wird. Es gibt kein manifestes Gebot, wohl aber gibt Gott sein Gebot. Dieses Gebot ermächtigt zur Nachfolge, zu welcher der Mensch durch Gott befreit wird und deshalb vom Menschen als eine Erlaubnis zu verstehen ist, der er gerne folgt. Ihr Fehlschlagen liegt nach Barth eher an einem dogmatischen Defizit, weil keine ausreichende Klarheit über das Eintreten Gottes für den Menschen erzielt wird, als an einer ethischen Undeutlichkeit des Gebots, das mit dieser Klarheit einhergeht. Es geht um die freie und als solche möglichst pünktliche Entsprechung zu der im Glauben erkannten und anerkannten Wirklichkeit. 11. Wenn Barth schließlich noch auf den richtenden Charakter des Gebots hinweist, wird auch das im Gericht zu erwartende Urteil in das Licht der Erwählungsperspektive seiner Gotteslehre gestellt, in dem es auch trotz oder gerade wegen der im Kreuz aufgedeckten Abgründe des eigenwilligen und gottlosen Menschen den ganzen Ernst und die atemberaubende Reichweite der Gnade und Barmherzigkeit Gottes erkennen und zugleich keinen Zweifel an der Gerechtigkeit Gottes aufkommen lässt. F rettlöh, „Das Ja vor jeder Frage“. &  Goebel, Vom freien Wählen Gottes und des Menschen. Grebe, Election, Atonement and the Holy Spirit.

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4. Schöpfung und Bund These

Die Schöpfungslehre bedenkt den Glauben an Gott den Schöpfer als den urgeschichtlichen Anfang der auf den Bund zielenden Geschichte Gottes mit dem Menschen, deren heilsames Drama in der Geschichte Jesu Christi in seiner ganzen Substanz und Reichweite offenbar wird. Die Schöpfung steht im Zeichen der Ermöglichung der Geschichte des Bundes, so wie der Bund zugleich als die der ewigen Erwählung entsprechende Voraussetzung der Schöpfung zu verstehen ist. Eben daran bemisst sich ihre Wirklichkeit und Tauglichkeit, die als Wohltat in Erscheinung tritt. Die Perspektive wird von der göttlichen Erfüllung des Bundes getragen, durch welche sowohl dem Geschöpf als auch dem Schöpferwillen Gottes ihre Rechtfertigung zuteilwird. Die Selbsterkenntnis des Geschöpfs erwächst aus der Wahrnehmung seiner Bezogenheit auf den Schöpfer. In seiner gnädigen Befristung lebt der Mensch im Horizont einer von der Ewigkeit Gottes qualifizierten Zeit. – Als Schöpfer steht Gott nicht nur für den geschichtlichen Anfang seiner Schöpfung, sondern er bleibt darin der Schöpfer, dass er diese auch erhält, begleitet und regiert, auch wenn sich dies nicht einfach identifizieren lässt, sondern vom Glauben im Spiegel der Geschichte Jesu und der Gegenwart des Auferstandenen immer wieder neu zu bekennen ist. Dieses Bekenntnis steht jeder Eigenmächtigkeit des Bösen entgegen und animiert zu einem beziehungsreichen freien Leben, das zu einer eigenständigen Partnerschaft mit Gott und dem Mitmenschen bestimmt ist.

Bevor wir zu Barth kommen, ist es in diesem Kapitel sinnvoll, ein wenig Anlauf zu nehmen, weil die Rede von der Schöpfung sich einer erstaunlichen Allgemeinheit erfreut, die weit über den Bereich der christlichen Gemeinde hinausgeht. Auf den ersten Blick treffen wir mit der Schöpfung auf ein Thema, zu dem es einen unmittelbaren allgemeinen Zugang gibt, auf den alle Menschen angesprochen werden können. Wir alle sind ein Teil von ihr, werden von ihr umgeben, getragen und im allerdings keineswegs generalisierbaren Normalfall auch erhalten. Sie ist die Grundlage unseres Lebens und wird zugleich durch das besinnungslose Wirtschaften des Menschen bedroht. Bei einem solchen Zugang wird allerdings übersehen, dass die Rede von der Schöpfung ihre fundamentale Pointe in der Voraussetzung eines Schöpfers hat. Ohne einen Schöpfer bleibt die Schöpfung schlicht Natur. Es wird einzugestehen sein, dass in den meisten Fällen, in denen heute von Schöpfung gesprochen wird, die Natur gemeint ist, deren komplexe Zusammenhänge mit dem Begriff Schöpfung belegt werden. Die Rede von der Schöpfung verleiht der Natur einen gewissen spirituellen Nimbus, der Verweis auf einen Schöpfer ist dagegen mehr und mehr in den Hintergrund getreten. Die Natur kann uns faszinieren, begeistern oder auch bedrängen. Wir können sie erforschen und zu verstehen versuchen. Vieles glauben wir in den Naturwissenschaften bereits verstanden zu haben, aber es hat sich gezeigt, dass alle neuen

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Erkenntnisse auch neue Rätsel aufgeben, so dass mit dem durchaus rasant wachsenden Erkenntnisgewinn mindestens im gleichen Maße auch die Fragen anwachsen, zu denen wir noch keine Antworten anbieten können. Die Ausdehnung unseres Wissens bringt unentwegt eine Verlängerung der Grenze zum Nichtwissen mit sich. Das kann durchaus als ein Teil des Faszinosums der Natur verstanden werden. Bei nüchterner Betrachtung kommen wir der Antwort auf eine Welterklärung bestenfalls nur in dem Maße näher, wie wir uns gleichzeitig von ihr entfernen, weil spätestens nach den folgenreichen Einsichten der Relativitätstheorie nicht einmal die Perspektiven als ausgemacht gelten können, aus denen sich wirklich belastbare und generalisierbare Aussagen machen lassen. Es gibt zudem für unser Leben entscheidende Fragen, auf die von der noch so differenzierten Betrachtung der Natur keine Antworten zu erwarten stehen. Das sind die Fragen jenseits der Physik (und den Neurowissenschaften), die in der Philosophie traditionell in der Metaphysik erörtert wurden. Sie können zusammengefasst werden in der Frage nach dem Ganzen. Was macht die Welt zur Welt? Hat sie eine Bestimmung oder gar ein Ziel, gibt es einen sie tragenden Grund? Die Naturwissenschaften können darauf keine Antwort geben, und die philosophischen Naturalisten empfehlen ein von den Naturwissenschaften orientiertes Arrangement mit diesem unüberwindbaren Defizit und verkünden recht kühn – und möglicherweise von der allgemeinen selbstzufriedenen Fraglosigkeit ein wenig übersättigt – das Ende der Metaphysik. Mit der Verabschiedung der Metaphysik erübrigt sich auch die philosophische Auseinandersetzung mit der Gottesfrage, was der Logiker und Wissenschaftstheoretiker Holm Tetens als den Verlust eines wesentlichen Fragehorizontes beklagt, der bisher die Philosophie – in Abgrenzung gegenüber der Theologie oder deren gänzlicher Abweisung – in einem essenziellen Kontakt mit den existenziellen Fragen des Menschen gehalten hat.93 Der Anspruch auf Wirklichkeit richtet sich auf mehr als nur den schlichten Rekurs auf die zufällige Konstellation der Vorfindlichkeit. Erst durch die Identifikation und Interpretation dessen, was der Fall zu sein scheint, kann sich eine aussagekräftige Vorstellung von Wirklichkeit entwickeln, und es wird sehr darauf ankommen, an welchen Orientierungen sich diese Interpretation ausrichtet. Auf der Ebene dieser allgemeinen Betrachtung stellt die ausdrückliche Rede von der Schöpfung eine Auskunft über einen Schöpfer bzw. ein schöpferisches Prinzip oder eine Bestimmung unserer Wirklichkeit in Aussicht. Es erhebt sich die Frage, auf welche Weise sie zu dieser Auskunft kommt bzw. was sie zu dieser Auskunft ermächtigt. Da lassen sich grundsätzlich drei Wege denken: 1. Die Schöpfung gibt selbst zu erkennen, was oder wer ihr Schöpfer ist, 2. der Schöpfer ist Gegenstand einer mehr oder weniger ausgewiesenen Spekulation oder 3. der Schöpfer tritt von sich aus in Erscheinung, indem sich seine Transzendenz auf einem eigenen Weg in unserer Wirklichkeit annonciert. Der erste Weg ist seit dem 19. Jahrhundert der populärste, der heute in pseudowissenschaftlicher Manier auch vom Kreationismus 93 Tetens, Gott denken.

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propagiert wird. Er appelliert an eine sich gleichsam aufdrängende Konsequenz, die sich aus einer so oder so gearteten Betrachtung des faszinierenden Reichtums des unergründlichen Geheimnisses der Natur ergibt, das nicht einfach als ein Zufall einer willenlosen Naturgesetzlichkeit angesehen werden kann. Der zweite ist der philosophisch-metaphysische. In der Einsicht, dass sich die Vernunft nicht einfach sich selbst verdankt, appelliert er mit einer möglichst stimmigen Hypothese von einem tragfähigen Wirklichkeitszusammenhang an die Vernunft, sich dieser Hypothese solange zu unterstellen, bis sich möglicherweise eine überzeugendere Hypothese benennen lässt. Der dritte Weg ist der theologische. Er beruft sich auf eine Selbstmitteilung Gottes (Offenbarung), in der auch sein Schöpfersein evident wird, und verweist damit auf den Orientierungshorizont eines die Welt gleichsam zusammenhaltenden Glaubens. Natürlich wird Barth diesem dritten Weg zuzuordnen sein. Aber allein damit kann noch keineswegs als ausreichend geklärt gelten, durch welche besonderen Orientierungen er der Theologie ihren besonderen Weg gewiesen sieht. Wir werden weder aus dem Blick verlieren dürfen, was nach Barth unter Offenbarung zu verstehen ist (vgl. Kap. IV.1.4), noch seine inhaltliche Fundamentalbestimmung der Gotteslehre durch die von und in Christus vollzogene Gnadenwahl (vgl. Kap. IV.3). Und zugleich wird sich Barths Feststellung bestätigen, dass mit der Gnadenwahl als dem Vorzeichen bzw. Schlüssel zu allen anderen theologischen Aussagen noch nicht Alles gesagt ist, sondern dass es zu dem besonderen Handeln Gottes als Vater, Sohn und Heiliger Geist bzw. als Schöpfer, Versöhner und Erlöser mehr zu sagen gibt als nur eine sich immer wieder bestätigende Erinnerung an die ewige Gnadenwahl (KD II/2, 86). In seiner Schöpfungslehre thematisiert Barth eine bestimmte Hinsicht des Verstehens des Glaubens, wie er im christlichen Glaubensbekenntnis artikuliert wird. Pointiert heißt es: Die Lehre von der Schöpfung ist nicht weniger als der ganze übrige Inhalt des christlichen Bekenntnisses Glaubensartikel, d. h. die Wiedergabe einer Erkenntnis, die kein Mensch jemals sich selbst verschafft hat noch verschaffen wird – die ihm weder angeboren noch auf dem Wege der Wahrnehmung und des verknüpfenden Denkens zugänglich ist – für die er kein Organ und keine Fähigkeit besitzt, sondern die er ganz allein im Glauben faktisch vollziehen kann, im Glauben aber, d. h. im Empfang und in Beantwortung des göttlichen Selbstzeugnisses faktisch vollzieht. (KD III/1, 1 f)

Damit weist Barth in aller Deutlichkeit die Möglichkeit zurück, dass es zum christlichen Schöpfungsverständnis gleichsam einen natürlichen, allen Menschen vertrauten Zugang gibt. Vielmehr ergibt sich dieses aus dem Glauben an Jesus Christus im Nachdenken über das in ihm erkennbare Weltverhältnis Gottes wie es im biblischen Zeugnis erkennbar wird. Es geht hier, wie auch sonst in der Theologie, um Glaubensreflexion und nicht um die Thematisierung unserer Welterfahrung bzw. unserer Weltwahrnehmung. Der Blick ist auf den vom Glaubensbekenntnis bezeugten

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Gott zu richten, wie er sich in Christus geoffenbart hat. Die von ihm ausgehende Bestimmung und die von ihm zu wahrzunehmende Begleitung der Welt gilt es zu bedenken und zu verstehen (Schöpfungs- und Vorsehungslehre). Damit ist deutlich, dass weder eine Welterklärung oder eine Weltanschauung noch gar eine vertiefende Naturbetrachtung hier in Frage kommen können, sondern es ist nach der Grundlegung der Welt im Willen Gottes zu fragen und nach dem Menschen als dem Geschöpf Gottes, das Gott sich zum Partner in seinem Bund erwählt hat. Diese Präzisierung der Fragestellung verdeutlicht, dass weniger die Schöpfung erörtert wird als vielmehr die Wahrnehmung Gottes als Schöpfer der Welt im Verhältnis zu der von ihm bestimmten Wirklichkeit. Die folgenden Erörterungen beginnen mit der Identifikation des spezifischen Entdeckungszusammenhangs, in dem in christlicher Perspektive Gott als Schöpfer wahrgenommen wird (vgl. Kap. IV.4.1). Indem Gott mit seiner Schöpfung eine bestimmte Absicht verbindet, macht Barth im sachlichen Anschluss an seine Erwählungslehre auf eine bestimmte Linie im schöpferischen Handeln Gottes aufmerksam, auf der von vornherein die Schöpfung und der Gnadenbund Gottes genuin miteinander verbunden sind. Auch das Geschehen der Schöpfung selbst wird von vornherein als Geschichte präsentiert, für deren Vollzug sie als die geeignete Bühne ausgestattet wird und deren urgeschichtlichen Anfang sie darstellt (vgl. Kap. 4.2). Für die Bestimmung des Menschen als Geschöpf und Ebenbild Gottes wird es fundamental sowohl auf die Wahrnehmung seiner wesentlichen Unterschiedenheit vom Schöpfer als auch seiner substanziellen Beziehung zu seinem Schöpfer ankommen. Differenz und Beziehung erhalten ihre hoffnungsvolle Ausrichtung in der Erörterung des Verhältnisses von Zeit und Ewigkeit, ohne welches die Zeit als unüberbietbare Instanz unweigerlich dem Tod das letzte und somit entscheidende Wort einräumen müsste (vgl. Kap. 4.3). Zudem gilt es zu beachten, dass der Schöpfer nicht nur für den Anfang der Geschichte steht, die er dann den Händen des Menschen anvertraut, um sich selbst aus ihr zurückzuziehen. Gott lässt seine Schöpfung nicht los und begleitet sie mit seiner lebendigen Gegenwart, so dass – obwohl die Theologie diesem Aspekt spätestens seit den Katastrophen der beiden Weltkriege beinahe vollständig den Rücken gekehrt hat – auch in spezifischer Weise von einen Handeln Gottes in der Geschichte zu sprechen ist, wobei eben der Wahrnehmung des Bösen in der Geschichte im Licht der Präsenz Gottes eine besondere Aufmerksamkeit zukommt (vgl. Kap. 4.4). Schließlich geht es in der Schöpfungslehre nicht nur um den Schöpfer und seine Präsenz in der Schöpfung, sondern auch um die vitale Bestimmung seines Geschöpfs, so dass mit der Wahrnehmung des Schöpfers und seines gegenwärtigen Handelns auch die besondere Weisung an den Menschen zu bedenken ist, die Barth als Schöpfungsethik konsequent von der den Menschen anvertrauten Freiheit aus konzipiert (vgl. Kap. 4.5).

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4.1 Gott als Schöpfer 4.1.1 Der sekundäre Charakter der Erkenntnis des Schöpfers

Wenn die Schöpfung ihren Schlüssel in ihrem Schöpfer hat, stellt sich die Frage: Wer ist dieser Schöpfer? Wenn zudem die Schöpfung nicht der Ort ist, an dem sich ihr Schöpfer antreffen lässt, bleibt zu fragen: Wo ist er zu suchen bzw. wo betritt er gleichsam die Szene? Barth hebt hervor, dass in der jüdischen ebenso wie in der christlichen Tradition die Schöpfung nicht der eigentliche Entdeckungshorizont Gottes ist. Gott tritt nicht als die Antwort auf die Frage nach dem letzten Grund oder dem Ursprung des Seins auf den Plan, so dass der Erstbegegnungsort nicht auf der Ebene einer Metaphysik zu suchen ist. Damit rückt Barth die Schöpfungslehre von vornherein ausdrücklich von allen Welterklärungsversuchen ebenso wie von allen weltanschaulichen Ambitionen ab. Die Naturwissenschaften und die Philosophie, die diesen Fragen möglicherweise nachgehen mögen, empfindet er nicht als Konkurrenz, aber eben auch nicht als einen Gesprächspartner, von dem es für die Theologie besonders zu würdigende Einsichten zu erwarten geben könnte. Der Streit über einen sich ausschließenden Gegensatz zwischen Schöpfung oder Evolution, wie er als fundamentale Weltanschauungskontroverse das 19. Jahrhundert bewegt hat, was in manchen Gemütern bis heute teilweise obskure Nachwirkungen zeitigt und nach wie vor die entscheidende Drehschraube des aktuellen weltanschaulichen ‚neuen‘ Atheismus ausmacht, interessiert Barth nicht, weil er vollkommen an den Fragestellungen vorbeigeht, die für die Theologie maßgebend sind. Barth sieht unter ausdrücklicher Anerkennung und Würdigung des naturwissenschaftlichen Erforschens der Natur die Theologie in eine grundsätzlich andere Blickrichtung als die Naturwissenschaften gewiesen. Der so umworbene Dialog mit den Naturwissenschaften hat nach seiner Wahrnehmung keinen gemeinsamen Gegenstand, wenn man einmal von den durchaus bedeutsamen ethischen Fragestellungen absieht. Aber in der Ethik werden die Naturwissenschaftler nicht auf die Naturwissenschaften, sondern auf ihre gesellschaftliche Verantwortung hin angesprochen, so dass auch hier kein Dialog mit den Naturwissenschaften, sondern mit Naturwissenschaftlern und Naturwissenschaftlerinnen über die ethischen Implikationen ihrer Profession zu führen ist.94 Die Schöpfung und der Schöpfer sind nicht der Entdeckungshorizont christlicher Gotteserkenntnis. Dieser ist vielmehr in dem Befreiungshandeln Gottes zu suchen, mit dem Gott sein Volk aus der Sklaverei befreit. Hier tritt Gott in Erscheinung und gibt sich als der Gott zu erkennen, der bereits mit Abraham, Isaak und Jakob war. Er ist der eine und einzige Gottes Israels und als solcher der Vater Jesu Christi. Dieser geschichtsmächtige Gott rückt gleichsam unversehens und konsequent in alle Positionen ein, die in der religionsgeschichtlichen Umwelt Israels von Göttern 94 Vgl. dazu Link, Die theologischen Entscheidungen der Schöpfungslehre Karl Barths, 156 ff; Schellong, Hinweise zum Verständnis von Barths Schöpfungslehre.

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gehalten wurden, und stellt sie in ein neues Licht, indem er entweder selbst in veränderter Gestalt ihre Rolle übernimmt oder die Welt darüber aufklärt, dass viele vermeintliche Posten tatsächlich aber unbesetzt sind und deshalb schlicht profanisiert werden müssen. Und so ist der eine und einzige Gott auch der Herr der Welt und eben auch ihr Schöpfer und Erhalter. Der Gott, der sich in seiner Gnade an Israel als mächtig erwiesen hat, ist auch der Schöpfer von Himmel und Erde. „Eben das Subjekt und der Herr der späteren Geschichte, der lebendig zu den Seinen redende Gott war schon der Schöpfer, er und also kein stummes Schicksal, keine irrationale Lebenskraft, kein unfreier Naturdrang.“ (122) Der Schöpfer ist der Gott, von dem wir immer schon herkommen, weil er uns bereits in seine Geschichte mit Israel und in Jesus Christus hineingestellt hat. Gott kommt in der jüdisch-christlichen Tradition nicht von der Schöpfung aus in den Blick. Er ist nicht zuerst der Schöpfer, dem wir dann auch unsere Geschichte und unser Geschick anvertrauen dürfen, sondern er erreicht uns in dem Geschehen seiner besonderen Geschichte mit dem Menschen, die in Jesus Christus ihren definitiven Erschließungshorizont hat. Gott ist der ‚Immanuel‘, der seinen Bund stiftet und erfüllt und darin seiner freien Selbstbestimmung entspricht. Barth spricht von der Bundesgeschichte als der ‚eigentlichen Geschichte‘ (KD III/1, 64) in der Koexistenz von Gott und Mensch, die eben auch die freie Koexistenz von Schöpfer und Geschöpf ist. Es ist gleichsam eine innere sachliche Notwendigkeit des Bekenntnisses zu diesem einen Gott des Bundes, dass er zugleich der Herr der ganzen Wirklichkeit ist und als solcher für ihre Bestimmung sowie für ihr Ziel steht. Die Schöpfungstheologie antwortet nicht auf die Frage, ‚wie‘ die Welt entstanden ist, sondern fragt nach dem Anfang der Geschichte, in der Gott seine Barmherzigkeit in seiner befreienden Zuwendung zum Menschen erwiesen hat, und bedenkt damit verbunden den spezifischen Charakter von Gottes Bestimmung und Begleitung der Welt. Gegenüber dem ursprünglichen Entdeckungshorizont der Gotteserkenntnis ist die Schöpfung sekundär. Der Anfang der Bibel entspricht nicht dem Anfang der Begegnung mit Gott, sondern er reflektiert im Horizont der gegenwärtig lebendig erfahrenen Geschichte auf ihren Anfang. Metaphorisch gesprochen liegt sachlich der Sinai bzw. der Horeb (Ex 3) vor dem Paradies, und das Paradies liegt in der Konsequenz des Sinais als die Reflexion der am Sinai offenbaren Geschichte auf ihren Anfang. Es geht in der Schöpfung also tatsächlich um den Anfang, aber dieser steht sachlich nicht am Anfang. In der Geschichte wird der Blick auf die Vorgeschichte gelenkt und dann konsequent auf ihren Anfang, wie es feierlich vom ersten Wort der Bibel (Gen 1,1) annonciert wird. Als Vorgeschichte ist sie nicht eine Geschichte vor der Bundesgeschichte, sondern selbst ein Teil von dieser. Barth spricht hier von „Urgeschichte“ (98), die sich darin auszeichnet, dass sie ihrerseits keine weitere Vorgeschichte hat und somit auch nicht als Historie verstanden werden kann. Sie geht als solche nicht der Geschichte voraus als ein „ewiges Urheberverhältnis Gottes zu einer gleich ihm ewigen Welt“ (73), sondern sie vollzieht sich in der Zeit als ihr geschichtlicher Anfang, wie es von der betont zeitlich struktu-

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rierten ersten Schöpfungserzählung eindrucksvoll ins Bewusstsein eingeschrieben wird. Die Schöpfung wird in eben die Zeit hineingestellt, in der die Kreatur ihre Geschichte erlebt (144 f). 4.1.2 Urgeschichte als reine Sage

Im Horizont der angedeuteten theologischen Ableitung, in welcher Gott gleichsam erst auf den zweiten Blick als Schöpfer wahrzunehmen ist, bezeichnet Barth die biblischen Schöpfungsgeschichten als Sagen. Unter einer Sage versteht er „ein divinatorisch-dichterisch entworfenes Bild einer konkret einmaligen, zeitlich-räumlich beschränkten praehistorischen Geschichtswirklichkeit“ (88). Eine historische Erhellung kann hier nicht in Frage kommen, weil es um eine die kreatürlichen Grenzen überschreitende Erkenntnis geht. Barth hebt für das Verstehen des biblischen Zeugnisses hervor, dass die auf historische Erkenntnis ausgerichtete Aufmerksamkeit grundsätzlich an dem vorbeigeht, worauf es den Texten gerade ankomme. Wenn die unmittelbare oder auch nur mittelbare Beteiligung Gottes an irgendeinem Ereignis oder Geschehen ins Blickfeld gerückt wird, kommt die historische Auskunft mit ihren diesseitsbegrenzten Plausibilitätsoptionen nicht an die Wirklichkeit heran, von der hier die Rede sein soll. Es kann also gar nicht verwundern, dass die Bibel unablässig über die Grenzen des Historischen hinausgeht und im Modus der Sage redet, was aber ihre Rede gerade nicht weniger wirklich macht, sondern im Gegenteil überhaupt erst mit der Wirklichkeit in Kontakt bringt, deren Bezeugung ihr so grundlegend am Herzen liegt. Hier ist zu bemerken, daß man sich […] die Vorstellung abgewöhnen muß, als ob die Bibel nur dann das wahre Wort Gottes rede, wenn sie historisch rede. […] man versuchte […] aus der Bibel einen historischen „Kern“ herauszuschälen, in welchem man dann das wahre, nämlich eben das historische Wort Gottes in der Hand zu halten meinte – wobei einem nur leider das Unglück widerfuhr, daß man gerade mit den ausgeschiedenen Sagen keiner Nebensache, sondern ausgerechnet der Hauptsache des biblischen Zeugnisses völlig verlustig ging. Man muß sich klar machen, daß die […] vorausgesetzte Gleichung zwischen Wort Gottes und historischem Bericht ein unerlaubtes Postulat ist, das selber durchaus nicht aus der Bibel, sondern eben aus jener leidigen modern-abendländischen Denkgewohnheit stammt, nach der die Wirklichkeit einer Geschichte damit stehen und fallen würde, daß sie Historie ist. Als diese Denkgewohnheit (am Ende des 17. Jahrhunderts) aufkam und sich durchsetzte, da begann der aufsteigende theologische Liberalismus sich um eine historisch bereinigte Bibel zu bemühen und da versteifte sich die absteigende theologische Orthodoxie auf die Theorie, daß die Bibel lauter Historie enthalte und so in ihrer Gesamtheit das Wort Gottes sei. Dieser Liberalismus und diese Orthodoxie sind Kinder desselben schwachen Geistes, und es lohnt sich nicht, ihre Wege weiter zu gehen. […] Es ist wirklich nicht diese Grenze, an der sich entscheidet, daß sie Gottes Offenbarung ist und daß man ihr Glauben zu schenken hat. Daß sie in ihren historischen und in ihren unhistorischen sagenhaften Bestandteilen – und gerade in diesen! – in jenen bestimmt nur im Zusammenhang mit diesen! – die Geschichte

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der großen Taten Gottes als die wirkliche Geschichte bezeugt und daß dieses ihr Zeugnis durch die Kraft des Heiliges Geistes vernommen und aufgenommen wird, darin vollzieht sich die Entscheidung über ihren Offenbarungscharakter, die Bestätigung ihrer Wirklichkeit als Gottes Wort. (89)

Was für die Bibel insgesamt gilt, hat für die Schöpfungsgeschichten zugespitzte Bedeutung, denn in ihnen finden sich im Unterschied zu den meisten anderen biblischen Texten naturgemäß überhaupt keine historischen Spuren, weil es keinen menschlichen Zeugen für das hier bedachte Geschehen gibt. Insofern spricht Barth von reiner Sage (89, 98) im Sinne der benannten divinatorischen Dichtung. Divination heißt: die Schau des der historischen Geschichte vorangehenden geschichtlichen Werdens, das sich aus dem Gewordenen, in welchem sich die historische Geschichte abspielt, erraten läßt. Und Dichtung heißt: Die sprachliche Gestalt dieser erratenden Schau und also des erratend Geschauten geschichtlichen Werdens. [Pointiert heißt es dann:] Sie blickt genau dorthin, wo, von der Historie her gesehen, alles dunkel ist und von woher doch in Wirklichkeit gerade die Historie allein hell werden und sein kann. Sie blickt auf das eigentlich begründende und bewegende Geschehen hinter dem Tagesaspekt der Geschichte, wo sie doch nicht weniger Geschichte ist als in diesem Teilaspekt, wo sie vielmehr ihre Quelle hat und insofern in potenziertem Sinn Geschichte ist. Sie blickt in die verborgene Tiefe der Zeit, die auch schon in dieser Tiefe Zeit, die gerade in dieser Tiefe wirkliche Zeit ist. Sie blickt im wörtlichsten Sinn auf die „radikale“ Geschichtszeit. (90; vgl. 100 ff)

Gerade um diesen Überschuss der Geschichte gegenüber der Historie geht es den biblischen Geschichten, weshalb sie sich nicht der Allgemeinheit des Historischen unterwerfen lassen, sondern von der Besonderheit der Geschichte, die eben die Geschichte Gottes mit den Menschen ist, verstanden werden wollen. Und genau auf das Anheben dieser Geschichte kommt es den Schöpfungsgeschichten an, die allerdings ebenfalls zutiefst missverstanden würden, wollte man sie als einen Schöpfungsmythus verstehen, dessen Bilderwelt dann doch wieder auf irgendeine „Sicht und Auflösung des Welträtsels“ (93) führt. Die Schöpfungssagen setzen an die Stelle eines mythisch ausgemalten zeitlosen Urstandes die wirkliche Urzeit (98) und damit die Urgeschichte. Sie weichen angesichts der einzuräumenden Dunkelheit nicht augenzwinkernd auf ein geschichtsloses Bild aus, sondern verlängern gleichsam erratend das aus den Erfahrungen mit Gott bekannte Geschichtsbild bis in den historisch unzugänglichen Anfang: Ihre Wahrheit ist […] identisch mit dem von ihr gebotenen Geschichtsbild, dessen Tiefe nur darin zu suchen ist, daß es als erstes Glied in einer ganzen Reihe von weiteren Geschichtsbildern steht, das aber in keiner Weise eine ungeschichtliche Wirklichkeit abbildet und meint, das vielmehr nur in seiner eigenen – und in deren Zusammenhang mit der ganzen ihm folgenden Geschichtlichkeit ewige Wahrheit ist. (94)

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Barth kann auch von „heiliger Sage“ (101) sprechen, denn ihre Narration ist auf Gott konzentriert, der als Schöpfer einerseits die Voraussetzungen für die Geschichte konstituiert, für die er sich im Entschluss seiner Gnadenwahl selbst bestimmt hat, und andererseits dem Menschen als seinem Geschöpf eine Freiheit zumisst, die ohne seinen Gnadenentschluss der Schöpfung von vornherein das Risiko ihres Scheiterns und damit auch seines eigenen Scheiterns als Schöpfer implantiert hätte. Gott wird als der Schöpfer thematisiert, und auf diese Weise wird der Glaube auf den Anfang und die Bestimmung der Geschichte aufmerksam, in die wir uns auch heute hineingestellt erkennen dürfen. 4.2 Schöpfung und Bund Die Schöpfungstheologie steht von vornherein in einem größeren Zusammenhang, durch den sie in eine spezifische Perspektive blickt. Wenn Gottes barmherziges Befreiungshandeln in Ägypten den Entdeckungshorizont Gottes identifiziert, dann unterstreicht das Ausziehen der Linie dieser besonderen Geschichte Gottes mit dem Menschen bis hin zu ihrem nicht hintergehbaren Anfang, dass sich Gott mit seinem Bund nicht einer ihn gleichsam von außen begegnenden Angelegenheit annimmt. Vielmehr wird durch den Umstand, dass es sich bei dem zum Bundespartner erhobenen Menschen um sein eigenes Geschöpf handelt, in unüberbietbarer Weise unterstrichen, dass es sich bei seinem Gegenüber um das „Werk seines eigenen Willens und Vollbringens“ (105) handelt. Es gibt schlechterdings keinen äußeren Grund, den dieser Bund hätte, der nicht selbst schon von eben dem Gott gelegt wäre, der sich hier dem Menschen verbündet. Es gibt keine Existenz des Geschöpfs, in der dieses ursprünglich anderswohin gehörte als in dieses Bündnis. (105)

4.2.1 Die Schöpfung als Voraussetzung des Bundes

Vom Bund als dem besonderen Ort der Selbstvorstellung Gottes aus betrachtet (Ex 3) rückt die Schöpfung ganz und gar in den Horizont der Ermöglichung dieses Bundes, so dass Barth sie als den äußeren Grund des Bundes bezeichnet (KD III/1, § 41.2). Der Schöpfer hat seine Schöpfung auf diesen Bund ausgerichtet. Sie ist nicht selbst der Bund, aber die „technische Ermöglichung, die Bereitstellung und Ausstattung des Raumes, in welchem die Begründung und Geschichte des Bundes sich abspielen“ (107) wird. Sie verleiht dem Bund seine äußere Kraft, indem „das Geschöpf kraft seines Daseins und Soseins dazu bestimmt ist, zubereitet und ausgerüstet ist, Partner des Bundes zu sein“ (106). Und pointiert heißt es weiter: „Es gibt keine Eigentümlichkeit des Menschen und der Welt, die nicht als solche eben auf diesen Bund hinzielte.“ (106) Es ist dieser Aspekt der geradezu planmäßigen Ausstattung bis hin zum nach dem Bilde Gottes als Mann und Frau geschaffenen Menschen, welche die erste Schöpfungsgeschichte der Bibel (Gen 1,1–2,4a) eindrucksvoll vor Augen

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rückt. Sie hat ihr Ziel nicht im Menschen, sondern in dem Ereignis der „Sabbatfreiheit, Sabbatfeier und Sabbatfreude Gottes“ (108), an dem teilzunehmen der Mensch geschaffen ist, so dass die Schöpfungsgeschichte gleichsam bis an den Bund heranreicht als den Ausgangspunkt für die dann folgende Geschichte. Der mythischen Urflut und der auf ihr liegenden Finsternis tritt gleichsam als dem Nichts (119) ohne jede Würdigung die Schöpfungstat Gottes als deren Verneinung und Verwerfung entgegen (117), so dass – auch wenn das Motiv in diesem Zusammenhang nicht ausdrücklich im Spiel ist – durchaus von einer creatio ex nihilo gesprochen werden kann. Dass Gott schuf, indem er sprach, unterstreicht einerseits die Unabhängigkeit der Schöpfung von einer ihr vorauslaufenden Materie und weist zugleich die Vorstellung zurück, dass die Schöpfung als eine „Emanation göttlichen Wesens“ (122) und somit ihrerseits als göttlich verstanden werden könnte. Und er spricht das Wort, das, bevor es gesprochen wird, in ihm selber und so eben er selber ist – Barth sieht hier mit den Kirchenvätern eine Anspielung auf das Geheimnis der Trinität (128). Die Urflut trägt nichts zur Schöpfung bei; die Schöpfung kommt allein aus dem Wort Gottes, wie es uns in Christus vor Augen gerückt ist.95 Indem die Schöpfung damit anhebt, dass Gott es hell werden lässt und mit Tag und Nacht der Zeit ein verlässliches Maß gibt, wird sie von ihrem ersten Anfang an von der gnädigen Zuwendung Gottes und der mit ihr für alles Geschaffene verbundenen Verheißung geprägt, was dann durch die nachfolgenden Schöpfungswerke konsequent bestätigt wird. Indem auch die Finsternis einen Namen bekommt, wird die von ihr ausgehende Bedrohung zwar nicht eliminiert, wohl aber gründlich geschwächt, denn „der Schöpfer des Lichtes ist auch der Herr der Finsternis“ (141). Auch wenn von Gott nur das Licht gutgeheißen wird (Gen1,3), wird auch der Bedrohung der Finsternis durch diesen signifikanten ersten Anfang der Schöpfung eine deutliche Grenze gesetzt. Die hier gesetzte – und dann am vierten Schöpfungstag weiter strukturierte – Zeit bleibt unmittelbar verbunden mit der Ewigkeit Gottes (145), so dass sie auch von vornherein in einem essenziellen Kontakt mit der eschatologischen Hoffnung steht, nach welcher die Nacht mit ihrer Finsternis nicht mehr sein wird. Schon das Anheben der Schöpfung bestimmt die Zeit als „Hoffnungszeit“ (147), indem sie bereits einen hoffnungsvollen Bogen zur Endzeit als ihrem Ziel erahnen lässt. Nach der Bestimmung der Zeit für das Leben geht es am zweiten Schöpfungstag um den Raum und am dritten um seine Ausstattung zum Leben. Der Raum wird ebenfalls konstituiert durch Gottes ordnendes Trennen, Scheiden und Platzanweisen, indem das Chaos einem Kosmos Platz machen muss und deshalb an die Ränder verdrängt wird und von dort aus im Spiegel des Gegensatzes die Wohltat der Schöpfung (§ 42.1) durch den gnädigen Gott in besonderer Weise hervorhebt und erkennen lehrt. Die „Depotenzierung des Chaos“ (150) bedeutet ebenfalls keine gänzliche Eliminierung, sondern das an den Rand verwiesene Chaos bleibt nach dem Willen Gottes dem Raum so wie die Finsternis dem Licht (und damit der Zeit) 95 Vgl. Tanner, Creation and providence, 120.

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als die für die Schöpfung charakteristische Grenze gesetzt (155, 163), innerhalb derer sie sich als Geschöpf essenziell vom Schöpfer unterscheidet. Die Schöpfung ist als Werk Gottes selbst nicht göttlich. Auf diesen für die erste Schöpfungsgeschichte charakteristischen Aspekt legt Barth ein besonderes sachliches Gewicht, weil damit unterstrichen wird, dass Gottes Beziehung zu seiner Schöpfung nicht nur eine der unendlichen Möglichkeiten seiner Selbstbeziehung darstellt. Die Schöpfung wird als eine Gott gegenüberstehende nichtgöttliche Wirklichkeit verstanden, die sich zugleich ganz und gar der Gnade Gottes verdankt, in der er sie aus dem Nichts des Chaos durch sein Wort gleichsam herausgerufen hat. So sehr das Kreatürliche für den Willen und die Absicht Gottes steht, so steht es zugleich für die wesentliche Begrenzung, durch welche sich die Schöpfung von Gott unterscheidet. Es hat aber das Land das Meer – durch die Erschaffung der Erde an seinen Ort verwiesen – neben sich als geschöpfliches Zeichen […] der vorhandenen, aber auch abgewehrten Drohung der Wirklichkeit, die durch Gottes Zorn herrschen könnte und nun, durch Gottes Güte, eben nicht herrschen, sondern eben nur drohen darf und in ihrer Weise wiederum den Herrn loben und denen, die ihn lieben, zum Besten dienen muß. Dieses gnädige Nein muß gehört werden und gehört bleiben und darum laut sein in der Geschöpfwelt, wenn Gottes Ja verstanden, wenn es in ihr dereinst in Gottes Offenbarung zur Erkenntnis des Herrn kommen soll. Daß es laut sei, dafür sorgt im unteren Kosmos die Existenz des Ozeans in seiner Affinität zu der von Gott verworfenen, vergangenen Chaoswirklichkeit, als vorhandene und nun doch nicht herrschende, sondern zurückgedrängte und zurückgehaltene Macht, als vorhandene, aber doch schon abgewehrte Drohung am Rande der Geschöpfwelt. Dazu ist auch er von Gott geschaffen. Weil Gottes Gnadenbund der Sinn dieser Welt, weil Gottes freie Barmherzigkeit, sein überlegenes Helfen, Erretten, Befreien seine Absicht mit seinem Geschöpf ist, darum muß die Geschöpfwelt diesen Rand haben. Von der Existenz dieses Randes her wird es ja sichtbar, wie gefährdet das Geschöpf und daß ihm Barmherzigkeit, Hilfe, Errettung, Befreiung von Nöten ist. Wobei doch das Andere noch viel wichtiger ist: daß Barmherzigkeit, Hilfe, Errettung, Befreiung dem gefährdeten Geschöpf wirklich schon mit seiner Schöpfung vom Schöpfer zugesagt und also sicher sind. (159)

Die Schöpfung ist darauf ausgerichtet, dass sie und insbesondere der Mensch im Gegenüber zu Gott auch selbst ihr eigenes geschöpfliches Subjekt sind. Als irdisches Subjekt soll sich der Mensch an der von Gott bestimmten Geschichte aktiv beteiligen (181). Dazu wird durch das Werk des vierten Schöpfungstages – unter auffälligem Verzicht auf die andernorts üblichen, in eigenen Kulten zu pflegenden Überhöhungen (184 f) – die nötige und auch hinreichende Orientierung am Himmel installiert, die den Menschen dazu befähigt, „als Geschöpf mit Gott eine Geschichte zu haben“ (182). Damit wird eine weitere bedeutsame Voraussetzung für eine wirkliche Bundespartnerschaft geschaffen (176). Noch deutlicher weist am fünften Schöpfungstag der den Wassertieren und Vögeln gewidmete Segen über den Umstand ihrer Kreatürlichkeit hinaus auf eine Bestimmung, die Barth ebenfalls zeichenhaft auf die mit der Aufrichtung des Bundes intendierte Geschichte

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Theologische Perspektiven

bezieht. So wie die Gestirne als Gegenzeichen zur Finsternis zu verstehen sind, so sind auch die gewissermaßen wie die Gestirne auf ihre Weise entmythologisierten Wassertiere und Vögel (192 f) Gegenzeichen für die sonst von ihrem vom Menschen als Grenze erfahrenen Lebensraum (die unermessliche Weite des Himmels und die abgründige Tiefe des Meeres) ausgehende Bedrohung (190 f). Deutlicher als die Verweise aller anderen Schöpfungswerke Gottes auf den mit der Schöpfung avisierten Bund ist die mit dem sechsten Schöpfungstat erzählte Erschaffung des Menschen (vgl. Kap. IV.4.3), deren singuläre Auszeichnung darin besteht, dass Gott ihn nicht zum Bilde seiner selbst, sondern nach, d. h. entsprechend seinem eigenen Bild von sich selbst (zelem Urbild bzw. demut Vorbild) schafft (222). Eine bildhafte Vergegenständlichung Gottes kann hier ebenso wenig in Frage kommen wie eine ontologische Bestimmung des Menschen, sondern es kann sich nur um eine Entsprechung in der Beziehungsrelation handeln. Gott spricht von sich selbst im Plural und auch der Mensch (Singular!) wird geschaffen, indem zwei geschaffen werden, Mann und Frau, die in einer besonderen Verbundenheit und Beziehung aufeinander gewiesen sind und eben nur zusammen als ‚der‘ Mensch anzusehen sind. Der einsame Mensch wäre nicht der nach dem Bilde Gottes geschaffene Mensch (330). Das hier in Frage kommende Verständnis des Bildes hat sowohl im Blick auf Gott als auch auf den Menschen das Bilderverbot zu wahren. Gott abzubilden ist darum ein absurdes Unternehmen, weil die Erschaffung seines Bildes nicht nur am Anfang sein eigenes Werk, und zwar das höchste unter allen seinen Schöpfungswerken war, sondern weil auch seine Wiederholung und Bestätigung für alle Zeiten Gottes eigenes Werk bleibt und als solches prinzipiell nicht menschliches Werk werden kann. Gottes Ebenbild und also des Menschen Gottebenbildlichkeit wird sichtbar in Gottes Handeln in Israel und also in dessen Geschichte, aber gerade hier offenbar nur als die alle ihre Ereignisse begleitende und tragende Hoffnung, als das Ziel, dem sie in allen ihren Etappen entgegeneilt, so daß es auch hier als Gegenstand menschlich fixierender Nachbildung irgend einer einzelnen konkreten Gestalt nicht in Frage kommen kann. (225 f)

Es geht um eine „analogia relationis“, die grundsätzlich nur gottursprünglich und somit niemals menschlicher Besitz sein kann (226). Die Schaffung und die Einsetzung des Menschen in seine exponierte und zugleich die Differenz von Schöpfer und Geschöpf wahrende Rolle, für die er als Ebenbild Gottes befähigt und ermächtigt ist, blicken zurück auf den Anfang und die Voraussetzungen einer Geschichte, die dann unversehens durch den vom Menschen mit Gott angezettelten Konflikt geprägt sein wird. In seinem Bund wird die Treue Gottes angezeigt, in welcher er infolge seiner Gnadenwahl mit der Schöpfung gleichsam die Bühne schafft und wohlbedacht ausstattet, um der Geschichte der ins Auge gefassten Partnerschaft sowohl einen aussichtsreichen Anfang als auch eine in jeder Hinsicht verheißungsvolle Perspektive zu geben. Um für Gott zu einem Partner im Bunde werden zu können, bedarf der Mensch seinerseits eines Partners, der ihm sowohl gleich als auch verschieden ist (331). Wenn Gott am sechsten Schöpfungstat im Blick auf den

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Menschen dem ganzen Schöpfungswerk attestiert, dass es „sehr gut“ war, so fasst Barth konkret zusammen: „Es war geeignet zu dem, was Gott mit ihm vorhatte, geeignet zum äußeren Grund seines Gnadenbundes.“ (240) Mit der Schaffung des Menschen ist die Schöpfung zwar abgeschlossen, aber noch nicht vollendet. Dieser Vollendung ist der siebte Schöpfungstag gewidmet, an dem nichts Weiteres mehr geschaffen wird. Sie besteht lediglich in ihrer Feststellung, dass keine weiteren Schöpfungswerke zu erwarten sind. Und sie besteht in dem feiernden Ausruhen Gottes im Angesicht des vollendeten Werkes. Gott für seinen Teil ist erst einmal am Ziel seiner Unternehmung. Aber er überlässt nun nicht – wie die Deisten sagen – sein Werk sich selbst und zieht sich zurück, sondern er „koexistiert“ in seiner Feier mit der von ihm geschaffenen Welt und gibt ihr darin ihre Vollendung. „Gott hat sich ihr von Anfang an zu eigen gegeben und hat sie sich eben damit von Anfang an zu eigen gemacht.“ (254) Er erklärt sich „dem zugehörig, was er so ganz verschieden von sich selbst geschaffen hatte.“ (245) In des Menschen Verwirklichung hatte die ganze Schöpfung ihre Spitze und ihren Sinn bekommen. Indem der Mensch verwirklicht vor ihm stand, hielt Gott an in seinem Schöpfungswerk, machte er Halt an jener Grenze, ließ er sich genügen an dem, was er geschaffen hatte, hatte er den Gegenstand seiner Liebe gefunden. So war es als direktes und eigentliches Gegenüber Gottes der Mensch in seiner wahren Menschheit, dem Gott sich in seiner wahren Gottheit jetzt zugesellte. So ist die Bundesgeschichte real begründet in diesem Ereignis des siebenten Tages der Schöpfungswoche. So hat sie an diesem Tag schon heimlich begonnen. (245)

Es geht insofern um das „Werk aller Werke“ (244), als sich Gott selbst mit seinem Werk verbunden hält. Erstaunlicherweise spricht hier Barth sogar von einer „Weltimmanenz Gottes“, wohl gemerkt nicht in dem Sinne, dass Gott selbst ein Teil seiner Schöpfung sei. Er identifiziert sich aber doch soweit mit ihr, dass er, wie sich in der Fleischwerdung des Wortes zeigt, nicht davor zurücksteht, in einer Hülle ihrer Gestalt in Erscheinung zu treten. Auch für den Menschen steht der siebte Schöpfungstag für die ihn tragende und orientierende Koexistenz des Geschöpfs mit seinem Schöpfer, an der er gleich an seinem ersten Tag (258) teilzunehmen eingeladen ist. Bevor und ohne daß er gearbeitet und gekämpft hat, gänzlich ohne sein Verdienst, wird er eingeladen, von allem eigenen Tun abzusehen und abzustehen, zu ruhen und also in Übereinstimmung mit Gottes eigenem Verhalten frei, feiernd und freudig bei sich selbst zu sein. […] Was ihm übrig bleibt, ist also wirklich Gottes Gnade allein. Indem sie dem Menschen zugewendet ist, beginnt die Geschichte des Menschen mit Gott. […] Sie beginnt mit dem Evangelium und nicht mit dem Gesetz. […] Daß Gott am siebenten Tag ruhte und daß er diesen Tag segnete und heiligte, das ist die erste göttliche Aktion, deren Zeuge der Mensch werden darf, und daß er selber gänzlich werklos mit Gott Sabbat halten darf, das ist das erste Wort, das ihm gesagt, die erste Bindung, die ihm auferlegt wird. Daß die Geschichte des Bundes, die hier anfängt, die Geschichte des göttlichen Gnadenbundes sein wird, darü-

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ber ist nun ein für allemal entschieden. […] Die Geschöpflichkeit und also die Schöpfung ist der äußere Grund des Gnadenbundes, in welchem Gottes Liebe zum Menschen ihrer Erfüllung entgegengeht. (247 f)

Die Vollendung besteht darin, dass das fertiggestellte Werk als geeignetes seiner Bestimmung übergeben wird, d. h. der aneinander Genüge habenden Koexistenz zwischen Schöpfer und Geschöpf. Das erzählt die Sage als einen eigenen Schöpfungstag, an dem sich der Schöpfer zu seinem Werk positioniert. Nicht „der Mensch, wohl aber Gottes Ruhen am siebenten Tag ist die Krone der Schöpfung“ (252). Nicht in seinem Schaffen hat Gott den Menschen zu seinem Nachfolger gemacht, wohl aber in seinem Ruhen, das sich an dem Geschaffenen und dem göttlichen Gegenüber zu diesem Geschaffenen Genüge sein lässt (254 f). So wie Gott selbst nicht in seiner Arbeit aufgeht, soll auch der Mensch nicht in seiner Arbeit aufgehen, um auch wieder frei zu sein für dies wunderbare Selbstzeugnis Gottes (255). 4.2.2 Der Bund als Voraussetzung der Schöpfung

So wie Barth die erste Schöpfungssage unmittelbar bis an den Gnadenbund heranreichen sieht, indem sie ganz im Zeichen der Bereitstellung der Voraussetzungen für diesen Bund steht, so hebt er, durch die zweite Schöpfungssage (Gen 2,4b–25) angeregt, auch das umgekehrte Voraussetzungsverhältnis hervor, in dem der Bund als die Voraussetzung der Schöpfung zu betrachten ist: Der Bund als innerer Grund der Schöpfung (§ 41.3). Beide Perspektiven gehören zusammen, ohne dass sich aus beiden einfach ein Ganzes machen ließe. Vielmehr hat jede Perspektive das Ganze vor Augen und insofern nehmen sie auch dasselbe in den Blick, aber sie nähern sich der mitzuteilenden Botschaft durch einen ganz anderen Zugang. Die Schöpfung weist nicht nur über sich hinaus auf die mit ihr einhergehende Verheißung des Bundes, sondern sie ist selbst bereits eine Vorabbildung und Vorwegnahme des Bundes, ohne mit ihm identisch zu sein (262). Neben der prophetischen Sage steht die Sage, die von der Schöpfung als einem Sakrament, als einem geheimnisvollen Zeichen des Bundes spricht, indem sie in ihrer Verknüpfung mit der anschließenden Sündenfallsgeschichte „unmittelbar auf den Beginn der Geschichte des Bundes zwischen Gott und Mensch“ (264) zielt. In der zweiten Schöpfungssage wird der Mensch ganz und gar auf den Erdboden gestellt, aus dem er gemacht ist. Seiner Natur nach verdient er keine besondere Hochachtung. Wie das Tier ist er ein von Gott beseeltes Staubgebilde, das zum Staub zurückkehren wird. Im Unterschied zum Tier verdankt sich der Mensch der persönlichen Belebung durch den Atem Gottes und somit seiner besonderen Erwählung, durch die er mit seiner Arbeit und seinem Dienst zum Zeichen der Zukunft der Schöpfung bestimmt wird. In seiner Niedrigkeit wird der Mensch durch die Barmherzigkeit Gottes erhöht. Der Mensch, der da zur Erlösung der Erde von Trockenheit, Unfruchtbarkeit und Tod in die Aufmerksamkeit gerückt wird, verweist als Verwirklichung der Hoffnung Israels in christlicher Wahrnehmung auf Jesus.

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Er ist der Mensch, dessen Zuversicht und Hoffnung Gott allein, aber nun wirklich Gott gewesen ist, der eben darum für Alle, für ganz Israel, für die ganze Menschheit, ja für den ganzen Kosmos ist, was er ist: in tiefster Demut und Gottesfurcht, völlig hingegeben an das kreatürliche, menschliche, israelitische Los und gerade so entscheidend erhoben und herrschend über alle Kreatur. (271)

Der Mensch ist von der Erde und für die Erde allein aufgerichtet von Gott, der ihn aus Erde gemacht hat (277) und auf dessen immer wieder neue Zuwendung er angewiesen bleibt (280). Jenseits des Vertrauens auf Gott droht ihm Gefahr, so dass Gott ihn fürsorglich und nicht versuchend vor dem Genuss der Früchte des Baumes der Erkenntnis des Guten und Bösen mit seinem Verbot schützt, weil der Mensch mit dem ihm von dort zuwachsenden Wissen seinem eigenen Urteil mehr vertrauen wird als der gerade ausgeschlagenen Weisung Gottes. Durch die Usurpation seines an die Stelle des Gottvertrauens gesetzten Selbstvertrauens wird sich sein Lebensprozess unweigerlich in einen Todesprozess verwandeln (295), weil das Geschöpf im Unterschied zu seinem Schöpfer mit der Rolle des Richters prinzipiell überfordert ist (298). Die von dem Baum in die Aufmerksamkeit gerückte Gefahr wird unmittelbar mit dem Tod in Verbindung gebracht, weil die Missachtung der Warnung den Menschen „automatisch von dem entfernt, bei dem die Quelle des Lebens ist“ (328). Weil der Mensch sich nicht selbst zur Quelle des Lebens werden kann, kann die Abwendung von der Quelle des Lebens nur zum Verlust des Lebens führen. In seiner Unnahbarkeit steht der Baum nicht für die Versuchung des Menschen und ein Spiel mit dem Feuer, sondern gleichsam als fürsorgliche Mahnung für das Festhalten des Menschen an dem ihm in der Gemeinschaft mit Gott gegebenen Leben und der dieses Leben auszeichnenden Freiheit, der Leben erhaltenden besonderen Zuständigkeit Gottes ausdrücklich zuzustimmen, um so dann auch an der Verwirklichung des Willens Gottes ausdrücklich beteiligt zu werden. Es geht um die Freiheit, in dem von Gott zum Heil bereitgestellten Bund auf die erhebende Zuwendung Gottes mit einer eigenen und entschlossenen Bestätigung vonseiten des Menschen zu antworten. Nicht die verderbliche Gottähnlichkeit eigener Erkenntnis des Guten und Bösen, sondern die in Freiheit zu betätigende Gemeinschaft mit dem Gott, der das Gute gewollt, das Böse verworfen hat, was das wirklich Lockende und Einladende, war die nicht nur offene, sondern zum Eingang bestimmte Türe im Paradies. Es konnte der Baum der Erkenntnis dem Menschen erst damit zur Gefahr werden, daß dieser ihm in einer Freiheit gegenübertrat, die er sich im Mißbrauch der ihm gegebenen Freiheit genommen hatte. (304)

Die mit dem Baum angezeigte als tödlich ausgewiesene Gefahr besteht in der Hybris des Versuches, das von Gott in seiner Barmherzigkeit angezeigte Gebot durch eigenes Gebieten und somit die von Gott installierte und gesicherte Gerechtigkeit durch eine eigene menschliche Gerechtigkeit ersetzen zu wollen (310). Diese Schöpfungssage erinnert angesichts des Umstandes, dass es genau zu dieser Ersetzung gekommen ist, daran, dass die hier in Erscheinung tretende Eigenwilligkeit

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des Menschen nicht dem Bund entspricht, zu dessen Ermöglichung die Schöpfung ihre besondere Bestimmung hat. Barth versteht die zweite Schöpfungssage insgesamt als ein Bild, in dem sich durchgängig der zwar nicht von Israel, wohl aber von Gott durchgehaltene, weitergeführte und schließlich in Christus an sein Ziel gebrachte Gnadenbund reflektiert. Und so erscheint der Bund nach dem Zeugnis der beiden Schöpfungssagen einerseits als das Ziel einer auf ihn verweisenden Schöpfung und andererseits als die der Gnadenwahl Gottes entsprechende Voraussetzung eines durch keine geschichtlichen Gebrochenheitserfahrungen diskreditierbaren Schöpfungsglaubens, nach dem es Gott in seiner Schöpfung an nichts hat fehlen lassen, das es von seiner Seite aus für die Verwirklichung seines Bundeswillens dem erwählten Menschen zur Verfügung zu stellen galt. So wie der Bund der Schöpfung als seiner äußeren Ermöglichung so bedarf auch die Schöpfung ihrer inneren Bestimmung. So wie ohne Bund nicht angemessen von der Schöpfung geredet werden kann, so bleibt auch die Wahrnehmung des Bundes auf die Rechenschaft über den von Gott initiierten Anfang der menschlichen Geschichte angewiesen, damit er nicht als ein zufälliges Kontingenzereignis eines im Übrigen im Dunklen bleibenden Willens Gottes missverstanden werden kann. 4.2.3 Schöpfung als Wirklichkeit

Es ist dieser von Barth exponierte Zusammenhang von Schöpfung und Bund, der schließlich auch eine weltanschauliche Dimension enthält, auch wenn die christliche Schöpfungslehre einen anderen Gegenstand als die Lehren der Weltanschauungen hat (390) und deshalb grundsätzlich von ihnen unterschieden werden muss (392–394). Zumindest wird eine Auseinandersetzung mit Weltwahrnehmungen möglich, wie sie vor allem aus philosophischen Perspektiven vorgetragen werden. Wenn Barth dabei das Ja Gottes zu seiner Schöpfung hervorhebt, bleibt er weit entfernt von jeder verklärenden Naturromantik und jedem Geschichtsoptimismus. Vielmehr gilt dieses Ja gerade einer hinsichtlich der Natur und der Geschichte entschieden ernüchterten Weltwahrnehmung, die ohne eine Sakralisierung oder Heiligung bestimmter Orte oder Zusammenhänge auskommt, indem es sich an der Bestimmung des Geschaffenen zum Bund mit dem Schöpfer orientiert und allein von da aus ihre Tauglichkeit erörtert. Barth greift für seine Diskussion der Gegenüberstellung von Schöpfungsbekenntnis und Weltanschauung exemplarische Konzepte heraus, die er für die unterschiedlichen Formen des neuzeitlichen Wirklichkeitsverhältnisses als besonders signifikant bewertet: Schopenhauer, Descartes und Leibnitz. Dabei wird die Argumentation nicht von apologetischen Motiven getrieben, die das besondere Lösungspotenzial oder gar die Überlegenheit einer am Glauben orientierten Wahrnehmung ins Fenster stellen, sondern vielmehr von der keineswegs einfach zu bestreitenden Plausibilität der auch uns betreffenden Sympathie für diese Weltwahrnehmungen, zu denen wir uns durch unser Glaubensbekenntnis allerdings dazu herausgefordert finden sollten, unser Verhältnis zu ihnen neu zu überdenken. Kein sich schnell ermüdendes und ebenso schnell bedeutungsloses Weltanschauungsgerangel mit immer

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bereits feststehendem Sieger wird da von Barth inszeniert, sondern er verfolgt in der Auseinandersetzung mit den philosophischen Konzepten die konkrete Reichweite der Wirklichkeitsrelevanz des zuvor bedachten Glaubens an den Schöpfer, der mit seiner Schöpfung für den von ihm gewollten und verwirklichten Bund einsteht. Wenn Barth betont, dass die Schöpfung als solche Wohltat sei, bleibt zu beachten, dass nicht alles einfach als Schöpfung angesehen werden kann, sondern eben nur das, was Gott geschaffen hat, indem er es herausgerufen hat aus dem Chaos und damit das Chaos an die Ränder des Herausgerufenen verwiesen hat (§ 42.1). Schöpfung ist Verwirklichung (§ 42.2), d. h. sie konstituiert die Wirklichkeit. Und so heißt es knapp und überaus bedeutungsvoll: „Nur Gottes Geschöpf ist wirklich außer Gott.“ (379) Wenn nur das, was Gott geschaffen hat, das Wirkliche ist, bleibt nach dem biblischen Schöpfungsverständnis einzuräumen, dass es auch etwas gibt, das als solches allerdings nicht beanspruchen kann, als wirklich angesehen zu werden – Barth nennt es den „Bereich des Nicht-Wirklichen“ (379). Dazu gehören vor allem das Böse oder auch alle Vorstellungen von einem Widersacher Gottes. Wenn diese als nicht-wirklich angesehen werden, soll keineswegs deren Existenz bestritten werden, wohl aber deren tatsächliche Geltung für das, was sich schließlich als Wirklichkeit ausweisen wird. Es wird noch zu zeigen sein, dass mit dieser theologisch bedeutsamen Zurücksetzung keineswegs – wie Barth immer wieder vorgeworfen wurde – das Böse bagatellisiert wird (vgl. Kap. IV.4.4.4). Für ein angemessenes Verständnis von Schöpfung kann aber dem Bösen in keinem Fall eine Bedeutung zugemessen werden, denn es hat keine göttliche Bestimmung und ist damit bei aller noch zu erörternden Realität von den Konstitutionsmomenten der von Gott geschaffenen Wirklichkeit ausgeschlossen. Indem der Bund die Bestimmung der Schöpfung erschließt, kann sie wie dieser nur als Wohltat verstanden werden. Darin liegt gerade die entscheidende Brisanz des Schöpfungsglaubens, ohne welche er sein markantes Profil verlieren und uninteressant werden würde. Ohne die in dem Bund wahrzunehmende Bestimmung der Schöpfung kann weder dem Fatalismus von Marcion (um 85–160) noch dem durchaus ausgewiesenen Pessimismus Schopenhauers begründet widersprochen werden (388 f). Ebenso bleibt im Verweis auf die für den Bund verwirklichte Wirklichkeit der Schöpfung der prinzipiellen Skepsis von Descartes entgegenzutreten, nach der am Ende allein der Mensch, der sich zumindest an die Möglichkeit seines Zweifels halten darf, zum Konstrukteur seiner eigenen Wirklichkeit in Frage kommen kann. Die Schöpfungslehre stellt dem entgegen: Nicht die Erkenntnis konstituiert die Wirklichkeit, sondern die vom Glauben anerkannte Wirklichkeit die Erkenntnis (399); andernfalls bliebe Gott und die ganze Wirklichkeit dazu verdammt, eine Idee des Menschen zu sein (411 ff). Indem die Schöpfung konsequent in die spezifische Beleuchtung des Bundes gestellt wird, ist auch der so überaus verständlichen Klage über die abgründige Ambivalenz unserer Erfahrungen und damit der Theodizeefrage zu begegnen. Der Bund und die ihn besiegelnde Geschichte Jesu Christi verdeutlichen, dass die Schöpfung nicht der neutrale Schau- und auch Kampfplatz einer sich im Ange-

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sicht Gottes vollziehenden in diese oder jene Richtung zielenden Geschichte ist, in der sich sowohl der Mensch und am Ende auch gar Gott zu rechtfertigen hätten, sondern sie sind die Rechtfertigung des Menschen und damit auch Gottes als des Schöpfers (§ 42.3). Es ist nicht so, wie Gottfried Wilhelm Leibnitz und Christian Wolff vorschlagen, dass es das Böse sei, welches das Gute erst zum Guten mache, so dass eine Art gegenseitiger Abhängigkeit oder gar Harmonie zwischen beiden einzuräumen sei, aus denen sich schließlich ihr Optimismus der Weltwahrnehmung ableitet. Dieser indirekten Heiligsprechung des Bösen und der damit verbundenen Verharmlosung des Leids bleibt theologisch zu widerstehen, weil sie Gott gleichsam zu einem moralischen Hasardeur macht, der in seinem Optimismus ein wenig weltfremd auf die moralische Einsicht des Menschen setzt. Die Welt wird in diesem Fall teilnahmslos wie ein „Panoptikum“ (473) betrachtet, in der sich der Mensch gleichsam neben einen die Welt betrachtenden Gott stellt, um ihm alle möglicherweise noch zu bestehenden Sorgen auszureden. Theologisch werden dagegen die mit Schöpfung und Bund gefallenen und verwirklichten Entscheidungen geltend gemacht, was einerseits dazu führen kann, dass sich die Theodizee­frage noch einmal in potenzierter Gestalt stellt, oder andererseits zu dem der Erfahrung entgegenzusetzenden Bekenntnis, dass Gott ihrem Einwand bereits die Substanz entzogen habe. Der damit angeschlagene Ton wäre aber vollkommen missverstanden, wenn er im Sinne einer Ermäßigung oder gar Leugnung der Widergöttlichkeit des die Welt immer noch allseits in Atem haltenden Elends und Leids verstanden würde. 4.3 Das Geschöpf vor seinem Schöpfer Wenn beachtet wird, dass die Schöpfungslehre weder eine Welterklärung oder eine Kosmologie liefern will noch auf einen Glauben an die Schöpfung zielt, sondern die Verwirklichung des barmherzigen Beziehungswillens Gottes im Fokus hat, wird es kaum überraschen, wenn in ihrem Blickwinkel unter den Geschöpfen dem Menschen in der Schöpfung eine besondere Stellung zugemessen wird. Nach der ersten Schöpfungserzählung läuft die Schöpfung auf die Erschaffung des Menschen zu und wird damit zwar noch nicht vollendet, wohl aber abgeschlossen. Gewiss bleibt Gott auch weiterhin der Schöpfer, aber es steht nicht zu erwarten, dass Gott noch grundsätzlich Anderes erschaffen wird (KD III/1, 203 f), zumal das Gesamturteil Gottes über seine Schöpfung erst mit der Erschaffung des Menschen auf „sehr gut“ (Gen 1,31) lautet. Es ist der als freies partnerschaftliches Gegenüber zu Gott und zu seinen Mitmenschen geschaffene Mensch, auf den sich die Schöpfungslehre für die Betrachtung des Geschöpfs konzentriert. Die Lehre vom Geschöpf ist daher im Wesentlichen Anthropologie. 4.3.1 Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis

Die Schöpfung wird als der Anfang der besonderen Geschichte Gottes mit dem Menschen erzählt. Der Mensch kommt nicht an und für sich und schon gar nicht in

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irgendwelchen Mutmaßungen über eine vermeintliche geschöpfliche Überlegenheit gegenüber den anderen Geschöpfen in den Blick, sondern in seiner Konstitution als der erwählte Bundespartner Gottes. Er ist nicht an und für sich dieser Partner Gottes. Es wird keine exponierte Attraktivität ins Auge gefasst, die ihn dazu qualifiziert. Es ist vielmehr die ihm geltende besondere Aufmerksamkeit Gottes, in der er sein Wort schließlich selbst Mensch werden lässt, die ihm eine besondere Bestimmung in der Schöpfung angedeihen lässt, ohne die er keineswegs einen besonderen Adel für sich in Anspruch nehmen kann. Barth stellt die Sonderstellung des Menschen ausdrücklich allem Pathos entgegen, das sich an dieser Stelle immer wieder gern entfaltet hat und entfaltet: [Der] Mensch ist nicht die Welt, auch nicht die Welt im Kleinen. Er ist zugleich weniger und mehr als das. Weniger als das, weil er in seiner leiblichen und in seiner geistig-seelischen Natur ganz und gar ein irdisches und nicht ein himmlisches Wesen ist: auf der Erde, unter dem Himmel – und auf der Erde viel zu geringfügig, als daß er auch nur hier als das Maß und der Inbegriff aller Dinge verstanden werden könnte. Er ist aber mehr als die Welt, weil er – ein bloß irdisches Wesen, eine kleine Partikel des unteren Kosmos unter vielen anderen und andersartigen – nun doch etwas ist, was der Himmel mit all seinen Geheimnissen und die Erde mit all ihren Enthüllungen nicht sind: der Gegenstand von Gottes Absicht mit dem Kosmos, in welchem diese Absicht offenbar ist. Gegenstände dieser göttlichen Absicht sind alle Dinge im Himmel und auf Erden. Sie ist uns aber nicht in allen Dingen und sie ist uns direkt nur im Menschen offenbar. (KD III/2, 16 f)

Von sich aus kann der Mensch sich nicht über die nüchterne Feststellung der Partikularität und seine beinahe bis zur Bedeutungslosigkeit reichende Relativität als verschwindendes Element eines unausmessbaren Weltalls erheben. Ebenso wenig gibt es irgendeinen Anlass, die übrige Schöpfung oder auch nur Teile von ihr herabzusetzen. Der Umstand, dass uns die Absicht Gottes mit ihr verborgen ist, bedeutet ja nicht, dass sie den Absichten Gottes einfach entzogen werden darf. Barth betont, dass es weder seine besondere Erscheinungsweise noch eine besonders herausragende Fähigkeit des Menschen sind, die ihn an die Spitze der Schöpfung rücken. Nur unter Ausblendung des Faszinosums des unermesslichen Kosmos kann der Mensch in seiner kurzsichtigen narzisstischen Selbstbezogenheit der Versuchung erliegen, sich selbst für so unwiderstehlich zu halten, dass er an die Spitze der ganzen Weltwirklichkeit zu rücken sei. Dazu könne es de facto keine Nötigung oder gar einen wissenschaftlichen Beweis geben. Wenn es dennoch für den Menschen als Geschöpf Gottes eine Sonderstellung zu bedenken gibt, so allein deshalb, weil ihm von außen durch die besondere Zuwendung Gottes eine solche Auszeichnung zuwächst, die als solche nicht dargestellt werden kann. Sie kann allein als ein Gegenstand des Glaubens angemessen wahrgenommen werden. Die Aufmerksamkeit wird nicht auf eine realistische, an den Phänomenen orientierten Erkenntnis gerichtet, die sich darum bemüht, die Möglichkeiten des Menschen auszuloten, sondern auf das Licht der Selbstmitteilung Gottes, in dem für den

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Glauben die Wirklichkeit des Menschen sowohl hinsichtlich seiner Bestimmung als auch seiner Abgründe in Erscheinung tritt. Aus der Zirkelhaftigkeit menschlicher Selbsterkenntnis kann der Mensch nicht aus eigener Kraft hinausfinden solange sich die Aufmerksamkeit selbst die Kriterien und somit den ausschlaggebenden Maßstab setzt. Um sich zuverlässig erkennen zu können, müsste er sich bereits kennen, aber so bleibt er auf Mutmaßungen verwiesen. Gewiss lassen sich, wie den Humanwissenschaften nicht zu bestreiten ist, zahlreiche Phänomene des Menschlichen auf die Waagschale legen, doch sie ergeben allein aus sich heraus keine Bestimmung des Menschen, denn sie sind „als solche […] neutral, relativ, zweideutig“ (88). Die Phänomene müssten in eine systematische Ordnung gebracht werden, was aber nur durch eine organisierende Beurteilung möglich wird, in der sie dann nicht mehr neutral nebeneinanderstehen, sondern sie werden in einem Ganzen zu Symptomen seines besonderen Charakters. Symptome können nur ausgemacht werden, wenn man mit der betrachteten Sache bereits vertraut ist. Ohne die Kenntnis des entscheidenden Schlüssels bzw. der organisierenden Bestimmung kann die Selbsterkenntnis des Menschen nicht über die Phänomene hinauskommen, so dass sie sehenden Auges blind bleibt (105). Die symptomatische Bedeutung eines bestimmten Phänomens ist „nicht selbst ein Phänomen, sondern die Sache eines Urteils […], das mit der Beobachtung der Tatsachen nicht das Geringste zu tun hat“ (104). Hier zeigt sich die Verlegenheit der im Übrigen durchaus notwendigen Humanwissenschaften (241), dass sie immer bereits von dem auszugehen haben, was sie schließlich als ihre Erkenntnis präsentieren wollen. Sie müssen immer bereits eine Plattform erklimmen, von der aus ihnen die erfahrungswissenschaftlichen Erkenntnisse übersichtlich zu sein scheinen, so dass sie eine Ordnung zu erkennen geben, von der sie dann glauben, dass in ihr der Mensch in seinem Wesen erkennbar werden könnte. Zwar sieht Barth keinen Grund, die vielfältigen und zudem signifikant auseinanderlaufenden Versuche, eine Anthropologie zu entwerfen, grundsätzlich zu bestreiten, weist aber zugleich grundsätzlich die Möglichkeit ab, dass „es auf dem ganzen Weg des autonomen menschlichen Selbstverständnisses oder auf irgendeiner seiner Stufen zu einem Verständnis des wirklichen Menschen überhaupt kommen“ könne (144). Die schlichte Selbstbetrachtung bleibt auch deshalb wenig belastbar, weil es durchaus sein kann bzw. überaus wahrscheinlich ist, dass sein Erscheinungsbild durchaus deutlich hinter seinen Möglichkeiten bzw. seiner mutmaßlichen Bestimmung zurückbleibt. In diesem Punkt ist Barth – ohne je Pessimist gewesen zu sein – besonders skeptisch. Weder aus der Katastrophe des Ersten und dann auch des Zweiten Weltkrieges wurden die erforderlichen Konsequenzen gezogen, um die Welt tatsächlich krisenfester zu machen. Gegen die optimistische Bescheinigung von Karl Jaspers, dass der Mensch aus den Katastrophen lerne, heißt es bei Barth: Es ist nach dem, was wir heute wahrnehmen, mit großer Gewißheit anzunehmen, daß auch am Morgen nach dem Weltgericht – wäre es dann noch möglich – jede Tanzbar, jeder Fastnachtsklub, jeder inseraten- und abonnentenhungrige Zeitungsverlag, jeder Winkel voll politischer Fanatiker, jeder heidnische Schwatzklub, aber auch jedes christliche Teekränzchen

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und jede kirchliche Synode ihren Betrieb nach bestem Können neu aufbauen und erst recht fortsetzen würde: völlig unberührt, gänzlich unbelehrt, in keinem ernsthaften Sinn anders als ehegestern. (135)

Der Mensch ist nicht, was er ist. Er bleibt in seiner Existenz hinter sich selbst zurück. Er lebt – aus welchen Gründen auch immer – stets in einer unabschätzbaren Entfremdung von sich selbst, so dass es immer nur einen durch die jeweiligen konkreten Umstände getrübten Blick auf den Menschen gibt, weil wir keine jenseits dieser Entfremdungen liegende Perspektive einnehmen können, die uns ein klares Bild ermöglichen könnte. Die Schöpfungslehre thematisiert die Auszeichnung des Menschen als des zur Beziehung mit Gott erwählten Geschöpfes, so dass der Mensch nicht von Gott und Gott nicht vom Menschen abstrahiert werden kann. Darin ist sie vor allem Anthropologie (20). Barth rekurriert nicht auf die gern herausgehobene Vernunftbegabung des Menschen, sondern qualifiziert ihn über die Beziehungen, die ihn zu dem machen, was er ist.96 Das ist zum einen und grundlegend die Beziehung zu Gott. Einen tatsächlich gottlosen Menschen kann es Grunde nicht geben, weil sich die Wirklichkeit Gottes uns allein darin erschließt, dass er sich an den Menschen gebunden hat: „es gibt zwar eine Gottlosigkeit des Menschen, es gibt aber […] keine Menschenlosigkeit Gottes“ (KD IV/3, 133). Der wirkliche Mensch wird allein in seiner Beziehung zu Gott erkennbar. Und das ist zum anderen seine bereits naturgegebene Beziehung zum Anderen, wie sie in besonderer Weise in seiner Existenz als Mann oder Frau angezeigt wird.97 Der Mensch wird vor allem in seiner Beziehungsfähigkeit und damit fundamental in seiner Fähigkeit zur Selbstzurücknahme (!) ausgezeichnet, durch die er sich von anderen Geschöpfen unterscheidet und die ihm eine besondere Verantwortlichkeit ermöglicht. Im Verweis auf den Einstieg Calvins in seine Institutio hebt Barth den unauflöslichen Zusammenhang von Selbsterkenntnis des Menschen und Gotteserkenntnis hervor (KD II/2, 84). Und zugleich betont er, dass auf den Menschen Jesus zu blicken ist, wenn wir uns nicht in den Trübungen verfangen wollen, denen die allgemeinen Wahrnehmungen des Menschen unterworfen sind. Mit dieser Grundentscheidung schlägt Barth auch für die Anthropologie den für ihn charakteristischen christologischen Weg ein und trennt sich damit von dem Mainstream der überkommenen theologischen Anthropologie, in welcher der Mensch einerseits im Rahmen einer kosmologischen Perspektive seinen besonderen Platz zugewiesen bekam und andererseits in seiner Unzulänglichkeit und seiner Treulosigkeit Gott gegenüber beschrieben wird.98 Die Schöpfung wird konsequent in den Horizont der Erwählung und des Bundes gestellt, so dass die Kontur des in ihr handelnden Gottes und des in ihr 96 Lediglich im Horizont der Verhältnisbestimmung von Seele und Leib bedenkt Barth den Menschen als ein „Vernunftwesen“, KD III/2, § 46.5, 502–524. 97 Vgl. dazu KD III/2, § 45. 98 Vgl. beispielhaft Brunner, Der Mensch im Widerspruch.

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in Erscheinung tretenden Menschen allein in Jesus Christus angemessen wahrgenommen werden kann. Wie noch zu zeigen sein wird, bleibt auch die Orientierung an der Gottebenbildlichkeit (imago Dei) des Menschen im Entscheidenden von der Christologie abhängig (vgl. Kap. IV.4.3.2). Das kann im Gefälle der hier vorgenommenen Rekonstruktion der Theologie Barths eigentlich nicht wirklich überraschen. Wenn es um die theologisch prägenden Bestimmungen der Anthropologie gehen soll, bleibt auch im Rahmen der Schöpfungslehre die Orientierung an Christus als dem wahren Menschen unausweichlich. Es ist das auf Jesus blickende Pilatuswort in Joh 19,5, dem es zu folgen gilt: Ecce homo! Siehe der Mensch! Die ontologische Bestimmung ist darin begründet, daß in der Mitte aller übrigen Menschen Einer der Mensch Jesus ist. Man wird immer nur bis zu den Phänomenen des Menschlichen vorstoßen, solange man in der Frage nach dem Menschen einen anderen Ausgangspunkt wählt. Man wird sich immer in Abstraktionen bewegen, solange man dabei wie gebannt auf alle übrigen Menschen, oder vielmehr: auf einen Menschen überhaupt und im Allgemeinen blickt, als ob dessen Anblick – nachdem man davon abstrahiert hat, daß Einer in ihrer Mitte der Mensch Jesus ist – uns über den wirklichen Menschen belehren könnte. Man verfehlt dann den einzigen uns wirklich gegebenen archimedischen Punkt oberhalb des Menschen und damit die einzige Möglichkeit zu dessen ontologischer Bestimmung. Theologische Anthropologie hat in dieser Sache keine Wahl. Sie wäre noch nicht oder nicht mehr theologische Anthropologie, wenn sie die Frage nach des Menschen Sein und Wesen von anderswo als von diesem einen Punkt her stellen und beantworten wollte. (KD II/2, 158) [Die] theologische Anthropologie […] muß, indem sie nach dem Menschen im allgemeinen frägt, vom Menschen im Allgemeinen zunächst weg und auf den einen Menschen Jesus blicken, um erst von da aus wieder zum Menschen im Allgemeinen zurückzublicken. […] Er ist […] so Mensch […] wie Gott den Menschen geschaffen hat […], daß er es so ist, wie wir alle es sind, so also, daß er uns als Mensch zugänglich und erkennbar ist: ohne besondere Fähigkeiten und Möglichkeiten, ohne Beimischung einer uns fremden Eigenschaft, ohne übernatürliche Ausstattung, die ihn für uns zu einem andersartigen Wesen machen würde. Er ist so Mensch, daß er jedes anderen Menschen natürlicher Bruder sein kann. (61 f)

In ihm ist Gott an die Stelle des von ihm entfremdeten Menschen getreten. Insofern kann allein von ihm gesagt werden, dass er der Mensch ist (53). In ihm ist die von Gott geschaffene menschliche Natur ohne den Selbstwiderspruch, an dem sie in uns leidet, und ohne die Selbsttäuschung, in der wir uns dieser unserer Schande zu entziehen suchen. […] Denn er wird wohl, was wir sind, aber er tut nicht, was wir tun, und so ist er nun doch nicht, was wir sind. (55)

Das ist die Dialektik, die für die theologische Anthropologie charakteristisch bleibt. Christus ist darin der wirkliche Mensch, dass er „das Wesen [ist], das für Gott ist. […] Der Mensch ist wesenhaft für Gott, weil er wesenhaft von Gott her und in

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Gott ist.“ (82) Der Ton liegt auf „wesenhaft“, womit unterstrichen wird, dass es sich bei der Gottzugewandtheit nicht um eine Bestimmung neben einer Anzahl von anderen handelt, sondern um die das ganze Wesen des Menschen ausmachende Bestimmung. Sie rückt erneut das erste Gebot als den Rahmen für die fundamentale Orientierung des menschlichen Lebens in die Aufmerksamkeit, in dem sich die geschöpfliche Freiheit des Menschen entfalten soll, die ihren tragenden Grund und auch ihr Ziel in Gott hat. Diese Freiheit des von Gott erwählten und eben darin ausgezeichneten Geschöpfes ist das Telos des menschlichen Lebens, so dass Barth auch schlicht und bedeutungsvoll sagen kann: „Menschsein heißt […] grundlegend und umfassend: mit Gott zusammen sein.“ (161, 167) Die Mitte seiner Existenz liegt in dem Gegenübersein zu Gott. „Der Mensch ist das von Gott angeredete, angerufene und aufgerufene geschöpfliche Wesen.“ (179) Er ist von Gott in Anspruch genommen im doppelten Sinn des Wortes: angesprochen und zur eigenen Antwort befähigt und ermutigt. Indem Gott für ihn ist, ist er dazu bestimmt, nun auch seinerseits für Gott zu sein. Wenn Barth dabei das ‚Sein‘ des Menschen als Geschichte annonciert (188 ff), rückt er die Dynamik der Beziehung zwischen Gott und Mensch als tatsächliches Geschehen in das Zentrum und weist damit jeden Versuch zurück, das Verständnis des Menschen in einer zu statischen Bestimmungen neigenden Ontologie zu fassen. Seine Dynamik bezieht das menschliche Leben daraus, dass es die Zuwendung Gottes als seine Konstitution und seinen Lebensraum wahrnimmt und damit die Zuwendung Gottes für sich gelten lässt (200 f). Das ist die spezifische Orientierung seiner Freiheit, ihren Ermöglichungshorizont praktisch tätig anzuerkennen und Gott darin die ihm gebührende Ehre zu erweisen. [Der] Art, wie Gott dem Menschen begegnet, […] kann auf Seiten des Menschen gerade nur das Eine entsprechen und Genüge tun: daß er diese Wohltat als solche gelten lasse, daß er den Wohltäter als solchen anerkenne und ehre, daß er sich ihm auf Grund dieser Wohltat verpflichtet und verbunden wisse. Mit allem, was mehr oder weniger wäre als das, mit allem, was davon wirklich verschieden wäre, könnte der Mensch Gott gegenüber nur daneben greifen. (203)

Wie bereits erwähnt ist Barth immer wieder vorgeworfen worden, dass er Gott auf Kosten des Menschen groß mache, so dass der Mensch am Ende nur noch so etwas wie eine Handpuppe eines Bauchredners sei.99 Die Konzentration auf die konsequente Entsprechung zu Gott als dem absoluten Subjekt führe zu einer Gleichschaltung des Menschen und komme damit einer Ausschaltung des Menschen gleich.100 Tatsächlich geht es auch für Barth hier um die berühmte Frage „Sein oder Nichtsein?“ (204), aber er sieht den Schlüssel zu der rechten Freiheit des Menschen in seiner Befreiung vom Zwang zur Selbstbefreiung und zur Selbstkonstitution. Der   99 Vgl. Härle, Sein und Gnade, 121. 100 Vgl. Wagner, Theologische Gleichschaltung; Graf, Die Freiheit der Entsprechung.

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Mensch kann sich nur da selbst erkennen, wo es verlässliche Orientierung für seine Bestimmung gibt, und für die Theologie ist das sein Gegenübersein zu Gott, in dem die Wirklichkeit des Menschen als eine Beziehungswirklichkeit in Erscheinung tritt, in welcher sich der Mensch als das eigene freie Subjekt betätigen und bewähren kann, als das er geschaffen ist. Einen besseren Anwalt als Gott selbst kann es für die Menschlichkeit des Menschen nicht geben. Die Freiheit ist nur dann keine Illusion, wenn sie den tatsächlichen Lebensbedingungen gerecht wird. Aber diese können weder durch eine Abstraktion des Menschen von Gott noch durch eine Abstraktion des Menschen von seinem Mitmenschen in den Blick kommen. Wolf Krötke weist darauf hin, dass absolute, „relationslose Freiheit […] die Menschlichkeit des Menschen […] zerstören“ würde und zugleich die „Negation des Gottesverhältnisses“ bedeute.101 Die Wirklichkeit nicht des abstrakten, wohl aber des konkreten Menschen besteht in einem Gegenübersein zu Gott ebenso wie zu seinen Mitmenschen. Und in dieser Wirklichkeit ist der Mensch sein eigenes Subjekt, „das von Gott zum Setzen seiner selbst gesetzte Subjekt“ (233, Hervorhebung M.W.). In seiner Freiheit wählt der Mensch „sich selbst in seiner Möglichkeit, sich selbst in seinem Sein, sich selbst in seiner Freiheit“ (235). Barth benutzt hier auffällig offensiv die Terminologie des neuzeitlich aufklärerischen Selbstverständnisses des Menschen, mit dem er sich offenkundig hier im Gespräch befindet. Es ist deutlich, dass dies Selbstverständnis keineswegs in Bausch und Bogen abgewiesen wird. Vielmehr unterscheidet sich Barth von diesem allein darin, dann aber konsequenzenreich, dass sich der Mensch nicht aus sich selbst heraus zum Subjekt setzt, sondern von Gott zu diesem Setzen seiner selbst im Gegenüber zu Gott ermächtigt wird. Die Rede vom Partner Gottes impliziert die freie Teilhabe, in der Barth den Menschen eigene Entscheidungen zu eigenem verantwortlichen Tun treffen sieht. Dieses theologisch zu realisierende „ich bin“ steht in einer grundlegenden Spannung zu dem cartesianischen „ich bin“, dem dann das neuzeitliche Selbstverständnis weitgehend gefolgt ist und auf dessen ganz und gar ungeschminkte und zugleich wahnwitzige Gestalt wir bei Friedrich Nietzsche stoßen.102 Es geht dabei für Barth nicht um eine Ermessensfrage, sondern wir „haben hier nicht die Wahl, tolerant oder intolerant zu sein“ (271). Das theologisch formulierte „ich bin“ blickt auf „das Zusammensein des Menschen mit dem anderen Menschen“ (292) und bezieht seine Standfestigkeit bzw. Vitalität in „gegenseitige[r] Bestimmung“ (322) aus der Begegnung mit dem Du. Weder Unterwerfung unter das Du noch seine Selbstzueignung sind damit gemeint, sondern das Miteinander (324 ff). „Menschlichkeit [ist] schlicht […] als Mitmenschlichkeit zu interpretieren.“ (382) Menschliche Freiheit ereignet sich in der Beziehung zum Mitmenschen (329), ihre Aktionen sind in erste Linie Interaktionen. Mit dieser inhaltlichen Bestimmung bleibt das theologisch verstandene „ich bin“ von der neuzeitlich siegreichen Konzeption des „ich bin“ zu unterscheiden, das sich selbstbezüglich für sich statuiert, „also weder von 101 Krötke, Gott und Mensch als „Partner“, 120. 102 Vgl. dazu den ebenso einfühlsamen wie diagnostisch pointierten Exkurs KD III/2, 276–290.

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einem Anderen her, noch zu einem Anderen hin.“ (274) Das ist das sich selbst setzende und sich selbst genügende neuzeitliche Subjekt, das Barth vergleichsweise unpolemisch charakterisiert: „Ich bin“, das heißt: ich genüge mir selbst, gewiß auch in dem Sinn, daß ich mit mir selbst gerade genug zu tun habe, durch mich selbst gerade aufregend genug in Anspruch genommen bin. „Ich bin“, das heißt: ich stehe unter dem unaufhaltsamen Trieb, zunächst mich selbst zu erhalten, dann aber auch: etwas mit mir anzufangen, mich selbst zu entfalten, auf die Probe zu stellen, zu üben und zu bewähren. „Ich bin“, das heißt aber weiter: ich muß und will mich in aller Entfaltung und Betätigung nach außen um jeden Preis selber behaupten und durchsetzen, mich also nicht zerstreuen und verlieren, sondern im Gegenteil, indem ich mich ausbreite, auch sammeln, indem ich mich hingebe, auch gewinnen […]. „Ich bin“, das heißt: ich möchte und will leben, mich ausleben im materiellen, aber auch im geistigen Kosmos; ich möchte und will genießen, arbeiten, spielen, gestalten, besitzen, Macht erwerben und ausüben […]. (274 f)

Der Mitmensch findet hier nur akzidentell und nach eigenen Neigungen und Interessen Beachtung, aber er hat für das Ich keine konstitutive Rolle, sondern wird integriert in die Projektionen und Selbststilisierungen des Ich. Es ist insbesondere die am Selbstgewinn orientierte Freiheit, die ihn zum Konkurrenten werden lässt, dessen eigene Freiheit wiederum dem Ich in die Quere kommt, so dass sie eher trennt als verbindet.103 Die Freiheit ist ebenso abstrakt wie der sich mit ihr selbst verwirklichende Mensch, der sich einem kontingenten Gesetz der Selbstverwirklichung unterworfen hat. Mit diesem Konzept der Humanität, dem sich insbesondere das neuzeitliche Bürgertum in Analogie zu der von ihm praktizierten Wirtschaftsform verschrieben hat, wird sich die Theologie unter keinen Umständen arrangieren können. Der damit markierte Differenzpunkt wird in seiner Tragweite kaum überschätzt werden können. In theologischer Wahrnehmung, in welcher der Mensch wesentlich als Mitmensch erkannt wird, bekommt die Freiheit des Menschen eine grundsätzlich andere Ausrichtung. Sie steht nicht für ein abstraktes und zugleich diffuses und somit auseinanderlaufendes Spektrum unendlicher Möglichkeiten104, aus dem heraus er sich prometheisch selber schafft, sondern stellt ihn in den Horizont der ihn ausmachenden Wirklichkeit der Mitmenschlichkeit, die ihm einen Raum der Freiheit bereithält zur eigenen Selbstentfaltung. Der Mensch wird von seiner Freiheit nicht unversehens in eine Knechtschaft im Gegenüber zu seiner eigenen Schöpfung oder auch nur der eigenen Vorstellung davon geschickt, sondern bekommt in seiner Beziehung zum Mitmenschen einen niemals ausschöpfbaren Verwirklichungshorizont 103 Vgl. dazu Weinrich, (Ver-)Bindungen der Freiheit. 104 Es geht nicht, wie Barth immer wieder betont, um die das eigene Schicksal entscheidende Freiheit eines „Herkules am Scheidewege“ (KD II/2, 573; III/1, 301; IV/1, 687. 834; IV/2, 559; IV/4, 178. 224).

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einer Freiheit, die sich um ihre Konkretionen keine Sorgen machen muss. Diesen Raum der Freiheit muss sich der Mensch weder selbst erstreiten noch beweisen, weil er immer bereits durch die Gnade Gottes bereitgestellt ist. Es versteht sich im Grunde von selbst, dass in diesem Umfeld die Zurückweisung der Gnade Gottes nicht als ein Akt der Freiheit verstanden werden kann, sondern nur als ein Akt der Verneinung dieser Freiheit und somit als ein Akt menschlicher Selbstverneinung. Die für den Widerspruch gegen Gott und somit für die Sünde in Anspruch genommene Freiheit erweist sich tatsächlich als eine wirklichkeitsfremde Selbstpreisgabe der Freiheit, deren Folgen sich dann auch in den daraus resultierenden entfremdeten Wirklichkeitsentstellungen zeigen. Krötke, Gott und Mensch als „Partner“ & 

4.3.2 Die Gottebenbildlichkeit des Menschen

Seit alters her ist der zentrale Leitbegriff der theologischen Anthropologie die Gottebenbildlichkeit des Menschen. Als Selbstbezeichnung des Menschen kann er nur in die Irre führen, so dass es auf der Hand liegt, dass er nur als ein der Erfahrung und einem depressiven Selbstbewusstsein widersprechendes Bekenntnis des Glaubens zu der besonderen Zuwendung des Schöpfers zu seinem besonders gewürdigten Geschöpf verstanden werden kann. Indem die Rede von der Gottebenbildlichkeit zentral auf das Lob Gottes zielt, wird deutlich, dass sie jeder Versuchung einer Vergöttlichung des Menschen entgegensteht. Es ist nicht die resümierende Bilanz einer intensiven Betrachtung des Menschen, sondern das Bekenntnis zu der allen optimistischen oder auch pessimistischen Selbstwahrnehmungen des Menschen transzendierenden Bestimmung des Menschen durch Gott als seinen Schöpfer: Der Mensch wird als das geschöpfliche Gegenüber zu Gott als seinem Schöpfer bekannt. Es bekennt gegen den Augenschein die vonseiten des Menschen sich niemals nahelegende unverdiente und auch nicht verdienbare und somit eben auch unverlierbare Würde des Menschen, die er als Geschöpf in den Augen seines Schöpfers genießt und die es deshalb auch im zwischenmenschlichen Umgang miteinander zu wahren gilt. Es benennt die eigentliche Provokation, die mit der Rede vom Menschen als einem Geschöpf Gottes einhergeht. Es geht um die Anerkennung einer Auszeichnung, auf die der Mensch nach eigenem Ermessen bei nüchterner Selbstbetrachtung niemals gekommen wäre. Wo er aber selbst darauf gekommen wäre, so wäre es gewiss so ziemlich das Gegenteil von dem gewesen, was mit der biblischen Vorstellung von der Gottebenbildlichkeit des Menschen als dem Zentrum biblischer Anthropologie zum Ausdruck gebracht werden will. An dem Umgang mit ihr entscheidet sich fundamental die Wahrnehmung des Verhältnisses zwischen Gott und Mensch, so dass Emil Brunner hier die eigentliche Schicksalsfrage der Theologie gestellt sah,105 105 Brunner, Die andere Aufgabe der Theologie, 264.

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was sich für ihn selbst insofern bestätigen sollte, als seine Beantwortung auf den energischen Widerspruch Barths stieß, so dass sich die Wege beider trennten.106 Nach den oben entfalteten Überlegungen zur rechten Erkenntnis des Geschöpfes wird es nicht verwundern, wenn Barth unter Berufung auf entsprechende Referenzen im Neuen Testament (2Kor 4,4; Kol 1,15; Hebr 1,3) die Gottebenbildlichkeit ebenfalls christologisch erschließt. Indem Jesus in seiner Göttlichkeit der Mensch für Gott ist, ist er in seiner Menschlichkeit der Mensch für den Menschen. Es ist genau diese doppelte Relationalität, die Beziehung zu Gott und untrennbar damit verbunden die Beziehung zum Mitmenschen, in der sich die Gottebenbildlichkeit als Wesensbestimmung des Menschen erschließt. Die hier angesprochene doppelte Bezogenheit folgt nicht einem Vorstellungshorizont menschlicher Tugendhaftigkeit, vielmehr ist sie – und das zeigt sich an dem Menschen Jesus – der wesenhafte Ausdruck des wahren und wirklichen Menschen. Jesu Ich ist ganz vom Du her bestimmt, indem er sich das Elend des Menschen zu eigen macht, und zugleich zum Du hin ausgerichtet, indem er für die Errettung und Freiheit des Menschen eintritt. Es gibt kein Für-sich-Sein Jesu, in dem er sich für sich betrachten ließe. Wenn wir auf ihn blicken, sehen wir ihn ausschließlich in dieser doppelten Relationalität, und darin führt er uns das Sein des wirklichen Menschen vor Augen, das eben auch kein Fürsich-Sein, sondern ein Mitsein oder eben ein Nichtsein ist. In dieser spezifischen Menschlichkeit entspricht Jesus dem ihm vor Augen stehenden und zugleich ihm sichtbar werdenden Gott und ist somit in doppelter Hinsicht der denkbar adäquateste Ausdruck dessen, wofür die Rede von der Gottebenbildlichkeit des Menschen steht. In ihm erscheint der Mensch sowohl als Bundesgenosse Gottes als auch als Mitmensch des Menschen. Das Verhältnis des Vaters zum Sohn und des Sohnes zum Vater findet in der Humanität seine Wiederholung und Nachbildung und ist darin Bild Gottes (260 f). Dem bereits erwähnten merkwürdigen Plural, in dem Gott gleichsam im Selbstgespräch seinen Entschluss zur Schaffung des Menschen bestätigt (Gen 1,26; vgl. dazu KD III/1, 214–216), entspricht der ebenso unausweichliche Dual, in dem der Mensch geschaffen wird. Gott schafft den Menschen, indem er zwei unterschiedliche Menschen schafft, die zusammen genommen der Mensch sind. Der für Gott in Anspruch genommene Plural weist darauf hin, dass Gott sich nicht erst ein Gegenüber schaffen muss, um in Beziehung zu treten, weil er bereits in sich selbst Beziehung ist. Darin entspricht ihm nun auch der Mensch, dass er auch zu einem Miteinander von „Ich“ und „Du“ geschaffen ist (206). Er ist Gottes Ebenbild, indem er der Mensch ist. Denn das war Gottes Sinn und Absicht bei seiner Erschaffung: er wollte die Existenz eines solchen Wesens, das ihm in seiner ganzen Nicht-Göttlichkeit und also Andersartigkeit ein wirklicher Partner, das ihm gegenüber verhandlungs- und bündnisfähig, dem also seine eigene, die göttliche Lebensform, nicht fremd, das vielmehr in geschöpflicher Wiederholung, als Abbild und Nachbild, seinerseits ein Trä106 Zur Auseinandersetzung zwischen Barth und Brunner vgl. Obst, Veni Creator Spiritus, 274–304.

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ger seiner, der göttlichen Lebensform sein möchte. Als dieses Wesen hat Gott den Menschen erschaffen. Gottes Lebensform, die sich in dem von ihm geschaffenen Menschen wiederholt, besteht aber eben in dem, worauf das „Lasset uns!“ in unübberhörbarer Weise hinzielt. In Gottes eigenem Wesen und Bereich findet ein Gegenüber statt: ein reales, aber einmütiges sich Begegnen und Sichfinden, ein freies Zusammensein und Zusammenwirken, ein offenes Gegeneinander und Füreinander. Eben dieser göttlichen Lebensform Wiederholung, ihr Abbild und Nachbild ist der Mensch. Er ist es einmal darin, daß er Gottes Gegenüber ist, daß also das in Gott selbst stattfindende Sichbegegnen und Sichfinden in Gottes Beziehung zum Menschen abgebildet und nachgebildet wird. Und er ist es sodann darin, dass er selbst das Gegenüber von seinesgleichen ist und in seinesgleichen sein eigenes Gegenüber hat, daß also das in Gott selbst stattfindende Zusammensein und Zusammenwirken in der Beziehung von Mensch zu Mensch zur Wiederholung kommt. So ist das tertium comparationis, die Analogie zwischen Gott und Mensch sehr schlicht die Existenz im Gegenüber von Ich und Du. Sie ist zuerst für Gott konstitutiv; sie ist es dann aber auch für den von Gott geschaffenen Menschen. Man denke sie weg, so hat man sowohl das Göttliche aus Gott als auch das Menschliche aus dem Menschen weggedacht. […] Es besteht die Gnade der Erschaffung des Menschen […] darin, daß er den Menschen als das in freier Unterscheidung und Beziehung existierende Wesen nicht nur in Gemeinschaft mit sich selbst versetzt, sondern in der Gemeinschaft mit sich selbst geschaffen hat, um eben in dieser natürlichen Gemeinschaft zwischen sich und ihm weiter mit ihm reden und handeln zu können. (207 f)

So wie das Wesen Gottes ein Ich und ein Du umschließt, so gilt dies auch für das Wesen des Menschen (220). Menschsein heißt, Mann in Beziehung zur Frau und Frau in Beziehung zum Mann zu sein bzw. noch genereller ausgedrückt: Mann oder Frau sind einander „in eminentem Sinn der andere Mensch“ (KD III/2, 347), der ihnen erst recht zum Menschsein verhilft. Dabei bleibt immer auch die Beziehung zu Gott als dem ganz Anderen grundlegend. Insofern kann Barth die zweite Erzählung (Sage) von der Erschaffung des Menschen in Gen 2,18–25 als die „alttestamentliche Magna Charta der Humanität“ (351, 325, 358, 360) bezeichnen, nach welcher es der Mensch selbst ist, der sich erst durch die Anerkennung des Gegenübers gleichsam dazu bekennt, auf eigene Füße gestellt zu sein (351 f). Das ist der Mensch, den „Gott als seinen Partner gewählt, gewollt und geschaffen hat“ (209). Die Analogie – also die „Entsprechung des Ungleichen“ (220) – liegt wohlgemerkt in der Beziehung und nicht in der Zweigeschlechtlichkeit, in der sich der Mensch als Geschöpf nicht von den Tieren unterscheidet. Einen Spalt weit, aber deutlich genug öffnet Barth selbst die Tür in diese Richtung, indem er davon spricht, dass man „gewiß auch der zahlreichen Fälle seiner Ersatzformen und Übertragungen in Freundschaftsverhältnissen zwischen Mann und Mann, Frau und Frau, nicht sofort im Argen, sondern zunächst und an sich in allen Ehren zu gedenken hat.“ (348) Es geht um die „Beziehung und Gemeinschaft zwischen zwei unaufhebbar verschiedenen Subjekten“ (386). Insofern gilt es heute, weniger Mann und Frau als vielmehr Ich und Du zu betonen, die – wie uns insbesondere Martin Buber und Emmanuel Levinas gezeigt haben – immer von einer unaufhebbaren Anderheit geprägt blei-

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ben. Nicht zuletzt wäre hier auch auf Jesus als das Bild Gottes und somit den auf den Anderen bezogenen Menschen zu verweisen (229). Hier bleibt ein Unterschied zwischen Jesus und dem Menschen im Allgemeinen zu bedenken, nach dem Jesus der Mensch für Gott und für den Menschen ist, gilt für alle anderen Menschen, dass sie darin Mensch sind, dass sie mit dem Mitmenschen sind (382, 390). In diesem Sinne ist der Mensch unverlierbar Gottes Ebenbild. Zweierlei bleibt für die Gottebenbildlichkeit festzuhalten: Einerseits ist das Bild nicht identisch mit dem, was es spiegelt. Es gehört in die Geschöpfwelt und bleibt als solches prinzipiell vom Schöpfer unterschieden. Es ist Werk Gottes und nicht Gott selber; die Ähnlichkeit ist die denkbar höchste Auszeichnung, die einem Geschöpf zukommen kann. Es ist also kein zweiter Gott, mit dem sich Gott in jenem ewigen Bund mit dem Menschen, wie er in Jesus sichtbar wird, verbündet hat. Und es wird auch kein zweiter Gott aus dem Menschen, indem er dieses Bundes teilhaftig, indem er von seinem Erretter errettet wird. Er ist und bleibt schon das Geschöpf, der Mensch, der ohne Gottes Beistand schlechthin bedrohte und gefährdete, der – wäre er auf sich selber angewiesen – verlorene Mensch, mit dem Gott hier in Beziehung tritt. (KD III/2, 262)

Und das gilt auch für die dem Menschen zugewiesene Herrscherstellung gegenüber den Tieren (Gen 1,28; vgl. dazu KD III/1, 231–233). Sie ist nicht das Bestimmungselement der Gottebenbildlichkeit, sondern umgekehrt ist die Gottebenbildlichkeit der Bestimmungshorizont dieses Auftrags, nach dem er sich nicht als absoluter Herrscher, sondern als „Gottes geschöpflicher Zeuge und Stellvertreter ihnen gegenüber“ (210) erweisen soll. Rein kreatürlich ist der Mensch nicht tatsächlich über die Tierwelt erhoben – Barth bezeichnet den Menschen ausdrücklich als „animalisches Geschöpf “ (232) –, sondern seine Auszeichnung besteht allein in der mit der Gottebenbildlichkeit angezeigten besonderen Erwählung durch Gott. Und andererseits kann es sich bei der hier thematisierten Ähnlichkeit nicht um eine Ähnlichkeit im Sein handeln (analogia entis), wohl aber um eine Entsprechung in der Beziehung (analogia relationis) (219): Die Menschlichkeit Jesu, seine Mitmenschlichkeit, sein Sein für den Menschen als unmittelbares Korrelat zu seinem Sein für Gott zeigt, bezeugt, offenbart diese Entsprechung und Ähnlichkeit. Sie ist nicht nur in einem faktischen und einem vielleicht zufälligen Parallelismus – sie ist auch nicht nur auf Grund eines willkürlichen göttlichen Entschlusses so beschaffen und gerichtet wie sie es ist: sie folgt dem Wesen Gottes, seinem inneren Sein. (KD III/2, 262 f)

& Hunsinger, Barth on What it Means to Be Human. Stock, Anthropologie der Verheißung.

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4.3.3 Zeit und Ewigkeit

Zu den Besonderheiten der Anthropologie Barths gehört schließlich, dass im Rahmen der für die Selbsterkenntnis konstitutiven Gotteserkenntnis auch die besondere Wahrnehmung der Zeitlichkeit des Menschen thematisiert wird, vor der wir der Gewohnheit nach „einfach die Augen […] verschließen“ (KD III/2, 623). Die Zeit gehört ebenso wie der Tod zu den gern verdrängten Bedingungen des menschlichen Lebens. Zeit und Tod gehören insofern zusammen, als die Zeit unaufhaltsam auf den Tod zuläuft. Sie zerrinnt dem Menschen gleichsam zwischen den Fingern, bezeichnet sie doch phänomenologisch betrachtet vor allem die Endlichkeit, d. h. die Unaufhaltsamkeit des Vergehens, die schließlich auch all dem widerfahren wird, was wir in ihr erst im Entstehen sehen. Die Gegenwart ist die unfassbare Zeit, in der wir uns mit unserer Vergangenheit im Rücken in die Zukunft bewegen, die in dem Moment, wo sie betreten wird sogleich wieder der Vergangenheit überlassen werden muss. Was ist die Gegenwart? Die Zeit zwischen den Zeiten, d. h. aber, streng genommen und wirklich erlebt, so wie sie wirklich ist, ist gerade keine Zeit, keine Dauer, keine Folge von Augenblicken, sondern gerade nur die nie stillstehende, immer weiterrückende Grenze zwischen Vergangenheit und Zukunft: der Augenblick, zu dem niemand mit keiner Macht der Welt sagen kann, daß er verweilen möchte, weil gerade er immer nicht mehr, immer noch nicht da ist. Gerade die Gegenwart kann man faktisch nur in Form von bestimmten Erinnerungen und Erwartungen erleben. Gerade sie kann man, ob es um unsere persönliche Gegenwart geht oder um die gegenwärtige Weltgeschichte oder Kirchengeschichte, nur in historischen Rückblicken, in retrospektiven Darstellungen einer entstandenen Lage oder in bestimmten Prognosen, Hoffnungen und Befürchtungen und in den entsprechenden Postulaten und Programmen festhalten und beschreiben. […] Wir haben gerade in der Gegenwart, wo wir sie am sichersten zu haben meinen – keine Zeit. (619)

Wir sind bei nüchterner Betrachtung davon getrieben, der Zukunft stets das Beste abzuringen, um uns dann möglichst lang von einer privilegierten Vergangenheit tragen lassen zu können, die unweigerlich auf das Ende ihrer Gegenwart zuläuft. So wie wir die Vergangenheit nicht mehr und die Zukunft noch nicht haben, so haben wir auch in der Gegenwart keine und somit „faktisch nie Zeit“ (622). Wenn wir uns mit dieser Lage abzufinden bereit sind, so kann dies de facto „immer nur Selbsttäuschung“ (624) oder „Flucht und Jagd aus dem Dunkel ins Dunkel“ (625) sein. Und ebenso definitiv ist, dass der Mensch nicht „aus der Zeit heraustreten“ (633) kann, so dass es entscheidend darauf ankommen wird, in welchem Bestimmungshori­ zont die Zeit verstanden wird. Die theologische Betrachtung sieht nicht allein auf den Ablauf der Zeit, sondern auf die mit ihr verbundene Ermöglichung, von der allein deshalb gesprochen werden kann, weil sie von der Ewigkeit Gottes bestimmte und qualifizierte Zeit ist. Nicht die Koalition von Zeit und Tod bestimmen die Orientierungen, sondern die

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von Zeit und Leben. Theologisch ist die von Gott geschaffene Zeitlichkeit des Menschen in das Licht der Ewigkeit Gottes als der spezifischen ungeschaffenen Zeitlichkeit Gottes zu stellen, in der „das Damals, das Jetzt und das Dereinst, das Gestern, das Heute und das Morgen ineinander“ (525) fallen und sich nicht nacheinander ereignen. Dieses „Ineinander von Vorher, Jetzt und Nachher“ (525) demonstriert Barth christologisch an der Botschaft der Ostergeschichte „als eine wirkliche, in ihrer besonderen Zeit geschehene Geschichte“ (537). Sie benennt das Zentrum des Glaubens, weil in ihrem Geschehen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichzeitig werden und Jesus als der Herr der Zeit erkennbar wird. „Es war alles in diesem Dort, in seiner Auferstehung in ihm beschlossen.“ (585) Der Auferstandene ist der Gekommene, der Gegenwärtige und der Wiederkommende und als solcher der die Ewigkeit Gottes in der Zeit offenbarende Herr der Gemeinde. Im Licht der Auferstehung erschließt sich die Gegenwart Gottes in seinem vergangenen irdischen Leben einschließlich seines Todes am Kreuz, ebenso wie die Gegenwärtigkeit seiner Gegenwart als auch die Hoffnung auf seine vollkommene Vergegenwärtigung. Ja, sie erschließt sich bis zur Schöpfung als dem Beginn der Zeit (572) und auch darüber hinaus bis zur ewigen Erwählung (573; vgl. Kap. IV.3). Und das gilt ebenso für die Eschatologie, in der mit „keine[n] selbständigen ‚letzten Dingen‘ außer und neben ihm“ (589) zu rechnen ist. Deshalb ist die Erwartung des Wiederkommens Jesu ihrem Wesen nach Naherwartung, denn er ist der uns als der Gekommene der gegenwärtige Christus, der uns auch aus der Zukunft entgegenkommt (590 ff). Die christliche Erkenntnis, die christliche Gemeinde, die christliche Existenz ist von der Auferstehung und von der Auferstehungsbotschaft her dieses Ganze, das ebenso notwendig Glaube wie Liebe wie Hoffnung, das ebenso notwendig wie auf den Anfang und wie auf die Mitte so auch auf das Ende ausgerichtet ist, wobei das Ende wie der Anfang wie die Mitte, der Gegenstand des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung notwendig Jesus heißen. (593)

Ostern erschließt somit die unsere Zeit bestimmende Ewigkeit und ist damit auch der Schlüssel für den rechten Umgang mit der Zeitlichkeit des Menschen. Nicht die Zeit ist Gott – „Es gibt keinen Gott Chronos“ (547) –, vielmehr gibt Gott der Zeit ihre Bestimmung, indem er sie von seiner Ewigkeit aus orientiert. In seiner Ewigkeit hat Gott sich Zeit für den Menschen genommen (555) und damit ein für allemal die Zeit in den Horizont seiner Ewigkeit gestellt. Durch diese Imprägnierung der Zeit mit der Ewigkeit wird es möglich, dem Fatalismus zu entkommen und eine qualifizierte Vorstellung davon zu bekommen, was es heißen könnte, Zeit zu haben. Die Zeit bleibt nicht die indolente Regelmäßigkeit bzw. der unaufhaltsame Taktgeber des Zerfalls, weil sie selbst nun eine Bestimmung und ein Ziel bekommen hat, das in der gewollten Beziehung zu Gott besteht, der nicht den Tod, sondern das Leben will. Die Zeit wird umschlossen von der Zeit Gottes, die eben die Ewigkeit ist. Wenn Barth dann davon sprechen kann, dass der Mensch dem oben bedachten Anschein entgegen „wirklich Zeit hat“ (636), dann allein deshalb, weil unsere Zeit

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in Gottes Händen steht (Ps 31,15). Sie ist der Raum „für die Geschichte des Bundes zwischen Gott und Mensch, die es ihrerseits möglich macht, daß es auch eine Geschichte zwischen dem Menschen und seinen Mitmenschen, eine Geschichte der Menschlichkeit geben kann.“ (634) Gottes Ewigkeit wird dem Menschen zur „Quelle, dem Inbegriff und Grund aller Zeit […] Seine Gegenwart als solche ist Gabe meiner Zeit.“ (640) Es geht genau um den mit der Gegenwart bezeichneten Übergang, von dem, was wir nicht mehr sind, zu dem, was wir sein werden, was die Qualifikation unserer Zeit ausmacht. Die Gleichzeitigkeit von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erhellt die Bestimmung unserer Zeit durch die Ewigkeit (667). Alles hängt an der rechten Erkenntnis der Auferstehung Jesu und der mit ihr verbundenen Botschaft: „In Jesus ist Gott ewig […] für uns.“ (669) „Das ist das Geheimnis des ganzen Evangeliums und des ganzen Gesetzes.“ (643). Zeitlichkeit schließt Endlichkeit ein. „Endlichkeit heißt Sterblichkeit.“ (761) Befristete Zeit ist „Zeit der Mitte zwischen ihrem Anfang und ihrem Ende“ (677). Das gilt auch, wenn die Zeit von der Ewigkeit umschlossen ist, denn als unbefristete könnte sie weder von vorn noch von hinten von der Ewigkeit umschlossen sein, was für den Menschen zur Folge hätte, dass sein Woher und sein Wohin in ihm selber und nicht in Gott zu suchen wären. Ohne Befristung wäre der Mensch nie am Ziel und die Sehnsucht nach Verwirklichung bliebe zwangsläufig in niemals zur Ruhe kommender Schwebe. Indem der Mensch in Gottes Ewigkeit eingebettet ist (690), sind Vorher und Nachher nicht im Dunkeln. Sein Jenseits ist Gott und nicht das Nichts. Dagegen wäre ein „Sein in einer immerwährenden Zeit […] ein nach allen Seiten zerfließendes Sein, nicht das eines konkreten Subjektes, dem Gott als ebenso konkretes Subjekt Gegenüber und Nachbar sein, zu dem er reden und mit dem er handeln kann.“ (686) Die Begrenzung ist durchaus als Ermöglichung und dann auch als Verwirklichung und insofern als „Ausdruck der göttlichen Bejahung“ (687), als „Wohltat sondergleichen“ (693) zu verstehen. Andersfalls müsste der Mensch sich selbst Gott werden. Was sich für den Anfang des Lebens problemlos plausibel machen lässt, erweist sich für das Endes Lebens allerdings als überaus sperriges Problem, das im Grunde schon das ganze Leben beschattet, weil der Tod schwerlich anders als ein von Gott zugelassenes Übel, als „Nein […] zu unserer geschöpflichen Existenz“ verstanden werden kann (723). Barth nimmt diesen Einwand sehr ernst und widmet ihm eine facettenreiche allgemein menschliche, aber auch theologische Rechtfertigung, die erkennen lässt, welcher unvergleichlichen Prüfung die theologische Konzentration des Glaubens auf das Evangelium an dieser Stelle ausgesetzt ist. Vom Tod, wie er uns faktisch begegnet, kann man also gewiss nicht sagen, daß er zu der von Gott geschaffenen und darum guten Natur des Menschen gehört. Er ist uns vielmehr zweifellos ein Negatives, ein Übel […] Wer den Tod fürchtet, der ist also […] auf alle Fälle der Wahrheit näher, als wer ihn nicht fürchtet oder vielmehr: sich gebärdet, als ob er ihn nicht zu fürchten habe. (726 f)

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Der Tod bedrängt das Leben, indem es dieses mit dem Nichts bedroht: Das ist „das ernste, große, unerträgliche Übel“ (740). Auch wenn es Gott ist, in dessen Hände wir im Tode fallen, haben wir uns einzugestehen, dass es nichts gibt, womit wir uns vor seinem Urteil rechtfertigen könnten. Es kann keine begründbare Appellation an Gott geben als allein das Vertrauen auf seine Gnade, in der er auch hier nicht gegen uns, sondern für uns sein wird (742 f). [Der Tod] ist wohl unsere Grenze und doch nur unsere selber begrenzte Grenze. Er kann uns Alles nehmen. Er nimmt uns auch Alles, was unser ist. Er bringt es fertig, daß wir nicht mehr sind, weil wir keine Zeit mehr haben. Er bringt aber das nicht fertig, daß Gott nicht Gott, unser Gott, unser Helfer und Retter und als solcher unsere Hoffnung ist. Das kann er nicht. (744)

Diesem Trost fügt Barth einen weiteren hinzu, der dem Schrecken des Todes entgegenwirken soll. Es ist Christus, der anstelle eines natürlichen Todes stellvertretend mit seinem vorzeitigen Schmachtod unseren Schmachtod stirbt, so dass für uns die unvermeidliche Schmach des Todes ganz und gar in das Licht des natürlichen Endes unseres begrenzten Lebens gestellt werden kann, das in der Ewigkeit Gottes aufgehoben bleibt (764 ff). Nicht im Blick auf den Tod, wie er uns im Kreuz drastisch vor Augen gerückt wird, kann seinem Schrecken widersprochen werden, sondern allein der Blick auf den auferstandenen und in der Ewigkeit Gottes lebendigen Christus, der als der Gekommene und der Wiederkommende auch der je heute Gegenwärtige ist. Von hier aus ergibt sich eine fundamentale „Unterscheidung zwischen Ende und Fluch, Sterben und Strafe, Tod und Todesgericht“ (769), so dass nicht die naturgegebene und gottgewollte Endlichkeit aus der guten Schöpfung herausgenommen werden muß, um der Schmach und dem auch vom Menschen heraufbeschworenen Übel allein das Feld zu überlassen. Daß der gnädige Gott sich selbst zum Ende des Menschen macht und daß es damit geschieht, daß dessen Ende nicht Finsternis, sondern Herrlichkeit ist, daß es auch so sein kann, das bestätigt offenbar endgültig, daß wir es in diesem Ende als solchem nicht mit einem Symptom der Unordnung, sondern der Ordnung, nicht mit einem Gewaltstreich des Chaos, sondern mit der guten Schöpfung Gottes zu tun haben. (776)

Schließlich und zuletzt bliebe ohne dieses dem Menschen in der Zeit gesetzte definitive Ende die Hoffnung auf die Auferstehung gegenstandlos, was darin beklagenswert wäre, weil damit auch die Aussicht auf seine „definitive[n] Koexistenz mit dem Leben Gottes“ (779) verstellt würde.

& Krötke, The humanity of the human person in Karl Barth’s anthropology. Noordveld, Der Mensch in seiner Zeit.

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4.4 Gottes Vorsorge für die Welt – die Lehre von Gottes Vorsehung107 Als Schöpfer hat Gott die Welt nicht nur erschaffen und ihr eine Bestimmung gegeben. Sie wird nun nicht einfach sich selbst überlassen, wie es von den aufklärerischen Deisten vertreten wird, sondern Gott erweist sich darin weiterhin als ihr Schöpfer, dass er sie begleitet und erhält. Dieser Aspekt wird traditionell in der sogenannten Vorsehungslehre bzw. der Lehre von der Providenz bedacht. Es bleibt ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass die Vorsehungslehre nicht zu verwechseln ist mit der Erwählungslehre bzw. Prädestinationslehre (vgl. Kap. IV.3).108 Sie teilt aber mit ihr das Schicksal, dass ihr in der gegenwärtigen Theologie keine substanzielle Bedeutung mehr zugemessen wird.109 Es war nicht erst die nationalsozialistische Inanspruchnahme der Vorsehung, die sie in ein höchst zweifelhaftes Licht rückte und damit den Begriff in Misskredit gebracht hat, sondern längst vorher wurde Gott die Rolle als Lenker der Geschichte von der Aufklärung und der von ihr geprägten Theologie abgetrotzt. Die Rede vom Handeln Gottes in der Geschichte hat schließlich angesichts der Katastrophen des 20. Jahrhunderts ihre Plausibilität beinahe ganz eingebüßt. Wo sie dennoch bemüht wird, wie etwa 1990 bei der Vereinigung der beiden deutschen Nachkriegsstaaten, steht ihr der Missbrauch so sehr auf der Stirn geschrieben, dass sich ein Widerspruch erübrigt. Allerdings bleibt die Frage, ob so ohne weiteres auf die Vorstellung verzichtet werden kann, dass Gott in dieser Welt handelt und ihr Geschick tätig begleitet. Es muss die Frage gestellt werden, ob ein solcher Verzicht nicht zugleich der Rede von einem lebendigen Gott und seiner Gegenwart so sehr die Substanz entzieht, dass ihr unweigerlich jede lebenspraktische Relevanz abhanden geht. Es bleibt dann mehr oder weniger zwangsläufig ein Gott übrig, zu dem es keine wirkliche Beziehung geben kann, weil man sich nicht wirklich an ihn wenden und das Gespräch mit ihm suchen kann. In diese Blickrichtung hebt Barth hervor, dass eine Theologie, die sich zum Verhältnis Gottes zu dem geschichtlichen Weltgeschehen ein Schweigen auferlegt sieht, nicht meinen solle, dann überhaupt noch etwas Bedeutungsvolles zu sagen zu haben. Und so greift er in seiner Schöpfungslehre mit durchaus überraschender Breite das Thema der lebendigen Gegenwart Gottes in seiner Schöpfung auf, auch wenn er alle Wege einer geschichtstheologischen Deutung des Weltgeschehens konsequent verriegelt sieht. Indem von Gott reden heißt, von seinem Handeln zu reden, kann sich die Theologie nicht mit Hinweisen auf eine eschatologische Heilszusage und eine auf sie ausgerichteten Hoffnung beschränken, sondern sie wird auch etwas zu seinem gegenwärtigen Handeln zu sagen haben, wenn sie sich hier nicht allein mit der Klage über das zu überwindende Jammertal abfinden will, in dem sie es sich im Übrigen meist recht bequem eingerichtet hat. Sie wird in 107 Vgl. zum ganzen Kapitel Weinrich, Gottes Einstehen für seine Schöpfung. 108 Während die Prädestination nach Barth die Voraussetzung der Schöpfung ist, setzt die Vorsehung die Schöpfung voraus und ist auf ihre Erhaltung ausgerichtet; KD III/3, 3 ff. 109 Vgl. Hüffmeier, Deus providebit; Link, Die Krise des Vorsehungsglaubens.

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keinem Fall auf die Wahrnehmung der Gegenwart Gottes verzichten können, auch wenn die hier zu treffenden Feststellungen keine allgemein probaten plakativen Lösungen ins Fenster stellen können. Barth arrangiert sich nur bedingt mit dem traditionellen Begriff der Vorsehung, der auf das Narrativ der Bindung Isaaks zurückgeht, nach dem sich Gott anstelle Isaaks ein Opfertier ausersehen habe (Gen 22,14). Dabei hebt er hervor, dass die Erzählung nicht auf Gottes Vorherwissen (praescientia) rekurriert, sondern auf seine eingreifende Vorsorge, die es Abraham ermöglicht, den Willen Gottes zu erfüllen, ohne dazu seinen Sohn hingeben zu müssen. Dieser Rückbezug legt den Begriff der Vorsorge (procuratio) näher als den der Vorsehung (providentia)110 (KD III/3, 1 f). Barth bleibt seinen systematischen Fundamentalentscheidungen treu, wenn er auch hier – wiederum gegen den breiten Strom der Tradition – die essenzielle Bedeutung der Christologie zum Kriterium einer angemessenen Rede von der Gegenwart Gottes erklärt. Christus ist der auferstandene Gekreuzigte, der laut des christlichen Bekenntnisses zur Rechten Gottes des Vaters sitzt und damit in der Vollmacht Gottes gegenwärtig ist. Wenn davon abgesehen wird, schleichen sich unversehens die spekulativen Ambitionen ein, die sich in der Tradition immer wieder mit der Vorsehungslehre verbunden haben, die es aber konsequent zu vermeiden gilt. 4.4.1 Das Thema der providentia Dei

Über die Bestimmung hinaus, die der Schöpfung in dem Bund Gottes mit seinem Geschöpf gegeben ist, wird in der Vorsehungslehre Gottes eigens zu bedenkendes Eintreten für seine Schöpfung bedacht. Ihr Thema ist die aktive Zuwendung Gottes zu dieser Welt als ihr Schöpfer und Erhalter. Die Schöpfung steht für den Anfang der geschöpflichen Existenz, ihre Ermöglichung und Bestimmung. Die Providenz thematisiert darüber hinaus die dauerhafte Erhaltung und den geschichtlichen Vollzug der geschöpflichen Existenz, indem sie „die Zuwendung des Schöpfers zur Existenz seines Geschöpfes“ (7) bedenkt. Es geht um die Koexistenz von Schöpfer und Geschöpf, die das Geschöpf in seinem Tun und Lassen der lebendigen und tätigen Gegenwart seines Schöpfers versichert (12). Damit ist keine empirisch verifizierbare Gegebenheit gemeint, wohl aber ein essenzielles Element des immer auch von Anfechtungen bedrohten Glaubens. Die Gewissheit des Glaubens wird gleichsam auf ihre Reichweite im Umgang mit der Welt bedacht. Die Vorsehungslehre tritt damit an die Stelle einer geschichtsphilosophischen oder weltanschaulichen Wirklichkeitsauffassung, die dem bei allem Getöse an sich stummen Weltgeschehen eine Interpretation aufdrückt. Sie verweist die Erfahrungen auf die im Glauben vor Augen gerückte Geschichte Gottes mit den Menschen, die auch im Angesicht all der unübersehbaren Widersprüche in der jeweiligen Gegenwart nicht etwa gerade unterbrochen oder gar beendet ist. Auch 110 Wolf Krötke bietet als Alternative den Begriff der Fürsorge an, der allerdings umgangssprachlich heute auch nicht unbelastet ist; vgl. Krötke, Gottes Fürsorge für die Welt.

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wenn sich der Anschein aufdrängt, hat das Weltgeschehen keine Eigenmacht Gott gegenüber, sondern bleibt umgeben und gehalten von der Vorsorge Gottes. Das ist mal deutlicher, mal weniger deutlich und gelegentlich gar nicht mehr erkennbar. Der Glaube an die Vorsorge Gottes ermutigt unter Berufung auf Gottes Zuwendung zu seiner Schöpfung und den Verheißungen seiner Geschichte mit dem Menschen gleichsam zu einer prophetischen Wahrnehmung der Weltgeschichte. Dabei geht es nicht um die Identifikation großer Linien, wie sie in spekulativen Geschichtsphilosophien vorgetragen werden, sondern um situative Bekenntnisse, in denen sich die Gegenwart Gottes vergegenwärtigt und damit die konkrete Situation in ein besonderes Licht rückt. Barth nennt es eine „heilsame praktische Erkenntnis“ und vergleicht es mit dem von Gott gegebenen Manna in der Wüste: Es ist das, was der Mensch in dieser Hinsicht durch das Wort Gottes empfangen darf, Lebenserkenntnis, tägliches Brot, Manna vom Himmel, das nur gesammelt und gegessen, aber nicht aufbewahrt werden, in dessen Besitz sich niemand rühmen oder zur Ruhe begeben kann, mit dem man nur leben kann, wenn es nicht umsonst gegeben sein soll, nach dessen weiterer Gabe man sich ausstrecken muß, um sie wieder und aufs neue zu haben. (27)

Angesichts des tatsächlichen Weltgeschehens, das bei nüchterner Betrachtung die meisten Menschen wohl eher an die Existenzbedingungen einer Wüste als die des Paradieses denken lässt, geht es mehr um Trost und Ermutigung zu einem „Dennoch“ und zwar ein „höchst […] begründetes Dennoch!“ (51) als um einen triumphalistisch zu annoncierenden Durchblick, der sich auf die gewisse Kenntnis der Herrschaft Gottes berufen könnte. Es bleibt bemerkenswert, dass Barth seine Überlegungen über Gottes tätige Begleitung vor allem im Jahr 1949 formuliert hat, also unter der noch täglich vital in Erinnerung gerufenen Präsenz der Schrecken des Zweiten Weltkrieges. Der Glaube an die Providenz Gottes lebt mehr aus einem kontrafaktischen Vertrauen als von identifizierbaren Erfahrungen (56). Das „Dennoch“ wird gerade auch gegen die vollkommene Verlorenheit und den Fatalismus des vollkommenen Ausgeliefertseins gesprochen. Es ist ein in der Dunkelheit gesprochenes „Dennoch“, das in schweren Zeiten an dem „Soli Deo gloria“ festzuhalten versucht, das als solches auch überaus tröstlich ist. Im Unterschied zur verbreiteten Fixierung auf die im Grunde abstrakte Theodizeefrage, die früher oder später vor allem Ratlosigkeit verbreitet, geht es um ein fundamentales Bestimmungsmoment der bereits bedachten ‚theologia viatorum‘ (vgl. Kap. III.4) im Horizont der gelebten Beziehung zum auferstandenen Christus.111 Wenn Max Geiger für Barth eine „nachkritischen Providenzlehre“ hervorhebt, weist er darauf hin, dass diese nicht in Konkurrenz zu den Naturwissenschaften

111 Christopher C. Green stellt zu Recht den Inhalt des ganzen Kapitels IV, 4.4 in die Perspektive einer doxologischen Theologie; vgl. Green, Doxological Theology. Dieses Buch kann als durchgängiger Kommentar zu KD III/3 gelesen werden.

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tritt,112 denn es geht nicht um das Wirken Gottes in den Ereignissen, sondern über den jeweiligen Vorgängigkeiten. Das hier leuchtende Licht kann, weil es sich auf die erhellende Kraft des Wortes Gottes beruft, mit Kornelis Heiko Miskotte als „gesprochenes Licht“ bezeichnet werden, dem als solchem durchaus nicht weniger Erschließungskraft zukommt als dem physikalischen Licht. Es gibt keinen Grund, sich von der Natur und ihren Gesetzen mehr beeindrucken zu lassen als von der Geschichte, die durch das Wort mächtig ist.113 Da sich das Weltgeschehen nicht aus sich selbst erschließt, bleibt Vorsicht geboten im Blick auf den Adressaten unseres Vertrauens, wenn man sich nicht unversehens ideologischen Verklärungen oder gar Verknechtungen ausliefern will. Es geht in jedem Fall nur um eine „bescheidene Einsicht“ (66); die Wahrnehmung des Ganzen bleibt uns verwehrt, so dass sich so etwas wie ein christliches Weltbild verbietet (65). Zugleich kommt – wie bereits angedeutet – bei aller gebotenen Bescheidenheit die entscheidende Vergewisserung auch für den Umgang mit der Vorsorge Gottes aus der substanziellen Aufmerksamkeit auf Christus als dem lebendigen Gegenüber zur Schöpfung. Als der erwählende Gott steht er zugleich auch für die in der Schöpfung zu realisierende und an ihr Ziel zu bringenden Erwählung. Die Lehre von der Vorsorge Gottes ist ebenso schlicht wie folgenreich als die Vergegenwärtigung der geschichtlichen Durchführung und Verwirklichung der Gnadenwahl zu verstehen, oder mit Kathryn Tanner gesprochen: „the way God is with the world as a whole is a consequence of God’s decision to be with us in Christ […]. Povidence […] reflects what happens in the covenant, provides its place for its occurrence, serves it, and is thereby thoroughly conditioned and determined by it.“114 Indem schon die Schöpfung der ganzen von Gott verschiedenen Wirklichkeit von der Absicht des Bundes her und auf dessen Ausführung hin geschah, ist der Sinn der Fortexistenz des Geschöpfes und also der Sinn von dessen Geschichte der, daß dieser Bundeswille, dieses schon in der Schöpfung anhebende Bundeswerk Gottes, seinen Lauf habe und zu seinem Ziel komme. Es gibt keinen Sinn der Geschichte neben diesem Sinn. (KD III/3, 41)

Diese Fokussierung schließt die Abweisung von drei Fehlorientierungen der Lehre von der Providenz mit ein, nämlich die Annahme, 1. dass Gott und Mensch auf der gleichen Ebene und somit schließlich zusammen agieren (Synergismus), 2. dass Gott der allein Handelnde sei (Monismus) und 3. dass dem Handeln des Menschen kein Spielraum gelassen sei, weil es ganz und gar von Gott bestimmt sei (Determinismus).115 Die christologisch informierte bundestheologische Orientierung eröffnet der Lehre von der Vorsorge Gottes einen ebenso distinkten wie animierenden Raum für ein beziehungsbasiertes Leben. 112 Vgl. Geiger, Providentia Dei, 704 f. 113 Vgl. Miskotte, Wenn die Götter schweigen, 472. 114 Tanner, Creation and providence, 121 f. 115 Vgl. ebd., 125.

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4.4.2 Die drei Gestalten der Vorsorge Gottes

Mit der altprotestantischen Tradition unterscheidet Barth drei Gestalten der Providenz Gottes: conservatio (das Erhalten), concursus (das Begleiten) und gubernatio (das Lenken und Regieren).116 Die Pointe des Erhaltens besteht in der Umfassung der Zeit von der Ewigkeit und damit, wie bereits ausgeführt wurde (vgl. Kap. IV.4.3.3), die Bewahrung des Geschöpfes vor seiner Nichtung. Daraus ergibt sich für das Erhalten die folgende dialektische Bestimmung: [Gott] erhält es ewig. Er macht die Erschaffung nicht rückgängig. Er hält seinem Geschöpf die Treue. Er erhält es aber nicht unbegrenzt, sondern in den seinem geschöpflichen Wesen entsprechenden Grenzen. (70)

Dem gleichsam per definitionem begrenzten Geschöpf gilt die Erhaltung nicht in einer Aufhebung seiner Begrenzung, sondern in seiner Bewahrung in der Ewigkeit Gottes, durch welche es auch Frieden mit seiner Begrenztheit schließen kann. Was Gott aus dem Nichtsein ins Sein berufen hat, kann unter dem Erhalten Gottes nicht ins Nichtsein zurückfallen. Auch die Untreue des Menschen kann die Treue Gottes nicht infrage stellen. Die Selbstnichtung des Geschöpfes, das in seiner Hybris in einem freilich gründlich misslingenden Griff nach der Rolle des Schöpfers greift, führt nicht zu seiner Überlassung an das Nichts. Der Wille Gottes weicht nicht dem Nicht-Gewollten, so dass es zwar auch als Nicht-Gewolltes vorläufig ein gewisses Sein zugestanden bekommt, das aber niemals mehr als ein Sein des Nichtseins darstellt und somit niemals die Oberhand bekommen kann (87 f). Damit soll nicht die Möglichkeit und wohl auch Tatsächlichkeit ausgeschlossen werden, dass die Welt durchaus höchst gefährdet ist – es geht also nicht um eine Verharmlosung des Bösen –, aber dem Glauben verbietet sich die aus der Bedrohung resultierende Lähmung, weil er sich im Vertrauen auf Gottes Erhalten auch zu eigenem Widerstand gegen die dreisten Chaosmächte ermutigt findet. Gottes Begleiten stellt Barth in den Horizont der Koexistenz von Schöpfer und Geschöpf, die nicht schon in dem Gegenübersein von Gott und Mensch, sondern erst in der dieses Gegenüber in lebendiger Bewegung haltenden spezifischen Dynamik erkannt wird. Die Koexistenz als Kennzeichnung der Begleitung hebt sich auf der einen Seite ab von einer distanzierten Beobachtung aus der Ferne und auf der anderen Seite von einer determinierenden Manipulation. Er steht vielmehr ganz und gar im Zeichen dessen, was wir bereits über den Menschen als Partner Gottes und die diesen Partner auszeichnende Freiheit gesagt haben (vgl. bes. Kap. IV.4.3.1). So wie Gott sich in seiner Freiheit zum Mitsein mit seinem Geschöpf entschieden hat, so kann sich dieses auch der ihm zugemessenen Freiheit erfreuen, die ihm in dieser Koexistenz eröffnet wird (104 f). „Das vorherbestimmende Wirken dieses 116 Vgl. dazu ausführlich Green, Doxological Theology, 42–130.

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Gottes ist per se keine Vergewaltigung, keine Entwürdigung, keine Entmächtigung seines Geschöpfes.“ (147) Wenn Barth das Begleiten in den Horizont der Liebe Gottes stellt, bezieht sich Barth wieder auf die Ewigkeit Gottes: „Gott liebt ewig; er liebt als der Schöpfer auch der Zeit.“ (121) Das gibt der Koexistenz ihre Verlässlichkeit und Perspektive. Sein Begleiten bedeutet keinen unmittelbaren Eingriff in die Kausalität dieser Welt. Es erhellt vielmehr aus dem von Barth gern benutzen Gottesnamen „Immanuel“ (149), in dem die ewige Erwählung mit dem geschichtlichen Bund verknüpft wird. Der Gottesname verdeutlicht, dass das Begleiten wesentlich zu Gott gehört. Das Lenken und Regieren Gottes tritt schließlich den Kräften des Chaos entgegen, die das Geschöpf im Greifen nach der Rolle des Schöpfers entfesselt, indem es in seiner kurzatmigen Wankelmütigkeit mal diesem und kurz darauf bzw. auch bereits gleichzeitig jenem Ziel hinterherläuft. Schon 1914 erweitert Barth die ursprünglich an die Schweiz adressierte Wendung zu einer die ganze Welt einbeziehenden Formel: „Hominum confusione et Dei providentia mundus regitur“117 – „Von der Konfusion des Menschen und der Vorsehung Gottes wird die Welt regiert.“ Diese Wendung hat Barth immer wieder aufgegriffen.118 Sie benennt ein Grundmotiv seines Verständnisses der Providenz, das einerseits die Augen nicht vor dem gerade vom Menschen in seiner Selbstüberschätzung angerichteten Elend verschließt und andererseits auch dieses Elend noch von dem Regieren Gottes konterkariert weiß. Auch für das Lenken und Regieren Gottes bezieht sich Barth auf das Verhältnis der Ewigkeit zur Zeit. Damit weist er die Möglichkeit ab, das Regieren Gottes als ein in der Welt wirkendes Prinzip zu verstehen, das allem Geschehen eine bestimmte Richtung gibt, auch wenn diese möglicherweise nicht einfach erkennbar ist (217). Vielmehr wird der Zeit gerade hinsichtlich des sich in ihr ereignenden Leids keine Interpretationshoheit zugestanden, die dann den Menschen seinem Schicksal überlässt, sondern er stellt sie in den Horizont der Ewigkeit Gottes, in der sie ihr verheißungsvolles Ziel hat. Zugleich gibt das Regieren Gottes dem Menschen einen Raum zum eigenen Handeln (187), in dem er gewiss auch zu ernten haben wird, was er gesät hat, ohne deshalb den Verlauf der ganzen Geschichte beherrschen zu können (189). Auch das Lenken Gottes steht im Zeichen des „Dennoch“ und des Trostes, derer es gerade in den dominierenden Zeiten der Not so dringend bedarf. Es kann ganz und gar nicht darum gehen, theologisch aus der Not eine Tugend zu machen, wohl aber darum, Gott bei der Betrachtung des Weltgeschehens nicht einfach draußen vor zu lassen.119 Es ist die Übermacht der freien Gnade, die sich nirgends deutlicher zeigt als in dem den Bund erfüllenden Christusgeschehen, das die Ökonomie des Regierungshandelns Gottes ausmacht (223). Die Gnade Gottes ist ebenso wirklich – und d. h. auch: wirksam – wie das Lenken und Regieren Gottes, auch wenn es von uns 117 Brief an Martin Rade vom 31.08.1914: Barth/Rade, Ein Briefwechsel, 97. 118 Vgl. B. Krause, Gottes Leiden – Leiden des Menschen, 289–302. 119 Vgl. dazu Barths programmatische Rede auf der Gründungsversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen 1948 im Amsterdam: Die Unordnung der Menschen und Gottes Heilsplan.

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nicht einfach begriffen werden kann. Die Brücke zwischen Gott und unserer Welterfahrung kann nicht in irgendwelchen allgemein identifizierbaren Erfahrungen gesucht werden, denn sie kann allein vom Glauben geschlagen werden. 4.4.3 Leben als Geschöpf

Als Geschöpf leben heißt leben in der Zeit angesichts der Präsenz der Ewigkeit des Schöpfers. Es geht einerseits um die Anerkennung des spezifisch geschöpflichen Charakters des menschlichen Lebens mit seinen dieses ausmachenden Begrenzungen und andererseits um die tragende Perspektive, die diesem Leben aus dem lebendigen Gegenüber zu Gott als seinem Schöpfer und Erhalter gegeben ist. Im Unterschied zu dem in sich selbst verschlossenen Menschen sieht der Mensch als Geschöpf „etwas, was die Anderen nicht sehen. […] Er sieht die konstituierende und organisierende Mitte des Weltlaufes […], in dieser Mitte als Träger aller Gewalt im Himmel und auf Erden den Sohn Gottes.“ (273) Die aus diesem Sehen resultierende Erkenntnis hat keinen theoretischen, sondern einen existenziellen Charakter, der dem Menschen keinen Generalschlüssel zur Weltdeutung in die Hände spielt, wohl aber eine „christliche Sachkunde“ (276) vermittelt, in der er im Vertrauen auf Gott im Weltgeschehen immer auch die Hand Gottes mit im Spiele sieht, auch wenn sie sich an den vorgängigen Ereignissen nicht ablesen lässt. Sie orientiert sich am Wort Gottes, ohne damit für jedes Ereignis eine aufgehende Theorie geliefert zu bekommen. Es geht um die konsequente Anerkennung des Anspruchs, in dem sich Gott in seiner Offenbarung erschlossen hat, der als solcher aber nicht in die Verwaltung der Menschen übergeht. Immer wieder werden sich die Menschen von für sie unauflöslichen Rätseln herausgefordert sehen, um deren Erhellung sie nur immer wieder neu um den Heiligen Geist bitten können. Im Entscheidenden wird es darauf ankommen, dem Rätsel der Welt nun nicht auch noch einen unbekannten Gott (Apg 17) zur Seite zu stellen, der dann dazu herhalten muss, unsere Konfusion und deren – auf das Ganze gesehen – hilflose Überwindungsversuche zu rechtfertigen. Es reicht nicht aus, Gott nur als die Grenze unseres Wissens zu bezeichnen, womit nur faktisch verbrämt wird, dass wir vor dem Nichts stehen. Aus diesem uns umgebenden allgemeinen Dunkel wird Gott nicht in Erscheinung treten. Der weltanschaulich herbeigesehnte Gott hat bestenfalls die Wahl zwischen Illusion und Fatalismus, und beides bleibt hoffnungslos, so dass er leicht als Täuschung durchschaut werden kann. Der Verlust eines solchen Gottes ist nicht zu beklagen. Barth lässt nicht nach, darauf hinzuweisen, dass wir nicht auf dem Areopag einem unbekannten Gott einen Platz freihalten müssen, weil sich Gott selbst bekannt gemacht hat, so dass wir nicht im Unklaren darüber sind, wie er sich zur Welt und ihrem Geschehen verhält. Sein Wort steckt uns gleichsam ein Licht auf, in dem all unsere Erfahrungen in eine veränderte Beleuchtung geraten. Aber es kommt entscheidend darauf an, dass dies dann auch geschieht. Auch unser Verständnis von der Vorsorge Gottes, seiner Erhaltung, Begleitung und Leitung der Welt ist in das

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Licht des Christusgeschehens zu rücken (335), oder es wird nichts Besonderes und Bedeutsames von ihr zu sagen sein. Vermutungen können uns nicht orientieren, ebenso wenig wie allein traditionsvermittelte Lippenbekenntnisse. Es bleibt hoffnungslos, wenn wir selbst nicht ernst nehmen, was wir mit unserem Bekenntnis im Munde führen. Was hilft uns nun eigentlich alles unser Denken und Reden über Christus und seine Auferstehung, über die Gnade und über die Herrlichkeit unserer Wiedergeburt zu einer neuen Kreatur, über die Majestät des Wortes Gottes, über die Kirche als göttliche Stiftung und über die causative oder kognitive Kraft der Sakramente – wenn uns angesichts der schlichten Zumutung, Gott als den zu anerkennen, der Alles in Allem wirkt, nun dennoch der Kummer erfaßt, als ob damit vielleicht doch von Gott zu viel und vom Geschöpf zu wenig gesagt sein, als ob damit dem Eigenen, der Selbständigkeit des geschöpflichen Wirkens, als ob damit insbesondere der menschlichen Freiheit und Verantwortlichkeit zu nahe getreten sein könnte! (166) Läßt man sich durch das, was wir als Christen erkennen und bekennen durften, nicht dazu frei sprechen, Gott mehr zu lieben als zu fürchten, dann ist es klar, daß man ihn mehr fürchten als lieben muß. Das eben ist die im Grunde allein relevante und interessante Gestalt der menschlichen Sünde. (167)

Der allfälligen Klage, dass dem Bösen nicht ausreichend Respekt gezollt werde, stellt Barth ausdrücklich die ungleich größere und abgründigere Gefahr gegenüber, dass wir in unserem Beeindrucktsein von dem Bösen die Auferstehung Christi nicht tatsächlich ernst nehmen und so dem Bösen kleinmütig das Feld überlassen. Angesichts dieser Gefangenschaft geht jede Rede von der durch den Glauben begründeten Freiheit ins Leere. Angesichts der immer wieder auftretenden lamentierenden Sorge um den Bestand der menschlichen Freiheit des Menschen empfindet Barth an dieser Stelle eine durchaus wohl ebenso beredte wie unausräumbare „Langweiligkeit“ (213). Solange der Lebendigkeit des Auferstandenen zur Rechten des Vaters keine unsere Wirklichkeit unmittelbar betreffende Bedeutung zugemessen wird, kann auch die Vorstellung von Gottes Einstehen für seine Schöpfung nur eine unbestimmte Schimäre bleiben. G eiger, Providentia Dei. &   Krötke, Gottes Fürsorge für die Welt. Plathow, Das Problem des concursus divinus.

4.4.4 Das Böse als das Nichtige, die Engel und die Dämonen

Gottes Providenz bekommt ihre unverzichtbare Bedeutung gerade durch den offenkundigen Umstand, dass ihr „Widerspruch und Widerstand“ – „es handelt sich sogar um ein ganzes System dunkler Elemente“ – entgegengebracht werden, durch welche dem Weltgeschehen „Bedrohung und tatsächliche Verderbnis“ (327) erwach-

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sen. Es gibt „unter der Herrschaft des Schöpfers ein Wirkendes“ zu bedenken, das „weder als Tun des Schöpfers, noch als Lebensakt des Geschöpfes zu erklären und nun doch nicht zu übersehen oder zu leugnen, sondern in seiner ganzen Eigenart in Rechnung zu stellen ist.“ (330) Auch wenn Barth diesem Bösen konsequent nur einen von Gott begrenzten Raum einräumt, so behält es doch in seiner Begrenzung eine brisante Bedeutung, die auch eigens thematisiert werden muss, zumal keineswegs als ausgemacht gelten kann, was genau das Böse überhaupt ist, weil es sich phänomenal nicht einfach als solches ausweist.120 Wir treffen mit diesem Thema auf einen ebenso komplizierten wie umstrittenen Problemkomplex in der Theologie Barths,121 dessen Reichweite in diesem Rahmen nicht wirklich ausgemessen werden kann. Einerseits grenzt sich Barth von einer auch in sich verwickelten philosophischen Auseinandersetzung ab, andererseits treffen hier unterschiedliche theologische Argumentationslinien und sachlich konsequenzenreiche Weichenstellungen aufeinander, die längst nicht immer explizit gemacht werden, so dass die Interpreten zu unterschiedlichen Mutmaßungen animiert werden, zumal sich auch im zeitlich weiträumigen Werk Barths problemimmanente Entwicklungslinien in der Erörterung der verschiedene Problemaspekte ausmachen lassen.122 Der aus meiner Sicht wahrnehmbaren sachlichen Stringenz korrespondiert bei Barth nicht durchgängig eine entsprechende begriffliche Stringenz. Die im Folgenden dargelegte Grundlinie wird aber als konsensfähig gelten können. Gegenüber der zur Schöpfung gehörenden Schattenseite (vgl. KD III/1, 424– 446), die aus den Begrenzungen resultiert, durch die sie sich von Gott unterscheidet, kommt dem vom Bösen ausgehenden Widerspruch eine grundsätzliche Qualität zu, die dezidiert gegen die Schöpfung gerichtet ist. Das sich keineswegs als solches präsentierende gegen die Schöpfung als solche gerichtete Böse wird von Barth in pointierter Zuspitzung unter dem Begriff des Nichtigen thematisiert. Auch wenn Barth diesen Begriff nicht als erster verwendet123, gibt er ihm doch eine ganz eigene Prägung. Zwar stellt das Böse gewiss die bedeutendste Gestalt des Nichtigen dar, aber es muss eingeräumt werden, dass es in unterschiedlicher Gestalt auftreten kann. Diese Wahl des Begriffs des Nichtigen soll von vornherein signalisieren, dass Gott aus dem Bösen keine wirkliche Gegenmacht erwächst. Die Umsicht der Argumentation bleibt davon bestimmt, dass jeder Form eines Dualismus zwischen Gott und dem Nichtigen ein Riegel vorgeschoben bleibt. In Rahmen der Lehre von der Providenz steht die keineswegs randständige Frage auf dem Spiel, ob Gott tatsächlich ihrer Verheißung entsprechend „Herr über Alles ist“ (KD III/3, 330, 334). Diese Hervorhebung der Souveränität Gottes bedeutet aber nicht zugleich, dass dies in den Blick zu nehmende Nichtige auch für das Geschöpf keine wirkliche 120 Vgl. dazu Berner, Theorie des Bösen; Dalferth, Malum. 121 Gottschalk bezeichnet Barths Überlegungen über das Nichtige als „one of the most controversial and misunderstood sections of Church Dogmatics“; Theodicy after Auschwitz, 80. 122 Vgl. dazu Wüthrich, Gott und das Nichtige. 123 Zur Begriffsgeschichte vgl. ebd., 80–95.

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Gefahr darstellt. Vielmehr zeigt sich im Gegenteil, wie gefährdet dieses ist, so dass seine Angewiesenheit auf die Vorsorge Gottes in seiner ganzen Dringlichkeit erkennbar wird. Das von Gott in seiner Schöpfung hinter sich gelassene und somit in seiner Schöpfung entmachtete Chaos kann in seiner Ohnmacht die Schöpfung zwar nur von ihrem Rande her bedrohen, aber eben dieses ist auch der Fall (KD III/1, 159). Das zeigt sich in unübersehbarer Deutlichkeit an der Sünde des Menschen, auch wenn diese nur eine Gestalt des Nichtigen darstellt, die dem moralisch konnotierten Begriff des Bösen am nächsten kommt. Der Sündenfall steht für die ebenso unbegründbare wie überaus verhängnisvolle Koalition zwischen dem Menschen mit dem um ihn werbenden Bösen, in der sich das seinem Wesen nach ohnmächtige Böse überhaupt erst mit der erforderlichen Macht ausstattet, um wirksam in das Weltgeschehen eingreifen zu können. Der Mensch stellt sich gleichsam dem Bösen zur Verfügung mit der hybriden Perspektive, damit seine geschöpflichen Grenzen überschreiten und auch selbst in der Rolle des Schöpfers auftreten zu können. Es kann durchaus als eine indirekte Bestätigung der nicht weiter ergänzungsbedürftigen Güte von Gottes Schöpfung angesehen werden, dass der Mensch zu etwas Nichtigem greifen muss, wenn er sich in ihr als ein eigener Schöpfer gerieren möchte. Die Aussichtslosigkeit des Versuchs, die Schöpfung Gottes dadurch zu überbieten, dass ihr gleichsam zu ihrer Verbesserung noch etwas hinzugefügt wird, unterstreicht nachdrücklich die Hybris des Menschen, sich selbst in der Rolle des Schöpfers zu präsentieren. Nach der Vollendung der Schöpfung, der Gott ausdrücklich seine Güte attestiert (Gen 1,31), erweist sich jede Einforderung eines Mehr tatsächlich als ein Weniger und damit als ein Angriff auf Gott als den Schöpfer. Damit wird keineswegs ausgeschlossen, dass der Mensch im Gebrauch der Schöpfung natürlich auch etwas Eigenes schaffen kann, aber das kann nur dann erfolgreich sein, wenn er sich dabei innerhalb der Bedingungen der eben auch dazu eingerichteten Schöpfung bewegt und ihr nicht eine ihr fremde Bestimmung aufnötigt, durch die er vor allem versucht, die dem Schöpfer geltende Ehre auf den sich mit ihm auf eine Stufe erhebenden Menschen umzulenken. So sehr der Mensch in dieser als seine Sünde zu bezeichnenden Unternehmung der Macht des Bösen tatsächlich unterliegen mag, so sehr bleibt für Gott festzuhalten, dass es niemals mehr als der am Ende aussichtslose Versuch einer Ermächtigung des Nichtigen sein kann, der nichts als seine Unsinnigkeit zu dokumentieren vermag. Das ist der Grund, weshalb Barth die Sünde als die „unmögliche Möglichkeit“ bezeichnet (KD III/3, 97, 405), die an dem von Gott gewollten Sein immer nur grundsätzlich vorbeigehen kann, so dass Barth auch von einer „ontologische[n] Unmöglichkeit“ spricht (KD III/2, 162, 166). Als solcher kommt ihr aber durchaus eine bestimmte Wirklichkeit zu; sie ist „kein Schein, sondern Wirklichkeit“ (KD III/3, 407), die über die Sünde hinausgeht und das Nichtige insgesamt umfasst: Hier geht es um die Wirklichkeit, die man eben nur damit adäquat beschreiben kann, daß man sie als die Möglichkeit bezeichnet, die Gott in seinem ewigen Ratschluss verworfen hat und also nie wollte, nie will, nie wollen wird, die gerade nur unter dem mächtigen Nein

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Gottes Wirklichkeit haben und sein kann, hier und so aber zweifellos Wirklichkeit hat und ist. Hier hat der Teufel als „Vater der Lüge“ seinen Ort, hier die Welt der Dämonen, hier die Sünde, hier das Übel, hier der Tod: nicht der Tod als natürliche Grenze, sondern der ewige Tod als Feind, als annihilator des Lebens. Gott ist mächtig auch über diesen Bereich, so gewiss dieser ohne seine Schöpfertat nicht einmal diese negative Wirklichkeit hätte und wäre. (84)

Da die Sünde in ihrer ganzen Widersinnigkeit aber nur als bereits vergebene angemessen erkannt werden kann, hat Barth die eingehende Erörterung der Sündenlehre von ihrem angestammten Platz in der Lehre vom Geschöpf im Rahmen der Schöpfungslehre in die Versöhnungslehre verlegt (vgl. Kap. IV.5.4). In der Schöpfungslehre erscheint sie lediglich als eine Gestalt des neben der Schöpfung zu bedenkenden Nichtigen, und so wird sie an dieser Stelle nur so weit in die Überlegungen einbezogen, als das im Rahmen der Providenzlehre zur Bestimmung des Nichtigen notwendig ist. Zwar entfaltet das Nichtige einen wesentlichen Teil seiner Wirksamkeit über die Sünde des Menschen, aber zugleich geht das Nichtige in seinen Gestalten des Übels, des Todes und des Chaos auch deutlich über die Sünde hinaus. Und so bleibt auf der Ebene der Schöpfungslehre zu fragen: Was ist der Charakter des das Böse mitumfassenden Nichtigen und was besagt seine Existenz über den Charakter der Herrschaft Gottes über seine Schöpfung? Barth ist sich ausdrücklich bewusst, dass es hier um „den Nerv der ganzen Lehre von Gottes Vorsehung“ geht (331). Das Nichtige gehört nicht zur Schöpfung und somit auch nicht zum Geschöpf. Es ist daher auch streng von der Schattenseite der Schöpfung zu unterscheiden, deren Güte nicht davon angegriffen wird, dass es in ihrer sie vom Schöpfer unterscheidenden Begrenztheit „nicht nur Höhen, sondern auch Tiefen, nicht nur Klarheiten, sondern auch Dunkelheiten, nicht nur Förderung und Fortgang, sondern auch Hemmung und Begrenzung des Lebens, nicht nur Wachstum, sondern auch Abnehmen, nicht nur Reichtum, sondern auch Armut, nicht nur Lieblichkeit, sondern auch Düsternis, nicht nur Anfänge, sondern auch Abschlüsse, nicht nur Werte, sondern auch Unwerte“ (336) gibt. Die Vollkommenheit der Schöpfung umfasst Licht und Schatten, aber entschieden nicht das Nichtige, das nur als ein Angriff auf die Schöpfung zu verstehen ist (335),124 denn es richtet sich gegen den Schöpfer und „die Totalität der geschaffenen Welt“ (342, 353). Das wirklich Nichtige – wie Barth mehrmals betont (334, 346, 419) – steht „zur Geschöpfwelt […] in einem schlechthin negativen, für sie nur bedrohlichen, nur verderblichen, nur tödlichen Verhältnis“ (343). Es ist das, was Christus ans Kreuz gebracht hat, so dass es in seiner ganzen Destruktionskraft und Reichweite vom Kreuz aus erst angemessen wahrgenommen werden kann (346), aber eben im Zeichen seiner Überwindung und Erledigung (420). Das Nichtige ist weder aus dem positiven Willen Gottes noch aus der Konstitution des Geschöpfes abzuleiten (330) – Barth gibt an keiner Stelle eine stimmige 124 Vgl. (auch zur Problematik dieser Unterscheidungen) Krötke, Karl Barths Lehre von der „Lichtund Schattenseite“ der Schöpfung.

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Erklärung für seine Herkunft, ebenso wenig wie er eine klare Grenze identifiziert, von der das Nichtige von der Schattenseite der Schöpfung unterschieden wird.125 Es gehört zu der raffinierten Täuschung des Nichtigen, dass es sich gleichsam als ein Element der Schöpfung – und sei es auch nur als ein von Gott in der Schöpfung nur zugelassenes Element – als harmlos und im Grunde auch bereits entschuldigt präsentiert (339 f). Indem es Gott – etwa zur Ermöglichung der Freiheit des Menschen – zugeschoben wird, ist „man ihm […] schon aufs Wirksamste“ (342) verfallen, denn der dem Bösen verfallenen Sünde wird hier die Reverenz erwiesen, sich als eine von Gott zugelassene Möglichkeit des Geschöpfes präsentieren zu können. Nachdrücklich stellt sich Barth gegen die verharmlosenden optimistischen neuzeitlichen Theodizeekonzepte (insbesondere Gottfried W. Leibnitz; vgl. 360 ff), in denen dem Bösen eine dem Guten dienende Rolle zugewiesen wird, so dass es schließlich faktisch selbst als etwas Gutes zu betrachten sei. Auf der anderen Seite wird es – wenn es nicht in Frage kommen kann, ihm Gott gegenüber eine Selbstständigkeit oder gar die Rolle eines Gegengottes einzuräumen – in irgendeiner Beziehung zum Willen Gottes verstanden werden müssen. Barth nimmt genau diese Spannung auf, dass auch das Böse etwas ist, das einerseits dem Willen Gottes nicht entzogen werden darf und andererseits zugleich etwas bleibt, was Gott nicht will. In der Erwählungslehre hatte Barth dem Erwählungsratschluss Gottes eine mit ihm verbundene Verwerfung zur Seite gestellt, deren Lasten Gott sich selbst zugemessen hat (vgl. Kap. IV.3.2). Die Entschiedenheit und Klarheit seines Willens zeigt sich nicht allein in dem, was Gott will, sondern eben auch in dem, was er damit nicht will und dem sich somit sein Eifer, Zorn und Richten widersetzen. Was Gott nicht erwählt, das verwirft er. Dem Willen Gottes entspricht etwas, das er nicht will, Gottes Unwille. Indem Gott seine gute Schöpfung will, will Gott nicht das Böse. Was Gott will, ruft er ins Sein. Was er aber nicht will, kann nur im Modus des Nichtseins existieren. Es ist nicht einfach Nichts, aber dem Willen Gottes nach etwas Nichtiges. So ernst und dramatisch das Böse sich tatsächlich gerieren mag, es kann, weil es hinsichtlich des Willens Gottes, der es nicht will, nur als das Nichtgewollte und somit als das Nichtige existieren. Nicht einfach nichts, sondern eben das Nichtige und als solches nicht ohne eigenes, wenn auch böses, verkehrtes Sein ist auch das, was er kraft seiner Entscheidung von sich stößt und hinter sich läßt. Eine reale Dimension wird auch damit eröffnet, einem wirklichen sui generis wird auch damit – auch darin, daß Gott hier ganz und gar nicht Schöpfer ist – Existenz zugesprochen und Gestalt gegeben. Das Nichtige ist das, was Gott nicht will. Nur davon lebt es, daß es das ist, was Gott nicht will. Aber eben davon lebt es: weil und indem nicht nur Gottes Wollen, sondern auch sein Nichtwollen kräftig ist und also nicht ohne reale Entsprechung sein kann. Die reale Entsprechung des göttlichen Nichtwollens ist das Nichtige. (406)

125 Vgl. Green, Doxological Theology, 157 f.

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Barth erinnert an den Charakter des Schöpfungshandelns Gottes als einem Scheiden dessen, was sein soll, von dem Chaos, das damit verneint wird und als Verneintes das aus dem Nichtsein ins Sein gerufene Geschaffene gleichsam als das Ausgeschiedene umgibt. Damit allein lässt sich das Nichtige noch nicht mit einer vernünftigen Bestimmung von Gottes Allmacht zusammenbringen, so dass Barth es zugleich als einen fliehenden Schatten und eine zurückweichende Grenze (406, 417) bezeichnet, was die Vermutung nahe legt, dass ausschließlich in einem Rückschluss aus seiner Überwindung im Kreuz Christi ein Hinweis auf den Grund seiner Existenz liegen könnte, was methodisch für Barth keineswegs als ein problematisches Verfahren anzusehen wäre, auch wenn sich eine solche Argumentation nur schwer mit den allgemein gebräuchlichen Gesetzen der Logik harmonisieren lässt. Mit Matthias Wüthrich bleibt hervorzuheben, dass das Nichtige „keine selbständige Geschichte außerhalb dieser Geschichte Jesu Christi“ hat, die deshalb auch als Geschichte zu erzählen ist.126 So wie Gott in seiner Schöpfung das durch seinen Willen Ausgeschlossene nicht gewollt hat, so stellt sich auch in seiner Providenz sein Erhalten, Begleiten und Regieren gegen das Nichtige in seinen drei Gestalten, nämlich der (wirklichen!) Sünde, des (wirklichen!) Übels und des (wirklichen!) Todes (340, 353). Anders als im Horizont des Unwillens Gottes, kann das Genichtete nicht existieren (406), aber als solches existiert es auch als „opus alienum des göttlichen Eiferns, Zürnens und Richtens“ (407). Entsprechend seiner Ontik als Nichtsein kann das Nichtige im Sein nur als Fremdkörper (327 f, 422) bzw. als Störung (356, 424) existieren. Die Rede vom „opus alienum“ wird allerdings darin problematisch, dass sie den Schluss nahelegen könnte, dass ihm eine ontologische Wirklichkeit zugesprochen würde, was Barth aber konsequent ausschließt. Das Nichtige ist nicht geschaffen oder auch nur vom Willen Gottes zugelassen, sondern erregt nur Gottes Unwillen, indem es versucht, Gott die Ehre der in seiner Gnade erschaffenen Schöpfung streitig zu machen. Die Mühseligkeit der verschlungenen Schlussfolgerungen lässt gewiss auch den einen oder anderen Problemaspekt unbearbeitet. Deutlich dagegen bleibt, dass der Mensch in seiner Sünde genau dieser Privation – diesem Raub – verfällt: „Raub an Gottes Ehre und Recht und zugleich Raub am Heil und am Recht des Geschöpfes.“ (408) In der Sünde lässt der Mensch das Nichtige sowohl nach dem Schöpfer als auch nach dem Geschöpf greifen. Als solches ist es in all seiner Aussichtslosigkeit aber doch das „Böse“, „Unerträgliche“, das „schlechthin Abnormale und Maßlose“, das „in sich Widerliche“ (408). Allein Gott ist ihm gewachsen; es untersteht auch als ungeschaffene Wirklichkeit der Herrschaft Gottes.127 Genau darauf liegt der Ton. Aber der Mensch ist ihm nicht gewachsen (410), was ihn aber nicht von der abgründigen Schuld freispricht, für die er darauf angewiesen bleibt, dass sie ihm von Gott abgenommen wird. Indem dies in Christus geschehen ist, hat das Nichtige seinen 126 Wüthrich, Gott und das Nichtige, 47. 127 Wüthrich, Das „fremde Geheimnis des wirklich Nichtigen“, 401, 409.

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Kampf bereits verloren, auch wenn es sich für den Menschen und damit auf das ganze Weltgeschehen vordergründig noch als überaus wirksam präsentiert. Indem in aller Konsequenz in Christus klar wird, „was Gott positiv ist und will“, zeigt sich ebenso deutlich, was Gott „nicht ist und nicht will“ (KD II/2, 152).128 Mit der Erörterung des Nichtigen ist Barths Vorsehungslehre noch nicht an ihrem Ende, weil die Schöpfung nicht nur die Erde umfasst. Vielmehr schuf Gott Himmel und Erde, aber der geschaffene Himmel wird heute nur noch selten thematisiert, obwohl er im biblischen Zeugnis keine unbedeutende Rolle spielt. Er steht nicht für den sichtbaren planetaren Raum über der Erde (engl.: sky), sondern für den uns unzugänglichen Raum der unsichtbaren Geschöpfwelt, die durch ihre besondere Nähe zu Gott ausgezeichnet ist (engl: heaven) und zu der die irdische Geschöpfwelt eine Entsprechung ist, was in der Tradition immer wieder Anlass zu phantasievollen Ausmalungen gegeben hat. Für orthodoxe und auch die römisch-katholische Ekklesiologie spielt die Vorstellung des Gegenübers einer himmlischen Kirche zur irdischen Kirche eine fundamentale Rolle. Barth beteiligt sich nicht an den Spekulationen über die Gestalt des Himmels und legt den Ton vor allem auf das Geheimnis, das mit dem Ort der lebendigen Gegenwart des Auferstandenen („Vater unser im Himmel“) verbunden ist (KD III/3, 511), möchte aber nicht auf die Bildrede dieses Geheimnisses verzichten. Die Wirklichkeit ist mehr als die unseren Sinnen unmittelbar zugängliche Welt. Wenn das Handeln Gottes als vom Himmel ausgehend vorgestellt wird und der Himmel mit seinen Boten und Heerscharen dabei auch beteiligt wird, gilt die Aufmerksamkeit nicht einem lokalen Oben, wohl aber dem gegenüber der sichtbaren Erde Höheren der Wirklichkeit, aus dem das Handeln Gottes kommt (506 ff). Da auch die Engel in der Bibel eine nicht unbedeutende Rolle spielen, sieht Barth die Theologie gut beraten, wenn sie sich auch mit ihnen und ihren Widersachern beschäftigt, auch wenn sie sich damit zweifellos in einen Grenzbereich begibt, von dem gleichsam nur legendenhaft gesprochen werden kann. Von ihnen sollte aber – wenn auch nicht ohne ein gewisses Augenzwinkern – gesprochen werden, weil sie die Kirche und auch die Theologie von dem Druck befreien, allein für die rechte Bezeugung Gottes einstehen zu müssen. Barth thematisiert die Engel nicht traditionsgemäß in seinem Kapitel über das Geschöpf, verweist aber bereits in KD III/2 darauf, dass sie ihm Rahmen der Providenzlehre ihre ebenso verdiente wie auch notwendige Beachtung erfahren werden (13). Sie erscheinen angesichts des Mangels an verlässlichen irdischen Zeugen als die „primären“ Zeugen Gottes, „seine authentischen, seine konstanten, seine unwandelbaren und unfehlbaren Zeugen“ (KD III/3, 540) im Dienst seiner Vorsehung. Matthijs den Dulk nennt sie „die bevollmächtigten Medien Gottes in der Welt“.129 Unser Zeugendienst bleibt in gewisser Weise auf ihren Zeugendienst angewiesen (566 f). Ihr Zeugnis hebt die jeweilige Botschaft unabweislich deutlich von allem Gewöhnlichen ab (571 ff). Sie bekunden – um nur 128 Vgl. dazu Dalferth, Malum, 509. 129 den Dulk, „Von guten Mächten treu und still umgeben …“, 21.

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ein signifikantes Beispiel aus dem Neuen Testament zu nennen – die Auferstehung Jesu und seine Himmelfahrt, treten aber dazwischen in den Hintergrund, weil der Auferstandene sich dort selbst bezeugt. Sie kündigen an und lobpreisen – wie in der lukanischen Geburtsgeschichte Jesu –, wo die Ereignisse noch nicht für sich selbst zu sprechen vermögen, treten aber dort zurück, wo Jesus selbst agiert (588 f). Sie kommentieren den zur Seite gewälzten Grabstein, bis sich der Auferstandene selbst bezeugt. Als Botschafter stehen sie im Dienst Gottes im Rahmen seiner Vorsorge für die Menschen. Ihr Geheimnis ist als solches mit dem Geheimnis Gottes zu wahren. Dagegen sind ihre Widersacher, die Dämonen, als „der Mythus aller Mythologien“ (611), angesichts ihrer göttlichen Verneinung und Austreibung in ihrer Zugehörigkeit zum Nichtigen in einem „Akt des im Glauben begründeten Unglaubens“ (611) konsequent zu entmythologisieren, ohne sie aber als „Lügenkräfte“ (620) ganz zu ignorieren. Barth lehnt die traditionelle Lehre vom „Engelfall“ als einen der „bösen Träume der alten Dogmatik“ (622 f) ab und macht auch nur höchst sparsamen Gebrauch von Personifizierungen des Bösen in der Gestalt des Teufels oder der Dämonen. Eine Theologie des Teufels kann es für Barth nicht geben. Auch wenn die Engel, die Dämonen und der Teufel zusammen in den Zuständigkeitsbereich der Vorsehungslehre gestellt werden, legt er großen Wert darauf, sie nicht einfach in einem Atemzug zu nennen und damit die prinzipielle Differenz nicht ausreichend zu beachten. Im Unterschied zu den Engeln sind die Dämonen keine Geschöpfe Gottes, sondern sie kommen dogmatisch im Grunde nur als bereits von Christus Besiegte auf den Plan. Dämonologische Geschichtsdeutungen etwa des Nationalsozialismus, wie sie von lutherischer Seite nicht nur von Helmut Thielicke vorgetragen wurden, können für Barth nicht in Frage kommen.130 Aus seiner Perspektive ist den Dämonen konsequent die gute Gesellschaft mit „den Engeln, mit den Wundern der Versöhnungstat und der Auferstehung Christi und schließlich mit Gott selber“ (611) aufzukündigen, denn nichts könnte ihnen wohl mehr passen, als wenn diese nun auch mit ihnen zusammen entmythologisiert würden. Die von den Dämonen repräsentierte „Grundlüge aller Lügen“ (612) gilt es zu durchschauen, um ihnen jeden Respekt zu entziehen.131 B erner, Theorie des Bösen, 234–316. &   Krötke, Sünde und Nichtiges bei Karl Barth. Wüthrich, Gott und das Nichtige.

4.5 Das Gebot der Freiheit Barth erinnert an seine Fundamentalentscheidung, dass „Dogmatik […] implizit immer auch Ethik sein“ muss (34), wenn er seine Schöpfungslehre mit einer 130 Vgl. Wüthrich, Das „fremde Geheimnis des wirklich Nichtigen“, 402 f. 131 Zur Engellehre vgl. Dürr, Der Engel Mächte, bes. 213–227; Heidtmann, Die Engel, 71–115; Lindsay, The heavenly witness to God; Reeling Brower, Keine Niederlassungsbewilligung?

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umfänglichen Schöpfungsethik abschließt, wo „das Implizite jetzt, am Ende und in der Spitze […] auch explizit werden muß“ (34). In ihr geht es also um die Explikation der ethischen Implikationen der Lehre von Schöpfer und Geschöpf und der Überlegungen zu Gottes Begleitung seiner Schöpfung. Was Barth in der Gotteslehre grundlegend und theologisch allgemeingültig ausgeführt hat (vgl. Kap. IV.3.4), findet hier in Entsprechung zu der für die Kirchliche Dogmatik ins Auge gefassten Struktur seine erste Spezifikation: „Das Gebot Gottes des Schöpfers“ (KD III/4). Mit all ihren Aspekten stellt Barth die Schöpfungsethik in den konkreten Gestaltungshorizont der menschlichen Freiheit, so dass von ihr im Rückblick auf die vorangegangenen dogmatischen Überlegungen auch noch einmal eine besondere Schärfung der Wahrnehmung ihrer zentralen Akzente ausgeht. 4.5.1 Allgemeine und spezielle Ethik

Die Schöpfungsethik gestaltet sich im Unterschied zur „allgemeinen Ethik“ der Gotteslehre in KD II/2 als eine „spezielle Ethik“, die nach der Heiligung des menschlichen Handelns unter dem Aspekt des Handelns Gottes als seines Schöpfers und Erhalters fragt. Diese Unterscheidung von „allgemeiner“ und „spezieller Ethik“ erinnert an die Architektur der Kirchlichen Dogmatik. Nachdem die Prolegomena den Fokus und die Form theologischer Erkenntnis als trinitarisch orientierte Erkenntnis bedacht haben, wurde im ersten Band das in seinem Handeln erkennbare Wesen des sich in Christus offenbarenden dreieinigen Gottes exponiert. Die ethischen Implikationen dieser Gotteslehre sind das Thema der „allgemeinen Ethik“. Im weiteren Verlauf geht die Kirchliche Dogmatik dann dem Verständnis der drei Seinsweisen Gottes als Schöpfer, Versöhner und Erlöser, also den zu unterscheidenden Appropriationen Gottes, je eigens nach, so dass auch drei besondere ethische Aspekte zu erwarten sind, die dann jeweils in einer „speziellen Ethik“ zu erörtern sind. Sie bleiben ebenso deutlich voneinander zu unterscheiden, wie sie unauflöslich mit einander verbunden sind (35 f). Reflektiert die allgemeine Ethik vor allem auf Gott als den Gebieter und den Charakter seines Gebotes, so liegt die Perspektive der speziellen Ethik unter dem jeweiligen Aspekt des Handelns Gottes auf dem Handeln des von Gott geheiligten Menschen.132 Ging es in der allgemeinen Ethik um Anspruch, Entscheidung und Gericht des Gebotes des in Freiheit den Menschen erwählenden Gottes, so wird im Horizont der Schöpfungslehre die Aufmerksamkeit auf das Handeln des sich seinem Schöpfer verdankenden Geschöpfs gerichtet (KD III/4, 2 f). Die Notwendigkeit der speziellen Ethik ist dem Umstand geschuldet, dass wir nicht alles zugleich sagen können, sondern bestenfalls hintereinander und dann immer auch inadäquat, so wie wir eben auch immer nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit erkennen können, der immer auch der Ergänzung bedarf (37). 132 Vgl. auch Barth, Das christliche Leben, 2 f.

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Wie es im Sein und Tun Gottes, seiner Einheit und Ganzheit unbeschadet, einen Bereich gibt, in welchem er im Besonderen Gott der Schöpfer ist, so im Sein und Handeln des Menschen, wieder unbeschadet seiner Einheit und Ganzheit, einen Bereich, in welchem er im Besonderen Gottes Geschöpf ist, im Blick auf den sein ganzes Tun und Lassen auch als geschöpfliches, ihm Rahmen der Struktur seiner Geschöpflichkeit verstanden werden muß. (49)

Auch für die spezielle Ethik wird von Barth von vorherein jedes kasuistische Verständnis „in Gestalt von Regeln, Prinzipien, Grundsätzen, allgemeinen moralischen Wahrheiten“ (11) als unangemessen abgewiesen. Sie liefe auf eine Beseitigung der menschlichen Freiheit hinaus und zugleich auf eine Selbstermächtigung des Menschen gegenüber dem je konkreten Willen Gottes. Vielmehr zielt die Ethik ganz und gar auf das menschliche „Einverständnis“ (13) mit Gott und den „Appell an dessen [sc. des Menschen] Freiheit“ (12). Barth zitiert Dietrich Bonhoeffer, dass das Gebot Gottes im Unterschied zu allen menschlichen Gesetzen „die Freiheit – gebietet.“ (14) Alle „Hinweise, die in einer christlichen Ethik zu entfalten sind, können nur Konkretionen des einen notwendigen Hinweises auf die dem Menschen geschenkte Freiheit sein.“ (KD IV/1, 110) Wenn Barth von dem „Ereignis des konkreten Gebotes Gottes“ (KD III/4, 15) spricht, wird angezeigt, dass es in der Ethik nicht um anzuwendende Handlungsanweisungen gehen kann. „Keine Ethik kann dieses Ereignis, bzw. diese Ereignisse antezipieren.“133 Vielmehr ist je neu auf den Willen des lebendigen Gottes zu hören, den er je und je – und dann auch ganz und gar konkret – durch seinen Geist mitteilt. Indem wir aber zugleich mit einer „Stetigkeit und Kontinuität des göttlichen Gebotes zu rechnen“ haben (17), kann die spezielle Ethik immerhin so etwas wie „Richtung und Linie“134 des Willens Gottes bedenken, auch wenn damit zu rechnen ist, dass es in der je konkreten Situation möglicherweise auch nur eine konkrete Option abzuwägen gilt (16). Es ist wahr, daß sie [sc. die Ethik] nur Anleitung bieten kann, immer wieder diesem Ereignis entgegenzugehen. Und es ist darum wahr, daß sie dem Menschen – auch indem sie ihm solche Anleitung bietet – die Zumutung nicht ersparen kann, den Sprung der Wahl, der Entscheidung, der Handlung, die er selbst und in eigener Verantwortung vollziehen muß […] selbst zu wagen. (16)

Die spezielle Ethik formuliert für das je konkrete Ereignis, deren aktuelle Weisung in jedem Fall entscheidend bleibt, grundlegende Orientierungen und Maßstäbe zur Wahrnehmung von „Güte oder Ungüte des menschlichen Handelns“ (18). Sie ist also nicht mehr, aber auch nicht weniger „als unterweisende Vorbereitung auf das ethische Ereignis“ (18 f), das uns als solches Geheimnis bleibt. Sie ist nicht selbst Weisung, wohl aber „Unterricht in der Kunst, jene Frage [sc. Was soll ich 133 Barth, Das christliche Leben, 51. 134 Vgl. klassisch Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 17 (vgl. Kap. II.8, S. 129).

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tun?] jeweils sachgemäß zu stellen und ihrer Beantwortung, die Gott allein geben kann und gibt, jeweils offen, aufmerksam, willig entgegenzusehen.“135 Weil sie um die Geschichte Gottes mit dem Menschen weiß und somit auch um den Willen des Schöpfers und um die Bestimmungen ebenso wie um die Neigungen seines Geschöpfes, kann die Ethik zwar das immer nur konkret zu vernehmende Wort Gottes nicht vorwegnehmen, aber sie kann die Richtung markieren, aus welcher der Anspruch Gott zu erwarten ist, so dass sie sich „als geformter Hinweis auf das ethische Ereignis“ (32) artikuliert. Indem das ethische Ereignis als die Begegnung des konkreten Gottes mit dem konkreten Menschen sich nicht in einem leeren, sondern in dem durch die Konkretheit dieser beiden Partner und ihrer Begegnung bestimmten Raum abspielt, steht auch die Ethik nicht vor einem im Einzelnen unaussprechlichen Allgemeinen, kann und muß sie zur speziellen Ethik werden. Sie hat einen Text, den im Blick auf jenes Ereignis zu lesen, zu verstehen und auszulegen ihre Aufgabe ist. Man kann auch sagen: sie hat ein Materialprinzip, die Anschauung und den Begriff von einem bei aller Einmaligkeit und Einzigartigkeit jenes Ereignisses Konstanten. Sie kennt nicht nur den Punkt dieses Ereignisses, sondern auch das Feld, auf dem dieses stattfindet, auf das sie, indem sie um jenes Ereignis als solches weiß, hinblickt und von dem sie dann, nun in konkreter Erkenntnis dessen, um was es dort geht, auf jenes zurückblickt. Ihr Text, ihr Materialprinzip, ihr Feld ist aber der Zusammenhang, die Gliederung und Differenzierung der Geschichte, in der das ethische Ereignis laut des Wortes Gottes seinen Ort hat, in der es einen Moment bildet. (28)

Das Wort Gottes wird vor allem mit dem ethischen Ereignis verbunden, in dem es je neu und aktuell in seiner Lebendigkeit zu vernehmen ist. Barth wendet sich gegen den „kümmerlichen Anthropomorphismus“ (119) einer starren Unveränderlichkeit Gottes, indem er die Unveränderlichkeit Gottes ganz und gar mit seiner Lebendigkeit verknüpft, in der er sich immer wieder seines Geschöpfes annimmt (120). Aber dieses lebendige Wort Gottes ergeht in der Bewegung der Geschichte, in der wir immer schon stehen und die unserer Wahrnehmung der Wirklichkeit Orientierung gibt, so dass von ihr auch eine gewisse Führung für das Nachdenken über unser Handeln zu erwarten ist. Mehr als Führung wird man sich auch von der speziellsten Ethik nicht erwarten dürfen, wie man ja auch von einer in allen Punkten genauesten Dogmatik nicht mehr als Führung zur Erkenntnis der christlichen Wahrheit, nicht mehr als Institutio religionis christianae erwarten darf. Was mehr wäre als solche Führung, wäre hier wie dort entweder eigenmächtige menschliche Behauptung, oder das Ereignis der Offenbarung, deren Subjekt nur Gott selber sein kann. Rechte Dogmatik und rechte Ethik geht zwischen beiden – zwischen dem, was sie nicht sein darf und dem, was sie nicht sein kann – mitten hindurch. Sie leistet das, was im Lichte der Offenbarung menschlich geleistet werden kann und soll: begründetes und legiti135 Barth, Das christliche Leben, 51.

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mes Zeugnis und damit Einübung im Christentum – und als Ethik im Besonderen: Einübung im Halten des Gebotes. (33 f)

4.5.2 Freiheit für den Willen Gottes

Zwar rückt die Ethik ans Ende der Schöpfungslehre, aber sie ist nicht nur ein moralisches Anhängsel. Vielmehr sieht Barth in diesem Abschluss auch ihre besondere „Spitze“ (34). Ihre Schlüsselfrage ist: Was heißt hier Freiheit für den Willen Gottes und damit für das ewige Leben?“ (34, 50) Diese Frage bedenkt Barth in der Struktur seiner in III/2 entfalteten Lehre vom Menschen als dem Geschöpf Gottes (vgl. Kap. IV.4.3). Es sind die Linien der theologischen Anthropologie, die nun für ihre handlungsorientierende Dimension ausgezogen werden: Er [sc. der Mensch] ist (1) ein Sein in einer Geschichte, und zwar in der Geschichte eines Geschöpfes, das von Gott dazu erwählt und aufgerufen ist, das sich auch faktisch dazu befähigt erweist, sich selbst vor ihm zu verantworten. Er ist (2) in Entsprechung zu jenem Ersten ein Sein in der Begegnung zwischen menschlichem Ich und menschlichem Du; er ist menschlich, indem er mitmenschlich und gerade darin das Bild Gottes ist. Er ist (3), je für sich gesehen, durch Gottes Geist Subjekt eines stofflichen Organismus, Seele seines Leibes und in dieser Zweiheit ein Ganzes in unaufhebbarer Verschiedenheit, in untrennbarer Einheit, in unzerstörbarer Ordnung. Und er ist (4), je für sich und aufs Ganze gesehen, ein durch Gott zeitlich befristetes und so durch Gott als die Hoffnung seiner Existenz begrenztes Sein. (48)

Wenn Barth nach der Heiligung des Menschen in diesem spezifischen Bereich fragt, interessiert er sich für die Freiheit des Menschen als Geschöpf Gottes (50). Heiligung und Freiheit können für Barth durchaus synonym verstanden werden, d. h. es geht (1) um die Freiheit des Menschen im Gegenüber zu Gott, (2) im Gegenüber zu seinem Mitmenschen, (3) um die Freiheit seines Selbstverhältnisses als Leib-­ Seele-Einheit und (4) um die aus seiner geschöpflichen Begrenzung und Befristung resultierende Freiheit. Pointiert stellt Barth das Feiertagsgebot an die Spitze aller anderen Gebote, weil es auch als Schlüssel für die Ausrichtung aller anderen Gebote anzusehen ist (58). Es macht den Menschen, gerade indem es „ihn vorübergehend von der Mühe seiner Arbeit losspricht“, sowohl für sich selber als auch für Gott frei (65). Es verdeutlicht zudem exemplarisch, dass auch im göttlichen Gebieten stets das Evangelium präsent bleibt (55). Der Feiertag verweist nicht auf das Wochenende, sondern er steht am Anfang der Woche, ist es doch nach der Schöpfungserzählung der erste Tag des Menschen nach seiner Schöpfung – was für Gott der siebte Tag ist, wird dem Menschen nach dem Willen Gottes zu seinem ersten. Er rückt die Freude an der von Gott bereiteten Freiheit in das Zentrum des Selbstbewusstseins des Menschen und gibt dem Leben in der Regelmäßigkeit dieser Unterbrechung einen Rhythmus, der diese gemeinschaftlich zu begehende Freude im Auge hält. Der Feiertag vergegen-

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wärtigt in besonderer Weise das immer schon vorauslaufende Evangelium, um dann auch jenseits dieser Unterbrechung die Werktage zu durchdringen (69), nicht nur als fromme Gesinnung, sondern als eine auch das konkrete Tun und Unterlassen bestimmende Haltung (70). Der Feiertag ist ja wohl ein besonderer Tag, aber […] gerade in seiner Besonderheit ein Zeichen dessen, was der Sinn aller Tage ist. Sie sind alle von ihm begrenzt und so auch bestimmt: wie eben die Heilsgeschichte und Endgeschichte in ihrer besonderen Zeit das Geheimnis, die Grenze und Bestimmung aller Geschichte aller Zeiten ist. Die Freiheit, die Sorglosigkeit und Programmlosigkeit, die seinen besonderen Charakter ausmacht, müßten von ihm ausstrahlen auch auf den Werktag, an dem sie so nicht zur Geltung kommen können – und so auch seine Freude und so auch seine Aufgeschlossenheit für den Mitmenschen, ohne die er eigentlich nicht denkbar ist. […] Wo der Werktag nur Werktag ist – nur Gefängnistag, Sorgentag, Programmtag, nur Tag des bitteren Ernstes, nur Tag der Selbsthilfe und Selbstrechtfertigung – was ist da für ein Sonntag vorangegangen und wie kann da auch nur der Werktag ein guter, ordentlicher Werktag sein? […] So ist der Werktag das Kriterium des Sonntags: das Kriterium auch hinsichtlich jener beiden besonderen Sonntagsprobleme der Arbeitsruhe und des Gottesdienstes. Wir haben in beiden Punkten kein Gesetz geltend gemacht. Aber wenn man in der Woche keine Ruhe hat, keinen Frieden, kein Aufatmen, keine Heiterkeit kennt, dann ist wohl Zeit, zu fragen, ob man sich nicht täuscht, wenn man meint, auch am Sonntag so oder so arbeiten zu dürfen, sich nicht auch täuscht hinsichtlich dessen, was man für seine erlaubte Sonntagsvergnügung hält. […] Wir haben es nicht anzugeben. Es wird immer Gottes eigene Sache sein, es einem Jeden in der gerade für ihn bestimmten und geeigneten Form anzugeben. Wir haben aber doch wohl gesehen, daß wir, indem wir uns auf das, was Gott selbst einem Jeden gebietet, besinnen möchten, nicht einfach im Unklaren sein können, einer gewissen – und doch eigentlich sehr dringlichen – Unterrichtung durchaus nicht entbehren müssen. (78 f)

Der Umgang mit dem Feiertagsgebot kann in jeder Hinsicht als exemplarisch für Barths Umgang mit all den anderen ethischen Orientierungen gelten: Das konkrete Gebot wird als Orientierung der freien menschlichen Verantwortung des Menschen aufgegriffen, es wird auf seine konkreten Implikationen und anschließend auf seine Reichweite hin befragt, um abschließend durch die Markierung bestimmter Konflikte seinen orientierenden Charakter besonders zu bedenken. Im Gegenüber zu Gott hebt Barth neben der die Freiheit des Menschen animierenden Feiertagsheiligung das mit dem Feiertag unmittelbar verbundene und zugleich über ihn hinausgehende Bekenntnis und das Gebet hervor. Während das Bekenntnis in seinem Zentrum der freien Bekundung der Ehre Gottes gilt, macht der Mensch im Gebet vor allem von der Erlaubnis Gebrauch, Gott um etwas bitten zu dürfen. Nicht ohne Grund und nicht erst heute und auch nicht nur vonseiten der feministischen Theologie wird Barths paradigmatische Explikation der Mitmenschlichkeit anhand einer durchaus vielschichtigen Bestimmung des Verhältnisses

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von Mann und Frau vor allem kritisch bewertet. Die Freiheit, die zweifellos auch hier bestimmend bleibt, kommt in einem Zusammenhang mit anthropologischen Voraussetzungen und Bedingungen zur Sprache, die bei weitem nicht mehr dem Bewusstsein einer genderbewussten Selbstwahrnehmung des Menschen entsprechen.136 Darauf muss nicht weiter eingegangen werden. Gleichwohl verlieren damit längst nicht alle auf die in Gemeinschaft zu lebende Freiheit ausgerichteten Überlegungen Barths ihren herausfordernden Charakter. Wenn Barth beispielsweise betont, dass es nicht angeht, die Freiheit zur Empfängnisverhütung allein zulasten der Frau zu praktizieren (306 ff), zeigt sich deutlich die freiheitsschützende Funktion des Gebots. Bei allen historisch überlebten Problemkonstellationen und heute teilweise befremdlich anmutenden Konkretionen wird von Barth konsequent das Gefälle durchgehalten, dass alle ins Auge zu fassenden Ordnungen niemals für sich selbst Autorität und somit undiskutierbare Direktive beanspruchen, sondern ihre Bedeutung allein als Hilfestellungen zum Schutz der vom Menschen im Bund mit Gott zu lebenden Freiheit haben können. In Barths durchgängiger kritischer Auseinandersetzung mit den sogenannten Schöpfungsordnungen und dem völkischen Bedingungshorizont menschlicher Existenz zeigt sich die deutliche kontextuelle Prägung seiner Überlegungen kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Gerade in der Ethik springt die Prägung durch die jeweiligen Zeitumstände ganz besonders ins Auge, weil diese nicht umhinkommt, die Herausforderungen und Konflikte so konkret wie möglich zu benennen, mit denen die gelebte Freiheit des Glaubens in ihrer je konkreten Gegenwart zu rechnen hat. Es bestätigt sich im Grunde unablässig – parallel mit der im Ganzen zunehmenden Modernisierungsgeschwindigkeit –, dass nichts so sehr permanenter Veränderung ausgeliefert ist wie die moralischen Urteile und die ethischen Konkretionen, nicht nur in der Theologie, hier aber eben auch.137 Im Verhältnis zu sich selbst ermutigt Barth seine Zeitgenossen und dann auch uns, ein ausdrücklich bejahendes Verhältnis zum Leben als Leihgabe Gottes (371) und der „Freiheit zum Leben“ – so lautet die Überschrift von § 55 – einzunehmen, gerade angesichts der expressiven Spuren scheinbar wachsender Lebensfeindlichkeit und existenzialistischer Lebensverachtung. Der Mensch darf sich als Partner im Bund durch die Anrede Gottes als freies Subjekt angesprochen wissen (373) und sich darin in eine bedingungslose Solidarität mit seinen Mitmenschen gestellt sehen (375 ff). Leben ist nicht einfach ein gegebener und als solcher erst zu qualifizierender Umstand, sondern eine vom „göttlichen Vertrauensakt“ (381) immer schon qualifizierte Gabe und Bestimmung, die von seinem Empfänger erkannt und anerkannt werden will, um sie dann auch in den Mitgeschöpfen zu erkennen und 136 Die Rede von der „Krankheit der sogenannten Homosexualität“ (184) mag exemplarisch dafürstehen. Auf die in diesem Bereich einzuräumende Grenze sind wir bereits in der Schöpfungslehre gestoßen (vgl. Kap. IV.4.3.2, S. 322). 137 Zu den Gründen dafür vgl. Fischer, Die religiöse Dimension der Moral als Thema der Ethik.

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anzuerkennen. Barth greift hier entschlossen Albert Schweitzers Leitmotiv von der „Ehrfurcht vor dem Leben“ auf (367), das als solches immer auch eine praktische Ausrichtung mit sich bringt. Das Leben soll „nicht eine Art zweiter Gott“ (453, 388) werden, sondern bleibt eine „relative Größe“ (454), die von der Gnade Gottes aus zu verstehen ist, so dass es im Licht der Erlaubnis und nicht in dem des Verhängnisses steht. Das „menschliche Leben ist kein gemußtes, sondern ein gedurftes; es ist Freiheit, es ist Gnade.“ (477) Damit kommen etwa die Selbsttötung oder auch der Schwangerschaftsabbruch in eine Beleuchtung, in der sie als ultima ratio nicht einfach unserer kategorischen Verurteilung überlassen bleiben dürfen. Barth geht es um ein Leben in der Entsprechung zum Tun Gottes als des Menschen Gott (543); der Mensch ist dazu aufgerufen, sich „an dem Geschehen des Willens und Werkes Gottes“ zu beteiligen (551). Es geht vor allem um die tätige Bezeugung des göttlichen Ja und dann auch um die des diesem Ja entsprechenden Nein, und zwar nicht in zeitloser Richtigkeit, sondern in den jeweils konkreten Lebensumständen. Das entscheidende Kriterium bleibt für Barth die tatsächlich gelebte Mitmenschlichkeit, die ohne die dem Geschöpf entsprechende Selbstzurücknahme nicht wirklich gelebt werden kann. Solange die vom Menschen an das Leben gestellten Ansprüche nicht auf ein allgemein verträgliches Maß beschränkt werden, wird die Menschheit nicht dazu in der Lage sein, aus der verheerenden Geiselhaft der hemmungslos ausbeuterischen Konkurrenzwirtschaft herauszutreten. Will der Mensch es sich nicht verwehrt sein lassen, die Mitmenschlichkeit, ohne die er nicht Mensch sein kann, zu vergessen und statt seinen echten Lebensansprüchen seinen leeren Begierden nachzugehen, dann muß seine Arbeit wie im Zeichen des Konkurrenzkampfes, so auch in dem der Ausbeutung, des offenen, durch den Kapitalismus geprägten oder auch des sozialistisch getarnten Klassenkampfes stehen. Es scheint nicht an dem zu sein, daß sich der Mensch jene großen Gedankenlosigkeiten verwehrt sein lassen will. Es scheint, daß wir es hier mit einer Erscheinung seines Grundungehorsams, seines letzten und tiefsten Widerstandes gegen Gottes Gebot zu tun haben. (625)

Es kann nicht darum gehen, dass der Mensch seine Grenzen darin austestet, dass er sie immer weiter hinauszuschieben versucht, was ihn gerade nicht frei sein lassen könnte. Indem er aber seine Grenze nicht in einer sich ihm entgegenstellenden Natur, sondern in Gott hat, darf und kann er den von seiner Befristung eröffneten Zeitraum als Freiheitsraum wahrnehmen, auch wenn dies längst nicht allen Menschen tatsächlich möglich ist. Die zu lebende Freiheit ist nicht mit einem namenlosen „Man“ oder den seine Originalität zelebrierenden Individualisten verbunden – Barth bestreitet sie sowohl dem „Klischeemensch[en]“ als auch dem „Narr auf eigene Faust“ (673). Vielmehr gilt sie dem konkreten „Ich“ im Horizont des ebenso konkreten jeweiligen „Wir“. Die Befristung kann als die Animation zur Betätigung der Freiheit verstanden werden, die sich ohne sie nicht wirklich begründen ließe. Und so steht die Endlichkeit des Lebens im Tod zwar immer vor Augen, aber er ist als diese Grenze nicht ernsthaft zu fürchten, sondern als eine Ermutigung zur Klugheit

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zu verstehen (Ps 90,12).138 Wir werden hier mit einer ermutigenden Nüchternheit konfrontiert, die ohne Gott wohl kaum aufgebracht werden könnte und von Barth der ansonsten unausweichlichen Sterbensangst entgegengestellt wird. Das Verkehrte, die wirkliche Sterbensangst selbst, bezieht sich darauf, daß wir, wenn wir sterben und gestorben sein werden, zu unserem Ende gekommen sein, daß wir dann, nachher, nicht mehr sein werden, daß es dann für Alles zu spät sein wird. Dazu kann ohne Gott, kann von sich aus niemand Ja sagen. […] Gerade dazu wird aber, wenn wir sterben werden, ohne unser Dazutun und ob es uns paßt oder nicht, faktisch Ja gesagt sein. Das ist der große Widerspruch, dem wir entgegenlaufen. Er ist der radikalste Widerspruch, der uns überhaupt widerfahren kann. Es scheint ein geradezu absoluter Widerspruch zu sein. Daß wir nicht mehr sein werden, könnte ja bedeuten, droht ja gleichbedeutend damit zu sein, daß wir zunichte werden, dass unsere Zukunft das Nichts ist. Auf diesen Widerspruch bezieht sich die wirkliche Todesfurcht. […] Er ist ohne Gott, vom Menschen aus unvermeidlich. (677)

Es gehört zu den fundamentalen Bestimmungen der vom Glauben konstituierten Freiheit des Menschen, dem „Memento mori!“ – Sei dir der Sterblichkeit bewusst! – weder ausweichen noch erliegen zu müssen, sondern sich von ihm zu einer lebenbejahenden Wachheit aufrufen lassen zu können (679). Nur wenn Gott selbst als die uns konstituierende Grenze bekannt werden kann, büßen alle anderen Grenzen die ihnen sonst zugesprochene oder zuzumessende Autorität ein, so dass das Leben in seiner je spezifischen Begrenzung eine „qualifizierte Wichtigkeit“ (679) bekommt. So darf sich der Mensch zu seinem konkreten Leben berufen wissen (683 ff) und aus dieser Berufung die ihm zukommende und vom Glauben ebenso getragene wie auch geschützte Ehre beziehen (744 ff). Die Schöpfungsethik ist durch und durch von dem ermutigenden Ton bestimmt, dass Gott den Menschen in seiner Gnade als sein Geschöpf in Freiheit und Anerkennung leben lässt; sie wird konsequent als die Weisung der Gnade des Schöpfers entfaltet. 4.6 Zusammenfassende und zuspitzende Thesen 1. Die Schöpfungslehre besteht nicht in der theologischen Verifikation natürlicher Erfahrung im Horizont des Glaubens. Vielmehr schlägt sie umgekehrt dem Glauben eine Brücke zur natürlichen Erfahrung, die nicht bereits als solche sprachfähig ist, sondern erst darin sprachfähig wird, dass sie in einem bestimmten Licht wahrgenommen wird – hier eben im Licht des Glaubens. Das Wahrnehmungsgefälle verläuft auch hier nicht vom Allgemeinen hin zum Besonderen, sondern konsequent umgekehrt vom Besonderen hin zum Allgemeinen, indem es die besondere Selbstmitteilung Gottes in Jesus Christus ist, durch welche sich die Wirklichkeit und Bestimmung der Schöpfung erschließt. So wie die Schöpfungserzählungen als reine 138 Barth zitiert einen eindrücklichen Ausschnitt eines Briefes von W.A. Mozart an seinen Vater vom 4. April 1787, KD III/4, 676.

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Sagen divinatorischer Phantasie entsprungen sind, hat die Schöpfungslehre insgesamt einen theologisch sekundären Charakter, der von der Gottesbegegnung des Menschen in der Geschichte abhängig ist. Es ist der Gott, der Israel aus der Sklaverei in Ägypten befreit hat und uns in seiner freien Gnade auf unsere Füße stellt, der auch als der Schöpfer und Erhalter der ganzen Wirklichkeit erkannt werden will. Grund und Perspektive zieht die Schöpfungslehre nicht zuerst aus der Betrachtung der Schöpfung, sondern vor allem aus der Konzentration auf den sich offenbarenden Gott, der als solcher auch als der Schöpfer bekannt werden will. 2. Die Schöpfungstheologie reflektiert auf den Anfang und die Grundlegung der Geschichte Gottes mit dem Menschen. Im Unterschied zu einem Ursprungsmythos bedenkt sie die „Urgeschichte“, die als solche im Unterschied zu aller sonstigen Geschichte keine ihr vorausliegende Geschichte hat und sich somit ganz und gar dem entzieht, was sich historisch erfassen lassen könnte. Zugleich aber hat sie dezidiert geschichtlichen Charakter, durch den sie genuin mit der bis heute währenden Geschichte verbunden ist. Sowenig jemals war, was dort erzählt wird, so allpräsent bleibt das Licht, was von diesem geschichtlich erzählten Anfang auf die ganze Geschichte fällt. Unsere Wirklichkeit entspringt nicht einfach einer unnahbaren Kontingenz, sondern nimmt hier ihren geprägten Ausgang, der ihre Bestimmung und Perspektive zu erkennen gibt. Die Schöpfungslehre gibt dem Glauben grundlegendes Orientierungswissen über das Fundament und den Anspruch der geschichtlichen Wirklichkeit, in der sich unser Leben vollzieht. Sie beteiligt sich nicht an dem Wetteifer um eine plausible Welterklärung, so wie sie auch keine festgefügte und dann einfach in Gebrauch zu nehmende Weltanschauung präsentiert. 3. Die Schöpfung steht in der Konsequenz der ewigen Gnadenwahl Gottes, indem sie auf den Bund Gottes mit den Menschen als ihren inneren Grund zielt, für den sie die äußeren Voraussetzungen schafft. Aller Anfang hat seinen Grund allein in Gott, so dass es Gott selbst ist, der auch für die Voraussetzungen seines Bundes steht. Barth beschreibt die Schöpfung als planmäßige Ausstattung des Seins für die Verwirklichung des Bundes und das heißt insbesondere die Konstitution des Menschen als eigenes Subjekt und somit freies Gegenüber in der Partnerschaft des Bundes. Die Gottesebenbildlichkeit hat ihre besondere Pointe in der das Wesen des Menschen ausmachenden Bezogenheit auf das ihm ebenso wesensgleiche wie fundamental andersartige Gegenüber, ohne welche er nicht angemessen als das Geschöpf Gottes verstanden werden kann. Der siebte Schöpfungstag, der zugleich der erste Tag des Menschen ist, symbolisiert die heilsame Selbstzwecklichkeit der arbeitsfreien Beziehungswirklichkeit, in der sich der in seiner Bezogenheit auf den Anderen lebendige Mensch zugleich ganz und gar der Beziehung zu Gott verdankt. Der im zweiten Schöpfungsnarrativ konsequent auf den rauen Boden dieser Erde gestellte Mensch wird im Angesicht von Gefahr und Versuchung schon durch den Atem Gottes auf das lebengebende und dann eben auch lebenserhaltende Gegenüber verwiesen, durch welches die Wirklichkeit des ihr nicht einfach auf die Stirn geschriebenen inneren Grundes ins Blickfeld gerückt wird, wie er im Bund und den mit ihm verbundenen Lebensperspektiven dann in aller Deutlichkeit in Erschei-

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nung tritt. Es ist diese unaussetzbare Oszillation zwischen Schöpfung und Bund bzw. Bund und Schöpfung, die es Barth ermöglicht, ein ebenso verklärungsfreies wie hoffnungsbegründendes Wirklichkeitsverständnis anzubieten, dessen innere Dynamik dazu in Lage ist, die überkommenen weltanschaulichen Stillstellungen hinter sich zu lassen, wie sie sich vor allem im allzu leichtfertig betretenen und zugleich abgründigen Faszinationsbereich der Theodizeefrage nicht wirklich vermeiden lassen. 4. Die Bindung der Selbsterkenntnis an die Gotteserkenntnis befreit den Menschen von dem Zwang zur Selbstkonstitution und eröffnet die Erkenntnis, in der er sich gleichsam als Geschöpf empfangen kann, um sich damit zugleich in den Lebensraum des Bundes Gottes hineingestellt zu finden. Nicht der Nachweis der besonderen Vorzüge des Menschen oder auch nur die deklamatorische Berufung auf solche stärkt sein Stehvermögen, sondern es ist die spezifische göttliche Bevorzugung, durch die ihm eine besondere Auszeichnung zuwächst, die ihn zugleich auch in eine besondere Verantwortung einweist. Die Schöpfungslehre ist darin vor allem Anthropologie, dass ihre bevorzugte Aufmerksamkeit der Aufrichtung und Bestimmung des Menschen gilt, dem Gott in seiner Erwählung als freies und partnerschaftliches Gegenüber in dem Bund seiner Gnade zu seiner Verwirklichung verholfen hat. Entscheidend bleibt, dass es um die Erkenntnis einer Zuschreibung und nicht um das Resultat der Selbstreflexion geht, die unweigerlich unablässig in einer unüberwindbaren Zirkelbewegung um die jeweils gerade hofierten Kriterien festgehalten würde. Indem sich Gotteserkenntnis vor allem als Wirklichkeitserhellung vollzieht, sieht sich der Mensch in einen Horizont hineingestellt, der ihn der Verlegenheit enthebt, seinen Wahrnehmungen selbst ein Gefälle geben zu müssen. Damit ist er von der ihn überfordernden Herkulesaufgabe befreit, sich selbst den Boden unter seine Füße legen zu müssen, der ihn tragen soll. Auch die Anthropologie findet ihre Orientierung nicht in der Selbstbetrachtung des immer auch von sich selbst entfremdeten Menschen, sondern in der Wahrnehmung des wahren Menschen, wie er in Jesus Christus in Erscheinung tritt (Joh 19,5). 5. Menschsein vollzieht sich im Zusammensein mit Gott und den Mitmenschen. Es besteht wesentlich im Bezogensein auf Gott und den ihm gegenüberseienden Nächsten. Damit wird aber dem Menschen entschieden nicht eine eigene Subjektivität abgesprochen. Im Gegenteil bekommt sein Subjektsein in diesem Beziehungszusammenhang überhaupt erst die seinem Wesen entsprechende Ebene, auf der es mit den Ansprüchen konfrontiert wird, die sich im Einvernehmen mit seiner tatsächlichen Bestimmung befinden. Das Subjektsein des Menschen wird von Barth ausdrücklich und konsequent in seine Partnerschaft mit Gott eingewiesen und damit auf die der Gottebenbildlichkeit entsprechende Höhe und den ihr entsprechenden Anspruch gehoben. Was könnte es Erhabeneres geben als die hier gemeinte Erlaubnis, sich im Angesicht Gottes und im Angesicht des Nächsten selbst als freies Subjekt bestimmen zu dürfen, zu können und dann eben auch zu sollen? Der Mensch sieht sich dazu ermutigt, sein Mit-Sein zu betätigen und

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nicht in die Abstraktion des Für-sich-Seins zu entfliehen. Keine ebenso trotzige wie tatsächlich unsinnige Selbstbehauptung, sondern interaktive und partizipatorische Beteiligung ist die Signatur eines der von Gott konstituierten Wirklichkeit entsprechenden Lebens. Barth stellt sich damit gegen das sich über seine Beziehungen erhebende, vor allem sich selbst dienende Konkurrenzindividuum, dem in Verbindung mit der von ihm favorisierten aggressiven Wirtschaftsform weniger die Fortschritte als vielmehr die Verheerungen der Menschheitsgeschichte zuzuschreiben sind. 6. Die Rede von der Gottebenbildlichkeit des Menschen kann nur im Zusammenhang mit dem Lob Gottes recht verstanden werden. Sie preist Gott darin, dass er in dieser radikal selbstidentifikatorischen Weise des Menschen Gott sein will und tatsächlich auch ist. Es ist die von Gott verliehene und deshalb unantastbare Würde, die mit ihr angesprochen wird, auf die sich der Mensch allein um Gottes willen gleichsam alles zugutehalten darf und im Blick auf den Nächsten auch muss: Er ist nicht selbst auch ein Gott, sondern das von Gott zur Antwort ermächtigte Geschöpf, dem auch im menschlichen Du wieder gleichsam die ganze Ehre Gottes begegnet. Von diesem Du her wächst ihm ein wesentliches Element seines Selbstseins zu, womit nicht zuletzt auch eine Analogie zu dem Umstand angezeigt wird, dass Gott auch nur von der sich in ihm selbst vollziehenden Beziehung angemessen verstanden werden kann. 7. Wenn Barth sich im Rahmen der Anthropologie auch der Frage nach der Zeitlichkeit des Menschen zuwendet, geht er von der herausfordernden augustinischen Beobachtung aus, dass die Gegenwart nicht mehr als der ausdehnungslose Umschlagsort zu sein scheint, an dem die uns erreichende Zukunft in die hinter uns liegende Vergangenheit übergeht. Auf dieser Ebene lässt sich die Vorstellung, tatsächlich einmal Zeit zu haben, schwerlich unterbringen. Die Zeit verliert aber ihren fatalistischen Charakter, indem sie nicht als Maß aller Dinge anerkannt wird, sondern in den Bestimmungshorizont der Ewigkeit Gottes gestellt wird, aus welcher sie nach dem Willen Gottes und somit als sein Geschöpf entsprungen ist. Die Aufmerksamkeit auf die Auferstehung als je in der Gegenwart zu vergegenwärtigende Bestimmung umfasst alle drei Zeitdimensionen und gibt ihnen zugleich eine Ausrichtung. Die Auferstehung demonstriert damit grundlegend den Qualifizierungszusammenhang von Ewigkeit und Zeit. Weil die Zeit in Gottes Händen steht, kann der Permanenz ihres Zerrinnens widersprochen werden. In dieser Perspektive kann auch davon gesprochen werden, dass der Mensch von Gott her „Zeit hat“, eben seine von Gott zugewiesene und von ihm auch umgebene Zeit, deren Befristung von Gottes Ewigkeit getragen und von vorn und hinten umschlossen ist. Gott gibt der Befristung ein Ziel, ohne welches die Verwirklichung des Menschen unweigerlich in der Schwebe bliebe. Im Kreuzestod Jesu wird dem Tod des Menschen die Schmach genommen, so dass allem Leid des Todes entgegen allein die Gnade der Befristung bleibt. Gewiss ist dies leichter statuiert als tatsächlich geglaubt, und zugleich zeigt sich an dieser Stelle so deutlich wie kaum an einer anderen Stelle, worin die eigentliche Zu-Mutung des Glaubens besteht.

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8. Gott ist nicht nur der Schöpfer der auf den Bund ausgerichteten Wirklichkeit, sondern auch ihr Erhalter, Begleiter und Souverän. Gerade indem diese Einsicht weithin den in der Regel problematischen Welterfahrungen entgegensteht, kommt ihr eine essenzielle Bedeutung als Widerlager gegen den sich willfährig ausbreitenden depressiven Fatalismus zu, der vor allem dazu dient, dem Bösen den Weg freizuhalten. Würde der Glaube und dann auch die Theologie hier nichts zu sagen haben, entglitte ihnen früher oder später auch alles, was sie sonst meinen, von Gott sagen zu können oder zu müssen. Die Lehre von der Vorsorge Gottes bietet neben den menschlichen geschichtsphilosophischen Spekulationen oder seinen ebenso kühnen wie kurzlebigen weltanschaulichen Bekenntnissen keinen weiteren Versuch, detaillierten Einblick in die weitläufige Geschichte Gottes zu gewähren, indem sie etwa den über den Geheimnissen dieser Geschichte ausgebreiteten Schleier lüften könnte. Vielmehr ist sie in der Konfusion der menschlichen Geschichte der situativ-prophetische Durchblick auf die je konkrete Gegenwart der Koexistenz Gottes mit seinem Geschöpf, der wie das Manna in der Wüste allein im sofortigen Gebrauch von aufhelfender Bedeutung ist. Es steht das begründete „Dennoch“ zur Debatte, das auch gegen den Augenschein den Verheißungen Gottes mehr Vertrauen reserviert als dem aufdringlichen Jargon der sich in den Vordergrund drängenden Fakten. Es ist die Ewigkeit Gottes, die der je konkreten Zeit ihre Bestimmung gibt, die als solche nicht einfach offenkundig ist. Die Wirklichkeit des Handelns Gottes in der Geschichte entspricht der Wirklichkeit der immer wieder neu von ihm zu empfangenden Gnade. Barth spricht von einer „christlichen Sachkunde“, die in der Wahrnehmung der konkreten Lebensumstände auch dem Vertrauen in die Gegenwart Gottes die nötige Aufmerksamkeit widmet. Es kommt entscheidend darauf an, in der Betrachtung des Weltgeschehens nicht unversehens mit einem unbekannten Gott, sondern mit dem Gott zu rechnen, von dessen Gnade wir uns in unser Leben berufen wissen dürfen. 9. Wenn Barth von dem Bösen als dem Nichtigen spricht, so gehört dies als solches nicht zum Sein der Schöpfung, auch wenn es zweifellos existiert, aber eben nur im Modus des Nichtseins, das der von Gott ins Sein gerufenen Wirklichkeit ganz und gar entgegensteht. Das Nichtige verdient keine über die Wahrnehmung seiner Nichtigkeit hinausgehende Würdigung. Es ist der Widersinn der Sünde, dass sich der Mensch des Nichtigen bedient, um sich Gott gegenüber nun selbst als Schöpfer gerieren zu können. Barth bezeichnet die Sünde als „unmögliche Möglichkeit“, weil die von ihr eingegangene Koalition mit dem Nichtigen nur als der zwar nicht vollkommen ausgeschlossene, aber ganz und gar widersinnige Versuch verstanden werden kann, das Geschöpf als den Schöpfer der Welt erscheinen zu lassen. Die Unmöglichkeit dieser Möglichkeit erweist sich darin, dass der Versuch der subversiven Desavouierung der Allmacht des Schöpfers und der Wohltat der Schöpfung die Überlegenheit Gottes und somit auch das Festhalten an seinem Willen nicht ernsthaft gefährden kann. Tatsächlich aber kann das Böse trotz allem mit ihm verbundenen Elend und Schrecken am Ende nur als eine Bestätigung sowohl der Allmacht als auch der Wohltat der Schöpfung dienen, indem Gott mit seiner Ausräu-

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mung nicht nur seine Schöpfung, sondern auch sich selber rechtfertigt. Das Nichtige ist das in seinem Wollen Nichtgewollte, das als solches nicht einfach vom Willen Gottes unabhängig ist, zumal es außer den zu entmythologisierenden Dämonen keinen Anwalt für sich reklamieren kann. 10. Der wohltuende Wille Gottes, dem seine Schöpfung entspringt, wird darin in besonderer Weise unterstrichen, dass Barth das dem Tun des Schöpfers entsprechende Tun des Menschen ganz und gar der vom Menschen lebendig wahrzunehmenden Freiheit anheimstellt. Die Schöpfung ist der Raum, in dem der Mensch die ihm zugemessene Freiheit mit Leben erfüllt und damit auf ihren Schöpfer antwortet. Schöpfungsethik ist darin spezielle Ethik, dass sie auf die Zuwendung Gottes in seinem schöpferischen Handeln antwortet und nach den Orientierungen fragt, die sich aus der Wahrnehmung der Wirklichkeit als dem Lebensraum der Freiheit ergeben, die Gott in seiner Schöpfung seinem Geschöpf eingeräumt hat. Diese Orientierungen verstehen sich als Einübung in „Richtung und Linie“ des auf die Freiheit des Menschen zielenden Willens Gottes. Dabei bleiben sie aber grundsätzlich unterschieden von den je konkret zu fällenden Entscheidungen, die allein im je neuen Hören auf das lebendige Wort Gottes getroffen werden können. Worauf es schließlich immer ankommen wird, nennt Barth das je und je sich einstellende „ethische Ereignis“, das sich nicht vorwegnehmen lässt. Aber aufgrund dessen, was uns bereits aus der Geschichte Gottes mit den Menschen bekannt ist, kann in der theologischen Ethik gleichsam als Vorbereitung auf das ethische Ereignis die Perspektive bedacht werden, in welcher der je konkrete Wille Gottes zu vernehmen sein wird. Die Freiheit behauptet und erhält sich in der jeweils größtmöglichen Konformität zu dem sein Geschöpf erhaltenden Willen Gottes. In der Schöpfungsethik erreichen die in der Schöpfungslehre ausgezogenen Linien ihre Bestimmung in der Orientierung des christlichen Lebens, das fundamental auf diese Erwägungen angewiesen bleibt, wenn es sich nicht aus dem von Gott konstituierten Lebensraum in eine unweigerlich gesetzliche Eigenwilligkeit verlieren will. Die Erinnerung an das Evangelium des Feiertages, das erst in seiner tatsächlichen Wahrnehmung unser Leben erreicht, steht für den Ausgangs- und Zielpunkt eines in der Freiheit des Geschöpfes zu führenden Lebens. Alle weiteren Orientierungen werden an ihrer sachlichen Kompatibilität zur grundlegenden Bedeutung des Feiertagsgebots zu messen sein.

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5. Versöhnung und Bund These

Die Versöhnung ist die Mitte des Evangeliums und aller christlichen Erkenntnis, weil sie im Zentrum der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus steht. In ihrem Geschehen bestätigt sich die ewige Gnadenwahl, indem der vom Menschen zu seinem eigenen Schaden und zur Brüskierung Gottes vernachlässigte und somit gebrochene Bund Gottes mit den Menschen nicht nur aktualisiert, sondern in Christus zum Heil der Menschen und zur Selbstrechtfertigung Gottes auch erfüllt wird. Von hier aus geht der in Christus erfüllte Bund seiner endzeitlichen Vollendung entgegen. In der Geschichte Jesu Christi zeigt sich sowohl der sich zugunsten des Menschen selbst erniedrigende Gott als auch der von Gott erhöhte Mensch als Schlüssel zur vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Wirklichkeit der Geschichte Gottes mit den Menschen. Es ist die Geschichte der Rechtfertigung des in seinem Hochmut angetroffenen Menschen, die Geschichte der Heiligung des aus seiner selbstgefälligen Trägheit befreiten Menschen und die Geschichte der Berufung des sich mit falschen Wahrheiten vor Gott und der Welt versteckenden Menschen, wie sie insbesondere in der Versammlung, Auferbauung und Sendung der Gemeinde in Erscheinung tritt. Sie steht im Zeichen der Erschließungskraft der Auferstehung Jesu Christi, d. h. des auferweckten und somit lebendigen Christus, der als der zu Ostern aus dem Tod wiedergekommene Christus der heute zur Rechten Gottes des Vaters sitzende und der sich am Ende der Zeit allen erschließende Christus ist. Der Auferstandene bleibt dabei sein eigener Zeuge, auch wenn er durch die Kraft des Heiligen Geistes die Gemeinde ebenso wie den einzelnen Christen in seine Selbstbezeugung prominent mit einbezieht. Christliches Leben vollzieht sich ganz und gar im Horizont der Anrufung Gottes und dem ihr entsprechenden solidarischen Handeln.

Es hat der Rezeption der Versöhnungslehre gewiss gut getan, dass sie nicht – wie Barth es zunächst in Erwägung gezogen hatte – unter dem Titel „Lehre vom Bund“ erschienen ist.139 Ebenso bleibt zugleich zu betonen, dass sie konsequent in den bundestheologischen Horizont eingezeichnet wird, der von der Erwählungslehre an die Abfolge der bedachten theologischen Fragestellungen miteinander verbindet. Weil der Bund alles zusammenhält, darf er nicht auf den Fokus einer bestimmten Fragestellung beschränkt werden. Vielmehr wird er in allen Themen immer wieder neu vergegenwärtigt. In besonderer Weise gilt dies für die Versöhnungslehre, weil sie in der christologischen Erfüllung des Bundes seine erneute Bestätigung in die Aufmerksamkeit rückt. Mit seiner zunächst stellvertretenden Erfüllung wird sowohl der Verheißung als auch der Aufrichtung des Bundes ein Aspekt hinzugefügt, durch den sein bedingungsloser, d. h. allein in der Freiheit Gottes begründeter Gnadencharakter erst in seiner ganzen Reichweite realisiert wird. Nicht zuletzt 139 Vgl. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 391.

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verstellt andersherum die Einbettung des Versöhnungsgeschehens in die von Ewigkeit her bestimmte Geschichte des Bundes die strikt abzuweisende Vorstellung, dass Christus überhaupt erst durch die Sünde des Menschen gleichsam als eine besondere Notmaßnahme Gottes auf den Plan gerufen werde. Barth stellt die Versöhnungslehre ausdrücklich in die Perspektive des von ihm gern aufgegriffenen Gottesnamens „Immanuel“ – Gott mit uns –, der in seinem Handeln in Jesus Christus seine letzte definitive Deutlichkeit erfährt (vgl. Kap. IV.5.1). Indem in Person und Werk Jesu Christi der Gnadenbund zu seiner Erfüllung gebracht wird, gilt es der Bewegung der Christologie zu folgen (vgl. Kap. 5.3). Um die Schlüsselbedeutung der Christologie und ihre systematischen Verknüpfungen in der Versöhnungslehre angemessen erfassen zu können, ist es überaus erhellend, sich zunächst einen Überblick über die systematische Architektur des christologischen Denkweges zu verschaffen (vgl. Kap. 5.2), zumal es in diesem Rahmen nicht möglich sein wird, auf alle Aspekte einzugehen. Es ist die Bewegung der Geschichte Jesu Christi, mit der er für den in seiner Sünde gefangenen Menschen eintritt, die ihm gleichsam im durchaus erschreckenden Rückblick seine Treulosigkeit und ihre Folgen vor Augen rückt (vgl. Kap. 5.4), denn erst auf dem Hintergrund der angemessenen Erkenntnis der Sünde kann dann auch die soteriologische Reichweite des Eintretens Christi für uns bedacht werden (vgl. Kap. 5.5). Von hier aus fällt dann ein charakteristisches Licht auf die Bestimmung des christlichen Lebens sowohl in der Gemeinde als auch im Bereich des Glaubens des Einzelnen in der Gegenwart des Heiligen Geistes (vgl. Kap. 5.6). Abschließend werden die Leitperspektiven der Versöhnungsethik bedacht, in der Taufe, Vaterunser und Abendmahl konsequent auf die Seite der freien menschlichen Antwort auf das Versöhnungsgeschehen gestellt werden (vgl. Kap. 5.7). 5.1 Die Mitte aller christlichen Erkenntnis – Die Erfüllung des Bundes Während es in der Erwählung um die Summe des Evangeliums ging (vgl. Kap. IV.3.2), die dem mit der Theologie zu betretenden Raum das überall bestimmende Klima verleiht, stoßen wir in der Versöhnungslehre auf seine Mitte. Das gilt sowohl in sachlicher Hinsicht als auch für seine theologische Platzierung auf dem trinitarisch abgesteckten Weg zwischen der Schöpfungslehre und der Pneumatologie. Während die Erwählungslehre die Konstitution des Bundes in der Ewigkeit Gottes und die Schöpfungslehre auf seine geschichtliche Ermöglichung und Etablierung reflektiert, wird in der Versöhnungslehre seine Erfüllung in die Aufmerksamkeit gerückt. In der sich dann anschließenden, von Barth aber nicht mehr erarbeiteten Lehre von der Erlösung wäre dann als das Ziel des Bundes seine Vollendung im Reich Gottes zu bedenken gewesen – wohlgemerkt: Erfüllung und Vollendung bleiben voneinander zu unterscheiden und zugleich überbieten oder ergänzen beide nicht die Konstitution und Etablierung des Bundes, der bereits in seiner Erwählung schon vollkommenen war – eben von Ewigkeit her. Folgt die Erwählung dem trinitarischen Charakter des Zugangs zu Gott, so durchlaufen die drei Dimensio-

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nen der Verwirklichung des Bundes gleichsam die drei Appropriationen Gottes als Vater, Sohn und Heiliger Geist, in deren Mitte Christus als der Versöhner steht. Er offenbart mit seiner Erfüllung des Bundes seine ganze Reichweite und lässt somit die ganze sachliche Tiefe des Gottesnamen Immanuel (Jes 7,14; 8,8.10) erkennen und wirft damit auch ein besonderes Licht auf den Anfang und seine eschatologische Vollendung. Immanuel ist der Inbegriff der Erkenntnis, in der der Gott Israels sich in allen seinen Taten und Anordnungen offenbar macht: er ist der Gott, der nicht ohne sein Volk, sondern als sein Gott und darum als seine Hoffnung mit ihm ist, wirkt und handelt. (KD IV/1, 4)

In beispielloser Deutlichkeit hebt Barth hier die sachliche Abhängigkeit des Neuen Testaments vom Alten und somit den Vorrang des Alten Testaments und damit erneut auch der Geschichte Gottes mit Israel hervor.140 In der Hinführung zu seiner Christologie verweist Barth auf dieses im Auge zu haltende Fundament. Kein neuer Bund wird hier dem Alten entgegengestellt, sondern das Neue ist die substanzielle Bestätigung des Alten in der Gestalt seiner Erfüllung, die als solche die Erfüllung des einen Bundes mit Israel ist. Wenn die Christologie nicht in diese Geschichte Gottes mit Israel eingezeichnet wird, verliert sie ihre entscheidende Kontur und wird zu einer abstrakten Lehre. Das Wort wurde – nicht „Fleisch“, Mensch, erniedrigter und leidender Mensch in irgendeiner Allgemeinheit, sondern jüdisches Fleisch. Die ganze Inkarnations- und Versöhnungslehre wurde abstrakt, billig und bedeutungslos in dem Maß, als man das für eine beiläufige und zufällige Bestimmung zu halten begann. Das neutestamentliche Zeugnis von Jesus dem Christus, dem Gottessohn, steht auf dem Boden des Alten Testamentes und ist von diesem nicht zu lösen. (181 f)

Nur in der Verknüpfung mit dem Bund kann die Christologie angemessen zu ihrem Thema finden. Der Bund steht für „Gottes Ur- und Grundwille“ (8), der auch durch den Skandal des grundlosen menschlichen Widerspruchs nicht ins Wanken gerät, weil „Gott sich selbst zum Vollstrecker seines Heilswillen“ (11) macht, selbst Mensch wird, um sich der Sache des Menschen anzunehmen, und auf diese Weise auch dem angestrebten „Wir mit Gott“ (14) die von Seiten des Menschen irreparabel verwirkte Verwirklichung zukommen lässt. Als Erfüllung des Bundes ist die in Christus vollzogene Versöhnung die neue Bestätigung, die Wiederaufnahme einer zuvor bestehenden, dann mit Aufhebung bedrohten Gemeinschaft: ihre Behauptung, Wiederherstellung und Durchsetzung gegenüber einem sie störenden, trennenden, unterbrechenden Element. Sie ist die diesem Hindernis

140 Vgl. dazu Bächli, Das Alte Testament in der Kirchlichen Dogmatik.

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trotzende und es beseitigende Realisierung der diese Gemeinschaft ursprünglich begründenden und beherrschenden Absicht. (22)

Der Bund stellt die Versöhnung in die Kontinuität des Handelns Gottes und erhellt zugleich die Radikalität der Entschiedenheit des von Anfang an bestimmenden Willens Gottes. Es ist die Sünde des Menschen, die Barth in diesem Zusammenhang als „Zwischenfall“ (37) oder als „enorme[n] Zwischenfall“ (72) bezeichnet, die diesen Willen einerseits auf die Probe stellt, weil sie Gott zu einer Reaktion nötigt, und die andererseits durch die mit ihr verbundene Herausforderung die ganze Unermesslichkeit der Gnade Gottes – der „Bundesgnade“ (54) – offenbart, die hinter dem ewigen Erwählungsratschluss und dem von ihm getragenen geschichtlichen Bundeswillen Gottes verborgen ist (74). So gewiss Gott auch auf die Sünde reagiert, so bleibt doch die Sünde schließlich nur der Anlass, vor allem die den Bund von jeher tragende Treue Gottes in ihrer ganzen Konsequenz erneut zu bestätigen. Wenn also die Versöhnung alle bisherige Gotteserkenntnis überragt, so bleibt sie zugleich substanziell die Bestätigung des ewigen Erwählungswillens Gottes (50), der von vornherein mit dieser Konsequenz verbunden gewesen ist, auch wenn dies in seiner ganzen Reichweite noch nicht offenbar geworden sein mag: Die in Jesus Christus geschehene Versöhnung […] ist wie die Schöpfung, wie das Walten der Vorsehung, aber in eminentestem Sinn: der Schöpfung und der Vorsehung sachlich vorund übergeordnet, das Werk der Rechten Gottes, seines positiven Willens. In Jesus Christus kommt er faktisch jenem Zwischenfall gegenüber zum Tragen. Jesus Christus ist faktisch Gottes Replik auf des Menschen Sünde. Das bedeutet aber von ferne nicht, daß auch er nur ein Zwischenfall wäre. Was in ihm geschieht, das ist vielmehr auch abgesehen von Gottes Gegensatz zu des Menschen Sünde die Ausführung, nämlich die Besiegelung und die Offenbarung, das Urphänomen des positiven Willens Gottes in seinem Verhältnis zum Menschen und damit auch seines Schöpfer- und Herrenwillens im Ganzen. Nicht erst um jene Störung seines Willens aus dem Felde zu schlagen, nicht erst in dieser polemisch-irenischen Behauptung und Bereinigung seines Verhältnisses zum Menschen und damit zu der ganzen von ihm geschaffenen Welt gegenüber dem Auf- und Einbruch der menschlichen Sünde wollte Gott Mensch werden und ist er es tatsächlich geworden. Er wollte und wurde es vielmehr zuerst und vor allem positiv dazu, um der Verheißung: „Ich will euer Gott sein!“ und dem Gebot: „Ihr sollt mein Volk sein!“ inmitten der Menschheit, die sich das nicht selbst sagen konnte, die aber dieses sein Wort hören, die von diesem seinem Wort zu seiner Ehre leben sollte, konkrete Realität, Wirksamkeit zu geben. (49)

Die Erfüllung des Bundes besteht in der die Untreue des Menschen überwindenden Treue Gottes. Sie vollzieht sich angesichts der menschlichen Sünde in dem „Dennoch“ und „Trotzdem“ (73) der mit dem Bund verbundenen Gnade durch die Identifikation und Eliminierung der die Gemeinschaft mit Gott aber eben auch die mit den Mitmenschen zutiefst belastenden Sünde. Wollte man jedoch auf die Idee verfallen, dass der Sünde das Verdienst zukomme, Gott die Gelegenheit gegeben

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zu haben, die Unbedingtheit und Radikalität seiner Gnade und Treue zu zeigen, so könnte dies angesichts des zu ihrer Überwindung von Gott getragenen Leids und der allseits von ihr angerichteten Verheerungen schwerlich vor dem Vorwurf zu schützen sein, die Sünde in zynischer Weise zu instrumentalisieren. 5.2 Die Architektur der Versöhnungslehre Es sind weniger vollkommen neue Aspekte, die Barths Versöhnungslehre ihren dynamischen Charakter geben, sondern es sind vor allem das neue subtile beziehungsreiche Arrangement und die damit verbundenen neuartigen Perspektiven, die sie zu einem überaus stimmigen und inhaltlich ungewöhnlich ergiebigen Gesamtkonzept gemacht haben, das für sich als eine eigene Dogmatik (einschließlich Ethik) gelesen werden kann. Dabei liegt Barth durchgehend daran, mit dieser stringenten Architektur die ebenso fundamentale wie facettenreiche Konzentration der Theologie auf die Christologie so in Szene zu setzen, dass an keiner Stelle ernsthafte Zweifel an ihrer gegenwärtigen Relevanz aufkommen können. Das gelingt Barth dadurch, dass er das Sitzen des Auferstandenen zur Rechten Gottes zum entscheidenden Dreh- und Angelpunkt seines Konzepts macht, so dass von vornherein alle sachlichen Einlassungen in einem vitalen Kontakt zum Christus praesens gehalten werden und damit zu dem für das Leben der Gemeinde schlechterdings essenziellen Christus. Barth trägt damit seiner Erkenntnis Rechnung, dass die Auferstehung Christi als das „Axiom aller Axiome“ (382) den „archimedischen Punkt“ (KD I/2, 129) aller tragfähigen theologischen Überlegungen darstellt (KD IV/3, 47). Barth gelingt diese durchgängige Akzentuierung, indem er die überkommene Lehre von den drei Ämtern Christi nicht nur gleichsam als den Ausblick der Christologie behandelt, sondern zu ihrer grundlegenden Struktur macht. Diese drei Ämter – Priester, König und Prophet (es sind die drei in Israel mit einer Salbung verbundenen Ämter, die in Christus als dem Messias, also dem einen Gesalbten, zusammenkommen) – werden dem Auferstandenen und somit seinem andauernden Tun zur Rechten Gottes zugeschrieben. So gewiss alle drei Ämter ihr inhaltliches Profil von dem Zeugnis über den irdischen Jesus beziehen, so substanziell bezeichnen sie die lebendige Gegenwart des Auferstandenen. Diese Zeitgenossenschaft mit Christus (KD IV/3, 419), auf die das Leben der christlichen Gemeinde und des christlichen Glaubens fundamental angewiesen bleiben,141 wird für Barth zum entscheidenden Referenzrahmen seiner Christologie. Weil die Überlegungen jeder Christologie – wenn es recht zugeht – auf diese Zeitgenossenschaft zielen, macht sie Barth bereits zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen, indem er seine Versöhnungslehre der Struktur der drei Dimensionen der lebendigen Gegenwart des Auferstandenen folgen lässt, so dass kein Zweifel an ihrer aktuellen Relevanz aufkommen kann. Das Wiederkommen Christi ist nicht 141 Vgl. dazu Weinrich, Christus als Zeitgenosse.

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erst ein Thema der Eschatologie, sondern seine Parusie hat bereits am Ostermorgen ihren Ausgang genommen, sie findet jetzt in seiner himmlischen Lebendigkeit ihre unsere Gegenwart bestimmende Fortsetzung und wird schließlich am Ende der Zeit unwidersprochene Erkenntnis sein. In gegenüber der Tradition umgestellter Reihenfolge werden die drei Ämter des Auferstandenen zur Sprache gebracht. Das priesterliche Amt thematisiert Barth in KD IV/1 unter der Überschrift: Der Herr als Knecht. In KD IV/2 folgt das königliche Amt: Der Knecht als Herr. Das bisher eher nur stiefmütterlich beachtete prophetische Amt bekommt bei Barth in KD IV/3 einen besonderen Akzent, worauf noch einzugehen sein wird: Der wahrhaftige Zeuge. Für den Aufbau der drei Bände ist nun charakteristisch, dass sie der gleichen systematischen Struktur folgen, so dass die verschiedenen Kapitel jeweils unmittelbare thematische Entsprechungen in allen drei Bänden haben. Damit werden die immer auch zwischen den Ämtern bestehenden thematischen Querverbindungen ausdrücklich ins Blickfeld gerückt. Auf diese Weise wird der sich sprachlich nur schwer abbildbare Beziehungsreichtum angezeigt, der die bleibende Dynamik des Versöhnungsgeschehens ausmacht und auf die hinzuweisen Barth besonders am Herze liegt, denn bei der Versöhnung geht es nicht um einen möglichst deutlich zu erfassenden Zustand, sondern um ein sich auch heute vollziehendes Geschehen, das ganz und gar darauf abzielt, die Gemeinde und die Christenmenschen in ihrem Leben zu erreichen und einzubeziehen. Das in den drei Bänden umschriebene Versöhnungsgeschehen folgt den Bewegungsrichtungen des Christhymnus in Phil 2. In eigentümlicher Umdeutung der Priesterrolle wird Gott in seiner Erniedrigung als sein eigener Priester verstanden und die Erhöhung mit der Aufrichtung des wahren Menschen so verbunden, dass dann im dritten Band die in Christus wiederhergestellte Gegenseitigkeit erörtert werden kann. In seinem Leitsatz zu § 58 präsentiert Barth die ganze Architektur seiner Versöhnungslehre. Wenn wir diesen Leitsatz jetzt wörtlich zitieren, geschieht dies in einer von Otto Weber übernommenen142 tabellarisch stilisierten Gestalt, welche in den drei senkrechten Spalten die Themenfolge der Bände KD IV/1, IV/2 und IV/3 präsentiert und in der horizontalen Nebenordnung die von Barth hervorgehobenen spezifischen Verflechtungen verdeutlicht: „Der Inhalt der Lehre von der Versöhnung ist die Erkenntnis Jesu Christi, der [KD IV/1] (1) der wahre, nämlich der sich selbst erniedrigende und so der versöhnende Gott, aber

[KD IV/2] (2) auch der wahre, nämlich der von Gott erhöhte und so versöhnte Mensch, und der in Einheit beider

142 Weber, Karl Barths Kirchliche Dogmatik, 197.

[KD IV/3] (3) der Bürge und Zeuge unserer Versöhnung ist.

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In dieser dreifachen Erkenntnis Jesu Christi ist beschlossen die Erkenntnis von des Menschen Sünde: (1) seines Hochmuts,

(2) seiner Trägheit,

(3) seiner Lüge –

die Erkenntnis des Geschehens, in welchem sich seine Versöhnung vollzieht: (1) seiner Rechtfertigung,

(2) seiner Heiligung,

(3) seiner Berufung –

die Erkenntnis des Werks des Heiligen Geistes: in der (1) Sammlung,

(2) Auferbauung,

(3) Sendung der Gemeinde

und des Seins der Christen in Jesus Christus (1) im Glauben,

(2) in der Liebe,

(3) in der Hoffnung.“

Wie gesagt, vollzieht Barth in allen drei Bänden die gleichen Schritte. Er beginnt jeweils mit den für die Christologie in der jeweiligen Bewegung vorzunehmenden Bestimmungen, um dann auf den anthropologischen Bereich überzugehen und im Spiegel der christologischen Einsichten die verschiedenen Dimensionen der Soteriologie zu bedenken. Verbunden wird der christologische Bereich mit der soteriologischen Perspektive jeweils durch eine ausdrückliche Reflektion auf die Bedeutung der Auferstehung. Barth nennt sie Übergangsüberlegungen und sie verdeutlichen ausdrücklich die trinitarische Perspektive, die den drei Bänden zugrunde liegt: Das Urteil des Vaters (KD IV/1, § 59.3), die Weisung des Sohnes (KD IV/2, § 64.4) und die Verheißung des Geistes (KD IV/3, § 69.4). Diese Übergangsüberlegungen bestätigen, dass Auferstehung als solche nicht beschrieben und verstanden werden kann, dass sie aber mit benennbaren Veränderungen einhergeht, deren Konsequenzen weniger auf den Wirklichkeitsstatus des Auferstanden als vielmehr auf den Wirklichkeitshorizont des anthropologischen Bereichs zu bedenken sind. Im anthropologischen Bereich treffen dann die christologischen Einsichten zunächst genau auf die Gegenbewegungen des Menschen, die den spezifischen Charakter der Sünde verdeutlichen. Daran schließt sich die jeweilige Aktion Gottes gegen die unterschiedlichen Gestalten der Sünde an, um dann unter den verschiedenen Aspekten die Wirkungen der Gegenwart des Auferstandenen im Heiligen Geist für die Gemeinde und den Einzelnen zu bedenken. In diesem letzten Schritt wird der gern gegen Barth erhobene Vorwurf ausdrücklich widerlegt, dass in seiner Theologie der Heilige Geist vor allem eine Leerstelle sei. Für das jeweils grundlegende christologische Kapitel (§ 59, 64 u. 69) bietet sich eine weitere Naheinstellung an, um deutlich werden zu lassen, wie bei Barth alle traditionellen Aspekte Berücksichtigung finden und in seinem besonderen Arrangement einen neuen Platz zugewiesen bekommen.

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Zwei Naturen (­Person od. Subjekt) Zwei Stände/Wege (Werk bzw. Akt)

Drei Ämter (Ziel)

die Übergangs­ überlegung

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KD IV/1 Knecht

KD IV/2 Herr

KD IV/3 Wahrhaftiger Zeuge

wahrer Gott

wahrer Mensch

Die Einheit seiner Person

Erniedrigung zum Menschen: der Weg des ­Sohnes Gottes in die Fremde = status exinanitionis

der von Gott e­ rhöhte Mensch: die Heimkehr des Menschensohns

der Bürge der Versöhnung: das Licht des Lebens

= status exaltationis

= die Einheit beider status

die priesterliche Versöhnung: der Gehorsam des Gottessohnes – der Richter als der an unserer Stelle Gerichtete

der die Menschen beteiligende prophetische Zeuge: die Herrlichkeit des Mittlers – Jesus ist Sieger

= munus sacerdotale

die königliche Erhöhung in die Gemeinschaft mit Gott: die Erhöhung des Menschensohnes – der königliche Mensch = munus regale

das Urteil des Vaters

die Weisung des Sohnes

die Verheißung des Geistes

= munus propheticum

Wenn Barth die traditionellen Loci der Christologie aufgreift, kommt es ihm darauf an zu zeigen, dass es erst ihr Zusammenspiel ist, in dem ihre rechte Bedeutung wahrnehmbar wird. So wie die Person Jesu Christi nur in ihrem Werk erkannt werden kann, so bleibt auch die Erkenntnis der Bedeutung seines Werkes ganz und gar auf die Wahrnehmung der Person angewiesen. Und diese Person und dieses Werk lassen sich auch nicht einfach in einer glanzvollen Momentaufnahme festhalten, sondern sind in ihrer Bewegung und somit in dem mit ihnen verbundenen Geschehen zu erfassen. Auch die drei Ämter sind auf diese gegenseitige Verbundenheit und das Geschehen zu beziehen, wenn sie mehr als irgendwelche Ehrennadeln auf der christologischen Weste Jesu sein sollen. Für die Versöhnungsethik, die Barth dann nicht mehr fertigstellen konnte, lässt sich gemäß des programmatisch genuinen Zusammenhangs von Dogmatik und Ethik der folgende Prospekt annoncieren:

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Die Begründung des christlichen Lebens: die Taufe mit Wasser und die mit der Bitte um den Heiligen Geist verbundene Absage an das alte Leben.

Der Vollzug des christlichen Lebens: die Anrufung Gottes wie sie exemplarisch im Vaterunser auch im Blick auf die enthaltenen Handlungsoptionen vorgeführt wird.

Die Erhaltung des christlichen Lebens: die Feier des Abendmahls in Entsprechung zum Passamahl als Wegzehrung für den Aufbruch und die Wanderung zum gelobten Land.

Es ist also ein großer Bogen, den Barth mit seiner Versöhnungslehre schlägt. Sie umfasst die Christologie, die Sündenlehre, die Soteriologie, die Pneumatologie und die Ekklesiologie, sowie das christliche Leben. Innerhalb dieses großen Bogens hat die Rechtfertigungslehre innerhalb der Soteriologie eine entscheidende Rolle, aber sie ist erkennbar nicht der alleinige Fokus der christlichen Botschaft. Es geht um die ganze Reichweite des Eintretens Gottes für den Menschen in Jesus Christus und auch um die Darlegung der damit verbundenen Implikationen für die menschliche Existenz. Es ist besonders der dritte Band der Versöhnungslehre, mit dem Barth deutlich über die bisherige Tradition hinausgeht. Diesem Band ist vorgeworfen worden, dass er zwar in beeindruckender Weise die brillante systematische Architektur abrunde, aber sachlich kaum noch etwas Bedeutsames austrage, was nicht schon in den beiden vorangehenden Bänden gesagt worden sei.143 Dabei wird allerdings verkannt, dass es gerade dieser dritte Band ist, mit dem Barth die überkommene Fixierung des Protestantismus auf das Rechtfertigungsgeschehen zu überwinden versucht, indem er die Versöhnung auf die Berufung durch den auch heute lebendigen Christus – und nicht nur auf die Heilsvergewisserung – zulaufen lässt. Der auf die Selbstbezeugung Jesu Christi gelegte Akzent wirft ein ebenso kritisches wie herausforderndes Licht auf die Kirche, die nun entschieden nicht an die Stelle des zwischenzeitlich in den Himmel entschwundenen Christus tritt, sondern in die Beteiligung an der Selbstbezeugung Christi berufen und damit in den Dienst der Lebendigkeit des Auferstandenen gestellt wird.144 Nicht die Lehre – und sei es auch die Rechtfertigungslehre – gibt der Kirche ihre Bestimmung, sondern es kann nur das „Bekenntnis zu Jesus Christus“ (KD IV/1, 588), also die Beziehung zum auferstandenen Christus selber sein. Genau genommen nicht die Gnade, sondern genau genommen Er als ihr Träger, Bringer und Offenbarer ist der Sieger, das Licht, das von der Finsternis nicht überwältigt wird, vor dem die Finsternis vielmehr zurückweichen muß, um endlich und zuletzt ihrerseits von ihm überwältigt zu werden. (KD IV/3, 198)

143 Gunton, The Barth Lectures, 148; ders., Salvation, 151. 144 Vgl. dazu Siller, Kirche für die Welt.

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Die Kirche ist keine Erinnerungsgemeinschaft, welche die von Christus in der Vergangenheit durchgesetzten Erfolge zu vergegenwärtigen versucht, sondern Zeugin des lebendigen Selbstzeugnisses Jesu Christi. Die Versöhnungslehre hat ihren Ausgangspunkt in dem Perfektum der Geschichte Jesu Christi, aber sie zielt auf das gegenwärtige Geschehen dieser Geschichte. Die nun anschließende nähere Betrachtung der Versöhnungslehre Barths folgt nicht der Reihenfolge der Bände von KD IV, sondern blickt auf die von Barth jeweils vollzogenen Schritte im Querschnitt, d. h. wir orientieren uns nicht an den senkrechten Spalten der schematischen Darstellung, sondern an den waagerechten und betrachten jeweils die ganze Breite des von der Versöhnungslehre zu vollziehenden Schrittes.145 Plasger, Die Konzeption der Versöhnungslehre Barths & 

5.3 Die Christologie In der Versöhnungslehre kommen wir im Rahmen der trinitarischen Konzeption der Kirchlichen Dogmatik zur speziellen Christologie. Auch wenn Barth programmatisch für die ganze Dogmatik unterstreicht, „daß die christliche Lehre ausschließlich und folgerichtig und in all ihren Aussagen direkt oder indirekt Lehre von Jesus Christus als von dem uns gesagten lebendigen Wort Gottes sein muß“146, gibt es auch einen bestimmten Ort in der Dogmatik, an dem ihr als dieser Mitte der ganzen Theologie eine allein auf ihren spezifischen Charakter konzentrierte Aufmerksamkeit gewidmet wird. Sie ist deshalb der Schlüssel für die ganze Theologie, weil sich in dem Christusgeschehen für das christliche Bekenntnis der ewige Wille Gottes und somit sein offenbares Wesen erschließt, so dass in keinem für die Theologie relevanten Thema von ihr abgesehen werden kann. Und als dieser Schlüssel für die ganze Theologie bedarf die Christologie auch ihrer eigenen besonderen Entfaltung, wie sie von Barth in der Versöhnungslehre vorgenommen wird. Auch in diesem Thema bestätigt sich sowohl Barths tiefe Verwurzelung in den Fundamentalentscheidungen der kirchlichen Tradition als auch seine frei damit umgehende Gestaltungskraft, die er vor allem aus seiner durchgängig prägenden Achtsamkeit auf das biblische Zeugnis bezieht.147 Wenn sie tatsächlich bei ihrem Thema bleibt, wird keine Christologie ohne fundamentale Paradoxien oder – sagen wir – widersprüchliche Gleichzeitigkeiten auskommen. Das hat schon die Alte Kirche gewusst, als sie herausstellte, dass Christus zugleich – unvermischt und ungetrennt – wahrer Gott und wahrer Mensch sei. Wo diese Paradoxien umgangen werden, kann der Reim nur auf Kosten der Substanz gelungen sein. Das beginnt mit der Rede von der Inkarnation, die weder eine 145 Im Grundsatz verfährt so auch Nimmo in seiner Einführung. 146 Barth, How my mind has changed, 632. 147 Vgl. dazu Krötke, Die Christologie Karl Barths als Beispiel für den Vollzug seiner Exegese.

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Transformation Gottes in einen Menschen noch eine Vergottung eines Menschen meint, und endet mit der Auferstehung, mit der ja nicht eine befristete Inkarnation an ihr Ende kommt und die göttliche Seite Jesu wieder in die Wirklichkeit Gottes zurückkehrt. Allerdings ist mit der Einräumung dieser Verlegenheit noch nicht gesagt, wie diese Gleichzeitigkeiten zu stehen kommen und welche Perspektiven sich mit ihnen eröffnen. Immer wieder ist ein wesentlicher Teil der theologischen Energie zu Recht in die Rationalität solcher unvermeidlicher Paradoxien geflossen, und das gilt in besonderer Weise auch für Karl Barth, dessen Christologie wie kaum eine andere der denkwürdigen Zwei-Naturenlehre des vierten ökumenischen Konzils von 451 in Chalcedon folgt, ohne einfach ihre antike Rationalität zu wiederholen. Für Barths Christologie bleibt einerseits die Dynamik der Bewegung charakteristisch, mit der sie die Selbsterniedrigung Gottes in Christus und die aus ihr resultierende Aufrichtung und Erhöhung des Menschen zum Leitfaden seiner Überlegungen macht, und andererseits die Realpräsenz des Auferstandenen, der eben als sein eigener Bürge (KD IV/1, 150 f) auch heute für uns eintritt, uns aufrichtet und uns dazu beruft, an seiner Selbstbezeugung teilzunehmen und damit auch immer über uns hinauszuweisen. Die Rechtfertigungsbotschaft und das mit ihr annoncierte Heil des Menschen sind für Barth nicht, wie in großen Teilen des Luthertums, der alles überragende Gipfel der Christusbotschaft, sondern es ist die lebendige Gegenwart des Auferstandenen, in der dieser uns zu unserer Beteiligung an seiner heilsamen Selbstbezeugung beruft. Darauf werden wir noch zurückkommen. Jede begriffliche Fixierung einer Christologie verführt zu einer prinzipiell unzulänglichen Lehre bzw. einer dogmatischen Stilllegung und bleibt damit hinter dem zu bedenkenden Geschehen zurück. Die Theologie – und das gilt auch für die Kirche – muss sich in der Unzulänglichkeit und Begrenztheit ihrer Möglichkeiten darauf bescheiden, auf das immer auch aktuelle Christusgeschehen hinzuweisen. Christus war und bleibt „das Subjekt des Versöhnungsgeschehens zwischen Gott und allen Menschen.“ (138, 149), das einerseits als seine Geschichte zu verstehen ist und andererseits auch das Geschehen bezeichnet, das auch der gegenwärtigen und der zu erwartenden Geschichte die entscheidende Perspektive gibt. Indem Barth die paradoxale Gleichzeitigkeit von Gott und Mensch in diese Bewegung einzeichnet und schließlich darauf zielt, die Aufmerksamkeit auf die aktuelle Lebendigkeit dieser Bewegung zu richten, bekommt die altkirchliche Christologie mit ihrer von den zwei Naturen Jesu Christi geprägten Charakteristik eine vollkommen neu perspektivierte Dynamik. Wenn Barth in seiner Schöpfungsethik das unverfügbare Ereignis der Mitteilung des Willens Gottes in der je konkreten Situation in das direkt nicht thematisierbare Zentrum seiner Überlegungen gestellt hat, so kann es nicht verwundern, wenn er für die Christologie und das mit ihr bedachte Geschehen der Erfüllung des Bundes umso nachdrücklicher auf das lebendige Ereignis hinweist, dem letztlich alle Aufmerksamkeit zu gelten habe. Erneut wird unterstrichen, dass das, worauf es ankommt und weshalb all die Bemühungen der Theologie nicht gescheut werden

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dürfen, selbst nicht erfasst und zum Gegenstand der Theologie gemacht werden kann. Wenn hier also von der Mitte der Theologie gesprochen wird, so ist zugleich zu realisieren, dass es für Barth eine wesentliche, wenn nicht die entscheidende Aufgabe der Theologie sein und bleiben muss, dass diese Mitte freigehalten werden muss, weil sie allein Gott selbst und seiner lebendigen Freiheit gebührt. 5.3.1 Wahrer Gott – wahrer Mensch

Bevor die inhaltlichen Dimensionen der mit dem Christusgeschehen verbundenen Bewegungen skizziert werden sollen, kommt kurz ein mehr formaler Aspekt zu Sprache. Traditionell wird dieser Aspekt in der Erörterung Jesu Christi als Person thematisiert. Er wirft ein Licht auf die von Barth strukturbildend zugrunde gelegte Zwei-Naturenlehre. Ihre ökumenisch rezipierte Substanz lautet gemäß dem Konzil von Chalcedon: [Jesus Christus] ist wahrhaft Gott und wahrhaft Mensch aus vernunftbegabter Seele und Leib; derselbe ist der Gottheit nach dem Vater wesensgleich und der Menschheit nach uns wesensgleich, in allem uns gleich außer der Sünde; […] der einziggeborene Sohn und Herr, der in zwei Naturen unvermischt, unveränderlich, ungetrennt und unteilbar erkannt wird, wobei nirgends wegen der Einung der Unterschied der Naturen aufgehoben ist, vielmehr die Eigentümlichkeit jeder der beiden Naturen gewahrt bleibt und sich in einer Person […] vereinigt. (DH Nr. 301 f)

Um die in dieser Lehre enthaltene Dynamik erneut zur Geltung zu bringen, verknüpft Barth sie mit der Bewegung des Christusgeschehens, das nach dem Zeugnis des Neuen Testaments durchgängig von dieser Gleichzeitigkeit von Göttlichkeit und der Menschlichkeit Jesu geprägt ist. Es ist vor allem die Linie der paulinisch-johanneischen Christologie, die auch gern als die „hohe Christologie“ bzw. die „Christologie von oben“ bezeichnet wird, die unablässig und konsequent hervorhebt, dass in diesem Menschen Jesus von Nazareth Gott selbst handelt, so dass wir im Sohne immer auch den Vater erkennen bzw. zur Erkenntnis des Vaters auf den Sohn verwiesen werden. Nur wenn die Christologie tatsächlich die von oben ausgehende Bewegung nachzeichnet, kann sie auch ganz unten, wohin sie sich im Blick auf das Kreuz zu bewegen hat, die grundstürzende Veränderungskraft plausibel machen, mit welcher der dort aufgefundene Mensch aufgerichtet und erhöht wird. Oben und unten dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden, aber es wird mit Barth festzuhalten bleiben, dass von unten nicht nach oben zu gelangen ist, wenn es nicht die Bewegung von oben nach unten ist, die uns dazu auffordert. „Versöhnen“, ἀποκαταλλάσσειν, heißt ja wörtlich und ursprünglich: Vertauschen. Die Wie­ der­herstellung und Erneuerung des Bundes zwischen Gott und Mensch besteht in diesem Vertauschen: Gottes exinanitio, Erniedrigung, gegen des Menschen exaltatio, Erhöhung. Gott

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ging in die Fremde, der Mensch kehrte heim. In dem einen Christus geschah Beides. Es handelt sich also nicht um zwei verschiedene, aufeinander folgende Aktionen, sondern um eine einzige, in der jede ihrer beiden Komponenten auf die andere bezogen und auch nur in ihrer Beziehung zu ihr erkennbar und verständlich ist: der Ausgang Gottes nur in seiner Abzielung auf den Eingang des Menschen, der Eingang des Menschen nur als die Tragweite und Auswirkung des Ausgangs Gottes, und das Ganze in seiner eigentlichen und originalen Gestalt nur als das Sein und die Geschichte des einen Jesus Christus. (KD IV/2, 21)

Da wir nicht alles auf einmal sagen können, muss es hintereinander entfaltet werden. Und da ist es nicht beliebig, womit begonnen wird. Das kann in der Theologie immer nur das Handeln Gottes sein. Dies hat dann auch in der Christologie sein Recht, weil wir uns die Gottheit Jesu nicht mit seinem Menschsein vermischt vorstellen sollen, etwa in der Gestalt eines göttlichen Menschen, auch wenn sie ebenso entschieden niemals von seiner Menschlichkeit getrennt werden kann. Sie ist eine eigens wahrzunehmende Dimension des Christusgeschehens, in der sein besonderes Begründungsgefälle erkennbar wird. Im ersten Schritt der Christologie bedenkt Barth zunächst den in diesem Menschen offenbaren Gott, seinen Willen und sein Handeln, ohne den auch die anschließend zu bedenkende Wahrnehmung seiner Menschlichkeit nur an ihm vorbeigehen könnte. Die hier zur Debatte stehende Identifikation Gottes mit diesem Menschen könnte nicht vollkommener und umfassender vorgestellt werden, so dass sich uns in ihm nicht nur ein Wesenszug Gottes unter anderen erschließt, sondern das ganze Wesen Gottes. In der Geschichte Jesu Christi steht uns nicht weniger als die vollkommene Selbstdefinition Gottes vor Augen. Das meint die anspruchsvolle Formulierung, dass er „wahrer Gott“ sei – in ihm offenbart sich Gott in seiner ganzen Wahrheit. „Wer mich sieht, sieht den, der mich gesandt hat“ (Joh 12, 45) oder noch pointierter: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen“ (Joh 14, 9). Aber es handelt sich eben ausdrücklich nicht um eine Besonderheit johanneischer Theologie, sondern Barth verweist auf die ganze Fülle der neutestamentlichen Überlieferung (KD IV/1, 174 ff). Das Neue Testament „bezeichnet und beschreibt seine Gestalt als Mensch […] als die Verhüllung dieses seines eigentlichen Seins und also dieses sein eigentliches Sein als Sohn oder Wort Gottes als ein verborgenes Sein.“ (178 f) Es sind dann vor allem die synoptischen Evangelien, die mit besonderem Ton das Menschsein Jesu hervorheben, das sich darin auszeichnet, dass es nicht von der Sünde getrübt ist, so dass von Jesus ebenso zu sagen ist, dass er nicht nur ein Mensch, sondern der „wahre Mensch“ und damit das mit der Schöpfung annoncierte Ebenbild Gottes ist. Er ist „der neue, der wahre, der königliche, weil am Sein und Leben, an der Herrschaft und Tat Gottes teilnehmende, ihn ehrende und bezeugende Mensch“. Jedes Wort dieser Formulierung aus dem Leitsatz zu § 64 in KD IV/2 hat ihr eigens zu bedenkendes Gewicht. Christus ist der in seiner Auferstehung erhöhte Mensch, der die in Kraft stehende Verheißung für die ganze Menschheit repräsentiert. Die Tragfähigkeit dieser Perspektive hängt an der Radikalität des Verstehens seines Menschseins, das sich nicht mit Anleihen an seiner Göttlichkeit als Diffe-

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renzmarker behilft. Jesus von Nazareth, der irdische Jesus wird von der neutestamentlichen Überlieferung in die Tradition des verheißenen Menschensohns, d. h. des seiner göttlichen Bestimmung vollkommen entsprechenden Menschen eingezeichnet, die Barth vom königlichen Menschen sprechen lässt (KD IV/2, 180), der in unvergleichlicher Souveränität die dem Menschen von Gott geschenkte und in der Beziehung zu ihm erhaltene Freiheit gelebt hat und darin „das göttliche Ja zum Menschen und seinem Kosmos widerspiegelt“ (200). Der Selbsterniedrigung Gottes (KD IV/1) entspricht die Erhöhung des Menschen (KD IV/2). Das ist die Doppelbewegung, die es zu bedenken gilt. Indem die Gleichzeitigkeit der Bewegungen nur im Nacheinander bedacht werden kann, ist mit dem Fokus auf jeder der beiden Seiten dieser Doppelbewegung eine spezifische im Auge zu haltende Gefahr verbunden. Geht es um die Gottheit Jesu, wird der Anschein niemals ganz auszuräumen sein, dass die Menschlichkeit Jesu hinter seiner göttlichen Prädikation zurücktritt, verblasst oder gar zu einem Schein wird. Bleibt aber beachtet, dass die Pointe darauf liegt, dass es dieser Mensch ist, in dessen Geschichte wir wie in keinem anderen Geschehen das uns zugewandte Wesen Gottes erkennen können und sollen, so ist diesem Eindruck zu widersprechen. Dennoch liegt es im Blickwinkel dieser ersten Bewegungsrichtung, dass sie einen gewissen alexandrinischen Einschlag nicht ganz abschütteln kann, d. h. im Licht seiner Göttlichkeit droht die Menschlichkeit Jesu so sehr überstrahlt zu werden, dass sie ihre wirkliche Bedeutung einbüßt und zu einer mehr symbolischen oder gar didaktischen Größe geschmälert wird. Und es liegt auf der Hand, dass auf der Ebene, auf der es dann um Jesus als den „wahren Menschen“ gehen wird, sich umgekehrt ein gewisser antiochenischer Einschlag nicht ganz vermeiden lassen wird, d. h. im konsequenten Ernstnehmen der tatsächlichen Menschlichkeit Jesu droht der göttliche Charakter des Geschehens an den Rand gedrängt zu werden, so dass vor allem der Jesus der synoptischen Evangelien als vorbildliche menschliche Biographie missverstanden wird. Indem bereits das Neue Testament selbst von diesen beiden Neigungen durchzogen ist, allerdings ohne ihnen zu erliegen, wird angezeigt, dass sie einerseits nicht zu vermeiden sind und andererseits, dass die damit verbundene Gefahr vor allem dadurch gebannt bleibt, dass beide stets zusammenzuhalten sind (KD I/2, 26 f). George Hunsinger zeigt überzeugend auf, dass es gerade diese beiden zwischenzeitlich immer wieder hinzunehmenden Schlagseiten und der dann auch immer wieder vorzunehmende dialektische Ausgleich sind, die den dezidiert chalcedonensischen Charakter der Christologie Barths auszeichnen. Man kann den Schlagseiten nicht entkommen, vielmehr müssen sie durchaus bewusst in Kauf genommen werden, und das können sie auch, wenn sie von der sie zusammenhaltenden Dialektik orientiert bleiben (vgl. Kap. I.6; II.7). Es ist genau diese Dialektik, welche mit der Zwei-Naturenlehre von Chalcedon hervorgehoben und festgehalten wird. Wer hier Barth, wie es immer wieder geschehen ist, entweder auf der einen oder dann auch auf der anderen Seite vom Pferd fallen sieht, möge daran erinnert werden, dass sich Barth in seiner dialektischen Bewegung immer auch zwischenzeitlich bewusst gewisse Einseitigkeiten erlaubt hat, ohne welche den spezi-

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fischen Pointen ihre jeweilige Spitze genommen wäre. In der Regel finden sie dann an anderer Stelle in einem entgegengesetzten Akzent wieder ihre Balance, ohne je ganz miteinander vermittelt werden zu können. Nicht zuletzt ist diese Dialektik als eine Bestätigung für den Umstand zu verstehen, dass wir theologisch das Geheimnis der Inkarnation nur in Annäherungen in verschiedenen Perspektiven zu benennen vermögen, ohne es als solches jemals ganz erfassen zu können.148 5.3.2 Die Selbsterniedrigung Gottes und die Erhöhung des Menschen

So wie das Verstehen der Person Jesu Christi als „wahrer Gott und wahrer Mensch“ nicht ohne eine Bezugnahme auf das Geschehen auskommt, in dem sich die beiden Dimensionen seines Seins erschließen, so lässt sich auch – traditionell gesprochen – das Werk Jesu Christi nicht angemessen erfassen, ohne die unablässig im Bewusstsein präsent zu haltende Voraussetzung, dass es der „wahre Gott“ ist, der in diesem „wahren Menschen“ präsent ist und handelt. Wenn es nun in diesem zweiten Schritt des Verstehens der Christologie Barths um den Vollzug des Heilsgeschehens geht, wird deutlich, dass sich die Person in ihrem Handeln erschließt, so wie sich die Reichweite dieses Handelns an der Besonderheit seines Subjektes bemisst. Um diesen unauflöslichen Zusammenhang prägnant zu erfassen und den geschichtlichen Charakter der Bestimmungen erkennbar werden zu lassen, wird der im Bekenntnis von Chalcedon benutzte Begriff der Natur von Barth durch die Metapher des „Weges“ interpretiert.149 a) Wenn Barth zunächst den „Weg des Sohnes Gottes in die Fremde“ bedenkt (§ 59.1), hat er vor allem die christologische Bestimmung vor Augen, dass Christus als „wahrer Gott“ zu verstehen ist. Der sich selbst bis zum Kreuz erniedrigende Gott tritt an die Stelle des verlorenen Menschen und offenbart damit in letzter Konsequenz das Wesen Gottes in seinem radikalen Eintreten für den Menschen. Er ist der an unserer Stelle gerichtete Richter, der uns die Wahrheit seines Wesens im Vollzug seines an sich selbst für uns vollzogenen Urteils erschließt. Dieses für uns vollzogene Gericht wird in Kraft gesetzt durch das „Urteil des Vaters“ (§ 59.3), der sich darin ganz und gar mit dem Sohn identifiziert, dass er ihn vom Tode ins ewige Leben auferweckt. Barth bleibt in der Linie seiner Fundamentalentscheidungen der Erwählungslehre, nach welcher Gott die mit seiner Erwählung verbundene Verwerfung sich selbst zumisst. In dem in Jesus Christus in Erscheinung tretenden Versöhnungsgeschehen wird diese Stellvertretungsperspektive in dem zunächst befremdlichen Gedanken eingelöst, dass Gott sich in Jesus Christus wesentlich als der sich selbst gehorsame Gott erweist (KD IV/1, 179). Darin liegt die Bestimmung der Inkarnation, dass er, „der erwählende, ewige Gott […] selber auch der verworfene und darum vergehende Mensch sein“ (191) wollte. Das ist der ewige Wille Gottes, in 148 Vgl. Hunsinger, Karl Barth’s Christology, 130 f. 149 Vgl. Plasger, Jesus Christus, 311.

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dem er als Gott erkannt werden will. Wir verfehlen den Willen Gottes, wenn wir die Radikalität seiner ebenso konsequenten wie konsequenzenreichen Inkarnation ermäßigen wollten. Es ist der vom Menschen verweigerte freie Gehorsam, in den er nun gleichsam selbst einspringt, um gleichzeitig dem untreuen Bundesgenossen im Kreuz die Konsequenzen seiner gottlosen Selbstbezüglichkeit vor Augen zu stellen. Es die innere Relationalität des trinitarischen Gottes, in der Gott auch zu sich selbst in Beziehung steht, die ein solches schwer zugängliches theologisches Motiv ermöglicht und uns dann auch zu denken aufgibt, ohne damit gleich in eine der subordinatianischen Richtungen abzugleiten, indem dem Träger des Gehorsams automatisch eine mindere Göttlichkeit attestiert wird als seinem Gegenüber (213 f). Vielmehr bekommt hier die in der Erwählungslehre erörterte ewige Gnadenwahl ihre konkrete Bestätigung, und zugleich bleibt daran zu erinnern, dass die Entschiedenheit der Gnadenwahl ihre belastbare Begründung ihrerseits bereits allein aus der grundlegenden Aufmerksamkeit auf den hier agierenden Jesus Christus bezogen hatte. Aus dem damit einzuräumenden Zirkel ist theologisch nicht zu entkommen, solange die Theologie darauf konzentriert bleibt, ihre Erkenntnis grundlegend und maßgeblich an Jesus Christus zu orientieren. „Der Weg des Sohnes Gottes in die Fremde“ hat sein Ziel in der Versöhnung der Welt mit Gott, so dass Barth nun mit dem Kreuz das priesterliche Amt Jesu Christi in das Zentrum der Aufmerksamkeit rückt (§ 59.2). Barth weiß um die unterschiedlichen Narrative, in denen das Neue Testament die Bedeutung des Kreuzes zur Sprache bringt (Gerichtsprozess, Opfer, Stellvertretung, Loskauf usw.) und unterstreicht deren grundsätzliche Äquivalenz (vgl. 301–311). Seine eigene Konzentration gilt aber nicht, wie man angesichts der Verknüpfung mit dem priesterlichen Amt vermuten könnte, in erster Linie der Opfermetaphorik, sondern der Verknüpfung der Gerichtsmetaphorik mit dem Stellvertretungsmotiv. Einerseits wird im Kreuz das Gericht über die selbstgerechte Welt gesprochen und andererseits trifft das Urteil stellvertretend den Gekreuzigten und wird damit zum Freispruch derjenigen, denen das gerechte Urteil Gottes gilt. Wie die Überschrift zu § 59.2 bereits anzeigt, wird der Richter zu dem an unserer Stelle Gerichteten. Auch hier bleibt die sachliche Verknüpfung mit der Erwählungslehre präsent: Er, der der erwählende Gott und der eine erwählte Mensch in einer Person ist, ist eben als der verwerfende, der die Sünde im Fleische richtende Gott in seiner eigenen Person auch der eine verworfene Mensch: das Lamm, das der Welt Sünde trägt, damit die Welt sie nicht mehr tragen müsse und könne, damit sie radikal und total von ihr weggenommen sei. (260)

Das Stellvertretungsmotiv hebt einerseits die Exklusivität des Handelns Gottes hervor, die jede menschliche Beteiligung ausschließt. Indem es aber „für uns“ geschieht, wird sofort auch die Inklusivität dieses Geschehens angesprochen (387 f). Es ist der Richter, der wir als Menschen nicht sein können und deshalb auch nicht sein sollen, der an die Stelle des zu Richtenden tritt und sein Tun „auf seine eigene Verantwortlichkeit nimmt“ (259). Gott kommt zu seinem Recht, indem er die aus ihm resul-

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tierende Verurteilung auf sich selbst nimmt. Alles hängt daran, dass Jesus Christus als „wahrer Gott“ erkannt und verstanden wird. b) Dieser Bewegung der konsequenten Selbsterniedrigung Gottes entspricht die Erkenntnis auch der Gegenbewegung, die darin besteht, dass uns in dieser Erniedrigung Gottes die Erhöhung des Menschen in die Aufmerksamkeit gerückt wird: „der neue, der wahre, der königliche, weil am Sein und Leben, an der Herrschaft und Tat Gottes teilnehmende, ihn ehrende und bezeugende Mensch“ (KD IV/2, 1). Zielte die Bewegung der Selbsterniedrigung Gottes auf das Kreuz, so hat die Bewegung der Erhöhung des Menschen ihre noetische und ontische Basis in Auferstehung und Himmelfahrt (158). Ebenso wie Barth die Statik der zwei Naturen Jesu in die Dynamik seines Weges einzeichnet, wird auch die traditionelle Lehre von den Ständen Jesu – seiner Erniedrigung und seiner Erhöhung – in die Bewegung hineingenommen als zwei voneinander zu unterscheidende Aspekte eines Geschehens, das als solches immer auch als Ausdruck des Seins Gottes verstanden wird. Betont spricht Barth immer wieder von Geschichte als der die Wirklichkeit des Menschen aus der Fremde in die Heimat versetzenden Tat Gottes in Jesus Christus. Sie ist „das Realissimum“ der Geschichte als die „eminent reale Bestimmung der ganzen Menschenwelt“ (KD IV/3, 564). Die Geschichtlichkeit zeigt sich in dem konsequenten Verständnis aller zentralen Begriffe als „Bewegungsbegriffe“ (KD IV/2, 118). Zugleich bewahrt diese Geschichte ihren besonderen Charakter in der Betonung, dass es sich im Entscheidenden nicht um eine dem Ablauf der Zeit folgende horizontale Bewegung handelt, sondern um die „vertikale Bewegung“ (113) des Handelns Gottes. Als solche ist sie nicht einfach als ein Akt der Vergangenheit anzusehen, sondern sie geschieht auch heute noch und bleibt auch als Handeln Gottes für die Zukunft zu erwarten. Auch wenn sie gewiss einen bestimmten Ausschnitt der synchronen Geschichte (Historie) im Auge hat, geht es zentral um eine diachrone Bestimmung, in der das Handeln Gottes auf das Wesen der Geschichte als solcher zielt. Es gehört zum Wesen dieser Tat Gottes, dass sie nicht nur auf den Menschen ausgerichtet ist, sondern ihn bereits in ihren Vollzug einbezieht. Es ist die Erniedrigung Gottes, in der sich die Erhöhung des Menschen vollzieht. Es ist der Knecht, der sich in Jesus Christus als der königliche Mensch zeigt, der darin exponiert als der „wahre Mensch“ bezeichnet wird, dass er von keiner Sünde wusste (2Kor 5,21), so sehr er dieser ebenfalls ausgesetzt gewesen ist. Die Menschheit Jesu Christi hat nicht nur eine zwischenzeitliche instrumentelle Bedeutung, sondern geht essenziell zusammen mit seiner Gottheit einher (37). Das nennt Barth den mit der Inkarnation annoncierten göttlichen „Majestätsakt“ (39, 41). Auch hier bleibt die Einbettung in den weiteren Horizont im Auge zu halten. So bleibt ebenfalls für diese Erhebung des Menschen einerseits das Bundesmotiv orientierend sowie andererseits der Anschluss an die Erwählungslehre, in der Christus nicht nur als der erwählende Gott, sondern ebenso zentral und folgenreich als der erwählte Mensch bedacht wurde. So wie sich Gott in seinem konsequenten Eintreten für den Menschen als der „Immanuel“ erweist, der für sein Volk eintretende

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Bundesgott, so zielt dieser Einsatz auf die Erhebung des Menschen zum „Bundesmensch“ (3) und damit auf die Gnade, als Volk Gottes erhoben und konstituiert zu werden. Wie in der Erwählungslehre der erwählende Gott dem erwählten Menschen entsprach, so entspricht hier dem versöhnenden Gott der versöhnte Mensch. Als „wahrer Mensch“ ist Jesus Christus einerseits „ganz und vorbehaltlos Mensch von unserer Art“ (28) einschließlich der ganzen mit unserem Sein verbundenen Widersprüchlichkeit (und entschieden nicht ein vergotteter Mensch), und zugleich ist er uns gleichsam in seiner göttlichen Sendung auch ganz ungleich: Entscheidend anders, uns ganz ungleich, ist er aber darin, daß in ihm, in seinem Menschsein, in der Geschichte, in der er Mensch wird und ist, als Mensch leidet und handelt, eine Erhöhung eben der Menschlichkeit stattfindet, die als die seine wie als die unsrige dieselbe ist. […] „Erhöhung“ meint die Geschichte der Versetzung der ihm und uns gemeinsamen Menschlichkeit auf eine obere Ebene, auf der sie in ihrer ganzen Gleichheit mit der unsrigen dieser auch ganz ungleich wird und ist […]. Er existiert als dieses göttliche Subjekt, das ein Mensch wurde, indem es sich als solches dazu erniedrigte, in einer Geschichte, die so die Geschichte keines anderen Menschen sein kann. […] Es geht um die Bewegung, die dadurch ausgelöst ist, daß zuerst von diesem Gott zum Menschen, vom Himmel zur Erde und so „von oben nach unten“ die entgegengesetzte Bewegung stattgefunden hat, ja in der Person jenes Einen noch stattfindet und Ereignis ist. „Erhöhung“ meint […] das Ganze der so ausgelösten Bewegung: miteinander ihr Anheben, ihren Vollzug, ihre Vollendung. (29 f)

Deutlich wird die Ungleichheit vor allem darin, dass in Jesus Christus, in seiner Erhöhung und Auferweckung die Erhöhung und Auferweckung der ganzen Menschheit eingeschlossen ist, d. h. die Aufhebung der vom Menschen selbst gewählten Entfremdung von Gott und der damit in Kauf genommenen Bedrängung durch den Tod zugunsten eines menschlichen Lebens im ewigen Frieden mit Gott. Als das wahre Ebenbild Gottes ist Jesus Christus der königliche, der von Gott geheiligte Mensch, der seinerseits der Treue Gottes zu seinem Bund entspricht (186). Als „wahrer Mensch“ ist Jesus der Verkündiger des Evangeliums und der Zeuges des Reiches Gottes (225). Und sein Tun entspricht in seiner Außerordentlichkeit seiner Verkündigung und ist „als Zeichen des nahe herbeigekommenen Gottesreiches“ (233) zu verstehen. Es geht nicht im Sinne eines „Weltverbesserungsversuchs“ (240) um die therapeutische Optimierung des Bestehenden, sondern um „die Gegenwart einer außerordentlichen Gegenwart“ (233) wie sie durch die Verkündigung des Reiches Gottes benannt wird. Nicht die Bindung an das Alte ist charakteristisch, sondern die Souveränität dem Bestehenden gegenüber und somit der Hinweis auf die Macht Gottes (243), was sich in der Unverrechenbarkeit seines Tuns mit den Bedingungen der Welt seinen eigenen Ausdruck verschafft. c) Zusammengefasst und vertieft werden schließlich beide Bewegungen unter der Überschrift „Die Herrlichkeit des Mittlers“ (§ 69). Barth spricht von einem dritten Aspekt der Versöhnungslehre (KD IV/3,5), den er als ihr „Formalproblem“ (7) bezeichnet, von dem er aber pointiert hervorhebt, dass er „der einfachste und der

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höchste, der Ursprung und die Zusammenfassung der beiden ersten“ sei (KD IV/1, 148). Barth begnügt sich nicht mit der Erfassung der gleichzeitig zu verstehenden Bewegungen des Versöhnungsgeschehens, sondern erkennt auch in der Frage ihrer Vermittlung und Vergegenwärtigung eine zentrale theologische und näherhin ekklesiologische Frage. Bezeichnender Weise zitiert Barth als Leitsatz für seinen christologischen Teil von KD IV/3 ebenso schlicht wie gewichtig die erste These des Barmer Bekenntnisses von 1934 (vgl. Kap II.5, S. 83). Wenn Barth hier im eher losen Anschluss an Calvin das prophetische Amt Jesu Christi aufgreift und ihm mit deutlicher Aufwertung eine eigene Ausrichtung gibt (KD IV/ 3, 3–18), geht es um die nachdrückliche Betonung, dass er als der alleinige Mittler auch selbst der alleinige Bürge der Versöhnung ist (KD IV/1, 150). Dabei steht die vor allem auf die Gegenwart bezogene Argumentation ganz und gar im Zeichen des Wirkens des Heiligen Geistes, was auch zu einer deutlicher pneumatologischen Prägung des dritten Bandes seiner Versöhnungslehre hätte führen können, aber Barth sieht den Geist stets unmittelbar mit der gegenwärtigen Lebendigkeit Christi verbunden.150 Jesus Christus ist als sein eigener Bürge der „wahrhaftige Zeuge“, der seine Gemeinde zu dem von ihr zu erwartenden Zeugnis beruft. Damit soll vor allem dem Missverständnis entgegengewirkt werden, „als handele es sich bei dem Problem des Erkennens, Verstehens und Erklärens der Versöhnung […] um ein Problem der Theorie des menschlichen Erkennens, seiner Bereiche und seiner Grenzen, seiner Kapazitäten und Kompetenzen, seiner möglichen oder unmöglichen Annäherung an diesen Gegenstand.“ (KD IV/3, 9 f) Vielmehr verhalten sich die drei Bände der Versöhnungslehre zueinander wie „Eröffnung, Erschließung, Mitteilung“ (10). Vom Werk der Versöhnung unterscheidet Barth ihre Offenbarung, und das ist eben nicht weniger als „ihr gegenwärtiges, ihr heutiges, ihr künftiges Stattfinden“ (40). Ausgangspunkt ist die Wahrnehmung, dass der Auferstandene lebt, womit all das vergegenwärtigt wird, was bisher vom Versöhnungsgeschehen bedacht wurde, nämlich dass er „in der Weise Gottes“ und zugleich „in der Weise eines Menschen“ (41) in untrennbarer Verbundenheit (45) lebendig ist. Davon „lebt der glaubende Mensch […], daß Jesus Christus lebt, nicht umgekehrt“ (48). Es ist nicht seine „Bedeutsamkeit“ (79), in der er lebendig ist (so die Schule von Rudolf Bultmann), sondern nur, weil er lebt, kann er auch tatsächlich bedeutsam sein. Seine Lebendigkeit steht für seine Selbstbezeugung, in der allein er als das Wort Gottes vernommen werden kann. Barth bleibt konsequent auf der von den Prolegomena ausgezogenen Linie (vgl. Kap. IV.1). Die Offenbarung des Wortes Gottes wird illustriert mit der Metapher des Lichtes, das in der Finsternis scheint (Joh 1,5). Dabei räumt Barth einerseits ein, dass Christus sich in diesem Licht nicht nur selbst zeigt, sondern es wird damit zu rechnen sein, dass sich auch andere beachtenswerte Lichter – und im Horizont der in Anspruch genommenen Analogie auch andere wahre Worte – zeigen werden. Sie sind auch dann als Reflexionen seines Lichtes zu verstehen und zu beurteilen, wenn sie anderen religiösen Zusammenhängen oder auch der Profanität entstammen, so 150 Vgl. Plasger, Jesus Christus, 313.

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wie die Wahrheit der wahren Worte auf ihre sinngemäße bzw. perspektivische „Übereinstimmung mit dem Zeugnis der Schrift“ (141) zu befragen sind. Das wird dann gern Barths Lichterlehre (§ 69.2) genannt, mit der behutsam umzugehen sein wird, wenn sie nicht – wie es in der Rezeption immer wieder geschieht – zu einem Einfallstor für die natürliche Theologie und damit zu einem Freibrief zur Akkreditierung jedweder Wahrheitsperspektive werden soll.151 Indem dieses Licht in der Finsternis scheint (219), liegt andererseits seine Überlegenheit der Finsternis gegenüber auf der Hand, die aber strikt eine Überlegenheit des Lichtes selbst bleibt und nicht etwa der von ihm „Erleuchteten“. Damit wird ein noch nicht ganz ausgestandener und unter Umständen durchaus noch heftig wütender Konflikt eingeräumt, der als solcher aber nicht offen ist, sondern in dem sich Christus bereits als Sieger erwiesen hat (§ 69.3). Barth spielt damit auf Johann Christoph Blumhardt (1805–1880) an, der von einer unter seiner Seelsorge gelingenden Heilung einer „Besessenen“ aus seiner Möttlinger Gemeinde (Baden-Württemberg) berichtet, in deren Zusammenhang der entscheidende Durchbruch zur Gesundung mit dem Satz „Jesus ist Sieger!“ gleichsam besiegelt wurde. Barth sieht darin eine ebenso kompakte wie treffende Zusammenfassung vieler neutestamentlicher Aussagen (192–196). Die Aufmerksamkeit gilt der Bewegung der vom Christusgeschehen bezeichneten Geschichte: Es geht um ein „Noch“ und ein „Schon“ in jenem Gegensatz – nicht etwa um eine zweideutige Zuständlichkeit eines „teils-teils“, eines „sowohl-als-auch“. Es geht um die eindeutig nur so und nur so verlaufende Bewegung: heraus aus der Nichterkenntnis – hinein in die Erkenntnis. […] Dies ist die menschliche Situation in ihrer Bestimmtheit durch die Prophetie Jesu Christi unter dem Zeichen des Christus victor. (225 f)

Barth rekurriert schließlich auf die Bekehrung des Paulus (226–240), deren Ereignis auch nicht gleich ganz ans Ziel führt, ihm aber das Ziel so vor Augen rückt, dass er sich von der Vergangenheit befreit auf dies Ziel ausrichten kann (Phil 3,12 f). Es steht nicht weniger zur Debatte als „die Realpräsenz der Versöhnung, d. h. aber des lebendigen Herrn Jesus Christus […]. In seiner Prophetie schafft er Geschichte: eben die Geschichte, die in der christlichen Erkenntnis Ereignis wird.“ (242) „Immer bleibt er das primär handelnde Subjekt.“ (244) „Der lebendige Jesus Christus ist ja die Versöhnung“ (247), die den Menschen in der von ihm selbst vermittelten Glaubenserkenntnis erreicht und damit geschieht (248 f). Hier hat neben dem priesterlichen und dem königlichen Amt das Amt des Propheten als des Mittlers seine eigene unverzichtbare Bedeutung. Ohne ausdrücklich darauf hinzuweisen bestätigt Barth hier seine Zuspitzung, dass Jesus Christus streng genommen das einzige Sakrament der Kirche sei (KD IV/2, 42).152

& Maurer, „Der königliche Mensch“ 151 Vgl. dazu Berkhof/Kraus, Karl Barths Lichterlehre 152 Vgl. dazu Weinrich, Karl Barths Sakramentsverständnis.

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5.3.3 Er sitzt zur Rechten Gottes

Es sind vor allem die drei „Übergangsüberlegungen“ (§ 59.3, § 64.4, § 69.4), durch welche die Entscheidung Barths, die Christologie insgesamt in die Perspektive der sogenannten Dreiämterlehre zu stellen, ihre entscheidende Pointe bekommt. Christus ist ja kein verdienstvoller Ruheständler, der auf die von ihm in seiner aktiven Zeit wahrgenommenen Ämter und die damit verbundenen Errungenschaften, auf deren Nachwirkungen wir uns auch heute noch berufen können, zurückblickt. Vielmehr wird die Reichweite der Lebendigkeit des auferstandenen Christus bedacht, der als der zu ewigem Leben Erweckte und Erhöhte zur Rechten Gottes des Vaters sitzt, wie es das Glaubensbekenntnis in Aufnahme von Mk 16,19 formuliert. Wenn man so will, geht es um das Regieren Gottes, wie es sich in den drei Ämtern zeigt, die Christus weiterhin in seiner konstitutiven Beziehung zum Vater und in der Kraft des Heiligen Geistes in seinem Eintreten für den Menschen und seinem Aufrichten des Menschen wahrnimmt. Der Schlüssel bleibt die Auferweckung und Auferstehung Jesu Christi. Hier erschließt sich in einem als solchem zu würdigenden Ereignis der besondere Charakter der Perspektive des Christusgeschehens: „Das Urteil des Vaters“, „Die Weisung des Sohnes“ und „Die Verheißung des Geistes“. Wenn Barth seine Überlegungen zur Bedeutung und Aktualität der Auferstehung Jesu Christi vor allem in diese Übergangsüberlegungen konzentriert, dann ringt er um eine Antwort auf die Frage: Wie kommen wir hier und heute dazu anzunehmen bzw. zu behaupten, „daß auch wir unter denjenigen ‚wir‘ sind, die sein [sc. Christi] pro nobis angeht“ (KD IV/1, 314)? Es handelt sich hier ganz und gar nicht um eine Selbstverständlichkeit. Es könnte sich bei der Stellvertretung Jesu Christi durchaus auch um eine exklusive Stellvertretung handeln, mit deren Vollzug auch das Ende unserer menschlichen Geschichte besiegelt sein könnte (323). Was bedeutet also „diese in Jesus Christus selbst vollzogene Wendung zu uns hin für uns“? (323) Wer hier nicht bemerken wollte, daß ihm an dieser Stelle zunächst Halt geboten ist, der würde von da aus nicht legitim, sondern nur durch eine Erschleichung und also nicht wirklich, sondern nur scheinbar weiterkommen. Wir müssen wissen, was wir tun, wenn wir es wagen, ab dieser Stelle weiter zu gehen. (KD IV/3, 320)

Die Christen sind ganz und gar nicht automatisch die selbstverständlichen und gelittenen Freunde Christi. Angesichts der Geschichte der Kirche dürfte sich wohl eher etwas anderes nahelegen. Es ist prinzipiell nicht ihre Angelegenheit, sich auf die Seite Christi zu stellen. Wenn Christus tatsächlich nicht „ohne die Seinigen“ ist, so kann dies nur das Resultat des in und durch ihn gesprochenen rechtfertigenden Ja Gottes zu ihnen sein (391). Nur dann kann tatsächlich fester Boden betreten werden, wenn sich begründet sagen lässt, dass die Inklusion von Christus ausgeht. Und genau das ist die Bewegung, die in diesen Übergangsüberlegungen bedacht wird. Es geht um den Übergang von dem zuvor bedachten christologischen Grund in den anthropologischen Bereich, für den es entscheidend darauf ankommt, dass die fun-

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damentale Aktivität auf der Seite Gottes belassen und eben nicht dem Menschen übertragen wird, der sich nun dazu aufgefordert findet, seinerseits etwas aus dem Eintreten Christi für uns zu machen. Bleibt Christus das initiierende Integral der Kirche und aller Christen und dann auch der ganzen Weltwirklichkeit oder werden nun die Kirche und die Christenheit zu dem Integral des christlichen Zeugnisses und der Botschaft des Evangeliums? Im nächsten Kapitel (vgl. Kap. IV.5.4) wird sich zeigen, dass es die menschliche Sünde in ihren drei Gestalten des Hochmuts, der Trägheit und der Lüge ist, durch welche auch bei aller theologischer Ernsthaftigkeit, den christologischen Grund so differenziert und unausweichlich wie möglich zu bestimmen, dem Christusgeschehen genau an der Stelle die lebendige Wirksamkeit abgesprochen wird, wo seine eigentliche Bestimmung auf dem Spiele steht. Ihm wird gleichsam von der allzu bereitwilligen, tatsächlich aber unverschämt angemaßten Übernahme der „Sache Jesu“153 durch den Menschen die entscheidende Lebensader gerade in dem Moment abgedrückt, in dem es ihre belebende Dynamik wahrzunehmen gegolten hätte. Wenn Barth hier vor allem auf die Auferweckung und Auferstehung Jesu Christi als einer eigens zu bedenkenden Tat Gottes rekurriert, blickt er auf die Wahrnehmung der „Umschließung und Beherrschung unseres, des anthropologischen Bereichs“ (KD IV/2, 295) durch Jesus Christus. Die Lebendigkeit des Auferstandenen ist nicht zu verstehen als „Angebot und Möglichkeit […], sondern als Wirklichkeit“ (296). Gewiss bleiben auch in dieser Perspektive christologischer Grund und christliche Existenz deutlich voneinander zu unterscheiden – und diese Unterscheidung gilt es auch stets im Bewusstsein zu halten –, aber ebenso deutlich bleiben sie in einen nicht suspendierbaren Zusammenhang zu bringen, so dass „kaum ein Schritt zu tun sein wird, bei dem wir nicht dringenden Anlaß haben werden, […] uns darüber im Klaren zu bleiben, daß und inwiefern wir von ihm her kommen, das und inwiefern alles im Einzelnen Aufzuzeigende nur von ihm her zu verstehen ist“ (KD IV/3, 318). Daher kann zunächst allgemein und grundlegend gesagt werden: Die in ihm, in seiner Person und seinem Werk geschehene Versöhnung selbst und als solche ist ein von seinem besonderen Bereich her übergreifendes, den unseren, den Bereich des allgemeinen Menschenlebens umgreifendes, virtuell, prospektiv, de iure nach jedem Menschen, aktuell, effektiv, de facto nach dem christlichen Menschen ausgreifendes, ihn rezeptiv und spontan beteiligendes Geschehen. (322)

Der Übergang in den anthropologischen Bereich gehört noch in die christologische Grundlegung als die für eine kirchliche Dogmatik grundlegende Perspektive der Christologie, der dann all unsere Selbsterkenntnis und Lebensgestaltung zu entsprechen hat, wie Barth es dann auch in allen drei Teilen seiner Versöhnungslehre ausführt. 153 Vgl. Marxsen, Die Sache Jesu geht weiter.

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a) Die Auferstehung ist nicht nur ein Interpretament des Kreuzes, sondern entspricht als Ereignis einer neuen souveränen Tat Gottes (KD IV/1, 335 ff), mit der er auf das Kreuz antwortet, sich zu ihm bekennt und sein mit ihm verbundenes Urteil offenbart, so dass die Aufmerksamkeit auf die positive Perspektive der Negativität des Kreuzes gerückt wird. Die Auferweckung ist der Vollzug des Urteils Gottes über den Weg, den er [sc. Jesus Christus] dahin gegangen war: seine richterliche Feststellung, daß Jesu Christi Tun und Leiden nicht ohne, nicht gegen, sondern nach seinem heiligen und guten Willen, und vor Allem: daß es als sein Sterben an unserer Stelle nicht umsonst, sondern gültig, und nicht zu unserem Verderben, sondern zu unserem Heil geschehen sei. (336 f)

Sie verbindet das Perfekt mit dem Präsens, das Perfektum mit seiner Präsenz und erhellt damit den bereits erwähnten besonderen Charakter der sich damit vollziehenden Geschichte. So sehr in ihr Kreuz und Auferstehung beieinander zu halten sind, so wenig darf übersehen werden, dass es sich um „die Art einer ‚Einbahnstraße‘“ (379) handelt, auf der durch die Auferstehung der Tod überwunden wurde (1Kor 15,54), so dass nun auch das Kreuz gegenüber „aller Kreuzesfrömmigkeit […] und aller Kreuzesästhetik“ (380) vor allem als „Lebensverheißung“ (384) und eben nicht als Todesbedrängnis zu bedenken ist. Es gehört zum Wesen Jesu als Christus, dass zum Satz „Jesus lebt“ unverbrüchlich dazu gehört: „Mit ihm auch ich“ (394). b) Auch für die sich in der Erniedrigung Gottes vollziehende Erhöhung des Menschen ist nach der uns betreffenden Teilhabe und Teilnahme zu fragen. Es bleibt bei der Bewegung vom Kreuz zur Auferstehung, indem die im Gekreuzigten und Auferstandenen auch über uns getroffene Entscheidung nun nach uns greift und uns in Beschlag nimmt (338 f) und uns als Mitwisser Gottes (349 ff) befreit (347 f) zur Erkenntnis, Umkehr und Liebe (341), durch welche wir in Unterschiedenheit und Partnerschaft zugleich teilnehmen „an ihm selbst, an seinem dreieinigen Leben“ (387). Die damit bezeichnete Heiligung des Menschen bezieht sich auf die Weisung Christi in seinem königlichen Amt, die Barth hier zunächst konkretisiert als Einweisung, Zurechtweisung und Unterweisung durch den Heiligen Geist (405 ff; vgl. Kap. IV.5.5.2). Wenn der Mensch wirklich ist, was er ist (407), wird er davon lassen, mit der Welt zu paktieren (415), indem er sich darin unterweisen lässt, in rechter Weise zwischen seiner Unfreiheit und seiner Freiheit zu unterscheiden (418), d. h. in der Freiheit lebendig zu bleiben, zu der uns Christus befreit hat (Gal 5,1). c) Wenn der mit dem prophetischen Amt verknüpfte Übergang nun den Blick auf das Handeln Christi hier und jetzt lenkt, geht es im Grunde um den die Zeiten umfassenden Charakter der Lebendigkeit des Auferstandenen, der mit dem Attribut der Ewigkeit angezeigt wird: Das Leben des Auferstandenen ist ewiges Leben, d. h. ein Leben, das nicht den Bedingungen des Ablaufs der Zeit mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unterworfen ist. So wie der Auferstandene das geschehene Geschehen vergegenwärtigt und somit zu einem geschehenden Geschehen macht, so ist in ihm auch bereits das Ziel allen Geschehens gegenwärtig, so sehr dieses als

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solches auch erst noch auf uns zukommt. Wenn Barth betont von der „Realpräsenz der Prophetie Jesu Christi“ spricht (KD IV/3, 320), steht die Inklusionskraft seiner Lebendigkeit im Zentrum, mit der er stets „die Seinen“ einbezieht: „Er ist kein Haupt ohne Leib“ (321). Die Gegenwart des Auferstandenen steht im Horizont seines Wiederkommens, der Parusie. Sie hebt bereits an im Ostergeschehen (338) und erwartet sein endgültiges und unwidersprechbares Offenbarwerden im Eschaton (339), aber sie durchdringt auch die Gegenwart als die besondere Zeit des wiederkommenden Christus. Sie steht sowohl im Zeichen des bereits errungenen Sieges als auch der Verheißung seiner endgültigen Durchsetzung und ist somit die Zeit des anhaltenden Kampfes, der seines Sieges zum Trotz unsinnigerweise immer noch zu führen bleibt (379 ff). Als diese Zeit des wiederkommenden Christus ist sie zugleich die Zeit, die auch dem Menschen Raum lässt, sich in der durch Christus erworbenen Freiheit an diesem Kampf seinerseits zu beteiligen, indem er sich aktiv in die Bewegungsrichtung des lebendigen Christus mit hineinnehmen lässt. Dazu ist der Mensch durch die Prophetie Jesu Christi berufen. Das ist die Berufung zum Christsein, auch wenn die meisten Christen dieser Berufung entgegen tatsächlich in ihrem Nicht-Christsein verharren (395). Es ist die „Verheißung des Geistes“, die in die Zeit zwischen Ostern und dem Eschaton für die Gegenwart des Auferstandenen steht als die mittlere Gestalt der einen Parusie mit ihren drei Aspekten (404). Dieses aktuelle Wiederkommen Christi entspricht seinem einstigen Gekommensein und ist als solches nicht weniger wirklich (412 ff), so dass unser Leben „unter einem, unter dem positiven Vorzeichen sondergleichen“ (418) steht. „Wir sind in erster Linie Zeitgenossen Jesu Christi, mit verschlossenen oder offenen oder blinzelnden Augen, ob passiv oder aktiv, unmittelbare Zeugen seines Tuns.“ (419) Das ist Grund genug, „selber ein wenig echtes Salz, selber ein kleines Licht in der Finsternis zu werden“ (423).

&  Mit besonderer Konzentration auf KD IV/3 vgl. Weinrich, Christus als Zeitgenosse 5.4 Der Mensch der Sünde Wenn wir nun nach den Übergangsüberlegungen den Bereich des Menschen betreten, bleibt als erstes zu konstatieren, dass hier die Bewegungen des Christusgeschehens genau auf ihre Gegenbewegungen stoßen. Auf den Begriff gebracht versteht Barth Sünde als die Gegenbewegungen des Menschen zu den Bewegungen, mit denen sich Gott des Menschen annimmt. Als solche präsentiert sie sich nicht als offener Widerspruch gegen Gott, sondern sie wird erst von dem Christusgeschehen in die nötige und pünktliche Aufmerksamkeit gerückt. So wie das Gesetz nicht vor dem Evangelium steht und ohne das Evangelium nicht angemessen wahrgenommen werden kann, so kann auch die Sünde ohne das Evangelium nicht wirklich erkannt werden. Vielmehr zeigt sich erst in der Selbsterniedrigung Gottes die angemaßte Selbsterhöhung des Menschen, sowie in der Erhebung des königlichen Menschen die nicht weniger verheerende Selbstvernachlässigung des Menschen

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zum Vorschein kommt, und schließlich kann sich auch die ebenso angemaßte wie zugleich feige Unaufrichtigkeit sowohl der Christen wie auch der Kirche im Spiegel der prophetischen Selbstvergegenwärtigung Jesu Christi nicht im Verborgenen halten. Es ist deutlich: Der theologisch interessante Sünder ist „nicht der weltliche, sondern der christliche Mensch.“154 Es gibt einen konstitutiven Zusammenhang zwischen der Sünde mit dem Nichtigen, der bereits in der Schöpfungslehre thematisiert wurde (vgl. Kap. IV.4.4.4), aber die tatsächliche Kontur der Sünde erschließt sich erst im Zuge der Versöhnungslehre, auch wenn die Versöhnung nicht nur als Gottes Reaktion auf die Sünde verstanden werden darf, sondern in die bundestheologische und somit zugleich die erwählungstheologische Linie hineingestellt werden muss. Diese Platzierung der Sündenlehre gegenüber der traditionellen Verortung in der Schöpfungslehre gehört auch zu den Besonderheiten der theologischen Neuorientierungen Barths. Die Sünde gehört nicht in die Lehre des Menschen als Geschöpf Gottes und ist insofern im strengen Sinne kein Bestandteil der Schöpfungslehre, auch wenn sie unversehens im Raum der Schöpfung auf den Plan tritt als der ebenso unsinnige wie in seiner Konsequenz auch verheerende Versuch des Menschen, die Grenzen seines Geschöpfseins hinter sich zu lassen und selbst nach der Rolle des Schöpfers zu greifen und damit die mit der Schöpfung vollzogene gnädige Zuwendung Gottes zurückzuweisen. Indem der Mensch nach der Macht greift, selbst über Gut und Böse entscheiden zu können, unternimmt er gleichsam den kühnen Versuch, den Erfolg des ganzen Schöpfungsprojekts sich selbst gutzuschreiben, auch wenn es sich bei diesem Versuch nur um das erschlichene Experiment eines sich selbst überschätzenden Zauberlehrlings handeln kann. Indem die biblische Schöpfungssage auch die Erzählung vom sogenannten Sündenfall enthält, spielt die Sünde zweifellos in der Schöpfungslehre eine nicht nur randständige Rolle, auch wenn sie nicht von Gott geschaffen wird. Sie ereignet sich unversehens in der von Gott erschaffenen Wirklichkeit, so dass sich die mit der Schöpfung beginnende Geschichte gleich in ihrem Anheben jenseits von Eden vollzieht. Und für den Teil der Geschichte, die noch in die sogenannte Urgeschichte (Gen 1–11) hineingehört, bleibt sie die zentrale Herausforderung der seine Schöpfung erhaltenden Gerechtigkeit Gottes, die einerseits energisch der Sünde entgegentritt und andererseits ihre Veranstalter unter den jeweils veränderten Umständen bewahrt: Kain wird vertrieben und zugleich unter den Schutz Gottes gestellt; die Sintflut weist die Kreatur in ihre Schranken, zielt aber auf die ausdrückliche Bestätigung der Schöpfung in dem universalen Bund mit Noah; den himmelstürmenden Turmbauern in Babel wird die Sprache verwirrt und eben damit werden sie davor bewahrt, unter den Trümmern des sicher zu erwartenden Einsturzes ihres Werkes begraben zu werden. Es bleibt also zu beachten, dass der Mensch auch als Sünder Gottes Geschöpf bleibt, der als solches zum Partner eines Bundes wird, durch den alle Zweifel hinsichtlich der Rechtfertigung Gottes als Schöpfer ausgeräumt werden. 154 Barth, Das christliche Leben, 36.

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Für Barth galt es einen Weg zu finden, der sich auf der einen Seite deutlich von der neuzeitlich-aufklärerischen Verharmlosung der Sünde155 abhebt und auf der anderen Seite auch ausdrücklich Abstand hält von einem theologischen Überbeeindrucktsein von der Sünde, durch die sie dann – wie es Friedrich Delekat vorschlägt – zum „Stellwerk unseres gesamten geistigen Lebens“ erhoben würde.156 Sowohl ein Vorübergehen an der Sünde als auch ihre Überdimensionierung sind zu vermeiden, denn beide greifen die Wirklichkeit und die Ernsthaftigkeit des Eintretens Gottes für den Menschen in seiner Substanz an. Barth etikettiert die Sünde mit dem Begriff der „Störung“ (KD III/3, 366, 377, 409, 424). Sie befindet sich nach der Entmachtung ihrer Substanz durch Christus auf dem Rückzug, auch wenn einzuräumen bleibt, dass sie auf diesem Rückzug – nicht zuletzt aufgrund der widersinnigen Beteiligung auch der um ihre Entmachtung wissenden Christen – keine Anstrengung auslässt, den Anschein zu erwecken, als stünde sie kurz vor der Unterwerfung der ganzen Welt. Der Sünde würde durchaus zu viel Ehre eingeräumt, wenn sie ein selbständiges Kapitel in der Theologie beanspruchen könnte, in dem Gott mit einem ihm tatsächlich gegenübertretenden Gegenüber konfrontiert würde. Die Notwendigkeit der Thematisierung der Sünde im Zusammenhang der Schöpfungslehre bestand vor allem in der konsequenten Verhinderung der Versuchung, der Sünde gleichsam zu sehr auf den Leim zu gehen, indem sie zu einer ungefesselten Gegenmacht Gottes stilisiert wird, durch die sich dann der Mensch in ein ihn existenziell bedrängendes Spannungsfeld zwischen Gott und seinem Widersacher gestellt sehen müsste. Ihr tatsächlich unverschämtes Auftreten bleibt von der Schöpfung und der mit ihr anhebenden Geschichte der Verwirklichung des Bundes umschlossen. Ihrem abgründigen Skandal ist nüchtern ins Auge zu sehen und zugleich bleibt jedes Tor zu einem Gott in Frage stellenden Dualismus geschlossen zu halten (KD IV/1, 453). Auch wenn die Abweisung eines Dualismus in der Regel geteilt wird, hat doch die Radikalität, in der sie von Barth konsequent zuende gedacht wird, immer wieder den Vorwurf provoziert, dass er im Horizont der ewigen Gnadenwahl den Ernst der Sünde verharmlose. Dass dieser Vorwurf an dem eigentlichen Problem vorbeigeht, zeigt sich dann besonders in der Versöhnungslehre, in welcher uns im Spiegel des Kreuzes die tödliche Dynamik der Sünde in unüberbietbarer Deutlichkeit vor Augen gerückt wird. Die Sünde kommt weder durch die sie zweifellos verharmlosenden oder sie gar als notwendigen Durchgangspunkt zur Freiheit feiernden Selbstbetrachtung des Menschen auf den Plan.157 Sie ist nicht der Ausdruck freiwilliger oder sich aufdrängender Selbstzweifel (hier stößt der Mensch bestenfalls auf seine geschöpfliche Grenze; 155 Sören Kierkegaard beklagt im Blick auf die idealistische Moralisierung des Christentums: „Aber die Sünde, daß du und ich Sünder sind (der Einzelne), hat man abgeschafft.“ Einübung im Christentum, 76. 156 Delekat, Die Kirche Jesu Christi und der Staat, 12. 157 Vgl. dazu Barths Kritik der von Hegel und Schleiermacher beeinflussten „neuprotestantischen“ Dogmatiken im 19. Jahrhundert in KD IV/1, 413–427.

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397), noch erhellt sie aus einer substanziellen Bezugnahme auf das Gesetz, sondern sie zeigt sich allein in der Art und Weise der barmherzigen Durchsetzung der gnädigen Gerechtigkeit Gottes. Es ist der Glaube an die durch Christus erwirkte Rettung, der uns die Wahrnehmung der Radikalität der Sünde erlaubt, weil die Folgen ihrer Verwerflichkeit uns nicht mehr treffen, so dass wir ihrer Erkenntnis nicht weiter ausweichen müssen. Sünde kann – recht verstanden – immer nur als bereits vergebene und die Sünder nur als in Gottes Barmherzigkeit bereits Gerechtfertigte thematisiert werden, also auf dem tragenden Ufer jenseits des in ihr riskierten waghalsigen Ritts über das allzu dünne Eis des Bodensees. Indem bereits die ihr von Gott gesetzte Grenze mit im Blick ist, wird es überhaupt möglich, sich ihren Abgründen zu öffnen, ohne sogleich in ihnen zu versinken, was eben während des Ritts über das Eis unweigerlich der Fall wäre. Weil ihr bereits die allerdings noch erkennbare Spitze abgebrochen ist, ist der Glaube in der Lage, dem tatsächlichen Ernst der Sünde standzuhalten und ihrer Erkenntnis nicht auszuweichen oder vernebelnd entgegenzutreten. Nach dem vom Versöhnungsgeschehen selbst vollzogenen Übergang von dem christologischen in den anthropologischen Bereich stoßen wir auf den Menschen, dem dies Versöhnungsgeschehen gilt und den es mit Gott versöhnt. Es zeigt sich, dass Barth auch in der Versöhnungslehre im strengen Sinne keine Sündenlehre (De peccato) vorträgt, sondern – wie auch die vom § 60.1 übernommene Überschrift dieses Kapitels anzeigt – sich dem von der Versöhnung über den Charakter seiner Sünde aufgeklärten Menschen zuwendet, unter deren tatsächlicher Bestimmung er von dem Versöhnungsgeschehen erreicht wird. Es ist zunächst dieser negative Inhalt der Versöhnung, mit dem für die Wahrnehmung des Menschen zu beginnen ist, weil es ja um den gottlosen Menschen, den impius, geht, dem diese Versöhnung gilt (395). Barth verwendet für die Sünde auch hier wieder den Begriff der „Störung“ (396), deren Ausräumung die Versöhnung gilt, um das beschädigte Verhältnis zwischen Gott und Mensch in Ordnung zu bringen. Ihre Offenbarung (!) ist ein Implikat des Versöhnungsgeschehens, und ihre Erkenntnis somit ein Element des Glaubens an die Versöhnung (397). Es ist gerade der Umstand, dass er Sünder ist, der ihm den unmittelbaren Zugang zur Sündenerkenntnis verunmöglicht (398). Er denkt auch über seine Verkehrtheit zwangsläufig verkehrt (399). Die differenzierte Erkenntnis der Sünde hat vielmehr den drei Dimensionen des Versöhnungsgeschehens zu folgen.

&  Schellong, Schwierigkeiten mit der Sündenlehre 5.4.1 Hochmut und Fall

In dem in Christi Auferweckung ergehenden Urteil des Vaters wird sichtbar gemacht, „was jeder Mensch vor Gott ist, was so auch ich vor Gott bin – eben der Mensch, der dort gerichtet, getötet, erledigt wurde“ (432). Genau dies besagt ja das Motiv der Stellvertretung. Im Verhalten zu ihm zeigt sich zugleich in unvergleichlicher Deut-

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lichkeit die ganze Reichweite des menschlichen Widerspruchs als „Aufruhr gegen Gott, Streit gegen den Nächsten und zugleich die Sünde des Menschen gegen sich selbst“ (440). Barth unterstreicht die Radikalität der Sünde, indem er die gern herangezogene „Unterscheidung von Sünder und Sünde“ (449) nicht durchgehen lässt; vielmehr besteht die Wahrheit der Sünde nicht nur in der Vorhaltung: das hast Du getan!, sondern in der […] Eröffnung: Du bist der Mann! […] Indem Jesus Christus gekommen ist, um in seiner Person für des Menschen Person einzustehen, in seiner Person des Menschen Person und also ihn selbst wieder herzustellen und zu erneuern, sind wir schon eröffnet: jeder Mensch als derjenige, der in seiner eigenen Person der Mensch der Sünde ist. (451)

In ihrer ganzen Absurdität (454) ist die Sünde ganz und gar Unrecht, so dass sich Gott nur dagegenstellen und über sie das entsprechende Urteil fällen konnte, das zu dem Menschen der Sünde nur Nein und zu dem Menschen als Gottes Geschöpf nur Ja lauten kann (455). Als Unglaube stellt sich die Sünde gegen das, was Gott in Jesus Christus tut. Der Demut seines Weges in die Fremde steht der Mensch in seinem Hochmut gegenüber (459). Darin konkretisiert sich sein Unglaube als „die Urgestalt und der Ursprung aller Sünden“ (460). Es ist der Hochmut, in dem er wie Gott zu sein beansprucht und darin zum „Unmenschen“ (465), d. h. zu einem seine Geschöpflichkeit ignorierenden Menschen wird, der sich an sich selbst vergreift. Indem der Mensch dieses aussichtslose Unterfangen als eine Wahrnehmung der ihm gegebenen Freiheit ausgibt (466), bleibt ihm sowohl der Selbstverlust als auch der mit ihm einhergehende Schaden verborgen (467 f), ebenso wie die Fehleinschätzung Gottes als ein allein sich selbst bejahendes Wesen, mit dem tatsächlich nur der Teufel gemeint sein könnte (468 f). Den Inbegriff all dieser vom Hochmut betriebenen Entstellungen erkennt Barth in der Geschichte von Goldenen Kalb (470–479). In seinem Hochmut zeigt sich der sich in der Regel allerdings selbst tarnende Größenwahn des Menschen, der nur in gelegentlichen Exzessen offen zu Tage tritt – Barth führt beispielhaft Nero, Caligula, Napoleon, Nietzsche, Mussolini und Hitler an (480). Tatsächlich handelt es sich um ein unwürdiges „Possenspiel“ (484), das eine Scheinwelt produziert, die ihr tatsächliches Chaos unablässig zu überspielen sucht. Der Mensch spielt sich zum rechthaberischen Richter auf, der seine Unterscheidungskompetenz zwischen Gut und Böse bei weitem überschätzt und mit seiner besserwisserischen Entfesselung eines „moralischen Kampfes aller gegen alle“ (501) vor allem die Zerstörung der Welt befördert. In seinem Anspruch, „sich selber helfen zu können“ (509) – nicht ohne dabei auch den zum „Helfershelfer verwandelte[n] Gott“ (513) noch in seine eigene Verkehrtheit einzubinden –, bringt er sich mehr und mehr in eine Situation, die vor allem seine Hilflosigkeit dokumentiert. Das entscheidende Problem dieser zerstörerischen Dynamik besteht eben darin, dass es zum Wesen dieses Hochmuts gehört, vor der tatsächlichen Ohnmacht des Menschen die Augen zu verschließen.

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Dem Hochmut des Menschen der Sünde entspricht sein Fall. „Er stürzt, indem er sich erhebt, wo er sich nicht erheben sollte, wo er der Gnade Gottes entsprechend in Demut frei, wahrhaft Mensch sein könnte.“ (532) Es ist die Gnade der radikalen Selbsterniedrigung Gottes, die, indem sie den Menschen nicht seinem Fallen überlässt, zugleich im Kreuz deutlich macht, wo und als wen sie den gefallenen Menschen auffindet. Es ist der konkrete Vollzug des Gnadenerweises, in dem sich die tatsächliche Lage des gefallenen Menschen erkennen lässt. Die Vergebung offenbart die Schuld des Menschen, von der er sich aus eigener Kraft nicht wieder befreien kann. Sie besteht nicht nur darin, dass er Gott um die ihm zustehende Ehre gebracht hat, sondern zugleich auch darin, dass er – nicht zuletzt durch die problematische Praxis „seines sogenannten religiösen Lebens“ (540) (vgl. Kap. IV.2) – mit der Störung des Verhältnisses zwischen Gott und seiner Kreatur die Schöpfung weithin mit Chaos überzogen hat. Weil Sünde hier als Verachtung der Gnade verstanden werden kann, provoziert sie den Zorn Gottes als Nein Gottes zu der Verneinung der Gnade (544 f). Barth macht deutlich, dass zur Demonstration des gottlosen Charakters der Sünde nicht zu irgendwelchen allgemein evidenten Verruchtheiten oder unbestreitbaren Schandtaten gegriffen werden muss. Vielmehr verbirgt sie sich besonders gern in einem Versteck, in dem sie am wenigsten vermutet wird, nämlich beispielsweise in den Anstrengungen des Menschen, der Welt seine Gottergebenheit und moralische Integrität zu demonstrieren: Das ist ja das unheimliche Schauspiel der ganzen Religionsgeschichte, daß man den Menschen da aufs höchste in der neuen Begehung eben der Sünde begriffen sieht, von der er sich befreien möchte. (546)

Die Gottesfeindschaft besteht in der Bestreitung der Angewiesenheit auf die Gnade. Gerade in dem, was der Mensch geneigt ist, sich zugute zu halten, erweist sich der Abgrund seiner Gottlosigkeit, der Barth etwa im hier nicht ausdrücklich erwähnten Gegensatz zu Emil Brunner restlose Radikalität bescheinigt (550 f), nicht zuletzt schon deshalb, weil sie als solche von sich aus gar nicht in den Blick kommt. Es bestätigt sich, dass der Mensch nicht nur „sündigt […], sondern er ist Sünder“ (552). Es gibt keine Entschuldigung etwa durch den Hinweis auf eine unterstellte allgemeine Verderbnis des Menschen, weshalb Barth auch die biblisch nicht begründbare Lehre von der Erbsünde ablehnt und stattdessen von der vom jeweiligen Menschen begangenen „Ursünde“ bzw. „Lebenssünde“ spricht (556–558). Dabei bleibt in veränderter Gestalt das Moment ihrer Universalität erhalten. Indem das Erbarmen Gottes auf alle ausgerichtet ist, sind auch alle in die Sünde eingeschlossen (Röm 11,32; 558 f). Mit Paulus rekurriert Barth auf Adam als den Repräsentanten der Menschheit und der von ihr inszenierten Geschichte, dem in Christus der neue und als solcher „der eigentliche und erste Adam“ (572) gegenübertritt.

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5.4.2 Trägheit und Elend

So wie der Mensch der Sünde im Spiegel der sich in seinem priesterlichen Amt vollziehenden Erniedrigung Christi in seinem Hochmut in Erscheinung tritt, so zeigt sich in der sich mit ihr vollziehenden Gegenbewegung, der Erhöhung des königlichen Menschen, seine Trägheit als die zweite hier zu bedenkende Gestalt der Sünde. Wiederum trifft die Bewegung des Versöhnungsgeschehens auf einen ihr genau entgegen gerichteten Menschen. So wie er sich dort gegen seine Befreiung stemmt und damit zu Fall kommt, so verfehlt er hier seine Freiheit und verbleibt in seinem Elend. Es ist die in Christus vollzogene Aufrichtung, die nun neben dem Hochmut auch die Beharrungsdynamik seiner Trägheit offenbart. Der Mensch disqualifiziert sich gleichsam gegenüber sich selbst, grundlos und sinnlos. Barth bedenkt eine bisher so nicht benannte Dimension der Sünde, wenn er neben der allseits attackierten Hybris auch die Trägheit, „das böse […] und verwerfliche Unterlassen“ (KD IV/2, 452) als einen Ausdruck der Sünde herausstellt, in welcher der Mensch die „heiligende, aufweckende und aufrichtende Gnade“ (453) ignoriert. Der Unglaube hat hier die Gestalt der Undankbarkeit (454 f). Es ist für Barth charakteristisch, wenn er den Menschen auch zur Überspielung dieser Verfehlung vorzüglich zur Religion greifen sieht, in der er gerade in einer lautstarken Anerkennung der überlegenen Größe Gottes mit seiner Unvollkommenheit und Unzuständigkeit den gesuchten bequemen Frieden schließt (456). Tatsächlich geht es dabei um die möglichst konsequente Abweisung der Bestimmung des Menschen, wie sie durch die Aufrichtung in Jesus Christus realisiert wird (457). Es ist die Freiheit, die vom Menschen untätig liegen gelassen wird, was Barth auch mit Dummheit bezeichnet. Gemeint ist damit die Dummheit, die in der Bibel als „Torheit oder Narrheit“ anzutreffen ist. Was ihn [sc. den Menschen] zum Toren macht, ist aber nichts, was mit einem schwächer veranlagten Gehirn oder mit unvollkommen erlangter Bildung und Wissenschaft zusammenhinge und über ihn verhängt wäre. […] Töricht, närrisch, albern ist der Mensch nach biblischen Begriff dann, wenn er, wie es auch mit seiner Begabung und Bildung bestellt sei, der Erleuchtung durch Gottes Offenbarung und Wort entbehren zu können, sich ihr zu widersetzen zu sollen meint, um dann sein Leben von dem so entstehenden Vakuum her und also nach Maßgabe von von Grund auf verkehrten Maximen und Motiven lebt: von seiner falschen Voraussetzung her nach falscher Methode. (463)

Die Torheit besteht im „praktischen Atheismus“ (467), wie er auch in der Religion gern gepflegt wird, wenn der gern zitierte Gott mit dem tatsächlichen Leben der Menschen nichts mehr zu tun hat. Sie tarnt sich hinter der Intelligenz einer Fassade „seiner eigenen Weisheit“, die durchaus partikular Nützliches oder gar Bewundernswertes hervorzubringen vermag (469). Sie kann auch darin besonders hervortreten, dass sie den Spieß umdreht, indem sie die „Weisheit Gottes […] als Torheit, als dumm, lächerlich, verächtlich oder auch als gefährlich, hassenswert und bekämp-

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fenswert“ (472) darstellt. Ihre Zerstörungsmacht tritt aber unversehens zutage in der Zerrüttung seines Verhältnisses zum Mitmenschen (473). Es kommt unweigerlich zu einem Angriff auf die Leib-Seele-Integrität (474), und er „wird abwechselnd dem Geist oder der Materie leben, abwechselnd seinen Kopf oder seine Nerven und seinen Bauch regieren lassen“ (475). Nicht zuletzt kommt es zu einer Verdrängung oder Verzerrung seines Verhältnisses zu seiner Endlichkeit (476). In seiner Trägheit abstrahiert sich der Mensch vom Mitmenschen (487). „Der Mensch, der nicht Mitmensch ist, ist Unmensch“ (474). Diese Unmenschlichkeit verbirgt sich hinter einer vorgeschobenen „Sachlichkeit“ (493), mit der sich der homo faber, der schaffende Mensch in Szene setzt, auch wenn in ihr die Prioritäten durcheinandergeraten sind, so dass der zuerst anonymisierte Mensch dann bald hinter irgendwelchen Programmen ganz verschwindet (494). Mit den moralisch kaum und juristisch gar nicht faßbaren Unterlassungen und Taten eines gleichgültigen Nebeneinanders von Mensch und Mensch hebt sie an, in der heimlichen oder offenkundigen Unterdrückung und Ausnutzung des Anderen, in der passiven oder aktiven Verletzung seiner Würde, seiner Ehre, seines Rechtes geht sie weiter, in dem, was man dann Vergehen und Verbrechen nennt, in Diebstahl und Raub, Totschlag und Mord im Sinn des öffentlichen Gesetzes und schließlich im Krieg, in welchem ungefähr Alles, was Gott verboten hat, erlaubt und geboten ist, endigt sie. (491)

Barth sieht zudem die Sünde der Trägheit mit einer „Verlotterung“ (510) einhergehen, indem sich der Mensch von keiner Ordnung orientiert sieht. Er verweigert gleichsam der Wirklichkeit den ihr gebührenden Respekt. Zugleich verfällt er der Sorge (528 ff), die ihn um die ihm bestimmte Freiheit bringt und in eine Einsamkeit versetzt, die ihn schließlich so oder so an sein Elend bindet. Wie der Fall dem Hochmut korrespondiert, so entspricht die Trägheit dem Elend des Menschen: Die Situation, die wir als solche (als die Dummen, die Unmenschlichen, die Vagabunden, die Unzufriedenen, die wir sind!), schaffen, ist des Menschen Elend – im alten Sinn dieses deutschen Wortes: sein Sein im Ausland, in der Fremde als Inbegriff eines üblen menschlichen Dranseins. In diese unsere Fremde ist der Sohn Gottes zu uns gekommen, um als Menschensohn – […] uns mit sich führend – in seine Heimat zurückzukehren. Wir aber, statt die in und mit ihm dorthin Erhobenen zu sein, die wir in Wahrheit sind, sind in seinem Licht als die in der Unwahrheit Existierenden entdeckt, die hier, in der Fremde und also in unserem Elend Zurückbleibenden: als wäre der wahre Gott umsonst hierher, zu uns gekommen […]. (546)

In seinem Elend zeigt sich, dass der Mensch dem Nichtigen verfallen ist (550). Es ist „sein Sein zum Tode“ (550). Pointiert formuliert Barth den Gegensatz zum in Christus geheiligten Menschen: „noch nicht im Tod, aber schon – und das rettungslos – zum Tode hin“ (551). Der Mensch befindet sich gleichsam in der Bewegung seines Vergehens, „im Abrutschen, Absinken, Abstürzen“ (553). Er versinkt „im

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Nichtgebrauch seiner Freiheit“ (560) und lebt nicht in deren Betätigung; darin zeigt sich seine Dummheit und Verlotterung. Non potest non peccare [er kann nicht nicht sündigen], muß es nun vom sündigen, vom trägen Menschen heißen: seine Sünde schließt es aus, daß er frei ist, gerade wie des Menschen Freiheit es ausschließt, daß er sündigt. Ein Drittes zwischen diesem Ersten und jenem Zweiten gibt es nicht. Für den sündigen, den trägen Menschen gibt es nur das Zweite. Er hat nicht aufgehört, Mensch zu sein. Auch er will; auch er ist Herkules, arbiter [Gebieter] seines Tuns. Er tut aber, was er tut – weil er es in der Verkehrung seines Willens tut – nicht libero [frei], sondern servo arbitrio [mit geknechteten Willen]. (560 f)

5.4.3 Lüge und Verdammnis

In ihren beiden ersten Gestalten bezeichnet die Sünde als die Gegenbewegung zur Erniedrigung und Erhöhung Jesu Christi ein Tun bzw. Nichttun des Menschen. In ihrer nun folgenden dritten Gestalt geht es – wiederum in kontradiktorischem Widerspruch zu Jesus Christus – um das Wort, die Botschaft, das Zeugnis der Sünde (KD IV/3, 430). Indem Christus von Barth in seinem prophetischen Amt als sein eigener Zeuge und somit als der wahrhaftige Zeuge vorgestellt wurde, erscheint nun der Mensch als unzuverlässiger, ja als falscher Zeuge, der die Wahrheit entstellt und sie damit zur Lüge macht. Es ist die Wahrheit, durch welche die Lüge aufgedeckt wird, und so folgt auch die Erkenntnis der Lüge in der Wahrnehmung ihres Kontrastes zur Wahrheit. In der Begegnung mit dem lebendigen Wort der Gnade artikuliert der Mensch sein eigenes Wort, mit dem er aber nicht seine Rechtfertigung und seine Heiligung bzw. seine Befreiung und seine Freiheit bestätigt und kundtut, sondern er unternimmt den unsinnigen Versuch, das, was zwischen Gott und ihm wahr ist, nicht wahr sein zu lassen – der Wahrheit, die ihm von Gott gesagt ist, ausweichend, eine, seine eigene Wahrheit hervorzubringen, die als solche, im Gegensatz zu jener und als Surrogat für das Ja, das er Gott schuldig und das auszusprechen er von Gott her frei ist, nur eben seine Unwahrheit sein kann. (432)

Die Lüge als die dritte Gestalt der Sünde erscheint „als menschliche Gegenoffenbarung zu Gottes Gnadenoffenbarung“ (432). Die Selbstvergegenwärtigung auch des Auferstandenen verweist auf die Selbsterniedrigung Gottes, d. h. auf die Passion und das Kreuz Jesu Christi, durch welche das Reich Gottes in Reichweite gekommen ist (450). Auch der Auferweckte und Auferstandene und als solcher bis heute wiederkommende Christus rückt nicht nur die sich durchsetzende Veränderung in die Aufmerksamkeit, sondern vor allem auch, was der Mensch in Christus „schon nicht mehr ist“ (455). Auch als der Auferstandene ist Christus

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noch und wieder der Zöllner und Sünder Geselle, von dem auch die Seinen denken, er möchte von Sinnen sein, der zugleich wegen Gotteslästerung und wegen Aufruhrs Angeklagte, noch und wieder der zu den Übeltätern Gerechnete und mit ihnen Gekreuzigte, noch und wieder der gerade von seinem und unserem Gott Verlassene. Er hat das Alles nicht nur hinter sich, sondern, indem er es hinter sich hat, uns zugute auch immer wieder vor sich. […] Jesus Christus hat sich unsere Not – und das war seine Passion damals und dort – ein für allemal zur Herzen gehen lassen. Ein für allemal, aber nicht nur damals! Er ist von den Toten auferstanden, er lebt und läßt sie sich – und das ist seine Passion heute und hier – in ungeminderter Schwere fort und fort zu Herzen gehen. So ist er der wahrhaftige Zeuge. (457)

Es stellt sich die Frage, wie „gerade theologia crucis als solche […] des Menschen Lüge als solche aufdecken“ kann (471)? Indem die christliche Gemeinde bekennt, dass sie auf das Wort Gottes höre (474), so zeigt sich doch zugleich, dass sie sich von diesem Hören nicht in ausreichende Klarheit über den Umstand versetzen lässt, nach dem es der Gekreuzigte ist, der mit seinem ganzen Schmerz für die Kosten der menschlichen Widerspenstigkeit aufkommt (476). Wir halten es hier eher mit Petrus, der Jesus sein Leiden ersparen will (Mt 16,22) und sich damit für einen Christus einer „einleuchtenderen Gestalt“ (479) ausspricht. Aber auf den Höhen, auf den wir geneigt sind Gott zu suchen, lässt er sich nicht finden (480). Die hier angesprochene Lüge gilt als „böser und gefährlicher als alle moralisch so zu nennende Lüge“ (500), denn sie zeigt sich „in einer Ausweichbewegung“ (500) gegenüber der vernommenen Wahrheit, weshalb Barth sie „die spezifisch christliche Gestalt der Sünde“ nennt (432, 500). Die Wahrheit wird nicht in Abrede gestellt; vielmehr gilt dem Meister der Kuss des Grußes wie der des Judas im Garten Gethsemane (502), um ihr dann aber sofort eine Wendung zu geben, die einem Verrat gleichkommt. Er [sc. der Mensch der Sünde] macht es in Sachen der Wahrheit so gut, daß Jesus Christus, der wahrhaftige Zeuge, mit ihm verglichen, als ein wahrer Waisenknabe und Stümper erscheint, der froh sein muß, einen Gönner und Advokaten gefunden zu haben, der ihm so geschickt und mächtig unter die Arme greift. Welche Ausweichbewegung, in der es der Mensch fertig bringt (oder fertig zu bringen meint) der Wahrheit in der Weise zu entkommen, daß er ihr (anders geht es ja nicht) standhält, sie aber gleichzeitig ihrerseits zum Ausweichen bringt: zum Übergang nämlich, zur Verwandlung in eine von ihm erstellte Übersetzung und verbesserte Neuausgabe, in der sie sich selbst aufs Täuschendste ähnlich sieht und nun doch – nach kaum bemerkbarer Veränderung ihres Vorzeichens, ihres Akzentes, ihres Ursprungs und Ziels, nicht mehr sie selber, sondern aus der den Menschen meisternden die von ihm gemeisterte Wahrheit geworden ist, die als solche, durch einen hübschen, aber soliden Maulkorb verhindert, wohl noch gedämpft bellen, aber bestimmt nicht mehr beißen kann. […] Der in seiner Vollkraft lügende Lügner bekennt die Wahrheit und das in größter Lautstärke und Feierlichkeit: die Gotteswahrheit, die Menschenwahrheit, die christliche Wahrheit – nur daß sie darin zur Unwahrheit geworden ist, daß sie in seinem Mund nur noch die von ihm in Griff genommene und bekommene, die von ihm inspirierte und dirigierte christ-

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liche Wahrheit sein, nur noch als solche laut, gehört, verstanden, expliziert und appliziert werden soll. Nur daß ihr Stoß jetzt aufgefangen, ihr Anstoß unschädlich gemacht, in eine seiner ursprünglichen Richtung genau entgegengesetzte umgelenkt sein sollte. So macht es die Lüge, so macht, so versucht es jedenfalls der Mensch der Sünde in der christlichen Ära, im Zeitalter des Heiligen Geistes. (502 f) Rebus sic stantibus [wie die Dinge nun einmal liegen] wird man also darauf gefaßt sein müssen, des Menschen Lüge in höchst ernsthafter, höchst respektabler, höchst weihevoller, weil höchst christlicher Gestalt in Erscheinung treten zu sehen – und umgekehrt: es da, wo Ernsthaftigkeit, Respektabilität und Weihe, wo das Christliche etwa besonders dicht und eindrucksvoll in Erscheinung treten sollte, mit dem Menschen der Lüge zu tun zu haben. […] Die richtige, saftige Lüge duftet immer nach Wahrheit. Es gibt Erscheinungen der Lüge, in denen sie von Wahrheit (in Gestalt von lauter Richtigkeiten) geradezu strotzt […]. Die richtige saftige Lüge trägt ein von Gerechtigkeit und Heiligkeit, von Weisheit, Überlegenheit und Umsicht, auch von Eifer, Strenge und Energie, übrigens auch von Geduld, Gottes- und Menschenliebe geradezu strahlendes Gesicht. […] Die kurzen Beine der Lüge tragen sie, weil sie zweifellos kräftige Beine sind, weit, sehr weit! (504 f)

Es ist vor allem das Kreuz, dem der Mensch auszuweichen versucht, indem es nicht als das für uns übernommene Kreuz verstanden wird, sondern als das Kreuz Christi, in dem sich die Radikalität der Konsequenz seines sich selbst zurücknehmenden Lebens erkennen lasse (510). Christus wird zum Idealtyp des Menschen erhoben, und der Mensch als potenzieller, aber in der Regel hinter ihm zurückbleibender „Christus“ verstanden (512). Der Lüge liegt daran, die Einsicht abzuweisen, dass wir der verlorene Sohn und zur Umkehr angehalten sein könnten (512). Stattdessen konsumieren wir „schön anzuhörende Passionsmusik“ (511) und beklagen das Schicksal Jesu und machen zugleich das Kreuz zu einem filigranen Schmuckstück, „von kirchlichen Würdenträgern und christlichen Damen“ (511). Diese Ästhetisierung geht einher mit einer möglichst konsequenten Verwischung der Unterschiede zwischen Christus und uns: Eben diese Aufhebung der Unterschiede, oder positiv gesagt: eben die selige Vereinigung von Oben und Unten, Dort und Hier, Gott und Mensch – eben der Punkt, wo Gott aus keiner Distanz her mehr redet, der Mensch in keiner Distanz mehr zu hören hat, in der Gott nichts mehr zu geben und der Mensch nichts mehr zu empfangen hat, wo mit ihrem Gespräch auch ihre gemeinsame Geschichte aus ist, wo Versöhnung, Bund, Gnade und der in ihr handelnde und sie bezeugende Jesus Christus auch als Chiffren Vorstellungen und Bilder entbehrlich werden, wo das Gebet schließlich auch als Selbstgespräch überflüssig wird – eben dieser Punkt ist die Vision und das Telos, im Blick auf das der Mensch – man sieht hier besonders deutlich: nicht in frontalem Streit gegen die Wahrheit, sondern indem er sie sich wunderbar zu eigen macht – lügt und mit seiner Lüge der Gefahr, in der er sich in der Begegnung mit Jesus Christus befindet, zu entrinnen hofft und versucht. (513)

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Barth nennt das die „Nostrifizierung der Wahrheit“ (513), durch welche wir sie uns genehm machen. Damit bringt sich der Mensch nicht nur um seine sich im Kreuz vollziehende Befreiung, sondern er macht zugleich Gott zu einem Gefangenen seiner Vorstellung und bestreitet somit auch ihm seine Freiheit (515 f). Auch hier ist wieder die Religion das bevorzugte, weil wirksamste und zugleich bestgetarnte Instrument des Menschen, um seine pervertierenden Modifikationen unbehelligt zu installieren (518). Es ist gerade ihre Begegnung mit der Wahrheit, welche die Abgründigkeit der Lüge ausmacht, so dass dem „christlichen Lügenwerk“ zu bescheinigen sein wird, dass es „bewußt, planmäßig, absichtlich“ betrieben wird (519). Barth beruft sich auf die Freunde Hiobs, die er als Repräsentanten dieser zielgerichteten Verlogenheit versteht (522–531). Wie der Hochmut für des Menschen Fall und die Trägheit für sein Elend stehen, so entspricht der besonderen Verschärfung der mit der Lüge in Auge gefassten Gestalt der Sünde seine Verdammnis: Der „Lügner ist der seiner Verurteilung entgegenlaufende Mensch“ (531). Indem er „die Wahrheit seiner Errettung aus Schuld und Sklaverei“ nicht gelten lässt und „in ihr Gegenteil verkehren will“, steht nur die Verurteilung zu erwarten, „nun wirklich nur noch der in seinem Hochmut hoffnungslos Schuldige und in seiner Trägheit hoffnungslos Versklavte zu sein“ (531). Das ist die Verdammnis, in der ihm die Wahrheit anstatt zur Hoffnung immer wieder zum Schrecken werden wird. Tatsächlich aber ist die Wahrheit, d. h. der wahrhaftige Zeuge Jesus Christus, durch die Lüge nicht anzuhalten, wie insgesamt nicht vergessen werden darf, dass Barth die Erkenntnis der Sünde aus der Perspektive ihrer Vergebung angegangen ist. In dieser Perspektive ist es nicht nur möglich, sondern eben auch nötig, die Sünde in ihrer ganzen Abgründigkeit vor Augen zu rücken. Zugleich bleibt festzuhalten, dass die „Pathologie des Menschen der Sünde […] nicht zu den eigentlichen Aufgaben der Dogmatik“ gehört (540). Aber sie gibt doch der Wahrheit des Versöhnungsgeschehens einen nicht unwesentlichen Anteil ihrer besonderen Tiefenschärfe, an der Barth so gelegen ist.

& Bakker, Die Sünde in der Kirchlichen Dogmatik Schaede, Die Sünde im Schwitzkasten der Gnade.

5.5 Die Soteriologie Nachdem im Spiegel des Christusgeschehens die verschiedenen Dimensionen des tatsächlichen Widerspruchs des Menschen gegen Gott erkannt sind und damit der Mensch der Sünde, der sich selbst durchaus als der bessere Mensch präsentiert und als solcher auch anerkannt werden möchte, durchschaut ist, kommt Barth nun zur Soteriologie, in der nun das Handeln Gottes in Jesus Christus als ein Handeln pro nobis, also an dem Menschen der Sünde verstanden wird. Dem in der Erniedrigung Gottes ergehenden „Urteil des Vaters“ entspricht die Rechtfertigung des Menschen der Sünde, der Erhöhung des königlichen Menschen seine Heiligung und der pro-

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phetischen Selbstvergegenwärtigung seine Berufung. Wurde in der Aufdeckung der Sünde des Menschen die negative Implikation des Versöhnungsgeschehens bedacht, so kommt in der Soteriologie nun – in der zu wahrenden Präsenz des negativen Befundes – sein positiver Gehalt zur Sprache. Dabei hebt Barth hervor, dass in der Soteriologie die Rechtfertigung zwar eine „ganz besondere Funktion“ (KD IV/1, 582) in „der christlichen Botschaft von der Versöhnung“ (583) habe, aber sie bestehe ausdrücklich nicht allein in ihr. Die eindimensionale Konzentration allein auf die Rechtfertigung könne sich aber nicht guten Gewissens auf Luther berufen, der auch die „Zweispurigkeit“ (586) von Rechtfertigung und Heiligung vor Augen gehabt habe, der dann auch Calvin mit eigenen besonderen Akzentsetzungen gefolgt ist. Die Alleinstellung der Rechtfertigungslehre bleibt ein höchst problematisches Phänomen des konfessionellen Luthertums, dem an dieser Stelle zu widersprechen ist. Der articulus stantis et cadentis ecclesiae [die Lehre, mit der die Kirche steht oder fällt] ist nicht die Rechtfertigungslehre als solche, sondern ihr Grund und ihre Spitze: das Bekenntnis zu Jesus Christus, „im welchem alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen liegen“ (Kol. 2,3): die Erkenntnis seines Seins, seines Tuns für uns, an uns und mit uns. (588)158

Hinter diesem „für uns, an uns und mit uns“ stehen Rechtfertigung, Heiligung und Berufung als die drei Aspekte, die der Soteriologie Barths ihre Struktur geben. 5.5.1 Rechtfertigung

Wenn zunächst von der Rechtfertigung des Sünders zu sprechen ist, so ist es „wirklich so […], daß Gott uns in demselben Gericht, in welchem er uns als Sünder anklagt, verurteilt und in den Tod gibt, freispricht und freistellt zu einem neuen Leben vor ihm und mit ihm“ (575). Barth legt den Ton auf die Rechtsterminologie, damit sich nicht der Eindruck festsetzen kann als ginge hier Gnade vor Recht. Vielmehr geht es um die Durchsetzung des Rechtes Gottes in Jesus Christus, das als solches dem gefallenen Menschen zugeeignet wird. Damit wird die selbstbezogene und somit nicht unproblematische Frage „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ entschieden relativiert und – mit Michael Beintker gesprochen – durch die Frage ersetzt: „Wie kommt Gott zu seinem Recht?“159 Gott rechtfertigt „zuerst und vor allem sich selbst als des Menschen Schöpfer“ (628). Gottes Handeln in seinem Recht erweist sich als Gnade, weil er den von ihm aufgerichteten Bund auch ohne den Beitrag des Menschen zu seinem Ziele bringt. Indem das Urteil über Jesus Christus ergeht, wird die reformatorische Lehre von der „uns fremde[n] Gerechtigkeit […]: iustitia aliena“ (613) hervorgehoben. Die Bestätigung des Rechtes Gottes

158 Vgl. kritisch dazu Jüngel, Das Evangelium von der Rechtfertigung, 15–26. 159 Beintker, Rechtfertigung – Heiligung – Berufung, 109 (im Original kursiv).

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erfolgt in der Beseitigung des Unrechts. Wie Kreuz und Auferstehung sind Gericht und Gnade von vornherein zusammen zu betrachten: Eben dies, daß der alte Mensch keinen Raum mehr hat, daß er getötet und verschwunden ist, erweist sich aber darin als wahr und wirklich, daß er durch den neuen ersetzt, daß dessen Tag angebrochen, daß Jesus Christus in seiner Auferweckung von den Toten zum Sieger gemacht ist. So lebt Jesus Christus als der Auferstandene, als Träger des dem Menschen von Gott verliehenen Rechtes, als der Empfänger seiner Gnade, indem sich in seinem Empfangen des Menschen Rechtfertigung vollendet. (622)

Durch den damit für den Menschen ergehenden Freispruch wird der Mensch aus seiner Vergangenheit herausgenommen (640 ff), ohne diese schon ganz abschütteln zu können, um sich nun dem zuzuwenden, „was sein wird und insofern schon ist“ (663). Er ist in der Gegenwart der simul peccator et iustus [zugleich Sünder und Gerechter], was erst am Ende der Zeit überwunden sein wird. Jetzt aber gilt: „Diese Zukunft ist ihm zugesprochen, wie ihm jene Vergangenheit abgesprochen ist.“ (663). Damit kann sich der Mensch in „eine ganz bestimmte neue Ausgangsposition“ (667) versetzt sehen, die es ihm ermöglicht, in der Verheißung des Friedens zu leben, die von der von Gott „gewährten Seinsgemeinschaft“ (669) des Bundes ausgeht. Es gehört zu den Kennzeichen des vom Versöhnungsgeschehen geweckten Glaubens, dass er sowohl mit der Bitte „Gott sei mir Sünder gnädig!“ als auch mit der Bitte “hilf meinem Unglauben!“ gepaart bleibt (687 f). Allein so bleibt er vor der Versuchung bewahrt, selbst zu einer – und dann wohl der übelsten – Form der Selbstrechtfertigung und des Hochmuts zu werden. Der Glaube trägt zur Rechtfertigung nichts bei, sondern ist zu verstehen „als dasjenige menschliche Tun, das der Treue Gottes treue, authentische, sachgemäße Antwort gibt, das der Realität und Existenz des durch Gottes Freispruch geschaffenen gerechtfertigten Menschen gerecht wird, […] in welchem also die Erkenntnis der Rechtfertigung ein echt und konkret menschliches Ereignis wird“ (689). Wenn Barth in diesem Zusammenhang gern den Begriff der Demut verwendet, dann kann es sich um „keine selbsterwählte Demut“ handeln, sondern allein um die Demut der gewiss noch verzagten, aber zugleich umso getrosteren freien Zustimmung zu Gottes Wiederherstellung des vom Menschen ununterbrochen attackierten Seinsverhältnisses des Bundes. Demut wahrt den Rückbezug auf den lebendigen Christus, der den Glauben trägt und damit die Selbstvergewisserung der eigenen Glaubenserfahrung erübrigt (707).

&  Küng, Rechtfertigung 5.5.2 Heiligung

Auch die Heiligung steht im Zeichen der gnädigen Gerechtigkeit Gottes, auch wenn sie im Unterschied zur Rechtfertigung nun auch den Menschen mit seinem Tun einbezieht. Wie bereits angedeutet, wird der Zusammenhang von Rechtfertigung und

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Heiligung in der Sache auch bereits von Luther gesehen, aber erst von Calvin auch in methodischer Hinsicht in aller Deutlichkeit expliziert (KD IV/2, 572 f, 576–578). Rechtfertigung und Heiligung sind voneinander zu unterscheiden und zugleich sind sie unzertrennlich mit einander verbunden. Barth sieht hier eine Entsprechung zu den christologischen Bestimmungen von Chalcedon (569, 572). So wie zudem die beiden Stände Christi (Erniedrigung und Erhöhung) nicht durch ein Nacheinander voneinander getrennt werden dürfen, so dürfen auch Rechtfertigung und Heiligung nicht als Reihenfolge in einem chronologischen ordo salutis [Heilsordnung] missverstanden werden (568), sondern sind als „zwei verschiedene Aspekte“ bzw. „zwei real verschiedene Momente“ (569) eines Geschehens zu begreifen. Indem das Versöhnungsgeschehen als Ganzes auf das Leben des im Glauben wiedergeborenen Menschen zielt, ist die Heiligung „das in der Absicht Erste“ (575), wozu seine Rechtfertigung dann die essenzielle Voraussetzung darstellt, so dass diese für den „Vollzug“ das Erste darstellt. Als Ziel ist die Heiligung der Rechtfertigung strategisch durchaus überzuordnen, auch wenn letztere taktisch vorangeht. Im Blick auf Wollen und Tun Gottes bleiben beide Aspekte sowohl als Erstes bzw. als Zweites anzusehen, so dass von ihrer Untrennbarkeit auszugehen ist (575). Barth erinnert erneut an die Einschreibung des Versöhnungsgeschehens in den Bund und betont, dass es um die Zurechtrückung des Menschen in die „menschliche Existenzform des Bundesgenossen“ (582) Gottes gehe. „‚Ich will euer Gott sein‘: Das ist des Menschen Rechtfertigung. ‚Ihr sollt mein Volk sein‘: Das ist seine Heiligung.“ (565) Es ist die gewiss sparsame alttestamentliche Rede vom „Heiligen Volk“ als das im Bund geheiligte Volk, die den Horizont für das Verständnis der Heiligung als Teilhabe an der Heiligkeit Gottes eröffnet, wie sie sich in der Erhöhung Jesu Christi als des wahren Menschen vollzieht. Indem in Christus der rechte Bundespartner Gottes vor Augen steht, kann es für die Gemeinde und jeden einzelnen Christen wiederum nur um die Teilnahme am Leben Christi (participatio Christi) gehen (586 ff), was nichts anderes heißt als Nachfolge im Glauben an den auch heute lebenden Christus (603 ff). Durch Christi gegenwärtige Weisung in Wort und Tat, die der Mensch vermittels des Heiligen Geistes zu hören bekommt und dadurch geheiligt wird, wird der Mensch zur Teilnahme – Barth vermeidet weithin den Begriff der Kooperation (KD IV/3, 687 f) – ermächtigt und befähigt (KD IV/2, 592), ohne sich dabei Illusionen über sich selbst zu machen, so dass Barth vergleichsweise moderat formuliert: Das Volk Gottes in der Welt sind die Leute, denen, indem sie der Vergebung ihrer Sünden täglich bedürftig sind und bleiben, – nicht irgend ein eigener oder sonstwie menschlicher, sondern der göttliche Widerspruch und Widerstand gegen ihr Sündigen ins Herz und Gewissen geschrieben ist. (594)

Als „Aufgerufene“ (596) widerfährt ihnen eine „reale Veränderung“ (598) ihres Daseins, indem sie dazu befähigt werden, die ihnen geschenkte Freiheit nun auch zu betätigen und auf diese Weise selbst ihre Heiligung zu ergreifen (601). Der Mensch

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erfährt die Gnade Gottes als orientierende und gebietende Gnade – Barth spricht sogar von „gebieterischer Gnade“ (605). Es geht um ein „Heraus!“ sowohl aus dem Gestern als auch aus „einer bloß innerlichen, seelischen, geistigen“ (611) Frömmigkeit. In der tätigen „Gemeinschaft mit Jesus“ (626) wird der Mensch geheiligt, ist er ein Heiliger. Die von Barth angesprochene Bekehrung ist nicht zu verstehen als ein religiöser Akt des Menschen im Sinne des Pietismus, sondern als die von Christus ausgehende Lebenserneuerung (634), die sich im Sinne der ersten der berühmten 95 Thesen Luthers von 1517 auf das ganze Leben bezieht (641). Die „Auseinandersetzung“ zwischen dem zweifellos noch bestehenden „Noch“ und dem ebenfalls präsenten „Schon“ (648) signalisiert die Oszillation zwischen beiden und verhindert damit in einer zielgerichteten Bewegung einen lähmenden Stillstand. Auf dieser Ebene scheut sich Barth nicht, auch von „guten Werken“ zu sprechen; sie sind aber darin gut, dass sie von Gott gelobt werden, weil sie ihrerseits Gott loben, indem sie als die Werke der von Gott Geheiligten getan werden (670). Auch wenn es dazu kommen kann, dass in der Teilhabe am Werke Christi auch der Mensch gelegentlich sein Kreuz zu tragen haben wird, so hat dies grundsätzlich nichts mit einer wie auch immer gearteten Leidensverherrlichung zu tun (681), denn er erleidet „nicht […] das Gericht Gottes über den Menschen der Ungerechtigkeit“ (683), sondern es geht allein um die „Ehre […] des ewigen Gottes“, als dessen Zeugen der Mensch dem Leiden nicht ausweicht (685). Es steht immer im Zeichen des Ja Gottes, das bereits in dem gekreuzigten Christus gesprochen ist. 5.5.3 Berufung

Einerseits gehört es zum Wesen Gottes, sich selbst kundzutun (KD IV/3, 87). Und andererseits steht die Versöhnung als solche auf dem Spiel, wenn sie nicht auch als ein das allgemeine Menschenleben „umgreifendes, virtuell, prospektiv, de iure nach jedem Menschen, aktuell, effektiv, de facto nach dem christlichen Menschen ausgreifendes, ihn rezeptiv und spontan beteiligendes Geschehen“ (KD IV/3, 322) verstanden würde. Diese Beteiligung des Menschen thematisiert Barth unter dem Stichwort der Berufung des Menschen und insbesondere der Gemeinde. Es hängt mit seiner besonderen Entdeckung des prophetischen Amtes zusammen, wenn Barth nun auch in der Soteriologie über Rechtfertigung und Heiligung hinaus mit der Berufung des Menschen – also ausdrücklich nicht nur der Gemeinde und der Christen, wie aus dem oben angeführten Zitat erhellt – einen dritten Aspekt zu bedenken gibt. Es geht um die Koexistenz des Menschen zur Präsenz des auferstandenen Christus (565), der als sein eigener wahrhaftiger Zeuge den Menschen an seinem prophetischen Werk beteiligt. Die Berufung entspricht darin der Erwählung, dass sie dem Hören des Menschen vorausgeht (559), und die Christen sind allein darin von den anderen Menschen unterschieden, dass sie daraufhin angesprochen werden können, diesen Ruf bereits vernommen zu haben. Weil der auferstandene Christus als unser Zeitgenosse zu verstehen ist, kann unsere Zeit als ‚potentielle

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Gnadenzeit‘ und unsere Geschichte als ‚potentielle Heilsgeschichte‘160 angesehen werden (575). Wenn Barth hier auf den Heiligen Geist abhebt, kommt es entscheidend darauf an, diesen nicht als eine „absolut unabhängige und selbständig wirksame Potenz“ zu denken, sondern als den Geist Christi, „eben als die Macht seiner Gegenwart, seines Werkes und Wortes“ (578). In diesem Sinne ist Christi Gegenwart Geistesgegenwart. Er ist nun einmal nicht eine Gestalt ferner Vergangenheit, von deren Leben, Taten und Meinungen, von dessen Tod und wohl auch Auferstehung wir allerhand Nachrichten hätten, der gegenüber wir aber an unserem Ort in der Zeit, abgesehen von der damit möglich, aber doch nicht notwendig gemachten Erinnerung, bei uns selbst wären, so daß des Menschen Berufung für uns bestenfalls etwas formell Ähnliches wie die des Petrus und des Paulus, nicht aber wirklich und wörtlich seine Tat sein könnte. Er lebt ja, u.zw. nicht nur im Himmel, nicht nur zur Rechten des Vaters, sondern in seiner Parusie in der Gestalt des Heiligen Geistes als der, der er dort ist, auch auf Erden, auch in unserer Mitte, auch als der Zeitgenosse des Menschen aller Zeiten. Er lebt, er handelt, er redet als dieser Zeitgenosse – gewiss ganz anders als unsere sämtlichen anderen Zeitgenossen, aber darum nicht weniger real, recht verstanden: unendlich viel realer als sie. (579)

Barth erläutert den Begriff der Berufung mit der vom Licht Jesu ausgehenden Erleuchtung (584 ff) oder mit der von seinem Aufruf ausgehenden Erweckung (588 ff), nicht nur aus der „Schlaf-Christlichkeit“ (595), sondern zur tätigen Teilnahme an seiner Selbstbezeugung. Der Mensch ist dazu berufen, ein Zeitgenosse Christi zu werden, indem er mit ihm Gemeinschaft hält und sich in seine Nachfolge rufen lässt (615), in der es darauf ankommt, Christus „allein das sein zu lassen, was er allein ist, ihn also weder offen noch heimlich ihrer eigenen Meisterschaft zu unterwerfen versuchen“ (626). Die Berufung zielt auf eine exzentrische Existenz des Menschen, in der er vor allem der Zeuge Christi ist. Das ist die Bestimmung, die für den christlichen Menschen ebenso wie die Gemeinde im Zentrum steht und durch die sie sich von den anderen Menschen unterscheiden und zugleich mit ihrer ganzen Existenz mit ihnen solidarisch sind (637 ff). Barth ruft die Christen mit energischer Deutlichkeit aus jeder denkbaren frommen „Egozentrizität“ heraus, „einer Selbstsucht, neben der sich in Anbetracht dessen, um was es da geht, alle sonstige menschliche Selbstsucht sehr harmlos ausnehmen könnte“ (650). Damit vollzieht er eine deutliche Abgrenzung gegenüber dem Missbrauch der Rechtfertigungslehre als Fluchtpunkt einer andauernden selbstbezogenen frommen Selbstvergewisserung. Jede Privatisierung der Selbstlosigkeit Gottes kann nur als Widerspruch in sich selbst verstanden werden.

160 In dieser Perspektive auf die ganze Geschichte passt der von Barth sonst nur mit Vorsicht gebrauchte Begriff der Heilsgeschichte.

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Welche sonstige menschliche Egozentrizität wäre nicht entschuldigt, ja bestätigt und geweiht, wenn Egozentrizität in dieser heiligen Abart der gottgewollte Sinn der christlichen Existenz sein, wenn deren Lobgesang schließlich doch nur in dem ebenso vielstimmig wie monoton erklingenden Geschrei: pro me, pro me! und ähnlichen possessiven Äußerungen bestehen sollte? (651)

Weder der persönliche Nutzen orientiert die christliche Existenz (682) noch gar der Bedarf an religiösem „Eigenkonsum“ (683), mit dem sich der Mensch unermüdlich seiner eigenen Heilgewissheit versichert. Das zeigen die biblischen Berufungsgeschichten: „Berufenwerden heißt einen Auftrag bekommen. Und Berufensein heißt für die nach diesen Geschichten Berufenen: Existenz in der Ausführung dieses Auftrags.“ (658) Das Zentrum der christlichen Existenz ist also der Auftrag (659). Die Lebensgemeinschaft mit dem gegenwärtigen Christus ist als eine „Tatgemeinschaft“ (685) zu verstehen, in der wir als tätige Zeugen der Ehre Gottes an der Selbstbezeugung Christi beteiligt werden. Angesichts des Umstands, dass sich der neuzeitliche Mensch gern durch sein Tun imponiert, bleibt auf die besondere Art und Weise hinzuweisen, wie Barth in diesem Zusammenhang den von seinem Tun bestimmten Menschen charakterisiert: Für einmal im Bild der römischen Gottesdienstordnung geredet: der Christ ist nicht Priester, er liest nicht die Messe, er hat mit der Wandlung und dem Opfer und mit der Spendung der Kommunion nichts zu tun – er ist gerade nur der Ministrant, der Meßbub, der das Evangelien- und Epistelbuch hin und her trägt, ein bißchen weihräuchert und im entscheidenden Augenblick das Glöcklein läutet! Eben das ist er aber, eben in solcher Art tut er mit. Zu solchem ministrierenden Dabeisein ist er berufen und das macht ihn zum Christen, das zeichnet ihn als solchen aus, daß er bei dem, was Christus tut, ministrierend mittut – in diesem Sinn mag es denn sein: beim Werk Christi mitwirkt. (690)

Einerseits wird der Dienstcharakter betont und durchaus bescheiden gehalten und andererseits wird zugleich betont, dass der Mensch „lebendiges und also tätiges Subjekt [ist] und handelt, ganz mit der Sache des Herrn beschäftigt, ganz auf sie ausgerichtet, in eigener Überlegung, Entschließung und Verantwortlichkeit“ (690), d. h. in der Betätigung der ihm geschenkten Freiheit. Dienst ja, aber eben freier und selbst gestalteter Dienst; Gehorsam ja, aber freier und selbstverantworteter Gehorsam in Dankbarkeit. Indem der auferstandene Christus in seinem dreifachen Amt selbst für die Durchsetzung des in ihm bereits vollbrachten Versöhnungswerkes steht, kann es sich bei dem von uns zu erwartenden Zeugnis einerseits nur um seine weitere Bekanntmachung und andererseits um die auch tätig zu vollziehende Eindämmung seiner Bestreitung oder gar Bekämpfung handeln. Wir sollen ja nicht an die Stelle Christi treten (695), wohl aber ist der Mensch dazu berufen, das „seine Selbstoffenbarung begleitende, bestätigende Zeichen“ zu sein, das auch hier unmissverständlich anzeigt, dass Christus nicht ohne die Seinen ist (697). Der Mensch ist

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dazu berufen, die Lebendigkeit des umfassend zu verstehenden Wortes Gottes „als dessen Echo“ (698) „in der Tat seiner ganzen Existenz anzuzeigen, […] zu bezeugen“ (697).

&  Beintker, Rechtfertigung – Heiligung – Berufung. 5.6 Der Heilige Geist – Die Grundlegung des christlichen Lebens Im Anschluss an die Soteriologie wendet sich Barth der Wirklichkeit zu, in die sich der Mensch der Sünde durch das Versöhnungsgeschehen versetzt sieht. Indem das Handeln Gottes nicht nur auf den Menschen der Sünde trifft, sondern diesen auch aus seinen eigenwilligen und gottlosen Verstrickungen befreit, eröffnet sich eine neue Lebensperspektive, in der die bundestheologische Grundlegung der Versöhnungslehre nun zu ihrer Einlösung kommt, indem dem „Gott mit uns“ (KD IV/1, 2) auch ein „Wir mit Gott!“ (13) entspricht. Dieser Mensch mit Gott ist zunächst die Gemeinde als der „in einer besonderen Beziehung zu Jesus Christus“ stehende Mensch (719) und in ihr dann auch der glaubende Christenmensch. Dabei geht es nicht darum zu zeigen, was die Gemeinde und der einzelne Christenmensch etwa der sie umgebenden Welt voraushaben, sondern um die sich bereits in der Welt konkret anzeigende und auch in ihr sichtbar werdende Wirkmacht des Versöhnungsgeschehens. Die Aufmerksamkeit bleibt auch hier ganz auf der Initiative und dem Vollzug des Handelns Gottes gerichtet und geht nun nicht auf irgendwelche vorbildlichen Phänomene unserer geschichtlichen Wirklichkeit über, um dort im Spiegel gelungener Antworten auf Gottes Zuwendung bzw. glänzender Best-­PracticeBeispiele eine Art Erfolgsbilanz ins Fenster zu stellen. Natürlich kann Barth nicht aufzeigen, wie sich das Werk des Heiligen Geistes vollzieht, aber auf ihn und sein Wirken wird es ankommen, wenn sich die Gemeinde in ihrer Betriebsamkeit nicht unversehens von der Lebendigkeit Gottes entfernen will. Es ist Gott selbst, der seine Gemeinde versammelt, auferbaut und sendet, aber er tut es auch tatsächlich in seiner Selbstvergegenwärtigung im Heiligen Geist. Er ist die „erweckende“, „belebende“ und „erleuchtende“ Macht Jesu Christi (724), mit der er sich in der Welt menschlicher Erfahrung selbst vergegenwärtigt (721). In der Gemeinde leuchten gleichsam die Anfänge der Durchsetzung der Versöhnung auf, weshalb Barth sie überraschend ambitioniert die „irdisch-geschichtliche Existenzform“ Jesu Christi (718, 738, 788) nennt. Rückt mit Jesus Christus die objektive Wirklichkeit der Versöhnung in die Aufmerksamkeit, so steht mit der Gemeinde und dem glaubenden Christen die der Wirksamkeit des Heiligen Geistes – und somit der lebendigen Präsenz Jesu Christi – entsprechende tatsächliche Resonanz des Versöhnungsgeschehens in unserer menschlichen Wirklichkeit vor Augen, so dass Barth von der „subjektiven Realisierung“ der Versöhnung spricht (721). Entsprechen Versammlung und Auferbauung der Gemeinde der Erniedrigung und Erhöhung Jesu Christi, so entspricht die Sendung der Gemeinde der zusammenfassenden Exposition Jesu Christi als des wahren Zeugen, d. h. die Sendung ist zu

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verstehen als die Einheit von Sammlung und Auferbauung.161 Damit wird unterstrichen, dass Barth auch hier keine Abfolge von sich nacheinander vollziehenden Aktionen bedenkt, sondern verschiedene Aspekte eines stets zusammengehörigen Geschehens. In diesem Sinne wäre es problematisch, unter der Versammlung der Gemeinde etwa nur ihre Gründung verstehen zu wollen. Sie gilt der Sichtbarmachung der Gemeinde im Horizont der Geschichte Jesu Christi, so wie die Auferbauung ihrer Gestaltung als Leib Christi gilt, und die Sendung der Gemeinschaft mit Jesus als dem wahren Zeugen. Die Sendung ist insofern die Pointe der Ekklesiologie, als sie das Sein der Kirche für die Welt ausmacht, der das hier zur Debatte stehende Engagement Gottes gilt. Gerade in ihrer Menschlichkeit ist die Sendung ein essenzielles Geschehen, das unausweichlich zu der Selbstbezeugung Jesu Christi gehört, ohne dass diese in ihm aufginge. Barth beschränkt die Kirche ausdrücklich nicht auf das sich in ihr und durch sie vollziehende Werk Gottes, wie es in einem „heiligen Egoismus“ (KD IV/3, 878) im Augsburger Bekenntnis (CA) in seinem berühmten Artikel VII geschieht, wo die Kirche als hinreichend verwirklicht gilt, wenn in ihr das Evangelium recht verkündigt und die biblisch eingesetzten Sakramente angemessen praktiziert werden. Darüber hinaus habe auch ihr eigenes sichtbares und als solches ganz und gar menschliches Tun als unverzichtbares Kennzeichen der Kirche (nota ecclesiae) zu gelten, in dem sie sich ihrer Umgebung als irdisch-geschichtliche Zeugin Jesu Christi erkennbar macht. 5.6.1 Die Versammlung der Gemeinde

Indem die Ekklesiologie die Gemeinde auf die wirkende Geistesgegenwart Jesu Christi ausrichtet, wird sie auch fundamental als ein Geschehen verstanden. „Kirche ist, indem sie geschieht, […] ein Phänomen der Weltgeschichte, historisch, psychologisch, soziologisch faßbar wie alle anderen“, nämlich in „Kultus, Lehre, Predigt, Unterricht, Theologie, Bekenntnis, Alles in bestimmten Verhältnissen zu den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zuständen und Bewegungen, zur Wissenschaft, zur Kunst, zur Moral ihrer Umwelt“ (728). Barth nennt sie „ein eigenartiges, aber […] nicht einzigartiges Element im Ganzen der menschlichen Kultur“ (728) und wählt damit exakt eine Bestimmung, mit der er in seinen Prolegomena die Religion charakterisiert hat: Als Religion und somit als menschliche Angelegenheit ist das Christentum „zwar eigenartig, aber eben nicht einzigartig“ (KD I/2, 306; vgl. Kap. IV.2). Es geht in jedem Fall um eine Erscheinung, die in durchaus vielfältiger Weise mit anderen Erscheinungen vergleichbar und somit austauschbar erscheint. Wenn Barth dennoch auf die sichtbare Gestalt der Gemeinde abhebt, möchte er die Gefahr eines doketischen Missverständnis abweisen (KD IV/1, 729 f), ohne damit auf der anderen Seite eine eindeutige Identifizierbarkeit zu behaupten (732), denn ihre Versammlung kraft des Heiligen Geistes kann freilich nicht gesehen werden. Sie will ebenso geglaubt werden wie auch die verschiedenen Attribute, die im Glau161 Vgl. Flett, Versammlung, Auferbauung und Sendung, 118.

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bensbekenntnis – hier im Nicaeno Constantinopolitanum von 381, dem sogenannten ökumenischen Bekenntnis – aufgeführt werden, allein als Wirkungen des Heiliges Geistes angemessen angesprochen und somit ebenfalls allein vom Glauben wahrgenommen werden können. In diesem Sinne ist die Kirche als Geschehen davon abhängig, dass sie geglaubt wird. Indem sie sich im Glauben ereignet (credo ecclesiam = Kirche glauben und eben nicht credo in ecclesiam = an die Kirche glauben, 766 f), ist sie die geschichtliche Existenzform des Glaubens und zwar nirgends anders als ausdrücklich in der auch als Kirche sichtbaren Gemeinde (735). Nur da kann die Kirche als der Leib Christi verstanden werden, wo Christus ihr Haupt ist, und Barth fügt sofort hinzu, dass Christus als solcher zugleich auch als „Haupt aller Menschen erwählt“ ist (746), was dann des Weiteren bemerkenswerterweise zur Folge hat, dass er die von den Reformatoren noch geteilte altkirchliche Lehre, dass es außerhalb der Kirche kein Heil gebe (extra ecclesiam nula salus), in für ihn charakteristischerweise dahingehend modifiziert, dass es außerhalb von Christus kein Heil gibt („extra Christum nulla salus“, 769).162 Die Leib-Haupt-­Metapher lenkt die Aufmerksamkeit an erster Stelle auf das Verhältnis des Leibes zu seinem Haupt und deutlich weniger auf die Vielfalt und das Zusammenspiel seiner verschiedenen Glieder (740 f), so sehr auch diese ihre eigene Beachtung verdienen. Wenn Barth die vier Attribute der Kirche erläutert, erinnert er für die Einheit an die in der Erwählungslehre betonte Einheit der Gemeinde aus Kirche und Israel (vgl. Kap. IV.3.3.1): „Man müßte Jesus Christus selbst leugnen, wenn man gerade diese Einheit seiner Gemeinde leugnen wollte.“ (749) Damit wird an die Kirche ein hoher Anspruch angelegt, in welchem ihre Verwiesenheit auf das Wirken des Geistes ebenso evident wird wie die Verpflichtung, die ihr daraus erwächst. Dem „Skandal“ (754), den sie in jeder Spaltung der Kirche zu beklagen hat, wird noch eine zusätzliche Dramatik hinzugefügt, durch welche die innerkirchlichen Zerwürfnisse durchaus überboten werden. Ebenso kann es in keinem Fall für die Ökumene um eine anzustrebende „Überkonfessionalität“ gehen, welche die Kirche nur in eine „kirchliche Charakterlosigkeit“ führen könnte (757). Auch in dem als skandalös zu bezeichnenden Zustand der Spaltung wird sich jede Versammlung zur Gemeinde – wenn sie sich als Kirche ernst nimmt – auf die Versammlung der einen Israel einbeziehenden Gemeinde auszurichten haben und sich bereits als ein Teil von ihr zu verstehen haben (758 f). In der zu bekennenden Heiligkeit wird die Aufmerksamkeit darauf gerichtet, dass die Kirche als ein Element der „Geschöpfwelt“ immer wieder „als Reflex der Heiligkeit Jesu Christi“ (767) zu empfangen ist. So sehr sie tatsächlich „in keinem Stück unfehlbar“ (771) oder gar die „unter die Räuber Gefallene“ (772) ist, wird der Glaube an die ihr von Christus zukommende Heiligkeit keinen Zweifel aufkommen lassen. Und so kann sie „in ihrem Tun immer nur insofern Recht haben, als sie von 162 Wohl aber räumt Barth ein: „extra ecclesiam nulla revelatio, nulla fides, nulla cognitio salutis“ und deshalb sieht er in Abweisung jedes „Privatchristentums“ das Wesen der Kirche in ihrer Sendung (769).

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ihm Recht bekommt“ (775). Auch die Katholizität kann sich die Kirche ebenso wie ihre Einheit nicht selbst zusprechen. Sie ist ebenfalls ein Element des die Kirche ausmachenden Glaubens und rekurriert auf die allein von Christus und dem Heiligen Geist herkommende universale Selbigkeit der sowohl weltweit verstreuten als auch durch alle Zeiten hindurch existierenden Kirche (790). Als „Klimax“ stellt Barth schließlich die Apostolizität der Kirche heraus, nicht weil sie inhaltlich nun noch eine weitere Dimension hinzufügte, sondern weil sie das „konkrete geistliche Kriterium“ bezeichnet, an dem auch die drei zuvor bedachten Attribute der Kirche jeweils zu bemessen sind (795). Es geht um die der ganzen Kirche ans Herz gelegte apostolische Suksession, in der sie „unter der maßgebenden Autorität, Belehrung und Anleitung der Apostel“ (798) existiert, die als solche weder rechtlich noch institutionell gesichert werden kann (801). Wenn Barth die Apostolizität vor allem mit der Treue der Kirche zum biblischen Zeugnis erläutert, steht nicht der biblische Textbestand im Vordergrund, sondern die zu hörende Lebendigkeit des biblischen Zeugnisses und die von ihr angezeigte „Blickrichtung“, die „auf den lebendigen Jesus Christus selber“ weist (807). Hier erkennt sich die Kirche immer wieder neu in ihrer Sendung, in der allein sie recht Kirche sein kann (809). Die „subjektive Realisierung“ der Versöhnung vollzieht sich in der Versammlung der Gemeinde und betrifft in ihr auch jeden Einzelnen in der Erkenntnis und Wahrnehmung des Glaubens, die Barth bemerkenswert deutlich als eine „menschliche Tätigkeit in der Subjektivierung einer objektiven res“ (828) benennt in Entsprechung zu seiner in der Erniedrigung Jesu Christi vollzogenen Rechtfertigung. Ja, es ist genau besehen „die christliche Lebenstat“ (846), also die tatsächlich einzige spezifisch christliche Tat. Sie wird im Horizont des Wirkens des Heiligen Geistes getan, aber in diesem Horizont ist sie dann auch zu vollziehen in den drei Dimensionen, die Barth hier voneinander unterscheidet: als Anerkennung des in Christus vollzogenen und sich noch heute vollziehenden Versöhnungsgeschehens (847 ff), sodann als seine Erkenntnis (851 ff) im Sinne seiner tatsächlichen Wahrnehmung „als subjektive Realisierung des pro me“ (859) und zudem als Bekenntnis, in dem sich der Mensch in Wort und Tat an den Mitmenschen wendet und damit die wesentliche Mitmenschlichkeit des Glaubens bekundet (867 ff). 5.6.2 Die Auferbauung der Gemeinde

Der Heilige Geist versammelt nicht nur die Gemeinde und stiftet nicht nur den Glauben, sondern er erhält sie zugleich, indem er – und Barth folgt nun wieder der mit der Selbsterniedrigung Gottes verbundenen Gegenbewegung der Erhöhung des Menschensohns und der mit ihr verbundenen Heiligung des in seiner Trägheit angetroffenen Menschen der Sünde – „wachsen läßt, erhält und ordnet als die Gemeinschaft seiner Heiligen und so tauglich macht zur vorläufigen Darstellung der in ihm geschehenen Heiligung der ganzen Menschenwelt.“ (IV/2, 695) Es geht um die der Erhöhung des Menschen entsprechende Auferbauung der Gemeinde (§ 67) und um die Implementierung der stets über sich selbst hinausdrängenden christlichen Liebe (§ 68).

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Die Kirche ist bedroht von der Gefahr – und ihr tatsächlich weithin erlegen –, nur eine Scheinkirche zu sein, nämlich wo sie sich als eine menschliche Veranstaltung vor allem selbst zu präsentieren geneigt ist (KD IV/2, 699). Darin besteht die „spezifisch kirchliche Sünde […]: sich selbst, statt die in Jesus Christus geschehene Heiligung darstellen zu wollen“ (704). Dieser selbstzwecklichen Scheinkirche steht die wirkliche Kirche gegenüber als die vorläufige und als solche gewiss auch getrübte, aber auch nicht unsichtbare Darstellung des sie konstituierenden göttlichen Wirkens (702). Barths Rede von der Erbauung der Kirche zielt auf die Ertüchtigung der Gemeinde zu ihrer Bestimmung. Die Metaphorik des Bauens, die auch im Neuen Testament in Anspruch genommen wird (710–712), benennt den Umstand, dass die Gemeinde auf ihr beständiges „Werden“ (709) angesprochen wird, das aus dem Wirken Jesu Christi in der Kraft des Heiligen Geistes resultiert (716). Und so ist es dann auch sein Wirken, das es unmöglich macht, die Kirche, die sich im Namen dieses Herrn versammelt, einfach links liegen zu lassen, weil man sich mit dieser Distanzierung auch von ihm distanziert, der eben nicht ohne die Seinen ist (717). Das der Kirche verheißene Wachstum liegt nicht offen zutage – in unserer Gesellschaft scheint derzeitig eher das Gegenteil der Fall zu sein –, weil eine numerische Identifikation der Größe der wirklichen Kirche nicht möglich ist. Im Sinne der hier verhandelten Bewegung der Heiligung spricht Barth jenseits von allen Zahlen von einem qualitativen Wachstum, das er auch „ihr vertikales […] Wachsen“ nennt (733) im Sinne einer Intensivierung der Lebendigkeit und Gemeinschaftlichkeit der Kirche (736 f). In allem, was sie tut, lebt sie aus der Präsenz der Selbstbezeugung Christ und versteht sich nicht als eine von ihm gestiftete „Anstalt“ (740). „Es ist ihr Sein ein Prädikat seines Seins.“ (741) An seinem Wachsen und damit dem Wachsen des Reiches Gottes hat seine Gemeinde Anteil (743), auch wenn sie sich faktisch im Grunde ständig in der Gefahr befindet, sich selbst zu verlieren (748), indem sie ihren eigenen Erfolg favorisiert entweder in „Fremdhörigkeit (der Säkularisierung)“ oder durch „Selbstverherrlichung (der Sakralisierung)“ (754). In dem aus dem Nachlass veröffentlichten Fragment der Versöhnungsethik unterscheidet Barth in diesem Sinne die „Kirche im Defekt“ oder die „Kirche im Exzess“.163 So sehr sie sich tatsächlich entweder selbstvergessen an die Welt anpasst oder sich in übersteigerten Selbstbewusstsein rechthaberisch mit ihr in Konkurrenz begibt und damit entweder an die Welt oder an sich selber verloren geht, bleibt sie doch immer wieder durchaus gegen alle Erwartungen vor ihrem vollkommenen Erliegen bewahrt (761). Darin zeigt sich die Erhaltung der Kirche durch die überlegene Präsenz des niemals nur für sich seienden auferstandenen Christus. Das ist der immer wieder zu vollziehende Perspektivenwechsel, den Barth für die Theologie insgesamt und so auch hier geboten sieht; es ist von dem Besonderen des Tuns Gottes auszugehen und nicht von den Bewertungen unserer Erfahrungseindrücke: 163 Barth, Das christliche Leben, 227 ff, 224 ff.

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Eine objektive Notwendigkeit oder auch nur Möglichkeit, um ihre [der Kirche] Erhaltung bekümmert, in Angst und Sorge zu sein oder gar an ihr zu verzweifeln, gibt es nicht. […] Es gibt eine objektive Notwendigkeit, sich an ihrer faktischen Erhaltung zu freuen! (765)

Indem sich die Kirche für ihre Erbauung und ihre Erhaltung an Christus verwiesen sieht, wird sie auch hinsichtlich ihrer konkreten Verfasstheit niemals ohne die Orientierung an seiner Gegenwart auskommen können, wenn sie nicht unversehens in Abhängigkeiten geraten will, die ihrem besonderen Sein widersprechen. Auch ihre lebendig zu haltende, d. h. zu ständiger Revision bereite Ordnung, insbesondere das Kirchenrecht, steht als „ius sui generis“ [Recht eigener Art] (809)164 in Verbindung zum christlichen Gottesdienstes im engeren und auch weiteren Sinne (787, 791 ff). Auch mit dem ihr an dieser Stelle gebotenen „Mut zum Provisorium“ (811) verbleibt sie im Dienst des von ihr zu erwartenden Bekenntnisses (792 f). So wie die Heiligung als die Erbauung der Gemeinde mit den angedeuteten Aspekten zu bedenken ist, so auch hinsichtlich des in die Gemeinde hineingestellten „einzelnen christlichen Menschen“ als „Überwindung seiner Trägheit und seines Elends“ und Aufrichtung als Zeuge Gottes zu „tätiger Hingabe an ihn [sc. Jesus Christus] und an den Mitmenschen“ (825). Er wird befreit zu selbstloser Beziehung zu Gott und seinen Mitmenschen und zu seiner eigenen Menschlichkeit. So wie im letzten Abschnitte der Glaube als die adäquate Entsprechung zur Selbsterniedrigung Jesu Christi bis zum Tod am Kreuz in die Aufmerksamkeit gerückt wurde, kommt es hier in der Entsprechung zu der Aufrichtung des Menschen, wie sie mit seiner Heiligung einhergeht, zu einer eingehenden Erörterung der Ausrichtung des Lebens in tätiger selbstloser Liebe. Es ist das Wunder der Versöhnung, dass der Mensch in erster Linie infolge des sich auch heute ereignenden Eintreten Gottes für den Menschen diesen nicht zu fürchten hat, sondern als den Lebendigen lieben darf und kann (897), und von hier aus dann auch den konkreten Mitmenschen. Eine allgemeine Menschenliebe weist Barth als wirklichkeitsfremde Abstraktion zurück (910). Indem je konkreten Mitmenschen ist immer auch ein Zeuge Gottes zu sehen, dem gegenüber sich auch der Christ als ein solcher Zeuge Gottes zu erweisen habe. Die Gestalt der hier zum Zuge kommenden Liebe bedenkt Barth in einer Auslegung des sogenannten ‚Hohen Liedes der Liebe‘ in 1Kor 13 (936–953). 5.6.3 Die Sendung der Gemeinde

In der Sendung der Gemeinde wird schließlich die der Berufung durch den Bürgen und wahrhaftigen Zeugen entsprechende Teilhabe der christlichen Gemeinde am prophetischen Amt Jesu Christi bedacht und damit „die vorläufige Darstellung der in ihm ergangenen Berufung der ganzen Menschenwelt“ (KD IV/3, 780). Versamm164 Barth wendet sich damit gegen die These von Rudolf Sohm, dass das „Kirchenrecht […] mit dem Wesen der Kirche in Widerspruch“ stehe (Kirchenrecht, Bd. 1, München 1892, 700); vgl. KD IV/2, 769, 774–777.

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lung und Auferbauung finden ihre Bestimmung in der Sendung der Gemeinde. Sie benennt die ausdrückliche Zielperspektive der Ekklesiologie. Barth nimmt erneut das Attribut der Apostolizität der Kirche auf, das er als die programmatische Zusammenfassung ihrer Einheit, Heiligkeit und Katholizität verstanden hatte (783; vgl. Kap. IV.5.6.1). In diesem Aspekt kommt es darauf an, dass sich die Gemeinde selbst als einen Teil der Welt versteht, die sie als ihre Umgebung wahrnimmt. Es war das Thema der Vorsehungslehre, dass entgegen aller wahrzunehmenden menschlichen Konfusion doch mit Gottes Weltregiment gerechnet werden darf, auch wenn sich dies als solches nicht identifizieren und schon gar nicht verifizieren lässt (vgl. Kap. IV.4.4). Wenn anstatt von der Verlorenheit der Welt von ihrer Verwirrung zu reden ist, wird signalisiert, dass die Verhältnisse zwar gründlich durcheinandergeraten sind, dass zugleich aber rechte und pervertierte Orientierung so nebeneinander existieren, dass keine belastbaren Unterscheidungen mehr möglich sind (796). Auch dem Nichtigen als der Verneinung der Schöpfung wird ein unsinniger Zuspruch gewidmet, der seine teilweise verheerenden Schatten wirft, ohne damit jemals die seine Schöpfung erhaltende und zum Ziele führende Gegenwart Gottes wirklich infrage stellen können. Es ist diese Verwirrung, in die sich Jesus Christus hineinbegeben hat und begibt, um als sein Bürge das Vorzeichen der Gnade Gottes in dieser Weltgeschichte als das entscheidende Wort Gottes zu offenbaren – wohl gemerkt nicht ein Vorzeichen, durch das sich die Gemeinde von der Welt unterschiede, sondern das Vorzeichen, das vor der Geschichte der Welt und des ganzen Kosmos steht (812 f). Es geht um die von diesem Vorzeichen ausgehende „Transformation“ (819) der Weltgeschichte als die „noch verborgene Wirklichkeit der Weltgeschichte“ (818), die aber in Jesus Christus bereits offenbart ist und durch ihn selbst auch offenbart wird. Es ist der Unterschied zwischen der Gemeinde und der sie umgebenden Welt, dass sie bereits von dieser die Welt verändernden Wirklichkeit weiß und mit ihren Bestimmungen lebt, während die Welt noch in ihrer Verwirrung verharrt, weil ihr der Rückhalt für die notwendigen Unterscheidungen fehlt. Es ist nun nicht so, dass die Welt diesen Rückhalt durch die Gemeinde bekommen könnte, wohl aber so, dass sie dazu berufen ist, durch ihre Existenz gleichsam zu einem Medium der Selbstoffenbarung des auferstandenen Christus zu werden. Sie ist selbst als ein Teil des Weltgeschehens anzusehen (827) und in ihrer sichtbaren Erscheinung auch seinen Zweideutigkeiten unterworfen (828), und zugleich ist sie dazu erwählt und vom Heiligen Geist dazu befähigt, sich als Zeugin der Selbstbezeugung Christi an seinem Wirken in der Welt zu beteiligen. Sie hat der Verlegenheit der Welt nicht tatsächlich etwas voraus und kann sich deshalb auch auf kein eigenes Vermögen berufen, aber kraft des ihr verheißenen und in ihr wirkenden Geistes Christi wird sie sich dieser Sendung nicht entziehen können. Es ist diese Berufung, in der sie sich mit ihrer „prophetischen Aufgabe“ (835) ganz und gar in eine unverbrüchliche Solidarität mit der Welt hineingestellt sieht (830). Es wird nie so sein, dass sie als ein Teil dieser immer auch zweideutigen Welt dieser die nötige Eindeutigkeit vor Augen stellen könnte, wohl aber steht sie unter

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der Verheißung, dass Christus durch sie in der Eindeutigkeit vernommen werden kann, in der er sich der Welt verständlich machen will. Seine Selbstbezeugung hängt „nicht von ihrem Zeugnis […], sondern umgekehrt ihr Zeugnis von seinem Selbstzeugnis“ ab (845). Das gilt auch hinsichtlich der Überzeugungskraft ihrer sichtbaren Gestalt und ihres öffentlichen Auftretens. Sie sind niemals die Sache selbst, können aber in ihren Dienst gestellt werden und sind deshalb so zu gestalten, dass sie dieser Möglichkeit möglichst wenig entgegenstehen. Die Verantwortlichkeit der Gemeinde entfaltet sich damit auf allen Ebenen in einer Freiheit, die nicht selbst den „Beweis des Geistes und der Kraft“ (Lessing) zu erbringen hat. Es ist gerade ihre Schwachheit, in der sich ihre besondere und als solche ihr nicht selbst zuzurechnende Kraft ihres unsichtbaren Wesens erweisen wird (853 f). Die in ihrer Schwachheit verborgene Kraft ist die „heilige, höchst verantwortliche Unverantwortlichkeit hinsichtlich des Ertrags ihres Tuns“ (859). Die Kirche existiert kraft ihrer Berufung (861) oder sie ist dem Schein verfallen (Joh 15,5). Entweder lebt sie ihre Sendung oder sie ist nicht der Leib Christi. Ihr Grundakt ist die anhaltende Bitte um den Heiligen Geist (865). Sie existiert in dem Ereignis der Vergegenwärtigung Jesu Christi (869), der „göttliches und menschliches, himmlisches und irdisches Wirken, Sein und Tun“ zusammenbringt (871). Er führt sie nicht „aus der Welt heraus, sondern in die Welt hinein“, der sie „ihrerseits nur in ehrlich weltlichem Charakter gegenübertreten“ kann (888). „Von ihrem Grund in ihm [sc. Jesus Christus] her ist sie in derselben Richtung gesendet, in der er selbst gesendet ist: in die Welt und um in der Welt nicht für sich, sondern wie er für sie da zu sein.“ (905). Es geht also nicht einfach um „die Welt als solche, wohl aber die Welt, für die Gott ist“ (872). Diese Proexistenz für die Welt ist für Barth eine „nota ecclesiae“ (883, 892), ein Kennzeichen der Kirche. Nicht sich selbst hat sie anzubieten, sondern in ihrem weltlichen Reden und Handeln wird sie sich zu Jesus Christus bekennen (903). „Daß er sich in ihr spiegelt, daß sie eben dazu geschaffen und bestimmt ist, sein Gleichnis zu sein, daran sollte sie nicht zweifeln, das kann und darf ihr nicht abgestritten werden.“ (907) Dazu wird der Gemeinde Zeit gelassen, die sie in der Freude wahrnehmen soll, „Gleichnis des schon gekommenen und noch kommenden Gottesreiches zu sein und in diesem Sinn für die Welt da sein zu dürfen“ (909). Wenn sie sich allein von ihrer Sendung her recht verstehen kann, heißt dies vor allem, dass sie sich von ihrem ganz bestimmten Auftrag her zu verstehen hat (910 f), der sich zusammenfassen lässt mit der neutestamentlichen Formulierung: „Ihr sollt meine Zeugen sein“ (Apg 1,8; 912). Auf den lebendigen Christus zu zeigen und ihn in Wort und Tat zu verkündigen, macht die Bestimmung der Gemeinde aus. Es ist den Menschen mitzuteilen, dass sie „der Gegenstand der Güte Gottes“ (916) sind, und die Gemeinde hat keine Freiheit, das große Ja durch irgendein eigenmächtiges Ja-Aber zu verdunkeln […] – keine Freiheit, das Interesse am Menschen durch irgendein anderes Interesse (und wäre es ein abstraktes Interesse an Gott, als wiese sie nicht gerade das wahre, das konkrete Interesse an Gott in die entgegensetzte Richtung!) zu ersetzen. Die der Gemeinde nicht nur gelassene,

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sondern gegebene Freiheit ist keine Lizenz, vom Evangelium abzuweichen, sie ist ihre Freiheit für das Evangelium in seiner Einheit und Ganzheit. (917)

Dabei wird sie den Menschen als den sehen und behandeln, „mit dem und für den Gott […] war, ist und sein wird!“ (923), wobei es sich nicht um die Übermittlung einer zeitlosen Wahrheit handeln kann, sondern um eine pünktliche Anrede „heute und hier“ (931). Es reicht kein „unartikuliertes Brummen frommer Worte“, das sich auf eine allgemeine Neutralität zurückzieht, um es dann bei der ohnmächtigen Beteuerung zu belassen, „daß Jesus Christus auferstanden sei, am letzten Tag wiederkommen und Alles gut machen werde und daß der Glaube an ihn der Sieg sei, der die Welt überwinde“ (932). Von einer ihren Auftrag so gründlich verharmlosenden Kirche wird sich die Welt nicht genötigt sehen, genauer hinzuhören, geschweige denn sich an einer solchen Botschaft zu reiben (935). Ebenso skeptisch wird sie einer auf dem Wege einer eigenmächtigen Interpretation vollzogenen Instrumentalisierung des Evangeliums als „Propaganda“ (950) für eine bestimmte Weltanschauung begegnen, weil sie darin einen „zweifelhaften Herrschaftsanspruch“ (940) der Kirche wittert, auch wenn die sich hier vollziehende „Bevormundung“ (944) „nicht ohne allerhand schmückende Reminiszenzen aus Bibel und Kirchenlehre“ (941) daherkommen mag. Sowohl in der verharmlosenden Vernachlässigung als auch in der besserwisserischen Bevormundung würde die Gemeinde ihren Adressaten, ganz gewiss aber ihren Auftrag verfehlen (948) und sich damit schließlich auch in ihrem ganzen Gottesdienst (vgl. dazu 951 ff) als unzuverlässig erweisen. Es ist die Sendung der Kirche, die Welt und d. h. konkret die ihr begegnenden Menschen evangelisch anzureden. Sie hat das in der Geschichte Gottes mit dem Menschen zu vernehmende Evangelium so zu bezeugen, daß es ihnen […] deutlich macht, daß von ihnen selbst die Rede ist – von der allerdings höchst allgemeinen Wahrheit, die gerade als solche nach ihrer persönlichen Kenntnisnahme und Erkenntnis ruft. Die Menschen evangelisch anreden heißt: ihren Wahn, als gehe es da um eine Sonderwirklichkeit für besondere, etwa irgendeiner Religiosität bedürftige und fähige Leute möglichst energisch in Frage zu stellen, ihnen möglichst deutlich vor Augen führen: es handelt sich um die Wirklichkeit, die das Geheimnis der Existenz aller Leute, der ganzen Welt, als solche aber unmittelbar auch ihr eigenes Geheimnis und das ihres ganzen Lebens ist. (978)

Diese evangelische Anrede schließt in ihrem Eintreten für den Menschen auch gesellschaftskritische Positionierungen mit ein, die ihr die Gesellschaft nicht immer danken wird, die sie aber um der Konkretheit ihrer besonderen Wirklichkeitserschließung weder der Welt noch auch sich selber nicht ersparen kann. Im Ernstnehmen der Zeitgenossenschaft Christi kann es nicht anders sein, als dass sich in seinem Licht auch Schatten zeigen, die sich sonst unbehelligt halten könnten. Barth spricht für die Formen des Handelns der Kirche ausdrücklich das auf die Zukunft ausgerichtete prophetische Handeln an und sieht in ihm „sogar eine Art Test auf die Echtheit ihres Dienstes“ (1029).

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„Prophetisch“ heißt nicht ekstatisch, nicht enthusiastisch, nicht tumultuarisch. Prophetisches Zeugnis wird vielmehr nüchterne Eröffnung der allerdings hehren, entzückenden und heilsamen Wahrheit sein, daß und inwiefern zwei mal zwei gerade jetzt und hier nicht, wie die Menge immer noch meint, fünf, sondern ihr sehr unerwartet in neuem Sinn und neuer Kraft vier ist. (1029)

In dieser Formulierung verdichtet sich Barths Verständnis einer durch den Glauben aus ihren götzendienerischen Koalitionen und Obsessionen zu sich selbst befreiten Vernunft und ihrer tatsächlichen Aufklärungskraft. Auch wenn es häufig einzelne sein werden, die den nötigen Weckruf anstimmen, wird doch für die ganze Gemeinde mit einer „Aufgeschlossenheit, Bereitschaft und Willigkeit“ (1029) gerechnet werden können, den Appell zu vernehmen, zu prüfen und sich dann auch zu eigen zu machen.165 Das ist als ein Dienst zu verstehen, für den der Kirche keinerlei Privileg zukommt, auf den sie aber auch nicht verzichten kann, wenn sie ihr Zeugnis nicht als Aufruf zur Weltflucht missverstehen will. Christliche Existenz steht im Horizont der ersten (Auferstehung – sie ist bereits der „Morgenglanz der Ewigkeit“; 1052) und der zweiten (Christus als Zeitgenosse) Gestalt der Parusie im Zeichen der Hoffnung auf die endgültige „ewige Parusie“ (1036) Jesu Christi. Sie ist getragen von dem „schon jetzt“ und zugleich zutiefst geprägt von dem seiner Überwindung entgegengehenden „noch nicht“. Es gibt keine „Verzögerung“ oder gar ein „Ausbleiben“ der Parusie zu beklagen (1037), aber die Vollendung der Offenbarung steht noch aus, so dass auch die christliche Existenz in dem ihr eigenen Zeugnis immer noch von den Schatten ihrer Selbstgefährdung und Selbstverfehlung bedroht wird, über deren Ambivalenz sie aber durch die Hoffnung erhoben wird, ohne deshalb gleich alle Beeinträchtigungen hinter sich lassen zu können. Die Hoffnung steht in der „Kraft des Erhofften“, weil es bereits ihr Grund ist (1049). Der Glaube an Jesus Christus und die Liebe zu ihm schließen unausweichlich die Hoffnung auf ihn mit ein. Alle noch zu bestehenden Auseinandersetzungen vollziehen sich nicht in einem unentschiedenen Schwebezustand, der nun etwa in ihnen zu entscheiden wäre, sondern in der ebenso ermutigenden wie befreienden Hoffnung auf die endgültige Durchsetzung des bereits Entschiedenen. Es geht um das Tatzeugnis des Lebens in dieser Hoffnung (1067), und zwar nicht als „Privatunternehmen […], sondern in öffentlichem Dienst“ (1070)166 als „Platzhalter“ (1071 f) für das Selbstzeugnis Jesu Christi. Christliche Existenz ist auch in dieser Hinsicht Existenz in der Bewegung. Hoffen geschieht im Tun des nächsten Schrittes. Hoffen ist Handeln und als solches echtes Hoffen. (1078)

&  Flett, Versammlung, Auferbauung und Sendung der christlichen Gemeinde. 165 Vgl. dazu Barth, Politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens. 166 Vgl. Barth, Das christliche Leben, 33.

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5.7 Das Gebot des Versöhners – Taufe, Vaterunser und Abendmahl Entsprechend zur Schöpfungslehre schließt Barth auch seine Versöhnungslehre mit einer „speziellen Ethik“ ab. Aus drei Gründen kommt diese nur sehr kurz zur Sprache. Der erste Grund besteht darin, dass der eigene Charakter der speziellen Ethik bereits im Rahmen der Schöpfungsethik erläutert wurde (vgl. Kap. IV.4.5.1). Zweitens hat sich insbesondere in der unmittelbar vorausgehenden Erörterung der sich im Heiligen Geist vollziehenden Vergegenwärtigung des Versöhnungsgeschehens in der Gemeinde und im christlichen Leben der für Barth charakteristische unauflösliche Zusammenhang von Dogmatik und Ethik bereits bestätigt, weil schon zentrale Aspekte der Versöhnungsethik zur Sprache gekommen sind. Und drittens haben wir es in der von Barth noch ausgearbeiteten Versöhnungsethik nur mit einem Fragment zu tun, so dass wir uns hier auf die erkennbaren konzeptionellen Grundentscheidungen beschränken wollen. Von der konzipierten Versöhnungsethik liegt uns die Tauflehre als von Barth noch selbst redigiertes Teilstück von KD IV/4 vor. Aus dem Nachlass wurden inzwischen auch der Entwurf zum Einleitungsparagraphen der Versöhnungsethik (§ 74) und ein Teilstück der vorgesehenen Auslegung des Vaterunsers publiziert.167 Für die Lehre vom Abendmahl, die sich an die Auslegung des Vaterunsers anschließen sollte, müssen wir mit einigen konzeptionellen Hinweisen etwa im Vorwort der Tauflehre und im Entwurf des Einleitungsparagraphen auskommen. Damit zeichnet sich deutlich der vorgesehene konzeptionelle Bogen ab: Die Versöhnungsethik bedenkt das christliche Leben zunächst als in der Wassertaufe zu vollziehende Antwort auf seine Begründung in der Geisttaufe als seinem ausdrücklich auch vom Menschen zu vollziehenden Anfang. Es vollzieht sich sodann im Horizont des Gebets – insbesondere des Vaterunsers – und lässt sich im Abendmahl, verstanden als Eucharistie, d. h. als Feier des Dankes, immer wieder neu seine Bestimmung durch die lebendige Gegenwart Jesu Christi in besonderer Weise vor Augen rücken. Christliches Leben vollzieht sich also als Antwort, als unablässige Neuausrichtung auf seine Quelle im Gebet und in einer Dankbarkeit, in der es sich in Wort und Tat zum Zeugnis in die Welt gewiesen weiß. Die Taufe bezeichnet den öffentlichen Eintritt in das Leben der Gemeinde und verweist auf seine durch den Geist vermittelte Begründung in Jesus Christus, während die mit dem Abendmahl ausgedrückte Danksagung der Erhaltung des christlichen Lebens dient, indem es immer wieder neu ausdrücklich auf seine allein von Christus zu erwartende Erneuerung setzt.168 Barth verzichtet ausdrücklich auf jede Sakramentalität der Kirche und ihres Auftrags, weil Christus selbst als das einzige Sakrament zu verstehen ist (KD IV/2, 42). Indem es dabei um das Geheimnis und Zeichen der Selbstbezeugung Gottes geht, kann Barth auch die Offenbarung als Sakrament bezeichnen im Sinne von göttlicher Zeichengebung (KD II/1, 56). In der Aufmerksamkeit steht das unsere Fas167 Vgl. Barth, Das christliche Leben. 168 Vgl. ebd., 71–73.

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sungskraft immer auch transzendierende Geheimnis des Wirkens Gottes, von dem die Kirche, nicht zuletzt um ihrer selbst willen, konsequent zu unterscheiden bleibt. Taufe und Abendmahl werden damit konsequent in den Bereich der menschlichen Zuständigkeit gestellt, auch wenn sich diese in der Kirche vollzieht. Es handelt sich dabei sachlich gerade nicht um eine Reduzierung des Sakramentsverständnisses, sondern ganz im Gegenteil um seine besondere theologische Gewichtung, in der es dann allerdings von der Ekklesiologie abgerückt wird. Schon in seiner ersten Dogmatikvorlesung 1925/26 stellt Barth das Sakrament ganz auf die Seite Gottes: „Es ist das schlechthin göttlich Faktische, was das Sakrament zum Sakrament macht.“169 Als solches kommt es als Tun der Kirche grundsätzlich nicht in Frage, so dass er dann in der Versöhnungslehre der Kirchlichen Dogmatik die Konsequenz zieht und Taufe und Abendmahl ganz und gar der Ethik des christlichen Lebens zuordnet. Es ist eine Konsequenz sowohl der Radikalität des Versöhnungsgeschehen als auch des Wirklichkeitscharakters der verheißenen Gegenwart des Auferstandenen, dass der Kirche im strengen Sinne keine gottesmittlerische Bedeutung zukommt, denn diese liegt allein in Jesus Christus. Damit ist ja nicht gesagt, dass die Kirche nicht auf Jesus Christus hinweisen soll – wenn sie es doch tatsächlich täte! –, aber auch in all ihren Hinweisen wird es niemals die Anstrengung der Kirche, sondern immer allein der lebendige Christus selbst sein, der in Kraft des Heiligen Geistes zu tatsächlicher Gotteserkenntnis führt. Jede Ermäßigung in dieser Frage würde in den Augen Barths zu einer Verkennung oder einer Reduktion des grundlegenden Versöhnungsgeschehens führen. Indem nun die Versöhnungsethik auf das freie Tun des Menschen reflektiert, der durch Jesus Christus wieder als eigenes Subjekt in die für ihn bestimmte Partnerschaft des Bundes Gottes versetzt und damit in die ihn auszeichnende Freiheit gestellt wird,170 rücken Taufe und Abendmahl ganz konsequent in den Horizont der Wahrnehmung dieser Freiheit des Menschen im Gegenüber zu Gott. Es kommt nun entscheidend darauf an, der Freiheit des Menschen einen diesen fordernden, aber zugleich auch nicht überfordernden Ereignisraum zu sichern. Das ist der sowohl der Kirche als auch dem Leben des Christen zugewiesene Raum des Zeugnisses, der einerseits anspruchsvoll genug ist, um deutlich werden zu lassen, dass dem Partner im Bund auch eine eigene Rolle zugemessen wird, und der andererseits auch bescheiden genug bleibt, um jeder Prahlerei mit einer sich auf eine besondere Intimität mit Gott berufenden Autorisierung entgegenzustehen. Hier zählt allein die als freies Glaubenszeugnis zu gestaltende Solidarität zur Welt, die konsequent nicht noch durch irgendwelche über den Glauben hinausgehende Privilegierungen imponieren kann. Es ist Barths spezifische ekklesiologische Zuspitzung der Versöhnungslehre, durch die sich eine Entsakramentalisierung von Taufe und Abendmahl geradezu aufdrängt. Gewiss stehen sie in der Perspektive der Anrufung des Geistes Gottes, werden aber weder als die Präsentation noch als die Dokumenta169 Barth, Unterricht in der christlichen Religion III, 227. 170 Barth, Das christliche Leben, 40 ff.

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tion seiner Wirksamkeit gefeiert. Es galt angesichts der konsequenten sachlichen Aufwertung der Freiheit des Menschen auch konsequent die Menschlichkeit der von Gott geschenkten Freiheit zu schützen. So bleibt sowohl um Gottes, aber auch um des Menschen willen klar zu unterscheiden zwischen dem, was Gott getan hat und auch weiterhin tut, und dem, was der Kirche und dem christlichen Leben zu tun anvertraut ist. Es geht hier um einen der für Barth ja durchaus so charakteristischen schmalen Grate, bei denen darauf zu achten bleibt, weder zur einen noch zur andere Seite herunter zu fallen.171 Wenn die Gemeinde tauft, dann wird damit keine Wende vollzogen, sondern es geht um die menschliche Entsprechung zu der immer schon vorangegangenen „göttlichen Wendung“ (KD IV/4, 49). Die Taufe antwortet auf das eine „Mysterium“, das eine „Sakrament“ der Geschichte Jesu Christi, seiner Auferstehung, der Ausgießung des Heiligen Geistes: sie selbst ist aber kein Mysterium, kein Sakrament. (112)

Sie steht nicht für Initiation, sondern vollzieht Bestätigung (91, 159). Wenn Barth sie ein „Tatbekenntnis“ (81) nennt, wird unterstrichen, dass nicht nur ein Gesinnungswechsel zur Debatte steht (153), sondern eine Änderung der Lebensrichtung. Es ist diese praktische, vom Menschen zu vollziehende Zustimmung, in welcher der Bund dann tatsächlich an das Ziel gelangt, das bereits in Jesus Christus als unserem Wegbereiter und Platzhalter verwirklicht ist. Nicht die Abweisung der Kindertaufe steht im Zentrum seiner Überlegungen, vielmehr ist diese lediglich die Konsequenz der entschlossenen versöhnungsethischen Konzentration der Taufe. Barth unterlässt auch weitgehend, der hier zweifellos vorgetragenen Kritik an der Volkskirche einen zu großen Raum einzuräumen und ein allzu großes Gewicht zu geben, weil er einer zu befürchtenden Verselbständigung dieser Diskussion gar nichts abgewinnen konnte. Die Abweisung der Sakramentalität von Taufe und Abendmahl dient vor allem der Wahrung der exklusiven Deutlichkeit des Christusgeschehens (233). Zudem wirft Barth der Sakramentalisierung vor, dass sie zu einer Doketisierung in „einem sonderbar konkurrierenden Duplikat der Geschichte Jesu Christi“ (112) führe, weil die Handlung selbst hinsichtlich der unterstellten Gnadenwirkung keine belastbaren Vorstellungen anbietet (168). Dass sich Barth im Übrigen den Vollzug des christlichen Lebens in spezifischer Weise als Leben in der Anrufung Gottes vorstellt, erhellt aus der Konzeption, nach der sich der Hauptteil der Versöhnungsethik als eine detaillierte Auslegung des Vaterunser gestaltet, in der Barth den ethischen Implikationen der Anrede Gottes und der einzelnen Bitten nachgeht. Wenn sich Barth dann auch für die Anrufung als Grundbegriff der Versöhnungsethik entscheidet und nicht erneut den auch hier so naheliegenden Begriff der Freiheit aufgreift, möchte er vor allem die Gefahr einer 171 Vgl. Weinrich, Karl Barths Sakramentsverständnis, bes. 476 ff.

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Begriffstyrannei vermeiden,172 die eine problematische Übersichtlichkeit produzieren und damit den Anschein erwecken könnte, dass es eigentlich doch immer um dasselbe gehe. Allerdings wäre man – wie die Ausführungen Barths dann deutlich machen – schlecht beraten, wenn man den Begriff der Anrufung anders verstehen wollte als eine Konkretisierung der christlichen Freiheit. Indem sich das Gebot Gottes stets „als das Gesetz des Evangeliums zu erkennen geben“ (53) wird, bleibt ein Kriterium bestimmend, das substanziell die Verbindung zu der besonderen Freiheit der christlichen Existenz im Fokus behält. In genau diesem Horizont stellt Barth seine Versöhnungsethik unter die Aufforderung von Ps 50,15: „Rufe mich an!“ (69) Die christliche Existenz vollzieht sich in der lebendigen Beziehung zu Gott und wird sich ihrem Wesen nach immer wieder neu daran ausrichten, dem Willen und Handeln Gottes möglichst adäquat zu entsprechen. Es entspricht dem Orientierungsbedürfnis ihrer besonderen Freiheit, das Leben aus der Anrufung Gottes heraus gestalten zu wollen (121). Die Anrufung bleibt als Hinwendung zu Gott zu verstehen als „Werk freier, weil von Gott für Gott befreiter Menschen.“ (141) Barth erinnert daran, dass es sich dabei nicht um eine Privatangelegenheit handelt, sondern um „eine eminent soziale, und zwar öffentlich soziale, um nicht zu sagen: politische, ja kosmische Angelegenheit.“ (154) Barth kann es auch „prophetisches Beten“ (166) nennen, und es bleibt daran zu erinnern, dass mit der Prophetie die ernüchterte, d. h. von ideologischen Verwertungszusammenhängen befreite Sachlichkeit gemeint ist (vgl. Kap. IV.5.6.3, S. 406). Die Perspektive ist auf die Heiligung des Namens Gottes ausgerichtet. Christliches Leben lässt sich von der Erwartung des Reiches Gottes bestimmen, insbesondere hinsichtlich der Erkenntnis und Abweisung aller Unbedingtheitsansprüche, die den Menschen in ihre Gefolgschaft zu drängen versuchen. Wir greifen diesen Aspekt beispielhaft heraus, weil er einerseits für Barth besonders charakteristisch ist und andererseits nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat. Er ist darin charakteristisch, dass Barth sich nicht an Bindungen und Fehlorientierung abarbeitet, denen ihre jeweilige Gefährlichkeit bzw. ihr Bedrohungspotenzial bereits auf die Stirn geschrieben steht. Vielmehr lenkt er die Aufmerksamkeit auf prägende Umstände, die durchaus eine allgemeine Anerkennung genießen, ohne dass die mit ihnen verbundene Gefangenahme überhaupt realisiert wird. Barth spricht hier von „herrenlosen Gewalten“, die den Menschen in ihren Bann ziehen, indem er sich in die Gefolgschaft seines eigenen tatsächlichen oder auch nur vermeintlichen Könnens begibt, um sich schließlich – wie Goethes Zauberlehrling – mit den damit heraufbeschworenen „selbständig sich auslebenden und auswirkenden Geistern“ auseinander setzen zu müssen, denen er nun hinterherzulaufen und zu dienen hat.173 Sie verbergen ihren absolutistischen Einfluss vor allem dadurch, dass sie den Menschen in der allerdings trügerischen Wahrnehmung halten, als könne er nach seinem jeweiligen Gutdünken über sie verfügen. In diesem über sich selbst unauf172 Vgl. Barth, Das christliche Leben, 57 (Seitenhinweise im Text). 173 Barth, Das christliche Leben, 365 (Seitenabgaben im Text).

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geklärten Modus ist die von ihnen ausgehende Gefangenschaft besonders effektiv, obwohl ihnen tatsächlich nicht mehr als „eine pseudo-objektive Wirklichkeit und Wirksamkeit“ (366) attestiert werden kann. Es geht um die im Grunde ganz und gar unverdächtigen „wahren Stützen nicht nur, sondern Motoren der Gesellschaft“, die sich als „die heimlichen Drahtzieher“ hinter den „großen und kleinen menschlichen Selbstverständlichkeiten, Gewohnheiten, Sitten, Traditionen und Institutionen“ verborgen halten (368) und zu nicht diagnostizierten Besessenheiten führen, in denen uns verborgen bleibt, „was da faktisch mit uns gespielt wird“ (373). Barth nennt den Mythus des Staates (375), die Macht des Mammons (378), den Proselytismus der Ideologien, der sich hinter allen möglichen „-ismen“ (385) und Schlagworten versteckt – der Begriff präsentiert durchaus freiwillig seine in Beschlag nehmende Neigung ebenso wie das englische „catchword“ (386). Schließlich kommt er auch noch auf die „Erdgeister“, die chthonischen Mächte zu sprechen (388 f), denen der Mensch die Bühne bereitet und die dann aber „in Eigenbewegung rumoren, wirken, rollen, rauschen, knattern […] an ihm vorbei, über ihn weg.“ (390) Von den drei Beispielen, die Barth erörtert, nämlich die Mode, der Sport und der Verkehr, greifen wir das vielleicht harmloseste heraus: Wer oder was bestimmt eigentlich die Mode: etwa die, der gehorsam der Mensch seine Bekleidung und Behauptung und nicht zuletzt seinen Haarwuchs jetzt so, jetzt so gestalten zu müssen glaubt: jedesmal seiner Sache ganz sicher und jedesmal nur zu bald zur mitleidigen Verwunderung und ein wenig später schon zum Entsetzen und Gelächter derer, die dann schon wieder einen neuen Mode folgen zu müssen meinen? […] Wer will es so haben? Die besondere, an dieser Sache unermüdlich Geld verdienende Industrie, deren Könige, wie man hört, besonders in Paris sitzen sollen? Aber wer hat diese Könige eingesetzt? […] Wer inspiriert, wer dirigiert in solchen und ähnlichen für das jeweilige Lebensgefühl und alle seine Folgen doch gar nicht gleichgültigen Vorgängen? Man komme nicht zu rasch mit dem offenbar wechselnden „Geschmack“! Das ist es ja eben: welcher losgelassene Erdgeist zieht denn die Drähte, wenn dieser „Geschmack“ geht, ein anderer von Millionen ängstlich beachtet, kommt und sich durchsetzt, um dann nach einer Weile doch auch wieder gehen zu müssen? – Das Beispiel „Mode“ mag trivial erscheinen. Die gleichen Fragen stellen sich aber auf höherer Ebene angesichts der Verschiedenheit und des Wechsels im Stil der Malerei, der Plastik, der Musik und der Dichtung jetzt und hier, dann und dort. Warum jeweilen – man pflegt zu sagen: als Ausdruck des sich wandelnden Zeit- und Naturgefühls – gerade dieser und kein anderer Ausdruck? (391)

Der humorlose Druck, der nicht nur auf dem längst weithin kommerzialisierten Sport liegt (392 f), und die sich rücksichtslos beschleunigende und platzgreifende Eigendynamik, mit welcher der Verkehr den Menschen seinen nicht selten lebensfeindlichen Rhythmus aufzwingt (394 f), zeugt von vergleichbaren Besessenheiten wie die Mode, denen der Mensch vor allem gegen sich selbst aufsitzt. Die Menschen werden „zu Untertanen, zu Papageien, zu Drahtpuppen oder eben: zu Robotern“ (398) und damit ihrer Freiheit beraubt, was zudem in der Konkurrenz dieser

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unterschiedlichen Mächte die Welt einigermaßen ins zunehmende Chaos versetzt. Dagegen steht die Bitte um das Reich Gottes sowohl für die Klärung und Anerkennung der wahren Machtverhältnisse als auch für die Besinnung auf die „echte Freiheit“ (400) im Unterschied zu der vom Menschen usurpierten und dann unversehens von ihm an die ihn faszinierenden Mächte und Gewalten wieder abgegebenen Freiheit. Es geht um den Ausbruch aus dem sich selbst ernährenden Kreislauf der stets nur relativen Variationen des substanziell immer Gleichen. Die Bitte um das Reich Gottes ist sowohl in ihrer Unvermeidlichkeit als auch in ihrem allein auf Gott setzenden Vertrauen „reine Bitte“ (422), die den Menschen vor allem darin betrifft, dass er sie in der Gewissheit ihrer Erhörung – gleichsam als Spiegel ihrer sich bereits vollziehenden Erfüllung – aussprechen darf und muss. Die Aufmerksamkeit bleibt von dem Gestern, Heute und Morgen der Ostergeschichte orientiert, von dem Wiederkommen Jesu aus dem Tod, seiner Parusie in ihren drei Gestalten. Wenn Barth diese Bitte zugleich eine „tapfere Bitte“ (456) nennt, so hat er die mit ihr verbundene Ausrichtung des ganzen Lebens im Blick, die mit ihr einhergeht. Nicht der Gerechtigkeit Gottes soll sie auf die Sprünge verhelfen, als gelte es an ihr irgendwelche Zweifel zu reklamieren, wohl aber „im Einsatz und Kampf für menschliche Gerechtigkeit“ (456) wird man die Christen antreffen müssen, wenn „es sich in ihrem Danken, Hoffen und Beten um eine ernst zu nehmende Angelegenheit handeln möchte“ (457). Ein bißchen Werkgerechtigkeit und Werkheiligkeit – es wird ja sicher nie sehr weit her sein damit! – braucht hier keine Illusion und dann auch keine Gefahr zu bedeuten. Gefährlich ist hier nur die Versuchung, aus lauter Angst, man könnte ein allzu gerechter und allzu heiliger Werkmensch werden – wie ist diese Angst doch so unbegründet! –, gerade da passiv zu bleiben, wo es nun wirklich gilt, im vollen Wissen um seine Grenzen aktiv zu werden. (459) Die Erfahrung, wie schwer es ist, auch nur im Kleinen ernstlich, freudig und dann auch tätig zu hoffen, auch nur das relativ Bessere relativ gut zu machen, wird ihnen selbst dabei nur heilsam sein können, sie erst recht in die große Hoffnung treiben: zu neuem Bitten darum, daß Gott seinen großen Schritt zum Besseren nicht nur, sondern zum Besten tun möge: „Komm, Herr Jesu!“ (470)

5.8 Zusammenfassende und zuspitzende Thesen 1. Die bundestheologische Einbettung gibt der Versöhnungslehre Barths eine eigene Perspektive, die den besonderen konzeptionellen Rahmen seiner Theologie insgesamt in Erinnerung ruft und erneut unterstreicht, durch den insbesondere hervorgehoben wird, dass die Versöhnung sachlich unterbestimmt bliebe, wenn sie dem modalistischen Missverständnis folgte und Christus nur als eine von der menschlichen Sünde evozierte Reaktion Gottes verstehen würde. Die ganze Tiefe und Reichweite des von Barth immer wieder aufgegriffenen Gottesnamens „Immanuel“ erhellt

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in dem in der Geschichte Jesu Christi vor Augen gerückten Versöhnungsgeschehen, das als solches die ganze Wirklichkeit der auch heute geschehenden und somit den Menschen aktuell betreffenden Geschichte des Bundes Gottes mit dem Menschen benennt. Gott will nicht ohne den erwählten Menschen Gott sein, und es ist dieser Wille, der in dem Versöhnungsgeschehen in aller Konsequenz zum Zuge kommt. Ohne das bleibende Fundament der Erwählung Israels und des Zeugnisses des Alten Testaments kann die Geschichte Jesu Christi und damit auch die Geschichte des vor Gott stehenden Menschen nicht angemessen erzählt werden. Gottes Treue zu seinem in der Erwählung begründeten Bund überragt den „Zwischenfall“ des im unbegründbaren Unglauben erfolgenden menschlichen Widerspruchs der Sünde, auch wenn dieser ihr allerdings ein eigenes Engagement abverlangt, das unmittelbar auf diesen Widerspruch bezogen ist. Doch auch darin wird vor allem die Entschiedenheit und Konsequenz der ewigen Willensentscheidung Gottes unterstrichen. 2. Ebenso wie in der Sache steht die Versöhnungslehre auch in der Kartographie der theologischen „road map“ in der Mitte des von der Theologie zu durchmessendes Weges zwischen der Schöpfungslehre und der Lehre von der Erlösung, der Eschatologie, zu deren Ausarbeitung Barth dann nicht mehr gekommen ist. Die Konzentration liegt auf dem Christus praesens, der von Barth darin als Messias exponiert wird, dass er die drei gesalbten Ämter des Alten Testaments – Priester, König und Prophet – in sich vereint. Als wahrer Gott und wahrer Mensch bringt er in seinem Tun das ganze Gewicht seiner besonderen Person ins Spiel, um als der gnädige Richter dem Menschen zu seiner tatsächlichen Bestimmung zu verhelfen. An dem von Gott vorgesehenen und nun verwirklichten Ehrenplatz in dem von Gott installierten Bund wird der Mensch zu Gottes ebenso freien wie dankbaren Zeugen, als welcher er in Glaube, Liebe und Hoffnung die von ihm selbst korrumpierte, nun aber von Gott wieder hergestellte Beziehung zu Gott und seinen Mitmenschen wieder zu leben in der Lage ist. Es geht um ein Leben in der Zeitgenossenschaft zum auferstandenen und als solchen lebendigen Christus, das dann auch als das christliche Leben bezeichnet werden kann. Es geht, wenn man so will, um die präsentische Dimension der allerdings nicht in ihr aufgehenden Eschatologie. Indem die Makrostruktur der Versöhnungslehre den drei Ämtern folgt, werden die mit jedem Amt in Beziehung stehenden Perspektiven parallel zueinander strukturiert, so dass sich die Versöhnungslehre in einer überaus beziehungsreichen vertikalen und horizontalen sachlichen Verflechtung lesen lässt, der ihr einen bisher bei weitem noch nicht ausgeschöpften sachlichen Reichtum verleiht. Damit soll vor allem unterstrichen werden, dass es sich bei der Versöhnung um ein mehrdimensionales und stets zusammengehöriges Geschehen und nicht um das Bedenken eines wie auch immer vorzustellenden Heilszustandes oder einer Heilsordnung handelt, die durch einen ebenso isolierten Heilsakt herbeigeführt worden sind. Die Versöhnungslehre umspannt in ihren drei Dimensionen den großen Bogen von Christologie, Hamartiologie (Sündenlehre), Soteriologie, Pneumatologie, Ekklesiologie und der christlichen Existenz des Einzelnen. Damit sind auch die folgenden sechs Thesen vorgezeichnet.

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3. Die Christologie zeichnet in konsequenter Wahrnehmung der altkirchlichen Fundamentalbestimmungen des Konzils von Chalcedon die unvermischte und zugleich nicht voneinander zu trennende Gleichzeitigkeit der als Bewegung verstandenen Naturen Jesu Christi nach, durch welche Jesus Christus sich nicht nur als das Subjekt der Versöhnung, sondern in der Fortsetzung ihres Geschehens auch als ihr Bürge erweist. Der Bewegung der Selbsterniedrigung Gottes bis zum Kreuz, an dem sich als das „Urteil des Vaters“ das Gericht über den Menschen stellvertretend an dem gerichteten Richter vollzieht, entspricht in Auferstehung und Himmelfahrt die Bewegung der Erhöhung des Menschen, die in der „Weisung des Sohnes“ zu ihrem Ziel kommt. Beide Bewegungen kommen zudem zusammen in der „Herrlichkeit des Mittlers“ als die „Verheißung des Geistes“, der konsequent als der Geist des Vaters und des Sohnes zu verstehen bleibt. Damit stehen das gegenwärtige und zukünftige Geschehen der Versöhnung im Fokus der Aufmerksamkeit, die den eigentlichen Zielpunkt der Versöhnungslehre ausmachen. Als der alleinige Mittler ist der lebendige Christus schließlich auch der entscheidende Zeuge der Versöhnung, die als die Selbstvergegenwärtigung des Auferstandenen im Heiligen Geist zu verstehen ist. Es ist nicht der Mensch, der den Glauben weiterträgt und lebendig hält, sondern Christus bleibt über den Geist das Subjekt des Glaubens als die „Realpräsenz der Versöhnung“. Erst in der Konsequenz der den Glauben begründenden Selbstoffenbarung Christi kann der Glaube dann auch zu einer den Menschen engagierenden Angelegenheit werden. Das Scharnier der ganzen Versöhnungslehre und damit von Barths Theologie insgesamt ist ein konsequentes Verständnis der Auferstehung Jesu Christi, das von seiner aktuellen Lebendigkeit ihren Ausgang nimmt, in welcher er auch heute sein eigener Mittler ist. Die drei Ämter Jesu Christi, die der Versöhnungslehre ihre Struktur geben, sind ja die Ämter des auferstandenen Christus, die er heute wahrnimmt. 4. Ebenso aktuell wie die Gegenwart des Auferstandenen, wenn auch dieser ausdrücklich nachgeordnet, ist aber auch der Widerspruch des Menschen (die Sünde) wahrzunehmen, der durch die besonderen Bewegungen der Christologie aufgedeckt wird. Nicht qua seines Geschöpfseins ist der Mensch ein Sünder, sondern im Widerspruch des Geschöpfes zu seinem Schöpfer wird er dazu, indem er selbst nach der Rolle des Schöpfers greift und damit die von Gott gewollte Wirklichkeit ins Chaos versetzt, wovon die Erfahrung durchaus beredte Auskunft gibt. Die Bewegungen des Versöhnungsgeschehens treffen auf einen Menschen, der sich genau in den Gegenbewegungen zu ihnen befindet. Die Sünde qualifiziert sich nicht an irgendwelchen Verwerflichkeiten oder moralischen Anstößigkeiten. Sie bemisst sich nicht an irgendeinem benennbaren Maßstab oder Gesetz. Sie zeigt sich vielmehr im Spiegel ihrer Vergebung und des diese Vergebung ausmachenden Geschehens, so dass sie nicht einfach der allgemeinen Erkenntnis offen liegt, sondern erst im Glauben recht erkannt werden kann. Sie legt das faktische Gottesverhältnis bloß, in dem sich der von der Gnade Gottes getroffene Mensch bewegt, indem sie den flagranten Widerspruch gegen Gottes gnädiges Gericht, gegen seine Aufrichtung des Menschen und gegen die Gegenwart seiner Selbstbezeugung erkennbar macht. Es

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ist die Versöhnung, welche die Gottlosigkeit des Menschen offenlegt, deren unsinnige Widersprüchlichkeit auch nicht vor denjenigen Halt macht, die durchaus Gott im Munde führen, sich mit ihm verbunden und in Frömmigkeit ergeben ausgeben. Gerade dem sich gern in der Religion verbergenden Gottlosen hat die besondere Aufmerksamkeit zu gelten. Zwar gibt es den Hochmut des sich selbst rechtfertigenden Menschen und die Trägheit des gegen seine eigene Verlotterung nicht tatsächlich einschreitenden Menschen allgemein zu beklagen, aber die darüber hinausgehende Spitze der Sünde besteht in dem Verschweigen, der Verdrehung oder Ermäßigung der Wahrheit des Eintretens Gottes für den Menschen, was der Sünde dann noch eine spezifisch christliche Pointe gibt, die vor allem aus den vielfältigen Formen des Ausweichens vor dem Kreuz Christi resultiert. An die Stelle der Anerkennung und Bezeugung der Wahrheit tritt die eigenwillige Selbstzueignug der Wahrheit. In alledem sündigt der Mensch nicht nur, sondern er erweist sich selbst als der Sünder. In allen drei Dimensionen tritt der sich selbst verfehlende Mensch in Erscheinung, dem das Chaos, das Elend und die Verlogenheit der konkreten Lebensverhältnisse entsprechen. Wenn Barth Jesus Christus als den neuen Adam diesem alten Menschen der Sünde gegenüberstellt, geht es ganz und gar nicht um ein dem alten Menschen vorzuhaltendes Vorbild, sondern um die ihm bereits entgegengestellte und ihn neu konstituierende Wirklichkeit, die der Sünde nicht nur ihr Recht, sondern ihr auch ihren Wirklichkeitsanspruch bestreitet. Diese Konsequenz entspricht genau der spezifischen Voraussetzung der Sündenerkenntnis. 5. Auch die Soteriologie folgt den Differenzierungen der Christologie und benennt drei Dimensionen der Aufrichtung des Menschen: seine Rechtfertigung, seine Heiligung und seine Berufung. Ausdrücklich widerspricht Barth der insbesondere für das Luthertum charakteristischen alleinigen Fokussierung auf die Rechtfertigung, auch wenn ihr zweifellos eine grundlegende Bedeutung zukommt. Eine an ihre Stelle gesetzte Fokussierung auf das Bekenntnis zu Jesus Christus rückt eine deutlich breitere und konsequenzenreichere Perspektive in die Aufmerksamkeit, die vor allem verdeutlicht, dass es in der Sache ja nicht um die Feststellung eines bestimmten Heilszustandes, sondern um ein durch seine Beziehung zu Gott geheiligtes Leben geht. Der Mensch wird nicht aus seinem selbstbezogenen Widerspruch in eine wiederum selbstbezogene, weil am eigenen Heil orientierte Frömmigkeit versetzt, sondern in eine exzentrische, weil in der Perspektive des Bundes zu führende Existenz. Er wird von seiner Vergangenheit befreit und der ihm verheißenen Zukunft anvertraut, ohne allerdings schon ganz seine Vergangenheit hinter sich lassen zu können. Barth beschreibt dieses Leben als ein der Selbstbezeugung Jesu Christi assistierendes Leben, das verdeutlicht, dass der Gott des Bundes auch in seiner Selbstbezeugung nicht ohne sein Volk ist. Zu dieser Berufung wird der Mensch gerechtfertigt und geheiligt. Sein Freispruch und seine Aufrichtung zu einem dem Bund entsprechenden Leben werden in den Horizont des in Christus zwar bereits durchgesetzten, aber noch zu vollendenden Heilswillens für diese Welt gestellt. Die Gnade Gottes restituiert nicht nur das verwirkte Recht des Menschen, sondern gibt dem neu begründeten Leben auch Orientierung, um es schließlich dadurch für die

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Teilnahme an der Selbstbezeugung Christi tauglich zu machen. Der Mensch wird in dem Bund mit Gott als freies Subjekt konstituiert, um so als Partner Gottes zu leben, so dass auch der Bund selbst zu der „Tatgemeinschaft“ wird, als welcher er seinem Ursprung und Ziel nach installiert wurde. 6. Es ist die Pneumatologie, in der dann die geschichtliche Gestaltwerdung der Soteriologie bedacht wird. Wenn es nun um die Kirche geht, wird nicht etwa der Staffelstab einfach an den Menschen übergeben, sondern Barth betont, dass Gott auch hier das Subjekt bleibt. Barths Rede von der Kirche als der „irdisch-geschichtlichen Existenzform Jesu Christi“ zielt weder auf ihre Privilegierung noch gar auf ihre besondere Autorisierung. Der Ton liegt auf der sich durch die Kraft des Heiligen Geistes in der menschlichen Geschichte vollziehenden subjektiven Verwirklichung des sich in Christus objektiv vollziehenden Versöhnungsgeschehens. Die drei zusammengehörigen Dimensionen des Christusgeschehens zeigen sich in der Versammlung, der Auferbauung und der Sendung der Gemeinde. Barth achtet sorgsam darauf, dass es auf der hier einzubeziehenden menschlichen Seite weder zu Abstraktionen kommt, durch welche nur einer geschichtlich leiblosen und also doketischen Kirche Anerkennung gezollt würde, noch zu Identifikationen, durch welche die festzuhaltende Sichtbarkeit der Kirche eine den Glauben transzendierende Gegenständlichkeit bekäme, die gerade dem auch für die Kirche zu betonenden Geschehenscharakter entgegenstünde. Vielmehr entspricht das Leben der Kirche dem Leben des vom Geist geweckten, genährten und gesandten Glaubens, der als solcher immer auch eine sichtbare Dimension hat, auch wenn diese ihre Verwurzelung im Glauben als solche natürlich nicht sichtbar machen kann. Das Sein der Kirche entspricht darin der Dynamik des Heiligen Geistes, dass es sich gleichsam im Glauben ereignet. Sie ist der Leib Christi, indem dieser ihr Haupt ist. Die vier Attribute des Nizänischen Glaubensbekenntnisses – Einheit, Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität – können allein von hier aus recht verstanden werden, was dann auch für ihre Gestalt(ung) gilt. Der Ton liegt auf der Beteiligung des Menschen im Bund, in dem Gott nicht für sich sein will, so dass dem „Gott mit uns“ tatsächlich auch ein „Wir mit Gott“ entspricht. Die Perspektive läuft entschieden auf die Sendung der Kirche zu, die sie vor jeder Selbstbeschaulichkeit und Weltabsonderung bewahrt und ganz und gar – selbst als ein Teil dieser Welt – in die Solidarität mit dieser Welt hineinstellt, was Barth als ein unverzichtbares Kennzeichen der Kirche (nota ecclesiae) besonders unterstreicht. Indem die Kirche in dieser ihrer Sendung existiert, wird die anhaltende Bitte um den Heiligen Geist zu dem Grundakt ihrer Existenz. 7. So sehr die Gemeinde als das von dem Bund angesprochene Volk Gottes, zu dem Barth wohl gemerkt immer auch an erster Stelle Israel rechnet, als die unmittelbare Entsprechung zum Versöhnungshandeln Gottes bedacht wird, bleibt neben der Ekklesiologie auch noch die individuelle christliche Existenz zu bedenken, die sich für Barth grundsätzlich innerhalb der christlichen Gemeinde vollzieht und sich dennoch auch von ihr als die Ebene unterscheidet, auf der die existenzielle Auseinandersetzung mit dem Willen Gottes je konkret geführt wird. Insbesondere was die Sendung der Kirche anbetrifft, werden es immer wieder vor allen Einzelne

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sein, die den nötigen Weckruf an die Gemeinde vernehmen und artikulieren. Die Gemeinde wird sich darin qualifizieren, dass sie diesen Weckruf nicht einfach von sich weist, sondern sich bereitwillig mit ihm auseinandersetzt, so wie sich auch der Einzelne/die Einzelne der vernünftigen Auseinandersetzung über den Willen Gottes in einer konkreten Situation zu stellen und sich ggf. ebenso zu korrigieren hat, wie er/sie es mit der jeweiligen Alarmierung auch von der Gemeinde erwartet. Das Prophetische geht bei Barth unmittelbar zusammen mit dem jeweils im Sinne der Menschlichkeit auch sachlich Vernünftigen angesichts des Umstandes, dass sich der Mensch nur zu gerne in den Sog von wirtschaftlichen, politischen, psychologischen oder ideologischen Verführungen begibt, die ihn dazu bringen, sich vor anderen Geistern als dem Heiligen Geist zu verbeugen und ihnen dienstbar zu werden. Das Potential des Prophetischen entwickelt ausreichend öffentliche Irritation, wenn es nur konsequent allein einer Sachlichkeit folgt, die tatsächlich der Menschlichkeit verpflichtet ist. 8. Die von Barth nicht mehr vollständig ausgearbeitete Versöhnungsethik hat ihre erkennbare Konzentration auf einem in der Anrufung Gottes zu führenden Leben, das sich als eine freie Antwort auf seine aus dem Versöhnungsgeschehen kommende Ermöglichung gestaltet. Die in diesen Horizont gestellte Wassertaufe ist zu verstehen als die ganz und gar menschliche und als solche öffentliche Antwort auf die vom Geist ausgehende „Taufe“ mit dem Glauben. Sie bezieht sich bestätigend auf die ihr vorauslaufende Begründung des christlichen Lebens in Christus und besteht in dem Eintritt und die Aufnahme in der Gemeinde. Das ebenfalls von jeder allein Gott zuzuordnenden Sakramentalität zu befreiende Abendmahl steht als Danksagung für die ebenfalls ganz und gar menschliche Erinnerung und Vergewisserung der immer wieder allein von Christus zu erwartenden Erneuerung. Wenn Barth betont jede Sakramentalität für die Kirche zurückweist, steht das Ernstnehmen der Sakramentalität Christi ebenso auf dem Spiel wie die konsequente Menschlichkeit der Antwort, mit der der befreite Mensch auf seine Befreiung reagiert. Die Exklusivität Jesu Christi als Sakrament Gottes kann nur dann in ihrer ganzen Reichweite gewahrt werden, wenn sich die Kirche konsequent auf ihre Bestimmung als Zeugin bescheidet, in der sie dazu berufen und gesendet ist, am Selbstzeugnis Jesu Christi teilzunehmen. Wenn Barth im Übrigen die Anrufung in die Mitte der christlichen Existenz stellt, steht auch hier nicht nur ihr öffentlicher Charakter in der Aufmerksamkeit, sondern vor allem die mit ihr essenziell verbundene Sendung, die sie in die tätig wahrzunehmende Solidarität mit der Welt weist, wo sie mit all den Geistern konfrontiert wird, an welche die Menschen – einschließlich der Christenmenschen – ihre Freiheit abgegeben haben, um sich dann in der Knechtschaft eben dieser Geister wiederzufinden. Es geht um die ernüchternde und zugleich verheißungsvoll befreiende Entlarvung all der besinnungslosen Besessenheiten des zeitgenössischen Lebens mit all den ja keineswegs verborgenen Verheerungen, in denen der Mensch die Welt dem heilsamen Regiment Gottes zu entziehen versucht. Die tätige Anrufung zielt auf den Selbsterweis Gottes und wird von einem Leben begleitet, das diesem so wenig wie nur irgend möglich entgegensteht.

V. Aspekte der Wirkungsgeschichte

Die Antwort auf die Frage nach der Wirkung der Theologie Karl Barths hängt ganz und gar von den Kriterien dafür ab, was als eine Wirkung wahrgenommen werden soll. Einerseits kann angesichts des Umstandes, dass es auch die theologischen Konzeptionen, die keine Anregungen von Barth aufgreifen, in der Regel nicht unterlassen, sich ausdrücklich von ihm abzusetzen, gesagt werden, dass sich zumindest bei den Zeitgenossenen Barths Einflüsse seiner Theologie in der systematischen Theologie beinahe in ihrer ganzen Breite ausmachen lassen. Andererseits kann ebenso festgestellt werden, dass sich unter einem sachlich einigermaßen strengen Maßstab diese Wirkung im Sinne einer positiven Resonanz seiner Impulse insbesondere in Deutschland, aber eben auch in der Schweiz eher als bescheiden darstellt. Wenn zudem berücksichtigt wird, dass Barth wiederholt betont darauf hingewiesen hat, dass sich seine ethischen und politischen Positionierungen in ihren Grundentscheidungen nicht einfach von seinen theologischen Entscheidungen trennen lassen, sondern vielmehr sachlich mit ihnen zusammenhängen, fällt die Resonanz noch einmal deutlich geringer aus. Allerdings lässt sich auch jede dazwischen liegende Wahrnehmung begründen. Es wird unbedingt einzuräumen sein, dass die Anerkennung seines Einflusses nicht davon abhängig gemacht werden kann, ob er „richtig“ verstanden und angemessen fortgeführt wurde oder nicht. Vielmehr sind das ja genau die Fragen, welche die Rezeption ausmachen, so dass sie nicht ihrerseits irgendwelchen Selektionen zur Bestimmung der Reichweite der Wirkungen unterworfen werden können. Vielmehr wird jede explizite und implizite Bezugnahme auf ihn seinen Wirkungen zuzurechnen sein. Auf der anderen Seite wird nicht einfach übergangen werden dürfen, dass die von Barth selbst empfundene Einsamkeit (vgl. Kap. III) nicht nur eine subjektive Fehleinschätzung war, sondern zumindest zu einem relevanten Anteil auch der Spiegel benennbarer Umstände ist, so dass die Häufigkeit der Erwähnung seines Namens nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass sein tatsächlicher theologischer Einfluss auf die Theologie und die Kirchen leicht überschätzt werden kann, zumindest hinsichtlich seiner konstruktiven Resonanz. Es wird nicht verwundern, wenn die Wirkungen Barths ein einigermaßen diffuses Bild abgeben, über dessen Bewertung sich wohl kaum ein eindeutiges Urteil abgeben lässt. Je tiefer wir in diese Frage eindringen, umso facettenreicher werden die Wahrnehmungen

Ein Überblick

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seines Einflusses. Barth teilt das Schicksal der wenigen tatsächlich großen Theologen zumindest der westlichen Theologiegeschichte wie Augustin, Thomas v. Aquin, Luther und Calvin, dass der Bekanntheit ihrer Namen keineswegs eine ausgewiesene Kenntnis ihrer inhaltlichen Beiträge zur Theologie und ihrer Geschichte entspricht. Diese ernüchternden Feststellungen schmälern aber weder die nach wie vor gegebene Ergiebigkeit seiner Schriften noch das längst nicht ausgeschöpfte Innovationspotenzial seiner Theologie. Beides kann allerdings nur entdeckt werden, wenn man sich tatsächlich auf ihn einlässt. 1. Ein Überblick Als Einstieg zur Darstellung der Wirkungsgeschichte Barths sei zunächst darauf verwiesen, dass Barth zu den weltweit am meisten übersetzten neuzeitlichen Theologen gehört, so dass sich beinahe in allen Sprachen, in denen theologische Literatur erscheint, auch Texte von Barth finden lassen. Zumindest überall dort, wo weltweit Theologinnen und Theologen nach einigermaßen akademischen Standards ausgebildet werden, kann davon ausgegangen werden, dass auch Texte von Barth in der Bibliothek greifbar sind. Das ist etwas, was nur von ganz wenigen Theologen des 20. Jahrhunderts gesagt werden kann. Gewiss bedeutet diese Feststellung noch nicht, dass er dann auch tatsächlich gelesen und diskutiert wird, aber sie zeigt doch, dass Barth als Lehrer der Kirche so etwas wie eine allgemeine „kanonische“ Anerkennung genießt; bereits 1968 sprach der amerikanische Theologe James M. Robinson von einer weit über den Protestantismus hinausweisenden „De-facto-Kanonisierung“ Barths als „Doctor ecclesiae“.1 Als zweite allgemeine Vorbemerkung soll darauf hingewiesen werden, dass die Literatur, die sich mit Barth beschäftigt, längst eine Fülle angenommen hat, die von niemanden mehr ganz überschaut werden kann, so dass sich für jede Betrachtung der Wirkungsgeschichte Barths der Hinweis erübrigt, dass ihr nicht die gesamte Barthliteratur zugrunde liegt. Es bleibt in diesem Zusammenhang der Erwähnung wert, dass das von der Wirkungsgeschichte jeweils skizzierte Bild niemals mehr als eine Rekonstruktion aus einem individuellen und somit subjektiven Blickwinkel sein kann, das sich in durchaus signifikantem Sinne verändert, wenn sich die Aufmerksamkeit von anderen Orientierungen bzw. Fragestellungen leiten lässt. Keine Präsentation der Wirkungsgeschichte Barths wird ohne eigene Pointierungen auskommen. Eine neutrale Betrachtung ist somit ausgeschlossen. Als ein sich kontinuierlich fortschreibendes, ausdrücklich der Barthforschung gewidmetes Orientierungsinstrument, das freilich nicht als repräsentativ gelten kann, ist die von Gerrit Neven 1985 in den Niederlanden begründete und heute von Georg Plasger in Verbindung mit Peter Opitz und Günter Thomas herausgegebene „Zeitschrift für Dialektische Theologie“. Bisherige Hauptaufgabe dieser Zeitschrift ist die 1

Robinson, Die ersten heterodoxen Barthianer, 13.

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Aspekte der Wirkungsgeschichte

Dokumentation der alljährlich in der Schweiz und den Niederlanden stattfindenden mehrtägigen Barth-Tagungen, die inzwischen in zweijährigem Rhythmus auch noch von Konsultationen zwischen Theologinnen und Theologen aus den Niederlanden und dem Princeton Theological Seminary ergänzt werden. Im englischsprachigen Bereich steht insbesondere die von Thomas F. Torrance und John K.S. Reid 1948 begründete Zeitschrift „Scottish Journal of Theology“ für den Diskurs über die Theologie Barths. Umfängliche und nicht nur auf die USA bezogene Hinweise sind dem seit 1990 zweimal im Jahr erscheinenden Newsletter der „Karl Barth Society in North America“ zu entnehmen, die auch über „The Center of Barth Studies“ vom Princeton Theological Seminary zu erreichen sind.2 Ein eigenes „Karl Barth-Forschungsinstitut“ unterhält auch die Theologische Universität in Debrecen.3 Handbücher zur Theologie Barths wurden bzw. werden herausgegeben von John Webster (2000), Richard E. ­Burnett (2013), Michael Beintker (2016) und George Hunsinger zusammen mit Keith L. Johnson (zur Zeit im Druck).4 Eine Zwischenbilanz des aktuellen Standes der weltweiten theologischen Barthrezeption bietet der 2012 erschienene Sammelband von Günter Thomas, Rinse Reeling Brouwer und Bruce L. McCormack (Hg.) „Dogmatics after Barth“. Für die deutschsprachige Rezeption Barths in der katholischen Theologie bis 1958 liegt eine eingehende Monographie von Benjamin Dahlke vor, in der sich Hinweise auf weitere Einzeluntersuchungen der über diesen Ausschnitt hinausgehenden Barthrezeption finden.5 Erwähnenswert ist auch ein neuerer Aufsatzband zu einer erneuten Revision des Verhältnisses zwischen Barth und Schleiermacher.6 Eine recht kurze, aber instruktive Skizze der Barthrezeption präsentiert Cornelis van der Kooi 2014 in der Zeitschrift für Dialektische Theologie.7 Deutlich umfassender, aber damit durch die Fülle beinahe zwangsläufig „erschlagend“ ist eine umfassende Sammelbesprechung der Barthliteratur vor allem der 1980er Jahre von Eberhard Busch aus dem Jahre 1995 in der Theologischen Rundschau.8 Es lassen sich nun sehr unterschiedliche Perspektiven denken, mit denen die Wirkungsgeschichte der Theologie Barths in den Blick genommen werden kann. Am naheliegendsten scheint eine differenzierte historische Nachverfolgung seines Einflusses und der von ihm provozierten Auseinandersetzungen zu sein.9 Ebenso ließe sich auch eine geographisch orientierte Wahrnehmung der unterschiedlichen Barthrezeptionen vornehmen.10 Hier wäre insbesondere der angelsächsischen Wahr  2 Vgl. die entsprechenden Links unter den Internetquellen im Literaturverzeichnis.   3 Vgl. Fazakas/Árpád (Hg.), Ist die Theologie Karl Barths noch aktuell?   4 Webster (Hg.), The Cambridge Companion to Karl Barth; Burnett (Hg.), The Westminster Handbook to Karl Barth; Beintker (Hg.), Barth Handbuch; Hunsinger/Johnson (Hg.), The Wiley Blackwell Companion to Karl Barth (zwei Bände – im Druck).   5 Dahlke, Die katholische Rezeption Karl Barths.   6 Gockel/Leiner (Hg.), Karl Barth und Friedrich Schleiermacher.   7 van der Kooi, Theologie mit Rückgrat.   8 Busch, Weg und Werk Karl Barths in der neueren Forschung.   9 So das von Beintker hg. Barth Handbuch. 10 So – jedenfalls für den europäischen Raum – Leiner/Trowitzsch (Hg.), Karl Barths Theologie als europäisches Ereignis.

Ein Überblick

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nehmung Barths eine besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Schließlich ließe sich die Barthrezeption auch unter systematischen Gesichtspunkten analysieren, indem danach gefragt wird, welche theologischen Themenbereiche und Konzeptionen in besonderer Weise von Barth befruchtet wurden – sowohl in ausdrücklicher Zustimmung als auch in sachlich begründeter Abgrenzung.11 Jede von diesen Perspektiven hat ihre Vor- und Nachteile, so dass es sich nahelegt, sie in sinnvoller Weise miteinander zu kombinieren, auch wenn sich das nicht immer elegant bewerkstelligen lässt. Aber die in Kauf zu nehmenden Unwuchten und Holprigkeiten werden durch den Vorteil aufgewogen, dass die unterschiedlichen Rezeptionen Barths in einem Prozess wahrgenommen werden, von dem die Theologie und eben auch die Ökumene insgesamt geprägt wurde, auch wenn sich dies nicht immer flächendeckend bestätigen lässt. So wie sich Barth selbst mit seiner Theologie durchgängig im Gespräch mit dem jeweiligen zeitgeschichtlichen und theologischen Kontext befunden hat, was sich in seinen theologischen Zuspitzungen niedergeschlagen hat, steht auch die Rezeption unter dem Einfluss der Themen und Debatten, von denen die jeweilige Zeit in besonderer Weise geprägt wurde. Das gilt ganz besonders für die Zeit des Kirchenkampfes und die ersten Jahre nach 1945, als die kirchenpolitische Wahrnehmung Barths die Rezeption seiner Theologie durchaus überragte, was sich auch in der folgenden Darstellung zeigt. Insgesamt bleibt festzustellen, dass diese Übersichtlichkeit spätestens seit der Jahrtausendwende immer mehr verloren geht, so dass zunehmend gleichzeitig ganz unterschiedliche Diskurse geführt werden, die nicht mehr den Ehrgeiz entwickeln, sich irgendwie aufeinander zu beziehen. Es gibt kaum noch so etwas wie eine gemeinsame theologische Großwetterlage, obwohl sich die meisten Mainline Churches durchaus vor vergleichbare Herausforderungen gestellt sehen. In Deutschland dominiert sowohl in der akademischen Theologie als auch in den Kirchen, von einigen produktiven Ausnahmen abgesehen, vor allem ein gespanntes Verhältnis zu Barth, was durchaus noch mit den teilweise unbewussten Spätfolgen der Konflikte zur Zeit des Nationalsozialismus zu tun hat, oder er spielt weithin überhaupt keine Rolle mehr. Immer noch sind beinahe allergische Reaktionen schon allein auf die Erwähnung seines Namens sehr verbreitet; bei Studierenden lässt sich hingegen eine neue Offenheit beobachten. Außerhalb von Deutschland bzw. des deutschsprachigen Raumes ist das Verhältnis zu Barth deutlich entspannter, und in den verschiedensten Zusammenhängen kann ein neues Interesse an Barth registriert werden, das nicht erst heute zu eigenen bedeutenden Beiträgen zur Barthforschung und zur Barthrezeption insbesondere im angelsächsischen Bereich geführt hat. Die besondere Pünktlichkeit der Theologie Barths hat sich allerdings auch immer wieder als eine Quelle für Missverständnisse und Vereinnahmungen herausgestellt. Gern wurde Barth entweder in den gerade bestimmenden Strom der Zeit hineingezogen oder aber – und das war häufiger der Fall – in die sich jeweils formierende 11 So im Ansatz Weinrich, Karl Barths politische und ökumenische Zeitgenossenschaft.

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Gegenbewegung. Dabei gingen dann einigermaßen regelmäßig gerade die entscheidenden Pointen seiner theologischen oder ethischen Positionierungen verloren, weil sie in den sich häufig polarisierenden Entwicklungen einfach in die eine oder andere Richtung von den sich formierenden Bewegungen mitgerissen wurden. Immer wieder hat sich Barth gegenüber solchen sogenannten Bewegungen ausdrücklich auf Distanz gehalten,12 weil er sie – möglicherweise gerade unter Anerkennung der Berechtigung ihres Engagements – für kurzschlüssige Vereinfachungen hielt, deren Errungenschaften schließlich nur zu zweifelhaften, wenn nicht gar zu ähnlich verheerenden Ergebnissen führten wie die von ihr bekämpften Umstände, von denen sie mobilisiert wurden. Er sah in ihnen vor allem die besondere theologische Existenz und die mit ihr verbundene Freiheit preisgegeben. Zugunsten der Steigerung von vordergründigen Erfolgsaussichten oder auch zur Vermeidung des eigentlichen Konfliktes wurde die theologische Einsicht allzu regelmäßig entweder von kirchenpolitischen oder sonstwie strategisch ausgerichteten Optionen dominiert und damit bis hin zur gänzlichen Unwirksamkeit geschwächt. Wenn Barth gerade in der Gegenwart sehr stark von seiner stets auf die Ethik zulaufenden Perspektive her verstanden wird,13 so kommt darin ein Wahrheitsmoment zum Zuge, in dem sich gewiss auch eine Spur seiner reformierten Prägung findet.14 Auf der anderen Seite wurde ihm auch immer wieder im Blick auf seinen vermeintlichen theologischen Purismus Weltfremdheit vorgeworfen. Diesem Vorwurf wird man insofern nicht nur widersprechen können, als es Barth in der Tat auch entschieden darum ging, dass die Christenmenschen und die Kirche nicht einfach so wie die Kinder der Welt agieren. Auch wenn er der Meinung war, dass der Mensch durch den Glauben gerade zu einer ganz besonderen Weltlichkeit befreit werde,15 so leitet sich diese aber gerade nicht aus den Bedingungen der Welt ab. Die Freiheit der Kinder Gottes erweist sich im konkreten Leben in einer radikalen Weltlichkeit, die sich nicht an den Machtalternativen dieser Welt und den von ihnen bestimmten Indienstnahmen ausrichtet, sondern im Horizont der überlegenen Macht Gottes wahrgenommen wird. Von hier aus bleibt die Insistenz zu würdigen, mit der Barth auf allen verschiedenen Ebenen die Konzentration auf den auferstandenen Christus als Scharnier für die theologische Existenz ins Z ­ entrum rückt. Insgesamt wird einzuräumen sein, dass der Kirchlichen Dogmatik im Blick auf seine Wahrnehmung und Wirkung keineswegs die größte Rolle zugemessen werden kann. Bestenfalls war es immer wieder die eine oder andere dort vorgenommene Zuspitzung, die dann gewissermaßen reizwortgesteuert in einer eher zufälligen Abstraktion den Weg in die theologischen Auseinandersetzungen gefunden hat. Nicht selten gingen die Debatten – wie z. B. in der Wahrnehmung seiner Reli12 13 14 15

Besonders nachdrücklich in: Theologische Existenz heute!, 357 (vgl. Kap. II.5). Vgl. u. a. Webster, Hunsinger, Hauerwas und Nimmo. Zu Barths reformierter Prägung vgl. Weinrich, Karl Barth – ein reformierter Reformierter. Vgl. Weinrich, Die Weltlichkeit der Kirche, 188–191.

Ein Überblick

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gionskritik – ganz und gar an dem vorbei, was ihn in seinen Überlegungen in der Kirchlichen Dogmatik bewegt hat, so dass er immer wieder registrieren musste, dass allein aufgrund von vergröbernden Mutmaßungen oder gar nur anhand von Stichwortassoziationen über ihn gesprochen wurde. Mehr als die Empfehlung, ihn tatsächlich auch einmal zu lesen, ließ sich dazu im Grunde nicht sagen. Wenn Barth zu Lebzeiten dennoch so etwas wie ein weit über die theologische Zunft hinaus wahrgenommener öffentlicher Theologe gewesen ist, so geht das einerseits auf seine rege Vortragstätigkeit, vor allem aber auf seine öffentlichen Positionierungen zu jeweils brennenden oder auch erst in ihrer Brisanz zu endeckenden Fragen in Kirche und Gesellschaft zurück. Offenkundig ist er auf höchst unterschiedliche Weise wahrgenommen worden, was sich wohl historisch nicht vollständig rekonstruieren lassen wird. Die folgenden Kapitel konzentrieren sich auf acht Wirkungszusammenhänge, die sich in den vergangenen hundert Jahren voneinander unterscheiden lassen. Die besondere Beachtung, die Barth in den 1920er Jahren erfahren hat, hängt zutiefst mit den Erschütterungen zusammen, die der katastrophale Ausgang des Ersten Weltkrieges mit sich gebracht hatte (vgl. Kap. V.2). Der zweite Schwerpunkt rückt mit den 1930er Jahren vor allem die Wirkungen Barths zur Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs in die Aufmerksamkeit, wo verschiedene Umstände erneut aufzugreifen sind, die bereits in der Darstellung seines Lebenslaufes eine Rolle gespielt haben (vgl. Kap. V.3), was dann auch für das folgende Kapitel gilt. Der weitere Verlauf des Krieges, sein Ausgang und die beginnende Neuordnung nach 1945 zeichnet sich u. a. durch eine besondere ökumenische Erweiterung seines Wirkungsbereichs aus (vgl. Kap. V.4). Im Laufe der 1950er bis zum Ende der 1960er Jahre werden die theologischen Debatten in wachsendem Maße von den Auseinandersetzungen zwischen der Wort-­ Gottes-Theologie Barths und den hermeneutischen Orientierungen von Rudolf Bultmann und seiner Einfluss gewinnenden Schule geprägt (vgl. Kap. V.5). Vom Ende der 1960er bis hinein in die 1980er Jahre – also nach dem Tode Barths – steht im Zuge eines sich politisierenden gesamtgesellschaftlichen Klimawandels, der auch die ganze Ökumene erfasst, die Interpretationshoheit über Barths Erbe als Ganzes in kontroverser Weise zur Debatte (vgl. Kap. V.6). Eine ebenso lebhaft diskutierte wie vergleichsweise einflussreiche Dimension der Theologie Barths ist ihre grundlegend neue Bestimmung des Verhältnisses von Kirche und Israel, die seit den 1980er Jahren vor allem in dem Motiv der bleibenden Erwählung Israels eine nachhaltige Wirkung auf das Selbstverständnis der evangelischen Kirchen in Deutschland und später auch in Europa hatte (vgl. Kap. V.7). Seit den 1990er Jahren wird es dann zunehmend schwieriger, die Wahrnehmung der Theologie Barths mit einer bestimmten konzeptionellen Perspektive der Theologie verbunden zu sehen; Barth hat sich durchaus von sehr verschiedenen Seiten theologisch als zugänglich erwiesen, so dass er – systemtheoretisch gesprochen – für auch einigermaßen differente Subsysteme produktiv rezipiert und fortgeführt werden kann (vgl. Kap. V.8).

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Es kann nicht darum gehen, die ganze Breite der Barthrezeption aufbieten zu wollen. Auch hier kann weniger nur mehr sein, weil es die Möglichkeit eröffnet, auf ausgewählte Beispiele dann auch ein wenig eingehen zu können. Zudem wird in diesem Kapitel die Kürze durch deutlich vermehrte und ausführlichere Hinweise in den Fußnoten kompensiert. Die Einteilung der Wirkungen Barths in verschiedene Phasen kann nicht mehr als eine Hilfskonstruktion zur Herstellung einer gewissen Übersichtlichkeit sein, aber sie sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es zu allen Zeiten auch ganz andere Wirkungen Barths gegeben hat, die gelegentlich wenigstens erwähnt werden sollen, auch wenn sie dann nicht weiterverfolgt werden können. Ein tatsächlicher Aufschluss über die Theologie Barths und die Einschätzung ihrer gegenwärtigen Relevanz kann von der Vergegenwärtigung seiner Wirkungsgeschichte nicht erwartet werden, bestenfalls ein Einblick in die realgeschichtlichen Dynamiken der besonderen Gemengelage der jüngsten Kirchengeschichte und der sie begleitenden theologischen Selbstreflexivität. 2. Die Krise und die Theologie In den seltensten Fällen fallen Krisen einfach vom Himmel. Sie haben ihre Vorboten, auch wenn diese als solche längst nicht von allen wahrgenommen werden. In der Kunst, der Literatur, aber auch in der Theologie mehrten sich etwa seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Stimmen, die den Optimismus und Fortschrittsglauben und das damit verbundene selbstgewisse Lebensgefühl mehr und mehr verfliegen sehen, weil beinahe alle Kalkulationen mit uneingestandenen oder verdrängten hohen Risiken behaftet waren. Den wirtschaftlich bedingten gesellschaftlichen Erosionen wurde innenpolitisch vor allem ein nationalistisches Pathos entgegengestellt, womit den wachsenden internationalen Spannungen ein zusätzliches Konfliktpotenzial hinzugefügt wurde. Die verschiedenen Facetten der beständig anwachsenden Explosivität können hier nicht weiterverfolgt werden, ebenso wenig wie die Frage, wie weit im öffentlichen Leben bereits der Tanz auf dem Vulkan gespürt wurde. Im Blick auf die Wirkungen Barths ist der Fokus auf die sich staatstreu präsentierenden Kirchen zu richten, denen sich auch die Theologie weithin verbunden wusste, auch wenn sie zu einem nicht unerheblichen Teil nur mit sich selber und ihrem angekratzten wissenschaftlichen Image beschäftigt war. Das Verstehen und Missverstehen Barths hing nicht zuletzt mit den unterschiedlichen Wahrnehmungen dieser dann im Ersten Weltkrieg offenkundigen Krise und den aus ihr zu ziehenden theologischen Schlüssen zusammen. Das betrifft sowohl den Zeitpunkt als auch die qualitative Dimension der erkannten und dann auf ihre Konsequenzen hin zu bedenkenden Krise. Während für Barth bereits der Ausbruch des Krieges die Katastrophe war, in der sich das vollkommene Versagen der Politik und der sie tragenden weltanschaulichen Einstellungen der Gesellschaft gezeigt hatte, erreichte diese Krise erst mit den

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beispiellosen Erschütterungen, die der Stellungskrieg durch seine vorher so nicht gekannten Zermürbungsschlachten und ihre zahllosen Opfer mit sich brachte, die allgemeine Wahrnehmung. Die Sinnlosigkeit der zu beklagenden Opfer und das auch die Bevölkerung nicht verschonende Leid und Elend widerlegten flagrant nicht nur jede Sinngebung in diesen Krieg, sondern ließen auch alle Perspektiven, für deren Erreichen das Mittel des Krieges jemals noch in Frage kommen konnte, in sich zusammenfallen. Weithin zerbrach das vorherrschende Weltbild, das bis dato grundsätzlich für tragfähig gehalten wurde, auch wenn allseits längst kritische Stimmen zu vernehmen waren. Mit den unterschiedlichen Zeitpunkten der Realisierung der Krise hängt dann auch ein unterschiedliches Verständnis ihrer Bedeutung und eben auch ihrer Überwindung zusammen. Für Barth waren es die nationale Selbstverherrlichung, der weltanschauliche Fortschrittsoptimismus und die von einer pathetisch gepflegten moralistischen Fassade verborgen gehaltenen rücksichtslosen wirtschaftlichen Ambitionen, denen der Kriegsausbruch die nicht zuletzt von der Religion und d. h. vom christlichen Glauben gestützte Maske vom Gesicht riss. Der Barth mobilisierende Skandal und somit der eigentliche Abgrund dieser Krise bestand in der Beteiligung der Kirche und ihrer Verkündigung sowie auch der akademischen Theologie an diesem besinnungslosen und selbstzerstörerischen Treiben. Sie scheuten nicht davor zurück, den verwegenen politischen Feldherrn und ihren militärischen Vollstreckern auch noch Gott zur Assistenz an ihre Seite zu stellen. Damit war nun auch die letzte Grenze überschritten, welche die Rede von Gott noch vor der Preisgabe des letzten Restes an Widerständigkeit hätte schützen können. Die Kirchen hatten sich zumindest in ihrer öffentlichen Präsentation weltanschaulich prostituiert und Gott damit zu einem widerstandslosen Spielball für menschlicher Interessen und Befindlichkeiten gemacht. Für Barth bestand die Pointe darin, dass er die Kirchen daran beteiligt sah, sich selbst und eben auch die anderen um Gott zu betrügen. Genau besehen ist das der frevelhafteste und unverschämteste Betrug, der sich denken lässt, und seine Folgen zeichneten sich nach seiner Wahrnehmung bereits allseits ab. Barths Interpretation der Krise artikulierte sich in einer massiven Anklage, mit der er vor allem die Kirche und die Theologie konfrontierte, indem er ihnen nichts Geringeres als den Vorwurf des Götzendienstes entgegenhielt. Es war dieser aus seiner theologischen Existenz heraus formulierte Vorwurf, durch den für ihn die Krise eine bestimmte Gestalt bekommen hatte, die ansonsten zum Zeitpunkt des Kriegsausbruchs noch keineswegs allgemein in den Blick gekommen war. Eher wurde die Erfahrung zunächst von genau der entgegengesetzten Regung erfasst, obwohl es zweifellos auch düstere Prognosen gab, die aber so gut es ging propagandistisch unter der Decke gehalten wurden. Barth entzog mit seiner Kritik dieser Propaganda mit Gott nun gleichsam ihren Aufhänger. Für ihn galt es, auf den skandalösen Missbrauch Gottes aufmerksam zu machen. Gott ist nicht da, wo wir ihn jeweils gerade, aus welchen Gründen auch immer, hinstellen wollen. Im religiösen Betrieb der Kirchen kam Gott recht verstanden gar nicht mehr vor. Im Ver-

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ständnis von Barth tauchte er nur noch dazu auf, ihn de facto möglichst wirksam fern zu halten. Gott sei der Kirche und der Theologie gleichsam entglitten, er sei ein Fremder geworden, ein Verborgener. Er müsse unter den gegebenen Umständen in seiner Andersartigkeit ganz neu im biblischen Zeugnis gesucht werden. Alles werde darauf ankommen, das Hören auf das biblische Zeugnis nicht durch unsere methodischen Kanalisierungen und interessengeleiteten Erwartungshorizonte so zu manipulieren, dass es mit seinem eigenen Anliegen im Grunde gar nicht zum Zuge kommen könne.16 Die dann später allgemein empfundene Krise war durchaus eine andere, und die hier zu registrierende Differenz spielt für die Rezeption Barths in dieser Zeit eine keineswegs randständige Rolle. Das wird schon deutlich in dem grundsätzlich anderen Entdeckungszusammenhang, in dem sie in Erscheinung trat, nämlich in dem unsäglichen Leiden, das der Krieg in seinem Verlauf dann bald mit sich brachte und damit alle überkommenen Verlässlichkeiten erschütterte und in Frage stellte. Diese Krise zog ihre Überzeugungskraft aus der Evidenz einer offenkundigen Erfahrung, der im Grunde niemand ausweichen konnte. Sie entsprach also eher, nun allerdings mit entgegengesetztem Vorzeichen, einer Erfahrung wie die, in der Martin Rade 1914 in seinem Briefwechsel mit Karl Barth die „Seele meines Volkes“ für diesen Krieg eingenommen und mobilisiert beschrieb.17 War es 1914 die pathetisch zelebrierte Gemeinschaftlichkeit im Einstehen für diesen Krieg, so waren im weiteren Verlauf des Krieges daraus die Not und Ausweglosigkeit geworden, in der es nun zu beten galt, um wieder einer besseren Zeit entgegensehen zu können. Es hatte sich gezeigt und war nun bußfertig einzugestehen, dass Gott nicht einfach unsere Erwartungen bedient, so dass angesichts der auch selbst beförderten Katastrophe ein neuer Zugang zu Gott gesucht werden musste. In seinem berühmten Essay mit dem programmatischen Titel „Zwischen den Zeiten“ setzte Friedrich Gogarten, der 1914 noch pathetisch die religiöse Tiefe von Johann Gottlieb Fichtes Deutschem Idealismus gepriesen hatte,18 als letzten Rückzugsort darauf, dass „ein Keim von Wissen des Anderen, des Nicht-Menschlichen in uns sein muß“, denn immerhin hätten wir „ein dunkles Ahnen der Antwort und sind froh, daß es langsam, langsam heller wird.“19 Die Orientierungslosigkeit und die Not sowie ihre Überwindung standen bei Gogarten im Zentrum und nicht die von Barth exponierte Gottesfrage. Trotz allem Versagen und Verkennen Gottes sah Gogarten im Menschen ein Jenseits der Krise verankert, auch wenn sich dies im Moment noch nicht recht benennen lasse, und es sollte sich dann auch bald zeigen, dass dem Menschen dieses Jenseits im Du des anderen Menschen und dann zu Beginn der 1930er Jahre auch im Volksnomos entgegenkam, durch welches das Ich autoritativ aus seiner Selbstverschlossenheit wieder herausgerufen und in die Pflicht 16 17 18 19

Vgl. Barth, Die neue Welt in der Bibel (1916!). Barth/Rade, Ein Briefwechsel, 109 f. Gogarten, Fichte als religiöser Denker. Gogarten, Zwischen den Zeiten, 98 u. 96.

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genommen werde.20 Die sich dann Schritt für Schritt zu einem offenen Gegensatz entwickelnde anfängliche Nähe zu Barth war von vornherein nur teilweise gegeben, was mit den recht unterschiedlichen Perspektiven auf die eben nur scheinbar gemeinsam wahrgenommene Krise zusammenhängt. Vermutlich ist ein Teil der enormen Resonanz, die Barth in der Nachkriegszeit erfuhr, der Virulenz des allgemeinen Krisenbewusstseins geschuldet, das keineswegs mit dem übereinstimmte, was Barth aus seiner Sicht als die Krise identifiziert und dann auch weiter reflektiert hatte. Erst die weitere Entwicklung hatte dann erkennbar werden lassen, dass ein Teil der Barth gezollten Zustimmung auf Missverständnissen beruhte, vor denen sich auch Barth selbst in der Dynamik seines expressionistischen Gestus nicht wirklich schützen konnte. Im Vorwort der fünften Auflage seiner Römerbriefauslegung fragte sich Barth auch selbst – inzwischen Professor in Münster –, ob er nicht „als Knecht des Publikums“ zu sehr dem entsprochen habe, „wonach den Leuten die Ohren jückten, was nach dem Kriege speziell in Deutschland sozusagen in der Luft lag, was den besonderen ‚Archonten dieses Äons‘ in unserer Zeit genehm und willkommen war – dass ich damit gestraft werde musste, ziemlich weitgehend Mode zu werden“21. Dahinter stand die nahe liegende Vermutung, dass er vor allem mit den nun einmal gegebenen historischen Umständen verrechnet wurde, in denen er sich Gehör zu verschaffen versuchte, so dass zu erwarten stand, nun früher oder später der nächsten Mode Platz machen zu müssen. Barth hat die Bedeutung der besonderen historischen Umstände keineswegs verleugnet, aber sie waren für ihn und für seinen ständigen Gesprächspartner Eduard Thurneysen die Veranlassung für eine weit über sie hinausgehende grundsätzliche Intervention, nach der es galt, Gott als den ganz Anderen gegenüber dem religiös eingemeindeten und vom Menschen in seinen eigensinnigen Dienst gestellten Gott im Lichte des biblischen Zeugnisses ganz neu zu entdecken. Damit stand für die beiden die Substanz der neuzeitlichen Anthropologie, die Historisierung der Geschichte und das ganze Wirklichkeitsverständnis zur Debatte, die sämtlich so angelegt waren, dass sich Gott als ein eigenes freies Subjekt, das dem Menschen und seiner Geschichte gegenübersteht, grundsätzlich nicht mehr mit ihnen vereinbaren ließ. Barths besondere Sperrigkeit bestand gerade darin, dass er sich nicht damit zufriedengeben wollte, jetzt vor allem einen gangbaren Ausweg aus der Krise zu finden, eben mit oder ohne religiöse Sozialisten. Für ihn stand nicht die Frage nach der Effektivität an erster Stelle bzw. die intellektuelle Erklärungskraft der Krisenwahrnehmung, sondern die Verantwortbarkeit menschlicher Gottesrede, die dann freilich auch etwas mit dem zu tun hatte, wie dann praktisch mit der Krise umzugehen war. Die Reaktionen auf seinen berühmten Tambacher Vortrag (1919), der Barth zwar in Deutschland bekannt gemacht hatte, zeigen deutlich, wie wenig Barth sich tatsächlich verständlich machen konnte. Wenn Barth von dem Christ in der Gesellschaft sprach, ging es nicht um eine Neujustierung des Christentums oder gar 20 Vgl. dazu Weinrich, Der Wirklichkeit begegnen, 131 ff. 21 Barth, Der Römerbrief (Zweite Fassung), 35.

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um seine von Barth nun erwartete so oder so geartete Einweisung in den religiösen Sozialismus, sondern es ging ihm um den gegenwärtigen Christus, der unter allen Umständen davor zu bewahren sei, nun „zum soundsovielten Male“ säkularisiert und damit verraten zu werden, indem er erneut in den Dienst einer unserer historischen Optionen – jetzt eben die des religiösen Sozialismus – gestellt werde.22 Gewiss wird einzuräumen sein, dass es Barth seinen Hörern und Leserinnen nicht gerade leicht gemacht hatte, ihn zu verstehen, so dass es nicht nur verwunderlich ist, wenn er sich immer wieder mit der Situation konfrontiert sah, nicht wirklich verstanden zu werden. Vollkommen unzugänglich blieb Barth den Repräsentanten der überkommenen Theologie, welche die Theologie von den schwierigen zeitgeschichtlichen Umständen im Grundsatz nicht unmittelbar berührt sahen. Hier ist weithin zu konstatieren, dass es im Grunde keine produktiven Schnittmengen mehr gab, so dass im Wesentlichen aneinander vorbeigeredet wurde, wie sich besonders in der 1923 in der „Christlichen Welt“ ausgetragenen Auseinandersetzung zeigen lässt. Der prominente Vertreter der liberalen Theologie und einst verehrte Lehrer Barths, Adolf von Harnack, erhob massiv verschnupft den Vorwurf, dass die von Barth bestimmte Theologie in „unkontrollierbarer Schwärmerei“ an allen wissenschaftlichen Erkenntnissen vorbei „einen erträumten Christus“ propagiere. Barth sah dagegen die Wissenschaftlichkeit der Theologie an die von ihr zu wahrende Sachlichkeit gebunden, die allerdings nur dann als gegeben betrachtet werden könne, wenn sie dem Umstand Rechnung zu tragen wisse, dass der von ihr zu behandelnde Gegenstand ihr nicht einfach als Objekt zur Verfügung stehe, sondern als eine eigene lebendige Wirklichkeit anzusehen sei, die immer schon und eben auch heute in einer zu bedenkenden lebendigen Beziehung zum Menschen stehe. Auch wenn sie eine historische Dimension haben möge, sperre sich die von Gott aus in den Blick zu nehmende Geschichte gegen jede Historisierung. Es war dann der von Barth ins Zentrum gerückte Begriff der Offenbarung, der Harnack schließlich die Auseinandersetzung abbrechen ließ, weil er damit den Bereich seriös argumentierender Wissenschaft verlassen sah.23 Die unterschiedlichen Facetten der sich um Barth gruppierenden Theologen und damit auch die verschiedenartige zeitgenössische Rezeption der Impulse Barths spiegelte sich besonders in der 1922 zusammen mit Friedrich Gogarten, Eduard Thurneysen und Georg Merz gegründeten Zeitschrift „Zwischen den Zeiten“ wider. Die dieser Richtung im gleichen Jahr angehängte schillernde Bezeichnung als „Dialektische Theologie“, mit der sich Barth – wenn auch ungern – zu arrangieren wusste, sorgte innerhalb seiner Sympathisanten für unterschiedliche Auslegungen.24 Es entstand schnell eine sich auch über den deutschen Sprachraum erstreckende intensive 22 Barth, Der Christ in der Gesellschaft, 557, 560. 23 Vgl. Barth, Offene Briefe 1909–1935, 55–88; vgl. dazu Drewes, Die Auseinandersetzung mit Adolf von Harnack; Rumscheidt, Revelation and Theology. 24 Vgl. dazu die beiden Quellenbände Moltmann (Hg.), Anfänge der dialektischen Theologie, Teil 1 und 2.

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kontroverse Debatte über Barth und die dialektische Theologie, die es immerhin bereits 1927 zu einem veritablen Artikel im ersten Band der zweiten Auflage der RGG brachte, der im Blick auf die Wirkungsgeschichte Barths nicht nur wegen der aufgeführten Literaturauswahl überaus lesenswert bleibt.25 Zugleich lässt sich registrieren, dass wohl ein großer Teil des akademischen Betriebs der Theologie sich nur marginal oder eben gar nicht von diesem Neuaufbruch der Theologie berühren ließ. Ferdinand Kattenbusch würdigte in seiner 1926 erneut überarbeiteten Geschichte der evangelischen Theologie die mit dem „rätselhaften Namen“ ‚dialektische Theologie‘ oder ‚Theologie der Krise‘ benannte theologische Richtung, die er vor allem mit Karl Barth verband,26 als eine im Grunde anachronistische Erscheinung. Er spricht in seiner kurzen Betrachtung von einer Bewegung, die er als eine antihistoristische biblische ‚Erweckung‘ vergleichbar der auf den Rationalismus folgenden Erweckung im 19. Jahrhundert charakterisierte (117). Dabei verwies er betont auf den Umstand, dass sich die Schweizerischen Wurzeln dieser Theologie an einem vorneuzeitlichen Calvin orientierten, was schon an sich nicht anders als eine Warnung zur Vorsicht zu verstehen war. Selbst der Lutheraner Gogarten unter den Reformierten Barth, Brunner und Thurneysen verstehe Luther so, „als ob er sich in Calvin besonders erneuert oder fortgesetzt habe“ (126), so dass Kattenbusch auch einfach nur von den „Schweizern“ mit und ohne Anführungszeichen sprechen konnte (152 f). In einem überlebten Sinne könne dieser Bewegung mit ihrer ‚pneumatischen‘ Exegese, die im Grunde nur eine dogmatisch perspektivierte Homilie vortrage, in gewisser Weise ein authentischer Rekurs auf die Reformation attestiert werden (126 f), aber sie verschreibe sich dabei einer quietistischen Passivität unter einem unmittelbar aus dem Himmel agierenden Gott, auf den der Mensch grundsätzlich nur warten könne. In dieser Zuspitzung befindet sich nach Kattenbusch die Theologie der Krise auf einer Parallele zum rigorosen Kulturpessimismus von Oswald Spengler (128). Ich habe bei Barth den Eindruck, ihm bedeute das Fortleben der Menschheit ‚nach dem Falle‘ eigentlich nur die Produktion einer ‚Menge‘ von Menschen, die nun gewiß nicht tun mögen, was sie gelüstet, die aber doch nichts von Belang zu tun haben, die Gott alle nur in desperatio [Verzweiflung] (daß Barth hinzufügt fiducialis [zuversichtlich], übersehe ich nicht, aber die ‚fiducia‘ kommt nur den ‚Erwählten‘ zugute!) treibt. (155)

Nicht weniger aufschlussreich lesen sich die aus Sympathie für Barth verfassten temperamentvoll formulierten „Randglossen zum Barthianismus“ aus der Feder von Paul Schempp, die im letzten Heft des Jahrgangs 1928 von „Zwischen den Zeiten“ erschienen sind und entschieden der von Kattenbusch unterstellten Einmütigkeit der dialektische Theologie widersprachen. Schempp stellte dem Anschein der überwältigenden Resonanz Barths in der zeitgenössischen Theologie seine Wahr25 Fricke, Art. Dialektische Theologie. 26 Kattenbusch, Die evangelische Theologie seit Schleiermacher, 125 (Seitenangaben im Text).

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nehmung entgegen, dass die dialektische Theologie – er selbst spricht vom Barthianismus – ebenso vielfältig sei, wie die Akteure, die sich ihr angeschlossen hätten bzw. konstruktiv mit ihr auseinandersetzten, so dass „Barth heute noch genau so einsam […] wie vor zehn Jahren“ sei,27 weil sich nach seiner Erkenntnis bis dato „Barth und Barthliteratur“ faktisch gegenseitig ausschlössen (304). Zwar gebe es „eine Front der Dialektiker“, die mehr oder weniger in jedes theologische Seminar hinreiche, aber „trotzdem kämpft jeder auf eigene Faust“ (309).28 Schempp lässt in seinem Statement die seinerzeit relevanten Positionen Revue passieren, so dass es schon deshalb für die Entdeckung der frühen Rezeptionsgeschichte Barths von Interesse ist. Dabei beklagt er allerdings, dass inzwischen der „Modus der Selbstanklage“ zur probaten Stütze des Bestehenden geworden sei (305), der man sich gleichsam kostenlos bedienen könne. Einigermaßen bissig heißt es: Barth macht Schule, weil seine Theologie der heutigen Geisteslage mehr entspricht als andere Theologieen, weil das sacrificium intellectus für solche, die hier wenig zu opfern haben, ein Vergnügen ist, weil die Paradoxie tiefsinnig erscheint, weil die Kritik am Morbiden für Schwächlinge schon eine Kraftleistung ist, weil durch ihn Theologie wieder interessant, problematisch, existenzberechtigt, ein Asyl für Zweifler und Gläubige und die ganze Schar der religiösen Zwischenstufen geworden ist. Überall, und so auch in Beziehung auf die Theologie selber, wird allzu rasch von der Anklage zur Rechtfertigung fortgeschritten und auf der ganzen Linie ist statt Krieg Diplomatie, statt Scheidung Ausgleich, statt Ja oder Nein des Glaubens das Ja und Nein der theologischen Spekulation herrschend geworden und bei dem großen Radius, den Barths Theologie besitzt, wäre es ein Wunder, wenn nicht fast jeder Theologe einige Punkte aufzählen könnte, bei denen er triumphierend sagen kann: das habe ich schon längst ‚vertreten‘ – so glaubt sich z. B. Wobbermin im Kampf gegen den Psychologismus Barth um einige Jahre voraus […]. Ein Wunder wäre es auch, wenn nicht jeder auch seinen eigenen Feind in Barth hineinlesen könnte, und ein Wunder, wenn nicht überall der Versuch auftauchen würde, Barth zu beweisen, daß er nach der einen oder anderen Seite noch nicht konsequent genug sei, daß er gut daran täte, sich noch etwas weiter zu entwickeln, oder umgekehrt ihm zu raten, einige Radikalismen auf ein erträgliches Maß zu reduzieren oder einige Atavismen abzubauen. Man könnte fast sagen, die Diskussion um Barth beginnt allmählich so langweilig und gemütvoll zu werden wie eine theologische Freizeit. Ein paar Abwehrmaßregeln und ein paar Umstellungen im Gedankenapparat und Barth ist kirchen-, fakultäts- und salonfähig geworden. (305 f) Es ist zu sagen, daß die Literatur für Barth fast durchweg […] nicht besser ist als die gegen Barth. (309)

Schempp beklagte hier karikierend die Art und Weise, wie es der Theologie gelinge, nicht nur dem Anliegen Barths durch unablässige Haarspaltereien auszuweichen, 27 Schempp, Randglossen zum Barthianismus, 303 (Seitenangaben im Text). 28 H. M. Müller hat im gleichen Jahr die dialektische Theologie als Phantom bezeichnet: Credo, ut intelligam, 175.

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sondern es mehr noch durch seine Eingemeindung gänzlich seiner sachlichen Spitze zu berauben, als „Ja- und Aber-Theologie“ (309), die er im Ganzen für charakteristisch hielt. Früher oder später ereile dies Schicksal freilich jeden Neuaufbruch, aber es hat den Anschein, dass Schempp der Ansicht war, Barth habe für seinen Neuaufbruch im Grunde niemals eine realistische Chance zugestanden bekommen, worin der den Text durchziehende Verdruss mit seinen Überzeichnungen seinen Grund haben mag. Dennoch wird davon auszugehen sein, dass Schempp mit seinen Einschätzungen nicht vollkommen an der tatsächlichen Situation vorbeigeredet hat. Fünf Jahre später bestätigte Barth in einer freilich veränderten Situation im Herbst 1933 aus seiner Sicht weithin diese Einschätzungen und kündigte seine weitere Mitarbeit an der Zeitschrift „Zwischen den Zeiten“ auf, deren Erscheinen daraufhin eingestellt wurde.29 3. Die Königsherrschaft Jesu Christi Dem Ende von „Zwischen den Zeiten“ gingen im Jahre 1933 die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler und die beinahe einhellige Begeisterung, die diese Ernennung bei den evangelischen Kirchen auslöste, voraus. Barth war geschockt von all den eilfertigen und vollmundigen Gratulationsbekundungen der Kirchen an Adolf Hitler. Seine demonstrative Konzentration auf eine von den einschneidenden politischen Veränderungen unberührte Theologie, wie sie in seinem ausdrücklich „zur Sache“ und eben nicht „zur Lage“ formulierten Statement „Theologische Existenz heute!“ (erschienen am 1. Juli 1933) hervorgehoben wurde, sollte nicht anders als eine durchaus abgeneigte Distanzierung verstanden werden und wurde auch so verstanden. Man wird dem Historiker Günther van Norden zustimmen können, wenn er feststellt, dass die hier von Barth im Blick auf die Autonomie der Kirche gezogene Widerstandslinie „schon sehr viel im hysterischen Gleichschaltungsjubel des Sommers 1933“ gewesen sei.30 Die Verkündigung Jesu Christi „ohne alle Zeitprophetie“ verstand Barth als die „gediegenste und auch kühnste Gegenwehr“ gegen die nationalsozialistische Erhebung.31 Wenn sich Barth energisch gegen die Gleichschaltung der Kirche mit dem Staat aussprach, verstand er die Kirche als „die naturgemäße Grenze jedes, auch des totalen Staates“.32 Es wurde mehr und mehr deutlich, dass theologische Entscheidungen unmittelbare politische Implikationen mit sich brachten. Barth legte unermüdlich den Finger darauf, dass Theologie und Kirchenpolitik nicht auseinanderdriften dürfen. Damit war der Boden für andauernde und ebenso leidenschaftlich wie zugleich nur intern auszutragende Konflikte bereitet, in denen unablässig theologisch klare 29 30 31 32

Vgl. Barth, Abschied. v. Norden, Die Weltverantwortung der Christen, 46. Barth in einem Brief vom 19.10.1933 an einen Vikar, Briefe des Jahres 1933, 457. Barth, Theologische Existenz heute!, 362.

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und durchaus auch einigungsfähige Einsichten vor allem auf die so überaus empfindlich gewordene kirchenpolitische Waage gelegt und beinahe regelmäßig als zu schwer und somit als gerade jetzt nicht durchschlagend bewertet wurden. Gewiss war es nicht Barth allein, aber er war es eben insbesondere, der in dieser Zeit vor allem den Kirchenleitungen in ihrem häufig in vorauslaufendem Gehorsam selbstsichernden Vermittlungskurs mit seinen theologischen Interventionen permanent ein schlechtes Gewissen machte. Die Feststellung ist keineswegs übertrieben, dass er in der neuen Situation unversehens zu einem weithin bestgehassten, zumindest aber beinahe allseits gefürchteten Ärgernis wurde, der berühmte Stachel im trägen Fleisch, der vor allem deshalb so schmerzhaft war, weil durchaus auch gespürt wurde, dass ihm im Grundsatz theologisch so einfach nicht zu widersprechen war. Das war eine auch psychologisch äußerst bedrängende Gemengelage, deren Nachwirkungen sich bis heute in einer sich nur langsam abschwächenden ausdrücklichen Barthabstinenz insbesondere der lutherischen Kirchen in Deutschland ausmachen lassen. Wie bereits erwähnt, gibt es nach wie vor im Unterschied zu wohl allen anderen Ländern in Deutschland zu Barth kein entspanntes Verhältnis, nicht zuletzt, weil man sich bis heute nicht auf das von Barth schon seinerzeit reklamierte Versagen ansprechen lassen möchte, das immer noch subkutan als ein weithin unaufgearbeiteter Schatten auf den Kirchen lastet. Gleichwohl war es Barth und seinen zunächst nur wenigen Mitstreitern doch gegeben, insbesondere infolge der skandalösen Sportpalastkundgebung der Deutschen Christen am 13. November 1933, durch die Barths Diagnosen nun auch für die allgemeine Wahrnehmung in beschämender Weise bestätigt wurden, einen bescheidenen, auch kirchlich getragenen Widerstand gegen die Eingliederung der Kirche in den nationalsozialistischen Staat zu mobilisieren, der sich mit höchst unterschiedlicher Entschlossenheit bald in der sogenannten Bekennenden Kirche versammeln sollte. Zunächst wurde im September 1933 als Protest gegen die Übernahme des Arierparagraphen durch die Kirchen der Pfarrernotbund gegründet, zu deren ersten Mitgliedern auch Dietrich Bonhoeffer und Martin Niemöller gehörten und dem bis zum Januar 1934 mit ca. 7000 Pfarrern immerhin etwa ein Drittel der deutschen Pfarrerschaft angehörte, aus deren Reihen sich auch unter Beteiligung von einzelnen Gemeinden, die sich von ihren deutsch-christlichen Pfarrern distanzierten, dann die Bekennende Kirche formierte. Deren Begründung fiel allerdings zugleich auch mit ihrem Höhepunkt zusammen. Die vom 29.–31. Mai 1934 in Wuppertal-Barmen zusammengekommene konstituierende Synode der Bekennenden Kirche erhob mit ihren 139 Synodalen aus 25 Landes- und Provinzialkirchen mit der einmütig verabschiedeten Barmer Theologischen Erklärung den Anspruch, die wahre und rechtmäßige Vertretung der Deutschen Evangelischen Kirche zu sein. Die Barmer Theologische Erklärung geht bekanntlich maßgeblich auf einen weithin übernommenen Entwurf von Karl Barth zurück. Dass dieser Start der Bekennenden Kirche zugleich auch als ihr Höhepunkt zu benennen ist, zeigte sich dann auf den bis zum Februar 1936 folgenden vier weiteren Bekenntnissynoden auf Reichsebene zunehmend deutlich. Vereinfachend gesagt,

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waren es in erster Linie die auf Fehleinschätzungen beruhenden strategischen Fehler der Deutschen Christen und eben nicht eine beginnende Widerständigkeit der Kirchen gegen den Nationalsozialismus, die den durchaus überraschenden Erfolg der Bekennenden Kirche ausmachte. Nicht einmal ein Jahr vor der Barmer Bekenntnissynode konnten die Deutschen Christen mit einem Erdrutschsieg zwei Drittel der Presbyterien und Kirchenräte für sich gewinnen. Man kann sich wohl kaum das von der konkreten Situation in der Bekennenden Kirche zusammengebrachte Spektrum an Einstellungen weit genug vorstellen, zu dem durchaus auch gemäßigte Deutsche Christen gehörten. Aber die Empörung über den Exzess der Sportpalastkundgebung und das dreiste Vorgehen des Staates und des von ihm eingesetzten Kirchenregiments gegenüber den gewachsenen Strukturen war offenkundig nicht nachhaltig genug, um zu verhindern, dass die in Barmen gespürte Einmütigkeit schon sehr bald wachsenden Differenzen in den kirchenpolitischen Konsequenzen wich, so dass die erreichte gemeinsame theologische Positionierung entweder durch unterschiedliche Interpretationen aufgeweicht oder als solche wieder in Frage gestellt wurde. So ist es nicht überraschend, wenn Barth auch in den Reihen der Bekennenden Kirche zunehmend als Störenfried empfunden wurde. Seine theologisch ausgewiesenen Positionen wurden in der allgemeinen Wahrnehmung als nicht zeitgemäße und realitätsferne Maximaloptionen verstanden. Damit stand Barth den bestandswahrenden Konfliktvermeidungsstrategien der überwiegenden Mehrheit entgegen. So hilfreich Barth zunächst in der Auseinandersetzung mit den dumm-dreisten Exzessen der Deutschen Christen gewesen sein mag, als so belastend wurde er nun empfunden, nachdem diese auch durch den Staat, der sich offensichtlich nicht in einen offenen Konflikt mit der Kirche begeben wollte, ein wenig gezähmt wurden. Es schien sich so etwas wie ein gegenseitiges Arrangement zwischen Staat und Kirche abzuzeichnen, mit dem auch der größte Teil der Bekennenden Kirche leben konnte, welches nun nicht von Barth und seinen Anhängern gefährdet werden sollte. Innerhalb der Bekennenden Kirche kam es zu einem regelrechten Tauziehen um die weitere Einbeziehung bzw. Ausgrenzung Barths, in dem schnell deutlich wurde, dass die Position, die um Barth herum vertreten wurde, kontinuierlich schwächer wurde und an Einfluss verlor. Auch in der Bekennenden Kirche gab es Aktivitäten, die darauf ausgerichtet waren, Barth in Deutschland endgültig loszuwerden.33 Der Landesbischof der gastgebenden Kirche der dritten Bekenntnissynode in Augsburg vom 4.–6. Juni 1935, Hans Meiser, machte seine Teilnahme an der Synode davon abhängig, dass Barth dieser Synode fernbleibe. Wenig später – jetzt schon aus der Schweiz – schrieb Barth an Gotthilf Weber, dass es an der Zeit sei, dass sich die Bekennende Kirche nun doch endlich von der Illusion zu verabschieden habe, dass „der eigentliche Gegner einer bekennenden Kirche nicht der nationalsozialistische Staat als solcher sei.“34 Diese beiden Signale verdeutlichen, wie sehr die Ent33 Vgl. zum Ganzen Prolingheuer, Der Fall Karl Barth 1934–1935. 34 Barth, Offene Briefe 1909–1935, 358.

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wicklungen tatsächlich auseinanderliefen. Die wenigen Sympathisanten, ihm noch gebliebenen waren, wandten sich dann 1938 beinahe vollständig von ihm, als sein berühmt berüchtigter Brief an Josef Hromádka35 bekannt geworden war. Seit dieser Zeit kam es immer wieder dazu, den theologischen Barth ausdrücklich von dem politischen Barth zu unterscheiden bzw. ersteren gegen letzteren auszuspielen, was dann auch nach 1945 eine Fortsetzung fand. Für Barth stand wie 1914 wiederum die Gottesfrage im Zentrum der geforderten Selbstverständigung, die er nun in dem Bekenntnis der Kirche zu Jesus Christus in aller Konsequenz gestellt sah. Es ging um die maßgebliche Anerkennung, dass die Kirche auf dem in Jesus Christus gesprochenen Wort Gottes gründet oder eben nicht Kirche sein kann. Barth war sich durchaus darüber im Klaren, dass es keineswegs selbstverständlich war, dass sich die Kirche angesichts des drohenden Verlustes der Fleischtöpfe Ägyptens für die bisher weithin unerprobte Freiheit ihrer theologischen Existenz entscheiden würde. Es ist durchaus aussagekräftig, wenn Barth im Rückblick auf dem Hintergrund der historischen Gegebenheiten die Barmer Theologische Erklärung als ein Wunder bezeichnet, das sich an der Kirche vollzogen habe: Was zu erwarten war, war dies, daß die Kirche, nachdem sie der Versuchung in ihren früheren, feineren Formen so oft erlegen war, ermüdet, farbenblind geworden und innerlich ausgehöhlt, dem Ansturm der groben Versuchung erst recht und endgültig erliegen werde. Daß das nicht geschah, daß das Wort Gottes nun dennoch auf dem Plane war, in derselben Kirche, in der es so oft verleugnet und verraten worden war, daß die Menschen vor dem Spuk der Schreckgestalt des neuen Gottes und seines Messias immerhin noch so erschrecken konnten, um ihr nicht zu verfallen, daß sie überhaupt in die Lage kamen, zu erkennen, daß es eine andere Möglichkeit als die des Sturzes ins Bodenlose gebe […], war aber doch […] ein Wunder vor den Augen derer, die es aus der Nähe gesehen haben. Und so war der erste Satz von Barmen nun nicht nur ein Theologenfündlein – die Lage im Frühling 1934 war nicht eben so, daß man in Deutschland mit Theologenfündlein sein Glück machen konnte – sondern im Grunde ganz schlicht eine öffentliche Rechenschaftsablage eben über das Wunder, das wider alles Erwarten wieder einmal an der Kirche geschehen war. (KD II/1, 198)

Diese Wahrnehmung Barths, die einiges über seine Einschätzung der tatsächlichen Lage sagt, annonciert die exponierte Bedeutung der Barmer Theologischen Erklärung, auf die sich Barth auch in seiner Kirchlichen Dogmatik immer wieder bezogen hat.36 Für ihn war sie das grundlegende Dokument, von dem er dann auch in seinem später von der Schweiz aus fortgeführten Widerstand gegen den Nationalsozialismus in der von ihm angesprochenen Ökumene kirchenpolitischen Gebrauch gemacht hat (vgl. Kap. II.5). Auch wenn die Formulierung erst später auftaucht, ging es auch schon in der Barmer Theologischen Erklärung von 1934, das mit guten

35 Vgl. Barth, Offene Briefe 1935–1942, 107–133. 36 Vgl. Weinrich, God’s Free Grace and the Freedom of the Church.

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Gründen heute als das Barmer Bekenntnis bezeichnet wird,37 um die für die Kirche orientierende Königsherrschaft Jesu Christi, die auch den Staat in seine Verantwortung weist und ihm somit eine Grenze setzt. Barth ging es ausdrücklich nicht um eine politische Positionierung, vielmehr beklagte er ausdrücklich, dass die Kirche fernab von allen theologischen Vergewisserungen unablässig mit ihren politischen Positionierungen herumtaktiere. Aus seiner Perspektive darf die Politik allein als eine unvermeidliche Konsequenz der Wahrung der theologischen Existenz der Kirche in den Blick kommen, der dann allerdings auch nicht ausgewichen werden darf. Auch in der Schweiz, von wo aus Barth seinen Versuch fortsetzte, die Bekennende Kirche in ihrem Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu unterstützen, und sich dazu auch an die Ökumene wandte, stieß er auf durchaus vergleichbare Empfindlichkeiten und Ablehnung, die von öffentlicher Kritik und aufgebrachter Empörung, Ermahnungen bis hin zu administrativen Maßnahmen der Schweizer Zensur, Briefkontrollen und Telefonüberwachung führten. Eberhard Busch berichtet, dass bereits im November 1934 der Schweizer Gesandte nach Bern geschrieben habe, dass „Barths Haltung […] in der Bekennenden Kirche ‚Befremden und Unruhe‘ ausgelöst [sc. habe], aus Furcht, ihr rein innerkirchlich gemeintes Bekennen könne als politischer Protest gegen den Hitlerstaat verstanden werden.“38 Und bevor Barth dann im Sommer 1935 nach Basel umzog, bekundete im Januar die „Berner Tagwacht“, dass Barth in Bern wegen seiner notorischen politischen Radikalität nicht willkommen sei (48). Nach seinem Wechsel nach Basel wurde Barth in der Schweiz gemäß einer Nachricht nun des deutschen Gesandten in Bern nach Berlin genau wegen der Haltung gerügt und angefeindet, für die er während seiner Zeit in Deutschland in der Schweiz noch gelobt worden war (48). Immer wieder wurde Barth vorgeworfen, dass er mit seinem Engagement für die Bekennende Kirche in Deutschland und nun auch unmissverständlich gegen den Nationalsozialismus die Interessen der Schweiz verletze, so dass schließlich die Ansicht kursierte, dass es vor allem Barth sei, der die Schweiz bedrohe (51), und so wurde dann regelmäßig dem ausdrücklich gegen Barth gerichteten Druck aus Deutschland entsprochen (52 ff). Barth hielt dagegen, dass er lediglich von der Freiheit Gebrauch mache, um deren willen es tatsächlich lohnend sei, die Schweiz – notfalls auch militärisch – zu verteidigen, wozu er auch selbst bereit war, was er durch seinen Beitritt zur Schweizer Armee dann auch öffentlich bekundete. In ihrer Angst ließ sich die Schweiz unablässig von der nationalsozialistischen Propaganda beeindrucken, wogegen Barth nicht nachließ, sich unter Berufung auf den christlichen Glauben zu Wort zu melden, was dann zunehmend behindert bzw. verboten wurde. Noch einmal Busch: [Um sich aus dem Zweiten Weltkrieg herauszuhalten, war die Schweizer Regierung] bereit, dafür deutschen Wünschen weit entgegen zu kommen. Die Schweiz lieferte viel kriegswichtiges Gerät an den nördlichen Nachbarn. Sie brauchte den ‚J‘-Stempel in den Pässen von Juden, 37 Vgl. dazu Schulze, Sternstunden und Abgründe der Christenheit, 254. 38 Busch, Karl Barth im Zeitgeschehen, 47 (Seitenzahlen im Text).

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um diese gleich an der Grenze abweisen zu können. Sie erlaubte deutsche Transporte durch den Gotthard. […] Gleich, inwieweit die Vertreter der Schweizer Regierung den Hitlerstaat bejahten: sie haben durch ihre Erfüllung der Forderungen Hitlers das Land so regiert, dass Karl Barth keinen ernstlichen Unterschied mehr sah zwischen der Berner und der französischen Vichy-Regierung. (49)39

Im Dezember 1941 kam es auf der vierten Wipkinger Tagung des von Barth 1937 mitbegründeten „Schweizerischen Evangelischen Hilfswerks für die Bekennende Kirche in Deutschland“, auf der Willem Visser’t Hooft über das Thema „Die Not der Kirche und die Ökumene“ referierte, im Rahmen der Diskussion eines von Brunner gestellten Antrags, „dass sämtliche reformierten Kirchen der Schweiz zur Judenfrage öffentlich Stellung nehmen“ sollten gegen die Brutalität des Vorgehens gegen die Juden in Deutschland, zur einer massiven Kontroverse. Aufgrund von einigen Änderungsvorschlägen von Barth trat – nicht ganz überraschend – ein fundamentaler Gegensatz zutage, die in der Frage nach dem rechten Verständnis von Joh 4,22 aufeinander prallte und sich vor allem um die Judenmission drehte.40 Es macht einen fundamentalen Unterschied, ob es heißt, dass das Heil von den Juden kam – so Brunner und Walther Zimmerli – oder ob es eben bis heute von den Juden kommt – so Barth und Wilhelm Vischer. Während Barth betonte, dass das Ja zu Israel im christlichen Glauben immer mitgesetzt sei, verstrickte sich Brunner in die aus der Geschichte nicht unbekannte Unterscheidung zwischen „Israel als einer natürlichen Volksgemeinschaft“ und einem „geistlichen Israel“, dem als heiligem Rest mit der Kirche die Rettung gelte.41 Die teilweise überaus unerfreulichen und von gegenseitigem Misstrauen begleiteten Auseinandersetzungen wurden zu einer Belastung der Arbeit des Hilfswerkes, so dass Barth darauf drängte, die theologischen Auseinandersetzungen vorerst zugunsten der praktischen Arbeit zurückzustellen, damit der Auftrag des Hilfswerkes nicht gefährdet werde. Es blieb eine nachwirkende angespannte Atmosphäre, die von den ungeklärten Fragen ausging. Vor allem waren es seine politischen Äußerungen und weniger seine Theologie, mit denen Barth im nichtdeutschsprachigen Ausland Aufmerksamkeit erregte, wie ein Beispiel aus Großbritannien zeigt: [Barth] joins theology and action in single unity, so that at least theology has emerged from its dusty retreats in the universities in order to make its voice heard in the market-place: no other living thinker combines to such an extraordinary degree a passion for the truth of God’s Word with a nice sense of right political action.42

39 Vgl. zum Ganzen auch Busch (Hg.), Die Akte Karl Barth. 40 Zur Tagung vgl. ausführlich Rusterholz, „… als ob unseres Nachbars Haus nicht in Flammen stünde“, 266–281. 41 Zit. n. Busch, Unter dem Bogen des einen Bundes, 379. 42 Zit. n. Zocher, Wirkung und Rezeption: In der Kriegs- und Nachkriegszeit, 438.

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Zugleich war es von großer Bedeutung, dass die politischen Botschaften von einem Theologen kamen, so dass sie immer auch eine seelsorgerliche Dimension hatten, wie ihm selbst von Gerhard Gloege bescheinigt wird, der selbst stets eine ausdrückliche Distanz Barth gegenüber gewahrt hat.43 Allein in den Niederlanden und in Frankreich blieb – allerdings auf sehr unterschiedliche Weise – die Rezeption der politischen Mahnungen mit den dazugehörigen theologischen Fundierungen verbunden.44 Henri W. de Knijff betont, dass mit Barths Besuch in Holland 1926 und mit dem im gleichen Jahr erschienenen Buch von Theodorus Haitjema „Karl Barth“, das Barths Bußpredigt auch an die niederländischen Kirchen gegenüber den umlaufenden Missverständnissen verteidigte,45 eine bis in die 1960er Jahre reichende, ebenso intensive, kreative und durchaus auch kontroverse Barthrezeption begonnen habe wie wohl in keinem anderen Land. Dafür stehen über den in diesem Abschnitt thematisierten Zeitraum hinaus neben Haitjema vor allem die Namen Gerrit Berkouwer, Cornelis Dippel, Kornelis Heiko Miskotte und Oepke Nordmans.46 Die theologisch brisanten und höchst unterschiedlich gestalteten Themen, die im Umfeld der kirchenpolitischen Konfliktlinien von besonderer Bedeutung waren, bestanden in der kontroversen Benennung und Bewertung der sogenannten Schöpfungsordnungen, das Verständnis der sogenannten Zwei-Reiche-Lehre und die ebenfalls vor allem auf Luther zurückgehende Unterscheidung von Gesetz und Evangelium. Sie bezeichnen auf dem Hintergrund der konsequenten christologischen Konzentration sowohl die entscheidenden Angriffspunkte Barths als auch die Schauplätze der kritischen Auseinandersetzung mit ihm, wie sie vor allem mit Paul Althaus, Werner Elert und Emil Brunner geführt wurden. Die Auseinandersetzung mit Friedrich Gogarten gehört deshalb nicht dazu, weil die von ihm zu Beginn der 1930er Jahre vertretene Position einer völkischen Theologie sich aus der Sicht Barths bereits jenseits dessen befand, womit sich noch eine ernsthafte theologische Auseinandersetzung führen lasse.47 Den „Abschied“ von „Zwischen den Zeiten“ hatte Barth bereits als seinen Nachruf auf Gogarten verstanden, wie er später bekundete.48 4. Gottes Heilsplan und die Unordnung der Welt Bereits als sich das Ende des Zweiten Weltkrieges abzeichnete, begann Barth damit, an die Versöhnungsbereitschaft der Ökumene zu appellieren, um die deutschen Kirchen in ihrem notwendigen Neuanfang zu unterstützen. In einem Vortrag im Juli 1944 mahnte Barth, dass es, wenn „in absehbarer Zeit […] der deutsche Kriegerstaat 43 Gloege, Barth, Karl, 897. 44 Vgl. dazu Hennecke, Karl Barth in den Niederlanden u. Schneider, Die Barthisme-Bewegung im frankophonen Protestantismus. 45 Haitjema, Karl Barth, deutsch: Karl Barths ‚kritische‘ Theologie. 46 Vgl. de Knijff, Das Ausland als Echoraum der Theologie Karl Barths. 47 Vgl. dazu Weinrich, Karl Barths Kampf gegen die religiöse Versuchung des Nationalsozialismus. 48 Vgl. Zocher, Karl Barth und Emil Brunner nach 1945, 287.

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unschädlich gemacht am Boden liegen wird“, nicht die Aufgabe der Kirchen sein könne, „nochmals zu richten“, „wo Gott gerichtet hat“.49 Auch in die Richtung der Alliierten betonte er, dass es nicht darum gehen könne, aus naheliegender Rachegesinnung irgendwelche Exempel zu statuieren, anstatt sich an der nun gebotenen konstruktiven Zusammenarbeit zu beteiligen.50 Voraussetzung für den von Barth vertretenen Vorrang der Vergebung war allein, dass die Deutschen ihre Schuld, die sie auf sich geladen hatten, einsahen und bekannten.51 Kurz nach der Kapitulation heißt es angesichts des offiziellen Bekanntwerdens der unermesslichen Gräuel in den Konzentrations- und Vernichtungslagern in einem offenen Brief an die Schweizer Öffentlichkeit: Wir warnen aber allen Ernstes vor den Illusionen eines der eigenen Gebrechlichkeit gegenüber blinden Hassens, Verdammens und Vergeltenwollens. Wir erklären, daß es jetzt dem deutschen Volk gegenüber nicht darum gehen kann, es solidarisch zu bestrafen, sondern nur darum, es solidarisch für die Erneuerung der zerstörten Ordnung haftbar zu machen. Wir bitten die alliierten und neutralen Regierungen und Völker, zu bedenken, daß Gott auch ihr Richter ist und daß derselbe Gott will, daß allen Menschen, auch den Deutschen, geholfen werde. Wir bitten Gott, daß er es den christlichen Kirchen in Deutschland und unter allen Völkern nach diesen Jahren tiefster Beschämung schenke, ihr Amt als Erwecker des öffentlichen Gewissens in Zukunft anders und besser, gründlicher und unverzagter als bisher zu versehen.52

Obwohl Barth es war, der sich insbesondere in der Ökumene erfolgreich für Deutschland einsetzte, blieb er zugleich auch derjenige, dessen Anwesenheit bei den nun zu führenden Verhandlungen auf der deutschen Seite längst nicht von allen gern gesehen wurde. Dabei waren es gewiss nicht nur die gegen ihn aufgestauten Vorhalte, die ihm weiterhin entgegenschlugen, sondern er stand eben auch der sofort nach dem Krieg beginnenden Legendenbildung im Wege, in der sich die Kirche – keineswegs ohne Erfolg – als Hort des Widerstandes zu stilisieren begann. Als intimer Kenner der deutschen Kirchen wusste Barth um die grundsätzlich pronationalsozialistischen Einstellungen der meisten Kirchenrepräsentanten und ihr ambivalentes Taktieren. Die größte Enttäuschung war für Barth die bis in die Reihen der Bekennenden Kirche hineinreichende Unbußfertigkeit, wie er sie auch im Blick auf das sogenannte Stuttgarter Schuldbekenntnis von 194553 beklagte. Die für einen entschlossenen Neuanfang unbedingt erforderliche Schuldeinsicht verfehlte darin die zu erwartende Tiefe, dass sich von Anfang an allseits die Neigung fand, jedes Einräumen einer auch nur begrenzten Mitschuld sofort mit einer an den Deutschen 49 50 51 52 53

Barth, Verheißung und Verantwortung, 331 (vgl. Kap. II.8, S. 125). Vgl. Barth, Wie können die Deutschen gesund werden?; ders., Die Deutschen und wir. Vgl. dazu Beintker, Karl Barth und die Frage der Schuld der Deutschen. Barth, Offene Briefe 1945–1968, 44. Vgl. dazu Greschat (Hg), Die Schuld der Kirche (s. im Literaturverzeichnis unter: Quellen).

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verübten Schuld zu verrechnen, wie etwa die Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten oder die vermeintlichen Ungerechtigkeiten, die im Zuge der Maßnahmen der Entnazifizierung von den Deutschen hingenommen werden mussten. Barth hielt seine erheblichen Vorbehalte gegen die allzu offenkundige Halbherzigkeit der Stuttgarter Schulderklärung öffentlich zurück, um ihre Wirkung in der Ökumene nicht zu konterkarieren, tatsächlich aber sah er in ihr eine Verweigerung der notwendigen politischen Umkehr. An Hans Asmussen schrieb er am 8.6.1946: [Man] war schon in Stuttgart im Grunde viel mehr mit dem beschäftigt, was man gegen die Anderen auf dem Herzen hatte, und die Erklärung war in ihrem existentiellen Gehalt nur der Vordersatz zu der der Mehrzahl der evangelischen Deutschen und so auch der Unterzeichner von Stuttgart heute faktisch am Herzen und auf der Zunge liegenden Gegenanklage zu verstehen.54

Am Tag zuvor nannte Barth die deutsche Kirche in einem Schreiben an Niemöller eine „noch immer unbußfertige und verstockte Kirche!“55 Man kann wohl insgesamt unterstellen, dass Barth die reinigende Wirkung des katastrophalen Zusammenbruchs deutlich überschätzt hat. Zwar konnte er sich mit dem Erscheinen des „Darmstädter Wortes“ des „Bruderrates der Evangelischen Kirche in Deutschland zum politischen Weg unseres Volkes“ vom 8.8.1947, an dem er neben Hans Joachim Iwand, Martin Niemöller und Hermann Diem auch selbst mitgewirkt hat,56 in der Frage des Umgangs mit der Schuldfrage vorläufig zufrieden geben, aber bemerkenswerte Wirkungen sind bei nüchterner Betrachtung auch von diesem Wort nicht ausgegangen. Nach seiner Teilnahme an einem Treffen des Reichsbruderrates in Frankfurt/M. und der Tagung zur Konstitution einer vorläufigen Kirchenleitung in Treysa hatte Barth zwar in seinem für die amerikanische Besatzungsmacht im September 1945 erstellten Bericht um Vertrauen in die dort beschlossenen vor allem personellen Kompromisse geworben, auch wenn die Debatten über die sachlichen Neuorientierungen noch nicht geführt seien. Offenkundig sah er keine realistische Alternative, denn an anderer Stelle hielt er seine deutliche Kritik an der nach wie vor nicht wirklich in Frage gestellten deutschnationalen Orientierung keineswegs zurück.57 Aber für sich selbst konnte Barth im Horizont der sich abzeichnenden Dominanz problematischer Kontinuitäten keine sinnvolle Funktion erkennen, so dass er sich auch bewusst zurücknahm und stattdessen mehr die nun wieder gegebenen Möglichkeiten zur Korrespondenz nutzte. Er folgte zahlreichen Einladungen zu Vorträgen und hielt Gastvorlesungen an der Bonner Fakultät im Sommersemester 1946 und 1947, lehnte dann aber auch eine Fortsetzung für 1948 ab, weil er auch darin 54 55 56 57

Ebd., 214. Zit. n. Greschat, Karl Barth und die kirchliche Reorganisation in Deutschland, 252. Vgl. dazu Klappert, Das Wort von der Versöhnung. Vgl. ebd., 246.

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keinen Beitrag zu einem tatsächlichen Neuanfang in Deutschland sah. Nach seinen Beobachtungen blieben die tatsächlich widerständigen Theologen der Bekennenden Kirche auch nach dem Krieg in der Minderheit. Mit Sorge sah er viele der alten Akteure weiterhin an der Macht. In einem Neuaufleben des alten Konfessionalismus sowie einem erneuten Erstarken des Klerikalismus sah er eine handfeste Neigung zu einer unbußfertigen Restauration, die nur wenig durch die Geschehnisse der Jahre der Naziherrschaft beeindruckt war.58 Aus der Sicht des Kirchenhistorikers bleibt allerdings die Frage zu stellen, ob die Erwartungen Barths angesichts des Umstandes, sich zunächst erst einmal an das halten zu müssen, was die Katastrophe einigermaßen unversehrt überstanden hatte, tatsächlich realistisch waren.59 Aus historischer Sicht ist jede Annahme einer Stunde null eine Abstraktion. Immerhin war ihm indirekt ein erheblicher Einfluss auf die deutsche Theologie dadurch beschieden, dass eine Anzahl von Lehrstühlen mit seinen Schülern besetzt waren oder wurden: u. a. Hans Joachim Iwand, Otto Weber (der allerdings zur Zeit des Nationalsozialismus zunächst eine sehr dubiose Rolle spielte60) und Ernst Wolf in Göttingen, Helmut Gollwitzer und Walter Kreck in Bonn und Heinrich Vogel in Berlin. Eckhard Lessing weist darauf hin, dass die genannten Theologen jenseits der zwischen ihnen bestehenden Unterschiede vor allem durch ihre entschiedene christologische Konzentration (Barmen I), den substanziellen Anschluss an die reformatorische Tradition und die in den Vordergrund gerückte Frage nach dem Verhältnis von Kirche und Welt zusammenstanden.61 Noch stärker als vor dem Krieg wurde auch international die Aufmerksamkeit auf Barth fokussiert (Großbritannien, Niederlande, Frankreich, Ungarn, Tschechoslowakei und später dann in der DDR62), die in manchen dieser Länder vorher vor allem auf Emil Brunner gerichtet war. Heftig diskutiert wurde Barths in der Regel missverstandene und gelegentlich auch instrumentalisierte Weigerung, in dem nach dem Krieg sogleich beginnenden Kalten Krieg dem Kommunismus eine ebenso deutliche Absage entgegenzustellen wie dem Nationalsozialismus. Besonders angestachelt wurde diese Debatte durch einen wohl nicht zu Unrecht als überaus einseitig wahrgenommenen Bericht Barths über seine 1948 unternommene Ungarnreise, in dem die Reformierte Kirche in Ungarn zu einem überzeugenden Beispiel dafür stilisiert wird, dass der Neuanfang nach dem Krieg auch ganz anders angegangen werden könne, als es in Deutschland der Fall sei. Auch in dieser Frage geriet er wieder heftig mit Emil Brunner in Konflikt. Barths Wahrnehmung der Situation in Ungarn war offenbar von dem Kontakt mit staatsnahen Kirchenrepräsentanten bzw. von ehemaligen Pfarrern, die jetzt in der Politik wirkten, geprägt, die das repressive Einwirken des Staates auf die Kirche zugunsten des von ihnen befürworteten Ergebnisses unter der Decke hielten. Mög58 59 60 61 62

Vgl. Barth, How my mind has changed, 645. Vgl. Greschat, Die evangelische Christenheit nach 1945, 78. Vgl. dazu v. Bülow, Otto Weber. Vgl. E. Lessing, Geschichte, Bd. 3, 121–124. Vgl. Zocher, Wirkung und Rezeption, 441 f (dort auch Literaturhinweise).

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licherweise waren seine Wahrnehmungen zudem auch von dem Wunsch gesteuert, tatsächlich einmal auf eine verwirklichte Alternative zu den beinahe flächendeckend überaus konservativ vereinnahmten Kirchen verweisen zu können. Auch wenn Barth schon bald eine deutlich differenzierendere Haltung einnahm, die er dann auch nach Ungarn übermittelte, hatte er damit zweifellos der Kritik an ihm eine offene Flanke geboten,63 wovon seine Gesamteinschätzung der Lage allerdings nur am Rande getroffen wurde. Allem Anschein nach wurde über die Frage der öffentlichen Zurückweisung des Kommunismus eine Möglichkeit gesehen, einerseits die alten Frontlinien nochmals zu rechtfertigen und andererseits diese nun auch weiterhin aufrecht zu erhalten. In diese Richtung weist Barths Einschätzung, dass „nur der ‚Hitler in uns‘ ein prinzipieller Antikommunist sein“ könne.64 Sein schlichter Hinweis darauf, dass im Unterschied zum Nationalsozialismus vom Kommunismus im Blick auf die Kirchen und den Westen insgesamt keine tatsächliche Versuchung ausgehe, wurde wohl aufgrund seiner Fehleinschätzungen in Ungarn überhört. Wenn „die Kirche bekennt, dann geht sie in Furcht und Zittern gegen den Strom und nicht mit ihm“65, wie all diejenigen, die sich so lauthals gegen den Kommunismus empörten. Im Übrigen kann daran erinnert werden, dass Barth bereits 1931 in seinen „Fragen an das Christentum“ den ‚genuin (russischen) Kommunismus‘ als eine Religion bezeichnet hatte, von dem das „Christentum“ aufgrund des mit ihr verbundenen Totalitätsanspruches nichts anderes zu erwarten habe „als Kampf bis aufs Messer.“66 Obwohl sich Barth bei unterschiedlichen Anlässen deutlich genug von der Unmenschlichkeit des Kommunismus distanzierte, wurde immer wieder versucht, ihn mit Sympathien für den Kommunismus zu inkriminieren, wozu man sich auf einzelne Gelegenheitsäußerungen meinte stützen zu dürfen. Aus Barths Sicht aber wäre eine Abweisung des Kommunismus gerade kein prophetisches Wort gewesen, sondern lediglich eine weitere Bekräftigung der von Barth so ausdrücklich beklagten lähmenden Ost-West-Polarisierung, die ohnehin längst Platz griff. Barth wollte verhindern, dass der überkommene ideologische Antikommunismus zu neuer Blüte kam und damit eine nüchterne Wahrnehmung der Situation unmöglich machte. Barth zieht sich Brunner gegenüber aus der Affäre, indem er die Problematik auf die Ebene seiner Gesamtwahrnehmung verschiebt: „Ich kann nämlich nicht zugeben, daß es eine christliche, eine kirchliche Aufgabe wäre, mit theologischer Begründung auch noch einmal zu sagen, was jeder Bürger ohnehin täglich kopfnickend auch in seiner Zeitung lesen kann, was von Herrn Truman und vom Papst trefflich vertreten wird.“67 – Durchaus ähnliche Auseinandersetzungen wiederholten sich in einem 63 Vgl. dazu Greschat, Karl Barth und die kirchliche Reorganisation, 255–262; Fazakas, Karl Barth im Ost-West-Konflikt. 64 Barth, How my mind has changed, 654. 65 Barth am 6. Juni 1948 an Brunner: Theologische Existenz „heute“, Offene Briefe 1945–1968, 164. 66 Barth, Fragen an das Christentum, 146 u. 149. 67 Barth an Brunner: Theologische Existenz „heute“, Offene Briefe 1945–1968, 164.

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Aspekte der Wirkungsgeschichte

Konflikt mit dem Schweizer Bundesrat Markus Feldmann68 und im Blick auf Barths Verhältnis zur Kirche in der DDR.69 Barth wünschte sich für Europa anstatt der vorbehaltlosen Westbindung einen eigenen Weg nicht nur dem Osten gegenüber, sondern auch gegenüber dem Westen: „ein freies, einen dritten, seinen eigenen Weg gehendes Europa.“70 Die vom kapitalistischen Westen in Anspruch genommene Freiheit sah er ganz im Bann von wirtschaftlichen Interessen; sie bestand deshalb für ihn etwa in der Freiheit, „Wirtschaftskrisen zu veranstalten“ oder „hier Getreide ins Meer zu schütten, während dort gehungert wird.“ 71 In einem offenen Brief an die deutschen Theologen in Kriegsgefangenschaft setzte Barth bereits im Juli 1945 auf einen grundsätzlichen Neubeginn, nicht nur für die Kirche, sondern auch in politischer Hinsicht,72 und bereits seit 1946 plädierte er öffentlich für einen „dritten Weg“ jenseits der Bindungen an die östliche oder die westliche Ideologie.73 Im Kern wird man sagen können, dass Barth die vom Osten ausgehende Bedrohung nicht für unbedingt gefährlicher ansah als die vom Westen drohende Vereinnahmung, die in der Regel gar nicht als eine solche erkannt und benannt wurde. Tatsächlich dominierte sowohl in der Kirche als auch in der Politik die Phantasielosigkeit der Beharrungskräfte, von der sich Barth nicht zu zusätzlichen Affirmationen instrumentalisieren lassen wollte. Eine wiederum die Gemüter aufwühlende Debatte erhob sich genau in diesem Zusammenhang auf dem Hintergrund der inzwischen installierten, wenn auch nicht anerkannten Zweistaatlichkeit Deutschlands um die Frage nach der Bewaffnung der Bundesrepublik. Wiederum geriet Barth ins Visier einer Kritik, die ihm lehramtliche Anmaßung und zum soundsovielsten Male Einmischung von außen vorwarf, als sei die Kirche zunächst einmal eine national zu verantwortende Angelegenheit. Durch die kontroversen Wahrnehmungen auch innerhalb der Kirche wurde die gern in Anspruch genommene Rede vom ‚Wächteramt‘ der Kirche faktisch ad absurdum geführt und somit der von den Kirchen mittlerweile anerkannte politische Auftrag der Kirche solange konterkariert, wie es nicht gelang, einen angemessenen Weg zum Umgang mit den unterschiedlichen Einschätzungen zu finden. Zum Bekennen der Kirche gehört auch die von ihr zu erwartende Bereitschaft, sich eingehend von Positionen befragen zu lassen, die zunächst von Einzelnen oder nur einer Minderheit in ihrer Verantwortung des Glaubens annonciert werden, um dann im umsichtigen Abwägen begründeter Argumente zu einem möglichst gemeinschaftlichen Bekennen voranschreiten zu können (vgl. Kap. II.8, S. 134 f). 68 69 70 71 72 73

Vgl. dazu Ficker Stähelin, Karl Barth und Markus Feldmann im Berner Kirchenstreit. Vgl. dazu Gockel/Leiner, Kritik und Versöhnung – Karl Barth und die DDR. Vgl. dazu Barth, Die Kirche zwischen Ost und West, 142. Ebd., 137. Vgl. Barth, Offene Briefe 1945–1968, 47–58. Vgl. Barth, Die christliche Verkündigung im heutigen Europa.

Gottes Heilsplan und die Unordnung der Welt

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Es war schon in der Apostelzeit so, es war nie anders: die Kirche redete und handelte, während die Vielen, die Offiziellen zauderten, schwiegen, diskutierten, zunächst durch den wagenden Dienst des Wortes und der Tat vorauseilender Einzelner.74

Neben der möglichst differenziert und nüchtern wahrzunehmenden Situationsanalyse gilt es nach der besonderen Verantwortung „vor Gott – nicht vor irgend einem, sondern vor dem im Evangelium von Jesus Christus zur […] Gemeinde […] redenden Gott“75 zu fragen und dann entsprechend zu handeln. Natürlich wird es sich in der Regel um Ermessensfragen handeln, aber Barth war stets hinsichtlich der zu treffenden Entscheidung einigermaßen zuversichtlich, wenn tatsächlich ernsthaft nach der Entsprechung zu dem zur Rechten Gottes sitzenden Auferstandenen und seinem Kampf gegen das ihm widersprechende Chaos gesucht würde. Für die jüngere Barthrezeption gilt als allgemein anerkannt, dass sich Barths ethische und politische Positionierungen nicht von seiner Theologie trennen lassen, auch wenn sie im Einzelnen unterschiedlich bewertet werden mögen. Indem Barth grundsätzlich die Wahrnehmung der geschichtlichen Wirklichkeit in das österliche Licht des auferstandenen Christus rückt, kommt die jeweilige geschichtliche Gegenwart des Weltgeschehens in das erhellende Licht seiner Präsenz. Das ist der Horizont, in dem – mit Michael Beintker gesprochen – das „Politische […] theologisch relevant […] und auch das Theologische […] politisch affin“ ist.76 Beintker erinnert daran, dass Barth konsequent diese österliche Perspektive gewahrt und nach dem ihr entsprechenden öffentlichen Zeugnis gefragt habe. Dieses stehe in der sachlichen Linie des zuversichtlichen Glaubens an die Providenz Gottes, der die Fesseln der konformistischen Angst löse.77 Die politischen Äußerungen ergehen bei Barth durchgängig aus einem ekklesiologisch orientierten Blickwinkel und verstehen sich nicht als Bekräftigungen von bereits wirksamen programmatischen Optionen oder gar Ideologien – diesen gegenüber hat sich Barth einigermaßen konsequent auf Distanz gehalten –, sondern als Konkretionen der jeweils wahrzunehmenden Zeitgenossenschaft mit dem lebendigen Christus.78 Es geht nicht um eine identifikatorische Parteinahme auf der Ebene der vorgängigen politischen Fronten, sondern um eine der Freiheit des Glaubens entsprechende situative Positionierung, die als solche solange nicht die Nähe zu einer auch im politischen Machtkampf vertretenen Position scheuen muss, solange sie sich nicht tatsächlich an diese bindet. Dies war auch der Blickwinkel, aus dem heraus Barth nach dem Zweiten Weltkrieg seine immensen Vorbehalte gegenüber der sich formierenden Ökumene zurückstellte. Das Generalthema der Gründungsvollversammlung 1948 in Amsterdam lautete „Die Unordnung der Menschen und Gottes Heilsplan“. In seinem Haupt74 75 76 77 78

Barth, Politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens, 6. Ebd., 7. Beintker, Die politische Verantwortung der Christengemeinde im Denken Barths, 157. Vgl. ebd., 161 ff; vgl. auch Ders., Karl Barth und die Politik. Vgl. auch Weinrich, Christus als Zeitgenosse.

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vortrag auf der Vollversammlung zu eben diesem Thema liegt eine wesentliche Pointe darin, dass Barth mit sachlicher Betonung die Reihenfolge der Themenformulierung umstellt: Was es mit diesem ganzen Wesen (unser eigenes kirchliches Wesen mit eingeschlossen!) auf sich hat, das kann uns, wenn überhaupt, nur von droben, nur von Gottes Heilsplan her, sichtbar und greifbar werden. Wogegen es von der Unordnung der Welt und auch von unseren ihr zugewendeten christlichen Analysen und Postulaten her keinen Ausblick und Ausweg gibt hinauf zu Gottes Heilsplan. Wir sollten in keiner unserer Sektionen dort drunten anfangen wollen.79

Mit dem deutlichen Akzent, dass nicht wir, sondern Gott selbst seinen Heilsplan voranbringen wird, trat Barth nicht zuletzt dem in den Vorbereitungsdokumenten gepflegten ökumenischen Moralismus entgegen. Die hier bewusst vorgenommene Störung der geläufigen ökumenischen Orientierung, die auch von vielen als eine solche wahrgenommen wurde, gibt den spezifischen Zugang Barths zur Ökumene zu erkennen, der bis dahin von der Genfer Ökumene als Überforderung abgewiesen wurde. Infolgedessen hatte Barth sein Engagement für eine internationale Unterstützung der Bekennenden Kirche in ihrem Kampf gegen den Nationalsozialismus als das stellvertretende Einspringen für die schweigende Ökumene verstanden (vgl. Kap. II.6).80 In der Stoßrichtung des Barmer Bekenntnisses plädierte Barth nun auch auf der Vollversammlung in Amsterdam für eine aus der Konzentration auf den Heilsplan Gottes resultierende konfessorische Existenz der Kirche, von der aus es allein eine verheißungsvolle Wahrnehmung des offenkundigen Chaos geben könne, in dem die Welt durch sich selbst an sich selbst verloren zu gehen drohe. Allein in diesem Gefälle konnte er dann auch eine tatsächlich tragfähige Perspektive zur Überwindung der konfessionalistischen Fixierungen erkennen, die sich bisher auch in der Ökumene noch eine anachronistische Bühne für ihre Selbstdarstellung gesichert hatten. Es ist für Barth charakteristisch, dass er die ekklesiologische Herausforderung und somit auch das Verständnis der Einheit der Kirche ganz und gar in den Horizont der christologisch orientierten Gottesfrage stellte. Die Frage nach dem rechten Gottesdienst, die Bindung an den Namen und die Ehre Gottes, das Hören auf das in diesem Sinne wahrzunehmende lebendige Wort Gottes lenken die Aufmerksamkeit der Kirche auf das, was sie gründet, sammelt und sendet, und alle daneben oder darüber hinaus veranstalteten Selbstprofilierungen können nur höchst nachrangige Bedeutung haben, wenn sie nicht gar dem Sein der Kirche vor allem entgegenstehen. Es könne nur um das gehen, was die Kirche tatsächlich eint, und nicht um irgendeine nun auf die Kirchen in Anwendung zu bringende Vorstellung von der Einheit der Kirche. Wie in Barmen könne sich Ökumene und somit Einheit der Kirche nur in ihrem pünktlichen Bekennen ereignen. Barth positionierte 79 Barth, Die Unordnung der Welt und Gottes Heilsplan, 137. 80 Vgl. Barth, Eine Schweizer Stimme, Vorwort.

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sich mit dieser auf das öffentliche Zeugnis und somit auf die Ethik ausgerichteten Akzentsetzung tatsächlich eher in die Richtung von „Life and Work“ als von „Faith and Order“; es ging ihm um das tatsächliche Kirchesein und nicht um eine kaum jemals abschließbare Dauerkonversation, wie sich die unterschiedlichen kirchlichen Traditionen sinnvoll aufeinander beziehen lassen. Ein Zusammenstehen allein in gegenseitiger Toleranz – in welcher Form auch immer – bleibt als die denkbar schlechteste Konzeption von Einheit zu verstehen, weil es im Blick auf die Sache nicht mehr bedeutete als „im Grunde […] so etwas wie gegenseitige Verachtung.“81 Barth versuchte zu Beginn der 1950er Jahre seine ekklesiologische Entdeckung der essenziellen Verbundenheit der Kirche mit Israel in die Vorbereitung der zweiten Vollversammlung 1954 in Evanston einzubringen. Dieser Aspekt wurde aber nicht aufgegriffen,82 – ein theologisches Desiderat, das bis heute in der theologischen Arbeit des Ökumenischen Rates der Kirchen keine angemessene Berücksichtigung gefunden hat83 und damit auch einen Teil seiner introvertierten Lähmung ausmacht. Der von Barth immer wieder beklagte verbreitete Eifer der Kirchen um sich selbst hätte durch die Einbeziehung Israels in den Wahrnehmungshorizont des ökumenischen Selbstverständnisses die nötige Korrektur erfahren und damit zu einer neuen und wirklich weiterführenden Ausrichtung finden können. Schließlich sagte Barth – allerdings ohne sich auf diesen Punkt zu beziehen – seine Teilnahme an der Zweiten Vollversammlung ab und ließ damit seine unmittelbare Beteiligung an der Arbeit des ÖRK zu einer Episode seines Lebens werden. Willem A. Visser’t Hooft kann noch 1956 aus seiner Wahrnehmung – gewiss nicht nur anlassbedingt – den Einfluss Barths auf die Ökumene erstaunlich hoch veranschlagen, tatsächlich wird aber aus größerem Abstand diese Einschätzung deutlich nüchterner ausfallen müssen. 5. Glauben und Verstehen Wenn es so etwas wie einen fundamentalen Schulstreit gegeben haben soll, dann war es der zwischen Barth und Bultmann bzw. ihrer Schülerinnen und Schüler vor allem in den 1950er und 1960er Jahren mit Nachwirkungen bis hinein in die Gegenwart. Immerhin wird man dabei im Auge halten müssen, dass Barth selbst sich zeitlebens nicht in einen vollkommenen Gegensatz zu Bultmann hat treiben lassen, auch wenn er den Unterschieden zwischen ihm und sich eine weitreichende Bedeutung zugemessen hat. Barth hat sich nie an den gegen Bultmann inszenierten rhetorischen Feldzügen beteiligt, was möglicherweise auch zu der Ermutigung beigetragen hat, seine Wort-Gottes-Theologie mit Aspekten des hermeneutischen 81 Barth, Die ökumenische Aufgabe, 14; vgl. dazu Plasger, Kirche als ökumenisches Ereignis. 82 Vgl. dazu Herwig, Karl Barth und die ökumenische Bewegung, 219 ff. 83 Eher lässt sich im Gegenteil eine immer ausdrücklicher auf Distanz gehende Haltung ausmachen, die sich besonders im Verhältnis des ÖRK zum Staat Israel niederschlägt; vgl. Stegemann/Stegemann, Von Ambivalenz zur Feindschaft.

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Anliegens von Bultmann zu verknüpfen (Walter Kreck, Eberhard Jüngel und dann später auch Ulrich Körtner). Vielmehr scheint er sich nie ganz sicher gewesen zu sein, ihn wirklich verstanden zu haben, obwohl es Bultmann doch vorrangig und durchgehend um das Verstehen gehe. Nein, kein mir bekannter lebender theologischer Autor redet so viel vom Verstehen und keiner scheint so viel Anlaß zu haben, sich darüber beklagen zu müssen, selber mißverstanden zu werden.84

Das hat Barth nicht gehindert, ihm durchaus immer wieder entschlossen zu widersprechen – bisweilen explizit, dann gern in der Gestalt von pointierten Fragen, aber weit häufiger auch nur implizit. Aufs Ganze gesehen wird aber dem Urteil von Karl Kupisch zuzustimmen sein, dass Barth in Bultmann und seiner Schule „eine moderne Fortsetzung von Schleiermachers Grundkonzeptionen“ gesehen habe.85 Dabei waren es nicht die hermeneutischen Fragen, die in der Skepsis von Barth vorn anstanden. Grundsätzliche Bedenken hatte Barth vor allem gegenüber den weitgehend auf Martin Heidegger zurückgehenden existenzial-ontologischen Voraussetzungen, die er bei Bultmann Regie führen sah. In seiner Wahrnehmung hat sich Bultmann in eine philosophische Gefangenschaft begeben, die ihrem Wesen nach einer Öffnung für die substanzielle Bedeutung des extra nos des Wortes Gottes entgegensteht. Es sind die Entscheidungen, die er Bultmann bereits vor seiner Befassung mit theologischen Fragen fällen sah, die seine theologische Aufmerksamkeit in so folgenreicher Weise beschneiden, dass sie unweigerlich ihren sich selbst imponierenden Gegenstand verfehlen müssen, weil sie sich auf die Orientierung auf der Ebene des Existenzverständnisses des Menschen verpflichtet haben. Es war diese Fundamentalentscheidung, der dann die Hermeneutik der existenzialen Interpretation folgt, der auch Barth nicht absprach, dass sie zu bedeutsamen Einsichten führen könne. Sie versetze die Hermeneutik unabhängig von den sie bestimmenden methodischen Regulierungen von vornherein in einen Wirklichkeitshorizont, in dem das Ereignis, auf dessen Wahrnehmung die Theologie ausgerichtet sein sollte, gar nicht mehr stattfinden könne. Nach Barths Eindruck habe sich Bultmann bereits von der Theologie abgeschnitten, bevor er auch nur über die hermeneutische Frage substanziell nachzudenken begonnen habe. Zweifellos hatte Barth auch massive Vorbehalte gegenüber der tatsächlichen Erschließungskraft allzu konsequenter Einlassungen auf hermeneutische Fragen, aber sein zentraler Einwand gegen Bultmann ist gerade nicht auf dieser Ebene zu suchen. Genau aber dies ist mit großer Regelmäßigkeit geschehen, während die von Barth gesehene Problematik noch weitgehend undiskutiert geblieben ist. Von der Seite Bultmanns und vor allem seiner Schule wurde die Auseinandersetzung mit Barth ganz und gar auf die Frage der Hermeneutik konzentriert. Barth wurde vorgewor84 Barth, Rudolf Bultmann. Ein Versuch, ihn zu verstehen, 3. 85 Kupisch, Karl Barth, 132.

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fen, das hermeneutische Problem zu unterschätzen und damit eine ungeschichtliche Theologie zu treiben, die sich in ihren neo-orthodoxen Zügen mit dem modernen Menschen nicht mehr kommunizieren lasse. Im hier übernommenen Vorwurf der Neo-Orthodoxie schwingt dann immer auch der Vorwurf der Wirklichkeitsferne mit, in der sich diese Theologie bewege, abgehoben gegenüber der geschichtlichen Existenz des Menschen in seiner konkreten Weltgeschichte. In diese Richtung wies bereits Bonhoeffers Vorwurf gegen Barth, einen „Offenbarungspositivismus“ und damit „doch im Wesentlichen Restauration“ zu betreiben, so dass er mit seiner Theologie an seinen aufgeklärten Zeitgenossen – Bonhoeffer spricht vom „mündig gewordenen Menschen“86 – vorbeigehe (404 f). Bultmann habe dagegen dies Problem gesehen, sei es dann aber durch einen Rückfall in die liberale Theologie angegangen, indem er „in das typisch liberale Reduktionsverfahren (die ‚mythologischen‘ Elemente des Christentums werden abgezogen und das Christentum auf sein ‚Wesen‘ reduziert)“ verfalle (482).87 Es war vor allem Gerhard Ebeling, der einer Verhärtung der Fronten zwischen den Schülerinnen und Schülern Barths und denen Bultmanns entgegenwirken wollte, indem er den Fokus vom Verstehen auf den Glauben verrückte und hoffte, damit einen sinnvollen Treffpunkt für beide Richtungen angeboten zu haben, an dem auch die Frage des Verstehens zu dem ihr zuzumessenden Recht kommen könne. Er konstatierte: „Auf der einen Seite tendiert das Pathos des Wortes Gottes auf Bagatellisierung des hermeneutischen Problems; auf der anderen Seite scheint das Interesse am hermeneutischen Problem das Reden vom Worte Gottes zu gefährden.“88 Er erinnert daran, dass doch die Wurzeln der Theologie des Wortes Gottes auch in „einem leidenschaftlichen Ringen um das hermeneutische Problem“ gelegen hätten (323). Seinen eigenen Zugang zur Theologie des Wortes Gottes fand Ebeling in der von ihm geprägten Rede vom Wortgeschehen. Dabei liegt der Ton darauf, dass es nicht „um das Verstehen von Sprache, sondern das Verstehen durch Sprache“ gehe (333). Die Sprache bildet für Ebeling die Brücke zur Wirklichkeit und läuft als solche den jeweils konkreten Erfahrungen immer schon voraus. In diesem Sinn gründet alles Verstehen immer schon auf Verstehen. Die ausstehenden Klärungen erwartete er von einem vertieften Glaubensverständnis. Er warf Barth vor, dass sein Glaubensbegriff unterbestimmt bleibe, weil er seine Verstehensbedingungen nicht ausreichend kläre, während Barth seinerseits Ebeling entgegenhielt, dass er einen formal überaus aufgeladenen Glaubensbegriff präsentiere, der aber kein klar erkennbares inhaltliches Profil habe.89 Auch Ernst Fuchs und Eberhard Jüngel formulierten ähnliche Einwände wie Ebeling gegen Barth. Allerdings verlagerte sich die Lösungsoption nun auf die 86 87 88 89

Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, 557 (Seitenangaben im Text). Vgl. Feil, Karl Barth und Dietrich Bonhoeffer. Ebeling, Wort Gottes und Hermeneutik, 324 (Seitenangaben im Text). Vgl. dazu Körtner, In der Blütezeit Bultmanns, 448. Zur Barthkritik vonseiten der Bultmannschule vgl. auch Schmithals (Hg.), Existenz und Sein; Stoeversandt, Basel – Marburg.

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Problematik des Zusammenhangs der Gotteserkenntnis mit der Selbsterkenntnis des Menschen und kam damit der Problemanzeige Barths deutlich näher. An der Stelle, an der Bultmann sein grundlegendes Programm der Entmythologisierung entwickelte, sah Jüngel Barth seine die theologische Erkenntnis ermöglichende Trinitätslehre formulieren: Versteht man Bultmanns Programm als die Bemühung um angemessenes Reden von Gott (und damit vom Menschen) und erblickt man den Vollzug dieses Bemühens darin, Gott nicht als ein Es oder Er zu objektivieren (bzw. objektiviert sein zu lassen), sondern als Du zur Sprache zu bringen und eben so angemessen zur Sprache zu bringen, so wird man eine auffallende Parallelität zu dem Sinn, den Barth der Trinitätslehre zuerkennt (und gibt), nicht verkennen können. Denn der Sinn der Trinitätslehre besteht für Barth (nicht zuletzt, sondern durchaus primär) darin, gegenüber dem Subordinatianismus einerseits und dem Modalismus andererseits zu sichern, daß Gott „kein Es oder Er“ wird: „er bleibt Du“ [sc. KD I/1, 402].90

Mit dieser Diagnose werden Barth und Bultmann gegenseitig in Sichtweite gebracht, auch wenn Jüngel selbst eingeräumt hat, dass damit noch keineswegs die Differenz hinsichtlich der ontologischen Voraussetzungen bzw. Implikationen als ausgeräumt betrachtet werden könne. Es komme nun ganz darauf an, welche Bedeutung dieser Differenz zugemessen werde. Nach dem oben angedeuteten Urteil Barths werden wir damit zu rechnen haben, dass uns die hier gewonnenen Einsichten auch noch nicht an den zentralen Brennpunkt der Differenz geführt haben. Insgesamt wird festgestellt werden können, dass seit Mitte der 1960er Jahre die von Bultmann geprägte Theologie deutlich dominierte, was einerseits dazu führte, dass sich auch unter den Barth näherstehenden Theologen die Neigung verstärkte, Einschränkungen, Vorbehalte, Korrekturen oder auch nur neue Perspektiven im Blick auf Barths Konzept zu formulieren. Dafür mag beispielhaft ein von Wilhelm Dantine und Kurt Lüthi 1968 herausgegebener Aufsatzband stehen, in dem die Sympathie für Barths Theologie mit über ihn hinausgehenden Anregungen verbunden wird, unter denen ebenfalls die Erwartung einer Schärfung der hermeneutischen Rechenschaft und der Konkretisierung theologischer Vermittlung obenan stehen.91 In den mit zunehmendem Alter gegenüber ausgearbeiteten Vorträgen bevorzugten Gesprächen hatte sich Barth insbesondere mit den Studierenden und jungen Pfarrer mit dem Umstand auseinanderzusetzen, dass seine Theologie für die aktuellen Herausforderungen nicht als mehr hilfreich empfunden wurde. In einem Gespräch mit rheinischen Jungpfarrern am 4.11.1963, in dem es vor allem um Barths Kritik an der Theologie Bultmanns ging, wurde ihm unumwunden mitgeteilt, dass seine Art und Weise, sich mit Bultmann auseinanderzusetzen, bis hinein in die Sprache nicht mehr zugänglich sei. Er möge doch zur Kenntnis nehmen,

90 Vgl. Jüngel, Gottes Sein ist im Werden, 34. 91 Vgl. Dantine/Lüthi, Theologie zwischen gestern und morgen.

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daß wir uns in dem Gehäuse, das Sie der Kirche und der Theologie gebaut haben, das wirklich ein sehr weiträumiges Gehäuse war, einfach nicht mehr zu Hause fühlen können. […] Die Gesprächslage ist nicht die, daß wir uns innerhalb des von Ihnen gezogenen Gehäuses unterhalten könnten, sondern daß wir die Frage stellen müssen, ob es überhaupt noch möglich ist, in der Begrifflichkeit, mit der Sie den Durchbruch gewagt haben, heute noch zu reden.92 Sie müssen verstehen, Herr Professor, für uns sind Sie ein Stück Geschichte …, Theologiegeschichte. (313) Aber nun bedenken Sie, daß wir anders engagiert sind, daß wir zu neuen Ufern aufgebrochen sind. (315)

Obwohl Barth diese Äußerungen immerhin so nachgegangen sind, dass er sie auch nach Jahren – am 1.7.1968 in einem Gespräch mit Wuppertaler Studenten93 – einem anderen Publikum mit einem immer noch erstaunten Unterton wieder vortrug, wird man vorsichtig sein müssen, aus solchen Äußerungen allzu weitreichende Rückschlüsse zu ziehen. Wohl aber signalisieren sie einen Stimmungswechsel, der sich in dieser Zeit selbstbewusst zu Worte meldete. Mit großer Resonanz präsentierte Jürgen Moltmann 1964 seine „Theologie der Hoffnung“ und griff damit den gleichsam mit dem damaligen Wirtschaftswunder auch mitwachsenden kritischen Optimismus theologisch auf, wie er sich im Gewand einer ebenso milden wie wortgewaltigen Adaption des Marxismus bei Ernst Bloch in seinem 1959 erschienenen Opus magnum „Prinzip Hoffnung“ wirkungsvoll zu Wort gemeldet hatte.94 Moltmann hatte damit – selbst der theologischen Richtung Barths nahestehend – auf seine Weise ganz neue Töne angeschlagen, die in den Kirchen auf aufnahmebereite Ohren stießen und damit die Anfänge eines langsamen, aber beständigen Wandels beförderte, der die Kirchen bedrängte, sich gesellschaftskritisch deutlicher zu positionieren. Diese dann auch von den Kirchen aufgenommene Politisierung erfuhr dann bald eine beinahe weltweite Resonanz in der Ökumene, was dann wiederum auch auf die EKD zurückwirkte. Erst in jüngster Vergangenheit scheint dieser Elan deutlich an Fahrt zu verlieren. Im Umkreis von Bultmann haben Ernst Käsemann, Willi Marxsen oder Herbert Braun eine ähnliche Rolle gespielt, wenn auch weniger einflussreich als Moltmann. 2016 kommentierte Moltmann selbst in einem Radiointerview anlässlich seines 90. Geburtstags:

92 Barth, Gespräche 1963, 300 (Seitenangaben im Text). 93 Vgl. Barth, Gespräche 1964–1968, 474. Ebenso taucht diese Erinnerung auch in dem unvollendeten Entwurf zu dem dann nicht mehr gehaltenen Vortrag zur Zukunft der Ökumene auf: Barth, Aufbrechen – Umkehren – Bekennen, 65 (vgl. Kap. II.9, S. 144). 94 Vgl. Bloch, Das Prinzip Hoffnung [1959].

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Die Theologie der Hoffnung war der Versuch, das Prinzip Hoffnung von Ernst Bloch, das eine Säkularisierung der jüdisch-christlichen Hoffnung darstellt im marxistischen Sinne, wieder auf die theologischen Ursprünge zurück zu führen.95

In diesem Interview vergleicht Moltmann seine Theologie der Hoffnung mit „Old New Orleans Jazz“: „Sie kennen diesen Leichenzug, wo erst getragene Trauermusik gespielt wird und dann schlägt das plötzlich um in Tanzmusik.“ Auch wenn Moltmann seinem Bild einen durchaus tieferen Sinn unterlegt, bleibt die Metaphorik auch insofern in einem weitaus vordergründigeren Sinne treffend. Sie kann auch auf den Kairos und die von ihm ausgelöste Neubelebung der Theologie und die Reichweite ihrer Rezeption in der zweiten Hälfte der 1960er Jahren bezogen werden, die dann vor allem in das Licht des zeitgenössischen Stimmungsumschwungs geraten, ohne schon etwas über die belastbare Substanz ihrer Veranlassung auszusagen, zumal diese durchaus recht unterschiedlich bewertet wurde. Barth konnte es dann in seiner persönlichen Gratulation zu diesem Buch, das er eher als Prolegomena zu einer Eschatologie als schon tatsächlich als eine Eschatologie gelesen habe, auch nicht unterlassen zu bemerken, dass ihm Moltmanns Gott „ein bißchen pover“ vorkomme.96 6. Die Realisierung der Freiheit Schon bald nach dem Tode Barths wurde ebenso heftig wie kontrovers um sein Erbe gerungen. Sowohl hinsichtlich seiner Rezeption als auch für den ausgemachten aktuellen Revisionsbedarf seiner Theologie tauchten schwerpunktmäßig in den 1970er Jahren sowohl markante Akzentsetzungen für die weitere Barthrezeption auf als auch fundamentale Revisionsvorschläge, die seine Theologie für die aktuelle Situation nicht mehr für unmittelbar anschlussfähig hielten. In beiden Fällen standen die besonderen Perspektivierungen im Zusammenhang mit dem soeben mit Moltmann bereits angedeuteten Wandel, der ja nicht nur ein kirchlicher, sondern ein zivilgesellschaftlicher Wandel war, von dem die ganze Gesellschaft mit beinahe all ihren Subsystemen betroffen war. Die Perspektivierung dieses Wandels auf Barth und damit seine spezifische theologiegeschichtliche und theologiepragmatische Verortung in der jüngsten Entwicklung der Theologie nennt Georg Pfleiderer die ‚modernitätstheoretische Barthinterpretation‘, die darauf ausgerichtet sei, die effektiven Wirkungszusammenhänge auszumachen, in denen Barths Theologie auch jenseits seines eigenen Selbstverständnisses greifbare Spuren hinterlassen

95 Fleischmann, Interview mit Jürgen Moltmann (s. im Literaturverzeichnis unter: Internetquellen). 96 Barth, Briefe 1961–1968, 276. Zur Barthrezeption der Barthschüler (Herman Diem, Helmut Gollwitzer, Hans Joachim Iwand, Walter Kreck, Alfred de Quervain, Heinrich Vogel, Otto Weber, Ernst Wolf) vgl. Lessing, Geschichte, Bd. 3, 121–147, 368–388.

Die Realisierung der Freiheit

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habe.97 Was für die einen ein Aufbruch zu einer kritischen Bearbeitung überholter Bindungen war, stellte sich für die anderen als überfällige Anpassung an den weiter fortschreitenden christentumsgeschichtlichen Liberalisierungsprozess dar, in dem Barth eine freilich recht unterschiedlich beurteilte Rolle gespielt habe, deren unveränderte Fortsetzung allerdings zu einer Lähmung des inzwischen weitergegangenen Prozesses führe. In beiden Fällen geht es um eine Realisierung der Freiheit, nämlich auf der einen Seite einer von dem Bekenntnis des Glaubens positionell pointierten Freiheit und auf der anderen Seite einer neuzeitlich idealistischen Freiheit. Letztere wurde dadurch mit Barth in Verbindung gebracht, dass ihr als Signatur des fortzuschreibenden Liberalismus in der Linie von Albrecht Ritschl und Ernst Troeltsch eine genuin christliche Substanz unterstellt wurded, um die es auch Barth gegangen sei. Mit dem Buchtitel „Die Realisierung der Freiheit“ provozierte diese sogenannte Münchener Barthinterpretation eine kontroverse Debatte. Beiden Rezeptionslinien soll kurz nachgegangen werden: Wenn Barth als Protagonist einer eminent gesellschaftskritisch bzw. gar sozialistisch perspektivierten Theologie verstanden wurde, wurden sowohl historische als auch barthimmanente systematische Gründe in Anschlag gebracht. Barths Theologie wurde konsequent als kontextuelle Theologie verstanden, was aber gerade nicht heißen sollte, dass sie sich durch die Verrechnung mit ihrem Kontext erfassen ließe. Schon vor ihrer Annahme – die dann übrigens niemals erfolgte – hatte die 1972 mit dem Titel „Theologie und Sozialismus. Das Beispiel Karl Barths“ veröffentlichte Habilitationsschrift von Friedrich-Wilhelm Marquardt Furore gemacht.98 Marquardt wollte aufzeigen, dass Barths Affinität zum Sozialismus nicht nur eine Safenwiler Episode oder eine parteipolitisch bestätigte Sympathie bis zu seiner Ausweisung aus Deutschland gewesen sei, sondern essenziell sein ganzes Leben und eben vor allem auch seine ganze Theologie begleitet habe. Der für Barth charakteristische unauflösliche Zusammenhang von Dogmatik und Ethik trage nicht zuletzt im Spiegel zahlreicher persönlicher Stellungnahmen Barths zur politischen Situation die Pointierung dieser Positionierung, ohne dass sie sich durchgängig verifizieren lassen müsse. Eberhard Jüngel ist dieser Barthdeutung ebenso so entschieden entgegengetreten ist wie die im nächsten Absatz zu erläuternde Münchener Barthkritik. Bei aller Problematik dieses Einspruchs, kann aber Jüngel hinsichtlich seiner für Barth in Anschlag gebrachten Maxime durchaus zugestimmt werden: „Das Politische war ein Prädikat, eine ‚Komponente‘ seiner Theologie, niemals jedoch wurde seine Theologie ein Prädikat des Politischen.“99 Selbst wenn Marquardt eine durchgängige politische Position Barths behauptet, so wird man aber auch Marquardt kaum unterstellen können, dass er das Politische zu einem theologieprägenden Element erhoben habe, vielmehr steht in seiner Wahrnehmung die sozialistische Orientierung konsequent im Horizont der im Glauben zu lebenden 97 Vgl. Pfleiderer, „Inkulturationsdialektik“. 98 Vgl. dazu Jacobsen (Hg.), War Barth Sozialist? 99 Jüngel, Einführung in Leben und Werk, 46.

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und zu konkretisierenden Freiheit in der Entsprechung zum recht verstandenen Willen Gottes. Marquardt hebt ausdrücklich hervor, dass die Vernünftigkeit seiner politischen Äußerungen aus ihrer theologischen Motivation resultiert.100 Eher könnte bei Jüngel ein antisozialistisches Ressentiment zu vermuten sein, was aber heute, nachdem diese Debatte nun tatsächlich historisch geworden ist, nicht mehr von besonderem Interesse ist.101 Weniger beachtet – obwohl möglicherweise durchaus brisanter im Blick auf die Reichweite der kritischen Implikationen – hat Dieter Schellong in einer sozialgeschichtlichen Rekonstruktion Barths kritische Selbstverortung in der Neuzeit als einen Fundamentalangriff auf die ihr zugrundeliegende selbstbezogene bürgerliche Mentalität beschrieben, die ihre Blüte in der Zeit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebt habe, für die eben auch in besonderer Weise Friedrich Schleiermacher stehe.102 Das mit dem kapitalistischen System verbundene bürgerliche Prinzip habe mit seiner rastlosen beständigen Revolutionierung beinahe aller Lebensumstände faktisch alle überkommenen Traditionen ihrer Inhalte beraubt und dem allein von dem Interesse an Selbststeigerung bewegten Bürgertum unterworfen und damit alle Hemmnisse eliminiert, die dem vor allem wirtschaftlich operationalisierten bürgerlichen Selbststeigerungswillen von der Tradition her hätten in den Weg treten können. Die Religion in der Fassung, wie sie Schleiermacher in seinen „Reden über die Religion“ neu drapiert hat, könne hier als Paradigma für die konsequente Beerbung der Tradition durch ihre ebenso konsequente Integration in die eigene Selbstentfaltung dienen. Wenn Barth nun seine Theologie in weitreichendem Maße als Religionskritik vorgetragen habe, befinde er sich einerseits fest auf dem Boden der Neuzeit und markiere zugleich andererseits exemplarisch mit der Rückgewinnung der Subjektivität Gottes die theologisch identifizierbare Selbstwidersprüchlichkeit der Neuzeit und den damit verbundenen Wirklichkeitsverlust. Wenn Barth in Jesus die ‚Gegenwirklichkeit Gottes‘ zu einem Teil unserer Wirklichkeit werden sieht, die im Übrigen vor allem ihre eigene Selbstzerstörung betreibe, lässt er sich ausdrücklich und solidarisch auf die Neuzeit ein und setzt ihrer Zerstörungsdynamik eine überlegene Rettungsdynamik entgegen, die sich im Zeugnis der Kirche auch praktisch greifbar machen sollte.103 Wahrheit wird zu einer „Kategorie der Praxis, in der die Entsprechung zur Wirklichkeit Gottes […] stattfindet.“ (93) Barth tritt damit der abstrakten Formalisierungstendenz mit einer engagierten Inhaltlichkeit entgegen, in der die Menschlichkeit die von der Neuzeit auf den Schild gehobene Sachlichkeit auszufüllen bestimmt sei (61 f). Nun scheint auch die Kritik der Bürgerlichkeit ihre Zeit gehabt zu haben. Indem es Schellong aber weniger um ein mit dem 100 Vgl. Marquardt, Theologie und Sozialismus, 63. 101 Vgl. dazu auch Schellong, Barth von links gelesen. In den unmittelbaren Kontext der Barth-Interpretation von Marquardt gehören auch die Arbeiten von Dannemann, Winzler und Plonz und später dann auch von Gorringe (siehe Literaturverzeichnis). 102 Vgl. u. a. Schellong, Bürgertum und christliche Religion; ders., Von der bürgerlichen Gefangenschaft des kirchlichen Bewußtseins. 103 Vgl. Schellong, Karl Barth als Theologe der Neuzeit, 90 f (Seitenangaben im Text).

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Begriff bezeichnetes ideologisches Konzept, sondern um den mit einer bestimmten Mentalität verbundenen Umgang mit der Wirklichkeit geht, der keineswegs als historisch angesehen werden kann, bliebe zu wünschen, dass die Erkenntnisse seiner Untersuchungen noch die verdiente Beachtung finden mögen. Sie verweisen für Barth ebenfalls auf den konkreten kritischen Charakter der vom christlichen Glauben evozierten Freiheit. Wenn Barth dagegen von der Münchener Barthinterpretation in den neuprotestantischen Liberalisierungsprozess der neuzeitlichen Theologie eingereiht wurde, standen nicht die inhaltlichen Akzentsetzungen oder der spezifische Charakter des Freiheitsverständnisses seiner Theologie im Vordergrund, sondern Barth wurde ganz und gar in das Licht von unterschiedlichen metatheoretischen oder bestenfalls fundamentaltheologischen Rekonstruktionskonzepten gestellt, in denen ihm dann eine einmal mehr förderliche und das andere Mal eine zumindest ambivalente, wenn nicht gar hinderliche bzw. gefährliche Rolle zugemessen wurde. Die Bedeutung Barths wurde weitgehend, wenn nicht vollständig mit den zeitgenössischen Umständen verrechnet, in denen er gewirkt hat, die nun aber nicht mehr die unsrigen seien, so dass Barth uns auch heute nicht mehr unmittelbar hilfreich sein könne. Die unterschiedlichen in diesem Zusammenhang zu nennenden Positionen gehen darin zusammen, dass sich Barth durchaus genuin in die Kontinuität der neuzeitlichen Geschichte einzeichnen lasse, die nun aber über ihn hinausgegangen sei, so dass zwar noch nach ihrem Beitrag zu dieser Geschichte gefragt werden mag, aber eine unmittelbare Bedeutung für die Gegenwart nicht mehr erkennbar sei. Pointiert gesagt, bestand die Intention dieser Interpretation gewissermaßen darin, Barth durch die Integration in die heute konsequent fortzusetzende neuprotestantische Traditionslinie zum Verschwinden zu bringen. Es ist der weltanschauliche Anteil des gegen die dogmatische Denkweise von Ernst Troeltsch auf den Podest gehobenen Historismus, der hier eine spezifische Fortsetzung fand, die offenkundig nicht mit der Möglichkeit rechnete, von dem Anachronismus des damit perpetuierten Idealismus angefochten werden zu können. Die Christentumstheorie von Trutz Rendtorff ist eine kulturphilosophische Rekonstruktion, nach der die Freiheitsgeschichte der neuzeitlichen Kultur essenziell mit dem Christentum verbunden sei. Angesichts des zunächst mit dem Ersten Weltkrieg dieser Geschichte entgegenstehenden Widerspruchs, der diese Freiheitsgeschichte fundamental in Frage gestellt habe, tritt ihre Fortsetzung gleichsam in der Freiheit Gottes dem Menschen als Widerspruch entgegen, um dann – nun sehr stark vergröbert – nach seiner Läuterung dem Menschen in einer liberal-demokratischen Gesellschaft erneut anvertraut zu werden. Ihr Medium bestehe in einer ihre Grenzen permanent transzendierenden Volkskirche. Für dieses von Barth ausgefüllte Interim der gleichsam zwischenzeitlich unterbrochenen neuzeitlichen Freiheitsgeschichte ist nach Rendtorff nachvollziehbar und charakteristisch, dass die theologisch verstandene Kirche ausdrücklich vom Christentum abgehoben wird, um in ihr die vom Christentum in der konkreten Situation in Bedrängnis gebrachte Freiheit weiterleben lassen zu können, bis sie dann wieder in die christlich geprägte

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Aspekte der Wirkungsgeschichte

Gesellschaft zurückkehren kann.104 Barths Theologie wird in ihrer Substanz als Krisenbewältigungstheologie verstanden, die nach der Bewältigung der Krise ihre für die Zwischenzeit einzuräumende Bedeutung wieder verliert. Für die geschichtliche Rekonstruktion interessieren nicht die jeweils traktierten konkreten Inhalte, sondern die Aufmerksamkeit gilt einer metamaterialen Betrachtung der Freiheitsgeschichte, in der Rendtorff Barth eine aus den konkreten historischen Umständen zwischenzeitlich zugewachsene Rolle auch für den Fortschritt dieser Freiheitsgeschichte zugesteht. Unabhängig davon, wie Barth sich selbst und seinen Beitrag zur Theologie verstanden haben mag, meint Rendtorff allein im Verweis auf das, was sich de facto durch seine Theologie vollzogen hat, einen historischen Erfolg festhalten zu können.105 Bei Falk Wagner fallen aufgrund seiner eigenen subjektivitätstheoretischen Prämissen die Bewertungen aggressiver aus, so dass er in Barth weniger ein Interim diagnostiziert als vielmehr einen vom Hauptweg abzweigenden Nebenweg, der im Grunde aber ein Irrweg sei, weil er vor allem mit seiner Unterwerfung unter den radikalen Einspruch der Offenbarung eine „Gleichschaltung“ mit der autoritären und antidemokratischen Gegenbewegung gegen den Liberalismus in der Weimarer Zeit vollzogen habe, die der empfindlichen Pflanze der Weimarer Demokratie keine Chance gegeben habe.106 Seinem an einer Theorie des Absoluten orientierten Ansatz zufolge liegt der entscheidende theologische Sündenfall bereits in einer systematisch zu wenig konsequenten Bestimmung der Andersheit Gottes gegenüber dem Menschen. Es sei die in der Christologie vollzogene essenzielle Schwächung der Andersheit Gottes bei Barth, durch die sich die Theoriefigur der Kirchlichen Dogmatik in eine strukturelle Verwandtschaft sowohl mit der nationalsozialistischen als auch der stalinistischen Theoriebildung begeben habe.107 Genau diese möglicherweise ungewollte, aber faktische Verflechtung mit dem zeitgenössischen antiliberalen Autoritarismus, wie er auch für den Faschismus kennzeichnend war, wird Barth auch von Friedrich Wilhelm Graf vorgeworfen, wenn auch in einer anderen Rekonstruktionsperspektive.108 – Jüngel hat sich ausdrücklich erlaubt, „die These von den faschistischen Strukturen des Barthschen Denkens für eine Sünde wider den guten Geschmack zu halten und entsprechend tiefer zu hängen.“109 Eine sehr abgewogene und keineswegs aus der Barthschule kommende Erwiderung auf die tatsächlich abenteuerlichen Insinuationen von Graf stammt aus der Feder von Heinz Eduard Tödt.110 Das Resümee von Stefan Holtmann zur sogenannten Münchener Barthinterpretation bestätigt gleichsam aus dem entgegengesetzten Blickwinkel das Verdikt 104 Vgl. Rendtorff, Radikale Autonomie Gottes. 105 Zu Rendtorff vgl. auch Link, Theologie auf der Höhe der Zeit? 106 Vgl. Wagner, Theologische Gleichschaltung; ders., Zur gegenwärtigen Lage des Protestantismus. 107 Vgl. dazu Holtmann, Karl Barth als Theologe der Neuzeit, 338–342. 108 Vgl. Graf, Die Freiheit der Entsprechung; ders., „Der Götze wackelt“? 109 Jüngel, Vorwort, in: Barth-Studien, 13. 110 Vgl. Tödt, Karl Barth, der Liberalismus und der Nationalsozialismus. Zur historischen Kritik an Graf; vgl. v. Norden, Die Weltverantwortung der Christen, 19–45.

Die Realisierung der Freiheit

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von Ernst Troeltsch, dass die konsequent angewandte historische Wahrnehmung unserer Wirklichkeit keine dogmatischen Einsichten mehr zulasse: [Mit der Stoßrichtung, in der die verschiedenen Stimmen übereinstimmen, A. d. V.] ist die Überzeugung verbunden, dass der klassischen Disziplin der Dogmatik in der Neuzeit der Boden entzogen sei. So sind die materiale Gestalt von Barths Theologie, ihre biblischen Bezüge lediglich eine ‚Verkleidung‘ für das eigentlich verfolgte Anliegen, das auf einer geschichtsphilosophischen, absolutheits- oder subjektivitätstheoretischen Ebene angesiedelt ist. Aus diesem Grund müssen diese Deutungen nicht selten mit dem von Barth eigentlich Intendierten gegen Barths ‚Selbststilisierung‘ argumentieren.111

Auch wenn Georg Pfleiderer sich durchaus verständnisvoll für die Ergiebigkeit solcher Rekonstruktionen zeigt und ihnen dann gewiss auch gelassener begegnen kann, als wenn man – wie der Verfasser dieses Buches – in den Bemühungen vor allem problematische und ihrerseits durchaus anachronistische weltanschauliche Bindungen die Regie führen sieht, bietet sein eigener Vorschlag eine interessante weiterführende Vermittlung an. Sie besteht vor allem darin, dass er versucht, die Verortung Barths in der spezifischen zeitgenössischen Modernitätsentwicklung konsequent in Beziehung zu halten mit den Intentionen, die sich seiner Meinung nach bei Barth selbst ausmachen lassen. Er sieht Barth gerade in der als Religionskritik vorgetragenen Kritik gegen sich selbst den Anspruch preisgeben, aus dem die Theologie ihr überkommenes Selbstbewusstsein bezogen hat. Und zugleich kann Pfleiderer die radikale Kritik Barths als einen eigenen Akt eines „bewußte[n] und gewollten[n] performative[n] Selbstwiderspruch[s]“ verstehen,112 mit dem er versucht, der Theologie in einer von ihrem Inhalt und ihrer praktischen Ausrichtung bestimmten Intention zu einem grundlegend veränderten Selbstbewusstsein zu verhelfen. Eben in diesem konstruktiven Sinne sieht Pfleiderer Barth „praktische Theologie“ treiben – in einer von vornherein den politischen Gottesdienst umfassenden Reichweite und nicht nur als eine partikulare Disziplin innerhalb der Theologie.113 Weitaus weniger ambitioniert als diese aufs Ganze ausgerichteten Rekonstruktionsversuche sind eine Reihe von bedeutenden Untersuchungen, die vor allem in den 1980er Jahren erschienen sind. Diese bewegen sich deutlicher als jene in unmittelbarer Nähe zu Barths inhaltlichen Ausrichtungen und können in diesem Sinne als Exegesen der Theologie Barths verstanden werden. Auch sie fragen entweder nach einer impliziten Kontinuität Barths mit der in der Krise kritisch beleuchteten liberalen Theologie oder – mehr barthimmanent – nach der Kontinuität innerhalb der Theologie Barths selbst, indem sie versuchen, das Verhältnis des sogenannten dialektischen Barth zu dem Barth der Kirchlichen Dogmatik näher zu bestimmen. 111 Holtmann, Karl Barth als Theologe der Neuzeit, 347. 112 Pfleiderer, „Inkulturationsdialektik“, 229. 113 Vgl. Pfleiderer, Karl Barths praktische Theologie.

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Aspekte der Wirkungsgeschichte

Die verschiedenen Einzeluntersuchungen kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, lassen sich aber gegenseitig in ein produktives Gespräch bringen.114 7. Kirche und Israel Mehrfach wurde im Verlauf der voranstehenden Darlegungen beklagt, dass an Barths Hinweisen auf die theologisch gebotene Einbeziehung Israels in die Wahrnehmung der ökumenischen Herausforderung vonseiten der Ökumene bisher vor allem abweisend, zumindest aber unbehelligt vorbeigegangen wurde (vgl. Kap. I.12, 43; II.6, S. 108 f; V.4, S. 445). Seine erwählungstheologische Einzeichnung Israels in die eine Gemeinde des Volkes Gottes und somit des erwählten Bundespartners Gottes, die als diese eine Gemeinde aus Kirche und Israel besteht (vgl. Kap. IV.3.3), bleibt ein theologiegeschichtliches Novum, das offenkundig so weit aus der bisherigen ekklesiologischen Tradition heraustritt, dass die überwältigende Reichweite der damit verbundenen Implikationen die nun endlich in der Ökumene einmal über sich selbst hinausblickenden Kirchen wohl derzeitig noch hoffnungslos überfordert. Die Kirchen ziehen es in der Ökumene vor, ihre Selbstrelativierung zunächst einmal in der Begrenzung auf die von ihnen getrennten Kirchen zu halten, ohne sich von der Fundamentalanfrage Barths erreichen zu lassen. Immerhin geht diese Anfrage dahin, Israel essenziell in die Ekklesiologie einzubeziehen, so dass jedes Reden von der Kirche ohne die Benennung ihrer Verbundenheit mit dem Judentum substanziell unterbestimmt bleibt. Ohne eine substanzielle Verbundenheit mit Israel kann die Kirche nicht recht Kirche und d. h. für Barth gar nicht Kirche sein. Unabhängig von der gegebenen Berechtigung dieser Klage über die Selbstverschlossenheit der Ökumene kann aber in bemerkenswerter Spannung dazu an einer anderen Stelle eine Rezeption von Barths Hervorhebung der Bedeutung Israels für Theologie und Kirche durchaus registriert werden. Wird die Aufmerksamkeit anstatt auf die Ökumene auf den jüdisch-christlichen Dialog und die mit ihm verbundene Erneuerung des Verhältnisses der Kirche zu Israel gerichtet, zeigen sich deutliche Spuren der Theologie Barths, auch wenn das Bild keineswegs durchgängig wirklich klar ist. Was also den Kirchen bisher gemeinsam noch nicht möglich zu sein scheint, hat in einem weitreichenden Maße sowohl in der konfessionsgebundenen Theologie als auch in noch überzeugenderem Maße im Selbstverständnis der Kirchen insbesondere in Deutschland Fuß gefasst.115 Seit Beginn der 1960er Jahre formierte sich zunächst vor allem im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft „Juden und Christen“ beim Deutschen Evangelischen Kirchentag der jüdisch-christliche Dialog, der dann seit den 1980er Jahren auch die meisten Kirchen in Deutschland dazu bewegt hat, selbstkritisch ihre überkommene judenfeindliche Tradition aufzuarbeiten und ihr 114 Vgl. u. a. Anzinger, Beintker, v. der Kooi, Korsch, Ruschke, McCormack, Spiekermann (siehe Literaturverzeichnis). 115 Vgl. dazu Weinrich, Jüdisch-christlicher Dialog; Henrix, Jüdisch-christlicher Dialog.

Kirche und Israel

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Selbstverständnis in Bezug auf Israel theologisch grundlegend neu zu bestimmen und bis hinein in ihre Verfassungen bzw. Grundordnungen die essenzielle Verbundenheit mit Israel ausdrücklich zu formulieren.116 Zwei Linien der Rezeption lassen sich in diesem Zusammenhang voneinander unterscheiden. Einerseits verweisen zentrale Einsichten, die im jüdisch-christlichen Gespräch gemacht wurden, unmittelbar auf Theologumena, wie sie sich vor allem bei Barth und dann auch bei Hans Joachim Iwand117 finden, ohne dass diese immer als Inspiratoren ausdrücklich benannt werden, d. h. es lässt sich eine Verbindung zwischen Barth und zentralen Argumenten im jüdisch-christlichen Dialog identifizieren. Andererseits haben sich viele der maßgebenden Theologen des jüdisch-christlichen Dialogs mit ihren Entdeckungen ausdrücklich auf Karl Barth berufen, auch wenn sich einige von ihnen dann dazu gedrängt sahen, noch weiter über ihn hinauszugehen. Da wären unter anderem Heinrich Vogel, Hans Joachim Kraus, Helmut Gollwitzer, Martin Stöhr, Bertold Klappert und Friedrich-Wilhelm Marquardt zu nennen, um einmal von der Fortsetzung in der dann folgenden Generation118 zu schweigen. 1. Das in systematischer Hinsicht zentrale Motiv, das entscheidend den jüdisch-christlichen Dialog geprägt hat, ist das Motiv der bleibenden Erwählung Israels, wie es von Barth in nachdrücklicher Weise in seiner Erwählungslehre hervorgehoben wird. Es ist der Schlüssel beinahe zu allen anderen Themen des jüdisch-christlichen Dialogs bis einschließlich zur Ablehnung der Judenmission. In der Sache spricht Barth bereits von einer Prärogative Israels gegenüber den dann im Bund hinzugekommenen Heiden. Die Kirche habe allen Grund, sich immer wieder daran zu erinnern (KD II/2, 331 f). Es waren die Niederlande, die in der Rezeption der theologischen Würdigung Israels für die christliche Theologie vorangegangen sind, wofür insbesondere der Name Kornelis Heiko Miskotte steht, der seinerseits auf eigenständige Weise Anregungen von Barth aufgegriffen hat. Die deutsche Debatte folgte erst später und empfing ihre Anregungen großen Teils eher über die Niederlande als von Barth direkt. Die angedeutete Unklarheit in der Wahrnehmung Barths zeigte sich vor allem in der anlässlich des 50. Jubiläums der Barmer Theologischen Erklärung intensiv geführten Diskussion, in der es um ihre fehlende siebte These ging.119 Der Umstand, dass in dem Barmer Bekenntnis die Juden nicht explizit vorkommen, wurde jetzt mit unterschiedlicher Intensität als ein auf dieser Erklärung liegender Schatten interpretiert, der dann auch gleich auf Barth als ihren Verfasser fiel. Immerhin versäumt es auch das von Barth mitverfasste das „Darmstädter Wort“ des Bruderrats der Bekennenden Kirche von 1947120, die Schuld an den Juden eigens zu benennen. Barth selbst 116 Vgl. dazu die umfänglichen Dokumentationsbände „Die Kirchen und das Judentum“ (s. im Literaturverzeichnis unter: Quellen). 117 Vgl. dazu Klappert, Israel und die Völkerwelt. 118 Zu nennen wären hier etwa Brandau und Goldmann. 119 Vgl. u. a. J. Moltmann (Hg.), Bekennende Kirche wagen. Barmen 1934–1984. 120 Das Zeitalter der Weltkriege und Revolutionen (s. im Literaturverzeichnis unter: Quellen), 195 f.

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Aspekte der Wirkungsgeschichte

hat später zwar hinsichtlich des Barmer Bekenntnisses ausdrücklich eingestanden, dass ihn dieses Versäumnis auch selbst belaste, dass aber zugleich zu realisieren sei, dass es mit einer solchen siebten These kein Barmer Bekenntnis gegeben hätte (vgl. Kap. II.5, S. 94). Wie wenig aber Barths Engagement für die Juden zur Zeit des Nationalsozialismus und auch die Klarheit, in der er die katastrophale Situation wahrnahm, tatsächlich bekannt gewesen ist, wurde dann erst 1996 im Spiegel der Darlegungen von Eberhard Busch in seinem Buch „Unter dem Bogen des einen Bundes“ wirklich bewusst. 2. Diese etwas schwierige Gemengelage findet sich auch bei denjenigen, die sich in ihrem Engagement für eine nachhaltige Überwindung des theologischen und kirchlichen Antisemitismus und Antijudaismus und somit für eine grundlegende Erneuerung der Theologie auf Barth beriefen. Es war zunächst und zugleich maßgebend Friedrich-Wilhelm Marquardt, der mit seiner 1967 publizierten Dissertation „Die Entdeckung des Judentums für die christliche Theologie“ die Aufmerksamkeit auf Barths „Israeltheologie“ lenkte und zugleich die nun noch zu überschreitende Grenze markierte, die Barth im Horizont seiner Distinktionen noch nicht hinter sich lassen konnte. Der entscheidende sachliche Punkt besteht in Barths Beschränkung der hervorgehobenen Zeugenschaft Israels auf den gekreuzigten, während der Kirche die Zeugenschaft auf den auferstandenen Jesus Christus zugewiesen wird. Marquardt hatte schon 1967 einen Vorschlag zur Behebung dieses Desiderats unterbreitet, den er aber aus seiner Dissertation herausnahm und erst 1983 in einer bereits deutlich veränderten Situation separat veröffentlichte,121 was dann auch zu einigen Irritationen führte. Bald darauf (1988) legte Marquardt dann den ersten Band einer eigenen siebenbändigen Dogmatik vor, mit der er konsequent das Neuland betritt, in das er nicht zuletzt im freien Anschluss an Barth die Theologie gewiesen sah.122 Hier teilt er sich jetzt mit Barth die Einsamkeit, in die sich Barth in der Ökumene bereits mit den ekklesiologischen Implikaten seiner Erwählungslehre begeben hatte. Allem Anschein nach wird die Dogmatik Marquardts ebenso zu warten haben wie Barths Option für die Ökumene. Barth hat selbst die Rekonstruktion seiner Israeltheologie durch Marquardts zuhöchst gelobt und zugleich zur Vorsicht beim Überschreiten der von ihm noch respektierten Grenze gemahnt, wobei die angemahnte Vorsicht ausdrücklich nicht der Überschreitung dieser Grenze als solcher gilt.123 Sodann ist in diesem Zusammenhang besonders Bertold Klappert zu nennen, der sich durch seine maßgebliche Beteiligung am Zustandekommen des Synodal­ beschlusses der Rheinischen Kirche „Zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden“124 1980 große Verdienste hinsichtlich des dann auch beinahe alle deut121 Marquardt, Die Gegenwart des Auferstandenen bei seinem Volk Israel. 122 Marquardt, Von Elend und Heimsuchung der Theologie (auf diese Prolegomena folgt in zwei Bänden die Christologie: Das christliche Bekenntnis zu Jesus, dem Juden, München 1990 u. 1991, und in drei Bänden die Eschatologie: Was dürfen wir hoffe, wenn wir hoffen dürfen, Gütersloh 1993, 1994 u. 1996, und als theologiegeschichtliches Novum eine Utopie: Eia, wärn wir da, Gütersloh 1997). 123 Barth an Marquardt am 05.09.1967, Briefe 1961–1968, 419–423. 124 Klappert/Starck (Hg.), Umkehr und Erneuerung.

„Resident Aliens“ – Ansässige Fremdlinge

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schen Landeskirchen erfassenden Erneuerungsprozesses erworben hat, der dann 2001 auch auf europäischer Ebene seine Fortsetzung in einer beachtlichen Studie der Leuenberger Kirchengemeinschaft – heute: Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) – gefunden hat.125 Mit dem Versuch einer systematischen Strukturierung aller denkbaren Verhältnisbestimmungen zwischen Kirche und Israel identifiziert Klappert „Barths Israellehre in der Spannung zwischen dem christologischen Partizipationsmodell und dem ekklesiologischen Integrationsmodell“.126 Die hier nicht weiter zu erläuternden Begriffe deuten Durchbruch und Grenze an, die auch er bei Barth gegeben sieht. So gewiss bei Barth der Durchbruch als der qualitativ größere Schritt gegenüber der dann von ihm gezogenen Grenze zu würdigen ist, sind es aber verständlicherweise tatsächlich die gebliebenen Probleme, deren Ausräumung sein besonderes Engagement gilt. Damit haben er sich ebenso wie Marquardt als rechte Schüler Barths erwiesen, die sich nicht wie die von Barth ungeliebten „Barthianer“ mit einer Konservierung der von ihm vorgetragenen Lehren zufriedengeben. Auch wenn sich in diesem Bereich möglicherweise die greifbarsten Wirkungen von Barths Theologie ausmachen lassen und dies eben auch bei den Kirchen, die stets seine ersten Adressaten waren, muss konstatiert werden, dass inzwischen die theologische und kirchliche Aufmerksamkeit auf diesen ekklesiologischen Fundamentalaspekt im deutschsprachigen Bereich wieder signifikant zurückgegangen, wenn auch nicht gänzlich verschwunden ist.127 Im angelsächsischen Bereich wurde 1992 insbesondere durch die Monographie von Kathryn Sonderegger diese Dimension der Theologie Barths neu entdeckt128, die dann beispielsweise von Mark R. ­Lindsay129 vertieft wurde und gerade jetzt ganz aktuell in einem von George Hunsinger 2018 herausgegebenen Sammelband130 fortgeführt und vertieft wird. 8. „Resident Aliens“ – Ansässige Fremdlinge Zur aktuellen Verortung der Christen in der zeitgenössischen nordamerikanischen Gesellschaft haben Stanley Hauerwas und William H. Willimon einer gemeinsam verfassten Schrift den Titel „Resident Aliens“ gegeben. Sie bestreiten in ihrem inzwischen in zahlreichen Auflagen und nach 25 Jahren 2014 in erweiterter Form erschienenen Buch vehement den christlichen Anschein, in dem sich die nord125 Siehe oben Anm. 116; Leuenberger Kirchengemeinschaft, Kirche und Israel. 126 Klappert, Israel und die Kirche, 38. 127 Die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers ist beispielsweise derzeitig engagiert damit beschäftigt, die Verankerung ihrer Verbundenheit mit dem jüdischen Volk in ihrer Verfassung deutlich zu intensivieren. 128 Sonderegger, That Jesus Christ Was Born as a Jew. 129 Lindsay, Barth, Israel, and Jesus. 130 Hunsinger (Hg.), Karl Barth: Post-Holocaust Theologian?; vgl. auch ders., After Barth: A Christian Appreciation of Jews and Judaism.

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amerikanische Gesellschaft zur präsentieren pflegt. Die moderne Kultur, in der die Nordamerikaner leben, sei keine christliche Kultur – so offenkundig das eigentlich sein sollte, so ausdrücklich muss es jedoch erst einmal gesagt werden. Und zugleich bestreiten die Autoren der christlichen Gemeinde ebenso ihren gesamtgesellschaftlichen Anspruch, in dem sie sich die Rolle des Gewissens der Gesellschaft anmaßt. Ihrer Meinung nach, gelte es zur Kenntnis zu nehmen, dass ein zivilreligiöses Christentum nichts mehr mit den essenziellen Orientierungen des christlichen Glaubens und der Platzanweisung für die Gemeinde zu tun habe. Für ihre fundamentale theologische Neuentdeckung einer tatsächlich ihrem Wesen entsprechenden Kirche beziehen beide wesentliche Impulse aus der Theologie Karl Barths und setzen sich damit ausdrücklich von den Vermittlungsambitionen Paul Tillichs ab. „In Barth we rediscovered the New Testament assertion that the purpose of theological endeavor is not to describe the world in terms that make sense, but rather to change lives, to be re-formed in light of the stunning assertions of the Gospel.“131 Damit stellen sie sich pointiert in die bekennende Tradition der Barmer Theologischen Erklärung (44), welche die Gemeinde daran erinnert, dass es Umstände gibt, unter denen sie zu widerstehen habe. Der Konsens einer Gesellschaft kann totalitäre Züge annehmen, wenn er nur einzig dazu dient, dem im Grunde selbstbezogenen Individuum irgendein Zugehörigkeitsgefühl zu vermitteln (78). Nach christlichem Verständnis steht die Gemeinschaft im Zeichen einer sie prägenden Bestimmung und ist nicht einfach Selbstzweck (78). Solange aber Christen nicht einmal davor zurückscheuen, sogar die Atombombe willkommen zu heißen, scheint es keine Grenze für die Kumpanei der Kirche mit der Welt mehr zu geben (27). Dagegen sei die Kirche dazu da, „ein der Welt neues, ihrer Art gründlich unähnliches, ihr verheißungsvoll widersprechendes Zeichen aufzurichten“ (KD IV/3, 891 = CD IV/3, 779; Hauerwas/Willimon, 83). Es entspricht der methodistischen Tradition, der die Verfasser angehören, Theologie vor allem auf die praktischen Implikationen des Glaubens für die konkrete Lebensgestaltung auszurichten – eine Intention, die in eigener Weise auch für Barth stets bestimmend gewesen ist. Eine besondere Aufmerksamkeit auf die ethischen Implikationen der Wort-Gottes-Theologie findet sich auch bei John Webster und Paul T. Nimmo.132 Der Vorwurf der Neoorthodoxie, der lange Zeit in den USA zu einer deutlichen Distanzierung Barth gegenüber geführt hatte, ist hier ebenso wie wohl überhaupt endgültig verflogen. Es waren vor allem Hans Frei und George A. Lindbeck, denen es bereits in der vorangegangenen Generation gelungen ist, die nordamerikanische Theologie neu für Barth zu interessieren. Gegenüber der durchaus verbreiteten Neigung zu einer am eigenen Wohlfühlen orientierten Kirchlichkeit, bei der selbst die „charity“ vor allem dem eigenen Glanze dient, bekam mit Barth der besondere Charakter des christlichen Zeugnisses und der Sendung der Kirche wieder profiliertere Aufmerksamkeit. In jüngerer Zeit lockerte sich in den USA auch die von den 131 Hauerwas/Willimon, Resident Aliens, 28 (Seitenangaben im Text). 132 Vgl. Webster, Karl Barth’s Moral Theology; Nimmo, Being in Action.

„Resident Aliens“ – Ansässige Fremdlinge

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Evangelikalen gepflegte Spannung im Verhältnis zu Barth.133 Insgesamt gibt es eine steigende Erwartung, die in die Beschäftigung mit Barth gesetzt wird, insbesondere auch unter den Studierenden, die sich gern den anspruchsvollen Herausforderungen einer Lektüre Barths stellen. Neben anderen stehen vor allem Bruce L. McCormack für eine liberal-konservative134 und George Hunsinger für eine gesellschaftspolitisch eher kritisch und ökumenisch orientierte Wahrnehmung Barths.135 Im Blick auf die Gotteslehre führen die beiden eine bis heute anhaltende Auseinandersetzung, die längst auch größere Kreise gezogen hat. Die Frage ist, ob Barths Überlegungen in die Richtung weisen, die Trinitätslehre sachlich im Erwählungsratschluss Gottes zu verankern (so die revisionistische Interpretation von McCormack, die Barth hier – wenn auch noch nicht explizit genug – von der Tradition abweichen sieht136), oder ob nicht umgekehrt die Trinität die Voraussetzung für das Erwählungshandeln Gottes sei (so die traditionalistische Interpretation von Hunsinger, der in dem revisionistischen Vorschlag die Freiheit Gottes gefährdet sieht137). Nach meinem Eindruck hat Hunsinger hier die überzeugenderen Argumente auf seiner Seite. Freilich aus ganz anderen Gründen lässt sich auch die postmoderne Barthrezeption zu den „Resident Aliens“ zählen, selbst wenn hier möglicherweise eher die Fremdheit gegenüber Barth als gegenüber den gegenwärtigen Zeitumständen ausschlaggebend ist. In diesem Zusammenhang wird in der Regel vor allem auf Graham Wards Rekonstruktionen verwiesen, die aufzeigen wollen, dass Barth den für die Moderne kennzeichnenden ‚Logozentrismus‘ mit dem Anspruch, die ganze Wirklichkeit denkend und handelnd der eigenen Regie unterwerfen zu können, überwindet. Anhand von Barths zweiten Römerbiefkommentars versucht Ward aufzuzeigen, dass Barth damit befasst sei, die für den Menschen nicht zu identifizierenden Offenheit der Wirklichkeit herauszustellen.138 Seine Dialektik wäre gründlich verkannt, wenn sie als Methode und nicht vor allem als Platzhalter für die letzte Undurchdringlichkeit der Wirklichkeit verstanden würde. Dabei schlägt Ward eine Brücke von Barths Umgang mit der Andersheit der Botschaft des Paulus zu Jacques Derridas Begriff der „différence“ und annonciert damit die besondere Anschlussfähigkeit Barths an die Postmoderne. Philipp Stoellger macht zu Recht darauf aufmerksam, dass es problematisch oder nach gegenwärtigem Stand zumindest etwas voreilig sei, von einer postmodernen Rezeption Barths zu sprechen, vielmehr könne es angemessenerweise nur um das Thema „Barth und die Postmoderne“ gehen, und selbst in dieser bescheideneren Fassung bereite der Versuch einer Verhältnisbestimmung vor allem Verlegenhei133 Vgl. McCormack/Anderson (Hg.), Karl Barth and American Evangelicalism. 134 Vgl. McCormack, Orthodox and modern. 135 Vgl. Hunsinger, Disruptive Grace; ders. Conversational Theology. 136 Vgl. u. a. McCormack, Grace and Being; ders., ‚Election and Trinity‘. 137 Vgl. u. a. Hunsinger, Election and the Trinity; ders., Reading Barth with Charity; zur Debatte vgl. auch u. a. Cassidy, Gibson, Hector und Molnar (siehe Literaturverzeichnis). 138 Ward, Barth, Derrida and the Language of Theology; ders., Barth, Modernity and Postmodernity. Vgl. auch Neven, Dialektik als Sprachform der Theologie Karl Barths.

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ten.139 Indem er diese – teilweise mit eingestreuten eigenen Pointen – identifiziert, unterbreitet er als Konsequenz für eine weitere sinnvolle Vertiefung einen Strukturvorschlag für eine systematische Aufarbeitung des Verhältnisses von Barth und Postmoderne. Angesichts des Umstandes, dass es der gegenwärtigen Generation im Unterschied zur vorhergehenden Generation – Michael Beintker nennt hier Gerhard Ebeling, Wolfhart Pannenberg, Eberhard Jüngel und Jürgen Moltmann140 (und es ließen sich noch mit gewissem Abstand Wilfried Joest, Wilfried Härle, Gunther Wenz und Eilert Herms ergänzen) – noch nicht gelungen ist, einen neu orientierten dogmatischen Entwurf zur Diskussion zu stellen, könnten die hier von Stoellger genannten systematischen Fragestellungen eine Hilfestellung zur Identifizierung anstehender Herausforderungen der Theologie sein. Auch Michael Trowitzsch gibt hier zahlreiche Anregungen für noch zu führende höchst relevante Debatten gerade im Anschluss an Karl Barth.141 Sowohl für George A. Lindbeck als auch in charakteristischer Weise für große Teile der niederländischen Barthrezeption gilt, dass Barth vor allem durch seinen weithin eigenständigen Umgang mit den biblischen Texten, d. h. seiner stets möglichst strikt dem biblischen Wortlaut folgenden Exegese inspirierend gewirkt habe. Insbesondere das neue Interesse am Alten Testament hat dann auch – durchaus in der Perspektive Barths – eine intensive Beförderung der Beschäftigung mit dem Judentum mit sich gebracht.142 Dabei geht es wiederum um eine andere Fremde, wie sie uns in den biblischen Texten entgegentritt, die dann auch in der Theologie ihren Spiegel findet, was sowohl Barth als auch seine niederländische Rezeption in besonderer Weise stimuliert hat. Um auf die „Resident Aliens“ zurückzukommen, sei zumindest andeutend darauf hingewiesen, dass Barth auch über den Bereich der Theologie hinaus Interesse auf sich gezogen hat, etwa in der Philosophie – dafür gilt besonders Heinrich Scholz als herausragend –, aber auch in der Psychologie – Wolfgang Schildmanns Deutungen der Träume Barths werfen allerdings mindestens ebenso viele Fragen auf, wie sie Einsichten erschließen143 – und schließlich in der Literatur – neben Carl Zuckmayer und Friedrich Dürrenmatt nun auch in besonderer Weise Martin Walser.144

139 Vgl. Stoellger, Barth und die Postmoderne (mit instruktiven Literaturhinweisen). 140 Vgl. Beintker, Am Beginn des 21. Jahrhunderts, 466. 141 Vgl. Trowitzsch, Karl Barth heute. 142 Vgl. u. a. Miskotte, Breukelman, Boer und Reeling Brouwer. 143 Vgl. Schildmann, Was sind das für Zeichen? 144 Vgl. Walser, Über Rechtfertigung; vgl. dazu Söding, Rechtfertigung, eine Verheißung.

Ausgewählte Literatur

Die Werke Barths werden, soweit sie in der Karl Barth Gesamtausgabe publiziert sind, ausschließlich nach dieser zitiert. Die verwendeten Abkürzungen richten sich nach: Religion in Geschichte und Gegenwart, hg. v. Hans Dieter Betz, Don S. Browning, Bernd Janowski u. Eberhard Jüngel, vierte, völlig neu bearb. Aufl., Bd. 8, Tübingen 2005 und wenn dort nicht ausgewiesen nach: Siegfried M. Schwertner, Theologische Realenzyklopädie, Abkürzungsverzeichnis, 2., überarb. u. erw. Aufl., Berlin/New York 1994. Die hier aufgeführte Literatur wird in den Fußnoten teilweise mit Kurztiteln zitiert. 1. Publikationen von Karl Barth Barth, Karl: Abschied, in: Vorträge und kleinere Arbeiten 1930–1933, hg. v. Michael Beintker, Michael Hüttenhoff u. Peter Zocher (Karl Barth Gesamtausgabe 49), Zürich 2013, 492–515 (zuerst zusammen mit Voten von Eduard Thurneysen und Georg Merz in: ZZ 11 (1933), 536–554). –: Ad Limina Apostolorum, Zürich 1967. –: Aufbrechen – Umkehren – Bekennen, in: Ders., Letzte Zeugnisse, Zürich 21970, 61–71. –: Biblische Fragen, Einsichten und Ausblicke [1920], in: Vorträge und kleinere Arbeiten 1914–1921, in Verbindung mit Friedrich-Wilhelm Marquardt hg. v. Hans-Anton Drewes (Karl Barth Gesamtausgabe 48), Zürich 2012, 662–701. –: Brechen und Bauen. Eine Diskussion [1947], in: Ders., Der Götze wackelt, hg. v. Karl Kupisch, Berlin 1961, 108–123. –: Brief an E. Bethge, in: EvTh 28 (1968), 555 f. –: Brief an einen amerikanischen Kirchenmann (Samuel M. Cavert), 1942, in: Offene Briefe 1935–1942, hg. v. Diether Koch (Karl Barth Gesamtausgabe 36), Zürich 2001, 358–398. –: Briefe 1961–1968, hg. v. Jürgen Fangmeier u. Hinrich Stoevesandt (Karl Barth Gesamtausgabe 6), Zürich 1975. –: Briefe des Jahres 1933, hg. v. Eberhard Busch unter Mitarb. v. Bartold Haase u. Barbara Schenk, Zürich 2004.

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Ausgewählte Literatur

–: Der Christ als Zeuge, in: Vorträge und kleinere Arbeiten 1934–1935, hg. von Michael Beintker, Michael Hüttenhoff u. Peter Zocher (Karl Barth Gesamtausgabe 52), Zürich 2017, 367–400. –: Der Christ in der Gesellschaft [1919], in: Vorträge und kleinere Arbeiten 1914–1921, in Verbindung mit Friedrich-Wilhelm Marquardt hg. v. Hans-Anton Drewes (Karl Barth Gesamtausgabe 48), Zürich 2012, 546–598. –: Christengemeinde und Bürgergemeinde (ThSt 20), Zürich 1946. –: Die christliche Dogmatik im Entwurf. Erster Band: Die Lehre vom Worte Gottes. Prolegomena zur christlichen Dogmatik [1927], hg. v. Gerhard Sauter (Karl Barth Gesamtausgabe 14), Zürich 1982. –: Das christliche Leben. Die Kirchliche Dogmatik IV/4, Fragmente aus dem Nachlaß, hg. v. Hans-Anton Drewes u. Eberhard Jüngel (Karl Barth Gesamtausgabe 7), Zürich 1976. –: Die christliche Verkündigung im heutigen Europa. Ein Vortrag, München 1946. –: Christus und Adam nach Röm 5, in: Ders., Rudolf Bultmann. Ein Versuch, ihn zu verstehen – Christus und Adam nach Röm 5. Zwei theologische Studien, Zürich 3 resp. 21964 [zuerst ThSt 35, Zollikon-Zürich 1952]. –: Credo. Die Hauptprobleme der Dogmatik dargestellt im Anschluß an das Apostolische Glaubensbekenntnis, München 1935. –: Dankesworte anläßlich der Feier zu seinem 80. Geburtstag am 9. Mai 1966, in: EvTh 26 (1966), 615–620. –: Die Deutschen und wir, in: Ders., Eine Schweizer Stimme 1938–1945, Zürich 31985, 334– 370. –: Dogmatik im Grundriß [1947], Zürich 61983. –: Die dogmatische Prinzipienlehre bei Wilhelm Herrmann [1925], in: Vorträge und kleinere Arbeiten 1922–1925, hg. v. Holger Finze (Karl Barth Gesamtausgabe 19), Zürich 1990, 545–603. –: Einführung in die evangelische Theologie, Zürich 21963. –: Das erste Gebot als theologisches Axiom, in: Vorträge und kleinere Arbeiten 1930–1933, hg. v. Michael Beintker, Michael Hüttenhoff u. Peter Zocher (Karl Barth Gesamtausgabe 49), Zürich 2013, 209–241. –: Erklärung über das rechte Verständnis der reformatorischen Bekenntnisse in der Deutschen Evangelischen Kirche der Gegenwart, in: Vorträge und kleinere Arbeiten 1934–1935, hg. v. Michael Beintker, Michael Hüttenhoff u. Peter Zocher (Karl Barth Gesamtausgabe 52), Zürich 2017, 65–83. –: Ethik I [1928], hg. v. Dietrich Braun (Karl Barth Gesamtausgabe 2), Zürich 1973. –: Ethik II [1928/29], hg. v. Dietrich Braun (Karl Barth Gesamtausgabe 10), Zürich 1978. –: Das Evangelium in der Gegenwart (TEH 25), München 1935. –: Evangelium und Gesetz, in: Gesetz und Evangelium, hg. v. Ernst Kinder u. Klaus Haendler (WdF 142), Darmstadt 1968, 1–29 (zuerst: TEH 32, München 1935 = TEH NF 50, München 31961). –: Fides quaerens intellectum. Anselms Beweis der Existenz Gottes im Zusammenhang seines theologischen Programms [1931], hg. v. Eberhard Jüngel u. Ingolf U. Dalferth (Karl Barth Gesamtausgabe 13), Zürich 1981.

1. Publikationen von Karl Barth

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–: Fragen an das „Christentum“, in: Vorträge und kleinere Arbeiten 1930–1933, hg. v. Michael Beintker, Michael Hüttenhoff u. Peter Zocher (Karl Barth Gesamtausgabe 49), Zürich 2013, 141–155. –: Den Gefangenen Befreiung. Predigten aus den Jahren 1954–1959, Zollikon 1959. –: Die geistigen Voraussetzungen für den Neuaufbau in der Nachkriegszeit, in: Ders., Eine Schweizer Stimme 1938–1945, Zürich 31985, 414–432. –: Die Gerechtigkeit Gottes, in: Vorträge und kleinere Arbeiten 1914–1921, in Verbindung mit Friedrich-Wilhelm Marquardt hg. v. Hans-Anton Drewes (Karl Barth Gesamtausgabe 48), Zürich 2012, 225–245. –: Das Geschenk der Freiheit. Grundlegung evangelischer Ethik (ThSt 39), Zollikon-Zürich 1953. –: Gespräche 1959–1962, hg. v. Eberhard Busch (Karl Barth Gesamtausgabe 25), Zürich 1995; Gespräche 1963, hg. v. Eberhard Busch (Karl Barth Gesamtausgabe 41), Zürich 2005; Gespräche 1964–1968, hg. v. Eberhard Busch (Karl Barth Gesamtausgabe 28), Zürich 1997. –: Der Götze wackelt. Zeitkritische Aufsätze, Reden und Briefe von 1930–1960, hg. v. Karl Kupisch, Berlin 1961. –: Gotteserkenntnis und Gottesdienst nach reformatorischer Lehre. 20 Vorlesungen (Gifford Lectures) über das Schottische Bekenntnis von 1560, Zollikon 1938. –: Gottes Offenbarung nach der Lehre der christlichen Kirche [1927], in: Vorträge und kleinere Arbeiten 1925–1930, hg. v. Hermann Schmidt (Karl Barth Gesamtausgabe 24), Zürich 1994, 215–295. –: How my mind has changed, in: Ders., Dialektische Theologie. Schriften I, hg. u. kommentiert v. Dietrich Korsch, Leipzig 2009, 626–664 (zuerst in: The Christian Century, Sept. 1939; März 1949 u. Jan. 1960; deutsch in: EvTh 8 (1948/49), 268–282 u. 20 (1960), 97–106). –: Karl Barth antwortet auf eine Frage: Wie können ausländische Kirchen der Deutschen Evangelischen Kirche helfen? [22. April 1937], in: Ders., Texte zur Barmer Theologischen Erklärung, hg. v. Martin Rohkrämer, Zürich 1984, 59–64. –: Karl Barth zum Kirchenkampf, [hg. v. Ernst Wolf] (TEH NF 49), München 1956. –: Die Kirche und die Kirchen [1935], in: Ders., Theologische Fragen und Antworten. Gesammelte Vorträge 3, Zollikon 1957, 214–232. –: Die Kirche und die politische Frage von heute, in: Ders., Eine Schweizer Stimme 1938– 1945, Zürich 31985, 69–108. –: Kirche und Theologie [1925], in: Vorträge und kleinere Arbeiten 1914–1921, in Verbindung mit Friedrich-Wilhelm Marquardt hg. v. Hans-Anton Drewes (Karl Barth Gesamtausgabe 48), Zürich 2012, 644–682. –: Die Kirche zwischen Ost und West [1949], in: Ders., Der Götze wackelt, hg. v. Karl Kupisch, Berlin 1961, 124–143. –: Die Kirchliche Dogmatik (KD), Bd. I/1–IV/4 u. Register, Zürich 1932–1970. –: Die kirchliche Lehre von der Taufe (ThSt 14), Zollikon-Zürich 1943 –: Letzte Zeugnisse, Zürich 21970. –: Lutherfeier 1933 (TEH 4), München 1933. –: Die Menschlichkeit Gottes (ThSt 48), Zürich 1956. –: Moderne Theologie und Reichsgottesarbeit, in: ZThK 19 (1909), 317–321.

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Ausgewählte Literatur

–: Nachwort, in: Schleiermacher-Auswahl, hg. v. Heinz Bolli, Gütersloh 21980, 290–312. –: Nein! Antwort an Emil Brunner, in: Vorträge und kleinere Arbeiten 1934–1935, hg. v. Michael Beintker, Michael Hüttenhoff u. Peter Zocher (Karl Barth Gesamtausgabe 52), Zürich 2017, 429–527. –: Die neue Welt in der Bibel [1917], in: Vorträge und kleinere Arbeiten 1914–1921, in Verbindung mit Friedrich-Wilhelm Marquardt hg. v. Hans-Anton Drewes (Karl Barth Gesamtausgabe 48), Zürich 2012, 317–343. –: Die Not der evangelischen Kirche, in: Vorträge und kleinere Arbeiten 1930–1933, hg. v. Michael Beintker, Michael Hüttenhoff u. Peter Zocher (Karl Barth Gesamtausgabe 49), Zürich 2013, 64–122. –: Not und Verheißung der christlichen Verkündigung, in: Ders., Vorträge und kleinere Arbeiten 1922–1925, hg. v. Holger Finze (Karl Barth Gesamtausgabe 19), Zürich 1990, 65–97. –: Offenbarung, Kirche, Theologie, in: Vorträge und kleinere Arbeiten 1934–1935, hg. v. Michael Beintker, Michael Hüttenhoff u. Peter Zocher (Karl Barth Gesamtausgabe 52), Zürich 2017, 169–217. –: Offene Briefe 1909–1935, hg. v. Diether Koch (Karl Barth Gesamtausgabe 35), Zürich 2001; Offene Briefe 1935–1942, hg. v. Diether Koch (Karl Barth Gesamtausgabe 36), Zürich 2001; Offene Briefe 1945–1968, hg. v. Diether Koch (Karl Barth Gesamtausgabe 15), Zürich 1984. –: Die ökumenische Aufgabe in den reformierten Kirchen der Schweiz. Vortrag, gehalten an der kirchlichen Tagung in Zürich-Wipkingen am 14. März 1949. Mit den einleitenden Diskussionsvoten von Emil Brunner und Erich Studer, Zollikon-Zürich 1949. –: Politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens (TEH NF 34), München 1952. –: Predigten 1914, hg. v. Ursula u. Jochen Fähler (Karl Barth Gesamtausgabe 5), Zürich 1974. –: Predigten 1916, hg. v. Hermann Schmidt (Karl Barth Gesamtausgabe 29), Zürich 1998. –: Predigten 1954–1967, hg. v. Hinrich Stoevesandt (Karl Barth Gesamtausgabe 12), Zürich 1979. –: Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert. Ihre Vorgeschichte und ihre Geschichte, Zollikon 1947. –: Quousque tandem …?, in: Vorträge und kleinere Arbeiten 1925–1930, hg. v. Hermann Schmidt (Karl Barth Gesamtausgabe 24), Zürich 1994, 521–535. –: Rechtfertigung und Recht (ThSt 1), Zollikon 1938 (auch in: Karl Barth, Eine Schweizer Stimme 1938–1945, Zürich 31985, 13–57). –: Reformation als Entscheidung, in: Vorträge und kleinere Arbeiten 1930–1933, hg. v. Michael Beintker, Michael Hüttenhoff u. Peter Zocher (Karl Barth Gesamtausgabe 49), Zürich 2013, 516–552. –: Religion und Leben, in: Vorträge und kleinere Arbeiten 1914–1921, in Verbindung mit Friedrich-Wilhelm Marquardt hg. v. Hans-Anton Drewes (Karl Barth Gesamtausgabe 48), Zürich 2012, 409–434. –: Der Römerbrief (Erste Fassung) 1919, hg. v. Hermann Schmidt (Karl Barth Gesamtausgabe 16), Zürich 1985. –: Der Römerbrief (Zweite Fassung) 1922, hg. v. Cornelis van der Kooi u. Katja Tolstaja (Karl Barth Gesamtausgabe 47), Zürich 2010.

1. Publikationen von Karl Barth

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–: Rudolf Bultmann. Ein Versuch ihn zu verstehen [zuerst ThSt 34, Zollikon-Zürich 1952] – Christus und Adam nach Röm 5 [zuerst ThSt 35, Zollikon-Zürich 1952] – Zwei theologische Studien, Zürich 3 resp. 21964. –: Rückblick, in: Das Wort sie sollen lassen stahn. FS f. D. Albert Schädelin, hg. v. Johannes Dürr, Alfred Frankhauser u. Wilhelm Michaelis, Bern 1950, 1–8. –: Eine Schweizer Stimme 1938–1945, Zürich 31985. –: Theologische Existenz heute!, in: Vorträge und kleinere Arbeiten 1930–1933, hg. v. Michael Beintker, Michael Hüttenhoff u. Peter Zocher (Karl Barth Gesamtausgabe 49), Zürich 2013, 271–363. –: Theologische Fragen und Antworten. Gesammelte Vorträge, Bd. 3, Zollikon 1957. –: Theologische und philosophische Ethik [1930], in: Vorträge und kleinere Arbeiten 1925– 1930, hg. v. Hermann Schmidt (Karl Barth Gesamtausgabe 24), Zürich 1994, 542–565. –: Überlegungen zum Zweiten Vatikanischen Konzil, in: Ernst Wolf (Hg.), Zwischenstation. FS f. Karl Kupisch z. 60. Geb., München 1963, 9–18. –: Die Unordnung der Welt und Gottes Heilsplan, in: Amsterdamer Dokumente. Berichte und Reden auf der Weltkirchenkonferenz in Amsterdam 1948, hg. v. Focko Lüpsen, Bethel bei Bielefeld 2o. J., 136–146 (auch in: EvTh 8, 1948/49, 181–188). –: Unsere Kirche und die Schweiz in der heutigen Zeit, in: Ders., Eine Schweizer Stimme 1938–1945, Zürich 31985, 157–178. –: „Unterricht in der christlichen Religion“ I. Band: Prolegomena (1924), hg. v. Hannelotte Reiffen (Karl Barth Gesamtausgabe 17), Zürich 1985. –: „Unterricht in der christlichen Religion“ II. Band: Die Lehre von Gott/Die Lehre vom Menschen (1924/1925), hg. v. Hinrich Stoevesandt (Karl Barth Gesamtausgabe 20), Zürich 1990. –: „Unterricht in der christlichen Religion“ III. Band: Die Lehre von der Versöhnung/Die Lehre von der Erlösung, hg. v. Hinrich Stoevesandt (Karl Barth Gesamtausgabe 38), Zürich 2003. –: Verheißung und Verantwortung der christlichen Gemeinde im heutigen Zeitgeschehen [1944], in: Ders., Eine Schweizer Stimme 1938–1945, Zürich 31985, 307–333. –: Vorwort [zu: Die Kirche Jesu Christi], 1933, in: Vorträge und kleinere Arbeiten 1930–1933, hg. v. Michael Beintker, Michael Hüttenhoff u. Peter Zocher (Karl Barth Gesamtausgabe 49), Zürich 2013, 600–618. –: Was sollen wir denn tun? Ansprache Radio Basel [1952], in: Ders., Der Götze wackelt, hg. v. Karl Kupisch, Berlin 1961, 159–161. –: Wie können die Deutschen gesund werden?, in: Ders., Eine Schweizer Stimme 1938–1945, Zürich 31985, 371–381. –: Wolfgang Amadeus Mozart (1756/1956), Zürich 81969. –: Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie [1922], in: Vorträge und kleinere Arbeiten 1922–1925, hg. v. Holger Finze (Karl Barth Gesamtausgabe 19), Zürich 1990, 144–175. –: Das Wort Gottes und die Theologie. Gesammelte Vorträge, München 1924. –: Zofingia und Sociale Frage, in: Vorträge und kleinere Arbeiten 1905–1909, in Verbindung m. Herbert Helms hg. v. Hans-Anton Drewes u. Hinrich Stoevesandt (Karl Barth Gesamtausgabe 21), Zürich 1992, 61–103.

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Ausgewählte Literatur

– /Daniélou, Jean/Niebuhr, Richard: Amsterdamer Fragen und Antworten (TEH NF 15), München 1949. – /Kirschbaum, Charlotte von: Briefwechsel, Bd. I (1925–1935), hg. v. Rolf-Joachim Erler (Karl Barth Gesamtausgabe 45), Zürich 2008. – /Rade, Martin: Ein Briefwechsel, hg. v. Christoph Schwöbel, Gütersloh 1981. – /Visser’t Hooft, Willem Adolf: Briefwechsel 1930–1968 einschließlich des Briefwechsels von Henriette Visser’t Hooft mit Karl Barth und Charlotte von Kirschbaum, hg. v. Thomas Herwig (Karl Barth Gesamtausgabe 43), Zürich 2006. – /Thurneysen, Eduard: Briefwechsel, Bd. I (1913–1921), bearb. u. hg. v. Eduard Thurneysen (Karl Barth Gesamtausgabe 3), Zürich 1973; Bd. II (1921–1930), bearb. u. hg. v. Eduard Thurneysen (Karl Barth Gesamtausgabe 4), Zürich 1974; Bd. III (1930–1935), einschließlich des Briefwechsels zwischen Charlotte v. Kirschbaum u. Eduard Thurneysen, hg. v. Caren Algner (Karl Barth Gesamtausgabe 34), Zürich 2000. – /Thurneysen, Eduard: Ein Briefwechsel aus der Frühzeit der dialektischen Theologie, Hamburg 1966. Zuckmayer, Carl/Barth, Karl: Späte Freundschaft in Briefen, hg. v. Hinrich Stoevesandt, Zürich 1977 [122002].

2. Quellen Anfänge der dialektischen Theologie. Teil 1: Karl Barth, Heinrich Barth, Emil Brunner, hg. v. Jürgen Moltmann, München 21966 u. Teil 2: Rudolf Bultmann, Friedrich Gogarten, Eduard Thurneysen, hg. v. Jürgen Moltmann (TB 17), München 21967. Die Barmer Theologische Erklärung. Einführung und Dokumentation, hg. v. Martin Heimbucher u. Rudolf Weth, Neukirchen-Vluyn, 7. überarb. u. erw. Aufl. 2009. Bekenntnisschriften und Kirchenordnungen der nach Gottes Wort reformierten Kirche, hg. v. Wilhelm Niesel, Zollikon-Zürich 31938. Die Bekenntnisse und grundsätzlichen Äußerungen zur Kirchenfrage 1933, hg. v. Kurt Dietrich Schmidt, Göttingen 1934. Denzinger, Heinrich (Hg.): Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen – Enchiridion symbolorum definitionum et declarationum de rebus fidei et morum, hg. v. Peter Hünermann, Freiburg 371991. Erklärung über das rechte Verständnis der reformatorischen Bekenntnisse in der Deutschen Evangelischen Kirche der Gegenwart [Barmen am 4. Januar 1934], in: Barth, Gottes Wille und unsere Wünsche (TEH 7), München 1934, 9–14. Heidelberger Thesen, in: Günter Howe (Hg.), Atomzeitalter, Krieg und Frieden, Witten 1959, 226–236 (auch in Ulrich Möller, Im Prozeß des Bekennens, Neukirchen-Vluyn 1999, 406–412). Hilarius von Poitiers, Zwölf Reden über die Dreieinigkeit (BKV 2. Reihe V,1), München 1933. Kirche und Israel. Ein Beitrag der reformatorischen Kirchen Europas zum Verhältnis von Christen und Juden. Im Auftrag des Exekutivausschusses für die Leuenberger Kirchengemeinschaft hg. v. Helmut Schwier (Leuenberger Texte 6), Frankfurt/M. 2001.

Weitere Literatur

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Die Kirchen und das Judentum. Dokumente von 1945–1985, hg. v. Rolf Rendtorff u. Hans Hermann Henrix, Paderborn/München 1988; –. Dokumente von 1986–2000, hg. v. Hans Hermann Henrix u. Wolfgang Kraus, Paderborn/Gütersloh 2001 (Fortsetzung dann als Online-Publikation, siehe unten: Internetquellen). Luther Deutsch. Die Werke Martin Luthers in neuer Auswahl für die Gegenwart, hg. v. Kurt Aland, 10 Bde, Göttingen 21983. Quellen zur Geschichte des deutschen Protestantismus 1871–1945, hg. v. Karl Kupisch, München/Hamburg 1965. Die Schuld der Kirche. Dokumente und Reflexionen zur Stuttgarter Schulderklärung vom 18./19. Oktober 1945, hg. v. Martin Greschat, München 1982. Das Zeitalter der Weltkriege und Revolutionen, hg. v. Martin Greschat u. Hans-Walter Krumwiede (Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen Bd. V), Neukirchen-Vluyn 1999.

3. Weitere Literatur Algner, Caren: Kirchliche Dogmatik im Vollzug. Karl Barths Kampf um die Kirche im Spiegel seiner und Charlotte von Kirschbaums Korrespondenz mit Eduard Thurneysen 1930– 1935, Neukirchen-Vluyn 2004. Althaus, Paul: Die christliche Wahrheit. Lehrbuch der Dogmatik, Bd. I, Gütersloh 21949. Anzinger, Herbert: Glaube und kommunikative Praxis. Eine Studie zur ‚vordialektischen‘ Theologie Karl Barths (BEvTh 110), München 1991. Árpád, Ferencz: Die Rezeption der Theologie Karl Barths in der Reformierten Kirche Rumäniens nach 1945, in: Martin Leiner/Michael Trowitzsch (Hg.), Karl Barths Theologie als europäisches Ereignis, Göttingen 2008, 188–199. Bächli, Otto: Das Alte Testament in der Kirchlichen Dogmatik von Karl Barth, Neukirchen-Vluyn 1987. Baier, Klaus A.: Unitas ex auditu. Die Einheit der Kirche im Rahmen der Theologie Karl Barths (BSHST 35), Bern/Frankfurt M. 1978. Balthasar, Hans Urs von: Karl Barth. Darstellung und Deutung seiner Theologie. [Köln 1951] Einsiedeln 41976. Bakker, Nico T.: In der Krisis der Offenbarung. Karl Barths Hermeneutik dargestellt an seiner Römerbriefauslegung, Neukirchen-Vluyn 1974. –: Die Sünde in der Kirchlichen Dogmatik. Höhepunkte aus der Sündenlehre Karl Barths, in: ZDT 9 (1993), 9–18. Barth, Peter: Was wollen die Schweizer Religiös-Sozialen? Vortrag gehalten vor den Freunden der Christlichen Welt in Altona am 20.1.1912, in: ChW 26 (1912), 875–881 u. 906–914. Beintker, Michael: Am Beginn des 21. Jahrhunderts, in: Ders. (Hg.), Barth Handbuch, Tübingen 2016, 464–468. –: Die Dialektik in der „dialektischen Theologie“ Karl Barths. Studien zur Entwicklung der Barthschen Theologie und zur Vorgeschichte der „Kirchlichen Dogmatik“ (BEv­Th 101), München 1987.

470

Ausgewählte Literatur

–: Karl Barth und die Frage nach der Schuld der Deutschen, in: Ders./Christian Link/Michael Trowitzsch (Hg.), Karl Barth im europäischen Zeitgeschehen (1935–1950), 229–242. –: Karl Barth und die Politik, in: Martin Leiner/Michael Trowitzsch (Hg.), Karl Barths Theologie als europäisches Ereignis, Göttingen 2008, 260–271. –: Krisis und Gnade. Gesammelte Studien zu Karl Barth, hg. v. Stefan Holtmann u. Peter Zocher, Tübingen 2013. –: Die politische Verantwortung der Christengemeinde im Denken Barths, in: ZDT 12 (1996), 149–174. –: Rechtfertigung – Heiligung – Berufung, in: Ders./Georg Plasger/Michael Trowitzsch (Hg.), Karl Barth als Lehrer der Versöhnung (1950–1968), Zürich 2016, 97–116. –: Resümee: Periodisierung des Barthschen Denkens, in: Ders. (Hg.), Barth Handbuch, Tübingen 2016, 232–237. – (Hg.): Barth Handbuch, Tübingen 2016. – /Link, Christian/Trowitzsch, Michael (Hg.): Karl Barth im europäischen Zeitgeschehen (1935–1950). Widerstand – Bewährung – Orientierung, Zürich 2010. – /Link, Christian/Trowitzsch Michael (Hg.): Karl Barth in Deutschland (1921–1935). Aufbruch – Klärung – Widerstand, Zürich 2005. – /Plasger, Georg/Trowitzsch, Michael (Hg.): Karl Barth als Lehrer der Versöhnung (1950– 1968). Vertiefung – Öffnung – Hoffnung, Zürich 2016. Berkhof, Hendrikus/Kraus, Hans-Joachim: Karl Barths Lichterlehre (ThSt 123), Zürich 1978. Berkouwer, Gerrit Cornelis: Der Triumph der Gnade in der Theologie Karl Barths, aus d. Holländischen übers. v. Theo Preis, Neukirchen 1957. Berner, Knut: Theorie des Bösen. Zur Hermeneutik destruktiver Verknüpfungen (Forum Religionsphilosophie 19), Berlin 22010. Bethge, Eberhard: Dietrich Bonhoeffer. Theologe Christ Zeitgenosse, München 21967. Bizer, Ernst: Der „Fall Dehn“, in: FS f. Günther Dehn z. 75. Geb., hg. v. Wilhelm Schneemelcher, Neukirchen 1957, 239–261. Bloch, Ernst, Das Prinzip Hoffnung [1959], Bd. 1–3, Frankfurt/M. 31976. Bohatec, Josef: Calvins Vorsehungslehre, in: Calvinstudien. FS z. 400. Geb. v. Johannes Calvin, hg. v. Josef Bohatec, Leipzig 1909, 339–441. Bonhoeffer, Dietrich: Gemeinsames Leben. Das Gebetbuch der Bibel, hg. v. Gerhard Ludwig Müller u. Albrecht Schönherr (DBW 5), München 1987. –: Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, hg. v. Christian Gremmels, Eberhard Bethge und Renate Bethge (DBW 8), Gütersloh 1998. Bormuth, Daniel: Die Deutschen Evangelischen Kirchentage in der Weimarer Republik, Stuttgart 2007. Brandau, Robert: Innerbiblischer Dialog und dialogische Mission. Die Judenmission als theologisches Problem, Neukirchen-Vluyn 2006. Braun, Dietrich: Der Ort der Theologie, in: Parrhesia. Karl Barth z. achtzigsten Geb., Zürich 1966, 11–49. Brunner, Emil: Die andere Aufgabe der Theologie, in: ZZ 7 (1929), 255–276. –: Erlebnis, Erkenntnis und Glaube, Tübingen 1921 (81933).

Weitere Literatur

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–: Der Mensch im Widerspruch. Die christliche Lehre vom wahren und vom wirklichen Menschen, Zürich (1937) 51985. Bülow, Vicco von: Otto Weber 1902–1966. Reformierter Theologe und Kirchenpolitiker (AKIZ.B 34), Göttingen 1999. Burnett, Richard E. (Hg.): The Westminster Handbook to Karl Barth, Louisville/KY 2013. Busch, Eberhard: Barth – ein Portrait in Dialogen. Von Luther bis Benedikt XVI, Zürich 2015. –: Die große Leidenschaft. Einführung in die Theologie Karl Barths, Gütersloh 1998. –: Karl Barth im Zeitgeschehen. „Eine Schweizer Stimme“ zwischen 1935 und 1950, in: Michael Beintker/Christian Link/Michael Trowitzsch (Hg.), Karl Barth im europäischen Zeitgeschehen (1935–1950), Zürich 2010, 47–65. –: Karl Barths Lebenslauf, München 1975 (51994). –: Meine Zeit mit Karl Barth. Tagebuch 1965–1968, Göttingen 2011. –: Reformiert. Profil einer Konfession, Zürich 2007. –: Unter dem Bogen des einen Bundes. Karl Barth und die Juden 1933–1945, Neukirchen-Vluyn 1996. –: Weg und Werk Karl Barths in der neueren Forschung, in: ThR 60 (1995), 273–299. 430– 470. – (Hg.): Die Akte Karl Barth. Zensur und Überwachung im Namen der Schweizer Neutralität 1938–1945, Zürich 2008. Calvin, Johannes: Unterricht in der christlichen Religion. Institutio Christianae Religionis, n. d. letzten Ausg. v. 1559 übers. u. bearb. v. Otto Weber, neu hg. v. Matthias Freudenberg, Neukirchen-Vluyn 2008. Casalis, Georges: Karl Barth. Person und Werk, Darmstadt 1960. Cassidy, James J.: Election and Trinity, in: WThJ 71 (2009), 53–81. Cornu, Daniel: Karl Barth und die Politik. Widerspruch und Freiheit, Wuppertal 1969. Dahling-Sander, Christoph/Plasger, Georg: Hören und Bezeugen. Karl Barths Religionskritik als Hilfestellung im Gespräch mit den Religionen, Waltrop 1997. Dahlke, Benjamin: Die katholische Rezeption Karl Barths. Theologische Erneuerung im Vorfeld des Zweiten Vatikanischen Konzils (BHTh 152), Tübingen 2010. Dalferth, Ingolf U.: Malum. Theologische Hermeneutik des Bösen, Tübingen 2008. Dannemann, Ulrich: Theologie und Politik im Denken Karl Barths (GT.S 22), München/ Mainz 1977. Dantine, Wilhelm/Lüthi, Kurt: Theologie zwischen gestern und morgen. Interpretationen und Anfragen zum Werk Karl Barths, München 1968. Delekat, Friedrich: Die Kirche Jesu Christi und der Staat, Berlin 1933. Drewes, Hans-Anton: Die Auseinandersetzung mit Adolf von Harnack, in: Michael Beintker/Christian Link/Michael Trowitzsch (Hg.), Karl Barth in Deutschland (1921–1935), Zürich 2005, 189–203. Dürr, Oliver: Der Engel Mächte. Systematisch-theologische Untersuchung: Angelogie (Forum Systematik 35), Stuttgart 2009. den Dulk, Matthijs: „Von guten Mächten treu und still umgeben …“ Praktisch-theologische Beschreibung der Engellehre Karl Barths, in: ZDTh 12 (1996), Heft 1, 9–26.

472

Ausgewählte Literatur

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Ausgewählte Literatur

Müller, Hans Michael: Credo, ut intelligam. Kritische Bemerkungen zu Karl Barths Dogmatik, in: ThBl 7 (1928), 167–176. Muis, Jan: Die Rede von Gott und das Reden Gottes. Eine Würdigung der Lehre der dreifachen Gestalt des Wortes Gottes, ZDT 16 (2000), 59–70. –: Spricht Gott in der Heiligen Schrift? Dogmatische Analyse der dreifachen Gestalt des Wortes Gottes, ZDT 15 (1999), 131–154. Neven, Gerrit W.: Barth lezen. Naar een dialogische dogmatiek, Zoetermeer 2003. –: Dialektik als Sprachform der Theologie Karl Barths, in: ZDT 11 (1995), 211–228. Nielsen, Bent Flemming: Die Rationalität der Offenbarungstheologie. Die Struktur des Theologieverständnisses von Karl Barth, Aarhus 1988. –: Theologie als kritische Wissenschaft, in: Michael Beintker (Hg.), Barth Handbuch, Tübingen 2016, 410–416. Nimmo, Paul T.: Barth. A Guide for the Perplexed, London/New York 2017. –: Being in Action. The Theological Shape of Barth’s Ethical Vision, Edinburgh 2007. Noordveld, Diederik: Der Mensch in seiner Zeit. Karl Barth und die Menschlichkeit als Zeitlichkeit, Neukirchen-Vluyn 2014. van Norden, Günther: Die Weltverantwortung der Christen neu begreifen. Karl Barth als homo politicus (KT 153), Gütersloh 1997. Obst, Gabriele: Veni Creator Spiritus. Die Bitte um den Heiligen Geist als Einführung in die Theologie Karl Barths, Gütersloh 1998. Pfleiderer, Georg: Karl Barths praktische Theologie. Zu Genese und Kontext eines paradigmatischen Entwurfs systematischer Theologie im 20. Jahrhundert (BHTh 115), Tübingen 2000. –: „Inkulturationsdialektik“. Ein Rekonstruktionsvorschlag zur modernitätstheoretischen Barthinterpretation, in: Michael Beintker/Christian Link/Michael Trowitzsch (Hg.), Karl Barth in Deutschland (1921–1935), 223–244. Pfüller, Wolfgang: Die Bedeutung Jesu im interreligiösen Horizont. Überlegungen zu einer religiösen Theorie in christlicher Perspektive, Münster 2001. Pico della Mirandola, Giovanni: De hominis dignitate. Über die Würde des Menschen. Hg.v. August Buck (PhB 427), Hamburg 1990. Plasger, Georg: Jesus Christus, in: Michael Beintker (Hg.), Barth Handbuch, Tübingen 2016, 307–313. –: Kirche als ökumenisches Ereignis. Die Einheit der Kirchen in der einen Kirche Jesu Christi, in: Michael Beintker/Christian Link/Michael Trowitzsch (Hg.): Karl Barth im europäischen Zeitgeschehen (1935–1950), Zürich 2010, 471–483. –: Die Konzeption der Versöhnungslehre Barths unter besonderer Berücksichtigung der „Menschlichkeit Gottes“, in: Michael Beintker/Georg Plasger/Michael Trowitzsch (Hg.), Karl Barth als Lehrer der Versöhnung (1950–1968), Zürich 2016, 13–30. –: Die reale Autorität des Bekenntnisses bei Karl Barth, Neukirchen-Vluyn 2000. Plathow, Michael: Das Problem des concursus divinus. Das Zusammenwirken von göttlichem Schöpferwirken und geschöpflichem Eigenwirken in K. Barths „Kirchlicher Dogmatik“ (FSÖTh 32), Göttingen 1976. Plonz, Sabine: Die herrenlosen Gewalten. Eine Relektüre Karl Barths in befreiungstheologischer Perspektive, Mainz 1995.

Weitere Literatur

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Pöhlmann, Horst Georg: Abriss der Dogmatik. Ein Kompendium, Gütersloh 21975. Pressel, Wilhelm: Die Kriegspredigt 1914–1918 in der evangelische Kirche Deutschlands (APTh 5), Göttingen 1967. Prolingheuer, Hans: Der Fall Karl Barth: 1934–1935 – Chronographie einer Vertreibung, Neukirchen-Vluyn 1997. Ragaz, Leonhard: Das Evangelium und der soziale Kampf, Basel 1906. Reeling Brower, Rinse H.: Keine Niederlassungsbewilligung? Nein. Ehrenbürgerrecht! Einige hermeneutische und sonstige Bemerkungen zu Barths Angelogie, in: ZDTh 12 (1996), Heft 1, 51–65. Rendtorff, Trutz: Radikale Autonomie Gottes. Zum Verständnis der Theologie Karl Barths und ihrer Folgen, in: Ders., Theorie des Christentums. Historisch-theologische Studien zu seiner neuzeitlichen Verfassung, Gütersloh 1972, 161–181. – (Hg.): Die Realisierung der Freiheit. Beiträge zur Kritik der Theologie Karl Barths, Gütersloh 1975. Robinson, James M.: Die ersten heterodoxen Barthianer, in: Wilhelm Dantine/Kurt Lüthi (Hg.), Theologie zwischen gestern und morgen, München 1968, 13–37. Robinson, John A. T., Gott ist anders, München 1963. Rödding, Gerhard: Dogmatik im Grundriß, Gütersloh 1974. Rumscheidt, H. Martin: Revelation and Theology. An analysis of the Barth-Harnack correspondence of 1923, Cambridge 1972. Ruschke, Werner Max: Entstehung und Ausführung der Diastasentheologie in Karl Barths zweiten „Römerbrief “ (NBST 5), Neukirchen-Vluyn 1985. Rusterholz, Heinrich: „… als ob unseres Nachbars Haus nicht in Flammen stünde“: Paul Vogt, Karl Barth und das Schweizerische Evangelische Hilfswerk für die Bekennende Kirche in Deutschland 1937–1947, Zürich 2015. Sayers, Dorothy L.: Das größte Drama aller Zeiten. Drei Essays und ein Briefwechsel zwischen Karl Barth und der Verfasserin, hg. v. Hinrich Stoevesandt, Zürich 1982. Schaede, Stephan: Die Sünde im Schwitzkasten der Gnade. Karl Barths raumtheoretische Explikation der Sünde im Kontext seiner Versöhnungslehre, in: Michael Beintker/Georg Plasger/Michael Trowitzsch (Hg.), Karl Barth als Lehrer der Versöhnung (1950–1968), Zürich 2016, 73–95. Schellong, Dieter: Barth lesen, in: Karl Barth: Der Störenfried?, hg. v. Friedrich-Wilhelm Marquardt, Dieter Schellong und Michael Weinrich (Einwürfe 3), München 1986, 5–92. –: Barth von links gelesen – ein Beitrag zum Thema „Theologie und Sozialismus“, in: ZEE 17 (1973), 238–250. –: Bürgertum und christliche Religion (TEH 187) [1975], München 21984. –: Hinweise zu Barths Verständnis der Schöpfungslehre, in: ZDT 3 (1987), 11–16. –: Karl Barth als Theologe der Neuzeit in: Karl Gerhard Steck/Dieter Schellong, Karl Barth und die Neuzeit (TEH 173), München 1973, 34–102. –: Schwierigkeiten mit der Sündenlehre. Eine Problemanzeige, in: ZDT 9 (1993), 19–34. –: Von der bürgerlichen Gefangenschaft des kirchlichen Bewußtseins. Dargestellt an Beispielen aus der evangelischen Theologie, in: Günter Kehrer (Hg.), Zur Religionsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, München 1980, 132–166.

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Ausgewählte Literatur

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Weitere Literatur

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Spieckermann, Ingrid: Gotteserkenntnis. Ein Beitrag zur Grundlegung der neuen Theologie Karl Barths (BEvTh 97), München 1985. Steck, Karl Gerhard/Schellong, Dieter: Karl Barth und die Neuzeit (THE 173), München 1973. Štefan, Jan: Karl Barth in Tschechien, in: Martin Leiner/Michael Trowitzsch (Hg.), Karl Barths Theologie als europäisches Ereignis, Göttingen 2008, 216–227. Stegemann, Wolfgang/Stegemann Ekkehard: Von Ambivalenz zur Feindschaft. Anmerkungen zum Verhältnis des Ökumenischen Rates der Kirchen zum Staat Israel, in: Kirche und Israel 28 (2013), 99–118. Stock, Konrad: Anthropologie der Verheißung. Karl Barths Lehre vom Menschen als dogmatisches Problem (BEvTh 86), München 1980. Stoellger, Philipp: Barth und die Postmoderne. Perspektiven auf eine prekäre Konstellation, in: Martin Leiner/Michael Trowitzsch (Hg.), Karl Barths Theologie als europäisches Ereignis, Göttingen 2008, 397–432. Stoevesandt, Hinrich: Basel – Marburg: ein (un)erledigter Konflikt?, in: Ders., Gottes Freiheit und die Grenze der Theologie. Gesammelte Aufsätze, hg. v. Elisabeth Stoevesandt u. Gerhard Sauter, Zürich 1992, 218–238. –: Was heißt „theologische Existenz“? Über Absicht und Bedeutung von Karl Barths Schrift „Theologische Existenz heute!“, in: EvTh 44 (1984), 147–177. von Stosch, Klaus: Komparative Theologie als Wegweiser in der Welt der Religionen (Beiträge zur komparativen Theologie 6), Paderborn 2012. Swarat, Uwe: Kein wissenschaftlich fundiertes Denksystem. Der „Neue Atheismus“ und seine Kritiker, in: Ulrike Link-Wieczorek/Uwe Swarat (Hg.), Die Frage nach Gott heute. Ökumenische Impulse zum Gespräch mit dem „Neuen Atheismus“ (ÖR.B 111), Leipzig 2017, 98–131. Tanner, Kathryn: Creation and providence, in: John Webster (Hg.), The Cambridge Companion to Karl Barth, Cambridge 2000, 111–126. Temple, William: Nature, Man and God, London 1934. Tetens, Holm: Gott denken. Ein Versuch über rationale Theologie (Reclams Universal-Bibliothek 19295), Stuttgart 2015. Thielicke, Helmut: Der evangelische Glaube. Grundzüge der Dogmatik, Bd. I, Tübingen 1978. Thomas, Günter/Reeling Brouwer, Rinse H./McCormack, Bruce (Hg.): Dogmatics after Barth. Facing Challenges in Church, Society and the Academy, Leipzig 2012. Tillich, Paul: Systematische Theologie, Bd. I, Stuttgart 31956. Tödt, Heinz-Eduard: Karl Barth, der Liberalismus und der Nationalsozialismus. Gegendarstellung zu Friedrich Wilhelm Grafs Behandlung dieses Themas, in: EvTh 46 (1986), 536–554. Torrance, Alan J.: Persons in Communion. An Essay on Trinitarian Description and Human participation with special reference to Volume One of Karl Barth’s Church Dogmatics, Edinburgh 1996. –: The Trinity, in: John Webster (Hg.), The Cambridge Companion to Karl Barth, Cambridge 2000, 72–91. Track, Joachim: Analogie, in: TRE 2, Berlin/New York 1978, 625–650.

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Ausgewählte Literatur

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Weitere Literatur

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Barthrezeption, in: Ders., Die bescheidene Kompromisslosigkeit der Theologie Karl Barths, Göttingen 2013, 319–329. –: Karl Barths Sakramentsverständnis, in: Michael Beintker/Georg Plasger/Michael Trowitzsch (Hg.), Karl Barth als Lehrer der Versöhnung (1950–1968), Zürich 2016, 467–486. –: Karl Barths theologischer Kampf gegen die religiöse Versuchung des Nationalsozialismus, in: Ders., Die bescheidene Kompromisslosigkeit der Theologie Karl Barths, Göttingen 2013, 396–417. –: Karl Barths Weg von der Krisis zur Kritik. Klärung der Perspektive – kein Richtungswechsel, in: ZDT 32 (2016), 71–94. –: Der Katze die Schelle umhängen. Konflikte theologischer Zeitgenossenschaft: Anregungen aus der theologischen Biographie Karl Barths, in: Ders., Die bescheidene Kompromisslosigkeit der Theologie Karl Barths, Göttingen 2013, 330–395. –: „Die neue Welt in der Bibel“. Grundentscheidungen in Karl Barths Verständnis von der Schrift, in: Ders., Die bescheidene Kompromisslosigkeit der Theologie Karl Barths, Göttingen 2013, 64–85. –: Ökumene am Ende? Plädoyer für einen neuen Realismus, Neukirchen-Vluyn 1995. –: Religion und Religionskritik. Ein Arbeitsbuch (UTB 3453), Göttingen 22012. –: Theologischer Ansatz und Perspektive der Kirchlichen Dogmatik Karl Barths, in: Ders., Die bescheidene Kompromisslosigkeit der Theologie Karl Barths, Göttingen 2013, 36–63. –: Trinität, in: Michael Beintker (Hg.), Barth Handbuch, Tübingen 2016, 289–295. –: (Ver-)Bindungen der Freiheit. Perspektivenwechsel, in: Thomas Söding/Bernd Oberdorfer (Hg.), Kontroverse Freiheit. Die Impulse der Ökumene (QD 284), Freiburg i.Br. 2017, 338–352. –: Von der Humanität der Religion. Karl Barths Religionsverständnis und der interreligiöse Dialog, in: Ders., Die bescheidene Kompromisslosigkeit der Theologie Karl Barths, Göttingen 2013, 296–315. –: Die Weltlichkeit der Kirche, in: Ders., Die bescheidene Kompromisslosigkeit der Theologie Karl Barths, Göttingen 2013, 175–191. –: Wir sind aber Menschen. Von der möglichen Unmöglichkeit, von Gott zu reden, in: Jürgen Ebach/Magdalene L Frettlöh/Hans-Martin Gutmann/Michael Weinrich (Hg.), Gretchenfrage. Von Gott reden – aber wie? Bd. I (Jabboq 2), Gütersloh 2002, 36–98 (s. auch Internetquellen). –: Der Wirklichkeit begegnen … Studien zu Buber, Grisebach, Gogarten, Bonhoeffer und Hirsch, Neukirchen-Vluyn 1980. –: Das Wort Gottes und die Ökumene. Ein Rekonstruktionsversuch der Theologie Karl Barths in weiterführender Absicht, in: EvTh 75 (2015), 420–434. Williams, Rowan D.: Barth on the Triune God, in: Stephen W. Sykes (Hg.), Karl Barth. Studies of His Theological Method, Oxford 1979, 147–193. Winkler, Ulrich: „… um selbst in aufrichtigem und geduldigem Dialog zu lernen, welche Reichtümer der großzügige Gott den Völker verteilt hat“ (AG 11). Was ist komparative Theologie, in: Einheit der Wirklichkeiten. FS Michael von Brück, hg. v. Eva-Maria Glasbrenner u. Christian Hackbarth-Johnson, München 2009, 261–300. Winzeler, Peter: Widerstehende Theologie. Karl Barth 1920–1935, Stuttgart 1982.

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Ausgewählte Literatur

Wolf, Ernst: Königsherrschaft Christi und lutherische Zwei-Reiche-Lehre, in: Ders., Peregrinatio, Bd. II: Studien zur reformatorischen Theologie, zum Kirchenrecht und zur Sozialethik, München 1965, 207–229. Wüthrich, Matthias D.: Das „fremde Geheimnis des wirklich Nichtigen“. Karl Barths einsamer Denkweg in der Frage des Bösen, in: Michael Beintker/Christian Link/Michael Trowitzsch (Hg.): Karl Barth im europäischen Zeitgeschehen (1935–1950), Zürich 2010, 395–411. –: Gott und das Nichtige. Eine Untersuchung zur Rede vom Nichtigen ausgehend von § 50 der Kirchlichen Dogmatik von Karl Barth, Zürich 2006. Zahrnt, Heinz: Die Sache mit Gott. Die protestantische Theologie im 20. Jahrhundert, München 1966. Zeindler, Matthias: Erwählung. Gottes Weg in der Welt, Zürich 2009. Zirker, Hans: Religionskritik, Düsseldorf 1982. Zocher, Peter: Karl Barth und Emil Brunner nach 1945, in: Michael Beintker/Christian Link/Michael Trowitzsch (Hg.): Karl Barth im europäischen Zeitgeschehen (1935– 1950), Zürich 2010, 287–308. –: Wirkung und Rezeption III: In der Kriegs- und Nachkriegszeit, in: Michael Beintker (Hg.), Barth Handbuch, Tübingen 2016, 437–444.

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Namensregister

Adenauer, Konrad 132 Adorno, Theodor W. 197 Aeschbacher, Robert 48 Aland, Kurt 261 Algner, Caren 94 Althaus, Paul 83, 207, 227, 437 Anderson, Clifford B. 461 Anselm von Canterbury 70 f, 118, 199, 202, 206, 257 Anzinger, Herbert 456 Árpád, Ferencz 44, 420 Asmussen, Hans 82, 139, 439 Augustin, Aurelius 14, 252, 290, 419 Bächli, Otto 358 Baier, Klaus A. 279 Bakker, Nico T. 390 Balthasar, Hans Urs von 28, 118, 204, 256 Barth, Anna (geb. Satorius) 45 Barth, Christoph 113, 147 Barth, Franz Albert 45 Barth, Hans-Martin 41 Barth, Johann Friedrich (Fritz) 45–49, 51 Barth, Markus 147 Barth, Nelly (geb. Hoffmann) 50, 68, 110, 143, 150 Barth, Peter 52 Bea, Augustin Kardinal 110 Beckmann, Joachim 84, 150 Beintker, Michael 69, 120, 123, 128, 141, 194, 391, 397, 420, 438, 443, 456, 462

Berkouwer, Gerrit 437 Berner, Knut 336, 342 Berkhof, Hendrikus 375 Bethge, Eberhard 48, 94 Bismarck, Otto von 45 Bizer, Ernst 75 Bleibtreu, Otto 72 Bloch, Ernst 449 f Blumhardt, Johann Christoph 54, 62, 114, 150, 179, 375 Bohatec, Josef 252 Bonhoeffer, Dietrich 41, 48, 60, 97, 114, 228, 280 f, 344, 432, 447 Bormann, Martin 89 Bormuth, Daniel 74 Brandau, Robert 457 Braun, Dietrich 66 Braun, Herbert 449 Breit, Thomas 82 Briellmann, Alfred 110 Brunner, Emil 66, 94, 131, 162, 188, 207, 315, 320, 384, 429, 436 f, 440 f Buber, Martin 322 Bülow, Vicco von 77, 440 Burnett, Richard E. 420 Bultmann, Rudolf 145, 165, 188, 374, 423, 445–449 Busch, Eberhard 46–49, 52, 54 f, 64, 72 f, 77, 82, 85, 91, 93, 111, 113, 128, 131, 133, 136, 139, 143 f, 147 f, 150, 269–272, 274, 278, 356, 420, 435 f, 458

488

Namensregister

Caligula 383 Calvin, Johannes 12, 14, 38, 50, 52, 63, 65, 95, 111, 114, 136, 252 f, 261, 265, 315, 374, 391, 393, 419, 429 Casalis, Georges 78 Cassidy, James J. 461 Cremer, Hermann 49 Dahling-Sander, Christoph 245 Dahlke, Benjamin 420 Dalferth, Ingolf U. 336, 341 Daniélou, Jean 106 f Dannemann, Ulrich 452 Dantine, Wilhelm 448 Dawkins, Richard 196 Dehn, Günther 75 Delekat, Friedrich 381 Derrida, Jacques 461 Descartes, René 24, 26, 208, 224, 234, 310 f Diem, Hermann 439, 450 Dippel, Cornelis 437 Dostojewski, Fjodor 14, 61 Drewes, Hans-Anton 66, 68, 428 Dürr, Oliver 342 Dürrenmatt, Friedrich 462 den Dulk, Matthijs 341 Ebeling, Gerhard 144, 447, 462 Eicher, Peter 214 Eichholz, Georg 70 Elert, Werner 83, 207, 437 Elmer, Konrad 207 Ensminger, Sven 245 Fazakas, Sándor 44, 420, 441 Feil, Ernst 447 Feldmann, Markus 133, 442 Feuerbach, Ludwig 61, 248 Fezer, Karl 80 Fichte, Johann Gottlieb 426 Ficker Stähelin, Daniel 133, 442 Fischer, Johannes 348

Fleischmann, Christoph 450 Flett, John 398, 406 Frei, Hans 460 Frettlöh, Magdalene L. 264, 266 f, 294 Freudenberg, Matthias 63, 65 Friedrich der Große 125 Frey, Arthur 127 Fricke, Paul 429 Fürst, Walther 70 Fuchs, Ernst 70, 73, 447 Gadamer, Hans-Georg 164 Gäde, Gerhard 243 Geiger, Max 148, 330 f, 335 Geldbach, Erich 293 Gibson, David 461 Gill, Theodore A. 121 Gloege, Gerhard 437 Gockel, Matthias 44, 420, 442 Goebel, Hans Theodor 264, 294 Goethe, Johann Wolfgang von 127, 234, 410 Gogarten, Friedrich 66, 76 f, 188, 207, 247, 426, 428 f, 437 Goldmann, Manuel 457 Gollwitzer, Helmut 48, 70, 73, 100, 114, 145, 148, 440, 450, 457 Gorringe, Timothy J. 452 Gottschalk, Stephen 336 Graf, Friedrich Wilhelm 317, 454 Grebe, Matthias 294 Green, Christopher C. 179, 185, 330, 332, 339 Greschat, Martin 139, 438–441 Grünewald, Matthias 61 f Gunkel, Hermann 49 Gunton, Collin 364 Haendler, Klaus 88 Haering, Theodor 205 Härle, Wilfried 317, 462 Haitjema, Theodorus 437 Harnack, Adolf von 49, 65 f, 165, 428

Namensregister

Harries, Sam 196 Hart, Trevor 211 f, 214 Hase, Karl von 205 Hauerwas, Stanley 422, 459 f Hector, Kevin W. 461 Hegel, Georg Wilhelm 232, 381 Heidegger, Martin 446 Heidtmann, Dieter 342 Heinemann, Gustav 126, 137 Hennecke, Susanne 437 Henrix, Hans Hermann 456 Herbert von Cherbury 208 Herder, Johann Gottfried 209 Herlyn, Okko 251 Herms, Eilert 462 Herrmann, Wilhelm 49 ff, 188 Herwig, Thomas 96, 99, 105, 108, 445 Hesse, Hermann Albert 85 Heuss, Theodor 140 Hilarius von Poitiers 24, 211 Hirsch, Emanuel 63 Hitler, Adolf 73, 76 ff, 81, 84, 89 f, 99 f, 127, 383, 431, 436, 441 Hochuli (Strickerei) 51 Hoffmann, Nelly 50 Holst, Erich von 127 Holtmann, Stefan 454 f Horkheimer, Max 197 Hromádka, Josef 89, 434 Hüffmeier, Wilhelm 328 Hüsch, Hanns Dieter 139 Hüssy, Walter 53 Hunsinger, George 66, 115, 151 f, 160, 183, 323, 369 f, 420, 422, 459, 461 Immer, Karl Immanuel 72, 85, 87 Iwand, Hans Joachim 210, 439 f, 450, 457 Jacobi, Gerhard 72, 97 Jacobsen, Ingrid 451 Jäger, August 82 Jaspers, Karl 140, 314 Jenson, Robert W. 221

489

Joest, Wilfried 227, 462 Johnson, Keith L. 420 Jülicher, Adolf 169 Jüngel, Eberhard 173, 175, 391, 446 ff, 451 f, 454, 462 Kaftan, Julius 49, 205 Kähler, Martin 49 Käsemann, Ernst 449 Kant, Immanuel 37, 49 f, 284, 288 Kattenbusch, Ferdinand 429 Keller, Adolf 95 f Kennedy, John F. 147 Kierkegaard, Sören 14, 143, 229, 381 Kinder, Ernst 88 Kirschbaum, Charlotte von („Lollo“) 68 f, 117, 124, 147 f Klappert, Bertold 271, 439, 457 ff de Knijff, Henri W. 437 Knitter, Paul 243 Koch, Diether 124 Koch, Karl 82, 84 f, 89 Köbler, Renate 68 van der Kooi, Cornelis 194, 420, 456 Körtner, Ulrich 446 f Korsch, Dietrich 456 Kraus, Hans-Joachim 251, 375, 457 Krause, Burghard 333 Krause, Reinhold 80 Kreck, Walter 70, 440, 446, 450 Krötke, Wolf 245, 251, 253, 256 ff, 262 ff, 280 f, 318, 320, 327, 329, 335, 338, 342, 365 Kubly, Herbert 228 Kupisch, Karl 60 f, 65 f, 89, 142, 446 Kutter, Hermann 52, 54 Lang, Cosmo Gordon 98 Leibniz, Gottfried Wilhelm 208, 310, 312, 339 Leiner, Martin 420, 442 Lessing, Eckhard 440, 450 Lessing, Gotthold Ephraim 171, 404

490

Namensregister

Levinas, Emmanuel 322 Lieb, Fritz 70, 73, 139 Lindbeck, George A. 460, 462 Lindsay, Mark R. 342, 459 Link, Christian 34, 168, 299, 328, 454 Lipsius, Richard A. 205 Locke, John 208 Lotz, Peter Friedrich 45, 102 Lüthi, Kurt 448 Luhmann, Niklas 230 Luthard, Christoph E. 205 Luther, Martin 12, 14, 33, 78, 80, 105, 114, 136, 174, 190, 217 f, 261, 271, 285, 391, 393 f, 419, 429, 437 Luther King, Martin 147 Machovec, Milan 147 Marahrens, August F.K. 84, 85 Marquard, Reiner 61 Marquardt, Friedrich-Wilhelm 171, 271, 451 f, 457 f Martensen, Hans Lassen 229 Marx, Karl Marxsen, Willi 377, 449 Matheny, Paul D. 289 Maurer, Ernstpeter 152, 223, 375 Maury, Pierre 90, 100, 124 McCormack, Bruce L. 194, 256, 420, 456, 461 McFarland, Charles S. 97 Mechels, Eberhard 69 Meier, Kurt 80 Meiser, Hans 82, 84 f, 433 Melanchthon, Philipp 114 Merz, Georg 60, 66, 68, 428 Miskotte, Kornelis Heiko 331, 437, 457, 462 Missalla, Heinrich 14 Möller, Ulrich 138 Molnar, Paul D. 461 Moltmann, Jürgen 41, 66, 428, 449 f, 457, 462 Mozart, Wolfgang Amadeus 46, 142 f, 150, 350

Mühling, Andreas 75 Müller, E.F. Karl 62 Müller, Hans Michael 430 Müller, Ludwig 80, 82 Muis, Jan 219 Mussolini, Benito 76, 89, 383 Napoleon Bonaparte 383 Nero 383 Neven, Gerrit 151, 419, 461 Niebuhr, Richard 106 f Nielsen, Bent Flemming 163, 166, 174, 181, 204 Niemeyer, Christian 47 Niemöller, Martin 81, 85, 104, 107, 125, 128, 432, 439 Niesel, Wilhelm 78 Nietzsche, Friedrich 14, 61, 318, 383 Nimmo, Paul T. 365, 422, 460 Nitzsch, Friedrich A.B. 205 Noordveld, Diederik 327 van Norden, Günther 67, 76, 123, 431, 454 Nordmans, Oepke 437 Nygren, Anders 105 Obst, Gabriele 321 Onfray, Michael 196 Opitz, Peter 419 Ott, Heinrich 146 Overbeck, Franz 14, 61 Pannenberg, Wolfhart 462 Paul VI 110 Petrus 171, 179, 388, 395 Pfleiderer, Georg 450 f, 455 Pfüller, Wolfgang 243 Picco della Mirandola, Giovanni 34 Pieck, Wilhelm 126 Pilatus 92 Plasger, Georg 119, 180, 245, 365, 370, 374, 419, 445 Plathow, Michael 335 Plonz, Sabine 452

Namensregister

Pöhlmann, Horst Georg 227 Pressel, Wilhelm 14 Prolingheuer, Hans 86, 433 Przywara, Erich 69 Quervain, Alfred de 450 Rade, Helene 55 Rade, Martin 50, 52, 55 f, 62, 66, 90, 333, 426 Ragaz, Leonhard 52, 54, 60 Ratzinger, Joseph 110 Reeling Brower, Rinse H. 342, 420, 462 Reid, John K. S. 420 Rendtorff, Trutz 453 f Ritschl, Albrecht 49, 66, 188, 451 Robinson, James M. 419 Robinson, John A. T. 145 Rödding, Gerhard 227 Rousseau, Jean-Jaques 208 Rühmkorf, Peter 64 Rumscheidt, Martin 66, 428 Ruschke, Werner Max 69, 194, 456 Rust, Bernhard 72 Rusterholz, Heinrich 436 Salin, Edgar 146 Satorius, Anna 45 Satorius, Johanna 48 Sayers, Dorothy L. 121 Schaede, Stephan 390 Schellong, Dieter 150 f, 153, 162 f, 178, 198, 213, 237, 244, 299, 382, 452 Schempp, Paul 152, 429 ff Schildmann, Wolfgang 462 Schiller, Friedrich 48 Schlatter, Adolf 45, 49 Schleiermacher, Friedrich 19, 49 f, 57, 66, 68, 187 f, 209, 381, 420, 429, 446, 452 Schmidt, Karl Ludwig 70, 73, 75 Schmidt, Kurt Dietrich 78 Schmithals, Walter 447 Schneider, Detlev 437

491

Schneider, Johannes 74 Scholder, Klaus 80 Scholtz, Gunter 209 Scholz, Heinrich 462 Schopenhauer, Arthur 310 f Schulze, Manfred 435 Schwarz, Martin 143 Schweitzer, Albert 138, 349 Schweitzer, Wolfgang 105 Schweizer, Alexander 252 Schwöbel, Christoph 66 Selinger, Suzanne 68 Siller, Annelore 364 Sloan, George L.B. 121 Söderblom, Nathan 95 Söding, Thomas 462 Sohm, Rudolf 402 Sonderegger, Kathryn 271, 459 Spengler, Oswald 67, 429 Spiekermann, Ingrid 204, 214, 456 Spinoza, Baruch de 208 Stange, Carl 64 Stapel, Wilhelm 76 Starck, Helmut 458 Steck, Karl Gerhard 70, 79, 198 Stegemann, Ekkehard 445 Stegemann, Wolfgang 445 Stöhr, Martin 457 Stock, Konrad 323 Stoellger, Philipp 461 f Stoevesandt, Hinrich 447 Stosch, Klaus von 243 Swarat, Uwe 197 Tanner, Kathryn 304, 331 Temple, William 99, 101 Tetens, Holm 296 Thomas, Günter 419, 420 Thomas von Aquin 14, 69, 179, 419 Thurneysen, Eduard 48, 52–55, 58, 62 ff, 66 f, 79, 84 f, 114, 150, 172, 188, 427 ff Thielicke, Helmut 227, 342 Tillich, Paul 198, 460

492

Namensregister

Tödt, Heinz Eduard 454 Toland, John 208 Torrance, Alan 212 Torrance, Thomas F. 420 Track, Joachim 167 Troeltsch, Ernst 451, 453, 455 Trowitzsch, Michael 183, 420, 462 Truman, Harry S.  441 Tulpanow, Sergei Iwanowitsch 126 Vilmar, August F. C. 205 Vischer, Wilhelm 436 Visser’t Hooft, Adolf Willem 98–102, 104 f, 108, 436, 445 Visser’t Hooft, Henriette 102 Vogel, Heinrich 440, 450, 457 Wagner, Falk 317, 454 Walser, Martin 462 Ward, Graham 461 Weber, Gotthilf 433 Weber, Otto 361, 440, 450

Webster, John 420, 422, 460 Weizsäcker, Carl Friedrich von 139 Wenz, Gunther 462 Willimon, William H. 459 f Wilm, Ernst 150 Winkler, Ulrich 243 Winzler, Peter 452 Wolf, Ernst 70, 73, 79, 129, 440, 450 Wolff, Christian 312 Wolff, Walther 74 Wüthrich, Matthias D. 34, 179, 336, 340, 342 Wurm, Theophil 82, 84 Zahrnt, Heinz 227 Zeindler, Matthias 256 Zellweger, Max 148 Zimmerli, Walther 436 Zirker, Hans 227 Zocher, Peter 436 f, 440 Zuckmayer, Carl 150, 462

Als der wohl größte Theologe des 20. Jahrhunderts hat Karl Barth die aktuelle Lebendigkeit des Wortes Gottes in der je neuen Lebenssituation in den Fokus der Aufmerksamkeit seiner Theologie gerückt. Gemessen an der Lebendigkeit des Geschehens der Selbsterschließung Gottes kann die Theologie niemals mehr sein als ein Versuch, den „Vogel im Flug“ zu beschreiben. Dieser Versuch bleibt darauf ausgerichtet, dass dieses biblisch bezeugte Geschehen selbst bestimmend bleibt. Michael Weinrichs Einführung in Leben, Werk und Wirkung Barths geht einfühlend auf die Problem­konstellationen ein, aus denen Barth die Theologie befreien wollte, und arbeitet ­profiliert die neuen Akzentsetzungen heraus, mit denen seine Theologie uns immer noch voraus ist.

Karl Barth

Theologie | Religionswissenschaft

Michael Weinrich

Karl Barth

ISBN 978-3-8252-5093-5

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Dies ist ein utb-Band aus dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen.

05.11.18 11:31