Kalkül und Illusion: Der Machtkampf zwischen Reichswehr und SA während der Röhm-Krise 1934 [1 ed.] 9783428479757, 9783428079759

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Kalkül und Illusion: Der Machtkampf zwischen Reichswehr und SA während der Röhm-Krise 1934 [1 ed.]
 9783428479757, 9783428079759

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Immo v. Fallois . Kalkül und Illusion

Beiträge zur Politischen Wissenschaft Band 7S

Kalkül und Illusion Der Machtkampf zwischen Reichswehr und SA während der Röhm-Krise 1934

Von

Immo v. Fallois

DUßcker & Humblot . Berliß

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Fallois, Immo von: Kalkül und Illusion : der Machtkampf zwischen Reichswehr und SA während der Röhm-Krise 1934/ von Immo v. Fallois. Berlin : Duncker und Humblot, 1994 (Beiträge zur Politischen Wissenschaft; Bd. 75) Zug\.: Göttingen, Univ., Diss., 1993 ISBN 3-428-07975-2 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten

© 1994 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0421 ISBN 3-428-07975-2

Vorwort Was wir sind und schaffen, geschieht nicht nur durch uns allein. Zum Gelingen der vorliegenden Arbeit, die im Frühjahr 1993 von der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Georg-August-Universität zu Göttingen als Dissertation angenommen wurde, bedurfte es der Hilfe verschiedener Menschen. Zunächst sei meinen Doktorvätern, den Professoren Dr. Peter Lösche und Dr. Christian Graf v. Krockow, gedankt. Sie regten die Arbeiten an, begleiteten sie stets kritisch und bereicherten sie durch wertvolle Ratschläge. Einfühlsam und weitsichtig standen sie dabei dem Autor zur Seite. Dr. lobst von Fallois, Dr. Hans F. Bellstedt und Dr. Hanns C. Löhr danke ich für die sachkundige Begleitung, Ernst Freiherr von Münchhausen für das Heranführen an wertvolle Zeitzeugen. Frau Maria Gräber (Köln) und Herrn Joachim Freiherr v. Ledebur (Berlin) sei vielmals Dank ausgesprochen für ihre unermüdliche Schreibarbeit. Ganz besonders gedankt sei meiner Mutter. Sie hat mich mein ganzes Studium mit Elan, Geduld und finanziellem Engagement begleitet. Ihr sei dieses Buch mit Freude gewidmet. Almuth, meiner lieben Frau, gilt mein tiefer Dank zum Schluß. Ihre liebevolle Begleitung schuf eine Atmosphäre der Ruhe und Geborgenheit, durch die das vorliegende Werk erst gelingen konnte. Berlin, im Winter 1993

lmmo von Fallois

Inhaltsverzeichnis A.

Einleitung... ... .. ............... ........ ....... .. ..... ........... ............... .......... ... .. . .. ..

9

I. Thema und Fragestellung........................................ ............... 9 II. Forschungsstand und Quellenlage..................................... ...... 11 Die Quellenlage .... .. ....... .. ..... ... .. ...... ............. .... ......... .. .. . .... 15 III. Vorgehensweise (Methode) ..................................................... 17 B.

Grundlagen und Bedingungen............................................................. 20 I. Praktische Ausgangspositionen............................................... I. Die Beziehungen zwischen Reichswehr und Hitler vor 1933.... 2. Die Beziehungen zwischen Reichswehr und SA vor 1933 ........ 11. Theoretische Ausgangspositionen........................................... l. Hitlers militärpolitische Konzeptionen ................................ 2. Röhms militärpolitische Konzeptionen ............................... 3. Die militärpolitischen Konzeptionen der Reichswehr .......... III. Zwischenbetrachtung................. ..... ............. ............... ....... .....

C.

20 20 36 46 46 55 63 70

Vorgeschichte der Terroraktionen ....................................................... 73 1. Ocr Machtkampf zwischen Reichswehr und SA im Jahre 1933 73 I. Reichswehr und SA am Beginn des nationalsozialistischen Staates ................................................................................ 73 2. Der personelle Wandel in der Reichswehr...................... ..... 80 3. Die Beziehungen zwischen Reichswehr und SA 1933 ......... 86 4. Außenpolitische Aspekte zwischen Reichswehr und SA ...... 94 II. Die Reichswehr und die Krise des Systems 1933/34 ................ 100 1. Reichswehr und SA am JahresWechsel 1933/34 .................. 100 2. Der "Arierparagraph": Prüfstein der Konzessionsbereitschaft der Reichswehr gegenüber Hitler im Machtkampf mit der SA .......................................................................... 106 3. Exkurs: Ein Staatsstreich als Ausweg? ............................... 112

D.

Reichswehr und Terrof.. ...................................................................... 117 I. Intensivierung der Anpassungspolitik und Zunahme der Spannungen mit der SA. ................................................... 117 1. Hitlers Rede am 28. Februar 1934 ....................................... 117 2. Zunahme der Spannungen mit der SA im März, April und Mai 1934 ..................................................................... 121

8

Inhaltsverzeichnis

3. Über die Stimmung innerhalb der Reichswehrführung gegenüber der SA im Mai und Juni 1934 ............................ 127 4. Das politische Vorgehen der Reichswehr gegen die SA im Vorfeld des 30. Juni 1934 ................................................... 131 11. Reichswehr und Terror ........................................................... 139 1. Beginn des Terrors ............................................................. 139 2. Die Beteiligung der Reichswehr an der Aktionen ................ 143 3. Die Möglichkeiten der Gegenwehr ...................................... 146 E.

Folgen der Röhm-Krise: Kalkill und Illusion ....................................... 150

1. Die Auswirkungen des Machtkampfes zwischen Reichswehr und SA ................................................................................... 150 1. Erste Reaktionen der Reichswehr ........................................ 150 2. Hitlers Rede vom 13. Juli 1934 ........................................... 156 3. Der Eid auf Hitler ............................................................... 161 4. Die Auswirkungen der Röhm-Krise für das Offizierkorps ... 166 11. Schlußbetrachtung .......................................................................... 171 F.

Quellen und Literatur .......................................................................... 177

I. Quellen................................................................................... 177 1. Ungedruckte Quellen .......................................................... 177 2. Gedruckte Quellen .............................................................. 184 11. Literatur ................................................................................. 185

A. Einleitung J. Thema und Fragestellung "Der Reichskanzler hat Wort gehalten, als er den Versuch Röhms, die SA in die Reichswehr einzugliedern, im Keim erstickte. Wir lieben ihn, weil er sich als wahrer Soldat gezeigt hat".) Walther von Reichenau, Chef des Ministeramtes, schrieb diese Worte im August 1934. Sie zeigen, welche Bedeutung das Ergebnis der Röhm-Krise2 für einen hohen Repräsentanten der Reichswehr besaß. Die Verbindung, die Heer und Hitler während der Röhm-Krise eingingen, war verantwortlich für das blutige Ende dieser Krise, hinter der eine vielschichtige Problematik stand. Das Waffenmonopol begründete die Machtstellung der Reichswehr. Außerdem führte es zum Anspruch, gleichberechtigter Partner des angeblich auf zwei Säulen (die der Partei und die der Armee) beruhenden nationalsozialistischen Systems zu sein. Jede auch nur theoretische Infragestellung dieses Monopols mußte daher die Politik der militärischen Führung in ihrem Zentrum treffen. Der Stabschef der SA, Ernst Röhm, hatte aber genau dies zum Ziel: die Beseitigung des Waffenmonopols und damit der politischen Machtposition der Streitkräfte. Die Auseinandersetzung zwischen Hitler und Röhm. und die Herausforderungen, welche Röhms militärpolitische und gesellschaftliche Pläne für die Armee bedeuteten, verdeckten zu jener Zeit noch ein grundsätzliches Problem: den totalitären Anspruch auf alle Bereiche staatlich-politischen Daseins, der dem Nationalsozialismus wesenseigen war. Aus diesen Gründen stellte sich in der Sicht der Reichswehrführung die ab Herbst 1933 akute Rivalität mit der SA auch nicht als eine Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Totalitätsstreben dar. Die militärische Führung kämpfte vielmehr gegen den Anspruch eines Teiles der NS-Bewegung. Dieser Machtkampf hatte allerdings in der Sicht der deutschen Militärfiihrung mehr als nur eine Seite: Die Ambitionen der SA-Führung bedeuteten nämlich nicht 1 Freiburger Militärarchiv, RH 12-5/v.43, Reichenau am 28.8.1934 in: "Richtlinien rur den Unterricht ober politische Tagesfragen", Nr. 8 2 Mit Röhm-Krise ist im weiteren Sinne die Auseinandersetzung zwischen Reichswehr und SA um die militärpolitische Vormachtstellung im nationalistischen Staate gemeint Sie begann im Sommer 1933 und endete mit dem Ausscha\ten der SA-Spitze Anfang 1934. 1m engeren Sinne ist damit die Vorbereitungsphase rur das Ausschalten der SA-Spitze einschließlich der Tage des Terrors von Anfang Mai 1934 bis Anfang Juli 1934 gemeint In dieser Arbeit wird die Röhm-Krise in ihrem weiteren Sinne verfolgt

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A Einleitung

allein eine Bedrohung der politischen Position der Armee. Sie bedeuteten auch eine Geflihrdung ihrer gesellschaftlichen Basis. Röhms Streben nach einer sozialrevolutionären Umformung der Gesellschaft bedrohte die Führungsrolle der Militärelite als eine der entscheidenden Grundlagen ihres politischen Anspruches. Insofern kam dem Machtkampf zwischen Reichswehr und SA eine für die Phase der militärpolitischen Konstituierung des nationalsozialistischen Staates entscheidende Bedeutung zu. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, das Verhalten der Armee im Machtkampf mit der SA während der Röhm-Krise herauszuarbeiten. Dabei wird zuvorderst aus der Perspektive des Heeres analysiert. Allerdings soll in Ergänzung oder Abgrenzung dazu die Betrachtungsweise von Hitler und Röhm nicht vernachlässigt werden. Zwei Fragen stehen dabei im Mittelpunkt dieser Arbeit: l. Hat der Machtkampf der Armee3 gegen die SA die enge Beziehung zwischen Heer und Hitler in jener Form gefestigt, die beide Partner auf Jahre hinaus aneinanderband? Hat die Armee dabei diese Verbindung bewußt als eine langfristige macht- und militärpolitische Perspektive interpretiert, die im Falle der Röhm-Krise einen ersten Versuch ihrer Realisierung darstellte? 2. Oder aber ging die Reichswehrfiihrung aufgrund eines doch eher kurzfristig bemessenen Kalküls die Verbindung mit Hitler ein? Wollte sie damit in einer für ihre Organisation militärpolitisch noch nicht entschiedenen Situation Machtanteile sichern? Diese Hauptfragen führen zu allgemeinen Gedanken, die sich folgendermaßen zusammenfassen lassen: Wie konnte es geschehen, daß sich die Reichswehr - und vor allem der ehemals "preußische" Generalstab als Verkörperung höchster gesellschaftlicher und moralisch-ethischer Ansprüche - zur begünstigenden Mitwirkung an dem brutalen Vorgehen Hitlers gegen die SA hinreißen ließ?4 In welchem Maße die Armee unter den konkreten Gegebenheiten, unter den Voraussetzungen ihrer soziologischen und psychologischen Struktur sowie ihrer historischen und politischen Entwicklung entschieden und gehandelt haben, ist das weitergehend zu bearbeitende politische und historische Problem. Insofern werden in der Fragestellung organisationsgeschichtliche, mentalitätsspezifische und sozialpsychologische Kategorien ihre Berücksichtigung finden.

3 Mit 'Annee' ist in dieser Arbeit hauptsAchIich das 'Heer' gemeint Dagegen können die Verhältnisse bei der Luftwaffe und Marine nicht einheitlich beurteih werden. Das Heer, seit jeher Hort militilrischer Traditionen, mit einem auch in der Reichswehrzeit sorgßltig nach soziologischen Gesichtspunkten ausgewAh1ten Offtzierkorps, lAßt sich nicht vergleichen mit der erst im Aufbau begriffenen Luftwaffe. Die Kriegsmarine besaß nicht ein Offtzierkorps mit so viel Trägern alter Namen aus dem Militäradel und spielte als Machtfaktor filr die NSDAP bei weitem nicht die Rolle wie die Annee. 4 Dabei soll der "moralische Absturz" der preußischen Offtziere nicht aus einer verurteilenden und Schuld zuweisenden Ex-Post-Betrachtung dargestelh werden, sondern vielmehr durch eine "Faktorenanalyse" aus den Bedingungen der Zeit heraus.

11. Forschungsstand und Quellenlage

11

11. Forschungsstand und Quellenlage Die politische und historische Forschung hat sich dem Machtkampf zwischen Reichswehr und der SA in ganz unterschiedlicher Form angenommen. 5 Schon unmittelbar nach Beendigung der Röhm-Krise erschien von deutschen Emigranten in Paris ein Weißbuch6 über die Erschießungen während des 30. Juni 1934. In dieser populären Darstellung - sie wollte als "Exilliteratur" agitatorische Akzente setzen - werden die Terroraktionen als schwerer Schlag fiir Hitlers außenpolitisches Ansehen gedeutet. Ein wissenschaftliches Aufarbeiten des Machtkampfes zwischen Reichswehr und SA findet jedoch nicht statt. Die erste umtangreichere Analyse der Röhm-Krise des im Exil lebenden Journalisten Konrad Heiden7 konzentriert sich nahezu ausschließlich auf die Beziehung zwischen Hitler und der SA. Sie vernachlässigt die Position des Militärs. Heiden interpretiert Hitler als einen entscheidungsschwachen Diktator. Hermann Foertschs8 Untersuchung, die dem nationalsozialistischen System positiv gegenübersteht, analysiert nur die Rolle der Reichswehr während der Röhm-Krise, aber nicht die Rolle der SA. Sie interpretiert das Vorgehen des Heeres als einen notwendigen existentiellen Überlebenskampf einer Organisation. In der Nachkriegsliteratur müssen zum einen die wissenschaftlichen Spezialuntersuchungen über die Reichswehr genannt werden. Zum anderen werden die historischen und politischen Arbeiten berücksichtigt, die detailliert die Röhm-Krise zum Gegenstand der Forschung gemacht haben. Im Bereich älterer Spezialuntersuchungen über die Reichswehr betrachteten mit Ausnahme von Wheeler-Bennett9 und Wolfgang SaueriO, Schüddekopfl l , Gordon l2 , Vogelsang l3 und Carsten l4 die Armee vorwiegend aus der Zeit der Weimarer Republik.

5 Es sei darauf verwiesen, daß ausfiihrliche Forschunglldiskussionen zu Teilaspekten dieser Arbeit im Hauptteil erfolgen. 6 Weißbuch ilber die Erschießungen des 30. Juni, Paris 1934, S. 158ff. 7 Konrad Heiden: AdolfHitler, Das Zeitalter der Verantwortungslosigkeit, Eine Biographie, Zürich 1936, S. 417-460. 8 Hennann Foertsch: Die Wehrmacht im nationalsozialistischen Staat, Hamburg 1935. 9 John W. Wheeler-Bennett: Die Nemesis der Macht, Die deutsche Annee in der Politik 1918-1945, Dilsseldorf 1954. 10 Wolfgang Sauer: Die Mobilmachung der Gewalt, in Karl Dietrich Bracher, Wolfgang Sauer, Gerhard Schutz: Die nationalsozialistische Machtergreifung. Studien zur Entwicklung des totalitären Herrschaftssystems in Deutschland 1933-1934,2. Aufl., Köln, Opladen 1962, (zit als Bracher, Sauer, Schutz) S. 683ff. 11 DIto Ernst Schilddekopf: Das Heer und die Republik, Quellen zur Politik der Reichswehrfiihrung 1918-1933, Hannover und Frankfurt a. M. 1955.

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A Einleitung

Daraus zogen sie Rückschlüsse für die Aufnahmebereitschaft der Annee für Hitlers militärpolitische Theorien. Sie zeigten, daß der weitreichende Einfluß der Seecktschen Vorstellung einer unpolitischen Annee einerseits den "Vorteil" einer Traditionsübernahme aus dem Kaiserreich brachte. Diese gewährte dem Militär Geschlossenheit und die wiederum eine gewisse, jedoch überwiegend ohne Überzeugung vorgetragene Loyalität zur Republik. Andererseits bewahrte die Rolle eines "Staates im Staat" machtstaatliches und antiparlamentarisches Denken und verdeutlicht die "attentistische" Grundhaltung der Mehrheit der Offiziere. Mit diesen Forschungsergebnissen wurden zwar ideenpolitische und soziopolitische Voraussetzungen für das Verhalten der Reichswehr während der Röhm-Krise aufgezeigt. Weder aber wurde der Machtkampf zwischen Militär und SA während der Weimarer Republik noch während der Röhm-Krise detailliert untersucht. Wheeler-Bennett berichtet erstmals genauer (gemessen an den Abschnitten über die Weimarer Republik und den 20. Juli 1944 allerdings knapp) über den Machtkampf zwischen der Reichswehr und SA. Allerdings ist seine Arbeit mit dem Mangel unsauberer Quellenarbeit behaftet, die auf ungenauen, oftmals übertriebenen Urteilen basiert. 15 Sauer bringt genauere Urteile. Seine Aussagen stützen sich jedoch vorwiegend auf ältere Literatur. Aus der neueren Literatur sind vor allem anderen die Arbeiten von Müller l6 , Messerschmidt17, Geyer 18 und Longerich 19 zu nennen. Alle Arbeiten widmen sich, wie die oben erwähnten auch, nur in Teilaspekten und einzelnen

12 Harold 1. Gordon: Die Reichswehr und die Weimarer Republik 1919-1926, Frankfurt a.M.

1959.

13 Thilo Vogelsang: Reichswehr, Staat und NSDAP, Beiträge zur deutschen Geschichte 1930-1932, Stuttgart 1962. 14 Francis

L. Carsten: Reichswehr und Politik 1918-1933, Köln!Berlin 1964.

15 So ist zum Beispiel sein Urteil falsch, die Reichswehr hätte einen Staatsstreich während des ersten Halbjahres 1934 durchgefilhrt, wenn Hindenburg dieses befohlen hätte. (John W. Wheeler-Bennett, Die Nemesis der Macht, S. 328). Dubios auch seine Vermutung. BIomberg und Hitler hätten am 12. April 1934 auf dem Schulschiff'Deutschland' einen Plan gegen Röhm gescluniedet (S. 331). FOr beide Behauptungen fehlen Belege. 16 K1aus-JOrgen MOller: Das Heer und Hitler, Armee und nationalsozialistisches Regime 19331940, Stuttgart 1969. - Ders., Armee und Drittes Reich 1933-1939, Paderbom 1987. Zudem

veröffentlichte er eine noch nicht hinreichend ausgewertete Dokumentensammlung. Ders., Reichswehr und Röhm-Affllre. Aus den Akten des Wehrkreiskommandos (Bayr.) VII, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen, Bd. 1. 1968, S. 107-144. Außerdem werden Erkenntnisse eines Gesprächs mit KlausJOrgen MOller am 3.12.1989 ausgewertet

17 Manfred Messersclunidt: Die Wehrmacht im NS-Staal, Zeit der Indoktrination. Eine Einfilhrung von General a.D. Johann AdolfGrafvon Kielmansegg, Hamburg 1969. 18 Michael Geycr: Aufrostung oder Sicherheit, Die Reichswehr in der Krise der Machtpolitik 1924-

1936, Wiesbaden 1980.

11. Forschungsstand und Quellenlage

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Kapiteln dem Machtkampf zwischen Reichswehr und SA. Am sorgfältigsten ist dabei Müller vorgegangen. Seine Arbeiten analysieren detailliert das Vorgehen der Reichswehr, fragen aber nicht nach den SA-Konzeptionen im genannten Zeitraum. Zudem fragen sie nicht nach den genauen gesellschaftlichen Motiven und sozialpsychologischen Grundlagen für die Entscheidungen einzelner Offiziere während der Röhm-Krise. Es wird schließlich auch nicht der Versuch gemacht, die Entwicklung des Reichswehr-SA-Verhältnisses von der Weimarer Republik an zu verfolgen; die Untersuchungen beginnen mit der "Machtergreifung" Hitlers. Messerschmidts und Geyers Arbeiten setzen ihre analytischen Schwerpunkte auf erziehungspolitische Akzente der Reichswehr (Messerschmidt) oder auf die Sicherheits- und Aufriistungspolitik (Geyer). Die Aspekte des Machtkampfes zwischen Reichswehr und SA werden dagegen nur am Rande behandelt. Longerich hingegen analysiert in seiner organisationsgeschichtlichen Studie lediglich die Geschichte der SA, ohne detailliert auf den Machtkampf mit der Armee einzugehen. Er stellt dafür die Auseinandersetzungen zwischen Hitter und der SA in den Mittelpunkt seiner Betrachtung. Auf der anderen Seite sind die historischen und politischen Arbeiten zu nennen, die der Analyse der Röhm-Krise einen spezielleren und größeren Platz einräumen. Mau2o, Krausnick21 , Fest22, Bloch23, Graß 24 und Höhne25 setzen aber dennoch nicht den Schwerpunkt ihrer Betrachtung auf den Gegenstand unserer Untersuchung. Graß und Höhne, die sich noch am weitesten auf die

19 Peter Longerich: Die braunen Bataillone, Geschichte der SA, München 1989. - Aus der marxistisch orientierten Forschung sei die Dissertation von Kurt Gossweiler: Die Röhm-AfBce, Hintergründe, Zusammenhänge, Auswirkungen, Köln 1983, genannt Gossweiler konzentriert sich ausschließlich auf die Verbindung zwischen Wirtschaft und Hitler und lAßt die Rolle der Reichswehr unerwähnt. 20 Hermann Mau: "Die zweite Revolution" - Der 30. Juni 1934, in: Vierteljahrshefte filr Zeitgeschichte 1953, S. 119-137. 21 Helmut Krausnick: Der 30. Juni 1934, Bedeutung - Hintergründe - Verlauf, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 25/1954, S. 318ff. 22 Joachim C. Fest: Hitler, Eine Biographie, FrankfurtlBerlinlWien 1973. - Ders., Das Gesicht des Dritten Reiches, Profile einer totalitAren Herrschaft, München 1963, S. 190-206. Hier biographiert Fest Ernst Röhm, ohne allerdin~ auf seine Auseinandersetzung mit der Reichswehr einzugehen. VgI. die insgesamt kritische Besprechung des Buches 'HitIer' bei Hermann GramI: Problem einer HitlerBiographie, Kritische Bemerkungen zu Joachim C. Fest, in: Vierteljahrshefte filr Zeitgeschichte 1974, S.76-92. 23 Charles Bloch: Die SA und die Krise des NS-Regimes 1934, Frankfurt a. M. 1970. 24 Karl Martin Graß: Edgar Jung, Papenkreis und Röhm-Krise 1933/34, Phil. Diss., Heideiherg 1966. 25 Heinz Höhne: Mordsache Röhm, Hitlers Durchbruch zur Alleinherrschaft, 1933-1934, Reinbek bei Hamburg 1984.

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A Einleitung

Berucksichtigung der Auseinandersetzung zwischen Annee und SA einlassen, analysieren sie entweder unter dem Aspekt der "konservativen Opposition" (Graß) oder des personalpolitischen Kampfes zwischen Ritler und Röhm (Höhne). Heinrich Benneckes26 Arbeit, die als einzige Monographie den Machtkampf zwischen Reichswehr und SA zum Hauptgegenstand der Betrachtung hat, basiert neben aller Apologie auch auf unsicherem Quellenmaterial und stützt sich vorwiegend auf eigene Erinnerungen des ehemaligen SA-Mannes. Bennecke ist darum bemüht, das gewaltsame Vorgehen der SA zu entlasten. Unüberschaubar ist die populärwissenschaftliche Literatur über die RöhmKrise. Bei allen dem Verfasser zugänglichen Monographien fallt zunächst auf, daß sie die Röhm-Krise nur in einzelnen Aspekten und nie als Gesamtthema behandeln. Hossbachs27, Mansteins28 und Kielmanseggs29 Memoiren auf der Seite des militärischen Betrachters, Papens30, Schwerin von Krosigks31, Schirachs32 und Speers33 Autobiographien auf der des politischen sind außerdem (mit Ausnahme Speers) reich an Apologie. Sie führen, weil sie sich nahezu ausschließlich auf eigene Erinnerungen stützen, zu einer Verklärung des Themas. Allen Arbeiten gleich ist die Feststellung, daß sich die Annee während der Röhm-Krise auf die Seite Ritlers gestellt habe. Unterschiedlich ist jedoch die Bewertung ihrer Verantwortung. 34 Aus dem bisherigen Forschungsstand ergeben sich folgende Mängel, die die vorliegende Arbeit zu beheben versucht: Zum einen fehlt eine wissenschaftliche Monographie, die den Machtkampf zwischen Reichswehr und SA während der Röhm-Krise zum Hauptgegenstand ihrer Betrachtung macht. Zum anderen ist das Quellenmaterial unter unserer Fragestellung bei weitem noch nicht vollständig ausgewertet. Dann sind Ritlers und Röhms 26 Heinrich Bennecke: Die Reichswehr und der Röhm-Putsch, MünchenlWien 1962. Bennecke war ein früherer SA-Mann. 27 Friedrich Hossbach: Zwischen Wehnnacht und Hitler, 1934-1938, Wolfenbüttel und Hannover 1949, S. 69ft: 28 Erich von Manstein: Aus einem Soldatenleben 1887-1939, Bonn 1958, S. 183ft: 29 Johann AdolfGrafvon Kie\mansegg: Der Fritschprozeß 1938, Hamburg 1949, S. 27ft: 30 Franz von Papen: Der Wahrheit eine Gasse, München 1952, S. 368ft: 31 lAItz GrafSchwerin von Krosigk: Memoiren, Stuttgart 1977, S. 169. 32 Baldur von Schirach: Ich glaubte an Hitler, Hamburg 1967, S. 196ft: 33 Albert Speer: Erinnerungen, Frankfurt a. M.lBerlin 1971, S. 69ft: 34 WAhrend zum Beispiel K1aus-Jürgen Müller, Das Heer und Hitler, S. 139f., die Position der Reichswehr, die sich politisch wie auch moralisch in der Röhm-Krise verstrickt habe, als geschwllcht bezeichnet, meint Manfred Messerschmidt, Die Wehnnacht im NS-Staat, S. 48ft:, daß die SAKonkurrenz "zunächst einmal die innenpolitische Position der Reichswehr (. ..) gefestigt" habe.

11. Forschungsstand und QuellenJage

15

militärpolitische Vorstellungen noch nicht detailliert von der Zeit der Weimarer Republik bis zum 30. Juni 1934 unter dem Aspekt der sich zuspitzenden Konfrontation während der Röhm-Krise aufgezeigt worden. Schließlich wurde in unserem Zusammenhang nur unvollständig über sozialpsychologische Kategorien geschrieben; Mentalitäten, Empfindungen und Traditionen als Handlungsmotive einzelner, im Machtkampf mit der SA entscheidungstragender Offiziere bleiben unklar.

Die Quel/enlage

Ritler versuchte unmittelbar nach dem blutigen Ende der Röhm-Krise, die Bedeutung der Ereignisse durch Bilder der wiederhergestellten Normalität zu verschleiern. Schon am 2. Juli 1934 befahl Göring sämtlichen Polizeidienststellen, "alle mit der Aktion der beiden letzten Tage zusammenhängenden Akten (... ) zu verbrennen".35 Daher fehlen wichtige, den Ablauf der Terroraktionen rekonstruierende Beweisstücke auf der Seite der NSDAP und ihrer Führung. Zahlreiche Notizen, handschriftliche Mitteilungen, wie zum Beispiel stenographische Berichte und Einsatzbefehle, die Ritlers Entscheidungsvorgang hätten nachzeichnen können, fehlen damit. Dagegen sind Quellen von denjenigen Offizieren erhalten geblieben, die während der Röhm-Krise an der Spitze der Reichswehrführung standen. Die Auswertung der Primärquellen ergab für unser Thema tiefergehende Ergebnisse in der Frage der Handlungs- und Entscheidungsentwicklung der Offiziere. So wurden unter anderem Interviews, Tagebücher, Aufzeichnungen, Zeitungen und Zeitschriften sowie Einsatzbefehle im Münchner Institut für Zeitgeschichte, Freiburger Militärchiv, Berlin Document Center, dem Koblenzer Bundesarchiv und dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Bonn gesichtet. Im Institut für Zeitgeschichte fand sich zunächst die Reihe Zeugenschrifttum verschiedener Offiziere (Franz von Gaertner, Walter von Böckmann, Horst von Mellenthin u.a.), die Auskunft geben über das Verhältnis der Armee zur SA in den Jahren 1933/34. Insbesondere die Aufzeichnungen des General Curt Liebmann und Wilhelm Adam, die bereis 1933 Gegner des nationalsozialistischen Staates wurden, geben Aufschluß über den immer größer werdenden Unabhängigkeitsverlust des Offizierkorps im Machtkampf mit der SA. Die Auswertung des "Völkischen Beobachter" 35 Hans Bemd Gisevius: Bis zum bitteren Ende, 1.Bd, Hamburg 1947, S. 236. - 000 Meissner: Staatssekretär unter Ebert - Hindenburg - Hitler. Der Schicksalsweg des deutschen Volkes von 19181945, wie ich ihn erlebte, 3. Aufl., Hamburg 1950, S. 370. Meissners Autobiographie versucht die Eskalation der Röhm-Krise als eine Reaktion auf einen möglichen SA-Putsch Röhms darzustellen (S. 359). Diesem Urteil kann, wie die vorliegende Arbeit zeigen soll, nicht zugestimmt werden.

16

A Einleitung

und anderer nationalsozialistischer Zeitschriften ("SA-Mann", "Der Angri.ff') sowie die dort abgedruckten Reden erwiesen sich als nützlich, um Kenntnisse über den eskalierenden Machtkampf zwischen Partei und SA zu gewinnen. Hilfreicher noch als die Quellen des Instituts fiir Zeitgeschichte waren diejenigen des Freiburger Militärarchivs. Nicht nur die Nachlässe der Offiziere (Seeckt, Stülpnagel, Beck, BIomberg u.a.), sondern auch zahlreiche Einsatzbefehle, Denkschriften und Aufzeichnungen ergaben unter unserer Fragestellung neue Erkenntnisse. So wurde zum Beispiel ungedrucktes Quellenmaterial gesichtet, das über die weitreichenden Verstrickungen des Militärs in die Terroraktionen Auskunft gibt. Hierbei waren vor allen Dingen die in der Forschung bisher noch weitgehend unbenutzten Aufzeichnungen des Majors Rupp dienlich. Leider fehlen Primärquellen aus Schlesien, Westpreußen und Berlin, die den dortigen Verlauf der Terroraktionen hinsichtlich der Beteiligung des Heeres aufgezeigt hätten. Der dritte Band der Blomberg-Autobiographie (1933-34) wird vermißt, der einen genaueren Einblick in die Entscheidungsvorgänge hätte geben können. Hilfreich dagegen erwiesen sich viele Stimmungsberichte von Offizieren mit niedrigem Dienstgrad, die über Grenzschutzarbeiten mit SA-Männern berichten. Im Berlin Document Center fanden sich Materialien zur Geschichte der NSDAP und SA (interne Berichte über Auseinandersetzungen mit der SA). Im Koblenzer Bundesarchiv wurde u.a. die Sammlung Schumacher eingesehen, die viele SA-Befehle, Anweisungen und Verfiigungen beinhaltet. Sie brachte ein genaueres Bild des "Innenlebens" der Organisation SA zum Vorschein. Die Quellenlage des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes in Bonn, die die Ab- und Aufrüstungsverhandlungen des nationalsozialistischen Staates dokumentieren, ergaben neue Erkenntnisse über die außenpolitischen Aspekte des Machtkampfes zwischen Reichswehr und SA. Der Befragung von Zeitzeugen36 wurde ein verhältnismäßig großer Platz eingeräumt. Diese diente dazu, dem Empfinden und der Gedankenwelt31 der Offiziere nachzuspüren und sich über den "atmosphärischen" Hintergrund des Machtkampfes zu verständigen. Oral history - mündlich erfragte Geschichte ist hierbei eine lohnende Forschungstechnik: Geschichte wird hier nicht nur als gestaltete, sondern auch erlebte und erfahrene erforscht. Damit soll auch ein Perspektivenwechsel ermöglicht werden, weg vom Primat des Politischen und hin zu einer Geschichte, die fiir ihre Analyse von Gesellschaftsstrukturen auch Mentalitäten und Bewußtsein als unverziehtbare Größen wahrnimmt. 36 Vgl. zur wachsenden Bedeutung der Zeitzeugenbefragung "erwart Vorländer (Hrsg.): ORAL HISTORY, Mündlich erfragte Geschichte, Göttingen 1990. 31 Winfried Baumgart: Deutschland im Zeitalter des Imperialismus 1890-1914, Grundkrlfte, Thesen und Strukturen, 4. Aufl., Stuttgart u.a. 1982, S. 28, erwähnt die Bedeutung der sozialpsychologischen Faktoren in der Forschung, die sich ihrer bisher kaum bedient habe.

III. Vorgehensweise (Methode)

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Zur Erforschung ihrer militärpolitischen Vorstellungen wurde eine umfangreiche Auswertung von HitIers "Mein Kampf' und Ernst Röhms "Die Geschichte eines Hochverräters" vorgenommen. Es mögen über den Quellenwert dieser autobiographisch-programmatischen Schriften unterschiedliche Meinungen bestehen. Ihre theoretischen Ausführungen stimmen jedenfalls in einem großen Maße mit ihren Handlungen in der Praxis überein und bedürfen daher einer genauen Betrachtung. 38

111. Vorgehensweise (Methode) Voraussetzung für den Machtkampf zwischen Armee und SA war die Entwicklung ihrer Beziehung während der Weimarer Republik sowie die zwischen Reichswehr und Hitler/NSDAP. Die Untersuchung setzt daher mit der Beantwortung der Frage ein, welche politischen, sozialen und mentalitätsspezifischen Ausgangspositionen schon in ihren Verbindungen während der Weimarer Republik bestanden. Erst diese ermöglichten die tiefgreifenden Differenzen und Gemeinsamkeiten während der Röhm-Krise. Bei den politischen Ausgangspositionen muß nach organisationsgeschichtlichen Kategorien, nach Aufgabe und Zweck der jeweiligen Organisation gefragt werden. Bei den sozialen Ausgangspositionen liegt das Erkenntnisinteresse in der Frage, inwiefern Herkunft, Sozialstruktur und Aktionsformen die Zusammenarbeit zwischen Reichswehr und SA unmöglich machte. Bei den mentalitätsspezifischen Kategorien wird schließlich nach dem Selbstverständnis nach Prestige, Milieu und Stimmung gefragt. Hierbei konnte die Zeitzeugenbefragung einen Einblick in die "Atmosphäre" der jeweiligen Organisation liefern. Weitere Voraussetzungen für den Machtkampf zwischen Heer, Hitler und SA bildeten ihre schon früh angelegten militärpolitischen Konzeptionen. Diese werden in einem ideengeschichtlichen Kapitel untersucht, voneinander abgegrenzt und hinsichtlich ihrer späteren Bedeutung während der RöhmKrise bewertet. Sie verdeutlichen auch, wie eng Pläne und Überlegungen mit der Praxis korrespondierten.

38 Vgl. zur Beurteilung des Quellenwertes von "Mein Kampf' Wemer Maser: Mein Kampf, Der Fahrplan eines Welteroberers, Esslingen 1974, S. 116-171, der "Mein Kampf' als ein wesentliches zeitgeschichtliches Dokument herausstellt Ähnlich auch Karl Lange: Hitlers unbeachtete Maximen, "Mein Kampf' und die Öffentlichkeit, Stuttgart (u.a.) 1968, S. 19tf. 2 v. Fallois

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A Einleitung

Nach der "Machtergreifung" Hitlers wandelte sich auf der einen Seite die oft geheimgehaltene Optionspolitik der Reichswehr39 zu einer offenen Bündnispolitik gegenüber dem Nationalsozialismus. Zunächst bildete die SA für die Reichswehr ein wertvolles Reservoir für die Grenzschutzarbeit und für den Mobilmachungsfall. Mit dem militärpolitischen Bedeutungszuwachs der SA begannen auf der anderen Seite jedoch die machtpolitischen Auseinandersetzungen zwischen der Reichswehr und der SA. Wie verlief die erste Phase des Machtkampfes bis zum Jahresende 1933? Unter welchen militärpolitischen und personellen Besonderheiten verlief sie? Wie ist sie in Abgrenzung oder Ergänzung zu den Konzeptionen und Vorgehensweisen Hitlers zu interpretieren? Mit den außenpolitischen Aspekten der Beziehung zwischen Reichswehr und SA wird ein weiterer Punkt der Röhm-Krise mit in die Untersuchung aufgenommen. Durch Deutschlands Austritt aus dem Völkerbund und den damit zusammenhängenden außen- und innenpolitischen Konsequenzen sollte die Zusammenarbeit zwischen Armee und SA erheblich gestört werden. Inwieweit beeinträchtigte dabei die Verknüpfung von Aufrüstung (Innenpolitik) und ihrer Bedeutung für die Außenpolitik das Verhältnis zwischen Reichswehr und SA? Die Auseinandersetzung um das Waffenmonopol ergab, daß die Reichswehrfiihrung auch auf dem ideologischen und rassenpolitischen Gebiet des nationalsozialistischen Staates zu weitreichenden Konzessionen bereit war. In welcher Form bewegte der Loyalitätskampf mit der SA die Armee, ihre einstmals als unabhängig erklärte Domäne der Personalpolitik in den "Dienst" des neuen Staates zu stellen? Die Systemkrise 1933/34 stellte die Reichswehr vor eine existentielle Entscheidung: Entweder sie stützte den nationalsozialistischen Staat und stellte sich damit gegen die mit ihr konkurrierende SA. Für diesen Fall hätte sie sich einer baldigen physischen Auseinandersetzung gegen die SA kaum widersetzen können. Oder aber sie verbündete sich mit der "konservativen Opposition" (Mitglieder der Vizekanzlei, der Kirche und der "monarchistischen" Bewegung), um durch einen Staatsstreich eine politische Alternative zum nationalsozialistischen Staat und seiner frühen Entwicklung zu bieten. Warum optierte die Führung der Reichswehr im Vorfeld der entscheidenden Phase der RöhmKrise für die erste Möglichkeit? Schließlich wird die entscheidende Phase der Röhm-Krise unter dem Gesichtspunkt untersucht, in welchem Maße die Armee an den Vorbereitungen und dem Ablauf der Terroraktionen beteiligt war. Welche politische Verantwortung trug sie schließlich durch ihr Handeln für die weitere Entwicklung

39 Hier sei - abgrenzend - daraufhingewiesen, daß nur ein Teil der Reichswehrofiiziere und nur ein Ausschnitt ihrer Vorstellungen Gegenstand der Untersuchung sein kann. Die herangezogenen Beispiele sollen symptomatisch filr das Verhalten der Mehrheit der Ofiiziere sein.

III. Vorgehensweise (Methode)

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des nationalsozialistischen Staates?«> In welchem Maße wuchs die SS zu einer neuen militärischen Konkurrenz heran? Abschließend wird versucht, die Frage nach dem Macht- und Prestigeverlust der Reichswehr als Folge ihres Verhaltens während der Röhm-Krise zu klären.

40 Die Fragen, die sich spezifISCh mit der Geschichte der SA sowie ihrem Verhältnis zu Hitler beschAftigen, können im Rahmen dieser Arbeit nur am Rande und wenn es den Machtkarnpf zwischen Reichswehr und SA berührt, behandelt werden.

B. Grundlagen und Bedingungen I. Praktische Ausgangspositionen 1. Die Beziehungen zwischen Reichswehr und Hit/er vor 1933

Der Machtkampf zwischen Reichswehr und SA kann nicht losgelöst von der Beziehung der Armee41 zu Hitler und dem Nationalsozialismus gesehen werden. Das trifft nicht nur deshalb zu, weil Hitler die SA seit ihrer Entstehung im Jahre 1920 als Saalschutztruppe und später als riesige "Propaganda- und Revolutionsarmee" seinen Zwecken und denen der Partei untergeordnet wissen wollte. 42 Damit waren Hitler und SA auf dem Gebiet der Militärpolitik, wenn auch in einer sich wandelnden Form, miteinander verbunden und müssen in eine Reichswehr-SA-Analyse einbezogen werden. Ein anderer, nicht weniger wichtiger Grund ist der, daß die Armee während der Röhm-Krise ihre machtpolitischen Auseinandersetzungen gegen die SA um das Waffenmonopol fiihrte, um die Gunst Hitlers zu erlangen. Insofern war die Verbindung zwischen Reichswehr und SA immer auch abhängig von der Beziehung zwischen Militär und Hitler. Ausgehend von dieser Feststellung ist eingangs zu fragen: Welche Vorgeschichte des Machtkampfes zwischen Militär und SA ist hier zu erzählen? Eine diesbezügliche Vorgeschichte sei folgendermaßen gegliedert. Zunächst wird danach gefragt, welche politischen, sozialen und mentalitätshistorischen Erfahrungen Armee und Hitler zusammenfiihrten. Für diese weitreichenden Erfahrungen benutzen wir den Begriff "politische Welt". Welche Rolle, so soll in einem weiteren Schritt gefragt werden, spielten diese Voraussetzungen fiir die Praxis, fiir die eigentlichen Beziehungen zwischen Heer und Hitler? 41 Der Begriff "Annee" ist vieldeutig. Im allgemeinen Sprachgebrauch kann er das "Heer", also die Landstreitkrlfte, bezeichnen. Er kann jedoch auch als Synonym für den Begriff "Streitkrlfte" oberhaupt stehen. In der militärischen Terminologie ist "Annee" ein Großverband zwischen Heeresgruppe und Anneekorps. In dieser Arbeit werden die Begriffe "Annee", "Heer" und "Reichswehr" synonym gebraucht Reichswehr steht in diesem Z\ISIIIlbnenhang als ein historischer Begriff. Dieser meint Heer oder Annee zur Zeit der Weimarer Republik bis kurz nach der Röhm-Krise. 42 FOr die neuere Forschung Ober die SA, ohne allerdings umfassend neue Literatur verwertet zu

haben, siehe Peter Longerich, Die braunen Bataillone, S. 23ff., S. 78ff. und S. 165ff.- Siehe die immer noch grundlegende Studie, welche die Frnhgeschichte der SA detailliert beschreibt Andreas Wemer: SA und NSDAP, SA: "Wehrverband", "Parteitruppe" oder "Revolutionsarmee"? Studien zur Geschichte der SA und der NSDAP 1920-1933, Phil.Diss., Erlangen-NQmberg 1964, S. 90f.

I. Praktische Ausgan~itionen

21

Welche ideellen und praktischen Gemeinamkeiten entstanden, und wie unterschieden sie sich zu denen von Röhm und der SA? Gemeinsamer Ausgangspunkt für die Verbindung zwischen Heer und Hitler war der Zusammenbruch ihrer jeweiligen "politischen Welt". Für den einen Partner, für das Offizierskorps, Repräsentant der Armee, bedeutete das Ende des deutschen Kaiserreiches im Jahre 1918 mehr als nur ein unter Erschütterungen erfolgter Übergang von einer Staatsform zu einer anderen. 43 Es war das Ende seiner bisher erfahrenen "politischen Welt". Das Offizierkorps der preußisch-deutschen Armee war durch Eid auf die Krone und erst durch diese an den Staat gebunden. 44 In dem Monarchen als dem obersten Kriegsherrn und Souverän hatte sich für das Offizierkorps der Staat verkörpert. Die quasi-autonome Sonderstellung der militärischen Führung gegenüber der politisch-administrativen Exekutive legitimierte den gesellschaftlichen Elitestatus der Armee. 45 Einem breiten gesellschaftlichen Konsens zufolge gebührte der Armee eine Spitzenstellung auf der sozialen Prestigeskala; sie wurde als "anerkannt erster Stand"46 und "Vorbild auch für außermilitärische Berufsstände"47 eingeschätzt. Die Armee war aus dem poli43 Francis L. CarsIen, Reichswehr und Politik, S. 13ff. Trotz des Zusammenbruchs der politischen Welt des Offlzierkorps hilt es Carsten filr möglich, daß es eine republikanische Armee während der Weimarer Republik hAtte geben können. Er verurteilt, daß die Reichswehr trotz ihres Treueeides dem Staat nur mit Vorbehalt gedient habe. 44 Das kam vor allen Dingen im Eid des Offiziers zum Ausdruck. Siehe stellvertretend filr die ältere Forschung Reinhard Höhn: Verfassungskampf und Heereseid, Der Kampf des Bürgertums um das Heer, Leipzig 1938. Höhn interpretiert die verfassungsmäßige Vereidigung des Heeres als große liberale Forderung des 19. Jahrhunderts. Für die neuere Forschung siehe Karl-Othmar Frhr. von Aretin: Der Eid aufHitler, Eine Studie zum moralischen Verfall des otrlZierkorps der Reichswehr, in: Politische Studien 7, (1957).

45 Zur Klärung der Frage nach der gesellschaftlichen Sonderstellung des deutschen Militärs während des wilhelminischen Kaiserreiches bedienen sich Historiker in der neueren Forschung oft des begrifilichen Instrumentariums der Soziologie. Sie fragen nach Prestige und Selektion der Führungsgruppen und nach der "sozialen Militarisierung" der preußisch-deutschen Gesellschaft. Manfred Messerschmidt: Das preußisch-deutsche OffIZierkorps 1850-1890, in: Hanns Hubert Hofinann (Hrsg.), Das deutsche otrlZierkorps 1860-1960, Boppard am Rhein 1980. S. 21ff., weist nach, wie das otrlZierkorps im "wilhelminischen Deutschland" durch vermehrte Bildung gesellschaftliches Prestige erlangte. - Die Forschungsergebnisse zum sozialen Status des otrlZierkorps faßt Manfred Messerschmidt: Militär und Politik in der Bismarckzeit und im wilhelminischen Deutschland, Dacmstadt 1975, S. 55ff., zusammen. 46 Siehe dazu grundlegend filr die ältere Forschung Max von der Bergh: Das deutsche Heer vor dem Weltkriege, Berlin 1934, S. 119. - Für die neuere Forschung siehe Johannes Willms: Nationalismus ohne Nation, Deutsche Geschichte von 1789 bis 1914, Düsseldorf 1983, S. 493. Ähnlich wie Willms sieht auch Hans-Ulrich Wehler: Das deutsche Kaiserreich 1871-1918, 4. Aufl., Göttingen 1980, S. 158, das Militär an der Spitze der Prestigeskala. 47 Max Scheler:

Über Gesinnungs- und Zweckmilitarismus, in Ders., Krieg und Aufbau. Leipzig

1916, S. 174. - Gordon A Craig: Über die Deutschen. München 1982, S. 268, schreibt in Weiterfilhrung dieser These: "Man kann in der Tat von einer fortschreitenden Militarisierung des deutschen Lebens nach 1871 sprechen". Die Bedeutung der Armee im preußischen Staat arbeitet heraus

22

B. Grundlagen und Bedingungen

tischen Tagesgeschehen in Friedenszeiten ausgeklammert. Sie blieb jedoch durch ihre spezifische, helVorgehobene Stellung im Staat ein Politikum ersten Ranges. Damit war sie ein sekundäres System mit primärem Stellenwert im politischen Funktionsgeflige. Sie war entscheidende Repräsentanz und Stärke der Monarchie. Selbst als Hindenburg und LudendorfI während des Ersten Weltkrieges als Repräsentanten der Dritten Obersten Heeresleitung de facto den Oberbefehl über das Heer übernahmen, erfolgte keine weitreichende Emanzipierung des Offizierkorps aus dem traditionellen Bindungsgeflige zur Krone. 48 Die Abdankung des Monarchen löste die bisherige Verbindung radikal auf. Diese konnte aber durch keine andere flir das Heer verbindliche ersetzt werden. In seiner konkreten Ausformung und damit auch in seiner konkreten Vorstellungsbegrenzung blieb das Offizierkorps nahezu ausschließlich mit der monarchischen Staatsform verbunden. Das kommt in den Betrachtungen zahlreicher Offiziere zum Ausdruck. Hans von Seeckt schreibt: "Ich kann trotz allem meinen Glauben an Preußen nicht aufgeben, und dieser Glaube hilft mir durch".49 Erich von Manstein urteilt: "Es war, mindestens flir die preußische Armee, der Zusammenbruch ihrer Welt".50 Karl-Heinrich von Stülpnagel bekennt sich zu seiner politischen Welt: "Ich bin in meinem Herzen immer 'kaiserlich' geblieben und habe aus dieser Einstellung kein Hehl gemacht".51 Über die psychischen Auswirkungen der Revolution urteilt Eduard Wagner: "Ich habe viel gelitten, viele Saiten waren zersprungen, das ganze Instrument war verstimmt. Die Revolution hat mir den Rest gegeben und hatte mir das Letzte geraubt (... ) und nun sieht man plötzlich alles (... ) über den Haufen stürzen. Es geht einem, wie wenn man einen lieben Menschen begraben hat".52 Diese Urteile führen zu folgender Feststellung: Die Offiziere, innerlich noch gebunden an den monarchischen Staat, lehnten Revolution und Demokratie ab. Eine neue politische und soziale Standortbestimmung wurde anfangs nicht gefunden. Gerhard Ritter: Staatskunst und Krie~andwerk. Das Problem des "Militarismus" in Deutschland, I. Band, 3. Aufl., MOnchen 1965, s. 207-237. 48 Siehe stellvertretend filr die ''konservative'' Geschichtsschreibung die literarisch eindrucksvolle, jedoch stark vereinfachende Darstellung von Michael SUirmer: Das ruhelose Reich, Deutschland 1866-1918, Berlin 1983. Über die enge emotionale Verbindung zwischen den Monarchen und seinen OffIZieren schreibt SUlnner (S. 102f): "Das war nicht Poesie, sondern ein starkes, auch geftlhlsmdßig wirkendes Band". Siehe auch von kritischer Seite Francis L. Carsten, Reichswehr und Politik, S. 67ff.

49 Freiburger MilitArarchiv, NI Seeckt, N 247/66, Briefvom 11.10.1918. 50 ROdiger von MansteinlTheodor Fuchs: Manstein, Soldat im 20. Jahrhundert,

Nachlese, München 1981, S. 15.

MilitArpolitische

51 Freiburger MilitArarchiv, Depot SUllpnagel, N 5/27, S. 195. 52 Elisabeth Wagner (Hrsg.), Der Generalquartiermeister, Briefe und TagebuchaulZeichnungen des

Generalquartiermeister des Heeres, General der Artillerie Eduard Wagner, München 1963, S. 22f.

I. Praktische Ausgangspositionen

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Das Heer fand zwar wieder eine Aufgabe, nämlich den Dienst für den Staat. Aber die von Groener getroffene Entscheidung, daß "das Offizierkorps sich der Regierung zur Verfügung gestellt" habe~)3, bot keine wesensmäßig aus den inneren Voraussetzungen des Offizierkorps erwachsende neue existenzielle Bindung. Der neuen Teilhabe an der Macht fehlte der einst in der Krone gegebene Bezugspunkt. Die grundsätzliche Krisensituation einer unbewältigten politischen Vergangenheit blieb bestehen. 54 Die Frage, warum sich das Heer nach der "Machtergreifung" der Nationalsozialisten sofort an das neue System binden ließ und damit während der Röhm-Krise zum verläßlichen Partner Ritlers wurde, ist auch dahingehend zu beantworten, daß die Armee nach dem Ersten Weltkrieg und während der Zeit der Weimarer Republik einer gesellschaftspolitischen "Bindungslosigkeit" ausgesetzt war. Für diese fand sie während der Weimarer Republik trotz eigener, auf gesellschaftspolitischen Ausgleich bedachter Stimmen keine Lösung. Die restriktiven militärpolitischen Bestimmungen des Versailler Vertrages55, die grundlegenden militärpolitischen Auseinandersetzungen mit den demokratischen Parteien56, die Kritik der Parteien an der Beteiligung des Heeres am Grenzschutz57 vergrößerten die politische "Bindungslosigkeit" der Ar-

53 Wilhelm Groener: Lebenserinnerungen, Jugend, Generalstab, Weltkrieg. Herausgegeben von Friedrich Freiherr Hiller von Gaertringen, Göttingen 1957, S. 474. - Siehe auch K1aus-Jürgen MOlIer, Das Heer und Hitler, S. 18f. MOller lAßt seinem Hauptuntersuchungsgegenstand Heer und Hitler wAhrend des Dritten Reiches einen zu eng gefaßten Vorbericht Ober die Weimarer Republik vorausgehen. Hier allerdings sind die ersten wichtigen Schritte zu jener späteren Verbindung zwischen Reichswehr und Hitler auszumachen. 54 Eine Folge dieser Situation war ein psychologischer Eskapismus, der seinen nachhaltigen Ausdruck in der Vorstellung vom "Dolchstoß" fand VgI. Karl Demeter: Das deutsche OffIzierkorps in Gesellschaft und Staat 1650-1945, Frankfurt a.M. 1962,2. Aufl., S. 175ft: 55 Siehe zur Oberwiegend negativen Reaktion der Reichswehr auf die Unterzeichnung des Friedensvertrages Walter Schwengler: Völkerrecht, Versailler Vertrag und Auslieferungsfrage. Die Strafverfolgung wegen Kriegsverbrechen als Problem des Friedensschlusses 1919/1920, Stuttgart 1982, S. 233ft: Diese Studie analysiert erstmals in der milit1rhistorischen Forschung den Widerstand von Reichswehr und Beamtenschaft gegen die Erfilllung des Vertrages. - Als Reaktion auf die Vertragsbestimmungen sagte Groener: "Wir brauchen eine Regierung. die aber den Parteien steht und den Rechten wie den Linken die K6pfe blutig schlägt. Dazu ein festes starkes Heer". Freiburger Militararchiv, NI Schleicher, N 42/12. Hier: Blatt 145. Vortrag von Generalleutnant Groener arn 12.7.1919 vor den Verbindungsoffizieren der O.H.L. bei AOK Nord, AOK SOd sowie verschiedenen Generalkommandos. 56 Siehe zur Haltung der maßgeblichen Parteien der Weimarer Republik gegenOber der Reichswehr Harold J. Gordon, Die Reichswehr und die Weimarer Republik, S. 351ft: - Hennann Foertsch, Die Wehrmacht im nationalsozialistischen Deutschland, S. 14, schreibt im Jahre 1935: "Man m6ge sich vor Augen halten. daß die stc"Jrksten Gegner der Reichswehr im Weimarer Staat die Parlamentarier und die Pazifisten waren ". 57 Thilo Voge1sang. Reichswehr, Staat und NSDAP, S. 361ft:

B. Grundlagen und Bedingungen

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mee zur Republik: Zu dieser fehlte dem Heer ein gesamtpolitischer Bezug. 58 In dieses Vakuum hinein stießen die militärpolitischen Vorstellungen Hitlers. 59 Diese schufen, wie zu zeigen sein wird, eine Voraussetzung für den Beginn der Verbindung zwischen Armee und Hitler. Der Grund bestand darin, daß sie dem Heer ehemalige Machtanteile zubilligten, die es aus eigener Kraft nicht mehr erreichen konnte. Sie sind zugleich bis in die Zeit der Röhm-Krise hinein, wenn auch in der Intensität verschieden, kontinuierliche Verbindungspunkte dieser Beziehung. Auch Hitler erfuhr den Zuammenbruch seiner "politischen Welt". Der Vollwaise hatte weder in Wien noch in München eine berufliche oder gar menschliche Heimat gefunden. 60 Für den Kriegsfreiwilligen, der sich beim 16. Bayrischen-ReserveInfanterie-Regiment List meldete, beginnt mit dem Krieg "die unvergeßlichste und größte Zeit meines irdischen Lebens".61 Als er im Dezember 1914 das Eiserne Kreuz 11. Klasse erhält, schreibt er: "Es war der glücklichste Tag meines Lebens".62 In der Gemeinschaft der Soldaten erlebt er eine neue gesellschaftliche Orientierung. Sein Vorgesetzter urteilt über ihn: "Er hatte keine Familie, und wenn man so will, auch keine Heimat. Für den Gefreiten Hitler war das Regiment List Heimat".63 Hitler schreibt dazu: "Ich hatte einst als Junge und junger Mensch den Wunsch gehabt, doch wenigstens einmal auch durch Taten bezeugen zu können, daß mir die nationale Begeisterung kein leerer Wahn sei".64 Wie einprägend ihm die Zeit des Krieges ist und welche Bedeutung er ihr beimißt, kommt in seinen folgenden Worten zum Ausdruck: "Mögen Jahrtausende vergehen, so wird man nie von Heldentum 58 Freiburger MilitArarchiv, NI Schleicher, N 42/12, Briefe von Offizieren vom 30. Oktober 1929, 17. Januar 1930 an Schleicher. - Freiburger MilitArarchiv, Depot Joachim von Stülpnagel, N 5/27. Brief des damaligen Oberstleutnant Freiherr von Fritsch vom 16.11.1924. 59 Vgl. Kapitel B. 11.1. 60 So schreibt Hitler ober seine Zeit in Wien: "Wien, die Stadt, die so vielen als Inbegriff harmloser Fr6hlichkeit gilt, als festlicher Raum vergnagter Menschen, ist ftJ.r mich leider nur die lebendige Erinnerung an die traurigste Zeit meines Lebens". Adolf Hitler: Mein Kampf, 37. AufI., München 1933, S. 20. - Über seine Münchner Zeit berichtet seine Vermieterin Anna Popp: "Ich weiß, daß er Not litt und sich das erste Jahr, das er bei uns war, mahsam durchschlug und oft hungrig vom Tisch aufstand". - Anton Joachimsthaler: Korrektur einer Biographie. Adolf Hitler 1908-1920, München 1989, S. 78.

61

AdolfHitler, Mein Kampf, S. 179.

62 Eberhard Jäckel, Axel Kuhn (Hrsg.): Hitler, Sämtliche Aufzeichnungen, Stuttgart 1980, S. 61. BriefHitlers am 3. Dezember 1914 an seinen Vermieter Joseph Popp. 63 Fritz Wiedemann: Der Mann, der Feldherr werden wo\1te, Velbert und Kettwig 1964, S. 29. Bezeichnenderweise nennt Joachim C. Fest, Hitler, S. 10 1ft:, das Kapitel Ober den Krieg "Erlösung durch den Krieg", um damit Hitlers neue Aufgabe aufZuzeigen. 64 AdolfHitler, Mein Kampf, S. 178.

I. Praktische Ausgangspositionen

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reden und sagen dürfen, ohne des deutschen Weltkrieges zu gedenken. Dann wird aus dem Schleier der Vergangenheit heraus die eiserne Front der grauen Stahlhelme sichtbar werden, nicht wankend und nicht weichend, ein Mahnmal der Unsterblichkeit". 65 Die Abdankung des deutschen Kaisers kommentiert Hitler als "die entsetzlichste Gewißheit meines Lebens".66 Für den bisher im Zivilleben Gescheiterten bedeuteten Krieg, Militär und Nation erste wirkliche Bewährungsproben. Hier begann die nachhaltige Identifikation mit dem Krieg als willkommenes politisches Mittel; hier wurde aller Voraussicht nach der Antrieb fiir sein eigenes politisches Handeln gefunden. Später hat sich Hitler indessen wiederholt negativ gegenüber der monarchischen Staatsform geäußert. 67 Das Ende seiner bisherigen politischen Welt und die darauf folgende Revolution hat er jedoch in späteren Reden und Schriften häufig als Grund dafiir angeführt, Politiker geworden zu sein. 68 Hitlers Erfahrungen im Kriege und im Heer stehen demnach als Hintergrund, vor dem er sich entschloß, Politiker zu werden, und verdeutlichen den großen Stellenwert, den das Militär schon früh in seinem Leben besaß. Er erklärt das in seinem Buch "Mein Kampf', indem er die Soldaten von den nationalen Parlamentariern abgrenzt. Die nationalen Politiker hielt er fiir un:flihig, eine neue Militärpolitik zu betreiben. "Oder glaubten etwa unsere 'nationalen Politiker', daß die Entwicklung der Armee anders als eine nationale hätte sein können? Das sähe diesen Herren verflucht ähnlich und kommt davon, wenn man im Kriege statt Soldat zu sein, Schwätzer, also Parlamentarier ist und keine Ahnung mehr hat, was in der Brust von Männern vorgehen mag, die die gewaltigste Vergangenheit erinnert, einst die ersten Soldaten der Welt gewesen zu sein". 69

65 Ehenda, S. 182.

66 Ehenda, S. 222. - Joachim C. Fest, Hitler, S.

122.

67 Siehe folgende Reden, die die kritische Einstellung Hitlers gegenüber der Monarchie belegen, bei Eberhard JlckellAxel Kuhn, Hitler, S. 467, (31.8.1921); S. 515, (11.11.1921); S. 671, (28.7.1922); S. 901, (17.4.1923); S. 1014, (16.9.1923); S. 1022, (30.9.1923). 68 Siehe folgende Reden, die Hitlers Auffassung, der verlorene Krieg habe ihn beeinflußt, Politiker zu werden, dokumentieren. Eberhard JlckellAxel Kuhn, Hitler, S. 851, (27.3.1923); S. 1020f., (30.9.1923). - Ernst Nohe: Der Faschismus in seiner Epoche: Aktion francaise, italienischer Faschismus, Nationalsozialismus, 6. Aufl., München 1984, S. 385, urteilt: "Seine Überzeugungen

standen vor dem Krieg in den Grundlinien fest. Aber niemand hörte auf die Ängste und Idiosynkrasien des landflüchtigen Vagabunden. Der Krieg machte sie zu allgemein verbreiteten Erscheinungen. Aber er gab auch ihm selbst Entscheidendes, einen festen und ausgewiesenen Standort unter den Menschen: Das Heer, in dem er Tüchtiges geleistet hatte - und den Entschluß, sich den nun alten sichtbar gewordenen Gefahren mit derjenigen Entschiedenheit zum Kampfzu stellen, die er im Krieg gelernt hatte". 69 AdolfHitler, Mein Kampf, S. 237. - In diesem Zusammenhang wiederholte er seine Kritik an den "Novemberverbrechern". Als Beispiel eine Rede am 21.9.1918: "Was ist der größte Irrsinn der

B. Grundlagen und Bedingungen

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Diese Ignoranz der "nationalen Politiker"70 gegenüber den Soldaten war Grund fiir Ritler, in eine Versammlung der "Deutschen Arbeiterpartei" zu gehen, in der seine politische Laufbahn beginnen sollte. 71 Er schreibt: "So entschloß ich mich, in die schon erwähnte Versammlung dieser mir bis dahin ebenfalls noch ganz unbekannten Partei zu gehen".72 Die ehemalige "politische Welt" wurde bis zur Zeit der Röhm-Krise vom Heer und von Ritler zunehmend als Ausgangsbasis ihrer Verbindung analysiert. In seiner Reichstagsrede am 30. Januar 1934 hat Ritler diese Bindung während der Röhm-Krise mit den Worten geschildert, es sei "ein einzigartiger geschichtlicher Vorgang, daß zwischen den Kräften der Revolution und den verantwortlichen Führern einer auf das äußerste disziplinierten Wehrmacht solch herzliche Verbundenheit im Dienste des Volkes in Erscheinung trat wie zwischen der nationalsozialistischen Partei und mir als ihrem Führer einerseits und den Offizieren und Soldaten des deutschen Reichsheeres andererseits".73 Mit dieser "Zwei-Säulen-Theorie" hier die Partei mit dem politischen, dort das Heer mit dem militärischen Monopolanspruch - griff Ritler auf den oben beschriebenen Dualismus von Politik und Militär im preußisch-deutschen Staat zurück. Er wußte demnach, welche Machtanspruche das Heer besaß. Bezeichnenderweise nennt Ritler die Annee nicht Reichswehr, sondern Wehrmacht oder Heer. Der Begriff Reichswehr scheint dagegen negativ belegt. Er steht fiir den Dienst der Annee zur Zeit der Weimarer Republik.

Novemberverbrecher gewesen: Man kann nicht sagen. die Revolution an sich. sondern die Form der Durchführung der Revolution. d.h. die Wehrlosmachung des deutschen Volkes". Völkischer Beobachter am 23.124.9.1918. - Im sogenannten "Reichswehrprozeß" um den Hochverrat der U1mer Reichswehroftiziere nannte Hitler Bedingungen filr die Grilndung der Partei: "Die Beseitigung der AutorittJt der Personlichkeit. und die Einführung der Demokratie und des demokratisch-parlamentarischen Systems und endlich die Vergiftung des deutschen Volkes mit pazifistischem Denken und pazifistischem Geist. Diese drei Erscheinungen sind meiner Überlegung nach die Ursachen des deutschen Zusammenbruchs gewesen. und es war für mich selbstverständlich. daß nur eine Bewegung den Zusammenbruch flberwinden konnte. die zu diesen drei Erscheinungen Stellung nimmt und von ihnen frei ist". Pcter Bucher, Der Reichswehrprozeß, Der Hochverrat der U1mer ReichswehroffIZiere 1929/30, Boppard am Rheim 1967, S. 242f. Bucher verslumt es, die politischen Motive vieler OffIZiere, die auf einen Kampf gegen die Bestimmungen des Versailler Vertrages hinarbeiteten, zu untersuchen.

70 Peter Bucher, Der Reichswehrprozeß, S. 243. ln diesem Zusammenhang spricht er sogar von den "sogenannten" "alten Parteien". 71 Ebenda, S. 235. Hitler beschreibt, wie er als sogenannter "BildungsofflZier" in seinem Münchner Regiment vor der Truppe sprach: "Ich durfte auch von Erfolg sprechen. Viele Hunderte. ja wohl Tausende von Kameraden habe ich im Verlaufe meiner Vorträge wieder zu ihrem Volk und Vaterland zurflckgeführt. Ich nationalisierte die Truppe und konnte auf diesem Wege auch mithelfen. die allgemeine Disziplin zu stärken". 72 Ebenda, S. 237. 73 Schulthess Europäischer Geschichtskalender 1934. S. 44.

I. Praktische Ausgangspositionen

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In seinem ersten Aufruf an die Nation als Reichskanzler beschwört er am 1. Februar 1933 "unsere Liebe zu unserem Heere als Träger unserer Waffen und Symbol unserer großen Vergangenheit".74 In seiner Rede in der Potsdamer Gamisonskirche am 2l. März 1933 stellt er Hindenburg als "Leutnant in den Armeen des Königs fiir die deutsche Einheit, in den Heeren des alten deutschen Kaisers fiir des Reiches glanzvolle Aufrichtung, im größten Kriege aller Zeiten aber als unser Generalfeldmarschall fiir den Bestand des Reiches und fiir die Freiheit unseres Volkes"75 heraus. Diese Beispiele verdeutlichen den historisch geschickt gewählten Bezug auf die Zeit des wilhelminischen Kaiserreiches, in dem das Heer noch eine gehobene Stellung in der gesellschaftlichen Prestigeskala besaß.

Aber auch aus den Reihen der Reichswehr wurde die eigene einstige militärpolitische Welt immer wieder als Ausgangsbasis einer Verbindung zu Hitler gewertet. So wird häufig - gerade während der Zeit der Röhm-Krise - die Verbindung des Frontsoldaten Adolf Hitler mit dem Heer angesprochen. Gemeinsam mit dem Heer werde Hitler im Geiste des Frontsoldatentums76 die politischen Richtlinien der Zukunft bestimmen. Das kommt in einem Artikel des Militär-Wochenblattes, das dem Reichswehrministerium unterstellt war, am 18.4.1934 zum Ausdruck: "Aus dem Geist des deutschen Frontsoldatentums erwuchs der Nationalsozialismus. Für ihn eroberte er die Macht im deutschen Volk und Staat. Die unvollendete deutsche Revolution von 1914 fand mit der nationalsozialistischen Erhebung von 1933 ihren geschichtlichen Gestalter in dem unbekannten Frontsoldaten Adolf Hitler. "77 Die Weimarer Republik klammert der Verfasser aus; sie besaß offenbar als historische Komponente in Bezug auf Soldat und Heer keine Rolle.

74 Schulthess Europäischer Geschichtskalender 1933, S. 36. 75 Ebenda, S. 63. 76 Mit dem Typus des Frontsoldaten sind jene Minner gemeint, die das erstmalig erlebte Kriegsgeschehen im Ersten Weltkrieg als vollständige Auflösung ihrer bisherigen Werte einer bIIrgerlichen, zivilen Weh betrachteten. Thr unmittelbar ausgetragener Karnpfwurde zu einer derartig tiefgreifenden Erfahrung, daß sie noch später, wAhrend der Weimarer Republik, Antidemokraten wurden oder blieben. Siehe dazu Kurt Sontheimer: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. Die politischen Ideen des deutschen Nationalismus zwischen 1918 und 1933.2. Aufl., München 1968, S. 93ff. Sontheimers ideenpolitische Studie ist eine grundlegende, auf einer vorbildlich geordneten Analyse basierende Forschungsarbeit über die Gegner des liberal-demokratischen Weimarer Staates. Er unterscheidet sich damit von Klemens von Klemperer: Konservative Bewegungen zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, München!Wien o.J. und Annin Mohler: Die konservative Revolution in Deutschland 1918-1932, 3. Aufl., Dannstadt 1989. Beide argumentieren von einer konservativ weltanschaulichen Grundlage aus, und ihre Analysen sind von apologetischen Tendenzen nicht frei. 77 Militlc-Wochenblatt 118. Jahrgang, (1933/1934), Nr. 39 vom 18. April 1934. - Braeher/Sauer/Schutz, S. 919, sehen nur das "Hymnische" an diesem Aufsatz, nicht aber die dahinterstehende politische Motivation.

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B. Grundlagen und Bedingungen

Reichswehrminister Werner von BIomberg urteilte am 6. September 1933 während eines Truppenmanövers über Hitter: "Wir sehen in diesem Manne den Soldaten, der während des Weltkrieges vier Jahre Frontkämpfer war, der dann 14 Jahre lang in politischen Kämpfen zum Wohle Deutschlands der Führer war und jetzt Führer des deutschen Volkes geworden ist".78 In der gleichen Rede stellte BIomberg den Bezug zwischen Hitler und den Symbolen früheren gesellschaftlichen Prestiges des Heeres heraus. "Wir verdanken ihm viel, denn er hat im neuen Reich der Wehrmacht den Platz angewiesen, der ihr gebührt; er gab uns die alten ruhmreichen Fahnen und Kokarden wieder".79 Auch BIomberg erwähnt in seiner historischen Analyse nicht die Reichswehr zur Zeit der Weimarer Republik. Vielmehr möchte er, daß die Wehrmacht an Prestige und Ruhm der kaiserlichen Armee anknüpfen und ihn sogar vergrößern kann. In einem weiteren Aufsatz des Militärwochenblattes wird der unmittelbare Bezug zwischen den Frontsoldaten und der nationalsozialistischen Weltanschauung hergestellt: "Je länger der Krieg währte, desto reiner schälte sich dieser Typ des echten Kämpfers und Soldaten heraus, desto stärker lastete auf ihm der Druck der Fronten. Ist dieser Soldat nicht schon Träger der Hauptidee des Nationalsozialismus gewesen?"80 Major Hermann Foertsch faßt diese Verbindung in einer nach der Röhm-Krise 1935 erschienenen Rückbetrachtung zusammen: "Es hat an Mißverständnissen zwischen der Wehrmacht und der nationalsozialistischen Bewegung nicht gefehlt, obwohl die Grundlagen der Bewegung und der Wehrmacht gleicherweise ruhten im Vermächtnis des deutschen Frontsoldatentums im Kampf gegen VersailIes und in der Ablehnung des Weimarer Staates".81 Hierin kommt zum Ausdruck, daß sich die frühere politische Welt, die enge Verbundenheit zwischen Staat und Armee, nun zu einer neuen, erweiterten Form gewandelt habe. In einem Artikel, der einen Tag vor dem Beginn der blutigen Aktionen der Röhm-Krise erschien und Hitler die Legitimation der Armee zu diesen Aktionen geben sollte, zieht BIomberg abermals die Verbindung zur ehemaligen Bedeutung des Heeres im wilhelminischen Kaiserreich. Diese Bedeutung habe das Heer durch Hitler wiedererlangt, und darum folgerten BIomberg und auch

78 Cuno Horkenbach: Das Deutsche Reich 1918 bis heute, Berlin 1933, S. 373. - Vgl. Institut filr Zeitgeschichte München, ZS lOS Mellenthin, S. 2. 79 Cuno Horkenbach, Das Deutsche Reich, S. 373.

80 Militär-Wochenblatt, 118. Jahrgang, (1933/34), Nr. 23. vom 18. Dezember 1933. 81 Hermann Foertsch, Die Wehrmacht im nationalsozialistischen Staat, S. 18.

I. Praktische Ausgan8l'positionen

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andere Offiziere82, habe sich das Militär hinter AdolfHitler zu stellen. "In enger Verbundenheit mit dem ganzen Volke steht die Wehrmacht, die mit Stolz das Zeichen der deutschen Wiedergeburt an Stahlhelm und Uniform trägt, in Manneszucht und Treue hinter der Führung des Staates und dem Führer des Reiches Adolf Hitler, der einst aus unseren Reihen kam und stets einer der unseren bleiben wird". 83 Der in vielen Reden und Aufsätzen betonte Bezug zwischen der Bedeutung des Heeres zur Zeit des wilhelminischen Kaiserreiches und der Bewertung der Armee durch den "Frontsoldaten" Adolf Hitler verdeutlicht, wie günstig die Voraussetzungen für eine Verbindung zwischen Armee und Hitler gewesen sind. Diese Aussage wird unterstützt durch den von beiden Seiten negativ interpretierten Verlust der ehemaligen "politischen Welt".84 Inwieweit aber, so die weitergehende Frage, gestalteten sich die aus der jeweiligen politischen Welt resultierenden Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Praxis? Es ist zu beachten, daß große Bereiche dieser Verbindung bekannt und von der Literatur erforscht sind. 85 Die Betrachtung soll sich auf einzelne, signifikante gemeinsame Ziele der Beziehung beschränken, die ausschlaggebend für die Verbindung während der Röhrn-Krise wurden. Neben der ganzen Skala möglicher Einstellungen von naiver oder enthusiastischer Zustimmung über abwartendes Wohlwollen bis hin zu skeptischer Distanz und Besorgnis gab es doch eine nahezu durchgehende Verwurzelung in nationalistisch-konservativer Weltanschauung. Einen wesentlichen Schlüssel zur Aufklärung dieses historischen Tatbestandes findet sich in dem Phänomen partieller Übereinstimmungen der militärpolitischen Ziele und Interessen zwischen Militär und 82 Die Zustinunung der Offiziere reichte vom Generaloberst Karl von Einem: "Wir haben wieder einen Kanzler!" (Bracher/Sauer/Schulz, S. 735), ober General Wilhelm Keitel, der "direkt begeistert"

war. Walter Görlitz (Hrsg.), Generalfeldmarschall Keitel: Verbrecher oder Offizier? BerlinlFrankfurt a.M. 1961, S.53., bis zu BIomberg, der "vollstes Vertrauen, rilckhaltlose Zuverlässigkeit und unerschütterlicheHingabe"verlangt.e. Cuno Horkenbach, Das Dritte Reich, S. 373. 83 Blomberg-Artikel abgedruckt in Völkischer Beobachter vom 29.6.1934.

84 Dem Verfasser ist bewußt, daß die Frage gestellt werden muß, inwieweit MilitAr und Hitler entweder aus wirklicher Überzeugung oder aus machtpolitischem Kalk(\) gemeinsam gehandelt haben. Es ist hier anzunehmen, daß sich beide Faktoren einander bedingen. - Klaus Hildebrand: Deutsche Außenpolitik 1933-1945, KalkOI oder Dogma? Stuttgart u.a. 1971, S. 134, stellt die gleiche, sich a1lerdin8l' auf Hitlers Außenpolitik beziehende Frage und schreibt, daß sich "sowohl Elemente der KontinuittJt als auch Hinweise auf einen Bruch mit der Tradition finden lassen". Vgl. auch Arne W.G. Zoepf: Wehrmacht zwischen Tradition und Ideologie. Der NS-FOhrun8l'offtzier im Zweiten Weltkrieg, Frankfurt a.M. u.a. 1988, der das Verhalten der Wehrmacht dahingehend interpretiert, daß sie einerseits traditionelles Prestige zurQckerbalten wollte und andererseits sich inuner mehr auch ideologisch an das "Dritte Reich" binden ließ. 85 Siehe unter vielen anderen: Karl Dietrich Bracher: Die deutsche Diktatur, Entstehung, Struktur, Folgen des Nationalsozialismus. Köln, Berlin 1969, S. 258ff. - Bracher/Sauer/Schulz, S. 692ff. K1aus- Jürgen Müller, Das Heer und Hitler, S. 35ff.

B. Grundlagen und Bedingungen

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Hitler. Zudem soll verdeutlicht werden, weshalb die Verbindung während der Röhm-Krise primär keine situationsbedingte, sich den Erfordernissen der Zeit fügende Qualität besaß, sondern ein Resultat langjähriger, einmal mehr, einmal weniger starker, in jedem Fall jedoch kontinuierlich bestehender Übereinstimmungen gewesen ist. 86 Partielle ÜbereinstimmungS7 wurde vor allem im Bereich der innenpolitischen Konsolidierung und der "Wehrhaftmachung" erzielt. So sehr diese Punkte die Verbindungen zwischen Heer und Hitler vergrößerten, so sehr führten sie Militär und SA in zunehmendem Maße auseinander. Das Beispiel des Hitler-Ludendorff-Putsches 1923 zeigt, welche Gemeinsamkeiten, aber auch welche Differenzen zwischen Reichswehr und Hitler bei der Auffassung von einer innenpolitischen Konsolidierung bestanden. Diese Auffassung wurde häufig verbunden mit der Vorstellung von einem Machtzuwachs des Staates, ohne daß es allerdings in der frühen Phase der Beziehungen zu einem Konsens über den praktischen Vollzug der Vorstellungen gekommen wäre. Dieser mangelnde Konsens führte schließlich auch dazu, daß es zu keinem gemeinsamen Vorgehen von Heer und Hitler während des Putsches gekommen ist. 88 Beck schreibt am 11.11.1923: "Die Dinge im Inneren und nach Außen drängen dazu, daß wir einen anderen Kurs einschlagen. Die Sozialdemokratie hat abgewirtschaftet, die demokratische Beglückung ist am Ende ihres Lateins, wir brauchen eine eiserne Führung, die sich wieder Autorität verschafft, zur Arbeit zwingt und dem fleißigen Brot gibt". 89 Ebenso wie Beck kritisiert

86 Daher kann dem Urteil von Manfred Messerschmidt, Die Welumacht im NS-Staat, S. I, nicht zugestimmt werden: "Am 30. Januar 1933 standen sich Armee und Partei nicht mit offenen Armen

gegenüber. Die sichtbare Gemeinschaft der Anschauungen ging im wesentlich nicht über die Ziele der nationalen Kreise hinaus". Anders dagegen Rainer Zitelmann: Hitler, Selbstverständnis eines Revolutionärs, 2. Aufl., Dannstadt 1989. Zitelmann liefert an Hand von vielen Hitler-Äußerungen ein filr das MilitAr attraktives Bild eines neuen Staates, in dem die Annee wieder eine filhrende Rolle ilbemehmen solle. 87 Hier soll keine ideenpolitische Diskussion erfolgen (vgl. dazu Kapitel B. 11.), sondern es sollen partielle Übereinstimmungen an Hand praktischer Beispiele ihrer Verbindung aufgezeigt werden. 88 Vgl. dazu allgemein Harold 1. Gordon: Hitlerputsch 1923, Machtkampfin Bayem 1923-1924, Frankfurt a.M. 1971. Gordon bewertet den Fehlschlag des November-Putsches als Beleg dafilr, daß die Macht der Wehrverbllnde nicht geßhrlich werden konnte, solange die Reichswehr loyal zur Regierung

stand

89 Freiburger Militärarchiv, NI Ludwig Beck, N 34/17, Brief Becks an General von Gosslar vom 11.11.1923.

I. Praktische Ausgangspositionen

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Seeckt am 5.11.1923 90 die fehlende innenpolitische Einheit. "Ohne Umschwung in der Regierung" sähe er den Bürgerkrieg mit Sicherheit voraus. Sein Verlauf werde vernichtend sein, "wenn er nicht mit klarer Einheitsfront aller national Gesinnten geführt" werde. Ähnlich wie Beck und Seeckt, allerdings das Gewaltmonopol des bestehenden Staates negierend, kritisiert Hitler die innenpolitische Schwäche der Republik. "Ein Volk, das Mehrheitsbeschlüssen unterworfen ist, ist dem Untergang ausgesetzt".91 "Was Deutschland retten kann, ist die Diktatur des nationalen Willens und der nationalen Geschlossenheit" .92 Während Hitler die Diktatur als die einzige Rettung Deutschlands aus den innenpolitischen Schwierigkeiten betrachtete93 , blieb die Mehrheit der Reichswehroffiziere in ihrer Kritik "systemimmanent": Sie kritisierten zwar den Parteienpluralismus94 und setzten die politischen Vorstellungen der demokratischen Politiker mit dem abzulehnenden Pazifismus gleich. 95 Dennoch unterstützten sie den Staat, fiir den sie, durch Verfassung und Eid dazu verpflichtet, Dienst taten. 96 Daher lehnten sie Hitlers gewaltsames Vorgehen ab, deshalb auch beurteilten sie die Wehrverbände (darunter die SA) als "verantwortungslose und undisziplinierte Pseudosoldaten".91 Die SA war demnach in den Augen der Offiziere keine dem Staate dienende, militärische Institution, sondern lediglich eine Art primitive Krawalltruppe. Hitler än-

90 Freiburger Militlrarchiv, NI Seeclct, N 247/108, Handschrift1icher Entwurf des Briefes an Gustav Ritter von Kahr vom 5.11.1923.

91 Eberhard JAckel, Axel Kuhn, Hitler, S. 1048, Rede arn 30.10.1923. 92

Völkischer Beobachter vom 6.n.5.1923.

93 Vgl. Albert Tyrell: Vom "Trommler" zum "Führer", Der Wandel von Hitlers SelbstverstAndnis zwischen 1919 und 1924 und die Entwicklung der NSDAP, München 1975. Hier zeigt Tyrell den von Hitler schon früh durchgesetzten Anspruch auf, alleiniger Führer seiner Partei zu sein. - An einer anderen Stelle formuliert Hitler: "Was unser Volk braucht, sind Fahrer, nicht parlamentarischer Art,

sondern entschlossen, das, was sie vor Gott, der Welt und ihrem Gewissen als Recht erkennen, durchzusetzen, wenn notwendig, gegen Majoritäten". Eberhard Jäckel, Axel Kuhn, Hitler, S. 916, Rede vom 27.4.1923.

94 Freiburger Militlrarchiv, NI Seeclct, N 247/108, Handschrift1icher Entwurf des Briefes an Gustav Ritter von Kahr vom 5.11.1923. - Hier schreibt Seeckt: "Die Weimarer Verfassung ist filr

mich kein noli me tangere; ich habe sie nicht mitgemacht, und sie widerspricht in den grundlegenden Prinzipien meinem politischen Denken ".

95 Freiburger Militlrarchiv, Depot Stülpnagel, N 5/27, Fritsch in einem Brief an Joachim von Stülpnagel vom 16. November 1924. "Letzten Endes sind Ebert, Pazifisten, Juden, Demokraten,

Schwarzrotgold und Franzosen alles das Gleiche, nämlich die Leute, die die Vernichtung Deutschlands wollen".

96 Vgl. dazu das Vorgehen der Reichswehr wAhrend des Putsches: Harold J. Gordon, Hitlerputsch, S.409ft:

91 Ebenda, S. 144. - Vgl. Peter Longerich, Die braunen Bataillone, S. 38-44.

B. Grundlagen und Bedingungen

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derte daraufhin die Formen seiner "Machteroberung"; er beabsichtigte jetzt. legal auf parlamentarischem Weg an die Macht zu gelangen. 98 Die Einheit der Nation als Ausdruck innenpolitischer Stabilisierung sahen Reichswehr und Hitler nach der nationalsozialistischen "Machtergreifung" weitgehend gewährleistet. BIomberg bezeichnete es "als ein Glück, ( ... ) wenn diese Bewegung bald zu der von ihr erstrebten Totalität kommt".99 Er führte die Vorteile fiir die Armee an, die sich seiner Meinung nach durch die innenpolitische Konsolidierung ergeben hätten. "Die Reichswehr mußte früher im wechselnden Ringen der Parteien und Interessengruppen ihre Überparteilichkeit zum Wohle des Ganzen betonen: Sie ist jetzt zur vollen Einheit mit dem Staat verbunden als stärkster Ausdruck der Kraft des geeinten Volkes".loo Damit betont Blomberg die abwartende, taktierende Rolle der Armee während der Weimarer Republik. Erst jetzt symbolisiere die Einheit StaatlMilitär die Kraft des Volkes. Das Militär wird demnach auf eine Ebene mit dem nationalsozialistischen Staat gestellt. Reichenau bejahte in diesem Sinne die neue Diktatur, denn "sie befindet sich in fester Hand". 101 Er skizzierte zugleich das Vorgehen des Militärs: "Unser Weg geht nach vorn, das heißt also: Hinein in den neuen Staat und dort die uns gebührende Position behaupten". 102 Hitler ging in seiner Reichstags-Rede am 13. Juli 1934, in der er sich fiir das blutige Ende der Röhm-Krise rechtfertigte, zunächst auf Schwächen der Weimarer Demokratie ein: "Die Schatten der traurigsten, politischen Vergangenheit des deutschen Volkes stiegen beängstigend vor uns auf. Partikularismus und Separatismus proklamierten sich frech als neue deutsche Staatsidee".103 Anschließend unterstrich er die Konsequenzen, die sich in einem von ihm geführten Staat durch innenpolitische Opposition, in diesem Falle die der SA, ergaben: "Den Geist der Unbotmäßigkeit und des innerstaatlichen Aufruhrs haben wir in wenigen Monaten ausgerottet und beseitigt. Unter voller Respektierung des Wesens unserer heutigen Stämme haben wir die Gewalt des 98 Es existieren außer einigen unwesentlichen theoretischen Angriffen auf Seeckt und Groener kaum Hinweise darauf, daß die NSDAP die Reichswehr bekArnpfte, wie es Thilo Vogelsang, Reichswehr, Staat und NSDAP, S. 59, ausfllhrt. Vgl. zu den politischen Angriffen Völkischer Beobachter vom 15. Oktober 1926, 19. Februar, 4. März und 27./28. März 1927.

99 Institut filr Zeitgeschichte München. Liebmann-Aufzeichnungen über die Befehlshaberbesprechung am 1. Juni 1933 in Bad Wildungen. S. 225. 100 Verfilgung des Reichswehrministers ober die Teilnahme der Reichswehr an Veransta1tungen außerhalb der Wehrmacht, vom 1. Mai 1933, abgedruckt in K1aus-JOrgen Müller, Armee und Drittes Reich, S. 161. Dokument Nr. 26.

101 Edgar Röhricht: Pflicht und Gewissen, Erinnerungen eines deutschen Generals 1932-1944, Stuttgart 1956, S. 42ff. Röhricht war ein langjähriger Mitarbeiter Reichenaus im Minister- bzw. Wehrmachtamt 102 Ebenda. 103 Schulthess Europäischer Geschichtskalender 1934, S. 173.

I. Praktische Ausgan~itionen

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Reiches als den Ausdruck unseres gemeinsamen Lebenswillens gestärkt und über alles erhoben. Das Deutsche Reich ist heute kein geographischer Begriff mehr, sondern eine politische Einheit". 104 Nicht nur Hitler, sondern auch die Reichswehrfiihrung lehnte das Vorgehen der SA ab, weil es der innenpolitischen Stabilisierung und Einheit des nationalsozialistischen Staates abträglich war. Röhms Vorstellung von einem "Wehrstaat", einem sich ständig im militärischen Kampf oder doch wenigstens in Kampfbereitschaft befindenden autoritären Soldatenstaat fand daher keine Berücksichtigung. 105 In dem Punkt "Wehrhaftmachung" kann von einer nahezu vollkommenen Übereinstimmung zwischen Reichswehr und Nationalsozialismus gesprochen werden. 106 Die Auffassung über die militärpolitischen Folgen der "Wehrhaftmachung" unterschieden sich von der Auffassung der SA-Führung. Die Besetzung des Waffenmonopols, die ein Hauptkriterium der "Wehrhaftmachung" war, sollte zu einem Hauptkriterium der Auseinandersetzungen zwischen Reichswehr und SA während der Röhm-Krise werden. 107 Mit dem Begriff "Wehrhaftmachung"108 ist eine Zusammenfassung individueller Interpretationen führender Offiziere gemeint. Das Spektrum reicht von der bloßen Milizidee (Groener)I09 bis zur totalen Militarisierung der Gesell-

104 Ebenda. - Siehe auch Ernst Fraenkel: Der Doppe1staat, Frankfurt a.M./Köln 1974. Fraenkel hat mit seiner Unterscheidung zwischen "Nonnenstaat" und "Maßnahmenstaat" den willkürlichen Rechtscharakter der innenpolitischen nationalsozialistischen Machtausübung erklärt. - Zur neueren Forschung siehe Norbert Frei: Der Führerstaat. Nationalsozialistische Herrschaft 1933-1945, 2. Aufl., München 1989. \05 Ernst Rölun: Die Geschichte eines Hochverräters, 4. AufI., München 1933, S. 172.

106

Siehe dazu Michael Salewski: Die bewaffuete Macht im Dritten Reich 1933-1939, in: Handbuch der deutschen MilitArgeschichte 1648-1939. Herausgegeben vom MilitArgeschichtlichen Forschungsamt durch Othmar Hacld und Manfred Meserschmidt, München 1979, S. 37.

107 Einer der GrOnde war, daß sich die SA ein standig größer werdendes Mitspracherecht in den militärpolitischen Folgerungen der "Wehrhaftmachung" vorbehielt 108 VgJ. Manfred Messerschmidt, Die Wehnnacht im NS-Staat, S. 12. Messerschmidt analysiert "Wehrhaftmachung" ausschließlich filr die Zeit nach 1933, nicht jedoch filr die Zeit der Weimarer Republik, als "Wehrhaftmachung" schon eine Interessenidentität zwischen Reichswehr und Hitter bedeutete. - Hans Mommsen: Die verspielte Freiheit, Der Weg der Republik. von Weimar in den Untergang 1918-1933, Frankfurt a.M.lBerlin 1989, S. 44, urteih über die politische Vorstellungswelt der Reichswehr: "Die politische Vorstellungswelt des Militärs war letztlich von dem Gedanken geprägt. auf lange Sicht einen militärischen Wiederaufstieg Deutschlands in die Wege leiten zu ,",nnen".

109 Freiburger MilitArarchiv, NI Groener, N 46/149, Ansprache Groeners am 18.9.1930 in Bad Kissingen an die Ministerprlsidenten von Bayern, Thüringen, Regierungsvertreter etc. Hier spricht Groener von der Aufgabe eines umfassenden Landesschutzes, der den Charakter eines Milizheeres bekommen solle. 3 v. Fallois

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B. Grundlagen und Bedingungen

schaft (Stülpnagel). 110 "Wehrhaftmachung" bedeutet militärische Wiederaufwertung der Reichswehr als Institution: Aufrüstung, Vergrößerung des Personals, größere Aufgaben- und Verantwortungsbereiche. Schließlich beinhaltete Wehrhaftmachung auch einen Bedeutungszuwachs der Annee in der Gesellschaft. Die "Wehrhaftmachung des Volkes" war das unter Groener und Schleicher auch öffentlich verkündete Hauptziel der gesamten Wehrpolitik. 111 Während des Leipziger Reichswehrprozesses 1930 sollte der Programmpunkt "Wehrhaftrnachung" die Sympathien der Offiziere mit den Nationalsozialisten am deutlichsten offenbaren. 112 Leutnant Richard Scheringer verknüpfte den Gedanken der "Wehrhaftmachung" mit den nationalen Verbänden, also auch mit der SA: "Im Interesse der Schlagkraft des Heeres war die Verbindung mit den nationalen Verbänden notwendig.(... ) Unter "Nationalen Verbänden" verstehe ich die Organisationen, die den Pazifismus ablehnen, das Versailler Friedensdiktat bekämpfen, für den Freiheitskampf eintreten, (und) den Gedanken der Wehrhaftigkeit verfechten und den Ausgleich der Spannungen zwischen Parteien anstreben". 1\3 Die Forderung nach größerer "Wehrhaftmachung" fiihrte einige Offiziere dazu, weitreichende Konzessionen an eine zukünftige Regierungsform zu machen. Die Aussage des Leutnants Hanns Ludin spiegelt diese Bereitschaft wider: "Mir ist es ganz egal, ob die Regierung parlamentarisch oder faschistisch oder diktatorisch ist (... ). Ich wollte nur für den Wehrgedanken kämpfen" .114 Hitler griff während des Prozesses die Forderung vieler Offiziere nach größerer Berücksichtigung der "Wehrhaftmachung" auf und stellte sie - propagandistisch geschickt - an die Spitze seines Programmes. "Der Sieg der nationalen Bewegung bedeutet absolute Wehrhaftmachung des deutschen Volkes. Wir werden dafür sorgen, daß unsere Reichswehr wieder eine große deutsche Volksarmee sein wird. Es ist zu vermuten, daß im Reichsheer Tausende von 110 Freiburger MilitArarchiv, Depot StlIlpnagel, N 5/23, BriefStlIlpnagels vom 16. Februar 1924 an Groener. 111 Hierbei wurde auch die geheime Aufrüstung forciert. Karl Dietrich Bracher: Die Auflösung der Weimarer Republik, Eine Studie zum Problem des Machtverfalls in der Demokratie, 5. Aufl., Düsseldorf 1978, S. 26811: - Vgl. Francis L Carsten, Reichswehr und Politik, S. 32011: und S. 32611:

112 Schon vor dem Leipziger Prozeß filhrte die "Wehrhaftmachung" zu einer Art Revision der militllrpolitischen Bestimmungen des Versailler Vertrages. Vertragsbrüche gegen den Vertrag und heimliche Aufrüstung und die Bildung einer sogenannten "Schwarzen Reichswehr" waren die Folge. V g1. Michael Geyer: Militllr, Rüstung und Außenpolitik - Aspekte militärischer Revisionspolitik in der Zwischenkriegszeit, in Manfred Funke (Hrsg.), Hitler, Deutschland und die Mächte, 2. Aufl., Düsseldorf 1976, S. 239-268. 1\3 Peter Bucher, Der Reichswehrprozeß, S. 171. - Siehe dazu die autobiographische Studie von Richard Scheringer: Das große Los unter Soldaten, Bauern und Rebellen, Hamburg 1959. 114 Peter Bucher, Der Reichswehrprozeß, S. 186f

I. Praktische Ausgangspositionen

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jungen Menschen vorhanden sind, die die gleichen Gedanken haben". 115 Auch mit Beginn des nationalsozialistischen Staates bildete die "Wehrhaftmachung" einen wichtigen Verknüpfungspunkt in der Verbindung zwischen Reichswehr und Bitler. Zugleich verdeutlicht der Faktor "Wehrhaftmachung" die Grenze der Beziehung zwischen Reichswehr und SA. In ihrer letzten Konsequenz bedeutete "Wehrhaftmachung", daß zu Beginn des nationalsozialistischen Staates die Frage zu klären war, wem das Waffenmonopol, also die oben skizzierte militärische Aufwertung zukommen solle. Schon auf seiner ersten Befehlshaberbesprechung als Reichswehrminister formulierte BIomberg als wichtigsten programmatischen Punkt für die Reichswehr: "1. Erhaltung der RW als überparteiliches Machtmittel. (... ) Zu 1. Überparteilichkeit in Politik Unterstützung der Wehrhaftmachung". \16 Am 3. Februar 1933 hielt Bitler im Hause des Chefs der Heeresleitung, General Kurt von Hammerstein, eine Rede, in der er die militärische Wiederaufwertung der Armee und den Bedeutungszuwachs der Armee in der Gesellschaft herausstellte: "Ertüchtigung der Jugend u. Stärkung des Wehrwillens mit allen Mitteln.(... ) Aufbau der Wehrmacht wichtigste Voraussetzung für Erreichung des Ziels: Wiedererringung der pol. Macht". 111 Während der ersten Phase des nationalsozialistischen Staates waren Regierung und Militär aufgrund der eniehungspolitischen Ausbildung der Soldaten darum bemüht, die "Wehrhaftmachung" nachdrücklich zu fOrdern. 118 Eng mit der Forderung nach "Wehrhaftmachung" war die nach der Wiedergewinnung von militärischer Macht verknüpft. Der militärisch-politische Machtgewinn wurde zur Voraussetzung, die militärischen Vorschriften des Versailler Vertrages zu umgehen. Er war Triebfeder für die permanente Forderung nach militärischer Gleichberechtigung. Der Nationalsozialismus unterschied sich in dieser Frage nur durch das Maß an Radikalität, mit dem die Forderung nach Machtzuwachs erhoben wurde. 119 Nach der "Machtergreifung" war das Offizierkorps zu weitreichenden Konzessionen an 115 Ebenda, S. 252f. - Kurt von Schleicher: Der deutsche Wehrgedanke, in Illustrierte Zeitung vom 21.7.1932, verband den Wehrgedanken ("Wehrhafbnachung") mit einer neuen Staatsgesinnung: "Der

Wehrgedanke muß der Kin einer neuen Staatsgesinnung sein. Es muß zum heilenden Serum werden gegen die volkszersetzenden Giftstoffe eines selbstmorderischen Pazifismus, der Staatsverleumdung und des Klassenkampfes".

116 Institut ftlr Zeitgeschichte MOnchen, Liebmann-Aufl.eichnungen, Ausftlhrungen des Reichswehrministers von BIomberg vor den Gruppen- und Wehrkreisbefehlshabern im Reichswehrministerium am 3. Februar 1933, S. 198ff. 111 Ebenda, S. 205f. 118 Siehe dazu die erziehungspolitische Arbeit von Manfred Messerschmidt, Die Wehrmacht im NSStaat, S. 18ff. "Nach Auffassung der Mehrheit der Soldaten der Reichswehr gab es eine ganze

Reihe von Parallelen zwischen der soldatischen Vorstellungswelt und den patriotisch-volkisch dargebotenen Thesen der nationalsozialistischen Weltanschauung". 119 Francis L. Carsten, Reichswehr und Politik, S. 341ff.

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B. Grundlagen und Bedingungen

das neue Regime bereit, das ihm Macht- und Bedeutungszuwachs zusicherte. Im Mittelpunkt ihres zu verteidigenden Machtinteresses standen zunächst die militärpolitischen Forderungen der SA, die sich schon vor der "Machtergreifung" artikulierten.

2. Die Beziehungen zwischen Reichswehr und SA vor 1933

Welche typischen Gemeinsamkeiten und grundlegenden Differenzen gab es in der Beziehung zwischen Reichswehr und SAi20 vor 1933, die Voraussetzungen darstellten für ihre späteren Auseinandersetzungen? Eine bis in die Zeit der Röhm-Krise hineinreichende militärpolitische Gemeinsamkeit, die in der Praxis allerdings Schwierigkeiten bereiten sollte, war die Beteiligung am Grenzschutz. Voraussetzungen dafür waren erstens die von HitIer festgelegte militärpolitische Konzeptionalisierung der SA und die sich daraus ergebende Unzufriedenheit der SA-Männer. Zweitens sind die historischen und politischen Hintergründe zu erwähnen, die zu ihrer Arbeit beim Grenzschutz führten. HitIer hatte sich nach dem gescheiterten Novemberputsch 1923 mit seiner Auffassung121 durchgesetzt, die SA als eine "Propagandaarmee"122 der NSDAP zu untergliedern, anstatt sie nach den Vorstellungen Röhms als einen paramilitärischen "Kampfbund"123 beizubehalten. Nach den militärpolitischen Vorstellungen HitIers besaß die SA mit Beginn ihrer Tätigkeit beim

120 Zur Beziehung zwischen Reichswehr und SA vor 1933 siehe aus biographischer Sicht die Erinnerungen des SA-Mannes Heinrich Bennecke, Hitler und die SA, MQnchen 1962. - Das Verhlltnis zwischen Reichswehr und Wehrverblnde analysiert Andreas Wemer, SA und NSDAP, S. 81ft: Bracher/Sauer/Schulz, S. 829ft:, analysieren zum ersten Mal in der wissenschaftlichen Literatur ausfiihrIich das Verhl1tnis zwischen Reichswehr und SA vor 1933. 121 Ausfilhrlich zu Hitlers militlrpolitischen Konzeptionen Kapitel B. 2a. Hier sollen nur die Konzeptionen aufgezeigt werden, die zum Verstlndnis des Vorgehens der SA gegenQber dem Heer dienen. 122 Völkischer Beobachter vom 26. Februar 1925. In den "Grundslitzlichen Richtlinien ftlr die Nationalsozialistische deutsche Arbeiterpartei", die Hitler erließ, hieß es: "Die Neubildung der SA erfolgt nach den Grundlagen, die bis zum F3bruar 1923 maßgebend waren". Damit war deutlich ausgesprochen, daß die damals erfolgte Umwandlung der SA in einen Wehrverband ruckglngig gemacht und die Parteitruppe wieder auf die Funktion eines Hilfsorgans der Partei reduziert werden sollte.

123 Ernst Röhm, Die Geschichte eines Hochverrlters, S. 321ft: - Die fiilhen militlrpolitischen Differenzen zwischen Röhm und Hitler detailliert herausarbeitend Andreas Wemer, SA und NSDAP, S. 178ft:

I. Praktische Ausgangspositionen

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Grenzschutz im Jahre 1931 folgende Hauptaufgaben l24 : Einmal müsse ihre Ausbildung "nicht nach militärischen Gesichtspunkten, sondern nach parteizweckmäßigen " erfolgen; "sich körperlich ertilchtigen" sei wesentlich wichtiger als "militärisches Exerzieren". Die SA war demnach nicht eine Miliz, die im Falle der nationalsozialistischen "Machtergreifung" an die Stelle der Annee zu treten hatte. Ihre Aufgabe bestand vielmehr in einer Art vormilitärischer Ausbildung. 125 Zum anderen müsse die NSDAP "in ihrer .s:4 ein Instrument zur Vertretung und SUirkung des Weltanschauungskampfes der Bewegung" schaffen. 126 Das bedeutete in der Praxis, daß die SA als "Propagandaarmee" im "innenpolitische(n) Kampf' 121 zwar Gewalt (Straßenschlachten, Saalschlachten) anwenden, aber für die Reichswehr keine militärpolitische Konkurrenz darstellen sollte. 128 Der Durchbruch der NSDAP zur Massenbewegung hatte für die SA eine erhebliche Verstärkung ihrer propagandistischen und "kämpferischen" Anstrengungen zur Folge. 129 Wegen der damit zusammenhängenden Zunahme des Terrors l30 reagierten die Staaten Bayern, Preußen und Baden im Juni 1930 mit einem Uniformverbot für die SA-Männer. 13I Immer wieder offenbarten 124 Die folgenden Zitate zu den SA-Aufgaben entnommen aus AdolfHitler, Mein Kampf; S. 579ff. 125 Peter Longerich, Die braunen Bataillone, S. 55 betont, daß Hitler "damit seine Auffassung über das VerhiJltnis von bewaffneter Macht und Reichswehr zu einem sehr frühen Zeitpunlct fostgelegt" hat. Diese These, die wir nachhaltig unters«ltzen, werden wir weiter unten diskutieren. - Heinrich Bennecke, Hitler und SA, S. 128ff., ftberschätzt die Rolle Pfeffer von Salomons bei der Konzeptionalisierung der SA-Poli-tik. 126 AdolfHitler, Mein Kampf; S. 620. 121 Bundesarchiv Koblenz, Sammlung Schumacher 403, SA-Befehl (SABE) 15 vom 10. 2. 1927. 128 Den politischen SA-Kämpfer von militirischen Aufgaben abgrenzend, schreibt Hitler, daß "der SA-Mann (. ..) ein politischer KiJmpfor w sei, mit der Aufgabe "der Führung der Bewegung den Schutz der Propaganda zu erm6glichen ". Völkischer Beobachter vom 4. April 1931. 129 Vgl. dazu Conan Fischer: Stonntroopers, A Social Economic and Ideological Analyses 19291935, London u.a. 1983, S. 148ff. Fischer zitiert die Aussagen vieler SA-Kämpfer, die sich zur Zunahme der Gewalt lußem. - Bruce Becker Campbell: From Landsknecht to political soldier: The political and military development ofthe highest leaders ofthe SA, Wisconsin-Madison 1988, S. 319, spricht in diesem Zusanunenhang ftbertrieben von einem bftrgerkriegsAhn1ichen Zustand. - Vg1. zum

Durchbruch der NSDAP zur Massenpartei Gotthard Jasper: Die gescheiterte Zähmung, Wege der Machtergreifung Hitlers 1930-1934, Frankfurt a. M. 1986. Jasper versucht, abseits von einer stark. auf Hitler gerichteten Analyse, (so wie es Joachim C.Fest, Hitler, vornimmt) andere Kräfte (Partei, Wirtschaft etc.) zu untersuchen, die der NSDAP zum Durchbruch verhalfen. 130 Siehe dazu die zeitgenössischen Berichte und Schilderungen von Fritz Stelzner: Schicksal SA, MOnchen 1936, S. 55. - Julius Karl von Engelbrechten: Eine braune Annee entsteht, Die Geschichte der Berlin-Brandenburger SA, MOnchen-Berlin 1937, S. 179.

131 Peter Longerich, Die braunen Bataillone, S. 100. - Andreas Werner, SA und NSDAP, S. 443ff., filhrt aus, daß man sich innerhalb der SA bereits im Sommer 1929 auf ein Gesamtverbot einstellte.

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B. Grundlagen und Bedingungen

sich in dieser Zeit Unstimmigkeiten und Krisenmomente zwischen SAFührern und der NSDAP: Die SA kritisierte mangelnde Berücksichtigung, Aufgabenverteilung und Zukunftsperspektiven. 132 Zudem nahmen die Mitgliederzahlen der SA mit Beginn der dreißiger Jahre rapide zu und damit auch die Notwendigkeit einer sinnvollen Aufgabenverteilung. \33 Am 2. September 1930 übernahm Hitler die Führung der Sturmabteilung in eigener Person und setzte Röhm am 5. Januar 1931 als "Chef des Stabes der SA" ein. l34 Röhm nutzte seine ehemaligen Reichswehrkontakte, um beim Ministeramt vorzusprechen. Er beabsichtigte, aufgrund der mangelnden Aufgabenverteilung seiner Organisation SA-Männer zum Grenzschutz abzustellen, der unter der Befehlsgewalt der Armee stand. \35 Der Bereich des Grenzschutzes war damit Gegenstand erster, intensiver Kontaktaufnahme zwischen Armee und SA. Vorher waren sie lediglich durch die Sammlungsbewegung der völkischen Wehrverbände, in denen die SA bis 1926 eingebunden war, in Verbindung getreten. 136 Beim Grenzschutz konnte sich die SA nach der oben beschriebenen militärpolitischen Auffassung Hitlers einerseits vormilitärisch betätigen und andererseits unabhängig davon als "Propagandaarmee" für den innenpolitischen Kampf der NSDAP bestehen bleiben. Die politischen Hintergründe des Grenzschutzes hatten ihren Ursprung in den Erwägungen der Heeresleitung von 1919, wie die - zunächst gar nicht festgelegte - Grenze im Osten gegen Polen verteidigt und beschützt werden sollte. 137 Der Versailler Vertrag erlaubte dem Heer zwar eine "Grenzpolizei", 132 Andreas Wemer, SA und NSDAP, S. 461fT. Wemer berichtet in der Forschung zum ersten Mal detailliert aber die sich im September 1930 zuspitzende "Stennes-Krise". SA-Kreise in Berlin filh1ten sich bei der Mandatsverteilung zu schwach betilcksichtigt und opponierten gegen die Parteifilhrung der NSDAP. - Bundesarchiv Koblenz, Sammlung Schumacher 403, Denkschrift August Schneidhuber "Umorganisation der SA-Führung" vom 19.9.1930. SA-Führer Schneidhuber filhrt aus, daß "das Instrument der SA unserem Fahrer im Drang der Ereignisse und mit der Zeit fremd-geworden ist". - Bracher/Sauer/Schulz, S. 848fT., fiIhren die unge-klirte zukanftige BeschAftigung als Grund der Unzufriedenheit der SA-Mitglieder heran. 133 Bundesarchiv Koblenz, Sammlung Schumacher 415, Aufstellung vom 18.5.1931 und 1.2.1931. Die Zahl der SA-Mitg1ieder wuchs von 2.000 (1923), 88.000 (Januar 1931), 260.000 (Dezember 1931) auf700.000 (Dezember 1932). 134 Thi.lo Voge1sang. Reichswehr, Staat und NSDAP, S. 117fT. Im folgenden weist Vogelsang in der Literatur zum ersten Mal detailliert auf Grenzschutzarbeiten hin, die zur Behebung der mangelhaften Aufgabenverteilung der SA dienen sollten. \35 Ebenda.

136 Bayrisches Hauptstaatsarchiv. Abteilung I, Allgemeines Staatsarchiv München, Denkschrift Ludendorffs vom 10.11. 1924, Sonderabgabe I, 1633. In dieser Denkschrift plädiert Ludendorff nachdrücklich filr die Verbindung zwischen Annee und WehrverbAnden. - Andreas Wemer, SA und NSDAP, S. 251fT. Wemer nennt zwar Kontakte zwischen Röhm und Reichswehr im Frühjahr 1924, bezeichnet eine intensive Verbindung allerdings als Wunschdenken der WehrverbAnde. 137 Francis L. Carsten, Reichswehr und Politik, S. 168fT.

I. Praktische Ausgangspositionen

39

aber er verbot alle Maßnahmen, die der Anhebung der Truppenstärke oder der Aufrüstung hätten dienen können. Wegen dieser militärischen Beschränkungen bei gleichzeitigem Bedarf an Personal stellte die Heeresleitung Freicorps und irreguläre Verbände zur eigenen Verwendung auf. J38 Trotz des sogenannten "Seeckt-Severing-Abkommens" vom 7. Februar 1923, nach dem sich die Reichswehr verpflichtete, ihre Verbindungen zu den nationalen und privaten Wehrverbänden zu lösen 139, blieb es bei der oft geheimgehaltenen Rekrutierung des Grenzschutz-Reservoirs aus den nationalen Verbänden. 14O Schleicher und Röhm fanden zu einem "modus vivendi", zu einem "Abkommen" zwischen SA und Armee im Bereich des Grenzschutzes. Nach der Besprechung am 21. März 1931 ftihrte Schleicher in seinem Brief an Röhm aus: "Grunds(Jtzlich muß es Ehrenrecht und die Ehrenpflicht eines jeden Deutschen bleiben, der Verteidigung des Reiches zu dienen" • 141 Schleicher versuchte die für ihn "wertvollen" militärischen Elemente der SA an die Armee heranzufiihren und die aggressiven SA-Tätigkeiten auf der Straße zu verringern. 142 Er nahm damit das taktisch-kalkulierende Vorgehen gegenüber der SA - wie es später Reichenau ähnlich versuchte - vorweg. Röhm hingegen kam in seinem Bestreben voran, die SA ähnlich wie in den Jahren 1924 und 1925 in einen straff gelenkten Wehrverband zu verwandeln. 143 Hauptsächlich

138 Vgl. Vertragsploetz, Konferenzen und Vertcige, Teil II, Band 4A: Neueste Zeit 1914-1959, 2. Aufl., Bearbeitet von Helmuth K.G. Rönnefarth, Würzburg 1959, S. 293f. - Zu den irregulären VerbAnden gehörten u.a. die sogenannte "Schwarze Reichswehr", der Stahlhelm und völkischnationalistische WehrverbAnde. Vgl. Volker R. Berghahn: Der Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten 1918-1935, Düsseldorf 1966. Die Schwächen dieses Buches liegen in dem Verzicht auf soziologische Vertiefung; es fehlen Hinweise auf die Organisationsstruktur, Finanzquellen und soziale Herkunft der Mitgliedschaft des Stahlhebns. - Vgl. auch Andreas Wemer, SA und NSDAP, S. 245ff. 139 Thilo Voge1sang, Reichswehr, Staat und NSDAP, S. 33f. 140 Bundesarchiv Koblenz, Reichskanz1ei, R 43/1, Band 1447, Protokoll der Ministerbesprechung vom 19. Dezember 1930. - Ende 1930 bekannten sich das Wehrministerium und Brlining zur Auffassung, daß man es einzelnen Nationalsozialisten nicht verbieten könne, wenn sie von sich aus beim Grenzschutz teilnehmen wollten. Vgl. dazu Thilo Voge1sang, Reichswehr, Staat und NSDAP, S.

117ff.

141 Freiburger MilitArarchiv, NI Schleicher, N 42/19, Abschrift eines eingeschriebenen Briefes an Röhm vom 21. März 1931. 142 Freiburger MilitArarchiv, NI Holstendort; N 42/98, (Die Politik des Generals von Schleicher gegenüber der NSDAP 1930-1933), S. 5ff. - Siehe die apologetische, aber quellenreiche Biographie von Friedrich Karl von Plehwe: Reichskanz1er Kurt von Schleicher, Weimars letzte Chance gegen Hitler, Esslingen 1983, S. 140f. Hier schreibt Plehwe, daß Schleichers Verhandlungen mit Röhm deshalb erschwert wurden, weil ihm Röhms Homosexualität mißfallen hat. Dafilr filhrt Plehwe allerdings keine Belege heran. 143 Ernst Röhm, Die Geschichte eines Hochverräters, S. 321ff. - Vgl. Peter Longerich, Die braunen Bataillone, S. I11ff.

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B. Grundlagen und Bedingungen

in Ostpreußen. Schlesien und Sachsen setzte dann die Armee SA-Einheiten zum Grenzschutz ein. 144 Bald nach dem Abkommen kam es zwischen Reichswehr und SA zu den ersten Spannungen. Sie zeigen bereits 1932 jene Differenzen. die auch ihre Beziehung in den Jahren 1933/34 belasten werden. Der Reichswehrfiihrung mißfiel, daß die SA Waffenlager der Armee plünderte und sich auf ihren Truppenplätzen illegal betätigte. 145 Ferner stießen die andauernden Straßenkämpfe der SA auf Widerspruch der Armee. l46 Die SA-Führung nahm Anstoß daran, daß die Reichswehr in einer Art "Personalunion" mit dem Stahlhelm dessen Mitglieder beim Grenzschutz mit höheren Positionen weitaus mehr als die SAMänner berücksichtigte. 147 Die Gewalttätigkeiten der SA, die sich unter anderem aus diesem Mißverhältnis ergaben. waren eine der Gründe für Reichswehrrninister Groener, die SA arn 13. April 1932 gesetzlich zu verbieten und ihre Auflösung zu veranlassen. 148 Hiermit zeigte sich schon 1932, daß die Reichswehrfiihrung die SA als mögliche militärpolitische Konkurrenz interpretierte, der man kurzzeitig nur durch ein Verbot Herr zu werden glaubte. Auch 1933 versuchte die Reichswehrfiihrung durch den Rückgriff auf die SA, ihren Mangel an ausgebildeten Reserven auszugleichen und die SA als vormilitärische Ausbildungsstätte anzuerkennen. 149 Zum anderen versuchte die Reichswehr ähnlich wie in den Jahren 1931 und 1932, die immer größer werdende Zahl der SA-Männer durch eine Beteiligung beim Grenzschutz 144 Siehe "Dokumentation zum Sturz Brilnings", in: Vierteljahrshefte fllr Zeitgeschichte 1953, S. 271ff. Hier sagt der damalige Zivilreferent fllr juristische Fragen in der Reichswehrabteilung. Adolf von Carlowitz: "Bei der zahlenmilßigen Schwache der Reichswehr konnte man zur Verteidigung der Ostgrenze besonders in dem isolierten Ostpreußen nicht ohne einen bodenstandigen Grenzschutz aus der ans4ssigen und wehrwilligen Berolkerung auskommen. Dabei konnte man auf die Mitarbeit der gerade in Ostpreuften zahlreichen SA nicht verzichten". - Vgl. zu den Grenzschutzarbeiten Thilo Voge\sang. Reichswehr, Staat und NSDAP, S. 157ff. 145 Volker Hentschel: Weimars letzte Monate, Hitler und der Untergang der Republik, DOsseldorf

1978, S. 39f Hentschel analysiert die sozialpsychologischen Hintergründe des SA-Terrors. Er umgeht

Stru1cturgeschichte; der entscheidungsfthige Politiker steht im Mittelpunkt seiner Analyse. - Peter Longerich, Die braunen Bataillone, S. 153f 146 Röhm versuchte, diese "Fehltritte" der SA in einem Briefvom 18. Milz 1932 an Groener zu verschleiern. Völkischer Beobachter, vom 27.129. Milz 1932. - Zur zunehmenden Gewalttätigkeit der SA vgl. Peter Longerich, Die braunen BataiUone, S. 109ff.

147 Institut fllr Zeitgeschichte MOnchen, ZS 44, Gaertner, S. 10f Gaertner berichtet, daß die SA seit 1931 einen nicht unbetrlchtlicben Teil der Freiwilligen beim Grenzschutz stellte, wAhrend örtliche

Fohrer des Grenzschutzes sich fast ausschließlich aus der Reichswehr und dem Stahlhelm rekrutierten.

148 Freiburger Militlrarchiv, NI Wilhelm Groener, N 46/152. Hier schreibt Groener am 2. April 1932 an seinen Freund Gerold von Gleich, daß die SA "unter allen Umst4nden beseitigt werden" mOßte. - Zum SA-Verbot vgl. auch Francis L Carsten, Reichswehr und Politik, S. 376ff. - Neuerdings auch Gotthard Jasper, Die gescheiterte Zlhmung. S. 83ff. Jasper meint, daß die SA bereits 1932 um das Waffenmonopol mit der Armee konkurrierte. Diese Einschätzung scheint Obertrieben, weil es zu

offenen Auseinandersetzungen noch nicht gekommen ist.

149 Institut fllr Zeitgeschichte MOnchen, ZS 11, Böckmarm, S. 3f

I. Praktische Ausgangspositionen

41

sinnvoll ZU beschäftigen. 150 Ähnlich wie 1932 blickte die Reichswehrführung aber auch auf die häufigen Gewalttätigkeiten der SA-Männer mit wachsendem Befremden. 151 Auffällig blieb nun, daß die SA nicht mehr als lästige Krawalltruppe mit militärischem Anspruch interpretiert wurde. Jetzt sahen viele Offiziere in ihr eine langsam ernstzunehmende militärische Konkurrenz. Die bleibenden Schwierigkeiten zwischen Militär und SA von 1931 an bis zum Frühsommer 1934 bestanden nicht nur im Bereich ihrer gemeinsamen Arbeit. Auch im Bereich ihrer grundsätzlichen Unterschiedlichkeiten sind die unüberwindbaren Hindernisse zwischen ihnen abzulesen. Zum einen sind die mentalitätsspezifischen Differenzen zu nennen. Weitverbreitete Arbeitslosigkeit und wirtschaftliches Elend prägten den Alltag der SA-Männer in den Jahren vor der "Machtergreifung". Alle Bemühungen der NSDAP, wie Aufbau von SA-eigenen "Sturmlokalen", Heimen und Versicherungen, halfen wenig. 152 Eine eigene Subkultur entstand: Das gemeinsame Leben in Heimen, das durch die Arbeitslosigkeit gewachsene Zusammengehörigkeitsgefühl und die Bindung an Kleingruppen schufen eine "bandenähnliche" Mentalität. 153 Das zeigte sich nicht zuletzt an der großen Bedeutung, die den Führern der kleinen Gruppen (den Schar-, Trupp- und Sturmfiihrern) beigemessen wurde. 154 Ein SA-Erinnerungsbuch beschreibt den "SA-Geist", der sich aus der starken Gruppenbindung und Ausweglosigkeit der sozialen Lage ergab: liMit dem Worte SA-Geist meinen wir also jene innere Haltung, aus der heraus der Freiwilligen Stoßtrupp der nationalsozialistischen Revolution trotz Terror und Not und Verfolgung immer wieder seinen Mut und seine innere Stärke

150 Karl Martin GraB, Edgar Jung, Papenkreis und Röhm-Krise, S. 114ff. Institut filr Zeitgeschichte MOnchen, ZS 44, Gaertner. GesprAch mit Generalfeldmarschall von Reichenau im November 1933, S. 3f. 151 Siehe hierzu die in den Wehrkreis-, Heeresleitungs- und Ministeramtsakten enthaltenen vielßltigen Niederschläge von sorgenvollen Äußerungen einiger OffIZiere. Freiburger Militärarchiv, H 24/6; W 01-5/110 und 111; WK VII 1652, 1517, 1342. 152 Siehe die zeitgenössische Literatur, die den SA-Al1tag beschreibt Julek K. von Engelbrechten: Eine braune Armee entsteht, Die Geschichte der Berlin-Brandenburger SA, Berlin 1937. - Hans Snyckers: Tagebuch eines Sturmfilhrers, MOnchen 1940. - Fritz Stelmer, Schicksal SA - In der neueren Literatur betont Conan Fischer: Stonntroopers, S. 128ff., die Gewalttätigkeiten der SAKAmpfer, die er als Folge der ausweglos empfundenen sozialen Situation interpretiert 153 Siehe die Erinnerungen des SA-Mannes Karl W. H. Koch: Männer im Braunhemd, Vom Kampf und Sieg der SA, DOsseldorfl936, S. 31St: 154 So zum Beispiel der Heldenkult filr die ermordeten Horst Wessel und Hans Maikowski. Siehe zur zeitgenössischen Literatur Ingeburg Wessel: Mein Bruder Horst, Ein Vermächtnis, 8.Aufl., MOnchen 1939, S. 49ff. - Zur neueren Literatur siehe Imre Lazar: Der Fall Horst Wessel, StuttgartlZOrich 1980. - Zu Maikowski siehe die zeitgenössische Quelle Stunn 33, Hans Maikowski, Geschrieben von Kameraden des Toten. 9. Aufl., Berlin 0.1., S. 74.

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B. Grundlagen und Bedingungen

zog". 155 Diese SA-spezifische Kultur und die Gewalttätigkeiten der SA-Männer empfanden viele Reichswehroffiziere schon vor 1933 als "Iacherlich", "abstoßend" und ''widerlich''. 156 Auch nach der "Machtergreifung" wurde die Reichswehr durch die "bandenahnliche" Mentalität der SA beunruhigt. In einem Brief eines jungen Soldaten kommt dabei die Überheblichkeit der Offiziere gegenüber SA-Männern zum Ausdruck. "Die SA-Führer (. ..) haben fast durchweg die Nachteile der kleinen Leute an sich. Vielfach sind sie ausgesprochene Knoten und typische Emporkömmlinge".151 Auf der anderen Seite findet auch Röhms gruppenspezifische Mentalität in vielen Äußerungen ihren Ausdruck. Der "Fels der Reichswehr" würde "in der braunen Flut" 158 der SA untergehen; "die braune Armee" sei "das letzte Aufgebot der Nation" 159, und die Rolle des SA-Mannes interpretiert Röhm als "Fleischwerdung einer heroischen Geisteshaltung".I60 Nicht ohne Ressentiment des vorzeitig verabschiedeten Offiziers mißachtete Röhm die Reichswehrführung, deren aristokratisch-elitärer, unpolitischer Charakter sich von seinem volkstümlichvulgären Habitus unterschied. 161 Zudem besaß Röhm weder einen fiir die hohen Offiziere angemessenen Dienstrang, noch stand er in der Tradition preußischer Offizierserziehung, so daß er ihren strengen Verhaltenskodex nicht erfiillen konnte. 155 Karl W. H. Koch, MAnner im Braunhemd, S. 315f. - Ähnliche Fonnulierungen fmden sich bei Friedrich Joachirn K1aehn: Mein Kamerad, Ein Handbuch der Erfahrungen, Anregungen und Ideen filr SA-Fohrer und Politische Leiter der NSDAP, Leipzig 1934, S. 27f. 156 Gesprliche mit Johann Adolfvon Kielmannsegg am 21.3.1990 und mit Kunrat von Hammerstein am 8.8.1989.

151 Hans Meier-Welcker: Aus dem BriefWechsel zweier junger Offiziere des Reichsheeres 19301938, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 14 (1973), S. 89. 158 Ernst Röhm: SA und deutsche Revolution, in: "Nationalsozialistische Monatshefte", Juni 1933, S.253. 159 Hebnut Krausnick: Der 30. Juni 1934, Bedeutung - HintergrOnde - Verlauf, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 30.6.1954, S. 318.

160 Der SA-Mann, Heft 3, (20.1.1934), S. 1. 161 Andre Fran~is-Poncet: Als Botschafter in Berlin 1931-1938, Mainz 1947, S. 192. Der französische Botschafter, der Ernst Röhm 1933 und 1934 traf, schreibt ober ihn: "Er war ein Frontoffizier, voll Feindseligkeit gegen die Junker mit ihrem 'von', die im Generalstab saßen und

Beforderungen und Orden ernteten, indessen die richtigen Soldaten den Heldentod starben". Konrad Heiden: Geschichte des Nationalsozialismus, Die Karriere einer Idee, Berlin 1932, S. 13. Heiden, Zeitzeuge und Journalist, urteilt: "Gegen einen großen Teil der Offiziere hat der derbe bayerische Beamtensohn einen gediegenen Haß; was er aber das Verhalten vieler Offiziere im Krieg erzdhlt, IWnnte ein Dutzend Meutereien rechtfertigen". - Joachirn C. Fest: Das Gesicht des Dritten Rei-ches, S. 194, urteilt oberspi1zt: "R6hm war ein besessener Soldat und Offizier, wenn auch ohne jene Arroganz und verkrampfte Hintergrtlndigkeit, mit deren Hilfo sich die ja doch existente Karikatur des Generalstabsoffiziers alter Schule ein wenig martialische Dämonie ins leere Soldatengesicht schaffte ".

I. Praktische Ausgangspositionen

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Im Gegensatz zur Mentalität der SA stand die Mentalität des Heeres. Der gesellschaftliche Elitestatus der Armee und die SpitzensteIlung auf der sozialen Prestigeskala während des wilhelminischen Kaiserreiches brachten der Armee ein gesellschaftliches Elitebewußtsein. 162 Dieses bestand trotz der militärischen Niederlage von 1918 weiterhin. Das Heer als jahrzehntelang begünstigte Organisation wies die Offiziere in eine gesellschaftliche Spitzenstellung, die sie mit keiner anderen militärischen Organisation im Inland zu teilen dachten. Das von Seeckt geforderte Prinzip der Überparteilichkeit 163 und der Rückzug auf den ausschließlich beruflichen Bereich waren Gründe für das anhaltende Elitebewußtsein. l64 Die potentielle militärpolitische Konkurrenz der oftmals militärisch als minderwertig beurteilten Wehrverbände und -vereine wurden besonders mißtrauisch beobachtet. 165 Die unterschiedlichen Mentalitäten zwischen Reichswehr und SA blieben ein bleibender Störfaktor. l66 Sie vergrößerten sich mit der Zunahme der militärpolitischen Bedeutung von Militär und SA nach dem 30. Januar 1933. Dann erinnerten sich Offiziere und SA-Männer noch stärker als zuvor an ihre soziale Herkunft. Die Unterschiede konnten kaum krasser sein. Ein weiterer kontinuierlicher Gegensatz zwischen Reichswehr und SA bestand in dem unterschiedlichen Niveau ihrer militärischen Ausbildung. Die SA-Führung interpretierte den Gegensatz eines militärisch aufgerüsteten Heeres und einer sich ausschließlich auf parteipolitische Aufgaben beschränkenden SA schon im Jahre 1927 als unüberbrückbar. In einem SA-Befehl heißt es: "Eine Erkenntnis ist die, daß das deutsche Heer außer der Lenkung größerer Massen, (die auch wir wollen) noch weitere Zwecke hatte (die wir nicht wollen) nämlich militärische Zwecke, modernsten Waffengebrauch, Feld162 Vgl. Kapitel B. I. l. 163 Freiburger Militärarchiv, NI Seeckt, R 25/220 III, Handschriftlicher Entwurf Seeckts vom 24.3.1920: Grundlagen flIr eine Reorganisation. Hier defmiert Seeckt, was er unter "Überparteilichkeit" und unter "Entpolitisierung" der Reichswehr versteht: "Mit allen Kräften soll die

politische Betätigung jeder Art dem Heere ftrngehalten werden. Politische Kämpft innerhalb der Reichswehr vertragen sich weder mit dem Geist der Kameradschaft noch mit der Disziplin". Klaus-JOrgen MOlIer, Armee und Drittes Reich, S. 21, schreibt: "Die Militär-Elite antwortete vielmehr auf die säkulare Herausforderung mit einer nachdrilcklichen Entschlossenheit, an den wesentlichen Elementen ihrer historischen Existenzftstzuhalten". 164 Vgl. Kapitel B. I. l. 165 GesprAche mit Kunrat von Hammerstein am 8.8.1989 und Johann Adolfvon Kielmansegg am 21.3.1990 und SA-Mann Udo Klausa am 3.9.1989, der von einem "äußerst arroganten Auftreten vieler Offiziere gegenüber der SA " berichtet 166 Freiburger MilitAracchiv, W 01-5/107. Brief des Reichswehrminister an den Stabschef der SA, Ernst Röhm, vom 18. Januar 1934. - RWGN 66. Meldung des Oberleutnant Liebach am 28.3.1934 ober Zusammenstoß mit der SA - Institut flIr Zeitgeschichte MOnchen, Mikrofilm 32, Bericht des Oberleutnant Schemmel vom 3.5.1934 ober Wehrkreiskommando eingereicht

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B. Grundlagen und Bedingungen

schlachten, Kriegshandlungen. Die weiteren Zwecke der Si1 sind dagegen rein politische, rein innerpolitisch-parteipolitische Aufgaben, welche wiederum das alte Heer nicht verfolgte. Hier klafft der erste tiefe, unaberbrackbare Gegensatz".167 Mit diesen Worten wird die betont unpolitische Haltung der Armee kritisiert. Militärischer Einsatz sollte aus Sicht der SA nicht fiir einen übergeordneten Staat, sondern für ein ideologisch bestimmtes Ziel verrichtet werden. Ebenso wird die Form der Ausbildung beim Heer kritisiert, ohne daß die SA-Führung eine erkennbare positive Alternative präsentiert hätte. ''Die Form der Massenlenkung beruhte beim alten Heere auf folgender Voraussetzung, und die tägliche Kleinarbeit der Ordnung zielte auf die Schaffung dieser Voraussetzung: Durchjahrelangen, wohldurchdachten und durchprobten DriIJ wurde jeder Soldat äußerlich und innerlich uniformiert und gleichgemacht. (. ..) So etwas zu schaffen, kommt for die Si1 nimmermehr in Frage. Stets wird der Si1-Mann wesentlich mehr leisten, wenn er im Kreise seiner engeren Kameraden unter seinem Fahrer auftritt".168 Militärische Disziplin und Ordnung, wie es im Heer Gebrauch war, besaßen demnach in der SA keine große Bedeutung. Kameradie-Gedanken als ein Relikt aus den Jahren des Frontkampfes galten offensichtlich mehr. Da die Befehle von 1926/27 eine militärpolitische Reorganisation nach dem gescheiterten Putsch 1923 der SA unter ihrem damaligen Führer Pfeffer von Salomon bedeuteten l69 , kann es sich kaum um eine endgültige inhaltliche Festlegung gehandelt haben. 170 Dennoch zeigen diese frühen Äußerungen das organisatorische Selbstverständnis der SA, das sich von dem des Militärs abgrenzte. Jedoch wurde dieses in jener Zeit nicht präzisiert. Die Schwierigkeit der SA, das eigene militärische Potential und das Ausbildungsniveau im Verhältnis zu dem der Armee zu beurteilen, lag in ihrem eigenen, nie genau geklärten konzeptionellen Selbstverständnis. 171 Die Verbindung zwischen Hitlers Konzeption der SA als einer Organisation zum 167 Bundesarchiv Koblenz, Sammlung Schumacher 403, SA-Befehl (SABE) 15 vom 10.2.1927. 168 Ebenda. 169 Vgl. Andreas Wemer, SA und NSDAP, S. 351.

170 Bracher/Sauer/Schulz, S. 839, urteilen über die Reorganisation der SA: "Dieser Einsicht in die Neuartigkeit des Unternehmens stand eine bemerkenswerte Unflihigkeit gegenüber, dessen Sinn und Zweck klar und einleuchtend zu bestimmen". 171 Die Vorschläge einer SA-Reform des SA-Führers August Schneidhuber vom September 1930, die Stennes-Krise 1930 und die Kritik der SA-Führer während einer Führerbesprechung im November 1930 zeigen die konzep-tionellen SchwAchen der SA in den Jahren vor der nationalsozialistischen "Machtergreifung". - Bundesarchiv Koblenz, Sammlung Schumacher 403. "Umorganisation der SAFührung". (Denkschrift), 19.9.1930. - Vgl. Andreas Wermer, SA und NSDAP, S. 46111: und S. 50011:

I. Praktische Ausgangspositionen

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innenpolitischen Kampf auf der einen und der einer paramilitärischen Organisation von Röhm als eine Art Ersatzarmee auf der anderen Seite schuf in der Praxis keine klare Aufgabenverteilung. Hitlers Vorstellungen gemäß wurde die SA in den Jahren 1931 und 1932 zum großen Teil durch Wahlkämpfe beansprucht. Demgegenüber trat, Röhms Konzeptionen weniger berücksichtigend. die militärische Ausbildung zunächst zurück. 172 Erst im Herbst 1932 war Röhm in der Lage, die SA-Verbände mit größeren militärischen Übungen beschäftigen zu können und damit von Hitlers militärpolitischen Vorstellungen nun vollständig abzuweichen. 173 Der Reichswehr sind diese bleibenden Konzeptionsmängel und die sich daraus in der Praxis ergebenen Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit der SA nicht verborgen geblieben. Groener bezeichnete im Januar 1932 die militärische Betätigung der nationalen Verbände generell "als zwecklose Soldatenspielerei ".n4 In den Grenzschutzarbeiten setzte die Reichswehrführung aktive Offiziere ein und in den Bereichen der militärischen Ausbildung verabschiedete Offiziere und Unteroffiziere, weil sie den militärischen Qualiflkationen der SA-Männer mißtraute. 175 Auch nach der "Machtergreifung" wurde die mangelnde militärische Qualiflkation der SA von den Offizieren der Reichswehr kritisiert. Auf der einen Seite sorgten sie sich jetzt vor der militärpolitischen Konkurrenz der SA. Auf der anderen Seite war die mangelnde militärische QualifIkation der SA ein Garant für die sich verschlechternde Zusammenarbeit. Reichenau wies in diesem Zusammenhang darauf hin, daß die SA Träger des Milizgedankens und der Landesverteidigung werden könnte. Er stellte aber in Frage, ob das SA-Führerkorps überhaupt in der Lage sei, "eine derartige schwierige militärische Aufgabe zu übernehmen". 176 General von Mellenthin zweifelte am militärischen Können der SA, die wegen ihrer mangelnden Qualiflkation und Disziplinlosigkeit der Reichswehr sogar gefahrlich werden könnte. In Ein militärischer Ausbildungskurs für SA-Führer scheiterte, weil keiner der Teilnehmer "auch nur den allerbescheidensten Anforderungen" genügte. 178 172 Siehe die autobiographischen Eindrücke von Julius Karl von Engelbrechten, Eine braune Annee entsteht, S. 178f 173 Dabei kam Röhm zugute, daß die Mitgliederzahlen der SA enonn anstiegen. Thilo Vogelsang, Reichswehr, Staat und NSDAP, S. 251ff. und 308ff. 174 Francis L Carsten, Reichswehr und Politik, S. 397. 175 Ebenda, S. 392ff. - Thilo Vogelsang, Reichswehr, Staat und NSDAP, S. 156ff. und S. 160ff. Vogelsang gibt Beispiele filr regionale Schwierigkeiten zwischen Annee und SA wegen ihrer unterschiedlichen militArischen Ausbildung. 176 Institut filr Zeitgeschichte MOnchen, ZS 44, Gaertner, S. 4.

In Institut filr Zeitgeschichte MOnchen, ZS 105, Mellenthin, S. 8. 178 Institut filr Zeitgeschichte MOnchen, ZS 11, Böckmann, S. 3f

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B. Grundlagen und Bedingungen

Hier offenbarten sich konzeptionelle Engpässe der Reichswehrfiihrung: Wie sollte man der SA gegenüber auftreten? Unübersehbar mußte für die militärische Spitze sein, daß sich die Offiziere der SA gegenüber weitgehend ablehnend verhielt. Das Ressentiment vieler Offiziere gegenüber den SA-Männern bestand in dem Zweifel arn militärischen Können, Ärger über die bevorteilte Bezahlung und in der Ablehnung des Sozialverhaltens. Es spiegelt sich wider in dem Urteil eines jungen Offiziers. Dieser berichtet über seine Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit der SA: "Der Sinn for Selbstzucht, Form und Weiterentwicklung ist kaum entwickelt. Hier (. ..) bekommen die SA Zug- und Gruppenfohrer, die ihrer Aufgabe keineswegs gewachsen sind, ein hohes Gehalt (viel höher als unsere Ufft. und Gefr.) und das Geld wird meistens verschleudert. Die Sauferei blaht, zumal unter den etwas höheren SA-Fahrern".I19 Die Arbeit beim Grenzschutz, die unterschiedlichen Mentalitäten und das unterschiedliche militärische Ausbildungsniveau bilden drei Punkte in der Beziehung zwischen Reichswehr und SA, die eine wesentliche Voraussetzung für die Röhrn-Krise darstellen. Schon vor 1933 fiihrten sie zu Konflikten zwischen den beiden Organisationen. Nach der nationalsozialistischen "Machtergreifung" vergrößerten sich diese Konflikte, weil den drei Punkten im nationalsozialistischen Staat eine größere Bedeutung zukam. Daher kann für die Zeit vor der "Machtergreifung" von grundlegenden Voraussetzungen gesprochen werden, die später zur Eskalation der Röhrn-Krise führen sollten. Die Grundlagen der Krise bildeten auch die verschiedenen militärpolitischen Konzeptionen von Hitler, Röhrn und der Reichswehrfiihrung.

11. Theoretische Ausgangspositionen 1. Hitlers militärpolitische Konzeptionen Hitlers militärpolitisches Denken ist in seine weltanschaulichen Grundsätze eingebettet. Neben der Vernichtung des Judentums besaß die "Eroberung neuen Lebensraumes" Priorität in seiner Weltanschauung. 180 Bereits in einer 119 Hans Meier-Welcker, Aus dem BriefWechsel zweier junger OffIZiere des Reichsheeres, S. 89.

180 Siehe grundsätzlich zu Hitlers außenpolitischen Konzeptionen den Aufsatz von Hugh TrevorRoper: Hitlers Kriegsziele, in: Vierteljahrshefte fnr Zeitgeschichte 1960, S. 121-133, in dem Hitler als ein zielorientierter, nach seiner Weltanschauung handelnder Politiker beschrieben wird. Die Frage, ob Hitler eine Weltanschauung besessen habe oder eher politiklos gewesen ist und der aus opportunistisch sich bietenden Gelegenheiten handelte, ist in der Forschung umstritten. Vg1. grundlegend zur Unterstützung der Auffassung, daß Hitler ein zielorientierter, intentionaler, nach einer Weltanschauung handelnder Politiker gewesen ist, der den Vollzug seines Herrschaftsentwurfes im internationalen Kriftefeld doktrinpflichtig und kontinuierlich betrieben hat Klaus Hildebrand, Deutsche Außenpolitik;

11. Theoretische Ausgangspositionen

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seiner ersten politischen Reden führte Hitler am 13. November 1919 aus: "Das deutsche Elend muß durch deutsches Eisen zerbrochen werden, diese Zeit muß kommen".181 Hitler forderte die vollständige Beseitigung des Versailler Vertrages und die territoriale Wiederherstellung Deutschlands in den Grenzen von 1914. 182 Seine revisionistischen Konzeptionen faßt er folgendermaßen zusammen: "Jeder Wiederaufstieg des deutschen Volkes fohrt nur aber die Wiedergewinnung dußerer Macht".183 Damit waren schon in seinen ersten Reden die militärpolitischen Prämissen für eine mögliche Einbeziehung des Heeres in die Konzeption seiner zukünftigen Politik enthalten. Welche Funktion sollte das Heer auf dem Feld der Innenpolitik im nationalsozialistischen Staat, in Abgrenzung oder Ergänzung zur SA erhalten? Zur Beantwortung dieser Frage sind drei Schwerpunkte in Hitlers militärpolitischer Analyse zu nennen. Zum einen bewertet er das Heer des wilhelminischen Kaiserreiches positiv. Er kritisiert zum anderen die Reichswehr der Weimarer Republik und führt als Resultat schließlich aus, wie er sich das Heer fiir die Zeit nach der nationalsozialistischen "Machtergreifung" in Abgrenzung zur SA vorstellt. Hitler charakterisierte das deutsche Heer während des wilhelminischen Kaiserreiches als eine positive erziehungspolitische Ausnahmeorganisation, die er auch im nationalsozialistischen Staat als pädagogische Lehranstalt für die Jugend bewahrt wissen wollte. Seine positive Beurteilung des Heeres beginnt mit einer Behauptung: "Als größter Wertfaktor (. ..) unseres Volkskörpers haben wir jedoch das Heer zu buchen. Es war die gewaltigste Schule der Nation". 184 Als Erklärung führt er folgende Argumente heran. Einmal erzog es "zur unbedingten Verantwortlichkeit in einer Zeit, da diese Eigenschaft schon sehr selten geworden war".185 Zum anderen erzog es und die grundlegende Habilitation von Andreas Hillgruber: Hitlers Strategie, Politik und Kriegsfilhrung 1940-1941, 2. Aufl., MOnchen 1982. - Eberhard Jäckel: Hitlers Weltanschauung. Entwurf einer Herrschaft, TObingen 1969. - Neuerdings auch ders.: Hitlers Herrschaft, Vollzug einer Weltanschauung, Stuttgart 1986. - Die Gegenthese, daß Hitler entscheidungsschwach und in der Funktionsabhllngigkeit situativer Bedingungsfaktoren gestanden habe, vertreten Hans Mommsen: Nationalsozialismus, in: Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft, Eine vergleichende Enzyklopädie, Band IV, Freiburg 1971, S. 702. - Wolfgang Schieder/Christoph Dipper: (Hrsg.), Der spanische BOrgerkrieg in der internationalen Politik (1936-1939), MOnchen 1976, S. 18. 181 Ernst Deuerlein (Hrsg.), Hitlers Eintritt in die Politik und die Reichswehr, in: Vierteljahrshefte filr Zeitgeschichte 1959, S. 207. 182 Reginald H. Phelps (Hrsg.), Hitler als Parteiredner im Jahre 1920, in: Vierteljahrshefte filr Zeitgeschichte 1963, S. 274-330. Hitler spricht in einer Rede vom 6. Juli 1920 von der "Schuld der Entente am Weltkrieg"; der Versailler Vertrag bestehe aus "Schandparagraphen"; er plädiert filr "Ablehnung des Vertrages" (S. 305). Er fordert "politische Befreiung nach innen und nach außen". (S. 319, Rede am 30. September 1930). 183 AdolfHitler, Mein Kampf, S. 305f. 184 Ebenda.

185 Ebenda, S. 306.

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B. Grundlagen und Bedingungen

"zur Entschlußkraft, während im sonstigen Leben schon Entschlußlosigkeit und Zweifel die Handlungen der Menschen zu bestimmen begannen".186 Schließlich erzog es zum "Idealismus und zur Hingabe an das Vaterland und seine Größe, während im sonstigen Leben Habsucht und Materialismus um sich gegriffen haben". 181 Dem Heer als Erziehungsanstalt mißt Hitler demnach den Staat unterstützende, pädagogische Funktionen zu. Die pädagogische Ausbildung im Heer bildete für Hitler zugleich eine Voraussetzung für zukünftige kriegerische Auseinandersetzungen: "Die Fuhrung und die Ausbildung war in der alten Armee nur von dem Gedanken an den Krieg beherrscht".188 Diese inhaltliche Ausrichtung wollte er auch auf ein zukünftiges Heer übertragen wissen: "Kriegerischer Ruhm der Vergangenheit kann als Tradition nur in einem mindest ebenso kriegerisch denkenden Organismus forterhalten werden".189 An diesem kriegerisch denkenden Organismus würde es der Reichswehr zur Zeit der Weimarer Republik jedoch mangeln. Daraus folgert Hitler, daß das Heer seine ursprüngliche, traditionelle Bestimmung, die Jugend militärisch zu schulen, Krieg vorzubereiten und zu führen, verloren habe. Schließlich würde sich dadurch die Armee vom Volke entfernen, dem sie früher als größter gesellschaftlicher Wertfaktor gedient habe. ''Je mehr man aber im heutigen Deutschland die Reichswehr geistig aus der kriegerischen Welt, die die Tradition des alten Heeres schuf, herauszulösen versucht, um so innerlich traditionsloser wird sie selbst. (. ..) Je mehr sie in ihren eigenen Reihen den offensiven nationalen, also nationalistischen Geist tötet und dessen Repräsentanten entfernt, (. ..) um so mehr entfremdet sie sich dem wirklichen deutschen Volk".I90 Hitler war darauf bedacht, die Verbindung zwischen der Tradition des "alten Heeres" und den Aufgaben einer zukünftigen Armee möglichst eng zu ziehen. In einem nationalsozialistischen Staat würde folglich ein "kriegerisch denkender Organismus" dem Heer zur Ausübung einstiger militärischer Ziele dienlich sein. 186 Ebenda. 181 Ebenda, S. 307. 188 AdolfHitler, Reichswehr und deutsche Politik, in: 1930, Heft 3, S. JOt.

Nationalsozialistische

Monatshefte,

Juni

189 Ebenda.

190 Ebenda, Hitler kritisiert hier Groeners Militärpolitik, der die Reichswehr näher an die Republik heranfilhren wollte. - Gerhard L. Weinberg (Hrsg.), Hitlers Zweites Buch, Ein Dokument aus dem Jahr 1928. Stuttgart 1961, S. IIt. Hier schreibt Hitler: "Seit dem Racktritt des Generals von Seec/a aber

ist der demokratisch-pazifistische Einfluß unermadlich tätig, um aus der deutschen Reichswehr zu machen, was den Regenten dieses heutigen Staates als schönstes Ideal vorschwebt: eine republikanisch-demokratische Parlamentswache ".

11. Theoretische Ausgangspositionen

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Die Reichswehr sei dagegen zu einer deutschen Söldnertruppe und "zu einer Polizeilruppe zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung"191 degradiert worden. Mit der Ablehnung einer Söldnertruppel92, die der Organisation eines Milizheeres nahekommt, wandte sich Hitler schon früh gegen die militärpolitischen Vorstellungen Röhms, der ein starkes Milizheer befürwortete. 193 Ritler folgert aus der Ablehnung der Söldnertruppe: "Daher wäre es heute zuntichst Aufgabe der deutschen Innenpolitik, dem deutschen Volk wieder eine zweckmäßige militärische Organisation seiner nationalen Kraft zu geben". 194 Er schildert dann seine Vorstellung vom zukünftigen deutschen Heer. Es sei ''Aufgabe der deutschen Außenpolitik, alle Möglichkeiten herbeizuführen, die die Wiederorganisation eines deutschen Volksheeres gestatten könnten".195 Hitlers Außenpolitik mußte sich demnach gegen jegliche Beschränkungen (Rüstungskontrolle, Reduzierung des Personalbestandes) wenden, die der Erstarkung eines zukünftigen Heeres abträglich waren. Mit dem Begriff "Volksheer" war ein Heer, jedoch kein Milizheer zu verstehen. Das Volksheer besaß einerseits wieder eine positive Einstellung zum Staat und andererseits erhielt es von der Mehrheit des Volkes als elitäre Organisation Anerkennung. 196 Ritler nimmt die spätere Frage vorweg, ob Heer oder SA die Ausbildungsstätte der "wehrfahigen" Männer sein sollte. Er schreibt, daß es Aufgabe der Reichswehr sei, "die Masse der (sptiteren) Offiziere und Sergeanten für das spätere Volksheer auszubilden ".191 Die SA-Führung forderte dagegen noch im

191 Ebenda, S. llO.

192 Gottfried Feder: Das Programm der NSDAP und seine weltanschaulichen Grundgedanken. Mlinchen 1927, S. 25. Das 25-Punkte-Par1eiprogramm der NSDAP beftlrwortete die Aufhebung der Söldner1ruppe. - Joachim C. Fest, Hitler, S. 182, beschreibt das Programm: "Es war antikapitalistisch,

antimarxistisch, antiparlamentarisch, antisemitisch und negierte aufs entschiedenste Ausgang und Folgen des Krieges". 193 Maßgeblich Röbm hatte die SA seit dem Februar 1923 in eine paramilitärische und milizlhnliche Fonnation umgewandelt Bracher/Sauer/Schulz, S. 836 und Peter Longerich, Die braunen Bataillone, S. 15-23. 194 Gerhard L. Weinberg (Hrsg.), Hitlers Zweites Buch, S. 111. 195 Ebenda, S. 112. 196 Das ergibt sich aus Hitlers idealistischer Beschreibung des "alten Heeres". Adolf Hitler, Reichswehr und deutsche Politik, S. 101. Hitler hat, soweit der Vetfasser überblicken kann, seinen Begriff "Volksheer" nie genau defmiert. - Seeckt beschreibt das zukünftige Heer ähnlich, wie Hitler es sich vorstellt: "Nicht zum Staat im Staate soll das Heer werden, sondern im Staate dienend aufgehen und selbst zum reinsten Abbild des Staates werden ". Generaloberst von Seeckt: Gedanken eines Soldaten. 31.-34. Tausend, Berlin 1929, S. 113. 191 Gerhard L. Weinberg (Hrsg.), Hitlers Zweites Buch, S. 112. 4 v. Fallois

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B. Grundlagen und Bedingungen

Februar 1934 die alleinige Übernahme von Offizieren, die als Berater den SAFührern zur Seite stehen sollten. 198 In Abgrenzung zu Röhms militärpolitischen Vorstellungen wirbt Hitler um die Reichswehr auf dem Gebiet der militärischen Ausbildung und auf dem des Waffenmonopols. In einem nationalsozialistischen Staat werde das Heer zunächst zur pädagogischen Lehranstalt für die Jugend. ''Im v6lkischen Staat soll also das Heer nicht mehr dem Einzelnen Gehen und Stehen beibringen, sondern es hat die letzte und h6chste Schule vaterltindischer Erziehung zu gelten. Der junge Rekrut soll im Heere die n6tige Wa.fJenausbildung erhalten, er soll aber zugleich auch weitergeformt werden flr sein sonstiges sptiteres Leben". 199 Der für das Werben um Partnerschaft mit dem Heer psychologisch geschickt gewählte positive Bezug zum Heer des wilhelminischen Kaiserreiches kommt in seiner weiteren Erläuterung zum Ausdruck: "An der Spitze der milittirischen Erziehung aber hat das zu stehen, was schon im alten Heer als h6chstes Verdienst angerechnet werden mußte: In dieser Schule soll der Knabe zum Mann gewandelt werden; und in dieser Schule soll er nicht nur gehorchen lernen, sondern dadurch auch die Voraussetzung zum sptiteren Befehlen erwerben". 200 Hitler wollte demnach - folgt man seinen theoretischen Ausfiihrungen - das zukünftige Heer in seiner traditionellen inhaltlichen Ausrichtung belassen, wie sie vor der Weimarer Republik bestand. Mehr noch: Das Heer sollte zum Befehlen ausbilden und damit das Individuum auch für die Befehlsstrukturen des nationalsozialistischen Staates geschmeidig machen. Nach der "Machtergreifung" und während der Zeit der Röhm-Krise hat Hitler durch die noch zu beschreibende militärpolitische Abgrenzung zur SA die pädagogische Funktion des Militärs immer wieder herausgestellt. In seiner Rede im Reichstag am 23. März 1933 betonte er, das deutsche Volk dürfe "mit stolzer Befriedigung auf seine Reichswehr (. ..) (als den) Trtiger unserer besten soldatischen Tradition" blicken. 201 Diese "Tradition" bedeutete für ihn Ausbildung und Schulung der Soldaten in einem für ihn "positiven Sinne". Während seiner ersten Ansprache nach der "Machtergreifung" vor Offizieren am 3. Februar 1933 empfahl er der Reichswehr, Wehrertüchtigung und Ausbildung der Soldaten zu fOrdern. Die SA sollte sich auf politische Aufgaben beschränken, die er allerdings inhaltlich nicht mehr genau zu bestimmen

198 Institut filr Zeitgeschichte München, Liebmann-AulZeichnungen, Besprechungen (Minister von BIomberg) am 2.2. und 3.2.1934 in Berlin, S. 278ft: 199 AdolfHitler, Mein Kampf, S. 459. 200 Ebenda. 201 Schulthess Europäischer Geschichtskalender 1933, S. 72.

11. 1ßeoretische Ausgangspositionen

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wußte. 202 Während seiner noch zu beschreibenden Rede vom 28. Februar 1934 erklärte Hitler, daß der Armee die gesamte militärische Vorbereitung und Führung des Krieges und die eigentliche Ausbildung der Friedens- und Kriegsstreitkräfte obliege. 203 Allerdings erweiterte sich, wenigstens in öffentlichen Reden und Verordnungen, die pädagogische Funktion der Armee zu einer weltanschaulichen nationalsozialistischen Ausbildung. 204 Die Reichswehr sollte im "Unte"icht in politischen Tagesfragen" nach Auffassung des Reichswehrministeriums zu einer Erziehungsschule der Nation werden. 205 Damit wandte sich die Reichswehrfiihrung von ihrem einstigen Anspruch ab, unpolitisch zu sein. 206 Diese grundlegende Einbindung des Militärs in den pädagogischen Ausbildungsbereich des nationalsozialistischen Staates schuf eine weitere Voraussetzung dafür, daß sich Hitler und Reichswehr während der Zeit der Röhm-Krise als aufeinander angewiesene "Partner" behandelten. Nicht nur diese Übereinkunft auf dem Gebiet der militärischen und pädagogischen Aubildung ergab Konflikte zwischen Armee und SA. Vor allen Dingen schuf die Frage nach der Zuständigkeit fiir das Waffenmonopol unüberwindbare Hindernisse fiir beide Organisationen. Es mußte daher von elementarer Wichtigkeit sein, wie Hitler diese Frage beantwortete. Er hat in der Frage des Waffenmonopols zugleich verdeutlicht, wie er sich die militärpolitische Kompetenzverteilung der Reichswehr in einem nationalsozialistischen Staat vorstellte. In vielen Reden und Ausführung erklärte Hitler seinen Willen, sich für das Heer als Träger des Waffenmonopols gegenüber der SA zu entscheiden. 207

202 Institut filr Zeitgeschichte MOnchen, Liebmarut-Aufreichnungen, Hitlers Ansprache im Hause Hanunerstein arn 3. Februar 1933, S. 198ff. 203 Freiburger MilitArarchiv, NI General von WeicllS, N 19/5, Mitschriften zu Hitlers Rede vom 28.2.1934. 204 Freiburger Militlrarchiv, H 24/6, Anordnung des Reicl1Sweluministers vom 21. April 1924 ober Intensivierung und Akzentuierung der Wehr-machtpropaganda. Hier ordnet BIomberg an: "Die

Wehrmacht muß im lJffentlichen Leben mehr als bisher in Erscheinung treten (. ..) und als im nationalsozialistischen Denken planmäßig erzogen ".

205 Zur einheitlichen Gestaltung dieses Unterrichts gab das Reicl1Swehnninisterium vom 1. April 1934 an ein bis zweimal im Monat die "Richtlinienfor den Unterricht in politischen Tagesfragen" heraus. 206 Siehe hierzu Manfred Messerschmidt, Die Wehrmacht im NS-Staat, S. IIff., der den Gegensatz zwischen dem Anspruch der Reicl1Swehr, sich einerseits aus der Politik herauszuhalten und andererseits nationalsozialistische Erziehungsarbeit zu leisten, aulZeigt. - Allerdings kann trotz des im Obrigen nicht sehr ergiebigen "Unterricht in politischen Fragen" nicht die Rede davon sein, daß Soldaten als politisch handelnde StaatsbOrger auftraten. 207 Schulthess Europäischer Geschichtskalender 1933, S. 36. (Hitlers Aufruf an das Volk arn 1. Februar 1933). - Institut filr Zeitgeschichte MOnchen, Liebmarut-AulZeichnungen, Hitlers Ansprache

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B. Grundlagen und Bedingungen

Ritlers politisches Selbstverständnis hatte auch im Bereich des Waffenmonopols Erklärung in der Tradition gesucht: Das Heer wurde "als Träger unserer Waffen" und Symbol unserer ''großen Vergangenheit" 208 beschrieben. Es sollte aufgrund der "militärischen Erfahrungen der al/einige Waffenträger der Nation" 209 bleiben. Ritler hat sich, wie er später äußerte, für das Waffenmonopol der Reichswehr auch wegen der Sachkompetenz der Offiziere entschieden. 2 \O Aufgrund der schnell angestrebten Aufrüstung sah er das Waffenmonopol am besten bei der durch technische und strategische Kompetenz qualifizierten Reichswehr aufgehoben. 211 Auch während der Zeit der RöhmKrise hat er das Waffenmonopol der Armee immer wieder herausgestellt; seine diesbezüglichen Ausführungen nehmen dabei nach und nach an Deutlichkeit zu. 212 Wie interpretierte Ritler in Abgrenzung zu seinen militärpolitischen Konzeptionen, die das Heer betrafen, die Rolle der SA? Schon in seinem Buch "Mein Kampf' hatte Ritler sein Konzept von der Aufgabe der SA als Rilfstruppe der Partei in programmatischer Form entwickelt. Das Kapitel "Grundgedanken aber Sinn und Organisation der SA" 213 kann als eine Abrechnung mit den Wehrverbandsaktivitäten Röhms gelten. Ausgangspunkt der Vorstellung Ritlers bildeten Zusammenbruch und Umsturz von 1918. Die "sogenannten nationalen Parteien" hätten über keine ''Macht auf der Straße" verfügt. Andererseits hätten die "Herren der Straße", die Freikorps und Wehrverbände, "keine politische Idee und kein politisches

im Hause Hammerstein am 3. Februar 1933, S. 198ff. - Max Domarus: Hitler, Reden und Proklamationen 1932-1945, I. Band, WOrzburg 1962, S. 417. 208 Schulthess Europäischer Geschichtskalender 1933, S. 36. 209 Münchner Institut fllr Zeitgeschichte, Liebmann-AulZeichnungen, Hitlers Ansprache im Hause Hammerstein am 3. Februar 1933, S. 198ff. 2\0 Hildegard von Kotze und Helmut Krausnick (Hrsg.), Es spricht der Führer. 7 exemplarische Hitler-Reden, Gütersloh 1966, S. 360ff. Hitler würdigte in einigen Reden die Sachkompetenz und das technische Wissen der Armee. Die Rede Hitlers vor Vertretern der ROstung.-;industrie auf dem Obersalzberg Anfang Juli 1944 kann als Beispiel gelten. 211 Michael Geyer, Aufrüstung oder Sicherheit, S. 347ff. 212 So zu beobachten in seinen Reden an die SA in Kiel, 7. Mai 1933; Rede im Reichstag 17. Mai 1933; Rede auf der SA-FOhrertagung in Bad Reichenhall 1.13. Juli 1933; Rede im Rundfunk zum Austritt aus dem Völkerbund, 14. Oktober 1933; Schultheß Europäischer Geschichtskalender 1933, S. 123; S. 134; S. 168; S. 123f. 213 AdolfHitler, Mein Kampf, S. 579-620.

11. Theoretische Ausg&ng$pOSitionen

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Ziel" besessen. 214 Nur in der NSDAP sei die Isolierung von Idee und Gewalt überwunden. Man habe vom ersten Tag an auf dem Standpunkt gestanden, daß die ''Idee geistig zu vertreten ist, daß aber der Schutz dieser Vertretung, wenn notwendig, auch durch brachiale Mittel gesichert werden muß".215 Die ausschließlich zu diesem Zweck aufgestellte Ordnertruppe habe zwar "äußerlich einem sogenannten Wehrverband geglichen", sei aber "nicht im geringsten eine Dienerin der durch die Revolution geschaffenen Zustände". 216 Ohne staatliche Unterstützung, so Hitlers Kritik an den Wehrverbänden, müsse die von innen betriebene militärische Ausbildung stets unzureichend bleiben, da sie nicht über die technischen und disziplinarischen Voraussetzungen einer Armee verfügten. 217 Hier weist er hin auf seine schon aufgezeigte Wertschätzung der technischen Kompetenz der Armee, die für ihn ein militärischer Qualifikationsfaktor gegenüber der SA gewesen ist. In der Organisation des Heeres sah er eine seit vielen Jahrzehnten gewachsene Institution, der man sich leichter bedienen konnte, als die weitgehend undisziplinierten, traditionslosen Wehrverbände. Die SA sollte als eine Art "Propagandaarmee" versuchen, "dem Marxismus beizubringen, daß der künftige Herr der Straße der Nationalsozialismus ist, genau so, wie er einst der He" des Staates sein wird".218 Die vielen Saal- und Straßenschlachten geben ein praktisches Beispiel seiner Ausführungen. Gewalt sollte als Propaganda der NSDAP dienen. Gewalt war zugleich Abschreckung und Gradmesser für außerparlamentarische Opposition. Neben dem innenpolitischen "Kampf' bestand die Aufgabe der SA in der vormilitärischen Ausbildung. 219 Sie sollte allerdings nur ein "gewisser Grundstock" für eine zukünftige Armee sein. 220 Die SA dürfe "weder eine militärische Wehrorganisation noch ein Geheimverband sein".221 Die vormilitärische Ausbil-

214 AdolfHitler, Mein Kampf, S. 595f. 215 Ebenda, S. 598. 216 Ebenda, S. 599f. 211 Ebenda, S. 603f. Hier schreibt Hitler darüber hinaus zur Disziplin der Wehrvetbände: "Es werden immer nur wenige die Bereitwilligkeit besitzen, sich aus freien Stücken einem Zwang zum Gehorsam zu unterwerfen, wie er beim Heer als selbstverständlich und natürlich gilt". 218 Ebenda, S. 608. 219 Ebenda, S. 611. 220 Ebenda. 221 Ebenda. Hitler hatte sich demnach früher, als in der Forschung zum Teil angenommen worden ist, filr eine klare Trennung der Aufgabenbereiche zwischen SA und Militär ausgesprochen. Bracher/Sauer/Schulz, S. 839, weisen in diesem Zusammenhang lediglich auf die Verbindung zwischen Hitlers SA-Vorstellungen und Pfeffers Freikorpsgedanken hin. - Albrecht Tyrell (Hrsg.): Führer befiehl, Selbstzeugnisse aus der "KarnpfZeit" der NSDAP, Dokumentation und Analyse, Düsseldorf

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B. Grundlagen und Bedingungen

dung diente demnach nur zur Heranfiihrung "wehrfahiger" Männer in die Reichswehr. Auf die inhaltliche Konsequenz jedoch, daß die Durchführung der vormilitärischen Ausbildung auch zum Heranreifen der SA zu einem Wehrverband hätte führen können, ist Hitler nicht eingegangen. Hierin liegen die konzeptionellen Schwächen seiner Vorstellungen von einer zukünftigen Aufgabenstellung der SA. Für den Fall einer abgeschlossenen "Machtergreifung" bestand keine Konzeption; Hitlers SA-Vorstellungen besitzen daher lediglich einen vorläufigen Charakter. Bereits während der Röhm-Krise stimmten die von ihm vorgetragenen SA-Konzeptionen mit der tatsächlichen militärischen Kompetenzverteilung nicht mehr überein. Gerade an diesem Widerspruch sollten sich die Streitigkeiten zwischen SA und Parteifiihrung entzünden. Hitlers Vorstellungen mangelte es an einer umsetzbaren Strategie zur Integration der SA-Basis. Seine hier in Grundsätzen aufgezeigten SA-Konzeptionen hat Hitler allerdings, was fur die Kontinuität seiner diesbezüglichen Auffassung spricht, während der Phase der "Machtergreifung" und der Röhm-Krise in einigen Punkten wiederholt. In seiner Rede vom 28. Februar 1934 führt er aus, daß er Röhms Vorstellungen von einem Milizheer fur ungeeignet halte, zukünftige militärische Aufgaben zu lösen. 222 Auch hier betont er, daß die SA lediglich zur vormilitärischen Ausbildung einzusetzen war. Der Kampf gegen innenpolitische Gegner, der eine zweite Aufgabe der SA in Hitlers konzeptionellen Überlegungen gebildet hatte, war zu jener Zeit weitgehend abgeschlossen. Hier mußte er seine Vorstellungen modifizieren. Die Rolle einer "Propagandaarmee" durfte die SAjetzt nicht mehr ausüben. 223 In seiner Reichstagsrede am 13. Juli 1934, in der er sich für das blutige Ende der Röhm-Krise rechtfertigte, führte er in scharfer Form aus: "Ich habe seit 14 Jahren unentwegt versichert, daß die Kamp/organisationen der Partei politische Institutionen sind, die nichts zu tun haben mit dem Heere". 224 Indem Hitler versichert, daß er vierzehn Jahre die Kampforganisationen der Partei als politische, nicht als militärische Institutionen betrachtete, unterstreicht er die These, daß seine militärpolitischen Auffassungen Kontinuität besaßen. Diese ließen aus dem Grund politischer Taktik nur bei der SA, nicht jedoch beim Heer Modifikationen zu: So hat Hitler der SA, als diese von 1931 bis zum 1969, S. 226. Tyrell schreibt, daß Hitler "noch keine konkreten Vorstellungen" aber das zukanftige Aussehen der SA besessen habe. 222 Freiburger MilitArarchiv, NI von WeicllS, N 19/5, Erinnerungen, S. 12. 223 Vg1. K1aus-Jflrgen Maller, Das Heer und Hitler, S. 88ft: Maller betont allerdings, daß innenpolitische Stabilisierung und Konsolidierung noch ausstanden. - Hitler erldirte auf einer Konferenz der Reichsstatthalter schon am 6.7.1933: "Die Revolution ist kein permanenter Zustand, sie darf sich

nicht zu einem Dauerzustand ausbilden. Man muß den freigewordenen Strom der Revolution in das sichere Bett der Evolution hinüberleiten ". Völkischer Beobachter vom 8.7.1933. 224 Schulthess Europäischer Geschichtskalender 1934, S. 180.

II. Theoretische Ausgan!l)lpOSitionen

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Sommer des Jahres 1933 mit zunehmender Gewalt agierte, kaum Einhalt geboten, weil er sie zur physischen Erringung seiner politischen Macht benötigte. 225 Als diese erlangt war, änderte Hitler seine Taktik und kehrte nun auch verbal in vielen Punkten zu den aufgezeigten militärpolitischen Vorstellungen ZUlÜCk.

2. Röhms militärpolitische Konzeptionen Röhrns militärpolitische Äußerungen226 weisen ihn aus als einen Vertreter der nicht mehr in das zivile Leben ZUlÜckfindenden Generation der Frontoffiziere. 227 Das kommt schon am Anfang seiner Memoiren zum Ausdruck, als er die Hilfe für den deutschen Frontoffizier zur Maxime seines politischen Handelns erklärt. ''Auch in meiner politischen Tdtigkeit war und blieb ich Soldat. Ziel meiner Politik ist, dem deutschen FrontktJmpfor den ihm gebührenden

225 Als ein Beispiel filr Hitlers nachsichtiges Verhalten gegenüber dem SA-Terror steht der Fall Potempa. Paul K1uke: Der Fall Potempa, in: Vierteljahrshefte filr Zeitgeschichte 1957, S. 279-297. - In einem Brief an Franz von Papen, der über den SA-Terror Beschwerde vortrug, filhrte Hitler aus: '1ch bitte Sie, sehr verehrter He" Vizekanzler, auf das eindringlichste, künftighin mir nicht mehr diese Beschwerden vorbringen zu wollen. Sie sind nicht berechtigt. Das ganze deutsche Volk müßte den Männern dankbar sein, die diesen Kampf auf sich genommen haben und zwar unter Einsatz ihres Lebens". Akten der Reichskanz1ei, Regierung Hitler 1933-1938, Hrsg. filr die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften von Konrad Repgen, filr das Bundesarchiv von Hans Booms, Bd. 1., 30.1. bis 31.8.1933, Dokumente Nr. 1-206, bearbeitet von Karl Heinz Minuth, Briefan Papcn vom 11.3.1933, S. 205. 226 Röhms militlrpolitische Konzeptionen sind in der Literatur vereinzeh untersucht worden, nicht jedoch im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die Röhm-Krise. Eine erste wissenschaftliche Biographie über Röhm wird als Dissertation von Horst Wallraff aus Kiel angefertigt. - Andreas Werner, SA und NSDAP, S. 14Sff. und S. 211ff., analysiert Röhms Wehrverbandskonzeptionen lediglich im Hinblick auf seine innerparteiliche Position in den 20er Jahren. - Peter Longerich, Die braunen Bataillone, S. 4Sff., beschreibt die widerspruchlichen Konzepte zwischen Hitler und Röhm im Hinblick auf ihre innerparteilichen Auseinandersetzungen 1924 und 1925. - Bracher/Sauer/Schulz, S. 83Sf., analysieren Röhms "Wehrstaat-Konzeptionen", ohne sie klar von den militlrpolitischen Vorstellungen Hitlers abzugrenzen. 227 Christian Graf von Krockow: Die Deutschen in ihrem Jahrhundert. 1890-1990, Reinbek bei Hamburg 1990, S.9Sff., stelh die "Mythen des Krieges" heraus; in einer Art Selbstopfer als Lebenssinn hätten viele Frontkämpfer ihren Kriegseinsatz betrachtet. - Andreas Werner, SA und NSDAP, S. 11, schreibt: "Der 'Zivilist' wurde zum Schimpfwort, das die ganze verhaßte 'bürgerliche' Welt umspannte". - Peter Longerich, Die braunen Bataillone, S. 21, erwihnt Röhm als Frontkämpfer, filhrt aber unkritisch keine Belege heran. - Siehe ferner als belletristisches Dokument Ernst Glaeser "Jahrgang 1902", Kronberg/Taunus 1978. Im Mittelpunkt der Handlung stehen die Konflikte der Frontofftziere, die sich aus den WidersprOchen zwischen WertmaßstAhen und den sich nicht mehr entsprechenden gesellschaftspolitischen Handlungsweisen ergaben. - Siehe auch zwei damalige Kultbücher, die das Leben und Sterben von Frontkämpfern zum Inhalt haben. Walter Flex, Der Wanderer zwischen zwei Welten, 9. AufI., München 1918 und Ernst Jünger: In Stah\gewittem, 26. Aufl., Stuttgart 1961.

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B. Grundlagen und Bedingungen

Anteil an der Leitung des Staates zu erklimpfen und dem idealen und realen Geist des Frontklimpfertums auch in der Politik Geltung zu verschaffen". 228 Röhm hat auch in seinen späteren, nach der nationalsozialistischen "Machtergreifung" und während der Röhm-Krise gehaltenen Reden und schriftlichen Beiträgen immer wieder auf die Verbindung zwischen dem Frontkämpfertum und dem Nationalsozialismus hingewiesen: 229 Einmal nennt er die "aus dem Weltkrieg geborene nationalsozialistische Idee (. ..) soldatisch durch und durch. Ihr Ziel war die dauernde Erhaltung des unverlierbaren seelischen Gewinns der Front: des Bewußtseins der aus dem gemeinsamen Schicksal bedingten engen Verbundenheit im Dienste der Nation".230 Zum anderen formuliert er in einer späteren Rede, auf das Gemeinschaftserlebnis im Kriege anspielend: "Die Wurzeln des Nationalsozialismus liegen in den Schatzengrtiben des Weltkrieges". 231 Diese Äußerungen zeigen die enge Verbundenheit zwischen der Kriegserfahrung und dem Inhalt zukünftiger Röhmscher Politik. Politik konnte sich bei ihm nur aus militärischen Begriffen entfalten und reduzierte sich demnach auf das Gebiet der Militärpolitik. Röhm hat den Bezug zwischen militärischer Erfahrung und politischem Handeln in dem Vorwort seiner Autobiographie drastisch ausgedrückt: ''Ich bin Soldat. leh betrachte die Welt von meinem soldatischen Standpunkt aus. Bewußt einseitig. Ein Soldat kennt keine Kompromisse. So mUssen auch alle meine Handlungen von diesem Gesichtspunkt aus gesehen werden".232 Damit zeigt sich zugleich die Begrenztheit seines politischen Denkens, die während der Röhm-Krise eine flexiblere Politik der SA-Führung verhinderte.

228 Ernst Röhm, Die Geschichte eines Hochverrlters, S. 313ff. - Ernst Niekisch, Das Reich der

niederen Dimonen, Harnburg 1953, S. 160, urteilt Ober Röhms Autobiographie: "Er erzllhlt einfach und nüchtern; vielleicht befindet man. daß er dann und wann die Grenze des Kindlichen streift. In seinen Betrachtungen ist er nirgends bedeutend; nie sieht er den Triebkräften auf den Grund. aber es llißt sich doch nichtsdestoweniger hlJren. was er von den Dingen denkt". 229 Auch Hitler hatte seine Motivation, Politiker zu werden, durch seine Erfahrungen im Ersten Weltkrieg erkIArt. Schon der Journalist Konrad Heiden: Geschichte des Nationalsozialismus, Die Karriere einer Idee, Berlin 1932, S. 13, schreibt Ober Röhm: "Ein tapferer Soldat und nichts als

Soldat. Frontschwein. zerschossen und geflickt. der ewige Krieg in Person ".

230 Ernst Röhm, "Die braunen Bataillone der deutschen Revolution", in: Nationalsozialistische Monatshefte, Nr. 46, (Januar 1934), S. 5. 231 Ders., Warum SA?, in: Nationalsozialistische Monatshefte Nr. 50, (Mai 1934). Rede Röhms vor

dem Diplomatischen Korps und der Auslandspresse arn 18. April 1934, S. 11.

232 Ders., Die Geschichte eines Hochverrlters, S. 9. Sein "Lebenswunsch", Soldat zu werden, kommt in einem anderen Satz zum Ausdruck: ''Von meiner Kindheit an hatte ich nur den einen Gedanken und Wunsch. Soldat zu werden". Ebenda, S. 13. - Joachlm C. Fest, Das Gesicht des Dritten Reiches, S. 190, erwlhnt die "seelischen Attribute" der "Frontkämpfergeneration": "Aktivistische Unrast. Risikobereitschaft. Gewaltglaube und Verantwortungslosigkeit markierten im wesentlichen die psychologische Ausgangslage jenes Nihilismus - in - Reih - und - Glied. der im Krieg mit dem daraus resultierenden GrundgefiJhl vom Untergang einer Kultur sein Bildungserlebnis und im Frontkdmpfertum seinen Mythos gefunden hatte".

11. Theoretische Ausgan~itionen

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Röhms militärpolitische Vorstellungen beinhalten als Mittelpunkt die Forderung nach einem politisch handelnden Soldaten. Zum einen begründet Röhm seine Forderung durch das politisch handelnde deutsche Heer während des wilhelminischen Kaiserreiches. "Das deutsche Heer als solches war das

stiirkste und größte politische Instrument des Staates, an den Landesherrn durch den Fahneneid als das Vollzugsorgan seines politischen Willens gebunden. Wer leugnen wollte, daß der Fahneneid von dem einzelnen Soldaten eine eindeutige politische Willensrichtung bindend verlangte, niimlich, Thron und Vaterland unter allen Umstiinden gegen alle Widersacher bis zum Tode zu schatzen, warde Tatsachen verneinen, die nicht aus der Welt geschafft werden können.(...)Eine einheitliche politische Einstellung war also for die gesamte Armee gegeben".233 Zwar besaß die Armee, wie oben

erwähnt234, durch ihre hervorgehobene Stellung im Staat eine primäre Position im politischen Beziehungsgefiige, aber dadurch erhielt der einzelne Soldat noch keinen politischen Handlungsraum, wie es Röhm andeutet. Der Soldat durfte keine politische Entscheidung treffen. Wichtiger noch: Er war unpolitisch insofern, als er einem Staatsidea1, jedoch keiner Partei diente. Zum anderen begründet Röhm seine Forderung nach dem politisch handelnden Soldaten dadurch, daß die Soldaten während des Ersten Weltkrieges von den Politikern negativ behandelt worden seien und von nun an ihre Interessen selbst vertreten müßten. "Die Politiker und die geistigen oder materiellen

Träger von Ideen oder Interessen, die sich zur Durchsetzung ihrer Ziele des Schwertes bedienen, sah der Soldat nicht in der Zone des Todes. Die saßen daheim in Parlamenten, in Ministersesseln oder Aufsichtsratsstahlen. Die zogen die Drähte, schoben die Figuren, rechneten und machten Geschäfte. Kahl bis ans Herz hinan. Das Sterben aber for ihre politischen oder wirtschaftlichen Interessen ließen sie dem Soldaten. Und gegen diesen Widersinn lehnte der Soldat sich auf'.235 Aus diesen Worten spricht abermals der von

dem zivilen Leben enttäuschte Frontsoldat, der politische Inhalte seines Denkens nur mit militärischen Begriffen füllen konnte. Röhms folgende Sätze sind als Konsequenz dieser Enttäuschung und als Aufforderung zum politischen Eingreifen zu verstehen. "Soldatentum ist eine Geisteshaltung, die

keineswegs an das WajJenhandwerk gebunden zu sein'braucht. (. ..) Wenn der Soldat um einer guten und schlechten Politik willen kämpfen und sterben soll, will er aber diese Politik auch zu bestimmen haben!" 236 Röhm geht mit seiner

Forderung nach einem politisch handelnden Soldaten noch weiter, indem er suggestiv fragt, ob sich daraus nicht die Konsequenz ergebe, daß Politik ausschließlich von Soldaten gemacht werden sollte. "Warde die Politik nur 233 Ernst Rölun, Die Geschichte eines Hochverräters, S. 111. 234 V g1. Kapitel B. 1. 1.

235 Ernst Rölun, Warum SA?, S. 14f. 236 Ebenda.

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B. Grundlagen und Bedingungen

von Soldaten gemacht, die sich bewußt sind, daß sich die Fehler ihrer Politik zuerst und zuletzt an ihnen selbst rtichen, - der Menschheit bliebe viel Jammer erspart. Denn sie wUrde verantwortungsbewußter geflJhrt werden!" 237 In seiner Autobiographie präzisierte er diese Forderung: ''Ich verlange, um es kurz zu sagen, das Primat des Soldaten vor dem Politiker. Insbesondere fordere ich dies flJr den enger gezogenen Rahmen der nationalistischen Bewegung". 238 Röhms Auffassung stand im Gegensatz zu den militärpolitischen Konzeptionen Hitlers und der Reichswehr. Hitlers militärpolitische Auffassung fiihrte, wie aufgezeigt, zur Zwei-Säulen-Theorie239, auf der die Beziehung zur Reichswehr gründete: Der politische Monopolanspruch der Partei gegenüber dem militärischen des Heeres besagte, daß das Heer in den politischen Entscheidungsprozessen kein Mitspracherecht besaß. Hitler hatte aufgrund der Zwei-Säulen-Theorie den unpolitischen und überparteilichen Soldaten gefordert. 24O Damit widersprach er Röhms Auffassung von einem Primat des Soldaten vor dem Politiker und von einem politisch handelnden Soldaten. Röhms Vorstellung widersprach aber auch der der Reichswehrführung. Bereits Seeckt hatte für den unpolitischen, überparteilichen Soldaten plädiert; das Heer als geschlossenes soziales Gebilde sollte sich jeder politisch spaltenden Momente und Einflüsse enthalten. 241 Auch BIomberg hat sich wenigstens am Beginn des nationalsozialistischen Staates für den unpolitischen Soldaten ausgesprochen; er betonte dabei, daß die politische Führung allein der Partei gebühre. 242

237 Ebenda. - Bezeichnenderweise Iußerte ROIun diese Sitze im April 1934, demnach wAhrend der Eskalation der ROIun-Krise, gleichwohl er wissen mußte, daß Hitler keineswegs daran dachte, Soldaten mit politischer FOhrung zu beauftragen.

238 Ernst ROhm, Die Geschichte eines Hochvcrriters, S. 349. - Diese Sitze ROIuns standen noch in der letzten Auflage seiner Autobiographie im Jahre 1934. 239 Vgl. Kapitel B. la. 240 Institut filr Zeitgeschichte München, Liebmann-Aufzeichnungen, Hitlers Ansprache im Hause Hammerstein am 3. Februar 1933, S. 198tr. In dieser Ansprache vor, der versammelten Generalitlt verlangte Hitler, die Wehrmacht solle "unpolitisch und aberparteilich" bleiben. 241 Freiburger Milit1rarchiv, NI Seeckt, R 1/9. Abschiedsrede Seeckts vor dem Offlzierk.orps III.9. (preuß.) Inf.-Reg. vom 15.1.1927. Hier filhrt Seeckt aus: ''''Unpolitisch'''' sei die Armee. indem sie sich frei weiß von "Partei- und Parlamentspolitik". - Harold J. Gordon, Die Reichswehr und die Weimarer Republik, S. 271, urteih: "Es durfte in der Reichswehr keine Parteipolitik geben! Seeckt.

Groener. Neske. Ebert. Hindenburg. Reinhardt. Heye. Geßler und Hasse mochten in vielen Fragen miteinander nicht abereinstimmen. in dieser Frage waren sie alle einer Meinung. und die große Mehrzahl des Offizierskorps unterstatzte sie darin".

242 K1aus-Jürgen Müller, Armee und Drittes Reich, S. 160, Dokument 23. Hier sagt Generaloberst von BIomberg vor Truppen in München am 23. Februar 1933: "Wir Soldaten stehen außerhalb des innenpolitischen Kampfes ". - Später hat sich BIomberg allerdings filr eine nationalsozialistische weltanschauliche Schulung des Soldaten ausgesprochen. Das bedeutete dennoch nicht, daß von Parteisoldaten die Rede sein konnte.

11. Theoretische Ausgangspositionen

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Röhm verdeutlicht seine Forderungen nach einem politisch handelnden Soldaten an zwei historischen Beispielen, an denen er die negativen Konsequenzen eines unpolitisch handelnden Soldaten aufzuzeigen versucht. Auf den "Deutschen November"243 anspielend. der mit der Ausrufung der Republik am 9. November 1918 seinen politischen Höhepunkt fand, urteilt er: "Der 9. November 1918 hat jedenfalls der Armee eine unerbittliche und furchtbare Quittung erstellt jUr die politische Bedürfnislosigkeit seiner Berufssoldaten".244 Aus diesen Worten, die er nicht näher erläutert, ist zu folgern, daß sich Röhm für die Soldaten ein militärisches Vorgehen gegen die sich für die Demokratie einsetzenden Kräfte gewünscht hatte. An einer anderen Stelle sagt er in diesem Sinne: ''Ich teile die Menschen in zwei Klassen ein, in solche, die Putsche machen, und solche, die keine machen, (. ..) in solche, die Kerle sind und (. ..) solche, die keine Kerle sind".245 Am Beispiel seiner Reaktion auf den gescheiterten Kapp-Putsch ist zu sehen, daß er sich Putsche als legitimen Eingriff der Soldaten gegen den demokratischen Staat vorstellte. Er urteilt über den Kapp-Putsch: ''Natürlich haben wir jungen "unbesonnenen" Offiziere die befreiende Tat in Berlin jubelnd begrüßt".246 An den politisch unschlüssigen Befehlshabern sei aber der Putsch gescheitert. 247 Röhms Kritik an dem unpolitischen Soldaten war gleichbedeutend mit seiner Kritik an der Reichswehr, an ihrem Prinzip der Überparteilichkeit und damit auch an ihrem die Putschisten nicht unterstützenden Verhalten während des Kapp-Putsches. Für Röhm entstand ein militärpolitischer Mißstand, den er in dem politisch handelnden SA-Kämpfer aufgehoben wissen wollte.

243 Diesen Begriffprigt Hagen Schulze: Weimar, Deutschland 1917-1933, Berlin 1982, S. 155. Er weist damit hin auf die politische Bedeutung des Novembers 1918 filr das Nachkriegsdeutschland. Ulricb Kluge: Soldatenrite und Revolution, Studien zur Militlrpolitik in Deutschland 1918/19, Göttingen 1975, S. 11, urteilt in seiner militlrpolitischen Spezialstudie: "Der Zusammenbruch des

Kaiserreichs und die Etablierung der aufdemokratisch-parlamentarischer Basis beruhenden republikanischen Staatsordnung. die Zeit zwischen OktoberlNovember 1918 und Frühjahr 1919 zählt zu denfolgenreichsten Zäsuren der jflngsten deutschen Vergangenheit". 244 Ernst Rölun, Die Geschichte eines Hochverriter, S. 111. - An einer anderen Stelle seiner Autobiographie sagt Röhm: "Ich bin auch ein politischer Soldat und bin es bewußt. mit Überzeugung. Ich bin der Ansicht. daß. wenn wir im November 1918 politische Offiziere gehabt heltten. der Umsturz nicht gesiegt hätte". Ebenda, S. 176. 245 Ebenda, S. 283. 246 Ebenda, S. 116.

247 Ernst Rölun, Die Geschichte eines Hochverräters, S. 116. Hier urteilt Röhm: '~ber der verantwortliche Befehlshaber und sein mitverantwortlicher Staatschef konnten sich zu keiner klaren Stellungnahme durchringen. (. ..) Daran allein. das ist meine Überzeugung. ist das Unternehmen Kapp-Lflttwitz gescheitert". - In der Tat bestanden, wie Joharmes Erger: Der Kapp-U1ttwitz, Ein

Beitrag zur deutschen Innenpolitik 1919/20, Dilsseldorf 1967, S. 97ft:, in seiner Dissertation nachweist, Uneinigkeit und Widersprilche in der Zielsetzung der Putschisten. Erger geht aber nicht soweit, zu behaupten, daß dadurch das Unternehmen gescheitert sei.

60

B. Grundlagen und Bedingungen

Röhms Forderung nach dem Primat des Soldaten vor dem Politiker führte ihn zur Idee des "Wehrstaates"248, ein sich ständig in Kampfbereitschaft befindender autoritärer Staat. In letzter Konsequenz hieß das: Röhm befürwortete einen Soldaten-Staat, in diesem alles Zivile, Bürgerliche, Aristokratische hinderlich war. Dieser Staat sollte "die gesammelte Kraft gegen den dußeren Feind" richten. 249 Daraus ist zu folgern, daß Röhm ein Milizheer (bzw. einen paramilitärischen Verband) wollte, das unabhängig von der Reichswehr existieren und auf freiwilliger Basis möglichst viele "wehrfähige Männer" aufnehmen sollte. 25o Weder Hitler noch die Reichswehrfiihrung sprachen sich jedoch nach der nationalsozialistischen "Machtergreifung" für ein Milizheer aus und stellten sich damit gegen Röhms militärpolitische Forderungen. Röhms Kritik am unpolitischen Soldaten und damit auch an der Reichswehr251 und seine Vorstellung vom "Wehrstaat" führten ihn zur SA, die er als eine militärpolitische organisatorische Alternative betrachtete. Röhm beschreibt die Aufgabe der SA mit folgenden Worten: "SA bedeutet Sturmabtei-

lung. In der Bezeichnung allein liegt Programm und Verpflichtung: Sturmtrupp der nationalsozialistischen Bewegung zu sein, jeden sich ihr in den Weg stellenden Widerstand zu brechen, in rücksichtslosem Vorwärtsdrang der Idee den Weg zu bahnen, - immer der Nächste am Feind bis zum endgültigen Sieg!" 252 Diese programmatische Definition verdeutlicht erneut das Vorherrschen von Gewalt in der Röhmschen Militärpolitik, so wie er sie während der nationalsozialistischen Phase der "Machtergreifung" verwirklicht sehen wollte. In diesem Sinne schreibt er: "Die SA und SS sind die kämpferischgeistigen Willensträger der deutschen Revolution".253 Mit diesen Worten kommt der militärpolitische Anspruch zum Ausdruck, den einst "unpolitischen" Soldaten mit Waffengewalt für die Idee des Nationalsozialismus tätig werden zu lassen. Aus zweierlei Gründen entstand hier militärpolitische Konkurrenz für die Reichswehr: Einmal sollten "wehrflihige Männer" für die SA gewonnen werden, die das potentielle Personal der Armee verkörperten. 248 Ernst RöJun, Die Geschichte eines Hochverräters, S. 172. 249 Ebenda. - An einer anderen Stelle schreibt Röhm: "Meine Einstellung ist radikal national; ich will unter schroffer Ablehnungjeder Politik der Erfüllung, der Verständigung, des Ausgleichs, den schärfsten Kampf mit allen Mitteln gegen den inneren und äußeren Feind w• Ebenda, S. 175f.

250 Siehe dazu die Entwürfe und Pläne Röluns filr den "Frontbann" und zur Schaffung einer tlberregionalen Wehrorganisation bei Andreas Werner, SA und NSDAP, S. 217f. und S. 245ff. - Röhm hat aber seine Idee des "Wehrstaates" nie programmatisch präzisiert. 251 Ernst RöJun, Die Geschichte eines Hochverräters, S. 283. Hier urteilt er: "Das Heer der Vorkriegszeit war noch die einzige Schule, in der verantwortungsfreudige Fahrer herangebildet wurden. Es besteht nicht mehr". 252 Ders., Die braunen Bataillone der deutschen Revolution, S.5. 253 Ders., SA und deutsche Revolution, in: Nationalsozialistische Monatshefte Nr. 39 (Juni

S.251

1933),

H. Theoretische Ausgan~positionen

61

Auf der anderen Seite wurde mit der Beschreibung des "kämpferisch-geistigen Willensträger" das Waffenmonopol der Reichswehr in Frage gestellt. 254 Allerdings war mit diesen Überlegungen noch keine programmatische Gestaltung eines zukünftigen "Wehrstaates" geschaffen. An einer anderen Stelle hat Röhm diesen Eindruck zu vertreiben versucht, ohne allerdings seinen Überlegungen in der Praxis Folge zu leisten. "Die Reichswehr ist der alleinige Wa.ffentrtiger des Reiches, die SA ist der Willens- und Ideenträger der nationalsozialistischen Revolution ". 255 Mit der Bezeichnung Willens- und Ideenträger implizierte Röhm einen militärpolitischen Anspruch, den er während der Röhm-Krise zwar mit inhaltlichen Forderungen verknüpfte, diese aber nie zu präzisieren vermochte. Er schreibt über die Bedeutung der SAMänner als Willens- und Ideenträger: "Sie haben der NSDAP letztlich den Weg zur staatlichen Macht gebahnt". 256 Hieraus entsteht ein potentieller, noch nicht genau festgelegter Machtanspruch, den Röhm mit der Beschreibung der sozialen Gestaltung des SA-Alltags zu begründen versucht: ''Mehr aber noch als in ihrer Eigenschaft als Träger der Propaganda wirkte die SA durch sich selbst! (...) Die Volksgemeinschaft, der Gemeinnutz, die stetige Einsatz- und Opferbereitschaft, das nationalistische und sozialistische Wollen, - in den braunen Bataillonen haben sie zuerst sichtbar Gestalt angenommen. Überzeugender als tausend schöne Worte wirkte auf den verhetzten Arbeiter, auf den mißtrauischen Bauern, der nationale Tatsozialismus der SA ".257 Mit den Theorien des Sozialismus hatten Röhms Ausführungen indes nichts zu tun. Auch mit den Vorstellungen der "nationalsozialistischen Linken" stimmten Röhms Gedanken nicht überein. Die "nationalsozialistische Linke" besaß zwar keine umfassende, so aber doch im Gegensatz zur SA-Führung sehr ausführliche programmatische Konzeption im innen- und außenpolitischen Bereich. 258 Zweifellos aber gründete sich in seinen ausgesprochenen Kameraderie-Ideen jener Mythos vom 254 Die tAglichen Aufgaben der SA-Männer variierten zwischen nationalsozialistischer Schulung und Gewaltaktionen, zwischen Propaganda und Terror. Siehe zu dieser Verbindung zwischen Ideologie und Gewah Peter Longerich, Die braunen Bataillone, S. 116ff., sowie die dort aufgefilhrten zeitgenössischen Dokumente. - Hitler hat diese Verbindung als "aktivistische Brutalität" bezeichnet und ftIr ein Zusammenspiel "brutaler Macht mit genialem politischen Wollen" plädiert. AdolfHitler, Mein Kampf: S. 596. 255 Ernst Röhm, Warum SA?, S. 17. 256 Ders., Die braunen Bataillone der deutschen Revolution, S. 7. 257 Ebenda. 258 Siehe dazu Reinhard KOhnl: Die nationalsozialistische Linke 1925-1930, Meis.:nheim am Glan 1966, S. 57ff. und S. 108ff. Auf die pseudosozialistischen Kameraderien-Gedanken der Berliner SA, die zur "Stennes-Krise" 1930 filhrten, weist neuerdin~ hin Patrick Moreau: Nationalsozialismus von links. Die "Kampfgemeinschaft Revolutionärer Nationalsozialisten" und Revolutionärer Kampfgemeinschaften "Nationalsozialisten" und die "Schwarze Front" Otto Straßers 1930-1935, Stuttgart 1985, S. 71ff.

62

B. Grundlagen und Bedingungen

Frontsozialismus, der auch außerhalb der SA Anhänger fand. 259 Der "Tatsozialismus" , von dem Röhm sprach, sollte die Erwartung der SA-Männer vergrößern, in einem nationalsozialistischen Staat wichtige Aufgaben zu übernehmen. 26O In der Praxis bedeutete "Tatsozialismus" jedoch nichts anderes als die Ausübung von Gewalt. Der Terror der SA nach 1933 261 und die damit verbundene Bedeutungszunahme der SA führte Röhm zu folgenden Äußerungen: "Hunderttausende von deutschen Arbeitern hatten den Weg zum Vaterlande nie gefunden ohne die lebendige Gemeinschaft der braunen Hillersoldaten in den Sttlnnen der SA und Ss. (. ..) Die gemeinsam bestandenen Kampfe und Gefahren, das gemeinsame Ziel haben die SA- und SS-Manner (...) zu einheitlichem Gruß zusammengeschweißt und das braune Heer zu einem Machtfaktor im Staate werden lassen, langst ehe Adolf Hitler die politische Führung des Reiches tlbernahm".262 Hier erwähnt Röhm einen militärpolitischen Anspruch seiner Organisation, die in der Bezeichnung des "braunen Heeres" eine potentielle militärpolitische Konkurrenz zur Reichswehr bildete. Zwar sollte sich nach Röhm die SA als militärpolitische Organisation der NSDAP und des nationalsozialistischen Staates gerade nicht zu einer innenpolitischen Konkurrenz zur Partei und Hitler entwickeln. 263 Durch die militärpolitischen Entscheidungen Hitlers aber ist die SA zu dieser herangewachsen.

259 Hiennit seien Freicorps, Webrverblnde, die "Kampfbereitschaft Revolutionlrer Nationalsozialisten" und Otto Straßers "Schwarze Front" als Beispiele genannt Joachim C. Fest, Das Gesicht des Dritten Reiches, S. 199, urteih ober diese Art Sozialismus: "Gerade diese ver-

schwommene, von vagen nationalen und sozialen Elementen bestimmte Weltanschauung, die es erlaubte, ihr die variabelsten persönlichen Neigungen, Triebhaltungen oder Interessenlagen zu unterschieben, hat (...) dem Bedürfnis des in allen Rllngen der SA vorherrschenden Typus des Landsknechts nach ideenloser Führung und ideenloser Gefolgschaft entgegengearbeitet". 260 In diesem Sinne versuchte Rölun mit einem Auftuf im "Völkischen Beobachter" vom 17.8.1932 unter dem Titel "Kameraden, die Rotfront und Reaktion erschossen" den Elan der SA-MAnner und ihre Hoffilung auf eine grundlegende Verlnderung der VerhAhnisse im nationalsozialistischen Staat zu beleben: ''Die nationalsozialistische Bewegung ist ihrem Ursprung und ihrem Ziele nach eine

revolutionllre Bewegung. (. ..) Der Trllger dieses revolutionllren Gedankens kann nur der SA-Mann sein".

261 Zur Rolle der SA und ihrem Terror während der ersten Monate ihrer "Machtergreifung" siehe Peter Longerich, Die braunen Bataillone, S. 165ff. 262 Emst Röhm, Die braunen Bataillone der deutschen Revolution, S. 8. 263 Ders., Warum SA?, S. 19. "Der Nationalsozialismus ist selbst Staat geworden und duldet keinerlei irgendwie geartete Strömungen neben sich".

11. Theoretische AusgangIIpOSitionen

63

3. Die militärpolitischen Konzeptionen der Reichswehr Nachdem über die partiellen, militärpolitischen Übereinstimmungen zwischen Heer und Ritler berichtet wurde, steht jetzt die Frage im Mittelpunkt, welche militärpolitischen Konzeptionen der Reichswehr sich von denen Röhms unterschieden. Inwiefern trugen sie zu den Spannungen zwischen Armee und SA während der Röhm-Krise bei?264 Welche Faktoren bildeten zunächst die Grundpfeiler dieser Konzeptionen? Das militärpolitische Selbstverständnis der Führung des Heeres resultierte

zum großen Teil aus den Erfahrungen des wilhelminischen Kaiserreiches,

während Röhms militärischer Erfahrungshorizont aus seiner Zeit als Frontsoldat im Ersten Weltkrieg stammte. 265 Stellvertretend :für andere Offiziere schreibt Seeckt über seine Herkunft: ''In einer preußischen Offiziersfamilie bin ich aufgewachsen (. ..). Mein Vater, der hochstieg auf der militärischen Leiter, war for mich das Idealbild des ritterlichen Soldaten alter Schule". 266 Es ist das Preußentum, das preußische Staatsbewußtsein, das Bewußtsein der Pflicht, der Treue, der Disziplin und des Gehorsams, die Seeckt auch über das Jahr 1918

264 Die militArpolitischen Auffassungen vieler Reichswehr-01flZiere wahrend der Zeit der Weimarer Republik und wahrend der Anfang.-;jahre des nationalsozialistischen Staates sind weitgehend erforscht. Einen allgemeinen Überblick geben Bracher/Sauer/Schulz, S. 685ft: - Auf das Denken von bestimmten OffIZieren geht ein Claus Guske, Das politische Denken des Generals von Seeckt. Ein Beitrag zur Diskussion des Verhlltnisses Seeckt-Reichswehr-Politik, phil. Diss. LObeck, Harnburg 1971. Guskes Fehler ist es, hierbei Seeckts Gedanken aus dem historischen Kontext heraus in eine abstrakte Ideenwelt gebracht zu haben. - VgJ. auch Axel Schilift: MilitArdiktatur mit Massenbasis? Die Querfrontkonzeption der Reichsfilhrung um General von Schleicher arn Ende der Weimarer Republik, Frankfurt a.M./New York 1981. Schillit überbewertet die These, die "umfassende Effektivierung des 6konomischen Systems" habe dem diktatorischen System Vorschub geleistet. Sozialpsychologische Faktoren werden in seiner Analyse nicht genannt. 265 K1aus-Jürgen Müller: Armee, Politik und Gesellschaft in Deutschland 1933-1945, Studien zum Verhältnis von Armee und NS-System. Paderbom 1979, S. 25, urteilt über die politische Zielvorstellung der Armee: "Krieg, Niederlage, Revolution und Nachkriegszeit hatten hinsichtlich der grund-

sätzlichen politischen Zielvorstellungen und Ideale der Militär-Elite ebenfalls keinerlei wesentliche Modifikationen hervorgerufen. Diese Zielvorstellungen traten eher noch klarer und eindeutiger. vielleicht auch reflektierter hervor. Wohl gab es erhebliche taktische und methodische Divergenzen, aber in wesentlichen Elementen war die Kontinuität dieser Vorstellung ungebrochen".

266 Freiburger MilitArarchiv, NI Seec1ct, R 25/219, Handschriftlicher Entwurf Seeckts. - VgJ. zu Seeckts militärischer Ausbildung Hans Meier-Welcker, Seec1ct, S. 15ft: - Ähnlich wie Seeckt äußerten sich andere OffIZiere. Generalfeldmarschall von Hindenburg: Aus meinem Leben. Leipzig 1934, S. 24, schreibt: "Ich fand in meinem Regiment, das aus dem 1. Garderegiment zu Fuß hervorgegangen

war, die gute, alte Potsdamer Schule, den Geist, der den besten Überlieferungen des damaligen preußischen Heeres entsprach". - Siehe zu Hindenburg.-; preußischer Herkunft die apologetisch getlrbte Biographie von Walter Görlitz: Hindenburg. Ein Lebensbild, Bonn 1953, S. 11ft: - Siehe zu Schleichers preußischer Herkunft Friedrich-Karl von Plehwe, Reichskanzler Kurt von Schleicher, S. 14ft:

64

B. Grundlagen und Bedingungen

hinaus als Forderungen in der neuen Zeit aufstellt. "Preußens Vergangenheit ist eins mit seiner Gegenwart und seiner Zukunft. In seiner auf Pflicht begrandeten Staatsauffassung liegt seine Kraft".261 Hindenburg erklärt 1922 in einem Brief an Groener, daß er ein "eingefleischter Monarchist" 268 sei und fugt hinzu: "Den Deutschen und vor allem den Preußen steht die Jakobinermütze, welcher immer Narrenschellen anhtingen, nicht".269 Beck schreibt am 28.1l.1918 über den Rücktritt des deutschen Kaisers: ''In wenigen Stunden ist eine 500-jtihrige Geschichte zerschlagen worden, wie einen Dieb hat man den Kaiser nachts auf holltindisches Gebiet abgeschoben". 210 Diesem "Elitedenken" und der damit verbundenen Rückbesinnung auf die oben beschriebenen traditionellen Werte der Annee stellte Röhm das aus den Erfahrungen als Frontsoldat resultierende militärpolitische Denken entgegen. 211 Dieses basierte auf den kurzfristigen Erlebnissen des Krieges. Es wurde durch keine gewachsene oder gar durch eine Organisation verstärkte Tradition getragen. Die Reichswehr dagegen besann sich auf das einstige soziale Prestige ihres Berufsstandes auch nach dem Kriegsende. 212 Das sich in Gegensätzen bewegende militärpolitische Denken von Heer und Röhm hatte demnach einen seiner Ursprünge in den unterschiedlichen sozialen Erfahrungen. Von ihnen aus sind nahezu alle Differenzen zwischen Annee und SA zu interpretieren. Die militärpolitischen Konzeptionen des Heeres bestanden in den Überlegungen, ehemalige staatliche Macht wiederzugewinnen, bei der auch das Militär einstige Stärke zurückerhalten würde. 213 Innenpolitisch favorisiert wurde ein autoritärer Staat, in welcher konkreten Ausgestaltung er im einzelnen auch 261 Generaloberst von Seeckt: Moltke, Ein Vorbild, 2. Aufl., Leipzig 1938, S. 30. 268 Auszilge des Briefes vom 20. Mai 1920 an Groener abgedruckt in Walter Görlitz, Hindenburg, S.235. 269 Ebenda. _ Erich von Manstein: Aus einem Soldatenleben. 1887-1939, Bonn 1958, S. 13. urteilt:

"Die Umwelt, in der ich aufwuchs, war die Welt preußischen Soldatentums".

210 Freiburger Militararchiv, NI Beck, N 28/6, Brief Becks an seine Schwägerin Gertrud Beck vom 28.11.1918. 211 Vgl. Kapitel B. 11. 2 .. - Ernst Röhm, Die braunen Bataillone der deutschen Revolution, S. 7ff. Hier schreibt Röhm ober die sozialen AuswUkungen des Fronterlebnisses in Bezug auf die SA: "Hier

ist die Volksgemeinschaft kein leeres Wort, hier steht wirklich der Arbeiter neben dem Prinzen, der Bauer neben dem Beamten, der Student neben dem Handwerker. (. ..) In ihren Reihen gilt kein Vorrecht von Geburt, Stand, Verm"gen ". 212 K1aus-Jürgen MOlIer, Armee, Politik und Gesellschaft in Deutschland, S. 16, urteilt: "Dieses Offiziercorps war wesentlicher Teil der traditionellen politisch-sozialen Führungsschicht des preußisch-deutschen Staates, es verk"rperte geradezu in ganz spezifischer Weise die überkommene vorindustriell-junkerliche Führungselite und deren legitimierende Werte". 213 Ebenda, S. 21. Müllers Zentralthese, daß das Militär zwischen "Entente" mit der nationalsozialistischen Massenbewegung und ROckgewinnung einer politischen sozialen Sonderstellung variierte, ist, wie die Arbeit zeigen wird, zuzustimmen.

11. Theoretische Ausgangspositionen

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immer gedacht wurde. Seeckt sprach von einem nationalen Führerstaat; das Volk bedürfe "der fohrenden Macht der Persönlichkeit".274 Er verstand den Staat im Idealfall als eine selbständige, organische Entwicklung. Der Staat verkörpere nicht Totalität, sondern solle eine alle Teile des Volkes vereinende und einigende Einheit mit einem Führer an der politischen Spitze darstellen. 275 Seeckt beschwor die Einigkeit des Volkes und seine Einheit als Nation. In nie gekanntem Ausmaße habe die "Zerklüftung" des Volkes zugenommen, und "Parteigeist und Rechthaberei" verhindere die Zusammenfassung aller Kräfte. Das deutsche Volk werde untergehen, wenn es nicht gelinge, "den Weg zur Einheit nationalen Wollens und nationalen Handeins zu finden (. ..). Durch Einheit zur Macht". 276 Auch andere Offiziere befiirworteten einen autoritären Staat, der Grundlage für die Einheit der Nation sein sollte. Groener setzte sich für einen Einheitsbegriff ein, der sich nicht mehr auf der Grundlage der Parteien bewegte: ''Die Einheit des Volkes von innen heraus wieder zusammenzuschweißen, ist die Aufgabe aller Volksgenossen. Es muß möglich sein, eine neue Gemeinschaft herauszustellen, die auch jene politische Lage umfaßt, die sich heute als erbitterte Feinde gegenüberstehen. Aber auf welcher Grundlage, wird man fragen. Nicht auf der Grundlage der Parteien, dessen bin ich sicher! Und ich sage Ihnen, die einzige Grundlage kann nur die Nation sein". 277 Schleicher arbeitete schon 1918 an einem strategischen Stufenprogramm, das die Wiederherstellung der Staatsautorität als Grundlage betrachtete278 und betonte am 7.

274 Generaloberst von Seeckt: Die Zukunft des Reiches - Urteile und Forderungen. Berlin 1929, S. 191. Seeckt gibt nur eine fonnale Vorstellung, was er unter Staat und Regierung versteht. Er gibt keine Antwort auf die Frage, wie der Führer an die Spitze des Staates gelangt, wie er gefunden, ausgewAhit und besWigt wird. - Wichtig filr die lltere Seeckt-Forschung ist die Biographie von Friedrich von Rabenau: Seeckt, Aus einem Leben, 1918-1936, Leipzig 1940. Rabenau, persönlicher Adjutant von Seeckt, war bestrebt, Seeckt in der nationalsozialistischen Zeit, der Realitlt nicht entsprechend, einen Platz zu sichern, um ihn im Interesse der Annee gegenüber der politischen Führung nachtrlglich noch zur Geltung zu bringen. 275 Generaloberst von Seeckt, Die Zukunft des Reiches, S. 46. Hier schreibt Seeckt ober das Allgemeinwohl, das seiner organischen Staatsauffassung zugrunde lag: "Das Ziel der dem Staat

gestellten Aufgabe ist das möglichst große Wohlbefinden der Gesamtheit seiner Burger".

276 Alle Zitate aus Freiburger Militärarchiv, NI Seeckt, R 16/76. Rede Seeckts zur Bismarckfeier der DVP in Frankfurt/Oder am 31.3.31. - Ebenso in Ders., Deutschland zwischen Ost und West, Hamburg 1933. S. 10. 277 Freiburger Militlrarchiv, NI Wi\hehn Groener, N 46/166, Groeners Rundfunkrede am 18. Januar 1932. - Siehe zu den sicherheitspolitischen Konzeptionen Groeners Michael Geyer, Aufrüstung oder Sicherheit, S. 1981f. 278 Freiburger Militlrarchiv, NI Kurt von Schleicher, N 42/12, S. 771f. - Institut filr Zeitgeschichte MOnchen, ZS 37, Foertsch, S. 2, hat dieses Programm als Konzeption Schleichers bezeichnet, was jedoch einer Überschltzung Schleichers gleichkommt. 5 v. Fallois

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B. Grundlagen und Bedingungen

12. 1923, daß die Stärkung der Staatsautorität erstes Ziel zukünftiger Politik279 sei.

Die von den Offizieren beschriebene innenpolitische Einheit und die Wiederherstellung der Staatsautorität sollten Voraussetzung sein, um außenpolitisch zu neuer Macht und deutscher Großmachtposition zu gelangen. 28o Innenpolitik ist nach Seeckt erste Voraussetzung für die eigentliche Politik, für die Außenpolitik, denn "die Innenpolitik hat erst den festen Staat selbst zu schaffen und zu erhalten, dessen Macht nach außen vertreten und im Interesse des Staates zur Anwendung gebracht werden sol/".281 Seeckt verbindet die Vorstellung von äußerer Macht mit der von einem wiedererstarkten deutschen Heer, das Garant und Absicherung äußerer Macht sein sollte. "Der wehrlose und in Entwaffnung gehaltene Staat ist nicht bündnisfähig, weil er an Macht nichts zu bieten hat" 282, sagt er. Daraus folgert er, daß die Armee gegenüber ihrer das Reich innenpolitisch schützenden Funktion "zur Außenpolitik als notwendiges Machtmittel eines souveränen Staates" Voraussetzung sei und ihre Ausgestaltung "eine der ersten Sorgen einer Außenpolitik"283 darstelle. Voraussetzung für ein wiedererstarktes deutsches Heer sei die "Befreiung (... ) von den Fesseln des Versailler Vertrages" 284, der daraus resultierende "Rüstungsausgleich" 285 mit den siegreichen Staaten des Ersten Weltkrieges, "Freiheit in der Wehrfrage" 286 279 Freiburger MilitArarchiv, NI Kurt von Schleicher, N 42/19, S. 25. - Auf die Äußerungen BIombergs und Reichenaus und anderer OOiziere nach der nationalsozialistischen "Machtergreifung" wird weiter unten einzugehen sein. 280 Das Ziel einer Restauration der deutschen Großmachtstellung wurde bereits wAhrend der Versammlung filhrender Generalstabsoffiziere am 20. Dezember 1918 in Berlin ausgesprochen, auf der als maßgebliche Sprecher sowohl Weeckt als auch Schleicher auftraten. Vgl. die Schilderung bei Francis L CarsIen, Reichswehr und Politik, S. 25, und Friedrich von Rabenau, Seeckt, S. 117ft: Rabenau ilberreibt, indem er behauptet, daß sich in Seeckts Worten "der Geist der Armee" zu regen begann. Filr den Begriff"Geist der Armee" gibt er keine Beispiele. 281 Generaloberst von Seeckt, Die Zukunft des Reiches, S. 147. 282 Ebenda, S. 157. 283 Freiburger Milit1rarchiv, NI Seeckt, R 22/164, Wahlkampfinanuskripte 1930: Bericht der Magdeburger Zeitung vom 18.8.30. 284 Freiburger MilitArarchiv, NI Seeckt, R 25/237, Vortrag Seeckts in Milnchen, Neustadt, Worms und Bonn im Mai/Juli 1930 ilber Deutsche Ostpolitik. 285 Zu Seeckts AusfiIhrungen ilber die Sicherheit Deutschlands und über den ROstungsausgleich siehe Generaloberst von Seeckt, Die Zukunft des Reiches, S. 138 und S. 157. - Ders., Gedanken eines Soldaten, S. 74ft: 286 Freiburger Militärarchiv, NI Seeckt, R 22/164, Wahlkampfinanuskripte. - Generaloberst von Seeckt: Meine politischen Grundsätze, in: Kleine Hefte der Deutschen Volkspartei. Folge 6. Berlin 1930, S. 3.

11. Theoretische Ausgangspositionen

67

und schließlich Aufrüstung. 281 Ohne hier auf die grundsätzliche Aufrüstungsproblematik eingehen zu können288 , ist zu betonen, daß die die Wiedererstarkung des Heeres fördernde Aufrüstung von der großen Mehrzahl der Offiziere (Traditionalisten wie Seeckt und Reformer wie Stülpnagel und Groener) unterstützt wurde. 289 Mit unterschiedlichen Konzeptionen - von Joachim von Stülpnagels (Chef des Heerespersonalamtes) Vorstellung von einem zukünftigen "Volkskrieg"290 über Groeners "Aufgaben der Wehrmacht" 291 und Schleichers "Milizkonzept"292 bis hin zu BIombergs Hinarbeiten auf das Scheitern der Genfer Abrüstungskonferenz293 - versuchten 281 Freiburger Mili1irarchiv, NI Seeckt, R 25/23113, Interview Seeckts filr United Press vom 25.9.32. - Seeckt hieh noch Anfang der 1930er Jahre als Abgeordneter der Deutschen Volkspartei eine Reihe von Vot1rigen, in denen er sich vehement filr die Aufiilstung einsetzte. - Siehe dazu auch Hans Meier-Welcker, Seeckt, S. 610ff. 288 Vgl. Michael Geyer, Aufiilstung oder Sicherheit, S. 19ff. Mit Geyers Dissertation liegt das erste Ergebnis eingehender Studien zur Militär- und Rüstungspolitik des deutschen Generalstabes in der Zwischenkriegl!Zeit vor. Geyers These einer "Industrialisierung des Krieges" filhrt jedoch die soziopolitisch struktuierten Traditionen des preußischdeutschen Staates zu wenig heran. - Für die ältere Forschung vgl. Gerhard Meinck: Hitler und die deutsche Aufrüstung 1933-1937, Wiesbaden 1959. Meinck untersucht die militlrpolitischen Motive Hitlers filr die Aufrüstung. 289 Vgl. Michael Geyer, Aufrüstung oder Sicherheit, S. 177-236. - Siehe auch Walter Bemhardt: Die deutsche Aufiilstung 1934-1939, Militärische und politische Konzeptionen und ihre Einschätzung durch die Alliierten, Frankfurt a.M. 1969, S. 21ff. - Die Motive der Offiziere filr die Bejahung der Aufrüstung faßt zusammen, ohne allerdings die 1920er Jahre genügend beachtet zu haben Wilhelm Deist: Zum Problem der deutschen Aufrüstung 1933-1936, in: Francia 5 (1977), S. 539ff. 290 Freiburger Militlrarchiv, Depot Stolpnagel, N 5/10, "Gedanken über den Krieg der Zukunft". Vortrag, gehalten am 26. Februar 1924. Stolpnagel setzte in den Jahren der Stabilisierung der Weimarer Republik alles daran, die Nation auf einen Krieg vorzubereiten, indem "jede Unterschei-

dung zwischen Kämpfern ausgeMacht und alle Menschen und alle Dinge (. ..) Kriegsmaterial und Kriegsmittel" waren. Der "Volkskrieg" war funktionaler Bestandteil der totalen Kriegsfilhrung. Stolpnagel hoßte mit seinen militlrpolitischen Konzeptionen einerseits die Aufiilstung voranzutreiben und andererseits die Verbindung zwischen Volk und Militär zu reintensivieren.

291 Freiburger Militärarchiv, NI von Bredow, N 97/9, "Aufgaben der Wehrmacht". Verfilgung des Reichswehrministers vom 16. April 1930. Hier strebte Groener, in Zusammenarbeit mit Schleicher, als Priorität der Reichswehrpolitik an: Forderung nach militärischer Gleichberechtigung, ROstungszuwachs, kalkulierte militärische Einsatzplanung, um außenpolitisch einen größeren Handlungsspielraum filr die Reichswehr zu erlangen. - Fritz Fischer: Bündnis der Eliten, Zur Kontinuität der Machtstrukturen in Deutschland 1871-1945, 2. Aufl., DOsseldorf 1985, S. 84f., widerspricht der These von Francis L. Carsten, Reichswehr und Politik, S. 275, daß mit Groener und Schleicher "linke" Politik betrieben wurde. Die Kooperation der Reichswehrfilhrung mit der politischen Leitung sei nur ein taktischer Schritt gewesen, um die beginnende Aufrüstung fmanzieren und politisch absichern zu lassen.

292 Informationsbericht Dertinger vom 14.1.1933, zitiert nach Jost DOlffer: Weimar, Hitler und die Marine, Reichspolitik und Flottenbau 1920-1939, Düsseldorf 1973, S. 236. Schleicher verkündete am

13.1.1933, "daß mit dem J. April die EinjUhrung der Wehrpflicht absolut sicher sei, und zwar auf Milizanhängerbasis (. ..), außerdem würde Deutschland von diesem Termin an (. ..) mit der Aufrüstung und der Beschaffung schwerer Waffen beginnen".

293 So provozierte BIomberg U.a. das Scheitern der Konferenz damit, daß er als Reichswehrminister im Sommer 1933 mithalf, den fmanziellen und politischen Rahmen filr eine melujlhrige Aufrüstung

68

B. Grundlagen und Bedingungen

die Offiziere die Bedeutung des Heeres auf dem militärischen, politischen und schließlich auch gesellschaftlichen Sektor zu vergrößern. Ganz in diesem Sinne steht Groeners Diktum, daß im politischen Geschehen Deutschlands "kein Baustein mehr bewegt werden dürfe, ohne daß das Wort der Reichswehr ausschlaggebend in die Waagschale geworfen" werde. 294 Hier macht Groener schon vor der nationalsozialistischen "Machtergreifung" den elitären Anspruch des Militärs geltend, neben der Staatsfiihrung eine zweite staatstragende Macht zu sein, die später in Hitlers Zwei-Säulen-Theorie während der Röhm-Krise ihre Berücksichtigung finden sollte. Vor dem Hintergrund der innen- und außenpolitischen Ausrichtung der Militärpolitik des Heeres stellt sich hier die Frage, inwiefern ihre Konzeptionen sich von denen Röhms unterschieden. Die Unterschiede bestanden hauptsächlich in drei Schwerpunkten. Einmal äußerten sie sich in ihren verschiedenen politischen Auffassungen. Viele Offiziere hatten sich zwar für das Wiedererstarken der Staatsgewalt eingesetzt und dabei eine den Staat lenkende Führerfigur nicht ausgeschlossen. 295 Jedoch wurde das Plädoyer für einen zukünftigen starken Staat auch unter dem Kalkül betrieben, in diesem selbst eine starke Stellung als Organisation zurückzuerhalten; Reichenaus und Blombergs militärpolitische Taktik und Hitlers Zwei-SäulenTheorie zielten daraufhin ab. Insofern beinhalteten die militärpolitischen Konzeptionen des Militärs während der Weimarer Republik und der RöhmKrise keineswegs die Vorstellung von einer totalitären Staatsführung, bei der die Armee an militärpolitischer Bedeutung eingebüßt hätte, ohne allerdings dabei den einzelnen Soldaten als ein politisch handelndes Subjekt zu interpretieren. 296

zu schaffen. Vgl. dazu Michael Geyer, Aufrüstung oder Sicherheit, S. 347-355. - Außerdem versuchte BIomberg die deutschen milit1rischen Programme zu verheimlichen, was filr die Konferenzteilnehmer provozierend gewirkt haben muß. Hans-JOrgen Rautenbach: Drei Dokumente zur Planung eines 300.000 Mann-Friedensheeres aus dem Dezember 1933, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 2/1977, S. 103-139. 294 Zitiert nach Thilo Vogelsang: Neue Dokumente zur Geschichte der Reichswehr 1930-1933, in: Vierteljahrshefte filr Zeitgeschichte 1954, S. 409. 295 Vgl. dazu in diesem Kapitel die Beispi..le von Seeckt, Groener, Beck und Schleicher. 296 BIomberg, der als einer der filhrenden Offiziere dem nationalsozialistischen System positiv gegenOberstand, ist der Wunsch nicht abzusprechen, dem Militär eine politisch wichtige Stellung im neuen Staat zukommen zu lassen. Freiburger Militärarehiv, NI BIomberg, N 52n, Niederschrift ober seine Einstellung zu Adolf Hitler und dem Nationalsozialismus, gefertigt filr den Internationalen Militärgerlchtshof NOmberg, November 1934. Hier urteih er ober die Stellung der Reichswehr am Beginn des nationalsozialistischen Systems: "Wir waren wieder eine ernstzunehmende Institution, die zweite Säule neben der Partei".

11. Theoretische Ausgangspositionen

69

Diesen machtpolitischen "Ansprüchen" des Militärs standen Röhms politische Auffassungen gegenüber. Er bejahte den Totalitätsanspruch des nationalsozialistischen Staates, der keine Konkurrenz neben sich zu dulden habe. 291 Die SA sei "ideenmtißig, organisatorisch und klimpjerisch der stärkste Kraftausdruck des Nationalsozialismus" geworden. 298 Röhms Verständnis von einer SA, die als militärpolitische Organisation des Nationalsozialismus folgerichtig keine Konkurrenz zur Partei darstellen sollte, läßt die politische Machtpartizipation des Heeres jedoch unbeachtet. 299 Ihm war demnach die Vorstellung einer eigenständigen zweiten, dazu noch militärischen Säule neben der Staatsfiihrung fremd. Daß sich allerdings in der Praxis später Partei und SA auseinanderentwickeln würden, hatte Röhm in seinen theoretischen Ausführungen offenbar noch nicht erkannt. Der zweite Schwerpunkt der unterschiedlichen militärpolitischen Auffassungen zwischen Reichswehr und SA liegt im Bereich der Aufrüstung. Gleichwohl sie von den entscheidungstragenden Offizieren unterschiedlich konzipiert wurde, bewirkte sie doch als gemeinsame Folgerung die Machtund Einflußerweiterung des Heeres. 3OO Die Frage um den zukünftigen Weg der Aufrüstung, die gleich nach der nationalsozialistischen "Machtergreifung" eingeleitet wurde, führte zu einer anderen, die für die Auseinandersetzung zwischen Reichswehr und SA entscheidend wurde: Wer sollte der Träger des Waffenmonopols sein? Die langjährigen praktischen Gewaltaktionen als "Stoßtruppe der Bewährung", ihr großes Menschen und Waffenpotential sowie ihre Beteiligung beim Grenzschutz ließen Röhm die Frage nach dem Waffenmonopol in seinem Sinne positiv beantworten. Ihm traten die militärpolitischen Interessen der Reichswehr entgegen, die die Frage nach dem Waffenmonopol als eine für ihre Organisation existenzielle betrachtete. 301

291 Ernst Röhrn, Warum SA?, S. 19: "Ich erzähle Ihnen kein Geheimnis und keine Neuigkeit, wenn ich Sie auf den Totalitätsanspruch des n.s.Staates hinweise. Das besagt: die nationalsozialistische Idee hat machtpolitisch den Staat erobert und damit die Fesseln der Partei gesprengt. Der Nationalsozialismus ist selbst Staat geworden und duldet keinerlei irgendwie geartete Strömungen neben sich". 298 Ebenda, S. 20. - Hierbei ist auch der schon erwihnte Revolutionsanspruch Röhms zu beachten, der fortwährende GewaJtausQbung mit einschließt. Auch der anhaltende SA-Terror wurde Gegenstand der Auseinandersetzungen zwischen Reichswehr und SA - Siehe auch Röhms Verfiigung an Reichsjugendfilhrer Baldur v. Schirach. Bundesarchiv Koblenz, VS 23/1. Der Oberste SA-FOhrer Rölun an den Reichsjugendfilhrer am 30.5.1933: "SA und SS haben einen Sieg von kaum erhofftem

Ausmaß erkdmpft, auf den sie mit Recht stolz sein darfon. Ihre Aufgabe, die nationalsozialistische Revolution zu vollenden und das nationalsozialistische Reich zu schaffen, liegt aber noch vor ihr". 299 Auch der politische Soldat sollte, wie aufgezeigt, ein nationalsozialistisch orientierter Soldat sein und konnte daher - nach dem militArpolitischen Selbstverständnis von Rölun - nur in den Reihen der SA zu fmden sein.

300 Vgl. die Anm. 291 bis 295 des Kapitels B. 11. 3.

70

B. Grundlagen und Bedingungen

Der dritte Schwerpunkt der unterschiedlichen militärpolitischen Auffassungen liegt im Bereich der praktischen Ausübung von Militärpolitik. Es wurde darauf hingewiesen, daß die Militärpolitik des Heeres und die der SA in der praktischen Ausübung unterschiedliches Niveau und verschiedene Formen besaß. 302 Auf der einen Seite interpretierte die Reichswehrfiihrung den militärischen Aktivismus der SA negativ. 303 Auf der anderen Seite kam hinzu, daß das Militär zunehmend den neuen Typ des technokratischen, sich ganz auf die militärischen Erfordernisse konzentrierenden Offizier ausbildete, der die sich militärisch qualitativ schlechter präsentierende SA als eine "unterlegene" Organisation ablehnte. 304 Die unterschiedlichen Auffassungen über die praktische Ausübung von Militärpolitik brachten bereits im Jahre 1932 mit der Konsequenz des SA-Verbotes schwere Differenzen zwischen Reichswehr und SA. 1933 schließlich, als beide zu einer ungleich größeren Zusammenarbeit aufgerufen waren, vergrößerten sich die Unterschiede schnell.

111. Zwischenbetrachtung Die Ergebnisse der einführenden Kapitel können in drei Thesen zusammengefaßt werden. 1. Die Beziehungen zwischen Reichswehr, SA und Hitler während der Röhm-Krise 1934 waren Resultat einer weitgehend kontinuierlich seit der Zeit der Weimarer Republik bestehenden Entwicklung. 305 Die Kontinuität der

301 Freiburger MilitJrarchiv, NI BIomberg. N 52n, Niederschrift BIombergs ober seine Einstellung zu Adolf Hitler und dem Nationalsozialismus, gefertigt fIlr den Internationalen Militllrgerichtshof Nürnberg. November 1945. - Hier schreibt BIomberg: "Die Aufrüstung war fiJ.r uns eine existenzielle

Frage".

302 Vgl. Kapitel B. I. 2. 303 Siehe allgemein zum "neuen Typus" des technokratischen OffIziers. K1aus-Jürgen Müller, Armee, Politik und Gesellschaft in Deutschland, S. 17ft: - Neue militArisch-operative Vorstellungen junger technokratisch ausgerichteter OffIziere untersucht Michael Geyer, Aufiilstung oder Sicherheit, S.76-119.

304 Ebenda. _ Hier konunen ebenso die gruppenspezifischen, unterschiedlichen und sich zum großen Teil gegenseitig ausschließenden Mentalitäten zum Ausdruck. Sie behinderten eine vorurteilsfreie Beziehung zwischen Reichswehr und SA Vg1. Karl Rohe: Militarismus, soldatische Haltung und Führerideologie, in Volker R. Bergbahn (Hrsg.), Militarismus, Köln 1975, S. 268f. Rohe schreibt, daß die Antibürgerlichkeit der SA-MAnner die "sentimentale Sehnsucht nach einem harteren, männlichheroischen Dasein gewesen wäre". Dieser Wunsch nach politischem Soldatentum widersprach dem unpolitischen Habitus des Heeres. 305 In der wissenschaftlichen Literatur ist dagegen hlufig in Hinsicht auf die Röhm-Krise gerade nicht von einer Kontinuität der Beziehungen gesprochen worden. Hermann Mau, "Die Zweite

III. Zwischenbetrachtung

71

Verbindungen, im positiven Falle zwischen Reichswehr und Hitler sowie der NSDAP, im negativen zwischen Militär und SA, schuf eine grundlegende Voraussetzung fiir die militärpolitische Konzeptionalisierung des nationalsozialistischen Staates. 306 Die These der Kontinuität resultiert aus zwei weiteren hier thesenartig vorgetragenen Überlegungen. 2. Ausgangsbasis der Beziehungen war die Erfahrung des Verlustes der jeweiligen sozialen und politischen Welt. Diese Erfahrung führte dazu, sich in den militärpolitischen Konzeptionen näherzukommen (ReichswehrlHitler) oder schließlich zu entfernen (Reichswehr/SA). 3. Die weitere Ausbildung der Beziehungen leisteten einerseits im engeren Rahmen die partiellen Übereinstimmungen oder Ablehnungen der militärpolitischen Ziele. Diese wurden an Beispielen aus der Praxis (Grenzschutzarbeit, Ausbildungsniveau) aufgezeigt. Andererseits dienten dazu im weiteren Rahmen die grundlegenden militärpolitischen Konzeptionen. Sie verdeutlichten schon zur Zeit der Weimarer Republik die sich entwickelnden Konstellationen, wie sie sich während der Röhm-Krise in nun ausgeprägter Form darstellen sollten. Ob es sich um innenpolitische Konsolidierung und Befiirwortung der Wehrhaftrnachung als partielle Übereinstimmungen zwischen Hitler und der Armee handelte oder um Hitlers militärpolitische Überlegungen und die der Reichswehr (Aufrüstung und Wiedererlangung fiiiherer Macht): Diese ideellen Gemeinsamkeiten waren günstige Voraussetzungen fiir die Verbindung zwischen Hitler und Armee. Auch oder gerade im Vergleich zu den militärpolitischen Konzeptionen Röhrns bildeten sie, diesmal in negativer Form, VoraussetzunRevolution" - Der 30. Juni 1934, S. 124, schreibt über die Beziehung zwischen Hitler und Röhm: "Um die Jahreswende 1933/34 ,",nnen sie noch nicht ernsthaft gest6rt gewesen sein". Weiter unten (S. 126) urteilt Mau: "Zumindest bis 1933 muß zwischen Hitler und R6hm eine weitgehende Übereinstimmung hinsichtlich des politischen Programmes bestanden haben w - Heinz Höhne, Mordsache Rölun, S. 256ff. Nach Höhnes Auffassung sei der anfan~ sehr unentschlossene Hitler von den Ereignissen im Juni 1934 mehr oder weniger mitgerissen worden. - K1aus-Jürgen Müller, Das Heer und Hitler, S. 88ff., datiert den Beginnn der Streitigkeiten zwischen den drei Organisationen erst nach dem 30.Januar 1933. - Karl Martin Graß, Edgar Jung. Papenkreis und Röhm-Krise, S. 91, urteilt über die Beziehung zwischen Reichswehr, SA und Hitler: "Sie waren in den eigenartigen AnflJngen nationalsozialistischen Regierens und der besonderen Machtverteilung vom Januar 1933 immanent, aber nicht zwangsldufig angelegt. W 306 Hinsichtlich der NAhe zwischen konservativen "Schichten" und nationalsozialistischer "Bewegung" spricht Klaus Hildebrand: Hitlers Ort in der Geschichte des preußisch-deutschen Nationalstaates in: Historische Zeitschrift, Bel 217, 1974, S. 584-632 (S. 629), von einem "Bündnisabschluß zwischen alten Führungsschichten und nationalsozialistischer Bewegung", ohne allerdin~ seine Interpretation in Bezug aufNSDAP, SA und Reichswehr zu präzisieren. - K1aus-Jürgen Müller, Armee, Politik und Gesellschaft in Deutschland S. 30f., weist auf die "Entente" zwischen Gruppen der traditionellen Eliten und der NSDAP hin, ohne sie allerdin~ in der Weimarer Republik zurückzuverfolgen.

72

B. Grundlagen und Bedingungen

gen. Röhms Auffassungen differierten (Auffassung über den politisch handelnden Soldaten, Frage der Aufrüstung und die damit zusammenhängende Frage nach dem Waffenmonopol im Staat) von denen der Reichswehr und schließlich auch von denen Ritlers. Auch sie waren konzeptionell schon während der Zeit der Weimarer Republik angelegt und schufen damit eine Voraussetzung für den Zustand der Verbindung zwischen Reichswehr und SA während der Röhm-Krise. 307

307 Als Beleg fllr die KontinuiW der militirpolitischen Konzeption Röhms kann gelten, daß er seine Autobiographie, in der er seine militlrpolitischen Auffassungen formulierte, in drei verschiedenen Ausgaben zur Zeit der Weimarer Republik, und eine vierte im Jahre 1934 im Text unverindert veröffentlichen kOlUlte.

C. Vorgeschichte der Terroraktionen I. Der Machtkampf zwischen Reichswehr und SA im Jahre 1933 1. Reichswehr und SA am Beginn des nationalsozialistischen Staates In den einleitenden Kapiteln wurden die verschiedenen Voraussetzungen aufgezeigt. die zu einer Annäherung der Reichswehr an Ritter führten. Aber diese Annäherung besaß vor 1933 noch keinen konstitutiven und bindenden Charakter. Auf die Frage, warum sich die Reichswehrfiihrung während der Röhm-Krise schließlich mehrheitlich auf die Seite Hitlers stellte, findet sich eine Antwort in der Haltung des überwiegenden Teils der Offiziere während der frühen Phase des nationalsozialistischen Staates. 308 Ihre Haltung verdeutlicht, daß man sich jetzt nicht mehr einem abstrakten Staatsideal verbunden meinte. Vielmehr tat man Dienst fur einen Staat, der - wenigstens in der theoretischen Konzeption seiner Militärpolitik - den Erwartungen des überwiegenden Teils der Offiziere nahekam. 309 Da die allgemeine Haltung der Armee während der Zeit der nationalsozialistischen "Machtergreifung" weitgehend erforscht ist, 310 soll es darum gehen, ihre Haltung im Hinblick auf die im Jahre 1933 enger werdende Verbindung zur SA zu analysieren. 311 Welche Vorausetzungen bestanden am Beginn der "Machtergreifung"? Das Verhältnis von Armee und Nationalsozialismus in den ersten Jahren des nationalsozialistischen Staates war auf der Grundlage prinzipieller gegenseitiger Anerkennung und Bejahung von einer Ambivalenz gekennzeichnet. Die 308 Hier ist auf folgendes QuellendefIZit hinzuweisen. Es gibt eine FOlie von Zeugnissen insbesondere das umfangreiche Zeugenschrifttum des Institut filr Zeitgeschichte in MOnchen - sowie andere Befragungsergebnisse zu der Meinung von OffIZieren zur Phase der nationalsozialistischen "Machtergreifung". Die Aussagen stammen jedoch Oberwiegend von OffIZieren in höheren Stellungen und nur wenige von Soldaten mit niedrigem Dienstgrad. Dennoch vermögen die Zeitzeugenquellen wenigstens ein ungeBhres Bild der Meinungen zu vennitteln.

309 Das konunt vor allen Dingen in der positiven Reaktion auf die Hitler-Rede am 3. Februar 1933

im Hause Hanunerstein zum Ausdruck. Vgl. K1aus-JOrgen MOlIer, Das Heer und Hitler, S. 42ff.

310 Ebenda. S. 35ff. - Bracher/Sauer/Schulz, S. 685ff., schreiben, daß an eine geschlossene Stellungnahme des Offizierkorps nicht zu denken war. - Vgl. Manfred Messerschmidt, Die Wehrmacht in

NS-Staat, S. 17f.

311 Mit der ftühen nationa\sozialistischen "Machtergreifung" ist die Phase gemeint, in der im wesentlichen die tota\itlre Diktatur errichtet wurde, also die Zeit vom 30.1.1933 bis zum FrOhsommer 1933. - Siehe dazu Klaus Hildebrand: Das Dritte Reich, 4. Aufl., MOnchenlWien 1991, S.3ff.

74

c. Vorgeschichte der Terroraktionen

positiven Äußerungen vieler Offiziere über den neuen Staat gleich nach dem 30. Januar 1933 schließen sich an ihre negativen über den demokratischen Staat an.3\2 Diese generelle Stimmung versuchte Hitler noch zu verstärken, indem er am 3. Februar 1933 der Armee zu überparteilichem Verhalten riet. 313 Dafür versprach er ihr das Waffenträger-Monopol und sicherte ihr eine rasche, umfassende Aufrüstung ZU. 314 Das Gebot der Überparteilichkeit diente Hitler und seiner Partei in der frühen Phase der "Machtergreifung" auch dazu, die innenpolitische Eroberung von Macht ohne mögliche Intervention des Heeres voranzubringen. 315 Deshalb fUgte er in seiner Rede am 3. Februar 1933 hinzu, daß die Reichswehr "unpolitisch" bleiben sollte und "der Kampf im Inneren nicht ihre Sache, sondern [die] der Nazi-Organisationen" seP16 Hitler hat damit den Terror der SA in der ersten Phase der "Machtergreifung" geduldet, sogar angewiesen und ihm nur selten Einhalt geboten. 317 Die SA hatte vorübergehend Erlaubnis bekommen, ihre jahrelang "angestauten Aggressionen" an allen möglichen Gegnern abzuladen.3\8 In einer im Jahre 1936 veröffentlichten Schrift wird be312 So äußerten sich folgende Offtziere zum neuen Staat, die sich schon, wie oben gezeigt, negativ gegenüber der Weimarer Republik geäußert hatten. Als Beispiele seien Fritsch und Beck genannt. Fritsch sprach von einem" Aufatmen nach Jahren des Schweigens" (Gesprich mit Johann Adolf Graf von Kiehnansegg am 21.MIrz 1990), und Beck fillute aus, daß die nationalsozialistische "Machtergreifung" "der erste große Lichtblick seit 1918" gewesen sei. Freiburger Militärarehiv, NI Beck, N 34/21, BriefBecks an Julie S.E. v. Gosslarvom 17.03.1933. 3\3 Institut filr Zeitgeschichte München, Liebmann-Aufzeichnungen, Hitlers Ansprache im Hause Hammerstein am 3. Februar 1933, S. 19811: - GesprIch mit Ludwig von Hammerstein am 8.8.1989.

314 Institut filr Zeitgeschichte München, Liebmann-Aufzeichnungen über die Rede Hitlers am 3. Februar 1933 vor der versammelten GeneraliW im Hause Hammerstein, S. 19811: 315 So schreibt Kunrat von Hammerstein:

Splhtrupp, Stuttgart 1963, S. 64, über Hitlers Absicht:

"Er sicherte der Wehrmacht, die der einzige WajJenträger im Staat bleiben solle, eine ruhige Entwicklung zu. Zur Unterdrückung von Unruhen wilrde er andere Kräfte zur VeifUgung haben". -

Hiermit muß - nach dem Terror der frühen Phase der nationalsozialistischen "Machtergreifung" zu urteilen - die SA gemeint sein. - Hans-Ulrich Thamer: Verfilhrung und Gewalt, Deutschland 19331945, Berlin 1986, S. 232f., schreibt, daß die filr die Machtausübung unvorbereitete Partei eine anarchische Entwicklung von MachtansprQchen filr einige Zeit benötigte, um ihre Macht zu stabilisieren.

316 Institut filr Zeitgeschichte München, Liebmann-Aufzeichnungen über die Rede Hitlers am 3. Februar 1933 vor der versammelten GeneraliW im Hause Hammerstein, S. 19811: 317 So bei den Boykott-Aktionen gegenjOdische GeschAfte am 1. April 1933. Siehe dazu den von Hitler gebilligten Boykott-Auftuf im Völkischen Beobachter vom 30. Mirz 1933. - Am 10. Mirz 1933 griff Hitler durch einen Aufruf an die SA mlßigend ein, filgte aber zum Abschluß des Aufrufes hinzu: "Im Qbrigen laßt Euch in keiner Sekunde von unserer Parole wegbringen. Sie heißt Vernichtung des Marxismus". Schulthess Europäischer Geschichtskalender 1933, S. 56. - Als Überblick siehe Hans Mommsen: Der nationalsozialistische Polizeistaat und die Judenverfolgung von 1938, in: Vie.-teljahrshefte filr Zeitgeschichte 1962, S. 68-87. 318 Das Ausmaß des SA-Terros war gewaltig. Siehe dazu die Analyse von Martin Broszat: Nationalsozialistische Konzentrationslager 1933-1945. in Martin Broszat, Hans-Adolf Jacobsen, Helmut

I. Der Machtkampfzwischen Reichswehr und SA im Jahre 1933

75

schrieben. mit welchen Erwartungen die SA-Männer diesem "Tag der Rache" entgegensahen: "Sie haben an ihn geglaubt, und er war ihre einzige Hoffnung,

wenn sie auch nichts mehr hoffin konnten. Ist diese Rache ein Recht? Ist sie nicht Pflicht nach dem Siege? Sie sehen sie SO".319 In den folgenden Monaten besetzten SA- und SS-Rollkommandos Parteiund Verbandsgebäude, Rathäuser und Zeitungsverlage, erzwangen die Freigabe von nationalsozialistischen Strafgefangenen, nahmen ihre Gegner fest und mißhandelten sie. 32o Im Zusammenspiel mit behördlichen Maßnahmen. wie Versammlungs- und Redeverboten, die nach dem Erlaß der Notverordnung zum "Schutz des deutschen Volkes" 321 vom 4. Februar 1933 verhängt werden konnten, besaßen die SA-Männer immer häufiger und auf einer größer werdenden legalen Ebene Gelegenheit, Gewalt auszuüben. Die Funktion der SA während der ersten Phase der nationalsozialistischen "Machtergreifung", die gewalttätige ''Revolution von unten" 322 zu gewährleisten. wurde institutionalisiert: Bereits am 17. Februar 1933 teilte der damalige preußische Innenminister Göring durch seinen sogenannten "Schießbefohl" mit, daß "gegen Gegner der nationalen Front während des

Wahlkampfes mit allen Mitteln der Gewalt ohne Rücksicht auf die Folgen des Schußwaffengebrauches vorzugehen" sei. 323 Dieser "Schießbefehl" kam fiir die SA einer Aufforderung gleich, offenen und versteckten Terror durchzuführen. Mehr noch, als Göring am 22. Februar eine 50.000 Mann starke "Hilfspolizei"324 aufbot, gab er der SA und SS damit Gelegenheit, durch

Krausnick: Konzentrationslager, Konunissaroefehl, Judenverfolgung. 01ten und Freiburg im Breisgau 1965, S. 11-42. - Daher ist das Urteil von Peter Longerich, Die braunen Bataillone, S. 165., indifferenziert, wenn er schreibt: 'Tatslfchlich bremste die Parteifohrung zunächst ab: Der Legali-

tätskurs mußte einstweilen beibehalten werden".

319 Fritz Stelzner: Schicksal SA, S.

157.

320 Gespräch mit dem

SA-Mann Udo K1ausa am 3.9.1989. - Den Höhepunkt ihrer Terrorisierung der Bevölkerung erreichte die SA Ende Juni 1933 durch die ''Köpenicker Blutwoche". Kurt WernerlKarl Heinz Biernat: Die Köpenicker Blutwoche, Juni 1933, Berlin (Ost) 1958.

321 Schulthess Europlischer Geschichtskalender 1933, S. 39. 322 Diesen Begriff prlgen Bracher/Sauer/Schutz, S. 855., um ihn von der Revolution von oben (institutionalisierte Diktatur, Praktizierung von nationalsozialistischer Weltanschauung) zu unterscheiden. 323 Shlomo Aronson: Reinhard Heydrich und die Frühgeschichte vom SD und Gestapo, Stuttgart 1971, S. 68. Aronsons Biographie schreibt Heydrich keine entscheidende Rolle in der innenpolitischen Auseinandersetzung mit Röhm zu. 324 Stefan Martens: Hermann Göring. "Erster Paladin des Fahrers" und "Zweiter Mann im Reich", Paderborn 1985, S.2lf. Martens schreibt Göring eine eigenständige Rolle im

nationalsozialistischen Staat zu. Seine "Konzeptionen" waren nur in der Theorie eine Alternative, da er Hitler im Grunde völlig ergeben war. - Bracher/Sauer/Schutz, S. 72., urteilen, daß die Schaffung einer Hilfspolizei "nichts weniger bedeutete als die Betrauung der NS-Parteiarmee mit

Polizeijünktionen ".

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c. Vorgeschichte der Terroraktionen

Überstreifen einer Armbinde ihren "Rachefeldzug" als Wahrnehmung einer staatspolitischen Aufgabe zu deklarieren. Hiermit verstärkten sich in den Reihen der SA die Vorstellungen, ihre gewalttätigen Handlungen als Muster für ihre zukünftigen Aufgaben zu betrachten. Zu dieser militärpolitischen Aufwertung der SA traten ihre wachsenden Machtansprüche. 325 Röhm beurteilte im Juni 1933 das aktuelle Machtverhältnis im nationalsozialistischen Staat: "Die Reichswehr hat ihre unbestrittene eigene Aufgabe: ihr obliegt die Verteidigung der Grenzen des Reiches, soweit ihre geringe Zahl und völlig unzureichende Bewaffnung sie dazu befähigt. Die Polizei soll die Rechtsbrecher niederhalten. Neben ihnen stehen als dritter Machtfaktor des neuen Staates mit besonderen Aufgaben die Si1 und SS". Dieser Machtfaktor sei deshalb wichtig, weil "ein neues, in einer geistigen Revolution aus nationalistischen und sozialistischen Geiste wiedergeborenes Deutschland" noch lange nicht erreicht sei. 326 Diese Worte verdeutlichen das "Selbstbewußtsein" Röhms gegenüber der Reichswehr: Verglichen mit der SA besaß die Armee mit knapp über 100.000 Mann eine geringe Stärke, und auch ihr Waffenpotential bedeutete noch keine militärpolitische Überlegenheit. 327 Daher übertrieb Röhm nicht, wenn er davon sprach, daß die SA ein dritter militärpolitischer Machtfaktor im nationalsozialistischen Staate war und damit ein potentieller Konkurrent zur Reichswehr zu werden versprach. Die Armee hat am Anfang des nationalsozialistischen Systems auf diese Herausforderungen verschieden reagiert. Bei vielen jungen Offizieren entwikkelte sich ein starker Drang, in der SA dienstlich tätig zu werden. Gründe dafür waren Unzufriedenheit mit dem starren Traditionalismus vieler älterer Offiziere, unklare Vorstellungen von der SA als einer künftigen "revolutionären Wehrmacht" und freigiebige Aufstiegsangebote Röhms. 328 Es handelte sich um eine Gruppe von Offizieren, die für den Nationalsozialismus optierte. 329 325 Ein nicht unwesentlicher Aspekt fllr die gewachsenen Machtansprüche der SA könnte ihre rapide steigende Mitgliederzahl gewesen sein. Im Januar 1933 besaß die SA um die 700.000 Mitglieder. - Siehe dazu die soziologische Untersuchung von Mathilde Jarnin: Zur Rolle der SA im nationalsozialistischen Herrschaftssystern, in Gerhard Hirschfeld und Llthar Kettenacker (Hrsg.), Der "Führerstaat": Mythos und Realität. Studien zur Struktur und Politik des Dritten Reiches, Stuttgart 1981, S. 329ft: 326 Ernst Röhm, SA und deutsche Revolution, S. 251ft: 327 Michael Geyer, Aufrüstung oder Sicherheit, S. 347ft:, gibt Beispiele fllr die langsame Zunamne an Menschen- und Waffenpotential in der Armee. - Die präsidiale Machtbefugnis Hindenburgs als oberster Reprisentant der Reichswehr wird in diesem Zusanunenhang überbewertet Siehe dazu Karl Martin GraB, Edgar Jung, Papenkreis und Röhm-Krise, S. 97. Hindenburg hat sich zur Stlrkung der Position der Reichswehr gegenüber der SA wenig eingesetzt. 328 Institut fllr Zeitgeschichte München, ZS 152, Slapt; S. 2 und S. 7. Hier berichtet Stapf von Aufiufen Röhms. Er warb mit einem gezielten Aufstiegsprograrnm innerhalb der SA um Soldaten der Reichswehr. 329 Wenn man nach den Gründen dieser Anßlligkeit junger Offiziere fllr den Nationalsozialismus

I. Der Machtkampfzwischen ReicMwehr und SA im Jahre 1933

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Im März 1933 mußte der Befehlshaber im Wehrkreis V sogar protestieren, daß einige Offiziere bei Parteidienststellen um Aufnahme in die SA mit höherem Dienstgrad nachgesucht hatten. 330 Andere meldeten sich als Lehrer für die SA-Organisation des Chefs des Ausbildungswesens. Von dort gingen einige später sogar in die Waffen-SS. 331 Bei einigen Offizieren schlug diese Hinwendung zum Nationalsozialismus später, als ihnen die negativen Seiten der nationalsozialistischen Diktatur offenkundig wurden, in eine ebenso radikale Zuwendung zum Widerstand um. 332 Auf diesen Aktionismus vieler junger Offiziere und auf die gestiegene Bedeutung der SA am Beginn des nationalsozialistischen Systems reagierte die Reichswehrführung. Sie versuchte das nach dem kurzzeitigen SA-Verbot von 1932 ungünstiger gewordene Verhältnis zur SA zu verbessem. 333 Neben der gewachsenen militärischen Bedeutung der SA und dem daraus entstehenden Wehrpotential mag auch die Überlegung eine Rolle gespielt haben, daß man sich anfangs nur in der Zusammenarbeit mit den Wehrverbänden eine günstige Position in der Verteilung von militärpolitischen Kompetenzen zu erwerben glaubte. 334 BIomberg betrieb deshalb die Annäherung an die

sucht, dann wird man auf eine verstAndliche Befriedigung darilber stoßen, unter einer "webrfreudigen" und "alle nationalen Elemente" des Volkes einigenden autoritären Regierung zu dienen. Vgl. Kapitel B. la. - Siehe dazu Kunrat von Hammerstein "Schleicher, Hammerstein und die Machtilbernahme 1933", in Frankfurter Hefte II (1956), S. 175. - Institut filr Zeitgeschichte MOnchen, ZS 208, Blumenritt, S. 84ft: Blumenritt berichtet ober seine Erleichterung, als die "webrfreudige Regierung Hitler" die Macht Obernahm. - Lutz Graf Schwerin von Krosiglc Es geschah in Deutschland. Menschenbilder unseres Jahrhunderts, TObingen und Stuttgart 1951. S. 346ft:, schreibt, daß Stauffenberg am Beginn des nationalsozialistischen Systems sogar seine Kinder nationalsozialistisch erzogen habe. 330 Institut filr Zeitgeschichte MOnchen, Liebmann-Au1Zeicbnungen, Kommandeurbesprechung vom 26. März 1933, S. 218. 331 Institut filr Zeitgeschichte MOnchen, ZS 248, Holtzendorff, S 38. - Siehe zum Beispiel den Werdegang des späteren SS-General Felix Steiner. Felix Steiner: Von Clausewitz bis Bulganin, Erkenntnisse und Lehren einer Wehrepoche, Bielefeld 1956, S. 278. 332 Als ein Beispiel unter vielen siehe das des damaligen Oberleutnant Merz von Quimbeim, des späteren Mitverschworenen Stauffenbergs, der 1933 auf eigenen Wunsch Verbindungsoffizier des Heeres bei einer SA-Gruppe wurde. Institut filr Zeitgeschichte MOnchen, ZS 44, Gaertner, S. 5. 333 Peter Longerich, Die braunen Bataillone, S. 154ft: - Gottbard Jasper, Die gescheiterte Zähmung, S.85t: 334 Zwar hatte sich Hitler am 3. Februar 1933, wie oben erwähnt, filr eine klare militärische Aufgabenverteilung von Heer und SA ausgesprochen. Aber mit dem Aktionismus, dem offenen und versteckten Terror der SA, wurde deutlich, daß eine praktische Durcbsetzung seiner militärpolitischen AusfiIbrungen noch nicht erfolgt war. 335 Da sich die offiziellen und halboffIZiellen WebrverbAnde zur Mitte des Jahres 1933 nahezu vollständig mit der SA verbanden und eingegliedert wurden, trifft BIombergs Verfilgung hauptsächlich die SA - Bracher/Sauer/Schulz, S. 891ft: - Volker R. Bergbahn: Der Stahlhelm. Bund der Frontsoldaten 1918-1935, DOsseldorf 1966, S.263ff., berichtet von der organisatorischen Selbstliquidierung des "Stahlhelmes". Den "Stahlhelm" konnte BIomberg demnach nicht gemeint haben.

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C. Vorgeschichte der Terroraktionen

nationalen Verbändem , indem er am 15. Mai 1933 in einer Verfügung ausfiihrte: "Die Wehrmacht tritt mit den nationalen Verbt'inden in ein

gegenseitiges Grußverht'iltnis. Hierbei ist der Gruss der allgemeine Ausdruck kameradschaftlicher Verbundenheit (. ..). Soldaten, die an einer nationalen Kundgebung teilnehmen, dürfen durch ihr Benehmen nicht den Anschein der Gleichgültigkeit erwecken, sondern müssen klar zeigen, daß sie mit der nationalen Bewegung mitgehen". 336 BIombergs Verfügung verdeutlicht: Auch wenn Hitler der Armee zu Beginn des nationalsozialistischen Regimes zu unpolitischem Verhalten riet, bedeutete das für die Reichswehrführung nicht, daß sie sich auf Dauer dem System gegenüber unpolitisch präsentiert hätte. 337 Konnte die Armee in einem Einparteienstaat überhaupt "unpolitisch" in einem Sinne sein, wie sie es zur Zeit der Weimarer Republik gewesen war? Die Reichswehr brauchte jetzt ihre innenpolitische Aufgabe nicht länger darin zu sehen, als Hüter des "Vaterlandes" in einer vom Parteienstreit zerrissenen Nation aufzutreten. 338 Die Armee konnte aus ihrem traditionellen Selbstverständnis heraus nicht abseits des Volkes stehen. Die oben beschriebene Konzeption einer "Wehrhaftmachung der Nation" bedeutete, daß man die Interessen der vielen "wehrfähigen" Männer nicht unberücksichtigt lassen konnte. Sie stellten ein wichtiges, potentielles Reservoir an neuen Soldaten dar. Insofern war der Reichswehrführung daran gelegen, auch den militärischen Verbänden näherzutreten. Diese bildeten wenigstens noch 1933 ein militärpolitisches Symbol des neuen Staates, weil sie hunderttausende "wehrfähige" Männer in ihren Reihen ausbildeten. 339 Einen weiterer Punkt der wachsenden Kontaktaufnahme zwischen Reichswehrführung und SA bildeten die Ausbildungs-Lehrgänge. Generalmajor von Weichs berichtet über die ersten militärpolitischen Maßnahmen der Reichswehrführung nach der nationalsozialistischen "Machtergreifung": "Die ersten 336 Freiburger MilitArarchiv, RW 6N.65. - Der Reichswehnninister, Betrifft: Verhalten der Wehrmacht gegenüber nationalen VerbAnden 15. Mai 1933. 337 BIomberg erldlirte im April 1933 in einer Art "Freundschafts-Formel", "daß wir uns an dem inneren Kampf, den die Regierung mit den staatlichen Machtmitteln, aber auch mit den nationalsozialistischen Organisationen gegen den Kommunismus und Marxismus zu fiJ.hren gedenkt. zwar nicht beteiligen. aber ihm gegenaber doch in wohlwollender Neutralität verhalten sollen ". Institut filr Zeitgeschichte München, Liebmann-Aufzeichnungen, S. 221.

338 Siehe zur Rolle der Reichswehr im Parteienstreit wAhrend der Weimarer Republik Claus Guske, Das politische Denken des Generals von Seec1ct, S. 199ff. und S. 209ff. - 10 einer Rede vor den Reichsstatthahern am 6.7.1933 sagte Hitter: "Die Partei ist jetzt der Staat geworden". Völkischer Beobachter vom 8.7.1933. 339 BIomberg haUe dazu ferner in einer gnmdsätzlichen Erldlrung ausgefilhrt: "Derjenige hat ein Recht auf die Freundschaft der Wehrmacht. der sich zur Pflege der Landesverteidigung und zu einer praktischen Betätigung bekennt". Institut filr Zeitgeschichte München, Liebmann-Aufzeichnungen, S. 221.

I. Der Machtkampfzwischen Reichswehr und SA im Jahre 1933

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Maßnahmen in militärischer Hinsicht beschränkten sich auf kurzfristige Ausbildungs-Lehrgänge von Freiwilligen zur Schaffung von Reserven flr den Ernstfall. Dabei drängte sich vorwiegend die SA zur militärischen Ausbildung auf Daß hierin eine politische Gefahr bestand, erkannten die oberen militärischen Dienststellen nicht. Dies sollte sich erst ein Jahr später zeigen. Zuntichst hielt man dieses Streben flr die Bekundung eines begri1ßenswerten Wehrwillens, den man nach Möglichkeit durch Auftiehen von Kursen flr die SA unterstatzen masse". 340 Die Armee interpretierte daher Anfang 1933 die SA als Teil der Nation, der man aufgrund der angestrebten "Wehrhaftmachung" entgegenkommen wollte. Schon im April 1933 begann die SA, kleine Gruppen der Reichswehr zu einer solchen Ausbildung abzustellen. 341 Die Zahl der Ausgebildeten darf nicht sehr hoch geschätzt werden. Die Maßnahme wurde wahrscheinlich regional unterschiedlich, je nach der persönlichen Bereitschaft der lokalen Einheitsführer, durchgeführt. 342 Richtlinie blieb, daß der normale Truppendienst nicht behindert werden durfte. Diese Kurzausbildung, die nicht zur Regel wurde, löste im Juli 1933 der Beschluß zu einer SA-Ausbildung in größerem Stil ab. Diese intensiver werdenden Kontakte zwischen Armee und SA waren nur ein "Vorspiel" zu einer weitergehenden Zusammenarbeit vor allen Dingen im Bereich des Grenzschutzes. In den Monaten der großen Gewalttätigkeiten der SA kamen Sachfragen und eine nähere Zusammenarbeit noch nicht in Betracht. Die Reichswehrführung versuchte hingegen, durch vorsichtige Kontaktaufnahme ihr neues Verhältnis zur SA zu sondieren, um sich eine günstige Position bei der Verteilung von militärpolitischen Einflußsphären zu sichern. Wer waren in diesem Zusammenhang die während der Röhm-Krise entscheidungstragenden Offiziere? Welche Auffassungen über das nationalsozialistische System und über die SA besaßen sie?

340 Freiburger Militlrarchiv, NI von Weichs, N 1915. Erinnerungen Bd. 1. Potsdam und Weimar (handschrift\.) 1933-1937, S. 3f. 341 Institut filr Zeitgeschichte MOnehen, ZS ll, Böckmann, S. 3f. - Vgl. Bracher/Sauer/Schulz, S.

886.

342 Institut filr Zeitgeschichte MOnehen, Liebmann-Aufzeichnungen, S.212. Ein Kommandeur fragte erst beim Reichswehnninisterium an, ob Reituntenicht rur SA-Leute durch die Truppe erteilt werden könne. Bedenken bestanden nicht. der normale Dienst sollte aber nicht beeinträchtigt werden. Anfragen und Umstände zeigen, daß das Problem nicht häufig auftrat und schon geringer Kontakt mit der SA gemeldet wurde.

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c. Vorgeschichte der Terroraktionen

2. Der personelle Wandel in der Reichswehr

Bei den militärischen "Partnern", die Hitler bei der Lösung der Röhm-Krise halfen, handelte es sich um die Offiziere BIomberg, Reichenau, Beck und Fritsch sowie den Reichspräsidenten Hindenburg. 343 Außer Hindenburg sind alle genannten Offiziere am oder nach dem 30. Januar 1933 in jene militärischen Ämter befördert worden, die ihnen die Entscheidungsbefugnisse gaben, die Positionen der Armee während der Röhm-Krise zu bestimmen. Auch Hindenburgs Position als oberster Repräsentant des Heeres war in diesem Zusammenhang von entscheidender Bedeutung. Hier soll die Frage beantwortet werden, wie vor dem Hintergrund der eingangs diskutierten historischen. politischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen die genannten Offiziere ihre persönlichen Auffassungen über den Nationalsozialismus und die SA interpretieren. Werner von Blomberg344 wurde am 30. Januar 1933 Nachfolger Schleichers als Reichswehrminister. BIombergs Charakter war stark beeinflußbar, unbeständig und unbeherrscht, darüber hinaus besaß er "romantisch-phantastische Neigungen".345 Aus bisher nicht geklärten Umständen überwarf er sich 1929 mit Schleicher und erhielt 1933 nicht die angestrebte Stellung des Chefs der Heeresleitung. 346 Stattdessen wurde er Wehrkreisbefehlshaber in Ostpreußen und geriet dort 1931 in den Einflußbereich seines neuen Stabschefs Reichenau, der ihn in Zusammenarbeit mit dem Wehrkreispfarrer Ludwig Müller für den Nationalsozialismus zu interessieren begann. 347 BIomberg schrieb später, daß ihm 1933 plötzlich Dinge in den Schoß gefallen seien, die er nach 1919 niemals erwartet hätte: Zunächst Verehrung für einen Mann und Anhänglichkeit an eine Idee; später ein berufliches Tätigkeitsfeld, das große Zu-

343 Die Offiziere Wilhebn Adam, Kurt von Schleicher und Kurt von Hammerstein werden in diesem biographischen Kapitel nur arn Rande behandelt. Ihr Bezug zur Röhrn-Krise steht zweifelsohne fest, jedoch spielten sie als Gegner Hitlers wAhrend der Krise nicht die entscheidende, gestaltende Rolle. Gespräche mit Kunrat von Hammerstein und Ludwig von Hammerstein arn 8.8.1989. - Siehe zu Wilhebn Adams kritischer Haltung zum Nationalsozialismus bei Anton Hoch und Hermann Weiß: Die Erinnerungen des Generalobersten Wilhebn Adam, in Miscellanea: Festschrift filr Hebnut Krausnick zum 75. Geburtstag. Herausgegeben von Wolfgang Benz. Stuttgart 1980, S. 43f. 344 Es existiert noch keine wissenschaftliche Biographie über Wemer von BIomberg.

345 Gespräch mit Gabrie\e von BIomberg, BIombergs Enkel arn 10.3.1990 - Bracher/Sauer/Schulz, S. 713f. - K1aus-Jürgen Müller, Das Heer und Hitler, S. 49ff. 346 Institut filr Zeitgeschichte München, ZS 66, Heinrici, S. 179f. - Waldemar Erfurth: Die Geschichte des deutschen Generalstabes von 1918-1945. (Studien zur Geschichte des Zweiten Weltkrieges Bd. 1), Göttingen/BerlinlFrankfurt 1957, S. 118f. - Die nAheren Umstände sind noch nicht ausreichend geklArt, zumal sich Heinrici und Erfurth nur auf Aussagen BIombergs stützen können.

347 Gespräch mit Gabriele von BIomberg arn 10.3.1990.

I. Der Machtkampfzwischen Reichswehr und SA im Jahre 1933

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kunftsmöglichkeiten bot. Er habe sich dem Nationalsozialismus verschrieben, weil er gefunden habe, daß der Kern dieser Bewegung richtig war. 348 BIombergs Einstellung zur SA durchlief mehrere Phasen. Einmal war während der ersten Phase der "Machtergreifung" seine wenigstens abwartende, in einzelnen Punkten sogar positive Haltung zur SA gewährleistet, solange Hitler die SA unterstützte. 349 Zum anderen setzte sich BIomberg am 3.2.1933 während einer Befehlshaberbesprechung für die "Wehrhaftmachung" ein. 35o Diese jedoch konnte nur durch das Heranziehen des riesigen SA-Potentials an die Armee gewährleistet werden. Auf diesen Zusammenhang konzentrierte sich BIombergs lang anhaltendes moderates Handeln. 351 Aber auch während dieser Phase blieb BIomberg ein entschiedener Vertreter des Waffenmonopols der Armee. 352 Als dieses mit Beginn des Jahres 1934 durch die SA verstärkt in Frage gestellt wurde, präsentierte er sich als entschiedener SA-Gegner, ohne allerdings - wie schon 1933 - mit Röhm im Stile Reichenaus konzeptionell weiter zu verhandeln. 353 Walter von Reichenau wurde am 30. Januar 1933 Nachfolger Kurt von Bredows als Chef des Ministeramtes. Er repräsentierte den entschlossenen, karriereorientierten Willensmenschen, der mit seinem Bestreben, der Reichswehr und damit auch sich selbst neue Macht im nationalsozialistischen Deutschland zu verschaffen, das Militär in zunehmende Abhängigkeit zum neuen Staate brachte. 354 Erst dann, in zweiter Hinsicht, ist seine zweckorientierte, offene Sympathie für die nationalsozialistische Ideologie festzustellen. Er stand dem Nationalsozialismus positiv gegenüber, aber nicht ideologisch, sondern

348 Freiburger Militärarchiv, NI BIomberg, N 5217, Niederschrift BIombergs Ober seine Einstellung zu Adolf Hitler und den Nationalsozialismus, gefertigt filr den Internationalen Militärgerichtshof NOmberg. November 1945. - Der einfache SA-Landser nannte BIomberg "Hitler-Junge". Gespräch mit dem SA-Mann Udo K1ausa am 3.9.1989. 349 Freiburger Militärarchiv, NI BIomberg, N 5217, Niederschrift BIomberg ober seine Einstellung zu AdolfHitler. Hier filhrt BIomberg aus: "Hitlers abwartende Haltung war nicht von außen her zu

beeinflussen ".

350 Institut filr Zeitgeschichte MOnchen, Liebmann-Aufzeichnungen, Notizen Ober die Befehlshaberbesprechung am 3.2.1933, S. 205f 351 Vgl. Kapitel C. 3a. - BIomberg gab noch im Oktober 1933 die Weisung, die Zusanunenarbeit mit der SA auf örtlicher Ebene zu intensivieren. K1aus-JOrgen MOlIer, Das Heer und Hitler, S. 94 und S.107f 352 BIomberg hat sich in mehreren Besprechungen und Verfilgungen filr das Waffenmonopol des Heeres ausgesprochen. Institut filr Zeitgeschichte MOnchen, Liebmann-Aufzeichnungen ober die Befehlshaberbesprechung vom 1. Juni 1933 in Bad Wildungen, S. 225f 353 K1aus-JOrgen MOlIer, Das Heer und Hitler, S. 107f - In einem Gespräch mit BIombergs Enkel Gabrie\e von BIomberg am 10.3.1990 wurde deutlich, daß BIomberg im Gegensatz zu Reichenau Oberhaupt keine eigenstlindige SA-Konzeption besaß und mehr reagierte als agierte. 354 Institut filr Zeitgeschichte MOnchen, ZS 217, Bussche-Ippenburg, S. 8f 6 v. Fallois

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C. Vorgeschichte der Terroraktionen

machtpolitisch kalkulierend. 355 Im Gegensatz zu BIomberg vertrat Reichenau in der SA-Frage radikalere Positionen. Stärker als BIomberg versuchte er, die SA zunächst als eine Hilfstruppe an die Reichswehr heranzuziehen; BIomberg ließ Reichenau zunächst gewähren. 356 Als jedoch Reichenaus Konzeption, durch Einbindung in die Armee die militärpolitischen Ansprüche der SA zu befrieden, kein Erfolg beschieden war, wandelte er sich zu einem entschiedenen Gegner der SA und betrieb während der Röhm-Krise deren Ausschaltung. 357 Zum 1. Oktober 1933 erfolgte ein größeres "Revirement", in dem eine Reihe von Generälen, die politisch als schwierig galten, "verabschiedet" wurden. So wurde der Chef des Truppenamtes, Wilhelm Adam, durch Ludwig Beck ersetzt. 358 Becks Charakter wird als uneigennützig und verantwortungsvoll beschrieben; er sei von spekulativer, nachdenklicher Natur gewesen. 359 Beck hatte schon während des Leipziger Reichswehr-Prozesses 1930 seine Sympathie für die der nationalsozialistischen Konspiration beschuldigten Offiziere seines Artillerie-Regimentes bekundet. 360 HitIers Warnung vor der Vernichtung aller Autorität durch das demokratisch-parlamentarische System, "der Vergiftung des deutschen Volkes mit pazifistischem Denken" und seine Auffassung von einer starken Führerautorität, die den Staat leiten sollte, kam der Auffassung Becks sehr nahe. 361 Becks enge 355 In der frühen Literatur wurde Reichenau unkritisch als "Nationalsozialist" bezeichnet Hermann Foertsch: Schuld und VerbAngnis, Die Fritsch-Krise im FrOhjahr 1938 als Wendepunkt in der Geschichte der nationalsozialistischen Zeit, Stuttgart 1951, S. 31. - Siehe dagegen ausgewogener K1aus-Jürgen Müller, Das Heer und Hitler, S. 52f. 356 V g1. Kapitel C. I. 3 .. 357 Es mag die Überlegung Reichenaus bestanden haben, bis Ende 1933 die Machtansprüche der Reichswehr vorteilhafter mit und ab 1934 ohne die SA durchzusetzen. Siehe zu dieser Überlegung K1aus-Jürgen Müller: Das Heer und Hitler, S. 107ff. und S. 113ff. - In der früheren Literatur behauptet Hermann Mau, Die "Zweite Revolution" - Der 30. Juni 1934, S. 133, daß Reichenau in den entscheidenden Wochen der Krise intensiven Kontakt mit der Parteispitze der NSDAP gehabt habe. 358 Siehe zu Adams politischer Entwicklung im Jahre 1933 Anton Hoch und Hermann Weiß, Die Erinnerungen des Generalobersten Wilhelm Adam, S. 141ff. 359 K1aus-Jürgen Müller, Das Heer und Hitler, S. 222ff., S. 227ff. - Die Grundlage des von ihm vertretenen Standpunkt des Heeres bildete dabei eine stark in der preußischen Geschichte wurzelnde Auffassung von seinem Amt und von Aufgaben und Pflichten des Generalstabes. So orientierte sich seine Amtsauffassung zunAchst noch am Leitbild eines Moltke und eines Schlieffen. 360 Peter Bucher: Der Reichswehr-Prozeß, S. 211ff. - Aufgrund Beeks politischer Einstellung wünschte Groener dessen Verabschiedung, die nur aufgrund der Fürsprachen Hammersteins und Adams verhindert wurde. Vgl. Kunrat von Hammerstein, Spähtrupp, S. 19. 361 Grundsätzlich zu Beeks politischem Denken siehe K1aus-Jürgen Müller: General Ludwig Bect, Studien und Dokumente zur preußisch-militärischen Vorstellung$Welt und Tätigkeit des Generalstabschefs des deutschen Heeres 1933-1938, Boppard am Rhein 1980, S. 29ff. Müller zeigt, daß Beek keinesweg)l ausschließlich ein unpolitischer Offizier war, sondern sehr politisch dachte. - Dagegen steht die Version von Nicholas Reynolds: Beet, Gehorsam und Widerstand, Das Leben des deutschen Generalstabschefs 1935-1938, Wiesbaden und München 1977, S. 68, daß Beeks Grundhaltung

I. Der Machtkampfzwischen Reichswehr und SA im Jahre 1933

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Bindung an die Traditionen des preußisch-deutschen Militärstaates bildete auch die Grundlage für sein Verhältnis zum nationalsozialistischen Staat, zuerst in der Kooperation mit diesem, dann in der Opposition und schließlich im Widerstand. 362 Deshalb begrüßte Beck die nationalsozialistische "Machtergreifung" als den "erste(n) große(n) Lichtblick seit 1918".363 Im nationalsozialistischen Staat kam der Armee "wieder ein alle anderen staatlichen und verfassungsmäßigen Exekutivorgane überragender Rang ZU".364 Er wurde deshalb immer dann aktiv, wenn er die Zwei-Säulen-Theorie Hitlers in Gefahr sah. Das war beim SA-Konflikt der Fall; das zeigte sich auch 1935-36, als er die Position der Armee bedroht sah. Das stand vor allem dann 1938 hinter seiner Opposition gegen den drohenden Krieg, um, wenn auch vergeblich, die Mitbestimmung des Heeres zu sichern. Insofern nahm er gegen die Machtansprüche der SA sofort Stellung, indem er seine Vorstellungen von der Aufrüstung der Armee - zunächst theoretisch, dann praktisch - forcierte. 365 Beck äußerte sich besorgt über die "radikalen Elemente" in der nationalsozialistischen Bewegung, die er als Konkurrenz zur Armee betrachtete. 366 Von einer aktiven Beteiligung Becks während der Terroraktionen am 30. Juni 1934 ist nichts bekannt. Jedoch ließ er gewähren, was andere taten. 367

Am 4.1.1934 mit Wirkung vom 1.2.1934 wurde Werner von Fritsch Nachfolger Kurt von Hammersteins als Chef der Heeresleitung. 368 Fritsch wird als ein unpolitischer und gewissenhafter Charakter beschrieben, der sich im Gegensatz zu BIomberg, Reiclienau und Beck ausschließlich auf seinen militäriletztlich unpolitisch gewesen sei. - Siehe in diesem Zusammenhang zu den Schwierigkeiten einer Biographie ober Beck: K1aus-JOrgen MOlIer: Ludwig Beck. Probleme seiner Biographie, in Militärgeschichtliche Mitteilungen. 11 (1972) S. 167-175. - Zu Hitlers im Prozeß geäußerten Auffassungen ober Staat und Armee siehe Peter Bucher, Der Reichswehrprozeß, S. 268ft: 362 Siehe zu Becks militärpolitischer Lagebeur1eilung im Jahre 1938 K1aus-Jürgen Müller, General Ludwig Beck. S. 272-319. - Michael Geyer, Aufrüstung oder Sicherheit, S. 456ft:

363 Freiburger Militärarchiv, NI Ludwig Beck. N 34121, BriefBecks an Julie S.E. von Gosslar vom 17.03.1933. 364 K1aus-JOrgen Müller, General Ludwig Beck. S. 43. 365 Siehe zu Becks Opposition gegen die SA K1aus-JIlrgen Müller: Reichswehr und "Röhm-Affiire", S. 107-118. - Siehe zu Becks Verhalten 1935/36 Ders., General Ludwig Beck. S.74ft: - Siehe zu Becks Verhalten 1938 Ders., Das Heer und Hitler, S. 345-377. Auf den Zusammenhang zwischen Becks Furcht vor der militärpolitischen Konkurrenz der SA und seiner Vorstellung von einer forcierten Aufrüstung ist noch nicht hingewiesen worden. Michael Geyer: Aufrüstung oder Sicherheit, S. 351ft:, nennt nur Becks AufrüstungsplAne, verhindet sie aber nicht mit seiner Furcht vor der Konkurrenz der

SA

366 Nicholas Reynolds, Beck. S. 37.

367 Vgl. Kapitel D. 11. 2. und 11.3. 368 Kurt von Hammerstein war ein Gegner des nationalsozialistischen Systems und ein Gegner BIombergs dazu. Dieser griff immer hlufiger in den Kompetenzbereich Hammersteins ein. Als Hindenburg ihm eine ehrenvolle Entlassungsurkunde zukommen ließ, zerriß er diese aus Enttäuschung wegen der politischen Entwicklung. Gesprlich mit Kunrat von Hammerstein am 8.8.1989.

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C. Vorgeschichte der T erroraIctionen

schen Beruf konzentrierte. 369 Er wehrte sich zwar gegen Versuche von Seiten der Partei, einen Einfluß auf das Heer auszuüben, jedoch bejahte er grundsätzlich den nationalsozialistischen Staat und meinte, "daß die Grundlage unseres heutigen Heeres nationalsozialistisch ist und sein muß".370 Er war ebenso kompromißlos gegen jeden Parteieinfluß auf das Heer eingestellt371 , wie er trotzdem dem nationalsozialistischen System positiv gegenüber trat. 372 Fritsch begann sofort, von Beck dabei unterstützt, mit der Wiederherstellung des organisatorischen und militärpolitischen Einflusses der Heeresleitung gegenüber dem Reichswehrministerium. 373 In diesem Zusammenhang bemühte er sich, die Aufrüstungspläne zu forcieren. 374 Dabei fällt, bei aller sachlichen Übereinstimmung, der entschiedenere Ton auf, den Fritsch im Gegensatz zu BIomberg auf der Befehlshaberbesprechung gegenüber allen politischen Einflüssen, gegen alle Störungen und gegen alle Pläne der SA führte. 375 Fritschs Bedenken gegen eine Zusammenarbeit resultierten aus der Sorge, militärische Sphäre und Parteisphäre nicht genau zu trennen. 376 An den Aktionen der Reichswehr während der Tage des Terrors war er nicht unbeteiligt. 377

369 GesprAch mit Johann AdolfGrafvon Kielmansegg am 21.3.1990. 370 Friedrich Hossbach, Zwischen Wehrmacht und Hitler, S. 70. Dieses Außerte Fritsch noch am 1. Februar 1938. 371 In seinem Bestreben, jede Politik vom Heer fernzuhalten, kann Fritsch als ein Nachfolger Seeckts angesehen werden, in den individuellen Auseinandersetzungen mit der Politik differierte ihr Interesse allerdings vollstandig. - K1aus-JOrgen MOlIer, Annee und Drittes Reich, S. 33., schreibt:

HFritsch Politik war die betont konservativ akzentuierte. restriktive Version der Kooperation der Milittir-Elite mit den Nationalsozialisten ".

372 Ebenda, S. 34. Hier schreibt MOlIer: "Fritsch und seine AnhlJnger stellten mehr die KontinuiUit der alten junkerlichen WertvorsteUungen in einer gewandelten Umwelt dar, seine Gegenspieler im Ministerium ver,",rperten eher die KontinuittJt milittJrischer Machtpolitik". Aber dieses Urteil verkennt, daß es auch Fritsch mit seinem Versuch, die Hzweite StJule H Armee von der Politik fernzuhalten, darum ging, das Heer als Machtpotential im neuen Staat zu erhalten. 373 Friedrich Hossbach, Zwischen Wehrmacht und Hitler, S. 69ff. - Gesprich mit Johann Adolf Grafvon Kielmannsegg am 21.3.1990.

374 Siehe dazu Michael Geyer, Aufiilstung oder Sicherheit, S. 336. 375 Friedrich Hossbach, Zwischen Wehrmacht und Hitler, S. 68ff. Hier fUhrt Fritsch aus: "Die Partei sieht in mir nicht nur den Mann. der sich dem Machtstreben der SA entgegenwaif, sondern auch den Mann, der sich dem Eindringen parteipalitischer Maximen im Heere entgegenzu-stemmen suchte". 376 Siehe seine AufZeichnungen vom 1.2.1938. Ebenda, S. 70. 377 Johann AdolfGrafvon Kielmannsegg, Der Fritschprozess 1938, S. 27, meint, Fritschs Rolle sei

"sicher keine treibende und keine ausltJsende" gewesen. Dagegen sprechen allerdings die im Frei-

burger MilitArarchiv von K1aus-JOrgen MOller gefundenen Quellen, Reichswehr und Röhm-AfBre, S. 107-145. - Schon Heinrich Bennecke, Die Reichswehr und der "Röhm-Putsch", S. 61f., hatte geschrieben, daß Anweisungen der Truppen zur Abwehr eines Angriffes der SA vom Chef der Heeresleitung gegeben worden seien.

I. Der Machtkarnpfzwischen Reichswehr und SA im Jahre 1933

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Paul von Hindenburg besaß als Reichspräsident den Oberbefehl über das Heer; daher kommt seiner Person und seinem Verhalten während der RöhmKrise eine besondere Bedeutung zu. 378 Der als mißtrauisch, korrekt und politisch unbeweglich beschriebene Hindenburg379 begrüßte das nationalsozialistische System deshalb, weil es kombiniert mit der Rückbesinnung auf das alte Preußen "Parteienzank" beenden und die "nationale(r) Selbstbesinnung" erneuern werde. 380 Er sympathisierte nicht wie BIomberg mit der nationalsozialistischen Ideologie, sondern wollte die Wiedergewinnung der oben aufgeführten partiellen Übereinstimmungen (autoritärer Staat und Wehrhaftmachung), welche er durch die neue Staatsfiihrung gewährleistet sah. 381 Als ein Störungspotential betrachtete Hindenburg die gewalttätigen Aktionen der SA. Schon dem von Groener initiierten SA-Verbot stimmte er ZU382; später hat er sich bei Hitler über die Gewaltaktionen beschwert. 383

378 Über seine Einstellung zum Nationalsozialismus gibt die Literatur ausreichend Auskunft. Als Beispiel siehe Joachim C. Fest, Hitler, S. 555ff. und S. 563f. Bracher/Sauer/Schulz, S. 710ff. Apologetisch, aber mit wichtigem Dokumententeil Walther Hubatsch: Hindenburg und der Staat. Aus den Papieren des Generalfeldmarschalls und Reichs-prisidenten von 1878 bis 1934, Göttingen 1966, S. 138ff. 379 Siehe zur Charakterisierung Hindenbur~ den durch persönliche Erinnerungen angereicherten Aufsatz von Theodor Eschenburg: Die Rolle der Persönlichkeit in der Krise der Weimarer Republik.

Hindenburg, Brilning, Groener, Schleicher, in: Vierteljahrshefte flIr Zeitgeschichte 1961, S. Iff. Er urteilt (S. 6): "In seiner patriarchalischen, autoritären Vorstellungswelt fehlte ihm das Verständnis

fiJ.r die politische Dynamik demokratischer Ordnung, fiJ.r das politische KräftegefiJ.hl und spiel, obwohl er schon ein Gespür fiJ.r Machtverhältnilse hatte". - In seiner Autobiographie Generalfeld-

marschall von Hindenburg: Aus meinem Leben, Illustrierte Volksausgabe, Leipzig 1934, S. 156, urteilt Hindenburg aber seine politische Antipathie: "Betätigung innerhalb der Gegenwartspolitik

widersprach meinen Neigungen. Vielleicht war hierfUr mein Hang zur politischen Kritik zu schwach, vielleicht auch mein soldatisches GefiJ.hl zu stark entwickelt".

380 Hindenburg flIhrte in seiner Ansprache bei der feierlichen Eröffuung des Reichstages in der Potsdamer Garnisonskirche (21. MAn 1933) aus: "Moge der alte Geist dieser Ruhmesstätte auch

das heutige Geschlecht beseelen, moge er uns freimachen von Eigensucht und Parteienzank und uns in nationaler Selbstbelinnung seelischer Erneuerung zUlammenfiJ.hren zum Segen eines in sich geeinten, freien, stolzen Deutschland w• Abgedruckt als Dokument 107 in Walther Hubatsch, Hindenburg und der Staat, S. 374.

381 Ebenda, S. 138ff. - Freiburger Milit1rarclhiv, NI Groener, N 46/37. Groener schreibt Hindenburg am 1. November 1923 und erleutert Hindenbur~ Grundeinstellung: "Euer Exzellenz haben in Ihren gQtigen Zeilen vom 11. Oktober Ihrer Hoffnung Ausdruck gegeben, daß der

Parlamentarismus ein baldiges Ende nehmen mOChte, und daß Sie das einzige Heil in der Wiederkehr alter Zucht und Ordnung erblicken ".

382 Akten der Reichskanzlei, herausgegeben von Karl Dietrich Erdmann, Bd. 3 (Die Kabinette Brilning I und 11), S. 2433ff., Nr. 716 und S.2437ff., Nr. 717. - Diese Dokumente widerlegen ausdr1lcklich die Auffassung von John W. Wheeler-Bennett, Die Nemesis der Macht, S. 261, daß Hindenburg gezögert habe, das SA-Verbot anzunehmen. 383 Hindenburg flIhrte wAhrend einer Besprechung mit Hitler am 13. August 1932 aus: "Gegen etwaige Terror- und Gewaltakte, die leider auch von Mitgliedern der SA-Abteilungen verabt worden sind, werde ich mit aller Schärft einschreiten". Abgedruckt als Dokument 88 in Walther Hubatsch, Hindenburg und der Staat, S. 339.

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C. Vorgeschichte der Terroraktionen

Insofern begrüßte er das blutige Ende der Röhm-Krise und die Ausschaltung der SA-Spitze. 384 Die biographischen Ausfiihrungen ergeben drei thematische Schwerpunkte. Einmal begrüßten die für die Röhm-Krise entscheidenden Offiziere den Beginn des nationalsozialistischen Staates. In der Akzentuierung ihrer Zustimmung unterschiedlich, war ihnen doch die Vorstellung gemeinsam, die partiellen Übereinstimmungen gerade im nationalsozialistischen Staat verwirklichen zu können. Zum anderen aber wuchs die SA zur militärpolitischen Konkurrenz heran; diese wirkte sich besonders nachhaltig aus in einem Staat, der nur mit einer Berufsgruppe die partiellen Übereinstimmungen teilen konnte. Daher schließlich halfen alle fiinf Offiziere mit - wenn auch, wie zu zeigen sein wird, aus unterschiedlichem Kalkül -, ihre militärpolitische Konkurrenz auszuschalten. Zuvor jedoch hatte sich die Reichswehrfiihrung im Jahre 1933 noch um eine Zusammenarbeit mit der SA bemüht.

3. Die Beziehungen zwischen Reichswehr und &4 im Jahre 1933

Bereits während der ersten Jahreshälfte 1933 vergrößerten sich die Kontakte zwischen Reichswehr und SA. Dabei hatte es sich zunächst vorwiegend um eine Zusammenarbeit auf unterer Ebene gehandelt. SA-Männer wurden von Reichswehroffizieren als militärische Reserveeinheiten ausgebildet. 385 Mitte des Jahres änderten sich einige Voraussetzungen der Beziehungen. Zum einen erklärte Hitler wiederholt, daß die gewalttätige Phase der Revolution durch eine evolutionäre abzulösen sei; diese Aufgabe müsse die SA übernehmen. 386

384 Siehe dazu die Äußerungen von 0U0 Meissner, der zu jener Zeit StaatssekretAr und persönlicher vertrauter Hindenburgll gewesen war. Otto Meissner: Staatssekretlr unter Ebert, Hindenburg, Hitler, Hamburg 1950, S. 368: 'Trotz seines Unwillens über die Gewaltmethoden empfand er die

Beseitigung des ihm von Anfang an unsympathischen. nach der Führung in der Wehrmacht strebenden RtJhm und seiner homosexuellen Gefolgschaft als eine Entlastungfilr Deutschland". 385 Vgl. Kapitel C.I. 3. Arunerkung340 ..

386 So filhrte Hitler wllhrend einer Tagung der höheren SS- und SA-FQhrer vom 1. bis 3. Juli 1933 in Bad Reichenhall aus: "Zwei Arten von Revolutionen kennt die Geschichte: Solche der Ideen und

solche der bloßen Gewalt. (. ..) Nur dann ktJnnen Revolutionen als gelungen angesehen werden. wenn sie neben ihren TriJgern auch der Zeit den Stempel ihres Geistes und ihrer Erkenntnisse aujpriJgen. (. ..) Das ist die vornehmste Aufgabe der SA.-Führung. Die SA.-Führer müssen eine Garde bilden. die unerschünerlicher TriJger unserer Gedankenwelt ist, damit von hier aus das ganze Volk dann durchdrungen werden kann". Schulthess Europäischer Geschichtskalender 1933, S. 167f. - Auf einer Konferenz der Reichsstattha1ter am 6. Juli 1933 wird Hitlers Rede folgendennaßen wiedergegeben: "Die Revolution sei kein permanenter Zustand. sie dürft sich nicht zu einem Dauerzustand ausbilden. Man müsse denfreigewordenen Strom der Revolution in das sichere Ben der Evolution hinübergeleiten". Ebenda, S. 170.

I. Der Machtkampfzwischen Reichswehr und SA im Jahre 1933

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Er ließ die SA-Führung über den genauen Inhalt dieser Aufgabe jedoch im unklaren, betonte gleichwohl, daß der Armee das Waffenmonopol des Reiches gebühre. 387 Die SA stand Mitte des Jahres 1933 mit dem von Hitler erklärten Abschluß der gewalttätigen Phase der "Machtergreifung" vor einer inhaltlichen Neuorientierung. Zum anderen war die SA Mitte des Jahres 1933 zu einem sehr großen militärischen Apparat angewachsen. Am 20. März 1933 hatte Röhm veranlaßt, daß die SA praktisch unbegrenzt neue Mitglieder aufnehmen konnte. 388 Er stellte fest, daß nicht nur "kein vaterländisch gesinnter deutscher Mann"389 auf den Eintritt in die SA zu verzichten brauche, sondern es sollten auch ehemalige Gegner des Nationalsozialismus den Eintritt in die SA erhalten. Zu den bereits vorhandenen 700.000 Mitgliedern der SA kam demnach der durch den Röhm-Erlaß erleichterte Zugang an neuen Mitgliedern und vor allen Dingen die Eingliederung des über eine Million Männer zählenden "StahIhelms".390 Insofern müssen bei der Analyse der Beziehungen zwischen Reichswehr und SA im Jahre 1933 diese zwei Faktoren - auf der einen Seite die ungeklärte Aufgabenverteilung und auf der anderen ein vergrößertes .wehrpolitisches Potential der SA - berücksichtigt werden. Die Reichswehrfiihrung versuchte ihrerseits den oben beschriebenen partiellen Übereinstimmungen und ihrem Anspruch, eine politische Elite zu sein, durch Loyalitätsbekundungen zum nationalsozialistischen Staat näherzukommen. 391 Diese Loyalitätsbekundungen wurden durch die militärpolitische

387 Auf der Konferenz vom 1. bis 3. Juli in Bad Reichenhall urteilt Hitler über die SA und das Heer: "Dieses Heer politischer Soldaten der deutschen Revolution will niemals unser Heer ersetzen oder in Konkurrenz zu ihm treten. Das Reichsheer allein ist WaffentrlJger der Nation". Ebenda, S. 168. 388 Berlin Document Center, Rs 414/15, BI. 35. Der Osaf, Verfilgung betriffi Aufuahme in die SA, 20.3.1933. (Abschrift). 389 Ebenda. 390 Siehe zur Mitgliederzahl die Angaben in Bracher/Sauer/Schulz, S. 890f. und Mathilde Jarnin, Zur Rolle der SA im nationalsozialistischen Hemchaftssystem, S. 333f. - Zum Hintergrund der Stahlhelm-Auflösung siehe Volker R. Bergbahn, Der Stahlhelm, S. 266ff. Bergbahn sieht den ersten Schritt zur organisatorischen Auflösung des Stahlhelms nach dem Treffen des Stahlhe1mfilhrer Seldte mit Hitler am 21. Juni 1933. WAhrend der Tagung in Bad Reichenhall wurde die Auflösung öffentlich verkündet und anschließend vollzogen. (Vgl. Schulthess Europlischer Geschichtskalender 1933, S. 168.) Bergbahn erwlhnt allerdings nicht die Waffenpotentiale, die die SA durch die Eingliederung des Stahlhelms erhalten sollte. 391 Institut filr Zeitgeschichte München, Liebmann-Aufzeichnungen über die Befehlshaberbesprechung am 1. Juni 1933 in Bad Wildungen, S. 225f. Hier filhrte BIomberg aus: "Jetzt ist das Unpolitischsein vorbei und es bleibt nur eins: der nationalen Bewegung mit aller Hingabe zu dienen". -In einer Rede vor der Truppe am 6. September 1933 sagte BIomberg: "Was geben wir? Nun,

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C. Vorgeschichte der Terroraktionen

Konkurrenz der SA noch gesteigert. Bisher hatte sich die ReichswehrfUhrung in ihrer Politik gegenüber dem System weitgehend neutral verhalten; jetzt wandelte sich dieses Vorgehen zu einer offenen Bündnispolitik. 392 Trotz Sympathieäußerungen Hitlers und seinen Ausführungen über ihre zukünftige Aufgabenverteilung kann jedoch nicht die Rede davon sein, daß die Reichswehr Mitte des Jahres 1933 ihre inhaltliche Bestimmung und Zielsetzung gefunden habe. 393 Daher trafen - und auch dieser Hintergrund ist für die Analyse des Machtkampfes wichtig - mit der SA und der Reichswehr zwei Organisationen aufeinander, die aus unterschiedlichen Motiven heraus ihre neue gesellschaftspolitische und inhaltliche Ausrichtung noch ausbauen oder sogar erst finden mußten. Hauptsächlich sieben Sachfragen fiihrten zur Zusammenarbeit zwischen Reichswehr und SA. 1. Konnte die Reichswehr bei einem Teil der SA eine geringfiigige und kurzfristige Ausbildung halbmilitärischer Art durchfUhren (Kurzausbildung)? 2. Konnte die SA der Reichswehr in großem Stil eine vormilitärische Ausbildung abnehmen (SA-Ausbildung)? 3. Konnte die SA den Grenzschutz verstärken (Grenzschutzfrage)? 4. Konnte die SA für einen Mobilmachungsfall bereits jetzt personell eingeplant werden (M-Fall)? 5. Kam eine Übernahme von SA-Führern in die Reichswehr in Frage (Führerfrage)? 6. Sollte die SA im Hinblick auf solche nebenmilitärische Aufgaben Waffen erhalten (Waffenfrage)? 7. Welche Rolle sollte die SA in dem für die Aufrüstung noch zu bestimmenden Wehrsystem spielen (Wehrsystem)? Im Sommer 1933 war die Frage des Wehrsystems noch nicht aktuell. M-Fall, Führer- und Waffenfrage berührten sich zunächst lediglich beim Grenzschutz. Dessen Stellung blieb ungeklärt, während man wenigstens anfangs bei der Kurzausbildung und später bei der SA-Ausbildung zu einer Zu-

wir geben unser vollstes Vertrauen, TÜckhaltlose Zuverlässigkeit, unerschütterliche Hingabe an unseren Beruf und Entschluß, in diesem neuen, neugeformten und neudurchbluteten Reich zu leben, zu arbeiten und, wenn nötig, zu sterben". Rede des Reichswehnninisters bei einer in Anwesenheit Hitlers stattfmdenden Trup-penbesichtigung in Uhn am 6. September 1933. Rede abgedruckt in K1aus-Jürgen Müller, Annee und Drittes Reich, Dokument 28, S. 162. 392 Diese wichtige Akzentverschiebung erkennen Bracher/Sauer/Schulz, S. 710ff., nicht. die nur die indirekte Hilfestellung sehen, die die Reichswehrfilhrung Hitler bei der "Revolutionierung" des Staates geleistet hat. - K1aus-Jürgen Müller, Annee, Politik und Gesellschaft in Deutschland, S. 33ff., unterscheidet im Rahmen der offenen Bündnispolitik zwischen der HeeresfUhrung, die dazu neigte, "diese Koalition mit den Nationalsozialisten eher restriktiv zu definieren", und der Wehrmachtfllhrung, die "diese Kooperation und Kollaboration ohne allzu große Rücksicht auf traditionelle Werte und Verhaltensweisen durchjilhren" wollte. 393 Michael Geyer, Aufrüstung oder Sicherheit. S. 311ff. Geyer fUhrt hier aus, daß im Reichswehnninisterium Mitte 1933 die Entscheidung noch nicht gefallen war, welche zukünftige Wehrstruktur Deutschland erhalten sollte.

I. Der Machtkarnpfzwischen Reichswehr und SA im Jahre 1933

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sammenarbeit kam. 394 Hierzu besaß Reichenau auf der Seite der Reichswehrfiihrung ein ausführliches Konzept von einer Einbindung von SA-Männern in die Arbeit der Annee. Reichenaus Plan395 zufolge sollte die Reichswehr als Elitearmee auf freiwilliger Basis aufgebaut werden, während die Wehrpflichtigen ihre Dienstzeit in einer Volksmiliz nach Schweizer Vorbild ableisten sollten. Diese Volksmiliz sollte aus einer Verschmelzung der SA mit der bisherigen Grenzschutzorganisation gebildet werden. Reichenau führt dazu aus: "Und hier sehe ich nun die staatspolitische Aufgabe der SA als den militanten Teil der Partei. Die SA soll Träger des Milizgedankens und damit des Gedankens der Landesverteidigung durch den Einzelnen sein. Ich hoffe, dass wir die sicherlich zum größten Teil sehr brauchbaren SA-Leute auf diesem Wege einer positiven Arbeit im Staatsinteresse zuführen und von ihrer "Rabaukeneinstellung" lösen können. Gelingt dies nicht, werden wir noch mit großen Schwierigkeiten zu rechnen haben".396 Reichenaus Absicht war es also, einerseits die im Vergleich zur Annee an Mitgliedern stärkere SA an militärpolitischen Aufgaben der Annee (Landesverteidigung bzw. Grenzschutz) zu beteiligen. 397 Seine Idee von einer Volksmiliz waren hierbei den Vorstellungen Röhrns von einer Miliz ähnlich. Der Unterschied bestand jedoch darin, daß Reichenaus Vorstellungen von einer Volksmiliz lediglich ein militärtheoretisches Konstrukt ohne Aussicht auf vollständige Realisierung bildeten, während Röhm seine Milizideen in jedem Fall praktisch durchsetzen wollte. 398 Reichenau wollte Möglichkeiten aufzeigen, die SA zu beschäftigen; Röhm wollte die SA an die Stelle der Annee setzen. Reichenaus Absicht war es andererseits, den "militanten Teil der Partei" 394 Über die Anflnge der Kurzausbildung der SA-MAnner arn Begirm des nationalsozialistischen Systems vgl. Kapitel C. I. 3. 395 Über Reichenaus Plan siehe Bracher/Sauer/Schulz, S. 890ff. - K1aus-JÜfgen MOlIer, Das Heer und Hitler, S. 92f. MOller weist daraufhin, daß BIomberg ebenso wie Reichenau eine treibende Kraft in der ZusammenarlJeit mit der SA gewesen sei. Hier ist entgegenzuhalten, daß BIomberg außer einigen Verfllgungen und Ansprachen kein militlirisches Konzept zur Einbindung der SA in die Aufgaben der Reichswehr besessen hat 396 Institut filr Zeitgeschichte MOnchen, ZS 44, Gaertner, S. 4. Nach Angaben Gaertners fand das GesprAch mit Reichenau im November 1933 statt. 397 K1aus-JOrgen MOlIer, Das Heer und Hitler, S. 95, Anmerkung 32, urteih in diesem Sinne: ''Die ganze Politik der Reichswehifilhrung beruhte doch gerade darauf, "die guten" - die d.h. die zur Mitarbeit an der Landesverteidigung unter der Leitung der Reichswehr bereiten - ''Elemente'' heranzuziehen '~ 398 Vgl. Kapitel B. 11. 2. - Vgl. zu Röhms Milizgedanken auch Heinz Höhne, Mordsache Röhm, S. 173ff. - Reichenaus Gedanken von einer SA-VoIksmiIiz, die er Ende des Jahres wiederholt besaßen keine Chancen auf Realisierung. Deshalb mag Reichenau den Gedanken von einer SA-VoIksmiliz lediglich filr eine miliürplitische "Beschwichtigung" Röhrns benutzt haben. - Eine Ausnahme, die allerdings nie realisiert wurde, bildete Reichenaus Erlaß ''Richtlinien ftJ.r die vormilitärische Ausbildung", in denen es hieß: "Die künftige deutsche Wehrmacht wird eine Wehrmacht mit überwiegend kurzfristiger Ausbildung sein". Freiburger MilitArarchiv, RH 12-5/v.7. - RWM 533/33., Geh. Kdos. T 4111, 27.7.1933., Richtlinien filr die vormilitärische Ausbildung. (Jugend-, Gelinde- und SA-Sport).

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c. Vorgeschichte der Terroraktionen

durch die Einbindung in die Reichswehr zu befrieden. Eine nicht befriedete SA hätte zu unübersehbaren innenpolitischen Problemen fUhren können. Die Schwierigkeiten die sich hierbei ergaben, wenn sein Plan scheitern würde, hat er bereits gesehen. Auf der Konferenz von Bad Reichenhall wurden die Fragen der zukünftigen SA-Ausbildung zwischen Bitler, Röhrn und Reichenau vorläufig geregelt. Vorn 1. Oktober 1933 an sollten in über 200 sogenannten SA-Sportschulen jährlich 250.000 SA-Männer eine vormilitärische Ausbildung erhalten. Diese Maßnahme war schon deshalb bedeutsam, weil diese Organisation die doppelte Größe der Reichswehr haben sollte. Der SA wurde aufgetragen, sich im Interesse der geplanten Wiederaufrüstung stärker in die vormilitärische Ausbildung einzuschalten. Das zu diesem Zweck 1932 geschaffene Reichskuratorium fiir die Jugendertüchtigung wurde aufgelöst und an dessen Stelle ein Amt fiir Ausbildungswesen gegründet. 399 Als Chef des Ausbildungswesen wurde der Obergruppenfiihrer Friedrich-Wilhelm Krüger ernannt. 400 Krüger erhielt von Bitler den Auftrag, innerhalb eines Jahres 250.000 SA-Führer und -Männer so auszubilden. daß sie der Reichswehr im Verteidigungsfall zur Verfiigung ständen. 401 Allerdings stand dem "Chef AW" Krüger das Ministeramt des Reichswehrrninisteriurns vor; Reichenau behielt demnach - wenigstens formal - die Kontrolle über das angestrebte Ausbildungsvorhaben. 402 Zudem erließ Bitler arn 1. Juli 1933 Weisungen fiir die Vorbereitung der Reichsverteidigung; auch die SA sollte an der Grenzschutz-Organisation beteiligt werden. 403 Hauptsächlich betraf das die SA-Einheiten an der östlichen Grenze Deutschlands, die damit Zugang zu den Grenzschutz-Waffenlagern erhielten und durch das Grenzschutz-Personal der Reichswehr ausgebildet wurden. Genauere Angaben haben Bitler und

399 Bracher/Sauer/Schulz, S. 888. 400 SA-Obergruppenfllhrer Krilger in einer Aktennotiz vom S. Juli 1933; Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen MiliUrgerichtshofNOmberg. 14. November 1945 bis 1. Oktober 1946, NOmberg 1947, Bd. 29 (zitiert als IMT), S. 3. 401 Ebenda. Außerdem erhieh Krilger noch die Leitung des studentischen Wehrsports Obertragen. Röhm filhrt in seiner Rede wAhrend der Tagung aus: ''Die &4. SS und der Stahlhelm seien (. ..) im

Inneren die Garanten der deutschen Revolution und gleichzeitig die große Schule für die deutsche Jugend zur Erziehung in wehrhaftem und natsoz. (siel) Geist". Schuhhess Europäischer Geschichtskalender 1933, S. 167. - Vgl. auch Institut filr Zeitgeschichte MOnehen, LiebmannAu1Zeichnungen ober die Befehlshaberbesprechung am 1. Juni 1933 in Bad Wildungen, S. 22St: In Bad Wildungen erläutert BIomberg die Dringlichkeit der Reserveausbildung. "In den nachsten

Jahren wird die Wehrmacht rollig in der Aufgabe auftugehen haben. die Reserven zu schaffen. die uns bisher zu schaffen nicht m6glich waren".

402 Robert 1. O'Neill: Tbe German Anny and the Nazi Party 1933-1939. London 1966, S. 33t: O'Neills Meinung. daß durch die Bad Reichenhaller BeschlOsse die SA auf die gleiche Ebene wie die Reichswehr gehoben worden sei, kann daher nicht zugestimmt werden. 403 IMT, SA-Obergruppenfilhrer Krilger in einer Aktennotiz vom S. Juli 1933.

I. Der Machtkampfzwischen Reichswehr und SA im Jahre 1933

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Reichswehrrninisteriurn zur Grenzschutzbeteiligung zunächst jedoch nicht gemacht. Zwei Prozesse ergaben sich aus diesen Bestimmungen, die auf das weitere Verhältnis zwischen Reichswehr, SA und Hitler wirken sollten. Einmal war die Reichswehrführung bestrebt, die totale "Wehrhaftmachung" der Nation zu erreichen. Mit dem Einbinden eines Teiles der SA in den Aufgabenbereich der Reichswehr sollten in diesem Sinne viele junge Männer beschäftigt werden. 404 Der Milizgedanke Reichenaus steht hierfür als Ausdruck fiir den Wunsch nach "Wehrhaftmachung". In einer wenig beachteten Denkschrift vom 27. Juli 1933 ("Richtlinien fiir die vormilitärische Ausbildung") konkretisierte Reichenau seine Vorstellungen. Die Aufgabe der vormilitärischen Ausbildung sei es, den "modemen Soldaten" heranzuziehen, ohne den die Reichswehr ihre Aufgabe nicht erfüllen könne. Dieser Soldat unterscheide sich dadurch von der alten Fonn des Soldatenturns, daß ihm die militärischen Tugenden des "freiwilligen Einsatzes, der Opferbereitschaft und des Kampfgeistes" bereits vor der Übernahme in das Heer indoktriniert würden. Diese Ausbildung solle die SA übernehmen. Die Denkschrift fand in dieser Fonn keine Verwirklichung. 405 Gleichzeitig ist auch Röhms Bestreben erkennbar, sich innerhalb des entstehenden militärischen Herrschaftsbereiches wichtige Einflußzonen zu erkämpfen. Hierbei mag auch der Gedanke eine Rolle gespielt haben, der SA mit dem Ausklang der radikalen Phase der Revolution neue Aufgabenbereiche zu sichern; Röhm hat auf den bleibenden und auch wachsenden Machtanspruch der SA hingewiesen. 406 Der Hintergrund dieses Machtanspruches bestand auch in der unbefriedigenden, in vielen Detailfragen ungeklärten Beschäftigungslage vieler SA-Männer.401 Röhms Hineindrängen in neue Aufgabenbereiche kann daher als Versuch zur Beruhigung vieler beschäftigungsloser SA-Männer gedient haben. Die Unsicherheiten, die sich in der zweiten Jahreshälfte 1933 in der Zusammenarbeit zwischen Reichswehr und SA ergaben, lagen einmal an den 404 Die "Wehrhaftmachung" war, wie oben aufgezeigt wurde, schon während der Zeit der Weimarer Republik ein Hauptbestandteil zukünftiger MilitArpolitik der Reichswehr. 405 Freiburger Militlirarchiv, RH 12-5/v. 7 - RWM 533133, vom 27.7.1933. 406 Ernst Röhm: SA und deutsche Revolution, S. 253. "Dieses Ziel (ein nationalsozialistisches Deutschland. J. v.F.) ist noch längst nicht e"eicht. Und solange das wirkliche nationalsozialistische Deutschland noch der Erfüllung harrt, Mrt der erbitterte, leidenschaftliche Kampf der SA und SS nicht auf". 401 Siehe zu den Problemen der SA-Beschäftigun~litik nach Abschluß der ersten Phase der "Machtergreifung" Peter Longerich, Die braunen Bataillone, S. 188tr. - Über die Schwierigkeiten der SA-Mlinner nach der ersten Phase der "Machtergreifung" filhrt der SA-Roman von Fritz Stelmer, Schicksal SA, S. 186f., aus: "Filr den Kampf der SA waren keine Bilrger zu gebrauchen. Landsknechte, Idealisten, Menschen voller Unruhe, ewige Soldaten, haben ihn ausgefochten. Ihr unruhiges Blutfließtauchjetzt noch in der SA. Kann es so schnell zur Ruhe kommen?"

C. Vorgeschichte der Terroraktionen

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nicht geregelten militärischen Fragen. Nur in der SA-Ausbildung bestanden genaue Absprachen. Zum anderen legte BIomberg in der Waffenfrage schon im Sommer 1933 den absoluten unverrückbaren Monopolanspruch der Reichswehr fest. 408 Mit dieser prinzipiellen Festlegung der Waffenfrage gab BIomberg der SA kaum Möglichkeiten, als militärpolitischer "Partner" aufzutreten409 . Reichenaus gesamte SA-Konzeptionen besaßen deshalb schon frühzeitig wenig Chancen, in die Praxis umgesetzt zu werden. Hat Blomberg ernsthaft die zwischenzeitliche Kooperation mit der SA gewollt? Diese Frage muß auch deshalb gestellt werden, weil er die Finanzierung der SA-Ausbildung Krügers aus dem Haushalt des Reichswehrministeriums nicht unterstützte. 4\O Reichenau besaß einen engen Handlungsspielraum: Seine langsame Befriedung der SA-Männer durch Einbindung in Aufgabenbereiche des Heeres wurde von dem Reichswehrministerium kaum unterstützt. Reichenaus Warnung, daß "wir noch mit großen Schwierigkeiten zu rechnen haben"411, kann daher auch in diese Richtung gezielt haben. Es gab jedoch noch weitere Gründe für die schlechter werdende Beziehung zwischen Reichswehr und SA. Zwar funktionierte anfangs die Arbeit in Krügers Ausbildungslagem. Aber neben der fehlenden militärischen Ausbildung vieler SA-Männer412 kam hinzu, daß im Herbst 1933 über sechzig Prozent der jungen Truppenoffiziere in der vormilitärischen Ausbildung tätig waren und damit die Funktionstüchtigkeit der Reichswehr beeinträchtigten. 413 Die Zusammenarbeit im Grenzschutzbereich funktionierte nicht: Auf der einen Seite 408 Institut tbr Zeitgeschichte MOnchen, Liebmann-Aufzeichnungen Ober die Befehlshaberbesprechung vorn 1. Juni 1933 in Bad Wildungen, S. 22Sf. Blornberg sagte auf dieser Befehlshaberbesprechung in Bad Wildungen: "Von dem Prinzip. daß alle Waffen der Wehrmacht gehören. darf um keinen Finger breit abgewichen werden". Ein Grund tbr die ungeldlirte Grenzschutz-Frage mag auch das Verlangen der Reichswehrtbhrung gewesen sein, die Waffenfrage zunAchst eindeutig geregelt zu wissen. Waffen jedoch hAtte die SA bei einer starken Beteiligung am Grenzschutz von der Reichswehr erhalten mOssen. 409 Institut tbr Zeitgeschichte MOnchen, Fretter Pico: Denkschrift Verhältnis Wehrmacht und Partei. ohne Datum, Nr. 689/S2. General Pico, damals Stabsoffizier bei der 1. Kavalleriedivision in Frankfurt an der Oder, urteilt ober die ungeldlirte Grenzschutzarbeit der SA: "Das Ergebnis war eine Katastrophel Kaum ein Drittel der an Lehrgangen teilnehmenden SA-Führer konnte in den Grenz-

schutz als Führer oder in den Karteien des Landesschutzes als Führer aufkenommen werden".

410 IMT, Bd. 29., S. 2 und S. 8. 411

Vgl. Kapitel C.1. 3. Anmerk.ung396.

412 Freiburger MilitJrarchiv, RH 46/107. Rede des Reichswehrministers vor den Offizieren der 6. Division nach Abschluß der HerbstObungen am IS. September 1933, vom 22. September 1933. BIomberg Iußerte sich in seiner Rede zum Ausbildungsstandard der SA-Männer: ''Auch die jungen

Leute dieser Verbande werden bald einsehen und haben es zum Teil schon getan. daß sie noch keine Soldaten sind und daß zum Soldatsein mehr gehtJrt als Aufinarsche vollfilhren und guten Willens sein". 413 Heinz Höhne, Mordsache Röhm, S. 191. - Institut tbr Zeitgeschichte MOnchen, ZS 66, Heinrici, S.163.

I. Der Machtkampfzwischen Reichswehr und SA im Jahre 1933

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verlangten SA-Männer Mitspracherechte in den Führungsfragen, auf der anderen Seite versuchten sie Waffenlager unter ihre Kontrolle zu bringen. 414 "Eine Gemeinsamkeit in den politischen Fragen, um die es ging" konnte "mit den SA-Führern nicht gefunden werden", urteilt der damalige Abteilungsleiter im Allgemeinen Heeresamt (AHA) der Heeresleitung, Gotthard Heinrici. 415 Um die Unstimmigkeiten auszuräumen, fand Mitte August 1933 in Bad Godesberg ein Treffen hoher SA-Führer mit Vertretern des Reichswehrministeriums statt.416 Hier wurde deutlich, wie sehr sich die militärpolitischen Positionen Hitlers und der Reichswehr von denjenigen Röhms bereits entfernt hatten. Röhm ignorierte in seiner Rede das angespannte Verhältnis der SA zum Heer, was als Ausdruck seines gesteigerten "Selbstbewußtseins" zu deuten ist. 417 Hitler wiederholte einen wichtigen Bestandteil seiner militärpolitischen Konzeption: "Die Wehrmacht ist der Waffenträger der Nation: Der SA obliegt die politische Schulung des Volkes".418 Kein Offizier der Reichswehrführung meldete sich auf der Godesberger Tagung öffentlich zu Wort; hier ist die Überheblichkeit gegenüber der SA-Führung, die immerhin Gastgeber dieses Treffens war, zum Ausdruck gekommen. 419 Eine Aussprache oder gar Aussöhnung wurde demnach nicht erreicht. Trotz der unbefriedigenden Zusammenarbeit versuchten BIomberg und Reichenau bis Ende des Jahres, die Verbindung zur SA vorerst nicht abreißen zu lassen. Hierbei spielten vor allem zwei Gesichtspunkte eine Rolle: Einmal versuchten beide auch weiterhin, zum Zwecke der Gewinnung von Reserven und zur Verbesserung der Mobilmachungsvorbereitungen die Verbindung mit der SA aufrechtzuerhalten. BIombergs Weisung im Oktober 1933, die Zusammenarbeit mit der SA auf örtlicher Ebene zu intensivieren420 sowie Reichenaus Bemühungen, die SA als eine Art Miliz von der Reichswehrführung abhängig zu machen421 , belegen dies. Es ist allerdings fraglich, ob Reichenau 414 Institut flIr Zeitgeschichte MOnchen, Fretter Pico, Denkschrift Verhiltnis Wehrmacht und Partei, olme Datum, Nr. 689/52. 415 Institut flIr Zeitgeschichte MOnchen, ZS 66, Heinrici, S. 163f. 416 Hennann Foertsch, Schuld und Verhllngnis, S. 46f. - Heinrici schreibt Foertsch, daß viele SA-

Angehörige dem Heer den "Vorwuifnicht hinreichender nationalsozialistischer Gesinnung" machten. 417 Ebenda.

418 Ebenda. - Vgl. K1aus-JOrgen MOlIer, Das Heer und Hitler, S. 93. 419 Ebenda. -lrnmerhin war auch Reichswehnninister BIomberg an einem Tag des Bad Godesber-

ger Treffens anwesend.

420 Freiburger Militllrarchiv, WK Vll/741, (Wehrkrciskommando VII vom 24.10.1933). - Robert J. O'Neill, Tbe Gennan Army and the Nazi Party, S. 35., meint dagegen flUschlicherweise, daß Reichenau diese Weisungen gab. Diese Auffassung Obernimmt unkritisch auch Heinz Höhne, Mordsache Röhm, S. 193. 421 Institut flIr Zeitgeschichte MQnchen, ZS 44, Gaertner, S. 4.

c. Vorgeschichte der Terroraktionen

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und BIomberg Ende des Jahres 1933 noch ernsthaft an eine konstruktive Zusammenarbeit mit der SA gedacht haben. Die Angebote BIombergs wie auch Reichenaus erlaubten der an Mitgliedern weitaus stärkeren SA weiterhin nicht, die Position eines militärpolitischen "Partners" einzunehmen.422 Unterordnung lag Röhm aber nicht. 423 Zum anderen hatte sich die innenpolitische Situation der Reichswehr durch den Austritt aus dem Völkerbund am 14. Oktober 1933 gewandelt. Nun konnte die seit langem angestrebte Aufrüstung vorangebracht werden. 424 Hierzu benötigte die Reichswehrführung jedoch geordnete Verhältnisse in der Innenpolitik, und deswegen erhielt ihre Beziehung zur SA eine neue, noch größere Bedeutung als bisher.

4. Außenpolitische Aspekte zwischen Reichswehr und SA

Neben den geordneten Verhältnissen in der Innenpolitik, die die Reichswehr zum Ausbau ihrer militärpolitischen Ziele brauchte, trat nach dem Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund ein weiterer Aspekt hinzu. Inwiefern beeinträchtigte die Verknüpfung von Aufrüstung (Innenpolitik) und Außenpolifik425 das Verhältnis von Reichswehr und SA? Trug sie gar zur Eskalation der Röhm-Krise bei?426 422 BIomberg ließ seiner Weisung vom 24.10.1933 keine konkreten Handlungen folgen, die auf ein Arrangement mit der SA-Spi1ze hltten hinweisen können. Reichenaus Versuch, die SA als eine Art Miliz von der Reichswehr abhAngig zu machen, genQgte Röhm nicht. Dieser hatte mit großen SAAufinlrschen seine Ansprilche bekundet. Als Beispiele seien genannt: SA-Aufmarsch in Berlin am 6. August 1933 mit 80.000 Mann. Julius Karl von Engelbrccbten: Eine braune Armee entsteht, Die Geschichte der Berlin-Brandenburger SA, Münchcn-Berlin 1937, S. 275t: - SA-Aufinarsch in Breslau mit 85.000 Mann am 9. Oktober 1933. Völkischer Beobachter vom 10. Oktober 1933. 423 Vgl. Kapitel B. 11. 2. 424 Siehe zur AufrOstung grundsätzlich Michael Geyer, AufrOstung oder Sicherheit, 347ff. 425 Die außenpolitischen Aspekte der Beziehungen zwischen Reichswehr und SA im Vorfeld der Rähm-Krise fanden in der Literatur bisher kaum Beachtung. In der wissenschaftlichen Literatur über die Röhm-Krise werden - wenn überhaupt - nur die außenpolitischen Auswirkungen der Terrorakti0nen behandelt, nicht jedoch die Aspekte im Vorfeld der Krise. Hermann Mau, Die "Zweite Revolution". - der 30. Juni 1934, S. 119-137, erwAhnt die außenpolitischen Rückwirkungen gar nicht. - Bei Bracher/Sauer/Schulz, S. 932ff., fmden die Aspekte ebenfal1s wenig Beachtung. - Klaus-Jürgen MüUer, Das Heer und Hitler, s. 88-141, crwAhnt die Aspekte nicht. - Pcter Longerich, Die braunen BataiUone, S. 220ff., nennt nur die innenpolitischen Reaktionen auf die Terroraktionen. - In vordergrQndiger Art das Problem streifend Karl Martin GraB, Edgar Jung, Papenkreis und Rähm-Krise, S. 167ff. 426 Eine Analyse der Perzeption der frOhen NS-Außenpolitik durch die Führunp:liten der europäischen Länder ist in diesem Zusammenhang eines der wichtigen Desiderate der Forschung. - Michael Geyer, AufrOstung oder Sicherheit, S. 333. Hier urteilt Geyer über Hitlers Bemühen, das Ausland nach dem deutschen Austritt aus dem Völkerbund zu beruhigen: "In den Verhandlungen zwischen

Dezember 1933 und April 1934 wurde ferner die Dynamik der Hitlerischen Kalkulation mit der

I. Der Machtkampfzwischen Reichswehr und SA im Jahre 1933

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Den außenpolitischen Aspekten der Beziehungen zwischen Reichswehr und SA standen Vorbereitungen voran, die Heer und Ritler auf dem Gebiet der Aufrüstung bald nach der nationalsozialistischen "Machtergreifung" trafen. Ritler hatte schon bei seiner Rede am 3. Februar 1933 die "Wiedererringung der politischen Macht" durch den "Aufbau der Wehrmacht"427 gefordert. Aufrüstung des Heeres und die damit zusammenhängende Vereinheitlichung der Wehrstruktur bildeten zwei konzeptionelle Schwerpunkte zum Erlangen dieses militärpolitischen Zieles. Dabei schnitt die Frage der Aufrüstung das Waffenmonopol an, die bis zum Dezember 1933 in der Reichswehrfiihrung noch ungeklärte Frage der Wehrstruktur die militärische Ausbildung. Beide Bereiche - Waffenmonopol und Wehrstruktur - griffen in die Interessenssphäre der SA ein. Die Frage nach der Aufrüstung war demnach ohne inhaltliche Klärung der Zukunft der SA nicht zu beantworten. In den Genfer Abrüstungsverhandlungen ließ BIomberg "offensiv" verhandeln und riskierte dadurch internationale Isolierung. Diese trug schließlich zum Zusammenbruch der Konferenz bei. 428 Ritler dagegen wollte aus einer von der Furcht vor Sanktionen bestimmten Taktik diese erste Phase der Aufrüstung durch dilatorische Reden einerseits und beschleunigte Rüstungmaßnahmen andererseits überstehen. 429 Die Reichswehr stand nach den Worten des Chefs des Truppenamtes, Wilhelm Adam, vor dem militärpolitischen DileIIlllUl, einerseits aufrüsten zu deutschen AufriJstung sichtbar, als er die kontrollierte und vertraglich gesicherte Angleichung der Rüstung mit der Wiederherstellung eines europäischen Gleichgewichts und mit der Sicherung des Friedens legitimierte". - Über die Sorgen des Auslandes, insbesondere die Frankreichs, siehe Charles Bloch: Hitler und die europäischen MAchte 1933/1934, Kontinuität oder Bruch, Frankfurt aM. 1966, S.40ft:

427 Institut fllr Zeitgeschichte MOnchen, Liebmann-AufZeichnungen, Hitlers Ansprache im Hause Hammerstein am 3. Februar 1933, S. 198ft: 428 Politisches Archiv des AuswArtigen Amtes Bonn. Abteilung 11 F., Abr. 5, S. 33. Hier sagt BIomberg ober seine Einstellung zu den AbrOstungsverhandlungen: "Wo bleiben da unsere eigenen

Bedürfnisse? Wo die Rücksichten auf unsere besonderen Verhältnisse? Diese rollige Außerachtlassung der deutschen Interessen ist befremdlich. Sie gibt mir die Veranlassung, darauf hinzuweisen, daß die Zeit der Diktate heute vorbei ist". - lnnenpolitisch gab er sich wAhrend der ersten Monate

des nationalsozialistischen Systems weitgehend unpolitisch und abwartend - Eine detaillierte Analyse der einzelnen Aufrüstungsschritte nach der nationalsozialistischen "Machtergreifung" bieten HansJQrgen Rautenbach, Deutsche ROstungspolitik, S. 79ft: und Michael Geyer, Aufiilstung oder Sicherheit, S. 247ft:

429 Am 17. Mlirz 1933 sagte Hitler im deutschen Reichstag: "Deutschland hat abgerQstet. Es hat alle ihm im Friedensvertrag auferlegten Verpflichtungen weit aber die Grenzen jeder Billigkeit, ja jeder Vernunft hinaus erjilllt". Schulthess Europäischer Geschichtskalender 1933, S.135. - Hitlers Position wird verdeutlicht in seinen Direktiven vom 17.3.1933 an Wemer von Rheinbaben, Mitglied der AbrOstungsdelegation: "Keine Sabotage. Hinarbeiten aufpositiven Abschluß, der vertragsloser AufriJstung vorzuziehen ist. Weitere Benutzung der V6lkerbundstribüne zur Vertretung der deutschen Thesen". Akten zur deutschen Auswärtigen Politik. 1918-1945, Serie C, 1933-1937, Bd. l,l., Ook. 94, S. 173.

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C. Vorgeschichte der Terroraktionen

müssen, damit das Reich nicht jeglichem willkürlichen Zugriff seiner Nachbarn ausgeliefert blieb. Andererseits mußte jede sichtbare Verstärkung der Wehrkraft in quantitativer oder qualitativer Hinsicht das Ausland zum Eingreifen reizen. 43o Unter diesem Gesichtspunkt ist das "Doppelspiel" zu verstehen, das BIomberg und Hitler in den ersten Monaten nach der nationalsozialistischen "Machtergreifung" in Szene setzten. 431 Obgleich die deutsche Aufrüstung 1933 "verdeckt"432 betrieben wurde, war die deutsche Außenpolitik im gleichen Jahr weitgehend isoliert. Hitler hatte bereits in seiner Rede am 3.2.1933 zunächst das Primat der Innenpolitik gegenüber der Außenpolitik aufgestellt. Erst nach innenpolitischer Festigung der Macht könnten außenpolitische Unternehmungen begonnen werden. 433 Sein Bestreben mußte es zunächst sein, durch Abschirmung des inneren Terrors (insbesondere den der SA) beruhigend auf das Ausland einzuwirken. 434 Sein Bestreben erhielt auch deshalb Bedeutung, weil Frankreich seine Sorgen über das Vorgehen der paramilitärischen Verbände der SA zum Ausdruck brachte. 435 Es hatte bereits während der Genfer Abrüstungsverhandlungen Streit gegeben, weil Frankreich verlangte, daß die 430 Gerbard Meinck, Hitler und die deutsche Aufiilstung. S. 19. - Adam sprach damit auf die durch den Versailler Vertrag diktierten RQstungsbeschrAnkungen an. 431 Mit dem Begriff "Doppelspiel" ist einerseits das oben beschriebene offensive Eintreten Blombergs filr die Aufiilstung gemeint und andererseits das gleichzeitige Beschwichtigen des Auslandes durch Hitler, wie an seiner "Friedensrede" am 17.5.1933, Schulthess Europlischer Geschichtskalender 1933, S. 129-138, zu sehen ist. Aber auch Hitlertrieb ein "Doppelspiel": Einerseits plädierte er internwie in seiner Ansprache am 3.2.1933 geschehen - radikal filr Aufiilstung, andererseits sprach er sich, wie am 17.5.1933 geschehen, filr AbrQstungaus. 432 Den Begriff "verdeckte Aufrüstung" hat Hans-JOrgen Rautenberg. Deutsche RQstungspolitik, S. 302, eingefllhrt. Rautenberg meint damit das Schweigen vieler deutscher Offtziere gegenOber ausllndischen Kollegen in RQstungsfragen im Jahre 1933. 433 Institut fllr Zeitgeschichte MOnchen, Liebmann-Aufzeiclmungen, Hitlers Ansprache im Hause Hammerstein am 3. Februar 1933, S. 198ff. - Christine Fraser: Der Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund, seine Vorgeschichte und seine Nachwirkungen, Phil. Diss. Bonn 1969, S. 173, urteilt:

''Als die Abrilstungsverhandlungen nach der Sommerpause wieder aufgenommen wurden, war zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und seinen V6lJrerbundparteien eine Entfremdung eingetreten, wie sie vollsUJndiger und geflihrlicher kaum sein kannte".

434 Mit der Bezeiclmung "Abschirmung des inneren Terrors" sind die den SA-Terror verbannlosenden Reden und Aussagen gemeint, die Hitler zur Beruhigung des Auslands hielt und gab. Politisches Archiv des Auswlrtigen Amtes Bonn, Abteilung 11 F., Abr. 5., S. 30. Antwort der deutschen Regierung zum Problem der vormilitlrischen Ausbildung vom 20.4.1933. - Hitlers Reden am 23. Mlrz 1933 und am 17. Mai 1933 vor dem deutschen Reichstag. Schulthess Europlischer Geschichtskalender 1933, S. 66ff. und S. 129ff. - In diesem Kontext nennt Fritz Saenger seine Untersuchung: "Politik der Tduschung", Mißbrauch der Presse im Dritten Reich, Wien/MOnchen 1975. 435 Charles Bloch, Hitler und die europlischen Mlchte, S. 41. - Frankreich fllrchtete sich vor einem "pangermanischen Imperialismus". So in einem Bericht der deutschen Botschaft in Paris, Zitat nach Hans-JOrgen Rautenbach, Deutsche RQstungspolitik, S. 169.

I. Der Machtkampf zwischen Reichswehr und SA im Jahre 1933

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Organisationen von SA und SS zu den aktuellen deutschen Heeresbeständen gerechnet werden sollten. 436 AIs Deutschland im Oktober 1933 die Abrüstungskonferenz und den Völkerbund verließ, hatte es mit den Westmächten keine Übereinstimmung finden können über das Ausmaß der Rüstung, das Deutschland in Zukunft zugestanden werden sollte. 437 Hitler konnte jetzt, losgelöst von den Bindungen des Völkerbundes und des Versailler Vertrages, die Aufrüstungsvorhaben verstärken. Gleichzeitig jedoch waren Heer und Reichswehrführung darum bemüht, jeden Verstoß gegen den Versailler Vertrag nach außen zu verbergen, um sich außenpolitisch nicht noch weiter zu isolieren. 438 Für alle geheimen Aufrüstungsmaßnahmen und etwaige militärische Unternehmungen der SA befahl Hitler daher die Beachtung der möglichen außenpolitischen Rückwirkungen. 439 So hat er in einer Rede vor SA-Führern am 17. Oktober 1933 auf die Gefahr der Spionage bei der militärischen Ausbildung der SA hingewiesen. Die Haltung der SA-Führung in dieser Frage hat er in scharfer Form gerügt.44O In Übereinstimmung mit Außenminister Neurath ordnete BIomberg am 1. November 1933 an, daß für alle Maßnahmen, die den Versailler Vertrag verletzen, eine Genehmigung des Ministers erforderlich sei. 441 Neben den bis dahin nicht übermäßig um-

436 Christine Fraser, Der Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund, S. ISS. Frasers Dissertation behandelt ausfllhrlich die politischen Aspekte des deutschen Austritts aus dem Völkerbund, wAhrend sie die militärische Entscheidung im Hintergrund läßt - Siehe auch Gerhard Meincle, Hitler und die deutsche Aufiilstung, S. 26. - England im Gegensatz zu Frankreich stützte sich auf den Mac DonaldPlan, der fllr die Reichswehr 250-300.000 Mann zulassen wollte und eine Entwa.ffilungszusage fllr die Verände, also auch die SA, vorsah. England behielt diese Mitte1stellung zwischen den deutschen und französischen Vorstellungen bis April 1934 bei, bis auch die diplomatisch getuhrten AbrOstun~gespräche zusammenbrachen. Vgl. dazu die französische Note vom 17.4.1934 an England. Schulthess Europäischer Geschichtskalender 1934, S. 567ff. 437 So wurden in den Bereichen a. Standardisierung der Heere und Harmonisierung der Wehrverfassungen b. Abschaffung der MilitArluftfahrt und Internationalisierung der Zivilluftfahrt c. SeeabrOstung d. paramilitlirische- und Wehrverbllnde keine Übereinstimmung gefunden. Hans-JOrgen Rautenbach, Deutsche ROstun~litik, S. 126ff. 438 Schon am 10.10.1933 wies der Chef der Heeresleitung alle unterstellten Einheiten und Verbinde an, daß auf Befehl des "Herrn Reichskanzler" aus außenpolitischen GrOnden jegliche Ausbildung mit der Waffe bei den SA-VerbAnden bis auf weiteres zu unterbleiben habe. Freiburger MilitArarchiv, Wehrkreis VlIl1453, Chef Heeresleitung Nr. 788/33, T 4 III a!f 2 III. c vom 10.10.1933. - Christine Fraser, Der Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund, S.206 ff. und S. 214ff., unterscheidet zwischen der ideologischen und der machtpolitischen Seite der Motive Hitlers tur den Austritt aus dem Völkerbund, wobei sie der machtpolitischen Seite einen wichtigeren Platz einräumt 439 Documents on German Foreign Policy, 1918-1945, Series C, London 1962, S. 61f. - Schon in seinem Buch "Mein Kampf' schrieb Hitler, "daß der Kampf um die Durchselzung einer

"Weltanschauung" von allen anderen sofort in seiner Gefahr erkannt wird und mithin auf gemeinsame Abwehr stößt". AdolfHitler, Mein Kampf, S. 508. 440 Völkischer Beobachter vom 19. Oktober 1933.

441 Ebenda. In dem Brief an Neurath verweist BIomberg auf eine von Hitler wAhrend einer am 17. Oktober 1933 stattgefundene Entscheidung. Nach dieser Ohertrug er BIomberg die Aufgabe tur die Abstimmung der AufrOstun~interessen mit den Erfordernissen der Außenpolitik. 7 v. Fallois

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C. Vorgeschichte der Terroraktionen

fangreichen Verstößen der Reichswehr war vor allem die SA-Ausbildung illegal. 442 In diesen Wochen der Neuorientierung begann Röhm seine außenpolitischen Unternehmungen. Er erklärte, er wolle die SA-Ausbildung nur weiterfUhren lassen, wenn die Reichswehr die volle Verantwortung für die Zusammenarbeit mit der SA auch vor dem Ausland übernehme. Reichenau antwortete, daß dann die Zusammenarbeit zwischen Reichswehr und SA unmöglich geworden sei. 443 Die genauen Motive der Röhm'schen Forderung sind unklar. Es ist anzunehmen, daß er den Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund, wie viele andere, als eine Maßnahme ansah, die das Reich von den einstigen militärischen Bindungen befreite und die "offene Aufrüstung" ermöglichte. 444 Diese "offene Aufrüstung" hätte der Reichswehr mehr militärpolitische Einflußnahme zuteil werden lassen, während die der SA hätte schwächer werden können. Seine Forderung, daß die Armee Verantwortung für die Zusammenarbeit mit der SA vor dem Ausland übernehmen solle, implizierte demnach die Überlegung, von der "offenen Aufrüstung" ebenso wie das Heer begünstigt werden zu wollen. Nicht ohne Grund begann Röhm deshalb im Dezember 1933 seine außenpolitischen Unternehmungen, um für die Aufgaben der SA zu werben. 445 Seine außenpolitischen Kontakte reichten bis in das Jahr 1934 hinein, ohne daß sie ihm allerdings militärpolitischen Nutzen brachten. 446 Von diesen Aktivitäten Röhms unbeeindruckt, zog die Reichswehrfiihrung aus dem Völkerbund-Austritt ihre militärpolitischen Konsequenzen. Mit dem Austritt aus der Abrüstungskonferenz erlangte der seit dem l. Oktober 1933 neu amtierende Chef des Truppenamtes, Beck, einen Machtzuwachs, den er dazu nutzte, seine Vorstellungen von einem wehrpflichtigen Heer durchzusetzen. 441 Beck legte am 14. Dezember 1933 eine "Denkschrift über Planung, Vorbereitung und Durchfiihrung des zukünftigen Friedensheeres" vor448, das einer wehrpflichtigen Armee ähnlich den Aufbau von 21 Divisionen in Stärke 442 Vertragsploetz. Teil 11, Band 4A, S. 143. Hier werden "Kriegervereine" aufgefilhrt (zu denen die SA zAhlte), deren Beteiligung verboten war. 443 IMT, Band XXIX, S. 10r. Aktenvennerk KrOgers vom 19. Oktober 1933. 444 Das kommt in seiner Rede

"Warum SA7", S. 18t:, zum Ausdruck.

445 Hier sprechen Bracher/Sauer/Schulz, S. 933, und Peter Longerich, Die braunen Bataillone, S. 187, von einer eigenen NSA-Außenpolitik" Röhms. Dieses Urteil scheint übertrieben. Über einige lose Kontakte ist Röhm in seinen außenpolitischen Vorstößen nicht hinausgekommen. 446 So traf sich Röhm unter anderem zweimal mit dem französischen Botschafter Andre Fran~is­ Poneel Das letzte Treffen fand im Mllrz 1934 statt. Andre Fran~is-Poncet: Als Botschafter in Berlin 1931-1938, Mainz 1947, S. 197. 441 Michael Geyer, Aufrüstung oder Sicherheit, S. 351ft: Klaus-JOrgen Müller, General Ludwig Beck, S. 142ft: 448 Freiburger Milit1irarchiv, RH 15/v. 8, ChefHI1l13/33, Geh. Kdos. T 211 B vom 14.12.1933.

I. Der Machtkampfzwischen Reichswehr und SA im Jahre 1933

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von 300.000 Mann beinhaltete und sich auf eine einjährige Dienstpflicht stützte. 449 Vorn Chef der Heeresleitung folgte arn 18. Dezember 1933 eine Weisung fiir den beschleunigten Umbau des Heeres. 45o Am 20.und 21. Dezember 1933 schließlich besprachen die Wehrkreisbefehlshaber im Reichswehrrninisteriurn den personellen Um- und Aufbau der Armee. 451 Auf dieser Besprechung sicherte BIomberg zu, "daß außer der vormilitärischen Ausbildung alles bei der Reichswehr liegt (Leitung und Vorbereitung der Aufstellung, militärische Ausbildung USW.)".452 Diese hieß, daß die bei der SA arbeitenden Reichswehroffiziere zum 1.3.1934 zurückgezogen wurden. 453 Die zukünftige Wehrpflichtigenarrnee sollte allein vorn Militär geleitet und ausgebildet werden. Die Vorstellung von einern Milizheer, wie sie Röhrn und Reichenau besaßen454, verschwand ganz aus der Planung. Damit war die Zusammenarbeit zwischen Reichswehr und SA praktisch unmöglich geworden. Mit dem "Übergang vorn Söldnerheer zum Heer der allgemeinen Dienstpflicht"455 wurde die Autonomie der Armee in personeller Hinsicht der SA gegenüber restauriert. Die SA mochte zwar politische Aufgaben im vormilitärischen Bereich zugewiesen bekommen, aber sie spielte als Bestandteil zukünftiger Wehrkonzeption keine Rolle mehr.

449 Siehe dazu Hans-JOrgen Rautenhach: Drei Dokumente zur Planung eines 300.000 MannFriedensheeres aus dem Dezember 1933, in Militärgeschichtliche Mitteilungen, 2/1977, S. 103tf. 450 Freiburger Militärarchiv, RH 15/v.8., Chef HI TA 381/33, Geh. Kdos. T 2 11 B vom 18.12.1933.

451 Freiburger Militlirarchiv, RH 53-7/1086, Niederschrift ilber die Besprechungen im Reichswehrministerium arn 20. und 21.12.1933 zum Aufbau des 300.000-Mann-Heeres. 452 Ebenda. - Siehe auch Hans-Jilrgen Rautenbach, Drei Dokumente, S.119tf. 453 Hans-JOrgen Rautenhach, Drei Dokumente, S. 119tf. 454 Vgl. Kapitel B.11. 2. 455 Freiburger Militärarchiv, RH 53-7/1086. Ausfllhrungen des Chefs des Wehrarntes (Fromm) wAhrend der Besprechungen im Reichswehrministerium arn 20. und 21.12.1933 zum Aufbau des 300.000-Mann-Heeres.

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C. Vorgeschichte der Terroraktionen

11. Die Reichswehr und die Krise des Systems 1933/34 1. Reichswehr und SA am Jahreswechsel 1933/34

Nachdem die Entscheidung zur Einfiihrung eines Wehrpflichtigenheeres die Zusammenarbeit zwischen Reichswehr und SA praktisch unmöglich gemacht hatte, entsteht die Frage, wie sich beide Institutionen während der beginnenden Systemkrise verhielten. 456 Am Ende des Jahres 1933 waren fast alle entscheidenden Kontroll- und Machtpositionen in der Hand Ritlers und seiner Partei. 451 Ritlers innenpolitisches Prestige stieg noch durch den Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund und die daraufhin für den 12. November angesetzte Volksabstimmung. 458 Aber gesellschaftliche Stabilisierung und Konsolidierung des nationalsozialistischen Regimes waren noch nicht abgeschlossen. Unzufriedenheit herrschte vorwiegend aus fünf Gründen. a. Die nationalsozialistische Vereinnahmung der evangelischen Kirchen war ins Stocken geraten. 459 b. Ritlers "Führerprinzip" war im Jahre 1933 wegen eines inhaltlich ungeklärten Verwaltungszentralismus an seine Grenzen gestoßen. Länder und Gemeinden wurden zum Schauplatz eines großen kommunalen Beutezuges der Nationalsozialisten; Ämterchaos und die daraus resultierende Verminderung der Verwaltungsleistung waren die Folge. 460 c. "Konservative" Gegner Ritlers be-

456 Die Systemkrise, in die der nationalsozialistische Staat Ende des Jahres 1933 geriet, ist in der Literatur ausfilhrlich dargestelh worden. CharIes Bloch: Die SA und die Krise des NS-Regimes 1934. Frankfurt a.M. 1970, S. 67ff. Bloch bringt - im Gegensatz zu den anderen Autoren - viele zeitgenössische Äußerungen. - Klaus-Jürgen Müller, Das Heer und Hitler, 94ff. - Bracher/Sauer/Schulz, S. 897ff. Alle Autoren bezeichnen als Krisenbeginn das Ende des Jahres 1933 und als Ende der Krise den Abschluß der Röhm-Krise im Jahre 1934. Die Frage, inwiefern die Krise des Staates Hitler und die Reichswehr im Hinblick auf die Röhm-Krise noch stArlcer zusannnenfilhrte, ist in der Literatur hingegen nicht oder nur unzureichend beschrieben worden. Alle Autoren beschreiben zwar das Vorgehen in der Reichswehr wAhrend der Systemkrise, aber analysieren ihr Vorgehen nicht im Hinblick auf die bevorstehende Röhm-Krise. 451 Gotthard Jasper: Die gescheiterte Zähmung. Wege zur Machtergreifung Hitlers 1930-1934, Frankfurt 1986, S.226ff. Jasper betont, daß die nationalsozialistische Diktatur durch das Scheitern des konservativen Konzepts der "Einrahmung" gefestigt wurde. - Siehe auch Karl Dietrich Bracher: Die deutsche Diktatur, Entstehung, Struktur, Folgen des Nationalsozialismus, Köln, Berlin 1969, S. 235ff. - Vgl. Hitlers Reden am 10.11.1933. Schuhhess Europäischer Geschichtskalender 1933, S. 236f. und am 30.1.1934, Schuhhess Europlischer Geschichtskalender 1934, S. 31ff. 458 Siehe zu den Zahlen der Volksabstimmung Schulthess Europäischer Geschichtskalender 1933, S. 242f. Vgl. lan Kershaw: Der Hitler-Mythos, Volksmeinung und Propaganda im Dritten Reich, Stuttgart 1980, S. 57f. 459 Klaus Scholder: Die Kirchen und das dritte Reich. Bd. I. Vorgeschichte und Zeit der Illusionen 1918-1934. Frankfurt a.M./BerlinlWien 1973, S. 701ff. Scholder beschreibt hier den Zusammenbruch der "Deutschen Christen".

11. Die Reichswehr und die Krise des Systems 1933/34

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gannen die willkürliche Herrschaftsausübung zunehmend zu kritisieren. 461 d. Es wurde beanstandet, daß der wirtschaftliche Aufschwung noch unzureichend sei. 462 e. Vor allem aber konnte das nationalsozialistische System wegen der ungeklärten SA-Aufgabenverteilung als gesellschaftlich noch nicht konsolidiert betrachtet werden. Die Systemkrise barg die Gefahr in sich, daß sich in dem noch nicht vollständig ausgeformten Herrschaftssystem die eine oder andere Gruppe möglicherweise mit der Reichswehr hätte verbinden können, um der anstehenden Probleme Herr zu werden. Aus diesen Gründen ist verständlich, daß sich Hitler innenpolitisch abzusichern versuchte, indem er am 30. Januar 1934 die Aufgabe der Reichswehr als die einer zweiten staatstragenden Säule neben der Partei definierte. 463 Auf der anderen Seite war er jedoch darum bemüht, auf Röhm und die SA beruhigend einzuwirken. Am 1. Dezember 1933 ernannte er den Stabschef zum Reichsminister ohne Geschäftsbereich464 und sicherte Röhm und der SA in einem Neujahrsschreiben weitgehende innenpolitische Aufgabenbereiche zu; allerdings wurde diese Zusicherung nicht in die Praxis umgesetzt. 465 Zudem hatte Hitler bereits die Grundsatzentscheidung für eine zukünftige Wehrmacht auf der Basis der allgemeinen Wehrpflicht gefaIlt. 466 Die Zusicherung eines militärpolitischen

460 Bracher/Sauer/Schulz, S. 444ff. - Siehe auch Horst Matzerath: Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, Stuttgart 1970, S.61ft: Matzerath gibt hier lokale Beispiele filr den Beutezug der Nationalsozialisten an. - Neuerdings auch Dieter Rebentisch: Führerstaat und Verwaltung im Zweiten We1tkrieg, Verfassungsentwicklung und Verwaltungspolitik 1939-1945, Stuttgart 1989, Rebentisch Habilitation zeigt, daß das Amterchaos noch im Zweiten Weltkrieg anhielt 461 Edgar Julius Jung: Sinndeutung der deutschen Revolution. Oldenburg 1933, S. 30ft: Jung kritisiert die nationalsozialistische Revolution; sie bedeute Rechtsbruch. Zudem unterscheidet er den Konservativen, der einer organischen Staatsauffassung nabestehe, vom Nationalsozialisten, der filr einen zentralistischen, totaiitAren Staat plidiere. - Zu den kritischen Äußerungen von Ewald von Kleist-Schmenzin siehe Bodo Scheurig: Ewald von Kleist-Schmenzin, Ein Konservativer gegen Hitler, Oldenburg und Hamburg 1968, S. 138ft: - Ernst Niekisch: Das Reich der niederen Dämonen, Hamburg 1953, S. 158t:, äußerte sich damals ebenfalls kritisch über das neue System. 462 Die Stimmung in den Betrieben wurde schlechter, so daß sich die Kölner Dienststelle der Geheimen Staatspolizei sorgte: "Die Gefahr, daß sich diese Unzufriedenheit letzten Endes in einer Gegnerschaft zu Staat und Bewegung auswirken kann, ist vorhanden". Martin Broszat, Elke Fröhlich, Falk Wiesemann (Hrsg.), Bayern in der NS-Zeit, München 1977, S. 221ft: 463 Schulthess Europäischer Geschichtskalender 1934, S. 44. - Während einer SA-Führertagung am

21.122. Januar 1934 in Friedrichroda forderte Hitler, daß die Partei immer mehr "zum absoluten Repräsentanten und Garanten der neuen politischen Ordnung in Deutschland" ausgebaut werden sollte. Ebenda, S. 21. Dieser Satz Hitlers macht deutlich, daß er sich offensichtlich bewußt war, daß die NSDAP noch nicht der absolute Repräsentant der neuen politischen Ordnung war. 464 Schulthess Europäischer Geschichtskalender 1933, S. 251. 465 Max Domarus, Hitler, I. Band, S. 338. Hitler schreibt Röhm zum Neujahr 1934: "Wenn das Heer den Schutz der Nation nach außen zu garantieren hat, dann ist es die Aufgabe der SA, den Sieg der natio-nalsozialistischen Revolution, den Bestand des nationalsozialistischen Staates und unserer Volksgemeinschaft im Inneren zu sichern".

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c. Vorgeschichte der Terroraktionen

Aufgabenbereiches für die SA mußte demnach einen dilatorischen Charakter besitzen. Ritler war sich während des Jahreswechsels 1933/34 noch nicht im klaren, wann und wie er gegen die SA vorzugehen beabsichtigte. Keine der Reden während des Jahreswechsels bis zum 28. Februar 1934 gibt Aufschluß über die Möglichkeit eines solchen Schrittes. Allerdings ließ Ritler Röhm indirekt warnen. So schreibt Ritlers Stellvertreter, Rudolf Heß, in einem Diskussionsbeitrag zum Thema SA und Partei im Januar 1934: "So ist jeder SA-Mann ebenso wie jeder politische Führer oder HJ-Führer nur Kämpfer im Rahmen der Partei jUr ein nationalsozialistisches Deutschland".467 Heß kritisierte hiermit, daß die SA eine zu eigenständige, die Parteilinie verlassende Politik betrieben habe. Dieses Vorgehen verstieß gegen den totalitären Anspruch der NSDAP. Die Reichswehrfiihrung hatte mit der Entscheidung für eine Wehrpflichtigenarmee eines ihrer militärpolitischen Ziele, das der "Wehrhaftmachung", vorläufig erreicht. Dadurch sollte die Armee langfristig den Charakter eines möglichst viele "wehrflUrige" Männer umfassenden "Volksheeres" erhalten. Für dieses hatte sich Ritler in seinen militärpolitischen Konzeptionen ausgesprochen. Die Armee war durch die von Ritler zugesprochenen Aufgabenbereiche in eine verantwortungsvolle Position gerückt. Aus dieser Position heraus ist auch ihr Verhalten während der Systemkrise gegenüber Röhm und der SA zu verstehen. Im Grenzschutzbereich artikulierten die Offiziere nachdrücklich ihren Machtanspruch. 468 Der Ausgangspunkt im anhaltenden Streit im Grenzschutzbereich war die Kompetenzschwierigkeit bei der Führerfrage. Die SA hatte wegen der Bad Reichenhaller Übereinkünfte Teile ihrer Organisation dem Grenzschutz angeglichen. SA-Führer forderten nun Führungsaufgaben, die ihnen Reichswehroffiziere jedoch nicht geben wollten, weil sie meinten, daß die SA-Männer militärisch wenig ausgebildet seien. Daraufhin hielten viele SA-Führer ihre Leute von der GrenzschutzAusbildung fern und versuchten, sich der Waffenlager zu bemächtigen. Bei vielen Offizieren verstärkte sich daraufhin der Eindruck, daß zwischen ihnen und der SA eine gemeinsame Basis fehle. 469

466 Vgl. Kapitel C.!. 4. 467 Nationalsozialistische Monatshefte, Heft 46, Januar 1934, S. 4f. - Rudolf Diels: Luzifer ante portas, Zwischen Severing und Heydrich, ZOrich o.J., S. 273ff. Diels' Unterredung mit HitIer im Januar 1934 spiegelt den mutmaßlichen Stand ober den mißtrauisch gewordenen, aber im Grunde noch unsicheren Hitler wider. 468 Vgl. diesbezOgliche Äußerungen Institut filr Zeitgeschichte MOnchen, ZS 152, Stapf, S. 15. - ZS 11, Böckmann, S. 4. - ZS 44, Gaertner, S. 18ff. Alle Offiziere berichteten, daß häufig SA-MAnner von Reichswehroflizieren in militärisch unbedeutende Positionen dirigiert wurden. 469 Institut filr Zeitgeschichte MOnchen, ZS 152, Stapf, S. 7. - Siehe auch Hans Meier-Welcker, Aus dem Briefwechsel zweier junger Offiziere, S. 89f.

11. Die Reichswehr und die Krise des Systems 1933/34

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General Liebmann berichtet in diesem Zusammenhang von Spannungen zwischen Reichswehr und SA, die auf den Kommandeurbesprechungen im Januar 1934 erörtert wurden. "Leider ist das Verhdltnis auch zwischen SA und Heer in einzelnen Teilen des Reiches mehr oder weniger stark getrübt. Überheblichkeit seitens der mittleren Fahrung der SA, einzelne Entgleisungen und grobe Verstöße haben hier und dort zu einer unerfreulichen Spannung, auch zwischen Heer und SA, gefohrt".470 Diese Analyse zeigt, daß die Reichswehr die Verantwortung für das sich schlechter entwickelnde Verhältnis ausschließlich der SA zuschieben wollte. Von einer kritischen Bestandsaufnahme konnte, das zeigen auch die weiteren Ausführungen Liebmanns, Anfang 1934 keine Rede mehr sein. Liebmann nennt Beispiele dafür, wie sich die Offiziere gegenüber den SA-Mitgliedern in Zukunft verhalten sollten. "Beispiel geben flr Begriffe von Disziplin, Kameradschaft, Vornehmheit in der Form und in der Gesinnung. Die Überlegenheit des Offiziers und des einfachen Mannes des Heeres wird von allen Seiten anerkannt, zum größten Teil nicht neidlos. Viele Fahrer der SA und PO erkennen klar, daß sie zwar gute Kdmp[er, aber auf die Dauer keine Fahrer sind und daß die Fahrerrolle automatisch in die Hdnde des Heeres zUrilckgleitet. In diesen Personen sehen wir in vielen Fdllen Urheber des Hetzens gegen das Heer. Der junge SA-Mann erkennt klar und deutlich die Überlegenheit des Heeres an und neigt mit vollem Herzen zum Heer".471 Aus diesen Worten spricht das militärpolitische Selbstverständnis der Offiziere. Man glaubte, der SA militärisch und pädagogisch weit überlegen zu sein. Liebmanns Aussage verdeutlicht damit auch, daß die Zeit der Zusammenarbeit zwischen Heer und SA abgelaufen war. 472 Insofern ist die offizielle IKompromißebene", auf der sich BIomberg noch im Januar 1934 bewegte, nur aus dem Grunde der Vorsichtnahme zu verstehen: Ritler hatte sich noch nicht eindeutig genug gegen die militärpolitischen Ansprüche der SA gewandt; eine abschließende, entscheidende Erklärung stand immer noch aus. 473 470 Institut fllr Zeitgeschichte München, Liebmann-AufZeichnungen, Kommandeurbesprechungen durch den Befehlshaber im Wehrkreis V, Stuttgart, am 15.1.1934 in Stuttgart und am 18.1.1934 in Kassel, S. 274f. 471 Ebenda.

472 Auch aus diesen Gründen ist, neben dem eines zukünftigen Wehrpflichtigenheeres, verstAndlich, warum Reichenaus Vorschlag scheitern mußte. Vgl. K1aus-Jllrgen MIlUer, Das Heer und Hitler, S. 94f. - Institut fllr Zeitgeschichte Mllnchen, ZS 44, Gaertner, S. 13. Gaertner spricht die "Minderwertigkeitsgefllhle" vieler SA-Führer gegenüber den immer forscher auftretenden Reichswehrotftzieren an.

473 Freiburger Militlrarchiv, W 01-5/107, (OKW 879). Brief des Reichswehrministers BIomberg an den Stabschef der SA, Ernst Röhm, vom 18. Januar 1934. Hier schreibt BIomberg: '~lle Spannungen können und müssen beseitigt werden". - Die abschließende, entscheidende Erklärung gab Hitler erst in seiner Rede am 28. Februar 1934 vor fllhrenden Vertretern der Reichswehr und der SA

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c. Vorgeschichte der Terroraktionen

Nicht nur die Reichswehr, sondern auch Röhm präsentierte sich während der Systemkrise mit neuem militärpolitischen "Selbstbewußtsein". Schon seit dem Frühjahr 1933, aber vor allen Dingen seit dem November 1933, begann das Organ der SA, der "SA-Mann", eine Kampagne: Es stellte Röhm als den rauhen und kantigen, im Grunde doch ehrlichen und frontbewährten Kameraden und Führer heraus. 474 Röhm erklärte in einer Stellungnahme zu seiner Ernennung zum Reichsminister am 1. Dezember 1933, daß die SA nun in seiner Person "in den Staatsapparat eingebaut" sei. Aufgrund der Anzahl ihrer Mitglieder sei die SA zu weiteren Aufgaben bereit. 475 Neben seinen schon erwähnten außenpolitischen Aktivitäten betonte Röhm während der Systemkrise, daß es Aufgabe der SA sei, die nationalsozialistische Revolution zu beenden. "Bürokratie und Spießertum", wie sich Röhm ausdrückte, im Grunde jedoch die gesamten alten Machteliten, zu der auch das Heer gehörte, sollten bekämpft werden. 476 Die in ihrer Zielrichtung allgemein gehaltene Forderung nach Weiterfiihrung und Beendigung der nationalsozialistischen Revolution erschien Röhm offensichtlich als das beste Mittel, einerseits die unerfüllten Erwartungen seiner SA-Mitglieder auf ein neues, erstrebenswertes Ziel auszurichten. 4n Andererseits sollte diese Forderung offensichtlich auch die nationalsozialistische Führung bewegen, seinen militärpolitischen Ansprüchen in irgendeiner, dem genauen Inhalt nach noch unbestimmten Form zu genügen. Zu seinen Reden trieben ihn auch die zunehmenden Spannungen innerhalb der Sturmabteilungen, hervorgerufen durch die außerordentliche Heterogenität der aufgeblähten Organisation und durch die Abneigung der SA-Basis gegen ihre Führer. 478 474 Siehe hierzu die Ausgaben der Hefte vom 1.4.1933 (13/33), 24.6.1933 (25/33), 8.7.1933 (27/33),25.11.1933 (47133), 2.12.1933 (48/33),19.5.1934 (20/34). Röhms Reden, die wAhrend der "KamplZeit" soldatisch knapp ausfielen, waren jetzt besonders pompös angelegt und wurden in vollem Wortlaut abgedruckt. 475 Völkischer Beobachter vom 3. Dezember 1933. Röhm defmiert allerdings nicht das militlitpolitische Aufgabengebiet, spricht hingegen unbestimmt davon, daß das "späterer EntwicklungWvorbehalten bleiben mllsse. - Die Gesamtzahl der SA-Mitglieder betrug im August 1934 rund 3,5 Millionen (!) Mitglieder. Bundesarchiv Koblenz, Sammlung Schumacher 415, SAStlrkemeldung. 476 Ernst Rö1un, Die braunen Bataillone der deutschen Revolution, S. 9, schreibt über das Ziel der SA: "Kamp[war ihr Weg, die nationalsozialistische Revolution ihr Ziel". - Er bezeichnete es als "den

Willen des Führers, daß seine wagen losen braunen Soldaten unnachsichtlich darüber wachen, daß nicht Bürokratie und Spießertum das in der nationalsozialistischen Revolution Errungene durch Paragraphenreiterei und allzu temperierte "Selbstgenügsamkeit" zunichte mache". SA-Mann, Heft 3 vom 20.1.1934. - Schon vorher hatte Röhm im Juni 1933 erklArt: "Die SA und SS sind die kämpferisch-geistigen Willensträger der deutschen Revolution". Ernst Rö1un, SA und deutsche Revolution, S. 251.

4n Mit unerfill1ten Erwartungen sind hier die unbefriedigende Zusammenarbeit mit der Reichswehr genauso gemeint wie die unklare Aufgabenverteilung Hitlers. 478 Karl-Martin GraB, Edgar Jung, Papenkreis und Röhmkrise, S. 128f. GraB weist hier mit Beispielen daraufhin, daß auch das Verhältnis zwischen SA-Führern der "Politischen Organisation"

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lOS

Andere Anstrengungen, wie Filisorge- und Beschäftigungsmaßnahmen, verschärfter SA-Dienst und Militarisierung der Organisation hatten sich als untaugliche Mittel erwiesen. Die SA-Männer ließen sich nicht mehr, wie in der Zeit vor 1933, durch rastlose Aktivitäten in WahIkampf- und Terroreinsätzen von ihrer schlechten sozialen Lage ablenken: Daher bot sich in der "Revolutionsparole" fiir kurze Zeit eine Möglichkeit, die geeignet schien, den Mitgliedern einen neuen "Erwartungshorizont" zu präsentieren. 479 Insofern wurde, das verdeutlicht Röhms forciertes Verhalten während der Systemkrise, der zunehmende Druck der Basis auf die SA-Führung mit ausschlaggebend dafiir, daß diese den Konflikt mit der Reichswehr verschärfte. Diesem Druck Rechnung tragend, übersandte Röhm am 1. Februar 1934 - in Beantwortung eines Memorandums des Reichswehrministers - BIomberg eine Denkschrift. Mit dieser legte er in offizieller Form seine Ansicht über die künftige Rolle der Reichswehr dar, die er auf die Funktion eines reinen Ausbildungsheeres herabgedrückt sehen wollte. 480 Die Forderung, das Heer solle lediglich fiir die militärische Ausbildung tätig sein, vertauschte die bisherige militärpolitische Rollenverteilung; Röhms Denkschrift ging weit über das bisher von ihm Geforderte hinaus. Während einer am 2. und 3. Februar 1934 in Berlin stattfindenden Befehlshaberbesprechung stellte daher BIomberg zum ersten Mal öffentlich fest, daß der Versuch einer Einigung mit der SA gescheitert sei. 481 Nun müsse, so führte BIomberg weiter aus, Ritler entscheiden. 482 Damit forderte Blomberg zum ersten Mal öffentlich Ritler zum Handeln gegen die SA auf. Das ist ein Beweis dafiir, daß einerseits die innenpolitische und außenpolitische unsichere Situation des Reiches zur eindeutigen Entscheidung drängte. 483 Andererseits hatte Ritler trotz aller verbalen (Gauleiter etc.) gestört war. - Mathilde Jamin, Zur Rolle der SA im nationalsozialistischen Herrschaftssystem, S. 340ff. Jamin gibt Beispiele filr die "Frustrationen" von SA-Männern gegenüber ihren Führern. 479 Siehe zu den SA-eigenen sozialen Betreuungsmaßnahmen Peter Longerich: Die braunen Bataillone, S. l30ff., der den Beginn dieser Maßnahmen bereits an das Ende der zwanziger Jahre datiert. Gespräch mit SA-Mann Udo K1ausa am 3.9.1989, der ober soziale Betreuungsmaßnahmen berichtet 480 Institut filr Zeitgeschichte München, Liebmann-Aufreichnungen ober die am 2. und 3. Februar 1934 stattfmdende Befehlshaberbesprechung in Berlin, S.278ff. - Die Denkschrift Röhms ist nicht erhalten; Liebmann gibt Äußerungen BIombergs wieder. 481 Ebenda. - Damit sind die nach dem Völkerbund-Austritt weiterhin bestehenden Kooperationsversuche des Militärs mit der SA gemeint Sie beruhen aber nur auf den Äußerungen Reichenaus, denn in der Praxis ist von einem konstruktiven Dialog nichts bekannt Institut filr Zeitgeschichte München, ZS 44, Gaertner, S. 4. 482 Institut filr Zeitgeschichte München, Liebmann-Aufreichnungen ober die am 2. und 3. Februar 1934 stattfmdende Befehlshaberbesprechung in Berlin, S. 278ff. 483 Hans-Ulrich Thamer, Verfilhrung und Gewalt, S. 316f. Thamer nennt die außenpolitische Situation des deutschen Reiches nach dem Austritt aus dem Völkerbund einen '~kt der Selbstverlierung". - Auf den Bezug zwischen Aufiilstung und Außenpolitik geht ein Michael Geyer: Militär, Rüstung und Außenpolitik. - Aspekte militärischer Revisionspolitik in der Zwischenkriegszeit, in:

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Beteuerungen noch keine :für die Reichswehr befriedigende Lösung in der SAFrage gefunden. Noch schärfer als BIomberg wandte sich der ab 1. Februar 1934 als Chef der Heeresleitung amtierende Wemer von Fritsch gegen Röhms militärpolitische Interessen. Er erklärte, daß er sich "mit aller Kraft und seiner ganzen Person den Ansprüchen der SA widersetzen werde". 484 Damit nahm Fritsch im Gegensatz zu seinem Vorgänger Hammerstein eindeutig gegen die SA Stellung. 485 Die Führung der Reichswehr hatte Anfang Februar 1934 gegen die SA geschlossen Position bezogen. Angesichts der noch fehlenden endgültigen Stellungnahme Hitlers zur Rollenverteilung von Reichswehr und SA entstehen die folgenden Fragen: War die Armee auch in solchen Bereichen zu Konzessionen bereit, die über die Bereiche der Militärpolitik hinausgingen? Wie weit reichte ihre Loyalität zum nationalsozialistischen System? 2. Der ''Arierparagraph ": Prüfstein der Konzessionsbereitschaft der Reichswehr gegenilber Hit/er im Machtkampf mit der SA Wie konnte es im Rahmen des Machtkampfes zu so weitreichenden Konzessionen wie der Einführung des "Arierparagraphen" in die Personalpolitik der Reichswehr kommen?4B6 Hitler hatte sich vor dem 28. Februar 1934 noch nicht eindeutig und unwiderruflich gegen die wehrpolitischen Ambitionen der SA gewandt. Immer noch hielt er Reden, in denen er der SA eine verantwortungsvolle Rolle im Manfred Funke (Hrsg.), Hitler, Deutschland und die MAchte. Materialien zur Außenpolitik des Dritten Reiches, Düsseldorf 1976, S. 251ft: 484 Institut filr Zeitgeschichte München, Liebmann-Au1Zeichnungen Ober die am 2. und 3. Februar 1934 stattfmdende Befehlshaberbesprechung in Berlin, S. 278ft: - In der Literatur (Bracher/Sauer/Schulz, S.94Of.) wird auf einen angeblich grundsltzlichen Gegensatz zwischen Ministerium und Heeresleitung in der SA-Frage hingewiesen. Danach seien Fritsch und Heck Gegner der SA-Politik Reichenaus gewesen. Diese Ansicht fmdetjedoch in den Quellen keine BesWigung. 485 GesprAch mit Kunrat von Hanunerstein am 8.8.1989. Hanunerstein habe, so sein Sohn Kunrat, nur im internen Kreis abßllig Ober die SA gesprochen, jedoch darüber nie öffentlich seine Meinung geäußert. 486 Die Einfilhrung des "Arierparagraphen" in die Penonalpolitik der Reichswehr mit den damit zusarnmenhingenden Auswükungen auf die Röhm-Krise fand in der Literatur kaum Beachtung. Häufig wurde der "Arier-paragraph" unabhängig von der Röhm-Krise analysiert. Hermann Mau, Die "Zweite Revolution" - Der 30. Juni 1934, S. 119-137, erwAhnt den "Arierparagraphen" nicht. Manfred Messerschmidt, Die Wehrmacht im NS-Staat, S. 40-47, interpretiert die Übernahme des "Arierparagraphen" lösgelöst von der Röhm-Krise als Zusammenbrechen der erziehungspolitischen Domlne der Reichswehr. - Bracher/Sauer/Schulz, S. 918f., erwAhnen zwar den "Arierparagraphen" in ihrem Kapitel "Röhm-Krise,und zweite Revolution", klAren aber nicht den Bezug zur Röhm-Krise. Am weitesten geht noch Klaus-JOrgen MOlIer, Das Heer und Hitler, S. 81., der den "Arierparagraphen" als einen taktischen "Schachzug im Rahme" des Machtkampfos" interpretiert, diesen Gedankengang jedoch nicht prlzisiert. - Ähnlich auch Arne W.G. Zoepf: Wehrmacht zwischen Tradition und Ideologie, Der NS-FOhrungllOffizier im Zweiten Weltkrieg, Frankfurt a.M. 1988 (u.a.), S. 28ft:

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neuen Staate zusprach. 487 Daher verstärkte die Reichswehrfiihrung in den Wochen vor dem 28. Februar 1934 ihre Bemühungen, ihren Einfluß bei Hitler und somit ihre Position gegenüber der SA zu stärken. Als BIomberg Anfang Februar 1934 die Anbringung der NS-Hoheitsabzeichen an die Wehrmachtsuniform befahl, begründete Fritsch diese Anordnung damit, daß hierdurch "dem Kanzler die nötige Stoßkraft der SA gegenaber gegeben werden" sollte. 488 Am gleichen Tag, an dem der Reichswehrminister das Anlegen des NS-Hoheitsabzeichens befahl, unterrichtete er die anwesenden Offiziere von der Anwendung des "Arierparagraphen".489 Dieser Erlaß über die Anwendung des § 3 ("Arierparagraphen") des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" wurde am 28. Februar 1934 von BIomberg veröffentlicht, am gleichen Tag, als Hitler seine militärpolitische Grundsatzrede hielt. 490 Mit diesem Erlaß ordnete BIomberg die beschleunigte Nachprüfung der "arischen Abstammung" aller Angehörigen der Reichswehr an. Er dekretierte, daß "Offiziere, Deckoffiziere, Unteroffiziere und Mannschaften, die den Bestimmungen des... § 3 nicht entsprechen, ... nicht in der Wehrmacht belassen werden" könnten. 491 Ausgenommen von dieser Regelung waren nur 487 So in seinen Reden am 22. Januar 1934 in 8erlin vor SAFührem. Völkischer Beobachter vom 23.1.1934 und am 30. Januar 1934 vor dem Reichstag. Schulthess Europlischer Geschichtskalender 1934, S. 34. In einem Interview am 18. Oktober 1933 mit der "Daily MaiI" (abgedruckt in Völkischer Beobachter vorn 20.10.1933) fllhrte Hitler aus: "Eine Annee von jungen Leuten, die früher auf den Landstraßen verkommen sind, haben wir zu nillZlicher Arbeit zusammengefaßt. Hunderttausend andere, die in den GroßsUJdten schon in den jungen Jahren verdorben worden sind, erziehen wir in unseren Jugend- und SA-Fonnationen zu anstdndigen Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft". 488 Institut fllr Zeitgeschichte MOnchen, Liebmann-Aufzeichnungen ober die am 2. und 3. Februar

1934 stattfindende Befehlshaberbesprechung in 8er1in, S. 278ft: - Ein weiterer, wAhrend dieser

Befehlshaberbesprechung von Fritsch aufgestellter Befehl belegt die Nervosität, die in der Reichswehrfllhrung gegenüber den militArpolitischen Ansprüchen Röhms entstanden war: "Der Truppe soll

von der Streitlage vor14ufig nichts mitgeteilt werden, auch den Kommandeuren nicht. Dagegen soll Material dafor, daß Anspruch RlJhms sich bei den nachgeordneten SA-Stellen auszuwirken beginnt, der Heeresleitung umgehend vorgelegt werden". 489 Ebenda.

490 Freiburger Militirarchiv, Erlaß des Reichswehrministerium vom 28. Februar 1934 über die Anwendung des § 3 ("Arierparagraphen") des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" auf die Soldaten der Reichswehr. WO 1-5/173. Gedrucktes Exemplar, Dienstdruck des Reichswehrministeriums Nr. 741.2. 1934. - BIombergs Erlaß berief sich auf das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7.4.1933. Die Vorschriften des § 3 bestimmten, daß Beamte "nichtarischer Abstammung in den Ruhestand zu versetzen seien". - Vor dem Internationalen MiliUrgerichtshof in NOmberg sagte BIomberg im November 1945 zur "Rassenfrage": ':41s

FremdklJrper in der nationalsozialistischen Idee wurde (for das Militdr I.vF) die Rassenfrage empfohlen, die man for Deutschland als Land der Mitte in Europa als melting-pot, nur kilnstlich aufstellen und durchfohren konnte". Hier zeigt sich, wie wenig BIomberg Ober seine eigenen Hand-

lungen Rechen-schaft abzulegen bereit war. Freiburger MiliUrarchiv, NL BIomberg, N 52n, ober seine Einstellung zu Adolf Hitler und dem Nationalsozialismus, gefertigt fllr den Internationalen MiIiUrgerichtshofNOmberg; November 1945.

491 Freiburger MiliUrarchiv, WO 1-5/173, Erlaß des Reichswehrministers vom 28. Februar 1934 über die Anwendung des §3 (" Arierparagraph").

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Reichswehrangehörige, die Frontkämpfer, Söhne oder Väter eines im Weltkrieg Gefallenen gewesen waren. In der Durchführung dieses Erlasses sind 70 Reichswehrangehörige entlassen worden. 492 Im Rahmen des Machtkampfes mit der SA fallen noch weitere Konzessionen der Reichswehrfiihrung an die rassenpolitischen Vorstellungen des nationalsozialistischen Systems auf. a) Einmal erließ BIomberg am 4. April 1934 einen Befehl493 über Unterricht in politischen Tagesfragen: "Das erste Jahr der nationalsozialistischen Staatsfllhrung hat die Grundlagen fllr den politischen und wirtschaftlichen Neubau der Nation gelegt. Das zweite Jahr stellt die Notwendigkeit der geistigen Durchdringung der Nation mit den Leitgedanken des nationalsozialistischen Staates in den Vordergrund (. ..). Ich ordne daher an, daß kanftig dem Unterricht aber politische Tagesfragen in der Wehrmacht von allen Dienststellen erhöhte Bedeutung beizumessen und gesteigerte Aufinerksamkeit zuzuwenden ist. Um eine einheitliche Durchfllhrung des Unterrichts aber politische Tagesfragen zu gewtihrleisten, wird das Reichswehrministerium vom 1. April ab ein- bis zweimal im Monat gedruckte "Richtlinien fllr den Unterricht aber politische Tagesfragen" als Anhalt herausgeben ".494 In dieser wie auch in anderen ähnlichen Verfügungen495 verließen BIomberg und die Reichswehrfiihrung ihre - wenn auch wenigstens formal aufgestellte und im übrigen von Hitler am Beginn seiner Kanzlerschaft erwartete - unpolitische Haltung. 496 Nun wurde nicht mehr nur der dem Staate dienende, sondern der eine ideologische Richtung befürwortende Soldat gefordert. 492 Freihurger MilitArarchiv, WO 1-5/173, EndgOltige Zusammenstellung der Zahl der durch die Einfi1hrung des "Arierparagraphen" betroffenen Soldaten der Reichswehr. Original, Schreibmaschinenschrift, Paraphe von Major i.G. Foertsch vom 21.6.1934. - Danach wurden aus dem Heer 7 OffIZiere, 8 OfflZiersanwlrter, 13 UnteroffIZiere, 28 Mann und aus der Marine 3 OffIZiere, 4 OfflZiersanwlrter, 3 UnteroffIZiere, 4 Mann entfernt - Gordon A Craig: Die preußisch-deutsche Armee 1640-1945, Staat im Staate, Düsseldorf 1960, S. 515, urteilt: "Diese Maßnahmen waren zwar

beim Offizierskorps keinesweges populdr, aber sie wurden trotzdem durchgefohrt, zweifellos um Hitler zu zeigen, daß er sich bei einer Kraftprobe mit der SA aufdie Reichswehr verlassen könne". Zum weiteren geschichtlichen Hintergrund des "Arierparagraphen" siehe Manfred Messerschmidt, Die Wehrmacht im NS-Staal, S. 4Off. 493 Klaus-JOrgen MOlIer, Armee und Drittes Reich, S. 168, Dokument Nr. 35. 494 Freihurger MiliUirarchiv, RWD 12/30. "Richtlinien filr den Unterricht ober politische Tagesfragen". Ausgaben Nr. 3,4,5,6. (Juli 2x) August, September 1934, setzten sich wiederholt filr die rassenpolitischen Ziele des nationalsozialistischen Staates ein. 495 Klaus-JOrgen MOlIer, Armee und Drittes Reich, S. 164f., Dokument Nr. 31. - Hans MeierWelcker: OffIZiere im Bild von Dokumenten aus drei Jahrhunderten, Stuttgart 1964, S. 255f., Dokument Nr. 97. Den zwei Dokumenten ist gemeinsam BIombergs Wunsch nach nationalsozialistischer Erziehung in der Reichswehr. 496 Institut filr Zeitgeschichte MOnchen, Liebmann-AufLeichnungen, Notizen ober die Befehlshaberbesprechung am 3.2.1933, S. 205f. BIomberg spricht sich filr das Heraushalten der Reichswehr aus der Politik aus. - Ebenda. Hitlers Ansprache im Hause Hammerstein, am 3.2.1933, S. 198ff. Hier

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b) Die Konzessionsbereitschaft im Rahmen des Machtkampfes mit der SA kam andererseits auch dadurch zum Ausdruck, daß die Reichswehrfiihrung Parteipolitik innerhalb des Heeres zuließ. So übernahm im Juli 1933 das Reichswehrministerium einen Erlaß des Reichsinnenministers Frick auch für den Bereich der Armee, in dem Aushänge der NSDAP und ihrer parteiamtlichen Unterorganisationen (somit auch der SA), ebenso wie Werbeaushänge der parteiamtlichen Zeitungen und Zeitschriften in den Diensträumen zugelassen wurden. 497 In zweifacher Hinsicht wurde die Reichswehrfiihrung bereits während des Jahres 1933 von außen gedrängt, die soziale Geschlossenheit ihres Berufsstandes zu lockern und die Anwendung des "Arierparagraphen" nicht zu umgehen. So trafen zum einen in der Bendlerstraße Anfragen von Presseorganen und Berufsvereinigungen über die Anzahl der nichtarischen Offiziere und über deren erfolgte und nicht erfolgte Entlassung ein. 498 Zum anderen bekundeten SA-Männer gegenüber der NSDAP ihren Protest wegen fehlender nationalsozialistischer Haltung der Reichswehroffiziere. 499 Diesen beiden von außen herangetragenen Forderungen stand eine übergeordnete Erwartung voran: Auch die Reichswehr mußte die politischen Wünsche und Meinungen des Volkes in ihren militärpolitischen Planungen berücksichtigen, wollte sie nicht abseits der Gesellschaft stehen und soziales Prestige zurückgewinnen. 500 In verschiedenen, bereits erwähnten Ausrichtunforderte Hitler von der Reichswehr unpolitisches Verhalten. - Ame W.G. Zoepf, Wehnnacht zwischen Tradition und Ideologie, S. 26, urteilt: "Der Begriff "Überparteilichkeit" schließlich die Erhaltung

der Reichswehr als iJberparteiliches Machtmittel des Staates degenerierte in der Praxis des autoritären NS-Regimes zu einer leeren Formel. zum verbalen Ausdruck der organisatorischen Selbständigkeit neben den NSDAP-Organisationen H• - Bezeichnenderweise sprach Hitler nach der Röhm-Krise arn 13. Juli 1934 davon, daß die Reichswehr unpolitisch und lIberparteilich bleiben solle, als wollte er dem Militär den Schein früherer Unabhängigkeit bewahren. Schulthess Europäischer Geschichtskalender 1934, S. 180.

497 Bracher/Sauer/Schulz, S. 919. Die Erlaubnis der Reichswehrfilhrung, SA-Werbematerial in Diensträumen zuzulassen, beweist, wie weit die Konzessionsbereitschaft ging, um sich im Zweikampf mit der SA Vorteile zu sichern. 498 Freiburger Militärarchiv, WO 1-5/173,("Arierparagraphen"), Reichs-wehrministerium, Geheimakten lIber Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums. - George Castellan: Le Rearmement Clandestin Du Reich, Paris 1954, S. 430, behauptet unbelegt, daß einige Offiziere, die "nichtarische" Frauen heiraten wollten, schon 1933 aus dem Dienst scheiden mußten.

499 Siehe dazu den Bericht eines Abteilungschefs in der Heeresleitung, Generaloberst Heinrici, in Hermann Foertsch, Schuld und Verhängnis, S. 46f - Gespräch mit dem SA-Mann Udo Klausaarn 3.9.1989. 500 Eine soziologische Diskussion ist hier nicht zu leisten, aber es sei auf folgende Literatur hingewiesen. Hannah Arendt: Elemente und Ursprunge totaler Herrschaft, Frankfurt a.M. 1955, S. 492-543, hat auf die Bedeutung des Volkes in einem totalitären Staat hingewiesen, das als eine Summe von oftmals gescheiterten Existenzen zu willßhigen Kreaturen in der Hand eines autoritären FlIhrers werden könnten. Insofern bedurfte es flIr die Reichswehrfilhrung auch der Legitimation durch das

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gen (Wehrhaftmachung der Nation, Ausbau des Heeres zum Wehrpflichtigenheer u.a.) ist diesen Erwartungen auch Folge geleistet worden. 501 Aus dieser Blickrichtung heraus vergrößerte sich die Bereitschaft der Annee zu Konzessionen im rassenpolitischen Bereich. 502 BIomberg ging am l. Mai 1933 in einer Verfügung auf die neu entstandenen Erwartungen der Bevölkerung im nationalsozialistischen Staat ein, die sich auch an das Heer richteten. "Die Berufung der nationalen Regierung unter der Fuhrung des Reichskanzlers Adolf Hitler hat das innenpolitische Leben grundlegend gewandelt. In täglich wachsendem Maße kommen wir unserem Ziel näher: der Einheit der Nation (. ..). Die innerpolitische Haltung jedes einzelnen Soldaten muß bestimmt werden von dem Gefohl der Einheit und Zusammengehörigkeit mit jedem national denkenden und strebenden Deutschen".503 BIomberg zeigt mit diesen Worten die von ihm gewünschte Verbindung zwischen Reichswehr und Volk; das Militär sei sogar "stärkster Ausdruck der Kraft des geeinten Volkes" geworden. 504 Diese Verbindung implizierte damit auch Konzessionsbereitschaft in jenen Bereichen, in denen die nationalsozialistische Führung das Volk gegen eine Minderheit zu nahezu einheitlichem Handeln aufzubringen versuchte. Die Rassenpolitik wurde in der Reichswehrfiihrung - wenigstens in ihrer Entstehungsphase505 - nicht als ein Politikum sui generis diskutiert und abgewogen, sondern als ein weiteres politisches Mittel Volk. - Hitler hat wiederhoh die Bedeutung der Masse fllr seine Politik erwlhnt. Als Beispiel Adolf Hitler, Mein Kampf, S. 510. ':4n wen hat sich die Propaganda zu wenden? An die wissenschaftliche

Intelligenz oder an die weniger gebildete Masse? Sie hat sich ewig nur an die Masse zu richten!"

501 Zur Massenhypnose, Volksmeinung und zum hypertrophen Hitler-Mythos siehe die Untersuchung von Ian Kershaw, Der Hitler-Mythos, Volksmeinung und Propaganda im Dritten Reich. 502 An das einstige "mythische Ansehen der Armee" in der Bevölkerung erinnert Christian Graf von Krockow, Die Deutschen in ihrem Jahrhundert, S. 218t: - Im größeren Kontext gehörten auch die "einfachen" SA-MAnner zur "Masse"; insofern mußte die Reichswehrfilhrung als eine ahernative milit1rische Organisation zur SA deren Wünsche im weitesten Sinne übernehmen oder wenigstens ansprechen. 503 Klaus-JOrgen Müller, Armee und Drittes Reich, S. 161, Dokument Nr. 26. 504 Ebenda.

505 Die weitgehenden Verstrickungen der Wehrmacht in die "Endlösung der Judenfrage" können im Rahmen dieser Albeit nicht diskutiert, sondern nur erwlhnt werden. Siehe dazu Amo J. Mayer: Der Krieg als Kreuzzug. Das Deutsche Reich, Hitlers Wehrmacht und die "Endlösung". Reinbek bei Hamburg 1989, S. 250-411. - Siehe das Standardwerk über die Judenvernichtung Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden. Die Gesamtgeschichte des Holocaust, Berlin 1982, S. 139ff. Helmut Krausnick: Hitler und die Morde in Polen. Ein Beitrag zum Konflikt zwischen Heer und SS um die Verwaltung der besetzten Gebiete, in: Vierteljahrshefte filr Zeitgeschichte, 1963, S. 196-209, weist mit Dokumententeil auf die weitreichenden Verbindungen zwischen Reichswehr und nationalsozialistischer Judenpolitik hin.

11. Die Reichswehr und die Krise des Systems 1933/34

III

des nationalsozialistischen Staates betrachtet, dem man sich nicht zu entziehen vermochte, wollte man sich der VeIbindung mit dem Volk nicht verschließen. 506 Konzessionsbereitschaft in der Rassenpolitik bedeutete einen weiteren Schritt zur militärpolitischen Behauptung gegenüber der SA, weil Hitler nun auch in einem weiteren Grundpfeiler seiner Politik mit der Armee wenigstens am Beginn seiner Herrschaft einen kompromißbereiten Partner vorfand. Das Kalkül der Reichswehrführung, durch verstärkte Loyalität zu Hitler Vorteile im Machtkampf mit der SA zu erlangen, änderte eine jahrelange Maxime ihrer Personalpolitik. 507 Noch während der Weimarer Republik hatte die Reichswehr ihre Personalpolitik (personalauswahl, Offiziersauslese) gegen alle parlamentarischen Änderungswünsche verteidigt.508 Aufgrund ihrer rassenpolitischen Konzessionen opferte die Armee nun den traditionellen Autonomieanspruch der Personalpolitik des preußisch-deutschen MilitärS. 509 Die opportunistische Bindung an das System wurde neben den schon länger bestehenden militärpolitischen und mentalitätsspezifischen Komponenten zu einer dritten Säule der GesamtveIbindung zwischen dem Militär und dem nationalsozialistischen Staat in gleichzeitiger Abgrenzung zur SA. Die Reaktion der Offiziere auf den personalpolitisch einschneidenden "Arierparagraphen" fiel unterschiedlich aus. Sie reichte von kaum verhohlener Kritik und tiefer Verlegenheit bis zu dem Bemühen, trotz persönlicher Sympathie fiir die Betroffenen die Maßnahmen zu rechtfertigen. 510 Aber so unter506 In diesem Sinne urteilt Klaus-JOrgen MOlIer, Das Heer und Hitler, S. 81, wenn er schreibt, daß BIombergs "Arier-Erlaß" Haut der Linie der allgemeinen "Ojjnungs-Politik" der Reichswehrfilhrung" lag. - DetlefBald: Der deutsche Generalstab 1859-1939, Reform und Restauration in Ausbildung und Bildung. MOnchen 1977, S. 87, filhrt einen weiteren Aspekt heran. Er konstatiert einen politisch-ideologischen Umbruch bei den OffIZieren: "Lockerung der Bindung an die preußisch-

kaiserlichen Traditionen, insbesondere unter den jüngeren Offizieren; Aufgeschlossenheit fiJ.r die sozialen Probleme und den technischen Fortschritt der neuen Zeit, deren politische Orientierungsprobleme von echten ideologischen Tendenzen scheinbar griffig und gültig erklart wurden; schließlich Professionalisierung und technokratische Funktio-nalisierung, die bis zur Ignoranz in allen nichtmilitarischen Fragen fiJ.hrten ".

507 Zum ideologischen Umfeld siehe den Erlaß des Reichswehnninisters zur weitergehenden nationalsozialistischen Erziehung der Wehrmacht in Manfred Messerschmidt, OffIZiere im Bild von Dokumenten aus drei JaJubunderten, S. 260ft:, Dokument Nr. 101. - Ders., Die Wehrmacht im NSStaat, S. 47, urteilt: "Man war bereit, angesichts des grundsdtzlich bejahten "nationalen Aufbruchs"

über vieles hinwegzusehen, das bei genauer Betrachtung die eigenen Daseinsvoraussetzungen geßhrden kannte",

508 Manfred Messerschmidt, Die Webrmacht im NS-Staat, S. 40ft: 509 Ebenda. 510 Siehe allgemein zu den Reaktionen Klaus-JOrgen MOlIer, Das Heer und Hitler, S.82ft: - Freiburger Militärarchiv, RW 6/v. 73. Oberstleutnant a.D. Benary beschwerte sich bereits am 3.10.1933 in einem Schreiben an BIomberg. dass ich als Deutscher zweiter Klasse angesehen werde oder mich

zum mindesten als solcher fiJ.hlen muß".

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C. Vorgeschichte der Terroraktionen

schiedlich die Kritik auch war, so verdeutlichte sie doch, wie wenig die Offiziere die grundsätzliche Problematik der nationalsozialistischen Rassenlehre begriffen. 511

3. Exkurs: Ein Staatsstreich als Ausweg? Die Reichswehrfiihrung hatte sich im Machtkampf mit der SA auf die Seite Ritlers und auf die des nationalsozialistischen Systems gestellt. Angesichts der Systemkrise und den damit verbundenen Schwierigkeiten Ritlers, die Phase der "Machtergreifung"512 erfolgreich abzuschließen, entsteht die Frage, ob es nicht fiir die Reichswehr eine politische Alternative zu ihrem Vorgehen gegeben hat?513 Gab es die Möglichkeit, im Machtkampf mit der SA militärpolitisch andere und damit auch gegen den Staat gerichtete Wege zu gehen? Diese Fragen erhalten ihre Bedeutung, berücksichtigt man aus der Ex-PostBetrachtung die späteren tiefgreifenden Verbindungen zwischen Armee und dem nationalsozialistischen Staat. 514 Die beiden politischen Alternativen zu Ritler und dem nationalsozialistischen Staat, die im Jahre 1933 und im Frühjahr 1934 fiir die Reichswehr hätten in Frage kommen können, waren die Militärdiktatur mit anschließender Restauration der konstitutionellen Monarchie und die Militärdiktatur ohne monarchische Restauration. Diese politischen Alternativen bestanden aus vier Gründen. 1. Zum einen hatte das wilhelminische Kaiserreich fiir die Armee 511 Vg1. zu dm Urteilen von OffIZieren aber die nationalsozialistische Rassenpolitik, Freiburger Militlirarchiv, 11 H 1008/1 Denkschrift des Chefs des Generalstabs des Wehrkreiskommandos III (3. Division), Oberst 1.0. Manstein, aber die nachtrAgliche Anwendung des "Arierparagraphen" auf die Wehrmacht vom 21. April 1934. Manstein polemisierte nicht gegen das rassistische Prinzip, sondern faßte die Maßnahme des Reichswehrministeriums als taktische Maßnahme auf.

512 Der Verfasser schließt sich der Meinung von Karl Dietrich Bracher, Die deutsche Diktatur, S. 258ff., an, daß erst mit dem Soldateneid auf Hitler 1934 die Phase der politischen "Machtergreifung" abgeschlossen gewesen war, weil sich damit die letzte, halbwegs unabhängige Macht (Reichswehr) Hitler nun auch fonnal unterworfen habe. - Ebenso Gotthard Jasper, Die gescheiterte ZlIhmung. S. 237f., der abschließend urteih: "Damit war der Rahmen, in den man Hitler am 30. Januar "eingefaßt" glaubte, endgilltig gesprengt".

513 Dieser Frage ist in der Forschung wenig nachgegangen worden. Einige Hinweise, ohne die Frage näher zu verfolgen, geben Bracher/Sauer/Schulz, S. 910ff. - Andeutungen nur bei John W. WheelerBennett, Die Nemesis der Macht, S. 327ff. - Überhaupt keine Hinweise gibt Manfred Messerschmidt, Die Wehrmacht im NS-Staat, S. 1-47. - Klaus-JOrgen MOlIer, Das Heer und Hitler, S. tolff., ist ausfilhrlicher, ohne die Vorstellungen der "konservativen Opposition" genauer zu analysieren. 514 Die mögliche politische Umorientierung im FrOhjahr 1934 war fIlr längere Zeit die letzte Möglichkeit einer politischen Alternative zum nationalsozialistischen staat. Erst die "SeptemberVerschwörer" (1938) um Heck und Halder konzipierten wieder eine politische Alternative. Zu dieser Zeit hatte das Heer bereits einen erheblichen militlrpolitischen Terrainverlust erlitten. Siehe dazu Klaus-JOrgen MOlIer, Das Heer und Hitler, S. 345-377. - Gesprich mit Johann Adolf Graf von Kielmansegg am 21.3.1990.

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ein weitreichendes Profilierungsfeld fiir ihre politischen und sozialen Interessen geboten. Deshalb standen die meisten Offiziere zu jener Zeit. aber auch während der Dauer der Weimarer Republik einer Monarchie als Staatsform, in welcher speziellen Gestaltung sie auch immer gewünscht wurde, überwiegend positiv gegenüber.S\S Der Gedanke einer Wiederherstellung der Monarchie während der Zeit der Weimarer Republik entsprang der Abwehrhaltung gegen den ungeliebten demokratischen Staat. Kaum ist jedoch versucht worden, diesen Gedanken in die Tat umzusetzen. 516 2. Außer der NSDAP waren bis Mitte des Jahres 1933 alle Parteien verboten oder aufgelöst worden517; diese fielen daher als etwaige politische Alternativen aus, denen sich die Reichswehr hätte anschließen können. 5J8 3. Dagegen wurde im Frühjahr 1934 mit dem nahenden Ableben Hindenburgs die Frage akut, wer Nachfolger des höchsten Repräsentanten der Armee werden sollte. Papen und die Mitglieder der Vizekanzlei versuchten - wenn auch ohne großen Nachdruck -, den Reichspräsidenten dahingehend zu beeinflussen, in seinem Testament die Restauration der Monarchie zu empfehlen. Sie homen bei ihrem Vorhaben

515 GesprAch mit U\rich de Maiziere am 25. MAn 1990. Die sozialpsychologischen Komponenten der Situation der Reichswehr nach 1918 erwähnt Hagen Schulze: Weimar, Deutschland 1917-1933, Berlin 1982, S. 109ff. 516 Die Beteiligung der Offiziere LOttwitz beim Kapp-Putsch und Ludendorff beim Hitler-Putsch geschah nur zu einem geringen Teil aus der Überzeugung heraus, die Monarchie restaurieren zu wollen. Vielmehr wollte man zunAchst die Demokratie beseitigen, um dann ein autoritJres System zu errichten. Hierzu zusammenfassend Johannes Erger: Der Kapp-LOtt-witz-Putsch. Ein Beitrag zur deutschen Innenpolitik 1919/20, Dl1sseldorf 1967, S. 108-139. - Siehe zu LOttwitz' Einstellung zu Nationalsozialismus und Monarchie Walther Freiherr von LOttwitz: Im Kampf gegen die Revolution, Berlin 1933, S. 137. - Auch die Verbindungen einzelner Offiziere mit Vertretern der antidemokratischen konservativen "Rev~lution", wie Claus Grafvon Stauffenberg zu Stefan George, Seeckt zu Elmt Niekisch und Kurt von Schleicher zu Hans Zehrer, filhrten trotz teilweise enger Kontakte nie zu einer Aktion gegen den kritisierten Staat - Christian Müller: Oberst i.G. Stauffenberg. Eine Biographie. Dl1sseldorf o.J. S. 44ff. Müller deutet an, daß George Stauffenberg zur Berufswahl dieser Soldatenlaufbahn beeinflußt haben könnte. - Elmt Niekisch: Erinnerungen eines deutschen Revolutionlirs, Erster Band, Gewagtes Leben, 1889-1945, Köln 1974, S. 171ff. Hier berichtet Niekisch über einen BriefWechsel mit Seeckt - Hans Zehrer: "Die Etappe Papen", in: Die Tat, XXIV, 1932/33. S. 626. Über die "Tat" siehe ferner Kurt Sontheimer: Der Tatkreis, in Gotthard Jasper (Hrsg.), Von Weimar zu Hitler 1930-1933. KölnlBerlin 1968, S. 197-228. Zehrers politische Ansichten wAhrend des Jahres 1932 fanden Ausdruck in seinem Ruf nach einer "Revolution von oben ", die im Reichspräsidenten und in der Armee ihren Rückhalt erhalten sollten. Allerdings wurden sie von der Reichswehrfiihrung kaum beachtet. 517 Schon am 6. Juli 1933 filhrte Hitler aus: "Wir mQssenjelzt die lelzten.Reste der Demokratie beseitigen". Völkischer Beobachter, 6. Juli 1933. - Vgl. zur "Gleichschaltung" der Parteien Klaus Hildebrand, Das Dritte Reich, S. 11. 518 Im übrigen muß gefragt werden, ob die demokratischen Parteien (einschließlich der DNVP), selbst wenn sie noch existiert hAtten, eine politische Alternative fiIr die Reichswehr gewesen wAren. WAhrend der Zeit der Weimarer Republik war der Kontakt zwischen ihnen und dem Militär überwiegend negativ. Siehe dazu Harold 1. Gordon, Die Reichswehr und die Weimarer Republik, S. 351-405. Bezeichnende!weise ist nach der Darstellung von Gordon (S. 397ff.) nur die Beziehung zwischen den sogenannten "völkischen Parteien" und der Reichswehr über lange Zeit befriedigend verlaufen. 8 v. Fallois

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c. Vorgeschichte der Terroraktionen

auch auf die Unterstützung der Reichswehr. 519 4. Ein militärischer Staatsstreich ohne gleichzeitige Restauration der Monarchie hätte möglicherweise Prestige und Einfluß der Armee noch steigern können. 52o Die theoretische politische Alternative einer Restauration der Monarchie, verbunden mit einem Staatsstreich, wurde von den Offizieren praktisch kaum geplant; die Mitglieder der Vizekanzlei wurden nicht unterstützt. 521 Es sprechen fünf Gründe für diese Ablehnung: l. Der wichtigste Punkt, betrachten wir nach unserer Fragestellung die Beziehungen der Reichswehr zur SA, ist der militärpolitische Faktor. Wer außer Ritler und seinem nationalsozialistischen System hätte dem Heer zu neuer militärpolitischer Macht (Aufrüstung, Armee als zweite Säule im Staat) verholfen und sie schließlich garantieren können? Schon während der Zeit der Weimarer Republik hat die Reichswehrführung nie einen Staatsstreich konzipiert. Warum hätte sie es dann bei einem System tun sollen, das ihr weitaus mehr entgegenkam? 2. Die "konservative Alternative" besaß kein militärpolitisches Konzept, und auch die monarchischen Restaurationsvorschläge blieben unklar. Auch hatte sie nicht, was noch schwerer wog, die staatliche Macht zu einer etwaigen Durchsetzung ihrer Interessen. Die Generäle Witzleben, Bock und Rundstedt, um deren Unterstützung die Mitglieder der Vizekanzlei baten, sagten ab. 522 Das 519 Gesprich mit Hans-Otto Meissner am 20.3.1991. Hans-Otto Meissner ist der Sohn von Otto Meissner, dem damaligen StaatssekretAr Hindenburgs. - Ähnliche HoffilUngen bei Erich Kordt: Nicht aus den AIcten. .. Die Wilhe1mstraße in Frieden und Krieg, Erlebnisse, Begegnungen und Eindrilcke, 1928-1945, Stuttgart 1950, S. 75. - Siehe auch Fritz GOnther von Tschirschky: Erinnerungen eines Hochverräters, Stuttgart 1972, S. 145-163, der als ein ehemaliges Mitglied der Vizekanzlei tlber die monarchistischen PlAne berichtet, die an einige Offiziere ohne Erfolg herangetragen wurden. 520 Als Beispiel (gleichwohl eine Ausnahme) siehe Institut fllr Zeitgeschichte München, F 86, Unbekannte Mitursachen zu Hitlers Machtantritt von StaatssekretAr Dr. W. Abegg (Referat vorn Juni 1935). Abegg be-richtet von einem Tagebuch des Generalmajors Ferdinand von Bredow, in dem er unter dem 4.1.1934 notiert: ''Hitler sei zu verhaften, seine Partei auftuläsen und ausserhalb des Gesetzes zu stellen w. Jedoch handelte es sich hier um eine persönliche, isolierte Meinung. Bredow wurde splter wAhrend der Tcrrortage Ende Juni 1934 von den Nationalsozialisten ermordet. - Axel Schildt: Die Illusion der konservativen Alternative, in Jtlrgen SchrnAdecke und Peter Steinbach (Hrsg.), Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Die deutsche Gesellschaft und der Widerstand gegen Hitler, Mtlnchen 1985, S. 153, urteilt drastisch tlber die konservative Alternative:

"Angesichts der Krdftekonstellation, wie sie seit 1930 bestand, verdienen jedenfalls alle Versuche, konservative Strategie bandnisunabhdngig von der faschistischen Bewegung zu denken, angesichts ihrer Realitdtsforne kaum das Etikett einer "Alternative".

521 Gesprich mit Johann AdolfGrafvon Kielrnansegg am 21.3.1990 und Ulrich de Maiziere am 25.3.1990. Beide berichten von Gesprichen zwischen einigen Offizieren (Witzleben, Schleicher) mit Vertretern der Vizekanzlei, die aber nie tlber eine oberflächige Kontaktaufuahrne hinausgingen. - Vg1. auch die Schilderungen des Fritz GOnther von Tschirschky, Erinnerungen eines Hochverräters, S. 121180. 522 Mit ''konservative Alternative" sind im engeren Sinne die konservativ eingestellten Mitglieder der Vizekanzlei Papens (Jung, Bose, Tschirschky) gemeint. Im weiteren Sinne sind damit diejenigen gemeint, die eine monarchische Restauration anstrebten. Diese benötigten nicht nur das Heer zur Durchsetzung ihrer Ziele. Auch die parlamentarische Legitimation fehlte ihnen. Günther von Tschirschky, Erinnerungen eines Hochverrlters, S. 154, weist nach, daß Jungs Verfassungsplan keine

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konservative Einrahmungskonzept war schon im Sommer 1933 gescheitert. Aus diesen Gründen hatte die "konservative Alternative" zur Zeit der RöhmKrise bei der Reichswehr kaum auf machtpolitischen Rückhalt hoffen können. 523 3. Ritler hatte sich wiederholt negativ über die Restauration einer monarchischen Staatsform geäußert. Ein etwaiges Zusammengehen zwischen Armee und ihm im Sinne einer gemeinsamen monarchischen Restauration war demnach ausgeschlossen. 524 4. Gegen einen Staatsstreich der Reichswehr sprach der militärpolitische Faktor SA: Das Heer war der SA wenigstens von der Anzahl der Mitglieder 1933 weit unterlegen; gegen sie hatte man sich bei einem Vorgehen gegen den nationalsozialistischen Staat aber zu wehren. 5. Ritler war Anfang 1934 ein im Volk weitaus anerkannter "Staatsführer". Besaß die Reichswehrfiihrung demnach überhaupt die Möglichkeit, gegen die Mehrheit des Volkes und gegen einen weitaus legitim gewählten Reichskanzler vorzugehen?52S Die wenigen monarchistischen Bestrebungen in den Jahren 1933/34 fanden daher in der Reichswehr keine Unterstützung. Der drohenden Ablösung der amtierenden bayerischen Regierung durch nationalsozialistische Reichsstatthalter beabsichtigte die Regierung Held entgegenzutreten, indem sie den Wittelsbacher Kronprinzen Rupprecht zum Generalstaatskommissar ernennen Stellungnahmen zur Militärpolitik besaß. - Gesprlch mit Johann Adolf Graf von Kielmansegg am 21.3.1990. Kielmansegg erwlihnt die Konzeptionslosigkeit der "konservativen Alternative". - Institut filr Zeitgeschichte München, ZS lOS, Mellenthin, S. 32f. Danach wurden die Generäle Witzleben, Bock und Rundstedt von den Mitgliedern der Vizekanzlei zur Unterstützung ihrer Ziele angesprochen. - Übertrieben die Darstellung des Edgar J. Jung bei Rudolf Pechei: Deutscher Widerstand, ErlenbachZürich 1947, S. 75f. Pechel behauptet hier, Jung habe das nationalsozialistische System stürzen wollen. Wenn überhaupt, wollte er, was auch in der von ihm geschriebenen Marburger Rede Papens zum Ausdruck kam, einen mäßigenden Einfluß auf das System ausüben. 523 Bracher/Sauer/Schulz, S. 58ft:, machen deutlich, daß Papens und Hugenbergs Einrahmungskonzept scheiterte, weil ihr autoritär-antiparlamentarisches Denken keinen ernstzunehmenden Widerstand gegen Hitler zuließ. - Ebenso Gotthard Jasper, Die gescheiterte ZAhmung. S. 226-238 und Norbert Frei: Der Führerstaat, Nationalsozialistische Herrschaft 1933 bis 1945,2. Aufl., München 1989, S. 23-27. Vgl. auch Helmuth Plessner: Die verspätete Nation. Über die politische Verfilhrbarkeit bürgerlichen Geistes, 5. Aufl., Stuttgart (u.a.) 1969. Plessner weist nach, daß sich ein Großteil der geistigen Elite als prädisponiert filr die ideologischen Gebilde, aus denen die nationalsozialistische Weltanschauung ihre Postulate zog. herausstellte. 524 Siehe zu Hitlers antimonarchistischer Einstellung Rainer Zitelmann, Selbstverständnis eines Revolutionärs, S. 22ft: - Max Domarus I. Band, S. 232. Hitler filhrt am 23. März 1933 aus: "Sie (die

Regierung des deutschen Reiches J.v.F.) sieht daher die Frage einer monarchistischen Restauration (...) als undiskutabel an". Drohend filgte er hinzu: "Sie würde den Versuch einer L6sung dieses Problems auf eigene Faust in einzelnen Landern als Angriff gegen Reichseinheit ansehen müssen und demgemlJß ihr Verhalten einrichten". Siehe Hitlers Äußerungen gegen die Monarchie in Fritz Günther von Tschirscbky, Erinnerungen eines Hochverräters, S. l30f. - Freiburger Militärarchiv, NI Weichs, N 19/5, Hitler sagte über die Monarchie nach dem Sturz Mussolini 1943:

"Die FürstenhlJuser sind nur internationale Klubs, denen jedes Nationalgefohl fohlt".

52S Den irrationalen Führerglauben des Volkes beschreibt lan Kershaw, Der Hitler-Mythos, S. 4672. - Außerdem waren die OffIziere durch einen Eid an "Volk und Vaterland" gebunden. Vgl. Kapitel E.7c.

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C. Vorgeschichte der Terroraktionen

wollte. 526 Nicht nur Rindenburg als höchster Repräsentant der Reichswehr, sondern auch BIomberg lehnte die Bestrebungen um ein Fortbestehen des fOderalen Gedankens ab. 527 Der Anfang Juni 1933 von General Karl von Einem gegründete "Kampfring der monarchischen Bewegung Deutschlands, Bund der Aufrechten", der die monarchistische Bewegung fördern sollte, fand keine Beachtung. 528 Kaisergeburtstagsfeiern von Offizieren wurden am 27. Januar 1934 von SA-Rollkommandos gesprengt. Die Beschwerden einiger Offiziere wurden nicht berück-sichtigt.529 Am 2. Februar 1934 erließ Reichsinnenminister Frick ein Verbot sämtlicher monarchistischer Verbände und Organisationen. 530 Damit war auch offiziell der Versuch einer Wiederherstellung der Monarchie gescheitert. Mili-tlirischer Staatsstreich und Restauration der Monarchie erhielten als praktische Alternative keine Chance: Hatte sich die Reichswehr aufgrund mangelnder Alternative zwangsläufig auf die Seite Ritlers und auf die des nationalsozialistischen Systems stellen müssen?531 Die schon beschriebenen partiellen Übereinstimmungen und sozialpsychologischen Voraussetzungen schufen eine weitreichende Verbindung, die während der Röhm-Krise offensichtlich keine Alternative zuließ. Grund dafiir war primär nicht der Entscheidungsraum während der Röhm-Krise, sondern die lange vorher angelegten Gemeinsamkeiten der Interessen. Diese sollten gerade mit der Rede Ritlers am 28. Februar 1934 noch stärkere Bedeutung erlangen als zuvor.

526 Sonderbeft SOddeutsche Monatshefte (Herausgeber: Paul Nikolaus Cossmann; Schriftleitung: Dr. Arthur HObscher), "König Rupprecht", Jahrgang 1930, Heft 4. - Siehe den BriefWechsel zwischen Hindenburg und Rupprecht, in dern sich Hindenburg gegen die monarchistische Restauration ausspricht bei Kurt Sendtner: Rupprecht von Wittelsbach, Kronprinz von Bayern, MOnchen 1954, S. 555fT. 521 Kurt Sendtner, Rupprecht von Wittelsbach, S. 555fT. - BIomberg protestierte während einer Wehrkreisreise am 23. Februar 1933 in MOnchen gegen die RKleralen Pline. Bracher/Sauer/Schulz, S. 723f.

528 Schulthess Europlischer Geschichtskalender 1933, S. 152. In einem Auftuf des Bundes heißt es: "Unser Streben gilt der L6sung einer Aufgabe, die die Zukunft betrifft. Es wird eines Tages aber die endgaltige Staatsform - ob Monarchie oder Republik - beschlossen werden. Mit heißem Herzen ersehen wir dieMonarchie w• 529 Sprengung von Kaiser-Geburtstags-Feiern am 26.127. Januar 1934 siehe Schulthess Europlischer Geschichtskalender 1934, S. 28. - Beschwerden siehe Freiburger Militärarchiv, NI Mackensen, N 39/265, Oberstleutnant a.D. Ritgen beschwert sich bei Genera1feldmarschall von Mackensen am 4.2.1934. - Mackensen beschwert sich bei Hindenburg am 3.2.1934. 530 Schulthess Europlischer Geschichtskalender 1934, S. 58f. 531 Hierbei sind zwei Einschrinkungen zu machen: Einmal ist zu berOcksichtigen, daß diese Frage nicht aus der Ex-Past-Betrachtung, sondern aus der damaligen Situation der Reichswehr im Jahre 1933/34 heraus beantwortet werden soll. Zum anderen ist mit "zwangsllufig" keine grundsAtzlich deterministische Auffassung von Geschichte gemeint, sondern eine in vielen Bereichen prädestinierte Verbindung zwischen Hitler und MilitAr aufgrund ihrer Vorgeschichte.

D. Reichswehr und Terror I. Intensivierung der Anpassungspolitik und Zunahme der Spannungen mit der SA 1. Hitlers Rede am 28. Februar 1934 Bevor Hitler seine militärpolitische Grundsatzrede hielt532, forderte ihn BIomberg Anfang Februar 1934 zum ersten Mal öffentlich auf, gegenüber der SA eindeutig Stellung zu beziehen. "Nachdem der Versuch einer Einigung mit

der SA-FUhrung gescheitert ist, muß Reichskanzler entscheiden. (. ..) Zu hoffen, daß Ergebnis bei der Ende Februar in Aussicht genommenen neuen Besprechung bekanntgegeben werden kann". 533 Diese Aufforderung ist deshalb geäußert worden, weil Hitler trotz vieler Aufrufe an die SA gegen sie militärpolitisch nicht grundsätzlich Stellung bezogen hatte. 534 Bisher gab es zudem keinen Vertrag, der die gesamte militärpolitische Aufgabenverteilung zwischen Armee und SA regelte. Bezeichnend für das Verlangen der Reichswehrführung nach einer baldigen definitiven Klärung der Aufgabenverteilung waren ihre detailliert ausgearbeiteten "Richtlinien für die Zusammenarbeit mit der SA".S3S Mit diesen "Richtlinien" vom 27. Februar 1934 wurde eine Aufgabenverteilung zwischen

532 In der Forschung herrscht Ober die Bedeutung der Rede Hitlers am 28. Februar 1934 im Rahmen der Röhm-Krise weitgehend Einigkeit Der Inhalt der Rede wurde jedoch lediglich als wichtige Etappe des Machtkampfes zwischen Reichswehr und SA interpretiert, nicht aber auch als eine inha1t\iche Weiterfilhrung der militArpolitischen Konzeption Hitlers. - Bracher/Sauer/Schulz, S. 944, schreiben: "Der 28. Februar darfals einer der Wendepunkte aufdem Wege zum 30. Juni angesehen werden w• - Übertrieben, aber in der Tendenz ihn1ich das Urteil von Karl Martin GraB, Edgar Jung, Papenkrcis und Röhmkrise, S. 163: WWill man aberhaupt von einer R6hmkrise sprechen, so war es diese Februarkrise. Sie wurde von Hitler gegen R6hm entschieden". - Klaus-Jürgen Müller, Das Heer und Hitler, S. 98, schreibt: "Daß Hitler grundstitzlich bereits seine Entscheidung gegen R6hms Konzeption getroffon hatte, bewies der 28. Februar J934". 533 Institut filr Zeitgeschichte München, Liebmann-Au1Zeichnungen, Besprechungen (Minister von BIomberg) am 2. und 3. Februar 1934 in Berlin, S. 278ff. 534 Noch in seiner Rede am 30. Januar 1934 bezeichnet Hitler die SA, als die "unerschatterliche Garde der nationalsozialistischen Revolution". Schulthess EuropAischer Geschichtskalender 1934, S.

34.

535 Siehe fiIr die folgenden Zitate, welche die "Richtlinien filr die Zusammenarbeit mit der SA" betreffen Freiburger Milit1rarchiv, WO 1-5/112 (OKW 863), Vorschlag filr Zusammenarbeit mit SA vom 27. Februar 1934.

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D. Reichswehr und Terror

Reichswehr und SA festgelegt, die einen Tag darauf nach Hitlers Rede von der Reichswehr- und SA-Spitze unterzeichnet wurde. 536 Insofern muß Hitler diesen "Richtlinien" zugestimmt haben. In den "Richtlinien" wird zunächst gesagt, daß der Reichswehrminister "allein Verantwortung./Ur die Vorbereitung der Reichsverteidigung" trage. Die Aufgabe der Reichswehr sei: ''Miliuirische Vorbereitung der Reichsverteidigung, Mobilmachung, Fahrung im Kriege". Auf der anderen Seite sei Aufgabe der SA "vormilitiirische Ausbildung im Anschluß an die Jugendertachtigung" und ''Ausbildung der nicht zum Dienst in der Wehrmacht erfaßten Wehrfähigen". Die "Richtlinien" legten damit eindeutig den Vorrang der Reichswehrführung über die SA auf dem Gebiet der Landesverteidigung fest. Sie stuften die SA zu einer vor- und nachmilitärischen Ausbildungsorganisation herab. Die militärpolitischen Aufgaben der SA erreichten wieder den Standard vom Sommer 1933. 537 Die "Richtlinien" zeigten erneut. wie gering die Reichswehrführung die militärischen Qualitäten der SA-Männer einschätzten. Gleichzeitig machten sie deutlich, daß die potentielle Gefahr eines unkontrolliert handelnden SA-Heeres durch eindeutige Anweisungen vermindert werden sollten. Sämtliche Kommandeure der Reichswehr erhielten Abdrucke dieser "Richtlinien". Sie besaßen damit eine inhaltliche Grundlage für das Zusammentreffen mit Hitler am nächsten Tag in der Bendlerstraße. 538 In seiner Rede im Reichswehrministerium vor den Spitzen der Reichswehr, SA und SS erteilte Hitler den militärpolitischen Ambitionen Röhms eine definitive Absage. 539 Hitlers Rede wurde folgendermaßen protokolliert: "Die NSDAP habe die Arbeitslosigkeit beseitigt. Diese Blate wird aber nur etwa 8 Jahre dauern, dann mUßte ein wirtschaftlicher Durchschlag eintreten. Diesem Übel könne man nur dadurch abhelfen, daß man ./Ur den Bevölkerungsaberschuß Lebensraum schaffe. Daher könnten kurze entscheidende Schläge nach Westen und dann nach Osten notwendig werden. Eine Miliz, wie

536 K1aus-Jürgen Müller, Das Heer und Hitler, S. 99. 537 Sie gingen zum Teil sogar hinter das Niveau vom Sommer 1933 zurück. Beteiligten sich damals noch SA-Einheiten aktiv beim Grenzschutz, so erk.Ilrten die "Richtlinien": "ZugeMrigkeit zur SA ist fiJr Verwendung im Grenzschutz nicht Vorbedingung H• Freiburger Militararchiv, WO 1-5/112 (OKW 863), Vorschlag fllr Zusammenarbeit mit SA vom 27. Februar 1934. - Die Bezeichnung "Vorschlag" kann nur aus Tamun~gründen vom Reichswehrministcrium verwandt worden sein; ein Vorschlag zur Zusammenarbeit war es nicht, sondern eher ein Diktat. - Zu Recht urteilt daher K1aus-Jürgen Müller, Das Heer und Hitler, S. 99, Ober die "Richtlinien": "Nach Inhalt und Wortlaufzielten diese jedoch

weniger aufpartnerschaftliche Zusammenarbeit ab, sondern mehr auf dUnterweifUng er SA unter die Reichswehr".

538 Institut fllr Zeitgeschichte MOnchen, Liebmann-AufLeichnungen, Notizen Ober den 28. Februar 1934,S. 28Sf. 539 Siehe fllr die folgenden, die Rede betreffenden Zitate Freiburger Militararchiv, NI Weichs, N 19/12, S. 12. Inha1tswicdergabc der Rede Hitlers vom 28. Februar 1934.

I. Intensivierung der Anpassungspolitik und Zunalune der Spannungen mit der SA

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sie R6hm vorschlage, sei aber nicht einmal zur kleinsten Landesverteidigung geeignet". Die Vorstellung Röhms von einem Milizheer, die bereits durch die Diskussionen um die Einfiihrung einer zukünftigen von der Reichswehr gefiihrten Wehrpflichtigenarmee540 in den Hintergrund getreten war, wurde nun von Hitler öffentlich verworfen. Damit hatte die SA einen militärpolitisch gleichberechtigten Anspruch gegenüber der Reichswehr verloren. Weiter fiihrt das Protokoll über Hitlers Rede aus: "Eine Miliz, wie sie R6hm vorschlage, sei aber nicht einmal zur kleinsten Landesverteidigung geeignet. Er suchte dies durch kriegsgeschichtliche Beispiele nachzuweisen. Er kam dabei auf seine eigenen Erfahrungen. Die rasch und flüchtig ausgebildete Division, der er 1914 als Soldat angeh6rte, habe bei Langemark unter schweren Verlusten versagt. Er sei daher entschlossen, ein Volksheer, aufgebaut auf der Reichswehr, gründlich ausgebildet und mit den modernsten Waffen ausgerüstet, auftustellen. Auch eine faschistische Miliz nach italienischem Muster lehne er ab. Diese neue Armee müsse nach 5 Jahren flir jede Verteidigung, nach 8 Jahren auch flir den AngrijJ geeignet sein. Innenpolitisch müsse man loyal sein, während man außenpolitisch wortbrüchig werden k6nne. (. ..) Er verlange daher von der &4, daß sie sich seinen Weisungen flige. Für die Übergangszeit bis zur Aufstellung der geplanten Wehrmacht genehmige er den Vorschlag des Reichskriegsministers, die &4 flir Aufgaben des Grenzschutzes und der vormilitärischen Ausbildung heranzuziehen. Im übrigen müsse die Wehrmacht der einzige Waffentrtiger der Nation sein". Zwei Folgerungen sind aus dieser Rede zu ziehen: l. Die SA wurde zum militärpolitischen "Hilfswerkzeug" der Reichswehr degradiert, das sie, folgt man Hitlers Worten, außerdem nur für eine Übergangszeit sein durfte, bis die Reichswehr ihre volle Mannschaftsstärke erreicht hatte. Was demnach mit der SA passieren sollte, blieb unklar. Damit folgte Hitler inhaltlich den am Tag zuvor verteilten "Richtlinien". Der Reichswehr kam er auch aus der oben beschriebenen Situation der Systemkrise heraus in allen Punkten entgegen. 54 \ 2. Einige der in der Rede genannten Punkte (Lebensraumtheorie, Ausrichtung seiner Politik auf das Ziel eines Krieges, Bezug auf seine Weltkriegserlebnisse) kamen auch in früheren Reden und Überlegungen Hitlers wiederholt zum Ausdruck. 542 Hitler nutzte demnach den Kampf um die Kompetenzverteilung

540 Michael Geyer, Aufrüstung oder Sicherheit. S. 350ff. 54\ Freiburger Milit1rarchiv, WO 1-5/112, (OKW 863). Vorschlag rur Zusammenarbeit mit SA vom 27. Februar 1934. Punkt 11: "Aufgaben der SA im Rahmen der Mobilmachung". Hier besitzt der Aufgabenbereich der SA lediglich den Charakter eines Personal- und Walfenzulieferers rur die Reichswehr; mehr wollte Hitler der SA ebenso nicht zugestehen.

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D. Reichswehr und Terror

während der Röhm-Krise auch dazu, seine militärpolitischen Grundauffassungen zu wiederholen und mit Entschiedenheit zu vertreten. 543 Seine Motive ruhten in seinen weltanschaulichen und außenpolitischen Vorstellungen und traten durch den Konflikt Reichswehr/SA noch stärker hervor. 544 Nach der Rede unterzeichneten Röhm und BIomberg jene oben erwähnten "Richtlinien" für die Zusammenarbeit zwischen Reichswehr und SA.545 Dadurch bestand zum ersten Mal eine umfassende vertragliche Regelung zwischen Reichswehr und SA. Ähnliche Regelungen hatten zuvor auf der Bad Reichenhaller Konferenz nur einen vorläufigen, nicht bindenden Charakter besessen. Alle folgenden Handlungen und Bestrebungen Röhms, die den Grundsätzen dieses Vertrages zuwiderliefen, mußten sich also auch gegen den erklärten Willen Hitlers richten. Die Rede rief bei den Offizieren Befriedigung546 und bei den SA-Führem Bestürzung541 hervor. Allerdings stellte sich im März 1934 auf zwei Kommandeurbesprechungen heraus, daß den Offizieren Hitlers Rede nur vorläufige Beruhigung schuf. 548 Der militärische Wert der vertraglichen Regelung sei

542 In Zeiten der Krise - wie zum Beispiel der Röhm-Krise - traten seine ideologisch motivierten militArpolitischen Konzeptionen besonders stark hervor. - VgI. auch die Ahn1ich klingenden Ausfilhrungen Hitlers wAhrend seiner Rede am 3.2.1933 vor der versammelten Generalität im Hause Hanunerstein. Institut filr Zeitgeschichte MOnchen, Liehmann-Aufzeichnungen, Hitlers Rede am 3.2.1933 in Berlin, S. 198ff. 543 In einigen Punkten ging Hitlers Rede sogar Ober das bisher Gesagte hinaus. In seiner Rede am 3.2.1933 ist zum Beispiel lediglich ausgesprochen, daß "keine Verquickung von Heer und SA beabsichtigt Hsei. Institut filr Zeitgeschichte MOnchen, Liebmann-Aufzeichnungen, Hitlers Rede am 3.2.1933 in Berlin, S. 198ff. 544 Von einem HAusreifen des SA-Problems" im Sinne einer Unentschlossenheit Hitlers in der militArpolitischen Kompetenzverteilung - wie in der Forschung gelegentlich behauptet wird - kann daher keine Rede sein. V gI. Helmut Krausnick: Zum militlirischen Widerstand gegen Hitler 1933/1938. Möglichkeiten, AnsItze, Grenzen und Kontroversen, in: Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hrsg.), Der militlirische Widerstand gegen Hitler und das NS-Regime 1933-1945, HerfordlBonn 1984, S. 36. Krausnick erwAhnt die Rede Hitlers vom 28. Februar gar nicht

545 Klaus-JOrgen MOlIer, Das Heer und Hitler, S. 99. 546 Erich von Manstein, Aus einem Soldatenleben, S. 185, urteilt Ober die Rede: "Ich kann nicht umhin, zu sagen, daß sie au/mich einen starken Eindruck machte". - Vgl. dazu auch Klaus-JOrgen MOlIer, Das Heer und Hitler, S. 99.

541 Heinrich Bennecke, Die Reichswehr und der "Röhm-Putsch", S. 45ff.

Die Überraschung, die in

den bestOrzten Äußerungen der SA-FOhrer ober die Rede Hitlers zum Ausdruck kam, zeigt, daß sie mit einer so deutlichen Stellungnahme nicht gerechnet hatten. Hitlers fiühere diesbezOgliche Äußerungen mOssen weit weniger stark auf die SA-Fohrer gewirlct haben. 548 Institut filr Zeitgeschichte München, Liebmann-Aufzeichnungen, Kommandeurbesprechungen am 9.115. Mlirz 1934, S. 285f.

I. Intensivierung der Anpassungspolitik und Zunahme der Spannungen mit der SA

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gleich Null, weil es zu einer glatten Trennung zwischen SA und Reichswehr wegen der Schwäche des Heeres nicht kommen könne, hieß es während der Besprechungen. Auch wenn diese Äußerung überspitzt formuliert zu sein scheint. zeigt sie doch die bleibende Unsicherheit des Heeres gegenüber der zahlenmäßigen Stärke der SA. Sie verdeutlicht zugleich, daß man sich auf Reichswehrseite eine strikte Einhaltung der neuen Regelungen durch die SA kaum vorzustellen vermochte. Die Ausgangsbasis war nach dem 28. Februar zwar eine vertraglich geregelte. Dennoch blieben alte, aufgezeigte Differenzen bestehen, die eine grundlegend neue Beziehung zwischen Armee und SA unmöglich zu werden versprachen. Es ist in der Forschung darüber spekuliert worden, wie sich Röhm am Abend nach der Rede verhalten habe. 549 Auf der einen Seite habe er Bitler kritisiert550, auf der anderen Seite striktes Einhalten der unterzeichneten "Richtlinien" befohlen. 55J Man wird den genauen Ablauf des Abends nicht mehr rekonstruieren können, und auf Spekulationen soll verzichtet werden. Viel entscheidender wird die Frage sein, in welcher Form sich Reichswehr und SA an die "Richtlinien" in den Monaten vor dem gewaltsamen Ausbruch der Röhm-Krise hielten.

2. Zunahme der Spannungen mit der SA im Man, April und Mai 1934

Soll nach dem Machtkampf zwischen Reichswehr und SA während der letzten Monate der Röhm-Krise gefragt werden, ist zunächst als Ausgangsbasis die militärpolitische Situation des Heeres zu analysieren. 552 549 So berichten Bracher/Sauer/Schulz, S. 944; K1aus-JOrgen MOlIer, Das Heer und Hitler, S. 100; Heinz Höhne, Mordsache Röhm, S. 206; John Toland: AdolfHitler, Bergisch G1adbach 1977, S. 444; JoachiJ1l C. Fest, Hitler, S. 626f., vom SA-FOhrer Viktor Lu1ze, der Röluns nlchtliche "Ausfllle" Hitler meldete. Dieser habe darauf geantwortet: "Wir müssen die Sache ausreifon lassen". Allerdings fehlen genaue Belege; es werden nur mOndliche Überlieferungen genannt. 550 Institut tbr Zeitgeschichte MOnchen, ZS lOS, Mellenthin, S. 34. 551 Röhm erließ am 12. Milz 1934 einen Befehl an die SA-Inspe1cteure, der praktische Ansätze zur Durchtbhrung der "Richtlinien" vom 28. Februar 1934 enthielt. Heinrich Bennecke, Die Reichswehr und der "Röhm-Putsch", S. 45ft: 552 1 Die Forschung hat dem Machtkampf zwischen Reichswehr und SA wAhrend der letzten Monate vor dem gewaltsamen Ausbruch der RöIun-Krise herausragende Bedeutung zukommen lassen. Sie hat sich vor allen Dingen der Frage angenommen, welche BeweggrOnde Hitler hatte, sich tbr das Heer und gegen die SA zu entscheiden. Schon Hermann Mau, Die "Zweite Revolution" - Der 30. Juni 1934, S. 130, urteih unklar: "Es ist nichts darüber bekannt, wie die Er6rterungen im einzelnen

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1. Die Situation der Reichswehr stellte sich Anfang März 1934 auf den ersten Blick günstig dar. Die Annee war - wenigstens fonnal - (und während der Zeit der Röhm-Krise auch praktisch) zur zweiten Stütze im nationalsozialistischen Staate geworden. 553 Die schon früh von Hitler erklärten innenpolitischen und außenpolitischen Zielsetzungen554 waren identisch mit denen des Militärs: Innenpolitisch war die Mobilisierung aller nationalen Kräfte unter autoritärer Führung bei Bewahrung der Position des Militärs gelungen. Außenpolitisch wurde eine entschlossene, wenn auch anfangs "verdeckte" Großmachtpolitik, gestützt, auf eine zukünftige starke Annee, betrieben. Die Entscheidungen zur Aufrüstung555 der Reichswehr und zur Einfiihrung des Wehrpflichtigenheeres folgten daraus.

2. Hintergrund war, daß das Heer zum alleinigen Träger des Waffenmonopols werden sollte; gerade die militärpolitische Grundsatzrede Hitlers am 28. Februar 1934 hatte diesen Monopolanspruch nachhaltig unterstrichen. 556 Mit dieser Grundsatzrede wäre - theoretisch wenigstens - der Machtkampf zwischen Reichswehr und SA zu Ende gewesen. 557 In Hitler als autokratischem Führer waren alle wichtigen staatlichen Entscheidungsbefugnisse gebündelt: Welche Gründe hätte es also für eine ihm unterstellte Organisation gegeben, gegen die "Richtlinien" zu verstoßen? Anfang März 1934 blieben folgende Schwierigkeiten zwischen Reichswehr und SA bestehen.

verlaufon sind. die Hitler veranlojJt haben. jilr die Reichswehr zu optieren". Mau erlAutert nicht das Verhlltnis Reichswehr/SA im Frilhjahr 1934. - Bracher/Sauer/Schulz, S. 948ff., konzentrieren sich auf

Hitlers Vorgehen wlbrend der Frilhjahrs-Monate. - K1aus-JOrgen Maller, Das Heer und Hitler, S. 106ff., analysiert stArker das Verh11tnis zwischen Annee und Hitler als das zwischen Annee und SA Dieses wird erst in der Phase unmittelbar vor dem 30. Juni 1934 analysiert. - Peter Longerich, Die braunen Bataillone, S. 206, urteilt: "Exakt ltißt sich der Verlauf des Entscheidungsprozesses. der schließlich zur Ausschaltung der SA-Spitze am 30. Juni 1934 jilhrte. nicht rekonstruieren". Er analysiert Oberwiegend die Rolle der SA und nicht die der Reichswehr im Frilhjahr 1934. - Aus der Perspektive eines ehemaligen SA-Mannes unprAzise Heinrich Benneeke, Die Reichswehr und die Rölun-Krise, S. 4Sff. 553 Das drilckte sich in der schon zitierten Rede Hitlers am 30. Januar 1934 im Reichstag aus, in der er von dem MilitJr als "Zweiter SAule" im nationalsozialistischen Herrschaflsgefilge sprach. SchuIthess Europlischer Geschichtskalender 1934, S. 44. 554 Institut filr Zeitgeschichte Manchen, Liebmann-Aufzeichnungen ober die Rede Hitlers am 3. Februar 1933 vor derversamme1ten GeneraIiW im Hause Hammerstein, S. 198ff. 555 Vgl. Michael Geyer, Aufiilstung oder Sicherheit, S. 347ff. 556 Freiburger MilitJrarchiv, NI Weichs, N 19/12, S. 12. - lnhaltswie-dergabe der Rede Hitlers vom 28. Februar 1934.

557 Hitler war seit dem 2. September 1930 oberster SA-FOhrer (Völkischer Beobachter vom 3. September 1930. Siehe dort den Aufruf Hitlers vom 2. September 1930), und schon daher mußte seine Rede vom 28. Februar 1934 Grundsatzcharakter besitzen. - Vgl. Manfred Funke: Starker oder schwacher Diktator? Hitlers Herrschaft und die Deutschen, Ein Essay, DOsseldorf 1989, S. 72ff. Funke weist nach, daß Hitler der uneingeschrlnk.t höchste Entscheidungsträger im nationalsozialistischen Staate war.

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A. Der riesige SA-Verband hatte gerade wegen Hitlers Rede keine umfassenden und den großen Erwartungen gemäß befriedigende Aufgabenbereiche zugewiesen bekommen. 558 Hinzu kam. daß Röhm und seine SA-Führer diesen Erwartungen, wollten sie selbst unangefochten in ihren Ämtern bleiben, in irgendeiner Form entgegenkommen mußten. 559 So blieb für die Reichswehr die potentielle Gefahr bestehen, daß sich die SA militärisch gegen einzelne Bereiche des Heeres (Waffenlager, Grenzschutz) wenden würde. Diese Übergriffe hat es im Frühjahr 1934 vermehrt gegeben. Für das Heer mußte demnach weiterhin entscheidend sein, wie sich die SA und ihre Führung nach der Rede Hitlers am 28. Februar 1934 verhielt.

B. Trotz seiner Rede hielt sich der Reichskanzler ''bedeckt''; er hatte sich zwar für das Waffenmonopol des Heeres ausgesprochen, aber seinen Entscheidungen keine physische Sanktionsandrohung folgen lassen. 560 Außerdem bestand weiterhin die Gefahr einer unkontrollierten Eskalation der Systemkrise5 6 ! . Es war noch keineswegs sicher, ob Hitler und damit auch die Reichswehr ihre bisherigen Einflußsphären beibehielten. So günstig sich die Situation der Armee Anfang März 1934 vordergründig auch darstellte, so unsicher zeigte sie sich bei genauerer Betrachtung. Das Verhalten der SA im Frühjahr 1934 hatte entscheidend zu dieser unsicheren Situation beigetragen. Röhm und die SA versuchten auf verschiedene Art und 558 Die Reden und Aufsitze Rö1uns an und ober die SA hatten nicht impliziert, daß die SA eine vorund nachmilitJrische Ausbildungsorganisation werden salhe. Siehe als Beispiel die Rede Rö1uns vor dem Diplomatischen Korps am 18. April 1934. Ernst Röhm: Warum SA? - Siehe ebenso seinen Aufsatz: Ders., Die braunen Bataillione der deutschen Revolution. - Bundesarchiv Koblenz, Sammlung Schumacher 415, SA-Stlrkemeldungen. Nach diesen SA-Stlrkemeldungen besaß die SA im August 1934 rund 2,9 Millionen Mitglieder. Das Heer dagegen besaß ein wenig mehr als 100.000 Mitglieder. 559 Daher ist auch die Unsicherheit Röhms zu verstehen, mit der er auf die Rede Hitlers am 28. Februar 1934 reagierte. Auf der einen Seite gah er die mit der Reichswehr unterzeichneten "Richtlinien" an die SA-Inspektionen weiter, auf der anderen Seite veranstahete er große AufinArsche der SA - Vgl. dazu Heinrich Bennecke, Die Reichswehr und der "Röhm-Putsch", S. 45f. - Siehe zu den Erwartungen der SA-Mitglieder an Röhm Institut filr Zeitgeschichte MOnchen, ZS 44, Gaertner, S.

19f.

560 Bracher/Sauer/Schulz, S. 948f., schreiben, daß Hitler sich nach seiner Rede vom 28. Februar 1934 zurOclezog und sich abwartend verhielt. - Ähnlich Institut filr Zeitgeschichte MOnchen, ZS 66, Heinrici, S. 150. Hitler "sieht die Dinge genau. Will Dinge aber sich auskochen lassen ". 56! Zum Beispiel war in der Frage der Restauration der Monarchie noch keine Lösung gefunden; Hitler versuchte durch Ausweichen und dilatorische Behandlung dem Problem zu begegnen. Siehe dazu Bracher/Sauer/Schulz, S. 935f. - Ferner ist hier der in dieser Arbeit nicht ausfilhrlich zu behandelnde interne, noch nicht ausgestandene Machtkampf zwischen den NSDAP-Größen (mit Ausnahme von Hitler) zu beobachten, der ein Produkt der aus der Systemkrisc resultierenden Unsicherheit war. Siehe zum ZweikampfRöhm/Goebbels neuerdings Ralf Georg Reuth: Goebbels, MOnchen 1990, S. 317. - Zum Zweikampf GöringIHimmler siehe Stefan Martens: Hermann Göring, S. 33. - Zum Zweikampf HimmlerlRöhm siehe Jacques Delarue: Geschichte der Gestapo, Königsteinffaunus 1979, S. 65 und S. 108.

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Weise, ihren bleibenden militärischen Anspruch geltend zu machen. 1. Vom März bis Juni 1934 wurden in allen SA-Gruppen große Aufmärsche zur Demonstration der Geschlossenheit, Bereitschaft und Eigenständigkeit der SA abgehalten. 562 Zu dieser Demonstration einer eigenständigen Stärke gehörte auch, daß Röhm seine Kontakte ins Ausland forcierte. 563 2. Die SA verschaffie sich in großem Umfang Waffen. Mit diesen wurden zum großen Teil die "Hilfswerklager" ausgestattet, in denen arbeitslose SA-Mitglieder beruflich geschult wurden. 564 Bei der Entwaffnung der SA nach dem Ende der RöhmKrise wurden schließlich 177.000 Gewehre, 651 schwere und 1250 leichte Maschinengewehre eingezogen. 565 3. Die Zwischenfälle zwischen Reichswehr und SA vermehrten sich. Stellvertretend für weitere ZwischenfiUle, die von der SA provoziert wurden, seien folgende Beispiele aufgefiihrt: Sabotage beim Grenzschutz566, Vorfall bei Zossen567, Vorfälle in Pommem568 und in Sach-

562 Siehe dazu den zeitgenössischen Bericht von Julius Karl von Engelbrechten, Eine braune Annee entsteht, S. 287ff. • In der Literatur ist in diesem Zusammenhang immer wieder von der "Zweiten Revolution" die Rede, die Röhm mit anderen SA·FOhrern geplant haben soll. Bracher/Sauer/Schulz, S. 944.• Klaus.JOrgen MOlIer, Das Heer und Hitler, S. 100.• Joachim C. Fest, Hitler, S. 661. • Neuerdings auch bei Ralf Georg Reuth, Goebbels, S. 311 und bei Amo J. Mayer: Der Krieg als Kreuzzug. S. 224. Dabei ist fiIr jene Wochen aus den Reihen der SA der Begriff in den Quellen nicht nachweisbar. 563 Bracher/Sauer/Schulz, S. 946.• Auch in seiner groß angelegten Rede vor dem Diplomatischen Korps und der Auslandspresse am 18. April 1934 wies RöIun auf die bleibenden Machtansprilche der SA hin. Er fiIhrte unter anderem aus: "Nun hat AdolfHitler die SA in den Staat eingebaut. Damit ist

die SA nicht nur Trllger der Macht. sondern Trliger der Verantwortung des nationalsozialistischen. ihres Staates geworden". Ernst Röhm: Warum SA?, S. 20 .• Jedoch sind Röhms außenpolitische Kontaktaufuahrnen als nicht sehr ergiebig zu bewerten. Siehe dazu Andre Fran90is-Poncet,

Als Botschafter in Berlin, S. 197. Der französische Botschafter urteik Ober seine Begegnung mit Röhm: "Die Begegnung war wenig herzlich und die Unterhaltung uninteressant". • Siehe außerdem zu Reichswehr·feindlichen Reden Röhms Bundesarchiv Koblenz, NS 20, Protokoll Ober die Verneh· mung des Regierungsrates Gert Kloeppel, Aachen, wegen des SA·Putsches am 30.6.1934. 564 Institut filr Zeitgeschichte MOnchen, ZS 540, patzig. S. 3 und S. 9 .• Erich von Manstein: Aus einem Soldatenleben, S. 186, spricht von geheimer Waffenbeschaffung der SA·MAnner. 565 Institut fiIr Zeitgeschichte MOnchen, ZS 66, Heinrici, Befehlshaberbesprechung vom 25. Juli 1934 durch Fritsch, S. 165.• Heinrich Bennecke, Die Reichswehr und der "Röhm·Putsch", S. 47f., weist auf die Gefahr hin, daß sich die SA Waffen vom Grenzschutz hatte besorgen können. 566 Institut fiIr Zeitgeschichte MOnchen, ZS 105, Mellenthin, S. 10.

567 Institut filr Zeitgeschichte MOnchen, MA (Mikrofilmarchiv) 32. Bericht des Oberleutnant Schemmel vom 3.5.1934 Ober Wehrlcreiskommando eingereicht mit EntwurfBIomberg an Hiihnlein. Ein Oberleutnant wurde von SA·Posten auf der Fahrt von Döberitz bei Zossen angehaken und nach kommunistischen Druckschriften durchsucht BIomberg beschwerte sich darOber am 6.6.1934 beim Chef des Nationalsozialistischen Kraftfahrerkorps AdolfHOhnlein. 568 In Pommern berichtete ein FOhrer aus dem Stab des SA·FOhrers Peter von Heydebreck ober die ablehnende Haltung eines großen Teils der SA·Fohrer zur Wehrmacht Institut filr Zeitgeschichte MOnchen, MA 32, Meldung des Oberleutnants z.S. Christian ober die 3. Marincart·Abt in SwinemOnde.

I. Intensivierung der Anpassungspolitik und Zunalune der Spamungen mit der SA

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sen. 569 Die SA-Führer griffen Offiziere in zunehmender Weise verbal an, und die Zusammenarbeit verweigerten sie. Alle diese Zwischenfälle waren Gründe dafiir, daß sich die Zusammenarbeit zwischen SA und Reichswehr nach dem Abkommen vom 28. Februar 1934 auf ein Minimum beschränkte. Das Verhalten der Reichswehr in den Monaten März, April und Mai 1934 gegenüber der SA ist als abwartend, aber nicht als passiv zu bezeichnen. Folgende Gründe sprechen fiir diese Beurteilung: 1. Nach der militärpolitischen Grundsatzrede Hitlers vom 28. Februar 1934 ließ die Reichswehrfiihrung die SA-Aktivitäten beobachten, ohne selbst mit der SA-Führung in direkte Verhandlungen zu treten. So wies BIomberg am 2. März 1934 Hitler und nicht Röhm auf die militärische Gefahr der bewaffneten SA-Stabswachen hin. 570 2. Insgeheim begann die Reichswehrfiihrung, Informationen über Verstöße der SA-Mitglieder gegen die Vereinbarungen vom 28. Februar 1934 zu sammeln, die sie anschließend Hitler meldete. 571 Schon am 21.4.1934 hatte Fritsch alle Wehrkreise um ausfiihrliche Nachforschungen darüber ersucht, wie die SA die ihr auferlegten "Richtlinien" befolge. sn 3. Ohne großen Aufwand, im Inhalt jedoch deutlich, startete die Reichswehr im April 1934 eine "Wehrpropaganda"-Kampagne, in der die Armee zum "alleinigen WajJenträger der Nation" erklärt wurde. 573 Auch mit dieser Kampagne zeigte die Reichswehrfiihrung ihre bleibenden Unsicherheiten. 4. Reichenaus Taktik hatte sich gewandelt: War er im Jahre 1933 noch ein Befiirworter der Einbindung von SA-Mitgliedem in Aufgabenbereiche der Armee gewesen, so ver569 Bei einer Konferenz der Pressereferenten der SA-Gruppe Sachsen vom 21.6.1934 wurde vom Gaureferenten "sogleich die Reichswehr in schändlichster Weise angegrijfon. Die SA als mtJchtigste Organisation in Deutschland werde dauernd bewußt zur Seite geschoben". Gruppenfllhrer Hayn filgte hinzu: "Was hier gesagt wurde. unterstreiche ich restlos". Institut filr Zeitgeschichte MOnehen, MA 32, Bericht des V.-Mannes Friede aus Bad Elster vom 21.6.1934. 510 Schreiben des Reichswehrministers von BIomberg an Adolf Hitler vom 2. Milz 1934, abgedruckt in Ursachen und Folgen. Vom deutschen Zusanunenbruch 1918 und 1934 bis zur staatlichen Neuordnung Deutschlands in der Gegenwart. Eine Urkunden- und Dokumentensammlung zur Zeitgeschichte. Ursg. und bearb. von Herbert Michaelis und Ernst Schraepler unter Mitwirkung von GOnter Scheel, Band 10, Berlin 1958, S. 137.

571 Esrnonde M. Robertson: Hitlers' Pre-War Policy and Military Plans. 1933-1939. London 1963, S. 30ff. Robertson beschreibt hier zudem Reichenau als Han old opponent o[ the SA ". Das ist Reichenau - zieht man seine weitreichenden SA-Pllne in Betracht - nicht gewesen. Am 7. Mai befahl Fritsch, grobe Verstöße der SA ßegen die "Vereinbarungen", demnach wohl die unterzeichneten "Richtlinien" vom 28. Februar 1934, unter Vorlage "positiven Materials" zu melden. Institut filr Zeitgeschichte MOnchen, Liebmann-AufLeichnungen Ober eine Befehlshaberbesprechung vom 7. Mai 1934, S. 287ff. 572 Freibürger MilitJrarchiv, WK 11 1295. Schreiben des Wehrkreiskommandos (Bayer.) VII vom 21. April 1934 ( ... ) zur Weitergabe der Anordnung des Chefs der Heeresleitung ober die Durchfilhrung des "Vorschlages" durch die SA 573 Freiburger MilitJrarchiv, H 24/6, Anordnung des Reichswehrministers vom 21. April 1934 Ober Intensivierung und Akzentuierung der Wehrmachtpropaganda. BIomberg ordnet unter anderem an:

"Die Wehrmacht muß im "ffentlichen Leben mehr als bisher in Erscheinung treten als alleiniger

WajfonträgerderlVation~

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D. Reichswehr und Terror

suchte er jetzt unter größtmöglichem Heraushalten der Reichswehr aus einer möglichen Eskalation der Röhm-Krise Hitler zu einem entschlossenen Handeln gegen die SA zu bewegen. 574 Eine gewaltsame Auseinandersetzung des Heeres mit der SA lehnte er ab, befürwortete sie jedoch, wenn sie von anderer Seite betrieben werden würde. Reichenau verstärkte seine Art "Spionagetätigkeit" gegen die SA-Führung575 und knüpfte diesbezüglich Kontakte zu Himmler. 576 Zusammenfassend ist hier zu urteilen, daß die Reichswehrfiihrung darum bemüht war, die Röhm-Krise nach dem 28. Februar 1934 bei aller offiziellen Zurückhaltung577 langsam eskalieren zu lassen, um zu einer endgültigen Entscheidung zu gelangen. Allerdings wollte man sich nicht selbst gewaltsam an ihr beteiligen. 578 Es wurde im Zusammenhang mit dem "Arierparagraphen" schon von der Verbindung zwischen Armee und nationalsozialistischer Rassenpolitik gesprochen, die zu einem großen Teil wegen des Machtkampfes zwischen Reichswehr und SA auf der Seite der Armee beschleunigt wurde. Diese Anpassungspolitik wurde, wenn auch nicht auf rassenpolitischer Ebene, so doch auf dem Gebiet der ideologischen Angleichung, nach dem 28. Februar 1934 verstärkt. Das kommt insbesondere in der Weisung BIombergs vom 2l. April 1934 über die Akzente der Wehrpropaganda zum Ausdruck. 579 Er befahl, die Reichswehr "als im Sinne der Regierung absolut zuverltJssig" herauszustellen. ''Alle sich bietenden Gelegenheiten" müßten ''for eine Versttirkung der Wehrmachtpropaganda" in diesem Sinne ausgenutzt werden. Den für die innenpolitischen Angelegenheiten bei den Wehrkreisen zuständigen IcSachbearbeitern wurde am 17. April 1934 dargelegt, die Armee müsse vor der 574 Institut fIlr Zeitgeschichte MOnchen, ZS 44, Gaertner, S. 23f. GesprAche mit Johann Adolf Graf von KieJmansegg am 21.3.1990 und Ulrich de Maiziere am 25.3.1990. - Es ergibt sich wiederum das charakteristische Bild eines Machtpolitikers; Reichenau wußte, daß die Zusammenarbeit mit der SA gescheitert war. Nun versuchte er alles, um sie auszuschalten, gleichzeitig aber die Reichswehr aus einer offenen Auseinandersetzung mit der SA herauszuhalten. 575 Insbesondere benutzte Reichenau dazu den eng mit der Reichswehr zusammenarbeitenden Chef des Ausbildungswesen, Krüger. Insofern gebrauchte er ZutrAger aus den Reihen der SA. Institut filr

Zeitgeschichte MOnchen, ZS 44, Gaertner, S. 23f. - Siehe auch Heinrich Bennecke, Die Reichswehr und der "Röhm-Putsch", S. 46f.

576 Dazu Hermann Mau, Die "Zweite Revolution" - Der 30. Juni 1934, S. 133. (Nach Aussagen von Himmlers Adjutanten und KabinettschefSS-Obergruppenfilhrer Karl Wolff.)

5n FOr das Argument der "offiziellen ZurQckha1tung" spricht auch, daß in den Monaten MAlz, April und Mai 1934 im "MilitArwocbenblatt" und in den "Richtlinien filr den Unterricht ober politische Tagesfragen" ansonsten Organe, die sich stark filr das Waffenmonopol der Reichswehr einsetzten, keine Anti-SA-Propaganda auftaucht 578 Im Obrigen zeigte das Verhalten der Reichswehr gegenQber der SA, nicht mehr in direkte Verbindung zu treten, den dilatorischen Charakter ihres Vorgehens: Eine praktische Lösung der Röhmkrise wurde erwar-tet Gesprich mit Johann AdolfGrafvon Kielmansegg am 21. 3.1990. 579 Freiburger Militärarchiv, H 24/6, Anordnung des Reichswehrministers vom 21. April 1934 ober Intensivierung und Akzentuierung der Wehrmachtspropaganda Im folgenden daraus zitiert

I. Intensivierung der Anpassungspolitik und Zunalune der Spannungen mit der SA

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Öffentlichkeit verstärkt hervorgehoben werden. 580 In einem weiteren Erlaß fiihrte der Reichswehrminister am 24.5.1934 aus: "Nationales Denken ist die selbstversUindliche Grundlage jeder soldatischen Arbeit. Wir wollen aber daraber nicht vergessen, daß die Weltanschauung, die den neuen Staat erflillt, nicht nur national, sondern nationalsozialistisch ist. Der Nationalsozialismus leitet das Gesetz seines Handeins aus den Lebensnotwendigkeiten des ganzen Volkes und aus der Pflicht zu gemeinsamer Arbeit flr die gesamte Nation ab. (. ..) Dieses Gesetz darf aber nicht nur unsere dienstliche Arbeit erflillen, sondern muss auch unser ausserdienstliches und geselliges Leben beherrschen".581 BIombergs Richtlinien fiir die zukünftige Erziehungsarbeit lagen einerseits zwar auf der Linie der allgemeinen bereits beschriebenen "Öffnungspolitik" der Reichswehrführung. Andererseits jedoch erhielten sie im Frühjahr 1934 im Rahmen des Machtkampfes zwischen Reichswehr und SA einen spezifisch taktisch-kalkulierenden Charakter: Angesichts der noch nicht beendeten Röhm-Krise war die Reichswehrführung bereit, ihre bislang weitgehend eigenständige Rolle im Machtkampf582 nahezu aufzugeben und nach dem 28. Februar 1934 die Krise durch eine noch stärkere Loyalität zu Ritler und dem nationalsozialistischen System vergrößern zu lassen. 583 Diese Krise spiegelte sich wider in der spannungsgeladenen Atmosphäre, die in der Reichswehr während der letzten Monate vor Ausbruch der Terroraktionen herrschte.

3. Über die Stimmung innerhalb der Reichswehrfohrung gegenflber der.s:4 im Mai und Juni 1934 Die Atmosphäre von Spannungen, Furcht, Mißtrauen und Gerüchten, die sich im Mai und Juni 1934 in der Reichswehr ausbreitete, hatte unmittelbar

580 Freiburger MilitJrarchiv, H 24/6, Vortrag von Major Hennann Foertsch vom 17.3.1934. 581 Manfred Messerschmidt, OffIZiere im Bild von Dokumenten aus drei Jahrhunderten, S. 255, Dokument 97. Erlaß des Reichswehrministers vom 24.5.1934. Nationalsozialistisches Denken und Wehrmacht Pflege der Geselligkeit des OßZierkorps. Lösung von traditionellen gesellschaftlichen Auffassungen. 582 Zwischen dem 28. Februar 1934 und 30. Juni 1934 kann von einer Zusammenarbeit zwischen Reichswehr und SA nicht mehr gesprochen werden. Gespräch mit dem ehemaligen SA-Mann Udo Klausa am 3.9.1989. 583 Hierzu urteilt Manfred Messerschmidt, Die Wehrmacht im NS-Staat, S.23f.: "Möglich. daß noch in den extremen. einer Selbstentäußerung gleichkommenden Assimilationsbemühungen eine politische Zielsetzung steckte. nämlich der Gedanke. zur Wahrung des Waffenträgermonopols den Loyalittlt8Wettlauf mit den militanten Parteiorganisationen gewinnen zu müssen. Die letzten Bemühungen BIombergs vor dem 30. Juni 1934 sind angesichts der beispiellosen Unterordnung unter die Parteiideologie anders kaum zu erklaren ".

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D. Reichswehr und Terror

folgende Ursachen. 584 l. Obwohl Reichswehr und SA ihre Zusammenarbeit weitgehend eingestellt hatten, hielten die Auseinandersetzungen zwischen diesen beiden Institutionen an. Im März 1934 erging eine Anweisung Röhms, systematisch Berichte zum Thema "Feindseligkeiten gegen die SA" zu sammeln. 585 2. Die im Mai 1934 anlaufende Kampagne von Hitler und anderen Parteifiihrern gegen "Miesmacher, Nörgler und Kritikaster"586 schuf verbal ein atmosphärisches Umfeld mit dem Charakter einer "Scharfmacherei". Das bildete einen emotionalen Hintergrund fiir die Eskalation der Röhm-Krise. 587 Diese Kampagne besaß aus "taktischen Gründen" nicht fortwährend die gleichen Adressaten; neben der SA wurden auch konservative 584 Obgleich in der Literatur die Bedeutung dieser Kategorien nicht unbeachtet bleibt, wird ihr jedoch nicht ausfllhrlich nachgegangen. Hier ist nicht die zeitgenössische Literatur und die Zeitzeugenbefragung gemeint, die aber sozialpsychologische Kategorien weitgehend tendenziös und subjektiv berichten. - Klaus-JOrgen Maller, Das Heer und Hitler, S. 112ft:, erwlhnt die stAndig wachsenden Spannungen im Reichswehnninisterium, ohne auf die Bedeutung derselben analytisch einzugehen. Bracher/Sauer/Schulz, S. 946ft:, erwlhnen nicht die sozialpsychologischen Kategorien. - Peter Longerich, Die braunen Bataillone, S. 210ft:, interpretiert lediglich Spannungen innerhalb der SA, aber nicht innerhalb der Reichswehrftlhrung. 585 Zu "Feindseligkeiten gegen die SA" siehe Bundesarchiv Koblenz, NS 23/1, 16.5.1934. - Freiburger Militltarchiv, RW 6/v.66, SA-FOhrer Ernst (Berlin-Brandenburg) beschwert sich am 11.5.1934 bei der obersten SA-Fahrung, daß Offiziere SA-MAnner nicht mehr grüßen warden. - Ebenda. BIomberg beschwert sich am 31. Mai 1934 bei Röhm über mangelhaftes Grilßen von SA-Angehörigen gegenaber Angehörigen der Wehrmacht Siehe zu den Auseinandersetzungen zwischen Reichswehr und SA in den Monaten Mai und Juni 1934 Heinrich Bennecke, Die Reichswehr und der "RöhmPutsch", S. 49ft:, und Bracher/Sauer/Schulz, S. 948ft: - Siehe zu den Urteilen und Vorgehen verschiedener SA-Fahrer gegenüber der Reichswehr Klaus-Jargen Müller, Reichswehr und "RöhmAfflre", S. 119f. - Aussagen des Generalfeldmarschalls Ewald von Kleist aber die Spannungen zwischen SA und Reichswehr vor dem Internationalen Mi-litlrtribunal in Nümberg (1946), abgedruckt als Anlage 4 in Heinrich Bennecke, Die Reichswehr und der "Röhm-Putsch", S. 85. - Gesprich mit dem ehemaligen SA-Mann Udo Klausa am 3.9.1989 aber die Provokationen zwischen SA und Reichswehr in den Monaten Mai und Juni 1934. 586 Im Ra1unen dieser Arbeit kann auf diesen Komplex nur am Rande eingegangen werden. Siehe allgemein zu dem Feldzug gegen "Miesmacher und Kritikaster" Schulthess Europllischer Geschichtskalender 1934, S. l31f. Eröffuungsrede der Kampagne gegen die "Miesmacher" von Goebbels am 11. Mai 1934. - Peter Longerich, Die braunen Bataillone, S. 209f. - Bracher/Sauer/Schulz, S. 950ft: 587 Gespräch mit Kunrat von Hammerstein am 8.8.1989; Johann AdolfGrafvon Kielsmansegg am 21.3.1990 und Ulrich de Maizien: am 25.3.1990. Alle drei Gesprächspartner sagen, daß die "Miesmacher-Kampagne" die einfachen Soldaten in einen "Erklirung,motstand" hineinstieß: Man wußte nicht, was Hitler und die Parteispitze in den folgenden Wochen wirklich planten. - Bracher/Sauer/Schulz, S. 959, urteilen hierzu: "Natürlich sind die konkreten Aussagen der nationalso-

zialistischen Propagandareden nur mit großer Vorsicht zu behandeln. obwohl auch sie manchmal brauchbare Hinweise enthalten. Noch wichtiger aber ist eine Analyse des Verlaufes und des Klimas der Gesamtaktion. die wie alle nationalsozialistische Propaganda auch in diesem Falle in erster Linie psychologische Stimulierung erstrebte: Indem sie die oppositionellen Tendenzen anprangerte. verstlirkte sie die Spannung". - Von einer "Krie~ung" innerhalb der Reichswehr, von dieser Generalstabsoffizier Hans Doerr: Bemerkungen zu dem Aufsatz "Gleichschaltung der bewaffueten Macht", in: Wehrwissenschaftliche Rundschau, Jg. 8, 1958, S. 231, berichtet, kann allerdings nicht die Rede sein.

I. Intensivierung der Anpassungspolitik und Zunahme der Spannungen mit der SA

129

oder andere Systemgegner angesprochen. 588 3. Mit dem baldigen Ableben von Rindenburg war zu rechnen; sein Gesundheitszustand war im Mai und Juni 1934 besorgniserregend. 589 In der Reichswehr wurde daher die Frage wichtig, wer als oberster Repräsentant der Armee an seine Stelle treten sollte. 590 Diese Frage fiihrte zu Unstimmigkeiten in der Reichswehrfiihrung. Offiziere wie Harnrnerstein, Adam, Liebrnann und Stieff drängten darauf, als Reichspräsidenten einen Offizier vorzuschlagen, wobei sie sich auf eine bestimmte Person nicht einigen konnten. BIomberg und Reichenau tendierten dahin, diese Frage erst nach dem Ableben Hindenburgs zu regeln. 591 Die Stimmung innerhalb der Reichswehrfiihrung in den Monaten Mai und Juni 1934 äußerte sich folgendermaßen. Erhöhtes Mißtrauen, gesteigerte Wachsamkeit und die Annahme eines eventuellen Gewaltaktes seitens der SA bestimmten ihre Haltung. So warnte Fritsch Anfang Mai während einer Tagung der höheren Reichswehroffiziere in Bad Nauheim vor der Gefahr möglicher SA-Aktionen und gab die Anweisung, sich nichts von der SA bieten zu lassen. 592 Bei den Wehrkreiskornrnandos wie auch bei der Heeresleitung wurden Meldungen über Ansichten und Stimmungen der SA-Führung aufmerksam verfolgt. Dadurch wuchs auf oberer und mittlerer Kornrnandoebene die Besorgnis über mögliche Ambitionen der SA_Führung. 593 Über die möglicherweise militärpolitisch noch weiterreichenden Absichten berichtet ein Befehl Röhrns, den er arn 9. Juni 1934 nach einern letzten, ergebnislosen Gespräch mit Ritler an alle SA-Dienststellen verteilen ließ. Er empfahl allen SA-Männern, im Juli Urlaub zu nehmen und fUgte hinzu: 588 Bracher/Sauer/Schulz, S. 953, t1uschen sich, von einer zielbewuBten Kampagne gegen Röhm und die "Reaktion" zu sprechen. Gerade weil sie weit gestreut war, wirkte sie auf das atmosphlrische Umfeld des 30. Juni 1934. Eine knappe Übersicht der Reden verdeutlicht diese These. a. Völkischer Beobachter vom 13.5.1934. Goebbels gegen Juden und Kirchen. b. Völki~her Beobachter vom 25.5.1934. Aufruf der Gaupropagandaleitung Württemberg. Sie spricht von "Ewig-Gestrigen". c. Völkischer Beobachter vom 26.5.1934. Der Innenminister des Landes Braunschweig Dietrich Klagges gegen Juden. d. Völkischer Beobachter vom 1.6.1934. Frick gegen die "Miesmacher" allgemein. e. Völkischer Beobachter vom 10.6.1934. Goebbels gegen die "Miesmacher" allgemein. - Gegen Röhm wandte sich präzise nur Rudolf HeB in einer Rede am 25.5.1934. Schulthess Europäischer Geschichtskalender 1934, S. 156ft: 589 Otto Meissner, Staatssekretlr, S. 375. 590 Klaus-Jürgen Müller, Das Heer und Hitler, S. 101f. 591 Institut fllr Zeitgeschichte München, Liebmann-Aufzeichnungen, S. 290ft: - Gesprlch mit Kunrat von Hammerstein am 8.8.1989 und Gabriele von BIomberg am 10.3.1990. 592 Institut fllr Zeitgeschichte München, Liebmann-Aufzeichnungen, Befehlshaberbesprechung vom 7. Mai 1934 in Bad Nauheim, S. 287. 593 Freiburger Militlrarchiv, Wehrkreis VII.l1295, Meldeamt München-Stadt Nr. 130 vom 28.8.1934 an ArtilleriefiIhrer VII. Ein Artillerie-Führer VII erfuhr, daß ein dem Stabschef der SA eng befreundeter SA-Sturmbannfilhrer im April oder Mai 1934 geäußert habe, Röhm werde demnlchst Reichswehrminister. 9 v. Fallois

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D. Reichswehr und Terror

"Wenn die Feinde der SA sich in der Hoffnung wiegen, die SA werde aus ihrem Urlaub nicht mehr oder nur zum Teil wieder einrücken, so wollen wir ihnen diese kurze Hoffnungsfreude lassen. Sie werden zu der Zeit und in der Form, in der es notwendig erscheint, darauf die gebührende Antwort erhalten. Die SA ist und bleibt das Schicksal Deutschlands".594 Zwar hat es keine konkreten Putsch-Versuche Röhms gegeben. 595 Diese und ähnliche Worte Röhms aber vergrößerten die negative Stimmung in der Reichswehrfiihrung und die Befürchtungen vor einem möglichen gewalttätigen Vorgehen des riesigen SA-Verbandes, ehe man selbst für eine gewaltsame Auseinandersetzung ausreichende Vorkehrungen getroffen hätte. 596 Die kurz vor dem 30. Juni 1934 von der Heeresleitung angeordneten umfangreichen Vorbeuge- und Sicherungsmaßnahmen vor einem möglichen SA-Angriff zeugen von jener Nervosität. Außerdem wurde die Überprüfung der Anweisungen für die Alarmbereitschaft und erhöhte Bereitschaft angeordnet. 597 Kurz vor dem Ausbruch der gewalttätigen Phase der Röhm-Krise kursierten viele Gerüchte über ein möglicherweise gewalttätiges Vorgehen der SA; diesen Mutmaßungen ging die Reichswehrfiihrung verstärkt nach. 598 Auch dieses Verhalten ist ein Zeichen für die wachsende Nervosität in der Reichswehrfiihrung. Durch die unterschiedlichen, in diesem Kapitel angesprochenen sozialpsychologischen Kategorien dazu bewegt, erhärtete sich in der Reichswehrfiihrung der Willen, nun doch möglicherweise selbst gegen Teile der SA vorzugehen oder wenigstens Ritler bei einem Eingreifen zu unterstützen. 599 Wie ver594 Völkischer Beobachter vom 10. Juni 1934. (Befehl des Stahschefs an die SA). - Ohne diesen aggressiven Beiklang hatte Rölun allerdings schon am 12. April 1934 öffentlich den Monat Juni zur Urlaubszeit filr die SA-Mlinner verfUgt. Bundesarchiv Koblem. VS 23 vorl. 127. Oberster SA-Führer StahschefRöhrn, Betreff., Urlaub, München, 12. April 1934. - Zu dem filnfstOndigen letzten Gespräch zwischen Hitler und Rölun siehe Bracher/Sauer/Schulz, S. 952. 595 Aus den Quellen sind keine Anweisungen der SA-Führer zu einem etwaigen gewalttätigen Vorgehen der SA herauszulesen. Deshalb ist auch die Bezeichnung Rölun-Putsch (Heinrich Bennecke: Die Reichswehr und der "Rölun-Putsch", Albert Speer, Erinnerungen, S. 64.) irrefilhrend.

596 Gespräch mit Johann AdoIfGrafvon KieImansegg am 21.3.1990 und Kunrat von Hammerstein am 8.8.1989. - Siehe auch Erich von Manstein, Aus einem Soldatenleben, S. 186. - Ebenso Ulrich de Maiziere: In der Pflicht, Lcbensbericht eines deutschen Soldaten im 20. Jahrhundert. HerfordlBonn 1989,S.36f. 597 Freiburger Milit1rarchiv, WK VIII1652, Artl. Führer VII, la Nr. 145/34. g. Kdos. R. vom 23.6.1934 unter Bezug auf entsprechende Anordnungen des Wehrkreiskommandos VII vom 3.4.1934, die wiederum auf eine Anweisung des Reichswehrministers, TA Nr. 4102/34 g.K. T2 III B vom 8.3.1934 zurückgeht 598 Siehe Klaus-Jürgen Müller, Das Heer und Hitler, S. 116f.

599 Diese Bereitschaft zum Vorgehen, so belegen es viele Quellen, ist durch die oben beschriebenen sozialpsychologischen Kategorien erleichtert und gefOrdert worden. Siehe dazu Institut filr Zeitgeschichte München. Liebmann-Aufzcichnungen, Mündliche AusfiIhrungen des Reichswehrministers vor den Befehlshabern am 5.7.1934, S. 290ff. Hier berichtet BIomberg davon, daß gegen die sich im Juni verdichtenden Vermutungen eines "SA-Putsches" die Reichswehr prlventiv hat vorgehen mOssen. - Freiburger Milit1rarchiv, Depot Smilo von LOttwitz N 10/9. LOttwitz berichtet von

I. Intensivierung der Anpassungspolitik und Zunahme der Sparmungen mit der SA

131

hielt sich das Heer in den Wochen vor dem 30. Juni gegenüber der SA und dem nationalsozialistischen Staat?

4. Das politische Vorgehen der Reichswehr gegen die SA im Vorfeld des 30. Juni 1934

Unmittelbares Handlungsmotiv für die entscheidungstragenden Offiziere600 bei ihrem Vorgehen in den Wochen vor dem 30. Juni 601 war einmal die bereits diskutierte Stimmung innerhalb der Reichswehrfiihrung. Ein anderes, die Handlungen der Offiziere bestimmendes Motiv war in der Haltung Hitlers zu sehen. Dieser hielt sich nach seiner Rede vom 28. Februar 1934 weitgehend offiziell "bedeckt" . Inoffiziell jedoch und für die Reichswehrfiihrung nicht vollständig durchschaubar, hatte er in den Monaten vor dem 30. Juni belastende Informationen gegen die SA-Führung sammeln lassen. 602 Offiziell

Befilrchtungen in Reichswehrkreisen im Juni 1934, daß trotz der Rede Hitlers am 28. Februar 1934 sich der Reichskanzler eventuell doch noch umentscheiden könnte. Daher war man ober den anschließenden "Ausbruch der Aktionen am 30. Juni beinahe erleichtert". 600 Neben den hier aufgezihlten Handluogllmotiven stehen als Oberbegriff folgende Motive: einerseits die bereits diskutierten sozialpsychologischen und militllrpolitischen Gemeinsamkeiten zwischen Heer und Hitler und andererseits die sozialpsychologischen und militllrpolitischen Unterschiede zwischen Heer und SA 601 Mit der Bezeichnung 30. Juni 1934 (oder 30. Juni) sind die Tage des Terrors vom 30. Juni bis 2. Juli 1934 gemeint - In der Forschung ist auf das politische Vorgehen der Reichswehr gegenüber der SA im Vorfeld des 30. Juni 1934 eingegangen worden. Als Beispiele seien genannt: Hermann Mau, Die "Zweite Revolution" - Der 30. Juni 1934, S. 130ft: - John W. Wheeler-Bennett, Die Nemesis der Macht, S.334ft: - Bracher/Sauer/Schulz, S. 951ft: - Heinrich Bennecke, Die Reichswehr und der "Röhm-Putsch", S. 50ft: - Karl Martin GraB, Edgar Jung, Papenkreis und Röhm-Krise, S. 254ft: Klaus-Jürgen Müller, Das Heer und Hitler, S. 112ft: - Ders., Armee und Drittes Reich 1933-1939, S. 66f. Gleichwohl grundsätzlich von einer Beteiligung der Armee bei den Vorbereitungen auf den 30. Juni gesprochen wird, herrscht über das Ausmaß der Verantwortung keine Übereinstimmung. Friedrich Hoßbach: Zwischen Wehrmacht und Hitler, S. 56, steht mit seiner Meinung in der Forschung allein, wenn er schreibt "Der zweifellos bis zu schlirfster Gegenstltzlichkeit vorhandene Dualismus

zwischen Heer und SA ist am 30.6.1934 durch Hitler. GlJring und Himmler ohne Zutun der Armee beseitigt worden ". - Dagegen urteilt Klaus-JOrgen Müller, Das Heer und Hitler, S. 114, daß die Rolle der Reichswehr keine "bewußt ausllJsende" gewesen ist - Das Gegenteil behauptet Heinrich

Bennecke, Die Reichswehr und der "Röhm-Putsch", S. 51f. - Bracher/Sauer/Schulz, S. 951, sprechen hinsichtlich der Verantwortlichkeit an den Vorbereitungen filr den 30. Juni von einem Unterschied zwischen Reichswehrfilhrung und Heeresleitung. 602 Über das "offizielle" Zögern Hitlers, gegen die SA und deren Führung vorzugehen, siehe Rainer Zitebnann, Hitler. Selbstverständnis eines Revolutionärs, S. 77. Zitebnann irrt aber, wenn er schreibt,

"daß Hitler monatelang gezlJgert hatte und unflihig war. eine Entscheidung in dem Konflikt zwischen RlJhms SA und der Reichswehr zu treffen ". - Hitler konnte sich filr eine physische Auseinandersetzung gegen die SA desbalb nicht sofort entscheiden, weil er filr diesen Schritt die Entwicklung des "atmosphärischen Umfeldes" abwartete. Hitler urteilte später: "Ganz selten ist es

geglückt. eine Revolution in die Evolution überzuleiten. Ich weiß. wie schwer das fUr mich selber war in manchen Stunden 1933 auf 1934". Adolf Hitler. Monologe im Führerhauptquartier 1941-

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D. Reichswehr und Terror

deutete demnach wenig darauf hin, daß eine gewaltsame Auseinandersetzung mit der SA unmittelbar bevorstand. 603 Allerdings verdeutlichte die Reaktion Ritlers auf die den nationalsozialistischen Staat kritisierende Marburger Rede Papens vom 17. Juni 1934, daß er nicht länger gewillt war, "konservative" Systemkritik hinzunehmen. 604 Insofern lag ein eventueller unmittelbarer "Schlag" gegen konservative Systemkritiker, nicht aber unbedingt gegen die SA-Führung im Juni 1934 im Bereich des Möglichen. 605 Aufgrund dieser einerseits angespannten, andererseits unklaren Situation der Wochen im Juni ergab sich ein "Handlungsfreiraum", den die Offiziere der Reichswehrführung in Bezug auf das Verhältnis zu der SA nutzen wollten. Sie haben ihre weitreichenden Kooperationen mit führenden Vertretern des nationalsozialistischen Staates "inoffiziell" und "bedeckt" durchgeführt. Die SAFührung sollte von den Vorgängen nicht informiert werden. 606 Reichenau, ehemaliger Befürworter einer Zusammenarbeit zwischen Reichswehr und SA, betrieb in den Wochen vor dem 30. Juni eine enge Zu-

1944. Die AufZeichnungen Heinrich Heims herausgegeben von Wemer Joclunann. Hamburg 1980, S. 296, Rede am 26.2.1942. - Gesprlch mit Kunrat und Ludwig von Hammerstein am 8.8.1989. Danach wußte die Reichswehrfilhrung nicht genau, was Hitler gegen die SA "inoffIZiell" unternahm. 603 Trotz der oben aufgezeigten Auseinandersetzungen zwischen Reichswehr und SA gibt es in den Quellen keine Hinweise filr eine baldige physische Auseinandersetzung größerer Art. - Von einer möglichen Auseinandersetzung ist ebenso nichts aus dem Völkischen Beobachter vom Juni 1934 herauszulesen. Vgl. die Ausgabe 3.14. Juni 1934. Hier ist sogar ein Artikel tituliert mit "Dank an die SA". Weiter heißt es dort: "Diese Männer waren es, die mit ihrem op[ermutigen, restlosen Einsatz

einen 30. Januar 1933 erst erm6glichten. Der Kampf ist nun in andere Bahnen gelenkt und die alten Männer können sich etwas Ruhe g6nnen".

604 Die Rede ist erhalten als unverAnderter Nachdruck (ohne Jahres- und Ortsangabe) im Historischen Seminar der Universiw Bonn mit dem Titel: "Rede des Vizekanzler von Papen vor dem UniversitJitsbund Marburg, am 17. Juni 1934". - Siehe zur Papen-Rede Karl Martin Graß, Edgar Jung, Papenkreis und Rölun-Krise, S. 226ft:, und Bracher/Sauer/Schulz, S. 954f. - Vgl. auch die apologetische Autobiographie von Franz von Papen: Der Wahrheit eine Gasse. Ml1nchen 1952, S. 346ft: Papen sieht sich als Urheber der Rede; sein Mitarbeiter Edgar Julius Jung allerdings schrieb ihm diese. - Die Mitarbeiter homen, daß sich die Reichswehrfilhrung nach dieser Rede auf ihre Seite gegen das nationalsozialistische System stellen wI1rde. Zur Reaktion Hitlers siehe seine Rede auf dem Gauparteitag in Gera vom 16.117. Juni 1934. Schulthess Europlischer Geschichtskalender 1934, S. 153. 605 In diesem Sinne ist auch das brutale Vorgehen gegen ''konservative'' Systemgegner am 30. Juni 1934 zu verstehen. Gesprlch mit Kunrat von Hammerstein am 8.8.1989. - Heinrich BlÜning urteilte später I1ber den Zusammenhang von Marburger Rede und Reichswehr: "Eine solche Rede ohne

unmittelbar darauffolgendes gemeinsames Handeln des Reichspräsidenten und des Heeres war ein riesiger Fehler". Heinrich BlÜning: Briefe und Gespräche 1934-1945, Herausgegeben von Claire Nix unter Mitarbeit von Reginald Phelps und Georg Pettee, Stuttgart 1974, S. 25.

606 Das ergibt sich aus den meist geheim gehaltenen Verhandlungen zwischen Reichswehrfilhrung und Parteispitze. - Gleichwohl hat die SA-Fl1hrung von den AktivitJiten der Reichswehr erfahren. Vgl. das Schreiben des Hauptmann Höme, zugleich SA-Fl1hrer, an seinen Stabschef Röhm, vom 12. Juni 1934, abgedruckt in Heinrich Foertsch, Schuld und Verhängnis, S. 53f.

I. Intensivierung der Anpassungspolitik und Zuna1une der Spannungen mit der SA

133

sammenarbeit mit führenden Vertretern des nationalsozialistischen Staates. 607 Auf der einen Seite stand er ständig mit Himmler und Heydrich in Kontakt60S, die ihrerseits versuchten, sich innerhalb des personalpolitischen Machtkampfes in der nationalsozialistischen Führung günstigere Positionen zu verschaffen. 609 Hier wird erneut deutlich, daß die Reichswehrfiihrung im Verlauf der Röhm-Krise mit Vertretern einer elitären Rassenideologie (Himmler, Heydrich) zu kooperieren verstand. Schon die Aufnahme des "Arierparagraphen" in die Personalpolitik der Reichswehr hatte die weitreichende Kooperationsbereitschaft auf dem Gebiet der "Rassenpolitik" offenbart. 61o Mit Himmler und Heydrich zusammen ließ Reichenau nun belastendes Material gegen die SA sammeln. 611 Außerdem sprachen alle drei Personen über ein mögliches Vorgehen gegen die SA.6\2 Auch wenn diese Unterredungen im Vorfeld des 30. Juni über einen präventiven Charakter nicht hinauskamen, so veranschaulichte der reibungslose Ablauf des 30. Juni jedoch, wie genau die vorherigen Absprachen gewesen sind. 613 Auf der anderen Seite versuchte Reichenau zusammen mit BIomberg den schon aufgezeigten "Handlungsfreiraum" im Vorfeld des 30. Juni dahingehend zu nutzen, daß er Hitler zu einer gewalttätigen Lösung des SA-Problems

607 Über die Rolle Reichenaus wAhrend der letzten Wochen vor dem 30. luni ist in der Forschung unterschiedlich geurteilt worden. K1aus-lürgen Müller, Das Heer und Hitler, S. 113ff., ordnet Reichenau einen Hitler beeinflussenden Aktionismus zu. - Fritsch schreibt in einer Niederschrift, abgedruckt in Friedrich Hoßbach, Zwischen Wehrmacht und Hitler, S. 70, "daß Himmler und Reichenau wohl die Dinge im wesentlichen gestaltend beeinflußt haben ". 60S Institut filr Zeitgeschichte München, Befragungsniederschrift Karl Wolff vom 7. und 8. September 1952. - Heinz Höhne, Der Orden unter dem Totenkopf. Die Geschichte der SS, Gütersloh 1967, S. 100ff.

609 1m Rahmen dieser Arbeit kann auf den personalpolitischen Machtkampf nur am Rande eingegangen werden. Interessant ist, daß Himmler, Heydrich und auch Göring mit der Reichswehrspitze aus ihnIichen Gründen kooperierten: lede Partei wollte wAhrend der Röhm-Krise ihre jeweiligen Machtpositionen im nationalsozialistischen Staat bewahren oder sogar ausbauen. Himmler, Heydrich und Göring haben dann wAhrend der "Terrortage" wesentliche Rollen gespielt; sie "nutzten" die Tage filr ihre persönlichen Rachefeldzüge. Vgl. dazu Bracher/Sauer/Schulz, S. 159ff., und loachim C. Fest, Hitler, S. 638ff.

6\0 Eine wissenschaftliche Biographie über Himmler ist ein wichtiges Desiderat der historischen und politologischen Forschung.

611 Heinz Höhne, Der Orden unter dem Totenkopf, S. 95ff. - Siehe zu Himmlers Rolle Shlomo Aronson, Reinhard Heydrich und die Frühgeschichte von Gestapo und SD, S. 191ff. - Zu Heydrichs Rolle siehe auch Edouard Calic: Reinhard Heydrich, Schlüsselfigur des Dritten Reiches, Düsseldorf

1982, S. 149-162.

612 Heinz Höhne, Der Orden unter dem Totenkopf, S. 95ff. - Institut filr Zeitgeschichte München. Befragungsniederschrift Karl Wolffvom 7. und 8. September 1952. - Bracher/Sauer/Schulz, S. 951. 613 V g1. Kapitel D. 11. 2.

134

D. Reichswehr und Terror

drängte. Reichenau ließ den Kanzler wissen, daß ''jeder Zugriff der revolutionären SA auf die Truppe (. ..) auf geschlossene Abwehr mit den Waffen stoßen" werde. 614 Reichenau hat allerdings nicht mit einem bewaffneten Aufstand gerechnet. 615 Damit, so formulierte es später ein Mitarbeiter Reichenaus, "lag das Gewicht der Reichswehr erstmals wieder in der Waagschale der Entscheidung".616 Die Heeresleitung war sich mit der Reichswehrfiihrung im Vorgehen gegen die SA im Vorfeld des 30. Juni weitgehend einig. 617 Über die Präventivmaßnahmen war sie nicht nur unterrichtet, sondern auch wesentlich an ihnen beteiligt. Welche Rolle spielte die Heeresleitung während der Wochen vor dem 30. Juni im einzelnen? Das Urteil ist nicht mehr aufrechtzuerhalten, es deute nichts "darauf hin, daß Fritsch von der geplanten terroristischen DurchflJhrung irgendwie orientiert worden war oder auch nur entsprechende Vermutungen gehegt haben konnte".618 Fritsch hat sich aktiv an den VoIbereitungen:fiir eine mögliche Auseinandersetzung mit der SA beteiligt. Von der beschriebenen Stimmung im Vorfeld des 30. Juni offensichtlich nicht unbeeindruckt, 619 ordnete er ab dem 23. Juni umfangreiche Sicherungs- und VoIbeugemaßnahmen an. So wurde am 23. Juni die Überprüfung der Anweisungen :fiir die Alarmbereit614 Edgar Röhricht, Pflicht und Gewissen, S. 59f - Reichenaus auf eine gewaltsame Entscheidung dringende Rolle konunt ebenfalls zum Ausdruck in den Gesprlchen mit Kunrat und Ludwig von Hanunerstein vom 8.8.1989. 615 Institut fllr Zeitgeschichte München, ZS 44, Gaertner, S. 17. 616 Edgar Röhricht, Pflicht und Gewissen, S. 59f - Allerdings ist die Behauptung von K1aus-Jürgen Müller, Das Heer und Hitler, S. 114, übertrieben, wenn er schreibt: Witler mußte jetzt wissen, daß die Reichswehr entschlossen war, ihre Interessen notfalls mit Gewalt zu wahren". Reichenaus Handlungen sind eher als DrIngen als eine Androhung VOll Gewalt zu verstehen, zumal die SAFührung gar keine Angriffe plante. 617 In der Literatur (Bracher/Sauer/Schulz, S. 951) - Helmut Krausnick: Vorgeschichte und Beginn des militArischen Widerstandes gegen Hitler, in: Vollmacht des Gewissens, Hrsg. Europäische Publikation e.V. Frankfurt a.M./BerIin, 2. Aufl. 1960, S. 226), ist dagegen hinsichtlich der Verantwortlichkeit an den Vorgingen des 30. Juni bisher der Unterschied zwischen dem Handeln der Reichswehrfilhrung und der Heeresleitung betont worden. 618 K1aus-JOrgen Müller, Das Heer und Hitler, S. 114. - Überspitzt und falsch Friedrich Hoßbach: Zwischen Wehrmacht und Hitler, S. 56. ':4n der Herbeiftlhrung und DurchfiJ.hrung dieses Tages ist die Heeiführung unter General v. Fritsch ""llig unbeteiligt gewesen. Alle anders lautenden Angaben sind haltlos w• - Ähnlich auch Johann Adolf Graf VOll Kie1mansegg: Der Fritschprozess 1938, Ablaufund HintergrQnde, Hamburg 1949, S. 27. ':4us dem, was bisher bekannt geworden ist, lllßt sich kein ausreichender Hinweis daraufentnehmen, was flr eine Rolle Fritsch hierbei gespielt haf'.

Ebenso auch in dem Gesprlch mit Johann AdolfGrafvon Kie1mansegg vom 21.3.1990. Kielmansegg ist Neffe von Fritsch.

619 Siehe zur Nervosiw Fritschs vor einem möglichen SA-Angriff Institut fllr Zeitgeschichte München, ZS 105, Mellenthin, S. 10f Fritsch zeigt hier Furcht vor einem militArischen Zuschlagen der

SA

I. Intensivienmg der Anpassungspolitik und ZunaIune der Spannungen mit der SA

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schaft auf erhöhte Bereitschaft befohlen. 62o Im Wehrkreis VII (Bayern) wurden Truppen zur Sicherung der Funkstellen im Wehrkreis bereitgestellt. 621 Am 24. Juni warnte Fritsch den Reichswehr-Kommandeur in Schlesien, Ewald von Kleist, daß möglicherweise ein Angriff der SA auf die Truppe bevorstehe. Er wies ihn an. sie unauffiUlig in Bereitschaft zu versetzen. 622 Hiermit kann nicht mehr von einer Passivität Fritsch' im Vorfeld des 20. Juni gesprochen werden. 623 Er schien damit, ähnlich wie Reichenau, Präventivmaßnahmen innerhalb der Truppe ergriffen zu haben. Reichenau hatte diese bereits auf politischer Ebene im Zusammenspiel mit den fiihrenden Repräsentanten des nationalsozialistischen Staates eingeleitet. Allerdings kann, obwohl sie sich offenkundig ergänzten, von einem geordneten Zusammenspiel von Fritsch und Reichenau nicht die Rede sein. 624 Am 26. Juni erließ Fritsch den Befehl, daß alle Zusammenstöße mit der SA gemeldet werden müßten, auch wenn sie örtlich erledigt werden konnten. 625 Er befahl am 28. Juni, in den Kasernen Alarmmunition bereitzuhalten sowie die Alarmbestimmungen und die Anordnungen fiir die Bewachung der Kasernen und Munitionsbestände zu überprüfen. 626 Die Abteilungsleiter der Heeresleitung wurden am 28. Juni über die Lage unterrichtet und erhielten Anordnungen fiir die Weiterbehandlung der Krise. 627 Aufgrund dieser Anordnungen rechnete die Heeresleitung mit einem SA-Putsch "sofort oder im Herbst". Die Kommandeure sollten über den Hintergrund der aktuellen Lage

620 Freiburger MilitArarchiv, DZ WK VIII1652, Artl. FOhrer VII, Ia Nr. 14S/34g. Kdos. R. vom 23.6.1934 unter Bezug auf entsprechende vorbereitende Anordnungen des Wehrkreiskommandos VII vom 3.4.1934, die wiederum aufeine Anweisung des Reichswehnninisters, TA Nr. 4102/34g. K. T 2 III B vom 8.3.1934 zurQckgeht 621 Ebenda. 622 Affidavit des Generaloberst Ewald von Kleist Abgedruckt als Anlage 4 bei Heinrich Bennecke, Die Reichswehr und der "Rölun-Putsch", S. 85. 623 Es ist daher auch fraglich, weiterhin von einer "defensiven Stellung" der Reichswehr zu sprechen, wie es Karl Martin Graß, Edgar Jung. Papenkreis und Röhmkrise, S. 262, unternimmt 624 Affidavit des Generaloberst Ewald von K1eist. Abgedruckt als Anlage 4 bei Heinrich Bennecke, Die Reichswehr und der "Röhm-Putsch", S. 85. Aus dem Bericht K1eists geht hervor, daß Fritsch und Reichenau unabhängig voneinander operierten.

625 Freiburger MilitArarchiv, DZ WK VIII1320, (Besprechung beim Wehr-kreiskommado VII am 26.6.1934). 626 Freiburger MilitArarchiv, DZ WK VIII1652. Befehl des Wehrkreiskomrnandos VII; Weisung des Chefs der Heeresleitung ober die Durchfiihrung von Sicherungsmaßnalunen bei Truppen und KommandobehÖfden. - Hier steht als Punkt 4: "Alle Maßnahmen sind m6glichst unauffällig zu

tregen".

627 FOr die folgenden Anordnungen siehe Heinrich Foertsch, Schuld und Verhängnis, S. SIf. Gotthard Heinrici, Abteilungsleiter in der Heeresleitung. hat hier Bemerkungen und Anweisungen höherer Dienststellen aufgezeichnet, um sie den Referenten der Allgemeinen Abteilung zur Kenntnis zu bringen.

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im unklaren gelassen, allerdings in Alarmbereitschaft versetzt werden. 628 Die SS wurde ausdrücklich als Gehilfin herausgestellt und sollte Waffen erhalten. - Darüber hinaus traf die Heeresleitung kurz vor dem 30. Juni umfassende Vorkehrungen für eine mögliche Auseinandersetzung mit der SA: Waffenund Munitionsbereitstellung, Aufstellen von Infanterie und Artillerie auf günstig gelegenen Übungsplätzen. 629 Auch Reichswehrrninister BIomberg war - ähnlich wie Reichenau und Fritsch - an den Vorbereitungen für den 30. Juni aktiv beteiligt.630 Sein Ministerium ließ arn 28. Juni verlauten, "daß ein Putsch gegen das Heer in absehbarer Zeit beabsichtigt sein kann". 631 Das Heer habe "sich auf strikte Defensive einzustellen, um unter keinen Umständen der anderen Seite eine Handhabe zu der Behauptung zu geben, daß die Putschabsicht beim Heer liege".632 Hier zeigte sich die Taktik, die BIomberg, aber auch Reichenau und Fritsch kurz vor dem 30. Juni verfolgten: Inoffiziell wollten sie ein atmosphärisches Umfeld für ein mögliches Eingreifen gegen die SA schaffen, offiziell aber "defensiv" auftreten. Das Reichswehrrninisterium ließ arn 28. Juni ferner verlauten, daß zur Polizei und SS Verbindung bestehen würde. "Im Einzelfall kann die SS zur Bewachung von Lagern und Beständen herangezogen werden. (. ..) WiJnschen der SS nach Waffen kann nachgekommen werden". 633 Es wird deutlich, daß neben Reichenau, der aktiv mit der SS-Spitze verhandelte, auch Fritsch und

628 Ebenda. Hier steht, "dajJ Gerachte bestehen (daß) SA oder Kommunisten losschlagen k6nnten". Das Erwlhnen von Kommunisten, die eventuell einen Putsch planen, (was völlig illusorisch gewesen wAre) zeigt, in welcher Hangespannten Lage" sich die Heeresleitung kurz vor dem 30. Juni

befunden haben muß. - Vgl. zur Kontinuiw der Auseinandersetzungen zwischen Reichswehr und der kommunistischen Partei Harold J. Gordon, Die Reichswehr und die Weimarer Republik, S. 353ft:

629 Heinrich Foertsch, Schuld und VerhJngnis, S. 51f 630 Das ergibt sich schon daraus, daß BIomberg als Reichenaus Chef von dessen oben aufgezeigten

AktiviWen und Absprachen mit der nationalsozialistischen Führung unterrichtet war. Siehe dazu Institut fllr Zeitgeschichte Milnchen, Liebmann-Aufzeichnungen, Milndliche Ausfllhrungen des Reichswehrrninisters vor den Befehlshabern am 5.7.1934, S.290ft: - Daher ist das Urteil von Karl Martin GraB, Edgar Jung, Papenkreis und R6hmkrise, S. 262, sehr unwahrscheinlich, wenn er meint, daß Reichenau alle anderen 01ftziere (!) über seine Verhandlungen im unklaren ließ. Ähnliches Urteil wie GraB auch bei Bracherl Sauer/SchuIz, S. 957.

631 Freiburger MilitArarchiv, DZ WK VIII1652. Aufzeichnungen des Ia. beim Artillerie-Führer (Bayer.) VII, Major i.G. Rupp (zitiert als Rupp-Aufzeichnungen) über Meldungen, Anordnungen und Ereignisse vom 28. Juni bis 1. Juli 1934. Weiter heißt es: HEs handelt sich dabei um einen gewissen

Kreis einzelner SA-Führer mit vielfach nicht ganz normalen Anlagen. denen eine Verzweiflungstat in ihrem Sinne zuzutrauen ist. dajJ sie die Führer des Heeres ausschalten und das Heer im übrigen auf die SA aufteilen möchten H. Hier scheint es sich bewußt um eine Übertreibung von der Seite des Reichswehrrninisters zu handeln, um eine zusAtzliche negative Wirlc:ung gegen die SA-Führung zu erzielen.

632 Ebenda. 633 Ebenda.

I. Intensivierung der Anpassungspolitik und Zunalune der Spannungen mit der SA

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BIomberg insofern mit der SS in Kontakt traten, als sie ihr im Falle einer Konfrontation mit der SA weitreichende Unterstützung zusicherten. 634 Am 29. Juni veröffentlichte BIomberg zum ersten Mal einen Artikel im "Völkischen Beobachter".635 Das Datum der Veröffentlichung und der Inhalt zeigen, daß BIomberg sein seit der "Machtergreifung" bestehendes Werben um die militärpolitische Gunst Hitlers gerade kurz vor dem gewalttätigen Ausbruch der Röhm-Krise verstärkte. Hitler sollte sich der Hilfe der Reichswehr gewiß sein. Zunächst betonte BIomberg die Treue der Armee zum Staat. ''Die

Rolle der Wehrmacht ist eindeutig und klar. Sie dient diesem Staat, den sie aus innerster Überzeugung bejaht, und sie steht zu dieser FUhrung, die ihr das vornehmste Recht wiedergab, nicht nur Trdger der Waffe, sondern auch der von Volk und Staat anerkannte Trdger eines unbegrenzten Vertrauens zu sein". Mit diesen Worten kommt zum Ausdruck, daß die oben beschriebenen

Interessenidentitäten zwischen Armee und Hitler sowie dem nationalsozialistischen Staat in zweierlei Hinsicht eingelöst worden waren. 636 Zum einen stehe nach BIombergs Worten nun der Armee das Waffenmonopol zu. Zum anderen habe das Heer im Volk Vertrauen und Anerkennung zuruckgewonnen. Ferner führte der Reichsminister aus: "Wir sind berufen, an entscheidender Stelle mitzuarbeiten am großen Werk der deutschen Zukunft, nicht als Träger eines Angriffswillens, sondern als Schützer eines Volkes, das sein Schicksal in die eigene Hand genommen hat und nichts anderes will, als freier Herr sein im eigenen Haus". Damit stellte sich BIomberg "als Schützer eines Volkes" für den Fall einer gewalttätigen Eskalation der Röhm-Krise an die Seite Hitlers. Nur zwei Tage später, noch während der gewaltsamen Phase der Krise, wiederholte BIomberg in ähnlichen Worten das Treuebekenntnis der Reichswehr zum nationalsozialistischen Staat. 637

634 Soweit der Verfasser überschauen kann, ist zuvor ein so weitreichender Kontakt zwischen Reichswehr und SS nicht entstanden; mit ihrem ZllSaIIlitJenspiel mit der SS nalun die Reichswehrfilhrung den Bedeutungszuwachs der SS nach Beendigung der Röhrn-Krise vorweg. 635 Der Artikel erschien im Völkischen Beobachter vom 29.6.1934 mit dem Titel: "Die Wehrmacht im Dritten Reich". Im folgenden daraus zitiert. - VgJ. Sekundirliteratur, die die Rede bearbeitet: Heinrich Bennecke, Die Reichswehr und der "Röhrn-Putsch", S. 68f - K1aus-Jürgen Müller, Das Heer und Hitler, S. 113. - Ders., Armee und Drittes Reich 1933-1939, S. 67. 636 Folgende Sitze aus BIomberg;!! Artikel unterstreichen unsere These: "Der Pazifismus ist Qberwunden. Wehrmacht und Staat sind eins geworden". Völkischer Beobachter am 29.6.1934. 637 Siehe den Erlaß des Reichswehrministers Generaloberst von BIomberg an die Wehnnacht vom 1. Juli 1934. Hier filhrt BIomberg unter anderem aus: "Die Wehrmacht als WajJentrc'iger des gesamten Volkes, fern vom innenpolitischen Kampf, wird danken durch Hingabe und Treue!" BIomberg;!! Erlaß "An die Wehnnacht" abgedruckt in Völkischer Beobachter vom 2.7.1934. - VgJ. Alan Bullock, Hitler, Eine Studie über Tyrannei, Düsseldorf 1953, S. 299f Bullocks Analyse, ("BIombergs Auftatz ließ niemand im unklaren, daß die Reichswehr, was auch geschehen mochte, ihren Segen geben mochte") ist aufgrund der klaren militlirpolitischen Zielvorstellungen der Armee zu weit gegriffen.

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Der höchste Repräsentant der Reichswehr, Hindenburg, war kurz vor dem 30. Juni sehr krank. 638 Dennoch besuchte Hitler ihn arn 2l. Juni in Neudeck, um ihm einerseits über seinen ersten Besuch bei Mussolini zu berichten. Andererseits versuchte er aber auch, die Aktionsflihigkeit des Präsidenten nach der Marburger Rede Papens und vor der geplanten Auseinandersetzung mit der SA zu prüfen. 639 Hindenburg war im westpreußischen Neudeck zu weit abgeschinnt, um über die Vorbereitungen von Reichenau, Fritsch und BIomberg genau unterrichtet zu sein. Jedoch hatte er Hitler ennahnt, gegen die SA endlich einzuschreiten, und auch später das gewaltsame Vorgehen gegen die SA begrüßt. 640 Der Chef des Truppenamtes, Beck, muß von den Vorbereitungen vor dem 30. Juni unterrichtet worden sein, auch wenn ihm keine aktive Teilnahme nachgewiesen werden kann. 641 Auch die Offiziere Rabenau, Kleist, Fromm und Adam waren über die Vorbereitungen informiert, während die "inaktiven" Offiziere Schleicher und Hammerstein ahnungslos waren. 642 Nach den Schilderungen des Vorgehens der Reichswehr gegenüber der SA im Vorfeld des 30. Juni ergeben sich folgende Schwerpunkte: Die Reichswehrführung hat Hitler in technischer Hinsicht bei der Vorbereitung der Aktion gegen Röhm und dessen Anhänger bedeutende Hilfestellung geboten. Sie hat damit in gewisser Weise zur endgültigen Entscheidung für ein gewalttäti638 Institut filr Zeitgeschichte MOnchen, ZS lOS, Mellenthin, S. 11. Fritsch besuchte Hindenburg eine Woche später zu einem dienstlichen Vortrag und traf einen sehr kranken Präsidenten an. 639 Schulthess Europlischer Geschichtskalender 1934, S. ISS. Zwar steht hier nur: "Reichskanzler Hitler berichtet dem Reichsprds. in Neudeck über die Zusammenkunft in Venedig". Aber das war

eben nur ein Gesprichsthema: Sogar Hindenburg. so berichtet sein SekretAr Meissner, habe Hitler ermahnt, "die revolutiontiren Unruhestifter endlich zur Rtison zu bringen". Otto Meissner, Staatssekretär unter Ebert-Hindenburg-Hitler, S. 363. 640 Zur Ermahnung an Hitler siehe Otto Meissner, Staatssekretär unter Ebert-Hindenburg-Hitler, S. 363. - Zum Telegramm von Hindenburg. in dem er Hitler filr sein "entschlossenes Vorgehen" dankt, siehe Ebenda, S. 369. - Vgl. zur Deutung des GIOckwunschtelegrammes von Hindenburg auch KlausJOrgen MOlIer, Das Heer und Hitler, S. 126, Anmerkung 231. 641 Klaus-JOrgen MOlIer, Reichswehr und Röhm-AfBre, S. 110. 642 Zu Rabenau siehe Institutfilr Zeitgeschichte MOnchen, ZS 44, Gaertner, S. 15. - Zu Kleist siehe Heinrich Bennecke, Die Reichswehr und der "Röhrn-Putsch", S. 85. und Klaus-JOrgen MOlIer, Das Heer und Hitler, S. 117. - Zu Fromm siehe Institut filr Zeitgeschichte MOnchen, ZS 66, Heinrici, S. 166. - Zu Adam siehe Anton Hoch und Hennann Weiß, Die Erinnerungen des Generaloberst Wilhehn Adam, S. 4Sf., und die Schilderung des Hauptmanns i.G. Vincenz MOlIer: Ich fand das wahre Vaterland, hrsg. von Klaus Mammach, Dt. Militärverlag Berlin-Ost 1963, S. 3S2ff. - Zu Schleicher Gespräch mit Schleichers Tochter Loni am 5.1.1990. Außerdem Gespräch mit Kunrat von Hammerstein am 8.8.1989 ober die Rolle Schleichers und Hammersteins im Vorfeld des 30. Juni. Siehe ferner Ders., SpAhtrupp, S. 67f.,und S. 72ff. Hammerstein berichtet von der Ahnungslosigkeit Schleichers gegenOber der Gefahr, in der er sich im Juni 1934 befand

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ges Vorgehen gegen Röhm gedrängt. Die These von der hauptsächlichen Verantwortlichkeit Reichenaus an den genannten Vorbereitungen643 ist nicht weiter aufrechtzuerhalten. Ebenso tragen Fritsch Und BIomberg und in einem erweiterten Rahmen auch Hindenburg und Beck Verantwortung. Dem Urteil ist zuzustimmen, daß am 28. Juni in der Reichswehrfiihrung "alles bereit" war, "um die Aktion einzuleiten".644

11. Reichswehr und Terror 1. Beginn des Te"ors Die Unterstützung, welche die Reichswehf645 der Polizei, Gestapo und SS bei der Durchfiihrung der gegen die SA am 30. Juni646 gerichteten Maßnahmen gewährte, war erheblich und weitgehend. 641 Bereits einen Tag zuvor wiesen Befehle, die den Standort-Einsatz von Truppen betrafen, darauf hin, daß wenigstens Teile der Reichswehr über ein bevorstehendes Vorgehen gegen die SA gewußt haben müssen. 648 Diese Tatsache 643 Bereits bei Friedrich Hoßbach, Zwischen Wehnnacht und Hitler, S. 70, und bei Hennann Mau, Die "Zweite Revolution" - der 30. Juni 1934, S. 133; Karl Martin Graß, Edgar Jung, Papenkreis und Röhmkrise, S. 262f; Bracher/Sauer/Schulz, S. 957. 6ot4 Bracher/Sauer/Schulz, S. 959.

645 Über die Art und Weise der Beteiligung der Reichswehr ist geschrieben worden, ohne daß allerdings in diesem speziellem Aspekt in der Forschung Übereinstimmung erziehlt worden wAre. Bracher/Sauer/Schulz, S. 9591[, messen der Beteiligung der Reichswehr wahrend der Terrortage keine große Wichtigkeit zu. - Heinrich Bennecke, Die Reichswehr und der "Rölun-Putsch", S. 59-78. Der ehemalige SA- Mann Bennecke Oberbewertet die Rolle der Reichswehr und verbarmIost die der SA K1aus-JOrgen MOlIer, Das Heer und Hitler, S. 118ft:, analysiert zum ersten Mal präzise die Rolle Fritsch', ohne allerdings über die Verantwortlichkeiten anderer entscheidungstragender Offiziere in ähnlicher Form zu berichten. 646 1n der Literatur ist der Ablauf des 30. Juni ausfilhrlich dargestellt worden, und darum braucht hier - mit Ausna1une der Handlung des MilitAcs - darüber nicht berichtet zu werden. - Schon früh bei Hennann Mau, Die "Zweite Revolution" - Der 30. Juni 1934, S. 132ft: und Helmut Krausnick, Der 30. Juni 1934. Bedeutung - Hintergrunde - Verlauf, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitschrift "Das Parlament" vom 30.6.1954, XXV/1954. - Bracher/Sauer/Schulz, S. 959ft: Peter Longerich, Die braunen Bataillone, S. 215ft: - Dagegen Darstellungen populAcwissenschaftlicher Art u.v.a. Max Gallo: Der schwane Freitag der SA Die Vernichtung des revolutionAcen Flügels der NSDAP durch Hitlers SS im Juni 1934, Aus dem Französischen übertragen von earl Schönfeldt, Wien (u.a.) 1972, und die Erinnerung des Meissner-Sohnes Hans-Otto Meissner: Junge Jahre im ReichsprAsidentenpalais. Erinnerungen an Ebert und Hindenburg 1919-1934, MOnehen 1988, S. 372ft:, sowie Heinz Höhne, Mordsache Röhm, S. 247-297. 641 1n der fiilhen Literatur (Mau, Bennecke, Die Reichswehr und der "Rölun-Putsch", Bracher/Sauer/Schutz) wurde lediglich die Tatsache bekannt, daß die Armee rur die SS Waffen Transportmittel, Verpflegung und Unterkünfte bereitgestellt hatte. 648 Freiburger MilitJrarchiv, Befehl des Wehrkreiskommandos VII an die III. Abteilung des 7.

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bewies erneut, wie eng die Reichswehrfiihrung mit den führenden Repräsentanten des nationalsozialistischen Staates im unmittelbaren Vorfeld des 30. Juni zusammengeaIbeitet hat. Die SA-Führung dagegen wurde von dem Vorgehen am 30. Juni völlig überrascht. 649 Bereits am frühen Morgen des 30. Juni wurde die Reichswehrfiihrung über das Vorgehen RitIers informiert. 65o Allerdings versäumte sie es, ihren Befehlshaber des Münchener WehrkreiskOmInandos VII, Wilhelm Adam, über Detailfragen zu unterrichten. 651 Adam war kein Befürworter des nationalsozialistischen Staates652, und es mag möglich sein, daß man ihn deshalb anfangs im unklaren ließ. Schon am Morgen, mit dem Beginn der staatlichen Terroraktionen, zeigten Teile der AmIee große Einsatzbereitschaft. Sie kooperierten mit dem nationalsozialistischen Staat im bayerischen Raum, in welchem sich RitIer bis zum Mittag des 30. Juni befand. Einsatzbereitschaft und Kooperation setzten sich aus einem stufenweisen Vorgehen zusammen. 1. Die Truppen blieben einsatzbereit in den Kasernen und Truppenübungsplätzen. Bereits um 5.10 Uhr wurde befohlen, daß die Truppe des Standortes München nicht aus der Kaserne ausrücken sollte. 653 Die III. Abteilung des 7. bayerischen Artillerie-Regiments verblieb auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr. 654 Das I. Bataillon des 19. bayerischen Infanterie-Regiments in München sollte sich zu einem möglichen Abmarsch zu Fuß und Lastkraftwagen bereithalten, da die Möglichkeit bestünde, "daß Ordnung wieder hergestellt werden muß Strecke Schliersee-Tölz-Tegernsee". 655 Das war die Gegend (bayer.) Artillerie-Regiments über den vorläufigen Verbleib aufdern Truppenübungsplatz Grafenwöhr. - Wehrkreiskommando (Bayer.) VII, Nr. 35 m.lla op; München den 29.6.1934, 1. Ausfertigung, Durchschlag, DZ WK VIII1652. - Ferner siehe Freiburger MilitArarchiv, Rupp-Aufzeichnungen 17.30 Uhr, (29.6.1934), Bekanntgabe an Kommandeure in München, Dokument I. 649 Peter Longerich, Die braunen Bataillone, S. 216f. - Allerdings kann Longerichs These (S. 213), daß im Vorfeld noch Chancen "zu einem dauerhaften Arrangement zwischen Partei und Parteiarmee" bestanden haben, aufgrund unserer Analyse nicht zugestimmt werden. - Siehe zur allgemeinen Desorientierung der SA-Führer Bundesarchiv Koblenz, NS 20, Protokoll über die Vernehmung des Reg. Rates Gert K1oeppel, Aachen, wegen des SA-Putsches am 30.6.1934, S. 18. 650 Institut fiIr Zeitgeschichte München, ZS 105, Mellenthin, S. 12 und ZS 28, Hans Doerr, S. 4. Beide berichten darüber, daß das Wehrkreiskommando VII, das in München lag, die Heeresleitung und das Reichswehr-ministerium über Hitlers Vorgehen verständigte. (Doerr war damals Generalstabsoffizier im Wehrkreiskommando VII.) 651 Institut fiIr Zeitgeschichte München, ED 109, Wilhelm Adam, Unveröffentlichte Erinnerungen, S. 237. - Diese Tatsache ist auch deshalb bemerkenswert, weil Adam Befehlshaber jenes Wehrkreises war, in dem die "Terroraktionen" begannen. 652 Zu Adam siehe seine Aufzeichnungen, Institut filr Zeitgeschichte München, ED 109, Wilhelm Adam, S. 200ft: 653 Freiburger MilitArarchiv, Rupp-Aufzeichnungen, 5.10 Uhr, 30.6., Morgens, Dokument 11. 654 Ebenda.

655 Freiburger Militärarchiv, Rupp-Aufzeichnungen, 8.00 Uhr, 30.6., Mor-gens, Dokument 11.

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von Bad Wiessee, in der Hitler mit Hilfe der SS-Leibstandarte Röhm und die ihn begleitenden SA-Führer verhaften wollte. Die Truppen waren vennutlich als Rückhalt für die SS gegen die in der dortigen Gegend befindlichen SAEinheiten und gleichsam als Eingreifreserve gedacht. Am Mittag des 30. Juni befahl der Chef der Heeresleitung: "Truppen alarmiert in den Kasernen, Urlauber nicht zurückrufen, keine neuen Beurlaubungen".656 Hitler hat dem Verhalten der Reichswehr während des Beginns der Aktionen am 30. Juni großes Gewicht beigemessen: Gegenüber dem befehlsempfangenden Offizier des Wehrkreiskommandos VII erklärte er gleich nach seiner Ankunft in München, alles, "was sich in den ntichsten Stunden hier abspielen wird, ist

reine Sache der Partei. Die Truppenteile haben in den Kasernen zu bleiben. Die Truppe hat mit der ganzen Sache nichts zu tun. (. ..) Ich will dafi1r sorgen, daß die Reichswehr ihren Aufgaben der Landesverteidigung ungest6rt nachkommen kann". 657 Das war sowohl ein Appell an die Interessenlage der Annee als auch eine durch den Hinweis auf die Person Hitlers erfolgende autoritative Abschirmung. Hitlers Mitteilungen wurden während des Vormittags nachgeordneten Dienststellen inhaltlich weitergegeben. 658 Diese Unterrichtung der Kommando-Behörden glitt damit bereits in die Rechtfertigung der Aktionen hinüber. 659

2. Ein weiterer Punkt der Kooperation der Annee war die weitgehende Übereinstimmung zwischen Reichswehr und SS in ihrem Vorgehen. Hierbei knüpfte die Reichswehrfiihrung an ihre engen Kontakte aus der Zeit unmittelbar vor dem 30. Juni an. 660 Schon um 8 Uhr wurde gemeldet, daß "Obereinstimmung zwischen Reichswehr und SS" herrsche und die "SS befreundete Seite" der Annee sei. 661 Um 10.05 Uhr meldete der Standortälteste von Augsburg und Kommandeur des 11. Bataillonsl19. des bayerischen Infanterieregiments, Oberstleutnant Heinrich Krampf, "S-Patronen fi1r SS

werden im Bedarfsfall ausgegeben. 1200 Gewehre der SA gesperrt, im

656 Freiburger Militararchiv, Rupp-Aufzeichnungen, 12.30 Uhr, 30. 6., Dokument III. - Damit ist nachweisbar, daß Fritsch während des 30. Juni nicht unbeteiligt gewesen war. Er selbst äußerte sich

1938: "Wie schließlich der 30. Juni zustandegekommen ist, abersehe ich in seinen Grundlagen nicht genau. Ich vermute, daß Himmler und Reichenau die Dinge im wesentlichen gestaltend beeinflußt haben". Friedrich Hoßbach, Zwischen Wehrmacht und Hitler, S. 70.

657 Zitiert nach Vincenz MOller, Ich fand das wahre Vaterland, S. 356. Hauptmann i.G. Vincenz MOller war damals befehlsernpfangender Offizier des Wehrkreiskornrnandos VII. 658 Freiburger Militararchiv, Rupp-Aufzeichnungen, 8.00 Uhr, 30.6., Morgens, Dokument 11. 659 V gl. Kapitel E.

I. 1..

660 Daher ist das Urteil von Heinrich Bennecke, Die Reichswehr und der "Röhrn-Putsch", S.71,

nicht richtig, wenn er schreibt: "Mit Mißtrauen betrachtete die Reichswehr ohne Zweifel die Bewaffnung von SS- Verbanden ". 661 Freiburger Militararchiv, Rupp-Aufzeichnungen, 8.00 Uhr, 30.6., Morgens, Dokument 11.

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D. Reichswehr und Terror

Bedarfsfall Ausgabe nur an SS".662 Am Mittag wurden der SS Handgranaten. Gewehre, Patronen sowie Räumlichkeiten zur Unterbringung in Kasernen zur Verfiigung gestellt. 663 Die Hilfe der Reichswehr für die SS war demnach von einem derartigen Umfang, daß mit Recht behauptet worden ist, mindestens in Bayern hätten SS und Polizei664 kaum ohne Unterstützung des Heeres ihre Aufträge in diesem Umfang durchführen können. 66s Der SS war bei einer wirklichen Ausweitung der Auseinandersetzung mit der zahlenmäßig deutlich überlegenen SA ein massiver Rückhalt gegeben. 3. Weiterhin gab es Aktionen, bei denen die Reichswehr neben der Einsatzbereitschaft der Truppen und Kooperation mit der SS und Polizei aktiv das Vorgehen Hitlers unterstützte. So wurde mittags "vom Wehrkreiskommando an Infantrie-Regiment 19 Luftschutz for Braunes Haus befohlen".666 Die Armee sicherte damit die Parteizentrale der NSDAP in München ab, als Hitler dort eine Ansprache hielt, um über die morgendlichen Aktionen zu berichten. 667 An mindestens zwei Orten haben Offiziere des Heeres, BataillonsKommandeure und Standortälteste die Entwaffnung der SA zusammen mit der SS und der Polizei durchgeführt. 668 In einem anderen Ort wurde das Stabsgebäude einer SA-Standarte von Reichswehr-Angehörigen in Zivil besetzt. 669 Einsatzbereitschaft und Kooperation der Armee während des Beginns der "Terroraktionen" ergaben, daß Teile des Heeres bereits frühzeitig Hitlers Vor-

662 Freiburger MilitArarchiv, Rupp-Aufzeichnungen, 10.05 Uhr, 30.6., Dokument 111. 663 Freiburger MilitArarchiv, Rupp-Aufzeichnungen, 14.05 Uhr, (Im Auftrag von Major MOller), 14.25 Uhr, (Major von Mam), 30.6., Dokument 111.

664 Auch die Polizei wurde von der Reichswehr unterstotzt. So befahl Hauptmann Goth, Hauptmam im Stabe der 7. Division um 9.00 Uhr: "Wachen der Polizei in Neufreimann und Schleißheim sind durch je 1 Gruppe verstllr1ct". Freiburger Militlrarchiv, Rupp-Aufzeichnungen, 9.00 Uhr, (Hauptmann Goth), 30.6., Dokument 11. - Um 8.00 Uhr hieß es bereits: "Weiterhin erfreuliche Zusammenarbeit mit Polizei". Freiburger Militlrarchiv, Rupp-Aufzeichnungen, 8.00 Uhr, 30.6., Morgens, Dokument 11. 66S So behauptet Hans Doerr: Bemerkungen zu dem Aufsatz "Gleichschaltung der bewaffileten Macht", S. 230f. Daher scheint folgende Analyse von Bracher/Sauer/Schulz, S. 960, Obertrieben: "Nur

in Berlin war GtJring noch He". in den Provinzen he"schte schon Himmlers SS".

666 Freiburger MilitArarchiv, Rupp-Aufteichnungen, 12.30 Uhr, (Oberst-leutnant KObier an Major Thoma). 30.6., Dokument III. - VgJ. auch Heinrich Bennecke, Die Reichswehr und der "RöhmPutsch", S. 58.

667 Heinrich Bennecke, Die Reichswehr und der "R6hm-Putsch", S.58. - Zur Hitler-Rede in der Parteizentra1e siehe Peter Longerich, Die braunen Bataillone, S. 217. 668 Freiburger MilitArarchiv, WK VIlI1652, Meldung des StandortAltesten Augsburg an das Wehrkreiskommando VII Ober Verhandlungen mit der SA-Brigade wegen Abgabe von Waffen am 30.6. 669 Freiburger Militlrarchiv, Rupp-Aufzeichnungen, 20.20 Uhr, 30.6., Dokument IV.

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gehen nachhaltig unterstützten, ohne allerdings selbst in gewaltsame Auseinandersetzungen zu geraten.

2. Die Beteiligung der Reichswehr an den Aktionen Im weiteren Verlauf des 30. Juni, 1. Juli sowie des frühen 2. Juli hat HitIer in raschem brutalen Zugriff vor allem in Bayern (München, Bad Wiessee), Berlin und in Schlesien Röhm und dessen Anhänger in der obersten SA-Führung durch bewaffnete SS-Verbände liquidieren lassen. 67o Die Reichswehr nahm zwar an der Ermordung der Opfer nicht teil, aber sie unterstützte die SS-Verbände mit Waffen und zeigte Kooperationsbereitschaft. 671 Den in Berlin von Himmler, Heydrich und Göring getragenen Aktionen fielen unter vielen anderen die Generäle Schleicher und Bredow, Papens Berater Edgar Jung und Herbert von Bose sowie der frühere Generalstaatskommissar Gustav Ritter von Kahr zum Opfer. 672 Der Ablauf der Ereignisse in Berlin, ein weiterer Schwerpunkt der Aktionen und die dortige Beteiligung der Reichswehr sind bisher nicht mit völliger Genauigkeit zu rekonstruieren. 673 Nach den vorliegenden Quellen ergibt sich folgendes Bild. Ähnlich wie in München wurden Reichswehrtruppen des Wehrkreiskommandos III in Berlin und Umgebung, bewaffnet mit Gewehren, Maschinengewehren und scharfer Munition, in Alarmbereitschaft gesetzt. 674 Die Tmppen erhielten Anweisungen, sich gegen mögliche SA-Angriffe in ihren 670 Zur Ennordung von Röhm und SA-Spitze siehe Peter Longerich, Die braunen Bataillone, S. 215ff. - Zum Vorgehen der SS siehe Shlomo Aronson, Reinhard Heydrich und die Frühgeschichte von Gestapo und SD, S. 193ff., sowie Heinz Höhne, Der Orden unter dem Totenkopf, S. 113ff. 671 Die Quellen erlauben trotz der in Kapitel D. 11. 2. aufgezeigten Kooperationsbereitschaft der Armee keinen Hinweis darauf, daß sich auch nur Teile der Reichswehr aktiv an Gewaltaktionen beteiligten. 672 Zur Ermordung General von Schleichers siehe Theodor Eschenburg: Zur Ermordung des Generals Schleicher, in: Vierteljahrshefte flIr Zeitgeschichte 1 (1953), S. 71-95. - Ebenso Gespräch mit Loni von Schleicher am 5.1.1990, und Friedrich-Karl von Plehwe, Reichskanzler Kurt von Schleicher, S. 293ff. - Zu Jung und Bose siehe Karl Martin GraB, Edgar Jung, Papenkreis und Röhmkrise 1933/34, S.275ff. - Zu Kahr siehe Vincenz Müller, Ich fand das wahre Vaterland, S.359. - Zur amtlichen Toten\iste siehe Heinz Höhne, Mordsache Röhm, S. 319-321. - Aufgrund der Toten\iste wird erkennbar, daß auch andere Hitler-Kritiker den Terror-aktionen zum Opfer fielen. Zum Mord an Gregor Straßer siehe Udo Kissenkoetter: Gregor Straßer und die NSDAP, Stuttgart 1978, S. 194f.

673 Im Berlin Document Center, Institut flIr Zeitgeschichte München und dem Freiburger MilitArarchiv sind bisher keine ungedruckten Quellen über die Berliner Vorginge vorzufmden. Aus den Vorgingen in Schlesien und München läßt sich allerdings auf Berlin zurückschließen. Auch Zeitzeugengespräche ergeben ein ungefllhres Bild der Vorginge. - Auch die neuen Abschnitte der Goebbels-Tagebücher, jetzt in Moskauer Archiven gefunden - ergaben keine Neuigkeiten. 674 Ulrich de Maiziere, In der Pflicht, S. 36f. - Gespräch mit Kunrat und Ludwig von Hanunerstein am 8.8.1989. Bcide hielten sich während der "Terrortage" in Berlin auf.

D. Reichswehr und Terror

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Kasernen zu sichern. 675 Mehr noch als in München und Umgebung trat in Berlin und Schlesien die SS in den Mittelpunkt der gewalttätigen Aktionen676 ; Teile der Reichswehr sicherten ihr Vorgehen militärisch ab. 677 Aber auch im bayerischen Raum ließ die Einsatzbereitschaft der Reichswehr während des weiteren Verlaufes der Terroraktionen nicht nach. So wurden der 34. SS-Standarte 25 Karabiner gegeben. 678 Die SS-Leibstandarte wurde in den Kasernen des Pionierbataillons 7, der Fahrabteilung 7 und des I. Bataillons des Infantrie-Regiments 19 untergebracht. 679 In München und Umgebung blieb die Reichswehr "in dem befohlenen Alarmzusland", wie BIomberg betonte. 680 Schützend stellte sich die Armee in Augsburg vor die Polizei, die SA-Führer verhaften ließ.681 Am 1. Juli hob ein Rundfunkerlaß des Reichswehrministers den Befehl zur Alarmbereitschaft auf. 682 In den Einzelanordnungen des Wehrkreiskommandos steht dazu, daß ein Drittel der Truppen bis auf weiteres in den Kasernen verbleiben und ein Offizier jeder Truppe, ständig durch Fernsprecher erreichbar, in der Kaserne verweilen sollte. Hier wird deutlich, daß Teile der Reichswehr während der gewalttätigen Aktionen bis einschließlich des 1. Juli kooperativ dem nationalsozialistischen Staate zur Seite standen. Zahlreiche Verfügungen, Anordnungen und Befehle fUhren zur These, daß neben BIomberg und Reichenau, wenigstens auch Fritsch als Chef der Heeresleitung und Beck als der des Truppenamtes von den Vorkehrungen und Unternehmungen des Heeres gewußt haben müssen. 683 Damit ist das Urteil, Fritsch habe "keine treibende und keine auslösende" Rolle684 gespielt, und weder Fritsch noch Beck hätten die Aktionen Hitlers durchschaut685, nicht mehr aufrechtzuerhalten.

675 Erich von Manstein, Aus einem Soldatenleben, S.

186t:

676 Heinz

Höhne, Der Orden unter dem Totenkopf; S. 1I5t: - Karl Martin GraB, Edgar Jung, Papenkreis und Röhmkrise, S. 280ft: 677 GesprAch mit Johann AdolfGrafvon Kiehnansegg arn 21.3.1990 und Ulrich de Maiziere arn 25.3.1990. - Siehe auch Institut filr Zeitgeschichte München, ZS 44, Gaertner, S 26ft:

678 Freiburger MilitArarchiv, Rupp-Aufzeichnungen, 15.30 Uhr, 30.6., Dokument III. 679 Ebenda, 15.45 Uhr, Dokument III.

680 Ebenda, 21.40 Uhr, Befehl des Reichswehrministers, Dokument IV. 681

Ebenda, 22.20 Uhr, Dokument IV.

682 Ebenda, 14.50 Uhr, Dokument VII. Hier auch die Angaben zu den Einzelanordnungen des Wehrkreiskommandos. 683 Das ergibt sich einmal aus den weitreichenden Vorbereitungen Fritschs im Vorfeld des 30. Juni. Zum anderen mOssen die Anordnungen wAhrend des 30. Juni und 1. Juli vorschriftshalber dber seinen Tisch gelaufen sein; die Wehrkreiskonunandos unterstanden auch seinem Befehl. - Nach den Quellen, die sich auf die Vorbereitungen der Reichswehrfilhrung im Vorfeld der Terroraktionen und wAhrend der Aktionen beziehen, muß ebenso Beck als Chef des Truppenamtes von den Vorflllen unterrichtet worden sein. Das ergibt sich auch aus seiner Reaktion wAhrend und nach den Aktionen.

11. Reichswehr und Terror

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Hier gilt es innezuhalten. Zur sachgerechten Beurteilung des Tatbestandes sind zwei Punkte zu nennen. Erstens waren weder alle Befehlshaber noch Kommandeure und erst recht nicht die Truppe in der Lage, sämtliche Hintergründe der "Terrortage" zu erfassen. Sie wurden teils einseitig, teils sogar falsch unterrichtet. An verschiedenen Stellen wird deutlich, daß die Reichswehrfiihrung und Hitler die Truppen über die Hintergründe der Ereignisse falsch oder wenigstens einseitig unterrichteten. Ein Befehl BIombergs am 30. Juni verklärte das Geschehen: "Die vom Reichskanzler persönlich geleitete Säuberungsaktion zur Beseitigung von staatsfeindlichen Elementen ist reibungslos durchgefohrt worden. Einsatz der Wehrmacht war nirgends notwendig".686 Hitler sagte am gleichen Tag zu Kommandeuren des Wehrkreiskommandos VII: "Nun eine klare Linie geschaffen, das Heer der alleinige Waffonträger. Jeder Mann, sei es SA oder sonstwer, steht in Zukunft dem Heer zur Ve1:fogung. Jeder Deutsche, auf den die Wehrmacht weist, ist ihr verfallen ". 687 Daher konnte bei den Soldaten der Eindruck entstehen, Hitlers Vorgehen gegen die SA sei ausschließlich eine Aktion zur Abwehr der von der Armee schon längst als bedrohlich empfundenen Machenschaften, sowie andererseits deshalb durchaus im Interesse des Heeres gelegen. 688 Zweitens erreichten sie die Befehle und Anordnungen auf völlig normalem, also dem vorgegebenen und legalen Weg. Sie erhielten sie vom Reichswehrminister, der zugleich Oberbefehlshaber der Gesamtstreitkräfte war und in dessen Namen von dem für innenpolitische Angelegenheiten zuständigen Chef des Wehrmachtsamtes. Ode-r aber sie bekamen sie von der obersten Stelle des Heeres, dem Chef der Heeresleitung, der entweder selbst befahl oder aber die Anordnungen Reichenaus auf Anfrage autorisierte. 689

684 Johann AdolfGrafvon Kielmansegg. Der Frilsch-Prozeß 1938, S. 27. 685 Gert Buchheit: Ludwig Deck, ein preußischer General, München 1964, S. 36. Buchheits Arbeit weist im übrigen viele Ungenauigkeiten im Urteil auf 686 Freiburger MilitArarchiv, Rupp-AufZeichnungen, 21.40 Uhr, Befehl des Reichswehnninister, Dokument IV. 687 Freiburger MilitArarchiv, Rupp-AufZeichnungen, 30.6., Dokument V. Diese Aussage war überzogen; Hitler warb damit gerade wAhrend der "Terrortage" um Vertrauen bei der Reichswehr. Er verschwieg genauso wie BIomberg die bereits laufenden Erschießungen ohne laufendes Gerichtsverfahren. 688 Über die mangelhafte Unterrichtung der Truppe berichtet auch Erich von Manstein, Aus einem Soldatenleben, S. 192. Ähnliche Ergebnisse im Gespräch mit Kunrat von Hammerstein am 8.8.1989. 689 Vincenz Müller, Ich fand das wahre Vaterland, S. 354. Hier Anweisung des Chefs der Heeresleitung vom 29.6.1934 an General Adam: "Was Reichenau angeordnet habe. [sei} ganz in 10 v. Fallois

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D. Reichswehr und Terror

3. Die Möglichkeiten der Gegenwehr Angesichts der weitreichenden Rechtsverletzungen während der "Terrortage" und der Ermordung zweier Reichswehroffiziere690 stellen sich zwei Fragen: Gab es für Offiziere am 30. Juni und l. Juli die Möglichkeit zu einer wie auch immer gearteten Gegenwehr? Welche Offiziere haben Gegenwehr ergriffen, die als eine Art "Widerstand"691 zu den Aktionen von Hitler, Himrnler, Heydrich und Göring hätten gelten können? Will man, um die erste Frage zu beantworten, über die Möglichkeiten einer Gegenwehr urteilen, so muß man vier Punkte vorab berücksichtigen. Erstens ist festzustellen, daß in jenen Tagen über das genaue Ausmaß des Terrors wenig oder ungenau berichtet wurde. 692 Bereits am I. Juli, während die Exekutionen noch andauerten, schrieb BIomberg lobend in einem Tagesbefehl, "der Fahrer" habe mit "soldatischer Entschlossenheit und vorbildlichem Mut die Verräter und Meuterer (. ..) niedergeschmettert", und er betonte, die Armee werde "danken durch Hingabe und Treue".693 Damit war vom Reichswehrminister ein positives Urteil zum Vorgehen Hitlers gegeben worden. Ein oppositionelles Verhalten hätte sich demnach auch gegen die Reichswehrspitze wenden müssen. Dennoch besaß die Reichswehrführung während des 30. Juni aufgrund der äußerst angespannten innenpolitischen Situation die Chance, ihrerseits eigene, militärpolitisch weitreichende Forderungen zu stellen. Ebenfalls wird hier ein Teil des seit der nationalsozialistischen "Machtergreifung" betriebene politische Kalküls der Reichswehrführung deutlich: Reklamierung Hitlers für die Armee und Treueversprechungen zum "Führer". Auch die Heeresleitung zeigte sich mit den Verordnungen weitgehend einverstanden. So erhielt das Wehrkreiskommando VII in der Nacht zum 30. Juni auf Anfrage beim Chef der Heeresleitung die Auskunft, die Anordnungen Reichenaus seien in Ordnung, und das Weitere werde Hitler bei seiner Ankunft veranlassen. 694

Ordnung". - Vgl. auch Freiburger Militlrarchiv, Rupp-Aufzeichnungen, 12.30 Uhr, Chef HeeresLeitung befiehlt, Dokument 111.

690 Zu den Rechtsverletzungen und der Ennordung Schleichers und Bredows vgl. Kapitel E. I. 1.. 691 Das Thema Widerstand und Staatsstreich wurde bereits diskutiert. Es wurde gesagt, daß es keine nennenswerten Ansätze von Offtzieren gab, gegen das politische Vorgehen der Reichswehrspitze Widerstand zu üben oder gar eine alternative Militärpolitik zu betreiben. Jedoch stellte sich mit dem blutigen Ende der Röhm-Krise und vor allen Dingen mit der Ermordung zweier Offiziere - theoretisch weni~ - das Thema neu. 692 Vgl. hierzu die Anmerkungen 687,688,689, Kapitel D. 11. 2. 693 BIomberg. Erlaß "An die Wehrmacht" abgedruckt in Völkischer Beobachter vom 2.7.1934. Bezeichnenderweise nennt BIomberg Hitler in diesem Befehl nur noch "Führer".

11. Reichswehr und Terror

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Soll über die Möglichkeiten einer Gegenwehr geurteilt werden, muß man zweitens die Erleichterung vieler Offiziere über das offenkundige Ausschalten der seit langem "bekämpften" SA-Spitze erwähnen. 695 Worin hätte - auch bei genauer Kenntnis des Ausmaßes des Terrors - eine zwingende Notwendigkeit bestanden, sich sofort nach der Niederschlagung der SA-Führung gegen diejenigen zu wenden, die für das Ende derselben Verantwortung trugen? Drittens hätte sich ein gezieltes oppositionelles Vorgehen vor allen Dingen gegen die Exekutive wenden müssen. Damit hätte es in letzter Konsequenz einen Staatsstreich geben können. Dieser war aus den verschiedenen bereits beschriebenen Punkten jedoch schwer möglich. 696 Ein Schritt aus den Bindungen des formalen Gehorsams und des Soldateneides heraus wäre darüberhinaus psychologisch wie faktisch kaum möglich gewesen. Viertens schließlich bedurfte es für eine erfolgreiche Gegenwehr eines genauen Planes und einer präzisen Koordinierung zwischen den Wehrkreiskommandos. Wenigstens auch mußten "oppositionelle" Offiziere mit der Heeresleitung in Berlin korrespondieren. 697 Es hat jedoch, nach heutiger Quellenlage zu urteilen, weder weitreichende Pläne noch Absprachen gegeben. 698 Berücksichtigt man diese die Möglichkeiten einer Gegenwehr einschränkenden Punkte, ist die Beantwortung der zweiten Frage nach der konkret vollzogenen Gegenwehr zu klären. Nur wenige Offiziere haben während der "Terrortage" den Aktionen widersprochen. General Adam soll am 30. Juni unwillig bemerkt haben, er sei für die Ausschaltung der gefährlichen SA-Elemente. Er hielt es aber für unmöglich, "die Leute einfach ohne Gerichtsverhandlung niederzuknallen".699 Als Adam in der Nacht von 30.6. von neuen Mordtaten erfuhr, erwog er, die SA-Kaserne in Dachau besetzen zu lassen. Er nahm aber davon Abstand, als offiziell bekanntgegeben wurde, daß es sich bei "all dem, was in Manchen geschtihe, um eine Aktion des Staates gegen Staatsfeinde handelte". 700

694 Vincenz Müller, Ich fand das wahre Vaterland, S. 352f. - Auch während der "Terrortage" ist von Fritsch keine Kritik an dem Vorgehen Hitlers zu fmden. Kunrat von Hammerstein, SpAhtrupp, S. 70, urteilt: ''BIom berg tat nichts und auch die Generale von Fritsch und Beck rf1hrten sich nicht". 695 VgI. das Kapitel E.I. 1. 696 Vgl. das Kapitel C. 11. 3. 697 Da auch Fritsch vor und während der "Terrortage" mit dem nationalsozialistischen Staat kooperierte, konnte von ihm kaum eine massive Gegenwehr erwartet werden. - Siehe dazu auch KlausJürgen Müller, Das Heer und Hitler, S. 129ft: 698 Hiermit sind die Quellen aus dem Freiburger Militärarehiv (DZ WK VII) und Institut filr Zeitgeschichte München (Zeugenschrifttum) gemeint 699 Vincenz Müller, Ich fand das wahre Vaterland, S. 357. (Adam am Abend des 30. Juni).

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D. Reichswehr und Terror

Der Befehlshaber im Wehrkreis IV, General List, schrieb Reichenau einen Brief, in dem er gegen die in der Nähe von Dresden stattfindenden Exekutionen protestierte. Der Brief wurde aber nicht beantwortet. 701 Hammerstein begab sich, als er von der Ermordung SchleicherS erfahren hatte, sofort in das Reichswehrministerium. Dort protestierte er bei BIomberg gegen die "Terroraktionen" und gegen den Mord an Schleicher; BIomberg jedoch ging auf seine Beschwerden nicht ein. 702 General Erlch von Bussche-Ippenburg wurde, nachdem er sich besorgt über den Mord an seinem Freund Schleicher geäußert hatte, ohne Angabe eines Grundes verhaftet. 703 Der damalige Major Hans Oster zeigte zwar "Entsetzen über die BrutaliUit der neuen Herren Deutschlands'(]G4, aber dieses Empfinden reichte nicht aus, "den Gedanken an aktiven Widerstand in ihm reifen zu lassen".705 Ebenfalls mit Entsetzen und Abscheu hat Fritsch offenbar die Ausweitung der "Terroraktionen" und jene blutigen Exzesse betrachtet. 706 Allerdings sagen die Quellen auch nicht, daß der Chef der Heeresleitung in irgendeiner Weise bei Reichenau und BIomberg eingegriffen hätte. 707 Diese Beispiele verdeutlichen, daß zwar einige "kritische" Offiziere während der "Terrortage" gegen das brutale Vorgehen des Staates Stellung bezogen. 708 Jedoch hielt sie einerseits die schon seit langem gehegte Vorstellung, mit der SA die wichtige, militär- und innenpolitische Konkurrenz auszuschalten, vor einem größeren Widerstand zurück. Andererseits wurden unter Berücksichti-

700 Institut filr Zeitgeschichte MOnchen, ED 109, Wilhelm Adam, Unveröffentlichte Erinnerungen, S.2S1. 701 Nach Aussagen von Generalleutnant a.D. Budach (darnals Generalstabsoffizier beim Wehrkreiskommando in Dresden) haben der Befehlshaber, General List, und dessen Chef des Stabes Olbricht arn 30.6. Bumach mit diesem Brief, in dem er gegen die von der SA durchgefilhrten Exekutionen protestierte, noch arn gleichen Tage nach Berlin zu Reichenau geschickt. Reichenau nalun den Brief ohne Stellungnalune zur Kermtnis. Das Gespräch mit Burdach hatte Klaus-JOrgen MOller gefilJut. Dieser teilte es dem Verfasser arn S.I.1989 in einem Gespräch mit 702 Gespräch mit Kunrat von Hammerstein arn 8.8.1989, sowie Ders., SpAhtrupp, S. 70f. 703 Institutfilr Zeitgeschichte MOnchen, ZS 217, Bussche-Ippenburg. S. 1. 7G4 Hermann GramI: Der Fall Oster, in: Vierteljahrshefte filr Zeitge-schichte 14 (1966), S. 26-39, S.30. 705 Ebenda, S. 31. 706 Helmut Krausnick: Vorgeschichte und Beginn des militArischen Widerstandes gegen Hitler, S. 237, dort mit weiteren Belegen. 707 Hiermit sind die Quellen aus dem Freiburger MilitArarchiv (DZ WK VII) und Institut filr Zeitgeschichte München (Zeugenschrifttum) gemeint 708 Fritsch erbllt hier eine Sonderrolle. Er hatte sich, wie gesagt wurde, an den Vorbereitungen des 30. Juni beteiligt; offenkundig aber war er Oberrascht von der Art und Weise des Vorgehens Hitlers, ohne allerdings Position zu ergreifen.

11. Reichswehr und Terror

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gung der Zwei-Säulen-Theorie die "Terroraktionen" von der nationalsozialistischen Führung als eine rein staatliche Maßnahme angesehen. 709 DanIit schien - vordergründig - für die Offiziere kein unmittelbarer Handlungszwang gegeben. Die Reichswehr, so forderte es Ritler taktisch geschickt, sollte sich von den Aktionen fernhalten, danIit sie sich nicht selbst als Verantwortliche zu betrachten brauchte. 710 Ganz in diesem Sinne ließ BIomberg am 30. Juni an alle Standortältesten den Befehl erteilen: ''Der Grundsatz, daß die Wehrmacht bei der DurchfiJhrung der augenblicklichen politischen Maßnahmen in den Hintergrund zu treten hat, ist aberal/ streng zu beachten". 711 Dennoch wurde die Armee zum "indirekten Helfer". Eine weitreichende Unterstützung eines illegalen Vorgehens, ohne selbst an den Morden beteiligt zu sein, mußte spätestens nach dem 1. Juli mit einem neuen Maß bemessen werden, als die Morde an den Offizieren Schleicher und Bredow allgemein bekannt wurden.

709 Vincenz MOlIer, Ich fand das wahre Vaterland, S. 356. 710 Ebenda. 711 FreibuTger MilitArarchiv, Rupp-Autteichnungen, 16.55 Uhr, 30.6., Dokument IV.

E. Folgen der Röhm-Krise: Kalkül und Dlusion I. Die Auswirkungen des Machtkampfes zwischen Reichswehr und SA 1. Erste Reaktionen der Reichswehr Mit einem gezielten Schlag hatte Biller nach dem 30. Juni mehrere Probleme auf seine Weise gelöst: Die unkontrollierten Machtansprüche der SA waren beseitigt712, die konselVativen Operationspläne zerschlagen1\3, und die Mißstimmung in der Bevölkerung während der Systemkrise war in Bewunderung für Biller umgeschlagen. 714 Jedoch hatten SS-Rollkommandos die Generäle Schleicher und Bredow ermordert. 715 Hätte nicht dieser bisher brutalste Eingriff des nationalsozialistischen Staates in die inneren Angelegenheiten einer wenigstens noch halbwegs unabhängigen Organisation trotz der gemeinsam mit Biller angestrebten Machtreduzierung der SA zu einer sofortigen Änderung der kooperativen Politik der Reichswehr mit dem Regime führen müssen? Bedeutete denn nicht ein konzessionelles Verhalten der Armee in dieser Angelegenheit ein frühes Eingeständnis eines langsamen Machtverlustes?716 Die Reichswehrfiihrung behielt trotz der Ermordung zweier hoher Offiziere ihr Kalkül bei, durch Kooperation mit dem nationalsozialistischen Staat vormals verlorenes Prestige und verlorene militärpolitische Macht zurückzuerhalten. Es zeigte sich erneut und nunmehr in radikaler Konsequenz, wie wich712 Bezeichnenderweise betitelt Peter Longerich, Die braunen Bataillone, S.220-238, das Kapitel über die SA nach dem 30. Juni mit "Die gezihmte Parteiannee". 713 Vgl. GoUhard Jasper, Die gescheiterte ZAhmung, S. 226-238. - Siehe auch Axel Schildt, Die Illusionen der konservativen Alternative, S. 151-168.

714 Vgl. lan Kershaw, Der Hitler-Mythos, S. 72-81. Kershaw gibt lokale Beispiele filr Sympathiesteigerungen Hitlers in der Bevölkerung nach dem 30. Juni. 715 Zum Mord an Schleicher siehe Theodor Eschenburg: Zur Ermordung des Generals Schleichers, S.71-95. 716 In der Literatur ist dagegen hlufig hingewiesen worden, daß erst durch den sogenannten "HitlerEid" das Heer seinen Machtverlust juristisch "legitimieren" ließ, nicht jedoch das konzessionelle Verhalten unmittelbar nach der Beendigung der TerroraIctionen. Vgl. Hans-U\rich Thamer, Verfilhrung und Gewalt, S. 334ff., Bracher/Sauer/Schulz, S. 965.

I. Die Auswirkungen des Machtkampfes zwischen Reichswehr und SA

151

tig Kategorien wie Prestige und militärpolitische Einflußnahme für die Annee gewesen sein müssen. Folgende Gründe und folgendes Vorgehen sind dabei zu beobachten. Zunächst versuchte die Reichswehrfiihrung, die Morde an Schleicher und Bredow in einer Mischung aus Beschwichtigung, Kritik an dem angeblich mit der SA kooperierenden Verhalten der Generäle zu erklären. Sie wollte ferner von der Tat mit einer sofortigen Rückkehr zum politischen Tagesgeschehen ablenken. Bereits am 30. Juni diktierte Reichenau als erste Stellungnahme der Reichswehrfiihrung ein Kommunique: "In den letzten Wochen wurde festgestellt, daß der friJhere Reichswehrminister General a.D. von Schleicher mit den staatsfeindlichen Kreisen der SA-Führung und mit auswärtigen Machten staatsgefährdende Verbindung unterhalten hat. Damit war bewiesen, daß er sich in Worten und Wirken gegen diesen Staat und seine Führung betätigt hat. Diese Tatsache machte seine Verhaftung im Zusammenhang mit der gesamten Säuberungsaktion notwendig. Bei der Verhaftung durch Kriminalbeamte widersetzte sich General a.D. Schleicher mit der Waffi. Durch den dabei erfolgten Schußwechsel wurden er und seine dazwischentretende Frau tödlich verletzt". 717 In der Realität jedoch hatte Schleicher weder mit Röhm noch mit dem Ausland "staatsgefährdende Verbindung" unterhalten. 718 Die Reichswehrfiihrung wurde, weil keine Verhaftung, sondern Mord geplant war, über das Vorgehen vorher gar nicht erst unterrichtet. 719 Bald darauf wurde klar, daß Reichenaus Ausführungen der Wirklichkeit nicht standhalten konnten. Es bildete sich offensichtlich ein Gegensatz zwischen den Erklärungen der Reichswehrführung und den mitunter kritischen Äußerungen einiger Offiziere, die wenigstens eine Überprüfung des Vorfalls erwarteten. 720 Die Reichswehrfiihrung versuchte daraufhin, sofort einer sich möglicherweise noch vergrößernden Kritik entgegenzuwirken.

717 Kommunique abgedruckt in Völkischer Beobachter vom 3. Juli 1934. 718 Gespräch mit Loni Schleicher am 5.1.1990. - Vgl. die Belege in Theodor Eschenburg, Zur Ermordung des Generals Schleicher, S. 71-95. Vgl. auch die Beschreibung der politischen Passivität Schleichers nach seiner Pensionierung bei Friedrich-Karl von Plehwe, Reichskanzler Kurt von Schleicher, S. 286-301. - Andre Fran~is-Poncet, Als Botschafter in Berlin, S. 196, bezeichnet den Vorwurf, Schleicher habe mit Frankreich ein "Komplott" geplant, schlichtweg als "Ulge". 719 Freiburger MilitJrarchiv, Rupp-Aufzeiclmungen, Dokument 5, 30.6. Hier spricht Hitler am 30.6. davon, daß "das Heer der alleinige Waffentrliger" bleibe, verschweigt jedoch die Morde an den beiden Offizieren. 720 Zu Hammersteins EinwInden siehe Kunrat von Hammerstein, Splhtrupp, S. 77. - Vgl. Freiburger MilitJrarchiv, Depot Smilo v. Ulttwitz, N 10/9. UIttwitz berichtet Ober "Hammersteins Haß gegen die Verbrecherbande". - Adam bemerkte, daß ",",nnen wir (. ..) nicht einfach hinneh-men". Vincenz Müller, Ich fand das wabre Vaterland, S. 361. - Die GenerAle Witzleben, Rundstedt und Leeb forderten eine krielll'gerichtliche Untersuchung der beiden Fliie. Erich von Manstein, Aus einem Soldatenleben, S. 193f. - Sogar der im hollindischen Exil lebende Wilhelm 11. protestierte. Siegurd von I1semann: Monarchie und Nationalsozialismus 1924-1941, München 1968, S. 264f.

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E. Folgen der Röhm-Krise: KalkOI und Illusion

Schon am 3. Juli wurde in einer Kabinettssitzung, an der BIomberg teilnahm, das Gesetz über Maßnahmen der Staatsnotwehr verkündet. 721 Das Kabinett erklärte "die zur Niederschlagung hochverraterischer Angriffe am 30. Juni, 1. und 2. Juli vollzogenen Maßnahmen als Staatsnotwehr" für rechtens. Dieses Gesetz nahm der Staatsanwaltschaft jede Möglichkeit, den "Fall Schleicher" weiter aufzuklären. BIomberg stimmte diesem Gesetz zu und gab damit auch seinem Bestreben Ausdruck, den "Fall Schleicher" ruhen zu lassen. Sein Vorgehen wird durch seine Bewertung der Terroraktionen, die er während einer Befehlshaberbesprechung am 5. Juli ausführte, noch deutlicher. Hier erklärte er: "Es war unumgänglich nötig, daß mit dem Schlag gegen die Meuterer der SA auch ein Schlag gegen die Kreise gefohrt wurde, die man heute mit ''Reaktion" zu bezeichnen pflegt. Dieser "Griff nach Rechts" war auch im Interesse der Wehrmacht nötig. Wir, die Wehrmacht, sollen nach dem Willen dieser Kreise in ein Lager verschoben werden, in dem wir nicht stehen können. Bei Schleicher und seinen Mittelsleuten ist dieser Schlag mit größter Scharfe gefohrt worden". 722 Der Reichswehrminister rechtfertigte das Vorgehen gegen Schleicher, indem er es in den Rahmen eines Schlages gegen "reaktionäre" Kreise stellte. Damit beendete er jeglichen Versuch eines Zusammengehens zwischen Militär und "konservativ" orientierter Opposition. 723 Er verdeutlicht mit Seiner Aussage gleichermaßen, daß auch die "ideellen" Gemeinsamkeiten zwischen Reichswehrführung und den machtlos gewordenen nationalkonservativen alten Führungsschichten, zu denen die preußisch-deutsche Militär-Elite in einer vormals traditionell engen Verbindung stand, keine eigenständige Position gegenüber Hitler mehr besaßen. 724 Der wichtigste Grund dieser Aussage ist jedoch in BIombergs Hinweis zu sehen, die Maßnahmen des 30. Juni seien "im Interesse der Wehrmacht (. . .) unumganglich nötig gewesen", und Hitler habe nicht zuletzt in ihrem Interesse

721 Gesetz abgedruckt in Akten der Reichskanzlei, Die Regierung Hitler, Teil I: 1933-1934, Band 2, bearbeitet von Karl-Heinz Minuth, Boppard am Rhein 1983, Dokument Nr. 375, S. 1358. 722 Institut flIr Zeitgeschichte MOnchen, Liebmann-AuJZeichnungen, MOndliehe Ausflihrungen des Reichswehrministers vor den Befehlshabern am 5.7.1934, S.290ft: - Ebenda, Ed. 109, Wilhelm Adam, Unveröffentliehe Erinnerungen, S. 266. Hier urteilt Adam Ober die Befehlshaberbesprechung am 5. Juli 1934: HDie Besprechung bei BIomberg hat unseren Wissensdurst nicht gestillt. Manche

taten, als ob sie BIomberg glaubten, die meisten von uns lächelten sich an wie die Auguren".

723 Vgl. Kapitel C. 11.3. - Insofern kann Karl O. Paetel: Geschichte und Soziologie der SS, in Vierteljahrshefte flIr Zeitgeschichte 1954, S. 1-33 (5), zu Recht urteilen: "Nur wenigen Konservativen

wurde klar, daß unter den SchQssen in Stadelheim und Lichterfold nicht nur der Machtanspruch der "alten KlJmpfor" der SA, sondern auch der Gedanke des Rechtsstaates und damit des Ethos einer wirklichen "Konservativen Revolution" liquidiert wurde".

724 Vg1. Klaus-JOrgen MOlIer, Politik und Gesellschaft in Deutschland, S. 11-50. - GoUhard Jasper, Die gescheiterte Zihmung, S. 226-238. - Hier ist a1lerdin!lll die grundsAtz1iche Frage zu stellen, ob die nationalkonservativen alten FOhrungsschichten nicht bereits in dem Sinne nationalistisch waren, in diesem sie Hitler und sein national-sozialistisches System voll und ganz unterstützten?

I. Die Auswirkungen des Machtkampfes zwischen Reichswehr und SA

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gehandelt:72S Der Inhalt dieses alle weiteren, im Falle Schleicher kritischen Überlegungen überragenden Interesses blieb die Machtreduzierung der SA. Gefahr für das Heer, so führte BIomberg weiter aus, sei dadurch hervorgetreten, daß "RtJhm erwiesenermaßen auf die 2. Revolution" hingearbeitet, "die allgemeine WiederbewajJnung./Ur die &4" angeordnet und die "Überrumpelung und Unschadlichmachung der Wehrmacht" geplant habe. 726 Mit dieser Feststellung traf BIomberg auf breiten Konsens bei vielen Offizieren. Als eine Art "Iegitimatorische Absicherung" hatte der Reichspräsident zuvor Hitler für sein Vorgehen gegen die SA gedankt. 727 BIomberg konnte damit auch eine Akzentverschiebung in der Reichswehrpolitik unmittelbar nach den Terroraktionen erreichen: Stand zunächst der "Fall Schleicher" im Mittelpunkt einer ersten Bestandsaufnahme der Offiziere, so wurde dieser bald ohne Nachdruck weiter verfolgt.728 Die Überzeugung, im Machtkampf mit der SA einen eindeutigen, nun auch physisch erfolgreichen Sieg davongetragen zu haben, ließ selbst die Morde an Schleicher und Bredow, wenn auch nicht von allen gerechtfertigt, so doch hinnehmbar erscheinen. 729 Die Reaktionen vieler Offiziere verdeutlichen, welchen herausragenden Stellenwert sie dem Zurückdrängen der SA zur militärpolitischen Bedeutungslosigkeit beimaßen. Stauffenberg empfand die Beseitigung der Konkurrenz der SA als "das Platzen einer Eiterbeule, durch das endlich klare Verhaltnisse geschaffen wurden".73o Der spätere Generalfeldmarschall v. Rundstedt brachte seine Befriedigung über die Beseitigung des "braunen Drecks "131 zum Ausdruck. Sogar Hammerstein, der die Ermordung seines Freundes Schleicher 725 Institut filr Zeitgeschichte München, Liebmann-AulZeichnungen, Mündliche Ausfi1hrungen des Reichswehrministers vor den Befehlshabern sm 5.7. 1934, S. 292. 726 Ebenda, S. 292f. Bereits sm 1. Juli ließ BIomberg durch einen Erlaß an die "Wehnnacht" verlauten: "Der Führer hat mit soldatischer Entschlossenheit und vorbildlichem Mut die Verräter

und Meuterer selbst angegriffen und niedergeschmettert. Die Wehrmacht als der Waffenträger des gesamten Volkes. fern vom inenpolitischen Kampf, wird danken durch Hingabe und Treue". Erlaß abgedruckt in Max Domarus, I. Band, S. 405.

727 Wortlaut des Telegramms und Erläuterung dazu bei Otto Meissner, Staatssekretlr, S. 369. 728 Vgl. zum weiteren Vorgehen im "Falle Schleicher" Theodor Eschenburg, Zur Ermordung des Generals Schleicher, S. 71-95. - Erst im Mirz 1935 versuchte die Vereinigung GrafSchlieffen (Verein der Angehörigen des ehemaligen Generalstabes), in einer Erklirung eine Art "Ehrenrettung" filr Schleicher und Bredow zu erreichen. Aber sie filhrt auch aus, gleichsam die Bedeutung des Gesetzes vom 3. Juli unterstützend, daß "eine Diskussion (. ..) nicht zugelossen" werden könne, "da die

Reichsregierung durch einen gesetzgebenden Akt erkldrt hat. daß der Tod der am 30. Juni und 1. Juli Gebliebenen als im Interesse des Staates erfolgt zu betrachten sei". Freiburger Militlrarchiv. N 39/333, Die Vereinigung GrafSchlieffen in einer Erklirung sm 1. Mirz 1935.

729 Daher ist die Analyse von Michael Geyer, Aufiilstung oder Sicherheit, S. 341, falsch, daß "die konservativen Vertreter in Heeresleitung (...) mit Entsetzen und Panik" reagierten. 730 Zitat abgedruckt in Christian Müller, Oberst i.G. Stauffenberg, S. 134. 731 Abgedruckt in Basil Henry Liddell Hart: "Jetzt dürfen sie reden", StuttgartlHsmburg 1950, S. 124.

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E. Folgen der Röhm-Krise: Kalk.OI und Illusion

mit "Entsetzen" und "Abscheu" zur Kenntnis nahm, beurteilte das Ergebnis des 30. Juni als "Iangst notwendiges Ausschalten einer innenpolitischen Konkurrenz".732 In der Bejahung des Niederschlagens der militärischen Konkurrenz SA waren sich, soweit die Quellen davon Zeugnis abgeben, nahezu alle während der Röhm-Krise entscheidungstragenden Offiziere einig. 733 Mit einer Mischung aus bekannter Überheblichkeit gegenüber den SAMitgliedern und Erleichterung, nach dem monatelangen Machtkampf endlich Gewißheit über die Vergabe des Waffenmonopols erreicht zu haben, wurde dieser nahezu einheitlichen Bewertung Ausdruck verliehen. Deshalb ist die Annahme zu verstehen, weshalb nach den Ereignissen des 30. Juni 95% der Offiziere, während der letzten Wochen davor aber "zweifellos nur 25%" mit dem Nationalsozialismus und Hitler sympathisiert hätten. 734 Die Reichswehrfiihrung ist dieser Einschätzung zugleich mit eigenen Befehlen und Dienstanweisungen entgegengekommen. Der Chef der Heeresleitung befahl am 3. Juli 1934: ''Alle vomjrahen StabschefRähm an Offiziere oder LOffiziere verliehenen SA -Dienstgrade sind abzulegen". 735 Der Reichswehrminister befahl am gleichen Tag, "daß Beamte und Angestellte der Wehrmacht der SA und ihren Gliederungen nicht mehr angehören darfon". 736 Die im "Vorschlag" vom 28. Februar 1934 niedergelegten Richtlinien wurden suspendiert. Die Reichswehrfiihrung beobachtete die Durchführung der von Hitler befohlenen Bewaffnung der SA genau. 737 Jede gemeinsame Aufgabe, die 1933 und am Anfang des Jahres 1934 noch im Bereich des Grenzschutzes zwischen Reichswehr und SA bestand, war damit aufgebraucht. Der Abbruch der Beziehungen in jeglicher Form bedeutete vorerst die völlige Ausschaltung der SA aus jeder vor- und nachmilitärischen Ausbildung sowie aus allen Grenzschutz- und Mobilmachungsvorbereitungen. Die regionalen Reichswehrdienststellen erhielten die Weisung, zwei Listen mit Namen deIjenigen SA-Führer aufzustellen, deren Wiedereinsetzung aufgrund ihres ftüheren Verhaltens vom Standpunkt der Reichswehr aus unerwünscht war oder aber deren Weiterverwendung befürwortet wurde. 738 Erst viel später, im November 732 Gespriche mit Kunrat und Ludwig von Hammerstein arn 8.8.1989. 733 Siehe zu weiteren Äußerungen von Offizieren: "Reakrionen im Offizierkorps auf den 30. Juni 1934" in: Das Milit1rarchiv, Nr. 6, Juni 1965, S. 15ff. 734 Diesen Obertriebenen, in der Tendenz aber richtigen Hinweis gibt George Castellan, Le rearmement clandestin du Reich, S. 442. 735 Frciburger Militlrarchiv, RW 6/v.65, Der Chef der Heeresleitung arn 3. Juli 1934. 736 Institut flIr Zeitgeschichte Monchen, MA 260, Der Reichswehrminister arn 3. Juli 1934. Damit waren vor allen Dingen jene OffIziere gemeint, die in den Provinzen (Schlesien, üstpreußen) mit der SA zusammenarbeiteten. 737 Freiburger Militlrarchiv, WK VIII1295, Funksprilche Ic vom 3. und 4. Juli 1934. 738 Ebenda. Wehrlcreiskommando VII, Nr. 3330ßc. vom 7.7.1934 und Chefdes Wehnnachtarntes, Nr. 687/34g., Kdos. LIla. vom 17.7.1934.

I. Die Auswirkungen des Machtkarnpfes zwischen Reichswehr und SA

155

1939, wurden während des Krieges sogenannte "SA-Wehnnannschaften" zur Intensivierung der vormilitärischen Ausbildung aufgestellt. 739 Damit war aus der SA nun endgültig eine reine Hilfstruppe des einstigen Konkurrenten auf dem Gebiet der Landesverteidigung geworden. Gravierender noch als das Aufkündigen restlicher Gemeinsamkeiten mit der SA war der sich unmittelbar nach dem 30. Juni verstärkende Kontakt zur SS. Bereits im Vorfeld des 30. Juni hatte es, wie aufgezeigt, erste Verbindungen zwischen Reichswehrführung und SS gegeben. Auch während der Terroraktionen sagte die Armee der SS im Bedarfsfall Unterstützung zu. Eine weitere Steigerung dieser Zusammenarbeit bildete der Befehl BIombergs am 5. Juli, der SS "Waffen fllr eine Division" zuzubilligen. 74O Folgende Motive können Blomberg geleitet haben. Möglicherweise hatte ihn die Tatsache beeindruckt, daß die SS der Reichswehr ein größeres Eingreifen während der Terroraktionen erspart hatte. Wahrscheinlich ist auch, daß der Reichswehrrninister Vorstellungen besessen haben könnte, der beschränkte Umfang der geplanten Aufstellung bewaffneter SS-Verbände sei eine Gewähr dafiir, daß keine militärische Konkurrenz entstehen würde. In jedem Falle jedoch, und das ist symptomatisch fiir die Reaktionen der Offiziere kurz nach dem 30. Juni, unterschätzte BIomberg aber auch die Heeresleitung, den potentiell militärpolitischen "Machtfaktor" SS.741 Noch immer damit beschäftigt, die Position zu der stark an Bedeutung verlorenen SA zu klären, wurde die plötzlich entstehende Gefahr eines neuen, innenpolitisch bedeutungsvollen Machtfaktors nicht schnell genug erkannt. Daher ist auch zu verstehen, warum von Reichswehrseite keinerlei Widerspruch erhoben wurde742, als Hitler die innenpolitische Bedeutung der SS am 20. Juli 1934 mit folgender Verfügung vergrößerte: /'Im Hinblick auf die großen Verdienste der SS, besonders im Zusammenhang mit den Ereignissen des 30. Juni 1934, erhebe ich dieselbe zu

einer selbstiindigen Organisation im Rahmen der NSDAP". 743

Hitler verstand es, nicht nur die militärpolitische Bedeutungszunahme der SS zu f'ördern, sondern auch die Armee trotzdem öffentlich weiterhin als den einzigen Waffenträger der Nation hinzustellen. Seine Rede vor dem Reichstag am 13. Juli 1934 gibt dafiir ein Beispiel. 739 Vgl. dazu Peter Longerich, Die braunen Bataillone, S.

237f.

740 Institut fllr Zeitgeschichte MOnchen, LiebmannAufzeichnungen, mOndliche Ausfilhrungen des Reichswehrministers vor den Befehlshabern am 5. Juli .1934, S. 292f. - Vgl. dazu die organisationsgeschichtlich bedeutende Arbeit von Bernd Wegner: Hitlers Politische Soldaten: Die Waffen-SS 1933-1945, Paderbom 1982, S. 85.

741

Vgl. Klaus-JOrgen MOlIer, Das Heer und Hitler, S.

148.

742 Daher ist das Urteil von Bernd Wegner, Hitlers Politische Soldaten, S. 86, ungenau, daß "das im

Heer ohnehin lebende Bewußtsein der Bedrohung erneut aktualisiert" wurde. Wegner gibt filr dieses Urteil zudem keine Belege.

743 Vertilgung abgedruckt in Vö1kischer Beobachter vom 26. Juli 1934.

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E. Folgen der Röhm-Krise: Kalkül und Illusion

2. Hitlers Rede vom 13. Juli 1934

Die mehrstündige Rede, die Hitler am 13. Juli nach zehn Tagen anhaltenden, allen bisherigen Regeln der nationalsozialistischen Propaganda zuwiderlaufenden Schweigens vor dem Reichstag hielt, fiel vor allem durch viele Erklärungslücken und Unwahrheiten auf. 744 Im Mittelpunkt seiner Rede stand, neben den weitreichenden Erklärungen zu den Vorkommnissen am 30. Juni, das "Werben" um das Vertrauen der Armee. Hitler begann die Rede mit einer ausgedehnten Einleitung, in der er einige, bereits erwähnte Interessenidentitäten auffiihrte, die zwischen ihm und dem Militär bestanden. 745 Die Politiker der Weimarer Zeit seien "schmerzlich und dematigend" gewesen, sie hätten "15 Jahre lang" die deutsche Politik "als Experimentierfeld"746 benutzt. Das Deutsche Reich sei "kein geographischer Begriff mehr, sondern eine politische Einheit. (. ..) Es genagte uns aber nicht, die staatspolitische Zerreißung des deutschen Volkes zu aberwinden, sondern wichtiger fast noch erschien es uns, der drohenden volkspolitischen Auflösung vorzubeugen".747 Diese Vorbeugung konnte aber, zieht man die Unterstützung der Armee während der Phase der "Machtergreifung" in Betracht, nur mit der Reichswehr erreicht werden. Daher ist wahrscheinlich, daß Hitler ihre Hilfe bei dem Entstehen der "Einheit des Volkes" in seine Rede einbezog. Die Kontinuität der militärpolitischen Auffassungen zeigte sich in den Erläuterungen zu seiner SA-Konzeption. 748 Zugleich bedeuteten Hitlers diesbezügliche Erklärungen ein eindeutiges Bekenntnis zum Waffenmonopol des Heeres. ''Ich habe seit 14 Jahren unentwegt versichert, daß die Kampforganisationen der Partei politische Institutionen sind, die nichts zu tun haben mit dem Heere. Es ware (..) in meinen Augen (..) Desavouierung dieser meiner Auffassung und vierzehnjährigen Politik gewesen, an die Spitze des Heeres nun den Fahrer der 5:4 zu berufen".149 Hitler hat diese Auffassung

744 Die Rede ist abgedruckt in Schulthess Europlischer Geschichtskalender 1934, S. 171-187. In unserer Analyse sollen lediglich die Ausfilhrungen Hitlers zum Militlr, nicht jedoch die ober die Rolle der SA untersucht werden. - Siehe zum "atrnosphArischen" Hintergrund dieser Rede Joachim C. Fest, Hitler, S. 642ff. und Andre Fran~is-Poncet, Als Botschafter in Berlin, S. 190f. - Nach der nationalsozialistischen "Machtergreif-ung" (Schulthess Europäischer Geschichtskalender 1933, S.33), dem ReichstagWrand (Völkischer Beobachter 1.,2. MAn 1933) und dem Austritt aus dem Völkerbund (Schulthess Europäischer Geschichtskalender 1933, S. 219-226), um nur einige Beispiele zu nennen, wurde im Gegensatz zur Zeit unmittelbar nach den Terroraktionen sofort das jeweilige Ereignis propagandistisch "aufgearbeitet". 745 Vgl. Kapitel B. I. 1. 746 Schulthess Europäischer Geschichtskalender 1934, S. 172. 747 Ebenda, S. 173. 748 Vg1. Kapitel B. 11. 1. 749 Schulthess Europäischer Geschichtskalender 1934, S. 179.

I. Die Auswirkungen des Machtkampfes zwischen Reichswehr und SA

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zwar erst seit seinem gescheiterten Putschversuch und demnach nur elf Jahre vertreten. Aber fiir diese Zeit sind, wie nachgewiesen wurde, seine militärpolitischen Überlegungen - hier die SA als Kampforganisation der Partei, dort die Armee als Waffenmonopol des Staates - weitgehend konstant. 750 Hitler führte sodann einen Aspekt heran. der nur einige Wochen später die Armee noch viel stärker als zuvor an ihn binden sollte. "Die oberste Spitze der Armee ist der (. ..) Reichsprlisident. Ich habe als Kanzler in seine Hand meinen Eid abgelegt. Seine Person ist fiJr uns alle unantastbar". 751 Der Eid als Ausdruck oberster, juristischer Verpflichtung der Soldaten schuf eine nahezu unantastbare, herausgestellte Position für denjenigen, auf den geschworen wurde. Diese Position sollte sich Hitler später zu eigen machen, um sich die Zuwendung des Heeres nun auch durch eine "moralisch-ethische" Verpflichtung zu sichern. In Verbindung mit der Funktion des Reichspräsidenten, höchster Repräsentant der Armee zu sein, führte Hitler aus: ''Mein ihm gegebenes Versprechen, die Armee als unpolitisches Instrument des Reiches zu bewahren, ist fiJr mich bindend aus innerster Überzeugung und aus meinem gegebenen Wort".752 Hiermit versuchte Ritler die Reichswehr davon zu überzeugen, daß sie auch im Hinblick auf die Geschehnisse des 30. Juni die eine, die unpolitische, militärische Säule im nationalsozialistischen Staat bleiben werde. Aber genau diese war sie schon längst nicht mehr: Durch ihre weitreichende Unterstützung der Terroraktionen und ihre Verbindung in die Vorbereitungen derselben war sie zu einem Politikum ersten Ranges geworden. Dieser Rang verlangte von ihr nun nicht mehr konzessionelle oder auch unterstützende Positionen, sondern, wie während des 30. Juni hinreichend geschehen, anstelle der SA nun selbst militärischer Hauptvertreter und "Beschützer" des nationalsozialistischen Staates zu sein. Daher können Hitlers, diese Bedeutung abschwächende, das Heer möglichst von den Terroraktionen fernhaltende Worte nur als Beschwichtigung gedient haben. 753 750 Insofern liest sich die Rede wie eine nachtrigliche miliUrpolitische Grundsatzbestinunung Hitlers. Dagegen hat die Literatur (John W. Wheeler-Benett, Die Nemesis der Macht, S. 3S0; Karl Dietrich Bracher, Die deutsche Diktatur, S. 264; Joachirn C. Fest, Hitler, S. 642ft:) hilufig andere Schwerpunkte in der Rede - Verurteilung der ''konspirativen'' Tltigkeiten von Schleicher und Bredow und juristische Aspekte - in den Mittelpunkt ihrer Analyse gestellt. 151 Schulthess Europäischer Geschichtskalender 1934, S. 180. 752 Ebenda. 753 Die Gefahr, die eine möglicherweise wirklich vom nationalsozialistischen Staat unabhlngiger werdende Armee bedeutete, beschrieb Hitler noch viel später am 2U.I942: "Die Stellung der Wehrmacht zu seiner Kanzlerschajt habe (. ..) eine besonder Rolle gespielt, da die Wehrmacht (. ..) als Keimzelle von Staatsstreichen von der Art des R6hm-Putsches nicht ungeflihrlich gewesen sei, andererseits (. ..) so lange auf ihre rein militärischen Aufgaben habe beschränkt gehalten werden k6nnen, bis in Durchführung einer allgemeinen Wehrpflicht das Volk als Ganzes und mit ihm nationalsozialistischer Geist in sie einstr6mte". Henry Picker: Hitlers Tischgesprlche im Fahrerhauptquartier, Stuttgart 1977, S. 325, 21.5.1942 abends.

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E. Folgen der Röhm-Krise: Kalkül und Illusion

Um der Reichswehr nach ihrer Unterstützung ebenfalls Konzessionen zu unterbreiten. die dem einzelnen Offizier die weithin bestehende Möglichkeit seiner eigenen Unabhängigkeit suggerieren sollte, sagte Ritler weiter: ''Ich kann von ihnen nicht fordern, daß sie im einzelnen ihre Stellung zu unserer Bewegung finden; aber keiner von ihnen hat seine Stellung der Pflicht dem nationalsozialistischen Staat gegenUber verloren ".154 Ritler gab demnach zu, daß der Soldat kein Nationalsozialist zu sein habe. Wichtiger als idealistische Hingabe war ihm die Treue zum Staat: Damit appellierte er an die traditionelle GrundeinsteIlung des dienenden Soldaten. Im weiteren Verlauf der Rede stellte Ritler Reichswehrminister BIomberg als "Ehrenmann (. ..) vom Scheitel bis zur Sohle" heraus und folgert aus den Geschehnissen des 30. Juni: "Es gibt im Staate nur einen WajJentrtiger: Die Wehrmacht. Und nur einen Trtiger des politischen Willens: dies ist die nationalsozialistische Partei".155 Die Armee sollte aber, zieht man die Verfiigung Ritlers vom 20. Juli 1934 in Betracht156, nicht mehr alleiniger Waffenträger im Staate sein: Die SS wuchs zu einem - wenn zunächst auch kleinen zweiten Waffenträger heran. Deshalb dienten diese Worte einmal der Verschleierung der realen Geschehnisse und waren zum anderen Bestandteil der kontinuierlich von Ritler vorgetragenen militärpolitischen Konzeptionen. Die zunächst kritischen Stimmen einiger Offiziere zu den Morden an Schleicher und Bredow berücksichtigend, führte Ritler aus: "Schleicher war der Mann, der dem inneren Wunsche des Stabschefs Röhm den tiußeren Ausdruck verlieh. Er war es, der konkret die AujJassung fixierte und vertrat, daß J. das heutige deutsche Regiment unhaltbar sei, daß 2. vor allem die Wehrmacht und stimtliche nationalen Verbtinde in einer Hand zusammengefaßt werden mUßten, daß 3. der dafilr allein maßgebende Mann nur Stabschef Röhm sein könnte, daß 4. Herr von Papen entfernt werden mUßte und er bereit sein WUrde, die Stelle eines Vizekanzlers einzunehmen". 151 Keine von den hier unterbreiteten Beschuldigungen kann einem Vergleich mit der Realität standhalten. 158 Es mag auf den ersten Blick erstaunen, daß sich Ritler im "Falle Schleicher"759 zu dem sich als haltlos erwiesenen Inhalt des 154 Schulthess Europäischer Geschichtskalender 1934, S. 155 Ebenda.

180.

756 Vgl. Kapitel E.I. 1., Arun. 744. 757 Schulthess Europäischer Geschichtskalender 1934, S. 758 Vgl. Kapitel E.1.

179.

I, Arun. 718.

759 Zu Bredow vgl. Schulthess Europäischer Geschichtskalender 1934, S. 182. Hier fiilut Hitler, ohne sich irgendeines Beweises zu bemOhen, in SchArfe aus: "General von Bredow, der als außen-

politischer Agent des Generals von Schleicher diese Verbindung besorgte, arbeitete entsprechend der Tatigkeit derienigen revolutionaren Zirkel, die (. ..) sich zum bereitwilligen unterirdischen MeldekopffiJr das Ausland mißbrauchen ließen".

I. Die Auswirkungen des Machtkampfes zwischen Reichswehr und SA

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Reichenau-Kommuniques vom 30. Juni760 bekannte, gerade auch weil dieses sich zur Beschwichtigung einiger aufgebrachter Offiziere als unbrauchbar herausgestellt hatte. Einmal kann als Erklärung herangezogen werden, daß Ritlers Ausführungen mit der von der Reichswehr kontinuierlich verfolgten Version des "Falles Schleicher" übereinstimmen mußten, wollte man gemeinsame Politik betreiben. Wahrscheinlich waren sie daher auch abgestimmt. 761 Es lag zudem von Ritlers Perspektive aus betrachtet kein plausibler Grund vor, ein paar Tage nach Reichenaus Ausführungen eine neue, möglicherweise weiterführende Version des "Falles Schleichers" zu vertreten. Weil offensichtlich dieser "Fall" bei einigen Offizieren zu Kritik führte, erwähnte ihn Ritler in seiner Rede auch nur am Rande. Ein weiterer Grund für Ritler ist gewesen, daß Schleicher im Offizierkorps ohnehin sehr wenig Sympathien besessen hatte. 762 Deshalb versuchte er in seiner Rede auch einen Gegensatz zwischem ihm und anderen Offizieren aufzuzeigen. ''Jeder Gedanke eines Eingehens auf die Pläne des Generals von Schleicher wäre meinerseits aber nicht nur eine Treulosigkeit gegenaber dem (. ..) Reichswehrminister gewesen. sondern auch eine Treulosigkeit gegenaber der Armee".763 Diese Rede bildete, weil sie viele juristische Fragen und diejenigen nach zukünftiger Militärpolitik aufwarf, eine zwingende Gelegenheit für die Offiziere, beim Reichswehrministerium wenigstens Nachfragen zu stellen. Ritler folgerte nach seinen Schilderungen der Terroraktionen: "Die Nation muß wissen. daß ihre Existenz - und diese wird garantiert durch ihre innere Ordnung und Sicherheit - von niemand ungestraft bedroht wird! Und es soll jeder flir alle Zukunft wissen. daß. wenn er die Hand zum Schlag gegen den Staat erhebt. der sichere Tod sein Los ist".764 Wichtiger Bestandteil der Nation war auch das Militär: Welche militärpolitische Bedeutung sollte die Armee in einem Staat bekommen, der sich zu einem totalitären in dem Sinne ausbildete, daß keine eigenständige Organisation - und damit auch nicht das Militär -

760 Vgl. Kapitel E. I. 1., Arun. 717 761 Bereits wAhrend der Ministerbesprechung am 3. Juli 1934. 10 Uhr (Akten der Reichskanzlei. Teil I. - 1933/34, S. 1354ff. Nr. 375), an der auch BIomberg teilnahm, filhrte Hitler die gleiche Version des "Falles Schleicher" heran. 762 Gespräch mit Loni von Schleicher am 5.1.1934 - Freiburger MilitArarchiv. N 5/23. Depot Joachim v. Stülpnagel. Bereits am 21. und 27. Juli 1930 schrieb Fritsch an StOlpnagel: "Welche

Intrigen da wieder gesponnen, welche Schiebungen vorgenommen sind, ahne ich natürlich nicht. Unm6glich kann aber Schleicher an den Dingen unbeteiligt sein. (. ..) Gehen sie fort, so ist kein Mensch mehr da, der im Stande wlire, dem unheilvollen Einfluß von Groener und Schleicher entgegenzuwirken". Vgl. auch Theodor Eschenburg. Die Rolle der Persönlichkeit in der Krise der Weimarer Republik, S. 9ff. 763 Schulthess Europäischer Geschichtskalender 1934, S. 180.

764 Ebenda, S. 184.

160

E. Folgen der Röhm-Krise: KalkOl und Illusion

"ungestraft" hätte existieren können?165 Insofern wuchsen, interpretiert man HitIers Worte, der Staat, die Partei und schließlich HitIer selbst zu einer Größe heran, die der zweiten, der militärischen Säule keine gestaltende oder gar politisch mitentscheidende, sondern lediglich eine vorher festgelegte Entscheidungen ausfiihrende Rolle beimaß. Daß HitIer sich als über dem normativen Recht stehende Instanz betrachtete, kommt in den folgenden Worten seiner Rede zum Ausdruck: "In dieser Stunde

war ich verantwortlich for das Schicksal der deutschen Nation, und damit des deutschen Volkes oberster Gerichtsherr! (. ..) Wenn mir die Meinung entgegengehalten wird, daß nur ein gerichtliches Verfahren ein genaues Abwdgen von Schuld und Sahne hdtte ergeben kannen, so lege ich gegen diese Auffassung feierlichst Protest ein. Wer sich gegen Deutschland erhebt, treibt Landesverrat".166 HitIer als Verkörperung des "obersten Gerichts-herm"161 ließ die für das Offizierkorps folgenreiche Frage entstehen, mit welchem zukünftigen Recht ihr Handeln gemessen werden konnte: Würde sie nicht den letzten, verbliebenen Rest ihrer Unabhängigkeit verlieren, wenn sie mit dem Staat nicht mehr eine wenigstens halbwegs unabhängige Rechtssprechung verband?168 Das Offizierkorps hat die Bedeutung der Rede HitIers offenbar völlig unterschätzt und keine Nachfragen beim Reichswehrministerium gestellt. Deshalb war der am 2. August 1934 folgende Eid auf die Person HitIers nichts anderes als eine nachträgliche Bestätigung der juristischen Ausführungen HitIers in seiner Rede vom 13. Juli 1934.

165 Insofern mußten auch die Offiziere des 20. Juli 1944 dem hier aufgefilhrten TotaliWsanspruch Hitlers zum Opfer fallen. Vgl. hierzu als Beispiel Ekkehard Klausa: Preußische Soldatentradition und Widerstand. Das Potsdamer lnfanterieregiment 9 zwischen dem "Tag von Potsdam" und dem 20. Juli 1944, in Jürgen Schmidecke und Peter Steinbach, Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus, S. 533-545. 166 Schulthess Europäischer Geschichtskalender 1934, S. 184.

161 Ebenda, S. 187. Reichstagsprisident Göring erkJArte vor dem Reichstag nach der Rede Hitlers: "Wir alle billigen immer das, was unser Fahrer tut". - Der Staatsrechtslehrer Carl Schmitt befilrwortele im Juli 1934 mit seiner "Oberpositiven" Rechtslehre die grundsMzlich unumschränkte Führerdiktatur: "Der Fahrer schatzt das Recht vor dem schlimmsten Mißbrauch, wenn er im Augenblick der Gefahr kraft seiner Fahrertugend als oberster Gerichtsherr unmittelbar Recht schafft". Artikel abgedruckt in Carl Schmitt: Position und Begriffe im Kampf mit Weimar-Genf..Versaille 1923-1939, Hamburg 1940, S. 199f. Vg1. auch Christian Graf von Krockow: Die Entscheidung. Eine Untersuchung über Ernst JOnger, Carl Schmitt, Martin Heidegger, 2. Aufl., Frankfurt a.M. 1990, S. 54-67.

168 Freiburger Militllrarchiv, N 5/27, Joachim v. Stülpnagel, S. 330. Hier schreibt Stülpnagel nach der Rede Hitlers vom 13. Juli 1934: "Blomberg hätte zum mindesten darauf drängen müssen, die

Haltung seiner alten Kameraden, der Generale Schleicher und Bredow, gerichtlich prüfon zu lassen und die Mörder zu verhaften".

I. Die Auswirkungen des Machtkampfes zwischen Reichswehr und SA

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3. Der Eid aufHit/er Das Vorgehen der Reichswehrfiihrung in den Wochen nach dem 30. Juni war dahingehend ausgerichtet, Ritler weiterhin möglichst eng an das Militär zu binden. Gerade nach der Ausschaltung des militärischen Machtfaktors SA schien sich aus ihrer Sicht eine Möglichkeit zu ergeben. nun durch eine verstärkte Usurpierungs- und "Umannungs-Taktik" die Armee zu einem bestimmenden Faktor im Staat zu machen. 769 Die Reichswehrfiihrung sah aber nicht, daß ihre Zustimmung zu Ritlers Übernahme des Reichspräsidentenamtes auf der einen und zum militärischen Eid auf die Person Ritler auf der anderen Seite ein wesentliches, sich gerade durch diese beiden Zustimmungen noch vergrößerndes Merkmal des nationalsozialistischen Staates mißachtete: den totalitären Anspruch auf alle Bereiche der Politik. no Bereits einen Tag, bevor Rindenburg gestorben war, übernahm Ritler arn l. August 1934 mit Zustimmung des Reichskabinetts (und damit auch Blombergs) das Amt des Reichspräsidenten. nI Mit Rindenburgs Tod war die höchste unabhängige Reichsinstitution und gleichzeitig der letzte, wenigstens theoretische Garant für die Unabhängigkeit der Streitkräfte verschwunden. Ritler war nun zum Obersten Befehlshaber der Armee geworden. Somit entfiel die bisher bestehende Möglichkeit, gegen oder über den Regierungschef hinweg als ultima ratio an den Präsidenten als den Obersten Befehlshaber zu appellieren. Das Reichskabinett beschloß mit dem "Gesetz über das Staatsoberhaupt des deutschen Reiches" die Vereinigung der Ämter des Reichspräsidenten und des Reichskanzlers. m Doch nicht genug damit: Das politisch-machttaktische Element der Politik der Reichswehrfiihrung bestand jetzt darin, im Sinne einer speziellen Entente mit Ritler - nicht aber mit der Partei! - den militärpolitischen Sieg gegen die SA innenpolitisch zu festigen. Im Sinne der "Zwei-Säulen-Theorie" wurde 769 Freiburger MilitArarchiv, NI BIomberg, N 52n, BIomberg schreibt ilber sein taktisches Vorgehen nach dem 30. Juni: "Nach dem 30. Juni war ich bestrebt. auch langfristig die Position dem

Militär zu sichern. die uns durch die Ereignisse sicher schienen".

770 Siehe die kritischen Hinweise folgender Offiziere Erich von Manstein, Aus einem Solda.tenleben. S. 211ff. - Ausgewihlte Briefe von Generalmajor Helmuth Stieff, in Vierteljahrshefte fiir Zeitgeschichte 1954, S. 297f.

nt Akten der Reichskanzlei, Teil I: 1933/34, S. 1384ff., Nr. 382. Ministerbesprechung vom 1. August 1934, 21.30 Uhr. - Der Erlaß des Reichskanzlers zum Vollzug des Gesetzes ilber das Staatsoberhaupt ist abgedruckt in Reichsgesetzblatt, Teil 1, Jahrgang 1934, herausgegeben vom Reichsministerium des Inneren, Berlin 1934, Nr. 91, S. 751.

m Das widersprach dem Artikel 2 des "Ennächtigungsgesetzes", nach dem "die von der Regierung beschlossenen Gesetze von der Reichsverfassung abweichen. soweit sie nicht die Einrichtung des Reichstages und Reichsrates zum Gegenstand" haben und die Rechte des Reichspräsidenten

berilhrten. Reichsgesetzblatt, Teil 1, 1933, Nr. 25, S. 141. - Daher haben K1aus-Jilrgen MillIer, Das Heer und Hitler, S. 133 und Karl-Dietrich Bracher, Die deutsche Diktatur, S. 265 das Vorgehen der Regierung als "kalten Staatsstreich" und als "Staatsstreich" bezeichnet 11 v.Faliois

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E. Folgen der Röhm-Krise: Kalkol und Illusion

versucht, das Heer nahezu unlösbar mit der Person HitIers zu verknüpfen. Offenbar war die Furcht vorhanden, gerade bei zu großer Eigenständigkeit der Reichswehr in den Wochen nach dem 30. Juni bei den jetzt neu zu vergebenden militärischen "Einfluß sphären" eventuell doch zu wenig berücksichtigt zu werden. rn Ohne daß eine Weisung HitIers vorlag, ordnete der Reichswehnninister auf die Nachricht vom Tode Hindenburgs die sofortige Vereidigung der Offiziere und Soldaten der Reichswehr auf den "Führer Adolf HitIer" an. n4 Folgenden Eid mußten die Soldaten am 2. August 1934 schwören: ''ich

schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, daß ich dem Fahrer des Deutschen Reiches und Volkes Adolf Hitler, dem Oberbefehlshaber der Wehrmacht, unbedingten Gehorsam leisten und als tapferer Soldat bereit sein will, jederzeit fiJr diesen Eid mein Leben einzusetzen". ns Die überstürzte Vereidi-

gung erfolgte der Schnelligkeit halber ohne Gesetz. Im Kabinett wurde die Angelegenheit weder beraten noch beschlossen, sondern BIomberg tat diesen Schritt lediglich aufgrund seines ministeriellen Verordnungsrechtes. n6 Erst am 20. August 1934 sanktionierte ein Gesetz sein Vorgehen. 777 Eine derartige Verpflichtung auf die Person hatte es nicht einmal gegenüber dem Reichspräsidenten Hindenburg gegeben, auch noch nicht das Gelöbnis eines unbedingten Gehorsams. nB Von der Seite der Reichswehrfiihrung be-

n3 Diese Furcht konunt in Reichenaus Worten zum Ausdruck: galtige und unUJsliche Verbindung der deutschen Wehrmacht Weltanschauung zum Ausdruck. Wir brauchen den Schwur zur Freiburger MilitArarchiv, RH 12-5/v.43, Reichenau am 28.8.1934 ober politische Tagesfragen, Nr. 8.

wDer neue Eid (bringt) die endmit der nationalsozialistischen Festigung unserer Positionen". in Richtlinien filr den Unterricht

n4 Vgl. dazu die Studie von Karl-Otrnar Frhr. v. Aretin: Der Eid auf Hitler. Eine Studie zum moralischen Verfall des Offizierskorps der Reichswehr in: Politische Studien 7 (1957), S. 14f. BIomberg lußerte sich splter so: WWir hatten im Oberkommando den Fahneneid geformt, ohne einen Auftrag des Fahrers dazu zu haben und ohne daß wir ihn um Rat gefragt hiJtten. Er hatte wohl Vertrauen zu unserem Wollen und Weg. Wir schwuren (siel) den Fahneneid auf Hitler als dem Fahrer des deutschen Volkes, aber nicht als Haupt der nationalsozialistischen Partei". Auszug aus dem verlorenen Band VII der handscluiftlich hinterlassenen Memoiren BIombergs, zitiert nach Waldemar Erfurth: Die Geschichte des deutschen Generalstabes von 1918-1945, Göttingen-BerlinFrankfurt 1957, Studien zur Geschichte des Zweiten Weltkrieges, Bd. 1, S. 164f.

ns Reichsgesetzblatt, Teil I, 1934, Nr. 98, S. 785. n6 Vgl. Waldemar Erfurth, Die Geschichte des deutschen Generalstabes, S. 164. - Siehe auch die pointierten Bemerkungen bei Karl-Dietrich Bracher, Die deutsche Diktatur, S. 265f. - Nach Hermann Foertsch, Schuld und Verblngnis, S. 64, habe ihm Reichenau diese Eidesformel diktiert.

m Reichsgesetzblatt, Teil I, 1934, Nr. 98, S. 785. - Einen Tag zuvor hatte eine Vo1ksabstinunung das "Gesetz ober das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches" besWigt. Vgl. Reichsgesetzblatt, Teil I, 1934, Nr. 91, S. 751.

ns Am 2. Dezember 1933 hatten die Soldaten noch geschworen: "Ich schwl!re bei Gott diesen heiligen Eid, daß ich meinem Volk und Vaterland allzeit treu und redlich dienen und als tapferer Soldat bereit sein will, jederzeit ftlr diesen Eid mein Leben einzusetzen". Reichsgesetzblatt, Teil I, 1933, Nr. 136, S. 1017. - Am 19. August 1919 lautete die Eidesformel: "Ich schwl!re Treue der Reichsverfassung und gelobe, daß ich als tapforer Soldat das Deutsche Reich und seine gesetzmiJ-

I. Die Auswirkungen des Machtkampfes zwischen Reichswehr und SA

163

trachtet wurde hiennit ein Beitrag zum neuen Verfassungsprinzip des "Führerstaates" geliefert. Die später von einem nationalsozialistischen Verfassungstheoretiker getroffene Feststellung, daß im "Völkischen Führerstaat" alle Vorschriften einen neuen rechtlichen Sinn erhaltenn9, wurde von der Reichswehrfiihrung durch Anpassung der Eidesformel an die neue politische Wirklichkeit vorweggenommen. Neben der allgemein verfolgten Sicherung von militärischen "Einflußsphären" ist im speziellen Falle des Eides ein zweites Handlungsmotiv der Reichswehrfiihrung zu beobachten: Der personale Bezug des Eides war, wenn auch abgeschwächt, ein Übernehmen traditionalistischer Vorstellungen aus der Zeit der Monarchie. 780 Fritsch äußerte später auf einer Befehlshaberbesprechung, die Vereidigung auf Hitler begründe ein ähnliches Verhältnis wie zum Kaiser. 781 Diese "monarchistische Nostalgie" berücksichtigte aber nicht die offenbar völlig unterschätzte juristische Komponente eines totalitären Staates. 782 In diesem erhielten die Auswirkungen des Eides gravierende Bedeutung: Es wurde darauf hingewiesen, daß mit dem Eid "der Schlußstrich unter einen Zeitabschnitt gezogen (wurde), in dem sich die Reichswehr mit einem gewissen Recht als sinnfälliger Ausdruck der Staatsidee (. ..) begriff'. 783 Fortan war eine Unterscheidung zwischen den Forderungen des Gemeinwohls und dem Willen Hitlers kaum mehr möglich, ohne formal den Tatbestand des Eidbruchs zu erfüllen. Dadurch verlor das Militär den letzten Rest an ßigen Einrichtungen jederzeit schützen, dem Reichsprllsidenten und meinen Vorgesetzten Gehorsam leisten will". Reichsgesetzblatt, 1919, Nr. 153, S. 1419. n9 Ernst RudolfHuber: Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, 2. Aufl., Harnburg 1937, S.

53. "Vorschriften von gleichem Wortlaut haben eben einen w'lIig veränderten rechtlichen Sinn, je nachdem ob sie in einem parlamentarischen Parteienstaat oder in einem v6lkischen Führerstaat gelten". 780 Der Eid auf Adolf Hitler beinhaltete die Bindung an einen totalitären Staat, das LoyalitAtsverhalten zum Kaiser als "Obersten Kriegsherrn" beinhaltete dagegen letztlich das Dienen filr eine konstitutionel1e Monarchie, filr einen Rechtsstaat Zudem wurde im Eid auf den König auf die "Kriegsartikel" Bezug genommen, und dadurch war die Gehorsamspflicht eingeschrinkt, das geschah im Eid auf Hitler hingegen nicht - Vgl. dazu die kritischen Bemerkungen von Hans-Ulrich Wehler: Das Deutsche Kaiserreich 1871-1918, 4. AufI., Göttingen 1980, S. 149ff. und Manfred Messerschmidt: Die Armee in Staat und Gesel1schaft - Die Bismarckzeit, in Michael Stürmer (Hrsg.) Das kaiserliche Deutschland, Politik und Gesel1schaft 1870-1918, S. 94ff.

781 1nstitut filr Zeitgeschichte München, Liebmann-AufZeichnungen, Befehlshaberbesprechung arn 12.1.1935, S. 308f. - Karl Otmar Frhr. v. Aretin, Der Eid auf Hitler, S. 19 urteilt: "Die Anklänge an

den monarchischen Formalismus genügten, um den Offizieren das Netz über den Kopfzu ziehen ".

782 Hier sei erneut darauf hingewiesen, daß den entscheidungstragenden O1flZieren aus der Retrospektive keine "Schuld" zugewiesen werden sol1. Gleichwohl trägt jede Armee filr ihre Entscheidungen zukunftsweisende Verantwortung, und daher kann ihr Handeln nicht lösgelöst von den späteren Auswirkungen, die auch zum Teil ihr Handeln als Ursache haben, betrachtet und beurteilt werden. 783 Helmut Krausnick: Vorgeschichte und Beginn des militArischen Widerstandes gegen Hitler, S. 238.

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E. Folgen der Rölun-Krise: Kalkol und Illusion

organisatorischer Unabhängigkeit, die sie zur angestrebten militärpolitischen Machterweiterung hätte benötigen können. Später resultierten aus der Eidesbindung der Annee einschneidende Erschwerungen für jegliche Oppositionsimpulse. Gerade die gegen Hitler opponierenden Offiziere haben sich ihrer Eidespflicht erinnert und deshalb ihre resultierenden Gewissenskonflikte hinsichtlich eines möglichen Attentats gegen den "Führer" zum Ausdruck gebracht. 184 So unterschiedlich die Reaktionen der Offiziere auf den Eid auch gewesen sind, so verdeutlicht doch fast jede von ihnen - ähnlich wie es bei Fritsch geschehen war - die Unterschätzung der Folgen. 185 Beck reagierte zwar skeptisch, fühlte sich aber trotzdem verpflichtet, Hitler loyal zu dienen. 186 Heinz Guderian, der Hitler kaum mit grundsätzlicher Kritik gegenüberstand, schrieb damals an seine Frau: ''Morgen werden wir den Eid auf Hitler leisten. Einen folgenschweren Eid! Gebe Gott, daß es beiderseits mit der gleichen Treue gehalten wird zum Wohle Deutschlands. Die Armee ist gewohnt, ihren Eid zu halten. Möge sie es in Ehren tun".181 Guderian erinnerte an die Verpflichtung des Eides und wies damit zugleich auf die Hindernisse einer möglichen späteren Militäropposition hin. Eduard Wagner faßte die Stimmung, die bei vielen seiner Kollegen im Generalstab vorgeherrscht haben muß, mit folgenden Worten zusammen: ''Allgemein herrscht recht gedrilckte Stimmung. Man muß eben hoffen". 188 Auf den ungewissen Faktor der Hoffnung, ohne allerdings irgendeinen Protest bei seinen damaligen Vorgesetzten einzureichen, setzte auch Helmuth Stieff: "Und mein Vertrauen in die heutige FiJhrung ist schwer erschiJttert. Aber ohne Hoffnung im Herzen könnte man vollends verzweifeln. Und nur aus diesem Grunde heiße ich die sofortige Vereidigung von uns gut".189 Die illusionäre Einschätzung der langfristigen Wirkung des Eides kommt in seinen folgenden Worten zum Ausdruck: ''Ich klammere mich dabei an einen HojJnungsstrohhalm, daß damit ein sehr verpflichtendes 184 VgJ. dazu die Aussage des Majors Ludwig von Leonrod vor der Gestapo am 18.8.1944: "Als mir im Dezember 1943 der Oberst Grafvon Stauffenberg gelegentlich einer Besprechung mitgeteilt hatte, daß ein Attentat auf den Führer geplant sei, hatte ich ihm gegenüber eingewandt. daß ich immerhin als Offizier durch meinen Eid gebunden sei". Abgedruckt in Archiv Peter (Hrsg.): Spiegelbild einer Verschwörung, Die Kaltenbrunner-Berichte an Bonnann und Hitler ober das Attentat vom 20. Juli 1944, Stuttgart 1961, S. 262. 185 BIomberg hat spAter diese Unterschlitzung sogar zugegeben, indem er ausfilhrte: "Niemand dachte daran, daß unser Fahneneid auf einen Pflichtenbund mit der nationalsozialistischen Partei hinauslaufen sollte". Waldemar Erfurth, Die Geschichte des deutschen Generalstabes, S. 165. 186 Nicholas Reynolds, Beck, S. 46f. 181 Heinz Guderian: Erinnerungen eines Soldaten, Heidelberg 1951, S. 28. (Brief an seine Frau vom 2.8.1934.) 188 Elisabeth Wagner (Hrsg.): Der Generalquartiermeister, Briefe und TagebuchaufZeichnungen des Generalquartiermeisters des Heeres General der Artillerie Eduard Wagner, MOnchen 1963, S. 67. 189 AusgewAhlte Briefe von Generalmajor Stieff, S. 297. (Brief vom 12.8.1934). Stieff ist später, nachdem seine Beteiligung am 20. Juli 1944 bekannt wurde, am 8. August 1944 hingerichtet worden.

I. Die Auswirkungen des Machtkarnpfes zwischen Reichswehr und SA

165

Gegengewicht gegen den Wahnsinn der Einpartei-Herrschaft geschaffen wird". 790 Genau dieses Gegengewicht jedoch wurde nicht geschaffen: Das ZweiSäulen-Modell, auf das die Offiziere weithin ihr Kalkül einer Machterweiterung im nationalsozialistischen Staate abstellten, benötigte nun, als Folge des gegen die SA "gewonnenen" Machtkampfes eine weitreichende, die neue Rollenverteilung berücksichtigende Konzeption. Gerade weil das aufgrund der Überzeugung, in Hitlers Militärpolitik entscheidende konzeptionelle Übereinstimmungen erlangt zu haben, nicht hinreichend geschah, konnte Hitler weitgehend ohne schwerwiegende Kritik der Offiziere seinen Teil des Säulenmodells beständig vergrößern. Die militärpolitische "Konzeptionslosigkeit" der Reichswehrfiihrung ließ nach dem 30. Juni außer der bereits beschriebenen "Umarmungs-Taktik" keinen Platz fiir alternative und eigenständige Konzeptionen, wie sie noch bei den Offizieren zur Zeit der Weimarer Republik bestanden hatten. 791 Deshalb bot sich fiir Hitler die Möglichkeit, einerseits durch das Entgegenkommen der Reichswehrfiihrung, andererseits durch seine Fähigkeit, dieses fiir sich in langfristiger Perspektive günstig zu gestalten, mit dem Eid seine Politik auf eine sicherere Grundlage zu stellen. Das Schreiben Hitlers an BIomberg vom 20. August 1934 drückt daher zum einen die Erleichterung über die erlangte neue Grundlage aus. Zum anderen betont es als eine Art vorbeugender "Absicherung" das bereits vielmals verkündete Unabhängigkeitspostulat des Heeres: "Heute, nach der erfolgten Bestätigung des Gesetzes vom 2. August, will ich Ihnen und durch Sie der Wehrmacht Dank sagen /Ur den mir als Ihrem Fahrer und Oberbefehlshaber geleisteten Treueid. So, wie Offiziere und Soldaten der Wehrmacht sich dem neuen Staat in meiner Person verpflichteten, werde ich es jederzeit als meine Pflicht ansehen, /Ur den Bestand und die Unantastbarkeit der Wehrmacht einzutreten in Er/Ullung des Testamentes des verewigten Feldmarschalls und getreu meinem eigenen Willen, die Armee als einzigen Waffentrtiger in der Nation zu verankern".792 Die neuen innenpolitischen Schwierigkeiten, die nach dem abgeschlossenen Machtkampf zwischen Armee und SA entstanden, fanden allerdings einen großen Teil ihres Ursprungs gerade darin, daß Hitlers

790 Ebenda. Stieffkritisiert zugleich - in fataler Vorausschau - seine Worte: "Vielleicht ist es auch

ein Selbstbetrug w•

791 Vgl. zu den militärpolitischen Vorstellungen einiger Offlzim: wahrend der Weimarer Republik Kapitel B. I. 1. und 11. 3. - Vgl. zur militärpolitischen "Konzeptionslosigkeit" Michael Geyer, Aufiilstung oder Sicherheit, S. 408ff. Geyer urteilt, S. 408: "Die Offiziere wußten zwar, daß sie ein

"großes Heer" nach nationalen BediJ.r[nissen aufbauen wiJ.rden und die finanziellen Mittel hierfUr vorhanden waren. Doch welches Heer es genau sein sollte, welches die konkreten nationalen BediJ.r[nisse waren und wie es sich in Zahlen, Orga-nisationsform etc. niederschlagen sollte, dies alles wußten die MiliUJrs nur sehr vage ". 792 Schulthess Europäischer Geschichtskalender 1934, S. 219.

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E. Folgen der Röhm-Krise: Ka1kQl und Illusion

Worte der militärpolitischen Wirklichkeit bald kaum mehr standzuhalten vermochten.

4. Die Auswirkungen der Röhm-Krise ftir das OjJizierkorps Die Position der Armee war nach dem 30. Juni schwächer geworden. Mochte auch die Reichswehrfiihrung zunächst annehmen, daß die Machtstellung des Heeres durch die Ausschaltung der gefährlichen SA-Konkurrenz verstärkt und mit der Vereidigung ein enges, vertrauensvolles Verhältnis zwischen Hitler und Armee hergestellt worden sei, mochte weitgehend Erleichterung und Genugtuung über die Überwältigung der SA vorherrschen, so hatte tatsächlich aber die Reichswehr in mehrfacher Hinsicht einen bedeutsamen Machtverlust erlitten.

1. Zum einen mußten Reichswehr- und Heeresfiihrung, nachdem Hitler die SS am 20. Juli 1934 zur "selbsUindigen Organisation im Rahmen der NSDAP" 793 erhoben hatte, an einer raschen, grundsätzlichen Klärung und Eingrenzung des Rechtsstatus, der Größe und der Funktion der bewaffneten SS-Einheiten interessiert sein. Wie jedoch sollte die Reichswehr auf die neue innenpolitische Herausforderung SS reagieren? Hatten die Offiziere es diesbezüglich seit dem 30. Juni nicht an eigenen, das militärpolitische Feld der Innenpolitik betreffenden neuen Konzeptionen fehlen lassen? Eine Antwort auf diese Frage haben die vom Reichswehrminister am 24. September 1934 erlassenen, auf eine Entscheidung des "Führers" und "Besprechung mit der Reichsführung der SS" zurückgehenden Richtlinien zur Aufstellung der SS-Verfiigungstruppe geben wollen. 794 Sie sind in erster Linie als ein Versuch zur frühzeitigen Eindämmung militärischer Ambitionen der SS und als Maßnahme zur Beschwichtigung nachgeordneter Dienststellen des Heeres zu verstehen. BIombergs Kalkül war es dabei, die militärische Komponente der SS auf der einen Seite nicht vollends in Frage zu stellen. Er wollte damit den bisherigen Weg seiner "Umarmungs-Taktik" beibehalten. Im übrigen hatte sich bekanntlich die SS als nützliche "Gehilfin" zur Ausschaltung der SA bewährt. Auf der anderen Seite versuchte BIomberg, der möglicherweise unkontrollierten militärischen Entwicklung der SS Einhalt zu bieten. Aber auch wenn die Richtlinien ausdrücklich betonen, daß die SS eine militärische Gliederung und Ausbildung nicht benötige, so wurde dennoch die Existenz einer organisatorisch von der Reichswehr unabhängig stehenden bewaffneten Truppe der SS

793 Völkischer Beobachter vom 26. Juli 1934. 794 Freiburger Militärarehiv, H 1/323, Oberkonunando des Heeres, Nr. 1139/34 g. KL 11 a. betr. SS-Verfilgungstruppe, vom 24.9.1934.

I. Die Auswirkungen des Machtkampfes zwischen Reichswehr und SA

167

offiziell anerkannt. 795 Durch dieses Zugeständnis wurde die Reichswehrfiihrung gehindert, in späteren Phasen der Auseinandersetzung die Existenzberechtigung der neuen Truppe noch grundsätzlich in Frage zu stellen. Langfristig betrachtet war also der Wesenscharakter der Reichswehrpolitik, das Waffenmonopol, nun auf zwei Schultern verteilt. Auch wenn diese ungleich stark waren, so bedeutete diese Gewichtsverlagerung die langfristige "Aufweichung" des Waffenmonopols, das gerade Hauptinhalt der Auseinandersetzung mit der SA gewesen war. 796 Diese "Aufweichung" sollte gleichsam das Prinzip der "Zwei-Säulen", ebenfalls Maxime der Reichswehrpolitik, in Frage stellen. 2. Diesen Machtverlust wenigstens in Ansätzend ahnend, betrieben jetzt Heeresleitung und Truppenamt eine eindeutige Politik der militärischen Kontrolle der SS, gleichwohl sie durch BIombergs Richtlinien einen engen Handlungsspielraum besaßen. Hatte noch der Machtkampf gegen die SA mögliche Differenzen von Fritsch und Beck zu BIomberg und Reichenau überdecken können, so brachen sie jetzt hervor. Sie entzündeten sich an der Frage, wie BIombergs Richtlinien vom 24. September in der Praxis durchgesetzt werden sollten. Wenn der Reichswehrminister, berufener Hüter des Waffenmonopols der Streitkräfte, schon nicht grundlegend Anstoß nahm an einer neben der Reichswehr stehenden bewaffneten Truppe, mußten Heeresleitung und Truppenamt selbst die Initiative ergreüen. Denn trotz oder gerade wegen Blombergs Richtlinien kamen aus der Truppe und den Wehrkreisen immer häufiger Anfragen über den Zweck und die Bedeutung der SS, kamen Bitten um Konzeptionen, die Aufschluß darüber geben sollten, wie man sich ihr gegenüber zu verhalten habe. 797

Die Heeresleitung untersagte daraufhin im Oktober 1934 jede Unterstützung von Heeresstellen bei der militärischen Ausbildung der SS.798 Dann versuchte die Heeresleitung, wie aus einer grundsätzlichen Stellungnahme vom 21. Januar 1935 hervorgeht, ihre Interessen in zweüacher Hinsicht zur Geltung zu bringen. 799 Einmal strebte sie ein möglichst weitgehendes Mitspracherecht auf militärischem Gebiet an, das ihr eine genaue Beobachtung und eine 795 Ebenda 796 Vgl. zu dieser langfristigen "Gewichtsverlagerung" Bemd Wegner, Hitlers Politische Soldaten, S.86ff. 797 Freiburger MilitArarchiv, DZ WK VlIl1433, Inf. Rgt. Manchen, Kommandeur Nr. 609, geh. Kdos. vom 28.11.1934. - WK VlIl1320, Kommandeursbesprechung vom 17.10.1934. - Hermann GramI: Der Fall Oster, S. 26-39 (S. 31) erwAhnt den fanatischen Haß des Offiziers Oster gegen die SS.

798 Freiburger MilitArarchiv, DZ WK VlIl1342, Artl. Fahrer VlI, Ia Nr. 5008/34 g.K. vom 5.10.1934. 799 Freiburger MilitArarchiv, DZ WK XIII/817, Webrkreiskommando VlI, Nr. 04404/34 g.K. IbE vom 21.1.1935.

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E. Folgen der Rölun-Krise: Kalkol und Illusion

Eingreifmöglichkeit ZU eventuell notwendig werdender Begrenzung expansiver Tendenzen bot. Zum anderen wollte sie sich die absolute Verfiigungsbefugnis über die SS-Truppen im Kriegsfall sichern. Im Punkt ''Mitspracherecht auf militärischem Gebiet" konnte die Heeresleitung Zusagen erhalten, im Punkt "Verfllgungsbefugnis aber die SS-Truppen im Kriegsfall" hingegen nicht. 800 Zu Recht wurde daher geurteilt: "Die Prätorianergarde war nun einmal da". 801 Auch der Chef des Truppenamtes, Beck, versuchte sich gegen die militärpolitischen Ansprüche der SS zur Wehr zu setzen. Er sah in ihren Ansprüchen vor allen Dingen eine Beeinträchtigung der Position des Heeres, sah das Waffenmonopol gefährdet. 802 Seinen grundsätzlichen Standpunkt zur Bedeutungszunahme der SS erläuterte er in einer Stellungnahme vom 12. Oktober 1934: Die der SS gestellten bevölkerungspolitischen und erzieherischen Aufgaben reichten nicht aus, um das Übergewicht des militärischen Charakters der Organisation zu beseitigen. Die SS sei eben doch militärisch aufgezogen, und es sei unvermeidlich, daß sie sich zu einer Armee neben dem Heer entwickele. Die Parallele zur ehemaligen Entwicklung der SA dränge sich auf. 803 Auf der einen Seite erreichte es Beck, am 12. Dezember 1934 folgende "Richtlinien" fiir die Zusammenarbeit zwischen Heer und SS-Truppen804 durchzusetzen: Das Heer sollte die uneingeschränkte Aufsicht über die Ausbildung, Bewaffnung und Struktur der SS-Truppen besitzen. Auf der anderen Seite aber konnten auch Becks "Richtlinien" die grundsätzliche militärische Bedeutungszunahme der SS im weiteren Verlauf des "Dritten Reiches" nicht verhindern. 80s Das "Dilemma", in dem sich Heeresleitung und Truppenamt in ihrer Beurteilung hinsichtlich der SS befanden, veranschaulicht der Hinweis von Generalmajor Halder. Er verglich SS und SA und flihrte aus: "Vielmehr muß 800 Freiburger Militlrarchiv, "Der FOhrer und Reichskanzler NT. 15/35 g.K." vom 2.2.1935, vom Chef Heeresleitung mit TA NT. 565/35 g.K. T 2 III A am 15.2.1935 weitergegeben an die Wehrkreise. 801 K1aus-JOTgen MOlIer, Das Heer und Hitler, S. 153. 802 K1aus-JOrgen MOlIer, General Ludwig Beck, S. 65ft: 803 FTeibuTger Militlrarchiv, RH 2/v. 1158, "Allgemeine Stellungnahme zum SS-Problem" vom 12.10.1934.

804 FTeibuTger Militärarchiv, RH 2/v.1l58, Beck an Reichsfilhrer SS vom 12.12.1934; Erlaß Chef TAvom 18.12.1934. 80S Vgl. zur Geschichte der SS wAhrend des "Dritten Reiches": In manchen Teilen Oberholt die Darstellung von Hans Buchheim: Die SS - Das Herrschaftsinstrument, Befehl und Gehorsam, Olten und FreibuTg im Breisgau 1965. - Populistisch und anekdotenreich Heinz Höhne, Der Orden unter dem Totenkopf, S. 75ft: - Die bisher maßgebliche, sich allerdings stark auf den Bereich der Waffen-SS beziehende Darstellung siehe bei Bemd Wegner, Hitlers Politische Soldaten, S. 79ft;

I. Die Auswirkungen des Machtkampfes zwischen Reichswehr und SA

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die SS ebenso lernen, sich mit dem außerordentlich vielgestaltigen Gebiet der Erti1chtigung ohne Waffe (. ..) abzufinden, wie es die SA jetzt an einzelnen Stellen zu lernen beginnt".806 Aber die SS besaß für Hitler in Zukunft eine wesentlich bedeutendere Funktion als die SA. Demnach waren beide Organisationen nicht, wie es die Heeresleitung tat, mit einem gleichen oder auch ähnlichen Bewertungsmaßstab zu messen. Einst als "Stabswache zum persönlichen Schutz" Hitlers gegründet, entwickelte sich die SS nach dem 30. Juni mit seiner Unterstützung immer mehr zu einer Sonderformation mit politischen (allgemeine SS) und später mit militärischen (Waffen-SS) Zielsetzungen. Sie stellte dabei allerdings nicht, wie es die SA getan hatte, das Waffenmonopol der Armee grundsätzlich in Frage. Die SA hingegen war für Hitler lediglich zu massenwirksamer Propaganda vor und während der Phase der Machteroberung nützlich gewesen. 807 Konnten noch die militärpolitischen Ansprüche der SA mit Hitlers Hilfe zurückgedrängt werden, so vermochte es die Heeresleitung jetzt nicht mehr, gegen Hitlers Absicht die SS militärisch auszuschalten. Ein Ergebnis des Machtkampfes gegen die SA war, daß sich Reichswehr und Hitler in einer für beide kritischen Zeit in einer Weise verbunden hatten, die ein militärpolitisches eigenständiges Vorgehen des Heeres danach weitgehend ausschloß.808 Der Machtverlust der Armee, den Heeresleitung und Truppenamt mit dem Zurückdrängen der militärpolitischen Ansprüche der SS verhindern oder wenigstens aufhalten wollten, findet seinen Ausdruck auch darin, daß mit dem Reichswehrministerium nunmehr keine einheitliche Militärpolitik betrieben wurde. 809 Indem er diese Uneinigkeit zwischen Heeresleitung, Truppenamt auf der einen Seite und Reichswehrministerium auf der anderen Seite ausnutzte, konnte Hitler die SS "militärpolitisch installieren". 810 3. Eine weitere Schwierigkeit, die als Folge des abgeschlossenen Machtkampfes gegen die SA die Position der Armee zu schwächen begann, bestand in der Frage, wie die seit der Weimarer Republik vertretene Konzeption der

806 Freiburger Militärarchiv, DZ WK VII 1295, Artl. FOhrer VII, IA Nr. 5549/34 g.K. vom

3.12.1934.

807 VgI Kapitel B 11. 1. 808 Zum Vergleich siehe das politische Vorgehen der Annee gegenOber Hitler im Jahre 1938. Klaus-JOrgen MOlIer, Das Heer und Hitler, S. 255-299.

809 Institut filr Zeitgeschichte MOnchen, ZS 540, Patzig, S. 5. Hier berichtet Patzig von einem Gespräch mit BIomberg am 31. Dezember 1934, in diesem BIomberg sich positiv zur SS äußert und sich jedes eigenstllndige Handeln in dieser Angelegenheit auf der Seite der Reichswehr verbat 810 Hans-Ulrich Thamer, Verfilhrung und Gewalt, S. 332. Thamer urteilt ober Hitlers Taktik: "Hitler blieb seiner politischen Taktik treu. Die SA wurde durch eine neue Machtgruppe ersetzt, mit der er das Spiel um die Sicherung der Macht, wiederum durch Einsatz konkurrierender Machtgruppen, fortsetzen sollte, nur bequemer als mit der ungeduldigen Gruppe Röhms ".

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E. Folgen der Röhm-Krise: KalkOI und Illusion

"Wehrhaftrnachung der Nation"8\1 auf die SS angewandt werden sollte. Bereits bei der SA war dieses Dilemma hervorgetreten: Einmal brachte die Reichswehr den militärpolitischen Ansprüchen der SA Widerstand entgegen. Zum anderen jedoch hatte die Armee lange Zeit die SA-Männer als "wehrpolitisch brauchbares Material" für den Grenzschutz und für die vormilitärische Ausbildung benötigt. Nach dem 30. Juni - und vor allen Dingen auch mit Einführung der allgemeinen Wehrpflicht im März 1935 bekam in ähnlicher Form diese Frage hinsichtlich der SS wachsende Bedeutung. Ein Münchner Regimentskommandeur wies auf diese Schwierigkeit in einem Bericht über die politische Lage hin. 812 Es sei - so hieß es darin - für Reichswehr und SS nicht verständlich, wenn man einerseits die militärische Ausbildung der SS zu verhindern oder sogar zu verbieten gedenke, andererseits diese Kräfte im Mobilmachungsfall für den Grenzschutz einzusetzen oder ins Kriegsheer überfUhren wolle. Vom militärischen Standpunkt aus bildete die SS aus Sicht der Reichswehr ein wertvolles Reservoir für den Mannschaftsersatz. 813 Politisch jedoch beeinträchtigte die Durchbrechung des Waffenmonopols die angestrebte Machtposition der Reichswehr. Die entscheidende Frage, um deren Lösung hierbei gerungen wurde und deren unbefriedigende Antwort die Machtposition der Armee als einheitliches Gebilde schmälern sollte, war diese: Die Offiziere wußten sich nicht zu entscheiden, ob man das militärtechnische Konzept einer "totalen Mobilmachung" im Sinne der skizzierten "Wehrhaftmachung" für wichtiger halten sollte als das energische Zurückdrängen der SS-Ansprüche. Diese Frage spiegelte den Konflikt zwischen Reichswehrfiihrung und Heeresleitung wider und führt zu einer anderen: War die kontinuierlich seit der Weimarer Republik verfolgte Konzeption einer "Wehrhaftmachung der Nation" in einem totalitären Staat überhaupt noch aufrechtzuerhalten, ohne nicht selbst als militärische Organisation an Einfluß zu verlieren?814 4. Eine "betonte Politikfremdheit't815 vieler Offiziere bestand bekanntlich spätestens schon seit Seeckts einflußreichen Versuch, die Reichswehr unpoli-

811 Vgl. Kapitel B. I.

1. und 11.3.

812 Freiburger Milit1rarchiv, DZ WK VIII1433, Kommandeur Infanterieregiment MOnchen Nr. 609, geh. Kdos., an Artl. FOhrer VII vom 28.11.1934. 813 Siehe dazu folgende Befehle, in denen die SS als "Reserve" fiir die Annee festgelegt wurde. Freiburger Milit1rarchiv, WK VII Nr. 04404/34 g.K./lb1E vom 21.1.1935. sowie DZ WK VIII1343, Befehlshaberbesprechung vom 12.1.1935. 814 Die Erneuerung der allgemeinen Wehrpflicht bedeutete das beginnende Ende der alten, organisatorisch festgefllgten Reichswehr. Hitler hat später gesagt, daß damit ein Prozeß begonnen habe, bei dem "das Volk als Ganzes und mit ihm nationalsozialistischer Geist in sie (d.h. die Reichswehr) einstr6mte". Henry Picker, Hitlers Tischgesprlche, S. 325. (Gesprich 2l.S.1942 abends).

11. Schlußbetrachtung

I7l

tisch zum gegenwärtigen Staat und einsatzbereit unter den Bedingungen des Versailler Vertrages zu erhalten. Unpolitisch sollten Offiziere wie Fritsch und Beck zunächst in dem Sinne bleiben, daß sie sich nicht in die innenpolitischen Angelegenheiten des Staates einmischten. Aber gerade durch den Machtkampf gegen die SA waren sie an innenpolitischen Angelegenheiten des Staates beteiligt. Gleichwohl betonten sie weiterhin ihre unpolitische Haltung, als habe es eine politische Beteiligung nie gegeben. 816 Hier beginnen auch - in einem übergeordneten Sinne - die Schwierigkeiten in den Auseinandersetzungen mit der SS: Auf der einen Seite wollte zum Beispiel Fritsch eine strikte Autonomie der Reichswehr im Sinne der Zwei-Säulen-Theorie bewahrt wissen. Auf der anderen Seite aber wäre da:fiir gerade eine politische Auseinandersetzung mit Hitler, Partei und SS nötig gewesen, um die Machtansprüche der Armee zu verteidigen. Dazu jedoch war die Heeresleitung nicht bereit. Hinzu kam, daß BIombergs undifferenziert pronational-sozialistischer Kurs ein bewußt politischer war. Insofern gab es keine weitgehend einheitliche, sie als Organisation stärkende Haltung der Offiziere gegenüber dem nationalsozialistischen Staat. Die vier beschriebenen Faktoren - "Aufweichung" des Waffenmonopols, Uneinigkeit zwischen Heeresleitung, Truppenamt und Reichswehrministerium, ungeklärte Frage der "Wehrhaftmachung der Nation" und schließlich "Politikfremdheit" - führte zu einer nachhaltigen Schwächung der Position der Armee im nationalsozialistischen Staat. 8\1 Eine der wesentlichen Ursachen dafür war jedoch der Machtkampf mit der SA: In diesem band sich die Reichswehr an den neuen Staat, hier machte sie weitreichende Konzessionen und schuf die Grundlage für das weitere Zusammengehen mit Hitler.

11. Schluß betrachtung Der Machtkampf zwischen Reichswehr und SA während der Röhmkrise 1934 bildete Höhepunkt und Abschluß ihrer mehrjährigen, militärpolitischen Auseinandersetzungen. Daß dieser eine existentielle Bedeutung rur beide Organisationen erlangte, hatte verschiedene Grundlagen und Bedingungen. Dieser Machtkampf war abhängig von der Verbindung zwischen Heer und Hitler: Am Anfang steht hierbei die "Integrationsproblematik" als ein zentrales Moment jenes historischen Bezugssystems, in das der Problemkom-

815 K1aus-JOrgen MOlIer, Das Heer und Hitler, S. 150. setzt "Politikfremdheit" mit "politischer Ignoranz" gleich. Dieser Begriff bezieht jedoch die weitreichenden InteressenidentiWen zwischen Heer und Hitler zu wenig ein. Genauer als "Ignoranz" ist der Begriff der "Entpolitisierung", den Ame W.G. Zoepf, Wehrmacht zwischen Tradition und Ideologie, S. 25, benutzt. 816 Vgl. K1aus-JOrgen MOlIer, Das Heer und Hitler, S. 175f. 817 Das wurde spätestens wAhrend der "Blomberg-Fritsch"-Krise deutlich. Ebenda, S. 255ff.

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E. Folgen der Röhm-Krise: Kalkol und Illusion

plex "Annee und Nationalsozialismus" eingeordnet werden muß. Erster Weltkrieg und Revolution brachten die akute soziale und politische Infragestellung des politischen Herrschaftssystems. In diesem war das preußischdeutsche Offizierkorps wesentlicher Teil der traditionellen politisch-sozialen Führungsschicht gewesen. Insofern bedeuteten diese Infragestellung und das spätere Weimarer System das Ende der ehemaligen "politischen Welt" des Offizierkorps.818 Alle Versuche verschiedener Offiziere zwischen 1918 und 1933, dieser "politischen Welt" eine neue Grundlage zu geben, waren entweder zum Scheitern verurteilt oder blieben, im besten Fall, Übergangslösungen. Gleichwohl antwortete die Militär-Elite auf die säkulare Herausforderung, die Krieg, Niederlage und Zerfall der Monarchie für sie bedeuteten, mit einer nachdrücklichen Entschlossenheit, an den essentiellen Elementen ihrer historischen Existenz festzuhalten. Daher wurden von Reichswehrseite Kontakte mit denjenigen Organisationen (NSDAP, Wehrverbände, später SA) und Personen (Ritler, Röhm) aufgenommen, die zunächst ebenfalls bestrebt waren, einstige militärpolitische Machtverteilung aus der ehemaligen "politischen Welt" zu sichern. Zwar kam die militärische Führung während der Zeit der Weimarer Republik über einige Kontakte mit Ritler und der SA nicht hinaus. Auch Umsturzversuche (Kapp-Putsch, Ritler-Ludendorff-Putsch) unterstützte sie schließlich nicht. Dennoch blieb der Verlust der "politischen Welt" ein Vehikel für den Wunsch nach Wiedererlangung früherer Exklusivität. Gerade dieses Verlangen schuf die Basis für die partiellen Interessenidentitäten ("Wehrhaftrnachung") mit Ritler sowie weitgehende Übereinstimmung in den militärpolitischen Konzeptionen. 819 Zugleich aber verdeutlichte der Wunsch nach Exklusivität auch die baldige Abgrenzung zu den militärpolitischen Konzeptionen Röhms, die diesen PrivilegierungsWÜDschen zuwiderliefen. Ritler mit seiner Massenbewegung versprach das, was die alten Machteliten insgesamt und das Offizierkorps insbesondere nicht mehr aus eigener Kraft erreichen konnten. 820 Das war die angebliche Sicherung ihrer politisch-sozialen Führungsstellung und die Durchsetzung einer modemen Rüstung. Ritlers militärpolitische Konzeptionen zeigen zugleich, daß er die Annee gegenüber der SA als Träger des Waffenmonopols bevorteilen wollte: Weil das Heer in 818 Vgl.

die Diskussion bei K1aus-JOrgen MOlIer, Das Heer und Hitler, S.574-583. Siehe auch

Ders., Armee, Politik und Gesellschaft in Deutschland 1933-1945, S. 11-50. Hier Oberbeansprucht

MOller die These, der erste ''technischindustrielle Krieg" habe dem Oft"tzierkorps die traumatischen Erfahrungen beigebracht Viebnehr trug dazu die Erfahrung gerade nach Kriegsende bei, keine fiilhere gesellschaftliche SpitzensteIlung zu besitzen, welche das Offizierkorps nachtrlglich verunsicherte.

819 Auf ''TeilidentitlU der Ziele" hat bereits Manfred Messerschmidt, Die Wehrmacht im NS-Staat, S. I, hingewiesen. 820 Vg1. hierzu Fritz Fischer, BOndnis der Eliten, S. 82-91. Fischer betont (S. 87) den kontinuierlich vorgetragenen Wunsch der Armee, die "überlieforte Stellung des Offizierkorps in Staat und Gesellschaft aufrechtzuerhalten ".

11. Schlußbetrachtung

173

früherer Zeit die pädagogische Ausbildung der Soldaten gewährleistet habe, dieses auch als "Volksheer" in einem zukünftigen nationalsozialistischen Staat tun würde und in militärischer Erfahrung und Sachkompetenz anderen Wehrvereinen weit voraus sei, sollte es Träger des Waffenmonopols sein. Darüber hinaus würde es - als eine "zweite Säule" neben der Partei - wieder eine herausragende Stellung in einem nationalsozialistischen Staat bekommen. Hierbei hat Hitler - psychologisch geschickt - in Schriften und Reden die Privilegierung des preußisch-deutschen Offizierkorps mit der in einem zukünftigen nationalsozialistischen Staat zu verbinden gewußt. Die SA hingegen interpretierte Hitler schon frühzeitig als eine "Propagandaarmee". Sie sollte in Straßenkämpfen als "Werbeträger" für den Nationalsozialismus dienen. Sie durfte keine militärische Wehrorganisation sein und nicht mit der Armee in Konkurrenz treten. Allerdings mangelte es seinen Vorstellungen an einer umsetzbaren Strategie zur Integration der riesigen SABasis; das war ein wesentlicher Grund für die Konzeptionslosigkeit der ihm unterstellten SA-Führung am Beginn des nationalsozialistischen Regimes. Diese fehlende Aufgabenverteilung führte zu steigenden "Frustrationen" der SA-Führer und zu einem unkontrollierten Anwachsen ihrer militärpolitischen Erwartungen. Über allen Äußerungen Hitlers stand jedoch, für die große Mehrheit der Offiziere bis 1937/38 in ihrem Ausmaß nicht erkennbar, die "Eroberung neuen Lebensraumes" als weltanschauliche Antriebskraft seiner Militärpolitik. Diese beinhaltete außenpolitisch eine deutsche Großmachtposition und innenpolitisch einen autoritären Staat. Hier stimmten die Forderungen - wenigstens in ihrer Theorie - mit denen der Reichswehrfiihrung überein. Die militärpolitischen Konzeptionen des Heeres und Hitlers bestanden kontinuierlich seit der Weimarer Republik und schufen damit bereits frühzeitig eine Voraussetzung für den Zustand der Verbindungen zwischen Reichswehr und Hitler sowie zwischen Armee und SA während der Röhm-Krise. Kernelement ihrer historischen Existenz war für die Armee das Waffenmonopol. Gerade dieses aber beanspruchte Röhm immer stärker für die SA. Insofern mußte sich die Reichswehr von Anfang an durch die militärpolitische Präsenz der SA herausgefordert fühlen. Röhms Auffassungen vom "politisch handelnden Soldaten" und die vom "Wehrstaat" stellten aber nicht nur die Existenz der Armee in Frage, sondern liefen ebenso Hitlers Vorstellungen von einem "Führerstaat" zuwider. Daß trotz der gemeinsamen Grenzschutzarbeiten ein SA-Verbot von Groener erlassen wurde, gibt ein Beispiel für die Frühphase der latent gestörten Verbindung. Dafür sprechen - neben den konzeptionellen Differenzen - folgende Gründe: Die Anzahl der SA-Mitglieder stieg seit Mitte der zwanziger Jahre ständig und damit auch das Bestreben der Reichswehrführung, die SA-Männer "wehrpolitisch" zu beschäftigen. Einerseits benötigte die Armee aufgrund

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E. Folgen der Rölun-Krise: KalkOl und Illusion

ihres eigenen knappen Personalbestandes "wehrpolitisches" Potential von anderen Organisationen. Andererseits versuchten erst Schleicher und später Reichenau, durch das Heranziehen von SA-Männern an Reichswehraufgaben die zunehmenden Gewalttätigkeiten von SAlern zu bremsen. Aber bereits 1932 funktionierte die Zusammenarbeit im Bereich des Grenzschutzes nicht. Zum einen bewerteten beide die militärische Qualifikation des anderen negativ. Zum anderen verhinderten die mentalitätsspezifischen Unterschiede eine f6rderliehe Zusammenarbeit. Dennoch blieb der Grenzschutz der einzige Bereich, in dem bis 1934 eine Zusammenarbeit versucht wurde. Daß von Reichswehrseite der SA konzeptionell nicht weitreichender entgegengekommen wurde, lag neben den Punkten "Mentalität" und "Ausbildungsniveau" in der Überlegung, der SA als "Konkurrenten" von Anfang an keine große militärische Aufwertung widerfahren zu lassen. Die SA erhielt in der ersten Phase der "Machtergreifung", weil sie die gewalttätige "Revolution von unten" gewährleisten sollte, einen militärpolitischen Bedeutungszuwachs. Deshalb verstärkte die Reichswehrfiihrung, da sie aufgrund ihres Anspruches einer "Wehrhaftmachung der Nation" nicht abseits des Volkes stehen wollte, ihre Kontakte zur SA. Doch nur Reichenau besaß ein umfassendes Konzept von einer Einbindung von SA-Männern in die Arbeit der Armee. Seine Vorstellungen von einer "Volksmiliz" als Reichswehr, bei der die vormilitärische Ausbildung von der SA übernommen werden sollte, fanden allerdings weitgehend keine Beachtung. Die Ursachen dafiir lagen, nach der Schilderung der Grundlagen und Bedingungen, im Machtkampf selbst begründet. Aufgrund der aufgezeigten militärpolitischen Übereinstimmungen zwischen Armee und Hitler, stellte sich die Reichswehrfiihrung bereits mit Beginn des nationalsozialistischen Staates auf die Seite Hitlers. Ihr Kalkül war es, im Sinne der von Hitler verkündeten "Zwei-Säulen-Theorie" Prestige und Macht zurückzuerhalten: Solange die SA anfangs noch ein militärpolitischer Garant für die innenpolitische Ordnung war, mußte mit ihr kooperiert werden. Doch spätestens seit Sommer 1933 besaßen - mit Ausnahme von Reichenau - die SA-Konzeptionen der Reichswehr nur noch einen "Übergangscharakter" . Die Grenzschutz- und Ausbildungsarbeiten waren deshalb ohne Erfolg u,nd wurden ohne Nachdruck betrieben: Die Armee wollte mit Hitlers Unterstützung die SA in ihrer militärpolitischen Bedeutung entscheidend zurückdrängen. Röhm hingegen wollte durch eine oft unpräzise formulierte, in der Absicht aber eindeutige Machtzunahme seiner SA zwar keine "zweite Revolution", so doch eine "verlängerte Revolution": In dieser sollten alle alten Machteliten ausgeschaltet werden. Hitler jedoch hatte ab Mitte 1933 das vorläufige Ende der gewaltsamen Phase der "Machtergreifung" verkündet; eine unkontrolliert agierende SA mußte daher gegen seine Interessen verstoßen. Außerdem hatte er sich früh für das Waffenmonopol des Heeres entschieden, als daß er Röhms Ansprüchen gerecht werden konnte.

11. Schlu8betrachtung

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Diese lange Zeit nur in der Theorie bestehende Absicht Hitlers versuchte die Reichswehrfiihrung in verschiedener Hinsicht schnell in die Praxis umzusetzen. Zum einen begann sie die Annee nach Deutschlands Austritt aus dem Völkerbund zu einem Wehrpflichtigenheer umzubauen. Langfristig sollte dieses dadurch den Charakter eines möglichst viele "wehrfähige" Männer umfassenden "Volksheeres" erhalten. Zum anderen forcierte sie die Aufrüstung: Die SA spielte damit als Bestandteil zukünftiger Wehrkonzeption endgültig keine Rolle mehr. Die demnach bleibenden Gewalttätigkeiten der SA wurden um die Jahreswende 1933/34 auch in außenpolitischer Hinsicht lästig; gerade nach dem Völkerbundaustritt war Hitler darum bemüht. das Ausland nicht noch durch innenpolitischen Terror nachhaltig zu irritieren. Das Kalkül der Reichswehrfiihrung, durch verstärkte Loyalität zu Hitler im Machtkampf mit der SA noch größere Vorteile zu erreichen, beinhaltete auch Konzessionen im rassenpolitischen Bereich des Nationalsozialismus. Mit der Entlassung der jüdischen Reichswehrangehörigen ("Arierparagraph"), die BIomberg betrieb, stellte die Annee ihre einstmals als unabhängig erklärte Domäne der Personalpolitik in den Dienst des neuen Staates. Diese Bindung an das System wurde im Rahmen des Machtkampfes, aber auch darüber hinaus, neben den schon länger bestehenden militärpolitischen und mentalitätsspezifischen Komponenten zu einer dritten Säule der Beziehung zwischen Heer und Hitler. Dieser verstand es, durch eine hinausgezögerte eindeutige Klärung des Konflikts von der Annee immer weitere Zugeständnisse zu erreichen. - Zwar ergab seine Rede vorn 28. Februar 1934, daß zum ersten Mal eine umfassende vertragliche Regelung zwischen Reichswehr und SA erzielt wurde. Diese degradierte die SA zum "Hilfswerkzeug" der Annee; alle militärischen Aufgaben hatte von nun an das Heer zu übernehmen. Dennoch nahmen die Spannungen zwischen SA und Annee zu, weil der SA weiterhin keine richtungsweisende Aufgabe gegeben wurde. Die Reichswehrfiihrung bemühte sich bis zum gewaltsamen Ausbruch der Krise bei offizieller Zurückhaltung, den Konflikt langsam eskalieren zu lassen, um zu einer endgültigen Entscheidung zu gelangen. So sprach zum Beispiel Reichenau mit der SS-Spitze über eine materielle Unterstützung des Militärs für den Fall einer Auseinandersetzung. An einigen Vorbereitungen, aber auch am Ablauf der "Terroraktionen" waren dann keineswegs nur Reichenau und BIomberg beteiligt. Wenigstens auch Fritsch und Beck nahmen durch Anordnungen und Befehle teil. Die Annee griff am 30. Juni zwar nicht gewaltsam ein; jedoch gab sie der SS Waffen, sicherte wichtige Straßen ab und hielt ansonsten ihre Soldaten einsatzbereit in den Kasernen. An eine Gegenwehr der Offiziere, auch als man von den Morden an Schleicher und Bredow erfuhr, wurde nicht gedacht. Zu einem eigenständigen, den "Terroraktionen" zuwiderlaufendes Vorgehen, waren auch die "kritischen" Offiziere nicht fahlg: Im Rahmen der Ausschaltung "konservativer" Machteliten während der nationalsozialistischen

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E. Folgen der Röhm-Krise: KalkQI und Illusion

"Machtergreifung" verlor auch die bisher letzte, halbwegs unabhängige Organisation, die Reichswehr, durch ihre opportunistische Bindung an das System die Möglichkeit eigenständiger Positionswahrung. Diese Unfiihigkeit zeigte sich insbesondere nach der Röhm-Krise. Die Auswirkungen des Machtkampfes waren enorm: Die SA war militärisch ausgeschaltet, die Reichswehr nun militärischer Hauptvertreter des nationalsozialistischen Staates geworden und damit nahezu unlösbar mit diesem verbunden. Die Reichswehrführung behielt auch jetzt ihr Kalkül bei, nur durch enge Loyalität zu Hitler langfristig militärpolitische Machtanteile zu sichern. Hatte nicht der günstig verlaufende Machtkampf gegen die SA die Berechtigung ihres Vorgehens bestätigt? Daher war man sogar bereit, durch einen "Eid aufHit/er" seine Treue nachträglich unter Beweise zu stellen. Jedoch blieb die Armee nicht, wie vorher von ihr erhofft, alleiniger Waffenträger. Die SS wuchs durch Hitlers Unterstützung zu einem zweiten heran. Nun allerdings war die Reichswehrführung nicht mehr fähig, auf die neue militärische Konkurrenz zu reagieren: Die Armee vermochte es nicht, neue militärpolitische Konzeptionen zu entwickeln. Die Heeresleitung und das Reichswehrministerium konnten sich nicht elrugen, wie die "Wehrhaftmachung der Nation" mit der SS umgesetzt werden sollte. Über allen Überlegungen stand eine "Politikfremdheit". Unschlüssig darüber, ob sie traditionell unpolitisch bleiben oder sich politisch - wie ohnehin bereits geschehen - engagieren sollte, konnte die Reichswehr keine von Hitler unabhängige Politik mehr betreiben. Zwar hatte Hitler der Armee vordergründig zu mehr Macht verholfen. Doch durch die vielen weitreichenden Konzessionen im Machtkampf gefiigig gemacht, war das Heer nur noch eine zweite, befehlsempfangende Säule, ohne die ursprünglich gewünschte militärische Machtpartizipation erhalten zu haben. Ihr Kalkül hatte sich, von den Offizieren bis 1933 nahezu unbemerkt, als Illusion erwiesen.

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Reichsgesetzblatt, Teil I, Jahrgang 1933, herausgegeben vom Reichsministerium des Innern, Berlin 1934, Nr. 25, S. 14l. - Nr. 91, S. 751; Nr. 98, S. 785; Nr. 136, S. 1017. - Teil 1, Jahrgang 1934, herausgegeben vom Reichsministerium des Innern, Berlin 1934.

11. Literatur

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Die

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11. Literatur

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