Kants Theorie des reinen Geschmacksurteils 9783110860207, 3110125854, 9783110125856

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Kants Theorie des reinen Geschmacksurteils
 9783110860207, 3110125854, 9783110125856

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
1. Einleitung
2. In seiner Theorie des reinen Geschmacksurteils will Kant die Frage beantworten, ob dieses Urteil trotz seines ästhetischen Charakters zu Recht mit einem Anspruch auf subjektive Allgemeingültigkeit verbunden wird.
2.1. Das reine Geschmacksurteil ist ein ästhetisches Urteil: Sein Bestimmungsgrund ist eine Gefühlsempfindung (KU, §1)
2.2. Der Bestimmungsgrund des reinen Geschmacksurteils ist ein interesseloses Gefühl des Wohlgefallens oder Mißfallens (KU, §§ 2-5)
2.3. Das reine Geschmacksurteil wird mit einem Anspruch auf subjektive Allgemeingültigkeit verbunden (KU, §§ 6-8)
3. Von dem reinen Geschmacksurteil der Form DIES IST SCHÖN oder DIES IST NICHT SCHÖN ist eine „Beurteilung des Gegenstandes“ zu unterscheiden (KU, § 9)
3.1. Kant beschreibt die ästhetische Einstellung zu einem Gegenstand als eine Beurteilung desselben, die einem Menschen in einem interesselosen Gefühl der Lust oder Unlust bewußt wird
3.2. Die Beurteilung des Gegenstandes erfolgt durch eine ästhetische Synthesis des Mannigfaltigen seiner anschaulichen Vorstellung
3.3. Die Konzeption der ästhetischen Beurteilung eines Gegenstandes als Synthesis läßt sich mit der Kantischen Bewußtseinstheorie vereinbaren
4. Die Urteile der reflektierenden Urteilskraft sind Urteile über eine hypothetische Zweckmäßigkeit von Naturprodukten
4.1. Von Zweckmäßigkeitsurteilen, die kausale Erklärungen von Artefakten geben, sind Zweckmäßigkeitsurteile zu unterscheiden, in denen Naturprodukte hypothetisch als zweckmäßig beurteilt werden. Dies sind Urteile der reflektierenden Urteilskraft (KU, §10)
4.2. Die Urteile, die die reflektierende Urteilskraft in ihrem logischen Gebrauch formuliert, können als Urteile über eine hypothetische Zweckmäßigkeit von Naturprodukten gedeutet werden
4.3. Die Urteile, die die reflektierende Urteilskraft in ihrem teleologischen Gebrauch formuliert, können als Urteile über eine hypothetische Zweckmäßigkeit von Naturprodukten gedeutet werden
5. Sind auch reine Geschmacksurteile Urteile der reflektierenden Urteilskraft?
5.1. In den Einleitungen in die Kritik der Urteilskraft gelingt es Kant nicht, einen überzeugenden Zusammenhang herzustellen zwischen den reinen Geschmacksurteilen und der reflektierenden Urteilskraft
5.2. Daraus allein, daß der Bestimmungsgrund eines reinen Geschmacksurteils ein interesseloses Gefühl ist, läßt sich nicht ableiten, daß dieses Urteil ein Urteil der reflektierenden Urteilskraft ist (KU, § 11)
6. Auch das reine Geschmacksurteil ist ein Urteil der reflektierenden Urteilskraft
6.1. Das Prinzip des Geschmacks ist das subjektive Prinzip der Urteilskraft überhaupt (KU, § 35)
6.2. Der zur ästhetischen Beurteilung eines Gegenstandes angemessene Begriff ist eine Vernunftidee (KU, §§ 56-57)
6.3. Die ästhetische Erfahrung des Schönen muß von der ästhetischen Erfahrung des Erhabenen unterschieden werden
7. Das reine Geschmacksurteil wird zu Recht mit einem Anspruch auf subjektive Allgemeingültigkeit verbunden
7.1. Die dem reinen Geschmacksurteil zugrundeliegende Beurteilung des Gegenstandes ist subjektiv allgemeingültig (KU, § 38)
7.2. Sowohl zur ästhetischen Beurteilung der Schönheit oder Häßlichkeit eines Gegenstandes in einem reinen Geschmacksurteil als auch zur objektiven Erkenntnis eines Gegenstandes müssen Menschen über das Vermögen des Gemeinsinns verfügen (KU, §§ 18-22 und 40)
8. Trotz der subjektiven Allgemeingültigkeit des reinen Geschmacksurteils bleiben die Meinungen über die Schönheit oder Häßlichkeit von Gegenständen oft kontrovers
Bibliographie und Abkürzungsverzeichnis
1. Werke und Schriften Immanuel Kants (Gesamtausgaben der Werke und Schriften und einzelne Werke, alphabetisch nach Siglen geordnet)
2. Weitere Literatur
Personenregister
Sachregister

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Christel Fricke Kants Theorie des reinen Geschmacksurteils

w DE

G

Quellen und Studien zur Philosophie Herausgegeben von Günther Patzig, Erhard Scheibe, Wolfgang Wieland

Band 26

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1990

Kants Theorie des reinen Geschmacksurteils von

Christel Fricke

Walter de Gruyter · Berlin · New York

1990

Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt

CIP-Titelaufnahme

der Deutschen Bibliothek

Fricke, Christel: Kants Theorie des reinen Geschmacksurteils / von Christel Fricke. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1990 (Quellen und Studien zur Philosophie ; Bd. 26) Zugl.: Heidelberg, Univ., Diss., 1988 u . d . T . : Fricke, Christel: Kants Theorie des reinen Geschmacksurteils über das Schöne ISBN 3-11-012585-4 NE: GT

© Copyright 1990 by Walter de Gruyter & Co., D-1000 Berlin 30. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Werner Hildebrand, D-1000 Berlin 65 Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer, D-1000 Berlin 61

Vorwort

Von meinem ersten Interesse an der Kantischen Ästhetik bis zur Fertigstellung dieser Arbeit war es ein langer Weg. Allen, die mir auf diesem Wege hilfreich zur Seite gestanden haben, möchte ich an dieser Stelle meinen herzlichen Dank aussprechen. Professor Dieter Henrich hat diese Arbeit angeregt. Ebenso wie Professor Bertram Kienzle und Professor Reiner Wiehl hat er mich nicht nur beraten, sondern auch wiederholte Male meine Bewerbungen um Stipendien durch Gutachten unterstützt. Mit Karl-Heinz Hinfurtner habe ich oft über die Grundlagen der Kantischen Ethik diskutiert. Ihm verdanke ich die Anleitung zum Verständnis der Kantischen Theorie des Begehrungsvermögens und der Achtung des Menschen vor dem moralischen Gesetz; und es ist diese Theorie, die Kant bei der Entwicklung seiner Theorie der ästhetischen Erfahrung und Beurteilung der Schönheit und Häßlichkeit von Gegenständen als Modell gedient hat. Wiederholt hatte ich Gelegenheit, Teilergebnisse dieser Arbeit meinen Heidelberger Kollegen vorzutragen. Ihrer Forderung, die Kantische Theorie des reinen Geschmacksurteils nicht nur in einem durch das Kantische Denken und die Kantische Terminologie abgesteckten Rahmen zu präsentieren, kann ich mit dieser Arbeit schwerlich gerecht werden. Unter dem Druck dieser Forderung dürfte die hier vorgelegte Darstellung und Diskussion dieser Theorie jedoch viel an Klarheit gewonnen haben. Profitiert habe ich auch von der Möglichkeit, im Wintersemester 1988/89 und dem dar auffolgenden Sommersemester Kants Theorie der reflektierenden Urteilskraft in einem Seminar mit Heidelberger Studentinnen und Studenten zu diskutieren. Mein größter Dank aber gebührt Professor Hans Friedrich Fulda und Doktor Harald Pilot. Ihr unermüdliches Interesse an meiner Arbeit hat mich ermutigt, vor den Schwierigkeiten niemals zu kapitulieren, die ein angemessenes Verständnis von Kants teilweise hermetischer und paradox anmutender Theorie reiner Geschmacksurteile bereitet. Ihre kritischen Einwände und Nachfragen haben mich immer wieder veranlaßt, meine Thesen

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Vorwort

zu überdenken, zu korrigieren, zu präzisieren, oder aber weniger mißverständlich zu formulieren und genauer 2m begründen. Mit einer früheren, von dieser vorliegenden in einigen Teilen erheblich abweichenden Fassung dieser Arbeit habe ich im Sommersemester 1988 an der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Heidelberg promoviert. Damals trug die Arbeit noch den langjährigen Arbeitstitel Kants Theorie des reinen Geschmacksurteils über das Schöne. Der Titel Kants Theorie des reinen Geschmacksurteils, unter dem ich diese Arbeit nun veröffentliche, trägt einem Leitgedanken meiner Interpretation der Kantischen Theorie reiner Geschmacksurteile Rechnung: Reine Geschmacksurteile kann es nicht nur über schöne, sondern auch über unschöne und häßliche Dinge geben. Diese auf den ersten Blick vielleicht trivial anmutende Feststellung macht es erforderlich, in Kants Theorie reiner Geschmacksurteile zwischen einer Theorie der ästhetischen Einstellung zu einem Gegenstand und einer Theorie zu unterscheiden, die Bedingungen dafür entwickelt, einen in ästhetischer Einstellung betrachteten Gegenstand als schön zu beurteilen. Der Universität Heidelberg und der Studienstiftung des Deutschen Volkes danke ich für die Bewilligung von Promotionsstipendien. Dem Verlag deGruyter und den Herausgebern der Reihe Quellen und Studien zur Philosophie danke ich für die Aufnahme meiner Arbeit. Ausschnitte aus dem Kapitel 4 dieser Arbeit habe ich bereits in meinem Aufsatz „Explaining the Inexplicable. The Hypotheses of the Faculty of Reflective Judgement in Kant's Third Critique" in der Zeitschrift Noûs (XXIV, 1990, S. 45-62) veröffentlicht. Ich danke dem Herausgeber dieser Zeitschrift, Professor Hector-Neri Castañeda, für die freundliche Genehmigung des Wiederabdrucks. Ingeborg von Appen und Robert Schnepf haben mich bei der Textgestaltung beraten und mir mit viel Geduld und Verständnis beim Korrekturlesen geholfen. Ihnen danke ich ebenso herzlich wie Gregor Frey, der mir bei der endgültigen Formatierung des Textes und der Herstellung eines Laserausdruckes behilflich war. Schließlich danke ich auch meiner Familie, insbesondere meinen Eltern und Großeltern, für ihre geduldige und großzügige Unterstützung.

Heidelberg, im April 1990

Christel Fricke

Inhalt Vorwort Inhalt 1. Einleitung 2. In seiner Theorie des reinen Geschmackslirteils will Kant die Frage beantworten, ob dieses Urteil trotz seines ästhetischen Charakters zu Recht mit einem Anspruch auf subjektive Allgemeingültigkeit verbunden wird. 2.1. Das reine Geschmacksurteil ist ein ästhetisches Urteil: Sein Bestimmungsgrund ist eine Gefühlsempfindung (KU, § 1) 2.2. Der Bestimmungsgrund des reinen Geschmacksurteils ist ein interesseloses Gefühl des Wohlgefallens oder Mißfallens (KU, §§ 2-5) 2.3. Das reine Geschmacksurteil wird mit einem Anspruch auf subjektive Allgemeingültigkeit verbunden (KU, §§ 6-8)

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3. Von dem reinen Geschmacksurteil der Form DIES IST SCHÖN oder DIES IST NICHT SCHÖN ist eine „Beurteilung

des Gegenstandes" zu unterscheiden (KU, § 9). 3.1. Kant beschreibt die ästhetische Einstellung zu einem Gegenstand als eine Beurteilung desselben, die einem Menschen in einem interesselosen Gefühl der Lust oder Unlust bewußt wird 3.2. Die Beurteilung des Gegenstandes erfolgt durch eine ästhetische Synthesis des Mannigfaltigen seiner anschaulichen Vorstellung 3.3. Die Konzeption der ästhetischen Beurteilung eines Gegenstandes als Synthesis läßt sich mit der Kantischen Bewußtseinstheorie vereinbaren

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Inhalt

4. Die Urteile der reflektierenden Urteilskraft sind Urteile über eine hypothetische Zweckmäßigkeit von Naturprodukten. 4.1. Von Zweckmäßigkeitsurteilen, die kausale Erklärungen von Artefakten geben, sind Zweckmäßigkeitsurteile zu unterscheiden, in denen Naturprodukte hypothetisch als zweckmäßig beurteilt werden. Dies sind Urteile der reflektierenden Urteilskraft (KU,§ 10) 4.2. Die Urteile, die die reflektierende Urteilskraft in ihrem logischen Gebrauch formuliert, können als Urteile über eine hypothetische Zweckmäßigkeit von Naturprodukten gedeutet werden 4.3. Die Urteile, die die reflektierende Urteilskraft in ihrem teleologischen Gebrauch formuliert, können als Urteile über eine hypothetische Zweckmäßigkeit von Naturprodukten gedeutet werden 5. Sind auch reine Geschmacksurteile Urteile der reflektierenden Urteilskraft? 5.1. In den Einleitungen in die Kritik der Urteilskraft gelingt es Kant nicht, einen überzeugenden Zusammenhang herzustellen zwischen den reinen Geschmacksurteilen und der reflektierenden Urteilskraft 5.2. Daraus allein, daß der Bestimmungsgrund eines reinen Geschmacksurteils ein interesseloses Gefühl ist, läßt sich nicht ableiten, daß dieses Urteil ein Urteil der reflektierenden Urteilskraft ist (KU, § 11) 6. Auch das reine Geschmacksurteil ist ein Urteil der reflektierenden Urteilskraft. 6.1. Das Prinzip des Geschmacks ist das subjektive Prinzip der Urteilskraft überhaupt (KU, § 35) 6.2. Der zur ästhetischen Beurteilung eines Gegenstandes angemessene Begriff ist eine Vernunftidee (KU, §§56-57) 6.3. Die ästhetische Erfahrung des Schönen muß von der ästhetischen Erfahrung des Erhabenen unterschieden werden

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7. Das reine Geschmacksurteil wird zu Recht mit einem Anspruch auf subjektive Allgemeingültigkeit verbunden. 7.1. Die dem reinen Geschmacksurteil zugrundeliegende Beurteilung des Gegenstandes ist subjektiv allgemeingültig (KU, § 38) 7.2. Sowohl zur ästhetischen Beurteilung der Schönheit oder Häßlichkeit eines Gegenstandes in einem reinen Geschmacksurteil als auch zur objektiven Erkenntnis eines Gegenstandes müssen Menschen über das Vermögen des Gemeinsinns verfügen (KU, §§ 18-22 und 40)

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8. Trotz der subjektiven Allgemeingültigkeit des reinen Geschmacksurteils bleiben die Meinungen über die Schönheit oder Häßlichkeit von Gegenständen oft kontrovers.

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Bibliographie und Abkürzungsverzeichnis 1. Werke und Schriften Immanuel Kants (Gesamtausgaben der Werke und Schriften und einzelne Werke, alphabetisch nach Siglen geordnet) 2. Weitere Literatur

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Personenregister

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Sachregister

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1. Einleitung

Kant hat sich vor allem in zwei Werken mit Problemen der philosophischen Ästhetik beschäftigt: In den Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen aus dem Jahre 17641 und im ersten Teil der 1790 in erster Auflage publizierten Kritik der Urteilskraft, der Kritik der ästhetischen Urteilskraft. Unter dem Einfluß vor allem von Edmund Burke2 interessiert sich Kant in den Beobachtungen vornehmlich für die Phänomenologie schöner und erhabener Gegenstände und ihrer Erfahrung durch Menschen: Er beschreibt dort die Gefühle, die das Schöne und das Erhabene bei Menschen hervorrufen können und untersucht, welche Gegenstände diese Gefühle hervorzurufen vermögen und aufgrund welcher charakterlichen Merkmale Menschen für die Wirkungen des Schönen und Erhabenen empfänglich sind. In der Kritik der ästhetischen Urteilskraft dagegen entwickelt Kant eine philosophische Ästhetik in Form einer Urteilstheorie, der Theorie reiner Geschmacksurteile. Unter einem reinen Geschmacksurteil versteht Kant ein Urteil der Form oder DIES IST HÄSSLICH. Jedoch sind nicht alle Urteile, in denen Menschen einen Gegenstand als schön, unschön oder häßlich beurteilen, reine Geschmacksurteile. Unter all diesen Urteilen werden allein die reinen Geschmacksurteile zu Recht mit einem Anspruch auf intersubjektive Gültigkeit verbunden. Kant analysiert in seiner Theorie des reinen Geschmacksurteils, was in einem solchen Urteil von einem Gegenstand behauptet wird und weist die Rechtmäßigkeit des Geltungsanspruchs, mit dem es verbunden wird, nach. Er charakterisiert reine Geschmacksurteile als ästhetische Urteile, d.h. als Urteile, deren Bestimmungsgrund eine Gefühlsempfindung des urteilenden Subjekts ist: Man beurteilt einen Gegenstand in einem reinen Geschmacksurteil als schön, weil man angesichts dieses Gegenstandes ein GeDIES IST SCHÖN, DIES IST NICHT SCHÖN

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Vergl. BSE, AA II, 205-256. Zum Einfluß von Edmund Burke auf Kant vergi. Boulton (in Burke 1958, CXX-CXXI), und Gracyk 1986a.

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Einleitung

fühl der Lust empfindet, als unschön oder häßlich aber, weil man angesichts dieses Gegenstandes ein Gefühl der Unlust empfindet. Im Unterschied zu den Gefühlen, die das Angenehme und Unangenehme einem Menschen bereiten, sind die ästhetischen Gefühle der Lust am Schönen und der Unlust am Unschönen oder Häßlichen interesselos. Die Unterscheidung zwischen den Gefühlen der Lust und Unlust, die zum einen das Angenehme und Unangenehme, zum anderen das Schöne, Unschöne und Häßliche bereiten, ist für die Kantische Theorie des reinen Geschmacksurteils zentral. Denn Urteile, die aufgrund von ihrer Natur nach ganz privaten Empfindungen der Annehmlichkeit oder Unannehmlichkeit Zustandekommen, können niemals zu Recht mit einem Anspruch auf inter subjektive Gültigkeit verbunden werden. Mit dieser Unterscheidung ist jedoch nur eine sehr schwache notwendige Bedingung dafür erfüllt, daß reine Geschmacksurteile zu Recht mit einem Anspruch auf intersubjektive Gültigkeit verbunden werden. Dieser Anspruch bleibt „merkwürdig"3. Denn Kants Charakterisierung dieser Urteile als ästhetischer Urteile bedeutet, daß man das Kriterium oder Geschmacksprinzip, auf dessen Anwendimg sie beruhen, nicht in Form eines objektiven diskursiven Allgemeinbegriffs angeben kann. Davon, ob ein Gegenstand die in diesem Prinzip für Schönheit festgelegten Bedingungen erfüllt oder nicht, kann ein Mensch kein begriffliches Wissen haben; er kann dies nur gefühlsmäßig erfahren. Die Begründung eines reinen Geschmacksurteils wird dadurch zum Problem: Sie kann nicht in Form einer objektiven Beschreibung des beurteilten Gegenstandes erfolgen. Die Konzeption des reinen Geschmacksurteils als eines Urteils, das einerseits ästhetisch ist und daher nicht im Rekurs auf objektive Begriffe begründet werden kann, andererseits aber mit einem Anspruch auf intersubjektive Gültigkeit verbunden wird, hat vor allem Kulenkampff als paradox kritisiert4. In dieser Arbeit wird Kant gegen diesen Paradoxievorwurf verteidigt. Leitidee des Kantischen Nachweises, daß reine Geschmacksurteile trotz ihres ästhetischen Charakters zu Recht mit einem Anspruch auf allgemeine Gültigkeit verbunden werden, ist die Idee, daß einem Menschen in den interesselosen Gefühlen ästhetischer Lust und Unlust nicht die unmittelbare Einwirkung eines affizierenden Gegenstandes, sondern eine rationale Leistung seiner Erkenntniskräfte Einbildungskraft und Verstand bewußt ist. Darin sind diese Gefühle dem Gefühl der Achtung verwandt, in dem einem Menschen seine Nötigung durch das moralische Gesetz bewußt ist. Wäh-

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Vergi. KU, 21. Vergi. Kulenkampff 1978,68-77.

Einleitung

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rend aber mit dem moralischen Gesetz eine Vorstellung des sittlich Guten in Form eines objektiven diskursiven Allgemeinbegriffs zur Verfügung steht, steht ein entsprechendes begriffliches Geschmacksprinzip nicht zur Verfügung. Daher kann auch die rationale Leistung von Einbildungskraft und Verstand, die einem Menschen in interesselosen Gefühlen der Lust oder Unlust bewußt wird, nicht als ein Urteil beschrieben werden, in dem eine anschauliche oder begriffliche Vorstellung eines Gegenstandes unter ein begriffliches Geschmacksprinzip subsumiert wird. Kant nennt diese rationale Leistung auch eine „Beurteilung des Gegenstandes"5. In dieser Beurteilung wird die Schönheit oder Häßlichkeit eines Gegenstandes ästhetisch beurteilt; sie wird einem Menschen als interesseloses Gefühl der Lust oder Unlust bewußt. Mit reinen Geschmacksurteilen in ihrer begrifflichen Form DIES IST SCHÖN, DIES IST NICHT SCHÖN

oder DIES IST HÄSSLICH darf die Beurteilung des Gegenstandes nicht identifiziert werden. Jedem reinen Geschmacksurteil hegt eine Beurteilung des Gegenstandes zugrunde. Diese Beurteilung erfolgt durch ein freies Spiel von Einbildungskraft und Verstand mit dem Mannigfaltigen der anschaulichen Vorstellung des zu beurteilenden Gegenstandes. Die spielerische Tätigkeit der Erkenntniskräfte kann als eine ästhetische Synthesistätigkeit beschrieben werden, die ohne Anleitung durch einen Begriff des Verstandes stattfindet. In dieser Tätigkeit bemühen sich die Erkenntniskräfte darum, in ein harmonisches Verhältnis gegenseitiger Zusammenstimmung zu kommen. Dies gelingt ihnen jedoch nur im freien Spiel mit der anschaulichen Vorstellung eines schönen Gegenstandes. Man kann daher sagen, daß das Zustandekommen einer Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte in ihrem freien Spiel mit einer anschaulichen Gegenstandsvorstellung als Geschmacksprinzip fungiert. Die Zusammenstimmung seiner Erkenntniskräfte im freien Spiel mit einer anschaulichen Gegenstandsvorstellung wird einem Menschen als interesseloses Wohlgefallen an dem vorgestellten Gegenstand bewußt. Aufgrund dieses Wohlgefallens beurteilt er diesen Gegenstand als schön. Die interesselosen Gefühle ästhetischer Lust und Unlust sind Ausdruck einer ästhetischen Erfahrung. Ästhetische Erfahrungen an einem Gegenstand seiner Anschauung kann ein Mensch nur machen, wenn er seine Erkenntniskräfte mit dem Mannigfaltigen der Vorstellung dieses Gegenstandes frei spielen läßt, also bereit ist, eine ästhetische Einstellung zu diesem Gegenstand einzunehmen und dabei Erkenntnisabsichten aufzugeben, von denen die Tätigkeit der Erkenntniskräfte normalerweise beherrscht wird.

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Vergi, vor allem KU, § 9.

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Einleitung

Kants Theorie des reinen Geschmacksurteils ist zu einem wesentlichen Teil eine Theorie der diesem Urteil zugrundeliegenden Beurteilung des Gegenstandes. Diese Auffassung haben schon Anna Tumarkin und Walter Bröcker vertreten.6 Aber erst Donald W. Crawford, Jens Kulenkampff und Paul Guyer haben differenzierte Deutungsvorschläge für die diesem Urteil zugrundeliegende Beurteilung des Gegenstandes entwickelt.7 Diesen Vorschlägen ist eines gemeinsam: Sie deuten die Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte, die als Geschmacksprinzip fungiert, als eine solche Proportion, die immer dann Zustandekommen muß, wenn ein Gegenstand objektiv erkannt werden soll. Kant legt eine solche Deutung selbst nahe, da er diese Zusammenstimmung als eine subjektive Bedingung jeder bestimmten Erkenntnis bezeichnet.8 Er versucht ganz unverkennbar, die intersubjektive Gültigkeit des reinen Geschmacksurteils dadurch zu begründen, daß er zwischen der diesem Urteil zugrundeliegenden ästhetischen Synthesistätigkeit der Erkenntniskräfte und ihrer in einer Erkenntnisabsicht unternommenen Synthesistätigkeit einen engen Zusammenhang herstellt. Die von Crawford, Kulenkampff und Guyer entwickelten Deutungen des Geschmacksprinzips haben jedoch eine in hohem Maße unplausible Konsequenz : Sie machen alle Gegenstände möglicher Erkenntnis zu schönen Gegenständen.9 Darauf, daß Kant, wenn er das Geschmacksprinzip als eine Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand beschreibt, die subjektive Bedingung jeder bestimmten Erkenntnis ist, Gefahr läuft, alle Gegenstände möglicher Erkenntnis zu schönen Gegenständen zu machen, ist in der Literatur zu Kants Kritik der ästhetischen Urteilskraft wiederholt hingewiesen worden.10 Eine Deutung dieses Geschmacksprinzips zu entwickeln, die diese Gefahr definitiv zu vermeiden erlaubt, wird gemeinhin als vorrangige Aufgabe der Interpretation von Kants Theorie des reinen Geschmacksurteils angesehen. Jedoch ist bislang noch kein überzeugender Vorschlag gemacht worden, wie diese Aufgabe zu lösen sei. In der hier vorliegenden Arbeit wird nun eine Deutung des Kantischen Geschmacksprinzips entwickelt, die diese Aufgabe zu lösen erlaubt: Sie ermög6

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Vergi. Tumarkin 1906; Bröcker 1928. Vergi. Crawford 1974; Kulenkampff 1978; Guyer 1979. Vergi. KU, 29 und unten, Kap. 3.2. Vergi, unten, Kap. 3.2. Gracyk, der diese Konsequenz offenbar für unvermeidbar, die Kantische Theorie ästhetischer Beurteilung von Gegenständen deshalb aber nicht für verfehlt hält, hat versucht zu zeigen, daß man selbst dann, wenn alle erkennbaren Gegenstände schön sind, noch zwischen schönen und häßlichen Gegenständen unterscheiden kann. Dieser Versuch vermag jedoch nicht zu überzeugen. (Vergi. Gracyk 1986b). Vergi, neben Kulenkampff 1978 und Guyer 1979 vor allem Neville 1974, Meerbote 1982 und Gracyk 1986b.

Einleitung

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licht eine Rechtfertigung des Anspruchs auf intersubjektive Gültigkeit, mit dem reine Geschmacksurteile verbunden werden, ohne jedoch alle Gegenstände möglicher Erkenntnis zu schönen Gegenständen zu machen. Ausgangspunkt dieser Interpretation ist nicht mehr die Frage, welche Proportion der Erkenntniskräfte angesichts einer anschaulichen Gegenstandsvorstellung Zustandekommen muß, wenn der vorgestellte Gegenstand objektiv erkannt werden soll. Vielmehr geht die Entwicklung dieses neuen Vorschlags aus von der Frage, wie man die Kantische These verständlich machen kann, daß die als Geschmacksprinzip fungierende harmonische Zusammenstimmimg von Einbildungskraft und Verstand auf der Form der Zweckmäßigkeit eines anschaulich gegebenen Mannigfaltigen beruht, die an diesem ohne Vorstellung eines Zwecks wahrgenommen werden kann.11 Dazu wird zunächst die Kantische Theorie der Zweckmäßigkeit dargestellt, in der Kant zwischen zwei Arten von Zweckmäßigkeit unterscheidet: Er versteht Zweckmäßigkeit zum einen als eine tatsächlich zwischen Gegenständen oder Ereignissen der Erscheinungswelt bestehende kausale Relation, zum anderen als eine nur hypothetisch angenommene Relation zwischen bestimmten Arten von Gegenständen in der Erscheinungswelt und den absichtlichen Handlungen eines übersinnlichen Wesens, ohne deren Annahme Menschen sich die Möglichkeit dieser Gegenstände nicht erklären könnten. Urteile über eine solche hypothetische Zweckmäßigkeit beruhen auf einer Leistung der reflektierenden Urteilskraft, die mit ihrem Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur in ihrer Mannigfaltigkeit die Natur vorstellt, als ob ein übermenschlicher Verstand sie nach seinen Gesetzen gegeben hätte.12 Es sind im wesentlichen vier Arten von Urteilen, die auf einer Leistung der reflektierenden Urteilskraft beruhen: (a) Urteile, in denen empirische Begriffe und Gesetze zu allgemeineren empirischen Begriffen und Gesetzen zusammengefaßt werden in der Absicht, alle diese Begriffe und Gesetze in einem logischen System einander zuzuordnen13; (b) teleologische Urteile über natürliche Organismen14; (c) reine Geschmacksurteile15 und (d) Urteile über das Erhabene16. Den Gegenständen dieser Urteile ist eines gemeinsam: Ihre Möglichkeit läßt sich nicht nach den reinen Verstandesgrundsätzen erklären. Sie erscheinen nur aus der Perspektive der reflektierenden Urteilskraft als zweckmäßig. Schönheit ist eine Erscheinungsform dieser Zweck-

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Vergi. Vergi, Vergi, Vergi, Vergi, Vergi,

KU, 61. insbes. KU, XXVII/III. unten, Kap. 4.2. unten, Kap. 4.3. unten, insbes. Kap. 6.1. und 6.2. unten, Kap. 6.3.

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Einleitung

mäßigkeit. Die Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte Einbildungskraft und Verstand in ihrem freien Spiel mit dem Mannigfaltigen einer anschaulichen Gegenstandsvorstellung beruht auf der Erfahrung dieser Zweckmäßigkeit. Diese Zusammenstimmung, die einem Mensch als interesseloses Wohlgefallen an dem Gegenstand seiner Vorstellung bewußt wird, berechtigt ihn zu einem ästhetischen Urteil, das zu Recht mit einem Anspruch auf intersubjektive Gültigkeit verbunden werden kann.17 In der vorliegenden Arbeit werden nur die Abschnitte aus der Kritik der ästhetischen Urteilskraft ausführlich analysiert, die für das Verständnis von Kants Theorie des reinen Geschmacksurteils konstitutiv sind. Dies sind neben der „Analytik des Schönen" (KU, §§ 1-22), den ersten Paragraphen des Abschnitts über die „Deduktion der reinen ästhetischen Urteile" (KU, §§ 30-40) und der ,»Antinomie des Geschmacks" und ihrer Auflösung (KU, §§ 56-57) vor allem die beiden Einleitungen in die Kritik der Urteilskraft. Die Untersuchung folgt dem Aufbau des Kantischen Textes so weit wie möglich und weicht von diesem nur dort ab, wo dies aus sachlichen Gründen notwendig erscheint.

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Vergi, unten, Kap. 7.

2. In seiner Theorie des reinen Geschmacksurteils will Kant die Frage beantworten, ob dieses Urteil trotz seines ästhetischen Charakters zu Recht mit einem Anspruch auf subjektive Allgemeingültigkeit verbunden wird. 2.1.

Das reine Geschmacksurteil ist ein ästhetisches Urteil: Sein Bestimmungsgrund ist eine Geßhlsempfindung (KU, § 1).

In § 1 der Kritik der Urteilskraft definiert Kant das reine Geschmacksurteil als das Urteil, in dem unterschieden wird, „ob etwas schön sei oder nicht" (KU, 3). Reine Geschmacksurteile sind demnach Urteile b z w . S ä t z e w i e D I E S IST SCHÖN, D I E S IST NICHT SCHÖN o d e r D I E S IST

HÄSSLICH, Urteile also über einzelne Gegenstände.1 Eine Theorie des reinen Geschmacksurteils wird zunächst zu analysieren haben, was es bedeutet, von einem Gegenstand zu sagen, daß er schön oder aber nicht schön oder häßlich sei. Kant verwendet den Terminus ,Geschmacksurteil' in der Kritik der Urteilskraft nicht einheitlich. Er bezeichnet mit diesem Terminus meistens die Urteile, in denen Gegenstände als schön oder nicht schön beurteilt werden, manchmal jedoch auch die Urteile über das Angenehme und Unangenehme.2 Um terminologische Unklarheiten zu vermeiden, werden hier und im folgenden die Urteile über das Schöne und Unschöne nicht einfach als Geschmacksurteile bezeichnet, sondern als reine Geschmacksurteile. Die Analyse des reinen Geschmacksurteils beginnt Kant in dem Abschnitt der Kritik der ästhetischen Urteilskraft, der als „Erstes Moment des Geschmacksurteils, der Qualität nach" überschrieben ist (KU, 3-16). In diesem Abschnitt bestimmt er das reine Geschmacksurteil als ein ästhetisches Urteil, das auf einer interesselosen Geßhlsempfindung der Lust oder Unlust

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Den Bezug des reinen Geschmacksurteils auf einen Gegenstand belegt u.a. die folgende Formulierung Kants: „Was aber dazu erfordert wird, um einen Gegenstand schön zu nennen, das muß die Analyse der Urteile des Geschmacks entdecken." (KU, 3 Anm.). Zu den Problemen, die mit der Rede von einem Gegenstandsbezug des reinen Geschmacksurteils verbunden werden können, vergi. Dörflinger 1988. Vergi. z.B. KU, 22.

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Das reine Geschmacksurteil

des Urteilssubjekts beruht. Im Ausgang von dieser Bestimmung unterscheidet Kant dieses Urteil von Urteilen der theoretischen und praktischen Erkenntnis, sowie von den Urteilen über das Angenehme und Unangenehme. Damit will er zeigen, daß sich die Bedeutung des reinen Geschmacksurteils nicht reduzieren läßt auf die Bedeutimg dieser anderen Urteile. Kant zufolge sind die reinen Geschmacksurteile einzelne Urteile: „In Ansehung der logischen Quantität sind alle Geschmacksurteile einzelne Urteile." (KU, 24, Hervorh. v. Kant).3 Ihrer paradigmatischen Form ,x ist F oder ,x ist nicht F nach sind sie einzelne kategorische Urteile über Gegenstände. Unter einem kategorischen Urteil versteht Kant ein Urteil, in dem ein Subjekt- und ein Prädikatterminus durch die Kopula ,ist' verbunden werden.4 Allerdings ist davon auszugehen, daß zu den kategorischen Urteilen auch einzelne Urteile gehören, an deren Subjektstelle kein Allgemeinbegriff, sondern ein als conceptas singularis verwendeter Terminus, oder aber ein indexikalischer Ausdruck steht.5 Die Funktion des indexikalischen Ausdrucks ,dies' an der Subjektstelle des reinen Geschmacksurteils entspricht der Funktion eines conceptus singularis: Dieser Ausdruck bezeichnet die Vorstellung eines einzelnen Gegenstandes in der Anschauung. Allerdings wird der anschaulich vorgestellte Gegenstand, wenn er in einem einzelnen Urteil nicht nur durch ein ,dies', sondern durch einen als conceptus singularis verwendeten Terminus bezeichnet wird, bereits durch die Zuschreibung deskriptiver Eigenschaften bestimmt. An der Subjektstelle des reinen Geschmacksurteils könnte auch ein als conceptus singularis verwendeter Terminus stehen. Jedoch setzt, wie im einzelnen zu zeigen sein wird, die Beurteilung eines Gegenstandes als schön oder nicht schön keine vorausgehende Bestimmung seiner deskriptiven Eigenschaften voraus. In § 1 der Kritik der Urteilskraft bestimmt Kant das reine Geschmacksurteil als ein „ästhetisches Urteil": U m zu unterscheiden, ob etwas schön sei oder nicht, beziehen wir die Vorstellung nicht durch den Verstand auf das Objekte z u m Erkenntnisse, sondern durch die Einbildungskraft (vielleicht mit d e m Verstände verbunden)

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Vergi, auch KU, 74,134, 142, 149/50. Vergi. KrV, A73/B98. Vergi. LP, AA XXIV, 567: „Jeder conceptus ist repraesentatio communis, das liegt schon in der Erklärung, aber der Gebrauch kann seyn communis aut singularis d.h. in individuo." Diesen Satz zitiert auch Schulthess - allerdings nicht ganz wörtlich. (Vergi. Schulthess 1981, 113). Zum Gebrauch von Allgemeinbegriffen an der Subjektstelle einzelner kategorischer Urteile bei Kant vergi, auch Andersen 1983,94/5.

Das Geschmacksurteil als ästhetisches Urteil

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auf das Subjekt und das Gefühl der Lust oder Unlust desselben. Das Geschmacksurteil ist also kein Erkenntnisurteil, mithin nicht logisch, sondern ästhetisch, worunter man dasjenige versteht, dessen Bestimmungsgrund nicht anders als subjektiv sein kann. (KU, 3/4, Hervorh. v. Kant). Die Vorstellung des Gegenstandes, von dem festgestellt werden soll, ob er schön sei oder nicht, wird zum Zweck dieser Feststellung also „nicht durch den Verstand auf das Objekte zum Erkenntnisse" bezogen, obwohl die Herstellung eines solchen Objektbezuges durchaus möglich wäre. Wie aus verschiedenen Formulierungen Kants in der Kritik der Urteilskraft und der Ersten Einleitung in die Kritik der Urteilskraft6 zu entnehmen ist, handelt es sich bei dieser Vorstellung genauer um die Vorstellung eines Gegenstandes in der empirischen Anschauung.7 Statt „durch den Verstand auf das Objekte" wird die anschauliche Gegenstandsvorstellung zu ihrer ästhetischen Beurteilung „durch die Einbildungskraft (vielleicht mit dem Verstände verbunden) auf das Subjekt und das Gefühl der Lust oder Unlust desselben" bezogen. Ist die Beziehung dieser Vorstellung auf das Gefühlsvermögen eines Menschen lustvoll, so beurteilt dieser den Gegenstand seiner Vorstellung als schön; ist diese Beziehung dagegen nicht lustvoll, so beurteilt er den entsprechenden Gegenstand als nicht schön oder häßlich. Dem reinen Geschmacksurteil DIES IST SCHÖN liegt also eine Lustempfindung, dem reinen Geschmacksurteil DIES IST NICHT SCHÖN eine Unlustempfindung des Urteilssubjekts zugrunde: „In allen Urteilen, wodurch wir etwas für schön erklären, verstatten wir keinem, anderer Meinung zu sein; ohne gleichwohl unser Urteil auf Begriffe, sondern nur auf unser Gefühl zu gründen" (KU, 66/7, Hervorh. v. C.F.). Und weil einem reinen Geschmacksurteil eine Gefühlsempfindung zugrundeliegt, ist es ein ästhetisches Urteil, „dessen Bestimmungsgrund nicht anders als subjektiv sein kann". Der subjektive Bestimmungsgrund des reinen Geschmacksurteils ist die diesem Urteil zugrundeliegende Gefühlsempfindung; .subjektiv* ist daher hier als gefühlsmäßig' zu verstehen.8

Von der Ersten Einleitung in die Kritik der Urteilskraft, die Kant selbst nie veröffentlicht hat, ist im folgenden kurz als von der Ersten Einleitung die Rede, von der Einleitung in die Kritik der Urteilskraft dagegen, die Kant 1790, 1793 und 1799 zusammen mit dem Text der Kritik der Urteilskraft veröffentlicht hat, als von der Zweiten Einleitung. In der Ersten Einleitung z.B. ist von der Vorstellung des Gegenstandes, der in einem reinen Geschmacksurteil ästhetisch beurteilt wird, die Rede als von der Vorstellung der „Form eines gegebenen Objekts in der empirischen Anschauung" (EE, 26). (Vergi, auch EE, 29, 30, 35/6,40 und KU, XLVII, XLVIII u.a.). Vergi, dazu KU, XLVII: „Die Lust ist also im Geschmacksurteile zwar von einer empirischen Vorstellung abhängig, ..., aber sie ist doch der Bestimmungsgrund dieses Urteils nur dadurch, daß man sich bewußt ist, sie beruhe bloß auf der Reflexion ...". (Hervorh. v. C.F. Vergi, auch KU, 38, 47, 53,151 Anm, 232).

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Das reine Geschmacksurteil

Von welchen Urteilen läßt sich das reine Geschmacksurteil aufgrund seiner Bestimmung als ästhetisches Urteil unterscheiden? Zweifellos von solchen Urteilen, deren Bestimmungsgrund nicht subjektiv ist. Welche Urteile aber beruhen Kant zufolge auf einem nicht subjektiven Bestimmungsgrund? Und was versteht Kant überhaupt unter dem Bestimmungsgrund eines Urteils? Der Terminus ,Bestimmungsgrund eines Urteils' spielt in Kants kritischer Urteilstheorie keine wesentliche Rolle. In der Kritik der reinen Vernunft z.B. verwendet Kant diesen Terminus nicht. Von einem bestimmenden Grund von Urteilen spricht Kant vor allem in seiner Dissertation Principiorum primorum cognitionis metaphysicae nova dilucidatio aus dem Jahre 1755. Dort heißt es in dem Abschnitt über den „Satz des bestimmenden, gemeinhin zureichend genannten Grundes" (WW 1,423) 9 : Bestimmen heißt ein Prädikat mit Ausschluß seines Gegenteils setzen. Was ein Subjekt mit Beziehung auf ein Prädikat bestimmt, nennt man den Grund. (WW 1, 423, Hervorh. v. Kant).10 Der Begriff des Grundes bewirkt nach allgemeiner Ansicht eine Verknüpfung und Verbindung zwischen Subjekt und Prädikat. (WW 1, 423). 11 Der Grund ... bringt aus Unbestimmtem Bestimmtes zustande. Und da ja alle Wahrheit aus der Bestimmung eines Subjekts durch ein Prädikat zustandekommt, ist der bestimmende Grund nicht nur das Kennzeichen, sondern auch die Quelle der Wahrheit... (WW 1, 425). 12

In § 56 der Kritik der Urteilskraft unterscheidet Kant das reine Geschmacksurteil, dessen Bestimmungsgrund „bloß subjektiv (Vergnügen oder Schmerz)" ist (KU, 232), von Urteilen, für die man „objektive Begriffe als Gründe ... annimmt" (KU, 233, Hervorh. v. Kant). Objektive Begriffe sind

Vergi. ND, AA I, 391: „De principio rationis determinants, vulgo sufficientis". Kant schlägt hier u.a. vor, nach dem Vorbild von Cnisius „anstelle des Ausdrucks zureichender Grund das Wort bestimmender Grund zu wählen" (WW 1, 427). Vergi. ND, AA I, 393: „Panter enuntiationi rationis sufficientis vocem rationis determinantis surrogare satius duxi, et habeo ill. Crusium assentientem." (Hervorh. v. Kant). An diesem Vorschlag hält er aber in seinen späteren Schriften nicht fest. Er bezieht sich hier offenbar auf Crusius 1744,59. Vergi. ND, AA I, 391: determinare est ponere praedicatum cum exclusione oppositi. Quod determinal subiectum respectu praedicati cuiusdam, dicitur ratio." (Hervorh. v. Kant). Vergi. ND, AA I, 392: „Notio rationis secundum sensum communem subiectum inter ac praedicatum aliquod nexum efficit et colligationem." Vergi. ND, AA I, 392: „Ratio ... ex indeterminatis efficit determinata. Et quoniam omnis veritas determinatione praedicati in subiecto efficitur, ratio determinane veritatis non modo criterium, sed et fons est...". Vereinzelt taucht die Rede von bestimmenden Gründen von Urteilen allerdings auch in wesentlich späteren Schriften Kants auf. Vergi. z.B. ÜE, AA VIII, 193 und Kant an Carl Leonhard Reinhold, 12.5.1789, AA XI, 35-6.

Das Geschmacksurteil als ästhetisches Urteil

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Begriffe, unter die anschauliche Vorstellungen von Objekten subsumiert werden können, oder die mit anderen objektiven Begriffen in Form einer Subsumtion verbunden werden können. Für synthetische objektive kategorische Erkenntnisurteile, in denen die Verbindung von Subjekt und Prädikat dadurch hergestellt wird, daß Subjekt- und Prädikatterminus nach Anleitung der Relationskategorien der Inhärenz und Subsistenz auf gegebene Anschauungen bezogen werden, können objektive Begriffe als Gründe angegeben werden, nämlich die genannten Relationskategorien und die objektiven Begriffe, die als Subjekt- und Prädikatterminus in diesen Urteilen verbunden werden. Im reinen Geschmacksurteil DIES IST SCHÖN verbinden wir die Vorstellung des Gegenstandes, auf den das ,dies' verweist, mit dem Prädikat der Schönheit, weil wir ein Gefühl der Lust empfinden, für dessen Ursache wir die Vorstellung dieses Gegenstandes halten.13 Die Verbindung dieser Gegenstandsvorstellung mit dem Prädikat der Schönheit kommt ohne Anwendung objektiver Begriffe als bestimmender Gründe zustande. Dies bedeutet, daß Schönheit kein objektiver Begriff ist. Unter den Begriff der Schönheit können anschauliche Vorstellungen von Objekten nicht subsumiert werden. Der Begriff der Schönheit kann nicht auf objektive Begriffe reduziert werden, und die Intension dieses Begriffs kann in keiner Intension eines objektiven Begriffs enthalten sein. Weil Schönheit kein objektiver Begriff ist, kann niemand aus Begriffen bestimmen, „welcher Gegenstand dem Geschmacke gemäß sein werde" und welcher nicht; wer dies bestimmen will, muß die Gegenstände „versuchen".14 Einen Gegenstand „versuchen" bedeutet hier, die anschauliche Vorstellung dieses Gegenstandes in einer noch genauer zu bestimmenden Weise auf das Gefühlsvermögen zu beziehen. Wir können nur dann entscheiden, ob ein Gegenstand schön ist oder nicht, wenn wir uns diesen Gegenstand anschaulich zugänglich gemacht haben und die anschauliche Vorstellung dieses Gegenstandes auf unser Gefühlsvermögen beziehen. Denn „die Verknüpfung des Gefühls einer Lust oder Unlust, als einer Wirkung,

Entsprechendes gilt, wenn auch hier und im folgenden nicht immer eigens erwähnt, für d i e r e i n e n G e s c h m a c k s u r t e i l e D I E S IST NICHT SCHÖN u n d D I E S IST HÄSSLICH.

Vergi. KU, XLVII: „Die Lust ist also im Geschmacksurteile zwar von einer empirischen Vorstellung abhängig, und kann a priori mit keinem Begriffe verbunden werden (man kann a priori nicht bestimmen, welcher Gegenstand dem Geschmacke gemäß sein werde oder nicht, man muß ihn versuchen); ...". Von „Apriorität" ist hier in einem Sinne die Rede, von dem Kant sich in der Einleitung in die Auflage Β der Kritik der reinen Vernunft explizit distanziert hatte; (vergi. KrV, Β 2/3). Die Bestimmung a priori der ästhetischen Qualität eines Gegenstandes ist hier zu verstehen als eine Bestimmung unabhängig von einem Versuchen dieses Gegenstandes.

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Das reine Geschmacksurteil

mit irgendeiner Vorstellung ..., als ihrer Ursache, a priori auszumachen, ist schlechterdings unmöglich; denn das wäre ein Kausalverhältnis, welches (unter Gegenständen der Erfahrung) jederzeit nur15 a posteriori und vermittelst der Erfahrung selbst erkannt werden kann" (KU, 35).16 Da das ,dies' an der Subjektstelle des reinen Geschmacksurteils auf einen Gegenstand verweist, den der Urteilende anschaulich vorstellt, das Prädikat,schön' dieses Urteils sich aber nicht unmittelbar auf die anschauliche Vorstellung eines Gegenstandes beziehen läßt, kann die Verbindung von Subjekt und Prädikat in diesem Urteil nicht als ein Verhältnis der Subsumtion gedeutet werden. Denn „in allen Subsumtionen eines Gegenstandes unter einen Begriff muß die Vorstellung des ersteren mit der letzteren gleichartig sein, d.i. der Begriff muß dasjenige enthalten, was in dem darunter zu subsumierenden Gegenstande vorgestellt wird, denn das bedeutet eben der Ausdruck: ein Gegenstand sei unter einem Begriffe enthalten" (KrV, A137/B176, Hervorh. v. Kant). Diese Bedingung der Gleichartigkeit wird von der Vorstellung des Gegenstandes, auf den das ,dies' im reinen Geschmacksurteil verweist, und von dem Prädikat ,schön' dieses Urteils nicht erfüllt. Die Gegenstandsvorstellung läßt sich nicht als Erfüllungsinstanz unter das Prädikat,schön' subsumieren. In der Tat betont Kant in der Kritik der Urteilskraft wiederholt, daß die Verbindung von Subjekt und Prädikat im reinen Geschmacksurteil nicht als eine Subsumtion unter einen Begriff aufgefaßt werden kann: „Das Geschmacksurteil unterscheidet sich darin von dem logischen, daß das letztere eine Vorstellung unter Begriffe vom Objekt, das erstere aber gar nicht unter einen Begriff subsumiert, weil sonst der notwendige allgemeine Beifall durch Beweise würde erzwungen werden können." (KU, 145).17 Da die Verbindung von Subjekt und Prädikat im reinen Geschmacksurteil nicht auf der Anwendung objektiver Begriffe als bestimmender Gründe beruht und da diese Verbindung nicht als eine Subsumtion einer anschaulichen Vorstellung unter einen objektiven Begriff beschrieben werden kann, ist dieses Urteil kein objektives Erkenntnisurteil. Die Beurteilung eines Gegenstandes als schön bedeutet keine objektive Erkenntnis desselben: „Schönheit ist kein Begriff vom Objekt, und das Geschmacksurteil ist kein Erkenntnisurteil." (KU, 152). Das Geschmacksurteil ist ein ästhetisches Urteil, und „ein ästhetisches Urteil, wenn man es zur objektiven Bestimmung brauchen wollte, würde ... auffallend widersprechend sein ..." (EE, 28, Her-

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Kant schreibt hier „nur jederzeit". Ich übernehme den Korrekturvorschlag von Vorlän-

ΙΛ

DER

"

Vergi, auch KU, 14042,149 und EE, 36/7. Vergi, auch KU, 143.

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Das Geschmacksurteil als ästhetisches Urteil

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vorh. v. Kant).18 Insbesondere um die Abgrenzung des reinen Geschmacksurteils von einzelnen Erfahrungsurteilen geht es Kant in § 1 der Kritik der Urteilskraft, wenn er betont, daß das reine Geschmacksurteil „kein Erkenntnisurteil, mithin nicht logisch, sondern ästhetisch" ist (KU, 4). Denn reine Geschmacksurteile könnten in der Tat leicht mit einzelnen Erfahrungsurteilen verwechselt werden, die ebenso wie die reinen Geschmacksurteile die paradigmatische Form ,x ist F haben. Da das reine Geschmacksurteil kein Erkenntnisurteil ist, obwohl es die Form eines kategorischen Urteils hat, und da wir, wenn wir einen Gegenstand als schön beurteilen, mit dieser Beurteilung zum Ausdruck bringen, eine anschauliche Vorstellung von diesem Gegenstand zu haben und angesichts dieser Vorstellung ein Gefühl der Lust zu empfinden, da wir also in dieser Beurteilung in gewissem Sinne zwei Empfindungszustände aufeinander beziehen, könnte man vermuten, daß dieses Urteil zu den Wahrnehmungsurteilen gehört. Wahrnehmungsurteile sind einzelne empirische Urteile, die Kant erstmals in den 1783 publizierten Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können explizit von den Erfahrungsurteilen unterscheidet. Als Beispiele für Wahrnehmungsurteile gibt Kant in den Prolegomena Sätze an wie ,Das Zimmer ist warm', ,Der Zucker ist süß', ,Der Wermut ist widrig', aber auch Sätze wie ,Die Luft ist elastisch' und ,Wenn die Sonne den Stein bescheint, so wird er warm' (PM, AA IV, 299 u. 301Anm.). Obwohl diese Wahrnehmungsurteile die Form kategorischer bzw. hypothetischer Urteile haben, formulieren sie keine objektiven Erkenntnisse. Denn, wie Kant in den Prolegomena ausführt, in einem Wahrnehmungsurteil „beziehe [ich] zwei Empfindungen in meinen Sinnen nur aufeinander" (PM, AA IV, 299), ich verknüpfe diese

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Vergi, auch: „Durch die Benennung eines ästhetischen Urteils über ein Objekt wird also sofort angezeigt, daß eine gegebene Vorstellung zwar auf ein Objekt bezogen, in dem Urteile aber nicht die Bestimmung des Objekts, sondern des Subjekts und seines Gefühls verstanden werde." (EE, 29). „Ein jedes bestimmende Urteil ist logisch, weil das Prädikat desselben ein gegebener objektiver Begriff ist." (EE, 29, Hervorh. v. Kant). „Ein ästhetisches Urteil im allgemeinen kann also für dasjenige Urteil erklärt werden, dessen Prädikat niemals Erkenntnis (Begriff von einem Objekte) sein kann ..." (EE, 30). „Das Befremdende und Abweichende liegt nur darin, daß es nicht ein empirischer Begriff, sondern ein Gefühl der Lust (folglich gar kein Begriff) ist, welches doch durch das Geschmacksurteil, gleich als ob es ein mit dem Erkenntnisse des Objekts verbundenes Prädikat wäre, jedermann zugemutet und mit der Vorstellung desselben verknüpft werden soll." (KU, XLVI). „Mit einer Wahrnehmung kann aber auch unmittelbar ein Gefühl der Lust (oder Unlust) und Wohlgefallen verbunden werden, welches die Vorstellung des Objekts begleitet und derselben statt Prädikats dient, und so ein ästhetisches Urteil, welches kein Erkenntnisurteil ist, entspringen." (KU, 147).

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Das reine Geschmacksurteil

Empfindungen oder Wahrnehmungen, „sowie sie in der sinnlichen Anschauung gegeben sind" (PM, AA IV, 304). Wahrnehmungsurteile sind demnach Urteile, die „nur eine Beziehung zweier Empfindungen auf dasselbe Subjekt, nämlich mich selbst, und auch nur in meinem diesmaligen Zustande der Wahrnehmung [ausdrücken]" (PM, AA IV, 299). In Wahrnehmungsurteilen werden Vorstellungen nur im Gemütszustande verknüpft (vergi. PM, AA IV, 300); sie behaupten also nichts über Objekte, sondern beziehen die Vorstellungen lediglich auf das urteilende Subjekt und die Modifikationen seines Zustandes. Mit diesen Wahrnehmungsurteilen nun scheinen die reinen Geschmacksurteile verwandt zu sein. Denn auch in diesen Geschmacksurteilen werden Modifikationen des Zustandes des Urteilenden miteinander verknüpft und auf den Urteilenden als Subjekt, nicht aber auf ein Objekt zur Erkenntnis desselben bezogen. Nun charakterisiert Kant aber das reine Geschmacksurteil nicht nur als ein ästhetisches Urteil, mit dem ein Urteilender zum Ausdruck bringt, angesichts der Vorstellung des Gegenstandes, auf den er mit dem ,dies' an der Subjektstelle seines Urteils verweist, ein Gefühl der Lust oder Unlust zu empfinden. Kant zufolge ist nämlich das reine Geschmacksurteil ein besonderes ästhetisches Urteil, eines, das auf einer interesselosen Empfindung einer Lust oder Unlust des Urteilenden beruht und mit dem dieser einen Anspruch auf subjektive Allgemeingültigkeit verbindet. Bevor entschieden werden kann, ob das reine Geschmacksurteil zu den Wahrnehmungsurteilen gehört oder nicht, sind diese Bestimmungen zu analysieren.

2.2.

Der Bestimmungsgrund des reinen Geschmacksurteils ist ein interesseloses Gefühl des Wohlgefallens oder Mißjaliens (KU, §§ 2-5).

Mit der Bestimmung des reinen Geschmacksurteils als ästhetisches Urteil eröffnet sich ein neues Problem für den Nachweis der Eigenständigkeit dieses Urteils: Neben den Urteilen über das Schöne, Unschöne und Häßliche gibt es weitere ästhetische Urteile, die einen Gegenstand „bloß in Ansehung des Verhältnisses seiner Vorstellung zum Gefühle der Lust und Unlust" (KU, 22) beurteilen, nämlich die Urteile über das Angenehme und Unangenehme. Von diesen Urteilen sind die reinen Geschmacksurteile zu unterscheiden. In den Prolegomena führt Kant die Urteile über das Angenehme und Unangenehme als Beispiele für Wahrnehmungsurteile an. Dies ist allerdings nicht auf den ersten Blick erkennbar, denn diese Beispiele sind nicht Sätze w i e DIES IST ANGENEHM o d e r DIES IST UNANGENEHM, s o n d e r n d i e S ä t z e

,Das Zimmer ist warm', ,Der Zucker ist süß' und ,Der Wermut ist widrig'

Interesselose Gefühle

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(vergi. PM, AA IV, 299).w Kant zufolge gibt es also ästhetische Urteile, die Wahrnehmungsurteile sind. Sollen reine Geschmacksurteile nicht zu den Wahrnehmungsurteilen gehören, so müssen sie sich durch ein wesentliches Merkmal von den Urteilen über das Angenehme oder Unangenehme unterscheiden lassen. Um zu zeigen, daß sich die reinen Geschmacksurteile nicht auf Urteile über das Angenehme oder Unangenehme reduzieren lassen, analysiert Kant in den §§ 2 und 3 der Kritik der Urteilskraft das Wohlgefallen, das diesen ästhetischen Urteilen jeweils zugrunde liegt. Die Leitthese für diese Analyse formuliert Kant im Titel von § 2: „Das Wohlgefallen, welches das Geschmacksurteil bestimmt, ist ohne alles Interesse." (KU, 5). Dagegen ist „das Wohlgefallen am Angenehmen ... mit Interesse verbunden" (KU, 7).20 Durch seine Uninteressiertheit soll sich das Wohlgefallen am Schönen aber nicht nur vom Wohlgefallen am Angenehmen, sondern auch vom Wohlgefallen am Guten unterscheiden, und zwar sowohl vom Wohlgefallen am Nützlichen als auch vom Wohlgefallen am sittlich Guten. Denn auch „das Wohlgefallen am Guten ist mit Interesse verbunden" (KU, 10). Allerdings sind die Urteile über das Gute im Unterschied zu den Urteilen über das Angenehme und Schöne keine ästhetischen Urteile. Die Urteile über das Nützliche gehören zu den Urteilen der theoretischen Erkenntnis, die Urteile über das sittlich Gute zu denen der praktischen Erkenntnis. Von Erkenntnisurteilen anderer Art unterscheiden sich die Urteile über das Gute dadurch, daß sie von einer Lustempfindung des Urteilssubjekts begleitet werden. Das Wohlgefallen am Guten ist ein Gefühl der Lust, das in einer begrifflichen Einsicht gründet und diese begleitet, nämlich entweder in der Einsicht in die Nützlichkeit eines Gegenstandes, oder in der Einsicht in die sittliche Qualität einer Handlung. Wenn das Wohlgefallen am Schönen nun nicht vom Wohlgefallen am Guten zu unterscheiden wäre, dann müßte dem Wohlgefallen am Schönen ein Urteil der theoretischen oder praktischen Erkenntnis zugrunde liegen, und das reine Geschmacksurteil DIES IST SCHÖN könnte auf ein solches Urteil reduziert werden. Die Möglichkeit einer solchen Reduktion würde aber der Bestimmung des reinen Geschmacksurteils als ästhetisches Urteil widersprechen. Um diese Bestimmung zu verteidigen gilt es daher, die

Zur Begründung der These, daß diese Beispielsätze für Wahrnehmungsurteile als ästhetische Urteile über das Angenehme und Unangenehme aufzufassen sind, vergi. Prauss 1971, 20

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·

Kant war nicht der erste, der das Wohlgefallen, das wir an schönen Gegenständen empfinden, als interesselos charakterisierte. (Vergi, zur Vorgeschichte des Begriffs der Interesselosigkeit Strube 1979.) Neu ist in der Kritik der Urteilskraft jedoch Kants Versuch, für die Interesselosigkeit des Wohlgefallens am Schönen eine systematische Erklärung zu geben.

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Das reine Geschmacksurteil

Möglichkeit einer Reduktion des reinen Geschmacksurteils auf Urteile der theoretischen oder praktischen Erkenntnis auszuschließen, also zu zeigen, daß sich das Wohlgefallen am Schönen vom Wohlgefallen am Nützlichen und sittlich Guten unterscheidet. Im folgenden soll nun zunächst geklärt werden, was Kant unter einem Interesse und einem mit Interesse verbundenen Wohlgefallen versteht. Daran anschließend wird erläutert, inwiefern das Wohlgefallen am Angenehmen und am Guten mit Interesse verbunden ist. Auf der Grundlage dieser Ausführungen kann dann untersucht werden, worin sich das Wohlgefallen am Schönen vom Wohlgefallen am Angenehmen und Guten unterscheidet und ob sich im Rekurs auf diesen Unterschied die Interesselosigkeit des Wohlgefallens am Schönen erklären läßt. In § 2 der Kritik der Urteilskraft definiert Kant zunächst das Interesse: Interesse wird das Wohlgefallen genannt, das wir mit der Vorstellung der Existenz eines Gegenstandes verbinden. Ein solches hat daher immer zugleich Beziehung auf das Begehrungsvermögen, entweder als Bestimmungsgrund desselben, oder doch als mit dem Bestimmungsgrunde desselben notwendig zusammenhängend. (KU, 5).

Wenn wir ein Interesse an der Existenz eines Gegenstandes haben, begehren wir seine Existenz. Wir stellen ihn dabei als einen Gegenstand vor, dessen Einwirkung bei uns die Empfindung eines Wohlgefallens bzw. einer Lust bewirkt. Mit der Interessenahme an der Existenz eines Gegenstandes ist also immer eine begriffliche Vorstellung von ihm sowie von dem lustvollen Empfindungszustand, den er zu bewirken vermag, verbunden. Wenn wir ein Interesse an der Existenz eines Gegenstandes haben, stellen wir jedoch nicht nur den lustvollen Empfindungszustand vor, den wir uns von seiner Einwirkung auf uns erhoffen, sondern wir befinden uns bereits in einem lustvollen Empfindungszustand; denn das Interesse ist selbst ein Wohlgefallen. Das mit dem Begehren der Existenz eines Gegenstandes verbundene Wohlgefallen nennt Kant in der Einleitung zur Metaphysik der Sitten eine „praktische Lust": „Man kann die Lust, welche mit dem Begehren (des Gegenstandes, dessen Vorstellung das Gefühl so afficirt) nothwendig verbunden ist, praktische Lust nennen: sie mag nun Ursache oder Wirkung vom Begehren sein." (MS, AA VI, 212, Hervorh. v. C.F.). Offenbar ist sowohl das Wohlgefallen, das wir tatsächlich empfinden, wenn wir ein Interesse an der Existenz eines Gegenstandes haben und diesen begehren, als eine praktische Lust aufzufassen, als auch das Wohlgefallen, das wir uns in diesem Interesse von der Einwirkung des begehrten Gegenstandes auf uns erhoffen. Ein mit Interesse verbundenes Wohlgefallen ist eine praktische Lust, eine Lust, die von einem Begehren von etwas begleitet wird. Allerdings ist

Interesselose Gefühle

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nicht jede praktische Lust ein mit Interesse verbundenes Wohlgefallen. Denn der Empfindung einer praktischen Lust sind auch vernunftlose Wesen fähig. Zu einer Interessenahme dagegen sind nur vernunftbegabte Wesen fähig.21 Bei vernunftlosen Wesen bestimmt die praktische Lust immittelbar das Begehrungsvermögen und ist „Begierde". Vernunftbegabte Wesen dagegen verknüpfen die Vorstellung der praktischen Lust durch den Verstand nach einer allgemeinen Regel mit dem Begehrungsvermögen; ihre praktische Lust ist entweder ein „Interesse der Neigung" oder ein „Vernunftinteresse" (MS, AA VI, 212). Die These, daß „das Wohlgefallen am Angenehmen ... mit Interesse verbunden [ist]" (KU, 7), kann nun wie folgt interpretiert werden: Das mit Interesse verbundene Wohlgefallen am Angenehmen ist eine praktische Lust. Derjenige, der ein solches Wohlgefallen empfindet, begehrt dabei, im Zustand dieses Wohlgefallens zu verharren, und er begehrt die Existenz und Fortdauer der Existenz des Gegenstandes, den er für die Ursache seiner angenehmen Empfmdung hält. Dabei verfügt er sowohl über eine begriffliche Vorstellung des Wohlgefallens, das er empfindet, als auch über eine begriffliche Vorstellung der gegenständlichen Ursache dieses Wohlgefallens. Ohne diese begrifflichen Vorstellungen wäre sein Wohlgefallen nicht mit Interesse verbunden, sondern bloße Begierde. Kant zufolge liegt es in der Natur eines vernünftigen, aber sinnlich affizierbaren Wesens, nach einem Empfindungszustand höchster Annehmlichkeit zu streben, also daran ein Interesse zu haben. In dem Interesse an diesem Zustand manifestiert sich das Glücksstreben, das diese Wesen auszeichnet und Motor all ihres Handelns ist: „Glücklich zu sein, ist notwendig das Verlangen jedes vernünftigen, aber endlichen Wesens und also ein unvermeidlicher Bestimmungsgrund seines Begehrungsvermögens" (KpV, 45). Das Leben eines Menschen ist Kant zufolge ein unaufhörliches Glücksstreben, ein Tätigsein, dessen Ziel die Beseitigung aller Ursachen des Schmerzes und die Verwirklichung des eigenen Glücks ist. „Denn die Zufriedenheit mit seinem ganzen Dasein ist nicht etwa ein ursprünglicher Besitz und eine Seligkeit, welche ein Bewußtsein seiner unabhängigen Selbstgenügsamkeit voraussetzen würde, sondern ein durch seine endliche Natur selbst ihm aufgedrungenes Problem, weil es bedürftig ist" (KpV, 45). Weil Kant das menschliche Leben vom Glücksstreben bestimmt sieht, sieht er einen engen, quasi definitorischen Zusammenhang zwischen den Gefühlen der Annehmlichkeit und Unannehmlichkeit eines Menschen einerseits und

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Vergi, dazu GMS, AA IV, 459/60Anm.

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Das reine Geschmacksurteil

den Wirkungen dieser Gefühle auf dessen Begehrungsvermögen andererseits: Man kann diese Gefühle auch durch die Wirkung erklären, die die Empfindung unseres Zustandes auf das Gemüth macht. Was unmittelbar (durch den Sinn) mich antreibt meinen Zustand zu verlassen (aus ihm herauszugehen): ist mir unangenehm - es schmerzt mich; was ebenso mich antreibt, ihn zu erhalten (in ihm zu bleiben): ist mir angenehm, es vergnügt mich. (AH, AA VII, 230/1). Daß Menschen als vernunftbegabte, aber sinnlich affizierbare und in ihrem Wohlbefinden von ihrer äußeren Umgebung abhängige Wesen Annehmlichkeit nur in Verbindung mit einer Bestimmung ihres Begehrimgsvermögens und einem Interesse an diesem Gefühl und seiner gegenständlichen Ursache empfinden können, ist für Kant also eine anthropologische Tatsache. Auch „das Wohlgefallen am Guten ist mit Interesse verbunden" (KU, 10). Dies bedeutet, daß ein Mensch nichts als nützlich oder sittlich gut beurteilen kann, ohne dabei ein Wohlgefallen zu empfinden, das sein Begehrungsvermögen bestimmt, d.h. ohne dabei an der Existenz des Nützlichen oder sittlich Guten interessiert zu sein. Ebenso wie das Wohlgefallen am Angenehmen ist auch das Wohlgefallen am Guten eine praktische Lust. Der willensbestimmende Charakter des Wohlgefallens am Nützlichen läßt sich aus dem willensbestimmenden Charakter des Wohlgefallens am Angenehmen erklären. Denn wenn etwas nützlich ist, so ist es ein geeignetes Mittel zur Verwirklichung eines Zwecks. Die Vorstellung eines solchen Zwecks ist immer die Vorstellung eines angenehmen Zustandes, die den Willen eines nach Glück strebenden Wesens jederzeit bestimmt: Das „mittelbar Gute (das Nützliche)" ist für Kant immer dasjenige, „welches als Mittel zu irgendeiner Annehmlichkeit gefällt" (KU, 13). Wo etwas als nützlich beurteilt wird, liegt immer die Vorstellung eines bestimmten zu verwirklichenden Zwecks als Bestandteil der Vorstellung des in diesem Urteil angewandten Kriteriums zugrunde, denn dieses Kriterium gibt an, welches die geeigneten Mittel zur Verwirklichung eines bestimmten vorgegebenen Zwecks sind. Die Vorstellung eines einmal erlebten und wieder begehrten angenehmen Empfindungszustandes ist also Teil der Vorstellung des Kriteriums für das Nützliche. Wer daher etwas als nützlich beurteilt und ein Wohlgefallen daran empfindet, ist immer auch an der Existenz des Nützli-

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chen als einem Mittel interessiert, sich in einen angenehmen Empfindungszustand zu versetzen.22 Der willensbestimmende Charakter des Wohlgefallens am sittlich Guten läßt sich Kant zufolge allerdings nicht aus dem willensbestimmenden Charakter des Wohlgefallens am Angenehmen erklären. Willensbestimmend bzw. mit Interesse verbunden ist das Wohlgefallen am sittlich Guten, wenn das Sittengesetz als das Kriterium für das sittlich Gute auch ein willensbestimmendes, praktisches Prinzip ist. Das Sittengesetz ist ein „principium diiudicationis"; aber ist es auch ein „principium executionis"? Dies ist die Frage „nach der Kraft des Guten, den Willen verbindlich zu Handlungen zu bestimmen". 23 Unter dem Titel einer „Deduktion des Begriffs der Freiheit aus der reinen praktischen Vernunft" (GMS, AA IV, 447) hat Kant im dritten Abschnitt der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten versucht zu zeigen, daß den „Ideen der Sittlichkeit" a priori ein Interesse anhängt (GMS, AA IV, 448), daß also die reine Vernunft mit dem Sittengesetz den Willen eines Menschen a priori zu bestimmen vermag. Eine solche Deduktion hat Kant in der Kritik der praktischen Vernunft dann aber für unmöglich erklärt und damit implizit das Scheitern seines in der Grundlegung unternommenen Deduktionsversuchs eingestanden: „Denn wie ein Gesetz für sich und unmittelbar Bestimmungsgrund des Willens sein könne (welches doch das Wesentliche aller Moralität ist), das ist ein für die menschliche Vernunft unauflösliches Problem und mit dem einerlei: wie ein freier Wille möglich sei." (KpV, 128). An die Stelle der Deduktion der ,,objektive[n] Realität des moralischen Gesetzes" (KpV, 81) tritt die Lehre von dem Sittengesetz als einem „Faktum der Vernunft" (KpV, 56). Daß das Sittengesetz Motivationskraft hat, mithin daß Menschen ein Interesse an der Verwirklichung des sittlich Guten haben, daß also das Wohlgefallen am sittlich Guten eine praktische Lust und als solche mit Interesse verbunden ist, hält Kant für eine notwendige, aber unbeweisbare Voraussetzung. Mit seiner Lehre von der ,»Achtung fürs moralische Gesetz" (KpV, 130) will er dann nurmehr bestimmen, „auf welche Art das moralische Gesetz Triebfeder werde, und was, indem sie es ist, mit dem menschlichen Begehrungsvermögen, als Wirkung jenes Bestimmungsgrundes auf dasselbe, vorgehe" (KpV, 128). Diese

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Die Möglichkeit hypothetischer Urteile über die Nützlichkeit von etwas, in deren Beurteilungskriterien nur hypothetische Zwecke vorgestellt werden, hat Kant nicht berücksichtigt. Einem Gegenstand, der als nützlich lediglich für einen hypothetisch vorgestellten Zweck beurteilt wird, gilt natürlich kein Interesse, da dem Zweck, zu dessen Verwirklichung er ein geeignetes Mittel wäre, kein Interesse gilt. Vergi. Henrich 1963, 368.

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Das reine Geschmacksurteil

„Achtung" charakterisiert Kant als ein ,,positive[s] Gefühl, ... welches durch einen intellektuellen Grund gewirkt wird" (KpV, 130). Als ein positives Gefühl ist die Achtung ein einer Lustempfindung vergleichbares Gefühl, und da Kant ein Wollen unabhängig von einer Gefühlsempfindung nicht für möglich hält, erklärt sich die motivierende Kraft des Sittengesetzes vornehmlich aus seiner Fähigkeit, dieses Gefühl bei einem Menschen hervorzurufen. Dieses Gefühl hat einen „intellektuellen Grund", d.h., seine Empfindung beruht nicht auf der Affektion eines Menschen durch einen äußeren Gegenstand, sondern allein auf seinem Bewußtsein von dem Sittengesetz und seiner Verbindlichkeit: „ ... denn sie [die Achtung] geht vor diesem [dem Begehrungsvermögen] nicht vorher, sondern folgt entweder allererst auf die Bestimmimg des letzteren, oder ist vielleicht nichts anders, als die Empfindung dieser Bestimmbarkeit des Willens durch Vernunft selbst..." (EE, 11). Die von Kant konstatierte Unmöglichkeit zu beweisen, daß Menschen a priori ein Interesse am Sittengesetz haben, ist jedoch kein hinreichender Grund dafür, die Richtigkeit der These zu bezweifeln, daß das Wohlgefallen am sittlich Guten mit Interesse verbunden ist. Denn diese These formuliert die Grundeinsicht in die Tatsache, daß das Interesse am Sittengesetz, das Bestimmtsein des Willens vernünftiger Menschen dazu, diesem Gesetz gemäß zu handeln, eine notwendige Voraussetzung für die Geltung dieses Gesetzes in der wirklichen Welt ist. Dies kann ein Vergleich des Sittengesetzes mit Naturgesetzen verdeutlichen: Naturgesetze beschreiben die wirkliche Welt so, wie sie vernünftigen Menschen erscheint. Sie gelten, solange sie von der erfahrbaren Welt erfüllt werden. Wird nun eine Beobachtung gemacht, die einem bis dahin geltenden Naturgesetz widerspricht, so falsifiziert sie dieses Naturgesetz und wird zum Anlaß genommen, dieses Gesetz für ungültig zu erklären. Das Sittengesetz hat dagegen keine deskriptive, sondern eine präskriptive Funktion in der erfahrbaren Welt. Es ist ein „objektives Gesetz der Freiheit" bzw. ein „praktisches Gesetz", das sagt, „was geschehen soll, ob es gleich vielleicht nie geschieht"; daher unterscheidet es sich „von Naturgesetzen, die nur von dem handeln, was geschieht" (KrV, A802/B830). Diese präskriptive Funktion ist dem Sittengesetz insofern wesentlich, als man ein solches Gesetz nur dann braucht, wenn nicht schon feststeht, daß es immer erfüllt wird. Wird in der erfahrbaren Welt gegen das Sittengesetz verstoßen, so ist dies kein Anlaß, die Gültigkeit dieses Gesetzes zu bezweifeln. Soll das Sittengesetz aber auch für diejenigen gelten, die gegen es verstoßen, so müssen sich diese durch es genötigt fühlen, es zu befolgen. Das Wohlgefallen am Guten wird daher immer mit einem Interesse an dem wirklichen Vollzug des sittlich Guten verbunden sein, sofern es tatsächlich ein Wohlgefallen am Sittengesetz ist und sofern dieses Gesetz in

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der Erfahrungswelt gilt, also ein Gegenstand zumindest der Achtung, wenn auch nicht immer der Befolgung ist. Und es ist eine andere Frage, ob sich die Geltung dieses Gesetzes in der Erfahrungswelt a priori deduzieren läßt. Nun vertritt Kant in § 2 der Kritik der Urteilskraft die These, daß „das Wohlgefallen, welches das Geschmacksurteil bestimmt, ... ohne alles Interesse [ist]" (KU, 5). Dieser These zufolge erfährt derjenige, der ein Wohlgefallen am Schönen empfindet, damit nicht auch unmittelbar eine Bestimmung seines Willens. Das Wohlgefallen am Schönen ist keine praktische Lust, und der schöne Gegenstand, dessen Einwirkung ein Mensch in ästhetischer Einstellung zu ihm erfährt, befriedigt kein praktisches Interesse dieses Menschen. Kants Charakterisierung der Lust am Schönen als interesseloses Wohlgefallen mag eine schon zu seiner Zeit und auch heute noch weit verbreitete Meinung auf den Begriff bringen. Man muß jedoch fragen, ob sich das Wohlgefallen am Schönen von dem mit Interesse verbundenen Wohlgefallen am Angenehmen und Guten durch ein Merkmal unterscheidet, das als Grund für die Interesselosigkeit dieses Wohlgefallens angesehen werden kann. Paul Guyer vertritt in verschiedenen Arbeiten zur Kantischen Ästhetik die Auffassung, das Wohlgefallen am Schönen sei deshalb nicht mit Interesse verbunden, weil Schönheit kein Begriff vom Objekt ist.24 Diese Auffassung glaubt er im Rekurs darauf begründen zu können, daß derjenige, der ein Interesse an der Existenz eines Gegenstandes hat, über einen Begriff von diesem Gegenstand und von der Wirkung, die er sich von diesem verspricht, verfügen muß: Da Schönheit kein Begriff vom Objekt ist, kann ein Mensch kein Interesse an einem schönen Gegenstand haben. Dabei übersieht Guyer jedoch, daß Kant mit der Feststellung, Schönheit sei kein Begriff vom Objekt, lediglich zum Ausdruck bringt, daß man nicht unter Anwendung ausschließlich begrifflicher Mittel über die Schönheit eines Gegenstandes urteilen kann und daß man dazu den Gegenstand versuchen muß. Damit schließt Kant jedoch nicht die Möglichkeit aus, einen empirischen objektiven Begriff von all den Gegenständen zu bilden, die bereits als schön erfahren worden sind. Wer sagt, „die Rosen überhaupt sind schön" (KU, 24), der verwendet den empirischen objektiven Begriff,schöne Rosen', den er auf der Grundlage einzelner reiner Geschmacksurteile über einzelne schöne Rosen gebildet hat. Da aber empirische objektive Begriffe von schönen Rosen gebildet werden können, sind zumindest die begrifflichen Voraussetzungen für eine Interessenahme am Schönen erfüllt. Hinsichtlich der

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Vergi. Guyer 1978a, 457; Guyer 1978b, 580-603; Guyer 1979,167-206.

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Das reine Geschmacksurteil

Unbestimmbarkeit durch objektive Begriffe unterscheidet sich die Schönheit zwar von der Nützlichkeit und der sittlichen Güte, jedoch nicht von der Annehmlichkeit. Auch über die Annehmlichkeit eines Gegenstandes kann nicht unter bloßer Verwendung begrifflicher Mittel entschieden werden. Das Wohlgefallen am Angenehmen aber ist, obwohl es im Unterschied zum Wohlgefallen am Guten nicht in begrifflicher Einsicht gründet, mit Interesse verbunden. Guyer's Versuch, die Interesselosigkeit des Wohlgefallens am Schönen durch den Hinweis darauf zu begründen, daß Schönheit kein Begriff vom Objekt ist, vermag also nicht zu überzeugen. Gibt es überhaupt, abgesehen von der Interesselosigkeit, ein Merkmal, durch das sich das Wohlgefallen am Schönen vom Wohlgefallen am Angenehmen und Guten unterscheiden läßt? Kant unterscheidet die drei Arten des Wohlgefallens im Rekurs auf dasjenige, was Ursache der Empfindung des jeweiligen Wohlgefallens bei einem Menschen ist: „Die Wirkung auf das Gefühl der Lust" ist verschieden, je nachdem, ob sie entsteht durch „Eindrücke der Sinne, welche die Neigung, oder Grundsätze der Vernunft, welche den Willen, oder bloße reflektierte Formen der Anschauung, welche die Urteilskraft bestimmen" (KU, 8). Er charakterisiert hier die Lust am Angenehmen als eine solche, die auf ,,Eindrücke[n] der Sinne, welche die Neigung ... bestimmen", beruht, die Lust am sittlich Guten als eine, die auf ,,Grundsätze[n] der Vernunft, welche den Willen ... bestimmen", beruht und schließlich die Lust am Schönen als eine Lust, welche auf ,,reflektierte[n] Formen der Anschauung, welche die Urteilskraft bestimmen", beruht. Die Lust am Nützlichen, dem zu etwas Guten, vernachlässigt Kant hier aus gutem Grund, denn sie ist letztlich auf die Lust am Angenehmen zurückzuführen. Daß einem Menschen in der Lust am sittlich Guten die Bestimmung seines Willens durch das Sittengesetz, also durch einen Grundsatz der praktischen Vernunft, bewußt ist, gehört, wie oben bereits ausgeführt, zu den zentralen Lehren der Kritik der praktischen Vernunft. Im Unterschied zu der Lust am Guten wird weder die Lust am Angenehmen, noch die Lust am Schönen von dem begrifflichen Wissen um ein Beurteilungskriterium begleitet. Wenn wir eine Lust am Angenehmen oder Schönen empfinden, werden wir von einem äußeren Gegenstand affiziert. Wir erleben die jeweilige Lust als Wirkung dieser Affektion. Dennoch wird Kant zufolge in der Lust am Angenehmen etwas anderes erlebt als in der Lust am Schönen. Angenehm ist das, was den Sinnen in der Empfindung gefällt." (KU, 7, Hervorh. v. Kant). Unter „Empfindung" ist hier das „Materielle" in der anschaulichen Vorstellung eines Gegenstandes, die Materie der empirischen Anschauung

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dieses Gegenstandes zu verstehen.25 Für die Wirkung des Angenehmen auf das Gefühlsvermögen eines Menschen führt Kant in § 13 der Kritik der Urteilskraft die Termini ,Reiz' und ,Rührung' ein.26 Die Vorstellung des Angenehmen reizt und rührt einen Menschen aufgrund ihres materialen Gehalts, d.h. aufgrund dessen, was an ihr Empfindung ist. Die Vorstellung des Schönen dagegen reizt und rührt einen Menschen nicht, sie gefällt nicht in der Empfindung aufgrund ihres materialen Gehalts, sondern in der Anschauung aufgrund ihres formalen Gehalts. An der Vorstellung des Schönen gefällt einem Menschen die Form, über die er reflektiert. In der Lust am Schönen ist die Reflexion ü b e die Form des schönen Gegenstandes bewußt: Wessen Gegenstandes Form (nicht das Materielle seiner Vorstellung, als Empfindung) in der bloßen Reflexion über dieselbe (ohne Absicht auf einen von ihm zu erwerbenden Begriff) als der Grund einer Lust an der Vorstellung eines solchen Objekts beurteilt wird, mit dessen Vorstellung wird diese Lust auch als notwendig verbunden geurteilt, folglich als nicht bloß für das Subjekt, welches diese Form auffaßt, sondern für jeden Urteilenden überhaupt. Der Gegenstand heißt alsdann schön; und das Vermögen, durch eine solche Lust (folglich auch allgemeingültig) zu urteilen, der Geschmack. (KU, XLIV-XLV).27

Sowohl schöne als auch angenehme Gegenstände sind einem Menschen in einer empirischen Anschauung gegeben, und die anschauliche Vorstellung jedes Gegenstandes hat sowohl einen materialen als auch einen formalen Gehalt.28 Aber in der Lust am Angenehmen gefällt der materiale Gehalt einer anschaulichen Gegenstandsvorstellung, in der Lust am Schönen dagegen der formale Gehalt einer solchen Vorstellung.29

f ^

Vergi. KU, XLIV-XLV. Vergi. KU, 37-38. Vergi, auch KU, 38ff., 43,49,131,155, 205. Nur den materialen, nicht den formalen Gehalt einer anschaulichen Gegenstandsvorstellung nennt Kant „Empfindung": „...das, worinnen sich die Empfindungen allein ordnen, und in gewisse Form gestellt werden können, [kann] nicht selbst wiederum Empfindung sein..." (KrV, A20/B34). (Vergi, auch KrV, A42/B60, A223/B270, A234/B286 und JL, A A IX, 37). Diese Differenz zwischen der Lust am Angenehmen und der Lust am Schönen hat Kant offensichtlich im Auge, wenn er z.B. in der Reflexion 806 ( A A XV, 351-8) zwischen dem Angenehmen, das „in der Empfindung vergnügt" und dem Schönen, das „[in der] Anschauung gefällt" unterscheidet. In derselben Reflexion charakterisiert Kant das Gute als dasjenige, das „[im] Begriff gebilligt [wird]." (AA XV, 351). (Vergi, auch Refi. 822 ( A A XV, 366/7), Refi. 869 (AA XV, 382), Refi. 1040 (AA XV, 466), und Refi. 1488 (AA XV, 726-9)).

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Das reine Geschmacksurteil

Kant selbst spricht in § 3 der Kritik der Urteilskraft von einer „doppelten Bedeutung, die das Wort Empfindung haben kann" (KU, 7), um wenig später fortzufahren: Wenn eine Bestimmung des Gefühls der Lust oder Unlust Empfindung genannt wird, so bedeutet dieser Ausdruck etwas ganz anderes, als wenn ich die Vorstellung einer Sache (durch Sinne, als eine zum Erkenntnisvermögen gehörige Rezeptivität) Empfindung nenne. Denn im letzteren Falle wird die Vorstellung auf das Objekt, im ersteren aber lediglich auf das Subjekt bezogen, und dient zu gar keinem Erkenntnisse, auch nicht zu demjenigen, wodurch sich das Subjekt selbst erkennt. (KU, 8/9).

Mit dem Terminus .Empfindung* kann also erstens eine „Bestimmung des Gefühls der Lust oder Unlust" gemeint sein; eine solche Empfindung ist eine Gefühlsempfindung. Gefühlsempfindungen sind sowohl das Wohlgefallen am Angenehmen, als auch das Wohlgefallen am Schönen, Nützlichen und sittlich Guten. Zweitens kann mit dem Terminus ,Empfindung' der materiale Gehalt der empirischen Anschauung eines Gegenstandes gemeint sein. Nur die Lust am Angenehmen ist eine Lust an einer Empfindimg in dieser zweiten Bedeutung. Diese Lust könnte daher auch als die Empfindung einer Empfindung charakterisiert werden. Die Lust am Schönen dagegen, die auf der Reflexion über den formalen Gehalt der empirischen Anschauung eines Gegenstandes beruht, ist keine Empfindung einer Empfindung, wenn ihr auch mit der empirischen Anschauung eines Gegenstandes und dem materialen Gehalt derselben eine Empfindung zugrunde liegt. In den §§ 2 und 3 der Kritik der Urteilskraft unterscheidet Kant zwischen der Lust am Schönen und der Lust am Angenehmen aber auch, indem er die Lust am Schönen als eine Lust an der Vorstellung eines Gegenstandes charakterisiert, dessen Existenz demjenigen, der diese Lust empfindet, gleichgültig ist, die Lust am Angenehmen aber als eine Lust an der Existenz dieses Gegenstandes: Nun will man aber, wenn die Frage ist, ob etwas schön sei, nicht wissen, ob uns oder irgend jemand an der Existenz der Sache irgend etwas gelegen sei, oder auch nur gelegen sein könne; sondern, wie wir sie in der bloßen Betrachtung (Anschauung oder Reflexion) beurteilen. (KU, 5). Man sieht leicht, daß es auf das, was ich aus dieser Vorstellung in mir selbst mache, nicht auf das, worin ich von der Existenz des Gegenstandes abhänge, ankomme, um zu sagen, er sei schön, und zu beweisen, ich habe Geschmack. (KU, 6).

Interesselose Gefühle

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[Die Lust an einem angenehmen Gegenstand dagegen setzt] die Beziehung seiner Existenz auf meinen Zustand, sofern er durch ein solches Objekt affiziert wird, voraus. (KU, 9).30 Mit dem Hinweis auf diese Differenz begründet Kant seine These, daß das Wohlgefallen am Angenehmen mit einem Interesse an der Existenz des Angenehmen verbunden, das Wohlgefallen am Schönen dagegen interesselos ist. Denn „Interesse wird das Wohlgefallen genannt, das wir mit der Vorstellung der Existenz eines Gegenstandes verbinden" (KU, 5, Hervorh. v. C.F.). Nun könnte Kants Differenzierung zwischen dem Grund des Wohlgefallens am Angenehmen und dem Grund des Wohlgefallens am Schönen Anlaß geben zu einem Mißverständnis: Daraus nämlich, daß das Wohlgefallen am Schönen ein Wohlgefallen an der Vorstellung des schönen Gegenstandes ist und nicht, wie das Wohlgefallen am Angenehmen, von der Beziehung der Existenz des angenehmen Gegenstandes auf denjenigen, der dieses Wohlgefallen empfmdet, abhängt, könnte man irrtümlich schließen, daß der schöne Gegenstand, um zu gefallen, gar nicht in der wirklichen Welt existieren muß, sondern ein bloß vorgestellter, in einer Phantasiewelt existierender Gegenstand sein kann. Ein Wohlgefallen an einem Gegenstand bloßer Phantasie wäre notwendig interesselos, denn ein Interesse an einem Gegenstand ist immer gerichtet auf die Existenz dieses Gegenstandes in der wirklichen Welt, nicht auf die Existenz dieses Gegenstandes in einer Phantasiewelt. Schöne Gegenstände sind jedoch keine Gegenstände bloßer Phantasie; sie existieren in der wirklichen Welt, in der Natur ebenso wie in der Kunst. Sowohl schöne als auch angenehme Gegenstände müssen in der wirklichen Welt existieren, wenn sie von einem Menschen als Gründe von Lustempfindungen sollen erlebt werden können. Wenn Kant dennoch zwischen dem Schönen und dem Angenehmen als zwischen demjenigen, das einem Menschen in der Vorstellung gefällt, und demjenigen, das einem Menschen gefällt, weil er die Existenz desselben auf sich bezieht, unterscheidet, so meint er damit nichts anderes, als daß das Angenehme in der Empfindung, das Schöne dagegen in der reflektierten Form der Anschauung gefällt. Denn die Empfindung als der materiale Gehalt der empirischen Anschauung eines

Ganz ähnlich äußert sich Kant in der Einleitung in die Metaphysik der Sitten: „Man kann die Lust, welche mit dem Begehren (des Gegenstandes, dessen Vorstellung das Gefühl so afficirt) nothwendig verbunden ist, praktische Lust nennen: sie mag nun Ursache oder Wirkung vom Begehren sein. Dagegen würde man die Lust, die mit dem Begehren des Gegenstandes nicht notwendig verbunden ist, die also im Grunde nicht eine Lust an der Existenz des Objects der Vorstellung ist, sondern blos an der Vorstellung allein haftet, bios contemplative Lust oder unthätiges Wohlgefallen nennen können. Das Gefühl der letzteren Art von Lust nennen wir Geschmack." (MS, AA VI, 212).

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Das reine Geschmacksurteil

Gegenstandes indiziert, daß der angeschaute Gegenstand in der wirklichen Welt existiert: „Empfindung (hier die äußere) drückt... das bloß Subjektive unserer Vorstellungen der Dinge außer uns aus, aber eigentlich das Materielle (Reale) derselben (wodurch etwas Existierendes gegeben wird)" (KU, XLII-III, Hervorh. v. C.F.).31 Am angenehmen Gegenstand gefällt einem Menschen also die Beziehung der Existenz dieses Gegenstandes auf sich, dieser Gegenstand gefällt in der Empfindung. Am schönen Gegenstand dagegen, der ebenso existiert und einen Menschen affiziert wie der angenehme Gegenstand, gefällt nicht die Existenz oder die Empfindung, nicht der materiale Gehalt seiner anschaulichen Vorstellung, sondern der formale Gehalt dieser Vorstellung sowie die Reflexion über dieselbe. Diese Unterscheidung zwischen der Lust am Angenehmen und der Lust am Schönen konzipiert Kant offensichtlich in Analogie zu einer Schlüsselunterscheidung seiner praktischen Philosophie: der Unterscheidung zwischen einem nicht-sittlichen Willen, der durch den materialen Gehalt einer Maxime bestimmt wird, d.h. durch die Vorstellung der Annehmlichkeit, die aus der Befolgung der Maxime zu erwarten ist, und einem sittlichen Willen, der durch den formalen Gehalt einer Maxime bestimmt wird, d.h. durch die Vorstellung ihrer Form als einer solchen, die sie zum allgemeinen Gesetz tauglich sein läßt (und aufgrund der sie mit dem Sittengesetz übereinstimmt). Die Interesselosigkeit der Lust am Schönen, die eine Lust an dem formalen Gehalt der anschaulichen Vorstellung eines Gegenstandes ist, ist der Freiheit des sittlichen Willens analog zu verstehen. Kant charakterisiert das interesselose Wohlgefallen am Schönen denn auch als ein „freies Wohlgefallen" (KU, 15, Hervorh. v. Kant). Daß angenehme Gegenstände Menschen in der Empfindung, d.h. aufgrund des materialen Gehalts ihrer empirischen Anschauung, gefallen, schöne Gegenstände dagegen in der Vorstellung, d.h. aufgrund des formalen Gehalts ihrer empirischen Anschauung und der Reflexion über denselben, wird von Kant in den §§ 2 und 3 der Kritik der Urteilskraft postuliert. Ganz

Vergi, auch KU, 153: „Empfindung" ist das „Reale der Wahrnehmung". Vergi, ferner KrV, B207/208: „Erscheinungen, als Gegenstände der Wahrnehmung, sind nicht reine (bloß formale) Anschauungen, wie Raum und Zeit, (denn die können an sich gar nicht wahrgenommen werden). Sie enthalten also über die Anschauung noch die Materien zu irgendeinem Objekte überhaupt (wodurch etwas Existierendes im Räume oder der Zeit vorgestellt wird), d.i. das Reale der Empfindung, also bloß subjektive Vorstellung, von der man sich nur bewußt werden kann, daß das Subjekt affiziert sei, und die man auf ein Objekt überhaupt bezieht, in sich." (Hervorh. v. C.F.). Zu dieser Unterscheidung zwischen der Lust am Schönen und der Lust am Angenehmen vergi, jetzt auch Seel 1988, 320/1.

Interesselose Gefühle

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unklar beibt hier, was es bedeutet, über den formalen Gehalt der empirischen Anschauung eines Gegenstandes zu reflektieren, und inwiefern durch eine solche Reflexion der angeschaute Gegenstand ästhetisch beurteilt werden kann. Doch im Rekurs auf die von Kant postulierte Unterscheidung zwischen dem Wohlgefallen am Angenehmen und dem Wohlgefallen am Schönen läßt sich die These, das Wohlgefallen am Schönen sei nicht mit Interesse verbunden, wie folgt auslegen: Interesselos ist das Wohlgefallen am Schönen hinsichtlich des materialen Gehalts der empirischen Anschauung des schönen Gegenstandes. Wer einen Gegenstand als schön beurteilt, interessiert sich nicht für die Empfindung, die unmittelbare Wirkung dieses Gegenstandes auf seine Sinne. Diese Interesselosigkeit schließt jedoch ein Interesse an dem formalen Gehalt der anschaulichen Vorstellung des Schönen und an der Reflexion über diesen nicht aus. Wer einen Gegenstand als schön beurteilt, weil er in der Reflexion über den formalen Gehalt der anschaulichen Vorstellung dieses Gegenstandes ein Wohlgefallen empfindet, kann durchaus ein Interesse daran haben, daß dieser Gegenstand ihm anschaulich zugänglich ist. Ein möglicher Gegenstand empirischer Anschauung ist ein Gegenstand jedoch nur, wenn er in der wirklichen Welt existiert. Das Interesse an der anschaulichen Zugänglichkeit des schönen Gegenstandes ist daher auch ein Interesse an der Existenz dieses Gegenstandes in der wirklichen Welt: Daß das Geschmacksurteil, wodurch etwas für schön erklärt wird, kein Interesse zum Bestimmungsgrunde haben müsse, ist oben hinreichend dargetan worden. Aber daraus folgt nicht, daß, nachdem es als reines ästhetisches Urteil gegeben worden, kein Interesse damit verbunden werden könne. Diese Verbindung wird jedoch immer nur indirekt sein können, d.i. der Geschmack muß allererst mit etwas anderem verbunden vorgestellt werden, um mit dem Wohlgefallen der bloßen Reflexion über einen Gegenstand noch eine Lust an der Existenz desselben (als worin alles Interesse besteht) verknüpfen zu können. (KU, 161/2, Hervorh. v. Kant).

Deshalb ist die oben erwähnte Analogie zwischen dem interesselosen Wohlgefallen am Schönen und dem sittlich bestimmten Willen auch durchaus nicht widersinnig. Wenn Kant das Wohlgefallen am Schönen als interesselos charakterisiert und dies mit dem Hinweis darauf erklärt, daß es ein Wohlgefallen an dem formalen Gehalt der anschaulichen Vorstellung eines Gegenstandes sei, dann behauptet er damit nicht, daß es grundsätzlich unmöglich sei, den formalen Gehalt einer Vorstellung (sei es die anschauliche Vorstellung eines Gegenstandes oder die Vorstellung einer Maxime) zum Gegenstand einer Interessenahme zu machen. Eine solche Behauptung wäre mit der Konzeption des freien und sittlichen Willens, der von der Form einer Maxime bestimmt wird, in der Tat unverträglich. Er behauptet damit le-

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Das reine Geschmacksurteil

diglich, daß das Interesse, das auch mit der Lust am Schönen verbunden sein mag, kein Interesse am Angenehmen und auch kein Interesse am Guten ist. Das Wohlgefallen am Schönen ist frei von dem determinierenden Einfluß durch Neigungen, ebenso wie es frei ist von dem verpflichtenden Einfluß durch das Sittengesetz.32 Zusammenfassend kann damit festgestellt werden, daß Kant mit seiner Charakterisierung des Wohlgefallens am Schönen als interesselos die Möglichkeit ausschließt, dieses Wohlgefallen auf das mit Interesse verbundene Wohlgefallen am Angenehmen, Nützlichen oder sittlich Guten zu reduzieren. Damit schließt er auch die Möglichkeit aus, das reine Geschmacksurteil über das Schöne auf die Urteile über das Angenehme, Nützliche oder sittlich Gute zu reduzieren. Allerdings verneint er nicht jede Möglichkeit, an einem schönen Gegenstand ein Interesse zu haben. Das Interesse am Schönen läßt sich jedoch aus dem menschlichen Glücksstreben ebensowenig erklären wie aus dem verpflichtenden Charakter des Sittengesetzes. Das Schöne ist kein Gegenstand, den ein Mensch begehren kann oder den zu verwirklichen verpflichtet ist. Allerdings behauptet Kant in § 42 der Kritik der Urteilskraft dennoch, „daß ein unmittelbares Interesse an der Schönheit der Natur zu nehmen (nicht bloß Geschmack haben, um sie zu beurteilen), jederzeit ein Kennzeichen einer guten Seele sei; und daß, wenn dieses Interesse habituell ist, es wenigstens eine dem moralischen Gefühl günstige Gemütsstimmung anzeige, wenn es sich mit der Beschauung der Natur gerne verbindet" (KU, 166, Hervorh. v. Kant). Der Zusammenhang, den Kant zwischen dem Erleben des Naturschönen und dem moralischen Gefühl der Achtung herstellt, soll jedoch nicht zum Gegenstand dieser Untersuchung gemacht werden.33 Im folgenden soll nun das letzte charakteristische Merkmal des reinen Geschmacksurteils, der mit ihm verbundene Anspruch auf subjektive Allgemeingültigkeit, analysiert werden. Erst auf der Grundlage dieser Analyse kann das Verhältnis des reinen Geschmacksurteils zu den Wahrnehmungsurteilen geklärt werden. Im Rahmen der dann anzuschließenden Interpretation und Rekonstruktion von Kants Begründung des Geltungsanspruchs, der mit dem reinen Geschmacksurteil verbunden wird, kann der Grund des diesem Urteil zugrundeliegenden interesselosen Gefühls der

Man kann die Kantische Charakterisierung des Wohlgefallens am Schönen als interesselos letztlich irreführend nennen. Vor dem Hintergrund seiner Willenstheorie, in der er neben dem Glücksstreben und der sittlichen Verpflichtung keine weiteren möglichen Bestimmungsgründe des menschlichen Willens untersucht, erscheint sie jedoch verständlich. Zu diesem Zusammenhang vergi, u.a. Guyer 1987 und Düsing 1988.

Subjektive Allgemeingültigkeit

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Lust oder Unlust, die Reflexion über den formalen Gehalt der empirischen Anschauung des ästhetisch zu beurteilenden Gegenstandes, untersucht werden.

2.3.

Das reine Geschmacksurteil wird mit einem Anspruch auf subjektive Allgemeingültigkeit verbunden (KU, §§ 6-8).

Der These von § 6 der Kritik der Urteilskraft zufolge ist das Schöne dasjenige, „was ohne Begriffe als Objekt eines allgemeinen Wohlgefallens vorgestellt wird" (KU, 17), weshalb seine Beurteilung in einem reinen Geschmacksurteil mit einem Anspruch auf „subjektive Allgemeinheit" (KU, 18) verbunden wird. Ferner behauptet Kant in diesem Paragraphen, daß „diese Erklärung des Schönen ... aus der vorigen Erklärung desselben, als eines Gegenstandes des Wohlgefallens ohne alles Interesse, gefolgert werden [kann]" (KU, 17). Diese These leitet Kant aus den folgenden beiden Prämissen ab: a. „...das, wovon jemand sich bewußt ist, daß das Wohlgefallen an demselben bei ihm selbst ohne alles Interesse sei, das kann derselbe nicht anders als so beurteilen, daß es einen Grund des Wohlgefallens für jedermann enthalten müsse." (KU, 17). b. „Aber aus Begriffen kann diese Allgemeinheit [des interesselosen Wohlgefallens am Schönen] auch nicht entspringen." (KU, 18).

Die Prämisse a. versucht Kant im Rekurs auf die Differenz des Wohlgefallens am Schönen von dem Wohlgefallen am Angenehmen und dem auf dieses zurückführbaren Wohlgefallen am Nützlichen zu begründen: Denn da es sich nicht auf irgendeine Neigung des Subjekts (noch auf irgendein anderes überlegtes Interesse) gründet, sondern da der Urteilende sich in Ansehung des Wohlgefallens, welches er dem Gegenstande widmet, völlig frei fühlt: so kann er keine Privatbedingungen als Gründe des Wohlgefallens auffinden, an die sich sein Subjekt allein hängte, und muß es daher als in demjenigen begründet ansehen, was er auch bei jedem anderen voraussetzen kann; folglich muß er glauben Grund zu haben, jedermann ein ähnliches Wohlgefallen zuzumuten. (KU, 17, Hervorh. v. Kant).

Kant geht hier davon aus, daß alles Wohlgefallen, das auf Privatbedingungen, nämlich der spezifischen individuellen Beschaffenheit eines empirischen Subjekts beruht, sich auf irgendeine Neigung desselben gründet. In den Neigungen eines Subjekts offenbart sich seine Selbstliebe, die Bestimmtheit seines Begehrungsvermögens durch seine individuelle Glücksvorstellung, also sein Interesse am Angenehmen. Daher ist ein Wohlgefallen, das sich auf eine Neigung gründet, jederzeit ein Wohlgefallen am

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Das reine Geschmacksurteil

Angenehmen oder ein auf dieses Wohlgefallen zurückführbares Wohlgefallen am Nützlichen. Wenn aber alles Wohlgefallen, das auf Privatbedingungen beruht, ein Wohlgefallen am Angenehmen oder Nützlichen ist, dann folgt, daß ein Wohlgefallen, das weder auf etwas Angenehmes noch auf etwas Nützliches bezogen ist, nicht auf Privatbedingungen beruhen kann. Da Kant in den §§ 2 und 3 der Kritik der Urteilskraft die These vertritt, daß das interesselose Wohlgefallen am Schönen ebensowenig ein Wohlgefallen am Angenehmen wie am Nützlichen sein kann, kann er hier schließen, daß das Wohlgefallen am Schönen nicht auf Privatbedingungen beruhen kann. Ein nicht auf Privatbedingungen beruhendes Wohlgefallen muß von demjenigen, der es empfindet, als in etwas begründet angesehen werden, das bei allen Menschen vorausgesetzt werden kann. Er wird daher „glauben Grund zu haben, jedermann ein ähnliches Wohlgefallen zuzumuten" (KU, 17). Damit scheint die Prämisse a. begründet zu sein. Kant geht in dieser Begründung jedoch von einer Voraussetzung aus, die er weder in der Kritik der Urteilskraft noch an anderer Stelle je begründet, von der Voraussetzung nämlich, daß nur das Wohlgefallen am Angenehmen oder Nützlichen auf Privatbedingungen beruhe. Zwar gehört die Auffassung, daß alles Wohlgefallen, das sich auf Neigungen eines Subjekts gründet, als solches auch von Privatbedingungen abhängt, zu den zentralen Voraussetzungen der Kantischen Ethik.34 Aus dieser durchaus einsichtigen Voraussetzung folgt aber nicht, daß alles in Privatbedingungen gründende Wohlgefallen notwendigerweise ein Wohlgefallen am Angenehmen oder Nützlichen und somit interessiert sei. Kant unterstellt, daß es neben dem interessierten Wohlgefallen am Angenehmen und Nützlichen kein anderes Wohlgefallen geben kann, welches auf Privatbedingungen beruht. Da Kant diese Unterstellung nicht eigens begründet hat, vermag seine Begründung der Prämisse a. nicht zu überzeugen. Aus der nachgewiesenen Differenz zwischen der auf Privatbedingungen beruhenden Lust am Angenehmen oder Nützlichen einerseits und der Lust am Schönen andererseits läßt sich lediglich herleiten, daß im Fall des interesselosen Wohlgefallens am Schönen eine notwendige Bedingung für die Allgemeinheit dieses Wohlgefallens erfüllt ist. Als ein allgemeines Wohlgefallen scheint das interesselose Wohlgefallen am Schönen dem Gefühl der Achtung vergleichbar zu sein. Das positive Gefühl der Achtung eines Menschen vor dem moralischen Gesetz ist allgemein im Sinne der Notwendigkeit und strengen Allgemeingültigkeit des Sittengesetzes a priori. Insofern in dem Gefühl der Achtung das moralische Gesetz und sein Verpflichtungscharakter bewußt sind und insofern dieses

34

Vergi. KpV, 46.

Subjektive Allgemeingültigkeit

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Gesetz einem begrifflichen Wissen zugänglich ist, läßt sich die Allgemeinheit dieses Gefühls auf die Allgemeinheit des moralischen Gesetzes als eines begrifflichen Prinzips zurückführen. D.h., die Allgemeinheit des positiven Gefühls der Achtung entspringt aus Begriffen; von dem begrifflich bewußten moralischen Gesetz gibt es einen Übergang zum Gefühlsvermögen. Der oben angegebenen Prämisse b. zufolge ist das interesselose Wohlgefallen am Schönen jedoch nicht in der Weise allgemein, wie das positive Gefühl der Achtung: „Aber aus Begriffen kann diese Allgemeinheit [des interesselosen Wohlgefallens am Schönen] auch nicht entspringen" (KU, 18). Dies versucht Kant im Rekurs auf die Differenz zwischen dem interesselosen Wohlgefallen am Schönen und dem mit Interesse verbundenen positiven Gefühl der Achtung zu begründen: Denn von Begriffen gibt es keinen Übergang zum Gefühle der Lust oder Unlust (ausgenommen in reinen praktischen Gesetzen, die aber ein Interesse bei sich führen, dergleichen mit dem reinen Geschmacksurteile nicht verbunden ist). (KU, 18). Kant setzt hier voraus, daß das einzige Wohlgefallen, dessen Allgemeinheit rein aus Begriffen entspringt, das mit Interesse verbundene Wohlgefallen am sittlich Guten, die Achtung vor dem moralischen Gesetz sei. Dieser Voraussetzung zufolge kann die Allgemeinheit eines Wohlgefallens, das sich eindeutig von der sittlichen Achtung unterscheiden läßt, nicht rein aus Begriffen entspringen. Den §§ 2 und 4 der Kritik der Urteilskraft zufolge läßt sich das interesselose Wohlgefallen am Schönen eindeutig von der sittlichen Achtung unterscheiden. Daher kann er hier schließen, daß die Allgemeinheit des interesselosen Wohlgefallens am Schönen, wie sie in der Prämisse a. thematisch ist, nicht rein aus Begriffen entspringen kann. Auch in der Begründung der Prämisse b. geht Kant von einer unbewiesenen Voraussetzung aus, von der Voraussetzung, daß die sittliche Achtung das einzige Gefühl ist, das rein aus Begriffen entspringt. In der Kritik der praktischen Vernunft postuliert Kant aus gutem Grund, daß das Bewußtsein des Sittengesetzes das Gefühlsvermögen eines Menschen unmittelbar beeinflußt und so das allgemeine Gefühl der Achtung hervorzurufen vermag, ein Gefühl, dessen Allgemeinheit rein aus Begriffen entspringt - aus gutem Grund deshalb, weil ohne dieses Postulat die motivierende Kraft des Sittengesetzes nicht erklärt werden könnte. Aus diesem Postulat folgt aber lediglich, daß ein Wohlgefallen, dessen Allgemeinheit nicht aus Begriffen entspringt, nicht das Gefühl der Achtung sein kann, nicht aber, daß das Gefühl der Achtung das einzige Gefühl ist, dessen Allgemeinheit rein aus Begriffen entspringt. Auch die Begründung der Prämisse b. vermag daher nicht zu überzeugen.

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Das reine Geschmacksurteil

Kant greift in der Begründung der Prämissen a. und b. auf die in den §§ 2 bis 5 der Kritik der Urteilskraft erläuterte Differenz zwischen dem Wohlgefallen am Schönen einerseits und dem Wohlgefallen am Angenehmen, Nützlichen und sittlich Guten andererseits zurück. Als typische Eigenschaft des Wohlgefallens am Angenehmen und Nützlichen nimmt Kant hier allerdings nicht deren Interessiertheit an, sondern vielmehr deren Abhängigkeit von Privatbedingungen. Und als typische Eigenschaft des Wohlgefallens am sittlich Guten gilt ihm hier dessen aus Begriffen entspringende Allgemeinheit. Damit greift er auf zentrale Thesen seiner Ethik zurück. Die aufgezeigte Schwäche in der Begründung der Prämissen a. und b. resultiert daraus, daß er es versäumt, zwischen der Verbundenheit eines Wohlgefallens mit einem Interesse und dem Beruhen dieses Wohlgefallens entweder auf Privatbedingungen oder aber auf allgemeinen Begriffen einen Zusammenhang herzustellen. Und da er einen solchen Zusammenhang nicht herstellt, kann er die Prämissen a. und b. nicht aus der bloßen Interesselosigkeit des Wohlgefallens am Schönen begründen. Daher gilt für die „Erklärung des Schönen", die aus diesen Prämissen gerechtfertigt werden soll, durchaus nicht, daß sie „aus der vorigen Erklärung desselben, als eines Gegenstandes des Wohlgefallens ohne alles Interesse, gefolgert werden [kann]" (KU, 17). Aus den Prämissen a. und b. folgert Kant: Folglich muß dem Geschmacksurteile, mit dem Bewußtsein der Absonderung in demselben von allem Interesse, ein Anspruch auf Gültigkeit für jedermann, ohne auf Objekte gestellte Allgemeinheit anhangen, d.i. es muß damit ein Anspruch auf subjektive Allgemeinheit verbunden sein. (KU, 18).

Wie läßt sich diese Folgerung aus den genannten Prämissen ableiten? Was für ein Zusammenhang besteht zwischen der Allgemeinheit des Wohlgefallens am Schönen und der subjektiven Allgemeingültigkeit des reinen Geschmacksurteils? Und in welchem Sinne läßt sich überhaupt von dem interesselosen Wohlgefallen am Schönen behaupten, es sei ein allgemeines Wohlgefallen? Wenn wir ein interesseloses Wohlgefallen am Schönen empfinden und dieses Wohlgefallen für allgemein halten, beurteilen wir den Gegenstand, dessen anschauliche Vorstellung wir für die Ursache dieses Gefühls halten, als schön und glauben dabei, daß dieser Gegenstand „einen Grund des Wohlgefallens für jedermann enthalten müsse" (KU, 17). D.h. wir glauben, daß die anschauliche Vorstellung dieses Gegenstandes bei jedem vernünftigen Menschen, der ihn in ästhetischer Einstellung betrachtet, eine Empfindung interesselosen Wohlgefallens hervorruft. Wenn wir daher diesen Gegenstand als schön beurteilen, so muten wir anderen Menschen, sofern sie eine anschauliche Vorstellung von diesem Gegenstand haben, zu,

Subjektive Allgemeingültigkeit

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ebenfalls ein solches Wohlgefallen zu empfinden und diesen Gegenstand als schön zu beurteilen. „[Wir werden] daher vom Schönen so sprechen, als ob Schönheit eine Beschaffenheit des Gegenstandes und das Urteil logisch wäre35 (durch Begriffe vom Objekte ein Erkenntnis desselben ausmache); ob es gleich nur ästhetisch ist und bloß eine Beziehung der Vorstellung des Gegenstandes auf das Subjekt enthält; darum, weil es doch mit dem logischen die Ähnlichkeit hat, daß man die Gültigkeit desselben für jedermann daran voraussetzen kann." (KU, 17/8). Daß das interesselose Wohlgefallen am Schönen ein allgemeines Wohlgefallen ist, bedeutet also, daß es unter identischen äußeren Bedingungen von allen vernünftigen Menschen erfahren werden kann. Wenn wir einen Gegenstand in einem reinen Geschmacksurteil als schön beurteilen, verbinden wir dieses Urteil mit einem Anspruch auf subjektive Allgemeingültigkeit, weil wir das Wohlgefallen, das Bestimmungsgrund dieses Urteils ist, für ein allgemeines Wohlgefallen halten: Alle vernünftigen Menschen können und sollen in ästhetischer Einstellung zu einem schönen Gegenstand nicht nur ein interesseloses Wohlgefallen empfinden, sondern auch diesen Gegenstand als schön beurteilen. Der Anspruch auf subjektive Allgemeingültigkeit, der mit reinen Geschmacksurteilen verbunden wird, gründet sich also auf die Allgemeinheit des diesem Urteil zugrundeliegenden Wohlgefallens. Mit der Charakterisierung der von dem reinen Geschmacksurteil beanspruchten Allgemeingültigkeit als subjektiv unterscheidet Kant diese Allgemeingültigkeit von der objektiven Allgemeingültigkeit, die von wahren Erkenntnisurteilen zu Recht beansprucht wird. Objektiv allgemeingültig sind Kant zufolge wahre Erkenntnisurteile, weil zu ihren Bestimmungsgründen objektive Begriffe gehören und weil sie etwas Wahres von Objekten behaupten; und objektiv allgemeingültig sind diese Urteile, weil sie entweder für alle möglichen Objekte, oder aber für alle die Objekte gelten, auf die sie sich mittels des in ihnen verwendeten Subjektterminus beziehen.36 Erkenntnisurteile, die objektiv allgemeingültig sind, gelten als solche auch für alle vernünftigen Menschen, die Gegenstände wahrnehmen und objektiv erkennen können: „Nun ist ein objektiv allgemeingültiges Urteil auch jederzeit subjektiv, d.i. wenn das Urteil für alles, was unter einem angegebenen Begriffe enthalten ist, gilt, so gilt es auch für jedermann, der sich einen Gegenstand durch diesen Begriff vorstellt." (KU, 23, Hervorh. v. Kant). Die

Das „wäre" steht bei Kant erst hinter der folgenden Parenthese. Ich übernehme den Korrekturvorschlag von Vorländer und Erdmann. Synthetische Urteile a priori gelten aufgrund ihrer transzendentallogischen Funktion für alle möglichen Objekte der Erfahrung, und synthetische Urteile a posteriori gelten für alle Objekte, auf die sie sich mittels des in ihnen verwendeten Subjektterminus beziehen.

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Das reine Geschmacksurteil

subjektive Allgemeingültigkeit dagegen, die für ein reines Geschmacksurteil beansprucht wird und die Kant auch „ästhetische Allgemeingültigkeit" nennt (KU, 23/4), „[beruht] auf keinem Begriffe", weil dieses Urteil „gar nicht auf das Objekt geht" (KU, 24); d.h., objektive Begriffe gehören nicht zu dem Bestimmungsgrund eines Geschmacksurteils. Daher ist es kein Erkenntnisurteil über ein Objekt und kann seinen Geltungsanspruch nicht aus objektiven Begriffen herleiten. M.a.W., die Allgemeingültigkeit des reinen Geschmacksurteils kann nicht objektiv, sondern nur subjektiv sein, weil dieses Urteil ästhetisch ist und weil sein Bestimmungsgrund subjektiv, nämlich eine Empfindung interesselosen Wohlgefallens ist. Die subjektive oder ästhetische Allgemeingültigkeit dieses Urteils ist von besonderer Art, „weil sie37 das Prädikat der Schönheit nicht mit dem Begriffe des Objekts, in seiner ganzen logischen Sphäre betrachtet, verknüpft, und doch ebendasselbe über die ganze Sphäre der Urteilenden ausdehnt" (KU, 24, Hervorh. v. Kant). Wie oben bereits ausgeführt, scheinen die reinen Geschmacksurteile, da sie zu den ästhetischen Urteilen gehören, den Wahrnehmungsurteilen verwandt zu sein. Als Urteile, die mit einem Anspruch auf subjektive Allgemeingültigkeit verbunden werden, scheinen diese Geschmacksurteile den Wahrnehmungsurteilen noch in einer weiteren Hinsicht verwandt zu sein. Denn in den Prolegomena beschreibt Kant auch die Wahrnehmungsurteile als subjektiv gültige Urteile: Empirische Urteile, sofern sie objektive Gültigkeit haben, sind Erfahrungsurteile·, die aber, so nur subjektiv gültig sind, nenne ich bloße Wahrnehmungsurteile. (PM, IV, 298, Hervorh. v. Kant).

Wenn das reine Geschmacksurteil ein Wahrnehmungsurteil sein soll, dann muß sich der Anspruch auf subjektive Allgemeingültigkeit, mit dem dieses Urteil verbunden wird, deuten lassen als ein Anspruch auf die subjektive Gültigkeit, die mit jedem Wahrnehmungsurteil verbunden wird. In welchem Sinne aber sind Wahrnehmungsurteile „subjektiv gültig"? Daß Wahrnehmungsurteile subjektiv gültige Urteile sind, bedeutet erstens, daß sie nicht von einem Objekt oder von Objekten gelten: Mit einem Wahrnehmungsurteil drücke ich „nur eine Beziehung zweier Empfindungen auf dasselbe Subjekt, nämlich mich selbst, und auch nur in meinem diesmaligen Zustande der Wahrnehmung aus, und [es soll] ... daher auch nicht vom Objekte gelten" (PM, AA IV, 299). Zweitens gelten subjektiv gültige Wahrnehmungsurteile nicht für jedermann: Mit einem Wahrnehmungsurteil „verlange [ich] gar nicht, daß ich es jederzeit, oder jeder andere es ebenso

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2. und 3. Auflage: „sich".

Subjektive Allgemeingültigkeit

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wie ich finden soll" (PM, A A IV, 299). Ein Wahrnehmungsurteil gilt also nur für denjenigen, der dieses Urteil ausspricht und sich mit diesem Urteil auf seine Empfindungen (Anschauungen oder Gefühlsempfindungen), also auf Modifikationen seines Zustandes bezieht. Es ist subjektiv gültig im Sinne der empirischen Subjektivität oder Individualität des Urteilenden. Daß Wahrnehmungsurteile subjektiv gültige Urteile sind, bedeutet allerdings nicht, daß sie objektiv falsch sind. Vielmehr können sie, aufgefaßt als Urteile über Empfindungszustände des Urteilenden, schwerlich falsch sein.38 Die Empfindungszustände, die ein Mensch zum Gegenstand eines Wahrnehmungsurteils macht, sind nur ihm selbst, nicht aber anderen Mensch zugänglich. Daher haben andere als der jeweils Urteilende keine Möglichkeit, die Wahrhaftigkeit eines Wahrnehmungsurteils zu prüfen, aber sie haben ebensowenig einen Grund, an seiner Wahrhaftigkeit zu zweifeln. Daraus ergibt sich, daß der Anspruch auf subjektive Allgemeingültigkeit, mit dem das reine Geschmacksurteil verbunden wird, nicht als ein Anspruch auf die für Wahrnehmungsurteile typische subjektive Gültigkeit gedeutet werden kann. Wer einen Gegenstand in einem reinen Geschmacksurteil ästhetisch beurteilt und mit diesem Urteil einen Anspruch auf subjektive Allgemeingültigkeit verbindet, der „mutet ... anderen ebendasselbe Wohlgefallen zu; er urteilt nicht bloß für sich, sondern für jedermann, und spricht alsdann von der Schönheit, als wäre sie eine Eigenschaft der Dinge. Er sagt daher: die Sache ist schön; und rechnet nicht etwa darum auf anderer Einstimmung in sein Urteil des Wohlgefallens, weil er sie mehrmalen mit dem seinigen einstimmig befunden hat, sondern fordert es von ihnen" (KU, 19/20, Hervorh. v. Kant). Wer ein Wahrnehmungsurteil ausspricht, Z.B. d a s U r t e i l D I E T E M P E R A T U R IN DIESEM R A U M IST MIR A N G E N E H E M ,

verlangt gar nicht, daß andere ebenso urteilen, daß andere die Temperatur in dem besagten Raum ebenfalls angenehm finden; er verlangt allenfalls, daß andere ihm glauben, daß ihm diese Raumtemperatur angenehm ist. Wer dagegen behauptet DIES IST SCHÖN, der erwartet nicht anderer Zustimmung zu der Tatsache, daß er dies behauptet und daß sein Empfindungszustand ihm Anlaß zu einer solchen Behauptung gibt, daß er also ein bestimmtes Wohlgefallen empfindet. Er erwartet vielmehr, daß jeder andere, der eine anschauliche Vorstellung von dem Gegenstand hat, auf den das ,dies' verweist, und diesen in ästhetischer Einstellung betrachtet, seinerseits in einen solchen Empfindungszustand interesselosen Wohlgefallens gerät und den Gegenstand als schön beurteilt. D.h., wer einen Gegen-

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Vergi. Refi. 2259 ( A A XVI, 288): „Bios subjective Sätze (des unmittelbaren Bewußtseyns der Empfindung) sind jederzeit wahr, wenn man nur warhaft ist." Diese Reflexion zitiert auch Prauss. (Vergi. Prauss 1971, 244/5).

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Das reine Geschmacksurteil

stand als schön beurteilt und mit seinem reinen Geschmacksurteil einen Anspruch auf subjektive Allgemeingültigkeit verbindet, der erwartet anderer Zustimmung zu seinem reinen Geschmacksurteil: Ein jeder soll den Gegenstand, auf den das ,dies' verweist, schön finden. Bei der subjektiven Allgemeingültigkeit, die einem reinen Geschmacksurteil zukommen soll und die sowohl von der objektiven Allgemeingültigkeit wahrer Erkenntnisurteile als auch von der subjektiven Gültigkeit der Wahrnehmungsurteile zu unterscheiden ist, muß es sich also um eine neue, bisher unbekannte Art der Allgemeingültigkeit eines Urteils handeln, um eine Gültigkeit für alle vernünftigen Menschen, die nicht auf einer objektiven Gültigkeit beruht und daher aus einer solchen nicht erklärt werden kann. Daß es Urteile gibt, denen diese besondere Art nicht objektiver Allgemeingültigkeit zukommt, nämlich die reinen Geschmacksurteile, beweist Kant in § 6 der Kritik der Urteilskraft nicht. Offenbar ist er aber auch gar nicht der Meinung gewesen, bereits in diesem Paragraphen endgültig gezeigt zu haben, daß das reine Geschmacksurteil zu Recht mit einem Anspruch auf subjektive Allgemeingültigkeit verbunden wird. Denn in § 7 spricht er von dem Geltungsanspruch, mit dem das reine Geschmacksurteil verbunden wird, lediglich als von einem Faktum.39 Jedoch thematisiert er in § 6 zum ersten Mal das Merkmal des reinen Geschmacksurteils, aufgrund dessen es die Aufmerksamkeit des Transzendentalphilosophen verdient: Dieses Urteil wird mit einem Anspruch auf Allgemeingültigkeit, wenn auch nur auf subjektive Allgemeingültigkeit, verbunden. Als ein ästhetisches Urteil, das mit einem Anspruch auf subjektive Allgemeingültigkeit verbunden wird, unterscheidet sich das reine Geschmacksurteil von den ästhetischen Urteilen über das Angenehme oder Unangenehme. Diesen Urteilen liegt kein allgemeines, sondern nur ein privatgültiges Wohlgefallen zugrunde, und im Bewußtsein der Privatgültigkeit dieses Wohlgefallens verbindet derjenige, der etwas als angenehm beurteilt, diese Beurteilung nur mit einem Anspruch auf die für Wahrnehmungsurteile typische subjektive Gültigkeit: „In Ansehung des Angenehmen bescheidet sich ein jeder, daß sein Urteil, welches er auf ein Privatgefühl gründet, und wodurch er von einem Gegenstande sagt, daß er ihm gefalle, sich auch bloß auf seine Person einschränke." (KU, 18, Hervorh. v. Kant). Statt DIES IST ANGENEHM sollte man daher richtiger sagen DIES IST MIR ANGENEHM. 40 Aber „mit dem Schönen ist es ganz anders bewandt. Es wäre (gerade umgekehrt) lächerlich, wenn jemand, der sich auf seinen Geschmack etwas einbildete,

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Vergi. KU, 19/20. Vergi. KU, 18/9.

Subjektive Allgemeingültigkeit

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sich damit zu rechtfertigen gedächte: dieser Gegenstand (das Gebäude, was wir sehen, das Kleid, was jener trägt, das Konzert, was wir hören, das Gedicht, welches zur Beurteilung aufgestellt ist) ist für mich schön. Denn er muß es nicht schön nennen, wenn es bloß ihm gefällt" (KU, 19, Hervorh. v. Kant). Da das reine Geschmacksurteil als ästhetisches Urteil mit einem Anspruch auf subjektive Allgemeingültigkeit verbunden wird, stellt es eine „Merkwürdigkeit" für den Transzendentalphilosophen dar (KU, 21). Eine Merkwürdigkeit deshalb, weil es, wie objektive Erkenntnisurteile, mit einem Anspruch auf Gültigkeit für jedermann verbunden wird, ohne aber diese Gültigkeit auf Beweisgründe, also objektive Begriffe zu stützen: Das Geschmacksurteil bestimmt seinen Gegenstand in Ansehung des Wohlgefallens (als Schönheit) mit einem Ansprüche auf jedermanns Beistimmung, als ob es objektiv wäre. (KU, 136, Hervorh. v. Kant). Das Geschmacksurteil ist gar nicht durch Beweisgründe bestimmbar, gleich als ob es bloß subjektiv wäre. (KU, 140, Hervorh. v. Kant). Das für den Transzendentalphilosophen merkwürdige reine Geschmacksurteil ist ein ästhetisches Urteil über einen Gegenstand, von dem das Urteilssubjekt eme anschauliche Vorstellung hat; es läßt sich weder auf Urteile der theoretischen oder praktischen Erkenntnis, noch auf ästhetische Urteile, die Wahrnehmungsurteile sind, reduzieren; der Bestimmungsgrund dieses Urteils ist ein interesseloses Gefühl der Lust oder Unlust, und da dieses Gefühl von dem Urteilssubjekt für allgemein gehalten wird, verbindet es sein reines Geschmacksurteil mit einem Anspruch auf subjektive Allgemeingültigkeit. Damit ist die Problemstellung markiert, mit der sich die Theorie des reinen Geschmacksurteils zu beschäftigen hat. Diese Theorie hat zu zeigen, daß und wie das reine Geschmacksurteil als ein ästhetisches und dennoch subjektiv allgemeingültiges Urteil möglich ist. Sie hat also den Geltungsanspruch, mit dem dieses Urteil verbunden wird, zu deduzieren. Eigenständige reine Geschmacksurteile sind Ausdruck einer ästhetischen Erfahrung und Beurteilung von Gegenständen in der Erscheinungswelt. Die ästhetische Erfahrung wird weder von erkennenden noch von praktischen Absichten bestimmt. Welche Gemütskräfte ermöglichen einem Menschen, Gegenstände ästhetisch zu erfahren? Und unter Verwendung welchen Kriteriums wird beurteilt, ob ein Gegenstand der ästhetischen Erfahrung schön ist oder nicht? Diese Fragen versucht Kant in den auf § 8 folgenden Paragraphen der Analytik des Schönen zu beantworten. Erst in den §§ 30-38 geht es ihm darum, den Geltungsanspruch zu deduzieren, mit dem das reine Geschmacksurteil verbunden wird.

3. Von dem reinen Geschmacksurteil der Form D I E S IST SCHÖN oder D I E S IST NICHT SCHÖN ist eine „Beurteilung des Gegenstandes" zu unterscheiden (KU, § 9). 3.1.

Kant beschreibt die ästhetische Einstellung zu einem Gegenstand als eine Beurteilung desselben, die einem Menschen in einem interesselosen Gefühl der Lust oder Unlust bewußt wird.

Laut Titel geht es in § 9 der Kritik der Urteilskraft um die „Untersuchung der Frage: ob im Geschmacksurteile das Gefühl der Lust vor der Beurteilung des Gegenstandes, oder diese vor jener vorhergehe" (KU, 27). Die Beantwortung dieser Frage soll den „Schlüssel zur Kritik des Geschmacks" enthalten (KU, 27), die den Anspruch auf subjektive Allgemeingültigkeit, der mit dem reinen Geschmacksurteil verbunden wird, auf seine Rechtmäßigkeit hin zu prüfen hat. Was aber bezeichnet der Terminus Beurteilung des Gegenstandes', den Kant in der Formulierung dieser Schlüsselfrage zum ersten Mal verwendet? Ist mit der Beurteilung des Gegenstandes das reine Geschmacksurteil in der Form DIES IST SCHÖN oder DIES IST HÄSS-

LICH gemeint? Wäre dies der Fall, so könnte sich die Schlüsselfrage von § 9 an dieser Stelle der Untersuchung gar nicht mehr stellen. Denn das Verhältnis des interesselosen Gefühls der Lust oder Unlust, das ein Gegenstand demjenigen bereitet, der ihn in ästhetischer Einstellung betrachtet, zu dem reinen Geschmacksurteil über diesen Gegenstand ist bereits eindeutig bestimmt: In der interesselosen Gefühlsempfindung wird die ästhetische Qualität eines Gegestandes entdeckt und ursprünglich erfahren; diese Empfindung liegt dem reinen Geschmacksurteil als Bestimmungsgrund zugrunde und muß daher diesem Urteil vorhergehen. Kant stellt an den Anfang von § 9 ein Argument, das zu einer Beantwortung der genannten Schlüsselfrage führen soll: Ginge die Lust an dem gegebenen Gegenstande vorher, und nur die allgemeine Mitteilbarkeit derselben sollte im Geschmacksurteile der Vorstellung des Gegenstandes zuerkannt werden, so würde ein solches Verfahren mit sich selbst im Widerspruche stehen. Denn dergleichen Lust würde keine andere als die bloße Annehmlichkeit in der Sinnenempfindung sein, und daher

Die ästhetische Einstellung

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ihrer Natur nach nur Privatgültigkeit haben können, weil sie von der Vorstellung, wodurch der Gegenstand gegeben wird, unmittelbar abhinge. Also ist es die allgemeine Mitteilungsfähigkeit des Gemütszustandes in der gegebenen Vorstellung, welche, als subjektive Bedingung des Geschmacksurteils, demselben zum Grunde liegen und die Lust an dem Gegenstande zur Folge haben muß. (KU, 27, Hervorh. v. Kant). Hier wird zunächst behauptet, daß es widersprüchlich sei, von einer „Lust an dem gegebenen Gegenstande" einerseits zu behaupten, sie „ginge ... vorher", und andererseits, ihre „allgemeine Mitteilbarkeit... sollte im Geschmacksurteile der Vorstellung des Gegenstandes zuerkannt werden". Inwiefern liegt hier ein Widerspruch vor? Im Titel von § 9 ist von dem Vorhergehen einer Lust vor der Beurteilung des Gegenstandes die Rede. Es ist anzunehmen, daß mit dem Vorhergehen einer Lust hier deren Vorhergehen vor der Beurteilung des Gegenstandes gemeint ist. Was aber heißt es, daß die „allgemeine Mitteilbarkeit" eben dieser Lust „im Geschmacksurteile der Vorstellung des Gegenstandes zuerkannt [wird]"? Das heißt nichts anderes, als von dem vorgestellten Gegenstande zu behaupten, daß er schön sei. Denn in dem Geschmacksurteil DIES IST SCHÖN wird Kant zufolge nicht nur behauptet, daß die Vorstellung des Gegenstandes, auf den das ,dies' verweist, mit einer interesselosen Lust verbunden ist und daß diese Vorstellung für die Ursache dieser Lust gehalten wird, sondern auch, daß diese Lust allgemein ist. Zur Charakterisierung dieser Allgemeinheit der Lust am Schönen führt Kant hier den Terminus .allgemeine Mitteilbarkeit' ein. Allgemein mitteilbar ist die Lust am Schönen, insofern jeder an dieser Lust teilhaben kann und insofern die Empfänglichkeit eines Menschen für diese Lust nicht abhängt von seinen individuellen Neigungen. Als allgemein mitteilbare Lust unterscheidet sich die Lust am Schönen von der Lust am Angenehmen. Denn die Lust am Angenehmen ist eine nur privatgültige Lust: O b ein Mensch die Affektion durch einen Gegenstand als angenehm empfindet oder nicht, hängt ab von seinen individuellen Neigungen. Wenn Kant die Lust am Schönen als allgemein mitteilbare Lust charakterisiert, so meint er damit nicht nur, daß diese Lust kommunizierbar ist. Kommunizierbar ist jede Lustempfxndung eines Menschen, auch die Empfindung einer Lust am Angenehmen, denn jede Lustempfindung ist ein bewußter Gemütszustand: Wer sich einer Lustempfindung bewußt ist, kann die Tatsache, daß er sich in einem Gemütszustand der Lust befindet, zum Gegenstand einer Mitteilung machen und dadurch anderen Menschen kommunizieren. Hinsichtlich ihrer Kommunizierbarkeit unterscheidet sich die Lust am Schönen also nicht von der Lust am Angenehmen. Wer aber von einem Gegenstand behauptet, daß er schön sei, behauptet nicht nur, an-

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Die „Beurteilung des Gegenstandes"

gesichts dieses Gegenstandes ein interesseloses Wohlgefallen zu empfinden; vielmehr sinnt er mit diesem Urteil jedermann an, angesichts dieses Gegenstandes ein gleiches interesseloses Wohlgefallen zu empfinden. Mit diesem Ansinnen unterstellt er, daß es jedermann möglich ist, an diesem Wohlgefallen bzw. an dieser Lust teilzuhaben, und d.h., daß diese Lust durch den sie verursachenden Gegenstand allen Menschen mitgeteilt wird.1 Weil nun mit dem reinen Geschmacksurteil D I E S IST SCHÖN beansprucht wird, daß die diesem Urteil als Bestimmungsgrund zugrundeliegende Lust allgemein mitteilbar sei, wird dieses Urteil mit einem Anspruch auf subjektive Allgemeingültigkeit verbunden. Daher spricht man vom Schönen so, „als ob Schönheit eine Beschaffenheit des Gegenstandes ... wäre" (KU, 18). Vom Angenehmen spricht man dagegen nicht so, denn von einer Lust am Angenehmen nimmt man nicht an, sie sei in dem angegebenen Sinne allgemein mitteilbar. Daß Kant, wenn er die Lust am Schönen als eine allgemein mitteilbare Lust charakterisiert, zum Ausdruck bringt, daß alle Menschen unangesehen ihrer individuellen Neigungen an dieser Lust teilhaben können, läßt sich durch zahlreiche Textstellen aus der Kritik der Urteilskraft belegen.2 Von allgemeiner Mitteilbarkeit spricht Kant allerdings nicht nur in bezug auf die interesselosen Gefühle der Lust oder Unlust, die reinen Geschmacksurteilen vorhergehen und sie bestimmen, sondern auch in bezug auf Urteile·. „Erkenntnisse und Urteile müssen sich, samt der Überzeugung, die sie begleitet, allgemein mitteilen lassen; denn sonst käme ihnen keine Übereinstimmung mit dem Objekt zu; sie wären insgesamt ein bloß subjektives Spiel der Vorstellungskräfte, gerade so wie es der Skeptizism verlangt." (KU, 65). Ein allgemein mitteilbares Urteil ist ein Urteil, das für alle Menschen gilt, da es unter Bedingungen zustandegekommen ist, die von allen Menschen nachvollzogen werden können, also unbeeinflußt von der individuellen Beschaffenheit eines Einzelnen.3 Daher kann man auch von dem reinen

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Eine Lust kann nur unter der Bedingung allgemein mitteilbar sein, daß es einen Gemeinsinn gibt, einen Sinn bzw. ein Empfindungsvermögen, das allen vernünftigen Menschen gemein ist. Mit der Frage, ob es einen solchen Gemeinsinn gibt, beschäftigt sich Kant in den §§ 18-22 und 40 der Kritik der Urteilskraft. (Vergi, unten, Kap. 7.2.). Vergi. z.B. KU, 40,151Anm., 153,163,198,204. In der Literatur zur Kritik der Urteilskraft ist diese Deutung der allgemeinen Mitteilbarkeit der Lust am Schönen nicht umstritten. (Vergi. z.B.: Biemel 1959, 45; Bröcker 1928, 27; Cassirer 1970, 195/6; Crawford 1974, 73; Guyer 1979, 142; Kaminsky 1958/59, 80; Kulenkampff 1978,80/1; Marc-Wogau 1938,130-3; Trebels 1967,187). Allgemeine Mitteilbarkeit im Sinne einer Geltung für alle Menschen kommt allen Urteilen zu, die objektiv allgemeingültig und daher wahr sind. (Vergi, dazu die folgenden Reflexionen: 2040 (AA XVI, 209/10); 2056 (AA XVI, 214); 2127 (AA XVI, 245); 2147 (AA XVI, 252); 2459 (AA XVI, 378/9); 2489 (AA XVI, 391/2)).

Die ästhetische Einstellung

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Geschmacksurteil DIES IST SCHÖN, wenn es zu Recht mit einem Anspruch auf subjektive Allgemeingültigkeit verbunden wird, sagen, daß es ein allgemein mitteilbares Urteil ist.4 Auf der Grundlage dieser Deutung der allgemeinen Mitteilbarkeit des interesselosen Wohlgefallens ist die These, daß es widersprüchlich sei, von einer Lust einerseits zu behaupten, sie gehe der Beurteilung des Gegenstandes vorher, und andererseits, ihre allgemeine Mitteilbarkeit solle im

Als „Probierstein des Fürwahrhaltens" (vergi. KrV A820/B848) ist die allgemeine Mitteilbarkeit für das reine Geschmacksurteil über das Schöne von besonderem Interesse. Denn da es ein ästhetisches Urteil ist, läßt sich seine Allgemeingültigkeit nicht begrifflich begründen. Hier ist die Prüfung der allgemeinen Mitteilbarkeit das einzig mögliche Verfahren, die Geltung des Urteils empirisch unter Beweis zu stellen. Wer ein reines Geschmacksurteil ausspricht, erwartet „die Bestätigung nicht von Begriffen, sondern von anderer Beitritt" (KU, 26). Allerdings ist die allgemeine Mitteilbarkeit für das reine Geschmacksurteil über das Schöne ebensowenig eine hinreichende Wahrheitsbedingung wie für Erkenntnisurteile: „ ... der Beifall anderer [gibt] gar keinen für die Beurteilung der Schönheit gültigen Beweis [ab]..." (KU, 140). Andernfalls müßten auch die Urteile über das Angenehme, bezüglich derer „sich Einhelligkeit unter Menschen antreffen [läßt]" (KU, 20), allgemein mitteilbar sein, was Kant jedoch bestreitet. Von Interesse ist außerdem, daß sich über die allgemeine Mitteilbarkeit des interesselosen Wohlgefallens am Schönen und des reinen Geschmacksurteils ein erster Zusammenhang herstellen läßt zwischen der Eigenschaft eines Menschen, über das Vermögen des Geschmacks zu verfügen, und seiner Eigenschaft, sittliches Wesen zu sein. Denn da sich ein Mensch zur empirischen Prüfung der Wahrheit seines reinen Geschmacksurteils nicht an ein Objekt, sondern nur an seine Mitmenschen und deren ästhetische Erfahrungen wenden kann, ist er, wenn er über die Schönheit eines Gegenstandes urteilt, ein soziales, d.h. sittliches Wesen. Ähnlich wie ein sittliches Wesen sein Wollen, muß ein geschmacksbegabtes Wesen eine von ihm empfundene Lust auf die Möglichkeit ihrer Verallgemeinerung hin prüfen, bevor es aufgrund dieser Lust einen ihm anschaulich gegebenen Gegenstand als schön beurteilt und damit von anderen Menschen erwartet, diesen Gegenstand ebenfalls als schön zu beurteilen. Daher bezeichnet Kant den Geschmack auch als „das Vermögen, die Mitteilbarkeit der Gefühle, welche mit gegebener Vorstellung (ohne Vermittlung eines Begriffs) verbunden sind, a priori zu beurteilen" (KU, 161). Diese Ähnlichkeit ist jedoch nur äußerlich: Denn mit dem logischen Kriterium der Verallgemeinerbarkeit läßt sich zwar das sittliche vom nicht sittlichen Wollen unterscheiden, nicht aber die Lust am Schönen von der Lust am Angenehmen. Nur das sittlich Gute kann jedermann wollen, ohne sich selbst zu widersprechen; ein dem Widerspruch im Wollen vergleichbarer Widerspruch in den Gefühlsempfindungen eines Menschen ist nicht möglich. Daher ist auch die Verallgemeinerbarkeit eines Wollens eine hinreichende Bedingung für die Sittlichkeit desselben, während die Verallgemeinerbarkeit einer Lust, wie bereits festgestellt, lediglich eine notwendige Bedingung für deren subjektive Allgemeinheit ist. Daß Kant dennoch eine Analogie zwischen der allgemeinen Mitteilbarkeit einer Empfindung und der Verallgemeinerbarkeit eines Wollens (zumindest zeitweise) angenommen hat, belegt die folgende Passage aus den Vorarbeiten zum zweiten Teil der Metaphysik der Sitten, den Metaphysischen Anfangsgründen der Tugendlehre, die etwa um 1795 von Kant niedergeschrieben worden ist: „Das Gesetz der allgemeinen mittheilbarkeit ob es gleich nur empirisch ist ist ein Gesetz der Analogie mit der Moralität (nämlich der subjectiven Analogie) seine Lust an der allgemeinen Mittheilbarkeit sich zum Princip aller ästhetischen Beurtheilung... zu machen ... " (AA XXIII, 375).

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Die „Beurteilung des Gegenstandes"

Geschmacksurteile der Vorstellung des Gegenstandes zuerkannt werden, wie folgt zu reformulieren: Von einer Lust einerseits zu behaupten, sie gehe der Beurteilung des Gegenstandes vorher, und andererseits, sie sei eine Lust am Schönen und als solche allgemein mitteilbar, ist widersprüchlich. Aber auch aus dieser Reformulierung ist noch nicht ersichtlich, inwiefern die fragliche Behauptung widersprüchlich ist. Nun identifiziert Kant im zweiten Satz der oben zitierten Argumentation die Lust an dem gegebenen Gegenstand, die der Beurteilung des Gegenstandes vorhergeht, mit der Lust, die „bloße Annehmlichkeit in der Sinnenempfindung" ist, also mit der Lust am Angenehmen. Ferner greift er in diesem Satz zurück auf seine Ausführungen in § 6 der Kritik der Urteilskraft, denen zufolge die Lust am Angenehmen „ihrer Natur nach nur Privatgültigkeit haben" kann (KU, 27). Die Behauptung, derzufolge die Lust an dem gegebenen Gegenstand der Beurteilung des Gegenstandes vorhergeht und allgemein mitteilbar ist, kann aufgrund dieser Angaben in die folgende äquivalente Behauptung übersetzt werden: Die Lust an dem gegebenen Gegenstand ist eine ihrer Natur nach privatgültige Lust am Angenehmen, und sie ist allgemein mitteilbar. Diese Behauptung ist offensichtlich widersprüchlich. Denn Privatgültigkeit und allgemeine Mitteilbarkeit sind kontradiktorische Eigenschaften. Daß es aber widersprüchlich ist, von einer Lust einerseits zu behaupten, sie sei privatgültig und gehe der Beurteilung des Gegenstandes vorher, und andererseits, sie sei allgemein mitteilbar, war die Kantische These. Wie bereits erwähnt, identifiziert Kant die Lust an dem gegebenen Gegenstand, die der Beurteilung des Gegenstandes vorhergeht, mit der Lust am Angenehmen. Inwiefern aber geht die Lust am Angenehmen einer Beurteilung des Gegenstandes vorher? Die Lust am Angenehmen ist der Bestimmungsgrund des ästhetischen Urteils DIES IST ANGENEHM, sie liegt diesem Urteil zugrunde bzw. geht ihm vorher. Ein anderes Urteil als dieses hat Kant aber mit der Lust am Angenehmen nicht in Zusammenhang gebracht. Es ist daher anzunehmen, daß mit der Beurteilung des Gegenstandes, der die Lust am Angenehmen vorhergeht, eben dieses ästhetische Urteil DIES IST ANGENEHM gemeint ist. Nun unterscheidet sich die Lust am Schönen von der Lust am Angenehmen dadurch, daß diese jederzeit mit Interesse verbunden, jene jedoch interesselos ist. Wenn nun jede Lust, die der Beurteilung des Gegenstandes vorhergeht, eine Lust am Angenehmen ist, dann folgt aus der Differenz der Lust am Schönen von der Lust am Angenehmen, daß die Lust am Schönen der Beurteilung des Gegenstandes nicht vorhergeht. Mit der Schlußfolgerung der oben zitierten Argumentation will Kant aber nicht feststellen, daß die Lust am Schönen der Beurteilung des Gegen-

Die ästhetische Einstellung

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standes nicht vorhergeht. Vielmehr geht es in dieser Schlußfolgerung um eine „subjektive Bedingung des Geschmacksurteils", welche die „Lust an dem Gegenstande zur Folge haben muß" (KU, 27), wobei mit der „Lust an dem Gegenstande" hier nur die Lust am Schönen gemeint sein kann, denn mit dieser Lust allein hat das reine Geschmacksurteil DIES IST SCHÖN zu tun. Was aber meint Kant mit der ,,subjektive[n] Bedingung des Geschmacksurteils"? Der „Gemütszustand", von dessen „allgemeiner Mitteilungsfähigkeit" in der zitierten Schlußfolgerung gesagt wird, sie liege als „subjektive Bedingung" dem Geschmacksurteil zugrunde und habe die „Lust an dem Gegenstande zur Folge", wird von Kant als der Gemütszustand beschrieben, „der im Verhältnis der Vorstellungskräfte zueinander angetroffen wird, sofern sie eine gegebene Vorstellung auf Erkenntnis überhaupt beziehen" (KU, 28, Hervorh. v. Kant), bzw. als „der Gemütszustand in dem freien Spiele der Einbildungskraft und des Verstandes (sofern sie untereinander, wie es zu einem Erkenntnisse überhaupt erforderlich ist, zusammenstimmen)" (KU, 29, Hervorh. v. Kant). Und schließlich nennt Kant das „subjektive Verhältnis" der Vorstellungskräfte in dem freien Spiel eine „bloß subjektive (ästhetische) Beurteilung des Gegenstandes oder der Vorstellung, wodurch er gegeben wird" (KU, 29, Hervorh. v. C.F.). Die „subjektive Bedingung des Geschmacksurteils" ist also eine „subjektive (ästhetische) Beurteilung des Gegenstandes"; und d.h.: In der oben zitierten Schlußfolgerung wird behauptet, daß der Lust am Schönen eine Beurteilung des Gegenstandes vorhergeht. Die Behauptung, daß der Lust am Schönen eine Beurteilung des Gegenstandes vorhergeht, läßt sich allein aus der Prämisse, derzufolge die Lust am Schönen der Beurteilung des Gegenstandes nicht vorhergeht, jedoch nicht ableiten. Die Begründung dieser Behauptung ist vielmehr nur möglich, wenn zusätzlich vorausgesetzt wird, daß jede Lustempfindung, sofern sie nicht, wie das positive Gefühl der Achtung, aus Begriffen entspringt, entweder einer Beurteilung des Gegenstandes vorhergeht oder aber auf eine Beurteilung des Gegenstandes folgt. Da Kant diese zusätzliche Voraussetzung jedoch nicht begründet, ergibt sich seine Schlußfolgerung nicht aus den angegebenen Prämissen. Kant beantwortet die Schlüsselfrage der Kritik des Geschmacks also mit einer Hypothese: Im reinen Geschmacksurteil DIES IST SCHÖN geht die Beurteilung des Gegenstandes vor der Lust am Schönen vorher. Diese Antwort läßt die Frage offen, was für eine Beurteilung des Gegenstandes der Lust am Schönen vorhergeht. Mit dieser Beurteilung kann nicht das ästhetische Urteil DIES IST SCHÖN gemeint sein. Andernfalls müßte man Kant unterstellen, paradoxerweise zu behaupten, die Lust am Schönen gehe dem

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Die „Beurteilung des Gegenstandes"

Urteil DIES IST SCHÖN vorher und gründe sich gleichzeitig auf dieses Urteil. Ebensowenig kann mit dieser Beurteilung das ästhetische Urteil DIES IST ANGENEHM gemeint sein. Denn „in Ansehung des Angenehmen bescheidet sich ein jeder, daß sein Urteil, welches er auf ein Privatgefiihl gründet, und wodurch er von einem Gegenstande sagt, daß er ihm gefalle, sich auch bloß auf seine Person einschränke" (KU, 18, Hervorh. v. Kant), was bedeutet, daß das ästhetische Urteil über das Angenehme nur privatgültig ist. Der Beurteilung des Gegenstandes, die der Lust am Schönen zugrunde liegt, soll jedoch die Eigenschaft „allgemeiner Mitteilungsfähigkeit" zukommen. Und nur von einer allgemein mitteilungsfähigen Beurteilung des Gegenstandes, nicht aber von dem nur privatgültigen ästhetischen Urteil DIES IST ANGENEHM kann man mit Sinn annehmen, sie sei eine notwendige Bedingung der allgemeinen Mitteilbarkeit der Lust am Schönen. In der hier ausführlich diskutierten Argumentation verwendet Kant den Terminus ,Beurteilung des Gegenstandes' auf zweierlei Weise: Erstens bezeichnet er mit diesem Terminus das nur privatgültige ästhetische Urteil über das Angenehme, dem die Lust am Angenehmen vorhergeht. Und zweitens bezeichnet er mit diesem Terminus eine Beurteilung, die der Lust am Schönen vorhergeht. Im folgenden wird der Terminus ,Beurteilung des Gegenstandes' nur noch verwendet zur Bezeichnung der „subjektiven Bedingung des Geschmacksurteils", die der Lust am Schönen zugrunde hegt bzw. dieser vorhergeht.5 Von dieser „Beurteilung des Gegenstandes" spricht Kant auch als von einem Akt der Reflexion über eine Wahrnehmung" 6 . Das Wohlgefallen am Schönen läßt sich daher als eine Lustempfindung beschreiben, die auf einem Akt der Reflexion beruht: Die Lust ist also im Geschmacksurteile zwar von einer empirischen Vorstellung abhängig, und kann a priori mit keinem Begriffe verbunden werden ...; aber sie ist doch der Bestimmungsgrund dieses Urteils nur dadurch, daß man sich bewußt ist, sie beruhe bloß auf der Reflexion.... (KU, XLVII, Hervorh. v. C.F.) 7

Entsprechend unterscheidet Kant auch zwischen dem ästhetischen Urteil über das Schöne und dem ästhetischen Urteil über das Angenehmè als zwischen einem ,,ästhetische[n] Reflexions-Urteil" (EE, 26) und einem

Das Urteil DIES IST ANGENEHM dagegen wird weiterhin als ästhetisches Urteil über das A n g e n e h m e b e z e i c h n e t ; u n d d i e U r t e i l e D I E S IST SCHÖN, D I E S IST NICHT SCHÖN u n d D I E S

IST HÄSSLICH werden weiterhin als reine Geschmacksurteile oder aber als reine Geschmacksurteile in ihrer begrifflichen Form bezeichnet. Vergi. EE, 26, Hervorh. v. C.F. Vergi, außerdem EE, 31 und KU, XUV-XLV. Vergi, auch KU, XLV, XLVI, XLVIII, XLIX, 11.

Die ästhetische Einstellung

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,,ästhetische[n] Sinnenurteil" (EE, 30) 8 bzw. zwischen dem Vermögen der Beurteilung des Schönen und dem Vermögen der Beurteilung des Angenehmen als zwischen dem Reflexions- und dem Sinnengeschmack.9 Es ist allerdings in den einzelnen Fällen, in denen er den Terminus „ästhetisches Reflexionsurteil" verwendet, nicht immer deutlich zu erkennen, ob mit diesem Terminus nun die Beurteilung des Gegenstandes als der Akt der Reflexion gemeint ist, der im interesselosen Wohlgefallen am Schönen bewußt ist, oder aber das reine Geschmacksurteil DIES IST SCHÖN, dem die Empfindung interesselosen Wohlgefallens als Bestimmungsgrund zugrunde liegt. Diese Unklarheit resultiert daraus, daß Kant an der terminologischen Unterscheidung zwischen der Beurteilung des Gegenstandes und dem reinen Geschmacksurteil DIES IST SCHÖN, wie er sie in § 9 der Kritik der Urteilskraft entwickelt, im weiteren Verlauf seiner Theorie des reinen Geschmacksurteils nicht systematisch festhält. Wie aber hängen die Beurteilung des Gegenstandes und das reine Geschmacksurteil DIES IST SCHÖN zusammen? Wenn wir in ästhetischer Einstellung zu einem Gegenstand ein interesseloses Wohlgefallen oder Mißfallen empfinden, haben wir diesen Gegenstand bereits ästhetisch beurteilt: Interesseloses Wohlgefallen indiziert Schönheit des gegebenen Gegenstandes, und entsprechend indiziert interesseloses Mißfallen mangelnde Schönheit oder Häßlichkeit des gegebenen Gegenstandes. Das Geschmacksurteil DIES IST SCHÖN ist nichts anderes als die sprachliche Formel für die ästhetische Beurteilung, die in diesem Wohlgefallen bewußt ist. Mit dem Urteil DIES IST SCHÖN wird ein gefühlsmäßiges Bewußtsein in ein sprachliches Bewußtsein übersetzt. Diese Übersetzung trägt zu der ästhetischen Beurteilung des Gegenstandes, auf den das ,dies' verweist, nichts Eigenes bei. Kants Theorie der ästhetischen Beurteilung der Schönheit oder Häßlichkeit eines Gegenstandes hat daher vornehmlich eine Theorie der in § 9 der Kritik der Urteilskraft von dem reinen Geschmacksurteil der Form DIES IST SCHÖN, DIES

IST

NICHT

SCHÖN

oder

DIES

IST

HÄSSLICH

unterschiedenen

„Beurteilung des Gegenstandes" zu sein.10

Vergi, femer EE, 31 und KU, 147/8. (An der zuletzt genannten Stelle unterscheidet Kant zwischen einem ,,bloße[n] Empfindungs-" und einem ,,formale[n] Reflexionsurteil".) Vergi. KU, 22. Vergi, auch schon Reil. 851 (AA XV, 376): „In allem Schönen muß der Gegenstand durch reflexion an sich selbst Gefallen, nicht (dadurch daß er empfunden wird) durch den Eindruck, denn das ist angenehm." Die Frage, ob die Beurteilung des Gegenstandes, die der Lust am Schönen vorhergeht, mit dem reinen Geschmacksurteil DIES IST SCHÖN identifiziert werden muß oder nicht, wird in der Literatur zur Kritik der Urteilskraft nicht einhellig beantwortet: Anna Tumarkin hat als erste darauf aufmerksam gemacht, daß zwischen der Beurteilung des Gegenstandes und dem reinen Geschmacksurteil DIES IST SCHÖN unterschieden wer

46

Die „Beurteilung des Gegenstandes"

Angesichts dessen, daß nicht erst mit den sprachlichen Formulierungen DIES IST SCHÖN, DIES IST NICHT SCHÖN oder DIES IST HÄSSLICH, s o n d e r n

bereits in der diesen Urteilen jeweils zugrundeliegenden Beurteilung des

den muß. (Vergi. Tumarkin 1906, 378). Allerdings wirft sie Kant vor, sich an diese Unterscheidung nicht zu halten und beschäftigt sich nicht ausführlich mit der Frage, inwiefern die Kritik der ästhetischen Urteilskraft eine Theorie der Beurteilung des Gegenstandes enthält. Die Auffassung, daß zwischen dem reinen Geschmacksurteil D I E S IST SCHÖN und der Beurteilung des Gegenstandes unterschieden werden muß, vertritt auch Walter Bröcker. (Vergi. Bröcker 1928). Die ausführlichste Begründung der Auffassung, daß Kant in § 9 eindeutig zwischen dem reinen Geschmacksurteil D I E S IST SCHÖN und der Beurteilung des Gegenstandes unterscheidet, hat bisher Donald W. Crawford gegeben. (Vergi. Crawford 1974, 71/2). Wolfgang Bartuschat beschäftigt sich gar nicht explizit mit der Frage, wie sich die Beurteilung des Gegenstandes zu dem reinen Geschmacksurteil D I E S IST SCHÖN verhält. Er stellt in seiner Analyse von § 1 der Kritik der Urteilskraft fest, daß im ästhetischen Geschmacksurteil aufgrund einer Gefühlsempfindung geurteilt wird, daß dieser Gefühlsempfindung jedoch eine Leistung der Urteilskraft zugrunde liegt (Bartuschat 1972, 93), eine Leistung, von der er später ebenfalls als von dem „Geschmacksurteil" spricht (a.a.O., 101); daß er damit das Verhältnis von Geschmacksurteil und Gefühlsempfindung paradox erscheinen läßt, übersieht er. Seine Interpretation der Theorie des Geschmacksurteils ist dann allerdings zu Recht vornehmlich eine Interpretation der Leistung der Urteilskraft, die in der Lust am Schönen bewußt ist, also eine Analyse der Beurteilung des Gegenstandes. Jens Kulenkampff dagegen kommt bei der Analyse von § 9 der Kritik der Urteilskraft zu dem Ergebnis, daß sich das reine Geschmacksurteil D I E S IST SCHÖN nicht auf ein Gefühl gründet, sondern in einem Gefühl terminiert und daher gar nicht als ein Urteil im eigentlichen Sinne angesehen werden kann, sondern als ein Zustand andauernder Betrachtung aufgefaßt werden muß, in dem ein Schwanken zwischen Gefühl und Begriff stattfindet. (Vergi. Kulenkampff 1978, 88-90). Er fügt damit zu den drei von ihm zuvor markierten paradoxen Eigenschaften des reinen Geschmacksurteils, nämlich der „Kriterienlosigkeit" (a.a.O., 62), der „Indexlosigkeit" (a.a.O., 64) und der „subjektiven Allgemeinheit" (a.a.O., 70) des reinen Geschmacksurteils eine vierte paradoxe Eigenschaft hinzu, nämlich die Eigenschaft, sich sowohl auf ein Gefühl zu gründen als auch in einem Gefühl zu terminieren. Damit übersieht er, daß § 9 den Schlüssel zur Kritik des Geschmacks gerade deshalb enthält, weil er zwischen einer Beurteilung des Gegenstandes und dem reinen Geschmacksurteil D I E S IST SCHÖN unterscheidet und durch diese Unterscheidung die Möglichkeit eröffnet, den merkwürdigen, paradox anmutenden Charakter des Geschmacksurteils als in der Tat nicht paradox verständlich zu machen. Paul Guyer schließlich unterscheidet von dem reinen Geschmacksurteil D I E S IST SCHÖN, dem Judgment of taste", nicht nur die Beurteilung des Gegenstandes, für die er den Terminus „simple reflection" wählt, sondern außerdem ein „aesthetic judgment", in dem deijenige, der eine Lust am Schönen empfindet, eben diese Lust als allgemein bzw. intersubjektiv beurteilt. (Vergi. Guyer 1979, 110-19). Die Unterscheidung zwischen dem .judgment of taste" und dem „aesthetic judgment" bedeutet jedoch eine unnötige Verkomplizierung von Kants Theorie des reinen Geschmacksurteils, da die Allgemeinheit des interesselosen Wohlgefallens am Schönen schon in dem eigentlichen Geschmacksurteil, dem .judgment of taste", beansprucht wird. Die Auffassung, daß Kant in § 9 zwischen dem reinen Geschmacksurteil D I E S IST SCHÖN und der diesem Urteil zugrundeliegenden Beurteilung des Gegenstandes unterscheidet, vertritt auch Friedrich Kaulbach. (Vergi. Kaulbach 1984, 68 und 96/7).

Die ästhetische Einstellung

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Gegenstandes die ästhetische Beurteilung eines Gegenstandes erfolgt, mag die Reservierung des Titels .reines Geschmacksurteil' für diese sprachlichen Formulierungen ungerechtfertigt erscheinen oder sogar zu Mißverständnissen Anlaß geben." Denn Kant zufolge ist die ästhetische Beurteilung eines Gegenstandes eine Beurteilung durch das Vermögen des Geschmacks. Das eigentliche Geschmacksurteil, die Beurteilung, die allein durch Geschmack erfolgt, ist daher die dem Urteilssubjekt nur gefühlsmäßig bewußte Beurteilung des Gegenstandes, nicht ihre sprachliche Formulierung. Daß hier dennoch nur von den sprachlichen Formulierungen DIES IST SCHÖN, DIES IST NICHT SCHÖN und DIES IST HÄSSLICH als von reinen

Ge-

schmacksurteilen gesprochen wird und diese Geschmacksurteile von ihnen zugrundeliegenden Beurteilungen des Gegenstandes unterschieden werden, hat folgenden Grund: Als „Geschmacksurteile" bezeichnet Kant in der Kritik der Urteilskraft nicht nur die reinen Geschmacksurteile über das Schöne, Unschöne oder Häßliche, sondern auch die Urteile über das Angenehme und Unangenehme12. Welche Gemeinsamkeit dieser Urteile rechtfertigt deren Subsumtion unter den Gattungsbegriff .Geschmacksurteil'? Sowohl die Urteile über das Angenehme und Unangenehme als auch die Urteile über das Schöne, Unschöne und Häßliche sind ästhetische Urteile. Ihnen liegen Gefühlsempfindungen als Bestimmungsgründe zugrunde. Jedoch nur die Urteile über das Schöne, Unschöne und Häßliche gründen in einer Gefühlsempfindung, in der dem Urteilssubjekt eine Beurteilung des Gegenstandes bewußt ist. Den Empfindungen des Angenehmen und Unangenehmen hegt nichts zugrunde, was als Beurteilung bezeichnet zu werden verdiente. Einem Geschmacksurteil über das Schöne, das einer Empfindung interesselosen Wohlgefallens vorhergeht bzw. dem Urteilssubjekt in dieser Empfindung allein bewußt werden kann, würde kein Geschmacksurteil über das Angenehme entsprechen. Daher wird auch im folgenden nur von den sprachlichen Formulierungen DIES IST SCHÖN, DIES IST NICHT SCHÖN und DIES

IST HÄSSLICH als von reinen Geschmacksurteilen gesprochen; die einem reinen Geschmacksurteil zugrundeliegende Beurteilung des Gegenstandes, die zweifellos eine Beurteilung durch Geschmack ist, wird dagegen immer nur als Beurteilung des Gegenstandes bezeichnet. Im Rahmen der Theorie der Beurteilung des Gegenstandes sind zunächst zwei Fragen zu klären: (a) Was zeichnet die ästhetische Einstellung zu einem anschaulich gegebenen Gegenstand aus, und wie unterscheidet sich diese Einstellung von der Einstellung zu einem Gegenstand in erken-

12

Den Hinweis darauf verdanke ich Hans Friedrich Fulda. Vergi. z.B. KU, 22 und oben, S.7.

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Die „Beurteilung des Gegenstandes"

nender Absicht? (b) Nach welchem Kriterium wird der Gegenstand einer ästhetischen Einstellung in dieser Einstellung beurteilt? Auch auf die Frage nach der Rechtmäßigkeit des Geltungsanspruchs, der mit dem reinen Geschmacksurteil verbunden wird, ist im Rahmen der Theorie der Beurteilung des Gegenstandes eine Antwort, zumindest eine Teilantwort, zu entwickeln. Dieser Anspruch besteht zu Recht, wenn das interesselose Gefühl der Lust oder Unlust, das reinen Geschmacksurteilen zugrunde liegt, allgemein mitteilbar ist. In § 9 der Kritik der Urteilskraft macht Kant die allgemeine Mitteilbarkeit dieses Gefühls abhängig von der allgemeinen Mitteilbarkeit einer ihm zugrundeliegenden Beurteilung des Gegenstandes. Die allgemeine Mitteilbarkeit der Beurteilung des Gegenstandes wird damit zu einer notwendigen Bedingimg der subjektiven Allgemeingültigkeit des reinen Geschmacksurteils. Aus dem, was Kant in § 9 der Kritik der Urteilskraft über die Beurteilung des Gegenstandes ausführt, läßt sich zunächst nur eine Antwort auf die Frage (a) entwickeln. Der scheinbar naheliegende Versuch, aus § 9 auch schon eine Antwort auf die Frage (b) zu entwickeln, ist dagegen vergeblich. Dies soll in den folgenden beiden Kapiteln im einzelnen dargelegt werden. Die Frage (b) und die Frage nach der allgemeinen Mitteilbarkeit der Beurteilung des Gegenstandes lassen sich erst dann beantworten, wenn gezeigt worden ist, daß und in welchem Sinne das reine Geschmacksurteil als ein Urteil der reflektierenden Urteilskraft angesehen werden kann.13

3.2.

Die Beurteilung des Gegenstandes erfolgt durch eine ästhetische Synthesis des Mannigfaltigen seiner anschaulichen Vorstellung.

In § 9 der Kritik der Urteilskraft beschreibt Kant die Beurteilung des Gegenstandes als einen Gemütszustand des Subjekts einer ästhetischen Erfahrung. Dieser Gemütszustand, als interesseloses Gefühl der Lust oder Unlust bewußt, wird „im Verhältnis der Erkenntniskräfte zueinander angetroffen ..., sofern sie eine gegebene Vorstellung auf Erkenntnis überhaupt beziehen" (KU, 28, Hervorh. v. Kant). Bei dieser Beziehung sind die Erkenntniskräfte, gemeint sind Einbildungskraft und Verstand, „in einem freien Spiele, weil kein bestimmter Begriff sie auf eine besondere Erkenntnisregel einschränkt" (KU, 28). Kant konzipiert also die ästhetische Beurteilung eines Gegenstandes, obwohl sie nur gefühlsmäßig soll bewußt sein können, als eine Tätigkeit der Einbildungskraft und des Verstandes, d.h. derjenigen

13

Vergi, unten Kap. 6 und 7.

Die ästhetische Synthesis

49

Gemütskräfte eines Menschen, die auch am Zustandekommen objektiver Erkenntnis maßgeblich beteiligt sind. In dieser Konzeption liegt der Schlüssel zu Kants Kritik des Geschmacks: Kant meint, daß sich die Beurteilung des Gegenstandes nur dann als allgemein mitteilbar erweisen läßt, wenn sie als eine Leistung von Erkenntniskräften verstanden werden kann. Was für eine Tätigkeit üben Einbildungskraft und Verstand in ästhetischer Einstellung zu einem Gegenstand aus? Sie beziehen die Vorstellung eines Gegenständes in freiem Spiel auf Erkenntnis überhaupt um zu beurteilen, ob dieser Gegenstand schön ist oder nicht. Dabei bemühen sie sich, in ein harmonisches Verhältnis zueinander zu gelangen, in dem sie „untereinander, wie es zu einem Erkenntnisse überhaupt erforderlich ist, zusammenstimmen" (KU, 29, Hervorh. v. Kant). Dieses harmonische Verhältnis der Erkenntniskräfte beschreibt Kant auch als ein „zum Erkenntnis überhaupt schickliche[s] subjektive[s] Verhältnis" derselben (KU, 29). Nur in ästhetischer Einstellung zu einem schönen Gegenstand gelingt es den Erkenntniskräften, durch ihr freies Spiel in dieses harmonische Verhältnis zueinander zu gelangen. Daher beschreibt Kant das interesselose Wohlgefallen am Schönen auch als eine „Lust an der Harmonie der Erkenntnisvermögen" (KU, 29). In ästhetischer Einstellung zu nicht schönen oder häßlichen Gegenständen kommt dagegen kein harmonisches Verhältnis der Erkenntniskräfte zustande und daher auch keine Empfindung interesselosen Wohlgefallens. Das Zustandekommen eines harmonischen Verhältnisses von Einbildungskraft und Verstand in ihrem freien Spiel mit einer Gegenstandsvorstellung fungiert also als Kriterium der ästhetischen Beurteilung oder als Geschmacksprinzip. In der Literatur zur Kritik der Urteilskraft herrscht weitgehend die Meinung vor, daß die Erkenntniskräfte Einbildungskraft und Verstand immer dann, wenn sie sich in einem freien Spiel aufeinander beziehen, zusammenstimmen mit dem „zum Erkenntnis überhaupt schickliche[n] subjektive[n] Verhältnis" (KU, 29) dieser Erkenntniskräfte.14 Kant legt ein solches Mißverständnis in verschiedenen Passagen der Kritik der Urteilskraft und insbesondere in § 9 in der Tat nahe. Andererseits ist er der Auffassung, daß ein Mensch ästhetische Erfahrungen nicht nur von schönen, sondern auch von unschönen oder häßlichen Gegenständen machen kann: Wir beziehen die Vorstellung eines Gegenstandes durch die Einbildungskraft (vielleicht mit dem Verstände verbunden) auf das Subjekt und das Gefühl der Lust

14

Vergi. z.B. Crawford 1974, 67/8; Guyer 1977, 48 u.a.; Kulenkampff 1978, 84/5; Marc-Wogau 1938, 110; Tumarkin 1906, 349. Eine von dieser vorherrschenden Meinung abweichende Position, wie sie in der vorliegenden Arbeit vertreten wird, findet sich bisher nur in der Arbeit von Uehling. (Vergi. Uehling 1971, 63/4).

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Die „Beurteilung des Gegenstandes"

oder Unlust desselben, um zu unterscheiden, ob er schön sei oder nicht - und nicht etwa, weil der Gegenstand schön ist.15 Ein reines Geschmacksurteil kann „ein Wohlgefallen oder Mißfallen an der Form des Objekts [betreffen]" (KU, 131, Hervorh. v. C.F.).16 Die ästhetische Einstellung zu einem Gegenstand muß daher von der ästhetischen Erfahrung des Schönen unterschieden werden: In freiem Spiel sind Einbildungskraft und Verstand nicht nur dann, wenn sie harmonisch zusammenstimmen. Daß Kant diese Unterscheidung nicht immer betont und mit vielen seiner Formulierungen Anlaß zu Mißverständnissen gibt, erklärt sich daraus, daß er in seiner Theorie des reinen Geschmacksurteils vornehmlich dessen bejahende Form DIES IST SCHÖN untersucht, die verneinenden Formen DIES IST NICHT SCHÖN und DIES IST HÄSSLICH jedoch vernachlässigt. Die freie Proportion von Einbildungskraft und Verstand aber, die entsteht, wenn diese Erkenntniskräfte mit der Vorstellung eines schönen Gegenstandes frei spielen, ist in der Tat eine Proportion, die zusammenstimmt mit der „zum Erkenntnis überhaupt schickliche[n]" freien Proportion dieser Erkenntniskräfte.17 Was aber ist mit einem Verhältnis bzw. - wie Kant sich auch ausdrückt mit einer „Proportion" der Erkenntniskräfte gemeint? In § 9 erinnert Kant daran, daß die Einbildungskraft die Erkenntniskraft ist, die „für die Zusammensetzung des Mannigfaltigen der Anschauung" zuständig ist, der Verstand dagegen die Erkenntniskraft, die zuständig ist „für die Einheit des Begriffs, der die Vorstellungen vereinigt" (KU, 28). Ob die Erkenntniskräfte bei ihrer Tätigkeit in ein Verhältnis der Zusammenstimmung oder NichtZusammenstimmung zueinander gelangen, hängt ab von dem Verhältnis zwischen dem, was sie dabei vorstellen, also von dem Verhältnis der anschaulichen Vorstellungen der Einbildungskraft zu den begrifflichen Vorstellungen des Verstandes.

15

Vergi. KU, 3/4 und 4. Vergi, auch KU, 148: „Daß Geschmacksurteile synthetische sind, ist leicht einzusehen, weil sie Uber den Begriff und selbst die Anschauung des Objekts hinausgehen und etwas, das gar nicht einmal Erkenntnis ist, nämlich Gefühl der Lust (oder Unlust), zu jener als Prädikat hinzutun." (Hervorh. v. C.F.). (Vergi, auch KU, 147/8 und EE, 31/2). Will man die Identifikation des freien Spiels mit der harmonischen Proportion von Einbildungskraft und Verstand, wie sie nur angesichts eines schönen Gegenstandes entsteht, nicht aufgeben, so müßte man - um die Differenz zwischen der ästhetischen Einstellung zu einem Gegenstand und der ästhetischen Erfahrung des Schönen berücksichtigen zu können - die ästhetische Einstellung als eine freie Tätigkeit der Erkenntniskräfte beschreiben, welche in Beziehung auf die Vorstellung eines schönen Gegenstandes die Form eines freien Spiels annimmt. Ich sehe jedoch in der Metapher des Spiels nicht den Schlüssel zu Kants Konzeption der ästhetischen Erfahrung des Schönen, sondern einen Ausdruck für die Freiheit (von Erkenntniszwängen), die die Tätigkeit der Erkenntniskräfte in der ästhetischen Einstellung zu einem Gegenstand auszeichnet, sei dieser nun schön oder nicht.

Die ästhetische Synthesis

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Was kennzeichnet nun eine harmonische Proportion der Erkenntniskräfte? Und unter welchen Bedingungen kommt sie zustande? Zur Beantwortung dieser Fragen soll zunächst die aus der Kritik der reinen Vernunft bekannte Erkenntnistätigkeit von Einbildungskraft und Verstand betrachtet werden. Denn mit dieser scheint deren ästhetische Tätigkeit eng verwandt zu sein. Ein Mensch hat Kant zufolge Anschauungen nur von Gegenständen in Raum und Zeit. Die Begriffe, die ein Mensch als Verstandeswesen spontan hervorbringen kann, also die reinen Verstandesbegriffe und insbesondere die Kategorien, sind in ihrer Anwendbarkeit nicht auf ein in Raum und Zeit vorgestelltes Mannigfaltiges eingeschränkt. Daß sie überhaupt auf ein solches Mannigfaltiges anwendbar sind, ist nicht selbstverständlich, da das menschliche Vermögen der Anschauungen und das menschliche Verstandesvermögen zwei „völlig heterogene Erkenntnisquellen" sind18. Nun können Menschen jedoch nur dann Erkenntnis von Objekten haben, wenn die Kategorien auf das Mannigfaltige der raum-zeitlichen Anschauung anwendbar sind. Denn Kant versteht die Kategorien als ontologische Grundbegriffe, denen gemäß ein Mannigfaltiges geordnet sein muß, wenn es Gegenstand von objektiver Erkenntnis sein soll. Damit macht er die Möglichkeit menschlicher Objekterkenntnis davon abhängig, daß sich die raumzeitlichen Anschauungen kategorial bestimmen lassen, bzw. mit den Kategorien zusammenstimmen. M.a.W.: Nur wenn die Einbildungskraft eines Menschen, die ein Mannigfaltiges raum-zeitlicher Anschauungen vorstellt, mit seinem Verstand, der spontan ontologische Grundbegriffe hervorbringt, zusammenstimmt, kann dieser Mensch Objekte erkennen. Von dieser Zusammenstimmung spricht Kant in der etwa gleichzeitig mit der Kritik der Urteilskraft publizierten Schrift Über eine Entdeckung, nach der alle neue Kritik der reinen Vernunft durch eine ältere entbehrlich gemacht werden soll, der sogenannten Streitschrift gegen Eberhard, als von einer „Harmonie zwischen dem Verstände und der Sinnlichkeit", die „Erkenntnisse von allgemeinen Naturgesetzen möglich macht" und von der er in der Kritik der reinen Vernunft gezeigt hat, daß ohne sie „keine Erfahrung möglich ist, mithin die Gegenstände ... von uns in die Einheit des Bewußtseins gar nicht aufgenommen werden und in die Erfahrung hineinkommen, mithin für uns nichts sein würden" 19 . Damit erinnert er insbesondere an die „Transzendentale Deduktion der reinen Verstandesbegriffe" aus der Kritik der reinen Vernunft, wo er gezeigt hat, daß die Kategorien auf das raum-zeitliche Mannigfaltige

18 19

ÜE, AA VIII, 250. Vergi, auch KrV, A90/B122/3. ÜE, AA VIII, 249/50.

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menschlicher Anschauung durchgängig anwendbar sind. Auf dieser durchgängigen Anwendbarkeit nämlich beruht eine Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand, die sich immer dann einstellt, wenn die Einbildungskraft ein raum-zeitliches Mannigfaltiges vorstellt, eine Zusammenstimmung, die Grund der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori und damit auch Grund der Möglichkeit empirischer Objekterkenntnis ist. In der Streitschrift gegen Eberhard charakterisiert Kant diese ursprüngliche Zusammenstimmung denn auch als eine Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte „zu der Möglichkeit eines Erfahrungserkenntnisses überhaupt"20. Nun kann aber das harmonische Verhältnis von Einbildungskraft und Verstand, das in ästhetischer Einstellung zu einem schönen Gegenstand zustande kommt und diesen von nicht schönen Gegenständen zu unterscheiden erlaubt, nicht mit diesem Verhältnis ursprünglicher Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte identifiziert werden. Denn diese ursprüngliche Zusammenstimmung zwischen der Einbildungskraft und dem Verstand eines Menschen entsteht immer dann, wenn dieser Mensch eine anschauliche Vorstellung von einem Gegenstand hat. Wer sie mit dem Geschmacksprinzip identifiziert, muß zugestehen, daß jeder Gegenstand, von dem ein Mensch eine anschauliche Vorstellung hat, schön ist. Dennoch hat Paul Guyer in seiner Interpretation des Kantischen Geschmacksprinzips genau diese Identifikation vorgenommen.21 Zwar hat er den genannten und in der Tat naheliegenden Einwand gegen seine Deutung des Kantischen Geschmacksprinzips vorausgesehen. Um diesem Einwand zu begegnen versucht er, zwischen zwei Arten des Zustandekommens der ursprünglichen Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte angesichts anschaulich gegebener Gegenstandsvorstellungen zu unterscheiden: a. Im Normalfall wird diese Zusammenstimmung absichtlich hergestellt, nämlich dadurch, daß der Verstand die schematisierten Kategorien auf das Mannigfaltige einer gegebenen Gegenstandsvorstellung anwendet, b. Wird dagegen ein schöner Gegenstand anschaulich vorgestellt, so stimmen Einbildungskraft und Verstand absichtslos zusammen, so daß der Verstand keine Ordnungstätigkeit mehr auszuüben hat. Die Unterscheidung zwischen einer notwendigen, durch Anwendung von schematisierten Kategorien auf das Mannigfaltige einer anschaulichen Gegenstandsvorstellung entstehenden ursprünglichen Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand und einer kontingenten ursprünglichen Zusammenstimmung dieser Erkennt-

f

ÜE, AA VIII, 250. Vergi. Guyer 1979, 86ff.

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niskräfte, die sich angesichts der anschaulichen Vorstellung eines schönen Gegenstandes absichtslos einstellt, ist jedoch nicht mit der Kantischen Theorie der Verstandesfunktionen zu vereinbaren. Kant selbst betont in der Einleitung in die Kritik der Urteilskraft, daß die Erzeugung der „allgemeinen Gesetze des Verstandes", die auf der Anwendung der schematisierten Kategorien auf das Mannigfaltige der Anschauung beruht, „keine Absicht mit unseren Erkenntnisvermögen [voraussetzt]": Die allgemeinen Gesetze des Verstandes, welche zugleich Gesetze der Natur sind, sind derselben ebenso notwendig (obgleich aus Spontaneität entsprungen), als die Bewegungsgesetze der Materie; und ihre Erzeugung setzt keine Absicht mit unseren Erkenntnisvermögen voraus, weil wir nur durch dieselben von dem, was Erkenntnis der Dinge (der Natur) sei, zuerst einen Begriff erhalten, und sie der Natur, als Objekt unserer Erkenntnis überhaupt, notwendig zukommen. (KU, XXXVIII / XXXIX). Die ursprüngliche Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand, die auf der durchgängigen Anwendbarkeit der schematisierten Kategorien auf das in Raum und Zeit gegebene Mannigfaltige der Anschauung beruht, kommt also in allen Fällen absichtslos zustande.22 Guyer's Versuch, seine Deutung des Kantischen Geschmacksprinzips vor der Konsequenz zu bewahren, alle möglichen Gegenstände raum-zeitlicher Anschauung zu schönen Gegenständen zu machen, vermag nicht zu überzeugen. 23 Die von Kant in der „Transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe" nachgewiesene ursprüngliche Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand ist eine notwendige, jedoch keine hinreichende Bedingung für die Möglichkeit, die Gegenstände, die in der sinnlichen Anschauung erscheinen, zu erkennen. Um diese Gegenstände zu erkennen, muß das Mannigfaltige ihrer anschaulichen Vorstellungen durch reine und empirische Begriffe bestimmt werden. Dazu muß eine objektive Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand hergestellt werden: Die Einbildungskraft muß ein Mannigfaltiges von Anschauungen vorstellen, das sich durch bestimmte reine und empirische Begriffe bestimmen läßt, und der Verstand muß eben diese Begriffe denken. Wenn die Erkenntniskräfte angesichts der anschaulichen Vorstellung eines Gegenstandes in

Guyer hat selbst gesehen, daß er sich mit seinem Versuch, zwischen einer notwendigen und einer kontingenten Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte eines Menschen zu unterscheiden, in Opposition zu zentralen Lehren der Kritik der reinen Vernunft begibt. Im Bewußtsein dieser Opposition schlägt er eine Reformulierung der Kantischen Erkenntnistheorie auf psychologischer Basis vor. Diese Reformulierung ist jedoch nur in Ansätzen erkennbar. (Vergi. Guyer 1979, 97-99). Zur Kritik an der von Guyer vorgeschlagenen Deutung des Kantischen Geschmacksprinzips vergi, auch Meerbote 1982, 55-86.

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ein Verhältnis objektiver Zusammenstimmung gelangt sind, sind die hinreichenden Bedingungen für die empirische Erkenntnis dieses Gegenstandes erfüllt. Diese objektive Zusammenstimmung ist mit der ursprünglichen Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte nicht identisch. Sie setzt diese allerdings voraus; denn die objektive Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte ist Produkt einer begriffsgeleiteten Synthesistätigkeit des Verstandes, in der dieser das ihm durch die Einbildungskraft gegebene Mannigfaltige der Anschauung seinen Begriffen gemäß ordnet. Eine solche Synthesis ist aber nur auf der Grundlage der ursprünglichen Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte möglich. Mit einer solchen objektiven Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte haben Donald W. Crawford und Jens Kulenkampff das Geschmacksprinzip identifiziert.24 Insbesondere Kulenkampff betont zu Recht, daß die objektive Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand angesichts einer anschaulichen Gegenstandsvorstellung im Unterschied zu ihrer ursprünglichen Zusammenstimmung von Kant als kontingent angesehen wird und daß als Geschmacksprinzip nur ein Verhältnis von Einbildungskraft und Verstand fungieren kann, dessen Zustandekommen angesichts einer anschaulichen Gegenstandsvorstellung kontingent ist.25 Inwiefern kann aber eine objektive Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand als Geschmacksprinzip fungieren? Kann mittels eines so gedeuteten Geschmacksprinzips zwischen schönen erkennbaren und nicht schönen erkennbaren Gegenständen unterschieden werden? Wer einen Gegenstand empirisch erkennt, bestimmt diesen durch empirische Begriffe. Schöne und nicht schöne Gegenstände sind erkennbar, also durch empirische Begriffe bestimmbar. Sie alle erfüllen die Bedingungen ihrer empirischen Erkenntnis. Nun ist zwar das Zustandekommen einer objektiven Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand angesichts eines anschaulich gegebenen Gegenstandes kontingent. Es ist jedoch zunächst davon auszugehen, daß dieses Verhältnis der Erkenntniskräfte angesichts eines schönen Gegenstandes ebenso entstehen kann wie angesichts eines nicht schönen Gegenstandes. Daher hat die Identifikation des Geschmacksprinzips mit einer objektiven Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte - wie sie Crawford und Kulenkampff vorschlagen - wiederum die unplausible Konsequenz, alle empirisch erkennbaren Gegenstände zu schönen Gegenständen zu machen.

24 25

Vergi. Crawford 1974, 77/8 und Kulenkampff 1978, 95/6. Vergi. Kulenkampff 1978,95/6. Damit nimmt Kulenkampff die oben formulierte Kritik an Guyer's Deutung der als Geschmacksprinzip fungierenden freien Proportion der Erkenntniskräfte im Grunde vorweg.

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Nun könnte man allerdings versuchen, die von Crawford und Kulenkampff vorgeschlagene Deutung des Geschmacksprinzips dadurch zu verteidigen, daß man, in Anlehnung an ein von Guyer angewandtes Verfahren, versucht, zwischen einem absichtlichen und einem unabsichtlichen Zustandekommen einer objektiven Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand zu unterscheiden. Könnten sich schöne von nicht schönen lind häßlichen Gegenständen nicht dadurch unterscheiden, daß ihre anschauliche Vorstellung die Erkenntniskräfte unmittelbar objektiv zusammenstimmen läßt, so daß der Verstand sie unmittelbar, ohne eine vermittelnde Synthesistätigkeit auszuüben, begrifflich bestimmen kann? Zwei Einwände sind gegen einen solchen Vorschlag zu erheben: Zum einen ist zu bezweifeln, daß die Kantische Theorie der empirischen Erkenntnis den Fall einer objektiven Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte zuläßt, die nicht Produkt einer begriffsgeleiteten Synthesistätigkeit des Verstandes ist. Zum anderen aber, und dies ist der gewichtigere Einwand, betont Kant in der Kritik der Urteilskraft immer wieder, daß das freie Spiel der Erkenntniskräfte in ästhetischer Einstellung zu einer anschaulichen Gegenstandsvorstellung auch dann, wenn dieser Gegenstand schön ist, nicht zu einer Bestimmung dieses Gegenstandes durch empirische Begriffe führt. Für das harmonische Verhältnis der Erkenntniskräfte, das sich angesichts eines schönen Gegenstandes in freiem Spiel herstellen läßt, gilt, daß es sich nicht nur „auf keinem vorhandenen Begriffe vom Gegenstande gründet", sondern auch „keinen von ihm verschafft" (KU, XLIV).26 Die als Geschmacksprinzip fungierende harmonische Proportion von Einbildungskraft und Verstand kann also keinesfalls den Status einer hinreichenden Bedingung empirischer Gegenstandserkenntnis haben.27 Generell gilt, daß eine Zusammenstimmung oder Harmonie zwischen den Erkenntniskräften Einbildungskraft und Verstand auf einer den Verstandesbegriffen gemäßen einheitlichen Ordnung des raum-zeitlichen Mannigfaltigen der Anschauung beruht, das die Einbildungskraft vorstellt. Nun setzt Kant zufolge jede Vorstellung eines irgendwie geordneten Mannigfaltigen raum-zeitlicher Anschauungen eine regelgeleitete Synthesistä-

26

Vergi, auch KU, 47: „Ich habe aber schon angeführt, daß ein ästhetisches Urteil einzig in seiner Art sei, und schlechterdings kein Erkenntnis (auch nicht ein verworrenes) vom Objekt gebe, welches letztere nur durch ein logisches Urteil geschieht; da jenes hingegen die Vorstellung, wodurch ein Objekt gegeben wird, lediglich auf das Subjekt bezieht und keine Beschaffenheit des Gegenstandes, sondern nur die zweckmäßige Form in der Bestimmung der Vorstellungskräfte, die sich mit jenem beschäftigen, zu bemerken gibt." Jüngstes Beispiel für ein solches Mißverständnis von Kants Theorie der ästhetischen Erfahrung und Beurteilung von Gegenständen ist Seel 1988. Seel deutet die ästhetische Erfahrung, wie Kant sie beschreibt, als Simulation von empirischer Objekterkenntnis.

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tigkeit voraus. Eine bloße Anschauung, ,¿ils in einem Augenblicke enthalten, kann ... niemals etwas anderes, als absolute Einheit" sein (KrV, A99, Hervorh. v. Kant), nämlich unanalysierbare Einzelheit. Und jede Verbindung eines Mannigfaltigen, wie sie immer dann vorgestellt wird, wenn eine irgendwie geordnete Pluralität von Vorstellungen bewußt ist, „kann niemals durch Sinne in uns kommen" und „ist ein Aktus der Spontaneität der Vorstellungskraft", nämlich eine Synthesishandlung (KrV, B129/30). D.h., daß jede Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand, da sie auf einer dem Verstände gemäßen einheitlichen Ordnung des raum-zeitlichen Mannigfaltigen der Anschauung beruht, nur durch eine Synthesishandlung zustande kommen kann. Das Ziel einer Synthesishandlung kann ebenso wie ihr Produkt auch als die Herstellung einer solchen Zusammenstimmung angesehen werden. Die empirische Erkenntnistätigkeit von Einbildungskraft und Verstand z.B. läßt sich als eine Synthesistätigkeit beschreiben, in der eine objektive Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand hergestellt wird. Dieser empirischen Erkenntnistätigkeit von Einbildungskraft und Verstand ist deren ästhetische Tätigkeit verwandt: Denn in § 9 der Kritik der Urteilskraft beschreibt Kant diese Tätigkeit als ein freies Spiel der Erkenntniskräfte, in dem diese versuchen, in ein harmonisches Verhältnis zueinander zu kommen. Und da dies nur durch eine Synthesistätigkeit gelingen kann, ist auch die ästhetische Tätigkeit der Erkenntniskräfte eine Synthesistätigkeit. In ihrer ästhetischen Synthesistätigkeit versuchen die Erkenntniskräfte, das Mannigfaltige der anschaulichen Vorstellung eines Gegenstandes in eine solche synthetische Einheit zu bringen, wie sie zur, „zum Erkenntnis überhaupt schickliche[n]", harmonischen Proportion dieser Erkenntniskräfte erforderlich ist. Erfolgreich aber ist dieser Versuch nur angesichts eines schönen Gegenstandes. Im Unterschied zu der Erkenntnistätigkeit der Erkenntniskräfte erfolgt ihre ästhetische Tätigkeit in freiem Spiel: Sie wird durch ,,kein[en] bestimmten] Begriff auf ... eine besondere Erkenntnisregel [eingeschränkt]" (KU, 28). Die Freiheit dieser Tätigkeit darf jedoch nicht als gänzliche Willkürlichkeit mißverstanden werden. Als Synthesistätigkeit bedarf sie eines Leitfadens, nach dem die Elemente des Mannigfaltigen einer anschaulichen Gegenstandsvorstellung verbunden werden können. Leitfaden einer Synthesis ist die Vorstellung der Einheit, die durch diese Synthesis in einem Mannigfaltigen von zunächst ungeordneten Elementen hergestellt werden soll. Diese Vorstellung muß der Synthesistätigkeit vorhergehen; sie kann nicht

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erst aus dem verbundenen Mannigfaltigen empirisch abgeleitet werden.28 Wenn Kant die ästhetische Synthesis durch Einbildungskraft und Verstand als eine Tätigkeit in freiem Spiel beschreibt, so schließt er damit aus, daß die Einheitsvorstellung, die als Leitfaden dieser Synthesis fungiert, in Form eines objektiven Begriffs gedacht werden kann. Er schließt damit jedoch nicht aus, daß auch diese Synthesis nach einem Leitfaden erfolgt. Welche Einheitsvorstellung fungiert nun als Leitfaden der ästhetischen Synthesis? Wenn man diese Frage beantworten kann, dann kann man auch erklären, was die ästhetische Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte kennzeichnet, die in ästhetischer Einstellung zu einem schönen Gegenstand entsteht, d.h. man kann erklären, in welche Ordnung sich das Mannigfaltige der anschaulichen Vorstellung eines schönen Gegenstandes in freiem Spiel bringen läßt und was Einbildungskraft und Verstand dabei vorstellen. Kant gibt in § 9 zwei Hinweise zur Beantwortung dieser Frage, indem er die ästhetische Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte als ein Verhältnis beschreibt, das a. „zu einem Erkenntnisse überhaupt erforderlich ist" (KU, 29, Hervorh. v. Kant) und das b. subjektive Bedingung jeder bestimmten Erkenntnis ist: D i e subjektive allgemeine Mitteilbarkeit der Vorstellungsart in einem Geschmacksurteile, da sie, ohne einen bestimmten Begriff vorauszusetzen, stattfinden soll, kann nichts anderes als der Gemütszustand in dem freien Spiele der Einbildungskraft und des Verstandes (sofern sie untereinander, wie es zu einem Erkenntnisse überhaupt erforderlich ist, zusammenstimmen) sein; indem wir uns bewußt sind, daß dieses zum Erkenntnis überhaupt schickliche subjektive Verhältnis ebensowohl für jedermann gelten und folglich allgemein mitteilbar sein müsse, als es eine jede bestimmte Erkenntnis ist, die doch immer auf jenem Verhältnis als subjektiver Bedingung beruht. (KU, 29, Hervorh. v. Kant).

Kants Charakterisierung der ästhetischen Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand als subjektiver Bedingung jeder bestimmten Erkenntnis hat Crawford, Guyer und Kulenkampff dazu veranlaßt, sie mit einer Zusammenstimmung dieser Erkenntniskräfte zu identifizieren, die angesichts eines Gegenstandes immer zustande kommen muß, wenn dieser Gegenstand erkannt werden soll. Die unplausiblen Konsequenzen einer solchen Interpretation sind oben dargelegt worden. Wie aber ist diese Kanti-

23

Vergi. KrV, B130/1: „Aber der Begriff der Verbindung führt außer dem Begriffe des Mannigfaltigen, und der Synthesis desselben, noch den der Einheit desselben bei sich. Verbindung ist Vorstellung der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen. Die Vorstellung dieser Einheit kann also nicht aus der Verbindung entstehen, sie macht vielmehr dadurch, daß sie zur Vorstellung des Mannigfaltigen hinzukommt, den Begriff der Verbindung allererst möglich." (Hervorh. v. Kant).

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sehe Charakterisierung zu verstehen? Zur Beantwortung dieser Frage soll im folgenden zunächst untersucht werden, in welchem Sinne die ästhetische Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte eine Zusammenstimmung zu einer Erkenntnis überhaupt ist. Was unter einer Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte zu einem Erkenntnisse überhaupt zu verstehen ist, bleibt in der Kritik der Urteilskraft weitgehend dunkel. In anderen Werken verwendet Kant diesen Ausdruck nur selten. Es gibt jedoch in der Kritik der reinen Vernunft einen in der Literatur wenig beachteten Paragraphen29, in dem Kant sich mit ,,logische[n] Erfordernisse[n] und Kriterien aller Erkenntnis der Dinge überhaupt" (KrV, B114, Hervorh. v. C.F.) beschäftigt.30 Dieser soll im folgenden als Ausgangspunkt für eine Deutung dessen dienen, was mit einer Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte zu einem Erkenntnisse überhaupt gemeint ist. Den § 12 hat Kant in der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft ganz neu hinzugefügt.31 Hier verteidigt er seine Kategorientafel gegen den Verdacht, die reinen Verstandesbegriffe „unum", „verum" und „bonum" nicht berücksichtigt zu haben, bzw. den „unter den Scholastikern so berufene[n] Satz ...: quodlibet ens est unum, verum, bonum" nicht zu übernehmen und daher unvollständig zu sein (KrV, B113). Zu diesen Scholastikern gehört z.B. Alexander Gottlieb Baumgarten, der in seiner Metaphysica „unum", „verum" und „bonum" zu den ontologischen Grundbegriffen zählt, denen gemäß die Bestimmungen eines Dinges, eines „ens", zusammenhängen müssen. Das „ens" definiert Baumgarten in § 61 seiner Metaphysica als ein „possibile, qua existentiam, determinabile"32. Von diesem „ens" heißt es dann in § 73: „... omne ens est unum transcendentale"33, weil die wesentlichen Bestimmungen eines Dinges an sich untrennbar sind. In § 90 heißt es von diesem „ens": „omne ens est verum transcendentaliter"34 mit der Begründung, daß alle Bestimmungen eines Dinges nach Prinzipien miteinander verbunden sind, so daß sie zusammen eine geordnete Vielheit bilden, die metaphysische Wahrheit aber in der Ordnung des Vielen zu Einem besteht, und weil schließlich die transzenden-

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Mit dem fraglichen Abschnitt beschäftigt sich, soweit mir bekannt, lediglich Joachim Kopper (vergi. Kopper 1981). Den Hinweis auf diesen Aufsatz verdanke ich Stefan Becker. Eine ganz ähnliche Formulierung findet man in § 21 der Kritik der Urteilskraft, wo Kant von der „Erkenntnis (gegebener Gegenstände) überhaupt" spricht (KU, 66). Vergi. KrV, B113-16. Baumgarten 1779,17. Baumgarten 1779, 21, Hervorh. v. Verf. Baumgarten 1779, 25, Hervorh. v. Verf.

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tale Wahrheit als ein Spezialfall der metaphysischen in der Ordnung der wesentlichen und attributiven Bestimmungen eines Dinges zu Einem besteht. Dabei ist die metaphysische Wahrheit eines Dinges Baumgarten zufolge um so größer, je mehr zu einer Einheit geordnete Bestimmungen zu ihm gehören.35 In § 99 heißt es schließlich: „..¿omne ens est perfectum transcendentaliter"36, weil die transzendentale Vollkommenheit in nichts anderem als der Zusammenstimmung vieler Wesensbestimmungen zu Einem besteht37, und gleich anschließend, in § 100, „... omne ens est bonurn transcendentaliter", weil „bonum est, quo posito ponitur perfectio"38. Wenn Baumgarten u.a. „bonum" zu den ontologischen Grundbegriffen zählt, so versteht er diesen im Sinne von „perfectum", also in der Leibnizschen Tradition als eine größtmögliche Vielfalt der Merkmale eines Dinges bei gleichzeitiger größtmöglicher Einheit derselben. Kant bestreitet, daß die reinen Verstandesbegriffe „unum", „verum" und „bonum" zu den ontologischen Grundbegriffen gehören. Sie sind dem § 12 der Kritik der reinen Vernunft zufolge keine „transzendentalen Prädikate der Dinge", sondern „logische Erfordernisse und Kriterien aller Erkenntnis der Dinge überhaupt" (KrV, B113/4, Hervorh. v. Kant). Er übersetzt ,unum' mit .Einheit', .verum' mit ,Vielheit' und ,bonum' mit .Allheit' oder .Vollkommenheit'39; dabei betont er, daß Einheit, Vielheit und Allheit (bzw. Vollkommenheit) hier im Unterschied zu den gleichlautenden Quantitätskategorien nur „in formaler Bedeutung als zur logischen Forderung in Ansehung jeder Erkenntnis gehörig" zu gebrauchen sind (KrV, Β 114). In welchem Sinne Einheit ein logisches Erfordernis einer Gegenstandserkenntnis ist, erläutert Kant wie folgt: In j e d e m Erkenntnisse eines Objektes ist nämlich Einheit des Begriffes, welche man qualitative Einheit nennen kann, sofern darunter nur die Einheit der Zusammenfassung des Mannigfaltigen der Erkenntnisse gedacht wird, wie etwa die Einheit des Thema in einem Schauspiel, einer Rede, einer Fabel. (KrV, B114, Hervorh. v. Kant).

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Vergi. Baumgarten 1779, § 184,54/5. Baumgarten 1779, 28, Hervorh. v. Verf. Vergi. Baumgarten 1779, § 98, 27. Baumgarten 1779, § 100, 28, Hervorh. v. Verf. Vor dem Hintergrund der Erläuterungen, die z.B. Baumgarten zu den Thesen seiner Ontologie über das ens als unum, verum und bonum gibt, erscheinen diese Kantischen Übersetzungen nicht verwunderlich. Als ontologischer Begriff, wie Baumgarten ihn versteht, bezeichnet verum nicht die Eigenschaft einer Erkenntnis, die mit ihrem Gegenstand übereinstimmt, sondern den Realitätsgehalt eines Dinges, (vergi, auch Baumgarten 1779, § 36, 11/2), und bonum nicht die Eigenschaft eines vom Sittengesetz bestimmten Willens, sondern die Ordnung der Realitäten eines Dinges.

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Erkenntnisse von Objekten sind synthetisch verbundene mannigfaltige Anschauungen, deren Einheit sich durch einen objektiven Begriff denken läßt. Qualitative Einheit weist eine solche Anschauungsmannigfaltigkeit aber nur auf, wenn ihre Elemente nach der in dem Begriff gedachten Regel einheitlich verbunden worden sind, d.h., wenn sie nach derselben Regel verbunden worden sind. Die einheitliche Verbindung stellt sicher, daß nur solche Elemente berücksichtigt werden, die in dem Begriff dieser Einheit mit gedacht werden. Wenn man ζ. B. einen Gegenstand der Anschauung als ein Sofa erkennt, so verbindet man die Merkmale dieses Gegenstandes einheitlich nach der Regel, die mit dem Begriff des Sofas gegeben ist. Dies bedeutet u.a., daß man Merkmale des Gegenstandes, die zwar in seiner Anschauung erscheinen, für seine Bestimmung als Sofa aber nicht von Bedeutung sind, unberücksichtigt läßt, z.B. das Merkmal, eine fadenscheinige Sitzfläche zu haben. Ebenso läßt man dabei die Vorstellungen unberücksichtigt, die man mit dem fraglichen Gegenstand zu assoziieren pflegt, z.B. die Erinnerung an die Großtante, von der das Sofa ererbt wurde und die auf ihm strikkend zu sitzen pflegte. Qualitative Einheit als logisches Erfordernis einer Gegenstandserkenntnis bedeutet, daß die Synthesis von Vorstellungen, die zu einer Erkenntnis des Vorgestellten führen soll, nach Regeln einheitlich erfolgen muß. Kant selbst führt als Beispiel für diese qualitative Einheit die Einheit des Themas in einem Schauspiel, einer Rede oder einer Fabel an. Auch in einem Schauspiel müssen alle Teile nach der Regel einheitlich verknüpft sein, die mit dem Thema bzw. der Intrige gegeben ist: Alle auftretenden Figuren und alle Dialoge müssen für das Thema bzw. die Intrige eine Funktion haben und in der durch Thema und Intrige angegebenen Weise richtig angeordnet sein. Auf die qualitative Einheit von Reden und Fabeln (und philosophischen Büchern) läßt sich diese Erläuterung leicht übertragen. Das logische Erfordernis der qualitativen Einheit wird durch zwei weitere logische Erfordernisse einer Gegenstandserkenntnis ergänzt, die Erfordernisse der qualitativen Vielheit und der qualitativen Vollständigkeit (Totalität): Zweitens Wahrheit in Ansehung der Folgen. Je mehr wahre Folgen aus einem gegebenen Begriffe, desto mehr Kennzeichen seiner objektiven Realität. Diese könnte man die qualitative Vielheit der Merkmale, die zu einem Begriffe als einem gemeinschaftlichen Grunde gehören, (nicht in ihm als Größe gedacht werden,) nennen. Endlich drittens Vollkommenheit, die darin besteht, daß umgekehrt diese Vielheit zusammen auf die Einheit des Begriffes zurückführt, und zu diesem und keinem anderen völlig zusammenstimmt, welches man die qualitative Vollständigkeit (Totalität) nennen kann. (KrV, B114, Hervorh. v. Kant).

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Bei der Synthesis von Vorstellungen zu Erkenntnissen von Objekten ist also nicht nur nach den vorgegebenen Regeln einheitlich zu verfahren, es ist dabei auch darauf zu achten, daß die qualitative Vielheit der Merkmale des Gegebenen tatsächlich berücksichtigt wird, die die vorgegebenen Regeln zu berücksichtigen vorschreiben. Νια wenn diese Merkmale ohne Ausnahme berücksichtigt werden, ist ihre synthetische Einheit genau die, die durch die Regeln vorgegeben ist, also eine Einheit im Sinne qualitativer Vollständigkeit. Wenn ein Gegenstand der Anschauung z.B. als ein Sofa bestimmt wird, so darf keines der für ein Sofa konstitutiven Merkmale dabei unberücksichtigt bleiben. In einer Synthesis, die unter Anleitung durch die Quantitätskategorie der Einheit erfolgt, können nur gleichartige Elemente zu der Vorstellung eines Quantums verbunden werden40. In einer Synthesis dagegen, die lediglich unter Berücksichtigung der qualitativen Einheit, Vielheit und Vollständigkeit des zu Verbindenden vorgenommen wird, können auch ungleichartige Vorstellungen miteinander verbunden werden. Qualitative Einheit als Regel einer Synthesis schreibt die Einheitlichkeit der Verbindung gegebener Elemente vor, während die quantitative Einheit (d.h. die Einheit im Sinne der Kategorie der Quantität) als Regel einer Synthesis die Einheitlichkeit bzw. Gleichartigkeit der zu verbindenden Elemente vorschreibt. Allerdings muß die quantitativ einheitliche Synthesis auch qualitativ einheitlich sein, wenn sie zu objektiver Erkenntnis führen soll; dies ist eine Konsequenz aus Kants Bestimmung der qualitativen Einheit als logisches Erfordernis jeder Gegenstandserkenntnis. Auf der Grundlage dieser Ausführungen kann die Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte zu einer Erkenntnis überhaupt wie folgt verstanden werden: Einbildungskraft und Verstand stimmen zu einer Erkenntnis überhaupt zusammen dann und nur dann, wenn die Einbildungskraft eine Mannigfaltigkeit von Elementen vorstellt, die die drei logischen Erfordernisse aller Erkenntnis der Dinge überhaupt erfüllt, deren Elemente also unter Berücksichtigung ihrer qualitativen Vielheit und Vollständigkeit zu einer qualitativen Einheit verbunden sind, und wenn der Verstand die dieser einheitlichen Verbindung entsprechende Regel denkt. In der Kritik der Urteilskraft charakterisiert Kant nur die ästhetische Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte als eine Zusammenstimmung zu ei-

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Vergi. KrV, B114/15: „Woraus erhellt, daß diese logischen Kriterien der Möglichkeit der Erkenntnis überhaupt die drei Kategorien der Größe, in denen die Einheit in der Erzeugung des Quantums durchgängig gleichartig angenommen werden muß, hier nur in Absicht auf die Verknüpfung auch ungleichartiger Erkenntnisstücke in einem Bewußtsein durch die Qualität eines Erkenntnisses als Prinzips verwandeln." (Hervorh. v. Kant).

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ner Erkenntnis überhaupt. Unter Voraussetzung der hier entwickelten Interpretation dieser Zusammenstimmung muß man jedoch einräumen, daß sich die Eigentümlichkeit dieser ästhetischen Zusammenstimmung nicht daraus erklären läßt, daß sie eine Zusammenstimmung zu einer Erkenntnis überhaupt ist. Auch die ursprüngliche und die objektive Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte beruhen auf der Vorstellung eines Mannigfaltigen, dessen Ordnung die logischen Erfordernisse aller Erkenntnis der Dinge überhaupt erfüllt. Die ursprüngliche Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte beruht auf der synthetischen Einheit der transzendentalen Apperzeption, die es einem Menschen ermöglicht, sich aller seiner Vorstellungen als Vorstellungen seines identischen Ich bewußt zu werden. Diese Einheit ist Produkt einer koordinierenden Synthesis, die die zu verbindenden einzelnen anschaulichen Vorstellungen allein der Bedingung unterwirft, Vorstellungen eines identischen Bewußtseins sein zu können. Diese Synthesis kann und soll alles Gegebene berücksichtigen, sofern es in dem Bewußtsein eines identischen Subjekts vereinheitlicht werden kann. Dies ist der „Transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe" zufolge alles, was einem Menschen in Raum und Zeit anschaulich gegeben ist. Daher kann man sagen, daß die ursprüngliche Synthesis gegebener Vorstellungen in der Einheit eines menschlichen Bewußtseins nicht nur unter Berücksichtigung der qualitativen Einheit als logischen Erfordernisses aller Gegenstandserkenntnis erfolgt, sondern auch unter Berücksichtigung der logischen Erfordernisse qualitativer Vielheit und Vollständigkeit. Daß auch die objektive Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte auf der Vorstellung eines Mannigfaltigen beruht, dessen Elemente so geordnet sind, daß sie die logischen Erfordernisse aller Erkenntnis der Dinge überhaupt erfüllen, ist naheliegend. Denn diese Zusammenstimmung beruht auf der Vorstellung eines Mannigfaltigen, durch dessen Ordnung alle Bedingungen der Möglichkeit objektiver Erkenntnis erfüllt sind. Wodurch unterscheidet sich nun aber die ästhetische Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte von ihrer ursprünglichen und ihrer objektiven Zusammenstimmung? Kant beschreibt diese ästhetische Zusammenstimmung auch als eine subjektive Bedingung jeder bestimmten Erkenntnis. Aber kann man mit gleichem Recht nicht jede Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte zu einer Erkenntnis überhaupt als eine subjektive Bedingung jeder bestimmten Erkenntnis beschreiben? Dies kann man schwerlich bestreiten. Die subjektive Bedingung jeder bestimmten Erkenntnis ist immer dann erfüllt, wenn ein Mannigfaltiges vorgestellt wird, dessen Elemente so geordnet sind, daß sie den logischen Erfordernissen aller Erkenntnis der Dinge überhaupt entsprechen. Dennoch betont Kant nicht zu Unrecht, daß mit der ästhetischen Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte die subjek-

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tive Bedingung jeder bestimmten Erkenntnis erfüllt ist. Denn diese Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte unterscheidet sich von ihrer ursprünglichen ebenso wie von ihrer objektiven Zusammenstimmung dadurch, daß sie zwar die subjektive, nicht aber auch eine objektive Bedingung der Erkenntnis eines Gegenstandes erfüllt. Eine objektive Bedingung der Erkenntnis eines Gegenstandes erfüllen die Erkenntniskräfte, die zu einer Erkenntnis überhaupt zusammenstimmen, nur dann, wenn der Verstand die qualitativ einheitliche Ordnung des von der Einbildungskraft vorgestellten Mannigfaltigen durch einen objektiven Begriff denken kann. Sowohl mit der ursprünglichen als auch mit der objektiven Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte ist eine objektive Bedingung der Erkenntnis eines Gegenstandes erfüllt. Die ursprüngliche Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte beruht nämlich darauf, daß sich das Mannigfaltige der raum-zeitlichen Anschauung durch die Kategorien bestimmen läßt. Die Kategorien aber sind als ontologische Grundbegriffe objektive Begriffe.41 Ebenso beruht die objektive Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte auf einer qualitativ einheitlichen Ordnung des vorgestellten Mannigfaltigen, die sich durch objektive Begriffe, bestimmte reine und empirische Begriffe des Verstandes, denken läßt. Die einheitliche Ordnung dagegen, in die sich das Mannigfaltige der anschaulichen Vorstellung eines schönen Gegenstandes in freiem Spiel bringen läßt, kann nicht durch einen objektiven Begriff gedacht werden, obwohl auch sie die logischen Erfordernisse der Erkenntnis eines Dinges überhaupt erfüllt. Denn Schönheit ist kein Begriff vom Objekt. Damit entsteht natürlich die Frage, worauf die Möglichkeit einer Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte zu einer Erkenntnis überhaupt beruht, mit der die subjektive, aber keine objektive Bedingung der Erkenntnis eines Gegenstandes erfüllt ist. Was tritt in der ästhetischen Synthesis des Mannigfaltigen der anschaulichen Vorstellung eines Gegenstandes durch Einbildungskraft und Verstand an die Stelle, die in der erkennenden Synthesis durch einen objektiven Begriff ausgefüllt ist? M.a.W.: Was ist der Leitfaden der ästhetischen Synthesis, wenn nicht ein objektiver Begriff? Kant beantwortet diese Frage mit der These, daß in einem reinen Geschmacksurteil die „Form der Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes" beurteilt wird, „sofern sie ohne Vorstellung eines Zwecks an ihm wahrgenommen wird" (KU, 61,

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Vergi, auch KrV, B138: „Die synthetische Einheit des Bewußtseins ist also eine objektive Bedingung aller Erkenntnis, nicht deren ich bloß selbst bedarf, um ein Objekt zu erkennen, sondern unter der jede Anschauung stehen muß, um für mich Objekt zu werden, weil auf andere Art, und ohne diese Synthesis, das Mannigfaltige sich nicht in einem Bewußtsein vereinigen würde." (Hervorh. v. C.F.).

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Hervorh. v. Kant). Die ästhetische Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte soll also auf einer Form der Zweckmäßigkeit des schönen Gegenstandes beruhen, die an ihm ohne Vorstellung eines Zwecks wahrgenommen wird. Als Leitfaden der ästhetischen Synthesis dürfte daher die Vorstellung dieser Zweckmäßigkeit fungieren. Es wird im folgenden zu klären sein, was Kant unter Zweckmäßigkeit als Form eines Gegenstandes versteht und in welchem Sinne das reine Geschmacksurteil ein Urteil über eine solche Zweckmäßigkeit ist. Erst im Anschluß an diese Klärung kann die Frage beantwortet werden, wie sich der Geltungsanspruch, mit dem reine Geschmacksurteile verbunden werden, rechtfertigen läßt. In § 9 stellt Kant die Beantwortung dieser Frage explizit zurück.42 Erst in dem Abschnitt, der der „Deduktion der reinen ästhetischen Urteile" gewidmet ist (KU, 131ff.), bemüht er sich darum, diese Frage zu beantworten. Zunächst steht mit dem Ergebnis dieses Kapitels jedoch generell die Möglichkeit in Frage, das Phänomen der ästhetischen Erfahrung im Rahmen der Kantischen Bewußtseinstheorie zu erklären. Läßt die Kantische Bewußtseinstheorie ein Bewußtsein einer synthetischen Mannigfaltigkeit anschaulicher Vorstellungen zu, das nicht die Form objektiver Erkenntnis hat? Mit dieser Frage beschäftigt sich das folgende Kapitel.

3.3.

Die Konzeption der ästhetischen Beurteilung eines Gegenstandes als Synthesis läßt sich mit der Kantischen Bewußtseinstheorie vereinbaren.

Kant zufolge sind einem Menschen in seiner sinnlichen, raum-zeitlichen Anschauung nur Einzelvorstellungen gegeben. Anschauliches Bewußtsein ist Bewußtsein von einzelnen Gegenständen an einzelnen Raum-Zeit-Stellen, wie sie aus einzelnen, ebenfalls raum-zeitlichen Perspektiven erscheinen. Jedes Bewußtsein einer Pluralität von Vorstellungen setzt eine Synthesis dieser Vorstellungen durch die Erkenntniskräfte voraus. Nun betrachtet es Kant als ein Ergebnis seiner „Transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe" in der Kritik der reinen Vernunft, daß alles, was einem Menschen in Raum und Zeit anschaulich gegeben sein kann, von diesem auch in der transzendentalen Einheit seiner Apperzeption ursprünglich verbunden werden kann. Diese ursprüngliche Verbindung der Vorstellungen

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Vergi. KU, 30: „Die Erörterung dieser Frage [nämlich der Frage, warum wir das interesselose Wohlgefallen, aufgrund dessen wir einen Gegenstand als schön beurteilen, im Geschmacksurteil jedem anderen als notwendig zumuten] aber müssen wir uns bis zur Beantwortung derjenigen: ob und wie ästhetische Urteile a priori möglich sind, vorbehalten."

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eines Menschen in der transzendentalen Einheit seiner Apperzeption, auf der die ursprüngliche Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte Einbildungskraft und Verstand beruht43, ist eine notwendige Bedingimg nicht nur aller Erkenntnis, sondern auch dafür, daß dieser Mensch sich einer Pluralität seiner Vorstellungen bewußt werden kann. Die völlige Zusammenstimmung der einem Menschen anschaulich gegebenen Vorstellungen mit den Vorstellungen, die in der transzendentalen Einheit der Apperzeption ursprünglich verbunden werden können, dient in der „Transzendentalen Deduktion" als Beweisgrund dafür, daß die Kategorien auf alles Mannigfaltige der menschlichen Anschauung anwendbar sind. Kant selbst legt dabei die Vermutung nahe, die ursprüngliche synthetische Einheit der anschaulichen Vorstellungen eines Menschen könne nur unter Anwendung der Kategorien als Synthesisregeln zustande kommen und sei daher mit der synthetischen, den Kategorien gemäßen Einheit dieser Vorstellungen identisch. Es ist daher eine in der Kantforschung weitverbreitete Lehrmeinung, daß die ursprüngliche Synthesis von Vorstellungen in der transzendentalen Einheit der Apperzeption unter Anleitung durch die Kategorien erfolge.44 Nun versteht Kant die Kategorien nicht nur als ontologische Grundbegriffe, denen gemäß ein Mannigfaltiges geordnet sein muß, wenn es Gegenstand objektiver Erkenntnis sein soll. Er identifiziert diese Begriffe auch mit den logischen Funktionen zu urteilen.45 Aus dieser Identifikation kann man schließen, daß in einer kategorialen Synthesis Vorstellungen in der Form von Urteilen verbunden und dadurch auf Objekte bezogen, also als im Objekt verbunden gedacht werden.46 Daß Kategorien ontologische Grundbegriffe und Urteilsfunktionen seien, durch deren Anwendung auf gegebene Vorstellungen diese in der Form von Erkenntnisurteilen auf Objekte bezogen werden, bzw. daß die Produkte kategorialer Synthesen Erkenntnisurteile seien, gehört ebenfalls zu den in der Kantforschung weitverbreiteten Lehrmeinungen.

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Vergi, oben, S. 51/2. Vergi. z.B. Henrich 1973 und 1976. Auch Guyer betrachtet - beeinflußt von Henrich - die ursprüngliche Synthesis gegebener Vorstellungen in der transzendentalen Einheit der Apperzeption als eine kategoriale Synthesis. Andernfalls könnte er die ursprüngliche Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand nicht als Produkt einer kategorialen Verstandessynthesis beschreiben. (Vergi, oben, S. 56/7). Vergi. z.B. KrV, B143: "Nun sind aber die Kategorien nichts anderes, als eben diese Funktionen zu urteilen, sofern das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung in Ansehung ihrer bestimmt ist." (Hervorh. v. Kant). Zum Zusammenhang von Kategoriengebrauch und Objekterkenntnis in der Form von Urteilen vergi. Schulthess 1981, 259ff.

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Solange man nun an diesen beiden Lehrmeinungen festhält, kommt man nicht umhin Kant zu unterstellen, menschliches Bewußtsein einer Pluralität von Vorstellungen nur in der Form objektiver Erkenntnisurteile zuzulassen. Diese Position ist in hohem Maße unplausibel. Wer sie sich zu eigen macht, muß ästhetische Erfahrung für ebenso unerklärbar halten wie Wahrnehmungsbewußtsein. Kant selbst kann sie schwerlich vertreten haben. Schließlich unterscheidet er immer wieder von der objektiven Erkenntnis, in der einem Menschen kategorial verbundene Vorstellungen bewußt sind, ein Wahrnehmungsbewußtsein, in dem einem Menschen eine Pluralität von Vorstellungen bewußt ist, die nach Gesetzen der Assoziation verbunden und daher nicht auf Erkenntnisobjekte bezogen sind.47 Und in der Kritik der ästhetischen Urteilskraft macht er die ästhetische Erfahrung eines Gegenstandes, die er als eine freie und spielerische Synthesis des Mannigfaltigen der Vorstellung desselben durch die Erkenntniskräfte konzipiert, die die objektive Erkenntnis und begriffliche Bestimmung ihres Gegenstandes weder voraussetzt noch hervorbringt48, zum bevorzugten Gegenstand seiner Untersuchung.49 Es gibt also zwei gute Gründe dafür, zumindest eine der beiden oben genannten Lehrmeinungen aufzugeben. Die ursprüngliche Synthesis von Vorstellungen in der transzendentalen Einheit der Apperzeption darf nicht mit der Synthesis identifiziert werden, durch die gegebene Vorstellungen in Form von Erkenntnisurteilen auf Objekte bezogen werden. Kant läßt jedoch

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2

Vergi. z.B. KrV, A 112/3, A 121, Β 140, Β 142 u.a. Vergi, oben S. 55. Daß man, wenn man die ursprüngliche Synthesis von Vorstellungen in der transzendentalen Einheit der Apperzeption als kategorial auffaßt, der Kantischen Theorie der Wahrnehmung nur schwer einen Platz in seiner Bewußtseinstheorie einräumen kann, hat Henrich durchaus gesehen. Er ist allerdings nicht bereit, eine dieser Lehrmeinungen aufzugeben. Seine Hauptthese in diesem Zusammenhang lautet daher, daß Kant „über keine konsistente Theorie der Wahrnehmung [verfügt]" (Henrich 1976, 95). Um das Phänomen der Wahrnehmung dennoch im Rahmen der kantischen Bewußtseinstheorie zu berücksichtigen, unterscheidet er zwischen einer Synthesis von Vorstellungen im Selbstbewußtsein, die unter notwendigen Regeln des Übergangs im Selbstbewußtsein steht, und einer Synthesis von Vorstellungen zum Bewußtsein, deren Regeln „einen Prozeß [regulieren], der allem Übergang vorhergeht" (Henrich 1976, 95). Diese von Henrich vorgeschlagene Rekonstruktion des Wahrnehmungsbewußtseins ist jedoch nicht wirklich überzeugend. Denn da einem Menschen in der Anschauung nur Vorstellungen von Einzelnen gegeben sind, kann eine Synthesis, durch die eine anschauliche Vorstellung zum Bewußtsein gelangt, allenfalls eine Synthesis sein, durch die diese Vorstellung zur Vorstellung eines selbstbewußten Ich wird. Eine solche Synthesis zum Bewußtsein kann im Unterschied zu einer Synthesis im Bewußtsein kein Bewußtsein einer Pluralität von Vorstellungen (als verschiedener Vorstellungen eines identischen Bewußtseins) hervorbringen. Wahrnehmungsbewußtsein ist aber offensichtlich ein Bewußtsein einer Pluralität solcher Vorstellungen, setzt also eine Synthesis im Bewußtsein voraus.

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keinen Zweifel daran, daß diese ursprüngliche Synthesis wie jede Synthesis nur unter Anleitung durch eine als Regel fungierende Einheitsvorstellung erfolgen kann.50 Welches sind die Regeln, unter deren Anleitung Vorstellungen in der transzendentalen Einheit der Apperzeption ursprünglich verknüpft werden? Kant charakterisiert in § 15 der zweiten Auflage der „Transzendentalen Deduktion" die Einheit, die durch die ursprüngliche Synthesis unter den einem Menschen anschaulich gegebenen Vorstellungen hergestellt wird, also die transzendentale Einheit der Apperzeption, als eine qualitative Einheit. Dabei verweist er zurück auf § 12 der Kritik der reinen Vernunft, wo er u.a. den Begriff der qualitativen Einheit als eines von drei logischen Erfordernissen der Erkenntnis eines Dinges überhaupt einführt.51 D.h., daß auch die ursprüngliche Synthesis von Vorstellungen in der transzendentalen Einheit der Apperzeption unter Berücksichtigung der logischen Erfordernisse der Erkenntnis eines Dinges überhaupt erfolgt.52 Mit dem Hinweis auf diese Erfordernisse ist der Leitfaden der ursprünglichen Synthesis aber nicht angegeben. Es bleibt daher zu fragen, welche Regeln der Einheit von gegebenen und zu verbindenden Vorstellungen in der transzendentalen Einheit der Apperzeption gedacht werden. Kant versteht unter dieser Einheit die Einheit des Selbstbewußtseins eines identischen Ich, das sich als Subjekt in der wirklichen Welt erfahren kann. Die wirkliche Welt muß ihrerseits gewisse Einheitsbedingungen erfüllen. Kant gibt diese in den „Grundsätzen des reinen Verstandes" (KrV, A148/B187ff.) an. Zwischen der Einheit von Vorstellungen in einem möglichen Selbstbewußtsein und der Einheit der wirklichen Welt besteht daher ein Zusammenhang. Jedoch ist mit diesem Zusammenhang nicht ausgemacht, daß sich ein Mensch seiner selbst nur in bezug auf Gedanken bewußt werden kann, die Erkenntnisse von Objekten in der wirklichen Welt sind. Selbstbewußtsein muß ein Mensch auch in bezug auf seine Wahrnehmungen und seine ästhetischen Erfahrungen haben können. Die Regeln der Einheit, nach denen Vorstellungen in einem Bewußtsein und möglichen Selbstbewußtsein verbunden werden, müssen daher sowohl mit den Kategorien als auch mit den Ein-

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Vergi. KrV, B130/1 u.a. Systematische Gründe dafür, daß eine Verbindung von Vorstellungen in der transzendentalen Einheit der Apperzeption nur unter Anwendung von Regeln erfolgen kann, rekonstruiert Dieter Henrich in seinem Aufsatz Identität und Objektivität. (Vergi. Henrich, 1976)

·

Vergi. KrV, B131 und oben, S. 59/60. Dies bestätigt die Charakterisierung der ursprünglichen Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand, die Produkt dieser ursprünglichen Synthesis ist, als eine Zusammenstimmung zu der Erkenntnis überhaupt. Vergi, oben, S. 62.

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heitsregeln der Wahrnehmung, d.h. den Assoziationsgesetzen, und denen der ästhetischen Erfahrung kompatibel sein. Diese Regeln anzugeben bleibt Aufgabe der Kantforschung.53 Versteht man die ursprüngliche Synthesis gegebener Vorstellungen in der transzendentalen Einheit der Apperzeption nicht als kategoriale Synthesis, durch die objektive Erkenntnis zustande kommt, sondern als eine Verbindung nach mit den Kategorien kompatiblen Regeln, die es einem Menschen ermöglicht, sich einer Pluralität seiner Vorstellungen bewußt zu werden, dann lassen sich objektive Erkenntnis, Wahrnehmungsbewußtsein und ästhetische Erfahrung eines Menschen erklären. Objektive Erkenntnis in der Form von Urteilen kommt dadurch zustande, daß anschaulich gegebene und bereits ursprünglich verbundene Vorstellungen unter Anleitung durch die Kategorien geordnet und auf Objekte bezogen werden. Wahrnehmungsbewußtsein kommt zustande, wenn ein Mensch ihm anschaulich gegebene und bereits ursprünglich verbundene Vorstellungen nach Gesetzen der Assoziation verbindet54 und zu Gegenständen seiner Aufmerksamkeit macht. Ästhetische Erfahrung schließlich kommt zustande, wenn die Erkenntniskräfte Einbildungskraft und Verstand eines Menschen das Mannigfaltige der anschaulichen Vorstellung eines Gegenstandes, das in der transzendentalen Einheit der Apperzeption bereits ursprünglich verbunden wurde, in freiem Spiel auf Erkenntnis überhaupt beziehen und wenn diese Beziehung diesem Menschen in einer interesselosen Gefühlsempfindung bewußt wird. Auf welche Art ein Mensch sich eines ihm anschaulich gegebenen Gegenstandes auch bewußt wird, als Gegenstand objektiver Erkenntnis, als Wahrnehmungsgegenstand oder als Gegenstand ästhetischer Erfahrung, in allen drei Fällen hegt dem Bewußtsein eine doppelte Synthesis zugrunde: die ursprüngliche Synthesis des Mannigfaltigen der anschaulichen Gegenstandsvorstellung in der transzendentalen Einheit der Apperzeption und darüber hinaus eine Synthesis, die nach Regeln erfolgt, die für die drei genannten Arten des Bewußtseins jeweils verschieden sind. Die ursprüngliche Synthesis anschaulich gegebener Vorstellungen in der transzendentalen Einheit der Apperzeption ist die einzige Synthesis, die die Totalität dieser Vorstellungen berücksichtigen kann. Im Unterschied zu dieser ursprünglichen Synthesis sind die Synthesen, durch die Erkenntnis eines

Wichtige Vorarbeiten zur Lösung dieser Aufgabe hat inzwischen Stuhlmann-Laeisz geleistet (vergi. Stuhlmann-Laeisz, 1987). Er führt vor, daß die Aufgabe der These, die ursprüngliche Synthesis gegebener Vorstellungen in der transzendentalen Einheit der Apperzeption erfolge unter Anleitung durch die Kategorien, das Kantische Programm der Begründung der Möglichkeit objektiver Erkenntnis durch eine transzendentale Deduktion der Kategorien nicht ad absurdum führt. Vergi. z.B. KrV, A121 und B142.

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Objekts, Wahrnehmung eines Gegenstandes oder ästhetische Erfahrung eines Gegenstandes entstehen, selektiv: Sie verbinden gegebene Vorstellungen nicht nur nach je spezifischen Regeln, sondern verwenden diese Regeln auch als Kriterien für die Auswahl der zu verbindenden Vorstellungen aus dem Mannigfaltigen der ursprünglich verbundenen Vorstellungen. Dafür, daß ein Sachverhalt in einem Erkenntnisurteil als Wirkung einer Ursache bestimmt wird, sind nicht alle Merkmale desselben verantwortlich: Wenn die Wärme eines Granitsteines als Wirkung andauernder Sonnenbestrahlung erkannt wird, so bleibt dabei unberücksichtigt, ob dieser Stein von einer Marmorader durchzogen ist oder nicht. Ein Gegenstand der Anschauung läßt sich überhaupt nur unter Absehung von einem Großteil seiner Merkmale unter einen objektiven Begriff des Verstandes subsumieren. Denn die Begriffe, die einem Menschen zur Bestimmung von Objekten zur Verfügung stehen, sind wesentlich Allgemeinvorstellungen. Ihre Intension ist endlich, und sie bilden zusammen ein Begriffsschema, in dem nur endlich viele Begriffe enthalten sind. Jede natürliche Sprache kann als Beispiel für ein solches Begriffsschema angesehen werden. Durch einen Begriff dieses Schemas kann ein Gegenstand der Anschauung als einzelner gar nicht angemessen bestimmt, d.h. als Einzelner von allen anderen einzelnen Gegenständen eindeutig unterschieden werden. Kant folgt Leibniz, wenn er davon ausgeht, daß zur Bestimmung eines Einzelnen als eines solchen der vollständige Begriff desselben erforderlich wäre. Vollständige Begriffe aber kann Kant zufolge ein menschlicher Verstand nicht denken, da sie sich durch eine unendlich komplexe Intension von objektiven Begriffen unterscheiden. Auch das, was einem Menschen in der Wahrnehmung eines Gegenstandes von dessen Merkmalen bewußt wird, ist nur ein Teil dessen, was ihm an Merkmalen dieses Gegenstandes anschaulich gegeben ist. Zwar kann alles Mannigfaltige der empirischen Anschauung Gegenstand der Aufmerksamkeit in einem Wahrnehmungsbewußtsein werden. Dieses Mannigfaltige vollständig zu berücksichtigen würde die Kapazität des Wahrnehmungsbewußtseins jedoch bei weitem übersteigen. In der ästhetischen Erfahrung schließlich konzentriert sich die Aufmerksamkeit der Erkenntniskräfte auf das Mannigfaltige der Anschauung nur eines Gegenstandes. Die ästhetische Beurteilung desselben erfolgt „ohne Vergleichung [seiner Vorstellung] mit anderen [Gegenstandsvorstellungen]" (KU, 31). Es ist naheliegend, die ursprüngliche Synthesis gegebener Vorstellungen in der transzendentalen Einheit der Apperzeption als eine Leistung der Einbildungskraft anzusehen. Denn Kant bestimmt die Einbildungskraft als ein

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zwischen dem Vermögen der Anschauung und dem Verstand als dem Vermögen der objektiven Begriffe vermittelndes Vermögen: Da nun alle unsere Anschauung sinnlich ist, so gehört die Einbildungskraft, der subjektiven Bedingung wegen, unter der sie allein den Verstandesbegriffen eine korrespondierende Anschauung geben kann, zur Sinnlichkeit', sofern aber doch ihre Synthesis eine Ausübung der Spontaneität ist, welche bestimmend, und nicht, wie der Sinn, bloß bestimmbar ist, mithin a priori den Sinn seiner Form nach der Einheit der Apperzeption gemäß bestimmen kann, so ist die Einbildungskraft sofern ein Vermögen, die Sinnlichkeit a priori zu bestimmen, und ihre Synthesis der Anschauungen, den Kategorien gemäß, muß die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft sein, welches eine Wirkung des Verstandes auf die Sinnlichkeit und die erste Anwendung desselben (zugleich der Grund aller übrigen) auf Gegenstände der uns möglichen Anschauung ist. (KrV, Β 151/2, Hervorh. v. Kant). Diese Vermittlungsfunktion kann die Einbildungskraft wahrnehmen, weil sie zwar - wie der Verstand - gegebene Vorstellungen spontan verbindet, dabei aber der Fülle des anschaulich Gegebenen gerecht wird, das sie in seiner Totalität berücksichtigen kann. Dazu ist der Verstand, der gegebene Vorstellungen unter Anleitung durch objektive Begriffe synthetisiert, nicht in der Lage. Produkt dieser ursprünglichen Synthesis ist eine Verbindung anschaulicher Mannigfaltigkeit durch die Einbildungskraft so, daß der Verstand seine objektiven Begriffe auf dieses vereinheitlichte Mannigfaltige anwenden kann, also genau die Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand, die Kant in der sogenannten Streitschrift gegen Eberhard als Zusammenstimmung „zu der Möglichkeit eines Erfahrungserkenntnisses überhaupt" charakterisiert. 55 Die Untersuchungen dieses Kapitels erlauben nun, das Folgende über Kants Konzeption der ästhetischen Erfahrung eines Gegenstandes und der Bedingungen, unter denen sie zustande kommen kann, festzuhalten: Ein Gegenstand muß, um von einem Menschen ästhetisch erfahren werden zu können, diesem anschaulich gegeben sein. Ferner muß das Mannigfaltige dieser Vorstellung durch seine Einbildungskraft in einer ursprünglichen Synthesis in die Einheit seiner transzendentalen Apperzeption gebracht werden. Nun wird alles, was einem Menschen anschaulich gegeben wird, von dessen Einbildungskraft ursprünglich verbunden. Gegenstände werden einem Menschen meist im Zusammenhang mit anderen Gegenständen anschaulich gegeben. Daher muß das Mannigfaltige der Anschauung eines Gegenstandes der ästhetischen Erfahrung, sofern dieser als einzelner ästhetisch beurteilt werden soll, isoliert werden von den zusammen mit ihm er-

55

ÜE, AA VIII, 250; vergi, auch oben, S. 51/2.

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scheinenden Anschauungen. Auch in ihrer Konzentration auf das Mannigfaltige nur eines Gegenstandes unterscheidet sich die ästhetische Synthesistätigkeit von Einbildungskraft und Verstand von ihrer Erkenntnistätigkeit. Denn wo unter Anleitung durch die Kategorien das Mannigfaltige der Vorstellung eines Gegenstandes unter einen objektiven Begriff subsumiert wird, da wird dieser Gegenstand immer auch mit anderen Gegenständen verglichen, z.B. mit all den Gegenständen, die zur Extension dieses Begriffs gehören. Daraus, daß die ästhetische Synthesis des Mannigfaltigen einer Gegenstandsvorstellung in freiem Spiel erfolgt, dabei jedoch die logischen Erfordernisse aller Erkenntnis der Dinge überhaupt, nämlich qualitative Einheit der Verbindung sowie Vielheit und Vollständigkeit der einheitlich zu verbindenden Elemente dieses Mannigfaltigen berücksichtigt, läßt sich nicht entnehmen, nach welcher Regel der Einheit diese Synthesis erfolgt. Welche Regel gibt den einheitlichen Leitfaden für diese Synthesis an? Dies aufzuklären ist Aufgabe der folgenden Kapitel 4, 5 und 6.

4. Die Urteile der reflektierenden Urteilskraft sind Urteile über eine hypothetische Zweckmäßigkeit von Naturprodukten. 4.1.

Von Zweckmäßigkeitsurteilen, die kausale Erklärungen von Artefakten geben, sind Zweckmäßigkeitsurteile zu unterscheiden, in denen Naturprodukte hypothetisch als zweckmäßig beurteilt werden. Dies sind Urteile der reflektierenden Urteilskraft (KU, § 10).

Mit § 10 der Kritik der Urteilskraft, der „von der Zweckmäßigkeit überhaupt" (KU, 32) handelt, beginnt der dritte Abschnitt der Analytik des Schönen, den Kant unter die Überschrift „Drittes Moment der Geschmacksurteile, nach der Relation der Zwecke, welche in ihnen in Betrachtung gezogen wird", gestellt hat. In diesem Paragraphen definiert Kant zunächst die Termini ,Zweck' und ,Zweckmäßigkeit', um dann zwei Arten von Urteilen über die Zweckmäßigkeit von Gegenständen zu unterscheiden: Zweckmäßigkeitsurteile, die kausale Erklärungen von Artefakten enthalten und als solche zu den Urteilen der theoretischen Erkenntnis gehören, und Zweckmäßigkeitsurteile, in denen einem Gegenstand, der nicht Artefakt sondern Naturprodukt ist, eine hypothetische Zweckmäßigkeit zugeschrieben wird, für die Kant die paradox anmutende Kennzeichnung Zweckmäßigkeit ohne Zweck' wählt. Die Zweckmäßigkeitsurteile, in denen einem Naturprodukt eine hypothetische Zweckmäßigkeit zugeschrieben wird, sind der These von § 10 zufolge weder Urteile der theoretischen, noch Urteile der praktischen Erkenntnis, sondern Urteile der reflektierenden Urteilskraft. Was bedeutet es, einem Naturprodukt eine hypothetische Zweckmäßigkeit zuzuschreiben, und inwiefern erfolgt eine solche Zuschreibung durch die reflektierende Urteilskraft? Zur Beantwortung dieser Fragen wird im Anschluß an die Interpretation von § 10 die Definition der reflektierenden Urteilskraft, die Kant in der Einleitung in die Kritik der Urteilskraft gibt, analysiert. In den folgenden beiden Kapiteln werden dann die Urteile, die Kant in den Einleitungen in die Kritik der Urteilskraft neben den reinen Geschmacksurteilen als Urteile der reflektierenden Urteilskraft präsentiert,

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einer kurzen Analyse unterzogen, nämlich die Urteile der reflektierenden Urteilskraft in ihrem logischen und teleologischen Gebrauch. Umgangssprachlich ist von Zweckmäßigkeit in bezug auf Gegenstände die Rede, zwischen denen eine Mittel-Zweck-Relation besteht. Ein Zweckmäßigkeitsurteil der Form ,x ist zweckmäßig für y* bedeutet umgangssprachlich soviel wie ,x ist ein geeignetes Mittel für y\ Der Gegenstand χ ist zweckmäßig, insofern er ein geeignetes Mittel zu etwas ist, und der Gegenstand y, der durch dieses Mittel bewirkt werden kann, ist ein Zweck. So ist z.B. ein Hammer ein geeignetes Mittel, um einen Nagel in die Wand zu schlagen, und d.h., daß er zweckmäßig ist für den Zweck des Schlagens eines Nagels in die Wand. Zweckmäßigkeitsurteile, die Urteile über MittelZweck-Relationen sind, gehören zu den Urteilen der theoretischen Erkenntnis, und zwar zu den Kausalurteilen, denn in ihnen wird ein tatsächlicher oder möglicher kausaler Zusammenhang zwischen zwei Gegenständen oder Ereignissen behauptet. In der Umgangssprache werden Zweckmäßigkeitsurteile vor allem dann verwendet, wenn das Verhältnis von einer Ursache zu einer Wirkung angegeben werden soll, die ein Mensch begehrt oder beabsichtigt. Einen Hammer z.B. wird man vornehmlich dann als zweckmäßig beurteilen, wenn man tatsächlich die Absicht hat, einen Nagel in die Wand zu schlagen und daher einen Hammer benötigt. Im engeren Sinne bezeichnet man nicht beliebige Gegenstände, die durch geeignete Mittel bewirkt werden können, als Zwecke, sondern insbesondere solche, deren Verwirklichung ein Mensch beabsichtigt. Und entsprechend bezeichnet man nicht alle zu beliebigen Wirkungen geeigneten Mittel als zweckmäßig, sondern nur zu beabsichtigten Wirkungen geeignete Mittel. Wie definiert nun Kant die Termini ,Zweck' und Zweckmäßigkeit'? In § 10 der Kritik der Urteilskraft heißt es: Wenn man, was ein Zweck sei, nach seinen transzendentalen Bestimmungen (ohne etwas Empirisches, dergleichen das Gefühl der Lust ist, vorauszusetzen) erklären will: so ist Zweck der Gegenstand eines Begriffs, sofern dieser als die Ursache von jenem (der reale Grund seiner Möglichkeit) angesehen wird; und die Kausalität eines Begriffs in Ansehung seines Objekts ist die Zweckmäßigkeit (forma finolis)." (KU, 32, Hervorh. v. C.F.).

Unter Zweckmäßigkeit ist dieser Definition zufolge die „Kausalität eines Begriffs in Ansehung seines Objekts" zu verstehen; d.h., Kant faßt die Relation der Zweckmäßigkeit auf als die Relation zwischen dem Begriff eines Gegenstandes und diesem Gegenstand. Diese Relation liegt vor, wenn der Begriff „Kausalität ... in Ansehung seines Objekts" hat, wenn er also Ursache dieses Objekts ist. Zweckmäßigkeitsurteile müssen dieser Definition zufolge als Urteile der Form ,Der Begriff von y ist zweckmäßig für γ angesehen werden, bzw. als Urteile der Form ,Der Begriff von y ist die Ur-

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sache von γ. Ein Gegenstand ist § 10 zufolge als ein Zweck anzusehen, wenn der Begriff von diesem Gegenstand als die Ursache dieses Gegenstandes, als der reale Grund seiner Möglichkeit angesehen wird. In der Kritik der Urteilskraft verwendet Kant den Terminus ,Zweck' allerdings nicht nur, wie hier in § 101, zur Bezeichnung eines Gegenstandes, der von seinem Begriff verursacht ist, sondern auch zur Bezeichnung des Begriffs von einem Gegenstand, der Ursache dieses Gegenstandes ist; so stellt er z.B. in der Einleitung in die Kritik der Urteilskraft fest, daß „der Begriff von einem Objekt, sofern er zugleich den Grund der Wirklichkeit dieses Objekts enthält, der Zweck ... heißt" (KU, XXVIII, Hervorh. v. C.F.).2 Um Mißverständnisse zu vermeiden wird aber im folgenden im Sinne der Definition von § 10 der Kritik der Urteilskraft von einem Zweck nur als von einem Gegenstand die Rede sein, der von seinem Begriff verursacht worden ist; von dem Begriff eines Gegenstandes dagegen, der Ursache dieses Gegenstandes ist, also von dem Begriff eines Zwecks, wird als von einer Zweckvorstellung gesprochen. Auch den Terminus ,Zweckmäßigkeit' verwendet Kant in zwei verschiedenen Bedeutungen. Wie oben bereits angegeben, bezeichnet er mit diesem Terminus die kausale Relation zwischen einer Zweckvorstellung und einem Zweck; er verwendet diesen Terminus jedoch auch noch in einem zweiten Sinne, nämlich zur Bezeichnung einer formalen Eigenschaft eines Gegenstandes, der notwendigerweise als ein Zweck angesehen werden muß: „... die Übereinstimmung eines Dinges mit derjenigen Beschaffenheit der Dinge, die nur nach Zwecken3 möglich ist, [heißt] die Zweckmäßigkeit der Form derselben4" (KU, XXVIII, Hervorh. v. C.F.). Die interne Struktur eines in diesem Sinne zweckmäßigen Gegenstandes zeigt also an, daß er nur durch eine begriffliche Ursache entstanden sein kann.5 Was aber bedeutet es, einem Gegenstand einen Bezug auf eine begriffliche Ursache zuzuschreiben bzw. von einem Begriff zu sagen, er sei die Ursache der wirklichen Existenz seines Gegenstandes, der reale Grund der Möglichkeit dieses Gegenstandes? Der Begriff eines Gegenstandes gehört zu den Ursachen der wirklichen Existenz dieses Gegenstandes, wenn erstens ein vernünftiger Mensch diesen Gegenstand absichtlich hervorgebracht hat

1 2

5

Vergi, auch KU, 290, 350, 381 u.a. Vergi, auch KU, 381 und EE, 43 u.a. Unter „Zwecken" sind hier Zweckvorstellungen zu verstehen. Vergi, auch EE, 21: „Denn zweckmäßig nennen wir dasjenige, dessen Dasein eine Vorstellung desselben Dinges vorauszusetzen scheint." Ich lese das „derselben" hier als .desselben' und übernehme damit einen Korrekturvorschlag von Windelband. Vergi. McFarland 1970, 78 und 90.

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und wenn zweitens der Wille dieses Menschen von dem Begriff des Gegenstandes, den er hervorgebracht hat, bestimmt war. Der Wille eines vernünftigen Menschen wird durch den Begriff eines Gegenstandes bestimmt, wenn die wirkliche Existenz dieses Gegenstandes Materie des Begehrungsvermögens dieses Menschen ist: Kant bezeichnet den „Willen als Begehrungsvermögen" auch als „eine von den mancherlei Naturursachen in der Welt, nämlich diejenige, welche nach Begriffen wirkt" (KU, XII). Die Begriffe, nach denen der Wille eines vernünftigen Menschen wirkt, sind Zweckvorstellungen: Denn „das Begehrungsvermögen, sofern es nur durch Begriffe, d.i. der Vorstellung eines Zwecks gemäß zu handeln, bestimmbar ist, würde der Wille sein" (KU, 33). Ein Begriff kann also zu den Ursachen der wirklichen Existenz eines Gegenstandes nur dann gehören, wenn er Zweckvorstellung ist. Der Gegenstand eines Begriffs, der Zweckvorstellung ist, ist aber ein Zweck. Anhand dieser Ausführungen läßt sich die Bedeutung der Termini ,Zweck' und .Zweckmäßigkeit', wie Kant sie in § 10 der Kritik der Urteilskraft definiert, mit der oben angegebenen umgangssprachlichen Bedeutung dieser Termini vergleichen. Den Terminus ,Zweck' verwendet Kant in einer Bedeutung, die der oben angegebenen engeren umgangssprachlichen Bedeutung dieses Terminus verwandt ist: Denn auch im Kantischen Verständnis ist ein Zweck ein Gegenstand, der von einem vernünftigen Menschen absichtlich hervorgebracht bzw. bewirkt worden ist, oder aber ein Gegenstand, der als Produkt der absichtlichen Handlung eines vernünftigen Menschen angesehen wird. Deutlich abweichend von der Umgangssprache dagegen verwendet Kant den Terminus .Zweckmäßigkeit': Er verwendet diesen Terminus erstens zur Bezeichnung eines tatsächlichen oder nur vermuteten Ursache-Wirkungs-Verhältnisses zwischen einem Begriff und dem Gegenstand dieses Begriffs, (d.h. zwischen einer Zweckvorstellung und einem Zweck), und zweitens zur Bezeichnung einer formalen Eigenschaft eines Gegenstandes, der notwendigerweise als ein Zweck angesehen werden muß, weil er nur durch eine begriffliche Ursache entstanden sein kann. In der Umgangssprache dagegen wird nur ein Ursache-Wirkungs-Verhältnis zwischen einem gegenständlichen Mittel und einem Zweck ills ein Verhältnis der Zweckmäßigkeit bezeichnet; und nur solche Gegenstände werden in der Umgangssprache zweckmäßig genannt, die Mittel zu Zwecken sind. Zweckvorstellung ist der Begriff von einem Gegenstand für einen vernünftigen Menschen nur, wenn dieser einen Grund hat, die wirkliche Existenz dieses Gegenstandes zu begehren, und d.h., wenn er die wirkliche

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Existenz für angenehm, nützlich oder sittlich gut hält.6 Dies bedeutet, daß ein in der Erscheinungswelt existierender Gegenstand nur dann als ein tatsächlicher Zweck angesehen werden kann, wenn er für mindestens einen Menschen angenehm, nützlich oder sittlich gut ist und wenn er ferner von einem vernünftigen Menschen hervorgebracht worden sein kann, d.h., wenn er als Artefakt angesehen werden kann. Urteile, in denen Gegenstände als Zwecke oder Artefakte beurteilt werden, sind Zweckmäßigkeitsurteile über Artefakte. Woran ist aber ein in der Erscheinungswelt existierender Gegenstand als Artefakt zu erkennen? Im einfachsten Fall kann ein Gegenstand an seiner tatsächlichen Entstehungsgeschichte als Artefakt erkannt werden. Wer die absichtliche Produktion eines Gegenstandes durch einen Menschen beobachtet hat, wird diesen Gegenstand einen Zweck bzw. ein Artefakt nennen. Ist ein in der Erscheinungswelt existierender Gegenstand aber auch dann noch eindeutig als Artefakt erkennbar, wenn seine Entstehungsgeschichte unbekannt ist? In einem solchen Fall kann man z.B. versuchen festzustellen, ob der fragliche Gegenstand die notwendigen Bedingungen dafür erfüllt, Artefakt zu sein. Man wird erstens prüfen, ob es für einen vernünftigen Menschen einen Grund geben kann, die wirkliche Existenz dieses Gegenstandes zu begehren; und man wird zweitens prüfen, ob die Produktion dieses Gegenstandes Menschen überhaupt möglich ist. Um darüber zu entscheiden, ob ein Gegenstand die erste dieser Bedingungen erfüllt, muß er entweder in einem ästhetischen Urteil auf seine Annehmlichkeit, oder in einem kausalen Erkenntnisurteil auf seine Nützlichkeit zum Zweck der Annehmlichkeit, oder in einem praktischen Erkenntnisurteil darauf geprüft werden, ob er ein möglicher Gegenstand reiner praktischer Vernunft ist. Wie läßt sich aber entscheiden, ob ein Gegenstand auch die zweite der oben angegebenen Bedingungen erfüllt, ob er also Produkt eines zweckgeleiteten Einwirkens auf die Natur sein kann? Ein Mensch kann einen Gegenstand absichtlich produzieren, wenn er eine hinreichend genaue begriffliche Vorstellung von diesem Gegenstand hat und wenn er außerdem die Mittel und Wege kennt und beherrscht, die zur Produktion dieses Gegenstandes geeignet sind. Von bestimmten Gegenständen, wie z.B. von der Sonne, läßt sich mittels dieses Kriteriums mit einiger Sicherheit sagen, daß sie nicht

Der Zweckdefinition zufolge, die Kant in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten gibt, sind das Angenehme, (sowie das Nützliche als geeignetes Mittel zur Annehmlichkeit), und das sittlich Gute die eigentlichen Zwecke eines vernünftigen, aber sinnlich affizierbaren Wesens: „Nun ist das, was dem Willen zum objektiven Grunde seiner Selbstbestimmung dient, der Zweck ..." (GMS, AA IV, 427; Hervorh. v. Kant). Diese objektiven Gründe der Selbstbestimmung sollen hier aber nur als Triebfedern oder Bestimmungsgründe des Willens bezeichnet werden, während der Zweckbegriff Kants für die Gegenstände reserviert bleiben soll, die Materie des Begehrungsvermögens eines Menschen sind.

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Artefakte, sondern Naturprodukte sind, da ihre künstliche Herstellung Menschen kaum möglich sein dürfte. In bezug auf andere Gegenstände wird die Beantwortung der Frage, ob sie Artefakte oder Naturprodukte sind, von dem jeweiligen Stand der Technik abhängen; man denke hier beispielsweise an die Möglichkeit, naturidentische Stoffe künstlich herzustellen.7 Ein Gegenstand, der die beiden oben angegebenen notwendigen Bedingungen dafür erfüllt, Artefakt zu sein, kann in einem Zweckmäßigkeitsurteil als mögliches Artefakt beurteilt werden. Zweckmäßigkeitsurteile, in denen Gegenstände als tatsächliche oder mögliche Artefakte beurteilt werden, gehören zu den Sätzen der theoretischen Naturerkenntnis, die „die Möglichkeit der Dinge nach Naturgesetzen" betreffen (EE, 3); in ihnen wird die Vorstellung eines Gegenstandes mit der Vorstellung einer tatsächlichen oder möglichen begrifflichen Ursache der wirklichen Existenz dieses Gegenstandes nach dem Kausalgesetz verbunden.8

Wie schwierig es im Einzelfall sein kann zu entscheiden, ob ein Gegenstand Artefakt oder Naturprodukt ist, kann man sich auch am Beispiel von Putnam's krabbelnder Ameise verdeutlichen, die mit ihrer Spur ein Bild Winston Churchill's in den Sand zeichnet. Wer an die Stelle kommt, an der die Ameise ihre Spur in den Sand gezeichnet hat und in dieser Spur die Züge Churchill's erkennt, kann feststellen, daß diese Zeichnung die notwendigen Bedingungen dafür erfüllt, Artefakt zu sein. Denn es gibt einige Menschen, denen die Züge Churchill's vertraut sind und die technisch in der Lage sind, diese in den Sand zu zeichnen, und zwar so, daß die einzelnen Striche dieser Zeichnung wie die Spur einer Ameise aussehen. Ohne die tatsächliche Entstehungsgeschichte dieser Spurenzeichnung zu kennen, läßt sich jedoch nicht feststellen, ob es sich bei dieser Zeichnung um ein Naturprodukt oder ein Artefakt handelt. (Vergi. Putnam 1981, 1). Ein ganz ähnliches Beispiel wie Putnam diskutiert übrigens schon Kant in der Kritik der Urteilskraft-, (vergi. KU, 285/6). Vergi, als Beleg für die Zuordnung von Zweckmäßigkeitsurteilen über tatsächliche oder mögliche Artefakte zu den Sätzen der theoretischen Erkenntnis die folgende Passage aus der Ersten Einleitung in die Kritik der Urteilskraft: „Denn, wenn doch der Wille keine andern Prinzipien befolgt, als die, von welchen der Verstand einsieht, daß der Gegenstand nach ihnen, als bloßen Naturgesetzen, möglich sei, so mag immer der Satz, der die Möglichkeit des Gegenstandes durch Kausalität der Willkür enthält, ein praktischer Satz heißen, er ist doch, dem Prinzip nach, von den theoretischen Sätzen, die die Natur der Dinge betreffen, gar nicht unterschieden, vielmehr muß er das seine von dieser entlehnen, um die Vorstellung eines Objekts in der Wirklichkeit darzustellen." (EE, 3/4). Daß die Zweckmäßigkeitsurteile, in denen Gegenstände als tatsächliche oder mögliche Artefakte beurteilt werden, von Kant in der Tat zu den Sätzen der theoretischen Naturerkenntnis gerechnet werden, läßt sich auch durch folgende Überlegung begründen: Im Abschnitt I. der Einleitung in die Kritik der Urteilskraft unterscheidet Kant drei Typen kausaler Erklärungen von Gegenständen in der Erscheinungswelt: „Der Wille als Begehrungsvermögen ist nämlich eine von den mancherlei Naturursachen in der Welt, nämlich diejenige, welche nach Begriffen wirkt; und alles, was durch einen Willen möglich (oder notwendig) vorgestellt wird, heißt praktisch-möglich (oder -notwendig); zum Unterschiede von der physischen Möglichkeit oder Notwendigkeit einer Wirkung, wozu die Ursache nicht durch Begriffe (sondern, wie bei der leblosen Materie, durch Mechanism und bei Tieren durch Instinkt) zur Kausalität bestimmt wird." (KU, XH/XIII).

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Nun geht es Kant in § 10 der Kritik der Urteilskraft aber nicht um Zweckmäßigkeitsurteile, in denen Gegenstände als tatsächliche oder mögliche Artefakte beurteilt werden, sondern vor allem um Zweckmäßigkeitsurteile, in denen von einem Gegenstand der Erscheinungswelt behauptet wird, daß er notwendigerweise als Zweck oder Artefakt anzusehen sei, weil sich seine Möglichkeit nur im Rekurs auf eine begriffliche Ursache erklären läßt: Wo also nicht etwa bloß das Erkenntnis von einem Gegenstande, sondern der Gegenstand selbst (die Form oder Existenz desselben) als Wirkung nur als durch einen Begriff von der letzteren möglich gedacht wird, da denkt man sich einen Zweck. Die Vorstellung der Wirkung ist hier der Bestimmungsgrund ihrer Ursache und geht vor der letzteren vorher. (KU, 32/3, Hervorh. v. C.F.).

Erst im zweiten Abschnitt von § 10 erläutert Kant, in welchem Sinne man von Gegenständen in der Erscheinungswelt sagen kann, daß sie notwendigerweise als Artefakte anzusehen sind. Doch zuvor, im letzten Satz des ersten Abschnitts dieses Paragraphen, definiert Kant die Empfindung einer Lust als eine besondere Zweckvorstellung eines Menschen:

Als Unterscheidungskriterium für diese drei Typen kausaler Erklärungen dient Kant hier die Beschaffenheit der Ursache, auf die in den jeweiligen Urteilen Bezug genommen wird: Die Ursache ist entweder eine begriffliche Vorstellung, die den Willen eines Menschen bestimmt, oder sie ist keine solche Vorstellung; im letzteren Falle kann die Ursache entweder in einem Naturmechanismus oder in dem Instinkt eines Tieres liegen. Der Begriff,Naturmechanismus' wird in der hier zitierten Passage in einem engeren Sinn verwendet und bezeichnet die Verbindung einer Wirkung in der Erscheinungswelt mit einer Ursache in der „leblosen Materie" nach dem Kausalgesetz des Verstandes. Von einem „Mechanismus der Natur" spricht Kant jedoch auch in einem weiteren Sinne, in dem dieser Begriff auf alle Begebenheiten in der Zeit zutrifft, deren Möglichkeit sich nach dem Kausalgesetz erklären läßt, ganz unabhängig davon, ob ihre Ursachen begriffliche Ursachen sind oder nicht: „Eben um deswillen kann man auch alle Notwendigkeit der Begebenheiten in der Zeit nach dem Naturgesetze der Kausalität den Mechanismus der Natur nennen, ob man gleich darunter nicht versteht, daß Dinge, die ihm unterworfen sind, wirklich materielle Maschinen sein müßten. Hier wird nur auf die Notwendigkeit der Verknüpfung der Begebenheiten in der Zeitreihe, sowie sie sich nach dem Naturgesetze entwickelt, gesehen, man mag nun das Subjekt, in welchem dieser Ablauf geschieht, Automaton materiale, da das Maschinenwesen durch Materie, oder mit Leibniz spirituale, da es durch Vorstellungen betrieben wird, nennen ..." (KpV, 173/4, Hervorh. v. Kant). Vergi, zum Begriff,Naturmechanismus' in diesem weiteren Sinne auch KU, 269 und 365. Im Sinne dieses weiteren Begriffs eines Naturmechanismus müssen sowohl Artefakte als auch Naturprodukte als Gegenstände angesehen werden, die durch den Naturmechanismus bestimmt werden: Im Naturprodukt manifestiert sich ein Automaton materiale, im Artefakt ein Automaton spirituale. Und Urteile, in denen Gegenstände als tatsächliche oder mögliche Artefakte beurteilt werden, sind daher ebenso wie Urteile, in denen Gegenstände als Naturprodukte beurteilt werden, Sätze der theoretischen Naturerkenntnis, die auf der Anwendung des Kausalgesetzes beruhen. Karl-Heinz Hinfurtner danke ich für wertvolle Hinweise zu Kants Konzeption von Urteilen der theoretischen Erkenntnis über Gegenstände der praktischen Philosophie.

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Das Bewußtsein der Kausalität einer Vorstellung in Absicht auf den Zustand des Subjekts, es in demselben zu erhalten, kann hier im allgemeinen das bezeichnen, was man Lust nennt; wogegen Unlust diejenige Vorstellung ist, die, den Zustand der Vorstellungen zu ihrem eigenen Gegenteile zu bestimmen (sie abzuhalten oder wegzuschaffen), den Grund enthält. (KU, 33, Hervorh. v. Kant).

Dem eine Lust empfindenden Menschen ist die „Kausalität einer Vorstellung" bewußt. Ebenso wie oben die „Kausalität eines Begriffs" die Eigenschaft des Begriffs meinte, Ursache der Wirklichkeit seines Gegenstandes zu sein, meint hier die „Kausalität einer Vorstellung" die Eigenschaft dieser Vorstellung, Ursache ihres Gegenstandes zu sein, oder zumindest die Eigenschaft dieser Vorstellung, den Willen eines Menschen dazu zu bestimmen, den Gegenstand dieser Vorstellung zu verwirklichen. Eine Vorstellung aber, der diese Eigenschaft zukommt, ist eine Zweckvorstellung. Gegenstand dieser Zweckvorstellung ist hier ein Gefühls- oder Empfindungszustand des vorstellenden Menschen, den dieser zum Zeitpunkt der Vorstellung tatsächlich empfindet und darüber hinaus zu erhalten beabsichtigt. Lust empfindet ein vernünftiger Mensch also, wenn ihm sein gegenwärtiger Gefühlszustand als ein zu erhaltender in einer Zweckvorstellung bewußt ist. Als Zweckvorstellung hat die so definierte Lust den Status einer (wenn auch nicht hinreichenden) Ursache der Wirklichkeit des Gegenstandes dieser Vorstellung, einer Ursache, die allerdings nicht nur begriffliche Vorstellung, sondern auch Gefühlsempfindung ist. Unlust dagegen wird von Kant hier als das Bewußtsein eines Menschen von seinem gegenwärtigen Gefühlszustand und von der Absicht, diesen zu verlassen, definiert. Den zweiten Abschnitt von § 10 der Kritik der Urteilskraft beginnt Kant mit einer Definition des Willens: Das Begehrungsvermögen, sofern es nur durch Begriffe, d.i. der Vorstellung eines Zwecks gemäß zu handeln, bestimmbar ist, würde der Wille sein. (KU, 33).

Über einen Willen, ein durch Zweckvorstellungen bestimmbares Begehrungsvermögen, muß ein Mensch verfügen, wenn er Artefakte soll produzieren können. In Zweckmäßigkeitsurteilen, in denen ein Gegenstand als Artefakt beurteilt wird, wird indirekt immer Bezug genommen auf einen Menschen und seinen von dem Begriff dieses Gegenstandes bestimmten WUlen. Nun gibt es Kant zufolge jedoch auch Urteile, in denen ein Gegenstand als Zweck beurteilt bzw. zweckmäßig genannt wird, die damit von diesem Gegenstand aber nicht behaupten, er sei Artefakt, absichtlich hergestellt von einem Menschen:

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Zweckmäßig aber heißt ein Objekt oder Gemütszustand oder eine Handlung auch, wenngleich ihre Möglichkeit die Vorstellung eines Zwecks nicht notwendig voraussetzt, bloß darum, weil ihre Möglichkeit von uns nur erklärt und begriffen werden kann, sofern wir eine Kausalität nach Zwecken, d.i. einen Willen, der sie nach der Vorstellung einer gewissen Regel so angeordnet hätte, zum Grunde derselben annehmen. (KU, 33). In den Zweckmäßigkeitsurteilen, wie sie hier erstmals von Kant in der „Analytik des Schönen" thematisiert werden, werden Gegenstände als Zwecke beurteilt, deren „Möglichkeit die Vorstellung eines Zwecks nicht notwendig voraussetzt" (KU, 33). Wenn in einem Zweckmäßigkeitsurteil dieses neuen Typs von einem Gegenstand behauptet wird, er sei zweckmäßig, so soll das nicht heißen, daß er notwendigerweise als Artefakt angesehen werden muß, weil seine Ursache nur in einer begrifflichen Vorstellung, nicht aber in einem natürlichen Mechanismus liegen kann, der nicht von begrifflichen Vorstellungen als Ursachen bestimmt wird.9 In einem solchen Zweckmäßigkeitsurteil wird aber auch nicht behauptet, daß der als zweckmäßig beurteilte Gegenstand tatsächlich Artefakt sei. Im Gegenteil, denn Kant zufolge werden Gegenstände in Zweckmäßigkeitsurteilen dieses neuen Typs als zweckmäßig beurteilt, „bloß darum, weil ihre Möglichkeit von uns nur erklärt und begriffen werden kann, sofern wir eine Kausalität nach Zwecken, d.i. einen Willen, der sie nach der Vorstellung einer gewissen Regel so angeordnet hätte, zum Grunde derselben annehmen" (KU, 33). Daß sich die Möglichkeit eines Gegenstandes nicht erklären und begreifen läßt, bedeutet, daß dieser Gegenstand kein Artefakt sein kann, daß er nicht Produkt der absichtlichen Handlung eines Menschen sein kann, dessen Wille von der Vorstellung des Gegenstandes bestimmt wurde. Denn um einen Gegenstand absichtlich herstellen zu können, muß ein Mensch die Möglichkeit dieses Gegenstandes nach Naturgesetzen erklären können, d.h. er muß die Ursachen erkennen und beherrschen, die diesen Gegenstand zu bewirken vermögen. Und Artefakte sind Kant zufolge sogar die einzigen Gegenstände, deren Möglichkeit man vollständig erklären kann, „denn nur soviel sieht man vollständig ein, als man nach Begriffen selbst machen und zu-

Daß ein Gegenstand notwendigerweise als Artefakt angesehen werden muß, ließe sich nur dann behaupten, wenn man ein Kriterium angeben könnte, mittels dessen definitiv zwischen Artefakten und Naturprodukten unterschieden werden könnte, und dies ohne Rekurs auf die tatsächliche Entstehungsgeschichte des jeweiligen Gegenstandes. Ein solches Kriterium anzugeben ist jedoch schwierig (wenn nicht sogar unmöglich), weil sich sowohl Artefakte als auch Naturprodukte als Wirkungen des natürlichen Menchanismus begreifen lassen, ihre jeweiligen Ursachen sich also nicht wesentlich voneinander unterscheiden.

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stände bringen kann" (KU, 309).10 Gegenstände, deren Möglichkeit Menschen nicht nach Naturgesetzen erklären können, die aber dennoch Teile der Natur sind, können nicht als Artefakte, sondern nur als Naturprodukte angesehen werden. Warum aber beurteilen Menschen Gegenstände als zweckmäßig, obwohl sie deren Möglichkeit nicht nach Naturgesetzen erklären können und obwohl ihnen diese Gegenstände als nach Naturgesetzen zufällig erscheinen? Kant zufolge beurteilen Menschen Gegenstände dieses Typs als zweckmäßig, gerade weil sie ihnen als nach Naturgesetzen zufällig erscheinen: Denn „der Begriff eines Dinges, dessen Existenz oder Form wir uns unter der Bedingung eines Zwecks als möglich vorstellen, [ist] mit dem Begriffe einer Zufälligkeit desselben (nach Naturgesetzen) unzertrennlich verbunden" (KU, 335). Den Zusammenhang zwischen der Zufälligkeit eines Gegenstandes nach Naturgesetzen und der Beurteilung dieses Gegenstandes als zweckmäßig kann man sich wie folgt verständlich machen: Derjenige, dem ein Gegenstand als nach Naturgesetzen zufällig erscheint, der aber dennoch nicht auf eine Erklärung der Möglichkeit dieses Gegenstandes verzichten will, kann diesem Gegenstand in einer hypothetischen Erklärung eine Beziehung auf eine begriffliche Ursache zuschreiben, d.h. er kann diesen Gegenstand betrachten, als ob er ein Zweck, die Wirkung einer Zweckvorstellung sei, obwohl dieser Gegenstand kein Artefakt, sondern ein Naturprodukt ist. Auf diese Weise entstehen Zweckmäßigkeitsurteile über Naturprodukte als hypothetische Erklärungen der Möglichkeit dieser Naturprodukte. Von der Zweckmäßigkeit, die in einem solchen Urteil hypothetisch einem Naturprodukt zugeschrieben wird, sagt Kant in der Ersten Einleitung in die Kritik der Urteilskraft, sie sei „eine Gesetzmäßigkeit des Zufälligen als eines solchen" (EE, 23). Und in § 10 der Kritik der Urteilskraft nennt Kant diese Zweckmäßigkeit eine „Zweckmäßigkeit ohne Zweck": Die Zweckmäßigkeit kann also ohne Zweck sein, sofern wir die Ursachen dieser Form nicht in einen Willen setzen, aber doch die Erklärung ihrer Möglichkeit nur, indem wir sie von einem Willen ableiten, uns begreiflich machen können. Nun haben wir das, was wir beobachten, nicht immer nötig durch Vernunft (seiner Möglichkeit nach) einzusehen. Also können wir eine Zweckmäßigkeit der Form nach, auch ohne daß wir ihr einen Zweck (als die Materie des nexus finalis) zum Grunde legen, wenigstens beobachten und an

Konrad Marc-Wogau bemerkt zu der hier zitierten Äußerung Kants sehr treffend: „Hier wird die Möglichkeit, einen Gegenstand künstlich hervorzubringen, sogar als ein Kriterium für die mechanische Erklärbarkeit desselben angegeben." (Vergi. Marc-Wogau 1938, 219).

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Gegenständen, wiewohl nicht anders als durch Reflexion, bemerken. (KU, 33/4, Hervorh. v. C.F.). „Ohne Zweck" ist die Zweckmäßigkeit, die in diesen Urteilen einem Gegenstand zugeschrieben wird, weil in diesen Urteilen von der begrifflichen Zweckvorstellung, mit der der Gegenstand verbunden wird, nicht behauptet wird, sie sei die tatsächliche Ursache dieses Gegenstandes. Kant betont, daß in diesen Urteilen die Ursache des als zweckmäßig beurteilten Gegenstandes „nicht in einen Willen [gesetzt wird)" (KU, 33), also nicht in eine tatsächliche absichtliche Willenshandlung eines vernünftigen Menschen. Wir beobachten an dem Gegenstand, dessen Möglichkeit sich nicht nach Naturgesetzen erklären läßt, „eine Zweckmäßigkeit der Form nach", ohne jedoch dieser Zweckmäßigkeit „einen Zweck (als die Materie des nexus finolis) zum Grunde [zu legen]" (KU, 33/4). Den Terminus .Zweckmäßigkeit ohne Zweck' verwendet Kant hier in einer ersten, der weitesten Bedeutung: „Ohne Zweck" ist eine Zweckmäßigkeit dieser ersten Bedeutung zufolge, wenn sie einem Gegenstand zugeschrieben wird, obwohl dieser Gegenstand kein Artefakt, sondern ein Naturprodukt ist. Das ,ohne Zweck' ist hier als ,ohne eine tatsächliche Zweckursache' zu lesen. Menschen schreiben Gegenständen, deren Möglichkeit sie nicht nach Naturgesetzen, sondern nur in einer hypothetischen Erklärung auf Zweckursachen beziehen können, mit der „Zweckmäßigkeit ohne Zweck" eine „Zweckmäßigkeit der Form nach" (KU, 33/4) bzw. die „Form der Zweckmäßigkeit" (KU, 34) zu. Diese Zweckmäßigkeit ohne Zweck soll im folgenden als hypothetische Zweckmäßigkeit bezeichnet werden. Daraus, daß Kant diese hypothetische Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes auch als eine „Zweckmäßigkeit der Form nach" oder als eine „Form der Zweckmäßigkeit" bezeichnet, ist zu entnehmen, daß es sich dabei um eine formale Eigenschaft eines Gegenstandes handelt. Die Zweckmäßigkeitsurteile, in denen Naturprodukten eine hypothetische Zweckmäßigkeit ohne Zweck zugeschrieben wird, konzipiert Kant in Analogie zu den Zweckmäßigkeitsurteilen über Artefakte. Es darf jedoch nicht übersehen werden, daß in Zweckmäßigkeitsurteilen über Artefakte dem beurteilten Gegenstand eine Beziehung auf eine Zweckursache in einem ganz anderen Sinne zugeschrieben wird als in Urteilen über eine hypothetische Zweckmäßigkeit: In einem Zweckmäßigkeitsurteil über ein Artefakt wird der beurteilte Gegenstand nach dem Kausalgesetz als Wirkung mit einer Zweckursache verbunden, weshalb diese Urteile zu den Erkenntnisurteilen gehören, die kausale Erklärungen von Gegenständen formulieren. Dagegen wird ein Naturprodukt, dessen Möglichkeit sich nicht nach Naturgesetzen erklären läßt, in einem Zweckmäßigkeitsurteil über eine hypothetische Zweckmäßigkeit als Wirkung mit einer nur angenommenen

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Zweckursache verbunden, und diese Verbindung geschieht nicht nach dem Kausalgesetz, sie hat nicht den Status einer objektiven Bestimmung, sondern nur den Status einer Hypothese. Da die Urteile über die hypothetische Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes diesem Gegenstand zwar eine Beziehung auf eine Zweckursache zuschreiben, diese Zuschreibung jedoch nicht nach dem Kausalgesetz geschieht, gehören diese Urteile nicht zu den Urteilen der theoretischen Naturerkenntnis, die „die Möglichkeit der Dinge nach Naturgesetzen" (EE, 3) betreffen. Ebensowenig gehören sie zu den praktischen Sätzen, in denen beurteilt wird, ob eine Person bzw. eine Handlung dieser Person den Bedingungen reiner praktischer Vernunft genügt oder nicht. Vielmehr sind diese Urteile über die hypothetische Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes Urteile der reflektierenden Urteilskraft. Der Text von § 10 enthält allerdings nur einen kleinen Hinweis darauf, daß die Urteile über die hypothetische Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes weder zu den Urteilen der theoretischen Naturerkenntnis noch zu den praktischen Sätzen gehören, sondern der reflektierenden Urteilskraft zuzuschreiben sind: Dort betont Kant, daß man die „Zweckmäßigkeit der Form nach", d.h. die Zweckmäßigkeit ohne Zweck, „an Gegenständen, wiewohl nicht anders als durch Reflexion bemerken [kann]" (KU, 33/4, Hervorh. v. C.F.). Mit dem Terminus .Reflexion' aber bezeichnet Kant in der Kritik der Urteilskraft die der reflektierenden Urteilskraft eigentümliche Tätigkeit. In der Einleitung in die Kritik der Urteilskraft definiert Kant die Urteilskraft als „das Vermögen, das Besondere als enthalten unter dem Allgemeinen zu denken" (KU, XXV). Angesichts eines gegebenen Besonderen, das als enthalten unter einer Allgemeinvorstellung (sei diese eine Regel, ein Prinzip oder ein Gesetz) gedacht werden soll, ist die Urteilskraft bestimmend oder reflektierend, je nachdem, ob ihr durch den Verstand eine Allgemeinvorstellung zur Anleitung ihrer Tätigkeit gegeben ist oder nicht: Ist das Allgemeine (die Regel, das Prinzip, das Gesetz) gegeben, so ist die Urteilskraft, welche das Besondere darunter subsumiert, (auch, wenn sie als transzendentale Urteilskraft a priori die Bedingungen angibt, welchen gemäß allein unter jenem Allgemeinen subsumiert werden kann) bestimmend. Ist aber nur das Besondere gegeben, wozu sie das Allgemeine finden soll, so ist die Urteilskraft bloß reflektierend. (KU, XXV/XVI, Hervorh. v. Kant).11

Die bestimmende Urteilskraft, wie Kant sie hier definiert, ist nichts anderes als die Urteilskraft, wie Kant sie in der Kritik der reinen Vernunft, am Anfang des Kapitels über die „Analytik der Grundsätze"12, thematisiert.

11 12

Vergi, auch EE, 16. KrV, A130/B169ff.

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Die Urteile der reflektierenden Urteilskraft

Denn der Kritik der reinen Vernunft zufolge ist „Urteilskraft das Vermögen unter Regeln zu subsumieren, d.i. zu unterscheiden, ob etwas unter einer gegebenen Regel (casus datae legis) stehe, oder nicht" (KrV, A132/B171, Hervorh. v. Kant). Ein gegebenes Besonderes als enthalten unter einem gegebenen Allgemeinen zu denken, heißt nichts anderes, als die Vorstellung des Besonderen unter die Vorstellung des Allgemeinen zu subsumieren. Ebenso wie die bestimmende Urteilskraft ist auch die reflektierende Urteilskraft Kant zufolge ein Vermögen, die Vorstellung eines Besonderen unter die Vorstellung eines Allgemeinen zu subsumieren. Da der reflektierenden Urteilskraft jedoch keine Allgemeinvorstellung als Regel der Subsumtion vorgegeben ist, ist es Aufgabe dieses Vermögens, „über eine gegebene Vorstellung, zum Behuf eines dadurch möglichen Begriffs ... zu reflektieren" (EE, 16, Hervorh. v. Kant), und d.h., die gegebene Vorstellung „entweder mit andern, oder mit seinem Erkenntnisvermögen in Beziehung auf einen dadurch möglichen Begriff, zu vergleichen und zusammen zu halten" (EE, 16). Die Bildung empirischer Begriffe im Ausgang von einer Mannigfaltigkeit in der empirischen Anschauung gegebener Gegenstandsvorstellungen muß dieser Charakterisierung der reflektierenden Urteilskraft zufolge als eine Leistung eben dieses Vermögens angesehen werden. In dem von Gottlob Benjamin Jäsche zusammengestellten Handbuch zu Kantischen Logik-Vorlesungen, der sog. Jäsche-Logik, wird die Bildung empirischer Begriffe als ein Verfahren beschrieben, in das drei „logische Verstandes-Actus" eingehen, nämlich „1) die Komparation, d.i. die Vergleichung der Vorstellungen unter einander im Verhältnisse zur Einheit des Bewußtseins; 2) die Reflexion, d.i. die Überlegung, wie verschiedene Vorstellungen in Einem Bewußtsein begriffen sein können; und endlich 3) die Abstraktion oder die Absonderung alles übrigen, worin die gegebenen Vorstellungen sich unterscheiden" (JL, AA Di, 94). Hier wird das Mannigfaltige der empirischen Anschauung gegebener Gegenstände in vergleichender Absicht geprüft, also nach sich wiederholenden und sich nicht wiederholenden Merkmalen der vorgestellten Gegenstände durchgesehen. Fallen dabei konstant sich wiederholende Merkmale auf, so werden diese ausgewählt und in einem Begriff zusammen gedacht. Dieser Begriff ist zur objektiven Bestimmung derjenigen Gegenstände geeignet, die die in diesem Begriff zusammen gedachten Merkmale aufweisen. Das Denken des Begriffs ist eigentlich eine Leistung des Verstandes, denn dieser ist das für objektive Begriffe zuständige Vermögen. Die Tätigkeiten der Komparation, Reflexion und Abstraktion, die als Synthesistätigkeiten bezüglich des in der empirischen Anschauung gegebenen und durch die Einbildungskraft in der transzendentalen Einheit der Apperzeption ur-

Zwei Arten von Zweckmäßigkeitsurteilen

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sprünglich verbundenen Mannigfaltigen angesehen werden können, können dagegen nicht allein dem Verstand zugeschrieben werden. Diese Tätigkeiten erfolgen zwar in der Absicht, objektive Begriffe zu bilden - weshalb sie nicht als Tätigkeiten der bloßen Einbildungskraft angesehen werden können; sie erfolgen aber ohne Anleitung durch objektive Begriffe und müssen daher zunächst das gegebene Mannigfaltige in seiner Totalität berücksichtigen. Dazu ist der Verstand als von dem Vermögen der Sinnlichkeit unterschiedenes Vermögen der Begriffe jedoch nicht in der Lage. Erst wenn durch Vergleichung der Elemente dieses Mannigfaltigen Gemeinsamkeiten festgestellt wurden, stehen Gesichtspunkte für die Auswahl von Teilen dieses Mannigfaltigen zur Verfügung, auf die sich die Aufmerksamkeit des Verstandes konzentrieren kann. In die Bildung empirischer Begriffe gehen sowohl Tätigkeiten des Verstandes als auch solche der Einbildungskraft ein: Die Einbildungskraft verbindet das Mannigfaltige von in der empirischen Anschauung vorgestellten Gegenständen in der transzendentalen Einheit der Apperzeption, und der Verstand denkt die objektiven Begriffe, durch die sich diese Gegenstände bestimmen lassen. Zwischen Einbildungskraft und Verstand muß hier jedoch die reflektierende Urteilskraft als dasjenige Vermögen vermitteln, das über ein gegebenes Mannigfaltiges unter Berücksichtigung aller Elemente desselben in der Absicht der Bildung empirischer objektiver Begriffe reflektieren kann. Als Vermögen der empirischen Begriffsbildung und als zwischen Einbildungskraft und Verstand vermittelndes Vermögen ist die reflektierende Urteilskraft kein eigenständiges Urteilsvermögen. In der Kritik der Urteilskraft interessiert Kant sich nun aber weniger für die reflektierende Urteilskraft als Vermögen der empirischen Begriffsbildung. Vielmehr betrachtet er hier die reflektierende Urteilskraft als ein Vermögen, dessen Urteile nicht als bloße Verstandesurteile angesehen werden können. Als eigenständiges Urteilsvermögen sucht die reflektierende Urteilskraft zu dem ihr anschaulich gegebenen und in der transzendentalen Einheit der Apperzeption ursprünglich verbundenen Besonderen ein Allgemeines, durch das dieses Besondere nicht in der diskursiven Einheit eines objektiven Begriffs des Verstandes vorgestellt wird, sondern in Form einer systematischen Einheit eines Ganzen, das nach der Vorstellung eines Zwecks organisiert zu sein scheint. Kant nennt diese der reflektierenden Urteilskraft spezifische Einheit in § 10 der Kritik der Urteilskraft eine „Zweckmäßigkeit ohne Zweck". Diese Einheit kann an einem gegebenen Mannigfaltigen nur wahrgenommen werden,

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Die Urteile der reflektierenden Urteilskraft

wenn es hypothetisch als Produkt einer vernünftigen zweckgeleiteten Tätigkeit betrachtet wird.13 In den Einleitungen in die Kritik der Urteilskraft sind es im wesentlichen drei Arten von Urteilen, die Kant als Urteile der reflektierenden Urteilskraft ansieht und in denen einem Gegenstand eine Zweckmäßigkeit zugeschrieben wird, ohne diesen jedoch als Produkt einer vernünftigen, zweckgeleiteten menschlichen Handlung anzusehen. Es sind dies neben den reinen Geschmacksurteilen die Urteile, die die reflektierende Urteilskraft in ihrem logischen und ihrem teleologischen Gebrauch formuliert. Bevor nun untersucht wird, ob und in welchem Sinne die reinen Geschmacksurteile Urteile der reflektierenden Urteilskraft sind, soll in den folgenden beiden Kapiteln die Kantische Konzeption der Urteile, die die Urteilskraft in ihrem logischen und teleologischen Gebrauch formuliert, analysiert werden.

4.2.

Die Urteile, die die reflektierende Urteilskraft in ihrem logischen Gebrauch formuliert, können als Urteile über eine hypothetische Zweckmäßigkeit von Naturprodukten gedeutet werden.

Wie Kant in den Einleitungen in die Kritik der Urteilskraft ausführt, gehört es zu den Aufgaben der reflektierenden Urteilskraft, zu empirischen Begriffen, über die der Verstand bereits verfügt, weitere empirische Begriffe von größerer Allgemeinheit zu suchen und entsprechend zu einzelnen empirischen Gesetzen Gesetze von größerer Allgemeinheit zu suchen. Die Tätigkeit der reflektierenden Urteilskraft, in der diese um Verallgemeinerungen empirischer Begriffe und Gesetze bemüht ist, nennt Kant auch den „logischen Gebrauch der Urteilskraft" (EE, 19); in ihrem logischen Gebrauch kann die reflektierende Urteilskraft als ein Vermögen induktiven

Die reflektierende Urteilskraft, die hypothetisch über Formen der Zweckmäßigkeit in der Natur urteilt, nennt Kant in der Ersten Einleitung in die Kritik der Urteilskraft auch eine technische Urteilskraft: „Wir werden uns aber künftig des Ausdrucks der Technik auch bedienen, wo Gegenstände der Natur bisweilen bloß nur so beurteilt werden, als ob ihre Möglichkeit sich auf Kunst gründe, in welchen Fällen die Urteile weder theoretisch, noch praktisch ... sind, indem sie nichts von der Beschaffenheit des Objekts, noch der Art, es hervorzubringen, bestimmen, sondern wodurch die Natur selbst, aber bloß nach der Analogie mit einer Kunst, und zwar in subjektiver Beziehung auf unser Erkenntnisvermögen, nicht in objektiver auf die Gegenstände, beurteilt wird. Hier werden wir nun die Urteile selbst zwar nicht technisch, aber doch die Urteilskraft, auf deren Gesetze sie sich gründen, und ihr gemäß auch die Natur, technisch nennen, welche Technik, da sie keine objektiv bestimmende Sätze enthält, auch keinen Teil der doktrinalen Philosophie, sondern nur der Kritik unserer Erkenntnisvermögen ausmacht." (EE, 6).

Logischer Gebrauch der Urteilskraft

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Schließens angesehen werden. Kant beschreibt die Aufgabe der reflektierenden Urteilskraft in ihrem logischen Gebrauch auch als die Aufgabe einer ,Jüassifikation des Mannigfaltigen" (EE, 19, Hervorh. v. Kant), d.h. als die Aufgabe, „eine Vergleichung mehrerer Klassen, deren jede unter einem bestimmten Begriffe steht, untereinander" anzustellen und, „wenn jene nach dem gemeinschaftlichen Merkmal vollständig sind", sie „unter höhere Klassen (Gattungen)" zu subsumieren (EE, 19). Eine solche Klassifikation kann fortgesetzt werden, „bis man zu dem Begriffe gelangt, der das Prinzip der ganzen Klassifikation in sich enthält (und die oberste Gattimg ausmacht)" (EE, 19/20). Wenn der reflektierenden Urteilskraft in ihrem logischen Gebrauch die Klassifikation des Mannigfaltigen der Natur vollständig gelingt, so bedeutet dies für die empirische Naturerkenntnis, daß sie in die „Form eines logischen Systems" (EE, 21) gebracht werden kann. In einem solchen logischen System der empirischen Naturerkenntnis gibt es einen obersten empirischen Begriff, zu dessen Extension alles Mannigfaltige der empirischen Natur gehört und der daher oberster Gattungsbegriff ist. Alle anderen Begriffe dieses logischen Systems sind Spezifikationen des obersten Gattungsbegriffs, d.h. ihre Extension ist eine Teilmenge der Extension des obersten Gattungsbegriffs, während ihre Intension die Intension des obersten Gattungsbegiffs enthält bzw. eine Spezifikation der Intension dieses obersten Gattungsbegriffs ist. Entsprechend gibt es, so ist hinzuzufügen, in dem logischen System der empirischen Naturerkenntnis nur solche empirischen Gesetze, die sich als Spezifikationen eines obersten empirischen Gesetzes begreifen lassen.14 Wenn die empirische Naturerkenntnis vollständig in die Form eines logischen Systems gebracht werden kann, und zwar sowohl hinsichtlich der empirischen Begriffe als auch hinsichtlich der empirischen Gesetze, die im Rahmen dieser Erkenntnis gefunden werden, so läßt sich von der Natur

In dem logischen System aller empirischen Gesetze ist auch das oberste Gesetz ein empirisches Gesetz und daher mit keinem der reinen Verstandesgesetze a priori identisch: Die reflektierende Urteilskraft bemüht sich darum, „das Besondere unter das Allgemeine, wie wohl immer noch Empirische, und so fortan, bis zu den obersten empirischen Gesetzen und denen ihnen gemäßen Naturformen zu subsumieren" (EE, 8). (Vergi, auch KU, XVI). Andernfalls wäre mit dem Nachweis, daß alles Mannigfaltige der Natur unter den reinen Verstandesgesetzen a priori steht, auch nachgewiesen, daß sich die empirischen Naturgesetze in der Form eines logischen Systems einander zuordnen lassen. Wenn Kant daher von ,,alle[n] empirischen Gesetzefn]" als von ,,besondere[n] Bestimmungen der reinen Gesetze des Verstandes" spricht (KrV, A127/8), dann bezieht er sich damit nicht auf die systematische Ordnung der empirischen Naturgesetze. Vielmehr bringt er damit zum Ausdruck, daß alle empirischen Naturgesetze, wie immer sie im einzelnen lauten mögen, den reinen Verstandesgesetzen a priori nicht widersprechen dürfen. Ich danke Harald Pilot für Hinweise zum Verhältnis empirischer und apriorischer Naturgesetze in der Kantischen Philosophie.

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Die Urteile der reflektierenden Urteilskraft

selbst als dem Gegenstand dieser Erkenntnis sagen, daß sie die Form eines logischen Systems nach empirischen Begriffen und Gesetzen aufweist. Daß die Urteile, die die reflektierende Urteilskraft in ihrem logischen Gebrauch formuliert, als Urteile über die hypothetische Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes angesehen werden können, also als Urteile über eine Zweckmäßigkeit ohne Zweck in dem in § 10 der Kritik der Urteilskraft eingeführten Sinne, begründet Kant in den Einleitungen in diese Kritik mit einer Überlegung15, in der er davon ausgeht, daß die reflektierende Urteilskraft eines Prinzips bedarf, das sie ihrem logischen Gebrauch als Leitfaden zugrunde legen kann: Das eigentümliche Prinzip der Urteilskraft ist also: die Natur spezifiziert ihre allgemeine Gesetze zu empirischen, gemäß der Form eines logischen Systems zum Behuf der Urteilskraft. (EE, 21, Hervorh. v. Kant). 16

Insofern dieses Prinzip die Natur in Form eines logischen Systems nach empirischen Gesetzen vorstellt, hat es genau die Eigenschaft der Natur zum Gegenstand, die dieser zukommen muß, wenn der logische Gebrauch der reflektierenden Urteilskraft erfolgreich sein soll. Die Form eines logischen Systems nach empirischen Begriffen und Gesetzen weist die Natur allerdings nicht schon deshalb auf, weil sie den Gesetzen gehorcht, die der reine Verstand ihr a priori vorschreibt. Denn daraus, daß die Natur den reinen Verstandesgesetzen a priori gemäß organisiert ist, folgt lediglich, daß das der reflektierenden Urteilskraft in ihrem logischen Gebrauch gegebene empirische Mannigfaltige durch die schemati-

Den Terminus .Zweckmäßigkeit ohne Zweck' verwendet Kant im Zusammenhang dieser Überlegung allerdings nicht. Es wird im folgenden deutlich werden, daß die Verwendung dieses Terminus in der Bedeutung, die Kant in § 10 festlegt, im Zusammenhang mit den Urteilen, die die reflektierende Urteilskraft in ihrem logischen Gebrauch formuliert, dennoch gerechtfertigt ist. In dieser Formulierung des Prinzips der reflektierenden Urteilskraft ist nur von den empirischen Naturgesetzen die Rede, die sich in der Form eines logischen Systems einander zuordnen lassen, nicht auch von den empirischen Begriffen und ihrer systematischen Ordnung. Nun besteht zwar kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der systematischen Ordnung der empirischen Naturgesetze und der systematischen Ordnung der empirischen Begriffe. Dennoch ist nicht anzunehmen, daß Kant das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft hier absichtlich so formuliert, daß es ausschließlich die systematische Ordnung der empirischen Naturgesetze zum Gegenstand hat. Es ist vielmehr davon auszugehen, daß Kant immer dort, wo er von diesem Prinzip der reflektierenden Urteilskraft spricht, die systematische Ordnung sowohl der empirischen Naturgesetze als auch der empirischen Begriffe im Auge hat. Aus Gründen der Übersichtlichkeit der Darstellung soll im folgenden die Kantische Formulierung dieses Prinzips der reflektierenden Urteilskraft beibehalten werden. Daher wird vornehmlich von der systematischen Ordnung der empirischen Naturgesetze die Rede sein, obwohl es für die Vernachlässigung der Rede auch von der systematischen Ordnung der empirischen Begriffe keinen sachlichen Grund gibt.

Logischer Gebrauch der Urteilskraft

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sierten Kategorien bestimmt werden kann. Aufgrund dieser kategorialen Bestimmbarkeit des Mannigfaltigen der Natur sind alle möglichen Gegenstände der Erfahrung Substanzen, denen extensive und intensive Größe zukommt und die mit anderen Substanzen in Verhältnissen der Kausalität und Wechselwirkung stehen. Als solche gehören alle möglichen Gegenstände der Erfahrung zu der „Natur überhaupt"17, dem „Inbegriff aller Gegenstände der Erfahrung" (EE, 13). Die Erfahrung dieser Gegenstände macht „ein System nach transzendentalen Gesetzen [aus], nämlich solchen, die der Verstand selbst a priori gibt" (EE, 13), nach Gesetzen, die konstitutive Prinzipien jeglicher Erfahrung sind, weil sie die Gründe der Möglichkeit der Erfahrung enthalten; ohne diese Gesetze könnte die „Natur überhaupt" nicht gedacht werden.18 Daraus, daß die Natur als Gegenstand der Erfahrung ein System nach transzendentalen Verstandesgesetzen a priori bildet, folgt jedoch nicht, „daß die Natur auch nach empirischen Gesetzen ein für das menschliche Erkenntnisvermögen faßliches System sei, und der durchgängige systematische Zusammenhang ihrer Erscheinungen in einer Erfahrung, mithin diese selber als System, den Menschen möglich sei" (EE, 13, Hervorh. v. Kant). Denn die empirischen Gesetze, deren systematische Ordnung das oben angegebene Prinzip der reflektierenden Urteilskraft vorstellt, können von den transzendentalen Verstandesgesetzen a priori nicht abgeleitet werden, weil diese empirischen Gesetze „empirisch bestimmte Erscheinungen betreffen" (KrV, B165), wenn diese empirischen Gesetze auch den Verstandesgesetzen a priori nicht widersprechen dürfen. D.h., aus der Systematik der erfahrbaren Natur nach den transzendentalen Verstandesgesetzen a priori läßt sich die Möglichkeit eines erfolgreichen logischen Gebrauchs der reflektierenden Urteilskraft nicht erklären. Mit der Systematik nach transzendentalen Verstandesgesetzen a priori, die die „Natur überhaupt" kennzeichnet, wäre es im Gegenteil noch vereinbar, daß „die spezifische Verschiedenheit der empirischen Gesetze der Natur samt ihren Wirkungen ... so groß ... [wäre], daß es für unseren Verstand unmöglich wäre, in ihr eine faßliche Ordnung zu entdecken, ihre Produkte in Gattungen und Arten einzuteilen, um die Prinzipien der Erklärung und des Verständnisses des einen auch zur Erklärung und Begreifung des anderen zu gebrauchen, und aus einem für uns so verworrenen (eigentlich nur unendlich mannigfaltigen, unserer Fassungskraft nicht angemessenen) Stoffe eine zusammenhängende Erfahrung zu machen" (KU, XXXVI/XXXVII). Daß die Natur die Form eines Systems nicht nur nach den reinen Verstan-

17 18

Vergi. KrV, B165 (Heivorh. v. Kant); KU, XXVI u.a. Vergi. KrV, B164/5; EE, 13; KU, XXXI/XXXII u.a.

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Die Urteile der reflektierenden Urteilskraft

desgesetzen a priori, sondern auch nach empirischen Gesetzen aufweist, ist also nach den reinen Verstandesgesetzen a priori zufällig·. „Die gedachte Übereinstimmung der Natur in der Mannigfaltigkeit ihrer besonderen Gesetze zu unserem Bedürfnisse, Allgemeinheit der Prinzipien für sie aufzufinden, muß nach aller unserer Einsicht als zufällig beurteilt werden" (KU, XXXVIII, Hervorh. v. C.F.). Die Möglichkeit, die Natur durch empirische Gesetze zu bestimmen, die sich in der Form eines logischen Systems einander zuordnen lassen, läßt sich also nicht nach Naturgesetzen, den reinen Verstandesgesetzen a priori, erklären; ihre Möglichkeit läßt sich aus den reinen Verstandesgesetzen nicht a priori ableiten. Nun stellt die reflektierende Urteilskraft durch das oben angegebene Prinzip die Natur in der Form eines logischen Systems nach empirischen Gesetzen vor. Und dieses Prinzip kann man nicht, so Kant, „auf Rechnung der Erfahrung ... schreiben, weil nur unter Voraussetzung desselben es möglich ist, Erfahrungen auf systematische Art anzustellen" (EE, 16).19 Vielmehr sieht Kant dieses Prinzip als ein transzendentales Prinzip a priori an.20 Im Unterschied zu den objektiven transzendentalen Verstandesgesetzen a priori, die in Ansehung der Natur konstitutiv sind, ist dieses Prinzip ein „subjektives Prinzip" (KU, XXXIV), das in Ansehung der Natur nur regulativ ist. Denn es ist „weder ein Naturbegriff noch ein Freiheitsbegriff", und es legt „gar nichts dem Objekte (der Natur)" bei, sondern stellt „nur die einzige Art, wie wir in der Reflexion über die Gegenstände der Natur in Absicht auf eine durchgängig zusammenhängende Erfahrung verfahren müssen" vor (KU, XXXIV). Wäre das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft konstitutiv in Ansehung der Natur, dann wiese die Natur notwendigerweise die Form eines logischen Systems nach empirischen Gesetzen auf, und es wäre nicht unerklärbar, wie sie als ein solches System möglich sei. Da nun das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft Kant zufolge lediglich ein subjektives Prinzip ist, kann die Erfüllung dieses Prinzips durch die Natur nur als zufällig angesehen werden. Und im Rekurs auf dieses subjektive Prinzip läßt sich die Möglichkeit der Natur als logisches System nach empirischen Gesetzen nur hypothetisch erklären: Wenn es einen Verstand gäbe, der die Natur in der Form eines logischen Systems nach empirischen Gesetzen konstituiert hätte, dann wiese die Natur notwendigerweise diese Systemform

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Dieselbe Auffassung äußert Kant auch in der Einleitung in die Kritik der Urteilskraft: „Die reflektierende Urteilskraft, die vom Besonderen in der Natur zum Allgemeinen aufzusteigen die Obliegenheit hat, bedarf also eines Prinzips, welches sie nicht von der Erfahrung entlehnen kann, weil es eben die Einheit aller empirischen Prinzipien unter gleichfalls empirischen, aber höheren Prinzipien und also die Möglichkeit der systematischen Unterordnung derselben untereinander begründen soll." (KU, XXVI/XXVII). Vergi. EE, 17Anm. und Einleitung in die KU, Abschnitt V.

Logischer Gebrauch der Urteilskraft

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auf. In der Tat betrachtet die reflektierende Urteilskraft, wenn sie ihrer Reflexion über die Natur das oben angegebene Prinzip zugrunde legt, die Natur, „als ob gleichfalls ein Verstand (wenngleich nicht der unsrige) sie zum Behuf unserer Erkenntnisvermögen, um ein System der Erfahrung nach besonderen Naturgesetzen möglich zu machen, gegeben hätte" (KU, XXVII). Die hypothetische Erklärung dessen, daß die Natur die Form eines logischen Systems nach empirischen Begriffen und Gesetzen aufweist, kann, insofern sie auf das subjektive Prinzip der reflektierenden Urteilskraft rekurriert, als eine Erklärung angesehen werden, die die Form eines Zweckmäßigkeitsurteils über eine Zweckmäßigkeit ohne Zweck, d.h. eine hypothetische Zweckmäßigkeit hat: Es ist die Erklärung einer einheitlichen Form der Natur, die dieser nur zufälligerweise zukommt, eine Erklärung, die die Natur als zweckmäßig ansieht, indem sie die Natur hypothetisch auf eine Zweckvorstellung als den Grund ihrer Möglichkeit bezieht, auf die Zweckvorstellung, die das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft formuliert. Zweckmäßig in bezug auf diese Zweckvorstellung kann die Natur, die die Form eines logischen Systems nach empirischen Gesetzen aufweist, dieser Erklärung zufolge aber nur im Sinne einer hypothetischen Zweckmäßigkeit sein, da diese Erklärung nicht unterstellt, diese Zweckvorstellung sei der tatsächliche Grund der Möglichkeit der Natur in ihrer Systemform. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen wird verständlich, warum Kant das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft, das die Natur als logisches System nach empirischen Gesetzen vorstellt, auch als das Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur" (EE, 21, Hervorh. v. Kant)21 bezeichnet: Die Natur ist, sofern sie die Form eines logischen Systems nach empirischen Gesetzen aufweist, zweckmäßig im Sinne einer hypothetischen Zweckmäßigkeit, da sich die Möglichkeit einer so beschaffenen Natur nicht nach den Naturgesetzen des reinen Verstandes a priori erklären läßt, sondern nur hypothetisch, im Rekurs auf eine Zweckvorstellung, von der angenommen wird, sie sei der Grund der Möglichkeit dieser so beschaffenen Natur. Zweckmäßig ist die Natur, die die Form eines logischen Systems nach empirischen Gesetzen aufweist, jedoch noch in einem zweiten Sinne (den Kant von dem oben angegebenen ersten Sinne nicht deutlich unterscheidet): Die so beschaffene Natur ist nämlich zweckmäßig „zum Behuf unseres Vermögens ..., sie zu erkennen" (EE, 8), d.h. sie ist zweckmäßig im Sinne eines geeigneten Mittels zur Erreichung eines epistemischen Zwecks, zu dem Zweck vernünftiger Menschen nämlich, die Natur möglichst vollständig und möglichst einheitlich zu erkennen und dabei „Allgemeinheit der Prinzi-

21

Vergi, auch KU, XXIXff.

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Die Urteile der reflektierenden Urteilskraft

pien für sie aufzufinden" (KU, XXXVIII). Kant zufolge verfolgen alle vernünftigen Menschen diesen epistemischen Zweck, denn die Aufgabe, „aus gegebenen Wahrnehmungen einer allenfalls unendliche Mannigfaltigkeit empirischer Gesetze enthaltenden Natur eine zusammenhängende Erfahrimg zu machen", liegt a priori in ihrem Verstände (KU, X X X I V / X X X V ) . Nun ist die Natur vernünftigen Menschen nicht in ihrer Totalität gegeben. Eine vollständige und endgültige Bestätigung des Prinzips der reflektierenden Urteilskraft in fortgesetzter Reflexion über das gegebene Mannigfaltige der Natur ist daher für Menschen nicht zu erreichen. Man kann jedoch die Urteile, die die reflektierende Urteilskraft in ihrem logischen Gebrauch formuliert, als Urteile auffassen, die - wenn auch nur partiell - bestätigen, daß die Natur mit ihrer Struktur des empirisch gegebenen Mannigfaltigen das oben angegebene Prinzip der reflektierenden Urteilskraft erfüllt. Daher kann man diese Urteile auch als Urteile der reflektierenden Urteilskraft über die hypothetische Zweckmäßigkeit der Natur bzw. eines Teils der Natur auffassen. Diese Urteile sind, insofern ihnen eine Reflexion der Urteilskraft nach dem Leitfaden des oben angegebenen Prinzips zugrunde liegt, keine objektiv bestimmenden Erkenntnisurteile. Sie gehören weder zu den Urteilen der theoretischen, noch zu denen der praktischen Erkenntnis, da „sie nichts von der Beschaffenheit des Objekts, noch der Art, es hervorzubringen, bestimmen, sondern ... die Natur selbst, aber bloß nach der Analogie mit einer Kunst, und zwar in subjektiver Beziehung auf unser Erkenntnisvermögen, nicht in objektiver auf die Gegenstände" beurteilen ( E E , 6, Hervorh. v. Kant).

4.3.

Die Urteile, die die reflektierende Urteilskraft in ihrem teleologischen Gebrauch formuliert, können als Urteile über eine hypothetische Zweckmäßigkeit von Naturprodukten gedeutet werden.

Auch die teleologischen Urteile gehören Kant zufolge zu den Urteilen der reflektierenden Urteilskraft. Der Theorie dieser Urteile ist der zweite

Teil der Kritik der Urteilskraft, die Kritik der teleologischen Urteilskraft ge-

widmet. Eine übersichtliche Zusammenfassung seiner Theorie des teleologischen Urteils gibt Kant in Abschnitt IX der Ersten Einleitung in die Kritik der Urteilskraft. Teleologische Urteile formulieren keine Klassifikationen empirischer Begriffe und Gesetze. Vielmehr sind sie Urteile entweder über einzelne Naturdinge bzw. Naturprodukte, oder aber über die ganze Natur als Naturding. Naturdinge werden in teleologischen Urteilen so betrachtet, „als ob sie Produkte einer Ursache seien, deren Kausalität nur durch eine Vorstellung des Objekts bestimmt werden könnte" ( E E , 38, Hervorh. v.

Teleologischer Gebrauch der Urteilskraft

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Kant). D.h., in teleologischen Urteilen werden Dinge, obwohl sie Naturprodukte sind, als Zwecke beurteilt, als Wirkungen begrifflicher Ursachen. Ein Naturprodukt aber, das als Wirkung einer begrifflichen Ursache angesehen wird, ist Kant zufolge ein „Naturzweck", denn Naturzwecke sind Dinge, „deren innere Möglichkeit einen Zweck voraussetzt, mithin einen Begriff, der der Kausalität ihrer Erzeugung als Bedingung zum Grunde hegt" (EE, 38) ,22 Ein Naturprodukt wird als ein Naturzweck beurteilt, wenn es „nur als Zweck möglich" ist, und d.h., wenn „die Kausalität seines Ursprungs nicht im Mechanism der Natur" liegen kann (KU, 284). Naturzwecke sind solche Naturprodukte, deren „Form nicht nach bloßen Naturgesetzen möglich [ist]" (KU, 284), Naturprodukte also, deren Möglichkeit sich Menschen nicht vollständig nach Naturgesetzen erklären können. Die Form dieser Naturprodukte erscheint Menschen als zufällig,23 Wie beschaffen aber sind Kant zufolge Naturprodukte, deren Form sich nicht nach Naturgesetzen erklären läßt und die daher in teleologischen Urteilen als Naturzwecke beurteilt werden? In § 64 der Kritik der Urteilskraft gibt Kant auf diese Frage folgende vorläufige Antwort: „Ein Ding existiert als Naturzweck, wenn es von sich selbst (obgleich in zwiefachem Sinne) Ursache und Wirkung ist" (KU, 286, Hervorh. v. Kant). Inwiefern Dinge als Naturzwecke von sich selbst Ursache und Wirkung sein sollen, führt Kant in § 65 aus: Erstens soll von einem Naturzweck gelten, „daß die Teile (ihrem Dasein und der Form nach) nur durch ihre Beziehung auf das Ganze möglich sind" (KU, 290). Zweitens soll von einem Naturzweck gelten, „daß die Teile desselben sich dadurch zur Einheit eines Ganzen verbinden, daß sie voneinander wechselseitig Ursache und Wirkung ihrer Form sind" (KU, 291). Ein Naturprodukt als Naturzweck wird von Kant also als ein aus mannigfaltigen Teilen zusammengesetztes Ganzes bestimmt, und das Mannigfaltige der Teile eines solchen „Dinges als Naturzweckes" weist in seiner „Form und Verbindung" „systematische Einheit" auf (KU, 290/1). Ein solches Naturprodukt weist die Form eines Systems auf. Die Möglichkeit eines Naturproduktes, das die Form eines Systems aufweist, läßt sich dann nicht vollständig nach Naturgesetzen erklären, wenn sie sich weder nach dem Naturgesetz der Kausalität, noch nach dem Naturgesetz der Wechselwirkung vollständig erklären läßt. Nach dem Naturgesetz der Kausalität läßt sich die Möglichkeit eines solchen Naturgesetzes offensichtlich nicht erklären, weil die Entstehungsgeschichte desselben sich nicht als ein linearer Prozeß begreifen läßt, als eine Folge von in der Zeit eindeu-

23

D e n Terminus .Zweck' verwendet Kant hier zur Bezeichnung einer Zweckvorstellung. Vergi. KU, 285.

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Die Urteile der reflektierenden Urteilskraft

tig geordneten Ereignissen. Zwei verschiedene Ereignisse A und Β sind in der Zeit eindeutig geordnet bzw. bilden eine Reihe in der Zeit, wenn ihr zeitliches Folgeverhältnis eindeutig bestimmt ist, d.h., wenn entweder A auf Β oder Β auf A folgt. Für die Möglichkeit eines Naturproduktes, dessen Entstehungsgeschichte sich als linearer Prozeß, als eine Folge von Ursachen und Wirkungen in der Zeit begreifen läßt, läßt sich eine objektiv gültige Erklärung unter Verwendung der Kausalitätskategorie geben.24 Da die Teile, die das Ganze eines Naturzwecks ausmachen, diesem Ganzen nicht vorhergehen und es nicht konstituieren, sondern, obwohl sie das Ganze ausmachen, nicht unabhängig von einer Beziehung auf es möglich sind, und da diese Teile sich außerdem zueinander wechselseitig als Ursache und Wirkung verhalten, läßt sich die Entstehungsgeschichte eines Naturzwecks nicht als eindeutig in der Zeit geordnete Reihe von Ereignissen begreifen. 25 Daß die Möglichkeit eines Naturproduktes, das die Form eines Systems aufweist, nicht vollständig nach dem Naturgesetz der Wechselwirkung erklärt werden kann, ist allerdings weniger offensichtlich. Ein Verhältnis der Wechselwirkung besteht zwischen zwei Substanzen A und B, wenn A Bestimmungen enthält, deren Grund in Β enthalten ist, und wenn umgekehrt Β Bestimmungen enthält, deren Grund in A enthalten ist.26 Ein unter der Kategorie der Wechselwirkung objektiv bestimmbares Verhältnis scheint zwischen den Teilen zu bestehen, die das Ganze eines Naturzweckes ausmachen, denn Kant sagt von diesen Teilen, „daß sie voneinander wechselseitig Ursache und Wirkung ihrer Form sind" (KU, 291). Kant zufolge läßt sich die Möglichkeit eines Naturzweckes dennoch nicht vollständig nach dem Naturgesetz der Wechselwirkung erklären: Denn wenn man das Verhältnis der Teile eines Naturzweckes zueinander objektiv als ein Verhältnis der Wechselwirkung bestimmt, so läßt man außer acht, daß diese Teile „(ihrem Dasein und der Form nach) nur durch ihre Beziehimg auf das Ganze möglich sind" (KU, 290). Obwohl sich die Möglichkeit von Naturprodukten, die die Form eines Systems aufweisen, nicht vollständig mechanisch, d.h. nach den Naturgesetzen der Kausalität und Wechselwirkung erklären läßt, stellen diese Natur-

24

25

Vergi. KrV, B234: Die Kategorie der Kausalität ist „der Begriff des Verhältnisses der Ursache und Wirkung, wovon die erstere die letztere in der Zeit, als die Folge, und nicht als etwas, was bloß in der Einbildung vorhergehen (oder gar überall nicht wahrgenommen sein) könnte, bestimmt." (Hervorh. v. Kant). Vergi. KU 289/90. Vergi. KrV, Β 257/8: „Nun ist aber das Verhältnis der Substanzen, in welchem die eine Bestimmungen enthält, wovon der Grund in der anderen enthalten ist, das Verhältnis des Einflusses, und, wenn wechselseitig dieses den Grund der Bestimmungen in dem anderen enthält, das Verhältnis der Gemeinschaft oder Wechselwirkung."

Teleologischer Gebrauch der Urteilskraft

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Produkte keine Ausnahme von der dritten Analogie der Erfahrung27 dar. Daher bieten sie keinen Anlaß, die Einheit der Natur als „Natur überhaupt" (KrV, Β 165), d.h. als nach reinen Verstandesgesetzen a priori durchgängig bestimmter Natur, in Frage zu stellen. Denn Kant schließt, wenn er bestimmte Dinge in der Natur als Naturzwecke charakterisiert, deren „Form nicht nach bloßen Naturgesetzen möglich" ist (KU, 284), nicht aus, daß sich diese Dinge unter Anwendung der Naturgesetze der Kausalität und Wechselwirkung objektiv erkennen lassen. Die objektive Erkenntnis dieser Dinge kann Kant zufolge jedoch keine Erkenntnis ihrer systematischen Form sein: Die systematische Form als das charakteristische Merkmal, durch das sich „Dinge als Naturzwecke" bzw. „organisierte Wesen" (KU, 289) von anderen Dingen, die ebenfalls Teile der Natur sind, unterscheiden, kann nicht nach den Naturgesetzen der Kausalität und Wechselwirkung erklärt werden und erscheint daher nach diesen Gesetzen als zufällig.28 Wollen nun Menschen, obwohl sie die systematische Form eines Naturzweckes nicht naturgesetzlich erklären können, dennoch nicht auf eine Erklärung der Möglichkeit dieser Form verzichten, so müssen sie annehmen, daß im Fall eines Naturzweckes „die Vorstellung eines Ganzen den Grund der Möglichkeit der Form desselben und der dazu gehörigen Verknüpfung der Teile enthalte" (KU, 349/50, Hervorh. v. Kant). Eine Erklärung der Möglichkeit der Form eines Naturzwecks, die diesen hypothetisch mit einer begrifflichen Zweckursache, der begrifflichen Vorstellung eines Ganzen, verbindet, beinhaltet das teleologische Urteil: „Das teleologische Urteil ... setzt einen Begriff vom Objekte voraus und urteilt über die Möglichkeit desselben nach einem Gesetze der Verknüpfung der Ursachen und Wirkungen" (EE, 40). Der Begriff, auf den ein Naturzweck in einem teleologischen Urteil als auf seine angenommene Zweckursache bezogen wird, ist ein empirischer objektiver Begriff dieses Naturzwecks, „den die Vernunft unter das Prinzip der Zweckverbindung bringt" (EE, 57), d.h. ein Begriff, der durch die Vernunft als Bestimmungsgrund des Willens eines vernünftigen Wesens vorgestellt wird. Vorstellung eines Ganzen ist dieser Begriff, insofern er der Begriff eines Naturzwecks ist, den Kant als ein systematisch organisiertes Ganzes definiert hat. Anders als in einem Zweckmäßigkeitsurteil über ein Artefakt wird in einem teleologischen Urteil über einen Gegenstand als Naturzweck von dem Begriff, mit dem der beurteilte Gegenstand als mit seiner Zweckursache

27

Vergi. Vergi, nomie nomie

KrV, A189-218/B232-265. zum Verhältnis mechanischer zu teleologischen Naturerklärungen auch die Antider teleologischen Urteilskraft und ihre Auflösung (KU, 311-19). Zu dieser Antiund ihrer Auflösung vergi, u.a. Riehl 1926, Bd.3, 327-31 und Düsing 1968.

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Die Urteile der reflektierenden Urteilskraft

verbunden wird, nicht behauptet, er sei die tatsächliche Ursache dieses Gegenstandes. Daher können auch die teleologischen Urteile als Urteile über die hypothetische Zweckmäßigkeit, die Zweckmäßigkeit ohne Zweck eines Gegenstandes angesehen werden, der Naturprodukt ist.29 Als Urteile über eine hypothetische Zweckmäßigkeit gehören auch die teleologischen Urteile nicht zu den objektiv bestimmenden Urteilen der theoretischen oder praktischen Erkenntnis. Daraus, daß die teleologische Beurteilung von Naturprodukten zwar nach der Analogie mit der Kausalität nach Zwecken erfolgt, jedoch keine objektiv gültige Erklärung der Möglichkeit dieser Produkte gibt, schließt Kant, daß diese Beurteilung eine Beurteilung durch die reflektierende Urteilskraft ist: „Gleichwohl wird die teleologische Beurteilung, wenigstens problematisch, mit Recht zur Naturforschung gezogen; aber nur, um sie nach der Analogie mit der Kausalität nach Zwecken unter Prinzipien der Beobachtung und Nachforschung zu bringen, ohne sich anzumaßen, sie darnach zu erklären. Sie gehört also zur reflektierenden, nicht zu der bestimmenden Urteilskraft." (KU, 269, Hervorh. v. Kant). Daß Kant dieser Auffassung ist, belegt auch seine Argumentation in der Ersten Einleitung. In Abschnitt IX dieser Einleitung z.B. führt er aus, daß das teleologische Urteil, da es „nicht zur Bestimmung des Objekts durch den Begriff eines Zwecks diene", ein „bloß reflektierendes, nicht ein bestimmendes Urteil sei" (EE, 43, Hervorh. v. Kant) und daher als ein Urteil der reflektierenden Urteilskraft angesehen werden müsse. Und er betont dort, daß der „Begriff der Naturzwecke", wie er im teleologischen Urteil verwendet wird, „lediglich ein Begriff der reflektierenden Urteilskraft zu ihrem eigenen Behuf" ist (EE, 44) ,30 Allerdings beruhen die teleologischen Urteile im Unterschied zu den Urteilen, die die reflektierende Urteilskraft in ihrem logischen Gebrauch formuliert, nicht auf der Anwendung des Prinzips der reflektierenden Urteilskraft, demzufolge die Natur ein für das menschliche Erkenntnisvermögen faßliches System ist, weil sie sich durch empirische Begriffe und Gesetze bestimmen läßt, die sich in der Form eines logischen Systems einander zuordnen lassen. Denn dieses Prinzip stellt die Natur als zweckmäßig hinsichtlich eines angenommenen epistemischen Zwecks vor, des Zwecks nämlich, die empirischen Begriffe und Gesetze der Naturerkenntnis in der Form eines logischen Systems zu ordnen. Die Zweckmäßigkeit, wie sie ein teleologisches Urteil beurteilt, ist jedoch keine Zweckmäßigkeit hinsichtlich eines hypothetischen epistemischen Zwecks, sondern 29

30

Kant selbst allerdings verwendet den Terminus .Zweckmäßigkeit ohne Zweck' im Zusammenhang mit dem teleologischen Urteil nicht. Vergi, auch KU, Einleitung, Abschnitt VIII.

Teleologischer Gebrauch der Urteilskraft

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hinsichtlich eines hypothetischen Zwecks der Natur.31 Und während die Vorstellung der epistemischen Zweckmäßigkeit der Natur jenem Prinzip zufolge die Vorstellung der Naturerkenntnis als eines logischen Systems ist, ist die Vorstellung der teleologischen Zweckmäßigkeit der Natur die Vorstellung der Natur oder einzelner Naturprodukte als realer Systeme, d.h. als Naturzwecke. Die Systemform eines Naturzwecks ist jedoch nicht die Form eines logischen Systems. Daher können die teleologischen Urteile nicht als Anwendungsfälle des Prinzips angesehen werden, das Kant in den Einleitungen in die Kritik der Urteilskraft als das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft einführt.32 Wenn Kant aber in § 10 der Kritik der Urteilskraft von der „Zweckmäßigkeit ohne Zweck" bzw. von der „Zweckmäßigkeit der Form nach" sagt, man könne sie „an Gegenständen, wiewohl nicht anders als durch Reflexion, bemerken" (KU, 33/4), so bezieht er sich damit auf die Reflexion als Tätigkeit der reflektierenden Urteilskraft, verstanden als ein Vermögen, die hypothetische Zweckmäßigkeit von Gegenständen der Natur zu beurteilen, das auf ein bestimmtes Prinzip der Reflexion, also auf eine hypothetische Zweckmäßigkeit hinsichtlich eines bestimmten Zwecks, nicht festgelegt ist.33

32

33

„Organisierte Wesen sind also die einzigen in der Natur, welche, wenn man sie auch für sich und ohne ein Verhältnis auf andere Dinge betrachtet, doch nur als Zwecke derselben möglich gedacht werden müssen, und die also zuerst dem Begriffe eines Zwecks, der nicht ein praktischer, sondern Zweck der Natur ist, objektive Realität und dadurch für die Naturwissenschaft den Grund zu einer Teleologie, d.i. einer Beurteilungsart ihrer Objekte nach einem besonderen Prinzip verschaffen ..." (KU, 295, Hervorh. v. Kant). Schon McFarland hat auf die Differenz hingewiesen, die zwischen der systematischen Ordnung der empirischen Begriffe und Gesetze einerseits und der systematischen Form eines Naturzwecks bzw. eines organisierten Wesens andererseits besteht. (Vergi. McFarland 1970, 91). Darauf, da£ Kant in § 10 der Kritik der Urteilskraft den Terminus .Zweckmäßigkeit ohne Zweck' in einer Bedeutung einführt, die ihn anwendbar sein läßt auf alle Arten der Zweckmäßigkeit, die die reflektierende Urteilskraft beurteilt, hat schon Konrad MarcWogau aufmerksam gemacht. (Vergi. Marc-Wogau 1938, 73).

5. Sind auch reine Geschmacksurteile Urteile der reflektierenden Urteilskraft? 5.1.

In den Einleitungen in die Kritik der Urteilskraft gelingt es Kant nicht, einen überzeugenden Zusammenhang herzustellen zwischen den reinen Geschmacksurteilen und der reflektierenden Urteilskraft.

Daß Kant auch reine Geschmacksurteile als Urteile der reflektierenden Urteilskraft ansieht, ist schon daraus ersichtlich, daß er die Theorie, die sich mit den Bedingungen beschäftigt, unter denen diese Urteile zustande kommen, und die die Rechtmäßigkeit des mit diesen Urteilen verbundenen Geltungsanspruchs prüft, als einen Teil der Kritik der Urteilskraft versteht, die im wesentlichen eine Kritik der reflektierenden Urteilskraft ist. Es ist jedoch fraglich, in welchem Sinne reine Geschmacksurteile als Urteile der reflektierenden Urteilskraft angesehen werden können, d.h. als Urteile über die hypothetische Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes, dessen Möglichkeit sich Menschen ohne Zuhilfenahme der Hypothese, er sei Produkt einer zweckgeleiteten Handlung, nicht erklären können. Die These, reine Geschmacksurteile seien Urteile der reflektierenden Urteilskraft, versucht Kant insbesondere in den Einleitungen sowie in den §§11 und 35 der Kritik der Urteilskraft zu begründen. In diesem und den folgenden beiden Kapiteln sollen diese Begründungen analysiert werden. In den Einleitungen in die Kritik der Urteilskraft versucht Kant die These, reine Geschmacksurteile seien Urteile der reflektierenden Urteilskraft, dadurch zu begründen, daß er sie als Urteile darstellt, die auf der Anwendung des der reflektierenden Urteilskraft eigentümlichen Prinzips beruhen, demzufolge sich die empirischen Begriffe und Gesetze, die ein Mensch zur Bestimmung der ihm erscheinenden Natur bildet, in der Form eines logischen Systems einander zuordnen lassen: Nun sind, wenn gleich die ästhetischen Urteile selbst a priori nicht möglich sind, dennoch Prinzipien a priori in der notwendigen Idee einer Erfahrung, als Systems, gegeben, welche den Begriff einer formalen Zweckmäßigkeit der Natur für unsere Urteüskraft enthalten, und woraus a priori die Möglichkeit ästhetischer Reflexionsurteile, als solcher, die auf Prinzipien a priori gegründet sind, erhellet. (EE, 38/9).

Die Argumente in den Einleitungen

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Obzwar unser Begriff von einer subjektiven Zweckmäßigkeit der Natur in ihren Formen nach empirischen Gesetzen gar kein Begriff vom Objekt ist, sondern nur ein Prinzip der Urteilskraft, sich in dieser ihrer übergroßen Mannigfaltigkeit Begriffe zu verschaffen (in ihr orientieren zu können): so legen wir ihr doch hierdurch gleichsam eine Rücksicht auf unser Erkenntnisvermögen nach der Analogie eines Zwecks bei; und so können wir die NaturSchönheit als Darstellung des Begriffs der formalen (bloß subjektiven) ... Zweckmäßigkeit ansehen, ... [die] wir durch Geschmack (ästhetisch, vermittelst des Gefühls der Lust) ... beurteilen. (KU, XLIX/L, Hervorh. v. Kant).1 Wie aber erfolgt diese Begründung? In der Ersten Einleitung führt Kant zunächst das Vermögen der reflektierenden Urteilskraft und das Prinzip ein, nach dem sie sich in ihrem logischen Gebrauch richtet. 2 Die „Zweckmäßigkeit der Natur zum Behuf unseres V e r m ö g e n s . . . , sie zu erkennen" ( E E , 8), die dieses Prinzip vorstellt, ist eine Zweckmäßigkeit des Ganzen der Natur als Gegenstand der empirischen, naturwissenschaftlichen Erkenntnis. In Abschnitt VI der Ersten Einleitung versucht Kant, von dieser Zweckmäßigkeit des Ganzen der Natur überzuleiten zu einer Zweckmäßigkeit, die einzelnen Gegenständen als Teilen der Natur zugeschrieben werden kann. Er betont selbst, daß diese Überleitung nicht in Form einer logischen Ableitung geführt werden kann; denn die „logische Zweckmäßigkeit" der Natur, d.h. ihre „Übereinstimmung zu den subjektiven Bedingungen der Urteilskraft in Ansehung des möglichen Zusammenhangs empirischer Begriffe in dem Ganzen einer Erfahrung" gibt „keine Folgerung auf ihre Tauglichkeit zu einer realen Zweckmäßigkeit in ihren Produkten, d.i. einzelne Dinge in der Form von Systemen hervorzubringen" (EE, 22). Die Überleitung von der logischen Zweckmäßigkeit der gesamten Natur als Gegenstand der empirischen, naturwissenschaftlichen Erkenntnis zu der realen Zweckmäßigkeit einzelner Gegenstände kann sich vielmehr nur auf eine Assoziation stützen: Es bleibt, „weil wir einmal der Natur in ihren besondren Gesetzen ein Prinzip der Zweckmäßigkeit unterzulegen Grund haben, immer möglich und erlaubt, wenn uns die Erfahrung zweckmäßige Formen an ihren Produkten zeigt, dieselbe eben demselben Grunde, als worauf die erste beruhen mag, zuzuschreiben" (EE, 23, Hervorh. v. Kant). Die Frage, wie sich diese reale Zweckmäßigkeit einzelner Gegenstände an diesen Gegenständen wahrnehmen läßt, d.h. die Frage, „wie ... sich die Technik der Natur an ihren Produkten wahrnehmen [läßt]" (EE, 25, Hervorh. v. Kant), stellt Kant in Abschnitt VII der Ersten Einleitung. Mit der Antwort auf diese Frage leitet er schließlich über zum reinen Geschmacks-

1 2

Vergi, außerdem EE, 31 und KU, 267. Vergi. EE, Abschnitte I - V.

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Reine Geschmacksurteile und reflektierende Urteilskraft

urteil3 und zum teleologischen Urteil4: In diesen Urteilen nämlich wird, so Kant, die Technik der Natur bzw. die Zweckmäßigkeit der Natur beurteilt, wie sie sich an einzelnen Gegenständen zeigt. Mit dieser Überlegung vermag er allerdings nicht zu zeigen, daß reine Geschmacksurteile oder teleologische Urteile auf einer Anwendung des Prinzips der reflektierenden Urteilskraft beruhen, nach dem sie sich in ihrem logischen Gebrauch richtet. Denn daraus allein, daß ein einzelner Gegenstand in einem Urteil hypothetisch als zweckmäßig beurteilt wird, folgt nicht, daß diese Beurteilung auf der Anwendung dieses Prinzips beruht. Dies hat die oben durchgeführte Analyse des teleologischen Urteils eindeutig ergeben.5 Darüber hinaus ist aus den Ausführungen Kants in den Abschnitten VII und VIII der Ersten Einleitung noch gar nicht zu entnehmen, in welchem Sinne insbesondere das reine Geschmacksurteil als ein Urteil analysiert werden kann, in dem die hypothetische Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes beurteilt wird. Ähnlich wie in der Ersten Einleitung führt Kant auch in der zweiten Einleitung in die Kritik der Urteilskraft zunächst die reflektierende Urteilskraft und das Prinzip ein, nach dem sie sich in ihrem logischen Gebrauch richtet.6 Hier erfolgt die Überleitung von der reflektierenden Urteilskraft und diesem Prinzip, demzufolge „die Natur ... ihre allgemeinen Gesetze nach dem Prinzip der Zweckmäßigkeit für unser Erkenntnisvermögen [spezifiziert]" (KU, XXXVII), zu den reinen Geschmacksurteilen und den teleologischen Urteilen jedoch nicht unmittelbar über den Begriff der Zweckmäßigkeit. Vielmehr stellt Kant in Abschnitt VI dieser Einleitung zunächst eine „Verbindung des Gefühls der Lust mit dem Begriffe der Zweckmäßigkeit der Natur" her (KU, XXXVIII), und zwar durch folgende Überlegung: ,Sich einen Zweck setzen' bedeutet soviel wie ,eine Absicht haben', und die ,Erreichung eines Zwecks' ist gleichbedeutend mit der »Erreichung einer Absicht'. Nun ist „die Erreichung jeder Absicht... mit dem Gefühle der Lust verbunden" (KU, XXXIX). Voraussetzung für das Erreichen einer Absicht bzw. eines Zwecks kann die Existenz eines hinsichtlich dieses Zwecks zweckmäßigen Gegenstandes sein. D.h., angesichts eines zu einer Absicht bzw. zu einem Zweck zweckmäßigen Gegenstandes, eines Gegenstandes, der eben diese Absicht zu erreichen erlaubt, wird von demjenigen, der diese Absicht verfolgt, ein Gefühl der Lust empfunden. Eine Lust wird ein Mensch insbesondere auch dann empfinden, wenn es ihm gelingt, eine Erkenntnisabsicht zu erreichen, wenn er z.B. im logischen

3 4 5

Vergi. Vergi. Vergi, Vergi,

EE, 26. EE, 27. oben, S. 96/7. die Abschnitte IV und V dieser Einleitung.

Die Argumente in den Einleitungen

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Gebrauch seiner reflektierenden Urteilskraft erfolgreich ist, d.h. wenn es ihm gelingt, in der Reflexion über empirische Begriffe und Gesetze diese in einem logischen System einander zuzuordnen: „ ... die entdeckte Vereinbarkeit zweier oder mehrerer empirischen heterogenen Naturgesetze unter einem sie beide befassenden Prinzip [ist] der Grund einer sehr merklichen Lust, oft sogar einer Bewunderung, selbst einer solchen, die nicht aufhört, ob man schon mit dem Gegenstande derselben genug bekannt ist" (KU, X L ) . Erscheint einem Menschen die Natur als zweckmäßig hinsichtlich seiner naturwissenschaftlichen Erkenntnisabsicht bzw. hinsichtlich des epistemischen Zwecks, den das Prinzip vorstellt, nach dem sich die Urteilskraft in diesem Gebrauch richtet, so empfindet er eine Lust. Kant zufolge besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Einsicht eines Menschen in die Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes hinsichtlich eines Zwecks, den er sich gesetzt hat, einerseits, und einer Lustempfindung dieses Menschen andererseits. Diesen Zusammenhang nun versucht er in Abschnitt VII der Einleitung in die Kritik der Urteilskraft zur Begründung der These zu nutzen, daß auch in reinen Geschmacksurteilen die Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes hinsichtlich dieses epistemischen Zwecks beurteilt wird und daß daher auch diese Urteile als Urteile der reflektierenden Urteilskraft angesehen werden können. Er schließt dort nämlich aus den Prämissen, daß (a) die Wahrnehmung einer Zweckmäßigkeit für die reflektierende Urteilskraft mit der Empfindung einer Lust verbunden ist und daß (b) das reine Geschmacksurteil DIES IST SCHÖN auf der Empfindung einer Lust beruht, darauf, daß die Lust am Schönen eine Lust an der Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes hinsichtlich dieses epistemischen Zwecks ist: In der Lust am Schönen ist die Zweckmäßigkeit oder „Angemessenheit" der Vorstellung eines Objekts „zu den Erkenntnisvermögen, die in der reflektierenden Urteilskraft im Spiel sind", bewußt (KU, X L I V ) . Die Lust am Schönen drückt „eine subjektive formale Zweckmäßigkeit des Objekts" aus (KU, X L I V ) . Das schöne Objekt ist „zweckmäßig für die reflektierende Urteilskraft" (KU, X L I V ) , und in der Lust am Schönen ist die Beurteilung der Vorstellung eines schönen Gegenstandes durch die reflektierende Urteilskraft bewußt. Diese Beurteilung und das sich auf diese Beurteilung gründende reine Geschmacksurteil DIES IST SCHÖN können daher als Urteile der reflektierenden Urteilskraft angesehen werden. Kant begeht hier allerdings einen Fehlschluß: Denn aus den beiden oben angegebenen Prämissen folgt nicht, daß das reine Geschmacksurteil DIES IST SCHÖN ein Urteil über die subjektive formale Zweckmäßigkeit eines Objekts und daher ein Urteil der reflektierenden Urteilskraft sei. Hinreichendes Indiz dafür, daß dieses Urteil ein Urteil der reflektierenden Ur-

102

Reine Geschmacksurteile und reflektierende Urteilskraft

teilskraft ist, könnte der ästhetische Charakter dieses Urteils nämlich nur sein, wenn nicht nur die Wahrnehmung einer Zweckmäßigkeit für die reflektierende Urteilskraft mit Lust verbunden wäre, sondern wenn auch umgekehrt jede Lust qua Lustempfindung Indiz wäre für die Wahrnehmung einer Zweckmäßigkeit für die reflektierende Urteilskraft. Letzteres ist jedoch nicht der Fall und wird auch von Kant selbst bestritten, wie ein Hinweis auf das ästhetische Urteil über das Angenehme belegen kann: Dieses Urteil beruht auf einer Lustempfindung des Urteilenden, wird von Kant jedoch nicht als ein Urteil der reflektierenden Urteilskraft angesehen. Zusammenfassend kann also festgestellt werden, daß es Kant in keiner der beiden Einleitungen in die Kritik der Urteilskraft gelingt zu zeigen, daß das reine Geschmacksurteil ein Urteil der reflektierenden Urteilskraft ist.7

5.2.

Daraus allein, daß der Bestimmungsgrund eines reinen Geschmacksurteils ein interesseloses Gefühl ist, läßt sich nicht ableiten, daß dieses Urteil ein Urteil der reflektierenden Urteilskraft ist (KU, § 11).

Kant formuliert im Titel von § 11 die These, die in diesem Paragraphen begründet werden soll: „Das Geschmacksurteil hat nichts als die Form der Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes (oder der Vorstellungsart desselben) zum Grunde" (KU, 34). Im letzten Satz dieses Paragraphen wird diese These als Konklusion der entwickelten Argumentation in präziserer Form reformuliert: A l s o kann nichts anderes als die subjektive Zweckmäßigkeit in der Vorstellung eines Gegenstandes, ohne allen (weder objektiven noch subjektiven) Zweck, folglich die bloße Form der Zweckmäßigkeit in der Vorstellung, w o durch uns ein Gegenstand gegeben wird, sofern wir uns ihrer bewußt sind, das Wohlgefallen, welches wir, ohne Begriff, als allgemein mitteilbar beurteilen, mithin den Bestimmungsgrund des Geschmacksurteils ausmachen. ( K U , 35).

Schon Jens Kulenkampff hat darauf hingewiesen, daß es Kant in keiner der beiden Einleitungen in die Kritik der Urteilskraft gelingt, die Struktur des ästhetischen Urteils aus dem Begriff der reflektierenden Urteilskraft abzuleiten. (Vergi. Kulenkampff 1978, 32-56). Angemerkt sei hier nur, daß sich der von Kant in Abschnitt VI der Einleitung in die Kritik der Urteilskraft hergestellte Zusammenhang zwischen dem Bewußtsein einer Zweckmäßigkeit für die Urteilskraft und einer Lustempfindung des Menschen, dem diese Zweckmäßigkeit bewußt ist, auch nicht fruchtbar machen läßt für die Begründung der These, das teleologische Urteil sei ein Urteil der reflektierenden Urteilskraft: Das teleologische Urteil ist kein ästhetisches Urteil und steht daher in keinem notwendigen Zusammenhang mit irgendeiner Lustempfindung.

Das Argument in § 11

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Wie die Analyse von § 1 der Kritik der Urteilskraft ergeben hat, ist der Bestimmungsgrund des reinen Geschmacksurteils D I E S IST SCHÖN das interesselose Wohlgefallen, das ein Mensch angesichts eines schönen Gegenstandes empfindet. Der These von § 11 zufolge ist nun in dem interesselosen Wohlgefallen am Schönen die subjektive Zweckmäßigkeit ohne Zweck in der Vorstellung eines Gegenstandes bewußt, und dieses Bewußtsein subjektiver Zweckmäßigkeit soll ferner die bloße Form der Zweckmäßigkeit in der Vorstellung eines Gegenstandes anzeigen. Als Urteil aber über eine Zweckmäßigkeit ohne Zweck bzw. über eine bloße Form der Zweckmäßigkeit scheint auch das reine Geschmacksurteil zu den Urteilen zu gehören, die Kant in § 10 der Kritik der Urteilskraft der reflektierenden Urteilskraft zugeschrieben und damit von den Urteilen der theoretischen und praktischen Erkenntnis unterschieden hat. Was veranlaßt Kant, die Empfindung interesselosen Wohlgefallens am Schönen als ein Bewußtsein der subjektiven Zweckmäßigkeit der Vorstellung eines Gegenstandes zu beschreiben? In der Ersten Einleitung in die Kritik der Urteilskraft stellt er fest, daß „die Vorstellung einer subjektiven Zweckmäßigkeit eines Objekts mit dem Gefühle der Lust ... einerlei [ist]" (EE, 35) .8 Wenn wir also ein Gefühl der Lust empfinden, schreiben wir der gegenständlichen Ursache dieser Empfindung subjektive Zweckmäßigkeit zu: Der eine Empfindung der Lust verursachende Gegenstand ist zweckmäßig, weil er ein geeignetes Mittel zur Verursachung einer Lustempfmdung ist9, und er ist subjektiv zweckmäßig, weil er geeignetes Mittel zu einem subjektiven Zweck ist. Unter einem subjektiven Zweck ist hier der Empfindungszustand der Lust eines Menschen zu verstehen: Zweck ist dieser Empfindungszustand, weil jeder Mensch danach strebt, einen solchen Empfindungszustand zu erreichen10; subjektiv aber ist dieser Zweck, weil er ein Empfindungszustand eines Subjekts und kein Objekt in der Erschei-

Vergl. ferner EE, 64: „Eine bloß subjektiv beurteilte Zweckmäßigkeit, die sich also auf keinen Begriff gründet, noch, sofern als sie bloß subjektiv beurteilt wird, gründen kann, ist die Beziehung aufs Gefühl der Lust und Unlust...". Die subjektive Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes, die einem Menschen in einer Lustempfmdung bewußt ist, nennt Kant in der Einleitung in die Kritik der Urteilskraft die „ästhetische Vorstellung der Zweckmäßigkeit": „Die Zweckmäßigkeit also, die vor dem Erkenntnisse eines Objekts vorhergeht,... ist eine ästhetische Vorstellung der Zweckmäßigkeit." (KU, XLIII). Wenn Kant einem Gegenstand eine Zweckmäßigkeit zuschreibt, weil dieser Gegenstand geeignetes Mittel zu irgendeinem Zweck ist, so verwendet er den Terminus ,Zweckmäßigkeit' im umgangssprachlichen Sinn und nicht im Sinn der Definition dieses Terminus, die er in § 10 der Kritik der Urteilskraft gegeben hat: Denn dieser Definition zufolge sind nur solche Gegenstände zweckmäßig, die selbst Zwecke sind, nicht aber Mittel zu Zwecken. (Vergi, oben, Kap. 4.1.). Vergi. Kants Definition der Empfindung der Lust als Zweckvorstellung in § 10 der Kritik der Urteilskraft. (Vergi, oben, Kap. 4.1.).

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nungswelt außerhalb dieses Subjekts ist. Wenn nun in jeder Lustempfindung dem diese Lust empfindenden Menschen die subjektive Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes oder einer Vorstellung desselben bewußt ist, so gilt, daß nicht nur in dem interesselosen Wohlgefallen am Schönen, sondern auch in dem Wohlgefallen am Angenehmen, dem Wohlgefallen am Nützlichen und dem Wohlgefallen am sittlich Guten die subjektive Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes bewußt ist. Tatsächlich unterscheidet sich Kant zufolge das interesselose Wohlgefallen am Schönen nicht dadurch von anderen Arten des Wohlgefallens, daß es als ein Bewußtsein der subjektiven Zweckmäßigkeit der Vorstellung eines Gegenstandes beschrieben werden kann, sondern erst dadurch, daß es als ein Bewußtsein der subjektiven Zweckmäßigkeit ohne Zweck der Vorstellung eines Gegenstandes zu beschreiben ist. Inwiefern aber ist in dem Wohlgefallen am Schönen die subjektive Zweckmäßigkeit ohne Zweck der Vorstellung eines Gegenstandes bewußt? Eine Antwort auf diese Frage entwickelt Kant im ersten Abschnitt von § 11. In diesem Abschnitt vertritt Kant zwei Thesen: (a) „... dem Geschmacksurteil [kann] kein subjektiver Zweck zum Grunde liegen." (KU, 34). (b) „Aber auch keine Vorstellung eines objektiven Zwecks ... kann das Geschmacksurteil bestimmen ..." (KU, 34). Die These (a) leitet er aus der folgenden Prämisse ab: Aller Zweck, wenn er als Grund des Wohlgefallens angesehen wird, führt immer ein Interesse als Bestimmungsgrund des Urteils über den Gegenstand der Lust bei sich. (KU, 34). Mit dem „Urteil über den Gegenstand der Lust" ist hier offenbar ein ästhetisches Urteil gemeint. Der Bestimmungsgrund dieses ästhetischen Urteils ist eine Lustempfindung des Urteilenden. Ein „Interesse" ist dieser Bestimmungsgrund, wenn die Lustempfindung des Urteilenden mit Interesse verbunden, also kein interesseloses Wohlgefallen ist. Kant behauptet in der zitierten Prämisse nun, daß ein Wohlgefallen, das Bestimmungsgrund eines ästhetischen Urteils ist, immer dann mit Interesse verbunden ist, wenn ein „Zweck ... als Grund des Wohlgefallens angesehen wird". Wie die oben durchgeführte Analyse der §§ 2-5 der Kritik der Urteilskraft ergeben hat, ist ein Wohlgefallen Kant zufolge dann mit Interesse verbunden, wenn ein Mensch es nur unter der Voraussetzung empfinden kann, daß die gegenständliche Ursache dieses Wohlgefallens wirklich existiert, diesem Menschen unmittelber zugänglich ist und ihn unmittelbar physisch affiziert. Wenn Kant nun behauptet, daß ein Wohlgefallen, das Bestimmungsgrund eines ästhetischen Urteils ist, immer dann mit Interesse verbunden ist, wenn ein „Zweck ... als Grund des Wohlgefallens angesehen

Das Argument in § 11

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wird", so muß ,einen Zweck als Grund des Wohlgefallens ansehen' verstanden werden als die Existenz und unmittelbare Einwirkung eines Gegenstandes auf das Geßhlsvermögen eines Menschen als Ursache eines Wohlgefallens ansehen. Und d.h., mit einem Zweck kann hier nur ein Gegenstand des Interesses gemeint sein. Ein solcher Zweck kann subjektiver Zweck heißen, wenn er für jemanden aus subjektiven Gründen zum Gegenstand des Interesses geworden ist. Die Gründe für ein Interesse an einem solchen Zweck können in zweierlei Hinsicht subjektiv sein: Sie können entweder subjektiv sein, weil sie mit der Wirkung des interessierenden Gegenstandes auf das Gefühlsvermögen des interessierten Menschen zusammenhängen, oder aber, weil sie nur privatgültig sind. Im ersten Fall wäre .subjektiv* als das Geßhlsvermögen eines Menschen betreffend zu verstehen, im zweiten Fall als privatgültig. Ein Gegenstand, dessen Wirkung als angenehm empfunden wird, ist ein subjektiver Zweck in beiden Hinsichten: Er ist Gegenstand des Interesses eines Menschen aufgrund seiner unmittelbaren Wirkung auf dessen Gefühlsvermögen und aus privatgültigen Gründen.11 Wenn aber jedes mit Interesse verbundene Wohlgefallen, dessen gegenständliche Ursache aus subjektiven Gründen interessiert, ein Wohlgefallen an einem subjektiven Zweck in dem hier bestimmten Sinn dieses Terminus ist und wenn man daher sagen kann, daß einem ästhetischen Urteil, dessen Bestimmungsgrund ein mit Interesse verbundenes Wohlgefallen ist, ein subjektiver Zweck zum Grunde liegt, dann folgt, daß dem reinen Geschmacksurteil kein subjektiver

Bereits in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten verwendet Kant den Terminus .subjektiver Zweck' zur Beschreibung von Materien, die ein vernünftiger Mensch aus privatgültigen Gründen zu Gegenständen seines Interesses macht: Der Grundlegung zufolge sind „subjektive Zwecke" Zwecke, „die auf Triebfedern beruhen"; eine „Triebfeder" aber ist ein ,,subjektive[r] Grund des Begehrens" (GMS, AA IV, 427, Hervorh. v. Kant). „Subjektive Zwecke" können der Grundlegung zufolge aber nicht nur Gegenstände in der Erscheinungswelt sein, sondern auch Empfindungszustände eines Menschen. Zwar sind Gegenstände, die aus subjektiven, nämlich privatgültigen Gründen zu Gegenständen des Interesses eines Menschen werden, auch jederzeit Gegenstände, die aus subjektiven, nämlich von Gefühlsempfindungen abhängigen Gründen, d.h. aufgrund ihrer Wirkung auf das Empfindungsvermögen eines Menschen zu Gegenständen seines Interesses werden. Dieser Zusammenhang darf aber nicht zum Anlaß genommen werden, das Prädikat .subjektiv* grundsätzlich als gleichbedeutend sowohl mit dem Prädikat .privatgültig' als auch mit dem Prädikat ,eine Gefühlsempfindung betreffend' bzw. .gefühlsmäßig' aufzufassen. Denn spätestens seit Kant die Möglichkeit der Begründung der Allgemeingültigkeit des reinen Geschmacksurteils als eines ästhetischen Urteils ins Auge gefaßt hat, treten privatgültig und gefühlsmäßig als Bedeutungen des Prädikats .subjektiv1 auseinander: gefühlsmäßig kann nicht mehr in allen Fällen auch privatgültig bedeuten. Andernfalls wäre es widersinnig, von der Lust am Schönen als von einer allgemein mitteilbaren, also nicht nur privatgültigen Lust zu sprechen.

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Reine Geschmacksurteile und reflektierende Urteilskraft

Zweck zum Grunde liegt; denn der Bestimmungsgrund dieses Urteils ist ein interesseloses Wohlgefallen. Es ist allerdings schon an dieser Stelle darauf hinzuweisen, daß Kant im ersten Abschnitt von § 11 in seiner Begründung der These, daß dem reinen Geschmacksurteil kein subjektiver Zweck zum Grunde liegt, den Terminus .subjektiver Zweck' in einer zweiten Bedeutung verwendet, die von der bereits angegebenen ersten Bedeutung dieses Terminus deutlich abweicht. In der ersten Bedeutung wird der Terminus .subjektiver Zweck' zur Bezeichnung des Empfindungszustandes der Lust eines Menschen verwendet.12 Im ersten Abschnitt von § 11 nun verwendet Kant diesen Terminus in einer zweiten Bedeutung, nämlich zur Bezeichnung eines Gegenstandes, der aus subjektiven Gründen Gegenstand des Interesses eines Menschen ist. Ein subjektiver Zweck ist dieser zweiten Bedeutung gemäß ein Gegenstand in der Erscheinungswelt, nicht aber ein Zustand der Lustempfindung eines Menschen. Die These (b), die Kant im ersten Abschnitt von § 11 vertritt und derzufolge keine Vorstellung eines objektiven Zwecks das reine Geschmacksurteil bestimmen kann, wird durch den Hinweis auf den ästhetischen Charakter dieses Urteils begründet: A b e r auch keine Vorstellung eines objektiven Zwecks, d.i. der Möglichkeit des Gegenstandes selbst nach Prinzipien der Zweckverbindung, mithin kein Begriff des Guten kann das Geschmacksurteil bestimmen; weil es ein ästhetisches und kein Erkenntnisurteil ist, welches also keinen Begriff von der Beschaffenheit und inneren oder äußeren Möglichkeit des Gegenstandes durch diese oder jene Ursache, sondern bloß das Verhältnis der Vorstellungskräfte zueinander, sofern sie durch eine Vorstellung bestimmt werden, betrifft. (KU, 34, Hervorh. v. Kant).

Da Kant zufolge „die objektive Zweckmäßigkeit nur vermittelst der Beziehung des Mannigfaltigen auf einen bestimmten Zweck, also nur durch einen Begriff erkannt werden [kann]" (KU, 44, Hervorh. v. Kant), ist die Vorstellung eines objektiven Zwecks jederzeit eine begriffliche Vorstellung. Eine solche Vorstellung bestimmt z.B. die Urteile über das Nützliche und das sittlich Gute. Die Vorstellung eines objektiven Zwecks ist hier ein Begriff des Guten, des Nützlichen oder des sittlich Guten, und der Terminus .objektiver Zweck' wird zur Bezeichnung solcher Gegenstände verwendet, die entweder nützlich oder sittlich gut sind. Zwecke sind das Nützliche und

12

In dieser ersten Bedeutung verwendet Kant den Terminus subjektiver Zweck' in § 11 nicht. Er nimmt eine solche Verwendung dieses Terminus jedoch auch in § 11 implizit in Anspruch, wenn er von dem interesselosen Wohlgefallen am Schönen als von einem Bewußtsein subjektiver Zweckmäßigkeit spricht.

Das Argument in § 11

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das sittlich Gute, weil sie Gegenstände des Interesses eines Menschen sind, objektive Zwecke aber sind diese Gegenstände, weil ein Mensch sie aus objektiven Gründen zu Gegenständen seines Interesses macht. Die Gründe für eine Interessenahme am Nützlichen oder sittlich Guten können in zweierlei Sinn objektiv sein: entweder, weil sie aus begrifflicher Einsicht entspringen, oder aber, weil sie allgemeingültig sind. Im ersten Fall wäre .objektiv* als aus Begriffen begründbar, im zweiten Fall als allgemeingültig zu verstehen.13 Das sittlich Gute interessiert aus Gründen, die in beiderlei Sinn objektiv sind; das Nützliche dagegen interessiert aus Gründen, die zwar begrifflicher Einsicht entspringen, aber nicht allgemeingültig sind. Denn das Interesse am Nützlichen als einem Mittel zu einer Annehmlichkeit hängt immer von einem nur privatgültigen Interesse am Angenehmen ab.14

Bei Kant hat man nicht nur zwei Bedeutungen des Prädikats .subjektiv1 zu unterscheiden, sondern auch zwei Bedeutungen des Prädikats .objektiv'. Mit der Konzeption eines allgemeingültigen ästhetischen Urteils treten die beiden Bedeutungen des Prädikats .objektiv1, nämlich aus Begriffen begründbar und allgemeingültig auseinander. Denn soll das reine Geschmacksurteil als ästhetisches Urteil allgemeingültig sein, darf ,allgemeingültig' nicht in allen Fällen aus Begriffen begründbar bedeuten. Die primäre Bedeutung der Opposition .subjektiv-objektiv' ist in der Kritik der Urteilskraft nicht die Opposition .privatgültig-allgemeingültig', sondern die Opposition .gefühlsmäßigbegrifflich'. Den Terminus .objektiver Zweck' verwendet Kant in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten zur Bezeichnung eines Gegenstandes, der aus allgemeingültigen Gründen Gegenstand des Interesses eines Menschen ist: „Objektive Zwecke" nämlich definiert er dort als Zwecke, „die auf Bewegungsgründe ankommen, welche für jedes vernünftige Wesen gelten" (GMS, AA IV, 427). Objektive Zwecke im Sinne der Grundlegung können daher nur sittliche Handlungen sein, nicht aber Gegenstände, die nützlich sind zum Zwecke einer Annehmlichkeit. In § 11 der Kritik der Urteilskraft dagegen verwendet Kant den Terminus .objektiver Zweck' zur Bezeichnung aller Gegenstände, die aus begrifflich angebbaren Gründen Gegenstände des Interesses eines Menschen geworden sind, ganz unabhängig davon, ob diese Gründe allgemeingültiger oder nur privatgültiger Natur sind. Von der ersten Bedeutung, in der Kant den Terminus .objektiver Zweck' in der Grundlegung verwendet, und der zweiten Bedeutung, in der Kant diesen Terminus im ersten Abschnitt von § 11 der Kritik der Urteilskraft verwendet, ist jedoch noch eine dritte Bedeutung dieses Terminus zu unterscheiden: Zu den Urteilen, die von der Vorstellung eines objektiven Zwecks bestimmt werden, zählt Kant nämlich in § 11 der Kritik der Urteilskraft nicht nur die Urteile über das Nützliche und das sittlich Gute, sondern erstmals in der „Analytik des Schönen" auch die Urteile über das Vollkommene: „ ... folglich kann ebensowenig eine die Vorstellung begleitende Annehmlichkeit, als die Vorstellung von der Vollkommenheit des Gegenstandes und der Begriff des Guten den Bestimmungsgrund enthalten" (KU, 35). Bestimmungsgrund der Urteile über das Vollkommene ist die Vorstellung des Vollkommenen, die Kant zufolge jederzeit eine begriffliche Vorstellung ist. Vorstellung eines objektiven Zwecks aber kann der Begriff des Vollkommenen nicht in derselben Weise sein wie die Begriffe des Nützlichen und des sittlich Guten: Denn das Vollkommene ist kein Gegenstand des Interesses eines Menschen und daher kein objektiver Zweck in der oben angegebenen zweiten Bedeutung dieses Terminus. (Zu den Urteilen über das Vollkommene vergi. KU, § 15 und EE, 33ff.). „Objektiver Zweck" kann das Vollkommene nur genannt werden, wenn der Terminus .objektiver Zweck' in einer dritten

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Reine Geschmacksurteile und reflektierende Urteilskraft

Die Vorstellung eines objektiven Zwecks kann Kant zufolge das reine Geschmacksurteil nicht bestimmen, weil diese Vorstellung eine begriffliche Vorstellung ist, das reine Geschmacksurteil aber ein ästhetisches Urteil, dessen Bestimmungsgrund nur eine Gefühlsempfindung sein kann. Nun unterstellt Kant, daß subjektive und objektive Zwecke, wie er sie im ersten Abschnitt von § 11 thematisiert hat, eine vollständige Disjunktion möglicher Zwecke bilden. Mit dieser Unterstellung nimmt er eine willkürliche Einschränkung der Extension des Terminus ,Zweck' vor: Im Sinne dieser Einschränkung nämlich sind nur solche Gegenstände Zwecke, die Gegenstände des Interesses eines Menschen sind oder Erfüllungsinstanzen eines objektiven Zweckbegriffs. Willkürlich ist diese Einschränkung deshalb, weil sie solche Zwecke unberücksichtigt läßt, die subjektive Zwecke im Sinne der ersten oben angegebenen Bedeutung dieses Terminus sind, nämlich Empfindungszustände der Lust eines Menschen. Unter Voraussetzung der genannten Unterstellung schließt Kant nun wie folgt: Da „dem Geschmacksurteil kein subjektiver Zweck zum Grunde liegen [kann]" und da „auch keine Vorstellung eines objektiven Zwecks ... das Geschmacksurteil bestimmen [kann]" und da ferner die hier genannten subjektiven und objektiven Zwecke eine vollständige Disjunktion möglicher Zwecke ausmachen, folgt, daß dem reinen Geschmacksurteil überhaupt kein Zweck zugrundeliegen kann. Die subjektive Zweckmäßigkeit der Vorstellung eines Gegenstandes, die in dem das reine Geschmacksurteil bestimmenden interesselosen Wohlgefallen bewußt ist, ist daher als eine subjektive Zweckmäßigkeit ohne Zweck zu beschreiben. Daß es eine „subjektive Zweckmäßigkeit in der Vorstellung eines Gegenstandes, ohne allen (weder objektiven noch subjektiven) Zweck" (KU, 35) ist, die den Bestimmungsgrund des reinen Geschmacksurteils ausmacht, bedeutet aber letztlich nichts anderes, als daß dieser Bestimmungsgrund ein interesseloses Wohlgefallen des Urteilenden ist. Kant macht sich insbesondere seine zweideutige Verwendung des Terminus .subjektiver Zweck' zunutze, um auch das reine Geschmacksurteil als ein Urteil über eine Zweckmäßigkeit ohne Zweck beschreiben zu können: Die Vorstellung des Gegenstandes, welche das Verhältnis von Einbildungskraft und Verstand bestimmt, das in dem interesselosen Wohlgefallen am Schönen bewußt ist, ist zweckmäßig hin-

Bedeutung verwendet wird, nämlich zur Bezeichnung eines Gegenstandes, dessen reale Möglichkeit sich nicht nach Naturgesetzen erklären läßt, sondern nur in bezug auf eine hypothetische Zweckursache. Unter Verwendung des Terminus .objektiver Zweck' in dieser dritten Bedeutung können Kant zufolge aber nicht nur die Urteile über das Vollkommene als Urteile über objektive Zwecke angesehen werden, sondern auch teleologische Urteile.

Das Argument in § 11

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sichtlich des subjektiven Zwecks dieses Wohlgefallens; die subjektive Zweckmäßigkeit dieser Vorstellung ist eine Zweckmäßigkeit mit Zweck; (und hier wird der Terminus ,subjektiver Zweck' zur Bestimmung des Lustzustandes eines Menschen verwendet); dennoch ist die Empfindung dieses Wohlgefallens für einen Menschen ein Bewußtsein ohne Zweck, nämlich ohne begriffliche Vorstellung eines objektiven Zwecks und ohne Bezug auf einen subjektiven Zweck, nämlich einen Gegenstand des Interesses; (und hier wird der Terminus .subjektiver Zweck' zur Bezeichnung eines Gegenstandes verwendet, der aus subjektiven Gründen interessiert). Kant schließt nun daraus, daß das reine Geschmacksurteil ein ästhetisches Urteil aufgrund einer Empfindung interesselosen Wohlgefallens ist und als ein Urteil über die subjektive Zweckmäßigkeit ohne Zweck eines Gegenstandes beschrieben werden kann, darauf, daß dieses Urteil zu den in § 10 der Kritik der Urteilskraft eingeführten Urteilen über die Zweckmäßigkeit ohne Zweck, d.h. die hypothetische Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes gehört und daher als ein Urteil der reflektierenden Urteilskraft angesehen werden kann. Dies geht aus der Schlußfolgerung, die er im letzten Satz von § 11 formuliert, eindeutig hervor: Hier schließt er nämlich daraus, daß eine subjektive Zweckmäßigkeit ohne Zweck der Vorstellung eines Gegenstandes den Bestimmungsgrund des Geschmacksurteils ausmacht, darauf, daß es eine „Form der Zweckmäßigkeit in der Vorstellung, wodurch uns ein Gegenstand gegeben wird" (KU, 35) ist, die den Bestimmungsgrund des Geschmacksurteils ausmacht. Wie die Analyse von § 10 der Kritik der Urteilskraft ergeben hat, ist mit der „Form der Zweckmäßigkeit" aber die Form eines logischen oder realen Systems gemeint, eine Form, die sich nach Naturgesetzen nicht erklären läßt und die daher nur die reflektierende Urteilskraft zu beurteilen vermag. Da aber die „Form der Zweckmäßigkeit" die Form eines Systems meint, ist ein Urteil über die Zweckmäßigkeit ohne Zweck, also die hypothetische Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes oder einer Vorstellung desselben nur dann auch ein Urteil über die Form der Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes oder einer Vorstellung desselben, wenn es ein Urteil über die systematische Form eines Gegenstandes oder einer Vorstellung desselben ist. Daraus allein, daß ein Gegenstand bei einem Menschen, der eine anschauliche Vorstellung von diesem Gegenstand hat, eine Empfindung interesselosen Wohlgefallens hervorzurufen vermag, folgt jedoch nicht, daß dieser Gegenstand in irgendeiner Weise systematisch organisiert ist, also eine Form der Zweckmäßigkeit aufweist. Aus der subjektiven Zweckmäßigkeit ohne Zweck des schönen Gegenstandes, die diesem Gegenstand zugeschrieben wird, weil er eine Empfindung interesselosen Wohlgefallens hervorzurufen vermag, folgt nicht, daß dieser Gegenstand die Form der Zweckmäßigkeit aufweist,

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Reine Geschmacksurteile und reflektierende Urteilskraft

daß er also zweckmäßig ist hinsichtlich einer angenommenen Zweckursache, auf die er bezogen wird, weil sich Menschen seine Möglichkeit nicht nach Naturgesetzen erklären können. Als ästhetisches Urteil aufgrund einer Empfindung interesselosen Wohlgefallens des Urteilssubjekts ist also das reine Geschmacksurteil ein Urteil über eine Zweckmäßigkeit ohne Zweck in einem ganz anderen Sinne als die Urteile der reflektierenden Urteilskraft, die Kant in § 10 der Kritik der Urteilskraft als Urteile über eine Zweckmäßigkeit ohne Zweck beschreibt. Und d.h.: Durch die Argumentation von § 11 vermag Kant die These nicht zu begründen, das reine Geschmacksurteil sei ein Urteil der reflektierenden Urteilskraft. Kant hatte in § 10 der Kritik der Urteilskraft den Terminus .Zweckmäßigkeit ohne Zweck' zur Charakterisierung von Naturprodukten eingeführt, deren Möglichkeit Menschen nicht nach Naturgesetzen erklären können, sondern nur dann, wenn sie sie hypothetisch als Wirkungen von Zweckursachen betrachten. Im weiteren Verlauf der gesamten Argumentation der Kritik der Urteilskraft verwendet er diesen Terminus aber nur noch in einer engeren Bedeutung, nämlich zur Bezeichnung der subjektiven Zweckmäßigkeit der Vorstellung eines schönen Gegenstandes.15 Allein auf der Basis der Kantischen Argumentation in § 11 kann die zweite Bedeutung des Terminus ,Zweckmäßigkeit ohne Zweck' nicht als eine Spezifikation der ersten, in § 10 eingeführten aufgefaßt werden. In § 15 der Kritik der Urteilskraft nennt Kant die Zweckmäßigkeit ohne Zweck schöner Gegenstände eine „formale Zweckmäßigkeit" (KU, 44) und unterscheidet sie dadurch von einer ,,objektive[n] Zweckmäßigkeit", die „nur vermittelst der Beziehung des Mannigfaltigen auf einen bestimmten Zweck, also nur durch einen Begriff erkannt werden [kann]" (KU, 44). Dieser Unterscheidung zufolge ist die Zweckmäßigkeit des Schönen eine formale Zweckmäßigkeit bzw. eine Zweckmäßigkeit ohne Zweck, weil sie ohne Rekurs auf den Begriff eines bestimmten Zwecks, allein durch die Wirkung des schönen Gegenstandes auf das Gefühlsvermögen eines vernünftigen Menschen wahrgenommen werden kann. Das ,ohne Zweck' ist hier also als ,ohne objektiven Begriff eines bestimmten Zwecks' aufzufassen. Unklar bleibt jedoch, aus welchem Grund die Zweckmäßigkeit ohne Zweck des Schönen eine „formale Zweckmäßigkeit" genannt werden kann.

15

Vergi. KU, 61,69,170, 247. Eine Ausnahme macht Kant allerdings: Auch in bezug auf bestimmte geometrische Figuren spricht er von einer Zweckmäßigkeit ohne Zweck; Schönheit aber schreibt er diesen Figuren nicht zu. (Vergi. KU, 271-75). In der Ersten Einleitung verwendet Kant den Terminus Zweckmäßigkeit ohne Zweck' noch nicht.

Das Argument in § 11

111

Mit der „Erklärung des Schönen", die Kant aus dem ,,Dritte[n] Moment der Geschmacksurteile, nach der Relation der Zwecke, welche in ihnen in Betrachtung gezogen wird" (KU, 32) glaubt schließen zu können, reformuliert er die These von § 11: Schönheit ist Form der Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes, sofern sie ohne Vorstellung eines Zwecks an ihm wahrgenommen wird. (KU, 61, Hervorh. v. Kant).

Da er diese These weder in § 11, noch in den folgenden Paragraphen dieses „Dritten Momentes]" oder in dem ,,Vierte[n] Moment des Geschmacksurteils, nach der Modalität des Wohlgefallens an den Gegenständen" (KU, §§ 18-22) begründet, steht ihre Begründung nach dem Ende der ,^Analytik des Schönen" noch aus. Wie im folgenden Kapitel gezeigt werden soll, liefert Kant diese Begründung in § 35 der Kritik der Urteilskraft nach. Erst in diesem Paragraphen nämlich gelingt es ihm zu zeigen, daß in der Lust am Schönen eine hypothetische Zweckmäßigkeit der Form der Vorstellung eines Gegenstandes bewußt wird, wie sie nur die reflektierende Urteilskraft beurteilen kann. Dieser Nachweis erst erlaubt, die Zweckmäßigkeit ohne Zweck der Vorstellungen schöner Gegenstände als einen Spezialfall der Zweckmäßigkeit ohne Zweck zu begreifen, die die reflektierende Urteilskraft Naturprodukten zuschreibt, die Menschen zufällig zu sein scheinen, weil sie deren Möglichkeit nicht nach Naturgesetzen erklären können.

6. Auch das reine Geschmacksurteil ist ein Urteil der reflektierenden Urteilskraft. 6.1.

Das Prinzip des Geschmacks ist das subjektive Prinzip der Urteilskraft überhaupt (KU, § 35).

Laut Titel will Kant in § 35 zeigen, daß „das Prinzip des Geschmacks ... das subjektive Prinzip der Urteilskraft überhaupt [ist]" (KU, 145). Es ist jedoch nicht leicht zu erkennen, wie er diese These begründet. Denn von dem subjektiven Prinzip der Urteilskraft überhaupt ist im Text dieses Paragraphen ebensowenig ausdrücklich die Rede wie von dem Prinzip des Geschmacks. Im folgenden wird gezeigt, wie diese These verstanden werden muß, wenn man in dem mit ihr überschriebenen Textabschnitt Argumente zu ihrer Begründung sehen will. Dabei wird u.a. nachgewiesen, daß Kant in § 35 die „Erklärung des Schönen" nachträglich begründet, die er schon aus dem „Dritten Moment der Geschmacksurteile" schließen zu können geglaubt hatte. Dieser Erklärung zufolge ist Schönheit ... Form der Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes, sofern sie ohne Vorstellung eines Zwecks an ihm wahrgenommen wird" (KU, 61, Hervorh. v. Kant). Kant beginnt den § 35 mit einer Erinnerung an die logischen Eigentümlichkeiten des reinen Geschmacksurteils, aufgrund derer sich dieses Urteil sowohl von begrifflich begründbaren Erkenntnisurteilen unterscheidet als auch von den nur privatgültigen ästhetischen Urteilen über das Angenehme: Das Geschmacksurteil unterscheidet sich darin von dem logischen, daß das letztere eine Vorstellung unter Begriffe vom Objekt, das erstere aber gar nicht unter einen Begriff subsumiert, weil sonst der notwendige allgemeine Beifall durch Beweise würde erzwungen werden können. Gleichwohl aber ist es darin dem letzteren ähnlich, daß es eine Allgemeinheit und Notwendigkeit, aber nicht nach Begriffen vom Objekt, folglich eine bloß subjektive, vorgibt. (KU, 145).

Im folgenden knüpft Kant an seine Ausführungen zu der dem reinen Geschmacksurteil der Form DIES IST SCHÖN, DIES IST NICHT SCHÖN oder DIES IST HÄSSLICH zugrundeliegenden Beurteilung des Gegenstandes in § 9 der Kritik der Urteilskraft an:

Das Geschmacksprinzip als Prinzip der Urteilskraft

113

Weil nun die Begriffe in einem Urteile den Inhalt desselben (das zum Erkenntnis des Objekts Gehörige) ausmachen, das Geschmacksurteil aber nicht durch Begriffe bestimmbar ist, so gründet es sich nur auf der subjektiven formalen Bedingung eines Urteils überhaupt. (KU, 145).

Da Schönheit kein Begriff vom Objekt ist und sich das reine Geschmacksurteil nicht auf objektive Begriffe gründen läßt, steht als Leitfaden für die ästhetische Synthesis, die dem reinen Geschmacksurteil zugrunde liegt, kein objektiver Begriff zur Verfügimg. Aus diesem Grunde beschreibt Kant diese Synthesis als eine Tätigkeit der Erkenntniskräfte, die in freiem Spiel erfolgt. Sowohl in der erkennenden als auch in der ästhetischen Synthesis versuchen die Erkenntniskräfte, in eine harmonische Proportion zueinander zu gelangen. Schon in § 9 bezeichnet Kant die freie und harmonische Proportion von Einbildungskraft und Verstand, die herzustellen Ziel jeder ästhetischen Synthesis ist und die sich angesichts eines schönen Gegenstandes auch herstellen läßt, als eine Zusammenstimmung zu einer Erkenntnis überhaupt, die subjektive Bedingung jeder bestimmten Erkenntnis ist.1 An die Stelle des objektiven Begriffs, auf den sich ein Erkenntnisurteil gründet und der als Leitfaden der einem solchen Urteil zugrundeliegenden Synthesis dient, tritt im Fall der ästhetischen Synthesis „die subjektive formale Bedingung eines Urteils überhaupt". Um was für eine Bedingung es sich hier handelt, sollen die folgenden beiden Sätze erläutern: Die subjektive Bedingung aller Urteile ist das Vermögen zu urteilen selbst, oder die Urteilskraft. Diese, in Ansehung einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird, gebraucht, erfordert zweier Vorstellungskräfte Zusammenstimmung: nämlich der Einbildungskraft (für die Anschauung und die Zusammensetzung des Mannigfaltigen derselben) und des Verstandes (für den Begriff als Vorstellung der Einheit dieser Zusammenfassung). (KU, 145).

Wie oben bereits erwähnt wurde, definiert Kant die Urteilskraft in der Einleitung in die Kritik der Urteilskraft als „das Vermögen, das Besondere als enthalten unter dem Allgemeinen zu denken" (KU, XXV).2 Eine Leistung der so definierten Urteilskraft liegt jedem Erkenntnisurteil zugrunde. So wird z.B. in einem kategorischen Urteil der Form ,Dies Ding ist F die Vorstellung eines besonderen Dinges unter die allgemeine Vorstellung F subsumiert. Dadurch wird das besondere Ding als enthalten im Allgemeinen F, und d.h. als eine Instanz von F gedacht. Schon in der Kritik der reinen Ver-

1 2

Vergi. KU, 29 und oben, Kap. 3.2. Vergi, oben, S. 83.

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Ästhetischer Gebrauch der Urteilskraft

nunft weist Kant darauf hin, daß sich ein Besonderes nur dann unter ein Allgemeines subsumieren läßt, wenn beide gleichartig sind: „In allen Subsumtionen eines Gegenstandes unter einen Begriff muß die Vorstellung des ersteren mit der letzteren gleichartig sein, d.i. der Begriff muß dasjenige enthalten, was in dem darunter zu subsumierenden Gegenstande vorgestellt wird, denn das bedeutet eben der Ausdruck: ein Gegenstand sei unter einem Begriffe enthalten." (KrV, A137/B176, Hervorh. v. Kant). 3 Als das Vermögen, das Besondere als enthalten unter dem Allgemeinen zu denken, erfordert die Urteilskraft daher eine solche Gleichartigkeit des Besonderen und Allgemeinen. Wo anschauliche Gegenstandsvorstellungen in einem synthetischen Urteil unter Begriffe subsumiert werden sollen, ist eine Gleichartigkeit anschaulicher und begrifflicher Vorstellungen erforderlich. Ist diese Bedingung der Möglichkeit eines synthetischen Urteils erfüllt, stimmen die für die anschaulichen Vorstellungen zuständige Einbildungskraft und der für die begrifflichen Vorstellungen zuständige Verstand zusammen. Daher kann man von der Urteilskraft auch sagen, sie erfordere eine Zusammenstimmung der Vorstellungskräfte Einbildungskraft und Verstand. Von einer solchen Zusammenstimmung, wie sie die Urteilskraft erfordert, spricht Kant in dem oben zitierten Textabschnitt als von der ,,subjektive[n] Bedingung aller Urteile". Diese subjektive Bedingung aller Urteile ist zugleich auch eine objektive Bedingung derselben, wenn der mit der Einbildungskraft zusammenstimmende Verstand objektive Begriffe denkt.4 Nun sind anschauliche Vorstellungen von Gegenständen in Raum und Zeit und begriffliche Vorstellungen Kant zufolge ihrer Natur nach heterogen, also ungleichartig.5 Wie läßt sich diese natürliche Ungleichartigkeit überwinden, so daß synthetische Urteile möglich werden? Dadurch, daß die Einbildungskraft Vorstellungen von Schematen entwickelt. Mittels entsprechender Schemate sollen sich sowohl die Kategorien als auch beliebige empirische Begriffe auf anschauliche Vorstellungen von Gegenständen in Raum und Zeit anwenden lassen. Was aber versteht Kant unter einem Schema? In der Kritik der reinen Vernunft definiert Kant das Schema als ein „Produkt der Einbildungskraft" (KrV, A140/B179), mit dem diese jedoch kein Bild eines einzelnen raumzeitlichen Gegenstandes vorstellt, sondern vielmehr ein ,,allgemeine[s] Verfahren ..., einem Begriff sein Bild zu verschaffen" (KrV, A140/B179/80). Unter dem Bild eines Begriffes ist die Darstellung desselben in der raum3 4 5

Vergi, bereits oben, S. 12. Vergi, oben, S. 62/3. Vergi, oben, S. 51/2 u.a.

Das Geschmacksprinzip als Prinzip der Urteilskraft

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zeitlichen Anschauung zu verstehen. Das Schema gibt die Regel an, nach deren Anleitung dieses Bild hergestellt werden oder hergestellt worden sein muß. Diese Definition eines Schemas gilt für die Schemate der Kategorien ebenso wie für die Schemate empirischer Begriffe. Dennoch ist die Aufgabe der Einbildungskraft, wenn sie ein Verfahren angeben soll, einem Begriff sein Bild zu verschaffen, je verschieden, je nachdem, ob es um ein Verfahren für die anschauliche Darstellung eines reinen Verstandesbegriffs oder aber eines empirischen Begriffs geht. Denn die Ungleichartigkeit, die einerseits zwischen den reinen Kategorien und anschaulichen Vorstellungen raum-zeitlicher Gegenstände und andererseits zwischen empirischen Begriffen und solchen Vorstellungen besteht, ist nicht dieselbe. Die Kategorien bringt der Verstand spontan hervor. Als aus den Urteilsformen abgeleitete Begriffe a priori enthalten sie keinen Hinweis darauf, wie sie auf ein Mannigfaltiges von anschaulichen Vorstellungen raum-zeitlicher Gegenstände angewandt werden können. Um diesem Mangel abzuhelfen, muß die Einbildungskraft für jede Kategorie ein entsprechendes Schema entwickeln. Dabei orientiert sie sich an dem, was den reinen Kategorien und den anschaulichen Vorstellungen gemeinsam ist: die Vorstellung der Einheit eines Mannigfaltigen. Die Einheit alles Mannigfaltigen der menschlichen Anschauung ist die Einheit in der Zeit; denn „die Zeit, [ist] ... die formale Bedingung des Mannigfaltigen des inneren Sinnes, mithin der Verknüpfung aller Vorstellungen" (KrV, A138/B177). Um das Schema herzustellen, durch das eine Kategorie auf das Mannigfaltige der raum-zeitlichen Anschauung angewandt werden kann, muß die Einbildungskraft die kategoriale Einheit in eine zeitliche Einheit übersetzen, d.h., sie muß die der Kategorie entsprechende „transzendentale Zeitbestimmung" angeben. „Daher wird eine Anwendung der Kategorie auf Erscheinungen möglich sein, vermittelst der transzendentalen Zeitbestimmung, welche, als das Schema der Verstandesbegriffe, die Subsumtion der letzteren unter die erste vermittelt."6 (KrV, A139/B178, Hervorh. v. Kant). Mit einer solchen transzendentalen Zeitbestimmung gibt die Einbildungskraft die Regel an, nach der ein anschauliches Mannigfaltiges in der Zeit zusammengesetzt sein muß, um die in der entsprechenden Kategorie gedachte Einheit bildlich darzustellen. Im Unterschied zu den reinen Kategorien bringt der Verstand die empirischen Begriffe nicht spontan hervor. Diese werden vielmehr durch

Die Bezüge von „letzteren" und „erste" sind hier undeutlich. Ich stimme Adickes zu, der vorschlägt, die genannte Subsumtion als Subsumtion „der Erscheinungen unter die Kategorie" zu lesen.

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Ästhetischer Gebrauch der Urteilskraft

Tätigkeiten der Komparation, Reflexion und Abstraktion in bezug auf ein gegebenes Mannigfaltiges raum-zeitlicher Gegenstände gebildet.7 Wenn man einen empirischen Begriff erst einmal gebildet hat, kann seine Anwendung auf ein Mannigfaltiges raum-zeitlicher Anschauungen kein Problem mehr darstellen. D.h., daß ein empirischer Begriff immer zusammen mit seinem Schema gebildet wird. Inwiefern aber bedarf es überhaupt eines Schemas zu einem empirischen Begriff, um diesen auf raum-zeitliche Anschauungen anzuwenden? Obwohl empirische Begriffe erst auf dem Weg einer Analyse raum-zeitlicher Anschauungen gebildet werden, sind sie ihrer Natur nach nicht mit diesen Anschauungen gleichartig. Die Ungleichartigkeit empirischer Begriffe und raum-zeitlicher Anschauungen erklärt sich daraus, daß diese Begriffe endlich komplexe Allgemeinvorstellungen sind, raum-zeitliche Anschauungen dagegen unendlich komplexe Einzelvorstellungen, nämlich Vorstellungen von einzelnen Gegenständen an einzelnen Raum-Zeit-Stellen. Eine Konsequenz dieser Ungleichartigkeit ist, daß ein einzelner Gegenstand der raum-zeitlichen Anschauung durch einen empirischen Begriff nicht als Einzelner in seiner unendlichen Differenziertheit, sondern immer nur als Element einer Klasse von Gegenständen gedacht werden kann, die genau die endlich vielen Merkmale gemeinsam haben, die in der Intension des Begriffs angegeben sind. Nun ist ein empirischer Begriff, als logisches Gebilde betrachtet, nichts anderes als eine widerspruchsfreie Konjunktion der endlich vielen Elemente, die zusammen seine Intension bilden. Mit einer solchen Konjunktion ist jedoch noch nicht angegeben, wie aus dem unendlich komplexen Mannigfaltigen der raumzeitlichen Anschauung eines Gegenstandes die Merkmale desselben ausgewählt werden können, die allein zu berücksichtigen der fragliche Begriff mit seiner Intension vorschreibt. Ebensowenig ist mit einer solchen Konjunktion das Verfahren angegeben, nach dem die an einem Gegenstand zu berücksichtigenden Merkmale verbunden sein müssen, um durch diesen Begriff zutreffend bestimmt werden zu können. Beides leistet das einem empirischen Begriff korrespondierende Schema. Auch ein empirischer Begriff, betrachtet als Konjunktion seiner Intensionselemente, muß daher, wenn Gegenstände der raum-zeitlichen Anschauung durch ihn sollen bestimmt werden können, durch ein ihm entsprechendes Schema ergänzt werden. Wenn auf dem Wege einer vergleichenden Analyse von Gegenständen der raum-zeitlichen Anschauung ein empirischer Begriff gebildet werden soll, so ist nicht nur auf die Merkmale zu achten, die diesen Gegenständen gemeinsam sind. Es ist vielmehr auch darauf zu achten, daß diese Merkmale nach

7

Vergi, oben, S. 84.

Das Geschmacksprinzip als Prinzip der Urteilskraft

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einem einheitlichen Verfahren aus dem Mannigfaltigen der Anschauung dieser Gegenstände ausgewählt werden, und es ist nach der Regel zu suchen, nach der diese Merkmale in den jeweiligen Gegenständen zu einer objektiven Einheit verbunden sind. Jedem synthetischen Urteil, in dem ein Gegenstand der empirischen Anschauung objektiv erkannt wird, liegt eine Subsumtion des Mannigfaltigen seiner empirischen Anschauung unter mindestens eine Kategorie und einen empirischen Begriff zugrunde. Die diese Subsumtion allererst ermöglichende Gleichartigkeit dieses Mannigfaltigen mit der Kategorie und dem empirischen Begriff kann nur unter Anwendung der diesen Begriffen korrespondierenden Schemate auf dieses Mannigfaltige hergestellt werden: Das Mannigfaltige muß als nach genau den Verfahren geordnet und verbunden vorgestellt werden, die die Einbildungskraft mit den entsprechenden Schematen angibt, d.h., es muß sich als bildliche Darstellung der den Schematen korrespondierenden Begriffe erweisen; und dies geschieht in der dem synthetischen Urteil zugrundeliegenden objektiven Synthesis. Resultat dieser Synthesis ist eine objektive Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand, wie sie die Urteilskraft zu einem empirischen Erkenntnisurteil erfordert. Auch diese objektive Synthesis muß unter Berücksichtigung qualitativer Einheit, Vielheit und Vollständigkeit, d.h. der logischen Erfordernisse aller Erkenntnis der Dinge überhaupt erfolgen.8 Denn nur durch eine Synthesis, die diese Erfordernisse berücksichtigt, kann ein gegebenes Mannigfaltiges in die Einheit gebracht werden, die durch einen objektiven Begriff gedacht werden kann. Die ästhetische Synthesis nun, die jedem reinen Geschmacksurteil zugrunde liegt, ist mit dieser objektiven Synthesis darin verwandt, daß sie die genannten logischen Erfordernisse aller Erkenntnis der Dinge überhaupt berücksichtigt und mit dem Ziel unternommen wird, zwischen Einbildungskraft und Verstand ein Verhältnis gegenseitiger Zusammenstimmung herzustellen. Im Unterschied zu der objektiven Zusammenstimmung dieser Erkenntniskräfte kann ihre ästhetische Zusammenstimmung jedoch nicht aus der Gleichartigkeit anschaulicher und begrifflicher Vorstellungen erklärt werden, die notwendige und hinreichende Bedingung eines synthetischen Erkenntnisurteils ist und die durch Anwendung von Schematen objektiver Begriffe auf ein Mannigfaltiges raum-zeitlicher Anschauungen hergestellt wird. Objektive Begriffe bzw. die ihnen korrespondierenden Schemate können in einer ästhetischen Synthesis nicht als Leitfaden oder Verfahrensregel

Zu den von Kant in § 12 der Kritik der reinen Vernunft angegebenen logischen Erfordernissen aller Erkenntnis der Dinge überhaupt vergi, oben, Kap. 3.2.

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Ästhetischer Gebrauch der Urteilskraft

fungieren. Was ist dann aber Leitfaden bzw. Verfahrensregel der ästhetischen Synthesis? Auf diese Frage gibt Kant in § 35 der Kritik der Urteilskraft die folgende dunkle Antwort: Weil nun dem Urteile hier kein Begriff vom Objekte zum Grunde liegt, so kann es nur in der Subsumtion der Einbildungskraft selbst (bei einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird) unter die Bedingung, daß der Verstand überhaupt von der Anschauung zu Begriffen gelangt, bestehen. D.i. weil eben darin, daß die Einbildungskraft ohne Begriff schematisiert, die Freiheit derselben besteht, so muß das Geschmacksurteil auf einer bloßen Empfindung der sich wechselseitig belebenden Einbildungskraft in ihrer Freiheit und des Verstandes mit seiner Gesetzmäßigkeit, also auf einem Gefühle beruhen, das den Gegenstand nach der Zweckmäßigkeit der Vorstellung (wodurch ein Gegenstand gegeben wird) auf die Beförderung der Erkenntnisvermögen9 in ihrem freien Spiele beurteilen läßt; und der Geschmack, als subjektive Urteilskraft, enthält ein Prinzip der Subsumtion, aber nicht der Anschauungen unter Begriffe, sondern des Vermögens der Anschauungen oder Darstellungen (d.i. der Einbildungskraft) unter das Vermögen der Begriffe (d.i. den Verstand), sofern das erstere in seiner Freiheit zum letzteren in seiner Gesetzmäßigkeit zusammenstimmt. (KU, 145/6, Hervorh. v. Kant). Hier beschreibt Kant die ästhetische Synthesis als eine Tätigkeit der Einbildungskraft, in der diese „ohne Begriff schematisiert". Was aber meint Kant, wenn er von der Einbildungskraft sagt, sie schematisiere? Zwei mögliche Antworten auf diese Frage sind zu bedenken: (a) Schematisieren bedeutet, ein bereits gebildetes Schema auf ein Mannigfaltiges raum-zeitlicher Anschauungen anzuwenden, (b) Schematisieren bedeutet, ein Schema zu produzieren. Was muß unter .Schematisieren' verstanden werden, wenn mit der Kantischen Rede von dem begriffslosen Schematisieren der Einbildungskraft ein vernünftiger Sinn soll verbunden werden können? Wenn .Schematisieren' als ,ein Schema anwenden' verstanden wird, muß die Rede von einem begriffslosen Schematisieren absurd erscheinen. Denn ein Schema anwenden heißt, ein Mannigfaltiges der raum-zeitlichen Anschauung nach der mit dem Schema angegebenen Verfahrensregel zu ordnen und zu verbinden. Dazu muß das Schema bereits gegeben sein. Wo aber ein Schema als Leitfaden oder Verfahrensregel einer Synthesistätigkeit zur Verfügung steht, kann auch der diesem Schema korrespondierende Begriff gedacht werden. Ein Schema auf ein Mannigfaltiges der raum-zeitlichen Anschauung eines Gegenstandes anzuwenden, bedeutet auch zu prüfen, ob sich der diesem Schema korrespondierende Begriff in dieser Anschauung

Kant schreibt hier „des Erkenntnisvermögens". Ich übernehme den Korrekturvorschlag von Erdmann.

Das Geschmacksprinzip als Prinzip der Urteilskraft

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bildlich darstellen läßt. Wo ein Schema angewandt wird, wird also auch immer ein Begriff angewandt. Ohne Begriff kann kein gegebenes Schema angewandt werden. D.h., daß die ästhetische Reflexion über das Mannigfaltige der empirischen Anschauung eines Gegenstandes, in der die Einbildungskraft ohne Begriff schematisiert, nicht als Anwendimg eines Schemas beschrieben werden kann. Rücksicht auf ein Schema bedeutet immer Rücksicht auch auf den diesem Schema korrespondierenden Begriff. Kant selbst aber betont, daß die Einbildungskraft in der bloßen Reflexion, nämlich der ästhetischen Synthesis „ohne Rücksicht auf einen Begriff tätig" ist (KU, XLVI). Wenn aber .Schematisieren' als ,ein Schema bilden' bzw. als ,in der Absicht, ein Schema zu bilden, tätig sein' verstanden wird, dann läßt sich Kants Charakterisierung der ästhetischen Reflexion als ein Schematisieren der Einbildungskraft ohne Begriff durchaus verständlich machen. Paradigma für das Schematisieren ohne Begriff ist die Tätigkeit von Einbildungskraft und Verstand, bei der sie einen empirischen Begriff und das ihm korrespondierende Schema bilden. Denn die den Kategorien korrespondierenden Schemate kann die Einbildungskraft nur unter Anleitung durch eben diese reinen Verstandesbegriffe bilden. Nach einem empirischen Begriff und dem diesem korrespondierenden Schema suchen, bedeutet, in bezug auf ein gegebenes Mannigfaltiges der empirischen Anschauung nach der Verfahrensregel suchen, nach der dieses geordnet und zusammengesetzt worden ist oder zumindest hätte geordnet und zusammengesetzt sein können. Auch die ästhetische Synthesis läßt sich als eine solche Suche beschreiben. Ihren Leitfaden hat sie nicht in einer bestimmten Verfahrensregel, sondern in der abstrakten Vorstellung von einer Verfahrensregel, deren spezifische Form es allererst aufzufinden gilt. Die Einbildungskraft ist in ästhetischer Einstellung zu einem anschaulich gegebenen Gegenstand unter besonderen Voraussetzungen tätig, die diese Tätigkeit von derjenigen wesentlich unterscheidet, die in der Absicht unternommen wird, einen empirischen Begriff und das diesem korrespondierende Schema zu bilden: Die Einbildungskraft ist bei ihrer ästhetischen Synthesistätigkeit auf das Mannigfaltige der Vorstellung nur eines Gegenstandes bezogen, das aus einem möglicherweise komplexeren Mannigfaltigen zuvor isoliert worden ist. Außerdem ist sie in ihrer Tätigkeit frei, uneingeschränkt durch einen objektiven Begriff des Verstandes.10 Für einen Vergleich mehrerer gegebener Gegenstandsvorstellungen in der Ab-

Kant spricht an verschiedenen Stellen der Kritik der Urteilskraft auch von einer in ästhetischer Einstellung zu einem anschaulich gegebenen Gegenstand frei spielenden Einbildungskraft. (Vergi. KU, 68/9, 71, 72, 73, 75, 94,146).

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Ästhetischer Gebrauch der Urteilskraft

sieht, zu der Bestimmung der vorgestellten Gegenstände geeignete empirische objektive Begriffe und die diesen korrespondierenden Schemate zu finden, sind die Voraussetzungen in der ästhetischen Einstellung zu einem Gegenstand ebensowenig gegeben wie für eine Bestimmimg des vorgestellten Gegenstandes durch einen objektiven Begriff. Daher fehlt der Einbildungskraft in ihrer ästhetischen Einstellung zu einem Gegenstand ein Grund oder Gesichtspunkt, der es ihr erlaubte, aus dem Mannigfaltigen des vorgestellten Gegenstandes einen Teil von Elementen auszuwählen und nur diesen zu berücksichtigen. Sie bleibt in ihrer ästhetischen Einstellung zu einem Gegenstand auf das vollständige Mannigfaltige von dessen anschaulicher Vorstellung bezogen. Ihre Aufgabe der Schematisierung kann unter diesen Umständen nur die Aufgabe sein, die Verfahrensregel anzugeben, nach der dieses Mannigfaltige vollständig, d.h. in seiner unendlichen Komplexität, geordnet und verbunden worden ist oder wenigstens hätte verbunden worden sein können. Kann die Einbildungskraft diese Aufgabe erfüllen? Kann in ästhetischer Einstellung zu einem Gegenstand, durch die ästhetische Synthesis des Mannigfaltigen seiner empirischen Anschauung, ein Verhältnis gegenseitiger Zusammenstimmung zwischen Einbildungskraft und Verstand entstehen? Kant bejaht diese Frage: In ästhetischer Einstellung zu einem schönen Gegenstand geraten die Erkenntniskräfte in freiem Spiel in ein Verhältnis ästhetischer Zusammenstimmung. Was aber kennzeichnet diese ästhetische Zusammenstimmung? Es kann nicht die Zusammenstimmung sein, die darauf beruht, daß sich in dem durch die Einbildungskraft nach einem Schema geordneten und verbundenen Mannigfaltigen der Anschauung ein bestimmter objektiver Begriff bildlich darstellen läßt, den der Verstand denkt. Der Begriff, durch den sich das Mannigfaltige der anschaulichen Vorstellung eines Gegenstandes in seiner unendlichen Komplexität vollständig denken ließe, wäre ein vollständiger Begriff der in dieser Anschauung gegebenen Qualitäten dieses Gegenstandes. Dies könnte kein objektiver Begriff sein, denn objektive Begriffe sind Allgemeinvorstellungen, nicht aber vollständige Begriffe von Einzeldingen. Nun kann der menschliche Verstand vollständige Begriffe nicht denken; nur die Vernunft ist dazu in der Lage. Worauf beruht dann aber die ästhetische Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand? Was ist die Funktion des Verstandes bei der ästhetischen Beurteilung, und insbesondere bei der ästhetischen Beurteilung des Schönen? Die Beantwortung dieser Frage wird hier noch zurückgestellt.11

Zur Beantwortung dieser Frage vergi, unten, Kap. 6.3. Einen Hinweis darauf, daß die genaue Bestimmung der Funktion, die dem Verstand in der ästhetischen Beurteilung eines anschaulich vorgestellten Gegenstandes zukommt,

Das Geschmacksprinzip als Prinzip der Urteilskraft

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Unabhängig von ihrer Beantwortung läßt sich jedoch an dieser Stelle die „Erklärung" begründen, mit der Kant den Abschnitt abschließt, der dem ,,Dritte[n] Moment der Geschmacksurteile" gewidmet ist. Aus den vorangehenden Ausführungen ist zu entnehmen, daß Kant unter einem Schema die Regel für ein Verfahren versteht, nach dem ein Mannigfaltiges raum-zeitlicher Anschauungen einheitlich geordnet und verbunden werden kann. Ein Schema auf das Mannigfaltige der anschaulichen Vorstellung eines Gegenstandes anwenden heißt prüfen, ob diese Vorstellung unter Anleitung durch dieses Schema hätte hervorgebracht werden können. Wo diese Prüfung zu einem positiven Resultat führt, wird durch die Anwendung des Schemas auf die Gegenstandsvorstellung der diesem Schema korrespondierende Begriff in dieser Vorstellung bildlich dargestellt. M.a.W.: Die Vorstellung des Gegenstandes erscheint, wenn sie sich als zur bildlichen Darstellung eines Begriffs tauglich erweist, als ob sie nach Anleitung durch eben diesen Begriff bzw. das ihm korrespondierende Schema hergestellt worden wäre; d.h., diese Vorstellung erscheint als zweckmäßig zur Darstellung dieses Begriffs. Denn zweckmäßig nennt Kant solche Dinge, die unter Anleitung durch ihren Begriff hergestellt worden zu sein scheinen. Kant selbst spricht von Formen der Anschauung, die „sich zur Darstellung eines Begriffs schicken", als von ,zweckmäßigen Formen der Anschauung" (EE, 38, Hervorh. v. C.F.). Die Zweckmäßigkeit einer anschaulichen Vorstellung ist eine formale Eigenschaft derselben, weil sie in der Ordnung und Zusammensetzung ihres Mannigfaltigen ihren Grund hat. Formale Eigenschaften von Vorstellungen oder vorgestellten Gegenständen sind nämlich solche, die von den Relationen abhängen, die zwischen den Elementen der jeweiligen Vorstellungen bestehen. Allerdings ist die Zweckmäßigkeit der anschaulichen Vorstellung eines Gegenstandes immer nur eine hypothetische Zweckmäßigkeit: Eine solche zweckmäßige Vorstellung erscheint, als ob sie nach einer bestimmten Regel hervorgebracht worden wäre. Jede Erkenntnis eines Gegenstandes beruht auf einer solchen hypothetischen Zweckmäßigkeit der Vorstellung dieses Gegenstandes zu der Darstellung des Begriffs, durch den der Gegenstand in dieser Erkenntnis bestimmt wird. In diesem Sinne erweist sich auch die Vorstellung des schönen Gegenstandes in ästhetischer Einstellung zu ihm als zweckmäßig: Auch diese Vorstellung erscheint, als ob sie nach einer Regel hervorgebracht

Kant einige Mühe bereitet hat, enthält schon der § 1 der Kritik der Urteilskrafi: „Um zu unterscheiden, ob etwas schön sei oder nicht, beziehen wir die Vorstellung nicht durch den Verstand auf das Objekte zum Erkenntnisse, sondern durch die Einbildungskraft (vielleicht mit dem Verstände verbunden) auf das Subjekt und das Gefühl der Lust oder Unlust desselben." (KU, 3/4, Hervorh. v. C.F.).

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Ästhetischer Gebrauch der Urteilskraft

worden wäre. Von der Zweckmäßigkeit einer Gegenstandsvorstellung, wie sie jeder objektiven Erkenntnis des vorgestellten Gegenstandes vorhergeht, unterscheidet sich die Zweckmäßigkeit der Vorstellung eines schönen Gegenstandes dadurch, daß sich die ihr entsprechende Zweckvorstellung nicht in Form eines objektiven Begriffs angeben läßt: Nun zeigt sich zwar an ästhetischen Reflexionsurteilen die Schwierigkeit, daß sie durchaus nicht auf Begriffe gegründet und also von keinem bestimmten Prinzip abgeleitet werden können, weil sie sonst logisch wären; die subjektive Vorstellung von Zweckmäßigkeit soll aber durchaus kein Begriff eines Zwecks sein. (EE, 48). Die schöne Zweckmäßigkeit ist daher eine Zweckmäßigkeit ohne Zweck in einem doppelten Sinne des ,ohne Zweck': nämlich (a) eine bloß hypothetische Zweckmäßigkeit und (b) eine Zweckmäßigkeit in bezug auf einen Zweck, der nicht als objektiver Begriff gedacht werden kann. Eben dies besagt die Erklärung des Schönen am Ende des ,,Dritte[n] Moments der Geschmacksurteile": Schönheit ist Form der Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes, sofern sie ohne Vorstellung eines Zwecks an ihm wahrgenommen wird. (KU,61, Hervorh. v. Kant). Den zweiten Aspekt der Zweckfreiheit der schönen Zweckmäßigkeit hebt Kant in einer Anmerkung zum „Dritten Moment der Geschmacksurteile" noch einmal besonders hervor. Bei der Zweckvorstellung, hinsichtlich derer die anschauliche Vorstellung des Schönen als zweckmäßig erscheint, handelt es sich nicht um einen objektiven Begriff, der dem Subjekt der ästhetischen Erfahrung aus lediglich kontingenten Gründen unbekannt ist, sondern um einen Begriff, den Menschen prinzipiell nicht als einen objektiven Begriff angeben können: Dinge, „an denen man eine zweckmäßige Form sieht, ohne an ihnen einen Zweck zu erkennen, z.B. die öfter aus alten Grabhügeln gezogenen, mit einem Loche als zu einem Hefte, versehenen steinernen Geräte ... [werden], ob sie zwar in ihrer Gestalt deutlich eine Zweckmäßigkeit verraten, für die man den Zweck nicht kennt, darum gleichwohl nicht für schön erklärt ..." (KU, 61 Anm.). Die Möglichkeit, den Zweck, hinsichtlich dessen die anschauliche Vorstellung eines schönen Gegenstandes als zweckmäßig erscheint, in Form eines objektiven Begriffs anzugeben, würde dem ästhetischen Charakter des reinen Geschmacksurteils widersprechen. Stünde nämlich ein objektiver Begriff dieses Zwecks zur Verfügung, ließe sich über die Schönheit von Gegenständen nach Begriffen, und nicht allein gefühlsmäßig urteilen. Die Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand, die die Urteilskraft erfordert und die Kant in § 35 der Kritik der Urteilskraft als

Das Geschmacksprinzip als Prinzip der Urteilskraft

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„subjektive formale Bedingung eines Urteils überhaupt" (KU, 145) bezeichnet, läßt sich nun auch beschreiben als eine solche, die ihren Grund in einem zweckmäßigen Verhältnis hat zwischen dem, was die Einbildungskraft, und dem, was der Verstand vorstellt. Dieses zweckmäßige Verhältnis ist darüber hinaus zweckmäßig für die Urteilskraft, weil sich mit ihm eine Forderung der Urteilskraft erfüllt. Es ist diese Zweckmäßigkeit für die Urteilskraft, die Kant im Auge hat, wenn er die Vorstellung des Schönen als zweckmäßig „auf die Beförderung der Erkenntnisvermögen in ihrem freien Spiele" bezeichnet (KU, 146). Immer wenn Einbildungskraft und Verstand harmonisch zusammenstimmen, ist ihr Verhältnis zweckmäßig für die Urteilskraft. Dies gilt für die Urteilskraft als „das Vermögen, das Besondere als enthalten unter dem Allgemeinen zu denken" (KU, XXV), unabhängig davon, ob sie dies als bestimmende oder reflektierende Urteilskraft tut. Ob sich in bezug auf das Mannigfaltige eines in der raum-zeitlichen Anschauung gegebenen Gegenstandes eine objektive oder ästhetische Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand herstellen läßt oder nicht, hängt ab von der Beschaffenheit dieses Mannigfaltigen. Aus der Perspektive eines Menschen muß das Gelingen einer solchen Zusammenstimmung als zufällig erscheinen.12 Daher kann man sagen, daß sich in jeder empirischen Erkenntnis ebenso wie in jeder ästhetischen Erfahrung eines schönen Gegenstandes eine Zweckmäßigkeit der Natur für die Urteilskraft offenbart. Insofern aber die Urteilskraft zu den menschlichen Erkenntnisvermögen gehört, ist diese Zweckmäßigkeit eine Zweckmäßigkeit der Natur für das menschliche Vermögen, sie zu erkennen. Das Prinzip der „Zweckmäßigkeit der Natur zum Behuf unseres Vermögens ..., sie zu erkennen" (EE, 8) hatte Kant in den Einleitungen in die Kritik der Urteilskraft vornehmlich als ein Prinzip der reflektierenden Urteilskraft thematisiert.13 Hier nun wird es als Prinzip der Urteilskraft überhaupt angesehen, unabhängig davon, ob sie als bestimmende oder reflektierende tätig ist. Darin ist jedoch keine Abweichung von der Kantischen Position zu sehen. In jeder Bestimmung eines anschaulich Gegebenen durch einen

Vergi. KU, 347: „Unser Verstand ist ein Vermögen der Begriffe, d.i. ein diskursiver Verstand, für den es freilich zufällig sein muß, welcherlei und wie sehr verschieden das Besondere sein mag, das ihm in der Natur gegeben werden, und das unter seine Begriffe gebracht werden kann." (Hervorh. v. C.F.). Im Unterschied zu der objektiven und der ästhetischen Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand ist ihre ursprüngliche Zusammenstimmung nicht zufällig, sondern notwendig, notwendige Bedingung nämlich für die Möglichkeit des Selbstbewußtseins des erkennenden Subjekts. Vergi, oben, Kap. 4.

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Ästhetischer Gebrauch der Urteilskraft

objektiven Begriff manifestiert sich eine Zweckmäßigkeit der Natur für unser Vermögen, sie zu erkennen, also auch in einer erfolgreichen Tätigkeit der bestimmenden Urteilskraft. Die bestimmende Urteilskraft, die nach einem ihr durch den Verstand vorgegebenen objektiven Begriff verfährt, unterstellt die Zweckmäßigkeit der Natur bzw. des ihr gerade anschaulich präsenten Teils der Natur für die Bestimmung durch eben diesen bestimmten objektiven Begriff. Die reflektierende Urteilskraft dagegen, der ein bestimmter objektiver Begriff nicht vorgegeben ist, kann sich in ihrem ästhetischen Gebrauch nur an dem Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur für das menschliche Erkenntnisvermögen in seiner allgemeinen Form orientieren, in der ein bestimmter Erkenntniszweck noch gar nicht angegeben ist. In der ästhetischen Beurteilung eines anschaulich vorgestellten Gegenstandes ist die reflektierende Urteilskraft nach ihrem Prinzip in seiner allgemeinen Form tätig: Sie versucht, Einbildungskraft und Verstand in ein Verhältnis gegenseitiger Zusammenstimmung zu bringen, in dem sich eine Zweckmäßigkeit der Natur bzw. des jeweils vorgestellten Teils der Natur für das menschliche Erkenntnisvermögen manifestiert. Der epistemische Zweck, hinsichtlich dessen sich dieser Teil der Natur als zweckmäßig erweisen soll, ist nicht vorgegeben. Es ist lediglich ausgeschlossen, daß sich dieser Zweck als objektiver Begriff denken läßt. Dies bedeutet nun aber nichts anderes, als daß „das Prinzip des Geschmacks ... das subjektive Prinzip der Urteilskraft überhaupt [ist]" (KU, 145). Denn das Prinzip des Geschmacks ist der Leitfaden der ästhetischen Synthesis; als solcher aber fungiert das Prinzip der Urteilskraft, demzufolge die Natur zweckmäßig ist für das menschliche Erkenntnisvermögen. Inwiefern ist dieses Prinzip subjektiv? Zwei verschiedene, einander aber nicht ausschließende, Antworten auf diese Frage lassen sich geben: Zum einen ist dieses Prinzip, ebenso wie die Spezifikationen desselben, nach denen die reflektierende Urteilskraft in ihrem logischen und teleologischen Gebrauch verfährt, in Ansehung eines gegebenen Mannigfaltigen der Anschauung nicht konstitutiv, sondern nur regulativ. Zum anderen ist dieses Prinzip nicht in Form von objektiven Begriffen angebbar. Ein Mensch kann daher nur ein gefühlsmäßiges Bewußtsein davon haben, ob dieses Prinzip von dem Gegenstand einer ästhetischen Einstellung erfüllt wird oder nicht. Auch die ästhetische Beurteilung der Schönheit eines anschaulich gegebenen Gegenstandes in einem reinen Geschmacksurteil beruht also auf einer Leistung der reflektierenden Urteilskraft. Ebenso wie die Urteile der reflektierenden Urteilskraft in ihrem teleologischen Gebrauch können reine Geschmacksurteile als Urteile über die hypothetische Zweckmäßigkeit der

Das Geschmacksprinzip als Prinzip der Urteilskraft

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Form eines Gegenstandes angesehen werden.14 Dennoch bleiben reine Geschmacksurteile von teleologischen Urteilen unterscheidbar. Die Möglichkeit dieser Unterscheidung beruht zum einen darauf, daß in reinen Geschmacksurteilen die Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes ohne den Begriff eines Zwecks im freien Spiel der Erkenntniskräfte gefühlsmäßig erfahren wird, während in teleologischen Urteilen die Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes in bezug auf einen Zweck beurteilt wird, der in Form eines objektiven empirischen Begriffs gedacht wird. Zum anderen kann man sagen, daß in einem teleologischen Urteil eine hypothetische Erklärung des Realgrundes eines Gegenstandes15, in einem reinen Geschmacksurteil über einen schönen Gegenstand dagegen eine hypothetische Erklärung des Erkenntnisgrundes dieses Gegenstandes gegeben wird. Paradigma für Erklärungen von Realgründen, den Gründen für die Existenz von Gegenständen in der wirklichen Welt, ist eine kausale Erklärung. Paradigma für Erklärungen von Erkenntnisgründen, den Gründen dafür, daß Menschen Erkenntnisse eines bestimmten Typs haben können, ist dagegen ein transzendentalphilosophisches Urteil über Konstitutionsleistungen des menschlichen Verstandes. Daß Kant das reine Geschmacksurteil als ein ästhetisches Urteil charakterisiert, die Möglichkeit eines objektiven Begriffs der Schönheit dadurch ausschließt und stattdessen das Geschmacksprinzip, den Leitfaden der ästhetischen Synthesis des Mannigfaltigen der anschaulichen Vorstellung eines Gegenstandes, als ein subjektives Prinzip der reflektierenden Urteilskraft bestimmt, hat nicht nur Konsequenzen für die Möglichkeit der Beurteilung des Schönen, sondern auch für die Möglichkeit der absichtlichen Hervorbringung des Schönen durch eine praktische Handlung. Absichtlich hervorgebracht werden könnten schöne Gegenstände nur, wenn es einen objektiven Begriff der Schönheit gäbe, der der praktischen Handlung, die in der Absicht der Hervorbringung eines schönen Gegenstandes unternommen wird, als Regel dienen könnte. Da es nun Kant zufolge einen objektiven Begriff des Schönen für Menschen nicht geben kann, kann es auch keine Regel geben, nach der Menschen schöne Gegenstände absichtlich hervorbringen könnten. Folgt nun daraus, daß es keine Regel zur absichtlichen Hervorbringung des Schönen geben kann, daß Artefakte als Produkte absichtlicher, begriffsgeleiteter Handlungen von Menschen grundsätzlich nicht schön sein können, daß es also keine schöne Kunst gibt und daß alle schönen Gegen-

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In einem Brief an Carl Leonhard Reinhold vom 28. und 31.12.1787 hatte Kant die „Critik des Geschmaks" sogar noch als einzigen Gegenstand seiner „Teleologie" genannt, die neben der ,,theoretische[n] Philosophie" und der ,,practische[n] Philosophie" den dritten Teil seiner Philosophie ausmachen sollte. (Vergi. AA X, 514/5). Vergi. KU, 352.

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Ästhetischer Gebrauch der Urteilskraft

stände als solche Naturprodukte sein müssen? Eine solche Folgerung wäre mit dem natürlichen Verständnis von Schönheit als einem Phänomen im Bereich der Natur und der Kunst schwerlich zu vereinbaren. Kant vermeidet diese Folgerung, indem er schöne Kunst als „Kunst des Genies" charakterisiert (KU, 181). Das „Genie" definiert er nämlich als „die angeborene Gemütslage (ingenium), durch welche die Natur der Kunst die Regel gibt" (KU, 181, Hervorh. v. Kant); d.h., der Künstler, der ein schönes Kunstwerk hervorbringt, ist nicht nach Anleitung einer Regel tätig, die ihm als objektiver Begriff des schönen Kunstwerks bewußt ist, sondern nach einer Regel, die ihm die Natur sozusagen eingibt. Und die Natur gibt dem Künstler diese Regel nicht als einen objektiven Begriff ein, sondern durch die Stimmung seiner Erkenntniskräfte.16 Die freie und harmonische Proportion von Einbildungskraft und Verstand, die auf der hypothetisch zweckmäßigen Einheit des anschaulichen Mannigfaltigen eines Gegenstandes beruht, ist also nicht nur Kriterium für die Beurteilung des Schönen, sondern auch Leitfaden oder Regel für die Hervorbringung des Schönen durch das Genie. Damit kann auch die folgende, so paradox anmutende These verständlich gemacht werden, die Kant in § 45 der Kritik der Urteilskraft vertritt: Die Natur war schön, wenn sie zugleich als Kunst aussah; und die Kunst kann nur schön genannt werden, wenn wir uns bewußt sind, sie sei Kunst, und sie uns doch als Natur aussieht. (KU, 179).

Das Mannigfaltige der Anschauung eines schönen Naturgegenstandes erscheint in der ästhetischen Erfahrung, als ob es unter Anleitung durch eine Regel hervorgebracht worden wäre, es erscheint als Kunst, wenn auch nicht als menschliche, sondern als übermenschliche Kunst. In der ästhetischen Einstellung zu einem schönen Artefakt dagegen kann dessen Schönheit nur erfahren werden, wenn dabei von seinem Artefakt-Sein abgesehen wird, nämlich von der Regel, nach der es hervorgebracht worden ist. Denn nur wenn es nicht als Artefakt, sondern als Naturprodukt betrachtet wird, kann statt seiner tatsächlichen seine hypothetische Zweckmäßigkeit erfahren werden. In den folgenden beiden Kapiteln sollen nun Konsequenzen aus Kants Konzeption des Geschmacksprinzips als subjektives Prinzip der reflektierenden Urteilskraft dargestellt und diskutiert werden. Erst im Anschluß daran wird schließlich untersucht, wie Kant den Geltungsanspruch rechtfertigt, der mit reinen Geschmacksurteilen verbunden wird.

16

Vergi. KU, 181/2.

Das Geschmacksprinzip als Vernunftidee

6.2.

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Der zur ästhetischen Beurteilung eines Gegenstandes angemessene Begriffist eine Vernunßdee (KU, §§ 56-57).

Wie die Analyse von § 35 der Kritik der Urteilskraft ergeben hat, fungiert als Geschmacksprinzip eine freie und harmonische Proportion der Erkenntniskräfte Einbildungskraft und Verstand, die zweckmäßig ist für die reflektierende Urteilskraft. Diese Proportion soll dadurch zustande kommen, daß die Einbildungskraft das Mannigfaltige der Vorstellung eines schönen Gegenstandes in freiem Spiel vollständig in die synthetische Einheit eines Schemas bringt. Der Begriff, der zur Beurteilung der Schönheit eines Gegenstandes angemessen wäre, wäre ein vollständiger Begriff der anschaulichen Qualitäten dieses Gegenstandes, die die Erkenntniskräfte im freien Spiel zu berücksichtigen versuchen. Dieser Begriff müßte jedoch nicht nur diese anschaulichen Qualitäten vollständig berücksichtigen, sondern diese auch als zweckmäßig geordnet vorstellen, als ob ein übermenschlicher Verstand sie nach einer Regel angeordnet hätte. Ein Begriff aber, der die anschaulichen Qualitäten eines Gegenstandes vollständig und als zweckmäßig geordnet vorstellt, ist kein objektiver Begriff des Verstandes, sondern eine Vernunftidee. Denn unter einer Vernunftidee versteht Kant einen „Begriff des Unbedingten, sofern er einen Grund der Synthesis des Bedingten enthält" (KrV, A322/B379). Ein solcher Begriff ist der Begriff eines Ganzen, das als solches unbedingt ist, ein Begriff, der bei der Synthesis der Teile dieses Ganzen als Leitfaden oder Regel fungiert, wobei die Teile als Teile eines Ganzen von der Vorstellung des Ganzen abhängig und somit bedingt sind.17 Eine Vernunftidee, die vorgestellt wird als Leitfaden der Synthesis mannigfaltiger Teile zu einem Ganzen, ist ein Zweckbegriff, allerdings nicht der Begriff eines menschlichen, sondern der Begriff eines übermenschlichen Zwecks, den nur die reflektierende Urteilskraft zur Beurteilung anschaulich vorgestellter Gegenstände heranziehen kann. Vernunftbegriffe, die Zweckbegriffe sind, stellen ihre Gegenstände als zweckmäßige Einheiten oder Systeme vor; unter einem System nämlich versteht Kant die Einheit eines Mannigfaltigen unter einer Idee. So bestimmt er z.B. die Idee, die mannigfaltige Erkenntnisse in systematischer Einheit vorstellt, als den „Vernunftbegriff von der Form eines Ganzen, sofern durch denselben der Umfang des Mannigfaltigen sowohl, als die Stelle der Teile untereinander,

Vergi, auch Refi. 935 (AA XV, 415): „Die Bestimmung eines Ganzen durch einen Begrif heißt die Idee." Vergi, femer Refi. 961 (AA XV, 423): „... Ideen können nur auf die Einheit des Ganzen gehen....".

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Ästhetischer Gebrauch der Urteilskraft

a priori bestimmt wird" (KrV, A832/B860). Eine solche systematische Einheit aber ist nichts anderes als die „Einheit des Zwecks" (KrV, A832/B860). Daß Kant - dadurch, daß er in seiner Theorie der ästhetischen Erfahrung und Beurteilung von Gegenständen eine freie und harmonische Proportion der Erkenntniskräfte Einbildungskraft und Verstand, die zweckmäßig ist für die reflektierende Urteilskraft, zum Indiz für die Schönheit eines anschaulich gegebenen Gegenstandes macht - letztlich einen Begriff, der Vernunftidee ist, zum Kriterium dieser Beurteilung, d.h. zum Geschmacksprinzip, macht, geht besonders deutlich aus seiner „Auflösung der Antinomie des Geschmacks" hervor (KU, 234ff.). Zur Begründung der These, daß das Kantische Geschmacksprinzip in seiner begrifflichen Form eine Vernunftidee ist, sollen daher im folgenden die Antinomie des Geschmacks und deren Auflösung dargestellt und analysiert werden. In dem Abschnitt über die „Dialektik der ästhetischen Urteilskraft" (KU, 231ff.) stellt Kant zunächst, in § 56, die »Antinomie des Geschmacks" dar, um diese dann im folgenden § 57 aufzulösen. Eine Antinomie bilden Sätze, die (a) sich auf denselben Gegenstandsbereich beziehen, (b) aus allgemein akzeptierten Prämissen logisch korrekt ableitbar sind und die (c) über den fraglichen Gegenstandsbereich kontradiktorische Aussagen machen. Zwischen Geschmacksurteilen kann es ein antinomisches Verhältnis niemals geben. Dies gilt sowohl für die Urteile des Sinnengeschmacks als auch für die Urteile des Reflexionsgeschmacks. Denn weder erstere noch letztere können die drei angegebenen Bedingungen dafür, in ein antinomisches Verhältnis zu anderen Urteilen ihrer Art zu gelangen, erfüllen. Halten sich z.B. zwei Personen in demselben Raum auf, und beurteilt die eine die Raumtemperatur als angenehm und die andere dieselbe Raumtemperatur als unangenehm, so bilden die beiden Urteile über diese Raumtemperatur keine Antinomie, da sie sich nicht auf denselben Gegenstandsbereich beziehen18 und als ästhetische Urteile gar nicht nachweislich wahr sein können. Zwei Urteile des Reflexionsgeschmacks, von verschiedenen Personen über ein identisches Objekt geäußert, wobei dieses Objekt einmal als schön und einmal als nicht schön beurteilt wird, können ebensowenig eine Antinomie bilden. Denn sie erfüllen zwar die Bedingung, sich auf denselben Gegenstandsbereich zu beziehen, nämlich auf ein bestimmtes Objekt als Gegenstand einer allgemein mitteilbaren Reflexion, sind jedoch nicht nach-

18

Die Urteile zweier verschiedener Personen über die Annehmlichkeit oder Unannehmlichkeit derselben Raumtemperatur beziehen sich nicht auf denselben Gegenstandsbereich; denn diese Urteile sind keine Urteile über die Raumtemperatur, sondern über das Befinden der jeweils urteilenden Person bei dieser Raumtemperatur. M.a.W., es sind keine Erkenntnisurteile, sondern Wahrnehmungsurteile.

Das Geschmacksprinzip als Vernunftidee

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weislich wahr.19 Die Antinomie des Geschmacks kann daher keine Antinomie zwischen Urteilen des Geschmacks, sondern nur zwischen Urteilen der Kritik des Geschmacks sein, nämlich zwischen Urteilen über den Bestimmungsgrund eines reinen Geschmacksurteils über das Schöne.20 In dieser Antinomie steht der Thesis „Das Geschmacksurteil gründet sich nicht auf Begriffen" die Antithesis „Das Geschmacksurteil gründet sich auf Begriffen" gegenüber (KU, 234). Unter dem „Geschmacksurteil" ist in beiden Fällen ein reines Geschmacksurteil zu verstehen. Bevor nun die Auflösung dieser Antinomie in Betracht gezogen wird, der im Rahmen dieser Untersuchung das Hauptinteresse gelten muß, ist zu prüfen, ob sich diese beiden Sätze tatsächlich als eine Antinomie bildend verstehen lassen. Beide Sätze beziehen sich auf denselben Gegenstandsbereich, nämlich den bestimmenden Grund des reinen Geschmacksurteils, und sie bilden ein Paar kontradiktorisch entgegengesetzter Sätze. Damit erfüllen sie die oben angegebenen Bedingungen (a) und (c) für eine Antinomie. Sind diese Sätze aber auch aus allgemein akzeptierten Prämissen ableitbar? Kant begründet die Thesis, derzufolge das Geschmacksurteil sich nicht auf Begriffe gründet, mit dem Hinweis darauf, daß „[sich] sonst ... darüber disputieren (durch Beweise entscheiden) [ließe]" (KU, 234). Diese Begründung kann wie folgt rekonstruiert werden: (1) Wenn man über ein Urteil disputieren (durch Beweise entscheiden) kann, dann gründet es sich auf Begriffe. (2) Man kann über reine Geschmacksurteile nicht disputieren. (3) Reine Geschmacksurteile gründen sich nicht auf Begriffe. Die Prämisse (1) ist wahr. Denn „disputieren" bedeutet, „durch wechselseitigen Widerstand der Urteile Einhelligkeit derselben hervorzubringen suchen", und dieses „nach bestimmten Begriffen als Beweisgründen zu bewirken [hoffen]" (KU, 233). Ein vernünftiger Disput kann also nur dann stattfinden, wenn sich über den Sachverhalt, über den Uneinigkeit herrscht, nach bestimmten, objektiven Begriffen urteilen läßt, wenn also dieser Sachverhalt ein möglicher Gegenstand objektiver Erkenntnis ist. Unter der Voraussetzung der Kantischen Konzeption der ästhetischen Erfahrung und Beurteilung von Gegenständen, derzufolge reine Geschmacksurteile ästhetische Urteile sind, muß auch die Prämisse (2) als wahr angesehen

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Der Nachweis dessen, daß die ästhetische Reflexion allgemein mitteilbar ist und daß die aus ihr resultierende Gefühlsempfindung daher kein Spezialfall einer Empfindung der Annehmlichkeit oder Unannehmlichkeit sein kann, steht an dieser Stelle der Untersuchung allerdings noch aus. (Vergi, unten, Kap.7). Es wird sich herausstellen, daß es Kant zufolge einen Widerstreit zwischen Urteilen des Reflexionsgeschmacks, also einen Widerstreit reiner Geschmacksurteile, wie er hier unterstellt wird, gar nicht geben kann. Vergi, auch Brandt 1989, 190.

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Ästhetischer Gebrauch der Urteilskraft

werden. Denn diese läßt sich nur bestreiten, wenn man reine Geschmacksurteile nicht als ästhetische, sondern als Erkenntnisurteile und den Begriff der Schönheit als einen objektiven Begriff aufzufassen bereit ist. Aus den Prämissen (1) und (2) folgt aber (3); und die Konklusion, daß sich reine Geschmacksurteile nicht auf Begriffe gründen, besagt zunächst nichts anderes, als daß es sich bei diesen Urteilen nicht um Erkenntnisurteile, sondern um ästhetische Urteile handelt. Die Antithesis, daß „das Geschmacksurteil ... sich auf Begriffen [gründet]", begründet Kant mit dem Hinweis darauf, daß „[sich] sonst..., ungeachtet der Verschiedenheit desselben, darüber auch nicht einmal streiten (auf die notwendige Einstimmung anderer mit diesem Urteile Anspruch machen) [ließe]" (KU, 234). Auch diese Begründung läßt sich in logisch korrekter Form rekonstruieren: (1) Wenn sich über ein Urteil nicht streiten läßt (auf die notwendige Einstimmung anderer mit diesem Urteile Anspruch machen), dann gründet es sich nicht auf Begriffe. (2) Über reine Geschmacksurteile läßt sich streiten. (3) Reine Geschmacksurteile gründen sich auf Begriffe. Auch in dieser Begründung ist die Prämisse (1) wahr. Denn „streiten" bedeutet, „durch wechselseitigen Widerstand der Urteile Einhelligkeit der Urteile hervorzubringen suchen", ohne jedoch „objektive Begriffe als Gründe des Urteils [anzunehmen]" (KU, 233). Jedoch gilt auch: „worüber es erlaubt sein soll zu streiten, da muß Hoffnung sein, untereinander übereinzukommen" (KU, 233). Dies bedeutet, daß man nur dann vernünftig streiten kann, wenn man „auf Gründe des Urteils, die nicht bloß Privatgültigkeit haben und also nicht bloß subjektiv sind, rechnen [kann]" (KU, 233). Ein Streitfall liegt dann vor, wenn Uneinigkeit über einen Sachverhalt besteht, über den man zwar nicht nach objektiven Begriffen, jedoch nach irgendwelchen anderen intersubjektiv gültigen Prinzipien urteilen kann. Dies genau ist nun im Kantischen Verständnis der Fall der reinen ästhetischen Beurteilung der Schönheit oder Häßlichkeit eines Gegenstandes. Daher muß unter der Voraussetzung dieses Verständnisses auch die Prämisse (2) als wahr angesehen werden. Daß sich über reine Geschmacksurteile streiten läßt, bedeutet nichts anderes, als daß diese Urteile, obwohl sie ästhetische Urteile sind, mit einem Anspruch auf allgemeine Gültigkeit verbunden werden. Es sind Urteile, deren bestimmende Gründe keine objektiven Begriffe, aber doch irgendwelche anderen intersubjektiv gültigen Prinzipien sein müssen. Andernfalls wäre der Geltungsanspruch, mit dem diese Urteile verbunden werden, widersinnig. Aus den Prämissen (1) und (2) folgt (3), daß sich reine Geschmacksurteile auf Begriffe gründen; die Begriffe, von denen in der Konklusion die Rede ist, sind bestimmende Gründe von Urteilen, über die sich streiten läßt, also keine objektiven Begriffe. Diese

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Konklusion besagt eigentlich nichts anderes, als daß es sich bei den reinen Geschmacksurteilen um Urteile handelt, die trotz ihres ästhetischen Charakters mit einem Anspruch auf allgemeine Gültigkeit verbunden werden. Da nun sowohl die Thesis als auch die Antithesis der Antinomie des Geschmacks aus allgemein akzeptierten Prämissen logisch korrekt ableitbar sind, erfüllen beide Sätze zusammen alle drei der oben angegebenen Bedingungen für eine Antinomie.21 Bei der Antinomie der Kritik des Geschmacks handelt es sich letztlich um nichts anderes als um eine neuerliche Konstatierung der „Merkwürdigkeit", die das reine Geschmacksurteil für den Transzendentalphilosophen darstellt.22 Einerseits ist das reine Geschmacksurteil ein ästhetisches Urteil und gründet sich nicht, wie ein Erkenntnisurteil, auf objektive Begriffe; andererseits wird dieses Urteil mit einem Anspruch auf allgemeine Gültigkeit verbunden, es gibt Anlaß zum Streit, und daher muß es sich auf irgendwelche Begriffe gründen: „Auf irgendeinen Begriff muß sich das Geschmacksurteil beziehen; denn sonst könnte es schlechterdings nicht auf notwendige Gültigkeit für jedermann Anspruch machen. Aber aus einem Begriffe darf es darum eben nicht erweislich sein..." (KU, 234/5). Die Frage, die mit der Einsicht in die Merkwürdigkeit des reinen Geschmacksurteils entsteht und die Kant mit der Antinomie der Kritik des Geschmacks wieder aufwirft, ist die Frage nach den nicht objektiven Begriffen, die als Gründe der Beurteilung der Schönheit eines Gegenstandes fungieren. Diese Frage beantwortet Kant mit seiner „Auflösung der Antinomie des Geschmacks" (KU, 234). Kant löst die Antinomie des Geschmacks dadurch auf, daß er zeigt, daß Thesis und Antithesis dieser Antinomie unter den „Begriffen", auf die sich das reine Geschmacksurteil gründet bzw. nicht gründet, jeweils etwas Verschiedenes verstehen. In der Thesis, derzufolge sich das reine Geschmacksurteil nicht auf Begriffe gründet, sind mit den „Begriffen" objektive Begriffe des Verstandes gemeint, die „durch Prädikate der sinnlichen Anschauung, die ... [ihnen] korrespondieren kann, bestimmbar [sind]" (KU, 235). Auf

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Zumindest an dieser Stelle soll darauf hingewiesen werden, daß die Position deijenigen, die sagen „ein jeder hat seinen eigenen Geschmack" (KU, 232), die also die ästhetischen Urteile über das Schöne als Spezialfälle der ästhetischen Urteile über das Angenehme ansehen und ihnen jeden Anspruch auf allgemeine Gültigkeit absprechen, in der Antinomie (der Kritik) des Geschmacks von Kant gar nicht berücksichtigt wird. Vergi, schon KU, § 8, §§ 32-33 und oben, Kap. 2.3. Kant selbst weist auf diesen Zusammenhang hin, wenn er am Anfang von § 57 feststellt, daß Thesis und Antithesis der Antinomie des Geschmacks „nichts anderes sind als die oben in der Analytik vorgestellten zwei Eigentümlichkeiten des Geschmacksurteils", die Eigentümlichkeiten also, die u.a. in den §§ 32-33 behandelt worden waren.

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Ästhetischer Gebrauch der Urteilskraft

objektive Begriffe läßt sich ein reines Geschmacksurteil nicht gründen, da es ein ästhetisches und kein Erkenntnisurteil ist. In der Antithesis dagegen, derzufolge sich das reine Geschmacksurteil auf Begriffe gründet, sind mit den „Begriffen" solche Begriffe gemeint, die „sich gar nicht durch Anschauung bestimmen [lassen], durch ... [die] sich nichts erkennen, mithin auch kein Beweis iva das Geschmacksurteil führen läßt" (KU, 235/6, Hervorh. v. Kant). Der Begriff, auf den sich das reine Geschmacksurteil gründet, ist „der bloße reine Vernunftbegriff von dem Ubersinnlichen, das dem Gegenstande (und auch dem urteilenden Subjekte) als Sinnenobjekte, mithin als Erscheinung, zum Grunde liegt" (KU, 236). Diesen Begriff bezeichnet Kant an anderer Stelle auch als den „unbestimmten Begriff [...] vom übersinnlichen Substrat der Erscheinungen" (KU, 237), oder auch als „die unbestimmte Idee des Übersinnlichen" (KU, 238, Hervorh. v. C.F.). Der Begriff oder das Geschmacksprinzip, durch den sich die Schönheit eines Objekts denken ließe, ist für Menschen eine unbestimmte Idee des Übersinnlichen, da sie ihn nicht als objektiven Begriff denken können und da sein Gegenstand, die Schönheit eines Objekts, für sie kein möglicher Gegenstand objektiver Erkenntnis ist. M.a.W.: Schöne Objekte sind zwar auch für Menschen Gegenstände möglicher Erkenntnis, jedoch kann ihre Erkenntnis niemals die Erkenntnis ihrer Schönheit sein. Unter einer „Idee" nämlich versteht Kant generell „einen notwendigen Vernunftbegriff, dem kein kongruierender Gegenstand in den Sinnen gegeben werden kann" (KrV, A327/B383). Ein kongruierender Gegenstand in den Sinnen kann Ideen nicht gegeben werden, weil sie als Begriffe des Übersinnlichen ,,Begriff[e] des Unbedingten" sind (KrV, A322/B379). Das Unbedingte aber „wird in der Erfahrung gar nicht angetroffen" (KrV, A510/B538). Daher nennt Kant „Ideen" in der Kritik der Urteilskraft auch „indemonstrabele [...] Begriffe] der Vernunft" (KU, 240), wobei unter der Demonstration eines Begriffs seine Darstellung in der Anschauung (durch einen dem Begriff korrespondierenden Gegenstand) zu verstehen ist.23 Inwiefern kann aber eine Vernunftidee die Funktion eines Geschmacksprinzips erfüllen? Wie kann eine Idee, die per definitionem indemonstrabel ist, zur Beurteilung der anschaulichen Vorstellung eines einzelnen Gegenstandes tauglich sein? Zum Zweck einer solchen Beurteilung muß sich diese Idee unmittelbar auf anschauliche Vorstellungen einzelner Gegenstände beziehen lassen, und diese Vorstellungen müssen mit dieser Idee mehr oder weniger zusammenstimmen können. Angemessen dargestellt werden könnte die als Geschmacksprinzip fungierende Vernunftidee

23

Vergi. KU, 240.

Das Geschmacksprinzip als Vernunftidee

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nur durch ein Ding, das den Status eines Ideals hat. Unter einem „Ideal" nämlich versteht Kant „ein einzelnes, durch die Idee allein bestimmbares, oder gar bestimmtes Ding" (KrV, A568/B596). D.h., die Vorstellung des wahrhaft und ohne jegliche Einschränkimg schönen Dinges wäre die Vorstellung eines Ideals. Im Bewußtsein der Idealität des wahrhaft Schönen stellt Kant in § 17 der Kritik der Urteilskraft von dem Prinzip der Schönheit bzw. dem „Urbild des Geschmacks" fest, daß es „auf der unbestimmten Idee der Vernunft von einem Maximum beruht, aber doch nicht durch Begriffe, sondern nur in einzelner Darstellung ... vorgestellt werden [kann]", weshalb dieses „Urbild des Geschmacks" besser „das Ideal des Schönen" genannt werden kann, ein Ideal, das, „weil es nicht auf Begriffen, sondern auf der Darstellung beruht", nur ein „Ideal der Einbildungskraft" sein kann (KU, 54). Die Totalität des Mannigfaltigen der anschaulichen Vorstellung eines Gegenstandes, durch die allein ein der als Geschmacksprinzip fungierenden Idee angemessenes Ideal dargestellt werden könnte, kann jedoch von der menschlichen Einbildungskraft nicht in die Einheit eines Schemas gebracht werden. Denn die vollständige Schematisierung eines solchen Mannigfaltigen käme der anschaulichen Darstellung einer Vernunftidee gleich. Daß aber die menschliche Einbildungskraft zu einer solchen Darstellung fähig sei, wird von Kant ausdrücklich bestritten. Daraus resultiert nun aber das folgende Problem: Wenn nur derjenige Gegenstand als schön beurteilt werden kann, der dem Maßstab für Schönheit in striktem Sinne genügt, dann kann nur ein Ideal schön sein, dessen Mannigfaltiges von der Einbildungskraft vollständig in der Einheit eines Schemas vorgestellt wird. Der Theorie der Beurteilung des Schönen, die einen solchen Maßstab der Beurteilung angibt, droht die vernichtende Konsequenz, daß nach diesem Maßstab kein Gegenstand von Menschen als schön erfahren werden kann, dessen Mannigfaltiges die menschliche Einbildungskraft in der Einheit eines Schemas verbinden kann. Kann aber eine freie und harmonische Proportion von Einbildungskraft und Verstand, die zweckmäßig ist für die reflektierende Urteilskraft, nur in ästhetischer Einstellung zu einem Gegenstand der Anschauung zustande kommen, der diesem Maßstab ohne Einschränkung gerecht wird? Diese Konsequenz läßt sich durch folgende Überlegung vermeiden: In ästhetischer Einstellung zu einem anschaulich vorgestellten Gegenstand versucht die Einbildungskraft, so viele seiner anschauliche Qualitäten wie möglich bei dem Versuch zu berücksichtigen, das Mannigfaltige dieser Vorstellung vollständig in die Einheit eines Schemas zu bringen. Damit versucht sie, sich in ihrer Tätigkeit des Schematisierens der Vorstellung eines Ideals zumindest anzunähern. In ih-

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Ästhetischer Gebrauch der Urteilskraft

rer Eigenschaft als „produktives Erkenntnisvermögen" (KU, 193)24 ist sie darum bemüht, aus dem Mannigfaltigen der anschaulichen Vorstellung des Gegenstandes ihrer ästhetischen Einstellung eine „ästhetische Idee" (KU, 192) zu bilden, eine Idee, mit welcher sie „zu etwas über die Erfahrungsgrenze hinaus Liegendem ... [zu] streben und so einer Darstellung der Vernunftbegriffe (der intellektuellen Ideen) nahe zu kommen [sucht]" (KU, 193/4). Die „ästhetische Idee" definiert Kant als „diejenige Vorstellung der Einbildungskraft die viel zu denken veranlaßt, ohne daß ihr doch irgendein bestimmter Gedanke, d.i. Begriff, adäquat sein kann, die folglich keine Sprache völlig erreicht und verständlich machen kann" (KU, 192/3, Hervorh. v. Kant). Im Unterschied zu der Vernunftidee, die eine begriffliche, wenngleich indemonstrable Vorstellung ist, ist die ästhetische Idee eine anschauliche Vorstellung; Kant nennt sie auch eine „inexponible Vorstellung" der frei spielenden Einbildungskraft, da sie durch einen Begriff des Verstandes grundsätzlich nicht bestimmt werden kann: So wie an einer Vernunftidee die Einbildungskraft mit ihren Anschauungen den gegebenen Begriff nicht erreicht, so erreicht bei einer ästhetischen Idee der Verstand durch seine Begriffe nie die ganze innere Anschauung der Einbildungskraft, welche sie mit einer gegebenen Vorstellung verbindet. Da nun eine Vorstellung der Einbildungskraft auf Begriffe bringen soviel heißt als sie exponieren, so kann die ästhetische Idee eine inexponible Vorstellung derselben (in ihrem freien Spiele) genannt werden. (KU, 242, Hervorh. v. Kant).25

Nur in ästhetischer Einstellung zu einem schönen Gegenstand gelingt der frei spielenden Einbildungskraft die Vorstellung einer ästhetischen Idee. Die anschauliche Vorstellung des schönen Gegenstandes ist eine Vorstellung, die „für sich allein soviel zu denken veranlaßt, als sich niemals in einem bestimmten Begriff zusammenfassen läßt" (KU, 194). Daher stellt Kant auch von der Schönheit fest, man könne sie „den Ausdruck ästhetischer Ideen nennen" (KU, 204, Hervorh. v. Kant). D.h., daß es der Einbildungskraft in ästhetischer Einstellung zu einem schönen Gegenstand gelingt, sich der Vorstellung eines Ideals zumindest anzunähern. Bei dieser Annäherung entdeckt sie an dem schönen Gegenstand eine Zweckmäßigkeit für die reflektierende Urteilskraft: Die selbständige Naturschönheit entdeckt uns eine Technik der Natur, welche sie als ein System nach Gesetzen, deren Prinzip wir in unserem ganzen Verstandesvermögen nicht antreffen, vorstellig macht, nämlich dem einer

24 25

Vergi, auch KU, 69. Vergi, auch KU, 240.

Das Geschmacksprinzip als Vernunftidee

135

Zweckmäßigkeit, respektiv auf den Gebrauch der Urteilskraft in Ansehung der Erscheinungen, so daß diese nicht bloß als zur Natur in ihrem zwecklosen Mechanism, sondern auch als zur Analogie mit der Kunst gehörig, beurteilt werden müssen. (KU, 77). Den reinen Geschmacksurteilen der Form DIES IST SCHÖN, DIES IST NICHT SCHÖN oder DIES IST HÄSSLICH liegen also Beurteilungen des Gegenstandes zugrunde, in denen die Erkenntniskräfte Einbildungskraft und Verstand unter Anleitung durch die reflektierende Urteilskraft „sinnliche Anschauungen auf eine Idee der Natur beziehen, deren Gesetzmäßigkeit ohne ein Verhältnis derselben zu einem übersinnlichen Substrat nicht verstanden werden kann" (EE, 61). An sinnlichen Anschauungen eine Gesetzmäßigkeit erfahren, die nur im Verhältnis zu einem übersinnlichen Substrat verstanden werden kann, heißt nichts anderes, als an ihnen eine Form der Zweckmäßigkeit zu erfahren, deren Möglichkeit sich Menschen nur hypothetisch erklären können, nämlich dadurch, daß sie sie als Produkte von Zweckvorstellungen bzw. von Handlungen eines übermenschlichen Wesens begreifen.26 Daß das Geschmacksprinzip Menschen zur Beurteilung der Schönheit von Gegenständen ihrer Anschauung dienen kann, obwohl es kein objektiver Begriff, sondern eine Vernunftidee des Übersinnlichen ist, läßt sich damit wie folgt erklären: Das anschauliche Mannigfaltige der Vorstellung eines Gegenstandes, der dieses Prinzip in striktem Sinne erfüllt, kann die menschliche Einbildungskraft nicht in die Einheit eines Schemas bringen. Ebensowenig können die menschliche Einbildungskraft und der menschliche Verstand in ästhetischer Einstellung zu einem anschaulich gegebenen Gegenstand in eine solche harmonische Idealproportion gelangen, wie sie nur angesichts eines Ideals zustande kommen könnte, dessen Mannigfaltiges die Einbildungskraft vollständig in die Einheit eines Schemas gebracht hat.27

^

Belege dafür, daß Kant die Schönheit eines Gegenstandes als eine Zusammenstimmung oder Ähnlichkeit der anschaulichen Vorstellung desselben mit einer Idee begreift, finden sich auch in seinem handschriftlichen Nachlaß: In der Refi. 806 (AA XV, 351-8) heißt es z.B. an einer Stelle: „Die Erscheinung, so fern sie mit der idee zusammen stimmt, macht das wesentlich schone." (AA XV, 354). Und in der Reflexion 2383 (AA XVI, 338) heißt es: „Die sinnliche Vorstellung hat Lebhaftigkeit in der Anschauung und Stärke in der Empfindung. Die erste allein ist dem Verstände vortheilhaft, das zweyte macht partheyisch. Die ästhetische Kunst ist: jene über diese überwiegend zu machen durch die Harmonie der Anschauung durch Einbildungskraft mit Ideen der Vernunft." (Hervorh. v. C.F.). In einer solchen Proportion würden die Erkenntniskräfte soweit zusammenstimmen, daß nicht nur ihre natürliche Heterogenität, sondern sogar ihre Differenz aufgehoben wäre und darüber hinaus die Differenz zwischen Verstand und (theoretischer) Vernunft. Denn es wäre die Zusammenstimmung zwischen einer Einbildungskraft, die ein Ideal in schema-

136

Ästhetischer Gebrauch der Urteilskraft

Dennoch kann sich die Einbildungskraft in ästhetischer Einstellung zu einem anschaulich gegebenen Gegenstand um die vollständige schematische Vereinheitlichung des Mannigfaltigen seiner anschaulichen Vorstellung bemühen. Zu einer Beurteilung der Schönheit oder Häßlichkeit des jeweils vorgestellten Gegenstandes kommt es in der ästhetischen Einstellung, weil die Proportion der Erkenntniskräfte, die in dieser Einstellung zustande kommt, von ihrer Idealproportion mehr oder weniger abweichen kann. Nur in ästhetischer Einstellung zu einem schönen Gegenstand entsteht eine Proportion der Erkenntniskräfte, die ihrer Idealproportion hinreichend ähnlich ist, um bei dem Subjekt der ästhetischen Erfahrung eine Empfindung interesselosen Wohlgefallens hervorzurufen. Kann man aber ohne weiteres davon ausgehen, daß die Proportionen von Einbildungskraft und Verstand, die in ästhetischer Einstellung zu verschiedenen Gegenständen entstehen, tatsächlich von der Idealproportion dieser Erkenntniskräfte mehr oder weniger abweichen? Oder gelingt der Einbildungskraft in ästhetischer Einstellung zu jedem möglichen Gegenstand der empirischen Anschauung die Annäherung an die Vorstellung eines Ideals in gleichem Maße? Nur wenn sich dieser Verdacht ausräumen läßt, kann die Konsequenz vermieden werden, daß jeder mögliche Gegenstand der empirischen Anschauung schön ist. Dieser Verdacht gründet sich auf die Tatsache, daß sich Kant zufolge die ästhetische Synthesis des Mannigfaltigen eines anschaulich gegebenen Gegenstandes durch die Erkenntniskräfte von einer Synthesis, die in erkennender Absicht unternommen wird, vornehmlich dadurch unterscheidet, daß sie so viele Elemente des Mannigfaltigen der gegebenen Anschauung wie möglich zu berücksichtigen versucht. Dies sind in jedem Fall weit mehr Elemente, als in einem objektiven empirischen Verstandesbegriff zusammen gedacht werden können. Aus diesem Grund könnte nur ein vollständiger Begriff der in einer Anschauung gegebenen Qualitäten eines Gegenstandes Grundlage für die begriffliche Beurteilung seiner Schönheit sein. Einen vollständigen Begriff gibt es aber zu jedem einzelnen Gegenstand der empirischen Anschauung, wenn Menschen diesen auch in keinem Fall denken können. Denn „ein jedes Ding ... [steht], seiner Möglichkeit nach,... unter dem Grundsatze der durchgängigen Bestimmung, nach welchem ihm von allen möglichen Prädikaten der Dinge, sofern sie mit ihren Gegenteilen verglichen werden, eines zukommen muß" (KrV, A571/2/B599/600, Hervorh. v. Kant). Wenn es aber zu jedem Gegenstand möglicher empirischer Anschauung und objektiver Erkenntnis

tischer Einheit vorstellt, und einem Verstand, der den diesem Ideal angemessenen Begriff denkt; der einem Ideal angemessene Begriff ist aber eine Vemunftidee.

Das Geschmacksprinzip als Vernunftidee

137

einen vollständigen Begriff gibt, so ist fraglich, warum es der Einbildungskraft in ästhetischer Einstellung zu verschiedenen Gegenständen in verschiedenem Maße soll gelingen können, so viele Elemente des Mannigfaltigen ihrer jeweiligen anschaulichen Vorstellungen, wie sie auf einmal berücksichtigen kann, in der Einheit eines Schemas zu verbinden. Diesem Verdacht kann man mit der folgenden Überlegung entgegentreten: Daraus, daß es zu jedem beliebigen Gegenstand einen vollständigen Begriff gibt, folgt nicht, daß die mannigfaltigen Teile jedes Gegenstandes zusammen die Einheit eines Systems bilden, daß also jeder Gegenstand die Form der Zweckmäßigkeit aufweist und seine Teile nicht nur die Einheit eines Aggregats bilden. Denn die Vollständigkeit eines Begriffs nach dem Grundsatz der durchgängigen Bestimmung ist keine formale, sondern eine inhaltliche Eigenschaft desselben, sie betrifft die Menge der in diesem Begriff verbundenen Prädikate, nicht aber die Form ihrer Zusammensetzung. Das Prinzip dieser Vollständigkeit liegt nicht in diesen Begriffen selbst, sondern in dem „Grundsatz der durchgängigen Bestimmung" (KrV, A571/B599). Kriterium für die inhaltliche Vollständigkeit eines Begriffs ist der „Inbegriff aller Prädikate der Dinge überhaupt" (KrV, A572/B600). Daher gilt, daß, „um ein Ding vollständig zu erkennen, ... man alles Mögliche erkennen, und es dadurch, sei es bejahend oder verneinend, bestimmen [muß]" (KrV, A573/B601). Die Einheit der Elemente eines vollständigen Begriffs ist aber, solange sie inhaltlich, nach dem Grundsatz der durchgängigen Bestimmung definiert wird, die Einheit eines Aggregats; sie läßt keine Rückschlüsse auf die Relation zu, in der die Elemente dieses Begriffs zueinander stehen. Damit ist aber nicht ausgeschlossen, daß der vollständige Begriff zumindest einiger Dinge nicht nur inhaltlich, sondern auch formal vollständig ist und damit das Prinzip seiner Vollständigkeit selbst beinhaltet. Dies kann nur das Prinzip einer zweckmäßigen Einheit in der Form eines Systems sein. Denn die „Einheit des Zwecks ... macht, daß ein jeder Teil [eines Ganzen] bei der Kenntnis der übrigen vermißt werden kann" (KrV, A832/3/B860/1). Nun ist die Einheit des Schemas, in die die Einbildungskraft in ästhetischer Einstellung zu einem Gegenstand das Mannigfaltige der anschaulichen Vorstellung desselben zu bringen sucht, eine Einheit im Sinne einer Form der Zweckmäßigkeit. Daher kann man davon ausgehen, daß das Gelingen dieses Versuchs davon abhängt, ob der vollständige Begriff des jeweiügen Gegenstandes die Teile desselben in der Einheit eines Aggregats oder aber in der Einheit eines Systems vorstellt. Die Form der Zweckmäßigkeit, die die Erkenntniskräfte in ästhetischer Einstellung zu einem schönen Gegenstand an der anschaulichen Vorstellung desselben bemerken, ist nichts anderes als die zweckmäßige Einheit, die in der Einheit des vollständigen Be-

138

Ästhetischer Gebrauch der Urteilskraft

griffs dieses Gegenstandes gedacht wird. Daß die Erkenntniskräfte auch in ästhetischer Einstellung zu einem Gegenstand nicht die Totalität der mannigfaltigen Elemente seiner anschaulichen Vorstellung berücksichtigen können, weil diese ihre Kapazität übersteigt, hindert sie nicht daran, diese Form der Zweckmäßigkeit zu bemerken. Denn was als Ganzes zweckmäßig organisiert ist, muß auch hinsichtlich einer Teilmenge seiner Teile als zweckmäßig organisiert erscheinen. Daraus, daß Kant das Kriterium der ästhetischen Beurteilung von Gegenständen oder Geschmacksprinzip als Idee des Übersinnlichen bzw. als eine Idealproportion von Einbildungskraft und Verstand bestimmt, folgt also nicht, daß alle möglichen Gegenstände der empirischen Anschauung und objektiven Erkenntnis in ästhetischer Einstellung zu denselben als schön erfahren werden. Es bleibt noch ein weiterer Verdacht auszuräumen: Entsteht nicht dadurch ein Widerspruch, daß Kant den Bestimmungsgrund des reinen Geschmacksurteils zum einen als Begriff, nämlich als Idee des Übersinnlichen bestimmt, zum anderen aber, nämlich in Konsequenz seiner Konzeption des reinen Geschmacksurteils als ästhetisches Urteil28, als interesseloses Gefühl der Lust oder Unlust? Daß diese Frage verneint werden muß, kann mit dem Hinweis darauf begründet werden, daß unter dem Bestimmungsgrund des reinen Geschmacksurteils etwas je Verschiedenes zu verstehen ist, je nachdem, ob dieser als eine Idee des Übersinnlichen oder aber als eine Empfindung interesseloser Lust oder Unlust beschrieben wird. Hier gilt es, sich die von Kant in § 9 der Kritik der Urteilskraft getroffene Unterscheidung zwischen den reinen Geschmacksurteilen DIES IST SCHÖN, DIES IST NICHT SCHÖN oder DIES IST HÄSSLICH und einer diesen Urteilen jeweils zugrundeliegenden Beurteilung des Gegenstandes zunutze zu machen. Ein Gegenstand wird als schön, nicht schön oder häßlich beurteilt, je nachdem, ob ein Urteilssubjekt in ästhetischer Einstellung zu demselben ein Gefühl interesseloser Lust oder Unlust empfindet. Diese interesselosen Gefühlsempfindungen sind die bestimmenden Gründe der reinen G e s c h m a c k s u r t e i l e DIES IST SCHÖN, DIES IST NICHT SCHÖN o d e r DIES IST

HÄSSLICH. Eine solche interesselose Gefühlsempfindung beruht jedoch nicht auf einer unmittelbaren Affektion durch einen Gegenstand der empirischen Anschauung. Vielmehr ist dem Urteilenden in einer solchen interesselosen Gefühlsempfindung eine Beurteilung des Gegenstandes seiner empirischen Anschauung durch seine frei spielenden und dabei unter Anleitung durch die reflektierende Urteilskraft tätigen Erkenntniskräfte Einbildungskraft und Verstand bewußt. In dieser Beurteilung wird der Gegenstand nach ei-

28

Vergi, oben, Kap. 2.1.

Das Geschmacksprinzip als Vernunftidee

139

nem Kriterium beurteilt, das als Begriff nur in Form einer Idee angegeben werden kann. Die Anwendung dieses Kriteriums auf die anschauliche Vorstellung des gegebenen Gegenstandes erfolgt im Rahmen des freien Spiels der Erkenntniskräfte. Kants Theorie dieses freien Spiels hat vornehmlich die Funktion zu erklären, wie Menschen einen Begriff der Vernunft, den sie gar nicht differenziert, also als objektiven Begriff denken können, dennoch zur ästhetischen Beurteilung der Schönheit von Gegenständen ihrer empirischen Anschauung verwenden können. Die Idee des Übersinnlichen, die Kriterium dieser ästhetischen Beurteilung eines Gegenstandes im freien Spiel der Erkenntniskräfte ist, kann daher als der bestimmende Grund der Beurteilung des Gegenstandes angesehen werden, die dem Subjekt der ästhetischen Erfahrung nicht anders denn als interesseloses Gefühl bewußt wird. M.a.W.: Wenn der Bestimmungsgrund des reinen Geschmacksurteils als Idee des Übersinnlichen beschrieben wird, so ist damit der bestimmende Grund der dem reinen Geschmacksurteil DIES IST SCHÖN, DIES IST NICHT SCHÖN oder

DIES IST HÄSSLICH jeweils zugrundeliegenden Beurteilung des Gegenstandes gemeint. Wenn dagegen der Bestimmungsgrund des reinen Geschmacksurteils als die Empfindung eines interesselosen Gefühls der Lust oder Unlust beschrieben wird, so ist damit der bestimmende Grund des Urteils DIES IST SCHÖN, DIES IST NICHT SCHÖN oder DIES IST HÄSSLICH

gemeint. Damit sind jedoch noch immer nicht alle Probleme gelöst, die im Rahmen von Kants Charakterisierung des reinen Geschmacksurteils - vor seinem Versuch, den Geltungsanspruch zu rechtfertigen, mit dem dieses Urteil verbunden wird - auftreten. Denn angesichts dessen, daß das interesselose Wohlgefallen am Schönen als ein Wohlgefallen angesehen werden kann, in welchem dem Subjekt der ästhetischen Erfahrung die Zusammenstimmung einer anschaulichen Gegenstandsvorstellung mit einer Vernunftidee des Übersinnlichen bewußt wird, wird die Berechtigung der Unterscheidung zweifelhaft, die Kant in § 23 der Kritik der Urteilskraft zwischen der ästhetischen Erfahrung des Schönen und der des Erhabenen trifft. Mit diesem Zweifel beschäftigt sich das folgende Kapitel.

6.3.

Die ästhetische Erfahrung des Schönen muß von der ästhetischen Erfahrung des Erhabenen unterschieden werden.

Ebenso wie das Urteil über das Schöne konzipiert Kant das Urteil über das Erhabene als ein ästhetisches Reflexionsurteil:

140

Ästhetischer Gebrauch der Urteilskraft

Das Schöne kommt darin mit dem Erhabenen überein, ... daß beides kein Sinnen- noch ein logisch-bestimmendes, sondern ein Reflexionsurteil voraussetzt ....(KU, 74). Auch das Urteil DIES IST ERHABEN gründet sich also Kant zufolge auf eine ästhetische Erfahrung, die dem Subjekt derselben als interesseloses Gefühl bewußt wird29, die aber dennoch auf einer Leistung der Erkenntniskräfte dieses Subjekts beruht. Während die ästhetische Erfahrung und Beurteilung des Schönen auf einer Leistung der unter Anleitung durch die reflektierende Urteilskraft tätigen Erkenntniskräfte Einbildungskraft und Verstand beruht, soll die ästhetische Erfahrung und Beurteilung des Erhabenen auf einer Leistung der unter Anleitung durch die reflektierende Urteilskraft tätigen Einbildungskraft und der Vernunft beruhen: Also, gleichwie die ästhetische Urteilskraft in Beurteilung des Schönen die Einbildungskraft in ihrem freien Spiele auf den Verstand bezieht, um mit dessen Begriffen überhaupt (ohne Bestimmung derselben) zusammenzustimmen, so bezieht sie dasselbe Vermögen in Beurteilung eines Dinges als erhabenen30 auf die Vernunft, um zu deren Ideen (unbestimmt welchen) subjektiv übereinzustimmen .... (KU, 94, Hervorh. v. Kant). Bei der ästhetischen Erfahrung des Erhabenen ist die Einbildungskraft Kant zufolge nicht in freiem Spiel tätig, sondern im „Ernst" (KU, 75); und dies bedeutet, daß sie unter Anleitung durch die reflektierende Urteilskraft darum bemüht ist, in dem Mannigfaltigen der anschaulichen Vorstellung eines Gegenstandes einen Vernunftbegriff, also eine Idee darzustellen. Dagegen geht es bei der ästhetischen Erfahrung des Schönen, wo die Einbildungskraft in freiem Spiel tätig ist, um „die Darstellung eines unbestimmten Verstandesbegriffs" (KU, 75). Nun hat die Analyse von Kants Theorie der ästhetischen Erfahrung des Schönen aber ergeben, daß diese auf einer Tätigkeit der Erkenntniskräfte beruht, in der die Einbildungskraft das Mannigfaltige der anschaulichen Vorstellung eines Gegenstandes in freiem Spiel vollständig in die Einheit eines Schemas zu bringen versucht. Würde dies gelingen, so käme es zur Vorstellung einer schematischen Einheit in der anschaulichen Vorstellung eines Gegenstandes, die den vollständigen Begriff der in dieser Vorstellung gegebenen Gegenstandsqualitäten als einen solchen darstellt, der das Prinzip seiner Vollständigkeit in sich enthält, weil er die mannigfaltigen Elemente der anschaulichen Vorstellung dieses Gegenstandes als zweckmäßig geordnete Teile eines Ganzen vorstellt. Nun ist ein solcher vollständiger Begriff

29

Zur Interesselosigkeit der gefühlsmäßigen Erfahrung des Erhabenen vergi. z.B. KU, 83. Kant schreibt hier „Erhabenen"; ich übernehme den Korrekturvorschlag von Vorländer.

Ästhetische Erfahrungen des Schönen und Erhabenen

141

aber eine Vernunftidee. Daher kann man auch von der ästhetischen Erfahrung des Schönen sagen, sie beruhe auf einer Tätigkeit der Einbildungskraft, in der diese sich unter Anleitung durch die reflektierende Urteilskraft bemüht, einen Vernunftbegriff darzustellen. Diese Konzeption der ästhetischen Erfahrung des Schönen scheint nun aber der Kantischen These zu widersprechen, derzufolge die Einbildungskraft sich allein im Rahmen der ästhetischen Erfahrung des Erhabenen, nicht aber im Rahmen der ästhetischen Erfahrung des Schönen um die Darstellung einer Idee der Vernunft bemüht. Um zu klären, ob Kants Konzeption der ästhetischen Erfahrung des Schönen, wie sie oben analysiert wurde, tatsächlich im Widerspruch zu dieser These steht, ist zunächst seine Theorie der ästhetischen Erfahrung des Erhabenen genauer darzustellen. Mit dem Hinweis darauf, die ästhetische Erfahrung des Erhabenen beruhe auf einer Tätigkeit der Einbildungskraft, in der diese sich unter Anleitung durch die reflektierende Urteilskraft um die Darstellung eines unbestimmten Vernunftbegriffs bemüht, ist der spezifische Gesichtspunkt, unter dem diese Erfahrung stattfmdet, noch nicht hinreichend genau angegeben. Kant unterscheidet nämlich die Erfahrung und Beurteilung des mathematisch-Erhabenen von der Erfahrung und Beurteilung des dynamisch-Erhabenen. In der Beurteilung des mathematisch-Erhabenen spielt die theoretische Vernunft eine wesentliche Rolle, in der Beurteilung des dynamischErhabenen dagegen die praktische Vernunft. Um zu beurteilen, ob ein anschaulich gegebener Gegenstand mathematisch-erhaben ist oder nicht, bezieht die Einbildungskraft seine Vorstellung unter Anleitung durch die reflektierende Urteilskraft auf die Idee desjenigen, ,/nit welchem in Vergleichung alles andere klein ist" (KU, 84, Hervorh. v.

Kant), also auf die Idee von einer absoluten Totalität der Größe. Als Vorstellung einer Größe ist diese Idee Vorstellung einer mathematischen Eigenschaft eines Gegenstandes, also eine Vorstellung seiner Quantität oder Ausdehnung; als Vorstellung einer absoluten Totalität hat sie den Status eines Vernunftbegriffs; und aufgrund dieser beiden Merkmale kann diese Vorstellung als eine Idee der Vernunft, und zwar der theoretischen Vernunft angesehen werden. Ferner ist diese Idee eine unbestimmte Idee, weil sie die von ihr vorgestellte Größe nicht arithmetisch, also durch Angabe einer Zahl, bestimmt. Kant weist indirekt darauf hin, daß die absolute Totalität der Größe nicht anders als durch eine unbestimmte Idee vorgestellt werden kann, wenn er feststellt, daß es „für die mathematische Größenschätzung kein Größtes ... [gibt, weil] die Macht der Zahlen ins Unendliche [geht]" (KU, 86). D.h., weil die Menge der Zahlen unendlich groß ist, kann das absolut Größte nicht zahlenmäßig bestimmt werden. Die Beurteilung einer Gegenstandsvorstellung nach dem Maßstab einer solchen in einer

142

Ästhetischer Gebrauch der Urteilskraft

unbestimmten Vernunftidee vorgestellten absoluten Größe kann daher auch nicht mathematisch-bestimmt, sondern nur ästhetisch, d.h. durch die reflektierende Urteilskraft in ihrem ästhetischen Gebrauch erfolgen.31 Der Einbildungskraft, die eine anschauliche Gegenstandsvorstellung unter Anleitung durch die reflektierende Urteilskraft auf die unbestimmte Vernunftidee von einer absoluten Totalität der Größe bezieht, geht es dabei um eine anschauliche Darstellung dieser Idee. Es sind besonders große, ausgedehnte Gegenstände in der Natur, die als mathematisch-erhaben beurteilt werden, z.B. der Ozean und der bestirnte Himmel.32 Zum Zweck dieser Darstellung versucht die Einbildungskraft, die anschauliche Vorstellung dieser Gegenstände in der ,^Anschauung eines Ganzen" (KU, 96) zusammenzufassen und dadurch die Vernunftidee von einer absoluten Totalität der Größe darzustellen. Kant zufolge ist eine solche Zusammenfassung einer Gegenstandsvorstellung in der Anschauung eines Ganzen Menschen „durch ein Gesetz der Vernunft auferlegt" (KU, 96). Nim ist die Einbildungskraft in ihrem Bemühen um die Darstellung dieser Vernunftidee aber notwendigerweise zum Scheitern verurteilt. Denn sie kann zwar in der bloßen Auffassung eines ausgedehnten Gegenstandes in der Anschauung unendlich fortfahren, jedoch nicht unendlich viele Teilvorstellungen anschaulich zusammenfassen und in einem Ganzen vorstellen: „Denn wenn die Auffassung so weit gelangt ist, daß die zuerst aufgefaßten Teilvorstellungen der Sinnenanschauung in der Einbildungskraft schon zu erlöschen anheben, indes daß diese Auffassung mehrerer fortrückt, so verliert sie auf einer Seite ebensoviel, als sie auf der anderen gewinnt, und in der Zusammenfassung ist ein Größtes, über welches sie nicht hinauskommen kann." (KU, 87). Himmel und Ozean erscheinen Menschen unendlich groß, weil sie sie nicht in einer Anschauung als Ganze vorstellen können.

31

32

Vergi. KU, 82: „Weil aber in einem Urteile, wodurch etwas schlechtweg als groß bezeichnet wird, nicht bloß gesagt werden will, daß der Gegenstand eine Größe habe, sondern diese ihm zugleich vorzugsweise vor vielen anderen gleicher Art beigelegt wird, ohne doch diesen Vorzug bestimmt anzugeben: so wird demselben allerdings ein Maßstab zum Grunde gelegt, den man für jedermann als ebendenselben annehmen zu können voraussetzt, der aber zu keiner logischen (mathematisch-bestimmten), sondern nur ästhetischen Beurteilung der Größe brauchbar ist, weil er ein bloß subjektiv dem über Größe reflektierenden Urteile zum Grunde liegender Maßstab ist." Darin, daß die unbestimmte Idee von einer absoluten Größe als Maßstab einer Beurteilung allein durch die reflektierende Urteilskraft gebraucht werden kann, dürfte der Grund dafür zu suchen sein, daß Kant von der Vorstellung desjenigen, „was über alle Vergleichung groß ist", auch als von einem Begriff nicht der Vernunft, sondern der Urteilskraft spricht. (Vergi. KU, 81). Vergi. KU, 118/9.

Ästhetische Erfahrungen des Schönen und Erhabenen

143

Nun ist die Erfahrung des mathematisch-Erhabenen jedoch Kant zufolge für Menschen mit Lust, mit einer Empfindung interesselosen Wohlgefallens verbunden. Wie aber kann die Erfahrung der Vergeblichkeit des Bemühens, einen großen Gegenstand als Ganzen in der Anschauung vorzustellen, Grund für eine Lusterfahrung sein? Menschen werden sich, so Kant, in der Erfahrung des Unendlichen, um dessen ganzheitliche Vorstellung in der Anschauung sie sich vergeblich bemühen, eines übersinnlichen Vermögens bewußt, nämlich des Vermögens, „sich das Unendliche der übersinnlichen Anschauung als (in seinem intelligibelen Substrat) gegeben denken zu können" (KU, 93). Dieses Bewußtsein ist Kant zufolge mit einem Gefühl der Achtung verbunden, da Achtung „das Gefühl der Unangemessenheit unseres Vermögens zur Erreichung einer Idee, die für uns Gesetz ist", ist (KU, 96, Hervorh. v. Kant). Diese Achtung empfinden Menschen nicht eigentlich vor der erhabenen Natur, sondern vielmehr vor sich selbst, wie sie sich angesichts der erhabenen Natur erfahren, nämlich als Wesen, deren Erkenntnisvermögen, sofern sie vernunftbestimmt sind, der Einbildungskraft als dem Vermögen der Sinnlichkeit mit der größten Reichweite überlegen sind. „Das Gefühl des Erhabenen ist also ein Gefühl der Unlust, aus der Unangemessenheit der Einbildungskraft in der ästhetischen Größenschätzung zu der Schätzung durch die Vernunft; und eine dabei zugleich erweckte Lust, aus der Übereinstimmung eben dieses Urteils der Unangemessenheit des größten sinnlichen Vermögens mit Vernunftideen, sofern die Bestrebung zu denselben doch für uns Gesetz ist. Es ist nämlich für uns Gesetz (der Vernunft) und gehört zu unserer Bestimmung, alles, was die Natur als Gegenstand der Sinne für uns Großes enthält, in Vergleichung mit Ideen der Vernunft für klein zu schätzen; und was das Gefühl dieser übersinnlichen Bestimmung in uns rege macht, stimmt zu jenem Gesetze zusammen." (KU, 97/8).33 Es sind daher auch nicht eigentlich Gegenstände der Natur erhaben, sondern die Menschen, wie sie sich selbst, in Konfrontation mit bestimmten, übergroßen Gegenständen der Natur erfahren.34 In der Art und Weise, wie Kant die ästhetische Erfahrung des mathematisch-Erhabenen und ihren Grund schildert, wird die praktische Dimension

Marc-Wogau hat zu Recht darauf hingewiesen, daß die Gemütsstimmung angesichts des Erhabenen analog ist zu der Gemütsstimmung, die durch das Bewußtsein des Sittengesetzes und seiner Nötigung zustande kommt, d.h. zu der Achtung vor dem Sittengesetz. In beiden Fällen wird ein Wohlgefallen erlebt, dem eine Unlusterfahrung vorausgeht. (Vergi. Marc-Wogau 1938, 162). Kant selbst macht auf diesen Zusammenhang aufmerksam, wenn er auch im Zusammenhang mit der Empfindung des mathematisch-Erhabenen von einem Gefühl der Achtung spricht. (Vergi. KU, 96). Vergi. KU, 95.

144

Ästhetischer Gebrauch der Urteilskraft

deutlich, die diese Erfahrung für Menschen hat: Die Erfahrung der eigenen Überlegenheit über die Sinnlichkeit nämlich bestärkt Menschen darin, ihren moralischen Verpflichtungen nachzukommen. Denn als moralische Wesen sind Menschen dazu verpflichtet, sich von den bestimmenden Einflüssen sinnlicher Neigungen freizumachen und sich dadurch der Sinnlichkeit überlegen zu zeigen. Der Zusammenhang zwischen dem Vermögen eines Menschen, das Erhabene ästhetisch zu erfahren, und seinem sittlichen Wesen ist für die Erfahrung des dynamisch-Erhabenen noch wesentlich deutlicher als für die des mathematisch-Erhabenen. Der Erfahrung des dynamisch-Erhabenen liegt ein Naturerlebnis zugrunde, in dem die Natur nicht als Größe, sondern als Macht erscheint. „Kühne, überhangende, gleichsam drohende Felsen, am Himmel sich auftürmende Donnerwolken, mit Blitzen und Krachen einherziehend, Vulkane in ihrer ganzen zerstörenden Gewalt, Orkane mit ihrer zurückgelassenen Verwüstung, der grenzenlose Ozean in Empörung gesetzt, ein hoher Wasserfall eines mächtigen Flusses u. dgl." (KU, 104) lassen die Natur als eine Macht erscheinen, der zu widerstehen der Mensch viel zu schwach ist. Daher erscheint sie ihm in diesen Ansichten als ein Gegenstand der Furcht. Wer sich jedoch tatsächlich fürchtet, kann die Natur nicht als dynamisch-erhaben erleben. Nur derjenige, der die Natur zwar als Macht erlebt, sich dabei jedoch vor ihrer Bedrohung in Sicherheit weiß, kann sie als dynamisch-erhaben erleben. Welche Tätigkeit der Erkenntniskräfte liegt nun der ästhetischen Erfahrung des dynamisch-Erhabenen zugrunde? Die Einbildungskraft bezieht hier die anschaulich gegebene Gegenstandsvorstellung unter Anleitung durch die reflektierende Urteilskraft auf die unbestimmte Idee der Freiheit, eine Idee der reinen praktischen Vernunft. Es ist die Idee der Freiheit, auf die hier Bezug genommen wird, insofern nur ein Wesen, das sich seines Vermögens bewußt wird, aus freier Selbstbestimmung durch reine praktische Vernunft handeln zu können, angesichts einer übermächtigen Natur die Vergeblichkeit seines Widerstandes gegen dieselbe erfahren kann. Diese Idee ist hier noch unbestimmt, als sie das Bewußtsein der Bestimmtheit des freien Willens durch das Sittengesetz zu einer bestimmten sittlichen Handlung nicht notwendigerweise beinhaltet. Ähnlich wie angesichts des mathematisch-Erhabenen erfährt ein Mensch angesichts des dynamisch-Erhabenen zunächst ein Unvermögen seiner selbst: Angesichts der dynamisch-erhabenen Natur erfährt ein Mensch die „Unwiderstehlichkeit ihrer Macht" und darin seine eigene „physische Ohnmacht" (KU, 104/5). Dennoch ist auch die ästhetische Erfahrung des dynamisch-Erhabenen eine Erfahrung von Lust bzw. interesselosem Wohlgefallen. Denn in dieser Erfahrung entdeckt der Mensch an sich ein Vermögen,

Ästhetische Erfahrungen des Schönen und Erhabenen

145

sich als „von ihr [der Natur] unabhängig zu beurteilen" und „eine Überlegenheit über die Natur, worauf sich eine Selbsterhaltung von ganz anderer Art gründet, als diejenige ist, die von der Natur außer uns angefochten und in Gefahr gebracht werden kann, wobei die Menschlichkeit in unserer Person unerniedrigt bleibt, obgleich der Mensch jener Gewalt unterliegen müßte" (KU, 105). Dies bedeutet, daß - wiederum in Analogie zum mathematisch-Erhabenen - nicht eigentlich die Natur als dynamisch-erhaben erfahren wird, sondern der Mensch als ein Wesen, das in der Lage ist, sich von seiner sinnlichen Bestimmtheit zumindest teilweise zu befreien. Da nun in der ästhetischen Erfahrung sowohl des mathematisch-Erhabenen als auch des dynamisch-Erhabenen keine der Natur eigentümliche Form bewußt wird, ist „der Begriff des Erhabenen der Natur bei weitem nicht so wichtig und an Folgerungen reichhaltig..., als der des Schönen in derselben" (KU, 78). Kant beschreibt auch die ästhetische Erfahrung des Erhabenen als eine Erfahrung der Zweckmäßigkeit. Hier wird allerdings nicht die Natur als zweckmäßig erfahren. Als zweckmäßig erfährt sich vielmehr das Subjekt dieser ästhetischen Erfahrung selbst. Es erfährt an sich Vermögen, die für es als sittlich bestimmtes Wesen zweckmäßig sind, insofern sie ihm erlauben, sich von sinnlichen Einflüssen und Beschränkungen so unabhängig zu denken, wie es diese Bestimmung erfordert. Der Begriff des Erhabenen in der Natur zeigt „überhaupt nichts Zweckmäßiges in der Natur selbst, sondern nur in dem möglichen Gebrauche ihrer Anschauungen, um eine von der Natur ganz unabhängige Zweckmäßigkeit in uns selbst fühlbar zu machen" (KU, 78, Hervorh. v. Kant). Nun ist zwar die ästhetische Erfahrung des Erhabenen nicht ohne eine Tätigkeit der reflektierenden Urteilskraft möglich, weil sie einen Versuch der Einbildungskraft, Vernunftideen darzustellen, voraussetzt, die Einbildungskraft diesen Versuch aber nur unter Anleitung durch die reflektierende Urteilskraft unternehmen kann. Dennoch ist die Zweckmäßigkeit des Erhabenen nicht die hypothetische Zweckmäßigkeit, die allein die reflektierende Urteilskraft erfahrbar zu machen vermag. Vielmehr ist dies die Relation, die zwischen einem Zweck und dem zu seiner Verwirklichung geeigneten Mittel besteht. Denn in der Erfahrung des Erhabenen erfährt ein Mensch an sich eine Eigenschaft, die ihm zum Zweck der Erfüllung seiner sittlichen Pflichten als geeignetes Mittel erscheinen muß, d.h. als zweckmäßig hinsichtlich eben dieses sittlichen Zwecks. Wenn Kant dennoch auch im Zusammenhang mit der ästhetischen Erfahrung des Erhabenen von der Erfahrung einer Zweckmäßigkeit ohne Zweck spricht55, so umschreibt er

35

Vergi. KU, 80.

146

Ästhetischer Gebrauch der Urteilskraft

damit nur die Tatsache, daß die Erfahrung des Erhabenen, da sie mit einer Lustempfindung verbunden ist, als Erfahrung einer subjektiven Zweckmäßigkeit angesehen werden kann. Diese subjektive Zweckmäßigkeit kann eine Zweckmäßigkeit „ohne Zweck" jedoch nur insofern genannt werden, als die Lust am Erhabenen interesselos, mithin keine praktische Lust ist, welche, wie die Lust am Angenehmen, Nützlichen und sittlich Guten jederzeit mit einer Bestimmung des Willens einhergeht.36 Nach dieser kurzen Darstellung von Kants Theorie der ästhetischen Erfahrung des Erhabenen kann die Leitfrage dieses Kapitels wieder aufgenommen werden: Wie läßt sich die Kantische Unterscheidung zwischen der ästhetischen Erfahrung des Schönen und der des Erhabenen rechtfertigen, derzufolge erstere auf einer Darstellung eines unbestimmten Verstandesbegriffs, letztere dagegen auf der Darstellung eines unbestimmten Vemunftbegriffs durch die Einbildungskraft beruht? Mit den folgenden Überlegungen soll eine Antwort auf diese Frage entwickelt werden. In allen Fällen, in denen sich die Einbildungskraft um die Darstellung einer Idee der Vernunft in dem Mannigfaltigen raum-zeitlicher Anschauung bemüht, ist dieses Bemühen zum Scheitern verurteilt. Denn Kant zufolge übersteigt die Komplexität einer Vernunftidee nicht nur das Denkvermögen des Verstandes, sondern auch die Darstellungsfähigkeit der Einbildungskraft, d.h. ihre Fähigkeit, das Mannigfaltige der anschaulichen Vorstellung eines Gegenstandes vollständig in die Einheit eines Schemas zu bringen.37 Da nun der ästhetischen Erfahrung des Erhabenen ein solches Bemühen der Einbildungskraft zugrunde hegt, ist diese Erfahrung auch eine Erfahrung der Vergeblichkeit dieses Bemühens. Warum sie für Menschen dennoch Grund für die Erfahrung eines interesselosen Wohlgefallens soll sein können, wurde oben dargestellt. Im Unterschied zu dem interesselosen Wohlgefallen am Erhabenen beruht aber das interesselose Wohlgefallen am Schönen nicht auf der Erfahrung eines Scheiterns der unter Anleitung durch die reflektierende Urteilskraft tätigen Einbildungskraft. Im Gegenteil, dieses Wohlgefallen beruht auf einer harmonischen Proportion von Einbildungskraft und Verstand, in der diese Erkenntniskräfte sich gegenseitig beleben und in ihrer Tätigkeit bestärken. Wie aber kann es in der ästhetischen Erfahrung des Schönen zu einer harmonischen Proportion von Einbildungskraft und Verstand kommen, wenn die Erkenntniskräfte in dieser Erfahrung eine Vernunftidee des Über-

36

37

Die Zweckmäßigkeit ohne Zweck des Erhabenen entspricht damit der Zweckmäßigkeit ohne Zweck des Schönen, wie Kant sie in § 11 der Kritik der Urteilskraft thematisiert hatte. (Zum § 11 vergi, oben, Kap. 5.2.). Vergi, oben, S. 133.

Ästhetische Erfahrungen des Schönen und Erhabenen

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sinnlichen darzustellen versuchen, was ihnen jedoch niemals gelingen kann? Zur Beantwortung dieser Frage muß man sich klarmachen, welche Funktion dem Verstand in ästhetischer Einstellung zu einem schönen Gegenstand zukommt. Der begriffslosen Schematisierungstätigkeit der Einbildungskraft entspricht eine Beschreibungstätigkeit des Verstandes, die nicht bei der Anwendung eines bestimmten objektiven Begriffs auf den schönen Gegenstand stehenbleibt. So wie die Einbildungskraft immer mehr Elemente des Mannigfaltigen der Anschauung dieses Gegenstandes in der Einheit eines Schemas zu verbinden sucht, sucht der Verstand eine immer genauere Beschreibung dieses Gegenstandes zu entwickeln. Dabei bedient er sich zunächst der begrifflichen Mittel, die ihm eine natürliche Sprache bereitstellt. Jedoch wird er die Erfahrung machen, daß die Beschreibung des Gegenstandes, die er unter Ausschöpfung dieser Mittel entwickelt, nicht ausreicht, um die ästhetische Beurteilung der Schönheit dieses Gegenstandes zu begründen. Wie genau seine Beschreibung auch sein mag: Es bleibt immer möglich, daß eine geringfügige Veränderung an dem gegebenen Gegenstand, durch die die entwickelte Beschreibung nicht falsifiziert wird, doch den ästhetischen Eindruck dieses Gegenstandes erheblich verändert. Zur weiteren Bereicherung seiner Beschreibungsmittel kann der Verstand das Begriffsschema einer natürlichen Sprache, das nur endlich komplexe Begriffe und auch nur endlich viele Begriffe enthält, kontinuierlich erweitern und verdichten. Unter Verwendung eines solchen verdichteten Begriffsschemas kann dann die Beschreibung des anschaulich gegebenen Gegenstandes kontinuierlich angereichert werden, so weit, daß sie gar nicht mehr in einem bestimmten, endlich komplexen Begriff gedacht werden kann. Insofern der Verstand dabei nicht nur auf die Konsistenz der jeweils entwickelten Beschreibung achtet, sondern auch darauf, daß diese die logischen Erfordernisse aller Erkenntnis der Dinge überhaupt berücksichtigt, also qualitative Einheit, Vielheit und Vollständigkeit aufweist, ist der Erfolg dieser Tätigkeit von der Form der Zweckmäßigkeit der anschaulich gegebenen Gegenstandsvorstellung abhängig. Denn die qualitative Einheit eines Mannigfaltigen, die die Elemente desselben in ihrer Vielheit und Vollständigkeit berücksichtigt, ist nichts anderes als die systematische Einheit eines Ganzen, die Kant als hypothetisch zweckmäßige Einheit versteht. Ebensowenig wie die Einbildungskraft das Mannigfaltige der anschaulichen Vorstellung eines Gegenstandes vollständig in die Einheit eines Schemas zu bringen vermag, kann es dem Verstand gelingen, eine Beschreibung dieses Gegenstandes zu entwickeln, die seine ästhetische Beurteilung zu begründen erlaubte. Daher gibt es für die Tätigkeit von Einbildungskraft und Verstand in ästhetischer Einstellung zu einem Gegenstand kein natürliches Ende. Sie kann ad infinitum fortgesetzt werden, wenn ihr nicht physische Er-

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Ästhetischer Gebrauch der Urteilskraft

Schöpfung ein Ende bereitet. Das Ziel dieser Tätigkeit, die Herstellung einer Idealproportion von Einbildungskraft und Verstand, kann zwar als Idee eines Maximums der schematischen Einheit eines anschaulichen Mannigfaltigen bzw. der begrifflichen Bestimmung eines Gegenstandes unter gleichzeitiger Berücksichtigung seiner zweckmäßigen Einheit bestimmt gedacht werden, jedoch in keiner ästhetischen Einstellung jemals realisiert werden. Bei der Annäherung an dieses Ziel stimmen die Erkenntniskräfte jedoch kontinuierlich zusammen; sie beleben sich gegenseitig in dem Versuch, diesem Ziel so nahe wie möglich zu kommen. Eine vergleichbare harmonische Proportion kann zwischen Einbildungskraft und Vernunft aus den oben angegebenen Gründen niemals zustande kommen. Dies schließt aber nicht aus, daß es in ästhetischer Einstellung zu einem Gegenstand, dessen Schönheit beurteilt werden soll, nur dann zu einer solchen freien und harmonischen Proportion von Einbildungskraft und Verstand kommen kann, wenn sich die Einbildungskraft in dieser Einstellung um die Darstellung einer Idee der Vernunft zumindest bemüht. Dieser Gedanke mutet dem ersten Anschein nach widersinnig an. Einerseits soll die Einbildungskraft in ästhetischer Einstellung zu einem Gegenstand, dessen Schönheit zu beurteilen ist, um die Darstellung einer Idee bemüht sein, was aber nicht gelingen kann. Andererseits aber soll es durch dieses Bemühen zumindest angesichts eines schönen Gegenstandes zu einer harmonischen Proportion zwischen Einbildungskraft und Verstand kommen, in der jedoch die Einbildungskraft so viele Merkmale dieses Gegenstandes berücksichtigt, wie der Verstand in einem bestimmten objektiven Begriff gar nicht zusammen denken kann. Bei näherem Hinsehen erscheint dieser Gedanke aber durchaus sinnvoll. Kant zufolge sind nämlich die für die sinnlichen Anschauungen zuständige Einbildungskraft und der für das Denken objektiver Begriffe zuständige Verstand zwei ihrer Natur nach ganz heterogene Vermögen.38 Objektive Erkenntnis ist für Menschen nur dort möglich, wo sie diese Heterogenität überwinden. Jede Bestimmung eines Mannigfaltigen sinnlicher Anschauung durch einen objektiven Begriff beruht auf einer Überwindung dieser Heterogenität und ermöglicht so eine Erkenntnis des angeschauten Gegenstandes. Jedoch ist in den Fällen, in denen Gegenstände der sinnlichen Anschauung objektiv erkannt werden, die natürliche Heterogenität von Sinnlichkeit und Verstand nicht gänzlich, sondern nur bis zu einem gewissen Grade, überwunden. Mit der vollständigen Überwindung dieser Heterogenität käme es zu einer Aufhebung der für Kant grundlegenden Differenz zwischen Sinnlichkeit, Verstand und (theo-

38

Vergi, oben, S. 51/2 u.a.

Ästhetische Erfahrungen des Schönen und Erhabenen

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retischer) Vernunft und damit zu einer Darstellung der Vernunftideen in der sinnlichen Anschauung: Denn ein Wesen, dem sie gelänge, würde über eine Erkenntnis des in der sinnlichen Anschauung Gegebenen verfügen, die hinsichtlich ihrer Komplexität und Vollständigkeit einer Erkenntnis, die auf intellektueller Anschauung beruht, in nichts nachstünde. Menschen können die natürliche Heterogenität ihrer beiden Erkenntniskräfte Kant zufolge niemals vollständig überwinden. Jedoch gelingt ihnen in der ästhetischen Erfahrung des Schönen diese Überwindung in höherem Maße, als es ihnen im Rahmen irgendeiner Objekterkenntnis je möglich wäre. Um sich dies verständlich zu machen muß man bedenken, daß die Erkenntniskräfte Einbildungskraft und Verstand in ästhetischer Einstellung zu einem Gegenstand, dessen Schönheit beurteilt werden soll, nichts wesentlich anderes tun, als wenn sie in bezug auf diesen Gegenstand in erkennender Absicht tätig sind: Sie bemühen sich, das Mannigfaltige der anschaulichen Vorstellung dieses Gegenstandes in die synthetische Einheit eines Schemas zu bringen. Da nun dieses Bemühen in ästhetischer Einstellung zu einem Gegenstand in Form eines freien Spiels stattfindet, kann in dieser Einstellung die natürliche Heterogenität von Sinnlichkeit und Verstand in höherem Grade überwunden werden als dann, wenn dieses Bemühen unter Anleitung eines objektiven Begriffs stattfindet. Diese Überwindung liegt grundsätzlich im Erkenntnisinteresse des Verstandes. Auch dort, wo sie in einem Grad gelingt, den der Verstand durch sein begriffliches Denken nicht mehr nachvollziehen kann, widerstreitet sie diesem Interesse nicht. M.a.W.: Die Einbildungskraft, die in ästhetischer Einstellung zu einem Gegenstand, dessen Schönheit beurteilt werden soll, das Mannigfaltige seiner anschaulichen Vorstellung vollständig in die Einheit eines Schemas zu bringen versucht, bemüht sich um die Darstellung einer Vernunftidee in der sinnlichen Anschauung dieses Gegenstandes, und d.h., sie bemüht sich um die vollständige Überwindung der natürlichen Heterogenität von Sinnlichkeit und Verstand. Da diese im Erkenntnisinteresse des Verstandes liegt, kommt es immer dann, wenn sie zumindest teilweise gelingt, zu einer harmonischen Proportion von Einbildungskraft und Verstand. Die freie Proportion von Einbildungskraft und Verstand, die in ästhetischer Einstellung zu einem schönen Gegenstand zustande kommt, ist für das Subjekt dieser Einstellung Grund eines interesselosen Wohlgefallens. In dieser Einstellung erlebt es weniger das Scheitern seiner Einbildungskraft bei dem Versuch, eine Idee in der sinnlichen Anschauung eines Gegenstandes darzustellen, als den Erfolg seines Bemühens, die natürliche Heterogenität von Sinnlichkeit und Verstand in höherem Maße zu überwinden, als dies im Rahmen einer Gegenstandserkenntnis möglich ist. Daß sich die Einbildungskraft nicht nur in der ästhetischen Erfahrung des Erhabenen, sondern

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auch in der ästhetischen Erfahrung des Schönen um die Darstellung einer Vernunftidee in der Anschauung bemüht, ist also durchaus mit der Kantischen These zu vereinbaren, derzufolge zwar dem interesselosen Wohlgefallen am Erhabenen eine (wenn auch nur indirekte) Darstellung eines unbestimmten Vernunftbegriffs durch die Einbildungskraft zugrunde liegt, nicht aber dem interesselosen Wohlgefallen am Schönen. Letzteres beruht nicht auf einer Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Vernunft, sondern auf einer Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand; es ist ein Wohlgefallen an einer Darstellung eines unbestimmten Verstandesbegriffs in der sinnlichen Anschauung. Daß es in der ästhetischen Erfahrung des mathematisch- oder dynamisch-Erhabenen nicht wie in der ästhetischen Erfahrung des Schönen zu einer harmonischen Zusammenstimmung zwischen Einbildungskraft und Verstand kommt, erklärt sich daraus, daß es verschiedene Vernunftideen sind, um deren Darstellung sich die Einbildungskraft jeweils bemüht. Die Einheit, die in den Vernunftideen absoluter Größe oder absoluter Macht vorgestellt wird, ist die quantitative Einheit von Gleichartigem. Diese Einheit kann nur in einem vollständigen Ganzen dargestellt werden, nicht aber an irgendeinem seiner Teile. Die Einheit dagegen, die in der Vernunftidee vorgestellt wird, die vollständiger Begriff eines Einzelnen ist und dieses als aus verschiedenen zweckmäßig geordneten Teilen zusammengesetzes Ganzes begreift, ist die qualitative Einheit von ungleichartigen Teilen, eine Einheit, die den logischen Erfordernissen der Erkenntnis eines Dinges überhaupt genügt. Im Unterschied zu der quantitativen Einheit kann eine qualitative Einheit, da sie von der Form der Zusammensetzung von Teilen in einem Ganzen abhängt, auch an Teilen eines Ganzen erfahren werden. Daß die Einbildungskraft in ästhetischer Einstellung zu einem Erhabenen auf eine quantitative, in ästhetischer Einstellung zu einem schönen Gegenstand aber auf eine qualitative Einheit bezogen ist, läßt sich auch durch den Hinweis auf die Kantische These belegen, derzufolge das Wohlgefallen am Schönen „mit der Vorstellung der Qualität", das Wohlgefallen am Erhabenen dagegen mit der Vorstellung „der Quantität" verbunden ist (KU, 75, Hervorh. v. Kant). Die Harmonie von Einbildungskraft und Verstand, die in ästhetischer Einstellung zu einem schönen Gegenstand als interesseloses Wohlgefallen erfahren wird, beruht auf der Vorstellung einer qualitativen Einheit, einer Vorstellung formaler Zweckmäßigkeit dieses Gegenstandes durch die Einbildungskraft, einer Einheit, deren Vorstellung dem Erkenntnisinteresse des Verstandes entgegenkommt, wenn dieser sie auch wegen ihrer übergroßen Komplexität nicht mehr durch einen objektiven Begriff denken kann.

7. Das reine Geschmacksurteil wird zu Recht mit einem Anspruch auf subjektive Allgemeingültigkeit verbunden. 7.1.

Die dem reinen Geschmacksurteil zugrundeliegende Beurteilung des Gegenstandes ist subjektiv allgemeingültig (KU, § 38).

Ein Gegenstand wird in einem reinen Geschmacksurteil als schön oder häßlich beurteilt, weil er dem Urteilenden, dem Subjekt der ästhetischen Erfahrung, ein interesseloses Gefühl der Lust oder Unlust bereitet. Dieses Urteil wird zu Recht mit einem Anspruch auf intersubjektive Gültigkeit verbunden, wenn das ihm zugrundeliegende interesselose Wohlgefallen oder Mißfallen allgemein mitteilbar ist. Nicht nur der Urteilende selbst, sondern jeder Mensch, der Gegenstände wahrnehmen und erkennen kann, soll in ästhetischer Einstellung zu dem Gegenstand dieses Urteils ein interesseloses Wohlgefallen oder Mißfallen empfinden. Notwendige Bedingung für die allgemeine Mitteilbarkeit des interesselosen Wohlgefallens oder Mißfallens am Schönen oder Häßlichen ist die subjektive Allgemeingültigkeit oder intersubjektive Gültigkeit der Beurteilung des Gegenstandes, die einem Menschen in diesen interesselosen Gefühlen bewußt ist. Den Nachweis, daß diese Beurteilung intersubjektiv gültig ist, führt Kant in dem Abschnitt, der als „Deduktion der reinen ästhetischen Urteile" überschrieben ist (KU, 131ff.), und dort insbesondere in § 38. Wie oben im einzelnen gezeigt worden ist, läßt sich die Beurteilung des Gegenstandes als eine ästhetische Synthesis des Mannigfaltigen der anschaulichen Vorstellung eines Gegenstandes beschreiben, die die Einbildungskraft und der Verstand in freiem Spiel unter Anleitung durch ein Prinzip der Urteilskraft vollziehen. Für die intersubjektive Gültigkeit der Beurteilung des Gegenstandes lassen sich zwei Bedingungen angeben: Zum einen muß das Geschmacksprinzip, also das Prinzip der Urteilskraft, das als Leitfaden der ästhetischen Synthesis fungiert, ein Prinzip a priori sein. Denn nur dann wird es von jedem Menschen unangesehen seiner empirischen Individualität zum Leitfaden der ästhetischen Synthesistätigkeit seiner Erkenntniskräfte gemacht. Zum anderen dürfen die Erkenntniskräfte in ihrer ästhetischen Synthesistätigkeit nur dasjenige an der anschaulichen Vorstel-

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lung eines Gegenstandes berücksichtigen, was jedem, der diesen Gegenstand in ästhetischer Einstellung betrachtet, in gleicher Weise zugänglich ist. Kant selbst macht die Untersuchung des Geschmacksprinzips zum zentralen Thema des Abschnitts über die „Deduktion der reinen ästhetischen Urteile". Den ersten Paragraphen dieses Abschnittes, den § 30, beginnt er mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit einer Deduktion der reinen ästhetischen Urteile über das Schöne, die sich daraus herleitet, daß dieses Urteil, insofern es mit einem Anspruch auf allgemeine Gültigkeit verbunden wird, auf der Anwendung eines Prinzips a priori beruhen muß: Der Anspruch eines ästhetischen Urteils auf allgemeine Gültigkeit für jedes Subjekt bedarf, als ein Urteil, welches sich auf irgendein Prinzip a priori fußen muß, einer Deduktion (d.i. Legitimation seiner Anmaßung), welche über die Exposition desselben noch hinzukommen muß, wenn es nämlich ein Wohlgefallen oder Mißfallen an der Form des Objekts betrifft. Dergleichen sind die Geschmacksurteile über das Schöne der Natur. (KU,131, Hervorh. v. Kant). Statt von einer „Deduktion der reinen ästhetischen Urteile" ist hier präziser von einer Deduktion des „Anspruchfs] eines ästhetischen Urteils auf allgemeine Gültigkeit für jedes Subjekt" die Rede. Diese Deduktion kann nur erfolgreich sein, wenn sich nachweisen läßt, daß dem reinen Geschmacksurteil in der Tat ein Prinzip a priori zugrunde liegt bzw. daß dieses Urteil auf der Anwendung eines solchen Prinzips beruht: Einem solchen [ästhetischen Urteil], wenn es nicht bloßes Empfindungs-, sondern ein formales Reflexionsurteil ist, welches dieses Wohlgefallen jedermann als notwendig ansinnt, muß etwas als Prinzip a priori zum Grunde liegen, welches allenfalls ein bloß subjektives sein mag (wenn ein objektives zu solcher Art Urteile unmöglich sein sollte), aber auch als ein solches einer Deduktion bedarf, damit begriffen werde, wie ein ästhetisches Urteil auf Notwendigkeit Anspruch machen könne. (KU,147/8). Was diese Deduktion im einzelnen zu zeigen hat, führt Kant in § 34 genauer aus: Also ist die Kritik des Geschmacks selbst nur subjektiv in Ansehung der Vorstellung, wodurch uns ein Objekt gegeben wird; nämlich sie ist die Kunst oder Wissenschaft, das wechselseitige Verhältnis des Verstandes und der Einbildungskraft zueinander in der gegebenen Vorstellung (ohne Beziehung auf vorhergehende Empfindung oder Begriff), mithin die Einhelligkeit oder Mißhelligkeit derselben unter Regeln zu bringen und sie in Ansehung ihrer Bedingungen zu bestimmen. Sie ist Kunst, wenn sie dieses nur an Beispielen zeigt; sie ist Wissenschaft, wenn sie die Möglichkeit einer solchen Beurteilung von der Natur dieser Vermögen als Erkenntnisvermögen überhaupt ableitet. Mit der letzteren als transzendentalen Kritik haben wir es hier überall allein

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zu tun. Sie soll das subjektive Prinzip des Geschmacks als ein Prinzip a priori der Urteilskraft entwickeln und rechtfertigen. (KU, 144, Hervorh. v. Kant). An die Stelle der Rede von der Deduktion der reinen ästhetischen Urteile ist hier die Rede von der „Kritik des Geschmacks" getreten, die „Wissenschaft" und daher „transzendentale Kritik" ist.1 Insofern sich die Kritik des Geschmacks mit dem ,,wechselseitige[n] Verhältnis des Verstandes und der Einbildungskraft zueinander in der gegebenen Vorstellung" beschäftigt, hat sie nicht unmittelbar das reine Geschmacksurteil in der Form DIES IST SCHÖN, DIES IST NICHT SCHÖN o d e r DIES IST HÄSSLICH z u m G e -

genstand, sondern die einem solchen Urteil zugrundeliegende Beurteilung des Gegenstandes. Diese Beurteilung „unter Regeln zu bringen und sie in Ansehung ihrer Bedingungen zu bestimmen", bedeutet, das Geschmacksprinzip anzugeben und zu zeigen, daß es ein subjektives Prinzip a priori ist. Die Kritik des Geschmacks hat also Kant zufolge zwei Aufgaben zu lösen: Sie hat erstens das Geschmacksprinzip anzugeben, und dazu soll sie „das subjektive Prinzip des Geschmacks als ein Prinzip a priori der Urteilskraft entwickeln und rechtfertigen", d.h. sie soll zeigen, daß das subjektive Prinzip des Geschmacks ein Prinzip der Urteilskraft ist. Zweitens aber hat die Kritik des Geschmacks zu zeigen, daß das Geschmacksprinzip ein subjektiv allgemeingültiges Prinzip a priori ist, und dazu hat sie die Möglichkeit der ästhetischen Beurteilung einer anschaulichen Gegenstandsvorstellung durch Einbildungskraft und Verstand „von der Natur dieser Vermögen als Erkenntnisvermögen überhaupt [abzuleiten]".

Die Aufgabe der Kritik des Geschmacks liegt nicht in der Abweisung von Geltungsansprüchen, die das reine Geschmacksurteil erhebt, sondern vielmehr in der Legitimation dieser Ansprüche gegenüber skeptischen Einwänden, die die Möglichkeit eines ästhetischen und dennoch allgemeingültigen Urteils bezweifeln. Einer Kritik, die Geltungsansprüche zurückweist, bedürfen Kant zufolge vor allem die teleologischen Urteile über die Zweckmäßigkeit der Natur, da diese, „sich selbst überlassen, die Vernunft zu Schlüssen einladen, die sich ins Überschwengliche verlieren können" (EE, 52). Die reinen Geschmacksurteile dagegen „[erfordern] eine mühsame Nachforschung..., um nur zu verhüten, daß sie sich nicht selbst ihrem Prinzip nach lediglich aufs Empirische einschränken und dadurch ihre Ansprüche auf notwendige Gültigkeit für Jedermann vernichten" (EE, 52). In ihrem Anliegen ist die „Kritik des Geschmacks" daher weniger mit der Kritik der reinen Vernunft zu vergleichen, deren Hauptaufgabe in der Abweisung bestimmter Geltungsansprüche der reinen Vernunft liegt, als mit der Kritik der praktischen Vernunft, die die Aufgabe hat, die Anmaßung der nicht reinen, sondern sinnlich bedingten praktischen Vernunft zu falsifizieren, deizufolge alles Handeln vernünftiger Menschen in sinnlich bedingten Interessen gründet, und durch diese Falsifikation Geltungsansprüche der reinen praktischen Vernunft zu legitimieren. (Vergi, zu diesem Zusammenhang Henrich 1975, 60-4).

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Subjektive Allgemeingültigkeit des reinen Geschmacksurteils

Die erste dieser beiden Aufgaben löst Kant in § 35. Insofern erst in diesem Paragraphen das Geschmacksprinzip angegeben wird, also erst in dem Abschnitt über die „Deduktion der reinen ästhetischen Urteile", verwundert es nicht, daß Kant die Lösung dieser Aufgabe als Teil der Kritik des Geschmacks ansieht. Der Sache nach gehört die Angabe des Geschmacksprinzips aber nicht zur Kritik des Geschmacks, also zur Rechtfertigung des mit reinen Geschmacksurteilen verbundenen Geltungsanspruchs, sondern zur Analytik des Schönen, also zur Exposition der reinen Geschmacksurteile. Denn es ist Aufgabe dieser Exposition zu klären, was in einem reinen Geschmacksurteil von einem Gegenstand behauptet wird; solange aber das Kriterium, das in einem solchen Urteil zur Beurteilung eines Gegenstandes herangezogen wird, nicht angegeben ist, kann diese Aufgabe nicht als erfüllt angesehen werden. Die zweite Aufgabe der Kritik des Geschmacks löst Kant in § 38. Die Lösung dieser Aufgabe ist gleichbedeutend mit dem Nachweis dessen, daß die erste der oben angegebenen Bedingungen für die intersubjektive Gültigkeit der Beurteilung des Gegenstandes erfüllt ist, daß nämlich diese Beurteilung auf der Anwendung eines Geschmacksprinzips a priori beruht. Mit der Frage dagegen, ob auch die zweite der oben angegebenen Bedingungen für die intersubjektive Gültigkeit der Beurteilung des Gegenstandes erfüllt ist, also der Frage, ob die Erkenntniskräfte in ihrer ästhetischen Beurteilung der Schönheit oder Häßlichkeit eines Gegenstandes an dessen anschaulicher Vorstellung nur dasjenige berücksichtigen, was jedem Menschen an diesem in gleicher Weise zugänglich ist, beschäftigt sich Kant in dem Abschnitt über die „Deduktion der reinen ästhetischen Urteile" nicht ausdrücklich. Jedoch läßt sich aus dem Nachweis von § 35, daß das Geschmacksprinzip ein Prinzip der Urteilskraft ist, herleiten, daß auch diese zweite Bedingung für die intersubjektive Gültigkeit der Beurteilung des Gegenstandes erfüllt ist. Dies soll zunächst im einzelnen gezeigt werden. Kant ist der Auffassung, daß nur der formale, nicht aber der materiale Gehalt einer anschaulichen Gegenstandsvorstellung jedem Menschen in derselben Weise zugänglich ist. Dies geht aus einer Bemerkung aus § 14 der Kritik der Urteilskraft hervor, in dem er Empfindungen, die sich auf den materialen Gehalt der anschaulichen Vorstellung eines Gegenstandes beziehen, von demjenigen ausschließt, was die Erkenntniskräfte bei der ästhetischen Beurteilung der Schönheit oder Häßlichkeit dieses Gegenstandes zu berücksichtigen haben.2 Er begründet diesen Ausschluß mit dem Hinweis darauf,

„Eine bloße Farbe, z.B. die grüne eines Rasenplatzes, ein bloßer Ton (zum Unterschied vom Schalle und Geräusch), wie etwa der einer Violine, wird von den meisten an sich für schön erklärt; obzwar beide bloß die Materie der Vorstellungen, nämlich lediglich Emp-

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daß sich „die Qualität der Empfindungen selbst nicht in allen Subjekten als einstimmig ... beurteilt annehmen läßt" (KU, 40). Dies ist eine Konsequenz aus seiner Auffassung, daß zwar der formale, nicht aber der materiale Gehalt einer anschaulichen Vorstellung Gegenstand einer Erkenntnis a priori sein kann. Damit unterstellt er nicht, daß jeder Mensch den materialen Gehalt einer anschaulichen Gegenstandsvorstellung auf seine individuelle Weise wahrnimmt. Vielmehr gesteht er damit zu, daß die Frage, ob jedem Menschen der materiale Gehalt einer anschaulichen Gegenstandsvorstellung in gleicher Weise zugänglich ist oder nicht, nicht im Rahmen einer apriorischen, sondern nur im Rahmen einer empirischen Wissenschaft beantwortet werden kann. Insofern nun die Kritik des Geschmacks als Wissenschaft die Bedingungen, unter denen ein Gegenstand als schön, unschön oder häßlich zu beurteilen ist, a priori angeben soll, muß sie sicherstellen, daß sich das Kriterium dieser Beurteilung nur auf den formalen, nicht aber den materialen Gehalt einer anschaulichen Gegenstandsvorstellung bezieht. Der materiale Gehalt einer anschaulichen Gegenstandsvorstellung ist für Kant kein möglicher Gegenstand einer apriorischen Geschmackskritik. Nun hat Kant in § 35 nachgewiesen, daß das Prinzip des Geschmacks das Prinzip der Urteilskraft ist, demzufolge die Natur zweckmäßig ist „zum Behuf unseres Vermögens ..., sie zu erkennen" (EE, 8)3. Die Erkenntniskräfte, die unter Anleitung durch dieses Prinzip mit der anschaulichen Vorstellung eines Gegenstandes frei spielen, um über die Schönheit oder Häßlichkeit dieses Gegenstandes zu urteilen, beurteilen in diesem freien Spiel die Form der Zweckmäßigkeit dieser Vorstellung, ohne sich dabei auf die Vorstellung eines bestimmten Zwecks zu beziehen. Die Form der Zweckmäßigkeit ist aber eine formale Eigenschaft einer anschaulichen Gegenstandsvorstellung, denn sie hat allein in der Ordnung und Zusammensetzung ihres Mannigfaltigen ihren Grund.4 D.h. daß die Beurteilung des Gegenstandes, die dem reinen Geschmacksurteil zugrunde liegt, die Beurteilung des formalen Gehalts einer anschaulichen Gegenstandsvorstellung ist. Als solche erfüllt sie

4

findung zum Grunde zu haben scheinen und darum nur angenehm genannt zu werden verdienen. Allein man wird doch zugleich bemerken, daß die Empfindungen der Farbe sowohl als des Tons sich nur sofern für schön zu gelten berechtigt halten, als beide rein sind; welches eine Bestimmung ist, die schon die Form betrifft, und auch das einzige, was sich von diesen Vorstellungen mit Gewißheit allgemein mitteilen läßt: weil die Qualität der Empfindungen selbst nicht in allen Subjekten als einstimmig, und die Annehmlichkeit einer Farbe vorzüglich vor der anderen, oder des Tons eines musikalischen Instruments vor dem eines anderen sich schwerlich bei jedermann als auf solche Art beurteilt annehmen läßt." (KU, 39/40, Hervorh. v. Kant). Vergi auch oben, S. 123/4. Vergi, oben, S. 121.

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die zweite der oben angegebenen Bedingungen für ihre intersubjektive Gültigkeit. In § 14 scheint Kant die Unterscheidung zwischen dem materialen und dem formalen Gehalt einer anschaulichen Gegenstandsvorstellung so zu verstehen, wie er sie in § 1 der Kritik der reinen Vernunft eingeführt hatte, nämlich als Unterscheidung zwischen materialen und raum-zeitlichen Eigenschaften einer anschaulichen Vorstellung bzw. des Gegenstandes derselben. Damit legt er die Auffassung nahe, daß für die ästhetische Beurteilung der Schönheit oder Häßlichkeit eines Gegenstandes allein dessen raumzeitliche Eigenschaften zu berücksichtigen sind. Wie verhält sich diese Auffassung zu der These, daß diese ästhetische Beurteilung eines Gegenstandes eine Beurteilung der Form der Zweckmäßigkeit seiner anschaulichen Vorstellung sei? Ist die Beurteilung der Form der Zweckmäßigkeit einer anschaulichen Gegenstandsvorstellung nichts anderes als die Beurteilung ihrer raum-zeitlichen Eigenschaften? Auf der Grundlage der Ergebnisse des vorangehenden Kapitels wird man diese Frage verneinen müssen. Ob einer anschaulichen Gegenstandsvorstellung die Form der Zweckmäßigkeit zukommt oder nicht, hängt nicht allein davon ab, in welchen raum-zeitlichen Relationen die Elemente des Mannigfaltigen dieser Vorstellung angeordnet sind. Die Relationen zwischen den Elementen eines Mannigfaltigen, die dieses als systematisch organisiertes Ganzes erscheinen lassen, also als etwas, dem die Form der Zweckmäßigkeit zukommt, sind nicht auf raum-zeitliche Relationen reduzierbar. Es bleibt zu untersuchen, ob das Geschmacksprinzip ein Prinzip a priori ist. Wie oben bereits erwähnt, nimmt Kant diese Untersuchung in § 38 vor. Der Text dieses Paragraphen, unter der Überschrift „Deduktion der Geschmacksurteile" (KU, 150), ist kurz und wirkt auf den ersten Blick hermetisch. Bei näherem Hinsehen stellt man jedoch fest, daß Kant hier vornehmlich auf die Ergebnisse seiner Argumentation in § 35 zurückgreift. Von dem Geschmacksprinzip ist in § 38 gar nicht ausdrücklich die Rede. Daß dieser Paragraph dennoch ein Argument zur Begründung der These enthält, daß das Geschmacksprinzip ein Prinzip a priori ist, soll im folgenden gezeigt werden. Im ersten Satz dieses Paragraphen erinnert Kant an einen Zusammenhang, der in seiner Theorie des reinen Geschmacksurteils eine Schlüsselrolle spielt: Zum einen liegt dem reinen Geschmacksurteil eine Beurteilung lediglich der Form seines Gegenstandes bzw. der anschaulichen Vorstellung desselben zugrunde, zum anderen eine Beurteilung einer subjektiven Zweckmäßigkeit für die Urteilskraft: Wenn eingeräumt wird, daß in einem reinen Geschmacksurteile das Wohlgefallen an dem Gegenstande mit der bloßen Beurteilung seiner Form verbun-

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den sei, so ist es nichts anderes als die subjektive Zweckmäßigkeit derselben für die Urteilskraft, welche wir mit der Vorstellung des Gegenstandes im Gemiite verbunden empfinden. (KU, 150).

Die Charakterisierung des Wohlgefallens am Schönen als Wohlgefallen an der Form der Vorstellung eines Gegenstandes diente Kant bereits zur Begründung seiner These, daß dieses Wohlgefallen im Unterschied zum Wohlgefallen am Angenehmen interesselos sei.5 Jedoch ließ sich allein aus dieser Eigenschaft des Wohlgefallens am Schönen nicht herleiten, daß in diesem die Zweckmäßigkeit der Form eines Gegenstandes bzw. einer Vorstellung desselben für die Urteilskraft bewußt sei.6 Ein Begründungszusammenhang besteht jedoch in umgekehrter Richtung: Weil in dem interesselosen Wohlgefallen am Schönen die Form der Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes bzw. einer Vorstellung desselben für die Urteilskraft bewußt wird, ist es ein Wohlgefallen an der Form eines Gegenstandes bzw. einer Vorstellung desselben. Dieser Zusammenhang konnte oben im Rahmen der Analyse von § 35 rekonstruiert werden.7 In diesem Paragraphen liefert Kant also auch ein Argument für seine Charakterisierung des Wohlgefallens am Schönen als Wohlgefallen an der Form der anschaulichen Vorstellung eines Gegenstandes, also eine nachträgliche Begründung für seine Charakterisierung dieses Wohlgefallens als interesselos. Hier, in § 38, kann man ihm daher einräumen, „daß in einem reinen Geschmacksurteile das Wohlgefallen an dem Gegenstande mit der bloßen Beurteilung seiner Form verbunden sei", sowie alles, was zur Rechtfertigung der Wahrheit dieser Feststellung vorausgesetzt werden muß. Im folgenden schließt Kant nun daraus, daß die Beurteilung, die einem Menschen in einem interesselosen Wohlgefallen bewußt ist, die Beurteilung der Form der Zweckmäßigkeit einer anschaulichen Gegenstandsvorstellung durch die Urteilskraft ist, darauf, daß diese Beurteilung „für jedermann gültig" ist: Da nun die Urteilskraft in Ansehung der formalen Regeln der Beurteilung, ohne alle Materie (weder Sinnenempfindung noch Begriff), nur auf die subjektiven Bedingungen des Gebrauchs der Urteilskraft überhaupt (die weder auf die besondere Sinnesart noch einen besonderen Verstandesbegriff eingerichtet ist) gerichtet sein kann; folglich auf dasjenige Subjektive, welches man in allen Menschen (als zum möglichen Erkenntnisse überhaupt erforderlich) voraussetzen kann: so muß die Übereinstimmung einer Vorstellung mit die-

5

Vergi. KU, §§ 2-3 und oben, Kap. 2.2. Vergi, oben, Kap. 5.2. Vergi, oben, Kap. 6.1.

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sen Bedingungen der Urteilskraft als für jedermann gültig a priori angenommen werden können. (KU, 150/1). Hier greift Kant ein weiteres Mal auf seine Argumentation in § 35 zurück: In der Beurteilung des Gegenstandes, die einem Menschen als interesseloses Wohlgefallen bewußt ist, ist die Urteilskraft nur auf die subjektiven Bedingungen ihres Gebrauchs gerichtet. Im Rückgriff auf die Analyse der §§ 9 und 35 läßt sich dies wie folgt erklären: Die Beurteilung des Gegenstandes erfolgt durch eine ästhetische Synthesistätigkeit von Einbildungskraft und Verstand, durch die diese Erkenntniskräfte in ein Verhältnis gegenseitiger Zusammenstimmung zu gelangen versuchen. Daß diese ihrer Natur nach heterogenen Erkenntniskräfte durch ihre Tätigkeit in ein Verhältnis gegenseitiger Zusammenstimmung zu gelangen versuchen, ist eine Forderung der Urteilskraft. Denn ohne eine solche Zusammenstimmung kann die Urteilskraft ihre Aufgabe, das Besondere als enthalten unter dem Allgemeinen zu denken, nicht erfüllen. Diese Forderung der Urteilskraft ergeht an die Erkenntniskräfte a priori; denn eine Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand gehört zu den Bedingungen jeder bestimmten Erkenntnis. Diese Zusammenstimmung beruht nämlich auf einer Ordnimg des von der Einbildungskraft vorgestellten Mannigfaltigen der Anschauung, mit der mindestens die logischen Bedingungen der Erkenntnis eines Dinges überhaupt erfüllt sind. Ohne das Erfülltsein dieser Bedingungen ist keine Erkenntnis möglich. Insofern nun die Erkenntniskräfte auch in ihrer ästhetischen, nicht auf bestimmte Erkenntnis zielenden Synthesis des Mannigfaltigen einer anschaulichen Gegenstandsvorstellung dieser Forderimg zu genügen versuchen und damit diese Forderung zum Leitfaden ihrer Tätigkeit machen, kann man sagen, daß in dieser Tätigkeit die Urteilskraft bzw. die durch sie angeleiteten Erkenntniskräfte Einbildungskraft und Verstand „auf dasjenige Subjektive [gerichtet sind], welches man in allen Menschen (als zum möglichen Erkenntnisse überhaupt erforderlich) voraussetzen kann". Das „Subjektive", das „zum möglichen Erkenntnisse überhaupt erforderlich" ist, oder, wie Kant sich in § 9 ausdrückte, die subjektive Bedingung jeder bestimmten Erkenntnis (vergi. KU, 29), ist nichts anderes als die Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte, die die Urteilskraft erfordert und die anzeigt, daß das von der Einbildungskraft vorgestellte Mannigfaltige mindestens die logischen Bedingungen der Erkenntnis eines Dinges überhaupt erfüllt.8

Vergi, oben, S. 62/3.

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Der Leitfaden der ästhetischen Synthesis des Mannigfaltigen einer anschaulichen Gegenstandsvorstellung durch die Erkenntniskräfte wird diesen also durch die Urteilskraft a priori vorgeschrieben. Da nun dieser Leitfaden nichts anderes ist als das Geschmacksprinzip, ist auch das Geschmacksprinzip ein Prinzip a priori. Die in dem interesselosen Wohlgefallen am Schönen bewußte Beurteilung des Gegenstandes ist intersubjektiv gültig, da sie auf einer Anwendung eines Prinzips a priori beruht und da in ihr nur dasjenige an der anschaulichen Vorstellung des Gegenstandes berücksichtigt wird, was jeder, der ihn in ästhetischer Einstellung betrachtet, an ihm in derselben Weise wahrnehmen kann. Daher kann Kant schließen: D.i. die Lust oder subjektive Zweckmäßigkeit der Vorstellung für das Verhältnis der Erkenntnisvermögen in der Beurteilung eines sinnlichen G e g e n standes überhaupt wird jedermann mit Recht angesonnen werden können. ( K U , 151).

Für den Nachweis der Apriorität des Geschmacksprinzips spielt wiederum die enge Verwandtschaft der ästhetischen Synthesis des Mannigfaltigen einer anschaulichen Gegenstandsvorstellung mit der in erkennender Absicht unternommenen Synthesis eines solchen Mannigfaltigen eine Schlüsselrolle. Während Kant in § 35 diese Verwandtschaft nutzte, um den Leitfaden der ästhetischen Synthesis, also das Geschmacksprinzip anzugeben, nutzt er sie hier, um die Apriorität dieses Prinzips nachzuweisen. Dies geht auch deutlich aus der Anmerkung zu § 38 hervor: U m berechtigt zu sein, auf allgemeine Beistimmung zu einem bloß auf subjektiven Gründen beruhenden Urteile der ästhetischen Urteilskraft Anspruch zu machen, ist genug, daß man einräume: 1) bei allen M e n s c h e n seien die subjektiven Bedingungen dieses Vermögens, was das Verhältnis der darin in Tätigkeit gesetzten Erkenntniskräfte zu einem Erkenntnis überhaupt betrifft,

Vergi, auch KU, 155: „Dagegen ist die Lust am Schönen weder eine Lust des Genusses noch einer gesetzlichen Tätigkeit, auch nicht der vernünftelnden Kontemplation nach Ideen, sondern der bloßen Reflexion. Ohne irgendeinen Zweck oder Grundsatz zur Richtschnur zu haben, begleitet diese Lust die gemeine Auffassung eines Gegenstandes durch die Einbildungskraft, als Vermögen der Anschauung, in Beziehung auf den Verstand, als Vermögen der Begriffe, vermittelst eines Verfahrens der Urteilskraft, welches sie auch zum Behuf der gemeinsten Erfahrung ausüben muß; nur daß sie es hier, um einen empirischen objektiven Begriff, dort aber (in der ästhetischen Beurteilung) bloß, um die Angemessenheit der Vorstellung zur harmonischen (subjektiv-zweckmäßigen) Beschäftigung beider Erkenntnisvermögen in ihrer Freiheit wahrzunehmen, d.i. den Vorstellungszustand mit Lust zu empfinden, zu tun genötigt ist. Diese Lust muß notwendig bei jedermann auf den nämlichen Bedingungen beruhen, weil sie subjektive Bedingungen der Möglichkeit einer Erkenntnis überhaupt sind, und die Proportion dieser Erkenntnisvermögen, welche zum Geschmack erfordert wird, auch zum gemeinen und gesunden Verstände erforderlich ist, den man bei jedermann voraussetzen darf." (Hervorh. v. C.F.).

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einerlei; welches wahr sein muß, weil sich sonst Menschen ihre Vorstellungen und selbst das Erkenntnis nicht mitteilen könnten; 2) das Urteil habe bloß auf dieses Verhältnis (mithin di e formale Bedingung der Urteilskraft) Rücksicht genommen und sei rein, d.i. weder mit Begriffen vom Objekt noch Empfindungen als Bestimmungsgründen vermengt. Wenn in Ansehung dieses letzteren auch gefehlt worden, so betrifft das nur die unrichtige Anwendung der Befugnis, die ein Gesetz uns gibt, auf einen besonderen Fall; wodurch die Befugnis überhaupt nicht aufgehoben wird. (KU, 151Anm., Hervorh. v. Kant). Die ästhetische Beurteilung der Schönheit oder Häßlichkeit eines Gegenstandes durch die mit der anschaulichen Vorstellung desselben frei spielenden Erkenntniskräfte Einbildungskraft und Verstand ist intersubjektiv gültig, weil die Erkenntniskräfte in dieser Beurteilung nichts anderes tun, als ihnen durch die Urteilskraft a priori aufgetragen ist: Sie bemühen sich, in ein Verhältnis gegenseitiger Zusammenstimmung zu kommen, und d.h. sie bemühen sich, das Mannigfaltige der anschaulichen Vorstellung des zu beurteilenden Gegenstandes in einer Form der Zweckmäßigkeit zu ordnen, die ohne Vorstellung eines bestimmten Zwecks an ihm wahrgenommen werden kann und die dennoch die logischen Bedingungen der Erkenntnis eines Dinges überhaupt erfüllt. Im zweiten Teil der oben zitierten Anmerkung verweist Kant noch einmal auf die zweite Bedingung für die intersubjektive Gültigkeit der Beurteilung des Gegenstandes: Die Erkenntniskräfte dürfen in ihrer ästhetischen Tätigkeit nur auf die Form der Zweckmäßigkeit der anschaulichen Vorstellung des zu beurteilenden Gegenstandes achten; von materialen Qualitäten dieser Vorstellung, die Grund für eine Lust am Angenehmen oder eine Unlust am Unangenehmen sein könnten, müssen sie ganz absehen. Aber auch mit dem Nachweis der intersubjektiven Gültigkeit der einem reinen Geschmacksurteil zugrundeliegenden Beurteilung des Gegenstandes ist der Nachweis der subjektiven Allgemeingültigkeit dieses Urteils noch nicht vollständig. Die allgemeine Mitteilbarkeit der interesselosen Gefühle ästhetischer Lust oder Unlust setzt nicht nur die inter subjektive Gültigkeit der in diesen Gefühlen bewußten Beurteilung des Gegenstandes voraus, sondern auch, daß sich jeder Mensch dieser Beurteilung gefühlsmäßig bewußt werden kann. Zu einem solchen Bewußtsein ist ein Mensch nur dann fähig, wenn er über das Vermögen des Gemeinsinns verfügt. Mit der Theorie des Gemeinsinns, durch die die Theorie des reinen Geschmacksurteils, so weit sie bisher entwickelt wurde, zu vervollständigen ist, beschäftigt sich das folgende Kapitel.

Funktionen des Gemeinsinns

7.2.

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Sowohl zur ästhetischen Beurteilung der Schönheit oder Häßlichkeit eines Gegenstandes in einem reinen Geschmacksurteil als auch zur objektiven Erkenntnis eines Gegenstandes müssen Menschen über das Vermögen des Gemeinsinns verfügen (KU, §§ 18-22 und 40).

Hinreichende Bedingung für die Rechtmäßigkeit des Anspruchs auf subjektive Allgemeingültigkeit, mit dem reine Geschmacksurteile der Form DIES IST SCHÖN, DIES IST NICHT SCHÖN o d e r DIES IST HÄSSLICH v e r b u n d e n

werden, ist die allgemeine Mitteilbarkeit der diesen Urteilen zugrundeliegenden interesselosen Gefühle der Lust oder Unlust. Allgemein mitteilbar können diese Gefühle nur sein, wenn einem Menschen in ihnen eine subjektiv allgemeingültige Beurteilung des Gegenstandes bewußt wird. Daß diese Bedingung erfüllt ist, wurde im vorangehenden Kapitel nachgewiesen. Neben der subjektiven Allgemeingültigkeit der Beurteilung des Gegenstandes setzt die allgemeine Mitteilbarkeit dieser interesselosen Gefühle voraus, daß jeder Mensch für die ästhetische Beurteilung der Schönheit oder Häßlichkeit eines Gegenstandes durch seine Erkenntniskräfte gefühlsmäßig empfänglich ist. Dies ist der Fall, wenn für jeden Menschen die ästhetische Zusammenstimmung seiner Erkenntniskräfte angesichts eines schönen Gegenstandes Grund für die Empfindung eines interesselosen Wohlgefallens ist, die Unmöglichkeit dagegen, eine solche Zusammenstimmimg in ästhetischer Einstellung zu einem anschaulich vorgestellten Gegenstand herzustellen, Grund für ein interesseloses Mißfallen. Kant vertritt die These, daß diese Bedingung nur dann erfüllt sein kann, wenn Menschen über das Vermögen des Gemeinsinns verfügen. Er thematisiert dieses Vermögen vornehmlich an zwei Stellen der Kritik der ästhetischen Urteilskraft: Im letzten Abschnitt der „Analytik des Schönen", d.h. in dem „Viertefn] Moment der Geschmacksurteile, nach der Modalität des Wohlgefallens an den Gegenständen" (KU,§§ 18-22), und in § 40. Im ersten Paragraphen des angegebenen Abschnitts, in § 18, greift er zunächst zurück auf die Differenz zwischen der nur privatgültigen Lust am Angenehmen und der mutmaßlich allgemein mitteilbaren Lust am Schönen. Diese Differenz thematisiert er hier als eine Differenz, die zwischen diesen beiden Arten der Lust hinsichtlich ihrer Modalität besteht: Von einer jeden Vorstellung kann ich sagen: wenigstens es sei möglich, daß sie (als Erkenntnis) mit einer Lust verbunden sei. Von dem, was ich angenehm nenne, sage ich, daß es in mir wirklich Lust bewirke. Vom Schönen aber denkt man sich, daß es eine notwendige Beziehung auf das Wohlgefallen habe. (KU, 62, Hervorh. v. Kant).

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Möglichkeit, Wirklichkeit (bzw. Dasein) und Notwendigkeit sind der Kritik der reinen Vernunft zufolge die drei Kategorien der Modalität.9 Diese drei Modalitätskategorien „haben das Besondere an sich: daß sie den Begriff, dem sie als Prädikate beigefügt werden, als Bestimmung des Objekts nicht im mindesten vermehren, sondern nur das Verhältnis zum Erkenntnisvermögen ausdrücken" (KrV, A219/B266). Aus dieser Bestimmung ist u.a. zu entnehmen, daß die Modalitätskategorien objektiven Begriffen als Prädikate beigefügt werden, Begriffen also, wie sie in objektiven Erkenntnisurteilen verwendet werden. Nun sind ästhetische Urteile keine Erkenntnisurteile, die Urteile über das Angenehme und Unangenehme ebensowenig wie die Urteile über das Schöne und Häßliche; Schönheit, Häßlichkeit, Annehmlichkeit und Unannehmlichkeit sind keine objektiven Begriffe. Daher sind die drei Modalitätskategorien auf diese ästhetischen Urteile nicht anwendbar. Dennoch thematisiert Kant in § 18 der Kritik der Urteilskraft Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit als drei Modalitäten des Wohlgefallens, das ein Mensch empfinden kann, bzw. als drei Modalitäten ästhetischer Urteile. Als Modalitäten ästhetischer Urteile sind Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit keine Kategorien, sondern ästhetische Modalbegriffe, die Kant allerdings in Analogie zu den drei Modalitätskategorien konzipiert. Während die Modalitätskategorien objektiven Begriffen als Prädikate beigefügt werden, werden die ästhetischen Modalbegriffe den Prädikatbegriffen ästhetischer Urteile beigefügt. Insbesondere wird den Prädikatbegriffen ,angenehm' und .unangenehm' der ästhetische Modalbegriff der Wirklichkeit beigefügt, den Prädikatbegriffen ,schön' und ,häßlich' dagegen der ästhetische Modalbegriff der Notwendigkeit. Statt D I E S IST ANGENEHM müßte es daher genauer heißen D I E S IST WIRKLICH ANGENEHM; und statt D I E S IST SCHÖN müßte es daher genauer heißen D I E S IST NOTWENDIG SCHÖN. Die Modalitätskategorien drücken das Verhältnis eines objektiven Begriffs zum menschlichen Erkenntnisvermögen bzw. zu den Bedingungen der Erfahrung aus. Die ästhetischen Modalbegriffe dagegen drücken das Verhältnis der Vorstellung eines Gegenstandes zum Empfindungsvermögen eines Menschen aus. Z.B. denkt derjenige, der in ästhetischer Einstellung zu einem schönen Gegenstand ein interesseloses Wohlgefallen empfindet und diese Empfindung für allgemein mitteilbar hält, daß dieser schöne Gegenstand „eine notwendige Beziehung auf das Wohlgefallen habe", also bei jedem Menschen, der diesen Gegenstand in ästhetischer Einstellung betrachtet, notwendigerweise eine Empfindung interesselosen Wohlgefallens her-

9

Vergi. KrV, A80/B106.

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vorrufen müsse. Daher verbindet er mit seinem Urteil, in dem er diesen Gegenstand als schön beurteilt, einen Anspruch auf subjektive Allgemeingültigkeit. Im Unterschied zu der theoretischen objektiven Notwendigkeit und auch im Unterschied zu der praktischen Notwendigkeit kann Kant zufolge die „Notwendigkeit, die in einem ästhetischen Urteile gedacht wird, nur exemplarisch genannt werden, d.i. eine Notwendigkeit der Beistimmung aller zu einem Urteil, was wie ein10 Beispiel einer allgemeinen Regel, die man nicht angeben kann, angesehen wird" (KU, 62/3, Hervorh. v. Kant). Mit der exemplarischen Notwendigkeit, die in dem reinen Geschmacksurteil gedacht wird, meint Kant letztlich nichts anderes als die subjektive Allgemeingültigkeit, die diesem Urteil dem Anspruch des Urteilenden gemäß zukommt. Daher spricht er von der exemplarischen Notwendigkeit des reinen Geschmacksurteils auch als von der ,,subjektive[n] Notwendigkeit, die wir dem Geschmacksurteile beilegen" (KU, 63). Die exemplarische Notwendigkeit ober subjektive Allgemeingültigkeit kann Kant zufolge dem reinen Geschmacksurteil nur unter einer bestimmten Bedingung zukommen: „Die subjektive Notwendigkeit, die wir dem Geschmacksurteile beilegen, ist bedingt" (KU, 63). Welche Bedingung ist hier gemeint? Diese Frage beantwortet Kant in § 20 der Kritik der Urteilskraft: „Die Bedingung der Notwendigkeit, die ein Geschmacksurteil vorgibt, ist die Idee eines Gemeinsinnes" (KU, 64). Weil das reine Geschmacksurteil ein ästhetisches Urteil ist und mit einem Anspruch auf subjektive Allgemeingültigkeit verbunden wird, muß das Geschmacksprinzip, auf dessen Anwendung es beruht, ein „subjektives Prinzip ... [sein], welches nur durch Gefühl und nicht durch Begriffe, doch aber allgemeingültig bestimme, was gefalle oder mißfalle" (KU, 64). Ein in diesem Sinne subjektives Prinzip aber „könnte nur als ein Gemeinsinn angesehen werden" (KU, 64, Hervorh. v. Kant). Unter diesem „Gemeinsinn" versteht Kant hier „keinen äußeren Sinn, sondern die Wirkung aus dem freien Spiel unserer Erkenntniskräfte" (KU, 64). Nur für den, der über einen solchen Gemeinsinn verfügt, ist die ästhetische Beurteilung der Schönheit oder Häßlichkeit eines Gegenstandes durch das freie Spiel seiner Erkenntniskräfte ein Grund für die Empfindung einer interesselosen Lust oder Unlust. In § 21 will Kant die Frage beantworten, „ob man mit Grund einen Gemeinsinn voraussetzen könne" (KU, 65). Am Anfang dieses Paragraphen steht ein Argument, in dem Kant die allgemeine Mitteilbarkeit objektiver,

Im Kantischen Text fehlt das „ein". Ich übernehme den Korrekturvorschlag von Erdmann.

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Subjektive Allgemeingültigkeit des reinen Geschmacksurteils

wahrer Erkenntnisurteile abhängig macht von der allgemeinen Mitteilbarkeit einer ,,subjektive[n] Bedingung des Erkennens": Erkenntnisse und Urteile müssen sich, samt der Überzeugung, die sie begleitet, allgemein mitteilen lassen; denn sonst käme ihnen keine Übereinstimmung mit dem Objekt zu; sie wären insgesamt ein bloß subjektives Spiel der Vorstellungskräfte, gerade so wie es der Skeptizism verlangt. Sollen sich aber Erkenntnisse mitteilen lassen, so muß sich auch der Gemütszustand, d.i. die Stimmung der Erkenntniskräfte zu einer Erkenntnis Uberhaupt, und zwar diejenige Proportion, welche sich für eine Vorstellung (wodurch uns ein Gegenstand gegeben wird) gebührt, um daraus Erkenntnis zu machen, allgemein mitteilen lassen; weil ohne diese, als subjektive Bedingung des Erkennens, das Erkenntnis als Wirkung nicht entspringen könnte. Dieses geschieht auch wirklich jederzeit, wenn ein gegebener Gegenstand vermittelst der Sinne die Einbildungskraft zur Zusammensetzung des Mannigfaltigen, diese aber den Verstand zur Einheit desselben11 in Begriffen in Tätigkeit bringt. (KU, 65). Die erste Prämisse dieses Arguments lautet: „Erkenntnisse und Urteile müssen sich, samt der Überzeugung, die sie begleitet, allgemein mitteilen lassen". Erkenntnisse und Urteile, die allgemein mitteilbar sind, sind nachvollziehbar von allen erkenntnisfähigen Menschen und gelten für alle diese Menschen. Es sind Sätze, denen eine „Übereinstimmung mit dem Objekt" zukommt, die also wahr sind. Die Wahrheit nämlich definiert Kant als „die Übereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstande" (KrV, A58/B82). Allgemein mitteilbar sind Erkenntnisse und Urteile nur, wenn sie wahr sind. Sätze dagegen, die nicht wahr und daher auch nicht allgemein mitteilbar sind, sind „ein bloß subjektives Spiel der Vorstellungskräfte, gerade so wie es der Skeptizism verlangt". Sie kommen nicht unbeeinflußt von der bestimmten empirischen Individualität eines Urteilenden zustande, und es ist daher nicht gewährleistet, daß alle Menschen die Bedingungen, unter denen diese Sätze zustande gekommen sind, nachvollziehen können. Kants erste Prämisse, derzufolge sich wahre Erkenntnisse bzw. Urteile samt der Überzeugung, die sie begleitet, allgemein mitteilen lassen müssen, ist also gerechtfertigt. Der zweiten Prämisse zufolge können Erkenntnisse nur allgemein mitteilbar sein, wenn auch die „subjektive Bedingung des Erkennens" allgemein mitteilbar ist. Diese „subjektive Bedingung des Erkennens" soll eine bestimmte Proportion der Erkenntniskräfte Einbildungskraft und Verstand sein, „und zwar diejenige Proportion, welche sich für eine Vorstellung (wodurch uns ein Gegenstand gegeben wird) gebührt, um daraus Erkenntnis zu

Kant schreibt hier „derselben". Ich übernehme den Korrekturvoischlag von Vorländer.

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machen". Kant nennt diese Proportion hier auch „die Stimmung der Erkenntniskräfte zu einer Erkenntnis überhaupt" (KU, 65). Allgemein mitteilbar und wahr soll eine Erkenntnis also nur sein können, wenn sie Wirkung einer bestimmten Proportion der Erkenntniskräfte Einbildungskraft und Verstand ist, einer Proportion, die ihrerseits allgemein mitteilbar sein muß, die also alle Menschen zwischen ihren Erkenntniskräften angesichts eines zu erkennenden Gegenstandes der sinnlichen Anschauung müssen herstellen können. Die These, daß die subjektiven Ursachen einer allgemein mitteilbaren Erkenntnis ihrerseits allgemein mitteilbar, also von allen erkenntnisfähigen Menschen herstellbar sein müssen, leuchtet ohne Schwierigkeiten ein. Daher kann auch diese zweite Prämisse als gerechtfertigt angesehen werden. Um welche Proportion der Erkenntniskräfte handelt es sich hier? Um eine Proportion der Erkenntniskräfte, die angesichts einer anschaulich gegebenen Vorstellung eines Gegenstandes immer dann zustande kommen muß, wenn dieser Gegenstand objektiv erkannt werden soll. Dies läßt sich von zwei Proportionen dieser Erkenntniskräfte behaupten: Zum einen von ihrer ursprünglichen Zusammenstimmung, zum anderen von ihrer objektiven Zusammenstimmung. Denn sowohl die ursprüngliche als auch die objektive Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte ist eine „Stimmung der Erkenntniskräfte zu einer Erkenntnis überhaupt". Beide Proportionen beruhen auf einer qualitativen Einheit, Vielheit und Vollständigkeit des durch die Einbildungskraft anschaulich vorgestellten Mannigfaltigen und erfüllen somit die ,,logische[n] Erfordernisse ... aller Erkenntnis der Dinge überhaupt" (KrV, B114).12 Ob Kant hier eher an die ursprüngliche oder die objektive Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte gedacht hat, muß zunächst offen bleiben. Jedoch können beide Proportionen als „subjektive Bedingung des Erkennens" bezeichnet werden, da ohne ihr Zustandekommen kein Gegenstand der sinnlichen Anschauung empirisch erkannt werden kann. Aus den beiden angegebenen Prämissen kann Kant schließen, daß die Proportion der Erkenntniskräfte, die „subjektive Bedingung des Erkennens" ist, allgemein mitteilbar ist. Schwierigkeiten bereitet das Verständnis des nun folgenden Argumentationsschrittes: Aber diese Stimmung der Erkenntniskräfte [d.h. ihre Stimmung zu einer Erkenntnis überhaupt,... welche sich für eine Vorstellung ... gebührt, um daraus Erkenntnis zu machen] hat, nach Verschiedenheit der Objekte, die gegeben werden, eine verschiedene Proportion. Gleichwohl aber muß es eine geben,

12

Vergi, oben, Kap. 3.2.

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in welcher dieses innere Verhältnis zur Belebung (einer durch die andere) die zuträglichste für beide Gemütskräfte in Absicht auf Erkenntnis (gegebener Gegenstände) überhaupt ist; und diese Stimmung kann nicht anders als durch das Gefühl (nicht nach Begriffen) bestimmt werden. (KU, 65/6). Hier vertritt Kant drei Thesen, die sich wie folgt paraphrasieren lassen: (1) Angesichts verschiedener, in der empirischen Anschauung vorgestellter Gegenstände, entstehen zwischen den Erkenntniskräften Einbildungskraft und Verstand verschiedene Proportionen. (2) Verschieden sind diese Proportionen, insofern sie mehr oder weniger zuträglich sind in Absicht auf Erkenntnis (gegebener Gegenstände) überhaupt. (3) Über die Frage, ob eine bestimmte, angesichts eines Gegenstandes entstandene Proportion der Erkenntniskräfte in Absicht auf Erkenntnis (gegebener Gegenstände) überhaupt mehr oder weniger zuträglich ist, kann nur gefühlsmäßig entschieden werden, nicht begrifflich. Von was für verschiedenen Proportionen von Einbildungskraft und Verstand ist hier die Rede? Was soll es bedeuten, daß diese Proportionen hinsichtlich ihrer Zuträglichkeit in Absicht auf Erkenntnis (gegebener Gegenstände) überhaupt verschieden sind? Zwei verschiedene Antworten und entsprechend zwei verschiedene Vorschläge für die Interpretation der Argumentation Kants in § 21 sollen im folgenden entwickelt und diskutiert werden. Der erste Interpretationsvorschlag geht davon aus, daß die verschiedenen Proportionen, von denen hier die Rede ist, genau diejenigen freien Proportionen sind, die im freien Spiel der Erkenntniskräfte mit der anschaulichen Vorstellung eines Gegenstandes entstehen, also bei der ästhetischen Beurteilung der Schönheit oder Häßlichkeit dieses Gegenstandes. Im Unterschied zu ursprünglichen und objektiven Zusammenstimmungen der Erkenntniskräfte angesichts anschaulich gegebener Gegenstandsvorstellungen läßt sich von diesen freien Proportionen der Erkenntniskräfte mit Sinn sagen, daß sie verschieden zuträglich sein können in Absicht auf Erkenntnis (gegebener Gegenstände) überhaupt; freie Proportionen der Erkenntniskräfte können nämlich die logischen Erfordernisse der Erkenntnis eines Dinges überhaupt mehr oder weniger erfüllen. Diese Differenz zwischen den freien Proportionen ist ausschlaggebend für die unterschiedliche ästhetische Beurteilung der Gegenstände, deren Vorstellungen sie haben Zustandekommen lassen. Nur im freien Spiel der Erkenntniskräfte mit der Vorstellung eines schönen Gegenstandes kommt es zu einer Zusammenstimmung zwischen Einbildungskraft und Verstand, die besonders zuträglich ist in Absicht auf Erkenntnis (gegebener Gegenstände) überhaupt.

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Auf der Grundlage dieser Interpretation läßt sich die dritte These Kants, daß über die Zuträglichkeit einer gegebenen Proportion der Erkenntniskräfte in Absicht auf Erkenntnis (gegebener Gegenstände) überhaupt nur gefühlsmäßig, nicht aber begrifflich entschieden werden kann, leicht rechtfertigen: Im freien Spiel sind Einbildungskraft und Verstand ohne Anleitung durch objektive Begriffe tätig. Da sich die ästhetische Qualität der Schönheit oder Häßlichkeit eines Gegenstandes nicht in Form von objektiven Begriffen beschreiben läßt, läßt sich nicht nach objektiven Begriffen, sondern nur gefühlsmäßig entscheiden, ob im freien Spiel der Erkenntniskräfte mit einer anschaulich gegebenen Gegenstandsvorstellung eine in Absicht auf Erkenntnis (gegebener Gegenstände) überhaupt zuträgliche Proportion zwischen ihnen zustande kommt oder nicht. Schwierigkeiten entstehen für diesen ersten Interpretationsvorschlag allerdings daraus, zugestehen zu müssen, daß „die Stimmung der Erkenntniskräfte zu einer Erkenntnis überhaupt", von der Kant im ersten Teil von § 21 sagt, sie sei eine „subjektive Bedingung des Erkennens" und müsse daher jeder bestimmten Erkenntnis vorhergehen, nicht identisch sein kann mit der in Absicht auf Erkenntnis (gegebener Gegenstände) überhaupt besonders zuträglichen Stimmung der Erkenntniskräfte. Jeder bestimmten Erkenntnis muß eine ursprüngliche und eine objektive Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte vorhergehen, nicht aber eine ästhetische Zusammenstimmung - denn sonst wären alle Gegenstände bestimmter Erkenntnis als solche auch schön. Wegen dieser Schwierigkeit kann der dritte Schritt der Kantischen Argumentation in § 21 im Rahmen dieses ersten Interpretationsvorschlages nun aber nicht verständlich gemacht werden: Da sich nun diese Stimmung selbst muß allgemein mitteilen lassen, mithin auch das Gefühl derselben (bei einer gegebenen Vorstellung), die allgemeine Mitteilbarkeit eines Gefühls aber einen Gemeinsinn voraussetzt: so wird dieser mit Grunde angenommen werden können, und zwar ohne sich desfalls auf psychologische Beobachtungen zu fußen, sondern als die notwendige Bedingung der allgemeinen Mitteilbarkeit unserer Erkenntnis, welche in jeder Logik und jedem Prinzip der Erkenntnisse, das nicht skeptisch ist, vorausgesetzt werden muß13. (KU,66).

Hier schließt Kant daraus, daß (1) die Stimmung der Erkenntniskräfte zu einer Erkenntnis überhaupt, die jeder bestimmten Erkenntnis als deren subjektive Bedingung vorhergehen muß, allgemein mitteilbar ist und daß (2) darüber, ob eine angesichts einer anschaulich gegebenen Gegenstandsvorstellung entstandene Proportion dieser Erkenntniskräfte in Absicht auf

In der zweiten und dritten Auflage fehlt „muß",

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Erkenntnis (gegebener Gegenstände) überhaupt besonders zuträglich ist oder nicht, nur gefühlsmäßig entschieden werden kann, darauf, daß (3) auch diese gefühlsmäßige Entscheidung allgemein mitteilbar sein muß. Da (3) nur möglich ist, wenn man annimmt, jeder Mensch verfüge über das Vermögen des Gemeinsinns, ist diese Annahme, gerechtfertigt. Der Gemeinsinn wird hier als das Vermögen verstanden, das einem Menschen eine Proportion seiner Erkenntniskräfte, die in Absicht auf Erkenntnis (gegebener Gegenstände) überhaupt besonders zuträglich ist, gefühlsmäßig bewußt macht. Kant versucht hier, die Annahme, daß jeder Mensch, der Dinge wahrnehmen und erkennen kann, auch über das Vermögen des Gemeinsinns verfügt, dadurch zu begründen, daß er diesem Vermögen im Rahmen des Zustandekommens einer bestimmten Erkenntnis eine wichtige Funktion zuschreibt. Was für eine Funktion ist dies? Es muß die Funktion sein zu entscheiden, ob eine bestimmte, angesichts einer anschaulichen Gegenstandsvorstellung entstandene Proportion der Erkenntniskräfte den vorgestellten Gegenstand zu erkennen erlaubt oder nicht. Dieser Versuch kann aber nur erfolgreich sein, wenn die gefühlsmäßige Entscheidung darüber, ob eine gegebene Proportion der Erkenntniskräfte zuträglich ist in Absicht auf Erkenntnis (gegebener Gegenstände) überhaupt die Entscheidung darüber ist, ob es sich bei dieser Proportion um eine Stimmung der Erkenntniskräfte handelt, die jeder Erkenntnis eines Gegenstandes als deren subjektive Bedingung vorhergehen muß. Genau dies kann aber dieser erste Interpretationsvorschlag nicht verständlich machen: Er läßt den Gemeinsinn zuständig sein für das gefühlsmäßige Bewußtsein der ästhetischen Beurteilung der Schönheit oder Häßlichkeit eines Gegenstandes durch die frei spielenden Erkenntniskräfte. Von dieser Beurteilung und deren gefühlsmäßigem Bewußtsein hängt es aber nicht ab, ob der vorgestellte Gegenstand erkannt werden kann oder nicht. Will der zweite Interpretationsvorschlag diese Schwierigkeiten vermeiden, so darf er die gefühlsmäßige Beurteilung dessen, ob eine angesichts einer anschaulich gegebenen Gegenstandsvorstellung entstandene Proportion der Erkenntniskräfte in Absicht auf Erkenntnis (gegebener Gegenstände) überhaupt besonders zuträglich ist oder nicht, nicht einfach mit der gefühlsmäßigen Beurteilung dessen identifizieren, ob die Erkenntniskräfte in ästhetischer Einstellung zu einem anschaulich vorgestellten Gegenstand ästhetisch zusammenstimmen oder nicht. M.a.W.: er muß die „Stimmung der Erkenntniskräfte zu einer Erkenntnis überhaupt" mit der Stimmung dieser Erkenntniskräfte identifizieren, die „die zuträglichste für beide Gemütskräfte in Absicht auf Erkenntnis (gegebener Gegenstände) überhaupt ist". Wenn angesichts verschiedener anschaulich gegebener Gegenstandsvorstellungen verschiedene Proportionen von Einbildungskraft und Verstand

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sollen entstehen können, wenn weiterhin diese Proportionen verschieden sein sollen, insofern sie mit der Proportion, die die zuträglichste in Absicht auf Erkenntnis (gegebener Gegenstände) überhaupt ist, mehr oder weniger übereinstimmen, und wenn schließlich diese zuträglichste Proportion genau „die Stimmung der Erkenntniskräfte zu einer Erkenntnis überhaupt" ist, nämlich die Proportion, „welche sich für eine Vorstellung ... gebührt, um daraus Erkenntnis zu machen", dann kann mit dieser zuträglichsten Proportion nicht die ursprüngliche, sondern nur die objektive Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte gemeint sein. Denn immer wenn ein Gegenstand anschaulich vorgestellt wird, entsteht eine ursprüngliche Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte. Angesichts verschiedener anschaulich gegebener Gegenstandsvorstellungen können keine Proportionen der Erkenntniskräfte entstehen, die von ihrer ursprünglichen Zusammenstimmung mehr oder weniger abweichen. Jedoch können diese Proportionen von einer objektiven Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte mehr oder weniger abweichen. Denn Einbildungskraft und Verstand stimmen objektiv zusammen, wenn das von der Einbildungskraft vorgestellte Mannigfaltige eines Gegenstandes der Anschauung sich durch die bestimmten objektiven Begriffe angemessen bestimmen läßt, die der Verstand denkt. Eine solche objektive Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand kommt nicht spontan zustande, sondern setzt eine objektive, nämlich begriffsgeleitete Synthesistätigkeit der Erkenntniskräfte voraus. Jede objektive Synthesistätigkeit läßt sich als der Versuch der Erkenntniskräfte beschreiben, in ein Verhältnis objektiver Zusammenstimmung zu gelangen. Es ist durchaus möglich, daß ein solcher Versuch mit mehr oder weniger großen Schwierigkeiten verbunden sein kann, je nachdem, was für Eigenschaften der anschaulich vorgestellte Gegenstand aufweist und was für Begriffe der Verstand zu seiner Bestimmung bereitstellt. Im Rahmen der objektiven Synthesistätigkeit der Erkenntniskräfte können daher durchaus Proportionen von Einbildungskraft und Verstand entstehen, die von ihrer objektiven Zusammenstimmung noch mehr oder weniger weit entfernt sind. Wenn nun, wie dies dieser zweite Interpretationsvorschlag unterstellt, mit der in Absicht auf Erkenntnis (gegebener Gegenstände) überhaupt besonders zuträglichen Proportion von Einbildungskraft und Verstand deren objektive Zusammenstimmung gemeint ist, dann behauptet Kant in § 21, daß ein Mensch nur gefühlsmäßig bestimmen kann, wann die objektive Synthesistätigkeit seiner Erkenntniskräfte in bezug auf ein gegebenes Mannigfaltiges zum Erfolg geführt hat. Dies kann jedoch nur dann der Fall sein, wenn ein Mensch nicht nach Regeln über den Erfolg oder Mißerfolg der objektiven Synthesistätigkeit seiner Erkenntniskräfte entscheiden kann. Wenn aber dies der Fall ist, dann läßt sich auch die Kantische Hauptthese

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von § 21 rechtfertigen, daß man mit Grund einen Gemeinsinn voraussetzten könne, weil ohne ein solches Vermögen niemand zu einer allgemein mitteilbaren und damit wahren Erkenntnis eines Gegenstandes gelangen könne. Daß man nicht nach Regeln entscheiden kann, ob ein anschaulich gegebener Gegenstand Erfüllungsinstanz einer in einem objektiven Begriff gedachten Regel ist oder nicht, stellt Kant schon in der Kritik der reinen Vernunft fest, und zwar in dem Abschnitt über die ,,transzendentale[...] Urteilskraft überhaupt" (KrV, A132/B171ff.). Dies ist der Abschnitt, in dem er erstmals in der Kritik der reinen Vernunft von dem Verstand als dem „Vermögen der Regeln" die Urteilskraft unterscheidet, die er als das „Vermögen unter Regeln zu subsumieren, d.i. zu unterscheiden, ob etwas unter einer gegebenen Regel (casus datae legis) stehe, oder nicht" bestimmt (KrV, A132/B171, Hervorh. v. Kant). Im Unterschied zum Verstand verfährt die Urteilskraft bei dieser Unterscheidung nicht nach Regeln. Sie kann die Entscheidung, ob etwas unter einer gegebenen Regel stehe oder nicht, nicht nach Regeln treffen. Denn jeder Versuch, Regeln für diese Entscheidung anzugeben, würde einen Regress provozieren, der die fragliche Entscheidung letztlich unmöglich machte. Dieses Problem des drohenden Regel-Regresses, das Kant veranlaßt, mit der Urteilskraft ein sowohl vom Verstandesvermögen als auch vom Vermögen der Anschauung (Sinnlichkeit und Einbildungskraft) unterschiedenes Erkenntnisvermögen einzuführen, läßt sich wie folgt verdeutlichen: Angenommen, man will entscheiden, ob ein Gegenstand a Erfüllungsinstanz eines Begriffs F ist oder nicht, ob also ,a ist F' oder ,a ist nicht F' zutrifft. Fordert man nun für diese Entscheidung eine Regel, so könnte dies eine Regel sein, die hinreichende Bedingungen angibt, die ein Gegenstand erfüllen muß, um durch F angemessen bestimmt zu werden. Eine solche Regel könnte z.B. Alle G sind F sein. Will man nun diese Regel auf den gegebenen Fall anwenden, so muß man entscheiden, ob der Gegenstand a die Bedingungen G der Regel erfüllt oder nicht. Auch für diese Entscheidung kann man eine Regel fordern, und so kann man in infinitum Regeln fordern und angeben, für deren Anwendung man wiederum Regeln fordern und angeben kann. Der Entscheidung, ob der Gegenstand α Erfüllungsinstanz von F ist oder nicht, kommt man jedoch auch durch die Angabe unendlich vieler Entscheidungsregeln keinen Schritt näher. Der Verstand als Vermögen der Regeln kann niemals entscheiden, ob ein Gegenstand der raum-zeitlichen Anschauung eine seiner Regeln erfüllt oder nicht. Zu dieser Entscheidung bedarf es der Urteilskraft, die Kant in der Kritik der reinen Vernunft als „ein besonderes Talent" charakterisiert, „welches gar nicht belehrt, sondern nur geübt sein will" und das „das Spezifische des sogenannten Mutterwitzes, dessen Mangel keine Schule ersetzen kann", ausmacht (KrV, A133/B172).

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Nun beschreibt Kant in § 21 der Kritik der Urteilskraft den Gemeinsinn als ein Vermögen, das es einem Menschen ermöglicht, sich gefühlsmäßig bewußt zu werden, ob seine Erkenntniskräfte in ein Verhältnis objektiver Zusammenstimmung gelangen oder nicht, wenn sie in einer objektiven Synthesis das Mannigfaltige einer anschaulichen Gegenstandsvorstellung unter Anleitung durch einen Begriff des Verstandes zu ordnen und zu verbinden versuchen. Unter Berücksichtigung der Gründe, die ihn in der Kritik der reinen Vernunft veranlaßt hatten, die Urteilskraft als Erkenntnisvermögen einzuführen, kann man nun sagen, daß er mit dieser Beschreibung angibt, was das besondere Talent der Urteilskraft ausmacht. Denn die objektive Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte, die der Gemeinsinn einem Menschen in Form eines Gefühls bewußt macht, zeigt an, daß ein von der Einbildungskraft anschaulich vorgestellter Gegenstand Erfüllungsinstanz des Begriffs ist, den der Verstand denkt, also unter diesen subsumiert werden kann. Die Urteilskraft als das Talent, ohne Rekurs auf Regeln zu entscheiden, ob ein anschaulich vorgestellter Gegenstand Erfüllungsinstanz eines Verstandesbegriffs ist oder nicht, bedarf also eines Gemeinsinns oder ist letztlich sogar nichts anderes als ein solcher Gemeinsinn.14 Mit diesem zweiten Interpretationsvorschlag kann die These, die Kant in § 21 der Kritik der Urteilskraft vertritt, verständlich gemacht und gerechtfertigt werden: Die Bedingungen einer wahren und allgemein mitteilbaren Erkenntnis müssen allgemein mitteilbar sein. Zu diesen Bedingungen gehört eine objektive Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand, mit der die logischen Erfordernisse der Erkenntnis eines Dinges überhaupt erfüllt sind und die daher in Absicht auf Erkenntnis (gegebener Gegenstände) überhaupt besonders zuträglich ist. Darüber, ob die Erkenntniskräfte in ihrer Synthesis eines in der Anschauung gegebenen Mannigfaltigen in ein Verhältnis objektiver Zusammenstimmung gelangt sind oder nicht, kann die Urteilskraft nicht nach Begriffen, sondern nur gefühlsmäßig entscheiden. Auch dieses Gefühl der Urteilskraft muß allgemein mitteilbar sein, d.h. für jeden Menschen muß das Gelingen des Versuchs der Erkenntniskräfte, in ein Verhältnis objektiver Zusammenstimmung zu gelangen, Grund für eine positive Gefühlsempfindung sein, ein Mißlingen dagegen Grund für eine negative Gefühlsempfindung. Nun setzt die allgemeine Mitteilbarkeit eines Gefühls einen Gemeinsinn voraus; daher ist die Annahme,

An dieser Stelle wird ein systematischer Grund dafür erkennbar, daß Kant in den Einleitungen in die Kritik der Urteilskraft der Urteilskraft als oberem Erkenntnisvermögen das Gemütsvermögen der Lust und Unlust zuordnet. (Vergi. KU, XXI-XXHI u. LV1II und EE, 59/60).

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daß jeder erkenntnisfähige Mensch über das Vermögen des Gemeinsinns verfügt, gerechtfertigt. Der These von § 21 zufolge müßte nun jede bestimmte Erkenntnis eines Gegenstandes begleitet sein von einem positiven Gefühl, einer Lust an der objektiven Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand, die diese Erkenntnis allererst ermöglicht. Kant behauptet dies in der Tat, gesteht allerdings zu, daß dieses positive Gefühl, da es so oft entsteht, in den meisten Fällen gar nicht mehr bewußt empfunden wird, sondern von dem Bewußtsein der Erkenntnis des gegebenen Gegenstandes überlagert und verdrängt wird.15 Ist nun gemäß diesem zweiten Interpretationsvorschlag mit dem § 21 nachgewiesen, daß für jeden Menschen die ästhetische Zusammenstimmung seiner Erkenntniskräfte angesichts eines schönen Gegenstandes notwendiger Grund für die Empfindung eines interesselosen Wohlgefallens ist? Vorläufig kann diese Frage noch nicht bejaht werden. Denn in § 21 rechtfertigt Kant zwar die Annahme eines Gemeinsinns, konzipiert diesen jedoch als Vermögen eines Menschen, sich der objektiven Zusammenstimmung seiner Erkenntniskräfte in Form eines positiven Gefühls bewußt zu werden, also als objektiven Gemeinsinn, jedoch nicht auch als ästhetischen Gemeinsinn, d.h. als Vermögen eines Menschen, sich auch der ästhetischen Zusammenstimmung seiner Erkenntniskräfte in Form eines solchen Gefühls bewußt zu werden.16 Die allgemeine Mitteilbarkeit der interesselosen Gefühle ästhetischer Lust oder Unlust an schönen oder häßlichen Gegenständen setzt jedoch einen ästhetischen Gemeinsinn voraus.

„In der Tat, da wir von dem Zusammentreffen der Wahrnehmungen mit den Gesetzen nach allgemeinen Naturbegriffen (den Kategorien) nicht die mindeste Wirkung auf das Gefühl der Lust in uns antreffen, auch nicht antreffen können, weil der Verstand damit unabsichtlich nach seiner Natur notwendig verfährt: so ist anderseits die entdeckte Vereinbarkeit zweier oder mehrerer empirischen heterogenen Naturgesetze unter einem sie beide befassenden Prinzip der Grund einer sehr merklichen Lust, oft sogar einer Bewunderung, selbst einer solchen, die nicht aufhört, ob man schon mit dem Gegenstande derselben genug bekannt ist. Zwar spüren wir an der Faßlichkeit der Natur und ihrer Einheit der Abteilungen in Gattungen und Arten, wodurch allein empirische Begriffe möglich sind, durch welche wir sie nach ihren besonderen Gesetzen erkennen, keine merkliche Lust mehr; aber sie ist gewiß zu ihrer Zeit gewesen, und nur weil die gemeinste Erfahrung ohne sie nicht möglich sein würde, ist sie allmählich mit dem bloßen Erkenntnisse vermischt und nicht mehr besonders bemerkt worden." (KU, XXXIX/XL). Die Unterscheidung zwischen einem objektiven und einem ästhetischen Gemeinsinn, die hier gemacht wird, entspricht nicht der Unterscheidung zwischen einem sensus communis logicus und einem sensus communis aestheticus, die Kant in einer Anmerkung zu § 40 erwähnt. (Vergi. KU, 160 Anm.). Denn in dieser Anmerkung wird der sensus communis logicus mit dem „gemeinen Menschenverstand" bzw., wie es im Text des Paragraphen heißt, mit dem „gesunden Verstand" identifiziert.

Funktionen des Gemeinsinns

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Die beiden Vorschläge, die Kantische Argumentation in § 21 der Kritik der Urteilskraft zu interpretieren, münden daher in das folgende Dilemma: Entweder man unterstellt, wie dies der erste Vorschlag tut, Kant wolle in § 21 die Annahme des ästhetischen Gemeinsinns rechtfertigen; dann muß man zugestehen, daß ihm dies nicht gelingt. Denn die Annahme des ästhetischen Gemeinsinns läßt sich nicht unmittelbar aus der allgemeinen Mitteilbarkeit wahrer Erkenntnisse und ihrer Bedingungen rechtfertigen. Ein Gegenstand muß nicht, um erkannt, also durch objektive Begriffe angemessen bestimmt zu werden, ästhetisch beurteilt werden. Oder aber man unterstellt, wie dies der zweite Interpretationsvorschlag tut, Kant wolle in § 21 die Annahme des objektiven Gemeinsinns rechtfertigen; dann kommt man zu dem Schluß, daß diese Rechtfertigung gelingt, muß jedoch zugestehen, daß dies nicht zum Nachweis dessen beiträgt, daß die interesselosen Gefühle ästhetischer Lust oder Unlust allgemein mitteilbar sind. Ein Ausweg aus diesem Dilemma kann nur gefunden werden, wenn es gelingt, zwischen dem objektiven und dem ästhetischen Gemeinsinn einen Zusammenhang herzustellen, der es erlaubt, daraus, daß die Annahme des ersteren gerechtfertigt ist, zu schließen, daß auch die Annahme des letzteren gerechtfertigt ist. Einen solchen Zusammenhang scheint Kant in § 40 der Kritik der Urteilskraft herstellen zu wollen, denn der handelt „vom Geschmacke als einer Art von sensus communis" (KU, 156). In diesem Paragraphen konzipiert Kant den Gemeinsinn nicht mehr nur als das Vermögen eines Menschen, sich der Zusammenstimmung seiner Erkenntniskräfte, die jeder bestimmten Erkenntnis vorhergehen muß, gefühlsmäßig bewußt zu werden, sondern auch als ein Vermögen, das dazu anleitet, in der Reflexion über das Mannigfaltige einer anschaulichen Gegenstandsvorstellung „auf die Vorstellungsart jedes anderen in Gedanken (a priori) Rücksicht [zu nehmen]", also nur die „formalen Eigentümlichkeiten" dieser Vorstellung zu berücksichtigen, weil diese allein jedem Menschen in derselben Weise zugänglich sind. (KU, 157). Die Funktion, an dem Mannigfaltigen einer anschaulichen Gegenstandsvorstellung nur deren formale Eigentümlichkeiten zu berücksichtigen, kann sowohl dem objektiven als auch dem ästhetischen Gemeinsinn zu Recht zugeschrieben werden. Daß die Herstellung einer ästhetischen Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte in ihrem freien Spiel mit einer anschaulichen Gegenstandsvorstellung nur unter Berücksichtigung allein des formalen Gehalts dieser Vorstellung erfolgen kann, wurde bereits erläutert.17 Dabei wurde auch darauf hingewiesen, daß mit diesen ausschließlich zu berücksichtigenden formalen Eigentümlichkeiten nicht allein

17

Vergi, oben, S. 154-56.

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raum-zeitliche Eigentümlichkeiten einer anschaulichen Vorstellung bzw. ihres Gegenstandes gemeint sein können. Wenn man dies berücksichtigt, kann man Kant ohne Schwierigkeit zugestehen, daß auch die objektive Synthesis des Mannigfaltigen einer Gegenstandsvorstellung sowie die objektive Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand, die durch sie hergestellt werden soll, nur auf die formalen Eigentümlichkeiten dieser Vorstellung achten sollte. Vor dem Hintergrund des engen Zusammenhangs, der zwischen dem Vermögen der Urteilskraft und dem Vermögen des Gemeinsinns besteht, kann es nicht verwundern, daß Kant die Funktion, in der Reflexion über das Mannigfaltige einer anschaulichen Gegenstandsvorstellung nur deren formale Eigentümlichkeiten zu berücksichtigen, hier dem Gemeinsinn zuschreibt. Daraus, daß diese Funktion dem objektiven ebenso wie dem ästhetischen Gemeinsinn zugeschrieben werden kann, läßt sich die Annahme des ästhetischen Gemeinsinns jedoch nicht rechtfertigen. Offenbar in der Absicht, eben diese Annahme zu begründen, versucht Kant in § 40, das Vermögen des Geschmacks mit dem Vermögen des Gemeinsinns zu identifizieren. In § 1 der Kritik der Urteilskraft hatte er den Geschmack als „das Vermögen der Beurteilung des Schönen" definiert (KU, 3 Anm.). Hier nun charakterisiert er den Geschmack als das Vermögen, das „mit mehrerem Rechte sensus communis genannt werden könne, als der gesunde Verstand" bzw. als „das Beurteilungsvermögen desjenigen, was unser Gefühl an einer gegebenen Vorstellung ohne Vermittlung eines Begriffs allgemein mitteilbar macht" (KU, 160, Hervorh. v. Kant).18 Als ein solches Beurteilungsvermögen ist der Geschmack nicht notwendigerweise der ästhetische Gemeinsinn, er kann ebenso der objektive Gemeinsinn sein. Als objektiver Gemeinsinn ist der Geschmack aber nicht mehr das Vermögen der Beurteilung des Schönen. M.a.W., bei dem Versuch, das Vermögen des Geschmacks mit dem Vermögen des Gemeinsinns zu identifizieren, läuft Kant Gefahr, seine ursprüngliche Konzeption des Geschmacks als Vermögen der Beurteilung des Schönen aufzugeben. Möglicherweise im Bewußtsein dieser Gefahr schränkt er im folgenden die Notwendigkeit, einen Gemeinsinn anzunehmen, der einem Menschen eine Zusammenstimmung seiner Erkenntniskräfte als positives Gefühl bewußt macht, auf den Fall der ästhetischen Zusammenstimmung dieser Erkenntniskräfte ein: N u r da, w o Einbildungskraft in ihrer Freiheit den Verstand erweckt, und dieser ohne Begriffe die Einbildungskraft in ein regelmäßiges Spiel versetzt, da

18

Vergi, auch KU, 161: „Der Geschmack ist also das Vermögen, die Mitteilbarkeit der Gefühle, welche mit gegebener Vorstellung (ohne Vermittlung eines Begriffs) verbunden sind, a priori zu beurteilen."

Funktionen des Gemeinsinns

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teilt sich die Vorstellung, nicht als Gedanke, sondern als inneres Gefühl eines zweckmäßigen Zustandes des Gemüts mit. (KU, 161).

Diese Einschränkung ist mit der Argumentation von § 21 aber nicht verträglich; denn dort hatte Kant die Annahme des objektiven Gemeinsinns gerade dadurch gerechtfertigt, daß ein Mensch einen Gegenstand seiner Anschauung nur dann erkennen, also durch objektive Begriffe bestimmen kann, wenn er sich der objektiven Zusammenstimmung seiner Erkenntniskräfte gefühlsmäßig bewußt sein kann, die anzeigt, daß der vorgestellte Gegenstand die gedachten Begriffe erfüllt. Das Vermögen des Geschmacks und das Vermögen des Gemeinsinns können also nicht identifiziert werden, líber das Vermögen des objektiven Gemeinsinns muß ein Mensch verfügen, wenn er Gegenstände erkennen, also durch objektive Begriffe bestimmen können soll. Dies gilt nicht für den Geschmack als das Vermögen der Beurteilung des Schönen. Denn wer einen Gegenstand erkennen will, muß dazu nicht über die Schönheit oder Häßlichkeit desselben ästhetisch urteilen. Mit Hilfe der Kantischen Argumentation in § 40 läßt sich also kein Ausweg aus dem Dilemma weisen, in das die oben entwickelten beiden Interpretationsvorschläge für § 21 geführt hatten. Mit der folgenden Überlegung soll jedoch der Versuch gemacht werden, einen solchen Ausweg aufzuzeigen: In § 21 wird der Gemeinsinn nicht als ein ganz spezielles Vermögen konzipiert, aufgrund dessen Menschen sich dieser oder jener bestimmten objektiven Zusammenstimmung ihrer Erkenntniskräfte, also ihrer Zusammenstimmung nach der Regel eines bestimmten objektiven Begriffs, gefühlsmäßig bewußt werden. Vielmehr wird er als ein Vermögen konzipiert, das einem Menschen beliebige Fälle einer objektiven Zusammenstimmung seiner Erkenntniskräfte gefühlsmäßig bewußt macht. Grund für eine positive Gefühlsempfindung ist für einen Menschen eine objektive Zusammenstimmung seiner Erkenntniskräfte, insofern sie eine für diese Erkenntniskräfte in Absicht auf Erkenntnis (gegebener Gegenstände) überhaupt besonders zuträgliche Stimmung ist. Sie beruht auf einer Ordnung des von der Einbildungskraft vorgestellten Mannigfaltigen der Anschauung eines Gegenstandes, mit der die logischen Erfordernisse der Erkenntnis eines Dinges überhaupt erfüllt sind. Nun beruht aber ebenso wie die objektive Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand auch ihre ästhetische Zusammenstimmung auf einer solchen Ordnung. Angesichts dieser engen Verwandtschaft zwischen der objektiven und der ästhetischen Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte kann man vermuten, daß derjenige, der sich einer objektiven Zusammenstimmung seiner Erkenntniskräfte gefühlsmäßig bewußt werden kann, sich auch einer ästhetischen Zusammenstimmung seiner Erkenntniskräfte gefühlsmäßig bewußt werden kann. Der Ge-

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Subjektive Allgemeingültigkeit des reinen Geschmacksurteils

meinsinn, der ein solches Bewußtsein entstehen läßt, ist dieser Überlegung zufolge als ein Vermögen zu beschreiben, aufgrund dessen ein Mensch sich einer kontingenten Zusammenstimmung seiner Erkenntniskräfte in Form eines positiven Gefühls bewußt werden kann, sofern diese Zusammenstimmung auf einer Ordnung eines vorgestellten Mannigfaltigen beruht, mit der die logischen Erfordernisse der Erkenntnis eines Dinges überhaupt erfüllt sind. Die Argumentation von § 21 läßt sich als Rechtfertigimg der Annahme eines Gemeinsinns verstehen und verteidigen, auf den genau diese Beschreibung zutrifft. Mit dieser Rechtfertigung der Annahme eines Gemeinsinns, der ein objektiver ebenso wie ein ästhetischer sein kann, ist nachgewiesen, daß neben der intersubjektiven Gültigkeit der Beurteilung des Gegenstandes auch die zweite Bedingung für die allgemeine Mitteilbarkeit der interesselosen Gefühle ästhetischer Lust oder Unlust erfüllt ist: Jeder Mensch, der Gegenstände wahrnehmen und erkennen kann, verfügt auch über das Vermögen des Gemeinsinns und hat daher ein gefühlsmäßiges Bewußtsein davon, ob seine Erkenntniskräfte, wenn sie in ästhetischer Einstellung zu einem Gegenstand mit dem Mannigfaltigen seiner anschaulichen Vorstellung frei spielen, in ein Verhältnis ästhetischer Zusammenstimmung zueinander gelangen oder nicht. Wenn aber jeder in ästhetischer Einstellung zu einem schönen Gegenstand ein interesseloses Wohlgefallen, in ästhetischer Einstellung zu einem unschönen oder häßlichen Gegenstand aber ein interesseloses Mißfallen erlebt, dann kann mit einem reinen Geschmacksurteil, dessen Bestimmungsgrund eine solche interesselose Empfindung ist, zu Recht ein Anspruch auf subjektive Allgemeingültigkeit erhoben werden.

8. Trotz der subjektiven Allgemeingültigkeit des reinen Geschmacksurteils bleiben die Meinungen über die Schönheit oder Häßlichkeit von Gegenständen oft kontrovers.

Daß jedes reine Geschmacksurteil zu Recht mit einem Anspruch auf subjektive Allgemeingültigkeit verbunden werden kann, bedeutet, daß es zwischen reinen Geschmacksurteilen über einen identischen Gegenstand keinen Widerstreit geben kann, - ebensowenig wie zwischen wahren Erkenntnisurteilen über einen identischen Gegenstand. Wird ein Gegenstand von einem Menschen, der ihn in ästhetischer Einstellung betrachtet, als Grund eines interesselosen Wohlgefallens erlebt und daher als schön beurteilt, so kann es kein reines Geschmacksurteil geben, in dem derselbe Gegenstand als unschön oder häßlich beurteilt wird. Nun gibt es viele Urteile, die irrtümlich für wahre Erkenntnisurteile gehalten oder als solche ausgegeben werden. Vergleichbar irrtümliche Urteile über die Schönheit oder Häßlichkeit eines Gegenstandes, von Kant so genannte „irrige Geschmacksurteile" (KU, 26), gibt es ebenfalls. In einem solchen Urteil wird ein Gegenstand zu Unrecht ids schön, unschön oder häßlich beurteilt. Wie kann es zu einem solchen Urteil kommen? Bestimmungsgrund des reinen Geschmacksurteils, das zu Recht mit einem Anspruch auf subjektive Allgemeingültigkeit verbunden wird, ist die Empfindung einer interesselosen ästhetischen Lust oder Unlust des Urteilssubjekts, die es veranlaßt, den Gegenstand, den es für den Grund dieser Empfindung hält, als schön, unschön oder häßlich zu beurteilen. Wenn man nun unterstellt, daß auch der Bestimmungsgrund eines irrigen Geschmacksurteils eine Gefühlsempfindung ist, so kann der fragliche Irrtum entweder darauf beruhen, daß das Urteilssubjekt seine Gefühlsempfindung zu Unrecht für eine interesselose Empfindung ästhetischer Lust (oder Unlust) hält, daß seine Empfindung also nicht frei ist von Reiz und Rührung durch etwas Angenehmes oder Unangenehmes, oder aber darauf, daß es zwar ein interesseloses Wohlgefallen (oder Mißfallen) empfindet, jedoch den Gegenstand, den es als schön (oder unschön oder häßlich) beurteilt, zu Unrecht für den Grund dieser Empfindung hält.

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Divergierende Meinungen in Geschmacksfragen

Im ersten Fall ist das irrige Geschmacksurteil gar kein reines Geschmacksurteil. Kant betont in der Kritik der Urteilskraft immer wieder, daß reine Geschmacksurteile solche ästhetischen Urteile sind, die frei von dem Einfluß durch Reiz und Rührung zustande kommen. 1 Der zweite Fall erscheint relativ unwahrscheinlich. Kant berücksichtigt ihn denn auch gar nicht ausdrücklich. In diesem Fall wird unterstellt, daß ein Mensch zu einem Gegenstand seiner empirischen Anschauung eine ästhetische Einstellung einnehmen und in dieser ein interesseloses Gefühl ästhetischer Lust oder Unlust empfinden kann, sich aber bei der Identifikation dieses Gegenstandes dennoch täuschen kann. Die Geschmacksurteile, die auf diese Weise zustande kommen - wenn es solche überhaupt gibt -, beruhen zwar auf einer ästhetischen Erfahrung des Urteilssubjekts und nicht, wie im ersten Fall, auf einer Erfahrung der Annehmlichkeit oder Unannehmlichkeit. Jedoch bieten sie keinen Anlaß zur Aufgabe der These, daß es zwischen reinen Geschmacksurteilen über einen identischen Gegenstand keinen Widerstreit geben kann. Denn ein reines Geschmacksurteil, in dem ein Gegenstand a als schön beurteilt wird und das in dieser Weise irrtümlich ist, nämlich aufgrund einer ästhetischen Erfahrung an einem Gegenstand b zustande kommt, kann einem reinen Geschmacksurteil, in dem der Gegenstand a als unschön oder häßlich beurteilt wird, nicht widersprechen. Es ist nun eine auch von Kant nicht bestrittene Tatsache, daß die Beurteilung der Schönheit oder Häßlichkeit von Gegenständen oft kontrovers bleibt. Selbst wenn man wollte, könnte man die „durchgängige [...] Einhelligkeit der Urteile über die Schönheit eines gewissen Gegenstandes" nicht aus der Erfahrung ableiten, weil „die Erfahrung hierzu schwerlich hinreichend viele Belege schaffen würde" (KU, 63). Er gesteht sogar zu, daß sich in Fragen dieser Beurteilung zwischen Menschen oft nicht mehr Übereinstimmung herstellen läßt als in Fragen der Beurteilung der Annehmlichkeit oder Unannehmlichkeit von Gegenständen: „auch in Ansehung des Angenehmen [findet man], daß in der Beurteilung desselben sich Einhelligkeit unter Menschen antreffen lasse" (KU, 20) .2 Wie kann er dennoch daran festhalten, daß es zwischen reinen Geschmacksurteilen - im Unterschied zu ästhetischen Urteilen über die Annehmlichkeit oder Unannehmlichkeit eines Gegenstandes - keinen Widerstreit geben kann? Hier liegt für seine Theorie des reinen Geschmacksurteils gar kein Problem. Denn obwohl jeder Mensch, der Gegenstände wahrnehmen und erkennen kann, auch eine

1

Vergi. z.B. KU, 26, 37/8, 63/4,151Anm., 152. Vergi, auch KU, 22: Es findet sich „gleich wirklich öfter eine sehr ausgebreitete Einhelligkeit auch in diesen Urteilen"; gemeint sind hier die ästhetischen Urteile über das Angenehme und Unangenehme.

Divergierende Meinungen in Geschmacksfragen

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ästhetische Einstellung zu ihnen einnehmen und sie in dieser Einstellung als Gründe interesselosen Wohlgefallens oder Mißfallens erfahren kann, bleiben Irrtümer in der ästhetischen Beurteilung der Schönheit oder Häßlichkeit eines Gegenstandes häufig. Vor allem die Entscheidung darüber, ob das Gefühl der Lust (oder Unlust), das man angesichts eines Gegenstandes empfindet, tatsächlich ein rein interesseloses Gefühl ästhetischer Lust am Schönen (oder ästhetischer Unlust am Unschönen oder Häßlichen) ist, oder aber doch unter dem Einfluß von Reiz und Rührung zustandegekommen ist, bereitet Schwierigkeiten und ist daher immer wieder Grund für Irrtümer in Fragen der ästhetischen Beurteilung der Schönheit oder Häßlichkeit von Gegenständen. Kriterien, nach denen diese Entscheidung eindeutig getroffen werden könnte, lassen sich nicht angeben.3 Die Aufgabe, in seiner Reflexion über das Mannigfaltige einer anschaulichen Gegenstandsvorstellung darauf zu achten, daß Reiz und Rührung keinen Einfluß auf diese Reflexion gewinnen, beschreibt Kant in § 40 als die Aufgabe, „in seiner Reflexion auf die Vorstellungsart jedes anderen in Gedanken (a priori) Rücksicht [zu nehmen]" (KU, 157). Eine solche Rücksichtnahme ist für jede Reflexion über ein Mannigfaltiges einer anschaulichen Gegenstandsvorstellung erforderlich, wenn sie zu einem intersubjektiv gültigen Urteil über den vorgestellten Gegenstand führen soll. Dies gilt sowohl für die Reflexion, die in erkennender Absicht unternommen wird und zu einer objektiven Erkenntnis des vorgestellten Gegenstandes führen soll, als auch für die ästhetische Reflexion, die in der Absicht unternommen wird, die Schönheit oder Häßlichkeit des vorgestellten Gegenstandes zu beurteilen. In beiden Fällen bedeutet diese Rücksichtnahme, daß in der Reflexion nur dasjenige an dem gegebenen Mannigfaltigen berücksichtigt wird, was jedem Menschen an diesem in derselben Weise zugänglich ist,

Das reine Geschmacksurteil „behauptet nur, daß wir berechtigt sind, dieselben subjektiven Bedingungen der Urteilskraft allgemein bei jedem Menschen vorauszusetzen, die wir in uns antreffen; und nur noch, daß wir unter diese Bedingungen das gegebene Objekt richtig subsumiert haben. Obgleich nun dies letztere unvermeidliche, der logischen Urteilskraft nicht anhangende Schwierigkeiten hat (weil man in dieser unter Begriffe, in der ästhetischen aber unter ein bloß empfindbares Verhältnis der an der vorgestellten Form des Objekts wechselseitig untereinander stimmenden Einbildungskraft und des Verstandes subsumiert, wo die Subsumtion leicht trügen kann), so wird dadurch doch der Rechtmäßigkeit des Anspruchs der Urteilskraft, auf allgemeine Beistimmung zu rechnen, nichts benommen, welcher nur darauf hinausläuft: die Richtigkeit des Prinzips, aus subjektiven Gründen für jedermann gültig zu urteilen. Denn was die Schwierigkeit und den Zweifel wegen der Richtigkeit der Subsumtion unter jenes Prinzip betrifft, s o macht sie die Rechtmäßigkeit des Anspruchs auf diese Gültigkeit eines ästhetischen Urteils überhaupt, mithin das Prinzip selber so wenig zweifelhaft, als die ebensowohl (obgleich nicht so oft und leicht) fehlerhafte Subsumtion der logischen Urteilskraft unter ihr Prinzip das letztere, welches objektiv ist, zweifelhaft machen kann". (KU, 152).

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Divergierende Meinungen in Geschmacksfragen

nämlich formale Eigenschaften desselben. In § 40 beschreibt Kant den Gemeinsinn als das für diese Rücksichtnahme zuständige Vermögen. Vor dem Hintergrund seines Zugeständnisses, daß es im einzelnen Fall einer ästhetischen Beurteilung schwierig ist zu entscheiden, ob die ihr zugrundeliegende Reflexion tatsächlich freigehalten werden konnte von dem Einfluß durch Reiz und Rührung, wird verständlich, warum er den Gemeinsinn in § 22 als eine „bloße idealische Norm" charakterisiert (KU, 67). Mit der Forderung, in der Reflexion über das Mannigfaltige einer anschaulichen Gegenstandsvorstellung von dem Einfluß von Reiz und Rührung abzusehen und ausschließlich formale Eigenschaften dieser Vorstellung zu berücksichtigen, gibt der Gemeinsinn eine ideale Norm vor. In welchem Umfang ein einzelnes Urteil über die Schönheit oder Häßlichkeit eines bestimmten Gegenstandes dieser idealen Norm gerecht wird, bleibt unentschieden. Wer jedoch mit seinem Urteil über die Schönheit oder Häßlichkeit eines Gegenstandes seiner Anschauung einen Anspruch auf subjektive Allgemeingültigkeit verbindet, beruft sich indirekt auf diese Norm und unterstellt, ihr in seiner Beurteilung weitgehend gerecht geworden zu sein.4 Mit seiner Forderung, in der Reflexion über das Mannigfaltige eines anschaulich gegebenen Gegenstandes nur formale Eigenschaften desselben zu berücksichtigen, gibt der Gemeinsinn nicht nur der Reflexion eine ideale Norm vor, die in ästhetischer Einstellung erfolgt, sondern auch derjenigen, die in erkennender Absicht unternommen wird. Da die erkennende Reflexion aber unter Anleitung durch eine begriffliche Regel stattfindet, kann man sich mittels dieser Regel leichter versichern, diese Norm erfüllt zu haben, als dies im Fall der ästhetischen Reflexion, die in freiem Spiel erfolgt, möglich ist. Neben der Schwierigkeit, die ästhetische Beurteilung der Schönheit oder Häßlichkeit eines Gegenstandes frei zu halten von dem Einfluß durch Reiz und Rührung, läßt sich jedoch noch ein weiterer Grund dafür angeben, daß diese Beurteilung oft kontrovers bleibt: Es ist denkbar, daß ein Mensch die Prädikate ,schön', .unschön' und ,häßlich' zu verwenden lernt, ohne selbst

4

Vergi, dazu auch schon die folgende Passage aus § 8 der Kritik der Urteilskraft·. „Daß der, welcher ein Geschmacksurteil zu fallen glaubt, in der Tat dieser Idee [einer allgemeinen Stimme] gemäß urteile, kann ungewiß sein; aber daß er es doch darauf beziehe, mithin daß es ein Geschmacksurteil sein solle, kündigt er durch den Ausdruck der Schönheit an. Für sich selbst aber kann er durch das bloße Bewußtsein der Absonderung alles dessen, was zum Angenehmen und Guten gehört, von dem Wohlgefallen, was ihm noch übrigbleibt, davon gewiß werden; und das ist alles, wozu er sich die Beistimmung von jedermann verspricht: ein Anspruch, wozu unter diesen Bedingungen er auch berechtigt sein würde, wenn er nur wider sie nicht öfter fehlte und darum ein irriges Geschmacksurteil fällte."

Divergierende Meinungen in Geschmacksfragen

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jemals eine ästhetische Erfahrung zu machen. Er kann beobachten, welche Gegenstände von anderen in reinen Geschmacksurteilen als schön (oder unschön oder häßlich) beurteilt werden und dann seinerseits Gegenstände derselben Art oder diesen ähnliche Gegenstände als schön (oder unschön oder häßlich) beurteilen. Er wird also z.B. alle Rosen, idle Aussichten auf Sonnenuntergänge am Meer oder auf Berglandschaften im Morgenschein, oder aber alle Werke eines bestimmten Künstlers als schön beurteilen. Jedoch sind die Urteile über die Schönheit oder Häßlichkeit eines Gegenstandes, die auf diese Weise entstehen, keine reinen Geschmacksurteile; es sind nicht einmal ästhetische Urteile. Denn sie entstehen nicht aufgrund einer ästhetischen Erfahrung, einer Empfindung interesselosen Wohlgefallens oder Mißfallens. Wer die Prädikate ,schön', .unschön' und .häßlich' auf die hier beschriebene Art zu verwenden lernt, verwendet sie, als seien sie objektive Begriffe.5 Wer aber ,schön', .unschön' und .häßlich' in reinen Geschmacksurteilen verwendet, der muß dies aufgrund von eigenen ästhetischen Erfahrungen an Gegenständen seiner Anschauung tun. Ästhetische Erfahrungen kann man jedoch nur in ästhetischer Einstellung zu Gegenständen machen. Wann und aus welchen Gründen ein Gegenstand der empirischen Anschauung nicht mehr in erkennender Absicht betrachtet wird, sondern in ästhetischer Einstellung und damit in der Absicht, von seiner Schönheit oder Häßlichkeit eine ästhetische Erfahrung zu machen, darüber gibt Kant in seiner Theorie des reinen Geschmacksurteils keine Auskunft. Sind es bestimmte Gegenstände, die eine ästhetische Einstellung eher provozieren als andere? Aber welche sollten das sein? Den Gegenständen der schönen Kunst kann man diese Rolle nicht zuschreiben; denn Menschen machen Kant zufolge ästhetische Erfahrungen auch und vor allem an Gegenständen der Natur. Ebensowenig können es die schönen Gegenstände sein, die einen Betrachter veranlassen, in seiner Reflexion über das Mannigfaltige ihrer anschaulichen Vorstellung Erkenntnisabsichten zu vernachlässigen und statt dessen im freien Spiel seiner Erkenntniskräfte nach einer Form systematischer Einheit zu suchen, die auf die Anwendung einer Regel zu verweisen scheint, die man nicht in Form eines objektiven diskursiven Begriffs angeben kann. Denn ästhetische Erfahrungen können nicht nur an schönen, sondern auch an unschönen oder häßlichen Gegenständen gemacht werden.6

6

Kant würde wahrscheinlich sagen, daß diesen Urteilen über die Schönheit oder Häßlichkeit von Gegenständen auf (von anderen Menschen gefällte) ästhetische Urteile gegründete logische Urteile zugrunde liegen. (Vergi, dazu KU, 24). Vergi, oben, S. 49/50.

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Divergierende Meinungen in Geschmacksfragen

Manch einer mag sich - aus welchen Gründen auch immer - einer ästhetischen Einstellung zu Gegenständen der Natur oder Kunst beharrlich verschließen. Wer bei der Betrachtung von Blüten nicht umhin kann, in ihnen die Befruchtungsorgane der Pflanze zu erkennen7, wer bei der Betrachtung einer Landschaft immer nur darüber nachdenkt, wie das Wetter war und wie es werden wird, oder aber darüber, ob sich irgendwo ein geeigneter Bauplatz für das geplante Eigenheim ausfindig machen läßt, der wird nicht zu einer ästhetischen Erfahrung kommen und somit für die Schönheit oder Häßlichkeit der Gegenstände seiner Betrachtung nicht empfänglich sein. Und wer, wenn er ein Kunstwerk betrachtet, immer nur darauf achtet, ob dort etwas ihm Bekanntes dargestellt wird und ob dies für ihn leicht erkennbar ist, also in der ihm vertrauten Weise dargestellt, der hat noch gar nicht gelernt, ein Kunstwerk in ästhetischer Einstellung zu betrachten. Denn die Frage, was durch ein Kunstwerk dargestellt wird, ist immer von einer Erkenntnisabsicht geleitet, nämlich der Absicht, den Gegenstand der Betrachtung durch objektive Begriffe zu bestimmen. Zu einem freien Spiel der Erkenntniskräfte kann es nicht kommen, solange eine Erkenntnisabsicht dominiert. Ein freies Spiel der Erkenntniskräfte ist aber Voraussetzung für jede ästhetische Erfahrung. Die grundsätzliche Ablehnung abstrakter Kunstwerke, die bei vielen Menschen vorherrscht, dürfte daher nicht auf negativen ästhetischen Erfahrungen beruhen, sondern Ausdruck einer enttäuschten Erkenntniserwartung sein. Auch dieses verbreitete Phänomen, daß Menschen sich einer ästhetischen Einstellung zu Gegenständen der Natur oder Kunst beharrlich verschließen, kann als Grund dafür angeführt werden, daß die Meinungen über die Schönheit oder Häßlichkeit eines Gegenstandes oft kontrovers bleiben. Es sind eben bei weitem nicht alle Urteile über die Schönheit oder Häßlichkeit eines Gegenstandes reine Geschmacksurteile. Und nur von reinen Geschmacksurteilen behauptet Kant, daß sie zu Recht mit einem Anspruch auf subjektive Allgemeingültigkeit verbunden werden. Diese Behauptung kann auch nicht durch den Hinweis darauf widerlegt werden, daß viele Menschen sich - bewußt oder unbewußt - weigern, eine ästhetische Einstellung zu Gegenständen ihrer Anschauung einzunehmen und daher keine ästhetischen Erfahrungen machen. Denn auch solche Menschen sind - insofern sie Gegenstände wahrnehmen und erkennen können und über die dazu erforderlichen Vermögen verfügen - mit den Vermögen ausgestattet, die es ihnen ermöglichen, ästhetische Erfahrungen zu machen.

7

Vergi. Kants Beispiel, KU, 49.

Bibliographie und Abkürzungsverzeichnis 1.

Werke und Schriften Immanuel Kants (Gesamtausgaben der Werke und Schriften und einzelne Werke, alphabetisch nach Siglen geordnet)

AA

AH BSE EE

GMS

JL

KpV

KrV

Immanuel Kant: Gesammelte Schriften. Herausgegeben von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 1902 ff. Zitiert nach Band und Seitenzahl. Immanuel Kant: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. Zitiert nach der Paginierung der Akademieausgabe (AA). Immanuel Kant: Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen. Zitiert nach der Paginierung der Akademieausgabe (AA). Immanuel Kant: Erste Einleitung in die Kritik der Urteilskraft. Zitiert nach der Paginierung der von Kant korrigierten Abschrift, welche, im Unterschied zu dem Originalmanuskript, erhalten ist. (Vergi. Randpaginierung in der Ausgabe von Gerhard Lehmann, Verlag von Felix Meiner in Hamburg, Philosophische Bibliothek Bd. 39b, 2. durchgesehene und erweiterte Auflage 1970.) Immanuel Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Zitiert nach der Paginierung der Akademieausgabe (AA). (Vergi. Randpaginierung in der Ausgabe von Karl Vorländer, Verlag von Felix Meiner in Hamburg, Philosophische Bibliothek Bd. 41, unveränderter Nachdruck 1965 der 3. Auflage.) Immanuel Kant: Logik. Ein Handbuch zu Vorlesungen. Nach Kants selbsteigener Handschrift für den Druck bearbeitet von Gottlob Benjamin Jäsche. Zitiert nach der Paginierung der Akademieausgabe (AA). Immanuel Kant: Kritik der praktischen Vernunft. Zitiert nach der Paginierung der Kantischen Originalausgabe aus dem Jahre 1788. (Vergi. Randpaginierung in der Ausgabe von Karl Vorländer, Verlag von Felix Meiner in Hamburg, Philosophische Bibliothek Bd. 38, unveränderter Nachdruck 1974 der 9. Auflage von 1929.) Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Zitiert nach der Paginierung der ersten Kantischen Originalausgabe (Ausgabe A) aus dem Jahre 1781 und nach der Paginierung der zweiten Kantischen Originalausgabe (Ausgabe B) aus dem Jahre 1787. (Vergi. Randpaginierung in der Ausgabe von Raymund Schmidt, Verlag von Felix Meiner in Hamburg, Philosophische Bibliothek Bd. 37a, um das Sachregister von Karl Vorländer ergänzter Nachdruck 1971 der zweiten, durchgesehenen, um ein Namenregister vermehrten Auflage von 1930.)

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Bibliographie und Abkürzungsverzeichnis

Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft. Zitiert nach der Paginierung der dritten Kantischen Originalauflage aus dem Jahre 1799. (Vergi. Randpaginierung in der Ausgabe von Karl Vorländer, Verlag von Felix Meiner in Hamburg, Philosophische Bibliothek Bd. 39a, unveränderter Nachdruck 1974 der sechsten Auflage von 1924.) Immanuel Kant: Logik Pölitz. Zitiert nach der Paginierung der Akademieausgabe (AA). Immanuel Kant: Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft. Zitiert nach der Paginierung der Akademieausgabe (AA). Immanuel Kant: Die Metaphysik der Sitten in zwei Teilen. Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre. Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre. Zitiert nach der Paginierung der Akademieausgabe (AA). Immanuel Kant: Principiorum primorum cognitionis metaphysicae nova dilucidatio. Zitiert nach der Paginierung der Akademieausgabe (AA). Immanuel Kant: Neue Erhellung der ersten Grundsätze metaphysischer Erkenntnis. Ins Deutsche übertragen von Monika Bock. Zitiert nach der Paginierung der Ausgabe von Wilhelm Weischedel (WW 1, 401 509). Immanuel Kant: Versuch, den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen. Zitiert nach der Paginierung der Akademieausgabe (AA). Immanuel Kant: Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können. Zitiert nach der Paginierung der Akademieausgabe (AA). (Vergi. Randpaginierung in der Ausgabe von Karl Vorländer, Verlag von Felix Meiner in Hamburg, Philosophische Bibliothek Bd. 40, unveränderter Nachdruck 1969 der fünften Auflage von 1913.) Immanuel Kant: Über eine Entdeckung, nach der alle neue Kritik der reinen Vernunft durch eine ältere entbehrlich gemacht werden soll. Zitiert nach der Paginierung der Akademieausgabe (AA). Immanuel Kant: Werke in sechs Bänden. Hrsg. von Wilhelm Weischedel. Darmstadt 1968 -1975. Zitiert nach Band und Seitenzahl.

Weitere Literatur

2.

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Personenregister Andersen 8 Bartuschat 46 Baumgarten 58,59 Becker 58 Biemel 40 Brandt 129 Bröcker 3,4,40,46 Burke 1 Cassirer 40 Crawford 3,4,40,46,49,54,57 Crusius 10 Dörflinger 7 Düsing 28,95 Eberhard 70 Fulda 47 Gracyk 4 Guyer 3,4, 21, 28,40,46,49,52,53,54,57, 65 Jäsche 83 Henrich 19,65,66,67,153 Hinfurtner 78 Kaminsky 40

Kaulbach 46 Kopper 58 Kulenkampff 2, 3,4,40,46,49,54,57,102 Leibniz 59, 69 Marc-Wogau 40,49,81, 97,143 McFarland 74, 97 Meerbote 4,53 Neville 4 Pilot 87 Putnam 77 Prauss 15,35 Reinhold 10,125 Riehl 95 Schulthess 8,65 Seel 26,55 Strube 15 Stuhlmann-Laeisz 68 Trebels 40 Tumarkin 3,4,45,49 Uehling 49

Sachregister Allgemeingültigkeit ästhetische 34 des reinen Geschmacksurteils 32ff., 40, 161ff. objektive 33,36 subjektive 33, 35, 36 Allgemeinheit des Gefühls der Achtung 30f. des moralischen Gesetzes 31 des Wohlgefallens am Schönen 30ff. subjektive 29 Antinomie des Geschmacks 128ff. Artefakt 76f., 80f., 125f. Bedingung objektive B. der Erkenntnis eines Gegenstandes 63,114 subjektive B. jeder bestimmten Erkenntnis 4,57,62,113f., 158,164f. Begriff des Schönen 127ff. Begründung eines reinen Geschmacksurteils 2, 41, 147 Bestimmungsgrund der Beurteilung des Gegenstandes 138f. des ästhetischen Urteils 1, 47 des Erkenntnisurteils 33 des irrigen Geschmacksurteils 177 des reinen Geschmacksurteils 9f., 34, 103,130ff., 138 des Urteils über das Angenehme 42 eines Urteils 10 Beurteilung des Gegenstandes 3,4,48f. intersubjektive Gültigkeit derselben 15 Iff. und Lust am Angenehmen 42 und reines Geschmacksurteil 3, 38ff., 43ff., 47,135 Darstellung eines Begriffs und Zweckmäßigkeit 121 von Vernunftideen 145ff. Deduktion der reinen ästhetischen Urteile 152ff. Einbildungskraft als Erkenntniskraft 50

als Vermögen der Schematisierung 114f. bemüht um Darstellung von Vernunftideen 136,142,146 Ideal derselben 133 in ästhetischer Einstellung zum Schönen oder Unschönen 119,133ff., 147ff. in der Erfahrung des dynamisch-Erhabenen 140,144ff. in der Erfahrung des mathematischErhabenen 140ff. in der Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte zu einer Erkenntnis überhaupt 61 und ästhetische Idee 134 und ästhetische Synthesis 118 und empirische Begriffsbildung 85 und ursprüngliche Synthesis 69f. und Vernunft 148 Einheit qualitative 60, 62, 67, 117, 147,150 quantitative 61,150 schematische, eines Schemas 119f., 127, 133ff., 147f. systematische 85, 93,127, 147 Einstellung ästhetische 3, 32,45,47,50,119f., 133f., 178,181 in erkennender Absicht 47f. Empfindung als Gefühl der Lust oder Unlust 24,47 materialer Gehalt einer anschaulichen Vorstellung 22f., 24, 25f. Erfahrung, ästhetische 3, 37, 64 des dynamisch-Erhabenen 144ff. des mathematisch-Erhabenen 141 ff. des Schönen und Unschönen 50, 66f., 69ff., 123,128 Erhabenes dynamisch 144ff. mathematisch 141ff. Erkenntnis überhaupt 43,56

194

Sachregister

logische Erfordernisse derselben 58ff., 147,150 Erkenntnis und ästhetische Erfahrung 54, 175 Form der Vorstellung des Schönen 23, 26f., 157 einer Maxime 26 eines Systems 93,109 Freies Spiel v. Einbildungskraft u. Verstand 3,6,49f. als ästhetische Synthesis 113 als Grund einer interesselosen Gefühlsempfindung 139,163 und ästhetische Einstellung 50,149,181 und Erkenntnis 55,149 Gefühl der Achtung in der Erfahrung der erhabenen Natur 143 - vor dem Sittengesetz 2, 20,30f.,43 Gefühlsmäßiges Bewußtsein der objektiven Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand 169f. Gehalt einer anschaulichen Gegenstandsvorstellung als Gegenstand ästhetischer Beurteilung 154f. formaler und materialer 26,156 raum-zeitlicher 156 Geltungsanspruch des reinen Geschmacksurteils 48, 64,130f. Gemeinsinn als Bedingung der allgemeinen Mitteilbarkeit eines Gefühls 40, 161ff.,171f. als idealische Norm 180 ästhetischer 172 objektiver 172 und bestimmende Urteilskraft 171 und Geschmack 173 und Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte 175f. Genie 126 Geschmack 41,47 Reflexions- und Sinnengeschmack 45, 128f. und Gemeinsinn 174 Geschmacksprinzip als Gemeinsinn 163 als Kriterium der ästhetischen Beurteilung 2,49 als Leitfaden der ästhetischen Synthesis 124f. als Prinzip a priori 151ff., 159 als Prinzip der Urteilskraft 112,153,159

-

als Vernunftidee 128ff., 135ff. als Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte 3,4 kein objektiver Begriff 3 und objektive Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte 54ff. und ursprüngliche Zusammenstimung der Erkenntniskräfte 52ff. Geschmacksurteil 7 - irriges 177ff. subjektive Bedingung des Geschmacksurteils 43 über das Angenehe und Unangenehme 7,47 über das Schöne und Häßliche, siehe: Geschmacksurteil, reines und Antinomie 128f. Geschmacksurteil, reines 1, 7 - als ästhetisches Urteil 8ff., 14,15,122 als einzelnes Urteil 8 als Urteil der reflektierenden Urteilskraft 98,101,124f. kein Erkenntnisurteil 12f. Merkwürdigkeit für den Transzendentalphilosophen 37 und Allgemeinheit des interesselosen Gefühls 39 und Antinomie des Geschmacks 128f. und ästhetische Synthesis 117f. und Beurteilung des Gegenstandes 3, 38ff., 43ff., 47,135 und Wahrnehmungsurteil 13,14, 34f. Harmonisches Verhältnis von Einbildungskraft und Verstand, siehe: Zusammenstimmung v. Einbildungskraft u. Verstand Häßlichkeit als Gegenstand einer ästhetischen Erfahrung 49f. interesseloses Mißfallen am Häßlichen 45 Heterogenität der Erkenntniskräfte 51,148 Ideal 133 Idee ästhetische 134 der Freiheit 144 und vollständiger Begriff 127,136f. - Vernunftidee 127,132,150 von einer absoluten Totalität der Größe 141f. Intellektuelle Anschauung 149 Interesse 16 am Angenehmen 15,17f., 29 - am Nützlichen 15,18f., 107 - am sittlich Guten 15,19f., 107

Sachregister

am Schönen 15,27f. Interesselosigkeit des Wohlgefallens am Erhabenen 140 des Wohlgefallens am Schönen IS, 21, 26, 27f. Irrtümer in der ästhetischen Beurteilung 178f. Kriterium der ästhetischen Beurteilung des Schönen und Häßlichen 48f., 133ff., 155 Kritik des Geschmacks 153 Kunst 125f. Lust, siehe: Wohlgefallen Mißfallen am Häßlichen 45 Mitteilbarkeit der Beurteilung des Gegenstandes 44, 48 der Lust am Schönen und der Unlust am Unschönen 39,44,48,151ff. eines Urteils 40 von Erkenntnisurteilen 163ff., 171 Modalität des ästhetischen Urteils 162 des Wohlgefallens 162 Kategorien der M. 162 Natur und Kunst 126 Naturmechanismus 77f. Naturprodukt 81,93 Naturzweck 93,97 Notwendigkeit exemplarische 163 objektive 163 theoretische 163 Objektiv 107 Prinzip der reflektierenden Urteilskraft 88, 90ff, 96, 98,100,123 der Urteilskraft überhaupt 123f. subjektives 90,124 Proportionen der Erkenntniskräfte 50 und freies Spiel 49f. Verschiedenheit derselben angesichts verschiedener Objekte 135f., 166ff. siehe auch: Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand Reflexion als Grund eines interesselosen Gefühls 44 als Tätigkeit der reflektierenden Urteilskraft 97 ästhetische 119 und logischer Gebrauch der reflektierenden Urteilskraft 92 und Zweckmäßigkeit ohne Zweck 83 zur Ausschaltung des Einflusses von Reiz und Rührung 179f.

195

Schema 114f., 121 eines empirischen Begriffs 116f. einer Kategorie 115 Schönheit als Ausdruck ästhetischer Ideen 134 als Form der Zweckmäßigkeit 112,122 kein objektiver Begriff 11, 21, 63,113 und Erkennbarkeit 52,54f. Subjekt des reinen Geschmacksurteils 8 Subjektiv 9,105 Subsumtion 3,11,12, 69, 84,113,115 Synthesis als Grund der Zusammenstimmung von Einbildungskraft u. Verstand 55f. ästhetische 3,4,56f., 63, 71,113,117, 119f., 124,136,158 begriffsgeleitet 54, 61 objektive 117 ursprüngliche 62,65ff. System 127 der empirischen Naturerkenntnis 87f. logisches 97 reales 97 Urteil ästhetisches 1, 8f., 12,14,15,36,41,44f., 47 der praktischen Erkenntnis 8,15, 73, 92, 96,103 der theoretischen Erkenntnis 8,15, 73, 77f., 92, 96,103,117 der reflektierenden Urteilskraft 5, 73, 83, 86, 92, 96, 98,101, 103, 109 kategorisches 8 teleologisches 92ff., 124f. über das Angenehme und Unangenehme 8,14f., 43f., 102 über das Vollkommene 107f. Urteilskraft 83f., 113 erfordert Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand 114, 122f. Urteilskraft, bestimmende 83f. im Unterschied zum Verstand 170 und Gemeinsinn 171 und Zweckmäßigkeit der Natur 123f. Urteilskraft, reflektierende 5, 84 im logischen Gebrauch 86ff. in der Erfahrung des Erhabenen 142ff. schreibt der ästhetischen Synthesis ihren Leitfaden vor 159 und empirische Begriffsbildung 84 und reines Geschmacksurteil 124f. und Zweckmäßigkeit der Natur 123f. urteilt über hypothetische Zweckmäßigkeit 83

196

Sachregister

Vernunft und ästhetische Erfahrung des Erhabenen 140ff. und ästhetische Erfahrung des Schönen 140ff. Verhältnis der Erkenntniskräfte SO Verstand als Erkenntniskraft 50 im Unterschied zur Urteilskraft 84f., 170 in ästhetischer Einstellung zum Schönen oder Häßlichen 120,140,147f. in der Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte zu einer Erkenntniss überhaupt 61,147ff. übermenschlicher 127 Wahrnehmungsurteil 13 über das Angenehme und Unangenehme 14f. und reines Geschmacksurteil 13, 34f. Widerstreit reiner Geschmacksurteile 177ff. Wohlgefallen am Angenehmen 17ff., 24, 36,42,104 am formalen Gehalt einer anschaulichen Vorstellung 26,157 am materialen Gehalt einer anschaulichen Vorstellung 26 am dynamisch Erhabenen 144ff. am mathematisch Erhabenen 143 am Nützlichen 16,18ff., 24 am Schönen 15,21,24,32,42,45,104, 157 am sittlich Guten 15,18ff., 24 mit Interesse verbunden 16,104f. und Zweckmäßigkeit 79 Zufälligkeit 81, 90, 93,123 Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand 114 als Forderung der Urteilskraft 122f., 158 als subjektive Bedingung des Erkennens 57ff., 113,165 ästhetische 52,55,57,62,117ff., 123, 149f. objektive 53ff., 62f., 117,123,166,175 ursprüngliche 51f., 54, 62f., 65,123,166 zu einer Erkenntnis überhaupt 49f., 58ff., 61,113,166 Zweck 74f., 108,124 objektiver 106ff. subjektiver 103,105f. Zweckmäßigkeit 5, 73f. der Natur für die Urteilskraft 123 des Erhabenen 145

-

hypothetische 5,73,82,88, 91, 96,109, 121,124f. Form der Zweckmäßigkeit 63,82,109, 135 ff., 155f. formale 110 für die reflektierende Urteilskraft 134f. objektive 110 ohne Zweck 63, 81f., 85,91, 96f., 108, 110,122,145 Prinzip der Zweckmäßigkeit 5 schöne 122 subjektive 103f., 108,146 zur Darstellung eines Begriffs 121 Zweckmäßigkeitsurteil 73ff. über Artefakte 76,77,79,95f. über Naturprodukte 81ff. Zweckvorstellung 75

QUELLEN UND STUDIEN ZUR PHILOSOPHIE G E R H A R D SEEL

Die Aristotelische Modaltheorie Groß-Oktav. X X , 486 Seiten. 1982. Ganzleinen DM 1 7 2 , ISBN 3 11 008110 5 (Band 16)

LOTHAR K R E M E N D A H L

Humes verborgener Rationalismus Groß-Oktav. X, 222 Seiten. 1982. Ganzleinen DM 9 8 , ISBN 3 11 008865 7 (Band 17) R U D O L F P. H Ä G L E R

Piatons 'Parmenides' Probleme der Interpretation Groß-Oktav. VIII, 220 Seiten. 1983. Ganzleinen DM 118,— ISBN 3 11 009599 8 (Band 18)

H A N S G E O R G HOPPE

Synthesis bei Kant Das Problem der Verbindung von Vorstellungen und ihrer Gegenstandsbeziehung in der „Kritik der reinen Vernunft" Groß-Oktav. X, 252 Seiten. 1983. Ganzleinen DM 1 0 4 , ISBN 3 11 008991 5 (Band 19)

WOLFGANG KERSTING

Wohlgeordnete Freiheit Immanuel Kants Rechts- und Staatsphilosophie Groß-Oktav. X X , 380 Seiten. 1984. Ganzleinen DM 1 6 4 , ISBN 3 11 009587 4 (Band 20) Preisänderungen vorbehalten

Walter de Gruyter

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QUELLEN UND STUDIEN ZUR PHILOSOPHIE ROLF SCHÖNBERGER

Die Transformation des klassischen Seinsverständnisses Studien zur Vorgeschichte des neuzeitlichen Seinsbegriffs im Mittelalter Groß-Oktav. XII, 423 Seiten. 1986. Ganzleinen DM 1 7 8 , ISBN 3 11 010296 X (Band 21) ANDREAS CESANA

Geschichte als Entwicklung? Zur Kritik des geschichtsphilosophischen Entwicklungsdenkens Groß-Oktav. XII, 405 Seiten. 1988. Ganzleinen DM 198,— ISBN 3 11 011737 1 (Band 22) F R A N K P. H A N S E N

Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus Rezeptionsgeschichte und Interpretation Groß-Oktav. XI, 490 Seiten. 1989. Ganzleinen DM 2 1 2 , ISBN 3 11 011809 2 (Band 23) ACHIM S T E P H A N

Sinn als Bedeutung Bedeutungstheoretische Untersuchungen zur Psychoanalyse Sigmund Freuds Groß-Oktav. XVI, 174 Seiten. 1989. Ganzleinen DM 9 8 , ISBN 3 11 011949 8 (Band 24) HARALD KÖHL

Kants Gesinnungsethik Groß-Oktav. XII, 161 Seiten. 1990. Ganzleinen DM 8 8 , ISBN 3 11 012309 6 (Band 25) Preisänderungen vorbehalten

Walter de Gruyter

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