Kaiser Maximilian I.: Zwischen Wirklichkeit und Traum [Reprint 2019 ed.] 9783486777611, 9783486777604

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Kaiser Maximilian I.: Zwischen Wirklichkeit und Traum [Reprint 2019 ed.]
 9783486777611, 9783486777604

Table of contents :
INHALT
VORWORT
I. DER KAISERLICHE PRINZ
II. BURGUND
III. RÖMISCHER KÖNIG
IV. DER SOUVERÄN
V. „ERWÄHLTER DEUTSCHER KAISER“
VI. DER LEBENSABEND
LITERATURANGABE
ZU DEN BILDERN
NAMENREGISTER

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W I L L W I N K E R • K A I S E R M A X I M I L I A N I.

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Wolkenkuckucksheimen lebte. Dann schreibt Margarethe ihm „malgra-

Die Statthalterin

cieuse" Briefe, so daß Max glaubt, sie durch Geschenke besänftigen zu müssen. Unbeirrbar vertritt sie ihren großen Plan, England durch Heirat mit dem Hause Habsburg zu verbinden und wendet alle Mittel der Überredung an, um ihren Vater von einem Bündnis mit Frankreich abzuhalten. Besonders reizvoll sind die Briefe, wo sie von den Leiden und Freuden ihrer Kinderstube berichtet: von lustigen Streichen und ernsten Krankheiten, von geistigen Fortschritten und besonderen Wesensanlagen ihrer Pflegebefohlenen, oder wenn sie als fürsorgliche Tochter dem Vater selbstgenähte Hemden sendet und ihm dringend ans Herz legt, sein Leben im Schlachtengewühl nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Seitdem Margarethe die Ligen von Cambray und Medieln mit leichter Hand geschürzt hatte, war ihre diplomatische Meisterschaft an allen Höfen Europas anerkannt. Aber die innerpolitischen Schwierigkeiten konnte sie nicht mit gleichem Geschick überwinden. Als Landfremde war sie in Flandern nur Statthalterin ihres Neffen Karl — „notre vrai seigneur". — Die Ständevertreter hatten merkantile Interessen und wollten deshalb mit dem nachbarlichen Frankreich als natürlichem Absatzgebiet in gutem Einvernehmen bleiben. Da England ihr Konkurrent war, gerieten sie mit der anglophilen Politik Margarethes in Gegensatz. Sie wahrten ihren alten Unabhängigkeitsgeist und trieben unbotsmäßige Opposition zum Schaden des Erzhauses. Mit ihnen machte die kastilianische Partei unter Führung Doktor Mottas und Dr. Juan Manuels gemeinsame Sache und untergrub das Ansehen der Regierung, säte Zwietracht zwischen Habsburgern und Aragonesen und unterstützte geheime Verschwörungen. Obgleich Max zur Vorsicht riet, ließ Margarethe den Vließritter Don Manuel verhaften und verletzte damit die Rechte des Ordenskapitels. Selbst der junge Herzog Karl stellte sich auf die Seite der Ritter. Margarethe verwies ihm in höchster Erregung sein Verhalten und schleuderte den Vließrittern die Worte •entgegen: „Wenn ich ein Mann wäre statt ein Weib, würde ich die Herren ihre Satzung singen lassen." Der Kaiser löste zwar den Konflikt, indem er Don Manuel in ehrenvolle Verbannung nach Wien entbot, konnte aber nicht verhindern, daß Margarethes Stellung durch diesen Übergriff stark erschüttert wurde. Auch ihre Englandfreundschaft trug dazu bei. Max verheimlichte ihr seine Schwenkung in das französische Fahrwasser und seine Absicht, Karl mit einer Tochter Ludwigs zu verheiraten, worauf England sich beeilte, Mary Tudor dem eben ver-

B i l d 18: D e r S c h w e i z e r

Krieg

B i l d 19: Maximilians Z u s a m m e n t r e f f e n mit Heinrich VII. von w a h r e n d der S p o r e n s c l i l a c h t

1513

England

Konflikte

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witweten Ludwig XII. anzubieten und damit Margarethes Politik zum Scheitern brachte. Als Witwe ohne Kinder hatte die Statthalterin alle ihre Herzkraft dem Neffen Karl zuströmen lassen, den sie „tout mon coeur, espoir et héritier" nannte. Karl war stets folgsam und untadelig in seinem Benehmen, aber bei aller Achtung, die er seiner Tante zukommen ließ, kämpfte sie umsonst um seine tiefere Neigung. Der Abstand vergrößerte sich, als Karl seine eigene Hofhaltung erhielt und unter den Einfluß Chièvres geriet. Als dieser kluge und schmiegsame Anwalt Frankreichs bei veränderter Politik vorübergehend zurücktreten mußte, besserte sich das Verhältnis. Da Karl aber einsah, daß die schlechte wirtschaftliche Lage der Niederlande die Freundschaft Frankreichs dringend forderte, betrieb er mit Chièvres und den flandrischen Ständen seine vorzeitige Mündigkeitserklärung. Die Einwilligung des stets geldhungrigen Maximilians erkauften sie mit einer Jahresrente von 50000 und einer einmaligen Leistung von 140 000 Pfund. Der Kaiser bestimmte den 6. Januar 1515 als Tag der Regierungsübernahme Karls, ohne die Statthalterin von dem Tennin zu benachrichtigen. Margarethe war über diese Zurücksetzung sehr gekränkt, zumal Karl sofort den französischen Kurs einschlug, sie vom geheimen Rat ausschloß und ihre Apanage strich. Bitter beklagte sie sich beim Kaiser, daß solches Verfahren der Klugheit und Gepflogenheit des Erzhauses ins Gesicht schlüge. „Von meiner persönlichen Stellung", fuhr sie fort, „der Demütigung, die ich erlitten, will ich nicht erst reden. Ich bin bereit, wieder eine einfädle Herzogin zu werden, ja, ich begrüße es, Zeit zu gewinnen für manche Liebhaberei, die ich bisher zurückgestellt habe, um mich ganz den Interessen Karls zu widmen." Max schickte wiederholt dringende Mahnungen an Karl, seiner Tante die Rücksicht und Ehrfurcht zu bezeugen, die sie beanspruchen könne. Die Bande des Blutes vereinigten sie gleichsam zu einem einzigen Wesen, so daß sie bestimmt seien, miteinander zu handeln. Erst allmählich wurde der Konflikt beigelegt, Margarethe wieder um Rat gefragt und mit standesgemäßem Unterhalt versehen. Aber ganz konnte sie die Bitterkeit der Enttäuschung nicht überwinden, wenn sie auch nach außen hin erklärte: „Meine Arbeit ist jetzt auf das notwendige Maß beschränkt. Sie gleicht dem Ballast eines Schiffes, damit dieses die Segel um so festlicher breiten kann." Ihre Tage füllte sie jetzt damit, Briefe zu schreiben, Sammlungen alter J8 Winker,

Maximilian

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M a n möchte ihn für einen Bastard halten

Urkunden und Kunstwerke zu pflegen, Gedichte abzufassen und die Grabstätte ihres Gatten Philibert zu schmücken. Ihren Neffen und Nichten blieb sie eine stets bereite Helferin in allen Lebensnöten. Max holte weiterhin ihren Rat ein, aber auf dem großen politischen Theater hatte sie ausgespielt; mußte sogar bei Abwesenheit des Landesherrn die Stellvertretung an Chievres abgeben. *



»

In der oft ungebärdigen Stadt Gent, „im Herzen der alten Macht, im Schatten der stolzen Grafenburg" wurde am Matthiastage des „bequemen Jahres 1500" ein Knabe geboren, der nach dem letzten Burgunderherzog Karl genannt wurde. Dieses blasse, schwächliche, mit offenem Munde starrende Kind war vom Schicksal ausersehen, die burgundische Tradition zur höchsten Vollendung zu bringen und eine weltumspannende Universalmonarchie zu verwirklichen. Wenn Maximilian seiner ansichtig wurde, erteilte er ihm Püffe, um ihn aufzumuntern. Von der Kraft und gefälligen Heiterkeit seines eigenen Wesens schien dieser Enkel nichts geerbt zu haben. „Man möchte ihn für einen Bastard halten", schrieb der Kaiser an Margarethe, „wenn seine Passion auf jedes jagdbare Tier nicht wäre." Aber in diesem müden Knaben, der „aussah wie Mehlsuppe", keine Entscheidungen liebte und Angst bekam bei dem Gedanken an die vielen Länder, die er zu beherrschen hatte; der sich unkindlich ernst und gemessen gab und hinter einer steinernen Miene verbarg, was sein Inneres bewegte, herrschte ein eiserner Wille, der durch Übung zu ersetzen suchte, was die Natur ihm versagt hatte. Der Großvater staunte und konnte sein Mißtrauen vergessen, wenn der Enkel wegen seiner Geschicklichkeit im Reiten und in den Kampfspielen gerühmt wurde. Der Unterricht lag in den Händen von Spaniern und Niederländern; dauernden Eindruck hinterließ nur der Spanier Louis Vaca. Auf die Formung des religiösen Lebens hatte der ebenso fromme wie gütige Adrian von Utrecht, Dekan von St. Peter in Löwen entscheidenden Einfluß. Im Jahre 1509 berief der Kaiser den Rat Wilhelm von Croy, Herrn von Chievres, um Karl in das höfische und politische Leben einzuführen. Dieser altburgundische Edelmann war in seiner betont aristokratischen Haltung, seiner geistigen Überlegenheit und seinem schmiegsamen Wesen eine Persönlichkeit, der Karl unmittelbar verfiel. Bis zu seinem T o d e diente er seinem Fürsten in unwandelbarer Treue, teilte sein Schlaf-

Der souveräne „Herzog von Burgund"

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gemach und hatte jederzeit sein Ohr. Karl bekannte selbst: „Ich habe früh erfahren, daß Chievres klug ist und habe mich deshalb ihm ganz hingegeben." Schon als Knabe wurde Karl in der Heiratspolitik Maximilians als Trumpf ausgespielt. Die „Manage de Claudia" und das „Seelenbündnis" mit Mary Tudor waren kennzeichnend für die beiden Mächte, die um ihn rangen. Um dem ein Ende zu setzen, wurde in der Ordonnanz von Lille im Oktober 1513 eine völlige Neuordnung des Hofstaats beschlossen, wonach die beiden Großväter und König Heinrich von England durch je einen Vertreter die Erziehung Karls in die Hände nahmen. Der weltläufig-gewandte Pfalzgraf Friedrich erhielt den entscheidenden Einfluß und gab dem deutschen Element das Übergewicht. Er gewann Karls Gunst durch sein heiteres Wesen, seine vorbildlichen Manieren und die liebenswürdige Atmosphäre, die er um sich verbreitete und die aiuch Karl umgänglicher machte. Durch die Pflege der Musik übte er einen großen Einfluß auf den Hof aus. Der politische Szenenwechsel in den Niederlanden bedeutete Freundschaft mit England, Heirat Mary Tudors und Verständigung mit Spanien. Der Liller Vertrag sollte den Zusammenklang der Häuser Habsburg, Aragon und Tudor vollenden. Karl mußte sich in England präsentieren. Es war seine erste Reise ins Ausland, zugleich das erste Erlebnis, das er in seinen Memoiren erwähnt. Aber alle daran geknüpften Hoffnungen vergingen bald im Wechsel der Geschehnisse. Das ereignisreiche Jahr 1515 brachte einen erneuten Wandel: die Emanzipation Karls, die Rehabilitierung Chievres und eine neue Hofordnung. Im Ständesaal zu Brüssel fand die Proklamation der Großjährigkeit Karls als „Herzog von Burgund" in aller Feierlichkeit statt. Die niederländischen Stände wollten, daß er eine souveräne Regierung führen sollte und bewilligten reiche Mittel, um den von Legenden umsponnenen Prunk des altburgundischen Hofes und den Schmuck eines festlich überhöhten Daseins wieder entstehen zu lassen. Chievres trug die Hauptverantwortung und bildete mit Sauvage und Adrian von Utrecht den engsten Rat. Sofort nahm er die abgerissenen Fäden nach Frankreich wieder auf, um den Niederlanden die natürlichen Absatzgebiete zu sichern und gegen Spanien eine Rückendeckung zu haben. Sein Ziel war, für Karl die zweite Tochter Ludwigs, Renate, zu gewinnen, auf die auch Ferdinand für seinen Lieblingsenkel gleichen Namens rechnete.

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D a s ungeteilte szenisdie Erbe

Dieser jüngere Bruder war Karls gefährlichster Konkurrent bei der spanischen Erbschaft. Zeitgenossen schildern ihn als klug, mäßig und beherrscht. Er sprach die Sprache des Landes, wurde mit den Söhnen der spanischen Granden erzogen und war der Mittelpunkt des Hofes. Voller Neid erfuhr Karl, daß er die Neigung aller besaß. Wer liebte ihn selbst? — Für wen lebte -er? — Beruhigend hatte Adrian ihm erklärt: „Die einen empfangen Größe, die anderen Neigung." König Ferdinand wollte seinem Enkel Kastilien, Aragonien, Mailand und die Herrschaft der großen Orden geben. Aber Karl war entschlossen, um der Einheit seines Hauses willen den Kampf für das ungeteilte Erbe aufzunehmen. „Nur dann", hatte Adrian ihm gesagt, „könnt Ihr sinnbildlich als Vikar des alleinigen Gottes regieren." Die Verhandlungen wegen der beabsichtigten französischen Heirat Karls verliefen günstig. Am Palmsonntag 1515 wurde der Vertrag in Notre Dame in Paris feierlich beschworen. D a bekannt wurde, daß Ferdinand beabsichtige, in seinem Testament dem gleichnamigen Enkel auch die vorläufige Regentschaft über Spanien zu vermachen, wurde Adrian entsandt, um die Spannungen auszugleichen. Eile tat not, denn beharrlicher Hofklatsch wollte wissen, daß der König durch die Liebesansprüche •Germaines und die anfeuernden Liebestränke der Dame Valasco bald das Zeitliche segnen würde. Bereits am 23. Januar 1516 war es soweit. Ein Trauergottesdienst von ungewohntem Prunk in der Kathedrale von Brüssel gedachte dieses Ereignisses. Zum Schluß sank die Königsstandarte von Aragon zu Boden. Karl legte das Trauergewand ab, erschien auf der Estrade, nahm einen geweihten Degen aus der Hand des Bischofs und schwang ihn in die Luft. Der Herold des goldenen Vließes rief laut: „Es leben Dona Juana und Don Carlos", worauf ein nicht enden wollender Jubel erscholl. Nach dem Bericht Adrians hatte Ferdinand sein Testament von Burgos •schließlich dahin abgeändert, daß dem Erbrecht Karls Genüge geschah. Der Infant Ferdinand solle nach Flandern kommen und dort die Regentschaft übernehmen. Maximilian hatte gewünscht, daß die habsburgischen Länder zwischen den beiden Brüdern geteilt würden, Ferdinand die österreichischen Erblande erhalten und Anna von Ungarn heiraten sollte. Karl erwiderte, daß er seinen Bruder wahrhaft liebe, aber seine Ansprüche nicht geschmälert wissen wollte. Z u gegebener Zeit würde er nähere Entscheidungen treffen. Damit brachte er unmißverständlich zum Ausdruck, daß er sich jetzt als regierender Herzog und König souverän

D e r junge König

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fühle und nicht mehr als Glied des Hauses Habsburg dessem Haupte zu gehorchen habe. M a x hatte bislang geglaubt, daß die Mündigkeitserklärung Karls in. seinen eigenen Plänen und seiner Stellung keinen Abschnitt bedeute. Als Herrscher des Reichs und seines Geschlechts hatte er seine Enkef und Enkelinnen verheiratet und über sie verfügt wie ein Familienvater über seine Kinder. Jetzt wurden seine Anweisungen nach Brüssel mit Ausflüchten oder überhaupt nicht beantwortet; Entscheidungen, die ihm zustanden und die er jetzt über sich ergehen lassen mußte, wurden über seinen Kopf fort getroffen, ohne daß er dagegen eine Rechtshandhabe besaß. Als er den Wunsch äußerte, seinen Enkel vor dessen Abreise nach Spanien noch einmal zu sehen, wurde nach langem Hin und Her eine Zusammenkunft in dem Städtchen Lier bei Antwerpen vereinbart. Es sollte ein vertrauliches Beieinander sein, wurde aber ein Staatsakt. Kardinal Gurk berichtete, daß der Kaiser nie so schweigsam gewesen sei. Max selbst schrieb an seine Tochter: „Wie ein Standbild ist mir Karl entgegengetreten, undurchdringlich und in Höflichkeit gepanzert." Er war erstaunt, wie in Kürze aus dem unfertigen Knaben ein junger Souverän geworden war, der mit unerbittlicher Festigkeit sein Wesen vertrat. Als er der Liebesaffäre zwischen seiner Schwester Eleonore und dem Pfalzgrafen Friedrich auf die Spur kam, verwies er diesen trotz aller Fürbitten von seinem Hofe und zwang die Prinzessin, ihre Liebe der Staatsräson zu opfern und den gichtigen, fast doppelt so alten König von Portugal zu heiraten, überrascht schrieb darauf der Agent Soinelli dem Kardinal Wolsey nach London: „Alle Welt ist verblüfft über die Unbeugsamkeit des jungen Königs, in der man die untrüglichen Anzeichen einer zukünftigen Charakterstärke sieht. Er wird, prophezeit man, zäh in seinen Absichten und Entschlüssen bleiben und großen Wert darauf legen, der Welt eine hohe Meinung von sich beizubringen. In Spanien wollte der junge Monarch sich sofort zum König proklamieren lassen, aber seine Mutter wollte die königlichen Rechte, die ihr bis zum 25. Lebensjahre des Nachfolgers zustanden, nicht aufgeben. So wurden gemäß dem Testament Ferdinands Kardinal Chievres in Kastilien und der Erzbischof von Saragossa in Aragon vorläufig zu Regenten bestimmt. Ihrem geschickten Auftreten gelang es, der Schwierigkeiten des Regierungswechsels anfangs Herr zu werden. Als die Lage sich nach zwei Jahren zuspitzte, verlangte man dringend, daß Karl selbst

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Heiratspläne

in Spanien erschiene. Zuvor aber mußte die Lage in den Niederlanden geklärt sein. Dank der überlegenen Führung Chievres hatte die Außenpolitik des jungen Königs Erfolg. In unbeirrbarer Gradlinigkeit wurde die Freundschaft Frankreichs gesucht, das durch die Schlacht bei Marigano ungeheuer an Macht gewonnen hatte. Durch geschicktes Vorgehen kam der Vertrag von Noyon im August 1516 zustande mit der Abrede, daß Karl die kaum geborene Tochter Louise jener Claudia heiraten sollte, der er selbst versprochen war. Sie sollte ihm das umkämpfte Neapel als Mitgift zubringen. Bald darauf, am 29. Oktober 1516, fanden die abschließenden Bündnisverhandlungen zwisdien dem Kaiser, Heinrich VIII., dem Papst und Karl statt, die im März 1517 in Cambrai durch eine Vereinbarung zwischen Franz I. und Karl über eine Teilung von Ober- und Mittel-Italien ergänzt wurden. Konnte dadurch der lange ersehnte Zustand einer „Pax christiana" herbeigeführt werden? — Max war skeptisch und huldigte dem Grundsatz des geschäftstüchtigen Königs Emanuel: „Ich entgehe nur dem Betrogensein, daß ich es als selbstverständlich halte." Bei seiner letzten Zusammenkunft mit Karl äußerte er: „Mein Sohn, Ihr seid auf dem besten Wege, die Franzosen zu betrügen, ich werde die Engländer betrügen — oder (sich verbessernd) ich werde mein Bestes dazu tun." Erst im Herbst 1517 war Karl bereit, mit seiner Schwester Eleonore und seinem großen Gefolge von vierzig Schiffen von Vlissingen aus seine denkwürdige Fahrt nach Spanien anzutreten. Damit wurde ein neues Blatt der europäischen Geschichte aufgeschlagen. *

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Nur mit halbem Interesse konnte Max die Vorgänge verfolgen, die das habsburgische Gebiet westwärts in unvorstellbare Weiten dehnten. Seine unmittelbare Sorge galt der Aufgabe, die immer wieder in Frage gestellten östlichen Nachbargebiete Böhmen und Ungarn für sein Haus zu sichern. Hartnäckige Gegnerschaft war ihm dort erstanden. Die magyarische Adelspartei bekämpfte nach wie vor eine Erbeinigung der Häuser Habsburg und Jagello und forderte, daß Johannes Zapolya die Königstochter Elisabeth heiraten sollte, die jetzt zur Erinnerung an ihre bei der Geburt des Thronfolgers Ludwig verstorbene Mutter den Namen Anna erhalten hatte. Auch König Sigismund verharrte in Gegnerschaft, weil et glaubte, daß die nordische Heirat der Kaiserenkelin

Habsburgisdi-jagellonische

Doppelheirat

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Isabella gegen ihn gerichtet sei und Max ihm den Großfürsten von Moskau auf den Hals geschickt hatte. Wladislaw war ein schwankendes Rohr und hörte bald auf Maximilian, bald auf Sigismund und bald auf die Adelspartei. Max ging den rechten Weg, wenn er zunächst den wohlbeleibten staatsklugen Sigismund zu gewinnen suchte, der sein Reich nach Norden ausdehnen wollte und verstimmt war, daß der Hochmeister des preußischen Ordenslandes als deutscher Reichsfürst anerkannt und zu den Reichstagen eingeladen wurde. Um Sigismund für die Doppelheirat zu gewinnen, gab Max schließlich schweren Herzens das Ordensland preis. Er selbst und der polnische König sollten Doppelvormünder der beiden jungen Paare werden und die Krone gegen die Ansprüche der Magnatenpartei schützen. Da Sigismund zugleich eine Art Nebenregierung für seinen einfältigen Bruder Wladislaw ausübte, wurde auch dieser für das Projekt gewonnen. Der Thronerbe Ludwig war anfangs ein schwächliches Kind gewesen. „Zu spät gezeugt, zu früh geboren" urteilten die europäischen Höfe. Durch Fleiß und Beharrlichkeit stählte er seinen Körper so, daß er sich als Reiter und im Waffenhandwerk auszeichnen konnte und zu einem wohlgestalteten jungen Manne mit langem rötlichem Haar und großen, grünlich schimmernden Augen heranwuchs. Max hatte für ihn seine Enkelin Maria ausersehen, die von jeher sein Liebling war. Er hatte dieses Mädchen selbst aus der Taufe gehoben und für würdig befunden, den Namen der unvergeßlichen Frau zu tragen. Sie war nicht gerade schön zu nennen, war aber reizvoll und hatte als einzige die Kraft und Frische Maximilians geerbt, während bei ihren fünf Geschwistern das spanische Erbgut überwog. Im Kindergarten Margarethes war sie die beste Schülerin gewesen, war einfühlsam und gewandt: „kurz, sie hat Möglichkeiten", meinte die Hofdame Beaumont. Max ließ sie nach Wien kommen, um sie ziur Hand zu haben. Ihre künftige Schwägerin Anna war in der Burg zu Ofen wie in einem Kloster erzogen, war „sanft und folgsam und in allen Obliegenheiten des Standes wohlbewandert". Sie schaute mit frohen hellblauen Augen in die Welt und erfreute sich einer guten Leibesbeschaffenheit. Lange war Max unsdilüssig, ob er ihr Karl oder Ferdinand als Gemahl geben sollte. Am ungarischen Hofe rechnet man auf Karl, den künftigen Kaiser. Aber die flandrischen Stände wollten ihn nicht ziehen lassen; audi wurde seine Verbindung mit der französischen Königstochter Renate bekannt, so daß man fürchtete, Anna sollte nur in eine Scheinehe gezogen werden.

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Habsburgisdi-jagellonisdie Doppelheirat

Um alle Bedenken zu zerstreuen, schlug der getreue Rat Cuspian vor, die Majestät möge selbst die Prinzessin Anna heiraten. Aber Max lehnte ab: „Einen alten Mann soll man nicht einer jungen Frau beilegen. Man kann ihn nicht höflicher ums Leben bringen." Mehr als zwei dutzendmal mußte sich Cuspian auf die Reise nach Ofen und Preßburg machen, um einen Ausweg zu finden. Er pries die Vorzüge des jüngeren Kaiserenkels, der von beiden Großvätern mit einem Königreich ausgestattet werden sollte und madite schließlich den Vermittlungsvorschlag, daß Max selbst in prokura Anna heiraten und nach einem Jahre die Ehe vollziehen würde, wenn nicht einer der beiden Erzherzoge bis dahin seine Stelle eingenommen habe. Auf dringendes Zureden Jacob Fuggers, der als Besitzer der ungarischen Bergwerke großes Interesse hatte, daß in dem von Feinden umdrohten und von schwachen Herrschern regierten Lande die Habsburger dereinst das Zepter führen würden, war der von ihm wirtschaftlich abhängige Wladislaw und König Sigismund mit dem Angebot einverstanden, wenn zwischen Polen und dem deutschen Orden der Zustand von 1467 wieder hergestellt würde. Es war Fuggers Verdienst, die anfänglichen Widerstände des Kaisers überwunden zu haben, so daß im Frühjahr 1515 die Vorverhandlungen mit den Königen von Polen und Ungarn eröffnet werden konnten. Beide erwarteten Max in Preßburg, der Kaiser sie in Wien. Man einigte sich auf einen Treffpunkt an der Grenze nahe Brugg a. d. Leitha. Am 16. Juli 1515 fanden sich hier auf freiem Felde beide Könige mit einem bunten Gemisch von Völkern des Ostens — Sarmaten, Tartaren, Moskowitern, Polen und Ungarn — in höchstem Aufputz ein. Auch Max erschien in „großer Reputation" mit tausend gerüsteten und tausend ungerüsteten Pferden. Jacob Fugger hatte dafür tief in den Säckel greifen müssen. Auch Anna von Ungarn war erschienen und entzückte durch ihr anmutiges Wesen. Um alles Mißtrauen zu beseitigen, entwickelte Max phantastische Pläne: er wolle den jungen Ludwig an Sohnes Statt annehmen, ihm später die Reichsverweserschaft übertragen und ihn den Kurfürsten als seinen Nachfolger empfehlen. Es war nur ein Schachzug, um die Stimmung des Augenblicks zu heben. Beide Könige waren gerührt. In prunkendem Festzug begab man sich nach Wien. Die Monarchen und Gäste mußten zweiundzwanzig lateinische Reden über sich ergehen lassen. Formalitäten wurden erledigt, kostbare Geschenke ausgetauscht, Verträge beschworen und die herrlichsten Kleinodien zur Schau gestellt. Dazu

Stammvater der österreichisch-ungarischen Monarchie

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Bankette, Turniere, Jagden und als Höhepunkt der Tag der Doppeltrauung. Maximilian, angetan mit aller Glorie der Reichskleinodien, fühlte sich ganz als Herr der Christenheit, hielt tief bewegt eine Rede, wo er die christlichen Fürsten in dieser „glücklichen Stunde der Erfüllung" zum Kampfe gegen die Ungläubigen aufrief, um den höchsten Traum seines Lebens erfüllt zu sehen. Wladislaw starb bald darauf. Unter der Regentschaft Johann Zapolyas und Thomas Rakocz" flammte die Feindschaft gegen alles Fremde wieder auf. Max beeilte sich deshalb, seinen Enkel Ferdinand endgültig für eine Ehe mit Anna von Ungarn zu bestimmen. Nachdem der Dispens des Papstes für seine Ehe in prokura erteilt war, fand die Trauung und das Beilager in der Burgkapelle in Wien statt. So wurde Ferdinand der Stammvater der österreichisch-ungarischen Monarchie. *

»

*

Wenn auch die Ereignisse der skandinavischen Reiche mehr am Rande des kaiserlichen Spielfeldes lagen, übersah Max nicht, daß eine engere Verbindung mit der Nordischen Union dringend erwünscht sei. König Christian von Dänemark, Norwegen und Schweden hatte durch seine Beziehungen zu einer Amsterdamer Dirne an den europäischen Höfen manches Ärgernis hervorgerufen. Da man aber dem Kaiser versichert hatte, daß solche Verirrung vermieden würde, sobald Christian eine rechtmäßige Ehe eingegangen habe, zögerte Max nicht, ihm seine zweite Enkelin anzubieten. Christian war ein stattlicher Mann mit schwarzem Haupt- und Barthaar, der sich zeitlebens gegen die Ungebärdigkeit eines aufsässischen Adels hatte wehren müssen und deshalb sich ein listigverschlagenes Wesen angewöhnt hatte. Isabella galt unter ihren Geschwistern als Schönheit; sie war ihrem Vater Philipp nachgeartet. Aber sie war zu zart und empfindsam, errötete leicht, war lebensunkundig und blieb gern schüchtern im Hintergrunde. Voller Sorge fragte sich Margarethe, ob Isabeau sich an dem gefährdeten dänischen Hofe würde behaupten können. Nachdem die Traktate in Linz mit den Räten vereinbart waren, sollte die Hochzeit in prokura in Brüssel mit altburgundischer Pracht gefeiert werden. Der Hofmarschall Mogens Goye vertrat den Bräutigam; der weltkundige Bischof von Schleswig begleitete ihn. Beide kamen von einem unwirtlichen Hofe und bestaunten den verschwenderischen Reichtum, der sich ihren Augen bot. Die Hochzeitsfeier gestaltete sich zü

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Königin von Dänemark

einem Fest, wie es sonst nur zu Zeiten Philipps des Guten möglich gewesen war. Selbst Karl wurde in den Strudel mit hineingerissen. Um so schneller ging die Zeremonie der Beilegung vonstatten. Isabeau mußte sich auf einem großen Himmelbett ausstrecken. Ihr entblößter linker Fuß wurde einen Augenblick an das rechte Bein des neben ihm liegenden Mogens Goye gebunden, nachdem ihm Schuh und Beinling abgenommen waren. Dann war Isabeau Königin von Dänemark. Um die gleiche Zeit, wo Maria in Wien verheiratet wurde, reiste Isabeau nach Dänemark ab. Aber ihr blieb die Demütigung nicht erspart, daß die Düveke, jene Dirne aus Amsterdam samt ihrer Mutter weiterhin am Hofe eine große Rolle spielte. Schließlich griff Max selbst ein und schrieb an Margarethe, daß er den Herzog von Sachsen und den Rat Herberstein zu Christian entsandt habe, damit „gedachter König aus größerer Achtung sich auf den Weg der Vernunft, der Ehre und des Heils begebe und beharre und die Dirne entlasse". Aber die Gesandtschaft hatte keinen Erfolg. Als Herberstein die Vorwürfe des Kaisers vorlas, ballte Christian die Faust und zeigte sich, völlig unzugänglich. Als einzige Zusage gab er die mündliche Versicherung: „Ich werde mich königlich halten, wie mein Vater und seine Vorfahren." Die Königin sah man nur einmal. Sie war nicht dazu geschaffen, dem Rate ihres Beichtvaters zu folgen und die Waffen zu benutzen, die ihr als christlicher Ehefrau zustanden. Ergeben und ohne Hoffnung fügte sie sich in ihr Schicksal. Die einzige Aussicht blieb, daß die Geburt eines Erben ihre Stellung verbessern würde. Die dritte Enkelin Eleonore war der Liebling des ganzen Hofes. Gutmütig, lebensfroh, hilfsbereit, strömte sie Wärme aus, wohin sie kam. Selbst Karl suchte bei aller sonstigen Sprödigkeit ihre Nähe. M a x hatte wiederholt erklärt: „Sie soll für die größten Könige aufgehoben werden." Im Winter 1515 erhielt Margarethe ein langes Schreiben von ihm, daß die Gattin des polnischen Königs bei der Geburt einer Tochter gestorben sei, Sigismund noch keinen Erben habe und das Herz Eleonores erforscht werden solle. „Der König ist groß und blond, etwas fett. Er zählt 46 Jahre, wie er mir mit eigenem Munde gesagt hat, der schön und rot ist. Etwas angegraut ist er, aber er lebt auf großem Fuß, wie es der Bedeutung eines im übrigen kriegerischen Reiches entspricht." Eine lange Schilderung der polnischen Verhältnisse folgte. Margarethe hatte dies Schreiben ihres Vaters nicht allzu ernst genommen und sich nicht weiter bemüht, denn sie erfuhr, daß er noch andere

Drei

Königskronen

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Angebote gemacht hatte. Es war ihr schmerzlich, auch diese dritte Nichte ziehen zu lassen und ihren Kindergarten ganz verwaist zu sehen. Als daher Karl die Verheiratung Eleonores mit König Manuel von Portugal aus Gründen der Staatsraison für nötig hielt, wehrte sie sich mit allen Mitteln, das junge lebensprühende Geschöpf an den alten gichtigen Monarchen zu verkoppeln, der ihr Vater sein konnte. Aber Karl war unerbittlich, da inzwischen das leidenschaftliche Liebesverhältnis zwischen dem Pfalzgrafen Friedrich und Eleonore seine Pläne zu durchqueren schien. Er war erleichtert, daß kein Eheversprechen oder eine geheime Trauung vorlag und zwang seine Schwester, das allgemeine Fürstenlos auf sich zu nehmen und ihr Liebesglück dem Staatswohl zu opfern. Einsam und um ihre Hoffnungen betrogen, mußte Eleonore als Königin von Portugal ihr Leben vertrauern. Resigniert fügte sich Maximilian in diese Anordnung seines auf Souveränität pochenden Enkels. Er tröstete sich mit dem Gedanken, daß seine drei Enkelinnen drei Königskronen erworben hatten, die den Ruhm und die Macht Habsburgs mehren würden, auf daß an allen Enden der W e l t das W o r t gelten würde: Tiu felix Austria nube!

Bürgermeister

von

Augsburg

Jeweils wenn Maximilian über die „weitschweifige Heide" des Lechfeldes ritt und in der Ferne die stachlige Silhouette der von fast hundert Mauer- und Tortürmen überragten Freien Reichsstadt Augsburg auftauchen sah, hellte sich seine oft von Melancholie überschattete Miene auf. Kaum verging ein Jahr, ohne daß er in dieser von Dichtern und Chronisten hochgerühmten „schönen, lustigen, zierlichen, wohlerbauten sauberen, mit fröhlichem Volk und sonderlich schönem Weibsvolk begabten Stadt" Erholung gesucht hätte und auf der Pfalz oder in der Dompropstei, bei Philipp Adler oder Jacob Fugger eingekehrt wäre. Dann gebot der tanzfrohe Herrscher „bei drei Gulden Strafe" Frauen und Jungfrauen zum Fest auf dem städtischen Tanzhause oder ließ in aller Förmlichkeit zum Geschlechtertanz einladen. Beim „Simmet"- oder Sonnenwendfeste führte er „unter dem Schallen der Trompeten und Pauken" mit der schönsten Bürgertochter den Reigen um das helllodernde Johannisfeuer an. Zur Fastnadit war er gern beim Bürgertanz

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D a s festereiche Augsburg

zu Gaste, verkehrte mit Kleinbürgern wie mit seinesgleichen in bezwingender Liebenswürdigkeit, lud Kaufleute und Handwerker mit ihren Frauen zu Gaste und vergnügte sich „wohlauf und lustig" an harmlosen Scherzen. „Unser Herr König ist fröhlich, rennt und sticht, und tanzt und hat eine köstliche Mummerei gehabt. Da war mein Herr König mit siebzig Personen, alle in Bauernkleidern, und haben einen Bauerntanz getanzt. Und ist der König danach auf welsch gekleidet gewesen und die Frauen in rotem Atlas mit goldenem Stuck verbrämt und haben auf welsch getanzt und Lauten geschlagen und ist der Herr König ganz fröhlich gewesen." Die alte Lechstadt, deren Pracht und Gepränge zum Weltsprichwort geworden war, hatte schon zu Zeiten Heinrichs VIII. auf dem Fronhof das „Stechen über die Schranken" gepflegt. Die berühmtesten Scharfrennen fanden jedoch unter Maximilian statt. Die ganze Stadt nahm in leidenschaftlichem Festrausch daran teil und zeigte sich in schönstem Schmuck. Vor Beginn war Wappen- und Helmschau, um die Turnierfähigkeit zu prüfen. Aber Max stand nicht an, mit den Augsburger Patriziersöhnen die Lanzen zu brechen, auch wenn die Forderung der adeligen Herkunft nicht erfüllt werden konnte. Zuerst begaben sich die Kämpfer zum Dome. Dann wurde jeder Turnierherr, meist in kostbarer Rüstung, unter Vorantritt von Fanfarenbläsern und in Begleitung seiner Knappen und Knechte auf die Kampfbahn geleitet, wo man sogleich begann, über die Schranken zu stechen. Die Zünfte mit ihren Bannern und die Stadtsöldner mußten Spalier bilden. Für die hohen Gäste hatte man Tribünen errichtet, die mit Girlanden und Bildteppichen behangen waren. Den Siegern wurde als Preis der Frauen „der erste D a n k " verliehen, der meist in einer seidenen Schleife bestand. Mit dem Tode Maximilians verblaßte diese letzte Blüte ritterlichen Glanzes. Die Zünfte feierten mit bürgerlichem Behagen ihre Schützenfeste. Max nahm gern daran teil, veranstaltete auch selbst solche „Schießen" mit allerlei Kurzweil, stiftete dazu Ochsen, Kleinodien und Stoffe als Preis, schoß mit den Bürgern nach Papageienscheiben um die Wette und verlustierte sich mit ihren Frauen und Töchtern auf charmante Art. Die blaublütige französische Hofgesellschaft rümpfte darüber die Nase und nannte ihn den „Kleinbürgerkönig" oder „Bürgermeister von Augsburg". Oft lud Max Reichstage und sonstige Haupt- und Staatsaktionen nach Augsburg ein. Eine glitzernde Kette von heiteren Spielen, Wettkämpfen, Tänzen und anderem Zeitvertreib wurde von weltlichen oder kirchlichen

Der gefeierte Gast

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Feierlichkeiten unterbrochen. Die jetzt ständig in Augsburg beheimatete Hofkapelle, zu deren Mitgliedern die berühmtesten Musiker Deutschlands gehörten, erhöhten ihren Glanz. Des Königs Kantorei, eine Vokalkapelle ähnlich der am Burgunderhof, sang bei allen Kirchenfesten „mit Trummein, Pfeifen und Orgel". An den Fronleichnamsprozessionen vom Fronhof bis zum Perlach, bei denen ein denkbar großer kirchlicher Prunk entfaltet wurde, beteiligte sich der Kaiser mit Gemahlin und allen anwesenden Fürsten. Voran schritt der Herzog von Sachsen mit dem Schwerte Karls des Großen, dann Maximilian und der päpstliche Legat; anschließend die geistlichen und weltlichen Würdenträger nach ihrem Rang; den Schluß bildeten die Bürger der Stadt — alle in bloßen Füßen. Auf dem Weinmarkt, wo der kaiserliche Thron unter freiem Himmel aufgeschlagen war, fanden die Haupt- und Staatsaktionen statt. Max ließ für solche Zwecke Krone und Gewand Karls des Großen aus Nürnberg holen und legte für die Belehnungen und feierlichen Vereidigungen alle Insignien seiner Würde an. Darauf fanden festliche Kampfspiele auf dem Weinmarkt statt, an denen Max „mit bloßem Arm, nur mit dem Schilde geschützt, mit scharfen Waffen" teilnahm. Von allen Enden der Welt kamen dann hohe Herrn, Gesandte und Deputationen mit ihrem Troß nach Augsburg. Die festereidie Lechstadt war begehrtes Ziel für die lebenslustigen Kavaliere aus ganz Europa. Die reichen Kaufleute luden gern zu Gelagen in ihre verschwenderisch ausgestatteten Banketträume ein und zeigten dabei einen fürstlichen Aufwand; Mummereien und Tanz auf dem Tanzhause und der Herrenstube boten willkommene Abwechslung, wobei der Herrscher stets der gefeierte Gast war. Die reichen Jagdgründe der Markgrafschaft Burgau, die sich vor den Toren der Stadt dehnten, waren nicht der geringste Grund für Maximilians Vorliebe zur Lechstadt. Hier hatte er einst die Anfangsgründe des Weidwerks gelernt und bevorzugte das Gelände auch später vor allen anderen. Selbst wenn wichtigste Fragen der Weltpolitik zur Debatte standen, konnte er unversehens in den Wäldern von Burgau verschwinden, um seiner Leidenschaft zu frönen. Auch die wissenschaftlichen und künstlerischen Neigungen des Herrschers fanden in Augsburg reiche Nahrung. Häufig verweilte er bei den gelehrten Brüdern des St. Ulrichsklosters und war hocherfreut, daß der Abt ihn zum „Mitbruder des Klosterkonvents" ernannt hatte. Der kleine stets von Podagra geplagte Veit Bild stand ihm besonders nahe. W i e er selbst war der Mönch ein „Huomo universale", der naturwissenschaftliche,

286

Humanistische

Freundschaften

mathematische und geographische Studien ebenso trieb, wie Astrologie und Chiromantie. Audi der Chronist Clemens Sender, der gern die Mönchskutte mit der Toga antiqua vertauschte, genoß die Gunst des Monarchen. Besondere Freundschaft hielt Max mit dem Prior des Dominikanerklosters Johann Faber und beauftragte ihn sogar, mit 60 Klosterinsassen eine Akademie als „höhere Ordensschule" zum Studium der klassischen Wissenschaften einzurichten. Der T o d Maximilians vereitelte dies Projekt. Am häufigsten kehrte Max in dem auf altrömischem Boden errichteten Hause seines Freundes und kaiserlichen Rats Konrad Peutinger ein, das von der Magie der alten Wissenschaften umspielt war und Herberge für die humanistischen Gelehrten aus ganz Deutschland wurde. In der verschwenderisch mit handschriftlichen Schätzen ausgestatteten Bibliothek und seinen Sammlungen alter Inschriften, Münzen und Statuen fand Max oft geistige Anregung. Die kunstsinnige, mit der Sprache der Humanisten wohlvertraute Gattin Peutingers sorgte dafür, daß sich Geist und Witz einer gepflegten Geselligkeit mit den Genüssen einer reich besetzten Tafel verbanden. Auch die kleine Tochter Juliana, die den Kaiser schon mit vier Jahren in einer lateinischen Rede begrüßt hatte, dann aber, nach ihren Wünschen gefragt, noch ganz kindlich antwortete: „eine Dogge" (Puppe), trug zur Vertraulichkeit der Atmosphäre bei. In Peutingers Hause fanden auch die Symposien der „Societas Augustana" statt, wo der Hausherr seine berühmt gewordenen „Tischreden von den wunderbaren Altertümern Deutschlands" hielt. M a x nahm häufig an dem Gedankenaustausch über politische Tagesfragen teil und förderte die Drucklegung alter Urkunden und Geschichtswerke. Da Peutinger enge Fäden zwischen den Humanisten und den Augsburger Künstlern geknüpft hatte, vermittelte er zahlreiche kaiserliche Aufträge. Alle höchsten Erlasse und Ausschreibungen, die ins Reich gingen, wurden in Augsburg gedruckt. Peutinger erhielt die geschriebenen Originale und sandte die fertigen Drucksachen an die kaiserliche Kanzlei zurück. Durch seine Vermittlung wurden auch die Holzschnitte für die literarischen Erzeugnisse Maximilians in Augsburg angefertigt. Schließlich lieh Peutinger den Helmschmieden und Plattnern seine vermittelnde Hilfe. Manche silberne Prunkrüstung sandte er nach Wien und kümmerte sich darum, „daß solcher Harnisch förderlich geschlagen und ausgemacht wurde".

Konrad Peutinger

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Als Meister der Staatskunst und gewandter Diplomat leistete Peutinger dem Kaiser unschätzbare Dienste. Zahlreiche delikate Gesandtschaften führte er zum Erfolg. Durch die weltweiten Beziehungen der Augsburger Großkaufleute konnte er schnell „Newe Zeitung" über wichtige Geschehnisse in und außerhalb des Reiches erhalten und dem Kaiser darüber Bericht erstatten. Dieser klug ausgewählte Nachrichtendienst bot Max eine große Hilfe bei politischen Entscheidungen; er wurde ergänzt durch private Nachrichten („Relationen"), wie sie zwischen Kaufleuten und Gelehrten ausgetauscht wurden. Auch sonst wurde Peutinger für die verschiedensten Freundschaftsdienste in Anspruch genommen, mußte Häuser kaufen, Brutöfen für die Falknerei oder Netze für das kaiserliche Reiherhaus besorgen; Anleihen aufbringen und Reichsgelder einsammeln. „Es häufen sich die Geschäfte, besonders wenn der Kaiser anwesend ist", schrieb er seufzend an Hummelberg. Viele andere Augsburger nahm Max in seine Dienste und gab ihnen Ehrenstellen: voran Mathäus Lang, seinen späteren Kanzler und unentbehrlichen Ratgeber. Ursprünglich „ein kleines Schreiberlein", kam dieser hoffärtige und ehrgeizige, aber diplomatisch kluge Mann durch des Kaisers Gunst zu hohen Ehren und wurde sogar Erzbischof von Salzburg, trotzdem die Augsburger Chronisten ihn hart tadelten und ihn sogar einen „Speckbuben" und „Hurenjäger" schalten. Aber seinem kaiserlichen Herrn hielt er zeitlebens die Treue. *

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*

Maximilian schenkte der Reichsstadt nicht nur aus persönlicher Liebhaberei seine besondere Gunst. Freude an prunkvoller Lebensführung und die Erkenntnis von der Bedeutung des Handelsstandes für das Aufblühen seiner Erblande und für die Durchführung seiner imperialen Weltmachtziele trieben ihn dorthin, wo er die größte Opferwilligkeit und unbegrenzten Kredit fand. „Der Kaiser war denen in Augsburg wohlgesinnt", meint ein Chronist. „Es waren viele Kaufleute hier, die handelten mit ihm. Wenn er Geld bedurfte, so liehen sie es ihm gegen Silber und Kupfer in Schwaz. So konnten die Kaufleute wohl scheren." Je bedeutender eine Handelsgesellschaft wurde, je häufiger klopften die kaiserlichen Finanzbeamten an ihre Türen. Als Pfand bot ihnen M a x die ihm zustehenden Abgaben auf die gesamte bergbauliche Produktion, vor allem in Tirol und Kärnten. Durch das Anleihegeschäft mit dem

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Kaiser- und Handelsstadt

Kaiser kamen die Kaufleute Augsburgs in den Erzhandel, wurden Besitzer von Hüttenwerken und übernahmen schließlich die Bergwerke selbst. Die enge Verbindung Maximilians mit seiner „Kaiser- und Handelsstadt" wurde der unmittelbare Anlaß, daß Augsburg unerhörte Reichtümer sammeln und zum Mittelpunkt des Welthandels werden konnte, denn der Erzhandel und Bergbau war damals das rentabelste Geschäft und brachte enorme Gewinne. Auch Jacob Fugger hat im Tiroler Metallhandel sein kaufmännisches Meisterwerk vollbracht. Die Freundschaft des Kaisers mit dem großen Handelsherrn steht sinnbildlich für die ewige Verbundenheit zwischen Staat und Wirtschaft. Sie ging über das Zweckhafte hinaus und griff in die tieferen Bezirke seelischer Gemeinschaft. „Bei dem Römischen Kaiser war Jacob Fugger wegen seiner höflichen Art sehr beliebt", urteilt die Fuggerchronik. Gerade aus innerlichem Kompensationsbedürfnis begegneten sich die von Natur so gegensätzlichen Gestalten: der ewig schweifende, unermüdlich phantastischen Plänen nachjagende, verschwenderisch sich schenkende Kaiser und der rechnerisch der Zahl ergebene zielbewußte, erbarmungslos den wesenlosen Schein der Dinge entlarvende Mann des wägenden Maßes, der jede Art von Exzessen und romantischen Abenteuern ablehnte. Auch andere Handelsherren gaben Darlehen an Max — oft für ihn ein demütigender Vorgang, denn zwingen konnte er seine Geldgeber nicht. Durch besonderes Privileg mußte er zugestehen, daß die Kaufleute künftig „nur nach freiem Willen und Gefallen handeln durften". Oft machten die kaiserlichen Finanzbeamten die Erfahrung, daß „bei anderen Kaufleuten außerhalb Eugger keine namhafte Summe erlangt werden konnte" und wandten sich schließlich immer wieder an Jacob Fugger. Der tat sein Äußerstes. Selbst ein so unverdächtiger Zeuge wie der Bischof von Arras erklärte: „Die Fugger haben sich wohl gehalten und den Kaiser in seinen großen Nöten nie verlassen." Es gab jedoch Zeiten, wo selbst sie sich versagen mußten, wenn zu leichtfertig und ungestüm gefordert wurde. Mit überlegner Ruhe und ohne viel Worte lehnte dann Jacob Fugger ab. „Ich bin dermaßen an Geld erschöpft, daß ich weitere Summen aufzubringen und S. M. darzustrecken nicht gefaßt bin. Zudem ist mir die Majestät auch sonst nodi merklich große Gelder auf etliche Verträge schuldig." — Bei dem Plan, die Kaiserkrone gegen die Tiara auszutauschen, sollten die Fugger 3 0 0 0 0 0 Gulden aufbringen. Aber zu solchen Phantastereien lieh Jacob nicht seine Hilfe

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Gebetbuch

Kaiser

Maximilians

Jacob Fugger

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und vereitelte daher das Projekt. Aber als die Gefahr bestand, daß der französische König Franz I. Nachfolger auf dem Kaiserthrone wurde, stellte Jacob die Hälfte seines Vermögens aufs Spiel und sicherte dadurch die Kaiserkrone dem habsburgischen Geschlecht. Maximilian kargte nicht mit Beweisen seiner Dankbarkeit. Als Jacob Fugger die Politik seiner Darlehen in den Dienst seiner großen wirtschaftlichen Ziele stellen wollte, fand er an seinem kaiserlichen Freund einen unermüdlichen Förderer. Es war für den sonst so nüchternen Rediner ein berauschender Gedanke, kommende hochkapitalistische Wirtschaftsformen vorauszunehmen und für Silber, Kupfer und Quecksilber die gesamte Produktion in die Hände zu bekommen, um durch ein Weltmonopol den Preis souverän bestimmen zu können. D a auch sein kaiserlicher Herr sein Gewissen nicht belastet fühlte, monopolistische Kontrakte alleiniger Lieferung abzuschließen, und sogar kraft seines Regalrechts die Gewerken zwingen wollte, alle geförderten Kupfererze im Vorverkaufsrecht ihm zu überlassen, um sie dann durch einen „ewigen Kupfervertrag" den meistbietenden Handelsherrn gegen Gewinnanteile zu überlassen, überwand Jacob Fugger alle Bedenklichkeiten und verfolgte mit leidenschaftlichem Eifer das Ziel eines Weltkupfermonopols. So standen die Interessen beider gegeneinander. Aber Jacob erklärte: „Ich habe den Kaiser in meiner Tasche." Als die kaiserlichen Agenten im Jahre 1515 für die geplante Doppelhochzeit außerordentliche Darlehen forderten, erklärte er sich nur bereit, wenn ihm der alleinige Kupferkauf gesichert würde. Er kam zum Ziele und erhielt „zu Rattenberg und sonstwo all und jedes Kupfer". Dafür förderten die Fugger die folgenschwere Verbindung der Habsburger und Jagellonen, sodaß sie auf dem Wiener Kongreß vollzogen werden konnte. Jacob selbst begleitete den Kaiser, verteilte verschwenderisch kostbare Geschenke und sorgte dafür, daß auch Max im „schimmernden Gewände" erscheinen konnte. Die Tafel bog sich unter der Last der prunkenden Gold- und Silbergefäße, denn Max wollte den Königen und anderen großen Fürsten zeigen, was er in seinen Schätzen hatte. Niemand ahnte, daß die erlesenen Kleinodien längst als Pfand in den Truhen der Augsburger Kaufleute lagen und Fugger sie nur auf Bitten Maximilians unter eigenem Risiko nach Wien hatte schaffen lassen, um sie säuberlich verpackt wieder nach Augsburg mitzunehmen. M a x geriet durch seine Abhängigkeit vom Großkapital der Fugger immer mehr in Schwierigkeiten. Die Tiroler Regierung, die durch die kai19 Winker, Maximilian

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Kapitalistisches Wirtsdiaftsdenken

serlidien Verschreibungen in Verlegenheit kam, die Schmelzer, die aus dem Bergbau verdrängt wurden und die Tiroler Stände, die ihm vorrechneten, welch schlechtes Geschäft er machte und energisch auf Lösung der Verträge mit den Augsburger Kaufleuten drangen, erreichten, daß Max sich vorübergehend von seinen Verbindlichkeiten zu lösen versuchte. Bald aber sah er ein, daß er dann auf alle seine großen Pläne verzichten müsse, und überschüttete die Fugger neuerlich mit Beweisen seiner besonderen Gunst, befreite sie sogar „von allen und jeglichen des Reiches Bürden, Steuern und Kollekten". *

*

*

Die wachsende Spannung zwischen sozialen Neigungen und kapitalistischen Forderungen bereiteten dem Kaiser große Gewissensnöte. Als Kaiser und Landesfürst nahm er sich der Unterdrückten und Schwachen an und schützte das Zunftwesen als Ausdruck einer Wirtschaftsform, die jedem eine auskömmliche Lebenshaltung sicherte. Aber Zeitumstände und unbegrenztes Machtstreben drängten ihn dazu, mit dem Kapital ein Bündnis einzugehen und kapitalistisches Wirtschaftsdenken mit seinen politischen Zielen eng zu verquicken. Ritter, Bürger und Bauern hatten sich zusammengetan, um gegen die nach Römischem Recht als Monopolien bezeichneten „wucherischen Kontrakte und Fürkäufe" Sturm zu laufen. Auf Reichstagen und Versammlungen der Landschaften wurden leidenschaftliche Anklagen gegen die Fugger, Welser und andere Vertreter kapitalistischer Mächte laut und fanden in handelsfeindlichen Abschieden und Monopolverboten ihren Niederschlag. Es wurde Max schwer, gegen diese Beschlüsse Stellung zu nehmen. Aber er mußte seine Geldgeber schützen und durch Edikte feststellen, daß Erzkontrakte nicht verboten waren. Auch sonst war Max eifrig bemüht, die Handelsinteressen seiner Kaufleute zu wahren und ihnen des Reiches Schutz gegen Angriffe feindlicher Mächte zu bieten. Nur im Schatten kaiserlidier Gunst konnten sich die vorwärtsdrängenden Kräfte freiheitlicher Wirtschaftsformen entfalten und die Fesseln mittelalterlicher Gebundenheiten abstreifen, ü b e r dem Außenhandel schwebte die Gefahr, daß der deutsche Kaufmann um seinen Erfolg gebracht wurde. Durch Maximilians Fürsorge hob sich sein Ansehen und sein Selbstgefühl, so daß er auf allen Handelsplätzen der Welt Einfluß gewinnen konnte. Fortschrittliche Landfriedensordnungen

führten strenge

Maßnahmen

Handel nach Uebersee

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durch, um der „Heckenreiterei" des absinkenden Adels endlich ein Ende zu machen. Fremde rühmten in ihren Reiseberichten, daß überall Räder und Galgen errichtet seien, um Friedensbrecher nach Gebühr zu bestrafen. In Mainz wurde sogar die Sistierung der Rheinschiffahrt angeordnet, damit Übeltäter zu beiden Seiten des Rheines nicht zueinander kommen konnten. Aber ein voller Erfolg blieb trotzdem aus, so daß die Handelswege nach wie vor gefährdet blieben. Auch die Bestrebungen Maximilians, einheitliche Maße und Gewichte und ein verbessertes Münzwesen für ganz Deutschland durchzuführen, blieben in den Anfängen stecken. Aber mit seiner „Posterei" hatte er Glück. Bald waren die kaiserlichen „Ordinarii" mit ihren schmucken Uniformen und charakteristischen Botenbüchsen auf den Strecken Wien—Innsbruck—Brüssel und Innsbruck—Rom zur Beförderung von Personen, Gütern und Briefen unentbehrlich geworden. Unter kaiserlicher Fürsorge wurde auch die erste „Newe Zeitung" mit Nachrichten „aus Persilg-Land und von der kaiserl. Maj. und von den Venedigern" gedruckt. Seit der Entdeckung Vasco da Gamas hatte sich das Schwergewicht des europäischen Handels an die westlichen Randgebiete des Kontinents verlagert und der ökonomische Raum war über die Meere hin erweitert. Ohne Import von Erzen und Metallen war eine Ausbeute der neugewonnenen portugiesischen und spanischen Kolonien nicht möglich. Da die Augsburger Kaufleute hierin Haupthändler Europas waren, standen sie bei den großen Planungen in den Wunderländern Indiens und Amerikas an erster Stelle und beteiligten sich gleich bei der Expedition des Vizekönigs Franzisko d'Almeida. Voller Stolz konnte Peutinger berichten: „Solche Fahrt ist uns Augsburgern ein großes Lob als die ersten Deutschen, die Indiam suchten." Max zeigte offenen Blick für die welterschütternde Bedeutung der neuen Entdeckungen, entwarf Empfehlungsschreiben, stellte - die Seefahrer unter seinen besonderen Schutz und verfolgte jede Neuigkeit mit leidenschaftlichem Eifer. Durch seine Heiratspolitik hatte er zu den beiden jetzt führenden Handelsländern Spanien und den Niederlanden enge Beziehungen erhalten, die für die Augsburger Kaufleute von unschätzbarem Werte wurden. Die reich gewordenen Handelsherrn wollten ihre neu gewonnene Macht auch äußerlich zur Schau tragen, forderten ritterliche Lebensführung, wollten Standesherren werden und Burgen und Schlösser ihr eigen nennen. Maximilian, nach Geburt und Neigung den Standesprivilegien der Adelskaste verhaftet, mußte sich den Wünschen seiner Geldgeber fügen

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mit besonderen Gnaden zugetan"

und sparte nicht mit Adelsprädikaten und Verleihung von Familienwappen. Jacob Fugger erhielt sogar Reichsgut als unmittelbares Herrschaftsgebiet mit allen Hoheitsrechten, durfte sich den Grafentitel zulegen und selbst rittermäßige Lehen verleihen. Damit wurde dem bereits abbröckelnden Ständestaat des Mittelalters mit seiner geheiligten Ordnung des Lehensschildes und dem Begriff der „Ebenbürtigkeit" der Todesstoß versetzt. Gegen alle Widerstände der Traditionsmächte hatte M a x damit das uralte Vorrecht der Geburt und des Standes durchbrochen und einem Emporkömmling Kompetenzen gegeben, die bislang nur dem Hochadel zukamen. Die neidischen Herrn vom goldenen Sporn ließen ihrem Groll freien Lauf. Götz von Berlichingen schleudert in seiner Selbstbiographie dem Kaiser ins Gesicht: „Wenn ein Kaufmann einen Pfeffersack verliert, soll das ganze Reich aufgerufen werden; wenn aber ernsthafte Händel aufkommen, an denen dem Kaiser und dem Reich viel gelegen sein müßte, ruft man Euch umsonst." *

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Mit dem Regierungsantritt Maximilians verzeichneten die Chronisten eine neue Epoche der Stadt Augsburg, „indem selbiger ihr mit besonderen Gnaden zugetan, sie oft mit seiner Gegenwart geehrt, mit herrlichen Freiheiten begabt und viele Bürger mit Guttaten überschüttet hatte". Eine Blütezeit ohnegleichen war der Lechstadt beschieden. „Handel und Gewerbe kamen jetzt in Flor; der Kaufmann sammelte große Schätze und auch der gemeine Bürger hatte reiche Nahrung." Um seinen Freunden nahe zu sein und Heimatrecht in Augsburg zu bekommen, hatte M a x das Meutingsche Anwesen erworben. Als* er aber seinen Privatbesitz weiterhin vennehren wollte, war der Hohe Rat nicht einverstanden, da solche Häuser der städtischen Steuer entzogen wurden und er fürchtete, daß ein so großmächtiger Bürger die Freiheit ihrer Entschlüsse beeinträchtigen konnte. Ohnehin hatte der Rat durch die häufige Anwesenheit des Monarchen mancherlei Beschwerden auf sich zu nehmen. Unermüdlich suchte Max seine verdienten Gefolgsleute in städtischen Ämtern unterzubringen. Audi griff er häufig in die Rechtspflege des Stadtgerichtes ein und hob dessen Urteile auf. Hier und da verschärfte er auch die von der Stadt verhängten Strafen, forderte ihren sofortigen Vollzug und ordnete von sich aus Verhaftungen an. So blieben Konflikte zwischen Monarch und Stadtverwaltung nicht aus. Unerschrocken wahrte der Rat seine Rechte, fand aber schließlich immer

Allezeit ein guter Augsburger

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wieder versöhnliches Entgegenkommen, so daß das Vertrauen nie ernsthaft gefährdet wurde. Im Vorgefühl nahen Todes hatte Max den Wunsch, noch einmal an dem bunt bewegten Treiben Augsburgs teilzunehmen. Es sollte ein wehmütiger Abschied werden in heiterer Resignation. Bei einer großen Faschingsmummerei auf dem Tanzhause „mußten alle Frauenzimmer auf genannten Kaisers Begehr je zwei und zwei ohne Mannspersonen einen Reigen vor ihm tanzen. Dabei machten ihm die bei dergleichen Solemnitäten üblichen runzelten und fliegenden Schleier, die ,Stirz', die fast das ganze Gesicht bedeckten, sonderliche Beschwer." Er ließ deshalb durch Kardinal Lang den versammelten Frauen erklären, daß S. M. zu der Stadt Augsburg und den ehrbaren Frauen besondere Gnade habe. So sähe S. M. jedoch ein ungestalten Gebrauch an den Frauen, das seien die hohen Schleier. Und wäre S. M. Begehr, daß sie solche abtun sollten." Ebenso zeremoniell gaben die Damen dem Kaiser durch Peutinger „in sonderer Ehrerbietung willfährigen Bescheid. Sie seien wohl zufrieden, wollten auch solcher Hauptzierde zu gnädigstem Gefallen hinfüro willig und gern entraten", — worauf sie bei der nächsten feierlichen Gelegenheit unverschleiert mit goldenen Haarhauben erschienen. Noch einmal wollte M a x auch einem Hochamt im St. Ulrichskloster beiwohnen, dem er besonders verbunden war. Er beauftragte darum einen seiner Kapläne: „Geh hin zu meinem gesippten Freunde und Patron von St. Ulrich und sag ihm, wir möchten gerne zu unserem Abschied die Messe im Chor von St. Afra hören/' Mit aller Andacht folgte er dem Hochamt. Aber „wider seine Gewohnheit", berichtet Clemens Sender, „ließ er seine Augen umherschweifen und sah einen Mönch nach dem anderen an, als ob wir S. M. hinfüro nicht mehr sehen würden." Als Dank schenkte er dem Konvent einen ungarischen Ochsen. Ende September 1519 verließ Max sein geliebtes Augsburg. Als er „bey der Rennsäule" auf dem Lechfelde angelangt war, wandte er sich noch einmal nach der im blauen Dunst des Herbsttages verschwimmenden Stadt zurück, schlug das Kreuz und sagte wehmütig: „Nun gesegne Dich Gott, Du mein liebes Augsburg und alle frommen Bürger darin. Wohl werden wir Dich nicht mehr sehen." So dankte er seiner Stadt für alle Freundschaft und Opferbereitschaft, die er stets in ihren Mauern gefunden hatte. Der Chronist Hector Meier glaubte ihm kein größeres Lob spenden zu können, als mit den Worten: „Er ist allezeit ein guter Augsburger gewest."

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Sicherung der Kaiserkrone

Abschied Stets war Maximilian ein Abbild von Kraft und Gesundheit gewesen. Jetzt begann er zu kränkeln. Seelische Qualen mischten sich mit körperlichen Gebresten. Gallenkolik und Leberleiden machten sein Gesicht fahl und seine Augen trübe. Besorgt warnten seine Räte Wolkenstein und Serntein-. „Man soll die Majestät nicht mit Geschäften, besonders mit beschwerlichen Händeln zu viel und zu unfügsamer Zeit bemühen, weil daraus viel Melankolia entsteht. Auch darf sie sich nicht an Orten aufhalten, wo Luft und Wasser, Speise und Trank ihr nicht zuträglich sind." Audi Karl zeigte seine Anteilnahme in einem warmherzigen Brief aus Valladolid: „In Anbetracht des Alters Ew. Maj. und der Drangsale halber, deren Ihr Euch unterzieht, muß ich Euch erklären, daß ich Euch gern die Bürde erleichtern und die eigene Jugend zur Stütze Eures Alters anwenden möchte." Von Todesahnungen erfüllt, hielt Max es an der Zeit, die Kaiserkrone seinem Geschlecht zu sichern. Das Wort des Kardinals Wolsey: „die Kaiserkrone bedeutet die Herrschaft über die W e l t " entsprach seinem eigenen Machtwillen. Ohne diesen höchsten Titel, den die Christenheit zu vergeben hatte, würde die Staatenvielheit seiner Hausmacht, die jetzt die Niederlande, Burgund, Spanien, Süditalien und die österreichischen Länder umfaßte, keinen Bestand haben. In augenblicklicher Notlage hatte Max zwar die Krone dem unmündigen König von Ungarn und ein andermal Heinrich VIII. angeboten, aber nie damit Ernst gemacht. Gattinara, der „Großkanzler aller Reiche und Länder des Königs", der am Hofe Karls eine ähnliche Rolle spielte wie vordem Chievres, überzeugte den jungen König, daß die Vielfalt seiner Länder ein Sinnbild brauche. Mit Feuereifer nahm Karl diesen Gedanken als neues Machtmittel auf und schickte seinen treuen Diener Jean Courteville mit Wechseln über 100 000 Gulden, die nach der Wahl an die Kurfürsten ausgezahlt werden sollten, nach Deutschland. Bis dahin hoffte er sie mit Versprechungen füttern zu können. Aber obgleich die Goldene Bulle bestimmt hatte, daß die Kaiserwahl „frei von Gunst und Gabe" stattfinden müsse, waren fünf Kurfürsten ganz ungeniert bereit, dem Meistbietenden, möchte er auch ein Ausländer sein, ihre Stimme zu geben. Ihre Aufgabe wuchs jetzt über den Rahmen Deutschlands hinaus ins Gesamteuropäische, da Karl Herzog von Burgund und König von Spanien war und mit ihm die Könige von Frankreich und England in Kon-

Gefährliche Konkurrenz

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kurrenz traten: Franz aus unbegrenztem Machtwillen und um seine rechtliche Stellung in Italien zu sichern; Heinrich aus persönlichem Geltungsbedürfnis und aus mittelalterlicher Romantik. Die Franzosen begannen in Deutschland „schreckliche Praktiken" zu entwickeln. Als galanter und in der „guerre amoureuse" wohlgeschulter Kavalier erklärte Franz: „Deutschland, das ist eine Geliebte, um deren Hand wir werben. Zwischen mir und meinem Sohne Karl besteht deshalb noch kein persönlicher Konflikt. Man kann sich dabei durchaus ritterlich und freundschaftlich aufführen." Um die große Geste war er nie verlegen. „Das Ziel, nadh dem ich strebe", sagte er feierlich, „ist weder schädlich noch schlimm, denn ich lasse mich weder durch Habsucht noch durch Ehrsucht noch durch Herrschsucht bewegen, sondern einzig durch den Wunsch, den Krieg, den ich mit den Türken führen muß, möglichst zu erleichtern." Mit verdächtiger Herzlichkeit ergriff er die Hand des englischen Gesandten und erklärte mit theatralischer Geste: „Drei Jahre nach der Wahl werde ich in Konstantinopel sein oder tot." Im engeren Kreise aber nannte er den eigentlichen Grund, daß die Kaiserkrone in der Hand Karls eine ständige Bedrohung seines Landes sei. Um sein Ziel zu erreichen, sollte ihm jedes Mittel der Bestechung und Verführung recht sein. Sein halbes Jahreseinkommen, bis zu drei Millionen Livres, wollte er dransetzen, sein Ziel zu erreichen. Max täuschte sich nicht über die Gefährlichkeit dieser Konkurrenz. Besorgt schrieb er seinem Enkel am 18. Mai 1518: „Auf die Verwandtschaft darf man nicht pochen; entscheidend allein ist viel Geld. D a die Erblande durch das Kaisertum nur wertvoller werden, darf man nicht sparen. Aber freilich mit Wechseln ist niemandem gedient. Die Fürsten werden den klingenden Münzen der Franzosen mehr glauben, als guten Worten. Nur mit großen Mitteln kann man den Praktiken im Reich entgegenwirken." Und dann wies er im Einzelnen nach, Avie hohe Summen als Bestechungsgelder und zur Bezahlung alter Schulden nötig seien. Auch Margarethe, die jetzt die Seele der habsburgischen Wahlaktion wurde, schrieb: „Man soll sich das Roß, das man für die eigene Faust hat zureiten lassen, nicht des Kaufschillings halber entgehen lassen, da doch ein anderer Bieter zur Stelle ist, dem keine Forderung z u hoch ist." Karl stimmte diesen Ausführungen zu und sandte an Courteville neue Anweisungen: „Im Reich muß der Segen der Verbindung mit Habsburg fühlbar gemacht werden durch ein Füllhorn voller Gaben."

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Wahlsdiadier

Die Wahlverhandlungen wurden günstig beeinflußt durch die Nachrichten, die Mansfeld aus Spanien mitbrachte. Böhmen war wegen seiner engen Verbindung mit Polen für die Wahl Karls. Durch Fuggers Mitarbeit und unbegrenzten Kredit und die Geschicklichkeit des Kardinals Gurk konnten auch die übrigen Kurfürsten gewonnen werden außer dem Trierer, der mit Frankreich zu eng verbunden war, und Friedrich von Sachsen, dem als rechtlich denkenden Mann die ganze Art des Wahlschachers zuwider war. Max selbst war darüber empört. Die Rechnungsunterlagen Margarethes, die das habsburgische Wahlbureau leitete, zeigten ihm, wieviele „Handsalben" und Schmiergelder für die Fürsten, Botschafter, Mittelsmänner und sogar für die Verwandten und Diener der Kurfürsten nötig waren. Am sdhamlosesten zeigte sich Joachim von Brandenburg, den die kaiserlichen Räte den „Vater der Habsucht" nannten. Franz versprach dessem Sohne seine Schwägerin Renata von Valois mit reicher Mitgift. Max bot dagegen seine eigene Enkelin mit einer Aussteuer von 300 000 Gulden. Aber erst nachdem Jacob Fugger als Selbstschuldner aufzutreten bereit war und ihm direkt nach der Wahl 100 000 Gulden auszahlen wollte, gab sich Joachim zufrieden. Eine Schwierigkeit bestand: Max war nur „erwählter", nicht gekrönter Kaiser und durfte deshalb zu seinen Lebzeiten keinen Nachfolger haben. Er mußte sich deshalb die Freundschaft des Papstes zu erhalten suchen. Leo X. ließ darüber keinen Zweifel, daß er nicht der „Hofkaplan des: Königs Franz" werden wollte. Anderseits erklärte er dem venetianischen Gesandten: „Den katholischen König (Karl) wollen wir unter keinen Umständen. Wißt Ihr, wieviele Meilen es zu den Grenzen seines Gebietes sind? — Nur vierzig! — Nein, er darf nicht Römischer König werden!" — Ihm paßten beide Bewerber nicht; heimlich warb er deshalb für Friedrich von Sachsen trotz dessen Sympathien für den „Revolutionär" Martin Luther. *

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Da der Lebenswille Maximilians noch einmal für kurze Zeit aufflackerte, wollte er seine letzte Tatkraft auf die Fata Morgana eines Türkenkrieges und die Erledigung der Kaiserwahl verwenden. Er berief deshalb für den Monat Juli 1518 einen Reichstag nach Augsburg „um wegen König Karls von Spanien vorgehabter Wahl zu einem Römischen König und wegen des Krieges gegen die Türken" zu beraten. Dann wollte er selbst die Kaiserkrone niederlegen, „kraft Übertragung durch Karl auf Lebens-

Der Türkenkrieg

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zeit" König von Neapel werden und den Rest seines Lebens ganz den Künsten und Wissenschaften widmen. An einem sonnenüberstrahlten Junitage ritt der Kaiser in Augsburg ein. Einige Tage später wurde der päpstliche Legat Thomas de Vigi, „eine kleine Person", vom Kaiser, allen Fürsten und der ganzen Priesterschaft in großer Zeremonie empfangen. Den habgierigen Dienern des Legaten, die nach dem Empfang den Thronhimmel, die Räucherfässer und andere Geräte für sich zu beanspruchen pflegten, spielte man einen Streich. D a nur altes Pietzwerk genommen war, hielten sie sich arg genarrt. Kirchliche und weltliche Feierlichkeiten folgten in buntem Wechsel. Im Dom fand ein Doppelfest mit großem Gepränge statt. Dem Erzbischof von Mainz wurde durch Kardinal Lang der Kardinalshut überreicht und dem Kaiser durch den Legaten ein herrlicher Hut und ein reich mit Edelsteinen geschmücktes Schwert als Geschenk des Papstes. Eine Botschaft Leos X. wurde verlesen, worin der Kaiser als Beschirmer und Retter der ganzen Christenheit bezeichnet wurde. M a x ließ antworten, daß er „Land und Leute und alles was er habe, auch seinen eigenen Leib und sein Leben für den Römischen Stuhl und die Christenheit hingeben wolle." Solche schönen Worte konnten freilich die romfeindliche Stimmung nicht verscheuchen, die auf allen Gesichtern lag. Anfang Juli versammelten sich die Stände auf dem Rathaus, um über die Finanzierung des Türkenkrieges Beschluß zu fassen. Der zündende Gedanke, die Ungläubigen aus Europa zu vertreiben, fand unter den Vertretern der Reichsstände und der Humanisten beredte Fürsprecher. Prunkvolle Reden wurden gehalten mit vielen Zitaten aus römischen Schriftstellern über Einfälle der Barbaren. Den größten Eindruck machte Ulrich von Hutten mit seiner „Exhortatio ad Principes Germanos, ut bellum in Turcos concorditer suscipiant". Er war ein leidenschaftlicher Anhänger Maximilians, hatte ihn gegen Beschimpfungen verteidigt und sogar fünf Franzosen, die über ihn lästerten, teils erschlagen, teils in die Flucht geschlagen. „Das angenehmste Schauspiel", rief er aus, „bietet sich hier vor aller Augen. So viele Fürsten, ausgezeichnet durch Jugend und Wohlgestalt, eine so große Menge von Grafen und Rittern, die Blüte des deutschen Adels! W e r sie anschaut, dem können die Türken nicht furchtbar erscheinen!" Aber die Szene veränderte sich, als der Legat zur Bewilligung der Türkengelder aufforderte. Mit elementarer Gewalt schäumten bei den Ver-

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Wider die römischen

Beutelschneider

tretern aller Stände die ursprünglich von der hohen Geistlichkeit ausgehenden „Gravamina nationis germanicae" gegen die römischen Beutelschneider und Pfründenjäger auf. Abgeordnete des Bischofs von Lüttich. legten ein ganzes Register päpstlicher Eingriffe und römischer Umtriebe vor, die unter allen möglichen Vorwänden rechtmäßige kanonische Wahlen unmöglich machten. Von allen Seiten wurden Beschwerden laut über das Unwesen des Jubel- und Kreuzablasses, die Annaten und sonstigen Abgaben, die in Rom „bübisch verzehrt" würden, aber nie für den Türkenkrieg verwandt seien. „Es ist wirklich Zeit", rief Christoph Scheuerl, „daß die Deutschen den italienischen Trug verstehen lernen." In der Türkenfrage waren sich Papst und Kaiser einig. „Zu sterben auf grüner Heide für den Glauben an den Erlöser" war Maximilians höchster Wunsch von Jugend auf. Aber gegen die so spontan sich erhebende Volksbewegung erlahmte sein Widerstand. Obgleich er die Hilfe des Papstes in der Wahlsache brauchte, schwenkte er zum größten Ärger des Legaten ab und verpflichtete sich, für die Abstellung der Annaten und sonstigen Beschwerdepunkte Sorge zu tragen. Einstimmig wurden die Anträge des Legaten und die weitere Bewilligung von Zehnten an den Papst abgelehnt. Mit bitteren Empfindungen fügte sich Max in das Unvermeidliche, auf den Traum eines Türkenfeldzuges endgültig verzichten zu müssen, der jetzt mehr denn je eine realpolitische Notwendigkeit geworden war, da unter einem neuen Sultan die Ostflanke des Reichs erneut unmittelbar bedroht wurde. Die Kaiserwahl machte in Augsburg gute Fortschritte. Das allgemeine Volksbewußtsein wurde gegen die Wahl eines Fremdlings aufgerufen. Der Schwäbische Bund verbot seinen Mitgliedern bei Todesstrafe, französische Wechsel zu akzeptieren. Franz I. beging die Unvorsichtigkeit, seine Ritterschaft, die Schlagkraft seines Heeres und den Gehorsam seiner Untertanen zu betonen. Das Gerücht verbreitete sich, daß er alle Deutschen zu Sklaven machen wolle. Drum neigte sich die Stimmung der Kurfürsten immer mehr zugunsten der habsburgischen Partei. Dem Kaiser wurde eine Wahlkapitulation vorgelegt, worin er für den neuen König geloben mußte, bei dessen Abwesenheit das Reichsregiment nur mit Deutschen zu besetzen, bei allen Amtshandlungen nur die deutsche Sprache zu gebrauchen; Karl selbst müsse die größte Zeit des Jahres in Deutschland verbringen. Am 11. August 1518 unterschrieb Graf Mansfeld in Gegenwart der kaiserlichen Räte das Wahlabkommen. Nachdem alles verbrieft war, erhob der Papst Einspruch gegen die Wahl.

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Todessdiatten

Max erklärte darauf seiner Umgebung: „Kein Papst hat mir, solange ich lebe, die Treue gehalten." In dem Reichstagsabschied versprachen die Reichsfürsten und Stände, die Leistung des Zehntelguldens durch jeden Abendmahlsgänger bei den Untertanen zu betreiben. Die endgültige Ausschreibung der Wahlkapitulation sollte für Anfang des Jahres 1519 stattfinden. Max war von diesem Ergebnis befriedigt. Ihn bewegte nur die eine Sorge, daß die Wahl wegen der Haltung des Papstes nicht mehr zu seinen Lebzeiten stattfinden könne. Sein baldiger T o d überhob ihn dieser Zweifel. *

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Nachdem M a x von seiner geliebten Stadt wehmütigen Abschied genommen hatte, zog er durch die Ehrenberger Klause nach Tirol. Sigismund von Heberstein bemerkt in seiner Selbstbiographie, daß der Kaiser merkwürdig verfallen ausgesehen habe und die gelbe Farbe seiner Augen der Umgebung Sorge mache. In Innsbruck erwartete ihn schwerer Verdruß. Das Regiment hatte die von ihm im „Libell von Innsbruck" angeordnete Regimentsänderung nicht in Angriff genommen, vielmehr „aus gedrungener Not" die Regierung aufgesagt, da die finanziellen Schwierigkeiten der Landesverwaltung den Bankerott in nächste Nähe gerüdct hatten. Deshalb waren auch die bei Wirten und Handwerkern gemachten Schulden des Kaisers nicht beglichen und seine Wagen und Pferde wurden jetzt wegen unbeglichener Rechnungen nicht in die Stallungen gelassen. Max geriet darüber in große Erregung. „In Verhandlung mit den Seinen wurde die Majestät zum Zorn bewegt und von einem schleichenden Fieber befallen." Unverzüglich gab er Anweisung, die ungetreue Stadt zu verlassen. Als kranker und von Geld entblößter Mann reiste er teils zu Schiff, teils in einer Sänfte den Inn entlang. Er wollte nach Wiener-Neustadt, kam aber nur bis Wels, da sein Zustand sich verschlimmerte. Die „animi augustiae" kamen hinzu. Draußen rüstete die Natur zum Winterschlaf. Würde auch er zum ewigen Schlaf sich rüsten müssen? — Stets hatte er sich den unerwarteten T o d gewünscht und den Strohtod gehaßt. — Wiener Ärzte wurden an sein Krankenlager zitiert. Aber ungünstige Horoskope über die Todesepoche des Kaisers nahmen ihnen die Zuversicht. Der Karthäuserprior Georg Reysch, „S. M. alter Gewissensrat", war ständig zugegen und sollte Maximilian „den Weg zum Himmel weisen"; mußte ihm aus der Leidensgeschichte, aus den Predigten der

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Gespenster schrecken

Brigitta und aus Bußpsalmen vorlesen. Audi Abschnitte aus der Stammesgesdiichte der Habsburger und aus dem von Manlius soeben vollendeten Werk über die Heiligen und Seligen seines Geschlechts hörte er gern. Laufende Geschäfte verebbten nicht vor seinem Krankenzimmer. In schlaflosen Nächten bestürmten ihn tausend qualvolle Gedanken über die politische Lage. Weder im Reich noch in den Erblanden stand es zum Besten. Als eine Gesandtschaft seiner Grenzlande unter Führung der Kroaten an seinem Totenbette erschien und flehentlich um Hilfe gegen die Leiden der Türkeneinfälle bat, mußte er ihnen erklären, daß er weder Geld noch Truppen besäße, um sie vor diesem „leibhaftigen Gottseibeiuns" zu schützen. Alle Mittel der Propaganda, sogar die aufflackernden religiösen Leidenschaften hatte er benutzt, um immer wieder diese ungeheure Gefahr an die Wand zu malen. Selbst den Wunderglauben hatte er in den Dienst seiner Politik gestellt. Pico de Mirandola war beauftragt, ein Epos abzufassen, das die Wunderzeichen in diesem Sinne deutete. Aber erst den Nachfolgern mußte überlassen bleiben, die Türkenfrage zu lösen. Auch die Volksstimmung in den Erblanden beunruhigte den Kaiser. Da sie in erster Linie die Opfer an Gut und Blut für die erfolglosen venetianischen Kriege hatten tragen müssen, drohte ein wirtschaftlicher Zusammenbruch. Unter den breiteren Massen zeigte sich revolutionäre Gesinnung und die über den landverderbenden Wildschaden empörten Bauern scheuten vor Gewalttaten nicht zurück. Die Regenten wollten nur bis Weihnachten ihr Amt behalten: „das Beste, so ihnen zu tun möglich war". Ängstlich war Max bemüht, seine Erkrankung nicht bekannt werden zu lassen, ehe weitere Wahlgelder aus Spanien eingetroffen waren. Er war sich bewußt, daß alle bisherigen Abmachungen mit den Kurfürsten ungültig seien und Franz seine Anstrengungen verdoppeln würde, wenn er jetzt zur Unzeit der Natur den Tribut zahlen müßte. Frankreich wagte einen hohen Einsatz. Nachrichten besagten, daß es seinen besten Unterhändler Bonnivet nach Deutschland gesandt hatte. Für diesen gefährlichen Abenteurer war die Kaiserwahl nicht das bedeutendste politische Ereignis, sondern ein „jeu d'intrigue", wo er alle Minen springen lassen konnte. Er kannte die Wege durch die Hintertüren, nutzte skrupellos alle Verführungsmittel, wählte Maske und Verkleidung als „Hauptmann Jacob", um sein Ziel zu erreichen. Er schürte innere Kriege, hetzte Württemberg gegen den Schwäbischen Bund auf und umschmei-

Der hinsiechende Reidiskörper

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chelte Sickingen. Er und seine Agenten hatten weiteste Vollmacht, führten das Staatssiegel mit, öffneten die an den König gerichteten Briefe und durften Entscheidungen treffen, ohne vorher das Kabinett zu fragen. Wagen mit Gold führten sie mit und verfügten darüber nach freiem Ermessen. W ü r d e n die Kurfürsten solchen Verlockungen standhalten? — U n d wie stand es um die Verfassung des Reichs? Nach dem T o d e Bertholds von Mainz hatte Max die monarchische Gewalt erfolgreich gegen die Machtansprüche der Territorialfürsten durchsetzen können, auf dem Kölner Reichstage sogar eine völlig autokratische Stellung eingenommen; in späteren Reichstagen zu Trier und Köln die Einteilung des Reichs in zehn Kreise durchgesetzt, die zwar noch unvollständig war und vorerst nur auf dem Papier stand, aber in die Zukunft wirken sollte. Als jedoch nach fünfjähriger Pause in Mainz wieder ein Reichstag zusammentrat, hatten die Stände nur Klagen vorzubringen über den schleppenden Gang des Kammergerichts, die wachsende Unsicherheit im Reiche und die autokratische Haltung der Zentralgewalten: Klagen, die 1518 in Augsburg noch in schärferer Form laut wurden. Hier erklärten die Fürsten rundheraus, sich dem Kammergericht nicht mehr unterwerfen zu wollen und nichts Endgültiges beschließen zu können, bevor sie bei ihren Landständen angefragt hätten. In zwanzigjährigen Verfassungskämpfen hatte sich Max mit den Ständen gemessen und ihnen abgerungen, daß das Reich nicht zu einem Schattendasein herabgedrückt werden konnte. Aber trotz der Vielköpfigkeit der Einzelgewalten und dem Widerstreit ihrer Interessen gehörte ihnen die Zukunft. Bis auf das Kammergericht und die nur auf dem Papier stehende Kreiseinteilung war die Reform der Reichsverfassung wieder auf demselben Punkte angelangt, wie bei dem Regierungsantritt des Kaisers. Er selbst hatte seine staatsmännisch-organisatorische Begabung nur als Landesherr zur Geltung bringen können. Es war ihm nicht gelungen, dem hinsiechenden Reichskörper neues Leben einzuhauchen. Der schon unter seinen Vorgängern gerupfte Reichsadler hatte während seiner Regierung weitere Federn lassen müssen. Die Klagen der Humanisten über die „avulsa membra imperii" tönten ihm vernehmlich in die Ohren. Im Südosten war der deutsche Ritterorden vom Mutterlande abgetrennt und auf Ostpreußen beschränkt. Der damit erkaufte künftige Besitz Ungarns und Böhmens war dem Kaiser als vorgeschobenes Bollwerk gegen die Osmanengefahr unentbehrlich. — Die Loslösung der Schweiz gehörte zu den schmerzlichsten Ereignissen seines Lebens

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Der letzte Wille

und hatte dazu beigetragen, daß er in den Machtkämpfen mit den Valois um den Besitz Italiens ein Fiasko erlebte. Die Verluste im Reich schienen zwar durch den Antritt des spanischen Erbes kompensiert zu sein. Aber dieses entstehende habsburgische Riesenreich hatte seinen Schwerpunkt außerhalb Deutschlands und wuchs ins Universelle hinein. Würde der junge König der Aufgabe gewachsen sein, sich in dieser Gesamtmonarchie durchsetzen zu können und daneben die Kaiserkrone würdig zu vertreten? — *

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Schwer fiel in die Gedankengänge des sich in Grübeleien verzehrenden Kaisers der Gedanke, daß so vieles unvollendet zurückgelassen werden mußte, wenn er jetzt sterben würde. Sogar das Grabmal war noch unfertig; unfertig die erzenen Gestalten, die ewige Wache halten sollten und unfertig sogar die Grabkirche, die ihn zum ewigen Schlummer aufnehmen sollte. Aber als Weihnachten herannahte, bestand kein Zweifel mehr, daß der T o d seinem Leben ein Ende setzen würde. Mannhaft und ergeben in Gottes Willen traf er die letzten Vorbereitungen und empfing wiederholt die letzte Ölung. Wenn seine treuen Diener weinend an seinem Lager standen, erklärte er, daß der T o d das Natürlichste der Welt sei und zu Klagen keinen Anlaß gäbe. Am 30. Dezember machte er sein Testament und fügte ihm eine Woche später Ergänzungen hinzu. Den breitesten Raum nehmen darin Legate und mildtätige Stiftungen ein. Spitäler und Armenhäuser waren reichlich bedacht. Verfügungen über seine Bibliotheken, seine Chroniken, sogar über seine Kodier fehlten nicht. Seine beiden Enkel wurden zu Haupterben eingesetzt und ihnen ans Herz gelegt, sein Schuldenwesen zu ordnen. Alle Ämter sollten bis auf weiteres fortgeführt werden. Zum Schluß gab er genaueste Anordnungen über seine Beerdigung. Sämtliche Zähne sollten ihm herausgerissen und das Haupthaar abrasiert werden. Unbekleidet, nur mit Unterbeinkleidern versehen, wünschte er in den Sarg gelegt zu werden. D a sein eigenes Grabdenkmal noch nicht vollendet war, wollte er in St. Georgen in Wiener-Neustadt neben seiner Mutter die letzte Ruhe finden. Sein Herz aber sollte ihm aus dem Leibe genommen und neben Maria von Burgund beigesetzt werden. Am 12. Januar 1519 in der dritten Morgenstunde starb er einen tapferen Tod. Kurz zuvor hatte er einen eilenden Boten zu seinem treuesten Diener Mathäus Lang geschickt, der aber zu spät kam. Der Beichtvater

Sinnbild deutschen Wesens

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des Kaisers, Dominikanerprior Johannes Faber hielt vor der ausgestellten Leiche in der Pfarrkirche zu Wels die erste Gedächtnisrede, die auf Geheiß des Kardinals Lang gedruckt wurde und dem Kaiser ein unvergängliches Denkmal setzt. Ein vielstimmiger Chor von Humanisten widmete „dem Vater der Gelehrten" Nachrufe in zierlichsten Tiraden und nannte ihn „König der Könige und Herzog der Herzöge". Dürer schrieb in sein Tagebuch: „Der teure Fürst Maximilian ist mir viel zu früh verstorben" und verherrlichte sein Andenken in Bild und Holzschnitt. Hans Burgkmair verglich das Zeitalter Maximilians mit dem des Augustus und widmete ihm eine Reihe von Gedenkblätern, darunter den bekannten Holzschnitt „Wie Kaiser Max die Messe las". Seinen Schmerz über das Hinscheiden des kaiserlichen Freundes drückte er auch in einem Gedicht aus, das mit den Worten beginnt: „ O Kaiser Max, Dein Lob ich nicht aussprechen kann. Wo findet man Deinesgleichen!" Zahlreiche Einblätter anderer Künstler verbreiteten sein Bildnis in allen Teilen Deutschlands. Ein ganzes Volk -verbeugte sich in Ehrfurcht vor dem Grabe des geliebten Herrschers, spann Legenden um sein Andenken und sah in ihm ein Sinnbild deutschen Wesens in seinen Vorzügen und in seinen Fehlern. *

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Der T o d Maximilians brachte die Kanzleien der Erblande in Verlegenheit, denn in dem kaiserlichen Testament fanden sich keinerlei Angaben, wer nun Herr in Österreich sein sollte. Die Tatkraft des Mathäus Lang rettete die Lage. Er selbst übernahm die Regentschaft; neben ihm wirkten als Räte Cyprian von Serntein, Michael von Wolkenstein und die Schatzmeister Villinger und Hans Renner. Die Verhältnisse im Reich mußten erst durch die bevorstehende Kaiserwahl geklärt werden. Ein Provisorium wurde von Markgraf Casimir, dem Bischof von Sitten und dem wieder in Gnaden angenommenen Pfalzgraf Friedrich geleitet. Ein neuer Wahlkampf setzte mit aller Heftigkeit ein. Ganz Deutschland wurde in Aufregung gesetzt durch wilde Gerüchte, daß König Franz an der Spitze seiner Truppen durch Lothringen an den Rhein marschieren wolle. Aber der Schwäbische Bund war bereit, die deutschen Grenzen zu schützen und der gefürchtete Sickingen trat für die Partei Habsburgs ein. Vor allem war der junge König Karl bemüht, sein Äußerstes für die Wahl aufzubieten. „Nichts begehre ich mehr. Ich habe meine Kommissare angewiesen, nicht zu sparen, denn es geht bei mir

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Wege zur Weltmonarchie

um Reputation und Ehre." Audi Margarethe verdoppelte ihre Tätigkeit. Die neue Lage hatte die Begehrlichkeit der Kurfürsten noch gesteigert; drum setzte sie alles daran, die Geschäfte der Wahlhandlung in die Hände J a c o b Fuggers zu legen. Er allein besaß das uneingeschränkte Vertrauen des Wahlkollegiums und konnte die nötige Sicherheit bieten, daß die versprochenen Gelder wirklich in Goldgulden ausgezahlt wurden. Seinem persönlichen Einsatz war es zu verdanken, daß an jenem denkwürdigen 28. Juni 1519 die deutschen Kurfürsten in der Bartholomäuskirche zu Frankfurt ihre Stimme einmütig dem Enkel Maximilians gaben. Nach der Abrechnung der Fuggergesellschaft: „Was Kaiser Carolus V. die römisch küniglich wal cost", betrug die Gesamtsumme 8 5 2 189 Gulden, wovon die Hälfte Bestechungsgelder waren. D e r Großkanzler Gattinara glaubte, daß die abendländische Geschichte noch einmal zu ihren Anfängen zurücklenkte und begrüßte den Neugewählten in einer Denkschrift: „Sire, da Euch Gott die ungeheure Gnade verliehen hat, Euch über alle Könige und Fürsten der Christenheit zu erhöhen zu einer Macht, die bisher nur Euer Vorgänger Karl der Große besessen hat, so seid Ihr auf dem W e g e zur Weltmonarchie, zur Sammlung der Christenheit unter einem Hirten." — Das -deutsche Volk ehrte Maximilian, indem es dessen Popularität auf den Enkel übertrug, von ihm volkstümliche Bilder verbreitete und Volkslieder sang. *

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Die

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Qestait

Maximilian hatte das Glück, in eine ungebärdige Zeit stürmischen W e r dens hineingeboren zu sein, die in revolutionärem Ungestüm gegen alles Bestehende anbrandete und aus den gärenden Kräften leidenschaftlich bewegten Menschentums nach neuen Lebensinhalten suchte. Das oszillierende Zwielicht der Zeitenwende war die erregende Atmosphäre, in der dieser „Condottiere des Lebens" sein Wesen zu erfüllen vermochte. Das Getriebensein des nach Erkenntnissen hungernden Renaissancemenschen bewegte seine Seele. Stets war er im Aufbruch, jagte phantastischen Plänen nach und vertat zwischen Traum und Wirklichkeit seine besten Kräfte. In dem Rhythmus seines gehetzten Lebens spiegelt sich die Unruhe seiner Epoche. Wieviel Gegensätzliches sich in der Seinshaltung Maximilians verschmolz, zeigt die unterschiedliche Spiegelung seiner Person im Bewußtsein seiner Zeitgenossen. Die Hu-

Vater des Volkes

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manisten priesen ihn mit überschwenglichen Worten, widmeten ihm ihre Bücher mit prunkenden Tiraden und suchten sich damit Pfründe und Ehrentitel zu erschmeicheln. Die Künstler umdrängten ihn, genossen seine bezaubernde Nähe, stellten ihn in zahlreichen Verkleidungen dar und ertrugen auch, wenn die kaiserlichen Kassen leer waren und sie vergeblich auf klingenden Lohn warten mußten. Die Patrizier und „großen Hansen" rühmten ihn als den beharrlichen Verteidiger ihrer Privilegien und Schützer ihrer Handelsinteressen und gaben dafür Darlehen aller Art, auch wenn sie mit viel „Wagnis und Gefahr" verbunden waren. Allen Kriegsleuten galt die Gestalt Maximilians als Vorbild männlicher Tugenden und „Vater der frommen Landsknechte^. Sie hefteten sich an seine Fersen, bestürmten ihn mit ihren Anliegen, mißbrauchten aber seine übergroße Milde, die sogar meuternden Hauptleuten verzeihen und persönliche Schmähungen übersehen konnte. Der „gemeine Mann" sah in Max den erklärten Lieblingshelden und „Vater des Volkes", nahm an seinem persönlichen Geschick größten Anteil, litt mit ihm, wenn er leere Kassen hatte, bewunderte ihn ob seiner Kühnheit, wenn er auf dem obersten Mauerkranz des Ulmer Münsters herumbalancierte, erregte sich über seine Waghalsigkeit, wenn er in Burgau eine wütende Bärin mit seiner Faust erwürgte oder in München zwei Löwen mit einer Schippe in die Flucht schlug; bejubelte ihn, wenn er in „schimmerndem Glänze" zum Lanzenstechen antrat; bestaunte seinen Wissenseifer, wenn er in Klöstern und Archiven alten Geschichtsurkunden nachging und war gerührt über seine menschliche Überlegenheit, wenn er Spottverse, die in Trient an sein Haus geheftet wurden, mit ruhigem Lächeln abtat. Der Kleinbürger der Städte war geschmeichelt, wenn der Kaiser nicht als Minderung seiner Würde ansah, mit ihm in leutseliger Herablassung wie mit seinesgleichen zu verkehren und in den leichten Umgangsformen altösterreichischer Tradition Feste zu feiern. Dann zeigte er stets die liebenswürdig-heitere Miene des vollendeten Weltmannes und gütig lächelnden Volksfreundes und die freigebige Hand des Wohltäters. W o immer er erschien, bezauberte seine natürliche Frische. „Ich habe nie einen artigeren Mann gesehen", urteilt ein Chronist, „Mit Groll und Ärger kam man zu ihm, war aber bald entwaffnet. Selbst im Zorn zeigte er noch Hoheit." Sein Vater glaubte ein Äußerstes an Herablassung zu tun, wenn er der Jugend von Nürnberg Pfefferkuchen schenkte. Er selbst tanzte mit lieb20 W i n k e r ,

Maximilian

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Kleinleutekönig

liehen Bürgerstöchtern bis zum Morgengrauen, kreuzte mit ihren Vätern das Schwert oder die Lanze in mannhafter Waffenübung und schoß festfroh mit ihnen nadi der Scheibe. Gern gab sich Max dem bunten Faschingstreiben hin, lud Kaufleute und Handwerker mit ihren Frauen bei sich zu Gaste und gewann aller Herzen durch seine bezwingende Liebenswürdigkeit. Noch 1518 veranstaltete Max in Augsburg ein großes Schießen „mit allerlei Kurzweil und waren alle Sachen gar wohl zugerichtet". Er selbst nahm mit seiner ganzen Hofgesellschaft daran teil, schoß auf einen Papagei, der auf einer Stange aufgerichtet war und stiftete Kleinodien und andere Kostbarkeiten als Preise. Die blaublütige französische Hofgesellschaft rümpfte freilich über diesen „Kleinleutekönig" die Nase. „Die welsdien Historien", so wird berichtet, „verkleinern unsem Maximum und großmutigsten Kaiser. Aber König Ludwig konnte gleichwohl nidit unterlassen, ihm sein Lob zu spenden". Die Grandezza, die steife Feierlichkeit der späteren Habsburger blieb Maximilian fremd. Sein Wesen war von natürlicher Majestät wie von einem Fluidum umgeben; er brauchte keine künstliche Isolierschicht, um seine Würde zu wahren. Drum brachte das Volk ihm auch seine besondere Liebe entgegen und verherrlichte ihn schon zu seinen Lebzeiten. Als er gestorben war, glaubte man an seine Wiederkehr. Nur wenige Stimmen wurden laut, die an Max scharfe Kritik übten. So wagte der Chronist Wilhelm Rem ihn seiner schimmernden Hülle zu entkleiden und ihn einen willenlosen Schwächling zu nennen, der von seinen Räten abhängig sei. An vielen fremden Höfen war der Spott über den unrastigen „Kaiser mit den geflügelten Sohlen" wohlfeil. In Venedig wurde ein Standbild errichtet, das einen Adler darstellte mit der Unterschrift: „Alta peto, tarnen numquam muscam capio". (Ida strebe nach hohen Zielen, aber fange nie auch nur eine Fliege.) Sonst aber wußten die italienischen Staatsmänner und Gesandten, die als Meister der Menschendeutung galten, gerechter die Vorzüge und Schattenseiten des Herrschers abzuschätzen. Was ist nun Schale, was Kern dieser in prismatischer Buntheit schillernden Persönlichkeit? — Schwer ist es, seinem inneren Wesen nachzutasten. Bei der schwingenden Polarität und ständigen Metamorphose seiner besonderen Natur zerläuft sogar das scheinbar Festumrissene und Unveränderliche unter den Händen. Die Vielgestaltigkeit und ständig wechselnde Bewegtheit seines Seelenlebens waren seine besondere Eigen art und ließen nicht zu, daß sein Wesen sich zu festgeprägten Charak-

Er war stets ein anderer

"

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tereigenschaften verdichtete. In dynamischen Wellenkurven, ja oft sogar in ausfahrenden Zickzacklinien bestürmten ihn immer neue Impulse. Blitzartige Erleuchtungen, geniale Einfälle und phantastische Planungen wurden abgelöst durch törichte Entscheidungen, unerklärliche Hemmungen und Zustände dumpfer Resignation. Gestern noch in mittelalterlicher Kirchenfrömmigkeit befangen, konnte er sich heute von allen Fesseln beschränkender Dogmatik befreien und in kühler Skepsis zweifelnde Fragen stellen, um morgen primitivem Aberglauben zu verfallen. W a r er am Vormittag reizsam und voll nervöser Unrast, so konnte er mittags breite Behaglichkeit, Güte und Mitleid zeigen und abends selbst vor harten Todesurteilen nicht zurückschrecken. „Er war stets ein anderer, als er selbst zu sein glaubte", urteilten schon seine Zeitgenossen. Es gehört zu den unwägbaren Seiten seines Wesens, wie er die ungeheuren Spannungen von gut und böse, heidnisch und christlich; von erdgebundener Diesseitigkeit und himmelstürmender Jenseitigkeit, verschwommener Romantik und rechnerischer Zweckhaftigkeit in sich zum Ausgleich zu bringen vermochte. *

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Bei der quecksilbrigen Beweglichkeit und der Fülle sich kreuzender Ideen und Impulse fehlte es dem Kaiser an der nötigen Folgerichtigkeit seiner Handlungen und Entschlüsse und an Willenskraft, sie bis zum Ende durchzuführen. Kaum war der eine Plan begonnen, so tauchte ein anderer auf. Sein rascher, unruhig suchender Geist zeigte ihm immer wieder neue Wege und bessere Möglichkeiten. So eilte er von Entscheidung zu Entscheidung, weil immer andere ihm sicherer dünkten oder weil er sich durch Einflüsterungen umstimmen ließ. Anfangs hüllte er seine Pläne gern in undurchsichtige Schleier, ließ seine Räte im Dunklen tappen und glaubte die Kunst des „dissimular", des „Sichniditdurchsdiauenlassens" üben zu müssen, die seine Nachfolger zu höchster Vollendung brachten. Dann führten seine Räte bittere Klagen: „Möget ihr wissen, daß wir alle nichts Begründetes wissen, was S. M . endgültiger Wille ist." Indigniert schreibt der Gesandte Albrechts von Sachsen: „Niemand weiß S. M . Meinung." Solche Tarnung erschwerte die Zusammenarbeit mit den Hofleuten und fremden Staatsmännern. „Die Majestät unterhält sich niemals über das, was eigentlich erhandelt werden soll, besonders bei wichtigen Dingen" schreibt ein Venetianer an die Signoria. In nervöser Eigenwilligkeit

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Spiel um den höchsten Einsatz

wollte er alles allein angeben, durchsehen und korrigieren. Selten ließ er einen Brief ungelesen aus seiner Kanzlei gehen. Die Staatsführung und Politik sollte ganz sein eigenes Werk sein. O f t diktierte er bis spät in die Nacht hinein und schonte dabei weder sich noch andere. „Gott segnet nicht durch Ruhe und Wohlsein, sondern durch Aufgaben. Es ist ein Glück, daß wir noch allerlei vor uns haben", pflegte er dann seinen Sekretär zu beruhigen. Seinem Enkel Karl gab er als Lebensmaxime mit auf den Weg: „Wollt Ihr die Menschheit gewinnen, müßt Ihr stets um den höchsten Einsatz spielen." Fast alle Reichsausschreiben und amtlichen Ankündigungen sind von ihm selbst verfaßt. In der plastischen Ausdrucksweise, in der reich instrumentierten Wortwahl und der geschickten Ausnutzung aller Argumente sind sie Meisterwerke fortschrittlicher Publizistik. Aber auch die unwichtigsten Dinge zog er in den Bereich seiner Tätigkeit. Als Freund einer gutbesetzten Tafel — wer sich geschickt bei ihm einführen wollte, erkundigte sich nach seinem Leibgericht — gab er selbst genaueste Anweisungen für die Hofküche. Zahlreiche Denkzettel und Orders über die Beschaffung von Lebensmitteln und Zubereitung der Speisen befinden sich in den Wiener Archiven. — Trotzdem war er kein trockener Bureaukrat, dessen Seele in Geschäften aufging. Oft wurde ihm die Last der Akten unerträglich. Dann konnte er sich aus den wichtigsten Verhandlungen davonschleichen, um frische Luft zu atmen und den Fährten des Hochwilds nachzugehen. Die Räte am kaiserlichen Hof durften nur ausführende Organe sein; die zahlreichen Räte, die er in allen Teilen Deutschlands ernannt hatte und die nach Bedarf zu einem Promemoria aufgefordert oder zur Berichterstattung an den Hof beordert wurden, sollten nur zur Orientierung dienen. Niemand schenkte er sein volles Vertrauen, auch seinem intimsten Ratgeber Mathäus Lang nicht. In seinem stark ausgeprägten Leistungsneid konnte Max selbständige Köpfe nicht in seiner Nähe dulden. Hervorragende Staatsmänner wie Berthold von Mainz und Friedrich von Sachsen ertrugen den Geschäftsgang bei Hofe stets nur für kurze Zeit. Solche selbstherrliche Art der Staatsführung barg große Gefahren in sich, da niemand die phantastischen Einfälle und launenhaften Zickzacklinien der kaiserlichen Politik kompensieren konnte. Aber die Räte hatten in Wahrheit mehr Einfluß, als Max ihnen zugestehen wollte, und wußten ihre Stellung unbeschwert auszunützen. Zahlreiche Klagen der Zeitgenossen sind überliefert. Der eine schreibt: „Die

Licht- und Schattenseiten

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Majestät hat Räte, die waren Lausbuben, die regierten ihn gänzlich." Ein anderer meint: „Sie füllen ihre Kassen und werden reiche Leute, derweilen der Kaiser arm blieb." Hutten vergleicht sie sogar mit einer Räuberbande. Zeugnisse fremder Gesandter heben immer wieder die Entschlußlosigkeit als einen Grundfehler des Monarchen hervor. „Solange springt er vom Besseren zum Besseren", schreibt Quirini in seinen Relationen, „bis Zeit und günstige Gelegenheit vorübergegangen sind." Machiavelli urteilt als guter Menschenkenner: „Geist und Körper des Kaisers sind in ständiger Bewegung. Oft nahm er abends zurück, was er morgens abschloß." W a r es Scheu vor dem Endgültigen? W a r es unerklärliche physische Hemmung? Räte und Diplomaten mußten meist wochenlang auf eine Entscheidung warten. Mit jähem Entschluß suchte dann Max seiner inneren Unsicherheit Herr zu werden und wurde dadurch von den Einflüssen seiner zufälligen Umgebung um so abhängiger. Sein Vertrauter Fra Luca sagt darüber: „Der Kaiser begehrt von niemandem Rat und wurde von jedermann beraten. Er will alles für sich tun und tut niemals etwas ganz nach seinem Kopf." Diese Wesensart des Monarchen ist ein entscheidender Grund für die Niederlagen in der auswärtigen Politik und die Demütigungen im Kampfe mit den Ständen. Ausgleichend wirkte seine bezwingende Liebenswürdigkeit und sein gemütvoller, Vertrauen erweckender Verhandlungston. Mit großem Geschick konnte er unwillkommene Gesandte hinhalten, ablenken, durch halbe Zugeständnisse blenden, durch Gefälligkeiten verpflichten und durch den Zauber seines Wesens für sich gewinnen, so daß sie schließlich ermüdet nachgaben, um endlich wieder abreisen zu können. Kühlen Realpolitikern wie Ludwig XII. von Frankreich und Ferdinand von Spanien war er freilich im diplomatischen Ränkespiel nicht gewachsen; auch glaubte er die Virtuosität von Trug und Gewalttat, von Vertrauensbruch und Verstellungskunst, wie sie damals an den meisten Höfen üblich war, vor seinem Gewissen nicht verantworten zu können. Trotzdem kam es vor, daß er sich „auf Eid und Siegel" dem König von England zum Bündnis gegen Frankreich verpflichtete und zugleich den Franzosen das Umgekehrte schwor. Machiavelli verteidigte zwar die „wohlangebrachte Lüge" für Staatszwecke, lehnte aber die unzuverlässige, von Affekten beherrschte Art Maximilians als „Stümperei" ab und erklärte, daß man bei dieser fahrigen Persönlichkeit nicht auf festen Grund komme. Bei allem Auf und Ab seiner Politik, die nicht durch die Ratio beherrscht

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Deutsche und europäische Politik

wurde sondern im Unbewußten gründete, sprengte er doch die selbstgenügsame Enge der bisherigen Politik und verfolgte weiträumige Expansionspläne. Sein Programm umfaßte das ganze Abendland. Er hatte dynastischen Ehrgeiz und trug als väterliches Erbe einen unzerstörbaren Glauben an die Größe seines Hauses in sich. „Ein regsamer Dieb, aber den Habsburgern ein Bote der Götter." Mit der Magie eines habsburgischen Imperiums verband er die Fiktion eines universalen Kaisertums, das göttlichen Ursprungs und Urquell aller irdischen Macht war. Aber zu den schicksalhaften Gegebenheiten der großen Zeitenwende, in die Max hineingeboren war, gehörte der Dualismus zwischen den Interessen des Reiches und seiner Hausmacht. Zwischen beiden wollte er einen klaren Trennungsstrich gezogen wissen und erklärte unzweideutig: „Ich erachte die Erblande nicht als einen Teil des deutschen Reiches." Seine österreichische Großmachtpolitik brachte ganz neue Impulse in die Zusammenarbeit der europäischen Staatenwelt, die bislang ein mehr oder weniger isoliertes Dasein geführt hatte. Damit weckte er jedoch ungeheure Kräfte der Gegenwehr und zog auch Deutschland in die großen europäischen Machtkämpfe politischer, religiöser und wirtschaftlicher Art hinein, die zu der Zeit unseren Kontinent zu erschüttern begannen. Dabei hat er die Reichsinteressen nie aus dem Auge verloren, schützte die Kaiserwürde vor fremden Gelüsten und suchte ihren alten Glanz zu erneuern; wünschte innere Ordnung zu schaffen und das verlorene Ansehen des Reiches vor allem in Italien wiederherzustellen, setzte in zahlreichen Fällen die militärischen und finanziellen Kräfte der Erblande für die Erfordernisse des Reiches ein und schuf zu seinem Schutze im Osten und Westen starke Grenzwälle. Oft stand sein Wollen in peinlichem Widerspruch zu seinem Vermögen. In der Politik — wie auch in seinem sonstigen Leben — war er ein übereifriger Plänemacher, der in unermüdlichem Einsatz Geist und Phantasie spielen ließ, aber bei seiner zu rasch entzündbaren Einbildungskraft keine Ausdauer und Selbstbescheidung kannte. So blieben zahlreiche kaum begonnene, halbvollendete oder zuletzt noch aufgegebene Pläne als Torso am Wege liegen. So mußte er auch seine beiden großen Wunschträume, den Türkenkrieg und die Demütigung Frankreichs, als unerfüllte Lebensaufgaben mit ins Grab nehmen. *

Der schlechteste Hanshalter

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An sich war Max eine wohlberatene Natur mit ausgesprochenen Zügen von Wohlwollen und rechtlichem Sinn. Aber die ewige Geldnot und die Versuche, sie mit jedem Mittel zu beheben, warfen tiefere Schatten auf das Charakterbild des kaiserlichen Herrn, beeinträchtigten seine äußere Würde, machten ihn zum Gespött der europäischen Höfe und brachten ihn in Anhängigkeit von fremden Menschen. Schon seiner Anlage nach war er der schlechteste Haushalter unter den Habsburgern und vertat sein Gut mit leichter Hand. Verschwenden können, ja sich selbst verschwenden erschien ihm als ein glückhaftes Beginnen. „Die Blätter der Pappeln von ganz Italien, in Gold verwandelt, würden nicht für ihn ausreichen", meinte Machiavelli. Dazu gab das mangelhafte Reichssteuersystem und das ungeregelte Kreditwesen jener Zeit des Übergangs von der Natural- zur Geldwirtschaft ihm nicht einmal die Mittel für den normalen Verbrauch in die Hand, geschweige denn für seine Großmachtpolitik und seine waghalsigen Kriege. Ein Augsburger Chronist spottete: „In Zeiten, wo er Krieg führte, waren seine Diener so arm, daß er sie nebst sich nicht aus der Herberge lösen konnte." Trotzdem brauchte seine Landsknechtsnatur das große Wagnis des erregenden Abenteuers, um das Übermaß an inneren Spannungen zu kompensieren. Seine finanzielle Ohnmacht trägt die Schuld an seinem Fiasko gegenüber den äußeren Feinden. Zeitumstände und Wesensanlage wirkten zusammen, um Max in tragische Verstrickungen zu führen. Schließlich war ihm jedes Mittel, selbst Unterschleif, Wechselfälschungen und andere Praktiken recht, um seine Kassen zu füllen. Ein anonymer Venetianer urteilt: „Der Kaiser ist bedürftig der Gelder und würde für einen Dukaten jegliche T a t tun." Papst Julius II. fällt ein ähnlich hartes Urteil. Um lächerlich kleiner Summen willen setzte er seine Würde aufs Spiel und machte sich kein Gewissen daraus, selbst religiöse Gefühle zu mißbrauchen. Mit dem Ablaßhandel trieb er Wucher und verquickte ihn mit politischen Geschäften, so daß Kardinal Peraudi ihm vorwarf: „Du gleichst in Deinem gottesräuberischen Verfahren dem Heliodor, der den Tempelschatz an sich gerissen hat." Auch glaubte er nicht, seiner kaiserlichen Würde Abbruch zu tun, wenn er sich von den Venezianern als Condottiere gegen Lohn anmieten ließ. Am kaiserlichen Hofe war alles „feil und ohne Ausrichtung". W e r mit leeren Händen kam, mußte lange auf Erledigung warten. Unverblümt wurde den Bittstellern geantwortet: „Viel Geld, liebe Herren, kurze Zeit;

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Schulden in großer Zahl

wenig Geld, lange Zeit." Max verschmähte selbst nicht die angebotenen „Handsalben". „Summa donatium se ad dominum majestatem extendit", bezeugt ein Zeitgenosse. Hier und da überkamen ihn reumütige Anwandlungen über seine Verschwendung. Dann schrieb er an die Räte der Schatzkammer in Innsbruck, unverzüglich das Forstpersonal zu vermindern und die Zahl der Jagdhunde auf hundert herabzusetzen. Zwei Jahre später ordnete er ein sorgfältig ausgedachtes Rechnungs- und Kontrollsystem an. Keine Zahlung sollte fortan angewiesen werden, wenn sie nicht gemäß der Hofkammerordnung ausgefertigt war. Aber solche Zeiten der Einkehr dauerten nicht lange. Bald umgab er sich wieder mit dem sprichwörtlich gewordenen „schimmernden Glänze". Das ganz mit Edelsteinen besetzte Gewand, das er auf dem berühmten Scharf rennen anno 1510 in Augsburg trug, stellte einen Wert von zwei Millionen dar, die freilich als Schuld in den Büchern der Fugger standen. Das Mißverhältnis zwischen Einnahmen und Ausgaben verschlimmerte siai im Laufe seines Lebens. Der Versuch, eine allgemeine Reichssteuer als „Gemeinen Pfennig" durchzuführen, war fehlgeschlagen. Deshalb blieb „das Finanzen", die Aufnahme von Anleihen gegen Pfand, die wichtigste Quelle, um Geld zu beschaffen. Aber bald war der größte Teil seiner Einnahmen verpfändet. In der „Aufrichtung einer guten Ordnung" vom Jahre 1509 heißt es lakonisch: „Schulden in großer Zahl." Die Erblande mußten die größten Opfer bringen. Zahllose Rechnungen in den Archiven tragen den Vermerk: „Auf Tirol verwiesen!" Allein der Venetianerkrieg kostete dem Lande über zwei Millionen Gulden. Die ruinöse Art, die Einnahmen zu verwalten, steigerten noch die Mißstände. Nicht einmal ein ordentlicher Haushaltsplan wurde aufgestellt. Die an genaue Buchführung gewöhnten Kaufleute sparten nicht mit ihrem Tadel über solche nachlässige Wirtschaft. Am Ende seines Lebens sdiuldete M a x ihnen über eine halbe Million an Silberverschreibungen und 330 0 0 0 Gulden in bar. (Heute rund das Zwanzigfache!) So hinterließ M a x ein völlig verschuldetes Reich. „Alle meine Renten, Zinsen, Gülten, Zölle, Mauthen, Bergwerke und Kammergüter sind versetzt, verkauft, belastet", klagt er selbst mit bekümmertem Herzen. *

Je mehr der Kaiser in den nüchternen Dingen der Wirklichkeit versagte, je eifriger mühte er sich, in einer sachlich und farblos gewordenen Zeit

Der letzte Ritter

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die Fassade einer romantischen Scheinwelt zu errichten. Obgleich er sich leicht in den bewegten Lebensstil seiner Umwelt einfügte, liebte er doch von Jugend auf die Formen des hinsterbenden Rittertums; liebte Mummenschanz, Schauspiele, Turniere, aufgedonnerten Prunk und feierliches Gehabe. Als „letzter Ritter" versuchte er noch einmal allen schon vergilbten Schaustücken ritterlicher Romantik neues Leben einzuflößen, ohne doch ihre Brüchigkeit verbergen zu können. Die schwüle Spätblüte ritterlicher Lebensformen am burgundischen Hofe hatte diese Neigungen noch verstärkt. Gern erlag er allen Verlockungen eines aristokratischen Daseins nach dem Ideal eines Ritters ohne Furcht und Tadel. Mit besonderer Inbrunst widmete er sich der Gefahr des Stechens über die Schranken. Seine nach Entladung drängenden Kräfte mußten sich wenigstens spielerisch betätigen. In seinem „Freydal" ließ er von ersten Künstlern bildliche Darstellungen von allen Reiterkämpfen anfertigen, an denen er teilgenommen hatte. So verstrickt war er in ritterliche Anschauungen, daß er die immer bedrohlicher werdende Gefahr der Türkeneinfälle durch ein Massenturnier glaubte bannen zu können. Bis dahin — so erklärte er mit eindrucksvoller Gebärde vor versammeltem Reichstage — wolle er nur ein schwarzes Gewand tragen. Als Vorbild aller ritterlichen Tugenden galten ihm Gestalten wie Amadis, Lancelot und der sagenumwobene König Artus, dessen Tafelrunde er auf dem Reichstage zu Worms wiederzubeleben suchte. Trotzdem das hinsinkende Imperium nur noch ein Zerrbild einstiger Größe war, suchte Max es mit neuem Glänze zu erfüllen. Er war von dem Traum genarrt, Erbe des Römischen Imperiums, Haupt der Christenheit, Vogt und Schirmherr der Kirche und Führer im Kampfe gegen die Ungläubigen zu sein. Romantische Kyffhäuserwünsche erfüllten seine Gedanken. Mit fast religiöser Inbrunst suchte er den Glauben an die Rüdekehr Barbarossas wiederzubeleben, der alle Züge eines rettenden Endkaisers trug und alles Unrecht auf Erden rächen sollte. Aber sein Kaiserideal war von dynastischen Tendenzen durchflochten. Das kaiserliche Diadem war ihm Symbol für eine Weltmonarchie, die habsburgisches Gepräge hatte. Der Plan, die Kaiserkrone gegen die Tiara zu vertauschen, um so die höchste Macht über die Seelen der Menschen ausüben zu können, schon zu Lebzeiten Gegenstand andächtiger Verehrung zu werden und durch spätere Kanonisierung für sein Nachleben

Jeu d' amour

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tiefere Anteilnahme zu erwecken, kennzeidinet das Ausmaß seiner Phantastik. *

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Gern umwob Max das „jeu d' amour" mit einem Hauche mittelalterlichen Minnedienstes. Sein angeborener Schönheitssinn, seine Neigung für die feineren Nuancen des Lebens, machten ihm die Liebe der Frauen so teuer. Wie schon an einer Landschaft, an einem Windspiel, an einem rassigen Pferde konnte sein Auge sich weit mehr an den Reizen einer Frau erfreuen. Als sprühender Plauderer, als leidenschaftlicher Tänzer wurde ihm leicht, die Herzen der Frauen zu entzünden. Nach dem kurzen Rausch seiner ersten Ehe freite er noch zweimal nadi dem Grundsatz Gattinaras: „Fürsten heiraten nicht aus Liebe; nur um Kinder zu zeugen nehmen sie Frauen." Oft hat er auch anderen Frauen seine Neigung geschenkt. Aber es blieb bei flüchtig angeknüpften, schnell wieder gelösten Verhältnissen. Stets das Frauentum ehrend, verlangte er nach Art des Minnedienstes, daß das Liebesspiel mit Leichtigkeit und Maß auf höfische Art ausgeübt wurde und schützte so die Heiligkeit des Lebens gegenüber der massiven Derbheit sonstiger fürstlicher Amouren seiner Zeit. Die Chronisten sprechen von vierzehn unehelichen Kindern. Aber diese machten nie Aufsehen bei Hofe, denn Max drängte seine Liebschaften ins Verborgene ab, ließ die Kinder heimlich aufziehen und führte sie einer bürgerlichen Versorgung zu, ohne sie öffentlich anzuerkennen. Die Mütter übten keinerlei Einfluß auf die Politik aus; nur einmal wurde eine uneheliche Tochter als Nachfolgerin auf den Ungarthron vorgeschlagen. Der ganze Zauber ritterlicher Liebesromantik webt um Frauengestalten, wie die unvergeßliche Jugendgeliebte Rosina, um Margarethe von Edelsheim und Barbara von Wolkenstein, die dem Scheidenden einst als Reisesegen mit auf den Weg gab: „Ziehet aus, lieber Kaiser / aber lasset die Herzen zurücke / W i r braudien sie annoch / wenn auch kein Maxi mehr im Lande ist / Dann aber erst recht / daß unser Bluet drin kreiset / wenn wir sein gedenken." In stiller Wehmut gedachte der Kaiser in älteren Jahren oft seiner jugendlichen Liebesabenteuer. Hier und da wandelte ihn auch die Reue an und er meinte resignierend: „Die letzte Klarheit kommt aus dem Irrtum."

Der größte Waidmann

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Die Leidenschaft, in allen Wäldern zu jagen, gehörte von jeher zum Vorrecht der ritterlichen Kaste und war neben dem Stechen über die Schranken die große Liebhaberei Maximilians. Je größer das Wagnis, je stärker der Ansporn, sein Leben aufs Spiel zu setzen. Sein kräftiger, gesunder Körper trotzte allen Strapazen dieser Passion. Nur Erkältungskrankheiten belästigten ihn hier und da. Die Zeitgenossen feierten ihn als den größten Waidmann seiner Epoche. Ein Kranz von Legenden wob sich schon zu seinen Lebzeiten um seine Jagdabenteuer. Auf zahlreichen Bildern und Gobelins stellten die Künstler ihn dar, wie er auf unwegsamem Felsengrat der Tiroler Berge den flüchtigen Gemsen nacheilte. Oft war er nur von einem Jagdknecht begleitet; manchmal nahm er aber ein umfangreiches Geschäftspersonal mit, um unterwegs Regierungsakte zu erledigen oder Bittsteller zu empfangen. Denn — so meinte er— auf der Jagd ist es leicht, jedem Gehör zu schenken. D a s ganze Volk nahm leidenschaftlichen Anteil an der wunderbaren Errettung Maximilians aus den Felsenriffen der Martinswand bei Innsbruck, wohin er sich auf der Gemsjagd verstiegen hatte. Der ganze Hof war Zuschauer ohne helfen zu können; auch die Jagdknechte bemühten sich vergeblich, da die Wand klatzig war. Schon glaubte man, daß die Majestät droben am Fels sein Leben beschließen müsse. Der Gesellherr von St. Martin hatte das Sanctissimum aus dem Tabernakel geholt, um den letzten Segen zu spenden. D a schien den Zuschauern der Atem zu stocken, ü b e r das steile Gewände stieg ein kleines Männlein in den Fels ein und half dem Kaiser über einem schmalen Riff emporzuklimmen. Schritt für Schritt, halb gezogen, halb selbst kletternd, wurde Max aus seiner todbringenden Lage befreit. Ein junger Zirler Bauernbursch hatte sein Leben aufs Spiel gesetzt, war aber zu bescheiden, sich zu der Tat zu bekennen. So lief bald das Gerücht um, daß Gott selbst hier ein Wunder habe geschehen lassen. Welche Bedeutung die Jagd im Leben des Kaisers spielte, zeigen die zahlreichen Notizen in den beiden „Gedenkbüchem", worin er alle wichtigen Ereignisse des Tages einzutragen pflegte. Fast auf jeder Seite finden sich Bemerkungen über seine Jagderfolge und fachlichen Erfahrungen; auch Selbstmahnungen wie „Der König soll das neue Jagdbuch machen! Citissime!" finden sich darin. Diese Gedenkbücher bilden die Vorarbeit für das Manuskriptheft „Geheimes Jagdbuch", das mit den Worten beginnt: „ D u König von östreich, nachdem Du soviel

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Waidwerk als Wissenschaft

Waidmannschaft mit Jagen, Peißen und Fischen gemacht hast, sollst die nachgeschriebene Ordnung halten." Hier und in Textstellen des „Weißkunig" und „Theuerdank" wird die gesamte Jagdpraxis, die bisher von französischen Gepflogenheiten beherrscht wurde, auf neue Grundlagen gestellt. Die Falkenjagd wurde von den Jahreszeiten unabhängig gemacht. Der stets nach neuen Formen suchende Max gab sich auch mit den hergebrachten Jagdwaffen nicht zufrieden. Die im kaiserlichen Hausmuseum aufbewahrten köstlichen Jagdmesser und Pirschstachel mit dem Spruch „Si deus nobiscum, quis contra nos!", die Gamsspieße und neuen Schweinsschwerter zu anderthalben für den reitenden Jäger zeigen, bis zu welchem Grade der Vollkommenheit Max die Ausübung der Jagd bringen konnte. Trotz seiner leeren Kassen unterhielt M a x zahlreiche Jagdreviere mit kostspieligen Organisationen und wahrte hier sein Jagdrecht mit peinlicher Genauigkeit. „Zu untertänigstem Gefallen" verzichteten die österreichischen Stände sogar auf eigene Gerechtsame. Selbst die klösterlichen Privilegien hob er auf und ging gegen jagdeifrige Klosterbrüder mit aller Strenge vor. Der sonst zur Milde neigende Kaiser kannte gegenüber Jagdfrevlern kein Erbarmen; Augenausstechen und Tod durch den Strang waren keine seltenen Strafen, überall ließ er Schoßgattern und Legbüchsen auslegen, um die Wilderer abzuschrecken. In seinem herrischen Jagdabsolutismus blieb er taub gegen die Beschwerden der Landleute, daß das Wild zum Schaden ihrer Äcker überhandnehme und sie selbst der Willkür der Jagdknechte ausgesetzt seien. Dafür rächten sich die Bauern. Als sie die Nachricht von dem Tode des Kaisers erhielten, schössen sie massenweise das Wild ab mit der Entschuldigung, daß die verstorbene Majestät ihnen Wildbret auf etliche Jahre freigestellt habe. In der Geschichte des Jagdwesens nimmt Max eine hervorragende Stellung ein. Durch ihn wurde die Waidmannschaft erst zur anerkannten Erfahrungswissenschaft erhoben. Die Elastizität und schöpferische Findigkeit seines Geistes in praktisch-technischen Fragen ließ ihn unermüdlich auf Verbesserungen bedacht sein. Seine lernbegierige Freude an der Technik schuf auch Neuerungen im Schmelzwesen, der Geschützgießerei und in der Münzprägung, die über die Jahrhunderte fortwirkten. *

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Mäcenatentum

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Solange die Gedanken Maximilians ganz von Kriegs- und Heiratsplänen erfüllt waren, fanden Wissenschaft und Kunst nur geringes Interesse. Als aber schwere Niederlagen in Italien und politische Mißerfolge in Deutschland seinen Ruhm überschatteten, hoffte er durch große literarische Pläne und durch die Formsprache der Künstler sein eigentliches Wesen der Nachwelt besser zeigen zu können, als bislang. Denn über sich hinaus zu leben und seinem Namen und Geschlecht Dauer zu verleihen, war er als Mensch der Renaissance eifrig bemüht. „Wer sich in seinem Leben kein Gedächtnis macht, der hat auch nach seinem Tode kein Gedächtnis und desselbigen Menschen wird mit dem Glockenschlage vergessen", schreibt er im Weißkunig. „Was ich in meinem Leben zu meinem Gedächtnis nicht vollbringe, wird nach meinem Tode weder durch Dich noch durch andere dazugetan." Freilich hinderte ihn chronischer Geldmangel, ein Mäcenatentum zu zeigen, wie es die italienischen Fürsten mit lächelnder Grazie ausübten. Trotzdem half er zwischen Staatskunst und Geistesleben einen Bund schließen, der zum Segen der Menschheit weiter wirken sollte. Zwischen den tausend Aufgaben eines unruhigen Herrscherlebens vermochte er durch Ökonomie der Arbeit und Vermeidung bloß geisttötender Zerstreuungen Zeit zu finden für ein übervolles wissenschaftliches und künstlerisches Programm. Nicht dem Regenten und Feldherrn, sondern dem Mäcen hat die Nachwelt die Palme der Unsterblichkeit verliehen. Ein aufgefundenes Verzeichnis aus dem Jahre 1512 zeigt eine unerschöpfliche Fülle seiner literarischen Pläne. *

Kaum je war die gärende Unruhe der um Erlösung ringenden Seele und die religiöse Sehnsucht größer, als zur Zeit Maximilians. „Jedermann wollte in den Himmel" schreibt Zink in seiner Augsburger Chronik. Der Beichtvater des Kaisers bezeugt, daß Max stets bemüht war, die Gebote der Kirche zu halten, sich an Prozessionen beteiligte, fleißig die Gottesdienste besuchte und ihm Bedürfnis war, seine Seele im Gebet zu den ewigen Mächten zu erheben. Sein bedingungsloses Gottvertrauen und religiöses Pflichtbewußtsein war ihm als althergebrachter Besitz von den Vorfahren überkommen. Er beschwor daraus helfende Kräfte in allen Fährnissen seines Lebens. Selbst nach schwersten Niederlagen fand er bald sein inneres Gleichgewicht wieder.

Gottvertranen

Als Sohn einer Zeit, die zwischen Skepsis und Glauben, Humanitas und christlicher Religiosität, jugendfrischer Renaissancestimmung und kirchlicher Gebundenheit hin- und hergerissen wurde, nahm er nicht einfach hin, was ihm gelehrt wurde, sondern bildete sich seine eigene Meinung. Aussprachen mit Geiler von Kaisersberg, Trithemius von Sponheim und Cuspianus suchten kritische Fragen zu lösen. „Warum können die Nichtchristen nicht erlöst werden? Warum läßt Gott in seiner Gerechtigkeit zu, daß auch die Unschuldigen leiden und verderben müssen? Wie kann der christliche Glaube und die göttliche Weltordnung bewiesen werden? Warum kann Gott nur geglaubt und nicht — wie durch die Engel — unmittelbar erkannt werden?" Solche Grenzfragen zwischen Glauben und Wissen beunruhigten ihn, ließen ihn aber nie an den Grundtatsachen der christlichen Lehre zweifeln. Fortschrittlich sorgte er dafür, daß breitere Kreise über das Geheimnis schwieriger Dogmen aufgeklärt würden und gab Trithemius den Auftrag, volkstümliche Schriften über religiöse Fragen herauszugeben. Auch eine gelockerte Fastenordnung und eine Kalenderreform strebte er an. Das Osterfest sollte festgelegt und an Stelle des überholten Julianischen ein deutscher Kalender eingeführt werden, zu dem er selbst Vorschläge ausarbeitete. Er sollte mit zahlreichen kostbaren Holzschnitten — darunter von den Heiligen seines Geschlechts — geschmückt und dem damals in Rom tagenden Konzil vorgelegt werden. Aber er hatte damit keinen Erfolg. Trotz der fortschrittlichen religiösen Grundhaltung Maximilians bleibt ein trüber Satz von Aberglauben nicht abzuleugnen. Wie die meisten seiner Zeitgenossen konnte er sich nicht von dem Empfinden freimachen, daß sein Leben ständig von dunklen geheimnisvollen Mächten bedroht sei. Unheilverkündende Sonnenfinsternisse, Kometen, Wundererscheinungen wie die blutschwitzende Dornenkrone Christi und der Glaube an die Einwirkung der Gestirne auf das menschliche Schicksal beherrschten sein empfängliches Gemüt. Als ein seltsamer Regen „schwarze und rote Kreuze und andere Zeichen des Leidens Christi auf Kleider, Hemden und sonstige leinene Gegenstände fallen ließ", sah Max darin einen Beweis für die Ungnade Gottes, ließ zur Sühnung eine große Prozession in Augsburg veranstalten, an der 60 000 Menschen teilnahmen und erklärte: „Ich habe mir die Wunderzeichen wohl zu Herzen genommen und bin nunmehr entschlossen zum Zuge gegen die Türken." So nutzte

und Aberglauben

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er gleichzeitig die Erscheinungen aus, um für den ewigen Wunschtraum seines Lebens wirksam zu werben. Als eine Betrügerin, genannt „das Lamitlein", in ganz Süddeutschland großes Aufsehen erregte, war Max einer der ersten, der sich von ihren Praktiken täuschen ließ. Sie gab sich als Heilige aus, „die fürgegeben, sie esse, trinke und verdaue nicht und lebe allein von der Kraft des hochwürdigen Sakraments." Erst als die resolute Kunigunde sie nach München kommen ließ, wurde sie entlarvt und mit Schande ausgewiesen. Unter den unheilstiftenden Wesen, die den Menschen bedrohten, spielten die „aus Grauen und Wollust geborenen" Hexen in spätmittelalterlicher Zeit eine besondere Rolle. Selbst Dürer sah sie in nächtlichen Angstträumen durch die Lüfte jagen und suchte sich ihrer dadurch zu erwehren, daß er ihre Gestalt in einem Kupferstich festhielt. Papst Innozenz erkannte ihre Existenz an und bejahte ihre Verfolgung. Auch Maximilian konnte sich von ihnen nicht freimachen. Als Trithemius ihn anspornte, diese Gattung auszurotten und erregt behauptete: „Unter jedem Dache sitzt ein solches Wesen", ernannte Max zwei Professoren der Theologie zu Inquisitoren. Sie verfaßten den sogenannten „Hexenhammer", der die wichtigsten Lehrmeinungen in System brachte und die rechtliche Grundlage schuf für die grausamen Hexenverfolgungen der kommenden Jahrhunderte. Auch dem Sternenglauben zollte Max seinen Tribut. Studenten hatten ihn von Padua nach Deutschland gebracht, wo er größte Verbreitung fand. Die Kirche bekämpfte zwar den astrologischen Wahn, aber selbst Kardinäle und Bischöfe konnten seiner nicht entraten und hielten an ihren Höfen Astrologen. Maximilian glaubte zu dem Planeten, der über seiner Geburt gewaltet hatte, in einem Kindschaftsverhältnis zu stehen und glaubte ihm Schicksal, Gemütsart und Temperament zu verdanken. Bis in die Kreise der Bauern und Schäfer fand die Sterndeuterei damals Anhänger. Planetenbücher, Prognostiken, Sternbildzeichnungen und Kalender gehörten zu den ersten Druckerzeugnissen und flatterten in Windeseile über ganz Deutschland. Am kaiserlichen Hofe wirkte einer der bekanntesten Persönlichkeiten, Johann Lichtenberg, als Astrolog. Seine Prognostiken wurden allein in Augsburg zehnmal in einem Jahre gedruckt und immer wieder aufgelegt. Stundenlang konnte sich Max mit ihnen beschäftigen und sich von ihren Geheimnissen durchschauern lassen.

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Gesetz der Zweckmäßigkeit

Lobredner nannten den Kaiser den Reiniger des kirchlichen Lebens. Innerlich war er bereit, die Beschwerden des deutschen Volkes über die kirchlichen Mißstände abzustellen, den Klerus zu reformieren und die Päpste, die nach dem Scheitern der großen Konzilbewegung ein Leben des Genusses führten, abzusetzen. Aber die politischen Verwicklungen zwangen ihn, nach dem Gesetz der Zweckmäßigkeit zu handeln und je nach der auswärtigen Lage eine wechselnde Haltung einzunehmen. Solange der Papst sein Bundesgenosse war, hielt er sich zurück. Erst als Alexander VI. zu seinen Gegnern übertrat, ging er gegen den Ablaßhandel und andere „Bübereien" vor, die „aus der ganzen Christenheit Geld nach Rom zogen". Aber seine Anordnungen blieben wirkungslos, da er sich selbst am Ablaßhandel bereicherte, ein Viertel der einkommenden Gelder für sich in Anspruch nahm und seine Schuldner darauf verwies. Gegen Ende seines Lebens trat er noch einmal gegen die „Römlinge" auf und beauftragte den Humanisten Wimpfeling, alle Gravamina des deutschen Volkes in einem „Libell" zu sammeln und dem Reichstage zu Augsburg 1518 vorzulegen. Diese Versammlung wurde ein Höhepunkt romfeindlicher Gesinnung. Aber auch jetzt blieb der Erfolg aus, da M a x die Hilfe des Papstes für die Wahl seines Enkels als Nachfolger nötig hatte. Sie war nur ein Vorspiel für den großen Sturm, der bald über ganz Deutschland fegen und seine Grundfesten erschüttern sollte. *

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Das Leben Kaiser Maximilians war nicht ein schicksalhaftes Drama, sondern eine Abfolge von locker hingeworfenen bunten Einzelszenen voller Überraschungen und Zufälligkeiten. Die äußere Bilanz seiner Regierung: er vergrößerte seine Erblande und rundete sie ab, holte Tirol wieder heim, erwarb Görz und das Pustertal, Kufstein, Rattenberg und Kitzbühl, den Landshuter Besitz und die Markgrafenschaft Burgau. Durch seine burgundische Erbschaft schob er den französischen Angriffen einen Riegel vor und schuf durch seine Heiratspolitik die Grundlage für die österreichisch-ungarische Monarchie und die habsburgische Weltmacht. Den deutschen Fürsten galt er als „regsamer Dieb", der sich Stein bei Stein für seine Hausmacht zusammenholte, aber das Reich völlig verschuldet und im Zustande der Auflösung hinterließ. Maximilians Versuch, die staufische Kaiserpolitik in Italien wieder aufzunehmen und die Kräfte des Reiches nach Süden zu verlagern, war ein

Die Bilanz: ein Wegbereiter

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Anachronismus und mußte schon an den verwirrenden Wendungen seiner Diplomatie sowie der Sprunghaftigkeit und mangelnden Konsequenz seines Wesens scheitern. Dazu litt er zeitlebens an den kläglichen Zuständen der Reichsverwaltung, an dem Fehlen eines stehenden Heeres und dem hemmenden Einfluß der Stände, die ihm die Mittel für eine erfolgreiche Staatsführung verweigerten. So blieb ihm eine Erfüllung seiner Lebenswünsche versagt; er mußte sich damit begnügen, nur ein Wegbereiter zu sein. Aber das deutsche Volk hat kaum einem anderen Herrscher ein solches M a ß von Liebe entgegengebracht wie seinem Kaiser Max, weil es sich selbst in ihm wiederfand. Noch heute spukt seine Gestalt in den Winkeln und Gängen all der Stätten, wo der Schweifende ein Stückchen Heimat gefunden hatte. Man liebte ihn in seinen Schwächen und seinen Vorzügen: als König und Bettler, als Weisen und als Narren, als Heiligen und als Sünder — als ewigen Wanderer zwischen Wirklichkeit und Traum. So war er ein Mensch — nehmt alles nur in allem — der in seinen Siegen und in seinen Niederlagen der Begnadigung teilhaftig wurde.

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