Kaffeekochen für Millionen Die spektakulärsten Ereignisse im World Wide Web [1. Aufl] 9783593402383, 3593402386

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Kaffeekochen für Millionen Die spektakulärsten Ereignisse im World Wide Web [1. Aufl]
 9783593402383, 3593402386

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Kaffeekochen für Millionen Die spektakulärsten Ereignisse im World Wide Web Mertens, Mathias Campus Verlag

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. 9783593402383 Copyright © 2006. Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main Besuchen Sie uns im Internet: www.campus.de

|7| »Das Web ist eher ein gesellschaftliches als ein technisches Produkt. Ich wollte die Zusammenarbeit erleichtern – und nicht ein technisches Spielzeug entwickeln. Das höchste Ziel des Webs ist die Unterstützung und Verbesserung einer netzartigen Lebensform. Wir schließen uns in Familien, Vereinigungen und Unternehmen zusammen. Wir entwickeln Vertrauen über Meilen hinweg und Misstrauen gegenüber Dingen, die in der Nachbarschaft geschehen. Was wir glauben, bewundern, akzeptieren und wovon wir abhängen ist im Web darstellbar und dort auch zunehmend zu finden.« Tim Berners-Lee

Für mista_conni, Lucky Fragger, Felix und alle anderen Brickfilmer

Einleitung: Die Mondlandungen des Internets |9|

Im Jahr 2006 wird das Internet in der uns bekannten Form des World Wide Web gerade mal fünfzehn Jahre alt. Zu früh, um wirklich schon als ausdifferenziertes Medium betrachtet zu werden, zu früh wohl auch, um neben sozialpsychologischen Nutzerstudien oder schamanistischen Beschwörungen à la Sherry Turkles Life on

the Screen oder J. C. Herz’ Surfing on the Internet fundierte kulturwissenschaftliche Auseinandersetzungen zu erwarten. Während die technischen Ursprünge im Arpanet schon gut dokumentiert worden sind, etwa in Where Wizards Stay Up Late von Katie Hafner und Matthew Lyon, ist wohl im WWW bisher zu wenig passiert, um Paradigmen, Entwicklungslinien, Wendepunkte aufzuspüren. Wenn man sich andererseits die steil exponentiell erfolgende Entwicklung der Nutzerzahlen ansieht, die Schaffung völlig neuer Wirtschaftssparten, die (zeitweilige) Einrichtung eines eigenständigen Börsensegments, die politischen Initiativen zur Vernetzung der Schulen oder die drastische Umstrukturierung von Kommunikationsgewohnheiten, dann ist in diesen fünfzehn Jahren beinahe mehr geschehen, als in den ersten zweihundert Jahren nach Erfindung des Buchdrucks. Wir sind Zeugen und Teilnehmer einer Explosion, die aber, wenn überhaupt, als ein Schleichen wahrgenommen wird. Das ist hauptsächlich auf den transzendenten und geschichtslosen Charakter des Mediums selbst zurückzuführen. Viel stärker noch als beim Fernsehen – dessen Geschichtsschreibung erst seit ein paar Jahren systematisch erfolgt und noch nicht sehr weit fortgeschritten ist, bei dem zumindest aber auf die Magnetband-Archive und auf private Videomitschnitte zurückgegriffen werden kann – ist der Inhalt des WWW ein flüchtiger. Die allermeisten Internetseiten verschwinden, wenn ihre aktuelle Relevanz nachgelassen hat. Die

Nicht-Materialität des Mediums produziert keinen Abfall, der im Laufe der Zeit dann zu historischen Artefakten und Quellen werden kann. In der Rückschau gibt es also nichts, woran man |10|Entwicklungen festmachen kann, weshalb einem das Internet immer in seiner aktuellen Form als etwas Selbstverständliches erscheint. Die Rückschau lässt sich nicht an Konkretem festmachen, an dem man Entwicklungsstufen ablesen könnte, so dass sich keine Erzählung, keine Historie ergibt. Diesem Buch liegt die These zugrunde, dass das Internet wegen seiner Transzendenz und Nicht-Materialität stärker als andere Medien auf Ereignisse angewiesen war und ist, um sich als Massenkommunikationsmittel zu etablieren. Während ein Buch auch nach seinem ereignishaften Erscheinen materiell vorhanden bleibt, jenseits aller Bestsellerlistenplatzierungen, Skandale oder Feuilletondebatten, die es vielleicht mit sich brachte, während Filme immer wieder gezeigt werden können, und sei es nur in Programmkinos, im Fernsehen oder auf Video, während Zeitungen in Archiven zu historischen Quellen heranreifen, ist das Internet einfach nur oder es ist nicht. Nur in Ereignissen gewinnt es eine momentane Dinglichkeit als Gegenstand der Kommunikation an anderen Orten. Nur das Ereignis lässt aus Millionen von vereinzelten Internetnutzern plötzlich eine Öffentlichkeit werden, die auf sich selbst reflektieren kann. Anders formuliert: Anlässlich bestimmter Ereignisse war mir als Internetnutzer bewusst, dass ich vor meinem Bildschirm nicht meine

private Kommunikation betrieb, sondern dass ich im selben Moment das tat, was Millionen anderer Menschen auch taten. So konnte ich mir sicher sein, dass ich das Medium auf die richtige Art und Weise benutzte. Die Frage, die diesem Buch voranging, lautet: Wann war das Internet also ein Massenmedium und nicht nur eine Kommunikationstechnik? Und weiter gefragt: Was war das Besondere an diesen Ereignissen, dass sie im Medium Internet geschahen, beziehungsweise was am Medium Internet ließ sie sich ereignen? Gegenstände des Buches sind also doppelte Medienereignisse. Zum einen ist es das jeweilige Geschehen, das durch das Internet dargestellt wurde, zum anderen das Internet selbst, das sich mittels dieser Ereignisse selbst ereignen konnte. 1969 saß »die Welt« vor dem Fernseher, um die ersten Schritte Neil Armstrongs auf dem Mond live zu verfolgen. Das Miterleben dieses Moments war so bedeutsam, dass noch heute die Allermeisten wissen, wo sie sich damals befunden und mit wem zusammen sie es gesehen haben. »Die Globalisierung der Medien, die eine Medienwelt, war seitdem Realität, natürlich nicht nur durch das spezielle Ereignis verursacht, aber in der Mondlandung zum übertragbaren Symbol geworden.« 1 Das schreibt der |11|Informationswissenschaftler Rainer Kuhlen in einem Buch, das er Die Mondlandung des Internets genannt hat, weil ihm die politischen Ereignisse des Jahres 1998 für das Internet so bedeutsam erschienen, wie es der 20. Juli 1969 für das Fernsehen gewesen ist. Auch mein Buch hätte Die Mondlandungen des

Internets heißen können, aufgrund derselben Überlegung wie jenes von Kuhlen, aber in Abgrenzung zu seinem anfechtbaren Singular. Denn es war eher so, dass der rapide Anstieg der Nutzerzahlen von wenigen Tausend 1991 auf fast eine Milliarde heute nicht stetig verlief, wie Frank Patalong auf Spiegel Online betonte. »Immer wieder gab es Ereignisse, die Massen von Menschen ins Web lockten. Und immer geschah dasselbe: Einmal dort, blieben die meisten dabei.« 2 Es soll in diesem Buch um solche Momente gehen, in denen Menschen vom Internet erfahren haben und sich eine Vorstellung von seinem Nutzen machen konnten. Im Untertitel heißt es, hier seien die »spektakulärsten« davon versammelt. Das ist natürlich subjektiv; die Auswahl spiegelt meine persönliche Netzsozialisation wider und ist nur bedingt repräsentativ wäre. »Spektakel« bezeichnet aber ursprünglich ein Schauspiel, das etwas ausstellt und veranschaulicht. Die Auswahl in diesem Buch ist sicherlich nicht vollständig, aber diskussionswürdig. Sie versammelt solche Spektakel, in denen massenwirksam gezeigt werden konnte, was das Internet sein kann und was dort konkret geschieht. Dieses Buch ist nicht der erste Versuch einer Geschichtsschreibung des Internets, es gibt schon zahlreiche und sehr gute Veröffentlichungen. Man findet sie im Buchhandel in den Regalen, die mit »Computer« beschriftet sind und Hunderte von Einführungen in das Programmieren mit C+, Java und Perl oder das Arbeiten mit Photoshop oder Office XP versammeln. Ihr Inhalt

beschäftigt sich dementsprechend mit den technischen Gegebenheiten des WWW. Als Medienwissenschaftler befriedigen mich diese Darstellungen nicht. Sie wirken auf mich so, als würde man eine Filmgeschichte schreiben, in der es nur um das Prinzip des Malteserkreuz-Antriebs des Projektors und um den Aufbau der Kinosäle im Wandel der Jahrzehnte geht; oder eine Literaturgeschichte, die sich nur mit der Entwicklung der Druckund Bindeverfahren und der Entstehung des Großhändlersystems im Buchvertrieb beschäftigt. Als hätte es keine Filme und keine literarischen Werke gegeben. Den Erfolg als Massenmedium kann das Internet aber nicht aufgrund seiner faszinierenden Technik gehabt haben. Sondern weil irgendetwas in ihm passiert ist, was die Menschen bewegt. |12|Es soll also darum gehen, die Eigenheiten und die Entwicklung des Mediums zu erfassen, und zwar nicht anhand der unvermeidlichen Technikgeschichte, sondern im Sinne von Marshall McLuhan anhand der »Veränderung des Maßstabs, Tempos oder Schemas, die [das Medium] der Situation des Menschen bringt«. 3 Es soll nicht darum gehen, technische Details zu klären. Wie die Namensvergabe im Internet genau funktioniert, wie sich der Programmcode von Viren, Würmern und Trojanern im Einzelnen unterscheidet oder wie Napster genau gearbeitet hat – das alles ist nicht Gegenstand dieses Buches, weil es auch nicht Gegenstand der Medienereignisse ICANN-Wahl, I love you-Virus respektive Napster gewesen ist. Dabei haben andere, narrative, spektakuläre

Aspekte eine Rolle gespielt, in denen sich die abschreckende und unverständliche Technik gewissermaßen verstecken konnte, um akzeptiert zu werden. Was Musik ist, welchen Genuss man aus ihr ziehen kann und wie viel es kostet, sie zuhause spielen zu können, wusste jeder; als mit Napster plötzlich ein simples Programm im Internet auftauchte, mit dem praktisch jedes nur erdenkliche Musikstück umsonst auf den eigenen PC befördert werden konnte, war seine Relevanz schlagartig klar. Und dass sich zudem die spannende Geschichte eines respektlosen Davids damit verband, der sich monatelang gegen den übermächtigen Goliath Unterhaltungsindustrie behaupten konnte, verlieh dem Ganzen auch noch ein attraktives Image. Was das Peer-to-Peer-Verfahren ist, können wahrscheinlich immer noch die Wenigsten – mich eingeschlossen – präzise erklären, intuitiv verstanden haben es durch Napster allerdings die Allermeisten. Bevor das erste Kapitel mit dem ersten Internetereignis »TrojanRoom-Coffee-Machine« beginnt, gibt es deshalb auch ein Kapitel Null, um zu verdeutlichen, wie schwer es gefallen ist, vom Internet zu erzählen, bevor es etwas gab, das man erzählen konnte – eine literaturwissenschaftliche Abschweifung, die zum Verständnis der nachfolgenden Kapitel nicht nötig ist, die aber auf andere Weise verdeutlichen soll, wie wichtig Ereignisse gewesen sind, damit sich die Öffentlichkeit ein überzeugendes Bild vom Internet machen konnte. Bei der Auswahl der hier versammelten Ereignisse fällt auf, dass

es um 1999/2000 herum einen Kulminationspunkt gibt und danach nur noch ein paar Ereignisse beschrieben werden. Das spiegelt nicht meine eigene Nutzerhistorie wider, sondern hat mit dem Dilemma der Geschichtsschreibung zu tun, dass Gegenwärtiges nicht als historisch wahrgenommen und damit schwer eingeordnet werden kann. Man denke nur an das Urteil der literarischen |13|Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert, wonach Kotzebue als bedeutendster Dramatiker seiner Zeit galt, und vergleiche es mit heutigen Literaturgeschichten und Theaterspielplänen. Als historisch relevant erweist sich etwas erst, wenn es eine Historie gibt, in der es sich zeigen kann. Vielleicht wird man in zehn Jahren den Kopf darüber schütteln, dass die Machinima-Serie Red vs. Blue in diesem Buch als Ereignis gefeiert wird, andere Netzinhalte aus derselben Zeit dagegen keine Erwähnung finden, die dann längst als kulturelle Meilensteine kanonisiert sind. Vielleicht wird die TrojanRoom-Coffee-Machine in dreißig Jahren bloß noch als Kaffeekochen für Millionen wahrgenommen und nicht als signifikanter Moment in der Entwicklung des WWW. Das ist sehr wahrscheinlich. Der Fokus dieses Buchs liegt aber auf den Medienereignissen, die diese Ereignisse hervorriefen, also der Aufmerksamkeit, die sie in der zeitgenössischen Öffentlichkeit erregt haben. Es soll Beispiele für die öffentlich betriebene Erzählung vom Internet liefern; ob dadurch (hoffentlich) ein Beitrag zu einer Geschichte des Internets geleistet wird, kann erst in einigen Jahren oder Jahrzehnten entschieden werden.

Das ist auch der Grund dafür, dass hier so ausführlich auf Medienberichte Bezug genommen und so ausführlich zitiert wird. Denn nur so kommt zum Ausdruck, was die Öffentlichkeit zum damaligen Zeitpunkt anlässlich der Ereignisse vom Internet dachte und wie seine Möglichkeiten verstanden wurden. Dadurch ist es allerdings auch – stärker als ich es vorher gedacht hätte – ein Buch über Journalismus und Journalisten geworden. Es wäre eine eigene Studie und Würdigung wert, wie sich der Stand der Journalisten innerhalb weniger Jahre gegen die Entprivilegisierung durch Netzberichterstattung zur Wehr setzen musste und neu behaupten konnte. Hier wird das nur ansatzweise versucht. Bei aller Kritik an den Unzulänglichkeiten, den Eitelkeiten und den professionellen Deformationen der Journalisten, zeigt das Buch aber hoffentlich, wie groß der Beitrag ist, den, um stellvertretend zwei zu nennen, Frank Patalong von Spiegel Online oder Florian Rötzer von Telepolis geleistet haben, um dem Internet zum Durchbruch zu verhelfen.

0. Ein verschwommenes, fragmentarisches Mandala |15|

Wie vom Internet geredet wurde, als es noch nichts gab »Man hatte plötzlich die Möglichkeit, allen alles zu sagen, aber man hatte, wenn man es sich überlegte, nichts zu sagen. Und wer waren alle?« Bertolt Brecht: »Der Rundfunk als Kommunikationsapparat«

Seit 1991 gibt es das Internet. Stimmt nicht. Das Internet gibt es schon seit 1969, als die ersten Server an Universitäten in Massachusetts, Kalifornien und Utah aufgestellt, miteinander verbunden und danach kontinuierlich weiter vernetzt worden sind. Stimmt doch. Denn was damals das Internet war, ging nur eine kleine Gruppe von Wissenschaftlern und Technik-Freaks etwas an, die per Telnet, Usenet, FTP oder irgendwann auch E-Mail miteinander kommunizierten und Daten austauschten. Das Internet – also das, was wir seit einigen Jahren ganz selbstverständlich in Gesprächen so bezeichnen und was in Zeitungsartikeln und Fernsehberichten genauso allumfassend verwendet wird – gibt es dagegen erst, seit Tim Berners-Lee 1991 einen neuen Bereich im Internet kreierte: das »World Wide Web«. Hier wurden nicht mehr nur schnöde Textwüsten verschickt und kryptische Dateienverzeichnisse durchwühlt, sondern hier konnten Bilder angezeigt und mit dem Text in einem sinnvollen Layout zusammen

präsentiert werden. Erst so konnte das Internet auch Menschen ansprechen, deren ästhetische und kommunikative Bedürfnisse über die Präsentation von grünen, pixeligen Buchstabenkolonnen auf schwarzem Hintergrund hinausgingen. Die wichtigste Eigenschaft, die Berners-Lee dem World Wide Web verlieh, war die Möglichkeit, »Links« zu setzen. Mit einem »Link« wird von einer Stelle im WWW auf eine andere verwiesen, und durch einen Klick darauf gelangt man sofort dorthin. Auf diese Weise gibt es nicht nur das Netz von Servern und Telefonleitungen zwischen ihnen; über dieses physikalische |16|legt sich ein zweites Netz der gesamten Querverbindungen zwischen allen Inhalten, die im World Wide Web zu finden sind. Das Internet meint auch dieses assoziativ und explosionsartig wuchernde Gemenge an Information, das sich aus der Verbindung von Informationen ergibt. Schon der vorangegangene Absatz aber klingt so blumig, dass der Erfolg des WWW verwundern muss. Wie kann etwas so viele Menschen ansprechen, über das man entweder nur technologischverwirrend oder idealistisch-abstrakt reden kann? Man sehe sich zum Beispiel einen Bestseller aus den neunziger Jahren über das Thema an, Sherry Turkles Leben im Netz, und frage sich, wann man dergleichen mal selbst beim Surfen erlebt hat: »Als User wenden Sie Ihre Aufmerksamkeit zu einem gegebenen Zeitpunkt zwar immer nur einem der Fenster auf Ihrem Bildschirm zu, aber in gewissem Sinne sind Sie fortwährend in allen präsent. [...] Ihre Identität am Computer ist die Summe Ihrer aufgeteilten Präsenz. [...]

[I]n der alltäglichen Praxis vieler User sind Fenster zu einer starken Metapher für die Annahme geworden, dass das Selbst ein multiples, dezentriertes System ist. Das Selbst spielt nicht mehr bloß verschiedene Rollen in verschiedenen Kontexten zu verschiedenen Zeitpunkten, etwa bei einer Frau, die sich beim Aufwachen als Geliebte, bei der Zubereitung des Frühstücks als Mutter und bei der Fahrt zur Arbeit als Anwältin erlebt. Die Fenster nötigen uns vielmehr die Lebenspraxis eines dezentrierten Selbst auf, das in vielen Welten existiert und viele Rollen gleichzeitig spielt. [...] Die Erfahrung dieses Parallelismus bestärkt einen darin, das Leben ›onscreen‹ und ›off-screen‹ in erstaunlichem Maße gleich zu behandeln. Erfahrungen im Internet erweitern die metaphorische Bedeutung der Fenster – nunmehr kann RL [Real Life] selbst, wie Doug sagte, zu ›einem Fenster unter vielen‹ werden. MUDs [Multi User Dungeons] sind besonders anschauliche Beispiele dafür, wie die computervermittelte Kommunikation als ein Ort der Konstruktion und Rekonstruktion von Identität dienen kann.« 4

Zunächst einmal klingt das wie eine gewisse poststrukturalistische Wissenschaftsprosa, der man mehr oder weniger Erkenntnisinteresse und Erkenntnisgewinn zuschreibt. Tatsächlich fungiert Turkles Buch ja auch als sozialpsychologische Studie. Eine genauere Untersuchung der Einzelaussagen zeigt aber die große Affinität zu künstlerischen Phantasien. Die technische Apparatur übt einen Zwang auf die Benutzer aus, »nötigt« eine »Lebenspraxis« auf. Dadurch beginnen sich Körper- und Geistgrenzen aufzulösen, man kann nicht mehr zwischen »on-screen« und »off-screen« unterscheiden, weil diese Trennung für den Alltag irrelevant

geworden ist. Das Raum-Zeit-Kontinuum wird aufgelöst, wenn man fortwährend an verschiedenen Plätzen gleichzeitig präsent ist. Außerdem schreibt sich die |17|Apparatur in den Körper und die Welt ein, die Fenster, die in Windows noch umschreibende Funktion besitzen, werden zu realen Phänomenen, zu Körpererweiterungen, zu neuen Sinnesorganen. Science-Fiction im allerbesten Sinne. Science-Fiction wie von William Gibson geschrieben, dessen Roman Neuromancer 1984 den Ton angab und seitdem durch alle Überlegungen zum Internet zu geistern scheint. Sein Begriff des »Cyberspace«, einer »Konsens-Halluzination, tagtäglich erlebt von Milliarden zugriffsberechtigte[n] Nutzer[n] in allen Ländern«, 5 kann heute noch, nach mehr als zehn Jahren Erfahrung mit dem realen Internet, als beinahe neutraler Fachbegriff verwendet werden, um Technik, Anwendung und Kultur eines Computer-Netzwerkes zu beschreiben. Der Computernutzer, der sich in den Cyberspace einklinkt, um dort halluzinatorische Erfahrungen zu machen, ist zu einem selbstverständlichen Topos der Internet-Darstellung geworden, zum in unzähligen Texten, Sendungen und Filmen wieder aufgegriffenen Stereotyp: »Er zog sich das schwarze Frotteestirnband über den Kopf und achtete auf den richtigen Sitz der flachen Sendai-Elektroden. [...] Er schloss die Augen. Fand den geriffelten EIN-Schalter. Und in der blutgeschwängerten Dunkelheit hinter seinen Augen

fluteten silberne Phosphene von den Grenzen des Raums heran, hypnagoge Bilder, die wie ein wahllos zusammengeschnittener Film vorüberzuckten. Symbole, Ziffern, Gesichter, ein verschwommenes, fragmentarisches Mandala visueller Information. Bitte, betete er, jetzt ... Eine graue Scheibe von der Farbe des Himmels über Chiba. Jetzt ... Die Scheibe begann zu rotieren, immer schneller, wurde zu einer hellgrauen Kugel. Dehnte sich aus ... Und strömte, erblühte für ihn. Wie ein Origamitrick in flüssigem Neon entfaltete sich seine distanzlose Heimat, sein Land, ein transparentes Schachbrett in 3-D, das sich in die Unendlichkeit dehnte. Das innere Auge öffnete sich, und die abgestufte, knallrote Pyramide der Eastern Seaboard Fission Authority ragte leuchtend hinter den grünen Würfeln der Mitsubishi Bank of America auf. Hoch oben und sehr weit weg sah er die vielen Spiralarme militärischer Systeme, auf immer unerreichbar für ihn. Und irgendwo er, lachend, in einem weiß getünchten Loft, die fernen Finger zärtlich auf dem Deck, das Gesicht von Tränen der Erleichterung überströmt.« 6

Dass dieser Topos des delirierenden Netz-Nutzers so verbreitet ist, verwundert allerdings angesichts der eigenen Internet-Erfahrung. Weder fluten |18|silberne Phosphene durch die Augen, wenn man sich einloggt, noch erinnert das Browserfenster an einen entfalteten Origamitrick in flüssigem Neon, noch besteht die Seite der eigenen Bank im Netz aus grünen Würfeln oder knallroten Pyramiden auf einem transparenten Schachbrett. Und noch weniger sah das Netz in den Jahren vor Flash-Animationen und Active-X-Applikationen

so aus, als diese Metaphorik geprägt worden ist – weder bei Gibson, der bestenfalls Bildschirme mit ASCII-Zeichen gekannt haben konnte, die Mailboxen darstellen sollten, noch bei Turkle, deren erste Erfahrungen mit MUDs ebenfalls auf reines TextGeschehen beschränkt gewesen sein können. Trotzdem spricht man diesen Beschreibungen zu, dass sie bestimmte Aspekte der Netzerfahrung zum Ausdruck bringen, dass Gibsons »verschwommenes, fragmentarisches Mandala visueller Information« und Turkles Fensterförmigkeit der Realität Gemeinsamkeiten mit nüchternen Handbüchern wie dem 1994er Internet: Werkzeuge und Dienste des Springer Verlags teilen. 7 Dass beides gleichzeitig präsent sein kann – die Entrückungspoesie der künstlerischen Bearbeitung wie die doch recht nüchterne Erfahrung mit Homepages und MailprogrammBenutzeroberflächen – verwundert. Man sollte meinen, dass ein paar grün leuchtende Zeichen auf einem schwarzen Bildschirm in den achtziger Jahren, ein paar Textseiten in Primärfarben mit rudimentären Links Mitte der neunziger Jahre, oder die tabellengestützten Zeitungsseiten mit aufklappbaren Artikeln der gegenwärtigen Internetkultur nicht dazu angetan wären, solch wuchernde Sprache zu provozieren. Man kann diese Ambivalenz als Symptom verstehen. Sie zeigt an, dass es einen beeindruckenden Gegenstand gibt, der nichts zum Gegenstand hat. Und weil man dem eigenen Beeindrucktsein Ausdruck verleihen will, jedoch gar nicht weiß, worüber man

sprechen soll, werden technische Gegebenheiten zu Inhalten stilisiert und rhetorisch mit Bedeutung aufgeladen. Niemand ist beispielsweise auf die Idee gekommen, beim Telefon von Dematerialisation am eigenen Ort und Projektion zu einem anderen Ort zu sprechen – obwohl in gewisser Weise genau das geschieht. Solche Metaphorik wäre sofort als unangemessen empfunden worden, weil man von Anfang an wusste, was man mit einem Telefon machen kann: nämlich Gespräche führen, etwas, mit dem man seit Jahrtausenden vertraut war und dem das neue Medium nur die Bedingungen veränderte. Am beiläufigsten über das Internet wurde dann gesprochen, wenn es eine konkrete Anwendung gab, bei E-Mail zum Beispiel, die an Brief- und Telefonerfahrungen anknüpfte. Nur da, wo es erkennbare Strukturen gibt, deren Zweck allerdings |19|nicht ersichtlich ist, sucht die Beschreibung Zuflucht bei äquivalenten Bildern, um von deren Gehalt profitieren zu können. Die Schnelligkeit von Datenfernübertragung und die Netzwerkstruktur des Internets lassen an Straßennetze und Autos denken, und weil dort Menschen sich von einem Ort zum anderen bewegen, stellt man sich dasselbe beim Internet vor, nur eben viel körperloser und rauschhafter. So entstand dann die Metapher vom »Information-Highway«, die der Spiegel in seinen Artikeln zum Internet anfänglich noch als »Infobahn« übersetzte und verwendete. 8 Die Beobachtung von Menschen, die vor Bildschirmen sitzen und sich gleichzeitig gedanklich auf oder in ihnen

zu befinden scheinen, erinnert an Trance- und Rauschzustände, so dass man der Internetbenutzung ebensolche suchterzeugende oder religionsstiftende Wirkung zuschreibt. Dasselbe kann man bei Bücherlesern beobachten, allerdings verhindert die eigene Lektürepraxis, dass man esoterische Phänomene feststellen muss. Dass Bildschirmdarstellungen aus Lichtpunkten zusammengesetzt sind, die auch für jedes andere Bild verwendet werden können, legt Vergleiche mit Quecksilber nahe, mit Reflexen auf Wasseroberflächen, mit Sandgebilden, mit aufgewirbeltem Staub im Sonnenlicht, kurz mit metamorphotischen Naturvorgängen; und so erscheint es im Rückschluss logisch, dass der Mensch, der sich mit diesen Bildern beschäftigt, ebenso flüssig und amorph wird, verschiedene Identitäten annehmen oder sich gänzlich auflösen kann. Fernsehkonsum, bei dem man es grundsätzlich mit denselben technischen Begebenheiten zu tun hat, wird bestenfalls mit dem Schreckensbild der verfetteten und lethargischen »Couch-Potatoe« diskreditiert, weil die eigene Wohnzimmererfahrung jeglicher Entgrenzung widerspricht. Die Visionen vom Internet sind vor allem ein sprachliches Phänomen. Die Notwendigkeit, dort anschaulich werden zu müssen, wo es nichts anzuschauen gibt, lässt Metaphern Eigendynamiken entwickeln. Wer in den achtziger und neunziger Jahren über das Internet schrieb, wurde somit zwangsläufig zum Propheten, zu jemandem, der den Willen eines höheren Wesens für andere interpretiert und verstehbar macht, der zukünftige Ordnungen

verkündet, der von einer neuen Wahrheit beseelt worden ist und sich nun den anderen verständlich machen muss. Gerade weil es außer langweiligen Textseiten nichts im Internet zu sehen gab, legitimierte sich dieses Sprechen durch sich selbst. Der Cyberspace, so schrieb Gibson, wird erlebt »von Kindern, denen man mathematische Begriffe erklärt«. Wenn man erklärte, war man nachweislich |20|nicht eins von den unwissenden Kindern, also musste das eigene Erklären von Wissen und Verständnis geprägt sein, auch wenn es noch gar nichts zu wissen und zu verstehen gab. Wie Beschreibungen eines zukünftigen Radio- oder Fernsehprogramms hätten aussehen können, wissen wir nicht, weil die Geräte von Anfang an schon mit einem Programm vorhanden gewesen sind, so dass keine Prophezeiungen nötig waren. Beim Internet gab es aber die Situation, dass viele einen Computer besaßen und auch schon an das Netz angeschlossen waren, dass es aber kein Programm gab, keine Ereignisse, anhand derer man reale Erfahrungen mit dem Internet hätte machen können. Inzwischen ist das Genre »Internet-Schamanismus« beinahe aus den Buchhandlungen und Zeitschriftenläden verschwunden. Denn sein Gestus wirkt nur noch lächerlich. Viel zu viele Menschen haben eine zu konkrete Vorstellung vom Internet, als dass man sie mit raunenden Beschwörungen noch beeindrucken könnte. Seitdem sie selbst im Internet sind, ist jegliche Mystik verschwunden. Das WWW ist für sie Amazon, Google, eBay und Spiegel Online, völlig selbstverständliche Dienste, die sich in den Alltag wie Aldi,

Bahnhofsbuchhandlung, McDonald’s und Fitnessstudio einfügen. Um ihre Aufmerksamkeit zu erregen, muss man das Außergewöhnliche im Netzalltag finden und beschreiben. Denn darin finden sie ihre Erfahrungen gespiegelt, damit können sie sich identifizieren. Schließlich sind sie durch solche Geschichten überhaupt erst auf das Internet aufmerksam geworden, haben es ausprobiert und sind dabei geblieben.

1. Supernova aus der Kindheit

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Die Trojan-Room-Coffee-Machine, 1993 Im März 2001 geschah etwas, das die Aufmerksamkeit der Weltpresse auf sich zog. Etwas, das mit einer Internetseite zu tun hatte, die nun verschwinden sollte. Wenn man die Kriterien berücksichtigt, nach denen etwas als nachrichtenwert ausgewählt wird – etwa sein Ausmaß und seine Intensität, seine Klarheit und Kategorisierbarkeit, seine Bedeutung für die Gesellschaft, seine Referenz auf Elite- und Führungspersonen, um nur einige zu nennen –, dann musste dieses Ereignis von großer Tragweite sein, wenn es sogar auf Seite Eins der Times gebracht wurde. Tatsächlich deutete die Rhetorik der Berichte genau darauf hin. Das Conway-Magazin sprach von einer »Supernova aus der Kindheit des Internets«, 9 The Guardian konstatierte, die Seite besäße »denselben ikonischen Status wie Marconis erste Radio-Übertragungen oder Gutenbergs erste gedruckte Bibel«, 10 die Washington Post sah in der Seite nicht nur einen »Pionier«, sondern zugleich einen Indikator dafür, dass die »Anfänge des Internets nun Artefakte« seien. 11 Ganz im Sinne der Times, die in dem Verschwinden der Seite den »Abschied von den Anfängen des Internets« erkannte. Einer der Beteiligten, der Wissenschaftler Quentin Stafford-Fraser, schilderte in Interviews, dass er sich »kaum noch vor Interviewanfragen retten« 12 konnte und stand selbst fassungslos vor der Bedeutung

des Ereignisses: »Vor gerade einmal fünf Jahren war es noch etwas Neues, jetzt hat es schon historische Bedeutung. Nur im Netz konnte etwas diesen Übergang so schnell vollziehen.« 13 All diese Beschwörungen eines historischen Ereignisses bezogen sich darauf, dass die Seite www.cl.cam.ac.uk/coffee/coffee.html fortan nicht mehr zeigte, wie der aktuelle Pegelstand einer Kaffeekanne war, die im Flur vor dem »Trojan Room« im zweiten Stock des Arup Buildings auf dem New Museums Areal der Universität Cambridge aufgestellt war. Mehr war niemals auf der Seite zu sehen gewesen. Nur ein kleines Schwarzweißbild |24|einer Krups ProAroma, daneben die Aufforderung »Click here for an up to date picture of the Trojan-Room-Coffee-Machine«. Zehn Jahre lang konnten hier fünfzehn Wissenschaftler des Computer Science Departments prüfen, ob es sich lohnte, den Weg zur Maschine anzutreten, ohne dass sie vor einer leeren Kanne stehen und womöglich selbst Kaffee kochen mussten. Denn obwohl sie sich in einem »Coffee Club« organisiert hatten, in dem mit Strichlisten überprüft wurde, dass die Arbeit an der Maschine gleichmäßig verteilt wurde, gab es laut Stafford-Fraser immer wieder Probleme: »Der Ausflug dorthin war oft umsonst, wenn die nächtlichen DauerHacker des Trojan Rooms einem zuvorgekommen waren. Diese Unterbrechungen unseres Forschungsfortschritts haben uns natürlich einigen Stress bereitet.« 14 Also setzten sie sich zusammen, um eine Lösung des Problems zu finden, und kamen auf die Idee mit der Kamera, für die Stafford-Fraser und Kollege Paul Jardetzky ein

Programm namens Xcoffee schrieben, um auf den Computern des hausinternen Netzwerkes das Bild empfangen zu können. »Wir brauchten bloß einen Tag, um das ganze System zu konstruieren, aber es war nützlicher als alles andere, was ich jemals für ein Netzwerk geschrieben habe«, 15 meinte Stafford-Fraser. Im November 1993 war die erste Kamera kaputt. StaffordFraser und Jardetzky hatten ihren Doktorgrad und waren nicht mehr da, um das System zu reparieren. Also bauten andere Wissenschaftler eine neue Kamera, schrieben das Programm etwas um und benutzen nun das WWW, um das Bild zu zeigen. Es entstand das, was »als das erste Live-Bild angenommen wird, das im sich gerade entwickelnden World Wide Web gezeigt worden ist.« 16 Und obwohl die Seite, wie es der spätere Kamerabetreuer Daniel Gordon ausdrückte, nur »unwesentlich aufregender war, als Farbe beim Trocknen zuzuschauen«, 17 zog sie im Laufe der Zeit 2,4 Millionen Besucher an, nicht nur virtuelle, sondern auch ganz reale, »die [...] alle zwei Wochen vorbeischauten, um die Kanne zu bestaunen«, wie Betreiber Tim Harris während ihrer Laufzeit zu berichten wusste: »Vor einigen Tagen war wieder ein Pärchen aus Texas hier. Die beiden waren wegen irgendeiner Konferenz in Cambridge und wollten unbedingt die Trojan-RoomKaffeemaschine sehen.« 18 Stafford-Fraser erzählte auch von den Beschwerde-E-Mails aus anderen Zeitzonen, in denen eine 24stündige Beleuchtung der Maschine angemahnt wurde, weil beim

Surfen oft die englische Nacht erwischt wurde und nur ein schwarzes Bild zu sehen war. Was machte diese Seite so immens erfolgreich? Warum war es ein so großes und berichtenswertes Ereignis, als die Kamera abgeschaltet wurde, |25|weil das Computer Lab in das neue William Gates Building in West Cambridge umzog? Warum war Spiegel Online bereit, die kaputte Kaffeemaschine, dieses »Stück InternetGeschichte«, für 3.350 britische Pfund – umgerechnet 10.452,70 Mark – auf eBay zu ersteigern, um »die Tradition« fortzusetzen? 19 Die Art und Weise, wie über diese Auktion, die Restauration der Maschine und ihre Wiederbetriebnahme in der Redaktion von Spiegel Online selbst berichtet wurde, geben schon Hinweise auf den Grund für die Aufregung um die Trojan-Room-CoffeeMachine. Unter der reißerischen Überschrift »Spiegel Online rettet die Trojan-Room-Kaffeemaschine« wird die Ersteigerung detailliert als heroischer Akt beschrieben: »Bei zehn Pfund, rund 31 Mark, hatte der Startpreis für das Lot mit der Nummer 1260882480 gelegen. Schon am ersten Auktionstag hatte sich der Preis verzehnfacht. In den letzten beiden Stunden der Auktion hatte sich der Preis von 750 Pfund auf über 3.000 Pfund mehr als vervierfacht. Um 14.39 Uhr und 29 Sekunden fiel der Hammer. Viel Geld, wenn man bedenkt, dass die Krups ProAroma, die von Oktober 1997 bis März 2001 vor der Kamera im Einsatz war, derzeit noch nicht einmal zum Kaffeekochen taugt: ›Wir müssen Sie warnen, dass die Maschine kaputt ist, möglicherweise so sehr, dass sie nicht mehr repariert werden kann. Sie verliert Wasser, außerdem

haben wir den Stecker abgeschnitten‹, hieß es in der Objektbeschreibung bei eBay.« 20

Der Eindruck des Heroischen wird noch verstärkt, wenn in einem späteren Artikel die Inbetriebnahme als »virtuelles Museum« auf www.spiegel.de und die vorherige Restauration als archäologische Operation beschrieben werden: »Zuvor war das gute Stück vom Hersteller Krups kostenlos renoviert worden. Um sicher zu gehen, dass die Techniker die Uralt-Maschine nicht einfach in den nächsten Müllcontainer werfen, wurde vor dem Versand nach Solingen die Seriennummer notiert und die wertvolle Maschine mit ein paar kleinen Kratzern auf dem Boden unauffällig markiert. Nach ein paar Tagen kam das Original technisch einwandfrei zurück«. 21

Das scheint auf den ersten Blick zu allen Klischees der Nerd-Kultur zu passen, deren Vertreter unnützen technischen Schnickschnack goutieren, Geld nicht in Diskotheken oder Boutiquen sondern im Elektroladen verprassen, Sozialkontakte für Basteleien im Keller des Elternhauses vernachlässigen und deren Helden die analytisch überlegenen Mr. Spock und Data aus Star Trek sind. Aber wenn, dann würde diese Kategorisierung bestenfalls auf die Mitglieder des »Coffee Club« zutreffen, die lieber ein Überwachungssystem konstruieren anstatt sich unnötiger körperlicher oder |26|sozialer Belastung zu unterwerfen. Millionen von Besuchern und Redakteure eines der am häufigsten frequentierten Netz-Magazine fallen nicht

unter diese Kategorie. Was man stattdessen aus den Bemühungen von Spiegel Online ablesen kann, ist, dass versucht wird, an einem Kultphänomen teilzuhaben und von dessen Status selbst zu profitieren. Deshalb die bemühte Ironie durch pathetische Schilderungen, deshalb die Detailversessenheit und die Authentifizierungswut. Und um nicht Spiegel Online zu einem Epigonen abzustempeln und alle vorherigen Besucher der Kameraseite als die wahren Rezipienten erscheinen zu lassen, sei betont, dass diese selbstwertdienlichen Bemühungen jeden Teilnehmer eines Kultes auszeichnen, egal zu welchem Zeitpunkt er dazustößt. Es wäre allerdings präziser, von der Trojan-Room-CoffeeMachine nicht als einem Kult-, sondern als Camp-Phänomen zu sprechen. In dem Essay »Anmerkungen zu Camp« hat Susan Sontag 1964 diese »Betrachtung der Welt unter dem Gesichtspunkt [...] eines besonderen Stils« analysiert als »Liebe zum Übertriebenen, zum ›Übergeschnappten‹, zum ›alles-ist-wasesnicht-ist‹«. 22 Die Weltsicht des Camp ist die der »Anführungsstriche«, es geht um den doppelten Sinn von einigen Sachen, »Camp in Personen oder Sachen wahrnehmen heißt die Existenz als das Spielen einer Rolle begreifen«. 23 Die wichtigste Eigenschaft von Camp ist seine naive Extravaganz: »Wenn etwas einfach schlecht (statt Camp) ist, so oft deshalb, weil nicht genug Ehrgeiz in ihm steckt. Der Künstler hat nicht versucht,

etwas wirklich Ausgefallenes zu tun. [...] Camp zeichnet sich häufig durch etwas démesuré aus, nicht nur im Stil des Werkes selbst, sondern auch in der Art des Ehrgeizes, der dahintersteht. [...] Camp ist Kunst, die sich ernst gibt, aber durchaus nicht ernst genommen werden kann, weil sie ›zuviel‹ ist. [...] Was auf eine unkonsequente oder unleidenschaftliche Weise extravagant ist, ist nicht Camp. Ebenso wenig kann irgend etwa Camp sein, das nicht aus einer unbezähmbaren, unkontrollierbaren Erlebnisweise zu erwachsen scheint. Ohne Leidenschaft entsteht Pseudo-Camp – dekorativ, risikolos, mit einem Wort chic.« 24

So kann nichts wirklich Camp sein, das vorsätzlich so schlecht sein will, dass es wieder gut ist, »Camp, das weiß, dass es Camp ist, überzeugt in der Regel weniger«. 25 Zwar ist Sontag nur daran gelegen, wie sie im Vorwort zu ihrer Essay-Sammlung Against Interpretation schreibt, eine »Theorie [der] eigenen Erlebnisweise« 26 zu finden, an ihrem Beispiel und einigen Bemerkungen lässt sich aber ablesen, welche gesellschaftliche Funktion Camp erfüllt. Wenn sie schreibt, Camp sei »esoterisch – eine Art Geheimcode, ein Erkennungszeichen |27|kleiner urbaner Gruppen« 27 , und dass es ein Mittel zur »Theatralisierung der Erfahrung« 28 sei, dann wird deutlich, dass es bei Camp um die Stiftung und die Zugehörigkeitsregelung von Gruppen geht, um Sozialisation. Und die Trojan-Room-CoffeeMachine als Camp zu begreifen, erklärt somit nicht nur die enormen Zugriffszahlen, sondern rechtfertigt auch die Beschwörungen ihrer historischen Bedeutung anlässlich ihrer Einstellung.

In den Anfangsjahren des World Wide Web stiftete die TrojanRoom-Coffee-Machine Identität für die Gruppe der Internetbenutzer. Gerade durch ihre Absurdität und Nutzlosigkeit, ihre Esoterik, wie es Susan Sontag ausdrücken würde, konnte sie zum Erkennungszeichen der Ins-Netz-Eingeweihten werden: Sie hatten begriffen, was den Reiz ausmachte, und waren dabei; und dass alle anderen es nicht begriffen hatten und nicht dabei waren, definierte sie als Gruppe, gab ihr eine Form und machte sie identifizierbar. Das Internet, so konnten die anderen in den ersten Jahren sagen, waren diese Menschen, die sich so verschrobene Dinge wie die Trojan-Room-Coffee-Machine anschauten. Die Extravaganz sorgte für ein wahrnehmbares Attribut. Gleichzeitig – und das war langfristig wichtiger für die Entwicklung des World Wide Web als die Rekrutierung einer Pionier-Rezipientengruppe – konnte die Trojan-Room-CoffeeMachine auch als »epistemologische Metapher« im Sinne Umberto Ecos fungieren: »[I]n jeder Epoche [spiegelt] die Art, in der die Kunstformen sich strukturieren – durch Ähnlichkeit, Verwandlung in Metaphern, kurz Umwandlungen des Begriffs in Gestalt –, die Art, wie die Wissenschaft oder überhaupt die Kultur dieser Epoche die Realität sieht, wider« 29 – auch die spezielle Weise, in der die Wissenschaftler der Uni Cambridge die Möglichkeiten der neuen Technik World Wide Web nutzten. Als Camp-Phänomen besaß die Seite »demokratischen Geist« und demonstrierte »die Gleichwertigkeit aller Objekte«. 30 Wenn schon so etwas

Überflüssiges wie eine Kaffeemaschinenkamera im Netz existieren konnte, dann gab es auch keine Beschränkungen für andere Unternehmungen, dann war alles in ihm möglich. Die Trojan-Room-Coffee-Machine schaffte, was Tim BernersLee zuvor beinahe vergeblich versucht hatte: den Menschen das Potenzial des neuen Mediums zu veranschaulichen. Noch in seinen Erinnerungen an die Frühzeit zeigt sich, wie abstrakt die Beschreibungen des World Wide Web klingen mussten und wie sehr es auf einleuchtende Inhalte ankam, um die Botschaft verständlich zu machen: |28|»Um den Horizont des Webs zu erweitern, begann ich Vorträge und Demonstrationen abzuhalten. Die Leute sollten ›draußen im Web‹ etwas anderes als nur das [am Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire programmierte] Telefonverzeichnis sehen können. [...] Häufig war es für die Leute schwer zu verstehen, dass sich bei dem ganzen Design ›hinter‹ den URLs, HTTP und HTML schlicht nichts verbarg. Es gab keinen Computer, der das Web ›kontrollierte‹, kein separates Netzwerk, auf dem diese Protokolle liefen, ja nicht einmal irgendeine Organisation, die das Web ›betrieb‹. Das Web war überhaupt kein physisches ›Ding‹, das an irgendeinem ›Ort‹ existierte. Es war lediglich ein ›Raum‹, in dem Information existieren konnte.« 31

Die Vorstellung von Computernutzung war immer noch geprägt von der Ideologie der Interaktivität, von der Vorstellung, dass »Menschen und Maschinen [...] gleichrangige

Kommunikationspartner« seien, »was einzig und allein auf der simplen Fähigkeit der Maschine beruht, menschlichen Input aufzunehmen und darauf zu reagieren«, 32 wie es Espen Aarseth kritisiert hat. Dass man mit dem World Wide Web ein Mittel an die Hand bekam, um tatsächlich aktiv zu werden und einen Informationsraum zu gestalten, stellte eine grundlegende Veränderung im Verhältnis zum Computer dar und bedurfte intensiver Vermittlung: »Die Leute dazu zu bewegen, ihre Daten ins Web zu stellen, war häufig eine Frage des Perspektivenwechsels: weg von der Vorstellung eines Benutzerzugriffs als Interaktion mit beispielsweise einem Onlinesystem und hin zu einer Vorstellung von Navigation durch einen Satz virtueller Seiten in einem abstrakten Raum. In diesem Konzept konnten Benutzer an jeder Stelle ein Lesezeichen setzen und zu diesem zurückkehren, und sie konnten Verknüpfungen zu beliebigen Stellen in anderen Dokumenten herstellen. Dies würde ein Gefühl der Beständigkeit vermitteln, einer stabilen Existenz jeder Seite. Es würde Menschen auch erlauben, jene mentale Anlage zu benutzen, die für die Erinnerung an Plätze und Routen angeboren ist. Wenn die Möglichkeit bestünde, auf alles gleich leicht zu verweisen, könnte das Web auch Assoziationen zwischen Dingen repräsentieren, die scheinbar ohne Beziehung sind, aber aus irgendeinem Grund trotzdem eine Beziehung zueinander haben.« 33

Genau in diesem Sinne funktionierte die Trojan-Room-CoffeeMachine als epistemologische Metapher. Anders als eine klassische Anwendungssoftware, die sich als millionenfach reproduzierbare

Oberfläche auf jedem Computer der Welt befinden könnte, war die Seite mit der Webcam eine distinkte Adresse, ein bestimmter Ort, auf den man hinweisen und zu dem man sich bewegen konnte. Und sie zeichnete alles das aus, was Berners-Lee versuchte, abstrakt zu erklären: Man konnte ein Lesezeichen setzen |29|und zu ihr zurückkehren, man konnte eine Verknüpfung zu ihr herstellen, denn sie war beständig; jedes Mal, wenn man selbst dem CampPhänomen frönen oder andere daran teilhaben lassen wollte, zeigte sie zuverlässig ihr Bild und verifizierte somit die Geschichte des Kultes. Die Trojan-Room-Coffee-Machine war etwas, an das man sich erinnern konnte, wenn man an das Web dachte, sie war ein besonderer Platz, eine kuriose Wegmarke in der »mental map« vom Internet, die im Bewusstsein seiner Nutzer gezeichnet wurde.

2. Den Weg frei napalmen

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Der Doom-Shareware-Download, 1993 Die Dallas Morning News war perplex: »id Software hat keine Marketing-Abteilung, keine Vertriebsbüros, keine Armee von Vertretern. Nur Computer und Telefone. Indem sie diese kombiniert hat, schickte die Firma aus Mesquite eine Schockwelle durch den Cyberspace. Sie hat ein Computerspiel geschaffen, das Experten in Erstaunen versetzt und Spieler sehnsüchtig warten lässt. Und um diesen Erfolg zu sichern, verschenkt id das Spiel.« 34

Die Aufmerksamkeit der Zeitung kam etwas verspätet, das Spiel war schon sechs Monate vorher veröffentlicht worden. Einer von ids Managern, Jay Wilbur, hatte im Herbst 1993 versucht, klassische Pressearbeit zu machen, und Zeitungen, Hörfunk und Fernsehen auf das Produkt aufmerksam zu machen, allerdings ohne Erfolg. Statt weiter seine Zeit zu verschwenden, konzentrierte er sich verstärkt auf die Methode, mit der id Software schon bei vorherigen Spielen Erfolg gehabt hatte: Shareware – das, was die Dallas Morning News später als »Verschenken« bezeichnen würde. 1980 hatte der Herausgeber des PC World Magazins, Andrew Fluegelman, ein Programm namens PC Talk geschrieben und als

das »ökonomische Experiment« Shareware, wie er es nannte, veröffentlicht. Jeder konnte es kostenlos im Internet herunterladen und benutzen. Ihm war jedoch eine Notiz von Fluegelman beigefügt, in der er darauf hinwies, dass man ihm bei Gefallen Geld schicken könnte. Was auch ausgiebig praktiziert wurde, so dass er Leute einstellen musste, um die Schecks zu bearbeiten. Sehr schnell folgten andere dem Beispiel, und es entstand ein Wirtschaftszweig mit einem geschätzten Umsatz zwischen zehn und zwanzig Millionen US-Dollar und Stars wie Robert Wallace, Autor des weit verbreiteten Textverarbeitungsprogramms PC-Write. Selbst ein konservatives Wirtschaftsblatt wie Forbes konnte 1988 nicht anders, als diese Praxis zu empfehlen: »Wenn |32|das für Sie nicht nach einem sehr vernünftigen Weg klingt, ein Geschäft aufzubauen, sollten Sie noch mal nachdenken.« 35 Id Software hatte dieses Konzept in Zusammenarbeit mit Scott Miller von der Softwarevertriebsfirma Apogee modifiziert. Statt das gesamte Spiel herauszugeben, machten sie nur die ersten fünfzehn Level frei verfügbar und verkauften die restlichen dreißig direkt auf Bestellung – »dasselbe ingeniöse Marketingschema, das von Drogendealern verwendet wird, um eine loyale Klientel aufzubauen«, 36 merkte das Magazin Wired an, und auch David Kushner kommt in seinem Buch Masters of Doom zu diesem Schluss: »id nahm das Shareware Phänomen und verwandelte es in ein Rezept für Sucht.« 37 Auf diese Weise machte ids erstes Spiel Commander Keen schon einen Umsatz von 30.000 Dollar im

Monat, und das zweite, Wolfenstein 3-D, brachte es auf 100.000 Dollar monatlich. Das alles ohne Werbung oder Zwischenhändler, nur aufgrund der kostenlosen Bereitstellung in so genannten »Bulletin Board Systems«, mit denen Privatcomputer über das Telefonnetz miteinander verbunden werden konnten, um Software auszutauschen und darüber zu diskutieren. Bevor das World Wide Web existierte, war dies einer der Hauptkommunikationswege der Computerkultur. Ids Gründer – John Carmack und John Romero – hatten ihre Ausbildung im Programmieren mittels eben dieser Bulletin Board Systems erhalten und nutzten es jetzt weiter zu ihrem Vorteil. Aufgrund der Reputation – um ein neutraleres Wort für Abhängigkeit zu verwenden –, die sich id Software mit seinen vorherigen Spielen erarbeitet hatte, verbreitete sich bei ihrem neuen Spiel Doom schon die bloße Ankündigung, dass es dies nun geben würde, bereits so lauffeuerartig, wie es vorher die SharewareProgramme getan hatten. Jay Wilbur heizte diese Erwartungen an, als keines von den traditionellen Medien auf seine PR-Bemühungen eingehen wollte: Er richtete eine gebührenfreie Telefonnummer ein, unter der man Bestellungen aufgeben konnte, er verabredete mit Softwarehändlern, dass sie keinerlei Zahlungen an id leisten müssten, wenn sie Disketten mit Doom in ihrem Laden verkauften, und er speiste die Information, dass man die Shareware-Version von Doom in den nächsten Wochen kostenfrei im Netz herunterladen könne, in die Informationskanäle der Bulletin Board

Systems und Newsgroups. Innerhalb von kürzester Zeit erreichten ihn unzählige E-Mails mit Nachfragen zu dem neuen Spiel. Die Strategie der Mund-zu-Mund-Propaganda funktionierte so gut, dass id Gefahr lief, genau daran zu scheitern. Die Erwartungen und die Ungeduld wurden so groß, dass sie in Unmut umzuschlagen drohten, als id Doom |33|nicht kurz nach der Bekanntgabe, dass es irgendwann veröffentlicht werden würde, schon auslieferte: »Immer wieder riefen Spieler im Büro an und hinterließen Nachrichten wie ›Ist es endlich fertig?‹ oder ›Beeilt Euch, Wichser!‹. Andere zeigten id ihre Verachtung, weil sie den versprochenen Veröffentlichungstermin im dritten Quartal 1993 nicht einhalten konnten. ›Vor ein paar Monaten habt Ihr hier einen Posting-Hype wegen Doom gestartet‹, schrieb ein Spieler in einer Newsgroup. ›Ihr habt uns aufgestachelt, unsere Vorfreude, wie großartig Doom sein wird, in den Himmel zu schrauben. Und Ihr habt einer Menge Leute erzählt, dass es im dritten Quartal 93 rauskommen würde. Jetzt wird diese ganze Erwartung in einer massiven Salve von Angriffen und Beschimpfungen gegen id entladen werden‹.« 38

Es gab aber auch wohlwollendere Verarbeitungen dieser

Anspannung. Der Spieler Hank Leukart schrieb zum Beispiel ein Gedicht, das er im Netz veröffentlichte. Seine Parodie des populären amerikanischen Gedichts The Night Before Christmas erzählt von der Erwartungshaltung, den überlasteten Internetforen, in denen über Doom diskutiert wurde, von den technischen Vorbereitungen, die für das Programm unternommen wurden, und von der trotz allem immensen Popularität der id-Leute: »Die Nacht vor Doom Es war die Nacht vor Doom, und im ganzen Haus War’n meine Multi-Player-Netzwerke aufgebaut, jedes mit ’ner Maus. Die Netzwerke waren aufgestellt mit besonderer Müh’ In der Hoffnung, dass Doom würde da sein in der Früh’ Im Bett eingekuschelt alle Kinder schliefen, während Dämonen tänzelnd durch ihre Träume liefen. Mein Computerprozessor war kaum noch zu schlagen, Mann, war ich froh, den 486er zu haben. Als ein Usenet Posting draußen im Internet ankam, loggt’ ich mich schnell ein, war bestimmt kein Spam. Wie ein Windhund raste ich zum News Reader, ›Oh nein‹, schrie ich! Er war überlastet, schon wieder! Frustriert, ratlos, völlig zerstört, schaute ich zum Fenster, weil ich da was gehört. Im Blickfeld erschienen, hat mich sehr gewundert, Sechs pfeilschnelle Autos mit Tempo Hundert. Vorneweg ein Heißsporn, mit großem Hallo. Ich wusste sofort: das war John Romero. [...]

Auf dem Rücken trug er das Doom-Gut, Er sah aus wie ein Händler, als er es ablud[...].« 39

|34|Wie um diesem Weihnachtsthema gerecht zu werden, verkündete Jay Wilbur schließlich am 9. Dezember im Netz, dass die Shareware-Version von Doom am folgenden Tag um Mitternacht vom FTP-Server der Universität von Wisconsin heruntergeladen werden könnte. »Der Plan war, dass id die Shareware an einem Punkt zur Verfügung stellen würde, damit die Spieler sie herunterladen und über die ganze Welt verbreiten konnten. Von wegen kostenintensiver Vertrieb! Die Spieler würden die ganze Arbeit für id machen«. 40 Aber wie schon bei der VorabPromotion stand dieser Strategie ihr immenser Erfolg im Weg. Als Jay Wilbur am 10. Dezember die Datei hochladen wollte, bekam er keinen Zugang. Der FTP-Server der Universität erlaubte nur 125 Usern gleichzeitig eingeloggt zu sein. 125 Spieler warteten bereits sehnsüchtig darauf, das Spiel herunterzuladen, und ließen für id keinen Platz mehr. Wilbur telefonierte mit dem Administrator David Datta in Wisconsin, und der verabredete mit ihm, dass er die Benutzerkapazität des Servers erhöhen würde, damit id sich einloggen konnte. Doch im selben Moment, in dem die Zahl hochgesetzt wurde, war die Kapazität schon wieder erschöpft. Eine solch große Menge an Spielern versuchte Zugang zum Server zu bekommen, dass alle Plätze sofort belegt wurden, die zur Verfügung standen. »Es war, als ob sich tausend Menschen vor dem

Ticketschalter eines [Rockk]onzerts drängten und damit dem einzigen, der den Schalter öffnen konnte, den Weg versperrten«, 41 beschrieb J. C. Herz die damalige Situation. In den angeschlossenen Chatrooms musste Jay Wilbur die Spieler davon überzeugen, sich nicht mehr für Doom »anzustellen«, damit er es hochladen konnte und sie es damit bekommen konnten. Schließlich machten sie den Weg frei und die Datei wurde gesendet. Diese Disziplin hielt jedoch nicht lang vor. Kaum war der Upload abgeschlossen, »überfluteten zehntausend Spieler die Seite. Das Gewicht ihrer Download-Anfragen war zu groß. Das Computernetzwerk der Universität von Wisconsin sträubte sich dagegen. David Dattas Computer brach zusammen. ›Um Gottes willen‹, stammelte er über das Telefon. ›Ich habe noch niemals so etwas gesehen.‹ Und die Welt auch noch nicht.« 42 Es hatten jedoch schon genug Leute das Spiel heruntergeladen, um es an Freunde und Bekannte weiterzugeben, und so breitete es sich mit unglaublicher Geschwindigkeit aus. Innerhalb kürzester Zeit war es auf den Konten der AOL-Server angekommen, wo sich in derselben Nacht bereits »Mob-Szenen« 43 abspielten, wie es Games-Forum-Betreuerin Debbie Rogers ausdrückte. »Wären wir alle nicht auf verschiedenen Seiten einer Telefonleitung gewesen, hätte es körperliche Schäden gegeben«, 44 erinnert sie |35|sich. Und nur wenige Stunden nach dem Upload brach das ComputerNetzwerk der Carnegie-Mellon-Universität zusammen, weil so viele Spieler sich nach dem Download zusammengetan hatten und im

Mehrspieler-Modus über das Netzwerk Doom gegeneinander spielten. Der dortige System-Administrator musste eine Anweisung herausgeben, die das Doom-Spielen untersagte: »Nach dem heutigen Erscheinen von Doom mussten wir feststellen, dass es das Campus-Netzwerk zum Erliegen bringt. [...] Die Computer-Abteilung muss darum bitten, dass alle Doom-Spieler Doom nicht im Netzwerk-Modus spielen. Die Benutzung von Doom im Netzwerk-Modus verursacht einen erheblichen Leistungsabfall des Netzwerkes, das ohnehin gerade durch die Examenszeit eine Spitzenbelastung erfährt. Wir sind gezwungen, alle Computer, mit denen Doom über das Netzwerk gespielt werden, abzuschalten.« 45

Es war so wie in Neal Stephensons Roman Snow Crash, wo das »Metaverse« – eine computergenerierte Welt, in die man sich einwählen kann, um sich mit einem Avatar in ihr zu bewegen – missbraucht wird, um eine angebliche Droge zu verbreiten, das titelgebende »Snow Crash«. Tatsächlich handelt es sich um eine »Nam-shub«, ein neurolinguistisches Virus, das, wenn es seine »riesige Informationsmenge in binärer Form abgespielt« 46 hat, auf die Tiefenstrukturen des Gehirns von Hackern einwirkt und dort zu einem Systemabsturz führt: »Erinnern Sie sich noch, wie Sie das erstemal einen Binärcode gelernt haben? [...] Sie haben Pfade in Ihrem Gehirn geformt. Tiefenstrukturen. Ihren Nerven wachsen neue Verbindungen, während Sie sie benutzen – die Achsenzylinderfortsätze splitten und

drängen sich zwischen die sich teilenden Glialzellen – Ihre Bioware modifiziert sich selbst – die Software wird Teil der Hardware. Daher sind Sie jetzt – wie alle Hacker – anfällig für eine Nam-shub.« 47

Dooms Erfolg in der nicht-fiktiven Welt war allerdings nicht nur auf Hacker mit Programmierfähigkeiten beschränkt, er war viel umfassender: »Es gibt wahrscheinlich keinen Computer mehr auf dem Planeten, sei es zuhause, im Büro oder an den Universitäten, auf dem nicht zu irgendeinem Zeitpunkt eine Kopie von Doom installiert gewesen ist.« Damit hält es, zumindest nach Meinung der Autoren des Keynote Entrepreneur-Magazins, »den erstaunlichen Titel des am meisten installierten Software-Programms aller Zeiten.« 48 Mit einem Schlag brachte das Spiel die vorhandene Technik zum damaligen Zeitpunkt an ihre Grenzen. Nicht nur die Server und Datenleitungen der Universitäten und der gerade entstehenden Internet-Provider, sondern |36|auch die PCs, die sich gerade erst in Privathaushalten flächendeckend ausbreiteten. Plötzlich war die Größe des Arbeitsspeichers wichtig, die Leistungsfähigkeit des Prozessors, die Fähigkeit der Grafikkarte – Faktoren, die bis dahin noch nicht einmal für Textverarbeitung als avancierteste Softwareanwendung mit grafischer Benutzeroberfläche entscheidend gewesen waren – und bis heute sind, wie es David Kushner in Wired erklärt hat: »Als er uns ins Zeitalter der 3D-Beschleunigung führte […] hat John

Carmack nicht weniger als die gesamte Grafikkarten-Industrie erfunden, die momentan von Nvidia dominiert wird. Heutzutage, wo sehr wenige Anwendungen die Kapazitäten eines 500-Dollar-PCs ausreizen, schreibt Carmack Programme, die High-End-Systeme benötigen.« 49

So zitiert er den Chefentwickler von Nvidia, der Carmacks Spiele als »Verkünder der Technik, die auf uns zukommt«, beschreibt. 50 Wenn überhaupt, dann tauchen Computerspiele und speziell Ego-Shooter wie Doom im öffentlichen Kontext nur als Amokläufer-Trainingsgeräte auf. Ihnen werden fast magische Fähigkeiten zugesprochen, mit ihren Bildern und ihren Interaktionsmöglichkeiten Moralvorstellungen oder gar Gehirnstrukturen zu verändern. Das sei dahingestellt. Worüber allerdings nicht gesprochen wird, ist ein anderer Effekt von Computerspielen, der sehr real und überprüfbar ist: Ohne Computerspiele gäbe es wohl keine flächendeckende Verbreitung von PCs, ihre Leistungsfähigkeit hätte sich nicht dahingehend entwickelt, dass heute jeder ohne besondere Kenntnisse und ohne jeden Aufwand Videoaufnahmen auf seinen Computer überspielen, schneiden und als DVDs brennen kann, und Zubehör wie CDRoms oder Festplatten wären wohl nur für Spezialisten erschwinglich. Die Nachfrage nach Heimcomputern ging in den achtziger Jahren von Kindern und Jugendlichen aus, die Pac-Man, Donkey Kong oder Space Invaders zuhause spielen und nicht mehr Geld in Automaten stecken wollten. Nicht nur das, auf

Computern waren Spiele möglich, die auf Automaten niemals erfolgreich gewesen wären, weil sie zuviel Zeit erforderten, Adventures wie Zork, Wirtschaftssimulationen wie Elite oder komplexe Puzzles wie Impossible Mission. »Ich glaube, dass es auf der Welt einen Bedarf von vielleicht fünf Computern geben wird«, soll IBM-Chef Thomas J. Watson 1943 verkündet haben. Mit Millionen von Computerspielern hatte er nicht gerechnet. Und so nahmen Firmen immer mehr Geld mit Computern ein, was die Herstellungskosten immer weiter senkte, so dass sich von den billigeren Computer noch mehr verkauften, was noch mehr Geld einbrachte. Innerhalb |37|weniger Jahre waren die Haushalte der westlichen Welt computerifiziert. Wer heutzutage Artikel über die kulturzerrüttende Wirkung von Computerspielen mit Word auf seinem PC verfasst, kann das nur tun, weil Computerspiele ihm das ermöglicht haben. Vielleicht wäre es dabei geblieben, dass jedermann Heimcomputer wie den Commodore 64 oder den ersten IBM PC besäße und sich auf Dauer an den zweidimensionalen Plattformoder Space Shooter-Games sattgesehen hätte. Vielleicht wäre die »Silizium-Revolution« nach ihrem erfolgreichen Beginn im Sande verlaufen, hätte es nicht John Carmack und John Romero gegeben, die begannen, die Grenzen des Mediums auszuloten und sie zu überschreiten. »Doom hat den Weg für alles Weitere frei genapalmt«, resümiert David Kushner mit einer dem Spiel angepassten Metapher. 51 Ähnlich wie die Einführung der

Zentralperspektive in der Renaissance die kartesianische Wende im Weltbild des Menschen unterstützte, vermittelte Doom mit seiner 3D-Grafik und der Ego-Perspektive das Gefühl, sich jetzt in einer Computerwelt zu befinden, hinter deren Horizont es immer weitergehen konnte. Spiele trieben von nun an die technische Leistungsfähigkeit von Computern unerbittlich voran, erforderten immer mehr technische Raffinesse und verfeinerten die Interaktionsmöglichkeiten hin zur intuitiven Verschmelzung. Davon profitierten nicht zuletzt auch nicht-spielerische Anwendungen wie Windows oder Word, auch die Navigation im Internet lässt sich auf Spielprinzipien zurückführen. »Irgendwann leben wir alle in ids Welt – wenn wir unsere Textverarbeitung und Telekommunikation in Umgebungen betreiben, die wir ebenso John Carmack wie Bill Gates verdanken«, mutmaßte Wired 1996 und hat Recht behalten. 52 Marc Laidlaw weist im selben Artikel auch noch auf einen anderen Aspekt von Doom hin. Nicht nur, dass Doom mittels des Internets erfolgreich war, weil es so ingeniös verbreitet wurde, es machte auch das Internet selbst erfolgreich, indem es als erste Software Menschen miteinander im Netz agieren ließ. Die Mehrspieler-Funktion, die in Doom eingebaut wurde, und die es möglich machte, per Datenfernübertragung gegen andere Spieler anzutreten, wurde immens populär. Was heute beim berüchtigten Counterstrike oder beim im Feuilleton so erfolgreichen World of Warcraft zu beobachten ist, dass nämlich Parallelgesellschaften mit

eigenen Verfassungen und sogar Ökonomien entstehen, das hat seinen Ursprung in dieser Zusatzfunktion von Doom, die fast nebenbei erreichte, woran Großkonzerne seit Jahren arbeiteten. »Der Traum von einem funktionsfähigen Cyberspace hat die Major Players von Bell Labs, über Microsoft, AOL bis Dreamworks |38|verzaubert«, schreibt Laidlaw und berichtet von den riesigen Teams und den Millionen von Dollars, die zur Lösung dieses Problems eingesetzt werden. »Bei id hat eine Handvoll Programmierer diesen Traum in einem Actionspiel verwirklicht, dessen einfach zu hackende Software dafür sorgt, dass die Cyberspace Revolution nicht von einigen konkurrierenden Konzernen bestimmt wird. Sie wird von Computerspielern gemacht. Kindern. Einer Masse von Kindern.« 53

Denn nicht nur, dass die Doom-Spieler miteinander spielten und sich so austauschten, sie begannen auch mit dem Spiel zu spielen. Indem sie den Programmcode manipulierten, schufen sie eigene Versionen des Spiels, eigene Visionen eines Cyberspace, die dann im Internet für andere zur Verfügung gestellt wurden. Erfahrungen mit Popkultur führten zu Star Warsoder Alien-Adaptionen, reale Umgebungen wie das Holzmindener Campe-Gymnasium wurden nachgebaut, eigene Phantasien konnten zum Ausdruck gebracht werden, die wohl niemals in Büchern, Filmen oder Gemälden der Welt präsentiert worden wären. Und wer keinen Sinn für solch künstlerische Betätigung hatte, programmierte Anwendungsprogramme für die anderen, mit denen auch ohne Programmierkenntnisse solche Veränderungen am Spiel

vorgenommen werden konnten. Es entstand eine Kultur um Doom mit Stars, mit Fangruppen, mit Dienstleistern – eine selbstregulierte Öffentlichkeit im Internet. Und das war genau im Sinne von John Carmack, der in einem Interview bekannte, kein abgeschlossenes »Werk« produzieren zu wollen, sondern einen Möglichkeitsraum: »Wenn ich ein Spiel schreibe, dann erzähle ich keine Geschichte. Ich kreiere eine Umgebung, in der interessante Dinge passieren können«. 54 Eine Umgebung, die längst auf dem Weg ist, die Visionen aus Gibsons Neuromancer oder Stephensons Snow Crash Realität werden zu lassen.

3. T-Model des Netzsurfens

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Der Netscape-Börsengang, 1995 In seinem nostalgischen Bericht Wie wir waren über die »wilden Jahre der Web-Generation« erinnert sich der Journalist Constantin Gillies an die Euphorie der späten neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts, an die spektakulären Auftritte von Firmen-Gründern wie Amazons Jeff Bezos oder eBays Pierre Omidyar: »Vorbei waren die Zeiten, in denen die Chefs nur einmal im Jahr zur Hauptversammlung ihren Management-Olymp verließen, die Bilanz herunterratterten und sich dann wieder in ihre nussbaumfurnierten Büros zurückzogen. Nein, mit der Wildwirtschaft waren die Masters of the Universe aus Tom Wolfes Fegefeuer der Eitelkeiten herabgestiegen und weilten unter uns. Der Unternehmer war plötzlich ein Star geworden, ein Idol, ein Vorbild. Und das lag nicht daran, dass die Gründer ihre Krawatte abgelegt hatten. Wir bewunderten, wie sie aus dem Nichts und gegen viele Regeln etwas Neues geschaffen hatten. Sie waren der lebende Beweis dafür, dass wirklich alles möglich war.« 55

Sein Buch strotzt vor absurder Geschichten, wie etwa der von Cybergene, einer Schmiede für virtuelle Charaktere, in der schon mal 200.000 DM in die Bearbeitung eines Auftrags gesteckt wurden, nur um danach festzustellen, dass niemand einen Vertrag unterschrieben hatte. Oder von Gratis-Solarium.de, wo man sich

kostenlos bräunen lassen konnte, wenn einen die Webcam in der Kabine nicht störte. Auch von Snacker wird erzählt, der Seite, auf der man umständlich seine Pizza beim Bringdienst um die Ecke bestellen konnte, um nicht die zeit- und kostengünstigere Variante des Direktkontakts wählen zu müssen. Er weiß von der Sekretärin zu berichten, die »Iko aus Moers« notierte, als es um E-Commerce ging, und vom Hamburger Politiker Ole von Beust, der an der Haustür fragte, ob er hier richtig beim Internet sei. Ökonomie war zum damaligen Zeitpunkt eine |42|Sache der Jungen, der Eingeweihten, derjenigen, die wie einst die Hippies in den Sechzigern »tuned in« waren. Passend zu dieser Wildwirtschaft änderte sich auch der Stil des Arbeitens. Neben Billardtischen, Flippern und immervollen ColaKühlschränken in den Büros gab es auch eine Rundumversorgung der Mitarbeiter in allen sozialen Belangen, »um das Gefühl von Zugehörigkeit zu vermitteln, davon, sich auf einer Mission zu befinden«, 56 wie es in einem ähnlich retrospektiven Forbes-Artikel heißt. In der dort beschriebenen Firma gab es für alles und jeden Diskussionsgruppen, für Radfahrer, Homosexuelle oder Biertrinker, es gab sogar ein vom Geschäftsführer autorisiertes Forum, in dem man über die eigene Firma herziehen konnte. »Man musste den Arbeitsplatz überhaupt nicht mehr verlassen, um ein erfülltes Leben zu haben«, erinnert sich die ehemalige New-Economy-Angestellte Beatrice Hildreth. »Jeder dort war intelligent, man kümmerte sich um alle anderen, und wir waren darauf aus, die Welt zu verändern«,

erzählt sie Quentin Hardy von Forbes. Ihr Mann Rich geht noch weiter, ihm zufolge hatten sie Erfolg mit ihrer Mission: »Wir haben die Art und Weise verändert, wie die Welt kommuniziert. Das war religiöser Eifer.« Irgendwo anders in den USA stimmt Chris Lamey zu: »Es war eine so gute Idee, ein einleuchtendes Konzept, das Informationen demokratisieren und sie überall hinbringen sollte. Ich wusste, dass ich dabei sein musste.« 57 Die fragliche Firma, bei der die Hildreths und Lamey diese Erweckungserlebnisse hatten, hieß Netscape, Start-Up-Firma der ersten Stunde und, wie heute in unzähligen Artikeln zu lesen ist, verantwortlich dafür, dass Gillies und andere ihre schönen Anekdoten überhaupt erzählen können. Nicht nur das, für das Magazin Fortune fing das Internet selbst erst mit Netscape an: »Stellen Sie sich eine Welt ohne Google vor, ohne eBay oder Amazon oder Breitbandverbindungen, wo nur ganz wenige Menschen jemals die Abkürzung IPO [für Initial Public Offering] gehört haben. Das war die Realität und es ist erst zehn Jahre her. Die brillante Initialzündung, mit der alles losging, mit der wir ins InternetZeitalter geschossen wurden, war Netscape.« 58

Netscape stellte ein einziges Produkt her, den Browser namens Navigator. Und weil man dazu neigt, die äußere Erscheinung von etwas für das Ding selbst zu halten, war der Navigator für viele Menschen gleichbedeutend mit dem Internet. So wie das Desktop von Windows mit dem Computer gleichgesetzt wird – was oft dazu

führt, dass man Nutzern nur die neueste Version des Betriebssystems installieren muss und sie dann das Gefühl haben, |43|neue Hardware zu besitzen. So wie ein Text, der in einem renommierten Verlag erscheint, als hohe Literatur angesehen wird, so wie der Moderator der erfolgreichsten Quizsendung im Fernsehen in Umfragen als klügster Mann des Landes gilt. Tim Berners-Lee war über diese Ineinssetzung seines World Wide Webs mit einem bestimmten Browser nicht glücklich. Schon bei Navigators Vorgängerversion Mosaic, die noch vor Netscapes Gründung am National Center for Supercomputing Applications (NCSA) der Universität von Illinois entwickelt worden war, beklagte er sich über die verengte Wahrnehmung der Medien: »[D]ie New York Times [hatte] einen Artikel mit einem Foto gebracht, auf dem [Mitarbeiter des NCSA] abgebildet waren, während sie nebeneinander vor Terminals saßen, auf denen der Browser Mosaic gezeigt wurde. Und wieder lag die Betonung auf Mosaic, als wenn der Browser das Web sei. Andere Browser wurden kaum erwähnt und auch nicht die Bemühungen der restlichen Welt, Server einzurichten. Die Medien nahmen sich nicht die Zeit, gründlicher nachzuforschen und begannen, Mosaic als gleichbedeutend mit dem Web darzustellen.« 59

Aber trotz des berechtigten Verdachts, dass Medienberichterstattung niemals komplexe Zusammenhänge darstellen kann, sondern sich auf herausragende Einzelheiten beschränkt, gab es auch Gründe dafür, sich auf Mosaic und den

Navigator zu kaprizieren: Sie waren de facto der Standard, wenn es darum ging, das Internet zu benutzen, sie waren die meistinstallierte Software und insofern die Verkörperung des Internet. »[Es] ließ sich leicht herunterladen und installieren, und es war keine lange Einarbeitungszeit erforderlich, bis ich einen Pointand-Click-Zugriff auf das Web hatte. Wegen dieser Eigenschaften wurde Mosaic wesentlich schneller akzeptiert als die anderen Browser«, gibt Berners-Lee im Nachhinein zu. 60 Marc Andreessen, der als Student am NCSA Mosaic programmiert hatte, konnte mit den hehren Forschungsinteressen seines Professors David Thompson oder derer Berners-Lees nichts anfangen. Er wollte kein akademisches Programm entwickeln, sondern einen Gegenstand, den so viele Menschen wie möglich benutzen wollten und konnten. Statt einsam und genialisch an einer eigenen Vision zu arbeiten, diskutierte er eifrig in allen Newsgroups mit, in denen die Hacker der Welt das World Wide Web erörterten. So bekam er heraus, was für Funktionen erwünscht waren und was als überflüssig betrachtet wurde. Beinahe bewundernd schildert Berners-Lee diesen demokratischen Eifer: |44|»Er baute diese Funktionen in seinen Browser im Entwicklungsstadium ein und veröffentlichte immer weitere Versionen, damit andere diese ausprobieren konnten. Er beschäftigte sich ausführlich mit Kritik, beinahe so, als hätte er es mit ›Kundenbeziehungen‹ zu tun. Durch riesige Mengen von Espresso angetrieben, behob er Fehler und fügte spät in der Nacht, in Reaktion

auf die Rückmeldungen von Benutzern, kleine Funktionen zum Browser hinzu.« 61

Andreessen verstand sich als Dienstleister, nicht als Produzent, eine Philosophie, die auch die spätere Firma Netscape definieren sollte. Die Benutzerfreundlichkeit des Browsers war aber nur dafür verantwortlich, dass ihn die Menschen langfristig auf ihrer Festplatte behielten. Überhaupt erst verbreiten konnten sich Mosaic und der Navigator über den ökonomischen Trick, den zwei Jahre vorher id-Software mit seinem Doom angewandt hatte: Die Programme wurden kostenlos herausgegeben. Hätte man Geld ausgeben müssen, um den demokratischen, benutzerfreundlichen und idiotensicheren Browser zu erwerben, dann hätte man das alles als PR-Gewäsch abtun können und sich lieber mit vertrauten Medien wie Post, Telefon und Fernsehen begnügt. So aber war die Schwelle äußerst niedrig, es einfach auszuprobieren. Um dann das Demokratische und die Benutzerfreundlichkeit dieses »T-Models des Netzsurfens« 62 tatsächlich zu erleben. Als Netscape, gegründet 1994 von Marc Andreessen und Jim Clark, im August 1995 an die Börse ging, widersprach das allen Gesetzen des kapitalistischen Systems. Die Firma war erst wenige Monate alt, so dass überhaupt keine Prognosen aufgrund vergangener Entwicklungen gemacht werden konnten. Ihr Produkt war nicht nur nicht materiell greifbar, es wurde sogar verschenkt. Zwar gab es einen Geschäftsumsatz von 16 Millionen Dollar, der

mit Werbung auf der Internetseite von Netscape und mit Dienstleistungen für Unternehmen gemacht wurde, damit diese ihren Internetauftritt per Navigator gestalten konnten, aber mit den Kosten für zweihundert Mitarbeiter dagegen gerechnet gab es keinerlei Gewinn. Zudem war das Internet zum damaligen Zeitpunkt nichts, was mit kommerzieller Betätigung in Verbindung gebracht werden konnte – IBM persiflierte diese Stimmung später in ihrem berühmten Werbespot, worin ein Manager dem anderen aus der Zeitung vorliest, dass sie ins Internet müssten, aber nicht drin stünde, warum eigentlich. Als am 9. August 1995 das IPO, das Initial Public Offering, anstand und fünf Millionen Netscape-Aktien zu 28 Dollar das Stück ausgegeben wurden, wurden sie trotzdem gekauft. Und zwar so schnell, dass der Preis immer weiter anstieg. Am Ende des Tages war Netscape 4,4 Milliarden Dollar wert, Marc Andreessen |45|selbst durch seinen Anteil 58 Millionen schwer, was sich bis Dezember 1995 noch verdreifachen sollte. 63 Ginge es nur um die schiere Größe dieses Börsengangs, wäre Netscape kein Ereignis. Die Tatsache, am größten zu sein, bleibt Tagesnotiz und zieht seine Bedeutung genau daraus, demnächst vom Nächstgrößeren abgelöst zu werden. Dass aber zehn Jahre danach in vielen Zeitungen, Zeitschriften und Sendungen das Jubiläum des Börsengangs begangen wird, dass also Berichterstattung über ehemalige Berichterstattung betrieben und somit eine mediale Ausdehnung der Nachricht erreicht wird, zeigt schon an, dass Netscape von übergreifender Bedeutung ist. Die Artikel selbst

streichen das auch heraus. »Vor diesem Tag war das Internet von Investoren als arkanes Medium für Wissenschaftler, ComputerFreaks und Techno-Sonderlinge angesehen worden«, bemerkte beispielsweise Die Welt. »Doch mit dem fulminanten Handelsstart [...] war das Thema Internet auf dem Radarschirm der Börsianer und der Konsumenten.« 64 Und auf Deutsche Welle wurde hinzugefügt, dass »damit [...] die Idee in der Welt [war], dass das Internet eine Art Gelddruckmaschine darstelle und die neue Technik die Weltwirtschaft und das Leben der Menschen überall auf der Welt umkrempeln würde.« 65 Der Börsengang von Netscape war ein im besten Sinne der traditionellen Geschichtsschreibung strukturveränderndes Ereignis. Beziehungsweise überhaupt erst strukturschaffend. Viele investierten in »das Internet«, in seine sicht- und greifbare Verkörperung Netscape Navigator, weil andere es auch taten und noch mehr davon redeten, dass das Internet alles verändern würde. Dadurch schufen sie eigentlich das Internet, indem dieser Boom nämlich dafür sorgte, dass überall Datenleitungen und Server ausgebaut wurden. Für Thomas Friedmann ist das der Grund, Netscape in seine Liste der »zehn größten Flachmacher« aufzunehmen, die Ereignisse, Menschen oder Erfindungen, die alle Hindernisse für die Kommunikation zwischen Menschen beseitigt haben und somit für eine metaphorisch flache Topografie der Welt gesorgt haben: »Netscape hat das Internet mit dem Browser zum Leben erweckt. Sie

haben es so gestaltet, dass sowohl die Großmutter als auch ihre Enkel es benutzen können. Zum Zweiten hat Netscape ein Set von Transfer-Protokollen zu öffentlichem Gut gemacht, so dass keine einzelne Firma das Netz besitzen konnte. Und zum Dritten löste Netscape den Dotcom-Boom aus, der die Dotcom-Blase auslöste, die Trillionen-Dollar-Überinvestitionen in Glasfaserkabel auslöste.« 66

|46|So entstand eine technische Struktur, mit der nach dem Platzen der Blase weitergearbeitet werden konnte und die das Internet in seiner Breitband-Fassung zu einem Alltagsgegenstand werden ließ. Zunächst änderte sich jedoch das Image, das dem Internet wie allen Computeranwendungen noch anhing. »Der Börsengang war so riesig, dass sich die Motivation veränderte. Wir waren plötzlich wie Rock-Stars«, erinnert sich Rich Hildreth an diese Zeit. 67 Die unverständliche technische Struktur bekam plötzlich eine Gestalt, die für Medienberichterstattung kompatibel war. Nun war es möglich, von einzelnen Helden und ihrem kometenhaften Aufstieg zu erzählen. Marc Andreessen wurde zur Galionsfigur und erschien auf der Titelseite von Time, stellvertretend für all die »Golden Geeks« der Schlagzeile, deren seltsame Erscheinung im Untertitel mit einer Mischung aus Befremdung und Ehrfurcht befragt wird: »Sie erfinden. Sie gründen Firmen. Und die Börse hat sie über Nacht zu Millionären gemacht. Wer sind sie? Wie leben sie? Und was bedeuten sie für Amerikas Zukunft?« 68 Passend dazu lümmelt sich Andreessen auf einem thronartigen Stuhl, barfuss, in hochgekrempelten Jeans und Poloshirt, mit unfrisierten Haaren, den

Kopf aufgestützt und herzhaft gähnend. Die Botschaft des Bildes ist klar: Hier hat jemand das Establishment gestürmt, ohne sich anzupassen und die Regeln einzuhalten. Und Time als etablierte Institution ist stellvertretend für seine ebenso zum Establishment gehörenden Leser befremdet ob solcher Respektlosigkeit. Man vergisst bei solchen Inszenierungen jedoch, dass sie in den allermeisten Fällen von der Person hinter der Kamera ausgehen. An Marc Andreessens Time-Titel könnte man über das Gähnen stolpern, das überhaupt nicht zur sonstigen Gesichtsmimik passt und aufgesetzt wirkt. So als hätte der Fotograf ihn dazu aufgefordert. Und wenn man andere Fotos von Marc Andreessen aus der Zeit betrachtet, dann begegnet einem zwar auch das Polo-Shirt, genauso häufig aber auch Krawatte und Anzug sowie ein äußerst ernsthaft agierender Mensch. Natürlich muss Andreessen eingewilligt haben, dass er als respektloser Thronräuber inszeniert wird, aber an dem Bild lässt sich hauptsächlich ablesen, wie die anderen die »Golden Geeks« sehen wollten. Der phänomenale Erfolg von Netscape und allen weiteren »Dotcoms« der Zeit beruhte auf dem Glauben des Establishments und der Öffentlichkeit, hier neue Heilsbringer gefunden zu haben, die ihrer stagnierenden und an Kartellbildung leidenden Wirtschafts- und Kommunikationsstruktur neue Kraft verleihen würden. Mit Andreessen, seinem Browser und dem Börsenerfolg seiner Firma war das Internet endlich auf |47|herkömmliche Weise greifbar geworden. Und nun wollte jedermann endlich Zugriff darauf bekommen.

Der Hype um das Internet breitete sich in allen Medien aus, so umfassend, dass es über den Journalismus hinausging und auch in den langsamer arbeitenden, fiktionalen Formen seinen Niederschlag fand. So dass schließlich auch Homer Simpson, die Karikatur des »Jedermann« der amerikanisierten, westlichen Kultur ins Internet gehen musste. In der Episode »Das Bus/Der blöde UNO-Club« der 1998er Staffel von Die Simpsons beschließt er, es seinem Nachbarn Ned Flanders gleichzutun, der Religionskitsch über das Internet vertreibt, und überschwemmt das Netz mit Werbung für sich als »Internet King« der Firma CompuGlobalHyperMegaNet. Als ihn seine Frau fragt, was diese Firma denn eigentlich mache, antwortet er durchaus typisch für Unternehmer dieser Boom-Zeit: »Diese Industrie wächst so unglaublich schnell, dass ich das gar nicht weiß.« 69 Dennoch ist er so erfolgreich, dass er schließlich die Aufmerksamkeit der wichtigsten Gestalt der Computerindustrie erregt: Microsofts Bill Gates. »Man hat mich auf Ihre InternetWerbung aufmerksam gemacht«, erklärt er Homer, »aber ich kriege einfach nicht raus, was, wenn überhaupt, CompuGlobalHyperMegaNet eigentlich macht. Statt aber das Risiko einzugehen, mit Ihnen in Konkurrenz zu treten, kaufe ich Sie einfach auf.« 70 Woraufhin seine Schergen das Wohnzimmer der Simpsons zertrümmern und Gates verschwindet, ohne irgendetwas gezahlt zu haben. Was in der Serie als satirisch erscheint, ist tatsächlich eine relativ akkurate Darstellung einer Geschäftspraxis Microsofts, die

allgemein als »Embrace and Extend« kolportiert wird, oft noch mit dem Zusatz »Extinguish« versehen. Damit soll ausgedrückt werden, dass Microsoft über die Jahre jede erfolgversprechende Innovation, die von anderen ausgegangen ist, »umarmt« und all seine Kraft darauf verwendet, diese Innovation in ihre bestehenden Windows- und Office-Strukturen einzubauen. Ist dieses geschehen, wird es »ausgeweitet«, das heißt, Microsoft entwirft eigene Erweiterungen und Standards, die mit dem Bestehenden gekoppelt werden. Das geschieht laut Microsoft, um einen Zugewinn an Nutzen für seine Kunden zu erreichen. In den allermeisten Fällen führt es aber dazu, dass die Urheber der Innovation nicht mehr konkurrieren können und durch die quasi-monopolische Marktmacht Microsofts »vernichtet« werden. Das Internet ist der prominenteste Fall für diese Praxis, und die Phrase vom »Embrace und Extend« soll auch in Bezug auf das Internet zum ersten Mal innerhalb der Firma gebraucht worden sein. 1991 war der Programmierer |48|J. Allard angeworben worden, um sich darum zu kümmern, dass Microsoft das Transfer-Protokoll TCP/IP für die Vernetzung des Firmen-Netzwerkes nutzen kann, nur der Vollständigkeit halber, wie Vize-Präsident Steve Ballmer meinte. Die nächsten Jahre blieb er der einzige Mitarbeiter, dessen Aufgabenbeschreibung das Wort Internet enthielt, alle anderen waren damit beschäftigt, Chicago zu kreieren, das Programm, das später als Windows 95 vermarktet werden würde. Niemand brachte Windows und das Internet gedanklich miteinander in

Verbindung. Die Business Week schilderte 1996 in einer InsiderReportage, was dann geschah: »Allard war zunehmend frustriert. Im Netz waren alle verrückt nach Mosaic [...]. Plötzlich gab es ein simples, point-and-click-Format im World Wide Web – für die Allgemeinheit. Am 25. Januar 1994 blies er zum Kampf und schrieb ein Memo mit dem Titel ›Windows: Die nächste Killer-Application für das Internet‹. Er schlug vor, dass man einen Mosaic-ähnlichen Browser entwerfen sollte und TCP/IP in Chicago integrieren sollte [...]. Außerdem prägte er die Formulierung, die [...] später zu Microsofts Schlachtruf werden sollte: ›Umarmen‹ von Internet-Standards und ›Ausweiten‹ von Windows ins Internet. ›Ich konnte es einfach nicht mehr ertragen‹, sagte Allard. ›Ich merkte, dass die Firma es überhaupt nicht kapiert‹.« 71

Das Memo hatte zwar den Effekt, dass innerhalb von Microsoft einige Überlegungen angestellt wurden und sogar Bill Gates einige Memos zum Thema verfasste, aber erst zwanzig Monate später mit dem Börsengang von Netscape wurde daraus eine Hauptpriorität. Die gesamte Wall Street schwenkte um auf den Newcomer, der den Computermarkt zu dominieren begann. Wichtige Analysten wie Goldman, Sachs & Co. strichen Microsoft von ihrer Liste der Aktien, in die man investieren sollte, weil es nichts mit dem Internet zu tun hatte. Jetzt war es höchste Zeit, dass Bill Gates mit seinen Schergen im Wohnzimmer von Marc Andreessen auftauchte, um den »Internet King« zu »umarmen«. Gates berief eine Pressekonferenz ein, die nicht nur zu einer

Legende wurde, sondern die später auch in den Prozessen eine Rolle spielen sollte, in denen Microsoft des unlauteren Wettbewerbs und der Monopol-Bildung angeklagt wurde. Die populäre Version lautet, dass Gates am Morgen des 7. Dezember 1995 vor die Journalisten trat, auf den 45. Jahrestag des japanischen Angriffs auf Pearl Harbor verwies, den japanischen General Yamomoto mit den Worten zitierte »Ich fürchte, wir haben einen schlafenden Riesen geweckt!« und den »Browser-Krieg« ausrief, in dem Netscape mit einer Atombombe namens Internet Explorer ausgelöscht werden würde. Und |49|statt eines »Divide et Impera« früherer Caesaren scholl das unheilschwangere »Embrace and Extend« durch den Raum. Schaut man sich die Rede im Wortlaut an, dann ist von dieser rigorosen Bellizistik nichts zu finden, Gates weist sogar darauf hin, dass er Schwierigkeiten habe, angesichts des Jahrestags irgendwelche Parallelen zu Pearl Harbour zu finden, dass nur Yamomotos Ausspruch auf andere Weise zu den Umständen passe. Sein »Embrace and Extend« bezieht sich nicht auf Netscape sondern auf verschiedene Produkte der Firmen Oracle, Spyglass, Compuserve und Sun, die Microsoft lizenziert habe, um damit Windows Internet-tauglicher zu machen. Aber jede Legende drückt eine Wahrheit aus, und die Wahrheit Jahre nach Netscapes Weckruf und Microsofts radikalem Kurswechsel ist, dass Netscape faktisch nicht mehr existiert und dass der Internet Explorer so mit Windows verwachsen ist, dass er zur

Standardoberfläche des Internets geworden ist. Der Navigator lebt zwar als Open-Source-Code im Netz weiter, wo er vom »MozillaProjekt« mit wieder zunehmendem Erfolg zu immer neuen, freien Browsern weiterverarbeitet wird, aber die Utopie des Start-Ups, das die etablierten Strukturen sprengen würde, crashte zusammen mit der New Economy, die es als Pionier begründet hatte. Mehr noch als der sensationelle Aufstieg ist Netscapes Fall ein Ereignis für das Internet gewesen. Denn dass das Prinzip des Browsers nicht das arkane Rezept eines einzigen Genies war, sondern so einfach von anderen übernommen und in ihr eigenes Angebot integriert werden konnte, machte Netscape zum Märtyrer der Internetverbreitung. Die »Golden Geeks« und insbesondere Marc Andreessen wurden gefeiert, weil sie die Verkörperung des Einzelnutzers waren, der das Medium übernehmen kann. Durch die freie Verbreitung des unkomplizierten Internetzugriffs wurde jedermann zum Geek, zum Benutzer und Gestalter des Internets. Und nachdem diese Mission erfolgreich war, das Internet vollständig angenommen und auf die Bevölkerung verteilt war, mussten folgerichtig auch die »Golden Geeks« als Individuen verschwinden, das Martyrium der Auflösung durch den allgemeinen Zugriff erleiden. Dass danach Microsoft das Quasi-Monopol auf die Oberfläche des Internets erlangte, hat nur damit zu tun, dass Microsoft synonym mit der Oberfläche des Computers ist, zumindest des Computers im alltäglichen Gebrauch. Weil Windows der Computer des Jedermanns ist und weil jedermann das Internet

benutzte und gestaltete, war es ein simpler Syllogismus, dass Windows auch das Internet sein musste.

4. Stratosphärische Zugriffe

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Die Pathfinder-Marsmission, 1997 Schaut man in die Philosophiebücher, dann wird ein Ereignis oft als etwas Plötzliches beschrieben, etwas Unerwartetes, das punktförmig in die Zusammenhänge der Zeitläufte einbricht und nicht durch etwas Vorhergehendes erklärt werden kann. Kirk Goodall ließ sich davon nicht erschüttern. Er und seine Kollegen vom Jet Propulsion Laboratory (JPL) der NASA waren der Meinung, dass das, was am 4. Juli 1997 passieren würde, das Zeug hatte, ein Ereignis zu sein. Beziehungsweise eins zu werden, wenn man denn nur vorbereitet wäre. Kirk Goodall war Internet-Techniker und der Pathfinder-Mission des JPL zugeordnet. Am 2. Dezember 1996 sollte eine Kapsel mit einem Roboterfahrzeug ins All geschossen werden, um sechs Monate später auf dem Mars aufzutreffen und Bilder von nie da gewesener Qualität von der Planetenoberfläche zu senden. Raumfahrttechnisch verlief diese Mission reibungslos, alles wurde perfekt vorbereitet und erarbeitet. Was dagegen immer noch in der Entwicklung war, war das Internet-Angebot der NASA. Und genau hierin sah Web-Master David Dubov im Sommer 1996 ein Problem. Niemand sonst in der Weltraumbehörde hatte bisher den eigenen Webseiten große Aufmerksamkeit geschenkt. Es gab sie, das war in Ordnung, sie waren ein billiges Zusatzangebot, aber dass

man in ihnen einen entscheidenden Faktor im Gesamtbetrieb sehen würde, dafür war das Internet noch viel zu neu und unentwickelt. Als Web-Master hatte David Dubov natürlich eine andere Meinung; er hatte sich allerdings auch die Entwicklung der Zugriffszahlen auf NASA-Seiten während der letzten Missionen angesehen – der Beobachtung der Kometen Hale-Bopp sowie Shoemaker-Levy –, dieses mit der Weiterverbreitung der Computer- und Internettechnik in den Privathaushalten in Verbindung gesetzt und war zu der Überzeugung gekommen, dass das Interesse an der Marsmission alle |52|bisherigen Kapazitäten überschreiten würde. Zuletzt hatten sie zwei Millionen Zugriffe pro Tag verkraften können, er glaubte nun, dass es bis zu 25 Millionen werden könnten. Dubov ging ins Büro seines Vorgesetzten Cheick M. Diarra, zuständig für die gesamte Öffentlichkeitsarbeit des Marsprogramms, und machte unmissverständlich klar: »Wenn Pathfinder auf dem Mars landet, wird die JPL-Seite die Zugriffe nicht verarbeiten können. Was werden wir dagegen tun?« 72 Diarra rief Kirk Goodall an und fragte ihn dasselbe. Er sagte etwas von »Mirror-Sites« und machte sich an die Arbeit. Ohne dass es Dubov und Diarra bewusst war, hatten sie Goodall ans Ziel eines Wunsches gebracht, der zweieinhalb Jahre vorher in ihm entstanden war: Er würde mit verantwortlich sein für die Live-Übertragung einer Mars-Mission. 1995 war Kirk Goodall aus einer Firma in Massachusetts ausgetreten, hatte sich in seinen Datsun Z gesetzt und auf den Weg

nach Kalifornien gemacht. Er war gerade dreißig geworden und wollte noch etwas anderes aus seiner Zukunft machen. »Im Autoradio hörte ich von der ganzen Aufregung über das Internet«, erzählte er später in einem Interview. Mit einem Universitätsabschluss in Aeronautik und Astronautik hatte er zudem von den geplanten Marsmissionen des JPL gehört. Die beiden Informationen arbeiteten zusammen in seinem Kopf: »Als ich so durchs Land fuhr, musste ich ständig über das JPL und den Mars nachdenken [...]. Nachdem ich die kalifornische Grenze überquert hatte, war das JPL mein erster Stopp. [...] Mithilfe meiner Kontakte brauchte ich nur drei Monate, um beim JPL angestellt zu werden, im November 1995. Zuerst hatte ich überhaupt nichts mit den Mars-Missionen zu tun, aber nachdem ich weitere vier Monate lang meine Beziehungen spielen ließ, kam ich schließlich ins Mars Program Office.« 73

Nun sollte er Verantwortung dafür übernehmen, dass das Internet eine Rolle in der Pathfinder-Mission übernehmen konnte. Goodall, Webmaster Dubov und Pathfinders PR-Beauftragter Bob Anderson beschlossen, dass man nicht nur dafür sorgen sollte, das bisherige Web-Angebot der NASA zu gewährleisten, sondern dass man einen Schritt weitergehen und Live-Übertragungen anbieten könnte. Die Air Force, von deren Gelände die Raketen für Mars Global Surveyor und Mars Pathfinder starten würden, sah kein Problem in dieser billigen und unaufwändigen PR-Maßnahme

und ließ Kameras während der Vorbereitungsphase und der Starts zu, deren Bilder auf den JPL-Seiten zu sehen waren. Das Interesse an diesen Übertragungen war noch gemäßigt, es gab jedoch einen sehr wichtigen Zuschauer: NASA-Chef Dan Goldin, der vorher noch |53|nichts von diesen Aktivitäten gehört hatte, nun aber völlig begeistert war. »Ein paar Tage später verkündete er auf einer Pressekonferenz, dass [die NASA] jede Phase der Mars-Mission in Echtzeit im Internet übertragen würde. Das Management im JPL wurde davon völlig überrascht, denn es war überhaupt gar kein Budget dafür vorgesehen.« 74 Aber hier kam Goodalls Konzept von Mirror-Sites zum Tragen, das nicht nur eine Entlastung der NASA-Server und -Leitungen bringen würde, sondern ebenso eine Finanzierung durch andere Quellen außerhalb der Behörde gewährleisten könnte. Mirror-Sites anzulegen, bedeutete, dass auf anderen Servern genau derselbe Inhalt zur Verfügung stehen sollte, der bei der NASA angeboten wurde. Für Internetnutzer würde es somit die Möglichkeit geben, zwischen verschiedenen Web-Adressen zu wählen, um zu sehen, was sie sehen wollten. In großem Maßstab war das aber mit regierungseigenen technischen Einrichtungen nicht zu gewährleisten, man musste auf kommerzielle Institutionen zugehen und mit ihnen kooperieren. Die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit zwischen Regierungsbehörden und der Wirtschaft waren allerdings sehr beschränkt: Keinerlei geheime Informationen durften herausgegeben werden, kein Außenstehender durfte in die

Lage versetzt werden, auf solche Informationen zuzugreifen, keinerlei Rechte an irgendwelchen Inhalten durften verletzt werden. Trotzdem machte sich Goodall daran, einen Vertragstext auszuarbeiten, der diese Zusammenarbeit ermöglichen sollte. Es lief im Wesentlichen darauf hinaus, dass die Mirror-Sites völlig unveränderte Inhalte präsentieren mussten und keinerlei Werbung in irgendeiner Form machen durften. Während die Rechtsabteilung des JPL diesen Text sehr gründlich zu prüfen begann, machte sich Goodall bereits daran, Firmen als Partner zu gewinnen. Die Firmen Silicon Graphics, Sun Microsystems und Digital waren die ersten, die das Potenzial sahen, das in einer solchen Zusammenarbeit steckte. »Sie erkannten alle, dass sie als Teil dieser Sache sehr viel öffentliche Aufmerksamkeit bekommen würden«, 75 erklärte Goodall. Die großen Internet-Provider, die eigentlich das stärkste Interesse an solcher Aufmerksamkeit hätten haben müssen, waren zögerlicher. Schließlich verpflichteten sich AT&T, WorldNet und CompuServe; AOL stieß erst sehr viel später dazu, als der Erfolg des Projekts bereits eingesetzt hatte. Mit diesen großen Partnern, die jeweils zirka zehn Millionen Zugriffe pro Tag verkraften konnten, hatte Goodall genug Kapazitäten gewonnen, um die Live-Übertragung des Ereignisses zu gewährleisten. Einige kleinere Partner stießen |54|noch dazu, auch in anderen Ländern, so dass er am Ende 21 Mirror-Sites zusammen hatte, auf die 87 Millionen Menschen pro Tag zugreifen könnten, ohne dass das Gesamtsystem

zusammenbrechen würde. Es wurde aber auch höchste Zeit, denn der Termin, an dem Pathfinder auf dem Mars aufsetzen würde, rückte immer näher. Trotzdem waren die Probleme noch nicht gelöst. Die Rechtsabteilung stellte sich quer. Im Juni 1997 hatten sie immer noch nicht die Erlaubnis erteilt, dass das Material der JPL-Seiten nach draußen gegeben werden durfte. Als letztes Hindernis hatten sie die Absicht der Firmen erkannt, ihre eigenen Logos auf den Mirror-Sites zu platzieren, um anzuzeigen, dass man sich auf anderen Servern als denen der NASA befand, wenn man die MarsBilder betrachtete. Kirk Goodall war verzweifelt: »Schließlich sagte ich allen: Vergesst doch Eure Logos! Wenn Ihr an Euren Logos festhaltet, werdet Ihr die ganze Sache zerstören. Schmeißt Eure Logos weg und nehmt die amerikanische Flagge.« 76 Nur eine Woche vor der Landung einigten sich alle Seiten und die Verträge wurden unterzeichnet. Das Ereignis konnte stattfinden. Was aber war das Ereignis? Dass die Menschen es zum wiederholten Male schaffen würden, von ihnen gebaute Maschinen auf einen anderen Himmelskörper zu befördern und Bilder auf die Erde zu funken? Das hatte es schon mehrere Male gegeben, die russischen Sonden Venera 3 bis 16 beispielsweise, die von 1966 bis 1983 die Oberfläche der Venus kartografierten, gestört nur von der amerikanischen Pioneer Venus 2, die 1978 fünf Kapseln auf demselben Planeten absetzte. Auch der Mars war bereits besucht

worden, 1976, von Viking 1 und 2, deren Bilder der Marslandschaft der Öffentlichkeit nichts anderes offenbarten als die 1997er Mission. Von Pathfinder als einem singulären Ereignis, von etwas Unvorhergesehenem zu sprechen, wäre somit unangebracht. Kirk Goodall und David Dubov waren ja auch nicht damit beschäftigt. Ihr Interesse galt etwas anderem: dem bis dahin unvorhergesehenen Fall, dass Millionen Menschen gleichzeitig ein neues Medium benutzen wollen würden, um einem solchen Geschehen beizuwohnen. Goodalls Wunsch auf seinem Weg nach Kalifornien war nicht gewesen, dass eine Marslandung stattfinden müsste, sondern dass es Live-Übertragungen im Internet einer solchen Mission geben sollte. Das Medium Internet hatte das Zeug, die größere Botschaft zu werden – um Marshall McLuhan zu bemühen, der auch ergänzt hätte, dass die Marslandung als Inhalt nur das saftige Stück Fleisch ist, »das der Einbrecher mit sich führt, um die Aufmerksamkeit des Wachhundes abzulenken«. 77 |55|Der Vergleich mit dem Apollo-Mondprogramm liegt nahe, bei dem man zunächst sagen würde, dass es sich in die Reihe der großen menschlichen Eroberungstaten einreiht, ein Sich-Erheben des Menschen über seine natürlichen Grenzen, eine geschichtliche Großtat. Es war aber vor allem eine Unternehmung, bei der, wie Eric Barnouw in seiner Fernsehgeschichte schreibt, die daran beteiligte »Industrie« alles daran setzte, sie zum »außergewöhnlichsten Spektakel aller Zeiten« zu machen: »Menschen sollten aus ihrem angestammten Habitat

herausgenommen und als Höhepunkt auf dem Mond abgesetzt werden. Von Anfang an wurde es als eine Fernsehserie konzipiert.« 78 Die Apollo-Kapsel wurde so konstruiert, dass sie jederzeit als Studio fungieren konnte, und schon beim ersten bemannten Flug rund um die Erde sah man als Fernsehzuschauer nicht nur die Erde vom Orbit aus, man erlebte auch die schwerelosen Astronauten Walter Schirra und Donn Eisele, wie sie vor der Kamera herumtollten und Schilder hoch hielten, dass man bitte weiter Postkarten schicken solle. Weihnachten 1968 gab es eine Live-Lesung des 1. Buch Mose von William A. Anders, James Lovell und Frank Borman vor der Kulisse der Mondoberfläche vor dem Raumschifffenster. Im März 1969 unternahm Russell L. Schweickart einen vierzigminütigen »Spaziergang« außerhalb der Kapsel. Und es kulminierte in dem Auftritt Neil Armstrongs, dessen erste Tätigkeit das Ausrichten der Kamera war, bevor er auf den Mond treten durfte, um den vorab geschriebenen Drehbuchtext »Ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein großer Sprung für die Menschheit« sagen zu können. Die Fernsehserie Apollo war damit an ihr Ende gelangt, passenderweise fiel die Übertragungstechnik bei Apollo 12 dann auch aus, sowieso hätte sich kaum jemand für die Zweiten auf dem Mond interessiert. Schon das Urteil der Zeitzeugen fiel dementsprechend aus. Die historische Dimension wurde nicht nur im Geschehen gesehen, sie wurde vor allem in seiner medialen Ereignung erkannt. So kommentierte am Tag nach der Landung die Frankfurter

Allgemeinen Zeitung auf der ersten Seite: »Miterlebt. Das ist also der Tag, der in die Schulbücher, ins historische Gedächtnis der Welt eingehen wird. Dieses Datum wird neben anderen stehen. Eines unterscheidet den 20. und 21. Juli 1969 von früheren Tagen solcher Art: die weltweite Teilnahme, das unverzögerte Miterleben. Man braucht nicht bis zu Kolumbus zurückzudenken, daran, wie lange es dauerte, bis allein die Nachricht von der Entdeckung der Neuen Welt nach Europa kam, wie viel länger noch, bis sie ins Bewusstsein der vielen drang. Noch nie hat ein so großer Teil der Erdbevölkerung zur gleichen Zeit in solcher Spannung den gleichen Bildern zugesehen. Noch nie, so scheint es, gab es ein so ›gemeinsames Erlebnis der Menschheit‹. |56|Das sei verzeichnet. Bei der Wertung, bei den Zukunftshoffnungen und Zukunftsängsten, die sich an solche Kommunikation knüpfen, mögen die Geister sich scheiden. Die psychologischen Folgen sind erst einmal Tatsachen. [...] Das Miterleben wirkt als einigender Impuls.« 79

Genau in diesem Sinne funktionierte die Pathfinder-Marsmission eine Generation und ein Massenmedium später, als ein »noch nie in dieser Weise da gewesenes Kommunikationsereignis, oder besser, kommunikationsloses Kommunisierungsereignis, in dem jeder für sich und alle zusammen in einer virtuellen Gemeinschaft aufgehoben sind«, wie es Lorenz Engell in einer Vorlesung zum Mondflug einmal ausgedrückt hat. 80 Bei der Marslandung 1997 gab es für viele Menschen das erste Mal das Gefühl, dass sie, wenn sie vor dem Computerbildschirm saßen, gerade dasselbe taten wie Millionen

andere Menschen. Dadurch bestätigte sich ihre eigene Kompetenz, weil sie zu denen gehörten, die diese Rezeptionserfahrungen machen konnten. Sie wurden vertraut nicht nur mit dem kleinen Marsmobil Sojourner, das in NASA-Pressemeldungen schon mal als »zu eifrig« beschrieben wurde, wenn es einen Felsbrocken rammte, wobei hinzugefügt wurde, dass »weder der Rover noch der Felsen beschädigt« waren 81 – eine wichtige Mitteilung, weil sich alle auch mit den Felsbrocken identifizierten und sie »Barnacle Bill« oder »Yogi Bär« nannten, als wäre die Marsoberfläche Schauplatz einer Comicserie. Sie wurden auch vertraut mit der Möglichkeit, sich per Computer fortlaufende Informationen über ein Geschehen zu verschaffen, und zwar anders, als sie es bis dahin von Zeitungen, Radio und Fernsehen gewohnt waren. Hier ereignete sich nicht die Marslandung in ihrer technischen Grandezza, an so etwas war man inzwischen gewöhnt. Ein Medienereignis besteht nicht aus dem Singulären, Transzendenten, Erhabenen, das die Philosophen von Kant bis Derrida als jenseits aller Zusammenhänge stehend zu fassen versuchten. Beim Medienereignis ist die Kommunikation über das Ereignis das, was das Ereignis zum Ereignis macht. Bei dem Satz »Wir waren auf dem Mars und ich war live dabei!« mit dem man das Ereignishafte zusammenfassen könnte, liegt der Akzent nicht auf dem ersten Teil, dem Auf-dem-Mars-Sein, sondern auf dem zweiten, der Art und Weise des Dabei-Gewesen-Seins und der Mitteilung dieser Tatsache gegenüber anderen.

Natürlich besaß die Marslandung eine gewisse kantische Erhabenheit, als Griff des Menschen in den Himmel. Knapp dreißig Jahre später war die F.A.Z. weniger abgeklärt als noch zu Mondlandungszeiten und behandelte |57|die Pathfinder-Mission einen Tag lang routiniert feuilletonistisch in genau dieser Weise. In einer Spalte neben dem Aufmacher über Margarethe von Trottas erster Opernregie in Stuttgart bemühte Ulrich Raulff alle Standardassoziationen, die man zum Thema Raumfahrt und Planeten haben kann: »Diesmal freilich wird es nicht mehr wie in den Sechzigern ein Wettlauf zweier Systeme sein, diesmal ist es ein Wettlauf der Menschheit mit sich selbst und ihrer gewaltigen posthistorischen Trägheit. Es wird nicht leicht sein. Denn Mars (Ares) steht seit ältesten Zeiten für Krieg und Aggression, und selbst Venus (Aphrodite) konnte seinen kalten und finsteren Charakter nicht läutern. [...] Tatsächlich sah es so aus, als sei nach Kepler der antike Kriegsgott ein berechenbares Objekt der Himmelsmechanik geworden. Gewiss, noch lebte Mars und entspannte sich als barocker Tugendheld zu Venus’ schönen Füßen, aber irgendwann kroch auch seine Dämmerung heran, und er verblich zur Chiffre, um als Metapher wiederzukehren [...]«. 82

Sekundiert wurde dieser Feuilleton-Artikel vom kleinen Kommentar auf Seite Eins, der die oberflächliche Erhabenheit des Geschehens wohl registriert, aber dann reaktionär abwinkt und der eigenen

Zeitung wie den Lesern die Beschäftigung mit anderen Dingen empfiehlt: »Nun hat die Moderne auch den Kriegsgott Mars entmythologisiert. Er, den die Griechen als Ares bezeichneten, hat seine Schrecken endgültig verloren, wenn auch nur am Himmel; auf Erden entfaltet er immer noch seine vernichtende Kraft. [...] [I]st es tatsächlich so wichtig, mehr über die Beschaffenheit dieses Planeten zu wissen? Gibt es denn auf Erden nicht genug Konflikte und Schwierigkeiten, die zunächst gelöst werden müssten? Der Einwand ist nicht leicht zu nehmen. ›Bleibt der Erde treu!‹ rät Nietzsche seinen Jüngern‹.« 83

In gewisser Weise blieben die Medien es auch, wenn auch auf andere Weise als der Leitartikler der F.A.Z. es im Sinn hatte. Die Erhabenheit des Planetenbesuchs war zu pauschal, als dass man sich intensiv damit hätte beschäftigen können, aber das Aufmerksamkeitsgeschehen auf der Erde, bei dem Millionen von Menschen ins Internet gingen – einer bis dato obskuren Computeranwendung – rief weitere Aufmerksamkeit hervor: die der Medien, die den Marsbetrachtern dann von sich selbst erzählen konnte. Dieses fortgesetzte Aufmerksamkeitsgeschehen machte aus der Pathfinder-Landung das bis zu diesem Zeitpunkt »populärste Ereignis in der Geschichte des Internets«, 84 wie die Webweek schrieb. Autor Todd Spangler schreibt in diesem Artikel ehrfürchtig von »stratosphärische[n] 566 Millionen Zugriffen«, die alle Mars

Pathfinder-Seiten im Juli 1997 auf sich versammelten. 85 In Frankreich, das keine eigenen Leitungen |58|für den Datenverkehr des Internets besaß und alles über das allgemeine Telefonsystem lief, musste die Regierung sogar einen Appell an die Computernutzer des Landes richten, nicht mehr die Mirror-Sites auf http://www.visuanet.com und http://www.cnes.fr zu besuchen, weil es das Telefonsystem zum Erliegen brachte. Das waren die Nachrichten, die nach dem Routine-Feuilleton der ersten Tage wirklichen Neuigkeitswert besaßen und für eine fortlaufende Berichterstattung sorgten. Der Zugriff auf die erweiterte Stratosphäre des menschlichen Habitats war gewöhnlich, die sich gewissermaßen stratosphärisch ausdehnende Internetnutzung war jedoch eine Sensation. »Die Medienberichterstattung über das Internet war großartig«, meinte JPL-Mitarbeiter Richard Pavlovsky später in einem Interview. Nach einem Wochenende gelangweilter technischer Berichterstattung schlug die Stimmung um. »[P]lötzlich redeten alle davon, wie das Internet Pathfinder geholfen hat, die ganzen Informationen zu verbreiten, die Fotos und alles sonst. Wir mussten viele Interviews geben. Die Leute liebten es, dass wir alles das umsonst zur Verfügung stellten.« 86 Der letzte Punkt ist wichtig, zielt er doch darauf, warum die klassischen Massenmedien die Bedeutung eines anderen Mediums so hervorhoben, eines Mitkonkurrenten um die wertvolle Aufmerksamkeit der Menschen. Über das Internet wurde den anderen Medien Informationen frei

Haus geliefert, umsonst und ohne dass sie sich groß darum bemühen mussten. Goodall hat dann auch von der »symbiotischen Beziehung« gesprochen, die durch die Pathfinder-Marsmission zwischen den etablierten Massenmedien und dem Internet entstanden ist: »Letztlich haben die Medien, ganz besonders CNN, erkannt, dass wenn sie das Internet als zusätzliches Informationsangebot benutzen, sich die Menschen einloggen, um die Bilder zu sehen und dann weiter CNN schauen, um auf dem Laufenden zu bleiben, was als Nächstes kommen wird. Beide profitieren also voneinander, deshalb gab es auch diese astronomische Nummer an Zugriffen weltweit.« 87

Goodalls Einschätzung wird bestätigt, wenn man sich die Veröffentlichungen von CNN selbst anschaut, in denen der Erfolg des Internetereignisses zusammen mit dem Erfolg der eigenen, das Fernsehprogramm unterstützenden Seite geschildert wird: »33 Millionen Zugriffe am Tag sind eine Menge, aber es ist nicht ohne Vergleich. Während der Wahlen im November 1996 hatte die CNN-Site 50 Millionen Zugriffe. Aber auch der Mars ist jetzt populär. Seit dem 4. Juli hat CNN Interactive mehr als 3,3 Millionen Zugriffe auf Geschichten über den Mars verzeichnet.« 88

|59|Der Nachrichtensender CNN bringt als Nachricht, dass eine Website mit Nachrichten erfolgreich ist, nicht die Nachrichten auf dieser Website; zudem ist im Zuge dessen das eigene, sekundäre

Internetangebot nachrichtenwert, und zwar so, dass es im Laufe der Argumentation die Bedeutung des Ausgangsmaterials übertrifft. Den Mars kann man auch auf CNN sehen, aber nicht nur das, auch bei anderen Ereignissen wie der Präsidentenwahl ist CNN Interactive dabei und garantiert eine fortwährende Berichterstattung, das ist die Nachricht dieser Nachricht. Das Kommunisierungsereignis Marslandung, bei dem sich die Internetnutzer in einer virtuellen Gemeinschaft aufgehoben fanden, schloss auch die etablierten Massenmedien mit ein. So konnten nicht nur die einzelnen Computerbesitzer zu ihren Nachbarn gehen und sagen »Hast Du gestern auch die Marslandung im Internet gesehen?«, auch Sender wie CNN gingen auf ihre Zuschauer zu und taten dasselbe. Florian Rötzer, mit seinem Magazin Telepolis Internetaktivist der ersten Stunde in Deutschland, ging in seinem Artikel zur Pathfinder-Mission so weit zu sagen, dass die NASA im Verbund mit anderen Kräften daran arbeitete, den medialen Charakter des Internets zu verändern: »Es war ein großangelegtes Experiment, eine gemeinsame weltweite Öffentlichkeit im Cyberspace zu schaffen. [...] Das war ein Test, schließlich würde man gerne das World Wide Web, das bislang den Nomaden und den Suchmaschinen gehörte, möglichst schnell von einem Pull-Medium zu einem fernsehähnlichen Push-Medium umbauen, das aber dann auch anderen Erwartungen ausgesetzt ist. [...] Gleichwohl, es war ein geschickt inszeniertes Medienspektakel der neuen Art, das die NASA für das Sommerloch organisiert

hatte«. 89

Pull-Medium soll bedeuten, dass es einen Stock von Inhalten gibt, aus denen ein Nutzer jederzeit das auswählen kann, was ihn interessiert, wie in einer Bibliothek, in der Bücher gesammelt werden, ohne dass es momentane Gebrauchsinteressen für sie gibt. Ein Push-Medium wie das Fernsehen stellt dagegen einzelne Inhalte zu bestimmten Zeiten zur Verfügung, die zu nutzen man sich entschließen muss. Dass Jahre nach diesem Artikel der Umbau immer noch nicht vollzogen ist, hat neben grundsätzlichen medialen Eigenschaften, die noch in späteren Kapiteln zu erörtern sind, auch damit zu tun, dass die etablierten Push-Medien wie Fernsehen, Zeitungen und Zeitschriften das World Wide Web zu einer Erweiterung ihrer investigativen wie distributiven Praxis gemacht haben. Sender wie CNN in den USA oder Magazine wie Der Spiegel in Deutschland füttern ihre Webseiten mit den Inhalten ihrer herkömmlichen Veröffentlichungen, nehmen Nachrichten |60|der Online-Redaktionen, die diese erstellt oder gesammelt haben in die Nachrichtensendungen oder Hefte auf, weisen wechselseitig aufeinander hin und machen sich gegenseitig zum Inhalt der »gepusht« wird. Das Internet, wenn es nicht Inhalt der Push-Medien ist, bleibt dabei Pull-Medium, ein Pool frei flottierender Inhalte, auf den Nutzer wie Massenmedien zugreifen können. Allerdings sind manche Inhalte inhaltsträchtiger als andere, jene nämlich, die als

solche gekennzeichnet sind und sich dadurch vom kommunikativen Rauschen abheben. Eine solche Kennzeichnung erfolgt durch die traditionellen Informanten, heißen sie nun CNN oder Der Spiegel, ihre Reputation verleiht den Meldungen kommunikative Relevanz. Nichts war besser geeignet, diesen Mechanismus anzustoßen, als ein Geschehen, das genau wie ein großes, nachrichtenwertes Ereignis erscheinen musste: die Pathfinder-Marsmission. Sie konnte das Internet in die Struktur der Massenmedien einbinden, als das »definitive Internet-PR-Ereignis des Jahres«, als »bahnbrechende Leistung, das Internet dazu zu benutzen, mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren.« 90 So hieß es in der Begründung der Tenagra Corporation zur Verleihung ihres renommierten Preises für »Internet Marketing Excellence«, einer der wichtigsten Auszeichnungen in den frühen Jahren des Internets. 91

5. Digitaler Müllhaufen

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Die Lewinsky-Affäre, 1998 Was konnte nach der Marslandung noch Größeres im Internet geschehen? Nun – die Mondlandung natürlich! Nicht wortwörtlich, aber doch metaphorisch in dem Sinne, dass es ein Ereignis geben musste, das für das Internet die definitive Bedeutung haben könnte, die Neil Armstrongs Schritte auf dem Mond für das Fernsehen gehabt hatten. »Es sieht so aus, als wäre jetzt die ›Mondlandung des Internets‹ passiert«, meinte Gerry McGovern im September 1998, »in der Gestalt der Veröffentlichung von Kenneth Starrs Report über Bill Clinton. Von nun an wird man denken, dass man etwas verpasst, wenn man keinen Internet-Anschluss hat.« 92 Niall McKay stimmte in Wired zu, »weil es das erste Mal ist, dass die Menschen sich auf das Netz stützen – nicht das Fernsehen oder das Radio –, um die Details über ein großes Nachrichtenereignis zu erfahren«. 93 Und so »die massentaugliche Ubiquität des Internets bewiesen hat«, wie Tom Watson in @NY ausführte. 94 Jon Katz meinte im American Journalism Review sogar, dass dieses Ereignis das Internet »als Amerikas primäres Mittel bestätigt hat, um schnell kritische Informationen für die Öffentlichkeit zu verbreiten«. 95 Nichts weniger als den »Beginn einer neuen Ära«, so Ken Rickard in Net Worth, würden zukünftige Historiker im Jahr 1998 sehen. 96

Tatsächlich erfüllte die Veröffentlichung auf http://www.access.gpo. gov/congress/icreport/index.html alle Merkmale der Internetereignisse, die es vorher gegeben hatte, allem voran den Zusammenbruch der bestehenden Serverstrukturen aufgrund enormer Zugriffszahlen. Auf CNN-Interactive hatte man 300.000 Zugriffe pro Minute, so dass man schnell fünf weitere Server einrichten musste, um den Informationsfluss zu gewährleisten. Das Wirtschaftsleben in Washington D.C. kam fast zum Erliegen, weil sich der Netz-Traffic in der Region dramatisch erhöhte, von 1,680 Mbits auf 1,795 Mbits pro Sekunde. Das gesamte Dossier mit seinen insgesamt |64|120.000 Wörtern wurde von der AOL-Seite in den ersten 24 Stunden 750.000 Mal heruntergeladen – in einer Zeit, als Internet-Verbindungen noch hauptsächlich per 56k-Modem zustande kamen und ein solcher Download Stunden dauern konnte. Man schätzt, dass in den ersten fünf Stunden der Veröffentlichung ein Viertel aller eingeloggten Internetnutzer weltweit auf Seiten mit Starr-Report-Inhalt zugriff und dass an den ersten beiden Tagen 28 Millionen Menschen den StarrReport ansahen. Das Interesse war so groß, dass sogar eigens eine Version des Reports für Kinder geschrieben wurde, die all die expliziten Schilderungen der sexuellen Aktivitäten im Weißen Haus entschärften und die juristischen Formulierungen in leicht verständliche Erklärungen umwandelte. 97 Der Unterschied zu früheren Geschehnissen war jedoch, dass die Veröffentlichung des Starr-Reports bereits das Ende eines

Internetereignisses bedeutete, als Reintegration von Nachrichten in das herkömmliche System und die Wiederherstellung des journalistischen Standes. Etwas war vorher im und mit dem Internet passiert, das eine massive Bedrohung dargestellt hatte: Eine der größten Enthüllungen der Geschichte war nicht in einem etablierten Printmagazin oder einer Nachrichtensendung der großen Fernsehsender passiert, sondern auf einer obskuren privaten Homepage im World Wide Web. Die Monate der LewinskyAffäre, das gigantische Medienereignis, das sie darstellte, erschütterten nicht nur die Integrität des amerikanischen politischen Systems, sie stellten auch einen Kampf der Journalisten um die Hoheit über öffentliche Informationsvergabe dar. Hauptgegner in diesem Kampf war ein 32-jähriger ehemaliger Aushilfsarbeiter im Geschenke-Laden des Senders CBS namens Matt Drudge, der auf seiner Seite www.drudgereport.com Klatsch und Tratsch aus Politik und Unterhaltungsindustrie veröffentlichte. Beziehungsweise nicht veröffentlichte, sondern nur Verweise auf andere Stellen in Internet, Magazinen und Fernsehen brachte, auf denen dieser Klatsch und Tratsch Erwähnung fand. 1995 hatte er seine Seite eingerichtet, nachdem er beobachtet hatte, wie oft die Mitglieder von Newsgroups im Internet über Vorfälle diskutierten, die erst später als Nachrichten in Zeitungen und im Fernsehen auftauchen sollten. Mit einer E-Mail-Adresse, einer Website und einem Image als Privatdetektiv im korrupten Mediendschungel würde es möglich sein, aus diesen Informationskanälen Kapital zu

schlagen, dachte sich Drudge und richtete alles ein. Jeder Leser seines Drudge Reports konnte zum potenziellen Informanten werden, der ihn auf aktuelle Gerüchte und Vorkommnisse hinwies. Darunter auch viele Mitarbeiter in Redaktionen, die aus |65|unterschiedlichsten Gründen versucht waren, Matt Drudge eine Information zuzustecken: »Denk drüber nach: Wie viele Menschen arbeiten bei der New York Times? Es gibt eine Fülle von Lecks dort, eine Fülle von Quellen. Und es ist nicht bloß die Times. Die Leute bieten mir einen unendlichen Strom von Hinweisen und Einblicken.« 98 Darunter auch das, was am 18. Januar 1998 von ihm als »Blockbuster Report« gemeldet wurde: dass Newsweek in letzter Sekunde eine Reportage von Michael Isikoff aus dem Blatt genommen habe, in der enthüllt worden sei, dass eine »Praktikantin eine sexuelle Affäre mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten hatte«. 99 Genüsslich schildert Drudge, wie die geplante Veröffentlichung für Aufregung bei der Konkurrenz sorgte und wie schließlich niemand mehr von der unappetitlichen Geschichte wissen wollte oder konnte und man den Drudge Report bemühen muss, um mehr zu erfahren: »Newsweek und Isikoff wollten den Namen der Frau preisgeben. Die Nachricht von der verhinderten Geschichte sorgte für blindes Chaos in Medienkreisen; Time verbrachte den Samstag damit, eine eigene Version der Geschichte zusammenzubasteln, wie der Drudge Report erfahren hat. Die New York Post vom Sonntag war schon mit der

Praktikantinnen-Affäre als Aufmacher gesetzt worden, war dann aber gezwungen, auf eine alte Geschichte über Kathleen Willey von ABC News umzuschwenken. Michael Isikoff war am Samstag nicht zu erreichen, um einen Kommentar abzugeben. Newsweek ließ seinen Anrufbeantworter laufen. Das Weiße Haus las eifrig den Drudge Report, um Einzelheiten zu erfahren. In der Entwicklung ...« 100

Schon am Morgen der Veröffentlichung des Berichts wurde Clinton während eines Besuchs von Yassir Arafat vor laufenden Kameras nach der Praktikantin gefragt, so dass er stammelnd dementieren musste und die Lewinsky-Affäre ihren Anfang nahm. Drudge hatte einen Skandal losgetreten, der in den nächsten Monaten das politische Leben der USA lähmen und die Weltpresse in Dauererregung versetzen sollte. Ein Skandal, wie es ihn seit Watergate nicht mehr gegeben hatte. Und so könnte man annehmen, dass Matt Drudge als neuer Bob Woodward gefeiert werden würde, als der unerschrockene, investigative Journalist einer neuen Generation, der sich nicht mit finsteren Informanten in nächtlichen Parkhäusern treffen muss, um Stories zu recherchieren, sondern das weit verzweigte Geflecht des Netzes durchforstet, um Informationen ans Licht zu bringen. Aber nichts dergleichen. Die Affäre wurde als den Medien gegeben verhandelt und ausgedehnt. Gelegentlich wurde darauf

hingewiesen, dass |66|zuerst »im Internet« das Gerücht aufgekommen sei, dass der Präsident Sex mit einer Praktikantin gehabt habe. Wenn Matt Drudge überhaupt namentlich erwähnt wurde, dann gleich in Schmähreden, die seine Enthüllung des Skandals für verwerflich hielten, ungeachtet der Tatsache, dass auf den Seiten vor und nach diesen Kommentaren die Affäre umfangreich behandelt wurde. Wolfgang Macht, zum Beispiel, war einer dieser Kommentatoren. In der Woche echauffiert er sich unter der Überschrift »World Wide Windhund« über die »steile Karriere«, die der Kolporteur Drudge im »Pressegetümmel« machten konnte: »Seit er dort als Erster Details über eine 23-jährige Praktikantin und deren Sex-Beziehung zum Präsidenten veröffentlichte, ist Drudge auch jenseits des World Wide Web ein Star. Dabei ist Matt Drudge gar kein Journalist. Vielmehr nutzt er nur die grenzenlose Meinungsfreiheit des Internets, um jedes Gerücht zu verbreiten, das ihm unterkommt. Fairness und Faktentreue sind ihm nachweislich egal. Die Clinton-Informationen etwa bekam er aus einem zugespielten Newsweek-Artikel, den das Magazin in letzter Minute nicht drucken wollte, weil die Enthüllung dem Vorstandsvorsitzenden von Newsweek nicht stichhaltig genug war. Das ist aber für einen Internet-Publisher kein Problem.« 101

Dass auch Macht keine absolute Faktentreue walten lässt, insofern er nicht darstellt, dass Drudges Bulletin genau davon handelte, dass Newsweek den Artikel nicht drucken wollte und er die

Informationen über die Affäre gewissermaßen nur indirekt vermittelte, wäre interessant genug, um gegen ihn verwendet zu werden. Bedeutsamer ist aber die Motivation für seinen Text, die sich in einem beinahe ehrabschneidenden Zorn entlädt: »›Ich bin kein Redakteur‹, sagt Drudge von sich, ›ich schreibe, was ich will.‹ Das Internet als digitaler Müllhaufen – Drudge reibt sich die Hände. [...] Eine Debatte über seine [des Internets] Glaubwürdigkeit und über den Umgang mit den übers Internet verbreiteten Informationen steht allerdings noch aus. Stattdessen saß Matt Drudge am vergangenen Sonntag zwischen Top-Journalisten in NBCs renommiertem Presseclub Meet the Press, als sei das die selbstverständlichste Sache der Welt – ein WWW-Windhund, von seriösen Journalisten geadelt.« 102

Matt Drudge war keine Gefahr für die allgemeine Moral, wie die Argumentation zu Beginn des Kommentars nahe legen möchte, sondern er bedrohte den Stand der Journalisten. Das wird im Verlauf der Argumentation offenbar. Drudge ignorierte das in zwei Jahrhunderten erarbeitete und festgeschriebene Privileg, dass nur Angehörige des Standes der Journalisten über die Akquise und die Distribution von Informationen öffentlichen |67|Interesses bestimmen dürfen. Das schloss immer schon ein besonderes Verhältnis zu den Menschen ein, die von öffentlichem Interesse waren oder die über entsprechende Informationen verfügten. Mit Rücksicht auf dieses Verhältnis, das für zukünftige Informationen relevant war, musste bei jeder Geschichte entschieden werden, welchen Einfluss sie auf

das Verhältnis hatte. Journalisten sind nicht nur privilegiert, Informationen zu erhalten und Möglichkeiten zu ihrer Verbreitung an der Hand zu haben; sie haben vor allem das Recht, nicht zu berichten, Informationen zurückzuhalten, um bestimmte Verhältnisse zu schützen, sie als Druckmittel für weitere Informationen einzusetzen oder sie als Baustein für einen anderen, größeren Kontext zu bewahren. Genau das wollte Newsweek mit der Lewinsky-Geschichte machen. Genau das vereitelte Matt Drudge mittels eines Mediums, das die alten Distributionssysteme umgehen konnte. Und genau auf diese Entprivilegisierung mussten »die Journalisten« so entschieden reagieren. Nicht, dass Matt Drudge sehr viel Wert darauf gelegt hätte, als Journalist wahrgenommen zu werden, im Gegenteil. Für ihn waren Nachrichtensprecher wie NBCs Brian Williams »braungebrannte, föhnfrisierte Fitnessstudio-Häschen«, die nichts anderes täten, als vom Teleprompter abzulesen, wie er in einem Interview gegenüber Camille Paglia konstatierte: »Niemand hat ein Problem damit, sie Journalisten zu nennen. [...] Wie mir Roger Ailes schon früh gesagt hat: Man braucht keine Lizenz, um Reporter zu sein. Zum Haareschneiden schon.« 103 Er umschrieb damit, was Journalisten eigentlich ausmacht: Keine eigene Wesenhaftigkeit, keine spezifischen Fähigkeiten, sondern nur das Eingebundensein in eine bestimmte Struktur. Die Kamera und das Gesendetwerden definiert den Fernsehjournalisten, die Druckseite in der Zeitung und der Eintrag im Impressum macht den Printjournalisten. Publizistisches

Können ist natürlich nicht hinderlich und macht den Unterschied zwischen einzelnen Journalisten aus, notwendige Bedingung für das Journalistensein ist aber die Position, der man das Journalistensein zuschreibt. Mit einer Internetverbindung, E-Mail und eigener Website gab es allerdings nun ein Surrogat für die institutionellen Strukturen der Massenmedien. Theoretisch konnte man nun alles in Erfahrung bringen, daraus machen, was man wollte, und sofort für jeden zugänglich machen, der sich dafür interessierte. »Die journalistischen Schwellen sind bedroht«, mahnte Niels Werber angesichts der Lewinsky-Affäre in der taz und malte das reale Schreckgespenst freiester Meinungsäußerung in seinem Artikel aus: |68|»Im Internet grassiert das Gerücht der verhängnisvollen Affäre mit dem Tempo der Lichtgeschwindigkeit und der Unwiderstehlichkeit eines Virus. Kein Editorial Board vermag das zu steuern. [...] Internet-User jeder Couleur greifen in Tausenden von Webseiten den Skandal auf und tragen die Gerüchte weiter. Auf zahlreichen Servern findet man alles über Zippergate: Hunderte von Witzen, Dutzende von Verschwörungstheorien. [...] Niemand zeichnet verantwortlich für diese Theorien oder Verleumdungen, alle erscheinen mit der Bitte, eigene Vermutungen oder Kommentare hinzuzufügen. Auf zahlreichen Homepages kann der interessierte Surfer an Meinungsumfragen zum Fall teilnehmen. Diesen zufolge hält die Mehrheit der User den Präsidenten für schuldig, doch solle auf die Amtsenthebung verzichtet werden. Sollte diese Art der Meinungsbildung im Internet Einfluss auf den weiteren Verlauf der

Geschichte haben – und dies ist nicht unwahrscheinlich, da sich die Dramaturgie des Sonderermittlers wie der Clinton-Berater an den Umfrageergebnissen orientiert –, dann verfügte erstmals jeder User, ob er nun Bürger der USA sei oder nicht, über Einfluss auf die innenpolitische Situation der USA.« 104

Mit seinem Fazit, das Internet sei »ein Medium der Massen, aber kein Massenmedium«, bewegt sich Werber, wiewohl kritisch gemeint, allerdings in die Richtung utopischer Medientheorie à la Bertolt Brecht und Hans Magnus Enzensberger, die Anfang der dreißiger respektive siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts dafür plädierten, den »Rundfunk [...] aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln«. 105 So scheint es, als hätte Matt Drudge als Vorreiter das verwirklicht, was Enzensberger als das auf seine Stunde wartende »entscheidende politische Moment« der elektronischen Medien bezeichnet hat: »ihre mobilisierende Kraft. [...] Zum ersten Mal in der Geschichte machen die Medien die massenhafte Teilnahme an einem gesellschaftlichen und vergesellschafteten produktiven Prozess möglich, dessen praktische Mittel sich in der Hand der Massen selbst befinden. Ein solcher Gebrauch brächte die Kommunikationsmedien, die diesen Namen bisher zu Unrecht tragen, zu sich selbst. In ihrer heutigen Gestalt dienen Apparate wie das Fernsehen oder der Film nämlich nicht der Kommunikation sondern ihrer Verhinderung. Sie lassen keine Wechselwirkung zwischen Sender und Empfänger zu: technisch gesprochen, reduzieren sie den feedback auf das systemtheoretisch mögliche Minimum.

Dieser Sachverhalt lässt sich aber nicht technisch begründen. Im Gegenteil: die elektronische Technik kennt keinen prinzipiellen Gegensatz von Sender und Empfänger. [...] Die Entwicklung vom bloßen Distributions- zum Kommunikationsmedium ist kein technisches Problem.« 106

Woran diese Utopien allerdings immer schon krankten, war die Tatsache, dass die Menschen zwar in Strukturen lebten, in denen sie zu reiner Rezeptionstätigkeit |69|gezwungen waren, dass ihre Befreiung daraus allerdings nicht dazu führen würde, sie alle zu Produzenten zu machen. Denn die Wenigsten wären dazu bereit. Die Allermeisten würden ihre Freiheit dazu benutzen, weiterhin das zu konsumieren, was andere produzieren. Insofern ist auch in Zeiten des für jeden offen stehenden Mediums Internet die »Massenzeitung, die von ihren Lesern geschrieben und verteilt wird« oder das »Videonetz politisch arbeitender Gruppen«, immer noch exotisch und nicht die Regel. Der Drudge-Report und die Lewinsky-Affäre haben jedoch ein anderes Potenzial des elektronischen Mediums Internet deutlich gemacht: Rezeption ist nicht mehr passiv. Sondern produktiv. Niels Werbers Kritik an den Kommunikationspraktiken im World Wide Web lässt sich auch als symptomatische Abwehrreaktion gegen einen Strukturwandel verstehen, der von ihm genau beschrieben wird: Die User »greifen den Skandal auf und tragen die Gerüchte weiter«, niemand ist Urheber oder gar Autor von etwas, stattdessen erscheint alles »mit der Bitte, eigene Vermutungen oder

Kommentare hinzuzufügen«, unaufhaltsam »grassiert das Gerücht [...] mit dem Tempo der Lichtgeschwindigkeit«. Das Prinzip der Oralkultur, bei dem sich die Kommunikation immer schon in ihre transportierten Inhalte eingeschrieben hat und für ständige Veränderung des Berichteten sorgt, verbindet sich mit dem Prinzip der Schriftkultur, bei der Artefakte erzeugt werden, auf die zugegriffen und die reproduziert werden können. Texte entstehen erst, indem sie immer wieder rezipiert und diese Rezeption anderen vermittelt wird. Das steht im Gegensatz zu traditionellen Massenmedien, deren Produkte durch Kauf oder Nicht-Kauf nur bestätigt oder abgelehnt werden können. Und deren zukünftige Produkte nur aufgrund dieser nachträglichen Bestätigung eines früheren eigenen oder, öfter noch, fremden Produkts kalkuliert und entworfen werden. Oder, wie es Matt Drudge in seinem höchst impressionistischen Buch Drudge Manifesto formuliert: »Am Ende wird der Inhalt von Nichts außer ein paar Zahlen reguliert, runtergebrochen in Geschlecht/sexuelle Orientierung, Rasse/ Rassenpräferenz, Glauben/religiöse Präferenz, wirtschaftlicher Status, Ausbildungshintergrund [...]«. 107 Wenn man sich das Bulletin zur Lewinsky-Affäre und den Drudge-Report insgesamt ansieht, dann wird dieser andere Charakter der Internet-Kommunikation deutlich. Drudge schreibt nichts, er berichtet nur darüber, dass andere etwas geschrieben haben, schreiben werden oder nicht veröffentlichen durften, er annonciert, was man an anderen Stellen lesen kann, ordnet

|70|solche Annoncen unter Überschriften und erzeugt so allein durch seine dokumentierte Aufmerksamkeit einen Nebentext zur journalistischen Erfassung der Welt. Seine Weltsicht vermittelt er nicht mehr, indem er sie in irgendeinem Ausdrucksmedium mittels Schrift, Bild oder Ton niederlegt, sondern indem er andere all das sehen lässt, was er von der Welt sieht. Je anregender, ungewöhnlicher oder erhellender diese Wahrnehmung ist, desto origineller erscheint auch er, der diese Wahrnehmung praktiziert. Ähnlich wie DJs, die selbst keine Musik machen, sondern stattdessen gemachte Musik finden, auswählen, nebeneinander stellen, ineinander blenden und nur aufgrund dieses ausgefeilten Geschmacks in den letzten zwanzig Jahren zu Stars aufsteigen konnten. Dass man Matt Drudge als reaktionären Hasardeur beschimpfen kann, der alles daran setzte, die Clinton-Regierung zu sabotieren, obwohl er nichts in dieser Richtung äußerte und nur sammelte, was andere meinten, ist aus denselben Gründen gerechtfertigt. Seine dokumentierte Wahrnehmung vermittelte eine bestimmte Weltsicht, eine Ideologie. Die Vorwürfe dagegen, der »unzuverlässige Hallodri« Drudge habe einen »Skandal ohne Quellen und Belege« losgetreten, wie sie etwa Thomas Schuler in der Woche erhob, entbehrten auf Dauer selbst ihrer Grundlage. Kenneth Starr stellte in den auf die Enthüllung folgenden Monaten so viel Material zusammen und verwickelte Bill Clinton auf Dauer in so viele Widersprüche, dass sich das angebliche Gerücht schließlich als Wahrheit entpuppte, die

mit all ihren intimen Details öffentlich gemacht wurde. Aber an diesem Punkt der Lewinsky-Affäre, acht Monate nach Drudges Initialzündung, wollte sich niemand mehr mit dem Drudge-Report beschäftigen, geschweige denn mit den eigenen Aussagen über Wahrhaftigkeit Anfang des Jahres. Mit dem »Starr-Report« war die Affäre wieder dort, wo Journalisten sie haben wollten: in ihrem Zugriffsbereich. Die Dauererregung der Massenmedien im Jahr 1998 mit ihren unzähligen Berichten darüber, dass dementiert wurde, dass niemand einen Kommentar abgegeben hatte, dass unzählige Medienvertreter an irgendwelchen Orten in Washington standen, um darüber zu berichten, dass es nichts zu berichten gab, hatte das unbändige Bedürfnis von Medien-Produzenten wie -Konsumenten geweckt, endlich Substanz zu bekommen. Angetrieben vom »öffentlichen Interesse«, wie dieses Bedürfnis ja genannt wird, hatte Kenneth Starr im Auftrag des Repräsentantenhauses jedes winzige Bisschen Substanz gesammelt, das irgendwie mit Bill Clinton und Monica Lewinsky in Verbindung gebracht werden konnte. Der »StarrReport« mit |71|seinen 450 Seiten war nur die knappe Zusammenfassung dessen, was an belastendem Material für ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten von Starr vorgelegt worden war. Ihn im Internet zu veröffentlichen, war im Prinzip klassische Pressearbeit, eine Art von Notwehr gegenüber der enormen Nachfrage nach Quellenmaterial, die niemals durch Printfassungen hätte befriedigt werden können. Die Medien hatten

dadurch einen doppelten Gegenstand, über den sie berichten konnten: zum einen den Inhalt des Reports, der nun dargestellt und bewertet werden konnte, zum anderen seine Veröffentlichung und die enormen Zugriffszahlen auf Internetseiten, von denen er heruntergeladen werden konnte. Nun könnte die Veröffentlichung des »Starr-Reports« im Internet zu dem Schluss führen, dass die Entprivilegisierung des Journalisten-Standes vollständig war. Wenn wirklich jeder die Möglichkeit hat, selbst das in Augenschein zu nehmen, worüber Medien berichten, dann wäre ihre Mittlerrolle obsolet, dann bestünde keine Notwendigkeit mehr, sich der Presse zu bedienen, weil alles direkt vermittelt wird. Interessanterweise war jedoch die Vollständigkeit, mit der diese Entprivilegisierung im Fall des »StarrReports« betrieben wurde, der Grund dafür, dass das Gegenteil der Fall war. Der Journalismus ging gestärkt aus dieser Auseinandersetzung um Kommunikationshoheiten hervor. Denn mit der Bloßstellung journalistischer Entscheidungsprozesse durch Matt Drudge und der totalen Konfrontation der Öffentlichkeit mit dem Material, das Journalisten gewöhnlich bearbeiteten, trat genau der Effekt ein, der die Brechtschen und Enzenbergerschen Utopien scheitern lässt. Man kann zwar problemlos alles in Erfahrung bringen, was von Interesse ist, aber man muss zu aktiv werden, um daraus tatsächlich Informationen zu gewinnen. Selbst, wenn man sich die Mühe machte, den »Starr-Report« nicht bloß auf die Stellen abzusuchen, in denen die sexuellen Handlungen Clintons

beschrieben wurden, konnte man die Erfahrung machen, dass daraus nicht sofort Informiertheit entstand. Information ist nämlich, um einen systemtheoretischen Grundsatz zu bemühen, »ein Unterschied, der einen Unterschied macht«. 108 Will sagen: Man muss auch kompetent sein, um etwas in einem Zusammenhang zu sehen und daraus Konsequenzen für weitere Zusammenhänge ziehen zu können. Diese Erfahrung machten die meisten Leser des »StarrReports«. Jenseits der Schlüsselreizstellen wussten sie nicht, was davon aus welchen Gründen wichtig war. Nichts davon machte von sich aus einen Unterschied, der in den eigenen Kommunikationszusammenhängen einen Unterschied |72|machen konnte. Kurzum, es fehlte die Auswahl und Beurteilung durch Journalisten. Und so wandten sich die »Starr-Report«-Leser wieder der journalistischen Berichterstattung über den »Starr-Report« zu, um zu erfahren, was sie gelesen hatten. Das Internet ist gut geeignet, um Informationen weiterzutragen, sie zu ergänzen, in Frage zu stellen, zu modifizieren, aber nicht, um eine Information überhaupt erst herzustellen. Sie steht viel zu unterschiedslos neben allem anderen und kann nicht als Unterschied wahrgenommen werden. Dafür bedarf es der Begrenzung durch die Veröffentlichung an einem distinkten Ort durch eine distinkte Person. In einem Leitartikel in der New York Times beispielsweise. Oder in einem Kommentar in den Tagesthemen. Irgendwo, wo ein kompetenter Autor eine bestimmte Meinung vertritt. Die dann wieder

übernommen oder abgelehnt werden kann, je nachdem. Und die wieder von Matt Drudge verlinkt werden kann, um ihren Weg durch das Internet zu gehen.

6. Orson Welles im Saufgelage mit Anne Rice |75|

Das Blair Witch Project, 1999 Bevor es wieder in eine private Sammlung zurückgegeben werden musste, konnte man im Museum der Maryland Historical Society in Baltimore das einzig erhaltene Exemplar eines Buches aus dem Jahr 1809 besichtigen. Es schilderte die Geschehnisse in einer kleinen Stadt namens Blair, die der für die damalige Zeit in New England typischen Hexen-Hysterie verfallen war. Im Februar 1785 hatten einige Kinder die alleinstehende Elly Kedward beschuldigt, sie in ihr Haus gelockt zu haben, um ihnen Blut abzuzapfen. Die Gemeinde verurteilte daraufhin Kedward als Hexe und verbannte sie aus der Stadt, woraufhin sie im Wald erfrieren musste, da es für sie keinen Schutz vor dem harten Winter gab. Anderthalb Jahre später verschwanden die Kinder der Stadt spurlos, was sofort mit einem Fluch Kedwards in Verbindung gebracht wurde. Panisch verließen die Einwohner die Stadt, die daraufhin verfiel und knapp vierzig Jahre später unter dem Namen Burkittsville wieder aufgebaut werden sollte. Die neuen Bewohner dürften das Buch The Blair Witch Cult nicht gekannt haben, da es nur in sehr geringer Auflage erschienen war. Auch hatten die alten Einwohner Blairs Stillschweigen über die

Ereignisse vereinbahrt und niemals mehr den Namen Elly Kedward ausgesprochen. Die Augenzeugenberichte aus dem August 1825 dürften deshalb nicht der überhitzten Phantasie infolge der Legende entsprungen sein. Elf Zeugen berichteten übereinstimmend, dass sie gesehen hatten, wie eine blasse Hand aus dem Waldbach gekommen war und die zehnjährige Eileen Treacle in das Wasser gezogen hatte. Der Körper des Mädchens wurde niemals gefunden und der Bach war für dreizehn Tage mit öligen Stock-Bündeln verstopft. Alle sechzig Jahre ungefähr gab es neue Vorfälle. Im März 1886 machte sich eine Suchmannschaft auf, um den verschwundenen achtjährigen Robin |76|Weaver zu finden. Nachdem der Junge von allein wieder nach Hause zurückgekehrt war, wurde eine neue Suchmannschaft ausgeschickt, um die erste aufzuspüren. Man fand die Männer ausgeweidet und an Armen und Beinen zusammengeschnürt auf einem auffälligen Felsen im Wald, der den Namen »Coffin Rock« trägt. In die Haut ihrer Gesichter und Hände waren seltsame Zeichen geritzt. Zwischen November 1940 und Mai 1941 wurden insgesamt sieben Kinder aus Burkittsville vermisst. Kurz nachdem das letzte Kind verschwunden war, tauchte in einem Laden ein Einsiedler namens Rustin Parr auf und erzählte den Leuten, dass er »endlich fertig« sei. Die alarmierte Polizei fand später im Keller seines Hauses im Wald die Leichen der sieben vermissten Kinder, jedes von ihnen rituell ermordet und ausgeweidet. In dem von D. A. Stern zusammengestellten Band

Blair Witch. Die Bekenntnisse des Rustin Parr lässt sich nachlesen, wie Parr im Verhör gestand, die Morde begangen zu haben. 109 Allerdings habe er im Auftrag eines »alten Frauengeistes« gehandelt, der im Wald umging. Er wurde zum Tode verurteilt und gehängt. Soweit die Legende von der Hexe von Blair. Aber was ist überhaupt wahr an dieser Geschichte? Drei Filmstudenten des Montgomery College – Heather Donahue, Joshua Leonard und Michael Williams – wollten es genau wissen und machten sich im Oktober 1994 auf, um in Burkittsville und Umgebung Aufnahmen für einen Dokumentarfilm über die Hexenlegende zu machen. Sie führten einige Interviews in der Stadt und fuhren in den Wald, um den »Coffin Rock« in Augenschein zu nehmen. Zwei Angler, die ihnen den Weg beschrieben hatten, waren die Letzten, die sie sehen sollten. Als sich die Studenten nach vier Tagen nicht bei ihren Familien gemeldet hatten, wurde eine Suchaktion mit Hundestaffeln, Hubschraubern und sogar einem Aufklärungssatelliten gestartet, die nach zehn Tagen ergebnislos abgebrochen werden musste. Ein Jahr später fanden Anthropologie-Studenten der Universität Maryland bei Grabungen unter einer jahrhundertealten, verfallen Hütte im Wald bei Burkittsville einen Rucksack mit Filmrollen, DAT-Kassetten und einem Notizbuch, die sie dem örtlichen Sheriff-

Büro übergaben. Die Untersuchung ergab, dass die elf Rollen Schwarzweiß-Film und zehn Kassetten das Eigentum von Heather Donahue und ihrem Team waren. Darauf sind die Aufnahmen zu sehen, die das Team ein Jahr vorher in Burkittsville und |77|im Wald gemacht hatten, bevor sie verschwanden. Aufgrund der zweifelhaften Umstände des Fundes – der Rucksack soll sich unter dem Fundament der Hütte in seit langer Zeit unbewegter Erde befunden haben – erklärten die Behörden das Material für gefälscht und übergaben es den Familien der Vermissten. Diese beauftragten daraufhin die Filmfirma Haxan mit der Untersuchung des Materials und der Zusammenstellung zu einem Film, der Aufschluss darüber geben könnte, was zum Verschwinden der Studenten geführt haben könnte. Parallel zur Arbeit an diesem Film stellte Haxan Films die Website http://www.blairwitch.com zusammen, auf der alle verfügbaren Informationen über Donahue, Leonard und Williams, ihr Filmprojekt und die Legende der Hexe von Blair präsentiert wurden. Dort konnten Fotos der Vermissten angesehen und ihre Biografien gelesen werden, Ausschnitte aus dem Filmmaterial waren zu sehen, das komplette Tagebuch, das Heather Donahue während der Dreharbeiten geschrieben hatte, war transkribiert worden, Interviews mit Experten konnten herangezogen werden, um sich ein genaueres Bild der Geschehnisse machen zu können. Die Website ging im Juni 1998 online und stieß auf ein immer größer werdendes Interesse. Erste Leser waren fasziniert, machten

Freunde darauf aufmerksam, die wiederum Freunde damit bekannt machten. Das Rätsel um die verschwundenen Filmemacher und die Legende der Hexe von Blair wurde in Foren diskutiert, weitere Websites entstanden, auf denen eigene Recherchen und Deutungen präsentiert wurden. 75 Millionen Zugriffe soll es im ersten Jahr auf die Seite gegeben haben. Als schließlich Haxan Films am Juli 1999 ihre Schnittfassung des gefundenen Materials präsentierten, stieß er auf das Interesse einer riesigen Gemeinde, die dafür sorgte, dass der obskure Film mit Amateuraufnahmen nicht nur vor ausgewähltem Publikum gezeigt werden konnte, sondern sogar von kommerziellen Kinos ins Programm genommen wurde. Soweit die Geschichte der verschwunden Filmstudenten, ihres Blair Witch Projects und der Website http://www.blairwitch.com. Aber was ist daran wahr? Klingt diese Geschichte nicht wie eine jener urbanen Legenden, die einem von jemandem erzählt wird, der sie von jemand anderem gehört hat? Es stimmt wohl, dass The Blair Witch Project von Filmstudenten konzipiert wurde, allerdings nicht von Donahue, Leonard und Williams. Sondern von |78|Daniel Myrick und Eduardo Sanchez, die im Abspann des Films als Regisseure genannt werden. 1990 hatten sich die beiden an der University of Central Florida kennen gelernt und als Seminararbeit einen kleinen Film namens Fortune über eine Hexe gemacht. Nach einigen weiteren Projekten saßen sie

zusammen und überlegten, was sie als nächstes tun wollten. Ihnen schwebte eine Komödie vor, die sie allerdings mit zirka zehn Millionen Dollar Produktionskosten kalkulierten. Geld, das sie nicht hatten und nicht würden besorgen können. Sie redeten über das, was sie zum Filmemachen inspiriert hatte, und erinnerten sich an eine Fernsehserie aus den siebziger Jahren namens In Search of ..., in der unscharfe und verwackelte Aufnahmen von Wäldern gezeigt wurden, während Raumschiff Enterprises Leonard Nimoy mit tiefer Stimme von Außerirdischen und Monstern erzählte, die angeblich auf den Bildern zu sehen waren. »Als Zehnjährige waren wir davon sehr beeindruckt und konnten danach nicht gleich einschlafen«, erzählte Sanchez in einem Interview. So kamen sie auf die Idee, dasselbe Prinzip in einem längeren Film auszuprobieren. »Mit unserem Film wollten wir dem Publikum von heute ein ähnliches Erlebnis vermitteln. Dadurch kamen wir darauf, das Ganze als Dokumentation zu gestalten.« 110 Um den Film noch kostengünstiger zu machen und das Konzept auf die Spitze zu treiben, sollte der Dokumentarfilm von denjenigen handeln, die ihn machen. Die Schauspieler, die sie engagieren würden, sollten Filmstudenten spielen, die filmen, und das was sie gefilmt hatten, sollte der Film sein. Alles Material, einschließlich improvisierter Dialoge, würde also von ihnen produziert werden. Die Regisseure wollten nur Dirigentenfunktion übernehmen. Und interessant wurde der Film deshalb, weil die Filmstudenten verschwunden sein sollten und nur ihr Filmmaterial Aufschluss

darüber geben könnte, was passiert war. Beim Casting wurde deshalb darauf Wert gelegt, dass die Schauspieler sich schon einigermaßen mit Kameras auskannten, so dass man sie schnell anleiten konnte; dass sie bislang unbekannt waren, was einerseits günstige Gagen bedeutete, andererseits auch sicher stellte, dass man an das Verschwinden glauben konnte, und dass sie fähig waren, sich sehr schnell in Situationen hineinzuversetzen und zu improvisieren. Joshua Leonard, der wie die anderen unter seinem richtigen Namen im Film auftrat – und deshalb noch einige Zeit in der Filmenzyklopädie Internet Movie Database als verstorben geführt wurde – erzählte in einem Interview von seinem Vorsprechen: |79|»Du kamst in den Raum und nach zwei Sekunden sagten dir die Regisseure: ›Du warst die letzten neun Jahre im Gefängnis. Wir müssen über Deine vorzeitige Entlassung befinden. Warum sollen wir Dich freilassen?‹ Jeder, der danach länger als einen Wimpernschlag zögerte, wurde wieder nach Hause geschickt.« 111

Myrick und Sanchez fuhren dann mit Leonard, Heather Donahue und Michael Williams nach Burkittsville. Sie gaben ihnen die Hintergrundgeschichte der Hexe von Blair, die sie geschrieben hatten, rüsteten sie mit GPS-Sendern aus, damit man sie orten konnte, und schickten sie los, um den Film zu drehen. In der Stadt waren einige Leute in die Geschichte eingeweiht und mit bestimmten Hinweisen ausgestattet worden, allerdings wussten die Schauspieler

nicht, wer. Sie hielten also vielen Menschen ihr Mikrophon unter die Nase, bis sie irgendwann in den Wald zum angeblichen Coffin Rock geschickt wurden. Das führte zu absurden Momenten, wenn nämlich uneingeweihte Menschen vor der Kamera erklärten, dass sie schon mal von der Hexe gehört hätten, obwohl sie gänzlich Myricks und Sanchez’ Phantasie entsprungen war. Eine Mutter hielt ihr Baby auf dem Arm, und als sie davon sprach, dass sie über die Hexe nichts wisse, hielt ihr das Baby ständig den Mund zu, ganz so, als spüre es, dass man das Böse im Ort nicht einmal erwähnen dürfe. Das Leben imitierte die Kunst, wie Oscar Wilde bemerkt hätte. Als sie schließlich im Wald waren und tagelang von den Regisseuren festgehalten wurden, begann das, was später an The Blair Witch Project so gerühmt werden sollte: die Atmosphäre von Bedrohung und das Ausbrechen echter Emotionen bei den Schauspielern. »Als wir den Vertrag unterschrieben, sagten sie uns: ›Wir garantieren Eure Sicherheit. Euer Wohlbefinden nicht.‹ Und sie machten es von Anfang unmissverständlich klar«, erklärte Leonard. »Der Kopf versteht das, aber tatsächlich kann man sich überhaupt nicht darauf vorbereiten.« 112 So zehrte der Nahrungsmangel an ihnen, der Nikotinentzug, weil die Zigaretten ausgingen, das Ungeduschtsein, die regennassen Schlafsäcke, der fehlende Schlaf. Das alles, während man mit zwei Fremden im Wald festsitzt und die ganze Nacht Schreie um das Zelt zu hören sind. Das alles, während sie weiter verpflichtet waren, sich gegenseitig zu filmen und sich

damit zusätzlich auf die Nerven gingen. So entstanden Szenen von herausragender Intensität, etwa als die völlig entkräftete und nervlich zerrüttete Heather Donahue nachts die Videokamera vor das Gesicht hält und eine Abschiedsnachricht spricht, in der sie sich für ihre Überheblichkeit entschuldigt und panisch aufhören muss, weil vor dem Zelt wieder die Geräusche anfangen. Bilder, die ins |80|popkulturelle Archiv eingegangen sind und zum Emblem für den Film geworden sind. Die ökonomischen Zwänge, die zu diesem Film geführt hatten, betrafen natürlich auch seine Vermarktung. Wenn kein Geld für perfekte Bilder da war, dann gab es auch nichts, um alles ins beste Licht zu rücken. Eine Internetseite zu gestalten und ins Netz zu stellen, war die billigste Möglichkeit, um viele Menschen zu erreichen und sie auf den Film aufmerksam zu machen – theoretisch zumindest. Aber statt einfach eine bessere Werbebroschüre zu gestalten und auf die Vorzüge des eigenen Produkts hinzuweisen, hielten sich Sanchez und Myrick konsequent an die von ihnen selbst aufgestellten Regeln. Wenn man es schon den Schauspielern und der Kameratechnik überlassen hatte, wie sich der Film entwickeln würde, warum sollte man den Zuschauern sagen, was sie denken sollten? Wäre es nicht besser – und genauso kostengünstig –, wenn man auch ihnen nur die Hintergrundgeschichte gäbe, einige Zeugen mit Informationen ausstattete und ansonsten der Rezeption freien Lauf ließe? Die Chancen standen nicht schlecht, dass ebenso echte Emotionen entstehen würden, die dann irgendwann mit dem Film in

Verbindung gebracht werden konnten. Also stellten sie die Website www.blairwitch.com ins Netz, die abgesehen von einem Link zur Produktionsfirma Haxan Films keinen Hinweis darauf gab, dass es irgendwann einen Kinofilm geben könnte, der The Blair Witch Project heißen würde und vollständig auf die Einbildungskraft von Daniel Myrick und Eduardo Sanchez zurückzuführen war. Ihre Rechnung ging auf. Der Hype um die Seite explodierte und als der Film ein Jahr später herauskam, strömten Millionen von Menschen in die Kinos und machten The Blair Witch Project mit 240 Millionen Dollar Einnahmen zum profitabelsten Film aller Zeiten, wenn man ihn an seinen Produktionskosten von 35.000 Dollar misst. Und die Presse hatte eine Geschichte, die sich vom Üblichen abhob. Während der Film selbst von Journalisten bestenfalls maue Belobigung erhielt, stiegen sie in den Rezensionen zu emphatischen Höhenflügen auf, wenn es um den Internetkult ging, der den Film zu dem gemacht hatte, was er nun war. Wie sich die Vermarktung des Films zu einer eigenständigen Geschichte, gar Legende entwickelte, die das eigentliche Produkt überlagerte und sogar verdrängte, lässt sich exemplarisch an einer Reihe von Artikeln des Spiegel ablesen. So schrieb Martin Wolf in seinem Artikel über das amerikanische Phänomen am 16. August 1999 über die »raffinierte Vermarktung« des Films: |81|»Bereits im Juni 1998, mehr als ein Jahr vor dem Filmstart,

veröffentlichte das Team um Myrick und Sanchez im Internet einige Filmsequenzen, gefälschte Zeitungsausschnitte (›3 Students Missing‹) und ein angebliches Tagebuch von Heather. Dass es sich um eine Fiktion handelte, wurde mit keinem Wort erwähnt. Prompt bildete sich eine kleine Fangemeinde; einige Mitglieder glaubten gar, es handele sich um eine echte Dokumentation.« 113

Als The Blair Witch Project im November 1999 dann in Deutschland anlief, referierte Susanne Weingarten noch einmal den »clevere[n], gut einjährige[n] Werbefeldzug via Internet, der den Film so geschickt seiner Zielgruppe [...] verkaufte, dass es gar nicht nach Hype aussah«, 114 und stieß auf Zustimmung beim Kollegen Manfred Müller von Spiegel Online, der die »geschickt eingefädelte PR-Kampagne« lobte, »die mit einer effizienten Internet-Performance einen eigendynamischen Verlauf genommen hatte«. 115 Das Phänomen, dass eine »immens erfolgreiche Webseite [...] eine regelrechte Mythologie um den Film aufgebaut und die Erwartungen der Fans angeheizt« 116 hatte, inspirierte Rüdiger Sturm im Dezember 1999 zu einem Artikel über die generelle Hinwendung der Hollywood-Produzenten zum InternetMarketing. Und in einer langen Tirade über das Verschwinden der Wahrheit im World Wide Web im Januar 2000 war The Blair Witch Project eines der wichtigsten Beispiele für Autor Thomas Tuma: »[Er] wurde nicht zuletzt deshalb der profitabelste Film aller Zeiten,

weil er sich seinen Mythos vorher im Netz selber schuf. Monatelang geisterten die vermeintlichen Original-Dokumente über den Tod dreier Hexenjäger durch den Cyberspace. Der Film war am Ende nur Schluss- und Höhepunkt des lang geschürten Aberglaubens.« 117

Kurz gesagt, der Film war nicht wichtig um seiner selbst willen, sondern nur als Bestandteil einer übergreifenden Erzählung von einem Coup im Internet, schillernd, als hätte »Orson Welles ein Saufgelage mit Ann Rice« gehabt, wie es Todd Allen auf indignantonline.com ausdrückte. 118 So mächtig war diese Erzählung, dass sie die wahre Geschichte einer Geschichtsfälschung verdrehen konnte. Nicht der Film sollte mit der Website beworben worden sein, sondern der Film ergab sich aus dem Erfolg eines Netzprojekts: »Der Film entstand aus einer Sage. Diese wiederum ist von ein paar InternetExperimentalisten völlig frei erfunden. Sie wollten eine außergewöhnliche Site ins Netz stellen und schon kam ihnen die Idee für diese Hexensage«, erklärte www.cineclub.de mit voller Inbrunst. Um dann alles andere dieser Logik unterzuordnen: »Diese Site avancierte innerhalb kürzester Zeit vom Geheimtipp zu einer der meistbesuchten |82|Homepages in Amerika. Man wollte einen Film drehen, doch fand keinen Gefallen am Hollywood-Hype.« 119 Soweit die Geschichte davon, wie ausufernde Mund-zu-MundPropaganda in Kombination mit geschickt behaupteter Authentizität einen billigen Amateurfilm zu einem Blockbuster machen konnte.

Aber ist das nicht zu gefällig? Zeigt das letzte Beispiel nicht, dass hier der Wunsch Vater des Gedankens war? Die Kommunikation über Kommunikation beim Medienereignis nimmt oft die Form einer Debatte an. Artikel entstehen, die andere Artikel in Frage stellen. Schreibt jemand einen Leitartikel über ein Thema, schreibt ein anderer einen anderen Leitartikel darüber, dass der andere keinen Leitartikel zu jenem Thema hätte schreiben dürfen. Wenn man sich sogar selbst auf diese Weise widerspricht, ist das umso besser, weil die Ausbreitung des Ereignisses im eigenen Organ stattfindet und man sich keine Gedanken über Nachrichtensuche machen muss. Was könnte nachrichtenwerter sein als die Enthüllung, dass die Sensationsgeschichte des Vortages überhaupt keine Sensation ist? Nur drei Tage, nachdem ihre Kollegin Mary Elizabeth Williams auf Salon den Film als Premiere eines »Cross-Media-Storytellings« gepriesen hatte, bei dem die »Filmemacher, wohl ahnend, welche Neugier es provozieren kann, ingeniöse alternative Informationsquellen zur Verfügung gestellt hatten«, 120 meldete Patrizia Dilucchio an derselben Stelle in bester investigativer Journalistentradition Zweifel am selbstgeschürten Hype an. »Die Blair Witch Project-Macher haben ihre Freunde instruiert, die Fanseiten herzustellen«, zitiert sie einen Filmindustrie-»Insider«. »Das war eine organisierte Anstrengung. Was da passierte war Pressebetrug.« 121 Myrick und Sanchez hätten unter Pseudonym

selbst Rezensionen geschrieben und im Netz verbreitet. Beweise hatte Dilucchio keine, aber eine Reihe von Indizien. Zum Beispiel die permanenten Aufforderungen auf den Fanseiten, den Film auf Seiten wie der Internet Movie Database oder Ain’t It Cool News eine hohe Punktzahl zu geben, um ihre Sichtbarkeit dort zu erhöhen. Oder die Tatsache, dass die Betreiber der Seite The Blair Witch Project Fanatic’s Guide auf http://tbwp.freeservers.com, Abigail Marceluk und Eric Alan Ivins, in einem Pseudo-Dokumentarfilm über Donahues Pseudo-Film auftreten und dort die AnthropologieStudenten spielen, die das Filmmaterial bei Grabungen unter der Hütte aufgespürt haben wollen. |83|Diese Indizien sind nicht von der Hand zu weisen, man muss sich allerdings fragen, ob die Presse wirklich betrogen worden ist. Denn anonyme Rezensionen im Netz sind nichts Unübliches, und dass Myrick und Sanchez ihren Film gut finden, ist wohl auch verständlich. Curse of the Blair Witch – der PseudoDokumentarfilm, von dem Dilucchio spricht – lief lange vor The Blair Witch Project auf dem Sci-Fi-Channel, einem Ort, an dem man nicht unbedingt seriöse Tatsachenberichterstattung erwarten darf. Nirgendwo wird verschleiert, dass Marceluk und Ivins sowohl im Film auftreten als auch die Seite betreiben. In beiden sind sie namentlich genannt, so dass die Verbindung jederzeit gezogen werden konnte. Der Vorwurf muss nicht den Filmemachern gelten, sondern den Journalisten. Wie konnte man ernsthaft an die selbstgeschaffene

Legende vom Mund-zu-Mund-Blockbuster glauben, wo es doch so viele klassische und offen sichtbare Vermarktungselemente gab: Der Film lief Monate vor seinem Filmstart auf dem Sundance Festival und gewann einen Preis in Cannes, die Verleihfirma Artisan schaltete eine Reihe von Trailern für den Film im Fernsehen und in den Kinos, The Cult of the Blair Witch lief als ständige Wiederholung im Fernsehen und zum Filmstart erschienen Artikel in großen Zeitungen wie der Washington Post, in denen vom Internet kaum die Rede war. »Ist es nicht denkbar, dass die Trailer, das Fernseh-Special, die umfangreiche Medienberichterstattung und der Film selbst Millionen zur Website brachten und nicht umgekehrt?« 122 , fragt sich Rob Walker rückblickend auf das Medienereignis. »Bei genauer Betrachtung ist die Vorstellung, dass sein Erfolg rein auf einer Internet-Flüsterkampagne beruhte, genauso real wie die Hexe von Blair.« 123 In seinem Buch über das »älteste Massenmedium der Welt« erklärt Jean-Noël Kapferer die erfolgreiche Verbreitung von Gerüchten mit der Tatsache, »dass das Gerücht unsere Intuitionen, Gefühle und Ansichten bestätigt«: »Die psychologischen Vorteile, die man aus der Zustimmung zu einem Gerücht und aus der Mitwirkung an ihm zieht, rechtfertigen bei weitem, dass man dessen Glaubwürdigkeit nicht allzu genau prüft [...]. Daher darf man den Erfolg eines für manche ›unglaublichen‹ Gerüchts nicht einer Verblendung anlasten, die von dem fanatischen Verlangen hervorgerufen werde, an das Gerücht zu glauben: Dieser

Erfolg zeigt auch, dass das Gerücht, wenn man vom aktuellen Kenntnisstand der Öffentlichkeit ausgeht, nicht unwahrscheinlich ist.« 124

Im Jahr 1999 gab es bereits einen öffentlichen Kenntnisstand vom Internet, allerdings konnte man noch nicht von der Öffentlichkeit in Bezug auf |84|das Netz sprechen. Es gab mindestens zwei Öffentlichkeiten, die erst langsam ineinander übergingen. Zum einen diejenigen, die schon länger das World Wide Web benutzten und mit seinen Möglichkeiten und Gepflogenheiten vertraut waren. Hier gab es eine netzinterne Öffentlichkeit, die sich in Foren oder Newsgroups austauschte. Zum anderen gab es aber auch alle, die gerade erst ins Netz gegangen waren oder darüber nachdachten, dass sie auch unbedingt ins Netz gehen müssten. Für diese Neulinge oder Zukünftigen gab es eine Medienöffentlichkeit, in der vom Internet erzählt wurde. Diese Erzählungen bestätigten die Intuition, dass ein Kommunikationswandel stattfand, berührten das Gefühl, dass es wichtig war, sich Netzkompetenz anzueignen, und verstärkten die Ansicht, dass das World Wide Web ein Reich der unbegrenzten Möglichkeiten war. Die Geschichte vom Blair-Witch-Gerücht allerdings, die von der Presse genüsslich erzählt worden war, um den neuen Internetbenutzern zu verdeutlichen, dass man genau prüfen muss, was Wahrheit und was Fälschung ist, demonstrierte allerdings, dass auch viele Journalisten zu den Netzneulingen gehörten. Bei The

Blair Witch Project ging es nicht wie bei der Lewinski-Affäre darum, dass ihr Stand angegriffen wurde und dagegen vorgegangen werden musste. Hier gab es eine Erfolgsgeschichte zu vermelden, die nichts mit den traditionellen Medien zu tun hatte, und die deshalb bereitwillig kolportiert wurde. Der psychologische Vorteil, der aus der Zustimmung gezogen werden konnte, um in der Terminologie von Jean-Noël Kapferer zu bleiben, bestand darin, dass die eigene Kompetenz im Umgang mit dem neuen Medium dargestellt werden konnte. Tragischerweise gingen die Journalisten damit dem Gerücht auf dem Leim, dass Millionen von Internetnutzern einem Gerücht auf den Leim gegangen waren. Nicht, dass das schlimm gewesen wäre. Eine schöne Geschichte war es so oder so. Die Moral, dass im Internet nicht alles so ist, wie es scheint, vermittelte sich auch so. Soweit die Geschichte vom Gerücht, dass The Blair Witch Project aufgrund eines Gerüchts im Internet Erfolg gehabt hat. Aber kann man einer Geschichte glauben, bloß weil sie in einem Buch steht und nicht in einem Internetforum oder einer Tageszeitung ...?

7. Das leise Grummeln einer fernen Zivilisation |87|

SETI@home, 1999 Es war nicht im Jahr 2010, wie uns die Fortsetzung von Stanley Kubricks Filmklassiker 2001 weismachen wollte, dass wir Kontakt aufnahmen. Sondern 1972. Die amerikanischen Sonden Pioneer 11 und 12 wurden ins All geschossen, um als erste menschliche Artefakte unser Sonnensystem zu verlassen. Irgendwann, wenn sie auf einem der möglichen Planeten der Sonne Aldebaran im Sternbild Stier aufschlagen sollten, wird vielleicht einer der dort hoffentlich existierenden Außerirdischen die Trümmer der Sonde untersuchen und eine seltsame Plakette hervorziehen. Er wird denken, dass die regelmäßige Form auf irgendeine Bearbeitung schließen lässt, wird aufgeregt sein, weil das ein lang erwartetes Zeichen einer fremden Intelligenz sein könnte, wird die Oberfläche untersuchen, um noch mehr Indizien zu finden, vielleicht sogar eine Botschaft entziffern zu können. Aber obwohl es zunächst so scheint, wird er die wirren Linien auf der Oberfläche der Plakette nicht deuten können und sie schließlich als zufällige Kratzer abtun. Wie sollte er auch als nicht kohlenstoffbasierte, asexuelle Lebensform in den wabbligen Formen auf der rechten Seite Männchen und Weibchen einer säugenden Spezies erkennen

können? Wie könnte er die Umrisszeichnung im Hintergrund mit der Sonde in Verbindung bringen, wo sie doch beim Aufprall völlig zerstört und deformiert wurde? Kann man ernsthaft erwarten, dass er in zwei Kreisen und vier Strichen den Hyperfeinstrukturübergang des Wasserstoffs, seine Spin-Flip-Transition vom Elektron-Status »spin up« zu »spin down« erkennt, was in Beziehung mit dem einzelnen Strich, der für die Binärzahl Eins steht ergibt, dass die Wellenlänge der Wasserstoffschwingung von 21 cm erkennen lässt, dass die Frau, die die Binärzahl Acht neben sich stehen hat, acht mal 21 cm, also 1,68 Meter groß ist? Es wäre also nicht verwunderlich, wenn unser Kontaktversuch |88|scheitern würde und die schöne goldbeschichtete Aluminiumplatte in irgendeinem Forschungsarchiv auf Aldebaran verschwinden würde. Es ist allerdings richtig, dass der erste Kontakt, den Außerirdische mit uns aufgenommen haben, 1977 stattgefunden haben könnte, wie es Stanley Kubricks Freund Steven Spielberg in seinem Film Unheimliche Begegnung der dritten Art suggeriert. Nur geschah das nicht per Raumschiff, sondern mittels Radiowellen. Eine Methode, die Wissenschaftler schon seit langem für die geeignetste halten, um im Weltraum auf sich aufmerksam zu machen, weshalb auch seit den sechziger Jahren verschiedenste »Search for Extraterrestial Intelligence«-Programme, kurz SETI, mit Radioteleskopen ins Leben gerufen worden waren. Eines dieser Projekte war das »Big Ear« der Ohio State University. Am 15. August 1977 empfing der dort beschäftigte Astrophysiker Jerry

Ehmann ein 72 Sekunden langes Signal. Es war mit dem 50-fachen der Standardabweichung stärker als das normale Hintergrundrauschen. Seine Bandbreite betrug weniger als zehn Kilohertz. Außerdem war seine Frequenz sehr nahe an der Frequenz, mit der Wasserstoff während des HyperfeinstrukturÜbergangs schwingt. Für einen Physiker war das eine Sensation. Ehmann schrieb ein ehrfürchtiges »Wow!« neben den Computerausdruck des empfangenen Signals und gab ihm damit den Namen, mit dem es in die Wissenschaftsgeschichtsbücher eingegangen ist: das »Wow!-Signal«. Der Versuch, in dem Signal eine Botschaft zu finden, schlug jedoch fehl. Die beste Übersetzung lautete »6EQUJ5«, so dass der Verdacht blieb, es könne sich um zufällige Frequenzschwankungen handeln. Wie sollte man als kohlenstoffbasierte, sexuelle Lebensform auch die Formensprache einer fremden Intelligenz entziffern können? Dazu bedürfte es einer Menge an Rechenkapazität. Die nicht nur für die Dechiffrierung der Botschaften eingesetzt werden müsste, sondern hauptsächlich dazu, die Botschaften überhaupt erst einmal in der ungeheuren Menge an Rauschen zu finden, das tagtäglich von den Radioteleskopen dieser Welt eingefangen wird. Denn die Chance ist sehr gering, einen Jerry Ehmann zur richtigen Zeit am Empfänger sitzen zu haben, der eine Wasserstoff-HyperfeinstrukturÜbergang-Schwingung auch erkennt, wenn sie da ist. Geringer wohl noch als die Möglichkeit, dass es intelligentes und kommunikationsfreudiges Leben im All gibt. Besser geht das mit

Computerprogrammen, die mit bestimmten Filtern alles durchforsten und Regelmäßigkeiten aufspüren. Aber Computer, deren Leistung ausreichen würde, um eine solche Aufgabe dauerhaft auszuführen, sind fast unerschwinglich, |89|die könnten nur mit staatlicher Förderung angeschafft werden. Leider steht die Suche nach außerirdischem Leben nicht sehr weit oben auf der To-Do-Liste von Regierungen, die sich erst einmal um Haushaltsdefizite, soziale Sicherheit, Wirtschaftsförderung und Landesverteidigung kümmern müssen. Ein Doktorand an der Universität Berkeley, David Gedye, sah 1995 eine Fernsehdokumentation über das Apollo-Mondprogramm der NASA und war beeindruckt, welche Begeisterung es in den sechziger Jahren in der Bevölkerung hatte auslösen können. Die Menschen hatten das Gefühl, dass sie einen großen Schritt in ihrer Entwicklung taten, dass sie über sich hinauswuchsen und ein neues Zeitalter begannen. Gedye wünschte sich, dass seine Generation in einer ähnlichen Aufbruchstimmung wäre, aber Ikonen dieser Zeit waren Leute wie Kurt Cobain, Sänger der Rockband Nirvana, der sich nach drei Platten voller nihilistischer Songs angesichts der Sinnlosigkeit der Welt erschossen hatte. Die einzige Begeisterung, die er ansatzweise erkennen konnte, gab es für das sich gerade entwickelnde World Wide Web. Und weil Gedye nicht nur am Apollo-Programm, sondern auch an SETI interessiert war, hatte er die Idee, ob man nicht im Internet eine neue identitätsstiftende Großunternehmung starten könnte. Wie wäre es, wenn nicht nur

einige verschrobene Wissenschaftler nach Außerirdischen suchen würden, sondern jeder, der einen Computer zu Hause hat? »SETI zuhause« sozusagen, beziehungsweise im neuen Modejargon: »SETI@home«. Die Idee war simpel. Man musste sich nur noch einmal klar machen, dass das Internet aus unzähligen zusammengeschalteten Computern besteht, die zwar ständig darum bemüht sind, die Kommunikationsbedürfnisse ihrer Benutzer zu erfüllen – E-Mail, Webseiten-Darstellung, Chat oder Download von Dateien –, die mit der Erfüllung dieser Aufgabe aber weit entfernt davon sind, ausgelastet zu sein. Ihre Prozessoren könnten in jeder Sekunde, in der sie hunderttausend Berechnungen zur E-Mail-Übertragung anstellen, noch viele Millionen anderer Rechenprozesse durchführen. Wenn sie denn nur eine entsprechende Aufgabe hätten, die ihnen einzelne Privatnutzer niemals geben könnten. Im Netzwerk aber könnte ihnen eine solche Aufgabe zugewiesen und die Ergebnisse ihrer Arbeit auch wieder abgeholt werden. Millionen von Computern könnten sich so eine Aufgabe von gewaltigem Ausmaß teilen. Etwa die gesammelten Radiosignale aus dem All auf Botschaften von Außerirdischen abzusuchen. |90|Diese Idee wurde 1998 vom Smithsonian Institute mit einer Medaille für technologische und wissenschaftliche Innovation ausgezeichnet. Zu diesem Zeitpunkt mussten die Initiatoren des Projekts aber immer noch um lächerliche 200.000 Dollar kämpfen, um die Entwicklung einer Software zu finanzieren, die es

Privatpersonen ermöglichen würde, sich an diesem »distributed computing«, wie es genannt wird, zu beteiligen. Es sollte bis zum 17. Mai 1999 dauern, bis auf der Seite www.setiathome.ssl. berkeley.edu ein Bildschirmschoner heruntergeladen werden konnte, der den eigenen Computer für die große Sache verpflichtete. Das war kein kommerzielles Unternehmen, den Computerbesitzern und Internetsurfern dieser Welt wurde kein Geld versprochen, nur die »kleine (aber durchaus reale) Chance [...], dass gerade sein Computer das leise Grummeln einer fernen Zivilisation jenseits der Erde entdeckt«. 125 David Gedye schien Recht zu behalten. Die Menschen hatten ein großes Bedürfnis danach, dass wieder Grenzen überschritten werden, eine transzendentale Sehnsucht gewissermaßen. Innerhalb einer Woche war das Programm SETI@home bereits eine halbe Million Mal heruntergeladen worden. Ein Erfolg, mit dem niemand gerechnet hatte und der die Serverkapazitäten in Berkeley überforderte. Stillschweigend wurden in den ersten Wochen immer wieder dieselben Datenpakete an die Mitwirkenden in aller Welt verschickt, weil man mit der Auswertung der Berechnungen nicht nach kam. Und schon breitete sich SETI@home in den Medien aus. Nach den Sensationsartikeln der ersten Tage folgten die Skandalartikel der nächsten Tage. Wired warf den Verantwortlichen »die bislang weltweit größte Verschwendung an Rechenzeit und Energie« vor, schätzungsweise »stündlich weltweit acht Tonnen fossiler Energie«. 126 Ein seltsamer Vorwurf, wo doch

Rechenkapazität verwendet wurde, die sowieso zur Verfügung stand und ohne Verwendung ebensoviel Energie erfordert hätte. SETI@home war dadurch allerdings im Gespräch und es bot den Betreibern des Projekts die Gelegenheit, zu diesen Vorwürfen Stellung zu nehmen und Besserung zu geloben, sich also weiter in den Medien zu präsentieren und SETI@home zu einem Medienereignis werden zu lassen. Das ging bis zu einer »Entführung« des Ereignisses, wie es Daniel Dayan und Elihu Katz in ihrem Buch Media Events genannt haben. Ähnlich wie der Flitzer im Stadion die Aufmerksamkeit auf das Fußballspiel für seinen Auftritt missbraucht, wurde die Seite von Fremden manipuliert und zeigte für kurze Zeit einen Steckbrief für den Fernsehaußerirdischen Alf. Weitere |91|Artikel waren die Folge. Das Technikmagazin Slashdot titelte gar ironisch »Von Außerirdischen gekapert?«. SETI@home war ein heißes Thema in den Medien. Ob das der Grund war, dass die Teilnehmerzahlen ständig stiegen, oder ob umgekehrt die jährlichen Zuwächse im Millionenbereich nachrichtenwert genug waren, um immer wieder Berichte über das Projekt zu generieren, lässt sich wohl nicht entscheiden. Höchstwahrscheinlich beides. Das neonfarbene Frequenzmuster als Bildschirmschoner laufen zu haben, war in bestimmten Kreisen jedenfalls sehr angesagt. Es war ein Zeichen für Zeitgenossenschaft, wie es in den siebziger Jahren das Poster des auf dem Klo sitzenden Frank Zappa für Wohngemeinschaften war. Natürlich gab es Einige – allen voran die Betreiber des Projekts –, die auf die Sensation

spekulierten, dass mit dieser Methode tatsächlich der Beweis für außerirdisches Leben gefunden werden würde. Auch die Aussicht auf den Ruhm, den man erlangen würde, wäre es der eigene Computer, der die Botschaft entdeckt hätte, war bestimmt reizvoll. Aber dass die Teilnehmerzahlen bewiesen, »wie groß das öffentliche Interesse an der Suche nach extraterrestrischer Intelligenz ist und wie viele Menschen gerne an richtiger Forschung beteiligt werden wollen«, wie es euphorisch der Vorsitzende der Planetary Society Louis Friedman verkündete, darf wohl bezweifelt werden. 127 Die Allermeisten reizte die Skurrilität des Unterfangens, die mit avanciertester Technikanwendung gekoppelt war. Was den Spontis ihr Zappa-Poster, den Yuppies ihr Filofax, das war den Nerds der späten neunziger Jahre ihr SETI@home-Bildschirm. Das eigentliche Ereignis war nicht die Möglichkeit eines Kontakts mit Außerirdischen, auch nicht die Akzeptanz, die SETI in der Bevölkerung zu haben schien, sondern dass es das »weltweit größte Computer-Experiment« darstellte, wie Harald Zaun lakonisch zum zweiten Geburtstag des Projekts anmerkte. 128 Es war die Demonstration eines beiläufig entstandenen enormen Potenzials. Dadurch, dass Millionen von Menschen ihre individuellen Kommunikationsbedürfnisse mit dem World Wide Web befriedigten, war gleichzeitig eine gewaltige kollektive Apparatur entstanden. SETI@home machte deutlich, dass der einzelne private Computer auch Teil eines Supercomputers war, der unabhängig vom Tun der Nutzer und ohne dieses zu beeinträchtigen

operieren konnte. Die Suche nach Intelligenz war also erfolgreich gewesen, sie war allerdings nicht außerirdisch sondern bestenfalls meta-irdisch: die Eigendynamik eines komplexen Systems, das neben seinem eigentlichen Zweck noch |92|ganz andere Effekte hat. Das Prinzip, dass Rezeption kreativ geworden ist, lässt sich am »distributed computing« erneut beobachten. Die Irrelevanz der Aktivität der Nutzer ist aber noch augenfälliger als es bei der Nachrichtenweitergabe à la Matt Drudge oder The Blair Witch Project ist. »Während Sie Kaffee trinken, etwas essen oder vielleicht vor dem Monitor eingeschlafen sind«, versprach der Text auf der SETI@home-Seite, »wird Ihr Computer dabei mithelfen, Daten vom größten Radioteleskop der Welt zu analysieren, um intelligente Signale aus dem Weltraum aufzuspüren.« 129 Die einzige Aktivität, die vom Einzelnen verlangt wird, ist, einen Computer und eine Internetverbindung haben zu wollen, egal zu welchem persönlichen Zweck. »Egal, wie leistungsfähig individuelle Computer geworden sind, sie werden alleine niemals so stark sein wie im Kollektiv«, erklärte Howard Rheingold in Wired und postulierte: »Die brachliegenden Computerressourcen der Welt einzufordern, könnte zur nächsten Entwicklungsstufe des Computers führen [...]. Und all das kann stattfinden, während Sie gerade aufgehört haben, am Computer zu arbeiten.« 130 Wieder einmal war das Ereignis nicht das Hereinbrechen eines außergewöhnlichen Geschehens in die Routine des Alltags, nicht die

heroische Tat eines Einzelnen, sondern die Erkenntnis, dass sich etwas über längere Zeit angesammelt hatte und nun nicht mehr zu übersehen war. Ein solches Ereignis muss aber durch irgendetwas sichtbar gemacht werden, und genau das leistete SETI@home für den unterschwelligen Strukturwandel der Gesellschaft durch ein Computernetzwerk. Plötzlich sah man Möglichkeiten, von denen man vorher noch nicht gewusst hatte, dass man sie gerne haben würde. SETI@home ließ nicht nur den Netztheoretiker Howard Rheingold von einem neuen Zeitalter träumen. Von diesem Erfolg inspiriert, wollten dann viele von der neuen Struktur profitieren. Das Computermagazin Red Herring rief 2000 »distributed computing« zum neuen Trend aus und sofort entstanden Firmen, die das Computernetzwerk der Welt für ihre Zwecke benutzen wollten. Um Verschlüsselungscodes zu knacken und andere mathematische Probleme zu lösen, gründete David McNett distributed.net. Weil ihm das zu idealistisch war, löste sich Mitarbeiter Adam Beberg schon nach kurzer Zeit von distributed. net, um sein Know-How mit seiner Firma Cosm jedem zur Verfügung zu stellen, der irgendein Problem hatte und Geld zu zahlen bereit war. Auch David Anderson, der jahrelang Mühe hatte, ein paar Tausend Dollar für SETI@home zu bekommen, bekam plötzlich dreizehn Millionen Dollar Risikokapital zur Gründung des Unternehmens United Devices. Applied |93|MetaComputing ermöglichte Kunden wie der NASA oder dem Pentagon, dass sie mit einer Software namens LEGION das interne Computernetzwerk zum »distributed

computing« verwenden können. Die kommerzielle Zukunft sieht rosig aus. »Berechnungen durchführen zu können wird zur Selbstverständlichkeit«, erklärt David McNett. »Wenn Pixar demnächst Toy Story 3 ins Kino bringen will, dann werden sie keine neuen Computer kaufen, sondern sich einfach ein Angebot für ›distributed computing‹ einholen.« 131 Die beteiligten Computerbesitzer werden dann für ihre Berechnungen entlohnt; je mehr Leistung ihr PC bringt, desto höher wird die Beteiligung am Projektgewinn sein, den die Firma erzielt. Wer weiß, was sich aus dieser Intelligenz entwickeln wird, die da mit einem Lifestyleprodukt entdeckt worden ist? Die Biologen Christopher Snow und Vijay Pande von der Standford University haben »distributed computing« jedenfalls schon erfolgreich einsetzen können, um die Faltprozesse von Proteinmolekülen zu analysieren, ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Heilung von Alzheimer, Parkinson und anderer Krankheiten. Myles Allen in Oxford verbessert mit seinem Climateprediction.net stetig die Verfahren, mit denen Veränderungen des Erdklimas berechnet und Katastrophen vorhergesagt werden können. Bruce Allen in Milwaukee versucht mit Hilfe von Tausenden privater Computer den ersten Nachweis von Gravitationswellen im Weltall zu liefern, die sich als Hypothese in Einsteins Relativitätstheorie finden. Das MalariaControl.net will dazu beitragen, die Ausbreitung des Malaria-Erregers kontrollieren zu können, um gezielt Hilfeleistungen wie Moskitonetze, Chemotherapie oder Impfstoffe erbringen zu

können. Und durch orbit@home werden wir wahrscheinlich nicht mehr wie im Film Armageddon Bruce Willis und seine Mannen mit dem Space Shuttle losschicken müssen, um eine Zerstörung der Erde durch einen Meteoriten zu verhindern, weil eine solche Bedrohung schon sehr lange vorher erkannt und durch sinnvollere Maßnahmen abgewendet werden kann.

8. Die Lust am Schneeballeffekt

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Mahir Cagri, 1999 Als Mahir Cagri eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich im Internet zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt. Er saß vor seinem Monitor und sah, wenn er die Seite ein wenig herunterscrollte, sein schlecht sitzendes, braunes, von nachgemachten Hirschhornknöpfen verziertes Zweireihersakko, zum gänzlichen Niedergleiten bereit, weil seine hängenden Schultern es kaum halten konnten. Seine vielen Hobbys, die »music enstruments my home I can play«, der Sport – »swiming«, »basketball«, »tennis«, »volayball«, »walk« – das Reisen in »3-4 country every year«, seine »profession jurnalist, music and sport teacher«, sein »psycolojy doctora« und seine Vorliebe »to take foto-camera (amimals, towns and peoples)« – all das flimmerte ihm hilflos vor den Augen. 132 »Was ist mit mir geschehen?«, dachte er. Es war kein Traum. Seine Homepage, eine richtige, nur etwas zu unprofessionell gestaltete Seite, flimmerte ruhig auf dem wohlbekannten Bildschirm. Auf der Seite, auf der Mahir Cagri eine Kollektion von privaten Fotos ausgebreitet hatte, die ihn beim Ping-Pong- und AkkordeonSpielen, beim Reisen und Sonnenbaden, beim geselligen Beisammensein mit anderen zeigten, standen plötzlich Dinge, die er niemals dort hingeschrieben hatte. Nicht nur, dass er Sport mochte

und Reisen, stand da, sondern auch »I like sex« und sein freundliches »Who is want to come TURKEY I can invitate« war ergänzt um »She can stay my home«. Mahirs Aufmerksamkeit richtete sich dann auf die Internetadresse. Das war nicht seine. Jemand hatte die Seite kopiert, verändert und unter einer eigenen Adresse ins Netz gestellt. Dass er keinen Zugriff auf seine Selbstdarstellung mehr hatte, dass man seine Website gekidnappt hatte, frustrierte ihn zusehends. »Wie wäre es, wenn ich noch ein wenig weiterschliefe und alle Narrheiten vergäße«, dachte er, aber das war gänzlich undurchführbar|96|, denn sein Telefon klingelte ununterbrochen. Auf der Seite stand ja seine Nummer, und aus irgendeinem Grund wollten nun Hunderte von Menschen mit ihm sprechen, Frauen, die sich mit »I kiss you!« meldeten, Männer, die ungläubig fragten, ob er tatsächlich der Mahir Cagri sei, viele Journalisten, die ihn nach seiner Seite ausfragten und um Interviews baten. »Ach Gott«, dachte er, »was für eine anstrengende Sache ist das doch, im Internet zu sein! Die Aufregungen sind viel größer als im eigentlichen Leben, und außerdem ist mir jetzt noch diese Plage des Telefonierens auferlegt, die Sorge um meine Homepage, die regelmäßig eintrudelnden EMails, ein immer umfangreicher werdender, andauernder, nie schwächer werdender menschlicher Verkehr!« Franz Kafka hatte natürlich keine Ahnung vom Internet, als er über die Verwandlung des Handlungsreisenden Gregor Samsa in einen

riesigen Käfer schrieb. Er wusste aber sehr genau Bescheid über das Verhältnis des einzelnen Menschen zu einer immer technischer und bürokratischer werdenden Gesellschaft. Der Käfer, zu dem Gregor Samsa wird, lässt sich auch als Metapher lesen für die Entfremdung, die sich einstellt, wenn man sich einem ökonomischen System unterwirft, das immer mehr Zugriff auf die eigene Person erhält und immer stärker die Handlungsmöglichkeiten kontrolliert. Was Mahir Cagri im November 1999 widerfuhr, hat damit sehr große Ähnlichkeit. Aus dem Gefühl heraus, sich mit dem neuen Medium Internet beschäftigen zu müssen, hatte er wie Hunderttausende andere auch eine krude private Homepage ins Netz gestellt, auf der er einige Fotos und ein paar belanglose Informationen präsentierte. Auch seine Telefonnummer war dort zu finden, wie es sich für eine Visitenkarte gehört, als die zum damaligen Zeitpunkt Homepages noch verstanden wurden. Man wollte ja nur die paar Menschen erreichen, die sich für einen interessierten, und wer sollte das schon sein außer Freunden und Bekannten und solchen, die es werden wollten? Mahir Cagri machte diese freundschaftliche Geste allerdings in einem System, dessen Ausmaß und Eigendynamik er nicht abschätzen konnte: dem Internet. »[M]anchmal geschehen [dort] kleine Wunder«, erklärte Spiegel Online, »als beschlösse ein Gott der Gemeinheit, sich seine Opfer heute mal in den Werbeagenturen dieser Erde zu suchen [...] – und irgendeine komische Webseite ist vor lauter plötzlichen Page Impressions kaum noch aufrecht zu

erhalten.« 133 Denn statt mit viel Geld, komplizierter Marktanalyse und geballter Kreativkompetenz einem Produkt zu großer Aufmerksamkeit |97|zu verhelfen, fiel Mahir Cagris Homepage gerade durch die Abwesenheit von jeglicher Öffentlichkeitsarbeitsund Design-Kompetenz auf. Mit zwei Millionen Besuchern Mitte November 1999 wurde sie zu einem unerwarteten Erfolg und Mahir Cagri zum ersten »Popstar des Internet«, wie Janko Röttgers meinte. 134 Aber was war so besonders an dieser Seite, fragte sich Janelle Brown in einem Artikel für Salon. War es »Mahirs ehrliches Bedürfnis, neue Freunde im Ausland zu gewinnen (besonders solche des weiblichen Geschlechts)«? Oder seine »unbändige Freude am Leben«, mit der er sich auf Ping-Pong und Akkordeon stürzte und die ihn »völlig ungeniert am Strand in einer winzigen Badehose liegen« ließ? »Oder vielleicht [war] es bloß sein gewinnendes Wesen: Großgewachsen, schlank, im schimmernden Anzug, schnurrbärtig und mit der wahrscheinlich ausladendsten Nase seit Cyrano de Bergerac?« 135 Wahrscheinlich alles auf einmal, und zusammen mit der Unbeholfenheit des Web-Designs entstand daraus die naive Extravaganz, aufgrund der man die Seite als Camp wahrnehmen konnte, wie zuvor die Trojan-Room-Coffee-Machine. Man konnte Mahir Cagri nicht ernst nehmen, obwohl er sich ernst gab, aber was da aus seiner »unbezähmbaren, unkontrollierbaren Erlebnisweise« 136 resultierte konnte gut in Anführungsstriche gesetzt und gefeiert werden.

Das allein hätte jedoch nicht genügt. Denn im Gegensatz zur Trojan-Room-Coffee-Machine, die relativ einsam ihren »campy« Charme verströmen konnte, gab es 1999 bereits Tausende von privaten Homepages, die Mahir Cagris »I Kiss You!!!!!«-Seite in Nichts nachstanden, wenn es um Unbeholfenheit und ahnungsloses Grafik-Design ging. Man konnte nicht sagen, dass eine dieser Seiten schlechter war als die anderen und deshalb besondere Aufmerksamkeit auf sich zog. Mahir Cagris Seite wäre heute immer noch von bestenfalls zweihundert Menschen besucht worden, hätte nicht jemand beschlossen, die Aufmerksamkeit auf ihn zu lenken. Die wenigen Änderungen, die der Entführer der Webseite vornahm, sind weniger wichtig als die Tatsache, dass er begann, Leute gezielt per E-Mail auf seine manipulierte Seite hinzuweisen. Mahir Cagri wurde von der Öffentlichkeit nicht gefunden, sondern er wurde gemacht. Was dann so besonders war an ihm und seiner Seite verdeutlicht eine Schilderung in Janelle Browns Artikel aus der ersten Woche des Hypes: »Als ich letzten Dienstag zum ersten Mal die Adresse von einem Mitarbeiter zugeschickt bekam, zeigte der Besucherzähler auf der Seite 11.000 Gäste. Am Ende des Tages, als ich zwei weitere Mails von Freunden erhielt, die mich auf die Seite hinwiesen|98|, waren es bereits 100.000. Als meine Schwester mir am Montag eine diesbezügliche Mail weiterleitete, überschritt die Zahl die halbe Million. Und die letzte Zählung auf Mahirs Seite ergab 700.000 Besucher. Nicht schlecht für einen anonymen Typen aus der

Türkei.« 137

Fasziniert ist Brown nicht vom kultigen Inhalt der Seite, der wird bei ihren wiederholten Besuchen nicht erwähnt und wird erst später als versuchte Erklärung herangezogen. Interessant für sie ist, dass sie immer wieder auf die Seite hingewiesen wird, dass sie über ihr eigenes Netz von Kontakten immer wieder von Mahir Cagri in Kenntnis gesetzt wird. Das ist so interessant, dass sie auf der Seite immer wieder überprüfen muss, ob es auch anderen so geht, und ihre Beobachtung des Besucherzählers treibt selbst die Zahl in die Höhe. Die »Lust am Schneeballeffekt« 138 hat Janko Röttgers das genannt, und das beschreibt den wahren Grund für den Erfolg von Mahir Cagri sehr genau. In seinem Theaterstück Six Degrees of Separation behauptet John Guare, der italienische Telekommunikationspionier Guglielmo Marconi hätte anlässlich seiner Erfindung des Radios verkündet, nun sei jeder Mensch auf der Welt über 5,83 Zwischenstationen mit jedem anderen Menschen verbunden. Wahrscheinlich ist diese Information künstlerischer Freiheit geschuldet, die den Urvater der audiovisuellen Kultur auch als Propheten des Netzwerkzeitalters sehen möchte. Nachweisbar hat aber der Sozialpsychologe Stanley Milgram in den sechziger Jahren Experimente zu einem Phänomen gemacht, das er »small world« nannte. Er schickte Briefe an diverse Arbeiter in Kansas und erklärte ihnen, dass die Briefe eine ihnen unbekannte Ehefrau eines Theologie-Studenten an der Harvard

University in Massachusetts erreichen müssten. Sie dürften die Briefe aber nur per Hand an andere Personen weitergeben, von denen sie glaubten, dass diese die Zielperson erreichen könnten. Diese nächsten Empfänger der Briefe sollten dann genauso verfahren wie sie. In seiner Auswertung dieses Experiments beschrieb Milgram, dass es im Durchschnitt fünf Zwischenstationen gab, bevor die Briefe ihr Ziel erreichten. Und das könnte bedeuten, dass wir tatsächlich auf der Welt alle nur sechs Personen voneinander entfernt leben. Dass Mahir Cagri im Internet in kürzester Zeit zu einem Superstar mit einer millionenstarken Fan-Gemeinde werden konnte, verwundert also nicht. Den Schneeball, der rollend immer mehr Schnee aufsammelt und dadurch größer wird, so dass er immer mehr Schnee aufsammeln kann, gab es schon immer, seine Rollgeschwindigkeit ist allerdings durch E-Mail |99|erheblich beschleunigt worden. Warum er rollt, bliebe immer noch ein Rätsel, hätte nicht im selben Jahr, in dem Mahir Cagri Karriere machte, der Physiker Albert-László Barabási eine Entdeckung gemacht, die als Erklärung dienen kann. Netzwerke wie das Internet haben nämlich bestimmte Eigenschaften. Sie sind weder geplant noch völlig zufällig, sondern sie wachsen stetig. Dieses Wachstum erfolgt nach dem Prinzip, dass neu entstehende Knoten des Netzes sich mit größerer Wahrscheinlichkeit mit den Knoten verbinden, die bereits die meisten Verbindungen aufweisen. Um noch einmal Janko Röttgers Formulierung zu benutzen, wäre das die »Lust« am

Schneeballeffekt, die Gewissheit, dass man an einer erfolgreichen Aktion beteiligt ist, wenn man andere auf die peinliche Homepage eines skurrilen Türken hinweist. Die »I Kiss You!!!!!«-Seite wurde zu einem Überknoten im Netz, weil jemand dafür gesorgt hatte, dass sie erheblich häufiger vernetzt war als andere Seiten mit ähnlicher Camp-Anmutung. Geholfen hat ihm dabei eine neue Kultur am Arbeitsplatz, wo man aufgrund der Ausstattung mit Computern und Internetverbindung nicht mehr vom Schreibtisch aufstehen muss, um mit seinen Arbeitskollegen und Freunden die Zeit totzuschlagen. Scott Adams hat das in einem seiner Dilbert-Comics treffend beschrieben, als er den intensiv in seinen Bildschirm starrenden und anscheinend schwer beschäftigten Dilbert fragen lässt, was die Menschen eigentlich vor der Erfindung des Computers gemacht hätten, um Beschäftigtsein zu simulieren. Denn nun kann man sich während der Arbeitszeit per E-Mail lustige Bilder oder Filme oder skurrile Web-Links schicken und mit Sinnlosigkeiten die Zeit totschlagen. Je öfter man von anderen auf etwas hingewiesen wird, desto besser muss diese Sache sein, und so scheint der Erfolg sicher zu sein, wenn man den eigenen Kollegen diese Sache empfiehlt. Aus diesen Gründen konnte Mahir Cagri beobachten, wie seine Netzpersona immer größere Wellen schlug. Zahlreiche MahirFanpages und Fanclubs entstanden, im Fernsehen wurde über ihn berichtet, Zeitungen wie der britische Observer oder die New York

Times veröffentlichten Features über das Phänomen, sein Foto erschien auf dem Titelblatt der türkischen Zeitung Sabah. Auf der Community-Seite MP3.com tauchte ein Song auf, eine Rezitation des kruden Textes seiner Homepage, unterlegt von Technorhythmen; sehr schnell kam das Gerücht auf, das Lied sei von Aphex Twin produziert worden, einem der Stars der Szene. Auf den Fan-Seiten wurde lautstark gefordert, Mahir Cagri solle einen Plattenvertrag bekommen. Überall im Netz konnte man Mahir-Bildschirmschoner herunterladen|100|, Mahir-Online-Spiele spielen, Mahir-Tassen, Mahir-T-Shirts oder -Aufkleber kaufen. Dann war auch zu hören, seine Geschichte solle verfilmt werden, Danny DeVito sei schon für die Hauptrolle engagiert ... Sehr schnell begann Mahir Cagri selbst daran zu glauben, dass er ein Star war. Auf Einladung der Internetfirma eTour.com tourte er im Dezember 1999 durch Amerika. Er trat in der Roseanne-Show auf, gab Interviews für die New York Times, die Los Angeles Times, den Boston Globe, das Wired Magazine und für Forbes. Abends war er Stargast auf Partys in den großen Städten der West- und der Ost-Küste, auf denen die Gäste »seinen Namen skandierten, als würden sie gerade ein Football-Spiel sehen«, wie Lindsey Arent zu berichten wusste. 139 Man ließ ihn »wie ein Zirkustier« in den verschiedenen Aufmachungen seiner Webseitenfotos auftreten, um den Gästen die Gelegenheit zu Erinnerungsfotos mit ihm zu geben. Außerdem konnte man im PingPong gegen ihn antreten und ihm beim Akkordeonspielen zuhören,

»der einzige authentische und wahrhaft transkulturelle Moment des Abends«. »Mahir schnallte sich das Instrument um, konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen und spielte in seinem eigenen Rhythmus einen lebhaften türkischen Song. ›I kiss you‹ schien er zu spielen.« Man könnte in euphorische Beschreibungen der Ländergrenzen sprengenden und völkerverbindenden Kraft des Internets ausbrechen. Mahir Cagri hat das selbst getan, als er einige Monate später der Weltöffentlichkeit einen von ihm verfassten Essay präsentierte und darin den Weltfrieden einforderte. Man könnte in dieser Geschichte einen basisdemokratischen Widerstand gegen die Diktate der Unterhaltungsindustrie sehen, wie es der Autor David Weinberger in der New York Times getan hat, als er sagte, »wir haben gezeigt, dass von jetzt an wir diejenigen sind, die darüber entscheiden, auf wen man zu achten hat«. 140 Man könnte daraus Rezepte ableiten, wie man seinen eigenen Erfolg designen kann, wie es etwa Lee mit Mahirähnlichen Homepages versuchte, auf denen ihre Jeans präsentiert wurden, oder Adidas, die in Werbespots einen Afrikaner präsentierten, der bei Fußballspielen »I kiss football« rief und ein Internet-Tagebuch darüber führte. Man könnte andererseits verzweifeln ob dieser kulturzersetzenden Kraft des Internets, in denen sich nicht Goethe, Beethoven oder Dürer durchsetzen, sondern schlechte Fotos von Ping-Pong spielenden Selbstdarstellern. Das könnte man alles machen. Wenn es nur nicht so wäre, dass Mahir Cagris Seite überhaupt keinen Inhalt und er selbst als berühmte Person nicht viel zu bieten

hat. Der eigentliche Star ist das Internet, das unkalkulierbare Effekte zeitigen kann. |101|Eine Revolte gegen die Unterhaltungsindustrie war der Mahir Cagri-Hype nicht, das würde bedeuten, dass man es bewusst hätte steuern können. Mit Demokratie hat Mahirs Erfolg auch nichts zu tun. Niemand hatte sich bewusst dafür entschieden, den türkischen Akkordeonspieler zu einer Galionsfigur des Widerstands zu küren. Es war einfach so, dass die eigene private Neugier und das eigene kleine Sozialgefüge, in dem man sich befindet, weitere Kreise zieht, als es einem bewusst ist. In früheren Zeiten konnte das niemand überblicken; dass Geschehnisse in Australien irgendetwas mit eigenen Aktivitäten in Deutschland zu tun haben könnten, schien völlig absurd. Mit dem Internet sieht man aber plötzlich Reaktionen, die eindeutig auf eigenes Handeln zurückzuführen sind. Eine kuriose Internetseite, die man morgens dem Kollegen im Nebenzimmer empfohlen hat, wird einem mittags von einem Freund aus einer anderen Stadt angepriesen, der ihre Adresse von seinem Onkel aus Brasilien geschickt bekommen hat. Die sechs Stationen, die zwischen uns allen stehen, sind mit E-Mail kurzgeschlossen. Wenn es denn etwas gibt, was sich lohnt weiterzuleiten.

9. Die Flasche, nicht der Wein

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Napster, 2000 Im Frühsommer des Jahres 2000 brach der Krieg aus. Nicht zwischen Nationen, auch nicht zwischen Wirtschaftsunternehmen, die inzwischen die Bedeutung erlangt haben, die früher Ländern und ihren Regierungen zukam. Sondern zwischen Firmen und denen, die sie sonst umgarnten und denen sie jeden Wunsch erfüllen wollten: ihren Kunden. Genauer gesagt »tobt[e] ein Guerillakrieg zwischen Plattenfirmen und computerkundigen Kids«, ein »Kampf«, den »die Musikfirmen kaum gewinnen« konnten, meinte damals zumindest der Spiegel-Journalist Hilmar Schmundt. 141 Und während »das Musikimperium« sich noch als Verfechter der gerechten Sache ihrer Mitarbeiter sah, der bei ihnen unter Vertrag stehenden Musiker nämlich, und »zurückschlug«, begannen diese bereits, sich ebenfalls auf verschiedene Seiten der Front zu schlagen und gegeneinander in einen »Krieg der Kreativen« zu ziehen, wie Christoph Dallach zu berichten wusste. 142 Einige unterstützten die Sache der rebellischen Fans, andere lieferten ihren Arbeitgebern mit teuren Klagen vor Gericht Schützenhilfe. Denn die Lage war sehr ernst, der Gegner hatte eine übermächtige Geheimwaffe zur Hand, wie man einer Schilderung von Hans-Jürgen Jacobs entnehmen konnte: »[A]ll die Erfolge im Showbusiness nützen derzeit wenig – das

Internet zerschießt den Konzernen die Gewinnmargen. Zu spät haben die Manager den neuen Vertriebsweg entdeckt – deshalb werden heute im Netz vor allem Raubkopien gehandelt, von privat zu privat, ohne Bezahlung von Urheberrechten. Das sei ›Musikpiraterie‹, wettert Universal-Chef Edgar Bronfman Jr., und im Kampf dagegen hätten die Konzerne ›dieselbe Rolle wie die Alliierten im Zweiten Weltkrieg‹.« 143

Es war allerdings unpräzise, dass die Waffe in diesem Krieg nur das Internet war. Sie bestand nämlich noch aus zwei weiteren Teilen: dem Dateikomprimierungsverfahren MP3 und einem kleinen Softwareprogramm |104|namens Napster, das der neunzehnjährige Student Shawn Fanning für seine eigenen Bedürfnisse geschrieben hatte. Er wusste nämlich, dass sein leidenschaftliches, aber talentloses Gitarrenspiel ihm niemals eine Karriere in der Musikindustrie eröffnen würde. Trotzdem wollte er ein eigenes Publikum für seine selbstgeschriebenen Songs gewinnen. Im Internet konnte man die eigenen Aufnahmen problemlos auf die eigene Seite stellen, die MP3-Komprimierung sorgte zudem dafür, dass die Dateien klein und herunterladbar waren. Sein Zimmergenosse im Studentenwohnheim hatte ihm aber erklärt, dass die Suche nach solchen Musikdateien im Internet eine frustrierende Angelegenheit war. Wenn man in den Suchmaschinen überhaupt Links fand, dann waren sie meistens schon tot. Viele User trauten sich auch nicht, die von CD herunterkopierten Musikstücke auf ihren Seiten zu verlinken, weil ihnen dann Musikpiraterie nachgewiesen werden

konnte. Er war sich sicher, dass es auf allen Festplatten der Welt so ziemlich jedes Musikstück geben müsste, das jemals auf einen Tonträger gepackt worden war, dazu noch die unzähligen Privataufnahmen, wie die von Fanning, die sowieso nur auf privaten Computern existierten. Sie mit dem Internet zu finden, war allerdings unmöglich. Shawn Fanning, Erstsemesterstudent in Informatik an Bostons Northeastern University, dachte sich, dass es nicht so schwer sein dürfte, einen Suchdienst für die Festplatten der Welt zu organisieren. Man musste nur mit einer Software dafür sorgen, dass die Privatcomputer wie Server funktionieren. Bisher verhielt sich der einzelne Internetnutzer nämlich nur als »Client«, das heißt, er versorgte sich mit Inhalten, die er von anderen erhielt, meistens in Form von Internetseiten, die aus Text und Bildern bestanden, gelegentlich aber auch mit anderen Dateien wie Musikstücken oder Filmen, die irgendwo bei einem Provider auf dessen Server abgelegt waren. Man selbst stellte nichts zur Verfügung, und dabei besaß man so viele Dateien, die auch für andere interessant sein könnten, wenn die nur davon wüssten und darauf auch Zugriff haben könnten. Genau das regelte Fanning mit seinem Programm Napster. Nach der Installation konnte man damit die gesammelten Musikdateien auf anderen Rechnern durchstöbern und herunterladen, was einem gefiel. Gleichzeitig gewährte man aber allen anderen Einblick in das Angebot auf der eigenen Festplatte. Nachdem er es programmiert hatte, schmiss er sein Studium,

gründete eine Firma, richtete im August 1999 eine Homepage ein, von der man Napster kostenlos herunterladen konnte, und hoffte auf ein paar Freiwillige, die sein Netzwerk unterstützen würden. |105|Lange warten musste er nicht. »Sobald wir hochgefahren waren, wurden wir von den Leuten überrannt«, erzählte Fanning in Time. 144 Die Zahl der Menschen, die sich das Programm herunterluden und sich als Benutzer anmeldeten, wuchs täglich um mindestens fünf, manchmal auch bis zu 25 Prozent. Anfang 2000 war bereits die Millionengrenze überschritten, im August des Jahres waren es 6,7 Millionen und im Dezember standen zwanzig Millionen Menschen auf der Welt miteinander in Kontakt, um ihre Musikdateien zu verschieben. Napster schien eine Zeitenwende eingeläutet zu haben. Sie alle hatten das Gefühl, dass es von nun an immer so sein würde. Musik war nicht mehr etwas in Plattenläden, sondern war zu einem Teil des Internets geworden. Ein unendlicher Strom von Dateien, in den man eintauchen und aus dem man nach Belieben schöpfen konnte. Shawn Fanning war am Ziel seiner Wünsche. Dass die Homepage von Napster kräftig Werbeeinnahmen generierte, war ein angenehmer Nebeneffekt. Wären da nicht die Plattenfirmen und einige ihrer Musiker gewesen. Metallica waren die ersten, die aufmerksam wurden auf den Liedertausch. Ihr Schlagzeuger, Lars Ullrich, trat an Napster heran und beschuldigte Fanning der Copyrightverletzung, weil die Band kein Geld für ihre Lieder bekam, die per Napster heruntergeladen wurden. Napster stellte sich erst einmal stur und

verlangte von Lars Ullrich, dass dieser beweisen solle, wer denn genau Metallica-Songs herunterladen würde, in der Hoffnung, dass ihm dies zu mühsam wäre. Ullrich hatte aber Glück. Ein junger Engländer namens Bruce Ward hatte die Geschehnisse um Napster genau verfolgt; und wie Shawn Fanning kein Problem gehabt hatte, einen Dateiaustauschdienst zu programmieren, hatte Ward keine Mühe, ein Überwachungsprogramm für eben solche Tauschvorgänge zu schreiben und schnell eine Firma um es herum zu gründen. NetPD hieß sie, und ihr Chef Ward kontaktierte Ullrich, um ihm Hilfe auf seiner Mission gegen Napster anzubieten. Im Auftrag von Metallica ermittelte NetPD 335.435 Kopien von Songs der Band, die an drei Tagen auf Napster verschoben worden waren, dazu auch alle die Konten, auf denen sie sich befanden. Statt die Ergebnisse auf eine Diskette zu speichern, druckte Lars Ullrich die Protokolle aus und schickte dreizehn Kisten voll Papier an Napster mit der Aufforderung, den Download von Metallica-Songs zu unterbinden. Napster sah sich gezwungen zu handeln und schloss über 300.000 Benutzerkonten. Damit war ein Präzedenzfall geschaffen. Andere Musiker wie Dr. Dre, Sheryl Crow oder Madonna nahmen sich Metallica zum Vorbild und gingen in gleicher Weise gegen die Tauschbörse vor. Lars Ullrich |106|sah sich an der Spitze einer Bewegung und organisierte einen Protestmarsch zum Firmenhauptsitz von Napster. Shawn Fanning und seine Leute sollten endlich aufhören, den Künstlern zu schaden, die nichts an

den Kopien ihren Songs verdienten. Aber gab es diesen Schaden wirklich? Die simple Gleichung, dass jeder, der Songs einer Band heruntergeladen hatte, sich ohne Napster sonst die CD gekauft hätte, ist sehr fragwürdig. Sich etwas Kostenloses zu besorgen und zu testen erfordert kein besonderes Interesse, 18 Euro gibt man allerdings nur aus, wenn man sicher ist, dafür auch einen befriedigenden Gegenwert zu bekommen. Diese Sicherheit hat man aber nur durch gute Erfahrungen in der Vergangenheit, Probehören vor dem Kauf oder durch vertrauenswürdige Empfehlung. Ohne Napster hätten die Musikhörer der Welt die Platten gekauft, von denen sie sicher sein konnten, dass sie ihnen gefallen würden. Mit Napster wurden sicherlich bestimmte Platten weniger gekauft, weil man nun schon vorher feststellen konnte, dass sie enttäuschend waren. Bestimmte Platten wurden aber mehr gekauft, weil man vorher gar nicht wissen konnte, dass sie einen interessieren. Napster war auch eine Gemeinschaft, in der Meinungen ausgetauscht und Empfehlungen ausgesprochen wurden. Es mag sein, dass durch kostenlose Musikdateien nur noch jeder zehnte Interessent die Platte kaufen wollte. Wahrscheinlich war aber durch Napster die Zahl der Interessenten verhundertfacht worden. Genau das übersahen Lars Ullrich und seine Mitstreiter. In ihrer Argumentation steckte ein großer Widerspruch. Diejenigen, gegen die sie ins Feld zogen, die Musikhörer, die unbedingt ihre Songs haben wollten, hatten sie überhaupt erst in die Position gebracht,

dass man ihnen schaden konnte. Oder, einfacher gesagt: Die Fans haben Metallica durch ihr Interesse an Platten, Konzerten und TShirts reich gemacht, und weil sie die Band nun weniger reich machten, sollten sie dafür bestraft werden. Das Heuchlerische dieser Haltung nahm Bob Cesca zum Anlass, auf seiner Seite http://www.campchaos.com eine sehr erfolgreiche Flashfilm-Serie namens »Napster Bad!« zu starten. In ihr sieht man einen schimpansenhaften Lars Ullrich, der über die harte Arbeit schwadroniert, die Metallica zu dem gemacht hat, was es ist: die unzähligen Auftritte in Clubs, die vielen philippinischen Prostituierten, das maßlose Biertrinken vor, während und nach dem Musikmachen. Unterstützt wird er in seiner Tirade von MetallicaSänger James Hetfield, der als Gorilla gezeichnet ist. Einzelne Wörter greift dieser auf und unterstreicht ihre Qualität in einer an Boris Karloff in |107|»Frankenstein« gemahnenden Art. »Beer Good!«, raunzt er beispielweise, und als die Sprache auf die Napster-Benutzer dieser Welt kommt, die glauben, bloß weil sie die Band reich gemacht hätten, dürften sie nun irgendetwas umsonst bekommen, da knurrt er ein noch bedrohlicheres »Napster Baaaad!« heraus. Die Affen Ullrich und Hetfield, die sich auf einer niedrigeren Evolutionsstufe befinden, Primärbedürfnisbefriedigung über alles stellen und keine Ahnung von Kommunikation haben, weder individuell noch massenmedial – das ist ungefähr die Botschaft, die Cesca vermittelte und die von Hunderttausenden verprellter Fans verstanden wurde.

Beim Phänomen Napster handelte es sich nicht um den Vertrieb von Musikstücken. Sondern um das Reden über Musik. Das war und ist schwer zu begreifen für diejenigen, die seit ein paar Dutzend Jahren davon profitieren, dass Musik an eine handelbare Materialität gebunden war und mit diesen Schellack-, Vinyl- und Plastikstücken gleichgesetzt wurde. Der Transfer von Musik aus dem öffentlichen in den privaten Bereich konnte somit kontrolliert und taxiert werden. Dass im Privaten Musik dann wieder aus der Materialität herausgelöst wurde, wenn man sie hörte, sie anderen vorspielte und sich darüber unterhielt, kümmerte die Plastikhändler nicht. Sie hatten ja bereits dafür kassiert. »Man wurde nicht für Ideen bezahlt«, erklärt John Perry Barlow, »sondern für die Möglichkeit, sie in der Realität auftreten zu lassen. [...] Der Wert lag im Transport und nicht in dem Gedanken, der transportiert wurde. Mit anderen Worten: Die Flasche wurde geschützt, nicht der Wein.« 145 Barlow, der schon seit den Anfangstagen des World Wide Web für ein anderes Urheberrechtsverständnis plädiert, hatte in seiner Zeit als Texter für die Rockgruppe The Grateful Dead eine interessante Erfahrung gemacht. Je mehr die Band es zuließ, dass die Fans ihre Konzerte auf Tonband aufzeichneten und untereinander als Bootlegs zirkulieren ließen, desto zahlreicher wurde das Publikum auf ihren Konzerten und desto mehr Exemplare ihrer regulären Studioplatten verkauften sie. Wer ein Bootleg hörte, konnte sich davon überzeugen, dass es eine

großartige Erfahrung sein musste, auf ein Grateful Dead-Konzert zu gehen, und umso wahrscheinlicher wurde es, dass er das selbst erleben wollte. Dass sich Internetbenutzer zu einer Gemeinschaft zusammenschließen, um Musikstücke auszutauschen, ist in Barlows Augen eine Fortsetzung dieser Praxis in größerem Maßstab. Davon profitieren hauptsächlich die Künstler: »Nichtkommerzielle Verbreitung von Information erhöht den Verkauf von kommerzieller Information. Überfluss zeugt Überfluss. Das ist das genaue Gegenteil |108|von dem, was in der physischen Wirtschaft geschieht. Wenn man Dinge verkauft, stehen Knappheit und Wert in einem untrennbaren Zusammenhang. Doch in einer Wirtschaft der Ideen trifft das Gegenteil zu. Für Ideen bedeutet Bekanntheit Reichtum. Und nichts macht einen schneller bekannt als ein Publikum, das bereit ist, die eigene Arbeit umsonst zu verbreiten.« 146

Das Reden über Musik, das Napster darstellte, beschränkte sich aber nicht nur auf die Verbreitung von Artefakten und Vermehrung des Ruhmes der Künstler. Es bestand auch darin, dass künstlerische Hervorbringungen überhaupt bewahrt werden und immer wieder in kommunikativen Zusammenhängen auftauchen können. Dafür gab es natürlich schon immer Archive – Bibliotheken für Bücher, Platten, Filme, Museen für Gemälde und Skulpturen –, die allerdings eine ganz bestimmte Eigenschaft haben: Es gibt Leute, die darüber entscheiden, was in ihnen aufbewahrt wird und was nicht. Diese Entscheidung beruht im Idealfall auf der Überlegung, was für

die Gemeinschaft sinnvoll sein könnte; meistens diktieren aber physische Gründe wie Geldmangel oder Platznot die Auswahl, es geht auch gar nicht anders. Ein klassisches Archiv ist also begrenzt, und einige wenige Menschen müssen sich überlegen, was alle anderen Menschen an Einzelinteressen haben könnten, um auf dieser Grundlage eine Auswahl zu treffen. Napster machte nun ein völlig anderes Archivkonzept populär. Bei seinem »Peer-to-Peer«-Verfahren konnte jeder Archivar für den anderen sein, vorausgesetzt das eigene Sammelverhalten traf sich mit dem spezifischen Interesse des Suchenden. Ein Lied, das nur zwei Menschen auf der Welt interessiert, würde es wohl niemals in ein klassisches Archiv schaffen. Napster ermöglichte aber, dass es auf der Festplatte des einen von dem anderen gefunden und heruntergeladen werden konnte. Napster bewahrte somit vieles, was von Plattenfirmen und traditionellen Archiven nicht erhalten wurde, weil es zu wenig weiteren Gewinn versprach oder zu viel Geld für die Archivierung kosten würde. »Die geografische Verbreitung von CD- und Buch-Megastores garantiert keine Auffindbarkeit der Objekte, die wir suchen«, erklärt Luca Lampo, »ein Produkt, das ›ausverkauft‹ oder ›nicht mehr lieferbar‹ ist, verspricht ein langes Umherwandern zwischen Bibliotheken und Gebrauchtwarenläden.« Mit Napster war man sofort auf allen privaten Festplatten, die an Napster angeschlossen waren und konnte das Glück haben, dass es den einen Menschen gab, der genauso gestrickt war, wie man selbst, und den man sonst niemals

getroffen hätte, um ihn nach seiner Plattensammlung fragen zu können. |109|Das Peer-to-Peer-Archiv dient nicht hypothetischen Einzelinteressen, sondern entsteht überhaupt nur durch individuelles Interesse. Und somit »migriert die faktische Grenze des Öffentlichen und Privaten letztlich auf die Ebene der Dateisysteme von Personal Computern«, 147 wie Florian Cramer es ausdrückt. Der öffentliche Diskurs über Musik besteht nicht mehr aus dem, was einzelne, in öffentlichen Positionen wie Bibliotheksleiter, Plattenlabelchef oder Feuilletonredakteur stehende Menschen für die Allgemeinheit als relevant erachten; der öffentliche Diskurs setzt sich zusammen aus allen individuellen Vorlieben und Aufbewahrungen von Musik. Natürlich wird ein Metallica-Song weiterhin millionenfach verschoben und ein Lied von Blackfriars Roman nur dreimal, aber wo das traditionelle, auf physischer Produktion und Distribution beruhende System einen Unterschied machen muss, da konnte Napster beides in exakt derselben Weise zulassen und unterstützen. Durch Napster bekam ich nicht etwas, weil es auch viele andere interessieren könnte, durch Napster bekam ich etwas, weil es genau mich interessierte. Problematisch war nur, dass Napster als Firma dem Prinzip der ungeregelten Vernetzung widersprach. Die »Graswurzel«-Utopie der vereinigten Konsumenten aller Länder wurde organisiert durch einen zentralen Server, der alle Suchanfragen der Mitglieder bearbeitete und den Datentransfer ermöglichte. Während man

Millionen Napster-Nutzer weltweit bestenfalls stichprobenartig wegen Urheberrechtsverletzung belangen konnte, war eine einzelne Firma mit genau lokalisierbarer Technik angreifbar. Die Plattenindustrie hatte also einen konkreten Feind und verwickelte diesen auch in immer härtere Schlachten. Im gesamten Jahr 2000, in dem Napster sich zu einem weltweiten Phänomen entwickelte, war die Firma gleichzeitig in kräftezehrende Gerichtsverfahren verwickelt. Der eigentliche Star war nicht mehr Shawn Fanning sondern sein Anwalt David Boies, der die öffentliche Auseinandersetzung über Urheberrechte im digitalen Zeitalter führte. Die Argumentation lief entlang der skizzierten Verbreitungs- und Archiv-Utopie, Boies machte aber auch geltend, dass Napster selbst ja überhaupt keine kopierten Dateien besitze geschweige denn vertreibe, es stellte bloß die Verbindung zwischen zwei Mitgliedern her, die dann in Austausch miteinander traten – ein Argument, das auch von Zuhältern gebraucht wird. Es half nichts, am 5. Mai 2000 fiel das erste Urteil durch Richterin Marilyn Hall Patel, dass Napster illegal handele, und in einer endlosen Reihe von Einsprüchen, Berufungen und bestätigenden Urteilen schleppte sich Napster bis ins Jahr 2001. |110|Die Versuche, Napster aufrechtzuerhalten, scheiterten letztlich am Peerto-Peer-Prinzip. Als die Auflage gemacht wurde, dass Napster Filter einbauen müsse, um den Tausch von urheberrechtlich geschützten Dateien zu verhindern, da verabredeten die Nutzer einfach eine neue Namensgebung für ihre

Musikdateien. Aus »Metallica.mp3«, auf das der Filter reagierte, wurde einfach »etallicaM.mp3« gemacht, was für die Software keinen Sinn mehr hatte, für die menschliche Intelligenz aber keine besondere Schwierigkeit darstellte. Gerichte konnten daraufhin feststellen, dass Napster seine Auflagen nicht erfüllte. Die Plattenfirmen gingen aber nicht nur juristisch vor, sie wendeten das Peer-to-Peer-Prinzip auch gegen sich selbst, indem sie massenhaft falsche Dateien streuten. Zur Veröffentlichung der neuen U2-Platte gab es nicht nur die tatsächlichen Musikstücke bei Napster zu finden, sondern auch sehr viele Dateien, die genauso hießen, aber nur Tonmüll enthielten. Den Unterschied merkte man erst, wenn man die falsche Datei vollständig heruntergeladen hatte, und das konnte in einer Zeit von 56k-Modem-Verbindungen die Freude am Tauschen vermiesen. Und auch die geplante Rettung der Firma durch einen Verkauf an den Bertelsmann-Konzern musste scheitern, weil durch deren Absicht, ein kostenpflichtiges Download-Angebot einzuführen, alles das wegfiel, was Napster erfolgreich gemacht hatte. Das konnte erst Erfolg haben, als Apple zwei Jahre später mit dem i-Pod ein entsprechendes Lifestyle-Produkt auf den Markt brachte, das einen Eigenwert besaß, der an den Musikdienst iTunes gekoppelt war. Bei Napster sprangen die Nutzer ab, als es nicht mehr das Napster war, dem sie beigetreten waren. Stattdessen meldeten sie sich bei Madster an, bei WinMX, Grokster, Morpheus, Freenet, KaZaA oder besonders Gnutella – Tauschbörsen, die entstanden waren, als Napster ums Überleben

kämpfte. Sie profitierten davon, dass der Streit um Napster dem Peer-to-Peer-Prinzip eine große öffentliche Aufmerksamkeit verschaffte; die Berichte in Zeitung, Radio und Fernsehen stellten gewissermaßen eine Einführung in das Herunterladen von Dateien im Internet dar, in der gleichzeitig auch die Alternativdienste zu Napster vorgestellt wurden. Außerdem konnten diese Börsen aus dem Fehler lernen, der Napster zum Verhängnis geworden war: Sie organisierten den Datenaustausch nicht mehr zentral, sondern sorgten dafür, dass jeder einzelne Computer seinen Weg zu den anderen Computern selbst fand. Gnutella beispielsweise existiert nur als Netz der verbundenen Rechner, und so ist es irrelevant, ob einer von ihnen abgeschaltet worden ist, weil Gnutella sowieso jede Minute aus einer anderen Menge an Computern besteht. Die |111|Peers, die Gruppennachbarn, haben also nicht nur ihre Festplatteninhalte zu bieten, sie verwalten sich auch selbst. Im Kampf gegen Napster, das 2001 endgültig schließen musste und erst Jahre später eine mäßig erfolgreiche Wiederbelebung als kommerzieller Abonnentendienst erfuhr, war die Plattenindustrie erfolgreich gewesen. Der übergreifende Feldzug gegen Peer-toPeer muss aber als gescheitert gelten. Da müssten schon die Peers beseitigt werden, aber das sind diejenigen, die auch weiterhin noch CDs kaufen. Die Tauschbörsen der Nach-Napster-Zeit haben das globale Archiv sogar noch erweitert. Mit ihnen können nicht nur Musikdateien gefunden und verschoben werden, sondern alles, was

in digitaler Form vorliegt: Textdateien, Fotos, Videos. Dadurch sind auch neue Feindschaften entstanden, besonders zwischen der Filmindustrie und ihren Kunden, aber trotz millionenschwerer Kampagnen gegen Raubkopiererei wird auch dieser Krieg scheitern. Dass sich Menschen nämlich über Kultur im Wortsinne »austauschen« wollen, liegt in der Natur der Sache begründet. Dass durch ein neues Medium diese Kommunikation in anderer Form möglich ist als durch kommerzielle, physische Distribution, stört nur diejenigen, die bisher von traditionellen medialen Beschränkungen profitierten. Napster mag gestorben sein, aber seine eigentliche Substanz bleibt ewig bestehen: die menschliche Gemeinschaft.

10. Internet-Piraten halten die Welt in Atem |113|

Der I love you-Virus, 2000 Mittwoch, 3. Mai 2000 18:53 Uhr (MEZ) In einem Routineartikel weist Heise Online auf so genannte »Trojanische Links« in E-Mails hin, die »ein Programm starten, ohne dass dies dem Anwender bewusst wäre«. So »könnten Angreifer versuchen, mit Hilfe der ahnungslosen Mailbenutzer Hintertüren auf deren Rechnern zu installieren oder Viren einzuschleusen«. 148 Die Nachrichtenlage an diesem Tag ist so entspannt, dass ein solcher Verbrauchertipp-Artikel erscheinen kann, der sonst Wichtigerem weichen muss. Später am Abend taucht auf europäischen und asiatischen Computern ein neuer Computervirus auf. Zu den ersten bekannten Geschädigten gehören die Computer der Firma Lucent Technologies, die Credit Suisse und die deutsche Microsoft-Zentrale in München. Bis zu diesem Zeitpunkt verläuft alles einigermaßen normal. Computerviren sind inzwischen ein relativ vertrautes Phänomen. Im März 1999 hatte man die Attacke durch den Virus Melissa abwehren können. Sein Urheber, David L.

Smith, wurde gefasst und zu zwanzig Monaten Gefängnis und zur Zahlung von fünftausend Dollar verurteilt. Seitdem war es ruhig geblieben. Bestenfalls gab es in Diskussionsforen oder auf Leserbriefseiten mal darüber Aufregung, dass man »der Computervirus« sagt und nicht korrekt wie beim biologischen Pendant »das Virus«. Der philippinische Internet-Provider ISP Sky Internet bemerkt allerdings, dass der Traffic ihrer Server dramatisch erhöht ist. Computer aus Europa und Asien wählen sich auf vier bestimmte Seiten ein, um von dort automatische ein Programm herunterzuladen. Die Firma schließt die Seiten und untersucht ihre Herkunft.

|114|Donnerstag, 4. Mai 2000 10:00 Uhr (MEZ) In den europäischen Büros von Anti-Viren-Programm-Herstellern wie Symantec, Norton und anderen sind die Service-Hotlines überlastet. Tausende von Nutzern rufen an und beklagen den Befall durch einen Virus, den die Programme nicht entdeckt haben. 11:00 Uhr (MEZ) Die eiligst beauftragten Experten analysieren den Virus. Er ist, sehr simpel, mit Visual Basic geschrieben und wird als Attachment von

E-Mails verbreitet. Die angehängte Datei trägt den Namen »LOVELETTER-FOR-YOU.TXT.vbs«. Die Endung »vbs« für »Visual Basic Script«, die einen Hinweis darauf gibt, dass es sich um einen Virus handeln könnte, wird allerdings aufgrund der StandardEinstellungen von Microsoft Outlook, dem meistbenutzten E-MailProgramm, nicht angezeigt. Die Nutzer denken deshalb, es handele sich um eine Textdatei, klicken sie an, um sie zu öffnen, und erlauben dem Virus damit, sich an alle gespeicherten Adressen in Outlook zu verschicken. Danach kontaktiert es eine Website auf den Philippinen, lädt eine Trojaner-Datei herunter, die dann alle Nutzernamen und Passwörter auf der Festplatte sammelt und an die E-Mail-Adresse [email protected] schickt. 12:00 Uhr (MEZ) Der Programmcode des Virus gibt weitere Hinweise auf eine philippinische Herkunft. In »remark«-Zeilen des Codes – Zeilen, die keine Befehle sind, sondern nur Kommentare zum Programm darstellen – findet sich eine Signatur des Autors: »rem barok loveletter(vbe)rem by:spyder/ [email protected]/@GRAMMERSoft Group/Manila,Philippines«. Dazu noch der Hinweis, dass er es hasse, zur Schule zu gehen. »Wenigstens hat er unsere Suche auf eine einzige Stadt und bloß zehn Millionen Menschen eingeengt«, ist der sarkastische Kommentar von Richard Smith, einer der Melissa-Jäger des Vorjahres, der auch in diesem Fall ermittelt. 149

|115|12:28 Uhr (MEZ) In der Redaktion der wichtigsten deutschen Computerzeitschrift c’t gehen laut ihrer Meldung »vermehrt Hinweise auf einen neuen EMail-Wurm ein, der sich offenbar rasch im Internet verbreitet«. Über Heise Online warnt die Redaktion vor der »riskanten Fracht [...] in einem Dateianhang einer E-Mail mit dem Subject ›ILOVEYOU‹« und berichtet über »E-Mail-Lawinen« und »lahmgelegten E-Mail-Servern«. 150 13:00 Uhr (MEZ) Die Anti-Viren-Programm-Hersteller verschicken die ersten Definitionen an ihre Kunden, um deren Programme gegen den neuen Virus aufzurüsten. Es ist allerdings schon viel zu spät, aus den Büros in Europa und dem Osten der USA, wo die meisten E-Mails geöffnet werden, ist der Virus bereits millionenfach verschickt worden. Besondere Verdienste um die Verbreitung hat sich zudem der Reisebuch-Verlag Lonely Planet in Melbourne erworben. Ein Mitarbeiter öffnete das Attachment und schickte den Virus an hundert Autoren an unterschiedlichsten Plätzen in der Welt, die dann ihr Übriges taten. »Es hätte mich stutzig machen müssen, dass ausgerechnet mein Herausgeber mir einen Liebesbrief geschickt hat«, bemerkte einer der Autoren später trocken. 151 14:17 Uhr (MEZ)

Die BBC meldet, dass Hunderte von britischen Firmen, Universitäten, Medienunternehmen sowie städtischen Einrichtungen vom I love you-Virus lahmgelegt worden sind, insgesamt wohl zehn Prozent der Wirtschaft. Besonders schlimm trifft es das Energieunternehmen Scottish Power, dessen gesamtes Computersystem heruntergefahren werden muss, um den EDVSpezialisten die Säuberung zu ermöglichen. Auch das Parlament ist betroffen, der Sprecher des House of Commons erklärt seinen Kollegen, dass »traurigerweise dieser so herzliche Gruß einen Virus enthält, der unser internes Kommunikationssystem zum Stillstand gebracht hat. Das bedeutet, dass kein Mitglied E-Mails von außerhalb erhalten kann, noch dass wir untereinander per E-Mail kommunizieren können.« 152 |116|14:30 Uhr (MEZ) Spiegel Online berichtet darüber, dass ein »als Liebesbrief getarntes Virus [...] das Internet überschwemmt und Computersysteme lahm« legt. Außerdem werden »Experten« zitiert, die »raten, der Verführung nicht nachzugeben«. 153 Nicht widerstehen können allerdings Journalisten weltweit, wenn es um die verführerische Metaphorik des Virus geht. Das gesamte Wortfeld, das sich mit Liebe verbindet, wird ausgebreitet, vom »Liebesbrief« ist die Rede, von »Liebeskummer«, davon, dass alle »liebeskrank« seien, »liebestoll« oder »liebestrunken«, die das Attachment geöffnet haben, die Verbindung zu

Geschlechtskrankheiten wird gezogen und zum Fremdgehen. Die katastrophischen Vokabeln vom »Lauffeuer«, von der »Überschwemmung«, der »Lawine« und der »Epidemie« gehen eine glückliche Symbiose mit dieser Liebeslyrik ein. Es ist, als würde der Virus nicht nur eine Trojaner-Datei auf den Festplatten installieren, die Passwörter zu einem bestimmten Server verschickt, sondern als würden auch die Redakteure und Experten der Welt eine semantische Gleichschaltung erfahren und nur noch in denselben Bildern reden können. Der Artikel schließt fatalistisch mit der Feststellung, dass »keine Anti-Viren-Programme bekannt [sind], die das Virus stoppen können« – ungeachtet der Tatsache, dass jedes Anti-VirenProgramm das Virus stoppen kann, sobald es nur eine Definition davon erhalten hat. Aber Computer-Sicherheit war bisher nur ein Steckenpferd der Nerds und Hacker, der Mainstream-ThemenJournalist war bislang damit noch nicht befasst. 16:00 Uhr (MEZ) Als der Morgen an der amerikanischen Westküste anbricht, warnt auch Wired seine Leser vor der neuen Gefahr: dem »Amok laufenden Virus« und seiner »Invasion« in Amerika. 154 Anti-VirenProgramm-Hersteller avancieren zu Medienstars. Es wird spekuliert, ob I love you ähnlich gefährlich sein könnte wie der letztjährige Melissa-Virus, der einen Rekordschaden von achtzig Millionen Dollar angerichtet hatte. »Wir schätzen, dass die Zahl der

infizierten Computer bereits in die Zehntausende geht. Diese Epidemie könnte Melissa übertreffen, sowohl was seine Geschwindigkeit angeht als auch seine Zerstörungskraft«, merkt Mikka Hypponen an, Chef der Viren-Forschungsabteilung von FSecure. |117|Erst der Vergleich macht ein Ereignis zum Ereignis. Melissa ist das, an das man sich erinnern kann, um zu begreifen, was nun geschehen könnte. Die Geschehnisse des letzten Jahres sind gewissermaßen ein journalistisches Training gewesen, um für den jetzigen Ernstfall mit technischen Schlagwörtern, inhaltlichen Konzepten und passender Metaphorik ausgestattet zu sein. Dem Publikum kann durch den Vergleich auch die Relevanz des momentanen Geschehens vermittelt werden, weil sich hier eine Kontinuität des Themas »Computerviren« zeigt, über das früher schon berichtet wurde. Und was damals schon sehr schlimm war, könnte diesmal noch viel schlimmer werden – ein sicherer Haken, um Leser und Zuschauer zu fangen. Ob der Urheber des Virus jemals gefasst werden wird, bezweifeln die Experten allerdings. Das Thema wird noch viel zu wenig ernst genommen. 17:00 Uhr (MEZ) Das National Infrastructure Protection Center der USamerikanischen Bundespolizei FBI beginnt mit den Ermittlungen im Fall. Falls der Autor von I love you auf amerikanischem Boden

gefasst werden sollte, würde er gemäß des »Computer Fraud and Abuse Act« drakonisch bestraft werden. 18:51 Uhr (MEZ) Die BBC erteilt Nachhilfeunterricht in Sachen Computerviren. So wurden bereits mehr als 50.000 von ihnen programmiert und mindestens vierhundert zu jedem Zeitpunkt im weltweiten Datennetz aktiv. Es gibt unterschiedliche Arten, »Würmer« wie I love you oder »Makro-Viren«, die sich in Word- oder Excel-Dateien verstecken. Jeden Tag kommen zehn neue dazu, darunter so bekannte wie Melissa, der Chernobyl-Virus, der am Jahrestag der Nuklearkatastrophe ganze Festplatten löschte oder der seit Jahren immer wieder auftauchende Form, der nichts weiter macht, als sich jeden Monat am 18. zu aktivieren und Rechenkapazität in Beschlag zu nehmen. Als allererster Computervirus wird Cascade angegeben, der 1988 in Erscheinung trat und alle Zeichen auf einem Computerbildschirm herunterfallen ließ. Außerdem wird auf ein interessantes Phänomen bei Viren hingewiesen: Manche von ihnen habe die Form von Virenwarnungen. Will sagen: Viele Menschen bekommen E-Mails, in denen vor bestimmten Viren mit Namen wie Wobbler, E-flu oder Hitler gewarnt wird. Sie nehmen diese Warnung |118|ernst und leiten sie an ihre Freunde weiter, die dann dasselbe tun. Dabei gibt es gar kein Virenprogramm, es gibt bloß den Text über den angeblichen Virus. Der Effekt ist dennoch ähnlich: Tausende

sinnloser E-Mails werden über das Netz verschickt und verstopfen die Postfächer. 19:28 Uhr (MEZ) Laut BBC-Angaben beläuft sich der angerichtete Schaden in den USA bereits auf mehrere hundert Millionen Dollar. 1,27 Millionen Computer sollen infiziert sein. Abgesehen von der Bezifferung erklärt niemand, wie genau der Schaden aussieht, den ein Computervirus anrichtet. Als unbedarfter Nachrichtenkonsument denkt man dabei nicht an die Taxierung von Arbeitszeit, die zur Behebung von Kommunikationsschwierigkeiten aufgewendet werden muss, sondern stellt sich materielle Zerstörung vor, etwa, indem das Netz dadurch »lahmgelegt« wurde, dass der Virus die Telefonleitungen angegriffen und geschädigt hat. 20:00 Uhr (MEZ) Als dreizehnte Nachricht, nach Berichten über die BürgermeisterWahl in London und den Auswirkungen der neuen Kampfhundeverordnung, berichtet die Tagesschau über »Staus im Internet«, die durch »elektronische Post« verursacht worden sind. Nicht nur die unbeholfene Wortwahl lässt vermuten, dass es eines der ersten Male ist, dass die Hauptnachrichtensendung Deutschlands der Allgemeinheit ein Internetphänomen erklären muss, weil es nicht mehr nur die Gruppe von technisch interessierten und versierten Menschen betrifft.

22:00 Uhr (MEZ) Scott Rosenberg, Autor des Online-Magazins Salon, resümiert bissig, dass »über Nacht ›Ich liebe Dich‹ das Furchterregendste geworden ist, was man im Netz sagen kann«. Angesichts der primitiven Programmierung ist er voller Bewunderung, dass sein Autor den richtigen Riecher gehabt hat: »Wer immer diesen Virus entworfen hat, hat sich gedacht, dass man die Menschen am schnellsten dazu bringen kann, eine E-Mail zu öffnen und ihr Attachment zu lesen, indem man ihnen die Liebe eines Unbekannten |119|verspricht. Wenn man sich die Geschwindigkeit anschaut, mit der sich dieser Virus verbreitet, dann hat er Recht gehabt.« 155 Der verurteilte Computerkriminelle Kevin Mitnick hat in einem Buch über seine Karriere verraten, was das Geheimnis seines Erfolgs war: »Social Engineering«. Wenn man den Benutzer dazu bringen kann, den Schlüssel herauszugeben, ist es egal, wie technisch brillant und unzerstörbar ein Sicherheitssystem ist. Denn man kann es einfach aufschließen und hineingehen. I love you funktioniert genauso. Wie könnte ich jemandem misstrauen, der mich liebt? Ich will alle Liebe, die ich kriegen kann, also bitte ich den Liebhaber hinein. Und bin dann erstaunt, wie einfach er mein Telefon benutzen, meinen Kühlschrank leeren und meine Kontoauszüge mitnehmen kann. Weil sich am Ende dieses Tages wahrscheinlich niemand mehr eine Liebeserklärung gefallen lassen will, gibt es den I love

you-Virus bereits in Varianten, die eine andere Betreffzeile haben und ein anderes Attachment versprechen: »Very Funny Joke« heißt es nun sarkastisch.

Freitag, 5. Mai 2000 5:30 Uhr (MEZ) Paul Festa vermeldet auf news.com, dass sich FBI, philippinische Behörden und der Internet-Provider ISP Sky Internet zusammengeschlossen haben, um den Viren-Autor ausfindig zu machen. Mikka Hypponnen, der seine Karriere als Experte in den Medien ausbaut, erklärt, dass I love you nicht nur Passwörter ausspioniert, sondern zudem noch Grafik- und Musikdateien auf der Festplatte löscht. Eine besondere Gefahr durch den Virus besteht deshalb für Medienkonzerne. Gruner & Jahr in Hamburg, Springer in Berlin und das ZDF in Mainz gehören zu den prominentesten Opfern in Deutschland. Derweil haben Richard Smith und seine Gruppe von Virenjägern ihre Suche fortgesetzt, die hauptsächlich darin besteht, im Internet zu recherchieren. Das Medium, das in der Öffentlichkeit nun zunehmend dafür verantwortlich gemacht wird, dass eine Katastrophe wie I love you ausbrechen kann, ist gleichzeitig das nützlichste Gegenmittel. Indem sie Newsgroups auf die Wörter »Spyder« und »GRAMMERSoft« untersuchen, stoßen sie auf einen

Virus namens Barok, der vor ein paar Monaten veröffentlicht worden ist und dessen Programmcode nahezu identisch mit I love |120|you ist und der die Autorenangabe »student of amacc mkt. Phils« enthält – ein Hinweis auf das AMA Computer College in Makati, einem Vorort von Manila. »Also sind wir von zehn Millionen auf zehn Tausend Leute runter«, ist Smiths Kommentar. 156 14:46 Uhr (MEZ) Die erste öffentliche Kritik wird laut. Schuld an der Katastrophe sind allerdings nicht Polizei und Staatsanwaltschaft, die zu wenig gegen Cyberkriminalität tun, noch nicht einmal der Autor des Virus selbst, sondern Microsoft, das Programme veröffentlicht, die virenanfällig sind. »Microsoft muss endlich etwas gegen Schwächen seines Betriebssystems sowie seines Mailprogramms Outlook machen«, wird Frank Felzmann vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) auf heise.de zitiert. 157 Norbert Luckhardt, vom Heise-Konzern eigenen Magazin c’t, erklärt zudem: »Das Microsoft-Problem ist die enge Verzahnung des Windows-Betriebssystems mit den Office-Programmen wie Word und PowerPoint sowie dem E-Mail-Programm Outlook.« 158 Michael Zboray, der als »Technologie-Chef« des Marktforschungsinstituts Gartner Group tituliert wird, fordert massentauglich: »Wir müssen davon wegkommen, dass aggressive Komponenten über Dokumente der Textverarbeitung Word, des

Kalkulationsprogramms Excel oder den Internet Explorer verbreitet werden können.« 159 Nicht, dass solche Kritik unvertraut für Microsoft wäre. Trotzdem ist man dort erstaunt, wie umfassend die Verantwortung sein soll, die man übernehmen muss, nur weil die Mehrheit der Computerbesitzer sich für ihre Produkte entscheidet. Ein wenig ist es so, als würde man die Diamantminenbetreiber in Südafrika für Wohnungseinbrüche und Schmuckdiebstahl in Deutschland verantwortlich machen. 17:00 Uhr (MEZ) Nach Funny Joke erscheint eine weitere I love you-Version, die wieder das Zuneigungsmotiv variiert. Neun Tage vor Muttertag landen E-Mails im Postfach, die sich als »Muttertagsbestellungsbestätigung« ausgeben und im Anhang eine detaillierte Rechnung über 326,92 Dollar für einen Diamantenschmuck präsentieren. Auf wired.com gibt Catherine Whiting von der New Yorker Sicherheitsberatungsfirma SecServ Tipps, wie man sich vor Viren schützen kann. Einfach |121|indem man sich ein paar Fragen stellt: »Haben Sie überhaupt etwas von dieser Firma bestellt? Ist Ihr Freund überhaupt der Typ dafür, Ihnen Witze zu schicken? Ist es wahrscheinlich, dass fünfzig Arbeitskollegen sich plötzlich gemeinsam entschlossen haben, sich in sie zu verlieben?« 160

17:14 Uhr (MEZ) CNN meldet, dass ein 23-jähriger Mann auf den Philippinen I love you geschrieben haben soll. Manuel Bong, Sprecher des E-MailAccount-Anbieters Super Net, hat bestätigt, dass es auf ihren Servern die Mail-Konten [email protected] und [email protected] gibt, von denen aus der I love you-Virus verschickt worden ist. 19:10 Uhr (MEZ) Kurz bevor er ins Wochenende geht, verkündet Bundesinnenminister Otto Schily in einer ZDF-Sondersendung noch schnell, dass die Bundesregierung erwäge, den Tatbestand der Verbreitung von Computerviren in das Strafgesetzbuch aufzunehmen. Bislang war das eine Praxis, die weder Gesetzgeber, noch Justiz noch Öffentlichkeit bekannt war. Jetzt müsse man allerdings angesichts der massiven Bedrohung schnell handeln. 20:10 Uhr (MEZ) »Es ist der bösartigste, schädlichste, teuerste und am schnellsten greifende Virus in der Computergeschichte«, meint Peter Tippett von der US-amerikanischen Computersicherheitsfirma ICSA.net in einer dpa-Meldung. 161 Allein in Amerika soll sich der Schaden nach zwei Tagen auf eine Milliarde Dollar belaufen. 22:55 Uhr (MEZ)

Paul Festa von news.com hat zwar keine anderen Experten als Hypponen und Cheftechnologe Michael Zboray, aber andere Zahlen. Seinem Bericht zufolge sind jetzt 45 Millionen Computer befallen und es ist ein Schaden von 2,61 Milliarden angerichtet worden. Seine Experten spekulieren sogar auf bis zu zehn Milliarden bis Mitte der nächsten Woche.

|122|Sonnabend, 6. Mai 2000 0:40 Uhr (MEZ) Wired berichtet, dass Reuters verbreitet, dass Fredrik Björck aus dem Team um Richard Smith verkündet habe, »Spyder« sei ein Deutscher philippinischer Herkunft namens Michael, der ungefähr zwischen zwanzig und dreißig Jahren alt ist und zur Zeit in Australien lebe. Das könne man aufgrund der »digitalen Spuren« erkennen, die der Autor »hinterlassen habe«. 162 Zur gleichen Zeit zieht das FBI in Manila bereits Polizeitruppen zusammen, die das Apartment einer Frau umstellen, die als registrierte Besitzerin des Computers ausfindet gemacht worden ist, mit dem der Virus verschickt wurde. Man muss mit dem Zugriff allerdings noch bis Montag warten, weil erst dann ein Durchsuchungsbefehl vorliegen kann. Übrigens gibt es nicht nur Schäden durch I love you. Die Aktien von Anti-Viren-Software-Herstellern boomen und ziehen den

gesamten Nasdaq-Index um 2,6 Prozentpunkte nach oben. Ansonsten sind jetzt alle im Wochenende. Vor allem Journalisten. Deshalb scheint auch der I love you-Virus zu ruhen.

Sonntag, 7. Mai 2000 Aus Hal Fabers sonntäglicher Kult-Kolumne Was war. Was wird: »War was? Ich komm’ nicht ganz drum herum: Platz zwei meiner wöchentlichen Bestenliste geht diesmal an den Liebesbrief. I love you verbreitete sich mit Microfortnights in den Medien und wurde von den Flaks der Public Relation aus jeder nur denkbaren Position aufgegriffen. Von dieser Stelle aus ein Lob an die Hersteller von CAD-Software: Soweit ich überblicken kann, sind sie die einzige Sparte, die nichts äußerte über diese ›Bedrohung, die das Internet zerstört‹ – so das ZDF zu einer Software, die das Netz effektiv nutzte. Die PR-Krone der Woche geht dabei eindeutig an eHow.com. Zeitgleich mit dem Ausbruch der I love you-Epidemie veröffentlichte sie eine Pressemeldung mit dem Titel ›I love you: eHow.com Provides the Modern Way to Say ›I Love you‹ to Mom This Mother’s Day‹ und geriet voll in die Propeller der Experten. Den zweiten, hartumkämpften Platz belegt Jürgen Rüttgers, der Freund aller Inder, mit seiner Ankündigung, im Falle eines CDU-Wahlsieges in Nordrhein-Westfalen einen Internetminister in sein Kabinett einzustellen. Dieser soll sich mit höchster Priorität um die Aktion ›Schulen ans Netz‹ kümmern und bei aktuellen Virenbedrohungen die Bekämpfung koordinieren. Das Internet |123|in Nordrhein-Westfalen ist sicher, wenn man CDU wählt. Dumm, dass am Wahltag Muttertag ist und dieses Wort angeblich für einen noch gefährlicheren Virus steht. Die Computer des Landeswahlleiters sollten extra

von Microsoft geprüft werden.« 163

Montag, 8. Mai 2000 2:05 Uhr (MEZ) Inzwischen weiß auch die Presse, dass man in Manila das Haus einer philippinischen Studentin umstellt hat aber noch warten muss, bis ein Durchsuchungsbefehl vorliegt, und entsprechend aufgeregt ist auch die Berichterstattung. Der Polizei ist das nicht recht: »Aufgrund des ganzen Medienrummels während der letzten drei Tage fürchten wir, dass sie jetzt jeden Beweis zerstört haben könnte, der sie mit dem Hack in Verbindung bringen könnte.« 164 Als der Durchsuchungsbefehl endlich vorliegt, stürmt die Polizei das Haus, in dem Irene de Guzman mit ihrem Freund Reomel Lamores lebt. Sie finden keinen Computer, dafür aber eine Diskette, auf der sich ein Virus befindet, der I love you sehr ähnlich ist. In den Vernehmungen bestreiten die beiden, für die Herstellung und Verbreitung des Virus verantwortlich zu sein, sie wollen aber auch nicht sagen, von wem die Diskette stammt. 14:42 Uhr (MEZ) Frank Patalong von Spiegel Online greift eine Anregung von Wired auf und macht sich Gedanken darüber, wer eigentlich von dem Virus profitiert, denn das könnte doch das stärkste Motiv für eine

Verbreitung sein. Unter den Verdächtigen sind die Musik- und die Pornoindustrie, weil die Zerstörung von Musik- und Bilddateien dafür sorgt, dass man sich Nachschub besorgen muss, die Japaner, weil sie aufgrund der arbeitsfreien »Goldenen Woche« im Land kaum betroffen sind, die amerikanische Justizministerin Janet Reno, die Microsoft dazu zwingen will, den Source-Code seiner Produkte offen zu legen, und die Bild-Zeitung, denn »Schlagzeilen sind Geld. Wann hat man zum letzten Mal eine so schöne Bild-Schlagzeile wie ›Computer-Attacke auf Deutschland!‹ gesehen? Und dann ist da ja noch diese Theorie von dem deutschen Studenten in Australien, der als Philippiner |124|namens ›Spyder‹ getarnt das Virus über Manila in die Welt gesetzt haben soll. Ein freier Bild-Mitarbeiter? Es wäre der Marketing-Gag des Jahrhunderts: Jedes Mal, wenn Themennot herrscht, sabotiert man ein bisschen alle Computer in der weiten Welt. So was könnte man – mit einer kleinen, hoch spezialisierten Agentur – sogar als Verlagsdienstleistung verkaufen. Tipps, wie man zu einem günstigen Existenzgründungskredit kommt, hält die Deutsche Ausgleichsbank bereit.« 165

15:21 Uhr (MEZ) Michael, ein 18-jähriger deutscher Austauschschüler in Australien, wendet sich an Heise Online, um klarzustellen, dass er nicht, wie Frederik Björk behauptet hat, »Spyder« sei. Die »Spuren«, die er im Internet hinterlassen habe, bestünden daraus, dass er am 4. Mai eine Anleitung zur Beseitigung des I love you-Virus aus dem Heise-Newsticker kopiert, ins Englische übersetzt und in Foren verbreitet habe. Inzwischen habe er sich selbst bei der australischen

Polizei und der deutschen Botschaft in Canberra gemeldet, um einer falschen Anklage vorzubeugen. Kontakt zu Björk war bisher nicht möglich. 166 FBI und philippinische Polizei müssen Reomel Lamores und Irene de Guzman aus Mangel an Beweisen wieder auf freien Fuß setzen. Ein Hinweis von Richard Smith führt aber dazu, dass sich der Verdacht nun gegen einen Onel de Guzman richtet, der am AMA Computer College studiert hat und zwischenzeitlich bei Irene und Reomel Lamores gewohnt haben soll. »Wir glauben, dass Irene seine Schwester ist«, erklärt Smith, »und weil Mädchen keine Viren schreiben, muss er der Autor sein.« 167 20:00 Uhr (MEZ) Die Tagesschau weiß von 22 Milliarden Mark Schaden zu berichten, den I love you angerichtet hat. Außerdem wähne sich die philippinische Polizei nun »auf der richtigen Spur«, weil sie in Manila eine Informatik-Studentin festgenommen hat.

Dienstag, 9. Mai 2000 19:08 Uhr (MEZ) |125|Mikka Hypponen wird zu Irene de Guzman befragt und ist fassungslos: »Falls es in der Vergangenheit schon weibliche VirusProgrammierer gegeben hat, dann habe ich keine Kenntnis von

ihnen. Möglicherweise sind Frauen einfach zu klug, um sich schnappen zu lassen.« 168

Mittwoch, 10. Mai 2000 15:40 Uhr (MEZ) Man hat herausgefunden, dass der I love you-Virus auf zwei Examensarbeiten beruht, die am AMA Computer College eingereicht worden sind: ein Programm von Michael Buen, mit dem man Dateien vervielfältigen kann, und eines von Onel de Guzmann, mit dem man Internet-Accounts stehlen kann, um kostenlos zu surfen. Beide Studenten sind Mitglieder der Untergrund-Gruppe GRAMMERSoft, die Programme für Unternehmen entwickelt sowie Examensarbeiten an Informatik-Studenten verkauft.

Donnerstag, 11. Mai 2000 11:37 Uhr (MEZ) Das Hamburger Forschungs- und Beratungsunternehmen MediaTransfer hat 1.250 »Personen mit einem Computer am Arbeitsplatz« zum I love you-Virus befragt. Das meldet die dpa. »Als Reaktion auf Beeinträchtigungen [...] wollen fast 40 Prozent der deutschen Unternehmen ihre Sicherheitsvorkehrungen an den

firmeneigenen PCs verbessern. [...] Zwei Drittel von ihnen gaben an, für die Zukunft eine deutliche Zunahme der Probleme mit Computerviren zu befürchten.« 169 15:22 Uhr (MEZ) Onel de Guzman stellt sich der Polizei und der Öffentlichkeit. Auf einer Pressekonferenz erklärt er, dass er zwar besagte Examensarbeit geschrieben habe, ihren Inhalt aber auch mit anderen Mitgliedern von GRAM-MERSoft besprochen habe. Er lässt damit offen, ob er der I love you-Autor sei. Zudem sei der Virus wahrscheinlich unabsichtlich von ihm verschickt worden, als er mit den anderen Gruppenmitgliedern korrespondiert habe. |126|Für die Presse unerträglich ist, dass der von ihnen in den letzten Tagen immer hysterischer hochgeschraubte Schaden, der durch I love you angerichtet sein soll, auf den Studenten keinerlei Eindruck macht und eine völlig abstrakte Größe darstellt: »Auf die Frage, was er in Anbetracht des Schadens fühle, mein[t] er lapidar: ›Nichts‹.« 170

Freitag, 12. Mai 2000 Auf Telepolis zieht John Horvath Bilanz. Seiner Meinung nach ist der eigentliche Schaden, der »Angriff auf die Wahrheit, der durch die schlecht informierten globalen Medienkonzerne verursacht« worden ist, was dazu führen kann, dass »die Freiheit, die man

bislang noch im Internet hat, beschränkt werden wird«. 171 Er meint damit, dass in der Berichterstattung keinerlei Unterschied zwischen Viren, Würmern und Trojanern gemacht worden ist – Programmen, die ähnlich zu sein scheinen, die aber völlig unterschiedlich funktionieren. I love you, beispielsweise, war ein Wurm, der sich nicht bloß als E-Mail-Attachment verbreitet, sondern auch über andere Internetaktivitäten wie Chat und Usenet. Um das aber vermitteln zu können, »braucht es ein grundsätzliches Verständnis davon, was das Internet tatsächlich ist und wie es funktioniert«. 172 Da das nicht gegeben ist, wurde in den letzten Tagen ein mystisches Bild vom Internet gezeichnet, das von einem Virus gekapert werden kann und dann in Gänze die arglosen Nutzer der Welt attackiert. Demnach ist das System schuld und nicht die Nutzer, die sich aus technischer Ignoranz nicht mit den Programmen auseinander setzen, die sie benutzen und von denen sie sich abhängig gemacht haben.

Montag, 15. Mai 2000 Nachdem alles vorbei ist – der Virus eingedämmt, der Täter dingfest gemacht, die Medienhysterie hinterfragt –, macht die Printausgabe des Spiegels mit der Titelgeschichte »Die @-Bombe: Killerviren attackieren die Computer-Welt« auf und verkündet: »Internet-Piraten halten die Welt in Atem: Mit Viren zerstören sie Daten von Firmen, via E-Mail legen sie Kommunikationsnetze lahm,

mit Hackermethoden spionieren sie die Privatsphäre von Bürgern aus.« Und die Gegenmaßnahmen klingen genauso bedrohlich, |127|denn »[i]hre einzige Konkurrenz sind Geheimdienste und Militärs – auch sie operieren per Internet«. 173 Die Vorstellung von einer groß angelegten Verschwörung mittels undurchsichtiger Kommunikationswege ist zu schön, als dass man sie durch Aufklärung ausrotten könnte. Mit einem »Netz« wird man schließlich eingewickelt, sei es nun durch Fischer, Spinnen oder internationale Verbrecherorganisationen.

11. Machen Sie doch einfach, was Sie wollen |129|

Die ICANN-Wahl, 2000 »Wir sind Papst!«, titelte die Bild-Zeitung anlässlich der Wahl von Joseph Kardinal Ratzinger zum Oberhaupt der katholischen Kirche. »Wir sind das Internet!«, hätte sie schon fünf Jahre früher jubeln können. Denn der deutsche Andy Müller-Maguhn war am 11. Oktober 2000 zu einem der Direktoren der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) gewählt worden, die laut Spiegel die »Weltregierung des Cyberspace« ist und mit »unumschränkter Macht über die Nutzung des Internet« wachen kann. 174 Im 21. Jahrhundert scheint allerdings, allen Unkenrufen und Zukunftsforschern zum Trotz, eine zweitausend Jahre alte Religionsgemeinschaft relevanter zu sein als die Kontrolle über ein elektronisches Kommunikationsnetz, das die Gesellschaft in zehn Jahren schneller verändert hat, als jedes Medium zuvor. Die entsprechende Bild-Schlagzeile fehlte also. Wie konnte das sein? Man hatte sich doch solche Mühe gegeben! Besonders Spiegel Online hatte sich hervorgetan. Chefredakteur Dieter Degler höchstpersönlich wandte sich in einem Brief an die »Nutzer« – denn Menschen, die sein Magazin ansteuern »lesen« dort keinen Artikel, sondern »nutzen« einen Medieninhalt –, um sie darauf aufmerksam

zu machen, dass Spiegel Online mit der Initiative »I Can! – eLection 2000« die Tatsache ändern will, dass »die Interessen von Netzbürgern anderer Staaten [...] bisher nicht genügend vertreten« sind. 175 Zu diesem Zweck wurde ein großes Medienbündnis geschlossen: Die Zeit war dabei und die Süddeutsche Zeitung, das Manager Magazin, Le Monde, Der Standard und das ZDF, Telepolis natürlich und auch c’t, sowie die Plattformen Quality Channel nebst Politik Digital. Peter Glotz hatte, wie so oft, auch noch seinen Namen darunter gesetzt. Kaum war diese Medienoffensive gestartet, zog auch Bertelsmann nach, dessen Manager Thomas Middelhoff gerade auf dem Internet-Trip war |130|und sich zeitgleich auch nach Napster umsah. Die Aktionsseiten »Democratic Internet« sollten für Dialog zwischen Medien, Öffentlichkeit und Politik sorgen. So würde dazu beigetragen werden, »dass die Organisationsstruktur und Arbeitsweise von ICANN demokratischen Prinzipien – Transparenz, Repräsentation, Gleichheit – entspricht«. 176 Der Eifer hatte einen Grund. Irgendwann im April 2000 war den Redaktionen der Republik nämlich bewusst geworden, dass da etwas im Internet passieren sollte, das genauso anmutete, wie das, worüber sie sonst sehr gerne und sehr erfolgreich schrieben: Wahlen. Wo Wahlen sind, da gibt es auch Wähler und Gewählte, und da kann sich die Presse als objektiver Hüter über Recht und Ordnung inszenieren. »ICANN ist inzwischen über den Kreis der Netzexperten hinaus bekannt geworden«, konnte man damals in der

taz lesen, »[d]as liegt weniger an der nicht eben leicht zu verstehenden Aufgabe, die sich diese Organisation selbst gegeben hat, als vielmehr daran, dass sie sich selber mit allgemeinen Wahlen legitimieren will, die sie im Internet durchführt: ein Experiment, das vor allem Politologen fasziniert«. 177

Das meinte der Politologe Christian Ahlert, der die Chance nutzte, die ihm dieses Experiment bot, und mit vielen ausführlichen Artikeln in deutschen Zeitungen eine Universitätskarriere auf diesem Thema aufbaute. Die groß angelegten Presseinitiativen zur Gewährleistung von Demokratie bei den Internetwahlen waren erfolgreich, zumindest förderten sie Entwicklungen, über die man in diesem Sinne berichten konnte. Ein Skandal war es etwa, dass die ICANN »unter Ausschluss der Öffentlichkeit« 178 das Nominierungskomitee für die zu wählenden Direktoriumskandidaten ins Leben gerufen hatte und nun nur Personen dort vertreten waren, die bereits dem InterimsDirektorium angehörten oder die Gruppen zuzurechnen waren, die sowieso schon sehr großen Einfluss innerhalb der Organisation besaßen. Die »Surferschaft«, ein von Frank Patalong geprägter, medienwirksamer Begriff, war nicht vertreten. Zu allem Überfluss präsentierte dieses Komitee dann auch noch eine Kandidatenliste, auf der sich fast nur Industrielobbyisten befanden. Dabei hatten Initiativen wie »I can! eLection 2000« doch eine Fülle von

möglichen Direktoren vorgeschlagen, darunter auch Helmut Kohl als Finanzbeauftragten. Nur unter dem öffentlichen Druck, so schien es, wurde zögerlich die gesamte Liste mit möglichen Kandidaten veröffentlicht, auf der auch schrägere und industrieferne Personen zu finden waren. |131|Als sich schließlich bei den Vorwahlen abzeichnete, dass die offiziellen Kandidaten von den privaten verdrängt werden würden, nahmen manche Journalisten das zum Anlass, Enthüllungsartikel über ihre Kollegen zu verfassen. Angesichts der Tatsache, dass der Sprecher des deutschen »Chaos Computer Clubs«, Andy Müller-Maguhn, in Europa die meisten Stimmen bekam, monierte Kevin Murphy in Computer Wire, dass es Computerkriminellen gelungen sei, seriöse Publikationen wie den Spiegel dazu zu bringen, die Wahl zu manipulieren: »Es scheint sicher zu sein, dass eine deutsche Hackergruppe einen Sitz im Direktorium der ICANN gewinnen wird und sich damit Befürchtungen, dass die umstrittene Wahlprozedur von Gruppen mit Partikularinteressen gehijacked werden könnte, bestätigen.« 179

Ein Vorwurf, über den Spiegel Online natürlich seinerseits berichten konnte und sich somit doppelt im Lichte der Wahl präsentieren konnte. Der Ton wurde immer schärfer, die Skandale immer spektakulärer. So wurde »enthüllt«, dass Interims-Direktorin Esther Dyson Angst davor hatte, »objektiv dumme« Kandidaten könnten gewählt werden und wären mit den technischen Aufgaben

des Postens überfordert. Eine Formulierung, die ein InternetJournalist, der den Hauch der Geschichte über seiner Tastatur streichen fühlt, natürlich sofort aufgreifen und rabulistisch verwandeln konnte, um zum Walt Whitman oder zur Rosa Luxemburg der Netzzeit zu werden: »Es scheint nun immer klarer, wie das zu verstehen ist. Weder Maguhn, noch [die Politologin Jeanette] Hofmann oder [Hacker Lutz] Donnerhacke wird man vorwerfen können, ihnen fehle die nötige Qualifikation. Sie stehen schlicht im falschen Lager. ›Dumm‹ ist hier eigentlich nur eines: Aus Perspektive der ICANN ist die Wahl bisher ›dumm gelaufen‹. [...] Egal, wer nun am nächsten Montag als Kandidat in die Endrunde der Wahlen einzieht: Für ICANN, das derzeitige Direktorium und die ihren Positionen folgende Presse steht die Beurteilung der Wähler-Entscheidung fest: Vox populi, vox Rindvieh. Ein Schuss, der nach hinten losging: Eigentlich wollte man ja nur Stimmvieh.« 180

Aber, wie gesagt, als die Wahlen dann endlich im Sinne der den Positionen der ICANN nicht folgenden Presse stattgefunden hatte und Alternativkandidat Andy Müller-Maguhn den Sieg davontrug, da ging kein Ruck durchs Land, keine Stellungnahme der Bundesregierung wurden verlesen, keine Sondersendungen nach den Nachrichtensendungen im Fernsehen wurden gesendet. Und das, obwohl das Internet jetzt von einem Deutschen regiert wurde. Wie konnte das sein? |132|Nun, wie relevant die Wahl für die Öffentlichkeit war, zeigt

sich schon daran, dass sich von den Millionen Internetnutzern, die wahlberechtigt gewesen wären, nur 75.000 registriert hatten, und von diesen hatte noch nicht einmal die Hälfte gewählt. Und wenn man sich die Berichterstattung über die ICANN ansieht, dann wird auch klar, warum. Zwischen der demokratietrunkenen Rhetorik und den Schilderungen der tatsächlichen Tätigkeit der Behörde besteht nämlich eine große Diskrepanz. Will sagen: Den meisten ist nicht klar geworden, warum hier so viel Getöse gemacht wurde. Die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers wurde 1998 ins Leben gerufen, um, wie ihr Name zu sagen versucht, die Vergabe von Internetadressen zu regeln – eine Aufgabe, die vorher von einer kleinen Gruppe von Informatikern um Computerpionier Jon Postel wahrgenommen worden war. Postel hatte das System, wie Computer im Internet durch eine Nummernfolge, die so genannte »IP-Adresse«, identifiziert werden können, überhaupt erst erfunden und über 25 Jahre lang, als das Internet nur eine Angelegenheit von ein paar tausend Freaks war, auch erfolgreich organisiert und ausgebaut. In den neunziger Jahren wuchs ihm das Netz aber buchstäblich über den Kopf. Immer mehr Nutzer aus immer mehr Gesellschaftsbereichen drängten ins Internet. Besonders kommerzielle Anbieter übten Druck aus, ihrer Meinung nach reichten die Top-Level-Domains wie »com«, »net« und »org« nicht mehr aus, um sich im Netz ausbreiten zu können. Sie wollten mehr, und zwar erheblich mehr als die länderspezifischen Top-Level-Domains wie »de« oder »fr«, die bald

nach dem Erfolg des WWW eingeführt worden waren. Auf Druck der US-Regierung, die von Präsident Clintons Berater Ira Magaziner auf die Notwendigkeit eines Strukturwechsels in der Internetverwaltung aufmerksam gemacht worden war, initiierte Postel die Gründung der neuen Organisation, die dann auch Kräfte von außerhalb mit einbinden sollte. So entstand die ICANN, deren erste Vorsitzende die Netzaktivistin Esther Dyson wurde. Das Besondere an der ICANN und ihrer Aufgabe ist, dass die Adressverwaltung der einzige Aspekt des Internets ist, der zentralistisch ist. Und damit das Einzige, was man kontrollieren kann. Was im Netz zu finden ist, wie es aussieht, ob es morgen noch da sein wird oder nicht – alles das ist nicht zu überblicken oder vorherzusagen, weil es aus den Entscheidungen von Millionen Menschen resultiert. Dass etwas im Netz zu finden ist, beruht dagegen auf dem Vorhandensein von einem einzigen Computer: dem |133|so genannten »A-Root-Server«. Vereinfacht gesagt liegt auf ihm eine Liste, auf der nachgesehen wird, welcher Computer sich hinter welcher Internet-Adresse verbirgt. Aus historischen Gründen befindet sich dieser Computer in den USA, und zwar, weil das Internet genau dort seinen Anfang genommen hat und sich über die amerikanischen Universitäten und Regierungseinrichtungen langsam auch in die Welt verzweigt hat. Wie bei so Vielem glauben die USA deshalb auch, dass sie weiterhin die Kontrolle darüber behalten sollten, weil es ohne sie überhaupt nichts geben würde, was man kontrollieren kann und sie ihren Job doch bisher ziemlich

gut gemacht haben. Was wie so häufig natürlich die Kritik aller anderen auf sich zieht, die den USA Hegemonialbestrebungen und imperialistisches Gehabe vorwerfen. Wie dem auch immer sei, was stimmt, ist, dass ohne die Grundlage einer zentralistischen Entscheidungsgewalt sich das Chaos des Netzes nicht entwickeln könnte. Wenn alle über die Grundlage entscheiden würden, dann gäbe es sie nicht, weil keine Entscheidung getroffen würde. Die Freiheit im Netz resultiert aus einer diktatorischen Setzung. Dieser Widerspruch bestimmte auch die ICANN-Wahl. Es mag so scheinen, dass die hierarchische Gewaltstruktur des »TopDown« sich im Netz umgekehrt hat und eine basisdemokratische »Bottom-Up«-Gemeinschaft gebildet hat, bei der Entscheidungen sich in der breiten Masse ergeben und dann nach oben getragen werden – und diese Utopie kam auch in der Demokratie-Romantik der Journalisten zum Ausdruck. Das Netz funktioniert tatsächlich »Bottom-Up«, allerdings befindet sich die breite Masse nicht mehr unten, sondern oben. Und »die da oben« machen ja »sowieso, was sie wollen«, wie es so schön heißt. Und zwar jeder Einzelne von ihnen. Genau das ist ein Netzwerk: Einzelentscheidungen, die aus Einzelentscheidungen resultieren. Das Internet in seiner konkreten Ausformung hat sich aus bestimmten technischen Bedingungen ergeben, die vorgefunden wurden. Wer für diese Bedingungen gesorgt hat und warum, ist völlig egal. Darüber abzustimmen, hat aus Sicht des Netzteilnehmers keinen Sinn. Warum sollte eine Entscheidung, bloß weil sie von einer Mehrheit befürwortet wird,

andere Entscheidungen verdrängen? In der physischen, begrenzten Welt muss man »aus Vielen Eines« machen, wie der schöne Demokratiespruch sagt, aber in der virtuellen? In der »aus Einem Vieles« werden kann? Nach oben offen, unendlich groß? Warum wählen, wenn man alles haben kann? Zum Glück ist mit Andy Müller-Maguhn jemand gewählt worden, der das genauso sieht. Ein paar Tage nach seiner Wahl veröffentlichte er in der |134|Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine »Regierungserklärung«, weil man »manche Regierungen [...] eben erklären« muss. 181 Besonders den »Krawattis«, wie MüllerMaguhn diejenigen nennt, die ihm aus völliger Unkenntnis seiner Überzeugungen heraus zur Wahl gratuliert haben: die begehrlich auf die Internet-Kontrolle geifernden Industrievertreter, die den Hauptteil der F.A.Z.-Leserschaft ausmachen. Und diesen Vertretern einer physischen Organisation der Welt machte MüllerMaguhn klar, dass sie es im Netz mit Anarchisten zu tun haben: »Die Generation der Regierenden ist üblicherweise eine, die mit dem Röhrenradio groß geworden ist, damals, als man noch klar trennen konnte zwischen Sender und Empfänger. Das nennt man Kanalmodell, und das ist nun vorbei. Heute bildet das Netz einen Kommunikationsraum, man nennt dies Netzmodell. Jeder, der sich da anschließt, kann diesen Raum betreten, sich umgucken, etwas nehmen, etwas geben. Das nennen wir im Internet Geschenkkultur. Ein kleines elektronisches Paradies, in dem sich lustige Dinge entwickelt haben. Das gab es alles, weil der Planet groß ist, die Außerirdischen unter uns sind und – weil die Juristen weit weg

waren. Die waren damals noch mit Gesetzen gegen Terroristen beschäftigt. Heute ist das anders. Irgendwann war das zwar alles ganz sicher da draußen, aber leider auch festzementiert. Und da die Menschen nicht festzementiert sein wollten, haben sie sich einen neuen Freiraum geschaffen: mit ohne Staaten, mit ohne Juristen, einfach nur freier Informationsfluss, ein paar grobe Benimmregeln, und ansonsten macht einfach jeder, was er will, rough consensus and running code.« 182

Nicht, dass Müller-Maguhn die »Krawattis« diskriminieren wollte, das hätte ja seiner eigenen Überzeugung widersprochen. Auch diese haben das Recht auf eigene Entscheidungen, allerdings nur solange sie die Entscheidungen der anderen nicht einschränken. Das muss gar nicht die »Freiheit der Andersdenkenden« sein, die die eigene Freiheit definiert und einschränkt, auch nicht das Handeln, dessen »Maxime Grundlage einer allgemeinen Gesetzgebung sein kann«. Im unbegrenzten Internet muss es überhaupt keine Herrschaft irgendeines Volkes geben. Alle, auch die »Krawattis [haben] ihre eigenen Räume. Da dürfen sie dann Markenrecht spielen (global nicht einheitlich, aber egal), sich gegenseitig aufgrund unterschiedlichen Verständnisses von Meinungsfreiheitsrechten verklagen oder sich einfach in Wohlgefallen auflösen. Solange sie andere Kulturen akzeptieren, ist das alles okay. Ich bemüh’ mich ja auch, wirklich, damit das funktioniert mit dem Nebeneinander. Also, ich erkläre Ihnen jetzt die Regierung, und das heißt, ich erkläre Ihnen, dass sie in Zukunft bitte schön sich selbst regieren. Machen Sie doch einfach, was sie wollen.

Mach’ ich doch auch.« 183

12. Der Anne Frank des Irak

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Der Bagdad-Blogger, 2003 Das erste Opfer des Krieges ist nicht die Wahrheit sondern die Leser von Artikeln, in denen sie mit diesem zur Binsenweisheit verdorrten Zitat von Rudyard Kipling moralisch erbaut werden sollen. Und zwar schon seit 1917, als Hiram Johnson das Bonmot in einer Rede vor dem Senat der Vereinigten Staaten verwendete und es damit in alle Zeitungen schaffte. Nachdem die Medienkritik inzwischen ein Standard der Medienberichterstattung selbst geworden ist und sogar von Medienkritikkritik flankiert wird, wird kaum jemand noch von der Erkenntnis erschüttert sein, dass die kriegstreibenden Parteien nicht detailliert Auskunft darüber geben, wo, wann, wen und wie sie demnächst angreifen werden, über welche Mittel sie verfügen und welche Verluste sie bisher hinnehmen mussten. Schließlich kaufen seit zwanzig Jahren alle, die Oliver Stones Wall Street gesehen haben, Sunzis zweieinhalbtausend Jahre altes Buch Die Kunst des Krieges mit seinen Empfehlungen zur Täuschung: »Wenn wir [...] fähig sind anzugreifen, müssen wir unfähig erscheinen; wenn wir unsere Streitkräfte einsetzen, müssen wir inaktiv scheinen; wenn wir nahe sind, müssen wir den Feind glauben machen, dass wir weit entfernt sind; wenn wir weit entfernt sind, müssen wir ihn glauben machen, dass wir nahe sind. [...] Gib vor,

schwach zu sein, damit er überheblich wird. Wenn er sich sammeln will, dann gib ihm keine Ruhe. Wenn seine Streitkräfte vereint sind, dann zersplittere sie. Greife ihn an, wo er unvorbereitet ist, tauche auf, wo du nicht erwartet wirst. [...] So führen viele Berechnungen zum Sieg und wenig Berechnungen zur Niederlage – überhaupt keine erst recht!« 184

Dass Journalisten vom Militär ernsthaft erwarten, die Wahrheit zu erfahren, und sogar darauf pochen, dass es ein Grundrecht der Öffentlichkeit sei, diese zu erfahren, müsste eigentlich von der Öffentlichkeit selbst verboten werden. Denn noch schlimmer als Bewohner eines Landes zu sein, |138|das Krieg führt, ist es, Bewohner eines Landes zu sein, das offen Auskunft über seine Aktionen gibt und damit neben einem sinnlosen auch noch einen fahrlässigen Krieg führt. Dessen ungeachtet glaubten US-amerikanisches Militär und internationale Medien sich in bester aufklärerischer Mission, als sie 2003 beim Angriff auf den Irak das Konzept des »embedded journalist« umsetzten. Schon nach dem zweiten Golfkrieg 1991 und dann erneut nach der Invasion Afghanistans 2001 hatte es massive Kritik der Medien an der Informationspolitik des Militärs gegeben. Um dem zu begegnen, wurden nun 6.000 Journalisten aus verschiedenen Ländern ausgewählt und dazu ausgebildet, mit den Truppen in den Krieg zu gehen und sich inmitten der Kampfhandlungen zu befinden. Von dort konnten sie dann ungefiltert berichten, was an der Front tatsächlich geschieht. So

lautete zumindest die offizielle Rhetorik. Tatsächlich sah man vom eigentlichen Raketenkrieg wieder nur die freigegebenen Aufnahmen, und ansonsten heroische Reportagen mit dramatisch wackelnden, pixeligen Satelliten-Videokamera-Aufnahmen. Es wurden auch entscheidende Momente des Krieges eingefangen und eindrückliche Situationen abgebildet, aber meistens konnte man den Berichten das eigene Überwältigtsein durch die Teilnahme entnehmen. »Ich kann Ihnen versichern, dass die Soldaten fantastisch zu uns waren«, überschlug sich der NBC-Korrespondent David Bloom vor Begeisterung. »Wonach wir auch fragten, sie haben alles für uns getan, und wir bemühen uns umgekehrt auch, ihnen jeden Wunsch zu erfüllen.« 185 Die New York Times stellte allerdings fest, dass nach ein paar Tagen romantischer Kriegsberichterstattung die Stimmung erheblich umschlug, als tatsächlich kriegerische Handlungen einsetzten und die ersten amerikanischen Soldaten getötet wurden. »Zuerst überschlugen sich die Medien mit ihren Meldungen über die Leichtigkeit des Krieges, und als es dann ernst wurde, gerieten sie in Panik«, wurde der Journalist Fred Barnes zitiert – ein schönes Beispiel dafür, wie Journalisten über Journalisten berichten, die über Journalisten richten. Barnes stellte aber auch fest, dass die »amerikanische Bevölkerung überhaupt nicht so schockiert über soldatische Todesfälle ist wie es die Weicheier in den amerikanischen Medien sind«. 186 Statt den MainstreamJournalisten bei ihren Initiationsproblemen zuzusehen, wandten sich

sehr viele einer anderen Informationsquelle zu: Blogs. Ein »Blog«, Kurzform von »Web Log«, Netz-Tagebuch, ist eine freie Publikationsform im Internet, die eigentlich schwer zu definieren ist. Gemeinsam ist allen Blogs bestenfalls, dass sie immer wieder neue Einträge |139|erhalten und dass der jüngste Eintrag als Erstes auf der Seite zu finden ist. Inhaltlich sind Blogs so verschieden wie Comic-Heft, wissenschaftlicher Tagungsband und Fernsehzeitschrift. Neben dem Aufschreiben und Kommentieren des eigenen Surfverhaltens gibt es Kommentarseiten zu Medienberichten, Fotodokumentationen von Urlaubsreisen, Nachrichtensammlungen, Fortsetzungsromane und natürlich auch Blogs über Blogs. Es gibt alles, worüber Menschen schreiben wollen und was sie, dank des Internets, auch veröffentlichen können. Theoretisch gibt es sogar Leser dafür, denn jeder könnte sich auf die Seite verirren. Allerdings soll es inzwischen schon mehr Blogger als potenzielle Leser geben, so dass auch hier um Aufmerksamkeit gebuhlt werden muss. Obwohl es auch schon früher persönliche Berichte im Internet gegeben hatte – berühmt beispielsweise sind die Seiten http://www.links.net von Justin Hall, der von 1994 an sein Leben veröffentlichte, bis er nach einem live gefilmten Nervenzusammenbruch 2005 das Schreiben einstellte –, wurden sie als Blogs erst 2003 einer großen Öffentlichkeit bekannt. Plötzlich glaubten alle, die Medien eingeschlossen, dass sie im Netz die echten, ungefilterten Nachrichten finden konnten, und zwar nicht

von umständlich eingebetteten Journalisten, sondern von Augenzeugen, die schon immer dort gewesen waren, wo gerade etwas passierte: von Einwohnern. Verantwortlich für diesen Boom war vor allem eine Person, ein irakischer Architekt, der unter dem Pseudonym »Salam Pax« über sein Leben in Bagdad vor und während des Einmarschs der Amerikaner schrieb, über Tomatenpreise, Musik-CDs, CNN-Berichte und Todesängste während der Bombenangriffe. Seine Schilderungen waren intelligent, sarkastisch, in bestem Englisch verfasst und von ergreifender Authentizität. Vor allem aber frei von jeglicher Ideologie. Salam Pax teilte nach allen Seiten aus, weder war er ein Parteigänger von Saddam Hussein, noch jubelte er den Befreiern um George W. Bush zu. Er war einfach ein »gewöhnlicher Iraker«, wie er sich selbst nannte, der seine ganz eigene Meinung kundtat. Und nebenbei alle etablierten Journalisten ausstach, wie Rory McCarthy im Guardian einräumte: »Es war die große Ironie dieses Krieges. Während die weltweit führenden Zeitungen und Fernsehsender Millionen in ihre Berichterstattung über den Irak-Krieg steckten, wurden sie alle ausgestochen von den Internet-Grübeleien eines geistreichen jungen Irakers aus einem zweistöckigen Haus in einem Bagdader Vorort, der die eindrücklichsten Schilderungen vom Leben im Krieg lieferte.« 187

|140|Sein Blog mit dem Titel Where is Raed?« auf http://dear_raed.blogspot.com wurde zur Pflichtlektüre während

des Krieges. Zuerst war es nur Raed gewesen, ein jordanischer Freund, der über diese Interneteinträge über Salams Leben auf dem Laufen gehalten werden sollte, weil er per Mail so schlecht zu erreichen war. Dann lasen ein paar andere Blogger mit, weil Salam bei ihnen mitlas und mit ihnen einen freundschaftlichen Austausch pflegte. »Es war zunächst wie ein Gespräch mit 20 Leuten um einen runden Tisch. Eine sehr kleine Internetgemeinde«, erzählte Salam Pax später dem ZDF. 188 Zum Spaß trug er sich dann im Blogverzeichnis eatonweb.com ein, weil das Bild, das die Welt bis dahin von Arabern bekam, sehr einseitig war: »Das habe ich gemacht, nachdem ich einige Tage lang nach arabischen Bloggern gesucht hatte und nur religiöse Blogs gefunden hatte. Ich dachte bei mir, dass die arabische Welt angemessen repräsentiert werden sollte und beschloss, dass ich den profanen, perversen arabischen Blogger abgeben würde, falls jemand nachschauen sollte.« 189

Dieser Eintrag machte Where is Raed? dann außerhalb seines Freundeskreises bekannt. Statt zwanzig Seitenaufrufen am Tag waren es nun dreitausend. Seine Seite wurde immer mehr verlinkt. Als dann im März 2003 das Wort »Irak« Hochkonjunktur bei Google hatte und sowohl The New York Times als auch The Washington Post, die BBC und MSNBC über Salam Pax berichteten, explodierten die Zugriffszahlen. So stark, dass sich ein Server-Betreiber namens Taylor Suchan

genötigt fühlte, gegen Salam Pax zu protestieren. Weil Blog-SeitenAnbieter oft nur geringen Speicherplatz zur Verfügung stellten, bot Suchans Dienst Industrial Death Rock and Pyxz.com Bloggern an, dass sie auf seinen Servern Bilder ablegen konnten, die sie in ihren Blogs präsentieren wollten. Ein Link auf der Blog-Seite lud das Bild vom Industrial and Pyxz-Server in die Browserfenster der Leser. Salam Pax war ein Nutzer dieses Services. Und durch seine inzwischen Hunderttausenden von Lesern waren die Server nur noch damit beschäftigt, seine Fotos aus Bagdad hochzuladen. Alle anderen Kunden von Taylor Suchan bekamen ihre Bilder nicht mehr und drohten, zu kündigen. Seine Hilfemails an Salam Pax und seinen Blog-Anbieter blogger.com blieben unbeantwortet, also entschloss er sich, Where is Raed? zu torpedieren. Er leitete alle Links in Salam Pax’ Blog auf andere Bilder im Internet um, hauptsächlich satirische Fotomontagen wie die von George W. Bush, der Saddam Hussein im Schwitzkasten hält. Alarmiert von Hunderten Mails, in denen nach den seltsamen Bildern gefragt wurde, meldete |141|sich schon am nächsten Tag blogger.com bei Suchan und versprach, dass sie in Zukunft die Bilder speichern wollten, wenn er nur schnell die Links wieder korrigieren würde. Das war allerdings nicht der einzige Protest gegen Salam Pax. Einige Leute, die auch hauptsächlich im Internet veröffentlichten, waren von seinem Erfolg provoziert und begannen seine Identität anzuzweifeln, am aktivsten der freie Journalist David Warren. In einer Kolumne über den »Liebling der Blogger-Kameraden im

Westen, die jedes Mal vor Links aufglühen, wenn er im Netz erscheint« zog er aus den Tatsachen, dass Salam Pax in Wien zur Schule gegangen ist, sich mit westlichen Produkten auskennt und ein vortreffliches Englisch schreibt den Schluss, dass er der Sohn eines OPEC-Vertreters des irakischen Baath-Partei-Regimes von Saddam Hussein sein müsse und perfide Propaganda betreibe: »Er verbreitet ›Insider-Wissen‹ über den neuen Irak, nicht nur in der Blogosphäre sondern auch unter den Journalisten, die es sich immer noch im Meridian-Hotel gut gehen lassen. Nicht die ›eingebetteten‹, die inzwischen nach Hause zurückgekehrt sind, nachdem sie bemerkenswerte Erfahrungen gemacht haben, sondern diese ›Enthüller‹, die noch nicht auf die nächste Skandalgeschichte angesetzt worden sind und immer noch in der seltsamen Stadt Bagdad abhängen, um etwas herauszufinden, ohne sich selbst in Gefahr zu begeben. Die saugen das auf. Sie sind auf Übersetzer und Führer angewiesen und begreifen kaum, dass die Leute, die ihnen Dienste anbieten, fast alle arbeitslose Offizielle des Baath-Regimes sind. Sie vertrauen ihnen, weil sie so gut Englisch sprechen.« 190

Das Misstrauen, das von Warren und anderen gesät wurde, griff um sich. Einige stützten die Vermutung, dass Salam Pax für das gestürzte Regime arbeitete. Andere erkannten plötzlich das Gegenteil, dass er nämlich ein Instrument der CIA sei, um die Stimmung für die Amerikaner anzuheizen. Wieder andere bezweifelten, dass es ihn überhaupt gab, und dass er von irgendwelchen Autoren in Amerika erfunden worden war, um mit

fiktiven Berichte aus einem erfundenen Bagdad für Aufsehen zu sorgen. Gestützt wurde das von verunsicherten Journalisten wie Ben Schwan, der in der Netzzeitung auf den Fall der »offenbar verhaltensgestörten« Debbie Swenson hinwies, die 2001 einen Blog schrieb und vorgab, die krebskranke neunzehnjährige Kaycee Nicole zu sein und damit Tausende von Lesern täuschte – »[d]as Netztagebuch von ›Salam Pax‹ ist deshalb mit Vorsicht zu genießen« folgerte Schwan daraus. 191 Zu allem Überfluss verstummte Salam Pax just in dem Moment, als die Zweifel an seiner Echtheit am größten waren. »Bitte hört auf, mir E-Mails |142|zu schicken, in denen ihr mich fragt, ob es mich wirklich gibt«, war am 21. März 2005 das vorerst Letzte, was man lesen konnte. »Ihr glaubt’s nicht? Dann lest einfach nicht weiter. Ich bin nicht irgendjemandes Propagandatrick – na ja, mein eigener vielleicht«, schrieb er noch, dann gab es in den nächsten Wochen keine neuen Einträge mehr zu lesen. 192 So als wären ihm die Kritiker auf die Spur gekommen, so dass er erst einmal untertauchen musste, um der Enttarnung zu entgehen. Auf die Idee, dass es aufgrund der Bombardierung Bagdads, die an diesem Tag begonnen hatte, schwer sein könnte, ins Internet zu gehen, um im eigenen Blog zu posten, kam kaum jemand. Während Salam Pax also schwieg, machte sich die Netzcommunity daran, seine Existenz zu beweisen. Seine Mails wurden analysiert, um aus den technischen Anhängseln abzulesen, ob sie tatsächlich aus dem Irak verschickt sein konnten. Angaben

aus dem Blog wurden mit der Berichterstattung der Massenmedien verglichen, um nachzuweisen, dass Salam oft vorher von etwas wusste und nicht einfach die Nachrichten abschrieb und verzierte. Einen ersten Beweis für seine Existenz lieferte das österreichische Wochenmagazin Format, dem es gelungen war, ein Foto von Salam Pax zu bekommen und abzudrucken: 3 mal 3 Zentimeter groß und mit schwarzem Balken über den Augen. Anfang Juni erschien dann ein leidenschaftlicher und amüsierter Artikel von Peter Maass, Autor des New York Times Magazines, der gerade aus dem Irak nach Amerika zurückgekehrt war und dort erst von dem Hype um den Bagdad-Blogger erfuhr. Bei der Lektüre von Where is Raed? erkannte er sofort, um wen es sich dort handelte: »[In einem Interview] erwähnte Salam Pax CIVIC [Campaing for Innocent Victims in Conflict], für die er arbeitete, […] dass er für ausländische Journalisten gearbeitet hatte, [...] auch, dass er in Wien studiert hatte. Das erregte mein Interesse, denn ich kannte einen Iraker, der für CIVIC arbeitete, sich bei ausländischen Journalisten aufhielt und in Wien studiert hatte. Ich klickte also seinen Blog an. In einem Eintrag erwähnte er einen Nachmittag, den er am Pool des Hamra Hotels mit der Lektüre des New Yorker verbracht hatte. Ich musste lachen. Dann erzählte er von einer Eskapade, in der er geholfen hatte, 24 Pizzen an amerikanische Soldaten auszuliefern. Ich grölte. Salam Pax, der berühmteste und geheimnisvollste Blogger der Welt, war mein Übersetzer. Der New Yorker, den er gelesen hatte, – meiner. Am Pool des Hamra – zusammen mit mir. Die 24 Pizzen – wir hatten sie gemeinsam zu der [...] Einheit gebracht, über die ich damals schrieb.« 193

Als schließlich Stefan Kaltenbrunner im österreichischen Datum einen langen Artikel über seinen Freund Salam Pax veröffentlichte, in dem er von dessen Zeit als Architekturstudent in Wien und seinem anschließenden |143|Leben in Bagdad erzählte, stand fest, dass es ihn wirklich gab. Dass man Zweifel gehabt hatte, erklärt sich Kaltenbrunner damit, dass Salam keinem Klischee entspricht. »Plötzlich tauchte da einer auf, der nicht im Kaftan vor der Teestube sitzt oder US-Flaggen verbrennt, sondern perfekt in Englisch parliert, sich als schwul outet, auf westliche Popmusik steht und frech seine Meinung kundtut.« 194 Für die Glaubwürdigkeit einer Nachricht ist es eben entscheidend, dass sie in vorhandene Raster passt und mit ähnlichen Nachrichten verglichen werden kann. Das, was Salam Pax’ Berichte so außergewöhnlich machte, dass sie nämlich gut geschrieben waren und von einem Iraker stammten, war gleichzeitig ihr größtes Manko. Zumindest solange es keinen konkreten Autor gab, dessen Existenz und Schreibbedingungen man überprüfen konnte. Doch nach dem Ende der Bombenangriffe trat Salam Pax wieder in Erscheinung, nicht nur im Netz, sondern nun auch in anderen Medien. Er beharrte zwar weiterhin auf seinem Pseudonym, um sich und seine Familie zu schützen, aber nun gab es einen Autor, jemanden, den man für sein Werk haftbar machen konnte. Der Blogger Nick Denton hatte bereits auf das kommerzielle Potenzial von Salam Pax hingewiesen, noch während die Diskussion

über seine Echtheit am hitzigsten geführt wurde. Er verglich Where is Raed? mit dem anderen großen Kriegstagebuchbestseller der Geschichte: »[...] Ein cleverer Verleger – oder Agent – sollte sich Salam Pax schnappen. [...] Salam Pax ist die Anne Frank dieses Konflikts.« 195 Nachdem er als Person greifbar geworden war, wurde er tatsächlich sofort vereinnahmt. Der britische Guardian beschäftigte ihn als Kolumnist. In vierzehntägigem Rhythmus erschienen von ihm längere Ausarbeitungen seines Bagdad-Blogs, später dann Reportagen aus Washington oder Kommentare zur Verhaftung von Saddam Hussein. Die Zeitung bereitete dann auch zusammen mit dem Verlag Grove Atlantic die Buchfassung von Where is Raed? vor, die noch 2003 unter dem Titel The Baghdad Blog in die Läden kam. Der Autor ging auf Promotiontour durch die Welt, trat in der BBC auf, wurde vom Stern interviewt und ging in die amerikanischen Talkshows, wo er mit der Anekdote reüssierte, wie sein Vater aus dem Radio erfuhr, dass es einen amerikanischen Architekten im Irak gab, der Tagebuch über seine Familie führte und plötzlich über die vielen Stunden nachdachte, die sein Sohn am Computer verbrachte. Er bekam das Angebot, für die BBC Videoreportagen zu drehen. Schließlich kam, was kommen musste: Überall berichteten Medien, dass »laut Medienberichten« gerade fieberhaft an einer Verfilmung von The Baghdad Blog gearbeitet würde. Salam Pax Superstar. |144|Gelitten hat unter dieser Karriere in den Medien nicht so sehr die Person Salam Pax, er schien diese Aufmerksamkeit mehr

und mehr zu genießen. Gelitten hat der Autor und sein Blog. Das, wofür er berühmt wurde, konnte von ihm nicht mehr in derselben Form gemacht werden. Der authentische, gewöhnliche Iraker, dessen Ansichten sich so erfrischend von dem professionellen Habitus der Journalisten abhob, war nicht mehr gewöhnlich und bereits ziemlich professionell geworden. Die physikalische Unschärferelation, nach der man durch die Beobachtung das verändert, was man beobachten will und nur die Effekte der eigenen Aufmerksamkeit messen kann, traf auch auf Salam Pax zu. Nicht nur, dass er Skrupel bekam, so zu schreiben, wie er es ohne spürbare Aufmerksamkeit hatte tun können, er hatte schlichtweg kaum noch Zeit dafür. Das Dilemma, in dem er sich befand, war ihm völlig bewusst. Er beendete Where is Raed? und begann am 9. August 2004 – »dem Jahrestag der Überschreibung meiner Seele an den Teufel«, wie er selbst schrieb – einen völlig neuen Blog mit dem Titel Shut up you fat whiner!. 196 Stilistisch und thematisch unterscheidet sich dieses neue Tagebuch kaum von Where is Raed?, Salam Pax macht mit diesem neuen »Werk« allerdings auf eines aufmerksam: Als Autor ist er nur bedingt mit dem von ihm verfassten Texten gleichzusetzen. »Authentizität« ist etwas Gemachtes und vor allem etwas, was andere etwas Gemachtem zuschreiben. Der »Bagdad-Blogger« war vor allem ein Phänomen all derjenigen, die ihn als authentische Stimme wahrgenommen haben, die dann von ihm einforderten, dass er diese Authentizität verkörpern sollte und irritiert waren, dass er

überhaupt nicht mehr so authentisch war, wie sie es sich vorgestellt hatten. Mit Michel Foucault gesprochen, verlangte man, »dass der Autor von der Einheit der Texte, die man unter seinen Namen stellt, Rechenschaft ablegt [...], den verborgenen Sinn, der sie durchkreuzt, zu offenbaren oder zumindest in sich zu tragen [...], sie in sein persönliches Leben, in seine gelebten Erfahrungen, in ihre wirkliche Geschichte einzufügen«. 197

Dabei muss jeder, ob er nun angeblich frei im Internet oder offensichtlich unfrei in einer Zeitung schreibt, sich der »Funktion des Autors« bedienen, um einen Text zu produzieren, der von den Zeitgenossen auch verstanden werden kann. Indem er den »Bagdad-Blogger« beendete und in einem neuen Blog weitermachen konnte, demonstrierte Salam Pax, dass letzten Endes er die Kontrolle über ein Produkt hat, das unter seinem Namen veröffentlicht wurde und dass er, seine Meinungen und seine Texte nicht aufhören würden zu existieren, sollte es den »BagdadBlogger« nicht mehr |145|geben. Und um zu zeigen, dass dasselbe für Shut up you fat whiner! gilt, hat Salam Pax für kurze Zeit noch einen weiteren Blog ins Leben gerufen, der klar macht, wen er dort zur Räson ruft: auch The Fat Whiner ist von ihm. 198 So ist er als Autor jede seiner Personae, der beendete »Bagdad-Blogger«, die »fette Heulsuse« und derjenige, der von der fetten Heulsuse genervt ist. Der Medienbetrieb, der Salam Pax zum Star gemacht hat,

müsste solche emanzipatorischen Bestrebungen eigentlich unterdrücken, um ihr Produkt weiter am Leben zu halten. Aber nichts ist so uninteressant wie der Star von gestern, und so lässt man Salam Pax Salam Pax sein und wendet sich dem nächsten großen Ding zu. Denn dem Guardian ist es in Zusammenarbeit mit der Feminist Press gelungen, eine 25-jährige Irakerin ausfindig zu machen, die unter dem Pseudonym »Riverbend« während des Angriffkriegs der USA Tagebuch führte und dieses ins Internet stellte – authentische Schilderungen vom ganz gewöhnlichen Leben in Bagdad, die eine wahrere Sicht auf die Dinge zeigen, als es die »embedded journalists« machen konnten. Das 2005 veröffentlichte Buch trägt den Titel Baghdad Burning: Girl Blog From Iraq und Oscar-Preisträgerin Susan Sarandon empfiehlt es auf dem Umschlag jedem, »der sich für den Irak-Krieg interessiert«. Wenn man schon eine Anne Frank des Irak-Kriegs haben will, dann bitte schön auch eine richtige.

13. Hollywood trifft Moores Gesetz |147|

Red vs. Blue, 2003 Und was gibt es noch so im Netz? Außer sinnlosen Webcams, schlechten Homepages, Raubkopierbünden, Kolportage, Killerviren und Außerirdischenforschung? Nun, manchmal findet man auch Filme. Nicht bloß die Anfixschnipsel von Pornoanbietern oder die Trailer der designierten Blockbuster, sondern den kreativen Ausstoß tausender Menschen, von kurz bis lang, animiert bis real geschauspielert, grottenschlecht bis brillant. Eben das, was man erwarten kann, wenn es theoretisch jedem möglich ist, das zu verbreiten, was er meint, verbreiten zu müssen. Eine Gaußsche Normalverteilung des Machbaren, mit ganz viel Mittelmaß und zwei schmalen Enden des Indiskutablen und Genialen. Einige der Filme haben eine sehr eigene Ästhetik. Sie wirken wie Zeichentrickfilme, die Figuren und die Landschaften in ihnen sehen aber eher aus, als entstammten sie Computerspielen. Genau da kommen sie auch her. Es sind Filme, die mit Computerspielen gedreht werden. So genannte »Machinima«. Was gemäß der Definition der Academy of Machinima Arts and Sciences »Animationsfilm innerhalb einer virtuellen 3D-Echtzeit-Umgebung« bedeutet. Was auch noch nicht viel erhellender ist. Die Analyse des

Namens bringt da schon mehr. In ihm sind die Begriffe »Machine« (als Synonym für »Engine«, dem Programmteil, der sämtliche physikalische Gegebenheiten des Spiels erzeugt), »Cinema« und »Animation« miteinander verschmolzen, um die verschiedenen medialen Bezugsebenen anzuzeigen. Von der Filmproduktion des Cinema haben Machinima das Moment der Aufnahme von ablaufendem Geschehen, als Animationsform besitzen sie die Möglichkeit, künstlerisch erzeugte Figuren in Bewegung zu versetzen, und dadurch, dass sie mittels einer Game-Engine erzeugt werden, kann auf Umgebung und Geschehen jederzeit eingewirkt werden. |148|Geprägt hat diesen Begriff Anthony Bailey, aus einem Gefühl heraus, dass das, was er und ein paar andere seit Jahren machten, Potenzial hätte, sich zu einer eigenen Kunstform auszuwachsen. Aber so, wie sie es bisher praktiziert hatten, war das kaum möglich. Sie drehten nämlich so genannte »Quake Movies«, kleine Filme, in denen Mehrspieler-Teams, so genannte Clans, ihre Fähigkeiten im Spiel gegenüber anderen demonstrierten. Ermöglicht worden war das durch ein Programmfeature in id Softwares bahnbrechenden Shootern Doom und Quake, das ermöglichte, Spielgeschehen in einer Datei aufzuzeichnen. Schnell entwickelte sich daraus der Sport, ein möglichst originelles Demo zu haben, das zum Markenzeichen des Clans werden konnte. So zogen Trickjumping und Geschwindigkeitsrekorde in die Demos ein, um Distinktionsgewinne zu erzielen. Und schließlich Narration. Am 26.

Oktober 1996 veröffentlichten die Rangers ein Demo mit dem Titel Diary of a Camper, in dem ein einzelner Spieler versuchte, den gesamten Clan herauszufordern und zu besiegen, indem er sich neben einer Versorgungsstelle aufhielt, die sich permanent auffüllte. Sofort zogen alle nach und drehten nun auch »Quake Movies«. Doch Bailey war unzufrieden mit der Ausrichtung der Filme und fand, dass man sich zu sehr auf das einzelne Spiel und den komischen Effekt konzentrierte, der durch den anderen Gebrauch erzielt wurde. In der q2demos-Mailingliste mahnte er deshalb am 5. Januar 1998 an, größer und universeller zu denken: »Ich glaube, mit neuen Werkzeugen und einem größeren Bewusstsein für die Fertigkeiten, die es bedarf, um einen guten Machinema zu machen, wird man sich auf wirklich experimentierfreudiges Zeug freuen können. So schön und lustig Slapstick und B-Movie-Action-Horror auch sind, sie sind bloß der Anfang dessen, was mit diesem neuen Medium getan werden kann. Wenn ich ein Filmstudent wäre, der nur ein bisschen ein Faible für Technik hätte, dann würde ich dieses Zeug als Alternative betrachten, als Prototypen für Produktionen, die sich sehr schnell ausweiten und ausbreiten könnten.« 199

Indem er ihm einen eigenen Namen gab, schuf Bailey gewissermaßen das Medium – das »i« schlich sich übrigens erst später als Tippfehler in einem Mailwechsel zwischen ihm und Hugh Hancock ein, wurde für gut befunden und behalten – und als solches begann es sich tatsächlich zu entwickeln.

Kurz nach Baileys Initiative wurde Apartment Hunting von einer Gruppe namens Ill Clan veröffentlicht, ein Film über zwei waffenstarrende Typen, die in ein Quake II-Verlies einziehen wollen und seine Einrichtung inspizieren|149|. Mit dem Ill Clan hatte das Medium seine ersten Stars, die es sofort in Wired schafften und später mit Hardly Working und seinen zwei Hauptfiguren Larry und Lenny Lumberjack einen ersten Klassiker schufen. Ingeniös löste der Ill Clan das Problem, dass Game-Engines bestimmte Auflagen für die Figurengestaltung machen. So will Quake II, dass seine Figuren immer eine Waffe in der Hand halten, was für Ego-Shooter in Ordnung ist, für landläufige Sitcoms aber ein Problem darstellt. Doch wenn die Hauptdarsteller Holzfäller sind, die in einem Schnellimbiss anheuern, dann fällt es nicht weiter auf, dass sie Äxte bei sich tragen und ihr Chef mit einem Fleischermesser durch die Luft wedelt. Zarathrustra Studios folgte dem Beispiel des Ill Clans und veröffentlichten 1999 ihre Sitcom Father Frags Best. Andere Wege gingen Strange Company mit ihrem Ozymandias nach dem Gedicht von Shelley oder Fountainhead Entertainment mit dem Video zu Zero 7s Song In the Waiting Line, das es in die MTV-Rotation schaffte, oder ihrem ambitionierten Animationsfilm Anna, der jeglichen Bezug zu Computerspielen abgelegt hat. Kulturelle Weihen wurden durch den Artikel »Ghost in the Machinima« des renommierten Filmkritikers Roger Ebert verliehen, auch die Meldung, dass Steven Spielberg für einige Sequenzen von

A.I. auf die Unreal Tournament-Engine zurückgegriffen hatte, tat ein Übriges. Und mit der Gründung der Academy of Machinima Arts and Sciences und einem jährlich stattfindenden Filmfestival waren Machinima endgültig institutionalisiert. Von all diesen medialen Verschiebungen hatte Michael »Burnie« Burns nichts mitbekommen. Nachdem seine geplante Hollywoodkarriere nicht über einen 9.000-Dollar-Film hinausgekommen war, den er mit seinen Freunden Matt Hullum und Joel Heymann am College gemacht hatte und der auf komplettes Desinteresse gestoßen war, riss er einen Job im Call Center herunter und verbrachte den Rest seiner Zeit damit, vor seiner Xbox zu sitzen und Computerspiele zu spielen. Meistens den Ego-Shooter Halo im Mehrspielermodus über das Internet. Aus Langeweile schrieb er auch für die Internetseite drunkgamers.com, die zwei andere Freunde – Gustavo Sorola und Geoff Fink – ins Netz gestellt hatten, um an kostenlose Rezensionsexemplare von Computerspielen zu kommen. Und zwar mit dem seltsamen Konzept, dass alle Texte im betrunkenen Zustand geschrieben werden mussten, was nicht unbedingt das Interesse der Spielindustrie weckte. Burnie Burns nutzte die Seite auch, um mit kleinen Videos zu beweisen, wie spektakulär er sich in Halo schlug, nicht ahnend, dass er damit bereits |150|den Weg eingeschlagen hatte, den vor ihm die anderen Machinima-Macher gegangen waren. Um die Videos aufzupeppen, synchronisierte er sie und ließ seinen

gesichtslosen Soldaten im Raumanzug mit alberner Stimme irgendwelchen Blödsinn sagen. Als er über diese Videos nachdachte, wurde ihm klar, dass man auf diese Weise auch längere Filme mit Dialogen und Handlung drehen konnte. Er überredete seine Freunde, an diesem Filmprojekt mitzuarbeiten und schrieb ein Drehbuch. Gedreht wurde dann, indem jeder seine Xbox mitbrachte, sie mit den anderen zu einem lokalen Netzwerk zusammenschloss und dann den Mehrspielermodus startete. Burnies Xbox war mit dem Computer verbunden, der das, was seine Figur sah, als Video aufnahm. Burnies Figur war gewissermaßen die Kamera. Alle anderen spielten ihre Figur gemäß dem Drehbuch. Sie machten also nichts anderes, als ein Marionettenstück aufzuführen. Zugute kam ihnen dabei ein Programmierfehler im Spiel, der den Kopf der Figur oben ließ, wenn ihre Waffe auf den Boden gerichtet wurde. So war es im fertigen Film glaubwürdiger, dass sich die Figuren unterhielten, weil sie nicht die ganze Zeit ihre Gewehre auf das Gesicht ihres Gesprächspartners richteten. Nach den Dreharbeiten schnitt Burnie den Film am Computer, nannte ihn Red vs. Blue und stellte ihn auf drunkgamers.com ins Netz, passenderweise am 1. April 2003. Eine weitere sinnlose Freizeitbeschäftigung war an ihr Ende gelangt, dachte Burns. Nach zwei Tagen musste er jedoch seine Meinung ändern. Denn wider Erwarten interessierte sich jemand für seinen Film. Vorher hatte drunkgamers.com an Spitzentagen bis zu dreitausend Zugriffe

bekommen, jetzt hatte sich diese Zahl schlagartig verzehnfacht und stieg mit jedem Tag. »Wir erkannten, dass wir etwas losgetreten hatten, und dachten uns, dass wir es vielleicht fortsetzen sollten«, erklärte später Geoff Ramsey, der seit der ersten Folge von Red vs. Blue dabei gewesen ist. 200 Sie setzten sich wieder mit ihren Spielkonsolen zusammen, Burnie Burns schrieb neue Drehbücher, sie spielten neue Filme ein, und jede Woche wurde eine neue Folge Red vs. Blue ins Netz gestellt, die von einer ständig wachsenden Gemeinde aufgenommen wurde. Frustrierten Fans, die einzelne Episoden nicht herunterladen konnten und sich beschwerten, erklärten sie auf der Webseite, dass das schon mal vorkommen könne bei einem Datenvolumen von 170 Terabyte, das monatlich von ihrem Server geladen würde. »Eine durchschnittliche Festplatte fasst ungefähr 40 Gigabyte. Stell Dir einen Stapel Festplatten vor, der so hoch ist, dass er bis zum Mond reicht. Jetzt klettere diesen Stapel hoch und hau dem Mond ins Gesicht.« 201 Zeit, sich mit Beschwerden |151|aufzuhalten, hatten sie nicht mehr, sie mussten mit Hochdruck weiter an der Serie arbeiten. Worum geht es dabei? Wie jedes herausragende Kunstwerk lässt sich Red vs. Blue auf eine Grundfrage reduzieren: Was würden Computerspielfiguren eigentlich machen, wenn niemand am Controller säße? Wenn sie tatsächlich Charaktere wären und nicht bloß Werkzeuge für den Zugriff auf eine virtuelle Umgebung. Nun, Burnie Burns zufolge würden sie auf dem Dach ihrer Basis stehen, auf das Lager des Gegners in der Ferne schauen und sich darüber

unterhalten, warum sie eigentlich da sind. Nicht grundsätzlich, mit Schöpfer und Urknall und Jenseits, sondern ganz direkt, warum sie sich in einem völlig unwichtigen Canyon auf einem gottverlassenen Planeten während eines völlig sinnfreien Krieges befinden. Alles, was sie tun können, ist, die gegnerische Basis zu erobern, womit sie zwei Stützpunkte in diesem Canyon auf einem verlassenen Planeten während eines sinnlosen Krieges hätten. Dann aber ohne jegliches Ziel. Während dieser existentialphilosophischen Erörterung würden sie von ihren Gegnern durch ein Zielfernrohr beobachtet, die sich darüber mokieren, dass nichts passiert, außer dass die anderen herumstehen und diskutieren. »Einen der unvergesslichsten Momente der Filmgeschichte« nannte Julien Dibbell diese Anfangszene der Serie in der Village Voice und beschrieb den eigentümlichen Effekt, der auf diese Weise erzielt wird: »Man kennt diesen Stil, diese Stimmung, aber man kann sie nicht richtig einordnen; es könnte Beckett sein, oder Tarkowski. Dann wird Dir plötzlich klar: Das ist Halo auf der verdammten Xbox. Und ›Bam!‹ [...] bist Du in der Welt von Machinima – Filme nicht über Computerspiele, nicht wie Computerspiele, sondern in Computerspielen.« 202

Andere stimmten in den Lobgesang ein. »[D]ie Kunde von der Serie verbreitet sich wie ein Virus im Internet«, berichtete die BBC und schwärmte von seiner »anarchischen Energie« und dem

»zügellosen« Humor. 203 In der New York Times erklärte Clive Thompson mit einer sehr langen Reportage, dass diese Art des Filmemachens mehr ist »als bloß eine billige Art, einen Trickfilm zu machen, Machinima ermöglicht es Computerspielern, die Popkultur, die sie so begierig konsumieren, direkt zu kommentieren«. 204 Das Wall Street Journal weckte auf der Titelseite das Interesse potenzieller Investoren an dieser »low-budget-Produktion, die eine Kult-Gemeinde angezogen hat und sich anschickt, größere Zuschauergruppen zu erreichen«. 205 Die Washington Times sah in Red vs. Blue aufgrund seiner Zuschauerzahlen bereits die »Spitze des Eisbergs einer neuen Distributionsform |152|für Fernsehen«. 206 Microsoft und der Spieleentwickler Bungie, die eigentlich gerichtlich gegen die Serie vorgehen könnten, weil sie ihr geistiges Eigentum missbraucht, unterstützten Red vs. Blue nach Kräften, weil es dem Spiel und der Xbox eine Popularität verschaffte, die sie mit ihren eigenen PR-Maßnahmen nie hätten erreichen können. Burnie Burns wurde zum Sundance Festival eingeladen, dem größten Independent Filmfestival der Welt, und Red vs. Blue wurde im Lincoln Center in New York vor ausverkauftem Haus aufgeführt, weil der Direktor der dortigen Filmgesellschaft, Graham Leggat, in ihm die »Entsprechung zum Theater des Absurden« erkannt hatte. 207 Was ihm auf die klassische Art und Weise mit einem Spielfilm verwehrt geblieben war, das gelang Burns nun in kürzester Frist mit seinem »betrunkenen Computerspielen«: Sein Werk wurde kanonisiert. »Es ist wahrhaftig so ausgereift wie Samuel Beckett«,

so Graham Leggat. Auch wenn Machinima versuchen, sich von den Computerspielen zu emanzipieren, die ihre Grundlage darstellen, so haben sie doch immer besondere Stärken, wenn sie auf die Spiele und ihre Prinzipien reflektieren. Das zeigt vor allem der große Erfolg von Red vs. Blue. Die bunten Raumanzugträger, die über ihre Intercoms miteinander kommunizieren, sind ein beeindruckender Abgesang auf alle interpretatorischen Versuche, Computerspiele als neue Form des Literarischen darzustellen. Wäre dem so, dann bräuchte man vor allem Eines: Charaktere mit Gefühlen, freiem Willen und irgendwelchen Absichten. Nur so lässt sich eine Dramaturgie entwickeln. Da die Figuren in Computerspielen aber keine Charaktere sind, die Identifikationspotenzial für einen Zuschauer bieten, sondern eigentlich bloß Werkzeuge für den Zugriff auf den virtuellen Raum darstellen, ist eine Erzählung im literarischen Sinn nicht möglich. Niemand würde von einem Schraubenzieher sagen, dass er eine Repräsentation des eigenen Ichs in der Welt der schraubbaren Dinge darstellte, er ist bloß eine Verlängerung, ein Übergangsmechanismus zwischen zwei verschiedenen Systemen, die gleichzeitig nebeneinander existieren und somit interagieren können. Genauso sind Super Mario, Lara Croft, Gordon Freeman und wie die Computerspielfiguren noch alle heißen nur visuelle Metaphern für jeweils spezifische Zugriffsmöglichkeiten. Auf Räume und Strukturen. Nur darum geht es in Spielen.

So wissen die Figuren in Red vs. Blue, wenn sie nicht mehr gespielt werden und sich selbst überlassen sind, auch nichts mit sich und der dramatischen Situation des Krieges anzufangen. Wie bei Beckett stolpern sie über die Bühne des Bloodgulch Canyons, verstehen nicht, was an der Flagge, die |153|sie bewachen sollen, so besonders ist, erörtern den Spitznamen des Jeeps, den die Designer von Halo unverständlicherweise »Warzenschwein« nannten, oder streiten sich darüber, ob die Farbschattierung ihres Anzugs als Rosa zu bezeichnen ist oder als Hellrot. Sie sind geworfen in eine Existenz mit sinnlosen aber unveränderlichen Vorgaben. Wie ein roter Faden zieht sich das Motiv des Fremdgesteuertwerdens durch die Serie, vom Geist in der Maschine. Wenn Teammitglieder sterben, weil ihre Kameraden mit dem automatischen Zielsystem des Panzers nicht zurechtkamen, dann tauchen sie ohne Probleme wieder als Geister auf, nur ein bisschen blasser, aber ansonsten genauso funktionstüchtig wie vorher. Oder sie schlüpfen in den Roboter des gegnerischen Teams, der in genau demselben Schutzanzug steckt wie alle anderen und nur aufgrund seines fehlerhaften Sprachchips, der nur Spanisch erzeugt, unterschieden werden kann. Ein Soldat verliebt sich in den Panzer, weil er die weibliche Stimme des Hilfesystems mit einer Frau assoziiert. Ein anderer wird schizophren, weil sich eine künstliche Intelligenz in ihm eingenistet hat, was am Ende der zweiten Staffel in eine Verfolgungsjagd im Cyberspace seines Gehirns kulminiert. Wenn Steuerungsmechanismen sich selbst

steuern müssen, wenn Avatare zu ihren eigenen Avataren werden, dann implodiert das System im unendlichen Regress. Paul Marino beschreibt Machinima als »Hollywood trifft auf Moores Gesetz«, nach dem sich die Prozessorleistung alle achtzehn Monate verdoppelt. 208 Er meint damit, dass das Zuschauerbedürfnis nach Unterhaltung in absehbarer Zukunft zu einem großen Teil durch Trickfilme befriedigt werden könnte, weil die Computertechnik Animationen in Echtzeit erlauben wird, die einfach aufgezeichnet statt mühsam hergestellt werden. Sein Statement lässt sich allerdings auch umgekehrt lesen. Wenn man »Moores Gesetz« als Metonymie der Silizium-Revolution versteht, die seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts vonstatten geht, und »Hollywood« als gleichbedeutend mit der vorherrschenden Unterhaltungskunst der Gesellschaft, dann könnte man Machinima auch als Ausdrucksform von zeitgenössischer Sozialisation verstehen. Wer mit Computerspielen und Programmoberflächen groß geworden ist, der findet in Filmen wie Red vs. Blue seine Erfahrungen gespiegelt und verarbeitet. Und versteht – wie bewusst auch immer –, dass, wenn Sarge und Caboose nach einem Teleporter-Unfall kopfschüttelnd vor zwei gehirnlosen Soldatenhorden stehen, die sich sinnlos massakrieren, nur um nach einem Fanfarensignal wieder aufzuerstehen und erneut aufeinander |154|loszugehen, der versteht also, dass Nicht-Spielen und Spielen sich nur in der Wahrnehmung des Beobachters unterscheiden. Den

Datenmengen, die da bewegt werden, ist es egal, ob sie nun Deathmatch oder Steuererklärung sind. Uns inzwischen wohl auch. Red vs. Blue ist aber nicht nur eine brillante Parabel auf die Mensch-Maschine-Kommunikation. Sein enormer Erfolg macht es zu einem Beispiel für das Potenzial des World Wide Webs, kommerziellen Erfolg jenseits von Businessplänen und Marketingkampagnen zu generieren. Man unterstellt klassischen Massenmedien gerne, dass sie nur bestimmte Inhalte zulassen und andere unterdrücken. Das stimmt auch, nur hat das in den allerwenigsten Fällen ideologische Gründe. Sie sind vielmehr von einem einzigen Faktor abhängig: materielle Distribution. Eine Zeitung muss sich dort verkaufen, wo sie ausgelegt werden kann, CDs müssen sich in einem bestimmten Laden mehrfach verkaufen, damit es sich für diesen Laden lohnt, sie zu führen, ein Kino braucht eine bestimmte Zuschauermenge in seiner Stadt, um sich einen Film leisten zu können. »Es reicht nicht, dass ein großartiger Dokumentarfilm pozentiell eine halbe Million Zuschauer interessiert«, erklärt Chris Anderson in seinem Blog The Long Tail, »was zählt ist, wie viele potenzielle Zuschauer er im nördlichen Teil von Rockville, Maryland, und unter den Mall-Besuchern in Walnut Creek, Kalifornien hat.« 209 Was von den klassischen Medien berichtet und verbreitet wird, ist dieser »Tyrannei des Physikalischen« geschuldet, wie es Anderson ausdrückt. Es lohnt sich nur das, was die Mehrheit einer bestimmten Gruppe an einem bestimmten Ort interessiert, und das kann nicht mehr als der kleinste

gemeinsame Nenner sein: das, was schon erfolgreich war und mit dem deshalb die meisten etwas anfangen können. Bei der Distribution über das Internet ist es nun aber völlig egal, wo der potenzielle Zuschauer oder Leser sitzt. Es ist im Wortsinne eine Utopie – ein »Nicht-Ort« – oder, besser, ein Universum, ein »In Eins Gekehrtes«. Das geografisch überall verstreute Publikum findet im World Wide Web alles, was es interessiert. Die zwanzig Einweckgläsersammler dieser Welt können sich regelmäßig austauschen, die fünfhundert Aktiven im Handyweitwurf können die internationalen Wettkämpfe in ihrem Sport koordinieren, und die eine Million Machinima-Interessierten in allen Ländern können die Filme ihrer Wahl sehen und einige davon zu Blockbustern machen. Burnie Burns und seine Freunde können inzwischen davon leben, dass sie Filme nach ihrem Geschmack und ihren Möglichkeiten drehen. Zehntausende |155|Zuschauer sind bereit, jährlich zehn Dollar zu bezahlen, um dadurch die Serie in besserer Qualität zu sehen. Der Shop mit Red vs. Blue-T-Shirts und Mützen läuft gut und die DVD-Edition wird gekauft, obwohl man sich die Episoden schon im Internet ansehen konnte. Und nach der enormen Aufmerksamkeit, die sie mit den Halo-Filmen erregt haben, wandte sich der Die Sims-Verleiher Electronic Arts an Roosterteeth Productions, wie die inzwischen gegründete Firma heißt, um sie für eine neue Serie zu verpflichten, die mit dem neuen Spiel Die Sims 2 gedreht wird, um dafür Werbung zu machen. Als Bedingung stellte Electronic Arts, dass sie völlig frei agieren sollen und so anarchisch

wie möglich mit dem Spiel umgehen. Denn im Unterschied zum Spielehersteller, der es nur riskieren kann, die Fortsetzung von etwas Altem zu produzieren und zu vertreiben, kann im Internet das Neue, das Andere erfolgreich sein. Ob eine zweite Serie der Red vs. Blue-Macher nicht aber etwas Altes im neuen Gewand darstellt, müssen die Nutzer entscheiden.

14. Weihwasser-Kühlung und Heiligenschein-Werfer |157|

Der Ratzinger-Golf, 2005 Sehr lange, bevor es Public-Relation-Manager und Werbeagenturen gab, hatte die katholische Kirche schon eine Methode entwickelt, um den Besuch ihrer Kirchen attraktiv und die Faszination ihrer Religion möglichst umfassend zugänglich zu machen. Durch Reliquien wie Jesus’ Schweißtuch, Holzsplitter vom Golgatha-Kreuz oder Fingerknochen von Heiligen konnten Kirchen und Kathedralen eine sehr körperliche Präsenz des Transzendenten anbieten und Pilgerscharen anlocken, die Geld in die Kassen der Gemeinde spülten. Höhere Einschaltquoten bedeuteten schon immer mehr Überzeugungskraft und Einfluss, also bemühte sich jedes Gotteshaus um solch eine Attraktion, auch wenn es sich um den dritten Oberschenkelknochen des Heiligen Nikolaus handeln sollte. Vielleicht war ja einer der anderen beiden falsch, wer konnte das schon ernsthaft überprüfen, und so konnte man als Pilger wahrscheinlich doch vom echten Objekt profitieren. »Die Faszination bestand darin, dass man mit einem Stück eines Heiligen dessen Kraft habhaft werden wollte«, erklärt der Theologe Manfred Becker-Huberti. »Die Frage, für wie wirksam man die Kraft der Reliquien hält, ist eine Mentalitätsfrage.« 210

Zitiert wurde Becker-Huberti in einem Artikel über Reliquien, mit dem Autorin Theres Langsenkamp im Mai 2005 in deutschen Zeitungen reüssieren konnte, was Zukunftsforscher vor zwanzig Jahren sicherlich nicht für möglich gehalten hätten. Kreuzsplitter und schweißfleckige Tücher waren schwerlich mit Mikroelektronik, Digitalisierung und Kommunikationstechnologie zusammen zu denken. Und doch näherten sich die beiden Sphären in diesem Jahr so weit an, dass ein Artikel darüber aktuellsten Nachrichtenwert besaß. Denn ein Zivildienstleistender aus Olpe im Sauerland hatte bei eBay einen gebrauchten VW-Golf angeboten, der vormals Kardinal Ratzinger gehört hatte, und weil Ratzinger zum Papst gewählt |158|worden war, verwandelte sich das unscheinbare Auto quasi durch Transsubstantation zum heiligen Gefährt des Stellvertreters Gottes auf Erden, das ein nie für möglich gehaltenes hysterisches Interesse weckte. Im Januar 2005 kaufte Benjamin Halbe beim Siegener Autohändler Kurt Schneider einen Golf, Baujahr 1999, mit 75.000 Kilometer auf dem Tacho, 112 PS, Klimaanlage, Alarmanlage und einer Wegfahrsperre. Ein Auto wie Zehntausende andere auch. Trotzdem meinte der Händler beim Verkauf, mit diesem Wagen werde sein Fahrer immer mit geistlichem Segen unterwegs sein. »Ich habe mir zunächst nichts dabei gedacht«, wurde Halbe später im Stern zitiert. 211 Zuhause las er dann im Fahrzeugbrief, dass das Auto vor ihm auf Josef Kardinal Ratzinger zugelassen war. »Da habe ich dann auch verstanden, was der Verkäufer meinte.« 212

Aber obwohl es sich »himmlisch« fuhr, beschloss Halbe nach der Papstwahl im April, auf alle göttlichen Effekte zu verzichten und eher auf die Kraft des Geldes zu vertrauen. Am 25. April eröffnete er auf eBay-Deutschland ein Konto unter dem Nutzernamen »gape83« und startete eine zehntägige Auktion mit dem Titel »Papst Golf !!! Kultauto !!! (Ratzinger, Benedikt)«. Am 28. April wurde bereits in der Süddeutschen Zeitung über ihn berichtet. Denn eBay hatte, nachdem bereits 1,3 Millionen Interessenten das Angebot angesehen hatten, extra eine weitere Ziffer zu dem Besucherzähler auf der Seite hinzugefügt, damit er nach 999.999 nicht wieder auf die unspektakuläre Null schaltet. Der Papst-Golf war mit Abstand zum meistangesehenen Angebot aller Zeiten geworden. Benjamin Halbe hatte während der drei Tage bereits die Auktionsgeschäfte abgeben müssen, weil er mit den Anforderungen überfordert war. Ein Freund der Familie, Wolfgang Menne, leistete inzwischen juristischen Beistand. Aufgrund von vielen unseriösen Geboten von bis zu einer Million Euro, musste ein aufwändiges Akkreditierungsverfahren für Bieter organisiert werden. Von jedem Bieter wurde eine Kopie des Ausweises und eine Rückrufnummer eingefordert, und erst nach dieser Prüfung durfte mitgesteigert werden. Menne setzte auch mehrere Zusätze auf die Seite, so zum Beispiel, dass man nicht mehr auf alles würde antworten können, weil trotz aller Bemühungen noch über tausend Rückfragen unbearbeitet im Postfach lägen. Die eBay-Kunden wollten wissen, »ob der Wagen auch ›Weihwasser-Kühlung‹, ›Heiligenschein-

Werfer‹ oder einen ›Maria-Hilfs-Motor‹ habe«. 213 Auch die Farbe des Rauchs, der aus dem Auspuff kommt, war von Interesse, denn Schwarz oder Weiß war im Zusammenhang mit einem Papst natürlich ein entscheidender Unterschied. |159|Die Lehre unterscheidet drei verschiedene Arten von Reliquien. Primäre sind Körperteile der Heiligen wie Haare oder Knochen, sekundäre wie Mäntel oder Schweißtücher wurden von ihnen getragen oder benutzt und tertiäre Reliquien waren irgendwann einmal mit primären oder sekundären in Berührung, etwa der Rahmen, in dem das Schweißtuch Christi aufgespannt war, um es zu zeigen. Ganz im Sinne dieser Lehre betonte Wolfgang Menne dann auch auf der Auktionsseite, »dass sich noch die Originalsitze im Auto befinden – für den Fall, dass jemand zweifeln sollte, ob man in dem Auto tatsächlich auch da sitzt, wo das Gesäß ihrer Eminenz sich ins Polster gedrückt hat«, wie Gregor Schiegl süffisant in der Süddeutschen Zeitung bemerkte. 214 Der Reliquienstatus würde demnach zwischen sekundär und tertiär schwanken, je nachdem, für wie intensiv man die Beziehung eines Menschen zu seinem Auto definiert. Damit man sich aber überhaupt mit solchen Problemen beschäftigen konnte, musste natürlich die wichtigste Reliquieneigenschaft geklärt sein: ihre Authentizität. Menne scannte deshalb den Fahrzeugbrief ein und stellte das Bild auf die Seite, damit bewiesen war, dass es sich um Ratzingers Golf handelte. Doch im Bereich des Glaubens führt jeder Beweis zu noch

größerer Skepsis. Warum Josef Ratzinger ein Auto besaß, wenn er keinen Führerschein hatte? Menne verwies darauf, dass sein Privatsekretär Bischof Josef Clemens ihn chauffiert hatte. Warum der Wagen denn in Siegen gekauft wurde, wo Ratzinger doch seit Jahrzehnten in Rom wohnte? Menne erklärte, dass Bischof Clemens aus Siegen stamme, oft dort zu Besuch wäre, und bei einem dieser Besuche den Wagen erworben habe, um ihn später dann durch denselben Händler wieder verkaufen zu lassen. Warum Ratzinger einen ordinären Golf brauchte, wo ihm doch der gesamte Fuhrpark des Vatikans zur Verfügung stand? Menne meinte, dass der Wagen nur für private Anlässe verwendet worden war, bei dem der Kardinal nicht auffallen wollte. Und warum in den Papieren »Josef ›Kardinal‹ Ratzinger« stehe, fragte sich ein Interessent. »Ich meine bei Gerhard Schröder steht ja sicher auch nicht Gerhard ›Bundeskanzler‹ Schröder drin, oder?«, fügte er hinzu. Menne antwortete, dass religiöse Titel feste Bestandteile des Namens sind und deshalb in die Fahrzeugpapiere übernommen werden. So konnte es keinen Zweifel mehr geben: Der Golf war echt und mehr oder weniger intensiv mit dem Körper des neuen Papstes in Berührung gekommen. Dass gerade eBay als erfolgreichste New-Economy-Gründung neben Amazon, Google und Yahoo! zum Schauplatz dieser Pilgerschaft zu Reliquien werden konnte, ist nur auf den ersten Blick verwunderlich. Wenn man genauer |160|darüber nachdenkt, geht es bei den allermeisten Auktionen dort um nichts anderes. Es geht um

die finanzielle Rückübersetzung von gelebter Erfahrung mit Objekten, denn »über das Materielle kann ich das Ideelle erreichen, das Ideelle an sich kann ich mir ja nicht in die Vitrine stellen«, wie der Theologe Becker-Huberti die Funktion von Reliquien erläutert. 215 Losgelöst von der lokalen Beschränkung und der damit einhergehenden unerreichbaren Zielgruppe erreichen die eBay-Verkäufer mit dem Treibgut ihrer eigenen KonsumentenVergangenheit diejenigen, die ganz ähnliche Erfahrungen gemacht haben, sich diese aber durch das materielle Objekt vergegenwärtigen möchten. »Sammeltrieb und Nostalgie-Lust bringen eine neue Form von Wohlstands-Recycling in Gang«, meinte schon 1999 Mathias Müller von Blumencron im Spiegel, als er eine der ersten großen Reportagen über das eBay-Phänomen veröffentlichte. 216 Nicht zuletzt Generation Golf von Florian Illies hat verdeutlicht, dass die Nachkriegszeit zur Ausbildung einer »consumer democracy« geführt hat, wie es die Historikerin Sheryl Kroen bezeichnet hat. Die in ihr lebenden »consumer citizen« haben ihre Sozialisation im Wesentlichen durch Produkte erfahren, und indem sie die Barbie-Puppen, Schneider-Jugendbücher und Drei Fragezeichen-Hörspielkassetten vom Dachboden holen oder sich auf eBay wieder besorgen, vergegenwärtigen sie sich ihre Biografie. Mit der Möglichkeit, billiger an Dinge zu kommen, würde sich der enorme Erfolg von eBay nicht erklären lassen, dafür gibt es zu viele Möglichkeiten, im Internet Preisvergleiche anzustellen und

gebrauchte Gegenstände zu kaufen. Es sind die »vergessenen Nostalgia«, 217 die eBay antreiben und zu einem Phänomen werden ließen. Planmäßiger Handel und »Ich-AG«-Gebrauchtwarenexistenz kamen erst später hinzu, eBay wurde ursprünglich nur zu dem Zweck eingerichtet, privater Sammlerleidenschaft zu frönen und in Austausch mit Gleichgesinnten zu treten. Um seiner Freundin einen Gefallen zu tun, programmierte Pierre Omidyar 1995 eine kleine Tauschecke auf seiner Webseite. Sie war begeisterte Sammlerin von PEZ-Bonbon-Spendern, die es in tausenden Varianten mit verschiedenen Köpfen von Mickey Maus bis Darth Vader gibt. Im Netz konnte sie so in Kontakt mit anderen PEZ-Fans treten und ihre Sammlung komplettieren. Sehr bald fingen die Leute an, auch noch andere Sachen anzubieten, die sie zuhause herumliegen hatten: Puppen, Uhren, sogar Möbel. Der Aufwand, diese Auktionen zu betreuen, wuchs, und so verlangte Omidyar schließlich kleine Provisionen. »Einige Tage später begannen sich vor seiner Haustür Briefe mit Dollarnoten zu |161|stapeln – jeden Morgen kam ein Haufen mehr an.« 218 Omidyar kündigte seinen Job als kleiner Programmierer im Silicon Valley, gründete eBay, professionalisierte das System, machte noch mehr Geld, ging an die Börse, wo sich der Aktienkurs im ersten halben Jahr verzehnfachte, und war binnen kürzester Frist Milliardär. »[E]in Märchen aus der Generation X«, nannte das Müller von Blumencron, 219 und wahrscheinlich ist es das auch. Denn die Geschichte ist wohl in der PR-Abteilung eBays

erdacht worden. Aber sie ist genau so gestaltet worden, um den grundsätzlichen Charakter des Online-Flohmarktes zum Ausdruck zu bringen. Es gibt noch eine andere Erfahrung, die der »consumer citizen« gemacht hat, und zwar seine Sicht auf die Welt mittels der Massenmedien. Auch hier bedarf es der materiellen Objekte, um das Ideelle manifest und begreifbar zu machen. Autogrammkarten und Merchandising-Produkte sind dabei nur die offensichtlichsten Manifestationen. Im Ratzinger-Golf verbanden sich nun diese beiden Erfahrungsebenen des Konsums und der Medienbenutzung, der ordinäre, gebrauchte Volkswagen und die entrückte Prominenz des Heiligen Vaters aus dem Fernsehen. Ironischerweise führte das aber dazu, dass die Auktion selbst wieder entrückt wurde. Denn die Story des Ratzinger-Golfs war wie gemacht für die Massenmedien, die sie sich sofort aneigneten. Sie war ein Ausläufer eines riesigen Medienereignisses – das Sterben von Johannes Paul II. und die Wahl von Benedict XVI. –, in Zeiten von Bestsellern wie Dan Browns Sakrileg bot sie genau den richtigen Mix aus jahrtausendealter Kirchentradition und Gegenwarts-Hightech. Sie war skurril und strotzte vor Anekdoten und sie war in ihrem Kern die Geschichte eines Kleinen, der durch Glück und List nach oben kommt. So etwas erzählen die Massenmedien immer gerne. Denn sie glauben, dass sie sich an eine Masse von Kleinen richten, die davon träumen, selbst nach oben zu kommen. Jemand wie Benjamin Halbe und sein »Ausflug in die Berühmtheit«, 220 wie es

die F.A.Z. formulierte, konnte perfekter nicht sein. Die Geschichte war auch deshalb so gut, weil jede Redaktion ihr eigenes Steckenpferd reiten konnte. Spiegel Onlines »Netzwelt«Autoren beschäftigte der Internet-Aspekt. Sie verglichen die Gebote für den Golf mit denen für einen Mercedes SLK auf der Internetbörse Mobile.de und interviewten die Mitarbeiter von eBay in Deutschland. Dem Stern gefiel vor allem, dass ein mittelständischer Autohändler involviert war, »für den [...] der Papst-Golf ein Gebrauchtwagen wie jeder andere« war. »Wir haben schon lange gewusst, dass wir einen berühmten Kunden haben«, wurde |162|Kurt Schneider zitiert. »Aber ›Autokauf ist Vertrauenssache‹, deshalb wurde nicht damit geworben.« 221 Die Londoner Times wusste, warum der Papst keinen Golf mehr besitzen wollte. Denn in der Garage des Vatikan stehen unter der Oberaufsicht von Bruno Rotoni »zwei identische schwarze Mercedes-Limousinen, Baujahr 1986, [...] ein weißer Chevrolet-Pick-Up, der einmal im Jahr beim Fronleichnamsfest eingesetzt wird, [...] ein Ferrari F1-Rennwagen, der leider nur ein verkleinertes Modell ist [...], und für den Fall, dass sich Papst Benedict nach seinem alten Wagen sehnt, steht in einer Ecke auch noch ein VW-Käfer von 1978«. 222

Der Guardian freute sich an den Rechtschreibfehlern in Halbes englischer Übersetzung seines Angebots auf eBay, wo er schrieb

»The car looks as if it was new due to the care it god« und damit implizierte, dass sich wahrhaftig Gott selbst um dieses Auto kümmerte. 223 Doch alle vermeldeten täglich den Wasserstand der Rekordzahlen: 1,3 Millionen Klicks und 14.000 Euro Höchstgebot am Donnerstag, 41.564 Euro am Freitag, 61.250 Euro am Montag, und am letzten Auktionstag dann 6,3 bis 9 Millionen Zugriffe und 188.938,88 Euro Verkaufspreis. Die Begeisterung der Journalisten wich allerdings sofort nach Ende der Versteigerung. Denn dass das Online-Casino GoldenPalace.com das Höchstgebot abgeben und den Zuschlag erhalten hatte, passte nicht so richtig in die Dramaturgie ihrer Triumphgeschichte des kleinen Benjamin Halbe. Ganz ähnlich wie Andy Serwer vom Fortune-Magazin dachten viele Journalisten: »Wissen sie, ich hasse es, das zu sagen, aber wer das Auto gekauft hat ist GoldenPalace.com. Ich meine, sie machen das bloß für Publicity, und wir müssen das jetzt auch noch melden«, erklärte er in der CNN-Sendung American Morning. 224 GoldenPalace.com war berüchtigt dafür, auf skurrile eBay-Auktionen aufzuspringen und als Höchstbietender dann die volle mediale Aufmerksamkeit zu genießen. Eine geschickte Investition, denn für 190.000 Euro hätten sie nur in einem Bruchteil der Zeitungen und Fernsehsendungen Werbung schalten können, die auf diese Weise bereitwillig über sie berichteten und den Namen weltweit bekannt machten. Wann immer es in den letzten zwei Jahren eine skurrile Auktion auf eBay gab, hatte GoldenPalace.com zugeschlagen, egal ob es

sich um relativ normale Prominentenartikel handelte wie den positiven Schwangerschaftstest von Britney Spears oder den Elfmeter-Ball, den David Beckham während der FußballEuropameisterschaft 2004 in den Himmel geschossen hatte, oder ob es um Unglaubliches ging wie einen verwunschenen Spazierstock, zwei Zeitmaschinen – eine davon funktionstüchtig –, einen |163|verschlossenen Briefumschlag mit unbekanntem Inhalt oder eine alkoholkranke, die Tochter des Hauses sexuell belästigende Kermit-Puppe. Die berüchtigste Aktion war die Ersteigerung eines zehn Jahre alte Käsetoastes, den seine Besitzerin aufgehoben hatte, weil sich in seiner Bräunung das Antlitz der Jungfrau Maria abzeichnete. Dass nun auch der Ratzinger-Golf aus der populärsten eBay-Versteigerung aller Zeiten in die Sammlung gestellt werden musste, war eigentlich abzusehen gewesen. Aber so zerknirscht die Journalisten auch sein mochten, dass hier zum wiederholten Male eines ihrer Ereignisse »entführt« worden war, es hielt sie nicht davon ab, weiter zu berichten und sogar aktiv in die Geschichte einzugreifen. Stern TV arrangierte, dass man die Übergabe des Golfs live im Fernsehen verfolgen konnte. Am 18. Mai 2005 erhielt Benjamin Halbe vor laufenden Kameras den Scheck über 188.938,88 Euro aus den Händen von GoldenPalace.com-Chef Richard Rowe. Interessant an dieser Spielart des Guerilla-Marketings ist, dass sie die verkehrte Reihenfolge von Produktion und Rezeption beim Internetereignis ausnutzt. Erst nachdem eine fortgesetzte, immer

weiter angewachsene Rezeption der Ratzinger-Golf-Auktion stattgefunden hatte, investierte GoldenPalace.com Geld, um aus dieser Aufmerksamkeit Werbung zu machen. Sie besiegelten damit gewissermaßen nachträglich die große Aufregung als Kampagne für ihre Zwecke. Klassischerweise ist es umgekehrt: Man investiert in Werbung, um etwas bekannt zu machen, um dann von möglichst vielen rezipiert oder konsumiert zu werden. Beim Internetereignis ist aber das Interesse, das erzeugt wird, oder das Renommee, das jemand hat, das einzige Produkt; man kann nur davon profitieren, indem man diese Aufmerksamkeit abschöpft. Vorab in sie zu investieren, ist sehr schwer. GoldenPalace.com hat diesen Mechanismus der InternetGemeinschaft begriffen und zu seinem Vorteil eingesetzt. Auch der Student der Appalachian State University, der seine Seminararbeit über die PR-Praktiken des Online-Casinos auf eBay versteigerte und von GoldenPalace.com selbst 125 Dollar dafür bekam, hat es verstanden. Der Manager der Volksmusikgruppe Kastelruther Spatzen dagegen ist zu sehr im alten materiellen Wirtschaftsdenken verhaftet. Seine Absicht war es gewesen, das Auto »für Regensburg [zu] retten«, hatte Josef Ratzinger doch in den siebziger Jahren dort als Professor gelehrt und mit seinem Bruder immer noch Familie in der Stadt. Doch weil er bei der Versteigerung nicht zum Zuge gekommen war, gab er bei Volkswagen eine »originalgetreue« Kopie des Ratzinger-Golfs in Auftrag. Über den Erfolg seines geplanten Festes mit einem Konzert der |164|Regensburger

Domspatzen unter Leitung von Georg Ratzinger schwiegen sich die Zeitungen und Fernsehsender aus. Denn nicht nur, dass ein Golf, in dem der Papst nicht gesessen hat, keine Reliquie ist und es zweifelhaft ist, ob man den originalgetreuen Nachbau eines Massenproduktes von allen anderen Exemplaren der Produktion unterscheiden kann, ist auch das Trittbrettfahren auf dem Trittbrettfahren eines anderen eine Drehung der Schraube zuviel. Für das Publikum sowieso, aber sogar für die Medien.

Nachwort: Vom akkumulativen Charakter des Internetereignisses |167|

Im November 2005 wählten die Organisatoren der renommierten »Webby-Awards« ihre Top-Ten der entscheidendsten InternetMomente. Darunter finden sich prominente wie Netscape, Lewinsky-Affäre und Napster, aber auch so unspezifische wie »das Wahljahr 2004«, der in Deutschland ziemlich unbemerkt gebliebene »Boom von match.com« oder der alles andere als internetspezifische Tsunami im Dezember 2004. Spiegel Online nahm diese Wahl zum Anlass, eine eigene Liste aufzustellen. »Alles Meilensteine der Web-Geschichte, keine Frage«, meinte Frank Patalong, fügte aber kritisch hinzu, dass »längst nicht alle eine große Wichtigkeit für den numerischen Erfolg des Webs hatten«. 225 Dafür werden dann die eigenen Log-Statistiken bemüht, um herauszufinden, dass neben klassischen Medienereignissen wie Kosovo-Krieg und Olympische Spiele auch der Verkauf des ersten PC bei Aldi am 10. November 1999 die Zugriffszahlen auf Spiegel Online signifikant erhöht habe. Man sieht, dass das Internet langsam beginnt, historisch zu werden, weil nun an verschiedenen Stellen begonnen wird, über die Entwicklung des Netzes nachzudenken. Man sieht aber auch, dass es sofort unterschiedliche Definitionen dessen gibt, was man als historisches Internetereignis ansehen kann und was nicht.

Es wäre naiv gewesen, hätte man von dem in diesem Buch versammelten Korpus an Ereignissen erwartet, dass sie so etwas wie eine Ontologie des Internetereignisses zeigen würden. Das Wesen eines kommunikativen Phänomens ist es bestenfalls, dass es als Teil einer Gruppe von ähnlichen Phänomenen wahrgenommen wird, die es durch seine Differenz gegenüber allen anderen Teilen insgesamt modifiziert. Zum Beispiel verschieben Autoren, Verlage und Literaturwissenschaft ständig die Grenze dessen, was als »Roman« bezeichnet wird, weil jeder neue Roman anders ist als alle anderen Romane vor ihm. Warum er aber überhaupt als Roman wahrgenommen wird, obwohl er doch so anders ist, bleibt unklar. Er ist gewissermaßen von vornherein nachträglich durch die Modifikation der Gruppe, |168|der er angehört, definiert. Bei Internetereignissen ist das nicht anders. Hinterher weiß man immer, dass es eines gegeben hat, aber man hätte vorher nicht wissen können, dass es es geben würde, weil es sich selbst definiert hat. Alle, die von diesem Buch nun eine Anleitung zum Bau eines Internetereignisses erwartet haben, müssen also enttäuscht werden. Es liegt in der Logik des Ereignisses selbst, dass so etwas unmöglich ist. Schon die unzähligen Bücher über »Guerilla Marketing« kranken ja an dem Widerspruch, dass sie eine Praxis propagieren, die unkonventionell und von niemandem zu erwarten sein soll, dabei aber genau die Konventionen entwerfen, die man danach von solchen Aktionen erwarten kann. Die Kunst des Internetereignisses lässt sich also nicht lehren, sondern nur immer

wieder bewundern. Das erste der Ereignisse, die Trojan-Room-Coffee-Machine, hat das auf geradezu paradigmatische Weise demonstriert. Als Camp-Phänomen funktionierte sie nur, weil sie es gerade nicht darauf angelegt hatte, zu einem Ereignis zu werden. Was Millionen von Zuschauern anzog, war, dass die Mitglieder des Coffee-Clubs mit naiver Extravaganz etwas für sich selbst konstruiert hatten, ohne sich im geringsten um irgendwelche Außenwirkung Gedanken zu machen. Jeder, der auf die Seite stieß, konnte also das Gefühl haben, etwas entdeckt zu haben – ein Gefühl, das sich bei anderen medialen Großereignissen wie Fußball-Weltmeisterschaft im Fernsehen oder Herr der Ringe im Kino nicht einstellen kann. Diese Entdeckung konnte dann anderen offenbart werden, die sich dadurch als Eingeweihte in einem exklusiven Kreis verstehen konnten. Was bedeutet, dass dadurch schließlich alle Eingeweihte waren, weil die menschliche Gemeinschaft aus lauter exklusiven Kreisen besteht, die sich gegenseitig einschließen. Einem Akkumulator – das, was man landläufig als aufladbare Batterie bezeichnet – muss man zunächst Energie zuführen, damit er sie sammeln und speichern kann, erst danach ist er zu einer Energiequelle geworden, die eingesetzt werden kann. In Anlehnung daran könnte man den Charakter eines Internetereignisses als »akkumulativ« bezeichnen. Etwas im Netz wird rezipiert, diese Rezeption wird von anderen rezipiert, sammelt sich an und wird schließlich zu einem Gegenstand, der von traditionellen

Massenmedien benutzt werden kann, indem sie über ihn berichten. Das wurde in diesem Buch mehrmals als »produktive Rezeption« beschrieben, im Gegensatz zur materiell abhängigen Produktion von Gegenständen, die erst nach ihrer Verfertigung distribuiert und rezipiert werden können. Den |169|Erfolg eines Buchs, eines Films, einer Zeitung, einer Fernsehsendung macht aus, wie gut aufgrund der Erfahrung mit früherer Rezeption die Wahrscheinlichkeit kalkuliert wurde, wie mit dem neuen Produkt massenhafte Rezeption zu generieren ist. Hier lädt sich nichts auf, sondern hier müssen die Eigenschaften der Elemente so kombiniert werden, dass es eine Explosion gibt, von deren Schockwelle möglichst viele getroffen werden. Wenn man ein Internetereignis also nicht planen kann, weil es sich gewissermaßen selbst produziert, scheint es doch eine Grundbedingung zu geben, die erfüllt sein muss: Es muss die Möglichkeit zur Akkumulation bieten. Und das bedeutet, dass es frei verfügbar sein muss. Nur so kann man selbst darauf stoßen, nur so kann man es problemlos weiter verbreiten und andere einweihen. Erst danach lässt sich diese akkumulierte Aufmerksamkeit ausnutzen und materiell umwandeln. Niemand hätte die TrojanRoom-Coffee-Machine angesehen, wenn man zuerst Mitglied im Coffee-Club hätte werden müssen, dafür war die Leistung, die man dafür bekommen hätte, doch zu gering. Einen Wert im klassischen, wirtschaftlichen Sinne stellte erst die Gemeinschaft dar, die sich entwickelt hat. Nur das machte die kaputte Kaffeemaschine zu

einem Objekt, das auf eBay einen Preis erzielen konnte. GoldenPalace.com kaufte eben nicht einen gebrauchten Golf, sondern sie kauften das Recht, mit dem ideellen Phänomen verbunden zu werden, das der Ratzinger-Golf verkörperte. Mahir Cagri konnte sich auf seinen Auftritten als Manifestation eines Kultes verkaufen, seine Ansichten zum Weltfrieden, die er danach ganz klassisch produzierte, interessierten dagegen niemanden. Netscape reüssierte an der Börse, weil es seinen Browser kostenlos zur Verfügung gestellt hatte und dessen massenhafte Verbreitung, seine Dominanz einen Wert darstellte. Die Macher von Red vs. Blue tun gut daran, ihre Filme weiterhin kostenlos zur Verfügung zu stellen, denn nur so bleibt die Grundlage ihrer Reputation gewährleistet, die sie mit Merchandising-Produkten oder Auftragsarbeiten für Firmen zu Geld machen können. Dem Journalisten Nicholas Carr von der New York Times ist diese Veränderung der »Ökonomie der kreativen Arbeit« ein Gräuel. In seinem Blog, der sich kritisch mit Blogs auseinander setzt, weil diese sich bloß mit anderen Blogs auseinander setzen, attestiert er den Verfall der Kultur, den das Kommunikationsmedium Internet herbeiführt: »Es tut dies in einer Art und Weise, die unsere Wahlmöglichkeiten vermindert, anstatt sie zu erweitern. Die Wikipedia mag neben der Encyclopedia Britannica |170|verblassen, aber weil sie von Amateuren gemacht wird und nicht von Profis, ist sie gratis. Und gratis siegt stets über Qualität.« 226

Carr hat seine Aussage grammatikalisch verkürzt formuliert. Was er sagen will ist, dass gratis Nicht-Qualität stets über kostenpflichtige Qualität siegt. Dem ist allerdings hinzuzufügen, dass gratis NichtQualität ebenso stets über kostenpflichtige Nicht-Qualität siegt. Es gibt allerdings nicht nur gratis Nicht-Qualität, so dass man auch annehmen kann, dass gratis Qualität stets über kostenpflichtige Qualität siegt. Und nicht zuletzt auch stets über gratis NichtQualität. Das ergibt ein differenzierteres Bild. Dass Qualität nämlich einen Weg findet und nicht grundsätzlich unterdrückt wird. Wenn man überhaupt von Qualität sprechen will, die ja eine höchst kontext- und subjektabhängiges Attribut ist. Materiale Medien sind darauf angewiesen, dass sie eine Qualitätsprüfung machen müssen, bevor sie sich auf die Produktion einlassen, die sich rentieren muss. Der blinde Fleck bei kulturpessimistischen Argumentationen wie jener von Carr ist aber, dass eine vorherige Prüfung auch dauerhafte Qualität bedeutet. Der Autor, der von einer Zeitung eingestellt wird, muss mit seinen Qualifikationen, mit dem, was er bisher gemacht hat, überzeugen. Produziert er nach seiner Einstellung dann Minderwertiges, führt das auf Dauer wahrscheinlich wieder zu seiner Entlassung, es ist aber erst einmal produziert. So erklärt sich auch, warum viele Hollywoodfilme ins Kino kommen und mit großem Aufwand beworben werden. Hat man erst einmal sechzig Millionen Dollar in ein grandioses Exposé, ein vorzügliches Drehbuch, in einen

renommierten Regisseur und brillante Schauspieler investiert, so kann man es sich schlicht nicht mehr leisten, den grottenschlechten Film, der dabei herausgekommen ist, nicht zu veröffentlichen. Man kann zudem darauf vertrauen, dass die Zuschauer nach ihrer Qualitätsprüfung des Regisseurs, der Schauspieler und eventuell des Drehbuchautors ebenso zuversichtlich sind, was den fertigen Film angeht, und ins Kino gehen, so dass das Geld schon wieder hereinkommen wird. Im Internet kann jeder ohne viel Kosten alles, was ihm einfällt, veröffentlichen. Das wenigste davon wird die Qualität eines New York Times-Artikels, eines Phillip Roth-Romans oder eines Steven Spielberg-Filmes haben (hier bitte die persönlichen QualitätsNamen einsetzen). Einiges aber schon. Und es wäre ein sehr fragwürdiges Menschenbild, wollte man in Abrede stellen, dass Leser und Zuschauer so etwas nicht erkennen können. Hinzu kommt aber noch, dass einiges entsteht, von dem man gar nicht weiß, wie es ist, weil es mit keiner bekannten Qualität vergleichbar ist. |171|Das erst einmal liegen bleiben, von einigen ausprobiert, von anderen erklärt werden muss, bevor sich herausstellt, ob es etwas taugt oder nicht. Es muss erst einmal Energie sammeln, sich aufladen, bevor es seine Wirkungskraft erreicht hat. Dazu muss es aber in der Welt sein, und eine materiale Produktionsökonomie könnte sich so etwas nicht leisten. Es würde an der anfänglichen Qualitätsprüfung scheitern. Es kann sich nämlich herausstellen, dass man von vielen

Möglichkeiten überhaupt nichts ahnen konnte, bis eine Website, ein Blog, ein Programm es demonstrieren konnte. Von SharewareProgrammen, Musiktausch, Machinima-Filmen, eBay-Auktionen, Live-Schaltungen zum Mars, täglich aktuellen Insiderberichten aus Kriegsgebieten oder Alzheimer-Forschung im eigenen Wohnzimmer war Anfang der neunziger Jahre noch keine Rede. Die Beschwörungen des Internets liefen auf Hacker-Phantasien und Persönlichkeitsauflösungen hinaus, völlig unnützes Zeug. Was man tatsächlich mit dem Internet machen kann, musste erst herausgefunden werden, gefunden in und herausgeholt aus dem Chaos von allem Möglichen, das sich angesammelt hat, einfach nur, weil es sein durfte. Es wird sich weiterhin etwas ansammeln und mit Aufmerksamkeit aufladen, die nächste Sensation, das nächste Spektakel wartet bereits auf seine Entdeckung. Deswegen ist das Internet jetzt auch nicht definiert, das wird es wohl niemals sein. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird es nicht das »Web 2.0« sein, das gerade von neuen Propheten ausgemalt wird. Denn das beruht auf Erfahrungen, die man mit dem bisherigen Netz gemacht hat. Das kann nichts wirklich Neues sein. Jedenfalls müssen sich die Massenmedien und die in ihnen tätigen Journalisten keine Sorgen machen, dass sie überflüssig wären. Ihre Aufgabe wird es weiterhin sein, das, was akkumuliert ist, zum Einsatz zu bringen. Nur durch ihre Aufmerksamkeit, ihre Expertise und auch ihre Darstellungsfähigkeiten gewinnen all die neuen Möglichkeiten an Kontur und schreiben sich ins Bewusstsein

der Öffentlichkeit ein. Ein Internetereignis ist kein Ereignis im Internet, sondern es ist ein Sich-Ereignen des Internets in anderen Medien. Kirk Goodall hat anlässlich der Pathfinder-Marsmission von der symbiotischen Beziehung gesprochen, die zwischen Internet und Massenmedien entstanden ist. Beide profitieren voneinander, die Massenmedien von den neuen Inhalten, die sich im Internet ausbilden, und das Internet von der Auslese, Bestätigung und Öffentlichwerdung seiner Inhalte durch die Massenmedien.

Anmerkungen

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Im Interesse der Lesbarkeit wurde auf ein korrektes Zitieren in allerletzter philologischer Konsequenz verzichtet und der Wortlaut behutsam an die neue Rechtschreibung angepasst. Außerdem wird auf die umständliche individuelle Datumsverifizierung der Internetquellen verzichtet. Alle waren am 15. Januar 2006 im Netz zu finden. Alle Übersetzungen von englischen Zitaten wurden vom Autor angefertigt. ^ 1 Rainer Kuhlen: Die Mondlandung des Internet. Die Bundestagswahl 1998 in den elektronischen Kommunikationsforen. Konstanz: UVK, 1998. S. 7 f. ^ 2 Frank Patalong: »Momente, die das Web veränderten«. Spiegel Online (9. November 2005). ^ 3 Marshall McLuhan: Die magischen Kanäle. Düsseldorf: Econ, 1992 (Ersterscheinung 1964). S. 18. ^ 4 Sherry Turkle: Leben im Netz. Identität in Zeiten des Internet. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1999. S. 15 ff. ^ 5 William Gibson: Neuromancer. München: Heyne, 1992. S. 86 f. ^ 6 Ebd. S. 87 f. ^ 7 Klaus-Peter Boden u. a.: Internet: Werkzeuge und Dienste. Berlin, Heidelberg: Springer, 1994. ^ 8 N.N.: »Krieg mit soviel Spaß«. Der Spiegel (50/1994). S. 64-73. ^ 9 Jack Lyne: »Demise of Early Online Star – a Coffee Machine

– Puts Web’s Evolution in Perspective«. conway.com (19. März 2001). ^ 10 Stuart Millar, Ben Summers: »Plug pulled on web’s historic coffee pot«. The Guardian (7. März 2001). ^ 11 Peter S. Goodman: »Fade to Black: Coffee-Pot Cam To Go Offline. Pioneering Web Site Had Millions of Viewer«. Washington Post (1. April 2001). ^ 12 Christoph Seidler: »In Cambridge geht die Kaffeemaschine aus«. Spiegel Online (7. März 2001). ^ 13 N.N.: »Farewell, Seminal Coffee Cam«. wired.com (7. März 2001). ^ 14 Jack Lyne: »Demise of Early Online Star – a Coffee Machine – Puts Web’s Evolution in Perspective«. conway.com (19. März 2001). ^ 15 Ebd. ^ 16 N.N.: »Farewell, Seminal Coffee Cam«. wired.com (7. März 2001). ^ 17 Ebd. ^ |174|18 Wolfgang Büchner: »Champagner zum Abschied«. Spiegel Online (14. August 2001). ^ 19 Christoph Seidler, Wolfgang Büchner: »Spiegel Online rettet die Trojan-Room-Kaffeemaschine«. Spiegel Online (11. August 2001). ^ 20 Ebd. ^ 21 Wolfgang Büchner, Steffen Heinzelmann: »Virtuelles Museum für den ersten Star des Internets«. Spiegel Online (30. März 2002). ^ 22 Susan Sontag: »Anmerkungen zu Camp«, in: Dies.: Kunst und Antikunst. Frankfurt/M.: Fischer, 2003 (Ersterscheinung

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Literatur

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Die folgende, unvollständige Auswahl umfasst Bücher zum Thema Internet, die wichtig für die Diskussion über das neue Medium waren oder immer noch sind. Anderson, Chris: The Long Tail. New York: Random House, 2006. Berners-Lee, Tim: Der Web-Report. Der Schöpfer des World Wide Web über das grenzenlose Potential des Internets. München: Econ, 1999. Dyson, Esther: Release 2.1. A Design for Living in the Digital Age. New York: Broadway Books, 1999. Friedman, Thomas L.: The World is Flat. A Brief History of the 21. Century. New York: Farrar Straus Giroux, 2005. Gibson, William: Neuromancer. München: Heyne, 1992 (Ersterscheinung 1984). Gillies, James und Robert Cailliau: Die Wiege des Web. Die spannende Geschichte des WWW. Heidelberg: dpunkt, 2002. Hafner, Katie und Matthew Lyon: ARPA Kadabra. Die Geschichte des Internet. Heidelberg: dpunkt, 1997. Himanen, Pekka: Die Hacker-Ethik und der Geist des Informations-Zeitalters. München: Riemann, 2000.

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(Ersterscheinung 1991). Turkle, Sherry: Leben im Netz. Identität in Zeiten des Internets. Reinbek b. H.: Rowohlt, 1999 (Ersterscheinung 1995). Wark, McKenzie: Hacker Manifest. München: Beck, 2005.

Bildnachweise

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