Kann Kultur Politik? – Kann Politik Kultur?: Warum wir wieder mehr über Kulturpolitik sprechen sollten 9783110682823, 9783110679809

Kulturpolitik im europäischen Diskurs Kulturpolitik orientiert sich an Wertvorstellungen des demokratischen Zusammenle

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Kann Kultur Politik? – Kann Politik Kultur?: Warum wir wieder mehr über Kulturpolitik sprechen sollten
 9783110682823, 9783110679809

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Kann Kultur Politik? Kann Politik Kultur?

Edition Angewandte Buchreihe der Universität für angewandte Kunst Wien Herausgegeben von Gerald Bast, Rektor

Kann Kultur Politik? Kann Politik Kultur? Warum wir wieder mehr über Kulturpolitik sprechen sollten Michael Wimmer (Hg.)

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Inhaltsverzeichnis

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Michael Wimmer

Vorwort

Kunstuniversitäten als kulturpolitische Akteure 20

Andrea B. Braidt

Wie können Europas Kunsthochschulen politisch handeln?

30

Eva Blimlinger

… let’s do, let’s go, let’s change – Österreichische Kunstuniversitäten im Spannungsfeld zwischen universitäts- und kulturpolitischen Diskursen

38

Ursula Brandstätter

Agieren in Spannungsfeldern – Kunstuniversitäten als kulturpolitische Akteure

48

Sean Gregory

The “Golden Thread” – A Lifelong Learning Continuum for Creative Practitioners Working “Without Boundaries”

56

Andreas MailathPokorny

Universitäten als Leuchttürme der Aufklärung – Antrittsrede als Rektor der MUK (Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien)

66

Martin Fritz

Wir fragen die Landesregierung … – Engagiertes (kultur-)politisches Handeln zwischen „Neutralitätsgebot“ und „Mäßigungspflicht“

76

Aron Weigl

Diversität an Kunstuniversitäten – Transformatives Versuchslabor für kultur- und gesellschaftspolitische Konzepte

88

Brigitte Felderer

The Social Design Studio at Angewandte

Nationale Fallbeispiele 92

András Bozóki / Sarah Cueva

Nationalizing Rhetoric and Homogenizing Culture—An Outline of the Cultural Politics of the Hungarian Far Right

100

Mercedes Giovinazzo Marín

The Spanish Civil War and the Safeguarding of Heritage – A Historical Milestone

108

Ares Shporta

Conveniences of State-Building – Articulating Cultural Policies in Kosovo

122

Michael Wimmer

Das Phantom der Demokratie – Eine kleine Geschichte der österreichischen Kulturpolitik

Kulturpolitik in Städten und Regionen 138

Walter Rohn

The Cultural Policies of Berlin, Paris, Vienna, and Zagreb with Regard to their Urban Peripheries

156

Franco Bianchini / Enrico Tommarchi

Urban Activism and the Rethinking of Cities’ Cultural Policies in Europe

170

Jordi Baltà Portolés

A Rights-based Approach to the Local Governance of Culture – Opportunities and Challenges

Kulturpolitik außerhalb Europas 182

Heather Painter

U.S. Cultural Policy – Can it Trump Division?

196

Galina Koretskaya

Modernization of National Consciousness – Wake up, Kazakhstan!

Kulturpolitik aus Künstler*innen-Sicht/ aus der Sicht des Kulturbetriebs 208

Paul Schuberth

Der Kultur auf die Schliche

222

Arne Vogelgesang

Wer hat das Wort? – Einige Gedanken zur Politik des demokratischen Gesprächs

234

Tina Leisch

Man muss nicht jede Rolle annehmen, die einem die Gesellschaft auf den Leib schreiben will – Erfahrungen mit Theaterarbeit mit Kindern und Jugendlichen

248

Robert Prosser

Angewandte Poesie – Kulturpolitik als Selbstorganisation

254

Marc Grandmontagne

Verbände im Geflecht kulturpolitischer Aushandlungsprozesse am Beispiel des Deutschen Bühnenvereins

270

Barbara Neundlinger

Das Verbindende in der Differenz? – Zivilgesellschaft, Kunstfreiheit, gesellschaftliche Veränderungen und rechtspopulistische Politik

280

Dóra Papp

Protecting Institutions is Slow Death

Kulturpolitik in ihrem (gesellschafts-)politischen Kontext 292

Monika Mokre

Kampf der Kulturen – Kampf der Kulturpolitiken?

304

Julian Bruns

Aspekte neurechter Kulturpolitik

312

Anke Simone Schad-Spindler

Cultural Policy and the Politics of Cooperation

320

Kate Oakley

Cultural Industries, Policy, and Inequality

332

Andreas Stadler

Was haben wir seit dem Fall des Eisernen Vorhangs nur falsch gemacht? – Selbstkritik und Dilemmata liberaler Welt- und Kulturpolitik

342

Elke Moltrecht

Umdenken – Gedanken zu kulturellem Kosmopolitismus

Kulturpolitikforschung 356

Vesna Čopič / Andrej Srakar

Cultural Policy Studies as an Academic Discipline in Slovenia

372

Michael Wimmer

Kultur ist angeblich das, was in der Wissenschaft nicht verhandelt wird – Zum Stand der kulturpolitischen Begleitforschung in Österreich

Kulturpolitik ist (immer auch) Bildungspolitik 386

Barbara Urban

Kooperationen und außerschulische Lernorte als Chancengeber – Eine Darstellung aus der Praxis in der Grundschule

396

Jan Jaap Knol

The Art of Teaching

404

Marcus Kauer

Kulturelle Bildung in Hessen

412

Melisa Erkurt

„Kunst ist nur was für Österreicher“

Interview 416

Warum wir wieder mehr über Kulturpolitik reden sollten – Michael Wimmer im Gespräch mit Veronica Kaup-Hasler und Gerald Bast

Präsentationen 54, 120, 168, 194, 268, 330

Artistic Contributions by Students and Alumni of Angewandte’s Master’s Program "Social Design – Arts as Urban Innovation" at the Conferences 2016–2019

368

Dóra Papp

Free School – The First Three Years

400

Markus Tripolt

Medialoop – Die Reanalogisierung des digitalen Daten-Nirwana

426

Zhanina Marinova

Fata Morgana #3

Anhang 430

Biografien der Autor*innen

Michael Wimmer Vorwort

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1 https://www.igkultur.at/ artikel/kultur-sucht-politik-ist-da-jemand.

Kann es sein, dass Politik und Gesellschaft das Interesse an Kulturpolitik verloren haben? Diesen Eindruck könnte man gewinnen, wenn wie zuletzt viele Künstler*innen darüber Klage führen, ihnen seien die Gesprächspartner*innen in der Politik abhandengekommen und ihre Anliegen würden auf immer weniger Interesse stoßen.1 Derart auf sich alleine gestellt, beschleicht Künstler*innen Verunsicherung bei der Beantwortung der Frage, welche Relevanz dem Kunstbetrieb für die weitere gesellschaftliche Entwicklung noch zukommen kann und was es bedeutet, wenn sie kein politisches Interesse mehr finden. Die Logik des Marktes – so ihre Überzeugung – wird alleine nicht ausreichen, ihnen hinreichende Bedeutung zu verleihen. Verschärft wird diese Situation durch rechtspopulistische Tendenzen, die das künstlerische Schaffen verdächtigen, sich einer Elite anzudienen, die gegen die Interessen der einfachen Leute agiere. Diese könnten in ihren angestammten kulturellen Milieus nur allzu leicht ohne eine als abgehoben denunzierte Kunst auskommen; geht es nach den Rechtspopulist*innen, dann wäre in erster Linie eine selektive Sozialpolitik gefragt, die sich an unmittelbar Kulturzugehörige richten solle. Auf eine integrative Kulturpolitik, die auf wachsende gesellschaftliche Vielfalt setzt, könnte hingegen verzichtet werden. Im Vergleich dazu wurde „Kulturpolitik als Fortsetzung von Sozialpolitik“ (Fred Sinowatz) schon einmal ganz anders diskutiert. Noch in den 1980er Jahren firmierte Kulturpolitik als Vollenderin wohlfahrtsstaatlicher Errungenschaften, die möglichst allen Menschen den Zugang zur ganzen Bandbreite künstlerischer Ausdrucksformen ermöglichen sollte, in der Erwartung, damit einen essenziellen Beitrag zur individuellen ebenso wie zur kollektiven gesellschaftlichen Entwicklung zu leisten. Die damit verbundenen gesellschaftlichen Reformabsichten führen zu einem breiten kulturpolitischen Diskurs, der vielen Künstler*innen das Gefühl gab, unmittelbar am gesellschaftlichen Fortschritt mitzuwirken. Seither ist viel in Bewegung gekommen, und ehern erscheinende Sicherheiten sind verloren gegangen. Wachsende soziale Ungleichheit, Migration oder Klimaschutz sind zu Chiffren für sich verschärfende gesellschaftliche Konflikte geworden, die mittlerweile die Grundlagen einer offenen Gesellschaft berühren. Zur Disposition stehen Freiheitsansprüche, ohne die künstlerisches Schaffen seine Relevanz nur unzureichend zu entfalten vermag. Damit stehen gewachsene kulturpolitische Selbstverständlichkeiten zunehmend im Bann einer rechten kulturellen Hegemonie, die sich nicht nur über Österreich, sondern über den gesamten europäischen Kontinent gelegt hat. Diese stellt nicht nur zentrale zivilisatorische Errungenschaften wie Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte oder Demokratie in Frage; kulturpolitisch denunziert sie den öffentlich geförderten Kunstbetrieb als elitäre Repräsentation von Krisengewinner*innen und stellt ihn kulturellen Bedürfnissen der sogenannten einfachen Leute nach klaren Ein- und Ausschlussregeln gegenüber.

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Zu dieser allgemeinen Verunsicherung gehört offenbar auch eine zunehmende Schwäche im Umgang mit Begriffen – was mittlerweile zur weitgehend unreflektierten Verwendung von Wortungetümen wie KunstundKultur geführt hat (siehe das Manifest in diesem Band). Die Konsequenzen einer solchen sprachlichen Verwirrung sind Sprachlosigkeit von Künstler*innen und Politiker*innen. In diese Rubrik fällt möglicherweise auch der Titel dieses Sammelbandes Kann Kultur Politik? – Kann Politik Kultur?. Wenn im Titel angesichts der aktuellen Entfremdungstendenzen ein Schein von Infantilität hervorlugt, dann ist dies nicht ganz zufällig. Angestoßen soll damit in erster Linie die Beantwortung der Frage nach einem künftig wünschbaren Verhältnis von Kultur und Politik werden, das ohne Empathie, aber auch ohne Können und damit ohne ganz praktische Kompetenzen im gegenseitigen Umgang nicht denkbar erscheint. Dazu gehört ganz elementar das wechselseitige Verstehen. Es waren unter anderem diese Alarmzeichen, die Rektor Gerald Bast bewogen haben, mit einer europäischen Veranstaltungsreihe zu aktuellen kulturpolitischen Fragen dem Verstummen des kulturpolitischen Gesprächs entgegenzuwirken und ihm noch einmal den gebührenden Raum zu geben. Seit 2013 versammelte sich jeweils eine Runde an kulturpolitischen Expert*innen aus ganz Europa, um mit einer interessierten Öffentlichkeit zu diskutieren. Damit unternahm die Universität für angewandte Kunst Wien den Versuch, sich anhand der Frage, welche Beiträge das Kunstschaffen in einer Transformationsgesellschaft zu leisten vermag, als kulturpolitischer Akteur zu profilieren. Als Ort der Zukunftsgestaltung scheint eine Kunstuniversität dafür besonders prädestiniert, zumal heute niemand sagen kann, wie das gesellschaftliche Zusammenleben schon in wenigen Jahren aussehen wird. Deshalb hat es sich diese – zusammen mit dem Forschungsinstitut EDUCULT ausgerichtete – Veranstaltungsreihe dezidiert zur Aufgabe gemacht, den kulturpolitischen Diskurs wieder zu beleben, die Wirksamkeit kulturpolitischer Maßnahmen auf den Prüfstand zu stellen und Szenarien für künftige Entwicklungen zu skizzieren. Den Anfang machte 2013 die Frage „Reinventing Cultural Policy?“.2 Zusammen mit neuen Akteursgruppen, die zunehmend Mitsprache bei der kulturpolitischen Entscheidungsfindung einfordern, wurde eine Verortung dieses Politikfeldes im Rahmen der aktuellen, zum Teil dramatischen Veränderungen versucht. Schon damals zeigten sich die beträchtlichen Unterschiede der nationalen Zugänge im europäischen Vergleich; zugleich lagen viele Hoffnungen auf der Implementierung neuer Beteiligungsmodelle („Cultural Governance“) sowie einer besseren Verknüpfung mit anderen Politikfeldern. 2014 konzentrierten sich die Diskussionen auf die wachsende Bedeutung städtischer Kulturpolitiken3 im Vergleich zum Rückzug auf nationalstaatlicher Ebene. Sie waren geprägt von einer global konstatierbaren stetigen Zunahme von Stadtbevölkerungen, aber auch von damit verbundenen Diversitätsaspekten. Ein Erfolg von Kulturpolitik – so die zentrale These – erweise sich vor allem in ihrem Beitrag für eine

2 „Reinventing Cultural Policy? Kulturpolitik und Good Governance“, Tagung am 3.6.2013, https://www.dieangewandte.at/jart/prj3/ angewandte-2016/main. jart?reserve-mode=active&rel=de&contentid=1453068412106&artikel_id=1367323940414. 3 „Cultural Policies in Cities“, Tagung am 2.4.2014, https:// www.dieangewandte. at/jart/prj3/angewandte-2016/main. jart?reserve-mode=active&rel=de&contentid=1453068412106&artikel_id=1391536465679.

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4 „Peripherie.Macht. Kulturpolitik“, Tagung am 22.4.2015, https:// www.dieangewandte. at/jart/prj3/angewandte-2016/main. jart?reserve-mode=active&rel=de&contentid=1453068412106&artikel_id=1423487722424.

5 „Soziale Ungleichheit und Kulturpolitik“, Tagung am 22.4.2016, https://www.dieangewandte.at/jart/prj3/ angewandte-2016/main. jart?reserve-mode=active&rel=de&contentid=1453407097052& presse_id=14625594 39302. 6 „Kulturpolitik und Rechtspopulismus“, Tagung am 30.3.2017, https://www.dieangewandte.at/jart/prj3/ angewandte-2016/main. jart?reserve-mode=active&rel=de&contentid=1453068412106&artikel_id=1481674986820.

7 „Changing Politics – Changing Cultures. Die politische Wende in Europa und ihre Wirkungen auf Kunst, Kultur und Kulturpolitik“, Tagung am 26.4.2018, https://www.dieangewandte.at/jart/prj3/ angewandte-2016/main. jart?reserve-mode=active&rel=de&contentid=1453068412106&artikel_id=1517814872874.

umfassende Stadtentwicklung, die möglichst alle Bewohner*innen instand setzen sollte, ihre Lebenschancen zu verbessern. Aus umgekehrter Richtung näherten sich die Gesprächspartner*innen 2015 ihrem Thema. Diesmal ging es darum, einen genaueren Blick auf die kulturpolitischen Machtverhältnisse aus der Sicht der Peripherie4 zu richten. Dabei machten wir uns auf die Suche nach neuen Entwicklungen, die ja oft von den Rändern der europäischen Gesellschaften aus ihren Ausgang nehmen. Und wir gingen der Frage nach, ob regionale Kulturpolitiken mithelfen können, die Wirkungen der aktuellen Zentralisierungstendenzen zumindest abzuschwächen und damit dem dauerhaften Verlust an Eigenständigkeit lokaler und regionaler Gemeinschaften außerhalb der Ballungszentren entgegenzuwirken. Viele Evidenzen weisen ungebrochen darauf hin, dass die Beschäftigung mit Kunst an begünstigende Wohlstands- und Bildungsvoraussetzungen gebunden ist. Die mit der Durchsetzung neoliberaler Wirtschaftsformen verbundene soziale Spaltung, die den europäischen Kontinent durchzieht, macht vor dem Kunst- und Kulturbetrieb nicht halt. Trotz demokratischer Verfassungen läuft er Gefahr, an immer mehr Menschen vorbei zu agieren, eine kulturpolitische Herausforderung, die wir 2016 im Rahmen der Veranstaltung „Soziale Ungleichheit und Kulturpolitik“5 mit der Vorstellung einer Reihe von neuen Vermittlungsund Partizipationsprojekten verhandelt haben. 2017 diskutierten wir unter dem Titel „Kulturpolitik und Rechtspopulismus“6 die Konsequenzen für den Kulturbetrieb, die sich aus der konservativen Konterrevolution ergeben, von der Europa zurzeit erfasst wird. Immerhin bestimmen rechtspopulistische Kräfte zunehmend das politische System und zwingen ihm eine antiliberale, antidemokratische und antiegalitäre Agenda auf, mit der sie die Errungenschaften der liberalen Demokratie und damit das europäische Einigungskonzept gefährden. Besonders bedrohlich erschien uns, dass es mittlerweile rechtsradikalen Kräften wie der Identitären-Bewegung gelungen ist, künstlerische Aktionsformen des außerparlamentarischen Widerstands der 1970er Jahre zu übernehmen und mit eigenen Inhalten zu füllen. Im Zentrum aber standen künstlerische Strategien, die sich mit den Konsequenzen der aktuellen Verschiebungen der politischen Kräfteverhältnisse für den Kunstbetrieb, vor allem im Bereich der künstlerischen Aus- und Fortbildung, auseinandersetzen. Diesen Faden griffen wir 2018 mit der Veranstaltung „Changing Politics – Changing Cultures“ 7 auf, um für den Kulturbetrieb Orientierungsangebote in einer sich dramatisch verändernden Politiklandschaft zu bieten. Besonderes Augenmerk haben wir auf künstlerische Initiativen gelegt, die darauf abstellen, die neuen politischen Verhältnisse kritisch zu reflektieren und dadurch ihrer scheinbaren Alternativlosigkeit entgegenzuwirken. Sie lieferten Anschauungsmaterial für die Beantwortung der Frage, ob und, wenn ja, in welcher Weise der Kunstbetrieb willens und in der Lage ist, sich mit den neuen politischen Gegebenheiten

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auseinanderzusetzen und mit seinen Erkenntnissen signifikante Öffentlichkeiten zu erreichen. Quasi an die Ursprünge der kulturpolitischen Diskussion in den 1970er Jahre kehrten wir 2019 zurück, wenn wir unter dem Titel „Auf der Suche nach ‚Spezialisten der Entspezialisierung‘“8 den Stand des Verhältnisses von Kultur- und Bildungspolitik als zwei Seiten einer Medaille beleuchteten. Entsprechend beschäftigte sich diese Ausgabe mit den vielfältigen Verbindungen, Verknüpfungen und Überschneidungen der beiden Politikfelder. Ziel war die Wiedereröffnung von „Möglichkeitsräumen“ (Robert Musil), um der aktuellen Zukunftsvergessenheit entgegenzuwirken und so Schulen wieder instand zu setzen, auf der Höhe der Zeit zu agieren, um mit den Schüler*innen sinnstiftende Lebensperspektiven zu entwickeln. Als eine Grundbedingung dafür erschien uns die Bereitschaft, überkommene Disziplinengrenzen aufzulösen und – mit Hilfe der Künste – bewusst Neuland zu betreten. Sinnlich erfahrbar wurden diese Absichten unter anderem durch die Anwesenheit von Schüler*innen einer Wiener Mittelschule, die bis dahin die Angewandte noch nie von innen gesehen hatten und eingeladen waren, mit ihrer künstlerischen Intervention die Teilnehmer*innen in positivem Sinn zu provozieren. All diese Begegnungen konnten und wollten die anstehenden kulturpolitischen Fragen nicht abschließend beantworten. Aber sie machten Lust auf mehr und damit auf eine Ausweitung des Gesprächs auf Interessierte, die an dieser Serie von europäischen Symposien nicht teilnehmen konnten. Um diesem eine gute Grundlage zu geben, sprach der Kurator der Symposien und Herausgeber dieses Bandes eine Einladung an die Referent*innen aus, ihre Beiträge zu verschriftlichen und allenfalls auf den neuesten Stand zu bringen. Zustande gekommen ist eine dichte Packung an unterschiedlichen Positionen, die einen Querschnitt kulturpolitischer Zugänge in Österreich, in Europa und darüber hinaus bieten. Im Sinne größtmöglicher Vielfalt handelt es sich dabei um keine streng akademische Auswahl, sondern um die Zusammenführung subjektiver und doch gut begründeter Einsichten, die den Leser/die Leserin einladen, den Gedankenfaden weiter zu spinnen. Dem Ort des Geschehens folgend stehen in einem ersten Kapitel Kunstuniversitäten als kulturpolitische Akteure im Zentrum. Gefolgt werden diese institutionellen Einsichten von ausgewählten Länderanalysen in und außerhalb Europas. Während an dieser Stelle nationale und transnationale Entwicklungen im Fokus stehen, widmet sich ein weiteres Kapitel kulturpolitischen Themen auf lokaler und regionaler Ebene. Auch die unmittelbare Künstler*innen-Sicht bzw. Einschätzungen zur weiteren strategischen Entwicklung des Kunstbetriebs sollten nicht zu kurz kommen. Es folgt die Behandlung eines Bündels von Themenstellungen, die vor allem die geänderten politischen Rahmenbedingungen, darüber hinaus ausgewählte kulturpolitische Schwerpunktsetzungen wie „Interkultur“, „Cultural and Creative Industries“, „Cultural Governance“

8 „Auf der Suche nach ‚Spezialisten der Entspezialisierung‘. Über neue Allianzen zwischen Kultur- und Bildungspolitik“, Tagung am 21.5.2019, https:// www.dieangewandte. at/termine/auf_der_suche_nach_spezialisten_der_entspezialisierung_-__21-05-2019.

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9 https://www.dieangewandte.at/socialdesign.

oder Möglichkeiten und Grenzen der sozialwissenschaftlichen Begleitforschung umfassen. In diesem Zusammenhang hat sich auch die amtsführende Stadträtin Veronika Kaup-Hasler bereit erklärt, ein Gespräch mit Rektor Bast und dem Herausgeber zu führen, in dem beispielhaft kulturpolitische Weichenstellungen in der Bundeshauptstadt Wien vorgestellt und diskutiert werden. Den Abschluss bilden Überlegungen und Vorschläge zum aktuellen Verhältnis von Kultur- und Bildungspolitik vor dem Hintergrund der aktuellen Schulentwicklung in der Transformationsgesellschaft. So wie die Symposien geprägt waren von eine Reihe künstlerischer Interventionen, unter anderem von Studierenden des Masterlehrgangs „Social Design – Arts as Urban Innovation“,9 so finden sich auch in diesem Band Dokumentationen von Arbeiten einer jungen, an Kulturpolitik interessierten Künstler*innen-Generation samt einer Analyse durch die Lehrgangsleiterin Brigitte Felderer. Ebenso bieten Krétakör in Budapest als beispielhafte kulturpolitische Initiative des Regisseurs Árpád Schilling und eine Kooperation von Markus Tripolt mit Mittelschüler*innen aus Wien zusätzliche Einsichten. Es ist mir ein großes Anliegen, mich bei allen Beiträger*innen für ihr Engagement für die Sache der Kulturpolitik herzlich zu bedanken. Mein Dank geht an die Lektor*innen Fanny Esterházy und Scott Clifford Evans, die es nicht leicht hatten, die unterschiedlichen Zugänge unter einen textlichen Hut zu bringen (dazu gehört auch der unterschiedliche Umgang mit der Gender-Thematik, den wir als einen Ausdruck von Vielfalt nicht eliminiert haben). Die Gestalterin Theresa Hattinger hat die Beiträge in eine Buchform gebracht, die hoffentlich auch haptische Lust macht, diesen Band öfter in die Hand zu nehmen. Ein besonderer Dank gilt Rektor Gerald Bast, der diesen Prozess erst möglich gemacht und im weiteren Verlauf zusammen mit Anja Seipenbusch sein uneingeschränktes Backing gegeben hat. Ebenso wie eine Reihe weiterer Lehrender und Studierender der Angewandten war er inhaltlich intensiv an den Diskussionen beteiligt und hat so mitgeholfen, das kulturpolitische Profil nicht nur dieser Kunstuniversität nachhaltig zu verbessern. Ziel dieser Veröffentlichung ist es, mit Hilfe der Leser*innen die Eingangsfrage mit einem klaren „Nein“ zu beantworten. Also wünsche ich Ihnen eine inspirierende Lektüre und hoffe, dass es mit Ihren Reaktionen gelingt, Kulturpolitik wieder die Aufmerksamkeit zu schenken, die sie als unabdingbare Grundlage für ein Nachdenken über ein gedeihliches Zusammenleben in einer rundum ästhetisch überformten Welt verdient.

Andrea B. Braidt Wie können Europas Kunsthochschulen politisch handeln?

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1 Die Voraussetzung für eine ELIA-Mitgliedschaft ist, dass eine Institution des Higher Arts Education Sectors mindestens Diplom- und/ oder BA-Studien anbietet. In der Regel bieten ELIA-Mitglieder auch MA und größtenteils auch Doktoratsstudien an. Im Folgenden wird der Begriff der Kunsthochschule verwendet, auch wenn die Organisationsform dieser Institutionen je nach Land verschieden ist: Während z. B. die sechs HAE-Institutionen in Österreich als Kunstuniversitäten den wissenschaftlichen Universitäten gänzlich gleichgestellt sind, sind in der Schweiz und in den Niederlanden die HAE-Institutionen Fachhochschulen.

ELIA, die Europäische Vereinigung der Kunsthochschulen, vertritt an die 250 Kunsthochschulen1 und damit an die 300.000 Kunststudierende aus ganz Europa und – als global vernetzte Gesellschaft – darüber hinaus. Die 30 Jahre alte Mitgliederorganisation gilt als wichtigster Stakeholder im Feld der Kunsthochschulen Europas, der über alle disziplinären Grenzen hinweg aktiv ist: bildende Kunst, Musik, Design, Tanz und Zirkuskunst, Theater, Film, Architektur, Restaurierung, künstlerisches Lehramt, künstlerische Forschung. ELIA hat es sich zur Aufgabe gemacht, strategische Schwerpunkte über all diese Disziplinen hinweg zu entwickeln und stets das Vereinende von Kunsthochschulen in den Vordergrund zu stellen. Angesichts der enormen Heterogenität der nationalen – und auch lokalen – Rahmenbedingungen, die Kunsthochschulen vorfinden, ist dies eine herausfordernde Aufgabe. Doch trotz der unterschiedlichen Rahmenbedingungen steht die Perspektive des politischen Handelns für das jeweils eigene Tun bei so gut wie allen Kunsthochschulen im Fokus – diese Erfahrung machen wir bei all unseren Initiativen, Veranstaltungen, Angeboten für unsere Mitglieder. Im Folgenden soll nach einer kurzen Begriffsbestimmung, was unter politischem Handeln zu verstehen ist, aufgezeigt werden, zu welchen thematischen Feldern Kunsthochschulen europaweit im Sinne eines (kultur-)politischen Handelns beitragen. Ausgewählt wurden diese Themengebiete anhand der Prämisse, dass sich ELIA im jeweiligen Feld als Stakeholder einbringt bzw. die Themen in seinen strategischen Pfeilern berücksichtigt. Was heißt „politisch Handeln“?

2 Kathrin Stainer-Hämmerle (2016): „Politisches Handeln in einer Demokratie“, in: Informationen zur politischen Bildung 38, S. 5–13, hier S. 8. 3 Vgl. Norbert Groeben (1986): Handeln, Tun, Verhalten als Einheiten einer verstehenderklärenden Psychologie. Wissenschaftstheoretischer Überblick und Programmentwurf zur Integration von Hermeneutik und Empirismus, Tübingen: Francke, https://nbn-resolving. org/urn:nbn:de:0168ssoar-10239.

„Formen politischen Handelns im engeren Sinn sind in einer repräsentativen Demokratie überwiegend Wahlen, in einer direkten Demokratie Abstimmungen. Beides sind konventionelle oder institutionalisierte Partizipationsformen, was bedeutet, dass sie von der Verfassung vorgesehen sind. Zu dieser Gruppe werden auch Mitgliedschaften in Parteien oder Verbänden sowie ehrenamtliches Engagement in Vereinen und Bürgerinitiativen gezählt.“2 Zunächst ist politisches Handeln im engeren Sinn und innerhalb einer demokratischen Staatsform bestimmbar als das Schaffen von Gesetzen, die für Individuen einer Gesellschaft rahmengebenden Charakter haben für ihr jeweiliges Handeln, Verhalten und Tun.3 Gesetze werden in Österreich vom Nationalrat gemacht, und die Abgeordneten zum Nationalrat sind, in diesem wohl engsten aller Sinne, diejenigen, die am maßgeblichsten politisch Handelnde sind. Wer diese Akteur_innen sind, bestimmt die Wählerschaft (wie im Eingangszitat ausgeführt). Doch politisch Handeln beinhaltet neben der Schaffung von Gesetzen und der verfassungsmäßig vorgesehenen Wahl derjenigen, die die Gesetze schaffen, auch jenes Tun, das im weiteren Sinne auf die Schaffung von Gesetzen Einfluss nimmt.

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Darauf zielt die Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle ab, wenn sie die Partizipation an Vereinen, Parteimitgliedschaften, Petitionsarbeit und ganz generell die Teilhabe am politischen Geschehen einer Demokratie als politisches Handeln bezeichnet.4 Bürger_innen haben also vielfältige Möglichkeiten, jenseits des Wahlrechts Einfluss zu nehmen auf die Gestaltung von Gesetzen, und zwar indem sie den öffentlichen Diskurs durch Partizipation mitgestalten. Selbstverständlich zählen, wie Stainer-Hämmerle weiter ausführt, auch Formen der unkonventionellen Beteiligung zu diesem politischen Handeln, also Demonstrationen, Boykotte – oder auch illegale Protestmaßnahmen.5 Formen der bewussten Gesetzesübertretung können etwa im Rahmen einer performativen Handlung auf die angenommene Ungerechtigkeit, Unangemessenheit etc. eines bestehenden Gesetzes aufmerksam machen – und in Folge dazu führen, die Gesetzgeber_innen (z. B. durch öffentlichen Druck) dahingehend zu beeinflussen, das Gesetz abzuschaffen oder zu ändern. Beispiele hierfür sind selbstverständlich in Bürgerrechtsbewegungen zahlreich, nennen wir vielleicht an dieser Stelle die Bürgerrechtlerin Rosa Parks, die 1955 absichtlich gegen die rassistische Verordnung Alabamas verstieß, die es Schwarzen nicht erlaubte, im vorderen Teil eines öffentlichen Busses zu sitzen. Die „Einflussnahme“ ist, denke ich, jene Schnittstelle zwischen individuellem Verhalten und politischem Handeln (im engeren Sinne), an der die Rolle der Kunst als politisches Feld besprechbar wird. Die Frage, inwiefern Kunst politisch ist, oder gar die Affirmation, dass Kunst immer politisch sei oder sein müsse, sind ja in der allgemeinen Form („Kunst ist politisch!“) schwer empirisch argumentier- oder nachweisbar: Denn was ist mit dieser Emphase eigentlich gemeint, wie ist Politik hier definiert? Es behauptet wohl niemand, dass Kunst Gesetze schafft. Aber Kunst kann das Handeln derjenigen beeinflussen, die Gesetze machen. In diesem Sinn ist Kunst nicht mehr oder weniger politisch als jedes andere gesellschaftliche Feld, Künstler_innen sind per se nicht mehr oder weniger politisch als Nicht-Künstler_innen. Die künstlerische Form vermag jedoch etwas, was vielen anderen Formen nicht eigen ist: Sie kann in Rückgriff auf ästhetische Traditionen und künstlerische Bezüge Sinnzusammenhänge so verdichten, dass auch komplexe Prozesse in der Kunstbetrachtung „mit einem Schlag“ begreifbar werden. Zur Zeit der EU-Ratspräsidentschaft Österreich 2006 wurde die Arbeit von Tanja Ostojić an mehreren öffentlichen Plätzen in Wien plakatiert. Die Künstlerin präsentiert ihren eigenen Körper in einer Pose, die einem der berühmtesten Werke der europäischen Kunstgeschichte entnommen ist. Gustave Courbets Der Ursprung der Welt (Öl auf Leinwand, 1866) zeigt einen Frauenkörper ohne Kopf mit gespreizten Beinen, die Vagina ist als „Ursprung der Welt“ entblößt. Legendär wurde Courbets Gemälde insbesondere durch die seiner Veröffentlichung folgende Zensurgeschichte, die unter dem Vorwurf der Pornografie („Anstößigkeit“) ihren Lauf nahm. Lange blieb das Gemälde der Öffentlichkeit überhaupt verborgen.

Andrea B. Braidt

4 Stainer-Hämmerle (2016).

5 Ebd.

→ Abb. 1

Wie können Europas Kunsthochschulen politisch handeln?

6 Der Standard, 5.1.2006, https://www.derstandard.at/story/2296085/ tanja-ostojic--plakat-resuemee-gefahr-fuer-diezukunft-der-kunst-inoesterreich.

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Ostojić macht sich die Kraft des Gemäldes als Stein des Anstoßes ebenso zu eigen wie die Provokation der Behauptung eines Ursprungs: Die EU, so könnte man Ostojić Arbeit interpretieren, geriert sich als Zentrum, als Ursprung, und zwar auf Kosten des Ausschlusses derjenigen, die nicht dazu gehören, darunter die aus einem Nicht-EU-Land stammende Europäerin Ostojić. Die Pose, der kopflose Frauenakt, wird einerseits als feministischer Angriff gegen die symbolische Überhöhung des männlichen Geschlechtsorgans lesbar und wendet sich gleichzeitig in seiner Reproduktion der patriarchalen Reduktion des weiblichen Körpers auf die Eigenschaft der Gebärfähigkeit auch gegen traditionelle feministische Bild- und Repräsentationskritik. Ostojićs Arbeit löste einen sogenannten Medienskandal in Österreich aus, angeführt vom Boulevardblatt Kronen Zeitung, in dessen Pornografievorwurf FPÖ und SPÖ mit einstimmten, was letztendlich zur Entfernung des Werks aus dem öffentlichen Raum führte.6 Es liegt auf der Hand, wie vielschichtig und komplex sich die Dimensionen des politischen Handelns, der Einflussnahme auf das politische Handeln und der Partizipation am politischen Diskurs im Zusammenhang mit Ostojićs Werk und dessen Zensurgeschichte darstellen. Zur Referenzierung des Werkes auf seinen berühmten „Ursprung“ selbst (werkimmanente Ebene) kommt die Wirkungsgeschichte auf politisch Handelnde: zunächst die Medien als politische Beeinflusser, dann – in Folge – Nationalratsabgeordnete, also „Politiker_innen“, die sich zur verfassungsmäßig garantierten Freiheit der Kunst äußern und diese letztlich einschränken. Die hier erfolgte Missachtung eines in der Verfassung verankerten Rechts durch die Politik wiederum macht die engen Grenzen der Demokratie sichtbar, ja führt sie gewissermaßen als schöngeistige Behauptung vor, die dem Belastungstest durch eine (feministische) Künstlerin nicht standhalten kann. Die Künstlerin hat also politisch dahingehend gehandelt, dass sie mit einer ästhetischen Verdichtung die Kulturnation Österreich als Zensurstaat vorgeführt hat. Zusammenfassend können wir somit sagen, dass künstlerisches Handeln auch politisches Handeln sein kann. Dies bedeutet nicht, dass Kunst politisch oder gar Politik ist, es bedeutet jedoch ebenso wenig, dass Kunst keine Einflussnahme auf das politische Handeln haben kann. Welche Rolle kommt vor diesem Hintergrund Kunsthochschulen als (kultur-)politischen Akteur_innen zu? Die Aufgabe der Kunsthochschulen ist, vereinfacht gesagt, dreifaltig: Forschung, Lehre und gesellschaftliche Verantwortung („third mission“). Kunsthochschulen beschäftigen Künstler_innen als Forschende und geben den Kunstschaffenden somit die Möglichkeit, im Rahmen einer öffentlichen Institution (im Sinne Stainer-Hämmerles also einer im weiteren Sinne politischen Akteur_in) zu handeln. In erster Linie ist die Entscheidung für bestimmte Forschungsfelder und Forschungsfragen bzw. für die Bearbeitung von Fragen im Rahmen der Entwicklung und Erschließung der Künste der Konvention der jeweiligen Disziplin unterstellt. Doch selbstverständlich sind auch im Rahmen der Grundlagenforschung Wechselwirkungen zum gesellschaftspolitischen

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Diskurs zentral – denken wir nur beispielsweise an die Entwicklung der durch die Geschlechterforschung vorangetriebenen Fragestellungen nach der Beschaffenheit der Geschlechterdifferenz, ohne die heute kein Forschungsfeld mehr auskommt. Die zweite Aufgabe der Kunsthochschulen, die Lehre, bedeutet, dass künftige Generationen von Kunstschaffenden (und Kunstlehrer_innen, Restaurator_innen, Architekt_innen, Theoretiker_innen usw.) an Kunsthochschulen ausgebildet werden. Es ist für den politischen Handlungsradius künftiger Künstler_innen entscheidend, wie Kunsthochschulen ihre Curricula gestalten, was sie ihren Studierenden mitgeben: Vermitteln sie die der Kunst innewohnende Sprengkraft, das enorme Potenzial, durch ästhetische Formgebung komplexe Sinnzusammenhänge herzustellen – oder begnügen sie sich mit der Reproduktion von Technik und Handwerk? Die dritte Aufgabe schließlich, die Wahrnehmung von gesellschaftlicher Verantwortung, hat den unmittelbarsten Bezug zum politischen Handeln. Welche Projekte entwickeln Kunsthochschulen, die direkten gesellschaftspolitischen Impact haben? Beispielhaft kann hier vielleicht die europaweite Initiative von Kunsthochschulen genannt werden, künstlerischen Unterricht für Geflüchtete anzubieten und dadurch dieser Personengruppe nicht nur dringend benötigte Fachkompetenz (wie Sprachkenntnisse) zu vermitteln, sondern ebenso dringend benötigte Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen, im künstlerischen Ausdruck traumatische Erlebnisse zu verarbeiten oder auch im Rahmen kreativer Methoden optimistische Perspektiven im frustrierenden Alltag als Asylwerber_innen zu entwickeln. Kunsthochschulen, so sollte nun klar geworden sein, haben im Rahmen ihrer drei Hauptaufgaben Forschung, Lehre und gesellschaftliche Verantwortung enorme Möglichkeiten, politisches Handeln von Künstler_innen zu stimulieren – oder eben nicht. Die Ansicht, dass in diesen Feldern politischem Handeln eine zentrale Funktion zukommt, findet europaweit breiten Konsens. Die Auffassung, dass (zeitgenössische) Kunst (auch) für die Gestaltung des politischen Diskurses eine Rolle spielt, ist so weit verbreitet und gehört so sehr zur Selbstauffassung der Kunstschaffenden, dass sich an europäischen Kunsthochschulen in der Mehrheit Personen finden, die diese Auffassung teilen. Indikatoren für die Kunst als Motivator politischen Handelns mögen Großausstellungen wie die documenta in Kassel sein, deren letzte Ausgabe (documenta 14, Kassel und Athen 2016, verantwortet von Adam Szymczyk) die Frage überhaupt ins Gegenteil verkehrte: Kann zeitgenössische Kunst nicht politisch sein? ELIA beschloss 2016 einen strategischen Fokus auf die fünf Schlüsselthemen, die für die breite Mitgliedschaft relevant sind: • Sustainable careers and entrepreneurship • Inclusion, participation and social engagement • Research and practice • Pedagogy – curriculum development, learning and teaching • Art education in schools and adult learning contexts7

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7 ELIA Strategic Focus 2016–2020, https:// www.elia-artschools. org/elia/strategic-focus.

Wie können Europas Kunsthochschulen politisch handeln?

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Entlang dieser fünf Schlüsselthemen lässt sich erschließen, welchen kulturpolitischen Auftrag ELIA als Repräsentantin europäischer Kunsthochschulen wahrnimmt und in welcher Weise europäische Kunsthochschulen ihr politisches Handeln konfigurieren. Nachhaltige Karrieren und Unternehmertum

8 Siehe https://www.eliaartschools.org/activities/ nxt.

9 European League of the Institutes of the Arts (ELIA), Careers in the Arts. Visions for the Future, Amsterdam 2018, S. 8.

Mit „nachhaltigen Karrieren und Unternehmertum“ ist wahrlich ein Schlüsselthema benannt, wenn nicht gar eine Gretchenfrage der Kunsthochschulen gestellt: Welches Berufsleben können Absolvent_innen von Kunsthochschulen in Europa erwarten? Welche Karrieremöglichkeiten stehen ihnen offen? Eng verknüpft mit dieser Frage ist der Themenkomplex der Ökonomisierung der Kunst bzw. die Frage, inwieweit Kunsthochschulen in ihren Curricula und darüber hinaus in ihrem gesamten Angebotsportfolio die Nähe zum Kunstmarkt suchen sollen. In einem von Creative Europe finanzierten Projekt NXT Making a Living from the Arts (2015–2018)8 entwickelte ELIA gemeinsam mit 25 Partnern aus 15 europäischen Ländern – darunter Kunsthochschulen wie Uniarts Helsinki, Royal College of Art London, Amsterdam University of the Arts, Zurich University of the Arts, University of Arts Belgrade – fünf an die Europäische Kommission gerichtete Vorschläge, wie eine europäische Kulturpolitik das Potenzial der von den Kunsthochschulen ausgebildeten Künstler_innen und Kreativen voll ausschöpfen kann. Angesichts der Tatsache, dass der sogenannte Kreative Sektor nahezu 7 Prozent des europäischen GDP erwirtschaftet und etwa 6,5 Prozent Anteil (ca. 14 Millionen Menschen)9 am europäischen Arbeitsmarkt hat, haben die Kunsthochschulen eine große Verantwortung mit der Ausbildung der Kunstschaffenden und Kreativen. Doch nicht die Losung „fit for the market“ ist die Handlungsmaxime bei der Gestaltung der Curricula, sondern die Zurverfügungstellung einer Ausbildung, die am gegenwärtigen Kunstdiskurs orientiert ist und diesen als leitende Handlungsmaxime erkennt. Dies bedeutet, dass Kunsthochschulen in der Regel die Speerspitze neuer Entwicklungen formieren, sei es im Bereich der Digitalisierung, sei es im Bereich gesellschaftspolitisch relevanter Fragestellung, sei es im oft seismografisch anmutenden Aufgreifen von Zukunftsszenarios. Die schier unüberschaubare Bandbreite gegenwärtigen Kunstschaffens stellt eine zentrale Ressource für das Nachdenken über gesellschaftliche, ökonomische, politische Entwicklungen dar. In diesem Sinne muss das Potenzial von Kunstschaffenden auch abseits der „klassischen“ Kreativbranchen und abseits des etablierten Kunstmarkts genutzt werden, muss ihre Expertise in allen Bereichen von Produktion, Vertrieb, Dienstleistung usw. implementiert sein, vom Gesundheitsbereich bis zur Autoherstellung. Und so verwundert es nicht weiter, dass auch vor dem Hintergrund von EU-Projekten wie diesem von ELIA geleiteten die EU-Kommission das nächste Forschungsfinanzierungs-Rahmenprogramm mit einem Cluster ausgestattet hat, der das Themenspektrum „Culture, Creativity and Inclusive Society“ umfasst.

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Damit wird dem Desiderat europäischer Kunsthochschulen Rechnung getragen, das Analyse- und Entwicklungspotenzial Kunstschaffender in allen Bereichen der Gesellschaft zu realisieren. Inklusion, Teilhabe und soziales Engagement

Der große Themenkomplex von „Inklusion, Teilhabe und sozialem Engagement“ wird gegenwärtig in einer Aktivität entwickelt, die von einem „ELIA Regional Seminar“ der Kunstuniversität Nantes (Les Beaux-Arts Nantes Saint-Nazaire) angestoßen wurde. Unter dem Titel Becoming an Artist. Routes for Aspiring Young Artists and Designers to Join an Art School wurde im März 2019 der Fragenkomplex rund um „In welcher Weise agieren europäische Kunsthochschulen als soziale Gatekeepers?“ bearbeitet. Nahezu alle europäischen Kunsthochschulen regeln den Zugang neuer Studierenden über Zulassungsprüfungen, welche die künstlerische Eignung der Studienbewerber_innen feststellen (sollen). Mittlerweile hat sich jedoch in vielen europäischen Ländern ein Markt von kostenpflichtigen Vorbereitungskursen auf diese Zulassungsprüfung etabliert, der bereits vor dem Nadelöhr Kunsthochschule (Zulassungsquoten von 10 Prozent der Gesamtbewerber_innenanzahl sind keine Seltenheit) einen (ökonomischen) Auswahlmechanismus einzieht. Zudem kommt, dass in zahlreichen Ländern Europas zum Teil hohe Studiengebühren eingehoben werden – das mit Abstand extremste Beispiel hierfür sind Kunsthochschulen im Vereinigten Königreich –, was einen dritten Auswahlmechanismus darstellt. Die soziale Durchmischung der Studierendenpopulation an Kunsthochschulen hält sich dadurch in Grenzen, noch dazu, da der Zugang zum Kunststudium (ähnlich wie beim Medizinstudium oder beim Rechtsstudium) bis zu einem gewissen Grad „vererbbar“ ist, das heißt, Kunststudierende kommen oft aus Künstler_innenfamilien. Die genaue Analyse der Ausschlussmechanismen und eine Steuerung der Zulassung, die eine inklusivere Teilhabe ermöglicht, ist kulturpolitische Pflicht von Kunsthochschulen. ELIA unterstützt europäische Kunsthochschulen darin, diesen Auftrag zum politischen Handeln wahrzunehmen, indem Expertise zur Verfügung gestellt wird, wie diese selbstverständlich länderspezifischen und auch standortspezifischen Analysen sowie Steuerungsmaßnahmen zu entwickeln sind. Künstlerische Forschung

Künstlerische Forschung („research and practice“) wurde an Kunsthochschulen Europas während der letzten 25 Jahre – und verstärkt in den letzten zehn Jahren – als starker Innovationsgeber für die Grundlagenforschung entwickelt. In der Bearbeitung von Forschungsfragen mit künstlerischen Mitteln und Methoden (und nicht mit wissenschaftlichen Methoden) liegt ein enormes Erkenntnispotenzial – Kunst als epistemologischer Faktor – sowie ein kritisches Reflexionspotenzial – künstlerische Forschung als

Wie können Europas Kunsthochschulen politisch handeln?

10 The Florence Principles on the Doctorates in the Arts, Amsterdam 2016, https://www.elia-artschools.org/documents/ the-florence-principles. 11 https://advancingsupervision.eu. 12 http://creatordoctus.eu.

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Metaforschung. Die Speisung von Themenstellungen aus der zeitgenössischen Kunst bringt zudem ein Forschungsspektrum zutage, das für zahlreiche angrenzende Forschungsfelder leitend sein kann. Dies reicht von der Betrachtung der Migrationsbewegungen aus der Perspektive postkolonialer Kritik über die Entwicklung neuer Instrumententechnik mittels künstlerischer Forschung hin zu höchst brisanten Fragestellungen im Rahmen neuester Erkenntnisse zu und Anerkennungen von Geschlechterdiversität. Stets im Mittelpunkt künstlerischer Forschung steht die Entwicklung spezifischer Methodiken, die der künstlerischen Disziplin, in der die Forschung durchgeführt wird, angemessen und bei der Bearbeitung der Fragestellung zielführend sind. Europäische Kunsthochschulen betreiben gemeinsam das Projekt, für die künstlerische Forschung angemessene Rahmenbedingungen zu schaffen. Beispielhaft ist hier die Entwicklung von Standards für die Doktoratsausbildung in der künstlerischen Forschung zu nennen: ELIA publizierte das weithin rezipierte Policy Paper The Florence Principles on the Doctorates in the Arts10 und ist zurzeit Partner der EU-Projekte Advancing Supervision for Artistic Research Doctorats11 sowie Creator Doctus.12 Weiters betreiben wir die aktive Vernetzung von für Forschungsinfrastruktur zuständigen Mitarbeiter_innen an Kunsthochschulen in der ArtisticResearch-Plattform und engagieren uns für die Inklusion von künstlerischer Forschung im Frascati Manual gemeinsam mit anderen Netzwerken und Fachgesellschaften wie der AEC (Association Européenne des Conservatoires, Académies de Musique et Musikhochschulen) und SAR (Society for Artistic Research). Letztere ist zudem stark engagiert in der Vernetzung von Forschungsförderungsagenturen, um die Förderung künstlerischer Forschung in allen europäischen Staaten auch auf nationaler Ebene durchzusetzen. Kunstunterricht in Schulen und in der Erwachsenenbildung

Das vielleicht wichtigste politische Handlungsfeld europäischer Kunsthochschulen liegt jedoch in der Sicherstellung der Ausbildung von Kunstlehrer_innen und im Engagement für die Beibehaltung der Kunsterziehung als Fach in der Sekundarbildung. Mehr und mehr wird die Kunsterziehung in den Fächern Musik, bildnerische Erziehung und textiles bzw. werkbasiertes Gestalten in Schulen beschnitten. Es ist die wesentliche politische Aufgabe der Kunsthochschulen, auf die Zentralität kreativer und künstlerischer Beschäftigung für den Menschen, insbesondere in seiner Entwicklung, hinzuweisen und darauf hinzuwirken, dass Gesetzgeber in Europa diesem Faktum, das von zahllosen Studien belegt wird, Rechnung tragen. Es ist eminent wichtig, dass Kinder musizieren, zeichnen und malen, dass sie kreativ mit Werkmaterialien umgehen lernen und eine umfassende Medienbildung erhalten. Für 2020 plant ELIA die Publikation eines umfassenden Policy Papers zur Aufrechterhaltung und Stärkung des Kunstunterrichtes an Schulen. Nach einer breit angelegten

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Analyse zum Status quo der Kunsterziehung an Schulen in Europa erarbeitet eine Gruppe aus Expert_innen, Universitätsleiter_innen und Kunstpädagog_innen unter Einbindung zahlreicher bildungspolitischer und kulturpolitischer Stakeholder dieses Papier, das der Europäischen Kommission vorgelegt werden wird. Diese Lobbyarbeit wird verstärkt durch die Vernetzungsarbeit ELIAs mit allen anderen (disziplinär ausgerichteten) Vereinigungen im Higher-Arts-Education-Sektor in Europa. Nachhaltigkeit und Geschlechtergerechtigkeit

Schließlich haben Kunsthochschulen wie alle anderen institutionell und individuell Handelnden die Verpflichtung, all ihr Tun im Sinne der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen zu gestalten. Insbesondere Organisationen, deren Mitglieder in ganz Europa agieren, müssen Lösungen zum nachhaltigen Reisen (zu Meetings, Konferenzen usw.) erarbeiten und für die Mitgliedschaft Vorbildwirkung haben. Es sind zu Recht alle Universitäten gefordert, die 17 Nachhaltigkeitsziele in allen Dimensionen ihres universitären Handelns zu realisieren, sei es in Forschung oder Lehre oder auch und vielleicht ganz besonders in der Gestaltung der Organisationskultur. Eines dieser Ziele möchte ich besonders hervorheben, ein Ziel, das für die kommenden vier Jahre auch für ELIA hohe Priorität hat: Geschlechtergerechtigkeit. Wir stellen für unsere Mitgliedsuniversitäten die Expertise zur Verfügung, wie Universitäten zu geschlechtergerecht(er)en Organisationen werden können: wie der Gender Pay Gap zu schließen ist; wie Geschlechterforschung in Curricula aufgenommen werden kann; wie Geschlechterdiversität an Universitäten Anerkennung finden kann; und wie schließlich der Anteil an Frauen in allen Personalkategorien der Kunsthochschulen mindestens die Hälfte betragen kann. Immer noch existiert auch an Kunsthochschulen die „leaking pipeline“, die den Anteil an Frauen in Relation zur Hierarchie schrumpfen lässt. Während vielerorts der Frauenanteil bei den Studierenden an Kunsthochschulen mindestens 50 Prozent beträgt, sind es bei Doktorand_innen und Assistent_innen bereits deutlich weniger Frauen und in der Professorenschaft am wenigsten. Die Beseitigung dieses Kompetenzproblems der Kunsthochschulen, denn als solches muss das Unvermögen, genügend Frauen anzusprechen, bezeichnet werden, ist ganz im Sinne der Nachhaltigkeitsziele auch ein strategischer Fokus von ELIA. Die Verschränkung der Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts mit Diskriminierungen anderer Kategorien (Rassisierung, Migrationshintergrund, soziale Klasse, sexuelle Orientierung oder Religionszugehörigkeit) ist hierbei zentral mitzudenken. Fazit

Kunsthochschulen in Europa haben zahlreiche Möglichkeiten, politisch zu handeln. Sie können in Forschung, Lehre und in der Wahrung ihrer

Wie können Europas Kunsthochschulen politisch handeln?

13 Selbstverständlich müssen hier die Kunstuniversitäten des Vereinigten Königreichs wieder als Ausnahme genannt werden.

Abb. 1: Tanja Ostojić, Ohne Titel/After Courbet (L’origine du monde), 46 × 55 cm, 2004, Farbfoto. Foto: David Rych, © Ostojić/Rych

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gesellschaftlichen Verantwortung („third mission“) die Teilhabe von Kunstschaffen an allen gesellschaftlichen Bereichen stärken, sie können für die gute soziale Durchmischung der Studierenden an Kunsthochschulen sorgen, sie können künstlerische Forschung als innovationsstiftende Disziplin im Reigen des Kanons der europäischen Grundlagenforschung stärken, sie können dafür Sorge tragen, dass Kunst und Kreativität Teil dessen sind, womit sich Kinder in Schulen beschäftigen, und sie können einen Beitrag dazu leisten, dass die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen eines Tages erreicht werden. Gerade die europäische Landschaft der Kunsthochschulen ist (noch) nicht maßgeblich vom Ökonomisierungszwang geprägt, der andere Bildungsbereiche bereits überrollt hat.13 Es ist maßgeblich, diese Situation als Chance zu begreifen, im politischen Handlungsfeld als Akteurin aufzutreten.

Eva Blimlinger … let's do, let's go, let's change Österreichische Kunstuniversitäten im Spannungsfeld zwischen universitätsund kulturpolitischen Diskursen

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1 Das sind die Universität für angewandte Kunst Wien (Angewandte), Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (mdw), Universität Mozarteum Salzburg (Mozarteum), Universität für Musik und darstellende Kunst Graz (Kug), Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung Linz (Kunstuniversität Linz), Akademie der bildenden Künste Wien (Akademie). 2 Mittlerweile 16, da die Donauuniversität Krems ins UG 2002 als 22. Universität aufgenommen wurde. 3 §1 (1) Bundesgesetz über die Organisation der Universitäten und ihre Studien (Universitätsgesetz 2002 – UG) BGBl. I Nr. 120/2002. 4 Anton Bruckner Privatuniversität, JAM MUSIC LAB Private University, Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien, New Design University. Die Anton Bruckner Privatuniversität und die Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien waren vormals Landeskonservatorien für Musik, nur die beiden anderen sind Neugründungen. 5 https://presse.vorarlberg.at/land/dist/ vlk.html?id=59553 (9.7.2019).

6 Bis dahin gab es sogenannte Organisationsstatute an den beiden Akademien, die den Betrieb regelten.

Die derzeitigen Rahmenbedingungen ermöglichen es den Kunstuniversitäten, eine starke Position als Akteurinnen in unterschiedlichen Feldern einzunehmen. Das sind selbstverständlich zunächst jene, die zu den zentralen Aufgaben gehören, wie die künstlerische und wissenschaftliche Lehre und Forschung. Darüber hinaus müssen sich Kunstuniversitäten einerseits im kunst- und kulturpolitischen und anderseits im universitätspolitischen Diskurs positionieren – eine Einordnung: Die sechs österreichischen (staatlichen) Kunstuniversitäten1 sind in der europäischen, aber auch internationalen Hochschullandschaft eine Besonderheit, sind sie doch durch das Universitätsgesetz 2002 allen anderen 15 Universitäten2 gleichgestellt und auch wie diese autonom. Während in anderen Ländern – etwa in der Bundesrepublik Deutschland – föderale Regelungen dazu führen, dass es ganz unterschiedliche Typen von künstlerischen Hochschulen gibt und diese in der Regel auch nicht autonom, sondern im klassischen Sinne nachgeordnete Dienststellen mit fehlender Budget- und Personalhoheit sind, ist für Österreich durch die Autonomie eine starke eigenständige Position möglich und gegeben. „Universitäten sind Bildungseinrichtungen des öffentlichen Rechts, die in Forschung und in forschungsgeleiteter akademischer Lehre auf die Hervorbringung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse sowie auf die Erschließung neuer Zugänge zu den Künsten ausgerichtet sind.“3 Diese Voraussetzungen führen zu einem Spannungsverhältnis zwischen Konkurrenz und Kooperation, das gerade in Fragen der Kultur-, Bildungs- und Universitätspolitik eine besondere Herausforderung darstellt. Neben den staatlichen Universitäten gibt es in Österreich derzeit vier künstlerische Privatuniversitäten,4 eine fünfte Institution, das Vorarlberger Landeskonservatorium, bemüht sich um eine Akkreditierung als Privatuniversität.5 Darüber hinaus findet sich unter den rund 680 Studiengängen der österreichischen Fachhochschulen das eine oder andere künstlerische oder besser geschrieben gestalterische Angebot, wie etwa Ausstellungsdesign, Industriedesign oder Architektur. Sowohl die Privatuniversitäten wie auch die Fachhochschulen spielen in kulturpolitischen Debatten – anders als in bildungspolitischen – eine kaum wahrnehmbare Rolle, was vor allem bei den Privatuniversitäten mit der jeweiligen Trägerschaft – Land Wien und Land Oberösterreich sowie Wirtschaftskammer – in Zusammenhang stehen kann. Ich werde mich also bei der Frage, welche Rolle österreichische Kunstuniversitäten als kultur-, aber auch bildungs- und universitätspolitische Akteur_innen spielen, auf die staatlichen Universitäten konzentrieren. Ein Rückblick: Die künstlerischen Hochschulen wurden nach 1945 zunächst im Bundesgesetz vom 30. Juni 1948, betreffend die Errichtung von Kunstakademien (Kunstakademiegesetz), geregelt, dort finden sich die Angewandte und die mdw.6 1953 wurde das Mozarteum zur Akademie für Musik und darstellende Kunst „Mozarteum“ in Salzburg, und 1963 wurde das Konservatorium des Landes Steiermark eine staatliche Einrichtung des Bundes und damit zur Akademie für Musik und darstellende Kunst in Graz.

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Am 21. Jänner 1970, also unter einer ÖVP-Alleinregierung unter Bundeskanzler Josef Klaus und Unterrichtsminister Alois Mock,7 in einer Zeit, in der es noch kein Wissenschaftsministerium gab, wurde das Bundesgesetz über die Organisation von Kunsthochschulen (Kunsthochschul-Organisationsgesetz) beschlossen. 1973 wurde die 1947 gegründete Kunstschule der Stadt Linz und heutige Linzer Kunstuni zur Hochschule für künstlerische und industrielle Gestaltung umgewandelt und in das Gesetz integriert. Die Akademie der bildenden Künste Wien wurde 1688 gegründet und zählt zu den ältesten Kunstakademien der Welt. Sie wurde seit damals durch unterschiedliche Regelungen und Verordnungen normiert. 1872 schließlich wurde das Hochschulstatut von Kaiser Franz Joseph I. erlassen, in dem die Akademie zur Hochschule unter einem gewählten Rektor und mit einem Professorenkollegium wurde, also durchaus einer Universität angeglichen. Einhergehend damit wurden die kunsthandwerklichen Fächer nicht mehr an der Akademie unterrichtet – eine früher Beleg dafür, dass organisationsrechtliche Änderungen auch immer inhaltliche Auswirkungen haben oder sogar von diesen determiniert werden. Schließlich trat im November 1955 das Bundesgesetz über die Organisation der Akademie der bildenden Künste (Akademie-Organisationsgesetz) in Kraft, welches sich in wesentlichen Punkten der Organisation vom Kunstakademiegesetz unterschied und stärker an den Universitäten orientiert war. Dies zeigte sich auch später, als es 1978 zu einer Novellierung des Kunsthochschul-Organisationsgesetzes kam. Der Gesetzgeber scheute vor der Einführung der sogenannten Drittelparität, wie sie im UOG 1975 normiert wurde – also die verpflichtende, paritätische Beteiligung von Studierenden und dem akademischen Mittelbau an den Gremien der universitären Organisationseinheiten –, zurück, nur an der Akademie der bildenden Künste Wien wurde die Drittelparität teilweise Realität. 1998 wurde das Bundesgesetz über die Organisation der Universitäten der Künste (KUOG) beschlossen, damit wurden die Kunsthochschulen und die Akademie zu Universitäten, in einem eigenen Gesetz, mit einigen Unterschieden zu den anderen Universitäten. Es wurde zwar keine Drittelparität eingeführt – diese war auch schon auf den anderen Universitäten durch das UOG 93 abgeschafft –, aber im Universitätskollegium hatten die Professor_innen keine Mehrheit mehr. Das bedeutete eine demokratische Verbesserung für die ehemaligen Kunsthochschulen, eine Verschlechterung für die Akademie. Erstmals wurden im Universitätskollegium, vergleichbar dem damaligen akademischen Senat an Universitäten, auch Angehörige der Verwaltung stimmberechtigte Mitglieder. Exkurs zur Frage der Demokratie an Universitäten, die, wie ich meine, Grundlage jedes kulturpolitischen Agierens ist: Erhard Busek, der 1989 Wissenschaftsminister war, war es ein politisches (konservatives) Anliegen, das „Firnbergsche UOG“ zu demontieren, er propagierte die „Emanzipation der Universitäten vom Staatseinfluß“.8 Wobei hier weniger der Staatseinfluss als vielmehr die demokratische Mitbestimmung gemeint war. „Mit dem UOG 93 wird […] Firnbergs Universitäts-Organisationsgesetz von

Eva Blimlinger 7 Die Vorbereitungen für das Gesetz wurden noch unter dem Unterrichtsminister Theodor Piffl-Perčević getroffen, der am 2. Juni 1969 zurücktrat, da er das 13. Schuljahr nicht durchsetzen konnte, und danach wieder als Beamter ins Unterrichtsministerium zurückkehrte.

8 Erich Witzmann: „Busek präsentiert sein Reformpaket“, in: Salzburger Nachrichten, 11. Oktober 1991.

… let’s do, let’s go, let’s change 9 Anneliese Rohrer: „Firnberg mit Buseks UOG gar nicht einverstanden“, in: Die Presse, 15. Juni 1993. Erhard Busek wurde erst nach Beschlussfassung des UOG VP-Generalsekretär und auch erst im November 1975 als Abgeordneter im Nationalrat angelobt. Heftigster Kritiker konnte er also nur in einer anderen Funktion sein. Clemens Hüffel, Ministersekretär von Erhard Busek, war im Jahr 1975 Chefredakteur der Österreichischen Hochschulzeitung, in der eine explizite Gegenposition zum UOG 75 bezogen wurde. 10 „Wir werden wieder kleinkariert“, Interview von Thomas Vasek und Carolin Giermindel mit Dr. Hertha Firnberg, in: Falter 22/1991.

11 „In der SPÖ ist es kälter geworden“. Ex-Ministerin Hertha Firnberg: Kritik an der ‚Zeit der Manager‘, in: Der Standard, 20. Oktober 1993. Vgl. dazu Eva Blimlinger/Monika Bernold/Andrea Ellmeier (1997): „Hertha Firnberg: ‚Meine Leidenschaft: Die Anliegen der Frauen und die Wissenschaft‘“, in: 100 Jahre Frauenstudium. Zur Situation der Frauen an Österreichs Hochschulen (Materialien zur Förderung der Frauen in der Wissenschaft 6), Wien: Bundesministerium für Wissenschaft und Verkehr, S. 17–53. 12 Im Zuge der Ausgliederung kam es zur Neugründung der drei medizinischen Universitäten und somit zu insgesamt 21 Universitäten.

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1975 geändert. Einer der heftigsten Kritiker der SP-Ministerin und ihrer Universitätsreform war damals Erhard Busek als VP-Generalsekretär.“9 Und Hertha Firnberg erkannte schon zu Beginn der Diskussion (1991) um ein neues UOG, welche politische Absicht verfolgt wurde: „Nach der demokratischen Gruppenuniversität wird jetzt versucht, eine kommerzielle Manageruniversität zu machen. Das halte ich für einen der größten Rückschritte überhaupt. In der Wissenschaft gibt’s kein Management. Man kann höchstens versuchen, die Verwaltung zu verbessern, und das war ja auch mein Bemühen damals. Aber ich bin ganz energisch dagegen, die Universität wieder auf ein nicht-demokratisches System zurückzuführen. In keinem Gebiet der menschlichen Gesellschaft darf das Mitbestimmungsrecht aller Beteiligten fehlen. Das ist der Grundsatz der Demokratie.“10 Am 20. Oktober 1993 wurde das Universitätsorganisationsgesetz mit den Stimmen der Abgeordneten der SPÖ und der ÖVP beschlossen. Am selben Tag im Standard zu diesem Gesetz befragt, antwortete Hertha Firnberg: „Man nimmt jetzt die Demokratisierung der Hochschulen zurück und ersetzt sie durch autokratische Führerschaft, durch den Ordinarius, der ohne Team entscheiden kann. Aber das ist der Zug der Zeit, die Zeit der Manager. Obwohl bei denen ja auch viel danebengeht. Daß der Minister nicht mehr bei der Professorenbestellung mitreden soll, ist ein Fehler. Die Ordinarii werden sich halt alles allein auskochen.“11 2002 schließlich kam es durch das Bundesgesetz über die Organisation der Universitäten und ihre Studien (Universitätsgesetz 2002 – UG) zur Vollrechtsfähigkeit und Autonomie aller 21 Universitäten.12 Alle Universitäten unterliegen damit einem Gesetz und sind in allen Belangen gleichgestellt. Und ja, die universitäre Demokratie ist sehr eingeschränkt, und sie ist vor allem eine Professor_innendemokratie, denn diese haben in allen Gremien immer die Mehrheit, es fehlt, um mit Firnberg zu sprechen, das „Mitbestimmungsrecht aller Beteiligten“. Dieses könnte viel leichter erreicht werden, würde es endlich eine einheitliche Hochschullehrer_innenkurie geben, wiewohl, noch weiter gedacht, überhaupt eine Abschaffung der Kurien erforderlich wäre – mir ist außer an den Universitäten und der katholischen Kirche kein explizites Kurienwahlrecht bekannt. Aber – und hier muss Firnberg nach 15 Jahren Erfahrung und Umsetzung des UG 2002 widersprochen werden – Management gibt es zwar vielleicht nicht in der Wissenschaft (und selbstverständlich auch nicht in der Kunst), aber es gibt Management für die Wissenschaft, die Kunst und in diesem Sinne auch für die Universitäten. Sie werden sich vielleicht fragen: Wozu dieser Teil darüber, wann und wie sich was für die Universitäten und insbesondere die Kunstuniversitäten

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gesetzlich geändert hat, wenn nach den Spannungsfeldern der universitäts- und kulturpolitischen Diskurse gefragt wird? In den 1970er Jahren, noch im Vorfeld der Diskussionen über das neue UG, verweigerte die damalige Wissenschaftsministerin Firnberg Planstellen – die mussten vom Wissenschaftsministerium genehmigt werden – für Pressesprecher_innen. Keineswegs sollten die Universitäten eigene universitäts- und kulturpolitische Positionen in der Öffentlichkeit und insbesondere in den Medien vertreten können, sie waren sogenannte nachgeordnete Dienststellen, und ein politisches Engagement war nicht erwünscht. Es hat schon gereicht, dass die Rektorenkonferenz durch ablehnende Stellungnahmen als politische Akteurin präsent war.13 Zwar kam es zur Gründung der sogenannten Außeninstitute14 – da stand aber die Vermittlung und Popularisierung von Ergebnissen der Wissenschaft im Vordergrund. Die damaligen Kunsthochschulen und die Akademie hatten zunächst keine Außeninstitute, und manche hatten überhaupt nie welche – war doch die Orientierungen nach außen durch die künstlerische Produktion in anderer Weise gegeben. Durch die Bindung an das Wissenschaftsministerium als nachgeordnete Dienststelle und die fehlende Autonomie war für die Universitäten und hier für die Rektoren15 oder die Senatsvorsitzenden ein explizites politisches Agieren immer eine Gratwanderung, anders als für die Österreichische Hochschülerschaft, die eine eigenständige Position und Rechte hatte. Nun war es keineswegs so, dass die Rektoren sich ausgeschwiegen hätten, etwa zum UOG 1993, aber seit der Vollrechtsfähigkeit konnte eine wesentlich stärkere und bessere Position eingenommen werden, die immer wieder von Rektor_innen genützt wird, wiewohl dies noch verstärkt werden könnte. Als erstes Beispiel sei hier die „Lehrer_innenbildung neu“ genannt, an der wunderbar gezeigt werden kann, wie wichtig eine Vollrechtsfähigkeit und Autonomie für ein universitäts- und kulturpolitisches Agieren ist. 2009 hat die österreichische Bundesregierung, allen voran die damalige Unterrichtsministerin Claudia Schmied, beschlossen, die gesamte Lehrer_innenausbildung neu zu konzipieren. Dieses Vorhaben stand im Zusammenhang mit der Einführung der sogenannten Neuen Mittelschule. In der SPÖ/ÖVP-Koalition war das Junktim Einführung von Studiengebühren gegen Neue Mittelschule und Lehrer_innenbildung neu. Das mit den Studiengebühren hat Göttin sei Dank nicht geklappt, aber leider der zweite Teil. Im Juli 2013 trat das Bundesrahmengesetz zur Einführung einer neuen Ausbildung für Pädagoginnen und Pädagogen in Kraft, und die Umsetzungsphase für die neue Lehramtsausbildung in Österreich begann. Kern der Änderung war erstens, dass diese Ausbildungen an den Pädagogischen Hochschulen und Universitäten gemeinsam stattfinden sollen, zweitens, dass sogenannte regionalisierte Entwicklungsverbünde eingerichtet werden, drittens, dass das Bologna-System Bachelor/Master eingeführt wird, und viertens, dass Fachinhalte gegenüber didaktisch/ pädagogischen Inhalten zurückgedrängt werden.

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13 Unter dem Titel „Funktionsfähigkeit der Hochschulen gefährdet! Parlament sollte realistisches Organisationsmodell entwickeln“ veröffentlichte die Österreichische Rektorenkonferenz die Stellungnahme zur Regierungsvorlage, in: Österreichische Hochschulzeitung, 15. Jänner 1974, Beilage. 14 Klaus Taschwer: „Universität und Gesellschaft: Zurück zur Abschottung?“, in: Der Standard, 11. November 2015. 15 Ingela Bruner wurde im September 2007 an der Universität für Bodenkultur als erste Rektorin inauguriert, auch das wurde durch das UG 2002 möglich.

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… let’s do, let’s go, let’s change

Die sechs Kunstuniversitäten zeigten sich von Anfang an besorgt über die Entwicklungen und gesetzlichen Änderungen und gaben immer wieder Stellungnahmen, zum Großteil gemeinsame, wie zum Beispiel folgende ab:

16 https://www.akbild. ac.at/Portal/organisation/uber-uns/news/2017/ stellungsnahme-zurpa308dagog_innenbildung-neu/?searchterm=stellungnahme*&set_language=de (23.7.2019).

17 Eva Blimlinger: „Lehrerbildung im DauerDowngrading“, in: Der Standard, 25. Juli 2012. 18 Und sie wollen das – mir unverständlicherweise – auch bleiben. Siehe z. B. https:// www.derstandard.at/ story/2000098003290/ paedagogische-hochschulen-rektoren-zufrieden-mit-autonomie-light (23.7.2019).

„Der Verdacht, dass die Pädagog_innenbildung Neu vor allem auf Einsparungen abzielt und dafür gravierende Qualitätsverschlechterungen in der Ausbildung der Lehrer_innen (und damit auch Qualitätsverschlechterungen des Unterrichts an den Schulen) in Kauf nimmt, stand von Anfang an im Raum. Mit dieser Regelung [es sollte keine Prüfung der künstlerischen Eignung für Studienbewerber_innen für das Lehramt geben, Anm.] wird dieser Verdacht für die künstlerischen Lehramtsstudien zur Gewissheit. Gerade in einem Land wie Österreich, das sich die ‚Kulturnation‘ auf die Fahnen schreibt und dessen Kunst- und Kulturleben auf die hochqualifizierten Absolvent_innen der Kunstuniversitäten (unter denen viele Absolvent_innen der künstlerischen Lehramtsfächer sind) angewiesen ist, mutet diese Novellierung umso ungeheuerlicher – und irrationaler – an.“ 16 Letztlich blieb es, dank dem Agieren der Kunstuniversitäten, bei den Zulassungsprüfungen, bei denen die künstlerische und jetzt auch pädagogische Eignung geprüft wird. Bis heute ist es den drei Wiener Kunstuniversitäten Angewandte, mdw und Akademie gelungen, nicht in einen der – kostenintensiven, bürokratisch aufwendigen – Entwicklungsverbünde einzusteigen, sondern bi- und multilaterale Kooperationen mit den Pädagogischen Hochschulen zu schließen – wir haben gemeinsam eingerichtete Studien. Unser Hauptargument gegen die Verbünde war und ist der unterschiedliche Status der beiden Einrichtungen.17 Während die Universitäten vollrechtsfähig und autonom sind, sind die Pädagogischen Hochschulen nach wie vor nachgeordnete Dienststellen.18 Das bedeutet, dass die Curricula, die hier gemeinsam beschlossen werden sollen, in unterschiedlicher Weise zustande kommen: Einerseits werden sie vom – weisungsfreien – Senat der Universitäten beschlossen, andererseits von den Organen der Pädagogischen Hochschulen, die aber der Genehmigung des/der Bundesminister_in unterliegen – also Autonomie versus nachgeordnete Dienststelle. JedeR Minister_in hat theoretisch das Recht, in die Curricula der PHs einzugreifen, in jene der Universitäten jedenfalls nicht. An einem Beispiel zeigt sich sehr schön, dass organisationsrechtliche Fragen ein universitäts- und kulturpolitisches Agieren fördern, ermöglichen oder eben auch sanktionieren: Im Juli 2012 erklärte der designierte Rektor der Pädagogischen Hochschule Tirol (PHT) Elmar Märk in einem Gespräch mit der APA, dass er die Lehrer_innenausbildung in Tirol langfristig bei der Universität angesiedelt sieht. Es sei ein „sinnvolles Ziel“, diese in „zehn bis fünfzehn Jahren unter dem Dach der Universität“ anzubieten. Märk schätzte eine gemeinsame Lehrer_innenausbildung unter Federführung der Pädagogischen Hochschule – wie das Unterrichtsministerin

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Eva Blimlinger

Claudia Schmied immer wieder lancierte – als unrealistisch ein. Dies sei „innerhalb der nächsten 30 Jahre nicht möglich“, meinte er. Dafür fehlten einfach die Kapazitäten. Einer von Schmied forcierten Aufwertung der PH zu Pädagogischen Universitäten erteilte Märk für Tirol ebenfalls eine Absage: „Eine solche Parallelstruktur wäre hier nicht sinnvoll. In Bundesländern, in denen es keine Universität gibt, ist das wieder etwas anderes.“19 Und schwuppdiwupp: zu viel gesprochen, zu viel eigene Meinung, zu prononciert. Umgehend teilte Claudia Schmied in einer Aussendung mit, dass das Vertrauensverhältnis zu Märk nicht mehr gegeben sei und die Stelle neu ausgeschrieben werde. Unbotmäßigkeit und eigenes Denken waren nicht gefragt. In der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage liest sich das dann so:

19 Vgl. „Neuer PH-Rektor: Lehrerausbildung in zehn Jahren an Uni“, in: Der Standard, 18. Juli 2012.

„Der Genannte [gemeint ist Elmar Märk] wurde unmittelbar nach Veröffentlichung der Pressemeldung am 18. Juli 2012 ins Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur vorgeladen, wobei das Gespräch mit dem Genannten am 20. Juli 2012 erfolgte, bei welchen ihm mittgeteilt wurde, dass die wesentlichen ursprünglichen Voraussetzungen zum Zustandekommen des Dienstvertrages nicht mehr erfüllt und die Vertrauensbasis der Ressortleitung in das Führungsverständnis nachhaltig gestört seien. Damit ist die Geschäftsgrundlage für ein weiteres Kontrahieren weggefallen. Ihm wurde schließlich mit Schreiben des zuständigen Sektionsleiters mitgeteilt, dass er seinen Dienst als Direktor an der HTBLA Innsbruck, Anichstraße 26–28, 6020 Innsbruck zu versehen hat.“ Und weiter in der Beantwortung: „Der Rektor einer Pädagogischen Hochschule ist Leiter einer nachgeordneten Dienststelle und folglich ist ein klares Bekenntnis zur von der Bundesregierung gemeinsam festgelegten Strategie der nachhaltigen Stärkung der Pädagogischen Hochschulen eine Grundvoraussetzung.“20 Die Rektor_innen können, folgend §23 (5) UG 2002, „vom Universitätsrat wegen einer schweren Pflichtverletzung, einer strafgerichtlichen Verurteilung, wegen mangelnder gesundheitlicher Eignung oder wegen eines begründeten Vertrauensverlusts von der Funktion abberufen werden. Die Abberufung kann auf Antrag des Senats oder von Amts wegen durch den Universitätsrat erfolgen. Im ersten Fall ist in beiden Organen jeweils die einfache Mehrheit aller Mitglieder erforderlich; im zweiten Fall bedarf der Beschluss im Universitätsrat der Zweidrittelmehrheit aller Mitglieder, der Senat ist anzuhören.“21

20 https://www.parlament. gv.at/PAKT/VHG/XXIV/ AB/AB_12342/index. shtml (23.7. 2019).

21 UG 2002.

… let’s do, let’s go, let’s change 22 Vgl. dazu als Auswahl: Janet Ritterman/ Gerald Bast/Jürgen Mittelstraß (Hg.) (2011): Kunst und Forschung. Können Künstler Forscher sein?, Wien und New York: Springer; Anton Rey u. a. (Hg.) (2009): Künstlerische Forschung. Positionen und Perspektiven, Zürich: Museum für Gestaltung; Anette Baldauf/Stefan Gruber u. a. (Hg.) (2016): Spaces of Commoning. Artistic Research and the Utopia of the Everyday, Berlin: Sternberg Press; Andrea B. Braidt (2019): „Transgressing Disciplines. The Transdisciplinary Settings of Media Studies, Gender Studies, and Artistic Research“, in: Hartmut von Sass (Hg.): Between / Beyond / Hybrid. New Essay on Transdisciplinarity, Zürich: Diaphanes, S.  7–93, https://www.diaphanes. net/titel/between-beyond-hybrid-5782. 23 https://www.elia-artschools.org/activities/ artistic-research/the-florence-principles-on-thedoctorate-in-the-arts (23.7.2019). 24 Beide können angefordert werden bei der Koordinationsstelle für Frauenförderung / Geschlechterforschung / Diversität, fgd@akbild. ac.at. 25 https://uniko.ac.at/projekte/more/ (23.7.2019). 26 Z. B. https://www.ots. at/presseaussendung/ OTS_20150911_ OTS0086/ die-angewandtebeherbergt-seit-heutenacht-schutzsuchendefluechtlinge (23.7.2019). 27 https://kurier.at/kultur/ einbetoniertes-bekenntnis-der-stadtzum-nazi-dichter-weinheber/400512796 (23.7.2019).

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Also doch Demokratie? Naja, etwas besser als die Entscheidung eines monokratischen Organs mit Willkürcharakter. Ist einerseits die Struktur der Universitäten die Voraussetzung für politisches Handeln, so sind es andererseits auch die handelnden Personen – die Rektor_innen und teilweise auch die Senate und ihre Vorsitzenden sowie die künstlerischen und wissenschaftlichen Mitarbeiter_innen an Universitäten. Ein paar Beispiele: Die Etablierung des Förderprogramms zur Entwicklung und Erschließung der Künste im FWF 2008 wäre ohne Initiative der Universität für angewandte Kunst – und hier Gerald Bast und Eva Blimlinger – nicht zustande gekommen. Heute zählt es zur wichtigen Grundlage der Entwicklung der künstlerischen Forschung und trägt zur Spitzenpositionierung Österreichs in Europa bei.22 Die Verankerung der Möglichkeit des künstlerischen Doktorats im Universitätsgesetz und der Beschluss der Florence Principles on the Doctorate in the Arts durch die ELIA-Vollversammlung23 wurden insbesondere durch die Bemühungen der Akademie der bildenden Künste Wien – und hier durch Andrea B. Braidt, heute Präsidentin von ELIA – möglich. Die Umsetzung des Projekts „Non-Binary Universities. Maßnahmen zur Stärkung der Geschlechterdiversität and Universitäten in Österreich“ an der Akademie der bildenden Künste Wien und die Publikation zweier Broschüren Non Binary Universities – Vademekum zu geschlechtergerecht(er)en Hochschulen und trans. inter*. nicht-binär. Lehr- und Lernräume an Hochschulen geschlechterreflektiert gestalten operationalisieren die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs zum dritten Geschlecht.24 Und da ist noch die Unterstützung von sogenannten Drittstaatangehörigen bei Visaangelegenheiten, die immer komplizierter und schikanöser werden, die Unterstützung von Asylwerber_innen25 insbesondere im Jahr 2015,26 die Beteiligung bei der Initiative „Die Vielen“, bei der sich über 270 Kultureinrichtungen vernetzt haben, um gegen Rechtspopulismus aktiv zu werden, die Kontextualisierung des Weinheber-Denkmals27 und und und. Ja, ich kann nur sagen: done, gone and changed – wir, die österreichischen Kunstuniversitäten, haben uns in den letzten Jahren sehr stark im kunst- und kulturpolitischen und im universitätspolitischen Diskurs positioniert, wir werden gehört, und wir hören zu. Wir haben die Chancen und Möglichkeiten genützt, die durch die Vollrechtsfähigkeit und Autonomie gegeben sind. Sicher, wir können sie noch besser, noch stärker nützen, noch akzentuierter und vielleicht ab und an noch lauter – dort, wo es politisch notwendig ist. Hoffen wir, dass es nicht notwendig wird.

Ursula Brandstätter Agieren in Spannungsfeldern Kunstuniversitäten als kulturpolitische Akteure

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Kunstuniversitäten agieren in vielfältigen Kontexten: Sie verorten sich in der Gesellschaft, arbeiten im Rahmen politisch vorgegebener Bedingungen, positionieren sich national und international im Feld der Universitäten, sind Teil des Kunstbetriebs und Kunstmarkts und gestalten die Bildungslandschaft in einem Land und über die nationalen Grenzen hinaus. Kunstuniversitäten sind sowohl „Objekte“ der Kulturpolitik – auf sie wirken die politischen Kräfte der zuvor genannten Kontexte ein – als auch „Subjekte“ der Kulturpolitik – das heißt, sie treten als kulturpolitische Akteure auf. Was aber kann es alles bedeuten, kulturpolitisch aktiv zu sein und zu wirken? In dem nun folgenden ersten Schritt meiner Überlegungen versuche ich, den kulturpolitischen Aktionsradius systematisch zu erhellen: Kunstuniversitäten positionieren sich in der Gesellschaft, sie steuern die Rahmenbedingungen, in denen Kunst produziert und vermittelt wird, und sie gestalten die Kunst- und Bildungslandschaft mit. Kunstuniversitäten positionieren sich …

Kunstuniversitäten positionieren sich in der Gesellschaft. Wie sie ihr Verhältnis zur Gesellschaft definieren, hängt essenziell von den Kunstbegriffen ab, für die sie stehen. Betrachtet man die Entwicklung der westlichen Künste im vergangenen Jahrhundert, so stößt man vielfach auf ein Verständnis von „Kunst als Gegenwelt“. Kunst wird in diesem Sinn als kritischer Gegenentwurf zu gesellschaftlichen Normen verstanden. Noch weiter zurück reicht das Verständnis von „Kunst als Komplementärwelt“. Als solche steht sie für die Erfüllung von Bedürfnissen, die im von Rationalität geprägten Alltagsleben zu kurz kommen. Bei beiden Modellen – beim Modell der Gegenwelt ebenso wie beim Modell der Komplementärwelt – geht die Kunst in kritische Distanz zu gesellschaftlichen Werten und Normen. Blickt man auf aktuelle Entwicklungen in unserer Gesellschaft, so kann man allerdings die wechselseitige Durchdringung künstlerischer und gesellschaftlicher Wertvorstellungen beobachten. Auf der einen Seite bedeutet dies, dass sich die Kunst immer stärker ökonomischen Machtmechanismen unterwirft. Diese Tendenz findet auch im Kontext der Kunstuniversitäten und der Universitäten insgesamt ihren Niederschlag. Universitäten sind zunehmend herausgefordert, als Unternehmen zu agieren. Quantifizierbare Daten – etwa in Form der Kennzahlen, die zum Beispiel die Zahl der Absolvent*innen oder die Zahl der Publikationen betreffen – überlagern sehr oft die Qualitätsdiskussion. Auf der anderen Seite sind gesellschaftliche Entwicklungen von ursprünglich im Kontext der Kunst verorteten Leitideen durchdrungen. So ist die Idee der Originalität, wie sie den ästhetischen Diskurs um 1800 wesentlich bestimmte, inzwischen in vielen Segmenten der Gesellschaft angekommen. Originalität und Kreativität gelten als Leitideen gleichermaßen in Bereichen der Wirtschaft wie auch im Privatleben. Andreas Reckwitz spricht in

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diesem Zusammenhang vom „Kreativitätsimperativ“,1 der – ursprünglich aus der Kunst kommend – inzwischen im Zuge der Ästhetisierung der Gesellschaft zu einer allgemein verbindlichen Norm und sogar Forderung geworden ist. Ästhetische Leitideen wie Originalität, Innovation, Sinnlichkeit, Performanz sind tief in die Gesellschaft eingedrungen und fungieren als Leitmotive für ein gelingendes Leben. Die gesellschaftliche „Einhegung“ künstlerischer Werte macht selbst vor Grundhaltungen wie der ästhetischen Distanz und der kritischen Reflexion nicht halt, wie Hanno Rauterberg mit Blick auf neue Formen der Auftragskunst durch finanzkräftige Wirtschaftstreibende kritisch reflektiert.2 So komplex und vielschichtig, wie das Verhältnis der Kunst zur Gesellschaft ist, so komplex und vielschichtig ist auch das Verhältnis der Kunstuniversitäten zur Gesellschaft. Auch Kunstuniversitäten können sich als Gegenwelt positionieren und in diesem Sinn ihren Studierenden Freiräume eröffnen, in denen noch keine Marktgesetze gelten. Sie können sich auch als komplementäre Welten begreifen, in denen Qualität nicht über quantifizierbare Kriterien definiert wird und in denen Bildungsprozesse von individuellen Persönlichkeiten im Zentrum stehen, auch jenseits der beruflichen Verwendbarkeit, der „employability“. Gleichzeitig tragen Kunstuniversitäten aber auch die Verantwortung, dass ihre Absolvent*innen sich auf dem Kunst- und Bildungsmarkt behaupten. Das bedeutet, dass es auch um Werte der Effizienz, der Ziel- und Leistungsorientierung geht. Eines jedoch macht den Kern von Kunstuniversitäten aus: die grundsätzlich reflexive Haltung gegenüber allen gesellschaftlichen Entwicklungen. Aus einem künstlerischen Geist heraus agieren bedeutet immer wachsam sein, in Distanz gehen, sich den kritischen Blick erhalten, der Gegebenheiten immer nur als Möglichkeiten sieht, die auch anders gedacht werden können. Dort beginnt die politische Funktion von Kunst, und dort beginnt die politische Verantwortung von Kunstuniversitäten. In diesem Sinne schreibt Juliane Rebentisch: „Politisch ist die Kunst dann in keinem direkten Sinn, sondern eher indirekt oder potenziell – und zwar aufgrund der Struktur der reflexiven Erfahrung, die sie ermöglicht.“3 Aus dieser reflexiven Grundverfasstheit erwächst den Kunstuniversitäten die Verpflichtung und Verantwortung, sich – auch gesellschaftspolitisch – zu positionieren.4 Kunstuniversitäten steuern …

Kunstuniversitäten reagieren nicht nur auf aktuelle Tendenzen in der Gesellschaft und im Kunstbetrieb und beziehen dazu Position, sie steuern diese auch. Indem sie etwa Studienpläne und Prüfungsordnungen erlassen, definieren sie Inhalte, die aus ihrer Sicht für einen Künstler, eine Künstlerin unserer Zeit relevant sind. Sie üben aber auch eine steuernde Funktion aus durch die Form, wie diese Inhalte überprüft und bewertet werden.

1 Andreas Reckwitz (2012): Die Erfindung der Kreativität. Zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung, Berlin: Suhrkamp.

2 Hanno Rauterberg (2015): Die Kunst und das gute Leben. Über die Ethik der Ästhetik, Berlin: Suhrkamp.

3 „Das Potenzial des Ästhetischen“, Dominique Laleg im Gespräch mit Juliane Rebentisch, in: all-over. Magazin für Kunst und Ästhetik, Oktober 2012, http://allovermagazin.com/?p=1072 (28.2.2019). 4 Ein konkretes Beispiel dafür stellt etwa das Plädoyer für einen demokratischen Kunst- und Kulturbegriff dar, das von den österreichischen Kunstuniversitäten am 12. Dezember 2017 anlässlich des Starts der Koalitionsregierung zwischen ÖVP und FPÖ veröffentlicht wurde: https://www.mdw.ac.at/ senat/?PageId=3374 (28.2.2019).

Agieren in Spannungsfeldern

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Ein konkretes Beispiel: Wenn zum Abschluss eines Masterstudiums eine wissenschaftliche Arbeit gefordert ist, so steht dahinter das Konzept, dass ein universitär gebildeter Künstler, eine Künstlerin eben nicht nur mit der künstlerisch-praktischen Leistung überzeugen muss, sondern dass damit auch die Fähigkeit gewonnen sein sollte, das eigene künstlerische Tun zu kontextualisieren und zu reflektieren. Die inzwischen an einigen Musikhochschulen ermöglichte Variante, einen Masterabschluss durch die Erstellung einer CD bzw. einer professionellen Online-Veröffentlichung in Kombination mit entsprechenden, wissenschaftlich fundierten Begleitmaterialien und einem Lecture Recital zu erwerben, ist natürlich einerseits als Reaktion auf die Erfordernisse des Berufsmarkts zu verstehen, andererseits wird dadurch aber auch das Selbstverständnis von Musiker*in-Sein in unserer Gesellschaft geprägt und damit gesteuert. Kunstuniversitäten übernehmen aber nicht nur durch die konkrete Ausgestaltung ihrer Studienpläne eine steuernde Funktion, sondern auch auf der grundsätzlichen Ebene der Auswahl der Studienangebote, die sie zukünftigen professionellen Akteurinnen und Akteuren im Kunstbetrieb zur Verfügung stellen. So macht es etwa einen großen Unterschied, ob eine Musikuniversität ausschließlich Studien für die Ausbildung zum Orchestermusiker, zur Orchestermusikerin anbietet oder ob sie auch pädagogische Angebote bereitstellt. Darüber hinaus greifen Ausbildungsstätten steuernd in berufliche Biografien ein, indem sie das Zueinander der Studienangebote definieren. Sorgen sie etwa für die Durchlässigkeit zwischen künstlerischen und künstlerisch-pädagogischen Studien, so unterstützen sie damit das Selbstverständnis von Künstler*innen, die gleichzeitig und selbstverständlich in beiden Feldern aktiv sind und wirken. Eine elementare Ebene der kulturpolitischen Steuerung betrifft schließlich die Stellenpolitik einer Kunstuniversität. Welche Stellen werden als Professuren ausgeschrieben, welche Stellen werden über Lehraufträge oder kleine Dienstverträge abgedeckt? Ob ein Fach wie zum Beispiel Musikvermittlung als Professur ausgeschrieben wird oder nicht, spiegelt nicht nur die interne Wertehierarchie innerhalb einer Institution wider, sondern bestimmt längerfristig auch das Wertefeld im Kunstbetrieb und in der Gesellschaft insgesamt. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt schließlich die konkrete Auswahl von Personen, die eine Professur übernehmen. Wenn man sich vor Augen hält, dass Professor*innen ihre Stelle manchmal zwischen zwanzig und dreißig Jahren innehaben, dann wird klar, welch eminent wichtige Steuerungsfunktion damit verknüpft ist. In dem von der persönlichen Beziehung geprägten Kunstunterricht – man denke etwa an den Einzelunterricht am Instrument – kommt einzelnen Lehrenden eine besondere Rolle zu. Sie wirken implizit oder explizit als Rollenvorbilder: Ihr Verständnis von Kunst und Kunstausübung prägt oft Generationen von Studierenden. An diesem Beispiel zeigt sich eine grundlegende Herausforderung, die Kunstuniversitäten zu bewältigen haben: Auf der einen Seite sind sie in die Dynamik künstlerischer Entwicklungen eingebunden

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und können diese sogar bis zu einem gewissen Punkt auch mitgestalten, auf der anderen Seite sind sie als öffentliche Institutionen von Rahmengesetzgebungen bestimmt, die dieser Dynamik im Wege stehen. Davon wird später noch die Rede sein. Kunstuniversitäten gestalten …

Indem Kunstuniversitäten Studienpläne definieren und Stellenprofile festschreiben, wirken sie nicht nur steuernd, sondern greifen auch gestaltend in den Kunstbetrieb und in die Bildungslandschaft ein. Im Folgenden will ich aus meiner Sicht als Rektorin der Anton Bruckner Privatuniversität für Musik, Schauspiel und Tanz in Oberösterreich eine weitere besondere Gestaltungsdimension hervorheben und betrachten: die Universität als Veranstaltungsinstitution. Die Bruckneruniversität stellt mit ihren mehr als 500 Veranstaltungen jährlich einen wichtigen kulturellen Faktor für Linz und die gesamte Region dar. Die starke regionale Verankerung ist mit einer gesellschaftlichen Verantwortung verknüpft, denn sie erfordert Antworten auf sehr grundsätzliche, kulturpolitische Fragen: Welche künstlerischen Produkte präsentieren wir welchem Publikum in welcher Form? Mit der Gestaltung unseres Konzert- und Aufführungsbetriebs greifen wir direkt in die Kunst- und Kulturpolitik ein. Neben den klassischen Konzertformaten für das „klassische“ Konzertpublikum bemühen wir uns zunehmend, durch entsprechende Konzertprogrammierungen, aber auch durch die Erprobung alternativer Konzertformate Menschen zu erreichen, die normalerweise kein klassisches Konzert besuchen, und sie für die Vielfalt unserer künstlerischen Arbeit zu begeistern. Zur bewussten kulturpolitischen Positionierung auf dieser Ebene gehört aber auch, unsere Konzertsäle zu verlassen und andere Orte der Präsentation von Kunst aufzusuchen, seien dies das Stadion, Banken oder auch Schulen, Seniorenwohnheime, Gefängnisse etc. Darüber hinaus spielt die Idee der „Community Art“ – eines radikal anderen Verständnisses dessen, was Kunst in einer Gesellschaft leisten kann – für uns als Kunstuniversität zunehmend eine wichtige Rolle. Kunst wird nicht nur in neuen Kontexten präsentiert, sondern sie wird auch in neuen Kontexten im Zusammenwirken von professionellen Künstler*innen und Laien produziert und vermittelt. Der von Universitäten vermehrt geforderte Wissenstransfer findet also im Bereich der Künste auch dort statt, wo Menschen unterschiedlicher kultureller und künstlerischer Herkunft gemeinsam an neuen Begriffen von Kunst arbeiten, indem sie vielfältige künstlerische Ausdrucksformen erproben und die dabei entstehenden Produkte anderen wieder zur Verfügung stellen. Die direkte Gestaltung des Kunstbetriebs beschränkt sich nicht auf die Durchführung von Konzerten, Aufführungen, Events und Projekten vor Ort. Studierende und Lehrende einer Universität arbeiten auf nationaler und internationaler Ebene auch mit Studierenden anderer

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Agieren in Spannungsfeldern

Kunstuniversitäten zusammen. Sie gehen mit ausgewählten Projekten auf Tourneen und fungieren damit nicht nur als „Aushängeschild“ der eigenen Institution, sondern auch als „Kulturbotschafter“ Österreichs. Kunstuniversitäten entfalten in diesem Sinn eine überregionale und auch übernationale Bedeutung. Kunstuniversitäten als gesellschaftliche und kulturpolitische Modelle

5 Isolde Charim (2018): Ich und die Anderen. Wie die neue Pluralisierung uns alle verändert, Wien: Zsolnay.

6 Ebd., S. 94.

Während in den vorangegangenen Überlegungen die unterschiedlichen Wirkungsmechanismen von Kunstuniversitäten in die Gesellschaft hinein untersucht wurden, beschäftige ich mich nun mit der Frage, inwiefern Kunstuniversitäten gewissermaßen als „Welten für sich“ für die Gesellschaft insgesamt exemplarisch und modellhaft gesehen werden könnten. In ihrem Buch Ich und die Anderen5 setzt sich die Philosophin Isolde Charim intensiv mit dem Phänomen der Pluralisierung in unserer Gesellschaft und seinen Folgen für veränderte Identitätskonzepte auseinander. Sie charakterisiert Kultur als wesentlichen „Schauplatz der Pluralisierung“, als zentralen Ort für die „Auseinandersetzung zwischen Pluralisierung und ihrer Abwehr“.6 Nun sind aber Kunstuniversitäten zunächst keineswegs offen für die Vielfalt der Kulturen, die tatsächlich aktuell unsere Gesellschaft prägen. Im Gegenteil, sie treffen eine sehr rigide Auswahl und beanspruchen für sich vor allem die Definitionsmacht darüber, was in einer Gesellschaft als Kunst zu gelten hat und was nicht. Dennoch bergen sie in sich auch eine Vielfalt unterschiedlicher künstlerischer Biotope, die keineswegs widerspruchsfrei nebeneinander stehen, sondern sich zum Teil durchaus wechselseitig in Frage stellen. Denkt man an zukünftige Entwicklungen der Kunstuniversitäten, so besteht eine der großen Herausforderungen – gerade auch für Musikuniversitäten – sicherlich darin, noch mehr als bisher fremden künstlerischen Kulturen Raum zu geben. Hier eröffnen sich für die Zukunft große Aufgaben und auch Spannungsfelder. Bei aller Unterschiedlichkeit der agierenden Künstler*innen überwiegt grundsätzlich ein gemeinsames Verständnis dafür, dass Kunst auf jeden Fall plural verfasst sein muss. Und so wie die Künste nicht anders als divers und plural gedacht werden können, so können auch die damit verbundenen Identitätskonzepte nur plural verstanden werden. Damit ändert sich etwas Grundsätzliches in unserem Verständnis von Identität. In Kunstuniversitäten ist Tag für Tag das Nebeneinander unterschiedlicher künstlerischer Identitäten erlebbar; keiner kann für sich beanspruchen, dass er die „eigentliche Kunst“ vertritt. Die Künste existieren nebeneinander und relativieren sich wechselseitig, ebenso existieren verschiedene Identitäten nebeneinander und relativieren sich wechselseitig. Somit wird in Kunstuniversitäten – gewissermaßen modellhaft – das erlebbar, was nach Isolde Charim Kultur heute ausmacht. „Denn Kultur ist nicht einfach das, was man hat, womit man ident ist. Kultur ist vielmehr auch

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der Bezug zu seiner eigenen Identität. Kultur ist nicht einfach ein Inhalt, sondern gleichzeitig auch ein Verhältnis. Kultur ist also der Bezug, die Art des Bezugs zur ‚eigenen‘ Kultur.“ 7 Die Art des sich selbst relativierenden Bezugs gehört zur grundsätzlich selbstreflexiven und reflexiven Verfasstheit der Kunst. Kunstuniversitäten, in diesem Sinn als Orte der Selbstreflexion verstanden, könnten modellhaft für den Umgang mit Pluralismus in unserer Gesellschaft sein. Kulturpolitisches Agieren in Spannungsfeldern

Es gehört zum Wesen eines demokratisch gedachten Begriffs von Politik, dass unterschiedliche Interessen, unterschiedliche Wertvorstellungen und Zielsetzungen in einen diskursiven Austausch gebracht werden, um darauf aufbauend Entscheidungen zu treffen. Demokratisches politisches Handeln – in diesem Sinn verstanden – versucht also, unterschiedliche Kräfte in einen Ausgleich zu bringen. Betrachtet man die interne Dynamik innerhalb einer Kunstuniversität, so wird man feststellen, dass viele Mechanismen des Kunstbetriebs und der Gesellschaft – gewissermaßen im Kleinen – in der Institution abgebildet sind. Auch innerhalb einer Kunstuniversität gibt es Phänomene wie Mainstream und Randgruppen, Stakeholder und Minderheiten, konservierende Kräfte und Revolutionäre etc. Und natürlich gibt es den Kampf um die Macht: um das Sagen und um das Geld. Eine Kunstuniversität zu leiten verlangt, mit diesen unterschiedlichen Kräften umzugehen. So wie die Kulturpolitik im Großen Entscheidungen im Kräftespiel aller beteiligten Akteure treffen muss, so müssen auch innerhalb einer Kunstuniversität Wege gefunden werden, mit den zum Teil auseinanderstrebenden Kräften zu agieren. In diesem Sinn kann die Leitung einer Kunstuniversität grundsätzlich als kulturpolitische Aufgabe gesehen werden. Kunstuniversitäten sind in vielfältige Spannungsfelder eingebunden. Diese betreffen das Verhältnis zwischen dem Selbstverständnis als Bildungsinstitution und dem Kunstbetrieb „draußen“ genauso wie das Verhältnis zwischen politischen Rahmenbedingungen und autonomen Zielsetzungen oder ganz allgemein auch das Verhältnis zwischen künstlerischer Entwicklungsdynamik und institutioneller Trägheit. Kunstuniversitäten sind zunächst einmal Ausbildungs- und Bildungsinstitutionen. Bereits in dieser Unterscheidung zeigt sich ein erstes Spannungsfeld. Besteht die primäre Aufgabe darin, die Studierenden und zukünftigen Absolvent*innen fit für den Beruf zu machen, oder geht es darum, auf der Basis eines breiten Bildungsangebots den Blick auf die Kunst und die Welt allgemein zu öffnen? Im einen Fall werden Lehrangebote wie Probespieltraining und Selbstmarketing im Zentrum stehen, im anderen Fall Lehrangebote, die über die handwerklich-künstlerische Praxis hinausgehen. Wir alle wissen, dass es sich hier nicht um ein Entweder-oder handelt, dass beides im Rahmen eines Studiums an einer Kunstuniversität Platz haben muss, aber wir wissen auch, dass diese

7 Ebd., S. 213.

Agieren in Spannungsfeldern

8 Aktuell (2019) beträgt die Studiengebühr pro Semester 365 Euro.

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unterschiedlichen Zielsetzungen – angesichts begrenzter Zeitressourcen – nicht widerspruchsfrei nebeneinander stehen. Dahinter verbirgt sich eine weitere grundsätzliche Thematik. Fit machen für das Berufsfeld bedeutet, dass die Absolventinnen und Absolventen sich den Anforderungen des Berufs anpassen. Wo bleibt da die kritische und innovative Kraft, die die Kunst immer für sich in Anspruch nimmt? Ein universitäres Kunststudium anzubieten, könnte und müsste auch bedeuten, Studierende zu qualifizieren, die sich nicht nur anpassen und einpassen, sondern die auch in der Lage sind, die beruflichen Felder selbst zu gestalten. Die Herausforderung – sowohl für die Absolvent*innen als auch für die Kunstuniversität als Ganze – besteht also darin, Kräfte und Kompetenzen sowohl für das eine wie für das andere zu mobilisieren und dies in der Balance zu halten. Wie sieht es nun mit dem Verhältnis zwischen den politischen Rahmenbedingungen, den Trägern und Geldgebern auf der einen Seite und der Autonomie und dem Selbstverständnis der Kunstuniversitäten auf der anderen Seite aus? Ich will dieses Spannungsfeld aus der spezifischen Sicht als Rektorin der Bruckneruniversität beleuchten. Als Privatuniversität ist die Bruckneruniversität vom Privatuniversitätengesetz definiert. Der Begriff „privat“ ist hier aber irreführend, da er einen privaten Geldgeber vermuten lässt. De facto wird die Universität jedoch vom Land Oberösterreich getragen und von diesem auch finanziert. Der Terminus „privat“ verweist somit nicht auf eine Finanzierungsform, sondern lediglich auf einen rechtlichen Status bzw. auf den dahinterstehenden rechtlichen Rahmen. Durch den vom Alltagsverständnis abweichenden Gebrauch des Wortes „privat“ ergibt sich ein erstes Spannungsfeld: Während die Charakterisierung als private Universität möglicherweise marktorientierte Zielsetzungen vermuten lässt, versteht sich die von öffentlichen Geldern finanzierte Bruckneruniversität als eine Universität mit einem öffentlichen Bildungsauftrag. Dieses Selbstverständnis zeigt sich nicht nur in den überaus moderaten Studiengebühren,8 die jedem Studienbewerber/jeder Studienbewerberin unabhängig von der familiären Finanzkraft den Zugang zum Studium – ausschließlich basierend auf der künstlerischen Eingangsqualifikation – ermöglichen sollen; es zeigt sich darüber hinaus auch im Spektrum der Studienangebote, in dem den künstlerisch-pädagogischen Studien ein wichtiger Platz eingeräumt wird. Als Bildungsinstitution mit einem öffentlichen Bildungsauftrag fühlen wir uns nicht nur für die Bildung und Ausbildung professioneller Künstler*innen verantwortlich, sondern für den Bereich der künstlerischen und musikalischen Bildung insgesamt. Damit komme ich zum nächsten Spannungsfeld, das ebenfalls speziell für die Bruckneruniversität gilt. Die Bruckneruniversität hat eine lange Tradition zunächst als Musikschule bzw. Gesangsschule (seit 1823) und dann als Konservatorium (seit 1932). Den Status als Universität erhielt sie 2004. Bedingt durch diese lange Geschichte als Ausbildungsinstitution vor Ort und in der Region stellt die regionale Verankerung einen Leitwert für unsere Institution dar. Dies zeigt sich nicht nur in der Zusammensetzung

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der Studierenden (etwa 30 Prozent kommen aus der „Region“ im weiteren Sinn, hier sind auch Studierende aus den angrenzenden Bundesländern mitgerechnet), sondern auch in den inzwischen strukturell verankerten Kooperationsmodellen mit dem Bruckner Orchester Linz (im Rahmen einer Orchesterakademie), mit dem Musiktheater (im Rahmen des Opernstudios), mit dem Landestheater (im Rahmen des Schauspielstudios) und natürlich auch mit dem Landesmusikschulwerk – um nur einige exemplarische Beispiele für die intensive regionale Vernetzung zu nennen. Mit der Umwandlung vom Konservatorium zur Universität hat sich nicht nur der rechtliche Rahmen geändert, sondern vor allem auch das Selbstverständnis. Die Öffnung in internationale Kunstszenen ist zu einem selbstverständlichen Leitwert geworden. Unser Lehrkörper ist inzwischen international besetzt, die Studierenden kommen aus über 60 Nationen (aktuell beträgt der Anteil an Studierenden aus dem Ausland etwa 45 Prozent), wir führen künstlerische, wissenschaftliche und pädagogische Kooperationsprojekte mit internationalen Partnerinstitutionen durch, und Tourneen führen unsere Studierenden weit über die Grenzen Europas hinaus. Regionale Verankerung also auf der einen Seite und internationale Vernetzung auf der anderen Seite. Was hier scheinbar selbstverständlich und widerspruchsfrei innerhalb eines Satzes nebeneinander gesetzt werden kann, erfordert im Alltag einer Kunstuniversität wie der Bruckneruniversität immer wieder Neujustierungen. Dies umso mehr, als der Träger der Universität, das Land Oberösterreich, – möglicherweise auch parteipolitisch motiviert – durchaus auf regionale Interessen fokussiert, dabei immer wieder aber auch die Notwendigkeit zur Internationalisierung betont. Hier wird also deutlich, dass eine Kunstuniversität nicht nur in einem selbstbestimmten, quasi autonomen Raum agiert, sondern dass ihr Handeln auf verschiedenen Ebenen von den aktuellen politischen Verhältnissen mit bestimmt ist. Als letzten Aspekt will ich ein institutionell bedingtes Spannungsfeld thematisieren: das zwischen der Entwicklungsdynamik und Innovationskraft der Kunst und der Tendenz von Institutionen, sich selbst zu reproduzieren und damit Veränderungen entgegenzuwirken. Niklas Luhmann hat – unter Bezugnahme auf die Biologen Humberto Maturana und Francisco Varela – zur Beschreibung der „Trägheit“ der Systeme den Begriff der „Autopoiese“ als Schlüsselbegriff in die soziologische Systemtheorie eingeführt. Er überträgt das Phänomen der Selbstreproduktion biologischer Systeme auf gesellschaftliche Systeme. Autopoietische Systeme operieren selbstreferenziell – es gibt zwar eine „strukturelle Koppelung“ von autopoietischen Systemen, aber keinen direkten Austausch.9 Ohne hier in die systemtheoretische Diskussion vertieft einzusteigen, will ich doch festhalten, dass sich an Kunstuniversitäten jedenfalls eine Tendenz zur Schließung und damit zur Selbstreproduktion feststellen lässt. Diese ist allein dadurch bedingt, dass Dienstverhältnisse begründet werden, die im Falle von Professor*innen oft zwischen zwanzig und dreißig Jahren umfassen, oder dass Organisationsstrukturen – wie etwa

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9 Vgl. Niklas Luhmann (1984): Soziale Systeme: Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Agieren in Spannungsfeldern

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die Gliederung einer Universität in Institute – über Generationen hinweg Bestand haben. Der dadurch gegebenen organisationalen Trägheit von Institutionen stehen Entwicklungen in der Kunst gegenüber, in denen ständig neue Formen des künstlerischen Ausdrucks, der künstlerischen Präsentation oder der künstlerischen Zusammenarbeit erprobt werden und in denen auf diese Weise künstlerische Fächer und Disziplinen ständig neu definiert werden. Wie kann eine Kunstuniversität für diese neuen Entwicklungen offen bleiben? Wie kann verhindert werden, dass die Kräfte der Kontinuität und der Bewahrung die Überhand bekommen? Der einzige Weg besteht darin, die widersprüchlichen Kräfte in einen Austausch zu bringen, das heißt, bewusst „Fremdkörper“ und „Störungen“ des Systems (in Form von ungewöhnlichen Projekten, ungewöhnlichen Kooperationen etc.) zu suchen und zu unterstützen. Genau dieses Agieren mit Störungen, Widersprüchen und Spannungen ist es, das Kunstuniversitäten zu politischen Akteuren macht. In der Art und Weise, wie sie mit den zuvor thematisierten Spannungsfeldern umgehen, betreiben sie selbst Kulturpolitik und gestalten damit die Kulturpolitik eines Landes mit.

Sean Gregory The “Golden Thread” A Lifelong Learning Continuum for Creative Practitioners Working “Without Boundaries”

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“You can make your own path by walking on it.” Antonio Machado

“Artists of the future don’t fill jobs […] they create roles, build companies and influence strategy.” ArtWorks London Fellow

I would like to consider the conceptual and ideological context to the thinking behind a “golden thread” of training and development for artists, alongside the development of new paradigms of arts practice. A partnership between the Barbican and Guildhall now constitutes an active and radical alliance for artistic innovation, learning, and research. A primary imperative for this creative alliance is to challenge assumptions about the role of the artist in society, interrogating the most appropriate and effective approaches to provide a coherent, flexible and sustainable professional development framework for the 21st-century artist. Through its partnership between a conservatoire and an arts center that covers all major performing and visual art forms, the Barbican Guildhall Creative Alliance aims to contribute to the broadening of higher education provision, developing a translatable and fully reflexive model of a “golden thread” of learning in the arts. This covers under-18, undergraduate, postgraduate and professional development for multi-arts practitioners working in creative, collaborative and participatory settings. At the heart of this model lie the following values: • ARTISTS AS ENTREPRENEURS: leading in the development of their own pathways through a dynamic, personalized learning framework where the resources follow the learner • ARTISTS WHO RAISE EXPECTATIONS: bringing greater focus and a consistently high level of quality to socially engaged, participatory settings • ARTISTS WHO HAVE CRITICAL CAPACITY: capable of recognizing challenges and constructively applying critical capabilities to their work and the work of others • ARTISTS AS PART OF A COMMUNITY OF PRACTITIONERS: committed to strengthening their sector through developing practice and joining-up provision in participatory settings • ARTISTS WHO ARE CURIOUS: keen to share and learn from new ideas, knowledge, skills, views, and practice • ARTISTS WHO ARE FOCUSED: capable of maintaining an intense, regular and highly energized work pattern • ARTISTS WHO ARE SELF-AWARE: able to support themselves through reflective practice and make realistic, informed decisions in complex and unpredictable situations

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Sean Gregory

• ARTISTS AS AMBASSADORS: who promote the role and contribution of the arts and its function in society with integrity and attention to its ethical values I would argue that conservatoires should offer a more coherent and robust training for artists to flourish as employable, enterprising practitioners. As well as excelling in their “principal study,” graduates urgently need to represent a better skilled, more knowledgeable and experienced workforce, and thus improve the experience of people everywhere. This will also, in turn, help secure audiences of the future. Research—such as that done through ArtWorks, a Paul Hamlyn UK Special Initiative—has highlighted the inconsistent opportunities, teaching methodologies and curriculum content in higher education for artists working in today’s society. The Golden Thread was conceived to respond to these “gaps” and represents a lifelong learning continuum for “portfolio practitioners” committed to performing, collaborating, creating, leading, and teaching in a variety of artistic and socially engaged settings. It is for artists at all stages of their careers and captures both formal and informal opportunities through taught/led continuing professional development training, as well as experimental, explorative and self-led laboratory (LAB) environments. These are curated to relate to the shifting needs of the sector and the individual needs of the artists. The challenge with this conceptual framework of “next practice” is to give students and artists, emerging and established, permission to experiment “without boundaries” and take risks across art forms. The profession needs enabling frameworks and models of support that encourage and celebrate the potential for participatory and collaborative work, which I would argue that conservatoires are well placed to provide. A key consideration for us at the Barbican and Guildhall School has been to advocate the integration (rather than separation) of artistic and participatory practice in order to help strengthen the viability of a golden thread of training and development for today’s artists. Based on our work thus far, a key success factor appears to be the creative, collaborative learning environments at the heart of the Golden Thread, which bring out a range of qualities in an artist, consequently supporting them through different career stages. It helps underline the value of exposing young people to this sector of work, thereby helping them develop essential skills at a much earlier stage in their career. A resilient learning continuum should help reduce the number of artists “falling into” participatory work with insufficient skills and experience. The challenge is to avoid the misperception of this work as “second tier,” as something to take up if you are not going to succeed as a “specialist” in a principal study canon. Creative, collaborative partnerships are critical for organizations, as well as artists, employers, and participants. A new creative partnership ecosystem is at play for everyone involved with the arts, cultural, and

The “Golden Thread”

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education sectors. This requires a focus on interrogating and breaking down the meaning of “community,” returning to its derivative parts: “cum” (together) and “munus” (gift). The Community of Practice emerging through the Barbican Guildhall Creative Alliance is an outward-facing, diverse nexus of existing communities, the point at which they collide and ripple back into artistic and other communities regionally, nationally, and internationally. The Golden Thread is therefore a locus for both the acquisition and creation of knowledge. This Community of Practice not only shares existing knowledge, which goes beyond technique and into the cultural values that underpin a “golden thread” (the “gift” that partnership can bring), but also draws on the knowledge, attitudes, values, and behaviors of the practitioners (their own artistic “gift”) to change the meaning of “community” across artistic and cultural partnerships. This effectively alters the way we exchange and work together as a sector: the diversity of any artistic community is central to its ecology, enabling artists from across all disciplines to take risks, deepen knowledge and understanding, develop practice and learn from each other. However, the challenge remains that we still tend to present our art forms as “canons,” which can lead to a “one-way” provision of expertise that is neither dialogical nor responsive to needs. Consultation with young people, schools and families, as well as artists regularly working in collaborative and participatory settings, reveals that: • Young people today are sophisticated, savvy, and entrepreneurial. They are looking for clear career paths and opportunities to improve their employable skills and develop their individuality. They want the opportunity to drive and define their career path. • Artists like to learn through doing. Experiences should be varied and practice-based to reflect the nuances of the sector. • Artists need to develop business and entrepreneurial skills in addition to their artistic and participatory practice in order to be responsive and resilient in a shifting sector. • Artists need space and time to experiment as well as more structured learning opportunities. • Every artist is different and has varying needs. Reflective practice is key to supporting lifelong learning and continued professional development. More than ever in today’s cultural landscape, artists are effectively ambassadors, promoting the role and contribution of the arts with integrity and attention to ethical values. These people have the artistic and reflective skills to thrive as a portfolio practitioner—performing and communicating, creating and collaborating, leading and teaching. The increasingly organic link between “innovation and learning” and the artistic program (in our instance the Guildhall School and the Barbican) acts as a catalyst for new forms of performance, participation, and audience development.

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Nothing stands still—innovation, experiment and creativity are increasingly the norm. Young people and emerging artists become more creative and enterprising in their approach to thinking and actions. Consequently, they have the confidence and imagination to confront the challenge of working together and are more adventurous in working across art forms. Can conservatoires, in partnership with professional arts and cultural organizations, commit to creating “laboratory” environments that enable learning through both direct and collective experience? Can they meet the wider, growing respect for the notion that artistic practice, as well as personal and professional development, needs to be underpinned by critical reflection? It is a challenging scenario, but it is a space that I believe conservatoires could effectively fill, thereby becoming the “R&D engine” that drives so many developments forward.

Sean Gregory

Artistic Contribution at the Conference 2016

Klelija Zhivkovikj Small Victories Winter 2015, Skopje, Macedonia

55 Klelija Zhivkovikj was born and raised in Skopje. She holds a BSc in industrial design from the mechanical engineering faculty at the University of St. Cyril and Methodius in Skopje, and an MA in Social Design from the University of Applied Arts Vienna. She has worked with various organizations and institutions, including the Balkan Investigative Reporting Network, Press to Exit Project Space, The Essl Foundation, the University of Applied Arts Vienna, the University of St. Cyril and Methodius Skopje, Zurich University of the Arts, the University of Nairobi, and the Lab of Intelligence Culture “Occupy the Mind.” After living in Vienna, she moved to Skopje in 2017 and co-founded SocioPatch, a platform for civic engagement through cultural and artistic practices. Her work focuses on applying artistic methods in the realm of urban research, civic engagement, and the commons.

Photo: Klelija Zhivkovikj

Small Victories is an archive of stories about the people and the city of Skopje, presented in various ways and through various media, all using personal experience as a document containing unique and irreplaceable data about the city as told in first person by people in the city. These documents, these small victories, can be bigger and more important than ever in a situation where the city in which all of these experiences took place is being replaced, and every trace of its existence eliminated, through a government-run project of urban remodeling. Aiming to foster a relationship between known and unknown actors in this process of simultaneously recognizing and creating these small victories, three types of media were set into gear: web, radio, and postcards. By doing so, the archive insists on the importance of these little histories, infinite heterotopias that build an alive and Calvino-esque record of a city, not only by collecting, but also by creating artifacts that offer a tactile history alongside the oral and written. By using personal experience to tell a story about a city, the citizen is put into the center of the city’s intimate history as its creator and explorer, hence temporarily shifting the hierarchy introduced through Skopje’s remodeling and counterbalancing the ever-so-present monuments looming over the streets. “The project aims to embrace subjectivity as a valid form of obtaining and producing urban knowledge and a storytelling method, as well as to experiment with formats of documenting places, events, or people, whose existence is a form of insisting on values that build the tissue of the city. It focuses on Skopje as a city in political and social transition and aims to establish small and precise art and activist actions as a form of archiving.” Klelija Zhivkovikj

Andreas Mailath-Pokorny Universitäten als Leuchttürme der Aufklärung Antrittsrede als Rektor der MUK (Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien)

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1 René Descartes (1960): Von der Methode, Hamburg: Felix Meiner.

2 Steven Pinker (2018): Aufklärung jetzt: Für Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt. Eine Verteidigung, Frankfurt am Main: S. Fischer.

Vor etwas weniger als 400 Jahren – Sie sehen, ich hole aus – ist in Frankreich ein Büchlein herausgekommen, eine Publikation, die sich mit Wissenschaftsmethoden auseinandergesetzt hat.1 Das Buch war schmal, weil der Autor in der Zeit nach Galilei nicht wirklich wagte, seine Gedanken in Gesamtheit zu veröffentlichen. Aber es fand sich ein Satz darin, ein Relativsatz bloß, mit fünf Wörtern, der für das Geistesleben insgesamt eine solch ungeheure Sprengkraft entwickelte, dass er später nachgerade sprichwörtlich geworden ist. Er wurde von einem jungen Franzosen verfasst, der sich als Söldner in der Mitte des Dreißigjährigen Krieges auf katholischer Seite verdingt und 1637 seine Auseinandersetzung mit der Scholastik niedergeschrieben hat. Sein Name: René Descartes. Dieser Satz lautete in der Originalversion: „Je pense, donc je suis“, wurde später in der lateinischen Version berühmt und zu einem Kernsatz der europäischen Aufklärung: „Cogito ergo sum“ – „Ich denke, also bin ich.“ In der eigentlichen, für mich jedenfalls sinnvolleren Übersetzung: „Ich zweifle, also bin ich.“ Der Satz wurde in einer Zeit geschrieben, in der sich Europa in einem noch nie dagewesenen Vernichtungskrieg befand. Der halbe Kontinent war verwüstet. Und doch war er gleichzeitig der Beginn eines komplett neuen Denkens. Eines Denkens, das sich darauf bezog, die Rolle des Menschen als zweifelndes, forschendes und hinterfragendes Individuum neu zu definieren. Das war etwas grundsätzlich Neues. Damit hat sich ein neues Bewusstsein des Menschen, ein neues Selbstbewusstsein dahingehend eröffnet, Dinge nicht einfach zu akzeptieren, weil sie vorgegeben waren, sondern Vorgegebenes zu hinterfragen, zu falsifizieren und damit die Grundlegungen des neuzeitlichen Fortschritts zu erarbeiten. In der Wissenschaft, in der Technik und in der Philosophie. Cogito ergo sum: Ich zweifle, also bin ich. Ich hinterfrage, also bin ich. Ich nehme Dinge nicht einfach auf, unkritisch, sondern ich denke noch einmal nach. Eigentlich sollte dieser Satz über den Eingängen aller Universitäten stehen. Als Hinweis auf jene neue Form des Selbstbewusstseins und des neuzeitlichen Menschenbildes, das bis heute prägend ist. Schließlich ist damit eingetreten, was Kant 100 Jahre später als den „Aufbruch des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ bezeichnet hat: die Aufklärung! Ich erwähne das alles deshalb, weil wir heute wiederum vor der „Verteidigung der Aufklärung“ stehen, um den Titel eines gerade aktuellen Buches des Philosophen Steven Pinker 2 zu zitieren. Der Gebrauch des eigenen Verstandes, der Vernunft, basierend auf Fakten, mit den Mitteln der Rationalität, bleibt essenziell für die Weiterentwicklung der Menschheit. In diesem Sinn begrüße ich Sie an der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien (MUK). Als ehemaliges Konservatorium sind wir nun seit bald eineinhalb Jahrzehnten Universität. Und zwar eine der

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Stadt Wien. Eine Universität im mittlerweile sehr großen Reigen der Universitäten, der sich in Wien spannt – 22, hoffentlich bald 23: Die Central European University steht ja buchstäblich vor der Tür. Wir würden uns alle sehr freuen, auch diese Universität in Wien begrüßen zu können, und ich bin überzeugt, dass die Wiener Stadtregierung die Bemühungen dazu erfolgreich fortsetzt. Erfreulich ist auch, dass die österreichische Bundesregierung dieses Vorhaben zu unterstützen scheint. Gleichwohl bleibt unverständlich, warum sich die gleiche Bundesregierung nicht fragt, warum die Central European University nach Wien ausweichen muss. Dafür müsste sie wohl ihre Haltung dem ungarischen Ministerpräsidenten gegenüber ändern. Die Einladung an die CEU ist die eines weltoffenen Wiens und von den Bürgermeistern Häupl und Ludwig ausgesprochen. Durch ihre Bemühungen der letzten Jahrzehnte ist etwas Bedeutendes gelungen: Wissenschaft als einen integrativen Bestandteil der Stadt zu sehen und Wien als Wissensstandort zu etablieren. Die österreichische Bundeshauptstadt ist ja heute die größte Universitätsstadt im deutschsprachigen Raum. Größer – was die Studierendenanzahl anbelangt – als das einwohnermäßig doppelt so große Berlin. Das ist eine bedeutende Weiterentwicklung für diese sonst so traditionelle Kulturstadt. Jede/r zehnte BewohnerIn ist eine Studentin bzw. ein Student. Und wenn man all die dazuzählt, die die Scientific Community bilden, ist die Zahl noch größer. Der Anteil der Studierenden an den 18- bis 26-Jährigen beträgt 50 Prozent – das ist beeindruckend. Also: Die MUK ist ein sehr kleiner, aber bedeutender Bestandteil des Universitätsstandortes Wien, unverzichtbar als Ausbildungsort für MusikerInnen, SängerInnen, SchauspielerInnen und TänzerInnen. „Universität“ ist ein Begriff aus dem Lateinischen: universitas bedeutet Gesamtheit, aber auch Gemeinschaft. Die Gesamtheit aller Wissenschaftsbereiche und die Gemeinschaft der Lehrenden und der Lernenden. Das klingt ganz selbstverständlich, ist es aber nicht. Die Gemeinschaft der Lehrenden und der Lernenden (universitas magistrorum et scolarium), das heißt ja nicht mehr und nicht weniger, als dass das, was wir wissen, weitergegeben werden soll. Dass es eine Gemeinschaft gibt zwischen denen, die über das Wissen verfügen, und denen, die es noch nicht haben. Dass wir darauf bauen können, dass das gesamte Wissen, das wir erarbeitet haben, auch bestmöglich, nämlich akademisch, an die Studierenden weitergegeben wird. Auch das bedeutet universitas. Aber vor allem bedeutet universitas „die Gesamtheit des Wissens“ (universitas litterarum) – und das scheinen wir heute oft zu vergessen, nicht nur in einer Gesellschaft, die arbeitsteilig und daher besonders spezialisiert ist, sondern auch innerhalb des Universitätswesens. Universitäten werden immer spezialisierter. Einer der Jahresregenten des Jahres 2019 ist Alexander von Humboldt, vor 250 Jahren geboren: Alexander von Humboldt ist – gemeinsam mit seinem Bruder Wilhelm, dem großen Bildungsreformer – der Repräsentant der europäisch-abendländischen

Andreas Mailath-Pokorny

Universitäten als Leuchttürme der Aufklärung 3 Alexander von Humboldt: Tagebücher der amerikanischen Reise IX (1803–1804), nach: Digitalisierte Sammlungen der Staatsbibliothek Berlin, https://humboldt. staatsbibliothek-berlin. de/werk/. 4 Gerald Bast: ARIS, zitiert nach: Der Standard, 17. April 2015. Vgl. dazu: Franz Stuhlhofer (1983): „Unser Wissen verdoppelt sich alle 100 Jahre. Grundlegung einer ‚Wissensmessung‘“, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 6 (1–4), S. 169–193, https://doi.org/10.1002/ bewi.19830060117.

5 Michael Mayer in: Der Standard, K10, 2. Februar 2019.

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Kultur schlechthin, für den gegolten hat: „Alles ist Wechselwirkung, alles hängt miteinander zusammen.“3 Häufig ist die Rede von einer immer rasanteren Steigerung der Wissensproduktion. So hat man vor 100 Jahren angenommen, dass sich das Wissen alle 100 Jahre verdoppelt. In der Mitte des vorigen Jahrhunderts hat man gedacht, dass sich das Wissen alle 25 Jahre verdoppelt. Heute sind wir so weit, dass sich das Wissen alle 13 Monate verdoppelt. 4 Das globale Wissen verdoppelt sich also jährlich. Wo soll das hinführen? Wie können wir das verarbeiten? Vor allem aber: Wem nützt das? Spezialisierung nützt wohl am ehesten herrschenden Interessen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir diesen Begriff der universitas nicht vergessen, also das Verständnis von Gesamtheit: Alles steht miteinander in Wechselbeziehung, und das Entscheidende ist, die Übersicht zu bewahren, die Zusammenhänge zu erkennen. Genau das halte ich für eine eminent wichtige Aufgabe von Universitäten. So wichtig es ist, uns in Einzelbereichen zu spezialisieren, sei es jetzt in Musik und darstellender Kunst, sei es in allen anderen Fächern, so notwendig die Mehrung des Spezialwissens ist, dürfen wir doch nicht vergessen, unsere Studierenden auch dazu anzuhalten, die Gesamtheit zu sehen, sich darin auszukennen und sich zu orientieren. Das ist, was ich unter Universität verstehe, und dazu kann eine doch sehr spezialisierte Universität wie diese hier einen wichtigen Beitrag leisten, nämlich ihr Fachwissen mit anderen in Beziehung setzen. Kürzlich konnte man lesen5 – und ich habe das bei einem Besuch in Kalifornien auch festgestellt: Im hochspezialisierten Silicon Valley schicken leitende Angestellte ihre Kinder nicht mehr in Schulen, wo sie sozusagen das digitale Einmaleins lernen, sondern – ganz im Gegenteil! – die Kinder der Elite des Silicon Valley werden in Schulen geschickt, an denen es kein Handy und kein Tablet gibt. Weil diese Eliten genau das Gegenteil von dem wollen, was Bildungssysteme hierzulande anstreben: die komplette Digitalisierung. Zuwandererkinder im Silicon Valley lernen digitale Grundkenntnisse. Die Kinder der Eliten aber lernen Zusammenhänge. Das mag verwundern, erscheint beim zweiten Hinsehen aber logisch. Gerade auch für die digitalen Eliten geht es um die Zusammenhänge. Es geht um Interdisziplinarität, und es geht darum, dass man erworbenes Wissen bestmöglich nutzen kann. Und da bin ich wieder beim humanistisch-aufklärerischen Ansatz: Das Wissen, über das wir verfügen, sollte dem Wohlergehen der Menschen dienen und sich nicht dem Profitdenken unterordnen müssen. Dort wie hier geht es also um diese Gesamtheit und um den Überblick – zum einen. II.

Zum anderen geht es um die Kunst. Wir sind schließlich Kunstuni. Hervorgegangen aus den Musikschulen, aus dem Konservatorium mit erfahrenen Lehrenden, ambitionierten

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Studierenden und erfolgreichen Alumni. Und doch heißt es immer wieder aufs Neue zu beginnen, mit der Fragestellung, die seit Langem drängt, nämlich: „Was ist Kunst und was ist Wissenschaft?“ In der Tat ist das für uns eine der spannendsten Herausforderungen: Was kann die Kunst zur Wissenschaft beitragen? Was kann die Kunst zur gesellschaftlichen Entwicklung beitragen? Und: Was kann Wissenschaft zur Kunst beitragen? Dafür hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten ein Begriff entwickelt: künstlerische Forschung, Artistic Research. Die inhaltliche Ausgestaltung dieses Terminus füllt inzwischen Bibliotheken, am ehesten können wir darunter wohl eine Wissenschaftstheorie verstehen, die künstlerische Verfahrensweisen als Diskussionsprozesse sieht, die Erkenntnisse erzeugen. Analog eben zu den etablierten Wissenschaften. „Künstlerische Forschung arbeitet nicht mit Daten oder Begriffen, sondern mit Bildern, Klängen oder Handlungen, die so arrangiert werden, dass durch den Prozess der Gestaltung eine Einsicht gewonnen wird.“ Anke Haarmann6 Man sieht, Definitionen sind das eine, der Hinweis auf eine kunsthistorische Persönlichkeit, die als das bedeutendste Universalgenie in die Geschichte eingegangen ist, macht es aber noch klarer: Leonardo da Vinci hat wie keiner vor oder nach ihm Kunst und Wissenschaft vereint. Sigmund Freud beschrieb ihn in seinem Büchlein Eine Kindheitserinnerung des Leonardo da Vinci (1910): „Er glich einem Menschen, der in der Finsternis zu früh erwacht war, während die anderen noch alle schliefen.“ Da Vinci war Maler, Bildhauer, Architekt, Anatom, Mechaniker, Ingenieur, Naturphilosoph, und diese Aufzählung ist unvollständig. Ein künstlerischer Forscher, ein forschender Künstler. In ihm, in seinem Werk hat sich in einer sehr frühen Verfasstheit Kunst und Wissenschaft vereinigt. Niemand wäre damals auf die Idee gekommen zu hinterfragen, ob das jetzt Kunst oder Wissenschaft gewesen sei. Diese Trennung hat sich erst über die Jahrhunderte eingebürgert. So ist auch heute die Herausforderung jeder Kunstuniversität, die Suche nach der Gesamtheit nicht aufzugeben. In Wien gibt es im Übrigen ausgezeichnete Kunstuniversitäten, die im internationalen Vergleich hervorragend abschneiden. Ihre Aufgabe besteht darin, diese Gesamtheit zu ermöglichen, diesen Beitrag, den Kunst für eine Weiterentwicklung im Technischen und im Gesellschaftlichen leisten kann, zu erforschen. Das alles geht aber nicht ohne Freiheit in der Kunst! Erst kürzlich hat der amerikanische Präsident Donald Trump „Redefreiheit an amerikanischen Universitäten“ gefordert. Das mag aus dem Mund eines Mannes sonderbar klingen, für den Redefreiheit häufig mit „Fake News“ verbunden war. Und was war es, was er damit sagen wollte? Konservative Inhalte dürften an den amerikanischen Universitäten – unabhängig von ihrer Qualität – nicht zurückgewiesen werden, widrigenfalls es kein öffentliches Geld gebe.7 Das klingt nach Zensur, jedenfalls aber nach politischem Einfluss.

6 Anke Haarmann, zitiert in: www.derstandard.at, 17. April 2015.

7 Vgl. www.orf.at, 3. März 2019.

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Freiheit der Kunst ist essenziell für jede Universität, Freiheit der Kunst ist essenziell, um überhaupt Wissenschaft unbeeinflusst entwickeln zu können. Sie erfordert aber auch, dass wir als Universitäten dafür eintreten. Wer soll es sonst tun, wenn nicht jene Institutionen, die unmittelbar davon leben. Die Universitäten mit ihren intellektuellen Kapazitäten können Entwicklungen entgegentreten, die in der Politik überhand nehmen: das Arbeiten mit Angst, das Arbeiten mit Irrationalitäten. Dem sind die Werte der Aufklärung entgegenzuhalten! III.

8 Michael Mayer in: Der Standard, K10, 23. Februar 2019.

Ein Drittes ist die Tatsache, dass die MUK die einzige Uni der Stadt Wien ist. Universität der Stadt Wien bedeutet, dass die MUK eine öffentliche Universität ist, anders als ihre Bezeichnung vermuten lässt. Wir sind Privatuniversität deshalb, weil wir der Gesetzeslage entsprechen müssen, wonach alle Unis, die keine staatlichen sind, sich nur über das Privatuniversitätengesetz akkreditieren lassen dürfen (unabhängig von ihrer Finanzierung). Die MUK ist aber öffentlich finanziert, und damit ergibt sich selbstverständlich öffentliche Verantwortung. Öffentlich heißt, dass wir vom Steuergeld aller leben. Das führt zu einem Umverteilungseffekt, weil die Besserverdienenden mehr beitragen als die weniger Vermögenden, was ich für richtig halte. Die MUK wird öffentlich kontrolliert und ist demokratisch legitimiert, weil sie letztendlich ihre Förderung nur bekommt, wenn sie der Wiener Gemeinderat beschließt. Dieses System ist, aus meiner Sicht jedenfalls, einem System vorzuziehen, das Bildungseinrichtungen ausschließlich privat finanziert. Öffentliche Verantwortung bedeutet natürlich auch einen öffentlichen Auftrag für uns als Universität, anders als in privaten Systemen. Nehmen wir wiederum Amerika, nehmen wir wiederum das Silicon Valley, nehmen wir eine der ganz großen, berühmten Universitäten, die Stanford University. Wie wird sie finanziert? Die Stanford University hat ein Jahresbudget, das um ein Fünftel höher ist als das gesamte österreichische Wissenschaftsbudget: 5,5 Milliarden Euro. Daneben verfügt die Stanford University noch über Liegenschaften im Gegenwert von ca. 130 Milliarden Dollar und über ein Endowment von ca. 30 Milliarden Dollar. Das Jahresbudget setzt sich zu je einem Fünftel aus Studienbeiträgen, dem Endowment (Stiftung) und Drittmitteln zusammen, der große Rest, also zwei Fünftel – und das gilt für viele andere große amerikanische Universitäten auch – stammt direkt oder indirekt aus dem Verteidigungsministerium.8 Die Frage ist daher berechtigt: Wer formuliert das Erkenntnisinteresse an einer solchen Universität? Wer bestimmt, was geforscht wird? Wer entscheidet, warum etwas geforscht wird? Ich behaupte: Das deklariert öffentlich finanzierte System ist besser, weil kontrollierbar, weil legitimiert, weil in der Gesellschaft verankert. Nota bene sind die Beiträge des Verteidigungsministeriums keine privaten, es handelt sich um öffentliches Geld, die Begriffe „privat“ und „öffentlich“ sind hier oftmals verschwimmend.

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Wir bekennen uns also dazu, dass wir eine Universität der Stadt Wien sind, wir bekennen uns auch dazu, dass wir eine Universität sind, die der Öffentlichkeit Rechenschaft abzugeben hat, und wir müssen unsere Interessen, das Erkenntnisinteresse, das wir formulieren, selbstverständlich offenlegen. Und noch ein kleiner Seitensatz zum Thema Innovation, weil immer wieder behauptet wird, der private Bereich, die privaten Unternehmen und private Universitäten seien Innovationstreiber. Seit den bahnbrechenden Erkenntnissen von Mariana Mazzucato9 wissen wir, dass wesentliche Grundlagenforschung häufig öffentlich finanziert wird. Das beste Beispiel ist ja mittlerweile allgemein bekannt, nämlich das iPhone, das in Wahrheit ein Marketingerfolg von Apple ist: Wesentliche Bestandteile dieses Geräts sind aufgrund von öffentlicher Grundlagenforschung entstanden. Die Privatisierung der Gewinne und die Vergesellschaftung der Schulden für Investitionen sind also durchaus geläufiges Muster. Das sollte man nicht vergessen, wenn man über die Frage debattiert, wo und auf welche Weise Innovationen entstehen.

9 Mariana Mazzucato (2014): Das Kapital des Staates, München: Kunstmann.

IV.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Standort Wien ist auch ganz essenziell für uns. Wir sind Teil dieser Stadt, ja, wir tragen gerne dazu bei, dass diese Stadt zum wiederholten Male zur lebenswertesten Stadt der Welt gekürt wurde! Das hat auch mit der internationalen und der scientific community zu tun, mit einer „kreativen Klasse“ (Richard Florida) 10, die Wien als zeitgenössisches und innovatives Gemeinwesen weit über jene Rolle als an Traditionen reiche Metropole attraktiv macht. Gute Luft gibt es in Vancouver auch, der öffentliche Verkehr funktioniert in Zürich perfekt, diese Mischung aus imperialer Geschichte, höfischem Gestus, egalitärem Anspruch, lässigem Selbstbewusstsein und künstlerisch-wissenschaftlicher Neugier macht Wien allerdings besonders. Drei Opernhäuser von Weltrang, mehrere Spitzenorchester, die größte deutschsprachige Bühne und über 20 Hochschulen zeugen von einem hohen kulturellen Anspruch. V.

Fünftens: Wir sind eine vielfältige Universität, Diversity ist ganz wichtig – ein Drittel unserer Studierenden kommt aus Österreich, ein Drittel aus Europa und ein Drittel aus dem Rest der Welt, hauptsächlich aus Asien, aber auch aus Amerika. Und wir leben diese Vielfalt, wir leben diese Vielfalt gerne, und für uns ist Vielfalt Bereicherung. Vielfalt ist Reichtum und nicht Bedrohung! Dennoch scheint uns die österreichische Bundesregierung das Gegenteil weismachen zu wollen. Immer wieder kommen an Unis berechtigte Klagen auf, dass die immer schärferen Fremdengesetze

10 Richard Florida (2002): The Rise of the Creative Class, New York: Basic Books.

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beeinträchtigend sind für den kulturellen, den wissenschaftlichen und den persönlichen Austausch. Eine der großartigsten Erfindungen der Europäischen Union ist Erasmus, der weltweit größte Austausch von Lehrenden und Studierenden, der auf eine wunderbare Art und Weise selbstverständlich funktioniert und zu diesem großartigen und grenzenlosen Friedensprojekt Europa wesentlich beiträgt. Gerade sind wir dabei, aus, wie ich meine, sehr niederen politischen Gründen diese Grenzen wieder aufzuziehen. Dabei geht es nicht nur um die vergleichsweise Nebensächlichkeit, dass sich auf dem Grenzübergang Walserberg wieder Staus bilden, sondern diese Gesetze und die zugrundeliegende Geisteshaltung schaffen große Hindernisse im täglichen Umgang mit ausländischen Studierenden und Lehrenden. Wissenschaft und Kunst sind grenzenlos, sind international, und so braucht eine Universität diesen Austausch – restriktive Einwanderungsgesetze behindern ihn. Das ist kurzsichtig, innovationsfeindlich und rückwärtsgewandt. Derzeit geht viel verloren an Wissensaustausch, an Wissenstransfer und an Teilung von Wissen. Wissen ist aber der einzige Rohstoff, der durch Teilung mehr wird. Wir versuchen das gerade bestmöglich zu verhindern, indem wir wieder Grenzen errichten. Auch daran muss man diese Bundesregierung bei nüchterner Betrachtung messen. VI.

Last, but not least, meine Damen und Herren – wohin wollen wir? Wir wollen die Exzellenz an dieser Universität ausbauen, wir wollen unsere Stärken stärken, und wir wollen unsere Schwächen abbauen. Schließlich geht es darum, unsere Alleinstellungsmerkmale nicht nur zu definieren, sondern auch selbstbewusst darzustellen. Wir sind in einem guten, kreativen und konstruktiven Wettbewerb mit den anderen Spitzeninstituten hier in der Stadt. Wettbewerb belebt das Geschäft, also müssen wir unsere Alleinstellungsmerkmale ausbauen, wir sind eine Wiener Universität, ich wiederhole es, daher sind alle Vorhaben, die mit Wien zusammenhängen, solche, die unsere Aufmerksamkeit verdienen, das Wiener Lied zum Beispiel. Wir lehren hervorragend Tanz, Wien ist schließlich Tanzmetropole. Das Gleiche gilt für Musical, für viele Einzelinstrumente, die nur hier gelehrt werden, wie zum Beispiel das Akkordeon. Wir wollen die künstlerische Forschung ausbauen, wir sind inklusiv und nachhaltig, und wir müssen Gleichbehandlung auch tatsächlich leben. Wir haben eine gute Geschlechteraufteilung bei den Studierenden, wir haben eine gute Aufteilung in den Spitzenpositionen, im Mittelbau müssen wir besser werden. Wir werden uns um Employability (Beschäftigungsfähigkeit) der Studierenden kümmern. Es kann längst nicht mehr darum gehen, den Studierenden in klassischen Career Centers illusorische Karrieremuster zu vermitteln. Geradlinige Karrieren gibt es nicht mehr, nicht einmal im Staatsdienst (und das will was heißen), „Karrieren“ sind mittlerweile kaum mehr planbar. Jetzt geht es darum,

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die Studierenden in die Lage zu versetzen, sich in einem sehr schwierigen Arbeitsmarkt zu bewegen, der gleichzeitig voller Chancen ist. Wir müssen uns neuer Themen annehmen, wenn man zum Beispiel weiß, dass Gaming die mittlerweile am meisten gepflegte Kulturform der Welt ist, dann können wir davor nicht die Augen verschließen. Schließlich: Wir müssen wissen, woher wir kommen, um entscheiden zu können, wohin wir gehen. Wir werden deshalb die Geschichte dieser Universität und ihrer Vorgängerinstitute aufarbeiten, wir alle sollten über das Schicksal derjenigen Studierenden und Lehrenden wissen, die in den Jahren 1938 bis 1945 vertrieben oder ermordet wurden. Das Gebäude, in dem die Universität untergebracht ist, ist ein historisches, hier hat einer der beiden Stürme der Nazis im Juli 1934 stattgefunden, einer bekanntlich im Bundeskanzleramt, der andere hier auf die RAVAG.11 Erinnerung ist nicht nur eine moralische Verpflichtung, es ist eine zivilisatorische Errungenschaft, ohne die keine Einrichtung zukunftsfähig ist. Lassen Sie mich mit einer ganz kleinen Geschichte schließen, die uns an den Anfang meiner Ausführungen zurückführt. Vor ein paar Tagen ist eine Studentin aus China zu mir gekommen, aus Shanghai, 19 Jahre jung, seit zwei Jahren hier Studierende für Schlagwerk, wir haben uns unterhalten, und am Ende des Gespräches habe ich sie gefragt: Wenn Sie jetzt nach Shanghai zurückfahren, was nehmen Sie mit, was haben Sie gelernt? Nach kurzem Nachdenken kam die Antwort: Selbstbewusstsein. Wir erinnern uns: Der Aufbruch des Menschen aus seiner Unmündigkeit. Wenn es das ist, was wir den jungen Menschen mitgeben können, dann haben wir viel erreicht.

Andreas Mailath-Pokorny

11 RAVAG: Radio Verkehrs AG, Vorläufer des ORF.

Martin Fritz Wir fragen die Landesregierung … Engagiertes (kultur-)politisches Handeln zwischen Neutralitätsgebot“ ”und Mäßigungspflicht“ ”

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1 Die Ausführungen dieses Texts erfolgen aus der Perspektive des Hochschul- und Kulturstandorts Stuttgart.

2 Auch als Fachgebiet universitärer Forschung ist Kulturpolitik – zumindest an den Kunsthochschulen – nicht allzu dominant vertreten. Vergleicht man die Ergebnisse einer Abfrage im Hochschulkompass von Die Zeit nach Studiengängen im deutschsprachigen Raum mit dem Suchwort „Malerei“ mit jenen für das Stichwort „Kulturpolitik“, zeigt sich ein Verhältnis von 63 zu 8. 3 In Baden-Württemberg sind die Agenden zwar im gleichen Ministerium, dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst, jedoch in verschiedenen Bereichen und unter verschiedenen gesetzlichen Grundlagen organisiert. 4 Patrick Kwasi (2019): „Michael Wimmer (Educult): ,Sozialdemokratische Kulturpolitik hat auf das politische Potential von Kultur vergessen’”. Interview, IG Kultur, https://igkultur.at/ artikel/michael-wimmereducult-sozialdemokratische-kulturpolitikhat-auf-das-politischepotential.

„Klassische“ Kulturpolitik ist Interessenvertretung eines Sektors, der seine Bedeutung relativ nahtlos aus dem bürgerlichen und aristokratischen Erbe des 19. Jahrhunderts – dynamisiert durch die Öffnungen der 1960er und 1970er Jahre – in die Gegenwart retten konnte.1 Ausdruck dieser Erbfolge sind Theater- und Opernhäuser, Konzertsäle und Museen, die – auch budgetär – in vielen Städten den Kernbestand des „kulturellen Lebens“ darstellen. Die in den letzten Jahrzehnten entstandenen „alternativen“ Infrastrukturen reichen von soziokulturellen Zentren, Rock- und Pophallen, Theaterhäusern, Programmkinos etc. bis hin zu Werkstatthäusern und einer Unmenge an Festivals mit weitgefächerten Themenschwerpunkten. Obwohl auch diese Organisationen mittlerweile auf mehrere Jahrzehnte Lebensdauer verweisen können, reicht ihre personelle und budgetäre Ausstattung nur selten an die der historisch älteren Vorläufer heran. Die neuen Akteure haben nirgends die alten ersetzt, sondern sie sind im Zuge des Nachkriegsaufschwungs ergänzend neben ihre Vorläufer getreten. In Zeiten wachsender Etats konnte politisch auf die Ausweitungen des kulturellen Ausdrucks mit neuen Infrastrukturen reagiert werden, ohne bereits bestehende zu schließen. Kulturpolitik in diesem – engeren – Verständnis umfasst daher grob zwei Akteursebenen: die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung und die jeweils Betroffenen. Diese Form von Kulturpolitik als Interessenvertretung wird dann noch um die Belange der „Öffentlichkeit“ bzw. des „Publikums“ – Stichwort „Vermittlung“ – erweitert. In dieser Konstellation sind Hochschulen an der Außenseite der kulturpolitischen Auseinandersetzung zu finden.2 Hochschulen sind anderen budgetären Regeln unterworfen, ihre Finanzierung erfolgt nach anderen Systematiken, und ihre formellen und informellen Begegnungs- und Verhandlungsorte mit der Politik unterscheiden sich von jenen des Kunstund Kultursystems.3 Daraus folgt, dass Hochschulen und Universitäten in kulturpolitischen Auseinandersetzungen andere Rollen als die der Vertretung von Eigeninteressen übernehmen können. Dies fällt umso mehr ins Gewicht, da die entscheidenden kulturpolitischen Fragen heute ohnehin auf anderen Feldern als dem der Förderpolitik gestellt werden müssen. Ich folge mit dieser Argumentation Michael Wimmer, dem Herausgeber dieses Bandes, der in Bezug auf die österreichische Situation Anfang 2019 konstatierte: „Die Symbolpolitik wird […] mit Hilfe einer Kulturalisierung von Sozialpolitik betrieben. Da werden neue kulturelle Gegensätze konstruiert, um die gesellschaftliche Spaltung voranzutreiben. Zwischen uns und den anderen, den wirklichen und echten Österreichern und den Migranten. Das scheint das neue symbolische Feld zu sein, in dem kulturpolitische Schlachten geschlagen werden.“4 Stimmt man diesem Befund zu, ergibt sich daraus die Notwendigkeit für alle Beteiligten am kulturpolitischen Diskurs, ihre Agenda um „politischere“ Themen und Aktionsformen zu erweitern. Solange sich die kulturpolitischen Akteure nur an der politischen Behandlung des eigenen Sektors orientieren, werden die brisanteren Debatten ohne relevante

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Beteiligung des kulturellen Feldes ausgetragen. Außerdem lässt sich in Zeiten starker Involvierung globaler Eliten in die Kunstwelt nicht mehr aufrechterhalten, dass aus einer gesteigerten Aufmerksamkeit für die Anliegen der Kunst auf eine emanzipatorische und gerechte politische Agenda geschlossen werden könne. Eine Ausweitung der (kultur-)politischen Aktionsradien ist geboten. Dies umso mehr, als die Überzeugungskraft des Arguments von der gesellschaftlichen Wirksamkeit kultureller Arbeit durch eine politische Abstinenz der Kulturschaffenden stark in Mitleidenschaft gezogen würde. Es ist jedoch zu beachten – und mit der Wahrnehmung von Rechtsprechung dazu begann die Arbeit an diesem Text –, dass von staatlichen Stellen5 im Bereich des politischen Handelns anderes erwartet wird als von ausschließlich in privaten Zusammenhängen agierenden Akteur/ innen. Dieser Umstand gewinnt in Zeiten verschärfter politischer Auseinandersetzungen an Bedeutung, da sich die Vertreter/innen von Kulturorganisationen immer häufiger dazu aufgefordert sehen, sich politisch zu exponieren. Als Anlässe und zentrale Beispiele dieses Texts dienen Auseinandersetzungen, die in den letzten Jahren von der „Alternative für Deutschland“ (AfD) angestoßen wurden. Da die AfD seit 2017 in allen Landesparlamenten und auch im Bundestag vertreten ist, erreichten ihre Vorstöße seither eine neue Intensität. In Stuttgart wurde der Kultursektor der Stadt zuletzt wieder daran erinnert, dass neben den kulturpolitischen Routinethemen wie Opernsanierung, Standortentwicklung und Ressourcenverteilung vermehrt auch grundsätzliche Infragestellungen des kulturellen Status quo zu erwarten sind: Mit einer Anfrage im Landtag vom Baden-Württemberg6 begehrte die AfD darüber Auskunft, über welche Staatsangehörigkeiten die Mitglieder bestimmter Sparten (u. a. Tänzer/innen, Orchestermusiker/innen) verfügen.7 Neben der kulturspezifischen Fragestellung stellt die Anfrage aus zwei weiteren Gründen einen für den vorliegenden Sammelband geeigneten Anlassfall dar: Erstens war sie direkt an staatliche Institutionen gerichtet, und zweitens enthielt die Anfrage durch das Interesse an den jeweiligen Ausbildungsorten (etwa der Tänzer/innen) direkte Bezugnahmen auf den Bildungsbereich.8 Man steht somit vor der Frage, wie ein staatlich organisierter Bereich den Angriffen von Seiten einer extremen, aber einstweilen formal legitimierten Kraft entgegentreten kann. Daher – und um zu den vielfältigen gegenwärtigen Auseinandersetzungen einen praktischen Beitrag zu leisten – enthält dieser Aufsatz Hinweise für die rechtliche Einordnung des politischen Handelns von Beteiligten im staatlichen Kultur- und Wissenschaftsbereich. Der Fokus liegt dabei auf den Beschränkungen, die sich aus der sogenannten Neutralitätspflicht und dem Beamtenrecht ergeben, da diese Rechtsfragen im Kulturumfeld seltener thematisiert werden. Außerhalb des Rahmens dieses Texts steht das weite Feld der Wissenschafts- und Kunstfreiheit. Selbstredend gelten diese Grundrechte, und sie stellen auch einen nicht zu unterschätzenden Schutz dar, doch

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5 Aus Vereinfachungsgründen werden für diesen Text staatlich betriebene und in verschiedener Weise staatlich (mit-) finanzierte Organisationen gleichgesetzt.

6 Landtag von BadenWürttemberg (2019): „Kleine Anfrage des Abg. Dr. Rainer Balzer und Klaus Dürr AfD und Antwort des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst“, 16. Juli, https://www. landtag-bw.de/files/live/ sites/LTBW/files/dokumente/WP16/Drucksachen/6000/16_6411_D. pdf. 7 Seit der Landtagswahl 2016 ist die AfD nach einem Wahlergebnis von 15,2 Prozent mit 23 Sitzen im Landtag von Baden-Württemberg vertreten. 8 Die AfD selbst behauptete, mit der Anfrage nur ein Bild über die Wettbewerbsfähigkeit einheimischer Künstler/innen und den Ausbildungsstandard gewinnen zu wollen.

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Wir fragen die Landesregierung …

sie stehen neben und nicht immer über den in weiterer Folge beschriebenen Regelungen. Summarisch wird jedoch darauf hingewiesen, dass diese beiden Grundrechte den Spielraum von wissenschaftlich und/oder künstlerisch Tätigen zu prononcierter politischer Äußerung tendenziell erweitern. Neutralitätspflicht

9 Bundesverfassungsgericht, Urteil v. 10.6.2014 – 2 BvE 4/13.

10 Bundesverfassungsgericht; BVerfG, Urteil v. 27.2.2018.

11 Bundesverfassungsgericht, Urteil v. 16.12.2014 – 2 BvE 4/13.

Sieht man sich in Deutschland als Vertreter einer Bildungsinstitution mit Aufforderungen zu politischer Positionierung konfrontiert, lernt man schnell, dass im Zentrum der rechtlichen Auseinandersetzung über politische Aktivitäten im staatlichen Sektor die sogenannte Neutralitätspflicht bzw. das Neutralitätsgebot steht. Dies ist umso wichtiger, als sich die AfD bei vielen ihrer Anfragen in den verschiedensten Themenfeldern auf das Neutralitätsgebot beruft bzw. Verstöße dagegen beklagt. Die synonym verwendeten Begriffe Neutralitätspflicht bzw. Neutralitätsgebot stammen nicht direkt aus dem Grundgesetz, sondern wurden von der Rechtsprechung im Lauf der Jahrzehnte auf der Grundlage von Artikel 21 Abs. 1 S. 1 und 2 des Grundgesetzes entwickelt, der den politischen Parteien freie Betätigung garantiert. Einige Beispiele sollen illustrieren, worüber das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit dem Neutralitätsgebot bereits zu entscheiden hatte: Soll es einem Bundespräsidenten erlaubt sein, dazu aufzurufen, sich auf der Straße den „Spinnern“ entgegenzustellen, wie es Frank-Walter Steinmeier im Rahmen eines Auftritts vor Schüler/innen des Oberstufenzentrums in Berlin-Kreuzberg getan hatte? Die NPD fühlte sich gemeint, verlor jedoch das daraufhin angestrengte Verfahren, da das Gericht der Meinung war, dass sich der „Antragsgegner [Anm: der Bundespräsident] im Rahmen seiner Repräsentations- und Integrationsfunktion gehalten und nicht willkürlich gegen die Antragstellerin Partei ergriffen“ hätte.9 Weniger Spielraum gewährte das Bundesverfassungsgericht der damals amtierenden Wissenschaftsministerin, die folgendes Zitat von der Website des von ihr geführten Ministeriums nehmen musste: „Die Rote Karte sollte der AfD und nicht der Bundeskanzlerin gezeigt werden. Björn Höcke und andere Sprecher der Partei leisten der Radikalisierung in der Gesellschaft Vorschub. Rechtsextreme, die offen Volksverhetzung betreiben, wie der Pegida-Chef Bachmann, erhalten damit unerträgliche Unterstützung.“ 10 Auch einer anderen Ministerin, Manuela Schwesig, wurde eine Verletzung ihrer Neutralitätspflicht bescheinigt, nachdem sie in einem Interview Folgendes geäußert hatte: „Aber ich werde im Thüringer Wahlkampf mithelfen, alles dafür zu tun, dass es erst gar nicht so weit kommt bei der Wahl im September. Ziel Nummer 1 muss sein, dass die NPD nicht in den Landtag kommt.“ 11 Als rechtlich unbedenklich hingegen sah es der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz an, wenn die Ministerpräsidentin auf einer dezidiert als Parteiveranstaltung gekennzeichneten Veranstaltung mit der Ansage, dass „alles daran gesetzt werden

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[muss], um den Wiedereinzug der rechtsextremen NPD im Stadtrat zu verhindern“, den Boden parteipolitischer Neutralität verlässt.12 Agieren staatliche Organe oder Amtsträger/innen hingegen als Privatpersonen – und die Parteifunktionen der jeweiligen Amtsträger/innen sind Teil der privaten Sphäre –, steht ihnen unbeschränkt Meinungsfreiheit und die Freiheit der politischen Betätigung zu, ohne an die Neutralitätspflicht gebunden zu sein. Ähnlich den politischen Amtsträger/innen sind also auch Angehörige der Universitäten mit ihren politischen Äußerungen nur dort vollständig und unbeschränkt durch die Meinungsfreiheit des Grundgesetzes geschützt, wo sie sich privat und ohne Beziehung zu ihren staatlichen Positionen äußern. Wie beim Abschnitt zum Beamtenrecht ausgeführt wird, unterliegt bei beamteten Universitätsmitgliedern sogar das private Handeln bestimmten Beschränkungen. Im Ergebnis bedeutet dies, dass den staatlichen Universitäten durch die Beschränkungen des Neutralitätsgebots insbesondere dort ein geringerer rechtlicher Spielraum zukommt, wo konkrete politische Parteien angegriffen oder unterstützt werden sollen. Vor dem Hintergrund des Neutralitätsgebotes erklärt sich somit auch die Bedeutung der Einschätzungen des Verfassungsschutzes, da die Neutralität der „wehrhaften“ Demokratie dort endet, wo das Grundgesetz vorsieht, dass jenen entgegenzutreten ist, die es unternehmen, „die verfassungsgemäße Ordnung zu beseitigen“.13 Das Neutralitätsgebot gebietet jedoch keine Werteneutralität und schränkt auch nicht die Spielräume zu deutlichen politischen Positionierungen ein, solange diese nicht direkt „parteiergreifend“ erfolgen. Es soll daher betont werden, dass die häufig in Hochschulgesetzen zu findenden wertebezogenen Grundaussagen wohl dazu verpflichten, widersprechenden Entwicklungen und deren Exponent/innen aktiv entgegenzutreten. So nennt etwa § 4 des Berliner Hochschulgesetzes unter anderem folgende Aufgaben: „Die Hochschulen dienen der Pflege und Entwicklung von Wissenschaft und Kunst durch Forschung, Lehre und Studium und der Vorbereitung auf berufliche Tätigkeiten. Sie wirken dabei an der Erhaltung des demokratischen und sozialen Rechtsstaates mit und tragen zur Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen bei.“ Ein weiteres Beispiel für gesetzlich explizit gemachte Wertentscheidungen stellen die in mittlerweile allen Hochschulgesetzen zu findenden Aussagen zu Gleichstellung, Antidiskriminierung und Chancengerechtigkeit dar.14 Die Frage nach dem Neutralitätsgebot bekam im Stuttgarter Anlassfall konkrete Bedeutung, nachdem sich eine breiter aufgestellte kritische Allianz gegen die Landtagsanfrage gebildet hatte. Wie sollen sich Vertreter/innen einer staatlichen Kulturorganisation kritisch gegen die Anfrage einer konkreten Partei wenden, ohne diese auch konkret zu benennen? Im Gegensatz zu den bisher häufig im Allgemeinen bleibenden Appellen zu „Vielfalt“15 oder „Antirassismus“ war es doch geboten, einer konkret bestimmbaren politischen Partei und ihren Anliegen etwas entgegenzusetzen? Letztendlich entschieden sich viele Vertreter/innen des kulturellen Lebens zu eindeutiger Verurteilung mit Nennung der AfD.

Martin Fritz 12 Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz, Urteil v. 21.5.2014 – VGH A 39/14.

13 Berühmtester Ausdruck dieses Anspruchs ist Artikel 20 (4) GG: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese [Anm: die verfassungsgemäße] Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“ 14 Beispielhaft etwa § 4 (10) LHG Baden-Württemberg: „Die Hochschule bestellt für ihre Mitglieder und Angehörigen eine Ansprechperson für Antidiskriminierung; diese ist nicht an Weisungen gebunden. Sie wirkt unbeschadet der Verantwortlichkeit von Organen und Gremien der Hochschule darauf hin, dass Mitglieder und Angehörige der Hochschulen vor Diskriminierungen aus rassistischen Gründen, wegen der ethnischen Herkunft oder der religiösen und weltanschaulichen Identität geschützt werden.“ 15 Verschiedentlich wurde die AfD-Anfrage auch als Reaktion auf die Positionierung der Staatsoper Stuttgart interpretiert, die sich im Jahr 2016 mit einem überdimensionalen Transparent mit der Aufschrift „Vielfalt“ gegen eine rechte Demonstration gestellt hatte.

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Wir fragen die Landesregierung …

16 Landeshauptstadt München, Kulturreferat (2018): „Eigenbetrieb Kammerspiele muss parteipolitische Neutralität wahren, Antrag Nr. 14–20 / A 04303 von Herrn StR Manuel Pretzl vom 17.07.2018, eingegangen am 17.07.2018“, https:// www.ris-muenchen. de/RII/RII/DOK/ANTRAG/5278699.pdf.

17 In der Initiative „Die Vielen“ haben sich seit Herbst 2018 deutschlandweit Kulturorganisationen zu gemeinsamen Aktivitäten gegen den politischen Rechtsruck zusammengeschlossen.

Es muss für den Moment offenbleiben, wie die einzelnen Stellungnahmen rechtlich in Hinblick auf das Neutralitätsgebot zu bewerten wären, wobei den Sprecher/innen zugute kommt, dass es sich um eine konkrete Anfrage im direkten Wirkungsbereich der eigenen Institutionen gehandelt hatte, zu der man sich nur konkret äußern konnte. Als Annäherung an eine grundsätzlichere Beurteilung könnte eine Stellungnahme der Münchner Kulturverwaltung herangezogen werden, die verfasst wurde, nachdem im Jahr 2018 von der Münchner CSU kritisiert wurde, dass sich die Kammerspiele München – vertreten durch ihren Intendanten Matthias Lilienthal – an einem Aufruf zur Demonstration „Ausgehetzt“ beteiligt hatten: „Man kann den Münchner Kammerspielen also nicht grundsätzlich untersagen, auf ihrer Bühne gesellschaftskritische oder politische Werke aufzuführen, selbst wenn diese sich gegen nur in einzelnen, bestimmten politischen Parteien vertretene Strömungen richten. Ebenso ist nicht immer dann ein Einschreiten angezeigt, wenn die Kammerspiele für die politische und gesellschaftskritische Ausrichtung ihres Hauses werben und mit dieser Ausrichtung in der Öffentlichkeit in Erscheinung treten.“16 Aktivismus als „Programm“

Die Münchner Stellungnahme weist mit ihrer Betonung der „Aufführung“ jedoch auf ein Unterscheidungsmerkmal zwischen den meisten Kulturorganisationen und universitären Organisationen hin, das auch für die politischen Aktionsformen einen Unterschied darstellt: Organisationen der darstellenden Kunst verfügen über Bühnen und ein Publikum. Es ist ihr Wesenskern, Inhalte – auch kontroverse Inhalte – auf ihren Bühnen und mit ihrem Publikum zu verhandeln, ja sogar das Publikum mit diesen Inhalten zu provozieren, herauszufordern oder auch zu verstören. Die leitenden Personen können sich also immer darauf zurückziehen, im Rahmen ihres Programms politisch aktiv zu sein. Sieht man die Ausstellungsräume von Ausstellungsinstitutionen als deren Bühnen, zeigt sich im Bereich des Ausstellens ein ähnliches Bild. Dass Entscheidungen für politische Manifestationen im Rahmen der Programmgestaltung fallen, hat auch praktische Auswirkungen für die Entscheidungsfindung und die Außendarstellung, da den jeweiligen Leiter/innen im Regelfall programmatische Autonomie eingeräumt wird. So erklärte die Co-Leiterin eines Stuttgarter Theaters im persönlichen Gespräch, dass sie sich nicht dazu verpflichtet sehe, den Vorstand ihres Trägervereins mit der Frage zu befassen, ob sich das Theater im Rahmen der Initiative „Die Vielen“ 17 engagieren solle, da sie ja mit ihrer Kollegin für das „Programm“ alleine zuständig sei. Wer spricht?

Universitäre Organisationen könnten sich zwar ebenso dafür entscheiden, ihre Lehre und Forschung als „Programm“ zu definieren und einschlägige

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politische Inhalte nur in diesen Bereichen – und dort weitgehend geschützt durch die Wissenschaftsfreiheit – zu thematisieren, dennoch beantwortet dies nicht die Frage, wo und wie die Universität selbst zum politischen Akteur werden kann. Die Schwierigkeit beginnt mit einer einfachen Frage: Wer oder was ist die Universität? Wer vertritt sie? Wer kann legitim behaupten, „die Universität“ zu sein? Die Außenvertretung der Körperschaften obliegt zwar im Regelfall den Rektorinnen und Rektoren oder Präsidentinnen und Präsidenten und den jeweiligen Hochschulleitungen, doch eine ebenso zentrale Stellung im Bauplan nehmen die Senate ein, in denen die Selbstverwaltung von Lehre und Studium und die wesentlichen Mitwirkungsrechte aller Anspruchsgruppen organisiert sind. Für die Senate sehen die gesetzlichen Regelungen in allen deutschen Bundesländern explizit vor, dass die Gruppe der Professor/innen über eine Mehrheit verfügen muss. Hinter der Rechtsform der öffentlich-rechtlichen Körperschaft steht also die nach Gruppen organisierte „Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden“ – eine Gemeinschaft, zu der dann auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung und meist auch die externen Lehrbeauftragten und andere Gruppen gezählt werden. Es folgt daraus, dass es in diesem Sinne eigentlich für keines der in Frage kommenden Gremien möglich ist, für „die Universität“ zu sprechen. Käme die Ansage vom Rektorat, könnte ihr vom Senat widersprochen werden;18 spricht ein Senat mit Mehrheitsbeschluss, bestünde ein deutliches Übergewicht der Stimme der Professor/innen, ganz abgesehen davon, dass dann immer noch die Hochschulleitung anderer Meinung sein könnte. Und wenn sich die verfasste Studierendenschaft zu politischen Themen äußert, ist es ein Leichtes, sich von Seiten der Hochschulleitung davon zu distanzieren et vice versa. Doch es spricht nichts dagegen, dass jedes einzelne Organ der Universität jeweils gleichlautende Stellungnahmen verfasst, beschließt und kommuniziert. Die Praxis zeigt, dass dies selten der Fall ist: Analysiert man Stellungnahmen der jüngsten Vergangenheit, so findet man offene Briefe, Statements und/oder Resolutionen, die recht eindeutig den jeweiligen Absender/innen zugeordnet werden können. So wandte sich das Rektorat der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg im Januar 2018 in einem offenen Brief19 gemeinsam mit dem Studierendenrat gegen die in Campusnähe aktiven Identitären, oder die Stellungnahmen enthalten Hinweise auf universitätsinterne Kontroversen, wie etwa an der Hochschule für Bildende Kunst Dresden, an der sich der Rektor gegen Studierendenproteste aussprach, die einer Bibliothekarin mit AfD-Nähe galten.20 Als Beispiel für eine gremienübergreifende Stellungnahme lässt sich die Stellungnahme der Universität Siegen zu einer umstrittenen Lehrveranstaltung mit Thilo Sarrazin und Marc Jongen21 anführen: Als „Stellungnahme der Universität“ veröffentlicht, nennt die Aussendung folgende „Absender“: „Der Hochschulrat, das Rektorat, der Senat und die Philosophische Fakultät der Universität Siegen …“22

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18 Der Verfasser entschied sich daher in seinem eigenen beruflichen Umfeld erst nach Rücksprache mit Senatsmitgliedern für ein Rundmail an Studierende und Mitarbeiter/innen mit dem Hinweis auf eine Protestkundgebung gegen die AfD-Anfrage. 19 Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (2018): „Offener Brief des Rektorates und des Studierendenrates der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg“, 29. Januar, https:// www.stura.uni-halle. de/wp-content/uploads/2018/03/offenerbrief_ib.pdf. 20 HfBK Dresden (2019): „Studierendenaktion an der HfBK Dresden“, Presseinformation, 29. Mai, https://www. hfbk-dresden.de/aktuelles/details/studierendenaktion-an-der-hfbkdresden/. 21 Der AfD-Bundestagsabgeordnete, Kultursprecher (und freigestellter Mitarbeiter der HfG Karlsruhe) Marc Jongen und der umstrittene Publizist Thilo Sarrazin wurden als Vortragende zu einer Lehrveranstaltung zum Thema „Redefreiheit“ eingeladen. 22 Universität Siegen (2018): „Stellungnahme Universität Siegen“, 21. November, https:// www.uni-siegen.de/ start/news/oeffentlichkeit/842943.html.

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Wir fragen die Landesregierung … Beamtenrecht

23 „Unterstützt das Bürgerasyl und ein humanitäres Bleiberecht für Frau Ametovic und ihre Kinder“, Online-Petition, https://www.openpetition.de/petition/online/ unterstuetzt-das-buergerasyl-und-ein-humanitaeres-bleiberecht-fuerfrau-ametovic-und-ihrekinder.

24 Landtag von BadenWürttemberg (2018): „Öffentliche Unterstützung strafbaren Verhaltens von Landesbeamten am Beispiel des ‚Freiburger Bürgerasyl‘. Antrag und Stellungnahme“, 30. Januar, https://www. landtag-bw.de/files/live/ sites/LTBW/files/dokumente/WP16/Drucksachen/5000/16_5618_D. pdf. 25 Ebd.

Trotz einer Vielfalt an Beschäftigungsverhältnissen ist ein großer Teil der Professor/innen und Verwaltungsmitarbeitenden in Deutschland verbeamtet. So gerne und häufig die Schutzwirkung der Wissenschaftsund Kunstfreiheit betont werden, so wenig ist im Umfeld von Kunsthochschulen davon die Rede, dass sich diese Schutz- und Freiheitsrechte für Beamt/innen nur innerhalb der Grenzen des Beamtenrechts realisieren lassen. Im Kontext der hier behandelten Fragen fällt vor allem auf, dass die Einschränkungen des Beamtenrechts sogar weitgehender gefasst sind als jene, die sich alleine aus der Anwendung des Neutralitätsgebots ergeben. Beamtinnen und Beamte unterliegen nämlich auch in ihrer Freizeit dem Mäßigungs- und Zurückhaltungsgebot des § 60 BBGB – allenfalls erweitert durch die Wissenschafts- und Kunstfreiheit. Im Wortlaut: „Beamtinnen und Beamte haben bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergeben.“ Einen Anlassfall in diesem Themenfeld und zugleich Grund für eine neuerliche Anfrage der AfD-Fraktion im baden-württembergischen Landtag boten einzelne Professorinnen und Professoren im Umfeld der Universität Freiburg, die sich – mit Nennung ihrer Titel und ihrer Universitätsangehörigkeit – als erste Unterzeichnende an einer Petition beteiligten, die sich gegen die Abschiebung einer Familie richtete und zugleich Verständnis für das sogenannte Bürgerasyl zeigte.23 Unter Bürgerasyl verstehen Aktivist/innen verschiedene Formen privater Hilfe für von Abschiebung bedrohte Menschen. Die Grenze zu der (strafbaren) Vereitelung einer Abschiebung kann als fließend angesehen werden. Mit Bezug auf das Beamtenrecht wurde von der AfD gefragt, „ob nach ihrer [Anm: der Wissenschaftsministerins] Auffassung ganz allgemein die Unterzeichnung eines öffentlichen Aufrufs, in dem zu strafbaren Handlungen aufgerufen wird, durch einen Beamten oder Angestellten des Landes unter Nennung und Ausnutzung der dienstlichen Stellung, den Verdacht eines Dienstvergehens zu rechtfertigen vermag; ob sie die Unterzeichnung eines öffentlichen Aufrufs unter Nennung des öffentlichen Arbeitgebers und des Professorentitels als ‚außerdienstliches‘ Verhalten wertet“.24 Die Wissenschaftsministerin war in ihrer Anfragebeantwortung deutlich, blieb aber im Allgemeinen: „Ganz allgemein sind die Fragen dahingehend zu beantworten, dass Beamte ein Dienstvergehen begehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten verletzen. Rechtfertigen tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht eines Dienstvergehens, ist ein Disziplinarverfahren einzuleiten. Ein Verhalten außerhalb des Dienstes ist nur dann ein Dienstvergehen, wenn es nach den Umständen des Einzelfalles in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für ihr Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Außerdienstlich ist das Verhalten dann, wenn es sich als das einer Privatperson ansehen lässt.“25

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Das Wissenschaftsministerium ging in diesem Fall wohl davon aus, dass es sich um außerdienstliches Verhalten gehandelt habe. In einem anderen Fall in Baden-Württemberg – außerhalb des Universitätsbereichs – entschied sich das Justizministerium für die „Entfernung“ (so die rechtlich einschlägige Terminologie) eines Staatsanwalts und AfD-Abgeordneten aus dem Beamtendienst, da er in seinen Wahlkampfäußerungen direkt auf seine Position als Staatsanwalt Bezug genommen hatte. Das Richterdienstgericht beim Amtsgericht Karlsruhe bestätigte diese – bei Drucklegung dieses Texts noch nicht rechtskräftige – Entscheidung des Justizministeriums Baden-Württemberg.26 Es stellt sich also bei politischen Äußerungen von beamteten Professorinnen und Professoren die Frage, wie im konkreten Einzelfall die Abwägung zwischen der – auch den Beamten und Beamtinnen zustehenden – Meinungsfreiheit und den Einschränkungen des Beamtengesetzes vorzunehmen sei. Ein Abgrenzungsargument aus der Lehre lautet wie folgt: „Kann eine politisch extreme Meinung eines Professors so verstanden werden, dass sie zwar politisch nicht mehrheitsfähig, aber weder illoyal gegenüber dem Dienstherrn noch Ausdruck mangelnder Neutralität gegenüber jedermann ist, so gebührt dieser Auslegung wegen der Meinungsfreiheit der Vorzug. Scheidet ein solches Verständnis allerdings aus und stellt sich der Beamte insbesondere gegen die in den Grundrechten des Grundgesetzes zum Ausdruck gekommene ‚Werteordnung‘, begründet dies Zweifel an seiner Loyalität und Neutralität.“27 Im bereits erwähnten Fall einer Bibliotheksmitarbeiterin an der Hochschule für Bildende Kunst in Dresden übersetzte der Rektor diese Rechtsmeinung in folgende Stellungnahme: „Die Hochschulleitung begrüßt das politische Engagement der Studentinnen und Studenten. Wir unterstützen offene Debatten und künstlerische Projekte, die sich im Sinne von Demokratie und Menschenwürde politisch artikulieren. Aber die Hochschule ist parteipolitisch neutral und die privaten Interessen ihrer Mitarbeiterinnen für politische Organisationen gehen sie nichts an, solange nicht gesichert ist, dass die jeweilige Partei verfassungsfeindlich ist.“28 Fazit

Bewegt man sich als staatliche Organisation jenseits von kulturpolitischer Interessenvertretung in der Arena politischer Auseinandersetzung, stellen Neutralitätsgebot und das Beamtenrecht Beschränkungen dar. Sowohl das Neutralitätsgebot wie auch das Beamtenrecht ziehen dabei eine Grenze zwischen dem „amtlichen“ und dem „privaten“ Handeln. Vor dem Hintergrund der eingangs skizzierten Notwendigkeit eines politischen Verhaltens von Organisationen – im Gegensatz zur rein interessengeleiteten Einmischung in „Kulturpolitik“ – stellt diese Abgrenzung keine Hilfe dar, da die Positionierung einer Organisation eben nicht „privat“ erfolgen kann. Vertreter/innen staatlicher Organisationen werden daher wohl weiterhin eine Gratwanderung zwischen (rechtlich unbedenklichen)

26 Andreas Müller (2019): „Vorgehen gegen Beamte: Mal die Höchststrafe, mal höchste Nachsicht“, Stuttgarter Zeitung, 2. April, https://www. stuttgarter-zeitung.de/ inhalt.vorgehen-gegenbeamte-mal-die-hoechststrafe-mal-hoechste-nachsicht.73a14b31b79c-4a7a-aabab2365c58c96d.html.

27 Ralf Zimmermann (2018): „Das wird man wohl sagen dürfen‘. Grenzen politischer Äußerungen von Professoren“, 18. Januar, https://www.juwiss. de/6-2018/.

28 HfBK Dresden (2019).

Wir fragen die Landesregierung …

29 Man entschied sich im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg für eine Anfragebeantwortung, die ohne nähere Angaben nur die Gesamtzahl der Mitarbeiter/innen und die Gesamtzahl ihrer verschiedenen Staatsangehörigkeiten publik machte. Landtag von Baden-Württemberg (2019).

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werteorientierten Aussagen und (allenfalls für staatliche Akteure nicht statthafter) „Parteinahme“ zu absolvieren haben, oder sie bleiben auf ihre jeweiligen „privaten“ Möglichkeiten verwiesen. Doch die Betonung des „Privaten“ eröffnet politische Handlungsräume, wenn man das „Private“ als etwas vielen Gemeinsames sieht: Wer politisch agiert, muss ohnehin mit anderen gemeinsam vorgehen. Der private Bereich ist nicht nur der des Wohnzimmers, sondern auch der Raum demokratischer Mitwirkung. In diesem Raum entstehen Bürgerinitiativen, Aktionsgruppen, Demonstrationen, freier Aktivismus und auch politische Parteien, mit häufig wirkmächtigeren Impulsen, als sie in den lobbyingorientierten Hinterzimmern entwickelt werden. Politischer Einfluss – und damit auch der Einfluss auf Kulturpolitik – muss stetig erstritten werden. Und im Gegensatz zu den Exponent/innen großer Kulturorganisationen, die daran gewöhnt sind, im eigenen Wirkungsbereich direkten Zugang zu Entscheidungsträger/innen zu haben, sind die meisten Menschen für ihr politisches Engagement ohnehin auf ihre private Sphäre angewiesen. Es liegt also nahe, sich auch politisch in diesem Rahmen zu verbünden. Letztendlich trafen sich im Stuttgarter Anlassfall – auf Initiative einer Privatperson – viele Menschen an einem Samstagnachmittag in einem Park, um gegen die AfD-Anfrage zu protestieren. Die beruflich Betroffenen wurden von manchen der politisch Zuständigen begleitet, und offizielle Delegierte trafen auf engagierte Einzelpersonen aus Publikum und Stadtgesellschaft. Alle gemeinsam sorgten sie damit für ein stärkeres Echo, als es jeder Gruppe alleine gelungen wäre. Sie stärkten damit einem Ministerium den Rücken, das sich dafür entschied, die Anfrage nur sehr kursorisch zu beantworten.29 Querbeziehungen – etwa zwischen dem gewerkschaftlichen und dem künstlerischen Feld – wurden sichtbar. Hinzu kamen Passant/innen, die von Ansprachen und künstlerischen Beiträgen angelockt wurden. Als solidarisches Zeichen wurde vom Veranstalter noch ein Vertreter einer lokalen Antifa-Gruppe auf die Bühne gerufen, und zum Abschluss wurden alle Anwesenden dazu aufgefordert, sich auch an einer Kundgebung gegen Immobilienspekulation zu beteiligen. Statt nur die bekannten kulturpolitischen Kanäle zu bespielen, zeigt sich hier also ein anderer Weg: Es muss wohl für Exponent/innen von Kultur- und Bildungsorganisationen vermehrt darum gehen, auch jene Felder zu beackern, auf denen solche und ähnliche politische Allianzen geschlossen werden können.

Aron Weigl Diversität an Kunstuniversitäten Transformatives Versuchslabor für kultur- und gesellschaftspolitische Konzepte

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„Hochschulen haben das Potenzial, einen Kulturwandel anzustoßen.“ 1 Roberta Schaller-Steidl zitiert nach: FH St. Pölten (2019): Dossier: Diversität. Die Vorteile der Vielfalt, https://www.fhstp. ac.at/de/newsroom/ dossiers/diversitaet (31.10.2019).

2 Michael Wimmer (2016): „Brokering Migrants’ Cultural Participation. Ein europäisches Kooperationsprojekt zum Diversity Management im Kulturbetrieb“, in: Kulturpolitische Mitteilungen 153(2), S. 16. 3 Jutta Berninghausen u. a. (Hg.) (2009): Lost in Transnation. Towards an Intercultural Dimension on Campus (Interkulturelle Studien 8), Bremen und Boston: Kellner; Matthias Otten (2006): Interkulturelles Handeln in der globalisierten Hochschulbildung, Bielefeld: transcript; Lucyna Darowska/Claudia Machold: „Hochschule als transkultureller Raum unter den Bedingungen von Internationalisierung und Migration – eine Annäherung“, in: Lucyna Darowska/Thomas Lüttenberg/Claudia Machold (Hg.) (2018): Hochschule als transkultureller Raum? Kultur, Bildung und Differenz in der Universität, Bielefeld: transcript, S. 13–38. 4 Universität für Musik und darstellende Kunst Wien: „mdw-Diversitätsstrategie 2019–2021“, S. 3, https://www.mdw.ac.at/ upload/MDWeb/gender/ downloads/mdw_diversitaetsstrategie_final.pdf (31.10.2019).

Leiterin der Stabsstelle Gender- und Diversitätsmanagement im Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung1

Die urbanen Zentren Österreichs sind divers. Insbesondere was die Herkünfte und Migrationshintergründe von Menschen betrifft, wird sich das Bild auch zukünftig weiter ausdifferenzieren. Ein Blick auf die jungen Menschen wie beispielweise die Schüler*innen in Wien, von denen bereits mehr als die Hälfte Migrationshintergrund hat, zeigt, mit welchen Herausforderungen vor allem auch die dortigen Kultureinrichtungen angesichts sich verändernder gesellschaftlicher Realitäten konfrontiert sind und sein werden. Die Diagnose lautete noch vor drei Jahren: „So spiegelt der Kulturbetrieb in keiner Weise das soziale Gefüge der Stadt und steht so in zunehmender Gefahr, seiner identitätsstiftenden Rolle verlustig zu gehen und darüber hinaus den Bezug zur aktuellen Stadtentwicklung zu verlieren.“2 Änderungen finden nur langsam statt, eine grundlegende Umkehr ist bislang nicht bzw. nur bei wenigen ausgewählten Kultureinrichtungen zu beobachten. Die Verantwortung liegt aber nicht nur bei den Kulturinstitutionen, sondern auch bei der Kulturpolitik im Allgemeinen. Was können also Kunstuniversitäten als kulturpolitische Akteurinnen leisten, um an dieser Stelle den benannten „Kulturwandel“ zu unterstützen? Dieser Wandel ist auch an den Universitäten keineswegs ein Selbstläufer, das heißt, er geht nicht automatisch vonstatten, sondern verlangt diesen Institutionen ein hohes Maß an Offenheit und den Willen zur Selbstentwicklung ab, wie die wissenschaftlichen Reflexionen dazu zeigen.3 Dabei sind Kunstuniversitäten selbst meist von hoher innerer Vielfalt geprägt. Nicht zuletzt deshalb ist Diversität für viele von ihnen zu einem wichtigen Thema geworden. Eine Reihe von Universitäten haben mittlerweile Strategie- und Entwicklungsprozesse angestoßen bzw. sind in deren Umsetzung, um sich – in unterschiedlicher Intensität – mit der eigenen Verfasstheit auseinanderzusetzen. Die Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (mdw) hat seit 2017 in einem partizipativen Prozess unter Mitwirkung von rund 80 Personen eine Diversitätsstrategie entwickelt, die für die Jahre 2019 bis 2021 einen Plan zur Umsetzung definiert. Das Ziel ist es, bis Herbst 2021 „ein diskriminierungsfreies Studier- und Arbeitsumfeld durch die erfolgreiche Umsetzung von konkreten Maßnahmen zu mehr gleichberechtigter Teilhabe aller Angehörigen der mdw“4 zu schaffen. Die mdw teilt ihr ganzheitliches Verständnis von Diversität mit der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz (KUG). Letztere hat einen Entwicklungsplan für Diversität in den Jahren 2016 bis 2021 formuliert. Darin wird verdeutlicht, dass die intersektionale Rolle von verschiedenen Kategorien zu berücksichtigen ist: „Die Kategorie Gender bildet Schnittmengen mit den Kategorien Ethnizität, Klasse, Alter, sexuelle

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Orientierung, Weltanschauung oder Religion.“5 Ein ganzheitlicher Blick auf Diversität ist demnach entscheidend. Darüber hinaus beschreibt der Entwicklungsplan der KUG für die Jahre 2018 bis 2024 Diversität als ein Qualitätsmerkmal, das sicherstellt, „dass die Kreativität und das Potenzial aller optimal in die Lehre – wie auch in EEK und Forschung – einfließen“.6 Darin kommt zum Ausdruck, dass Chancengleichheit, Gleichberechtigung und Diversität nicht nur einen Selbstzweck haben, sondern dass sich mit ihnen auch der Anspruch verbindet, das ihnen innewohnende Potenzial für die Weiterentwicklung der universitären Anliegen zu nutzen. Das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF) fördert diesen Anspruch in der österreichischen Hochschullandschaft durch die Vergabe des Diversitas-Preises für besondere Leistungen auf dem Gebiet des Diversitätsmanagements. „Prämiert werden Leistungen, die an der eigenen Einrichtung in jüngster Zeit zu einer bedeutenden diversitätsspezifischen Belebung geführt haben oder eine solche für die nahe Zukunft anstoßen werden.“ 7 Genau das hat die Universität für angewandte Kunst Wien (die Angewandte) mit ihren Aktivitäten im Rahmen von „Un-framing Diversity“ geleistet und deshalb den Preis 2018 verliehen bekommen. Dabei ist die Angewandte einen anderen Weg gegangen und hat die strukturelle Entwicklung über Einzelprojekte angestoßen, die gemeinsame Interaktionsräume und Phänomene von Diversität sichtbar gemacht haben. „Zwischen den vielen Projektarbeiten lassen sich Querverbindungen herstellen, Rückschlüsse ziehen, Einschätzungen und Erkenntnisse überprüfen, Stereotype erkennen und auflösen und Konsequenzen für eine organisationale Verankerung von intersektionalen Handlungsräumen erarbeiten“,8 so der Grundgedanke des Ansatzes. Eine Studie an der Anton Bruckner Privatuniversität Linz

Wie die Beispiele zeigen, ist es sinnvoll, grundsätzlich eine Intersektionalität, das heißt die Verschränkung unterschiedlicher Diversitätskategorien, zu bedenken.9 Dass nicht alleine die Herkunftsdiversität eine Rolle für die interne Entwicklung einer Universität spielt, wurde auch in einer Studie an der Anton Bruckner Privatuniversität (ABPU) in Linz deutlich, die gemeinsam mit dem Wiener Forschungsinstitut EDUCULT 2017 und 2018 entstanden ist. Ausgangspunkt und Fokus der Untersuchung war die hohe Herkunftsvielfalt bzw. die große Anzahl an ausländischen Studierenden an der Universität und zugleich die Wahrnehmung, dass dieser Umstand nicht ausreichend in strategischen Überlegungen berücksichtigt ist und damit das Potenzial zum Beispiel von Bi- und Multimusikalität ungenutzt bleibt. Mit dem Ziel, zu einer Veränderung in den hochschulinternen Prozessen zu gelangen, wurden daher folgende zentrale Fragestellungen formuliert:

5 Universität für Musik und darstellende Kunst Graz: „Diversität“, https://genderforschung.kug.ac.at/ zentrum-fuer-genderforschung/diversitaet.html (31.10.2019). 6 Ebd.

7 Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung: „Diversitätsmanagementpreis Diversitas“, https:// www.bmbwf.gv.at/ Themen/Hochschuleund-Universit%C3%A4t/ Gleichstellung-undDiversit%C3%A4t/ Policy-undMa%C3%9Fnahmen/ Diversit%C3%A4tsmanagement/Diversit%C3%A4tsmanagementpreis-Diversitas. html (31.10.2019). 8 Barbara Putz-Plecko (2018), zitiert nach: Universität für angewandte Kunst Wien: „Universität für angewandte Kunst Wien freut sich über DIVERSITAS 2018-Hauptpreis für ‚Un-framing Diversity‘“, 12.12.2018, https://dieangewandte. at/jart/prj3/angewandte-2016/main. jart?reserve-mode=active&rel=de&contentid=1453407097052& presse_ id=1541170631530 (31.10.2019). 9 Vgl. Leslie McCall (2005): „The Complexity of Intersectionality,“ in: Signs 30(3), S. 1771–1800.

Diversität an Kunstuniversitäten

10 EDUCULT/Anton Bruckner Privatuniversität (Hg.) (2018): Inter- und Transkulturalität im Universitätsbetrieb. Zur Situation der Studierenden an der Anton Bruckner Privatuniversität, Linz, S. 7.

11 Ebd., S. 8.

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• Was führt ausländische Studierende an die ABPU und wie verläuft ihr Studium in Oberösterreich? • Welchen Schwierigkeiten und Herausforderungen begegnen sie? • Welche Rolle spielt die Kultur ihres Herkunftslandes in ihrem Studium? • Wie verläuft der soziale Austausch unter den in- und ausländischen Studierenden? Daraus resultierten die folgenden weiterführenden Fragestellungen: • Welche Möglichkeiten kann die ABPU schaffen, um die Vielfalt der Kulturen am Haus zur Entwicklung transkultureller Prozesse zu nutzen? • Wie kann sich die ABPU zu einer kulturensensiblen Einrichtung weiterentwickeln? • Wie positioniert sich die ABPU im internationalen Musikgeschehen und wie nutzt sie dabei die Potenziale ihrer ausländischen Studierenden?10 Die Fragen sollten mittels eines sozialwissenschaftlichen, empirischen Zugangs beantwortet werden. Dazu wurde ein Methodenset gewählt, das sowohl qualitative als auch quantitative Ansätze miteinander verknüpfte. So fanden einerseits halboffene, leitfadengestützte Interviews, Kleingruppengespräche und Fokusgruppen mit verschiedenen Akteursgruppen (Studierende, Lehrende und administratives Personal) und andererseits eine deutsch- und englischsprachige Online-Umfrage unter allen Studierenden statt. Um in den Gesprächen eine möglichst offene Atmosphäre zu gewährleisten, wurden diese von einer externen Person ohne Verbindungen zur ABPU geführt. Die vollständigen Datensätze der Umfrage, die in die Auswertung eingeflossen sind, entsprachen 12,5 Prozent aller Studierenden. Die Charakteristika der Befragten entsprachen mit einer Varianz unter 3 Prozent der Grundgesamtheit, und zwar in den Bereichen Studienart, Studiengang und österreichischer bzw. nicht-österreichischer Staatsbürgerschaft. Zudem ergaben sich im Laufe der Forschung spezifische Themen, die im Rahmen eines universitären Klausurtages mit Lehrenden der ABPU in Arbeitsgruppen verhandelt wurden. Dabei wurden weitere Fragen gestellt und diskutiert: • Sprachenvielfalt – Chance oder Herausforderung? • Welche Möglichkeiten haben wir, Studierende besser in soziale Netzwerke zu integrieren? • Inwiefern ist die Universität Raum für Fremdheitserfahrung und Selbstreflexion? • Was heißt „Kunst ist international“? • Inwiefern können wir die Diversität der Herkünfte in künstlerischen Projekten und im Unterricht besser nutzen? • Welche Rolle kann die Bruckneruni dabei spielen, dass sich ausländische Studierende in Linz und Oberösterreich mehr willkommen fühlen?11

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Die Erkenntnisse aus den Diskussionen flossen ebenfalls in die Studie mit ein. Die grundlegenden Ergebnisse werden im Folgenden dargestellt und in Hinblick auf die gesellschaftspolitische Rolle von Kunstuniversitäten reflektiert. Herkunftsdiversität als Normalität

Bereits zu Anfang der Erhebungen – sowohl in den Gesprächen als auch in der Umfrage – wurde deutlich, dass die Auseinandersetzung mit anderen Herkünften ein kontinuierlicher Prozess an der ABPU ist, der von Lehrenden und Studierenden als Normalität bezeichnet wird. So empfanden 86 Prozent der befragten Studierenden die Anfangszeit ihres Studiums als die Möglichkeit, mit vielen unterschiedlichen Menschen in Kontakt zu kommen. Ein genauerer Blick zeigt allerdings, dass sich diese Diversität in den verschiedenen Studiengängen, Fächern und Kursen unterschiedlich abbildet. Besonders im Tanzstudium und im Gesangsfach ist die Anzahl von Studierenden ohne österreichischen Pass sehr hoch (60 bis 75 Prozent), während in der Elementaren Musikpädagogik drei Viertel eine österreichische Staatsbürgerschaft besitzen und im Schauspielstudium ausschließlich Studierende aus deutschsprachigen Ländern eingeschrieben sind. Die Diversität der Studierenden spiegelt sich in der Vielfalt der Lehrenden, wobei hier eine Trennung zwischen den Lehrenden mehrheitlich österreichischer Herkunft und den internationalen Lehrenden zu beobachten ist. Letztere haben oft kleinere Deputate und sind deshalb meist zeitlich begrenzt in Form von Blockunterricht an der ABPU vor Ort. In der Administration der Universität und in der Studierendenvertretung sind dagegen die meisten Personen österreichischer Herkunft. Grundsätzlich hat aber der Großteil sowohl der Lehrenden als auch der Mitarbeiter*innen der Administration berufliche Auslandserfahrungen. Mit der Herkunftsdiversität gehen unterschiedliche Prägungen bezüglich des künstlerischen Arbeitens und Lernens einher. So verwundert es nicht, dass sich für Studierende insbesondere im zentralen künstlerischen Fachunterricht unterschiedliche Herausforderungen ergeben. Nur 10 Prozent derer, die in Österreich zur Schule gegangen sind, sehen künstlerische Herausforderungen darin, dass ihr künstlerisches Verständnis ein anderes ist, während das 27 Prozent derer tun, die nicht in Österreich die Schule besucht haben. Ähnlich sieht es hinsichtlich pädagogischer Herausforderungen aus. Hier ergibt sich ein Kontrast von 8 zu 24 Prozent. An dieser Stelle wird deutlich, dass die Ausrichtung des Unterrichts für Studierende, die nicht in Österreich zur Schule gegangen sind, weniger gewohnt ist als für die anderen. Daraus folgen Fragen, inwiefern diese Herausforderungen positive oder negative Effekte auf Lernprozesse haben und ob es gegebenenfalls andere pädagogische Herangehensweisen bräuchte. In den Fokusgruppen kam diesbezüglich die Unterscheidung zwischen den Fächern zur Sprache. Einige künstlerische Ausdrucksformen

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waren und sind demnach stärker ständigen transkulturellen Prozessen ausgesetzt als andere, zum Beispiel der Jazz oder – auf eine andere Art und Weise – der zeitgenössische Tanz. In diesen Fächern besteht eine höhere Sensibilität für die Veränderung der künstlerischen Praxis durch Diversitätserfahrungen. Das kann dabei helfen, auch andere Fächer und die Universität insgesamt als Räume für Fremdheitserfahrungen für Studierende und Lehrende zu definieren – auf verschiedenen Ebenen und insbesondere im Bereich des künstlerisch-pädagogischen Arbeitens. Es geht dann darum, sich dem Ort, der Bildungskultur, der Sprache oder den künstlerischen Besonderheiten im Studium neu anzunähern und die eigene Verfasstheit und Diversität über die Auseinandersetzung mit der Vielfalt der anderen zu reflektieren. Inwieweit das geschehen kann, „hängt immer von der Reflexionsbereitschaft der Leute ab und wie weit die bereit sind, sich auf Prozesse einzulassen“ (Lehrende*r). Während die erhöhte Differenz zwischen den Anforderungen des Studiums und den eigenen künstlerischen und pädagogischen Erfahrungen sowohl mit größeren Herausforderungen als auch mit einem besonderen Potenzial verbunden ist, stellen fehlende Deutschkenntnisse – insbesondere in Verbindung mit geringen Englischkenntnissen – meist eine Hürde dar. Sprachkenntnisse werden von den an der Studie Beteiligten als elementare Ressource beschrieben, wobei sich dies in den unterschiedlichen Fächern erneut unterschiedlich ausdekliniert. So lassen sich die als erhöht beschriebenen Herausforderungen in theorieorientierten Lehrveranstaltungen teilweise auch über die dafür notwendigen Deutschkenntnisse erklären. 43 Prozent der Studierenden, die nicht in Österreich zur Schule gegangen sind, sind diesbezüglich mit Herausforderungen konfrontiert, aber auch 5 Prozent derer, die in Österreich die Schule besucht haben. Die konträre Situation im grundsätzlich internationaler ausgerichteten und englischsprachig orientierten Tanzstudium erleichtert die Situation für Studierende, die nicht Deutsch gelernt haben, solange gute Englischkenntnisse vorhanden sind. Gerade bei Tanzstudierenden ist allerdings ein Effekt zu beobachten, der damit in Verbindung stehen dürfte: Mehr als andere Studierende verlassen sie nach dem Studium Österreich wieder – wohl auch, weil sie aufgrund geringerer Deutschkenntnisse im Berufsalltag Schwierigkeiten ausgesetzt wären. Zwar stellt sich im Schauspielfach die Frage nach Deutschkenntnissen nicht, da bislang nur Studierende mit deutschsprachiger Herkunft eingeschrieben sind, aber auch hier können unterschiedliche regionale Herkünfte zu einer künstlerischen Auseinandersetzung beitragen. So wird die dialektsprachliche Diversität als Mehrwert für das künstlerische Arbeiten gesehen: „Es ist lustig, wie sich die Mentalität der eigenen Region im Dialekt und in der Sprache widerspiegelt. Und das zu untersuchen ist sehr spannend und da gemeinsam dann drauf zu kommen. Also von dem

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her profitieren wir. Aber es ist keine Barriere oder ein Hindernis, sondern wirklich Potenzial und spannend.“ Studierende*r Labor der Aushandlung und der Transformation

Künstlerische Weiterentwicklung und das Schaffen von Neuem ist also das Potenzial, das der eigenen Diversität hinsichtlich der Herkunft und damit der künstlerischen und pädagogischen Erfahrungen innewohnt. Solange aber keine Sensibilität dafür besteht, dass die Aushandlung von Verschiedenheit einen Katalysator für Transformation darstellt, bleibt dieses Potenzial weitgehend ungenutzt. Hilfreich für dieses Verständnis ist es, davon zu sprechen, dass mit den unterschiedlichen Herkünften verschiedene Ressourcen einhergehen, die Studierende, aber auch Lehrende mit- und in den Versuchsraum „Universität“ einbringen können. Nach François Jullien12 braucht es diesen Abstand zwischen Kulturen, um überhaupt einen Dialograum aufspannen zu können. Er beschreibt das Konzept der Abweichung folgendermaßen: „Sie führt nicht durch Klassifizierung zu Erkenntnissen; indem sie Dinge in Spannung versetzt, regt sie vielmehr zur Reflexion an.“13 Dadurch ergebe sich ein aktives, erfinderisches „Zwischen“. Weitergedacht stellt dies die Basis dar, um zu einem ko-kreativen gemeinsamen Handeln zu kommen. Insbesondere die gemeinsame künstlerische Kreativität von Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Ressourcen befördert transkulturelle Lernprozesse. In der konkreten Umsetzung gilt es, offen zu sein gegenüber ungewohnten Inhalten und unbekannten Formen und Formaten. Die Auseinandersetzung mit vielfältigen künstlerischen Ansätzen und Inhalten ist Basiskriterium einer so verstandenen ko-kreativen gemeinsamen Praxis, um, „gestützt auf die erfinderische Kraft des Abstands, den Weg zu einem intensiven Gemeinsamen [zu] eröffnen“.14 Damit es die Möglichkeit zu diesen „Abstandserfahrungen“ gibt, braucht es allerdings nicht nur die Existenz einer Ressourcenvielfalt, sondern es ergeben sich weitere Rahmenbedingungen. Wichtig sind beispielsweise reale Räume, die als „Labor“ fungieren können. Das neue Haus der ABPU unterhalb des Pöstlingberges bietet genau solche Räume und fördert die Kommunikation durch die offene Architektur und die Begegnungsplätze. Zusätzlich zum Raum braucht es eine Offenheit und Sensibilität der Hochschulmitglieder für die Möglichkeiten zur Aushandlung von Diversität. Die Universität kann dabei unterstützen, indem Auslandserfahrungen ermöglicht werden. „Man kann sich, wenn man diese Erfahrungen selber durchlaufen hat, intuitiv in die andere Person einfühlen und kann sicherlich besser kommunizieren, besser damit umgehen, besser verstehen, weshalb Fragen gewisser Art auftauchen und weshalb Unsicherheiten zu verspüren sind.“ Mitarbeiter*in Administration

12 François Jullien (2017): Es gibt keine kulturelle Identität, Berlin: Suhrkamp, S. 36.

13 Ebd., S. 43.

14 Ebd., S. 96.

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Diversität an Kunstuniversitäten

Deshalb ist hausinterne Diversität eng mit der Arbeit der Universität im Bereich des internationalen Austausches verbunden. Innen und außen in diesem Sinne zusammenzudenken erscheint besonders hilfreich für die Entwicklung hin zu einer kulturensensiblen Ausbildungsstätte. An der ABPU wird der Bereich Internationales als Schnittstelle betrachtet, und um die Internationalisierungsprozesse zu unterstützen, wurden neue Stellen geschaffen. Die strukturellen Änderungen haben einen spürbaren Effekt. Die befragten Verantwortlichen des Bereiches bemerken ein wachsendes Interesse am internationalen Austausch allgemein, nicht nur bei Studierenden, die intensiv das europäische Erasmus-Programm nutzen, sondern auch bei Lehrenden und Verwaltungsmitarbeiter*innen, die vermehrt Mobilitätsangebote des Programms nutzen. Sie beschreiben sich selbst als Vermittler*innen: „Ich sehe meine Aufgabe einerseits darin, mich in die Perspektive verschiedener Kulturen hineinzuversetzen und diese unterschiedlichen Kulturen fürs Haus nutzbar zu machen.“ 

Mitarbeiter*in Administration

Diese Vermittlung ist wichtig, denn die Ausweitung des internationalen Austausches per se ist nicht ausreichend, um auch innere Diversität anders nutzen zu können. Es fällt auf, dass der kulturelle Austausch nach außen intensiver geführt wird, als das im Inneren der Fall ist. Bis zu Beginn der Studie gab es keine besonderen Strategien der Sichtbarmachung der internen Internationalität bzw. Diversität. Anpassungen der Verwaltungsprozesse und -strukturen und der universitären Angebote stellen deshalb eine weitere Komponente dar, die als elementarer Bestandteil von Transformation gesehen wird. Eine Strategie muss berücksichtigen, wie die vorhandenen kulturellen Ressourcen in administrative Prozesse und Strukturen zu integrieren wären. Dabei geht es auch darum, wer welche Entscheidungen trifft. Gremienarbeit findet an der ABPU noch vornehmlich ohne die Einbindung der internationalen Lehrenden statt. Dieses Potenzial lässt sich momentan noch schwerer ausschöpfen als das der Studierenden, denn wie beschrieben sind diese Lehrenden meist nicht kontinuierlich an der Universität vor Ort. So gelingt es kaum, sie an der strategischen Entwicklung des Hauses zu beteiligen. Nutzung von Potenzial durch künstlerische Ko-Kreation

Um das vorhandene Potenzial besser nutzen zu können und für die universitäre Gesellschaft zu einem Mehrwert zu machen, erscheint es angesichts der Situation an der ABPU sinnvoll, die universitären Angebote weiterzuentwickeln. Lehrende wie Studierende haben hierzu Gedanken geäußert, die sie gerne verfolgt sähen. Wichtig wären demnach freiere Curricula, wodurch sich Studierende ihren Ansprüchen entsprechend entfalten könnten. So entstünden vielfältigere Studienbiografien und

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damit Profilierungsmöglichkeiten für die einzelne Person. Veränderungen in Lehrveranstaltungen könnten dann so aussehen, dass der Fokus weniger auf festgelegte Curricula und detaillierte Lernziele als vielmehr auf diverse, kontroverse Perspektiven der Studierenden gelegt wird. In den Fokusgruppen mit Lehrenden wurde genau diese Option formuliert: „Mit anderen Studierenden zur Debatte stellen, vielleicht auch einmal provokativ unser System kritisieren und dadurch wieder neue Impulse reinbringen.“ Lehrende*r Des Weiteren wäre die Arbeit im Kollektiv stärker im Curriculum zu integrieren. „In Studien, wo grundsätzlich viel in Gruppen passiert und Austausch ist und wo die Studierenden sich nicht so stark als Einzelpersonen wahrnehmen, finden sie in diesem Gruppengefüge dann schon besser Platz.“ Lehrende*r Das liefe einerseits auf eine intensivere jahrgangsbezogene Identifikation hinaus. Andererseits könnte so Gruppenbildungen von Studierenden gleicher Herkünfte entgegengewirkt werden. Denn nur 53 Prozent der befragten Studierenden an der ABPU, die in Österreich zur Schule gingen, geben an, sehr häufig/häufig mit Studierenden anderer Herkunftsländer in Kontakt zu kommen. 29 Prozent tun dies eher selten und 18 Prozent sehr selten. 57 Prozent derjenigen, die in Österreich keine Schule besuchten, kommen sehr häufig/häufig mit Studierenden anderer Herkunftsländer in einen Austausch. Entsprechend gibt es auch hier einen großen Anteil, der das eher selten (30 Prozent) oder sehr selten (13 Prozent) tut, was wiederum die Möglichkeiten zu Diversitätserfahrungen einschränkt. In engem Zusammenhang mit der curricularen Anpassung steht die kooperative Zusammenarbeit auf institutioneller Ebene, die das kollektive künstlerische Schaffen begünstigen kann. Eine Erhöhung des möglichen „Abstandes“ zwischen den kulturellen Ressourcen von Studierenden und Lehrenden gelingt auch im Rahmen einer anderen Diversitätskategorie, die sowohl in den qualitativen als auch in den quantitativen Erhebungen von Studienteilnehmenden betont wurde: die Diversität der universitären Institute und Disziplinen. Dabei können zum Beispiel Kooperationsprojekte zwischen Instituten verschiedene Fach-, Wissens- und Persönlichkeitskulturen in einen Austausch bringen. Wie bereits ausgeführt, bestehen Unterschiede zwischen den einzelnen Fachinstituten und Studiengängen, was die sprachliche und kulturelle Diversität betrifft. Während der Austausch innerhalb der Institute als intensiv beschrieben wird, existieren eng verknüpft mit den einzelnen Instituten Subkulturen, die nur wenig mit anderen Subkulturen in Kontakt kommen. Dass dazu eine curriculare Verankerung sinnvoll ist, zeigen andere Umfrageergebnisse: Am häufigsten kommen Studierende mit anderen

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in einen Austausch, wenn sie Lehrveranstaltungen besuchen – das sagen 84 Prozent. Auch in künstlerischen Projekten innerhalb des Studiums geschieht das noch mehrheitlich (69 Prozent). In informellen Zusammenhängen, also privaten Treffen, kommt bereits nur noch rund die Hälfte der Studierenden mit anderen in Kontakt und in künstlerischen Projekten außerhalb des Studiums sogar nur 37 Prozent. Gesprächspartner*innen verweisen in diesem Kontext auf Vereinzelungstendenzen im Musikstudium als einen möglichen Grund für diese relativ geringen Werte. Sollen also ko-kreative Räume geschaffen werden, braucht es strukturelle Anregungen, die helfen, bestehende Hürden zu überwinden. Die Nutzung von erwiesenermaßen vorhandenen Potenzialen stellt grundsätzlich eine große Chance, aber auch eine Notwendigkeit dar, wie der Blick auf die gesellschaftliche Realität offenbart. Wie eingangs beschrieben, braucht es gerade in Bildungszusammenhängen diversitätskompetente Pädagog*innen. Diversere Musik-, Theater- oder Tanzpädagog*innenteams können leichter Anknüpfungspunkte für Kinder und Jugendliche in Kindergärten und Schulen schaffen, wie ein*e Lehrende*r von einem pädagogischen Projekt berichtet: „Da war ein Studierender aus Serbien dabei, der hat dann mit den Kindern einen Kolo getanzt, so wie ich das nie machen könnte. Da hat zum Beispiel ein Kind, das eben auch aus dem Land gekommen ist, ganz anders anknüpfen können.“ Lehrende*r Die Offenheit der Studierenden demgegenüber ist deutlich vorhanden. Die Möglichkeit, die eigenen Vorerfahrungen ins Studium einzubringen, wünschen sich 76 Prozent aller Befragten. Transfer des Transformationspotenzials in die Gesellschaft – ein Auftrag (auch) für die Kulturpolitik

Diesen Wunsch zu berücksichtigen ist die Aufgabe der Universitäten. Denn die Frage, was es für die kulturelle Landschaft und die weitere Gesellschaft heißt, wenn ein großer Teil der Studierenden an Kunstuniversitäten nicht in Österreich zur Schule gegangen ist, hängt eng damit zusammen, welchen Weg die Absolvent*innen nach dem Studium gehen können und wollen. Von den Befragten der ABPU will knapp die Hälfte in Zukunft in Österreich arbeiten, ein Drittel in einem anderen Land, und ein weiteres Drittel weiß es noch nicht. Dass die Anzahl derer, die in Österreich tätig sein wollen, im Gegensatz zu vielen anderen Studienrichtungen eher gering ist, kann auch damit zusammenhängen, dass es Künstler*innen, die nicht in Österreich auf- und in den Kulturbetrieb hineingewachsen sind, grundsätzlich schwerer haben zu reüssieren. Das zeigen die Gespräche im Rahmen der Reihe „EDUCULT im Gespräch“, die regelmäßig Künstler*innen mit Migrationshintergrund zu einem Interview einlädt und in der diese von ihren Erfahrungen mit dem Wiener Kulturbetrieb und der

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österreichischen Gesellschaft erzählen.15 Sie betonen dabei insbesondere, dass das Eingebettet-Sein in relevanten Netzwerken entscheidend dafür ist, von der eigenen künstlerischen Tätigkeit leben zu können. Die Sprache bedeutet nicht nur für Schauspieler*innen eine große Hürde, sondern für alle, wenn es darum geht, mit den richtigen Menschen in Kontakt zu kommen und den Austausch zu pflegen, Förderanträge zu stellen etc. Kunstuniversitäten haben deshalb eine besondere Verantwortung, allen ihren Studierenden – den Künstler*innen von heute und morgen – das mitzugeben, was sie brauchen, um künstlerisch tätig sein zu können. Nicht zuletzt böte die Erfahrung verschiedener kultureller Besonderheiten für alle Studierenden bessere Ausgangschancen am künstlerischen Markt. Noch viel mehr müssen sie sich aber ihrer Rolle als kulturpolitische Akteur*innen gewahr werden, denn der hohe Grad an Diversität unter den Studierenden fließt in die kulturelle Landschaft Österreichs ein und beeinflusst diese nachhaltig. Die Inklusion aller Diversitäten muss deshalb bereits in der Ausbildung beginnen und dabei das damit verbundene Potenzial im Sinne der kulturellen Ressourcen freilegen, sodass die zukünftigen Künstler*innen verstehen, wie sie dieses Potenzial einsetzen und transferieren können. Transkulturalität im Studium zu ermöglichen ist die große Chance der Kunstuniversitäten,16 denn der kreative Vorgang, durch die Auseinandersetzung mit verschiedenen kulturellen Ausprägungen und Phänomenen zu etwas Neuem zu gelangen, oder die Transformation von Realität ist künstlerischen Schaffensprozessen inhärent. In einem Folgeschritt wären die Erfahrungen und Lernprozesse, die im „Labor Universität“ gemacht werden, in das kulturelle Leben der Stadt und ihrer Umgebung zu transferieren – in einer Mischung aus regionaler Verankerung und offenen internationalen Horizonten. Parallel dazu ließen sich die Erkenntnisse, die sich aus der Studie ergeben, auf die weitere Gesellschaft übertragen – und zwar in den folgenden drei Punkten: • Sprache neu denken, • kulturelle Diversität der verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche und den Austausch untereinander stärken, • offene Atmosphäre, Begegnungsräume und Austauschformate schaffen. Erstens: Die Künste können als Möglichkeit verstanden werden, „Sprache“ neu zu definieren und in anderen Ausdrucksformen gemeinsame Sprachen zu finden. Aber das heißt auch, dass Kulturpolitik einen weiten Kulturbegriff pflegen muss, der über eine einzelne Sprache bzw. ein spezifisches tradiertes Kulturverständnis hinausgeht. Zweitens: Die Künste können als Chance gesehen werden, verschiedene gesellschaftliche Anliegen miteinander zu verbinden. Das heißt aber, dass Kulturpolitik einerseits von einem herkömmlichen Spartendenken Abstand nehmen muss und andererseits den Austausch mit anderen gesellschaftlichen Feldern zu suchen hat, insbesondere mit

Aron Weigl 15 EDUCULT im Gespräch, http://educult.at/ educult-im-gespraech (31.10.2019).

16 Vgl. Wolfgang Welsch (2018): „Was ist eigentlich Transkulturalität“, in: Darowska/Lüttenberg/Machold (2018), S. 39–66.

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dem Bildungsbereich, aber auch mit zielgruppenorientierten Politiken (Jugend, Senior*innen, Frauen, Migrant*innen etc.) sowie mit Sozial-, Wirtschafts- und Wissenschaftspolitik. Drittens: Die Künste können als Türöffner zu neuen Räumen des Austausches und der Begegnung begriffen werden, in denen positive Diversitätserfahrungen gemacht werden können. Das kann gelingen, wenn Kulturpolitik Orte des kulturellen Geschehens im öffentlichen Raum ermöglicht, kulturelle Angebote dezentralisiert und vor allem die Ideen fördert, die Verbindungen zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen herstellen können. Gerade die Kunstuniversitäten können dazu beitragen. Ihr Potenzial wäre vonseiten der Kulturpolitik zu nutzen, und sie wären dabei zu unterstützen, solche Begegnungsräume zu schaffen, sich zu öffnen und die eigenen „Laborerfahrungen“ mit anderen Gemeinschaften zu teilen.

Brigitte Felderer The Social Design Studio at Angewandte

89 See artistic contributions by students and alumni of Angewandte’s Master’s program “Social Design – Arts as Urban Innovation” at the conferences 2016–2019 on pages 54, 120, 168, 194, 268, and 330.

The projects in the Social Design Studio are realized by changing constellations. Their production is based on the motivations, visions, and methods, of different team members. We are not looking for the least common denominator, but pursue making such diversity productive. This procedure is only possible because we can trust one strong common interest: our convinced focus is conditions of existence, may they be our very personal ones, may this issue be treated by insights into new knowledge, by needs we are confronted with, respectively. What brings us together is a will to change, a reason to act, and a constant reflection about the circumstances we are acting within but which we also have to re-think, re-shape, and sometimes even re-invent. Such action is only possible because of strong networks inside and outside the studio, with or without official funding, along with fearless thinking. Such claims seem limitless in their aspiration, but they speak of a strong will to take responsibility and commit. The methods are so-called artistic. “Artistic,” here, addresses an avant-garde claim that art and life, the private and the public, must never be separated. We rely on our liminal existence and change between spaces, persons, and structures, not by leaving them behind, but by coping with a complex reality. The applied methodology is based on thorough research; methodological reflection establishes a context of related projects, aims, and people. Nevertheless, the challenge to come up with new approaches, to maybe re-define expectations, comes along with the tasks the projects demand. We need the productive contradiction of absorbing knowledge while trying to escape any beaten track in order to remain unbiased. The artistic methods we need are not necessarily addressed to typical art spaces and the scholarly expertise we include is valuated in a process of participation. The projects are not developed about people, about a space, about a city, but with the people, within a space, and within a certain urban context. Any intervention during ongoing urban change needs a multi-vocal, collaborative basis if it wants to be sustainable. If anyone’s right to the public is not fully respected, then how could any measurement (even an improvement) be understood, wanted, accepted, and finally taken care of? Along with our understanding of a university department as a hub of information exchange and networking, focusing on societal issues, we have opened our doors, triggering a process of de-institutionalization. This means we can positively instrumentalize the university as a space of free thinking, of fearless dreaming, opening up to collaborations and frameworks, literally opening up to public space. As a department of this university, we are asked to contribute to society, to never forget that a university is a place of privileges we have to share.

András Bozóki Sarah Cueva Nationalizing Rhetoric and Homogenizing Culture An Outline of the Cultural Politics of the Hungarian Far Right

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1 Rogers Brubaker, Nationalism Reframed. Nationhood and the National Question in the New Europe, (Cambridge: Cambridge University Press, 1996).

2 “Policies,” Jobbik.com, (February 21, 2015), https://www.jobbik.com/ policies. 3 ibid.

4 “Hungary Hands Awards to Well-known Anti-Semites,” Deutsche Welle, (March 17, 2013), https:// www.dw.com/en/hungary-hands-awards-towell-known-anti-semites/a-16680063.

In this chapter we aim to demonstrate how the Orbán regime occupied the far-right ideological space, and by doing so, how it reshaped cultural politics in Hungary. Between 2010 and 2019, parallel with the process of democratic decline, dominant ideology, state propaganda and cultural politics became indistinguishable from each other. In Hungary, nationalism has been of particular salience and emotional appeal, harnessing and playing off of many Hungarians’ discontent with the post-transition situation. Indeed, the cultivation of a strong nationalist discourse has been a key boon for the Orbán regime, which has manipulated Hungarians’ disillusionment, prejudices, and fears in a way that has rendered the citizenry increasingly susceptible to extreme nationalist and right-wing ideologies. In the midst of widespread dissatisfaction with Hungary’s direction in the aftermath of the Soviet communist hegemony, nationalist sentiment is particularly salient in that it gives citizens a common identity and sense of belonging within what would otherwise appear to be an alien land stripped of its rightful territory. Indeed, the power of nationalism and “nationalizing discourses,” as coined by Rogers Brubaker, a scholar of nationalism, has arguably been the driving force behind the far right and its popularity among its constituents.1 Viktor Orbán and his Fidesz party have taken note and adopted an aggressive Hungarian nationalizing discourse. The right’s “nationalizing discourse” has attempted to create and reinforce the perception of a common national identity among Hungarians that stretches back to ancient times. The other far-right party, Jobbik, has capitalized on the idea of a founding myth to bind together Hungarians with a sense of national pride and belonging, even including as part of its cultural platform such ideas as declaring a national holiday in commemoration of the “Hungarian people’s” victory at the Battle of Pozsony in 907 AD.2 Additionally, the Jobbik cultural policy platform includes a call for constitutional protection of Hungarian “national symbols” such as the Holy Crown and the Turul bird, further solidifying this conception of an ancient nation with a common founding myth.3 In constructing such a national identity, Jobbik and Fidesz have promoted a homogeneous nation of ethnic Hungarians at the expense of ethnic minorities, and the parties’ vision of an ideal Hungary values these “true” Hungarians above all others—even if not explicitly. Earlier, Viktor Orbán attempted to distance himself from charges of extremism leveled against his political relatives in Jobbik, though he has drawn ire on a number of occasions for adopting a similarly exclusionary stance. In 2013, he was accused of trying to gain favor among far-right radicals by bestowing Hungary’s highest honor, the Táncsics Prize, upon some colorfully controversial figures known for their espousal of anti-Semitic conspiracies and extreme nationalist views.4 Among the honorees was rocker János Petrás, the frontman of Jobbik’s de facto patron band Kárpátia. The band’s grungy style is complemented by lyrics promoting an extreme nationalist vision of the ideal Hungary, with songs ranging from

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odes to the Turul bird to calls for revanchist conquests in reconnecting ethnic Hungarians abroad with their rightful homeland.5 In awarding the highest national honor that can be bestowed upon Hungarians to such a radical and controversial figure as János Petrás, the Orbán regime is elevating these figures—their ideals, actions, and symbols—as representative of the essence of Hungary—figures of Hungary’s pride, to be emulated. Thus, Orbán has recognized the power of these national symbols and radical nationalist myths in mobilizing popular support and consolidating power, prompting the regime to pick up on Jobbik’s cues and repackage them so as to appear the originators of these nationalist ideals. The refugee crisis of 2015 has provided a particularly powerful source for cultivating nationalist sentiment. The crisis sweeping across Europe has been met by a variety of responses—ranging from hospitable to downright hostile—from nations affected by the influx of desperate Syrian migrants. Hungary’s response falls on the hostile side of the spectrum and this hostility is, in large part, a product of Fidesz’s attempts to appropriate Jobbik’s stance on the crisis and what should be done to mitigate it. The result of this political outbidding, we will show, has been the development of a nationalist climate that aids Hungary’s authoritarian backsliding. Underlying the Fidesz-Jobbik convergence on the refugee crisis was a very particular conception of “Hungarian-ness” that has been largely influenced by Jobbik’s unabashedly exclusionary version of Hungarian ethnic nationalism. A cornerstone of its ideological foundation was an intense wariness toward “multiculturalism.” In a post on the party’s official website, a Jobbik operative discussed the need to counter the wave of migrants crossing through Hungary, at the same time underscoring this exhortation with a condemnation of the principles of multiculturalism: “The failure of multiculturalism is obvious for everybody and even if the West is already lost, nobody can deprive Central Europe of its right to preserve the continent together with its traditional values, religion, and culture.”6 Transparent through this condemnation of multiculturalism is a very particular conception of the ideal “culture” that needs defending. The far-right, Orbán government intimation that the West is beyond saving projects an image of Hungary as the guardians of Europe from individuals that they see as Muslim invaders, undesirables who pose a dire threat to a homogeneous, Christian Hungary.7 In the case of immigration, it became clear that the so-called moderating effects of power have not done anything to constrain Orbán and his Fidesz party in promoting their stances towards the refugee crisis. Indeed, Fidesz’s immigration policy very closely resembled the immigration policy started by Jobbik. Orbán has asserted that Hungary is not sufficiently equipped to handle migrants because of the country’s inexperience with “multiculturalism.”8 In addition to the construction of a 110-mile-long fence along the Hungarian-Serbian border to keep out migrants in transit and Fidesz’s fierce rejection of EU-imposed migrant quotas, the Orbán government channeled xenophobic attitudes toward the crisis and set in

András Bozóki Sarah Cueva 5 ibid.

6 Editorial, “Hungary Shall Belong to Hungarians as Long as We Breathe,” Jobbik.com, (November 20, 2015), https://www. jobbik.com/hungary_ shall_belong_to_hungarians_as_long_as_ we_breathe. 7 Zoltán Ádám/András Bozóki, “State and Faith: Right Wing Populism and Nationalized Religion in Hungary,” in: Intersections. East European Journal of Society and Politics, 2(1), (2016). 8 Annabel Tremlett/Vera Messing, “Hungary’s future: anti-immigration, anti-multiculturalism and anti-Roma?” openDemocracy, (Aug. 4, 2015).

Nationalizing Rhetoric and Homogenizing Culture

9 ibid. Full questionnaire and introductory letter written by Orbán (all in Hungarian) can be found here: http:// www.kormany.hu/ download/b/33/50000/ nemzeti_konz_2015_ krea12.pdf. 10 Patrick J. Lyons, “Explaining the Rules for Migrants: Borders and Asylum,” in: The New York Times, (Sept. 16, 2015). Full description of the Dublin Regulations included therein.

11 Christopher Adam, “Hungarian justice minister says no to immigrants, because Gypsies already pose huge burden,” in: Hungarian Free Press online, (May 22, 2015), http://hungarianfreepress.com/2015/05/22/ hungarian-justice-minister-says-no-to-immigrants-because-gypsies-already-pose-huge-burden/. 12 Tremlett/Messing (2015).

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motion a nationwide anti-immigration campaign that included posters and billboards throughout Hungary admonishing migrants and reminding them that Hungary is a nation for Hungarians. Among the poster quotes were the following: “If you come to Hungary, you have to respect our culture!” and “If you come to Hungary, you have to respect our laws!” This marked a clear political ploy by Fidesz to ingratiate itself to voters who feel threatened by migrants entering the country, especially given that the migrants toward which the signs were purportedly directed are unlikely to understand Hungarian. An additional aspect of Fidesz’s grassroots anti-migrant campaign, called the “National Consultation on Immigration,” was a questionnaire sent in July 2015 to every Hungarian household in a supposed effort to collect data on Hungarians’ feelings on immigration. Clearly imbued with an anti-immigrant slant, the survey asked such leading questions as: “There are some who think that mismanagement of the immigration question by Brussels may have something to do with increased terrorism. Do you agree with this view?”9 Such aggressive posturing has been complemented by Orbán’s refusal to abide by mandatory EU quotas imposed on each member state to more evenly spread the financial and infrastructural burden. Additionally, the Orbán regime decided to unilaterally reject transfers of migrants to Hungary under the Dublin Regulations.10 However, Orbán is just using the opportunity of the migration crisis for the purposes of manipulation: to control Hungarian citizens more strictly in order to cement his own power. The political right’s hostility towards refugees has been complemented and preceded by a long history of its hostility towards certain subgroups of Hungarians as well: namely the Roma and Jews. This hostility has only worsened since the rise of the right wing and Fidesz’s effective attempts to outbid Jobbik in its xenophobic zeal. László Trócsányi, Hungary’s Minister of Justice (2014–2019) was lambasted by the Hungarian and international press for a statement in May 2015 wherein he both criticized the EU migrant quota system and gave an interesting justification as to why Hungary cannot accept Syrian refugees: because Hungary must first focus on integrating the country’s Roma population of 800,000.11 In the process of making this assertion, Fidesz managed to do two things: assert that the Roma are not truly a part of Hungary and thus pose an urgent problem to be fixed, and appeal to anti-Roma voters who otherwise would only hear such a message from Jobbik. Indeed, analysts have pointed out how Fidesz’s scapegoating of the Roma is strikingly reminiscent of Jobbik, warily stating that tying the immigration issue with the Roma is a “genius” tactic by Fidesz to win over the growing contingent of Jobbik supporters within Hungary.12 Fidesz’s Roma-blaming tactics echo Jobbik’s previous cries of rampant “gypsy crime,” or cigánybűnözés in Hungarian, an offensive term that has become more widely used and accepted as the Hungarian mainstream has shifted to the right. The government officially denies that it is racist against the Roma people while also justifying their usage of the term. At

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the same time as the regime officially asserts that it is not anti-Roma, it categorically equates the minority ethnic group with “the predominant commission of certain types of crimes.”13 What is more, they support their claim by citing cases of increased crime rates in communities abroad that have seen large influxes of Roma migrants, saying that “when such Roma populations emigrate […] the communities they come to suddenly find themselves victims of precisely these forms of criminality.”14 This anti-Roma rhetoric has been taken a step further with the formation of far-right paramilitary groups. In 2007, former Jobbik leader Gábor Vona founded the Magyar Gárda, or Hungarian Guard, with its primary goal being to “strengthen national self defense” and to “[maintain] public order.”15 The group’s members wore fascist-era boots and coats adorned with the red-and-white-striped flag used by the anti-Semitic, fascist Arrow Cross Party in the 1940s. Though Hungarian courts ordered the disbandment of the Magyar Gárda in 2008, the group utilized legal loopholes to reorganize into three separate-but-associated groups: the Új Magyar Gárda (New Hungarian Guard), Magyar Nemzeti Gárda (Hungarian National Guard), and Szebb Jövőért Polgárőr Egyesület (Civil Guard Association for a Better Hungarian Future).16 Jobbik officially denies that it condones violence and racism, asserting that it is not against anyone but only “for Hungary.”17 However, the descendants of the original Magyar Gárda wear similar fascist-era uniforms and employ intimidation tactics that sometimes spark outright violence. In March of 2011, these paramilitary groups went to Gyöngyöspata, a village northeast of Budapest, to carry out “military exercises” and “security patrols,” also setting up a training center in a part of town heavily populated by Roma.18 The paramilitary presence there prompted the evacuation of some 270 Roma women and children, while the radical Hungarian National Front declared on its website that the conflagrations between the radicals and the Roma people marked the “outbreak of a cleansing civil war.”19 Not only has Fidesz neglected to unequivocally condemn these racist paramilitary groups, but it has also pushed policies aimed at intimidating and marginalizing ethnic minorities.20 The industrial city of Miskolc, for example, is a large city with a significant Roma population, within which there is a disproportionate unemployment rate; as a result, dilapidated Roma encampments take up the hillsides. In an effort to outbid Jobbik’s approaches to the hot-button Roma question during the 2014 elections, Fidesz circulated a petition demanding the destruction of the Roma encampments in Miskolc and then later passed a measure authorizing payments to Roma families in exchange for their agreeing to move out of an encampment in a favored area of the city.21 Though the Constitutional Court declared the bill unconstitutional, it is a demonstration of Fidesz’s employment of controversial tactics to expand its voter base among rightwing populists and to consolidate its power in a fractious Hungary. To be sure, Fidesz has taken note of Jobbik’s focus on exclusionary nationalism and appropriated it for the sake of its own political gain.

András Bozóki Sarah Cueva

13 ibid.

14 Editorial, “Frequently Refuted Lies All”, Jobbik. com, https://www.jobbik. com/frequently_refuted_lies_all.

15 “Alapító nyilatkozat [Establishment Manifesto],” (Aug. 25, 2007).

16 Jeffrey S. Murer, “The Rise of Jobbik, Populism, and the Symbolic Politics of Illiberalism in Contemporary Hungary,” in: The Polish Quarterly of International Affairs 2, (2015), 88. 17 Adam LeBor, “Marching Back to the Future: Magyar Garda and the Resurgence of the Right in Hungary,” in: Dissent 55(2), (2008), 35. 18 “Hungary Roma battle far-right vigilantes,” BBC News online, (April 27, 2011), https://www.bbc. com/news/world-europe-13206261. 19 Athena Institute, “Hungarian National Front Profile,” www.athenainstitute.eu/en/map/ olvas/20. 20 LeBor (2008).

21 James Traub, “Shuttered Factories and Rants Against the Roma,” in: Foreign Policy, (Oct. 29, 2015).

Nationalizing Rhetoric and Homogenizing Culture

22 “Manifesto,” Jobbik.com, (Oct. 24, 2003), https:// www.jobbik.com/manifesto_0. 23 “Policies,” Jobbik.com, (2015).

24 Péter Krekó/Gregor Mayer, “Transforming Hungary – Together? An Analysis of the Fidesz-Jobbik Relationship,” in: Michael Minkenberg (ed.), Transforming the Transformation? The East European Radical Right in the Political Process, (London: Routledge, 2015), 183–205: 198. 25 ibid. 26 See Viktor Orbán’s speech at Tusnad, Romania, (July 26, 2019).

27 Cf. Zoltán Ádám/András Bozóki, “‘The God of Hungarians.’ Religion and Right Wing Populism in Hungary,” in: Nadia Marzouki/Duncan McDonnell/Olivier Roy (eds.), Saving The People: How Populists Hijack Religion, (London: Hurst and New York: Oxford University Press, 2016), 129–147.

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An additionally important example of Fidesz appropriating policies and stances originating with Jobbik is the assertion that Hungary is a fundamentally Christian state. The Jobbik manifesto states that it is a “value-centred, conservative, patriotic Christian party,” and that “national identity and Christianity are inseparable concepts.”22 One of the primary policy areas of Jobbik’s platform was “clerical”: the primary aim is to preserve, protect, and promote churches, thereby increasing the role of religion in everyday affairs.23 Similarly, Viktor Orbán’s Fidesz has promoted Christianity as a core element in and of the Hungarian state, and his stated commitment to protecting Hungary as a “Christian nation” has become a rallying cry in his approach to the refugee crisis. The new constitution ratified by Orbán includes an explicit designation of Hungary as a Christian nation: “We recognize the role of Christianity in preserving nationhood.”24 Also enshrined in the constitution is a reference to the radical-right symbol of the Holy Crown as the “embodiment of […] the unity of the nation.”25 It is important to note that Orbán controversially pushed through this new constitution in 2011 and the timing of these clear plays toward more religious voters is surely strategic. Most recently, Orbán renamed his “illiberal democracy,” which did not sound well outside Hungary, as “Christian liberty.”26 Of course, this nationalistic reinterpretation of Christianity sharply contradicts the writings and speeches of Pope Francis, who always emphasizes the inclusive and universal character of Christianity. It is no coincidence that Hungary has witnessed a resurgence of Christendom (as opposed to Christianity) as the political right has called upon a uniquely Hungarian Christian revisionism to consolidate support and legitimize their political strategy with the backing of a Christian God. Religion has become an important mainstay of right-wing populist support in Hungary, though the substance and sincerity of the right’s appeal to Christianity is questionable.27 Indeed, as a state with a generally secular society, the Hungarian right’s adoption of Christianity and Christian values as a rallying cry is intriguing. However, the attention granted Christianity by the right and the actual political power of the church and affiliated religious institutions is mismatched. To be sure, the church is more a political tool for the governing populist right than the government is for Christianity. An aspect of Fidesz’s cultural policy that has become more and more prominent in recent years is revanchism and the attempt to politically connect with ethnic Hungarians living outside of Hungary’s borders. Nationalizing rhetoric and outreach campaigns, including the proposed easing of the naturalization process to become a Hungarian citizen, have struck a tone of almost aggressive expansion and an attempt by the radical right to appeal to the electorate abroad. Viktor Orbán’s increasingly radical nationalist stances have been aimed at ethnic Hungarians living outside of Hungary’s borders; the infamous statement of Hungarian illiberalism was made during a speech to ethnic Hungarians in Romania,

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for example.28 Fidesz’s co-optation of Jobbik’s revanchist policies can also be seen in a recent restructuring of the electoral system. The 2014 parliamentary election in which Fidesz achieved what has been called a landslide victory was the first election in which Hungarian dual citizens could vote from abroad; tellingly, about 95 percent of this international vote went to Fidesz, indicating another significant area in which Orbán’s regime has benefited far-right politics. Fidesz’s central propaganda machine transmits the government’s messages of ethnic nationalism, paganized Christianity, and patriarchal family values with demands of law and order. Leading Fidesz politicians express their antipathy towards the Roma and people of the underclass who, according to the general view, “deserve their fate.”29 In the meantime, the government repeatedly attacks groups of the intelligentsia and the youth. First, government press fiercely attacked philosophers of the “Lukács school” (followers of the famous Marxist philosopher Georg Lukács, who died in 1971, including Ágnes Heller, Mihály Vajda, and others). Second, non-mainstream artists, actors, and actresses, and representatives of alternative culture, became targets of the regime’s nationalist propaganda. Third, there was campaign of humiliation directed at the director of the National Theatre, Róbert Alföldi, based on homophobic grounds, parallel to the Orbán regime’s campaign against Hungarian writers and artists who criticized the regime abroad (novelist Imre Kertész, pianist András Schiff, film director Béla Tarr, theater director Árpád Schilling, and others). Fourth, Fidesz cadres have stuffed countryside theaters, and a well-known Budapest theater has been given to two well-known, far-right anti-Semites by the pro-Orbán Mayor of Budapest.30 Fifth, the self-governing body of Hungarian filmmakers was dissolved on charges of corruption that were unproven. Decisions on film-making are now centralized to a ministerial commissioner. Newly introduced, discriminatory laws on public and higher education gave central control over high school and university students, aiming to significantly reduce the number of university students. The well-known Hungarian-American Central European University (CEU) has been forced out from Hungary by the discriminatory legislation of the regime, while the Hungarian Academy of Sciences (MTA) has been deprived of its network of research institutes.31 Further plans have been revealed to “integrate” some universities to reduce their number (especially targeted: those universities considered “leftist”). Young scholars are leaving the country on a large scale. The most important refocusing occurred from culture to sports. The Prime Minister nurtures the idea of organizing Olympic Games in Budapest in the not-so-distant future. By declaring sports the most important part of culture, the regime is busy building football stadiums in medium-sized towns, stadiums never filled by fans. According to nationalist propaganda, sports are the major unifying force of the nation.

András Bozóki Sarah Cueva 28 Cf. András Bozóki, “Beyond ‘Illiberal Democracy’: The Case of Hungary,” in: Violeta Besirevic (ed.), New Politics of Decisionism, (The Hague: Eleven International, 2019), 93–124.

29 Richard E. Field, Love Letters to a Neo-Nazi, (USA: Lulu Press, 2012), 62.

30 István Tarlós was Mayor of Budapest, supported by Fidesz (2010–2019).

31 For more detailed analysis, see János Mátyás Kovács/Balázs Trencsényi (eds.), Brave New Hungary: Mapping the “System of National Cooperation,” (New York: Lexington Books, 2019).

Nationalizing Rhetoric and Homogenizing Culture

32 Bálint Magyar, Post-Communist Mafia State: The Case of Hungary, (Budapest and New York: CEU Press, 2016); for more detailed analyses see: Bálint Magyar/ Júlia Vásárhelyi (eds.), Twenty-Five Sides of a Post-Communist Mafia State, (Budapest and New York: CEU Press, 2017).

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To sum up, Orbán treats Hungary as his own holding and therefore benefits, via stooges and family members, from these investments. His regime does not seem to tolerate autonomous, independent institutions and people. He has a vision about a centralized, personalized, clan state and a vertically controlled, dependent society.32 Genuine artistic and cultural activities are considered oppositional, still—despite all of its efforts—the regime cannot replace culture with propaganda.

Mercedes Giovinazzo Marín The Spanish Civil War and the Safeguarding of Heritage A Historical Milestone

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The year 2019 marked the 80th anniversary of the end of the Spanish Civil War: three years of a ferocious and bloody conflict that divided the country and destroyed its social fabric. Families and friends found themselves, more often than not, fighting against each other in a war that has been defined by historians as the forerunner of World War II. Indeed, for the first time in the history of mankind, an armed conflict took an unknown dimension as it systematically targeted the civil population through airstrikes. Guernica, the famous painting by Picasso, testifies to the merciless destruction of urban areas with the ensuing dramatic mass displacement of civil population. During the Civil War (1936–1939), Spain was abandoned to itself and its tragic destiny by the main European powers. Hiding behind a position of neutrality, European governments, notably the British and French, did not intervene to uphold and support the legitimate government of the Republic of Spain. This particular positioning enabled the deployment of interests by the Italian Fascist and German Nazi governments to support the coup, led by General Francisco Franco, with military aid. It also gave Stalin the opportunity to activate the Soviet Union to support both the Communist and Anarchist factions in Spain. The consequence of these bickering positions is well-known: the Spanish Republic lost the war and a forty-year dictatorship ensued. The horrors of the Spanish Civil War are mostly unknown to the general public. Among the many frightful situations that the war entailed was the displacement of Spain’s civil population. Indeed, little is known about the approximately 500,000 exiles (an incredible number for that period of history) that it generated. Spanish men, women and children fled their country in desperate and extreme situations and were mostly received by neighboring countries as “undesirables.” Many ended up in the concentration camps organized by the French government in southern France that, in many cases, were the steppingstones for deportation to German concentration camps. Others were sent to the Soviet Union; this was the case of the Niños de Rusia. Most of the approximately 3,000 children sent to Russia between 1937 and 1938 were never returned to their families. Little is also said about the fact that the acclaimed resistance and partisan guerrillas deployed during World War II were, in fact, inspired and mainly guided by Spaniards who, having participated in the Civil War, put their lives at stake to defend the principles of freedom and democracy in which they most strongly believed. Little, if nothing at all, is known about the generous offer made by Latin American countries, notably Mexico, to receive Spanish exiles and provide them with the opportunity of a fresh start in life. Ships sailed from Bordeaux, Rotterdam, and other European ports with a cargo of human lives fleeing from hunger, deprivation, and humiliation, towards more promising futures. Among these, the five hundred Spanish orphans, called the Niños de Morelia, that sailed on the French ship Méxique with the support of the Comité Iberoamericano de Ayuda al Pueblo Español. The Mexican government deployed an institutional

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position and policy to facilitate the entry of Spanish exiles. A ceremony was in fact organized, in June 2019, by both Mexican and Spanish authorities in the city of Veracruz, Mexico, to commemorate the 80th anniversary of the Spanish Republican Exile. If little is known of all the above, almost nothing at all is known by the general public about another extremely important episode of the Spanish Civil War: the quest to save the Spanish national cultural heritage from destruction when the war was at its worst, when it was obvious that Nationalist forces were bound to advance relentlessly and that the legitimate government of the Spanish Republic was in an extreme situation.1 Indeed, in July 1936, just days after the Civil War began, the Spanish Ministry of Public Education and Fine Arts decreed the creation of the Junta de Incautación y Protección del Patrimonio Artístico, a special body that had the responsibility, in the name of the State, to impound and preserve “all the works, movable or immovable, of artistic, historical or bibliographical interest which, in the light of the unusual current circumstances were, in their opinion, in danger of ruin, loss or deterioration.”2 The Spanish President, Manuel Azaña, had indeed declared that “it is more important to save our artistic treasure than the Republic itself: if this one is lost, it can be restored, but the other, if lost, will never be recuperated.”3 The idea, widely spread by the faction that won the war, that the government of the Republic was numb to the situation regarding the preservation of the artistic heritage of the country, is completely false. It is also false that the Republicans did all that was in their power to destroy this heritage. The infamous letter sent in July 1937 by Spanish bishops to their colleagues throughout the world, accused Spanish Republicans (defining them as Communists and “Reds”) of, among other things, systematically plundering and destroying works of art. Although plundering by all parties is undoubtedly one of the unacceptable sideeffects of all wars, in this specific case history has yet to rectify this unjust accusation. The truth is that Spanish civil society took on itself very seriously to contribute to the safeguarding of Spain’s heritage. Museum curators, art historians, collectors and art dealers, but also technicians and handymen, felt very keenly that the works of art had to be saved and they all contributed to the undertaking. In Madrid alone, over 18,000 paintings, 12,000 sculptures and objects, 2,000 tapestries, 40 church and private archives, and 70 libraries were retrieved, packaged, and sent out of the city.4 The convoy that departed from Madrid, with perfectly packaged wood cases, travelled first to Valencia, then Barcelona, and finally to the French border, collecting other cases during the journey. In January 1939, the Spanish government retreated to the San Fernando Castle in Figueras, at Spain’s northeastern border with France. The castle, a military stronghold built in the 18th century, offered the government the necessary security conditions to continue its work. It was here that the last session of the Cortes Españolas, or Parliament, was held on January 30th,

Mercedes Giovinazzo Marín

1 This section is freely adapted from: Miguel A. Marín, “Así salvamos los tesoros del Museo del Prado”, in: Historia y Vida 241, (1988), 70–78.

2 José Álvarez Lopera, “La Junta del Tesoro Artístico de Madrid y la protección del patrimonio en la Guerra Civil” in: Arte protegido: memoria de la Junta del Tesoro Artístico durante la Guerra Civil, (2009): 30–31, https://en.calameo.com/ read/0000753354bf536 5e5dc5. 3 Miguel A. Marín, “Así salvamos los tesoros del Museo del Prado,” in: Historia y Vida 241, (1988), 72.

4 Isabel Argerich/Judith Ara, Arte protegido, Protected Art, Art protégé, Catalogue of the Exhibition at the Palais des Nations, Geneva, (2005), 10.

The Spanish Civil War and the Safeguarding of Heritage

5 Miguel A. Marín was, at the time, Director of the Political and Diplomatic Division of the Spanish Ministry of Foreign Affairs. As explained in the article by Josep Playà Maset (“El hombre que ‘salvó’ el Prado,” in: La Vanguardia, January 26, 2010), after the Spanish Civil War, Miguel A. Marín went to Mexico as an exile and in 1946 joined the United Nations’ Secretariat, eventually becoming Director of Political Affairs of the UN Security Council. He worked for the United Nations until his retirement in 1972. 6 The text of the convention is available in Miguel A. Marín, “Así salvamos los tesoros del Museo del Prado,” in: Historia y Vida 241, (1988).

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1939, when, under the constant bombardments by the joint air forces of Hitler, Mussolini, and Franco, it was clear that all was lost. On February 2nd, a French and a British diplomat arrived at the castle carrying a request from the Spanish Minister of Foreign Affairs, Julio Álvarez del Vayo, authorizing the removal of the cases to France. The diplomats argued that the situation was one of emergency and urged the civil servant who received it to honor it. The young civil servant, Miguel A. Marín, refused to abide by the request,5 arguing that the positions of both France and the United Kingdom had been one of passiveness throughout the war and that they had opted to not facilitate the possibility of arriving at a peace agreement between the Republic and the Nationalists. Furthermore, the terrible pillage carried out by Napoleon during his invasion of Spain was still quite fresh in the memory of the Spanish people. Marín put forward and defended the idea that, instead of simply authorizing the removal, it would be much wiser to draft the text of a convention by which the signatory parties would agree to the following clauses: 1) to transfer Spanish artworks from Figueras, Perelada, and the other places where they had been stored, to the headquarters of the League of Nations in Geneva where they would be entrusted to its Secretary General; 2) to ensure that during their journey through France the artworks would not be embargoed; 3) to dutifully return the artworks to the Spanish government “to be safeguarded as common property of the Spanish people”,6 regardless of who won the war. The terms that Marín put forward in the convention were extremely innovative to say the least. In the first place, the convention intended to protect the artworks from potential embargoes by other countries that might extend claims to the artworks as payment for so-called damages. In the second place, it introduced a new and important concept: the heritage of a nation is to be considered the property of its people. Indeed, never before in history had such a legal concept been applied and, by committing the return of the artworks to Spain, the parties ensured that they would be first and foremost duly reinstated to their places of origin. The war once over, the Spanish Republican government-in-exile would not be in the position to guarantee the security of the artworks and, consequently, the solution applied was the lesser of two evils. World War II was imminent and the situation in Europe could not have been more fragile. The President of the Committee of Ministers, Juan Negrín, and the Minister of Foreign Affairs, Álvarez del Vayo, agreed to the proposal and on February 3rd, the text of the convention was drafted. It was signed on February 4th by the Spanish Minister of Foreign Affairs and the Deputy Director of the Louvre with, as witnesses, the Director of the British Museum, the representative of the Spanish Committee for the Preservation of National Artworks and by the head of the Political and Diplomatic Section of the Spanish Ministry of Foreign Affairs who had personally drafted the text. That same week, seventy-one trucks filled with artworks crossed the Spanish border into France under the surveillance of Spanish and French

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troops. In Perpignan, some 2,000 boxes were put on a train headed for Geneva. They arrived at the Palais des Nations in mid-February and during March, the artworks were thoroughly inventoried under the supervision of both the Deputy Director of the Louvre and Spanish experts. Thus, the Inventaire des œuvres d’art espagnoles was completed. At the end of March 1939, the artworks were handed over to Franco’s government, as were the approximately 400,000 US dollars generated by the exhibition of the Spanish artworks that had been held in Geneva that same month. There is a somewhat romanticized version of this episode of the Spanish Civil War in the form of a film documentary, Las cajas españolas.7 An exhibition, Arte Protegido. Memoria de la Junta del Tesoro Artístico durante la Guerra Civil, was also held at the Prado in 2003. The first is a story of war that recounts how the artworks were transported out of the country, while the second showcased the treasures saved. Unfortunately, neither addresses the fact that the convention signed in Figueras on February 4th, 1939, is the first known legal instrument by which the signatory parties engage in a process not only to preserve artworks from destruction during a war, but, in particular, they agree to accept that heritage is the property of a nation and its people and, therefore, public property that has to be safeguarded from pillage and returned to its dutiful owner at the end of the conflict. It was only after World War II that the international community decided to act with regard to the importance of safeguarding heritage in times of conflict. Previous attempts had been carried out at the end of the 19th century. In 1874, delegates from fifteen European States met in Brussels and adopted the draft of an international agreement concerning “the laws and customs of war,” otherwise known as the Brussels Declaration. The Russian Government, under the aegis of Czar Nicholas II, had prepared the text. Article 8 of the Declaration states: “The property of municipalities, that of institutions dedicated to religion, charity and education, the arts and sciences even when State property, shall be treated as private property. All seizure or destruction of, or willful damage to, institutions of this character, historic monuments, works of art and science should be made the subject of legal proceedings by the competent authorities.”8 The text, however, was never ratified and thus did not enter into force. In 1899, Nicholas II convened the First Hague Peace Conference, where twenty-three States signed the Convention with Respect to the Laws and Customs of War on Land. Between 1900 and 1907, a total of forty-three States ratified the text and its subsequent regulations; another five States have done so in the years since, even as recent as in 2015. Article 27 states: “In sieges and bombardments all necessary steps should be taken to spare as far as possible edifices devoted to religion, art, science, and charity, hospitals, and places where the sick and wounded are collected, provided they are not used at the same time for military purposes.”9

Mercedes Giovinazzo Marín

7 Las cajas españolas is a 2004 documentary directed by Alberto Porlan. For more information, see Elisa Silió, “‘Las cajas españolas’ revive el rescate de las obras de arte en la Guerra”, in El País, 12 November 2004, https://elpais. com/diario/2004/11/12/ cine/1100214012_8502 15.html.

8 “On military authority over hostile territory – Article 8,” Project of an International Declaration concerning the Laws and Customs of War, Brussels, (August 27, 1874), https:// ihl-databases.icrc. org/applic/ihl/ihl.nsf/ ART/135-70008?OpenDocument&xp_articleSelected=70008. 9 “Annex to the Convention: Regulations Respecting the Laws and Customs of War on Land, #Section II: On Hostilities, Chapter I: On Means of Injuring the Enemy, Sieges, and Bombardments – Art. 27,” Convention (II) with Respect to the Laws and Customs of War on Land and its annex: Regulations concerning the Laws and Customs of War on Land. The Hague, (July 29, 1899), https:// ihl-databases.icrc.org/ applic/ihl/ihl.nsf/Article. xsp?action=openDocument&documentId=C50B4EE486305FF5C12563CD00515E60.

The Spanish Civil War and the Safeguarding of Heritage

10 For further information on the Convention, see: http://www.unesco.org/ new/en/culture/themes/ armed-conflict-and-heritage/convention-andprotocols/1954-hagueconvention/. 11 UNESCO, Director-General, 2009–2017 (Bokova, I.G.), writer of introduction, “The 1954 Hague Convention for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict and its two (1954 and 1999) Protocols: basic texts,” (2010), https://unesdoc. unesco.org/ark:/48223/ pf0000187580.

12 ibid.

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Both texts focus on the importance of safeguarding heritage rather than on the concept of “property” by a people. The first time that this concept was brought forward in an international arena was in the preamble of the Treaty on the Protection of Artistic and Scientific Institutions and Historic Monuments (1935) which states that cultural property “forms the cultural treasure of peoples” and must “be respected and protected in time of war and in peace.” Also known as the Roerich Pact, after the name of the Russian archaeologist who inspired it, the document was ratified by twenty-one of the American States and actively supported by President Franklin D. Roosevelt, who also became one of the early promoters of the 1948 United Nations’ Universal Declaration of Human Rights. This treaty ultimately led to the drafting of the Hague Convention for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict promoted by both the United Nations and UNESCO. With its two subsequent protocols of 1954 and 1999, this is the first worldwide treaty that focuses exclusively on the protection of cultural property in armed conflict. It was signed in 1954 and entered into force in 1956. As of September 2018, it has been ratified by 133 States.10 In its preamble, the Hague Convention states that “damage to cultural property belonging to any people whatsoever means damage to the cultural heritage of all mankind, since each people makes its contribution to the culture of the world.”11 Two main concepts are put forward in this text: the idea that cultural property belongs both to a people and to humankind, and that when damaged it is a loss for the world at large. The Hague Convention defines what is to be understood by “cultural property”, which, “irrespective of origin or ownership,” encompasses “movable or immovable property of great importance to the cultural heritage of every people” (Art. 1, a). It also stipulates that States shall “prepare in time of peace for the safeguarding of cultural property situated within their own territory” (Art. 3) and that they will “undertake to prohibit, prevent and, if necessary, put a stop to any form of theft, pillage or misappropriation of, and any acts of vandalism directed against, cultural property” including “the requisitioning of movable cultural property situated in the territory” of another State signatory to the convention or to promote acts “directed by way of reprisals against cultural property” (Art. 4). Further relevant articles address issues of immunity and transport, but also the responsibility of the signatory parties to support States in conflict in safeguarding their cultural property (Art. 5). In 1999, the Second Protocol to the Convention tackles legal, military, and technical aspects of cultural heritage protection and introduces a new system of enhanced protection for cultural property by “adequate national legislation.”12 It also foresees the setting up of the Fund for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict. This contribution does not allow for more detail on the development of the idea that heritage must be protected during armed conflict. Still, it is worth mentioning that, in the last fifty years, several international

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instruments, under the responsibility of UNESCO, have addressed the importance of protecting heritage. The Convention Concerning the Protection of the World Cultural and Natural Heritage (1972) affirms that “the duty of ensuring the identification, protection, conservation, presentation and transmission to future generations of the cultural and natural heritage […] situated on its territory, belongs primarily to that State” (Art. 5). This was followed by the Convention for the Safeguarding of the Intangible Cultural Heritage (2003), which reiterates the clauses of the 1972 Convention. The Convention on the Means of Prohibiting and Preventing the Illicit Import, Export and Transfer of Ownership of Cultural Property (1970) represents also an important instrument insofar as it clarifies that it is “incumbent upon every State to protect the cultural property existing within its territory against the dangers of theft, clandestine excavation, and illicit export” and that “to avert these dangers, it is essential for every State to become increasingly alive to the moral obligations to respect its own cultural heritage and that of all nations” (Preamble). Finally, the Convention on the Protection of the Underwater Cultural Heritage considers this “as an integral part of the cultural heritage of humanity and a particularly important element in the history of peoples, nations, and their relations with each other concerning their common heritage” (Preamble) and recognizes that its protection and preservation are the responsibility of the individual States. All the texts mentioned above consider that heritage is the “property” of the State from an ethical rather than a legal point of view. They also recognize the responsibility of the States in operating actively and decisively toward its safeguarding. In this sense, the latest international instrument worth mentioning is the Convention on Offences Relating to Cultural Property, adopted by the Council of Europe in 2017, which aims to prevent and combat the illicit trafficking and destruction of cultural property within the framework of the fight against terrorism and organized crime.13 Beyond the importance of safeguarding heritage, what these documents testify to is the acknowledgment by the international community as to the need to ensure that States actively engage in international cooperation processes that foresee their commitment to protect heritage from the multiple different threats to which it might be submitted. Every historical situation has its reasons. The agreement regarding the safeguarding of the Spanish heritage during the Civil War is indeed the first instrument that includes the idea that a given heritage is the property of its people and, therefore, under the legal protection of its government, be it what it may. From this first approach, we have moved forward to the idea that democratic states that abide by the rule of law are legally bound to act to guarantee the safeguard and protection of heritage, movable or immovable, within their territory. In this sense, we are witnesses to the coming to the fore of the idea that the State is the rightful, responsible authority.

Mercedes Giovinazzo Marín

13 Details of Treaty No. 221, https://www.coe.int/en/ web/conventions/fulllist/-/conventions/rms/ 0900001680710435.

The Spanish Civil War and the Safeguarding of Heritage

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In 1938, Willem Sandberg, the Deputy Director of Amsterdam’s City Museums, was invited by the Spanish government to assess how it was dealing with the safeguarding of works of the Prado museum. He visited the cave near Barcelona where the artworks were kept in custody and witnessed how well they were taken care of. Upon his return to Amsterdam, he drafted a report for the Mayor in which he advised that, given the land typology of the Netherlands, a bunker should be built to safely store the country’s works of art should the situation in Europe come to the worst. When the German army invaded Holland, the Dutch works of art survived and, when World War II ended, they were returned to their museums in perfect condition. It is obvious that the experience of the Spanish Republic in the safeguarding of its heritage did not only inspire the Dutch people. It has also inspired, albeit this has not been fully acknowledged, the theory and practice of heritage protection. Indeed, the Spanish Civil War is one of the most dramatic episodes in contemporary European history. The lessons learned from how Spaniards saved their heritage and ensured its enjoyment by future generations should be given their rightfully earned place in history.

Ares Shporta Conveniences of State-Building Articulating Cultural Policies in Kosovo

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What role is assigned for culture, if any, in a country established in 2008 and going through a process of state-building? Is it possible to consider that cultural policies are yet to be devised? Who defines and shapes these policies if the state isn’t responsive to the needs and desires of the actors and public? What can be learnt from the specificities of a country and can new forms of governance be thought out, tested, and practiced as a response to the context of a place? These are some of the questions that have provided the direction of this text that attempts to serve as an introduction to the context that shaped Kosovo’s cultural sphere after 1999 by looking into the development of the state structures, and independent cultural actors, until today. Then we will focus on the example of the city of Prizren, where these independent actors have led key policy-making processes and revived a formerly public cinema through participatory practices with key stakeholders. While the processes asked for the institution of participatory practices, each of them served as examples of participation and how it contributes to more democratic and publicly beneficial decision-making. Cultural landscape in times of autonomy (1974–1989)

1 Albert Heta/Donjeta Murati, Hulumtim i politikave qeverisëse në kulturë në Kosovë, (Prishtinë: Rrjet i organizatave të pavarura të kulturës të Kosovës), 2014 (unauthorized publication).

2 Masar Drini, “Lumbardhi Cinema and Cultural Life in Prizren in 1970,” interview by Ares Shporta, (August 17, 2017).

Between 1974 and 1989, Kosovo was an autonomous province within Serbia, with its own self-management structure, in terms of legislation and governance, not dissimilar to the republics. After WWII, its cultural infrastructure included cinemas, theaters, cultural centers, and libraries, while radio and later television joined the picture. The People’s Theatre was established in 1946, Shota Ensemble in 1948, the High School of Applied Arts in 1949, the Figurative Art Group in the Higher Education Institute in Prishtina in 1962, Kosovafilm in 1969, and the Academy of Arts in 1972.1 Becoming an autonomous province, through the 1974 constitution of Yugoslavia, brought Kosovo significant investments from federal funds, which marked a brief era of prosperity for its citizens. Cultural life flourished in this period especially, when institutions like the University of Prishtina were opened in 1970 as well as, in the same decade, the National Gallery, National Library and their landmark buildings. Film was still a very popular form; for instance in Prizren there were over 350,000 tickets2 sold annually in the Lumbardhi Cinema by the end of the ’70s. The economic crisis and rise of nationalism in the early ’80s culminated in the revocation of Kosovo’s autonomy in 1989. This was followed by the introduction of a police state and the dismissal of ethnic Albanians from the public sector and universities. After the formation of the first Albanian political party, the Democratic League of Kosovo, in 1989, Kosovo declared independence from Serbia (on July 2, 1990), a political act recognized only by Albania. With an exiled government and heavy living conditions, the society started organizing a parallel state outside the existing institutions, forming institutions through self-organization and various local and international NGOs, mainly in fields such as education

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and healthcare, with private houses, mosques, and other unusual locations used as classrooms or hospital rooms. Cultural life was almost completely paralyzed. Only a few exhibitions, or small-scale activities, took place in restaurants, while some concerts and festivals took place as acts of resistance. Citizens financed all of these limited activities.3 The development of the independent scene and culture in policies of the state

Following the end of the war in 1999, Kosovo found itself under UN administration. Culture was outside of the agenda apart from the partial revival of central institutions such as the National Theatre and National Philharmonic. Local theaters, cinemas, and the National Art Gallery were defunct, while non-governmental cultural organizations did not yet exist. The first, and perhaps only, state initiative to define cultural policy came early in 2001 when the equivalent of a ministry of culture (in the provisional, self-governing institutions of Kosovo supported by KulturKontakt, Council of Europe, and the Open Society Foundation) invited Simon Mundy to draft the “Strategy for the Development of Culture,” a process that took place between 2001 and 2003. “Drafted at a moment when the motivation for state-building and institutions was high, the strategy was developed in two years, and as I recall about 95–96 artists participated; the process was handled in a few working groups.”4 A copy of a draft of the document was informally obtained by Heta and Murati in 2014 which stated: “The government drafts policies that establish the necessary institutions that foster a dynamic cultural life. The work of the institutions needs to be independent of government control, but when they are publicly funded, the state should monitor their effective governance. […] The state shouldn't impose the values to the civic sector, but can ensure that public funds are used to offer public services. […] This balance should be safeguarded by the strategy that sets the main duties and responsibilities of the Ministry of Culture, Youth and Sports (MCYS), and by proposing the new institutions that will support the principles of equality and transparency.”5 Arms-length bodies such as the Kosovo Arts Council and Kosovo Cinematography Centre were proposed, while there were also suggestions for the selection mechanisms, organizational structures and infrastructural investments necessary for the revival and development of cultural life in Kosovo. However, the document never became public, while the MCYS remained as the central authority for culture in charge of national cultural institutions, infrastructure, preservation of cultural heritage and support to cultural organizations.

3 Shkëlzen Maliqi, “Civil Society and Cultural Activism in Kosovo,” interview by Ares Shporta, (March 20, 2016).

4 Luan Mulliqi, “Cultural Policies in Post-war Kosovo,” interview by Donjeta Murati, (May 16, 2015).

5 Heta/Murati (2014).

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The emergence of “a civil society” in the form of cultural organizations came as a result of the need of artists, musicians, photographers, theater directors, and other actors to have legal umbrellas under which to receive funding and develop their own projects. Of those most notable, we can mention the artist initiative “Exit Gallery” which emerged in early 2001 as a contemporary art organization in Peja that aimed to connect the Kosovar art scene with Europe by inviting curators, organizing lectures, workshops and exhibitions, and introducing contemporary practice to the local scene. Pioneering entities that were formed later were the International Documentary and Short Film Festival – DokuFest which started as an annual documentary film festival and developed into a film institute and educational platform, the Multimedia Center for Theater and Multimedia Art which ran theater productions, showcases, a literature festival and lately a grant-making body, as well as Independent Theater Groups – ODA that did theater production, space management, educational programs, cultural-policy research, and a festival of art in the public space, all of them established in 2002, and Stacion – Center for Contemporary Art Prishtina, which commissions and produces artworks, presents exhibitions, residences, awards, and annual programs since 2006. These organizations that emerged in the early postwar years were the first steps of the independent scene and, except for the Exit Gallery, are all active today. Together—with actors such as the Student Theater and Film Festival Skena Up in 2003, Prishtina Jazz Festival in 2005, 7Arte Mitrovica and Dam Festival in 2006, Prishtina Film Festival in 2008 and later NGOM Fest Prizren and the International Animation Film Festival – Anibar in Peja in 2010, and many music festivals—they created the understanding of the Independent Cultural Scene in Kosovo. The unstable economic environment, lack of adequate funding mechanisms and need to survive within either the festival economy—“democracy economy” provided by foreign funding with shifting of programs and articulating the thematic of their work through human rights, gender equality, the environment, interethnic cooperation, dealing with the past, community building, monitoring policies—prompted organizations to get together to improve the conditions for the scene. In 2012, with the initiative of NGO “ODA” and the coming together of twenty-two independent cultural organizations from Kosovo, the Network of Cultural Organizations – Cultural Forum was established with the aim of supporting the strengthening of the independent cultural scene by networking, capacity-building, and advocating and influencing policy-making processes. The network was built with a big agenda to reform the culture sector. With the idea that a more empirical and evidence-based approach will help formulate arguments and convince politicians, it produced numerous reports and documents from the research, public events and focus groups, that address the work of the MCYS and the state of cultural policies in Kosovo. Main issues raised in the documents refer to the absence of a clearly defined vision and strategic aims for culture, the lack of criteria for funding

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of nonprofits, the closed structure of the MCYS, and the lack of formal dialogue between the independent scene and the ministry.6 The network was active for a period of three years and produced some of the first cultural policy research and debates, initiated dialogue with local and central levels, and managed to build a base. However, it was unable to keep cohesion or attain financial sustainability after the end of the major project Forum for Cultural Development and experienced a long period of inactivity following the lack of funds, affecting the network’s legitimacy and processes. As the network was passivized quite visibly, a final blow came through the fragmentation of the scene, which was in part affected by radical budget cuts imposed by a new minister in early 2015, which accelerated the demise of the network. While this affected the relationships in the scene, it left a positive legacy, which wasn’t immediately visible, in the form of the local forums initiated in cities like Peja, Mitrovica, and Prizren under the name “Network of Cultural Organizations – RrOK,” which brought together organizations in an informal setting and attempted to create dialogue with local governments or political parties before local elections in 2013.7 Beyond the festivals and productions by key actors that constituted the network and made up the postwar scene in Kosovo, the activation of spaces such as the Boxing Club, Termokiss, Kino Armata, and 17 Project Space in Prishtina, Jusuf Gervalla Cinema in Peja, and Lumbardhi in Prizren, brought a new dynamic to the scene and created momentum within this twenty-year history. Although different in their operations, programs, and other particularities, housing exhibitions, film screenings, performances, educational programs and gatherings, these organizations created new forms of engagement and collaborations, a sense of belonging, an expanded public, and various conversations that addressed various problems of the scene. The spaces fostered knowledge sharing and collective learning and contributed to the diversification of the scene and emergence of a new generation of actors that brought forward new forms of public culture and management of public infrastructure. Civic-led participatory governance of culture: a case study of Prizren

While the largest part of the scene is located and active in Prishtina, Prizren has maintained the position of a city with a dynamic cultural life in the summer as well as a strong scene of activists and organizations engaged in protecting cultural heritage, activating public space, and advocating for participatory policies on the local level. These actors instituted pioneering participatory practices in Kosovo by combining these traits in the protection of a public cinema and its revival and the facilitation of two major policy-making processes of cultural planning on the city level and management of the historic center of Prizren, the latter two under the umbrella of RrOK. In this part of the article, we will look

6 Dren Pozhegu, Culture Policies and Budgetary Appropriations for Culture in Kosovo, (Prishtine: Forumi Kulturor, 2014).

7 Rrjeti i Organizatave të Pavarura të Kulturës – Forumi Kulturor, “Kush jemi ne,” (2014), http://forumikulturor. net/?page=1,2#.Xf6_9db7TBI.

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into the development of RrOK and focus on the three cases and methods used while reflecting on what these experiences might say for the future of policy-making in culture and new models of governance in Kosovo. Prizren and cultural policies

Due to its rich history and a dynamic cultural life characterized by festivals and the arts in the recent past, Prizren is often referred to as a “capital of culture.” However, when the question is posed in public debates and interviews with representatives of cultural organizations, this statement is quite contested. Culture is seen as a string of jubilee events taking place every year, or festivals and other traditional events, rather than something that can be practiced on a daily basis or in more diverse ways. As the second largest city in Kosovo with a significant cultural infrastructure, Prizren governs culture through the Directorate for Culture, which is managed by one director and one employee. The main activities carried out by the directorate are the management of infrastructure contracts, the support of NGOs, and the organization of cultural activities for commemorative days and national festivities. Private companies, contracted through procurement, organize all of these events. There are only two public institutions of culture within the jurisdiction of the municipality: the city theater and city library. The theater produces about four new shows annually and hosts performances by a certain number of guest troupes, as well as local amateur theaters of Turkish, Bosnian, and Roma communities. However, the main reason behind Prizren’s reputation as a city of culture was the activities and cultural life organized through non-profits. The evolution of the independent scene in Prizren: becoming RrOK

Cultural life and civic activities had been stopped and suppressed during the ’90s. Alternative theater groups had vanished, many people had migrated, while public spaces weren’t available to the Albanian majority. The cinema had deteriorated during the ’90s and stopped working altogether after the war. Despite a boom and enthusiasm in the early postwar period, social and cultural life was very limited. Attempting to bring the cinema and culture back into the lives of Prizreni, a group of citizens started DokuFest—a film festival in the premises of the Lumbardhi Cinema in 2002. After the first few editions that were organized in a voluntary spirit, the festival became an important international event, while the organization started growing and encouraging other initiatives. Powered by a large volunteer force, DokuFest also served as a civic academy, educating a new generation of active citizens. In 2006, EC Ma Ndryshe (Alternative Civic Emancipation) was established to bring back the landmark festival Zambaku i Prizrenit and revive

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cultural life in the city. By 2007, the mayor of Prizren decided to demolish the iconic Lumbardhi Cinema to make way for a parking lot. A campaign against this decision began during DokuFest and with the participation of volunteers and other organizations such as EC Ma Ndryshe, the first “Initiative for the Protection of Lumbardhi Cinema” gathered 8,000 signatures and protested against the mayor, forcing him to take a step back and postpone his decision. This moment marked a milestone in terms of the development of the civic scene in the city and their antagonistic relationship with the municipality. In the meantime, festivals like Bunarfest, a water-tube festival celebrating the urban practice of living in the river, were taking place as of 2004. In 2010, a music festival called “NGOM Fest” emerged and by 2012 an art festival called “SculpFest” began, diversifying the scene and cultural production in Prizren. By then, EC Ma Ndryshe had become the lead of the fight against urban degradation and destruction of cultural heritage, while DokuFest was the most recognized cultural event from Kosovo, locally and internationally. Following various initiatives of these organizations, RrOK Prizren was established in 2012 by twelve non-governmental organizations as an informal structure. Its founding mission was “achieving a developed local economy in Prizren through the enrichment and structuring of the tourism offer based on the enhancement of the quality and quantity of cultural activities.”8 The core objectives of RrOK’s work in Prizren include: “enrichment of the cultural life, improving the quality of existing cultural activities, structuring of the cultural offer, improvement of cultural policies at the municipal level, a decentralized management of the culture, diversification of funding of cultural activities, and inducement of active and responsible citizenry.”9 So from the beginning, the network’s aim was different from what independent networks usually do, seeing itself as an equal and relevant partner in local development, with perhaps an exaggerated focus on tourism, due to circumstances on the local level. This set the path for the discourse and advocacy of the network over the years. The network activities were coordinated by a secretariat, rotationally hosted on a biannual basis by a member organization that appointed a coordinator from its staff to organize the meetings and various activities as agreed by the members. The first important products of the work were the cycle of debates about cultural policies that took place in 2012 and 2013, the meeting series with mayoral candidates and political parties, and initiation of a strategic plan development for tourism in early 2014. The network reached the peak of its influence in 2014, after the Kosovo Privatization Agency decided to privatize Lumbardhi Cinema. Following an initial protest by DokuFest at the opening ceremony, which generated public attention, RrOK led the advocacy campaign, organizing fifty-eight NGOs under the “Initiative for the Protection of Lumbardhi Cinema,” stopping the privatization and making it a heritage site and proposing a multi-stakeholder model for its management.10 Thereafter, representatives

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8 Founding Act of the Network of Cultural Organisations in Prizren (2012).

9 Aliriza Arenliu, Studim mbi qëndrimet, sjelljet dhe percepmet e qytetarëve të Prizrenit mbi kulturën dhe arn – një bazë legjime për ndërmin e polikave kulturore në Prizren, (Prizren: EC Ma Ndryshe, 2013), http:// www.civilsocietylibrary.org/CSL/705/ Studim-mbi-qndrimetsjelljet-dhe-percepmet-e-qytetarve-t-Prizrenit-mbi-kulturn-dheartin-Nj-baz-legjitimepr-ndrtimin-e-politikavekulturore-n-Prizren.

10 Eroll Bilibani, “Initiative for Protection of Lumbardhi Cinema,” Dokufest online, (Sept. 30, 2014), http:// dokufest.com/2014/ intiative-for-protection-of-lumbardhi-cinema/.

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of DokuFest and EC Ma Ndryshe, the Cultural Forum and RrOK, established Lumbardhi Foundation, in 2015, to follow-up the initiative and re-utilize the institution as a multi-purpose cultural space that will serve local organizations and the wider Prizren community. From grassroots organizing to policy-making and institutionbuilding: reviving Lumbardhi Cinema (2015–2019)

The saving of the cinema was a milestone in the development of civil society in Prizren and in the country in general, as it marked the first stopping of a privatization process in postwar Kosovo for a public cause. Different from the occasion in 2007 when the cinema was first saved, the actors now took it to another level. After taking the space under their use, the foundation utilized the space, reached to the local community and organizations to provide programs and re-connect it with the public. In the meantime, to steer a participatory process of the revival it brought together the representatives of the municipality of Prizren, the MCYS, and the central, regional and local institutions for cultural heritage, as well as representatives from key cultural organizations involved in the saving of cinema and its restoration, to develop a management plan that would define its long-term use and governance, as well as the principles of its revitalization. Following the collapse of two governments, the process was stopped in 2016 and re-started in 2019 to be concluded with the official management plan adopted by the city. In parallel, the organizations advocated, at the central level, for the municipalization of the property and, despite the resignation of three governments since 2015, managed to secure a government decision in favor of the case, as well as a constitutional court case in favor, paving the way for the cinema to become a public property. Now the Lumbardhi Foundation is set to become the building’s management unit for the next twenty years, whereas a multi-stakeholder body—including representatives at the central and local level—is set to monitor the implementation of the management plan. In parallel, organizations ran the campaign “Lumbardhi Public Again,” a crowd-funding instrument and call for program collaboration that brought many organizations and performers, filmmakers, musicians, and theoreticians to contribute to the programs, while local organizations used the facilities for rehearsals and public activities, enhancing the “public” experience and public usage of the former cinema. Through a slow process of presentations, workshops, interviews, and testing of the space, the initiative practiced democratic principles in deciding about the use and architectural plan for the building and secured the capital investment for the revitalization due in 2021. In five years, over 100 nonprofits and other institutions used the space, producing over 400 events and bringing more than 85,000 visitors to the cinema. This experience significantly changed the position of the independent scene, where the civic actors’ persistence in the process of participation

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and understanding institutional mechanisms prompted the initiation of two more city-scale processes led by RrOK and paved the way for a substantial shift in how priorities are discussed and set and how policies are articulated in Prizren and Kosovo. RrOK leads policy-making: Strategy for Culture and the Management Plan of the Historic Center (2016–2018)

The process of instituting Lumbardhi and understanding the existing cultural policies in the city made it clear that the city needs a cultural plan and policies to follow beyond infrastructure and subsidies as instruments for cultural development. Devising a participatory program of preparing a local strategy for culture was seen as a way to identify and clearly articulate the cultural policies in the city and also position RrOK as an equal partner of the municipality of Prizren, while setting culture as a higher priority area in the city development agenda. The process was designed based on handbooks for participatory cultural policy-making and other ways of learning by doing. It was kickstarted through a memorandum of cooperation between the municipality and RrOK following financing received through grants that support participation and democratization with a project aiming to strengthen the network and increase participation in local policy-making. The network would lead the process in early 2016 and prepare a four-year strategy for culture, shaped as a tool rooted on the Municipal Development Plan 2012–2025. Following an analysis of existing plans and relevant literature, the team set up by the network organized interviews with representatives of local cultural institutions, nonprofits and associations of fields like folklore and traditional arts, or belonging to minority groups, as well as individuals active in the fields of arts, youth, and tourism. In this way, a broad perspective of the local cultural ecosystem was taken into account when analyzing the capacities, issues, limitations and potentials, while informing the setting of the scope and objectives of the strategy. The document was also based on a number of city and state-level strategies such as the “Prizren Urban Development Plan,” “Conservation Plan for the Historic Center of Prizren,” as well as the UNESCO 2005 Convention and the Agenda 21 for Culture, as references to why the particular direction and approach should be taken. While the latter provided best international practices, the former showed how culture was, on paper, seen as the main asset of the city, while it had no instruments to put it into practice or budget, positioning the strategy as the road to get to those results. The second stage of the process consisted of three workshops that created the participants’ ownership over the strategy. Taking place across a period of eight months, the workshops and subsequent presentations were seen as tools of building consensus about the direction of culture in the city and took shape as a draft strategy for the period 2017–2020. The strategy proposed a horizontal link between culture, heritage, education, urban

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development, and tourism, increased civic space, building of institutions and a multi-stakeholder governance model that asked for civil society not only to be involved in planning culture but also in developing and implementing the sector. The document was presented in March 2017 and the municipal government, after receiving feedback and recommendations and preparing for finalization and voting, went into a pre-election phase and suspended collaboration, leaving the process at a halt. In parallel to this process, in 2016, the Network of Cultural Organizations prompted the MCYS to develop the Management Plan of the Historic Center of Prizren, a five-year strategic plan that would foresee the preservation, development, and governance of a forty-hectare zone protected by a special law and that also was the site of main cultural activities and institutions in the city, including the library, theater, cinemas, museums, and public spaces used for festivals and events round the year. The development of the plan was entrusted to the Network of Cultural Organizations in Prizren, while a multi-stakeholder working group was established, to be co-chaired by the MCYS representative and the civil society representative, instituting yet another civic-public partnership and bottom-up participatory process that would include over one hundred stakeholders in devising the plan and establishing the Office for the Historic Center of Prizren as a mechanism of implementation. Following clashes between public institutions and civil society organizations, and a number of delays, the formal process began nine months later in March 2017 and lasted until April 2018, after which period the management plan went through different phases of public consultation, presentations, editing and translation. The plan was, at many points, in line with the Strategy for Culture and served as another form of articulation of the needed local policies, priorities, and a roadmap, to get to that point, with ambitions that included the nomination of particular sites for World Heritage status, as well as bidding for ECoC 2027. In absence of a legal status for management plans, it was agreed that the plan should be approved by the Minister of Culture and then passed in the Prizren Municipal Assembly as a strategic document. Due to political clashes between both levels, this process of approval was delayed until the resignation of the government in July 2019, awaiting the formation of the new government in December 2019. The Municipal Assembly of Prizren didn’t expect the approval for the voting of the formation of the Office for the Historic Center, whereas implementation of parts of the plan already began prior to the approval. Instead of a conclusion

Over the course of the article, I made an attempt to present a chronology of the development of independent culture and cultural policies in Kosovo by contextualizing it within the current phase of state-building, while also practically focusing on particular examples in Prizren that are related to

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each other and took place within the same period of time. Since it is still a “work-in-progress” with many inconsistencies and limitations but also no definite end, it may not give a full answer to the questions with which I began this contribution. The main thing to learn from these processes, and looking at other relevant cases in the region and the world, is that the governance models are subject to the context to which they are applied and therefore there isn’t a “model” per se, that can be adapted to a particular locality. Besides the degree of governance that is to be shared—be it an infrastructure budget, management of a public building, or drafting of a cultural policy and a vision—there are many other external factors that dictate the process. From the civil society point of view, aspects like previous experience in collaborative processes, knowledge of institutional frameworks, legislation and procedures, a clear definition of goals and the cohesion within the network or community are all crucial factors. The context is very different if there are strong traditional cultural institutions, a fragmented scene, or many conflicting interests that disallow consensus. From the public actors’ point of view, beyond political ideology and a general approach to public policy-making and participation, it is a question of interest and why they are involved in the policy process. Does a donor drive it or is it to benefit from the potential, knowledge, and commitment of an active civic party? What will be the political benefit of such a process? In Prizren and Kosovo the situation is unique and questions about the governance model come at a time when a new institutional infrastructure is fluid or being planned, whereas the civic actors seem to be more capacitated for policy planning, programming and executing, and have a more favorable situation in the next few years. Should the participatory approaches be applied successfully and receive binding institutional structures, or bring some mid-term results, they may become norms and good practices to be applied in other cities or fields as well. Whilst there is an agreement that development in the field should take place, it is evident that an incapacitated cultural directorate cannot lead reforms or provide more than there is at the moment, however stakeholders agree that this is not something to be expected from the directorate alone. In civic-led initiatives like this, and having in mind the history of RrOK in discussing and developing cultural policies, the sponsor of the reform and the ones to lead the process are civil society organizations and the network itself. However, this process is not one of programming and envisioning ideal policies. It is political and requires RrOK campaign for the changes it desires in order to gain public support, raise awareness amongst citizens, gain multi-party endorsement, and devise an open and transparent process of inclusion in bodies created. On the other hand, the expression of a desire and commitment of parties, or the local government, doesn’t necessarily mean that the act is going to come into force. Creating the mechanisms and changing the budget are complex processes that may involve the need the city assembly’s endorsement, amendment of a

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law, or the development of a new law by the national parliament. The driving of some reforms and new structures requires years to come into force and it’s crucial to maintain the cohesion within networks and remain persistent in requests, following institutional channels but also maintaining advocacy strategies. Having in mind that foreign donors are also gradually decreasing their support in Kosovo, reform in public funds and decision-making isn’t only crucial for the development of the field of culture, but also for the survival and sustainability of the independent scene and its production.

Artistic Contribution at the Conference 2016

Ulduz Ahmadzadeh Dance Empowerment Summer 2016, Vienna

121 Ulduz Ahmadzadeh, born 1981 in Tehran, Iran, started dancing in a country where it is forbidden by law. Despite censorship, she performed with the company Harekat from 1999 to 2004, for which she was imprisoned. As a result, she founded her own group, with which she began her system-critical work. Ulduz Ahmadzadeh studied directing at the Soureh Art University in Tehran, contemporary dance education at the MUK (BA) in Vienna and Social Design (MA) at the University of Applied Arts Vienna. Since 2012 she has headed the contemporary dance company tanz.labor.labyrinth with which she deals with socio-political issues and questions of cultural hierarchies. In 2010, Ulduz Ahmadzadeh was selected for the Ö1 Talentebörse [Exchange]. In 2017, she received a TURBO Residency and a danceWEB Scholarship at ImPulsTanz in 2018. tanzlaborlabyrinth.com

Photo: Mercede Ameri

Between September 2015 and May 2016, people from seven different countries resided at an emergency shelter at Vordere Zollamtsstraße 7, where the University of Applied Arts Vienna is now located. The female residents mostly stayed in their rooms and rarely took part in social activities. There was a clear need to promote communication among them. Dance plays an essential role in the social networks of many of these women’s society of origin and contains information about cultural habitus, faith, social behavior, aesthetic norms, and values. It also has strong symbolic power within cultural identities. The Dance Empowerment project used dance strategies to improve communication among women in the shelter, as a solution to change a conflict-occupied social space. “I have set myself the task of developing meaningful methods that promote participatory interaction among women seeking protection and support them in their difficult situation by bringing them into contact with their cultural resources, inner strengths, and social values. A space should be created in which they feel seen, valued, and respected, and receive well-deserved attention. Some of the main objectives of this project are the demand for, and promotion of, self-determination of the participants, the increase of self-esteem and the stimulation of social interaction in the group of residents of the emergency shelter.” Ulduz Ahmadzadeh

Michael Wimmer Das Phantom der Demokratie Eine kleine Geschichte der österreichischen Kulturpolitik

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1 Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung/Bundeskanzleramt: „Bericht zur Vermittlung von musikalischer Bildung“, Juni 2019, S. 9, https://www. parlament.gv.at/PAKT/ VHG/XXVI/III/III_00304/ imfname_758623.pdf. 2 Ebd.

„Österreich ist eine Kulturnation.“ Ungebrochen findet sich diese starke Behauptung in einer Vielzahl von kulturpolitischen Dokumenten – so auch im jüngsten Bericht des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung zur Vermittlung der musikalischen Bildung.1 Seine Sprecher*innen wollen damit ein herausragendes Image des Kleinstaates Österreich im Herzen Europas bedienen. Auf den Punkt gebracht werden sollen damit „die hervorragenden Leistungen im Bereich Kunst und Kultur, vor allem auch in der Musik“, die „ein wesentliches Erkennungsmerkmal für die Bedeutung und Bekanntheit Österreichs im internationalen Kontext“2 seien. Hinter dieser nationalen Selbstüberhöhung verbirgt sich aber noch ein ganz anderer Inhalt des Begriffs. Dieser wurde in der wechselvollen politischen Geschichte des Landes gerne als ein konservativer Kampfbegriff verwendet, um so mühsam erkämpfte demokratische Errungenschaften in Frage zu stellen. Im Unterschied zu Deutschland, wo die Zuschreibung der „Kulturnation“ als Ausdruck einer verspäteten Nationenwerdung firmierte, formierte sich hierorts unter dem Banner der „Kulturnation“ nach dem Zweiten Weltkrieg eine umfassende „austriakische Restauration“ (Gerhard Fritsch). Ihr Ziel war es, mit den Mitteln eines rückwärtsgewandten Kulturbetriebs den Kampf gegen den „Kulturbolschewismus“ oder die „Asphaltliteratur“ zu eröffnen, um so ein konservatives, anti-aufklärerisches, anti-modernes und stark katholisch gefärbtes Kulturmuster einer bildungsbürgerlichen Elite durchzusetzen. Angesichts dieser historisch gewachsenen Ansprüche eines über weite Strecken das politische System dominierenden katholisch geprägten Konservativismus an eine spezifisch österreichische Kultur ist es eigentlich verwunderlich, dass staatliche Kulturpolitik bis heute als Stiefkind des politischen Systems verhandelt wird. Die längste Zeit fand sich in der Ressortverteilung der österreichischen Ministerien keine explizit gemachte Kulturzuständigkeit; erst in der sozialdemokratischen Reformära der 1970er Jahre machte das Bundesministerium für Unterricht seine Zuständigkeit für Kunst in seinem Namen deutlich. Im Zuge dessen wurde eine eigene Sektion speziell für die Förderung von Gegenwartskunst etabliert, um so zu versuchen, einen überkommenen Provinzialismus zu überwinden. Das 1973 gegründete Wissenschaftsressort hingegen verzichtete weiterhin darauf, seine Zuständigkeit für Kulturagenden (darunter für die großen repräsentativen Kultureinrichtungen) in seine Bezeichnung aufzunehmen. Im weiteren Verlauf konnte man den Eindruck gewinnen, Kulturpolitik diene vorrangig der Profilierung einzelner politischer Akteure, etwa wenn nach den Wahlen 1994 und der darauf folgenden Regierungsneubildung die Bundesminister Rudolf Scholten und Erhard Busek zwar ihre Ressorts Bildung und Wissenschaft tauschten, dabei aber „ihre“ Kunst- und Kulturzuständigkeiten „mitnahmen“. Auch danach kam es zu immer neuen, politisch nur schwer begründbaren Ressortzuteilungen dieser heißen Kartoffel, etwa als ein eigenes Staatssekretariat im Bundeskanzleramt

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oder im Bildungsministerium, wo ab 2007 erstmals Zuständigkeiten für Kunst und Kultur in einer politischen Hand vereint wurden. Zu dieser strukturellen Unentschlossenheit gehört auch, dass sich im Laufe des 20. Jahrhunderts nur sehr wenige Politiker*innen mit Hilfe von Kulturpolitik zu profilieren vermochten; andere Ressortzuständigkeiten erwiesen sich da in der Regel als wesentlich ergiebiger. Auch in finanziellen Belangen nehmen sich die öffentlichen Budgets für das staatliche Engagement für Kunst und Kultur bis heute vergleichsweise bescheiden aus. Nach Jahren der Stagnation sind für 2019 455,1 Millionen Euro oder 0,57 Prozent des Budgets des Bundes in Aussicht genommen, nicht eben eine Größenordnung, die im Vergleich zu anderen europäischen Ländern dem Anspruch auf „Kulturstaatlichkeit“ einen besonders hohen Stellenwert einräumt. Dieser Widersprüchlichkeit und ihren Konsequenzen für die Stellung von Kunst und Kultur im demokratisch verfassten Gemeinwesen3 soll im Folgenden aus historischer Sicht etwas detaillierter nachgegangen werden. Kulturpolitik als Mittel feudaler Herrschaftsstabilisierung

Zusammen mit der katholischen Kirche hat die Aristokratie über Jahrhunderte vorgeführt, welche herausragende Bedeutung dem Kulturschaffen für die zumindest symbolische Repräsentanz feudaler Herrschaftsansprüche zukommt. Mit der Französischen Revolution und dem Erstarken eines liberalen Bürgertums in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stellte sich die Machtfrage neu. Die damit verbundenen Ansprüche auf politische Mitbestimmung konnten in der österreichisch-ungarischen Monarchie mit der Niederschlagung der bürgerlichen Revolution durch das Kaiserhaus fürs Erste abgewendet werden. Auf der Suche nach Kompensation wurde diese neue soziale Kraft im Kulturbereich fündig. Wie Norbert Elias formulierte,4 bot die Kultur in besonderer Weise der erstarkenden Bourgeoisie die Möglichkeit, die distinguierten Lebensformen des Adels zu imitieren und sukzessive in den Alltag dieser aufsteigenden Klasse zu integrieren. Dazu kam die Möglichkeit, mit Hilfe von Kultur sozialen Distinktionsgewinn zu lukrieren und sich so vom großen Rest der körperlich tätigen Bevölkerung abzugrenzen. Als Ausdruck dieser klassenspezifischen Ungleichheit entstanden die wesentlichen Bestimmungsstücke eines kulturellen Erbes, das als natürlicher Besitz eines zwar wirtschaftlich potenten, von politischen Entscheidungsprozessen aber ausgeschlossenen Bildungsbürgertums angesehen wurde und bis heute das Programmangebot weiter Teile des staatlichen Kulturbetriebs dominiert. Zur Konstruktion dieses auf Kompensation gerichteten Selbstverständnisses als führende gesellschaftliche Kraft gehörte auch, sich mit dieser Form der kulturellen Zugehörigkeit über die Niederungen des Politischen zu erheben und damit die vor allem von der Arbeiterklasse angestrebten demokratischen Errungenschaften abzuwerten.

3 Das prekäre Verhältnis von Kultur und Demokratie wurde vom Autor in seiner Habilitationsschrift im Detail verhandelt: Michael Wimmer (2011): Kultur und Demokratie. Eine systematische Darstellung der österreichischen Kulturpolitik, Wien: StudienVerlag.

4 Norbert Elias (1976): Über den Prozess der Zivilisation, Frankfurt am Main: Suhrkamp.

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Kultur mutierte so zum hoch idealistisch aufgeladenen Gegenbegriff zu einer dynamischen modernen Gesellschaftsentwicklung, an der man – auf die Unveränderbarkeit feudaler Herrschaftsverhältnisse fixiert – nur sehr beschränkt teilzuhaben vermochte. Ihre wirtschaftlich privilegierten, aber politisch diskriminierten Träger*innen fanden in Kultur ein glanzvolles Kompensat für die Verweigerung demokratischer Mitbestimmung. Mehr, unter Kultur fand sich alles, was nicht Demokratie ist. Eine Zuschreibung, die bis heute den kulturpolitischen Diskurs durchzieht, wenn demokratische Ansprüche einer breiten Mitbestimmung oder gar Mitwirkung als zumindest potenzielle Beschädigung dessen, was die besondere Qualität von Kultur ausmacht, verhandelt wird. Bei diesen Abgrenzungsversuchen nahm man allzu leicht in Kauf, den aufklärerischen Anspruch von Kultur, prinzipiell allen Menschen zur Verfügung zu stehen, zu verraten. Und so durfte zwar eine unbekannte Zahl von anonymen böhmischen Wanderarbeiter*innen („Ziegelbehm“), die am Laaerberg am südlichen Stadtrand von Wien unter unmenschlichen Bedingungen vegetierten, die Baumaterialien für die großen Kulturpaläste der neuen Wiener Ringstraße erzeugen; sie selbst mussten als „Kulturlose“ draußen bleiben und sich statt mit genialer Kunst mit billigem Fusel betäuben. Kultur als Ausdruck völkischer Vergemeinschaftung

5 Otto Bauer (1907): Die Nationalitätenfrage und die Sozialdemokratie, Wien: Verlag der Wiener Volksbuchhandlung, https://www.marxists. org/deutsch/archiv/ bauer/1907/nationalitaet/ index.html.

6 Friedrich Tenbruck (1989): Die kulturellen Grundlagen der Gesellschaft: Der Fall der Moderne, Opladen: Westdeutscher Verlag.

Apropos Zuwanderung: Wenn das Dominantwerden des Industriekapitalismus des 19. Jahrhunderts den Kulturbegriff dem sich verschärfenden Spannungsverhältnis der unterschiedlichen sozialen Klassen aussetzte, so sorgte die aufkommende Nationalitätenfrage für eine weitere Differenzierung. Auch hier waren es die verweigerten politischen Mitsprachemöglichkeiten, die nach einem kulturellen Ersatz für die fehlende Machtverteilung rufen ließen. Otto Bauers Schrift über die Nationalitätenfrage5 aus dem Jahr 1907 macht deutlich, dass das Zusammenleben unterschiedlicher Ethnien mit ihren jeweiligen sprachlichen und kulturellen Besonderheiten schon vor mehr als hundert Jahren prominent auf der Tagesordnung stand und – wie man an den gegenwärtigen Offensiven diverser rechtspopulistischer Bewegungen unschwer sehen kann – bis heute tiefe Spuren im kulturellen Selbstverständnis eingegraben hat. Während aber die verschiedenen ethnischen Gruppen im „Völkerkerker“ der Habsburgermonarchie sich mit kulturellen Mitteln politisch zu emanzipieren trachteten, entwickelte vor allem der sich als deutsch definierende Teil einen umfassenden Suprematieanspruch. Die Behauptung einer spezifischen Innerlichkeit und Tiefe der deutschen Gemeinschaft6 sollte dafür herhalten, sich gegenüber den anderen, als minderwertiger eingeschätzten Ethnien abzugrenzen. Darüber hinaus wollten sich die derart Auserwählten mit ihren kulturellen Hervorbringungen den Verflachungen einer durch kapitalistische Wirtschaftsform und mühsame demokratische Entscheidungsfindungen

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geprägten Moderne entgegenstellen. Auf dieser theoretischen Grundlage schufen sie die Voraussetzungen für eine Identitätsdebatte, die 1914 noch etwas überraschend in den Kulturkampf des Ersten Weltkriegs mündete,7 um in der Folge bis heute autoritären und totalitären Regimen rassistisch, ethnisch oder nativistisch gegründete Legitimation zu verschaffen.

7 Wolf Lepenies (2006): Kultur und Politik. Deutsche Geschichten, München: Hanser.

Kulturpolitik als Ausdruck des Klassenkampfes

Während das Gros der Bourgeoisie unverbrüchlich einem konservativrückwärtsgewandten Kulturbegriff als Mittel zur Herrschaftsstabilisierung in unsicherer Zeit anhing, verstand sich eine Minderheit als Vorreiter*innen im Versuch, die verheerenden sozialen Folgen eines zunehmend industriekapitalistisch durchwirkten spätfeudalen Systems aufzuzeigen und die Betroffenen zu organisieren. So machte einer ihrer führenden Exponenten, Victor Adler, nicht nur auf die katastrophalen Arbeits- und Lebensumstände der wirtschaftlich Ausgebeuteten aufmerksam; seine konkreten Unterstützungsleitungen führten zur Grundlage der sozialdemokratischen Partei als einer kollektiven Interessenvertretung, die sich im Roten Wien ab 1918 erstmals um die Umsetzung einer demokratisch legitimierten Kulturpolitik bemühte. Insgesamt war die Erste Republik geprägt durch eine tiefe gesellschaftliche Spaltung, der man politisch sowohl mit sozialpolitischen Maßnahmen der materiellen Umverteilung als auch mit spezifisch kulturellen Mitteln entgegenwirken wollte. Dabei stand das kulturelle Selbstverständnis einer konservativen Elite, die in enger Tuchfühlung mit der katholischen Kirche einer vergangenen Größe nachhing, weitgehend unvermittelt den Überlebensstrategien eines Proletariats gegenüber, das von seinen Führern aufgerufen war, sich auf die schwierige Suche nach kultureller Selbstfindung zu machen. Es tat dies einerseits in Nachahmung bürgerlicher Kulturformen und andererseits im Anspruch, ein eigenes kulturelles, eben proletarisches Ausdrucksrepertoire zu schaffen. Auf diesem Weg definierte sich die junge Sozialdemokratie bewusst auch als Kulturbewegung, um so den Konservativen die Definitionsmacht über die Kultur streitig zu machen und diese unter anderem mit Slogans wie „Wissen ist Macht“, das auch den kundigen Umgang mit den kulturellen Ausdrucksformen der Zeit einschloss, für den politischen Emanzipationsprozess ihrer Wählerschaft zu nutzen. Zumindest partiell unterstützt wurden sie dabei von der Aufbruchsstimmung diverser künstlerischer Avantgarden, die sich keiner Klasse explizit zuordnen wollten und doch von einer Reihe, vor allem jüdischen wohlhabenden Mäzenen unterstützt wurden. Der zunehmend aggressiv geführte Kulturkampf forderte Parteinahme, wenn etwa im Rahmen des Wahlkampfes 1929 auch eine Reihe von Intellektuellen und Künstlern mit bürgerlichem Hintergrund im Rahmen einer „Kundgebung des geistigen Wien“8 für die Sozialdemokratie votierten, in der Hoffnung, damit die vor allem im ländlichen Raum verankerten und immer stärker werdenden konservativen Kräfte noch einmal in die Schranken weisen zu können.

8 https://litkult1920er.aau. at/litkult-lexikon/kundgebung-des-geistigenwien-1927/.

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9 So zeigten sich etwa führende Funktionäre der Sozialdemokratie gegenüber dem jungen Medium des Films sehr skeptisch, weil dieser ausschließlich zerstreuenden Charakter habe und von der politischen Bewusstseinsbildung ablenken würde; Christian Dewald (Hg.) (2007): Arbeiterkino. Linke Filmkultur der Ersten Republik, Wien: Filmarchiv Austria.

10 Dazu gehörte u. a. das Verbot der Sozialdemokraten, aber auch der Nationalsozialisten. Während aber Erstere in Konzentrationslager verbracht wurden, gelang es Letzteren, das politische System zugunsten des Anschlussgedankens immer weiter zu unterminieren.

11 Siehe dazu: Michael Wimmer (2006): „Konservative Kulturpolitik seit 2000. Eine Radikalisierung aus dem Geist der austriakischen Restauration“, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft 35(3), https://www.ssoar. info/ssoar/bitstream/ handle/document/6414/ ssoar-oezp-2006-h_3wimmer-konservative_ kulturpolitik_seit_2000. pdf?sequence=1 (12.2.2019).

Weitgehend abseits der kulturpolitischen Auseinandersetzungen formierte sich eine erste Welle einer Unterhaltungsindustrie, die über Musik, Varieté, Kabarett oder Film in erster Linie nach kommerziellen Interessen entschied und sich an eine vielschichtige Klientel richtete, die in politisch und wirtschaftlich schwierigen Zeiten nach Abwechslung gierte. Diese ersten Versuche zur Schaffung eines im Prinzip für alle offenen Kulturmarktes wurden – freilich ohne allzu großem Erfolg – sowohl von den katholisch konservativen als auch sozialdemokratisch fortschrittlichen Kräften heftiger Kritik unterzogen.9 Kulturpolitik als politische Propaganda

Mit dem Sieg der Austrofaschisten kamen alle Versuche der Ausdifferenzierung eines die unterschiedlichen sozialen Implikationen berücksichtigenden Kulturbegriffs an ihr vorläufiges Ende. Kulturpolitische Oberhand gewann nochmals das Konstrukt eines gemeinsamen österreichischen Kulturverständnisses, das sich weitgehend an den Hegemonieansprüchen des deutschsprechenden Bürgertums in der Zeit der Monarchie orientierte. In enger Abstimmung mit der katholischen Kirche wurde eine ständische Zuschreibung von Lebenschancen oktroyiert und jede darüber hinausweisende politische Interessenartikulation gewaltsam unterbunden.10 Den symbolischen Kitt dafür sollte ein vorgeblich spezifisch österreichisches kulturelles Erbes bilden, das sich darüber hinaus als nationales Identitätskonzept gegen den Hegemonieanspruch des Deutschen Reiches in Stellung bringen ließ. Vieles spricht dafür, dass just in der kurzen Phase des Austrofaschismus zwischen 1933 und 1938 die ideologischen Grundsteine für das Konzept einer immer als irgendwie bedroht dargestellten „Kulturnation“ gelegt wurden, das im Lauf des 20. Jahrhunderts ungeachtet der geänderten Verfassungsgrundlagen nochmals Karriere machte. Den Nationalsozialisten sollte es vorbehalten bleiben, Kulturpolitik als Mittel der Desintegration und Selektion auf den Punkt zu bringen. Sie erwiesen sich als Meister der Instrumentalisierung von Kultur für politische Zwecke und nutzten sie für politische Propaganda, an der sich allzu viele österreichische Künstler*innen mehr oder weniger freiwillig beteiligten. Darüber hinaus wurde sie als Mittel der rassischen Diskriminierung in Stellung gebracht, um ethnisch-religiöse und damit kulturelle Zugehörigkeiten zum Maßstab für die Existenzberechtigung der derart kulturpolitisch Stigmatisierten zu machen. Kulturpolitik als Essenz einer austriakischen Restauration11 der Nachkriegszeit

Das Ende des Zweiten Weltkriegs brachte das Wiedererstehen der Republik Österreich. Wirtschaftlich am Boden und überschattet vom überdurchschnittlichen Involvement von Österreicher*innen am national-

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sozialistischen Terrorregime, setzten die Konservativen eine unvergleichliche kulturpolitische Erfolgsgeschichte in Gang, die das Image Österreichs trotz Waldheim, Haider oder Strache bis heute prägt. Wie der spätere PEN-Club-Präsident Alexander Lernet-Holenia meinte, brauchte man nur „wieder dort anzuknüpfen, wo uns die Träume eines Wahnsinnigen herausgerissen haben“.12 Auf dieser Grundlage wurden austrofaschistische Traditionslinien der „Kulturnation“ wieder aufgenommen und zum Mythos der „Kulturgroßmacht Österreich“13 weiterentwickelt. Im Rückbezug auf das große kulturelle Erbe der Monarchie wollte man dem gebeutelten Land seine politische Unschuld zurückgeben und zugleich sich selbst und der Welt ein rundum positives Identifikationsangebot machen. Die Sozialdemokratie, in der Ersten Republik noch auf der vehementen Suche nach einer fortschrittlichen Kulturpolitik, fand sich nach 1945 wegen ihrer „unpatriotischen“ Anschlussforderungen an das Deutsche Reich geschwächt und übernahm weitgehend unreflektiert die vorherrschenden konservativen Positionen inklusive der Weigerung, exilierte Künstler*innen heimzuholen und Restitutionsprozesse anzustoßen.14 Ein selbsternanntes und weitgehend unbeschadet durch die Wirrnisse des Weltkriegs gekommenes Old-Boys-Network schanzte sich die wesentlichen Positionen und Fördermittel zu. Von diesen blieb eine junge, kritische und weltzugewandte Generation weitgehend ausgeschlossen. Nur sehr sporadisch zeigt sich Widerstand von unten; die kleinen Jugendszenen, die im Untergrund zu überleben suchten, machte sich in kabaretthaften Unruhen rund um den österreichischen Mai 1968 Luft. Diese erwiesen sich als Geburtsstunde des Wiener Aktionismus, der nach einer kurzen Phase der Verfolgung Weltruhm erlangte.15 Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik I – Als der linke Reformeifer auch die Kultur erfasste

Die Phase der SPÖ-Alleinregierung 1970–1983 wird als Versuch in die Geschichte eingehen, die provinzielle Enge, in die Österreich nach 1945 geraten war, zu überwinden. Dabei verstand es der Reformkanzler Bruno Kreisky, frischen Wind auch in die Kulturszene zu tragen und zumindest Teile der frustrierten Künstler*innen und Intellektuellen für sein politisches Projekt der gesellschaftlichen Erneuerung zu gewinnen. Erstmals fanden sich auch auf Bundesebene die Konturen eines kulturpolitischen Konzepts, das sich nicht ausschließlich an einer von konservativer Seite als naturwüchsig erklärten kulturellen Verfasstheit Österreichs für eine privilegierte Elite orientierte, sondern sich an alle bislang unberücksichtigt gebliebenen Künstler*innen richtete und auch an all diejenigen, die bislang mit Kultur gar nichts am Hut hatten. Erstmals fanden sich auf der politischen Tagesordnung zumindest einige Fragmente einer demokratiepolitisch begründeten kulturpolitischen Programmatik, die es sich zum Ziel setzte, möglichst alle Menschen zu aktiven Mitwirkenden des kulturellen Geschehens zu machen

12 Alexander LernetHolenia: „Gruß des Dichters. Brief an den ‚Turm‘“ (1945), in: Petra Nachbaur/Sigurd Paul Schleichl/Wendelin Schmidt-Dengler (1995): Literatur über Literatur. Eine österreichische Anthologie, Graz: Styria, S. 149f. 13 Sigrid Löffler (1996): „Zum Beispiel Burg und Oper – zwei kulturimperialistische Großmythen“, in: Wolfgang Kos (Hg.): Inventur 45/55. Österreich im ersten Jahrzehnt der Zweiten Republik, Wien: Sonderzahl, S. 382–403. 14 Es blieb Ausnahmen wie Viktor Matejka als Kulturstadtrat von Wien vorbehalten, sich aktiv für die Rückkehr von Künstler*innen einzusetzen. Selbst prominente Kommunisten wie der Kurzzeit-Unterrichtsminister Ernst Fischer beteiligten sich aktiv an der Rekonstruktion einer bürgerlich gefassten österreichischen Kultur, die die kulturpolitischen Handlungsspielräume bis in die 1970 Jahre nachhaltig bestimmen sollte. 15 Selbst Franz Vranitzky sollte in seiner Amtszeit als Bundeskanzler die Ausstellung Wiener Aktionismus im Moma in New York besuchen.

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16 Das Zitat stammt aus einer Theaterkritik Robert Musils mit dem Titel „Zusammenhänge?“ und ist am 30. März 1921 in der Prager Presse erschienen, zitiert nach: Robert Musil (1978): Gesammelte Werke Bd. 9: Kritik, Reinbek: Rowohlt, S. 1471–1474, hier S. 1474. 17 https://www.ris.bka. gv.at/Dokumente/ BgblPdf/1982_262_0/ 1982_262_0.pdf.

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(„Demokratisierung der Kultur“). In einem Dreischritt-Modell sollte sich Österreich vom Rechts- über den Wohlfahrtsstaat zum Kulturstaat weiterentwickeln. Damit verbunden war die Erwartung, die alten Klassengegensätze zu überwinden und – früher oder später – allen Bürger*innen den Aufstieg in den Mittelstand zu ermöglichen. Eine sozialdemokratisch inspirierte Kulturpolitik sollte für eine umfassende Umverteilung nicht nur der materiellen, sondern auch der immateriellen bzw. kulturellen Güter sorgen und damit die moralisch-ethischen Grundlagen für ein gedeihliches Zusammenleben möglichst aller Bürger*innen in einer offenen und demokratisch verfassten Gesellschaft schaffen. Mit Kreiskys Mitstreiter Fred Sinowatz als Unterrichts- und Kunstminister verband sich eine neue Idee vom politischen Charakter von Kultur, die sich nicht auf Bestandsinteressen einer bildungsbürgerlichen Elite beschränken wollte, sondern Kultur zum eigentlichen Reformmotor einer umfassenden gesellschaftlichen Transformation hochstilisierte. Aus dieser Zeit stammte auch der Ausbau staatlicher Förderprogramme, die neben der Aufrechterhaltung des kulturellen Erbes erstmals auch das zeitgenössische Kunstschaffen in den Blick nahmen. Unter dem Titel „Transparenz“ kam es mit der Erhebung erster Datensätze zum kulturellen Verhalten zur Objektivierung der kulturpolitischen Entscheidungsfindung. Trotz einzelner Initiativen wie dem „Kulturpolitischen Maßnahmenkatalog“ aus 1976, der sich mit Einrichtungen wie dem Österreichischen Kultur-Service direkt an bislang ausgeschlossene Nutzer*innen richtete, waren die meisten Förderprogramme noch stark produktionslastig ausgelegt, in traditionell paternalistischer Manier war dem Publikum eine eher passive Rolle zugedacht. Nach 1983 erlahmten diesbezügliche staatliche Bemühungen bald und machten einem Verfahrenspragmatismus Platz. Deutlicher sichtbar wurde stattdessen eine Kulturbewegung „von unten“, die sich staatlicher Bevormundung mit eigenen kulturellen Ansprüchen zu widersetzen suchte. Aus den Milieus der Sub- und Alternativkultur entwickelte sich eine „Freie Szene“, die in Abgrenzung gegen den traditionellen Kulturbetrieb auf künstlerische Autonomie pochte und damit nochmals das prinzipielle Spannungsverhältnis zwischen Staat und Kulturbetrieb deutlich machte. Sie orientierte sich dabei an einer Aussage von Robert Musil, der bereits 1921 gemeint hatte: „Der Staat hat zur Kunst nur ein einziges Verhältnis zu haben: daß er Einrichtungen schafft, welche sie garantiert.“ 16 Anstatt Künstler*innen dafür zu instrumentalisieren, gesellschaftliche Reformprozesse zu initiieren oder zu begleiten, sollte sich – ging es nach den neuen, nach kultureller Unabhängigkeit strebenden Akteur*innen – staatliche Kulturpolitik damit begnügen, den Kulturbetrieb in seinen vielschichtigen Ausprägungsformen am Laufen zu halten. Ihren Ausdruck fand diese liberale Tendenz unter anderem in der Verankerung der Freiheit der Kunst in der Bundesverfassung 1982 17 mit der Hoffnung, damit eine jahrzehntelange Zensurdebatte, die sich vor allem auf eine Kritik scheinbar sakrosankter katholischer Wertvorstellungen bezog, zu

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Michael Wimmer

beenden. Dazu fand 1988 zwar ein Bundeskunstförderungsgesetz18 eine parlamentarische Mehrheit, ÖVP, FPÖ und den Bundesländern mit ihren Ansprüchen auf „Kulturhoheit“ 19 gelang es aber, den Vorschlag der SPÖ zu einer Förderverpflichtung des Staates abzuwenden. Schon bald wurde damit unter dem Etikett einer neuen Liberalität eine Wiederannäherung der Kulturpolitik an traditionell konservative Traditionslinien deutlich, deren Wortführer*innen sich immer wieder gegen staatliche Interventionen aussprachen20 – mit Ausnahme der staatlichen Gewährleistung der großen „Kulturtanker“. Sie wussten nur zu gut, dass eine – wie oben beschrieben – historisch präformierte staatliche Repräsentationskultur sich hervorragend dafür eignet, die bestehenden Herrschaftsverhältnisse zu stabilisieren. Aus heutiger Sicht scheint auffallend, dass die Migrationswellen der 1970er und 1980er Jahre im damaligen kulturpolitischen Diskurs überhaupt nicht thematisiert wurden; dafür wurden – insbesondere in Kärnten – die Rechte der kulturellen Minderheiten umso vehementer diskutiert. Spätestens in den 1990er Jahren verlor sich der politische Charakter der kulturpolitischen Diskussion. In dem Maß, in dem der politische Elan eines kontinuierlichen Fortschrittsdenkens erlahmte, setzten sich wirtschaftliche Argumente durch und bereiteten so den Boden für eine umfassende Neoliberalisierung auch des Kulturbereichs. Kulturpolitik als Kulturwirtschaftspolitik

Erste Anzeichen für den politischen Ermüdungsprozess lassen sich bereits in den 1980er Jahren festmachen. Damals versprach der neue, aus dem Bankenbereich kommende Bundeskanzler Franz Vranitzky, das bislang stark sozialpartnerschaftlich geprägte Österreich wie ein Unternehmen führen zu wollen, und stellte damit sozialstaatliche ebenso wie kulturstaatliche Errungenschaften der 1970er Jahre zur Disposition. Und so hielt auch im Kulturbereich betriebswirtschaftliches Denken Einzug. Von der gezielten Anwendung professioneller Kulturmanagementmethoden versprach man sich vor allem eine effektivere Ressourcennutzung, während der Anspruch auf künstlerische Qualitätsentwicklung tendenziell in den Hintergrund rückte. Die wesentlichen kulturpolitischen Entscheidungen der damaligen Ära gliederten die großen Kultureinrichtungen aus der staatlichen Verwaltung aus und setzten sie mit der Erklärung ihrer zuerst Teilrechts- und dann Vollrechtsfähigkeit den Marktkräften aus. Die Erwartung ging unter anderem dahin, damit bessere Voraussetzungen für Drittmittelakquisition zu schaffen und so die staatlichen Haushalte zu entlasten. Diese Statusänderung hatte vehemente Auswirkungen auf den gesamten Kulturbereich, der sich gezwungen sah, sich immer weniger an politischen Zielen und immer mehr an den Erwartungen des Marktes zu orientieren. Die unmittelbar positiven Effekte zeigten sich in einer Entideologisierung des Kulturbetriebs. Es liegt in der emanzipativen Kraft des Marktes, bestehende soziale Hierarchien

18 https://www.ris.bka. gv.at/GeltendeFassung. wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10009667. 19 Peter Häberle (1982): Kulturstaatlichkeit und Kulturverfassungsrecht (Wege der Forschung 138), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 20 Die FPÖ ging dabei sogar noch einen Schritt weiter und versuchte immer wieder, ihr nicht genehme Künstler*innen als „Staatskünstler*innen“ zu denunzieren. Siehe dazu etwa die Plakatkampagne der FPÖ im Wiener Gemeinderatswahlkampf 1995: „Lieben Sie Scholten, Jelinek, Häupl, Peymann, Pasterk oder Kunst und Kultur?“ Siehe: http://www. demokratiezentrum.org/ wissen/bilder.html?index=562.

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Das Phantom der Demokratie

21 Bundesministerin für Bildung, Kunst und Kultur 2007–2013.

22 Bundesminister für Unterricht und Kunst (1990–1994), Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Kunst (1994–1996), Bundesminister für Wissenschaft, Verkehr und Kunst (1996–1997).

einzuebnen und allen Marktakteuren, ungeachtet ihrer sozialen Zugehörigkeit, den Zugang zu ermöglichen, sofern die notwendigen Mittel dafür aufgebracht werden können. Auf diese Weise konnte ein vielfältiges Kulturangebot, das sich entlang der jeweiligen Nutzer*innen-Gruppen immer weniger in Hochkultur und Unterhaltungskultur strukturieren lässt, nochmals ausgebaut werden. Dieses steht heute – zumindest im Prinzip – allen offen. Die Kehrseite der Medaille besteht freilich im Verlust der gesellschaftlichen Kraft, die man einem „eigensinnigen“ Kulturbetrieb einst politisch zugesprochen hat. Der neuen Marktwirtschaftlichkeit entgegen kommen auch die neuen kulturpolitischen Schwerpunkte im Bereich der Kulturellen Bildung und der Kulturvermittlung, die traditionelle Produktionslastigkeit zugunsten eines neuen Interesses für (potenzielle) Nutzer*innen in Frage zu stellen. Kulturpolitiker*innen wie Claudia Schmied21 nahmen dabei Anleihen an kulturpolitischen Maximen der 1970er Jahre („Kultur für alle“); aufgrund des Fehlens eines genuin politischen Anspruchs mutierten die getroffenen Maßnahmen aber bald zu Zurichtungsversuchen an die neuen Markterfordernisse, in denen Individualisierung und damit verbundene Kreativitäts- und Innovationsansprüche zu den neuen Maßstäben erklärt wurden. Dieser durch den europäischen Integrationsprozess verstärkte kulturbetriebliche Hype trug auch zu einer nachhaltigen Verlagerung der kulturpolitischen Schwerpunktbildung im Bereich der „Cultural and Creative Industries“ insbesondere im städtischen Bereich bei. Dafür wurden etwa in Wien eigene Förderstrukturen wie „departure“ geschaffen und mit dem Argument abgesichert, damit nicht die bestehenden Förderstrukturen beeinträchtigen zu wollen. Es erscheint bemerkenswert, dass sich im globalen Sog des Neoliberalismus alle wesentlichen politischen Kräfte an der Stärkung der wirtschaftlichen Ausrichtung des Kulturbetriebs beteiligten. Während die Sozialdemokraten in diesbezüglichen Maßnahmen neue Beschäftigungsmöglichkeiten orteten, sahen Konservative und Freiheitliche vor allem einen Rückzug des Staates und damit ein Ende einer Abhängigkeit des Kulturbetriebs von (sozialdemokratisch dominierten) politischen Kräften. Kaschiert wurde in allen Fällen das Austrocknen eines genuin politischen Gestaltungswillens, das dazu führen sollte, das Regime über die Kultur weitgehend dem Markt und seinen Logiken zu überlassen. Die Hoffnungen aus den 1970er Jahren, die Gesellschaft mittels einschlägiger kulturpolitischer Maßnahmen besser, weil gerechter und demokratischer machen zu können, erscheinen aus heutiger Sicht weitgehend aufgegeben. Kulturpolitik als Künstler*innen-Vertretung

In den 1990er Jahren versuchte die SPÖ mit ihrer kunstaffinen Galionsfigur Rudolf Scholten22 ihr Image als Förderin vor allem von Gegenwartskunst („Kulturauftrag des Staates“) zu retten. Dem damaligen Kunstminister

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gelang letztmalig eine namhafte Ausweitung der Kunstförderbudgets, um sich so als Verbündeter einer kritischen und unangepassten Künstler*innenschaft zu empfehlen. In eine ganz ähnliche Richtung tendiert zurzeit die Wiener Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hausler, die – mit einem ähnlich hohen Budget ausgestattet – sich als aus dem Kulturbetrieb kommende Kulturpolitikerin vor allem als Interessenvertreterin eines avancierten Kunstschaffens innerhalb der städtischen Verwaltung sieht. Die Konservativen in Gestalt einer „tragischen Bewegung, die immer erst auf den Plan tritt, wenn es schon zu spät ist“23 (Thomas Biebricher), haben spätestens mit dem Beginn der 2000er Jahre ihre kulturpolitischen Ambitionen weitgehend aufgegeben. Ihr zentrales Anliegen der unmittelbaren Nachkriegszeit, Österreich als „Kulturnation“ zu positionieren, hat sich als zentrale identitätsbildende Chiffre innerhalb und außerhalb der Landesgrenzen nachhaltig durchgesetzt. Diesbezügliche Zuschreibungen werden durch die einen oder anderen kulturpessimistischen Einwendungen nicht mehr grundsätzlich in Frage gestellt. Bereits in den 1990er Jahren bildete ihre eigentliche kulturpolitische Stoßrichtung die „Entstaatlichung“ der Kulturbetriebe. Bereits als Wirtschaftsminister einer großkoalitionären Regierung machte sich Wolfgang Schüssel24 dafür stark, die großen Kulturbetriebe in die unternehmerische Unabhängigkeit zu entlassen. Als Bundeskanzler einer blau-schwarzen Bundesregierung überließ er die Kulturpolitik Franz Morak, der in seiner Person sowohl hochkulturelle als auch populäre künstlerische Ausdrucksformen vereinte25 und so die damit verbundenen Distinktionszuschreibungen für obsolet erklärte. In seiner Funktion als Kunststaatssekretär beschränkte er sich weitgehend auf einen kulturpolitischen Revanchismus, um so sozialdemokratische Entscheidungen rund um die Bestellung von Claus Peymann als Burgtheaterdirektor rückgängig zu machen.26 Darüber hinaus pflegte er ein Faible für die „Cultural and Creative Industries“,27 womit er hoffte, die Ökonomisierung des Kulturbetriebs weiter voranzubringen und so den Staat sukzessive aus dem ausdifferenzierten System der Bundesförderung zu entlassen. In Ausübung seiner Förderkompetenzen kam er seinem Koalitionspartner FPÖ entgegen, wenn es darum ging, wieder parteipolitische Prioritäten zu setzen. Immerhin hatte Jörg Haider bereits als Landeshauptmann von Kärnten die kulturpolitische Losung ausgegeben, dass die „Hand, die füttert, nicht gebissen werden dürfe“.28 Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik II – diesmal von rechts

Die Geschichte Österreichs der letzten 30 Jahre ist wesentlich geprägt vom scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg der FPÖ als Sammelbecken rechtsradikaler Kreise. Die umjubelte Inthronisierung des jungen Jörg Haider zum Parteivorsitzenden am Innsbrucker Parteitag 1986 machte aus der langjährigen Kleinpartei einen zentralen Faktor der österreichischen Innenund Außenpolitik. Mit dem Versprechen, fortan die etablierten Parteien „mit einem nassen Fetzen vor sich hertreiben“ zu wollen,29 startete Jörg

23 https://www.zeit. de/2019/29/thomasbiebricher-cdu-konservatismus-wahlergebnisse-angela-merkel.

24 Wolfgang Schüssel war ab 1989 Wirtschaftsminister im Kabinett Vranitzky II.

25 Franz Morak war sowohl Mitglied des Burgtheaters als auch Punk-Rocker.

26 In seiner Veröffentlichung Die Wende ist geglückt aus 2001 empfahl der damalige Parlamentspräsident Andreas Kohl Franz Morak, „mit dem linken G’sindel auf[zu]räumen“. 27 Vor seiner Bestellung betrieb Franz Morak eine Kulturinitiative mit dem Namen „Kulturmaschine“. 28 Jörg Haider (1994): Die Freiheit, die ich meine, Frankfurt am Main: Ullstein.

29 Siehe dazu etwa: Patrick Horvath (1999): „FPÖ und Wahlen“, http://horvath.members.1012.at/ fpo.htm.

Das Phantom der Demokratie

30 Michael Wimmer (2019): „Staatliche Kulturpolitiken im Vergleich. Über Ähnlichkeiten und Unterschiede des Kulturverständnisses schwarzblauer Regierungen“, in: Emmerich Tálos (Hg.): Die schwarz-blaue Wende in Österreich. Eine Bilanz, Wien: Lit-Verlag.

31 Nur zu leicht wird dabei vergessen, dass vor allem die deutschnationalen Kräfte innerhalb der FPÖ bis heute eine Mentalreservation gegenüber der österreichischen Nation pflegen. Dazu gehören auch Aussagen Jörg Haiders zur „Missgeburt der österreichischen Nation“. Was alle rechtspopulistischen und rechtsradikalen Kräfte aber eint, ist ethnische Überhöhung der eigenen Zugehörigkeit.

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Haider eine unvergleichliche politische Erfolgsgeschichte in der Zweiten Republik, die das politische System nachhaltig nach rechts verschieben sollte. Zuvor kulturpolitisch wenig auffällig, konzentrierte sich die FPÖ die längste Zeit auf Aspekte der Volkskultur und Brauchtumspflege, die sie von einer städtisch dominierten Sozialdemokratie vernachlässigt wähnte. Auf der Suche nach einem Außenfeind wurden die neuen FPÖ-Strategen rund um Haider bald in der Figur des „Ausländers“ fündig. 1993 organisierte er einen ersten Probefeldzug in Form eines „Ausländervolksbegehrens“, das über 400.000 Stimmen erhielt und von einer liberalen Öffentlichkeit mit einem „Lichtermeer“ mit ähnlichen Beteiligungszahlen beantwortet wurde. Auch die Regierungsbeteiligung der FPÖ im Jahr 2000 war begleitet von heftigen Protesten gegen rassistische und ausländerfeindliche Positionen, die sich stark an nationalsozialistischen Traditionslinien orientierten. Ich habe die Kulturpolitik von Schwarz-Blau im Detail analysiert,30 entscheidend scheint mir zu sein, dass es der FPÖ in den letzten Jahren gelungen ist, die kulturpolitische Meinungsführerschaft zu übernehmen und Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik zu definieren, um so eine neue Phase des „Kulturkampfes“ einzuläuten. Die Grundlagen dafür bildete der Kampf gegen die zunehmende ethnisch-kulturelle Diversifizierung, der noch einmal ein nativistisches Konzept von Kultur, das in alle gesellschaftlichen Bereiche hineinzuwirken vermag, entgegengestellt wurde. Auf dessen Basis konnte eine Re-Hierarchisierung entlang kultureller Grenzziehungen der mittlerweile mannigfach ausdifferenzierten österreichischen Gesellschaft vorgenommen werden. Fast als eine Farce anmutend, übernahm damit die FPÖ ursprünglich den Konservativen zugeordnete Positionen zugunsten einer „Kulturnation“ samt all den Ingredienzien einer vorgeblich naturhaft gewachsenen spezifisch österreichischen Kultur, die es vor allem gegen immer neue Zuwanderungswellen zu verteidigen gelte. Während sich die Konservativen mit der Preisgabe christlich-sozialer Wertvorstellungen immer weiter wirtschaftsliberalen Positionen angenähert haben, mutieren die Freiheitlichen zur letzten Bastion der Verteidigung eines „wahren Österreichertums“, das in der besonderen Kultur des Landes seinen Ausdruck finde.31 Nicht nur im Streit um die Zukunft des europäischen Integrationsprozesses finden sie dabei allerlei Bündnispartner, vor allem in Mittel- und Osteuropa, deren Programme mit ihren anti-finanzkapitalistischen, anti-semitischen, anti-migrantischen, antiamerikanischen und pro-russischen Affinitäten stark an völkische Vorstellungen der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg erinnern. Es waren die damaligen kulturpolitischen Wortführer, die diesen Krieg zu verantworten haben, wenn sie eine von allen fremden Einflüssen befreite Kultur zur eigentlichen Kraft hochstilisierten, um die damals oft noch prekär verfassten nationalen Gesellschaften zu retten. Sowohl die Konservativen als auch die Sozialdemokraten scheinen der von rechtsradikalen Kräften aus vordergründig opportunistischen

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Gründen herbeigeführten kulturpolitischen Herausforderung substanziell wenig entgegenzusetzen zu haben. Die Konservativen unter ihrer neuen geschmeidigen Führerpersönlichkeit Sebastian Kurz mögen damit liebäugeln, unter Wahrung eines neoliberalen Kurses das gefährliche Spiel der neuen kulturpolitischen Ein- und Ausgrenzung zu übernehmen. Die türkis-blaue Regierung 2017–2019 hat eindrucksvoll gezeigt, wie massiv der kulturell hoch aufgeladene Migrationsdiskurs in alle anderen Politikfelder mittlerweile hineinragt und damit die gesellschaftliche Verfasstheit bestimmt. Willkürlich in Kauf genommen wurde dabei der wachsende Einfluss der digitalen Medien auch auf den Kulturbetrieb, der in seinem ganzen Ausmaß staatlicherseits bislang weitgehend unreflektiert geblieben ist.32 Die SPÖ hingegen ist weiter denn je davon entfernt, Kultur als Ort der Freiheit gegen die immer umfassenderen und doch als alternativlos verhandelten marktwirtschaftlichen Oktrois politisch neu zu definieren. Stattdessen beschränkt sie sich bislang auf eine halbherzige Verteidigungshaltung liberaler Errungenschaften, um doch eingestehen zu müssen, dass sie auf ihrem Weg der Entideologisierung den Kontakt mit weiten Teilen der Kulturszene verloren hat. Irgendwo dazwischen finden sich die Versatzstücke einer österreichischen Kulturlandschaft, mehr oder weniger hervorragend, die – weitgehend kulturpolitisch unkoordiniert – versucht, den international vorgegebenen Kulturmarkterfordernissen zu entsprechen. Wohin aber die gesellschaftliche Entwicklung angesichts der grassierenden Demokratiemüdigkeit weist, das erscheint heute unsicherer denn je.

Michael Wimmer

32 Als einzige signifikante medienpolitische Initiative der Regierung Kurz I sollte sich die Abhaltung einer Medienenquete im Juni 2018 erweisen. In diesem Zusammenhang abgegebene Absichtserklärungen, Leitlinien für eine künftige Medienpolitik im digitalen Zeitalter zu entwickeln, blieben mit dem vorzeitigen Ende der Regierung weitgehend unerfüllt: https://orf. at/v2/stories/2441769. Als bedeutender für den Kulturbetrieb sollte sich die europäische Beschlussfassung einer Urheberrechtsnovelle im April 2019 erweisen, die sich zum Ziel setzte, die Macht der transnationalen Digitalkonzerne zu beschränken und damit die Konsumentenrechte zu stärken. Sie stieß dabei auf den Widerstand zumindest von Teilen des europäischen Kulturbetriebs.

Walter Rohn The Cultural Policies of Berlin, Paris, Vienna, and Zagreb with Regard to their Urban Peripheries

139 Introduction If not indicated otherwise, all Internet sources accessed September 10, 2019. 1 Cf. Walter Prigge (ed.), Peripherie ist überall, vol. 1 (Frankfurt am Main and New York: Edition Bauhaus, 1998).

Peripheries and fringes exist on different spatial levels.1 The present contribution focuses on peripheries within cities. In general, there are huge infrastructural disparities between centers and margins in cities. These relate to institutions of higher education, medical care, means of public transport, sophisticated shopping facilities, branch banks, cash dispensers, etc. In the field of culture, disparities between centers and peripheries are even more developed. This contribution specifically deals with the cultural scenes of Berlin, Paris, Vienna, and Zagreb, especially the cultural facilities and initiatives on the outskirts of the four metropolises, and with the respective municipalities’ cultural policies in favor of their urban fringes. The contribution is organized as follows: the first chapter sketches out the main lines of the research work from which information presented in this contribution is derived. The second part presents portraits of Berlin, Paris, Vienna, and Zagreb, and outlines these cities’ cultural approach to their outskirts. In the third chapter, the cultural policies of the four metropolises are compared and a short conclusion is made. 1. Research work

2 Franco Bianchini/Lia Ghilardi, “The Culture of Neighbourhoods: A European Perspective,” in: David Bell/ Mark Jayne (eds.), City of Quarters: Urban Villages in the Contemporary City (Aldershot: Ashgate, 2004), 237–248; Bruno Latour, Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2007); Dorte Skot-Hansen, “Why Urban Cultural Policies?” in: Jill Robinson (ed.), Eurocult 21. Integrated Report (Helsinki: Eurocult 21, 2005), 31–39, http:// www.eurocult21.org/ books/IntegratedReport3-116screen.pdf, accessed Sept. 3, 2009. 3 Walter Rohn, Die neue Kultur am Rand der Städte: Wien und Paris (Wien: Praesens, 2013).

Since the beginning of the 21st century, a broad range of cultural facilities such as theaters, cinemas, galleries, exhibition spaces, music venues, etc. came into being on the outskirts of European cities. Of course, there are different types of players, venues, art presentation, audiences, and financing in every city. These cultural facilities marked the starting point of a research project carried out by the author at the Institute for Urban and Regional Studies of the Austrian Academy of Sciences in Vienna at the beginning of this century. The author would like to take this opportunity to thank the Vienna municipality’s Department of Culture for the financial support given to research work. The theoretical framework of the study refers to the work and concepts of Franco Bianchini and Lia Ghilardi, Bruno Latour, and Dorte Skot-Hansen.2 The study was divided into two principal parts. In the first section, the focus was on Vienna and Paris. The research results on these two cities were presented in the book Die neue Kultur am Rand der Städte: Wien und Paris, published some years ago.3 In the second part of the project, research was conducted in Berlin and Zagreb. The primary research questions of the study were: • What are the basic characteristics of new cultural facilities on the outskirts of European cities? • In which ways do the venues contribute to a positive development of peripheral areas in cities? • How can a cultural policy in support of peripheral cultural initiatives be designed?

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Walter Rohn

In order to deal with developments in the four capitals, the study involved the research methods of field study, participatory observation, and in-depth interviews with representatives of cultural facilities, as well as with overall experts and political representatives. More than sixty interviews were conducted in Berlin, Paris, Vienna, and Zagreb, most taking place in the Austrian capital. The following districts were selected as case study areas and subsequently investigated: in Berlin, the district of Neukölln in the south of the city; in Paris, Ménilmontant to the east; in Vienna, the districts of Ottakring (west), Döbling (north), and Floridsdorf (northeast); and in Zagreb, the districts of Novi Zagreb – zapad and Novi Zagreb – istok in the south of the Croatian capital. In total, the author spent nearly four months on field research in Berlin, Paris, and Zagreb. The second research question, relating to the cultural facilities’ potentially stimulating effects on outskirt development, was answered through interviews with a total of thirteen experts in the fields of culture, urban development, and city administration, conducted in Vienna. The experts expressed their overall opinion that cultural facilities are capable of stimulating the cultural, urbanistic, economic, and social development of urban fringe areas. Venues may particularly contribute to the improvement of the peripheral areas’ cultural infrastructure, help democratize culture, encourage urbanistic development, and give input on the improvement of living conditions. Furthermore, cultural facilities have the capability of stimulating the creation of jobs and the advancement of creative industries. Finally, cultural facilities are expected to foster the political participation of citizens, the integration of different segments of the population, the creation of a distinct identity of the outskirts, and a stronger identification of the population with their respective habitat. To benefit from the cultural facilities’ positive effects on urban development, it is necessary to set up a cultural policy in favor of urban fringes. The basic requirements of such a strategy are: • A strong commitment, by the municipality, toward the people living on the outskirts of the city • An adequate funding of cultural projects on the fringes • A combination of resources from the department of culture with financial means of other municipal branches including urban regeneration, housing, education, social affairs, etc.4 • A transfer of financial resources (e.g. from high culture) The following chapters will demonstrate how the four European metropolises tackle this challenge. 2. Berlin, Paris, Vienna, and Zagreb

In the present chapter, the cultural scenes and policies of four European metropolises, with different backgrounds and traditions, will be depicted (in the cities’ alphabetical order). Berlin and Paris are the capitals of

4 Franco Bianchini/Lia Ghilardi, “The Culture of Neighbourhoods: A European Perspective” in: Bell/Jayne (2004), 237–248.

The Cultural Policies of Berlin, Paris, Vienna, and Zagreb

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large states, whereas Vienna and Zagreb represent smaller ones. Berlin and Vienna are capitals of states with a federal system; Paris and Zagreb stand for a more centralistic approach. Of the four cities, Berlin has the largest population, Zagreb the smallest. Regarding their respective surface area, Berlin is in the first position and Paris in the last. Paris shows the highest population density and Zagreb the lowest. Not only do the spoken languages vary, but the cities also represent different periods of membership in the European Union. Berlin and Paris are capitals of states with a very long membership in the European Union; Zagreb is the major city of the most recent member state. Table 1: Basic figures for Berlin, Paris, Vienna, and Zagreb Indicator Number of inhabitants Area (in square kilometers) Population density (inhabitants per square kilometer) Number of districts

5 Wikipedia (ed.), “Berlin” (2019), https://de.wikipedia.org/wiki/Berlin; Wikipedia (ed.), “Paris” (2019), https://de.wikipedia.org/wiki/Paris; Wikipedia (ed.), “Wien” (2019), https://de.wikipedia.org/wiki/Wien; Wkipedia (ed.), “Zagreb” (2019), https://de.wikipedia.org/wiki/Zagreb. 6 Berlin.de (ed.), “Wir über uns” (2019), https:// www.berlin.de/sen/kultur/wir-ueber-uns/.

7 Walter Rohn, Bericht zum vierten Teil des Forschungsprojekts Neue Kulturinitiativen als Motoren für die Entwicklung peripherer Stadtteile (Wien: Institut für Stadtund Regionalforschung der ÖAW, 2014).

BERLIN

PARIS

VIENNA

ZAGREB

3,644,826

2,190,327

1,897,491

790,017

891.7

105.4

414.9

641.4

4,087.5

20,781.1

4,573.4

1,231.7

12

20

23

17

Note: Data for Berlin as of December 2018, Paris of January 2016, Vienna of January 2019, and Zagreb of March 2011 (most recent available data).5

The first city to be presented here is the German capital BERLIN. According to its status as a federal state, Berlin is officially named “Land Berlin”. The mayor, the senate, and the chamber of deputies govern the city. Since December 2014, Michael Müller, who followed long-time mayor Klaus Wowereit, has been filling the position of mayor. As of autumn 2016, the time of the inauguration of the new city government, Torsten Wöhlert is Secretary of State for Culture and Klaus Lederer holds the post of Senator for Culture and Europe.6 In December 2018, 3,644,826 inhabitants were living in Berlin on 891.7 square kilometers, which equals a population density of 4,087.5 inhabitants per square kilometer. Berlin is structured in twelve districts. With the exception of Charlottenburg-Willmersdorf, Mitte, and Friedrichshain-Kreuzberg, all districts stretch out to the border of the city. The central part of the city lies within the so-called S-Bahnring, which is a circle of railway tracks.7 The funding structure of arts and culture in Berlin is quite complicated and somewhat difficult to understand. Berlin is rather unique in its way of allocating money given by the state into its own cultural funding account. According to the relevant documents provided by the city of Berlin (see below), the following major sponsors of arts and culture operate in the German capital: • The Federal Republic of Germany via direct funding of major cultural institutions and special funds (inter alia, a culture fund for the capital) • The City of Berlin (the senate) with its funding of important cultural institutions and programs • The twelve districts with their funding of local cultural facilities

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According to the latest disposable figures (for 2010), these three categories of donators provided a total of 845 million euros for arts and culture in Berlin. The Federal Republic of Germany provided 40.2 percent of this sum, the senate provided 45.6 percent, and the districts provided 14.2 percent. Funds for construction and maintenance work are not included in the sum of 845 million euros.8 Going into further detail: The senate directly spends 45.6 percent of the above-mentioned sum, or in an absolute figure, 385 million euros. This amount of money may be termed the direct cultural budget of the senate. The direct budget is divided into institutional funding, which comprises approximately 95 percent of the immediate budget, and project funding. Berlin’s districts have at their disposal a certain cultural budget in a relatively autonomous way. Because this money also comes from the central administration, it may be termed the indirect budget of the senate.9 For 2013, the report on cultural funding by Land Berlin only provides figures for a small part of the overall funding, which means figures for Land Berlin’s immediate funding of projects. This sum, which, inter alia, includes theater, dance, music, literature, and fine arts, amounts to 23,084,491 euros.10 The Federal Republic of Germany in Berlin, inter alia, sponsors certain foundations and memorials, the international film festival Berlinale, and the line-up of a year’s best theater productions in German-speaking countries, the so-called Berliner Theatertreffen. Together with the Berlin municipality and other federal states, the Federal Republic sponsors the state museums in Berlin, on the Museumsinsel and in other locations.11 The senate and the city finance the major cultural institutions in Berlin. These primarily are the State, German, and Comical Operas and their orchestras, as well as the Berlin Philharmonics. The German Theatre, Volksbühne (People’s Stage), Berlin Ensemble, Schaubühne (Show Stage), and Hebbel at the Waterside are the most prestigious theaters. Furthermore, the municipality sponsors houses and festivals for literature, museums, special memorials, and public libraries such as the Zentralund Landesbibliothek as well as many other institutions. As indicated above, these facilities are financed under the title of institutional funding. It comes as no surprise that the largest part of Berlin’s most important cultural institutions is situated in the city center.12 As expressed by Renate Rolke, a leading representative of the municipality’s department for culture, the city administration is basically oriented toward the cultural aims of the city as a whole, not toward those of specific parts of the city.13 An effective measure to support artists in the German capital is the Berliner Atelierprogramm. The municipality provides several hundred subsidized studios and apartments through this program, which is financed via project funding. Additionally, there are rehearsal spaces for theater, dance, and music.14

Walter Rohn

8 Der Regierende Bürgermeister von Berlin/ Senatskanzlei Kulturelle Angelegenheiten (ed.), “Kulturförderbericht 2011 des Landes Berlin” (2011), 18, https://www. berlin.de/sen/kultur/ kulturpolitik.

9 ibid., 8.

→ Fig. 1 10 Der Regierende Bürgermeister von Berlin/ Senatskanzlei Kulturelle Angelegenheiten (ed.), “Kulturförderbericht 2014 Land Berlin” (2015), 39, https://www.berlin.de/ sen/kultur/kulturpolitik. 11 Der Regierende Bürgermeister von Berlin/ Senatskanzlei Kulturelle Angelegenheiten (2011), 18.

12 ibid., 14. 13 Interview with Renate Rolke, leading representative of the Berlin municipality’s Department for Cultural Affairs, Berlin (April 11, 2013). 14 Interview Rolke; Senatsverwaltung für Kultur und Europa/Abteilung Kultur (ed.), “Atelierförderung” (2019), https://www.berlin.de/ sen/kultur/foerderung/ foerderprogramme/ bildende-kunst/artikel.60001.php.

The Cultural Policies of Berlin, Paris, Vienna, and Zagreb

→ Fig. 2

15 Interview with Bernd Müller, Director of the Adult Education Center Neukölln, Berlin (April 11, 2013); Interview Rolke. 16 Interview with Regina Kramer, Co-Director of Cultural Network Neukölln, Berlin (April 10, 2013); Interview Rolke.

17 Berlin.de (ed.), “Informationen zum Berliner Quartiersmanagement. Das Programm Soziale Stadt” (2019), https:// www.stadtentwicklung. berlin.de/wohnen/ quartiersmanagement/ download/aktuelles/ info-flyer_zum_berliner_ quartiersmanagement. pdf; Interview Müller; Quartiersmanagement Berlin (ed.), “Aktionsräume Plus” (2010), http://www.quartiersmanagement-berlin. de/unser-programm/ programmstrategie/ flankierende-konzepte/ aktionsraeume-plus. html; Interview Rolke. 18 Pavillon de l’Arsenal (ed.), “Paris en chiffres” (Paris: Pavillon de l’Arsenal, 2009); Rohn (2014).

19 Interview with JeanFrançois de Canchy, Chairman of the Regional Board of Cultural Affairs Île-de-France, Paris (September 28, 2007).

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As indicated above, the funding of local cultural institutions, programs, and activities is the responsibility of Berlin’s twelve districts. The districts’ cultural agenda principally comprises local libraries and museums, music schools and art schools for young people, and also adult education. In addition to their regular cultural budget, the districts obtain some money from a special cultural fund for districts and from another fund for cultural education.15 Furthermore, there are special funds such as the Lottery Fund and the private sector Mercator and Bosch foundations from which local cultural facilities can draw additional financial resources. Money handed out by the employment office gives cultural (and other) facilities the opportunity to pay unemployed people small sums. This so-called second labor market helps cultural facilities appoint additional staff to get necessary work done.16 In general, cultural funding by the senate and districts is restricted to serving cultural purposes. Local territorial development for disadvantaged urban areas is fostered via the Quartiersmanagement fund. This is part of the Social City program, sponsored by the federal government. Previously, the Berlin municipality maintained another program called Aktionsräume Plus.17 To sum up, we may say that there is a clear distinction between properly sponsored large cultural institutions such as operas, theaters, museums, etc., in the center of Berlin, and the comparatively poor-financed smaller cultural facilities outside of the S-Bahnring. Activists of cultural facilities in the periphery of Berlin have to write many project proposals to public and private donors to make their financial ends meet. With an area of 105.4 square kilometers, PARIS is the geographically smallest of the four metropolises. Due to its 2,190,327 inhabitants (as of January 2016), the French capital represents the most densely populated city in Europe. On average, 20,781.1 people live on one square kilometer of Parisian soil. Because of the density of people, buildings, institutions, facilities, etc., visitors get the impression of Paris as a spatially large city. The City of Paris comprises twenty districts, and arrondissements 12–20 are roughly classified as the city’s peripheral areas.18 As in every capital, there are at least two important players in the field of culture in Paris. The French Ministry of Culture and Communication, inter alia, sponsors the two opera houses Garnier and Bastille; the theaters Comédie Française, Chaillot, La Colline, and Odéon; the Centre Pompidou, the Louvre, and museums Guimet and d’Orsay.19 Large cultural institutions run by the City of Paris include the film archive Forum des Images, the House of European photography, the Parisian Museum of Modern Art, Théâtre du Châtelet (opera and music theater), as well as the Dance Theater and the City Theater. All in all the City of Paris maintains a broad range of museums, theater houses and concert halls, public libraries, music schools, artists’ workshops, churches,

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and bridges within the city. Additionally the city is doing co-sponsoring for the Paris Orchestra, Théâtre de la Bastille, the association of private theaters and some art-house cinemas.20 With the Grands Travaux (great works) program in the mid-1980s, president Mitterrand started a huge decentralization of major state cultural institutions in Paris. Examples of this strategy are the Bastille Opera (in the 12th district), the National Library (13th), the Science Museum at la Villette (19th), and Théâtre de la Colline (20th). Later, the French Cinémathèque in the 12th and a huge concert hall, Philharmonie de Paris at La Villette, in the 19th district followed.21 The cultural policy of the City of Paris is drawn up by the mayor, the councilor for culture, and the city council and is being put into practice by the Directorate for Cultural Affairs of the City of Paris (DAC). In 2001, Bertrand Delanoë came into power as mayor of Paris—and stayed there until 2014. Christophe Girard was appointed councilor for culture. The two general targets of Delanoë’s and Girard’s initial cultural strategy comprised a doubling of the city’s budget for culture, and efforts toward a more equal distribution of the city’s cultural resources among the districts of the French capital. In 2014, Anne Hidalgo won the municipal elections in Paris and became Delanoë’s successor. In Hidalgo’s first cabinet, Bruno Juillard was appointed councilor for culture. In 2018, Christophe Girard, who in the meantime had been mayor of the fourth arrondissement of Paris, returned to his position as councilor for culture.22 In detail, the Paris municipality improved Parisians’ access to culture, gave city-dwellers free access to the permanent collections of the city’s museums, modernized the libraries, conducted a reform of the music schools, and gave strong support to local cultural initiatives including associations, street art, small theaters, short films, as well as dance and music companies.23 Starting with the year 2001, the Paris municipality built a broad range of new cultural facilities on the margins of the city, such as: • City of Fashion and Design in the 13th district • Music center Fleury Goutte d’Or – Barbara • Interactive theater Le Grand Parquet • Concert hall Les Trois Baudets • Institute for Islamic Culture with two sites (all 18th) • Fine arts center Centquatre (19th)24 The Paris municipality also constructed large médiathèques in peripheral districts and runs cultural centers, inter alia, in Ménilmontant (20th district, in the east). Furthermore, the municipality provides the districts with a sufficient amount of money for their own cultural activities. Accordingly, the Parisian districts are in a position to spend one euro per inhabitant on local cultural activities. In his position as Councilor for Culture, Christophe Girard created the “White Night,” an arts festival that reaches into the peripheral parts of Paris as well.25 In 2009, the Paris municipality set up the Charter of Cultural Cooperation program, which has subsequently been updated and prolonged

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20 Mairie de Paris (ed.), “Présentation de la direction” (2012), http:// www.paris.fr/politiques/ organigramme-des-directions-services/ direction-des-affaires-culturelles-dac/presentation-de-la-direction/ rub_5395_stand_8669_ port_11613. 21 Cinémathèque française (ed.), “La Cinémathèque française” (2019), http:// www.cinematheque.fr; Connaissance des Arts (ed.), “Grands Travaux. Connaissance des Arts, numéro special” (Paris: Société Française de Promotion Artistique, 1989); Philharmonie de Paris (ed.), “Philharmonie de Paris” (2019), http://philharmoniedeparis.fr/fr; Rohn (2013).

→ Fig. 3 22 Interview with Christophe Girard, Councilor for Culture, Paris (September 27, 2007); Rohn (2013); Wikipedia (ed.), “Bertrand Delanoë” (2019), https://fr.wikipedia.org/wiki/Bertrand_ Delanoë; Wikipedia (ed.), “Christophe Girard” (2019), https://fr.wikipedia.org/wiki/Christophe_ Girard_(homme_politique); Wikipedia (ed.), “Anne Hidalgo” (2019), https://de.wikipedia.org/ wiki/Anne_Hidalgo. 23 Interview Girard. 24 Interview Girard; Institut des Cultures d’Islam (ed.), “Institut des Cultures d’Islam” (2019).

25 Interview Girard. → Fig. 4

The Cultural Policies of Berlin, Paris, Vienna, and Zagreb 26 Colombe Brossel, “La ville renouvelle ses engagements en faveur de la culture pour tous et prolonge la Charte de Coopération culturelle jusqu’à 2020” (2017), https://colombebrossel.wordpress. com/2017/05/18/la-villerenouvelle-ses-engagements-en-faveur-dela-culture-pour-tous/; Mairie de Paris (ed.), “Charte de coopération culturelle 2009–2011” (2009), http://www. paris.fr/viewmultimediadocument?multimediadocument-id=81263 (8/11/2012); Mairie de Paris (ed.), „Politique culturelle de la ville de Paris, Paris“ (2011). 27 Eurekoi (ed.), “Je cherche à connaître le budget culturel de la Ville de Paris, Berlin et Londres” (2017), https:// www.eurekoi.org/ je-cherche-a-connaitre-le-budget-culturelde-la-ville-de-parisberlin-et-londres-eneuro-et-si-possible-lepourcentage-consacrea-la-culture-pour-chacune-de-ses-villes/. 28 World Cities Culture Forum (ed.), “Cities. Paris” (2019), http://www. worldcitiescultureforum. com/cities/paris. 29 Rohn (2013).

30 Bundeskanzleramt (ed.), “Kulturinstitutionen des Bundes” (2019), https:// www.bundeskanzleramt. gv.at/agenda/kunstund-kultur/kulturinstitutionen-des-bundes. html; Bundestheater (ed.), “Österreichische Bundestheater” (2019), https://www.bundestheater.at/de/.

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until 2020. Another specific program was Paris, City of Culture and Creation (2011). Both programs firmly supported cultural activities on the margins of the city.26 In 2017, the Paris municipality spent 69 million euros, of the city’s total annual budget of 5.5 billion euros, on culture. The financial means of the Paris municipality are augmented by those of other territorial authorities, such as the Regional Board of Cultural Affairs Île-de-France.27 In 2024, Paris will host the Olympic Games. In preparation of this event, the City of Paris and the communities in the surrounding agglomeration will strengthen their efforts to develop the cultural infrastructure of Grand Paris.28 In summary, it can be said that the Paris municipality is showing a strong commitment towards the city’s peripheral areas by setting up a broad range of new cultural institutions on the margins of Paris and providing the districts with sufficient financial resources for cultural purposes. In contrast to Berlin, the municipality of Paris also uses cultural resources for urban regeneration. The third town to be discussed here is VIENNA, the capital of Austria. Vienna has 1,897,491 inhabitants living on an area of 414.9 square kilometers. The population density amounts to 4,573.4 persons per square kilometer (January 2019). In terms of population and area, Vienna is the third largest city of the four capitals. The outer parts of Vienna comprise, on the right bank of the Danube, the districts outside the ring-road (the “Gürtel”), i.e. the districts 10–20 and 23, and on the river’s left bank, districts 21 and 22. The outer districts house more than three quarters of the population of Vienna.29 With those supported by the state and those alimented by the City of Vienna, the Austrian capital also has a double structure of huge cultural institutions. Under the holding state theaters, the Burgtheater and Akademietheater, as well as the Staats- and Volksoper opera houses, are maintained by the state. State museums in Vienna, inter alia, include the Albertina, Belvedere, 21er Haus, Kunsthistorisches Museum, Natural History Museum, World Museum, Theater Museum, Museum of Applied Arts, Leopold Museum, and Museum of Modern Art at the Museumsquartier, as well as the Museum of Technology. With the exception of the latter, all mentioned institutions are situated in the inner districts.30 The municipality of Vienna holds responsibility for the following large and medium-sized cultural institutions: Volkstheater, Theater in der Josefstadt, Schauspielhaus, Theater in der Gumpendorfer Straße (TAG), and Rabenhoftheater. These are all theaters in a (more or less) classic form. United Stages Vienna presents opera at the Theater an der Wien and at the Kammeroper, as well as musicals at the Renaissancetheater and the Ronacher. Other important cultural institutions are the Kunsthalle Wien (Art Exhibition Hall, Vienna) and the Center for Architecture at the Museumsquartier, the Vienna Museum and other communal museums, as

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well as the Austrian Film Museum (co-financed with the state) and the municipal-cinema Stadtkino at the Künstlerhaus. Without exception, all of these institutions are located in the inner districts of Vienna.31 In addition to these locations, the municipality sponsors a broad range of large and medium-sized festivals such as the Wiener Festwochen (principally for theater), Impulstanz (dance), O-Töne and Literatur im Herbst (both literature), Viennale (for film), Foto Wien (month of photography), as well as Wien Modern and Popfest Wien (both music). Of these festivals, only the Wiener Festwochen presents productions at locations outside the city center.32 Decisions regarding culture are being taken at various levels by Michael Ludwig, the mayor of Vienna; Veronica Kaup-Hasler, the City Councilor for Culture; the municipal council and the city’s commission for culture. According to its report on art, culture and science, Vienna spent 215.6 million euros on culture in 2018.33 In terms of the percentage of the budget of the city of Vienna, the sum is higher, because of a number of extra sources for culture. The bulk of cultural financing by the City of Vienna goes to institutions and festivals in the inner districts. Marie Ringler, a former spokeswoman of the Green Party Vienna for culture, estimated the share of financial means spent in the city’s central part at 80 percent.34 There are only a few large and medium-sized cultural institutions on the fringes of Vienna that get direct funding by the municipality. In addition, the twenty-three districts have comparatively small cultural budgets. In the recent past, some bigger cultural facilities and initiatives—in the broadest sense—have been established on the outskirts of Vienna. The most important are: • Brotfabrik (“Bread Factory”), established by the private company Loft City GmbH & Co. KG, has been officially inaugurated in 2015. It is a venue in the 10th district of Vienna that houses art galleries and institutions for artists such as Hilger Next, Ostlicht, Anzenberger Gallery, Bildraum Studio, Kunstraum Sellemond, Schauraum Elfnullnull and Voranker. The social institution Caritas runs some venues such as Atelier 10, Objekt 19 and Magdas Kantine. • Education Center Simmering (11th district) was established in 2011 by the municipality of Vienna and houses a facility for adult education, a branch of the public library, and a music school. • Despite its name, Bank-Austria Hall (also in the 11th) is a public concert hall in the basement of the Gasometer housing buildings, which has been inaugurated in 2001. • Hubsi Kramar and other artists created the forerunner of Werk X at the former cable factory Kabelwerk (12th) in the late 1990s. At the beginning of the 21st century, a new theater building has been built for Palais Kabelwerk. After a refurbishment, the public venue was reopened in 2014 under the name “Werk X” and now comprises two rooms for avant-garde theater.

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31 Geschäftsgruppe Kultur und Wissenschaft des Magistrats der Stadt Wien (ed.), “Kunst-, Kultur- und Wissenschaftsbericht der Stadt Wien 2018” (2019), https:// www.wien.gv.at/kultur/ abteilung/pdf/kunstbericht2018.pdf. 32 ibid. → Fig. 5

33 ibid.

34 Interview with Marie Ringler, Spokeswoman of the Green Party Vienna for culture, Vienna (September 17, 2009).

The Cultural Policies of Berlin, Paris, Vienna, and Zagreb

35 Büchereien Wien (ed.), “Kurze Geschichte des Wiener öffentlichen Bibliothekswesens” (2019), https:// buechereien.wien.gv.at/ Büchereien-Wien/Überuns/Geschichte; Rohn (2013); Walter Rohn, “Wien als dezentrale Kulturstadt der Zukunft,” in: Judith Fritz/Nino Tomaschek (eds.), Die Stadt der Zukunft. Aktuelle Trends und zukünftige Herausforderungen. University – Society – Industry 4 (Münster and New York: Waxmann, 2015), 253–265; Soho in Ottakring (ed.), “Soho in Ottakring” (2019), https://www.sohoinottakring.at/; Stadt Wien (ed.), “Bildungszentrum Simmering – Planung” (2019), https://www. wien.gv.at/stadtentwicklung/architektur/oeffentliche-bauten/stadt/ bildungszentrum-simmering.html. → Fig. 6

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• The Central Library at Urban-Loritz-Platz, at the junction between the 7th and 15th districts, was opened in 2003 and houses the headquarters, and largest site, of the public libraries in Vienna. The Central Library will soon be renovated. • Hall F of the Wiener Stadthalle (15th) is a medium-sized public concert hall inaugurated in 2006. • In 1991, Ula Schneider and other artists in the area of Yppenplatz and Brunnenmarkt (16th) established the art fair Soho in Ottakring. In 2013, the now publicly subsided venture moved further west in the district to the public housing estate Sandleitenhof. • Brunnenpassage, directed by Anne Wiederhold, at Yppenplatz (also 16th) is an art-based social space established by Caritas in 2007. The basic strategy of Brunnenpassage is to use art to bring together people of different origins. The facility, located in a lively market area, entertains many cooperation projects with large art institutions in the center of Vienna. Stand 129 at Viktor-Adler-Markt (10th), a certain spin-off of Brunnenpassage, was established in 2013 and is directed by Tilman Fromelt. • Gloria Theater (21st) was once a private multiplex cinema. In 2001, Gerald Pichowetz, the director of a small, former theater nearby, took over the site and converted it into a theater with three halls. Today the location receives ample funding from the Vienna municipality for its activities. • Finally, there are some private multiplex-cinemas in peripheral parts of Vienna, such as Lugner Kino City in the 15th, UCI Kinowelt Millennium City in the 20th and Cineplexx Donauzentrum in the 22nd district.35 The list above summarizes the most important—more or less recently— established bigger cultural facilities on the outskirts of Vienna, which have been founded either by the municipality, civil society, or the private sector. Nevertheless, it has to be stated that the larger part of cultural facilities on the outskirts is based on the initiatives of artists and local residents, primarily of a smaller or medium scope and permanently underfinanced. In addition to the mentioned stationary facilities on the fringes, there are some temporary projects and festivals. The biggest event in the periphery of Vienna is the music festival Donauinselfest on the isle between the two branches of the Danube, which takes place annually in June. There are also some other festivals—such as the International Accordion Festival, Klezmore Festival, Crime Writer’s Night, the gallery stroll Q202, Vienna Blues Spring, the touring open-air cinema Volxkino and Wean Hean (festival of Viennese folk music)—which also stretch out to the urban periphery. Recently, some major cultural institutions in the city center have extended their activities to the outskirts: the Burgtheater has created special programs for some peripheral districts, held workshops, and performed in the 10th, 16th, 21st, and 22nd districts of Vienna. Initially under the

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title “Offene Burg”, the program now carries the title “Junge Akademie.” The Österreichisches Filmmuseum has created the program “am rand: die stadt” and has shown films and cooperated with local partners in the 16th and 22st districts. As of autumn 2019, the institution works in the 10th and 21st districts.36 As a summary of this section, it may be stated that over the centuries Vienna has always been a highly centralized city. As the enlisting of major cultural institutions financed by the state or municipality shows, this roughly holds true until today. Only recently, the situation has started to improve slightly. However, there is still much to be done, and the Vienna municipality yet has to develop a distinct cultural strategy in favor of the outskirts. Finally, the Croatian capital ZAGREB will be depicted in this survey. On an area of 641.4 square kilometers, Zagreb houses 790,017 inhabitants (as of 2011). This results in a population density of 1,231.7 inhabitants per square kilometer. The City of Zagreb comprises seventeen districts. Eight of the seventeen districts can be classified as urban periphery. These are Sesvete and Gornja Dubrava (Upper Dubrava) in the east, Podsljeme in the north, Podsuset–Vrapče and Stenjevec in the west as well as Novi Zagreb – zapad (New Zagreb – west), Novi Zagreb – istok (New Zagreb – east) and Brezovica in the south. Zagreb is governed by mayor Milan Bandić and his two deputy mayors, Jelena Pavičić Vukičević (responsible for social and cultural affairs) and Olivera Majić, and the city assembly. Tedi Lušetić is head of the city’s office for culture.37 The Croatian state is not as deeply involved in cultural institutions in its capital as we have seen in other metropolises. The Ministry of Culture runs a couple of national museums in Zagreb, including the Architectural Museum, the Museum of Native Art, Museum of Croatian History, and the School Museum. In partnership with the City of Zagreb, the state sponsors the Croatian National Theater, Klovićevi Dvori Gallery, and other facilities, including some festivals. The Ministry of Culture has also paid fifty percent of the building costs of the Museum of Contemporary Art in Novi Zagreb. The bulk of cultural institutions, facilities, and festivals in Zagreb are run by the city, or respectively, by the Municipal Department for Recreation, Culture and Religion. In 2018, Zagreb spent 70 million euros, this equals 6.6 percent of its communal budget, on culture. The cultural budget includes building and maintenance costs as well as salaries. The City of Zagreb owns and runs more than thirty cultural institutions, among them museums, theaters, concert halls, art-house cinemas, and the municipal library.38 Among the most important cultural institutions and facilities in the town are the Zagreb City Museum, the Modern Gallery, and the Museum of Contemporary Art as well as theaters such as the Zagreb Youth Theater, Communal Drama Theater Gavella, Communal Comedy Theater Zagreb,

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36 Burgtheater (ed.), “Burgtheaterstudio. Junge Akademie” (2019), https://www.burgtheater. at/mitmachen-experimentieren; Österreichisches Filmmuseum (ed.), “am rand: die stadt 2” (2019), https://www. filmmuseum.at/jart/ prj3/filmmuseum/main. jart?rel=de&content-id= 1216720898687& schienen_id=1565095 550321; Rohn (2013); Wien.orf.at (ed.), “Burgtheater wirbt um neue Besucher” (September 22, 2016), https://wien.orf.at/v2/ news/stories/2798402/.

37 Grad Zagreb (ed.), “Mayor’s Deputies” (2019), https://www. zagreb.hr/en/mayors-deputies/110734; Grad Zagreb (ed.), “City office for culture” (2019), https://www.zagreb.hr/ en/city-office-for-culture/123034; Karte.hr (ed.), “Zagreb” (2019), http://www.karte.hr/karta-zagreba; Rohn (2014); Wikipedia (ed.), “Milan Bandić” (2019), https:// de.wikipedia.org/wiki/ Milan_Bandić. 38 Interview with Veljko Mihalić, leading Representative of the Zagreb municipality’s Department of Education, Culture and Sports, Zagreb (June 12, 2014); interview with Vera Šimić Jajčinović, leading Representative of the Zagreb municipality’s Department for Education, Culture and Sports, responsible for international cultural affairs, Zagreb (June 12, 2014); email by the City Office for Culture on the City of Zagreb’s cultural budget (September 19, 2018).

The Cultural Policies of Berlin, Paris, Vienna, and Zagreb

39 Interview Mihalić; interview Šimić Jajčinović. → Fig. 7

40 Interview with Snježana Pintarić, Director of the Museum for Contemporary Art, Zagreb (June 10, 2014). 41 Rohn (2014). → Fig. 8

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and Satirical Theater Kerempuh. Furthermore, the municipality finances the concert hall Vatroslav Lisinski and that of the Croatian Music Association, art-house cinemas such as Europa, Tuškanac and Gric as well as the Zagreb Dance Center and Pogon, the Zagreb center for independent culture and youth. With the exception of the Museum of Contemporary Art, all institutions mentioned are located in the city center. In addition to these facilities, Zagreb presents many festivals for music, theater, dance, street art, cinema, etc.39 Apart from the cultural institutions in the city center, Zagreb has a couple of cultural facilities in the above-listed peripheral districts. Zagreb’s flagship project in this respect is the huge Museum of Contemporary Art (Muzej suvremene umjetnosti) in New Zagreb, in the south of the city. The museum’s forerunner, the Municipal Gallery of Contemporary Art, long had its seat in various buildings in the city center. As the space grew too tight for the exhibitions and the collection, a relocation of the museum and various possible future sites were intensively discussed. Following a competition for the site in New Zagreb, which had been launched in 1999, the municipality finally decided to build the large new museum. The new museum, designed by the Croatian architect Igor Franjić, has been placed strategically at the crossroads of the north-south axis of Većeslava Holjevca Road and the important east-west conjunction, Dubrovnik Road. Inaugurated in December 2009, the Museum of Contemporary Art comprises a total of 15,000 square meters across three floors. As indicated above, the state and the City of Zagreb shared the construction costs of the Museum of Contemporary Art, while the Zagreb municipality covers its operating costs. As Snježana Pintarić, the director of the MSU, points out, the museum owns and presents works of contemporary art from Croatia, the successor states of former Yugoslavia, and other proveniences. Among these are works of internationally well-known artists such as Getulio Alviani, François Morellet, Rafael Soto, and Victor Vasarely. In addition to its function as a museum, the institution works as a local cultural center. Furthermore, the Museum of Contemporary Art cooperates with cultural institutions in Austria, such as the Kunsthaus Graz and Kunsthalle Wien.40 Apart from the Museum of Contemporary Art, New Zagreb houses further cultural facilities such as Cinestar Novi Zagreb, Cinestar Arena IMAX, two local cultural centers and the Arena Center sports facility, which also presents large concerts.41 The aforementioned cultural centers represent a second strong point of local cultural activities in Zagreb. The City of Zagreb has fourteen of these local hubs. There are three different types: socio-cultural centers, centers specialized in art education, and those that focus on adult education. The larger part of the fourteen cultural centers is located in the city center or in the surroundings of the center; a smaller part is located on the outskirts of Zagreb. Generally, the cultural centers receive relatively generous funding from the municipality for their cultural programs and projects. In addition to that, the municipality pays for fixed costs such as operating

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costs, maintenance of the buildings, and salaries. Quite often, theaters, art galleries, and inclusive facilities for unemployed people, senior citizens, and people with disabilities, etc. are associated with these centers. The cultural centers are closely linked to the people living in the respective neighborhoods. In general, the centers offer presentations and events in the fields of theater, dance, music, film, and fine arts, as well as special courses for art education and language training. One of the outstanding centers is Centar za kulturu Trešnjevka (Cultural Center Trešnjevka).42 In terms of urban development in general, the City of Zagreb has some excellent projects. One initiative is, for example, the financing of the renovation of facades in the city. The project aims at the improvement of living conditions, and furthermore tries to “enhance the city’s visual identity, contribute to the affirmation of tourism and protect cultural property”.43 Part of that strategy is an anti-graffiti program. Under the heading “centerpiece of Zagreb’s urban identity”, new fountains, which contribute to the enhancement of living quality, are constructed at the entrance to the city center.44 A very interesting former concept of urban regeneration, which aimed at the improvement of living quality in various peripheral districts, was the project “Akupunktura grada”. In cooperation with the Association of Architects, small interventions like repainting urban furniture, putting up chairs in the public space, or refurbishing a children’s playground were carried out.45 Rijeka is European Capital of Culture 2020. This will be a window of opportunity for Croatia as a whole. Previous to the designation of Rijeka as European Capital of Culture, there was a call in which the four Croatian cities Dubrovnik, Osijek, Pula, and Rijeka competed for the nomination as ECOC 2020.46 As shown above, the Zagreb municipality is building and financing quite a number of cultural facilities on the fringes of the city. The structure of Zagreb’s cultural financing in most cases involves the municipality’s direct building, managing and sponsoring of facilities. Since 2017, the City of Zagreb has been sustaining a soft decentralization policy, which includes the augmentation of funds for Zagreb’s districts and their local committees. Activities run by the districts themselves include the maintenance and cleaning of the communal space and maintenance of surface water drainage systems.47 3. Comparison of the four cities’ cultural policies and conclusion

As key players in cultural policy, the state and the municipality are of varying importance in each of the four cities. When looking at the significance of the respective districts, Berlin ranks first, followed by Paris, Vienna, and Zagreb. Whereas the districts play an important role in the German capital, their importance is slightly less pronounced in Paris and even less in Vienna. In Zagreb, the districts fulfill only minor functions.

42 Interview with Ljiljana Perišić, Director of Cultural Center Trešnjevka, Zagreb (June 13, 2014); Cekate (ed.), “Centar za kulturu Trešnjevka” (2019), https://www. cekate.hr; Zagrebportal (ed.), “Kulturni centri i narodna učilišta u Zagrebu” (2019), https:// www.zgportal.com/ zg-vodic/kulturni-centri-u-zagrebu. 43 Grad Zagreb (ed.), “Renovation of facades in Zagreb and the anti-graffiti initiative” (2019), https:// www.zagreb.hr/en/renovation-of-facades-in-zagreb-and-the-antigraffi/108109. 44 Grad Zagreb (ed.), “New fountains – the centerpiece of Zagreb’s urban identity” (2019), https://www.zagreb.hr/ en/new-fountains-thecentrepiece-of-zagrebsurban-/107078. 45 Interview with Jadranka Veselić Bruvo, Head of Zagreb Municipality’s Office for Strategic Planning and Development, Zagreb (June 12, 2014). 46 European Capital of Culture (ed.), “Selection of the European Capital of Culture in 2020 in Croatia. The Selection Panel’s Final Report”, Zagreb (April 2016), https://ec.europa.eu/programmes/ creative-europe/sites/ creative-europe/files/ files/ecoc-2020-croatia-report_en.pdf. 47 Grad Zagreb (ed.), “Decentralization of the City of Zagreb” (2019), https://www.zagreb. hr/en/decentralization-of-the-city-of-zagreb/108115.

The Cultural Policies of Berlin, Paris, Vienna, and Zagreb

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For various reasons the cultural budgets of the four metropolises are not comparable: the relevance of the state as a player of cultural policy in the capital cities varies and there are different tasks for each municipality and diverging structures of cultural budgets. In all four metropolises, quite a number of the large cultural institutions such as theaters, opera houses, concert halls or museums—financed either by the state or the municipality—are located in the city center. Nevertheless, there are different approaches to, and degrees of, decentralization when it comes to cultural facilities in the four cities, of which Paris and Zagreb follow a top-down approach. The central municipalities of Paris and Zagreb have created many cultural institutions on the outskirts of their cities. In contrast, Berlin utilizes a bottom-up approach. Artists or local residents principally create new cultural facilities. Vienna uses a combined strategy according to which some cultural institutions are developed by the municipality. Nevertheless, artists, residents, and private entrepreneurs create the majority of new cultural facilities independently. Only when they get larger some cultural facilities become eligible for funding by the Vienna municipality. As shown in the city profiles above, Paris and Zagreb enjoy a higher degree of decentralization of cultural facilities than the two other cities. In terms of best practice, examples can be offered from each of the four cities. In Berlin, the Berliner Atelierprogramm is highly recommendable. With programs like Quartiersmanagement and the former Aktionsräume Plus, the Berlin municipality successfully creates links between urban regeneration and social-affairs agendas on the one hand, and those for culture on the other hand. The decentralization of tasks in the field of culture produces closer contacts between the municipality and citizens. The Paris municipality provides its districts with a budget of one euro per inhabitant for local cultural programs. The Charter of Cultural Cooperation is a specific program for cultural policy in favor of the outskirts. For cultural facilities in the urban periphery, Vienna has a combination of top-down and bottom-up approaches. As in Zagreb, the Austrian capital has a rich culture of festivals. The local cultural centers and specific programs for urban development show the definitive advantages of Zagreb’s policy in the field of culture and urban regeneration. Administrative versus spatial decentralization is another perspective through which to analyze the four municipalities’ policies. Administrative decentralization is characterized by decision-making powers and financial resources, to a certain extent, being transferred to a subordinate body, as is the case with Berlin’s districts. In the best-case scenario, this is accompanied by a spatial decentralization of what can generally be called cultural facilities. In contrast, spatial decentralization means that the central municipality keeps most of the decision-making power and develops cultural facilities on the outskirts by itself. This is the case in Paris and Zagreb, and partly so in Vienna.

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Different strategies can be identified in the four municipalities concerning the regeneration of fringe areas as well. Paris and Zagreb have sought to favor disadvantaged areas through cultural means. By contrast, the Berlin municipality does not use cultural resources as a means of urban regeneration. In the German capital, the development of peripheral areas is primarily a matter of urban regeneration. Vienna is also more on the urban regeneration side. In following an explicit strategy in favor of its peripheral districts, Paris is in a singular position. Zagreb develops projects on the city’s outskirts in a more informal way, but strengthened its efforts in the course of its Cultural Strategy 2014–2020. The municipalities of Berlin and Vienna have not yet formulated cultural policies in favor of their fringe areas. In the previous sections, various approaches to culture in the urban peripheries, and different conceptions of a cultural policy toward the outskirts, have been described and analyzed. Ironically, municipalities in more centralist states such as Paris and Zagreb are doing more for their peripheries, when it comes to culture, than those in states with a federal structure, that is to say, Berlin and Vienna. What could thus further be done in the four case study cities? According to the basic requirements of a cultural policy in favor of the outskirts demonstrated in section one, the author would like to propose the following: the municipalities of Paris and Zagreb—both generally doing well in their respective cultural policies—should move to decentralize decision-making power and financial resources and proceed from a spatial to an administrative decentralization. Berlin is doing well in terms of administrative decentralization and should provide its districts with proper financial means to fulfill their tasks in the field of culture. Finally, Berlin and Vienna might be well advised to aim for a spatial decentralization of major cultural institutions. The improvement of cultural infrastructure on the outskirts of a city is a fundamental contribution to the improvement of living conditions and represents an important question of participation and democracy. For most municipalities there remains room and opportunity for improvement.

Walter Rohn

Fig. 1: Stage Heimathafen (Neukölln, Berlin)

ACKNOWLEDGMENT The author wishes to express his deep gratitude to Johanna Friedl for her engaged work on language editing.

Fig. 2: Art space t27 (Neukölln, Berlin)

The Cultural Policies of Berlin, Paris, Vienna, and Zagreb

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Walter Rohn

top: Fig. 3: District cultural center Carré de Baudouin (Ménilmontant, Paris)

Fig. 4: Cabaret and theater Les rendez-vous d’ailleurs (Ménilmontant, Paris)

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The Cultural Policies of Berlin, Paris, Vienna, and Zagreb left: Fig. 5: Art social space Brunnenpassage (Ottakring, Vienna) right: Fig. 6: Art center Brotfabrik (Favoriten, Vienna)

above: Fig. 7: Museum Muzej suvremene umjetnosti Zagreb (Novi Zagreb – istok, Zagreb) Fig. 8: District cultural center Centar za kulturu Trešnjevka (Trešnjevka – sjever, Zagreb)

All photos © Walter Rohn

Franco Bianchini Enrico Tommarchi Urban Activism and the Rethinking of Cities' Cultural Policies in Europe

157 1 Franco Bianchini/Alice Borchi, “Participation in arts activities in the context of European urban cultural policies,” in: Lluís Bonet/Emmanuel Négrier (eds.), Breaking the Fourth Wall: Proactive Audiences in the Performing Arts, (Elverum: Kunnskapsverket, 2018), 39–51. 2 See for example: “Statement on Visit to the United Kingdom” by Professor Philip Alston, United Nations Special Rapporteur on Extreme Poverty and Human Rights, https:// www.ohchr.org/Documents/Issues/Poverty/ EOM_GB_16Nov2018.pdf, (accessed July 10, 2019). 3 Guy Standing, The Precariat. The New Dangerous Class, (London: Bloomsbury 2011). 4 Dominique Reynié, “‘Heritage Populism’ and France’s National Front,” in: Journal of Democracy 27(4), (2016), 47–57. 5 See for example: IPSOS MORI, “How Britain voted in the 2016 EU referendum,” IPSOS MORI, (Sept. 6, 2016), https://www. ipsos.com/ipsos-mori/ en-uk/how-britain-voted-2016-eu-referendum. It is relevant to note that turnout for the 18–24 age group was only about 48 percent, considerably less than the 70–80 percent turnout for people aged 65 and over. Peter Moore, “How Britain voted at the EU referendum,” YouGov online, (June 27, 2016), https://yougov.co.uk/topics/politics/articles-reports/2016/06/27/ how-britain-voted, (all accessed June 21, 2019). 6 Amy Chua, Political Tribes. Group Instinct and the Fate of Nations, (London: Penguin Books, 2018). 7 Paolo Gerbaudo, The Digital Party: Political Organisation and Online Democracy, (London:

This chapter explores how urban cultural activism can contribute to the development of European urban cultural policies, in part by drawing on examples from cultural programming in recent European Capitals of Culture and UK Cities of Culture. The chapter also briefly discusses the idea of “cultural planning,” in particular to explore how its principles can help encourage critical cultural activities at the city level. Cultural policies and changing cultural and political values in Europe

The political culture in Europe is changing. More than ten years of austerity policies across Europe after the 2007–2008 financial crisis contributed to the fueling of deep social and political transformations. The current phase of globalization had profound socio-economic impacts.1 Wealth and power were increasingly concentrated in the hands of very small elites. The erosion of the welfare state contributed to a return of widespread poverty, in some cases with problems of malnutrition, a reduction of life expectancy and deep social exclusion, even in countries such as the UK,2 which played a key role in building the European welfare state after the Second World War. The “precariat”3 emerged as a new political class, consisting of unemployed or insecurely employed young people (doing jobs requiring relatively low qualifications despite being well qualified) and older people made redundant by automation, the shrinking of retailing in many town and city centers and continuing industrial restructuring and decline. Many European citizens felt that their living standards were being damaged,4 while the professional middle classes were squeezed. Important generational differences in political attitudes as an aspect of broader social fragmentation were exposed, for example, in the case of the 2016 EU referendum in the UK. According to polls, only about one quarter of those in the 18–24 age group voted to leave the EU, in comparison with 64 percent of people aged 65 or over.5 To some extent, we are witnessing a return to “tribalism”—understood as the instinct or willingness to belong to a group, but also to exclude those who do not6—since political decisions appear to be strongly influenced by the opinions of those belonging to the same group. Feelings of empathy and affection connect voters to the new “hyperleaders” via social media7—also through personalized forms of communication, such as the mass production of selfies by ordinary people with well-known politicians, which became a key ingredient of campaigning by, for example, Matteo Salvini, leader of the right-wing Lega in Italy. A conflict between locally rooted “somewheres” and supposedly rootless, cosmopolitan “anywheres”8 also took shape, with people working in the cultural sector overwhelmingly belonging to the “anywheres” category. Traditional social democratic and conservative parties, academia and cultural institutions faced a crisis of legitimacy, as a lack of trust in “elites” hit politicians, economists, and other experts, as well as in many cases

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journalists and artists. There was a growing lack of political rationality, as decisions—both by voters and politicians—often seemed to be taken on the basis of instinct and emotions such as fear, hate, and shame.9 The resulting climate of hostility targeted, among others, artists, intellectuals and the European Union, which was often seen by the re-emerging populist nationalism as symbolizing elite privilege, bureaucracy, technocracy, remoteness, lack of transparency, waste and as a threat to national sovereignties and identities. There was a worrying rise of ethno-nationalism, xenophobia, racism, and nostalgia for an imagined simpler and brighter past,10 which was coupled with a growing suspicion of secularism and a link between right-wing populism and religion11 in countries including Poland, Hungary, Italy, and Turkey. Since the 1970s, cultural resources gained an increasingly relevant role in public life and policy, for instance in relation to urban regeneration, tourism, the development of the creative economy and social inclusion.12 However, cultural policies were severely hit since the late 2000s by austerity regimes characterized by heavy cuts in public funding. The role of cultural policies in certain key domains was eroded, for instance in the marginalization of the arts in school curricula in favor of a greater role for sciences, technology, coding and math. The cuts in public funding strengthened the trend towards the commodification of cultural activities, often seen by urban policy-makers as tools to attract tourists, shoppers, and businesses,13 despite the problematic social and cultural impacts of such policies,14 including the problem of „overtourism” in cities like Barcelona, Venice, Florence, Amsterdam, Paris, Prague, and Dubrovnik. Urban cultural policy is no longer a relatively consensual area of policy making. It is increasingly being politicized—also by the rise of right-wing populist parties and movements—and becoming a field of conflict between different visions of the world. For example, Almeida15 observes that the Front National (renamed “Rassemblement National” in 2018), the French nationalist right-wing party led by Marine Le Pen, pursued “cultural retaliation”—i.e. “counter”-cultural policies to openly contrast progressive and liberal democratic groups’ cultural projects—and criticized and explicitly opposed artists whose work did not conform with the party’s political project. Staged folklore shows in a town in the Moselle department of France, governed by a coalition led by the Front National, were examples of this tendency. Initiatives such as the Semaine de la paix (“Peace week”) were discontinued and replaced by bals-musette (traditional French music and dance) and other folkloristic events, while La fête du cochon (“pork festival”) was promoted from an anti-Muslim perspective and as an expression of patriotism.16 Similar policies were put in place in some Italian towns and cities where the Lega—a formerly separatist Northern Italian party now transformed into a political force with an ideology very similar to that of the French Rassemblement National—had taken power, often replacing long-standing center-left majorities. This produced “distant worlds, on a collision course,”17 as reported in the case of Càscina,

Franco Bianchini Enrico Tommarchi Pluto Press, 2018); see also John Harris, “All hail the hyperleaders – the bellicose insurgents using the web to seize control,” The Guardian online, (July 1, 2019), www.theguardian.com/ commentisfree/2019/ jul/01/boris-johnson-hyperleader-insurgents-web-seize-control, (accessed July 5, 2019). 8 David Goodhart, The Road to Somewhere: The Populist Revolt and the Future of Politics, (London: C. Hurst & Co, 2017). 9 Sara Ahmed, The Cultural Politics of Emotions, (London and New York: Routledge, 2014). 10 Bianchini/Borchi (2018). 11 Daniel Steinmetz-Jenkins/Anton Jäger, “The populist right is forging an unholy alliance with religion,” The Guardian online, (June 11, 2019), www. theguardian.com/commentisfree/2019/jun/11/ populists-right-unholy-alliance-religion, (accessed June 11, 2019). 12 François Matarasso, “Common ground: cultural action as a route to community development,” in: Community Development Journal 42(4), (2007), 449–458. 13 David Harvey, “From Managerialism to Entrepreneurialism: The Transformation in Urban Governance in Late Capitalism,” in: Geografiska Annaler 71(1), (1989), 3–17. 14 Kevin Fox Gotham, “Theorizing urban spectacles,” in: City 9(2), (2005), 225–246. 15 Dimitri Almeida, “Cultural retaliation: the cultural policies of the ‘new,’ Front National,” in: International Journal of Cultural Policy 25(3), (2019), 269–281. 16 ibid.

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Urban Activism 17 Emanuele Coen, “Così il teatro ‘scomodo’ è stato silenziato,” L’Espresso online, (Dec. 15, 2016), http://espresso. repubblica.it/attualita/2016/12/14/news/ questa-sera-si-recita-corretto-1.290598?refresh_ce, (accessed June 19, 2019). 18 Emanuele Coen, “Susanna Ceccardi, la sindaca leghista in guerra contro gay, migranti e femministe,” L’Espresso online, (Dec. 15, 2016), http:// espresso.repubblica.it/ palazzo/2016/12/13/ news/la-sindaca-leghista-che-vuole-prendersi-la-toscana-1.290938, (accessed June 19, 2019). 19 Jonathan Vickery/Milena Dragićević Šešić, “Introduction,” in: Milena Dragićević Šešić/Jonathan Vickery (eds.), Cultural Policy and Populism. The Rise of Populism and the Crisis of Political Pragmatism. Cultural Policy Yearbook 2017–2018, (Istanbul: İletişim Yayıncılık, 2018), 10. 20 Mafalda Dâmaso, “From the cultural and foreign policies of western European far-right parties to the European Union’s 2015–2018 Work Plan for Culture – identifying and opposing nativism,” in: International Journal of Cultural Policy 24(6), (2018), 811–825. 21 Vickery/Dragićević Šešić (2018), 10–11. 22 Jo Littler, “Heritage and ‘Race,’” in: Brian Graham/ Peter Howard (eds.), The Ashgate Research Companion to Heritage and Identity, (Aldershot: Ashgate, 2008), 89–104. 23 Reynié (2016). 24 Jude Bloomfield/Franco Bianchini, “Cultural Citizenship and Urban Governance in Western Europe,” in: Nick Stevenson (ed.), Culture

near Pisa, where a number of more experimental and internationally oriented theater productions were cancelled and replaced with a more traditional offer.18 In such political contexts the arts are vulnerable due to their connections with established cultural institutions and the fact that they are mediated by discourses that involve education and dialogue and the exploration of complex ideas.19 Nativist assumptions, prioritizing the interests of native residents, unite the understandings of cultural identity by right-wing populist movements and are not effectively questioned by the EU’s cultural diversity agenda.20 Vickery and Dragićević Šešić also argue that there is conflict between aspects of contemporary populism and the critical and questioning ethos characterizing many arts activities. The latter is “intolerable to those who require reality and the world to be instantly categorised by good or bad beliefs, or evaluated by inherited or customary measures […] or subject to political rationalisation and communicated as either supportive or a threat to the national or local interests of the people.”21 In many towns and cities across Europe, artists and cultural organizations that were not aligned with right-wing local majorities’ values often experienced funding cuts and opposition. Right-wing populism, in many cases, promoted the return to tradition, nationalistic heritage, and the denial of multiculturalism and dissonant cultural narratives. Heritage populist narratives were often linked with discourses of whiteness,22 Christian Europe, national glory, and hostility towards elites, the EU, and migrants.23 Policy makers appeared to aim these initiatives at narrowing people’s mental horizons and fuelling intolerance. This is part of political strategies aimed at identifying “enemies within,” which can include gays and lesbians, ethnic minorities (e.g. the Roma in countries including Hungary and Italy), immigrants, and liberal “elites.” Such political strategies acted as catalysts for a new politics of anger, grievance, and resentment. These strategies were in some cases promoted through nativist slogans referring to “cleaning up the country” and making it clear that there are different categories of citizens, e.g. Perussuomalaiset (“True Finns,” now “Finns Party,” a Finnish populist party) or Prima gli italiani (“Italians first”, a slogan used by the Lega). Such strategies were founded on attacks on social and ethnic diversity and, in some cases, even bio-diversity, through the reckless exploitation of natural resources despite worrying evidence of ecological and climate breakdown (as, for instance, in the case of the reiterated attempts by the Polish government to allow the cutting of a large number of trees in Bialowieza, one of the last remnants of Europe’s primeval forests). Urban cultural activism

The conditions in which cultural activism operates, as well as the challenges it is facing, have changed significantly since the late 1960s. Historically, urban cultural policies have attempted to respond to the issues raised by

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cultural activism including the widening of the definition of “culture.” Until the mid-1960s, urban cultural policies were relatively non-political and often characterized by a paternalistic vision.24 Small groups of people, predominantly men, were in charge of defining what constituted “culture” and of making decisions about cultural policy. Modern forms of urban cultural activism emerged from the late 1960s, in parallel with the emergence of forms of counterculture and student protests, in relation to a raising awareness of exploitation, subordination and “false consciousness.” Within the Fordist society, cultural movements challenged the bureaucratic and somewhat authoritarian Keynesian city.25 This led to the rise of cultural forms of activism—such as the birth in the late 1960s/early 1970s of the community arts and media movements in Britain, fostering an alternative network of cultural production and distribution, as well as (during the same period) animation socioculturelle in France and the Soziokultur movement in West Germany. These activist networks focused on promoting cultural participation and widening the definition of “culture.”26 The community arts movement in the UK27 promoted broader accessibility to culture, which would also contribute to greater political awareness.28 The 1980s were characterized by a focus on the politics of representation and community development: marginalized social groups were encouraged to represent their interests.29 This period was characterized by the rise of neo-liberal ideologies, related cuts in public expenditure, and growing unemployment and poverty, which strengthened claims by neo-conservative parties concerning the belief that it was no longer possible to afford welfare-state provisions. Such claims aimed at providing the rationale for the dismantling of the welfare state and widespread privatization of collective goods and services. In this phase, cultural policies were politicized from the right, from a neoliberal perspective. Their main focus was on local economic-development policies and culture-led urban regeneration. The late 1990s and 2000s, with New Labour in Britain and Bill Clinton in the US, were characterized by the idea that—without seriously challenging high levels of social inequality—it was possible to encourage people to adopt more socially constructive forms of behavior by urging them to follow the example of community leaders. This period was characterized by a more behavioralist idea of the city as a “school” and by the intention to change people’s behavior through “nudging”30 and performative actions. Today, after more than a decade of weak responses to the economic crisis that started in the late 2000s, it is clear that the neoliberal strategies that—to some extent—worked in the 1980s and early 1990s are no longer effective in rebalancing the economy and reducing inequality. This raises concerns about the risk of a crisis of liberal democracy31 and the emergence of authoritarian regimes based, in some cases, on the idea of “illiberal democracy,” proposed among others by Hungary’s Prime Minister Viktor Orbán.32 In this context, transformative urban cultural activism becomes more difficult.

Franco Bianchini Enrico Tommarchi and Citizenship, (London: Sage, 2001). 25 Margit Mayer, “First world urban activism,” in: City 17(1), (2013), 5–19. 26 Bloomfield/Bianchini (2001). 27 Alison Jeffers, “The Community Arts Movement 1968–1986,” in: Alison Jeffers/Gerri Moriarty (eds.), Culture, Democracy and the Right to Make Art. The British Community Arts Movement, (London and New York: Bloomsbury Methuen Drama, 2017), 35–64. 28 Alison Jeffers, “Introduction,” in: Jeffers/Moriarty (2017), 1-34. 29 Matarasso (2007); Bloomfield/Bianchini (2001). 30 Richard H. Thaler/Cass R. Sunstein, Nudge: Improving Decisions About Health, Wealth, and Happiness, (New Haven and London: Yale University Press, 2008). 31 See, for example, Helier Cheung, “Is Putin right? Is liberalism really obsolete?” BBC News online, (June 28, 2019), https:// www.bbc.co.uk/news/ world-europe-48798875, (accessed July 2, 2019). 32 Owen Jones, “Putin is right about the collapse of liberal values – but the EU shares the blame,” The Guardian online, (June 28, 2019), https:// www.theguardian.com/ commentisfree/2019/ jun/28/putin-liberal-values-eu-blame-rightwing-demagogues, (accessed July 2, 2019). 33 See, for instance, Christian Raimo, “Ritratto del neofascista da giovane,” Internazionale online, (Jan. 29, 2018), https:// www.internazionale.it/ reportage/christian-raimo/2018/01/29/neofascismo-scuola-ragazzi, (accessed July 5, 2019).

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Urban Activism 34 Sofia Vasilopoulou/ Daphne Halikiopoulou, “Rising Golden Dawn: Inside Greece’s Neo-Nazi Party,” Oxford Research Group online, (November 1, 2016), https://www.oxfordresearchgroup.org.uk/ Blog/rising-goldendawn-inside-greeces-neo-nazi-party, (accessed July 5, 2019). 35 Andrea Palladino/Andrea Tornago, “I camerati abusivi di CasaPound: parenti e amici vivono gratis nel centro di Roma,” L’Espresso online, (March 1, 2018), http:// espresso.repubblica.it/ attualita/2018/02/27/ news/i-camerati-abusivi-di-casapound-parenti-e-amici-vivono-gratis-nel-centro-di-roma-1.318675?refresh_ce, (accessed July 5, 2019). 36 Flaminia Maria Costanzi, “Fascisti del Duemila: storia, evoluzione e psicologia di CasaPound Italia. Tesi di Laurea in Teoria e storia dei movimenti e dei partiti politici,” LUISS Guido Carli, Rome, (2018), https://tesi.luiss. it/22760/, (accessed July 5, 2019). 37 See, for instance, Standing (2011). 38 Mayer (2013). 39 George Caffentzis, “The Future of ‘The Commons’: Neoliberalism’s ‘Plan B’ or the Original Disaccumulation of Capital?” in: New Formations 69, (2010), 23–41; Paul Chatterton, “Building transitions to post-capitalist urban commonism,” in: Transactions of the Institute of British Geographers 41, (2016), 403–415. 40 See, for example, Alice Borchi, “Culture as commons: theoretical challenges and empirical evidence from occupied cultural spaces in Italy,” in: Cultural Trends 27(1), (2018), 33–45.

In the current phase of capitalism after the 2007–2008 economic and financial crisis, different kinds of urban activism coexist. Recent years have heralded the rise of a considerably diverse range of global and nation-wide activist groups and anti-austerity movements, such as Occupy, the Indignados in Spain and the Gilets Jaunes in France. However, due also to the declining presence at the grassroots of traditional social-democratic and liberal parties and movements, extreme rightwing cultural counter-activism also emerged, such as the activities of CasaPound in Italy33 and Golden Dawn in Greece.34 CasaPound activists are using methods of intervention that, particularly from the late 1960s to the 1980s, had characterized the left, including squatting buildings,35 as well as creating alternative cultural centers and organizing free music events.36 More left-wing forms of urban activism consist of a heterogeneous mix, which includes anarchist and leftist organizations, middle-class urbanites defending their lifestyles, groups characterized by precarious forms of existence,37 artists and creative professionals, environmental groups, and groups of socially and economically marginalized citizens.38 Contemporary urban cultural activism is often the result of autonomous actions aimed at outlining alternative futures. An example is the debate on post-capitalist socio-economic arrangements around the concept of the “commons.”39 This concept, originally referring to commonly-owned land, has been extended to a range of tangible and intangible cultural resources—such as the arts, design, heritage, local traditional knowledge—as artists and cultural professionals are actively campaigning against the erosion of these collective resources perpetrated through neoliberal policies.40 Urban cultural activism and critical programming in Capitals of Culture (CoCs)

Schemes such as the European Capital of Culture or the UK City of Culture provide frameworks for cultural activism to take place. On the one hand, cultural activism has, on some occasions, targeted the top-down approach adopted by dedicated culture companies, as in the case of the initiative “Turku—European Capital of Subculture 2011.”41 On the other hand, some CoCs displayed elements of critical cultural programming with the aim to fight rising racism and populism and encourage a positive view of immigration and social/ethnic diversity. Early examples of critical cultural programming were Antwerp European City of Culture 1993 and Rotterdam European Capital of Culture 2001, both European port cities with a diverse population. Open Stad (“Open City”), a cultural project about architecture and planning and part of Antwerp 1993, was aimed at encouraging international exchange. “Rotterdam is many cities” was the slogan of the ECoC 2001, where events such as “Preaching in someone else’s parish”42 attempted to promote multiculturalism. Linz European Capital of Culture 2009 focused on the principle “Culture for

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All” and on a participatory approach, aimed at actively engaging migrants and promoting the ideas of connectedness and democracy.43 The event also engaged with dissonant heritage and re-elaborated painful memories in relation to Hitler’s heritage.44 Hitler, who was born in a nearby town and grew up in Linz, assigned the status of “Führerstadt” to five cities—Berlin, Hamburg, Linz, Munich, and Nuremberg—for which mega urban projects by German architects, such as Albert Speer, were planned. Among these five cities, Linz was the “Kulturhauptstadt des Führers” (“cultural capital of the Führer”) and should have become a cultural hub along the Danube. Engaging with the city’s Nazi past—for example through an exhibition about the ambitious spatial plans commissioned by Hitler to implement this transformation—was seen as crucial. 45 In Derry-Londonderry, the UK City of Culture 2013 brought the city’s Catholic and Protestant communities together after the era of “The Troubles”46 and was fueled by the belief that culture could help building a new identity of the city.47 Similarly, Donostia-San Sebastián’s bid for the European Capital of Culture 2016 was designed around the idea of culture as positive energy to overcome political violence and conflict in the region.48 Recent European Capitals of Culture, either designated or at the bidding stage, appear to be more inclined to this kind of cultural programming and are in some cases selected in part also in relation to their ability to challenge current social and political trajectories. Plovdiv 2019 was founded on the concept “Plovdiv Together,” understood as: “a togetherness of minorities and majorities, of generations, of different religious groups, an inclusion of people with special needs, a re-adjustment of urban spaces according to the needs of the citizens, a re-connection of our heritage and contemporary culture, a together that makes the city a place where people like to live and feel a sense of ownership.”49 In addition, “Together” is also seen as “a call for action for other European citizens affected by the economic recession and questioning the European future of their states.”50 In a similar vein, local policy makers portrayed Rijeka as “a port of diversity.”51 Rijeka European Capital of Culture 2020 based its program around the themes of water, work, and migrations. The Seasons of Power project—which is presented through the slogan “Great European Art Responds to Crisis”52—makes use of the arts to explore displays and structures of power across history, including for instance totalitarian regimes of the past. Dopolavoro, another of Rijeka’s flagship programs, aims at reflecting about contemporary working conditions and the city’s social composition, underlying that “[i]t is typical of people working in culture to observe things from an unusual perspective, to ask questions, provoke and design.”53 The three European Capitals of Culture for 2021(Novi Sad, Eleusis and Timisoara) also display similar critical programming. In the case of Novi Sad, the city and its surroundings are represented through the concept of Area 21, recalling the idea of unity in diversity. The program is structured around three principles: Re-Connect! focuses on social cohesion

Franco Bianchini Enrico Tommarchi 41 Tuuli Lähdesmäki, “Cultural activism as a counter-discourse to the European Capital of Culture programme: The case of Turku 2011,” in: European Journal of Cultural Studies 16(5), (2013), 598–619. 42 Palmer-Rae Associates, “European Cities and Capitals of Culture. Study Prepared for the European Commission. Part II,” (2004), https://ec.europa.eu/programmes/ creativeeurope/sites/ creative-europe/files/ library/palmer-report-capitals-culture1995-2004-ii_en.pdf, (accessed July 9, 2018). 43 Andrew McCoshan/ James Rampton/Neringa Mozuraityte/Nick McAteer, “Ex-Post Evaluation of 2009 European Capitals of Culture. Final Report to DG Education and Culture of the European Commission in the context of the Framework Contract for Evaluation Related Services and Support for Impact Assessment (EAC/03/06),” (2010), https://ec.europa.eu/programmes/ creative-europe/sites/ creative-europe/files/ european-capitals-culture-evaluation-2010_ en.pdf, (accessed June 11, 2019). 44 Elitza Iordanova-Krasteva/Eugenia Wickens/Ali Bakir, “The Ambiguous Image of Linz: Linz09 – European Capital of Culture,” in: Pasos 8(3), (2010), 67–77. 45 “Hitler’s Austrian ‘culture capital,’” BBC News online, (2008), http:// news.bbc.co.uk/1/hi/ world/europe/7705552. stm, (accessed Aug. 5, 2019). 46 Philip Boland/Brendan Murtagh/Peter Shirlow, “Fashioning a City of Culture: ‘life and place changing’ or ‘12 month party’?,” in: International

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Urban Activism Journal of Cultural Policy 25(2), (2019): 246–265. 47 Ed Vulliamy, “How Derry’s year as UK city of culture reawakened the voice of idealism,” The Guardian online, (December 29, 2013), https://www. theguardian.com/uknews/2013/dec/29/ derry-city-of-culture-reawakened-idealism, (accessed June 17, 2019). 48 San Sebastián 2016, “Proposed application for the European Capital of Culture,” Waves of Energy. Culture to Overcome Violence, (2011), https:// issuu.com/dss2016/ docs/application, (accessed June 17, 2019). 49 Municipal Foundation Plovdiv 2019, “Plovdiv Together,” (2014), http:// plovdiv2019.eu/en/documents, (accessed June 10, 2019), 7. 50 ibid., 9. 51 Rijeka – Candidate City for European Capital of Culture, “Rijeka 2020. Port of Diversity – Water, Work, Migrations,” (2016), https://rijeka2020.eu/wp-content/ uploads/2017/01/ri2020eng-web.pdf, (accessed June 10, 2019). 52 Rijeka 2020, “Seasons of Power,” https://rijeka2020.eu/en/program/ seasons-of-power/, (accessed June 10, 2019). 53 Rijeka 2020, “Dopolavoro,” https://rijeka2020. eu/en/program/dopolavoro-2/, (accessed June 10, 2019). 54 Novi Sad 2021 European Capital of Culture Candidate City, “Cult Tour 2021,” (2017), http:// novisad2021.rs/wp-content/uploads/2015/10/ Novi-Sad-2021-BidBook.pdf, (accessed June 10, 2019). 55 Eleusis 2021 European Capital of Culture Candi-

and intercultural dialogue through creativity; Empower! attempts to encourage participation in culture, economy and politics; Localize! sees the improvement of local cultural facilities as a way to promote cultural encounter and creative entrepreneurship.54 The Eleusis 2021 program tackles the very concept of crisis: “[C]risis means decision, and Eleusis’s desire to candidate for the title of ECoC […] is related to the entire city’s irrevocable decision to turn page in its history and make its definitive transition to a new growth model.”55 The bid book also mentions that Eleusis’s socio-economic and environmental challenges are also those of the whole of Europe, as the city can be considered an example of what is happening in the Union. In this context, the concept of EUphoria is deployed to stress the role of arts and culture as catalysts for transition.56 Timisoara 2021 seeks “to address the crisis of values shared by Europeans” and underlines that “the artistic vision maps a cultural Journey to overcome passivity.”57 This is essential to keep alive the revolutionary spirit of Timisoara, the city where the Romanian Revolution sparked in 1989. Finally, the border cities of Nova Gorica and Gorizia are preparing a joint Slovenian-Italian bid for ECoC 2025 (launched in May 2019 with the event “Go! Borderless”) with the idea of showing that culture and cooperation can overcome national boundaries. This sounded as a response to former European Parliament President Antonio Tajani, who—at a ceremony in February 2019 commemorating Italian victims of World War II massacres in the area—said: “Long live Trieste, long live Italian Istria, long live Italian Dalmatia, long live Italian exiles” and was harshly criticized in Italy, Slovenia, and Croatia58 for fostering division and even raising territorial claims. Lastly, some initiatives in European Capitals of Culture have been inspired by ideas concerning radical place making and cultural planning based on the mapping of local cultural resources. Responses from cultural planning

In a moment where a radical approach to cultural policy appears much needed to face the challenges arising from current social and political change, cultural planning can provide key tools for more critical cultural programming. Cultural planning can be understood as “a culturally sensitive approach to urban and regional planning and to environmental, social and economic public policy making.”59 As a “critical, inquiring, challenging and questioning” approach to urban cultural policy, it helps “revealing and valuing hidden and neglected cultural assets, including aspects of popular memory and intangible heritage, alternative social imaginaries, and the creativity of marginalized social groups (in some cases, children, young people, immigrants and the elderly).”60 Cultural planning approaches can support critical cultural policies in a number of ways. Collaborative approaches and cultural mapping

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enable active participation and social construction of knowledge. Cultural mapping practices have informed the activity of some recent Capitals of Culture. For example, in the case of the project “Subjective Maps” as part of Valletta 2018’s program, residents were asked to produce maps of their neighborhood and city on the basis of the way in which they experience those spaces. A similar experience was undertaken by Matera 2019, where residents and artists worked together to produce maps and other resources based on residents’ emotions and feelings, which were part of the exhibition Atlante delle emozioni della città (“Atlas of the City’s Emotions”). Another example outside the European Capital of Culture scheme is the work of cultural organizations and activists within spatial planning processes. In the late 2000s, the Pravo na grad (“Right to the City”) movement in Zagreb was committed to empowering citizens and denounce corruption in urban development.61 Also in the late 2000s, the “Free Riga” movement focused on the mapping of vacant properties and on liaising with planning officials and owners to create low-cost creative spaces. Critical listening and dialogue and cultural and heritage participation can counterbalance rising populist narratives and empower local communities. Examples include the projects focused on the recording of collaborative heritage that formed part of the Valletta European Capital of Culture 2018 program and, in the case of Hull UK City of Culture 2017, the way in which the performing arts—in particular theater—and art installations were used to engage residents and visitors with local history and heritage.62 Heritage participation, communication, and learning, involving young people can also help to bridge generational gaps. Young people do not have the same preconceptions and fixed views about local history and heritage and can therefore explore and disseminate new narratives. Examples include maritime and fishing heritage in the case of Hull UK City of Culture 2017 and the history of urban living in the Sassi—the formerly overcrowded historic cave dwelling districts—in the case of Matera European Capital of Culture 2019. Finally, cultural planning approaches can help stimulate intercultural exchange, for example through festivals and architectural experimentation. An example is the Zinneke Parade, a festival included in the program of Brussels European City of Culture 2000 to represent all cultures in the city. Since then, the Zinneke Parade has become a biennial cultural festival organized around a general theme, and a parade that runs through different areas of the city and reflects the idea of “urban togetherness.”63 The event brings together migrants and their Belgian-born children (originally from former Belgian colonies, Morocco, Turkey, but also other European countries such as France, Italy and Romania), asylum seekers, the Flemish and French communities. It is also a participatory cultural project, with several workshops involving artists and citizens throughout the year. These forms of exchange can help reclaim the idea of patriotism as locally rooted yet internationally oriented.

Franco Bianchini Enrico Tommarchi date City, “Transition to Euphoria,” (2017), https:// eleusis2021.eu/wp-content/uploads/2019/03/ ELEUSIS21_BID_ BOOK_2016_ENG_outline-1.pdf (accessed June 10, 2019), 2. 56 ibid., 7. 57 Timișoara 2021 European Capital of Culture Candidate City, “Shine Your Light – Light Up Your City!” (2016), http:// www.timisoara2021. ro/wp-content/uploads/2016/08/Bidbook_EN_digital_secure. pdf, (accessed June 10, 2019), 3–4. 58 F.Q., “Foibe, le parole di Tajani: ‘Viva Istria e Dalmazia italiane,’ Proteste da Slovenia e Croazia: ‘Inaccettabile revisionismo,’” Il Fatto Quotidiano, (February 11, 2019), https://www.ilfattoquotidiano.it/2019/02/11/ foibe-le-frasi-tajani-e-salvini-fanno-arrabbiare-slovenia-e-croazia-inaccettabile-revisionismo-storico/4965180/, (accessed June 13, 2019). 59 Franco Bianchini, “‘Cultural planning’ and its interpretation,” in: D. Stevenson/G. Young (eds.), The Ashgate research companion to planning and culture, (Farnham: Ashgate, 2013), 377–392, 382. 60 ibid., 378. 61 Anka Mišetić/Aara Ursić, “‘The Right to the City’: An Example of a Struggle to Preserve Urban Identity in Zagreb,” in: Sociologija i proctor 48(1), (2010), 3–18. 62 University of Hull and Hull 2017 Ltd, “Evaluation Report. Creating the Past: An Evaluation of Cultural Programming Inspired by Heritage within Hull UK City of Culture 2017,” Hull UK City of Culture 2017, (2019), https://www.hull.

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Urban Activism Conclusions ac.uk/work-with-us/ research/institutes/ culture-place-and-policy-institute/cultural-transformations/ creating-the-past.aspx, (accessed July 2, 2019). 63 Peter Reyskens/Joke Vandenabeele, “Parading urban togetherness: a video record of Brussels’ Zinneke Parade,” in: Social & Cultural Geography 17(5), (2016), 646–666. 64 James Davison Hunter, Culture Wars. The Struggle to Define America, (New York: Basic Books, 1991); James L. Nolan Jr., The American Culture Wars. Current Contests and Future Prospects, (Charlottesville and London: University Press of Virginia, 1996). 65 Franco Bianchini/Alice Borchi, “Il patrimonio nei programmi delle Città e Capitali europee della cultura. Riflessioni su alcuni temi e questioni fondamentali,” in: Cartaditalia, Numero Speciale Anno Europeo del Patrimonio Culturale, (2018b), 190–205. 66 See Wyldwood Arts, “Switched On: 2017,” https://www.wyldwoodarts.co.uk/past-work/ switched-on-2017-kst9f, (accessed July 3, 2019). 67 Council of Europe, “Dealing with propaganda, misinformation and fake news,” Council of Europe: Free to Speak – Safe to Learn: Democratic Schools for All, (2018), https://www.coe.int/ en/web/campaign-freeto-speak-safe-to-learn/ dealing-with-propaganda-misinformation-and-fake-news; Council of Europe, “Genuine solutions to fake news,” Human Rights Channel, (2018), https:// www.coe.int/en/web/ human-rights-channel/ fake-news; C. Baglai (ed.), “Cities Free of Rumours: How to build

The recent evolution of cultural policies and activism in response to the social and political changes in Europe suggests that cultural activities are increasingly an ideological “battleground.” Since urban cultural policies are becoming highly politicized, consensus can no longer be taken for granted. The high visibility of alternative lifestyles within the cultural sector becomes a political target in the new “culture wars,”64 which are landing in Europe from the other side of the Atlantic. The assumption that there would be a continuous liberalization of society and the economy—ultimately bringing more tolerance and acceptance—is proving to be incorrect, particularly for Europe’s small cities and rural areas. Similarly, heritage represents a battleground as well. The reinterpretation of heritage from a nationalist perspective appears as an attempt to rewrite history. This is arguably the phenomenon behind recent attacks against religious buildings and war memorials mentioned by Bianchini and Borchi.65 What are the possible cultural activist responses to this crisis? As suggested earlier, some responses are emerging from aspects of the critical cultural programming of some recent Capitals of Culture and from bottom-up and collaborative cultural planning experiences. Other possible responses may arise from attempts to create dialogue between social groups holding different ideological and political views through hedonism and fun, as well as through critical listening, empathy, mediation, conciliation and creative syntheses. Intergenerational cultural projects could also help, such as in the case of Switched On, a project undertaken in Portishead, near Bristol, where children from a local primary school and elderly people were encouraged to explore digital technologies together.66 Forms of resistance, including counteracting prejudices and fake news may contribute to containing the impact of populist thinking. Examples are the efforts by the Council of Europe67 and organizations and experts such as Imacity and Dani de Torres68 supporting the idea of anti-rumor strategies as policy documents to help fight misinformation, stereotypes and prejudices, against migrants and refugees, for example. Locally rooted, yet international oriented patriotism—see for example the work of singer-songwriter and activist Billy Bragg69 on promoting a different English patriotism—can reframe the idea of “citizens of nowhere” into a positive concept70 in response to Theresa May’s critique of the “anywheres.”71 Another key response is encouraging mass cultural participation, for example through City of Culture schemes72 to stimulate pride and hope, and reduce fear, loneliness and social isolation. Among the key goals of cultural planning is greater intercultural exchange and more internationally oriented urban cultural strategies. The latter could be built on the mapping of the international links of municipalities, business, universities, third-sector organizations, and local diasporic communities, as well as of the cultural sector.

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Franco Bianchini Enrico Tommarchi

New alliances and advocacy for cultural investment in times of austerity need to be sought. There is a need for urban cultural activism to go beyond existing linkages with sectors including tourism, city marketing, economic regeneration and property development, and to develop closer collaborations with environmentalism, social innovation, public health and social care. However, it is important also that cultural planners and activists continue to be a ‘nuisance,’ to challenge established thinking and encourage the search for alternative urban futures.

an anti-rumour strategy in my city,” (2015), https://pjp-eu.coe.int/ documents/6374912/0/ Prems+079615+GBRFinal+2587+CitiesFreeRumours+WEB+21x21.pdf/ c01ea15a-0195-494f820f-00ada611f01f, (all accessed July 3, 2019). 68 Imacity, “Cities development,” http://www. imacity.com/en/index. html; Dani De Torres, “The antirumours strategy and multi-level learning,” Open Democracy, (Oct. 27, 2017), https://www. opendemocracy.net/en/ can-europe-make-it/antirumours-strategy/, (all accessed July 3, 2019). 69 Billy Bragg, The Progressive Patriot. A Search for Belonging, (London: Bantam Press, 2006). 70 Lorenzo Marsili/Niccolò Milanese, Citizens of Nowhere: How Europe Can be Saved from Itself, (London: Zed Books, 2018). 71 Philip Murphy, “Theresa May’s rejection of Enlightenment values,” The Guardian online, (Oct. 9, 2016), https://www. theguardian.com/politics/2016/oct/09/theresa-may-rejection-of-enlightenment-values, (accessed July 2, 2019). 72 Culture, Place and Policy Institute, “Cultural Transformations: The Impacts of Hull UK City of Culture 2017. Preliminary Outcomes Evaluation,” (March 2018), https://www.hull. ac.uk/work-with-us/ research/institutes/ culture-place-and-policy-institute/cultural-transformations/preliminary-outcomes-evaluation.aspx, (accessed July 2, 2019).

Artistic Contribution at the Conference 2017

Sebastian Kraner Nicht mit Rechten reden 2017

169 Sebastian Kraner ist Künstler und lebt in Wien. In seiner Arbeit beschäftigt er sich in meist multimedialen Installationen mit gesellschaftlichen Reibflächen und dem politischen Diskurs. So arbeitete er beispielsweise mit einer Gruppe linker Aktivist*innen in Islands Hauptstadt Reykjavík an einer basisdemokratischen Protestbewegung, über Menschen, die Hass im Netz verbreiten, oder mit dem ÖVP-Bürgermeister der steirischen Stadt Hartberg an Strategien zur Belebung des aussterbenden historischen Stadtzentrums. Darüber hinaus ist er als Filmemacher und Musiker tätig.

Foto: Sebastian Kraner

Eine mehrmonatige Recherche mit einer falschen Facebook-Identität führte zu einer Sammlung hunderter Hasskommentare, die Sebastian Kraner in einer Audioinstallation zusammenfasste. Die Website nichtmitrechtenreden.at verknüpft als permanente Internetinstallation Betrachter*innen mit vom Künstler identifizierten Hassposter*innen. „‚Nicht mit Rechten reden‘ ist das abgewandelte Zitat aus einem Dokumentarfilm über jüdische Kämpfer der internationalen Brigade, die 1936 im Spanischen Bürgerkrieg gegen den Faschismus kämpften. Hier sagte Salman Salzman, einer der Kämpfer: ‚Mit Faschisten diskutiert man nicht. Die tötet man.‘ Die Aussage ist im historischen Kontext nachvollziehbar. Die Menschen hinter den Hasskommentaren in meiner Arbeit sind aber in den wenigsten Fällen Nazis oder Faschisten. Interessanterweise tauchen (rechts) extreme Meinungen oft auch in der gesellschaftlichen Mitte auf. Bei meiner Recherche beobachtete ich also alles andere als eine ideologisch klare Linie hinter den Posts. Einzig verbindendes Merkmal ist die angenommene Ungleichheit von Menschen – ein Merkmal rechter Ideologien. Nicht mit Rechten reden meint aber keineswegs nur eine Aufforderung. Die Recherche in den sozialen Medien zeigte: Es braucht keinen Aufruf. Nicht mit Rechten (ideologisch) zu reden ist eher Regel als Ausnahme. Gleichzeitig findet ein Aufschwung des Rechtspopulismus und der Normalisierung rechtsextremer und rechter Meinungen statt. Liegt das – abgesehen von der Politik – an Ungleichheiten und Kommunikationsblockaden? Welche Methoden gibt es, mit diesen Menschen und ihrem Hass umzugehen? Was ist die Aufgabe der ‚Nicht-Rechten‘ zur Bekämpfung dieser Tendenzen? Genau diese Fragen waren es, die mich zu dieser Arbeit brachten. Gleichzeitig interessiert mich die fließende Grenze zwischen Kunst, Aktivismus und sozialem/politischem Diskurs. In ihrem Pamphlet ‚Geld frisst Kunst – Kunst frisst Geld‘ diagnostizieren Metz/Seeßlen: ‚Der Kunstbetrieb läuft heiß; das Betriebssystem dreht durch. Kunst wird in gewaltigem Ausmaß produziert, gelangt aber nicht mehr an die sozialen Bewegungselemente.‘ Soll Kunst die Nähe zu diesen ‚sozialen Bewegungselementen‘ suchen? Wo ist die Grenze zum Aktivismus und braucht es diese überhaupt? Gibt es nicht eine soziale Rolle oder gar Pflicht für Kunst in dieser Gesellschaft?“ Sebastian Kraner

Jordi Baltà Portolés A Rights-based Approach to the Local Governance of Culture Opportunities and Challenges

171 Introduction: cultural rights as a basis for cultural policy

1 Oliver Bennett, “Cultural policy in the United Kingdom: Collapsing rationales and the end of a tradition,” in: The European Journal of Cultural Policy 1(2), (1995), 199–216; Eduard Delgado, “Planificación cultural contra espacio público,” in: Karis 11, (Barcelona: Fundació Interarts, 2001), 49–61. 2 UN Committee on Economic Social and Cultural Rights, “Right of everyone to take part in cultural life (art. 15, para. 1(a), of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights)”, in: UN Economic and Social Council (ed.), (E/C.12/GC/21, 2009), 48–54. 3 Yvonne Donders, “El marco legal del derecho a participar en la vida cultural,” in: AECID (ed.): Derechos Culturales y Desarrollo Humano. Publicación de textos del diálogo del Fórum Universal de las Culturas de Barcelona 2004, (Madrid: AECID and Interarts, 2004). 4 “Special Rapporteur in the field of cultural rights,” United Nations Human Rights Office of the High Commissioner online, https://www. ohchr.org/EN/Issues/ CulturalRights/Pages/ SRCulturalRightsIndex. aspx. 5 Fribourg Group, “Cultural Rights. Fribourg Declaration,” (Fribourg: University of Fribourg, 2007). 6 UCLG, “Agenda 21 for culture: An undertaking by cities and local governments for cultural development,” (Barcelona: UCLG, 2004).

Understanding access to, and participation in, culture as a human right is one of several possible arguments to justify public involvement in the cultural domain. Emphasizing that participation in cultural life is a core part of human dignity on the basis of international human rights standards such as the “Universal Declaration on Human Rights” (1948) or the “International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights” (1966), serves to provide legitimacy for public policies in the field of culture. This may be seen as one of the several “rationales” of cultural policy, along with others such as national prestige, the preservation of historic assets, the democratization of access to valuable cultural expressions, or the contribution of cultural activities and facilities to economic and social goals.1 As in the case of other economic, social, and cultural rights (e.g. the right to education or health), the right to take part in cultural life has several specific implications, which may require, according to the case, respecting rights (e.g. with regard to freedom of expression), protecting rights (e.g. as regards cultural heritage, and the cultural expressions from disadvantaged groups), or fulfilling rights (e.g. through the adoption of active policies and measures in areas such as public broadcasting or access to arts education).2 Similarly, core principles of human rights such as universality, equality, and non-discrimination apply as well. Of course, however, the intrinsic connection that may be established between human rights and public policies generates more consensus in some areas than in others. In this respect, cultural rights have traditionally been a neglected area within human rights3 and this has affected their translation into policies. However, recent years have witnessed positive steps as regards the recognition of cultural rights, including the setting-up of a post of Special Rapporteur on Cultural Rights in the UN human rights system.4 A comprehensive understanding of the right to take part in cultural life includes the ability to intervene in decision-making on cultural affairs,5 thus suggesting that governance models should integrate a participatory component. Likewise, in line with the principle that human rights are indivisible and interdependent, it requires paying attention to the connections with other human rights, including freedom of expression and the right to education, among many others. The connections between cultural rights and cultural policy have been made explicit in the work of the Committee on Culture of the international association of United Cities and Local Governments (UCLG), which since the adoption of the Agenda 21 for culture in 2004 has promoted local cultural policies connected to the notion of sustainable development and explicitly based on the right to take part in cultural life.6 The “Culture 21: Actions” toolkit, adopted in 2015, highlights this connection by arguing that:

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Jordi Baltà Portolés

“Local policies should help citizens to exercise their rights to determine freely their identity, develop and exercise their creative abilities, recognize and accept foreign cultural expressions, and to take part in collective decision-making [on] all facets of community life. Local policies should recognize citizens as the main actors in local cultural life.”7 There is therefore an understanding that cultural policies should be rightsbased and people-centered, placing emphasis on all citizens rather than applying rights only to specific groups (even if, certainly, specific measures will be required with regard to artists, children, ethnic minorities, people with disabilities and other sectors because of their specific needs and positions) and that this has implications in the procedures through which priorities are set and policies discussed and implemented. Implications for governance

Governance has been described as the “processes of social interaction involving multiple stakeholders in decision-making processes, based on values and principles such as local democracy, transparency, citizens’ participation, cooperation and exchange.”8 More specifically, three key dimensions may be identified, including multi-actor governance, which refers to the relations between public, private and non-profit stakeholders; transversal or horizontal governance, which serves to explore the connections between different policy fields; and multi-level or vertical governance, which connects local, regional, national, and supranational levels of authority where relevant.9 Bearing in mind these different dimensions of governance, and the aforementioned cultural rights background, a rights-based approach to the governance of culture could involve the following aspects: • Formal or informal mechanisms that enable the participation of citizens, either on an individual basis or through representative organizations, in policy-making processes, including priority-setting and, insofar as possible, implementation and evaluation, in the broader framework of an understanding of the cultural realm as an ecology,10 which requires the active involvement of many stakeholders in suitable discussion and negotiation processes. Furthermore, in line with the principles of equality and non-discrimination that underpin human rights, attention should be paid, through appropriate monitoring and redress where necessary, to the obstacles that may prevent some sectors or individuals from actively taking part in consultations and decision-making processes. • Mechanisms that enable cultural policy-making to be responsive to a broad understanding of human rights (addressing aspects such as freedom of expression, non-discrimination, access to education, etc.) and that also make other public policies responsive to the right

7 UCLG, “Culture 21: Actions. Commitments on the role of culture in sustainable cities,” (Barcelona: UCLG, 2015), 18. 8 Joost Dessein/Katriina Soini/G. Fairclough/Lummina Horlings, “Culture in, for and as Sustainable Development,” Conclusions from the COST Action IS1007 Investigating Cultural Sustainability, (Jyväskylä, University of Jyväskylä, 2015), 38. It is also worth noting that, in addition to the understanding of governance as pertaining to the relations between different stakeholders that affect the ways in which policies are designed and implemented, which is the focus of this article, cultural governance may also relate to how cultural organizations take decisions, including through boards and other mechanisms. See Vesna Čopič/Andrej Srakar, “Cultural Governance: a literature review,” (Barcelona and Brussels: European Expert Network on Culture, 2012). 9 Eduard Miralles, “Transversalidad y gestión cultural,” in: Salvador Catalán Romero/Antonio J. González Rueda (eds.): Manual Atalaya de apoyo a la gestión cultural, (Cádiz: Universidad de Cádiz, 2014); UCLG, (2015); Jordi Baltà Portolés, “Towards more collaborative cultural governance,” in: UNESCO (ed.): Re|Shaping Cultural Policies: Advancing creativity for development, (Paris: UNESCO, 2017). 10 John Holden, The Ecology of Culture. A Report commissioned by the Arts and Humanities Research Council’s Cultural Value Project, (Swindon: Arts and Humanities Research Council, 2015); Jonathan Gross/Nick Wilson, Creating the Environment. The cultural

A Rights-based Approach to the Local Governance of Culture eco-systems of Creative People and Places, (London: Creative People and Places & King’s College London, 2019). 11 Jon Hawkes, The Fourth Pillar of Sustainability: Culture’s essential role in public planning, (Melbourne: Cultural Development Network (Vic)/Common Ground Publishing, 2001); Teixeira Coelho, Diccionario critico de política cultural. Cultura e imaginario, (Barcelona: Gedisa, 2001). 12 Budapest Observatory, Public Funding of Culture in Europe, 2004–2017, (Budapest: Budapest Observatory, 2019). 13 Alfons Martinell, Cultural life, local life, (Barcelona: UCLG, 2014). 14 Benjamin R. Barber, If Mayors Ruled the World: Dysfunctional Nations, Rising Cities, (New Haven: Yale University Press, 2013), 282. 15 Zygmunt Bauman, City of Fears, City of Hopes, (London: Goldsmiths College, 2003), 18, his emphasis.

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to take part in cultural life. This assumption of shared responsibility towards the exercise of human rights requires suitable cross-departmental or “joined-up” policymaking processes, and, more broadly, could involve the integration of a “cultural framework” or “filter” that cuts across other public policies,11 recognizing the impact on the cultural field of decisions in areas such as education, public space, or urban planning. • Frameworks or mechanisms that involve dialogue among different tiers of government, particularly including local, regional and national/federal authorities, given that very often cultural competences are shared and responsibilities in other relevant areas (such as education) may be held at a national level, whereas in many cases, particularly in Europe, it is local and regional governments that play a more relevant role in cultural policy.12 Whereas these aspects have bearing on all levels of government and will need to be applied differently depending on the features of each constitutional framework, I will pay particular attention to developments at the local level on the understanding that cities and towns are particularly suitable for active participation in cultural life.13 More broadly, some authors have suggested that local politics often involve a “disposition for relationship” which requires reciprocal interaction between decision-makers and citizens,14 and that, from citizens’ perspective, in the context of globalization “local matters […] seem to be the only issues we can ‘do something about,’ influence, repair, improve, re-direct,”15 thus suggesting that governance arrangements, whether formal or informal, have particular potential and relevance here. One of the traditional difficulties for rights-based policies, including cultural policies, is the transfer from rhetoric into practice. The next two sections explore, respectively, the measures adopted by local governments and other stakeholders to innovate in their cultural governance frameworks in a rights-based perspective, which may be explicit or implicit, and the obstacles that continue to exist to turn these approaches into structural, effective frameworks. Rights-based governance frameworks in action

16 This section draws partly on examples from the Obs database of good practices and other publications compiled by the UCLG Committee on Culture. See http://obs. agenda21culture.net/ and www.agenda21culture.net.

There is evidence to suggest that an increasing number of cities and local governments have, in recent years, adopted approaches to governance that integrate some rights-based components. An initial typology of relevant approaches in this area is presented hereafter.16 Local legislation and standards on cultural rights

The inclusion of cultural rights, and their governance implications, in local laws and other rules may be one important step, somehow laying the groundwork for further progress at a policy level. One significant

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Jordi Baltà Portolés

example in this respect is the inclusion of cultural rights in the standards adopted by Mexico City in recent years, following its move from being a “federal district” within the federal structure to becoming a local authority with enhanced political autonomy. The new 2017 City Constitution includes a long article on cultural rights, as well as several references to the intercultural nature of the city and principles of participatory democracy.17 This was followed, in 2018, by the adoption of the Law on the Cultural Rights of the Inhabitants and Visitors to Mexico City,18 which includes a commitment both to fostering opportunities for participation in policy design, implementation and evaluation, and to recognizing citizens’ right to set up collective, self-managed, independent, community-led cultural initiatives. The specific rights identified in both documents are influenced, among others, by the Fribourg Declaration on Cultural Rights, a document elaborated by an international group of experts and which served to clarify the meaning and specific implications of cultural rights.19 In a somehow similar vein, some cities have adopted local charters that set out rights and responsibilities in the cultural field. In France, the city of Angers adopted a Culture and Solidarity Charter, which has been updated on several occasions and which, drawing on the Agenda 21 for Culture, recognizes citizens’ cultural rights and their implications in the design of cultural policy.20 While, of course, the adoption of laws and other standards does not necessarily guarantee effective policy change, it can be the basis for subsequent policies and measures, and may also be used as a benchmark for accountability purposes.

17 Ciudad de México, “Constitución Política de la Ciudad de México,” (2017). 18 Ciudad de México, “Decreto por el que se expide la Ley de los Derechos Culturales de los Habitantes y Visitantes de la Ciudad de México,” in: Gaceta Oficial de la Ciudad de México 245, (2018). 19 Fribourg Group (2007).

20 Ville d’Angers, “Charte Culture & Solidarité,” (Angers: Ville d’Angers, 2012).

Consultations in planning and priority-setting

As in other areas of public policy, long-term cultural planning provides an opportunity for public consultation and citizen engagement in identifying needs and establishing priorities. This is particularly visible in the case of local cultural strategies, which, if appropriately broad and engaging in their preparatory phases, may also enable a comprehensive exploration of the connections between culture and other areas of local policy. In Hamilton, Canada, the city council’s request to develop a cultural plan in 2004 led to a more holistic approach to culture and, through a broad process of community engagement, set the basis for a long-term cultural plan which connects culture with economy, inclusion, and urban regeneration among others. Over the years, cultural aspects have also been integrated in other local strategies, in areas including the environment, tourism, economy, neighborhoods, and indigenous affairs.21 Similarly, the ten-year Cultural Sustainability Framework adopted by Galway in 2016, which integrates the themes identified in UCLG’s Culture 21 Actions culture and sustainability toolkit, involved a detailed consultation process with communities, individuals, and groups.22

21 See https://www.hamilton.ca/city-initiatives/ strategies-actions/loveyour-city-cultural-policyplan. 22 Galway City Council, “Everybody Matters. A Cultural Sustainability Strategy Framework for Galway 2016–2025,” (Galway: Galway City Council, 2016).

A Rights-based Approach to the Local Governance of Culture

23 Leônidas José de Oliveira/Janine Avelar/ José Oliveira Junior, Belo Horizonte: Network of Regional Cultural Centres, (Barcelona: UCLG, 2014).

24 See https://culturemontreal.ca/.

25 Seongbuk Cultural Foundation, Common Seongbuk Artist Roundtable’s Local Culture Governance and Art Community Vitalization Project, (Barcelona: UCLG, 2018).

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Other relevant mechanisms include participatory budgeting, the process that enables citizens to take part in the allocation of a part of the public budget. In Belo Horizonte, Brazil, participatory budgeting led to the establishment of decentralized cultural centers in neighborhoods where these were non-existent, and which have in turn been the sites of extensive programs in cultural participation.23 Establishing networks or platforms of community or civil society groups

While being independent from the public-policy framework, the existence of civil-society networks, platforms or other groupings bringing together cultural professionals and organizations and other stakeholders active in cultural life can in many ways be a positive complement to the adoption of rights-based governance frameworks in the public sector. In some cases, independent networks may be pre-existing and lobby for the establishment of such frameworks. In other cases, the establishment of participatory mechanisms may be an incentive for independent actors to establish networks, or additional funding resources or other incentives may be allocated to groups that establish formal networks or platforms. Cooperative work among cultural actors may be a step towards focusing on aspects of common interest, beyond individual concerns, and can also serve to recognize the “ecological” nature of the cultural system, where large and small organizations and individuals—active in different art forms and disciplines and with diverse goals—may be able to recognize their mutual dependency. Relevant examples in this area include, among many others, the Culture Montréal civil society platform, which for over fifteen years has brought together cultural stakeholders and citizens in Montreal, advocating cultural rights and diversity among others, and often working in partnership with public authorities in consultation and priority-setting processes.24 Also, in the Seoul district of Seongbuk, the Common Seongbuk Artist Roundtable brings together over three hundred artists with the aim of maintaining a sustainable and autonomous cultural ecosystem, which contributes to expanding citizens’ cultural rights and the values of cultural democracy, diversity, governance, and sustainability. The Artist Roundtable has also joined forces with public bodies to form the Seongbuk-gu Creative Cultural City Committee, which develops cultural legislation and policies. Following the establishment of several thematic working groups, joint projects have emerged, with an increasing involvement of citizens and cultural agents in the management of public venues and projects.25 Setting up permanent frameworks for joint cultural reflection and policy design

The elements outlined in previous sections may be the basis for the establishment of forums, councils or other frameworks bringing together

176

Jordi Baltà Portolés

several cultural stakeholders and which engage in long-term, permanent reflection and discussion on cultural policy, including active engagement in policy design, implementation and evaluation. Ideally, these spaces should contribute to more “horizontal” forms of governance, reducing traditional hierarchies between public authorities and other agents while responding to public interest, considering the exercise of cultural rights for everyone a core priority. While sharing an aim to enrich policy dialogue and identify common priorities, the specific models adopted by these frameworks vary greatly, including in terms of formalization and legal position. In Barcelona, the Culture Council provides a space for policy discussion among the public, private and civil society sectors, and its elected leadership, involving independent professionals, is responsible, among others, for the allocation of public grants to cultural projects. 26 In Izmir, a partnership involving the Metropolitan Council, the Izmir Mediterranean Academy (an arms-length think tank fostering local development and international cooperation in several areas, including culture and heritage) and the Izmir Culture Platform (a network of citizens, artists and cultural professionals), has contributed over the last decade to the identification of cultural policy objectives and the strengthening of the cultural ecosystem, with increasing attention to access and inclusion.27 In Terrassa, the local film and audiovisual policy, which led to inclusion in the UNESCO Creative Cities network, has involved the setting-up of a working group bringing together the sector’s stakeholders, across the value chain, with a range of measures in areas including film production, entrepreneurship, film education, and access.28 Ultimately, collaboration among several stakeholders contributes to policies that are informed by what Gross and Wilson have called “deep local knowledge,”29 where strategic approaches and on-the-ground skills and connections meet and enrich each other. Difficulties, challenges and how to address them

The examples presented in the previous section, as well as many others existing elsewhere, point to an increasing awareness of the importance of enhanced participation in cultural life, including through the adoption of legislation and policy with a focus on cultural rights and the engagement of citizens and civil-society organizations in consultation, decision-making and management processes. This is not, however, a straightforward process. In many cases, attention to cultural rights and their main components within cultural policy—access and active participation, diversity, equality, inclusion, non-discrimination—is limited, whereas priority is accorded to other values and goals. Elsewhere, governance measures such as those outlined above need to be accompanied by other policies and mechanisms to ensure positive impact in terms of rights. Some of the main aspects in this reflection are described hereafter.

26 Esteve Caramés, The Culture Council of Barcelona, (Barcelona: UCLG, 2014).

27 Izmir Mediterranean Academy, Izmir Governance of Culture and Pilot Projects, (Izmir: Izmir Mediterranean Academy, 2017). 28 See https://www.terrassacityoffilm.com. 29 Gross/Wilson (2019), 41.

A Rights-based Approach to the Local Governance of Culture

30 Seongbuk Cultural Foundation (2018), 5.

177 The need for people-centered processes, rather than a focus on culture as product

An approach based on cultural rights involves placing people at the center of policy concerns and paying attention to effective opportunities for actively participating in cultural life, including the creation of contents, narratives and symbols and the ability to give meaning to cultural heritage in its tangible and intangible components. This amounts to a dynamic, open-ended understanding of culture. Very often, however, a productbased view of culture, which places emphasis on events and venues and the presentation of works, rather than on how culture may evolve and diverse works can be created, tends to prevail in cultural policy. A presentation of the Common Seongbuk Artist Roundtable suggests that the adoption of a deliberative democracy approach has progressively led to moving “from policy structures based on quantitative performance results to process-oriented policy [structures] based on sustainability; and from the policy approach of culture as a tool for urban management to the policy approach of culture as principle and purpose of urban management.”30 The distinction between quantitative performance results and a process-oriented policy structure based on sustainability, and that between seeing culture as a tool for or as a principle and purpose of urban management seems significant. This may somehow be related to whether cultural policy primarily serves goals of economic development or is part of a more comprehensive development model that places emphasis simultaneously on cultural, social, environmental, and economic aspects. Certainly, as outlined above, rights-based governance models should encompass cross-departmental policymaking and recognize the synergies that exist, among others, between cultural and economic policies; however, it is necessary for culture not to be seen exclusively as a resource at the service of economic goals. The need for a broad understanding of the geography of cultural life

31 Holden (2015).

32 Gross/Wilson (2019).

A rights-based approach to cultural life involves recognizing that cultural life unfolds wherever people are. Translating this to public policy requires going beyond the traditional spaces of culture (such as publicly-managed theaters or museums), and recognizing that many relevant processes take place elsewhere, including private homes, commercial spaces, independent venues, and online spaces.31 Beyond tangible locations, it also involves acknowledging that an ecological view of the cultural system requires “holding open” the opportunities for participation and recognition—who public bodies engage and partner with, including governance processes—and whether they take measures when there is evidence that the cultural system risks “closing up.”32 Indeed, in view not only of the dynamic nature of culture but also of the fact that inequalities, as regards cultural access and recognition

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tend to prevail,33 active measures to rebalance the cultural ecosystem are required. The need for a broader range of policy tools

In line with the recognition that cultural rights are part of human dignity and involve placing cultural purposes in the core areas of public management, and the understanding that the geography of cultural life is broad and dynamic, it is also necessary to diversify the range of tools available to cultural policy. A recent analysis of cultural plans and strategies adopted by US cities stressed the fact that, despite the good intent and encouraging goals enshrined in them, there was a risk of effective implementation failing because of the lack of tools at the hands of cultural policymakers to address some of the structural, acute problems affecting the cultural sector, including the impact of rising prices on the affordability of artists’ studios, and neighbors’ complaints about the noise generated by cultural activities.34 Elsewhere, the poor working conditions and low salaries of artists and cultural professionals have also been noted as a challenge that increasingly affects sustainable cultural development.35 These are indeed common challenges in many cities around the world, which ultimately limit the ability of artists and cultural professionals to exercise their rights and contribute to living, dynamic, cultural ecosystems. This points to the need for more sophisticated policy approaches, which raise the profile of cultural aspects in urban policymaking and integrate culture-related measures in other policy areas, somehow responding to the aforementioned “cultural framework” or “filter.” Relevant measures in this respect include initiatives to protect the availability of affordable working spaces for artists and cultural organizations, including the Creative Spaces (Kreative Räume) agency in Vienna, and the setting up of a working group that identified thirty relevant measures in Seattle,36 as well as the adoption of measures to protect music clubs from neighbors’ complaints in newly-built buildings in the Australian state of Victoria, and in London, among others.37 These remain, however, steps that require a follow-up, as new risks and threats are certain to arise which will call for new, more sophisticated responses. Representation and effectiveness in governance spaces

While innovation in governance models is, in my view, essential to make cultural policies more responsive to citizens’ cultural rights, it is also necessary to ensure that governance models are truly effective and representative. As in other policy fields, civil-society organizations in the field of culture may, or may not, be representative and concerned with contributing to the public interest. When establishing participatory councils and other frameworks, attention needs to be paid to aspects such as

33 Grup de treball sobre cultura i desigualtat a Barcelona, Cultura i desigualtat a Barcelona. Indicadors i reflexions per al debat i la recerca sobre la participació cultural, (Barcelona: Grup de treball sobre cultura i desigualtat a Barcelona, 2019).

34 Kriston Capps, “Do Cultural Plans Really Help Cities Save Their Art and Music Scenes?” in: CityLab, (April 10, 2019). 35 Remedios Zafra, El entusiasmo. Precariedad y trabajo creativo en la era digital, (Barcelona: Anagrama, 2017).

36 City of Seattle, The CAP Report. 30 Ideas for the Creation, Activation & Preservation of Cultural Space, (Seattle: City of Seattle, 2017). 37 Sound Diplomacy, The Music Cities Manual: Your Comprehensive Guide to Building Music Cities, (London: Sound Diplomacy, 2019).

A Rights-based Approach to the Local Governance of Culture

38 James S. Fishkin, Democracy When the People Are Thinking: Revitalizing Our Politics Through Public Deliberation, (Oxford: Oxford University Press, 2018).

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representation, diversity, and renewal. Ideally, independent mechanisms for monitoring and evaluation should also be put in place. On the other hand, there is a risk of participatory processes being ineffective and merely leading to adopting measures that will not be implemented, either due to lack of resources and capacity or to participation amounting primarily to a public relations exercise. Whereas effective participation can enhance trust,38 in what may be seen as a positive “feedback effect,” engagement in participatory processes that lead to no visible effect is arguably a factor in increasing skepticism and mistrust, limiting future participation. Further to the integration of adequate transparency and accountability mechanisms within cultural strategies and plans, the existence of independent platforms and networks may again be seen as a tool to reduce the likelihood of these negative trends. Final observations

39 UCLG (2015).

This article has attempted to provide arguments and ideas for strengthening the place of cultural rights as a basis for cultural policy, with particular emphasis on governance approaches. Of course, a concern with cultural rights should inform other areas of cultural policy, including the availability and affordability of arts education, the identification of obstacles to participation in cultural life in all its forms, the provision of grants, the mission statements of public or publicly-funded arts organizations, etc.39 There is evidence to suggest that some steps are being taken in cities around the world to strengthen participatory aspects in the governance of cultural policy, with an implicit or explicit rights-based approach, even though several difficulties and challenges have also been identified. In addition to recognizing these difficulties and addressing them through some of the mechanisms outlined above, in the future attention could be paid to aspects such as the following: • the potential learning from rights-based approaches adopted in the governance of other policy areas, which could provide inspiration for new developments in the cultural field; • the potential negative impact on rights-based policies of current discourses and policies that erode respect for and recognition of human rights; • the setting up of monitoring and evaluation mechanisms which, in addition to ensuring transparency and accountability of measures adopted, also serve to place emphasis on rights-based evaluation, that is on aspects like inclusion, diversity, participation and non-discrimination; and • the exchange of models among cities facing similar challenges, which could learn from one another.

Heather Painter U.S. Cultural Policy Can it Trump Division?

183 Introduction

1 Joshua Rothman, “The Meaning of ‘Culture’”, The New Yorker online, (Dec. 26, 2014), https:// www.newyorker.com/ books/joshua-rothman/ meaning-culture. 2 Definition of “Public Policy,” Merriam-Webster online, (2019), https:// www.merriam-webster. com/dictionary/public%20policy.

3 Ronald F. Inglehart/ Pippa Norris, “Trump, Brexit, And the Rise of Populism: Economic Have-Nots and Cultural Backlash,” Harvard Kennedy School, (2016), https://research.hks.harvard.edu/publications/ getFile.aspx?Id=1401. 4 ibid. 5 “Political Polarization in the American Public,” Pew Research Center, (2014), https:// www.people-press. org/2014/06/12/political-polarization-in-theamerican-public/. 6 “The Partisan Divide on Political Values Grows Even Wider,” Pew Research Center, (2017), https://www.peoplepress.org/2017/10/05/ the-partisan-divide-onpolitical-values-growseven-wider/.

In 2014, the word “culture” earned Merriam-Webster’s “Word of the Year.” This was because the word had experienced a notable uptick in searches for its meaning on the dictionary’s website. Although the dictionary lists six different definitions, The New Yorker argued that an aspirational definition of culture works best, given that both our understanding of the word “culture” and American culture itself are fractured. It combines several definitions to create this one: “The wish is that a group of people might discover, together, a good way of life; that their good way of life might express itself in their habits, institutions, and activities; and that those, in turn, might help individuals flourish in their own ways. The best culture would be one in which the three meanings of ‘culture’ weren’t at odds with one another.”1 Today, five years later, the competing definitions of “culture” are not the only things at odds with each other. The second word we need to define, “policy,” also evokes division. This has less to do with its dictionary definition—“government policies that affect the whole population”—and more to do with the word’s proximity to policymaking and policy makers.2 Two years after “culture” was named Word of the Year, “cultural backlash” became a common term to explain the outcomes of the 2016 U.S. presidential election, when Donald Trump was elected 45th President of the United States. According to two political scientists who study political culture, Ron Inglehart and Pippa Norris, “the cultural backlash thesis suggests that the surge in votes for populist parties can be explained not as a purely economic phenomenon but in large part as a reaction against progressive cultural change.”3 Specifically, their cultural backlash theory argues that since the 1970s, Western countries, including the United States, have experienced an emphasis on post-materialist values. This has resulted in robust cultural transformation, as younger cohorts in particular have become more accepting of LGBT rights and diverse forms of sexuality; secular values and ethical norms; migrants, refugees, foreigners, and multiculturalism; cosmopolitanism, international cooperation, and multilateral agencies. In the face of this change, the theory predicts that the strongest support for populist parties and candidates like Trump, would stem from older generations, men, those who have not attended college, and traditionalists—those who have a sense that they are losing their place in society.4 While differences in political opinion are far from new, levels of polarization may be peaking. Pew Research Center has indicated that Americans are more polarized now than at any time since 1994, with the share of individuals having a negative view of the opposing political party more than doubling since 1994.5 Since Donald Trump assumed the presidency, divisions between Republicans and Democrats have only grown larger, on core policy questions concerning the government, environment, national security, race and immigration, among others.6 In Political Tribes: Group

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Instinct and the Fate of Nations, Yale law professor and author Amy Chua sums up the current state of affairs: “When groups feel threatened, they retreat into tribalism. When groups feel mistreated and disrespected, they close ranks and become more insular, more defensive, more punitive, more us-versus-them. In America today, every group feels this way to some extent.”7 On cultural matters, Americans are polarized; on policy matters they are as well. What does American cultural policy look like? How has polarization impacted cultural policy? What do current trends mean for the future of American cultural policy? To answer these questions, cultural policy in an American context, including its history, structure, and key federal programs, will first be outlined. Then we will trace key cultural policy measures that have occurred in the United States over the past decade under two administrations—Obama’s and Trump’s—ending with present trends in cultural policy. Finally, we will consider the path forward for cultural policy in America, including the unique role cultural policy could play in responding to societal division.

7 Amy Chua, Political Tribes: Group Instinct and the Fate of Nations, (New York: Penguin Random House, LLC, 2018).

Cultural policy in the United States

Cultural policy refers broadly to the U.S. federal government’s policies pertaining to arts, humanities, and the “way of life” affecting the whole population at present as well as future generations. Many associate cultural policy with the arts—from art museums to public music performances. Beyond arts funding, American cultural policy scholar Kevin Mulcahy offers a more expansive picture of what cultural policy entails: “libraries and archives; battlefield sites, zoos, botanical gardens, arboretums, aquariums, parks; as well as community celebrations, fairs, and festivals; folklore activities such as quilting, ‘county’ music, folk dancing, crafts; perhaps certain varieties of circus performances, rodeos, and marching bands.” He argues that public support for radio and television programming and cooperation with the education community are important aspects of cultural policy as well.8 While informal arts and cultural policy have existed in the United States from the nation’s inception, formal federal cultural policy emerged in the 1960s. President Kennedy acknowledged that, up until this point in American history, the federal government’s role in supporting cultural life was limited to “a series of single actions;” he wondered if a “more systematic approach” would make more sense.9 After President Kennedy’s death, President Johnson continued his legacy, and the first official piece of legislation encouraging a federal role in cultural policy, a bill to establish the National Council on the Arts, became law in the summer of 1964. The Council was tasked with recommending “ways to maintain and increase the cultural resources of the Nation and to encourage and develop greater appreciation and enjoyment of the arts by its citizens.”10 The complex network of cultural policy programs in the

8 Kevin Mulcahy, “Cultural Policy: Definitions and Theoretical Approaches,” in: The Journal of Arts Management, Law, and Society 35(4), (2006): 319330, DOI:10.3200/ jaml.35.4.319-330. 9 “Arts Advisors in the Kennedy White House,” https://www.whitehousehistory.org/arts-advisors-in-the-kennedywhite-house. 10 “A Brief Chronology of the History of Federal Support for the Arts,” National Endowment for the Arts, (2000), https:// www.arts.gov/sites/ default/files/NEAChronWeb.pdf.

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U.S. Cultural Policy

U.S. today harkens back to the 1960s and to the council and its work. The next section details the major federally funded cultural policy programs within the United States today. Federally-funded U.S. cultural policy programs 11 See https://www.arts. gov/.

NATIONAL ENDOWMENT FOR THE ARTS (NEA)11 DESCRIPTION: The NEA is an independent federal agency that serves

as a grant-making body in collaboration with other federal agencies, state arts agencies, local stakeholders, and philanthropies. The NEA grants for activities in the following areas: arts education, museums, music, musical theater, opera, research, theater, visual arts, artistic communities, dance, folk and traditional art, literature, media arts, presenting and multidisciplinary works, design and creative placemaking, international partnerships, accessibility, and research and evaluation. Founded in: 1965 FY2019 Funding: $155 million; FY2020 Funding: $162.25 million PROGRAMMING EXAMPLES: Public performances, exhibitions, arts education programs, healing arts programs, festivals, arts residencies, and community art and development projects

12 See https://www.neh. gov/.

NATIONAL ENDOWMENT FOR THE HUMANITIES (NEH)12 DESCRIPTION: The NEH’s stated mission is to “support research, education,

preservation, and public programs in the humanities,” which includes but is not limited to the following: language, linguistics, literature, history, jurisprudence, philosophy, archeology, comparative religion, ethics, and art history as well as art theory and art criticism. It conducts its grant-making through partnerships with state and local stakeholders. State humanities councils, located across fifty-five states, partner with NEH and their work considers the unique resources, demographics, concerns, and interests of those within their state. Founded in: 1965 FY2019 Funding: $155 million; FY2020 Funding: $162.25 million PROGRAMMING EXAMPLES: Book festivals, literacy campaigns, teacher professional development, cultural tourism, the production of books and films, and public lectures and discussions 13 See https://www.imls. gov/.

INSTITUTE OF MUSEUM AND LIBRARY SERVICES (IMLS)13 DESCRIPTION: IMLS serves as a federal source of funding for museums

and libraries, and it also collects data, forms strategic partnerships, and advises policy makers and other federal agencies on museum, library, and information services matters. For libraries, IMLS provides funding to states (based on a formula), which then distribute it to local libraries; it also provides grants to libraries and literacy nonprofits to improve childhood literacy. For museums, IMLS provides support

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for educational programming and collection maintenance at a wide variety of institutions such as art, history, and science museums, as well as children’s museums, zoos, aquariums, botanical gardens, and living collections. Founded in: The Institute of Museum Services was created in 1976, and the Library Programs Office was created in 1956. They were combined in 1996 to establish IMLS. FY2019 Funding: $242 million; FY2020 Funding: $252 million PROGRAMMING EXAMPLES: For libraries: collection care, computer instruction, homework assistance, summer reading programs for youth, providing access to e-books, outreach programs for underserved communities, librarian professional development; for museums: collection maintenance, improving public access, museum assessment studies, staff professional development CORPORATION FOR PUBLIC BROADCASTING (CPB)14 DESCRIPTION: CPB serves as a private non-profit corporation that provides

14 See https://www.cpb. org/.

DEPARTMENT OF STATE15 DESCRIPTION: The Department of State’s Bureau of Educational and

15 See https://eca.state. gov/.

federal funding to locally owned radio and television stations, which then ensure free access to quality television and radio programming and related online and mobile content. It strives to award grants “in support of content and services that are educational, innovative, locally relevant, and reflective of America’s common values and cultural diversity.” In addition to CPB domestically, Voice of America is a federally funded international broadcaster that provides news in over forty languages to individuals abroad. Founded in: 1967 FY2019 Funding: $445 million; FY2020 Funding: $465 million PROGRAMMING EXAMPLES: Supports the Public Broadcasting Service (PBS), which provides children’s, primetime, educational, and cultural television programming, that member stations can select and broadcast; supports National Public Radio (NPR), which provides news and information as well as cultural and entertainment programming; provides additional related media for computer and mobile device use; funds local stations who produce their own content for local viewers

Cultural Affairs (ECA) facilitates over two dozen unique cultural exchange programs that reach over 160 countries as well as Americans in every state. They include programs that send Americans abroad, and programs that bring foreign nationals to the United States. Program types include educational, professional, and cultural exchanges all with the goal of creating and sustaining mutual understanding. Founded in: The State Department’s Bureau of Educational and Cultural Affairs (ECA) was founded in 1961; the Fulbright Program was founded in 1946.

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U.S. Cultural Policy

FY2019 Funding: $701 million; FY2020 Funding: $730.7 million PROGRAMMING EXAMPLES: Fulbright Program, Congress-Bundestag

Youth Exchange, American Arts Incubator, Benjamin A. Gilman International Scholarship, National Security Language Initiative for Youth, Kennedy-Lugar Youth Exchange & Study (YES)

16 See https://www. ed.gov/.

DEPARTMENT OF EDUCATION16 DESCRIPTION: The public education system, serving students in kinder-

garten through twelfth grade, provides students with federally-funded access to arts and cultural education. The higher education system, where nonprofit universities receive the tax benefits mentioned below and whose eligible students can access federal financial aid, also provides federally supported education in cultural disciplines, as well as research and programming in their communities. Founded in: 1980 FY2019 Funding: $1 billion for the Every Student Succeeds Act Title IV, Part A Student Support and Academic Enrichment Grants, which can be used to fund arts and cultural education among other education objectives; $24 billion for federal student aid programs for higher education; FY2020 Funding: $1.2 billion for the Every Student Succeeds Act Title IV, Part A Student Support and Academic Enrichment Grants; $24.5 billion for federal student aid programs PROGRAMMING EXAMPLES: Art, history, social studies, civics, and writing classes for K-12 students and extracurricular activities for students in the K-12 system; programs for undergraduate and graduate students studying related fields at the collegiate level OTHERS SMITHSONIAN INSTITUTION: A system of nineteen museums and galleries

and one zoo, located in Washington, DC and free to the public. NATIONAL GALLERY OF ART: The gallery and its attached sculpture garden are located in Washington, DC and free to the public. JOHN F. KENNEDY CENTER for the Performing Arts: A national performing arts center in Washington, DC with music, dance, theatre, international, and children’s performances and programs; offers free public shows and ticketed performances. NATIONAL ARCHIVES AND RECORDS ADMINISTRATION: Preserves, manages, and provides public access to the nation’s historical records. CORPORATION FOR NATIONAL AND COMMUNITY SERVICE: Engages over five million Americans in service commitments annually. Artists are eligible. In addition to these flagship cultural policy programs, which represent a significant but incomplete list of all of the federal government’s cultural policy work, the tax code marks another way the government indirectly supports cultural activities. The tax code allows tax deductions for charitable contributions to arts, humanities, and culture-related nonprofits,

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which reduce a donor’s tax liability on both income and estate taxes. When recipients are tax-exempt nonprofits, they also do not pay taxes to the federal government. In both cases, the government foregoes revenue, representing another key way cultural programming is funded in the U.S. It is worth noting, that aside from federal sources, states, localities, donations, and user fees contribute significant funding too. As you can see, cultural policy in the U.S. is complex, involves many federal agencies and state and local stakeholders, and lacks a clear, driving policy intention the way that other public policies might. Cultural policy during the Obama Administration

The political division that characterizes American politics today, especially on cultural issues, warrants a renewed look at current trends in U.S. cultural policy. We will consider the Obama Administration and end with the present Trump Administration. We will examine the respective presidents’ cultural policy platforms and initiatives, as well as their support for cultural-policy funding, and related legislation that they enacted. As a presidential candidate, Barack Obama began his first term demonstrating a significant commitment to cultural policy. He published a specific policy platform for expanding access to arts and culture the way current 2020 candidates have policy papers for topics that traditionally generate more attention from voters, such as tax reform or healthcare. After he assumed his role as president, Obama supported funding for cultural programs and established new cultural initiatives at the White House. This is manifested in the continual, diverse, and intentional arts and cultural events he hosted at the White House to allow American singers, comedians, actors, writers, and more to both showcase their talents and inform the administration’s cultural policy work.17 President Reagan established the President’s Committee on the Arts and Humanities, an advisory board advises the White House on cultural issues, through an executive order in 1982. President Obama’s PCAH was active, implementing a program called “Turnaround Arts,” which started as a pilot program in “turnaround schools” that were the lowest-achieving in their state. The program, a public-private-partnership, brought artseducation resources into selected schools to improve school culture and climate, improve student and parent engagement, and led to academic and social improvements.18 In addition to art initiatives, perhaps a better way to discern an administration’s support for the arts is to consider its role in arts funding. One of President Obama’s earliest goals, entering his role amidst a recession, was to craft a stimulus package to revitalize the American economy. The American Recovery and Reinvestment Act of 2009 (ARRA) authorized $787 billion total in federal funding to revitalize the American economy; $50 million was included specifically for the NEA. The enacted legislation explained that funds were “to be distributed in direct grants to fund arts

17 Wesley Morris, “Obama Understood the Power of Art. And He Wanted You to Get It, Too,” in: The New York Times, (Jan. 18, 2017), www.nytimes.com/ 2017/01/18/arts/ president-obamapop-culture.html.

18 See https://obamawhitehouse.archives. gov/the-press-office/2014/05/20/ committee-arts-and-humanities-announcesexpansion-turnaroundarts-progra.

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U.S. Cultural Policy

19 See https://www.congress.gov/bill/111th-congress/house-bill/1/text.

20 See https://www.senate. gov/CRSpubs/1ae50b225a09-4259-8fdf728eb32f35db.pdf, 6.

21 E. J. Dionne, “Jim Leach’s Call for Civility,” (2009), https://madison.com/ ct/news/opinion/ column/e-j-dionne-jrfighting-extremism-withcivility/article_4aff6150ff02-518e-b4fe-ffea3c845c9a.html.

projects and activities which preserve jobs in the non-profit arts sector threatened by declines in philanthropic and other support during the current economic downturn.”19 Early in his administration, Obama also requested substantial funding increases for cultural-policy programs, including NEA and NEH, though in his second term he requested more modest increases similar to the rate of inflation. Each year, the United States Congress passes appropriations bills that fund the various agencies’ work. In this process, the president first sends a budget request to Congress, then the House and the Senate Appropriations Committees draft spending bills, considering input from the president. Once these bills pass both chambers, differences between the two chambers’ bills need to be addressed. Then the president must sign the legislation for it to become law. While the president is only one part of the process, he plays a significant role.20 As was prioritized in his platform, legislation to increase access to arts education was signed into law during his time in office as well. The Every Student Succeeds Act of 2015 (ESSA) was enacted, a bill that reauthorized the nation’s public education policy concerning students in kindergarten through senior year of high school (K-12). When defining a “well-rounded education,” arts, music, writing, and civics were enumerated. This means that key federal funding sources could be spent on arts and humanities education. In addition, ESSA included a new section, Title IV Part A, which created the Student Support and Academic Enrichment program, providing flexible funds for three broad categories, including providing a well-rounded education. This marked an important step for cultural policy, as arts and cultural education activities are among the most frequent targets of school budget cuts in the U.S. Additional related arts policy enacted under President Obama includes the Affordable Care Act, which made it easier for those without employer-sponsored healthcare plans, including independent artists, to access healthcare. When President Obama began his first term, he appointed a former Republican Congressman from Iowa, Jim Leach, to lead the NEH. Chairman Leach made “civility” the theme of his term at the NEH, in light of concerns that, “citizens of various philosophical persuasions are reflecting increased disrespect for fellow citizens and thus for modern day democratic governance.”21 Leach’s “Civility Tour” traveled to all fifty states to promote civil discourse and consideration of others’ opinions, which he viewed as central to humanities as a discipline and to democratic institutions. Cultural policy during the Trump Administration

Since Donald Trump began serving as 45th President of the United States in 2017, his administration has had a different relationship with cultural policy. Following the Charlottesville “Unite the Right Rally” in August 2017, where counter-protester Heather Heyer was killed by a white supremacist, all seventeen members of the President’s Committee on the Arts

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and Humanities resigned. They wrote, “We cannot sit idly by, the way that your West Wing advisors have, without speaking out against your words and actions.”22 While those in PCAH were initially appointed by President Obama, President Trump has gone without the group of cultural policy advisors and has since dissolved the council. The president and the First Lady have also skipped the Kennedy Center Honors event for all three years he has been in office so far, which is an event held to celebrate the cultural contributions of exceptional artists. Several of the artists invited to the event threatened to boycott it or protest if the president attended. Most significantly, in May 2017, President Trump’s first budget request to Congress was released. When submitting his budget request to Congress, President Trump recommended eliminating both the NEA and NEH. Budget requests for FY2019 and FY2020 have mirrored this first request. The Trump Administration stated in its budget justification that it does not consider NEA or NEH activities to be core federal responsibilities and argued that the private sector can provide the necessary funding. In addition, President Trump has recommended eliminating IMLS; and he recommended privatizing the CPB. Each year, he has also proposed significant cuts to the Department of Education and the Department of State’s budgets, including international cultural exchanges, though the Obama Administration proposed cutting funding for international cultural exchange programs as well. While Trump became the first president to propose the complete elimination of the NEA and NEH, both agencies previously experienced significant cuts and threat of elimination. In the 1980s it came to public attention that several artists had received NEA grant funding for work certain Members of Congress deemed “shocking, abhorrent and completely undeserving of any recognition whatsoever.” 23 As a result, the NEA experienced funding decreases, and in 1997 legislation that would have eliminated NEA passed the House but failed to pass the Senate. Nevertheless, the NEA and NEH withstood this period in time, and under President Trump bipartisan members of Congress have continued to reject his budget requests to close these agencies, as well as the IMLS, CPB, and cuts to the State and Education Departments. While the Trump Administration noted the important role of non-federal funding sources for cultural activities in the U.S., the Trump-backed Tax Cuts and Jobs Act of 2017 had a significant impact on donations to arts and culture-focused nonprofits.24 Giving by individuals declined for the first time in five years in 2018, after the legislation took effect, likely because individuals opted to take the standard tax deduction that was doubled under the bill instead of itemizing their deductions.25 This legislation also impacted universities, including programs in the arts and humanities. The bill changed the tax rate for scholarships, increasing tax burdens for student scholarship recipients, for example.26 As a result of the effects of the tax legislation, many nonprofits are advocating for new legislation that would make charitable donations tax

Heather Painter

22 See the full letter: https://www.politico. com/f/?id=0000015df5c6-d965-a55d-fde6aef80002.

23 Cynthia Koch, “The Contest for American Culture: A Leadership Case Study on The NEA And NEH Funding Crisis,” (1998), https://www. upenn.edu/pnc/ptkoch. html. 24 See https://www. congress.gov/bill/115thcongress/house-bill/1/ text. 25 “Robert L. Lynch Reacts to Giving USA 2019 Report,” Americans For the Arts, (1998), https://www. americansforthearts. org/news-room/americans-for-the-arts-news/ americans-for-thearts%E2%80%99-presidentceo-robert-llynch-reacts-to-givingusa-2019-report-participates-on. 26 Andrew Kreighbaum, “Unintended Consequences of GOP Tax Law, Inside Higher Ed.,” (2019), https://www. insidehighered.com/ news/2019/05/20/goptax-law-included-surprise-tax-hike-collegestudents.

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U.S. Cultural Policy

27 See https://appropriations.house.gov/subcommittees.

28 “A Brief Chronology of The History of Federal Support for The Arts,” National Endowment for the Arts, (2000), https:// www.arts.gov/sites/ default/files/NEAChronWeb.pdf.

29 See https://collection.crystalbridges. org/objects/1188/ourtown?ctx=3e9adbbaabaf-4ebd-bdfaab2b08bdef27&idx=0. 30 Jay Greene/Brian Kisida/ Daniel Bowen, “The Educational Value of Field Trips – Education Next,” Education Next, (2014), https://www.educationnext.org/the-educational-value-of-field-trips/.

deductible above-the-line, meaning that an individual could deduct the donations even while claiming the standard deduction, a step that could reverse the decline in individual donations. Discussion of returning the tax rate for scholarships back to the lower rates prior to the enactment of the Tax Cuts and Jobs Act of 2017 is also ongoing within Congress. In addition, under House Democratic leadership, which returned in January 2019 after Democrats won a majority of House seats in the 2018 midterm elections, many federal agencies involved in cultural-policy work have seen appropriations increases, including those reflected for FY2020.27 U.S. cultural policy moving forward

“Art is a nation’s most precious heritage. For it is in our works of art that we reveal to ourselves and to others the inner vision which guides us as a nation. And where there is no vision, the people perish.”28 It might seem ironic now that President Johnson made this statement upon signing the legislation that created NEA and NEH back in 1965. Why? Because, as you have seen, the United States’ federal cultural policy lacks a central policy objective or “vision.” The system is federally supported, but the charitable-giving tax deductions for nonprofits play as much of a role as direct funding from the federal government. The system is decentralized, incoherent, and in comparison to several European countries, poorly funded at the federal level. At the same time, the lack of central control and an overarching policy objective has been an important factor that has allowed cultural policy work to continue in American communities, insulated from the gridlock and division in Washington. Even if the current administration has rejected hosting cultural events, proposed slashing federal funding for cultural policy programs, and demonstrably heightened cultural and political tension, federally supported cultural programs remain available in local communities. Documented rises in polarization, incivility, and intolerance are abundant—from newspaper headlines to academic journals to social media posts. Concrete solutions for addressing it, however, are scant. Cultural policy should be seen as a valuable and viable tool for combating these trends. Until this point, American cultural policy has lacked a central vision. Yet, the charitable tax deduction provided to the Crystal Bridges Museum of Modern American Art, for example, helps support school children from across the state of Arkansas, who can visit the museum free of charge and view art that makes them reflect upon the lived experiences of other people, such as in Kerry James Marshall’s painting Our Town.29 Research studies from these museum trips indicate that the trips have measurably increased students’ levels of tolerance and historic empathy.30 The National Endowment for the Humanities hosts discussions and lectures, big and small, where participants can hear the sponsored Jefferson Lecture and be exposed to ideas such as Martha Nussbaum’s 2017 lecture on “Powerlessness and the Politics of Blame,”

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where she argued that, “We can keep the spirit of determined protest against injustice while letting go of the empty fantasy of payback.”31 The NEH also provides funding for local discussions, such as the “We Who Believe in Freedom” discussion, where works by influential women were read and followed by a conversation about the works, how they fit into history, and their modern-day relevance; or, Oregon’s “Where Are You From?” discussion on what makes one an Oregonian and how Oregonians can create inclusive communities.32 Similarly, the NEA funds theater productions like Ghost, a play production at Nashville Children’s Theater, that has audience members consider the challenges of growing up in poverty.33 The NEA, through its Exploring Our Town initiative, also funds “placemaking projects,” which are designed to improve the “quality of life, create a sense of place, and revitalize local economies.” There are dozens of these projects, like one based in Portland, Maine called “Meeting Spaces,” which used collaborative community art projects to increase participation in community decision-making processes that was lacking before the project.34 Last year, the Corporation for Public Broadcasting supported the documentary American Creed, which forces viewers to consider two questions—“What does it mean to be an American?” and “What holds us together in turbulent times?”35 The Fulbright Program and other State Department cultural-exchange programs send Americans to other countries and bring individuals from other countries to the U.S.—experiences that reinforce that we have more in common than we have differentiating us. According to renowned social psychologist Gordon Allport’s contact hypothesis, interpersonal contact between members of majority and minority groups is a particularly effective way to combat prejudice.36 Harvard sociologist Robert Putnam has also argued “art is especially useful in transcending conventional social barriers.”37 Programming like this brings diverse individuals together and provides a forum for productively addressing challenging topics. The consequences of rising polarization, according to research, entail increased segregation, antagonism, increased stress, increased lying, civic disengagement, and even increased violence.38 The existing division has real consequences for the American political system too. Division prevents progress on issues that could improve the quality of life for all Americans, as Democrats control the House, Republicans control the Senate and White House, and support from all three is needed for a bill to become a law. Additionally, the ramifications of political division extend beyond America’s borders too, affecting relations with other countries. Moving forward, a new vision to inspire U.S. cultural policy is needed. This vision should be chipping away at polarization and chipping in towards that aspirational definition of culture The New Yorker wrote about back in 2014: “The wish is that a group of people might discover, together, a good way of life; that their good way of life might express itself in their habits, institutions, and activities; and that those, in turn, might help individuals flourish in their own ways.”39

Heather Painter 31 Martha C. Nussbaum, “Martha C. Nussbaum’s Jefferson Lecture: Powerlessness and The Politics of Blame,” University of Chicago Law School, (2017), https:// www.law.uchicago.edu/ news/martha-c-nussbaums-jefferson-lecture-powerlessness-andpolitics-blame. 32 See https://www.neh. gov/events/. 33 See https://www.nashvillechildrenstheatre.org/ ghost.

34 See https://www.arts. gov/exploring-ourtown/. 35 See https://www.pbs. org/program/americancreed/.

36 Gordon W. Allport, The Nature of Prejudice, (Cambridge, Mass: Addison-Wesley, 1955). 37 Robert Putnam, Bowling Alone: The Collapse and Revival of American Community, (New York: Simon & Schuster, 2000), 411. 38 Zaid Jilani/Jeremy Adam Smith, “What Is the True Cost of Polarization in America?” Greater Good Science Center at The University of California Berkeley, (2019), https:// greatergood.berkeley. edu/article/item/what_ is_the_true_cost_of_ polarization_in_america.

39 Rothman (2014).

Artistic Contribution at the Conference 2017

Virginia Lui and Michel Gölz Wollen Sie sich beschweren? Winter 2016/17, Favoritenstraße, Vienna

195 Virginia Lui is an artist, social designer and PhD candidate at the University of Applied Arts Vienna. She holds an MA in Social Design and a BA in Architecture. Lui’s works pivot between design—mostly for social innovation—, public art, and theory. She works in site-based performance, text, photography, and drawing, with an emphasis on artistic research. Her PhD investigates critical spatial practices in Chinese urbanregeneration processes. Michel Gölz is a cultural worker for the City of Vienna’s district management and in the autonomous Kollektiv Raumstation. He holds a bachelor’s degree in Anthropology and Human Geography and master’s degree in Social Design. Gölz now mediates, appropriates, and subverts perceptions of the built environment and formal politics through various artistic, audio/visual and interactive means. His field of action is mostly participatory projects that aim to activate the city’s residents for co-creative processes.

Photo: Virginia Lui and Michel Gölz

Virginia Lui and Michel Gölz offered passersby on Favoritenstraße—the main street in Vienna’s 10th district, characterized by its diverse inhabitants—a stand to deposit their complaints in the time preceding the Austrian presidential elections. In the winter of 2016/17, Virginia Lui and Michel Gölz regularly set up their stand on Favoritenstraße and asked passersby to deposit all kinds of complaints. Guided by their curiosity, they experimented with ways of relating and speaking to an “other.” Always negotiating seriousness and irony, they found moments of surprising reconciliation and consistent misunderstanding. The project proved immediately popular as it took place during the federal presidential elections and many people took the opportunity to frankly express their opinions. Very quickly, the complaining station became a meeting point where contrasting points of view clashed. The polite situation created by the team led people to listen and talk to one another. Perhaps no one consented with the other’s views but one result achieved was that aggressive attitudes often relaxed to an exchange and people came back again and again. Their voices entered other discourses by being replayed in academic contexts.

Galina Koretskaya Modernization of National Consciousness Wake up, Kazakhstan!

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1 “Address by the President of the Republic of Kazakhstan, N. Nazarbayev ‘Strategy Kazakhstan 2050’: New Political Course of the Established State,” Strategy 2050, (Dec. 14, 2012), https://strategy2050.kz/ en/page/multilanguage/.

2 https://strategy2050.kz/ ru/president/70/.

3 See ibid.

Ex-president Nursultan Nazarbayev initiated the Rukhani Zhangyru program—modernization of national consciousness—in 2017. It’s planned to be Kazakhstan’s main social and cultural program for the next decade. In the program’s opening statement, Nazarbayev says that Kazakhstan has entered a new era and 2017 marks the beginning of the country’s third modernization period—the aim is to become part of the top thirty most developed countries in the world by 2050.1 One of the important aspects of this transformation is modernization of national consciousness without which, as it’s written in the statement, no economic or political reforms could be made. The president’s address also analyzes Kazakhstan’s national consciousness in the 21st century and contains an agenda for the program’s first couple of years. Nazarbayev’s address also says that any modernization should take into account cultural codes and mentality, cultural and historical roots of people who live in the territory of modern Kazakhstan. This sounds sensible, although professionals from the sector have suggested that it does not take into account the fact that there are officially around 130 ethnicities in Kazakhstan—it’s a highly cultural diverse country—and that the focus of the program is mainly on the so-called titular nation’s culture, and the preservation of Kazakh heritage and Kazakh language. Modernization “is a platform which brings together horizons of the past, nowadays and the future.”2 Nazarbayev highlights several directions of the modernization of the nation’s consciousness: competitiveness, pragmatism, preservation of cultural identity, cult of knowledge, open-mindedness, and the evolutionary (not revolutionary) development of Kazakhstan. These qualities, as the program claims, have to be the main orienting points for any Kazakhstani. The Rukhani Zhangyru program has six strategic projects: Tugan Zher (Homeland) is about the creation of patriotic feeling towards one’s “small homeland” or a birthplace. The region, village, or small town where you grew up or lived your whole life. It’s partially about regional history and ethnography, but also about the improvement of living environment and welfare; Spiritual Geography is about the mapping and study of spiritual monuments and the preservation and popularization of places and objects in the territory of Kazakhstan; Modern Kazakhstani Culture is a series of events taking place abroad in order to promote and popularize Kazakhstani culture, the digitalization of Kazakhstani music for wider use, presentations of Kazakhstani authors, etc.; 100 New Faces of Kazakhstan is a collection of stories from one hundred Kazakhstanis of different ages who gained success during the independence of Kazakhstan; Translation of 100 Leading Schoolbooks into the Kazakh language is a step to provide quality education and imbue a new generation of Kazakhstanis to develop competitiveness and pragmatism; the last project is a transition of Kazakh language from Cyrillic to Latin alphabet.3 Although, in general, the Rukhani Zhangiru program has interesting ideas, good insights and a vision, its main disadvantage in the eyes of its

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critics is that it’s an obligatory top-down document and the vision of one person that has not been discussed with the wider creative, cultural sector or social organizations. The minister of culture, or the president’s office, might disagree with this analysis, but many in the sector considered the discussions that took place around this document to be reminiscent of the “good old” Soviet times, when everything that the Party declared was right and no one had a chance to view it critically. This is not new. One of the latest cultural-policy documents, “Concept of Cultural Policy,” was released in 2014. The strategic stir for the concept is another program document by Nazarbatev—the so-called “patriotic memorandum,” “Mangelik El,” aimed at consolidating the Kazakhstani people under the idea of shared heritage and culture, which is also one of the ways Kazakhstan could enter the top thirty most-developed countries in the world. The aims of the concept are the spiritual modernization and renewal of national consciousness; the formation of a single cultural space; a competitive cultural mentality and high values for Kazakhstan’s people; the development and popularization of modern cultural clusters that affect the successful development of the economy, increasing the tourist attractiveness and positive international image of the country.4 The document starts with an analysis of the cultural sector and identification of the main challenges, which are: • Insufficiently effective coordination of government authorities’ decision-making and continuing disproportionate development of the cultural-organization network, especially in rural areas • A discrepancy between the need to develop a network of cultural institutions and the existing budget for their maintenance • Non-sufficient experience in the implementation of public-private partnerships • No systematic approach to development of the creative potential of children and young people • Contemporary art and modern culture do not receive proper support • A lack of modern artworks embodying national, spiritual values • A lack of connection between theory, practice, and art education • Museums and museum reserves make insufficient use of potential research and development • Philanthropy, art patronage, and sponsorship in the cultural sphere are not developed • Insufficiently developed practical steps to implement a systematic approach to the development of leisure, entertainment, and cultural services • The current legal framework in the field of culture does not fully meet the requirements of modern innovation and integration processes and does not take into account the needs of regions, single-industry towns, and remote villages • The current system of arts and creative education in the country does not cover the whole range of needs for specialists in almost

Galina Koretskaya

4 Nursultan Nazarbayev, Presidential decree, “About the Concept of Cultural Policy of the Republic of Kazakhstan,” Tengri News online, https://tengrinews.kz/ zakon/prezident_respubliki_kazahstan/kultupa/id-U1400000939/.

Modernization of National Consciousness

5 ibid.

6 ibid.

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all areas of culture and art, as a result there are signs of a serious personnel shortage • There is no image of Kazakhstani culture on the international level • Insufficiently developed sector of creative industries, information and communication technologies in the sphere of culture and art, which as a result does not allow the sector to form an innovative approach to development of the industry and ensure wide access to cultural products and services5 Thus, the priorities of cultural policy in Kazakhstan are: • Preservation of the cultural code of the nation • Improving the management system in the field of culture • Single educational space of the art sphere • Integration into the international cultural space • Application of information and innovation technologies • Development of touristic clusters The delivery of the Concept of Cultural Policy is planned through two stages. The first stage (2015–2019) envisages steps to adapt existing and create new measures, as well as institutional mechanisms for the development of the cultural sector and the main touristic clusters. The results of the first stage will be measured in 2020 using key indicators: • 100% digitization of the National Library Book Fund to be digitized in accordance with the current legislation • An increase in the number of library visits by 2 times • An increase in the number of visits to museums by 3 times • An increase in the number of visits to theaters by 2 times • Public satisfaction with the quality of cultural services, which will be at least 70% By 2030, the second stage, Kazakhstan will be: • One of the centers of the development of world culture and art • One of the world centers of entertainment and leisure with a developed infrastructure • One of the international centers for the development of historical science, archeology, and art history • A leading international school of excellence and creative growth • The largest regional center of leading international organizations6 There’s no information available if this Concept became an action point for cultural policy. It’s also highly arguable if this gives permission to measure any of the sector’s development challenges with indicators such as the increase of visitors in libraries and museums. The only aspect that stays constant is the building of the cultural identity of Kazakh based on distant (pre-Soviet) heritage, Kazakh language and Kazakh folk culture. There’s no information on the mechanism of how to take part in the Rukhani Zhangyru program, what organizations are eligible to deliver it, or whether is it possible to apply for funding if you have a project idea. In general, how does this program connect to the Concept of Cultural Policy?

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In reality, only state cultural institutions, or other state organizations, have to deliver these cultural agendas. The Ministry of Culture and Sport, which is mainly responsible for the Rukhani Zhangyru program and cultural policy’s delivery, does not appear to have much interest in engaging with non-state cultural organizations. However, this feeling seems to go both ways, and many non-state cultural organizations are uncomfortable working with the Ministry of Culture or local city administration. They feel that if you work with, or for, them, it puts certain restrictions on the freedom of speech and forms of artistic expression. The one notable exception among Rukhani Zhangyru activities was called “Focus Kazakhstan,” a set of four international exhibitions organized by the National Museum of the Republic of Kazakhstan. The project showed modern and contemporary Kazakh art on an international scale for the first time in the county’s history. Taking place 2018–2019, “Focus Kazakhstan” exhibitions have been organized in the UK, Germany, South Korea, and U.S., by Kazakhstani curators. It shows renowned and emerging Kazakhstani contemporary artists. It also shows a current process in contemporary art. When the government releases documents on the rebirth of old Kazakh traditions and mostly looks at a distant past (the 17th and 18th centuries), contemporary artists and curators rethink Kazakhstan’s colonial past, as well as the current, rich mixture of nomadic cultures of modern Kazakhstan of the 21st century. The exhibition in London, “Post-Nomadic Mind” explored Kazakh contemporary art as a form of multi-channel discourse, drawing parallel dialogues between contemporary artists, their Soviet predecessors, and the newly termed subject matter of post-nomadism.7 The “Bread and Roses” exhibition in Berlin exhibited female Kazakhstani artists and examined the work of four generations of female Kazakh artists since 1945.8 The exhibition in Jersey City, U.S.A. called “Thinking Collections: Telling Tales” explored the concept of “artists as the first collectors” with an unprecedented survey exhibition of Kazakhstan’s most celebrated art collective, Kyzyl Tractor. Noted for their feverish experimentations in the mid 1990s and early 2000s, their work continues to chronicle Kazakhstan’s seismic socio-economic, ecological, and political shifts in juxtaposition with their signature conceptual and aesthetic appropriations of the region’s nomadic, Sufi, and shamanistic philosophical traditions.9 In Suwon, South Korea, “Eurasian Utopia: Post Scriptum” surveyed the work of Kazakhstani artists of the 20th and 21st century whose work combined international aspects of modernism with local features of traditional Kazakhstani culture and connected several generations of artists to explore the formation and development of art in Kazakhstan.10 “Most museums in Kazakhstan cling onto ancient masterpieces with a sublime captivation for the steppe, horse and warrior. But a handful of Kazakh artists are fighting for contemporary aesthetics, exploring problems of domestic violence, surveillance, the stigma against disabilities and the LGBT community in their art,”11 wrote journalist Jade Cuttle in

Galina Koretskaya

7 Eric David, “‘Focus Kazakhstan: Post-Nomadic Mind’ at Wapping Hydraulic Power Station,” translated by the author, yatzer online, (Sept. 24, 2018), https://www. yatzer.com/focus-kazakhstan-post-nomadic-mind.

→ Fig. 1 8 Clara Tang Momentum, “Focus: Kazakhstan,” ArtAsiaPacific online, (Oct. 2018), http://artasiapacific.com/Magazine/ WebExclusives/FocusKazakhstanBreadAndRoses. 9 “Focus Kazakhstan,” Russian Art & Culture online, (Aug. 20, 2018), https://www.russianartandculture.com/ focus-kazakhstan/. 10 ibid. → Fig. 2

11 Jade Cuttle, “Meet the Radical Kazakh Artists Revolutionizing Kazakhstan Into the 21st Century,” culture trip online, (Dec. 31, 2017), https:// theculturetrip.com/asia/ kazakhstan/articles/ meet-the-radical-kazakh-artists-revolutionising-kazakhstan-into-the-twenty-first-century/.

Modernization of National Consciousness

→ Fig. 3

12 “Leadership for the Creative and Cultural Economy – Creative Central Asia – Astana Forum Report 2018,” British Council, britishcouncil. kz/creative-central-asia: 11. 13 “Statement by the Spokesperson on the presidential elections in the Republic of Kazakhstan,” EEAS online, (June 10, 2019), https://eeas.europa.eu/ headquarters/headquarters-homepage/63895/ statement-spokesperson-presidential-elections-republic-kazakhstan_en. 14 Abridged court statement of Asya Tulesova, “In Asya’s Own Words,” Adamdar/CA online, (April 21, 2019), https://adamdar.ca/en/category/ firsthand/in-asya-s-ownwords. 15 Nazerke Syundyukova, “A civilian movement ‘Oyan, Qazaqstan‘(Wake up, Kazakhstan) has been created in Kazakhstan,” The Qazaq Times online, (June 6, 2019), https:// qazaqtimes.com/en/ article/63302. → Fig. 4

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her article “Meet the Radical Kazakh Artists Revolutionizing Kazakhstan Into the 21st Century” after visiting Almaty and Nur-Sultan (the capital of Kazakhstan previously known as Astana). Nevertheless, independent cultural and creative sector is growing, especially in Almaty. But the modern and contemporary arts and culture sector in Kazakhstan is still very much embryonic and it would take more years for it to mature, become self-aware, and find its unique voice, which would be heard by wider audiences in Kazakhstan and internationally. Based on group discussions during the Creative Central Asia conference in Nur-Sultan in 2017, creative and cultural leaders made following observations about the current situation in the creative and cultural sector in the cultural capital of Kazakhstan: “Almaty has a high creative potential but lacks the infrastructure and human resources to convert this into high quality cultural or creative products and services. One of the weaknesses of the cultural sector is a lack of professional critics, as there are only a handful of people capable of providing educated feedback, which is an indispensable part of both the development of the cultural sector itself, supporting the formation of more sophisticated tastes among audiences. Another factor holding back the development of the creative and cultural industries is a lack of self-identification within the creative community, as few creative professionals view themselves as part of something bigger. Instead, the creative sector is fragmented and divided into groups that rarely interact with each other. Though there is some joint work under way in Almaty and a number of collaborative projects, the overall feeling is one of dissatisfaction and disillusionment with the overall long-term effects these joint efforts are having on uniting the creative community beyond short-term artistic or commercial collaborations.”12 In 2017, President Nazarbayev was right in saying that Kazakhstan is in its new period. But he may not have guessed that two years after his program about public consciousness was launched there would be a brand-new social movement claiming their rights and political reform in 2019. Young people’s protests against early presidential elections in June 2019 which, according OSCE observers, “was tarnished by clear violations of fundamental freedoms as well as pressure on critical voices,”13 is a clear sign of a real modernization of national consciousness. This was the first time when the Kazakhstani creative class—still a very small group of people in their early 30s—started to be politically active. “Oyan Qazaqstan” (“Wake up, Kazakhstan”) is the name and motto of a civilian movement created after the arrest of young activists Beybarys Tolymbekov and Asiya Tolesova,14 who hung a poster stating “You cannot run from the truth”15 in Almaty during the marathon, about two months before the presidential elections.

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Galina Koretskaya

These young people have started to speak their minds openly in public, with no self-censorship, for which they are regularly detained. Then, after hours or even days of questioning in the police station, they are released. And you see them again organizing public discussions about constitutional rights, about legal and illegal elections, writing Facebook posts and articles with a fresh view and critique on what’s happening in this country and its society. They also organize small open-air gatherings, called “Seruen” (“Promenade”): weekly off-line meetings in several cities in Kazakhstan, in city centers, with music, live bands, poets, artists; an environment where people can meet, talk, be together, be seen as a larger group and demonstrate that they own public spaces and have a right to meet peacefully without asking special permission from the government. This is a unique moment for Kazakhstan’s government to embrace generational shift, to loosen up and listen carefully to what these young professionals have to say. Otherwise, any political, social, or cultural reform, and country’s ambition, risks ending in failure.

→ Fig. 5

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Modernization of National Consciousness

Fig. 1: Work of Saule Suleimenova, Kelyn (“Bride”). Focus Kazakhstan: “Post-nomadic Mind” at Wapping Hydraulic Power Station in London, September 2018. Photo: Thierry Bal

Fig. 3: Shot from the BOQ (Shit), based on Friedrich Dürrenmatt's play “Hercules and the Augean Stables” show by Laboratory 316 at Transforma cultural space in Almaty, 2017. Photo: Diana Balayan

Fig. 2: Kyzyl Tractor Art Collective, Live Performance at “Thinking Collections: Telling Tales,” ACAW Signature Exhibition, Mana Contemporary, Jersey City (14 October 2018). Courtesy Asia Contemporary Art Week. Photo: Michael Wilson

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Galina Koretskaya

Fig. 4: Protestors Roman and Yana show off their new tattoos of a social media hashtag popularized by a protest earlier this year: “You cannot run from the truth,” they say. The two were detained on election day. Photo: Danil Usmanov

Fig. 5: Dimash Alzhanov announces the end of a march on June 7, 2019. Photo: Danil Usmanov

Paul Schuberth Der Kultur auf die Schliche

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1 Gabriele Knapp (1996): Das Frauenorchester von Auschwitz. Musikalische Zwangsarbeit und ihre Bewältigung, Hamburg: von Bockel.

2 Wolfgang Pohrt (2001): „Vielleicht war das alles erst der Anfang. Über das Tagebuch aus dem KZ Bergen-Belsen von Hanna Lévi-Hass, in: Arbeitskreis des deutschen Antisemitismus (Hg.): Antisemitismus – die deutsche Normalität. Geschichte und Wirkungsweise des Vernichtungswahns, Freiburg: ça ira, S. 191–204.

„In Auschwitz betrieben die Machthaber in gewisser Hinsicht eine Kulturförderung.“ Ein Satz, den man besser überlesen hätte! Nur eine zynische Provokation? Vielleicht schafft ein Einblick in den genauen Zusammenhang Erleichterung. Dieser Zusammenhang allerdings weist den zitierten Satz als noch zu harmlose Zusammenfassung aus. Geschrieben hat ihn die Historikerin Gabriele Knapp in ihrer Arbeit über das Mädchenorchester von Auschwitz.1 Sie bezieht sich dabei auf die Tatsache, dass die Häftlingsorchester, wie es sie in jedem größeren Konzentrationslager gab, Statussymbole für die jeweiligen Lagerführer waren. Ein gutes Orchester verbesserte das Prestige. Durchschnittsmenschen wie Schwarzhuber, Hößler und Mandl betonten ihre Befehlsgewalt über Leben und Tod mit deutscher Musik. Die Kulturförderung bestand darin, den der musikalischen Zwangsarbeit Unterworfenen geraubte Instrumente und Noten zur Verfügung zu stellen, um im Gegenzug eine Erweiterung des Repertoires zu verlangen. Denn nur der erbarmungslose Takt ausgesuchter deutscher Märsche ließ die Herzen der SS-Mörder höher schlagen und ihre Fäuste fester. Konzentrations- und Vernichtungslager wurden in Sternstunden der Kultur zu Konzerthäusern umfunktioniert, schließlich boten sich für die Häftlingsorchester unzählige Auftrittsmöglichkeiten: bei Privatvorstellungen für die Henker, am Appellplatz, bei öffentlichen Hinrichtungen, im Krankenbau für die zur Vergasung Bestimmten oder an der Rampe, um die Neuankommenden zu begrüßen. Um der Kultur auf die Schliche zu kommen, muss man sich an ihre Grenzen wagen. Das erweist sich als schwierig, will doch das Sprichwort, dass Kultur gar keine Grenzen kenne. Von der Musik zum Beispiel heißt es oft, sie sei eine universale Weltsprache, die jeder verstehe. Mit den Mitteln der Musik lasse sich ausdrücken, was mit Worten nicht zu sagen sei. Musik überwinde alle Grenzen und spende Trost in schwachen Momenten. Ein Kritiker, der diese Aussagen als gebrauchshumanistische Phrasen abtut, vergisst, dass sie vom Konzentrationslager der grausamen Wahrheit überführt werden: Spielt das Häftlingsorchester beim morgendlichen Ausmarsch der Arbeitskolonnen einen beschwingten Marsch, verstehen alle Häftlinge, egal welcher Muttersprache, die eindeutige Aufforderung – im Gleichschritt marschieren! Muss eine junge, inhaftierte Cellistin dem Lagerarzt Dr. Mengele Schumanns „Träumerei“ vorspielen, die ihn zu Tränen rührt und im schwachen Moment mit neuer Kraft für die nächste Selektion versorgt, verschwimmen die Grenzen zwischen Opfer und Täter. Und schließlich: KZ-Häftlinge zu deutschen Märschen zu züchtigen und zu foltern drückt mörderische Verachtung besser aus, als es Worte je bewerkstelligen könnten. Der deutsche Autor Wolfgang Pohrt schrieb einmal, dass sich der „sadistische Exzess“ mit unserem Vorstellungsschema ohne Weiteres vertrage, dass aber die „Schilderungen des Nebeneinanders von Krematorium und gemütlichem Leben, die sich durch alle authentische KZ-Literatur ziehen“,2 eine gefährliche Bedrohung unseres Verstandes darstellten. Dem bedrohten Verstand bleibt nichts anderes übrig, als in Deckung zu gehen, wird er nun auch noch mit der

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Tatsache konfrontiert, dass es im Lager nicht nur ein Nebeneinander von Musik und Massenmord gab, sondern ein Miteinander. Eben: Musik verbindet. Genau diesem positiven Credo von der unerschütterlichen Kraft der Musik folgt bis heute die populäre Betrachtung und Darstellung von Musik und Kultur im KZ. Der widerständige Gebrauch von Musik durch manche Häftlinge gilt dann als Beweis dafür, dass Musik, auch und gerade in der Extremsituation, unablässig für das Schöne und Wahre, den autonomen Geist und eine nie versiegende Quelle der Hoffnung stehe. Ganz ungeachtet der grundsätzlichen Frage, inwiefern die Quelle der Hoffnung dem zum Tode Verurteilten noch helfen könne. Mögen Musik und Kultur auch unablässig Sturzbäche und Sintfluten der Hoffnung produzieren, die Nationalsozialisten jedenfalls schöpften aus dieser Quelle Mittel zur Ablenkung der Opfer, zum Terror und zur psychischen wie physischen Folter. Als Anne Will in einer ihrer Sendungen die Holocaust-Überlebende und Akkordeonistin des Mädchenorchesters von Auschwitz Esther Bejerano befragte, ob die SS-Schergen nicht auch manchmal Menschlichkeit zeigten, verriet die Talkshow-Moderatorin ungewollt eine wichtige Wahrheit: Die SS-Leute waren Menschen wie du und ich, was über diese selbst wenig aussagt, dir und mir aber zu denken gibt. Und doch gibt es Unterschiede, denn in einer der herausragenden menschlichen Disziplinen, der Fantasie, sind uns diese einfallsreichen Täter haushoch überlegen. Im Universum der Konzentrations- und Vernichtungslager waren der Fantasie der Mörder keine Grenzen gesetzt. Mit beachtlicher Hingabe schafften sie es, das höchste Kulturgut der höchsten Kulturnation, die Musik, in den Prozess des industriellen Massenmordes einzuspannen. Musik half, die Vernichtung durch Arbeit reibungslos zu organisieren und die Arbeit, die für die Täter durch die Vernichtung anfiel, erträglicher zu machen. Kein einfaches Volkslied, keine große Symphonie, kein dummer Schlager waren zu niedrig oder zu großartig, um nicht als Vorwand für Strafe und Terror oder gar als deren Mittel fungieren zu können. Die Funktionen, die Musik in allen Formen innehatte, waren mannigfaltig. Besonders gefürchtet bei allen Häftlingen war das Zwangssingen: Zu allen Anlässen mussten deutsche Lieder gebrüllt werden, was neben der penibel berechneten psychischen Belastung – Juden hatten antisemitische Werke darzubieten, Kommunisten wurden bestraft, wenn sie Kirchenlieder nicht auswendig singen konnten – auch als Begleitung zu unmenschlicher Zwangsarbeit eine zusätzliche körperliche Beanspruchung darstellte. Der Befehl zum Singen diente der Wachmannschaft dabei zum eigenen Amüsement und zur effizienteren Kontrolle der Häftlinge, indem das Singen den Marschrhythmus vorgab. Im frühen KZ Dachau hingegen wurden erste Methoden der Zwangsbeschallung erfunden: Neben Führerreden wurden Werke deutscher Komponisten in voller Lautstärke über das ganze Lagergelände übertragen. Man hoffte auf die umerziehende Wirkung von Musik. Generell war Musik, wie Gabriele Knapp schreibt, ein klingender Ausdruck von Kraft, Stärke und Macht. Um die eindrucksvolle und abschreckende Wirkung von öffentlichen

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3 Shirli Gilbert (2005): Music in the Holocaust. Confronting Life in the Nazi Ghettos and Camps, New York: Clarendon Press of Oxford University Press.

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Exekutionen im Lager zu unterstreichen, hatten die Häftlingskapellen oft für musikalische Begleitung zu sorgen. Nicht unterschätzt werden dürfen die propagandistischen Zwecke, für die sich Musik und Kultur einspannen ließen. Bereits 1934 erschienen enthusiastische Pressereportagen aus den Lagern, wie etwa jene aus dem „spielenden und singenden Konzentrationslager Oranienburg“; und dass 1944 im Lager Theresienstadt den verdutzten Vertretern des IRK-Komitees eine Jazzcombo präsentiert wurde, ist bekannt. Die Musik am Lagertor hatte für die SS zudem eine enthemmende Wirkung. Sie förderte die Gewaltbereitschaft bei der Aussonderung völlig entkräfteter Häftlinge und setzte bei Ausschreitungen die moralischen Hemmschwellen herab. Schließlich unterstützte die deutsche Musik die Täter in ihrem Machtrausch, wie sie die Ohnmacht der Opfer noch unterstrich. Der beliebte Doppelnutzen von lauter Musik – Übertönen von Leidensschreien oder Schüssen bei gleichzeitiger Ablenkung der Täter von eigenen Verbrechen – kam auf besondere Weise zum Tragen bei der sogenannten „Aktion Erntefest“, bei der die 40.000 verbliebenen Juden des Distrikts Lublin durch Mitglieder der SS und des ReservePolizei-Bataillons 101 ermordet wurden. Allein in Majdanek wurden in Gruben, die die Opfer selbst ausheben mussten, 18.000 Juden und Jüdinnen erschossen. Dieser Massenmord war zugleich ein „musikalisches Inferno“. Beim örtlichen Propagandaamt hatte man sich Lautsprecheranlagen ausgeliehen, die an Masten oder Wachtürmen befestigt wurden. Der Lärm aus den Lautsprechern – fröhliche Tanzmusik in voller Lautstärke – übertönte die Schussserien und fungierte gleichzeitig als Stimulus für die Mörder. Als für Massenmorde besonders geeignet wurden martialische Titel oder heitere Tanzmusik empfunden. So ertönten bei der „Aktion Erntefest“ in Majdanek aus den Lautsprechern Foxtrotts, Tangos und Walzer, wie etwa der „Tango Milonga“ und „An der schönen blauen Donau“. Musik war also integraler Bestandteil der tödlichen Rationalität, des „geometrisch konzipierten Irrsinns“ (Primo Levi) des Lagers. Sie war Kontrollinstrument, Quelle des Amüsements und Ablenkung für die Henker, Mittel zur Täuschung der Außenstehenden sowie der Opfer über ihr Schicksal. Aber auch eine weitere Facette verdient Beachtung: Shirli Gilbert verweist in ihrer Studie Music in the Holocaust3 auf das Argument des britischen Historikers Michael Burleigh, wonach man im Dritten Reich besorgt war, dass die SS-Mörder nicht zu weit vom Pfad des menschlichen Anstandes abweichen, „they were not to walk on the wild side“. Es sei viel eher darum gegangen, selektive Unabhängigkeit von Moral zu installieren, als halbmenschliche Raubtiere zu entfesseln. Obwohl von den Handlangern erwartet wurde, abnorme Dinge zu tun, sollten sie dennoch so „normal“ wie möglich bleiben. Ein Baustein in diesem komplizierten psychologischen Mosaik ist der Umstand, dass sich die SS-Täter in einzelnen Aspekten des Lagerlebens, etwa im gutmütigen Umgang mit ihren Familien, die meist im Areal wohnten, ihren „Anstand“ bewahren konnten. Die Historikerin

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Karin Orth bestätigt, dass sich „anständiges“ Verhalten und Massenmord nicht widersprachen, sondern in einer untrennbaren Wechselbeziehung standen. An diesem Mechanismus hatte auch Musik ihren Anteil, die die Täter einerseits dazu nutzen konnten, sich von ihren Taten abzulenken, und andererseits dazu, ebendiese trotz aller Widersprüche unter ein kultiviertes, „zivilisiertes“ Paradigma zu setzen. Lauschte man den Klängen des Orchesters, das im besten Falle exquisite deutsche Musik zum Besten gab, vielleicht in Begleitung des eigenen Vorgesetzten, gar der eigenen Ehefrau, dann war – bis auf die Millionen Toten – die Lagerarbeit wie ein Besuch im Konzerthaus; nur am Rande gestört von schwerer Arbeit, die doch letztlich auch nur Dienst an jenem Volke war, das diese großartige Kultur hervorgebracht hatte. Und bei allen menschenwidrigen Grausamkeiten darf nicht vergessen werden, dass dieser spezielle „musikalische Sadismus“ (Aleksander Kulisiewicz) einer authentischen Liebe zur Musik und zur Kunst entsprang: „Auf den Takt legten sie großen Wert. Es mußte militärisch-schneidig und vor allem laut gesungen werden. […] Unseren frisch-fröhlichen Gesang liebten sie sehr, sie konnten nicht genug davon haben“, erinnert sich der Häftling Karl Röder.4 Wer Geschichte nicht als Museum des menschlichen Schreckens begreift, wird angesichts dieser Tatsachen, die sich bestenfalls aufschreiben, auflisten, nie aber wahrhaft verstehen lassen, gemeine Fragen stellen. Was sagt es über Kultur aus, wenn sie sich zum Folterinstrument, zum Vehikel von Demütigung und Schikane befördern lässt? Was, wenn sie sich dafür sogar bedankt, indem sie nichts an Herrlichkeit einbüßt? Die Drecksarbeit bestätigte sie nur in ihrem Glanz. Schon wird das Überleben der Kultur als Beweis für ihre Großartigkeit und diese als Beweis für die Schuldlosigkeit ihrer Anhänger herausposaunt. In Mauthausen wurden die Häftlinge unter anderem mit Beethovens Symphonien als Begleitung zum Terror schikaniert. Ganz dieser Tradition verpflichtet, führten die Wiener Philharmoniker bei einer Gedenkveranstaltung im Jahre 2000, die direkt im Mauthausener Steinbruch stattfand, als Andenken an die Opfer Beethovens Neunte auf. Damen und Herren! Sechs Millionen mögen gestorben sein. Aber etwas viel Größeres, die Kultur, hat sie überlebt …! Heute gilt Kultur – nicht ihre Filialen Diskussionskultur, Esskultur, Flirtkultur, sondern jener große Betrieb, in dem künstlerisches Potenzial zur Befriedigung des Distinktionsbedürfnisses höherer Schichten eingespannt wird – als Mitstreiterin im Kampf gegen den Siegeszug des Rechtspopulismus. Kunst und Kultur sollen die Gegenspieler von gesellschaftlicher Verrohung sein. Als Gewährsmann dieser komfortablen These wie gerufen kommt Franz Suchomel, SS-Unterscharführer und in den Lagern Treblinka und Sobibór mit der Vernichtung von Juden befasst: „Herr Vorsitzender, die ganzen Jahre bis zu meiner Verhaftung spielte ich in unserer Kirchenkapelle Fagott – immer unentgeltlich.“5 Unter anderem mit diesen Worten rechtfertigte sich der deutsche Schneidermeister für seine Verbrechen. Ein Erfolg der Kunst: Die Auseinandersetzung mit dem Fagott hatte seinen Charakter derart kultiviert, dass er sich für seine Taten

Paul Schuberth

4 Karl Röder (1985): Nachtwache. 10 Jahre KZ Dachau und Flossenbürg (= Dokumente zu Alltag, Politik und Zeitgeschichte, Bd. 8), Wien: Böhlau, S. 113.

5 Richard Glazar (1992): Die Falle mit dem grünen Zaun. Überleben in Treblinka. Mit einem Vorwort von Wolfgang Benz, Frankfurt am Main: Fischer TBV, S. 188; zitiert nach: Guido Fackler (2000): „Des Lagers Stimme“. Musik im KZ. Alltag und Häftlingskultur in den Konzentrationslagern 1933 bis 1936, Bremen: Edition Temmen, S. 368.

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nun furchtbar schämte und sie vor Gericht gar nicht zu gestehen wagte. So wie Suchomel darauf pocht, dass die Beihilfe zum Verbrechen eigentlich mit seinem musikalischen Talent gegengerechnet werden müsste, werden dereinst Politiker, die sich durch Abschiebungen in Kriegsländer der modernen Variante dieser Beihilfe schuldig machen, mit dem Hinweis aufwarten, immerhin den Kultursprecher ihrer Partei zur Premiere des neuen kritischen Burgtheater-Stückes über Asylpolitik geschickt – und anschließend nicht einmal das Kulturbudget gekürzt zu haben. Nicht ein unstatthafter Vergleich zwischen der Zeit des Nationalsozialismus und der heutigen Zeit ist der Sinn dieser Übung, sondern die Erkenntnis, dass die Fratze der Kultur im Extremfall und das freundliche Antlitz der Kultur im Normalfall zum selben Gesicht gehören. Zwei Aggregatzustände derselben Sache. Vergangenheit lebt weiter, doch nicht nur als Rohstoff für wohlfeile Erinnerungskultur. Sie lebt weiter als reales Potenzial, das an unsere vermeintlich sicheren Tore klopft. Dem Klopfen wird die Bedrohlichkeit genommen, indem zu dessen Takt Opern inszeniert, Musicals aufgeführt, Popfestivals gefeiert und Theaterstücke inszeniert werden. Auf dass sich Vergangenheit nicht zur Zukunft aufschwinge, muss die gegenwärtige Funktion von Kultur untersucht werden – was ohne den Bezug auf die scheinbar vergangene nicht zu denken ist. Diese Idee von der unbeugsamen Strahlkraft von Kunst und Kultur begegnet mir immer wieder in den unterschiedlichsten Situationen. Ich halte sie sowohl auf der gesellschaftlichen als auch auf der persönlichen Ebene für gefährlich. An einigen Beispielen will ich das verdeutlichen. Meine Heimatbundesländer Oberösterreich und Niederösterreich gelten im Bereich der Kulturpolitik vielen meiner Freunde als vorbildhaft. Polemisch könnte man den spezifischen Kern dieser Politik so beschreiben: Für ernste, zeitgenössische und subversive Kultur werden gerade so viel Fördergelder ausgeschüttet, dass aus der Szene den Verantwortlichen nichts Böses nachgesagt werden kann, und gerade so wenig, dass es keinen rechten Aufstand gibt. Die eigentliche Motivation muss uns dabei gar nicht interessieren. (Wobei eine mögliche die folgende wäre: „Bevor der Nitsch mich anpatzt, stelle ich ihm ein Museum hin, wo er seine Leinwände anpatzen kann.“) Dass die Künstler gar nicht im Sinn haben, Politiker anzupatzen, beweisen die vielen Loyalitätsbekundungen. Der linke Schriftsteller Peter Turrini nennt Erwin Pröll mittlerweile seinen Freund; Josef Pühringer wiederum durfte sich anlässlich seines Rücktritts als Landeshauptmann und Kulturreferent über ein Video freuen, in dem Lehrende und Studierende der Anton Bruckner Privatuniversität Linz mit einem zwanzig Mal wiederholten „Danke, Josef!“ sich selbst ihrer Unterwürfigkeit versicherten. Pühringer bewies als aktiver Kulturreferent seine humanistische Intention mit einer einfachen Kosten-Nutzen-Rechnung, die als prophylaktische Rechtfertigung für eine als überzogen empfundene Kulturförderung diente: „Kultur kostet Geld, Unkultur kostet noch mehr!“ Zwei Lesarten dieses inoffiziellen Mottos drängen sich auf. Bei der ersten Variante, der

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rücksichtsvollen, ist „Unkultur“ mit „Fehlen von Kulturförderung“ zu übersetzen: Fördert ruhig die Dichter und Musikanten, die Intendanten und Dramaturgen! Denn sie werden, anstatt es uns heimzuzahlen, brav zurückzahlen und den Wirtschaftsstandort Oberösterreich in einen Kulturstandort ausbauen. (Das Alleinstellungsmerkmal, sich nach wie vor gegen die Verlegung von sogenannten Stolpersteinen zu wehren – im Boden verlegte Namenstafeln, die an ermordete Juden und Jüdinnen erinnern sollen –, macht aus Linz schließlich noch kein attraktives Touristenziel.) Mit Anton Bruckner und Philip Glass, mit Musiktheater und Lentos-Museum hat man dem Südburgenland und dem Böhmerwald einen Standortvorteil voraus, den es zu nützen gilt. Zum Rädchen im gut geschmierten Kulturwerk degradiert zu werden macht den Künstlern nichts aus, da es kaum Erhebenderes gibt, als sich nicht nur im Namen der Freiheit, der Kunst und des guten Geschmacks, sondern auch im Namen der positiven Bilanz des Heimatbundeslandes selbst zu verwirklichen. Eine Funktion dieser Variante von Kulturpolitik ist die Neutralisierung der Kunst. Ernsthafter, kritischer Kunst kommt dann neben der Rolle als Touristenmagnet die Aufgabe zu, für ein scheinbar progressives kulturelles Klima zu sorgen, einen kulturellen Schleier hochzuziehen, hinter dem wieder unbeobachtet und ungestört Zelte von Roma-Familien abgefackelt, Obdachlose und Bettler schikaniert und Straßenmusiker drangsaliert werden können, Landeshauptmänner Rechtsextremen-Bälle besuchen dürfen und völkische Medien und Vereinigungen mit Fördergeldern überhäuft werden. Die Mindestsicherung für anerkannte Flüchtlinge wird gekürzt? Ich bitte Sie, verschweigen Sie doch nicht die fünfhundert Euro, die wir diesem migrantischen Theaterprojekt zugeschossen haben! Die Gelder für Frauenberatungsstellen werden gestrichen? 2 Prozent der eingesparten Summe haben wir aber in eine Off-Theater-Produktion über Feminismus investiert! Es bleibt der Kollateralnutzen, dass die kritischen Künstler, die dank der Kulturförderung ihr prekäres Auslangen finden können, so ihre aufklärerischen Ideen nicht ins Herz der Gesellschaft tragen müssen. Angesichts der allgemeinen Verrohung gaukelt uns der Kulturapparat eine heile Welt vor, in der die üble Welt immerhin noch kritisiert werden darf. Na und, legt uns doch einen Gürtel an, der enger geschnallt werden muss – wir werden uns rächen, indem wir ihm Glitzersteinchen aufkleben und ihn mit bunten Farben anmalen! Die zweite Lesart des erwähnten Bonmots legt nahe, dass „Unkultur“ in schlechten Zeiten auch mit „Kultur, die nicht unsere Kultur ist“ übersetzt werden kann. Was nicht gefördert wird, ist nicht nur nicht förderungswürdig, sondern potenziell bedrohlich: Wenn Unkultur „noch mehr kostet“, wird ihr ein zersetzender Charakter zugeschrieben, der die echte Kultur angreife. Auf der einen Seite haben wir Musiktheater und Brucknerhaus, die zwar viel kosten; auf der anderen Seite steht aber das nicht förderungswürdige Neue-Musik-Festival, die Off-Theater-Produktion, die unabhängige Galerie, die mit Sanktionen belastete Straßenmusik, die uns allesamt gefährlich werden können, selbst, wenn wir sie nicht fördern.

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Kulturförderungen erscheinen dann als Mittel zum Zweck, ein Bollwerk der offiziellen Kultur gegen die vermeintliche Unkultur zu errichten. Wer wie ich einen Landeshauptmann erlebt hat, der am Montag die Ausweitung von Grenzkontrollen zur Handhabung der sogenannten „illegalen Migration“ fordert und am Freitag davon spricht, dass Kultur alle Grenzen überwinden könne, weiß diesen vermeintlichen ideologischen Spagat als lockeres Solo auf der politischen Klaviatur des Pragmatismus zu durchschauen. Dass Kultur immer noch hilft, gesellschaftliche Verrohung und unmenschliche Tendenzen unter ein „zivilisiertes Paradigma“ zu setzen, wird an diesem Beispiel augenfällig. Sicher erkennen das auch die Kulturreferenten: Wie sollte Kultur ihrer edlen Aufgabe der Grenzüberwindung noch nachkommen, wenn sich niemand mehr für die Pflege dieser Grenzen verantwortlich zeigte? Die erwähnten schlechteren Zeiten sind natürlich schon angebrochen. Im Mai 2017 fand in Linz eine Dankesveranstaltung für den scheidenden Landeshauptmann Josef Pühringer statt, bei der unbezahlte Studenten und Studentinnen dem Musikliebhaber seine Lieblingsstücke vortrugen. In Pühringers anschließender Rede fiel der Satz: „Natürlich werde ich auch von Parteikollegen heftig für meinen Einsatz für die Kultur kritisiert. Aber ich sage immer: Ja, lasst mir meinen Vogel!“ Die darauffolgenden Standing Ovations waren schon der Freibrief für Pühringers Nachfolger, künftig diesem Spektakel Einhalt zu gebieten. Dieser ließ sich nicht zweimal bitten. Noch im Herbst desselben Jahres traten drastische Kürzungen im Kulturbereich in Kraft, die die unabhängigen Initiativen, Spielstätten und Vereine viel stärker bedrohten als die großen Häuser. Der darauffolgende Protest war beeindruckend und hatte für die Verantwortlichen den angenehmen Nutzen, öffentliche Aufregung und Diskussion über ebenso einschneidende Kürzungen im Sozialbereich zu überdecken. Die unheilvolle Allianz zwischen Kultur und Identität, die sich schon im Namen der Protestinitiative „#kulturlandretten“ ankündigte, fand ihre Fortsetzung in Presseaussendungen und Aktionen auf der Straße. So wurde in einem Statement der ÖH-Vertretung einer Kunsthochschule betont, dass Kultur doch zur „oberösterreichischen Identität“ gehöre und wichtig für den „Wirtschaftsstandort“ sei, aber kein Wort zu drohenden schlechteren Arbeitsbedingungen und verstärktem Konkurrenzkampf zwischen Kulturschaffenden verloren. Bei Protestmärschen war unter anderem „Wer nicht hüpft, der ist kulturlos“ zu hören, ein Spruch, der sich – ob gewollt oder nicht – an einem Vers orientiert, mit dem RapidFans ihre Mannschaft bei Spielen gegen israelische Teams anzufeuern pflegen: „Wer nicht hüpft, der ist ein Jude!“ Die Liebe zum eigenen Nest, vermittelt durch Kunst und Kultur, ist also längst in den Hirnen und Bäuchen der Kulturschaffenden angekommen. Was sind denn schon meine eigenen Zukunftssorgen gegen das bedrohte kulturelle Prestige meines Heimatbundeslandes? Der Historiker Eric Hobsbawm beobachtete für das 19. Jahrhundert die Strategie, die Ideologie des Nationalismus über den Umweg der Kultur in den Köpfen der

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Menschen zu installieren.6 Möglich, dass sich dieses Verhältnis umkehrt und Kultur nur mehr als gute Miene zum gefestigt bösen Spiel der nationalistischen Ideologie gehalten werden wird. Ein Phänomen, das auch mit der besprochenen Kunst- und Kulturapologie zu tun hat, ist die Gebrauchsutopie. Ich meine damit die Behauptung, dass mit nur etwas Fantasie hier und jetzt Veränderung erreicht werden könnte. Eine effiziente Methode, um sich ernste Kritik an einer Gesellschaftsform, die mit allen Waffen gegenüber wahrer Veränderung gewappnet ist, zu sparen. Sehr beliebt sind Studien, denen zufolge Kunst, Musik und Sport die wichtigsten oder gar die einzig wichtigen Schulfächer sind. Dass ich das zufällig selbst auch glaube, tut nichts zur Sache. Wichtig sind die möglichen Konsequenzen einer solchen Bildungspolitik: lauter hochbegabte Cellisten, die nicht in der Lage wären auszurechnen, dass ihre Monatsgage nicht reicht, um die Miete zu bezahlen. Kreative, hochempathische Menschen würden sich gegenseitig bedauern, einer unmenschlichen Wirtschaftsmaschinerie unterworfen zu sein, um sich so das Leben etwas erträglicher zu machen – während sich heute egozentrische, verständnislose Menschen nicht gegenseitig bedauern, einer unmenschlichen Wirtschaftsmaschinerie unterworfen zu sein, und sich so das Leben zusätzlich schwer machen. In beiden Fällen aber bleibt der Weg zu einer Gesellschaft, in der derlei Empathie gar nicht mehr nötig wäre, versperrt. Das Wissen, das die Menschen dazu befähigt, als Produktions- und Konsumptionsvariable zu genügen, ist gleichzeitig der Wegweiser zur Möglichkeit, diesen schlechten Zustand aufzuheben. Immer, wenn mir jemand von der Macht der Kreativität erzählt, muss ich an den lustigsten moralischen Imperativ aller Zeiten denken: „Bleib unangepasst!“ Ob dieses belegte Zitat vom Spektakelkapitalisten Steve Jobs oder vom fantastischen Revolutionär André Heller stammt, kann ich nicht mehr sagen. Sagen kann ich aber, was diese approbierten Querdenker damit bezwecken: das immer und überall wirklich vorhandene kritische Potenzial in vorbereiteten subversiven Freiräumen einzusperren. Das kreative, kritische Potenzial muss bewahrt werden, rufen sie, auf dass es nie ausbreche und sich einlöse, muss ergänzt werden. Karl Kraus hat die Sozialdemokratie eine „staatlich approbierte Institution zur Verschwendung revolutionärer Energien“ genannt. Diese Rolle kommt heute dem Kulturapparat zu, weil die dort Engagierten ihr revolutionäres Selbstbild immerhin noch aufrechterhalten können. So behaupten Künstler und Fantasten gerne, ihr Produkt sei Sand im Getriebe. Dabei übersehen sie, dass in dieser Welt beinahe nichts existiert, dass sich nicht zum Nachteil der meisten verwerten ließe. Der Sand verwandelt sich durch den ungeheuren Druck dieses Getriebes in Glas, aus dem wiederum schöne Glasengelein und -einhörner geformt werden. Fantasie wird dann in dieser erstarrten Form verscherbelt, um die Kundschaft davon abzulenken, dass auf ihr derselbe Druck lastet. Übrig bleiben großartige Künstler und Künstlerinnen, deren Unangepasstheit als Produkt, als willkommene Ablenkung vom eintönigen Leben in einer

Paul Schuberth 6 Eric Hobsbawm (2010): „Kultur als Getto“, in: ders.: Zwischenwelten und Übergangszeiten. Interventionen und Wortmeldungen, hg. von Friedrich Martin Balzer/Georg Fülberth, 2. Aufl., Köln: PapyRossa, S. 23–31.

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durchorganisierten, „verwalteten“ (Adorno) Welt akzeptiert wird; deren Unangepasstheit aber auch eine Blaupause für neue Arbeitsverhältnisse abgibt. Nicht aus Berechnung fordert Steve Jobs Unangepasstheit, sondern aus Idealismus – für sein Geschäft. Unangepasste arbeiten nicht für Lohn, sondern für die Sache, und geregelte Arbeitszeiten sind ihre Sache nicht. Unangepasste engagieren sich nicht in Gewerkschaften, weil sie sich in ihrer Selbstausbeutung, die sie als Selbstbestimmung interpretieren, nicht beschneiden lassen wollen. Dass Kultur einen so guten Ruf hat, liegt an der Verwechslung ihrer objektiven Funktion mit den subjektiven Vorstellungen und Intentionen der Künstlerinnen und Künstler. Ihnen wird zugestanden, im schlimmsten Fall nur das Leben der Menschen verschönern zu wollen, im besten Fall die Welt zu durchschauen, wie es niemand sonst kann, ihr den Spiegel vorzuhalten und mit unermüdlichem Einsatz zu ihrer Verbesserung beizutragen. Zufällig ahne ich aber aus eigener Erfahrung, dass das Künstlerleben – stundenlanges Üben derselben Tonabfolgen oder Textzeilen; die jahrelange Beschäftigung mit sich selbst; die permanente Angst, in einem Gebiet, in dem Ranglisten vollkommen widersinnig sind, von einem anderen übertrumpft zu werden –, dass also das typische Künstlerleben dem eigenen gesellschaftlichen Bewusstsein nicht besonders dienlich ist. Glücklicherweise hat der peruanische Philosoph José Carlos Mariátegui mein Bauchgefühl schon im Jahr 1925 auf eine materialistische Formel gebracht: „Der Arbeiter fühlt sich in seiner Arbeit ausgebeutet. Der Künstler aber fühlt sich unterdrückt in seinem Genie, eingeschränkt in seinem Schaffen, betrogen in seinem Anspruch auf Ruhm und Glück.“ Denn keine Mitglieder irgendeiner anderen Berufsgruppe sind derart vereinzelt und doch so in einen Verdrängungswettbewerb verstrickt, in dem dazu das materielle Privileg eine so bedeutende Rolle spielt. Wer nicht auf Unterstützung durch das begüterte Elternhaus bis weit über das dreißigste Lebensjahr hinaus bauen kann, hält sich mit Zweit- und Drittjobs über Wasser. Doch allen KünstlerInnen ist der Zwang zu einer Mitgliedschaft in einer neuen Art von Lumpenproletariat gemeinsam. Im einen Fall verhindert die prekäre, zersplitterte, „flexible“ Lebenssituation die Bildung eines Bewusstseins der eigenen sozialen Lage und jener der KollegInnen, im anderen das Gefühl der relativen materiellen Absicherung. In beiden Fällen ist es aber das selbstlose Aufgehen in einer höheren Sache, das Sich-in-den-Dienst-Stellen der künstlerischen Verwirklichung, das einen produktiven Egoismus verhindert, einen Egoismus, der für die eigenen Rechte einstünde. Einen Egoismus, der erkennen würde, dass Fahrtgeld und ein Essen für drei Stunden Hintergrundmusik, dass 200 Euro für drei Wochen Tanzengagement, dass 800 Euro für einen Monat Theaterarbeit einfach ein abzuschaffender Skandal sind. Einen produktiven Egoismus, der in sozialen Widerstand übergehen könnte. Doch dieser Widerstand verlässt das Übezimmer, die Bühne, die Buchseite nicht und wird höchstens als Image, als unique selling point einzelner Künstler und Künstlerinnen konsumierbar gemacht. Dazu hat Hermann L. Gremliza

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festgestellt: „Der Intellektuelle, der sich durch Aufsässigkeit bemerkbar macht, nennt doch immer zugleich den Preis, für den er zu haben ist.“ 7 Bei vielen meiner Kolleginnen und Kollegen würde ich mir wünschen, dass sie zumindest ihren Preis nennen würden, so sehr überlagert ein toxischer Idealismus die materiellen Bedürfnisse. Warum dieses Selbstbewusstsein, auch als Vorstufe zu gesellschaftlichem Bewusstsein, verlorengeht, hat auch mit der Rolle der Kunstuniversitäten zu tun. Wenn ich jetzt nur von meinem Metier rede, der Musik, dann bitte ich, mir das nachzusehen. Ich habe den Eindruck, dass die Musikuniversitäten so tun, als herrschte überall noch die Orchesterdichte der ehemaligen DDR. Meinem Empfinden nach – und besonders engagierte Lehrende bestätigen mir meine Einschätzung – haben die Universität im Allgemeinen und die Hauptfachprofessoren und -professorinnen im Speziellen gegenüber den Studierenden auch eine soziale Verantwortung. Warum? Studierende wüssten doch, wofür sie sich entschieden haben und was auf sie zukommt? In der Sphäre der Musik stimmt das aber nicht immer. Um Musik studieren zu können, muss man keine Hochschulreife vorweisen. Viele angehende Musiker üben ihr Hobby deshalb bereits seit der frühen Jugend als Vollzeitjob aus. Die enge Verflechtung mit Kunst bedingt einen anderen Bezug zur realen Welt, als ihn Jugendliche haben, die sämtliche Dummheiten und Großartigkeiten anstellen können. Die viel zitierten „sozialen Kompetenzen“ leiden darunter. Solidarität ist keine Selbstverständlichkeit, und sie kann sich erst recht dort nicht entwickeln, wo einen an den Händen des anderen mehr interessiert, wie sie sich auf den Saiten und Tasten bewegen, als dass sie auch einmal etwas Essbares in die Finger bekommen. Außerdem kommen viele junge Menschen aus dem Ausland nach Österreich, da sie hier das künstlerische Paradies erwarten, finden aber eine Realität vor, welche ihnen statt des sicheren Orchesterplatzes eine Saisonarbeit in Salzburger oder Bad Ischler Touristenorchestern verschafft. Sprachbarriere, Alternativlosigkeit und der auch im Kulturbetrieb grassierende Rassismus sind die Gründe dafür, warum auch sie sich kein Gehör über ihre Lage verschaffen können. „Multikausal“ würden also Wissenschaftler den Umstand nennen, dass Künstler viel eher als andere bereit sind, schlechte Arbeitsbedingungen und Gagen zu akzeptieren. Indem die Kunstuniversitäten Studienplätze vergeben, als herrschte neben dem Pflegekräftemangel auch ein Künstlermangel,8 tun sie diesen jungen Frauen und Männern nichts Gutes. Ich klinge weniger wie ein arroganter Menschenfeind, wenn ich betone, wer oder was von dieser Praxis alleine profitiert. Es ist die neue Bankfiliale, die sich unter Hunderten das billigste Streichquartett für die Eröffnungsfeier aussuchen kann; es sind die Wiener Linien, die Musiker für Hutgeld anstellen können; es ist der Besitzer eines Nobelrestaurants, der dem Klavierspieler anweisen kann, unentgeltlich noch eine Stunde weiterzuspielen, weil vor der Tür schon die drei Alternativen warten. Ganz unberührt lässt es die Universitäten nicht, zumal nun auch die bürgerliche Presse auf das Elend der in Klassik und Jazz ausgebildeten

Paul Schuberth 7 Hermann L. Gremliza (2016): Haupt- und Nebensätze, Berlin: Suhrkamp.

8 Ich kann nicht anders, als diese Meldung zu erfinden: „Das Bundeskanzleramt prognostiziert für 2021 für die Bezirke Lilienfeld, Dornbirn und Eisenstadt-Umgebung einen dramatischen Künstlermangel in den Bereichen Experimentelle Computermusik, Glasmalerei und Akkordeonorchester.“

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9 Sophie Wasserscheid: „Nach uns die Sintflut. Ein Blick auf die künstlerische Ausbildung an deutschen Musikhochschulen mit der Musikforscherin und Oboistin Esther Bishop", in: VAN Magazin 169, https://van. atavist.com/post-musikstudium.

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Musiker und Musikerinnen aufmerksam wird. Die Institutionen reagieren, indem sie theoretische und künstlerische Fächer schleifen – dafür aber Kulturmanagementlehrgänge anbieten und Fächer einführen, in denen man lernt, was denn beim Anpreisen und Verkauf der eigenen Person am wichtigsten sei. (Kleiner Tipp: Die Kunst ist es nicht.) Bequem, denn am Schluss lässt sich die Schuld für fehlenden Erfolg den Musikern und Musikerinnen in die Auftrittsschuhe schieben, wie es auch die „Musikforscherin“ Esther Bishop in einem Interview tut: „Vielen Studierenden wird das Bedürfnis dieser sogenannten ‚Service-Fächer‘ erst bewusst, wenn sie nach dem ersten Probespiel merken, dass nicht die ganze Welt auf sie gewartet hat.“9 Die Welt vielleicht nicht, aber die Stadt, das Land und der Staat vermitteln dem Künstler durchaus das Gefühl, auf ihn zu warten. So könnte man die immer noch beachtliche Anzahl an Ausschreibungen für Förderungen, Stipendien und Preise interpretieren. Thomas Bernhard verachtete staatliche Kunstförderung, weil er seinen Erfolg am Markt allein großem Talent und harter Arbeit zuschrieb. Ich kritisiere diese Förderungen von der anderen Seite. Die Wahrheit ist, dass Staat und Markt gar keine Gegenspieler sind. Das Wort „Kunstförderung“ ist vom Flair eines sozialdemokratischen Humanismus umgeben, weswegen von den Konkurrenzkämpfen, die sich um die Ausschreibungen zutragen, niemand spricht. Auch hier gibt es Gewinner und Verlierer. Die Förderungen suggerieren jungen Künstlerinnen und Künstlern, dass es keinen objektiven Grund gebe, es nicht zu schaffen. So hangelt man sich voller Hoffnung vom rettenden Strohhalm zum nächsten und hält sich damit gerade noch unter Wasser. Die Preise und Stipendien sind natürlich genau so dotiert, dass man einerseits nicht aufgibt, selbst wenn man zu den Verlierern gehört, andererseits aber auch nicht würdig davon leben kann, wenn man zu den Gewinnern gehört. Das Leben als Künstler ist eine permanente Zwickmühle. Spott über den, der das für die beste Quelle kreativer Energie hält! Im Laufe meiner Beschäftigung mit Musik im Konzentrationslager ist mir aufgefallen, dass viele interessierte Menschen Kunst und Gewalt als größten Widerspruch auffassen. Der Kunstaffine, der Mozart wahrhaft liebt, und der Henker, der mit lauten Klängen Mozarts ein Massaker an sowjetischen Offizieren übertönen lässt, können nicht als ein und dieselbe Person begriffen werden. Wer die Feinheiten der schönsten Symphonien versteht, muss doch auch im realen Leben jeglichen Grobheiten abgeneigt sein. Parallel dazu könnten auch diese Behauptungen aufgestellt werden: Wer Sex liebt, also für Zärtlichkeit anfällig ist, kann kein ungestümer Bankräuber sein! Wer gerne gut isst, also einen Sinn für Genuss hat, wird nie zum gemeinen Lebensmittelspekulanten aufsteigen! Anders als Sex und Essen kann die Beschäftigung mit Kunst und Kultur aber dazu dienen, sich selbst für besser zu halten, als man tatsächlich ist. Nicht nur auf persönlicher Ebene funktioniert dieser Trick. Eine anerkannte Kulturnation muss sich für solche Aspekte ihrer Existenz nicht rechtfertigen, die

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nicht kultiviert, sondern barbarisch sind. Dass der Spielplan des Theaters großartig ist, der Saal gefüllt, die Schauspieler ausgezeichnet, gilt schon als Ausweis höchster gesellschaftlicher Entwicklung. Als Gegenbeweis reichte bloß ein Blick auf den Platz hinterm Theater, von dem Obdachlose und Junkies mit klassischer Musik vertrieben werden – wie es in einigen europäischen Städten bereits Usus ist. Natürlich wollen wir Künstlerinnen und Künstler die Welt verbessern. Aber unsere Vorstellung, das auch wirklich zu können, hindert uns daran. Ein eindrückliches Beispiel dieses Versuchs ist ein Projekt des Ensembles Klangforum Wien. Happiness Machine beschäftigt sich mit den Schattenseiten unseres Wirtschaftssystems und diskutiert Alternativen. Das ist großartig – und hat trotzdem Anteil an einer fatalen Entwicklung: der Verschiebung der gesellschaftlichen Utopie in die kulturelle Sphäre. Was im realen Leben nicht mehr versprochen wird, wird in der Kultur eingelöst. Und wie? Als multimediales Spektakel, das alle Sinne ergreift, also benebelt. Der deutsche Theoretiker Roger Behrens beschreibt, wie das Spektakuläre das Spekulative verdrängt und damit Utopie liquidiert. Der Philosoph Theodor W. Adorno wiederum konstatierte: „Bis heute realisieren die Utopien sich bloß, um den Menschen die Utopie auszutreiben und um sie aufs Bestehende und aufs Verhängnis desto gründlicher zu vereidigen.“ 10 Adorno schrieb diese Worte angesichts des Siegeszuges des Fernsehens. Er konnte noch nichts ahnen von der unheilbringenden Symbiose zweier Ungetüme, dem Kulturfernsehen. Kulturmagazine, Literaturtalkshows und Kabarettsendungen reißen sich alle politischen und sozialen Themen unter den Nagel, mit dem sie nichts Besseres anzufangen wissen, als ihn dauernd auf den Kopf zu treffen. Armut und Unterdrückung gehören längst zum Themenpool, aus dem das Kulturfernsehen zur besten Sendezeit die besten Geschichten schöpft. Mit der Folge, dass ökonomische Probleme als kulturelle, soziale als ästhetische erscheinen und Gesellschaftskritik die Menschen nur mehr durch den Filter der Kulturindustrie erreicht. Damit befindet sich die Kultur im Gleichschritt mit einer umfassenderen Tendenz. Sowohl die konservativen als auch die ehemals linken Parteien sind in ökonomischen Belangen nach rechts gerückt. Der Begriff „links“ wird seiner ökonomischen Bedeutung beraubt und nur mehr mit gesellschaftlichem Liberalismus identifiziert. So wird der Widerspruch zwischen Wohlfühlhumanist und Anti-Humanist als der größte und einzige imaginiert, obwohl dieser nach wie vor nur ein Resultat aus jenem zwischen arm und reich, Besitzendem und Besitzlosem ist. Jahrzehntelange neoliberale Ideologisierung durch Schund- wie Qualitätsmedien haben das gesellschaftliche Bewusstsein der Menschen derart heruntergewirtschaftet, dass die Bruchlinie in der Gesellschaft jener in der ZEIT-Redaktion gleicht: „Seenotrettung – ja oder nein?“11 Linke spielen dieses Spiel mit und tun so, als stellte sich diese Frage wirklich. In diese Diskussion einzusteigen ist aber schon der erste Schritt zur Barbarei. Und doch lassen sich „linke“ Parteien gerne darauf ein, weil der Hass von rechter Seite –

Paul Schuberth

10 Theodor W. Adorno (2003): „Prolog zum Fernsehen“ (1953), in: ders.: Kulturkritik und Gesellschaft. Gesammelte Schriften in 20 Bänden, Bd. 10/2, hg. von Rolf Tiedemann, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 507–517.

11 Caterina Lobenstein/ Mariam Lau: „Seenotrettung – Oder soll man es lassen? Ein Pro und Contra“, in: Die Zeit 29, 12. Juli 2018.

Der Kultur auf die Schliche

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so energisch, als stünde schon morgen die Errichtung der Diktatur des Proletariats an – billiger nicht zu haben ist. Wer sich mit so einfachen Mitteln der Verachtung der Rechten sicher sein kann, ja dabei nicht einmal konsequent antirassistisch sein muss, kann die Forderung vom schönen Leben für alle, ach was: kann die Erhöhung der Mindestsicherung aus dem eigenen Programm streichen. Eine künftige, sozialdemokratisch dominierte Regierung, die ein Festival für persische Musik anstatt eines Andreas-Gabalier-Tribute-Konzerts einer Blaskapelle förderte, würde als „linksgrünversifft“ so gehasst werden, als setzte sie sich konsequent für die Rechte von Flüchtlingen ein. Ersteres, die Kulturförderung, ist der einfachere Weg, womit zweites vom Tisch wäre.

Arne Vogelgesang Wer hat das Wort? Einige Gedanken zur Politik des demokratischen Gesprächs

223 Anmerkung: Dieser Text folgt weder wissenschaftlicher Methodik noch Zitierpraxis. Ich referenziere nur Primärquellen, zumeist aus dem Internet, und dies nicht erschöpfend. Meine Perspektive ist die eines hauptsächlich in der BRD arbeitenden und lebenden weißen Künstlers.

1 Laut einer Pressemitteilung des verantwortlichen Generaldirektors der EU-Kommission, Stefano Sannino, sollte die Figur einen Meister der südindischen Kampfkunst Kalaripayattu darstellen. Tatsächlich handelte es sich eher um eine verschiedene Orient-Klischees vermischende Fantasie, deswegen verwende ich hier dieses Attribut. 2 Die Pressemitteilung zu dem Vorfall war veröffentlicht im Pressebereich der entsprechenden Abteilung der EU-Kommission unter der URL http://ec.europa. eu/enlargement/press_ corner/whatsnew/ news/120306_en.htm. Mittlerweile sind alle Kommunikationen vor 2015 dort gelöscht, ein Re-Upload des Videos mit dem Text der Pressemitteilung findet sich aber z. B. unter https:// www.youtube.com/ watch?v=dkGtQ6khnaA (11.7.2019). 3 Sannino in der erwähnten Pressemitteilung: „The clip […] ended with all characters showing their mutual respect, concluding in a position of peace and harmony.“

Die Gesellschaft der Redenden

Im Februar 2012 verbrannte die EU eine Viertelmillion Euro mit einem Werbespot. Das auf junge Erwachsene ausgerichtete Video zeigte eine weiße Frau in blau-goldenem Sportdress, dessen Design dem populären Hollywood-Rachefilm Kill Bill entlehnt worden war. Die Handlung des achtzigsekündigen Clips: In einer leeren Lagerhalle wird die Protagonistin nacheinander von einem plötzlich von der Decke springenden und Kung-Fu-Tritte austeilenden chinesischen, einem über den Boden heranschwebenden säbelschwingenden orientalischen1 und einem die Tür eintretenden und Capoeira tanzenden schwarzen Mann konfrontiert. In Antwort auf ihre Bedrohung durch die drei Fremden atmet sie tief ein, streckt die Arme zu Seite und klont sich elf Mal zu einem Kreis um die Angreifer. Die so plötzlich von einer Überzahl Umzingelten stecken ihre Waffen ein und lassen sich gemeinsam mit den zwölf goldenen Klonfrauen in einem Sitzkreis nieder, in welchem sich die drei Aggressoren buchstäblich in Luft auflösen, während die Klone sich in die Sterne der EU-Flagge verwandeln. Nach vehementen Protesten wegen rassistischer Stereotype zog die EU-Kommission den Clip mit dem Titel Growing Together eine Woche nach Veröffentlichung zurück.2 Das Video wandelte die kulturelle Trope, nach den verheerenden Weltkriegserfahrungen des 20. Jahrhunderts in Europa Konflikte lieber auf nicht-kriegerische Art zu lösen, in ein Selbstbild zivilisatorischer Überlegenheit um. Die von der Rückspiegelung ihrer eigenen rassistischen Assimilationserzählung überraschten Videomacher hatten dabei vor allem diese eine Botschaft avisiert gehabt: Wenn wir nur alle friedlich und als Freunde miteinander reden, dann lösen sich unsere Konflikte in Harmonie auf.3 Der doppeldeutige Slogan am Videoende lautete: „The more we are, the stronger we are“, und die Ambiguität von gepriesener Assimilation des Fremden in einer weißen Klongesellschaft und Bekräftigung des Zusammenstehens gegen äußere Bedrohungen war Programm: Mit dem Video sollte für die Osterweiterung der Festung Europa geworben werden. Das kulturelle Motiv einer pluralen Gesellschaft der miteinander und sich selbst identischen Redenden bemäntelte nicht nur die diplomatischen Machtkämpfe der EU-Mitgliedsstaaten und die kapitalistische Konkurrenzlogik ihrer Gesellschaften, es bildet tatsächlich einen nicht unerheblichen Teil des Selbstverständnisses zivilgesellschaftlicher Initiativen, Unternehmungen kultureller Bildung und auch der Kunstproduktion und -förderung: Das Stimme-Geben, das Zu-Wort-Bringen und im Weiteren die plurale Aufstellung und In-Kurs-Setzung von möglichst diversen Äußerungen und Erzählungen – so das Narrativ – garantiert und befördert die Weiterentwicklung ebenso wie die Stabilität „unserer Demokratie“. Die Repräsentation der am Gespräch Beteiligten als möglichst ähnlich oder möglichst unterschiedlich variiert dabei je nach Kontext und sozioästhetischen Prämissen.

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Zum „Wir“ dieses großen Diskurses gehören dabei all und nur jene, die sich an die „Spielregeln der Demokratie“ halten. Gewöhnlich wird es als unnötig betrachtet, zu explizieren, was genau denn diese Regeln des demokratischen Spiels seien. In der BRD sind damit im Zweifelsfall die in den ersten 19 Verfassungs-Artikeln niedergelegten Grundrechte gemeint, auch wenn diese zum größeren Teil eigentlich das Verhältnis von Staat und Bürger*innen regeln sollen und nicht das Verhalten der Letzteren untereinander. Der Verweis auf besagte „Spielregeln“ fungiert deswegen oft als Ordnungsruf, der das Einschreiten der Exekutive androht. Jenseits dieses Ernstfalls ist die Auslegung der diskursiven Regeln im kulturellen Raum jedoch nicht zuletzt wegen ihres normativen Charakters Gegenstand eines ständigen Metadiskurses, der sich durch alle möglichen performativen Genres windet – von der Moralität über das Spiegelfechten bis zur Clownerie. Apologet*innen des Großen Gesprächs stellen in der Regel die Möglichkeit von Teilhabe am gesellschaftlichen Geschehen durch Teilnahme an der öffentlichen Rede über dieses Geschehen als seinen Hauptwert heraus. In der verkürztesten Form wird das organisierte Reden von Bürger*innen so als eine Art rituelle Ableitung des parlamentarischen Disputs verstanden – als ein Akt demokratischer Vorstufenpolitik, der legislative Macht durch die diffuse therapeutische oder pädagogische Hoffnung ersetzt, die Beteiligten und ihr Publikum kämen durch das gemeinsame Gespräch zu mehr Verständnis von- und Respekt voreinander. Reden wird hier zu einem pazifizierenden Vorgang, in dem es weniger eine Rolle spielt, worüber konkret gesprochen wird, sondern an dem wichtig vor allem ist, dass es geschieht. Um dieses Konzept herum hat sich eine ganze Industrie der Gesprächsproduktion und -kuratierung entwickelt. Neben den Institutionen der „4. Gewalt“ wie Zeitungsdebatten und Talkshows entstammen die entsprechenden Formate dafür mehrheitlich privatwirtschaftlichem Personalmanagement: In „Open Spaces“, „World Cafés“, „Barcamps“, „Zukunftswerkstätten“ oder „Marktplätzen der Ideen“ üben seit den 80er Jahren die Teilnehmenden strukturierte Gesprächsoffenheit und eine Art demokratisches Feeling ein, in dem das ubiquitäre Konkurrenzverhältnis des Marktes sich so weit in die Organisationsform selbst zurückzieht, dass Raum für eine New-Age-Aura allgegenwärtiger Akzeptanz entsteht. Jenseits ihrer jeweiligen Ziele und Ergebnisse fungieren solche spielerischen Technologien vor allem als Verfahren zur Einübung von Selbststeuerung innerhalb eines marktdemokratischen Rahmens: Gespräch als Management. Dies soll nicht heißen, dass die jeweiligen Ausprägungen des organisierten Miteinander-Redens nicht zugleich große Unterschiede aufweisen würden. Zwischen den agonistischen Spektakeln der großen Talkshows und der wertschätzenden Konsensdemokratie linker Neigungsgruppen liegen ebenso Welten wie zwischen der Beliebigkeit vieler Open Spaces und den ordnungspolitischen Ansprüchen an „Reallabore“. 4 Auch ob

Arne Vogelgesang

4 Siehe zu Letzteren das Dossier des deutschen Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie unter https://www. bmwi.de/Redaktion/DE/ Dossier/reallabore-testraeume-fuer-innovation-und-regulierung. html (7.7.2019).

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Wer hat das Wort?

ein mittels entsprechender Werkzeuge gestalteter politischer Partizipationsprozess letztlich tatsächliche Teilhabe der Bürger*innen am Entscheidungsprozess bedeutet oder nur unabhängig davon durchgesetzte politische Entscheidungen überformt und validiert, also Feigenblatt ist, bestimmen die jeweiligen Kurator*innen, Moderator*innen, Beteiligten und Umstände. Gerade diese Unterschiede werden im Metadiskurs aber oft verwischt durch die geteilte Grundannahme, es wäre vor allem wichtig, überhaupt miteinander zu reden, ins Gespräch zu kommen, im Gespräch zu bleiben, das Gespräch nie zu verlassen oder zu verweigern, immer wieder – um es mit der schillerndsten Vokabel dieses Feldes zu sagen – sich auszutauschen. Die immer wieder neu zu beglaubigende Offenheit zum Austausch ist die charakterliche Grundausstattung der so angerufenen Subjekte. Integrationsdienstleistungen

5 Der Prozess der Verlagerung politischer Repräsentation betrifft auch privatwirtschaftliche Kulturproduktion wie etwa das Feld der Werbung. So provozierte im April 2019 der zu rassistischen Ausfällen neigende Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer einen „Shitstorm“ um die Frage, ob die Auswahl von Prominenten in einer Werbekampagne der Deutschen Bahn in ihren Hautfarben angemessen die bundesdeutsche Gesellschaft „darstelle“.

Wenn Kultureinrichtungen davon sprechen, „sich öffnen“ zu wollen, so meinen sie damit in der Regel die Erschließung neuer Zielgruppen, die in den eigenen Produktionskreislauf integriert werden sollen – meist als Konsument*innen, gelegentlich als Amateure, selten als Mitarbeiter*innen. Argumentiert wird dies zumeist nicht ökonomisch, sondern über die eben beschriebene Bande gesellschaftlichen Austausches und demokratischer Repräsentation. Auch staatlich geförderte Kulturproduktion versteht sich deswegen mittlerweile mehrheitlich eher als Gespräch (bzw. eine Fülle von „Gesprächsangeboten“, die „eine Diskussion anstoßen“, „zum Nachdenken anregen“ oder „neue Perspektiven aufzeigen“ wollen) denn als Fertigungsstätte oder Umschlagplatz von Werken. Die Diskrepanz zwischen diesem Selbstverständnis und der Realität der eigenen Praxis beiseite gelassen, zeigt dies, wie sehr sich Integration zum Kerngeschäft kultureller Unternehmungen gemausert hat. Im kulturellen Feld bildet sich damit ein Wandel ab, der weite Teile der bundesdeutschen Öffentlichkeit ergriffen hat. In dem Maße, wie die Entdemokratisierung des politischen Prozesses in den letzten Jahrzehnten die Rolle parlamentarischer Debatte ausgehöhlt hat, sind mit der „Digitalisierung“ neue diversifizierte Öffentlichkeiten entstanden, die mit ihren dezentrierenden Effekten die alten Vorstellungen einer durch Parteien und Gewerkschaften repräsentierbaren bürgerlichen Gesellschaft in Frage stellen. Staatliche Kulturförderung scheint in Reaktion darauf ihren Zweck zunehmend darin zu begreifen, geförderten Projekten und Initiativen eine Mittlerposition zwischen der imaginären Gesamtgesellschaft aller Marktteilnehmer*innen und einer wachsenden Zahl von Anspruch auf Selbstrepräsentation und Diskurs-Teilhabe erhebenden identitären gesellschaftlichen Teilgruppen zuzuweisen.5 Das Schlagwort, unter dem diese integrative Aufgabe im Kulturbetrieb bevorzugt verhandelt wird, ist das der Partizipation – also eben der Teilhabe. Durch partizipative Formate lässt sich das Bedürfnis nach politischer

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Mitgestaltung gesellschaftlicher Prozesse übersetzen in die mehr oder minder symbolische Teilnahme an Kulturangeboten. Auch hier sind die Formen der Realisierung durchaus unterschiedlich – von den agonistischen Provokationen aktivistischer Kunst mit ihrer Bespielung der gewandelten Medienlandschaften bis zur „akzeptierenden“ Haltung kultureller Bildungsprojekte, von den pädagogischen Vermittlungsinitiativen großer Kulturinstitutionen bis zum „Farmen“ von Publikumsinteraktionen in den sogenannten Sozialmedien. Fast immer aber geht es darum, die jeweils realisierte Form der Teilhabe auch zu besprechen und in diesem reflektierenden Vorgang des Feedbacks einen Konsens der Besprechbarkeit herzustellen. Über diesen im Zuge der (politischen) Pädagogisierung des Kulturbetriebs etablierten Konsens stülpen sich die dort verankerten Praxen und Beschreibungsweisen zunehmend in andere gesellschaftliche Felder um. Ich möchte ein prägnantes Beispiel dafür geben, wie das integrative Vermittlungsparadigma in einem anderen Bereich zur Anwendung kommen kann – nämlich in der Arbeitsvermittlung. Anfang 2018 machte „eines der aufstrebendsten Social Startups Deutschlands“ mit einer „Aufklärungskampagne“6 von sich reden, die pro bono von der ihrem Umsatz nach zweitgrößten deutschen Werbeagentur Jung von Matt entworfen worden war. Das Startup Social Bee positionierte sich mit dieser Kampagne als „Integrationsdienstleister“ mit einem „Rundum-Sorglos-Ansatz“ für Unternehmen, die kürzlich nach Deutschland Geflüchtete als Zeitarbeiter*innen einstellen wollten. Das Non-Profit-Geschäftsmodell der Münchner gGmbH war und ist es, Geflüchtete anzustellen und via Arbeitnehmerüberlassung an interessierte Arbeitgeber auszuleihen. Während der Vertragsdauer sorgt Social Bee für die behördliche Betreuung der Vermittelnden, für Sprachkurse und Weiterbildungen, um nach ein bis anderthalb Jahren die so „vorqualifizierten Talente“, die erfolgreich „an die Gesellschaft heran[ge]führt“ und „fit für den deutschen Arbeitsmarkt“ gemacht wurden, in eine reguläre Ausbildung oder Festanstellung zu bringen. Die Werbekampagne – bestehend aus Plakaten, mehreren kurzen Videos und der Homepage „employ-refugees.de“ – präsentierte vier Männer aus Afghanistan, Eritrea, Sierra Leone und Syrien mit Fragmenten ihrer Fluchtgeschichten. Diese wurden jeweils in eine typische „Stärke“ von Bewerber*innen auf dem Arbeitsmarkt verdichtet: Stressresistenz, Teamfähigkeit, Zielorientiertheit, Belastbarkeit. Der übergreifende Claim der Kampagne, „soft skills can come the hard way“, vermittelte geschickt zwischen dem medial etablierten Narrativ entbehrungsreicher Flucht und dem ebenso etablierten Narrativ des Arbeitskräftemangels – zwei Erzählungen, die unter anderem deswegen selten zusammenkommen, weil sie mit sehr unterschiedlichen Bildern von Menschen operieren. Als „Brückenbauer“ zwischen dem etablierten Bild von Geflüchteten als schwachen Opfern und den harten Anforderungen der „bunten“ deutschen Marktwirtschaft7 zu wirken war erklärtes Ziel des Unternehmens:

Arne Vogelgesang

6 Zitate hier und im Folgenden aus den Selbstbeschreibungen des Unternehmens unter https://www.social-bee. eu.

7 „Wir von Social-Bee glauben an eine vielfältige und bunte Gesellschaft, in der jeder eine Chance verdient hat“, https://www.social-bee. eu/ansatz (12.7.2019).

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Wer hat das Wort?

8 Firmen-Mitgründerin Zarah Bruhn zitiert in der Pressemitteilung der Kampagne, als Teil des Press-Kits der Kampagne hier verfügbar: http:// www.employ-refugees. de/wp-content/themes/ softskills/presskit/presskit_soft-skills_socialbee.zip (12.7.2019).

„Viele Geflüchtete erzählen uns, was sie durchgemacht haben und wie schlimm das war. Trotzdem sagen sie auch, wie stolz sie darauf sind, es geschafft zu haben. Die meisten sind wahnsinnig stark daraus hervorgegangen. Was für den Arbeitsmarkt eine echte Chance sein kann.“8 Das Beispiel von Social Bee macht deutlich, was im europäischen Gesprächskreis des eingangs beschriebenen Werbeclips vor sich gehen mag, welche Art von Alchemie das Eindringen von Fremden in die weiße Gesellschaft der EU-Klone in diskursives Wohlgefallen aufzulösen imstande sein soll. Die Kampagne wurde wegen ihres Verfahrens – der Reduktion von Fluchterfahrungen auf „selling points“ am Arbeitsmarkt – vielfach als zynisch kritisiert. Die Kritik betraf also vor allem die Frage, wie sich das Soziale an der Marktwirtschaft und ihrer Integrationspolitik diskursiv zu präsentieren habe. Vergleichswerte waren folgerichtig konkurrierende Weisen der In-Kurs-Setzung von Fluchtgeschichten in der deutschen Öffentlichkeit: aktivistische, journalistische oder künstlerische. Ohne hier auf die aufmerksamkeitsökonomischen Verwertungslogiken dieser alternativen Verfahren eingehen, sie moralisch einstufen oder ihren jeweiligen praktischen Nutzen für die Beteiligten abwägen zu wollen, lässt sich doch in der Rückschau ermessen, welche integrative Rolle (Selbst-) Erzählungen und ihrer Konsumierbarmachung in den Jahren der sogenannten „Flüchtlingskrise“ zugeschrieben wurde. Die Ankommenden mussten, sollten die wirkmächtigen Bilder von „Massen“, „Strömen“, „Wellen“ oder „Heeren“ von Menschen in solche überführt werden, die den individualistischen Mitgliedern einer pluralen Gesellschaft der Marktteilnehmenden kommensurabel erscheinen würden, nicht nur in den Ausländerbehörden vereinzelt, befragt und zum Reden gebracht werden, sondern auch im kulturellen Feld der deutschen GesprächsÖffentlichkeit – die dann über ihre Integrationsfähigkeit zu befinden hätte. Geteilte Geschichte

Der Kurs von Geschichten als anerkannter Währung im kulturellen Austausch ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen – vom Storytelling als Marketing-, Management- und Politikstrategie bis zur täglich fortzuschreibenden individuellen Story in den verschiedenen „sozialen Medien“, die sich in algorithmisierter Erinnerungsmechanik zur Geschichte der eigenen Online-Subjektivierung verdichtet. Im gesellschaftlichen Gespräch wurden im Zuge dieser Entwicklung neue Sprechorte jenen eingeräumt, die willens und in der Lage waren, ihren Teilhabeanspruch mit verständlichen und emotional gedeckten Geschichten dergestalt zu begründen, dass die eingesessenen Gesprächsteilnehmer*innen erwarten konnten, ihre geteilte Rede durch diese neuen Geschichten ebenso bereichert zu sehen wie die geteilte materielle Ökonomie durch Verwandlung der nun mit Sprache versehenen Körper in bürgerliche Subjekte. Wer das Wort ergreift oder dazu aufgefordert wird und in Folge neu zum Kreis des geregelten demokratischen Diskurses hinzustößt, hat sich zu erklären.

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Freilich bedeutet die Einladung oder Aufforderung zu sprechen noch lange nicht, dass man auch gehört wird oder, mehr noch, dass einer*m auch zugehört wird. Lippenbekenntnis kann auch sein, andere sprechen zu lassen, ohne ihrer Rede Konsequenz zuzugestehen. Diskursive Gerechtigkeit stellt sich folglich nicht einfach über die Verteilung von Rederechten her, auch wenn das Mitredendürfen ein unbestreitbarer Fortschritt für zum Beispiel diejenigen ist, die vorher nur als Träger*innen körperlicher Abweichungen von einer impliziten Norm besprochen und angeschaut wurden, selbst aber keine Stimme hatten, nicht als „stakeholder“ am demokratischen Markt anerkannt wurden. Privilegien sind im großen gesellschaftlichen Gesprächskreis auch an der Freiheit erkennbar, keine Geschichte haben zu müssen, nicht erklärungsbedürftig zu sein, sich nicht verständlich machen zu müssen – eine Freiheit, die sich auch darin äußert, über andere Dinge sprechen zu dürfen als die eigene Identität. Außen vor bleibt allemal, wer nicht die sanktionierten Arten des darstellenden Sprechens erlernt hat und deshalb selbst auf Einladung gar nicht adäquat mitreden könnte. Für alle Übrigen gilt: Abweichung von der Norm hat sich in einer Erfahrung dieser Abweichung niederzuschlagen, die erzählerisch belegt werden muss und alle folgenden Redebeiträge grundiert. So gibt es Deutsche, und es gibt „Deutsche mit Migrationshintergrund“ – Letzteren wird ein Surplus an Geschichte zugeschrieben, ein Prospekt, das erzählend dargestellt werden muss, um den zumeist an körperliche oder sprachliche Merkmale gekoppelten Eindruck der Nichtzugehörigkeit auszugleichen. Wenn wir uns an das inszenierte Bild von „Frieden und Harmonie“ aus dem Werbevideo der EU-Kommission erinnern, so ist das Eigentümliche an der Form des Sitzkreises, dass alle Beteiligten gleichermaßen über die leere Mitte des Gesprächs hinweg aufeinander schauen, während sie dem Rest der Welt den Rücken zuwenden – einem Rest, der allenfalls im Hintergrund der jeweils gegenüber Sitzenden ins Blickfeld geraten und durch ihre Anwesenheit repräsentiert werden mag. Welches Stück Welt das jeweils ist, hängt dabei nicht nur davon ab, inwieweit die Teilnehmenden am Gespräch keine identischen Klone sind, denen die Selbstinszenierung als exemplarisches Toleranzsubjekt, das bereit ist, mit jeder*m zu sprechen, wenig abverlangt. Es wird wesentlich auch von der Position des imaginären Zentrums bestimmt, das den Kreis in der sozialen Landschaft verortet. Es ist von diesem Bild aus verständlich, wie wichtig es für die Beherrschung von Gesprächen nicht nur ist, die jeweils Teilnehmenden explizit auszuwählen oder implizit ihren Zugang zu regulieren, sondern über die Kuration der Teilnehmenden vor allem auch die Position der Mitte der im Gespräch versammelten Gesellschaft festzulegen. Eine Vergrößerung des Kreises durch neu hinzustoßende Beteiligte vergrößert dabei automatisch die Distanz aller Anwesenden zu seinem Zentrum und erhöht so den argumentativen und performativen Aufwand für all jene, die den Eindruck erwecken wollen, von der Position eben dieser Mitte aus zu sprechen. Das erzeugt bei diesen leicht Gereiztheit. Je öfter sich darüber hinaus neue Teilnehmende im Gespräch erzählend

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Wer hat das Wort?

9 Dieser Machtanspruch äußert sich allerdings meist im ordnenden Eingriff in „unser“ Gespräch, also im pluralis majestatis der Demokratie.

identifizieren und legitimieren, desto auffälliger wird es, wenn die das Gespräch Kuratierenden sich nicht ebenfalls durch eine Geschichte ausweisen, die ihre eigene Gesprächsteilnahme ex post begründen könnte. Diejenigen, die zur fortlaufenden Erzählung ihres identitären Sprechortes als Bedingung der Gesprächsteilnahme genötigt werden, mögen früher oder später diesen Spieß umdrehen und es sich verbitten, dass andere über sie sprechen, und so das Privileg der vermeintlichen Vertreter*innen der „Mitte“ angreifen. Langsam, aber sicher drängt so die Frage nach den Spielregeln und Schiedsrichtern des Gesprächs auf die Tagesordnung und damit auch die nach der Geschichte des Gesprächs selbst. Damit werden jene neuralgischen Punkte sichtbar, die Bruchstellen im gesellschaftlichen Konsens der Majoritätsgesellschaft markieren, im Einverständnis der Kuratierenden über die Grenzen ihrer Toleranz und ihrem Anspruch auf Herrschaft über ihr9 Gespräch. Diese Bruchstellen bilden eine imaginäre Grenze zwischen politischen Lagern, die derzeit oft unscharf als „links“ und „rechts“ oder (ebenso unscharf und in Anlehnung an den entsprechenden US-amerikanischen Diskurs) als „liberal“ und „konservativ“ benannt werden – eine Grenze, auf der die „liberalkonservative“ Regierung von Angela Merkel lange balancierte, um die Position der Mitte diskursiv zu besetzen. Der Kampf um die Definition des (Neo-)Liberalen und des (Neo-)Konservativen und ihre Formen der Produktion von Einverständnis ist essenzieller Teil jenes Vorgangs, der seit Beginn der zweiten Dekade des Jahrtausends die politischen Landschaften der westlichen Demokratien umwälzt: die Aufkündigung des Konsenses über die Regeln des Spiels und die Ausnutzung des Metadiskurses über das große gesellschaftliche Gespräch durch Teile der vermeintlichen Majorität zum Zweck des politischen „Kulturkampfs“ einer „konservativen Revolution“. Wortergreifung

10 Reinhold Oberlercher (1996): „Deutschlands Zukunft“, http://brdende.com/1996/05/ deutschlands-zukunft/ (15.7.2019). Mit dem zitierten „Souverän“ ist das „Volk“ gemeint.

„Wer die Macht ergreifen will [...], der muß sich durch seine Wortergreifung qualifizieren. Das Wort ergreift, wer glaubt, etwas sagen zu müssen. Und eine Wortergreifung führt nur dann zum Erfolg, zur Erhörung durch den Souverän, wenn sie beachtenswert Neues zu Gehör bringt. Von der erfolgreichen Wortergreifung zur wirklichen Machtergreifung ist der Weg nicht mehr weit.“10 Reinhold Oberlercher, Aktivist im SDS und als der „Dutschke von Hamburg“ einer der Protagonisten der 68er-Bewegung, Doktor der Philosophie, selbsternannter „Nationalmarxist“ und Leiter des neonazistischen Thinktanks „Deutsches Kolleg“, wo er gemeinsam mit Horst Mahler die „Reichsbürgerbewegung“ konzipierte, ist als Theoretiker der Wortergreifungsstrategie einer der wesentlichen Einflussgeber extrem rechter Strategien in der BRD. Praktisch erprobt in den linken Studentenrevolten der späten 60er Jahre des letzten Jahrhunderts, sollte die Einmischung in demokratische Gesprächsveranstaltungen es in der Folge

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auch Neonazis ermöglichen, „mit prägnanten Fragen oder Redebeiträgen auf sich aufmerksam zu machen und Zustimmung bei den Veranstaltungsteilnehmern zu gewinnen“.11 Ein wesentlicher Hebel zur Erlangung des Rederechts in öffentlichen Diskussionen und Gesprächen ist dabei die demokratische „Spielregel“ der Meinungsfreiheit, die von extrem rechten Akteuren seit Langem als Hebel benutzt wird, um „die Volksverräter mit ihren eigenen Waffen zu schlagen und ihre Veranstaltungen zur Plattform der nationalen Sache zu machen“.12 Wird die Gesprächsteilnahme versagt, lassen sich die Gegner performativ erfolgreich als – um es mit einer Lieblingsvokabel der strategischen Scheindemokraten auszudrücken – „Heuchler“ markieren. Denn natürlich geht es nicht um Teilhabe am demokratischen Gespräch, sondern um die Vorbereitung der Machtergreifung im „vorpolitischen Raum“. Um es mit den Worten eines weiteren Theoretikers der deutschen extremen Rechten auszudrücken: Das „Ziel ist nicht die Beteiligung am Diskurs, sondern sein Ende als Konsensform, nicht ein Mitreden, sondern eine andere Sprache, nicht der Stehplatz im Salon, sondern die Beendigung der Party“.13 Der Strategie, demokratiefeindliche Positionen als valide Waren auf dem „Marktplatz der Ideen“ zu platzieren, wurden über die Jahre kontinuierlich argumentative Werkzeuge und inszenatorische Tricks hinzugefügt. So verfeinerte der eben zitierte rechtsradikale Verleger Götz Kubitschek bei einer Wortergreifung im Kulturpalast Dresden im März 2018 das Diktum des Großen Gesprächs, man müsse über alles reden, einerseits mit der rechten Erzählung einer angeblichen „Spaltung der Gesellschaft“ und Fragen nach deutscher Identität, andererseits mit dem Argument, es seien schließlich die radikalen Meinungen, die eine Diskussion überhaupt erst plural machten: „Sind Sie nicht der Meinung, dass der Riss, der durch die Gesellschaft geht, unbedingt sein muss? Alles muss auf den Tisch. Wir müssen darüber reden: Was ist Wir, was ist nicht Wir. Wem gehört unsere Solidarität, wem gehört sie nicht. Was ist Meinungsfreiheit wirklich, was muss man wirklich ertragen. Nicht aus der Mitte heraus, sondern immer dort, wo es wirklich plural und an den Rand geht. Ich bin strikt dafür, dass der Riss noch tiefer wird, die Sprache noch deutlicher, noch konkreter wird.“ 14 Das Argument beschreibt ganz offen die Logik rechter Wortergreifung: Solange noch eine mehr oder minder liberale Diskurshoheit mit ihrer Verständnispolitik das Feld beherrscht, lässt sich durch Setzung immer radikalerer Positionen eine Verschiebung der Mitte erreichen, die sich notgedrungen moderierend zwischen den im Gespräch vertretenen Meinungen setzen muss, um sie, dem Prinzip des parlamentarischen Kompromisses folgend, miteinander zu vermitteln. Gleichzeitig wird der vorweg angenommene „Riss durch die Gesellschaft“ durch Provokation produziert, um ex post das einzige Bild einer Demokratie herzustellen, das für völkische Nationalisten plausibel ist: das des Bürgerkriegs. Im Falle eines Ausschlusses vom Gespräch erlaubt der Rekurs auf unterdrückte

Arne Vogelgesang

11 Udo Voigt (2003): „Mit Wortergreifungsstrategie zum Erfolg – über das geistig offensive Auftreten im öffentlichen Raum“, in: Deutsche Stimme 08, S.  0. Der Politologe Voigt war von 1996 bis 2011 Bundesvorsitzender der NPD und etablierte „Wortergreifung“ als wesentliche Strategie der „Neuen NPD“ im „Kampf um die Köpfe“. 12 So formuliert unter dem Titel „Wir haben das Wort!“ in der Zusammenfassung einer Veranstaltung des „Nationalen Bildungskreises“ der NPD (2008): https:// junge-nationalisten. de/uncategorized/ wir-haben-das-worteine-nbk-strategiesitzung-zum-themawortergreifungsstrategien-mit-m-gaertner-2/ (16.7.2019). 13 Götz Kubitschek (2006): „Provokation!“, https:// sezession.de/6174/provokation/3 (16.7.2019).

14 „STREITBAR mit Uwe Tellkamp und Durs Grünbein“. Redebeitrag in der Dokumentation unter https://youtu.be/ V6nSgCCZM2Q?t= 1h44m55s (16.7.2019).

Wer hat das Wort?

15 Alain de Benoist (2017): „Die Verwurzelung“, in: ders.: Kulturrevolution von rechts, Dresden: Jungeuropa, S. 115.

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Meinungsfreiheit die Markierung der Kuration als undemokratisch und des eigenen Gesprächsinteresses als das von Verteidigern der Demokratie. Je nach Situation kann so schnell und flexibel zwischen der Figur von Vertreter*innen der „schweigenden Mehrheit“ (der Mitte) und der einer unterdrückten Minderheit (dem Rand) hin- und hergewechselt werden – wobei Letztere zudem der eigenen In-Group als „patriotische Elite“ mit vermeintlich natürlichem Führungsanspruch präsentiert werden kann. So wie in den letzten Jahrzehnten ein signifikanter Teil extrem rechter Theoretiker und Milieuverwalter aus der radikalen Linken in die nationalistische Opposition wechselte, so dient auch die Übernahme ursprünglich linker Strategien, Theoriefragmente und Ästhetiken einerseits der Verbesserung der eigenen Kampffähigkeit durch die Kopie von „Erfolgsrezepten“, andererseits der Camouflage und Verwirrung des erklärten politischen Hauptfeindes, des „Liberalismus“. Um zur oben zitierten „anderen Sprache“ zu gelangen, muss zuerst die alte zersetzt werden, und dies kann nur geschehen, wenn das Feld möglicher und erfolgreicher Wortergreifungen stetig ausgeweitet und differenziert wird – durch Aneignung und Umkehrung von Begriffen, Verschiebung der Grenzen des Sagbaren, Parodie, Travestie und Theatralisierung des Gesprächs als solchem. Diejenigen, die tatsächlich an einen mehr oder minder rationalen und authentischen „Austausch von Argumenten“ glauben, stehen diesen Strategien des Hackings gegenüber ebenso auf verlorenem Posten wie jene Technokraten, die die reinen Verfahren des Gesprächsmanagements bereits für einen demokratischen Diskurs halten: „Was zu fürchten ist, ist nicht die brutale, provozierende Ideologie, die sich als solche selbst diskreditiert und damit selbst die Bedingungen für ihr Verschwinden und Ersetztwerden schafft; es ist die subtile, epidemische Ideologie, die mit der Zweideutigkeit ihr Spiel treibt und sich des Akzeptablen bedient, um das Schädliche durchzusetzen. Eine solche Ideologie ist aufgrund eben der Tatsache ununterdrückbar, daß sie sich maskiert. Sie beißt nicht, sie nagt.“15 Es gehört zu den performativen Evidenzen neurechter Strategieaneignung, dass diese Sätze des „Nouvelle Droite“-Theoretikers Alain de Benoist zugleich angewiderte Beschreibung „kulturellen Marxismus“ als auch der konkreten Methoden jener Adept*innen sind, die sich auf ihn und seine Konzepte der „Metapolitik“ und des „Ethnopluralismus“ berufen. Tatsächlich bedient sich die instrumentelle Rechte beider diskursiver Methoden – des offenen direkten Angriffs und der Maskierung – in schnellem Wechsel, um die Zerstörung der Gesprächsgrundlagen zu befeuern. Ebenso nutzt sie im öffentlichen Gespräch parallel zu diesem taktischen Wechselspiel geschickt die inhärente Qualität von Sprache und Sprechen aus, neben sozialisierenden und anerkennenden zugleich auch gewaltförmige und verletzende Effekte zu haben, also Ausschlüsse ebenso produzieren wie sie auflösen zu können – ein Widerspruch, den pazifizierende Gesprächsansätze üblicherweise so klein wie möglich zu machen versuchen und dessen offensiver Bespielung sie oftmals

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erstaunlich hilflos gegenüberstehen. Dabei ist die performative Kampfstrategie extrem rechter Akteur*innen im öffentlichen Diskurs recht einfach: Wenn sie attackieren oder vor ihrer Anhängerschaft zum Halali blasen,16 sagen sie, was sie wollen. Wenn sie defensiv spielen, parodieren sie ihre Gegner*innen. In den „alternativen Medien“ und „sozialen Netzwerken“ des Internets haben sie dafür die idealen Infrastrukturen einer neuen Öffentlichkeit gefunden, in der sich Attacken auf die Konsensform des demokratischen Austauschs zu einer Art Volkssport entwickeln konnten. Die neue Partei des Diskursvernichtungswunsches, die „Alternative für Deutschland“, konnte mit Flankierung durch Straßenkampf, politisierte Mediennutzung und symbolischen Aktivismus teils offen faschistischen Positionen zu dem verhelfen, was sich die NPD Anfang des Jahrtausends vorgenommen hatte: einer neuen „Volksfront“17 quer durch Parlamente, öffentliche und kulturelle Räume. Ihr Versprechen von Machtzuwachs zieht dabei jene Konservativen und Libertären in eine Kollusion, denen angesichts globaler Umordnung und Klimakatastrophe auch nichts Besseres einfällt als Abschottung, Absicherung und Verleugnung, die aber eigentlich guten Grund hätten, Kooperationen mit Faschist*innen und Glaubenskrieger*innen zu scheuen, deren Erzählung vom „Großen Austausch“ nichts mit einem „Marktplatz der Ideen“ anzufangen weiß, sondern nur mit seiner Abwicklung und Säuberung. Man sollte meinen, dass diejenigen, die noch immer glauben, mit der öffentlichen Einbindung extrem rechter Protagonist*innen in das Große Gespräch der Demokratie und seine angebliche „Streitkultur“ eine performative „Entzauberung“ vornehmen zu können, als handelte es sich bei deren Propaganda um eine Art Fantasy, gut daran täten, nach empirischen Belegen für diesen märchenhaften Vorgang zu suchen. Ein Bedürfnis nach liberaler Selbstinszenierung und kuratorischer Machtsicherung, das selbst davon nicht angefochten wird, dass jede Mitwirkung an der Integration menschenfeindlicher Positionen ins Gespräch konkrete Gewalt an einem anderen Ort befördert – und zwar sowohl im Fall eines diskursiven „Erfolgs“ extrem rechter Diskursbeteiligung (Normalisierung) als auch im Fall ihres „Misserfolgs“ (Vergeltung) –, könnte schließlich wenigstens von jenem Merksatz sich verunsichern lassen, den Reinhold Oberlercher seiner Aufarbeitung der „Strategie der permanenten Universitätsrevolte“ 18 mit ihren Stationen von Mobilmachung, „Sturmangriff “ und „Diskussionsgestellungsbefehl“ voranstellte: „[E]ine vollständige Wortergreifung fügt sich keiner Diskussion ein, sondern verfügt, wann, wo und wie diskutiert werden darf.“ Der Glaube an die magischen Effekte des demokratischen Sitzkreises, in dem sich mit genug gutem Willen zu Duldung und Bekenntnis Widersprüche in die Harmonie ihrer Unsichtbarkeit aufheben, entspringt jedoch nicht einem Mangel an Aufklärung über die Gefahren extrem rechter Politik – auch wenn seine kuratierenden Adept*innen in der Regel nicht zu jenen gehören, die zuerst von rechter Gewalt und Terror betroffen sind.19

Arne Vogelgesang

16 Eine Auswahl von Zitaten führender AfD-Funktionäre: Alexander Gauland, 24.9.2017: „Wir werden sie jagen, wir werden Frau Merkel oder wen auch immer jagen, und wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen.“ Nicolaus Fest, 3.5.2018: „Wir sind nicht dazu da, Merkel zu jagen, sondern zu erlegen.“ Mike Moncsek, 12.1.2019: „Wenn ich sehe und wenn ich höre, wer sich da diese Positionen erarbeitet hat in den Parlamenten, dann sag ich euch, meine Freunde: Die müssen wir rausschlagen, und wir müssen sie jagen, und wir werden sie jagen und erlegen.“ Jan Zwerg, 14.7.2019: „Die Landtagswahl ist die Abstimmung darüber, ob Sachsen deutsch bleibt. […] Die Jagdsaison ist eröffnet.“ 17 Matthias Gärtner (2010): „Vorpolitischer Raum – Strategie zur Aufgabendifferenzierung in der Volksfront von Rechts“, https://junge-nationalisten.de/uncategorized/ nbk-neues-strategiepapier-zum-themaqvorpolitischer-raumq/ (17.7.2019).

18 Dieses und folgende Zitate aus Reinhold Oberlercher (1994): „Die 68er Wortergreifung“, http:// brd-ende.com/1994/04/ die-68er-wortergreifung/ (14.7.2019). 19 Seit der Ermordung des hessischen CDU-Regierungspräsidenten Walter Lübcke durch einen AfD-Unterstützer im Juni 2019 kommen die Einschläge gleichwohl näher.

Wer hat das Wort?

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Dieser Glaube ist vielmehr in einem Herrschaftsinteresse begründet, das sich ebenso wenig ausdiskutieren lässt wie der Glaube an die Besonderheit der „weißen Rasse“ oder jener an die fundamentale Gleichwertigkeit aller Menschen. Ob die Erzählung vom „Großen Austausch“ die eines pazifizierenden Geschäftsgesprächs, die eines Völkermords, die einer radikalen Umverteilung von Macht und Reichtum oder die des Beginns einer posthumanen Gesellschaft sein wird, lässt sich nicht im Gespräch unter Gleichen klären. Zwischen dem Glauben an Gleichheit um der Unterschiede willen, dem an Unterschiede um der Gleichheit willen und jenem an den ständigen Austausch beider als höchstem, ewig gleich neue Unterschiede produzierendem Wert wechseln die Regeln des Spiels nicht ihre Gestalt, aber ihre Bedeutung so sehr, dass Spielende sich nur im Missverständnis erkennen könnten. Und wie sollten wir Klone das ertragen.

Tina Leisch Man muss nicht jede Rolle annehmen, die einem die Gesellschaft auf den Leib schreiben will Erfahrungen mit Theaterarbeit mit Kindern und Jugendlichen

235 Viel zu schwierig für die Kinder

Brechts Leben des Galilei ist zu schwierig für die Kinder einer Mittelschule mit 70 Prozent Kindern mit Migrationshintergrund? Und sie werden nicht begreifen, warum wir die Figur des Galilei mit vier Mädchen besetzen? Freud-Zitate sind zu kompliziert für Zwölfjährige aus Horn? Und die Mädchen aus dem Poly werden nicht mithalten können mit den Gymnasiast*innen? Pasolinis Medea ist unverständlich für jugendliche Strafgefangene? Kinder werden es nicht schaffen, genug Bühnenpräsenz herzustellen, um das große Haus des Volkstheaters zu rocken? Regelmäßig stoßen wir mit unseren Ideen auf die Einschätzung, dass sie zu schwierig, zu kompliziert, zu anspruchsvoll, zu verschroben, zu verwegen, zu modern sind für die Kinder und Jugendlichen. Wir beweisen immer das Gegenteil. Die kleinen Buben tanzen als „Flying Jupiters“ die Choreografie der Jupitermonde und begreifen ganz genau, was sie darstellen: Dass man sich in der Frage, wer sich um wen dreht, ziemlich täuschen kann, aber es am Ende doch eine wahre und eine falsche Aussage gibt und auch Methoden, das eine vom anderen zu unterscheiden. Die vier TeenieGalileis wissen selbstverständlich, warum gerade sie den Galilei spielen, und zwar zu viert: weil heutzutage wissenschaftliche Erkenntnisse noch viel mehr als früher Teamwork sind und weil es heute viel mehr Frauen gibt, die große Entdeckungen machen und die Wissenschaft vorantreiben. Sie finden Lise Meitner und Marie Curie auf Wikipedia. Kopftuchtragende junge Musliminnen, bei denen daheim die Evolutionstheorie als gotteslästerliche Lüge gilt, erleben als Mönche den Zwist zwischen Religion und Wissenschaft als sehr pragmatische Auseinandersetzung um Macht und Pfründe. Jugendlichen, die noch nicht lange Deutsch sprechen oder die Grammatik nur mangelhaft beherrschen, hilft es weiter, wenn sie Sätze wie: „Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher“, auswendig lernen, statt immer nur mit dem Rotstift verbessert zu werden. Wenn man mit einem Ensemble antritt, ist nichts zu schwierig, denn es gibt immer eine oder einen, der sich gerade für dieses oder jenes interessiert oder dieses oder jenes kann. Und am Theater sind die komplizierten, nicht trivialen Probleme, die keine einfache Lösung haben, die allerspannendsten. Theaterprojekte mit Kindern und Jugendlichen wecken die Lust, sich gemeinsam an eine Aufgabe zu machen, deren Bewältigung einem niemand zutraut. Umso verlockender, dass die Aufgabe keine vorgegebene Lösung hat, sondern ein Spielplatz ist, auf dem man Eingebungen nachgehen und Ideen ausprobieren kann. Theaterprojekte können Lernwerkstätten sein, in denen Kinder und Jugendliche mit den unterschiedlichsten Fähigkeiten diese zusammenbringen, um ein gemeinsames Werk zu schaffen, in dem jede und jeder etwas lernt, aber vielleicht jede und jeder etwas anderes. Ein gemeinsames Erfinden, das ganz andere Potenziale der

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Kinder aktiviert als die in den meisten Schulen hauptsächlich gepflegten Lehrformen, in denen alle das gleiche, vorgegebene Wissen lernen und dann reproduzieren sollen, in denen für Kreativität und eigensinniges Entdecken, Erforschen und Erfinden wenig Zeit ist und in denen einander Helfen und Beistehen als „Schummeln“ verpönt ist. Immer wieder erleben wir, wie die frühzeitige Sortierung der Kinder in die angeblich begabten und die angeblich unbegabten (vor allem eine Sortierung nach Schichtzugehörigkeit der Eltern) eine sich selbsterfüllende Prophezeiung ist: Die Kinder übernehmen das Bild aus dem Spiegel, den man ihnen vorhält, als bequeme Ausrede für Lern- und Denkfaulheit: Dass sie es nicht ins Gymnasium geschafft haben, beweist ihnen, dass sie eh zu dumm sind für die komplexeren Aufgaben, warum sollten sie sich anstrengen? Und oft tun Lehrer*innen zu wenig, um diese frühe Selbstbeschränkung der ihnen Anvertrauten zu überwinden. Statt umso gefinkeltere Methoden zu ersinnen, um die Potenziale der Kinder zur Entfaltung zu bringen, die im Elternhaus nicht gefördert werden, bestätigen sie die Kinder in der Resignation: „Dicke Bücher lesen, selber programmieren lernen, komplizierte Sachverhalte erforschen, das ist eh nichts für uns.“ Theaterspielend komplexe Sachverhalte in ihrer Komplexität am eigenen Leib zu erfahren kann da die verschüttete Lust am Entdecken und Erforschen wieder wecken. Rollenwechsel und Statusschaukeln

Welche Rolle und welche Funktionen Kinder und Jugendliche in ihrer Schulklasse einnehmen, ergibt sich aus ihrem Verhalten, ihrem Charakter, aus Fremdzuschreibungen, eigener Wahl und glücklichen oder unglücklichen Zufällen. Es gibt bewegliche Klassen, in denen die Schüler*innen Plätze wechseln, immer wieder andere die „Stars“ sind, Cliquen sich bilden und auflösen und die Jugendlichen erleben, dass soziale Räume sich ständig entwickelnde, sich verändernde Beziehungsgeflechte sind. Manchmal gefrieren aber Zuschreibungen und Rollen auch ein, und Schüler*innen abonnieren den einen oder anderen Platz und kommen davon nicht mehr los. Theaterspielen kann da sehr schnell scheinbar fest Zementiertes in Bewegung bringen, wenn man bei der Verteilung von Rollen und Aufgaben die Schüler*innen ganz entgegen ihren üblichen Rollen im Klassenzusammenhang besetzt, etwa wenn man das schüchterne Mädchen die unverschämte Rebellin spielen lässt, wenn der vorlaute Macho versucht, sich in die Position der an den vorlauten Machos verzweifelnden neuen Lehrerin zu versetzen. F. lebt relativ unsicher zwischen den Welten: Der Klassenvorstand sagt ihm unverblümt, dass seine muslimische Religiosität „eine negative Eigenschaft“ sei. Also versucht er in der Schule möglichst wenig muslimisch zu erscheinen und das daheim dadurch zu kompensieren, dass er viel strenger religiös wird als seine Eltern. Der Theaterimpro-Workshop

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befreit ihn. „Das Improtheater hat die Stimmung in der Klasse stark verändert, zum Positiven, und das hat noch lange angehalten. Weil man sonst in der Schule perfekt sein soll. Und im Theater ist niemand perfekt. Man darf aus der Rolle fallen. Man darf Fehler machen. Und man kann verschiedene Rollen ausprobieren und findet so viel leichter zu sich selbst, als wenn man immer nur darauf reagiert, was die anderen einem zurückspiegeln. Eigentlich haben wir beim Theaterspielen erst gemerkt, dass wir auch sonst im Leben immer eine Rolle spielen, aber sie uns oft nicht selber aussuchen.“ F. sagt heute, dass das Theaterspielen ihm dabei geholfen hat, in puncto Religion einerseits nach außen selbstbewusster zu seinem Glauben zu stehen und andererseits viel toleranter und gelassener damit umzugehen, dass andere Menschen ganz andere Lebensentwürfe verfolgen. Die im Klassenzimmer unfreundliche, ruppige D., die keine Freund*innen hat und prinzipiell bei keinem Ausflug und keiner Klassenfahrt dabei sein will – vielleicht um den allzu schmerzlichen Beweis ihrer Außenseiterposition zu vermeiden? –, blüht auf, nachdem sie in einer Improvisationsübung die beste Freundin einer Außenseiterin spielt. D. ist im Spiel die Beliebte, die Souveräne, die nun der Außenseiterin helfen soll, ihr Ratschläge geben, sie aus der Isolation herausholen muss. Während sie im Spiel Ideen entwickeln muss, um den Schutzpanzer der Spielaußenseiterin zu durchbrechen, löst sich ihr eigener fast magisch dabei auf. Dabei ist allerdings große Aufmerksamkeit und Sensibilität bei der Rollenverteilung notwendig. Wir haben oft erlebt, dass Schüler*innen sich selber genau die Rolle aussuchen bzw. sich gegenseitig zuschieben, die ihrer Rolle in der Wirklichkeit am nächsten kommt. Das führt dann zu langweiligen Szenen und im schlimmsten Fall zu Re-Traumatisierung, wenn zum Beispiel Jugendliche, die Mobbingerfahrungen gemacht haben, dann in der Mobbingszene das Opfer spielen. In einem „Mobbingreigen“, in dem alle Mitspielenden zuerst Mobbingopfer und dann Mobber*in spielen, möchte nur S. keine Mobberin sein. Sie besteht darauf, immer diejenige zu sein, die dem jeweiligen Opfer zu Hilfe kommt, und immer dem/der Mobber*in Kontra zu geben. Sie hat selber Mobbingerfahrung gemacht und möchte das nicht einmal im Spiel jemandem antun. Wir fragen sie, ob sie trotz ihrer Erfahrungen mitspielen möchte? Ja, unbedingt. Die Improvisation gipfelt ungeplant darin, dass schließlich zuletzt alle anderen über die immer korrekte S. herfallen. S. spielt die Szene bis zu Ende und bricht dann in Tränen aus. Sie wurde früher an einer anderen Schule Mobbingopfer, und das wirklich Erlebte im Spiel zu wiederholen ist ihr doch zu viel. Ihre Klassenkameradinnen kümmern sich liebevoll um sie, und schließlich sagt sie uns, dass sie diese Erfahrung sehr stärkt: Dass sie in der Improvisation und an den Reaktionen der Kameradinnen erlebt hat, dass sie in ihrer jetzigen Klasse gut aufgehoben ist und sie Freundinnen um sich hat, die sie stützen und tragen.

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Als Workshopleiter*innen bemühen wir uns eigentlich, solche ReTraumatisierungen zu verhindern. Ein Prinzip ist, in Improvisationen gegen die Rollen zu besetzen, die die Kinder und Jugendlichen in der Wirklichkeit spielen. Eine andere Methode ist Forumtheater: Ein Konflikt wird nachgespielt, und dann werden Schritt für Schritt andere Handlungsoptionen der Beteiligten überlegt und improvisiert, bis genügend Lösungsoptionen sichtbar werden. Sich als Regisseur*innen der Konfliktszene zu erleben, den Verlauf enttäuschender oder demütigender Erlebnisse ändern zu können, die Ursachen eines Missstandes zumindest im Spiel beseitigen zu können: das sind ermutigende Erfahrungen. Eine weitere Strategie ist Komik. Untergriffe mit Ironie zu kontern, Übergriffe abzuwehren, in dem man sich über den Angreifer lustig macht, die Statusschaukel mit Hilfe eines Gelächters in Bewegung zu bringen, kann eine sehr befreiende Taktik sein, gerade bei der Thematisierung institutioneller Konflikte, in denen es klare und auch unverrückbare Machtkonstellationen gibt. Eine andere wichtige Strategie ist, Fähigkeiten und Kompetenzen der Schüler*innen zur Geltung zu bringen, die sonst weder im Unterricht noch in den Pausen gefragt sind. Tanzen. Kreativ schimpfen. Expertise in Lebenswelten, von denen in der Schule nicht die Rede ist. Schließlich ist jede und jeder Experte für seine eigene Lebenswelt, für sein Hobby, für seine Familienkonstellation, für seine Familiensprache. Oft bekommen wir von Lehrer*innen die Rückmeldung, dass die Schüler*innen in den Theaterworkshops Facetten von sich zeigen, von denen die Lehrer*innen bisher nichts wussten. Das ist unter anderem ein Effekt davon, dass Theaterarbeit Selbst- und Fremdzuschreibungen auflösen bzw. ändern kann, dass Rollen und Status spielerisch geändert und ausprobiert werden können, dass eingeschliffene Beziehungsmuster spielerisch radikal geändert werden können. Beim Projekt Zorn in Horn haben wir darauf bestanden, Schüler*innen aller Schultypen der Stadt zum Mitmachen einzuladen. Es war erstaunlich zu erfahren, dass selbst in einer Kleinstadt mit nicht einmal 7.000 Einwohner*innen die Freizeitorte der Hauptschüler*innen sich kaum mit denen der Gymnasiast*innen überschneiden. Die frühzeitige Sortierung der Schüler*innen im Alter von zehn Jahren nach gesellschaftlicher Klassenzugehörigkeit eliminiert den einzigen Begegnungsort von Kindern aus armen Einwandererfamilien mit den Kindern des wohlhabenden Bürgertums. Unser von der Schülerin Tina Krapfenbauer mitverfasstes Jugenddrama hat Kinder aus verschiedenen Schichten zusammengebracht und allen bewiesen, dass sie viel voneinander lernen können: Die Bücherwürmer aus dem Gymnasium staunten über die Selbstbehauptungsfähigkeiten der Rapper Queen aus dem Poly gegenüber frechen, dreisten, bösen Buben und halfen ihr bei den Hausaufgaben. Gleichzeitig haben alle Mitwirkenden sich von nichtmitwirkenden Klassenkolleg*innen prophezeien lassen müssen,

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dass sie sich mit dem Trottelhaufen lächerlich machen werden. Mitzumachen hieß also auch, den Spott der Alphatiere, der Meinungsmacher in der eigenen Klasse an sich abprallen zu lassen. Wie immer hat die erfolgreiche Premiere die Spötter blamiert und die Mutigen, Eigensinnigen belohnt. Und diejenigen, die sich am mutigsten exponieren, am meisten trauen, diejenigen, die das Wagnis eingehen, sich vielleicht lächerlich zu machen, werden vom Publikum am meisten geliebt. Eine denkwürdige Erfahrung, auch für das Publikum. So haben wir beim ersten Gefängnistheaterprojekt in der Justizanstalt Gerasdorf, Date your destiny, den Abteilungskapo, den härtesten und rigidesten aller Mitwirkenden, monatelang zu überreden versucht, eine Szene zu spielen, in der die Person, die er spielt, verzweifelt zugibt, alles falsch gemacht zu haben, nicht mehr weiter zu wissen. Wir haben ihm zugeredet: Es ist ja nicht er, sondern der „Filosof“, die Rolle, die er spielt, die verzweifelt. Nein, das spielt er nicht. Er macht sich doch nicht lächerlich vor allen. Unser schlagendstes Argument war, dass vielleicht die Regel des Gefängnisses heißt: Niemals weinen, keine Schwäche zugeben. Aber dass natürlich im wirklichen Leben alle Menschen manchmal zweifeln, verzweifeln, nicht weiter wissen, Hilfe brauchen. Und in die Aufführung wird Publikum von außen kommen, auch viele junge Studentinnen. Und Frauen mögen keine Männer, die immer nur hart und cool sind. Die Herzen der jungen Frauen wird er als Hauptdarsteller nur erobern, wenn er auch seine weiche Seite zeigt. Wir haben uns darauf geeinigt, dass er bei der Aufführung für geladenes Publikum von draußen einen ehrlich Verzweifelten spielen wird, aber bei der Vorpremiere nur vor den Mitinsassen darf er es spielen, wie er will. Vorpremiere. Wir warten gespannt, wie er die Szene anlegen wird. Er spielt den Verzweifelten, der einsieht, im Leben alles falsch gemacht zu haben. Berührender und verzweifelter als in jeder Probe. 120 männliche jugendliche Straftäter stehen auf, erst einige, dann alle, applaudieren, minutenlang. Dass der Härteste von ihnen auf der Bühne Schwäche und Verletzbarkeit zeigt, obwohl das den ungeschriebenen Regeln der Insassencommunity zufolge undenkbar ist, erlöst alle einen Moment lang von der Tyrannei der Gangsterrolle, die sie spielen müssen. Die Erfahrung, als Schauspieler mitzuwirken in einer Produktion, die von Kritiker*innen gelobt und in den Medien gefeiert wird, macht Jugendliche aus marginalen und diskriminierten Bevölkerungsgruppen oft zur ersten Person der Familie, die Anerkennung von der Mehrheitsgesellschaft erfährt. Nein. M. kann nicht am Freitagnachmittag proben. Da geht er gleich nach der Schule in die Moschee. Und am Samstag auch. Die Eltern erlauben nicht, dass ihr Sohn das Freitagsgebet und die Koranschule versäumt wegen des Theaters. Ein nicht unbeträchtliches Problem, weil M. eine Hauptrolle spielt und sie sehr gut spielt. In den letzten Wochen vor der Aufführung sind Durchläufe meist am Freitagnachmittag und einige Male auch am Samstag angesetzt, weil da eigentlich alle können – außer M.

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Was tun? Wir lesen seinen Text ein, wir überlegen, die Rolle doch umzubesetzen, wir ärgern uns. Da kommt die Einladung, das Stück im Rathaus zu spielen. Der ORF wird auch kommen. Natürlich soll auch M. dem Fernsehen ein Interview geben. Aber ob seine Eltern das erlauben? Ja, sie erlauben es. Und nicht nur das. Dass ihr Sohn im Rathaus auftreten und im Fernsehen ein Interview geben wird, löst alle Probleme. Freitagsgebet und Koranschule sind Nebensache. Hauptsache, der Bub wird glänzen, strahlen, seine Sache gut machen. Und das macht er. Kein Einzelfall. Immer wieder haben wir erlebt, dass eine mit aller Inbrunst verteidigte Identitätsfestung aufgegeben wird, wenn sich eine Stiege auftut, über die man zu höherem Status in den Rängen der Gesellschaft aufsteigen kann. Immer wieder haben wir aber auch erleben müssen, dass Kinder aus den sogenannten bildungsfernen Schichten, sprich aus proletarischen oder subproletarischen Familien, es viel schwieriger haben, an Theaterprojekten teilzunehmen, als die Kinder des Bildungsbürgertums. Für unser Theaterstück Kinderfressen leicht gemacht haben wir 17 Workshops in den verschiedensten Schulen, Jugendzentren, Parks, WGs, bei Interface (einem Bildungsprojekt für geflüchtete Jugendliche), im *peppa-Mädchencafé und bei den Sommerferien der Wiener Jugenderholung durchgeführt. Wir haben dabei darauf geachtet, dass Kinder aller Schichten und der verschiedensten Herkunft daran teilnehmen. Über 400 Kinder und Jugendliche zwischen acht und 18 Jahren haben in den Workshops Szenen zum Thema Kinderrechte improvisiert. Alle waren eingeladen, schließlich auch als Schauspieler*innen an der Erarbeitung des am 21. Oktober 2019 im Wiener Volkstheater uraufgeführten Stückes teilzunehmen. Allerdings waren unter den 35, die bereit waren, viel ihrer Freizeit der sehr intensiven Probenarbeit zu widmen, überdurchschnittlich viele Jugendliche aus den Gymnasien. In den bildungsbürgerlichen Familien gibt es ein wertschätzendes Wissen um die Bedeutung eines Auftrittes im Volkstheater, von dem manche Eltern der ärmeren Kinder niemals etwas gehört hatten, und auch eine viel größere Kapazität fürs Hinbringen und Abholen der jüngeren Kinder, für Begleitung zu gemeinsamen Theaterbesuchen, für Organisation des Familienlebens nach Maßgabe der Probepläne. Etliche der älteren Jugendlichen aus der Business Academy und von Interface konnten trotz großen Interesses und Talents nicht am Theaterprojekt teilnehmen, weil sie arbeiten müssen, um zum Familieneinkommen beizutragen, und sie schlicht neben Schule, Lernen und Nebenjob gar keine Zeit mehr für Hobbys oder anderes Engagement haben. Wir haben versucht, so gut wie möglich diese sehr viel schlechteren Startbedingungen im Projekt auszugleichen, Kinder nach Hause zu bringen, deren Eltern sie nicht abholen konnten, die Probenpläne nach den Bedürfnissen der arbeitenden Jugendlichen einzurichten, für Schauspieler*innen mit nichtdeutscher Familiensprache und starkem Akzent besonderes Aussprachecoaching anzubieten. Aber Kinderarmut und strukturelle Benachteiligung lassen sich nicht nur mit gutem Willen

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und nicht im Rahmen eines Kunstprojektes überwinden. Doch immerhin schließt die Beteiligung eines Kindes an einem erfolgreichen Theaterprojekt oft der ganzen theaterfernen Familie die Tür zu einer neuen Welt auf. In diesem Fall: öffnete sich das Volkstheater Teilen des Volkes, die vorher nicht einmal von seiner Existenz wussten. Die erfolgreiche Aufführung des Arbeitsergebnisses ist umso wirksamer, je künstlerisch anspruchsvoller und je öffentlicher sie sein kann. Wir legen den allergrößten Wert darauf, dass jede unserer Arbeiten mit Kindern und Jugendlichen hohe künstlerische Ansprüche erfüllt und auch das Publikum herausfordert. Niemals würden wir ein Stück abliefern, dass zwar die Eltern der beteiligten Kinder mit Stolz auf den süßen Nachwuchs erfüllt, aber von jedem unbeteiligten Zuseher als „Schülertheater“ abgetan würde. Unser Anspruch ist: Wir bewegen, berühren, provozieren, überfordern auch unser Publikum. Kinder und Jugendliche sollen Theater in seiner modernsten, anspruchsvollsten, gewagtesten und radikalsten Form erleben. Vielleicht ist es uns nicht jedes Mal gelungen, aber es war jedes Mal unser Ziel. Transkulturelle Herausforderungen für Gadsche, Gojim, Švabi, Kufar

Dazu kommt, dass wir möglichst immer mit familiensprachlich und transkulturell diversen Workshopleiterteams arbeiten. Als wir das erste Mal mit dem Choreografen Zoran Bogdanovic in den Theaterworkshop in der Justizanstalt Gerasdorf kamen, wurde er von jugendlichen Insassen begrüßt: „Servas, Zoki, was hast du angestellt?“ Die Neuigkeit, dass ein junger Rom, der mit ihnen im Gürtelkäfig gespielt hatte, nicht als Straftäter, sondern als Choreograf eines Theaterprojektes ins Gefängnis kommt, hat sie völlig überrascht und die Tür dafür geöffnet, mit ihnen Erfahrungen zu thematisieren, die sie einem „Švabo“ vielleicht nicht mit der gleichen Offenheit anvertraut hätten. Dass der aus Syrien stammende Johnny Mhanna und der aus Palästina stammende Jihad Alkhatib die jugendlichen Geflüchteten aus den Deutschkursen von Interface mit intimer Kenntnis ihrer kulturellen Backgrounds in den Improvisationen begleiten konnten, hat dazu geführt, dass wir viel schneller zum Kern ihrer Anliegen vordringen konnten: dass sie kaum Kontakte und schon gar keine Freundschaften mit österreichischen Jugendlichen haben und daher manche auch nach mehreren Jahren hier nur mäßig Deutsch sprechen, schlecht vernetzt sind, und wenn, dann nur mit Leuten aus ihren Herkunftsländern. Jugendliche mit Migrationshintergrund, insbesondere aus muslimischen Familien, sind ein Lieblingssujet rassistischer Phantasmen und Projektionen. Geschichten von religiös motiviertem Mobbing, von der Scharia-Polizei im Klassenzimmer füttern das Ressentiment gegen die „Fremden“. Die beschwichtigende Leugnung von Problemen mit antidemokratischen, frauenfeindlichen, intoleranten Einstellungen von Jugendlichen, die daheim in streng patriarchalen Traditionen erzogen

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werden, ist eine verbreitete Gegenreaktion. Aber natürlich gibt es transkulturelle Probleme, und die Aufgabe der Schulen sollte sein, die Kinder und Jugendlichen gegen fundamentalistische und diskriminierende Einstellungen und Verhaltensweisen zu wappnen, egal ob die politisch oder religiös motiviert sind, egal ob sie aus dem Elternhaus, der Peergroup oder aus den Medien stammen. Unsere Beobachtung ist, dass das vor allem da schwierig wird, wo es keine gute Durchmischung der Kinder gibt, wo die Mehrheit der Kinder aus schwierigen Verhältnissen kommt und gleichzeitig die Lehrer*innen selber rein deutschsprachige und oft katholische Familienhintergründe und damit wenig Verständnis für die ganz anderen Hintergründe der Kinder haben. In unserer Arbeit haben wir immer wieder festgestellt, dass die Wiener Jugendzentren, die schon seit Jahrzehnten sehr divers aufgestellte Teams von Jugendarbeiter*innen beschäftigen, sich auch in den angeblichen „Problembezirken“ viel leichter tun und gutes Handwerkszeug entwickelt haben, um sich extremistisch gebärdenden Jugendlichen gelassen zu begegnen und echte Gefährdung von pubertären Provokationen zu unterscheiden. Wir sind mehrmals Jugendlichen begegnet, die Theaterspielen per se als „haram“ abgelehnt haben. Mit einem dieser Burschen haben wir über mehrere Monate bei jedem Treffen neu die Grenzen des Verbotenen ausgelotet. Gemeinsame Aufwärmgymnastik ist erlaubt. Mädchen berühren nicht. Zu Musik sich bewegen ist verboten, ohne Musik ist es erlaubt. Als Redner eine Ansprache halten ist erlaubt, als Clown sich zur Freude der anderen verrenken ist verboten. Es war nicht leicht für ihn, daneben zu sitzen und zuzuschauen, wie die anderen – darunter einige gläubige Muslime – Spaß miteinander haben, während er sich mit der ständigen Bemühung um die korrekte Grenzziehung herumschlagen muss. Schwieriger wird es, wenn die dominanten Burschen der Gruppe partout die anderen zur Einhaltung vermeintlicher religiöser Gebote anzuhalten versuchen. Die Argumente eines Workshopleiters mit Namen Jihad haben da natürlich in der Diskussion ein ganz anderes Gewicht als die von ungläubigen weißen Frauen. Noch wichtiger, als sich an problematischen Einstellungen junger Männer abzuarbeiten, ist es allerdings, die Mädchen zu stärken. Sie sind es schließlich, die ihre Rechte, ihre eigenen Regeln, ihre Ansprüche durchsetzen müssen. Unsere Workshopleiterin Sandra Selimovic beherrscht nicht nur viele Techniken, auch mit größeren und schwierigen Gruppen zu arbeiten. Als offen lesbisch lebende, selbstbewusste Romni, Romaaktivistin und erfolgreiche Schauspielerin ist sie für die Mädchen ein beeindruckendes Beispiel, wie man verschiedene, anscheinend widersprechende Identitäten leben kann, wenn man das Rückgrat hat, zu den eigenen Entscheidungen zu stehen, auch wenn sie anderen nicht passen. Das sagt sich einfach. Zwischen den Ansprüchen verschiedener sozialer Bezugssysteme einen eigenen Weg zu finden ist aber um so schwieriger, je mehr sich die Anforderungen der Systeme

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widersprechen. Das kann man theoretisch wissen. Solche interkulturellen Zerreißproben mit allen Ausschlüssen und Demütigungen selber ausgestanden zu haben, sensibilisiert aber für die Probleme von Jugendlichen in ähnlichen Situationen in viel höherem Maße als jeder Kurs in interkultureller Kommunikation. Gerade in der Arbeit im Gefängnis, aber auch mit muslimischen Mädchen im Mädchencafé *peppa oder mit Mädchen aus schwierigen Elternhäusern in den WGs der MA11 hat Sandra Selimovic es immer wieder geschafft, die Mädchen aus der Reserve zu locken, ihre Hemmungen zu überwinden, sie ins Spielen zu bringen, weil sie aus eigener Erfahrung genau spürt, in welchen Zwickmühlen und Doublebind-Situationen sich unsere Schauspielerinnen befinden, ohne darüber reden zu können. In gemischten Gruppen ist es dafür manchmal notwendig, Burschen und Mädchen für eine Zeit zu trennen, damit die Mädchen sich entfalten können. Mediale Rückkoppelungen

Das Erste, was Kindern einfällt, wenn wir über Schutz gegen Gewalt sprechen, sind nicht die seltsamen Geräusche aus der Nachbarwohnung und noch viel weniger gut verdrängte oder zumindest erfolgreich verheimlichte eigene Gewalterfahrungen, sondern das Youtube-Video eines Vaters, der sein Kind zum Fenster hinauswirft. Oft präsentieren unsere Laiendarsteller*innen uns nicht authentische Bilder ihrer Lebenswelten, sondern Nachahmungen der medialen Überhöhungen und Zuspitzungen ihrer Erfahrungen. Wir haben uns vorgenommen, immer aufmerksam zu hinterfragen, woher denn die Geschichten eigentlich stammen, die in Theaterworkshops improvisiert werden. Dabei geht es nicht darum, mit Hilfe des Theaterspielens unbedingt authentische Einblicke ins Privatleben der Mitwirkenden zu gewinnen, sondern spielerisch die medialen Klischees, die vorhandenen Frames zu hinterfragen und einen gemeinsamen Realitycheck zu machen, der eben nicht sensationelle Fälle skandalisiert, sondern Ursachen und Wirkungen, Konfliktkonstellationen und Machtverhältnisse analysiert. In den ersten Improvisationen zu dem dreisprachigen Romatheaterstück Liebesforschung / Istraživanje ljubavi / Rodimos e kamlipesko entstanden viele beeindruckende Szenen aus dem wilden Alltag von Roma in Wien: koksende Mafiosi, bettelnde Kinder, die quer durch Europa verkauft werden, und Großmütter mit magischen Kräften. Was uns GadscheTheatermacher*innen zuerst als authentischer Ausdruck der Poesie der Minderheit erscheint, entlarven die Romakolleg*innen sofort als Reproduktion von Romaklischees aus Emir Kusturicas Filmen, von denen die Romaaktivistin Laura Moldovan schreibt: „Ich bin davon überzeugt, dass Kusturicas Filme maßgeblich dazu beigetragen haben, dass sich bei seinen Zusehern ein negatives Bild unserer Minderheit verfestigt, und die Xenophobie und der Antiziganismus stark zugenommen haben.“ Kusturicas exotisierender Romakitsch verfestigt Klischeebilder nicht

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nur in den Köpfen der Nichtroma, sondern beeinflusst auch Selbstwahrnehmung und Selbstdarstellung von Romajugendlichen. Mediale, insbesondere audiovisuelle Bilder und Geschichten können in der sozialen Wirklichkeit das erst herstellen, was sie angeblich zu repräsentieren behaupten. Ein Rückkopplungseffekt, der auch zum Beispiel bei der Prägung der Selbstentwürfe junger Männer mit Migrationshintergrund durch Gangsterrapvideos zu beobachten ist. Die romantische Verklärung des elenden, chancen- und perspektivlosen Überlebenskampfes illegalisierter junger Einwanderer zum Role Model des kokainsüchtigen, sich mit der Polizei Verfolgungsjagden liefernden, frauenverachtenden Gangsters legt auch Jugendlichen, denen eigentlich viele Türen offen stünden, Drogenkrankheit und Gewalttätigkeit als erstrebenswerten Habitus nahe. Da hilft es gar nichts zu sagen: „So einen Blödsinn spielen wir nicht!“ Das bestätigt ja nur den subversiven Reiz der verfemten Bilder. Gerade wenn Burschen nur kämpfen und töten, immer nur Mörder, Gangster und Zombies spielen wollen, nehmen wir sie ernst und spielen das so lange und so grauslich, lassen jeden einmal ausführlich das Opfer spielen, drehen feine Stellschrauben in den Mafiaszenen, bis ihnen die Hohlheit und Erbärmlichkeit der Gangsterposen offensichtlich und langweilig wird, bis sich Empathie mit den Opfern einstellt, bis sich die Lächerlichkeit des Umgangs mit Frauen offenbart, bis die Energie der Aggression, die da ausagiert werden will, stattdessen die Parodie des aggressiven Gestus speist. Machtkonstellationen in Institutionen

Theaterarbeit mit Jugendlichen in der Freizeit unterscheidet sich in einigem von der Arbeit in hierarchischen Institutionen, in denen das Empowerment der Jugendlichen manchmal nicht von allen Erwachsenen gerne gesehen wird. „So weit kommt’s noch, dass ich mir anschaue, wie die Gfraster da den Kasperl spielen!“, sagt eine Justizwachbeamtin der Justizanstalt Schwarzau, gefragt, ob sie sich Medea bloß zum Trotz anschaut. Eine Ausnahme zum Glück. Die meisten Mitarbeiter*innen der Justizanstalten waren am Ende stolz und erfreut zu sehen, zu welchen Meisterleistungen ihre Insass*innen fähig sind. Selber mitspielen wollte aber dann doch keine*r. Auch an Schulen gibt es Lehrer*innen, die allem, was nach Aufweichung von Disziplin und Unterordnung riecht, skeptisch gegenüberstehen. Und auch einige der Studierenden der Sozialarbeit der FH St. Pölten, die das Gefängnistheaterprojekt Date your destiny in der Justizanstalt Gerasdorf zu Beginn begleiteten, waren überhaupt nicht einverstanden, dass sie einfach mit den Insassen gemeinsam, ohne Wissens- und Machtvorsprung, spielen sollten. Sie wollten unbedingt vorher von den Sozialarbeiter*innen erfahren, welche Insassen weshalb eingesperrt seien, oder sie wollten zumindest die Spielleiter*innen sein. Eben weil

Man muss nicht jede Rolle annehmen …

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Theater eine Statusschaukel sein kann, die den Prinz vom Thron zu werfen und den Betteljungen zum König zu machen vermag, spielen die Autoritätspersonen meistens nicht mit. Das ist schade, weil es vielleicht sehr positive Auswirkungen auf den Umgang mit den Hierarchien und das Klima der Institution haben könnte. Wir haben Klassenvorstände erlebt, denen es mit Empathie und sozialem Geschick gelingt, den Haufen zusammengewürfelter junger Menschen zu einer halbwegs solidarischen Gemeinschaft zusammenwachsen zu lassen, und wir haben von Lehrer*innen gehört, die so unfähig und unerträglich sind, dass sie in einem paradoxen Effekt eine Solidarisierung der Schüler*innen bewirken: dadurch, dass die Schüler*innen sich gegen die unerträgliche Lehrperson zusammenschließen. Eine Klasse erklärt uns einhellig, der Lehrer L. sei der größte Albtraum ihres Schullebens: autoritär, cholerisch, ungerecht, ständig damit beschäftigt zu disziplinieren, statt Unterrichtsstoff zu erklären. Wir lassen sie eine Unterrichtsstunde mit diesem Lehrer nachspielen. Jede/r Schüler*in, die möchte, kann den unerträglichen Lehrer spielen. Die anderen spielen einmal sich selber, ein andermal das Gegenteil dessen, was sie sonst sind. Wir beschäftigen uns einen ganzen Vormittag damit. In der Feedbackrunde erzählen alle, die den Lehrer gespielt haben, dass sie die erstaunliche Erfahrung gemacht haben, dass das autoritäre Verhalten des Lehrers eine panische Reaktion auf erlebte Schwäche und Ohnmacht ist. Dass sie erlebt haben, wie sehr der Lehrer daran verzweifelt, nicht gemocht, nicht akzeptiert, nicht respektiert zu werden, wie er darauf böse und cholerisch und hypersensibel reagiert, was weitere Ablehnung durch die Schüler*innen bewirkt, und wie sich daraus eine Spirale der Gereiztheit und der Aggression ergibt. Wir haben die Jugendlichen gefragt, ob sie die Szene nicht dem betroffenen Lehrer vorspielen und mit ihm besprechen möchten. Doch da die meisten den Lehrer so einschätzten, dass er sich an den schauspielenden Schüler*innen rächen würde und außerdem den Direktor hinter sich wisse, wurde die Idee verworfen. Wir fragen uns, ob es nicht möglich wäre, in solchen kritischen Situationen auch die Lehrer*innen einzubeziehen. In diesem Fall zum Beispiel die Szene mit dem betroffenen Lehrer gemeinsam anzuschauen und zu besprechen, um das anscheinend gravierende Problem vielleicht zu lösen oder zu mildern. Bis jetzt haben wir allerdings keine Form gefunden, wie so etwas möglich wäre, weder in Schulen noch in Justizanstalten. In dieser Situation fragen wir uns wieder einmal, wie es möglich wäre, die Potenziale theaterpädagogischer Arbeit auch dazu einzusetzen, die Strukturen von Institutionen, die mit Jugendlichen zu tun haben, zu verbessern. Das würde aber heißen, dass auch die Erwachsenen, die Mächtigen, die Entscheider*innen sich bereit erklären müssten, sowohl die Machtstrukturen als auch ihre Handhabung derselben spielerisch zur Diskussion zu stellen.

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Tina Leisch Geld & Institutionalisierung

Im Justizministerium gibt es nicht nur kein Budget für Theaterarbeit mit Gefängnisinsass*innen. Obwohl die positive Wirkung sowohl auf den Werdegang der einzelnen Insass*innen als auch auf das Klima der Justizanstalten in vielen Studien bewiesen ist und in anderen Ländern (Niederlande, Großbritannien) Gefängnistheater zum selbstverständlichen Angebot der Justizanstalten gehört, ist es in Österreich die große Ausnahme, wird von manchen Anstaltsleitern nicht gewünscht und vom Justizministerium manchmal nicht genehmigt. Der erste Schritt hier wäre, dass mehr Theaterkolleg*innen Projekte in und mit den Justizanstalten entwickeln, um hier durch praktische Erfahrung deren Nützlichkeit zu beweisen. Das heißt aber heute leider noch, dass man als Theatermacher*in das Geld selber über Kulturbudgets oder Sponsoring aufstellen muss. Es wäre sehr wünschenswert, dass das Justizministerium da die breit vorliegenden internationalen Erfahrungen und Expertisen zur Kenntnis nimmt und Gefängnistheater als selbstverständliches Angebot institutionalisiert. Zorn in Horn wurde im Rahmen des 2009 vom Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur ausgelobten bundesweiten Theaterprojektes Macht|schule|theater von Szene Bunte Wähne organisiert. Leben des Galilei in der NMS Pazmanitengasse wurde vom Verein Wirtschaft für Integration finanziert. Kinderfressen leicht gemacht wird in Zusammenarbeit mit der Kinder- und Jugendanwaltschaft Wien entwickelt, die auch eine Basisfinanzierung bereitgestellt hat. Für alle anderen Projekte haben wir selber um die Förderungen angesucht und die Projekte selber auf die Beine gestellt. Das ist nicht einfach, weil KulturKontakt Austria zwar Kooperationen zwischen Künstler*innen und Schulen fördert, aber die Fördersummen bestenfalls für ein, zwei Workshops reichen und nie für die Erarbeitung eines anspruchsvollen Stückes über einen längeren Zeitraum. Die Kulturförderungen wiederum sind meist nicht für Produktionen mit Laiendarsteller*innen ausgeschrieben. An vielen Schulen gibt es Bühnenspiel als unverbindliche Übung. Die Qualität dieser Übungen hängt sehr von der Qualifikation der Lehrer*innen ab. Manchmal wäre es wünschenswert, dass Künstler*innen bzw. Theaterpädagog*innen von außen da ein bisschen frischen Wind hineinbringen. Wir wünschen uns sehr eine Debatte, ob und wie Theater- und Videoarbeit an Schulen besser verankert werden könnte. Dabei wäre eine Diskussion über die verschiedenen Formen und Ansprüche von Theaterarbeit mit Kindern und Jugendlichen interessant: Inwieweit und wo und wann kann Theaterspielen eine wirksame Form der Wissensvermittlung, also eine spannende Unterrichtsmethode sein? Wie funktionieren Theatertechniken zur Reflexion und Verbesserung sozialer Systeme, zur Vergegenwärtigung und empathischen Spürbarmachung von sozialen Konflikten und im besten Fall auch als Hilfsmittel zur Konfliktlösung? Welche Ressourcen gibt es an den Schulen? Braucht

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Man muss nicht jede Rolle annehmen …

es ein Unterrichtsfach „Film, Theater und sonstige Medien“? Welche theaterpädagogischen Fähigkeiten sollten verstärkt in der Lehrer*innenausbildung verankert sein? Wo ist es sinnvoller, Künstler*innen und Theaterpädagog*innen von außen zu engagieren? Wann stellen wir den Anspruch an ein künstlerisch interessantes Ergebnis? Welche Effekte und welche Bedeutung haben Theaterprojekte, deren erster und hauptsächlicher Anspruch ein künstlerischer ist? Was passiert, wenn wir uns vor allem um die Produktion eines theatralen Ereignisses bemühen, das das Publikum mitreißt und bewegt? Die Stadt Wien hat für 2020/2021 mit „Respekt – gemeinsam stärker“ ein Projekt ins Leben gerufen, das unter anderem auch Kulturschaffende einlädt, an ausgewählten Schulen exemplarisch an einem Schulentwicklungsprozess mitzuarbeiten. Wir sind gespannt auf die Erfahrungen aus diesem Projekt.

In diesen Text sind Erfahrungen aus verschiedenen Theaterprojekten mit Jugendlichen eingeflossen, die von verschiedenen Teams erarbeitet wurden. Manche unter der künstlerischen Leitung von Tina Leisch, manche in kollektiven Prozessen der Ensembles. Meistens war Sandra Selimovic maßgeblich beteiligt, deren Anregungen auch in diesen Text eingeflossen sind. Date Your destiny in der Justizanstalt Gerasdorf, 2006 (Inszenierung: Sandra Selimovic, Zoran Bogdanovic, Tina Leisch; Text: Alma Hadzibeganovic, Tina Leisch) Liebesforschung / Istraživanje ljubavi / Rodimos e kamlipesko mit einem Romaensemble, in dem auch einige Jugendliche mitgespielt haben, 2006 (Inszenierung: Sandra Selimovic, Tina Leisch; Text: Ljubomir Bratic, Boban Stojkov, Tina Leisch) Medea bloß zum Trotz in der Justizanstalt Schwarzau, 2007 (Inszenierung: Sandra Selimovic, Tina Leisch; Text: Alma Hadzibeganovic, Tina Leisch) Zorn in Horn mit Jugendlichen aus verschiedenen Schulen in Horn, im Rahmen des vom Bildungsministerium ins Leben gerufenen Projektes Macht|schule|theater, 2009 (Inszenierung: Sandra Selimovic, Tina Leisch; Text: Tina Krapfenbauer, Tina Leisch) Schneid deinen Ärmel ab und lauf davon! Čin ći baj taj naš! mit einem Romaensemble, in dem auch einige Jugendliche mitgespielt haben, 2009 (Inszenierung: Sandra Selimovic, Tina Leisch; Text: Simonida Selimovic, Tina Leisch) Leben des Galilei in der NMS Pazmanitengasse, 2010 (Inszenierung: Alenka Maly, Sedat Pero, Tina Leisch in Zusammenarbeit mit den Leiterinnen des Dramaclubs der Schule, Michaela Smoliner und Vedantini Meier) Schutzbefohlene performen Jelineks Schutzbefohlene mit Geflüchteten, darunter etliche unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, 2015 (Inszenierung: Bernhard Dechant, Tina Leisch) Theaterworkshops im Spacelab Sachsenplatz, im Spacelab Strebersdorf und im Projekt Schule für Alle im Rahmen des Projektes wirkommen.at, 2018 (Bernhard Dechant, Tina Leisch, Johnny Mhanna, Jihad Alkhatib, Futurelove Sibanda, Gat Goodovitch) Workshops Glückliche Kinder in verschiedensten Schulen, Jugendzentren, Parks und WGs als Vorbereitung des Stückes Kinderfressen leicht gemacht, 2019 (Sandra Selimovic, Eva Prosek, Demet Kavut, Tina Leisch, Johnny Mhanna, Jihad Alkhatib, Sophie Resch, Stefan Bergmann, Futurelove Sibanda, Bernhard Dechant)

Robert Prosser Angewandte Poesie Kulturpolitik als Selbstorganisation

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Gemeinsam mit dem Dichter Christoph Szalay gab ich im Jahr 2019 im Limbus Verlag die Anthologie Wo war’n wir? Ach ja: Junge österreichische Lyrik heraus. Der Titel – ein Zitat aus dem Gedichtband boring river notes von Stefan Schmitzer, im Herbst 2018 in der Grazer edition keiper publiziert – mag unser Vorhaben erahnen lassen: abzubilden, was die junge zeitgenössische Lyriklandschaft in Österreich ausmacht, wer die Autor*innen sind, welche Zentren es gibt, welche Ränder, welche Verlage und Zeitschriften, welche Initiativen. Es war der Versuch, die junge Lyriklandschaft zu skizzieren, und vor allem wollten wir der Frage nachgehen, warum niemand darüber spricht. Die Motivation für unsere Herausgabe lag in einem Mangel begründet – dem Mangel an Aufmerksamkeit, an Öffentlichkeit. Blättert man durch die Beilagen und Besprechungen österreichischer Zeitungen und Zeitschriften, stöbert in deren OnlineAblegern oder in anderweitigen Blogs und Podcasts, sieht man sich die verschiedenen Kultur- und Literatursendungen allfälliger Fernsehsender an, ließe sich annehmen, dass Lyrik abseits einer Handvoll bekannter Autor*innen und Verlage nicht existiert – in starkem Kontrast zur Vielzahl an Gedichten, die geschrieben werden, sowie den unterschiedlichen aus der Szene kommenden lyrik-fokussierten Initiativen, Zeitschriften und Verlagen. Die Lage im übrigen deutschsprachigen Raum, sprich in der Schweiz und in Deutschland, gestaltet sich insofern besser, als dort – neben einer regelmäßigen Rezeption in Form von on- oder offline publizierter Kritik – Einrichtungen und Projekte wie das Lyrikkabinett München, das Haus für Poesie in Berlin, lyrix, der Bundeswettbewerb für junge Lyrik, oder die Schweizerische Lyrische Gesellschaft PRO LYRICA zum Teil weitreichende Sichtbarkeiten erzeugen. Für Österreich ist ein beinahe gänzliches Fehlen solcher Strukturen und Bereitschaften zu behaupten. Zwar gibt es ein Stipendien- und Fördersystem, sowohl auf Bundesebene (Start-, Arbeits-, Werk-, Projektstipendien usw.) als auch auf Landes- sowie kommunaler Ebene, das es Autor*innen ermöglicht, sich auch über einen längeren Zeitraum der Arbeit an einem Projekt zu widmen, ebenso Preise, wie den Feldkircher Lyrikpreis, den Ernst-Jandl-Preis, den Mondseer Lyrikpreis, den Christine Lavant Preis oder den Georg-Trakl-Preis für Lyrik, vereinzelt Lyrikschwerpunkte in Form von Veranstaltungen oder medialer Rezeption – etwa die Festivals Poliversale und Dichterloh in der Alten Schmiede in Wien, 2 Tage Lyrik im Literaturhaus Graz oder die Nachtbilder auf Ö1, ebenso das Projekt Schirmgedichte, eine Kooperation des ORF und Ö1 –, nicht jedoch eine fundierte und regelmäßige Auseinandersetzung mit Gedichten auf einer breiten Basis. Ob eine solche erstrebenswert ist, sei dahingestellt, uns ging es darum, dem Desinteresse eine Art Statusbericht entgegenzustellen und zu zeigen, dass – oftmals losgelöst von struktureller Unterstützung – eine literarische Avantgarde existiert, die selbstorganisiert eine eigene Kultur erschaffen hat, aus dieser Selbstorganisation heraus neue Wege der Präsentation findet und die literarische Gegenwart Österreichs prägt.

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Robert Prosser

Wir setzten bewusst Streitpunkte, allen voran die Behauptung und Betonung einer Jungen österreichischen Gegenwartslyrik. Was soll darunter zu verstehen sein? Der Fokus auf das Attribut jung hieß für die Anthologie zweierlei: zum einen die Berücksichtigung und Auswahl von Autor*innen nach ihrer Biografie, zum anderen nach ihrer Struktur und Praxis. Für Ersteres war ausschlaggebend, dass das lyrische Schaffen der älteren und mittleren Generation literaturwissenschaftlich erfasst ist, sei es in Form von Dossiers oder Forschungsarbeiten zu einzelnen Dichter*innen, die jüngere Generation aber, die wir bei einem Geburtsjahr ab 1980 ansetzten, ist trotz ihrer Dichte und Qualität im akademischen Diskurs kaum präsent. Für den Auswahlgrund zu Struktur und Praxis lässt sich unter anderem Wiebke Porombka anführen, die zur Situation der jungen Gegenwartslyrik festhält: „Erstaunlich ist auch ihre Umtriebigkeit. Kaum eine Szene ist untereinander so gut vernetzt und so anspruchsvoll im Umgang mit der eigenen Arbeit: Die beständige Diskussion und gegenseitige Kritik von neuen Texten ist ebenso reflektiert wie wenig schonend.“1 Vor mehreren Jahren veröffentlicht, berührt Porombkas Artikel dennoch wesentliche Punkte, die auf struktureller Ebene nach wie vor von Bedeutung sind – Vernetzung und Reflexion zeichnet auch die Junge Literatur der Gegenwart aus. Sie agiert rhizomatisch und dialogisch, knüpft Kontakte, unterhält Netzwerke. Die Verbindungen verlaufen quer über Städte und Regionen sowie auch länder- und spartenübergreifend und oftmals abseits von staatlicher Unterstützung. Poesie als eine avantgardistische künstlerische Form verpflichtet sich in ihrer Gegenposition zum Mainstream eher einer Punk-Attitude, dem DIY-Gedanken. Um der Szene bzw. den verschiedenen in Österreich aufzufindenden Ausrichtungen gerecht werden zu können, nahmen wir eine Gliederung in vier Teile vor: Norden, Süden, Osten, Westen gaben der Anthologie Kontur. Jedem dieser Abschnitte wurde wiederum ein eigenes Editorial vorangestellt, das jeweils auf die Besonderheiten, die unterschiedlichen Initiativen, Verlage, Zeitschriften und nicht zuletzt die Autor*innen eingeht. Eine der Schwierigkeiten, die eine solche Gliederung mit sich bringt, ist die Frage nach der Zuordnung der Autor*innen: Wer gehört wohin und warum? Die Schwierigkeit entstand vor allem durch die Differenz zwischen Herkunft und Wohn- bzw. Arbeitsort. Für die meisten der versammelten Autor*innen waren mehrere Zuordnungen möglich, sowohl in der Fremd- als auch in der Eigenbeschreibung. (Zudem ließe sich mit dieser Praxis von Ein- und Zuteilung zu Recht an gegenwärtige Diskussionen über Zugehörigkeit und Identität anknüpfen. Für die Anthologie wurde dennoch die Entscheidung zugunsten der Herkunft getroffen, nicht nur aus pragmatischen Gründen, sondern vor allem aus ihrer Funktion als Anfangs- und Ausgangspunkt des jeweiligen Schaffens heraus.)

1 Wiebke Porombka: „Gedichte unter erschwerten Bedingungen“, in: FAZ, 8.6.2011, https:// www.faz.net/aktuell/ feuilleton/themen/ land-der-dichter-gedichte-unter-erschwertenbedingungen-1654361. html.

Angewandte Poesie

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Es mag von Interesse sein, zwei Himmelsrichtungen herauszugreifen, um die Unterschiede in der poetischen Praxis Österreichs deutlich zu machen. Einmal der Westen. Vorweg: Südtirol nahmen wir, Staatsgrenzen negierend, auf in diese Verortung junger österreichischer Dichtung. Nicht nur sind deren Vertreter*innen in großer Mehrheit in Wien aktiv, österreichische Dichtung ist an sich kaum ohne den Südtiroler Beitrag denkbar (und vice versa), und wenn, dann nur als eine trostlosere, der lyrischen Eigenwilligkeiten eines Kasers, Eggers oder Oberhollenzers beraubte Version. Mit den Bücherwürmern Lana, die seit Jahrzehnten wegweisende Dichter*innen für Lesungen nach Südtirol holen, und dem in Bozen und Wien ansässigen Folio Verlag als Impuls- und Rückhaltgebern zeigt die Szene auf der wärmeren Seite des Brenners, was möglich ist, wenn die lokale Szene auf die Unterstützung etablierter Institutionen zurückgreifen kann. Seit der Neuorganisation bzw. dem Generationswechsel der Südtiroler Autorinnen- und Autorenvereinigung (SAAV) mit Maria C. Hilber als neuer Chefin klinken sich jüngere Autor*innen vermehrt in den Betrieb ein, um Poesie in verschiedensten Formaten zu erproben. Ein ambitioniertes Beispiel hierfür ist das Übersetzungsprojekt Lyrischer Wille, initiiert und koordiniert von Arno Dejaco und Matthias Vieider. Der geografische Raum Südtirol wird dabei als Areal der Mehrsprachigkeit verstanden und Poesie als Netzwerk gedacht: In sieben Zyklen übersetzen sich etwa fünfzig Autor*innen gegenseitig, von Deutsch (mitsamt dialektalen Ausprägungen etwa aus dem Puster- oder Ahrntal) über Italienisch oder Farsi bis zum Ladinischen wächst so aus elf in Südtirol privat oder öffentlich verwendeten Sprachen ein dichtes Abbild jetziger Dichtung, das im Herbst 2018 bei Folio in Buchform erschienen ist. Lyrischer Wille ist zudem, dies sei hervorgehoben, eines der wenigen literarischen Unterfangen, die Autor*innen jeglichen Alters in einen künstlerischen Dialog setzen, jüngere Dichter*innen und arrivierte, ältere gleichermaßen herausfordern, Texte aktiv zu rezipieren und in die eigene dichterische Sprache zu transferieren. Von Salzburg über Tirol bis Vorarlberg zieht sich dagegen ein Gebiet der Einzelgänger*innen. Eine Handvoll Zeitschriften – wie Salz und erostepost in Salzburg, miromente in Bregenz oder Cognac & Biskotten in Innsbruck – schafft mit Verlagen wie Limbus, der in einer ambitionierten Reihe österreichische Lyrik verlegt, über Westösterreich verstreute Plattformen für Poesie. Als Initiative, die aus der Szene selbst gewachsen für die Szene wirkt, sei die KulturKeule in Salzburg hervorgehoben – die Lesereihe und die daran angedockte Zeitschrift mosaik bzw. die gleichnamige Edition. Die KulturKeule organisierte unter anderem im Dezember 2016 gemeinsam mit Babelsprech, einer internationalen Plattform zur Förderung junger Poesie, Lyrik für Alle!, ein Festival, das mehr als zwanzig Dichter*innen der jüngeren Generation aus dem deutschsprachigen Raum, Slowenien und der Ukraine an die Salzach holte. Ganz im Westen, wo sich die Szene disparater zeigt und nicht auf eine Stadt fokussiert ist, versucht der Verein Literatur Vorarlberg, dem

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Verlust an jungen Kreativen, die in hohem Maß für Studium und/oder Beruf fortziehen, eine das Bundesland umspannende Struktur entgegenzusetzen. Trotz des fehlenden realen Ortes, an dem Dichtung sich präsentieren könnte, soll Literatur Sichtbarkeit verschafft werden, so das Anliegen von literatur: vorarlberg netzwerk, einer Organisation, die rund dreißig Veranstalter und literarische Initiativen umfasst und mit Angeboten von Schulworkshops über Poetry Slams bis hin zur ein- bis zweimal jährlich erscheinenden Zeitschrift V den in Vorarlberg verbliebenen jüngeren Schreibenden Möglichkeiten zu Präsentation und Austausch offeriert. Ähnliches versuchte in Innsbruck die Lesebühne Text ohne Reiter, die von 2007 bis 2015 existierte. Mit Wettbewerb, Workshops und Open Mic war zwar das Angebot zur Jugendförderung gegeben, allein es fehlte an Nachfrage, an Dichter*innen; ein Mangel, der in Bezug auf die äußerst lebendige Tiroler Poetry-Slam-Szene nicht festzustellen ist. Seit 2015 findet in Innsbruck mit W:Orte zwar ein sorgfältig kuratiertes und rein der Lyrik gewidmetes Festival statt, dennoch muss insgesamt festgestellt werden, dass in der Literatur jenes Bild der Bergwelt, das die Werbeindustrie erschaffen und der Wintertourismus längst ad absurdum geführt hat, tatsächlich zutrifft: Die Alpen sind eine einsame, harte Gegend. Im Gegensatz dazu wartet keine der in der Anthologie vorgestellten Regionen mit derart vielen Akteur*innen, Bühnen und Initiativen auf wie der Osten. Dies liegt, wenig überraschend, an Wien. Einem euphorisch gestimmten Gemüt mag es scheinen, als wäre die Stadt für die jüngere heimische Dichtung das, was Berkeley County für Google ist: Standort des Riesenservers, des Rechenzentrums, in dem (fast) alles zusammenläuft und neu verarbeitet wieder rausgeballert wird. Wien weist mit dem Literaturhaus, der Österreichischen Gesellschaft für Literatur und der Alten Schmiede drei Institutionen auf, die der zeitgenössischen Lyrik Formate für Auftritte und Diskurse bieten, etwa das DICHT-FEST in der Alten Schmiede, kuratiert von Christine Huber, oder Kombo Kosmopolit im Literaturhaus, eine Lesungsreihe, die in Kooperation mit KulturKontakt Austria deren Writer in Residence mit heimischen Dichter*innen in Dialog treten lässt. Zuerst aber der Blick zur Grenze nach Ungarn, wo Wien zwar spürbar ist, sich aufgrund dieser Nähe jedoch eine Szene gebildet hat, die auffällig eigenwillig agiert. Das Burgenland weist in puncto Poesie Überschaubarkeit auf, die sich insbesondere auf die edition lex liszt 12 konzentriert; im Programm dieses Verlags finden sich so gut wie alle nennenswerten jüngeren Dichter*innen. Das über die junge burgenländische Szene bestens informierte Literaturhaus Mattersburg stellt in unregelmäßiger Folge junge burgenländische Literatur vor, im KUGA (kulturna zadruga), dem interkulturellen, burgenländisch-kroatischen Zentrum im Landessüden, gibt es Versuche, die Burgenland-Kroaten stärker ins kulturelle Geschehen einzubinden. Diese Minderheit stellt ähnlich den Kärntner Slowenen ein besonderes Charakteristikum dieses Bundeslandes dar, das auch in der

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Angewandte Poesie

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jüngeren Literatur zur Sprache kommt; einige Dichter*innen schreiben, zumindest teilweise, auf Burgenländisch-Kroatisch. Wien dagegen ist Wohn- und Wirkort etlicher Schreibender, die ihrer Herkunft wegen in der Anthologie den anderen drei Himmelsrichtungen zugeordnet wurden, zudem haben etliche internationale Dichter*innen Wien als Lebensmittelpunkt gewählt. Ebenso vielzählig sind die Publikations- und Auftrittsmöglichkeiten. Die Huellkurven, ein Online-Magazin für Sound Poetry (d. h. von Poésie sonore über Noise Poetry bis hin zu auditiver Poesie), das Fröhliche Wohnzimmer und die Zeitschrift Zeitzoo sowie die von Zeitzoo betreute Evolutionsbibliothek im WUK bilden Anlaufstellen experimenteller Dichtung. Unbestreitbar ist der Einfluss, den die Studierenden des Instituts für Sprachkunst auf das städtische Literaturgeschehen nehmen. Der Studiengang hat sich zu einem Anziehungspunkt für Autor*innen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum entwickelt und sorgt mit neuen Veranstaltungsformaten oder der von Studierenden redaktionell betreuten Literaturzeitschrift JENNY für Impulse. Aus einer Germanistik-Lehrveranstaltung von Peter Waterhouse ging das Kollektiv Versatorium hervor, das sich dichterisch freien, ungeniert eigenwilligen Übersetzungen widmet und Charles Bernstein = Karl Elektric. Gedichte und Übersetzen (Qintano Forlag, 2017) veröffentlichte oder die gemeinsam mit Migranten erstellte Transformierung von Elfriede Jelineks Stück Die Schutzbefohlenen in Die, should sea be fallen in. Es ist festzuhalten, dass all die genannten Plattformen und Projekte oftmals nicht getrennt voneinander agieren, sondern ihre jeweiligen treibenden und/oder teilnehmenden Kräfte in immer neuen Verbindungen und Auftrittsformaten zueinanderfinden. Diese Eigenschaft lässt sich auf die jüngere Lyrik per se übertragen: Auffallend viele der in der Anthologie vorgestellten Dichter*innen erweitern ihr Schreiben über den Text hinaus in Performance, Musik, Installation, und gerade Wien ermöglicht als überschaubare, zugleich mit vielen Treffpunkten und Auftrittsorten dienende Stadt das organische Wachsen einer Szene, deren Vielfalt sich aus Studierenden der Sprachkunst und Autodidakten gleichermaßen speist. Ein einsames Miteinander: In dieser Gleichzeitigkeit spiegelt sich in der Großstadt im Kleinen wider, was für Österreich in Bezug auf die gegenwärtige Dichtung im Gesamten gilt.

Marc Grandmontagne Verbände im Geflecht kulturpolitischer Aushandlungsprozesse am Beispiel des Deutschen Bühnenvereins

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1 Obgleich diese positive Bewertung nicht ganz unumstritten ist in Deutschland, da auch die Ansicht vertreten wird, die Begrifflichkeit Sozialpartnerschaft sei eine Beschönigung und würde versuchen, den Interessenantagonismus zu übertünchen. Siehe zum Ganzen auch Fußnote 7.

Viele Jahre dümpelte eine eher ambitionslose (explizite) Kulturpolitik in Deutschland irgendwo zwischen Spartenförderung, Städtetourismus und Volksfest marginalisiert vor sich hin und fand größere Beachtung höchstens im Zusammenhang mit der Eröffnung spektakulärer Kulturbauten. Die bedeutsamen kulturellen Fragen wurden, wenn sie überhaupt politischen Resonanzraum fanden, in anderen Bereichen diskutiert, etwa in der Wirtschaft, der Sozial- und Einwanderungspolitik und ansatzweise in der Bildung. Die Ausklammerung des Kulturellen aus der Politik überließ somit den Einrichtungen, freien Gruppen und Künstler*innen das Thema, was unter anderem auch in der institutionalisierten Kulturbranche, wie etwa den Theatern, zu Öffnungen und soziokulturellen Entwicklungen führte. Gesellschaften, durch globalen Kapitalismus, Migration und Digitalisierung einem rapiden Wandel unterworfen, sind sich in vielen Ländern ihrer selbst nicht mehr sicher, führen gereizte Debatten über das, was einander verbindet (oder trennt), und auch Deutschland muss nun lernen, damit umzugehen, dass radikalere Kräfte den Identitätsdiskurs an sich gezogen haben. Es kommt wieder Schwung in die Kulturpolitik, auch deswegen, weil zivilgesellschaftliche Akteure selbstermächtigt auf das Feld politischer Aushandlung treten, mit großem Selbstbewusstsein bestehende Strukturen in Frage stellen und die Politik vor sich her treiben. Dazu gehören auch Verbände wie der Deutsche Bühnenverein, der als Arbeitgeber- und Interessenverband seit 1846 Theater- und Orchesterpolitik mitgestaltet. Als Berufs- und Arbeitgeberverband gehört der Deutsche Bühnenverein zu den sogenannten Sozialpartnern, die (unter anderem) gemeinsam mit den Künstlergewerkschaften den tarifrechtlichen Rahmen für die Beschäftigung an den öffentlichen Theatern und Orchestern verhandeln. Diese Form eines Neokorporatismus besteht in Deutschland seit 1949 und kann auf eine lange Erfolgsgeschichte zivilgesellschaftlicher Einbeziehung in den politischen Entscheidungsprozess blicken.1 Der Tisch derer, die mitreden wollen, wird allerdings größer: Seit einiger Zeit treten selbstermächtigte Gruppen (NGOs) wie Ensemble Netzwerk, art but fair, Pro Quote Bühne und andere auf den Plan, üben starke Kritik an der Arbeit der Etablierten und bringen neue Dynamiken ins Spiel, verbunden mit einer hohen (Teil-)Öffentlichkeit. Die sich dadurch ergebenden Kausalitäten machen den Aushandlungsprozess deutlich komplexer, was sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich bringt. Sie sind grundsätzlich Kennzeichen einer sich transformierenden Gesellschaft, in denen sich die Kräfteverhältnisse verschieben und in denen durch die Mobilisierung von öffentlichem Druck partielle Interessen durchgesetzt werden können. Die sogenannten sozialen Medien spielen in diesem Zusammenhang keine unwichtige Rolle. Der folgende Beitrag versucht, aus der Innensicht eines Verbands diese Entwicklungen zu beleuchten. Dazu werden zunächst einmal die

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Grundfunktionsweisen der verbandlichen Aushandlung im Geflecht existierender kulturpolitischer Interessen beschrieben. Sodann wird versucht, anhand der politischen Debatte zur Mindestgage für (unter anderem) Schauspieler*innen die Entwicklung aufzuzeigen, die zu einer Verschiebung dieser Konstellation, auch was die eigene Rolle angeht, geführt haben. Nach einer Analyse der Situation wird versucht, diese Entwicklung gesamtgesellschaftlich einzuordnen, und gefragt, welche Konsequenzen sich daraus für den Verband selbst, aber auch für die Kulturpolitik ergeben. Einleitung

Es ist so eine Sache mit der Kultur in Deutschland (und sicher auch in Österreich): Einerseits wird zu Recht immer wieder darauf verwiesen, wie einmalig und schützenswert die reichhaltige und dichte Kulturlandschaft, insbesondere die der Theater und Orchester, ist. Im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern auf der Welt finden sich in fast jedem Landstrich große Tempel der Kunst, die auch einem 30.000-Einwohner-Städtchen ein Kulturprogramm ermöglichen, das anderswo erst nach der Bewältigung erheblicher Wegstrecken zu erleben ist: Oper, Theater, Konzert, Tanz, dazu kommen jährlich geschätzte 800 Festivals allein in Deutschland. Andererseits wird nicht an Kritik gespart: Zu schwerfällig und nicht mehr zeitgemäß sei das Theater bzw. das Orchester, es verschlinge einen (zu) großen Teil des Budgets, das damit nicht für andere Akteure (z. B. freie Gruppen) zur Verfügung stehe, das Theater sei zu weiß, zu männlich und zu deutsch, zu wenig international, es sei der letzte Hort feudalen Denkens, (re-)produziere patriarchalische Strukturen (#MeToo) und beute seine Künstler*innen aus, um nur einige Punkte zu nennen. Hinzugesellt hat sich aufgrund wachsender Sympathiewerte für rechte und autoritative Bewegungen der Vorwurf, es werde „links-versifftes Gesinnungstheater“ finanziert, und ganz grundsätzlich wird die öffentliche Kulturförderung (immer wieder fälschlich und bewusst als Subventionierung bezeichnet) in Frage gestellt. All diese Debatten finden wiederum in einem Klima gesellschaftlicher und medialer Polarisierung statt, das sich durch eine Kultur höchster Erregung (Shitstorm) und subjektiver Befindlichkeitsdiskurse auszeichnet. Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen hat in diesem Zusammenhang von „Empörungsdemokratie“2 gesprochen. All dies fällt nicht vom Himmel und ist Ausdruck und Symptom einer tektonischen Kräfteverschiebung in unserer Gesellschaft, die in dieser Dimension für alle Beteiligten eine große Herausforderung ist. Für den Deutschen Bühnenverein gilt das gleich zweifach, was seiner Natur geschuldet ist: Denn er ist einerseits Arbeitgeberverband und handelt in dieser Funktion im Namen seiner Mitglieder mit den Künstlergewerkschaften die Tarifverträge für das künstlerische Personal aus (also für die Schauspieler*innen, Tänzer*innen, Musiker*innen usw.). Andererseits ist er laut seiner Satzung auch der Interessenverband der deutschen Theater

2 Bernhard Pörksen (2018): Die große Gereiztheit. Wege aus der kollektiven Erregung, München: Hanser.

Kulturpolitische Aushandlungsprozesse am Beispiel des Deutschen Bühnenvereins 3 So § 2 (1) der Satzung des Deutschen Bühnenvereins vom 22.6.1976 in der Fassung vom 26.5.2006.

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und Orchester und in dieser Rolle verantwortlich dafür, das Theater und Orchester zu „erhalten, zu festigen und fortzuentwickeln“.3 Dies ist zweifellos komplex, denn das Handeln als Arbeitgeberverband kann durchaus in Widerspruch zum Handeln als Interessenverband stehen. Das liegt einfach daran, dass die Perspektive des Interessenverbands eine sein kann, die der Sicht der Arbeitnehmer*innen entspringt und nicht der der Arbeitgeber*innen. Der Deutsche Bühnenverein stellt mit dieser Doppelnatur auch nicht die Regel dar. Die nämlich trennt den Arbeitgeber- vom Interessenverband und vermeidet daher grundsätzliche Rollenkonflikte. Die explizite Betonung dieser Dichotomie ist wichtig, weil die sich daraus ergebenden, bisweilen sehr schwierigen Konstellationen und Konflikte Folge einer innerinstitutionellen Grundspannung sind, die auf verschiedenen Perspektiven, Rollen und Akteuren sowie einem eher allgemeinen Auftrag in der Satzung des Deutschen Bühnenvereins beruhen. Trotzdem wäre es falsch, die Doppelnatur lediglich als Problem wahrzunehmen, vielmehr kann sie als große Chance gesehen werden – dazu im Folgenden mehr. Der Arbeitgeberverband und der öffentliche Kontext

4 Hiervon zeugen auch die unzähligen, über viele Jahre entstandenen Kommentare auf dem Portal www.nachtkritik. de, die, dominiert von einigen wenigen, durch konsequentes Abarbeiten am „Feindbild Bühnenverein“ alle politischen Entscheidungen und jegliche Kommunikation des Verbands stets als negativ und unglaubwürdig abstempeln. Positive Entwicklungen sind demnach per se schon dadurch ausgeschlossen, dass handelnder Akteur der Bühnenverein ist. 5 Vgl. hierzu Elisabeth Wehling (2016): Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht, Köln: Herbert von Halem.

Der Begriff Arbeitgeberverband suggeriert gemeinhin wenig positive Assoziationen: Es schwingt irgendwie mit, dass sich in einer solchen Organisation wirtschaftsstarke Akteure zusammenfinden, die einer fortschrittlich-sozialen und an Arbeitnehmerinteressen ausgerichteten Betriebskultur entgegenstehen. 4 Obwohl diese Art des „Framings“5 natürlich unterkomplexer Unsinn ist, wäre es vermessen, die Existenz von Problemen zu leugnen, die über viele Jahre zum Vertrauensverlust geführt haben. Dazu ist ein kurzer Blick auf den Bühnenverein, seine Mitglieder und seine Arbeitsweise notwendig. Der Deutsche Bühnenverein, 1846 gegründet und 1947 wieder gegründet, hat rund 470 Mitglieder. Dazu gehören einerseits Unternehmermitglieder (also die Theater und Orchester bzw. ihre Rechtsträger, also Kommunen und Bundesländer) und andererseits die persönlichen Mitglieder, also die Intendant*innen und künstlerischen Leiter*innen. Die Mitglieder decken also im weiten Sinne den öffentlichen Bereich ab (auch im Falle der Privattheater, die, selbst wenn sie gar keine öffentliche Förderung bekommen, doch öffentlich im Sinne von nicht gewinnorientiert, was den Hauptzweck angeht, arbeiten). Die öffentliche Finanzierung ist damit eines der Hauptmerkmale. Die dadurch bedingte Nähe erfährt durch die verfassungsrechtlich in Artikel 5 des Grundgesetzes statuierte Kunstfreiheit ihr notwendiges Gegengewicht, um vor einer staatlichen Instrumentalisierung der Kunst wirksam geschützt zu sein. Ganz ohne Rollenkonflikt geht das Ganze aber auch hier nicht vonstatten, denn bei aller Neutralität tritt der Staat auch als Förderer und Rechtsträger auf. Öffentliche Förderung bedingt die Teilhabe am demokratischen Prozess der Politik, die Finanzpolitik auf kommunaler oder Landesebene muss ebenso überzeugt werden wie

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die Parlamente. Den Begriff des Öffentlichen nur auf das Finanzielle zu reduzieren wäre allerdings zu wenig, denn institutionalisierte Theater und Orchester arbeiten im öffentlichen Raum, sie sind Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge und erfüllen einen wichtigen Auftrag für das Gemeinwesen. Daran ändert übrigens auch die im deutschen Kommunalrecht verankerte „Freiwilligkeit“ der Kulturförderung nichts, denn diese besagt nur, dass das, was unter Kultur zu verstehen ist, immer wieder neu ausgehandelt werden muss. Die „freiwillige“ Leistung – als Gegensatz zur Pflichtleistung der Kommune (etwa die Abfallentsorgung) – wurde vom Verfassungsgesetzgeber in bewusster Abgrenzung zum Nationalsozialismus so kategorisiert, um die staatliche Instrumentalisierung von Kunst und Kultur zu verhindern. Ein wie auch immer geartetes Werturteil über Wichtigkeit und Bedeutung in dem Sinne, dass es sich bei freiwilligen Leistungen um weniger wichtige Leistungen handelt, ist damit nicht verbunden. Dieser Hintergrund ist mit einzubeziehen, wenn über öffentliche Förderung, Auftrag und Arbeitsbedingungen am Theater und im Orchester verhandelt wird. Auch Kommunen und der Staat sehen sich dem gewaltigen Wandel unserer Zeit ausgesetzt. Über viele Jahre sind die Anforderungen an die Politik (besonders bei den Kommunen) massiv gestiegen, die Ausgabenlast steigt, immer neue Herausforderungen (man denke nur an die Flüchtlingsbewegung der letzten Jahre, die die Kommunen in rasendem Tempo zu bewältigen hatten) treten hinzu und eröffnen einen Wettbewerb um die Ausgaben, von denen die Kulturförderung nur eine (kleine) und auch eher eine der weniger anerkannten ist. So zu argumentieren ist übrigens nicht defensiv, wie mir immer wieder vorgehalten wird, es ist lediglich beschreibend und frei von der Anmaßung, es gäbe keine Logik in der Gesellschaft außer der eigenen, will sagen der dem Kunstbetrieb eigenen. Gerade der (auf der Bühne immer wieder geforderte) Perspektivwechsel schafft das Verständnis, das für eine erfolgreiche Kulturpolitik notwendig ist. Bedenkt man also, dass die Politik Mitglied des Deutschen Bühnenvereins ist, wird auch klar, dass der Verband seine Arbeitgeberverhandlungen mit den Künstlergewerkschaften, deren es drei gibt,6 vor dem Hintergrund der (vor allem finanziellen) Grenzen, die die Politik setzt, führen muss. Tarifverträge und Sozialpartnerschaft

Historisch bedingt gelten in Deutschland für die Theater und Orchester zwei Tarifverträge, der sogenannte Normalvertrag Bühne (NV Bühne) und der Tarifvertrag für Konzert- und Theaterorchester (TVK). Der NV Bühne gilt (grob vereinfacht) für den Bereich Schauspiel und Tanz, die Opernchöre sowie die Solist*innen am Theater, der TVK gilt für Orchestermusiker. Tarifverhandlungen sind ein Feld, das seit Jahrzehnten in Deutschland von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften bespielt wird. Die Grundlage dafür ist der sogenannte Neokorporatismus, worunter „die

6 Für den Bereich des NV Bühne gibt es die Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger GDBA und die Vereinigung Deutscher Opernchöre und Bühnentänzer VdO; auf Seiten der Orchestermusiker besteht die Deutsche Orchestervereinigung DOV. 7 https://de.wikipedia.org/ wiki/Neokorporatismus (4.12.2019). 8 Ebd. 9 Informativ zum Ganzen und den Situationen in Deutschland, Österreich und der Schweiz: https:// de.wikipedia.org/wiki/ Sozialpartnerschaft: „Der Begriff Sozialpartnerschaft bezeichnet das kooperative Verhältnis der Sozialpartner (vor allem Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände) mit dem Ziel, Interessengegensätze durch Konsenspolitik zu lösen und offene Konflikte einzudämmen.“

Kulturpolitische Aushandlungsprozesse am Beispiel des Deutschen Bühnenvereins

10 https://www.nzz.ch/ wirtschaft/niedrigloehne-in-deutschland-doppelt-so-haeufig-wie-inder-schweiz-ld.1493144 (4.12.2019). 11 Siehe https://stats.oecd. org/Index.aspx?DataSetCode=CBC (4.12.2019). 12 Die vom Deutschen Bühnenverein herausgegebene jährliche Theaterstatistik weist für die Spielzeit 1992/93 bei 3.521 Inszenierungen insgesamt und 5.882 sonstigen Veranstaltungen Betriebskostenzuschüsse in Höhe von rund 3,35 Mrd. DM aus. In der Spielzeit 2010/11 lag die Anzahl der Inszenierungen bereits bei 5.339, das sogenannte theaternahe Rahmenprogramm (bestehend aus Einführungen, Nachgesprächen, Podiumsrunden, Führungen und sonstigen Vermittlungsformaten) belief sich auf 13.252 Veranstaltungen, und die Betriebskostenzuschüsse summierten sich auf rund 2,19 Mrd. Euro. 2016/17 wurden 5.394 Inszenierungen aufgeführt, 15.303 Veranstaltungen im theaternahen Rahmenprogramm gezählt, und die Betriebskostenzuschüsse summierten sich auf rund 2,6 Mrd. Euro. 13 Dies wird weiter unten (Fußnote 24) aufgegriffen und von mir als Aufstiegsversprechen bezeichnet, das über eine Politik der Chancengleichheit und gute Bildung die wirtschaftlichen und kulturellen Teilhabechancen in der Gesellschaft für jeden eröffnen sollte. Das Experiment darf als gescheitert angesehen werden bzw. bleibt uns als Ziel noch lange erhalten.

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Einbindung […] von organisierten Interessen in Politik und ihre Teilhabe an der Formulierung und Ausführung von politischen Entscheidungen“ zu verstehen ist.7 „Die Interessenverbände stellen dabei ‚Agenturen der Interessenvermittlung‘ dar, die ‚im Prozess der Organisierung das, was als Gruppeninteresse gelten soll, erst noch erzeugen müssen und im Verlauf der Auseinandersetzung verändern können.‘“8 Es handelt sich um ein Erfolgsmodell zivilgesellschaftlicher Einbindung in den politischen Prozess, indem durch dynamische Interessenaggregation gewährleistet wird (oder: sein soll!), dass aktuellen Entwicklungen Rechnung getragen und die entsprechende gesellschaftliche Legitimation der Entscheidung durch Einbindung der Zivilgesellschaft erreicht wird. Als „Sozialpartner“9 haben Arbeitgeber und Gewerkschaften über viele Jahre diesen Prozess erfolgreich bewältigt und dadurch maßgeblich zum Wohlstand und sozialen Frieden in Deutschland beigetragen. Allerdings: Das System hat Risse bekommen. Wie jüngst der Presse10 zu entnehmen war, ist in Deutschland der Anteil der Mitarbeiter*innen mit Tarifverträgen laut OECD11 von 1996 bis 2016 von 81 Prozent auf 56 Prozent gesunken. Das bedeutet, dass rund die Hälfte aller Arbeitnehmer*innen keiner tariflich geregelten Arbeit mehr nachgeht. Der Druck auf den „Markt“, höherer Wettbewerb und hohe Arbeitnehmerkosten haben ihre Spuren hinterlassen, der Anteil prekärer Beschäftigungen in Deutschland steigt, die Mittelschicht ist enorm unter Druck geraten, und die Globalisierung und Digitalisierung der Wirtschaft wandelt die Arbeitswelt und schafft neue Gewinner, aber vor allem auch neue Verlierer in der Gesellschaft. Der Sozialstaat ist deutlich herausgefordert. Im Bereich der Theater und Orchester ist das Bild etwas anders, wenngleich der Effekt ähnlich war. Etwas holzschnittartig lässt sich konstatieren, dass bei steigenden Veranstaltungszahlen der Theater und Orchester die Betriebskostenzuschüsse der öffentlichen Hand nicht proportional mitgewachsen sind.12 Der Druck auf das künstlerische Budget hat im Laufe der Jahre deutlich zugenommen. Die Theater und Orchester haben mit einer Ausweitung ihrer „Angebotspalette“ völlig richtig und verständlich auf Veränderungen in der Gesellschaft reagiert: Verändertes Freizeitverhalten, eine Diversifizierung der Gesellschaft und neue Bedürfnisse waren und sind der Grund dafür, dass durch diverse Programme diesen Entwicklungen Rechnung getragen wird, denn es handelt sich um ein Angebot für alle Menschen in der Gesellschaft und nicht um ein elitäres Vergnügen. Die Teilhabe möglichst aller gesellschaftlichen Gruppen war und ist auch Ausweis einer Kultur- und Bildungspolitik, die sich – vor allem unter der Ägide sozialdemokratischer Vordenker wie Hilmar Hoffmann mit seinem Diktum „Kultur für alle“ (1979) – um Chancengleichheit für alle Menschen in der Gesellschaft bemühte.13 Es ging um nichts weniger als um die Zivilisierung einer Gesellschaft durch Kultur. Gleichwohl blieb dieses Postulat bis heute ein frommes Versprechen, das (noch) nicht eingelöst wurde. Grund dafür ist sicher auch die Tatsache, dass die finanziellen und kapazitären Konsequenzen dieser Forderung nicht

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ernst genug genommen wurden. Das bezieht sich einerseits auf die zur Verfügung stehenden Kapazitäten kultureller Akteure und ihre finanzielle Ausstattung, aber auch auf Voraussetzungen wie entsprechende kulturelle Bildung, die erst zur Teilhabe befähigt. Dieses Bild herrscht bis heute vor, man denke nur an den erheblichen Ausfall des Kunst- und Musikunterrichts in den allgemeinbildenden Schulen – Zahlen gibt es kaum darüber, ein offenes Geheimnis ist es gleichwohl. Kultur- und Finanzpolitik haben diesen Entwicklungen also nicht ausreichend Rechnung getragen, oft genug führen Theater heute immer noch Kämpfe darum, dass jährliche Tarifsteigerungen des öffentlichen Dienstes (die vom Deutschen Bühnenverein und den Gewerkschaften auf die Tarifverträge NV Bühne und TVK übertragen werden) in der entsprechenden Förderung der Häuser abgebildet werden. Die Erhöhung der Mindestgage im NV Bühne im Kontext der politischen Entwicklungen

Der NV Bühne regelt nicht, wer wie viel verdient, aber er statuiert eine Untergrenze, die Mindestgage. Jahrelang lag sie bei 1.650 Euro brutto monatlich, sie stieg dann vor einigen Jahren auf 1.850 Euro und wurde zum 1. April 2018 auf 2.000 Euro festgesetzt. Gleichzeitig wurde ein Mindestschutz für Schwangere eingeführt, der dem deutschen Mutterschutzgesetz angelehnt ist. Was war der Hintergrund? Die Veranschaulichung dieses Falls zeigt auf, welchen Einfluss eine konkrete politische Entwicklung auf den Bühnenverein hatte und wie sehr es hier zu einer Vermischung der Interessen von Arbeitgeber- und Interessenverband gekommen ist. Ausgangspunkt der Entwicklung waren strukturelle Rahmenbedingungen Theaterschaffender, die über viele Jahre in hoher Verdichtung zu einigen problematischen Konsequenzen geführt haben. Der oben geschilderte Druck auf das künstlerische Budget, die steigende Produktivität, kommunale Zwangslagen finanzieller Natur, aber auch Marktbedingungen wie die seit Jahren steigenden Wohnkosten in den Städten führten dazu, dass die Gage sich nur schleppend in der jeweiligen Biografie einiger Künstler*innen nach oben entwickelte und die tatsächliche Höhe mancherorts kaum noch zum Leben ausreichte. Daneben wurden zu wenig Freizeit und kaum Selbstbestimmung kritisiert, am Ende stand das ganze Theatermodell zwischen Mindestlohnforderungen, Feudalismusvorwurf und #MeToo-Debatte in der Diskussion. Teil der komplexen Problematik ist auch eine jahrzehntelange Marginalisierung der Kulturpolitik als politisches Handlungsfeld. Im Gegensatz zu den großen Politikfeldern, wie etwa Wirtschaft und Finanzen, Bauen, Verkehr oder Soziales, galt und gilt Kulturpolitik immer als Nische. Dabei fangen die Schwierigkeiten schon damit an, zu sagen, was Kulturpolitik denn ist oder nicht ist oder sein soll. Stephan Opitz hat das mal provokant in den folgenden Satz gepackt: „Kultur ist – irgendwie – alles. Oder auch nichts. Oder – irgendwie – irgendwas dazwischen.

Kulturpolitische Aushandlungsprozesse am Beispiel des Deutschen Bühnenvereins 14 Stephan Opitz (2015): „Das Grosse und Ganze – Verschwimmend“, in: Kursbuch 184, https:// kursbuch.online/ das-grosse-und-ganze-verschwimmend/ (4.12.2019).

15 Ebd.

16 Und damit wird auch deutlich, warum Kräfte wie die AfD in Deutschland sich völlig selbstverständlich als kulturelle bzw. kulturpolitische Bewegung verstehen, liegen ihrem Gesellschaftsverständnis doch verzerrte Versatzstücke kulturpolitischer Begriffe wie Heimat oder Identität zugrunde. 17 Da auf die „Kulturpolitik“ wenig Verlass war, haben Institutionen wie Theater und Orchester ihr „Lobbying“ übrigens seit vielen Jahren selbst in die Hand genommen und stellen sich in vielerlei Formen dem gesellschaftlichen Diskurs. 18 Kollektive wie das Orchester oder die Chöre haben grundsätzlich bessere Bedingungen, auch weil sie als Kollektive mehr Verhandlungsdruck erzeugen als Solisten, die sich – gerade im Bereich Tanz – nur allzu ungern solidarisieren. 19 Siehe https://www. ensemble-netzwerk.de/ home.html.

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Kulturpolitik steht uneingeschränkt für Kultur und für Kunst schon gar – wer gegen Kulturförderung als Ergebnis von Kulturpolitik ist, ist ein Trottel oder ein Finsterling oder beides zugleich.“14 Ohne darauf näher eingehen zu müssen, sei angemerkt, dass der Denkfehler darin besteht, Kulturpolitik für einen Politikbereich neben anderen, also etwa der Verkehrs- oder Infrastrukturpolitik zu halten. Dies ist aber nicht die ganze Wahrheit, denn – so schreibt Opitz zu Recht weiter: „Weder Innen- noch Verteidigungs- noch Wirtschafts- oder Umweltpolitik sind ohne Kultur zu denken. Und Bildungspolitik zumal ist stets Kulturpolitik. Die Kultur ist das diskursive Obersystem einer Gesellschaft, sie ist das am weitesten zu fassende Verständigungssystem einer Gesellschaft über sich selbst. Der Prozess, der diesem Verständigungssystem in jeder Gesellschaft zugrunde liegt, ist eine dynamische Angelegenheit. In und mit ihr ändert sich einerseits im Zweifelsfalle stündlich etwas.“15 Damit wird klar, dass auch alle anderen Politiker Kulturpolitik betreiben. Genau dies allerdings wurde nicht bewusst praktiziert, vielmehr stellte sich so etwas wie die Auffassung ein, Kulturpolitik könne an die begrifflich sogenannten Kulturpolitiker ausgelagert werden. Unter anderem dies führte zu einer Entleerung des Kulturellen in der Politik und hinterließ Brachen, die nun von anderen genutzt werden.16 Kulturpolitik erschöpft sich keinesfalls darin, die notwendige jährliche Förderung einzelner Sparten und Akteure im politischen Prozess zu ermöglichen. Vor dem Hintergrund eines solchen Verständnisses versteht man nur zu leicht die Geringschätzung der „großen“ Politik für ihre kulturpolitischen Vertreter*innen. Dies steht übrigens in diametralem Gegensatz zur gelebten Bedeutung kultureller Fragen in unserer Gesellschaft, ganz gleich ob es um Wohnen, Bildung, den sozialen Aufstieg oder den Umgang miteinander geht.17 Zusammengefasst könnte man also sagen, dass über einen Zeitraum von knapp zwei Jahrzehnten die folgende Konstellation vor sich hin schwelte: Theater und Orchester, die über eine Diversifizierung ihrer Spielpläne versuchen, einer heterogener werdenden Gesellschaft gerecht zu werden, treffen auf eine zunehmende Marginalisierung kulturpolitischer Grundsatzfragen und steigenden Rechtfertigungsdruck für eine finanzielle Förderung (nicht: Subvention!), die kaum mit den steigenden Kosten Schritt hält, aber gleichzeitig immer mehr verlangt. Infolgedessen stieg der Druck auf das künstlerische Budget und die Vergütung, vor allem bei Schauspieler*innen und Tänzer*innen.18 Neue Akteure

2016 gründeten zwei Schauspielerinnen das „Ensemble Netzwerk“,19 um für bessere Arbeits- und Vergütungsbedingungen, unter anderem eine höhere Mindestgage, zu kämpfen. Sie erreichten eine hohe mediale Öffentlichkeit, die sich plötzlich für Arbeitsbedingungen am Theater zu interessieren begann. Es wurden konkrete Forderungen an die Politik und den Deutschen Bühnenverein formuliert, wobei auch der Schulterschluss

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mit bereits bestehenden Initiativen (beispielsweise art but fair20) gesucht wurde. Die losgetretene Debatte ebnete auch in der Politik den Weg zur Erkenntnis, dass sich Arbeits- und Vergütungsstrukturen verbessern müssten, und sensibilisierte für den Umstand, dass der jahrelange finanzielle Druck seitens der Rechtsträger nicht ohne Folgen geblieben ist. Der Bühnenverein beteiligte sich aktiv an der Debatte und beschloss 2017 die Erhöhung der Mindestgage auf 2.000 Euro sowie die Einführung eines Schwangerenschutzes analog zum Mutterschutzgesetz. Eine weitergehende Erhöhung der Mindestgage im Tarifvertrag war nicht möglich, weil insbesondere die kleineren Theater und die Kinder- und Jugendtheater diese Erhöhung nicht hätten finanzieren können.21 Die Entwicklung ging allerdings noch deutlich weiter. Einige Theater beschlossen mit ihren Kommunen, ihre Mindestgage auch über die tarifliche Mindestgrenze von 2.000 Euro auf 2.200 oder 2.300 Euro zu erhöhen.22 Zudem gründeten sich weitere Initiativen, die sich selbst dazu ermächtigten: Interessenvertretungen in der Regie gehörten genauso dazu wie Bewegungen, die explizit für eine paritätische Geschlechterquote eintraten. Auch der Bundesverband Freie Darstellende Künste war und ist Teil der Bewegung. Aktuell besteht bundesweit ein „Aktionsbündnis Darstellende Künste“23 als lose Formation, in der die verschiedenen Interessengruppen den Austausch und die Zusammenarbeit im Sinne der Verbesserung der Arbeits- und Vergütungsbedingungen in den darstellenden Künsten suchen. Auch der Deutsche Bühnenverein nimmt an den Treffen teil. Neben den Vergütungs- und Arbeitsbedingungen löste insbesondere die #MeToo-Debatte weiteren Diskussionsbedarf über Machtstrukturen und Geschlechtergerechtigkeit aus, die weit über das Theater und den Film hinausgehen. Das Beispiel zeigt, wie komplex das Akteurstableau geworden ist, wie sehr sich die Belange von Arbeitgeber- und Interessenvertretung vermischen und an dieser Stelle auch die Sozialpartner herausgefordert sind. Wobei der Vollständigkeit halber anzumerken ist, dass die Gewerkschaften nur in Bezug auf die Arbeitgeberrolle „Antagonisten“ sind. Bei der Interessensarbeit, auch in Gremien wie dem Deutschen Kulturrat, überwiegen meist die Kooperationsschnittmengen, wenn auch Unterschiede bleiben, etwa beim Urheberrecht. Kooperation oder Konkurrenz? Die Folgen in der Akteurslandschaft

Die Gründung zahlreicher selbstermächtigter Interessenvertreter*innen, die in Konkurrenz zu den etablierten Akteur*innen (also Bühnenverein und Gewerkschaften) treten, ist als Anlass für eine selbstkritische Betrachtung der sozialpartnerschaftlichen Arbeit der letzten Jahre zu nutzen. Sind sie als Beleg dafür zu werten, dass die Sozialpartner ihre Rolle nur unzureichend ausgefüllt haben? Und liegt der Grund dafür in den konkreten Bedingungen des Falles oder lassen sich diese Entwicklungen als Teil

20 Siehe http://artbutfair. de/.

21 Dies auch deshalb, weil die Tarifvertrage Flächentarifverträge für das gesamte Bundesgebiet sind. Das bedeutet, dass auch die kleineren und schwächeren Häuser in der Lage sein müssen, die Gagenanhebung umzusetzen, die sich nach Anhebung der Mindestgage in den meisten Fällen selbstverständlich nicht nur auf das untere Gagenlevel beschränken dürfte. 22 Stellvertretend für viele sei nur das Theater Heilbronn genannt. 23 Das Aktionsbündnis Darstellende Künste ist ein Zusammenschluss, dem der Bund der Szenografen, der Bundesverband Freie Darstellende Künste, das ensemble-netzwerk, das regie-netzwerk, art but fair, die Dramaturgische Gesellschaft, Pro Quote Bühne sowie die Ständige Konferenz Schauspielausbildung und das Netzwerk flausen+ angehören. Das Aktionsbündnis Darstellende Künste versteht sich als offene Diskussions- und Kommunikationsplattform. An den regelmäßigen Arbeitstreffen nehmen auch der Deutsche Bühnenverein, die Allianz der Freien Künste und der Fonds Darstellende Künste teil. Veröffentlichungen werden von den jeweils verantwortlichen Interessenverbänden unterzeichnet.

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24 Siehe dazu auch oben Fußnote 13.

25 Das ist zugegebenermaßen eine steile These, die Lektüre einschlägiger Soziologen legt den Schluss aber nahe, dass gerade die Mittelschicht, die immer das stabile Rückgrat der Bundesrepublik war, wie nie zuvor unter Druck steht und sich in Teilen aufzulösen im Gange ist. Exemplarisch zum Ganzen siehe Andreas Reckwitz (2017): Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne, Berlin: Suhrkamp. 26 Siehe dazu auch https:// www.kulturrat.de/thema/erinnerungskultur/ kolonialismusdebatte/ (4.12.2019). 27 Ein aktueller Fall ist das Werk Atlas des österreichischen Autors Thomas Köck, der sich im Auftrag des Schauspiels Leipzig mit der Migrationsgeschichte von vietnamesischen Vertragsarbeitern und Bootsflüchtlingen auseinandergesetzt hat, inszeniert von Philipp Preuss. Das hat den Protest deutsch-asiatischer Kunst- und Kulturschaffender hervorgerufen. Siehe zum konkreten Fall: https://www. deutschlandfunkkultur. de/debatte-ueber-kulturelle-aneignung-weisse-interpretieren.1013. de.html?dram:article_ id=450665 (4.12.2019).

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einer gesamtgesellschaftlichen Veränderung werten? Sind sie temporär oder nachhaltig? Welche Rolle spielt die Politik und welche Implikationen ergeben sich daraus für die Arbeit des Bühnenvereins mit den eigenen Mitgliedern? Obgleich noch keine belastbare Erkenntnis dazu feststeht, liegt die Annahme nahe, dass wir an diesem Fall gesamtgesellschaftliche Prozesse aufspüren: Jüngere Generationen, die selbstbestimmter arbeiten und leben wollen, formulieren gänzlich andere Bedürfnisse als die Generationen vor ihnen und bringen ein Misstrauen gegenüber bestehenden Ordnungen und Strukturen und damit einhergehend einen Mangel an Vertrauen in die Gestaltungskraft bestehender Institutionen zum Ausdruck. Sie finden auch andere Rahmenbedingungen vor: Zwar propagiert der Staat nach wie vor ein Aufstiegsversprechen,24 das aber in Zeiten einer international digitalen Wirtschaft immer unberechenbarer wird. Bereits heute erleben Teile der Gesellschaft, dass es nicht mehr in ihrer Hand liegt, ob ihnen beruflicher und sozialer Erfolg beschieden ist oder nicht.25 Das Eintreten für mehr persönliche Sicherheit, gerade angesichts solcher Entwicklungen, erscheint daher nur allzu verständlich. Was bedeutet das für die eigene Rolle? Eine präzise Antwort fällt aufgrund der Komplexität der Gegebenheiten schwer. Vielleicht hilft aber, den Blick kurz zu weiten und nach Merkmalen einer übergeordneten Entwicklung zu suchen. Die aktuellen politischen Konflikte in Europa und der gesamten Welt legen die Schlussfolgerung nahe, dass wir momentan eine große Gerechtigkeitsdebatte führen und darüber verhandeln (oder auch: dass darüber verhandelt wird), ob das liberale Modell unserer Demokratie noch zukunftsfähig ist oder nicht. Autoritäre Tendenzen gewinnen in manchen Teilen der Bevölkerung auffällig hohe Sympathiewerte, eine neue Sehnsucht nach „Ordnung“ und der starken Hand ist zu spüren. Die Demokratie gilt manchen als ineffizient, schnell (zu schnell!) wird als Beweis auf China verwiesen, wo in Rekordzeit neue Städte aus dem Boden gestampft werden, während bei uns bereits das Planfeststellungsverfahren im Baurecht länger dauern kann. Leider fließt in die Bewertung nicht ein, dass diese Schnelligkeit nur zum Preis erheblicher Rücksichtslosigkeit gegen den oder die Einzelne*n zu haben ist, wer an der falschen Stelle sein Haus hat, hat halt Pech. Zum anderen erleben wir aber auch gerade, dass die ganz junge Generation mit #FridaysforFuture die Frage stellt, wie es sein kann, dass unsere Gesellschaften beim Klimaschutz versagen. Und überall werden zwischen Jung und Alt, Ost und West, autochthon oder Migrant, Männern und Frauen teils sehr aggressiv und polarisierend Debatten geführt, deren übergreifender Kontext Gerechtigkeitsfragen sind: Wie gehen wir miteinander um? Was ist gerechte Bezahlung? Wer hat welche Chancen? Wer hat wann und worauf Anspruch? Auch die Kulturpolitik führt solche Auseinandersetzungen, man denke nur an die Kolonialismusdebatte im Museumsbereich26 oder im Theater.27 Dass wir diese Debatten führen und wie wir sie führen, ist kein Zufall. Der rasante Wandel (Globalisierung, Digitalisierung, Singularisation etc.) hat längst zum Entstehen einer Weltgesellschaft geführt, unsere

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gesellschaftlichen und politischen Systeme haben sich dagegen nicht in derselben Geschwindigkeit mit entwickelt und stehen globalen Phänomenen wie dem Klimawandel und einer globalen Wirtschaft teils hilflos und gelähmt gegenüber. Angesichts dieser erfahrbaren Überforderungen wächst die Sehnsucht nach kräftigen Heilsgestalten, die Lösung liegt scheinbar in einer Rückbesinnung auf „das Eigene“, egal ob wir über Trump und „America First“, den Brexit oder die AfD sprechen. Der Kompromiss – die demokratische Urtugend – hat es schwer in diesen Zeiten. Polarisierungen bestimmen das Klima in der Gesellschaft, Kompromisse werden oft als Schwäche angesehen, dabei sind sie es, die in der Demokratie die eigentliche Stärke besitzen, auch unter heterogenen Voraussetzungen eine gemeinsame Richtung einzuschlagen. Jeder Gemeinderat, jedes Parlament braucht den Kompromiss, um handlungsfähig zu sein, übrigens kennzeichnet er auch die Arbeit der Sozialpartner. Wir ringen sehr um das Verhältnis des Individuellen, des eigenen Ichs auf der einen Seite und dem, was der oder die Einzelne in die Gemeinschaft, die Allgemeinheit einbringt und von ihr verlangen darf. Damit zusammen hängt auch die Frage von privat und öffentlich: Wie viel privat gibt es noch in der neue digitalen Welt? Und was bedeutet das Schwinden des Privaten für den Bereich des Öffentlichen, ohne den keine Demokratie auskommt? Der kleine Abstecher in die Sphäre der Verallgemeinerung war kein Selbstzweck. Er war notwendig, weil die Vergegenwärtigung dieser Entwicklungen nicht ausgeklammert werden kann, will man über die Konsequenzen für das Handeln des Deutschen Bühnenvereins nachdenken: Die kommunikative Einbindung selbstermächtigter Initiativen, wie sie oben beschrieben sind, gehört nach dem Gesagten zweifellos zu den „Kontextänderungen“, die der Bühnenverein konstruktiv aufzugreifen und strategisch zu verarbeiten hat. Denn nur dann kann er seiner Rolle gerecht werden und auch weiterhin die Legitimation für sein Handeln als Arbeitgeberverband der Theater und Orchester besitzen. Dass er dabei „zwischen allen Stühlen“ sitzt, gehört zu seiner Natur, es eröffnet allerdings auch die Chance, eine wirksame Nähe zur Politik einerseits und zu den Ensemblemitarbeiter*innen andererseits zu haben. Eine Alternierung zwischen Konkurrenz und Kooperation ist insofern unterkomplex, als beides notwendig ist – in der Entwicklung der erforderlichen Abgrenzung allerdings besteht auch die Schwierigkeit. Wie viel Kooperation ist sinnvoll und wie viel Abgrenzung ist notwendig? Der Deutsche Bühnenverein ist als Arbeitgeber- und Interessenverband der Theater und Orchester in einer Rolle und Situation, die gleichermaßen Risiko und Chance ist: Er muss einerseits den gesellschaftlichen Änderungen Rechnung tragen, neue Akteure akzeptieren, sie sorgsam einbinden und die ihnen eigenen Motive und Bedürfnisse in ihrer Relevanz für den eigenen Auftrag sorgfältig analysieren. Dass der Bühnenverein dabei in seiner Doppelnatur als Arbeitgeber- und Interessenverband wachsende Widersprüche nach innen und außen aushalten und verarbeiten muss, ist manchmal sehr mühsam, aber auch produktiv, da die

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Trennung der beiden Ebenen nur scheinbar ein Fortschritt wäre. Die zugrunde liegenden Fragen lösen sich dadurch nämlich nicht auf. Nur durch das abgestimmte Handeln auf beiden Ebenen – Interessen- wie Arbeitgeberverband – kann auch die Weiterentwicklung des Tarifsystems mit der notwendigen Kontinuität erfolgen, die allen Seiten in der täglichen Arbeit einen stabilen und zeitgemäßen Rahmen gibt. Zweitens ist aber auch klar, dass der Verband einen Weg finden muss, seine Rolle strategisch und im Geflecht mit Gewerkschaften und allen anderen Akteuren so weiterzuentwickeln, dass er nicht am Anspruchsdenken der anderen oder von sich selbst erstickt. Gerade in der Uferlosigkeit von angeblichen und tatsächlichen Notwendigkeiten liegt auch die Gefahr, am Ende nicht mal mehr das zu schaffen, was früher (als alles noch besser war, wie so oft behauptet wird) völlig unangefochten zum anerkannten Brot-undButter-Standard gehörte. Fazit und Ausblick

Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt, dass sich der politisch-gesellschaftliche Kontext stark wandelt und die bisherigen Repräsentationsund Entscheidungssysteme vor der Herausforderung stehen, mit diesen Änderungen umgehen zu müssen. Dies ist als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu verstehen, an der sich entscheiden wird, wie die Zukunft einer demokratisch verfassten Gesellschaft aussehen wird. Dazu gehört nichts weniger als die Aktualisierung grundsätzlicher Gegensatzpaare wie privat/öffentlich, individuell/allgemein und damit einhergehend die Frage, wer legitimerweise an einer Entscheidungsfindung zu beteiligen ist. All das hat erhebliche Auswirkungen auf Verbände wie den Deutschen Bühnenverein, dem gemeinsam mit den Künstlergewerkschaften die Verantwortung obliegt, die Zukunft der Arbeits- und Vergütungsbedingungen an Theatern und in Orchestern zu gestalten. Deutlich wurde auch, dass der Erfolg der Verbandsarbeit davon abhängen wird, ob es gelingt, das Verhältnis der Rollen von Arbeitgeber- und Interessenverband zukünftig immer wieder neu auszutarieren und den teils sehr rapiden Veränderungen anzupassen. Eine stärkere Öffnung hin zu neuen Akteuren und ihren Anliegen ist sicher ein erster, wichtiger Schritt. Die Herausarbeitung klarer Rollen und Grenzen ist aber ebenso notwendig, damit das (Re-)Agieren des Bühnenvereins nicht beliebig wird. Ein Verband ist allerdings immer nur so stark, wie seine Mitglieder es sind. Und daher sind natürlich auch die Theater und Orchester vor Ort in der Pflicht, auf die gesellschaftlichen Veränderungen adäquat zu reagieren, was sehr viele auch tun: Geschlechtergerechtigkeit in Chancen und bei der Vergütung ist zu erzielen, angst- und diskriminierungsfreie Arbeitsbedingungen zu schaffen liegt in der Verantwortung der Leitung, aber auch aller Mitarbeiter*innen, eine stete Wachsamkeit und Anbindung an Publikums- und Gesellschaftsveränderungen muss sich in jeder Spielplangestaltung finden usw.

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Drittens kann die Transformation der Theater- und Orchesterlandschaft aber nur gelingen, wenn sich auch die Kulturpolitik wieder stärker einbringt und sich den Platz erkämpft, der ihr würdig ist – der eines gesellschaftlichen Diskursobersystems. Kulturpolitik ist der richtige Rahmen, um kulturelle Grundfragen zu thematisieren, es sollte keine Angst davor bestehen. Identität, Heimat, Sprache, Religion, Rituale und Gebräuche und alle damit einhergehenden subjektiven Grenzen sind Reibungspunkte einer liberalen Gesellschaft, die es (theoretisch) jeder einzelnen Person überlässt, das zu glauben und zu sein, was er oder sie will. Neben klaren und freiheitlichen Regeln bedarf es aber eines Raums in der Demokratie, in der über all das reflektiert und auch debattiert wird. Dabei zeigen Reizthemen täglich, wie schwierig es geworden ist, überhaupt qualifiziert zu diskutieren. Gerade die gereizte Stimmung, die steten Polarisierungen in den (sozialen) Medien und der Kampf um Aufmerksamkeit verhindern schnell sachliche Debatten, zerstören jegliche Empathie und führen – von einer neuen Reinheitssehnsucht getrieben – eher dazu, die jeweils andere Seite ihrer Unglaubwürdigkeit zu überführen und damit jene Legitimität auszulöschen, die überhaupt erst zum Diskurs befähigt. Differenzierungen finden nicht mehr statt, oft wird ideologisch argumentiert und das Ziel ausgerufen, die jeweils eigene Wahrheit als die einzig seligmachende zu etablieren. Dass diese Dynamiken in einen offenen Widerspruch zu einer liberalen und diversen Gesellschaft treten, liegt auf der Hand. Die Schwierigkeiten werden gut veranschaulicht durch das Dilemma, das gerade für Kunstschaffende im Bemühen entstanden ist, sich rechten Kräften der Gesellschaft zu widersetzen, die zweifelsohne die Abschaffung liberaler Werte wollen. Initiativen wie „Die Vielen“28 zeigen durch ihren Bündnischarakter, dass liberale Gegenkräfte dem Fremdenhass und der Ausgrenzung etwas entgegenzusetzen haben. Schwierig wird es aber jenseits des Schwarz-Weiß-Bereiches: Wer bestimmt, was rechts ist? Und wo die roten Linien überschritten sind? Soll mit AfD-Wählern der Dialog gesucht werden oder ist die Wahl rechter Parteien Grund genug, das Gespräch abzubrechen? Ist jeder Wähler der Rechten bereits zu verurteilen? Wie sollen Theater und Orchester in ihrer eigenen Kommune handeln, wenn Vertreter der Rechten im Aufsichtsrat sitzen? Für wen gelten solche Entscheidungen? In welchem Verhältnis stehen der politische Frust der Bürger*innen und der Auftrag des Theaters als öffentlicher Ort? Diese Fragen sind schwierig und komplex, und von ihrer Antwort hängt die Zukunft unserer Demokratie ab. Sie zeigen uns, dass wir nicht nur neuen Fragen ausgesetzt sind, sondern dass wir vor allem eine neue Diskurskultur brauchen, eine, die nicht nur bei Sonnenschein, sondern auch bei gesellschaftlichem Regenwetter funktioniert. Kunst und Kultur sind in diesem Zusammenhang Kräfte, die wir nicht unterschätzen sollten, kommen sie doch nicht mit dem erhobenen Zeigefinger daher, sondern in Form ästhetischer Reflexion. Das baut Brücken und verbindet, es stärkt und bevormundet nicht, und (auch) deshalb leisten wir uns diese immense Struktur an Einrichtungen der Kultur und (kultureller) Bildung.

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28 Siehe https://dievielen.de/.

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Das bedeutet im Gegenzug aber auch, dass Kulturpolitik sich dieser Dimension wieder bewusst werden muss, und es bedeutet, dass die Politik und ihre geförderten Einrichtungen in einen neuen Dialog treten müssen, um auszuhandeln, was das bedeutet. Das Setzen eines kulturpolitischen Rahmens ist kein Eingriff in die den Häusern und Künstler*innen vorbehaltene Kunstfreiheit; wo die Grenze im Einzelnen verläuft, darüber muss allerdings wieder mehr gestritten werden. Nur dann ist gewährleistet, dass sich nicht die falschen Kräfte zum Fürsprecher kultureller Interessen machen und wir erleben müssen, dass rechte Kräfte die Begriffe Heimat und Identität für ihre Zwecke kapern. Am Ende plädiere ich für eine neue Dialogkultur in der Kulturpolitik, die mutiger in der Zielformulierung ist, alle daran beteiligten Seiten (die Künstler*innen, die Theater und Orchester, das Publikum und die Zivilgesellschaft) konzeptionell und operativ mit einbezieht und die ihren Platz gegen jene zu verteidigen weiß, die in ihr immer nur das Addendum politischer Gestaltung sehen. Unter diesen Voraussetzungen braucht niemand mehr Diskussionen darüber, wo und wann Theater gesellschaftlich relevant sind – dass sie es sind, ist dann eine Binsenweisheit.

Artistic Contribution at the Conference 2018

The Ground Tour Some Call Them Balkans ongoing, Vienna, Belgrade, Sofia, Skopje, Tirana, Pristina, Mostar, Sarajevo…

269 The Ground Tour is a transdisciplinary collective from various parts of Europe. In addition to presenting their work at the “Changing Politics Changing Society” (2018) conference in Vienna, The Ground Tour has taken part in the Biennale Architettura in Venice (2018) and the Biennale of the Western Balkans in Ioannina (2018).

Research Travel 2017 – Termokiss, a cultural squatted space in Pristina, Kosovo Photo: Enrico Tomassini

“The Ground Tour is a project that promotes a proactive way of traveling by critically exploring various places and their social discourses. We are a transdisciplinary collective with the desire to connect those who want to reflect and react upon the current conditions of global mobility and with whom we propel new collaborations. Through artistic strategies and applied research methods, we actively challenge the constructed narratives that tell us we should be divided in relation to our cultures and countries of origin. Our ethos is to travel in order to create spaces of encounter that transgress the borders of nationalism, where the diverse interactions between people and their environments can envision other forms of belonging. Upon these transnational stages we find ways for coexistence and collective knowledge production. It is here where notions of identity have a place for discussion and contestation where differences can collide and produce alternative narrations of realities. The vision of The Ground Tour is a traveling platform where diverse realities can be represented together in maps that tell alternative narrations of the world. Through the eyes of nomadic entities, the myths that generate divisions in societies can be deconstructed and in this way traveling becomes a transformative state of belonging. The core ambition of the project is to address what ‘mobility’ can mean in a broader sense. What can it mean for someone who cannot travel outside of their nation state? Other kinds of encounters that open-up spaces for interaction can exist within, and throughout, forced restrictions on mobility. With this in mind, we turn our heads towards Southeastern Europe, towards the Balkans and all its misconceptions that are delivered through outside perspectives on which we don’t want to rely. We are interested in challenging misguided stereotypes of the Balkans by bringing forth other representations through interactions between us travelers and those we meet there in order to mobilize a collective imagination of the place.” The Ground Tour collective

Barbara Neundlinger Das Verbindende in der Differenz? Zivilgesellschaft, Kunstfreiheit, gesellschaftliche Veränderungen und rechtspopulistische Politik

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Vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen, in denen populistische und demokratiekritische, ja demokratiefeindliche Strömungen und Parteien global einen wachsenden Zuspruch erfahren, gehe ich in meinem Beitrag zunächst auf neue Trennlinien und gesellschaftliche Bruchstellen als mögliche Ursachen für eine zunehmende Polarisierung und Spaltung unserer Gesellschaft ein. Des Weiteren beschäftigt sich der Beitrag mit Aufgaben und Herausforderungen, vor denen Kulturpolitik, zivilgesellschaftliche Akteur*innen sowie Akteur*innen aus Kunst und Kultur stehen, wenn es darum geht, diesen Tendenzen entgegenzuwirken und dazu beizutragen, gesellschaftlichen Zusammenhalt und Demokratie in einer offenen Gesellschaft zu stärken. 1. Gesellschaftliche und politische Gemengelage – die Konstanten der Veränderung

1 Wilhelm Heitmeyer (2018): Autoritäre Versuchungen – Signaturen der Bedrohung 1, Berlin: Suhrkamp, S. 52ff.

Globalisierung, Klimawandel, Migrationsbewegungen, Digitalisierung sind oft verwendete Begriffe, wenn von Veränderung in den Gesellschaften des globalen Westens die Rede ist. Sie tragen mit dazu bei, dass sich in Teilen unserer Gesellschaft Ungleichheiten verschärfen. Gleichzeitig werden politische, ökonomische und ökologische Veränderungen auch außerhalb Europas – beispielsweise in Amerika, den Ländern des globalen Südens oder im Nahen Osten – schnell zum unmittelbaren Teil der Realität in Europa. Wir sehen uns dabei mit Veränderungen und Herausforderungen konfrontiert, die gesamtgesellschaftlich wirksam werden, somit auch alle politischen Bereiche tangieren und nicht mehr nur von einem Staat allein bewältigt werden können. Die globalisierte Moderne ist ein System mit Gewinnern und Verlierern, ein für viele unübersichtlich gewordenes System, das den Menschen zumutet, mit einer Vielzahl von Ambivalenzen fertig zu werden. Für Wilhelm Heitmeyer zählen dazu: • Die Chancen der Lebensplanung und Vielfalt der Optionen nehmen zu, aber die Berechenbarkeit der Lebenswege nimmt ab. • Die Chancengleichheit in manchen Bereichen wird größer, dadurch steigt aber auch der individuelle Konkurrenzdruck. • Gewissheiten gehen verloren, aber das Bedürfnis nach ihnen bleibt.1 Dieses Szenario trägt nicht unwesentlich dazu bei, den Boden für Verunsicherung zu bereiten – mutet es doch zu, Unklarheiten auszuhalten –, und führt zumeist in weniger privilegiert lebenden Teilen der Gesellschaft zu einem wachsenden Gefühl des Abgehängt-Seins, zu einem Gefühl des wachsenden Kontrollverlusts, zu mangelnden Zukunftsperspektiven und gleichzeitig zum Wunsch nach Sicherheit und Stabilität. Der weltweite Trend zu aggressiven Nationalismen, die auf die Gesellschaft Einfluss nehmen, ihre Radikalisierung bewirken, demokratische Grundwerte erodieren oder gar bedrohen und ganz allgemein die Bereitschaft zu Toleranz und Diskurs schwinden lassen, hängt unter anderem mit dieser Verunsicherung zusammen. Verstärkt durch soziale

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Netzwerke entsteht eine Dynamik, die uns in den eigenen Echokammern oder Filterblasen verharren lässt, in denen es keinen Austausch und Diskurs mit Andersdenkenden gibt. Dazu kommen als Verstärker für eine gesellschaftliche Spaltung politische und mediale Dynamiken, die das Trennende in der Gesellschaft besonders hervorheben, die mit Gegensatz-Begriffen – „Wir und die Anderen“, das „Eigene und das Fremde“, „innen und außen“, „Wertvolles und Wertloses“ – operieren und darauf ausgerichtet sind, die jeweils vermeintlich Anderen zu benachteiligen oder auszuschließen. Der Soziologe Andreas Reckwitz ortet auf verschiedenen Ebenen unserer Gesellschaft ebenfalls Ambivalenzen – beispielsweise jene zwischen Öffnung und Schließung, eine Ambivalenz, die in sozialer Ungleichheit, in der Gegenläufigkeit zwischen sozialem Aufstieg und sozialer Mobilität einer neuen globalen Mittelklasse und der Zementierung einer neuen, post-industriellen Unterklasse vor allem in den Industriegesellschaften sichtbar wird. Sie betrifft beispielsweise die Ebene der kulturellen Lebensformen und die sie tragenden institutionellen Ordnungen: Auf der einen Seite findet eine außergewöhnliche kulturelle Öffnung und Pluralisierung der Lebensformen statt. Gleichzeitig ist eine kulturelle Schließung von Lebensformen festzustellen. Reckwitz führt hier partikuläre Identitätsgemeinschaften, Neo-Nationalismen oder auch religiöse Tendenzen des Fundamentalismus an.2 Ein Auseinanderdriften, eine Spaltung der westlichen Gesellschaften ist somit wenig überraschend. 2. Gesellschaft in einer neuen Spaltung – polarisiert, kosmopolisiert, kommunitarisiert

Dass es gesellschaftliche Differenzierungs- und Segregationsprozesse gibt, ist an sich kein neues Phänomen. Die zunehmend vielschichtigere und komplexere Polarisierungslage hingegen, der wir uns im globalen Westen gegenübersehen, ist in diesem Ausmaß neu. Die Soziologin Cornelia Koppetsch konstatiert beispielsweise eine Spaltung zwischen Menschen, die die Flucht nach vorn antreten, die sich auf Vielfalt einlassen, und anderen, deren Identität in alten Strukturen verhaftet ist, auch weil sie dem Staat viel zu verdanken haben und zur Sicherung ihrer Privilegien auf den Wohlfahrtsstaat angewiesen sind. Sie sehen sich nun der Tatsache gegenüber, dass plötzlich Gruppen (wie etwa Migrant*innen) integriert werden sollen, die sie als Außenseiter betrachten.3 Der Demokratieforscher und Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel sieht eine neue Trennlinie zwischen Kosmopoliten und Kommunitaristen. Dabei stehen Kosmopoliten tendenziell für Individualismus, für eine offene Gesellschaft, für offene Grenzen, liberale Zuwanderung, kulturellen Pluralismus, für universell gültige Menschenrechte und den Umweltschutz und sehen Globalisierung als Chance. Kosmopolitische

2 Andreas Reckwitz (2018): „Zwischen Hyperkultur und Kulturessenzialismus. Die Spätmoderne im Widerstreit zweier Kulturalisierungsregime“, in: Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V. (Hg.): Jahrbuch für Kulturpolitik 2017/2018, Bd. 16: Welt.Kultur.Politik. Kulturpolitik in Zeiten der Globalisierung, Bielefeld: transcript, S. 81ff.

3 Cornelia Koppetsch (2019): Die Gesellschaft des Zorns. Rechtspopulismus im globalen Zeitalter, Bielefeld: transcript, S. 218ff.

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4 Wolfgang Merkel (2018): „Die populistische Revolte“, in: Jahrbuch für Kulturpolitik 2017/2018, S. 63ff.

5 Koppetsch (2019), S. 85ff.

6 Interview mit Andreas Reckwitz in: Die Zeit online, 41/2017, https:// www.zeit.de/2017/41/ mittelschicht-kultur-individualisierung-andreas-reckwitz/seite-3 (20.6.2019).

Einstellungen finden sich vor allem im Milieu der Gebildeten, der Besserverdienenden und Globalisierungsgewinner. Kommunitaristen hingegen ziehen sozialen Zusammenhalt in überschaubaren Gemeinschaften vor und befürworten kontrollierte, nationale Grenzen und eine beschränkte Zuwanderung. Sie bewerten die eigene Kultur höher und sehen die Abgabe politischer Macht an transnationale Strukturen kritisch. Sie zählen verallgemeinernd gesprochen zu den Wenigerverdienenden und Verlierern der Globalisierung.4 3. Gesellschaftliche Spaltung wirkt in die Politik

In die Politik lassen sich mit dem oben erwähnten Modell der gesellschaftlichen Spaltung leicht Querverbindungen herstellen: Allen rechten Strömungen gemeinsam sind Ideologien menschlicher Ungleichheit und Ungleichwertigkeit. Und gegen das Modell einer vielfältigen Gesellschaft, in der die Entfaltungsmöglichkeiten der Individuen im Mittelpunkt stehen und auch die Rechte von Minderheiten geschützt werden, bringt der Rechtspopulismus das Konzept einer nach Abstammung und Kultur weitgehend gleichförmigen Gemeinschaft in Stellung. Die Argumente der Kommunitaristen sind dabei häufig mit einer Kritik an einer zu hohen Elitenorientierung linker und konservativer Mehrheitsparteien verbunden, die eine Verbesserung der Lebensbedingungen der „einfachen Bürger*innen“ hintanstellen und statt dessen auf Themen wie Menschenrechte, Ökologie, Nachhaltigkeit und internationale Krisen wie Flucht und Migration fokussiert seien. Cornelia Koppetsch spricht von einer neuen Metapolarität, die die alte Polarität zwischen konservativen und sozialdemokratischen Parteien abgelöst habe, und meint damit eine neue Spaltung der Gesellschaft in kosmopolitisch orientierte Parteien wie beispielsweise die Grünen und rechtspopulistischen wie die Alternative für Deutschland (AfD).5 Andreas Reckwitz bringt in seinem Denkmodell den Rechtspopulismus in Zusammenhang mit einer Kultur der Singularitäten, die in allem das Besondere sucht und inszeniert: Man bekennt sich zu einem besonderen Volk mit einer einzigartigen Kultur und Geschichte, die man gegen andere abgrenzen kann.6 4. Kunst und ihre Freiheit – zwischen Vereinnahmung und Kriminalisierung, Anfeindung und Widerstand

Mit dem Erstarken rechter, nationalistischer Bewegungen ist zu beobachten, dass einige Gewissheiten und demokratische Errungenschaften in Frage gestellt und ins Wanken geraten sind: die Stärke und Einigungskraft des europäischen Projekts oder auch grundlegende demokratische Errungenschaften wie Presse- und Meinungsfreiheit und die Freiheit der Kunst. Die Freiheit der Kunst ist in Deutschland ebenso wie in Österreich gesetzlich verankert: „Die Kunstfreiheit ist ein Grundrecht, das dem

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Schutz künstlerischer Ausdrucksformen dient“7 (Deutsches Grundgesetzes Art. 5 Absatz 3), und: „Das künstlerische Schaffen, die Vermittlung von Kunst sowie deren Lehre sind frei“8 (Österreichisches Staatsgrundgesetz Art. 17a). Wenn diese Freiheit unter Druck gerät, ist es Aufgabe des Staates und der staatlichen Politik, dies klar zu verurteilen, sie zu schützen und Räume, in denen Kunst frei entstehen kann, zu sichern und zu stärken. Die aktuellen Entwicklungen zeigen jedoch, dass dies besonders dort nicht der Fall ist, wo rechte Parteien in Regierungsverantwortung gekommen sind und eine Politik des systematischen Zurückdrängens von Widerspruch, Protest und Vielfalt Ausdruck einer zunehmend autoritären, rechtspopulistischen Politik ist. Kunst- und Kulturschaffende sowie Kultureinrichtungen, die für einen aufgeklärten demokratischen Diskurs stehen, sehen sich vor dem Hintergrund dieser gesellschaftlichen und politischen Veränderungen neuen Gegebenheiten gegenüber: Einmal in den Fokus der Aufmerksamkeit und Kritik von rechts gerückt, reicht die Palette der Anfeindungen von Zensurmaßnahmen, politisch motiviertem Einsetzen unqualifizierter Personen in wichtigen Funktionsposten, Einschüchterung durch Geldentzug bzw. dem Versuch, über die Kürzung von Fördergeldern Einfluss auf die Arbeit von Kulturschaffenden zu nehmen, bis hin zur Störung oder konkreten physischen Verhinderung von Kunst oder der Kriminalisierung von Künstler*innen. Nicht zuletzt wird seitens der rechten Parteien unter dem Deckmantel einer angeblichen Entpolitisierung von Kunst eindeutig Stellung gegen die Kunstfreiheit bezogen. Kursorisch seien hier einige Beispiele ohne Anspruch auf Vollständigkeit erwähnt: • In Österreich kam es 2016 zu einem Angriff durch die Identitären (eine in Österreich als rechtsextrem eingestufte Bewegung) auf eine Aufführung des Elfriede-Jelinek-Stücks Die Schutzbefohlenen mit Geflüchteten an der Universität Wien und im Wiener Burgtheater. • Theatermacher*innen wie Amelie Deuflhard von Kampnagel in Hamburg oder Shermin Langhoff vom Berliner Maxim-Gorki-Theater erfahren wegen ihrer Theaterarbeit mit Geflüchteten Druck von rechts. • In Deutschland steht das Künstler*innen-Kollektiv „Zentrum für politische Schönheit“ seit 2017 wegen des Verdachts der „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ im Zentrum strafrechtlicher Ermittlungen durch die staatlichen Ermittlungsbehörden in Thüringen. Die Gruppe hatte am 22. November 2017 in der Kunstaktion „Deine Stele“ in Sichtweite des Wohnhauses des AfD-Politikers Björn Höcke einen Nachbau des Berliner Holocaust-Mahnmals enthüllt, nachdem dieser die Gedenkstätte als „Denkmal der Schande“ bezeichnet hatte. Wie also damit umgehen, wenn der Staat seine Aufgabe, die Freiheit der Kunst zu schützen, nicht wahrnimmt?

Barbara Neundlinger 7 https://www.gesetzeim-internet.de/gg/art_5. html (20.6.2019). 8 https://www.ris.bka. gv.at/GeltendeFassung. wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000006 (20.6.2019).

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Reaktionen auf politische Einflussnahmen sind unterschiedlich und reichen von Selbstzensur und Rückzug am einen Ende des Spektrums bis hin zu neuen Formen der Selbstorganisation und -ermächtigung seitens der Kulturszene, aktiven Zeichen der Solidarität von Künstler*innen und der Zivilgesellschaft als Antwort gegen rechtsradikale Ausschreitungen (wie beispielsweise das Konzert, das unter dem Motto #wirsindmehr 2018 in Chemnitz stattfand) und aktivem Widerstand. So formieren sich in Deutschland wie auch in Österreich Kultureinrichtungen, Kulturschaffende und Künstler*innen als „Die Vielen“ in einem Netzwerk, das für Toleranz, Diversität und eine offene Gesellschaft eintritt. Sie verpflichten sich in Veranstaltungen, Diskussionen und öffentlichen Aktionen zur aktiven Solidarität mit Menschen, die durch rechtsextreme Politik betroffen sind. In Österreich engagierten sich viele Kulturschaffende als Antwort auf den unter der konservativ-rechten Regierung zum Teil massiven Rechtsruck in der Politik – auch die nationalen Kulturtanker: Die Wiener Staatsoper brachte zum ersten Jahrestag der Regierungsvereidigung im Dezember 2018 Johannes Maria Stauds populismus-kritische Oper Die Weiden zur Uraufführung. Der Autor Doron Rabinovici und der Journalist Florian Klenk gestalteten für das Burgtheater eine kritische Collage mit Texten von Salvini, Strache, Orbán und Co. Im Parlament in Wien erregte der Schriftsteller Michael Köhlmeier Aufsehen mit einer Rede anlässlich einer sogenannten „Gedenkveranstaltung gegen Gewalt und Rassismus“, in der er für das Verhalten der ÖVP-FPÖ-Regierungsriege klare und kritische Worte fand. Gleichzeitig treten einige Institutionen bereits wesentlich weniger kritisch auf, um nicht Gefahr zu laufen, weggekürzt zu werden und damit die Institution oder auch die Existenz der Mitarbeiter*innen zu gefährden. Auch Selbstzensur und defensive Entscheidungen in der Kulturszene sind zu beobachten – wie in Dessau, wo im November 2018 nach Drohungen rechtsextremer Gruppierungen ein Konzert der linken Punkrockband Feine Sahne Fischfilet vom Bauhaus wegen Androhung rechter Protestaktionen aufgrund der politischen Ausrichtung der Band abgesagt wurde. Wird die Kunstfreiheit eingeschränkt, sind unabhängige MonitoringEinrichtungen ebenso wie Beratungs- und Unterstützungsstellen nötig, die betroffenen Kunst- und Kulturschaffenden Beratung und Hilfestellung bieten können. Und schließlich braucht es eine kritische Überprüfung der Maßnahmen der Kunst- und Kulturpolitik wie auch der Instrumente der Kunst- und Kulturförderung auf Mechanismen der Diskriminierung, die die Kunstfreiheit einschränken. Denn die politisch motivierten An- und Eingriffe in die Kunstfreiheit sind ein fatales Zeichen für die gesamte Zivilgesellschaft. Schließlich lebt eine offene Gesellschaft, eine liberale wie lebhafte und gesunde Demokratie nicht zuletzt von jenen Künstler*innen, die Politik und Gesellschaft den Spiegel vorhalten, selbst wenn das unbequem sein mag.

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Aus diesen unterschiedlichen Positionen wird deutlich, dass wir in Sachen Kunstfreiheit als Gesellschaft gefordert sind auszuhandeln, wo wir rote Linien ziehen. Bei einem Rap, in dem das Leiden von AuschwitzHäftlingen banalisiert wird? Bei der Entfernung von Eugen Gomringers Gedicht Avenidas an der Fassade der Berliner Alice Salomon Hochschule? Die Begrenzung muss jedenfalls spätestens da beginnen, wo andere erniedrigt und beleidigt, wo Geschichte diskreditiert oder das Strafrecht verletzt wird. 5. Handlungsspielräume und Aufgaben in einer offenen Gesellschaft

Welche Handlungsspielräume gibt es nun seitens der Politik und der zivilgesellschaftlichen Akteur*innen, wenn der politische Klimawandel immer spürbarer wird? Und wie soll man reagieren, wenn die bestehenden demokratischen Regeln nicht nur jenen Gestaltungsspielraum geben, die die demokratischen Grundwerte der Verfassung achten, sondern immer öfter auch jene Parteien ihr Recht auf Teilhabe an kulturpolitischen Gestaltungsprozessen nutzen, die in ihrer Gesinnung, ihren Zielen und ihrer Vorgehensweise radikal, autoritär und kunst- und demokratiegefährdend agieren? Für Tom Braun teilen sich zivilgesellschaftliches Mandat und politisches Mandat ein gemeinsames Fundament, nämlich die Verfasstheit des Staates als demokratischer Staat. Ihm geht es darum, das Gemeinwesen in Anerkennung der Individuen zu gestalten. Diese Gestaltungsaufgabe ist ohne Zivilgesellschaft nicht realisierbar, da sie durch staatliche Organe allein nicht zu leisten ist. Alle Akteure sind daher gefordert, nachdrücklich und beharrlich den gesellschaftspolitischen Sinn und Nutzen zivilgesellschaftlicher Interessenvertretung durch Verbände zu verdeutlichen und erfahrbar zu machen.9 Aus dem Blickwinkel der Politik plädiert Oliver Scheytt dafür, den Charakter Deutschlands als Kulturstaat im Grundgesetz zu festigen, indem Kultur als Staatsziel verankert wird. Mit der von der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ vorgeschlagenen Formulierung „Der Staat schützt und fördert die Kultur“ würde eine solche Bestimmung in erster Linie einen Handlungsauftrag an den Staat enthalten, was als Zielbestimmung für das politische Ermessen des Gesetzgebers ebenso wie als eine normative Richtlinie für verwaltungsrechtliche Ermessensund gerichtliche Abwägungsentscheidungen Wirkung entfalten könnte.10 Norbert Sievers sieht in den zivilgesellschaftlichen Akteuren einen wesentlichen Teil des sozialen Kapitals einer Gesellschaft, weil sie dieser eine Infrastruktur eingespielter Beziehungen innerhalb und zwischen gesellschaftlichen Gruppen zur Verfügung stellen, die die (Selbst-)Verständigung und den Interessenausgleich der unterschiedlichen Akteure erleichtern. Die Kulturpolitische Gesellschaft e.V. ist ein Beispiel für solch einen zivilgesellschaftlichen Verband. Kulturelle Demokratie und der

9 Tom Braun (2019): „Teilhabe, Anerkennung und Kritik – Verantwortung und Potenziale zivilgesellschaftlicher Organisationen der Kulturellen Bildung“, in: Kulturelle Bildung online, https:// www.kubi-online.de/ artikel/teilhabe-anerkennung-kritik-verantwortung-potenziale-zivilgesellschaftlicher-organisationen (20.6.2019). 10 Oliver Scheytt (2018): „Zur verfassungsrechtlichen Verankerung der Bundeskulturpolitik in Art. 35 des Einigungsvertrages“, in: Olaf Zimmermann (Hg.): Wachgeküsst. 20 Jahre neue Kulturpolitik des Bundes 1998–2018, Berlin: Deutscher Kulturrat, S. 144ff.

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11 Norbert Sievers (2017): „Kulturpolitik und Lobbyarbeit am Beispiel der Kulturpolitischen Gesellschaft“, in: Michael Grisko/Tobias J. Knoblich (Hg.): Aktuelle Beiträge zur Kulturpolitik. Pro Kultur: Gesetzgebung und Lobbyarbeit, Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, S. 33ff. 12 https://gemeinnuetzig.at/2019/04/ civil-society-index-update-2019-ist-derpolitische-klimawandelnoch-zu-stoppen-2/ (20.6.2019).

Schutz der Kunstfreiheit der Künste sind in ihrem Grundsatzprogramm klar als Ziele festgehalten. Sie bezieht ihre Legitimation in der diskursiven Erarbeitung von konsensfähigen Positionen und in der Widerspiegelung von relevanten Diskursen und Meinungsbildungsprozessen in ihren Positionen. Dafür stehen unter anderem ihre Publikationen (wie die Kulturpolitischen Mitteilungen, das Jahrbuch für Kulturpolitik u. a.) und Veranstaltungen wie die zweijährlich stattfindenden Kulturpoltischen Bundeskongresse.11 Zivilgesellschaftliche Akteur*innen haben also unter anderem die Aufgabe, ihre Verantwortung zur Mitgestaltung und kritischen Reflexion wahrzunehmen und Angebote bereitzustellen, wo dieser Diskurs stattfinden kann und wo Kritikfähigkeit und die Fähigkeit, Widerstand zu leisten, gelernt und gelebt wird. Dass dies von nach rechts orientierter Politik nicht unbedingt gefördert wird, zeigt die Studie „Civil Society Index Update 2019“,12 die von der Interessenvertretung Gemeinnütziger Organisationen zusammen mit dem Institut für Soziologie der Wirtschaftsuniversität Wien erstellt wurde und über die Situation zivilgesellschaftlicher Akteure in Österreich Aufschluss gibt. Es wurde unter anderem in Bezug auf Demokratie und Partizipation erhoben, dass unter der konservativ-rechten Regierung zivilgesellschaftliche Organisationen deutlich weniger in Gesetzgebungsverfahren einbezogen werden, die Politik intransparenter geworden sei und kaum noch mit Akteur*innen der Zivilgesellschaft kommuniziere. Es erfolge eine zunehmende Delegitimierung zivilgesellschaftlicher Aktivitäten in Medien und von Seiten der Politik durch Unterstellung von Profitinteressen, Abwertung der Arbeit sowie auch eine Zunahme einer allgemein negativen, ausgrenzenden Rhetorik. 6. Conclusio – Das Verbindende in der Differenz

Abgrenzung und Ausgrenzung verstärken die Fliehkräfte einer Gesellschaft. Übertrumpfen, Ignorieren, aber auch Einbinden von rechtspopulistischen Kräften haben sich als ebenso wenig zielführend erwiesen. Wie können also Gräben zwischen den verschiedenen Milieus überbrückt werden? Wie können gesellschaftliche Differenzierung, Pluralisierung und kosmopolitischer Blick in Einklang gebracht werden mit dem Wunsch nach Verbindendem, Gemeinschaft und Heimat? Und wie können Demokratie und eine offene Gesellschaft gestärkt werden? Mit den konventionellen Werkzeugen demokratischer Politik – wie Gesetzen, Geld oder Appellen – lassen sich weder Gräben in der Gesellschaft überbrücken noch Anfeindungen von Kulturschaffenden und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen kurzfristig verändern. Bleibt also der steinige Weg: auf der Basis von Interaktion den Dialog und Diskurs mit und zwischen möglichst vielen gesellschaftlichen Gruppen zu fördern und somit die Zivilgesellschaft in ihrem breiten Spektrum einzubinden und zum Entgegentreten zu ermutigen, wo demokratische Errungenschaften rückgängig gemacht oder zerstört werden.

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Das Unter-sich-Bleiben in Echokammern ist zwar so gut wie in allen sozialen, gesellschaftlichen, politischen Milieus zu beobachten. Echte politische Debatten können innerhalb dieser Netzwerke, in denen man ohnehin einer Meinung ist, jedoch nicht stattfinden. Da hilft nur: raus aus der Filterblase und die politische Debatte nicht nur mit Gleichgesinnten, sondern besonders mit denen führen, die für eine andere Weltanschauung als die eigene stehen. Für die Demokratie-Bildung und das Einüben demokratischen Verhaltens braucht es also Orte, an denen Kontroverses diskutiert wird, als Austausch von Argumenten und nicht im Reden übereinander. Dieter Haselbach meint, dass auch Skeptiker oder gar Gegner der Demokratie dabei sein sollen, solange sie die Regeln des Gesprächs respektieren. An solchen Orten kann und soll jede identitäre Abschließung in Frage gestellt werden. Gibt es solche Orte nicht, artikulieren Sorgen und Ängste sich womöglich als Fundamentalopposition und auf der Straße.13 Der deutsche Bundespräsident a. D. Joachim Gauck spricht sich in einem Interview in der Zeitschrift Der Spiegel dafür aus, den Begriff „Rechts“ zu entgiften, und setzt dabei voraus, zwischen rechts – im Sinne von konservativ – und rechtsextremistisch oder rechtsradikal zu unterscheiden. Man müsse sich in der offenen Gesellschaft klarmachen, was Toleranz ist und wie weit sie gehen darf. Er ermutigt dazu, dass Tolerante auch entschlossen intolerant sein können müssen. Man müsse sich nur darauf verständigen, friedlich miteinander umzugehen und bestehendes Recht zu achten.14 Der stärkste Grund, sich für eine liberale und soziale demokratische Grundordnung einzusetzen, besteht für Max Fuchs darin, dass nur in einer solchen politischen Grundordnung die Möglichkeit besteht, nicht nur schlechte Zustände zu kritisieren, sondern auch Veränderungen herbeizuführen. Es könnte dabei sogar der Fall sein, dass man sich mit seinen Änderungsaktivitäten mehr auf dem Boden des Grundgesetzes befindet als diejenigen, die für die kritisierten Zustände verantwortlich sind. Man müsse Amts- und Würdenträger häufiger an ihren Amtseid erinnern, der auf das Grundgesetz abgelegt wurde. Es ist daher die Aufgabe jedes einzelnen Bürgers und jeder einzelnen Bürgerin, dieses Recht auf Mitwirkung auch auszuüben. Zumindest in diesem Fall sollte man nicht bloß von Menschenrechten reden, sondern auch von einer Menschenpflicht.15 Um so wenig Spielraum wie möglich für politischen Missbrauch zu geben, müssen politische Prozesse möglichst transparent gestaltet werden. Nur so können sich mehr Bürger*innen ihrer gesellschaftlichen und politischen Möglichkeiten bewusst werden und sich zielführend einbringen. Diese Balance zwischen individueller Unbeschränktheit und kollektiver Verantwortung in der Offenen Gesellschaft ist, wie es Peter Grabowski formuliert, eine kulturelle Herausforderung und deshalb die vornehmste Aufgabe der Kulturpolitik.16

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13 Dieter Haselbach (2019): „Ist kulturelle Bildung Bildung zur Demokratie?“, in: Kulturpolitische Mitteilungen 165 (II/2019), S. 62.

14 Interview mit Joachim Gauck in: Der Spiegel, 21. Juni 2919, https:// www.spiegel.de/ politik/deutschland/ joachim-gauck-willden-begriff-rechts-entgiften-a-1273555.html (21.6.2019).

15 Max Fuchs (2019): Freiheit und soziale Sicherheit. Zur Geschichte und Aktualität sozial-liberaler Werte – Ein Überblick für die pädagogische Praxis, S. 90ff., https:// www.maxfuchs.eu/ buchveroffentlichungen/ (20.6.2019). 16 Peter Grabowski (2019): „Für eine neue Neue Kulturpolitik“, in: Kulturpolitische Mitteilungen 164 (I/2019), S. 39.

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Even though hundreds of thousands of citizens are out on streets demonstrating, it’s an illusion that we can defend democracy by defending its institutions. Recent efforts in the CEE region (Poland’s retirement law for judges or women’s march; anti-corruption rallies and the referendum on the legal definition of a family in Romania; or the internet tax and home care in Hungary) that reached policy change will not stop backsliding in democratic values, nor counter the ever-growing support of the far right. For more than twenty years, European values seem apparent in Hungary with adjustment to mechanisms, referring to checks and balances, establishing watchdog organizations or strengthening monitoring bodies, but by the end of the day, people still find themselves un/der/ represented. It is an even more pressing issue if we consider that on the 30th anniversary of the fall of communism we have a U-turn to illiberal democracy to celebrate. As a cultural manager who has been working on participatory projects for almost a decade now, my main argument is that culture is the best basis/transmitter to overcome and see beyond societal crises, but when democracies are rapidly shrinking, protecting (cultural) institutions is probably counterproductive. This article aims to give a short summary of the decay of democratic values, based on the activities of independent cultural organizations and state-funded, centralized academies ready to accept the cultural crisis and effects of a decade-long Kulturkampf in Hungary. One of the most important results of the civil rights movement in the United States was that institutions serve people, not vice versa. In practice, democratic values are not the pillars of society in post-communist societies and the lack of civic education also means that citizens tend to “believe” in institutions. But what happens when these institutions do not serve democratic models and cannot fulfill their role to represent people? Obviously, then their defense would not be based on civic activity either. A good example: no anti-governmental initiatives could form a movement parallel to the seven consecutive changes of the Hungarian constitution (fundamental law since 2014) that led to serious violations of the freedom of education and media, as well as violations of legislative changes since 2010. Participation is not built-in as a cultural model. Citizens are not educated and invited to take part in decision-making processes (which is present in Iceland, Estonia, or Spain), other than through public referendums. The national consultation initiated by Viktor Orbán in 2005 was the first “non-partisan” cross-country rally designed to survey voters’ opinions on local and national issues. Ten years later, the Cabinet Office of the Prime Minister took over organizing the consultations that every household in Hungary receives—recently a letter signed by PM Viktor Orbán—implying that the government is an institution that builds its operations on public opinion. Even the word “consultation” is misleading: none of the campaigns after 2015 tackle genuine social issues (health care, education, housing

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etc.). Rather, this approach was used to successfully spread hate-filled propaganda and misleadingly gives a humane character to politics of fear. The alleged transformation of the far-right to the people’s party—and the government’s practice of gathering right-wingers and extremists into a joint canon of “defenders of European values”—makes the picture more complex. Timothy Snyder, in On Tyranny: Twenty Lessons from the Twentieth Century, argues: “The mistake is to assume that rulers who came to power through institutions cannot change or destroy those very institutions—even when that is exactly what they have announced that they will do. […] Sometimes institutions are deprived of vitality and function, turned into a simulacrum of what they once were, so that they grid the new order rather than resisting it. This is what the Nazis called Gleichschaltung.”1 The protection of institutions is inappropriately articulated as a goal for dissent voices to overcome populism. What else do they have left? The crisis of cultural and democratic institutions, academies and the NGO sector becomes more obvious when they face more autocratic “soft pressure” that jeopardizes operations: financial threats (suspending funds, monitoring, fines) or de-legitimization of their environment and legacy by propaganda. Relying on state funds makes organizations defenseless and, unfortunately, recent tendencies also show that these organizations never aimed to have a strong societal base that might provide them enough help to fight against attacks (e.g. independence based on audience funding as a substitute for decreasing state-funding). The question, since 2010, is whether they have enough time to reorganize in a shrinking space for democracy? To paraphrase the legendary sentence by Rudi Dutschke, if the masses start to make their way “through the institutions of power” it will be a “long march.” Hungary, Poland, or Italy would not even need illiberal democracies to slide toward crises—these governments were lucky to knock down the door of the EU’s Potemkin defense, built on advocacy and a hope in democratic values while lacking strong issue-based coalitions. A polarized society need counter-narratives to build inclusive communities but this might be a strong disincentive for institutions and sectors that are traditionally built on centralized structures, rigorous development strategies and conservation that guarantees sustainability for centuries. Liberté? Fraternité!

In order to set the scene, it is important to mention that there are less than ten leaders in Hungary who manage cultural and educational institutions on an academic level. Men traditionally occupy the position of the Minister of Culture as well as the Minister of Education. The list of

1 Timothy Snyder, On Tyranny. Twenty Lessons from the Twentieth Century, (New York: Tim Duggan Books, 2017, 24–25.

Protecting Institutions is Slow Death 2 Medgyaszay Vilma, Feld Irén, Forgács Rózsi, Gáspár Margit, Barta Zsuzsa, Simon Zsuzsa, Duka Márta, Töröcsik Mari, Kolti Helga, Darvasi Ilona, Bátyai Edina, Bán Teodóra, Dávid Zsuzsa, Frank Ildikó, Szabó Ágnes, Lábán Katalin, Bozsik Yvette, Szabó Réka, Zimányi Zsófia, Eszenyi Enikő, Kováts Adél. 3 Hungarian Rectors’ Conference online, http://www.mrk.hu/en/ current/. 4 K. Novák received an award and opened the exhibition “Motherhood – Another Dimension,” co-organized by the Hungarian Cultural Institute in Warsaw. She also recently met with Matteo Salvini and was touring the United States with the conference “Make Families Great Again.” 5 The Ministry of Human Resources is responsible for the functioning of the national healthcare and welfare system in Hungary, the development of school education from nursery to university, the protection of cultural heritage, promotion of the interests of the young, and the realization of government aims related to sport.

6 Luca Kristóf, “Cultural Policy in an Illiberal State. A Case Study of Hungary after 2010,” in: Intersections. East European Journal of Society and Politics 3(3), (2017), 126–147. 7 ibid., 142.

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women involved in theater, and female theater festival directors, in the last one-hundred years seems quite short,2 not to mention the ratio of female to male members (11 to 65) of the Hungarian Rectors’ Conference.3 It is also widely debated that women voices are “used” across Europe to widen and legitimize the power of right-wing populism with leaders like Le Pen, or those who are part of the establishment, like Katalin Novák, State Secretary for Family and Youth Affairs,4 and Judit Varga, the newly appointed Minister of Justice, who is openly against the ratification of the Istanbul Treaty. Identification is when the institution fully complies with the regime. Adjustment (or adaptation) is about bending the rules in order to protect one’s integration and values. Both strategies have their toll: it is “all-in” and the authorities’ will is unquestionable in the first case, an overwhelming and constant balancing act in the latter. Quick structural changes were made between 2010–2014, during the second Orbán government, by establishing the Ministry of Human Resources,5 a centralized decision-making department that was formed by merging four ministries and appointing a State Secretariat for Culture. Grant-making procedures made it easy to control funds, but the ministry pushed for more, making the procedures as complex and opaque as possible. The ministry appoints the jury, which controls operational grants; independent experts and representatives of independent organizations can delegate only one member (it was four in 2014). Dilettantism and personal relations took over professionally structured and transparent institutions that were built on social dialogue and democratic decision-making for more than thirty years. This feudal structure is comfortable for all except the younger generations of artists; however, young artists’ education provides them the stable background to have the possibility to leave. The Hungarian Academy of Arts (HAA) rose from nothing and became the foremost, important cultural institution within two years (2011–2013). Its path is paved by institutionalized corruption, political decisions, and the rejection of any opposing ideas and consultations—the new order is proud of serving the government’s political agenda. Kristóf analyzed the cultural policy of the Orbán regime based on the characteristics of post-communist traditionalism in managed, illiberal-democratic capitalism and focused on attempts to alter the cultural canon and make institutional and financial changes.6 Kristóf ’s discussion concluded that the “results of incoherent governmental actions show that the main aim of the government is not an ideological homogenization of culture, but the weakening of old elite structures and institutions to favor its own loyal cultural elite.”7 The Association of Independent Performing Artists (FESZ) is still the flagship organization that advocates for independent performers. The corporate tax incentive was a way to provide support independently from the ministry. In a sense, it was a form of “people-powered” financial structuring for Hungarian performing-arts organizations: companies

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donated a part of their corporate tax for cultural purposes and funding was calculated based on the cultural organization’s annual audience numbers. This form of sponsorship will be available for sport clubs and associations,8 but was suspended for theaters in January 2019 and a centralized budget, allocated by local governments, will replace it. The new system fixed an annual amount allocated directly from the central budget to state-owned theaters in Budapest, which means a smaller amount for independent theaters (37.5 billion HUF for 2019, compared to 56 billion in 20189). The Minister of Human Capacities says that, with these restructured funds, the ministry will try to implement its “value-driven” approach on beneficiaries. The governing principles resemble the cultural policy of the post-communist Kádár era, concentrating on the well-being of the people, depoliticizing the private sphere and institutionalizing the never-fixed principles of the infamous TTT (Tűr–Tilt–Támogat, “Prohibit–Tolerate–Support”). Artists and cultural actors formed several coalitions over the last decade to push back against policy-level and other institutional changes. Krétakör Foundation was a leading voice in lobby and organizing in 2011, when FESZ was re-established. The foundation coordinated discussions on professional policies and discourses on the protection of interests (access to operating aids, changes in corporate tax, disputes regarding the Hungarian Academy of Arts, restructuring the National Cultural Fund, Hungary). The foundation urged leaders and decision-makers to stand up against the centralization of the system of cultural support. All in all, the procedures help widen the gap between state-owned institutions that are willing to identify with NER10 and those trying to balance on a tightrope of adjustments and mandatory favors in order to survive and make space for progressive values in an illiberal state. Nationalization

Illiberalism could not take over these institutions without fundamental structural problems. The clientele-based approach was not surprising; however, the open rejection of all opposing ideas was unexpected, even for those who supported Fidesz since the fall of the Iron Curtain. For the cultural sector, the switch started with HAA (between 2014–2018, the third Orbán government) and the picture became clear, for the academic sphere, only in 2017. Most of the institutions are highly vulnerable to propaganda and face dangerous threats to autonomy, unprecedented in the European Union. Instead of shared leadership, education functions through centralized, autocratic and individual interests, reinforced by state-run decision-making institutions. The hundreds-of-years-old tendency that educational institutions’ activities remain isolated from the majority of society makes it hard to prove that their legacy forms one of the pillars of democratic processes—but what could be the main argument to protect them from populist and extremist attacks?

8 See Fig. 1, “Football nation”, a reference to Viktor Orbán’s favourite sport and priority investments.

9 The sum of the corporate tax was calculated according to annual ticket revenues. In 2017 it was 37.5 billion HUF, allocated in 2018. The total sum of ticket revenues is 56 billion, but the government intends to allocate only 37.5 billion for 2019. The final decision has not been announced at the time of this essay‘s publication.

10 The System of National Cooperation, declared by the second Orbán government, is comprised of the Fidesz governing elite, politicians, and oligarchs.

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11 Hungary’s Parliament passed a bill submitted by László Palkovics, Minister of Innovation and Technology, taking away the MTA’s entire research network and place them under the control of Eötvös Loránd Research Network (ELKH). ELKH is a new body, authorized to use the academy‘s property without remuneration. 12 German scientific organizations have distanced themselves from Mr. Palkovics, the science minister appointed by the government: https://www. zeit.de/amp/2019/28/ ungarn-forschungsfreiheit-wissenschaft-offener-brief-viktor-orban. 13 “Statements of Support,” Hungarian Academy of Sciences online, https://mta.hu/english/ statements-of-support-109400. 14 Gabor Scheiring, “Academic Freedom in Hungary’s Authoritarian State Capitalism,” in: The Foreign Policy Centre online, (Feb. 18, 2019), https://fpc.org.uk/academic-freedom-in-hungarys-authoritarian-state-capitalism/. 15 CEU relocated its campus to Vienna in 2019.

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The current academic environment clearly reminds one of Hungary in the ’70s. Universities have been under serious pressure for over a decade now: political leaders pressure state-supported colleges and universities to make substantive changes in their organization, as well as in their curriculum and how it is taught. Since 2012, the government selects and appoints state university rectors and chancellors and university bodies have no veto power. By controlling the institutions, the government uses public funds to shape public norms. Since 2016, the government has planned to tighten the reins on funding and control of the Hungarian Academy of Sciences (Magyar Tudományos Akadémia, MTA). The research network MTA, thoroughly reformed in 2011–12, is comprised of fifteen independent research centers, involving forty-four basic-research institutes. The reorganization of the MTA was set in motion in July 201911 despite a massive wave of criticism and solidarity in Hungary, Germany,12 the UK, and worldwide.13 The law violates the basic principles of academic freedom and MTA’s right to hold property. László Lovász, president of the MTA, pointed to the government’s general policy of centralization, but the reality is even more brutal. The political attacks on academic freedom and dissenting intellectuals correlate with the models of Putin and Erdogan and might result in transforming the academy “into an innocuous ‘academic club’ of mostly retired members, while the government gets a free hand in allocating scientific funding. When successful, these attempts will contribute to cementing Orbán’s power and increase the stability of Hungary’s variant of authoritarian state capitalism.”14 Similar to culture wars, establishing an institution and restructuring the funding of the HAS is the goal. As Scheiring pointed out, “Social scientists and humanities researchers are expected to apply for financial support under the ‘culture and family’ heading,” which implies the tendency most academics are afraid of: the ideological framework of the government’s values is forced on the entire network of the academy. It is important to mention that this happens a year after removing gender studies from a list of approved master’s programs in 2018 (Eötvös Loránd University, ELTE and Central European University, CEU). The 2017 law on foreign branch campuses stripped CEU of the right to issue US degrees in Hungary and forced the university out of the country in 2018.15 The recurring push to merge five arts universities (the Hungarian University of Fine Arts, Moholy-Nagy University of Art and Design Budapest, Liszt Ferenc Academy of Music, University of Theatre and Film Arts, and Hungarian Dance Academy) is part of an almost decade-long Kulturkampf. Such a mega-sized merger is unprecedented and would be highly risky. The government started to pressure the institutions by de-legitimization. In 2015, the ministry initiated a process to monitor the operation of the academies based on a narrative of centralization built on the opaque financial background of the institutions. At the time of this essay’s publication, the merger is not finalized. The nationalist

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rhetoric is simple and often repeated: anyone who is not willing to comply can leave. Shouting over Barricades

The European Cultural Foundation interviewed Ivan Krastev when Krétakör Foundation’s Free School project was one of the laureates of the Princess Margriet Award in 2016: “The biggest political mistake we can all make now is trying to attribute all types of regressive policies simply to decisions allegedly taken by one person, be it Viktor Orbán or Jarosław Kaczyński. […] [O]ne of the things in Hungary, which I personally find very dangerous, is that in this period of political polarization, everybody starts to live in a ghetto of their own. So we are not talking to the other side anymore. It is not going to be a pleasant talk nor an easy conversation, but this is why it should happen on the level of culture.”16 Where could a debate about the future take place? Most actions that attempt to build bridges reflect on collective needs, but are often limited to individual actions. Its even more complex to follow these actions, since collaborations are mostly restricted to informal discussions and happen behind closed doors. Remaining apolitical and aligned with mainstream ideology may allow for bending the rules in specific cases, but the costs are high: dissent voices are public enemies; centralization has made cultural institutions and spaces almost inaccessible. Long years of protests tried to stop the processes started by Viktor Orbán’s vision of culture’s role that galvanized the push to tackle the progressive hegemony in the field of culture. Loyalty is not the path the younger generation of artists is willing to choose. As artist Ágnes Básthy puts it: “Public property is distributed amongst well-chosen clientele. The requirement is rather a similar worldview and loyalty to the current system than the quality of the individual product. […] Similarly to the slow dismantling and the destruction of skilled workforce by the state funded educational system,” which means “the destruction of our future.” 17 Benedek and Básthy see a future behind the barricades: “However this sector is extremely underfunded, and its cultural workers have to deal with precariousness; this is the part of the cultural production that, in part, still maintains the image of a pluralistic, democratic country.”18 They emphasize the need for a deep transformation of attitudes and structural conditions.19 Independent cultural institutions are even further from forming issue-based coalitions or member-based resistance than CSOs in Hungary.20 There has been no meaningful response to the reduction in the level of public support for cultural institutions: self-organization has not begun

16 https://www.culturalfoundation.eu/library/ another-europe-interview-ivan-krastev-part-3. 17 Ágnes Básthy, “What Can Be Said About The State of Hungarian Art?” in: Krytyka Polityczna & European Alternatives online, (March 17, 2017), http://politicalcritique. org/cee/hungary/2017/ hungary-art-protest-culture/. 18 ibid. 19 Kata Benedek/Ágnes Básthy, “Kulturkampf or Kulturchaos?: New (Dis) orders in Contemporary Hungarian Cultural Politics,” in: FIELD. A Journal of Socially-Engaged Art Criticism online, http://field-journal. com/issue-12/southern-eastern-europe/ kulturkampf-or-kulturchaos-new-disorders-in-contemporary-hungarian-cultural-politics. 20 See the Civilizáció coalition, the heart shape as a symbol of solidarity with CSOs in Hungary that became a symbol of resistance against legislative changes designed to attack NGOs internationally.

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21 Hungarian University of Fine Arts online, http://www.mke.hu/ node/36944.

22 Gergely Prőhle, Director General of the Petőfi Literary Museum, was attacked and fired for allowing politically suspect writers to be entertained or supported by the museum—his example is one of dozens. 23 “An era is determined by cultural trends, collective beliefs and social customs. This is now the task we are faced with: we must embed the political system in a cultural era. This is why it is logical—and in no way surprising—that it is precisely in the field of cultural policy that we have seen the explosion of what is currently the most intense debate. […] I think that this is understandable and in order, because after the third two-thirds victory we really need to adopt a spiritual and cultural approach.” – Prime Minister Viktor Orbán’s Speech at the 29th Balvanyos Summer Open University and Student Camp, (July 28, 2018), https://www.kormany. hu/en/the-prime-minister/the-prime-minister-s-speeches/ prime-minister-viktororban-s-speech-at-the29th-balvanyos-summer-open-universityand-student-camp. 24 Valerie Hopkins, “Hungary’s Viktor Orbán and the rewriting of history,” in: Financial Times online, https://www.ft.com/ content/c7032cb2aca5-11e9-8030-530adfa879c2.

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and there has been no substantial progress in attracting alternative sources of funding or private donors in the region. The program series “Open University”21 and the symbolic gate opening of the Hungarian University of Fine Arts took place on the 60th anniversary of the Hungarian Revolution of 1956. The performance meant the physical opening of the spirit and space between the departments of the institution and offerings to the public. The opening was celebrated by László Palkovics, former Minister of Education, who is, at the time of the editing of this essay, coordinating a signature attack on academic freedom—the restructuring of MTA. One and a half years later, the new rector closed the program. Once HAA took over the property rights of the Műcsarnok (Kunsthalle) and the Pesti Vigadó (Vigadó Concert Hall), independent and private artistic space became more important, but the venues might self-censor the content. The Ludwig Museum, one of the most important contemporary art venues in Budapest, recently censored a portrait of Viktor Orbán, the author of which was invited for the 30th anniversary of the museum, and the installation was put together, piece by piece, with visitors’ contributions. It is no surprise that the 40th exhibition of the well-known cover photos of HVG (Weekly World Economy, founded in 1979) entitled “Analog Realities – Real Analogies” could not make it to Kunsthalle this year, even though it exhibited there ten years ago. Furthermore, licensing Chaplin’s The Great Dictator to the company-theater Víg—the theater literally closest to the Hungarian parliament building—also would not change the fact that neither the audience nor the management would undertake confrontation with the municipality and the ministry in openly criticizing the establishment that appointed anti-Semitic cultural actors and anti-LGBTQ decision-makers to the highest positions of state-funded institutions. One can argue that the survival of individuals is worth compromises, but playing by the rules does not necessarily mean one remains untouchable.22 The system of institutions is instable, unpredictable and easily corruptible. It comprises a system of loyalty and is built to serve various changing interests in a captured state. The urgency of measures for change will not allow enough time and capacity to reform cultural and educational institutions in order to make them reflect real, current, societal and political needs. In Tusnádfürdő, two months after winning a supermajority in the Hungarian parliament for the third time in a row, Orbán clearly spoke about Kulturkampf.23 In his 2018 speech, he stated that culture need to be synchronized with the politics of the day. Within twelve months, the attacks against, and restructuring of, major institutions were already executed. One of the most rapid processes was the incorporation of the National Széchényi Library’s 1956 Institute—Oral History Archive, which never provided scientific support for the government’s shifting toward revisionist memory politics and the rewriting of Hungarian history. 24

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János Rainer, head of the institute, described the first attempt to close the archive as motivated by revenge.25 A year ago their personal connections could help them, now this is no longer the case. What are the structures flexible enough to tackle such attacks? The protection of organizations is a reflex as the Kulturkampf intensifies, but what will survive the constant struggle when the new establishment is in place? All examples mentioned in this essay apply different tactics and I would open the discussion further to develop good practices for resilience and self-sustaining organizational models that could reach the critical public support that provides enough leverage for organizations to keep their independence. A further study would be necessary to look into similar structures in the region, Poland and Ukraine for example, but also, in a wider context, Russia and the MENA region, where the political agenda entirely shapes the cultural agenda. Furthermore, it would be reasonable to have a comparative analysis on the effect of financial regulation changes and attempts for self-sustaining, which will reshape the independent cultural sector in three-to-five years. Finally, I would suggest a more extensive study on how soft pressure (financial and political threats) redesigned institutional programming to advocate for the protection of Hungarian heritage, incorporating revisionism and extremism into the cultural canon.

Dóra Papp 25 Adam Kolozsi/Peter Lengyel-Szabo/Daniel Simor, “‘We Offended Important People’ – How a Hungarian Historical Institute Met Its End,” in: index online, (May 20, 2019), https://index.hu/english/2019/06/20/1956_ institute_veritas_merging_fidesz_hungary_academic_freedom_research_oral_history_archive/.

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Fig. 1: “Football nation” scene from Krétakör: Bánk bán – ACT. The Bánk bán – ACT (Activists Contribute to Theater) activists reinterpreted the opera and confronted themselves with heroes of the play to define what is their own—national—identity. The opera was only premiered in Berlin: http://www.novoflot. de/de/produktionen/nationaloper/. More about the project: http://kretakor.eu/ post-en/bank-ban-act-copy/

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1 Samuel P. Huntington (1996): Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert, München und Wien: Europa. 2 Rudolf Burger (1992): „Die falsche Wärme der Kultur“, in: Wolfgang Müller-Funk (Hg.): Neue Heimaten – Neue Fremden, Wien: Picus, S. 65–77.

Politikwissenschaftler_innen betonen gerne, dass sich ihr Forschungsgegenstand in ständiger Bewegung befinde, sie also mit ihrer Forschung das Ohr am Puls der Zeit hätten. Mit diesem Verständnis des eigenen Faches geht ein rascher Alterungsprozess vorhergegangener Analysen einher: Bis auf die Werke der – wie auch immer definierten – Klassiker_innen gilt es als wenig opportun, Texte zu zitieren, die älter als zehn Jahre sind. Es mag daher erstaunen, dass dieser Artikel in seinen Überlegungen an zwei Arbeiten anschließt, die vor deutlich mehr als 20 Jahren erschienen sind. Dies betrifft einerseits Samuel Huntingtons Buch Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert,1 das den Titel dieses Aufsatzes inspirierte. Hier lässt sich rechtfertigend sagen, dass dieses Buch zwar wissenschaftlich sehr plausibel kritisiert wurde, zugleich aber immer noch – direkt und indirekt – politische Diskurse beeinflusst. Andererseits werden aber auch Überlegungen aus dem Artikel „Die falsche Wärme der Kultur“ von Rudolf Burger2 aufgegriffen – ein Text, der wohl außerhalb von Österreich kaum bekannt wurde und noch dazu von einem Autor stammt, der sich in den Jahrzehnten nach dem Erscheinen dieses Artikels immer wieder politisch problematisch geäußert hat. Für einen Rückgriff spricht hier also tatsächlich nur der Inhalt, der heute nicht nur noch gültig, sondern vielleicht sogar gültiger denn zum Zeitpunkt seines Erscheinens ist. Multikulturalismus und Segregation

3 Ebd., S. 69.

4 Ebd., S. 71. 5 Ebd., S. 72.

6 Huntington (1996), S. 198–206. 7 Burger (1992), S. 76. 8 Frank-Olaf Radtke (1993): „Multikulturalismus – vier Formen der Ethnisierung“, in: Zeitschrift für Kulturaustausch: Kultur und Gewalt 4, S. 522–525.

In seinem Text, der kurz nach dem Zusammenbruch der UdSSR geschrieben wurde, beschreibt Burger den Rückgriff auf Kultur einerseits als Verschleierung der „Kälte der kapitalistischen Gesellschaft und […] brutalsten Formen ursprünglicher Akkumulation“3 in den ehemaligen Comecon-Staaten und andererseits als Fortschreibung radikal ausschließender Formen der Wir-Konstruktion. Kulturelle Identität löse die Vorstellung „rassischer“ Gemeinschaft ab und schließe zugleich an deren Funktionsweisen an.4 Dies gilt laut Burger auch für emphatische Beschreibungen multikultureller Vielfalt: „Denn dieses Lob steht immer an der Kippe zum Schrei nach Segregation und Hierarchisierung.“5 In ihrer Ablehnung des Multikulturalismus sind sich Burger und Huntington einig – allerdings aus unterschiedlichen Gründen und mit unterschiedlichen Konsequenzen. Huntington sieht bekanntlich die Konflikte des 21. Jahrhunderts in kulturellen Differenzen begründet – im Unterschied zu den ideologischen Konflikten des 20. Jahrhunderts. Multikulturalismus bringe diese Konflikte „ins eigene Land“; nur klare Grenzziehungen und Segregation können den Kampf der Kulturen hintanhalten.6 Burger hingegen geht es darum, „Kollektividentitäten zu entpathetisieren“, und er wirft dem Multikulturalismus vor, Aggregate zu substantialisieren und Kollektive zu stigmatisieren.7 Mit dieser Kritik stand er schon in den 1990er Jahren nicht allein. Frank-Olaf Radtke8 etwa identifizierte und kritisierte vier Konzepte des Multikulturalismus: einen „programmatisch-pädagogischen

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Multikulturalismus“, der zur „Pädagogisierung von sozialen Problemen“ und „sozialromantischer Verklärung“ und damit zu „karitativ-kurativem Handeln“ führt; einen „kulinarisch-zynischen Multikulturalismus“ – „Mittelschichtsprojekt der jungen Dienstleister und Modernisierungsgewinner“, einen „demographisch-affirmativen Multikulturalismus“, der sich auf bevölkerungspolitische Notwendigkeiten bezieht, und schließlich einen „reaktiv-fundamentalistischen Multikulturalismus“, der in Abgrenzung von der feindlichen Mehrheitsgesellschaft kulturelle Identitäten betont. Assimilation und Leitkultur

Multikulturalismus ist seit längerer Zeit aus der Mode gekommen; stattdessen wird einerseits interkulturelle Verständigung propagiert, andererseits steht die Forderung nach Integration im Vordergrund, wobei sich die Definition von Integration immer mehr dem Konzept der Assimilation annähert. Seit 2017 wird Integration in Österreich gesetzlich vorgeschrieben, im gleichnamigen Gesetz wird gefordert, „dass die Zugewanderten […] die Grundwerte eines europäischen demokratischen Staates anerkennen und respektieren. […] Drittstaatsangehörige [sind] verpflichtet, Kenntnisse der deutschen Sprache sowie der demokratischen Ordnung und der daraus ableitbaren Grundprinzipien zu erwerben.“9 Zu diesem Gesetz, das der SPÖ-ÖVP-Regierung entstammt, fand die SPÖ im Jahr 2018 noch eine Steigerungsstufe, als sie in ihrem Positionspapier „Flucht – Asyl – Migration – Integration“10 „Integration vor Zuzug“ forderte – eine Vorstellung, die nicht ganz unplausibel in einem FacebookPost mit der Forderung „Abtrocknen vor Duschen“ gleichgesetzt wurde. Hinter diesen Konzepten steht ganz deutlich weder eine Vorstellung friedlichen multikulturellen Nebeneinanders noch interkulturellen Miteinanders, sondern die Vorstellung einer Leitkultur, in die sich neu Ankommende zu assimilieren haben. Auch dieses Konzept wurde übrigens in den 1990er Jahren entwickelt, von dem deutschen Politikwissenschaftler syrischer Herkunft Bassam Tibi: „Die Werte für die erwünschte Leitkultur müssen der kulturellen Moderne entspringen, und sie heißen: Demokratie, Laizismus, Aufklärung, Menschenrechte und Zivilgesellschaft.“11 Vor etwas mehr als zwei Jahren wurde darauf in sehr verkürzter Form vom damaligen deutschen Innenminister, Thomas de Maizière, zurückgegriffen: Er definierte zehn Thesen der Leitkultur; am stärksten ist davon wohl der Satz „Wir sind nicht Burka“ in Erinnerung geblieben, der verdeutlicht, wie nahe die Idee einer Leitkultur dem Konzept des Kampfes der Kulturen steht.12 Willkommenskultur und Kampf der Kulturen

Nicht zufällig stammen sowohl das österreichische Integrationsgesetz als auch der deutsche Rekurs auf eine Leitkultur aus dem Jahr 2017 – zeitlich wie auch kausal gehen diesen migrationspolitischen Überlegungen der

9 Bundesgesetz zur Integration rechtmäßig in Österreich aufhältiger Personen ohne österreichische Staatsbürgerschaft (Integrationsgesetz – IntG) (2017), https:// www.ris.bka.gv.at/eli/ bgbl/I/2017/86/20170717 (3.7.2019). 10 SPÖ-Positionspapier „Flucht – Asyl – Migration – Integration“, 13. September 2018, https://www.spoe. at/2018/09/13/spoe-positionspapier-flucht-asylmigration-integration/ (3.7.2019). 11 Bassam Tibi (2000): Europa ohne Identität? Die Krise der multikulturellen Gesellschaft, München: btb, S. 154. 12 „Thomas de Maizière: ‚Wir sind nicht Burka‘. Innenminister will deutsche Leitkultur“, in: Die Zeit, 30. April 2017, https:// www.zeit.de/politik/ deutschland/2017-04/ thomas-demaiziere-innenminister-leitkultur/ komplettansicht.

Kampf der Kulturen – Kampf der Kulturpolitiken?

13 Susanne Wiesinger (2018): Kulturkampf im Klassenzimmer: Wie der Islam die Schulen verändert. Bericht einer Lehrerin, Wien: Edition QVV.

14 Zitiert nach Rami Ali: „Wiesinger-Buch ‚Kulturkampf im Klassenzimmer‘. Zum ‚Problem‘ Islam in Schulen“, in: Der Standard, 24. Jänner 2019, https:// www.derstandard.at/ story/2000096200072/ wiesinger-buch-kulturkampf-im-klassenzimmer-zum-problem-islamin-schulen (3.7.2019). 15 Zitiert nach ebd.

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lange Sommer der Migration und der kurze Sommer der Willkommenskultur voraus. Diese Zeit kann als Periode eines krisenbedingten und krisenhaften Optimismus in Bezug auf eine europäische Leitkultur der Menschenrechte verstanden werden. Zugleich wurde auch hier – wie von Burger vorausgesehen – bereits der Grundstein für die Segregation und Hierarchisierung der Jahre danach gelegt. Merkels berühmtes Diktum „Wir schaffen das“ wurde zum ambivalenten Leitspruch einer Zivilgesellschaft, die sich selbst als Retterin weitgehend hilfloser Geflüchteter feierte. Als dann der Diskurs zu dem Urteil umschlug, dass „das“ nicht zu schaffen sei, war auch klar, wer „es“ hier nicht schafft – nämlich die zu wenig integrationswilligen oder -fähigen Geflüchteten. Mit Radtke lässt sich konstatieren, dass karitativ-kurativer Aktivismus, der auf sozialromantischer Verklärung beruhte, in Ausgrenzung umschlug, sobald sich diese Verklärung auflöste – wobei beides, die Verklärung und ihre Auflösung, in Diskursen der Mehrheitsgesellschaft ohne nennenswerte Beteiligungsmöglichkeit von Geflüchteten stattfand. Diese Darstellung beruht auf einer Makroperspektive, die das Engagement Einzelner und von NGOs während der Willkommenskultur und auch darüber hinaus zu wenig würdigt. Doch erscheint sie notwendig – einerseits, um einer anderen Makrobeschreibung unglaublichen Engagements der schon länger hier Ansässigen und des enttäuschenden Verhaltens der neu Gekommenen entgegenzuwirken, und andererseits, um die diskursiven Sprünge zu Asyl und Migration in den letzten Jahren zu verstehen. Die radikale Umkehr des Diskurses lässt sich am Beispiel der Rezeption des Buchs Kulturkampf im Klassenzimmer von Susanne Wiesinger verdeutlichen, das im Herbst 2018 erschien.13 Wiesinger beschreibt hier ihre Erfahrungen als Lehrerin in einer Wiener NMS (Neue Mittelschule) und liefert zugleich eine deutlich kulturalisierte und diskriminierende Interpretation dieser Erfahrungen. Sie schreibt über ihre Schüler_innen: „Der Großteil der Schüler spricht kaum Deutsch, will eigentlich nichts lernen und hat kaum Hobbys oder Interessen. Dafür werden diese Schüler aber sehr schnell aggressiv und wütend, sobald etwas nicht mit dem Islam im Einklang zu sein scheint. […] Die Mehrheit der muslimischen Kinder spielt stundenlang Playstation. Andere Dinge, die die Persönlichkeit und Individualität der Kinder positiv prägen würden, finden nicht statt.“ 14 Und über deren Eltern: „Manche Eltern stehen nicht einmal morgens mit ihren Kindern auf, um sie für die Schule fertig zu machen. Einige holen ihre Kinder auch nicht aus der Schule ab, wenn sie hohes Fieber haben. Der Job ist daran nicht schuld. Denn diese Eltern haben oft keinen. […] Diese Ohnmacht provoziert unter Lehrern manchmal Aussagen, die von purer Verzweiflung geprägt sind: Man müsste den Eltern die Kinder wegnehmen! […] Wozu kriegen sie die Kinderbeihilfe, wenn sie sie nicht in ihre Kinder investieren, sondern stattdessen in ihre Reise nach Mekka und in ihren depperten BMW?!“ 15

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Diese Einblicke in den Schulalltag sind erschütternd; sie lassen erahnen, wie Kinder und Jugendliche über Vorverurteilungen und negative Erwartungshaltungen in genau jene Lebenswege gedrängt werden, die ihnen vorausgesagt werden. Um noch einmal Wiesinger zu zitieren: „Ist doch eh egal, mit 18 heiratet die eh, ist doch völlig wurscht, lassen wir sie durch. Soll sie jetzt halt noch ein paar schöne und unbeschwerte Jahre haben. Warum sollen wir ihr das Leben schwer machen? […] Für ihr Leben braucht sie keine Bildung.“16 Zugleich ist das Buch selbstverständlich auch Symptom für die Überforderung von Lehrer_innen, die durch keinerlei Unterstützung abgefangen wird. Diese Publikation wäre ebenso wenig beachtenswert wie zahlreiche andere wenig gelungene Bücher, die Jahr für Jahr erscheinen – wäre sie nicht so breit und undifferenziert rezipiert worden. Zwar fanden sich auch einige fundierte Kritiken dieser Sichtweise, wie etwa im Artikel des Politik- und Islamwissenschaftlers Rami Ali, dem die Überlegungen zur Auswirkung von Erwartungshaltungen auf Schüler_innen wie auch die Zitate entnommen sind. Doch weitgehend fanden die Ausführungen von Wiesinger Zustimmung, und am Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung wurde sogar eine „Ombudsstelle für Wertefragen und Kulturkonflikte“ eingerichtet und mit Frau Wiesinger besetzt.17 Die Zeichen der Zeit sind deutlich: Integration wird zur gesetzlichen Pflicht, der Kulturkonflikt ministeriell verankert. Zuweilen ist auch noch von interkulturellem Dialog die Rede, zum Beispiel gibt es dafür einen Preis des Bundesministeriums für europäische Integration und Äußeres.18 Allerdings zeigt nicht nur das umstrittene „König-Abdullah-Zentrum für interreligiösen und interkulturellen Dialog (KAICIID)“19 die Möglichkeiten des Missbrauchs dieses Konzepts. Diese sind bereits im Begriff angelegt, der ebenso wie der Multikulturalismus von kulturellen Differenzen ausgeht, die (1) klar definierbar und abgrenzbar und (2) gesellschaftlich so relevant sind, dass sie eine spezifische Form der Kommunikation nötig machen. So wird mit Kultur Politik gemacht, also Kulturpolitik. Kulturpolitik im engeren Sinn bezieht sich indes auf das Feld künstlerischer und kultureller Produktionen, die in spezifischen Wechselwirkungen mit Kultur „as a whole way of life“ (Raymond Williams) stehen. Erstens wirkt sich Kulturpolitik als Machtpolitik auf die Bedingungen künstlerischer und kultureller Produktion aus, und zweitens stellt die Kritik offizieller politischer Positionen einen wesentlichen Teil der Arbeit vieler Künstler_innen und Kulturschaffender dar, der häufig mit öffentlichen Mitteln, also kulturpolitisch unterstützt wird. Drittens ist aber auch an solche Kulturproduktionen (und ihre kulturpolitischen Rahmenbedingungen) die Frage nach der Verteilung von Macht und (auch kulturellem) Kapital zu stellen. Kulturpolitik, Kulturproduktion und Migration

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs kam es immer wieder zu politischen Ereignissen, die zu größeren Fluchtbewegungen nach Österreich

16 Zitiert nach ebd.

17 https://bildung.bmbwf. gv.at/schulen/service/owk/index.html (3.7.2019).

18 https://www.bmeia. gv.at/europa-aussenpolitik/auslandskultur/ dialog-der-kulturen-undreligionen/interculturalachievement-award/ (3.7.2019). 19 Vgl. etwa: https:// diepresse.com/home/ innenpolitik/5643046/ Aussenministerium-willBeschluss-gegen-AbdullahZentrum-umsetzen (3.7.2019).

Kampf der Kulturen – Kampf der Kulturpolitiken?

20 Claire Bishop (2006): „The Social Turn. Collaboration and its Discontents“, in: Artforum International 44(6), S. 178–183. 21 WUK (1979): „Das 8-Punkte-Programm. Verein zur Schaffung offener Kultur- und Werkstättenhäuser: Wesen – Anliegen – Notwendigkeit“, https://www.wuk. at/fileadmin/user_upload/Media_Library/ Bilder/Das_WUK_Allgemein/Geschichte/ Das_8-Punkte-Programm.pdf (3.7.2019).

22 http://www.sohoinottakring.at/ (3.7.2019).

23 http://www.theaterdesaugenblicks.net/ (3.7.2019). 24 http://www.interkulttheater.at/home/konzept. html (3.7.2019).

25 https://www.brunnenpassage.at/ (3.7.2019). 26 wienwoche.org (3.7.2019). 27 http://www.wienwoche.org/ de/1006/%C3%9Cber_ wienwoche (3.7.2019).

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und insbesondere nach Wien führten – Ungarn 1956, Tschechoslowakei 1968, Chile 1973, Iran 1979, Jugoslawien in den 1990er Jahren, um nur die wichtigsten zu nennen. In den 1960er und frühen 1970er Jahren veränderte sich die Bevölkerungsstruktur außerdem aufgrund geplanter Arbeitsmigration aus der Türkei und Jugoslawien. All diese Wanderungsbewegungen wirkten sich auch kulturell auf die Stadt aus – es entstanden Kulturvereine der verschiedenen Communities, und immer wieder setzten sich Künstler_innen für die Rechte von Migrant_innen ein. Mit Beginn der 1990er Jahre begann eine Entwicklung der internationalen Kunstszene, die als „social turn“ bezeichnet wurde: Zunehmend mehr künstlerische Projekte und Organisationen fühlen sich seither „Kollektivität, Kollaboration und direktem Engagement für spezifische soziale Gruppen“ verpflichtet.20 Diese lassen sich – mehr oder weniger trennscharf – nach ihrem Kulturbegriff (weiter Kulturbegriff oder Kunstprojekt) und ihrem Inklusionsanspruch (spezifisch auf Migrant_innen bezogen oder breiter gefasst) unterscheiden. Es erscheint plausibel, dass dieser „social turn“ auch durch die Aktivitäten soziokultureller Initiativen angeregt wurde, die in den 1970er und 1980ern entstanden. Eines der wichtigsten Projekte dieser Art in Wien ist das WUK, 1981 gegründet, dessen Name „Werkstätten- und Kulturhaus“ zugleich Programm ist. Migrantische Kulturarbeit stellte keinen expliziten Schwerpunkt bei der Gründung des WUK dar, sondern soziales Interesse und gesellschaftliche Relevanz.21 Doch zahlreiche migrantische Gruppen fanden dort – ebenso wie andere Gruppen – einen Ort für Kooperation und Repräsentation, da eben ihre Teilhabe als wichtiger Aspekt gesellschaftlicher Änderung erkannt wurde. Einen ähnlichen Zugang zur Inklusion und Repräsentation von Migrant_innen fand das Festival „SOHO in Ottakring“,22 das seit 1999 künstlerische Intervention mit Fragen der Stadtentwicklung im Wiener Bezirk Ottakring verbindet und sich aufgrund des hohen Anteils an Migrant_innen in diesem Stadtteil auch mit Migration beschäftigt. Zugleich entstanden in den späten 1980er und den 1990er Jahren auch spezifisch migrantische bzw. interkulturelle Initiativen, wie etwa das Theater des Augenblicks23 oder das Interkulttheater.24 Auch im 21. Jahrhundert wurden (1) Initiativen gegründet, die sich in erster Linie einem breit gefassten Konzept der Inklusion (und nicht nur der Inklusion von Migrant_innen) wie auch einem breiten Kulturbegriff (und nicht einer spezifischen Kunstpraxis) verpflichtet fühlen, (2) Initiativen, die sich künstlerisch in einem engeren Sinn verstehen, sowie (3) spezifische Projekte für Migrant_innen im Kunstfeld. Beispielhaft für die erste Form können hier die Brunnenpassage25 genannt werden, ein niederschwelliger Ort für künstlerische und kulturelle Aktivitäten, der 2007 in Ottakring gegründet wurde, und die wienwoche,26 ein seit 2012 existierendes Festival, das mit der „Verschmelzung von kreativen Praktiken und Aktivismus experimentiert“.27 Daneben entwickelten sich im 21. Jahrhundert aber auch explizit migrantische bzw. postmigrantische Initiativen. Eine Reihe von ihnen

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sind mit dem Namen Asli Kişlal28 verbunden, die 2003 den Kunst- und Kulturverein daskunst gründete, der sich mit Fragen der Repräsentation in einer Einwanderungsgesellschaft auseinandersetzt, 2011 die Wiener Projektreihe PIMP MY INTEGRATION initiierte und kuratierte und 2013 diverCITYLAB29 gründete, eine Schauspielakademie für junge Menschen mit oder ohne Migrationshintergrund. Gleichfalls 2013 wurde Kültürgemma gegründet, das Stipendien und Fellowships für migrantische Kulturproduktion vergibt.30 Diese Aufzählung ist natürlich in keiner Weise erschöpfend und kann auch nicht den Anspruch auf Repräsentativität erheben, zeigt aber, dass seit Jahrzehnten dem politischen Kulturkampf ein kultureller Kampf gegen diese Politik entgegensteht, der mit unterschiedlichen Mitteln und Zielsetzungen geführt wird.

28 http://www.divercitylab. at/team_asli-kislal/ (3.7.2019). 29 www.divercitylab.at/ (3.7.2019).

30 http://www.kueltuergemma.at/de/startpage/ (3.7.2019).

Flucht in der Kunst

Ausgelöst durch das Refugee Protest Camp Vienna in den Jahren 2012/13 sowie den Sommer der Migration 2015 entwickelten sich innerhalb dieser Organisationsformen und außerhalb von ihnen Projekte, die spezifisch auf Geflüchtete fokussierten. Dies kann in mehreren Hinsichten als eine neue Qualität gesehen werden. Einerseits ging es nicht um spezifische ethnische Communities, andererseits aber auch nicht um migrantische Kulturarbeit im Allgemeinen, sondern eben um diejenigen, die um Asyl ansuchen und sich selbst als Geflüchtete bezeichnen. Die Projekte entwickelten sich ad hoc, aus dem Bemühen, Geflüchtete zu unterstützen, indem ihnen Sicht- und Hörbarkeit geboten wurde, aber auch einfach, indem Möglichkeiten geschaffen wurden, (in sehr begrenztem Maße) Geld zu verdienen. Zugleich entstand ein gewisser Hype dieser Projekte – überspitzt ließe sich sagen, dass jedes deutschsprachige Theater, das etwas auf sich hielt, ein Stück zu Flucht herausbringen musste, und jedes anständige zeithistorische Museum ein Schlauchboot oder eine Schwimmweste benötigte. Diese künstlerischen Projekte erreichten auch große Bühnen und wurden von der Theaterkritik und -theorie wahrgenommen und analysiert. Die kritischen Fragestellungen, die daraus entstanden und auch öffentlich gemacht wurden, stellen über ihren Anlassfall hinaus zur Debatte, inwieweit der künstlerisch-kulturelle Protest gegen die Aufrufung des Kulturkampfs in dessen Falle gerät oder auch geraten muss: Werden Geflüchtete für die künstlerische Reputation von (österreichischen, europäischen) Künstler_innen eingesetzt oder gar missbraucht? Werden die Geflüchteten wirklich gehört oder sollen sie nur die Texte und Positionen anderer wiedergeben? Andererseits: Geht es überhaupt darum, „wirkliche“ Geflüchtete zu hören? Oder handelt es sich dabei um eine „Zwangsauthentisierung“, einen emotionalen Porno?31 Gibt ein Theater, das sich der Authentizität verschreibt, seine ästhetische Widerständigkeit auf und verschreibt sich poetischer Harmlosigkeit?32

31 „‚Theater auf Augenhöhe‘. Gespräch mit Aslı Kişlal am 08.04.2016 im Werk X, Wien von Julia Defrancesco, Moritz Hartmann und Gabriela Kielhorn, in: Birgit Peter/ Gabriele C. Pfeiffer (Hg.) (2016): Flucht – Migration – Theater. Dokumente und Positionen, Mainz University Press/Vienna University Press, Göttingen: V & R unipress, S. 21–28. 32 Frank Raddatz (2011): „Das Doppelgesicht des Echten. Tabubruch und Authentizität im politischen Theater“, in: Theater der Zeit 2, S. 23–25.

Kampf der Kulturen – Kampf der Kulturpolitiken?

33 Katharina Danner (2017): „Politiken der Sichtbarkeit im Kampf um die Rechte Geflüchteter“, in: Peter/Pfeiffer (2017), S. 507–512, hier S. 510. 34 Elfriede Jelinek (2013): Die Schutzbefohlenen, https://www.elfriedejelinek.com/fschutzbefohlene.htm (3.7.2019).

35 http://www.schweigendemehrheit.at/schutzbefohlene-performen-jelineks-schutzbefohlene/ (3.7.2019).

36 Zitiert nach: Daniela Pillgrab (2015): „Elfriede Jelinek’s Die Schutzbefohlenen: A chorus of complaints on human rights catastrophes“, https://fpjelinek.univie. ac.at/fileadmin/user_upload/proj_ejfz/PDFDownloads/Pillgrab_ Die_Schutzbefohlenen. pdf (3.7.2019). 37 Vgl. etwa Catherine M. Cole/Tracy C. Davis (2013): „Routes of Blackface“, in: TDR/The Drama Review 57(2), S. 7–12. 38 https://www.nachtkritik.de/index. php?option=com_content&view=article&id=11001:presseschau-vom-19-mai2015-nicolas-stemannbezieht-stellung-zuden-rassismus-vorwuerfen-gegen-dieschutzbefohlenen&catid=242&Itemid=62 (3.7.2019).

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Und wenn nun „authentische“ Geflüchtete auf der Bühne stehen, wen repräsentieren sie? „Wir hören die Geschichte eines einzelnen Geflüchteten, aber für wen spricht er? Natürlich ließe sich fragen, warum der Mensch oder die verkörperte Figur überhaupt für jemanden anderes stehen sollte als für sich selbst. Aber gerade wenn das Merkmal Geflüchteter so präsent, so bedeutend ist, wird oft erwartet, dass die gesehene Person mit ihrer Geschichte repräsentativen Charakter hat.“33 Diese Konflikte ziehen sich durch alle Kunstprojekte mit „kulturell Anderen“. Im Kontext des Theaters mit und/oder von Geflüchteten wurde dies besonders deutlich am Beispiel des Stücks Die Schutzbefohlenen, das von Elfriede Jelinek aus Anlass des Refugee Protest Camp Vienna geschrieben wurde.34 Dies ist das Stück einer österreichischen Autorin; die Schauspieler_innen auf der Bühne sprechen die Worte von Jelinek. Zugleich gab Jelinek das Stück für alle Formen der Aufführung und Verfremdung frei; in diesem Sinne wurde es etwa von Tina Leisch und Bernhard Dechant als Vorlage für ihre Version Schutzbefohlene performen Schutzbefohlene35 verwendet, in der Geflüchtete nicht nur Aufführende, sondern auch Mitgestaltende sind. Aber auch bei Aufführungen des ursprünglichen Stücks gab es sehr unterschiedliche und auch kontroversielle Interpretationen. Am Hamburger Thalia Theater inszenierte Nicolas Stemann das Stück und brachte einen Chor von Geflüchteten auf die Bühne. Er sagte dazu: „Als es dann darum ging, daraus eine Inszenierung zu machen, war es mir sehr wichtig, die Betroffenen, von denen das Stück handelt, nicht erneut auszugrenzen, sondern ihnen zur Sichtbarkeit zu verhelfen. Sie mitspielen und ihre Stimme erheben zu lassen. Denn das ist ja auch genau ihr politisches Anliegen: sichtbar zu werden.“36 Zugleich benutzte er in diesem Stück auch „blackfacing“, schminkte also Weiße als Schwarze. Diese traditionell gängige Theaterpraxis wird seit längerer Zeit heftig als kolonialistisch und diskriminierend kritisiert.37 Stemann sieht seine Verwendung von „blackfacing“ allerdings gerade als Kritik dieser Praxis: „Es gibt hier ein fundamentales Missverständnis. Denn: wir ‚machen‘ nicht Blackfacing, wir zeigen es. Das mag wie ein lässlicher Unterschied wirken, ist aber doch wesentlich, vergleichbar dem Unterschied zwischen einem realen Mord und einem, der auf einer Bühne nur gespielt wird. […] Wir führen damit das Blackfacing vor. Beim Blackfacing wird ein Schwarzer der Lächerlichkeit preisgegeben – bei uns wird das Blackfacing der Lächerlichkeit preisgegeben.“38 Hier stellt sich allerdings die Frage, warum einerseits der Unterschied zwischen Realität und Bühne stark gemacht wird, andererseits aber „echte“ Geflüchtete auf der Bühne stehen sollten. Am Wiener Burgtheater wählte der Regisseur Michael Thalheimer dafür einen anderen Weg; er arbeitete ausschließlich mit professionellen, weißen Schauspieler_innen und begründete das so: „Ein Flüchtling auf der Bühne ist kein Flüchtling mehr. […] Die Flüchtlinge hatten ihr Leid schon. Wieso sollten sie uns ‚Abendländern‘ auf der Bühne noch einmal erzählen, wie scheiße ihr

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Leben ist. Der Flüchtling auf der Bühne ist kein Flüchtling, er ist nicht mehr authentisch. Diese Art von missratener Pose hasse ich, ich lehne solch exhibitionistischen Porno ab. Die Bühne ist kein Zoo.“39

39 Zitiert nach Pillgrab (2015).

Diversität und Gemeinsamkeit

Wien hat eine lange Geschichte der Migration und der Xenophobie, die sich in letzter Zeit häufig an Kultur als Kampfbegriff festmacht. Wien hat auch eine lange Geschichte kultureller Aktivitäten von Migrant_innen und künstlerischer Auseinandersetzung mit Migration, die sich dem Kulturkampf entgegenstellen. Die grundlegenden Probleme dieser Kulturproduktionen, die hier angerissen wurden, entwerten diese Arbeit nicht, sondern zeigen die Möglichkeiten der Kunst, gesellschaftliche Probleme verdichtet darzustellen. Sie rufen aber zu besonderer Sorgfalt auf, denn stets kann die Repräsentation von Diskriminierung und Ausgrenzung diese affirmieren. Abschließend soll daher hier anhand von zwei Beispielen noch ein anderer Weg skizziert werden, sich der konflikthaften Diversität der Stadt Wien zu nähern: Der Verein Boem versucht seit 2010, Ökonomie, Kunst und Aktivismus zu verbinden.40 Immer wieder beschäftigt er sich mit Migration, doch stehen dabei nicht kulturelle Fragen im Vordergrund, sondern die spezifische Rolle, die prekarisierte Migrant_innen im zeitgenössischen Kapitalismus (und damit auch im zeitgenössischen Kunstfeld) spielen. Dies wurde in der Vergangenheit künstlerisch bearbeitet, etwa in der Gastarbejter Opera, zu der das Projekt Lebt und arbeitet in Wien gehörte, das migrantische Arbeitskräfte zu Künstler_innen und Kurator_innen machte. Dies wurde auch in der Unterstützung von politischen Bewegungen, wie von RomaDemonstrationen und Refugee-Protesten, umgesetzt. Und schließlich wurde der Verein mit dem „Café Boem“ und dem Cateringunternehmen „Migrating Kitchen“ auch wirtschaftlich im wesentlich migrantisch geprägten Sektor der Gastronomie tätig. Mit diesen Aktivitäten stellt der Verein Boem Migration in den Mittelpunkt seiner Arbeit, aber nicht, um sich der Diskriminierung von Migrant_innen zu widmen, sondern um die Auswüchse des zeitgenössischen Kapitalismus anhand einer zentralen Dimension dieses Wirtschaftssystems zu bearbeiten. Einen ganz anderen Zugang wählte das Projekt Museum auf der Flucht, das als „Collegium Irregulare“ hochqualifizierten Geflüchteten die Möglichkeit gab, am Volkskundemuseum Projekte zu entwickeln.41 Daraus entstand eine permanente Intervention in die Schausammlung des Volkskundemuseums, Die Küsten Österreichs. Die Fellows des Collegium Irregulare setzten sich mit den Objekten des Museums intensiv auseinander, kommentierten diese und brachten eigene Objekte ein, die für sie mit dem Bestand assoziativ verbunden waren. Damit setzten sie sich kritisch mit der österreichischen Vergangenheit wie auch mit der eigenen auseinander und mit der Begegnung unterschiedlicher Erinnerungen und Erfahrungen. Es geht hier also nicht um das ausgestellte Schlauchboot

40 https://boem.postism. org/missionstatement/ (3.7.2019).

41 https://www.volkskundemuseum.at/collegium_ irregulare (3.7.2019).

Kampf der Kulturen – Kampf der Kulturpolitiken?

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als Marker einer oberflächlichen Anerkennung aktueller politischer Ereignisse, sondern um das Schaffen einer notwendigerweise gebrochenen Gemeinsamkeit in einer Stadt, in der seit Langem immer wieder neu Hinzugekommene mit schon länger Ansässigen definieren, wie sie miteinander leben wollen und können. Hier lassen sich vielleicht Ansätze eines Umgangs mit dem Kampf der Kulturen finden, der diesem nicht ein anderes kulturelles Verständnis entgegensetzt, sondern der Frage nachgeht, welche Kämpfe jetzt und hier gemeinsam zu führen sind. Der Fokus liegt damit nicht auf der Diskriminierung und damit Hilfsbedürftigkeit von Migrant_innen, sondern auf gesamtgesellschaftlichen Fragen und deren spezifischem Einfluss auf die Situation von Migrant_innen wie auch deren spezifischer Beeinflussung durch Migration. Zusammenfassung und Ausblick

42 https://www.derstandard.at/story/2000097604353/ kaup-hasler-es-gehtnicht-darum-kunstzu-instrumentalisieren (3.7.2019).

Eine Unterstützung von Projekten dieser Art durch Kulturpolitik und -förderung erscheint ebenso vielversprechend wie spezifische kulturpolitische Initiativen, die diesem Konzept folgen. In konkretem Bezug zur zeitgenössischen Kulturpolitik der Stadt Wien ist hier etwa die Förderung sogenannter Kulturlabore in Wiens Flächenbezirken zu nennen: Hier geht es nicht darum, kulturelle Aktivitäten und/oder Bedürfnisse von Migrant_innen in den Vordergrund zu stellen, sondern eine Initiative für unterschiedliche Bevölkerungsschichten zu setzen, die bisher kulturpolitisch eher vernachlässigt wurden. Andererseits führt eine solche Politik quasi automatisch dazu, dass Migrant_innen (wie auch häufig die zweite oder dritte Generation in deren Familien) kulturpolitisch mehr Berücksichtigung finden, da deren Bevölkerungsanteil in diesen Stadtgebieten aufgrund von Verteilungs- und Wohnpolitiken besonders hoch ist. Der Erfolg oder Misserfolg dieses laufenden Schwerpunkts der Stadt Wien wird nur an seinen konkreten Umsetzungen gemessen werden können. Die Erwartungen der Kulturpolitik daran erscheinen vielfältig und potenziell widersprüchlich. Von der seismografischen Funktion der Kunst für Lebenswelten ist hier ebenso die Rede wie von sozialer Wärme, die durch Kunst geschaffen werden kann.42 Wie stets im Kontext soziokultureller Aktivitäten ist hier einerseits die Frage zu stellen, ob Kunst durch sozialpolitische Ansprüche überfordert wird, und andererseits, ob sie als Feigenblatt für Politiken der Ausgrenzung dient. Wenn etwa der Ausschluss von Geflüchteten aus der gemeinsamen Lebenswelt immer rigider wird und sich nicht zuletzt in einer massiven Erhöhung der Zahl von Abschiebungen äußert, dann braucht es weder die Kunst, um hier seismografisch festzustellen, wie sich Gesellschaft entwickelt, noch lässt sich mit den Mitteln der Kunst soziale Wärme herstellen. Doch gibt es zwischen gewaltsamer Aus- und Abgrenzung einerseits und naivem Lob der Diversität andererseits zahlreiche Zwischenräume. Wenn es den Kulturlaboren gelingt, diese Zwischenräume produktiv zu machen, ist schon viel gelungen.

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Kulturpolitik agiert und reagiert stets in Kontexten, die wesentlich von anderen Politikfeldern strukturiert werden. Daher hat auch eine Analyse von Kulturpolitik sich an diesen Kontexten zu orientieren. Während es in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts und dem ersten des 21. Jahrhunderts fraglos von zentraler Bedeutung war, Migration als gesellschaftlich relevantes Phänomen kulturell und kulturpolitisch zu verorten, verdeutlichen die Erfahrungen mit künstlerischen Projekten mit Geflüchteten in den letzten Jahren die Probleme einer Reduktion gesellschaftlicher Probleme auf Migration. Daraus ergibt sich die Forderung an Kunst- und Kulturproduktion wie auch an Kulturpolitik, neue Experimente zu wagen.

Monika Mokre

Julian Bruns Aspekte neurechter Kulturpolitik

305 Einleitung

1 Vgl. Julian Bruns/Kathrin Glösel/Natascha Strobl (2018): Die Identitären. Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa, Münster: Unrast (1. Auflage 2014), S. 29.

2 Alain de Benoist (1985/2017): Kulturrevolution von rechts, Krefeld: Sinus 1985; revid. Neuausgabe Dresden: Jungeuropa 2017. 3 Vgl. Bruns/Glösel/Strobl (2018), S. 32. 4 Vgl. ebd., S. 31.

Moderne Phänomene des Rechtsextremismus wie die neurechte „Identitäre Bewegung“ weisen in sämtlichen Aspekten Bezüge zum großen Komplex ‚Kultur‘ auf. Dieser beinhaltet in diesem Zusammenhang künstlerische Produkte und Aktionsformen, ein spezifisches Verständnis davon, was unter der ‚Kultur‘ eines bestimmten ‚Volkes‘ zu verstehen ist, wie auch die Ästhetisierung des eigenen politischen Handelns und Auffassungen darüber, welche Kulturpolitik der Staat und öffentliche Einrichtungen betreiben sollten. Der Begriff ‚Kultur‘ fungiert zudem im Konzept des Ethnopluralismus als Ersatz für den Begriff ‚Rasse‘ und ist eines der Kennzeichen, anhand deren sich die Neue Rechte als modernisierte Form des Rechtsextremismus definieren lässt.1 Dieses Konzept markiert eine strategische und teilweise inhaltliche Erneuerung mit der Intention, die alten Ziele rechtsextremer Phänomene (etwa das Ideal der homogenen ‚Volksgemeinschaft‘) mit neuen Mitteln zu erreichen, um der Stigmatisierung durch eine demokratische Öffentlichkeit zu entgehen. Das selbsternannte Ziel der Neuen Rechten nannte Alain de Benoist, Gründer der französischen Neuen Rechten „Nouvelle Droite“, „Kulturrevolution von rechts“.2 Er meinte damit, dass die Neue Rechte ihre Politik nicht in den Parlamenten, sondern im vorpolitischen Raum, in der Metapolitik machen sollte, um die Diskurshegemonie zu erringen und so letztlich die Gesellschaft in ihrem Sinne radikal zu verändern.3 De Benoist sah die Nouvelle Droite zudem als Gegenbewegung zu ‚68‘, also zu einem Phänomen, das sich als linke oder progressive Kulturrevolution bezeichnen lässt.4 In diesem Beitrag sollen diese Aspekte am Beispiel der Identitären Bewegung schlaglichtartig beleuchtet werden. Von Interesse ist dabei stets auch die Frage, was das Neue oder andere im Zugang zu diesen Aspekten von Kulturpolitik bei den Identitären im Vergleich zur übrigen bzw. alten rechtsextremen Szene ist. Neurechter Kulturbegriff: Ein Volk, eine Kultur

5 Auch wenn bereits im 19. Jahrhundert etwa Bismarcks „Kulturkampf“ gegen die katholische Kirche oder der im Ersten Weltkrieg von deutscher Seite propagierte Kampf von Kultur versus Zivilisation deutlich machen, wie ideologisch aufgeladen und umkämpft auch dieser Begriff ist.

Die Identitären teilen den statischen Kulturbegriff der Neuen Rechten. ‚Kultur‘ ist in diesem Kontext zu verstehen als bestimmte Eigenschaften eines ‚Volkes‘ und eng verwandt mit Begriffen aus dem deutschen Idealismus und Nationalismus des 19. Jahrhunderts wie ‚Volksseele‘ oder ‚Volksgeist‘. Während bei letzteren Begriffen der Wortbestandteil ‚Volk‘ mit rassistisch-nationalistischen Phänomenen wie der völkischen Bewegung in Zusammenhang gebracht werden kann, ist der Begriff der ‚Kultur‘ weiter und damit scheinbar unproblematischer.5 Die Identitären vermeiden wiederum präzise Definitionen für sie wichtiger Begriffe. Das hat den strategischen Vorteil, einerseits weniger angreifbar und andererseits deutungsoffener für Interessierte zu sein. Es finden sich jedoch zahlreiche Textpassagen, Interview-Aussagen oder Zitate aus Vlogs, aus

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denen sich ein identitärer Kulturbegriff ableiten lässt. So heißt es im Text „Die Liebe zum Eigenen“ auf der Homepage der Identitären Bewegung Österreich: „Wir glauben an den Wert unseres ethnokulturellen Erbes und fordern, dass auch wir Österreicher und Europäer einen festen Platz in der Welt haben. Wir fördern regionale Bräuche, Dialekte und Traditionen, die in ihrer Gesamtheit den Reichtum der Menschheit ausmachen.“6 Kultur besteht demnach für die Identitären aus dem Bereich kultureller Praktiken (Bräuche und Traditionen), Sprache (Dialekte), einem festen geografischen Gebiet und biologischer Abstammung (ethnokulturell). Letztere beiden Bedingungen erinnern frappant an die Blut-und-BodenIdeologie der Völkischen Bewegung und von Teilen des Nationalsozialismus. Ausgeklammert werden im neurechten Kulturbegriff sämtliche Phänomene, die in Zusammenhang mit Moderne und Urbanität stehen. Der – zumal in Zeiten der Globalisierung – permanente Austausch bzw. gegenseitige Einfluss vieler ‚Kulturen‘ wird negiert. Stattdessen postuliert die Neue Rechte ein Idealbild einer jeweiligen Kultur, das stets durch Vermischung in seiner Existenz bedroht sei. Dieser Kulturbegriff definiert Individuen durch ihre Zugehörigkeit zum Kollektiv ‚Kultur‘. Rechte und eine Daseinsberechtigung erhält der_die Einzelne allein durch diese Zugehörigkeit. In diesem nominalistischen Weltbild kann das Individuum nur in seiner Zugehörigkeit zur ‚Volksgemeinschaft‘ gedacht werden. Diese Idee bringt den neurechten Kulturbegriff in eine diametrale Position zu universalistischen Vorstellungen. Allgemeine Menschenrechte ergeben aus dieser Weltanschauung keinen Sinn, da ja jede Kultur so einzigartig sei, dass kulturenübergreifende Rechte diese Unterschiede der Kollektive negieren würden.7 Das nominalistische Weltbild der Neuen Rechten behauptet zudem, dass alle Mitglieder einer Gemeinschaft die gleichen Vorstellungen und Ziele hätten. Wer ausschert, kann nicht länger Teil der Gemeinschaft sein und wird zu ihrem Feind. Im Denken der Neuen Rechten sind das zum Beispiel „Willkommensklatscher“, „Systemmedien“ oder die „Altparteien“, die falschen, weil nicht artgemäßen universalistischen Vorstellungen anhängen. Im neurechten Konzept des Ethnopluralismus nimmt, wie am Wortbestandteil ‚Pluralismus‘ bereits zu sehen ist, eine rechte Vorstellung bzw. Umdeutung des Begriffs ‚Vielfalt‘ eine zentrale Stellung ein, fungiert sie doch als Argument gegen den Vorwurf des Rassismus. Im oben zitierten Text heißt es: „Patriotismus ist die Voraussetzung für eine Welt der Vielfalt mit ihren tausend Traditionen, Kulturen und Völkern.“8 Das Konzept des Ethnopluralismus gibt vor, Vielfalt sei etwas Positives und jede Kultur als gleichwertig zu erachten. Vom alten Nationalchauvinismus will sich die Neue Rechte distanzieren. Die Praxis zeigt jedoch, dass es nach wie vor klare hierarchische Vorstellungen in der Neuen Rechten gibt. Muslimische Kulturen werden regelmäßig abgewertet und als rückständig (Frauenbild) und bedrohlich („Messerkultur“ und islamistischer Terror) dargestellt. Während der Blick auf das Konstrukt der eigenen Kultur gleichermaßen

Julian Bruns

6 https://www.identitaere-bewegung.at/unserweg/ (13.9.2019).

7 Vgl. Bruns/Glösel/Strobl (2018), S. 228.

8 https://www.identitaere-bewegung.at/unserweg/ (13.9.2019).

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Aspekte neurechter Kulturpolitik

9 https://www.identitaere-bewegung.at/ die-integrationsluege/ (13.9.2019).

10 Ebd.

beschränkt wie ungebrochen positiv ist, werden muslimische Kulturen als ungebrochen defizitär und negativ dargestellt. „Es zeigt sich beispielsweise, dass die überwiegende Mehrheit der Muslime in Österreich die religiösen Gebote für wichtiger als die staatlichen Gesetze hält.“9 Identitäre fordern dementsprechend nicht nur einen Stopp der Aufnahme von Flüchtlingen, sondern auch die „Remigration“ der bereits in Österreich lebenden Migrant_innen, „bis es zu einer Umkehr der Migrationsströme kommt“.10 Abermals lassen die Identitären offen, nach welchen Kriterien entschieden wird, wer das Land verlassen soll. Offen bleibt auch die Frage, bis zu welcher Generation diese Forderung reicht. Was ist mit den in Österreich Geborenen mit Migrationshintergrund? Denkt man an die praktische Umsetzung, wird deutlich, dass sich ein solches Vorhaben nur mit Zwang bzw. Gewalt umsetzen ließe. „Remigration“ bedeutet also in Wahrheit gewaltsame Deportation von Menschen, die nicht ins Bild der neurechten ‚Volksgemeinschaft‘ passen. Aktionsformen als „ästhetische Intervention“

11 Die weiteren Merkmale lauten Jugend, Corporate Identity sowie Popkultur, vgl. Bruns/Glösel/ Strobl (2018), S. 68ff. Auf letzteren Aspekt wird weiter unten genauer eingegangen. 12 Die Verhüllung einer Statue von Maria Theresia mit einer Burka in Wien bezeichneten die Identitären derart. Dabei bezogen sie sich explizit auf den Verpackungskünstler Christo. Vgl. https://www. monopol-magazin.de/ identitaere-zps-kretschmer (12.9.2019). 13 https://www.identitaere-bewegung.at/ aesthetische-intervention-jelineks-die-schutzbefohlenen/#more-4225 (12.9.2019).

14 https://sezession. de/53833/identitaerebeteiligen-sich-performativ-an-jelinek-stueck .

Ihre Forderungen nach „Remigration“ oder „Leitkultur“ verbreiten die Identitären häufig durch Aktionen. Dies ist eines von vier Alleinstellungsmerkmalen der Identitären innerhalb der neurechten Szene.11 In den die Aktionen begleitenden Texten (seien es Postingtexte, YouTubeVideo-Beschreibungen oder O-Töne gegenüber Medien) bezeichnen die Identitären ihre Taten gerne als „Kunstaktion“ 12 oder „ästhetische Intervention“.13 Als Letzteres titulierten die Identitären ihr Stören einer Aufführung des Elfriede-Jelinek-Stücks Die Schutzbefohlenen im Wiener Audimax im April 2016. Das gesamte Ensemble bestand aus Flüchtlingen. Die Aktion hatte die bis zu diesem Zeitpunkt größte mediale Berichterstattung über die neurechte Gruppierung zur Folge. Identitäre Aktivisten waren in den Saal gestürmt, verschütteten Kunstblut und entrollten auf der Bühne ein Banner mit dem Schriftzug „Heuchler! Eure Dekadenz ist unser Untergang“. Hinter diesem Pseudo-Anspruch auf künstlerischen Gehalt steht die Strategie, sich damit gegen Kritik zu immunisieren. Dieselbe Strategie verfolgen sie mit der Selbstbezeichnung als „patriotische NGO“. Die Identitären beklagten in der neurechten Zeitschrift Sezession anschließend in einer „Richtigstellung“ die Ungleichbehandlung von linkem und rechtem Aktionismus: „PROVOKATION IST NOTWENDIG. Vergleichbare Aktionen der Linken, die wöchentlich vorkommen, werden in den Medien nicht einmal angesprochen. Diese Hegemonie der Linken aufzuzeigen, ist mehr als notwendig.“14 In ihrer Verwendung ähnlicher Formen blenden die Identitären die Intentionen ihrer vermeintlichen Vorbilder aus der Kunst aus. Waren Drastik und die Fokussierung auf das Körperliche für den Wiener Aktionismus zentral, um den Finger in gesellschaftliche Wunden zu legen, benützen die Identitären bloß Kunstblut – und das nicht, um die Mehrheitsgesellschaft mit der eigenen Vergangenheit zu konfrontieren, sondern um Hetze

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Julian Bruns

gegen Minderheiten zu betreiben.15 Ihre Aktionen treten nicht nach oben, sondern nach unten. Im Falle der Störaktion im Wiener Audimax waren sogar die Objekte ihres Rassismus unmittelbar betroffen, standen sie doch als Darsteller_innen auf der Bühne, die die Identitären gewaltsam störten. Es spielt dabei keine Rolle, dass die Identitären anschließend versicherten, ihre Aktion sei nicht gegen die anwesenden Flüchtlinge, sondern die „Heuchler im Publikum“16 gerichtet gewesen. Der DekadenzVorwurf, den die Identitären auf ihrem Banner kundtaten, ist im Übrigen ein faschistisches Ideologem, zumal im Zusammenhang mit dem damit verbundenen „Untergang“.17 Ambivalente Ästhetik: Jugend- und Popkultur, Werbelogik vs. Romantik und Traditionalismus

Die Identitären rekurrieren in ihrer Bildkommunikation vor allem auf populärkulturelle Elemente, wodurch sie ihren jugendlichen Charakter, auch in Abgrenzung zu anderen Institutionen und Organisationen der Neuen Rechten, hervorheben. So fanden sich bereits zu Beginn auf den Stickern der Identitären Comic-Figuren wie Eric Cartman von Southpark oder Science-Fiction-Helden wie Han Solo aus Star Wars, die mit neurechten Sprechblasen montiert wurden.18 Die popkulturellen Bezüge tragen zur Inszenierung der Identitären als ‚soft‘ bei. Sie brechen mit der ewiggestrigen Bildwelt der Alten Rechten, der klassischen Neonazis, die von Stahlhelmen, Runen und Frakturschrift bevölkert ist. Sie erleichtern den Zugang für sich als unpolitisch identifizierende, aber ideologisch rechts denkende junge Menschen, die an der tabuisierten, groben und schmuddeligen Neonazi-Szene nicht anstreifen wollen, aber grundsätzliche Ideen teilen. Die Identifikation mit bekannten und beliebten Figuren fällt leicht, eventuell weckt sie Nostalgie bei den Betrachter_innen. Häufig stehen die gewählten Figuren für Widerstand gegen eine Übermacht oder ein unterdrückerisches System. Diese Erzählung der widerständigen, elitären und avantgardistischen Minderheit ist ein Kernelement der Identitären und spiegelt sich insbesondere in ihrer Corporate Identity und da wiederum in ihrem Logo wider. Das Lambda-Symbol entnahmen die Identitären der kontroversen Verfilmung des Comics 300 von Frank Miller. In dem von faschistischer Bildsprache geprägten Film kämpft eine Armee von 300 Spartiaten einen heroischen Kampf gegen eine persische Übermacht. Die Identitären sehen sich selbst ebenfalls als mutige und elitäre Gruppe, die einer Übermacht aus abgehobener Politkaste, „Willkommensklatschern“ und macheten-bewehrten muslimischen Flüchtlingen gegenübersteht. Ein anderes häufig verwendetes ästhetisches Mittel der identitären visuellen Kommunikation ist, die Welt der Tradition oder Geschichte in moderne Bildsprache zu kleiden. Da wird ein Bild der Statue Prinz Eugens von Savoyen, dem die Identitären als Verteidiger Wiens bei der zweiten Türkenbelagerung huldigen, mit den stilisierten Worten „Streetfight

15 Vgl. https://www.mumok. at/de/wiener-aktionismus.

16 https://www.identitaere-bewegung.at/ aesthetische-intervention-jelineks-die-schutzbefohlenen/#more-4225. 17 Der Historiker Stanley Payne zum Verhältnis der Faschisten zur „Dekadenz“: „They believed that decadence could only be overcome through the revolutionary new culture led by new elites, who would replace the old elites of liberalism and conservatism and of the left.“ Stanley Payne (2004): „Fascism. A working definition“, in: Roger Griffin (Hg.): Fascism. The Nature of Fascism, London/New York: Routledge, S. 259. 18 Vgl. Bruns/Glösel/Strobl (2018), S. 69.

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Aspekte neurechter Kulturpolitik 19 Vgl. ebd.

Experience – since 1529“ versehen.19 Der Slogan entspricht der Werbepraxis, die Tradition einer Marke mit Verweis auf das Gründungsjahr zu markieren. Es zeigt sich, dass die Identitären einen durchaus postmodernen Zugang in ihrer visuellen Kommunikation aufweisen. Sie brechen bewusst mit den Traditionen der rechtsextremen Szene und legen den Schwerpunkt auf eine moderne, von populärkulturellen Bezügen durchsetzte Ästhetik, die mit Hilfe von Werbelogik für hohen Wiedererkennungswert und Niederschwelligkeit sorgt. Ästhetisierung des Politischen mit Ähnlichkeiten zum historischen Nationalsozialismus und Faschismus

20 Die Instagram-Accounts beider Aktivistinnen sind schon seit Monaten nicht mehr verfügbar. Da Facebook offizielle Accounts der Identitären gesperrt hat und Instagram zu Facebook gehört, ist anzunehmen, dass beide gesperrt wurden.

21 Vgl. Bruns/Glösel/Strobl (2018), S. 302.

Als digital natives nutzen die Identitären mit Selbstverständlichkeit nahezu alle Social-Media-Kanäle. Für die (visuelle) Inszenierung einzelner Aktivist_innen greifen sie dabei vor allem auf Instagram zurück. Zu den interessanteren Protagonist_innen auf diesem Feld zähl(t)en zwei der wenigen Frauen in hervorgehobenen Positionen bei den Identitären. Melanie Schmitz (Kontrakultur Halle) und Alina Wychera (Identitäre Bewegung Wien/Österreich) beließen20 es aber nicht dabei, sich als politische Aktivistinnen darzustellen, sondern unterstrichen jeweils ihre künstlerischen Aktivitäten, etwas, das männliche Kader der Identitären nicht tun. Diese gefallen sich in martialischen Posen bei Kampfsporttraining. Wychera, in Österreich von Beginn an eines der weiblichen Gesichter der Identitären, das immer wieder auf Sujets oder in Videos zu finden war, setzte auf Instagram fort, was sie auf Facebook begonnen hatte. Unter dem Namen Alina von Rauheneck (eine Anspielung auf eine gleichnamige Burgruine in der Nähe ihres Heimatortes Baden) postete sie immer wieder Selbstporträts mit naturromantisch-schwärmerischem Gestus.21 Diese Bildsprache traditioneller Weiblichkeit setzte Wychera auf ihrem Instagram-Account fort. Selbstporträts im Kleidchen, Tierfotos, Bücher etc. unterscheiden diesen Account zunächst nicht von denen unzähliger anderer Nutzer_innen. Social Media ist jedoch der wichtigste Kommunikationskanal der Identitären, und hier würden sie dem alten feministischen Slogan recht geben: „Das Private ist politisch.“ Und so vermengt Wychera Fotos vom Kochen mit Fotos von T-Shirts aus der neuesten Kollektion von Phalanx Europa, dem Mode-Label der österreichischen Identitären-Köpfe Martin Sellner und Patrick Lenart. Was sie von anderen Identitären-Accounts unterscheidet, ist ihre Inszenierung als Künstlerin. Dabei sind die dargestellten künstlerischen Produkte stets (hoch)politisch. Wychera etwa postete von ihr angefertigte Zeichnungen junger Soldaten, deren Uniform stark an die Wehrmachts-Kleidung erinnert. Die gelernte Goldschmiedin bleibt dabei immer in ihrem romantischtraditionalistischen Rahmen, während Melanie Schmitz ein breiteres Angebot an identitären Frauen-Rollen aufweist. Im Trainingsanzug als Anheizerin mit Mikrofon vor einer Identitären-Demo, im Spitzenkragen-Oberteil

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Julian Bruns

mit hartem Blick vor einer Biedermeier-Landschaft und altem Radio, mit kurzem Rock und Baseballschläger22 – Schmitz gibt sich als aggressive Aktivistin, die die Provokation liebt und nicht ‚brav‘ sein will. 2017 posierte sie mit einem bekennenden Neonazi, der sie und die Identitären lobt, denn „die Liebe zur Heimat und der Kampf um Deutschland“23 verbinde beide. Schmitz nimmt aber auch die Rolle als Objekt männlicher Begierde ein, indem sie auf ihrem Bett posiert oder mit knappen Kleidern verführerische Blicke probt. Auch die üblichen Koch-, Natur-, Buch- sowie Musik-Bilder24 finden sich bei ihr. Sowohl Schmitz als auch Wychera nutzen die für Instagram typischen Influence- bzw. Selbstvermarktungsstrategien.25 Aber auch Schmitz legt Wert auf die Inszenierung als Künstlerin. Sie ist dabei schon ein oder zwei Schritte weiter als Wychera. Zusammen mit einem weiteren Aktivisten von Kontrakultur Halle, Till-Lucas Wessels (Piano), bildet sie das Chanson-Duo Varieté Identitaire. Als „Melanie Halle“ bzw. „MademoiselleEnvie“ wurde Schmitz auf YouTube einer größeren Öffentlichkeit durch ihren „AfD-Song“ bekannt, eine Antwort auf den „Anti-AfD-Song“ von Jennifer Rostock. Auf ihrem Kanal veröffentlichte sie auch Cover-Versionen von einerseits bekannten Pop-Künstler_innen wie Lana del Rey,26 andererseits rechten Neofolk-Akteuren wie Von Thronstahl.27 Wie bei Wychera sind Schmitz’ künstlerische Produkte nahezu in jedem Fall politisch. Cover-Versionen unpolitischer Songs dienen der Vermarktung der eigenen Person und damit wiederum der politischen Botschaft der Identitären. Sie kommunizieren damit, ‚cool‘ zu sein, weil sie (auch) Geschmack haben, weil sie attraktiv sind: Dies hier ist keine abgekapselte Neonazi-Kameradschaft, sondern junge Menschen, die ganz selbstverständlich ‚patriotisch‘ sind. Historisch betrachtet knüpfen Wychera und Schmitz an Inszenierungsmuster an, die sich sowohl im italienischen Faschismus als auch im Nationalsozialismus finden lassen. So sieht die Literaturwissenschaftlerin Mary Anne Frese Witt ein kulturell und künstlerisch geprägtes Selbstverständnis des Faschismus. In der Eigensicht habe sich der Faschismus als „spirituell“ verstanden. Mussolini und Hitler sahen sich selbst als „Künstler“, während die politischen Gegner, aus ihrer Sicht, nur „Politiker“ waren. Dabei sei Mussolinis Ziel gewesen, sein eigenes Leben als dramatisches Meisterwerk zu gestalten. Hitler dagegen schaffte ein Image von sich als (politisches) Gegenstück zu Richard Wagner.28 Auch identitäre Frauen wie Wychera und Schmitz wollen mehr als bloße politische Aktivistinnen sein. Der Rückgriff auf die Kunst ist dabei ein Mittel, um sich von allgemeinen Assoziationen mit Begriffen wie „Jugendorganisation“, „Polit-Aktivistin“, „Demonstrantin“, „Rechtsextreme“ etc. abzugrenzen. Politik wird dabei zum Teil einer Ästhetik, und die Ästhetik wird politisiert. Abschließende Betrachtungen

Es geht den Identitären und der Neuen Rechten eben nicht (nur) um möglichst viele Sitze für AfD, FPÖ usw. in den Parlamenten, sondern

22 Gesicherte Kopien der Instagram-Fotos liegen dem Autor vor. 23 https://www.facebook. com/238207949929827/ photos/pcb.35567878 1516076/35567783151 6171/?type=3&theater (18.9.2019). 24 Vgl. https://www.tagesspiegel.de/themen/ agenda/frauen-bei-deridentitaeren-bewegungrechte-schwesternganz-vorn/21005940. html (18.9.2019). 25 Vgl. http://www.lotta-magazin.de/ausgabe/73/ politisches-influencing (18.9.2019).

26 https://www.youtube. com/watch?v=ic5Ad98ZhUA (18.9.2019). 27 https://www.youtube. com/watch?v=NyoSk48QLto (18.9.2019).

28 Mary Anne Frese Witt (2001): The Search for Modern Tragedy: Aesthetic Fascism in Italy and France, Ithaca: Cornell University Press, S. 6.

Aspekte neurechter Kulturpolitik

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um kulturelle Hegemonie. Dazu führen sie einen Kulturkampf, der seinen Schwerpunkt auf der sprachlichen und diskursiven Ebene hat. Die visuelle Ebene nimmt jedoch einen ebenfalls ungemein wichtigen Platz ein. Denn in der Bilderflut, mit der wir jeden Tag konfrontiert werden, wollen sie mit prägnanten Eindrücken herausragen. Die Bezeichnung ihres rechtsextremen Aktionismus als „Kunstaktionen“ dient zudem der Legitimierung und Immunisierung – „warum sollen Patrioten nicht dürfen, was Linke dürfen?“ Um ihre völkisch-nationalistische Botschaft zu kommunizieren, ist ihnen jedes Mittel recht. Die Identitären nutzen jedwede popkulturelle Referenz, die für sie funktioniert, und grenzen sich dabei von den Protagonist_innen der Alten Rechten ab. Die visuelle Kommunikation der Identitären ist somit Ausdruck ihrer Modernität. Dennoch finden sich dieselben rechtsextremen Vorstellungen etwa von Familie oder Geschlechterrollen, wie sie Rechtsextreme seit Jahrzehnten propagieren. Rassismus in neuen Worten und als „ästhetische Intervention“ deklariert bleibt Rassismus. Er muss nur als solcher auch decodiert werden.

Anke Simone Schad-Spindler Cultural Policy and the Politics of Cooperation

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1 Walter Bryce Gallie, “Essentially Contested Concepts, presented at the Meeting of the Aristotelian Society, London,” (March 12, 1956), http://commonsenseatheism.com/wp-content/uploads/2011/05/ Gallie-Essentially-Contested-Concepts.pdf.

Cooperation is ubiquitous as an explicit demand of programs and projects in the cultural realm or as an implicit requirement in everyday living and working together. Cooperation is part of the DNA of cultural policy, a compound noun consisting of two tremendously complex, complicated, and essentially contested,1 halves in a tense relationship. In this chapter I would like to focus on cooperation as an explicit agenda in cultural policymaking implemented through projects with two or more organizations and some of the challenges that come with it. Specifically, I would like to look into the role of the European Union in fostering cooperation through projects. I develop my arguments based on theoretical and empirical references, particularly tapping my experience working as an evaluator of cooperation projects in the cultural sector since 2006. Learning to cooperate

2 Richard Sennett, Together. The Rituals, Pleasures and Politics of Cooperation, (New Haven: Yale University Press, 2012a); Richard Sennett, Zusammenarbeit, (Berlin: Hanser Berlin, 2012b). 3 Richard Sennett, “Richard Sennett on Co-operation,” interview by Nigel Warburton, Social Science Bites podcast, (May 1, 2012), https://www.social sciencespace.com/ wp-content/uploads/ SennettSSB.pdf. 4 ibid.

The human ability to cooperate is a continuous debate in many academic disciplines, ranging from the arts and humanities to science and technology. It is the basic question of the political and social sciences. The tension—between freedom and security, individualism and communality—immanent in cooperation is as valid as ever as we observe a backlash to illiberal systems and increasing social inequality. Sociologist Richard Sennett reflects on modern life and work and how human beings—ethnically and socially diverse, economically competing and divided in their political worldviews—are able to cooperate.2 He is concerned with “our complex forms of co-operation: where you are working with people you don’t understand, people who are simply different from you, or people you don’t like.”3 These forms of cooperation require skills. Therefore Sennett calls them, in his own terminology, “a craft.” This indicates that cooperation is something related to our cultural and cognitive abilities, a practice that we are required to learn. Despite the normative and moral charge of the concept, Sennett stresses that cooperation is a technique that can be “put to good or bad ends.”4 Often, cooperation is ambivalent due to the necessity of compromise—the need to subsume and integrate different viewpoints and approaches. Although there is a human need and impulse to cooperate, cooperation is a constant conflict zone between balancing one’s own needs with someone else’s needs on a personal, group or institutional level. We are neither fully ego-driven, rationally calculating machines nor fully morality grounded, sharing and caring altruists. We constantly learn to cooperate in various situations to various ends. Paradoxically, democratic capitalism favors both competition and cooperation. The political charge of cooperation

Looking at cultural policy and contemporary challenges and requirements, it is observable that cooperation is not only an implicit requirement of

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policymaking processes under a democratic framework, but also an explicit request of policymaking authorities on various levels—from neighborhoods and districts, to cities, regions, and nations. Most prominently, the European Union has elaborated a policymaking structure that fully relies on cooperation. Despite this, it is hard to find an explication of the EU’s understanding of cooperation other than a general statement that cooperation is “helping to ensure that borders are not barriers, bringing Europeans closer together, helping to solve common problems, facilitating the sharing of ideas and assets, and encouraging strategic work towards common goals.”5 Again, we find economically driven goals alongside socially driven ideals. Beside the horizontal level of territorial and multinational cooperation, cooperation is also used in alignment with the principle of subsidiarity as defined in Article 5 of the Treaty on European Union, specifying that the European Union does not take action as long as action on the local, regional or national level is more effective.6 This legally substantiates collaborative projects with civil society organizations in various areas—culture, education, social, environment etc.—as “mediators between public authorities and citizens.”7 The range of civil society organizations is huge, from privatized-yetstill-highly-regulated, hierarchically structured, centuries-old institutions organized by the division of labor, such as universities and museums to small-scale, agile, contemporary, and improvisational initiatives. These multidimensional and multidisciplinary organizations are carriers of thematic, strategic, procedural and local/situative knowledge and thus a massive asset to any policymaking authority intending to work on “wicked problems”8—problems that are highly complex and dependent on many factors—whilst lacking both the administrative capabilities and the qualification and expert knowledge to address them. This pragmatic perspective aligns with a cooperative approach legitimate in a democratic and pluralistic society where anything is up to dispute. The challenge of governance arrangements is to represent, hear, and acknowledge different views and then negotiate and deliberate in order to come to a plausible, just, lawful and reasonable solution—the best possible solution under given circumstances.9 Cooperation is key to address wicked problems as it enables interactions of different perspectives—policymakers and civil-society organizations alike, actors who “perceive, interpret and assess wicked problems differently and very often have different interests in coping with them.”10 The purpose of cooperation is then to govern both vertically and horizontally: aligning the policy objectives of authorities with implementation through civil-society organizations (bottom-up and top-down) and combining, in synergetic ways, the various capabilities and capacities of organizations of various disciplines and dimensions. The principle of cooperation thus enlarges the governmental scope of action and at the same time gives room for bottom-up impulses. Cooperation, as a policy imperative, adds a normative charge to projects as it is at the very core of social living and

Anke Simone Schad-Spindler

5 European Commission, “Cooperation between Regions and Countries,” (2019), https://ec.europa.eu/regional_policy/ en/policy/cooperation/. 6 Publications Office of the EU, „Subsidiarity. EUR-Lex Access to European Law,“ (2019a), https://eur-lex.europa. eu/summary/glossary/ subsidiarity.html. 7 Publications Office of the EU, “Civil Society Organisation. Glossary of Summaries, 2019,” (2019b), https://eur-lex. europa.eu/summary/ glossary/civil_society_organisation.html. 8 Horst W. J. Rittel/Melvin M. Webber, “Dilemmas in a General Theory of Planning,” in: Policy Sciences 4(2), (1973): 155–169, https://doi.org/10.1007/ BF01405730r. 9 Anke Simone Schad, Cultural Governance in Österreich. Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz, (Bielefeld: transcript, 2019). 10 Michéle Morner/Manuel Misgeld, “Governing Wicked Problems: The Role of Self-Organizing Governance in Fostering the Problem-Solving Capabilities of Public Sector Organizations,” ECPR Graduate Student Conference, Innsbruck, (2014): 2, https://ecpr. eu/Filestore/PaperProposal/f64cbbb53ed-4c50-9b9b-da8fc498303b.pdf.

Cultural Policy and the Politics of Cooperation

11 Damian E. Hodgson/ Mats Fred (eds.), The Projectification of the Public Sector. Routledge Critical Studies in Public Management, (New York: Routledge, Taylor & Francis Group, 2019). 12 Sennett (2012a); Sennett (2012b), 207.

13 Gerald Berk/Dennis Galvan, “How People Experience and Change Institutions: A Field Guide to Creative Syncretism,” in: Theory and Society 38(6), (2009): 543–580, 544. 14 Alois Schittengruber, Ausgliederungen aus der Bundesverwaltung. Skriptum für die modulare Grundausbildung der Verwendungsgruppen A1 und A2 und der Entlohnungsgruppen v1 und v2, ed. Bundesministerium für öffentlichen Dienst und Sport, 11, https://www. oeffentlicherdienst. gv.at/vab/seminarprogramm/allgemeine_ausbildung_und_weiterbildung/SGA_12_Teil2. pdf?5te21l.

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promises new approaches to wicked problems based on the deliberation of different perspectives. In the cultural sphere, there is also a symbolic charge drawing on the arts and civil-society organizations as proponents of freedom and diversity, testimonies of incentives for cooperation other than win-win situations, and pure economic interest such as joyful play, artistic creation, community-building, and solidarity. However, the logics of political power and economic performance are also structuring cooperation in the cultural sector. The cooperation imperative coincides with a projectification of the public sector—with projects as industrial instruments serving specific targets following timelines. Over 60% of the entire EU budget is distributed to projects in various fields of activity.11 This happens under a competitive framework. Individuals and organizations respond to calls for cooperation projects by developing ideas together that are both innovative and manageable—before the official cooperation starts and in competition with other cooperators. This requires trust in the sense of “leaps of faith” 12—readiness to invest in a joint venture although the success rate might be statistically low. By shaping the regulations and norms of cooperative projects—assessing, monitoring, and timing cash-flow, processes, and outcomes—policymakers are able to steer how much leeway is given to the cooperators and how much obedience and compliance (playing by the rules) is demanded. Specifically in the arts, but also in dealing with cultural civil-society organizations, this requires policymakers to navigate between structure, control, and agenda and enabling the freedom of artistic creation and bottom-up decision-making. Yet not only the rulers determine the rules. Civil-society actors are “not just playing by the rules, but actually playing the rules as if they were instruments.”13 Nevertheless, there is often a thin line between enabling, exploiting, and eliminating ideas that comes with the dialectics of power and responsibility. Eventually, politicians and administrators have more pull; they can argue referring to legal requirements.14 On the other hand, it can be very complicated and costly for cooperators working in a regulated project to change the game, even to eventually terminate a contract when they are no longer willing or able to meet the requirements. In EU projects, the requirement to co-finance a share is meant as a commitment from each cooperator to the joint venture; however, meeting it can be very difficult for smaller civil-society organizations in the cultural field working under precarious conditions and thus excludes certain organizations from cooperation. In general, expectations of cooperation projects in the cultural sector combine different rationales, both economic and socio-political rather than cultural or even artistic, as the 2019 call for European cooperation projects issued by the European Commission’s Creative Europe program exemplifies: cultural co-operations are intended “to increase opportunities for international dialogue, and to develop and test new models of revenue and management in heritage and culture projects” as well as

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“[support] the social integration of new citizens.”15 These expectations comprise normative good intentions such as international dialogue and pragmatic intentions addressing economic and organizational challenges. In addition, they are charged with a wicked socially and politically complex problem: the integration of new citizens, such as migrants and refugees. It requires the specific skills of cooperators to formulate the objectives of their cooperation projects: on the one hand, openness and ambivalence enable the integration of diverse interests, approaches, local needs and constraints, and reaching consensus—partners are required to align individual opportunities with collective responsibilities. On the other hand, specificity, measurability, achievement-orientation and timing communicate rigor and credibility to political stakeholders as well as assessors and evaluators acting on their behalf. Overall, enabling artistic and culturally creative work is tied to the political expectation to contribute to economic and socio-political problems. From an evaluator’s point of view, the main challenge in assessing the achievement of various explicit and implicit aims is that cooperative projects tend to be characterized by high expectations regarding the social and economic impact of the results and openness regarding implementation processes. This is where the genuinely creative work ought to take place—creative work that requires a safe space for failure and learning. How do the cooperators respond to failure? How do the evaluators and political stakeholders respond? These questions are critical as responses to failure may enable learning and development, despite the strategy of ticking the right boxes and producing the right narrative. Yet, in cooperation projects it is hard to break the constraints of internal and external legitimation requirements and work towards trust and honesty.

15 European Commission, “Support for European Cooperation Projects 2019 – Call EACEA/34/2018,” (2019), https://eacea.ec.europa. eu/creative-europe/ funding/support-european-cooperation-projects-2019_en.

Who is responsible?

The cooperative structures implemented through multilateral authorities, and largely executed through projects, have inspired others. The tools and techniques to mobilize actions through incentives, most prominently financial resources are not only used by public authorities, but also by private entities such as foundations as well as intermediaries and arm’s-length bodies. This creates a highly complex—wicked—network of interdependencies, exponentiating the number of interests, rationales and constraints. The intention to address wicked problems has led to a wicked structure where it is hard to identify who is actually responsible and accountable for both problems and approaches. Cooperation through projectification is a power technique of “governing at a distance,”16 i.e. aligning the conduct of individuals and organizations with policy-objectives whilst giving them the task to shape their cooperative actions according to their competences, expertise, interest and target groups—to do the actual work on the ground. As a combination of hegemonic and economic agency, cooperation projects mean outsourcing labor whilst controlling the regulative framework

16 Peter Miller/Nikolas Rose, “Governing Economic Life,” in: Economy and Society 19(1), (1990): 1–31, https://doi. org/10.1080/0308514 9000000001.

Cultural Policy and the Politics of Cooperation

17 Heide Hackmann/Dirk Messner, “Why we need a UN charter,” (2019), https://www.dandc.eu/ en/article/what-needsbe-done-so-digitalisation-will-drive-notthwart-transformationsustainability.

18 Sennett (2012b); Sennett (2012a).

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and assessing the performance outcome, justified in terms of efficiency and effectiveness. This is legitimized by creating agency and enabling civil-society organizations’ actions through incentives and empowerment. Moreover, it is a double-charged workload: developing empathy in order to find ways to cooperate and developing results in terms of the project logic. Speaking from experience as a project evaluator, this double-charge that is intended to function synergistically can also prove challenging, specifically as the investment in developing the skills to cooperate—empathy, trust, a joint understanding of a problem, becoming acquainted with each other’s implicit and explicit working methods, terminologies, routines, and practices—is often underestimated. Virtual communication is vital and technological innovations provide spaces for encounters. These digital meetings save time, money, and potentially emissions (although the ecologic impact of digital transformation is contested) and are highly valuable for cooperation over distances from both an economical and, if sustainability and digital transformations are linked,17 ecological point of view. Digital cooperation is more direct as it is based on abstract names, words and analogies—it can lead to faster resolutions as long as technology works. Nevertheless, analogue encounters enable the implicit forms of conversation—smiles, eye contact, hand shakes and other acts and gestures—that we as human beings have cultivated over time, that create authenticity, trust, and empathy and thus support cooperative behavior. Although those implicit ways of conversation might at times lead to confusion and affronts—specifically in intercultural settings—those confrontations are necessary to enable dialogue and train our cooperative skills.18 The opportunity to try again

Eventually, cooperation—beyond economic and political interest—is a call and opportunity for solidarity, specifically in times when organizations and individuals working in culture, media, arts, and science, are threatened by illiberal and autocratic systems. The EU, despite being an overly regulated authority, is one of the last promoters of the work of some organizations and individuals. Cooperative projects bring them in touch with others who might work in similar situations or in more stable contexts—both can be beneficial in terms of empathy and support. The problem is that these projects are not safe spaces, but instead expose organizations and their members. Yes, they are empowered to do their work, to do what they feel passionate about—supporting freedom of speech and expression, enabling the participation of migrants and refugees or even just arts—but they have to stand against the political forces that threaten them. The project’s logic harshly defines the termination of funding, and then? Developing strong and reliable cooperative structures is vital to opening up new perspectives, project perspectives that require new effort to generate innovative ideas and put them into given formats on time. Yet

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sustainable development would actually mean having time to repeat, rework, and retry. Whilst I have observed project partners developing some highly impressive quick-fixes, usually starting with one place, one case at a time that might enable new approaches to more complex and politicized problems, the latter are hardly ever tackled in the usual one-tothree year project duration. It is highly context specific how cooperators deal with the charge to continuously strive for innovative solutions to wicked problems and the mental load that comes with it. Eventually, one has to critically ask why civil-society organizations in the cultural sector are charged with working on wicked problems, such as the integration of refugees and migrants and the defense of civil rights, that presumably would not be as wicked if governments were not continuously failing at solving them. Learning from failure and learning to cooperate starts with learning to listen to one another.

Anke Simone Schad-Spindler

Kate Oakley Cultural Industries, Policy, and Inequality

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“[F]or the past 18 months or so, the papers have been full of stories about how increasingly rarefied acting is becoming. How difficult it is for anyone from any normal background to break into it. How some of the great actors of the past 30 years simply wouldn’t make it today.” Carole Cadwalladr

Introduction

1 John Plunkett, “Working-class talent being priced out of acting, says David Morrissey,” The Guardian online, (Sept. 16, 2014), http:// www.theguardian.com/ culture/2014/sep/16/david-morrissey-workingclass-actors-priced-out.

2 Kate Oakley/Dave O’Brien, “Learning to labour unequally: understanding the relationship between cultural production, cultural consumption and inequality,” in: Social Identities. Journal for the Study of Race, Nation and Culture 22(5), (2011). 3 Tak Wing Chan/John H. Goldthorpe, “The social stratification of cultural consumption: Some policy implications of a research project,” in: Cultural Trends 16(4), (2007), 373–384.

The above quote, from the Observer newspaper in May 2016, neatly summarizes what became something of a broadsheet media obsession in the UK in the mid 2010s: the degree to which our cultural industries reflect our highly unequal society. It is not an accident that the focus of the above quote, and the story that accompanied it, was on acting, as there is a strong perception that so-called “posh” actors—Dominic West, Tom Hollander, Damian Lewis, Benedict Cumberbatch—have been dominating UK TV and film screens in recent years, often cast as upper-class Englishmen. All were privately educated in a society where only seven percent of children are at such schools. Actors from working-class backgrounds have expressed concern about what one described as the “economic excision of working class people,” 1 and the article above went on to claim that such exclusion was re-shaping the sort of cultural content we get on our screens, with tales of upper-class life, such as Downton Abbey, reflecting a fantasyland of stable hierarchy to a country increasingly riven by social division of all kinds. What was striking about this article and other such newspaper coverage was the degree to which journalists feel free to make a link—between who gets to produce culture and what kind of culture we get—that academics would generally steer away from. There is a growing amount of academic work on various aspects of culture and inequality,2 but it tends to specialize in particular elements of the issue, specifically, it generally looks at cultural consumption, production, or representation, with very little work that cuts across these boundaries. Thus work on cultural consumption—dominated in sociology by the figure of Bourdieu—has looked at questions of status, at cultural hierarchy and the relationship between particular forms of cultural consumption and broader class distinctions. There are many debates within this field, for example between Weberian sociologists interested in social status3 and Bourdieusian sociologists interested in social class, but while being very interested in cultural forms—opera versus popular music for example—it has much less to say about how culture represents questions of inequality and still less to say about who gets to produce culture. Research on cultural labor has mushroomed in recent years, particularly spurred on by the growth of the cultural and creative industries and their perceived policy importance, but also by a realization of the extreme precarity, and indeed hardship, experienced by cultural producers that

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Kate Oakley

has accompanied this boom. Much of this research, which again comes largely from a sociological tradition, seeks to challenge and criticize these working conditions, and some of it has argued that the difficulty of cultural work—low and no pay for example—is directly linked to the exclusion of women, working-class people and ethnic minorities from the workforce. The data on this is pretty clear. In terms of employment, it shows a pattern of exclusivity that is generally getting worse rather than better, with women, people from working-class backgrounds, and people of color, all statistically underrepresented in cultural employment.4 But this research is generally concerned with production and although some scholars, particularly those working within a feminist tradition, have speculated on the links between gender-based exclusion and the type of content we get, this research generally does not concern itself with patterns of cultural consumption—not seeking, for example, to make the direct link between Bourdieu’s arguments about culture as an extension of class power and the increasingly white, male, and upper-middle-class labor force that produces it. Within the media and communications field there is, of course, a strong tradition of writing about questions of representation; how the media represent society and how this links to wider social questions of equity. This research tends to come out of a textual approach—analyzing films, TV programs or news coverage for how particular groups are represented—but there is relatively little research that links this back to production and the composition of the labor force. Therefore the first thing to say in any article on culture and inequality is that there is a lot we simply do not know. The policy and media salience of this issue is undoubted. One of the UK’s largest investigations into cultural policy, the Warwick Commission,5 looked at this question in 2015, subcommittees in the UK Parliament have sought advice on it, and arts funders have begun to develop ways to grapple with it. But we are hampered in developing policy responses, not only by a lack of empirical data but also by inadequate theoretical models which could help us make some sense of the Gordian knot of interrelated inequalities. The purpose of this short paper is to consider why inequality has become such a major issue for cultural policymakers and to suggest ways in which future research may link questions of production, consumption and representation and hence give us a fuller picture of our increasingly inequitable cultural world. Growing inequality

Increasing inequality is one of the defining political issues of our age, with even those economic bodies associated with neoliberalism such as the International Monetary Fund (IMF) warning of its consequences (though, perhaps unsurprisingly, their concern is that it “harms growth” rather than that it is unjust). While many have written about it, Thomas

4 Dave O’Brien/Daniel Laurison/Sam Friedman/ Andrew Miles, “Are the Creative Industries Meritocratic?” in: Cultural Trends 25(2), (2016): 116–131.

5 See http://www2. warwick.ac.uk/research/ warwickcommission/ futureculture.

Cultural Industries, Policy, and Inequality

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Piketty’s work perhaps generated the most media interest by demonstrating that not only are wealth inequalities becoming greater but the ability of those with assets to profit from those resources (for example via a growth in property prices) is creating a gulf between those gaining from their accumulated wealth and those gaining from their income. As such, it drew attention back to the British Social Democrat Tawney’s observation that inequality is not just a problem of poverty, but also one of wealth. By identifying this, Piketty’s work also opens a dialogue between a focus on the economic dimensions of inequality and other types of inequality, and to the ways in which the rich and powerful use resources, including cultural resources, to help maintain their dominance. We are familiar with this concern in debates about media policy and media ownership, where the wealthy owners of media corporations—from Silvio Berlusconi and Rupert Murdoch to the owners of digital media companies such as Facebook’s Mark Zuckerberg—are often seen as using their control of the media to pursue the interests of their own class, in this case the super-rich. But the cultural implications of this sort of oligopolistic arrangements have been less considered in other forms of cultural policy, which still concerns itself largely with question of “access.” The questions of “Access to what?” and “Whose culture are we celebrating?” have traditionally formed part of cultural policy debates, particularly from the 1960s onward, with the rise of feminism, gay rights, and movements against racism. But the rise of the “creative industries” discourse as the dominant policy approach in recent decades has blunted these debates somewhat and it is essential that we now return to them. Buried inside the “creative industries” was an idea, not only that popular culture was at last being recognized by policymakers—public funding was devoted to popular music or videogames as well as to traditional high-art forms—but also that the spread of digital technology now means that “everybody” can be a “creative.” Both suggested—erroneously—that concerns about cultural democracy were outdated and the primary concern of policy should simply be to ensure that the creative industries sectors’ growth was supported and in doing so it would, as if by magic, address questions of inequality by offering opportunities to communities that had often been excluded from “high” culture, whether socially or geographically. Thus, regions across Europe and elsewhere saw, in developing their creative sectors, an opportunity to create jobs and “improve” the image of areas suffering from unemployment or deindustrialization. And those championing the creative industries often used arguments about social inclusion or poverty reduction to argue for more support for these industries. As the arguments for funding culture shifted from those that had traditionally animated cultural policy—whether concerned with national heritage, representation or aesthetic quality—to largely economic arguments, debates about who gets to produce culture and how these cultural offerings support, or counteract inequality, got lost. Instead, the

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social benefits of investment in culture were assumed, an assumption that continues even as evidence of the polarizing effects of many of these investments piles up. It is now abundantly apparent that labor in the cultural sectors (whether employed or self-employed) is highly socially skewed. The representation of black and other ethnic minority workers in the UK’s media industries, for example, declined from 7.4 percent in 2006 to 5.4 percent in 2012 and in all sectors of the creative industries (other than general information technology), black workers are underrepresented. This is of even greater concern when one looks at the geographic clustering of media employment in the UK, much of which centers around London and the southeast, where ethnic minorities make up about a third of the working-age population. Women are similarly underrepresented, just under thirty-six percent of jobs in the creative industries are filled by women compared to nearly forty-seven percent in the economy as a whole. The area with the highest proportion of jobs for women is “museums, galleries and libraries,” where almost seventy percent of the workforce is female—a reflection of the fact that, among others things, female labor is often concentrated in lower-paid employment. Alongside gender and ethnicity-based inequality, social-class inequalities are becoming very marked. People from a working-class background are underrepresented in most creative occupations, while people whose parents have professional or managerial jobs are overrepresented, particularly in sectors such as publishing, advertising, and music. Various explanations have been advanced for this, the most popular of which is the growth in unpaid internships as a route into cultural work—something that young people from working-class backgrounds are less likely to be able to undertake than those whose parents continue to fund them after the completion of their formal education (or offer them rent-free accommodation at home). But other factors come into play as well. Research suggests that the social networks that people form, particularly in prestigious school or colleges—families’ social networks, already knowing people who work in the cultural sectors, and the social self-confidence that comes with a privileged education—has an impact in a form of employment where it is vital to cultivate and use social networks. Recent research on the acting profession—to come back to where we started—suggests that actors from working-class backgrounds earn less throughout their working lives even if they “make it” into the profession—as social background, in part, determines the likelihood of having the right sort of agent and contacts and being able to survive spells of unemployment. Beyond this there is what Bourdieu would have recognized as “cultural capital,” an ease and familiarity with both “popular” and “high” culture, the figure of the “cultural omnivore” who can move easily between contemporary art exhibitions and comic book fairs, crucially knowing what sorts of cultural tastes to espouse. Just as in the case of production, cultural

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consumption is socially differentiated. Virtually every study, whether seeking to divide a potential audience for marketing or funding purposes, or to answer more academic questions, supports this finding. These social differences are along lines of class and social status, educational level, age, gender, ethnicity, and disability. Yet the idea of there being a single, unified, “legitimate” culture, as Bourdieu would have argued, is no longer accurate. Even within social elites, consumption of only “high” cultural forms is a minority pursuit, and broadsheet newspapers devote as much time to discussing reality TV shows or popular music as they do to reviewing classical music or contemporary art exhibitions. In policy terms, distinctions do remain and it is still too often assumed that popular culture can be safely left to the market, while high culture needs to be protected from its ravages, as we witness in property markets when nightclubs or cafes are bulldozed, but aristocratic homes are left intact. But in the broader social context, distinctions now tend to take place within categories of cultural production rather than between them. This is particularly true for younger generations who see comedy as a legitimate cultural form, in contrast to its status among older generations as a popular or lowbrow cultural activity. Yet there are clear hierarchies of taste within comedy, which are used to make judgments about what sort of people like the “wrong” sort of comedy. Thus, contemporary cultural divisions separate those who possess cultural capital from those who lack it by the former’s inclination toward the “new” and their “cosmopolitan” tastes, above all, by their ability to “get the joke.” Irony, that most postmodern of conditions, cuts through high and low culture, from Damien Hirst to Captain America, while notions such as authenticity or beauty are seen as much more problematic. The kind of culture we get

How then does growing economic and social inequality and changing understandings of what is legitimate or valuable culture feed into the kind of culture we see on our TV screens, in the cinema, in music? The obvious answer is “not a straightforward way.” There is no single causal link from a socially exclusive workforce to a culture that promotes inequality. The fact that film director Ken Loach went to Oxford University does not mean that he is incapable of understanding or depicting working life in his films. But nonetheless there is a growing and reasonable concern that the narrow base of professional cultural producers means that some stories simply never get told, while others get misrepresented. The mid 2010s saw successive years in which the annual announcement of the Oscars® shortlist was dominated by discussion of the exclusion of black performers, resulting in 2016 in the high profile #oscarssowhite campaign. In 2015, all twenty acting nominees were white, all fifteen writers nominated in the screen categories were men and as Time magazine rather archly noted, “seven of the eight Best Picture nominees are about

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a white man dealing with internal conflict.” Now, white men dealing with internal conflict has produced some great art over the centuries but it is hardly the only thing happening in the world. The Pulitzer-prize-winning novel, The Sympathizer,6 features a scene where the main character, a Vietnamese man living in the US after the fall of Saigon is asked to help out “The Auteur,” an American film director, in his quest to make a film about the Vietnam war. One doesn’t have to have sat through that many of the supposedly great, American films on this topic to recognize the character’s mystification about “the achievements of narrating a movie about our country where not a single one of our countrymen had an intelligible word to say.”7 The exclusion of working-class people from professional cultural production has also coincided with what many see as a changing depiction of working-class life in the mainstream media and moreover one that is increasingly hostile to the poor. Much of this research argues that culture has no less saliency in the production of inequality than economic factors and that work on the experience of class inequality such as disgust, stigma, devaluation, and disrespect has flourished recently, alongside more conventional class analysis of unequal access to power and resources. Such research provides useful insights into what has been called the “demonization” of the working class in the British media and popular culture in recent years.8 Imogen Tyler, for example, writes about how the portrayal of young, working-class women, in particular on British TV (crystallized by the comic figure of Vicky Pollard, created, as she notes, by two white, privately-educated men), embodies both historical and contemporary anxieties about female sexuality and so called “feral” youth, precisely at a moment of deepening inequality and class polarization. Reality TV programs such as Benefits Street (a six-episode series about a street where many of the residents were living on benefits) have been criticized for peddling stereotypes about welfare recipients and the unemployed, largely for the entertainment of more comfortable sections of society, a process captured in the term “poverty porn.” Imogen Tyler argues that whereas outright racism, sexism and homophobia, at least in terms of representation is less common on TV than say, thirty years ago, mockery and resentment based on social class is more acceptable than in the recent past. This wave of concerns about inequality in cultural production in particular has provoked something of a backlash. Artists, perhaps understandably, feel resentful of the suggestion that their success is largely down to social advantage of one sort or another. Actors such as Tom Hollander argue that the enthusiasm for period dramas such as Downton Abbey or John le Carré’s world of upper class spies is just “fashion” and by implication that “fashion” could switch back to the celebration of working-class life. Thirty years or more of relentless consumerism means that affluent lifestyles are now something to which everyone is supposed to aspire, not to have “made it” is understood as a personal failing, not a social injustice, and

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6 Viet Thanh Nguyen, The Sympathizer, (New York: Atlantic Monthly Press, 2015).

7 ibid.

8 Owen Jones, Chavs. The Demonization of the Working Class, (London: Verso, 2011).

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the rise of populist rage, while superficially directed at “elites,” in fact more readily finds its real targets among the poor and disposed. Conclusions

It is traditional at this point in any essay to ask what can be done. And even to suggest policy remedies for the ills discussed. It is clear that any remedies for inequality go far beyond the bounds of cultural policy and would need to involve a whole range of other social and economic changes. But there are some areas under the broad remit of cultural policy that we may want to reflect on. First, it is fair to point out that the increasingly dominance of white, middle-class men in cultural industries employment has not gone unnoticed by government or arts funders even where those governments are generally less than sympathetic to questions of inequality. In the UK a range of measures, from paid apprenticeships to combating unpaid work, have been suggested and in some case implemented. Major arts funders, such as the Arts Council, have also responded by measuring diversity across the workforce of organizations who apply for funds, the boards that govern them, the leadership of such organizations, and the location of arts organizations. The Arts Council has committed to include social class in its definition of diversity and is committed to publishing workforce diversity data for the larger organizations it funds. The language of diversity is, of course, problematic not least because it implies a “normality” against which other things are said to be “diverse.” The term has been criticized particularly when applied to race, as it results in a depoliticization of the struggle for equality, instead presenting a notion of diversity as simply an aspect of “difference” rather than inequality. Not only has “diversity” served to detract from the politics of inequality, but the term itself is slippery: the UK Arts Council now uses it to include greater diversity of artistic expression for example. The Arts Council wanted its strategy to be a move away from the “problematizing” approach to diversity, but the difficulty with that is that it may suggest that problems have been solved, when in some cases they have barely been addressed. However, it is fair to say that for the first time arts funding in the UK is at least attempting to understand and address the connections between cultural consumption and production and indeed, by considering the makeup of the governing boards of arts organizations, the role of cultural gatekeepers. The production of evidence in the form of data on questions of representation will at least provide some useful material for these debates and, as has been the case recently in debates about the spatial inequality of arts funding in the UK, may lead to renewed policy attention. But even if, and it’s an incredibly big “if,” labor-market issues can be addressed in the arts and cultural industries and we have a more representative labor force, what does this suggest about the kind of culture we get? If the market (in particular the export market) demands Sherlock and

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Downton Abbey, then presumably such shows will continue to dominate. The point is surely that questions about who gets to make culture cannot be separated from questions of ownership and control. The issues of cultural democracy—who are the gatekeepers? what culture is viewed as legitimate? as valuable?—have not gone away and an increasingly marketized cultural sphere has made them more urgent, not less. The assumption of many debates about “culture and inequality” seems to be that cultural activities broadly, and perhaps in the arts in particular, have some role in addressing increasing inequality, bringing communities back together, and helping us to understand each other’s humanity. This, of course, can be the case, but it cannot be assumed. We need to take a much more critical look at the role that culture has in exacerbating social inequality, rather than assuming its effects are always benign. And to do that we desperately need to understand the dynamics of inequality within cultural production, consumption, and representation.

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Artistic Contribution at the Conference 2019

Eylem Ertürk, Magdalena Hubauer, Pavel Naydenov, Katharina Spanlang, Gabriela Urrutia Reyes, Raphael Volkmer School of Questionism 2018 ongoing

331 Eylem Ertürk, Arts Management, Istanbul, Turkey; Raphael Volkmer, Communication and Product Design, Munich, Germany; Gabriela Urrutia Reyes, Architecture, Managua, Nicaragua; Magdalena Hubauer, Sociology and Community Work, Vienna, Austria; Katharina Spanlang, Mediation and Applied Theater Activism, Vienna, Austria; Pavel Naydenov, Audio-Visual Arts, Sofia, Bulgaria. Questionism was initiated within the “Social Design – Arts as Urban Innovation” program at the University of Applied Arts Vienna. The team is now looking for new ways of developing the idea and possible collaborations to further implement the project. https://questionism.org/

Design by Raphael Volkmer

Questionism is an initiative that creates space to explore the transformative potential of questions. It deals with the art and power of crafting questions in the process of knowledge production. It intends to break conventional ways of thinking and learning by responding to questions with questions rather than answers. Questionism started with an intention to establish a new “school of thought” by putting the spotlight on questions and questioning in a time where people look for quick and easy answers. It has adopted a playful approach by putting emphasis on questions in the process of knowledge production. It opens a space to play with the production of questions and their diverse effects. By using techniques derived from different disciplines and art forms, the process aims to change existing ways of communication and contribute to ways of thinking, creating, doing, and living together. By bringing people together and opening new ways of communication, it offers the opportunities of questioning in manifold ways that are usually not a part of education. Actions under Questionism—Questionyards and Quest—consisted of a series of encounters and experiments, revising and tackling the process of questioning and how questions come into existence. Questionyards are laboratories for interdisciplinary exchange and collaborative action implemented in the framework of Questionism. They host different formats: workshops, performances, experiments, interventions, and encounters to explore the process of questioning and facilitate collective creative actions. Quest is an intervention in public space, derived from the game “Chinese Whispers,” tracking and making visible the formation of knowledge through an evolution of questions from one person to another, from one context to the next. The first gathering was realized as a Questionyard on March 10, 2018 with a lecture performance and two workshops offered by students of the Social Design Studio: a workshop on patterns in listening and an experiment with sound.

Andreas Stadler Was haben wir seit dem Fall des Eisernen Vorhangs nur falsch gemacht? Selbstkritik und Dilemmata liberaler Welt- und Kulturpolitik

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Genau drei Jahrzehnte ist es nun her, dass der sogenannte „Eiserne Vorhang“ – der Begriff wurde unter anderem von Konrad Adenauer und Winston Churchill ab 1945 geprägt – zwischen dem damaligen „Westen“ und dem sogenannten „Osten“ fiel. Nach einer Periode der „Glasnost“ und „Perestrojka“ in der Sowjetunion in den 1980er Jahren ließen sich die demokratischen Kräfte vor allem in Mittel- und Osteuropa nicht mehr aufhalten. In Polen gewann die oppositionelle Solidarność im Juni 1989 überwältigend die ersten freien Wahlen. Das autoritäre Modell des Staatskommunismus war durch das Wettrüsten, die Attraktivität des „Westens“ sowie durch die in den 1970er Jahren eingeleitete parallele Entspannungspolitik, die unter anderem auf Abrüstung, Handel und Menschenrechte setzte, vorläufig zusammengebrochen. Wer erinnert sich heute noch an diesen sogenannten „real existierenden“ Sozialismus? Der durch seinen Aufsatz „Das Ende der Geschichte“ (1989) bekannte US-amerikanische Politologe Francis Fukuyama meinte damals sogar, dass die gesellschaftliche Entwicklung mit Demokratie und freier Marktwirtschaft ihren vorläufigen Höhepunkt, wenn nicht sogar ihr Ende erreicht hätte. Viele sogenannte „linke“ bzw. in den USA „liberal“ genannte Denker fragten sich sogar doppeldeutig: „What’s left?“, also, was blieb einerseits von der Erfahrung des Sozialismus und was kann andrerseits noch im heutigen Sinne „links“, das heißt demokratisch, fortschrittlich und öko-sozial, sein. Fast Forward mit TINA (There is No Alternative): die vorhersehbare Rechtswende

Das dramatische Scheitern des einzigen real existierenden Gegenmodells zum globalen Kapitalismus bedeutet gleichzeitig, dass sich dieser fast konkurrenzlos mit aller politischer und kultureller Macht verbreiten konnte. Während die USA und der Westen noch bis Donald Trump zumindest rhetorisch eine multilaterale Agenda propagierten, wurden mehr und mehr Machtstrukturen zugunsten des einzigen verbliebenen Hegemons verändert, wenn notwendig auch mit militärischer Gewalt. Vor allem das letzte Jahrzehnt könnte als die Phase einer großen „nationalistischen, identitären und egoistischen Wende“ bezeichnet werden. Diese wurde bereits in der Ära von George W. Bush (Junior), Staatspräsident der USA zwischen 2000 und 2008, eingeleitet, dessen Politik auch als kulturelle Reaktion gegen den mittlerweile einzigen gefährlichen Herausforderer, den wachsenden islamistischen Fundamentalismus, vermarktet wurde. Die Terroranschläge auf das World Trade Center am 11. September 2001 provozierten den „War Against Terror“. Der Krieg der „freien“ und „demokratischen“ Bündnispartner der ehemaligen „westlichen“ Welt fand eine neue Legitimation. Bushs neokonservative Ideologen verbrämten diesen Kurs auch kulturpolitisch mit einer Diskussion über den sogenannten „American Exceptionalism“, die Idee, dass die USA eine – je nach Autor auch gottgegebene –

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weltweite Führungsrolle innehätten, die sie auch dazu berechtige, sich über das Völkerrecht und die Charta der Vereinten Nationen hinwegzusetzen. So wurde zwar die Invasion der USA in Afghanistan 2001 zur Beseitigung der Taliban noch durch den UNO-Sicherheitsrat gedeckt. Die USA führten jedoch den zweiten Krieg gegen den Irak zwischen 2003 und 2011 (bzw. bis heute) gegen den Willen der meisten Mitglieder des UNOSicherheitsrates (u. a. China, Frankreich, Russland und Deutschland). Dazu noch ein wichtiges Detail: Bereits 1999, vier Jahre vor diesem Golfkrieg, hatten sich die USA und die NATO zum ersten Mal seit 1989 über die Verpflichtungen der UNO-Charta hinweggesetzt und militärische Gewalt der NATO gegen das autoritär-nationalistische Serbien mit seinem damaligen Führer Slobodan Milošević eingesetzt. Dieser mittlerweile fast vergessene Kosovo-Krieg dauerte knapp drei Monate lang, unterminierte die bis dahin noch relativ kooperative Weltordnung und trug entscheidend zur Zerrüttung des Verhältnisses zur Russischen Föderation bei. Natürlich argumentierten die westlichen Alliierten und die NATO, allen voran der Grüne Joschka Fischer, zu Recht mit humanitären Erwägungen zugunsten einer durch die serbische Regierung terrorisierten kosovarischen Bevölkerung. Gleichzeitig sind sich Völkerrechtler im Grunde genommen einig: Dieser Krieg hatte keine ausreichende Legitimation und war ein Bruch des Völkerrechts. Es dauerte übrigens dann weitere zehn Jahre bis zur Gründung eines unabhängigen Staates Kosovo. Dieser wird heute von etwa 150 der rund 190 Staaten, auch von Österreich, anerkannt. Dennoch gibt es viele Staaten, auch innerhalb der EU wie Spanien, Griechenland und Rumänien, die den Kosovo nach wie vor als Teil Serbiens sehen. Schwächung der multilateralen Ordnung und des Völkerrechts, Stärkung identitärer Alleingänge

Russland bietet ein trauriges Beispiel für autoritäre Alleingänge. Der Geheimdienstler Wladimir Putin wurde im Jahr 2000 in Folge des Kosovo-Krieges, aber auch des Tschetschenien-Krieges als starker Mann Staatspräsident und gehört nun möglicherweise – 2018 für weitere sechs Jahre gewählt – bis 2024 zu den Konstanten russischer Weltpolitik. Auch hier geht eine nationalistische Wirtschaftspolitik mit einer konservativreaktionären Kulturpolitik einher, die sich an vermeintlichen kirchlichen und autoritären Werten orientiert und mit Menschenrechten nur wenig anfangen kann. Die Kluft zum sich vereinenden und erweiternden Europa der Europäischen Union wurde in seiner Zeit immer größer, bis es 2013 und 2014 zum Bruch über die Anbindung der Ukraine zur Europäischen Union kam. Bis heute schwelt dieser militärische Konflikt, der über zehntausend Todesopfer gekostet hat und 1,5 Millionen Menschen in die Flucht trieb, als identitäre Auseinandersetzung zweier nachbarlicher slawischer Kulturen, die über Jahrhunderte in gemeinsamen Staatsformationen gelebt hatten.

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Als Barack Obama 2008 zum Präsidenten gewählt wurde, schien die Welt aufzuatmen. Er erhielt 2009 den Friedensnobelpreis für sein dünnes rhetorisches Engagement für Multilateralismus und im Besonderen für die Abschaffung von Atomwaffen, ohne jedoch je sein Versprechen nachhaltig umzusetzen. Er behielt sogar Bushs Verteidigungsminister Robert Gates noch die ersten drei Jahre seiner Amtsperiode. Im Gegensatz zu fälschlichen Hoffnungen forderte er den militärisch-industriellen Komplex der USA nicht heraus. Auch wenn er den Abzug aus dem Irak forcierte, intensivierte er unter dem Schlagwort „Surge“ das militärische Engagement der USA in Afghanistan. Es soll nicht unbeachtet bleiben, dass unter Obama die Ausgaben für sowie die Einsätze von autonomen Waffensystemen (u. a. Drohnen) und Cyber-Kapazitäten vervielfacht wurden. Besonders erbittert verfolgte seine Administration auch die Kritiker des weltweiten US-Cyber-Überwachungsapparates: Edward Snowden lebt bis heute in Moskau, und auch viele seiner Freunde leben außerhalb der USA bzw. sind drakonisch bestraft worden. 2017: „America First“, My Country First!

Donald Trump gewann die Wahl unter anderem mit einer wirtschaftspolitischen Agenda, die auch massive Investitionen in die vernachlässigte Infrastruktur sowie den Schutz der amerikanischen Industrie und damit der Arbeitsplätze vor unfairem Wettbewerb (vor allem aus China) versprach. Kulturpolitisch versprach er, endlich mit dem „liberalen“ (i.e. linken) Establishment aufräumen zu wollen, und biederte sich über seinen Vizepräsidenten Mike Pence dem christlichen Fundamentalismus an. Diese Rechtswende erleben wir mit Verzögerung auch in (West-) Europa: 2016 findet das Brexit-Referendum in Großbritannien statt. 2017 wird Emmanuel Macron nur knapp Erster vor der rechtsradikalen Front National mit Marine Le Pen, die vorgab, mittels Ausländerfeindlichkeit und gegen die EU französische ArbeiterInnen zu schützen. Seit 2015 regiert in Polen die identitäre Partei „Recht und Gerechtigkeit“, die unter dem Slogan „Ein solidarisches Polen“ durch ihre wohlfahrtsstaatlichen Initiativen für bis dato vernachlässigte Berufsgruppen wie KrankenpflegerInnen oder LehrerInnen sowie für PensionistInnen und Kinder populär wurde. Im Wahlkampf 2019 führte sie eine Steuerbefreiung für junge Bürger unter 26 Jahren ein, ebenso wie massive Steuererleichterungen für einkommensschwache Schichten. Gleichzeitig nährt sie anti-globalistische Ressentiments, hetzt gegen sexuelle Minderheiten und errichtet geradezu absurde Konstrukte an nationalistischen Mythen: So behaupten etwa die Vertreter dieser Partei ohne nennenswerte Beweise, dass das Flugzeug des seinerzeitigen Staatspräsidenten Lech Kaczyński auf russischem Staatsgebiet abgeschossen worden wäre. Dass es kurz vor der Landung in Smolensk mit über 100 VertreterInnen des polnischen Staates an Bord im Unwetter in den Wald gestürzt ist, muss natürlich

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als nationale Tragödie gewertet werden. Allerdings ist bis heute nicht klar, wer – außer den schlechten Wetterbedingungen – für diesen Unfall wirklich verantwortlich ist. Auch die Macht Viktor Orbáns stützt sich sowohl auf eine reaktionäre Kulturpolitik als auf eine nationalistische Wirtschaftspolitik gegen die unverhältnismäßig große Präsenz und Abhängigkeit von ausländischem Kapital. Seine Regierung erzwang unter anderem die Konvertierung von Fremdwährungskrediten nach einer starken Abwertung des Forint – eine Maßnahme, die in erster Linie ausländische Banken traf und kleinen ungarischen KreditnehmerInnen zugute kam. Orbán setzt auf einen kulturpolitisch egoistischen und identitären Kurs gegen Immigration, Flüchtlinge sowie gegen seinen Lieblingsfeind, den ungarischstämmigen jüdischen Finanztycoon und Mäzen politischer und kultureller Initiativen für eine offene, globale Gesellschaft George Soros. In fast allen Ländern der Europäischen Union wurden rechte Parteien stärker und sitzen in bzw. dominieren Regierungen. In Italien hat 2018 eine Koalition die Macht übernommen, die sich die Zurückdrängung der Migration sowie ein Grundeinkommen zum Ziel setzt. Der Erfolg der Rechten beruht auch auf den Fehlern der demokratischen Mitte!

Kann es etwa sein, dass diese rechte Wende ein Versagen einer liberalen, sozial- und christdemokratischen Mitte ist und dass die „Neue Rechte“ diese Versagen erfolgreich benennt und missbraucht? Wenn das so ist, wäre es auch an der Zeit für eine grundsätzliche Selbstkritik und für einen intellektuellen wie politischen Kurswechsel, um Schlimmeres zu verhindern. Ich plädiere daher dafür, davon auszugehen, das im EUEuropa und den USA die demokratischen Strukturen und Institutionen (noch) funktionieren und daher die Fehler bei uns selbst – dem fälschlich so genannten Establishment – und nicht beim rechtsautoritären gesellschaftspolitischen Mitbewerber zu finden sind. Was ist aber heute liberal und zentristisch? Für die Rechte ist es klar: Alle, die nicht nationalistisch und autoritär sind, stehen „links“ und symbolisieren damit auch das zu überwindende Establishment. Für Donald Trump und viele Republikaner gehören dazu die Medien wie CNN, die New York Times, die Frauen und die LGBT-Bewegung und vor allem diejenigen, die gegen seine Mauer sind, das heißt, die die USA weiterhin als Einwanderungsland verstehen können und wollen. Der Rechtsruck ist auch in Europa so nachhaltig, dass „liberale“ Medien im europäischen Sinne, die noch vor 20 Jahren als zentristisch bis rechtsliberal bewertet wurden, nun als „links“ eingeordnet bzw. diffamiert werden: unabhängig organisierte Rundfunkanstalten mit hohem journalistischem Ethos von der BBC bis zum ORF, Qualitätsmedien wie Le Monde, Gazeta in Polen, die Süddeutsche und Der Standard. Als „links“ scheint heute jeder definiert zu werden, der demokratische

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Errungenschaften und Standards verteidigt und nicht pauschal gegen Migration ist. Wirtschafts- und sozialpolitische Aspekte geraten in den Hintergrund. Mittlerweile missbraucht die Neue Rechte sogar traditionelle Forderungen der Linken – allerdings nur für eigene Staatsbürger. Das gefährliche Bündnis zwischen Neoliberalismus und Multikulturalismus

Linke, liberale und zentristische Bewegungen stehen schon lange nicht mehr überzeugend für die arbeitende Bevölkerung. So konnte 2017 Hillary Clinton als Vertreterin der „Machtelite“ von Donald Trump angeschwärzt werden, der paradoxerweise diese Position mindestens ebenso einnimmt. Der Dritte Weg von Tony Blair und Gerhard Schröder, aber auch von vielen anderen liberalen und zentristischen Parteien vor allem in Osteuropa erzwang mit neoliberalem Marktdruck eine Modernisierung, die viele Verlierer auf der Strecke zurückließ. Gleichzeitig wurde die Globalisierung als Heilsversprechung für „Multikulturalismus“, Diversität, digitale Gleichheit und Freiheit angepriesen; die Buchtitel und Slogans dafür heißen „Global Village“ und „The World Is Flat“. Auch in vielen Bereichen der Bildung, Kultur- und Medienpolitik wurde staatliches Engagement und gesellschaftliche Verantwortung zurückgefahren, um neue Freiräume dem neoliberalen Laisser-faire zu überlassen. Schon unter Bill Clinton wurde das Bildungssystem in allen Sektoren immer stärker dem privaten Kapital überlassen. Spätestens die Banken- und spätere Weltwirtschaftskrise ab 2008 verschärfte die Komplizenschaft liberaler und zentristischer Parteien mit den Kapitalinteressen von Wirtschaftsmachteliten. Während zuvor Gewinne durch den Rückzug aus gesellschaftlicher Verantwortung privatisiert wurden, übernahm nun die Öffentlichkeit die Rettung „systemrelevanter“ Banken und Großbetriebe. Die privaten Verluste wurden nun vergesellschaftet. Die Umverteilung von unten nach oben wuchs und wächst bis heute gleichzeitig mit einem stark gestiegenen Migrationsdruck. It’s the Identity, Stupid

Seit 1989 müssen wir erkennen, dass das berühmte Wort von Bill Clinton „It’s the Economy, Stupid“ nur zum Teil als Erklärung politischer Motivationen gilt. Schon der Zerfall Jugoslawiens (1992 bis 2000) sowie der Sowjetunion (1992 und die Nachfolgekriege in Georgien seit 2008 und in der Ukraine seit 2014) entsprach nicht einer ökonomisch rationalen Logik. Die Globalisierung und die Digitalisierung haben zwar zu einer neuen Organisation von Kommunikation, Medien und des gemeinschaftlichen kulturellen Gedächtnisses geführt, sie haben aber in keiner Weise die moralischen und rechtlichen Grundregeln des zwischenstaatlichen und zwischenmenschlichen Verhaltens beeinflussen können. Genauso wie der

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berühmte Song „Lily Marlen“ von Lala Andersen und Marlene Dietrich von allen Kriegsparteien des Zweiten Weltkrieges gleichermaßen verehrt werden konnte, gibt es auch heute eine überall präsente und verstandene Weltkultur. Trotz – oder vielleicht sogar auch wegen – der globalen Digitalisierung wachsen dennoch überall die Sehnsucht nach Rückzug aus multilateraler Zusammenarbeit sowie die Verlockung, das Fremde zum Sündenbock der eigenen Unzulänglichkeiten zu machen. Der unter anderem durch die Wahl von Barack Obama beflügelte „Arabische Frühling“ hat seit 2011 im Nahen Osten und in Afrika eine Revolte gegen autoritäre, korrupte und dysfunktionale Regierungen eingeleitet. Trotz der Einbettung und Unterstützung durch die internationalen Medien sowie des engagierten Gebrauches von Social Media wurden die meisten Demokratiebewegungen nach kurzer Zeit mit Gewalt erstickt. Die folgenden Migrationsbewegungen verstärkten vor allem ab 2015 endgültig die kulturpolitische Argumentation rechtsautoritärer Bewegungen auch in Westeuropa, die der Globalisierung wie auch der europäischen Integration kritisch bis ablehnend gegenüberstehen. Während die Rechte in erster Linie die Themen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus, mehr oder weniger unterstützt durch national-sozialen Verteilungsneid, bespielt, sind die Kräfte der Mitte still geworden. Die hehren Werte der internationalen Zusammenarbeit und des Kulturaustausches, der europäischen Integration, der Menschenrechte und des Völkerrechts sind alt und unmodern geworden. Lackmus-Test Migration

Aufgrund des säkularen Ausmaßes von Migrationsbewegungen arbeiteten die Vereinten Nationen seit 2014 an politischen Erklärungen, sogenannten Pakten, zu Migration und Flüchtlingen. Erst 2018 kam es zum Abschluss der diplomatischen Arbeiten sowie zum politischen Schritt der offiziellen Annahme durch 164 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen. Während die USA unter der Führung von Donald Trump eine Unterstützung der Pakte von vornherein ablehnten, kooperierten die meisten der UN-Mitgliedstaaten ebenso wie die meisten EU-Staaten mit dem Ziel, eine politische Absichtserklärung zu erreichen. In der Tat sind die Herausforderungen durch die Migration für Europa seit geraumer Zeit gewaltig. Einerseits altern zwar die Gesellschaften aufgrund des spärlichen Nachwuchses. Andererseits haben die vorhin erwähnten historischen Umbrüche in und um Europa sowie die Erfolgsgeschichte der EU dazu geführt, dass ihre Mitgliedstaaten zu Einwanderungsländern wurden. Vor allem die durch den Kommunismus in Mittelund Osteuropa geprägten Gesellschaften haben allerdings nur wenig Erfahrung mit außereuropäischen Einwanderern. Polen war zwar, ebenso wie Ungarn, vor dem Kommunismus ein multikulturelles Land mit starken Minderheiten und einem sichtbaren jüdischen Bevölkerungsanteil. Der Holocaust und die realsozialistische Kultur- und Bildungspolitik schufen

Was haben wir seit dem Fall des Eisernen Vorhangs nur falsch gemacht?

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hingegen neue, fast „reine“ Nationalstaaten. Auch wenn Polen seit 1990 über eine Million Ukrainer und Weißrussen aufnahm, ist deren Präsenz in der Öffentlichkeit weit weniger deutlich als etwas die nahöstlichen und afrikanischen Einwanderer in Mittel- und Südeuropa. Daher ist die Europäische Union in dieser Frage zutiefst gespalten. Ungarn, Polen und Tschechien sind die schärfsten Kritiker einer Migrationszusammenarbeit und haben den Pakt bei der UN-Konferenz in Marrakesch Ende 2018 gemeinsam mit den USA und Israel abgelehnt. Österreich, das traditionell multilaterale Zusammenarbeit stärkt, hat zuerst die Verhandlungen engagiert unterstützt und erst im September 2018 – unter dem Druck der damaligen FPÖ-Regierungspartner – Kurs gewechselt. Nach langem Hin und Her erklärte die Rechtsregierung, zwar den Pakt nicht abzulehnen, ihm aber auch nicht beitreten zu können. Damit befindet es sich in guter Gesellschaft mit etwa Italien, der Schweiz und Australien. Der Migrationspakt hat in erster Linie eine politisch-symbolische bzw. kulturpolitische Bedeutung. Er stellt weiches Völkerrecht dar, das in Zeiten einer allgemeinen Schwächung desselben ohnehin kaum durchgesetzt werden kann. Umso mehr ist die Debatte um die nationalstaatliche Positionierung in vielen Ländern zu einer ideologischen Auseinandersetzung zwischen „offener Gesellschaft“ und „xenophober Gemeinschaft“ geworden. Damit wird es auch schwierig, sachliche Analysen anzustellen und konkrete Lösungen für ernste Problemlagen zu suchen. Die Vertreter einer offenen Gesellschaft haben es oft verabsäumt anzuerkennen, dass Migrationsbewegungen vor allem die unteren Mittelschichten bedrohen. So gelingt es Donald Trump, gegen die lateinamerikanischen Einwanderer zu mobilisieren. Für die Rechte in Europa ist es die Islamophobie sowie der Rassismus gegen Afrikaner, die erfolgreich bedient werden können. Jeder Terrorakt einer extremistischen Gruppe ist demnach ein weiterer Beweis für die „Gefahr der Umvolkung“. Gleichzeitig wachsen in den Banlieues und Vorstädten Parallelgesellschaften von marginalisierten Minderheiten heran, deren Ausgrenzung nur noch weitere Aggression hervorrufen bzw. verstärken kann. Wenn die Kräfte der demokratischen Mitte nicht aufgerieben werden wollen, dann muss auch Migration besser gemanagt werden. Auch engagierte und progressive Kulturpolitik muss die Herausforderung annehmen und darf sich nicht mit der Glorifizierung des Multikulturalismus sowie des „Fremden“ und „Anderen“ begnügen. Nur wer die eigenen Werte und Kultur kennt, schätzt und pflegt, kann für Neues, anderes und Fremdes offen und empfänglich sein. Der chinesische Reformer Deng Xiaoping hatte zu Beginn der Öffnung Chinas gesagt: „Wer die Türen öffnet, lässt auch Fliegen herein.“ Damit hatte er die Abkehr vom autozentristischen Entwicklungsmodell Mao Tse-tungs und später auch die Niederschlagung der Studentenproteste am Tiananmen-Platz gerechtfertigt. Sein Spruch kann daher nicht das Leitmotiv für heutige demokratische Gesellschaften sein, dennoch kann

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seine banale Weisheit helfen, wenn es darum geht, die Herausforderungen des Multikulturalismus der nächsten Jahrzehnte zu meistern. Eine Konstante in der Migrationsfrage ist übrigens der Vatikan, der sich in allen internationalen Foren nachhaltig gegen den Begriff „illegale“ Migranten stellt. Der Heilige Stuhl beruft sich auf die Würde jedes einzelnen Menschen, lehnt daher den Begriff „illegal“ ab und spricht von „irregulärer Migration“. Regelmäßig fordert Papst Franziskus die Mittelmeeranrainerstaaten auf, mehr Menschlichkeit walten zu lassen und legale Einreisemöglichkeiten für Flüchtlinge zu schaffen. Wer hätte noch vor 30 Jahren gedacht, dass die katholische und andere Kirchen 2020 in der Mitte der Gesellschaft ankommen und zu lauten Verfechtern der Menschenwürde, der Menschenrechte, aber auch nachhaltiger Entwicklung aufsteigen?

Andreas Stadler

Elke Moltrecht Umdenken Gedanken zu kulturellem Kosmopolitismus

343 1. Introduktion

1 Vgl. Philophiso (2015): „Sechs Varianten des Kosmopolitismus“, https://philophiso. hypotheses.org/618: „Vater des kulturellen Kosmopolitismus scheint Georg Forster (1754–1795) gewesen zu sein. Er ist der Ansicht, dass alle Menschen dieselben Dispositionen haben, die auf verschiedenen Weisen entwickelt werden können. Die verschiedenen Kulturen ergeben sich aufgrund der Umstände und nicht aufgrund verschiedener Potenziale. Er nennt darunter Moral, Religion, Bräuche, die er als verschiedene Saiten einer gemeinsamen Harfe der menschlichen Kulturen begreift. Einen Unterschied in der Entwicklung einer Kultur führt er auf äußere Umstände zurück, wie das Wetter, die Fruchtbarkeit des Bodens und so weiter, die es zulassen, mehr oder weniger ‚Kultur‘ zu entwickeln. Eine Kultur sei hochentwickelt, wenn sie beispielsweise die Entfaltung des Individuums zulasse, Menschenrechte und die Gleichheit der Menschen beachte, sowie Sklaverei ablehne.“

In den letzten Jahren werden auf kulturpolitischen Plattformen Dialoge zu Themen um kulturelle Vielfalt und Interkulturalität verstärkt geführt. Und doch stehen wir noch immer ziemlich am Anfang dieser komplexen Thematik im Kulturbetrieb. Nach fast 60 Jahren Integrationspolitik steckt kultureller Kosmopolitismus in Deutschland noch immer in den Kinderschuhen. Unter kulturellem Kosmopolitismus1 verstehe ich Transformationsprozesse durch die Auseinandersetzung mit verschiedenen kulturellen Einflüssen, die ich im deutschen Kulturbetrieb betrachte. Den Schwerpunkt lege ich dabei auf den Bereich Musik: Ich stelle auf der einen Seite Wege innermusikalischen Erforschens mit dem Ensemble Extrakte vor und gebe andererseits kuratorische Beispiele, in denen ich mittel- und unmittelbare Zusammenhänge zwischen westlicher und nicht westlich geprägter Musik herstelle. In den Fokus nehme ich darüber hinaus einige Rahmenbedingungen und Beobachtungen aus der Kulturpolitik und aus Kulturbetrieben. Um dem Thema kultureller Kosmopolitismus ganz gerecht zu werden, müsste ich eigentlich einen Bogen zurück bis in die 1960er Jahre schlagen, die Zeit der Anwerbeabkommen für Gastarbeiter*innen. Diese Periode hat bis heute tiefe Spuren auch in der deutschen Kultur des 20. und 21. Jahrhunderts und nachhaltige Defizite in der Integrationspolitik Deutschlands hinterlassen. Als zeitlichen Ansatzpunkt setze ich jedoch das Jahr 2015, die sogenannte „Flüchtlingskrise“. Mit ihr, als ein positives Resultat, gehen neue und dynamische Entwicklungsprozesse in Kultur(förder)institutionen und -verwaltungen einher, bezogen auf den Umgang mit Cultural Diversity auch jenseits der langjährigen Entwicklung von Strategien zur Umsetzung der UNESCO-Konvention zur kulturellen Vielfalt von 2005. Kulturelle Vielfalt muss inzwischen umfassender als unumgängliches Thema berücksichtigt werden. Spiegeln institutionelle Strukturen, kulturelle Narrative und operative Programme auf den verschiedenen kulturpolitischen Ebenen und im Kulturbetrieb die kulturelle Vielfalt Deutschlands seit 2015 ausreichend wider? Wie steht es aktuell um Pluralität, Integration und Transformationsprozesse in Kunst und Kultur, wie um die Dichotomien global/lokal, Eigenes/Fremdes, drinnen/draußen in den kulturellen und künstlerischen Praktiken? Wer gehört in unseren Tagen zum gängigen Kulturbetrieb dazu und wer nicht? Nüchtern lässt sich konstatieren, dass kultureller Kosmopolitismus heute in den kulturellen Realitäten noch immer Einzelfall ist, dabei sollte er längst selbstverständlich sein. Dem Thema nähere ich mich mit vielfältigen persönlichen Einblicken durch jahrelang gesammelte Erfahrung in musikalischen und interdisziplinären Kulturinstitutionen.

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Elke Moltrecht 2. Exposition

Wie verhält es sich also mit der kulturellen Vielfalt auf den verschiedenen kulturpolitischen und kulturellen Ebenen in Deutschland? Betritt man vertrautes und etabliertes kulturelles Parkett hierzulande, ist mit einiger Verwunderung noch immer festzustellen, dass allzu oft kaum „Nicht-Deutsche“, Migrant*innen oder Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft anzutreffen sind. Ausnahmen bilden Veranstaltungen, Projekte, Institutionen, Gremien oder Foren, die Interkultur per se zum Inhalt haben. Deutsche ohne Migrationshintergrund sind dort eher selten anzutreffen. Auch in weiterführenden Bildungseinrichtungen wie Musik- und Hochschulen oder Universitäten ist die Präsenz von Menschen mit Migrationshintergrund im Verhältnis zur Diversität Deutschlands gering. Internationale Student*innen ohne Migrationshintergrund hingegen immatrikulieren sich in solche Einrichtungen, Internationalität und Migration sind also zweierlei. Anders sieht es in den bestehenden gesellschaftlichen Strukturen aus: In Kindereinrichtungen und Schulen finden wir einen sehr hohen Anteil an „Nicht-Deutschen“. Bis zu 50:50-Verhältnisse zwischen Deutschen und Menschen anderer Herkunft sind da die Norm. Daraus erwächst eine Herausforderung, der wir uns stellen sollten. Auch wenn sich Bestrebungen für kulturelle Öffnungen dort bisher leider nur schleppend gestalten, so wäre das Umdenken bereits in Einrichtungen für Kinder und Jugendliche dringend angebracht. Wen wundert es vor diesen Hintergründen, dass eurozentrische Blickwinkel und westlich geprägte Werte nach wie vor Konjunktur haben? Parallelgesellschaften konnten sich ungestört entwickeln und wirken nach. Kulturelle Vielfalt ist in großen Bevölkerungsgruppen noch immer weitgehend auf das Nebeneinander von Sprachen, Gebräuchen, Religionen oder Menschen beschränkt. Breiter angelegte Akzeptanz findet sich eher im Kulinarischen, Touristischen oder in der Folklore, maßgeblich da, wo Migrant*innen oder interkulturelle Vielfalt als willkommener „Service“ oder „exotistische Unterhaltung“ fungieren. Es gibt Ausnahmen davon und Schritte von Annäherung und Veränderung im Denken und in der Haltung dazu. Davon ist hier die Rede. „Kulturpolitik ist Gesellschaftspolitik.“2 Dieser Fakt sowie die Beweglichkeit der Künste zeigen, wie unabdingbar und essenziell kontinuierliches Umdenken und Anpassen von Strukturen sind, vor allem in der Kultur. Passend dazu heißt es im INSEK: „Nicht der oder die Einzelne passt sich den Bedingungen eines Systems an, sondern das System muss vielmehr die Bedürfnisse aller Menschen berücksichtigen und gegebenenfalls angepasst werden.“3 Denn die Aufgabe der Kulturpolitik ist es, proaktiv und ressortübergreifend neue Möglichkeitsräume für Kultur und dort bestehende Strukturen zu eröffnen, kontinuierlich und jeweils an aktuelle Bedürfnisse angepasst.

2 Christian Höppner (2013), in: Kulturpolitische Mitteilungen 160 (I/2018), S. 29.

3 INSEK – Integriertes Stadtentwicklungskonzept Leipzig 2030 (2018), Teil 2, hg. von Stadt Leipzig, S. 47: Kap. „Inklusion und Chancengerechtigkeit“.

Umdenken

4 Sandeep Bhagwati/Elke Moltrecht (2017): Booklet zu: Ensemble Extrakte: Treatises on Trans-Traditional Aesthetics, CD, Münster: dreyer gaido. 5 Ebd.

6 Ebd.

7 https://www.kulturprojekte.berlin/blog/ diversityartsculture-berliner-projektbuero-fuerdiversitaetsentwicklung/.

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Um kulturellen Kosmopolitismus weiter zu erläutern, beziehe ich Transformationsprozesse auf Traditionen: Diese sind „substanzielle Konstellationen aus Praktiken, Überzeugungen, Erfahrungen und Methoden, die durch Beispiel und/oder Lehre vermittelt werden. Sie sind immer im Fluss und passen sich zeitgenössischen Gegebenheiten an.“4 Von trans-traditionellen Vorgängen ist erst recht die Rede im digitalen und beschleunigten 20. und 21. Jahrhundert. Gemeint ist, „über seine eigene Tradition hinauszugehen, indem man Elemente anderer Traditionen aufnimmt“.5 In schöpferischen Zusammenhängen ist es eine „Praxis, die sich gleichzeitig mit Ideen und Techniken verschiedener Traditionen produktiv auseinandersetzt, ohne sich durch eine von ihnen bestimmen zu lassen, weder in ihrem Material noch in ihrer Ästhetik“.6 So betrachtet lässt sich konstatieren, dass „Nationalkulturen“ seit ihren deklarierten Existenzen zweifellos durchdringende, durchdrungene und hybride Gebilde sind. Das bedeutet aber auch, Unvertrautes wahrzunehmen, zu respektieren und anderen Werten Raum zu lassen. Auch eine Öffnung von bestehenden Kategorien, Genres, Normen, Programmen, Repertoires oder Denkmustern sollte damit als logische Folge einhergehen. Die kulturellen Realitäten zeigen dabei längst die Limits auf. Bekanntermaßen stehen notwendigen Anpassungsprozessen in Institutionen und Verwaltungen leider verhältnismäßig statische Strukturen gegenüber. Diese aufzubrechen sollte Priorität haben. Bewährt haben sich Dialoge zwischen kulturellen Szenen, Verwaltungen und der Kulturpolitik sowie strukturierte öffentliche Beteiligungsprozesse, beispielsweise in verschiedenen Großstädten Deutschlands im Zuge der Fortschreibungen von Kulturentwicklungsplänen oder Förderinstrumenten. Solche Formate könnten verstetigt werden. Zum kulturellen Kosmopolitismus gehört auch Diversitätskompetenz. Diese zu erlangen wird zu einer zentralen Querschnittsaufgabe und Grundlage, um für die globalen Veränderungen gewappnet zu sein. Wegen einer mangelnden Vielfalt in (Kultur-)Institutionen und schlicht der Unsicherheit gegenüber anderem müssen „handlungsleitende Ansätze und Maßnahmen (weiter)entwickelt und verstetigt werden. Dazu gehören neben diversitätsorientierten Öffnungsprozessen und der Gestaltung von kollaborativen und diskriminierungskritischen Strukturen in Kultureinrichtungen auch eine diversitätssensible Kulturförderung sowie die gezielte Unterstützung wenig repräsentierter Akteur*innengruppen.“7 Mittlerweile wäre die Vermittlung von Diversitätskompetenz im gesamten Kulturbetrieb und darüber hinaus in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens sinnvoll. Denn Wissensvermittlung, Begegnung, Dialog über Unterschiede und Rollenverständnisse, Sensibilisierung für Perspektivwechsel, Gebräuche und Wertvorstellungen, Empathiefähigkeit und die Analyse von Vorurteilen werden elementarer. Um Respekt für Ungewohntes zu erlangen, müssen neues Handwerkszeug und Zugänge für die existierende kulturelle Vielfalt geschaffen werden. Diversitätskompetenz beginnt an

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allererster Stelle mit Selbstreflexion, dem Überdenken des Bestehenden und von tradierten Werten. Verblüffend ist, wie tief das eigene Tradierte in einem selbst steckt. Umso schwerer ist es, davon zu abstrahieren. Hier geht es um ganz persönliche Transformationsprozesse. Für den Kontext der Kultur formulieren es Patrick S. Föhl und Suse Klemm so: „Für den Kulturbereich kann man vielleicht von einer umfassenden Veränderung oder gar Neuausrichtung von gewachsenen organisationalen oder fördernden Strukturen sprechen. […] Man muss Transformationen weitgehend so verstehen, dass mit diesem Wort eine Haltung ausgedrückt werden soll, die gesamtheitlich auf Sachverhalte blickt. Anstatt Stückwerk zu renovieren, werden Zusammenhänge betrachtet. […] Es ist ein Querschnittsthema, das in allen Abteilungen mitgedacht werden muss.“8 So gesehen steht der aktuelle klassische und zeitgenössische Musikbetrieb vor einer besonderen Herausforderung, ist dieser doch noch immer von Aufführungsformaten und dafür geschaffenen Institutionen geprägt, die vor Jahrhunderten erschaffen wurden. In anderen Kunstgenres ist längst eine größere Öffnung gegenüber anderen Kulturen und global relevanten Themen in die künstlerische Praxis eingezogen, doch im Genre Musik scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Das zeigt sich in vielen Programmen von Philharmonien, Konzerthäusern oder Festivals in diesen Bereichen in Deutschland, und es spiegelt sich auch im Publikum wider. Oft obliegt es deshalb eher kleineren und freien Kulturprojekten oder Kunstszenen, sich der kulturellen Vielfalt oder gesellschaftlichen Themen zu öffnen. Sie sind es, denen Vermittlungswege zu kulturellem Kosmopolitismus authentischer oder überhaupt gelingen, da sie Akteure und Künstler*innen anderer Kulturkreise fernab von hierarchischem Denken einbeziehen und so auf unmittelbare Weise neues Wissen und unkonventionelle Kenntnisse vermitteln, die zur Annäherung beitragen. Dabei geht es darum, Bestehendes zu ergänzen und zu bereichern, nicht zu streichen. Für die freien Musikszenen Berlins seien hier Festivals wie Heroines of Sound, ctm – Festival for Adventurous Music and Art, das 3hd Festival und Turbulenzen genannt, die an Schnittstellen von Musik, digitaler Kultur, Kunst, Politik, Technologie, Poptheorie, Gender, Interkultur agieren und mit Künstler*innen aller Kontinente arbeiten. In Köln steht für solche Themen die Akademie der Künste der Welt. Eine menschliche Eigenschaft ist unübersehbar: Mit Ereignissen, die etwas anderes, zunächst Fremdes bringen, gehen oft Gedanken des Sich-bedroht-Fühlens einher. Warum eigentlich? Veränderungen oder gar Krisen bringen doch bekanntermaßen oft Chancen und neue Potenziale. Hingegen wird die Integration von anderen kulturellen Einflüssen oder Besetzungen oft erschwert durch Vorurteile oder gar Abgrenzung, leider auch in der Musik. Sogar Ansichten von Wertehierarchien gewinnen oft die Oberhand, als Mittel zur „Bestandswahrung“, wenn andere Kulturen, Akteure anderer Herkunft oder politische Aspekte einbezogen werden, und das ganz besonders in musikalischen Zusammenhängen. „Weltmusik“

Elke Moltrecht

8 Patrick S. Föhl/Suse Klemm (2019): „Über den positiven Gestaltungswillen. Praktische Transformationsarbeit im Kulturmanagement“, in: Das Magazin von Kultur Management Network 147, S. 49.

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Umdenken

9 Sascha Weigel (2019): „Die Welt ist vuka! Na und!? Eine strategische Annäherung“, in: Das Magazin von Kultur Management Network 147, S. 37.

10 http://www.heimatliederausdeutschland.de.

oder Gedanken von „Interkultur“ werden noch immer gerne weggeschoben vom etablierten Musikbetrieb. Dabei sind die Begrifflichkeiten längst geschärft in musikwissenschaftlichen Kreisen, wo es um trans-traditionelle oder -kulturelle Hinterfragungen und Erforschungen geht. Was also läuft schief in unseren altbewährten Denkgefügen? Es ist an der Zeit, dass Pluralität, Heterogenität, Universalität und Uniformität in der künstlerischen Praxis zeitgemäße Koalitionen und konstruktive Wechselverhältnisse eingehen. Bei Sascha Weigel liest man dazu: „Und hier steckt genau die Herausforderung, die bei uns beginnt, nicht bei der Welt da draußen! Wir müssen unsere Wahrnehmung für das Unbekannte schulen. Wir sind so ahnungslos sicher.“9 3. Durchführung Variation I: Beobachtungen

Drei interessante Beispiele für interkulturelle Öffnungen einer „Hochkulturinstitution“ seien hier genannt. Die Komische Oper in Berlin besetzte die Continuo-Parts der Oper in der Produktion Odysseus (Claudio Monteverdi/Elena Kats-Chernin) mit Kora, Oud, Theorbe, Violoncello, Harmonium und Musiker*innen unterschiedlicher künstlerischer Herkunft. Auch die Kinderoper Ali Baba und die 40 Räuber des türkisch-kurdischen Komponisten Taner Akyol zeigt die Bestrebungen der Komischen Oper, andere Kulturkreise in die Musik der Opernwelt einziehen zu lassen. Das Projekt Heimatlieder aus Deutschland ging noch einen Schritt weiter und brachte die Lieder der Migrant*innen in Deutschland auf die Bühne.10 Sogar an simultane Übersetzungen der Liedtexte für das diverse Publikum wurde gedacht. Solche Beispiele finden sich in Opernhäusern noch selten. Es bleibt zu wünschen, dass künftig mehr innermusikalische Wege des Austauschs ge/erfunden werden, neben der reinen Präsentation von „Weltmusik“ auch auf Bühnen des etablierten Musikbetriebes. Meines Erachtens kann das Aufbrechen und Erweitern der Repertoires unter interkulturellen oder trans-traditionellen Aspekten solche Institutionen, Orchestermusiker*innen und das Publikum bereichern. Die benannten Produktionen jedenfalls erfreuten sich großer Resonanz. Richtungsweisend ist das singuläre Förderprogramm der Kulturstiftung des Bundes 360°. Dort heißt es: „Einwanderung und kulturelle Vielfalt sollen als ebenso chancenreiches wie kontroverses Zukunftsthema aktiv in das eigene Haus und in die Stadtgesellschaft getragen und strukturelle Ausschlüsse im Kulturbetrieb vermindert werden.“ Dies soll sich in den Programmen, im Personal und in den Leitungsebenen der Einrichtungen widerspiegeln. „Gemeinsam mit der Institution soll der/die Agent/in über einen Zeitraum von bis zu vier Jahren Vorschläge und Maßnahmen erarbeiten, wie sich die Institutionen diversifizieren und einen Beitrag zu einer selbstbewussten, Einwanderern gegenüber offenen Gesellschaft so gestalten können, dass die Stadtgesellschaft davon profitiert. Die Agenten sind Personen mit Diversitätskompetenz, Erfahrung in der

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Zusammenarbeit mit Akteur/innen aus Einwandererfamilien und relevanten Sprachkenntnissen.“11 Leider sind unter den bislang 39 geförderten Institutionen nur zwei aus dem Bereich Musik. Vielleicht ist das Interesse an den genannten Veränderungsprozessen bei Musikinstitutionen doch geringer als in anderen Kulturbereichen? Eine wesentliche Ebene für kosmopolitische Veränderungsprozesse liegt grundsätzlich in der Anpassung der existierenden Förderprogramme und -richtlinien. In Berlin und Köln jedenfalls wurden die Förderstrukturen hinsichtlich der (inter-)kulturellen Teilhabe kürzlich überarbeitet. Der Radius von Adressaten für Projektförderung sollte im Sinne von kultureller Vielfalt erheblich erweitert werden und auch die Diaspora-Szenen einschließen. Mehrsprachigkeit, Vereinfachung der Antragsformalitäten, Beratung und Agenten aus verschiedenen Communities für die Förderinstitutionen wären dafür zusätzliche Überlegungen. Warum muss eigentlich erst ein separates Festival gegründet werden für Musikensembles mit „interkultureller“ Ausrichtung, wenn diese auf unterschiedliche Weise aktuelle neue Musik aufführen sowie unterschiedliche Zugänge zu interkulturellen Einflüssen entwerfen, und das jenseits von „Weltmusik“? Ich denke an das bereits erwähnte Festival Turbulenzen, die eingeladenen Ensembles kamen aus Deutschland, Österreich, Usbekistan und Vietnam.12 Angebrachter wäre es, solche Ensembles in die bestehende Festivallandschaft für Neue Musik oder in die Spielpläne etablierter Musikinstitutionen und -festivals gemeinsam mit „herkömmlichen“ Musikensembles zu integrieren. Stattdessen hat sich hinter Begriffen wie „Weltmusik“ oder „globale Musik“ ein Nischendasein für Musik mit transkulturellen und -traditionellen Ansätzen bilden müssen. Aber es gibt begründete Hoffnung für Aufbruch zu kulturellem Kosmopolitismus auch in der neuen Musik. Ich erinnere da an Symposien wie Sound Art in the Global Context13 des DAAD-Künstlerprogramms 2013 in Berlin, Defragmentation14 2018 in Darmstadt, die Diskursreihe Musikalische Zeitfragen mit dem Schwerpunkt Zusammenstoß der Kulturen15 und das Symposium imagining musics in 2052 – contemporary music in global contexts 2019 in Berlin. Daraus ist gerade das Global Network for Newly Made Musics hervorgegangen, ein Netzwerk für zeitgenössische Musik und Klangkunst aller Art und aus jeder Tradition, das offen ist für alle, die sich für einen ästhetisch, kulturell, sozial aufgeschlossenen Zugang zu neu geschaffenen Musiken und Klangkünsten der künstlerischen Erforschung interessieren – Musiker, Komponisten, Moderatoren, Kuratoren, Ensembles, Forscher, Förderer, Schulen, Universitäten, Fans, Netzwerke, Verbände, Sponsoren etc. Der Diskurs hat begonnen. Nun sollten solche theoretisch erörterten Ansätze auch in die musikalische Praxis einziehen. Um hierfür andere Qualitätsstufen zu erreichen, ist gerade der Dialog von Kurator*innen, Musiker*innen, Komponist*innen, Politolog*innen, Wissenschaftler*innen mit künstlerischen Leiter*innen von Musikfestivals und Intendant*innen über kosmopolitische Fragen oder globale

Elke Moltrecht 11 https://www.360-fonds. de.

12 https://turbulenzen. wordpress.com.

13 http://www.berliner-kuenstlerprogramm.de/ de/veranstalt_detail. php?id=866. 14 https://www.schaderstiftung.de/themen/ kommunikation-undkultur/fokus/kunst-undgesellschaft/artikel/ defragmentation/. 15 Veranstaltungsort nemtsov & nemtsov Raum für Kunst und Diskurs.

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Umdenken

Entwicklungen auch in international bereits renommierten Symposien und Festivals für neue Musik vielversprechend. Auch musikimmanente Aspekte sollten da zur Diskussion stehen, etwa musikalische Methoden für ein synergetisches Miteinander von verschiedenen musikalischen Formen, die Vergabe von Auftragswerken zu relevanten Zeitfragen oder, konfrontiert mit Aspekten anderer Kulturräume, die Integration von Musiker*innen und Komponist*innen anderer Kulturen bzw. mit Migrationshintergrund oder thematische Akzentuierungen von Festivalsträngen und Reihen mit transkultureller Ausrichtung. Sind andersartige Klänge wirklich willkommen in der bestehenden Neue-Musik-Betrachtung und inmitten des etablierten Musikbetriebs? Variation II: Beispiele für Projekte und Institutionen mit kosmopolitischer oder trans-traditioneller Prägung

Meine These ist, dass Musik nicht zu abstrakt ist, wie immer wieder behauptet wird, um globale oder politische Fragestellungen aufgreifen zu können. Möglichkeitsformen habe ich gerade angesprochen. Denn l’art pour l’art ist nur eine von zahllosen Möglichkeiten, der Musik Ausdruck zu verleihen. Auch neue und aktuelle Musik kann trans-traditionellen oder politisch motivierten Fragen nachgehen. Es folgen praktische Beispiele, zum einen aus kuratorischer Sicht, zum anderen mit innermusikalischem Blick. MUSIK IM PODEWIL – Zentrum für Aktuelle Künste in Berlin (1992–2004)

16 Bhagwati/Moltrecht (2017). 17 Zungenschlag – Klangfestival der Durchschlagzungen-Instrumente, 3.–12.9.1999, kuratiert von Elke Moltrecht und Sören Birke im Podewil.

Musikalische Genreabgrenzungen spielten in meiner kuratorischen Arbeit als Leiterin des Musikprogramms im Podewil keine Rolle. „Das Podewil war damals eine der ersten Institutionen weltweit, die zeitgenössische Kunstmusik direkt in anregende Konfrontationen mit verschiedensten anderen Musikformen brachte – von Clubmusik bis zur Experimentalmusik einer neuen Generation von Laptopmusikern, von elektroakustischer Musik aus etablierten Studios zu improvisierter Musik – und zu Musik verschiedenster kultureller Herkünfte. Das war nicht nur ein ambitioniertes Programm, es verlangte auch ständig nach neuen Konzertformaten, in denen solche Konfrontationen jenseits bloßer Begegnungen auch musikalisch fruchtbar werden konnten.“16 Unter dem Titel Zungenschlag – Klangfestival der DurchschlagzungenInstrumente17 brachte ich ein zeitgenössisches Musikprogramm mit Irvine Arditti, Stefan Hussong und anderen in direkte Verbindung mit einem Ethno-Jazz-Avantgarde-Exotica-DJ-Live-Music-Set für diese Instrumentengruppe mit dem Musiker zeitblom, den Maultrommelspielern Spiridon Schischigin und Ivan Alexejev aus Sibirien sowie Anton Bruhin aus der Schweiz und mit Hans Reichel, einem Meister von selbsterdachten Instrumenten wie dem Daxophon. Im Mittelpunkt stand die Instrumentengruppe, die Synergien der Musikstile oder -kulturen ergaben sich aus der Themenstellung des Festivals.

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Das Projekt Intonations – In selten guter Stimmung18 fokussierte auf weltweit existierende Stimmungssysteme, angefangen bei Harry Partch oder La Monte Young über Musik mit dem syrischen Oud-Spieler Farhan Sabbagh, übergehend in die Mitteltönigkeit zwischen Renaissance und Barock bis hin zu zeitgenössischer Orgelmusik von Klaus Lang oder dem Plainsound Orchester, das für reine Stimmung steht. Verschiedene Kulturen und Epochen kamen wie von selbst zusammen. Auch regionale Schwerpunkte boten mannigfaltige kosmopolitische Themenplattformen für Begegnungen mit nicht-westlichen Musikgenres und -kulturen, angefangen bei alten Musiktraditionen bis hin zu neuesten Werken. Im Rahmen des berlinweiten Kulturaustauschprojektes buenos aires berlin19 bespielten in Berlin und in Buenos Aires lebende Musiker*innen und Klangkünstler*innen unterschiedlichster künstlerischer Prägung gemeinsame Bühnen. Im urban + aboriginal XVI-Festival Alte und neue Musik aus Korea20 standen die kunstvolle koreanische Instrumentalmusik Kajin Hoesang, der volkstümliche epische Gesang Pansori, die koreanische Volksmusik Yeochang Gagok oder Sanjo neben elektronischer, komponierter Neuer oder Noise-Musik. Das „Stigma“ Interkultur oder „Weltmusik“ erfuhr keines der so kontextualisierten Projekte. KREUZTANBUL – Interkulturelles zwischen Kreuzberg und Istanbul

Als Leiterin des Ballhaus Naunynstraße modifizierte ich das Programmkonzept entlang der spezifischen kulturellen Durchmischung des Stadtbezirkes Kreuzberg. Mit dem Festival Kreuztanbul – Interkulturelles zwischen Kreuzberg und Istanbul21 stellte ich Musikgenres aus Berlin-Kreuzberg und Istanbul in bis dahin nicht gekannter Konfrontation zueinander. In türkischen Kreisen in Berlin waren türkische zeitgenössische, experimentelle, elektronische Musik oder Klangkunst nahezu unbekannt, vertraut hingegen traditionelle Musik, Rock und Pop. Dass türkische neue oder experimentelle Musik in den Jahren 2007 bis 2009 gerade im Entstehen und Aufbrechen war, dass es sogar einen türkischen Elektronikpionier gab, İlhan Mimaroğlu (1926–2012), wussten auch die „eingefleischten“ Neue-Musik-Kreise kaum. Dem Festival Kreuztanbul gelang es, diese verschiedenen Szenen und Genres erstmalig in Wahrnehmungszusammenhänge zu bringen. Von Jahr zu Jahr wuchs die Balance zwischen türkischem und deutschem Publikum. Zudem hatte sich bewährt, die Veranstaltungsorte passend für die Musikrichtungen auszuwählen, was dazu beitrug, das Publikum quasi an den richtigen Orten abzuholen. Zum Gelingen trug wesentlich bei, einen türkischen Musiker (Izzet Nihat Yersaloglu) als Projektpartner aktiv einzubeziehen, der bestens in Berlin und Istanbul vernetzt war und Türen zu den türkischen Communities öffnete. Mit ihm als Teil dieser Community gelang es, die Werbung medial und publikumswirksam in die türkischen Zielgruppen zu streuen. Ein Festival mit türkischem Fokus ganz aus deutscher Perspektive zu kuratieren und zu organisieren wäre wohl kaum so erfolgreich verlaufen und hätte zu

Elke Moltrecht 18 MontagsMusik Intonations – In selten guter Stimmung, 7.–13.6.2002, kuratiert von Elke Moltrecht mit Werner Durand im Podewil.

19 buenos aires berlin, 31.8.–31.10.2004, IberoAmerikanisches Institut, Podewil, Hebbel Theater, Jüdisches Museum, Arsenal/Freunde der Deutschen Kinematek, literaturWERKstatt, notango, Kulturämter Berlins, Next. 20 urban + aboriginal XVI-Festival Alte und neue Musik aus Korea, 12.–21.11.2004, in Zusammenarbeit mit den Freunden Guter Musik Berlin e. V. im Podewil.

21 Kreuztanbul – Interkulturelles zwischen Kreuzberg und Istanbul, 10.–14.10.2007, Ballhaus Naunynstraße; 13.–17.10.2008, Lido, Radialsystem V, SO 36, Haus 13/Pfefferberg, Podewil, Galerie zero; 12.–26.11.2009; SO 36, Naunynritze, Kulturbrauerei/Maschinenhaus, Akademie der Künste, Haus 13/Pfefferberg, Haus der Kulturen der Welt; siehe www.x-tract-production. de.

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Umdenken

weit weniger Synergien oder Akzeptanz zwischen den deutschen und türkischen Beteiligten und Besucher*innen geführt. ENSEMBLE EXTRAKTE – On trans-traditional aesthetics

22 Siehe http://matralab. hexagram.ca/research/ ensembles/extrakte/.

Mit dem Ensemble Extrakte22 – dieser Name umreißt ein Konzept, nämlich die Suche nach trans-traditionellen bzw. interkulturellen musikalischen Extrakten – gelangen wir zum innermusikalischen Erforschungsprozess. Gegründet habe ich diesen ungewöhnlichen Klangkörper 2012 mit Sandeep Bhagwati und der Motivation, neue trans-kulturelle Arbeitsweisen und -prozesse zu hinterfragen und zu erforschen, fernab von „Weltmusik“, Fusion oder „Multi-Kulti-Kitsch“, Orientalismus oder Exotismus. Uns trieb die Neugier, ein im Heute relevantes neues Musikrepertoire zu entwickeln mit einem musikalischen Leiter, der für dieses Ensemble als Facilitator agiert, in einem gemeinsamen Arbeitsprozess mit den Musiker*innen, die wie eine Band mitgestalten. Das Ensemble ist besetzt mit Musiker*innen verschiedener Kulturen und Kontinente, die in Berlin leben, als Abbild der Internationalität der Metropole Berlin. Es stellt sich unüblichen Herausforderung an die aktuelle Musik mit Forschergeist, davon ausgehend, dass die Wurzeln einer zukünftigen Musik nicht nur im eurologischen Musizieren zu finden sein werden, und beachtet, dass heutzutage Neue Musik ihr Wurzelwerk weiter aufspannen soll und muss. Anders als viele Ensembles Neuer Musik gibt das Ensemble fertig komponierter Musik kein Forum, Interpretationen oder Fürsprache. Ensemble Extrakte entstand vielmehr aus dem Wunsch vieler global erfahrener Musiker, die Neue Musik als Musiziertradition nach ihren inneren Antrieben zu befragen und dabei vielleicht sogar neu zu definieren, was denn heute das Neue in der Musik sein könnte. Im Ausloten neuer Prozesse des Musik-Erfindens, im Entwickeln neuer musikalischer Konzepte und Musizierformen liegt ein wesentlicher Impuls der Arbeit des noch recht jungen Ensembles. Die Musik ordnet sich zwar in den Kreis von westlicher aktueller Musik ein, doch sie agiert aktiv erforschend mit den zusätzlichen musikalischen Elementen der Musiker*innen und Instrumente und kreiert Synergien in andersartig zusammengedachten Bezügen aus der Vielfalt aller einzelnen Bestandteile – trans-traditionell. AKADEMIE DER KÜNSTE DER WELT IN KÖLN

23 Vgl. www.academycologne.org. Die Autorin war von 2014 bis 2019 Geschäftsführerin der Akademie der Künste der Welt / Köln, gGmbH.

Die Akademie der Künste der Welt23 ist eine kosmopolitische und interdisziplinäre Institution mit fließenden Genregrenzen per se. Sie wurde 2012 von der Stadt Köln mit dem Anspruch gegründet, auf die sich wandelnde Identität der Stadt, die heute von Menschen mit unterschiedlichsten Nationalitäten und Hintergründen geprägt wird, zu reagieren. Sie wurde von Beginn an als eine international agierende Institution gedacht und konzipiert, die mit dem Lokalen stets im Dialog steht. ‚International‘ bezieht sich vor allem auf das Durchqueren von kulturellen Praktiken und Identitäten und nicht von nationalen Grenzen im engeren Sinne. In ähnlicher Weise zielt das Wort ‚lokal‘ auf ein vielgestaltiges Publikum,

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Elke Moltrecht

mannigfaltige Zuschauer*innen, Künstler*innen und Orte in der Stadt und ihrem Umland ab und nicht auf ein in irgendeiner Weise beschränktes Interesse. Das Fundament der Akademie ist ihr Mitgliedergremium – Kulturschaffende, die mit einem breiten Spektrum von Praktiken vertraut sind und an verschiedenen Orten weltweit leben und arbeiten. Die Mitglieder führen und unterstützen die künstlerische Leitung bei der Gestaltung des Programmkonzeptes. Die Akademie möchte ein kritisches Publikum für zeitgenössische Praktiken formen. Diese befassen sich etwa mit minorisierten Geschichten, postkolonialen Diskursen, nichthegemonialen Lebensweisen, urbanen Entwicklungen, dem Infragestellen von Grenzen, dem Recht auf Migration sowie mit anderen neuen Zugängen, über Kunst und Kultur in einer globalisierten Welt nachzudenken. Mit ihrem kosmopolitischen Anspruch, der sich in den internen Personalstrukturen, den Themen- und Programmschwerpunkten sowie bei den eingeladenen Akteuren und Künstler*innen zeigt, hat diese Akademie auch im internationalen Maßstab ein Alleinstellungsmerkmal, nämlich als Institution neuen Typs. 4. Coda

„Kultur wird nicht vermittelt, Kultur ist Vermittlung. Dies befähigt dazu, eine nie abgeschlossene Diskussion darüber führen zu können, was eine Gesellschaft im Ganzen für wichtig hält. Das bedeutet auch, sich immer wieder damit auseinanderzusetzen, warum andere Menschen sich für andere Dinge interessieren und somit die Gewissheit des eigenen Denkens in Frage gestellt wird.“24 Die Gewissheit des eigenen Denkens in Frage zu stellen ist ein vielversprechender Ansatzpunkt für kulturellen Kosmopolitismus. So entsteht für oben genannte Dichotomien konstruktiver Gestaltungsraum – entscheiden wir doch basierend auf Diversitätskompetenz mit, wer neu dazu gehört. Folgen wir Markus Lüpertz, dann wird eine Gesellschaft danach beurteilt, welche Künstler sie zugelassen hat. Dafür ist es an der Zeit, die Personalentscheidungen auf allen Ebenen und in allen Strukturen des Kulturbetriebes neu zu bewerten und diverser aufzustellen, nicht nur in den Künsten, sondern in den Leitungsebenen der Kulturinstitutionen, den Jurys, Vorständen, Gremien, Freundeskreisen, Verwaltungen, Ämtern, Verbänden, Vereinen, Räten und Podien. Die Veränderungsprozesse führen aktuell auch zu DiskriminierungsRückstaus im Kulturbetrieb in den eigenen Kreisen. Nachvollziehbar! In den noch vor uns liegenden Debatten muss dieses Thema zugelassen und aufgegriffen werden. Dabei müssen die Voraussetzungen und Erkenntnisse von gestern nicht die von heute und/oder die von morgen sein. Vielmehr sollten wir heute die Strukturen und Programme auf ihre Relevanz für die Zukunft in fünf bis 20 Jahren befragen, auf ihre Nachhaltigkeit also. Erschaffen wir gemeinsam erfolgsorientierte „Gelingensbedingungen“ für kulturellen Kosmopolitismus. Denn: „Es geht um den Mut, die Dinge neu zu denken, wenn es Not tut, und dabei konkret zu werden.“25

24 Daniel Tyradellis, Philosoph und Ausstellungskurator, während des 3. Leipziger Kulturforums im Jahr 2014.

25 Vgl. Föhl/Klemm (2019), S. 49.

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1 Jonathan Paquette/ Eleonora Redaelli, Arts Management and Cultural Policy Research, (London: Palgrave Macmillan, 2015). 2 ibid., 77.

3 Karin D. Knorr-Cetina, “Culture in Global Knowledge Societies: Knowledge Cultures and Epistemic Cultures,” in: Interdisciplinary Science Reviews 32(4), (2007), 363. 4 Andrej Srakar, “In Need of a Drastic Change: On the ‘Evidence-based’ Debates in Cultural Economics and Cultural Policy Research,” in: Review of Economics and Economic Methodology 2(1), (2017), 45–62.

Cultural policy, as a subject of scientific inquiry, is divided between academia and practice, which makes it prone to advocacy and similar activities. In the following, we claim that in order to perform its basic mission—to provide knowledge about the phenomena it studies—it needs: a.) epistemological foundations; and b.) strong institutional apparatus to support its independence from particular interests of individual groups. According to Paquette and Redaelli, cultural policy research features a plethora of different paradigmatic approaches, organizational perspectives, research traditions, and dimensional divisions.1 In addition, different disciplines entertain different understandings and definitions of cultural policy, with sociology of culture, cultural economics, cultural studies, and many other disciplines all claiming to study cultural policy.2 The authors of this text describe five different paradigmatic approaches to the epistemology of research areas and disciplines. Positivism, as the first approach, considers reality as external and accessible to researchers: social facts are independent of researchers. Knowledge is cumulative and useful for a better technical control of society and researchers are neutral and unbiased observers, uncovering the laws of society. Conventionalism, as a second approach, considers social reality as a social phenomenon produced through the interactions of social agents. Reality is therefore accessible as a diversity of life worlds and researchers must be open to the diversity and complexity of social reality with their duty to communicate this diversity and complexity. The critical theory perspective considers the world traversed by power dynamics and social inequalities—knowledge needs to be produced in order to emancipate people. Researchers should be active in the public sphere; they ought to aim to be public intellectuals. The poststructuralist paradigm considers society a discursive space, shaping social actions and identities. Researchers must be critical and aim to give voice to oppressed groups and marginal identities without necessarily formulating well-defined alternatives and risk becoming oppressors. Finally, pragmatism, like all perspectives apart from positivism, considers reality as a product of social action, with all interactions socially negotiated. The purpose of knowledge is to better understand the world in order to facilitate problem solving in complex social assemblages. The complex scheme of connections between cultural-policy-study approaches leads the authors—referring to the tradition of the social construction of science—to advocate for the idea of epistemic culture which, according to Knorr-Cetina, refers to “those set of practices, arrangements, and mechanisms bound together by necessity, affinity and historical coincidence that, in a given area of professional expertise, make up for how we know what we know. Epistemic cultures are cultures of creating and warranting knowledge.”3 Debates over the definition of, and different approaches to, the study of cultural policy seem to be misdirected. 4 Without the knowledge of basic “facts” in the area of cultural policy (as, for example, the relationship between public funding and employment or basic facts about public

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cultural budgets), discussions over the societal construction of cultural policy research can merely serve as an advocacy position for one’s own approach to the field. It is debatable how one could claim any knowledge, insight, and conclusion about basic tenets of cultural policies if knowledge on the basic relationships in cultural policy operations remains vague. One could naturally concur that “researchers must be open to the diversity and complexity of social reality with their duty to communicate this diversity and complexity” or that the “world is traversed by power dynamics and social inequalities,” but what does this mean for the present state of cultural policy research? When discussing cultural policy as conventional public policy, Paquette and Redaelli mention the area of program evaluation, which in other policy areas uses advanced methods to derive conclusions over the impact of individual policy programs.5 Such studies are not done in cultural policy research, which often pretends that issues like quarrelling critical theory authors, and their conceptual frameworks, suffice for an “epistemic culture.” We argue for the prevalence of the focus on evidence in future development of cultural policy as an academic discipline because it is difficult, if not impossible, to envision the development of the field while neglecting to acknowledge the basic facts about its own subject of study. One could argue for more evidence over cultural polity, cultural policies, and different forms of emancipatory movements and approaches, as a bottom-up approach to cultural policy conceptualization. But do we posses the insight into the facts needed to study those phenomena adequately? And, if not, what is the objective of considering five different paradigms? As, for example, in (macro)economics, the subject could be seen better in a pluralist view, using different perspectives. But until, at least, basic studies and facts are not explored sufficiently, it is legit to expect the proposed approaches will be largely self-sufficient and not provide a lot of needed knowledge in the field. It is also natural that the social world cannot be seen in the light of econophysics, as a world of phenomena able to be recognized separate from the observer—quite the contrary. In this light, a sixth paradigm could be useful: of sociocybernetics and Luhmann’s social systems theory, which considers the world as consisting of systems, all observing each other, but remaining closed and bounded, with no overarching perspective. This paradigm is in line with a social-constructivist view. For social systems theory, the key element is the difference between system and environment, which provides it a clear, non-essentialist character. The all-encompassing world society is composed of systems that observe each other but remain operationally closed. As elaborated by Luhmann, systems theory focuses on observing how social systems “work,” how they function, in light of the present development and evolution of societal systems into a hierarchical, decentered composition of subsystems, each based on a specific, binary code and its own programs.6 For science, the binary code is true/false.7 For Luhmann, therefore, the

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5 Paquette/Redaelli (2015).

6 Niklas Luhmann, Ökologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen?, (Opladen: Westdeutscher Verlag, 1986); id. Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1984). 7 Niklas Luhmann, Ecological Communication, (Cambridge: Polity Press, 1989).

Cultural Policy Studies as an Academic Discipline in Slovenia 8 João Marcelo Crubellate, “Three Neofunctionalist Conceptual Contributions to the Institutional Theory in Organizations,” in: BAR 4(1), (Jan.–April 2007), 66–81. 9 Luhmann (1989), 145. 10 ibid., 45. 11 ibid.

12 Roger Blomgren, “Autonomy or Democratic Cultural Policy: That is the Question,” in: International Journal of Cultural Policy 18(5), (2012), 519–529, DOI: 10.1080/10286632. 2012.708861. 13 John Holden, Cultural Value and the Crisis of Legitimacy, (London: Demos, 2006), http:// www.demos.co.uk/ files/Culturalvalueweb. pdf?1240939425, (accessed Aug. 1, 2019). 14 Clive Gray, “Democratic Cultural Policy: Democratic Forms and Policy Consequences,” in: International Journal of Cultural Policy 18(5), (2012), 505–518.

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autopoietic nature of social systems demands understanding them as simultaneously open and closed.8 To him, a social system “comes into being whenever an autopoietic connection of communications occurs and distinguishes itself against an environment by restricting the appropriate communications.”9 A social system has, as a central point of its nature, the capacity to process meanings and their communication, through which they self-reproduce. Social systems differ from one another through the specific codification of each system, which, in its turn, constitutes its organizational kernel through which “a system can change structures without losing its code-determined identity.”10 Therefore, “a system acquires the possibility of operating as closed and open simultaneously,”11 i.e., as a system that incorporates into its structure the pressures of the environmental context without being diluted into the environment, without altering its organization. How to define cultural policy studies as an academic discipline? To avoid the value-laden pitfalls of critical theory and poststructuralist approaches and incorporate the proposed sociocybernetic and social-systems-theory view, we adopt the conventional public policy perspective. Cultural policies are considered to consist of four stages. In the emergence (or agenda-setting) stage, the arts or cultural issue is propelled into the policy arena, opening up a forum for debate on arts and cultural policy formulation or revision. The enabling agenda-setting forces are often streams of politics, current/salient events, and available solutions. Formulation—as the ideational and deliberative stage of the policy process—is the stage where ideas, or points of view, are expressed and policy aims and objectives defined and negotiated between policymakers, actors of the cultural community, and policy experts. Implementation stage is the stage where the policy envisioned by policymakers becomes a reality, which involves different organizations and institutions, and implies the intervention of a constellation of actors such as artists, public servants, heritage professionals, and stakeholders. Finally, the fourth stage, evaluation, is the stage where the policy is assessed by policymakers, the media, the broad artistic community, and the general public, and is associated with a number of formal (and informal) evaluative procedures. Since, in cultural policy, democracy as a political system that reflects the will of the people, either through direct democracy or through representative democracy, has been replaced by the concept of cultural and art autonomy based on the arm’s-length principle,12 the existence of institutional systems of academic discipline providing knowledge—in particular as regards its methods, validity and scope—to distinguish between justified beliefs and organized interests is crucial. Cultural policy (as a mere closed conversation between decision makers and selected cultural circles13) is prone to democratic elitism through stakeholders,14 so it is of democratic importance that academic cultural policy studies and research exist to provide critical and reflexive cultural policy analysis. This goes in line with sociocybernetic and Luhmannian perspective: leaving the differentiation of

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the cultural policy studies as scientific discipline subject to both openness and closeness—closeness in terms of its own media of communication and distinctive identity, resisting the domination of interests from its environment (e.g. political, economic, legal), but openness in terms of being constantly active in decoding information from its multiple environments. As elaborated previously, cultural policy as an academic discipline strongly depends on its institutional structure. As defined in structural functionalist perspective by Parsons, institutionalization denotes the integration of roles and sanctions with a generalized value system or normative framework which all members share. According to Parsons, “institutionalization is an articulation or integration of the actions of a plurality of actors in a specific type of situation in which the various actors accept jointly a set of harmonious rules regarding goals and procedures.”15 Whitley compares and describes the nature of intellectual fields through variations in the dimensions of “mutual dependence” and “task uncertainty.”16 The dimension of mutual dependence relates to the extent to which a field is dependent upon knowledge produced in other fields in order to make a significant contribution to science, and also to the degree of mutual dependence between scientists. Task uncertainty dimension refers to the degree to which task outcomes and research processes are predictable, visible, and clearly related to general goals. The production and recognition of new knowledge depends on the existence and structure of current knowledge and expectations. The more systematic, general, and precise the existing knowledge, the clearer the collective interpretation of results will be in terms of their novelty and significance for the common stock of knowledge in a particular scholarly community. In his theory, Whitley further divides mutual dependence and task uncertainty into two related sub-categories resulting in a four-dimensional matrix: strategic and functional dependence, and strategic and technical uncertainty. Strategic dependence refers to the degree of coordination of research programs and task outcomes across research sites,17 whereas functional dependence refers to the degree to which a researcher’s results must be demonstrably useful for others’ research, use the specific results, ideas, and procedures of fellow specialists, and fit in with existing knowledge. Within the task uncertainty dimension, strategic uncertainty refers to the degree to which scholars within a field share their understandings of the nature of the research object, whereas technical uncertainty refers to the degree to which common technical procedures are used in research. Institutionalization of cultural policy as an academic discipline can be divided into several areas:18 • Academia: in the framework of institutionalization, academia can be separated into disciplines and research centers. Cultural planning, cultural economics, sociology of culture, arts education studies, geography, marketing, political science, and many other

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15 Talcott Parsons et al. (eds.), Theories of Society: Foundations of Modern Sociological Theory, (New York: Free Press of Glencoe, 1961), 118. 16 Richard Whitley, The Intellectual and Social Organization of the Sciences, (Oxford: Oxford University Press, 2001).

17 ibid., 88.

18 Paquette/Redaelli (2015).

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19 H. Jamous/B. Peloille, “Professions or Self-Perpetuating System: Changes in the French University-Hospital System,” in: J. A. Jackson (ed.): Professions and Professionalisation, (Cambridge: Cambridge University Press, 1970), 109–152; Terence J. Johnson, Professions and Power, (London: The Macmillan Press, 1972); Paul Starr, The Social Transformation of American Medicine, (New York: Basic Books, 1982); Andrew Abbott, The System of Professions. An Essay on the Division of Expert Labor, (Chicago and London: The University of Chicago Press, 1988).

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disciplines intersects in the contemporary cultural policy research. We could say that for the latter, those interwoven connections are stronger than in other fields of public policy. Related to such interdisciplinary approach in the academia, there is the network of research centers and journals, which provide a necessary tool for the researchers to spread their ideas and stimulate the field of academic dialogue. Based on its interdisciplinary character, in cultural policy research the main journals also relate to cultural economics, cultural statistics and arts management and entrepreneurship. • Arts organizations: there are other spaces of knowledge production very close to research centers in academia; examples are museums and art galleries. Overall, however, arts organizations rarely have the time and resources for research on specific issues on arts management and cultural policy and most of the time they contract out, or rely on consultancy forms, to perform their research. • Government: different levels of government deal with the research in arts and culture in different ways. Research seems to be particularly relevant on national level, while local agencies and municipal authorities largely contract out their demand for research studies. • Private organizations: landmark studies in cultural policy have been conducted by consultancy firms working for clients as diverse as government officials, arts organizations, architects and developers. These studies had a direct impact on the cultural sector: they are commissioned by the sector’s actors in response to sectorial needs. In this setting, knowledge production is a service provided to an organization. Service organizations, foundations and, in particular, think tanks (private research organizations devoted to collecting information and data to support policy decisions) are key actors among private organizations in the production of research. Two main rationales of inquiry exist for these different institutional settings, differentiating the work of practitioners and scholars—technical rationality and reflection-in-action. Given that cultural policy is bound by academia and the practical world, the prevailing research model is one of professional knowledge linked to logic of practice based on tacit knowing-in-action. A natural issue is the (dis)interestedness of research in cultural policy. Based on Knorr-Cetina’s notion of epistemic culture, an attitude of “inter-est” is required, as well as an attitude that keeps in mind and appreciates the otherness of every agent in the field. But this brings issues of usage and misusage of research findings, known from all areas of research in cultural policy, for example in economic impact studies. Existing findings point to a connection between the strength of the institutional system of academic discipline and its performance in fulfilling its basic mission.19 A key component in the study of academic disciplines has been the issue of autonomy and relations between the profession and the state. While the classical view treated these relations in zero-sum

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terms, later treatments emphasized the indeterminacy of these relations. State-led professionalization (autonomy through the state) has emerged as an alternative route to profession-led professionalization (autonomy from the state), depending on state traditions.20 Christian Fleck has provided another related framework.21 He considers indicators of institutionalization of academic disciplines in social sciences and humanities as consisting of five pillars: 1. Research focuses on research institutions, professional associations and other research institutions in the different disciplines and their historical development 2. Teaching deals with academic curricula and degrees awarded in the different disciplines, the conditions of access to higher education training in these and the representation of different disciplines in secondary education 3. Output concentrates on academic output, which is obviously closely linked to the research dimension, and non-academic/popular science output and the roles as public intellectuals of representatives of the different disciplines. Common practices of publishing will be contrasted to quantitative measures of publishing in journals, books and other media. 4. People include numbers on personnel and their social background, the development of student numbers in tertiary education and some basic information on the job market for academics in the fields under study 5. Recognition deals with awards, rankings and other forms of public and academic evaluation In the following part of the article, we analyze the current state of Slovenian cultural policy in the light of this proposed framework. We provide a broad-but-critical view of the cultural policy situation in Slovenia and its relation to the (non)institutional structure of cultural policy research in Slovenia and, using insights into its historical, institutional and epistemic position, provide an explanation for its present condition. The more profound cultural policy changes that would go beyond the political transition from one party system to the representative democracy that marked the 1990s have not occurred at all if we have in mind how much pluralism has been introduced in the governing, regulation, organizing and funding of culture.22 The process inspired by the democratic idea was, in the case of the former Yugoslavia, somewhat different from that in the rest of the transitional post-socialist countries. This is due to the fact that the former Yugoslavia was not a typical socialist country.23 While still maintaining a one-party political system with totalitarian characteristics, some elements of political pluralism, market economy, and civil society had been introduced, resulting in a quasi democracy (the pluralism of so-called “self-management interests” and strong peer evaluation), quasi market (cultural organizations were allowed to generate their own earnings), and quasi-civil society (an independent

Vesna Čopič Andrej Srakar 20 Terry Johnson, “Governmentality and the Institutionalization of Expertise,” in: Terry Johnson/Gerry Larkin/ Mike Saks (eds.), Health Professions and the State in Europe, (London: Routledge, 1991), 7–24. 21 Christian Fleck/Johan Heilbron/Victor Karady/ Gisèle Sapiro: “Handbook of Indicators of Institutionalization of Academic Disciplines in SSH,” in: Serendipities. Journal for the Sociology and History of the Social Sciences 1(1), (2016). 22 Vesna Čopič, “Ideological Background of Empirical Ignorance,” in: Cultural Trends 18(2), (2009), 185–202. 23 After the spectacular split from Stalinist influence, socialist realism, a Marxist aesthetic doctrine that seeks to promote the development of socialism through didactic use of literature, art, and music, lost its relevance and the breakthrough of Western modernism (existentialism, phenomenology, reism, structuralism), together with “the counter-cultural styles of the young, ranging from beat and film noir to rock” (Council of Europe: “Cultural Policy in Croatia. National Report,” [Strasbourg: Council for Cultural Cooperation, 1999], 243), followed. Another factor of distinction is the development of the so-called “self-management system,” a unique social experiment that had already begun in the 1960s and reached its spring in the middle of the 1970s, causing Yugoslavia to develop its own version of socialism, i.e. self-management socialism. 24 The responsibility for cultural programming and the related allocation of public funds was delegated to the cultural

Cultural Policy Studies as an Academic Discipline in Slovenia communities, where it was debated and created by both producers and consumers of culture; theaters, museums, galleries, libraries, cultural centers, etc., were separate legal entities with full business and legal capacity and their own governing structures; cultural organizations were governed by employees. 25 The author of the system was aware of the increasing conviction of his contemporaries that “self-management is at best a formality, and at worst a fraud” (Jože Pirjevec, “Jugoslavija [1918–1992]. Nastanek, razvoj ter razpad Karadjordjevićeve,” in: Titove Jugoslavije [Yugoslavia (1918–1992): Establishment, development and decomposition of Karadjordjević’s and Tito’s Yugoslavia], [Koper: Založba Lipa 1995], 343). The system was considered utopian (Josip Županov, “Samoupravni socializem – konec neke utopije,” in: Teorija in praksa 26[11–12], 1989, 1387–1399). Self-management developed terminological idioms with little connection to reality and whose purpose was to distort and replace reality with moralist fabrications (Janko Kos, Duhovna zgodovina Slovencev [Spiritual history of Slovenes], [Ljubljana: Slovenska matica, 1996], 91). 26 Even though the self-management system did not attain its ambitious goals, it brought some basic quality to the cultural sector, such as direct revenues for the financing of cultural activities, a strong cultural administration that was aware of cultural needs, cultural development planning based on the model

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cultural scene operated under the legal status of associations, in principle envisaged for amateur culture). The process behind these changes is known as socialization (slov. podružbljanje).24 The system proved too complicated to be effective. Rather, it gave the political nomenclature a legitimate appearance while preserving its comprehensive authority.25 Nevertheless, the self-management system incorporated the majority of the cultural elite, which was allowed to manage the cultural sector as long as someone from the top did not find a decision questionable or wanted to make a decision by himself.26 At least nominally, this system of repressive tolerance established many of those rights that seemed, on the surface, to echo participatory or deliberative democracy27 and artistic autonomy. Therefore, to free arts and culture from strict ideological slavery was not enough and the cultural sector expected something more from the promise of democracy; only it had no idea of what that might mean or how it could be accomplished. It was not only in Macedonia,28 but also in general, that neither elected politicians nor the cultural elite had the vision or pragmatic knowledge to conceptualize and achieve the development of new, democratic and European-like cultural policy. Moreover, the cultural system, which had been privileged in the previous era by having the “task of ideological-legitimization” of the socialist social order,29 lost its ideological position and became “a sector like any other.” Therefore, its main concern became how to protect its existence, not how to democratize it. The elites—in the previous system forced to work in the framework of the public apparatus—have failed to recognize democracy as an opportunity to reinstate civil society and their role within it, and have done their best to prevent this from happening because the public sector provides greater security in terms of employment. The cultural institutions, established under the socialist regime, have taken a conservative position over the past thirty years of transition and have been presenting their existence as a matter of national interest.30 This reactionary standpoint has resulted in a professional, technological and infrastructural standstill,31 a kind of institutional fatigue.32 The situation was described as frozen in the Evaluation of the Slovenian Cultural Policy, which in 1996 was written under the auspices of the Council of Europe. Its main findings are: • The situation in the field of culture in Slovenia is at a standstill. • The characteristic mentality of public institutions, bureaucrats and state artists has been preserved. • The Ministry is a fire brigade/crisis headquarters, whereas its technical service operates the machine for the distribution of funding.33 One of the main concerns of development, following those lines, has been the disconnect between rhetoric and reality and between the bold language of cultural policy statements and the quotidian application of cultural policy programs.34 While cultural institutions are still considered a legal obligation of public authorities, public support to the independent cultural scene remains optional, which preserves the strict socialist

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division between institutional and non-institutional culture, now expressed through the performing of functions directly in-house under the centralized system of public servants instead of indirectly through the use of autonomously governed non-governmental organizations.35 This continued adherence to the institutional/statist approach suggests the need for a radical reassessment of the status quo in cultural policy. Instead of the democratization of the cultural system, two parallel systems have emerged, one intensively modernized via internationalization, capacity building and professionalization, and the other preserved within old operational patterns of traditional bureaucracy and state paternalism. The assistance that might fill the transitional gap in the cultural field cannot come from the EU since Article 167 of the TFEU (formerly Article 151 of the TEC) stipulates in Clause 5 that every action concerning culture at the EU level is subjected to the threefold requirement of: the exclusion of harmonization, the principle of subsidiarity, and qualified majority voting. As a result, the cultural sector is included in the process of EU integration mainly through the carrying out of other policies that deal with issues such as the tax policy with the harmonization of VAT, labor policy with the abolishment of discriminatory legal provisions for the employment of EU citizens, media policy with the concept of TV without Frontiers, and so on. In such a situation, the process of harmonization with the EU legal system actually deprives cultural policy of the possibility of itself being transformed. The modernization of individual cultural systems is left entirely to their respective national states.36 The best evidence of EU cultural restraint is offered by Slovenia, which went through the accession project without any substantial structural changes to its cultural system at all. The result is ever more public institutions, an increasing number of public servants, a growing percentage of expenditures for their salaries and an expansion of cultural production, all without any serious evaluation of what it means in the long run and what the effects are of this cultural model that remains to an ever greater extent unevaluated, unchallenged, and unchanged. What has remained—in a democratic system where there is no room left for the “internal wheel,” i.e. for the Communist Party that had always been able to intervene—is inertia that, in fear of neoliberalism, has evolved into a negative solidarity and closed-cultural-policy model. Is its democratization into an open, transparent and inclusive cultural-policy model possible without cultural policy studies as an institutional system based on reflective academic research and information infrastructure? We follow Fleck’s five-tier classification, elaborated previously, to describe the state of the art in the field. In 2002 and 2004, there were two attempts to establish a research infrastructure for cultural policy decision-makers. In 2002, the Ministry of Culture issued a public tender for financing a multi-annual research program.37 In the end, no one was selected, in spite of a positive response from the academic sphere. The official argument for the decision not to engage anyone was related to

Vesna Čopič Andrej Srakar where cultural providers met cultural users, an extensive peer-review system that contributed to the professionalization of cultural policy decision-making and the relative autonomy of cultural institutions as separate legal entities (Council of Europe: Cultural policy in Slovenia, [Strasbourg: Council of Europe Publishing, 1998], chap. 2.3). 27 However, there is a huge difference between the self-management system and participatory democracy. The first is based on mediators who are supposed to mediate the opinion of those who nominated them, which is not feasible because interests are always very different; and the second is based on representatives who have a mandate to act in favor of the voters. In order to avoid a situation where voters raise their voice only once every four years, participatory democracy developed a process emphasizing broad participation in the direction and operation of political systems. Participatory democracy strives to create opportunities for all constituents to make meaningful contributions to decision-making and seeks to broaden the range of people who have access to such opportunities. It is not a devolution of mandate and responsibility to some of the constituents, as is the case in the self-management model, but a deliberation that is open and transparent. 28 Zlatko Teodosievski, “Macedonian Cultural Policy. A Short Overview,” BIRN (Balkan Investigative Reporting Network) Regional Conference “Balkan, Media and Culture – Time for Change,” (Skopje, April 2010), 2. 29 Milena Dragićević Šešić/ Sanjin Dragojević, Arts

Cultural Policy Studies as an Academic Discipline in Slovenia Management in Turbulent Times, (Amsterdam: European Cultural Foundation, 2005), 29. 30 Vjeran Katunarić, “Toward the New Public Culture,” in: Nada Švob-Đokić (ed.): Cultural Transitions in Southeastern Europe, (Zagreb: Institute for International Relations, 2004), 24. 31 Nada Švob-Đokić, “Kulturni opstanak, nestanak ili transformacija u Kultura/Multikultura,” in: Nada Švob-Đokić (ed.), Hrvatsko sociološko društvo, (Zagreb: Hrvatsko sociološko dru, 2010), 40. 32 Dragan Klaic, Resetting the Stage. Public Theatre Between the Market and Democracy, (Bristol: Intellect, 2012), 123. 33 Council of Europe (1998). 34 Andrea Zlatar Violić, “Kultura i tranzicija: Od strategije kulturnog razvitka do menadžmenta u kulturi” (“Culture and Transition: From Strategy of Cultural Development to Management in Culture”), in: Sarajevske sveske 27/28, (Sarajevo: Mediacentar Sarajevo, 2010). 35 The term “independent” points out the difference with respect to public institutions, in which the governing structure (director and controlling council or board) is appointed by the public authorities, while NGOs are independent in this respect. The fact that “the term ‘independent’ was mocked on several occasions (in the media and at public meetings with the representatives of authority) on the grounds that autonomy could not exist as such since all activities were mostly being financed from public

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some fear that the ministry, as a commissioner of research, could not get sufficient guarantees for successful cooperation with the researchers. The second attempt to establish a research infrastructure occurred in 2004, when the same minister of culture, in the last weeks of her mandate, supported the idea to establish a Cultural Policy Laboratory as an NGO that would be granted five years of program funding for performing as a research infrastructure of the National Council for Culture. The idea was presented to the National Council for Culture, i.e. an independent body composed of persons enjoying public reputation and appointed for a period of five years by the Parliament on the proposal of the Government and supposed to direct the national strategy for culture. Some members were supportive in principle but refused to take any initiative in establishing such an entity saying that they are the experts themselves.38 The minister, who started his mandate on December 3rd, 2004 (and was as a future minister invited to this meeting) rejected the project as a suspicious legacy of the former government. Instead of asking himself “how best to transform data into information and information into evidence,”39 he opted for irrational considerations. It became clear that neither politicians, the cultural sector, nor the cultural administration were interested in having external information and a research infrastructure. A similar fate was struck by the Ministry of Culture’s 2009 attempt to launch a call for proposals for the selection of a provider of a twoyear management-training program in public institutions in the field of management culture. The call was even based on the Resolution on the National Program for Culture 2008–2011: “modernizing the public cultural sector with the help of well-trained cultural management staff.”40 Since the University of Ljubljana Faculty of Economics applied for the tender with references that could not be bypassed, the ministry stopped the public tender by explaining that it did not have enough resources. The project that could grow a full-time study program failed. A year later, an initiative by the same faculty—to establish an inter-university study program of cultural policy and management in culture—failed again in spite of the fact that the Faculty of Social Sciences, Academy of Music, Academy of Fine Arts, and the Academy of Theater, Film and Television also joined the initiative. However, the Faculty of Economics managed to organize a summer school for five consecutive years. In the future, it is expected to grow into a cultural management study program. Given that, with few exceptions, Slovenia does not have habilitated staff with academic references in the field of cultural policy and cultural management, only the academic curriculum and the list of its subjects will show how much this program can contribute to the institutionalization of cultural policy studies in Slovenia. Professionalization of cultural administration and cultural leadership requires new competences. The fact that a “common body of competence” in this field has not been standardized thus far hinders the launching of an effective study program and leaves a lot of space for amateurism.

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Management is generally regarded as a competence related to economy; policy analysis is a field within political studies, while culture is its own realm.41 In terms of academic output, Slovenian researchers score well in international terms, while being small in number. Publications have been featured in all leading international journals such as the International Journal of Cultural Policy, Journal of Cultural Economics, Cultural Trends, Journal of Arts Management, Law and Society, International Journal of Arts Management, Poetics, and the Journal of Cultural Heritage. None of the comparable ex-Yugoslavian countries features publications in these outlets and, among Eastern European countries, only Poland meets these criteria. Slovenian researchers are featured highly in international scientific organizations such as Compendium of Cultural Policies and Trends, ECURES, and the Association for Cultural Economics International. It is, therefore, not in terms of academic output that Slovenian researchers would lag behind other comparable countries. To our best knowledge, Slovenian researchers have so far not received any award of international acclaim for their cultural policy publications. A Slovenian researcher, though, has been for several years president of European Association of Cultural Researchers (ECURES) and another Slovenian researcher an editor of the recently founded (first in its field) Palgrave Macmillan book series on cultural economics. Also, Slovenian researchers have been multiple times included in scientific committees of leading international conferences in cultural policy and cultural economic research. Therefore, while we claim on the problems of non-institutionalization of the discipline, this seems even more absurd in the light of academic output, achievements and scientific ranks of key persons in the field where Slovenia is more than comparable with (and many times overpassing) its neighbors and comparable countries. The final diagnosis seems paradoxical and complicated. Slovenia features few key academic personalities in cultural policy studies and related disciplines. It features high academic output and recognition, but also an almost complete absence of institutional infrastructure, teaching possibilities, and broad people capacities. The situation can only be explained by a lack of stimulus to the development of the discipline as a consequence of historical and institutional forces described earlier. This seems to reverse the Luhmann’s classical openness-and-closeness perspective: the discipline is left in total autarchy where the expected differentiation of one’s own coding and programs is replaced by the domination of discourse driven from outside the discipline, laden with interests from its environment. Hence, even the discourse from artists and intellectuals remains uncoded within the (supposedly institutionalized) discipline and is therefore considered simply as noise.42 One could easily claim we are facing a premodern situation in terms of societal differentiation theories. Even more worrying, this discourse remains largely noise for cultural policy

Vesna Čopič Andrej Srakar resources” (Jurij Krpan, “The Long-Expected Withering Away of Public Institutions,” in: Teodor Celakoski et al. [eds.]: Open Institutions – Institutional Imagination and Cultural Public Sphere, [Zagreb, 2011], 30–32) only shows the public indifference to property rights that has its roots in the previous system with its anonymous social property and muddled governance. 36 Even worse, when the utmost political priority lies with European integration, cultural policy as a field of national sovereignty consequently loses its central position and becomes politically marginalized. 37 Official Gazette of Republic of Slovenia 99/100, (November 22, 2002), 8019. 38 Meeting on December 2, 2004. 39 J. Mark Schuster, Informing Cultural Policy. The Information and Research Infrastructure, (Newark, NJ: Center for Urban Policy Research, 2002), 21. 40 Official Gazette of Republic of Slovenia 35/08, (April 9, 2008), 3386. 41 Corina Şuteu, Another Brick in the Wall. A Critical Review of Cultural Management Education in Europe, (Amsterdam: Boekmastudies, 2006), 11–12.

42 Luhmann (1989).

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as practice—another sign of a premodern situation and complete chaos as a consequence of the forces in Slovenian historical and institutional development described in this article. Thus, despite numerous intellectuals and experts involved in cultural policy-making and strong critical voting in the academic sphere—experts who advocate more cultural and artistic autonomy—cultural-political discourse in Slovenia remains only at the level of a quasi-academic discipline.

Dóra Papp Free School The First Three Years

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Free School was a training program: it did not have an effect in a single encounter, but it was a long-term educational process with a series of workshops to introduce students to public life. The age limit for voting, the infantilizing system of public education, the tabooing of political issues at schools, all suggest to students that politics is for adults and is both incomprehensible and inaccessible. Krétakör’s Free School provided an opportunity for students to address current issues of public affairs and become familiar with different views before jumping to conclusions. They learned to map the defining connections and systems and find a creative form to express their thoughts. The program showed them that it is a really exciting and liberating challenge to deal with public issues. Since the majority of the targeted age group generally rejected dealing with issues of public life and does not believe that they can make a difference in social issues, one of the main objectives of the program was to reduce students’ resentment and aversion and to kindle their interest. One of the fundamental objectives of the Free School was to create integrated educational situations. Free School tried to achieve this through different ways in the different parts of the program. In the first year (2013/2014), the program was launched with a camp where students with dissimilar social backgrounds were invited. Students arrived from high schools and vocational schools; from state-, church-, and foundation-run institutions; from the capital city and from rural settlements of different sizes; and from across the border (Transylvania, Upper Hungary, Transcarpathia), which created a genuinely inclusive environment where differences appeared mainly as interesting things to be explored. Free School offered a five-month program during which they held biweekly meetings. The program dealt with examining the dominant systems— capitalism and democracy—of our society. Students met with experts and visited institutions, later they carried out public actions. They also implemented a staged intervention based on their own themes in Árpád Schilling’s performance, The Party. The first-year program was closed with a student-led, film-based game for their peers dealing with the difficulty of overcoming traumas.

Fig. 1: Students consulting with activists. Krétakör Free School Home project, 2014. Photo: Máté Tóth Ridovics

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Dóra Papp

Free School Home, the second academic year, was produced in cooperation with the Goethe Institute. In the Hungarian part of the program, a group of students from Miskolc, and another from Budapest, worked together for three-and-a-half months. Simultaneously, a group in Berlin also worked in the partner institution, the Theater an der Parkaue. Eleven high school students participated in the Budapest course of Free School Home, exploring the topic of housing poverty mentored by Máté Tóth Ridovics (professional manager) and Bálint Juhász (head of Free School). The groups deepened their knowledge through research work, presentations, and cooperation with experts and homeless-persons activists. They later created a guerilla campaign in the city, dealing with the issue of facing homelessness. Students, led by their mentors, came up with all the elements of the campaign, including the photos. The groups presented the concept to the activists, who commented on the ideas and many also agreed to participate as models in the campaign. By the end of the project, ninety-seven posters were made and posted on the streets.1 The students talked about their experiences at an educational conference organized by Krétakör. The Miskolc (a major city in eastern Hungary) part of Free School Home examined the topic of home in connection with the city’s ethnic-based displacement program with students living or learning near the area of the so-called “numbered streets” deemed for displacement. The program was closed with an urban walk highlighting the problems and a flash mob in front of the town hall, which brought people’s attention to the fundamental human right to a home. In the academic year 2015/2016, Krétakör Foundation offered its Free School program to schools who work with students forced out of state education (Burattino, Tanext, Tandem). The program became part of the schools’ curriculum for a semester during which they worked on skills that are key in building a democratic society: cooperation and independence, awareness and consciousness, solidarity and advocacy. In the third year, Free School attempted to create a democracy-education-at-school model. Participants dealt with the topic of migration and the refugee crisis and put together an educational program.

→ Fig. 1

1 http://home-budapest. kretakor.eu/.

Fig. 2: “Poor people worth less? We shall think otherwise!” The guerilla campaign, tackling the taboo of homelessness by depicting personal stories, in the inner city of Budapest in early 2015. Photo: Máté Tóth Ridovics

Free School

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Krétakör’s Free School was founded, and is managed, by director Árpád Schilling. The program ran between 2013 and 2016 with the coordination of program manager Bálint Juhász and managing directors Márton Gulyás and Linda Potyondi, and Director of the Goethe Institute in Budapest Jutta Gehrig, and with the participation of leading Hungarian educational professionals. Nearly two hundred students, from more than forty schools, participated in the program. The Party (a performance directed by Árpád Schilling) toured two European festivals. The second academic year’s guerilla poster campaign about homelessness was among the top ten projects of 2014 chosen by the design showcase Highlights of Hungary. In 2015, Bálint Juhász and three students of the Free School were invited to the international conference on cultural policy “Peripherie. Macht. Kulturpolitik,” organized by the University of Applied Arts Vienna. In 2016, Krétakör received the prestigious cultural honor, the Princess Margriet Award, acknowledging the foundation’s artistic and social work and educational program. The award was received by the students of the Free School in Amsterdam.

Michael Wimmer Kultur ist angeblich das, was in der Wissenschaft nicht verhandelt wird Zum Stand der kulturpolitischen Begleitforschung in Österreich

Der vorliegende Beitrag stellt eine österreichspezifische Überarbeitung des Textes „Kulturpolitikforschung in Österreich und in Deutschland. Beides probiert, kein Vergleich“ für den Sammelband von Daniel Gad/Katharina M. Schröck/ Aron Weigl (Hg.) (2019): Forschungsfeld Kulturpolitik. Eine Kartierung von Theorie und Praxis, Hildesheim: Universitätsverlag, S. 329ff., dar.

373 1 Teresa Indjein (2014) (zum Zeitpunkt der Veröffentlichung stellvertretende Leiterin der Kulturpolitischen Sektion im BMEIA): „Messen, was nicht zu messen ist“, in: Jahrbuch der Österreichischen Auslandskultur 2013, hg. vom Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres – Kulturpolitische Sektion, Wien 2014, S. 23–27, https://www. bmeia.gv.at/fileadmin/ user_upload/Zentrale/ Kultur/Publikationen/ Jahrbuch_2013.pdf. 2 Diesbezügliche Forderungen fanden sich vermehrt in der Anfangsphase der Tätigkeit der Bundesministerin für Bildung, Kunst und Kultur Claudia Schmied ab 2007, verloren sich aber schon bald. 3 Die fatalen Auswirkungen einer damit verbundenen institutionellen Unwissenheit zeigten sich an einem Fallbeispiel eines Bundesmuseums in Wien. Wie an alle Bundeskultureinrichtungen erging auch an dieses in der Ära Schmied in den späten 2000er Jahren der Auftrag, sich verstärkt um sogenannte „sozial benachteiligte“ bzw. „bildungsferne“ Schichten zu bemühen. Da das Haus über keinerlei Instrumentarium verfügte, diese Gruppen zu identifizieren, beschränkte sich das Management darauf, den Besuch aller Schulklassen aus den Wiener Randbezirken als erfolgreiche Umsetzung an das Ministerium zurückzumelden. 4 Zu einer ersten Einschätzung der Theaterreform 2003 erstellte das NPO-Institut eine Studie „Tanz- und Theaterszene in Wien Zahlen, Daten, Fakten unter besonderer Berücksichtigung der Effekte der Wiener Theaterreform 2003“, http:// epub.wu.ac.at/3634/1/ bestandsaufnahme_der_

„Evaluierung bedeutet alljährlich die Erstellung von Zahlenkolonnen, Tabellen, Listen, Kategorien, Zwischenergebnissen, gefolgt von der Auswertung des Jahreserfolges aller Kulturforen, Botschaften und Generalkonsulate, unsere gemeinsame Jahreskulturbilanz […] Und dann gibt es noch das, was sich der statistischen Erfassung gänzlich entzieht und vielleicht das Wertvollste unserer Arbeit ausmacht: die unvergesslichen Momente künstlerischen Erlebens.“1 Dieses Zitat von Teresa Indjein, Leiterin des Kulturressorts des Bundesministeriums Europa, Integration und Äußeres, stammt aus dem Vorwort des Jahrbuchs der Österreichischen Auslandskultur 2013. Als solches steht es exemplarisch für eine traditionelle kulturpolitische Haltung speziell in Österreich, die ein forschendes Interesse am Kulturbetrieb der Unmittelbarkeit des künstlerischen Ausdrucks negativ entgegenstellt. Da wird ein unversöhnlicher Gegensatz zwischen gängigen Evaluierungspraktiken, die meist von gegenüber Kultur aversen Kräften vorgeschrieben würden, und der Kunst und ihren Emanationen konstruiert. Daraus folgt zumindest indirekt die Schlussfolgerung, dass allfällige Ergebnisse, die hier auf Zahlenkolonnen oder Tabellen reduziert werden, kulturpolitisch tunlichst nicht handlungsleitend werden sollten, zumal sie von dem, um was es eigentlich geht, nämlich der Kunst und ihren Emanationen, nur ablenken würden. Der herausragende Wert der künstlerischen Hervorbringungen erschließe sich nur im subjektiven Umgang der unmittelbar damit Befassten; jeder intersubjektive Versuch der Darstellung und Analyse der jeweiligen Bedingungen, in denen Kunstproduktion, deren Vermittlung und Rezeption stattfinden, gefährde bloß deren auratische Einmaligkeit, die nur von Eingeweihten in vollem Ausmaß erfahrbar sei. Das Faktum, dass das öffentliche Engagement für die Auslandskultur in den letzten Jahren signifikant zurückgefahren wurde und zurzeit gerade noch bei rund vier Millionen Euro liegt, tut einem solchen Zugang zu staatlichem Verwaltungshandeln im Kulturbereich bislang keinen Abbruch. Auch in den anderen Kulturverwaltungen spielt der Aspekt der Begleitforschung nur eine sehr periphere Rolle. Forderungen nach mehr „Evidence-Based Policy“2 auch im Kunst- und Kulturbereich wurde bestenfalls in betriebswirtschaftlichen Zusammenhängen (und damit dort, wo sich existenzgefährdende wirtschaftliche Probleme im Kulturbetrieb nicht mehr verschleiern lassen) entsprochen.3 Daraus resultieren wohl die sehr engen, auf „Kontrolle“ bzw. auf quantitativ gefasste Daten bezogenen Vorstellungen von Evaluierung, deren handlungsleitende Ergebnisse zu einer vor allem ökonomisch gefassten Effizienzsteigerung führen sollen. Ausnahmen wie der Versuch der Stadt Wien, Änderungen der Förderpraxis im Theaterbereich zugunsten einer „Theaterreform“4 evaluativ zu begründen oder sich den eingeschlagenen kulturpolitischen Kurs bestätigen zu lassen,5 ändern nur wenig an der grundlegenden Skepsis gegenüber wissenschaftlicher Begleitforschung.

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Michael Wimmer

Im Zentrum der kulturpolitischen Entscheidungsfindung stehen in der Regel künstlerische Qualitätsansprüche von Vorhaben, deren Akteur*innen sich um öffentliche Förderung bemühen. Diese festzustellen blieb lange Zeit den dafür zuständigen Fachbeamt*innen überlassen. Seit den 1970er Jahren werden sie unterstützt von beratenden Gremien (Beiräten, Jurys), um die Subjektivität der individuellen Entscheidungsfindung mit intersubjektiven Einschätzungen von Expert*innen zu ergänzen. Wie schwer es ist, deren über Durchführung oder Nichtdurchführung entscheidenden Qualitätsvorstellungen hinlänglich zu versprachlichen, zeigt sich unter anderem in der Weigerung der meisten Kulturverwaltungen, den Antragsteller*innen inhaltliche Gründe für Zusagen, mehr noch für Absagen zur Verfügung zu stellen.6 Ein Blick auf das aktuelle Organigramm der Kunst- und Kulturverwaltung des Bundes macht deutlich, dass – im Gegensatz zu Kulturverwaltungen anderer Länder7 – diese über keine eigene Evaluierungsabteilung, somit auch über keinerlei diesbezügliche Fachexpertise verfügt.8 Der Vollständigkeit halber muss an dieser Stelle hinzugefügt werden, dass diese Form der gewachsenen strukturellen Ignoranz ihre Entsprechung in weiten Teilen der Kulturszene findet, die aus nur zu verständlichen Gründen die ohnehin knapp bemessenen Mittel eher für Aktionsformen denn für eine die Aktionen reflektierende Begleitforschung nutzen möchte. Dies umso mehr, als alle Ergebnisse, die über quantitative Daten (etwa in Form von Betriebsergebnissen oder Auslastungszahlen) hinausweisen, kaum Vorteile am immer umkämpfteren Fördermarkt bringen. Die traditionelle Wissenschaftsfeindlichkeit der „Kulturnation“ Österreich

Insgesamt zeichnet sich der österreichische Kulturbetrieb ebenso wie die Kulturpolitik und Kulturverwaltung durch eine fast schon ostentative Abwertung einer auch qualitativ orientierten Begleitforschung aus. Dies hat zu einem hohen Ausmaß an Personalisierung und Informalität der kulturpolitischen Entscheidungsfindung geführt. Die negativen Wirkungen zeigen sich unter anderem im tendenziell schwachen Standing des Kultursektors im Vergleich zu anderen Politikfeldern, die sich zur Legitimation ihrer Handlungsansprüche längst ein entsprechendes Evaluationsinstrumentarium als Mittel des Erkenntnisgewinns im Rahmen objektivierbarer und transparenter Entscheidungsprozesse9 zugelegt haben. Mit dieser wissenschaftsfeindlichen Grundhaltung vor allem im Kulturbereich unterscheidet sich die Kulturpolitik eines Landes, das sich gerne als eine „Kulturgroßmacht“ apostrophiert, fundamental von Zugängen anderer entwickelter Demokratien. Gesa Birnkraut weist in ihrer Publikation Evaluation im Kulturbetrieb10 nach, dass in den letzten Jahren etwa die Schweiz, die Niederlande, aber auch die meisten deutschen Länder dazu übergegangen sind, kulturpolitische Maßnahmen der öffentlichen Hand systematisch einer Begleitforschung zu unterziehen und damit eine neue

tanz-_und_theaterszene_in_wien.pdf. 5 Siehe dazu SORA (2015): Kulturelle Beteiligung in Wien, Wien: Eigenverlag, https://www.wien.gv.at/ kultur/abteilung/pdf/ studie-kulturelle-beteiligung.pdf. 6 Bis auf wenige Ausnahmen beschränken sich die meisten Gebietskörperschaften auf die Übermittlung formaler Begründungen wie „ausgeschöpfte Fördertöpfe“. Die IG Kultur bemüht sich seit vielen Jahren um ein „Recht auf sachliche Begründung von Förderentscheidung“ und will dieses, wenn notwendig, auch juristisch erstreiten. 7 So verfügt das Deutsche Goethe-Institut über eine eigene Strategie- und Evaluierungsabteilung. Es gehört mittlerweile zu den institutionellen Selbstverständlichkeiten, alle Kulturprogramme und Projekte einer begleitenden Evaluierung zu unterziehen. 8 Die zuständige Fachsektion II im Bundeskanzleramt „Kunst und Kultur“ weist im Organigramm keinerlei Evaluierungskompetenzen nach.

9 Dabei kann es auch in anderen Politikfeldern immer wieder zu politischen Entscheidungen kommen, die sich über wesentliche wissenschaftliche Erkenntnisse hinwegsetzen. 10 Gesa Birnkraut (2019): Evaluation im Kulturbetrieb, Wiesbaden: Springer.

Kultur ist angeblich das, was in der Wissenschaft nicht verhandelt wird

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„Evaluierungskultur“ zu implementieren mit dem Ziel, die Qualität der künftigen Entscheidungsfindung zu erhöhen. Entsprechende Maßnahmen sind verbindlich vorgeschrieben und unterliegen gesetzlichen Regelungen. In den betroffenen Ländern werden diese Tendenzen verstärkt durch privatwirtschaftliche Akteure wie Stiftungen, die mit ihren Aktivitäten – etwa im Bereich der Kulturellen Bildung – beträchtlichen Einfluss auf die Kulturlandschaften haben und zugleich besonders gefordert sind, ihre Maßnahmen nicht nur dem Faible einzelner einflussreicher Akteur*innen zuzuschreiben, sondern deren Ziele samt den Wegen zur Zielerreichung hinreichend zu legitimieren. Im Vergleich zu den konstatierbaren positiven Effekten, die die diesbezüglichen Ergebnisse für den Bedeutungszuwachs von Kunst und Kultur in einer breiteren Öffentlichkeit haben, sind mir nur wenige signifikante Einsprüche bekannt, die Evaluierungen hätten zu einer Beeinträchtigung künstlerischer Qualität geführt. Kultur ist angeblich alles, was sich nicht messen lässt

11 Siehe dazu auch den Beitrag in diesem Band: Michael Wimmer: „Phantom der Demokratie – Eine kleine Geschichte der österreichischen Kulturpolitik“.

Was sind nun die Gründe, die in Österreich zu dieser besonderen Form der Wissenschaftsfeindlichkeit im und rund um den Kulturbetrieb geführt haben? Ein kurzer Blick in die Geschichte der österreichischen Kulturpolitik11 macht deutlich, dass die konservativen Eliten, die nach dem Zweiten Weltkrieg den öffentlichen Kulturbetrieb dominierten, die Meinung vertreten haben, Kunst und Wissenschaft umfassend trennen zu müssen und so auf jegliche Form einer wissenschaftlich fundierten Begleitforschung der Bedingungen des Kunstschaffens verzichten zu können. Ihr hegemonialer Anspruch auf Kultur verstand sich – in nostalgischer Rückschau auf feudale Verhältnisse in einer vermeintlich besseren Vergangenheit – als quasi natur- bzw. gottgegeben. In diesem traditionell katholischen Land, in dem die Gegenreformation mit ihren sinnlichen Überwältigungsstrategien des Barock ihre größten Siege zu feiern vermocht hatte, bedurfte es für diese Form der Kunstreligiosität keiner weitergehenden Explikation. Daraus ergab sich eine bis heute wirksame Wissenschaftsfeindlichkeit, die darauf abzielte, der Sinnlichkeit des künstlerischen Ausdrucks die Fähigkeit zur Reflexion unversöhnlich gegenüberzustellen. Ihre Wortführer versuchten, die Behauptung der Einmaligkeit, Unvergleichbarkeit und Unmessbarkeit künstlerischen Handelns jedem Versuch einer (sozial-)wissenschaftlichen Analyse seiner Entstehensbedingungen zu entziehen. Anwalt dieser kategorialen Differenz war damals ein in autoritären Herrschaftsformen sozialisiertes Old-Boys-Network. An ihm sollte sich die junge Künstler*innen-Generation der Nachkriegszeit nachhaltig die Zähne ausbeißen, umso mehr, als diese ihr gegenkulturelles Tun ebenso wie die institutionellen Repräsentanten auf keinerlei gesellschaftspolitische Konzeptionen in der Frühphase der österreichischen Demokratie zu beziehen vermochte. Diese Form der Wissenschaftsaversion sollte sich mit der Übernahme der Bundesregierung durch die Sozialdemokratie unter Bruno Kreisky

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zumindest graduell ändern. Während der damals neue Bundeskanzler eine „durchaus radikale Kulturpolitik“ 12 einmahnte, die sich auch und gerade an bisher diskriminierte Künstler*innen richten sollte, entwarf der für Kulturpolitik zuständige Unterrichtsminister Fred Sinowatz erstmals die Grundzüge eines auf der gesellschaftspolitischen Reformstrategie der regierenden Sozialdemokratie aufbauenden kulturpolitischen Konzepts. Dieses enthielt neben den damals auch in Deutschland propagierten Demokratisierungsabsichten einen Passus zur „Transparenz und Objektivierung“ der kulturpolitischen Entscheidungsfindung.13 Die Umsetzung dieser neuen Prioritäten sollte als Ausweis der Modernität auch im Feld der Kultur erste Versuche einer kulturpolitischen Begleitforschung einläuten. Konkret wurde das Institut für empirische Sozialforschung IFES erstmals mit einer repräsentativen Studie zum kulturellen Verhalten der Österreicher*innen beauftragt.14 Das Ergebnis war ziemlich ernüchternd; das kulturelle Verhalten wurde insgesamt als ungenügend eingeschätzt, vor allem das zeitgenössische Kunstschaffen bleibe außerhalb des Erfahrungshorizontes der allermeisten Menschen. Die ernüchternden Befunde bewog Mitte der 1970er Jahre den engsten Kreis des Unterrichtsministers in einer Nacht-und-Nebel-Aktion einen „Kulturpolitischen Maßnahmenkatalog“ 15 zu formulieren. Dieser setzte sich zum Ziel, das Angebot des überwiegend von konservativen Kräften dominierten Kulturbetriebs breiteren Teilen der Bevölkerung zugänglich zu machen. Wesentliche Unterstützung erhielten die Autoren aus Deutschland, wo eine intensive kulturpolitische Diskussion rund um Hilmar Hofmanns Kultur für alle16 und Hermann Glasers Bürgerrecht Kultur17 ausgebrochen war. Diese Vorreiter einer „Neuen Kulturpolitik“18 vermeinten sich mit der Machtübernahme der Sozialdemokratie am Ende einer Unterdrückungsgeschichte, für deren Fortbestand ein elitärer, soziale Gruppen ausgrenzender Kulturbetrieb allzu lange Legitimation geliefert hatte. In ihren Überlegungen sollte fortan eine eng mit emanzipatorischer Politik verbundene (Sozio-) Kultur die Demokratisierung nicht nur des kulturellen Angebotes, sondern damit gleich der ganzen Gesellschaft vorangetrieben werden. Ich war selbst viele Jahre Mitwirkender an der Umsetzung dieses kulturpolitischen Maßnahmenkataloges. Als solcher leitete ich den Österreichischen Kultur-Service (ÖKS),19 dem als einer ministeriellen Vorfeldorganisation die Aufgabe zukam, im Rahmen vielfältiger Begegnungen vor allem mit dem zeitgenössischen Kulturschaffen das kulturelle Verhalten junger Menschen zu verbessern. In einer historischen Situation, die den gesellschaftlichen Fortschritt als historische Notwendigkeit sah, wusste sich der ÖKS getragen von der – in der Rückschau gesehen – doch recht naiven Hoffnung, dass alle Schüler*innen, die die Möglichkeit hätten, einem Komponisten beim Komponieren über die Schulter zu blicken, eine aktivere Rolle in der Gesellschaft einnehmen würden. Und erste Erfolge stellten sich ein. Diese wurden zwar nicht wissenschaftlich eruiert, dafür aber kabarettistisch interpretiert: Wieder war es ein Deutscher, diesmal Dieter Hildebrandt, der in einem Kabarettprogramm

Michael Wimmer 12 Bruno Kreisky (1977): „Die Kultur soll die Welt verändern“, in: Zeitdokumente 10, hg. vom KarlRenner-Institut, Wien.

13 Siehe dazu: Michael Wimmer (2011): Kultur und Demokratie. Eine systematische Darstellung der Kulturpolitik in Österreich, Innsbruck: StudienVerlag, S. 132f. 14 IFES (1975): Grundlagenforschung im kulturellen Bereich, Wien. 15 Veröffentlicht im Kunstbericht 1975 des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst, https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/ XIV/III/III_00044/ imfname_562668.pdf (10.2.2019). 16 Hilmar Hoffmann (1979): Kultur für alle. Perspektiven und Modelle, Frankfurt am Main: S. Fischer. 17 Hermann Glaser/Karl H. Stahl (1983): Bürgerrecht Kultur, Frankfurt am Main: Ullstein. 18 Siehe dazu u. a.: https:// www.kubi-online.de/ stichwort/neue-kulturpolitik (10.2.2019).

19 https://www.musiklexikon.ac.at/ml/musik_K/Kulturservice.xml (10.2.2019).

Kultur ist angeblich das, was in der Wissenschaft nicht verhandelt wird

20 Siehe dazu: https://www. zeit.de/2007/42/Kulturverhalten/komplettansicht (10.2.2019).

21 Damals forderte der französische Komponist und Dirigent Pierre Boulez: „Schlachtet die heiligen Kühe!“, http://educult. at/wimmers-weekly/%e2%80%9eachtung-demokratie%e2%80%9c/ (10.2.2019).

22 Jeff Bernard u. a. (1995): Strukturen autonomer Kulturarbeit in Österreich, Wien: Institut für soziosemiotische Studien.

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die Ergebnisse der zweiten Auflage der Befragung zum kulturellen Verhalten im Jahr 1981 dahingehend interpretierte, dass in Österreich ein Hang zum Zweitbuch zu konstatieren sei.20 Nicht alle fanden sich durch die auch nach Österreich überschwappende „Neue Kulturpolitik“ vertreten. Eine Reihe von Künstler*innen experimentierte an der Entstehung eines von staatlicher Einflussnahme unabhängigen, „freien“ Kultursektors. Daraus entstand sukzessive ein dichter werdendes Netz an regionalen Kulturinitiativen, dessen kulturpolitische Logik sich gegen die ungebrochene Übermacht eines bourgeoisen Kulturbetriebs21 richtete und sich ansonsten in einem – auf naivem Glauben an die Verbesserung der Welt beruhenden – Aktionismus erschöpfte. Es versteht sich fast von selbst, dass die meisten Vertreter*innen einer derart hart erkämpften Autonomie jede Form der (beauftragten) Begleitforschung als ungerechtfertigten Eingriff in die ängstlich verteidigte Eigenständigkeit ansahen. Im Nachhinein spricht vieles für den Befund, staatliche Kulturpolitik sei mit der Implementierung neuer Fördermaßnahmen zugunsten der „Freien Szene“ einen sehr zweischneidigen Deal eingegangen, bei dem bei der gemeinsamen Konstruktion eines Glassturzes exkludierende Eigenständigkeit gegen gesellschaftliche Wirkungslosigkeit getauscht wurde. Es blieb damals Jeff Bernard, einem Kollegen am Institut für Semiologie an der Universität für angewandte Kunst, vorbehalten, einen ersten wissenschaftlichen Systematisierungsversuch für diese neu entstehende Form einer auf Eigenständigkeit pochenden Kulturbetrieblichkeit zu unternehmen.22 Bereits Ende der 1970er Jahre zeigten sich erste Vorboten der Erschöpfung sozialdemokratischer Reformpolitik, die immer mehr der Versuchung unterlag, sich der Ideologie des Neoliberalismus zu unterwerfen; immer deutlicher manifestierte sich der Bedeutungszuwachs wirtschaftlicher Sichtweisen zu Lasten der Durchsetzung genuin politischer Interessen. Ein damit verbundener gesellschaftlicher Klimawandel hatte auch massive Auswirkungen auf den Kulturbetrieb. Deren Akteur*innen sahen sich im Zuge der ökonomischen Durchdringung aller Lebensbereiche in bislang unbekannter Weise mit einer ihnen weithin fremden Logik des Marktes konfrontiert. Auf dem Weg von sogenannten nachgeordneten Dienststellen staatlicher Verwaltung über Teilrechts- zur Vollrechtsfähigkeit wurden die großen Kultureinrichtungen mit einer Vielzahl von betriebswirtschaftlichen Untersuchungen befasst. Deren Ergebnisse sollten in der Folge die kulturpolitische Entscheidungsfindung zunehmend beeinflussen, ja ab den 1990er Jahren den weitgehend als alternativlos gesehenen Maßstab kulturpolitischen Handelns bilden. Die Kulturbetriebslehre ebnet den Weg von der Kulturpolitik zur Kulturwirtschaftspolitik

Auf dieser Grundlage konnte sich im universitären Bereich ein neuer Fachzusammenhang der Kulturbetriebslehre herausbilden. Dessen thematische

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Michael Wimmer

Felder wiesen schon bald über staatliche Kulturinstitutionen hinaus und bezogen den wachsenden Sektor der kommerziellen Kulturindustrie ein. Damit ist ein schleichendes Überhandnehmen einer weitgehenden „Verbetriebswirtschaftlichung“ von Kulturpolitikforschung23 zu konstatieren. Diese Entwicklung ging Hand in Hand mit neuen Ausbildungsformen im Bereich des Kulturmanagements, die dem wachsenden Anspruch an Professionalisierung des Kultursektors zu entsprechen suchen. Die Folgen zeigen sich erst heute in ihrem ganzen Ausmaß, wenn eine auf den Kulturbetrieb bezogene Kulturpolitik ihres politischen Kerns weitgehend entledigt erscheint (dessen verloren gegangene Ziele so auch nicht beforscht werden können). Stattdessen regieren ein auf Effizienz gerichtetes Kulturmanagement und sein auf Quantitäten gerichteter Datenbedarf. Dieser Prozess gestaltete sich freilich nicht stromlinienförmig. Immerhin nahm Österreich zu Beginn der 1990er Jahre am Europaratsprogramm zur Evaluierung der nationalen Kulturpolitiken teil. Wichtigstes Ergebnis einer Darstellung und Analyse der Kulturpolitik in Österreich24 war 1993 ein neuer, auch institutionell verankerter Kulturforschungszugang in Gestalt der Österreichischen Kulturdokumentation.25 Diese Forschungseinrichtung sollte sich in der Folge vor allem mit der Einschätzung europäischer Programme sowie mit Fragen der „Cultural and Creative Industries“ auseinandersetzen. Ebenfalls in den 1990er Jahren kam es unter dem sehr kunstaffinen Bundesminister Rudolf Scholten nochmals zu einem Aufleben programmatischen Denkens im Bereich der Kulturpolitik. In Fortsetzung des „Kulturpolitischen Maßnahmenkataloges“ wurde von der Forschungsgruppe IKUS ein Entwurf einer „Kulturpolitik für die neunziger Jahre“ 26 erstellt, der jedoch keine Form der Umsetzung finden und daher in Bezug auf seine möglichen Wirkungen nicht beforscht werden konnte. Ein ähnliches Schicksal sollte die kulturpolitische Initiative zur Formulierung eines Weißbuchs Kultur27 im Jahr 1999 erfahren, die im Nachhinein als wirkungslose Beschäftigungstherapie für eine Reihe von Expert*innen mit kulturpolitischen Ambitionen angesehen werden muss.

23 Siehe dazu etwa die Entwicklung des Instituts für Kulturmanagement und Gender Studies an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien, https://www.mdw. ac.at/ikm/ikm-bibliothek/kulturbetriebslehre/ (10.2.2019).

24 Siehe dazu Michael Wimmer (1995): Kulturpolitik in Österreich: Darstellung und Analyse, Innsbruck: StudienVerlag. 25 http://www.kulturdokumentation.org/ (10.2.2019).

26 Jeff Bernard u. a. (1992): Zur Diskussion: Kulturpolitik für die neunziger Jahre (= IKUS-Lectures – Materialien), Wien: IKUS – Institut für Kulturstudien. 27 Republik Österreich (1999): Weißbuch zur Reform der Kulturpolitik in Österreich, Wien: Falter.

Der erneuerte Anspruch der Rechten auf kulturelle Hegemonie kommt nicht mehr von der ÖVP, sondern von der FPÖ

Eine Zustandsbeschreibung der kleinen, weitgehend isoliert agierenden Kulturpolitikforschung darf nicht unerwähnt lassen, dass das österreichische politische System seit Mitte der 1980er Jahre einem fundamentalen Wandel unterliegt. Treibende Kraft dahinter ist die Freiheitliche Partei, die mit Jörg Haider die Abwehr von Fremden oder vielmehr des Fremden schlechthin zu ihrem zentralen Thema gemacht hat. Darunter versteht sie nicht nur Zugewanderte, sondern auch Künstler*innen oder Intellektuelle, die Kritik am rechtsradikal ausländerfeindlichen Kurs der Partei üben. Ihnen wird im Zuge eines neuen „Kulturkampfes“ die Zugehörigkeit zu einem „echten Österreichertum“ abgesprochen.28

28 Mit der Plakatierung des Slogans „Lieben Sie Scholten, Jelinek, Häupl, Peymann, Pasterk oder Kunst und Kultur?“ organisierte die FPÖ im Rahmen des Wiener Gemeinderatswahlkampfes 1995 einen „Kulturkampf“ und forderte „Freiheit der Kunst statt sozialistischer Staatskünstler“, http://www. demokratiezentrum.org/ wissen/bilder.html?index=562 (10.2.2019).

Kultur ist angeblich das, was in der Wissenschaft nicht verhandelt wird

29 Institut für Kulturmanagement und Kulturwissenschaft (2004, 2005, 2006): Bericht zur Kulturfinanzierung des Bundes, Wien. 30 https://www.statistik. at/web_de/statistiken/ menschen_und_gesellschaft/kultur/index.html.

31 EDUCULT (2007): „Vielfalt und Kooperationen – Kulturelle Bildung in Österreich“, Wien, http:// www.educult.at/wp-content/uploads/2011/08/ vielfalt_kooperation_gross2007.pdf (10.2.2019). 32 Siehe dazu etwa Max Fuchs (2016): Das starke Subjekt. Lebensführung, Widerständigkeit und ästhetische Praxis (Kulturelle Bildung), München: kopaed. 33 https://www.kunstkultur.bka.gv.at/documents/340047/651233/ kulturmonitoring_2007. pdf/db5005e50239-4531-9ec3e078420309a2 (10.2.2019).

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Die das traditionelle politische System herausfordernde FPÖ kam 2000 zusammen mit der ÖVP an die Regierung. Zur Befestigung ihres Machtanspruches mobilisierte die von europäischen Sanktionen bedrängte schwarz-blaue Bundesregierung nochmals erfolgreich den nostalgischen Reflex von der großen „Kulturnation“. Die Angst vor einer revanchistischen Kulturpolitik durch Schwarz-Blau I führte immerhin dazu, dass das Institut für Kulturmanagement in diesen Jahren anhand der jährlichen Kunstberichte eine fundierte Analyse der staatlichen Förderschwerpunkte vorlegte.29 Ihm ist auch ein stetes Bemühen um Fortsetzung der immer wieder bedrohten „Kulturstatistik“30 durch die Statistik Austria zu verdanken; sie erhebt jährlich die wesentlichen Besucher*innen-Zahlen im Kulturbereich. Als 2007 nochmals die Sozialdemokratie zusammen mit den Konservativen die Regierungsmacht übernahm, versuchte die Bundesministerin für Bildung, Kunst und Kultur Claudia Schmied zumindest zu Beginn ihrer Regierungstätigkeit, eine neue Kultur einer „Evidence Based Policy“ einzuführen. Dies ging einher mit einer stärkeren Berücksichtigung der Nutzer*innen, die in einer bislang stark produktionslastigen Kulturpolitik in ihren spezifischen Ansprüchen als weitgehend irrelevante Größe angesehen worden waren. Sie versuchte dabei, an den „Kulturpolitischen Maßnahmenkatalog“ der 1970er Jahre anzuknüpfen und sich in besonderer Weise für Kunst- und Kulturvermittlung stark zu machen. Dazu wurde bei EDUCULT auch eine Studie „Vielfalt und Kooperationen – Kulturelle Bildung in Österreich“31 in Auftrag gegeben. Schmieds Versuche, bislang benachteiligte Zielgruppen im Kulturbetrieb stärker zu berücksichtigen, folgten freilich nicht mehr vorrangig dem Erziehungsziel einer „Emanzipation eine starken Subjekts“,32 sondern der Erwartung, dank erhöhter Auslastungszahlen die Legitimation staatlich privilegierter Kulturinstitutionen zu stärken. Dies umso mehr, als ein Kulturmonitoring 2007 ergeben hat, dass staatliche Förderung im Kulturbereich von immer weniger Bürger*innen, zumal von solchen mit geringer Bildung, goutiert wird.33 Die Kontinuität des hohen Grades an Personalisierung der österreichischen Kulturpolitik zeigte sich auch in dem Umstand, dass die Nachfolgerin von Claudia Schmied als Unterrichtsministerin den Aspekt der Kunst- und Kulturvermittlung von ihrer Agenda streichen konnte, ohne dass dies zu gröberen Irritationen geführt hätte. Die neuen politischen Ziele der Kulturpolitik: Segregieren statt integrieren

Die zunehmende Rechtslastigkeit der österreichischen Bevölkerung, die sich unter anderem in der Bereitschaft zeigt, rechten bis rechtsradikalen Kräften an die Hebel der Macht zu verhelfen, findet ihren Niederschlag auch in einer neuen kulturpolitischen Prioritätensetzung. So konnte sich die Regierung Kurz I ab 2018 als nationales Rettungsunternehmen in Zeiten

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Michael Wimmer

unübersichtlicher Diversität positionieren Als vehementen Stützpfeiler eines rechten Hegemonieanspruchs formten Kurz und Strache Kulturpolitik zu einem politischen Instrument in einem erneuerten „Kulturkampf“ um. Als Lackmustest bei der Unterscheidung des „Eigenen“ vom „Fremden“ mutierte sie zum neuen Maßstab in nahezu allen Politikfeldern. Besonders hervor tun sich dabei deutschnationale Burschenschafter, die scheinbar nahtlos an nationalsozialistische Rhetorik anschließen und mittlerweile die FPÖ „übernommen“ und auch den Staatsapparat tief durchdrungen haben.34 Während ein auf Integration gerichteter Kulturbegriff zunehmend als Elitenprojekt denunziert wird, werden Menschen entlang ihnen zugeschriebenen kulturellen Unterschieden gegeneinander aufgehetzt. Dagegen formiert sich Widerstand, auch wenn die Kraft der Gewöhnung nach dem zweiten Anlauf von Schwarz-Blau dazu verleitet, sich mit den neuen (kultur-)politischen Verhältnisse zu arrangieren, selbst wenn dies bedeutet, damit wesentliche zivilisatorische Errungenschaften eines demokratisch verfassten Europas preiszugeben.35 Diese verhängnisvolle Entwicklung repräsentiert exemplarisch der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung Heinz Faßmann. Als anerkannter Wissenschaftler36 im Bereich Diversität und Integration lieferte er wesentliche Beiträge zur Darstellung und Analyse Österreichs als einer immer wieder neu geforderten Zuwanderungsgesellschaft; als politischer Repräsentant der Regierung Kurz I ordnete er sich nahtlos ein in den von der FPÖ dominierten Ausgrenzungs- und Diskriminierungskurs, um mit Maßnahmen zur Desintegration seine eigenen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu entwerten.37 Es blieb einzelnen Kulturforscher*innen wie Monika Mokre, Mitglied der Akademie der Wissenschaften, vorbehalten, mit Studien zur besonderen Prekarität geflüchteter Menschen zumindest alternative Zugänge offen zu halten.38 Die neuen kulturpolitischen Akteure und das neue Interesse an kulturpolitischer Begleitforschung

Positiveres kann von Initiativen der anderen Gebietskörperschaften berichtet werden. So haben sich einige Gebietskörperschaften in den letzten Jahren dazu entschlossen, ihre Kulturförderpraxis von externen Beobachter*innen genauer unter die Lupe nehmen zu lassen. Als Vorreiterin dafür gilt die Stadt Graz, die Tasos Zembylas bereits 2011 eingehend beforscht hat.39 Auch im Zuge eines größeren Interesses für Kulturentwicklungsplanung, das neben Städten wie Graz und Salzburg mittlerweile auch kleinere Gemeinden wie Gallneukirchen in Oberösterreich erfasst hat, bedienen sich die lokalen Kulturverwaltungen externer Unterstützung etwa in Gestalt von LIquA – Linzer Institut für qualitative Analysen.40 Im Rahmen von Einzelbeauftragungen versuchen vereinzelt externe Förderstrukturen wie der Unterstützungsfonds für Künstler*innen41 zu entscheidungsrelevanten Daten zu kommen und damit ihr Standing zu verbessern.

34 Siehe dazu etwa: https://kurier.at/politik/ inland/scharsach-ueber-die-fpoe-rechtsextreme-akademikerclique/283.584.852 (10.2.2019). 35 Dies zeigt sich aktuell an der Infragestellung der Menschenrechtkonvention durch den Innenminister, siehe dazu: https://derstandard. at/2000097149277/WieOesterreich-ohne-Menschenrechte-aussaehe (10.2.2019). 36 Heinz Faßmann ist Universitätsprofessor am Institut für Geographie und Regionalplanung. Bis 2006 war er Mitglied des Senats, danach Dekan der Fakultät für Geowissenschaften und bis 2017 Vizerektor an der Universität Wien, Obmann der Kommission für Migrations- und Integrationsforschung und Direktor des Instituts für Stadt- und Regionalforschung an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. 2018–2019 war er Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung im Kabinett Kurz I. 37 So meinte Faßmann als Politiker im Rahmen der Implementierung eines „Schulpaketes“, dieses sei wissenschaftlich nur sehr unzureichend begründet, diesbezügliche Entscheidungen seien politischen Prioritäten geschuldet. Siehe dazu etwa: https:// www.derstandard.at/ story/2000089083589/ fassmann-zu-notenin-der-volksschulees-ist-eine-politische (10.2.2019). 38 Siehe dazu etwa: Monika Mokre (2019): Solidarität als Übersetzung, Wien: transversal. 39 http://www.forschungsnetzwerk.at/ downloadpub/zemby-

Kultur ist angeblich das, was in der Wissenschaft nicht verhandelt wird las_Evaluierung_der_ Kulturfoerderung_Graz. pdf. 40 https://liqua.net/liq/forschung/bereiche/. 41 http://educult.at/forschungsprojekte/unterstuetzungsfonds-fuerkuenstlerinnen/. 42 Anke Schad (2019): Cultural Governance in Österreich – Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz, Bielefeld: transcript. 43 Siehe unter http://educult.at/forschungsprojekte/. 44 https://www.dieangewandte.at/studium/ artscience_en.

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Dem aktuellen Trend einer stärkeren Nutzer*innen-Orientierung entsprechend finden sich mittlerweile auch in Österreich die Ausläufer eines forschungsbegleiteten kulturpolitischen Trends von „Cultural Governance“, die versuchen, künftig möglichst alle Akteursgruppen in sie betreffende Entscheidungsprozesse einzubinden. Anke Schad hat in ihrer jüngst veröffentlichten Dissertation die Städte Linz und Graz genauer untersucht.42 Bereits aus der Ära Claudia Schmied und ihrem kulturpolitischen Schwerpunkt im Bereich der Kulturellen Bildung und Vermittlung herrührend, hat EDUCULT spezifische Methoden der qualitativen Begleitforschung43 entwickelt und in mehreren Fällen angewandt, um so den Bedürfnissen nach Qualitätsentwicklung der beforschten Programme und Projekte maßgeschneidert bestmöglich entsprechen zu können. Nicht zuletzt kann erwähnt werden, dass speziell die österreichischen Kunstuniversitäten verstärkt auf eine engere Verknüpfung von genuin wissenschaftlichen und künstlerischen Methoden des Erkenntnisgewinns setzen, um auf diese Weise die überkommenen kategorialen Trennungen zu überwinden. Die Universität für angewandte Kunst Wien bietet hierzu einen Masterlehrgang „Art & Science“44 an. Darüber hinaus hat die Universität mit meiner Habilitierung zum Thema „Kulturpolitikforschung“ ein entsprechendes Zeichen zur wachsenden Bedeutung der nicht nur kunst-, sondern auch sozialwissenschaftlichen Beforschung des Kunstfeldes gesetzt. Noch lässt sich freilich nicht abschätzen, ob aus diesen – weitgehend isoliert voneinander agierenden – Initiativen ein neues Interesse an einer „Evidence Based Cultural Policy“ generiert werden kann. Chancen und Grenzen der Kulturpolitikforschung in Zeiten einer rechten Kulturrevolution

45 Siehe dazu die in diesem Zusammenhang durchaus fragwürdige, weil Fehlschlüsse evozierende Initiative des Europarates „Cultural Participation and Inclusive Societies – A Thematic Report Based on the Indicator Framework on Culture and Democracy“. 46 Bundeskanzleramt (2017): „Zusammen. Für Österreich. Regierungsprogramm 2017–2022“, https://www.dieneuevolkspartei.at/download/ Regierungsprogramm. pdf.

Ob wir es wollen oder nicht: Die aktuellen Veränderungen der politischen Rahmenbedingungen haben gravierende Auswirkungen auch auf das Feld der Kulturpolitikforschung. Vieles spricht dafür, dass sich ihre Vertreter*innen nicht mehr auf einen advokativen Zugang werden beschränken können, wonach ein naives Mehr an Kultur als quasi automatische Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse gilt.45 Stattdessen wird die kleine Szene nicht darum herumkommen, die politischen Implikationen jeglicher Änderung der Kulturbegrifflichkeit und damit sich dramatisch verändernder politischer Rahmenbedingungen in den einschlägigen kulturpolitisch gerichteten Forschungszugängen stärker zu berücksichtigen. Eine rechte Kulturrevolution ist drauf und dran, unsere Vorstellungen von Kultur samt den damit verbundenen gesellschaftspolitischen Auswirkungen nachhaltig zu verändern. Wenn im Regierungsprogramm 201746 das Schlagwort Evaluierung noch als versteckte Drohung zur politischen Umfärbung der Bundestheaterholding verhandelt wurde, könnten sich vor allem die liberalen demokratischen Kräfte in und rund um den Kulturbetrieb nochmals darauf

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besinnen, dass das Angebot zur wissenschaftlichen Begleitforschung nicht ausschließlich als Eingeständnis der eigenen Schwäche und eines damit verbundenen Kontrollbedarfs interpretiert werden muss, sondern in erster Linie als eine Möglichkeit, mit Hilfe einer Spiegelung von außen mehr über die eigenen Vorhaben zu erfahren und so das eigene Standing zu verbessern. Im Beitrag „Kulturelle Wert-Schätzung“47 habe ich darauf hingewiesen, dass Evaluierung nicht in erster Linie als fremdbestimmte Kontrolle, sondern als Ausdruck selbstbestimmter Wert-Schätzung verhandelt werden sollte, wenn es gelingt, die Evaluationsergebnisse in die eigenen Handlungsstrategien zu integrieren. Diese und andere Methoden vor allem der qualitativen Begleitforschung erlauben es, mit Hilfe von „Critical Friends“ aus Erfahrungen zu lernen und sowohl nach innen als auch nach außen die eigenen Handlungslogiken besser zu argumentieren. Entgegen den Befürchtungen der Fremdbestimmung schafft die Arbeit an den Rahmenbedingungen überhaupt erst Voraussetzungen für die Realisierung von künstlerischem Eigensinn. Teresa Indjein hat recht, wenn sie vor einem unübersichtlichen Übermaß an Tabellen und Zahlenkontrollen warnt, die das Interesse an künstlerischem Schaffen unter sich begraben. Nicht jede Form der Begleitforschung ist hilfreich, dementsprechend wichtig ist die möglichst gemeinsame Klärung der Evaluationsziele und der damit verbundenen Methodenwahl. Dort aber, wo wir alle gefordert sind, auf immer neue Weise die gesellschaftliche Relevanz künstlerischer Tätigkeiten im demokratisch verfassten Gemeinwesen zu erhöhen, sollten wir überkommene Hierarchisierungen von Wissenschaft und Kunst zu überwinden suchen und uns nicht völlig auf die Intuition einzelner, oft nur schwach legitimierter Entscheidungsträger verlassen. Indjein und ihre Kolleg*innen, die wesentlich über die Gelingensbedingungen künstlerischer Produktion, -vermittlung und -rezeption verfügen, wären daher gut beraten, neben ihren ganz persönlichen künstlerischen Interessen hinreichend quantitative und qualitative Daten zu erheben (bzw. von externen Fachleuten erheben zu lassen). Von den Kompetenzen zu deren Interpretation48 wird es abhängen, die möglichst optimalen Voraussetzungen dafür zu schaffen, worum es uns allen geht: die gleichberechtigte Ermöglichung künstlerischer Erfahrungen für möglichst viele Menschen und den damit verbundenen Erkenntnisgewinn in einer zunehmend unübersichtlichen und komplexer werdenden Welt.

Michael Wimmer

47 Michael Wimmer (2016): „Kulturelle Wert-Schätzung. Perspektivische Überlegungen zum Thema Evaluation vor dem Hintergrund eines neuen Interesses an Publikumsforschung“, in: Patrick Glogner-Pilz/ Patrick S. Föhl (Hg.): Handbuch Kulturpublikum. Forschungsfragen und -befunde, Wiesbaden: Springer, S. 635ff.

48 Eine gute Einführung hierfür bietet u. a.: Verena Hennefeld/ Reinhard Stockmann (2013): Evaluierung in Kultur und Kulturpolitik. Eine Bestandsaufnahme, Münster: Waxmann. Dazu findet sich ein aktueller Überblick über die kulturpolitische Forschungslandschaft vor allem in Deutschland in: Gad/ Schröck/Weigl (2019).

Barbara Urban Kooperationen und außerschulische Lernorte als Chancengeber Eine Darstellung aus der Praxis in der Grundschule

387 1. Einleitung

1 Jürgen Oelkers (2012): „Schule, Kultur und Pädagogik“, in: Hildegard Bockhorst/Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss/ Wolfgang Zacharias (Hg.): Handbuch Kulturelle Bildung, München: kopaed, S. 152–154.

2 Herbert Altrichter/Peter Posch (2009): „Schulen 2020 – Projektionen aufgrund gesellschaftlicher Entwicklungstendenzen“, in: Dorit Bosse/Peter Posch (Hg.): Schule 2020 aus Expertensicht. Zur Zukunft von Schule, Unterricht und Lehrerbildung, Wiesbaden: VS Verlag, S. 31–38, hier S. 32. 3 Max Fuchs/Tom Braun (2011): „Zur Konzeption und Gestaltung einer kulturellen Schulentwicklung“, in: Tom Braun (Hg.): Lebenskunst lernen in der Schule. Mehr Chancen durch Kulturelle Schulentwicklung, München: kopaed, S. 228–260, hier S.  47. 4 Elisabeth Safer (2006): Wien als Mekka der Kunsterziehung. Die Wiener Jugendkunstklasse von Franz Cizek dokumentiert in Briefen, Wien: Österreichischer Kunst- und Kulturverlag, S. 8–11. 5 Österreichische UNESCO-Kommission (2019): „Vielfalt kultureller Ausdrucksformen. Freiräume für Kunst und Kultur“, Absatz 1, https://www.unesco. at/kultur/vielfalt-kultureller-ausdrucksformen (28.7.2019).

Im System Schule kann/sollte/müsste kulturelle Bildung mit dem Prozess der Schulentwicklung einhergehen. Zielsetzung im kulturell-bildenden Bereich ist die Eröffnung von Zugängen, die Einzelpersonen, unabhängig von deren Alter, zu dauerhaftem Interesse und der Chance, Kooperationen mit ästhetischen Fächern herzustellen, verhilft.1 Die Grundschule, der gemeinsame Lernort der Sechs- bis Zehnjährigen, stellt die ideale Basis dar, um der Forderung nach Partizipation gerecht zu werden. Herbert Altrichter und Peter Posch beschreiben in ihrer Vision von „Schule 2020“ die Schule als Lebensraum bzw. soziales und kulturelles Zentrum, in dem Kinder und Jugendliche in enger Verbindung mit dem kulturellen Umfeld gestaltend tätig sind. Den Lernenden werden Handlungsspielräume und Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet, um in der Gesellschaft eine konstruktive Rolle spielen zu können.2 Dies umfasst sowohl eine ästhetisch-künstlerische und kreative Dimension als auch kulturpädagogische Arbeitsprinzipien.3 Richtet man den Blick zurück auf vergangene Tage, ist es unverzichtbar, das Wirken des Malers und Kunsterziehers Franz Čižek (1865–1946) in Wien zu erwähnen. Aufgrund seiner Intention, Kinder für Kunst zu sensibilisieren, kam es zur Etablierung der ministeriell genehmigten Jugendkunstklasse. In Folge avancierte Wien in dem Zeitraum 1920 bis 1937 zum „Mekka der Kunsterziehung“.4 Bedauerlicherweise ist dieser weltweite Glanz im Laufe der Jahrzehnte verloren gegangen. Natürlich gibt es vielfältige Initiativen, Projekte und Prozesse an zahlreichen schulischen Institutionen. Allerdings fehlt – im Sinne des Großen und Gesamten – deren Stärkung, Anerkennung und Transparenz seitens der Behörde im österreichischen Schulwesen. Die österreichische Kulturpolitik sollte sich laut der Österreichischen UNESCO-Kommission der „Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“ annehmen, mit der die Brücke des Schaffens, der existierenden Angebote und der Teilhabe im kulturellen Feld von der Kulturpolitik zur Bildungspolitik geschlagen wird.5 Diese Unterstützung und Vernetzung weist in Österreich mit Sicherheit noch Handlungsbedarf auf. Die Bevorzugung der MINT-Fächer, der Aufholbedarf bei digitalen Kompetenzen und der Anspruch, standardisierte Überprüfungen erfolgreich zu meistern, drängt Kunst, Kreativität, Ästhetik im schulischen Feld seit geraumer Zeit in die hinteren Reihen. Es bedarf in diesem Kontext einer dringenden Veränderung. Einzelne Schulstandorte schaffen den Spagat zwischen momentan favorisierten Bildungsschwerpunkten und dem bedeutsamen Feld der kulturellen Bildung. Die Rolle der Leitung ist in diesem Zusammenhang von großer Wichtigkeit und geht einher mit der aktiven Teilhabe des Kollegiums. Doch dies ist bei Weitem nicht die einzige Form der Kooperation. Vielfältige Stakeholder, beispielsweise Expert/innen aus der Elterngruppe, Künstler/innen und Kulturinstitutionen, stehen der Zusammenarbeit mit schulischen Institutionen offen

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Barbara Urban

gegenüber. Darüber hinaus ermöglichen Angebote von KulturKontakt Austria ein weites Spektrum der Kooperation mit Vertreter/innen der unterschiedlichsten Kunstsparten. Die Gestaltungsmöglichkeiten sind in dieser Beziehung im Idealfall weder auf eine separate Schuleinrichtung noch auf den nationalen Kontext beschränkt. So kann die Teilhabe an Lernprozessen nach den „Prinzipien Kultureller Bildung“ von Brigitte Schorn6 für alle Schüler/innen im Bildungsbereich zur Realität werden. In diesem Zusammenhang muss auch den Universitäten und Fachhochschulen für Kunst eine bedeutende Rolle zugeschrieben werden, Synergien und nachhaltig verankerte Kooperationen mit schulischen Bildungsinstitutionen könnten vorhandene Potenziale erweitern und qualitätsprägend wirken. In Anlehnung an die „Road Map for Arts Education“7 gilt es, den Fokus auf die aktive Einbindung von Lernenden in Prozessabläufe zu legen. In jedem einzelnen Menschen steckt kreatives Potenzial. Ein fruchtbares Umfeld ermöglicht dessen Förderung und stärkt die Fähigkeit zu Selbständigkeit, kritischer Reflexion und der Freiheit im Denken und Handeln.8 Die Darstellung möglicher Formen der Realisierung kultureller Bildung im schulischen Feld – vielfältige Kooperationen und Lernorte inkludierend – und damit verbundener Chancen ist Zielsetzung dieses Beitrages.

6 Brigitte Schorn (2009): „Prinzipien Kultureller Bildung integrieren. Praxisorientierte Anregungen für Kooperationsprojekte und kulturelle Schulentwicklung“, in: Kulturelle Bildung. Reflexionen. Argumente. Impulse 3, S. 7–9. 7 UNESCO (2006): „Road Map for Arts Education. Leitfaden für kulturelle Bildung. Schaffung kreativer Kapazitäten für das 21. Jahrhundert“, http:// www.unesco.org/new/ fileadmin/MULTIMEDIA/ HQ/CLT/CLT/pdf/Arts_ Edu_RoadMap_en.pdf (4.12.2016). 8 Ebd., S. 4.

2. Realisierung von Kooperation in der Praxis

Kooperationen an einem Standort und über dessen schulische Mauern hinaus können Sinnstifter sein. In diesem Zusammenhang ist es von Bedeutung, dass die Gestaltung nicht als punktuelle Konsumation eines Angebotes erfolgt, sondern ein längerfristiger, partizipativer Prozess angestrebt wird. Dies kann eine im Jahreskreis wiederkehrende Verankerung bedeuten oder auf individuellen Entscheidungen der Klassengemeinschaften und/oder Lehrpersonen basierend umgesetzt werden. Kulturelle Bildung und damit in Verbindung stehende Kooperationen, Prozesse und Projekte sind nicht als eine Andersartigkeit des Lernens zu verstehen, sondern „als Teil der Umsetzung aktueller Bildungskonzepte“9 zu interpretieren. Unabhängig davon, ob Umsetzungen einmalig, kontinuierlich, wiederkehrend oder nach individuellen Entscheidungsprozessen erfolgen, bedarf es für die agierenden Lehrpersonen der Gewissheit, dass sie mit der Akzeptanz und Annahme von Seiten der schulischen Leitung rechnen können. Bei Kooperationen in einer Region oder im internationalen Kontext ist zusätzlich der Support auf Ebene der Schulaufsicht unverzichtbar. Einige exemplarische Beispiele, deren Umsetzung an dem von mir geleiteten Volksschulstandort im Schuljahr 2018/19 erfolgte, sollen den Brückenschlag von der Theorie in die Praxis ermöglichen.

9 EDUCULT (Hg.) (2017): Flickwerk Kultur. Eine Handreichung zu kultureller Bildung an Schulen, Wien: Stadtschulrat für Wien, S. 11.

Kooperationen und außerschulische Lernorte als Chancengeber

389 Esskultur im Wandel der Zeit GRUNDLEGENDE IDEE / BEZUGNAHME ZU DEN LEBENSWELTEN ALLER INVOLVIERTEN AKTEUR/INNEN: Was kochen und essen wir heute? Vor-

bereitung – Zubereitung – Kochen – Anrichten. Diese Gedanken, Überlegungen und Fragen beschäftigen die Menschen – in der heutigen Zeit nicht mehr nur Frauen, sondern in zunehmendem Maße auch Männer – jeden Tag aufs Neue. Die Antworten auf diese Fragen sind aber auch das Ergebnis der Kulturgeschichte des Essens und führen oftmals in die Vergangenheit zurück. Seit es Menschen gibt, sind sie darauf angewiesen, ihren Hunger zu stillen. Die Befriedigung dieses Grundbedürfnisses wurde zu einem wesentlichen Antrieb für die Entwicklung der menschlichen Zivilisation. Überall entstanden die verschiedensten Formen der Essenszubereitung, der Vorratshaltung und der Küchenausstattung.

KOOPERATIONSPARTNER/INNEN:

• 25 Schüler/innen der 1MSK (1.–4. Schulstufe) • Klassenlehrerin, Begleitlehrer/innen, Werklehrerin, Native Speaker Teacher • Expert/innen aus der Elterngemeinschaft (Architekt/innen, Köche) • Lesepat/innen • Student/innen der PH Wien • Außerschulische Expertin (gesunde Ernährung) • NMS in Schulnähe (Benutzung der Lehrküche) • Wirtschaftsmuseum • Kunsthistorisches Museum • MAK • Urgeschichtsmuseum KURZDARSTELLUNG: Der Einstieg in das Projekt Esskultur im Wandel der Zeit erfolgte mit dem Buch Die kleine Raupe Nimmersatt von Eric Carle (1969), das in Folge auch in der englischen und französischen Ausgabe gelesen wurde. Im Herbst bereiteten die Kinder gemeinsam mit dem Native Speaker Teacher ein „English breakfast“ zu. In der Vorweihnachtszeit machten die Lernenden der Klasse in Zusammenarbeit mit den Lehrpersonen und einigen Eltern eine kulinarische Reise durch europäische Länder. Dies ging mit der intensiven Auseinandersetzung mit Traditionen rund um Weihnachten einher. Der Besuch des Wirtschaftsmuseums ermöglichte den Wissenserwerb über die Entwicklung der traditionellen Wiener Küche und all ihre Einflüsse. Einblicke in die Entwicklung der Kücheneinrichtungen – von der einfachen Kochstelle mit darüber hängendem Kessel bis zur Frankfurter Küche, basierend auf den Entwürfen der Wiener Architektin Margarete Schütte-Lihotzky – konnten an vielfältigen außerschulischen Lernorten gewonnen werden. Die Gestaltung und Anfertigung von flexiblen Küchenmodulen für die wöchentliche gesunde Jause der Klasse wurde in Kooperation mit Architekt/innen

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aus der Elternschaft und Studierenden der PH Wien realisiert. Dabei gelang es den Lernenden auch, ein Raumgefühl für die auf 6,5 m2 konzipierte „moderne Einbauküche“ aus dem Jahre 1926 zu entwickeln. Ebenfalls fand eine Begegnung mit der Thematik im künstlerischen Bereich statt. Bei der Betrachtung der Bauernhochzeit von Pieter Bruegel im Kunsthistorischen Museum begaben sich die Teilnehmer/innen beispielsweise gemeinsam mit der Kunstvermittlerin auf eine spannende Entdeckungsreise. Die Gepflogenheiten des kulinarischen Genusses am kaiserlichen Hof und damit verbundene Überlieferungen stießen ebenfalls auf großes Interesse. Am Schulstandort wurde während der über ein Schuljahr laufenden thematischen Schwerpunktsetzung seitens der Schüler/innen entworfen, kreiert, getüftelt, diskutiert, gestaltet, gekocht und genossen. Eine festliche Tafel mit passenden Weisheiten, Reimen, Gedichten und einem herrlichen Mahl ermöglichte, den vielfältigen Prozess zum Thema Essen feierlich abzurunden. Dies bot auch die Gelegenheit, der Präsentation außerhalb des Klassenverbandes und der Anerkennung durch Eltern, Schulleitung und weitere Akteur/innen ausreichend Raum zu geben. Superhelden – Graphic Novel GRUNDLEGENDE IDEE / BEZUGNAHME ZU DEN LEBENSWELTEN ALLER INVOLVIERTEN AKTEUR/INNEN: Superheroes sind faszinierend, so auch

für die Schüler/innen der 4C. Wie sieht ein Superheld aus? Gibt es nur männliche Heroes? Was macht den Unterschied zu einem „normalen“ Menschen aus? Welche Superkräfte bzw. außergewöhnliche Fähigkeiten kann ein Superheld/eine Superheldin haben? Wie kann die Kleidung solch einer Figur gestaltet sein? Benötigt solch ein Heroe eine Maske und ein eigenes Logo?

KOOPERATIONSPARTNER/INNEN:

• 25 Schüler/innen der 4C (4. Schulstufe) • Klassenlehrerin, Begleitlehrer/innen, Werklehrerin, Native Speaker Teacher • Eltern • Lesepat/innen • Student/innen der PH Wien • Erasmus+-Projekt Soundwords (Lehrpersonen und Lernende der kooperierenden Partnerinstitutionen aus Malta, Bologna, Birmingham, Barcelona, Recklinghausen und Wien) KURZDARSTELLUNG: Die Schüler/innen der 4C starteten mit der Kreation einer/eines persönlichen Superheldin/Superhelden in Form einer bildnerischen Darstellung. Beschreibend wurden die Charaktere der Figuren festgehalten und jeweils ein Logo designt. Jedes Kind der Klasse gestaltete eine Maske seiner Protagonistin/seines Protagonisten und schlüpfte selbst in diese Rolle. Gedanken über Kostüme der Held/innen wurden angestellt. Die Lernenden setzten sich mit viel-

Kooperationen und außerschulische Lernorte als Chancengeber

10 Tobias Fink (2017): „Kunden, Dienstleister, Partner und Komplizen: Formen der Zusammenarbeit zwischen Schulen und Kultureinrichtungen“, in: Tobias Fink/ Doreen Götzky/Thomas Renz (Hg.): Kulturagenten als Kooperationsstifter? Förderprogramme der Kulturellen Bildung zwischen Schule und Kultur, Wiesbaden: Springer VS, S. 171–200, hier S. 176f.

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fältigen Fragen auseinander: Wie kann mein Superheld seine Kräfte einsetzen? Sind diese Kräfte positiv oder negativ? Helfen und retten sie andere Personen oder zerstören und erschrecken sie jemanden? Wie kann ich diese Fähigkeiten für Außenstehende sichtbar machen? Möchte ich einige Symbole verwenden? Wenn ja, welche? In der Entwicklung der eigenen Graphic Novel sollten die Schüler/ innen die Aufgabenstellung des Einsatzes mindestens einer Sprechblase, eines Soundwords und der Verdeutlichung des Charakters individuell lösen. Nach einer intensiven Arbeitsphase hatte jedes Kind der Klasse die Chance, seine Arbeit zu präsentieren. Diese Umsetzungsphase schloss im ganzheitlichen und vernetzten Sinn alle Fächer und vielfältige Akteur/innen mit ein. Nachdem die bildnerische Umsetzung aller Comics fertiggestellt war, wählte jedes Kind einen Weg, um ihren/ seinen Comic zu präsentieren – entweder in Form eines Rollenspiels (Theater) oder eines Schattentheaters, eines Liedes, eines Rap, eines Tanzes oder eines Improvisationstheaters. Diese Entscheidung lag in der Eigenverantwortung von jeder/m Lernenden. Die Herstellung von Bühnenrequisiten, das Verfassen von eigenen Texten zur jeweiligen Geschichte und die Zusammenstellung des gesamten Präsentationsablaufes waren von gegenseitiger Hilfe, Offenheit, Reflexion und Motivation aller teilhabenden Personen geprägt. Im Teamwork mit den kooperierenden Institutionen des Erasmus+-Projektes Soundwords gelang eine Verwirklichung und Darbietung über die nationalen Grenzen hinaus. Diese Beispiele aus der Praxis verdeutlichen, dass eine Vielfalt an Kooperationsumsetzungen möglich ist. Kulturell-bildende Kooperationen, Prozesse, Projekte finden an zahlreichen Bildungseinrichtungen mit schulexternen Partner/innen, beispielsweise Kulturschaffenden, Kunstschaffenden, Kulturvermittler/innen, Museen, Theatern, Konzerthäusern und Universitäten, statt. Schulen benötigen Partner/innen, um einerseits den Schüler/innen Lernorte ergänzend zu dem schulischen Setting zu eröffnen und andererseits Innovationen im Bildungswesen umzusetzen. Durch die allgemeine Schulpflicht entsteht außerdem die Chance, in diesem Kontext der kulturellen Bildung alle Bevölkerungsgruppen zu erreichen.10 Es gilt, allen Kunstsparten – bildender Kunst (Malerei, Grafik, Bildhauerei …), Musik (Interpretationen, Kompositionen, Vokalstücke …), darstellender Kunst (Theater, Tanz, Film …) und Literatur (Essay, Lyrik, Drama, Epik …) – bei der Planung, Realisierung und Stiftung von Kooperationen mit gleicher Wertschätzung und Offenheit zu begegnen. Mit Expert/innen zu kooperieren kann einer Lehrperson unter Umständen auch helfen, fehlendes Know-how in einer Kunstsparte zu kompensieren. 3. Visionäre Ausblicke

Die Prägung und Durchführung von Kooperationen steht in einem starken Zusammenhang mit den Rahmenbedingungen. Erwartungen, Ressourcen

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und Entscheidungsspielräume müssen angesprochen, mitgedacht und immer wieder reflektiert werden. Personelle Ressourcen, die Analyse von Kosten, optionale Förderungen, Terminvereinbarungen und örtliche Gegebenheiten sind Bereiche, denen sich die Organisationsleitung der Kooperation stellen muss. Begründet durch meine berufliche Praxis ist mir bewusst, dass der Wunsch nach zusätzlichen personellen und finanziellen Ressourcen ständiger Begleiter im schulischen Alltag ist. Da eine generelle Erweiterung in diesem Segment leider nicht realistisch ist, erscheint die Suche nach innovativen Umsetzungen künstlerischer Praxis an Schulstandorten (inklusive Kooperationen) als sinnvoll. Mögliche Formen der Anerkennung und Felder der Entwicklung sind im Anschluss dargestellt. Schulkulturbudget für alle Schularten

Seitens des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung stehen den Bundesschulen jedes Schuljahr die Türen offen, zwecks Unterstützung für Projekte zu unterschiedlichsten Kunstformen ein Kulturbudget bei dem Projektbüro von KulturKontakt Austria zu beantragen.11 Im Sinne der auf der ministeriellen Website angesprochenen Chancengleichheit muss diese Förderung allen Schultypen zur Verfügung stehen. Schaffung eines KuBi-Gütesiegels

Für die Umsetzung kulturell bildender Prozesse, Projekte und Kooperationen steht sowohl vom zeitlichen Ausmaß als auch von der Verortung ein breites Spektrum zur Verfügung. Angebote können kurzfristig oder langfristig, Teil einer Schwerpunktsetzung im Unterricht oder ein Workshop sein. Die Verknüpfung mit der eigenen Praxis kann für Lernende und Lehrende in der Schule, bei Konzerten, in Ausstellungen, bei Lesungen im schulischen Raum oder im Museum, Theater, Atelier, Opernhaus bzw. in der Bibliothek erfolgen. Abseits der Bildungseinrichtungen sind auch Aktivitäten im Familien- und Freundeskreis in den Bereich der kulturellen Bildung zu inkludieren. Das Aufgreifen von aktuellen Themen in Verbindung mit künstlerischen Ausdrucksformen ermöglicht es, die Neugierde, das Interesse und den Forscherdrang von Schüler/innen zu wecken und als wesentliche Ressource eines Prozesses zu nutzen. Individuelle kulturelle Formen des Ausdrucks und die Einbeziehung von Jugendkulturen sind dabei von großer Wichtigkeit.12 Für die Absicherung der Qualität des Angebots ist das KuBi-Gütesiegel („KuBi“ steht für kulturelle Bildung) konzipiert, das, so wie das MINT-Gütesiegel,13 eine Initiative des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung sein muss. Die Schirmherrschaft seitens der obersten Ebene im Bildungswesen bedeutet Akzeptanz, Interesse, Anerkennung und Stärkung. Bewertungskriterien, die von Expert/innen aus der Schulpraxis, dem universitären Bereich und von Kulturinstitutionen erarbeitet werden, ermöglichen die Ausschreibung eines Bewerbungsprozesses für interessierte Schulstandorte. Ein Gremium aus Expert/innen

11 Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF) (2019): „Schulkulturbudget für Bundesschulen“, https://bildung.bmbwf. gv.at/schulen/pwi/pa/ skb.html (25.7.2019).

12 Kirsten Witt (2016): „Aufwachsen mit Kunst, Kultur und Spiel. Qualitätsmerkmale für die kulturelle Bildung“, https://www.bkj.de/ fileadmin/user_upload/ BKJ_Grundlagen_Kultureller_Bildung_Qualitaetsrahmen__2_.pdf, S. 1f. (9.12.2019). 13 Pädagogische Hochschule Wien: „MINT Gütesiegel. Das Gütesiegel – Hintergrund & Einreichung“, 2019, https:// www.mintschule.at/ guetesiegel/ (14.6.2019).

Kooperationen und außerschulische Lernorte als Chancengeber

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zeichnet verantwortlich für die Vergabe des Gütesiegels an ausgewählte Bildungseinrichtungen. Die Auszeichnung erfolgt für eine festgelegte zeitliche Dauer (vier Jahre scheinen empfehlenswert). Ein eigens kreiertes Logo wird den Standorten zur Verfügung gestellt. Vernetzungen im bundesweiten Kontext werden den teilnehmenden Institutionen seitens der Behörde in Kooperation mit Expert/innen (inner- und außerschulisch) ermöglicht. Im Rahmen der Kontingente erhält jede der KuBi-GütesiegelSchulen eine Support-Einheit für die Organisation und Koordination von Projekten und Kooperationen im kulturell bildenden Bereich. Kulturelle Bildung als Schwerpunktsetzung in den Grundsätzen der Schulpolitik

14 Ebd., S. 2. 15 Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur (BMUKK) (2009): „Grundsatzerlass ‚Ganzheitlich-kreative Lernkultur in den Schulen‘“, https://bildung. bmbwf.gv.at/ministerium/rs/2009_15.html (14.6.2019). 16 Ebd., Absatz 4.

17 Ebd., Absatz 36.

18 EDUCULT (2017), S. 10.

Offenheit und Wertschätzung sind unterstützende Haltungen, um den vielfältigen Persönlichkeiten in der Schule zu begegnen. Kulturelle Bildungsarbeit ist im Sinne des mehrperspektivischen Dialoges zu realisieren.14 Laut dem Grundsatzerlass „Ganzheitlich-kreative Lernkultur in den Schulen“15 wird Kreativität als fächerübergreifendes Bildungsprinzip tituliert, wobei in diesem Zusammenhang die große Bedeutung „in persönlichen wie in sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebenszusammenhängen“ 16 unterstrichen wird. Die Bewältigung von zukünftigen Anforderungen und die Erweiterung von Kompetenz bei Lernenden werden laut Erlass durch das Entwickeln und Fördern kreativer Fähigkeiten in wesentlichem Maße unterstützt. Des Weiteren wird die Praxisrelevanz der ganzheitlichen und kreativen Bildung für die Schulentwicklung und damit verbunden die Profilgestaltung einzelner Schulstandorte hervorgehoben. Netzwerke und Kooperationen sowie der Input von Expert/innen sollen im schulischen Setting gefördert werden, um den Praxistransfer von Erfahrungen zu erweitern. „Die Förderung kultureller Ausdruckfähigkeit stellt ein Ziel dar, welches zu den Grundkompetenzen zählt, deren Erwerb von der EU forciert wird.“17 Der Begriff „Kulturelle Bildung“ wird in diesem Kontext nicht genannt, da dessen Durchsetzung in Österreich noch nicht wirklich vorangetrieben wurde, doch die angeführten Inhalte des Erlasses sind durchaus mit kultureller Bildung in Verbindung zu bringen. So ist die Interpretation, dass aktive und kreative Beteiligung der Lernenden verknüpft mit vielfältigen Kooperationen die Basis für einen Unterricht mit sinnlichen Erfahrungen darstellt, durchaus zulässig. Außerdem benötigt das Feld der kulturellen Bildung Offenheit des Lernraums und eine Vielfalt an Kooperationen mit außerschulischen Partnerinstitutionen und/ oder Expert/innen aus dem Bereich Kunst und Kultur.18 Fort- und Weiterbildung und Orientierungsinstrumente für Lehrpersonen

Durch ein erweitertes Angebot von Fort- und Weiterbildungen im Bereich der Kulturellen Bildung erwerben Studierende Kenntnisse in Theorie, Methode und Praxis. Konzeptionen in diesem Feld beinhalten die intensive Auseinandersetzung mit der Vielfalt der agierenden Personengruppen

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und den denkbaren Kooperationen in der Praxis. Optionale Organisationsformen wären Module über einen Zeitraum von zwei Semestern oder ein berufsbegleitendes Masterstudium im Umfang von 60 oder 90 ECTS. Die Wissenserweiterung durch ein Studium eröffnet den Lernenden die Chance auf neue Perspektiven und ermöglicht den schulischen Institutionen die Erweiterung durch wertvolles Fachwissen. Von Expert/innen ausgearbeitete Handreichungen, beispielsweise der BE-Kompass 2014,19 stehen Lehrenden zur Verfügung. In diesem offenen und erweiterbaren Orientierungsinstrument findet unter anderem die Auseinandersetzung mit den Fragestellungen „Wer sind Handelnde und Betroffene im Wirkungsfeld Bildnerische Erziehung?“ und „Wo und wann entfaltet sich das Wirkungsfeld Bildnerische Erziehung?“20 statt. Bedarf an Forschung

Schul- und Qualitätsentwicklung findet im Kontext der österreichischen Bildungslandschaft anhand von Evidenzen statt. In diesem Zusammenhang besteht die Notwendigkeit, im künstlerisch-kreativen und kulturell-bildenden Bereich wissenschaftliche Daten bezugnehmend auf die Schulpraxis zu generieren. Kooperationen mit Universitäten und Forschungsinstitutionen können hier eine Perspektive darstellen. Abseits von standardisierten Überprüfungen würden qualitative Forschungsprozesse neue Einblicke gewähren. Der Bedarf an nachhaltiger Forschung im Bildungsbereich wird auch im Nationalen Bildungsbericht 2018 thematisiert. Seitens der Autor/innen wird die „Beforschung von aktuellen Entwicklungen oder der Implementierung von Reformen“21 eingefordert. Im Kontext von Kunst und Pädagogik kann es gelingen, die Bildung der Persönlichkeit im ganzheitlichen Sinne fortwährend zu fördern. Dabei erleben und erlernen alle teilhabenden Personen Wertschätzung, Offenheit, Toleranz und Anerkennung. Durch diesen Ansatz erlangt die tägliche Herausforderung, soziale und kulturelle Hindernisse zu überwinden, einen aussichtsreicheren Zugang. Chancengerechtigkeit und Verringerung von sozialer Ungleichheit in unserer Gesellschaft stehen im Fokus. Kooperationen von vielfältigen Akteur/innen und Institutionen sind in diesem Fall chancengebend und unverzichtbar. 4. Fazit

Kooperationen im Feld der kulturellen Bildung sind im schulischen Alltag oftmals implementiert, eröffnen Chancen und sollten erweitert werden. Die Umsetzungsformen dürfen allerdings nicht in starre Richtlinien gezwängt werden. Dynamik und Flexibilität ist der Schlüssel, um Lernenden neue Wege in der Bildung zu eröffnen und Teilhabe zu ermöglichen. Dabei ist das Augenmerk auf die Qualitätsfrage, sowohl im Feld der Pädagogik als auch Bildungsorte betreffend, zu richten. Eine zusätzliche Verbindung stellt die Professionalität der Lehrpersonen dar. Prozesshaftigkeit, Handlungsorientierung, fächerübergreifende

19 Arbeitsgruppe „Lehrer_ innenkompetenzen in Bildnerischer Erziehung“ der Bundesarbeitsgemeinschaft Bildnerische Gestaltung und Visuelle Bildung (Hg.) (2014): BE-Kompass für Aus- und Weiterbildung, https:// www.bmbwf.gv.at/Themen/schule/schulpraxis/ schwerpunkte/kulturvermittlung/publikationen. html (8.12.2019). 20 Ebd., S. 7f. 21 Ferdinand Eder/Simone Breit/Claudia Schreiner/Konrad Krainer/ Andrea Seel/Christiane Spiel (2019): „Entwicklungsfelder im österreichischen Bildungssystem: Ergebnisse und Konsequenzen aus dem Analyseband des Nationalen Bildungsberichts 2018“, in: Ferdinand Eder u. a. (Hg.): Nationaler Bildungsbericht Österreich 2018, Bd. 2: Fokussierte Analysen und Zukunftsperspektiven für das Bildungswesen, S.  19–542, hier S. 538, https:// www.bifie.at/wp-content/uploads/2019/03/ NBB_2018_Band2_final. pdf (15.6.2019).

Kooperationen und außerschulische Lernorte als Chancengeber

22 Bildungsdirektion für Wien: BildungsHub Wien, 2019, Absatz 1, https:// bildungshub.wien/about/ (7.1.2019).

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Organisationsstrukturen und Annahme der existenten Diversität werden als solides Fundament in der Schule benötigt. Dabei wird Vielfalt nicht nur akzeptiert, sondern als Chance gesehen und gelebt. Dieser Mehrwert umfasst alle fachlichen Inhalte im schulischen Kontext. Auf diese Art werden die Entfaltungsräume für Lehrende und Lernende im gesamten Fächerkanon geschaffen. Das weite Feld von möglichen Kooperationen und außerschulischen Lernorten stellt einen unverzichtbaren Teil der schulischen Lebenswelt dar. Der Schritt, andere schulische Standorte an den erfolgreichen Realisierungen eines Projektes teilhaben zu lassen, ist in der österreichischen Bildungslandschaft leider oft – noch – mit Vorbehalten verknüpft. Ein zukunftsträchtiger Weg in diese Richtung ist der „BildungsHub“ der Bildungsdirektion Wien, eine Präsentationsplattform für „schulische Highlights“.22 Das Wirken und Gelingen von Projekten, Kooperationen und Prozessen soll über die Schulmauern hinaus kommuniziert werden. Berichte und Dokumentationen stellen für interessierte Personengruppen eine Informationsquelle dar und können motivieren. Als Passagier/in der Bildungslandschaft sollte man sich nicht mit der (passiven) Frage begnügen: „Wohin geht die Reise?“, sondern aktive Teilhabe und Mitbestimmung einfordern und realisieren.

Jan Jaap Knol The Art of Teaching

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1 De Groene Amsterdammer 143 (19–20), (May 8, 2019), https://www.groene.nl/ 2019/19-20.

In early May 2019, the Dutch weekly magazine De Groene Amsterdammer published a special edition that was dedicated completely to the Dutch school system.1 At the moment, a curriculum renewal is underway in the Netherlands and keeping in mind the big autonomy Dutch schools have in the education system one will realize that such a job is not an easy thing. The front page summed it all up: what is it that we want to teach to our children? I think the answer can be short (and not only in the Dutch context). We want everything. Creativity, yes! But only if we don’t give in on the importance of high marks and a solid transfer of the good old facts. And yes! We want our kids to be social, flexible, critical, communicative, but at the same time excellent in math, great in reading, brilliant in languages. To be sure, all our educational goals are accomplished, all progress and achievements need to be monitored, measured, tested and benchmarked all the time from the earliest stage to the final exam. But to what purpose? To be ready for the labor market? To be competitive with Asia? To be responsible citizens? Or to benefit from the enormous potential children get by birth, the potential for a life-long process of learning and growing? In De Groene Amsterdammer the chief editor illustrated the pedagogical split in a personal essay in which she tells about her own dilemmas educating her fourteen-year-old son, a digital-born, like all his peers whether they grew up in Australia, Austria, or Argentina. She tries to hold up ideals of Bildung, but ends up knowing his school schedule and all his marks better than he does himself. Pupils in the Netherlands take more tests, more prelims, more exams than ever before. But instead of guarantees for higher quality this system carries the risk of creating a culture of “teaching to the test” in which parents become obsessed with results and pupils become calculating beings, permanently asking the teachers: “But do I get a mark for this? Or not?” Is there another perspective than the dystopia of an educational system in which the learning process is dictated by tests? The art subjects—at least in the Dutch context—have mainly resided in the undervalued zone of “no marks.” Sometimes pleas are heard that there should be notes for the art subjects as well, so that pupils would be better motivated. But I think the value of art education, for schools and pupils, goes beyond notes and tests. The biggest risk caused by the obsession with testing is that the respect for the teacher, as a professional, gets lost. When a lecturer becomes an underpaid and replaceable porter delivering educational output, we may end up with a very narrow and instrumental view on teaching that undermines the pedagogical, ethical, and intellectual roots of the profession. Now, can the arts, specifically, be of help here? For a long time, the arts have fostered a tradition of autonomy. I do not refer here to the old esthetical “arts for arts sake argument” but I mean autonomy as professional independence with the power of creative reckoning, autonomy as an attitude of open and critical thinking in which every perspective can be taken, all materials can be useful, and in which

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the unexpected, especially, is welcomed not as something accidental but as the heart of the matter. It would be a pure utopia if we saw teachers as autonomous artists who consider their work as a permanent process of co-creation with their pupils. Autonomous artists who do not feel restricted to methods or subject schemes, but whose drive it is to constantly explore the learning needs and motivation of their pupils. We could learn a lot about the effectiveness of education if we observed and analyzed this process of learning more accurately and if we discussed and exchanged more about what is working and what is not, instead of ignoring the learning process and just waiting for the results. In the Netherlands, the worlds of educational and cultural policy work together in the Quality Cultural Education Program for primary education. With cooperation agreements and financial investments, the Quality Cultural Education Program strives to ensure that qualitatively good arts education becomes a natural component of the primary education curriculum. A crucial step is that the program does not take the pedagogical supply of cultural organizations as the starting point for the cooperation, it takes the school’s vision on education and learning as the basis for sustainable partnerships. Of course this approach does not guarantee a utopia. It does not when, for example, cultural organizations are still only interested in the short-term experience of pupils visiting their exhibitions. It also doesn’t work when schools see the art visit only as a pleasant interruption of the daily school rhythm. But it does work in those situations when the cultural partner and school start to co-create and see it as teamwork, like they do in longer inter- or transdisciplinary programs or in programs in which the arts are part of problem-based learning, or in which, through art, children are encouraged to explore questions about their identity, emotions, ambitions, and ideas—that is: how they learn to express themselves. Less testing, more sustainable partnerships between the arts and education, a new curriculum. It should not be that difficult!

Jan Jaap Knol

Markus Tripolt Medialoop Die Reanalogisierung des digitalen Daten-Nirwana

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Im Frühling 2019 wurde ich von Michael Wimmer angefragt, für das Symposion Spezialisten der Entspezialisierung eine „Mal-Aktion unter Beteiligung von Jugendlichen“ vorzubereiten und durchzuführen, die die Konferenz begleiten und bereichern sollte. Vom Handwerk kommend, habe ich selbst keine akademische Ausbildung für Kunst oder Kunstpädagogik absolviert. Jahrelange Auseinandersetzung mit Aktionskunst, Kunst im öffentlichen Raum und später auch die Zusammenarbeit mit Jugendlichen im kunstpädagogischen Bereich haben mich einen sehr persönlichen Zugang zum Thema Kunst und Kunstvermittlung finden lassen. Wichtig ist mir dabei, die Fähigkeit, „künstlerisch zu denken“, in Jugendlichen zu wecken oder wieder auszugraben. Künstlerisch denken zu können, halte ich in diesem Zusammenhang für wichtiger, als tatsächlich „Kunst schaffen“ zu können, bzw. ist es eben die Voraussetzung dafür. Aus meiner Sicht braucht Kunst nicht unbedingt immer ein Werk, Kunst entsteht im eigenen Blick. In der Zusammenarbeit mit Jugendlichen habe ich oft die Erfahrung gemacht, dass für viele, und ganz besonders für Buben, der Begriff Kunst abschreckend wirkt. Kunst ist etwas Abgehobenes, Elitäres. Etwas nicht Messbares, bei dem sie sich sehr rasch „über den Tisch gezogen fühlen“, weil sie selbst nichts und Kunstspezialisten alles verstehen. Eine sehr interessante und gleichzeitig typisch abwehrende Definition von Kunst lieferte mir in diesem Zusammenhang vor Jahren ein etwa 15-jähriger Kevin, der auf meine Frage, wie er Kunst definieren würde, mit provokantem Unterton antwortete: „Kunst ist, wenn einer was macht und die anderen glauben, es ist Kunst.“ Für mich kommt in dieser Aussage das Gefühl des Ausgeschlossen-Seins bei gleichzeitiger Abwertung des Kunstbegriffes sehr gut zum Ausdruck. Um die Überwindung dieses Gefühls, „von Kunst ausgeschlossen zu sein“, geht es mir in der Arbeit mit Jugendlichen. Dieses AusgeschlossenSein bewirkt oft, dass die uns alle innewohnende Fähigkeit zu Kreativität in der Zeit des Übergangs vom Kind zum Jugendlichen verschüttet und damit ein wesentlicher, positiver und individueller Zugang zum Leben, zur Welt als Ganzes – und damit letztendlich zu uns selbst – versperrt wird.

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Markus Tripolt

Für die Mal-Aktion im MAK konnte ich zwölf SchülerInnen einer Neuen Mittelschule als Teilnehmer gewinnen, begleitet von ihrer Klassenvorständin. Ziel war, innerhalb von etwa drei Stunden Werke zu schaffen, die in Menge und Qualität geeignet sind, um sie anschließend in einer Verkaufsausstellung den TeilnehmerInnen der Konferenz Spezialisten der Entspezialisierung zu präsentieren. Meiner Erfahrung nach ist es wichtig, dynamisch und zügig zu einem Ergebnis zu kommen. Mit MEDIALOOP gelang es, die von Smartphones geprägte digitale Lebenswelt der Kids zum Thema und Ausgangsmaterial unseres Workshops zu machen. Jeder von uns hat ein Smartphone und auf seinem Gerät hunderte, wenn nicht tausende Fotos gespeichert. Wir leben in einer Zeit des Bilderüberflusses. Und obwohl wir uns und unserem direkten Umfeld immer mehr persönlichen Wert zumessen, haben die Fotos, die wir machen, so gut wie gar keinen Wert mehr. Sie werden auch nicht mehr „entwickelt“ oder ausgedruckt. Auch die in den sozialen Medien geteilten Fotos sind flüchtig und schnell vergänglich. Das Abbild der Welt, der Natur, des uns umgebenden Umfeldes, der uns umgebenden Menschen ist zum flüchtigen Moment geworden, dem wir über den Augenblick hinaus nicht viel Bedeutung und Wert zumessen. Aus diesem unendlichen Fundus sollen nun Bilder ausgesucht werden, die wir selbst für wertvoll genug halten, re-analogisiert und in die reale Welt zurück transformiert zu werden. Mit der Re-Analogisierung von digitalen Fotos soll der Bezug zwischen dem Individuum und seiner Umwelt gestärkt werden. Und ein Gespür dafür geweckt werden, wie Umwelt und deren Abbildung gestaltet werden können. Nichts anderes will letztendlich die Kunst. Die Voraussetzung der Fotografie war ursprünglich die Konzentration auf den menschlichen Blick. Das Ablichten und Festhalten des Moments erforderte die bewusste oder auch professionelle Auseinandersetzung der FotografInnen mit dem Bild. Ursprünglich stellte ein Foto alleine aufgrund seiner physischen Begrenzung (Fotofilm mit 24 bzw. 36 Aufnahmen) und auch seiner Entstehungskosten einen gewissen Wert dar, mit dem bewusst umgegangen werden musste. Insofern hatte auch die abgelichtete Welt einen gewissen Wert, der mit einem Foto festgehalten wurde.

Fotos: Olivia Müller

Medialoop

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Nun also Zurückholen des kurzen „wertlosen“ digitalen Moments in bleibende und an-fassbare analoge Erlebbarkeit. „Medialoop“ bedeutet in diesem Zusammenhang das Switchen zwischen digital und analog – denn von der gemalten und greifbaren Interpretation der Smartphone-Bilder wurde natürlich sofort wieder jede Menge Handy-Fotos gemacht. Ein Pendeln zwischen digitaler und analoger Bild-Rezeption. Die Ausgestaltung der Bilder geschah mittels Pastellkreiden. Rasch, impulsiv, unperfekt, individuell geprägt vom malenden Jugendlichen. Die Ausführung erfolgte auf Wellpappe, die in Form übergroßer Smartphones ausgeschnitten wurde. Das Ergebnis war ausdrucksstark, von künstlerischem Wert und sowohl für die Ausführenden als auch die Betrachter inspirierend und beeindruckend. Erst recht die Ausstellung der Bilder: Die Galeriesituation im Kunstraum MAK und der Verkauf der Exponate zum Preis von jeweils 10 Euro an die erwachsenen Teilnehmer des Symposions versetzten die jungen KünstlerInnen in Aufregung und Euphorie über ihren sichtbaren Erfolg und die daraus resultierende Anerkennung. Für mich persönlich ist es immer wieder eine bewegende und intensive Erfahrung, wie wenig Anstoß (bei gleichzeitiger Konzentration, intensiver Zuwendung und Auseinandersetzung auf Augenhöhe im Schaffensprozess) es braucht, um bei Jugendlichen eine Tür aufzustoßen, die einen Blick frei gibt auf das, „was Kunst ist“ und was sie fürs Mensch-Sein bedeutet.

Marcus Kauer Kulturelle Bildung in Hessen

405 Die Hessische Landesregierung setzt verstärkt auf Formate Kultureller Bildung

1 Heike Ackermann u. a. (2015): KulturSchule, Kulturelle Bildung und Schulentwicklung, Wiesbaden: Springer. 2 Marcus Kauer (2018): „Kulturelle Unterrichtsentwicklung als Teil kultureller Schulentwicklung“, in: Max Fuchs/Tom Braun (Hg.): Kulturelle Unterrichtsentwicklung, Weinheim und Basel: Beltz Juventa; und Marcus Kauer (2016): Entwicklungsprozesse der Schülerinnen und Schüler unter dem Einfluss Kultureller Bildung an Schulen, Marburg: Philipps Universität. 3 Bundeszentrale für politische Bildung (2004): Menschenrechte. Dokumente und Deklarationen, Bonn, S. 178.

Musik, bildende Kunst, Tanz, Literatur, Fotografie, Film, Theater – in Hessen nehmen bereits über 500 Schulen aktiv an Programmen der Landesregierung zur Förderung der Künste teil. Viele weitere Schulen warten auf die Aufnahme in eines dieser erfolgreichen Programme. Auch im aktuellen Koalitionsvertrag der Regierungsparteien liest man vom Vorhaben, die Kulturelle Bildung in vielen Bereichen zu stärken. Die Ideen reichen vom Aufbau sogenannter Profilschulen aller Kunstsparten bis hin zur Intensivierung der Kooperationen von Schulen mit Theatern, Musikschulen, Museen und freien Künstlerinnen und Künstlern. Und die Landesregierung hat gute Gründe, einen Schwerpunkt bei der Entwicklung und dem Ausbau der Kulturellen Bildung zu setzen. Die beteiligten Schulen zeigen eine große Bereitschaft zur Unterrichts-, Organisations- und Personalentwicklung. Ein hoher Grad an Identifikation mit dem Lern- und Arbeitsort Schule sowie eine hohe Arbeitsplatzzufriedenheit kann sowohl auf Seiten der Schülerinnen und Schüler als auch bei den Lehrenden festgestellt werden. Die Reputation der Schulen in den kulturellen Programmen steigt nachweislich.1 In Umfragen berichten Eltern, Klassenlehrerinnen und Klassenlehrer von einer „Aktivierung“ und Lust der Kinder am Lernen – in allen Fächern.2 Welchen Wert sieht die Hessische Landesregierung in der Förderung der Künste?

„Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf vollen Zugang zum kulturellen Leben sowie auf eigene künstlerische und kulturelle Betätigung.“ So lautet § 31 der UN-Kinderrechtskonvention.3 Die Institution Schule erreicht alle Jugendlichen und Kinder und kann folglich als der zentrale gesellschaftliche Ort verstanden werden, um die Forderung der UN-Kinderrechtskonvention nach kultureller Teilhabe umzusetzen. Die UN steht dabei nicht allein mit ihrer Forderung: Insbesondere in den vergangenen Jahren plädieren Bildungsexperten aus allen Bereichen dafür, die Künste im Bildungsprozess wieder verstärkt in den Fokus zu nehmen – nicht zuletzt aus dem Verständnis einer umfassenden und ganzheitlichen Bildung heraus. Die gesellschaftlichen und technologischen Veränderungen stellen die formale Bildung vor die Aufgabe, Jugendliche und Kinder zu einem lebenslangen Lernen zu befähigen und weitaus flexiblere individuelle Förderung der Kinder und Jugendlichen zu ermöglichen als bisher. Damit rückt das einzelne Individuum immer mehr in den Mittelpunkt der schulischen Bildungsarbeit. Flexibilität in Unterrichtsgestaltung und Lehrinhalten, in Leistungsbewertung sowie hinsichtlich zeitlicher und räumlicher Rahmenbedingungen ist gefordert, um Kindern verbesserte Ausgangsbedingungen für eine

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gelungene Bildungsbiografie und die Entwicklung ihrer Persönlichkeit zu bieten. KulturSchule Hessen

Bei all diesen Anforderungen spielt das hessische Format der KulturSchule Hessen eine besondere Rolle. Ästhetische Zugangsweisen in allen Fächern, eine Kunst für jedes Kind und mehr Raum und Zeit für die Künste – hierzu verpflichten sich die mittlerweile 20 Schulen aller Schulformen, und dies mit großem Erfolg. Im vergangenen Jahr feierte man das zehnjährige Jubiläum und plant nun, weitere Schulen in das Programm aufzunehmen, das über die Landesgrenzen hinaus große Anerkennung und Wertschätzung erfährt. Die KulturSchule Hessen gilt als herausragendes Beispiel gelingender und systemisch wirksamer Schulentwicklung. Dies zeigt auch der Gewinn eines der wichtigsten deutschen Preise für Schulentwicklungsmodelle, „Kinder zum Olymp“, durch die Integrierte Gesamtschule Herder in Frankfurt – einer KulturSchule der ersten Staffel. Dieser Preis wurde am 10. Juli 2018 von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verliehen. Über 15.000 Schülerinnen und Schüler sowie 1.000 hessische Lehrkräfte nehmen aktiv an dem Schulentwicklungsprogramm teil und leisten pädagogische Pionierarbeit, indem sie neue Unterrichtsformate erproben und Bildungskonzepte entwickeln. Jede der 20 KulturSchulen tritt dabei in ihrer vielfältigen strukturellen und kulturellen Einbettung mit einer eigenen Schulidentität auf. Dabei ist zu beobachten, dass insbesondere die Schülerinnen und Schüler an diesen Schulen von „ihrer Schule“ sprechen und die Arbeitsplatzzufriedenheit der Lehrkräfte deutlich steigt. Selbst an Schulen in sozial benachteiligten Stadtteilen ergaben die Studien eine sehr große Arbeitsplatzzufriedenheit von mindestens 94 Prozent des Kollegiums.4 Eine durchaus beeindruckende Zahl. Konnte der Schwerpunkt aus dem politischen Streit herausgehalten werden, und wenn ja, warum?

Rückblickend lässt sich feststellen, dass die Kulturelle Bildung in der breiten Wahrnehmung als Nischenthema wahrgenommen wurde, welches dennoch von allen Parteien unterstützt und insbesondere von den Verbänden der jeweiligen Kunstsparten fortlaufend in den politischen Diskurs eingebracht wurde. Die erfolgreiche Konzeption der Programme spielte letztlich die entscheidende Rolle für die politische Bereitschaft, weiter zu investieren und das Feld auszubauen. In diesem Zuge ist es auch gelungen, die Verbände der unterschiedlichen Kunstsparten gemeinsam an einen Tisch zu holen und an dem fortlaufenden Prozess der Konzeption eines Masterplanes „Kulturelle Bildung an Schulen“ zu beteiligen. Das vom Ministerium

4 Ackermann (2015).

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Kulturelle Bildung in Hessen

eingerichtete Büro Kulturelle Bildung nimmt dabei eine sowohl koordinierende als auch planende und prozessbegleitende Funktion ein. Es dient als Schaltstelle und kommunikatives Schnittstellenmanagement. Es schafft Verbindlichkeit und generiert eine Perspektiventwicklung. Die Personen in diesem Büro arbeiten eng mit Lehrenden, Verbänden, Hochschulen, Universitäten und anderen Ministerien – auch länderübergreifend – zusammen. Das Büro Kulturelle Bildung im Hessischen Kultusministerium garantiert eine prozessorientierte Qualitätssicherung, organisiert Symposien, Tagungen und Fortbildungseinheiten und vernetzt Institutionen Kultureller Bildung sowie freie Kunstschaffende mit der schulischen Bildung. In dieser Zusammenarbeit entstehen fortlaufend neue Programme, werden bestehende optimiert und erweitert und Kooperationspartner integriert. Der Studiengang der Philipps Universität Marburg „Kulturelle Bildung an Schulen“ professionalisiert die Akteure und erweitert das Netzwerk ins gesamte Bundesgebiet. Der Studiengang wird im Rahmen der Kooperation mit der Stiftung Mercator seitens des Ministeriums durch Stipendien unterstützt. Ein Fundament legen

Für die nachhaltige Implementierung der Kulturellen Bildung im Schulsystem braucht es eine breite Basis unter Beteiligung aller Akteure im Feld. Diese „relevanten Player“ gilt es zu identifizieren und in das Vorhaben einzubeziehen. In der Regel handelt es sich – neben den beteiligten Ministerien – um Verbände aller Kunstformen, Häuser der Hochkultur genauso wie soziokulturelle Einrichtungen oder ausbildende Universitäten. Es muss gelingen, diese Menschen regelmäßig zu Gesprächen zusammenzubringen und Gremien zu bilden, um eine gemeinsame Perspektive zu entwickeln – sowohl hinsichtlich der Planung der wesentlichen Entwicklungsschritte als auch angesichts der Frage, welches Verständnis man mit Blick auf die Kulturelle Bildung teilt und etablieren möchte. Entstehen muss eine Art „Roadmap“ mit der Benennung von Meilensteinen und Entwicklungsvorhaben. Unabdingbar sind Symposien und Fachtagungen, um Expertenmeinungen einzuholen, Impulse zu geben und den Austausch zu fördern. Die Beteiligung der politischen Entscheider an diesen Fachtagungen ist selbstverständlich. Professionelle Prozessbegleitung kann dabei durch eine zentrale Steuerungseinheit gewährleistet werden. In Hessen übernimmt dies das bereits erwähnte Büro Kulturelle Bildung des Hessischen Kultusministeriums. Die Investition in eine solche Steuerungseinheit erweist sich rückblickend als besonders effizient, da Vorhaben verantwortlich koordiniert und langfristig integrativ begleitet werden. Hier konzentrieren sich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – neben ausgeprägten Kenntnissen und Fähigkeiten in den Künsten – Erfahrungen in den Bereichen des Eventmanagements, der Prozessplanung und -steuerung, der Personal- und Organisationsentwicklung.

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Marcus Kauer Warum sind diese Programme Kultureller Bildung in Hessen so erfolgreich?

Grundlegend kann man beobachten, dass den Künsten im allgemeinen Verständnis ganzheitlicher Bildung eine Bedeutsamkeit zuerkannt wird. Befragt man die Eltern, erhält man durchweg positive Meinungen zu Musik oder Kunst. Dennoch gibt es eine abgestufte Wertigkeit zugunsten der Naturwissenschaften und Sprachen. So legt nicht nur ein großer Teil der Lehrenden an den Schulen, sondern insbesondere auch die Elternschaft besonderen Wert darauf, dass der Unterricht in diesen Fächern umfassend und garantiert erteilt wird, während Musik, Kunst, Theater oder Tanz eine untergeordnete Rolle spielen. Dies führt dazu, dass in der strukturellen Planung und Stundenplangestaltung vieler Schulen die Fächer Kultureller Bildung jene sind, die an den Randstunden platziert werden oder im Notfall ganz entfallen. An den KulturSchulen ist dies anders: Die Künste nehmen Einzug in alle Schulfächer, ein neues Curriculum wird erstellt, welches die Künste mit den Fachlichkeiten verbindet und auf diesem Weg die gesamte Schule durchwirkt. Dies wiederum nimmt Einfluss auf die Schulstrukturen und generiert neue Stundenplanmodelle: Mathematikwochen, Geografietage, tägliche Chemielaborstunden – der Blick auf die Stundenpläne der KulturSchulen zeigt, dass diese Durchwirkung des Schulalltags mit Kunst alle Fächer tangiert und neue Anforderungen entstehen. In den Worten von Christina McCoy, Mathematiklehrerin an der Richtsberg-Gesamtschule Marburg: „Die Kinder haben plötzlich große Lust auf Mathematik durch die Einbindung der Künstlerinnen und Künstler, die gezeigt haben, dass man Mathe auch spielerisch mit Theater, Tanz oder durch die enge Verbindung zur Musik viel interessanter lehren und lernen kann.“ Der Hessischen Landesregierung geht es jedoch unbedingt auch um das „Deep Learning“, also den Erwerb von Wissenstiefe. Spricht man davon, die Künste in alle Fächer zu tragen, erntet man oft Spott und Unverständnis. Dies verdeutlicht die Unsicherheit der Akteure, zum einen dahingehend, wie man sich den Einzug der Künste in die naturwissenschaftlichen oder sprachlichen Fächer vorstellen solle, und zum anderen hinsichtlich der Qualität und des Anspruchs der Wissensvermittlung. Jutta Gregor, Lehrerin an der Ricarda-Huch-Schule in Gießen, formuliert es so: „Ziel ist es eben nicht, um das Bakterium zu tanzen – wir wollen uns durch die Künste der wissenschaftlichen Betrachtung annähern und einen vielfältigeren Blick auf den Sachverhalt gewinnen.“ Ihr Leistungskurs Biologie im aktuellen Jahr nähert sich beispielsweise dem komplexen Vorgang der Doppelhelixreproduktion mit Hilfe eines Theaterstückes, in dem mit bunten Eimern DNS und Enzyme dargestellt werden und die Schülerinnen und Schüler die Vorgänge spielerisch erarbeiten und choreografieren. Ein tiefes Verständnis und eine bleibende Erinnerung

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Kulturelle Bildung in Hessen

5 Ursula Bertram (2017): Kunsttransfer. Effizienz durch unangepasstes Denken, Bielefeld: transcript.

an den biologisch-chemischen Vorgang wird für die Schülerinnen und Schüler generiert und die Lust am Erkunden und Experimentieren geweckt. Dies berichten die begeisterten Leistungskursschülerinnen und -schüler. In den Vergleichsarbeiten und Abschlussprüfungen schneiden diese Lerngruppen überdurchschnittlich ab. Im Verständnis der Kulturellen Bildung sollen die Künste jedoch keinesfalls als Vehikel gesehen werden, die traditionellen Unterrichtsinhalte zurück in den Klassenraum zu transportieren. Dem Hessischen Kultusministerium geht es um Kreativitätsförderung und Sensibilisierung. Das non-lineare Denken5 soll geschult werden, um kreative Lösungsansätze zu erproben und neue Wege zu finden. Letztlich geht es auch darum, das Erfinden zu fördern. Wie ist es zu diesem Schwerpunkt gekommen?

Keimzelle dieser Entwicklung war die Idee, Fortbildungsformate direkt in die Schulen zu tragen. Zu diesem Zweck stellte das Ministerium das Kultur-Mobil zur Verfügung, ein LKW, der, bestückt mit Materialien und einem Fortbildungsteam, Unterrichtskonzepte und Begegnungsmöglichkeiten mit den Künsten auf den Schulhof transportierte. Einen kompletten Tag lang nutzte das gesamte Kollegium einer Schule das Know-how und die Ideen des Fortbildungsteams, bevor der Truck an die nächste Schule weiterreiste. An diesem Fortbildungstag drehte sich also alles um die Künste, und das Kultur-Mobil erreichte in kurzer Zeit einen sehr großen Personenkreis. So gelang es, viele Menschen in kurzen Intervallen für die Möglichkeiten der Künste im schulischen Kontext zu sensibilisieren. Das Ministerium unterstützte dieses Format bis 2010 und entwickelte daraus die Idee der KulturSchule. Das Kultur-Mobil musste in der Zwischenzeit verkauft werden. Das Fortbildungsformat selbst blieb unter der Bezeichnung „Kreative Unterrichtspraxis“ erhalten und kann bis heute jeden Mittwoch für alle Schulen in Hessen gebucht werden. Das Fortbildungsteam besteht nach wie vor aus engagierten Lehrerinnen und Lehrern, die besondere Unterrichtsmodelle rund um die Künste in die Schulen tragen. 6 Michael Retzar/Heike Ackermann (2020): KulturSchule. Qualifizierung für Kulturelle Bildung, Wiesbaden: VS-Verlag für Sozialwissenschaften; Michael Retzar (2017): „Fortbildung und kulturelle Schulentwicklung. Empirische Befunde aus dem Landesprogramm KulturSchule Hessen“, in: Gabriele Weiß (Hg.): Kulturelle Bildung – bildende Kultur. Schnittmengen von Bildung, Architektur und Kunst, Bielefeld: transcript, S. 263–272.

Bilde die Bildenden!

Alle Schulentwicklungsvorhaben sehen sich konfrontiert mit Hürden, generiert aus Beharrungskräften, Skepsis, Ängsten, Unsicherheiten und sicherlich auch Bequemlichkeit. Der Erfolg des KulturSchule-Programms liegt begründet in der gezielten Fortbildung der beteiligten Kollegien.6 Jede Lehrerin, jeder Lehrer an einer KulturSchule soll die Möglichkeit haben, eine Kunstform für sich zu entdecken – im geschützten Raum. Es gilt, zu experimentieren, auszuprobieren und der Frage nachzugehen: „Welche Kunst passt zu mir?“ Die Fortbildungen liefern dezidiert keine Unterrichtseinheiten, die unmittelbar am Folgetag angewendet werden können. Es geht vielmehr um kreative Prozesse, ästhetische Erfahrungen

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Marcus Kauer

und Erkenntnisse. Die besonderen sinnlichen Ebenen, welche alleine die Künste bedienen, geraten in den Fokus und eröffnen Prozesse, aus denen im Anschluss neue Unterrichtsideen entstehen. Aus diesem Erfahrungsschatz heraus lässt sich mit Blick auf das Programm formulieren, dass die Lehrenden an den KulturSchulen den künstlerischen Kooperationspartnern offener und verständiger gegenüber agieren als an Schulen ohne diese Fortbildungsformate. Ein gegenseitiges Verständnis wird geschaffen und eine Basis generiert, welche Freiheiten eröffnet, Unterrichtsmodelle gemeinsam neu zu denken. Dabei spielt es eine ganz besondere Rolle, dass man den Lehrenden an diesen Schulen Sicherheit gibt und ihnen die Freiheit zugesteht, Neues zu erproben. Lern : Ort

Der Lernort spielt an den KulturSchulen eine besondere Rolle, als Labor, Spielfeld, Experimentierort, künstlerischer Erfahrungsraum. Musikinstrumente, Farben, Requisiten stehen den Schülerinnen und Schülern genauso zur Verfügung wie Mikroskope, Physikexperimentierkästen, Bunsenbrenner, Chemikalien. Idealerweise steht alles bereit, um unmittelbar genutzt zu werden, professionell angeleitet und begleitet durch Lehrkräfte oder externes Personal der Kooperationspartner. All dies geschieht mit dem Ziel, die Schülerinnen und Schüler sofort in die Lage zu versetzen, mit den Materialien und der Ausstattung zu arbeiten und sie als das zu nutzen, wozu sie angeschafft wurden: ein Mittel zum Lernen. Um dies zu ermöglichen, war eine längere Lernphase nötig, denn bei aller Freiheit sind Regeln zum Umgang mit dem Equipment zu formulieren und ein System der Qualifizierung der Lernenden zu etablieren. So sind beispielsweise alle Instrumente im Musikbereich gestimmt und werden von Schülergruppen gewartet. Tonstudio und Lichtanlagen werden selbstverständlich von Schülerinnen und Schülern bedient. In einem Weiterbildungssystem und geschult von Profis geben die Schülerinnen und Schüler ihr gewonnenes Know-how an Jüngere weiter. Workshops werden etabliert und im Ganztagsprogramm der Schulen fest eingeplant. Auf diesem Weg werden Lernniveaus erreicht, die von den Lehrkräften nicht mehr umfänglich bedient werden können. Am Ziel?

In den Medien gewinnt man zunehmend den Eindruck, Schule soll als Katalysator möglichst alle gesellschaftlichen Herausforderungen bearbeiten und lösen. Kann die Schule diesen Anforderungen gerecht werden? Stellt man zu hohe Erwartungen? Das Kultusministerium in Hessen sieht durchaus herausragende Möglichkeiten, durch die Stärkung der Künste im Schulalltag solche neuen Bildungskonzepte zu entwickeln und zu erproben.

Kulturelle Bildung in Hessen

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Durch die Fortbildungen der Lehrkräfte werden ästhetische und künstlerische Praxis als tatsächlicher Mehrwert für ihre tägliche Arbeit erfahrbar gemacht. Zum anderen werden strukturelle Veränderungen der schulischen Rahmenbedingungen angeregt, die neue Lehr- und Lernsituationen im Unterricht schaffen. Programme wie die KulturSchule Hessen wirken systemisch und fördern das Nachdenken über die organisatorischen und strukturellen Rahmenbedingungen ebenso wie die Vernetzung der Schulen untereinander zum Austausch der gewonnenen Expertise. Die Qualifizierung des Schulpersonals und die Öffnung der Strukturen fördern das Miteinander und schaffen im Idealfall eine Schulgemeinde, die gemeinsam mit allen Akteuren darüber nachdenkt, wie die Schule unter den gegebenen Voraussetzungen bestmöglich arbeiten kann. Die Programme Kultureller Bildung wirken nicht nur im Ministerium in nahezu alle Bereiche: • Ganztagsschulentwicklung: Kulturelle Bildung bringt hier Vielfalt und Qualität. • Neue Medien: Kulturelle Bildung bringt Kreativität im Umgang mit den Endgeräten und in der Ausgestaltung neuer Programme und deren Anwendung. • Individuelle Förderung: Kulturelle Bildung eröffnet neue Lernwege und schafft vielfältige Zugänge und Möglichkeiten, um den eigenen Lernfortschritt zu gestalten. • Spracherwerb, Integration und Inklusion: Kulturelle Bildung schafft neue Momente der Begegnung und Kommunikation, des Austauschs und der Interaktion. • Nicht zu vergessen die besondere Wirkung auf die Persönlichkeitsentwicklung durch Kulturelle Bildung, wie mittlerweile in vielen aktuellen Studien bestätigt. Dies klingt so einfach und logisch und ist dennoch ein Erfolg intensiver Arbeit und großen Engagements, denn die Kollegien der beteiligten Schulen entwickeln im Alltag stetig neue Modelle zur Umsetzung ihrer kreativen Ideen. Das Ziel, eine KulturSchule zu werden, bedeutet folglich, sich auf einen umfassenden Schulentwicklungsprozess einzulassen, der Kreativität und Inspiration gleichermaßen fordert und generiert. Nach nunmehr zehn Jahren im Landesprogramm KulturSchule Hessen erkennt man bei den Akteuren im Feld einen enormen Zugewinn an Professionalität und eine große Bereitschaft, sich weiterhin für die Konzeption dieser ganzheitlichen Bildungsidee einzusetzen. Sie investieren Kraft und Energie – und die begleitenden Studien zeigen: Es lohnt sich!

Melisa Erkurt Kunst ist nur was ”für Österreicher“

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Ich habe kürzlich an einem Symposium der Angewandten über die Rolle von Kunst in der Schule diskutiert. Als Vorbereitung dafür habe ich Schüler und Schülerinnen gefragt, was Kunst für sie bedeutet. Stille. „Was ist denn Kunst überhaupt?“, versuche ich ihnen die Antwort zu erleichtern. „So teure Bilder, die Millionen kosten“, sagt ein Schüler, die anderen nicken. „Die stehen dann im Museum“, sagt eine andere Schülerin. „Wart ihr denn schon einmal in einem Museum?“, will ich wissen. „Ja, einmal mit der Schule“, sagen mir die Schüler. Privat mit den Eltern war noch keiner von ihnen im Museum. Der Kunst-Begriff könnte nicht weiter weg von der Lebensrealität dieser Schüler und Schülerinnen sein. Kunst, das sind die Unterrichtsfächer Werken und Bildnerische Erziehung, in denen eh alle Einser bekommen. Kunst, das sind für sie teure Bilder, deren Wert sie nicht nachvollziehen können, und, um einen Schüler zu zitieren: „Kunst, das ist was für Österreicher.“ Vielleicht ist es an dieser Stelle wichtig zu erwähnen, dass alle diese Schüler und Schülerinnen Migrationshintergrund haben und aus sozioökonomisch schwächeren Elternhäusern kommen. Genauso wie ich. Meine Eltern haben mit mir kein einziges Mal ein Museum besucht, und selbst jetzt als Akademikerin kann ich wenig mit Kunst anfangen, weil sie in meiner Kindheit und Jugend nie ein Thema war. Die Schule hat es nicht geschafft, das auszugleichen. Viel geändert hat sich heute nichts, wie sich in meinen Gesprächen mit den Schülern und Schülerinnen zeigt, wie sich auch zeigt, wenn man sich anschaut, wie viele Studierende mit Migrationshintergrund die Angewandte abschließen, und ich meine nicht den „guten“ Migrationshintergrund, sondern türkische, bosnische, tschetschenische, albanische, afghanische Studierende. Vielleicht müssten wir den Kunstbegriff von oben runterholen und ihn alltagstauglich machen. Kunst, das ist auch Rap, den meine Schüler hören und für den sie die Gesellschaft verurteilt. Kunst, das ist auch arabische Kalligrafie. Kunst sind auch die Mangas, die einer meiner Schüler immer heimlich im Unterricht zeichnet. Kunst sind auch die Videos, die einer meiner Schüler bis in die Nacht filmt, schneidet und auf YouTube hochstellt. Kunst sind auch die Graffitis, vor denen sich meine Schüler und Schülerinnen fotografieren, um die Fotos dann auf Instagram zu stellen. Kunst sind auch manchmal diese Fotos auf Instagram. Kunst sind auch die Bilder, die meine Eltern von unserer Heimatstadt Sarajevo hängen haben, Kunst ist auch die selbstgehäkelte Tischdecke meiner Oma. Wir müssen den Kunstbegriff an unsere Schüler anpassen und nicht umgekehrt, denn so bleibt die Kunst nur einer kleinen elitären Blase vorbehalten. Und wenn ich Kunst richtig verstanden habe, dann soll sie gerade das nicht sein.

Warum wir wieder mehr über Kulturpolitik reden sollten Michael Wimmer im Gespräch mit Veronica Kaup-Hasler und Gerald Bast

417 Für dieses Gespräch trafen sich die Wiener Stadträtin für Kultur und Wissenschaft Veronica Kaup-Hasler (VKH) und der Rektor der Universität für angewandte Kunst Wien Gerald Bast (GB) mit dem Herausgeber Michael Wimmer in den Amtsräumen der Stadträtin im Wiener Rathaus.

Was macht für Sie die Bedeutung des kulturpolitischen Diskurses aus?

VKH Ich halte eine Gesellschaft, die sich nicht permanent über ihre kulturelle Verfasstheit verständigt, für problematisch. Es ist die Kultur, die es den Menschen ermöglicht, sich auf immer neue Weise mit Zukunftsszenarien einer Gesellschaft auseinanderzusetzen. Sie ist es, die – im Positiven wie im Negativen – Visionen bereithält, an denen wir unsere konkreten Lebens- und Arbeitsbedingungen messen können. Darum hat für mich Kulturpolitik eine eminente Bedeutung, wenn es darum geht, die Menschen mit diesen Visionen zu konfrontieren und sie auf diese Weise zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu ermutigen. Dies gilt umso mehr in einer Stadt wie Wien, die sich in einer dynamischen Entwicklung befindet und die zudem von Menschen mit ganz unterschiedlichen kulturellen und sozialen Hintergründen bewohnt wird. Kulturpolitik kommt in einem solchen Setting die Aufgabe zu, möglichst viele von ihnen für ein Gemeinwesen zu interessieren, das ihnen eine hinreichende Sinnstiftung gewährt, weil es für sie ermutigende Wege in die Zukunft weist. GB Es ist der Kulturbereich, in dem exemplarisch virulente gesellschaftliche Fragen in spielerischer und doch ernster Weise verhandelt werden können, bevor sie Antworten in Form von für alle verbindlichen politischen Maßnahmen finden. Ich erlebe an der Angewandten täglich neu, wie die Studierenden in kreativer Weise bestehende Verhältnisse zur Disposition stellen, neue Kontexte herstellen und so unkonventionelle Lösungen entwickeln, die für die Weiterentwicklung der Gesellschaft unabdingbar erscheinen. In einer Kunstuniversität als einem Laboratorium für das Leben stellt Kultur ein besonderes Kraftfeld dar, in dem Zukunftsszenarien in einer Weise verhandelt werden können, die früher oder später positive Auswirkungen auf die Menschen außerhalb der Universitätsmauern haben werden. VKH Wenn wir damit Kultur in einem weiteren Zusammenhang als eine wichtige Ressource von Stadtentwicklung darstellen, dann möchte ich Kulturpolitik nicht auf die eine oder andere Kunstfördermaßnahme reduzieren. Nur über die Verteilung von Subventionen zu reden reicht nicht aus und wirkt auf die Dauer eher ermüdend als ermutigend. Es geht um Visionen und um Inhaltliches. Natürlich ist es mir ein besonderes Anliegen, die Arbeitsbedingungen von Künstler*innen zu verbessern. Mindestens so wichtig aber sind mir alle Versuche, ihre Wirkungen auf die Stadtgesellschaft zu verstärken und damit ihre Relevanz in nachhaltiger Weise zu erhöhen. Es sind die Künstler*innen, die das Klima einer Stadt und damit die

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Qualität des Zusammenlebens einer Stadtgesellschaft wesentlich mitbestimmen. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen, dass eine urbane Gesellschaft, die meint, ohne Kunstschaffende auszukommen, sehr rasch zusammenbrechen würde. GB Mit einer solchen Aussage wird aber auch deutlich, dass Kulturpolitik nicht auf das Verwaltungshandeln der Wiener Stadtregierung reduziert werden kann. Um die Wirkung der Künste in der Gesellschaft nachhaltig zu intensivieren, bedarf es des Zusammenwirkens aller Akteure, die nur zusammen signifikante Öffentlichkeiten erreichen können, um so (kultur-)politische Entscheidungen zu beeinflussen. Österreich hat lange geglaubt, sich vor allem auf die Repräsentation seines übergroßen kulturellen Erbes verlassen zu können. Heute wissen wir, dass es die im künstlerischen Feld Tätigen sind, denen für eine prosperierende Weiterentwicklung einer urbanen Gesellschaft zentrale Bedeutung zukommt. Ihre Stimme in den aktuellen gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen deutlicher zum Ausdruck kommen zu lassen erscheint mir eine zentrale Aufgabe von Kulturpolitik. Dazu gehört freilich auch die Bereitschaft und der Wille von Künstler*innen, sich aus institutionellen Zwängen zu befreien und außerhalb der bestehenden Routinen Neuland zu betreten. Auch dabei kann Kulturpolitik einen wesentlichen Beitrag leisten, etwa wenn sie sich für ein arbeitsloses Grundeinkommen stark macht und es so Künstler*innen abseits einer immer rigider einengenden Marktlogik erlaubt, künstlerische Freiheiten zu erproben. Was bedeutet der aus den 1970er Jahren stammende Slogan „Kulturpolitik ist Gesellschaftspolitik“ in Zeiten einer erstarkenden rechten Hegemonie?

VKH Seit den 1970er Jahren hat sich ungeheuer viel getan. Dazu gehört unter anderem eine nachhaltige Ausweitung des Kunst- und Kulturbetriebs, der sich mittlerweile nicht nur auf einige wenige etablierte Kultureinrichtungen beschränkt, sondern etwa im Rahmen der Freien Szene und der Kulturinitiativen-Bewegung eine vielfältige Angebotspalette entwickelt hat. Besonders entscheidend erscheint mir in diesem Zusammenhang aber die Weiterentwicklung unserer Vorstellungen über Kunst selbst. Diese erschöpfen sich nicht mehr im Anspruch, ausgewählte Kunstobjekte für wenige Auserwählte an exklusiven Orten zu verhandeln, sondern sich gegenüber der Gesellschaft zu öffnen und mit ihr zu interagieren. Ja und natürlich dürfen wir bei all dem nicht vergessen, dass sich aufgrund mehrerer, vor allem globaler ökonomischer Faktoren die politische Grundstimmung auch in Österreich und damit auch in Wien verändert hat. Dazu gehört unter anderem die Kaperung

Michael Wimmer im Gespräch mit Veronica Kaup-Hasler und Gerald Bast

Warum wir wieder mehr über Kulturpolitik reden sollten

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des Kulturbegriffs durch rechtspopulistische Kräfte, die für sich noch einmal eine vor allem ethnisch-homogene Kulturvorstellung reklamieren, die alle nicht Dazugehörenden ausschließen soll. Dazu gehört auch ein Künstler*innen-Bild, das möglichst politikkonform agieren soll und nicht dadurch aufzufallen versucht, indem es Kritik übt. Solche Konzepte sind für eine Stadt wie Wien, deren Geschichte sich nur als ein Melting Pot par excellence beschreiben lässt, völlig illusorisch. Wir wissen aus zahlreichen Studien, dass es immer wieder gerade die Unterschiedlichkeiten samt einer Kritik des Bestehenden waren, die zu kreativen Lösungen geführt und so Wien zu einem internationalen Vorzeigemodell im Zusammenleben von Menschen ganz unterschiedlicher kultureller Hintergründe gemacht haben. Jetzt gilt es, diesen rückwärtsgewandten Zumutungen eines auf Hierarchisierung und Ausgrenzung gerichteten Kulturbegriffs überzeugende Konzepte einer integrativen und damit zukunftsorientierten Stadtentwicklung entgegenzuhalten. Dabei bin ich eminent auf das Zusammenwirken mit Künstler*innen angewiesen, die bereits heute Diversität als gemeinschaftsstiftenden Anspruch leben. GB An der Angewandten wird Diversität praktisch gelebt. Die Mehrheit der Studierenden stammt von außerhalb Österreichs und ist nach Wien gekommen, um sich mit Kunst als einem kosmopolitischen Phänomen zu beschäftigen. Diese weist notwendigerweise über den jeweiligen lokalen, regionalen, aber auch nationalen Kontext hinaus und eröffnet somit vielfältige Beziehungen über die jeweiligen geografischen Grenzen hinweg. Aus meinen langjährigen Erfahrungen kann ich sagen, dass es gerade diese vielfältigen kulturellen Zugänge sind, die die Studierenden repräsentieren, die in besonderer Weise kreative Funken erzeugen und damit eine wesentliche Ressource für künstlerisches Arbeiten darstellen. In diesem Zusammenhang war es für uns ein fast schon selbstverständlicher Auftrag, uns um geflüchtete Menschen zu bemühen. So mutierte 2015 eine unserer Dependancen zur größten Herberge für Menschen in existenzieller Not. Wir haben es dabei als unsere Aufgabe gesehen, ihnen nicht nur temporär ein Dach über den Kopf zu ermöglichen, sondern zusammen mit ihnen eine Reihe von künstlerischen Projekten in Gang zu setzen, die weit über ein traditionelles Verständnis von Kunst hinausweisen. Welche gesellschaftliche Funktion könnte Kunst in einem zeitgenössischen Verständnis von Kulturpolitik zukommen?

VKH Im angesprochenen Zeitraum seit den 1970er Jahren hat sich unser Verständnis, was Kunst in der Gesellschaft ist, nachhaltig geändert.

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Immer mehr künstlerische Projekte intervenieren in gesellschaftliche Gegebenheiten und problematisieren diese, oft in unkonventioneller und überraschender Weise. Viele von ihnen gehen über einen sozialpolitischen Impetus im engeren Sinn hinaus und befragen die urbane Gesellschaft in einer Weise, die auch schon mal zu irritieren vermag. Als Intendantin des steirischen herbstes habe ich mich etwa im Rahmen von Truth is concrete oder Art in Action um die Wirksamkeit solcher interventionistischer Kunstprojekte bemüht. Dabei war es mir immer ein besonderes Anliegen, die grundsätzliche Haltung, vor allem gegenüber dem Publikum, zu überdenken, dabei das jeweilige Umfeld im aktuellen Geschehen der Stadt mitzudenken und damit à la longue auch die konkrete Förderpraxis weiter zu entwickeln. GB Vielleicht liegt hierin ja eine ganz besondere Qualität von Kunst, wenn Künstler*innen darauf abstellen, der Gesellschaft beunruhigende Fragen zu stellen und damit die gewohnte Ordnung zu irritieren. Im Sinne von Joseph Beuys wird da schon mal der Finger in die Wunde gelegt und damit der Blick auf Umstände gelenkt, die ansonsten gerne übersehen werden. Mit solchen künstlerischen Zugängen ergibt sich freilich ein besonderer kulturpolitischer Zugang. Wir alle – nicht nur eine eng begrenzte Künstler*innenschaft – sind heute gefordert, den Umgang mit Unsicherheit einzuüben. Entgegen allen Fakten wird vom Bildungssystem die Sehnsucht nach einer funktionierenden Gesellschaft als Ort der Stabilität, Sicherheit und Vorhersehbarkeit gepflegt und von der Politik missbraucht. Tatsächlich erfahren wir zurzeit, wie sehr diese Vorstellung auf tönernen Füßen steht und jederzeit einzustürzen droht. Wir befinden uns in einer Epoche permanenter Veränderungen mit ungewissem Ausgang. Anstatt simple Antworten auf komplexe Problemstellungen hinzunehmen oder sogar einzufordern, geht es heute mehr denn je darum, den konstruktiven Umgang mit Ungewissheit und Mehrdeutigkeit zu erlernen und zu praktizieren. Entsprechend erscheint es heute eine zentrale Aufgabe von Politik, den Umgang mit Unsicherheit als Bedingung souveräner Lebensgestaltung anzunehmen und ihn als unabdingbare Voraussetzung für Freiheit anzuerkennen. Die Kunst ist die Antithese zu Simplizitätsphantasien. Hierin liegt für mich eine herausragende Chance im Umgang mit Kunst, die wie kein anderes Medium in der Lage ist, sich in unsicheren Umständen zurechtzufinden, ja Unsicherheit, Unvorhersehbarkeit, Mehrdeutigkeit und Vielschichtigkeit als Konstruktionsprinzipien nutzt. Genau diese Sichtweise als Grundlage für gesellschaftlich gestaltendes Handeln, als Grundlage für die Teilhabe an demokratischen Prozessen brauchen wir. Dazu aber – und damit wären wir wieder bei der Kulturpolitik – bedarf die Kunst

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mehr denn je eines Freiraums, der es ihr ermöglicht, ihre Potenziale umfassend zu entfalten. Welche Rolle nimmt das Publikum in Ihren kulturpolitischen Überlegungen ein?

VKH Mit den angedeuteten Veränderungen der Relevanz von Kunst in der Gesellschaft hat sich auch ihr Verhältnis zu seinen Publika nachhaltig verändert. Ich selbst nehme immer wieder an Kunstprojekten teil, die sich nicht an ein ausgewähltes Fachpublikum, sondern an ganz normale Menschen, die ansonsten wenig mit Kunst zu tun haben, richten. Dafür nehme ich mir Zeit und komme angekündigt, aber auch unangekündigt. Und ich kann sagen, dass mich zumindest einige davon in ganz besonderer Weise beeindruckt haben. Vor wenigen Wochen war ich mit einer Delegation des Wiener Gemeinderates in Paris. Wir haben dort vor allem Kultureinrichtungen außerhalb des Stadtzentrums besucht. Diese beruhen auf einer Stadtkulturpolitik, die sich vor allem an Menschen in den Banlieues richtet, die ansonsten nicht mit Kunst in Berührung kommen würden. In Paris gibt es kulturpolitisch offensichtlich ein ganz anderes Augenmerk auf eine gute kulturelle Infrastruktur in möglichst allen Stadtteilen. Hier wird Kultur nicht nur als ein Merkmal des Zentrums, sondern als eine verortete Möglichkeit der lokalen Selbstvergewisserung, an der alle Pariser*innen in gleichem Ausmaß teilhaben sollten, verstanden. Deshalb hätte ich gerne, dass ab sofort jedes Jahr ein solcher Besuch stattfindet, damit in konkreter Anschauung kulturelle Lernprozesse auch bei den Stadtverantwortlichen in Wien gefördert werden. Mit meiner jüngsten Initiative der Stadtlabore möchte ich ähnliche Entwicklungen auch in Wien in Gang setzen. Ihre Konzeption geht von der kulturpolitischen Vermutung aus, dass es nicht mehr genügt, die eine oder andere Kulturinstitution am Stadtrand zu errichten. Dabei gebe ich gerne zu, dass Wien schon früher initiativer hätte sein können. Was wir heute aber besonders brauchen, das sind sogenannte „Dritte Orte“, wo sich Künstler*innen und Stadtteilbewohner*innen auf einfache Weise treffen und etwas miteinander zu tun bekommen können. Wenn wir in diesen Tagen drauf schauen, dass in neuen Wohnsiedlungen immer auch Vorsorge getroffen wird, dass Künstler*innen vor Ort wohnen und arbeiten können (etwa in Form von Ateliers oder Übungsräumen), so ist das Ausdruck einer kulturpolitischen Absicht, Künstler*innen näher zu den Menschen zu bringen, dorthin, wo sie wohnen und arbeiten, und damit Gemeinschaft erfahrbar zu machen. Was mich also umtreibt, das ist die Herstellung neuer Settings von/für Wahrnehmung statt der ewigen Wiederholung kolonialer Gesten, indem Kunst ohne

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Bezug zum Kontext und ohne Vermittlung den Menschen einfach vorgesetzt wird. Als ein konkretes Beispiel kann ich von einer Initiative des Ausnahmepianisten Marino Formenti berichten, der sich für mehrere Tage in einem leerstehenden Geschäftslokal außerhalb des Gürtels einquartiert hat, um dort – wann immer ihm danach war – zu musizieren. Man konnte ihn dabei durch das Auslagenfenster beobachten. Aber auch im Lokal waren Matratzen aufgelegt, die es Besucher*innen mit ihren Einkaufswagerln ermöglicht haben, einfach eine Zeit zu verweilen und sich anzuhören, was Formenti musikalisch zu sagen hat. Im Rahmen einer anderen Aktion hat der Pianist im Türkenschanzpark seine Zelte aufgeschlagen und Menschen eingeladen, mit ihm zu musizieren. Also habe ich meine Blockflöte eingepackt und bin hinaus in den 18. Bezirk gepilgert, um mit Formenti gemeinsam Musik zu machen. Und ich war beileibe nicht allein. GB Natürlich brauchen solche partizipativen Zugänge ein anderes Selbstverständnis der Künstler*innen. Viele von ihnen müssen – durchaus schmerzhaft – Abschied nehmen von den aus dem 19. Jahrhundert stammenden Vorstellungen vom eigenen Geniebild, um zu einem Facilitator für vielfältige Kommunikationsprozesse zu mutieren, zum Teil mit Menschen, die ganz anderes als die Kunst umtreibt. Und so ist es für unsere Studierenden ganz selbstverständlich, nicht nur hehre Kunst für einen immer selektiveren Kunstmarkt zu produzieren, sondern die kategoriale Trennung von reiner und angewandter Kunst hinter sich zu lassen. Tania Bruguera hat in ihrem Manifest über „useful art“ das Eintauchen der Kunst in die Gesellschaft eingefordert. „We do not have to enter the Louvre or the castles, we have to enter people’s houses, people’s lives, this is where useful art is.“ Brugueras „useful art“ in einen platten Zusammenhang mit banalem Utilitarismus zu stellen wäre genau jene simplizistische, eindimensionale Sichtweise, die der Kunst fremd ist und die uns als gestaltungswillige Mitglieder komplexer Gesellschaften des 21. Jahrhunderts fremd sein sollte. Wie schätzen Sie den Stellenwert der Kulturpolitik im Vergleich zu anderen Politikfeldern ein?

VKH Nach meinen Erfahrungen hat sich der Stellenwert der Kulturpolitik in den letzten Jahren nicht nur in Wien nachhaltig verändert. Zugleich ist die Einsicht größer geworden, dass eine auf sich gestellte Kulturpolitik als relativ kleines Politikfeld weitgehend auf verlorenem Posten bleiben muss. Dementsprechend groß ist mein Bemühen, meine Kolleg*innen in der Wiener Stadtregierung für die Sache der Kultur zu interessieren und neue Kooperationsformen zu erproben.

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Dabei verstehe ich mich in erster Linie als eine Netzwerkerin mit Kultur- und Wissenschaftsagenden, die die großen Zusammenhänge von Stadtentwicklung nicht aus den Augen verliert. Als eine Anwältin der Künstler*innen möchte ich die besonderen Fähigkeiten dieser Berufsgruppe bei der Problematisierung ebenso wie bei der Lösung von gesellschaftlichen Problemen auch außerhalb des unmittelbaren Kulturbereichs einbringen. Ganz konkret spielen wir das zurzeit am Beispiel Stadtentwicklung durch, wenn etwa die Erdgeschosszonen der neuen Stadtgebiete vorrangig für kulturelle Zwecke genutzt werden sollen. GB Aus der Sicht der Angewandten ist es allerhöchste Zeit, „größer zu denken“ und sich nicht auf die engen Grenzen des etablierten Kunstbetriebs zu beschränken. Klimawandel, alternde Gesellschaften, die Migrationsfrage, soziale Ungleichheit, Artificial Intelligence: all diese großen Themen verlangen nach einer anderen Art auch der künstlerischen Bildung. Wir werden ohne einen umfassenden Paradigmenwechsel weg von Spezialistentum und seinen mono-disziplinären Ansätzen hin zu einem holistischen Ansatz nicht zurande kommen. Schulen und Universitäten müssen endlich erkennen, wie sie Menschen da stärken können, wo diese Computern – noch – überlegen sind: beim Entwickeln von Kreativität, kritischem Denken und dem Umgang mit komplexen Situationen. Und diesen Paradigmenwechsel werden wir allein mit den althergebrachten Methoden der Kulturpolitik nicht schaffen. Also sind wir mehr denn je auf neue Kooperations- und Interaktionsformen angewiesen, die bislang streng getrennte Kompetenzfelder näher aneinander führen. Aus konkreter Anschauung weiß ich um die besonderen Schwierigkeiten, Vertreter*innen verschiedener Zuständigkeiten enger aufeinander zu beziehen. Und doch scheint diese Form der fachpolitischen Interaktion die einzige Chance, um den gesellschaftlichen Stillstand, der insbesondere im Bereich der Bildung herrscht, aufzulösen und dabei die Kunst als ein Leitmedium der weiteren gesellschaftlichen Entwicklung zu nutzen. Wie sehen Sie die Verortung von Kunstuniversitäten als kulturpolitischem Akteur in der Wiener Stadtpolitik?

VKH Die Frage der unterschiedlichen, oft scharf konkurrierenden Zuständigkeiten wurde gerade angesprochen. Sie gilt es dahingehend zu verstärken, dass den meisten kulturpolitischen Akteuren – und noch mehr den potenziellen Nutzer*innen – unterschiedliche Zuständigkeiten für diese oder jene Kultureinrichtung herzlich egal sind. Ihnen geht es vorrangig um deren Wirksamkeit, egal welcher staatlicher Akteur dafür die Letztverantwortlichkeit trägt. Dies

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vorausgeschickt, kann ich davon berichten, dass wir eine Reihe gemeinsamer Aktivitäten entweder schon gemacht oder in Aussicht genommen haben. Gerade in einem Politikfeld, in dem die Ressourcen immer besonders knapp erscheinen, ist es umso wichtiger, diese so sinnvoll – und das heißt in unserem Zusammenhang so gemeinsam – wie möglich einzusetzen. GB Dem ist kaum etwas hinzuzufügen außer vielleicht der nach wie vor bestehende besonders hohe Grad an Personalisierung im kulturpolitischen Feld. Aufgrund seiner Kleinheit kennen die meisten Akteure einander und sind so in der Lage, aufeinander zuzugehen und – Zuständigkeit hin oder her – gemeinsame Aktivitäten zu planen und durchzuführen. Dass die Angewandte dafür gerne ein wohlmeinender Partner sein möchte, versteht sich fast von selbst. Ich danke für das Gespräch!

Michael Wimmer im Gespräch mit Veronica Kaup-Hasler und Gerald Bast

Zhanina Marinova

427 Zhanina Marinova, born in 1994 in Varna, Bulgaria, studied Fine Arts: Graphic and Printmaking, at the University of Applied Arts Vienna (Diploma in 2019). Her works were exhibited in institutions like MUMOK, Michaelerkirche, Künstlerhaus. She is a member of Künstlerhaus Wien since 2018.

The design of the cover of the anthology is based on an artistic work of Zhanina Marinova: Fata Morgana #3, 2019, screen printing on plywood (unicum), 22.5 × 30 cm

“My first, but at the same time last and biggest, experience in the field of cultural politics is directly connected with the University of Applied Arts Vienna, where I spent almost six years. As a foreigner I can say that this was like ‘diving’ into a totally new education system, with new rules, while having the absolute freedom to express myself in every possible way, using all available tools! These opportunities came in a different form: national and international exhibitions, projects in cooperation with public institutions and museums, or art and cultural festivals, fully supported by the university. All of this and many more perks, like having constant, free access to different studios and work facilities, was beyond my imagination regarding what a cost-free education can offer a student. What I find inspiring is the fact that Austria—in the heart of Europe—is a bridge between different cultures and nationalities, expanding the term ‘cultural politics’ every day.” Zhanina Marinova

Biografien der Autor*innen

431 BALTÀ PORTOLÉS, JORDI

Jordi Baltà Portolés works as a researcher and trainer in cultural policy and international affairs. He is an advisor at the Committee on Culture of United Cities and Local Governments (UCLG) and a member of the UNESCO Expert Facility for the Convention on the Diversity of Cultural Expressions. He teaches at the MA program in Cultural Management of the Open University of Catalonia (UOC) and the University of Girona (UdG), and the Degree in International Relations program of Universitat Ramon Llull (URL). He’s a PhD candidate at UdG and the University of Melbourne.

BIANCHINI, FRANCO

Franco Bianchini is Professor of Cultural Policy and Planning and Director of the Culture, Place and Policy Institute (CPPI) at the University of Hull, UK. He is also one of the Associate Directors of the UK Centre for Cultural Value. He has published on subjects including: the role of cultural policy in urban regeneration; cultural diversity and interculturalism as resources for innovation in urban policy; and the theory and practice of “cultural planning.” From 2010–2014 he was part of the team preparing the successful bid for the European Capital of Culture 2019 title for the city of Matera.

BAST, GERALD

Dr. Gerald Bast, Rektor der Universität für angewandte Kunst Wien, Mitglied der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste, Board-Member European League of Institutes of the Arts, Kuratoriumsmitglied Europäisches Forum Alpbach. Studien der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, Promotion in Rechtswissenschaften. Er publizierte in den Bereichen Hochschulrecht und Hochschulmanagement sowie Bildungs- und Kulturpolitik und hielt weltweit zahlreiche Vorträge über die gesellschaftliche Rolle von Kunst und Kunstuniversitäten sowie über die Verbindungen von Kunst, Bildung und Innovation. Als Rektor intitiierte er eine Reihe von transdisziplinären Projekten in Lehre und Forschung, wie Art and Science, TransArts, Social Design, Cross-Disciplinary Strategies und das Angewandte Innovation Lab.

BLIMLINGER, EVA

Eva Blimlinger, Studium der Geschichte und Germanistik, 1998–2004 Forschungskoordinatorin der Historikerkommission der Republik Österreich, 2004–2011 Prozess- und Projektmanagement an der Universität für angewandte Kunst, 2011– 2019 Rektorin der Akademie der bildenden Künste Wien, 2017–2019 Präsidentin der uniko – Österreichische Universitätenkonferenz, seit Oktober 2019 Abgeordnete zum Nationalrat für Die Grünen: zahlreiche Publikationen zu Nationalsozialismus, Zweite Republik, Wissenschafts- und Kunstpolitik.

432 BOZÓKI, ANDRÁS

András Bozóki is Professor of Political Science at Central European University. His research interests include comparative politics, political ideas, and the role of intellectuals. His books include Post-Communist Transition (1992, 2016), Democratic Legitimacy in Post-Communist Societies (1994), Intellectuals and Politics in Central Europe (1999), The Roundtable Talks of 1989 (2002), Political Pluralism in Hungary (2003), Anarchism in Hungary (2006), Virtual Republic (2012), Rolling Regime Change (2019) et al. His articles have appeared in leading international academic journals. He served as Hungary’s Minister of Culture from 2005–2006.

BRAIDT, ANDREA B.

Mag. Dr. Andrea B. Braidt, MLitt. ist Film- und Medienwissenschaftlerin mit Forschungsschwerpunkten in Gender/ Queer Film Studies, Filmgenreforschung und Artistic Research Studies. Studium in Innsbruck und Newcastle-upon-Tyne (UK), Forschungsaufenthalte in Deutschland, den USA und Kanada, Gastprofessur an der CEU in Budapest, seit 2004 Senior Scientist am TFM Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien. 2011–2019 Vizerektorin an der Akademie der bildenden Künste Wien, seit 2018 Präsidentin von ELIA.

BRANDSTÄTTER, URSULA

2002–2012 Universitätsprofessorin für Musikpädagogik an der Universität der Künste in Berlin, seit 2012 Rektorin der Anton Bruckner Privatuniversität für Musik, Schauspiel und Tanz. Veröffentlichungen/ Monografien: Musik im Spiegel der Sprache (1990), Bildende Kunst und Musik im Dialog (2004/2009), Grundfragen der Ästhetik. Bild – Musik – Sprache – Körper (2008/2009), Erkenntnis durch Kunst. Theorie und Praxis der ästhetischen Transformation (2013).

BRUNS, JULIAN

Julian Bruns lebt in Wien und hat Skandinavistik, Germanistik und Philosophie in Köln und Bergen studiert. Er forscht im Bereich Rechtsextremismus mit den Schwerpunkten Faschismus, Neue Rechte und Identitäre Bewegung.

ČOPIČ, VESNA

Vesna Čopič lectures on cultural policy and cultural management at the University of Ljubljana and publishes at home and abroad. She is a public-policy analyst involved in the overall evaluation of national cultural policy, using multi-disciplinary methodology to work across professional boundaries, bridging disciplines such as cultural governance, artists’ status, public finances, legislation, urban and regional planning, and local self-government. She participates as an expert in some Council of Europe programs, EU research projects, and UNESCO activities.

433 CUEVA, SARAH

Sarah Cueva is a PhD candidate in the Political Science and International Relations (POIR) program at the University of Southern California in Los Angeles, where she focuses on comparative politics and political methodology. Her broader research interests include religion and politics, identity, and civil conflict and security. Her current project seeks to better understand the impact of forced migration on host-population attitudes and conflict risk in the context of the Syrian refugee crisis. With a primary regional focus in the Middle East and North Africa, she spent the summer of 2019 in Morocco studying intensive Arabic as a Critical Language Scholar. Prior to commencing her doctoral work, she worked for the International Rescue Committee’s Economic Recovery and Development team in New York. She holds a BA in Political Science and Middle East Studies from the University of Southern California and an MA in Political Science from Columbia University.

ERKURT, MELISA

Melisa Erkurt ist in Sarajevo geboren. Sie ist Kolumnistin der Wochenzeitung Falter und freie Journalistin beim ORF. Sie war bis 2019 Lehrerin an einer Wiener AHS.

FELDERER, BRIGITTE

Brigitte Felderer lebt als Kuratorin und Kulturwissenschaftlerin in Wien. Sie leitet das Masterstudium „Social Design – Arts as Urban Innovation“ an der Universität für angewandte Kunst Wien und hat zahlreiche Ausstellungsprojekte und Publikationen realisiert, zuletzt Der Hände Werk, Schallaburg 2019 (mit K. Ecker). Sie verfolgt fächerübergreifende Fragestellungen, setzt sich mit der Kultur des Alltags auseinander und geht den Zusammenhängen zwischen Wissenschaften und Kunstbewegungen, Populär- und Hochkultur nach.

FRITZ, MARTIN

Martin Fritz, Rektor der Merz Akademie in Stuttgart, war u. a. Director of Operations für die Wiedereröffnung des PS1 Contemporary Art Center in New York, Geschäftsführer des Kunstprojekts „In Between“ der Expo 2000 in Hannover und Generalkoordinator der „Manifesta 4“ in Frankfurt am Main. Er leitete von 2004 bis 2009 das Festival der Regionen in Oberösterreich. Als Kurator, Berater und Publizist sind seine Arbeitsschwerpunkte Kontextkunde und Institutionskritik, ortsspezifische Kunst und Stadt- sowie Kulturmanagement und Kulturpolitik.

434 GIOVINAZZO MARÍN, MERCEDES

Mercedes Giovinazzo Marín holds a Laurea in Archaeology from the Sapienza University of Rome and a Master’s Degree in Arts Management from the ESC Dijon, France. She is the director of Interarts, and president of BJCEM – Biennale des jeunes créateurs de l’Europe et de la Méditerranée. She has been deputy director of customer services at Universal Forum of Cultures, Barcelona, and an administrator in the Division of Culture and Cultural and Natural Heritage, Council of Europe, Strasbourg. She has also been a board member of Teatro di Roma and the president of Culture Action Europe and the “Access to Culture” Platform, European Commission. She led the global campaign calling for the inclusion of culture in the 2030 Agenda for Sustainable Development.

GRANDMONTAGNE, MARC

Marc Grandmontagne ist Syndikusrechtsanwalt und Master of Arts; nach Stationen als Mitarbeiter im Europäischen Parlament, der RUHR.2010 – Kulturhauptstadt Europas GmbH sowie bei der Stiftung Mercator in Essen war er Geschäftsführer der Kulturpolitischen Gesellschaft e. V. in Bonn. Seit 2017 ist er Geschäftsführender Direktor des Deutschen Bühnenvereins. Er ist Mitglied im Beirat Vielfalt Kultureller Ausdrucksformen der deutschen UNESCO-Kommission. Seit 2017 ist er Sprecher im Rat für darstellende Kunst und Tanz (Deutscher Kulturrat); außerdem ist er Mitglied des PEARLE* Executive Committee, der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste, im Beirat der Deutschen Orchesterstiftung und des Frauenkulturbüros NRW sowie im Kuratorium der Stiftung Tanz – Transition.

GREGORY, SEAN

Sean Gregory is Director of Innovation & Engagement at the Barbican Centre and Guildhall School of Music & Drama in London, responsible for developing and delivering a range of innovation, research, and knowledge exchange and wider lifelong learning programs. Alongside working as a composer, performer, and creative producer, he has led collaborative arts projects for all ages and abilities in association with many British and international orchestras, opera companies, theaters, galleries, and arts education organizations. He has held a number of roles at the Barbican and Guildhall School of Music & Drama including Director of Creative Learning, Head of the Centre for Creative and Professional Practice and Head of Professional Development. He set up and ran the Guildhall Connect program, which won the Queen’s Anniversary Prize in 2005 for its pioneering music leadership and creative ensemble activity with young people in East London.

KAUER, MARCUS

Marcus Kauer, M. A. (Kulturelle Bildung an Schulen / Philipps Universität Marburg), Ministerialrat und Referatsleiter für Kulturelle Bildung im Hessischen Kultusministerium, Lehrer (Musik, Geografie / Justus Liebig Universität Gießen), ehem. Direktor und stellv. Schulleiter einer KulturSchule, ist aktiver Musiker und verfolgt die Arbeitsschwerpunkte Konzeption und Implementierung von Formaten kultureller Bildung im Kontext Schule und Bildung, Kooperationen mit außerschulischen Kulturpartnern sowie Universitäten, Hochschulen, Akademien und Stiftungen. Marcus Kauer berät Schulleitungen, Koordinatorenteams, Kulturinstitutionen sowie Ministerien und Stiftungen bei der Umsetzung von Programmen kultureller Bildung an Schulen.

435 KAUP-HASLER, VERONICA

Veronica Kaup-Hasler ist seit Mitte 2018 Stadträtin für Kultur und Wissenschaft in Wien. Nach dem Studium der Theaterwissenschaft und Germanistik in Wien war sie als Dramaturgin u. a. am Theater Basel und bei den Wiener Festwochen tätig. Von 2006 bis 2017 war sie Intendantin und Geschäftsführerin des Festivals steirischer herbst. Sie ist stellvertretende Vorsitzende des Unirats der Akademie der bildenden Künste Wien und Unirätin der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien.

KNOL, JAN JAAP

Jan Jaap Knol is director of the Boekman Foundation, Institute for Arts, Culture and Policy in Amsterdam. The foundation stimulates research and the development of opinion on arts-related policy. Until March 2019, he directed the Netherlands Fund for Cultural Participation that promotes participation in culture with programs for cultural education during schooltime. He studied Dutch language and literature at Groningen University and held various positions at the Dutch Ministry of Education, Culture and Science (Communication Adviser, Project Manager Culture and School and Head of the Department for Cultural Outreach).

KORETSKAYA, GALINA

Galina Koretskaya is a cultural manager based in Almaty, Kazakhstan. She completed her MA in Theater Arts Management at the Janacek Academy of Music and Performing Arts in Brno, Czech Republic in 2011. She worked at the Mayor’s Office Department of Culture as a specialist on development and cultural policy, as executive director of the non-profit foundation Almadeniet, and supervised several of the department of culture’s large city events. In 2014, Galina joined a working group that has been developing the concept for the cultural policy of Kazakhstan. In 2017, Galina founded Transforma, a cultural venue in Almaty that is a space and platform supporting independent performing arts and new creative works.

LEISCH, TINA

Film-, Text- und Theaterarbeiterin und politische Aktivistin in Wien, gestaltet Theaterexperimente in gesellschaftlichen Konfliktzonen, macht Kino, um im Inneren der Bilder den Machtverhältnissen Fallen zu stellen, Mitbegründerin von kinoki (www.kinoki.at), dem Verein Peršman (www.persman.at) und der Schweigenden Mehrheit (www.schweigendemehrheit.at).

436 MAILATH-POKORNY, ANDREAS

Dr. Andreas Mailath-Pokorny, Jurist, Diplom für International Relations der SAIS Europe. Diplomatischer Dienst des Bundesministeriums für Auswärtige Angelegenheiten (1986); 1988–1996 Kabinett Bundeskanzler Franz Vranitzky, zuletzt Büroleiter. 1996–2001 Leitung der Kunstangelegenheiten im Bundeskanzleramt; 2001 Wechsel in die Wiener Stadtregierung als Stadtrat für Kultur und Wissenschaft, ab 2015 zusätzlich für Sport, Information und Informations- und Kommunikationstechnik. Seit 2010 Präsident des Bundes Sozialdemokratischer AkademikerInnen, Intellektueller und KünstlerInnen. Seit 2018 ist er Rektor der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien.

MOKRE, MONIKA

Monika Mokre arbeitet als Politikwissenschaftlerin am Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und ist politisch im Bereich Flucht und Migration aktiv. Sie unterrichtet an mehreren Universitäten in Wien, u. a. der Universität für Musik und darstellende Kunst, der Universität für angewandte Kunst und der Webster University Vienna. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Demokratie und Öffentlichkeit, Kulturpolitik, Asyl und Migration, Gender und Intersektionalität.

MOLTRECHT, ELKE

Elke Moltrecht ist Musikwissenschaftlerin, Kuratorin, Produzentin und Beraterin. Sie leitete den Musikbereich im Podewil – Zentrum für aktuelle Künste, das Ballhaus Naunynstraße sowie das Projekt „Musik sehen“ des Humboldt Lab Dahlem in Berlin, als Geschäftsführerin das Netzwerk für Neue Musik Musik 21 Niedersachsen und die Akademie der Künste der Welt in Köln. Sie ist Mitbegründerin des Ensembles Extrakte für transtraditionelle musikalische Praxis und Forschung, Mitglied von nationalen und internationalen Jurys und Vorständen und veröffentlichte in Fachzeitschriften Artikel über experimentelle, neue und transtraditionelle Musik. Aktuell arbeitet sie freiberuflich in Berlin und war 2019 Mitiniatiatorin des Global Network for Newly Made Musics.

NEUNDLINGER, BARBARA

Mag. Barbara Neundlinger ist Geschäftsführerin der Kulturpolitischen Gesellschaft e. V. in Bonn und auf Geschäftsführungsebene für die Kontaktstellen zu den EUFörderprogrammen Creative Europe Desk KULTUR und Europa für Bürgerinnen und Bürger zuständig. Die studierte Kommunikationswissenschaftlerin und Kulturund Bildungsmanagerin leitete zuvor bei KulturKontakt Austria den Bereich Kulturvermittlung sowie das Artists-in-Residence-Programm und war für Europäische Vernetzung verantwortlich. Ihr Engagement gilt den Arbeitsschwerpunkten (EU-) Kulturpolitik, Kulturelle Bildung, Rolle von Kunst und Kultur in einer offenen demokratischen Gesellschaft.

437 OAKLEY, KATE

Kate Oakley is Head of the School of Culture and Creative Arts and Professor of Cultural Policy at the University of Glasgow. She is best known for her work in cultural industries policy and labor markets with particular attention to questions of inequality. She is currently working on the CUSP project, which considers the role of cultural activities in environmental sustainability (www.cusp.ac.uk). Her books include Culture, Economy & Politics: the Case of New Labour (2015) with Hesmondhalgh, Lee, & Nisbett; the Routledge Companion to the Cultural Industries (2015), co-edited with Justin O’Connor; and Cultural Policy (2014), co-written with David Bell. She is currently co-editing Cultural Industries and the Environmental Crisis with Mark Banks, to be published by Springer in 2020. Kate was previously Chair of Cultural Policy at the School of Media and Communications in Leeds.

PAINTER, HEATHER

Heather Painter is a former elementary school art teacher, Fulbright grant recipient to Austria, and current congressional staffer, where she has covered, among others, education and cultural policy issues in the United States House of Representatives.

PAPP, DÓRA

Dóra Papp has managed cultural and educational programs at Budapest-based institutions for more than ten years. She served as CEO for Krétakör Foundation from 2016–2017 and has worked as a campaign director at aHang (theVoice) platform since it was established in February 2018. She focuses on cultural and civic programs that build a democratic and participatory society.

PROSSER, ROBERT

Robert Prosser, geboren 1983 in Alpbach/ Tirol, lebt dort und in Wien. Studium der Komparatistik und Kultur- und Sozialanthropologie. Veröffentlichte u. a. die Romane Phantome (2017), Gemma Habibi (2019) und als Mitherausgeber Lyrik von Jetzt 3 (2015). www.robertprosser.at

ROHN, WALTER

Walter Rohn works as a senior research associate at the Institute of Urban and Regional Studies at the Austrian Academy of Sciences in Vienna. His main research interests are cultural urban development, arts, migration, and urban development as well as the art-avant-garde in Vienna after World War II. From 2002–2017 he was a lecturer at the Institute of Political Science at the University of Vienna and since 2003 he has been a member of the Works Council of the Austrian Academy of Sciences. Rohn received his PhD in Political and Communication Sciences at the University of Vienna in 1987.

438 SCHAD-SPINDLER, ANKE SIMONE

Anke Simone Schad-Spindler has been working in international research projects in culture and related fields since 2006; first for EDUCULT Institute for Cultural Policy and Management and then as a freelancer since 2016. In 2017 she graduated with a PhD (distinction) in Cultural Institution Studies from the University of Music and Performing Arts Vienna. She has received the Award of Excellence by the Austrian Federal Ministry of Education, Science and Research. Since 2016 she has been a member of the board of the Association for Cultural Management and a board member at EDUCULT since 2018.

SCHUBERTH, PAUL

Paul Schuberth, 1994 in Steyr (Oberösterreich) geboren, lebt in Linz. Aktuell studiert er klassisches Akkordeon an der Anton Bruckner Privatuniversität Linz. Als komponierender Musiker bereiste er bereits Europa, Asien und Afrika. Seit 2014 tritt er immer wieder mit Texten über Politik, Gesellschaft und Kultur in Erscheinung; Veröffentlichungen u. a. in konkret, Versorgerin, Augustin, Café KPÖ und derstandard. at; seit 2019 Redaktionsmitglied der Linzer Zeitschrift Versorgerin.

SHPORTA, ARES

Ares Shporta is a researcher, writer and institution director based in Prizren, Kosovo. He has completed his MA studies at Istanbul Bilgi University’s program on cultural management, with a focus on participatory models of local governance of culture. He is the director of the Lumbardhi Foundation, in charge of programs, development, and infrastructure. Shporta is also Chairman of the Network of Cultural Organizations in Prizren and president of the regional platform for culture, Kooperativa. His main engagement in the networks is in advocating for reform programs, institutional models and structures that recognize the role of independent cultural institutions in the region and enable enhanced civic participation in decision making.

SRAKAR, ANDREJ

Andrej Srakar is a scientific associate and assistant professor at the Institute for Economic Research, University of Ljubljana. He is co-editor of the forthcoming Palgrave Macmillan book series Cultural Economics & the Creative Economy. Research interests: mathematical statistics, econometric theory, cultural economics, and the economics of aging. Selected journal publications: Journal of Cultural Economics, International Journal of Cultural Policy, Cultural Trends, Journal of Cultural Heritage, Poetics, International Journal of Arts Management, and chapters in Springer, Edward Elgar, De Gruyter, and Routledge.

439 STADLER, ANDREAS

Andreas Stadler ist ein österreichischer Diplomat, Politologe und Kurator. Seit 2018 ist er österreichischer Botschafter für Malta mit Sitz in Wien sowie Vorsitzender der Mitte-liberal-links-grün-Fraktion der Diplomatengewerkschaft im Außenministerium. Als langjähriger Direktor der Kulturinstitute in New York und Warschau lehrt er Kulturdiplomatie und Kulturmanagement an der Universität Wien und der Angewandten. Er schöpft auch aus Erfahrungen und Leistungen im Bereich Krisen- und Konfliktmanagement, u. a. war er stellvertretender Botschafter Österreichs in der OSZE sowie in Kroatien in der Zeit der jugoslawischen Nachfolgekriege. Die Themen seiner Vorträge und Publikationen umfassen Kulturpolitik, Kunstkritik, Europäische und internationale Beziehungen.

TOMMARCHI, ENRICO

Enrico Tommarchi is a research assistant and PhD candidate at the University of Hull – Culture, Place and Policy Institute (CPPI). He has taken part in the HOMEE project (Heritage Opportunities/Threats within Mega-Events in Europe) and in the evaluation of Hull UK City of Culture 2017. His research focuses on cultural mega-events and socio-spatial port-city relationships. He is a spatial planner by training (IUAV – Venice) and interested in the geographies of coastal cities, the socio-spatial and symbolic outcomes of mega-events, and culture-led urban regeneration.

TRIPOLT, MARKUS

Markus Tripolt ist Malermeister, Dipl.Grafikdesigner und Dipl.-Trainer in der Erwachsenenbildung. In den späten 80er bis Mitte der 90er Jahre lebte und arbeitete er überwiegend in Berlin, wo er bei dem renommierten Fassadenkünstler Gerd Neuhaus die Großbildmalerei und Trompel’œil-Malerei erlernte. Es folgten zahlreiche Fassadenbilder, Aktionskunst und Installationen in Wien, Europa und Mali/Westafrika. In Wien installierte er 1998 mit Feuermauern die erste Wiener Stadtbildgalerie mit insgesamt über 1.000 m2 Bildfläche an neun verschiedenen Standorten. Von 1999 bis heute betreibt er das Kunstprojekt „colored chairs“, eine Installation aus bunten Sesseln zur Sichtbarmachung des allgemeinen Menschenrechtstages im öffentlichen Raum jeweils am 10. Dezember. Diese Installation ist, so wie die Aktionen im Rahmen von „paint back!“, gleichzeitig ein Trainingsprogramm für sinnsuchende Jugendliche. 2018 fertigte er mit einem von ihm zusammengestellten Team die Bilder zur Ausstellung There is No Place Bevor Arrival von Olav Nicolas auf dem Boden der 1.100 m2 großen Wiener Kunsthalle. Die Arbeiten und das Kommunikationsdesign für Unternehmen und Organisationen von Markus Tripolt erfuhren zahlreiche nationale und internationale Auszeichnungen. Neben seinen visuellen Umsetzungen ist er Gründer und Songwriter der Wiener Band „Männer ohne Werk“. Zurzeit ist er darum bemüht, die Herausforderungen der allgemeinen Digitalisierung mit dem von ihm entwickelten Trainingsprogramm „medialoop“ für Kinder und Jugendliche aufzunehmen, in dem digital gefertigte Fotos malerisch re-analogisiert werden. Das überspannende Motto seiner Arbeiten lautet: Öffentlichkeit braucht Raum.

440 URBAN, BARBARA

Barbara Urban, MEd, begann nach abgeschlossenem Studium an der PH Wien im Herbst 1991 ihre berufliche Tätigkeit als Volksschullehrerin in Wien. Der Fokus, existenten Notwendigkeiten im Bildungssystem mit Innovation und Offenheit zu begegnen, bestimmte von Beginn an den beruflichen Werdegang. Seit 2012 ist sie Schulleiterin in Wien. Mit hohem Engagement widmet sie sich vielfältigsten Kooperationen (national und international) und dem Feld der Kulturellen Bildung in Prozessen des Schulmanagements.

VOGELGESANG, ARNE

Mit dem Theaterlabel internil und unter eigenem Namen realisiert Arne Vogelgesang seit 2005 freie Theaterprojekte, die mit verschiedenen Zusammensetzungen von dokumentarischem Material, neuen Medien, Fiktion und Performance experimentieren. Außerdem hält er Vorträge und gibt Workshops zur Ästhetik radikaler Internet-Propaganda und schreibt gelegentlich einen Text. Derzeit forscht er zu Live-VR-Storytelling und Kannibalismus. Mehr: http://vogelgesang.internil.net

WEIGL, ARON

Dr. Aron Weigl ist Geschäftsführer des Wiener Forschungs- und Projektinstituts „EDUCULT – Denken und Handeln in Kultur und Bildung“ (educult.at). Mit EDUCULT arbeitet er in den Querschnittsbereichen von Kultur, Bildung und Politik an Evaluationen, Studien und kooperativen Forschungsprojekten in Österreich und Europa. Er studierte Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis an der Universität Hildesheim und doktorierte im Fach Kulturpolitik. Aron Weigl ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Internationalen Konferenz für Kulturpolitikforschung (iccpr).

441 WIMMER, MICHAEL

Michael Wimmer ist Gründer und war bis Ende 2017 Geschäftsführer von EDUCULT. Seit 2018 ist er Direktor des Forschungsinstituts und nimmt seither die Funktion des Vorstandsvorsitzenden wahr. Aus diesen Tätigkeiten sowie als langjähriger Geschäftsführer des Österreichischen Kulturservice (ÖKS), als Musikerzieher und Politikwissenschaftler bringt Michael Wimmer umfassende Erfahrungen in die Zusammenarbeit von Kunst, Kultur und Bildung ein. Er ist Dozent an der Universität für angewandte Kunst Wien zu Kulturpolitikforschung sowie Lehrbeauftragter am Institut für Kulturmanagement und Gender Studies der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien sowie am Institut für Lehrer*innen-Bildung an der Universität Wien. Er war Mitglied der Expertenkommission des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur zur Einführung der Neuen Mittelschule und ist als Berater des Europarats, der UNESCO und der Europäischen Kommission in kultur- und bildungspolitischen Fragen aktiv. Er ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Internationalen Konferenz für Kulturpolitikforschung (iccpr). Er betreibt die Initiative „Wimmers Kultur-Service“: www.michael-wimmer.at

Michael Wimmer (Hg.) [email protected] www.michael-wimmer.at Projektleitung „Edition Angewandte“ für die Universität für angewandte Kunst Wien: Anja Seipenbusch-Hufschmied, A-Wien Content and Production Editor für den Verlag: Katharina Holas, A-Wien Lektorat dt.: Fanny Esterházy, A-Wien Lektorat engl.: Scott Clifford Evans, A-Wien Layout, Covergestaltung und Satz: Theresa Hattinger, A-Wien Druck: Holzhausen, die Buchmarke der Gerin Druck GmbH, A-Wolkersdorf

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. ISSN 1866-248X ISBN 978-3-11-067980-9

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