Judenbilder in der deutschen Beschneidungskontroverse
 9783848750948, 9783845292960

Citation preview

Interdisziplinäre Antisemitismusforschung Interdisciplinary Studies on Antisemitism herausgegeben von Prof. Dr. Samuel Salzborn Wissenschaftlicher Beirat: Prof. Dr. Raphael Gross (Berlin) Prof. Dr. Richard S. Levy (Chicago) Prof. Dr. Monika Schwarz-Friesel (Berlin) Prof. Dr. Ekkehard W. Stegemann (Basel) Prof. Dr. Natan Sznaider (Tel Aviv) Prof. Dr. Andreas Zick (Bielefeld) Band 9

Dana Ionescu

Judenbilder in der deutschen Beschneidungskontroverse

Diese Arbeit wurde 2016 durch den allgemeinen Förderbetrag für Doktorand*innen von der Stiftung Zeitlehren gefördert. Darüber hinausgehend wurde diese Arbeit mit freundlicher Unterstützung der Stiftung Zeitlehren, der Amadeu Antonio Stiftung und der Axel Springer Stiftung gedruckt.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Zugl.: Berlin, Technische Univ., Diss., 2018 ISBN 978-3-8487-5094-8 (Print) ISBN 978-3-8452-9296-0 (ePDF)

D83 1. Auflage 2018 © Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2018. Gedruckt in Deutschland. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

0.

Danksagung

Jetzt, wo die Arbeit geschrieben ist, möchte ich mich bei all jenen herzlich bedanken, die mich auf die eine oder andere Weise in den letzten Jahren begleitet und unterstützt haben: Ich danke Prof. Dr. Samuel Salzborn, meinem Erstbetreuer, für sein großes Vertrauen in das Gelingen meiner Arbeit, seine Anregungen, seine Expertise, seinen beharrlichen Zuspruch und seine immer konstruktive Kritik und dafür, mir uneingeschränkt das Gefühl gegeben zu haben, ein sehr wichtiges Thema und eine spannende Fragestellung zu bearbeiten. Ich danke Prof‘in Dr. Dr. h.c. Monika Schwarz-Friesel für ihre Anregungen, ihre Expertise, konstruktive Kritik und Bekräftigung meiner vorläufigen Forschungsergebnisse aus linguistischer Perspektive. Mehrmals durfte ich im Forschungskolloquium des Fachgebiets Allgemeine Linguistik an der Technischen Universität zu Berlin vortragen und meine Arbeit diskutieren, wodurch ich wichtige Anregungen erhielt und meine Perspektive schärfen konnte. Prof‘in Dr. Ursula Birsl danke ich dafür, sich kurz vor Abgabe der Arbeit bereit erklärt zu haben, die Drittgutachterin meiner Arbeit zu sein. Schon vor dieser Zusage gab sie mir das Gefühl, dass ich eine interessante und wichtige Forschungsperspektive einnehme, wofür ich sehr dankbar bin. Ich danke Sarah Frenking und Felix Sassmannshausen für die nicht nur intellektuelle Freundschaft und dafür, meine Gedanken und die einzelnen Textteile, die zur Arbeit wurden, in allen ihren Stadien mit mir diskutiert zu haben und damit verbundene Emotionen aller Art geteilt zu haben. Ich danke ihnen für die kritischen Nachfragen, Einsprüche, für ihre Gedanken und Assoziationen. Für die unendliche Liebe, Zuneigung, Geduld, meine Versorgung, für Trost und Lachen danke ich Mikis Rieb. Mikis hat die gesamte letzte Textfassung gelesen, vieles kritisiert und angeregt und mich immer unterstützt, bestärkt und vor allem ausgehalten. Ich danke meinen Freund*innen und besonders Mirka Mosch, Andrea Newerla, Josephine Schmitt und Yvonne Weyrauch für Liebe und innige Verbundenheit in Zeiten der Krise und des Glücks. Yvonne danke ich auch dafür, große Teile des Textes gelesen und kommentiert zu haben. 5

0. Danksagung

Ich danke meinen Eltern Ingmut Kakuschke und Sorin Ionescu und meinen Geschwistern für die Unterstützung; ein ganz besonderer Dank gilt meiner Schwester Lena Ionescu für ihren liebevollen und uneingeschränkten Support. Ihre Anmerkungen zu Teilen des Manuskripts (insbesondere zu den juristischen Aspekten) waren für mich immer sehr herausfordernd und hilfreich. Den Mitgliedern des Villigster Forschungsforums danke ich für den solidarischen Forscher*innen-Zusammenhang, die spannenden Diskussionen, kritischen Nachfragen und Kommentare, besonders von Klaus Holz, Michael Höttemann, Olaf Kistenmacher, Jérôme Seeburger, Matti Traußneck und Mirjam Wenzel. Allen Teilnehmenden der Doktorand*innenkolloquien von Samuel Salzborn, Monika Schwarz-Friesel, des Fritz-Bauer Instituts (2014), der Stiftung Zeitlehren (2016), des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin (2018) sowie des Methodenworkshops von Prof‘in Dr. Gabriele Rosenthal an der Georg-August-Universität Göttingen (2014) danke ich für die kritischen Nachfragen und die angenehmen Diskussionen, besonders Max Molly, Steffen Klävers, Bodo Kahmann und Niklas Radenbach. Dafür, mich in der allerletzten Zeit vor meiner Abgabe durch kleine Gespräche aufgemuntert und bestärkt und mir den Rücken freigehalten zu haben, danke ich meinen wunderbaren Kolleg*innen in der Geschlechterforschung an der Universität Göttingen. Auch meinen ehemaligen Kolleg*innen in der Politikwissenschaft, besonders Marc Schwietring, Helene Gerhards, Lisa Bonn, Lino Klevesath und Julia Hagen danke ich für die freundschaftlichen Nachfragen und kollegialen Diskussionen. Für die Korrekturen von kleinen und großen Teilen des Textes danke ich Reimar Kakuschke, Eva Büchel, Bruno Rieb und Uschi Rickert-Rieb. Hannelore Heuer danke ich für das sorgfältige Endlektorat. Für die finanzielle Förderung während meiner Promotion im Jahr 2016 danke ich der Stiftung Zeitlehren. Für die Druckkostenzuschüsse danke ich abermals der Stiftung Zeitlehren, der Amadeu Antonio Stiftung und der Axel Springer Stiftung.

6

Inhaltsverzeichnis

0.

Danksagung

1.

Einleitung

11

2.

Forschungsstand und methodischer Zugang

19

2.1. Antisemitismus und die Ablehnung von kulturell-religiösen Vorhautbeschneidungen 2.2. Erkenntnisinteresse und Fragestellung 2.3. Antisemitismus und (antimuslimischer) Rassismus 2.4. Das empirische Datenmaterial 2.5. Interviews in der Antisemitismusforschung 2.6. Auswertung und Forschungsperspektive 2.7. Aufbau und Struktur 3.

Polarisierende Auseinandersetzungen. Die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung im medizinischen, psychoanalytischen und strafrechtlichen Fachdiskurs

3.1. Die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung in Beiträgen von Ärzten/Ärztinnen vor 2012 3.1.1. Nicht »nach medizinischen Aspekten zu bewerten« 3.1.2. Ein »verstümmelnder Eingriff ohne medizinische Indikation« 3.1.3. Das Problem der »medizinisch nicht indizierten Zirkumzision« 3.1.4. Uneinigkeiten unter Ärzten/Ärztinnen (und Juristen/Juristinnen) 3.2. Die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung in Beiträgen von Psychoanalytikern vor 2012 3.2.1. Freuds vermeintliches Trauma der Vorhautbeschneidung

5

21 47 52 61 73 78 84

87 88 88 90 94 97 102 102 7

Inhaltsverzeichnis

3.2.2. »Schneidende Gewalt« und »archaisches Genitaltrauma« 3.3. Die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung in Beiträgen von Strafrechtlern vor 2012 3.3.1. Eine »gefährliche Körperverletzung« 3.3.2. Kein »sozialadäquates Verhalten« 3.3.3. Wie ein nationalsozialistischer »fremdbestimmter Eingriff« 3.3.4. Gegen die »normative Kraft des Faktischen« 3.3.5. Kritische Reaktionen innerhalb der Rechtswissenschaft 3.4. Resümee 3.5. Ein Resultat: Das Urteil des Kölner Landgerichts 4.

Wiederkehrende Motive Die Kontroverse um kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen in der deutschen Öffentlichkeit

4.1. Vom beschädigten Körper. Die Vorhautbeschneidung als »Verletzung«, »Schädigung« und »Trauma« 4.2. Gesetz- und Rechtlosigkeit. Die Vorhautbeschneidung als »Rechtsverstoß«, »Rechtsbeseitigung« und »Verbrechen« 4.3. Benachteiligung. Die Vorhautbeschneidung als marginalisierte »Genitalverstümmelung« und »Geschlechtsverstümmelung« 4.4. »Tausende wehrlose Kinder« 4.5. Religiöse Eltern als »verletzend«, »empathielos« und »grausam« 4.6. Die »Lektion aus der Nazizeit«. Über »polemische«, »fanatische« und »unfriedliche« Juden 4.7. Die Rhetorik der Verschwörung. Die Abgeordneten des Bundestages unter »jüdischem Druck« 4.8. Verbündete: Juden/Jüdinnen und Muslime/Muslimas kritisieren die Vorhautbeschneidung 4.9. Amputations- und Kastrationsvorstellungen. Die Beschneidung als »Amputation« und »Organ-Entnahme« 4.10. Eine »unnatürliche«, »beschädigte« und »perverse« Sexualität 4.11. Die unerschöpfliche Welt der Analogien 8

105 110 110 116 121 126 130 134 136

143 148 175 197 223 244 261 289 312 334 345 377

Inhaltsverzeichnis

5.

Fazit

387

5.1. 5.2. 5.3. 5.4. 5.5.

Der Zeitpunkt Die Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen Die Kontroverse aus antisemitismuskritischer Perspektive Die Funktionsweise der Kontroverse Die Konsequenzen der Kontroverse

387 389 395 404 407

6.

Literatur

413

7.

Quellen

441

9

10

1.

Einleitung

»Wollt ihr uns Juden noch?« lautete der Titel eines Gastbeitrages von Charlotte Knobloch, der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, in der Süddeutschen Zeitung. Sie selbst hatte sich in den Jahren nach der Shoah dafür entschieden, jüdisches Leben in Deutschland aktiv mitzugestalten. Doch nun hegte sie, ausgelöst durch die 2012 stattfindende Kontroverse um kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen, Zweifel. Sie fragte, ob sich diejenigen, die die Vorhautbeschneidung ablehnen, beziehungsweise die »unzähligen Besserwisser aus Medizin, Rechtswissenschaft, Psychologie oder Politik überhaupt darüber im Klaren sind, dass sie […] die ohnedies verschwindend kleine jüdische Existenz in Deutschland infrage stellen«1. In ihrem Beitrag offenbarte Knobloch, dass die jüdische Religionsgemeinschaft in Deutschland gegenwärtig und alltäglich nicht nur zahlreiche Anschuldigungen, Ressentiments und gewalttätige Übergriffe erträgt, sondern sich auch in den vergangenen Jahrzehnten gegenüber Freunden/Freundinnen und Familien dafür rechtfertigte, im PostShoah-Deutschland zu leben. Diese Last habe sie »immer gerne getragen«, doch nun gerieten die »Grundfesten ins Wanken«2 und sie spüre erstmals Resignation in sich. Ihr ging es nicht allein so. Zahlreiche Juden/Jüdinnen teilten die Wahrnehmung, dass Nichtjuden/Nichtjüdinnen in der Kontroverse den »Kern der jüdischen Identität«3 zur Disposition stellten.4 So betonte auch der Rabbiner Pinchas Goldschmidt in dem medial vielfach aufgegriffenen Satz auf der Konferenz der Europäischen Rabbiner, das Beschneidungsverbot sei der vielleicht schwerste Angriff auf jüdisches Leben seit der Shoah.5 ____________________ 1 2 3 4 5

Knobloch 2012. Ebd. Ebd. Siehe hierzu auch Öktem 2013: VIIIff.; vgl. Zick/Hövermann/Jensen/Bernstein 2017: 45ff.; vgl. Steiman 2012. Goldschmidt zit. n. Evans 2012. Zur Bedeutung der Vorhautbeschneidung für Juden/Jüdinnen siehe die Ausführungen zum Ende des Kapitels 4.8. Verbündete: Juden/Jüdinnen und Muslime/Muslimas kritisieren die Vorhautbeschneidung.

11

1. Einleitung

Trotz dieser enormen Wirkung auf Juden/Jüdinnen hat die Kontroverse in der deutschsprachigen Antisemitismusforschung bisher nur wenig Aufmerksamkeit erfahren. Exemplarisch wird dies anhand des 2016 erschienenen Sammelbandes Schiefheilungen. Zeitgenössische Betrachtungen über Antisemitismus deutlich, den Charlotte Busch, Martin Gehrlein und Tom David Uhlig herausgaben. Sie kommen einleitend auf antisemitische Ereignisse zu sprechen, die sich zwischen 2012 und 2014 in Deutschland ereignet haben. Schlagwortartig erwähnen sie antiisraelische Demonstrationen und damit verbundene gewalttätige Ausschreitungen gegen Juden/Jüdinnen, Vandalismus auf jüdischen Friedhöfen und Anschläge auf Synagogen.6 Sie zählen das »Israel-Gedicht« des Schriftstellers Günter Grass auf, in dem dieser den israelischen Staat zur Gefahr für »den ohnehin brüchigen Weltfrieden«7 erklärte und damit das antisemitische Ressentiment der »bedrohende[n] Gefahr«8 durch Juden9 formulierte. Sie gehen auf die anti-israelischen Spiegel-Kolumnen des Journalisten Jakob Augstein ein, in denen er die israelische Politik dämonisierte und delegitimierte.10 Die Kontroverse um kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen11 taucht in ihrer Übersicht jedoch überhaupt nicht auf. Die vorliegende Untersuchung setzt genau hier an. Es geht darum, die Sensibilität für antisemitische ____________________ 6 7 8 9

10 11

12

Vgl. Busch/Gehrlein/Uhlig 2016: 1. Grass 2012. Schwarz-Friesel 2012. Juden (und Muslime), jüdisch (und muslimisch) und Judentum (und Islam) wird kursiv geschrieben, sofern die (antisemitisch) Sprechenden und Schreibenden mit diesen Bezeichnungen jeweils ein Konzept und ein Stereotyp respektive eine stereotype Konzeptualisierung zum Ausdruck bringen, wobei sie diese in ihrem »mentalen Glaubenssystem« verinnerlicht haben und für die Wahrheit halten (Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 46). Es geht um »[k]onzeptuelle Repräsentationen« des Juden (ebd.: 48). Die kursive Schreibweise verdeutlicht, dass Juden als »Gegenentwurf zur eigenen Existenzform« erklärt werden (ebd.). Auf diese Weise soll deutlich gemacht werden, dass Juden/Jüdinnen und Muslime/Muslimas durch Zuschreibungen und Projektionen stereotyp dargestellt sind. Benannt werden also semantische Abgrenzungen und Ausgrenzungen. Salzborn spricht in diesem Zusammenhang von einer »kommunikative[n] Chiffre« und einem »kollektive[n] Symbol« (Salzborn 2016c: 33). Vgl. Betzler/Glittenberg 2015: 97ff.; vgl. Salzborn 2013c. Nachfolgend wird die Bezeichnung kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung (und nicht nur religiöse Vorhautbeschneidung) gebraucht, da viele Juden/Jüdinnen und Muslime/Muslimas ihre Söhne beschneiden lassen, obwohl sie sich

1. Einleitung

Facetten der deutschen Beschneidungskontroverse von 2012 zu entwickeln und diese Facetten als Ausprägungen eines gegenwärtigen Antisemitismus zu verstehen. Die Kontroverse soll in der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit Aufmerksamkeit erfahren. Dies forderte bereits der Politikwissenschaftler Matthias Küntzel in seiner Stellungnahme auf der Strategiekonferenz des Netzwerks zur Bekämpfung- und Erforschung des Antisemitismus (NEBA) am 2. Juli 2015 in Berlin. Selbstkritisch und harsch betonte er, dass keine substanziellen Stellungnahmen und Expertisen während der Kontroverse formuliert und veröffentlicht wurden. Die Antisemitismusforschung habe es während der Kontroverse 2012 versäumt, Äußerungen gegen kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen in einen historischen Kontext zu setzen und auf Momente des traditionellen Antijudaismus beziehungsweise alte antisemitische Chiffren hinzuweisen.12 Denn während der Beschneidungskontroverse äußerten sich verschiedene Akteure/Akteurinnen antisemitisch und bedienten sich dabei unterschiedlicher Textformen. Ein besonders prägnantes Beispiel ist der Internetblog Zwangsbeschneidung.de, auf dem es heißt, »[s]elbstverständlich ist die Brit Mila[13] Folter«14 oder »[d]er Jude […] muss in diesem Zusammenhang nicht nur als irgendein Täter, sondern als Verbrecher, als Verbrecher gegen die Menschlichkeit wahrgenommen«15 und bestraft werden. Im zweiten Beispiel, einer über vierzigseitigen Abhandlung mit dem Titel Die jüdische Beschneidung schreibt Wolff Geisler, Facharzt für Allgemeinmedizin, Juden neigten aufgrund der Vorhautbeschneidung zu bestimmten Krankheiten und verbreiteten diese: Die Beschneidung verursache »Krebs, Hirnschäden, Blutgerinnungsstörungen und seltene[..] Erkrankungen«16 und

____________________

12 13 14 15 16

nicht als religiös bezeichnen (vgl. Deusel 2012a: 11; vgl. Bodenheimer 2012a: 29; vgl. Heimann-Jelinek/Kugelmann 2014: 9). Findet der Begriff der religiösen Beschneidung Verwendung, handelt es sich um ein indirektes Zitat. Vgl. Küntzel 2015, Minute 37:12–38:18. Brit Mila/Brith Mila (oder Milah, selten nur »Brith«) ist hebräisch und bezeichnet die rituelle Beschneidung der Vorhaut des Penis (vgl. Heimann-Jelinek/Kugelmann 2014: 19). Zwangsbeschneidung.de 2012b. Zwangsbeschneidung.de 2014a. Geisler 2015: 2.

13

1. Einleitung

führe zur Verbreitung des HI-Virus, da »HIV an jüdische Personen«17 gebunden sei. Darüber hinausgehend sei die jüdische Beschneidung für die unmittelbaren tödlichen Spätfolgen der Erb- beziehungsweise genetischen Krankheiten »Bluter-Krankheit[..], Morbus Canavan, Bloom-Syndrom, Mucolipidose IV, Glucose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel, Fragiles X-Syndrom« sowie »M[orbus] Fabry«18 verantwortlich. In dieser Sichtweise scheint die Vorhautbeschneidung von jüdischen Säuglingen eine »Bedrohung für die Ganzheit und Gesundheit«19 der deutschen Gesellschaft, sogar der ganzen Welt zu sein (er nennt u.a. Deutschland, die USA, Finnland, Israel, Großbritannien, Australien, Litauen). Dass es Geisler ausschließlich um die Beschneidung jüdischer Säuglinge geht, verdeutlicht er, indem er die Beschneidung muslimischer Jungen mit der medizinischen Vorhautentfernung in Verbindung bringt, die unbedenklich sei.20 Um also über die »Wahrheit« der jüdischen Beschneidung aufzuklären, schickte Geisler seine Texte an diverse Tageszeitungen, den Zentralrat der Juden, den Zentralrat der Muslime sowie die Bundesärztekammer, da »alle Medien«21, Politik und Religion schwiegen. In einem weiteren exemplarischen Online-Kommentar heißt es, das »jüdische Blutritual« gelte als Opfer an Gott, um »im Gegenzug durch den ‚Blutbund‘ mit diesem ‚Gott‘ die Macht und Kontrolle über diesen Planeten ausüben zu dürfen«.22 Tatsächlich lassen sich zahlreiche Blogbeiträge und Online-Kommentare finden, deren antisemitischer Gehalt leicht zu dechiffrieren ist; in den genannten Beispielen werden Juden als grausam, inhuman, verbrecherisch, die Bevölkerung durch Krankheit degenerierend und als absolutes Übel konzeptualisiert.23 Das Problem besteht allerdings nicht nur in diesen ohnehin klar zu identifizierenden antisemitischen Texten. Vielmehr sind die in ihrer Uneindeutigkeit schwer einzuordnenden und vagen Äußerungen eine analytische Herausforderung, da sie nicht bedingungslos als antisemitisch charakterisiert werden können. Insbesondere in der Kontroverse um kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen von Säuglingen/Jungen zeigt sich der ____________________ 17 18 19 20 21 22 23

14

Ebd.: 21. Geisler 2012: 8. Gilman 1994: 101; vgl. Schwarz-Friesel 2015a: 17f. Vgl. Geisler 2012: 2; vgl. Geisler 2015: 4. Geisler 2012: 6. O. A. 2012r. O. A. steht für ohne Autor/Autorin. Vgl. Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 147, 153.

1. Einleitung

Kern dieser Schwierigkeit: diverse beschneidungsablehnende und antisemitische (und rassistische) Äußerungen vermischten und vereinigten sich mit beschneidungsablehnenden nicht-antisemitischen (und nicht-rassistischen) Artikulationen. Antisemitismus bei gebildeten Akteuren/Akteurinnen auszumachen ist insofern schwierig, als dass diese sich oft einer elaborierten und indirekten Ausdrucksweise bedienen. Diese erlaubt es ihnen, sich auf »Missverständnisse« zurückzuziehen, um einen anschließenden Antisemitismusvorwurf zurückweisen zu können.24 Während der Kontroverse sind also Äußerungen, die einen antisemitischen (und rassistischen) »Unterton«25 haben, sehr eng mit solchen verwoben, die lediglich eine (sachliche) Kritik an Vorhautbeschneidungen zur Sprache bringen. Sie beziehen sich unter anderem auf die Durchführung der kulturell-religiösen Vorhautbeschneidung, auf das Beschnitten-Sein von Juden und Muslimen, auf religiöse Beschneider oder auf jüdische und muslimische Eltern, die ihre Söhne im Säuglings- und Jungenalter beschneiden lassen. Die Verwobenheit zeigt sich beispielsweise in unterschiedlichen Formulierungen, die sich häufig nur durch kleine Nuancen unterscheiden. Auf der einen Seite befassen sich beispielsweise zahlreiche Teilnehmer/Teilnehmerinnen der Kontroverse kritisch mit den Fragen, ob Eltern mit der Vorhautbeschneidung das Recht ihrer Söhne auf körperliche Unversehrtheit verletzen und ob und welche rechtliche Grundlage – wie etwa die Religionsausübungsfreiheit und das Sorgerecht – es gebe. Auf der anderen Seite betonen Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen26, deren

____________________ 24

25 26

Insbesondere Schwarz-Friesel beschäftigt sich mit dem Phänomen des gebildeten Antisemitismus und arbeitet heraus, dass gebildete Schreiber/Schreiberinnen sich elaboriert und scheinbar rational judenfeindlich äußern und gegenüber Juden und Israelis eine ausgeprägt paternalistische Haltung einnehmen (vgl. Schwarz-Friesel 2015a: 19ff.; vgl. Schwarz-Friesel 2016; vgl. Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 170, 220f, 271ff.). Da Gebildete daran interessiert sind, ihr Gesicht zu wahren und nicht aus dem öffentlich gesellschaftlichen Diskurs ausgeschlossen zu werden, nutzen sie verschiedenste Strategien in der Kommunikation (vgl. ebd.: 333, 363, 369ff.). Volkov 2001: 69. In dieser Arbeit werden unter Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen diejenigen gefasst, die ein Verbot der Praktik fordern beziehungsweise in einem Verbot eine angemessene »Problemlösung« sehen. Die Gruppe der Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen ist keineswegs homogen. Dennoch be-

15

1. Einleitung

Haltung als antisemitisch und rassistisch einzustufen ist, schuldige oder kriminelle Juden und Muslime entmündigten und entrechteten ihre Söhne durch »Zwangsverstümmelung«27. Sie handelten gar gegen europäische Werte und die Errungenschaft der Aufklärung, ihr Verhalten sei gegen menschenrechtlich orientierte Gesetze oder das Recht an sich gerichtet, Juden seien »Verbrecher gegen die Menschlichkeit«28. Zugleich äußern Teilnehmer/Teilnehmerinnen der Kontroverse einerseits, »die Politik« stünde unter großem Druck, ein Gesetz zu erlassen, das Vorhautbeschneidungen erlaubt. Andererseits empören sich Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen, die antisemitisch argumentieren, darüber, mächtige und »erpresserische«29 Juden gäben die Gesetze vor und lenkten die Politik. In der vorliegenden Arbeit geht es also darum, Argumentationen gegen die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung aufzufächern. Die Beispiele zeigen, dass sich die meisten Motive des diskursiven Feldes als eine Art rhetorische Skala begreifen lassen. Die Ausführungen ähneln sich oft, müssen aber sorgfältig voneinander unterschieden werden, um Nuancen herausarbeiten zu können. Es geht darum, an welcher Stelle sich Äußerungen überschneiden und auf inneren Gemeinsamkeiten aufbauen und wo sie sich unterscheiden und voneinander abgrenzen lassen. Die Übergänge zwischen den beschneidungskritischen und beschneidungsablehnenden Argumentationen, die antisemitisch und rassistisch und nicht-antisemitisch und nicht-

____________________

27 28 29

16

ziehen sich die meisten Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen positiv aufeinander und greifen verschiedene Argumentationen wechselseitig und interdisziplinär auf. In Anlehnung an die Autorin Juliane Lang und den Journalisten Ulrich Peters wird in der folgenden Arbeit mit Schrägstrich gegendert, da überwiegend Akteure/Akteurinnen in den Blick genommen werden, die am zweigeschlechtlichen Denken festhalten und »die Existenz von Geschlechteridentitäten jenseits der Zweigeschlechternorm für sich ausschließen« (Lang/Peters 2018: 14). Die geschlechtliche Vielfalt bei Akteuren/Akteurinnen sichtbar machen zu wollen, die diese für sich ablehnen, wäre verfälschend. Die männliche Form wird zuerst genannt, da besonders Männer während der Beschneidungskontroverse in Erscheinung traten. Bosau 2013. Zwangsbeschneidung.de 2014a. Bosau 2013.

1. Einleitung

rassistisch ausfallen, sind mitunter fließend und unscharf. Daher ist wesentlich, deren »Unterton«30, impliziten Sinngehalt oder deren »Implikatur« – also »nicht explizit formulierte, aber über den Inhalt der Äußerung im Kontext erschließbare Bedeutungen«31 – herauszuarbeiten und zu unterscheiden. Nur so kann in den Blick genommen werden, inwiefern Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen Juden (und Muslime)32 mit ihrer Praxis als Bedrohung und allgemeines Problem für die deutsche Gesellschaft ansehen und eine jüdische (und muslimische) religiöse Existenz, die sich auch durch die Vorhautbeschneidung ausdrückt, zu reformieren, zu unterbinden und zukünftig zu verhindern suchen. Im Fokus der Arbeit stehen nicht-jüdische und/oder christlich-säkular33 geprägte Judenbilder und Bilder des Judentums (im Sinne von »Vorstellungen, Beschreibungen und Metaphern«34), wie sie in der Kontroverse vorkommen. Denn nicht-jüdische Haltungen haben direkte Konsequenzen darauf, wie Juden/Jüdinnen in Deutschland leben können.35 Die Kontroverse um kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen ist eine analytische Schwierigkeit. So ist es einerseits unzureichend, die Kontroverse als Ganzes vereinseitigend und vereindeutigend als »antisemitische und rassistische Beschneidungsdebatte« zu bewerten, wie es der Sozialwissenschaftler und Biologe Heinz-Jürgen Voß im Juli 2017 in der politisch linken und aktivistischen ZAG – antirassistische Zeitschrift getan hat.36 ____________________ 30 31 32 33 34 35 36

Volkov 2001: 69. Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 38. Für eine Erklärung, warum Muslime und muslimisch in Klammern gesetzt sind, siehe die Ausführungen zu 2.2. Erkenntnisinteresse und Fragestellung. Vgl. Rau 2014: 32ff. Günther 2012: 153. Vgl. Nirenberg 2015: 255, 306. Voß 2017b: 1f. Voß stützt seine Bewertung unter anderem auf den Bericht des Expertenkreises Antisemitismus, zitiert ihn aber gewissermaßen einseitig. Denn in dem Bericht steht, besonders in Kommentarspalten seien antisemitische und islamfeindliche Ressentiments zu finden, die »meisten Artikel, die zur Beschneidungsdebatte erschienen […] enthielten vordergründig keine antisemitischen Konnotationen« (Unabhängiger Expertenkreis Antisemitismus 2017: 267). Letztere Analyse vernachlässigt Voß. In dem Beitrag In linken Kontexten haben wir nicht dazugelernt kritisiert Voß konkret die linke Wochenzeitung Jungle World, Teil der arroganten christlich-atheistischen Dominanzkultur gewesen zu sein und eine Selbstreflexionssperre zu haben (vgl. Voß 2017b: 2ff.). Die anti-

17

1. Einleitung

Denn darin drückt sich ein Kontextualisierungsdefizit beziehungsweise eine fehlende detailgenaue und differenzierte Analyse der Äußerungen von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen aus. Deswegen soll es im Folgenden darum gehen, zu vertiefen, was genau und vor welchem Hintergrund an den spezifischen Argumentationsweisen von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen antisemitisch ausfällt. Andererseits ist es aber auch unzureichend, einen Gegensatz zwischen körperlicher Gewalt gegen Juden/Jüdinnen und der sprachlichen Ebene der Kontroverse aufzumachen, wie es der Jurist und Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke 2012 vorgeschlagen hat. Er unterschied zwischen einem brutalen und »puren Antisemitismus« in Form von körperlicher Gewalt und einer bloßen Debatte, in der es zwar offen antisemitische Untertöne gebe, eigentlich aber »das rechtliche Verhältnis zweier hoher Rechtsgüter geklärt«37 werde. Denn damit werden Formen der sprachlichen Gewalt vernachlässigt. Die Herausforderung und Schwierigkeit liegt folglich im Detail.

____________________

37

18

semitismuskritischen Beiträge, die auch in der Jungle World veröffentlicht wurden, nennt er zwar, berücksichtigt sie in der Bewertung der Kontroverse aber unzureichend, wenn er nur die Namen der Autoren und der Autorin nennt, nicht aber deren Argumente. Durch diese Verkürzung verliert die geäußerte Kritik an Überzeugungskraft, da sie zu pauschal und ungenau ist. Lucke 2012: 14.

2.

Forschungsstand und methodischer Zugang

Erstens sind überwiegend Aufsätze wesentlich, die sich implizit und explizit mit der historischen und/oder gegenwärtigen Ablehnung von kulturellreligiösen Vorhautbeschneidungen befassen.38 Sie werden aus antisemitismuskritischer Perspektive diskutiert, und auf dieser Basis werden die Fragestellung und das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Studie illustriert. Zweitens sind Publikationen zum Verhältnis von Antisemitismus und (antimuslimischem) Rassismus39 relevant. Denn in den Geistes- und Sozialwissenschaften ist umstritten, wie die Beziehung von Antisemitismus zu ____________________ 38

39

Publikationen, die eine medizinische, psychoanalytische, juristische oder religionswissenschaftliche Stellungnahme zur kulturell-religiösen Vorhautbeschneidung darstellen, werden an dieser Stelle nicht berücksichtigt, da sie nicht anstreben, die Beschneidungskontroverse selbst zu analysieren. Analog zum Antisemitismusbegriff gibt es in den Sozialwissenschaften ebenfalls keinen konsensualen Begriff von antimuslimischem Rassismus. In seiner Dissertation Orientalismus und demokratische Öffentlichkeit diskutiert der Politikwissenschaftler Floris Biskamp die Forschungen zu antimuslimischem Rassismus in Deutschland kritisch. Die Forschungen kamen in den 1990er Jahren auf und etablierten sich zu Beginn der 2000er Jahre (vgl. Biskamp 2016: 60). Gemeinsam sei den Forschungen, sich auf die Sprach-Ebene zu beziehen und sich alltägliche Interaktionen und mediale Diskurse als Untersuchungsgegenstand anzuschauen (vgl. ebd.: 57ff.). Der (antimuslimische) Rassismus werde in den rassismuskritischen Ansätzen als »soziales Verhältnis« analysiert, das sich gesellschaftlich diskursiv herstelle. Das Sprechen über den Islam und Muslime sei folglich nicht Ausdruck eines individuellen Bewusstseins oder eines individuellen Vorurteils, sondern eine »soziale Handlung in einem sozialen Kontext mit sozialen Folgen« (ebd.). Die Forschenden (unter anderem Iman Attia, Yasemin Shooman, Fanny Müller-Uri) gehen Biskamp zufolge davon aus, dass Rassismus durch die Praxis der Rassifizierung stattfindet (vgl. ebd.: 63). Diese Praktik gehe der Marginalisierung und Diskriminierung der zum Anderen erklärten Gruppe voraus. Menschen müssten ‚Rassen‘ oder ‚rassistische Differenz‘ also, bevor sie sie diskriminieren, immer erst konstruieren. Auf diesem Konstruieren liegt Biskamp zufolge der Fokus. Der Rassismus sei eine soziale und kulturelle Praxis, in der »vermeintliche oder reale« körperliche und/oder kulturelle »Merkmale als sozial relevante Markierung von Differenz etabliert werden« (ebd.: 58). Mit der Marginalisierung sei eine Verteilung von Privilegien verbunden. Damit ist gemeint, dass sich Weiße oder Nicht-Muslime als Teil der

19

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

anderen Vorurteilen, Feindschaften, gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit oder zum Rassismus ausgestaltet und zu bestimmen ist. Gerade weil sich die untersuchten Akteure/Akteurinnen gegen kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen richten, die nicht nur von Juden/Jüdinnen40 praktiziert werden, sondern auch von Muslimen/Muslimas, ist eine genauere Bestimmung des Verhältnisses unerlässlich. Zuletzt werden der Untersuchungsgegenstand und die in der vorliegenden Arbeit eingenommene Perspektive erläutert, da Ausgangspunkt beziehungsweise zentrales Gütekriterium der qualitativ orientierten Sozialforschung ein »angemessene[r] Umgang mit Subjektivität«41 ist. Konkret bedeutet dies, eine intersubjektive Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit der Ergebnisse herzustellen, worunter die Soziologin Gabriele Rosenthal wesentlich die Dokumentation des Forschungsprozesses versteht.42

____________________

40

41 42

20

Gesellschaft fühlen können und sich durch ein negatives Gegenbild ein positives Selbstbild mit positiven Eigenschaften schaffen und es legitimieren und stabilisieren (vgl. Biskamp 2016: 61). Positive Eigenschaften, die sich in das Selbstbild einschreiben können, sind zum Beispiel demokratisch, zivilisiert, aufgeklärt und vernünftig. Die Literaturwissenschaftlerin Nike Thurn hat darauf hingewiesen, dass es sowohl aus der Perspektive von Nichtjuden/Nichtjüdinnen als auch aus der Perspektive von Juden/Jüdinnen selbst sehr unterschiedliche Verständnisse, Möglichkeiten und Kriterien gibt, andere beziehungsweise sich selbst als Jude/Jüdin/jüdisch zu definieren: so gebe es etwa eine ethnische Möglichkeit der Definition, eine mutterrechtliche, »eine religiöse (Jude wäre, wer sich zur jüdischen Religion bekennt), eine formale (…wer Mitglied einer jüdischen Gemeinde ist) oder eine kulturelle (…wer sich mit jüdischer Tradition identifiziert)« (Thurn 2015: 13). Die Soziologin Veronika Lipphardt spricht dann von Juden/Jüdinnen, wenn sich die Betreffenden in ihrem Selbstverständnis als jüdisch ansehen, wenn sie sich also »in einer Publikation oder in einem unpublizierten Dokument als Jude bezeichneten, unabhängig davon, ob es sich um eine religiöse, soziokulturelle, historische, ethnische oder biologische Auffassung von jüdischer Identität handelt« (Lipphardt 2008: 15). Helfferich 2011: 155, Herv. i. Orig.; vgl. Steinke 2013: 324; vgl. Salzborn 2013b: 57. Vgl. Rosenthal 2014: 96.

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

2.1.

Antisemitismus und die Ablehnung von kulturell-religiösen Vorhautbeschneidungen

Obschon eine Verschränkung von antisemitischem Denken und Fühlen43 und der Ablehnung von kulturell-religiösen Vorhautbeschneidungen bisher wenig das eigentliche Zentrum des Erkenntnisinteresses ausmachte, nahmen sich bereits einige Wissenschaftler/Wissenschaftlerinnen aus unterschiedlichen Disziplinen der Thematik an. Einen wichtigen Forschungsbeitrag liefern Sander L. Gilman und Klaus Hödl. Beide konzentrieren sich besonders auf historische Ablehnungen der kulturell-religiösen Vorhautbeschneidung und die antisemitische Pathologisierung des jüdischen Männerkörpers.44 Auf Basis von historischen und zeitgenössischen Quellen gegen die Vorhautbeschneidung beleuchtet Eric Kline Silverman skizzenhaft mehrere antisemitische Topoi.45 Ihre Analysen sind relevant, da sie anhand von Motiven stattfinden (etwa der jüdische Männerkörper als beschädigt), was für die vorliegende Untersuchung aufgegriffen wird. Denn durch Motive lässt sich antisemitisches Denken sinnvoll entschlüsseln und analysieren.46 Alfred Bodenheimer dagegen fokussiert auf den Diskurs gegen die Beschneidung von 2012 und dessen diskriminierende Wirkung auf Juden/Jüdinnen.47 Diese Perspektive ergänzend untersucht Kerem Öktem ____________________ 43

44 45 46 47

Salzborn hat den Antisemitismus als »eine Art zu denken« und »eine Art zu fühlen« beschrieben (2010: 334, Herv. i. Orig.), wobei zu ergänzen wäre, dass Antisemitismus auch eine Art zu handeln beinhaltet. Schwarz-Friesel/Reinharz betonen ebenfalls die »kollektive emotionale Basis« der Judenfeindschaft als konstitutiv und grundlegend und nennen als zentrale Emotion Hass und eine »tief irrationale Abwehr- und Ablehnungskomponente« (2013: 264f). Da sie Sprache als kommunikatives Handlungsinstrument auffassen, findet sich die Art zu handeln auch in ihren Überlegungen wieder. Der Historiker Uffa Jensen und die Historikerin Stefanie Schüler-Springorum argumentieren in ihrem Beitrag Gefühle gegen Juden. Die Emotionsgeschichte des modernen Antisemitismus von 2013, in der Antisemitismusforschung bestehe weitgehend Einigkeit, dass Antisemitismus eine emotionale und kognitive Komponente hat (vgl. Jensen/Schüler-Springorum 2013: 418). Über diese abstrakte Feststellung hinaus seien Emotionen – sie nennen beispielsweise Hass, Ekel, Verachtung – aber bisher nicht ausreichend erforscht worden (vgl. ebd.: 417ff.). Vgl. Gilman 1994, 1995, 1997 und 2014; vgl. Hödl 1997, 2002 und 2003. Vgl. Silverman 2006. Siehe hierzu die einführende Textpassage in 4. Wiederkehrende Motive. Vgl. Bodenheimer 2012a, 2012b, 2013 und 2014.

21

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

nicht nur die ausgrenzende Wirkungsweise der Beschneidungskontroverse auf Juden/Jüdinnen, sondern auch auf Muslime/Muslimas; was auch im weitesten Sinne für die Veröffentlichung von Zülfukar Çetin, Salih Alexander Wolter und Heinz-Jürgen Voß gilt.48 Vereinzelte antisemitische Aspekte der Kontroverse von 2012 werden in den kurzen Beiträgen von Johannes Heil, Stephan J. Kramer und Juliane Wetzel skizziert.49 Mit dem Nachwirken der nationalsozialistischen Vergangenheit in der Kontroverse setzen sich dagegen psychoanalytisch Yigal Blumenberg und Wolfgang Hegener eingehend auseinander.50 Die Beschaffenheit von Religionskritik und Rationalismus in der Kontroverse beleuchtet Heiner Bielefeldt, das Verhältnis von Säkularismus und Antisemitismus in den Äußerungen von Beschneidungsgegnern hingegen Vanessa Rau.51 Die Beschneidungsdebatte, die nach dem Kölner Landgerichtsurteil auch in österreichischen Printmedien geführt wurde, steht in der diskursanalytischen Arbeit von Bernadette Pensch im Zentrum.52 Die unterschiedlichen Forschungsbeiträge tragen dazu bei, sei es durch Abgrenzung oder über positive Bezugnahmen, die Perspektive, die in dieser Untersuchung eingenommen wird, zu schärfen. Sowohl der Historiker und Literaturwissenschaftler Sander L. Gilman als auch der Historiker Klaus Hödl setzen sich mit dem »physischen Anderssein der Juden«53 auseinander und untersuchen den Topos, der jüdische Männerkörper weiche von der (nichtjüdischen) Norm ab. Beide nehmen dabei nicht nur die nichtjüdische Gesellschaft in den Blick, sondern auch Protagonisten der jüdischen Minderheit. Damit zeigen sie, dass historisch betrachtet nichtjüdische wie jüdische Perspektiven auf die Vorhautbeschneidung eng miteinander verflochten sind und die Ablehnung der kulturell-religiösen Vorhautbeschneidung durch Antisemitismus befördert wurde; wobei Gilman – stärker als Hödl – eine Verbindung zur Gegenwart herstellt. ____________________ 48 49 50 51 52 53

22

Vgl. Öktem 2013; vgl. Çetin/Wolter 2012; vgl. Voß 2012a und 2012b; vgl. Voß/Zaft 2013. Vgl. Heil 2012; vgl. Heil/Kramer 2012; vgl. Wetzel 2012a. Blumenberg/Hegener 2012, 2013a, 2013b, 2013c; vgl. Blumenberg 2013 und 2014; vgl. Hegener 2013. Vgl. Bielefeldt 2012a und 2012b; vgl. Rau 2014. Vgl. Pensch 2017. Gilman 1995: 168.

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

In diversen Vorträgen und Veröffentlichungen setzt sich Gilman seit den 1980er Jahren intensiv und umfassend mit literarischen, sexualwissenschaftlichen, ethnologischen, anthropologischen, medizinischen und psychologischen Diskursen des 18., 19. und 20. Jahrhunderts und deren spezifischen Konstruktionen des jüdischen Männerkörpers auseinander. Methodisch geht er diskursanalytisch und psychoanalytisch vor. Er untersucht die widersprüchlichen Annahmen darüber, dass Juden »in der europäischen Diaspora grundsätzlich sichtbar« (»ganz anders« aussehen) und »grundsätzlich unsichtbar«54 zugleich sind. Zentral geht es beim »Stereotyp des jüdischen Körpers«55 um den männlichen jüdischen Körper, weswegen – neben antisemitischen Fantasien über Nase, Hautfarbe und Physiognomie – auch solche über den »jüdischen Penis«56 eine große Rolle spielen. Gilman argumentiert, dass seit dem 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart Juden durch die Beschneidung als beeinträchtigt, beschädigt und unvollständig galten und gelten.57 Die vermeintliche »pathologische Natur der Juden« und die Vorstellung vom »jüdischen Anderssein«58 ließen sich, aus der Perspektive der Nichtjuden, durch die Vorhautbeschneidung am deutlichsten hervorheben. Der Körper des männlichen Juden wurde im Europa des 19. Jahrhunderts durch den »Makel«59 der Vorhautbeschneidung als beschädigt und »sexuell von der Norm abweichend«60 gedacht, was wiederum ironisch in literarischen Texten von jüdischen Autoren verhandelt wurde. Gekennzeichnet war der jüdische Körper durch die Ambivalenz, genauso auszusehen und gleichzeitig vermeintlich anders zu sein.61 Vor dem Hintergrund seiner Analyse jüdischer Körperbilder des 18. und 19. Jahrhunderts setzt sich Gilman auch mit zeitgenössischen Manifestationen gegen die Vorhautbeschneidung bei jüdischen Säuglingen auseinander. Hierbei geraten auch Angriffe gegen die genitale Verstümmelung von Mädchen und Frauen von der Psychologin Alice Miller und der Schriftstellerin Alice Walker aus den 1980er und 90er Jahren in seinen Fokus. Die Angriffe ____________________ 54 55 56 57 58 59 60 61

Gilman 1997: 167, Herv. i. Orig. Ebd. Siehe hierzu auch: Gilman 1994: 12. Gilman 1997: 167. Vgl. Gilman 1994: 12, 87, 101. Ebd.: 86. Gilman 1997: 168. Ebd.: 172. Vgl. ebd.: 173.

23

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

seien, Gilman zufolge, als eine »Kritik am jüdischen Leib als ‚Verkörperung‘ des Negativen in der jüdischen Psyche«62 zu deuten, da die Autorinnen, die die weibliche Genitalverstümmelung als Kindesmisshandlung thematisieren, auch die Vorhautbeschneidung von jüdischen Säuglingen als eine solche auffassten. Dieser Aspekt ist für die vorliegende Arbeit vor allem deshalb von Bedeutung, weil die meisten Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen die Vorhautbeschneidung nach wie vor mit der weiblichen Genitalverstümmelung in Verbindung bringen.63 Ohne dies näher analytisch einzuordnen, weist Gilman darauf hin, dass Auslöser der zeitgenössischen Beschneidungsdebatten in den USA, Großbritannien und Deutschland nicht mehr die Beschneidungspraxis der Juden ist, sondern die der Muslime.64 Aus historischer Perspektive setzt sich neben Gilman auch der Historiker Klaus Hödl mit antisemitischen und innerjüdischen Diskussionen um die Vorhautbeschneidung auseinander, die im deutschsprachigen Raum des 19. Jahrhunderts eng miteinander verflochten waren. Sein Untersuchungsgegenstand setzt sich aus Zeitungsartikeln, Hygiene- und Medizinlehrbüchern sowie medizinischen Fachartikeln zusammen, in denen jüdische Ärzte und Rabbiner65 diskutierten. Zentral in Hödls Argumentationsgang ist die Erkenntnis, dass Juden/Jüdinnen mit ihrer Kritik an Vorhautbeschneidungen auch auf antisemitische Diskurse und Angriffe von nichtjüdischer Seite reagierten. Er arbeitet Konfliktstrukturen um die Vorhautbeschneidung innerhalb des deutschsprachigen Judentums heraus und beschreibt insgesamt drei verschiedene Phasen der Auseinandersetzung, in denen liberale Juden eine Neubestimmung der Brit Milah vornahmen. Seit dem 19. Jahrhundert hing die Bewertung der Vorhautbeschneidung sehr eng mit Assimilationsund Akkulturationshoffnungen von aufgeklärten Juden/Jüdinnen zusammen.66 Bereits in den 1830er und 40er Jahren, die durch Assimilationsbestrebungen von Juden/Jüdinnen gekennzeichnet waren, wurde die Vorhautbeschneidung als entscheidendes Merkmal dafür diskutiert, inwiefern sich ____________________ 62 63 64 65 66

24

Gilman 1995: 171. Siehe hierzu 4.3. Benachteiligung. Die Vorhautbeschneidung als marginalisierte »Genitalverstümmelung« und »Geschlechtsverstümmelung«. Gilman 2014: 125. Hödl behandelt Veröffentlichungen von Männern. Vgl. Hödl 2003: 209.

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

Juden assimilieren könnten oder nicht.67 Ein kleiner Teil des jüdischen Reformlagers68 verfolgte das Ziel, die gesellschaftliche Akzeptanz in der nichtjüdischen Gesellschaft zu fördern, und war bereit, auf die Vorhautbeschneidung der Söhne zu verzichten. Beeinflusst waren die jüdischen Zirkumzisionskritiker durch die Philosophie des deutschen Idealismus, »die das Judentum als historisch überkommen betrachtete und verlangte, daß es aufgegeben werde«69. Der überwiegende Teil des Reformlagers hielt hingegen an der Vorhautbeschneidung fest. In den 1870er Jahren dagegen führte der sich verstärkende gesellschaftliche und politische Antisemitismus dazu, dass die Vorhautbeschneidung für viele Juden/Jüdinnen wieder bedeutsamer wurde, da insgesamt eine Rückbesinnung auf ihr Judentum stattfand.70 Hödl zeigt mit seinen Publikationen, dass zwischen jüdischen und nichtjüdischen Perspektiven eine diskursive Verflechtung existierte und wie eng Selbst- und Fremdwahrnehmungen miteinander verschränkt sein können. Der Anthropologe Eric Kline Silverman ergänzt den von Gilman und Hödl beschriebenen Topos des beschädigten jüdischen Männerkörpers um weitere verschiedene Motive. In der Monografie From Abraham to America. A History of Jewish Circumcision von 2006 behandelt Silverman neben der biblischen Bedeutung der Vorhautbeschneidung für Juden/Jüdinnen christliche beziehungsweise nichtjüdische Perspektiven auf die jüdische Beschneidung. Dabei fokussiert er sowohl auf Europa als auch auf die USA. Bereits in der Spätantike und im Mittelalter wurde die Beschneidung von christlichen griechischen und römischen Autoren abgelehnt, wie Silverman ____________________ 67 68

69 70

Vgl. ebd.: 190. Die Historikerin Shulamit Volkov beschreibt, dass ein wachsender Teil deutscher Juden und jüdischer Gemeinden in Deutschland im 19. Jahrhundert von einem »Reformbedürfnis« geleitet wurde und Reformen anstrebte. Den sogenannten Reformjuden erschienen unter anderem Teile von religiösen Ritualen, Gebetsformen oder Vorschriften von Rabbinern als unzeitgemäß, weswegen sie das Judentum reformieren wollten (vgl. Volkov 2000: 24ff.). Hödl 2003: 193. Zahlreiche weitere Autoren/Autorinnen betonen, dass die Kontroverse um Vorhautbeschneidungen von 2012 nicht die erste war. Da sie in ihren Veröffentlichungen jedoch das Verhältnis zwischen Beschneidungskritik und antisemitischem Denken und Fühlen nicht näher zu beschreiben versuchen, werden ihre Publikationen an dieser Stelle nicht in den Forschungsstand einbezogen (vgl. Klein 2012: 238ff.; vgl. Veltri 2012: 205ff.; vgl. Brämer 2012: 36ff.).

25

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

mit einer historischen Perspektive im Kapitel Circumcision, Anti-Semitism, and Christ’s Foreskin herausstellt.71 Exemplarisch zitiert er aus Briefen (Paulus), Schriften von Kirchenvätern, Luthers Schriften, Falschmeldungen (Ritualmordbeschuldigungen) sowie europäischer Literatur, die durch höhnische Bezugnahmen auf die jüdische Beschneidung geprägt ist (Shakespeare, Alexander Pope).72 Gemeinsam sei den Schriften – durch die Geschichte hindurch – die beständige Angst vor dem beschnittenen und beschneidenden Juden.73 Im Kapitel Old Whine in New Foreskins geht es Silverman hingegen um den »Anti-Judaism« in der gegenwärtigen Debatte über medizinische Beschneidungen von Säuglingen/Jungen beziehungsweise genauer, um eine Analyse des »portrayal of the Jew in this debate«74. Silverman konstatiert, dass die Kritik und Ablehnung der »Routine Vorhautbeschneidung« in den USA, die von einem anti-circumcision movement – bestehend unter anderem aus Ärzten und Betroffenen – ausgehe, sich häufig gegen Juden/Jüdinnen wende. Die Bewegung verhandele in der Debatte »almost everything but the foreskin«, darunter »anxieties about masculinity, motherhood, sexuality, the medicalization of birth, state power, and the insidious influence of the Jews«75. Es sei unklar, inwiefern »the lost foreskin causes or symbolizes this modern alienation«76. In seinen Ausführungen legt Silverman keine konkrete Definition des Antijudaismus und Antisemitismus vor, sondern fokussiert vielmehr auf Darstellungen von Juden und dem Jüdischen. Im Ergebnis behandelt er jedoch Aspekte, die Definitionen des Antisemitismus abdecken beziehungsweise die Teil von Definitionen des Antisemitismus sind. Zu nennen wäre etwa das Motiv »Juden als Verweigerer des wahren Glaubens« oder das der »jüdischen Rachsucht«, das in der Antisemitismusfoschung herausgearbeitet wurde.77 Juden würden von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen als gewalttätig, traumatisierend, rächend und vergeltend, als ____________________ 71 72 73 74 75 76 77

26

Vgl. Silverman 2006: 147ff. Ebd.: 168ff. Ebd.: 172. Ebd.: 213. Ebd.: 214, Herv. i. Orig. Ebd.: 217. Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 60, 152; vgl. Salzborn 2014: 12f.; vgl. Betzler/Glittenberg 2015: 91ff.

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

»Jewish Nazis« und »Enemies of God« dargestellt werden; die Beschneidung wiederum werde als »patriarchal assault on a mother’s natural instincts to protect her newborn«78, als »Iatrogenic Epidemic«79 und »Harmful Jewish Mistake«80 charakterisiert. Das Material Silvermans besteht aus antisemitischen Argumentationen des Mainstreams, die überwiegend in den 1990er Jahren veröffentlicht worden sind. Er fokussiert nicht auf die Wortmeldungen der »National Alliance, Stormfront, the Christian Separatist Church Society, and the Christian Defence League«, sondern »on mainstream figures, publications, and websites«, die aus der Mitte des »anticircumcision movement«81 stammen. Sein Fazit lautet, dass nicht alle Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen antisemitisch sind oder »vilify Jews and Judaism«82, sondern: »Many opponents of male circumcision, as I have noted, caution against anti-Semitism and even, however simplistically, wrestle with the moral implications of cultural diversity, ethnocentrism, and cultural criticism […]. Yet these calls for moral and religious pluralism are muted by the sheer quantity and din of more objectionable voices that represent the Jew as a monstrous aberration of humanity«. 83

Silvermans Ausführungen ermöglichen eine vergleichende Perspektive zwischen den USA und Deutschland, aus der sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen beiden Kontroversen ableiten lassen. Einerseits wird deutlich, dass das Motiv, Juden seien »gewalttätig« und »grausam«84, sowohl in den USA als auch in Deutschland vorkommt. Andererseits besteht ein Unterschied zwischen den Kontroversen etwa darin, dass die Anschuldigungen in Deutschland weniger stark darauf bezogen sind, Juden beschädigten »Christian bodies and virtue«85, sondern vielmehr ihre ‚eigenen‘ (jüdischen) männlichen Nachkommen. Dies hat sicherlich etwas damit zu tun, dass die Vorhautbeschneidung von männlichen Säuglingen in den USA insgesamt weiter verbreitet ist und sich Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen in verschwörungsideologischer Weise vorstellen, ____________________ 78 79 80 81 82 83 84 85

Silverman 2006: 221. Ebd.: 228. Ebd.: 230. Ebd.: 237. Ebd. Ebd. Siehe hierzu 4.1. Vom beschädigten Körper. Die Vorhautbeschneidung als »Verletzung«, »Schädigung« und »Trauma«. Silverman 2006: 237.

27

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

Juden stünden hinter dieser Praxis. Besonders aufschlussreich ist seine Darstellung aber, weil er die Argumentationen der untersuchten Akteure/Akteurinnen in diverse Motive aufgliedert, wie dies auch in der vorliegenden Untersuchung geschieht. Für die zeitgenössische Beschneidungskontroverse sind – neben den Beiträgen von Gilman, Hödl und Silverman, die sich nicht nur mit gesellschaftlichem Antisemitismus beschäftigen, sondern auch jüdische Geschichte und Kultur in das Zentrum ihrer Betrachtung rücken – besonders die Veröffentlichungen des Germanisten und Historikers Alfred Bodenheimer zentral. Bodenheimer ist einer der Ersten, der die Kontroverse von 2012 auf Basis der Argumentationen zweier wichtiger Beschneidungsgegner analysiert, des Strafrechtlers Holm Putzke und des Psychoanalytikers Matthias Franz, die auch in dieser Studie behandelt werden. In seinem Essay Haut ab! Die Juden in der Beschneidungsdebatte, das im September 2012 erschien, beleuchtet er, wie Juden/Jüdinnen in der Bundesrepublik ein Gefühl entwickeln, hier fremd zu sein. Den als »Restrangement« bezeichneten Prozess des »Wiederfremdwerden[s]«86 setzt Bodenheimer in Beziehung zum fragilen jüdischen Leben in Europa, das durch antisemitische Gewalt bedroht wird. Als Beispiel nennt er das Attentat auf die jüdische Schule in Toulouse im März 2012, bei dem drei jüdische Kinder und ein jüdischer Lehrer erschossen wurden.87 Wobei der Begriff des »Restrangements«88, des Wiederfremdwerdens oder der Entfremdung, uneindeutig ist, da unklar bleibt, von wem er ausgeht, wer diesen kollektiven Prozess forciert und seit wann genau er wieder stattfindet. In dem Entfremdungsprozess, der sich Bodenheimer zufolge auch im Kölner Landgerichtsurteil und der darauffolgenden Debatte in der »öffentlichen Meinung« ausdrückt, erklärten Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen Juden zu einer »an atavistisch-archaischen Normen orientierte[n] Minderheit, fern der jüdisch-christlichen Leitkultur«89. Damit geriet »jener ‚softe‘ Bereich des Judentums« in den Fokus, der »auf jeden ____________________ 86 87 88 89

28

Bodenheimer 2012a: 12. Vgl. ebd.: 12ff., 22ff. Im Englischen gibt es den Begriff »estrangement«, der mit Entfremdung übersetzt wird. Bodenheimer 2012a: 17.

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

Fall als mehrheitsfähig galt«90 und der, im Unterschied zur Chiffre Israel, in der Post-Shoah-Gesellschaft nicht das Ziel von Anfeindungen war. Unabhängig von der religiösen Selbstwahrnehmung von Juden/Jüdinnen als liberal, konservativ oder orthodox war also die jüdische Religion selbst zum Angriffspunkt geworden. Auf der einen Seite liegt dem »Restrangement« (dem Wiederfremdwerden), Bodenheimer zufolge, ein allgemeiner Wertewandel in westlichen Gesellschaften »hin zu einer humanistischen Ethik«91 zugrunde, in der der Wert individueller Freiheit vor der Freiheit religiöser Gemeinschaften gilt. Da der Wertewandel stärker mit der christlichen Religion der Mehrheit im Einklang steht und viele Werte christlich grundiert sind, nimmt eine »Sensitivität«92 gegenüber religiösen Minderheiten ab. Auf der anderen Seite basiert das Restrangement von Juden/Jüdinnen auf einer gesellschaftlichen Grundstimmung gegen Religionen insgesamt. Kennzeichnend für die Debatte ist für Bodenheimer darüber hinausgehend, dass die nichtjüdische Bevölkerung Juden/Jüdinnen nicht in das objektivierende und verurteilende Sprechen mit einbezog. Die Mehrheit der Bevölkerung entzieht Juden/Jüdinnen ein Recht auf Differenz93, weswegen Bodenheimer die Kontroverse als »Enteignungsdiskurs«94 und »Machtdiskurs einer unbeschnittenen Mehrheit mit einem gewissen Support kleinerer Minderheiten von Beschnittenen«95 einordnet. Der »Kampfruf von der Unantastbarkeit des jüdischen Köpers« wird »zum effektivsten und erprobtesten Mittel der Antastbarkeit des Judentums in seiner überlieferten Form«96. An anderer Stelle beschreibt Bodenheimer die Kontroverse als kulturellen »Normdiskurs«97 und als Revival einer publizistischen Schlacht um Fragen, die die »Zugehörigkeit, Zivilisation und Werte«98 betreffen. Nur vordergründig geht es »um die Beschneidung und die Folgen für die Betroffenen,

____________________ 90 91 92 93 94 95 96 97 98

Ebd.: 16f. Ebd.: 7, vgl. ebd.: 48f. Ebd.: 7. Vgl. ebd.: 42. Ebd.: 59. Ebd.: 58. Ebd.: 53. Vgl. Bodenheimer 2013: 135. Bodenheimer 2014: 57.

29

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

sondern eigentlich um generelle Fragen des Zusammenlebens der Verschiedenen«99. Neben der vorgetragenen Kritik an Äußerungen von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen reflektiert Bodenheimer auch Reaktionen von Juden/Jüdinnen kritisch. Er stellt fest, dass einige Repräsentanten des Judentums argumentativ unbeholfen agierten und ihr Verhalten besonders durch Fassungslosigkeit und Schock gekennzeichnet war. Als Beispiel führt er den Auftritt des Berliner Rabbiners Yithsak Ehrenberg in der Talkshow von Anne Will im Juli 2012 an, der dort eine hebräische Bibel hochhielt und sagte, das göttliche Gesetz gebe diesen Ritus vor, ohne die Bedeutung der Beschneidung als religiöse Praxis verständlich zu machen und sich in die Debatte zu begeben.100 Auch Bodenheimers Veröffentlichungen stellen, wie diejenigen von Gilman und Hödl, einen wissenschaftlichen Beitrag zu den Jüdischen Studien dar. Auch ihm geht es weniger darum, Antisemitismus nachzuzeichnen, als vielmehr darum, das Leben von Juden/Jüdinnen in einer nichtjüdischen Umwelt beziehungsweise das nichtjüdisch-jüdische Verhältnis zu beschreiben. Während Bodenheimer die Begriffe Antisemitismus und Rassismus kaum verwendet, kommen sie in der Studie Signale aus der Mehrheitsgesellschaft des Politikwissenschaftlers Kerem Öktem von 2013 explizit vor. Öktem behandelt nicht nur das konkrete Zusammenleben respektive die Beschaffenheit des nichtjüdisch-jüdischen Verhältnisses, sondern auch des nichtmuslimisch-muslimischen. Öktem untersucht, inwiefern die Beschneidungskontroverse auf Angehörige des jüdischen und muslimischen Glaubens ausgrenzend und diskriminierend wirkte und was dies für das individuelle und kollektive Sicherheitsempfinden der jeweiligen religiösen Minderheit in Deutschland bedeutete.101 Das Sicherheitsempfinden definiert er als »die Freiheit von Bedrohungen für die Eigenidentität, eine Identität, die sich […] in einem konstanten Prozess der Aushandlung mit der Umwelt ____________________ 99 100 101

30

Ebd.: 58. Vgl. Bodenheimer 2012a: 13f, 60, 24. Vgl. Öktem 2013: VIII. Die zweite Fallstudie der Publikation, die sich mit den Auswirkungen staatlicher Überwachung von islamischen Organisationen auf einige muslimische Gemeinden befasst, wird an dieser Stelle nicht rekapituliert. Denn sie versucht nicht, das Verhältnis von Antisemitismus und der Gegnerschaft zu Vorhautbeschneidungen zu bestimmen.

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

befindet« und die entscheidend sei, »damit Individuen aus einem Minderheitenkontext einen ‚sicheren‘ Platz in der Mehrheitsgesellschaft finden können«102. Zentral sind also die Perspektiven der Betroffenen »im Kontext von Ausgrenzung und sozialer Herabsetzung«103. In zehn qualitativen Interviews, die Öktem unter anderem mit jüdischen Mandatsträgern und politisch aktiven Persönlichkeiten führte, fand er heraus, dass Juden/Jüdinnen die Kontroverse als Wendepunkt im Umgang mit ihnen wahrnehmen und in einem weitaus größeren Maße »über die Vehemenz und die Bandbreite der Anti-Beschneidungsposition[en]«104 entsetzt sind als Muslime/Muslimas. Als Beispiele nennt er besonders »Bilder von Juden als schlechte Eltern, als Kinderschänder, aber auch als prä-rationale Religionsgemeinschaft, die sich anzupassen hat«105. Für Juden/Jüdinnen ist die »Enttäuschung und Entfremdung gegenüber bestimmten Akteuren aus der Mehrheitsgesellschaft«106 – besonders den gesellschaftlichen Eliten, die sich sonst gegen Antisemitismus engagierten – groß. Gerade von diesen bekamen Juden/Jüdinnen weder Unterstützung noch Solidarität, was sie sich im Zuge der Kontroverse jedoch erhofften. Viele Muslime/Muslimas hingegen erleben und beurteilen die Kontroverse als eines von vielen herabsetzenden und diskriminierenden Ereignissen und nennen als Referenz etwa die islamfeindlichen und rassistischen Diskussionen infolge von Thilo Sarrazins 2010 erschienenem Buch Deutschland schafft sich ab.107 In der Kontroverse drückt sich für Muslime/Muslimas also eine Kontinuität von rassistischen und anti-muslimischen Diskursen aus, die sich nach den Anschlägen auf das World-TradeCenter verstärkten.108 Auch in der Studie Jüdische Perspektiven auf Antisemitismus in Deutschland von 2017 kommt zum Ausdruck, dass die Beschneidungskontroverse für jüdische Deutsche eine einschneidende Erfahrung darstellte, wenngleich der Fokus der Studie nicht, wie bei Öktem, auf den Auswirkungen dieser spezifischen Kontroverse lag. Die Autoren/Autorinnen der Studie weisen ____________________ 102 103 104 105 106 107 108

Öktem 2013: 2. Ebd.: 1. Ebd.: VIIIf., 18ff., 35ff. Vgl. ebd.: VIII. Ebd.: 38ff. Ebd.: IX. Ebd.: IX, 43.

31

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

darauf hin, dass sich viele Juden/Jüdinnen in der Kontroverse nicht mehr »als normaler integraler Teil der Gesellschaft«109 fühlten, da eine zentrale Praxis der jüdischen Religion beziehungsweise des jüdischen Selbstverständnisses zum Angriffspunkt geworden war. Sie waren gezwungen, sich nach antisemitischen Anfeindungen für ihre religiösen Praktiken zu rechtfertigen.110 Insbesondere mit Öktem kann gezeigt werden, wie sehr sich Juden/Jüdinnen in ihrer religiösen Existenz bedroht fühlen und beunruhigt sind, wenn die nichtjüdische Bevölkerung die Beschneidung ablehnt. Noch während der öffentlichen Kontroverse um kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen in Deutschland von 2012 erscheinen weitere Aufsätze und Sammelbände, in denen die Verfasser/Verfasserinnen die Kontroverse analysieren und theoretisch einzuordnen versuchen und implizit oder explizit Antisemitismus (und antimuslimischen Rassismus) verhandeln. Damit bestätigen sie ebenfalls, dass Antisemitismus in der Kontroverse vorkommt. All diesen Veröffentlichungen ist gemeinsam, lediglich ausgewählte und vereinzelte Texte und Argumentationen von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen zu analysieren – also einen sehr eingeschränkten Textkorpus – und vorwiegend das Urteil des Kölner Landgerichts sowie ausschließlich den Beginn der Kontroverse darzustellen. In dem kurzen politischen und zugleich wissenschaftlichen Beitrag Fortsetzung einer »Zivilisierungsmission« des Soziologen Zülfukar Çetin und des Autors Salih Alexander Wolter wird besonders der antimuslimische Alltagsrassismus thematisiert.111 Wie Bodenheimer analysieren Çetin/Wolter die Debatte überwiegend auf Basis der Publikationen von Putzke und Franz; mitunter sind die analysierten Protagonisten/Protagonistinnen jedoch auch unpräzise bestimmt, da sie abstrakt und verallgemeinernd von »der Debatte«, »medialen, politischen und medizinischen Diskussionen«112

____________________ 109 110 111

112

32

Zick/Hövermann/Jensen/Bernstein 2017: 45. Vgl. ebd.: 59f. Ihr Beitrag erscheint in Interventionen gegen die deutsche »Beschneidungsdebatte« im November 2012 mit einem Vorwort sowie einem Aufsatz von HeinzJürgen Voß zur deutschen Beschneidungsdebatte, der bereits in der Fachzeitschrift Sexuologie. Zeitschrift für Sexualmedizin Sexualtherapie und Sexualwissenschaft erschienen war (vgl. Voß 2012b: 76). Çetin/Wolter 2012: 39.

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

oder »der populären Auffassung«113 sprechen. Çetin/Wolter fassen die Debatte als rassistischen Fortsetzungsdiskurs von Thilo Sarrazins Deutschland schafft sich ab auf und verweisen auf »Kopftuchdebatten« und »‚Integrations‘-Diskurse« über muslimische Migranten/Migrantinnen.114 In den Debatten gehe es darum, die Gesellschaft in zivilisierte und nicht-zivilisierte Menschen einzuteilen und eine Legitimation dafür zu suchen, die eigene Feindschaft zu begründen. Durch diese Kontextualisierung fokussieren Çetin/Wolter im Gegensatz zu Bodenheimer stärker auf antimuslimische Ressentiments und Alltagsrassismus. Auch sie stellen fest, dass die Kontroverse in einem gesellschaftspolitischen Rahmen stattfindet, »der von normativen Setzungen und von Herrschaft geprägt ist«115, und dass es um mehr geht als um die Frage der körperlichen Selbstbestimmung gegen die Religionsfreiheit. Sie charakterisieren die Kontroverse, in der nicht gleichberechtigt diskutiert wird, als »Stellvertreter-Diskussion«116 der Mehrheitsgesellschaft, in der es um »die Konstruktion der Anderen« geht: Juden und Muslime werden in ihrer Gesamtheit zu Schuldigen und zu »grausamen Täter_innen« gegenüber wehrlosen Säuglingen/Jungen gemacht und als »nicht-zivilisiert«, »nicht-säkular«, »nicht-modern«117 stilisiert. Insbesondere die Medizin, so ergänzt der Biologe und Sozialwissenschaftler Heinz-Jürgen Voß, sei »eine neue Art hegemonialer ‚Religion‘« geworden, da »medizinische ‚Expertise‘ und Technik«118 zentral für die Argumentationen waren. Unter der vermeintlichen Religionskritik einiger Akteure/Akteurinnen liege Antisemitismus und antimuslimischer Rassismus, was diese jedoch unsichtbar zu machen versuchen.119 Für die Autoren sind Juden und Muslime gleichermaßen betroffen, wobei sie vornehmlich von rassistisch motivierter und weniger von antisemitisch motivierter Diskriminierung sprechen.120 Hervorhebenswert ist für Çetin/Wolter und Voß, dass die Kontroverse nicht von jüdischen und muslimischen Initiativen, Selbsthilfegruppen und beschnittenen Betroffenen (mit der Ausnahme des Ex____________________ 113 114 115 116 117 118 119 120

Voß 2012a: 7. Vgl. Çetin/Wolter 2012: 20f. Voß 2012: 10. Ebd.: 12. Vgl. Çetin/Wolter 2012: 42. Voß 2012: 13. Çetin/Wolter 2012: 38. Vgl. Çetin/Wolter 2012: 42; Voß/Zaft 2013: 9ff.

33

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

Muslims Ali Utlu) angestoßen wurde, die zuvor über Jahrzehnte um eine gesellschaftliche und politische Anerkennung streiten mussten, sondern unbeschnittene nichtjüdische und nichtmuslimische Akteure das Wort ergriffen.121 Der Sammelband Beschneidung. Das Zeichen des Bundes in der Kritik, den der Historiker Johannes Heil und der Sozialpädagoge Stephan J. Kramer im November 2012 herausgeben, unternimmt ebenfalls den Versuch, die Kontroverse um Vorhautbeschneidungen theoretisch einzuordnen. Heil/Kramer teilen die Analyse von Bodenheimer, Çetin/Wolter und Voß, dass es in der Kontroverse um mehr als die Vorhaut und religiöse Praktiken geht. Verhandelt wurde der »Stellenwert und die Akzeptanz des Religiösen in einer sich pluralisierenden Gesellschaft«, in der es eine »Vielfalt von Identitäten und kulturell-religiösen Zugehörigkeiten«122 gibt. In den um Sachlichkeit bemühten Argumentationen von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen treten Heil/Kramer zufolge »irritierende[..] Untertöne«123 und eine »zunehmende Aggressivität gegen gelebte Religion«124

____________________ 121

122 123 124

34

Vgl. Çetin/Wolter 2012: 29ff.; vgl. Voß 2012: 9; vgl. Voß/Zaft 2013: 1f. Die Philosophin Antke Engel stellt in ihrem kurzen Aufsatz Okzidentalistische Überlegenheitsphantasien und heteronormatives Schweigen fest, dass die Kontroverse durch rassistische und antisemitische »Aspekte« (2013: 133) geprägt sei, wobei sie weder konkrete Akteure/Akteurinnen noch Beispiele nennt. Vielmehr nennt sie – ähnlich wie Voß – die gesamte Mediendebatte »offen rassistisch« (ebd.: 137). Allerdings geht es Engel auch nicht darum, das Verhältnis zwischen der Ablehnung von kulturell-religiösen Vorhautbeschneidungen und Antisemitismus in der Kontroverse zu bestimmen. Vielmehr ist sie darum bestrebt, aus queer-feministischer Perspektive die Verschränkung des okzidentalistischen »Überlegenheitsdiskurs[es]« (ebd.: 133) mit »heteronormativen Geschlechterund Sexualitätsverständnissen« aufzuzeigen. Kritikwürdig ist für Engel, dass weder »Gegner_innen noch Befürworter_innen der Beschneidungspraxis« geschlechtliche Vielfalt sozial anerkennen – beispielsweise intersex oder transgender »KörperSubjektivitäten« (ebd.: 135). Vielmehr würden die Akteure/Akteurinnen der Kontroverse ignorierend eine klare zweigeschlechtliche Unterscheidung in Jungen und Mädchen vornehmen und normative Geschlechterbilder stabilisieren. Heil/Kramer 2012: 11. Ebd.: 10. Ebd.: 11.

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

zutage sowie das Begehren, »antijüdische Aversionen am ‚legitimen‘ Objekt zu äußern«125. Die Historikerin Juliane Wetzel konstatiert in ihrem Aufsatz Judenfeindliche Stereotypisierungen, dass das öffentlich vorhandene »anti-antisemitische Tabu« in der Beschneidungsdebatte nicht wirkte und diese daher eine »Plattform für antisemitische Ressentiments, Vorurteile und Klischees«126 bot. Auf Basis von einzelnen Leser-/Leserinnenkommentaren des rechten, islamfeindlichen Internetportals Politically Incorrect, der Süddeutschen Zeitung, Frankfurter Rundschau, Bild-Zeitung, DIE ZEIT und des Kölner Stadt-Anzeigers skizziert Wetzel einen sehr kleinen Ausschnitt von Kommentaren, in denen sich antisemitische Stereotype und »xenophobe[..] Inhalte«127 finden. In diesem Kontext verweist sie auch auf antisemitische Übergriffe, die sich zwischen August und September 2012 in Deutschland ereigneten, und wirft die Frage auf, inwiefern sie ein Resultat aus der medialen Präsenz der antisemitischen Kommentare sein könnten.128 Der bereits genannte Historiker Johannes Heil dagegen fokussiert in einer Rückschau auf die Tradition von Bildern.129 Er umreißt auf Basis von mittelalterlichen christlichen Darstellungen der Vorhautbeschneidung Jesu – unter anderem aus dem 15. Jahrhundert – eine historische Skizze der Judenfeindschaft. Er analysiert, dass bereits in der christlichen Ikonografie eine jüdische »Alterität« konstruiert wurde und die Beschneidung als »Ausdruck der Feindseligkeit« gegen Gott und gegen Jesus galt, »die den Juden wesenseigen sein sollte«130. Die Psychoanalytiker Yigal Blumenberg und Wolfgang Hegener ordnen in Die »unheimliche« Beschneidung von 2013 die Beschneidungskontroverse in eine Reihe weiterer heftig und emotional geführter Auseinandersetzungen um die nationalsozialistische Vergangenheit und deren Auswirkungen ein: die Diskussionen um die Fernsehserie Holocaust Ende der 1970er Jahre, die Kontroverse um Fassbinders Theaterstück Der Müll, die Stadt und der Tod, den sogenannten Historikerstreit in den 1980er Jahren ____________________ 125 126 127 128 129 130

Ebd. Wetzel 2012a: 265. Ebd.: 270. Vgl. ebd.: 274f. Siehe hierzu auch Hegener 2013: 65ff. Heil 2012: 31. Siehe hierzu auch Hegener 2012: 65ff.

35

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

sowie die Walser-Bubis-Debatte in den 1990er Jahren.131 Sie formulieren die These, dass sich in der Beschneidungskontroverse eine unzureichende Reflexion des Zivilisationsbruches zwischen 1933 und 1945 ausdrückt: In unbedachter Weise kehren »gewalttätige alte christliche Vorurteile gegen Juden«132 wieder und richten sich gegen die jüdische Tradition der Beschneidung. Die vehemente »Fürsprache für das Kindeswohl« verweise zugleich auf »christliche Vorurteile«133 wie Hostienschändungen und Ritualmordbeschuldigungen. Im Topos des »Kampf[es] um das Kindeswohl [werden] eigene Verletzungen und Beschädigungen der Kindheit projektiv verschoben und im Fremden verfolgt.«134 Ihre Analyse der Kontroverse stützt sich auf die in der Fachzeitschrift Psyche veröffentlichten kritischen Glossen von M. Franz und W. Schmidbauer, deren Gastbeiträge in der FAZ und SZ sowie auf einen Aufsatz des Strafrechtlers und Psychoanalytikers G. Jerouschek.135 Sie argumentieren, Beschneidungsgegner reflektierten ihre eigene (christliche) Kulturgeschichte ungenügend und schnitten nicht nur ihren eigenen Sozialisationskontext ab, sondern entkontextualisierten und isolierten zugleich auch die kulturell-religiöse Praxis der Vorhautbeschneidung aus der jüdischen Tradition. In letzterem Vorgehen sehen Blumenberg/Hegener eine »kulturkolonialistische[..] Denkform, die sich ihres quasi-missionarischen Impetus nicht bewusst ist und aus diesem Unverständnis heraus eine fremde Tradition und Kultur der eigenen zu unterwerfen und anzugleichen sucht«136. Die Versuche der Beschneidungsgegner, das eigene Herkommen auszublenden und sich gleichsam von christlichen Gedankengängen und Vorstellungen zu distanzieren, seien nicht überzeugend.137 In seinem Aufsatz Blutbeschuldigungen oder die Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigem kritisiert Hegener, dass die Kontroverse zu wenig vor dem Hintergrund der christlich-antisemitischen Kulturgeschichte und historischer christlicher Ausgrenzungsdiskurse reflektiert und eingeordnet ____________________ 131 132 133 134 135 136 137

36

Vgl. Blumenberg/Hegener 2013c: 7. Ebd.: 7f. Ebd.: 8. Ebd.: 7. Vgl. Blumenberg/Hegener 2013a: 12ff.; vgl. Blumenberg 2012: 95ff. Vgl. Blumenberg/Hegener 2013a: 19. Vgl. ebd.: 21.

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

werde.138 Aus diesem Grund streift er durch die europäische Geschichte und rekapituliert die lange Tradition gegen die jüdische Säuglingsbeschneidung, indem er einige Phasen, in denen sie das Thema eines öffentlichen Streits war beziehungsweise von der nichtjüdischen Mehrheitsbevölkerung untersagt und unter Strafe gestellt wurde, beschreibt.139 Er kommt etwa auf die judenfeindliche Staatspolitik um 170 vor unserer Zeitrechnung unter Antiochus IV zu sprechen, die vorgab, Juden von ihrem »tyrannisierenden Judentum« zu befreien, sowie auf die Politik der Römer, die annahmen, die Beschneidung verhindere eine Integration der Juden in die »römische Zivilisation«140. Mit der Verbreitung des Christentums sei »die Ablehnung der Beschneidung […] zur Religion« geworden und habe »eine religiöse und heilsgeschichtliche Begründung und Aufladung«141 erfahren. Paulus setze in seinen Schriften an die Stelle der Beschneidung die christliche Taufe, wodurch er das Christentum als eigenständige Religion überhaupt erst begründete. Eine christliche Beschneidungsfeindschaft gegen das Judentum drückte sich etwa in mittelalterlichen Ritualmordbeschuldigungen aus, da der antisemitische Vorwurf lautete, »Juden würden zu Ostern kleine Christenkinder rauben, sie zuerst beschneiden und dann schlachten, da es die jüdische Religion gebiete«142. Den Bogen in die Gegenwart schlägt Hegener, indem er argumentiert, dass diese Bilder »offensichtlich eine ungeheure Macht« haben und »in christlich geprägten Gesellschaften transgenerationell weitervererbt und in jeweils unterschiedliche, zeitgeisttypische Kontexte versetzt«143 werden.

____________________ 138 139 140 141 142 143

Vgl. Hegener 2013: 51. Vgl. ebd.: 57ff. Ebd.: 58. Ebd.: 60. Ebd.: 77. Ebd.: 86.

37

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

Der Philosoph und Theologe Heiner Bielefeldt stellt ebenfalls, wie etwa Bodenheimer, Heil/Kramer und Blumenberg/Hegener einen »ätzend-verächtliche[n] Tonfall«144 in zahlreichen Beiträgen gegen die Vorhautbeschneidung fest. Dabei geht es ihm jedoch stärker um die Beschaffenheit der Religionskritik und des Rationalismus in der Kontroverse. Eine zeitgenössische gesellschaftliche Religionskritik habe sich in der Beschneidungskontroverse zu einer »populistische[n] Religionsbeschimpfung«145 zugespitzt, oftmals begleitet von einem »aggressiv-kulturkämpferische[n] Ton«146. Vielfach ließen die Akteure/Akteurinnen »jenen elementaren Respekt völlig vermissen«, der für eine »vernünftige gesellschaftliche Kommunikation« notwendig sei. Der Respekt sei nicht den »religiösen Traditionen als solchen«, sondern »den Menschen, für die solche Traditionen wichtig, identitätsstiftend und lebensprägend sein können«147, geschuldet. Zugleich betont Bielefeldt jedoch, dass die Gründe für die Ablehnung der kulturellreligiösen Vorhautbeschneidung vielfältig seien und sich »[d]as Nebeneinander, Ineinander und Gegeneinander der verschiedenen Gründe«, darunter eine generelle Religionsskepsis, aber auch »fremdenfeindliche Motive«148, nicht leicht auflösen lasse. Ebenfalls mit Blick auf die Beschaffenheit der Religionskritik stellt die Politikwissenschaftlerin Vanessa Rau 2014 eine »Konvergenz zwischen säkularistischen, der Religion mit Argwohn gegenüberstehenden Positionen und antijüdischen (sowie antimuslimischen) Ressentiments«149 in der Kontroverse fest. Damit bestimmt sie besonders das Verhältnis zwischen einer Kritik der jüdischen Religion und Antisemitismus. Sie verteidigt religiöse Existenzen uneingeschränkt. In ihrem Aufsatz Vehementer Säkularismus als Antisemitismus? setzt sich Rau mit Diskursmechanismen in der Kontro-

____________________ 144

145 146 147 148 149

38

Bielefeldt 2012b: 72. Ähnlich fällt auch die Kritik an der Beschneidungskontroverse des Schriftstellers Navid Kermani aus, die dieser unter anderem im Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger formulierte (vgl. Kermani 2012a, siehe auch Kermani 2012b). Ebd. Bielefeldt 2012a: 63. Ebd.: 65. Bielefeldt 2012b: 72. Rau 2014: 32.

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

verse auseinander und fokussiert auf die von »Gegner[n] des religiösen Rituals«150 hervorgebrachte Frontstellung zwischen Säkularismus und Religiosität/Irrationalem. Ihre These ist, dass dieses von Gegnern151 formulierte Verständnis des Humanen – das sich in der Forderung nach körperlicher Unversehrtheit und Selbstbestimmung sowie in der Forderung nach Säkularität ausdrückt – ins Anti-Humane umschlägt, weil es selektiv angewendet wird und religiöse Besonderheiten einebnet.152 Durch den expliziten Bezug der Beschneidungsgegner auf die Menschenrechte bleibe diese Dimension jedoch unhinterfragt. Daher wirft Rau die Frage auf, »inwiefern die vehemente Forderung nach gesellschaftlicher Neutralität und Säkularität« von Beschneidungsgegnern »als Sichtschutz antijüdischer Ressentiments fungieren«153 könne. Auf Basis der Theorien des Soziologen Michel Foucault und des Anthropologen Talal Asad kritisiert Rau die argumentative Vorgehensweise von Beschneidungsgegnern: Diese stützen sich auf das wirkmächtige Narrativ des Säkularen/Säkularismus und verorten dieses nicht in seinem historischen und sozialen Entstehungskontext: Der Begriff des Säkularen sei eine »theologische Kategorie«154, mit der die weltliche von der göttlichen Zeit unterschieden wurde und die im Kontext der Französischen Revolution und der humanistischen Aufklärung aufkam. Beschneidungsgegner nutzen den Begriff des Säkularen jedoch auf eine spezifische und divergierende Weise, indem sie durch ihn nicht nur ein Unbehagen an der Religion an sich, sondern besonders an der jüdischen Religion ausdrücken.155 Sie verfolgen das wirkmächtige Narrativ, eine »unzureichende Umsetzung« des Säkularismus bedeute eine »Rückständigkeit des Staates, der Gesellschaft oder des Individuums«156. Durch diese hierarchische Bewertung können sie sich

____________________ 150 151

152 153 154 155 156

Ebd. Rau verwendet in Bezug auf die Akteure ausschließlich die männliche Form und schreibt von Vertretern oder Gegnern. Es bleibt unklar, ob sie auch Gegnerinnen der Vorhautbeschneidung interviewte und diese mitgemeint sind. Unter diesem Vorbehalt wird die Schreibweise Raus übernommen. Vgl. Rau 2014: 33, 36. Ebd.: 32. Ebd.: 33. Vgl. ebd.: 32f., 37. Ebd.: 34.

39

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

selbst als aufgeklärt imaginieren und sich von denen, »die noch immer unmündig der Rückständigkeit Folge leisten«157, gegenüberstellen. Die Religion und das Religiöse stellen Säkularisten »als etwas gesellschaftlich und politisch Überflüssiges«158 dar. Die christliche Mehrheitsgesellschaft forderte in der Kontroverse eine Anpassung der Juden als vermeintlich religiöse Andere und Fremde an die bestehende gesellschaftliche (säkulare) Ordnung. Daraus resultiere eine »gruppenbezogene Abwertung«159 des Religiösen und Potenzial für Diskriminierungen. Denn das Festhalten der Beschneidungsgegner an der »binären Struktur von religiös und säkular«160 basiere darauf, »Ambivalenzen und Differenzierungen« zu vermeiden, was psychologisch betrachtet »Sicherheit durch Einheit«161 verspricht. Die von Beschneidungsgegnern formulierte Aufforderung zur »Konformität an säkulare Normen« charakterisiert Rau »als ‚Konversion‘, […] die ‚der Fremde‘ zu erbringen hat«162. Damit werten Beschneidungsgegner »das Andere«163, das sie als jüdisch markieren, in einem scheinbar legitimen Kontext kategorisch ab. Auf diese Weise degradieren sie die jüdische Religion; die faktische Konsequenz sei »die aktive Hemmung freier Entfaltung jüdischen Lebens in Deutschland«164. Wichtig an der Studie von Rau ist, dass sie mit Interviews arbeitet, die sie nach dem Kölner Landgerichtsurteil mit religiösen und nicht-religiösen Vertretern sowie Angehörigen einer nicht näher beschriebenen humanistischen Initiative führte. Sie fokussiert auf neuartiges Datenmaterial beziehungsweise Argumentationen von Beschneidungsgegnern, die nicht juristisch und medizinisch vorgehen. Wenngleich sie die Interviewten insgesamt wenig sprechen lässt, eröffnet sie dennoch – und mutmaßlich gerade auf der Basis ihres Materials – neue Interpretationsmöglichkeiten der Beschneidungskontroverse, die die bisherigen Veröffentlichungen – etwa von Bodenheimer, Heil/Kramer und Blumenberg/Hegener – überzeugend ergänzen. ____________________ 157 158 159 160 161 162 163 164

40

Ebd. Ebd.: 35. Ebd.: 32. Ebd.: 37, Herv. i. Orig. Ebd.: 35. Ebd.: 36. Ebd.: 37, Herv. i Orig. Ebd.

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

Auch die Politikwissenschaftlerin Schirin Amir-Moazami nimmt in ihrem 2016 erschienenen Aufsatz Investigating the Secular Body die Beschneidungskontroverse als Fallstudie, um zu untersuchen, wie in säkularen, liberalen, demokratischen und westeuropäischen Öffentlichkeiten islamische vergeschlechtlichte (Körper-)Praktiken – wie die Vorhautbeschneidung – zum Unterscheidungsmerkmal bestimmt und als abweichend problematisiert werden.165 Wenngleich sie kurz auf Rassismus und Antisemitismus in der Kontroverse eingeht166, ist ihr eigentliches Ziel jedoch nicht die Analyse dieser sozialen Praktiken, sondern eine Theoretisierung des Säkularismus und säkularer Praktiken mit Bezugnahme auf die Anthropologen Talal Asad und Charles Hirschkind.167 2017 erschien die 2015 eingereichte Masterarbeit der Religionswissenschaftlerin Bernadette Pensch, in der sie eine Analyse der österreichischen medialen Beiträge zur religiösen Beschneidung vornimmt. Ihre Arbeit wird an dieser Stelle eingehend diskutiert, da Pensch ebenfalls anstrebt, antisemitische Muster in der Beschneidungskontroverse zu untersuchen und damit ein ähnliches Erkenntnisinteresse wie in dieser Studie verfolgt. Im Ergebnis jedoch stellt Pensch keine Zusammenhänge zwischen der heftigen Kritik an religiösen Vorhautbeschneidungen und Antisemitismus fest. Dies liegt unter anderem daran, dass sie ihre Antisemitismusdefinition nicht ausreichend auf das empirische Material anwendet. Sie führt eine Kritische Diskursanalyse nach Siegfried Jäger durch und untersucht insgesamt sechs Tageszeitungen, darunter Der Standard, die Kleine Zeitung, den Kurier, die Kronen Zeitung, die Oberösterreichischen Nachrichten und die Tiroler Tageszeitung.168 Der Textkorpus umfasst 181 Texte, die einen »inhaltlichen Bezug zur Thematik«169 haben und die im Zeitraum zwischen Juni und Dezember 2012 erschienen. In ihrer Definition des Antisemitismus orientiert sie sich an der »working definition« des Philosophieprofessors Brian Klug, der in seinem Text The collective Jew von 2003 Antisemitismus als »eine

____________________ 165 166 167 168 169

Amir-Moazami 2016: 149. Ebd.: 161ff. Ebd.: 147, 163ff. Vgl. Pensch 2017: 63ff. Vgl. ebd.: 65.

41

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

Form von Feindseligkeit gegenüber Juden als Juden« bestimmt, »in der Juden als etwas anderes wahrgenommen werden als sie tatsächlich sind«170. Auf dieser Basis argumentiert sie, dass im Standard eine Bandbreite von Meinungen zur Beschneidung vorkam, die sich zwischen Befürwortung und Ablehnung bewegte.171 Ohne dies eingehender zu kontextualisieren und analytisch einzuordnen, zitiert sie nacheinander Textpassagen wie etwa, Juden seien »bekanntermaßen obstinat«, sie hätten »schon schwereren Angriffen widerstanden« und würden »dem Glauben nicht abschwören, sondern das Gesetz verletzen«172. Trotz des Motivs, Juden seien unbelehrbar, starrsinnig und widerspenstig, folgert sie, es finde sich »keine nennenswerte Kollektivsymbolik« und ein antisemitisches Muster sei im Standard »nicht zu finden«173; Gleiches gelte für die Kleine Zeitung, wo ebenfalls »kein antisemitisches Muster zu erkennen«174 sei. Auch in der Kronen Zeitung trete ein »antisemitisches Grundmuster […] nicht zu tage«, wenngleich die Berichterstattung durch eine »Verharmlosung der Debatte« und »ohne ExpertInnen-Wissen zur Thematik«175 ausfalle und die Beiträge durch den Boulevard-Stil der Zeitung verkürzt seien. Im Kurier hingegen seien neben der ausgewogenen Berichterstattung von Journalisten/Journalistinnen »extreme Positionen […] von Vertretern aus dem Judentum und in Leserbriefen zu finden«176 gewesen, so wurde die Vorhautbeschneidung von einer Beschneidungsgegnerin etwa mit Folter verglichen. Zu kritisieren ist, dass Pensch nicht einordnet, worin genau die »extremen Positionen« von Juden/Jüdinnen bestehen und was extrem überhaupt bedeuten soll. Sie bewertet lediglich, dass sich Vertreter des Judentums extrem geäußert hätten, ohne zu erklären, warum und inwiefern die Äußerung von einer gemäßigten oder nicht-extremen Äußerung abweicht. Auch in Bezug auf die Diskursposition der Oberösterreichischen Nachrichten und die der Tiroler Tageszeitung erkennt Pensch keinen Antisemitismus, wenngleich sie feststellt,

____________________ 170 171 172 173 174 175 176

42

Klug zit. n. Pensch 2017: 47, Schreibweise i. Orig. Vgl. Pensch 2017: 80. Rosner zit. n. Pensch 2017: 81. Pensch 2017: 82. Ebd.: 84. Ebd.: 85, Schreibweise i. Orig. Ebd.: 88, Herv. D. I.

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

dass sich die Leserbriefe einhellig gegen die Beschneidung positionierten.177 Abschließend schreibt sie, dass »im untersuchten Diskurs um religiöse Beschneidung im Judentum [..] keine antisemitischen Muster festgemacht [wurden]«178 und »[e]in konkretes Muster in der Berichterstattung [..] nicht festzumachen«179 sei. Das große Problem an Penschs Masterarbeit besteht darin, dass sie suggeriert, nur Juden/Jüdinnen würden in der Kontroverse um Beschneidung einen Antisemitismus sehen. Dies wird dadurch deutlich, dass sie unter der Überschrift »Antisemitismus im aktuellen Diskurs um religiöse Beschneidung?« ausschließlich die Äußerungen von zwei jüdischen Repräsentanten und einer Repräsentantin aufnimmt. Sie zitiert je einen Satz von Dieter Graumann und Charlotte Knobloch und paraphrasiert eine Äußerung von Ariel Muzicant, dem Ehrenpräsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien. Letzterer habe das Verbot der Beschneidung als »Versuch einer neuerlichen Shoah«, nur mit »geistigen Mitteln«, bezeichnet.180 Diesen Äußerungen wiederum stellt sie die Kritik des jüdischen Deutschen Michael Wolffsohn gegenüber, der Kritik von Juden/Jüdinnen an dem Kölner Urteil als »substanz- und taktlos«181 bezeichnet hatte. Über Antisemitismus, der sich in der Beschneidungskontroverse selbst fand, schreibt sie an dieser Stelle nichts, weshalb die Überschrift irreführend ist; denn sie setzt sich lediglich kurz mit dem Vorwurf des Antisemitismus auseinander. An anderer Stelle schreibt sie in der Analyse des Kuriers abermals, »das Thema Antisemitismus wird von Vertretern aus dem Judentum eingebracht«182. Zwar zitiert sie einige Sätze aus Zeitungsartikeln, in denen die Verfasser/Verfasserinnen in der Beschneidungskontroverse einen Antisemitismus feststellen. Diese Einschätzung ordnet sie aber nicht weiter ein, sondern lässt sie isoliert stehen. Auf diese Weise erscheinen diese Einschätzungen als übertriebener Alarmismus oder als übergezogene Befindlichkeit von Juden/Jüdinnen, zumal Pensch wissenschaftliche Literatur, die sensibel im Hinblick auf Antisemitismus in der Beschneidungskontroverse ist und vor 2015 er____________________ 177 178 179 180 181 182

Vgl. ebd.: 89ff. Ebd.: 93. Ebd.: 92. Muzicant zit. n. Pensch 2017: 49. Siehe hierzu 4.8. Verbündete: Juden/Jüdinnen und Muslime/Muslimas kritisieren die Vorhautbeschneidung. Pensch 2017: 88.

43

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

schien – also beispielsweise Bodenheimer, Heil/Kramer et al., Blumenberg/Hegener – überhaupt nicht berücksichtigt. Die einordnende Bemerkung aus der Einleitung von Ulrike Bechmann und Wolfram Reiss widerspricht dem Ergebnis ihrer Studie, wenn es heißt, Pensch untersuche »Pressemeldungen auf Formulierungen, die als antisemitisch bezeichnet werden können, obwohl sie nicht immer auf den ersten Blick als solche erscheinen«183. Im Kontrast zu Pensch wird in der hier vorgelegten Studie die diskursive Dynamik der Kontroverse, die Antisemitismus hervorbringt, anhand von elf zentralen Motiven dargelegt. Zuletzt veröffentlichten Monika Schwarz-Friesel et al. im Juli 2018 die Ergebnisse der Langzeitstudie »Antisemitismus im www«, die sich mit Antisemitismus im digitalen Zeitalter zwischen 2007 und 2018 befasst und dessen Normalisierung, Radikalisierung und Intensivierung behandelt. In der quantitativen wie qualitativen Studie analysieren die Forschenden, welche Stereotype des klassischen, des Post-Holocaust- und des israelbezogenen Antisemitismus in diversen Bereichen des Internet – darunter in OnlineKommentarbereichen der Qualitätspresse, bei Twitter, Facebook und YouTube, in Blogs, Foren und Ratgeberportalen – auf welche Weise zugänglich gemacht und verbreitet werden.184 Die Textkorpora umfassen sowohl Themen zum Nahostkonflikt und zu Israel als auch die deutsche NS-Vergangenheit, aktuelle politische und religiöse Themen sowie die Veröffentlichung von Ergebnissen der Antisemitismusforschung.185 Die Textkorpora beziehungsweise die antisemitischen Kommentare kristallisieren sich um verschiedene Ereignisse, darunter auch die Veröffentlichung des Kölner Landgerichtsurteils und die Beschneidungsdebatte von 2012. Insbesondere die Analysen des Textkorpus zur Beschneidungskontroverse bestätigen die Ergebnisse dieser Arbeit und untermauern die in dieser Studie herausgearbeiteten antisemitischen Motive quantitativ. Die Forschenden zeigen, dass in den Online-Kommentaren während der Kontroverse 72,77% klassische Stereotype, 24,34% Post-Holocaust- und 2,89% israelbezogen antisemitische Stereotype vorkommen. Die »Antisemitismen weisen eine exorbitante ____________________ 183 184 185

44

Bechmann/Reiss 2016: 11. Vgl. Schwarz-Friesel 2018: 7. Vgl. ebd.: 9.

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

Dominanz klassischer Stereotype auf«186, die etwa daraus bestehen, Juden Kindesmisshandlung, Rückständigkeit, Fremdheit/Andersheit, Skrupellosigkeit und Holocaustausbeutung vorzuwerfen.187 Hervorzuheben ist ergänzend folgender Aspekt: Schwarz-Friesel et al. betonen, dass 139 der insgesamt 1.119 Kommentare zur kulturell-religiösen Vorhautbeschneidung ein israelfeindliches Konzept aufweisen, obwohl das Thema »keinen semantischen Bezug zum Nahostkonflikt oder zu Israel« hat.188 Dieser Umstand wurde in der hier vorliegenden Studie nicht weiter aufgegriffen, da in der medialen Berichterstattung und in den narrativen Interviews die Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen wenige Bezüge zu Israel formulierten. Konträr dazu betont Schwarz-Friesel eine »Israelisierung der Semantik«189. Die Beschneidungskontroverse stehe für ein öffentliches Ereignis, bei dem sich in den Kommentaren »israelfeindliche Konzepte mit klassischem Judenhass« verbinden.190 Die angeführten Beiträge nähern sich dem Verhältnis von Antisemitismus und der Ablehnung von kulturell-religiösen Vorhautbeschneidungen durch verschiedene Zugänge, wobei die Forschenden unterschiedliche Definitionen des Antisemitismus verwenden. Dies verwundert nicht, da unzählige Definitions- beziehungsweise Theoretisierungsversuche des Antisemitismus existieren, die verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen wie der Geschichts- und Politikwissenschaft, Soziologie, Sprach- und Medienwissenschaft sowie der Psychoanalyse entstammen. Zudem lassen sich die Theoretisierungsversuche nicht auf einen Forschungs- und Methodenansatz beschränken.191 Der Sozialpsychologe Andreas Zick formulierte in diesem Zusammenhang, dass es keine Konsensdefinition des Antisemitismus gibt, da »die eine Definition das Verhalten oder gesellschaftliche Strukturen, und die andere Definition Mentalitäten oder Diskurse«192 umfasst. ____________________ 186 187 188 189 190 191 192

Ebd.: 20. Vgl. ebd.: 21. Ebd.: 26. Ebd.: 21. Ebd. Vgl. Salzborn 2010: 20ff.; vgl. Schwarz-Friesel/Friesel/Reinharz 2010: 9; vgl. Benz 2001: 137ff. Zick 2010: 227, Schreibweise i. Orig.

45

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

Während Voß bereits eine Debatte, in der Stimmen von Juden/Jüdinnen übergangen werden und kein Interesse an ihren Perspektiven existiert, als antisemitisch charakterisiert193 und damit einen weiten Antisemitismusbegriff gebraucht, findet Pensch – trotz der Verwendung einer sinnvollen Definition – keine antisemitischen Muster in der Kontroverse. Beide Definitionen des Antisemitismus, weder die weite von Voß noch die abstrakte von Pensch (Antisemitismus als »Feindseligkeit gegenüber Juden als Juden«), sind dafür geeignet, komplexe und subtile Ausdrucksformen des Antisemitismus zu analysieren. Für die Studie hat diese Erkenntnis zur Folge, dass die Kontroverse nicht mit einer abstrakten Antisemitismusdefinition analysiert wird, sondern anhand von verschiedenen Motiven und Topoi. Durch diese kann antisemitisches Denken fundiert entschlüsselt und analysiert werden, gerade im Vergleich zu einem abstrakten Antisemitismusbegriff, der oftmals nicht anwendungsbezogen ausfällt. Einen solchen Zugang in der Analyse wählten bereits Gilman, Hödl und Silverman mit Bezug auf Beschneidungskontroversen und Schwarz-Friesel/Reinharz mit Blick auf die Sprache der Judenfeindschaft insgesamt.194 Auch der Sammelband Antisemitismus. Vorurteile und Mythen aus den 1990er Jahren, den der Historiker Julius Schoeps und der Kulturwissen-schaftler Joachim Schlör herausgaben, stellt »Bilder der Judenfeindschaft«195 ins Zentrum, um Antisemitismus zu analysieren. Demgemäß wird ein allgemeinerer Forschungsstand zu Antisemitismus an dieser Stelle nicht weiter vertieft, sondern gegenstandsbezogen im Zusammenhang mit den einzelnen Motiven aufgegriffen und so an das Datenmaterial rückgebunden. Auf die jeweiligen theoretischen Hintergründe der Antisemitismusforschung wird dann eingegangen, wenn die einzelnen (antisemitischen) Motive beschrieben werden. Die Theoretisierung des Antisemitismus ist so direkt an die Analyse der Motive gebunden. Konkret bedeutet dies, Forschungen zum schuldreaktiven Antisemitismus werden dargelegt, wenn analysiert wird, wie Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen über den Nationalsozialismus und die Shoah sprechen; Forschungen über antisemitische Vorstellungen einer jüdischen Weltverschwörung fallen ins Gewicht, wenn Äußerungen von Protagonisten/Protagonistinnen analysiert werden, die kritisieren, Juden übten einen ____________________ 193 194 195

46

Vgl. Voß 2017b: 3, 6f. Vgl. Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 115ff. Schoeps/Schlör 1997: 5.

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

illegitimen Druck auf »die Politiker« aus, die Beschneidung in einem Gesetz zu legalisieren.196 2.2.

Erkenntnisinteresse und Fragestellung

In der vorliegenden Studie sollen die bisher dargelegten Untersuchungen zum Verhältnis von Antisemitismus und der Ablehnung von kulturell-religiösen Vorhautbeschneidungen auf der Grundlage eines größeren Textkorpus sowie neuen Datenmaterials (den narrativen themenzentrierten Interviews mit Beschneidungsgegnern und einer Beschneidungsgegnerin) präzisiert, vertieft und erweitert werden. Die nur spärlich vorhandene Forschungsliteratur zur zeitgenössischen Beschneidungskontroverse ist also Ausgangspunkt und Anlass für die vorliegende Studie zugleich. Der Forschungsgegenstand ist die in deutschen Tages- und Wochenzeitungen geführte Kontroverse um kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen von Säuglingen/Jungen, die ihren Höhepunkt zwischen Juni 2012 und Dezember 2012 hatte. Sie entspann sich, nachdem das Urteil des Kölner Landgerichts vom 7. Mai 2012, das die religiöse Vorhautbeschneidung eines muslimischen Jungen zu einer strafbaren Körperverletzung erklärte, öffentlich geworden war. Es geht in dieser Untersuchung darum, auf welche Art und Weise die unterschiedlichen Akteure/Akteurinnen im öffentlich-medialen Diskurs über die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung von männlichen Säuglingen/Jungen, über Juden, das Judentum und das Jüdische sprechen. Von besonderem Interesse hierbei ist, welche Judenbilder in der deutschen Kontroverse um kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen zum Ausdruck kommen und wie sich diese zu antisemitischen Ressentiments197 verhalten.

____________________ 196 197

Siehe hierzu 4.7. Die Rhetorik der Verschwörung. Die Abgeordneten des Bundestages unter »jüdischem Druck«. In Anlehnung an Schwarz-Friesel/Friesel und Ranc wird der Begriff des antisemitischen Ressentiments und nicht der des Vorurteils verwendet, womit sich von einem Teil der deutschsprachigen Antisemitismusforschung abgegrenzt wird, der die Begriffe Ressentiment und Vorurteil synonym verwendet. Ressentiments verweisen auf einen emotionalen Zustand (vgl. Schwarz-Friesel/Friesel 2012: 35; vgl. Schwarz-Friesel 2013a: 993; vgl. Schwarz-Friesel 2015b: 38ff.). Der Begriff habe analytisch das größere Potenzial, da sich in ihm »Affekte und Kog-

47

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

Für die Analyse ist bedeutsam, inwiefern ein homogenisierendes und essenzialistisches Verständnis vom Judentum, von Juden und dem Jüdischen vorliegt. Zudem geht es um die Frage, wie Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen über kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen und über Juden sprechen, die ihre Söhne beschneiden lassen. Es wird in den Blick genommen, welche Bilder Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen von Juden, dem Judentum und dem Jüdischen haben und inwiefern sie Juden – obwohl diese selbst Deutsche sind und/oder in der deutschen Gesellschaft leben – von Deutschen abgrenzen und ausgrenzen. Um diese Bilder zu identifizieren, ist zu bestimmen, wann überhaupt von konkreten jüdischen Subjekten gesprochen wird und wann abstrakt und unkonkret von »bestimmten Religionen«, »Religionsgemeinschaften« und »religiösen Gründen« die Rede ist. Ferner stehen die Fragen, welche Rolle religiöse Zuschreibungen – als jüdisch – in der Kontroverse haben und wie genau das Verhältnis zwischen Judenbildern und Selbstbildern sowie den identitätsbestimmenden Haltungen der Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen aussieht, im Fokus der Analyse. Es geht also nicht nur um die Äußerungen pro und contra kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung, sondern auch und besonders darum, zu analysieren, welche antisemitischen Motive, Topoi und Stereotype sich in der Kontroverse finden. Das Ziel der Untersuchung ist, die zentralen Motive der Kontroverse herauszuarbeiten. In der Analyse der Motive ist von Interesse, wie antisemitisches Denken und Fühlen198 in den diskursiven Kontext der Kontroverse eingebettet ist ____________________

198

48

nitionen« niederschlagen (Ranc 2016: 19, Herv. i. Orig.). Damit könne das synergetische beziehungsweise psychodynamische Zusammenspiel in den Fokus rücken, wodurch die projektive Dimension des Antisemitismus deutlich werde (vgl. Schwarz-Friesel/Friesel 2012: 35). Der Begriff Vorurteil sei hingegen eine ausschließlich »kognitive Kategorie«, welche die Dimension der Affekte unterbelichte (Ranc 2016: 25). Emotionen werden in der Beschneidungskontroverse in vielfacher Hinsicht verhandelt und sichtbar. Verhandelt werden sie unter anderem durch Rationalisierungen, die sich in Selbst- und Fremdzuschreibungen ausdrücken. So beschreiben sich Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen als mitfühlend und empathisch mit den »wehrlosen Kindern«, Juden und Muslime (die ihre Söhne beschneiden lassen) markieren sie im Gegensatz als gefühllos, wenn sie ihnen vorwerfen, »empathielos«, »grausam« und »unmenschlich« zu sein. Emotionen kommen aber auch zum Ausdruck, wenn Akteure/Akteurinnen sich selbst als

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

und inwiefern sich beschneidungskritische nicht-antisemitische Äußerungen von solchen abgrenzen lassen, die beschneidungskritisch und antisemitisch sind. Die Frage danach, wie die Grenze zwischen einer sachlichen Kritik an Vorhautbeschneidungen und antisemitischen Ressentiments verläuft, gibt Aufschluss darüber, wie genau die spezifischen Artikulationsformen des gegenwärtigen Antisemitismus in der Kontroverse um Vorhautbeschneidungen überhaupt aussehen und auf welche antisemitischen Motive und Ressentiments sie sich stützen. Für die Analyse der antisemitischen Bilder sind wiederum besonders die impliziten und expliziten Sinngehalte der Kontroverse von Relevanz. Es geht also darum, den Kontext zu betrachten, in den sich antisemitische Motive einfügen und einpassen. Zu untersuchen ist, wie Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen etwa über die Vorhautbeschneidung selbst, ihre Folgen für den Jungen- und Männerkörper (auch im Hinblick auf die Sexualität), über jüdische Eltern sowie über Demokratie, Gesellschaft und Politik sprechen. Es bedarf sowohl der Analyse, welche antisemitischen Bilder in der Kontroverse zum Ausdruck kommen, als auch der Begründung, warum diese Argumentationen als antisemitisch gewertet werden können. Dabei zeigt sich vielfach, dass Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen in der öffentlich geführten Kontroverse in Tageszeitungen etwa implizit äußern, die Vorhautbeschneidung (der Akt) sei eine nicht gerechtfertigte religiöse Verletzung. Sie drücken wenig explizit aus, Juden (konkrete Subjekte) vollzögen eine »Verstümmelung«. Die Schlussfolgerung, dass Juden eine »Verstümmelung« vollzögen, weil sie ihre Söhne beschneiden ließen und/oder an der Praxis der Vorhautbeschneidung festhielten, liegt also bei ____________________ sachlich und vernunftorientiert ansehen, anderen Akteuren/Akteurinnen (oftmals Juden und Muslimen) hingegen unterstellen, (zu) emotional auf das Urteil des Kölner Landgerichtes zu reagieren und mit »Kritik« nicht umgehen zu können (»die Holocaustkeule« schwingen). In den Interviews zeigen sich Emotionen unter anderem dadurch, dass die Interviewten lauter und/oder schneller reden, einzelne Worte betonen oder Worte mehrmals und in verstärkender Weise benutzen. Zuletzt geht es um Gefühle wie etwa Verunsicherung und Angst, wenn sich Juden/Jüdinnen und Muslime/Muslimas durch das Beschneidungsurteil und den Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus in der Kontroverse in ihrer Existenz bedroht und ausgegrenzt fühlen (vgl. Öktem 2013: VIIIff.; vgl. Zick/Hövermann/Jensen/Bernstein 2017: 45ff.). Gerade letztere Komponente wird in der Studie jedoch nicht untersucht.

49

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

den Rezipienten/Rezipientinnen vieler Artikel in Tageszeitungen. Vor diesem Hintergrund ist besonders zu analysieren, wie der Antisemitismus durch Interaktion entsteht und dynamisch wird. Denn er ist aus zahlreichen Texten eigentlich ausgelagert und wird durch die Lesenden erbracht und »über zu ziehende Schlussfolgerungen vermittelt«199, die in den Texten angedeutet werden. So kommt es, dass in der öffentlichen Kontroverse nur implizit eine politische Mobilisierung gegen Juden/Jüdinnen und sehr viel stärker eine politische Mobilisierung gegen eine Praxis, die Juden vollziehen, stattfindet. Auf diese Weise ist die Kontroverse offen für Menschen, die antisemitisch denken und fühlen. Die Rezipienten/Rezipientinnen, die antisemitisches Denken aufweisen, ziehen den für sie naheliegenden Schluss: Juden vollzögen eine ungerechtfertigte Verletzung, wenngleich die Botschaft des Artikels aus der Tageszeitung etwa lediglich besagt, die Vorhautbeschneidung sei eine nicht gerechtfertigte Verletzung. Die Kontroverse sagt mehr über nichtjüdische Perspektiven auf Unbekanntes, Unvertrautes und den Umgang mit diesem fremd Gemachten in der Gegenwart aus als über die Vorhautbeschneidung selbst.200 Die Ursache der Kontroverse ist nicht die von Juden/Jüdinnen und Muslimen/Muslimas praktizierte Vorhautbeschneidung, die seit vielen Jahrhunderten stattfindet. Vielmehr ist eine Ursache etwa in dem Bedürfnis der Teilnehmer/Teilnehmerinnen der Kontroverse zu sehen, die Vorhautbeschneidung als Praxis abzugrenzen, abzulehnen und als unzeitgemäß zu konzeptualisieren und eine Differenz zwischen sich selbst und den Juden hervorzubringen. Denn die Maßstäbe, mit denen die untersuchten Akteure/Akteurinnen die Vorhautbeschneidung messen und bewerten, sind die ihren, auch wenn sie suggerieren, nur eine Differenzbeobachtung zu machen, ohne selbst die Abgrenzung zwischen der eigenen und einer Praktik der jüdischen und muslimischen Lebensweise herzustellen. Das Anliegen, Juden auf Basis der Vorhautbeschneidung als nicht dazugehörigen Teil der Gesellschaft zu markieren, ist ein Grund. Damit folgt die Studie einem psychoanalytisch orientierten Verständnis von Antisemitismus, das ihn nicht anhand des tatsächlichen Verhaltens von Juden/Jüdinnen rekonstruiert, da Antisemiten/Antisemitinnen ihr (antisemitisches) Denken und Fühlen nicht auf Erfahrungen mit Juden/Jüdinnen ____________________ 199 200

50

Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 128; vgl. Betzler/Glittenberg 2015: 54. Vgl. Bodenheimer 2012a: 14; vgl. Kermani 2012a und 2012b.

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

gründen.201 Antisemitismus ist folglich weder als »ein spontanes Ressentiment vor dem Hintergrund realer Schwierigkeiten des Zusammenlebens von Juden und Nicht-Juden« zu beschreiben, noch als eine emotional und ideologisch »aufgeladene Reaktion auf einen realen Konflikt«202 zu verstehen. Vielmehr geht es, wie es der Schriftsteller und Philosoph Jean-Paul Sartre auf den Punkt brachte, darum, wesentlich auf »die Idee vom Juden«203 zu fokussieren, denn »existierte der Jude nicht, der Antisemit würde ihn erfinden«204. In der folgenden Analyse ist die Antisemitismuskonzeption der Soziologin Helen Fein relevant. Sie schreibt 1987 in ihrem Aufsatz Dimensions of Antisemitism: »I propose to define antisemitism as a persisting latent structure of hostile beliefs toward Jews as a collectivity manifested in individuals as attitudes, and in culture as myth, ideology, folklore, and imagery, and in actions – social or legal discrimination, political mobilization against the Jews, and collective or state violence – which results in and/or is designed to distance, displace, or destroy Jews as Jews. (Herein, it is assumed that Jews are people who are socially labeled as Jews as well as people who identify themselves as Jews, regardless of the basis of ascription.)«205

Die Definition Feins ist für die vorliegende Studie geeignet, da sie sowohl kollektive wie individuelle Manifestationen des Antisemitismus umfasst und auf der Ebene des Verhaltens auch den Aspekt der politischen Mobilisierung, der in der Kontroverse um Vorhautbeschneidungen bedeutsam war, berücksichtigt. Sie ermöglicht zudem, eine rechtliche Diskriminierung – etwa in Form des Kölner Landgerichtsurteils – zu diskutieren sowie auf die Auswirkungen des Urteils für Juden/Jüdinnen zu fokussieren. Abgesehen davon ist für die Theoretisierung des Antisemitismus relevant, dass Antisemitismus nicht erst beginnt, wenn sich Antisemiten/Antisemitinnen als ____________________ 201 202 203 204

205

Vgl. Salzborn 2010: 62; vgl. Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 57. Scherr/Schäuble 2007: 15. Sartre 1994: 14, Herv. i. Orig. Ebd.: 12. Die Historikerin Franziska Krah macht in ihrer Dissertation »Ein Ungeheuer, das wenigstens theoretisch besiegt sein muß«. Pioniere der Antisemitismusforschung in Deutschland darauf aufmerksam, dass der österreichische Schriftsteller Hermann Bahr bereits in seiner Artikelsammlung von 1893, in der er Antisemitismus analysierte, eine ähnliche Formulierung traf (vgl. Krah 2016: 23). Fein 1987: 67, Herv. i. Orig.

51

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

solche bezeichnen oder deren Aussagen antisemitisch intendiert sind.206 Antisemitismus drückt sich entsprechend nicht nur in antisemitischen Strafund Gewalttaten aus, sondern besonders in Form von emotionaler verbaler Gewalt.207 2.3.

Antisemitismus und (antimuslimischer) Rassismus

Da kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen von Juden/Jüdinnen und Muslimen/Muslimas praktiziert werden, richten sich die Zuschreibungen von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen in der zeitgenössischen Kontroverse nicht nur auf Juden, das Judentum und das Jüdische, sondern auch auf Muslime, den Islam und das Muslimische. Die Tatsache, dass sowohl Vorstellungen von Juden als auch von Muslimen zum Ausdruck gebracht werden, wird für die vorliegende Arbeit als Chance genutzt. Durch den zwangsläufigen Vergleich der Äußerungen über Juden und Muslime werden Spezifika des antisemitischen Denkens und Fühlens herausgearbeitet. Die Spezifika kommen also durch die Differenz und den Kontrast zwischen den versprachlichten Vorstellungen zur Geltung. Zuschreibungen gegenüber Muslimen, dem Islam und dem Muslimischen finden lediglich en passant Erwähnung, was nicht bedeutet, dass es keinen antimuslimischen Rassismus in der Kontroverse gab. Auch eine Hierarchisierung der Betroffenengruppen soll damit nicht einhergehen. Wenn Akteure/Akteurinnen der Kontroverse beispielsweise von religiösen Eltern oder Religionsgemeinschaften sprechen, wird zunächst davon ausgegangen, dass die jeweiligen Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen darunter jüdische und muslimische Eltern oder die jüdische und muslimische Gemeinschaft fassen. Wenn jedoch von Säuglingen und nicht von Jungen, Knaben oder Kindern die Rede ist, wird davon ausgegangen, dass Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen besonders jüdische Säuglinge und Juden meinen; Gleiches gilt etwa, wenn es heißt, die ____________________ 206

207

52

Ranc macht darauf aufmerksam, dass es einen nicht intendierten Antisemitismus, im Sinne von nichtintentional und ahnungslos, eigentlich nicht geben kann, da jegliche sprachliche Äußerung eine Handlung ist, die auf einer Auswahl von Begriffen beruht (vgl. Ranc 2016: 13). Vgl. Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 7ff., 33ff., 103ff.; vgl. Schwarz-Friesel 2017: 2; vgl. Rensmann/Schoeps 2008: 15.

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

Praxis sei 4000 Jahre alt. Die Tatsache, dass es in den meisten Texten um Juden und Muslime geht, an einigen Textstellen und in einigen Interviewpassagen dann aber nur noch Juden oder nur noch Muslime genannt werden, ist insgesamt bedeutsam. Gerade diese Textstellen und Interviewpassagen sind aufschlussreich in der Hinsicht, warum, wann und wie über Juden gesprochen wird und wie spezifische Stereotype des Juden erzeugt werden. Im Ergebnis werden also die Ähnlichkeiten und funktionalen Vermittlungen, besonders aber die Differenzen zwischen Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus in der Kontroverse um Vorhautbeschneidungen herausgearbeitet und beides gerade nicht analog gesetzt. Das bedeutet, die Unterschiede in der Zuschreibung werden analysiert und fortwährend anhand der einzelnen Motive akzentuiert. Zur Folge hat dies, dass in der Darstellung und Diskussion der Motive die Bezeichnung Muslime bisweilen in Klammern steht, weil sich Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen in diesen Fällen besonders auf Juden, das Judentum oder das Jüdische beziehen und/oder sich gegen Juden, das Judentum und das Jüdische richten. Dies ist etwa der Fall, wenn Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen davon ausgehen, der vermeintliche Rechtsbruch werde besonders von Juden begangen, der große Druck auf »die Politik« oder den gesetzgeberischen Prozess sei besonders von Juden ausgegangen. Genau hier wird deutlich, dass antisemitische Zuschreibungen anders funktionieren als rassistische: denn es ist der Zentralrat der Juden in Deutschland, der als allmächtig imaginiert wird, und nicht der Zentralrat der Muslime in Deutschland. Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen sprechen zudem unterschiedlich über Juden und Muslime, wenn es um die Shoah und die nationalsozialistische Vergangenheit geht.208 Zusammenfassend ist also festzuhalten, dass nicht der Vergleich von zwei »repressive[n] Differenzierungskategorien«209, Ideologemen und Diskriminierungspraktiken im Zentrum steht, sondern das Erkenntnisinteresse auf Judenbilder und spezifische Zuschreibungen gegenüber Juden, dem Judentum und dem Jüdischen in der Kontroverse gerichtet ist.

____________________ 208 209

Siehe hierzu 4.2. Gesetz- und Rechtlosigkeit, 4.6. Die »Lektion aus der Nazizeit« und 4.7. Die Rhetorik der Verschwörung. Stögner 2014: 15.

53

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

In die Form der Analyse sind sozialwissenschaftliche Forschungen eingegangen, die das Verhältnis von Antisemitismus und Rassismus beziehungsweise von Antisemitismus und »Islamfeindschaft« zu bestimmen versuchen und auf ideologische Unterschiede der beiden Phänomene eingehen. Seit Beginn der 2000er Jahre gibt es in den Sozialwissenschaften eine theoretische Auseinandersetzung um die Frage, wie das Verhältnis zwischen Antisemitismus und Rassismus zu bestimmen ist.210 Sie stellt, dem Soziologen Detlev Claussen zufolge, eine Reaktion auf die Auffassung dar, beim Antisemitismus handele es sich um »eine Unterabteilung des Rassismus«211. Diese Auffassung verbreitete sich wissenschaftlich nach 1945, da besonders auf das Spezifikum des »Rassenantisemitismus«212 fokussiert wurde. Claussen kritisiert, dass Antisemitismus und Rassismus »nicht identisch« sind, da die Geschichte des (traditionellen) Antisemitismus weiter zurückreicht als die des Rassismus, der erst im Zusammenhang des Biologismus Ende des 19. Jahrhunderts aufgekommen sei.213 Historisch ältere Formen des Rassismus, wie etwa die Kolonisierung Amerikas und die Sklaverei, lässt er unberücksichtigt. Auch der Soziologe Thomas Haury spricht sich 2002 dagegen aus, Antisemitismus als »eine Unter- oder Sonderform«214 eines allgemeineren Rassismus zu charakterisieren und zu verkennen. Zwar fokussiert er nicht speziell auf den antimuslimischen Rassismus, dennoch können seine Ausführungen etwas über die Gegenwart aussagen, da er sowohl den kolonialen als auch den gegenwärtigen kulturalistisch argumentierenden Rassismus in den Blick nimmt. Zwar gibt es funktionale Überlappungen zwischen Antisemitismus und Rassismus, so Haury, die Unterschiede sind aber gewichtiger und fundamentaler, da dem »jeweiligen ‚Anderen‘ völlig konträre Attribute«215 zugeschrieben werden. Nur Juden stehen beispielsweise für »eine Weltverschwörung«, die Herrschaft über

____________________ 210 211 212 213 214 215

54

Vgl. Holz 2000: 277ff.; vgl. Haury 2002: 116ff.; vgl. Grigat 2007: 310ff.; Salzborn 2010: 322. Claussen o.J. (ohne Jahr) Ebd. Für Claussen ist die Unterscheidung zwischen traditionellem und modernem Antisemitismus bedeutsam, da er den Begriff des Antijudaismus ablehnt, der nahelege, sich »gegen das jüdische Volk« zu richten (ebd.). Haury 2002: 120. Siehe hierzu auch Holz 2000: 277ff. Haury 2002: 121.

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

Banken, »die verunsichernde moderne Gesellschaft, die Macht ihrer abstrakten Zwänge«, eine »hohe, aber verschlagene Intelligenz«, oder aber »Krankheit, zersetzende Intellektualität, Künstlichkeit, sagenhafte Macht und kalte Berechnung«216. Im Antisemitismus verkörpert allein der Jude die kapitalistische Moderne, er ist »verantwortlich für all deren Zwänge, Zumutungen, Krisen und Vereinzelung. Der Antisemitismus konstruiert somit das absolut Negative, ein genuin feindliches Antiprinzip. Hiervon verheißt die antisemitische Ideologie Erlösung, sie läuft gemäß ihrer eigenen Logik auf die Vernichtung zu.«217

Der Rassismus hingegen geht davon aus, dass die als »minderwertig« und »unzivilisiert« erklärten »Untermenschen«218 beherrschbar und unterdrückbar seien. In diese Richtung argumentiert auch der Politikwissenschaftler Stephan Grigat, wenn er betont, im Rassismus richtet sich das bürgerliche Subjekt – das seine Identität erlangen will, es aber nicht aus sich selbst heraus schafft, sondern dazu einer Abgrenzung bedarf – gegen die »Unwertigen«219. Der Antisemitismus hingegen stellt sich gegen die »Überwertigen«220, allmächtigen und abstrakten Juden. Eine ähnliche Überlegung findet sich auch bei der Erziehungswissenschaftlerin Astrid Messerschmidt in ihrem Aufsatz Postkoloniale Selbstbilder in der postnationalsozialistischen Gesellschaft von 2016. Allerdings entwickelt Messerschmidt ihre Argumentation vor einem anderen Hintergrund als Haury, der über Grundstrukturen des antisemitischen Weltbildes Ende des 19. Jahrhunderts schreibt, und Grigat, der die Analyse des Antisemitismus auf Basis Marx’scher Ökonomiekritik rekapituliert.221 Messerschmidt dagegen umreißt einerseits, wie »Gedächtnisbildungsprozesse«222 zur Kolonialgeschichte in Deutschland gestaltet werden können und mit welchen Herausforderungen sie konfrontiert sind. Andererseits setzt sie sich mit den jeweiligen Besonderheiten in den Herrschaftspraktiken des Natio-

____________________ 216 217 218 219 220 221 222

Ebd.: 121f. Ebd.: 122. Ebd.: 120. Grigat 2007: 313. Ebd. Vgl. Haury 2002: 25ff.; vgl. Grigat 2007: 273ff. Messerschmidt 2016: 24, 27.

55

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

nalsozialismus und des Kolonialismus auseinander und beschreibt Unterschiede hinsichtlich der geschichtlichen Ausprägungen und Begründungen zwischen modernem Antisemitismus und Kolonialrassismus. Zwar konstatiert sie, beide sind zugleich »Ausdruck von kulturellen Identitätsvergewisserungen« und »überlegenen Selbstbild[ern]«223, die bis in die postnationalsozialistische und postkoloniale Gegenwart nachwirken. Zugleich sind die Positionen, die dem »hierarchisch definierten und fremd gemachten Anderen« zugeschrieben werden, jedoch unterschiedlich besetzt: Für den modernen Antisemitismus ist die Vorstellung bestimmend, Juden seien ein »zersetzende[s] Element« im Inland, minderwertig und zugleich mächtig und deshalb gefährlich. Im Kolonialrassismus hingegen wurden die Fremden exterritorialisiert. So wurde »dem europäischen Subjekt« die Gelegenheit geboten, »sich selbst als zivilisiert und aufgeklärt zu stilisieren« und als überlegen zu positionieren.224 Die Europäer konnten sich als Sieger der verachteten Kolonisierten betrachten. Im Antisemitismus hingegen imaginierten sie sich »spiegelbildlich zum kolonialen Diskurs« als »ehrlich und uneigennützig« und »als Opfer«, das von Juden »beherrscht und ausgebeutet« wurde225. Weiter führt sie aus: »Zu Wohlstand gekommen zu sein, verdankt sich in diesem Selbstkonzept produktiver Arbeit und nicht den kolonialen Eroberungs- und Ausbeutungsstrategien. Das europäische Subjekt hat demzufolge alle Errungenschaften sich selbst zu verdanken. Dieses Selbst ist mit sich selbst im Reinen, weil es eine Projektionsfläche für alles Unreine gefunden hat. Die Ausbeutung anderer gilt ihm als moralisch verwerflich und wird den Juden zugeschrieben, die weniger das Verachtete, sondern das Bedrohliche repräsentieren.«226

Im weiteren Verlauf argumentiert Messerschmidt mit einer großen Sensibilität für die Virulenz des alltäglichen (sekundären) Antisemitismus bei gleichzeitiger Wahrnehmung des Rassismus in der postkolonialen und postShoah Gesellschaft. Sie lehnt Gedächtniskonkurrenzen ab und warnt vor der verzerrten Wahrnehmung von postkolonialen Initiativen – ohne sie direkt zu nennen –, die das Gedenken an die Shoah durch eine »erfolgreich

____________________ 223 224 225 226

56

Ebd.: 26. Ebd. Ebd. Ebd.

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

aufgearbeitete Geschichte gekennzeichnet« sehen und im Gegensatz annehmen, die Kolonialgeschichte in der deutschen Erinnerungskultur sei »weitgehend unthematisiert«227 geblieben. Um ein kollektives Gedächtnis kolonialer Geschichte etablieren zu können, müsse vielmehr der fragile und dauerhaft gefährdete Ort des Gedächtnisses an die Shoah wahrgenommen werden. Das habe zur Folge, des gesellschaftlich allgegenwärtigen Abwehrverhältnisses gegenüber dem Nationalsozialismus und der Shoah gewahr zu werden, das auch nach der Transformation »von der Abwehr der Schuld hin zu ihrer Anerkennung«228 weiter existiert. Insgesamt sollte kritische Erinnerung auf das Nachwirken der ideologischen Muster und die Nachgeschichte von Kolonialismus sowie Nationalsozialismus und Shoah fokussieren.229 Zu Beginn der 2000er Jahre, als sich das Feindbild gegen Muslime gesellschaftlich ausbreitete und nicht mehr besonders in extrem rechten und rechtspopulistischen Bewegungen und Parteien vorkam, erlangte die Diskussion um die Vergleichbarkeit von Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus erneuten Aufschwung.230 Diese Entwicklung hat zur Folge, dass Antisemitismusforscher/Antisemitismusforscherinnen den spezifischen antimuslimischen Rassismus und Antisemitismus miteinander vergleichen und herausarbeiten, inwiefern sich die Diskriminierungsformen ideologisch entsprechen.231 Einen solchen Vorstoß unternahm 2008 etwa der Historiker und langjährige Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung in Berlin, Wolfgang Benz. In Feindbild Muslim – Feindbild Jude betont er, dass eine »Stimmung gegen Muslime« beziehungsweise Islamfeindschaft durch Stereotype und Konstrukte erzeugt werde, »die als Instrumentarium des Antisemitismus geläufig sind«232. Er plädiert für die vergleichende Betrachtung von Feindbildern und betont, die »Wut der Muslimfeinde« sei »dem alten Zorn der Antisemiten […] ähnlich«233, ebenso wie ____________________ 227 228 229 230 231 232 233

Ebd.: 29. Ilka Quindeau zit. n. Messerschmidt 2016: 30. Vgl. Messerschmidt 2016: 33ff. Vgl. Botsch/Glöckner/Kopke/Spieker 2012: 2. Vgl. Müller 2009: 25. Benz 2009: 9f. Ebd.: 10.

57

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

Verschwörungsfantasien.234 Auch die Historikerin Juliane Wetzel sieht zwischen Antisemitismus und »Islamfeindschaft«235 Parallelen, wenngleich sie eine Gleichsetzung beider Phänomene ablehnt, sondern für einen Vergleich der »Strukturen und Muster von Vorurteilen«236 plädiert. Unter Islamfeindschaft versteht sie eine »generalisierende Negativ-Projektion auf ‚die Muslime‘ bzw. ‚den Islam‘«237. Im 15. Jahrhundert seien sowohl Juden als auch Muslime in Europa Verfolgungen ausgesetzt gewesen. Beiden sei vorgeworfen worden, sich der Integration in die Gesellschaft zu verweigern.238 Sowohl Juden als auch Muslime »werden nicht als Teil der Gesellschaft akzeptiert, sie dienen als Projektionsfläche, als Sündenböcke für wirtschaftliche und soziale Krisen, für Globalisierungsängste und als Gegenkonstrukt eines christlichen Abendlandes und dessen ‚Leitkultur‘.«239

Antisemitismus und Islamfeindschaft umfasse mehr als reine Vorurteile oder Vorurteilsstrukturen, beide seien irrational, verschwörungstheoretisch und nicht an reale Menschen und deren Verhalten gebunden, beides basiere nicht auf tatsächlicher Erfahrung. Weiter seien Juden und Muslime kein homogenes Kollektiv, würden aber gesellschaftlich als solches vorgestellt und auf diese Weise fremd gemacht.240 Auch die absichtliche Fehlübersetzung von religiösen Texten, die Schändung von Friedhöfen und Angriffe auf Moscheen, die Ablehnung der Vorhautbeschneidung sowie die damit verbundene Vorstellung einer abartigen Sexualität könne als Vergleichsmoment

____________________ 234

235 236

237 238 239 240

58

Ausgangspunkt seines Vergleiches sind zwei Schriften des Antisemiten Karl Wilhelm Friedrich Grattenauer sowie Johann Andreas Eisenmenger aus dem 18. Jahrhundert sowie zeitgenössische Publikationen des islamfeindlichen Autors Udo Ulfkotte und der rechten Wochenzeitung Junge Freiheit (vgl. ebd.: 13ff.). Wetzel verwendet auch den Begriff der Islamfeindlichkeit (vgl. Wetzel 2012b: 82). Ebd.: 83, 91. Auch der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik hält einen Vergleich für zulässig und geboten und vergleicht in seinem Beitrag unter anderem Texte von Heinrich von Treitschke, Thilo Sarrazin und Helmut Schmidt. Er kommt zu dem Ergebnis, dass es semantische Überschneidungen zwischen beidem gibt (vgl. Brumlik 2012c: 79). Wetzel 2012b: 82. Vgl. ebd.: 83f. Ebd.: 82. Vgl. ebd.: 85ff.

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

des Antisemitismus und der Islamfeindschaft herangezogen werden.241 Neben den Gemeinsamkeiten gebe es aber auch Unterschiede in den Zuschreibungen, etwa wenn Juden ein weltweiter politischer und ökonomischer Einfluss unterstellt werde, Muslimen hingegen eine demografische Übermacht.242 Doch auch wenn die jüdische und muslimische Minderheit in Deutschland derzeit »komplexen Formen von offener und subtiler Anfeindung ausgesetzt«243 ist, regten sich Vorbehalte und Widerspruch gegenüber dem Sinn und Zweck solcher Vergleiche von Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus beziehungsweise Islamfeindlichkeit/Islamophobie.244 Die Linguistin Monika Schwarz-Friesel und der Historiker Evyatar Friesel warnen 2012 in dem Aufsatz »Gestern die Juden, heute die Muslime…«? vor falschen Analogien zwischen beiden Phänomenen und argumentieren, ein Vergleich berge die Gefahr, beides nicht angemessen erklären zu können.245 Antisemitismus sei unikal und stelle nicht nur »ein Vorurteilssystem unter vielen«246 dar, sondern bestehe aus einem irrationalen und konzeptuell geschlossenen Weltbild. Gerade im 19. Jahrhundert sei Antisemitismus auf allen gesellschaftlichen Ebenen des Kaiserreiches anzutreffen gewesen und quantitativ wie qualitativ »ungleich intensiver als das, was heute an Muslimfeindschaft anzutreffen ist, dass jedwede Parallele unverständlich erscheint«247. Weiter unterscheiden sie die institutionelle Verankerung des Antisemitismus im 19. Jahrhundert und der gegenwärtigen Islamfeindschaft. Letztere ließe sich weniger in politischen Institutionen der modernen Gesellschaft verorten, sondern besonders in der politischen Rechten, wobei sie strukturellen Rassismus ausblenden. Sie argumentieren, Islamfeind-

____________________ 241 242 243 244

245 246 247

Vgl. ebd. : 100f. Vgl. ebd.: 90. Botsch/Glöckner/Kopke/Spieker 2012: 7. Luzie Kahlweiß und Samuel Salzborn kritisieren den Begriff Islamophobie als analytische Kategorie, da er einen propagandistischen Anteil habe und insbesondere von Organisationen verwendet werde, die dem politischen Islam zuzurechnen sind und berechtigte Kritik am Islam unterbinden (vgl. Kahlweiß/Salzborn 2012: 58ff.). Vgl. Schwarz-Friesel/Friesel 2012: 42. Ebd.: 36; vgl. Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 84f. Schwarz-Friesel/Friesel 2012: 40.

59

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

schaft entstehe durch einen Prozess der Übergeneralisierung. Darunter verstehen sie, dass aus einzelnen Sachverhalten oder Ereignissen auf das Ganze geschlossen werde und pauschale und unzulässig ausgeweitete Urteile getroffen werden.248 Als Beispiel nennen sie etwa die Anschläge vom 11. September 2001 sowie Terroranschläge islamistischer Fundamentalisten, die in Deutschland erst dazu geführt hätten, dass eine gesellschaftliche »Furcht« gegenüber dem Islam und Muslimen – als Reaktion – entstanden sei.249 Der Antisemitismus hingegen habe keine empirische Basis und basiere nicht auf Übergeneralisierung, sondern auf Projektion und Konstruktionen. Gerade die Verschwörungsfantasien seien »reine Fiktionen«250. Gegen eine Gleichsetzung der beiden Phänomene argumentiert 2017 auch der Historiker Volker Weiß. Allerdings verwendet er nicht die Terminologie antimuslimischer Rassismus, sondern spricht explizit von der Feindschaft gegen den Islam. Es sei unzutreffend, den Antisemitismus der 1930er Jahre mit der gegenwärtigen Feindschaft gegenüber dem Islam gleichzusetzen, da sich »die Rahmenbedingungen des Islam heute […] fundamental von der Situation der Juden am Vorabend des Nationalsozialismus«251 unterscheiden. Mit Bezug auf den Charlie Hebdo-Chefredakteur Stéphane Charbonnier, der 2015 von Islamisten ermordet wurde, zählt er mehrere Aspekte auf, die die Nichtvergleichbarkeit verdeutlichen: In den 1930er Jahren habe es keinen internationalen Terrorismus gegeben, »der sich auf das orthodoxe Judentum stützte«, keine »jüdische[n] Dschihadisten«, die ein »Pendant zur Scharia« einführen wollten, und auch keinen »Rabbiner namens Bin Laden«252, der einen Befehl für einen Terroranschlag gab. Zudem biete der Antisemitismus ein »viel dichteres Weltbild zu einer Abwehr der Aufklärung«. In vergleichender Perspektive führt er aus: »Niemand käme auf die Idee, dem Islam die Schuld an Fortschritt, Säkularisierung, Frauenemanzipation, Kulturindustrie, Marxismus und Liberalismus zu geben, also allen von der Rechten als schädlich reklamierten Begleiterscheinungen der universalistisch ausgerichteten Moderne. Mit den Negativmerkmalen des ‚ortlos‘ und ‚destruktiv‘ zirkulierenden Kapitals werden ausschließlich Juden von Antisemiten gleichgesetzt. Der Aufstieg des Islam zur Bedrohung gilt als Folgeerscheinung des

____________________ 248 249 250 251 252

60

Vgl. ebd.: 41. Ebd.: 42. Ebd. Weiß 2017: 226. Ebd.

2. Forschungsstand und methodischer Zugang Universalismus, während im Judentum vom Antisemiten seine unmittelbare Gestalt gesehen wird.«253

Die Analyse von Schwarz-Friesel/Friesel und Weiß hebt Alleinstellungsmerkmale des historischen wie gegenwärtigen Antisemitismus hervor. Dabei scheint der Aspekt einer Konkurrenz zwischen Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus, der etwa darin liegt zu konstatieren, Antisemitismus sei in seiner Wirkungsweise »intensiver« oder weiter verbreitet, nicht notwendig. Denn um zu argumentieren, dass es ideologische Unterschiede zwischen beiden gibt, braucht es keine Hierarchisierung von Diskriminierungen. Dies würde auch subjektiven Diskriminierungserfahrungen nicht gerecht werden. 2.4.

Das empirische Datenmaterial

Im Folgenden wird das Datenmaterial der vorliegenden Untersuchung charakterisiert. Es besteht erstens aus wissenschaftlichen Texten von Beschneidungsgegnern254, zweitens aus Artikeln in Tages- und Wochenzeitungen während der öffentlichen Kontroverse nach dem sogenannten Beschneidungsurteil von 2012, dazugehörigen exemplarischen Online-Kommentaren von Lesenden (die unter den jeweiligen Artikeln veröffentlicht wurden), zwei Internet-Blogs sowie drittens aus themenzentrierten Interviews mit zentralen Akteuren und einer Akteurin der Beschneidungskontroverse.

Textsorte

Zeitraum

Artikel aus Tages- und Wochenzeitungen FAZ, taz, SZ, DIE ZEIT, Jüdische Allgemeine Artikel aus Tages- und Wochenzeitungen FAZ, SZ, FR, taz, FAS und DIE ZEIT

1998 – 2011

26. Juni 2012 – 31. Dezember 2012

____________________ 253 254

Ebd.: 227. Da die Texte ausschließlich von Männern geschrieben wurden, wird nur die männliche Form verwandt. Siehe hierzu Kapitel 3. Polarisierende Auseinandersetzungen.

61

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

Themenzentrierte narrative Interviews Online-Kommentare u.a. von faz.de, taz.de, zeit.de, verfassungsblog.de Blogbeiträge von Zwangsbeschneidung.de Blogbeiträge und OnlineKommentare von Der Honigmann sagt

26. Mai 2014 – 12. November 2014 26. Juni 2012 – 31. Dezember 2012

2012 – 2015 2012

Als konkretes Datenmaterial werden zuerst die wissenschaftlichen Publikationen aus Medizin, Psychoanalyse und Rechtswissenschaft aufgeführt. Sie erfüllen für die vorliegende Studie zwei Funktionen. Auf der einen Seite geben sie fachliche Informationen über die Vorhautbeschneidung. Aus medizinischen Publikationen ist etwa zu erfahren, mit welchen medizinischen Instrumenten und wie eine Vorhautbeschneidung durchgeführt und was genau von der Vorhaut des Penis abgeschnitten wird. Zudem verdeutlichen die Veröffentlichungen, welche verschiedenen Operationstechniken es gibt und welche Risiken mit einer Vorhautbeschneidung verbunden sind und sein können. Die psychoanalytischen Publikationen geben einen Einblick über die Möglichkeiten bei der psychischen Verarbeitung eines körperlichen Eingriffs, der im Säuglings- oder frühkindlichen Alter durchgeführt wird. Zudem gehen sie der Frage nach, wie sich einige Betroffene mit der Erfahrung, beschnitten worden zu sein, fühlen. Den rechtswissenschaftlichen Publikationen kann unter anderem entnommen werden, wie medizinische körperliche Eingriffe zu bewerten sind, wie die Vorhautbeschneidung vor dem Kölner Landgerichtsurteil juristisch bewertet wurde und welche Rechte in Betracht kommen, um die Rechtmäßigkeit einer Vorhautbeschneidung abzuwägen. Zusammengenommen erklären mir die Texte also gewissermaßen als fachfremder Politikwissenschaftlerin die Thematik rund um die Vorhautbeschneidung. Auf der anderen Seite strahlen die Publikationen, die die wissenschaftliche Sphäre der Kontroverse darstellen, auf den zweiten Teil des Datenmaterials aus, das im Kapitel 4. Wiederkehrende Motive in den Blick genommen wird. Denn es gilt zu beachten, dass sich in den Sommermonaten 2012 die fachwissenschaftliche und die gesellschaftspolitische Sphäre der Kont-

62

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

roverse überlagerten und sie eigentlich zusammengehören. Sie sind eng verwoben und nur theoretisch klar voneinander abzugrenzen. Dies wird daran deutlich, dass einige Wissenschaftler wie etwa M. Franz rhetorische Zuspitzungen forcieren und sich aus der Logik der wissenschaftlichen Fachkontroverse herausbegeben, um zu einer gesellschaftspolitischen Mobilisierung in der Bewertung der kulturell-religiösen Vorhautbeschneidung beizutragen. Der zweite Teil des Datenmaterials beziehungsweise des Textkorpus255 besteht aus Artikeln, worunter Leitartikel, Kommentare und Hintergrundberichte gefasst werden, sowie aus Gastkommentaren.256 Sie erschienen 2012 in den überregionalen Tageszeitungen Süddeutsche Zeitung (SZ), Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), Frankfurter Rundschau (FR) und die tageszeitung (taz) und haben die kulturell-religiösen Vorhautbeschneidungen zum Thema. Diese Artikel, die zwischen dem 26. Juni und Dezember 2012 erschienen, werden in Gänze einbezogen und sind Bestandteil der Kontroverse.257 Zum Vergleich werden zudem vierzehn Artikel aus Tages-

____________________ 255

256

257

Schwarz-Friesel verwendet den in den Sprach-, Kommunikations- und Kognitionswissenschaften verbreiteten Begriff des Korpus. Damit sind Texte gemeint, »die zu einem bestimmten Thema über eine spezifische Zeitspanne« veröffentlicht wurden (Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 7). Die Textmenge kann einige hundert bis zu mehrere tausend Texte umfassen, die Zeitspanne wiederum zwischen wenigen Tagen und mehreren Jahren variieren (vgl. ebd.). Artikel sind Beiträge in einer Zeitung, die länger sind als eine Spalte. Darunter fallen beispielsweise Leitartikel, Kommentare oder Hintergrundberichte (vgl. Schneider/Raue 2012: 408f.). Kommentare und Leitartikel können wertende Kritiken sein und die Meinung der Redaktion wiedergeben, müssen dies aber nicht (vgl. ebd.: 418ff.). Es gibt auch Kommentare, die gerade bei komplexen Themen eher Erläuterungen sind (vgl. ebd.: 427). Gastkommentare sind von redaktionsfremden Personen geschrieben (vgl. ebd.: 422). In der Kontroverse um Vorhautbeschneidungen schrieben die Gastkommentare besonders Ärzte, Psychoanalytiker und Juristen. Die Kontroverse begann verzögert am 26. Juni, nachdem das Kölner Landgericht eine Pressemitteilung zum Urteil über die Strafbarkeit von kulturell-religiösen Beschneidungen veröffentlicht hatte und ein Zeitungsartikel in der Financial Times Deutschland und weiteren Tageszeitungen erschien, der wiederum über das Urteil berichtete. Am 12. Dezember verabschiedete der Deutsche Bundestag den Paragraf 1631d BGB, der Vorhautbeschneidungen unter bestimmten

63

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

zeitungen wie der FAZ, taz, SZ, dem Tagesspiegel sowie der Wochenzeitung DIE ZEIT und der Jüdischen Allgemeinen hinzugezogen, die zwischen 1998 und 2011 – also vor der Kontroverse – erschienen.258 Der zweite Teil des Textkorpus besteht damit ausschließlich aus nicht reaktiven Daten, die nicht extra zu Datenauswertungszwecken generiert worden sind, sondern in sozialen Prozessen, unabhängig vom Forschungsvorhaben, entstanden sind.259 Insbesondere die SZ und die FAZ wurden ausgewählt, da sie zu den auflagenstärksten überregionalen Tageszeitungen in Deutschland gehören. Der Kommunikationswissenschaftler Robert Beyer bezeichnet die SZ sogar als »Meinungsführermedium«260, da sie 2012 täglich nahezu 1,5 Millionen Lesende erreicht. Die FAZ erreicht 2012 täglich knapp 1,2 Millionen Lesende.261 Die FR und die taz wurden ausgewählt, um die Kontroverse in der Breite und in ihren unterschiedlichen Facetten in den Blick nehmen zu können. Zudem sind auch die FR und die taz auflagenstarke überregionale Tageszeitungen, sie befinden sich im Gegensatz zu den online-Nachrichtenseiten der SZ und der FAZ 2011/12 allerdings nicht unter den zehn meistgelesenen Nachrichtenseiten, sondern rangieren auf Platz 21 und 22.262 Partiell hinzugezogen werden Artikel, die in der Wochenzeitung DIE ZEIT und der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erschienen. Auch diese gelten als wichtigste deutsche Wochenzeitungen.263 Was eine politische Einordnung oder grobe »Diskursposition«264 der Tageszeitungen angeht, gelten die SZ, die FR und die taz als gemäßigt links oder links-liberal, die FAZ als konservativ und wirtschaftsliberal und DIE ZEIT als liberal.265 ____________________

258

259 260 261 262 263 264 265

64

Voraussetzungen erlaubt. Nach diesem Ereignis endete die intensive und zeitweilig tägliche mediale Berichterstattung und Diskussion um Vorhautbeschneidungen. Ein Anspruch auf Vollständigkeit besteht an dieser Stelle nicht. Es handelt sich um die Beiträge von Wiemer/Willmann 1998; Oestreich 2003; O. A. 2006; Akyol 2008a und 2008b; Müller-Lissner 2008; Lenzen-Schulte 2009; SwatekEvenstein 2010; Hollenbach 2010; O. A. 2010; Way 2010; Schulte von Drach 2010; Wagner 2011; O. A. 2011. Vgl. Behnke/Baur/Behnke 2010: 215, 281. Beyer 2016: 204. Vgl. Allensbacher Werbeträgeranalyse 2012. Vgl. Schneider/Raue 2012: 395. Vgl. Beyer 2016: 204. Jäger/Jäger 2003: 36 Vgl. ebd.: 36; vgl. Beyer 2016: 204.

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

Wie genau die Redakteure266 in den einzelnen Tageszeitungen ausgewählt werden, die die Artikel zu Vorhautbeschneidungen schreiben, bleibt unklar. Dies ist je nach Zeitungsredaktion unterschiedlich, die Entscheidung kann vom Ressortleiter, Chefredakteur oder sogar von einzelnen Redakteuren selbst getroffen werden.267 Darüber hinausgehend gibt es sowohl Tageszeitungen mit Redaktionen und Ressorts, die Artikel redigieren, als auch solche, in denen dies nicht der Fall ist.268 Unabhängig davon gilt für die Artikel, dass sie nach professionellen Regeln in der Medienorganisation her- und bereitgestellt werden und beispielsweise journalistische Qualitätsstandards erfüllen.269 Bestandteil dieses Datenmaterials sind zudem netzbasierte Kommentare beziehungsweise Online-Kommentare von Lesenden, die unter den OnlineVersionen der Artikel und Gastkommentare in den vier Tageszeitungen FAZ, SZ, FR und taz gepostet worden sind und unvollständig in die Analyse einbezogen werden.270 Sie sind gewissermaßen eine öffentlich sichtbare (medieninduzierte) Anschlusskommunikation, eine direkte Reaktion auf die Artikel zu Vorhautbeschneidungen.271 Allerdings ist die Wirkrichtung nicht monokausal zu denken; sie fällt nicht ausschließlich dahingehend aus, dass die Artikel in Tageszeitungen Deutungen transportieren, die bei den

____________________ 266 267 268 269 270

271

Schneider/Raue weisen darauf hin, dass es sich zumeist um Männer handelt und nur wenige Frauen in dieser Position sind, während dies unter den Volontären/Volontärinnen entgegengesetzt ist. Vgl. Schneider/Raue 2012: 273ff. Vgl. ebd.: 123f. Vgl. ebd.: 33; vgl. Springer 2014: 16. Schwarz-Friesel/Reinharz (2013: 7) sprechen von Online-Kommentaren von Internetnutzern in Kommentarbereichen der Mainstreampresse, Linda Giesel von »schriftlichen Kommentaren von Leser_innen« (2015: 137) und von Kommentarbeiträgen. Matthias Jakob Becker nutzt die Beschreibung Web-Kommentare und Kommentare in Kommentarspalten (2015: 117). Vgl. Springer 2014: 10.

65

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

Lesenden eine Entsprechung finden.272 Grundsätzlich können sich alle Internetnutzer/Internetnutzerinnen273 in Kommentarspalten von Tageszeitungen zu Wort melden und damit »als Kommunikator in Erscheinung«274 treten. Die Online-Kommentare unter den Artikeln in Tageszeitungen sind für all diejenigen sichtbar, die bereit sind, sie sich anzusehen, und die Sprache verstehen, in der sie geschrieben sind. Da Online-Kommentare an einem beliebigen Ort in der Welt zu jeder beliebigen Zeit aufgerufen werden können, haben sie eine enorme Reichweite. Vor dem Wandel der öffentlichen Kommunikation durch das Internet stellten besonders die von Tageszeitungen abgedruckten und veröffentlichten Briefe die Kommunikationsform dar, über die Lesende ihre Zustimmung und Kritik zur Berichterstattung äußerten.275 Während diese Briefe der Lesenden jedoch von Redaktionen vor dem Abdruck ausgewählt worden sind276, werden Online-Kommentare direkt von den Schreibenden veröffentlicht. Dadurch ermöglicht die Kommentarfunktion eine zeitnahe Interaktion, die die klassischen Leser-/Leserinnenbriefe nicht ermöglichten.277 Erst durch eine Sensibilität für antisemi-

____________________ 272 273

274 275

276 277

66

Vgl. ebd.: 108. Dem deutschen Online-Portal für Statistik (Statista) zufolge gab es 2012 in der deutschen Bevölkerung 53,4 Millionen, 2016 rund 58 Millionen Internetnutzer/Internetnutzerinnen. Der Politikwissenschaftler Christoph Meißelbach betont, dass im Hinblick auf die Sozialstruktur allgemein gelte, »[j]e besser die Ausbildung, je höher das Haushaltseinkommen und/oder je jünger die Befragten, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass sie über Zugang zum Internet verfügen« (2009: 59). Die Sozialstruktur der Internetnutzer/Internetnutzerinnen kann jedoch nicht auf die Sozialstruktur der Schreibenden von Online-Kommentaren übertragen werden. Springer 2014: 5. Der Leserbrief stellt eine wichtige Textform dar, die weit verbreitet ist. Es handelt sich um eine Form des Briefes, die besonders eine politische Meinungsäußerung enthält. Die Germanistin und Kulturanthropologin Inke Deichmann verweist darauf, dass die Geschichte der Leserbriefe bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgt werden kann und der Leserbrief seit Ende des 18. Jahrhunderts ein fester Bestandteil der deutschen Presse ist (vgl. Deichmann 1998: 27; vgl. Böttcher 1961: 18ff.). Vgl. Springer 2014: 36. Vgl. ebd.: 8, 109.

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

tische und rassistische beziehungsweise Hass-Kommentare beginnen Redaktionen und »Community-Manager«278, Kommentare von Lesenden zu moderieren und zu reglementieren. Grundsätzlich gibt es derzeit, abhängig von den Themen, mitunter geschlossene Kommentarbereiche. Während der Kontroverse um Vorhautbeschneidungen 2012 war diese Form des Umgangs (geschlossene Kommentarbereiche) jedoch wenig identifizierbar279, wenngleich es einige Artikel und Gastkommentare gab, auf die keine Online-Kommentare folgten280 und zu denen Kommentare gelöscht wurden.281 Lesende schreiben die Online-Kommentare unverfälscht, unbeobachtet und weitgehend spontan und agieren »unaufgefordert und unbeeinflusst von vorgegebenen Fragen«282. Sie unterliegen weniger dem Effekt der sozialen Erwünschtheit – als die Artikel in Tageszeitungen – und seien daher im Ergebnis weniger verzerrt.283 Gegenwärtig muss jedoch zum einen die Praxis des Löschens durch Zeitungsredaktionen und Online-Dienste mitbedacht werden, die ebenfalls dazu führen kann, dass Kommentierende die soziale Erwünschtheit mit einbeziehen. Denn Redaktionen »behalten sich [..] das Recht vor, den Zugang und die Inhalte zu regulieren«284. Um kommentieren zu können, müssen sich die Kommentierenden zum anderen mittlerweile ____________________ 278

279

280 281 282 283 284

Ebd.: 42. Die Kommunikationswissenschaftlerin Nina Springer weist darauf hin, dass bisher kaum erforscht ist, wer diese Community-Manager eigentlich sind und wie sie ihre Rolle sehen. Einer Online-Befragung des Bundesverbands Community Management von 2010 zufolge sei der durchschnittliche Community-Manager Mitte dreißig, männlich, gebildet und habe ein geistes-, sozial- oder wirtschaftswissenschaftliches Studium absolviert. Oftmals habe er zunächst die Community selbst aktiv genutzt, sich dann ehrenamtlich in diesem Bereich hervorgetan, um schließlich die bezahlte Tätigkeit des Community Managements anzunehmen (vgl. ebd.: 42f.). Die Redaktion der FR deaktivierte beispielsweise die Kommentarfunktion zum Beitrag Aus der Sickergrube des Journalisten und Buchautors Christian Bommarius »wegen Entgleisungen«. Bommarius hatte kommentiert, dass die Kontroverse fanatisch geführt werde und ein Teil der nichtjüdischen Deutschen Juden/Jüdinnen über die Zuschreibung, eine »blutige[..] Barbarei« zu praktizieren, zu Tätern mache (Bommarius 2012b). Zu nennen ist etwa der Gastbeitrag Ritual, Trauma, Kindeswohl von Matthias Franz, der am 8. Juli 2012 in der FAZ erschien. Vgl. Unabhängiger Expertenkreis Antisemitismus 2017: 266. Schwarz-Friesel 2010: 28. Ebd. Springer 2014: 40, Herv. i. Orig.

67

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

zum Zweck der namentlichen Zuordnung mit ihrem Namen und ihrer Adresse registrieren oder über Facebook anmelden.285 Die spezifischen Motivationen (und auch Demotivationen) von Kommentierenden sind, der Kommunikationswissenschaftlerin Nina Springer zufolge, bisher auf theoretischer Ebene wenig erforscht.286 Aus diesem Grund erhebt sie in ihrer Dissertation Nutzer-/Nutzerinnenmotivationen von Kommentierenden in Leitfadeninterviews. Als unterschiedliche Motivationen nennt sie etwa die Reduktion individueller Spannungszustände, wenn der Medieninhalt mit der Meinung der Lesenden nicht übereinstimmt. Sie gibt aber auch die Selbstbestätigung durch ähnlich Denkende und individuelle Gratifikation durch Reaktionen auf den Kommentar an sowie das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit, Erregung bei Langeweile, StimmungsManagement in dem Sinn, den Kommentar als Ventil zu nutzen, oder Teilnahme und Teilhabe an der Gemeinschaft.287 Zugleich weist Springer aber auch darauf hin, dass Kommentierende mit ihren Erwartungen und Bedürfnissen enttäuscht werden können, gerade wenn die Kommentare nicht beachtet und rezipiert werden.288 Als mögliche Ziele von Online-Kommentaren führt Springer folgende Dimensionen an: Akteure/Akteurinnen des Artikels, andere Kommentierende oder Autoren/Autorinnen des Artikels (sachlich oder provozierend) kritisieren und ihnen widersprechen, Informationen hinzufügen, Fragen aufwerfen oder Akteure/Akteurinnen des Artikels, andere Kommentierende oder die Schreibenden des Artikels loben und ihnen zustimmen.289 Im Kontext der Beschneidungskontroverse können sowohl über die Motivationen der Online-Kommentierenden als auch über die Ziele der Online-Kommentare keine Aussagen getroffen werden, da sie nicht systematisch analysiert und ausgewertet wurden. Neben den Online-Kommentaren in den Kommentarspalten der Tageszeitungen werden kontrastierend Beiträge des Internetblogs Zwangsbeschneidung.de und von Der Honigmann sagt mit einbezogen, da sich auf beiden Blogs antisemitische Äußerungen finden. Zwangsbeschneidung.de

____________________ 285 286 287 288 289

68

Vgl. ebd. Vgl. ebd.: 109. Vgl. ebd.: 109ff. Vgl. ebd.: 111. Vgl. ebd.: 150.

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

besteht seit Sommer 2012.290 Auf ihm finden sich Beiträge und Linksammlungen, die aus der Perspektive des Blogbetreibers, Steffen Wasmund, mit dem Themenkomplex »Beschneidung von Jungen und Mädchen aus religiösen Gründen« zusammenhängen.291 Er kann als umtriebiger und engagierter Blogger und Kommentarschreiber angesehen werden, der sich durch die Kontroverse gewissermaßen zum Schreiben ermächtigt fühlte. Die Kontroverse bot ihm die Möglichkeit, seine Ansichten zur Vorhautbeschneidung öffentlich auszubreiten und seine Texte und Kommentare einem größeren Publikum zur Verfügung zu stellen. Einzelne der phasenweise täglich veröffentlichten Kommentare schickte er in digitaler Form – eigenen Angaben zufolge anlässlich der Beschneidungsausstellung Haut ab! – auch zum Blog des Jüdischen Museums in Berlin, was sein Mitteilungsbedürfnis und Engagement gegen Vorhautbeschneidungen belegt.292 Der seit 2010 existierende Internetblog Der Honigmann sagt wird von Ernst Köwing betrieben,

____________________ 290

291

292

Bei dem Suchbegriff »Beschneidung« platziert Google den Blog Zwangsbeschneidung.de an elfter Stelle. Laut der kostenfreien Analyse des IT-Unternehmens SimilarWeb vom 4. Januar 2017 wurde die Seite zwischen Juni und November 2016 im Durchschnitt 2.900-mal pro Monat aufgerufen. Das ist insofern erstaunlich, als dass in der medialen Öffentlichkeit das Thema Vorhautbeschneidung 2016 im Vergleich zur Kontroverse 2012 kaum mehr behandelt wird. Wasmund geriert sich als Jurist, wenngleich er auf Anfrage per E-Mail vom 22. Mai 2015 antwortet, keine juristische Ausbildung zu haben. Er betreibt mehrere Internetseiten, in denen er Gesetzestexte aufführt, beispielsweise www.sozialgesetzbuch-sgb.de, www.buergerliches-gesetzbuch.info, www.strafgesetzbuchstgb.de. Weitere Informationen zu seiner Person ließen sich nicht erheben. Auf eine Anfrage via E-Mail vom 21. und 25. Mai 2015 wollte er keine weiteren Auskünfte zu seinem Werdegang und seiner Person geben. Er begründete dies mit Vorbehalten gegenüber meiner Motivation, ihn anzuschreiben. Er schrieb am 25. Mai via E-Mail, dass seine Kommentare gegen die Vorhautbeschneidung nach dem Kölner Landgerichtsurteil von antifaschistischen und gegen Antisemitismus engagierten Personen, von Menschen mit religiösem Hintergrund und sogar von Feministinnen, die er für Menschenrechtlerinnen gehalten habe, als antisemitisch eingestuft worden seien. Bei mir würden nun alle Merkmale kumulieren, meine Fragen seien nicht beschneidungsbezogen argumentativer, sondern persönlicher Natur. Nach einer weiteren E-Mail von seiner Seite endete die Korrespondenz am 26. Mai 2015. Vgl. Zwangsbeschneidung.de 2015a.

69

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

auch auf ihm finden sich Artikel und Kommentare zur Beschneidungskontroverse, jedoch weitaus weniger als auf Zwangsbeschneidung.de.293 Köwing wurde vom Landgericht Oldenburg 2013 und 2017 wegen Volksverhetzung beziehungsweise Holocaustleugnung verurteilt.294 Die beiden Blogs wurden ergänzend ausgewählt, um die antisemitische Facette der Kontroverse, die auch in den Kommentaren der Lesenden zum Ausdruck kommt, exemplarisch zu verdeutlichen. Der dritte Teil des Datenmaterials besteht aus zehn narrativen themenzentrierten Interviews mit zentralen Akteuren und einer Akteurin der Beschneidungskontroverse. Es handelt sich um reaktive Daten, die zwar auch in einem sozialen Prozess entstanden, in den ich als Forscherin aber involviert war.295 Dieses Datenmaterial wäre folglich ohne meine Intervention als Forschende nicht zustande gekommen. Die Interviews stellen eine Ergänzung zu den Artikeln und Gastkommentaren in Tageszeitungen dar. Durch sie lassen sich die Äußerungen von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen kontextualisieren und vertiefen, was eine fundierte Sinnrekonstruktion ermöglicht. Durch die Interviews lassen sich gewissermaßen einzelne Äußerungen von Protagonisten/Protagonistinnen in der öffentlichen Debatte genauer beobachten. Denn gerade die wissenschaftlichen Fachbeiträge von Medizinern, Psychoanalytikern und Juristen klammern etwa den Aspekt aus, wie die Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen dazu gekommen sind, sich gegen kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen zu engagieren und welche Beweggründe sie in ihrer jeweiligen Argumentation haben. Auch die persönlichen Erfahrungen mit dem Thema bleiben überwiegend unsichtbar.296 In den Interviews geht es ____________________ 293

294 295 296

70

Der Blog war aufgrund des Verstoßes gegen Nutzungsbestimmungen für einige Zeit abgeschaltet. Nachdem er im September 2017 wieder zugänglich war, wurde er in diesem Monat, der kostenfreien Analyse des IT-Unternehmens SimilarWeb vom 12. Dezember 2017 zufolge, etwa 410.000-mal aufgerufen. Die monatlichen Seiten-Aufrufe für 2012 und 2013, als die Artikel erschienen, sind leider nicht mehr kostenfrei zu rekonstruieren. Vgl. Bartoschek 2017. Vgl. Behnke/Baur/Behnke 2010: 215. Als Ausnahme kann die Argumentation des Strafrechtlers Holm Putzke genannt werden, der im Festschriftaufsatz von 2008 darüber berichtet hatte, nach einem persönlichen Treffen zwischen ihm, Rolf Dietrich Herzberg, einem »türkischstämmigen Arzt« und einer »muslimische[n] Studentin«, in dem es um das Thema Integration und Religion ging, mit dem Thema in Berührung gekommen

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

also einerseits um die (unbewussten) Motive und Motivationen der in der Kontroverse beteiligten Akteure/Akteurinnen gegen die Vorhautbeschneidung. Andererseits ermöglichen die Interviews durch den Kommunikationsmodus one-to-one, also eine Kommunikation zwischen zwei Personen, einen direkten Kontakt. Die Interviews unterscheiden sich von den geschriebenen Artikeln – die den Kommunikationsmodus one-to-many oder many-to-many realisieren297 – besonders durch das Moment der Interaktion und Unmittelbarkeit. Es ist eine unmittelbare Reaktion in Form von Nachund Rückfragen möglich, zudem bitte ich an einzelnen Stellen des Interviews um weitere und vertiefende Ausführungen. Zusammengenommen dienen die zehn narrativen Interviews als Lupe, unter der die Kontroverse genauer betrachtet und analysiert werden kann. Die in der Öffentlichkeit getätigten Äußerungen lassen sich mit den Interviews kontrastieren und verstärken oder revidieren Wahrnehmungen über die Kontroverse. Als Beispiel lassen sich die Reaktionen von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen auf die Äußerung des damaligen Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, jüdisches Leben sei in Deutschland nicht mehr möglich, wenn die Beschneidung in Deutschland verboten würde, anführen. Zahlreiche Teilnehmer/Teilnehmerinnen der Kontroverse begegneten der Äußerung mit großem Unverständnis und kritisierten sie heftig. Was jedoch konkret zu ihrem Unverständnis führte, blieb in der Kontroverse weitgehend verborgen. Die Interviews zeigen nun, dass einige der befragten Beschneidungsgegner die Aussage als Vorwurf wahrnehmen, der sie mit der nichtjüdischen Täterschaft im Nationalsozialismus und der Shoah konfrontiert. Im Zuge der Kontroverse möchten sie sich jedoch nicht an die Shoah erinnern und sind unempathisch gegenüber der Tatsache, dass Juden/Jüdinnen die Ablehnung der Vorhautbeschneidung als bedrohlich und diskriminierend hinsichtlich ihrer selbstbestimmten oder freien Religionsausübung empfinden. Darüber hinausgehend können die Interviews aber auch Eindrü-

____________________

297

zu sein (vgl. Putzke o.J.). Siehe hierzu auch 3.3. Die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung in Beiträgen von Strafrechtlern vor 2012. Als Beispiel für eine one-to-many-Kommunikation nennt Meißelbach Massenmedien wie Tageszeitungen und Blogs, als Beispiel für eine many-to-manyKommunikation etwa Diskussionsforen und Chatrooms (vgl. Meißelbach 2009: 40).

71

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

cke, die sich in der Beobachtung und Wahrnehmung der öffentlichen Kontroverse ergeben, präzisieren. Verdeutlichen lässt sich dies in Bezug auf die Frage, inwiefern die Interviewten den sozialen, kulturellen und religiösen Kontext »der Kinder« mitdenken. Wenn die Interviewten berücksichtigen, dass es sich um Juden und Muslime handelt, sprechen sie anders und in gewissem Maße tolerierender über die Beschneidung, als wenn sie nur von »wehrlosen Kindern« ausgehen. Zugleich zeigen besonders die Interviews, warum und wann Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen begannen, sich gegen kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen zu engagieren beziehungsweise welche vielfältigen Beweggründe sie haben. Die einzelnen Interviews umfassen jeweils eine Zeitspanne von 40 Minuten bis knapp zwei Stunden. Sie sind in Gänze transkribiert. Die Interviewten werden durch je einen einzelnen Buchstaben für den Vor- und den Nachnamen anonymisiert, wobei es sich nicht um die tatsächlichen Initialen handelt.298 Acht der Interviews fanden mit Beschneidungsgegnern statt, eines mit einer Beschneidungsgegnerin und eines mit einem Arzt, der sich öffentlich extra nicht gegen Vorhautbeschneidungen ausgesprochen hatte.299 Er wurde als Kontrast interviewt, um die Argumentationen von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen besser zu verstehen. Unter den Interviewpartnern finden sich insgesamt drei Ärzte, drei Juristen, ein ____________________ 298

299

72

Ein Interviewpartner formulierte im Zuge seiner Einwilligung, dass er anonymisiert werden möchte. Die anderen Interviewpartner und die Interviewpartnerin verhielten sich nicht explizit zu dem Thema. Eine Anonymisierung umfasst, dass keine Rückschlüsse auf die Person, Institution und Region möglich sind. Im Kontext der qualitativen Sozialforschung werden Interviewpartner/Interviewpartnerinnen nicht selten anonymisiert (vgl. Hopf 2013: 596). Im EthikKodex der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft (DVPW) von 2009 und 2017 heißt es sogar, »die Anonymität der befragten oder untersuchten Personen ist zu wahren« (DVPW 2017: 3). Eigentlich kamen insgesamt elf Interviews zustande, von denen jedoch nur zehn in die Analyse einbezogen werden konnten. Denn ein Interviewpartner, ein weiterer Arzt, bat vor dem Gespräch um eine schriftliche Bestätigung, dass das Interview »erst nach Autorisierung« veröffentlicht wird. Zu Beginn des Interviews formulierte er davon abweichend die Bedingung, sobald »irgendetwas veröffentlich[t]« werde, er es vorher gelesen haben möchte (vgl. Brief- und E-Mailkorrespondenz, im Archiv der Autorin). Aus diesem Grund entschied ich mich dafür, das Interview nicht in die Analyse mit einzubeziehen, da ich ihm die Studie vorab nicht zukommen lassen wollte und auch keine Änderungen in der Studie vornehmen wollte, so ihm die Ergebnisse der Studie nicht zusagen.

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

Psychoanalytiker sowie drei Personen, die sich in zivilgesellschaftlichen Vereinen gegen die Vorhautbeschneidung engagieren. Einer von ihnen erklärte sowohl öffentlich als auch im Interview, ein von der medizinischen Beschneidung betroffener Mann zu sein. 2.5.

Interviews in der Antisemitismusforschung

Die Soziologen Werner Bergmann und Rainer Erb betonen, dass die deutschsprachige Antisemitismusforschung auf keine spezifische Methode beschränkt ist und daher »weder einheitliche noch eigenständige Methoden«300 kennt. Dennoch lässt sich feststellen, dass Forschende, die qualitativ-empirisch vorgehen, besonders Datenmaterial untersuchen, das sie nicht selbst erheben, sondern das bereits existiert.301 Es handelt sich um Texte der unterschiedlichsten Art (beispielsweise massenmediale Erzeugnisse wie Zeitungsartikel), um Filme, Bilder und Karikaturen.302 Es sind also gesellschaftlich und kulturell produzierte Erzeugnisse, die sich als sinnvollste und aufschlussreichste Forschungsgegenstände hinsichtlich einer Struktur des Antisemitismus erweisen.303 Interviews und Gruppendiskussionen werden in der qualitativ-empirischen Antisemitismusforschung im Speziellen besonders dann durchgeführt, wenn die Erinnerung an den Nationalsozialismus und die Shoah beforscht wird (im Rahmen einzelner Biografien und im Familienkontext als Mehrgenerationenstudie).304 In sozialwissenschaftlichen Forschungen im Allgemeinen sind Interviews hingegen sehr verbreitet. Sie dienen dazu, subjektive Perspektiven und Selbstinterpretationen so____________________ 300 301 302 303 304

Bergmann/Erb 1998: 117. Im Gegensatz dazu erheben die Forschenden, die quantitativ-empirisch vorgehen, ihr Datenmaterial über Umfragen und Befragungen repräsentativ ausgewählter Teile der Bevölkerung. Vgl. Königseder 2010: 21. Vgl. Rensmann/Schoeps 2008: 15. Vgl. Bergmann/Erb 1998: 108f. Als Ausnahmen lassen sich exemplarisch die Studie Eventuell nicht gewollter Antisemitismus der Literaturwissenschaftlerin und Soziologin Julijana Ranc anführen, die Gruppendiskussionen und Einzelinterviews durchführte (vgl. Ranc 2016: 7, 40f.), sowie die bisher noch nicht veröffentlichte Studie des Soziologen Michael Höttemann zu Antisemitismus und Abwehr (2018).

73

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

wie subjektive und kollektive Deutungsmuster der Beobachteten – im konkreten Fall der Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen – zu erheben.305 Schwarz-Friesel kritisiert, dass Interviews »die Denk- und Gefühlsstrukturen der Befragten nicht oder nur sehr begrenzt erfassen«306 können und antisemitisches Denken auf diese Weise nur schwer erhoben werden kann. Als Begründung nennt sie die soziale Erwünschtheit, die dazu führt, dass sich die Befragten nicht ihrer Einstellung entsprechend äußern, sondern spezifische Aussagen kontext- und situationsspezifisch treffen.307 Trotz dieser kritischen Bewertung führte ich telefonische Interviews mit Beschneidungsgegnern und einer Beschneidungsgegnerin. Mit dem Vorgehen orientiere ich mich einerseits an den sozialwissenschaftlichen Forschungen des Frankfurter Instituts für Sozialforschung aus den 1930er und 1940er Jahren. In den Studies in Prejudice erklärten die Forschenden, der Antisemitismus müsse so indirekt wie möglich erforscht werden. Entsprechend waren die Interviews mit Arbeitenden aus Betrieben »getarnte« Interviews, »in denen das wirkliche Ziel des Projekts so gut wie möglich kaschiert war«308. Die Interviewten erfuhren folglich nicht, dass es den Interviewenden darum ging, die Haltung zu Antisemitismus zu erforschen. Andererseits beziehe ich mich auf die empirische Forschung des Politikwissenschaftlers Samuel Salzborn, der Interviews ebenfalls als adäquates Mittel zur Erforschung des Antisemitismus ansieht.309 Auch er argumentiert,

____________________ 305 306 307 308 309

74

Vgl. Hopf 2013: 349f.; vgl. Rosenthal 2014: 139; vgl. Diekmann 2001: 373f.; vgl. Flick/Kardorff/Steinke 2013: 21. Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 9. Vgl. ebd.: 10. Jay 1976: 269. In seine qualitative Auswertung – die er in Antisemitismus als negative Leitidee der Moderne 2010 veröffentlichte – bezog Salzborn sieben telefonisch geführte Interviews mit Personen ein, die mittlere bis hohe Zustimmungswerte zum Schuldabwehr-Antisemitismus aufwiesen. Die Befragten hatten in einer quantitativen Erhebung, dem Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeits-Survey, angegeben, für eine Zusatzstudie zur Verfügung zu stehen (vgl. Salzborn 2010: 226f.). Insgesamt wurden mehr als sieben Personen interviewt. In einem Aufsatz von 2007 weisen Salzborn/Brosig darauf hin, dass weitere sechs Interviews »aufgrund ihrer sehr kurzen Gesprächsdauer nicht in die Auswertung einbezogen« wurden (Salzborn/Brosig 2007: 161).

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

dass Interviews beziehungsweise qualitative Untersuchungen die Möglichkeit bieten, »Ressentiments und Vorurteilstrukturen abzufragen, ohne expressis verbis auf Antisemitismus bzw. Juden eingehen zu müssen, um so das Phänomen der Kommunikationslatenz in seinem letztlich zentralen Bezugsfeld zum Unbewussten entschlüsseln zu können.«310

Als Vorteil von Telefoninterviews nennt Salzborn den Umstand, dass sich Interviewte und Interviewende in der Befragungssituation nicht direkt begegnen und daher das »Maß des emotionalen Verlangens«, das »durch visuelle Elemente mitbeeinflusst«311 ist, minimiert wird. Besonders aber hebt er hervor, dass die Interviews, auch wenn die Interviewpersonen in der ganzen Bundesrepublik verteilt leben, kostengünstig sind und in einem engen Zeitfenster durchführbar sind.312 Im Verlauf der Erhebungsphase 2014 fragte ich postalisch oder per EMail insgesamt achtzehn Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen an, von denen elf für ein Interview zusagten, das zwischen Mai und November 2014 stattfand.313 Die Anfrage bestand aus einem Anschreiben und einem halbseitigen Abstract des Forschungsprojektes.314 Zu Beginn des Anschreibens hieß es, dass sich die angefragte Person bereits öffentlich zum Thema Beschneidung geäußert hatte und dass ich mir für die Dissertation aufgrund der »Expertise […] fundiertere und tiefgreifendere Erkenntnisse und Anregungen zu diesem Themenbereich«315 erhoffe. Darüber hinausgehend wurde im beigefügten Abstract unterstrichen: »In der Dissertation sollen die unterschiedlichen Haltungen, Argumentationen und Erfahrungen zu Beschneidung rekonstruiert werden, um die vielschichtige und komplexe Diskussion darzustellen. Dabei soll besonders auf die Perspektiven der

____________________ 310 311 312 313

314 315

Salzborn/Brosig 2007: 159. Salzborn 2010: 225. Ebd. Ein Beschneidungsgegner sagte über sein Sekretariat aus Zeitgründen ab und weil er sich in der Öffentlichkeit bereits ausgiebig geäußert habe, drei weitere Beschneidungsgegner sagten per E-Mail oder telefonisch ohne Begründung ab. Ein weiterer Beschneidungsgegner lehnte ab, weil er für das Interview nicht bezahlt werde. Die übrigen zwei angefragten Personen waren nach der Anfrage nicht erreichbar und zeigten keine Reaktion auf weitere Anfragen. Vgl. hierzu auch Rosenthal 2014: 87. Anschreiben im Archiv der Autorin.

75

2. Forschungsstand und methodischer Zugang Ärztinnen und Ärzte sowie der Juristinnen und Juristen eingegangen werden, die sich in der Öffentlichkeit zu Wort meldeten.«316

Die Begriffe Antisemitismus und antimuslimischer Rassismus fanden im Anschreiben und Abstract keine Erwähnung. Dadurch blieben zentrale Aspekte des Forschungsinteresses, also inwiefern auf antisemitische und/oder antimuslimisch-rassistische Ressentiments in der Argumentation gegen kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung zurückgegriffen wird – unbenannt. Dieses Vorgehen ist jedoch zu rechtfertigen. Im Ethik-Kodex der DVPW heißt es unter der Unterüberschrift Rechte der Untersuchten, es sei nicht immer möglich, »das Prinzip der informierten Einwilligung in die Praxis« umzusetzen, etwa wenn »durch eine umfassende Vorabinformation die Forschungsergebnisse in nicht vertretbarer Weise verzerrt würden«317. Zwar wurden in der vorliegenden Studie wichtige Aspekte des eigentlichen Forschungsinteresses entsprechend nicht erwähnt, eine verdeckte Forschung fand hingegen nicht statt, da ich als Wissenschaftlerin auftrat, die die Beschneidungskontroverse beforscht. Die Beschneidungsgegner und die Beschneidungsgegnerin äußerten sich bereits vor den narrativen themenzentrierten Interviews in der Öffentlichkeit (teilweise schriftlich, teilweise schriftlich und mündlich, teilweise nur mündlich). Sie gaben beispielsweise Tageszeitungen ein Interview, nahmen an einer Gesprächsrunde im Radio oder einer Fernsehtalkshow teil. Acht von ihnen – bis auf den Betroffenen und den Arzt, der sich neutral zu Vorhautbeschneidungen positionierte – unterzeichneten den offenen Brief von Matthias Franz in der FAZ. Der offene Brief ist ein Schlüsseltext von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen, da er mehrere der beschriebenen Motive in teils subtiler, teils expliziter Ausdrucksweise enthält318 und für die Akteure/Akteurinnen selbst ein wichtiges Dokument darstellte, auf das sie sich positiv bezogen. Insgesamt unterschrieben den Brief mehr als 740 Personen, weswegen er als Akt der politischen Mobilisierung

____________________ 316 317 318

76

Abstract im Archiv der Autorin. DVPW 2017: 3. Genannt werden können die Motive »beschädigter Körper«, »Gesetz- und Rechtlosigkeit«, »Benachteiligung«, »wehrlose Kinder«, »verletzende Eltern«, »Lektion aus der Nazizeit«, »Rhetorik der Verschwörung«, »Verbündete«, »Kastrationsphantasien« und »unnatürliche Sexualität/sexuelle Gewalt«.

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

verstanden werden kann, mit der auf den Gesetzgebungsprozess des Bundestages Einfluss genommen werden sollte. Die Interviewten verstanden sich selbst als Experten/Expertinnen zum Thema Vorhautbeschneidung und wurden auch von Tages- und Wochenzeitungen als solche angesehen. Da diejenigen, die sich in der Kontroverse öffentlich zu Wort meldeten, überwiegend Männer waren, bildet sich dieses Geschlechterverhältnis auch in der nicht repräsentativen Stichprobe respektive den einzelnen Interviews ab. Die Auswahl der Stichprobe erfolgte nach dem theoretischen Sampling.319 Die Interviewten und deren Anzahl waren nicht schon zu Beginn des Erhebungsprozesses ausgewählt, sondern wurden nach und nach angefragt, wobei für die Anfragen etwa relevant war, welcher wissenschaftlichen Disziplin sie angehören und welches Geschlecht sie haben. Die Interviews wurden narrativ themenzentriert geführt, um die Perspektiven der Interviewten »zu erfassen und darüber hinaus verstehen und erklären zu können, weshalb eine bestimmte Perspektive eingenommen wird, wie sich diese im Laufe des Lebens entwickelt hat oder auch wie diese im Interviewkontext erzeugt wird«320. Narrative Interviews orientieren sich am »Prinzip der Offenheit«321, was sich auf die Gesprächsführung bezieht und dem Interviewten eine aktive Rolle im Gesprächsverlauf einräumt. Es gibt keinen starren Leitfaden, der alle Interviewfragen vorgibt und so die Gesprächssituation strukturiert. Vielmehr gibt es unterschiedliche Phasen im Interview, die von der Erzählaufforderung über erzählgenerierende und externe Nachfragen schließlich zum Interviewabschluss reichen.322 Im Konkreten bedeutete dies, die einzelnen in den Interviews gestellten Fragen ergaben sich aus der jeweiligen Gesprächssituation. Die Einstiegsfrage lautete: »Mich interessieren Ihre persönlichen Erfahrungen, die Sie mit dem Thema Beschneidung von Jungen gemacht haben. Vielleicht denken Sie einmal zurück, als Sie zum ersten Mal mit diesem Thema in Verbindung kamen, und erzählen, was Sie damit bis heute erlebt haben?«

In den Formulierungen der Fragen orientierte ich mich an den Sprachcodes der Interviewten beziehungsweise adaptierte deren Vokabular, um wenig in ____________________ 319 320 321 322

Vgl. Rosenthal 2014: 86; vgl. Helfferich 2011: 174. Rosenthal 2014: 139f. Ebd.: 140. Vgl. ebd.: 157ff.

77

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

deren Perspektive und semantische Struktur einzugreifen.323 Sprachen die Interviewten beispielsweise von einer »Amputation« und nicht von einer Vorhautbeschneidung, bestand der Anspruch, diesen Begriff im Interview zu übernehmen und anzuwenden.324 2.6.

Auswertung und Forschungsperspektive

Durch das unterschiedliche Datenmaterial, also die Artikel und Gastkommentare in Tageszeitungen und die narrativen themenzentrierten Interviews, werden unterschiedliche Formen der Äußerung ins Verhältnis gesetzt. Die Analyse der Artikel in Tageszeitungen in Verbindung mit OnlineKommentaren ermöglicht die Beobachtung, ob und wie die Artikel von den Lesenden aufgenommen werden und wie sich Lesende das Thema aneignen und weiterverwenden.325 Darüber hinausgehend zeigen die Internetblogs wie Zwangsbeschneidung.de, die ein Ausdruck des »Mitmachnetz[es]«326 sind, wie Lesende ihre Kommunikationsmöglichkeiten nutzen und wiederum anderen ihren Deutungsrahmen anbieten und sich in Deutungskämpfe einmischen. Durch die Daten-Triangulation treten nicht nur die Gegensätze zwischen Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen und Befürwortern/Befürworterinnen deutlich zutage, sondern auch Gegensätze und Unterschiede in der Gruppe, die die Vorhautbeschneidung ablehnt. Dieses

____________________ 323 324

325 326

78

Vgl. Salzborn/Brosig 2007: 161f.; vgl. Rosenthal 2014: 142. Die Verschriftlichung der digitalen Aufnahme, also die Transkription der Interviews erfolgte nach den Regeln respektive Transkriptionszeichen, die Rosenthal aufführt (vgl. Rosenthal 2014: 93). Es geht darum, die soziale Situation des Interviews als Datenmaterial für die Analyse aufzubereiten. Rosenthal führt aus, dass Transkriptionen entsprechend der »hörbaren Gestalt« wortwörtlich und ohne Auslassungen erfolgen und alle hörbaren Äußerungen einschließlich Pausen, Betonungen, Versprechern und Abbrüchen wiedergeben (ebd.: 92). Pausen, die kürzer als eine Sekunde andauern, sind als Strich, längere Pausen mit der Anzahl der Sekunden in Klammern angegeben. Unverständliche Worte finden sich in Klammern, ebenso wie Verweise darauf, dass die Befragten lachen oder husten. Das Zeichen »=« verdeutlicht, dass die Interviewten schnell weitergesprochen haben. Die Abkürzungen »F« und »A« stehen für fragende und antwortende Person. Vgl. Springer 2014: 108. Ebd.

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

Vorgehen fördert und schärft den Blick für Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Äußerungen pro und contra Vorhautbeschneidung. Exemplarisch lässt sich das Motiv der »Lektion aus der Nazizeit« oder der Topos, die Vorhautbeschneidung sei eine marginalisierte Genitalverstümmelung, anführen. Denn auf beide Argumentationsmuster beziehen sich sowohl Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen als auch Befürworter/Befürworterinnen, wenngleich ihre Bewertungen fundamental voneinander abweichen. Um in den Äußerungen von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen antisemitische Ressentiments also nicht eindimensional zu verfolgen, spielen auch zahlreiche Äußerungen innerhalb der Kontroverse eine Rolle, die nicht antisemitisch sind. Das bedeutet, antisemitische Äußerungen stehen neben nicht-antisemitischen; die Analyse richtet sich nicht nur auf Beiträge von Personen, die die Vorhautbeschneidung ablehnen, sondern auch auf solche von Personen, die kein Verbot der Vorhautbeschneidung fordern beziehungsweise ihr neutral gegenüberstehen. Die Äußerungen der Neutralen oder Befürwortenden sind insbesondere von Bedeutung, da sie die Motive als rote Fäden der Kontroverse verdeutlichen und verständlich machen. Die »Logik des Verallgemeinerns am Einzelfall« und »eine Logik des Entdeckens«327 stehen in der qualitativen Sozialforschung im Zentrum. Beides ist von quantifizierenden Verfahren abzugrenzen, die eine numerische Verallgemeinerung zum Ziel haben.328 Die Beiträge der beiden Blogs und die Online-Kommentare gehen als Einzelbeispiele in die Analyse ein. Die Leitartikel und Kommentare in Tageszeitungen werden hingegen mit der korpusanalytischen Methode analysiert. Das heißt, es findet keine spezifische (Vor-)Auswahl statt; alle Texte zum Thema Vorhautbeschneidung, die zwischen Juni und Dezember 2012 erschienen – auch jene, die nicht gegen Vorhautbeschneidungen argumentieren –, werden berücksichtigt.329 Die Interviews wiederum basieren auf einer Einzelauswahl von Beschneidungsgegnern und einer Beschneidungsgegnerin, was bedeutet, sie sind ebenfalls nicht repräsentativ.330 ____________________ 327 328 329 330

Ebd. Vgl. Salzborn 2013b: 56f.; vgl. Rosenthal 2014: 13. Vgl. Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 10. Schwarz-Friesel/Reinharz bezeichnen die korpusanalytische Methode im Gegensatz zu Einzelbeispielen als überlegen, da die Herangehensweise nicht auf

79

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

Die Analyse des gesamten empirischen Datenmaterials orientiert sich am sozialwissenschaftlichen qualitativen Auswertungsverfahren der Hermeneutik in Verbindung mit der Textanalyse.331 Allerdings ist zu betonen, dass es nicht das »ein[e] Verfahren« 332 der objektiv-hermeneutischen Textinterpretation gibt, sondern »ein gewisses gemeinsames Grundverständnis«. Es besteht etwa darin, ein im Alltag verbreitetes schnelles Verstehen zu minimieren und sich bei der Analyse des Einzelfalls viel Zeit zu nehmen.333 Anders formuliert kann unter der objektiv-hermeneutischen Textinterpretation eine »einzelfallorientierte und vertiefte Textauslegung«334 verstanden werden. Hermeneutik im Allgemeinen zielt also auf das Verstehen von Texten ab, das sich über den Umweg des Nichtverstehens vollzieht.335 Damit ist gemeint, dass Forschende in der Textanalyse aufhören, ihn »schnell, pragmatisch, fraglos und eindeutig zu verstehen«336. Das rekonstruktive Vorgehen in der Analyse unterliegt »einer Entdeckungslogik und nicht einer Logik der Überprüfung bereits formulierter Hypothesen«337. Da der in der FAZ erschienene offene Brief von Matthias Franz ein Schlüsseltext der Kontroverse war, wurde er mit einer objektiv-hermeneutischen Textinterpretation analysiert. Die Analyse vollzog sich über mehrere Tage und fand in einer Kleingruppe statt, die aus insgesamt drei Personen bestand: einer Historikerin, einem Politikwissenschaftler und der Autorin. Konkret bedeutete dies, dass die Analyse des offenen Briefes mehrere Phasen durchlief.338 Zunächst wurde der Text »rekonstruktiv und sequenziell ausgewertet«339, also Textzeile um Textzeile. Bei der Ausdeutung der ____________________

331

332 333 334 335 336 337 338 339

80

unsystematisch ausgewählten Belegzitaten basiere und keine Vorauswahl getroffen werde (vgl. 2013: 9). Die objektive Hermeneutik ist ein sehr komplexes theoretisches, methodologisches und methodisches Konzept, das auf den Soziologen Ulrich Oevermann zurückgeht. Für eine eingehendere Beschäftigung mit Theorie, Methodologie und Methode der objektiven Hermeneutik siehe: Reichertz 2013: 514ff. und Garz/Ackermann 2011: 324ff. Reichertz 2013: 516, Herv. i. Orig. Ebd. Behnke/Baur/Behnke 2010: 260. Vgl. Zapf 2013: 52. Ebd. Rosenthal 2014: 54. Vgl. Wernet 2009: 21ff.; vgl. Rosenthal 2014: 54ff. Ebd.: 213.

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

einzelnen Textzeilen ging es darum, das (Vor-)Wissen um den Fall weitgehend auszublenden und gerade nicht mit einzubeziehen.340 Eine »extensive Sinnauslegung«341 des Textes wurde vollzogen und möglichst vielfältige Lesarten und Interpretationsmöglichkeiten entwickelt. Die subjektive Intention des Textproduzenten, also das, was er möglicherweise bei der Erstellung des Textes dachte, wünschte, hoffte und meinte, spielte keine Rolle. Vielmehr stand die latente beziehungsweise »die objektive Sinnstruktur«342 des Textes im Zentrum. Nach der extensiven Sinnauslegung reduzierten wir die zahlreichen Lesarten beziehungsweise Interpretationsmöglichkeiten unter Einbeziehung des gesamten Textes wieder. Zur Strukturgeneralisierung beziehungsweise zur »allgemeine[n] und einzelfallspezifische[n] Strukturgesetzlichkeit«343 gelangten wir über das Falsifikationsprinzip am konkreten Fall. In einer dialektischen Konzeption war der offene Brief »individuell und allgemein«344, in ihm war das Besondere und das Allgemeine auffindbar. Die vorgenommene Verallgemeinerung ausgehend vom Einzelfall ist daher als theoretisch zu denken.345 Die rekonstruierte Fallstruktur wurde für die nachfolgenden Interpretationen weiterer Texte als Analyserahmen brauchbar gemacht, um ein Analyseraster zu haben, mit dem die Äußerungen von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen analysiert werden können. Ausgehend vom offenen Brief ging es um die Rekonstruktionen der Argumentationen von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen. Der Großteil des weiteren Datenmaterials wurde mit dem klassifikatorisch vorgehenden Verfahren der Textanalyse beforscht. Auf diese Weise rückte der Diskurs ins Zentrum, ohne dass jedoch eine Diskursanalyse durchgeführt wurde. Das Hauptaugenmerk in der Auswertung der Texte lag vielmehr in der Sinnrekonstruktion, was bedeutet, die manifesten und latenten Inhalte der Texte wurden erforscht und dabei verschiedene Interpretationsmöglichkeiten berücksichtigt. Die Kriterien, wie die Analyse der Texte vor sich ging, wurden offengelegt und begründet. Denn es gibt nicht »einen einzigen absoluten, ____________________ 340 341 342 343 344 345

Vgl. Reichertz 2013: 517. Garz/Ackermann 2011: 331. Reichertz 2013: 514. Ebd.: 518, Herv. i. Orig. Rosenthal 2014: 73; vgl. Salzborn 2010: 194, 323. Vgl. Rosenthal 2014: 73; vgl. Salzborn 2013b: 61.

81

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

richtigen bzw. in diesem Sinne objektiven Textinhalt, sondern eine Reihe möglicher Interpretationsweisen«346. In der Studie besteht demzufolge nicht der Anspruch, den einen latenten Sinngehalt der Texte unzweifelhaft an die Oberfläche zu bringen, sondern ein begründetes Angebot zu unterbreiten. Es geht darum, Prämissen und Argumentationsgänge der Texte zu befragen und zu hinterfragen und dadurch eine mögliche Deutung der Texte anzubieten. Um die Deutung zu plausibilisieren, wurde vergleichend vorgegangen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede im analysierten Datenmaterial waren zentral. Zwar stand der Einzelfall auch für sich selbst, er ließ sich aber besonders vor dem Hintergrund weiterer Äußerungen werten. So konnte nachgezeichnet werden, welche Argumentationen Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen gegenwärtig über die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung vortragen und welche Rolle deren Interpretation bei der Beschreibung der Praxis spielt. In Anlehnung an die Literaturwissenschaftlerin und Soziologin Julijana Ranc wird davon ausgegangen, dass jede sprachliche Äußerung intentional ist, da »sie immer eine Auswahl aus einem Spektrum potentieller Alternativen darstellt«347. Sie ist es »umso mehr, wenn sie argumentativ aufbereitet ist und einen Geltungsanspruch als Meinung erhebt«348. Auch Monika Schwarz-Friesel betont, die Sprache sei das »Fenster zum Geist« der Sprechenden und dass »jede sprachliche Äußerung eine eigene konzeptuelle Text-Welt« widerspiegelt.349 Dabei muss mitbedacht werden, dass sich das gedruckte Wort verlässlicher interpretieren lässt als das gesprochene Wort, da Letzteres spontaner formuliert und weniger elaboriert ist. Die unterschiedlichen Textsorten zusammengenommen ermöglichen gewissermaßen die oben beschriebene Variation in der Analyse, die zu einer erhöhten Validierung führt. Denn die Daten entstammen verschiedenen Quellen und entstanden zu verschiedenen Zeitpunkten an unterschiedlichen Orten, was einer Daten-Triangulation gleichkommt.350 Diese führte »zu einer breiteren und tieferen Erfassung des Untersuchungsgegenstandes« und ermöglichte, »Einseitigkeiten und Verzerrungen«351, die einer ____________________ 346 347 348 349 350 351

82

Früh 2004: 126. Ranc 2016: 13. Ebd. Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 46. Vgl. Flick 2013: 310. Steinke 2013: 320.

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

Methode, Theorie und Datenbasis anhaften oder mit der einzelnen Forschenden verbunden sind, zu kompensieren. In Anlehnung an den Soziologen Udo Kelle und die Sozialwissenschaftlerin Susann Kluge kann festgestellt werden, dass weder empirische Verallgemeinerungen noch theoretische Aussagen »einfach aus dem Datenmaterial«352 emergieren. Sie argumentieren, dass Forschende »die Realität ihres empirischen Feldes stets durch die ‚Linsen‘ bereits vorhandener Konzepte und theoretischer Kategorien« sehen und eine »bestimmte theoretische Perspektive« notwendig ist, »um ‚relevante Daten‘«353 zu erkennen und zu konzeptualisieren. Zentral sei, so schreiben sie in Anlehnung an die beiden Soziologen Barney Glaser und Anselm Strauss, mit einer »theoretische[n] Sensibilität« über »empirisch gegebenes Material in theoretischen Begriffen zu reflektieren«354. Um der Frage nachgehen zu können, inwiefern in der Beschneidungskontroverse »antisemitische Fragmente«355 und/oder antisemitisches Denken und Fühlen und ein antisemitisches »Glaubens- und Weltdeutungssystem«356 geäußert wurde und wie es aussah, spielten theoretische Überlegungen aus der Antisemitismusforschung eine Rolle, mit denen die konkreten Äußerungen von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen gedeutet wurden. Maßgeblich ist im Anschluss an den Soziologen Albert Scherr und die Soziologin Barbara Schäuble, dass Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen einzelne »antisemitische Fragmente«357 äußern können, die eine Vorstufe zu einer in sich geschlossenen antisemitischen Ideologie darstellen und auf diffusen Differenzkonstruktionen basieren. Bedeutsam ist aber auch, im Anschluss an Salzborn und Schwarz-Friesel, ein umfassendes antisemitisches Denken, Fühlen und Handeln358, das sich in Beiträgen von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen zeigt, wie etwa auf dem Internetblog Zwangsbeschneidung.de. Zwar existiert keine mit Bezug auf die Ablehnung der Vorhautbeschneidung formulierte Theoretisierung des Antisemitismus, es gibt aber sozialwissenschaftliche Theorien und Konzeptualisierungen, die gute Ansätze zur ____________________ 352 353 354 355 356 357 358

Kelle/Kluge 2010: 28. Ebd. Kelle/Kluge 2010: 28, Herv. i. Orig. Scherr/Schäuble 2007: 13. Schwarz-Friesel 2015b: 38. Scherr/Schäuble 2007: 13. Vgl. Schwarz-Friesel 2015b: 38ff.; vgl. Salzborn 2010: 65, 325.

83

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

Bestimmung des Verhältnisses liefern. Die Motive der Kontroverse – als strukturierende Kategorien – entstanden einerseits aus dem Datenmaterial selbst und waren dort von großer Bedeutung. Sie fanden sich in Artikeln in Tageszeitungen, in den narrativen Interviews und schließlich in OnlineKommentaren in Tageszeitungen sowie auf Blogs wie Zwangsbeschneidung.de. Andererseits wurden sie vor dem Hintergrund sozialwissenschaftlicher Theorien und Konzepte des Antisemitismus rekonstruiert, die motivgeschichtlich vorgehen.359 Von diesen ausgehend wurde die Kontroverse anhand der Motive sortiert, geordnet, analysiert und interpretiert; die Theorie wurde also für die Deutung der konkreten Motive genutzt und floss in das ergebnisformende »Beschreibungsmuster«360 ein. Wenngleich kein Anspruch auf Repräsentativität besteht, ist festzuhalten, dass die Motive in unterschiedlichen impliziten und expliziten Ausformulierungen sowie in den verschiedenen Texttypen des Datenmaterials selbst vorkamen. Dies sagt jedoch nichts über eine statistische Verteilung dieser Denk- und Kommunikationsmuster von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen aus. Vielmehr ergaben die öffentlich mediale Kontroverse, die Online-Kommentare sowie die narrativen Interviews zusammengenommen und ins Verhältnis gesetzt die einzelnen Motive, die herauskristallisiert wurden, weil sie sich wechselseitig verstärkten.361 2.7.

Aufbau und Struktur

Im Kapitel 3. Polarisierende Auseinandersetzungen werden fachspezifische (medizinische, psychoanalytische und strafrechtliche) Kritiken an der kulturell-religiösen Vorhautbeschneidung diskutiert, die vor dem Urteil des Kölner Landgerichtes von 2012 formuliert wurden. Es geht darum zu zeigen, wie sich fachspezifische Argumentationen wechselseitig ergänzten und verstärkten, da sich die wissenschaftlichen Beschneidungsgegner im Großen und Ganzen positiv aufeinander beziehen und sich kaum voneinander abgrenzen. Ausgehend von diesen Veröffentlichungen soll beleuchtet werden, dass die Argumentationen im Urteil des Kölner Landgerichtes eine ____________________ 359 360 361

84

Vgl. Schoeps/Schlör 1997: 5; vgl. Jüdisches Museum Wien 1995; vgl. SchwarzFriesel/Reinharz 2013: 115ff. Freikamp/Leanza/Mende/Müller/Ullrich/Voß 2008: 11. Für weitere Ausführungen siehe Kapitel 4. Wiederkehrende Motive.

2. Forschungsstand und methodischer Zugang

Vorgeschichte haben. Zudem lässt sich zeigen, dass einzelne Wissenschaftler ihre Äußerungen in der öffentlich medialen Kontroverse nach dem Landgerichtsurteil zuspitzen und sich gewissermaßen radikalisieren. Die wissenschaftliche Sphäre des Diskurses strahlt also auf die medial geführte Kontroverse aus, da die Wissenschaftler nicht irgendwelche Stimmen in der Kontroverse sind, sondern wirkmächtige Positionen verkörpern. Sie sind Stichwortgeber, formulieren bereits einzelne Motive (wie etwa das der Körperverletzung und des beschädigten Körpers) und erklären Juden und Muslime zu Fremden. Zuletzt sei darauf hingewiesen, dass die Texte eine Doppelfunktion erfüllen. Sie geben fachliche Informationen rund um die Thematik Vorhautbeschneidung und sind Quelle zugleich. Im Kapitel 4. Wiederkehrende Motive wird die Beschneidungskontroverse von 2012 dargestellt. Dieser Teil behandelt Argumentationsfiguren in ihrer Vielgestaltigkeit, die sich wiederholt in der öffentlichen Kontroverse finden. Auch hier wird analysiert, wie Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen über die Vorhautbeschneidung sprechen, jedoch thematisch sortiert und gegliedert in elf Motive beziehungsweise Leitbilder. Diese ziehen sich wie ein roter Faden durch die Kontroverse und ermöglichen es, die Dynamik derselben in den Blick zu nehmen. Zudem kann aufgezeigt werden, wie antisemitische Fragmente und ein antisemitisches Denken und Fühlen in das Sprechen über Vorhautbeschneidungen eingebettet sind.

85

86

3.

Polarisierende Auseinandersetzungen. Die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung im medizinischen, psychoanalytischen und strafrechtlichen Fachdiskurs362

Schon vor der breiten öffentlich geführten Kontroverse im Anschluss an das sogenannte Beschneidungsurteil von 2012 gab es fachspezifische wissenschaftliche Veröffentlichungen, in denen sich Mediziner, Psychoanalytiker und (Straf-)Juristen363 gegen kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen aussprachen. Eine Rekonstruktion und systematische Betrachtung dieser fachspezifischen Beiträge fand allerdings bisher nicht statt. Sie ist wichtig, da das Urteil des Kölner Landgerichtes keine neue Position darstellt. Vielmehr basiert das Urteil auf Argumentationsweisen, die Beschneidungsgegner insbesondere im juristischen Fachdiskurs spätestens seit 2008 veröffentlichten und die keineswegs unumstritten waren. Die juristischen Argumentationen wiederum wurden maßgeblich durch medizinische, aber auch durch psychoanalytische Positionen gegen die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung beeinflusst, die in beiden Disziplinen schon früher aufgekommen waren. Durch die Rekonstruktion von Artikeln und Briefen von Lesenden in einschlägigen Fachzeitschriften der drei Disziplinen wird deutlich, dass die explizite Problematisierung der kulturell-religiösen Vorhautbeschneidung in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich an Dynamik gewann. Insgesamt soll es darum gehen, ein Grundverständnis für Argumentationsweisen gegen kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen zu gewinnen, um

____________________ 362

363

Da es sich um eine analytische Auswertung der drei wissenschaftlichen Fachdiskurse handelt, finden sich die Texte der Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen im Quellen- und nicht im Literaturverzeichnis der vorliegenden Arbeit. Die Aufsätze in Fachzeitschriften wurden ausschließlich von Männern verfasst, weswegen an dieser Stelle ausdrücklich die männliche Form verwendet wird. Wenn einzelne Leserinnenbriefe, die im Anschluss an die Aufsätze im Deutschen Ärzteblatt erschienen sind, von Ärztinnen und Juristinnen verfasst wurden, findet dies ausdrücklich Erwähnung.

87

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

so die spätere öffentliche Kontroverse von 2012 besser einordnen zu können. Aus diesem Grund wird der Antisemitismus, der im darauffolgenden Kapitel im Zentrum steht, an dieser Stelle weitgehend ausgeblendet. In diesem Kapitel werden die Beiträge innerhalb der verschiedenen Fachdisziplinen chronologisch dargestellt. Dabei wird nachgezeichnet, welche Mediziner, Psychoanalytiker und (Straf-)Juristen auf welche Weise gegen kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen argumentierten und wie sie sich interdisziplinär und wechselseitig beeinflussten. Gerade weil diese Veröffentlichungen gegen die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung in der medizinischen und rechtswissenschaftlichen Fachöffentlichkeit auf Kritik und Widerspruch stießen – was für die psychoanalytische Disziplin vor 2012 nur eingeschränkt gilt –, werden auch die Reaktionen berücksichtigt. Abschließend wird das Kölner Landgerichtsurteil als ein Resultat dargestellt, in dem die Argumentationen von Beschneidungsgegnern wirksam wurden. 3.1.

Die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung in Beiträgen von Ärzten/Ärztinnen vor 2012

3.1.1. Nicht »nach medizinischen Aspekten zu bewerten« Anhand der medizinischen Dissertation Die Circumcision. Historie, Indikation, Technik, Komplikationen von Ludwig Eberhard Kaleß aus dem Jahr 1983 kann gezeigt werden, dass sich die Ausrichtung des medizinischen Fachdiskurses im Verlauf der letzten vierzig Jahre verändert hat. Kaleß betont, dass schon die Vorhautbeschneidung an sich – also ohne eine kulturellreligiöse Begründungsdimension – innerhalb des medizinischen Faches kontrovers diskutiert wird. Als Fachrichtungen nennt er unter anderem die Pädiatrie, Dermatologie, Chirurgie und Urologie.364 Er weist darauf hin, dass unter »deutschen Urologen«365 keineswegs Einigkeit darüber bestand, ob, wann und mit welcher Operationstechnik eine Vorhautbeschneidung überhaupt durchgeführt werden sollte. Innerhalb der Medizin werde also der »Sinn (oder Unsinn) dieses Eingriffs […] derzeit [in den 1980er Jahren, ____________________ 364 365

88

Vgl. Kaleß 1983: 4. Ebd.: 200; vgl. Rathert/Roth 1992: 4089.

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

D. I.] sowohl in Deutschland als auch in den USA erneut zum Teil mit starken Emotionen«366 diskutiert. Die Medizin sei gespalten, es gebe zwei Gruppen: Die eine Gruppe befürworte die Vorhautbeschneidung aus sexualhygienischen und krankheitsprophylaktischen Gründen und bewerte den Eingriff deswegen als risikoarm und gefahrlos. Die andere Gruppe akzeptiere die Vorhautbeschneidung nur bei einer Krankheit wie der »echten Phimose«367 (Vorhautverengung)368 und bringe den Eingriff besonders mit Komplikationen in Verbindung. Innerhalb des medizinischen Faches werde entsprechend häufig zwischen einer therapeutischen und nicht-therapeutischen Vorhautbeschneidung unterschieden. Unter die nicht-therapeutische Vorhautbeschneidung falle allerdings nur die prophylaktische, die wiederum nicht mit der religiös begründeten gleichzusetzen sei.369 Eine kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung klammert Kaleß explizit aus, wie im Kapitel Indikationen zur Circumcision deutlich wird. Dort behandelt er die »rituelle Circumcision«, die »Völker[..] und Religionsgemeinschaften« wie »Juden und Mohammedaner«370 durchführen: »Die Circumcision als wesentlichen Bestandteil einer Religionsgemeinschaft nach medizinischen Aspekten zu bewerten, verbietet uns die Toleranz und Achtung gegenüber den Religionen. Außerdem werden nie medizinische Gründe als eigentliche Legitimation der Zeremonie der Beschneidung angeführt.«371

Aus dem deutschsprachigen fachmedizinischen Diskurs wurde die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung zwar nicht gänzlich herausgehalten, sie

____________________ 366 367 368

369 370 371

Kaleß 1983: 1, Herv. D. I.; vgl. auch ebd.: 203f. Ebd.: 3. In gegenwärtigen Definitionen heißt es, eine Vorhautverengung bedeutet, dass sich die Vorhaut nicht über die Eichel/Glans zurückziehen lässt (vgl. Gollaher 2002: 159; vgl. Schröder 2012: 567). Es gibt Mediziner/Medizinerinnen, die zwischen einer pathologischen und einer physiologischen Phimose unterscheiden. Letztere sei regelhaft in den ersten Lebensjahren vorhanden und verwachse sich häufig (vgl. Schäfer/Stehr 2014: 112; vgl. Kleine-Doepke 2014: 12, 90). Andere Mediziner/Medizinerinnen differenzieren zwischen einer primären und einer sekundären Phimose (Ritter/Schabbeck 2014: 133). Vgl. Kaleß 1983: 3. Kaleß 1983: 1, Herv. i. Orig. Ebd.: 40.

89

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

stellte aber keinen zentralen Bezugspunkt dar. Beide Gruppen von Ärzten372 kamen zu ihrer jeweiligen Bewertung der Vorhautbeschneidung, ohne zuerst auf die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung einzugehen beziehungsweise unabhängig von der Beurteilung der kulturell-religiösen Vorhautbeschneidung. Grundsätzlich führten nur wenige Urologen eine kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung durch.373 Allerdings betont Kaleß, »durch den Zustrom ausländischer Arbeitnehmer islamischer Religionszugehörigkeit in den letzten 20. Jahren, wird vermehrt der Wunsch, die Circumcision aus rituellen Gründen auszuführen, an den Arzt herangetragen«374. Auch in der Folgezeit bleibt die Ärzteschaft im Hinblick auf Vorhautbeschneidungen gespalten, wobei die »erstaunliche Divergenz der medizinischen Standpunkte zur Phimose«375 im Zentrum steht. Noch bis in die 1990er Jahre wurde die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung weitgehend ausgeklammert.376 3.1.2. Ein »verstümmelnder Eingriff ohne medizinische Indikation« Ende der 1990er Jahre bringen Ärzte/Ärztinnen die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung in den medizinischen Fachdiskurs verstärkt ein. Dies geschieht zunächst über drei Briefe von Lesern/Leserinnen des bedeutenden Deutschen Ärzteblattes, die zwischen Mai und Juli 1998 erschienen. Das wöchentlich erscheinende Deutsche Ärzteblatt zählt im deutschsprachigen Raum zu den verbreitetsten Medizinzeitungen.377 Durch den langen Erscheinungszeitraum handelt es sich um eine diskursprägende und etablierte ____________________ 372 373 374 375 376 377

90

Da Kaleß nur die männliche Form verwendet und unklar ist, wie hoch der Frauenanteil innerhalb der Urologie in den 1980er Jahren in Deutschland war, wird an dieser Stelle seine Schreibweise übernommen. Vgl. ebd.: 174ff. Ebd.: 189, Schreibweise i. Orig. Rathert/Roth 1992: 4089. Vgl. ebd. Das Deutsche Ärzteblatt ist das offizielle Publikationsorgan der Bundesärztekammer und der kassenärztlichen Bundesvereinigung. Es erscheint seit 1872 – zunächst unter dem Namen Ärztliches Vereinsblatt – und richtet sich an alle niedergelassenen und in Kliniken tätigen Ärzte/Ärztinnen in Deutschland (vgl. Deutscher Ärzte-Verlag 2017: 4f.).

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

Zeitung, an der sich Positionierungen der deutschen Ärzteschaft im Allgemeinen ablesen lassen.378 In diesem Zeitraum lag die Verbreitung der Zeitschrift zwischen 335.093 und knapp 340.000 Exemplaren.379 In dem ersten Brief von Lesenden kritisieren Marianne und Rolf Nikolai Katterfeldt, ein Facharzt und eine Fachärztin für psychosomatische Medizin und Psychotherapie, die Vorhautbeschneidung ohne medizinische Indikation als ärztliches Angebot.380 Anlass des Briefes war der sogenannte IGeL-Katalog von 1998, der die Vorhautbeschneidung ohne medizinische Indikation als mögliche Wunschleistung von Patienten verzeichnete.381 Der IGeL-Katalog führt individuelle Gesundheitsleistungen auf, deren Kosten nicht über die gesetzlichen Krankenversicherungen erstattet werden, sondern von den Patienten/Patientinnen selbst übernommen werden müssen.382 In dem Leser-/ Leserinnenbrief Völlig unverständlich fragen Katterfeldt/Katterfeldt: »Wie kann ein körperverletzender, verstümmelnder Eingriff wie die Beschneidung – wohlgemerkt ohne medizinische Indikation – von Ärzten an wehrlosen und unmündigen kleinen Knaben durchgeführt werden?«383

In den gesunden Körper des »kleinen Kindes« werde unzulässigerweise eingegriffen, weswegen sie beklagen, es gebe keine »Ehrfurcht mehr« vor der »natürlichen Vollkommenheit« des menschlichen Körpers, wie ihn »der Schöpfer […] geschaffen«384 habe. Sie sehen eine kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung als Verstoß gegen göttliches Handeln oder, wem diese Auffassung zu religiös sei, als gegen den Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes – das Recht auf körperliche Unversehrtheit – gerichtet. Juden/Jüdinnen und Muslime/Muslimas kommen in ihren Ausführungen nicht vor. Katterfeldt/Katterfeldt sehen den objektiven Tatbestand der Körperverletzung ____________________ 378 379 380

381 382 383 384

Vgl. Lehmacher 2013: 23, 103. Vgl. IVW 2017. Unter einer medizinischen Indikation kann dem Philosophen und Biologen Dirk Lanzerath zufolge allgemein »ein begründeter Entschluss« zu einer ärztlichen Handlung verstanden werden (Lanzerath 2008: 35). Dem Medizinethiker Gerald Neitzke zufolge umfasst die Indikation die »Prozesse zwischen Wahrnehmung und Bewertung der Situation des Patienten einerseits und den daraus resultierenden ärztlichen Handlungsangeboten und -vorschlägen hinsichtlich weiterer Diagnostik und Therapie andererseits« (Neitzke 2008: 53). Vgl. Krimmel 1998: 582. Vgl. Hermanns/Filler/Roscher 2008: 89. Katterfeldt/Katterfeldt 1998: 1204. Ebd.

91

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

nach Strafgesetzbuch erfüllt und bedauern, dass die »verstümmelten Knaben«385 im erwachsenen Alter ihre Beschneider nicht mehr belangen können, da die Tat bereits verjährt sei. Auf den im Deutschen Ärzteblatt abgedruckten Brief von Katterfeldt/Katterfeldt folgten Anfang Juli 1998 zwei Reaktionen, wovon eine zustimmend und eine kritisch ausfiel.386 Kritisch äußert sich der Chirurg Niels Pausch. Er hält Katterfeldt/Katterfeldt entgegen, »daß die Schöpfung auch Kinder ohne Extremitäten oder mit freiliegendem Rückenmark hervorbringt« und eine generelle Perfektion »nicht gegeben«387 scheint. Ferner sollten sie akzeptieren, »daß die Beschneidung von Knaben für zahlreiche Völker einen essentiellen Bestandteil ihrer Kultur« darstelle und in »einem multikulturellen Europa« die »deutsche Angst um fremde Präputien«388 (Vorhäute) überflüssig sei. Unter dem Titel Brandmarken schrieb hingegen der Kinderarzt Helmut Wolschner, dass ihn die klare Stellungnahme »[f]ür unsere Kinder« gegen die »rituelle oder nicht medizinisch streng indizierte Zirkumzision bei Jungen sehr gefreut«389 habe. Unter Bezugnahme auf die Kinder geriert sich der Arzt als Fürsprecher aller Kinder, ohne darauf einzugehen, dass es in der Gesellschaft verschiedene kulturell-religiöse Familienhintergründe gibt. Es müsse darum gehen, die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung zu »brandmarken«, da sie eine »menschenverachtende Verstümmelung«390 sei. Durch die »rituell durchgeführten Kinder-Verstümmelungskosten« dürfe die »Sozialgemeinschaft der Krankenversicherten«391 nicht belastet werden. In einem narrativen Interview kommt der Kinderchirurg L. R. darauf zu sprechen, wie sich die Ablehnung von kulturellreligiösen Vorhautbeschneidungen innerhalb der Ärzteschaft in Deutschland entwickelte. Kinderärzte/Kinderärztinnen waren insgesamt, so erläutert L. R., die ersten, die sich bereits Ende der 1990er Jahre gegen Beschneidungen von Säuglingen/Jungen positionierten.392 ____________________ 385 386 387 388 389 390 391 392

92

Ebd. Vgl. Pausch 1998: 1698. Pausch 1998: 1698, Schreibweise i. Orig. Ebd., Schreibweise i. Orig., Herv. D. I. Wolschner 1998: 1698, Herv. D. I. Ebd. Ebd. Vgl. L. R. 2014: Z. 110ff.

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

In zwei Artikeln von 2001, die in medizinischen Fachzeitschriften erschienen, argumentieren der Facharzt für Kinderchirurgie und -urologie Maximilian Stehr393 und der Facharzt für (Kinder-)Chirurgie Hans-Georg Dietz394 zwar kritisch, aber nicht ablehnend gegen kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen. Sie argumentieren (gemeinsam mit den Kinderchirurgen Tobias Schuster und Ingolf Joppich) dafür, Vorhautbeschneidungen aufgrund neuer medizinischer Erkenntnisse als negativ-folgenreichen medizinischen Eingriff zu werten.395 Der alten Auffassung und Bewertung, eine Vorhautbeschneidung ziehe keine negativen Folgen nach sich, widersprechen sie entschieden, wenn sie etwa die traumatische Wirkung von »Neugeborenenzirkumzision[en]«396 hervorheben (obwohl sie zugleich sagen, die Studienlage sei »rar«). Trotzdem erkennen sie die Bedeutung der religiösen Beschneidung für Juden und Muslime grundsätzlich an, wenn sie schreiben, »[d]er Zirkumzision aus religiösen und/oder sozio-kulturellen Gründen sollte mit Respekt begegnet werden«397. Die Zirkumzision sei ein »Identifikationsmittel« und sollte »dem Kind zur freien Entwicklung und Entfaltung seiner Persönlichkeit nicht verwehrt werden«; vor diesem Hintergrund habe »das Kind […] wirklich ein Recht auf Beschneidung«398. Auch wenn sie dieses Recht auf Beschneidung im Verlauf des Artikels nicht weiter ausführen, berücksichtigen sie, dass die Bewertung einer Vorhautbeschneidung unauflöslich mit weltlichen oder religiösen Anschauungen und Identifikationen verbunden ist.399 ____________________ 393

394 395 396 397 398 399

Prof. Dr. med. Dr. h.c. Maximilian Stehr ist Facharzt für Kinderchirurgie und Fellow of the European Academy of Pediatric Urology. Er ist Chefarzt der Abteilung Kinderchirurgie und Kinderurologie der Cnopf‘schen Kinderklinik/Klinik Hallerwiese in Nürnberg und Professor für Kinderchirurgie an der Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Zudem ist er der erste Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Kinderurologie in der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie. Prof. Dr. med. Dr. h.c. Hans-Georg Dietz ist leitender Oberarzt der Kinderchirurgischen Klinik und Poliklinik der Ludwig-Maximilians-Universität in München und Leiter der Kindertraumatologie. Vgl. Stehr/Schuster/Dietz/Joppich 2001: 52; vgl. Dietz/Schuster/Stehr 2001: 320ff. Stehr/Schuster/Dietz/Joppich 2001: 54. Ebd. Ebd. Vgl. ebd.: 51.

93

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

Diese 2001 vorgetragene Argumentation von Stehr/Dietz verändert sich offensichtlich im Verlauf des ersten Jahrzehnts der 2000er Jahre. Denn in einem Artikel von 2008, den sie gemeinsam mit dem Strafrechtler Holm Putzke im Deutschen Ärzteblatt veröffentlichen, lehnen sie nun die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung als Körperverletzung ab (wie bereits Katterfeldt/Katterfeldt). Das Ärzteblatt Sachsen veröffentlicht zwar schon 2006 den Artikel Beschneidung in Deutschland. Religionsfreiheit oder Körperverletzung? des Juristen Bernd-Rüdiger Kern, den er gemeinsam mit Knut Köhler verfasste und der eine ähnliche Stoßrichtung hatte.400 Da das Ärzteblatt Sachsen aber ein regionales Ärzteblatt mit weitaus geringerer Verbreitung ist – nur innerhalb von Sachsen –, wird im Folgenden auf die Argumentation von Stehr/Putzke/Dietz fokussiert. 3.1.3. Das Problem der »medizinisch nicht indizierten Zirkumzision« Ende August 2008 veröffentlichen also M. Stehr, H. Putzke und H.-G. Dietz den Artikel Strafrechtliche Konsequenzen auch bei religiöser Begründung. Er erschien im Deutschen Ärzteblatt in der Rubrik »Themen der Zeit«. 401 Die Autoren argumentieren, dass Ärzte/Ärztinnen eine Vorhautbeschneidung ohne medizinische Notwendigkeit ablehnen sollten, sie dürften nur medizinisch eingreifen, wenn beispielsweise eine Krankheit vorläge.402 Zu viele Fachkollegen/Fachkolleginnen griffen »unnötigerweise zum Skalpell« und wendeten – anstatt konservative alternative Heilverfahren auszuschöpfen – falsche Behandlungsmethoden bei der Diagnose Phimose an.403 In den Körper beziehungsweise die körperliche Integrität eines Menschen dürfe kein anderer Mensch ohne Rechtfertigung eingreifen.404 Weil ____________________ 400 401

402 403 404

94

Vgl. Kern/Köhler 2006: 104f. Kurz zuvor, Ende Juli 2008, erschien in der Monatsschrift Kinderheilkunde der Artikel Strafbarkeit der Zirkumzision von Jungen. Er enthält keine abweichenden Argumente, wenngleich einzelne Aspekte stärker ausgeführt werden. So wird etwa der ärztliche Heileingriff genauer definiert (vgl. Putzke/Stehr/Dietz 2008: 786). Der Artikel zeigt, wie sehr die Autoren um die Verbreitung ihrer Argumente bemüht sind. Vgl. Stehr/Putzke/Dietz 2008: 1779. Vgl. ebd. Vgl. ebd.: 1778.

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

Ärzte/Ärztinnen bei der Vorhautbeschneidung in den Körper des Säuglings/Jungen eingreifen, ohne dass dieser selbst eine Einwilligung liefern kann, sei die Beschneidung eine Körperverletzung beziehungsweise eine Verletzung der körperlichen Unversehrtheit. Dies gelte für eine Vorhautbeschneidung unabhängig von der kulturell-religiösen oder medizinischen Begründung allgemein.405 Eine Zirkumzision stelle schließlich einen »irreversiblen Verlust von Körpersubstanz«406 dar.407 Weil die Vorhautbeschneidung Stehr/Putzke/Dietz zufolge also eine Körperverletzung ist, brauchen Eltern eine ausreichende Rechtfertigung, damit der Eingriff nicht rechtswidrig und damit strafbar wäre. Entsprechend kommen sie auf vier mögliche Rechtfertigungen zu sprechen: die hygienische, ästhetische, religiöse und medizinische. Einzig die medizinische Begründung könne, in strafrechtlicher Sicht, eine ausreichende Rechtfertigung bieten. Den hygienischen Grund widerlegen sie mit dem Argument der regelmäßigen Körperpflege, den ästhetischen mit dem Hinweis, dass ein Minderjähriger davon keinen Nutzen habe und zu einem späteren Zeitpunkt ein anderes ästhetisches Empfinden haben könnte.408 Die Behauptung einiger Mediziner/Medizinerinnen, eine Vorhautbeschneidung verhüte Krankheiten und wirke prophylaktisch gegen »die Entwicklung verschiedener Karzinomata (Peniskrebs, Gebärmutterkrebs), die Infektion mit HIV, aber auch andere venerische Erkrankungen wie Syphilis oder Gonorrhö und […] gegen Harnwegsinfektionen, Phimose oder Paraphimose«409, könne nicht angeführt werden. Denn diese Krankheiten seien entweder ohnehin selten oder jedenfalls nicht in Deutschland verbreitet.410 Dabei changieren ihre Argumente zwischen einer nationalen und einer globalen Perspektive: Einer-

____________________ 405 406 407

408 409 410

Vgl. ebd. Ebd.: 1779, Herv. D. I. Bei der Frage, ob der Tatbestand einer Körperverletzung erfüllt ist, wird unter anderem darauf abgestellt, ob eine Substanzverletzung des Körpers stattfindet. Unter Körpersubstanz ist sowohl biologisches Material in Form von Zellen, Gewebe und Blut als auch ein Organ eines lebenden Menschen zu verstehen (vgl. Breithaupt 2012: 28f.). In der Rechtswissenschaft wird zwischen Körperteilen des lebenden und des toten Körpers unterschieden. Vgl. Stehr/Putzke/Dietz 2008: 1780. Ebd.: 1779. Vgl. ebd.

95

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

seits sei die HIV-Prävention durch Beschneidung nicht für Deutschland relevant, da hier die Zahl der Neuinfektionen zu gering sei. Andererseits wiege die durch Beschneidungen verursachte Sterblichkeitsrate – hier werden außereuropäische Kontexte mitgedacht – Krankheiten wie Peniskrebs auf.411 Während die Autoren im ersten Argument eine Vergleichbarkeit zwischen Deutschland und anderen Staaten verwerfen, gestatten sie im zweiten Argument die Übertragung der Sterblichkeitsrate, obwohl sie für Deutschland nicht zutreffend ist. Die religiöse Begründung lassen die Autoren als Rechtfertigung nicht gelten. Die Eltern würden mit einer solchen gegen das Wohl und das Interesse ihres Sohnes entscheiden, was jedoch eine Unterstellung ist.412 Im weiteren Verlauf der Argumentation problematisieren Stehr/Putzke/ Dietz besonders die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung. Es gebe »keine zwingenden Argumente«413, mit denen sich eine religiöse Beschneidung von Minderjährigen begründen lasse. Kulturell-religiöse Perspektiven wie das Recht der Eltern auf freie religiöse Erziehung oder die Bedeutung der Vorhautbeschneidung als ausgesprochen wichtiges »Identifikationsmittel«414 zählen für sie nicht. In die Zukunft gedacht rechnen sie vor, je weniger Jungen aus religiösen Gründen beschnitten würden, desto weniger sei eine »Stigmatisierung«415 als nicht-beschnitten möglich. Auf diese Weise ändere sich das Mehrheits- und Minderheitsverhältnis innerhalb der Religionsgemeinschaft, das Argument der Identifikation über die Vorhautbeschneidung könne dadurch keine Gültigkeit mehr beanspruchen. Indem sie die religiöse Begründung im rechtsfreien Raum verorten, lassen sie die Religionsfreiheit als zentrales Recht, auf das sich religiöse Individuen und Kollektive beziehen können, gerade nicht gelten.416 Der Lösungsvorschlag ihres Problems der kulturell-religiösen Vorhautbeschneidung besteht darin, die Säuglinge/Jungen nicht beschneiden zu lassen, bis sie selbst wirksam einwilligen können.417 In diesem Zusammen____________________ 411 412 413 414 415 416 417

96

Vgl. ebd. Vgl. ebd.: 1779f. Ebd.: 1779. Vgl. ebd.: 1780. Ebd. Siehe hierzu 3.3.5. Kritische Reaktionen innerhalb der Rechtswissenschaft. Vgl. ebd.

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

hang argumentieren sie gewissermaßen mit dem Judentum gegen das Judentum: es gebe die im Judentum festgeschriebene Ausnahmeregelung, Säuglinge bei Krankheit oder körperlicher Schwäche nicht am achten Tag, sondern zu einem späteren Zeitpunkt zu beschneiden. Von dieser Ausnahmeregelung solle allgemein Gebrauch gemacht werden. Die Vorhautbeschneidung muslimischer Jungen stellt für sie weniger ein Problem dar, da es »im Islam keinen allseits verbindlichen Zeitpunkt«418 gebe. Während in früheren Beiträgen die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung aus Respekt vor der jüdischen und muslimischen Religionsgemeinschaft (stillschweigend) akzeptiert worden war, rückt sie nun ins Zentrum der Kritik. Wobei die Autoren sogar so weit gehen, Juden/Jüdinnen und Muslimen/Muslimas ihre Autonomie in der Auslegung ihres Glaubens abzusprechen. Damit formulieren sie einen anmaßenden Lösungsvorschlag, ohne ihre Außenperspektive (als Christen oder Atheisten) zu reflektieren. 3.1.4. Uneinigkeiten unter Ärzten/Ärztinnen (und Juristen/Juristinnen) Der Artikel von Stehr/Putzke/Dietz von 2008 wurde im Deutschen Ärzteblatt sowie in den Fachzeitschriften Der Urologe und Klinische Pädiatrie rezipiert. Im Deutschen Ärzteblatt erscheinen zwei Leser-/Leserinnenbriefe, die den Artikel positiv aufnehmen, und vier, die ausnehmend kritisch sind. Die affirmativen Briefe der Lesenden bringen keine neuen Argumente in die Debatte ein, zeigen aber, dass eine solche Perspektive begeisterte Anhänger findet.419 Der Facharzt für Allgemeinmedizin, Wolfgang Ermes, kritisiert, die Vorhautbeschneidung könne nicht mit einer strafbaren Körperverletzung verglichen werden, da es »ebenso viele Studien« gebe, »die einen eindeutigen Vorteil für die Gesundheit des Kindes«420 belegen. Zudem ____________________ 418 419

420

Ebd. Der Facharzt für Allgemeinmedizin, Albrecht Pitzken, lobt die konsequente Argumentation von Stehr/Putzke/Dietz. »Noch nie« habe er eine »so klare, eindeutig und konsequent begründete Publikation zu diesem Thema« gelesen (Pitzken 2008: 2330). Auch der Facharzt für Neurologie Stefan Diez lobt die Argumentation von Stehr/Putzke/Dietz und betont, eine Körperverletzung könne »niemals aber ideologisch oder gar emotional gerechtfertigt« werden, sondern »nur sachlich-medizinisch« (Diez 2008: 2327). Ermes 2008: 2328.

97

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

sei eine Vorhautbeschneidung »sicherlich medizinisch unbedenklicher« als die prophylaktische »Entfernung von Tonsillen [Gaumen- wie Rachenmandeln] oder adenoiden Wucherungen [z.B. die Vergrößerung der Rachenmandeln]«421 (im Hinblick auf Blutverlust beziehungsweise Nachblutungen), die regelmäßig durchgeführt würden. Der Kinderarzt Benno Kretzschmar problematisiert die Behauptung von Stehr/Putzke/Dietz, Ärzte/Ärztinnen machten sich strafbar, wenn sie eine medizinisch nicht indizierte Vorhautbeschneidung durchführen würden. Im Gegensatz zur »sogenannten weiblichen Beschneidung« bringe die männliche Vorhautbeschneidung keinen »definitiven Schaden«422 hervor. Die weibliche Beschneidung komme einer »sexuellen Verstümmelung«423 gleich, es handele sich um eine schwere Körperverletzung, deren Verbot zu Recht gefordert werde. Bei der Vorhautbeschneidung könne er die Forderung des Verbotes hingegen nicht gutheißen, da die Vorhautbeschneidung im Judentum und im Islam praktiziert werde, was ihr in einer rechtlichen Auseinandersetzung Gewicht verleihen sollte.424 Die Fachanwältin für Familien- und Medizinrecht Anni Demuth und die Fachanwältin für Straf- und Medizinrecht Judith Ehret schränken die Ausführungen von Stehr/Putzke/Dietz durch drei Argumente ein: Erstens habe bisher kein deutsches Gericht eine religiöse Beschneidung als rechtswidrige Tat im Sinne einer Körperverletzung gewertet, zweitens gebe es kein Gesetz, das religiöse Beschneidungen unter Strafe stellt, und drittens sei jeder ärztliche Eingriff tatbestandsmäßig eine Körperverletzung.425 Da das »juristische Problem«426 bisher nicht gerichtlich geklärt sei, raten sie Ärzten/Ärztinnen, vor der Vorhautbeschneidung ein Aufklärungsgespräch mit den Eltern durchzuführen, dieses schriftlich zu dokumentieren sowie Unterschriften der Personensorgeberechtigten – und des Sohnes, sofern er das Alter von 12 Jahren erreicht hat – einzuholen. Die Fachärztin für Neurologie Judith U. Harrer-Haag kritisiert, dass eine »Illegalisierung der Beschneidung«427 dazu führt, dass sie außerhalb des ____________________ 421 422 423 424 425 426 427

98

Ebd. Kretzschmar 2008: 2328. Ebd. Vgl. ebd. Vgl. Demuth/Ehret 2008: 2330. Ebd. Harrer-Haag 2008: 2330.

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

Krankenhauses durchgeführt werde. So würden hygienische Standards möglicherweise nicht mehr eingehalten, was »dem Wohl des Kindes« am wenigsten diene. Zudem sei die Vorhautbeschneidung für Juden/Jüdinnen und Muslime/Muslimas »eine Selbstverständlichkeit, selbst wenn sie nicht gläubig sind«.428 Auch in den USA sei die Beschneidung aus hygienischen Gründen sehr verbreitet und finde nur nicht statt, wenn sich Eltern explizit dagegen aussprechen. Sie betont, dass religiöse Vorhautbeschneidungen von speziell ausgebildeten Fachmännern, die häufig Ärzte sind, durchgeführt werden. Mit etwas zeitlicher Verzögerung antworten 2009 die Rechtsanwälte Frank Schramm und Stephan Gierthmühlen, die Chirurgin Anne Katrin Eckstein, der (Kinder-)Chirurg Andreas Schmidt sowie der Urologe Martin Bloch auf den Artikel von Stehr/Putzke/Dietz. In ihrer Kritik, die sie in der monatlich erscheinenden Fachzeitschrift Der Urologe in der Rubrik »Leitthema« veröffentlichen, heben sie explizit auf die Autonomie der jüdischen und muslimischen Religionsgemeinschaft ab. Der Urologe ist das Publikationsorgan der Deutschen Gesellschaft für Urologie und des Berufsverbandes der Deutschen Urologen. Er richtet sich an alle niedergelassenen und in Kliniken tätigen Urologen/Urologinnen und erschien 2009 in einer Druckauflage von 7.700 Exemplaren.429 Damit ist die Verbreitung deutlich geringer als die des Deutschen Ärzteblattes, die 2008 je nach Quartal zwischen knapp 394.000 und knapp 397.000 Exemplaren lag.430 In ihrem Artikel erheben Schramm/Gierthmühlen et al. sowohl medizinische als auch juristische Einwände gegenüber der Argumentation von Stehr/Putzke/Dietz. Zunächst stellen sie einleitend fest, dass die drei Autoren »sehr emotional« und »nicht immer rational«431 argumentieren. Weitergehend kritisieren sie, dass Stehr/Putzke/Dietz Vorhautbeschneidungen ausschließlich mit Nachteilen für Jungen in Verbindung bringen und zudem die soziokulturelle Bedeutung im Judentum und Islam vernachlässigen. Für ihre Definition des Kindeswohls würden Stehr/Putzke/Dietz einerseits nicht den gesellschaftli-

____________________ 428 429 430 431

Ebd. Vgl. Der Urologe 2010. Vgl. Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW) 2017. Schramm/Gierthmühlen/Eckstein/Schmidt/Bloch 2009: 869.

99

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

chen Konsens – der religiöse Beschneidungen von Jungen als Akt der Religionsausübung akzeptiere – heranziehen, andererseits eine wichtige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes missinterpretieren. Das Bundesverfassungsgericht verstehe unter freier Religionsausübung »mehr als religiöse Toleranz, d.h. bloße Duldung religiöser Bekenntnisse oder irreligiöser Überzeugungen«432. Vielmehr gehe es um die »(innere) Freiheit zu glauben oder nicht zu glauben« und die »äußere Freiheit, den Glauben zu manifestieren, zu bekennen und zu verbreiten«433. Der Staat könne daher einerseits nicht ohne Weiteres Sanktionen wie ein Beschneidungsverbot erlassen, andererseits sei die Vorhautbeschneidung durch das Erziehungsrecht der Eltern (in religiöser und weltlicher Hinsicht) und ihre Religionsfreiheit gedeckt.434 In Reaktion auf den Artikel von Schramm et al. verteidigten Putzke/Stehr/Dietz ihre Argumente in einem Leserbrief vom Februar 2010, den die Fachzeitschrift Der Urologe veröffentlichte. Sie werfen Schramm/Gierthmühlen/Eckstein/Schmidt/Bloch vor, ihrerseits die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts unzutreffend zu interpretieren. Der »‚normale‘ Arzt«435 könnte sich nicht auf das Urteil berufen, da er ohne religiöses Gewissen handele. In ebendieser Februar-Ausgabe des Urologen veröffentlichen Schramm und Gierthmühlen einen Kommentar, der die Debatte um den Artikel beendet. Zum einen kritisieren sie, dass Putzke/Stehr/Dietz den Wert des Grundrechts der Religionsausübungsfreiheit grundsätzlich verkennen und den Begriff des »religiöse[n] Gewissensrabatt[es]« despektierlich verwenden.436 Zum anderen verorten sie die unterschiedlichen juristischen Selbstverständnisse, die sich in dem Streit um kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen ausdrückten, auf theoretischer beziehungsweise rechtsphilosophischer Ebene als »Positivismus gegen Nichtpositivismus«437. Im Kern stünden sich zwei unterschiedliche Gesetzes- und Rechtsauffassungen gegenüber,

____________________ 432 433 434 435 436 437

100

Ebd.: 872. Ebd. Vgl. ebd. Putzke/Stehr/Dietz 2010: 287. Schramm/Gierthmühlen 2010: 288. Ebd.

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

die sich nicht vereinbaren oder versöhnen ließen. Die positivistische Position, der sie Putzke et al. zuordnen, vertrete die Ansicht, das kodifizierte Recht müsse als positive Setzung gelten, auch wenn es ungerecht sei. Die nichtpositivistische Position, der sie sich selbst zurechnen, umfasse die Ansicht, dass »das vom Menschen gesetzte Recht aufgrund übergeordneter Werte und Normen zurücktreten« könne. Gesetze existierten nicht zum Selbstzweck, sondern stellten »die Kodifizierung eines gesellschaftlichen Konsens dar«438. Positiv hingegen wird der Artikel von Stehr/Putzke/Dietz in der Zeitschrift Klinische Pädiatrie, die sich an Pädiater/Pädiaterinnen439 in Kliniken richtet, aufgenommen.440 Dort erschien 2009 der Artikel Juristische Aspekte der rituellen Zirkumzision der beiden Urologen Matthias Schreiber und Günter E. Schott, des Kinder- und Jugendarztes Wolfgang Rascher und des Juristen Albrecht Bender.441 Sie argumentieren mit positiver Bezugnahme auf die 2008 erschienenen Beiträge von Putzke, Jerouschek und Stehr/Dietz sowie auf einzelne Urteile und Beschlüsse von Gerichten, dass die rituelle Zirkumzision neben Unterschieden auch Parallelen zur »weiblichen Zirkumzision«442 aufweise, im Gegensatz dazu jedoch bisher nicht »als Rechtsproblem aufgefasst«443 werde. Auch sie bewerten die kulturellreligiöse Vorhautbeschneidung als Körperverletzung, die nicht ohne die Einwilligung des Betroffenen durchgeführt werden dürfe. Die Eltern könnten in den Eingriff »nicht wirksam […] einwilligen«444, weswegen zukünftig mit Schadensersatzansprüchen durch die beschnittenen Betroffenen gerechnet werden müsse.

____________________ 438 439 440 441 442 443 444

Ebd. Mit der medizinischen Bezeichnung sind Kinder- und Jugendärzte/Jugendärztinnen gemeint. Es war nachträglich leider nicht möglich, die Verbreitung aus dem Jahr 2009 festzustellen. 2017 liegt die Verbreitung der Fachzeitschrift bei 350 Exemplaren (vgl. Klinische Pädiatrie 2017). Wenngleich der Artikel mit »Juristische Aspekte« überschrieben ist, greift er gleichermaßen medizinische wie juristische Aspekte auf und wurde in einer medizinischen Fachzeitschrift veröffentlicht. Schreiber/Schott/Rascher/Bender 2009: 409. Ebd.: 410. Ebd.: 413.

101

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

3.2.

Die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung in Beiträgen von Psychoanalytikern vor 2012

3.2.1. Freuds vermeintliches Trauma der Vorhautbeschneidung In der psychologischen beziehungsweise psychoanalytischen Fachdisziplin warf der Soziologe und Psychoanalytiker Franz Maciejewski445 Anfang der 2000er Jahre einen kritischen Blick auf die jüdische Vorhautbeschneidung. Zwar gehört er nicht zu den in der öffentlichen Kontroverse auftretenden Beschneidungsgegnern, war aber ein wichtiger Bezugspunkt für einige von diesen. In der Fachzeitschrift Psyche erschien 2003 der Artikel Zu einer ‚dichten Beschreibung‘ des Kleinen Hans. Über das vergessene Trauma der Beschneidung. Die monatlich erscheinende Zeitschrift ist das zentrale Medium des Faches, da es sich um die »einzige deutschsprachige Monatszeitschrift für Psychoanalyse« handelt.446 Maciejewski setzt sich in dem Artikel mit der begrenzten Reichweite der Freud’schen Theorie des Kastrationskomplexes auseinander und versucht eine Neubewertung des Verhältnisses von Trieb- und Traumatheorie, das Freud anhand der Fallgeschichte des »Kleinen Hans« entwickelt hatte.447 Er setzte die Texte Freuds in einen engen Zusammenhang zu dessen persönlicher und sozialer Identität, um zu einer wissenschaftstheoretischen Selbstreflexion der psychoanalytischen Disziplin beizutragen.448 Ausgangspunkt für Maciejewski ist das empirische Material, das Freuds Fallgeschichte zugrunde lag und das er neu interpretiert. Freud habe Hans‘ Krankengeschichte unzureichend gedeutet, da er ____________________ 445 446

447

448

102

Maciejewski wurde 1946 geboren und arbeitet als Autor. Er war Leiter des Forschungsprojekts »Erinnerungsrituale des Holocaust« an der Universität Heidelberg. Seit ihrer Begründung 1947 erhebt sie den Anspruch, »den gegenwärtigen Stand der Psychoanalyse, ihrer Forschung, Theoriebildung, Methodologie und Behandlungstechnik« zu repräsentieren »und die verschiedenen Strömungen der heutigen Psychoanalyse« darzustellen und zu diskutieren (Psyche o.J.). Die reguläre Auflage der Zeitung lag im ersten Jahrzehnt der 2000er Jahre bei 4.700 Exemplaren. Eigentlich hieß der Kleine Hans mit bürgerlichem Namen Herbert Graf. In dem Text Ein neuer Blick auf den Kleinen Hans – 100 Jahre danach von 2005 beschreibt Maciejewski umfassender als in dem Artikel in der Psyche die Entstehungsbedingungen der Freud’schen Schrift (vgl. Maciejewski 2005: 7ff., 18f.). Vgl. Maciejewski 2004: 459; vgl. Maciejewski 2002: 12ff.

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

die jüdische Herkunft des Kleinen Hans verschleierte und verschwieg, um den Universalitätsanspruch (unabhängig von ethnischen, religiösen oder anderen kulturellen Besonderheiten) seiner Theorie über den Kastrationskomplex nicht zu gefährden.449 Entgegen der Vorgehensweise Freuds müsse der jüdische Familienhintergrund des Kleinen Hans hervorgehoben werden, da er beinhalte, dass dieser durch seine jüdischen Eltern nicht antisemitisch indoktriniert wurde. Grundlegend anders sei dies hingegen, so Maciejewski, in einem nicht-jüdischen Familienhintergrund gewesen, da der nicht-jüdische Junge dort in seiner phallischen Phase – also während der Kastrationskomplex wirke – von seinen Eltern ein offenes oder verstecktes Angebot bekomme, »Ängste auf das konstruierte Bild des männlichen jüdischen Körpers zu projizieren«450. In frühen Ausführungen zu Antisemitismus hatte Freud geschrieben, die Vorhautbeschneidung sei die tiefste unbewusste Wurzel des Antisemitismus, da unbeschnittene Nicht-Juden eine Vorhautbeschneidung mit einer Kastration gleichsetzten und den Juden dafür hassten.451 Als Erklärung dafür, wie es dazu kommt, dass auch Juden an einem antisemitischen Komplex leiden und Hass auf ihr Jüdisch-Sein entwickeln, bietet Maciejewski das »Trauma der Beschneidung«452 an: »Bei der Abtrennung der Vorhaut am achten Tag nach der Geburt handelt es sich zweifellos um ein überwältigendes äußeres Ereignis, eine sexuell-aggressive Szene aus der allerfrühesten Phase seelischer Strukturbildung, die eine nachträgliche (also in zweiphasiger Pathogenese sich vollziehende) Wirkung erwarten läßt.«453

Mit dieser Sichtweise richtet Maciejewski den Blick »auf die Kehrseite des Kastrationskomplexes«454. In einem Essay von 2004, das ebenfalls in der Zeitschrift Psyche erschien, kritisiert der Psychoanalytiker Wolfgang Hegener Maciejewski einerseits dafür, unbewusst dem antisemitischen Klischee »des sadistischen Juden […], der seine und andere Kinder schändet«455, aufgesessen zu sein, ____________________ 449 450 451 452 453 454 455

Maciejewski 2003: 528f.; siehe hierzu auch Hegener 2004: 67. Maciejewski 2003: 529. Freud zit. n. Maciejewski 2003: 527; vgl. Maciejewski 2002: 525; vgl. Hegener 2009: 250. Maciejewski 2003: 530. Ebd.: 525. Ebd.: 530. Hegener 2004: 63.

103

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

und andererseits, zirkulär zu argumentieren. Maciejewski betrachte den jüdischen Selbsthass als »Urform des Antisemitismus«456 und zeichne damit ein Zerrbild des Judentums als »gleichsam trieb-, frauen- und sohnesfeindliche[..] Religion«457. Maciejewski wiederum verteidigt sein wissenschaftliches Anliegen in der Psyche und wehrt sich gegen die Kritik, er habe die Vorhautbeschneidung per se zu einem Trauma und einer schweren Form sexueller Misshandlung gemacht, die unreflektiert und insgeheim in der jüdischen Psychoanalyse verallgemeinert werde.458 In einer späteren Veröffentlichung von 2006 wiederholt er seine Sichtweise auf die jüdische Vorhautbeschneidung als »sexuelles Attentat«459 und betont, die »traumatischen Komplexe«460 aus Freuds frühen Kindheitsjahren seien ein Desiderat späterer psychoanalytischer Forschungen geblieben. Die Veröffentlichungen von Maciejewski wurden für einen innerpsychoanalytischen Wissenschaftsdiskurs geschrieben und stellten einen Ausgangspunkt für eine komplexe Fachkontroverse in der Zeitschrift Psyche dar.461 In Tageszeitungen beziehungsweise während der 2012 stattgefundenen Kontroverse meldete sich Maciejewski nicht breitenwirksam zu Wort, was nicht weiter verwundert, da es ihm hauptsächlich um »eine Neu- und Weiterentwicklung der Psychoanalyse als Wissenschaft«462 geht. Seine Veröffentlichungen waren jedoch ein kaum zu überschätzender Ausgangspunkt besonders für den Psychoanalytiker Matthias Franz, aber auch für den Psychoanalytiker und Strafrechtler Günter Jerouschek. Beide bezogen sich positiv auf seine Forschung und betonen verkürzend und mit Bezug auf die Gegenwart, dass die kulturell-religiöse Beschneidung per se traumatisiere und einen »sexuellen Missbrauch« darstelle.463 Während Maciejewski auf

____________________ 456 457 458 459 460 461 462 463

104

Ebd.: 72. Ebd.: 73. Maciejewski 2004: 460f. Maciejewski 2006: 36. Ebd.: 15. Mit traumatischen Komplexen meint Maciejewski konkret Freuds eigene Beschneidung, die seines jüngeren Bruders Julius sowie dessen Tod im Säuglingsalter. Siehe die Rezensionen von Rhode-Dachser 2003, Hegener 2004 und De Klerk 2004. Maciejewski 2004: 462. Vgl. Franz 2006: 120f.; vgl. Franz 2008: 45; vgl. Jerouschek 2008: 313f.

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

Freud, die Beschneidung im Judentum und die Entstehung der Psychoanalyse fokussiert, geht es Franz speziell um gegenwärtige gesellschaftliche Probleme, die er mit der traumatisierenden Vorhautbeschneidung in Verbindung bringt. 3.2.2. »Schneidende Gewalt« und »archaisches Genitaltrauma« Der Psychoanalytiker und Facharzt für psychosomatische Medizin, Neurologie und Psychiatrie Matthias Franz464 veröffentlicht 2010 mit Männliche Genitalbeschneidung und Kindesopfer. Psychoanalytische Aspekte eines archaischen Genitaltraumas einen erweiterten und aktualisierten Aufsatz zur Vorhautbeschneidungs-Thematik.465 Er beschreibt historische beziehungsweise archaische Aspekte und Funktionen der Vorhautbeschneidung und ordnet sie als Residuum der religionsgeschichtlichen »Universalität des Menschenopfers«466 oder »Blutopfers«467, genauer des Sohnesopfers ein. Da die Menschen sämtliche Erfahrungen (wie Krankheit und Tod) und Geschehnisse (beispielsweise Erdbeben, Feuer) auf ein »Wirken göttlicher Mächte«468 zurückführten, opferten sie zahlreiche Gaben und auch sich selbst, um die Götter zu besänftigen. Durch fortschreitende Zivilisierung seien Ritualhandlungen und Opfergaben transformiert und überwunden worden, wie sich am Beispiel des Christentums zeige. Im Judentum und Islam habe diese progressive Entwicklung nicht stattgefunden, wie die Vorhautbeschneidung zeige.469 Die »patriarchalische Beschneidung der männlichen Nachkommen im Judentum« könne als »zivilisatorisch ritualisierte ____________________ 464

465

466 467 468 469

Franz, Jahrgang 1955, ist Professor für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Er arbeitet am Klinischen Institut für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Universitätsklinikums Düsseldorf und ist Lehr- und Gruppenlehranalytiker. Sein Beitrag basiert auf dem Text Vom Kindesopfer zur Beschneidung. Zur interkulturellen Psychohistorie eines archaischen Genitaltraumas von 2008, der in der Zeitschrift psychosozial erschienen ist, sowie dem 2006 erschienenen und deutlich kürzeren Text Götterspeise – Vom Kindesopfer zur Beschneidung und zurück. Franz 2010a: 186. Ebd.: 188. Ebd.: 184. Vgl. ebd.: 208ff.

105

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

Minderform des Kindesopfers«470 angesehen werden. Entsprechend setzt er sich ausführlich mit Maciejewskis Lektüre der Genesis auseinander und bezieht sich für die Bewertung der Vorhautbeschneidung auf dessen Argumentation.471 Franz‘ eigentliches Anliegen ist jedoch eine kultur- und gesellschaftstheoretische Analyse der Gegenwart. In der kulturell-religiösen Vorhautbeschneidung sieht er die spezifisch männliche Erfahrung, aus der er eine umfassende Kultur- und Gesellschaftskritik des Islam entwickelt.472 Auch wenn seine Ausführungen in hohem Maße spekulativ sind – was er auch immer wieder transparent macht –, geht er davon aus, dass sowohl die patriarchalen Verhältnisse als auch die Gewaltaffinität in islamischen Gesellschaften möglicherweise durch die Erfahrung der kulturell-religiösen Vorhautbeschneidung erklärt werden könnte, die muslimische Jungen und Männer als kollektive Sozialisationserfahrung durchmachen müssten. Die Vorhautbeschneidung ziehe auf der individuellen Ebene eine »potenziell sexualtraumatische Erfahrung«473, »besondere Entwicklungsrisiken«474 sowie eine Identifikation des Betroffenen – des ohnmächtigen und passiven Opfers – mit dem Aggressor nach sich. Diese wiederum führe zu einer »starke[n] patriarchalische[n] Loyalität, die im Einzelfall von machtorientierten Führerpersonen ausgenutzt werden könnte«475. Die Vorhautbeschneidung, die »real und blutig traumatisiert«, verunsichere Jungen in ihrer männlich-sexuellen Identität, weswegen es zu einer »archaisch-männliche[n] Fixierung«476 und zu einer »Internalisierung der Gewalt«477 komme. Als Beispiele nennt er Gewaltinszenierungen in Form von abgefeuerten Schüssen und Gewaltverherrlichungen, die sich durch am Körper getragene ____________________ 470 471 472

473 474 475 476 477

106

Ebd.: 188. Gleiches gilt für Franz für den Islam (vgl. ebd.: 193ff.). Vgl. ebd.: 189ff. Mutmaßlich aus diesem Grund setzt er sich auch nicht weiter mit der Beschneidung im Judentum auseinander, da die psychosoziale Entwicklung des jüdischen Säuglings zum Zeitpunkt der Beschneidung nicht mit der des muslimischen Jungen vergleichbar sei, der in der Regel zu einem späteren Zeitpunkt beschnitten werde (vgl. ebd.: 193). Ebd.: 194. Ebd.: 195. Ebd. Ebd.: 198. Ebd.: 197.

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

Dolche ausdrückten. Auch gesetzlich formalisierte verstümmelnde Körperstrafen seien diesem Bereich zuzurechnen, da sie auf einer phallisch-reinszenierenden Überkompensation und Vergeltungstendenz von in ihrer Identität verunsicherten Männern fußten. Die Vorhautbeschneidung ziehe auf der sozialen Ebene die starke Kontrolle beziehungsweise Unterwerfung der weiblichen Sexualität nach sich. Auch das Frauenbild sei daher auf die Vorhautbeschneidung zurückzuführen.478 Das kindliche Begehren des muslimischen Jungen – von einem Säugling kann er aufgrund fehlender Entwicklungsschritte nicht sprechen – sei zum Zeitpunkt seiner Vorhautbeschneidung auf seine Mutter gerichtet. Diese schütze ihren Sohn jedoch nicht vor der Vorhautbeschneidung, sondern ermögliche die traumatische Erfahrung der Vorhautbeschneidung sogar, weswegen Frauen im Allgemeinen als Symbol für die Mutter später kontrolliert und unterworfen werden müssten. Die pauschal unterstellte Gewaltaffinität bleibt hierbei ebenso eine reine Unterstellung wie das homogene Frauenbild und die Geschlechterrollenvorstellung aller Muslime. Um die beschriebenen spekulativen kulturtheoretischen Ausführungen zu bestätigen und um Zusammenhänge von möglichen individuellen und gesellschaftlichen Folgen einer Vorhautbeschneidung zu untermauern, geht Franz im weiteren Verlauf des Textes auf sechs Fallbeispiele ein. Mit den Fallbeispielen suggeriert Franz, dass jede Vorhautbeschneidung aus sich heraus traumatisch sei.479 Auch wenn eine Kasuistik – eine Beschreibung

____________________ 478 479

Vgl. ebd.: 198f. Im ersten Fall beschreibt Franz den islamistischen Attentäter Mohammed Atta, der den Terroranschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 durchführte. Atta habe gewissermaßen aufgrund seiner Vorhautbeschneidung an einer konservierten traumatischen Kastrationsangst gelitten. Er habe sich für seinen »rächenden Vernichtungsangriff« die »phallisch dominierende und gleichzeitig (sexuell) libertinäre und verführerische Metropole« New York ausgesucht, da sie ein »ideales Ziel« darstellte, um seine »hasserfüllte ultimative Kastration« zu inszenieren (ebd.: 200). Im zweiten Fall rekurriert Franz auf palästinensische Selbstmordattentäter, die durch eine empfundene Bedrohung ihrer »gruppalen religiösen Identität« und aus einer »gesellschaftliche[n] Ohnmacht, Unterdrückung und Hilflosigkeit« heraus Selbstmordanschläge verübten und sich dabei zum Teil ihr Genital mit Zellstoffpapier umwickelten (ebd.: 201). Aus psychotraumatologischer Sicht könne es sich dabei, so Franz, um einen »inszenierten Bewältigungsversuch einer in patriarchalischer Loyalität erlittenen To-

107

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

vermeintlicher Krankheitsfälle – nicht unüblich für ein psychoanalytisches Herangehen ist (wie sich auch anhand der Krankengeschichte des Kleinen Hans zeigt), ist Franz‘ Vorgehen kritikwürdig: Er vermischt Fälle, in denen er spekuliert, und solche, die auf dem tatsächlichen Erleben von muslimischen Patienten beruhen, die sich durch ihre Beschneidung traumatisiert fühlen und über Alpträume, vielfältige Schmerzen und Beschwerden klagen.480 Aus den sechs Fällen, die er in späteren Publikationen um weitere Fälle erweitert, leitet er ab, dass alle beschnittenen muslimischen Männer traumatisiert sein müssten.481 Er nennt weder Kontrastbeispiele muslimischer Männer noch Beispiele anderer Männer, die in ihrer Kindheit eine Vorhautbeschneidung erlebten, sich aber nicht traumatisiert fühlen. Ohnehin kommt er weder auf medizinisch begründete Beschneidungen zu sprechen noch auf die völlig unterschiedlichen Altersspannen, in denen Jungen im Islam beschnitten werden. Vielmehr ist die Vorhautbeschneidung in seinem psychoanalytischen Deuten der Ausgangspunkt beziehungsweise die Schlüsselszene, auf die er das spätere aggressive und mörderische Verhalten der muslimischen Männer kausal zurückführt. Kaum plausibel ist, warum er ausschließlich auf die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung fokussiert und andere mögliche Beschädigungen und Verletzungen im Verlauf der männlichen Sozialisation nicht reflektiert. Seine Veröffentlichungen zu »islamischen Gewalttäter[n]«482 lassen sich mit der öffentlich geführten Kontroverse um (jugendliche) männliche Migranten in Verbindung bringen, die zu Beginn des 21. Jahrhunderts geführt wurde und in der das »patriarchale Muster von Gewalt und Ehre«483 eine zentrale Rolle spielte. Durch seinen spezifischen Zugriff, die Beschneidung als Ursache für patriarchale Verhältnisse und Gewalt zu erklären, verspricht ein Beschneidungsverbot die Lösung zu sein. Franz‘ Mission ist, die fehlende Empathie gegenüber Männern, die von Vorhautbeschneidungen betroffen sind, zu bekämpfen und eine kritische Diskussion in islamischen ____________________

480 481 482 483

108

desangst bzw. um eine unter diesen Bedingungen reaktualisierte kindliche Kastrationsangst handeln« (ebd.). In seinem Aufsatz aus dem Jahr 2014 geht Franz erneut auf diese Fälle ein, ergänzt sie jedoch um weitere Fälle (vgl. 2014b: 164ff.). Vgl. Franz 2010a: 204ff. Vgl. Franz 2014b: 170ff. Lenz 2008: 1079. Ebd.

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

Gemeinden anzustoßen.484 Wenn schon kein Verzicht auf diese Praxis von Juden und Muslimen möglich sei, dann sollte sie doch zumindest schmerzfrei und zu einem möglichst frühen Zeitpunkt oder im Erwachsenenalter stattfinden.485 Er beklagt, dass die Vorhautbeschneidung von Jungen im Gegensatz zur »Beschneidung der weiblichen Genitalien« als »traumatische[s] Ritual«486 nicht Thema öffentlicher Diskussionen geworden ist. Stattdessen herrsche eine Verschwiegenheit oder ein rationalisiertes Herunterspielen möglicher seelischer Folgen vor.487 Auffällig ist, dass Franz‘ Aufsatz von 2006 erst kritisiert wird, nachdem der offene Brief Religionsfreiheit kann kein Freibrief für Gewalt sein und der Gastkommentar Ritual, Trauma, Kindeswohl in der FAZ erschienen. Angestoßen durch die öffentliche Kontroverse nach dem Kölner Landgerichtsurteil von 2012 entspann sich so auch eine verzögerte Debatte in der Fachzeitschrift Psyche. Dort schrieben die Psychoanalytiker Yigal Blumenberg und Wolfgang Hegener (der die Veröffentlichung von Maciejewski bereits kritisiert hatte) sowie die Psychologin Anna Leszczynska-Koenen »kritische Glossen«. In diesen kritisieren sie nicht nur Franz‘ Trauma-Verständnis, sondern auch das des Psychoanalytikers Wolfgang Schmidbauer, der sich erst nach dem Kölner Landgerichtsurteil zu Wort gemeldet hatte.488 Auf die kritischen Glossen antworteten wiederum Franz, Schmidbauer und auch der Strafrechtler Rolf-Dietrich Herzberg.489 Da die Beiträge erst im Zuge der späteren Kontroverse erschienen, bleiben sie an dieser Stelle unberücksichtigt, werden aber später kontextualisiert.

____________________ 484 485 486 487 488 489

Vgl. Franz 2006: 116ff.; vgl. Franz 2010a: 194. Vgl. ebd.: 207f. Ebd.: 194 Für weitere Ausführungen siehe 4.3. Benachteiligung. Die Vorhautbeschneidung als marginalisierte »Genitalverstümmelung« und »Geschlechtsverstümmelung«. Vgl. Blumenberg/Hegener 2012: 1123ff.; vgl. Blumenberg/Hegener 2013b: 483ff.; vgl. Leszczynska-Koenen 2012: 1220ff. Vgl. Schmidbauer 2013a; vgl. Schmidbauer 2013b; vgl. Franz 2013a; vgl. Franz 2013b; vgl. Herzberg 2013.

109

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

3.3.

Die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung in Beiträgen von Strafrechtlern vor 2012

In der juristischen Fachdisziplin veröffentlichten seit 2008 mehrere Strafrechtler Beiträge, die die Frage nach der Strafbarkeit von kulturell-religiösen Vorhautbeschneidungen zum Thema hatten. Dies ist eine neue Entwicklung, da die Vorhautbeschneidung vor 2008 kaum thematisiert und zumindest nicht problematisiert wurde.490 Die Beiträge für ein Verbot sieht der Rechtswissenschaftler Bijan Fateh-Moghadam als Teil der juristischen Diskussion um »Folgeprobleme religiöser Pluralisierung«491. Sie kam durch die Einwanderung von als muslimisch bezeichneten Menschen nach Deutschland auf, durch die eine »Islamisierung« des deutschen Rechts befürchtet wurde.492 Der Jurist und Philosoph Paul Tiedemann ordnet die Kontroverse innerhalb der Rechtswissenschaft dem als konflikthaft ausgemachten Verhältnis zwischen Religion und säkularer Gesellschaft zu.493 3.3.1. Eine »gefährliche Körperverletzung« Der bereits genannte Strafrechtler Holm Putzke494 veröffentlichte seit 2008 zahlreiche Aufsätze zur Strafbarkeit von kulturell-religiösen Vorhautbeschneidungen, unter anderem im Deutschen Ärzteblatt, aber auch in der juristischen Fachzeitschrift Neue Juristische Wochenschrift und in der medizinrechtlichen Fachzeitschrift Medizinrecht. Gerade die Neue Juristische

____________________ 490 491 492 493 494

110

Vgl. Fateh-Moghadam 2010: 115; vgl. Dettmeyer/Parzeller/Laux/Friedl/Zedler/Bratzke 2011: 90; vgl. Putzke 2012a: 621. Fateh-Moghadam 2010: 116. Vgl. Rohe 2007: 801. Vgl. Tiedemann 2012: Vf. Putzke wurde 1973 im sächsischen Dohna geboren und besetzt seit 2010 an der Juristischen Fakultät der Universität Passau die Professur für Strafrecht und seit 2016 eine außerplanmäßige Professur an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht.

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

Wochenschrift ist eine der bedeutendsten Fachzeitschriften für die juristische Theorie und Praxis in Deutschland.495 In seinem programmatischen Aufsatz Die strafrechtliche Relevanz der Beschneidung von Knaben entfaltet Putzke erstmals ausführlich seine Argumentation.496 Es gebe verschiedene Formen der Beschneidung, worunter er die Genitalverstümmelung von Mädchen/Frauen und die Vorhautbeschneidung von Jungen/Männern fasst.497 Um direkt zum Ergebnis seiner juristischen Abwägungen zu kommen: Er klassifiziert die religiöse Vorhautbeschneidung als strafbare gefährliche Körperverletzung498 und als »körperliche Misshandlung«499. Es handele sich um »eine nicht ganz unerhebliche Verletzung der körperlichen Integrität«500, die unabhängig vom Gefühl des Betroffenen zu werten sei. Um seine rechtliche Bewertung der kulturell-religiösen Vorhautbeschneidung zu plausibilisieren, arbeitet Putzke mit dem Bild einer Waage. In die eine Waagschale seien die körperliche Schädigung und Verletzung, eine verminderte Empfindungsfähigkeit durch den irreversiblen Verlust der Vorhaut, wahrscheinliche Risiken, Komplikationen und Kunstfehler, psychische Auswirkungen sowie der Schmerz zu legen.501 Wobei Putzke ein-

____________________ 495

496

497 498

499 500 501

Die Verbreitung der Neuen Juristischen Wochenschrift lag 2008 bei 45.084 Exemplaren, wobei die Druckauflage sogar knapp 50.000 betrug (vgl. NJW Mediadaten 2008). Im Vergleich dazu hatte die Zeitschrift Medizinrecht 2008 eine Auflage von nur 1.250 Exemplaren (vgl. Wendler 2017). Der Aufsatz erschien in der Festschrift Strafrecht zwischen System und Telos zu Ehren des Strafrechtlers Rolf Dietrich Herzberg, der sich 2009 der Argumentation von Putzke in weiten Teilen anschloss. Auf Herzbergs Argumentation wird in 3.3.4. Gegen die »normative Kraft des Faktischen« eingegangen. Vgl. Putzke 2008a: 672. Die Vorhautbeschneidung sei nicht nur eine einfache, sondern eine gefährliche Körperverletzung, da sowohl das verwendete medizinische Werkzeug (Skalpell oder anderes medizinisches Werkzeug) sowie dessen Gebrauch gefährlich sei (vgl. ebd.: 681f.). Der Jurist Thomas Exner, der 2011 seine Dissertation Sozialadäquanz im Strafrecht. Zur Knabenbeschneidung veröffentlichte, die er bei G. Jerouschek geschrieben hatte, bewertet die Vorhautbeschneidung ebenfalls als gefährliche Körperverletzung (vgl. Exner 2011: 34f.). Putzke 2008a: 673; vgl. Manok 2015: 52f. Putzke 2008a: 673. Vgl. Putzke 2012a: 676ff.

111

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

gesteht, die beschriebenen »Nachteile und Gefahren« einer Vorhautbeschneidung seien »keineswegs unumstritten«502. Dennoch lässt er die medizinischen Studien, die Vorteile einer Vorhautbeschneidung feststellen – etwa die Verminderung von Peniskrebs, Geschlechtskrankheiten, Harnwegsinfektionen etc. – allesamt nicht gelten. In die andere Waagschale könne entsprechend nichts von Gewicht gelegt werden. Eine medizinisch begründete Vorhautbeschneidung sieht er – im Gegensatz zu einer kulturell-religiösen – als Eingriff ohne nachhaltige Schädigung an, obwohl es sich um den gleichen Eingriff handelt, nur eben mit einer anderen Begründung. Diese unterschiedlichen Bewertungen sind irritierend, widersprechen sie doch Putzkes eigentlichem Vorgehen, gegen körperliche Eingriffe ohne eine direkte Einwilligung des/der Betroffenen zu argumentieren. Das Stechen von Ohrlöchern sowie ästhetische Operationen von Kindern problematisiert Putzke nicht, sondern heißt sie sogar gut503, was höchst erstaunlich ist, da Putzke nicht an seiner Argumentation der Kindeswohlverletzung festhält, sondern als Begründung die gesellschaftliche Akzeptanz gelten lässt. Als Legitimation seines Arguments zieht er die Sozialadäquanz als gesellschaftlich angemessenes und übliches Verhalten heran. Ohrringe zu tragen sei gesellschaftlich verbreitet und akzeptiert beziehungsweise normal. Vorhautbeschneidungen hingegen seien nicht angemessen und üblich (nicht normal), weswegen sie untersagt werden müssten: »Der Beschneider ruft damit einen vom normalen Zustand der körperlichen Funktionen nachteilig abweichenden (also krankhaften) Zustand hervor«504. Inwiefern der beschnittene Penis im Judentum und Islam zur Normalität gehört, bleibt bei Putzke an dieser Stelle unreflektiert. Bei Ohrschmuck gesteht Putzke Individualität zu, weil Ohrringe ihm nicht fremd erscheinen und auch die gesellschaftliche Mehrheit dieses Schönheitsideal akzeptiert. Der operative Eingriff gegen abstehende Ohren und andere vermeintliche Schönheitsmakel diene, obgleich ein schwerwiegender körperlicher Eingriff, dem Wohl des Kindes. Denn abstehende Ohren und Schönheitsmakel könnten in der deutschen Gesellschaft ein Grund für Hänseleien sein, was ____________________ 502 503 504

112

Putzke 2008a: 679. Vgl. ebd.: 696. Ebd.: 681, Herv. D. I.

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

negative psychische Folgen nach sich ziehe. Daher ließen sich solche Eingriffe »mit guten Gründen als Heilbehandlung klassifizieren«: »Ähnlich zu beurteilen sein dürfte die Sache etwa bei einer ‚Höckernase‘, einem so genannten Damenbart oder einem im Gesicht vorhandenen größeren Leberfleck. Bei der Zirkumzision spielen solche medizinisch-ästhetischen Gesichtspunkte nahezu keine Rolle, weshalb man den Eingriff in der Regel nicht als kosmetisch bedingte Heilbehandlung ansehen kann.«505

Putzke verklärt Körpermodifikationen zugunsten der Schönheit zu einem Akt der Humanität, da die Makel, die Ursache für Diskriminierungen seien, zum Verschwinden gebracht werden. Den Kindern, die unter den Hänseleien leiden, solle durch den körperlichen Eingriff die Möglichkeit verschafft werden, sich der gesellschaftlichen Schönheitsnorm anzupassen. Die Schönheitsnormen selbst brauchen in Putzkes Perspektive offenbar nicht verändert zu werden. Indem er ergänzt, die Schönheitsmakel würden »jedem ‚ins Auge fallen‘«506, was bei einer Vorhautbeschneidung nicht der Fall sei, setzt er seine Perspektive absolut. Nur weil die Vorhautbeschneidung für ihn überwiegend nicht sichtbar ist und daher seine ästhetischen Erwägungen keine Rolle spielen können, brauche sie nicht stattzufinden, wie er verallgemeinernd schreibt.507 Darüber hinausgehend argumentiert er, der Nutzen einer religiösen Vorhautbeschneidung müsse »messbar und rational begründbar sein«508. Da die Vorhautbeschneidung die Mitgliedschaft in der jüdischen und muslimischen Religionsgemeinschaft nicht begründe, sondern nur bestätige, sei aus ihr kein Nutzen abzuleiten. Insgesamt begegnet Putzke der kulturell-religiösen Vorhautbeschneidung auf zwei Ebenen: mit einer Verbotsforderung und der deutschen Kultur. Erstens müsse das »zu klärende Rechtsproblem« (die Vorhautbeschneidung) auf der rechtlichen Ebene gelöst werden, sie könne nicht auf die »mehr oder weniger rechtsfreie Ebene«509 verschoben werden. Der Säug____________________ 505 506 507

508 509

Ebd.: 697. Ebd.: 701. Dass das Beschnittensein für Teile der religiösen Ingroup, also etwa für Verwandte und Familie, besonders aber für den Beschnittenen selbst alltäglich sichtbar ist, lässt Putzke unberücksichtigt. Dies trifft auch für Manok zu (vgl. 2015: 60). Putzke 2008a: 701. Ebd.

113

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

ling/Junge müsse vor der verantwortungslosen »Ausübung des Elternrechts«510 geschützt werden, damit ihm kein Unrecht widerfahre. Entgegen der bisher verbreiteten Rechtspraxis, die in der Vorhautbeschneidung kein rechtliches Problem sah und daher keine rechtliche Regelung getroffen hatte, rät er den Staatsanwaltschaften, eine kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung als Straftat und gefährliche Körperverletzung anzusehen.511 Sie sollten sich auf das Legalitätsprinzip berufen: Erhalte eine deutsche Strafverfolgungsbehörde Kenntnis von der Straftat der schweren Köperverletzung, müsse sie ein Ermittlungsverfahren eröffnen. Statt der beschnittenen Jungen/Männer sollte die Staatsanwaltschaft Anklage gegen die Beschneider/Beschneiderinnen erheben, so Putzke.512 Zweitens müsse der Vorhautbeschneidung mit der deutschen Kultur begegnet werden. Mit dieser Argumentation verbleibt Putzke nicht auf der Ebene des Rechts: »Nicht nur eine Gesellschaft muss sich mit religiösen Bräuchen arrangieren […], sondern Glaubens- oder Religionsgemeinschaften – wollen sie Teil einer Gesellschaft sein und bestenfalls darin akzeptiert werden – müssen ebenfalls bereit sein, gewisse Traditionen dem geltenden nationalen und internationalen Recht anzupassen und nach möglichen Alternativen zu suchen.«513

Besonders diese Textstelle zeigt, dass Putzke situativ ein ‚rechtsfremdes‘ Argument anführt, nämlich die Zugehörigkeit zur Gesellschaft. Dabei handelt es sich um ein soziologisches und kein juristisches Argument. Denn rechtlich betrachtet sind die jüdischen und muslimischen Religionsgemeinschaften beziehungsweise deren Individuen durch ihre Staatsbürgerschaft bereits Teil der deutschen Gesellschaft; deren »Wollen« ist für ihre Zugehörigkeit zur Gesellschaft unerheblich. Allerdings geht es Putzke besonders darum, dass sich Juden und Muslime – die er an dieser Stelle weder explizit nennt noch ausschließlich rechtlich als Staatsbürger/Staatsbürgerinnen definiert – an eine christlich-deutsche Gesellschaft anpassen müssten, um akzeptiert zu sein und zu werden.514 Gerade die Akzeptanz, verstanden als ____________________ 510 511 512 513 514

114

Ebd.: 708. Ebd. Vgl. ebd. Ebd.: 702, Herv. D. I. Im Verlauf des Aufsatzes spielt die »Sittenwidrigkeit« immer wieder eine Rolle. Putzke diskutiert, inwiefern die Vorhautbeschneidung beziehungsweise die elterliche Einwilligung in eine solche gegen die guten Sitten, das Anstandsgefühl

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

aktive oder passive Zustimmung durch nichtjüdische und nichtmuslimische Individuen, entzieht sich jedoch dem Bereich des Rechts. Auf diese Weise erklärt Putzke die Vorhautbeschneidung im Judentum und Islam zum Ausdruck einer mangelnden gesellschaftlichen Integration und argumentiert dadurch gerade nicht sachlich-juristisch. Zuletzt betont Putzke, der Verzicht auf das »Identifikationsmittel« Beschneidung sei für nichtbeschnittene Juden und Muslime vor der Religionsgemeinschaft zwar möglicherweise stigmatisierend, im Fall eines Verbotes von Vorhautbeschneidungen ändere sich dieser Zustand, der »Anlass für Stigmatisierung« sei, »automatisch«515. Wie in dem oben erwähnten Artikel, den Putzke gemeinsam mit Stehr und Dietz im Deutschen Ärzteblatt veröffentlichte, soll auf das Verhalten von Juden und Muslimen beziehungsweise die Religionsausübung Einfluss genommen werden. Im Hinblick auf die vermeintlichen Schönheitsmakel hingegen sollen sich die Betroffenen selbst verändern und gerade nicht die Schönheitsnormen der deutschen Gesellschaft, also das stigmatisierende System. So tritt die Mehrheitsgesellschaft mit ihren Schönheitsnormen als problematischer kultureller Kontext zurück, während Putzke den kulturell-religiösen Kontext von gesellschaftlichen Minderheiten als Problem wahrnimmt. Eine Kultur sei nicht statisch, sondern befinde sich in ständigem Wandel, weswegen Menschen entsprechend ihr Verhalten ändern und so auch von »schädlichen Traditionen«516Abstand nehmen könnten. Sein Lösungsvorschlag lautet, den Zeitpunkt für Vorhautbeschneidungen zu verschieben und die Jungen etwa im Alter zwischen sechzehn und achtzehn Jahren selbst entscheiden zu lassen.517 Im Islam sei der Zeitpunkt von Vorhautbeschneidungen ohnehin nicht vorgeschrieben, das Judentum müsse zu Reformen bereit sein. Auch dort gebe es Ausnahmen, etwa bei Krankheit oder körperlicher Schwäche.518 Im Ergebnis hält er ein Verbot von Vorhautbeschneidungen für die einzig richtige und ethisch vertretbare Lösung, was sich etwa in seiner Handlungsanweisung gegenüber Staatsanwaltschaften zeigt, aber auch im ____________________

515 516 517 518

aller billig und gerecht Denkenden, verstößt (vgl. ebd.: 683, 693f., 702). Im Ergebnis hält er jedoch fest, dass die Vorhautbeschneidung »kein Verstoß gegen die guten Sitten« sei (ebd.: 95). Putzke 2008a: 703. Ebd.: 706. Vgl. ebd.: 684ff. Vgl. ebd.: 706.

115

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

inflationären Gebrauch der Modalverben müssen und dürfen, die auf normative Setzungen und generalisierende Aussagen verweisen. 3.3.2. Kein »sozialadäquates Verhalten« Ebenfalls im Jahr 2008 veröffentlichte der Strafrechtler und Psychoanalytiker Günter Jerouschek519 in der Neuen Zeitschrift für Strafrecht (NStZ) den Artikel Beschneidung und das deutsche Recht. Historische, medizinische, psychologische und juristische Aspekte.520 Jerouschek argumentiert grundlegend und allgemein nicht nur gegen medizinische, sondern auch gegen kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen, wobei seine Perspektive psychoanalytisch und strafrechtlich zugleich orientiert ist. Im Gegensatz zu Putzke wählt Jerouschek als Ausgangspunkt das Alte und Neue Testament, in denen die Beschneidung häufig vorkomme. Er fasst wichtige Aspekte der dort beschriebenen Geschichten zusammen und erzählt von der Beschneidung Gerschoms, Abrahams sowie der Beschneidung der männlichen Gefolgschaft Hemors.521 In seiner Zusammenfassung bezieht sich Jerouschek jedoch nicht auf den zentralen Text, der die Bedeutung der Vorhautbeschneidung im Judentum darlegt und in dem die Beschneidung für einen Bund zwischen Gott und Abraham und dessen männlichen Nachkommen steht (Gen. 17, 10-11), sondern gebraucht Bibelstellen willkürlich im Sinne seiner eigenen Argumentation.522 Bis heute gelte der »unbeschnittene Penis […] im Judentum […] als verunstaltender körperlicher Makel«, weswegen die Beschneidung »eine Art Schönheitsoperation«523 darstelle, die aber eigentlich nicht konstitutiv für die Zugehörigkeit zum Judentum sei. Im Islam ____________________ 519

520

521 522 523

116

Prof. Dr. iur. Dr. phil. Dr. h.c. Günter Jerouschek wurde 1950 in Göppingen geboren und hatte zwischen 1997 und 2015, bis zu seinem Ruhestand, die Professur für Strafrecht, Strafprozessrecht und Geschichte des Strafrechts an der Juristischen Fakultät der Friedrich‐Schiller‐Universität in Jena inne. Die Druckauflage der monatlich erscheinenden Fachzeitschrift NStZ, die sich besonders an Fachanwälte/Fachanwältinnen für Strafrecht, Staatsawälte/Staatsanwältinnen, Strafverteidiger/Strafverteidigerinnen, Richter/Richterinnen, Jurastudierende und Referendare/Referendarinnen richtet, lag 2008 bei 4.200 Exemplaren (vgl. NStZ 2008). Vgl. Jerouschek 2008: 313; vgl. Jerouschek 2009: 114f. Vgl. Blumenberg 2013: 96ff. Siehe hierzu auch: Heil 2012: 23; Liss 2012: 51ff. Jerouschek 2008: 314.

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

hingegen habe eine muslimische Frau ein Anrecht auf einen beschnittenen Mann, auch dort gelte ein unbeschnittener Penis »als unrein und körperlicher Makel«524. Durch diese religiöse Perspektivierung charakterisiert Jerouschek die Vorhautbeschneidung als erzwungene Praktik, mit der von der göttlich geschaffenen körperlichen Norm abgewichen werde. Die »körperliche Gravur der Beschneidung« solle unumkehrbar sein und »irreparabel die Zugehörigkeit zum Judentum«525 dokumentieren. Sie sei »vergleichbar einer ‚Brandmarkung‘«526, weswegen sie die Menschenwürde des Kindes aus Art. 1, Absatz 1, Satz 1 des Grundgesetzes tangiere. Mit den Begriffen »Brandmarkung« – in Anführungszeichen – und »Stigmatisierung« weist Jerouschek die Vorhautbeschneidung als entwürdigende Praktik aus. Sie sei, wenngleich die Forschung erst in ihren Anfängen stecke, eindeutig »ein pathogen wirkendes Trauma«, »ein Sexualtrauma« und »ein Kindheitstrauma«527. Sie sei eine »schutzlose Preisgabe« seitens der Eltern »an bedrohliche Umweltfaktoren«, die zu einer »basalen Hilflosigkeit«528 der Söhne führen würde. Hier argumentiert Jerouschek im Gegensatz zu Putzke, Schneider und Herzberg fundamental anders. Nicht nur kulturell-religiöse, sondern auch medizinische Vorhautbeschneidungen verursachten »ein Trauma«. Entsprechend problematisiert er auch medizinische Routinebeschneidungen in den USA. Es sei unheimlich, dass der »Beschneidungslobby«, die er in Anführungszeichen setzt, »immer neue Indikationen« einfielen, »wenn ältere einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht mehr standhielten«529. Der Begriff des Lobbyismus ist in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit weitgehend negativ konnotiert, da er mit intransparentem Einwirken auf Abgeordnete des Parlaments sowie mit »dunklen Geschäften in Hinterzimmern« assoziiert wird.530 Die Beschneidungslobby charakterisiert Jerouschek als einfallsreiche und mächtige Gruppe, die sich immer neue medizinische Gründe ausdenkt, um Vorhautbeschneidungen zu legitimieren. Mittlerweile ____________________ 524 525 526 527 528 529 530

Ebd. Ebd. Ebd.: 319. Ebd.: 316. In seinem Aufsatz von 2012 wiederholt Jerouschek, dass die Beschneidung »denselben Zweck verfolgt wie die Brandmarkung« (ebd.: 176). Jerouschek 2008: 316. Ebd.: 314f. Wehrmann 2007: 47; vgl. Alemann 2002; vgl. Betzler/Glittenberg 2015: 63.

117

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

gebe es keine medizinischen Gründe mehr, die einer kritischen wissenschaftlichen Überprüfung standhielten, weswegen die Lobby soziale Gründe vorschieben würde, »um die Routinebeschneidung samt der mit ihr verbundenen Pfründe zu retten.«531 Die »Beschneidungslobby« in den USA sei sogar derart stark, dass diejenigen, die ihre Söhne nicht beschneiden ließen »als ‚nahezu kriminell‘ gebrandmarkt« würden.532 In einer späteren Veröffentlichung verteidigt Jerouschek den Begriff der »Beschneidungslobby«533 gegenüber der Kritik, er sei voreingenommen.534 Obwohl Jerouschek im Hinblick auf die Folgen für die Betroffenen bei einer religiösen und medizinischen Beschneidung nicht unterscheidet, beschreibt er beide Praktiken unterschiedlich. Besonders »[d]as jüdische Ritual« stellt er als rückständig dar, so als gebe es die jüdische Beschneidung, die sich im Verlauf der Jahrhunderte nicht verändert habe. Dazu bezieht er sich, ohne näher auf den Kontext einzugehen, auf eine Schilderung des Medizinhistorikers und Beschneidungsgegners David Gollaher, die in der Monografie Das verletzte Geschlecht von 2002 beschrieben ist. Gollaher jedoch bezieht sich auf die vermeintlichen Beobachtungen des Anthropologen Felix Bryk aus Circumcision in Man and Woman von 1934, dieser wiederum war ebenfalls bei keiner Vorhautbeschneidung anwesend, sondern schrieb die »description of the whole operation and the ceremonies«535 aus den »Anthropologischen Studien« des Gynäkologen und Anthropologen ____________________ 531

532 533

534 535

118

Jerouschek 2008: 315. Der Begriff »Pfründe« verweist auf religiöse Einkünfte und ein religiöses Amt, im Mittelalter standen sie »einem Geistlichen als Gegenleistung für seine Dienste« zu und stellten ein bequemes Einkommen dar (Seebold 1999: 627). Jerouschek 2008: 315. Er verstehe darunter »einflussreiche Gruppierungen in der US-amerikanischen Ärzteschaft und Interessenvertreter der Medizinindustrie«, die mit Beschneidungen ein »millionenschweres Geschäft« machten und den Markt mit Beschneidungsapparaturen zu retten versuchen (Jerouschek 2012: 174). Überdies sei der Begriff der Lobby auch in der beschneidungskritischen amerikanischen Literatur zu finden, die Verwendung zeuge von der Anerkennung der Realität und nicht von Voreingenommenheit. Eine Verknüpfung zu Juden/Jüdinnen stellt Jerouschek insofern her, als dass es »neben diesem Mainstream mit dem JAC (Jews Against Circumcision) auch eine innerjüdische Protestbewegung gegen die Beschneidung gibt« (ebd.: 174). Muslime/Muslimas nennt er in diesem Zusammenhang nicht. Vgl. Schwarz 2008: 1125. Bryk 1934: 47.

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

Heinrich Ploss ab, die 1876 erstmals erschienen. Ploss hatte detailliert und ausführlich in Das Kind in Brauch und Sitte der Völker den »noch immer bei der jüdischen Beschneidung gebräuchlichen Ritus, sowie die Operation selbst« beschrieben, von der »jetzt nur einzelne, zur Reform-Partei gehörende Familien«536 abweichen. Zwar stützt auch Ploss sich auf ältere Quellen wie die von L. Terquem von 1844 und die Juden-Schul von Johannis Buxtorf von 1603.537 Zugleich bezeugt aber zumindest Ploss, »dies selbst gesehen«538 zu haben. Jerouschek jedoch suggeriert mit der Schilderung, die jüdische Praxis finde nach wie vor auf diese Weise statt, da er keine zeitgenössische Beschreibung anführt. Er unterschlägt, dass der Bericht eine Vorhautbeschneidung beschreibt, wie sie irgendwann im 19. Jahrhundert stattfand, womöglich sogar sehr viel früher: »Das ‚klassische‘ jüdische Ritual nimmt sich folgendermaßen aus: Der ‚Mohel‘, d.i. der Beschneider, versteift das Glied des Neugeborenen mit Daumen und Zeigefinger und zieht mit einer Pinzette die Vorhaut in der zu kappenden Länge vor die Eichel. Dicht oberhalb der Pinzette wird sodann die Vorhaut mit einem Messer senkrecht abgeschnitten. Mit dem lang und spitz zugefeilten Daumennagel wird sodann die restliche, an der Penisspitze hängende Vorhaut abgerissen. An die Stelle des Daumennagels traten seit Ende des 19. Jahrhunderts vermehr[t] Scheren bzw. chirurgische Instrumente. Traditionell wurde sodann der blutende Penis vom Mohel in den Mund genommen und das Blut abgesaugt, bevor die Wunde mit mehreren Schlucken Wein bespuckt wurde. Auch hierfür haben sich mitunter aseptischere Methoden eingebürgert.«539

Im Gegensatz zur Schilderung Jerouscheks ist die von Ploss sehr viel detaillierter und größtenteils technisch. Sie beginnt damit, dass der Mohel540 und die Gevatter den Säugling im Operations-Zimmer segnen und beten. Sodann beschreibt er, wie der Mohel genau das Messer hält, wie er genau den Schnitt »vollführt«541 und welcher Teil der Vorhaut auf welche Weise abgetrennt wird. Erst anschließend findet sich die Passage, die Jerouschek ____________________ 536 537 538 539 540 541

Ploss 1884: 348, Herv. i. Orig. Vgl. ebd.: 349, Fußnote 1 und 350. Ebd.: 349. Jerouschek 2008: 315, Schreibweise i. Orig., Herv. D. I. Diese Beschreibungen wiederholt er 2009 (vgl. ebd.: 117ff.). Die Bezeichnung Mohel kommt aus dem Hebräischen und bedeutet jemand, der/die die Beschneidung vornimmt. Ploss 1884: 348f.

119

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

von Gollaher beziehungsweise Bryk/Ploss zitiert und die die Vorhautbeschneidung im Judentum als homoerotische Praktik darstellt, die unhygienisch, rückständig, traditionell und schmerzhaft erscheint. Das Beschneidungszeremoniell im Islam, so führt Jerouschek anschließend aus, sei dagegen nicht einheitlich, es gebe regionale Besonderheiten. Um dennoch einen Eindruck zu vermitteln, zitiert Jerouschek die Erinnerungen des iranischen Arztes Farshad Amani, jedoch gleichfalls ohne transparent zu machen, woher er dessen autobiografische Erzählung kennt: Amani wurde mit fünf Jahren im Rahmen eines großen und schönen Festes mit Musik, vielen Gästen, einem geschmückten Haus und Hof beschnitten. An die Beschneidung selbst könne sich Amani nicht mehr erinnern (weder an Schmerz noch an Weinen), die Geschenke und die festliche Stimmung im Rahmen der Feier standen für ihn im Vordergrund.542 Wenngleich Jerouschek anschließend auch die medizinische Beschneidung als schmerzhaften Eingriff charakterisiert, da sie »ohne Narkose durchgeführt« werde, beschreibt er sie doch zumindest als hygienisch, entwickelt und modern, was sein Verweis auf den »Einsatz medizinischer Technik« zeigt.543 Insbesondere die konkreten Beschreibungen stellen einen Unterschied zu Putzkes Vorgehen dar, der in seinem Artikel lediglich den medizinischen Eingriff beschrieben hatte.544 Erst im letzten Teil des Artikels wendet sich Jerouschek der Beschneidung »in der Judikatur« zu. Im Gegensatz zur »weiblichen Beschneidung«545, die als Verstümmelung verurteilt werde, umgebe die »männliche Beschneidung«, die ebenfalls einen »pathologische[n] Zustand«546 hervorrufe, ein Tabu, obwohl sie keineswegs unbedenklich sei.547 Die Ergebnisse von Jerouscheks rechtlicher Abwägung fallen in zentralen Aspekten ähnlich aus wie bei Putzke, wenngleich er sich in diesem Artikel nicht explizit auf

____________________ 542 543 544 545 546 547

120

Amani zit. n. Jerouschek 2008: 315. Ebd.: 315f. Vgl. Putzke 2008a: 673f. Jerouschek 2008: 316. In der späteren Fassung von 2009 ergänzt er, dass sich die männliche Beschneidung längst nicht durch die Grausamkeit der weiblichen Genitalverstümmelung auszeichnet (vgl. ebd.: 113). Ebd.: 317. Vgl. ebd.: 316.

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

ihn bezieht und ihn auch an keiner Stelle zitiert.548 Die betroffenen Juden und Muslime sollten erst im Alter ihrer Volljährigkeit selbst entscheiden können, ob und auf welche Weise sie beschnitten werden möchten oder nicht. Die Vorhautbeschneidung sei nicht sozialadäquat, erfülle den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung und müsse verboten werden.549 Die Bezugnahme auf die Menschenwürde aus Artikel 1 des Grundgesetzes sowie die Übertragbarkeit eines Rechtsgedankens aus dem Schächturteil des Bundesverfassungsgerichts von 2002 spielen ausschließlich in Jerouscheks Argumentation eine Rolle. Er betont, die religiöse Vorhautbeschneidung könne nicht allein deswegen verfassungsrechtlich unbedenklich sein, weil sie »religiöse Spezialisten wie Mohels [sic] oder religiös autorisierte muslimische Beschneider«550 durchführten. Im Artikel Beschneidung: Heileingriff, religiöses Gebot oder strafbare Körperverletzung? von 2012 ergänzt er, »dass hierzulande jüdischem Brauchtum gegenüber mit Rücksicht auf die Barbarismen [sic] der NS-Zeit eine besondere Zurückhaltung«551 entgegengebracht werden müsse. 3.3.3. Wie ein nationalsozialistischer »fremdbestimmter Eingriff« Im Oktober 2008 veröffentlichte Jochen Schneider552 seine 2007 eingereichte juristische Dissertation Die männliche Beschneidung (Zirkumzision) Minderjähriger als verfassungs- und sozialrechtliches Problem als Monografie. Die Veröffentlichung ist neben denen von Putzke und Jerouschek eine der ersten, in der die Vorhautbeschneidung als juristisches Problem

____________________ 548 549 550 551 552

In seinem späteren Aufsatz zitiert er Putzke hingegen mehrfach (vgl. Jerouschek 2012: 172f.). Vgl. Jerouschek 2008: 317f. Ebd., Schreibweise i. Orig. Jerouschek 2012: 178. Jochen Schneider wurde an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main promoviert. Er steht im Gegensatz zu Putzke und Jerouschek nicht im Zentrum der Öffentlichkeit, weswegen keine weiteren Informationen über seine Person öffentlich zugänglich sind.

121

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

behandelt wird.553 Als Erklärungsansatz hierfür formuliert Schneider, erstens sei das Thema Sexualität noch immer gesellschaftlich tabuisiert, zweitens existiere »auch die Angst […], bei Kritik der religiös und traditionell motivierten Beschneidung von Kleinkindern bei z.B. Moslems, Juden und afrikanischen Volks- sowie Glaubensgruppen Intoleranz und Diskriminierung vorgeworfen zu bekommen.«554

Durch den frühen Verweis auf die allgemein vorhandene Angst vor einem Intoleranz-Vorwurf lässt sich bereits erahnen, dass es Schneider speziell um die Kritik an kulturell-religiös begründeten Vorhautbeschneidungen geht. Zunächst fächert er, wie Putzke, unterschiedliche Gründe für eine Vorhautbeschneidung auf – er nennt religiöse, soziale (die sich nur schwer voneinander abgrenzen ließen), medizinische und sexuelle – und diskutiert sie im Hinblick auf ihre Rechtmäßigkeit.555 Einzig eine medizinische Beschneidung als »Heilbehandlung« stelle kein juristisch relevantes Problem dar.556 Gerade weil die Vorhautbeschneidung für Schneider eine zu problematisierende Körperverletzung und körperliche Kennzeichnung darstellt, setzt er sich mit der »Beeinträchtigung von Grundrechten durch Unterlassen des Staates aufgrund der Schutzpflichtenlehre« auseinander und blickt in die jüngste deutsche Geschichte. Durch diesen Exkurs unterscheidet er sich deutlich von Putzke und Herzberg, die nicht auf den Nationalsozialismus zu sprechen kamen. Er ordnet die Vorhautbeschneidung in die ‚lange Geschichte‘ der aufgezwungenen Zeichen der Zugehörigkeit ein: »Wohl schlimmstes Beispiel ist der Nationalsozialismus. Dort war es der Judenstern, der Menschen – über die eigentliche Bedeutung des Pentagramms [sic!] hinaus – äußerlich zu einer Volks- und Glaubensgruppe zuweisen und als minderwertig darstellen sollte. Diese nach außen nun offensichtliche Kennzeichnung aufgrund des Glaubens und der Volkszugehörigkeit war nicht freiwillig. Ebensowenig das Eintätowieren von KZ-Nummern. Auch hier ging die Bedeutung wesentlich über den faktischen Eingriff hinaus. Die Überprüfung durch Nationalsozialisten, ob ein Junge oder Mann beschnitten war, diente als Indizwirkung für seine jüdische Abstammung. Dies zeigt eindringlich, wie bedeutungsvoll und folgenreich äußere

____________________ 553 554 555 556

122

Vgl. Schneider 2008: 1. Ebd.: 2. Vgl. ebd.: 5ff. Ebd.: 10.

3. Polarisierende Auseinandersetzungen Kennzeichnung von Menschen aufgrund ihres Glaubens im Laufe der Geschichte waren.«557

Schneider verdeutlicht, dass die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung für ihn ebenso wie die Tätowierung von KZ-Nummern ein fremdbestimmter Körpereingriff ist, der dauerhaft sichtbar sei und für den sich der »Beschneidungspatient«558 nicht entschieden habe. Was Juden/Jüdinnen im Nationalsozialismus angetan wurde, ist für Schneider vergleichbar mit dem, was Juden ihren Säuglingen mit der Vorhautbeschneidung antun. Letztlich wirft er Juden sogar vor, mit der Beschneidung dazu beigetragen zu haben, dass sie im NS vernichtet werden konnten, da sie als jüdisch erkennbar gewesen seien. Mit diesem Vergleich lässt Schneider einerseits unberücksichtigt, dass die nationalsozialistische Kennzeichnung durch Judenstern und/oder KZ-Tätowierung eine Entsubjektivierung war, die der gesellschaftlichen Ausgrenzung diente und eine Vorstufe der systematischen Vernichtung von europäischen Juden/Jüdinnen durch nichtjüdische Deutsche darstellte. Andererseits blendet er aus, dass sich Juden/Jüdinnen freiwillig für die Vorhautbeschneidung ihrer Söhne entscheiden und mit ihr die Namensgebung des Säuglings verbunden ist.559 Dass jüdische Eltern die Beschneidung ihrer Söhne »in völligem Wohlwollen und nach ihrer Überzeugung zum Besten des Kindes«560 ausführen lassen, mindert seinen NS-Vergleich nicht. Auch an anderer Stelle schreibt er, die Beschneidung ist »keine Maßnahme, der […] eine wichtige, eigenständige Bedeutung zukommt«, sie könne nicht »als religiöse Symbolik« und »notwendiges, verbindliches Ritual«561 angesehen werden; zudem unterscheide sie sich als »Zwangsbeschneidung […] nicht von der weiblichen«562. Sie werde oftmals durch »völlig veraltete Moralvorstellungen von Sexualität, Lust und Geschlechtlichkeit« seitens der Eltern veranlasst und funktioniere nur, weil »die Opfer

____________________ 557 558 559 560 561 562

Schneider 2008: 55, Schreibweise i. Orig. Anzumerken ist, dass es sich bei einem Pentagramm um einen fünfeckigen Stern handelt, bei dem sogenannten Judenstern im NS hingegen um einen sechseckigen Stern, ein Hexagramm. Vgl. ebd.: 54. Vgl. Heilmann-Jelinek/Kugelmann 2014: 42; vgl. Schwarz 2008: 1126. Schneider 2008: 55. Ebd.: 116. Ebd.: 131.

123

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

[…] wehrlos sind und keine Lobby haben«563. Wie Jerouschek geht Schneider davon aus, dass die Vorhautbeschneidung verhindere, dass sich der Heranwachsende von der jüdischen oder muslimischen Religion abwenden könne. Das ist nicht zutreffend: Auch Beschnittene können sich auf ihre negative Religionsfreiheit berufen und sich vom Judentum und dem Islam abwenden. Die Vorhautbeschneidung als irreversible »Kennzeichnung von Menschen ohne gültige Einwilligung«564 sei – wie bei Jerouschek – eine »Körperverletzung«, die »die Menschenwürde des Kindes«565, seine körperliche Unversehrtheit, seine Religionsfreiheit566 verletzt und sogar gegen den Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention, die Gedanken, Gewissens- und Religionsfreiheit, verstößt.567 Missachtet werde die Persönlichkeit des Individuums, da der männliche Säugling/Junge »zum Gegenstand einer kultischen Handlung« und zum Objekt degradiert werde und seine Glaubensentwicklung und seine Ansichten keine Rolle spielen.568 Über den Begriff der Sitte/Sittenwidrigkeit kennzeichnet Schneider die Vorhautbeschneidung – im Gegensatz etwa zu Putzke – als Praktik, die den kollektiv-verbindlich geteilten Gewohnheiten widerspricht. Mit dem Verweis auf die »Sittenwidrigkeit« führt er einen »außerrechtliche[n]« Maßstab ein569. Als sittenwidrig wird beispielsweise eine Handlung dann bewertet, wenn sie »bei der Mehrheitsgesellschaft Anstoß erregt«570. Zwar nähmen jüdische und muslimische Eltern die Vorhautbeschneidung als verbreitet und akzeptiert wahr, diese Sichtweise sei jedoch falsch, argumentiert Schneider. Zivilrechtliche Verträge, die gegen das »Anstandsgefühl aller billig und gerecht denkenden Menschen« verstoßen, wie es der Bundesgerichtshof definiert hatte, würden nichtig, womit Schneider den Vertrag zwischen Eltern und denjenigen meint, die die Beschneidung durchführen.571 Sein Lösungsvorschlag lautet, dass die Söhne selbst entscheiden sollten, ob und wann sie beschnitten werden, zudem sollten andere Bräuche – er nennt ____________________ 563 564 565 566 567 568 569 570 571

124

Ebd. Vgl. ebd.: 56. Ebd.: 93. Vgl. ebd.: 32f., 86. Vgl. ebd.: 106f. Ebd.: 92. Sotiriadis 2014: 331. Ebd.: 332. Schneider 2008: 47.

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

etwa das Tauchbad – an die Stelle einer Beschneidung treten.572 Damit schreibt er Juden/Jüdinnen und Muslimen/Muslimas vor, wie deren Religionsausübung seiner Meinung nach aussehen sollte. Zuletzt formuliert er eine fundamentale Kritik am Staat, der sich an der Verletzung männlicher Säuglinge/Jungen beteilige beziehungsweise diese sogar fördere, wenn er beispielsweise über das Sozialamt die Kosten für eine Vorhautbeschneidung im Fall einer finanziellen Not der Familien trage.573 Auch die Ärztekammern und das Gesundheitsministerium werden von ihm kritisiert, nicht politisch tätig zu werden und Vorhautbeschneidungen nicht zu verhindern.574 Gerahmt wird diese Kritik von der Überzeugung, dass die deutsche Demokratie auf dem Grundgedanken basiere, dass auch Minderheiten und Schwachen Rechte gewährt werden müssten und der Staat dafür sorgen sollte, die Einhaltung dieser Rechte zu sichern.575 Insgesamt rezipieren Beschneidungsgegner wie Putzke, Jerouschek und Herzberg die Dissertation Schneiders in ihren strafrechtlichen Aufsätzen nicht ausführlich, sondern nur mit kurzem Verweis.576 In der Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik rezensiert Putzke die Monografie Schneiders besonders auf der formalen, aber auch auf der inhaltlichen Ebene überwiegend kritisch, da ein »reizvolles Thema […] schlampig behandelt«577 werde: Der Aufbau der Arbeit sei unstrukturiert, nicht nachvollziehbar und führe zu analytischen Fehlern, es bleibe insgesamt unklar, welche Probleme die Arbeit eigentlich behandele.578 Schneider grenze zudem unterschiedliche Motivationen und Begründungen für eine Vorhautbeschneidung analytisch nicht trennscharf voneinander ab, seine Kritik, dass Vorhautbeschneidungen fremdbestimmt vorgenommen würden, greife nicht, da dies für jegliche medizinische Eingriffe im Kindesalter zuträfe.579 Zustimmend hebt Putzke hervor, dass Schneider das Kindeswohl ins Zentrum seiner Überlegungen stellt und die Beschneidung als Körperverletzung ____________________ 572 573 574 575 576 577 578 579

Vgl. ebd.: 93, 101. Vgl. ebd.: 47f. Vgl. ebd.: 58f. Vgl. ebd.: 132. Vgl. Putzke 2012a: 622, Anm. 23; vgl. Herzberg 2009: 332 und Herzberg 2010: 473; vgl. Jerouschek 2012: 173, Fußnote 10. Putzke 2009: 177. Vgl. ebd.: 177ff., 185. Vgl. ebd.: 180ff.

125

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

bewertet. Er stimme mit dem Ergebnis der rechtlichen Abwägung »voll und ganz überein«580. Schneider wähle »die richtigen Worte, um die religiöse Beschneidung als das zu beschreiben, was sie ist: ein blutiges Ritual im Interesse der Eltern und ihrer Religion«581. Den NS-Vergleich Schneiders kritisiert Putzke in der ausführlichen Rezension ebenso wenig wie die Einordnung der Vorhautbeschneidung als Verstoß gegen die »[g]uten Sitten«.582 3.3.4. Gegen die »normative Kraft des Faktischen« Im April 2009 veröffentlichte der Strafrechtler Rolf Dietrich Herzberg583 in der Juristenzeitung (JZ) den Artikel Rechtliche Probleme der rituellen Beschneidung. Die zweimal monatlich erscheinende JZ hatte 2009 eine Druckauflage von 4.500 Exemplaren, sie richtet sich unter anderem an Rechtsanwälte und Notare.584 In seinem Artikel konzeptualisiert Herzberg – wie zuvor bereits Putzke, Jerouschek und Schneider – die »rituelle männliche Beschneidung«585 oder »Amputation der Vorhaut«586 als »gefährliche Körperverletzung«587. Zu Beginn unterscheidet Herzberg zwischen zwei unterschiedlichen Formen der »rituelle[n] Einwirkung« auf den menschlichen Körper: Die rituelle Beschneidung müsse verfassungsrechtlich legitimiert werden, weil sie »misshandelt« oder »verletzt«, die Taufe oder der Wangenstreich zur Firmung bedürfe keiner Legitimation, da sie unerheblich sei und unterhalb der »tatbestandlichen Erheblichkeitsschwelle«588 liege. Durch diese Perspektivierung beurteilt er kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen als gesetzeswidrig. Die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung missachte das »natürliche Interesse eines Kindes, keinen irreversiblen ____________________ 580 581 582 583

584 585 586 587 588

126

Ebd.: 177. Ebd.: 184, Herv. i. Orig. Schneider 2008: 47. Herzberg wurde 1938 in Wuppertal geboren und war seit 1974 ordentlicher Professor an der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum, wo er den Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Allgemeine Rechtstheorie besetzte. Seit 2003 ist er emeritiert. Vgl. Gaebler 2017. Herzberg 2009: 333. Ebd.: 332. Ebd. Ebd.

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

Verlust an seiner Körpersubstanz zu erleiden«. Mit einer jahrhundertealten Tradition, mit »Vaterliebe und hochfrommer Gesinnung«589 ließe sie sich nicht begründen. Um seine Bewertung als strafbare Handlung zu plausibilisieren, argumentiert Herzberg mit einem zivilrechtlichen Fall vor dem Oberlandesgericht Frankfurt: Ein muslimischer Vater ließ seinen zwölfjährigen Sohn – wissentlich gegen den Willen und die Einwilligung der alleinig sorgeberechtigten nichtmuslimischen Mutter – in einem Krankenhaus beschneiden. Aus dem Fall folgert Herzberg, es sei »geradezu abwegig, das Unrecht einer Körperverletzung und die entsprechende Strafbarkeit des Täters anzuzweifeln«590. In diesem konkreten Beispiel ist jedoch bedeutsam, dass sich die Eltern in Bezug auf die Beschneidung ihres Sohnes gerade nicht einig waren, sich im Streit befanden und der Vater kein Sorgerecht hatte.591 Darüber hinausgehend wurde nicht der Beschneider, sondern der Vater zu Schmerzensgeld verurteilt, da er sich das ihm nicht zustehende Sorgerecht angemaßt hatte. Um seine Argumentation weiter zu stützen, zieht Herzberg folgenden Vergleich, den Putzke und Jerouschek bereits ähnlich vorgebracht hatten: »Aber selbstverständlich kann die Körperverletzung, die ein Kind erleidet, nicht schon deshalb gerechtfertigt sein, weil die Eltern sie wollen. Das alltäglichste Beispiel einer trotz dieses Wollens rechtswidrigen Verletzung ist das Schlagen und Prügeln.«592

Wie bei der Vorhautbeschneidung behaupteten Eltern auch im Falle des Prügelns oder einer Ohrfeige, dass sie ihr Kind zu dessen Wohl schlügen. Dieser Haltung müsse »in unserem Staat«593 mit der Einschränkung des Erziehungsrechts begegnet werden. Der Gesetzgeber habe »die Macht, seine Überzeugung, dass körperliche Bestrafungen ‚entwürdigend‘ seien und niemals dem Kindeswohl dienen, den Andersdenkenden entgegenzustellen« und ihnen »ein Verbot« aufzuerlegen, das »mit einer uralten, über die ganze Welt verbreiteten Erziehungs- und Erlaubnistradition«594 breche. Die An-

____________________ 589 590 591 592 593 594

Ebd.: 333. Ebd.: 332, Herv. D. I. Siehe hierzu auch Bodenheimer 2012a: 10. Vgl. Dettmeyer/Parzeller/Laux/Friedl/Zedler/Bratzke 2011: 97. Herzberg 2009: 333. Ebd., Herv. D. I. Herzberg 2009: 333, Herv. D. I.

127

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

dersdenkenden dieses Beispiels sind sowohl jüdische und muslimische Eltern als auch christliche oder atheistische Eltern, die an unrechtmäßigen und archaischen Erziehungskonzepten festhielten. Elterninteressen dürften insgesamt nicht vor Kinderinteressen stehen. Die Religionsausübungsfreiheit aus Artikel 4 des Grundgesetzes müsse eingeschränkt werden, wenn die Rechte Dritter verletzt würden. Rhetorische Fragen aufwerfend, schreibt Herzberg, die Polizei müsse eingreifen, wenn beispielsweise in einem religiösen Brauch das erstgeborene Baby an Gott geopfert werden sollte oder wenn ein muslimischer Vater seinem zuckerkranken Kind während des Ramadan keine Nahrung und keine Getränke zuführe. Vielmehr müsse mit dem Grundrecht auf Religionsausübungsfreiheit das Verbot der Körperverletzung beachtet werden.595 Mit Bezug auf den Artikel 136 der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919, der über den Artikel 140 Grundgesetz auch Bestandteil des deutschen Rechts sei, ließe sich sogar argumentieren, Religiöse seien »zum Gesetzesgehorsam und zur Respektierung fremder Rechte« verpflichtet.596 Auf diese Weise führt er einen Rechtfertigungsgrund ein, mit dem sich der »schrankenlose« Artikel 4 des Grundgesetzes einschränken ließe. Der Artikel aus der Weimarer Reichsverfassung, der ins Grundgesetz übernommen worden sei, liefere »den Gesetzesvorbehalt nach, ohne den das Grundrecht der Religionsfreiheit praktisch undenkbar« wäre.597 An Putzke, auf den sich Herzberg überwiegend positiv bezieht, kritisiert er jedoch, dass dieser nach einem sozialen und individuellen Nutzen einer kulturell-religiösen Vorhautbeschneidung fragt und die Identifikation mit der Religionsgruppe als Nutzen eingeschränkt gelten lasse.598 Wenngleich Putzke argumentiere, der Nutzen einer kulturell-religiösen Vorhautbeschneidung sei im Vergleich zum Schaden nachrangig, gestehe er ihn grundsätzlich zu, womit er sich zu wenig von denjenigen abgrenze, die die Beschneidung befürworten. Herzberg bewertet die kulturell-religiöse Vor-

____________________ 595 596 597 598

128

Vgl. ebd.: 337. Ebd. Ebd.: 338. Gegen den Gesetzesvorbehalt durch den Artikel der Weimarer Reichsverfassung argumentierte der Rechtswissenschaftler Hans Michael Heinig (2005: 208ff.). Vgl. ebd.: 334f.

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

hautbeschneidung entsprechend ausschließlich als Schaden. Eine Vorhautbeschneidung zum Zwecke der Identifikation mit der religiösen Gruppe etwa könne keine Geltung beanspruchen, da die Gesundheit der männlichen Säuglinge/Jungen wichtiger sei als religiöse Bräuche.599 Konsequenterweise wendet er sich auch gegen falsche Bezugnahmen auf das Kindeswohl in anderen Religionsgemeinschaften. Auch christliche Handlungen, die mit der Begründung des Kindeswohls durchgeführt würden, seien kritikwürdig: Eine katholische Großmutter dürfe nicht veranlassen, dass ihr Enkel getauft werde, selbst wenn das Kind in einem katholischen Umfeld aufwachse. Im Hinblick auf eine religiöse Erziehung könne nicht bewertet werden, was dem Wohl des Kindes diene und was nicht, da sich dies erst auf lange Sicht herausstelle: »Das Kindeswohlkriterium ist in Religionsangelegenheiten als Maßstab nicht tauglich und darum auch nicht maßgebend.«600 Während der Maßstab des Kindeswohls bei elterlichen Entscheidungen in Religionsangelegenheiten nicht gelten dürfe, sei es Eltern im Rahmen ihres Grundrechts auf Religionsfreiheit und ihres Sorgerechts erlaubt, Entscheidungen für ihre Kinder zu treffen. So dürften Eltern beispielsweise darüber entscheiden, in welchen Religionsunterricht sie ihre Kinder schicken oder ob in den Kindergarten oder eine Koranschule.601 Mit der Perspektive, dass sich erst retrospektiv beziehungsweise im Zeitverlauf zeige, inwiefern die Erziehung dem Wohl des Kindes diente, trägt Herzberg ein starkes Argument vor. Allerdings stellt sich die Frage, warum die nachträgliche Bewertung pro oder contra Kindeswohl nur im speziellen Bereich der kulturell-religiösen Erziehungsfragen gelten soll und nicht vielmehr im gesamten Erziehungsbereich. Schließlich beschreiben Individuen grundsätzlich retrospektiv anhand ihrer biografischen Selbsterzählung, was ihnen in ihrem Leben schadete und was zu ihrem Wohl diente. Herzberg appelliert an die Vernunft der Juristen/Juristinnen, bei der Rechtfertigung von kulturell-religiösen Vorhautbeschneidungen das rechtsfremde Argument der Kultur nicht gelten zu lassen. Staatsanwälte/Staatsanwältinnen sollten sich nicht von der »normative[n] Kraft des Faktischen« leiten lassen, womit er die Tradition und Verbreitung der kulturell-religiösen Vorhautbeschneidung meint.602 Auch in dem Artikel Religionsfreiheit ____________________ 599 600 601 602

Ebd.: 335. Herzberg 2009: 336. Vgl. ebd. Ebd.: 338.

129

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

und Kindeswohl aus der Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik von 2010 betont Herzberg abermals, die Vorhautbeschneidung sei eine rückschrittliche »Verstümmelung von Menschen« und »blutige Verletzung«, die unter dem Deckmantel der religiösen Tradition stattfinde. Die deutsche Gesetzgebung und »unsere Gesetzesdeutung« müsse an der »[z]ivilisatorischen« und »[s]ittlich-rechtlichen Läuterung« festhalten und »Fortschritt und Vorreitertum«603 verkörpern. 3.3.5. Kritische Reaktionen innerhalb der Rechtswissenschaft Die Artikel von Putzke, Jerouschek und Herzberg führten zu Reaktionen und Kritik innerhalb der Rechtswissenschaft. Der Jurist Kyrill-Alexander Schwarz604 betont schon 2008 in dem Aufsatz Verfassungsrechtliche Aspekte der religiösen Beschneidung in der Fachzeitschrift JZ605 im Gegensatz und mit Kritik an Putzke und Jerouschek, dass die Vorhautbeschneidung unter den effektiven Schutz der Religionsfreiheit fällt. Sein Ausgangspunkt stellt besonders das »forum externum«606 als einen Aspekt des Schutzbereiches der Religionsfreiheit dar, der auf das Verhalten abzielt.607 Unter dieser Formel wird die »äußere Freiheit« verstanden, »den Glauben zu manifestieren, zu bekennen und zu verbreiten«608. Es gehe um die »Bestimmungskompetenz für glaubensgeleitetes Verhalten«609, die bei den betreffenden religiösen Gemeinschaften oder sogar bei den einzelnen religiösen Grundrechtsträgern/Grundrechtsträgerinnen liege und die sachgerecht gewürdigt ____________________ 603 604 605 606 607

608 609

130

Herzberg 2010: 475. Schwarz hat die Lehrbefugnis für Öffentliches Recht und Europarecht und hat seit 2010 den Lehrstuhl für Öffentliches Recht an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg inne. Zur Auflage der Juristenzeitung 2009 siehe die vorherigen Ausführungen zu Herzberg in ebendiesem Kapitel. Schwarz 2008: 1126. Der Rechtswissenschaftler Michael Germann macht darauf aufmerksam, dass der Bereich des »forum internum«, der inneren Freiheit zu glauben, über das »forum externum« hinausgeht, da einerseits der Glaube der staatlichen Gewalt unzugänglich sei und sich andererseits die Identität nur mittelbar in Handlungsinteressen ausprägt (vgl. Germann 2010: 40). Ebd.: 39. Schwarz 2008: 1127.

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

werden müsse. Das Grundgesetz gewähre »den Glaubensträgern die Selbstbestimmung darüber, was sie als Glauben, Bekenntnis oder Religionsausübung verstehen«610 und welche religiöse Pflicht sie praktizieren wollen. Gerade weil der Staat im Hinblick auf Inhalt und Ausübung des Glaubens zur Neutralität verpflichtet sei – als konfessionell und weltanschaulich neutraler Staat –, müsse er das religiöse Selbstverständnis zum Ausgangspunkt nehmen. Dies gelte, solange die Rechtsordnung nicht »fundamental in Frage gestellt«611 würde, was Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen zu argumentieren versuchen. Gerade weil die Vorhautbeschneidung innerhalb des Judentums und des Islam zentral für das kulturell-religiöse Selbstverständnis sei und eine Vorhautbeschneidung von ausgebildeten Beschneidern/Beschneiderinnen und Ärzten/Ärztinnen durchgeführt werde, sei sie keine Gefährdung des Kindeswohls, sondern im Rahmen der Religionsausübungsfreiheit und des Elternrechts (auch nach Paragraf 1627 des Bürgerlichen Gesetzbuches, der die elterliche Sorge festschreibt) gerechtfertigt.612 Die Logik ist, dass »Eltern ihre Kinder bei der Wahrnehmung ihrer Rechte aktiv anleiten«613, bis das heranwachsende Kind seine eigenen Rechte verwirklicht. Der Jurist Kai Zähle614 zielt in dem Beitrag Religionsfreiheit und fremdschädigende Praktiken, der 2009 in der Fachzeitschrift Archiv des öffentlichen Rechts615 erschien, wie Schwarz ebenfalls auf das »forum externum« der Religionsfreiheit ab. Da die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung im Ergebnis keine sozialunverträgliche Handlung sei, falle sie unter das »forum externum« und den Schutzbereich der Religionsfreiheit (der nicht »mittels des ordre public-Vorbehaltes begrenzt werden«616 müsse). Der Schutzbereich der Religionsausübungsfreiheit sei bei der Vorhautbeschneidung im ____________________ 610 611 612 613 614 615

616

Ebd.: 1126. Ähnlich argumentierte zuvor Heinig 2005: 207f. Schwarz 2008: 1129. Vgl. ebd.: 1126. Bielefeldt 2012b: 73. Zähle arbeitet als Regierungsrat. Die Fachzeitschrift erscheint seit 1886 und richtet sich an Wissenschaftler/Wissenschaftlerinnen und Praktiker/Praktikerinnen des Öffentlichen Rechts an Hochschulen, oberen Gerichten, Behörden und in Anwaltskanzleien. Sie erscheint vierteljährlich. Zähle 2009: 454, Schreibweise i. Orig.

131

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

Gegensatz zur weiblichen Genitalverstümmelung eröffnet, da der Eingriff »längst nicht so schwerwiegende Auswirkungen auf die Gesundheit, das psychische Wohlbefinden sowie das Sexualempfinden« habe.617 Im Rahmen der »praktischen Konkordanz«618 seien das Recht auf körperliche Unversehrtheit sowie die Religionsfreiheit und das Elternrecht »möglichst schonend« und in »gegenseitiger Rücksichtnahme«619 in Ausgleich zu bringen. Den eigenen Kindern den Glauben »zu vermitteln« und sie in der Überzeugung zu erziehen, »die die Eltern für richtig halten«, sei ein »menschliches Bedürfnis der Eltern«620. Gerade weil im konkreten Fall der Sohn noch keinen (religiösen) Willen habe und – abstrakt gesprochen – »noch nicht selbst grundrechtsmündig«621 sei, werde es von den einvernehmlichen Eltern vertreten, die dessen Grundrecht verwirklichen und die Identitätsfindung fördern. Die Ausgestaltung des Kindeswohls, das in diesem Zusammenhang relevant wird, sei von der familiären Umwelt abhängig.622 Der Rechtswissenschaftler B. Fateh-Moghadam623 kritisiert in seinem Artikel Religiöse Rechtfertigung? in der Fachzeitschrift Rechtswissenschaft grundlegend die »Kulturalisierung der Problemstellung«624. Abweichend von den bisherigen Beiträgen stellt er fest, dass sich eine Kulturalisierung verhindern ließe, wenn die Grenzen beziehungsweise die Reichweite der elterlichen Einwilligung im Fokus stünden. Er schlägt vor, dass die Vorhautbeschneidung – wenn nicht durch die Einwilligungsfähigkeit des Betroffenen selbst625 – durch die stellvertretende Einwilligung der Eltern im ____________________ 617 618 619 620 621 622 623

624 625

132

Ebd.: 446. Ebd.: 436, 439. Ebd.: 440. Ebd.: 449. Ebd. Vgl. ebd.: 451. Fateh-Moghadam hat seit 2015 die Lehrbefugnis für Strafrecht, Strafprozessrecht, Medizinrecht, Rechtsphilosophie, Rechtssoziologie und Rechtsvergleichung. Seit 2016 ist er Professor für Grundlagen des Rechts und Life SciencesRecht an der Juristischen Fakultät der Universität Basel. Fateh-Moghadam 2010: 117. Einwilligungsfähige Betroffene dürften der Vorhautbeschneidung nicht zustimmen, wenn sie ein Verstoß gegen die guten Sitten darstellen würde, wie beispielsweise die weibliche Genitalverstümmelung (vgl. Germann 2010: 53; vgl. Dettmeyer/Parzeller/Laux/Friedl/Zedler/Bratzke 2011: 85f.). Dies sei aber nicht der Fall, da die Vorhautbeschneidung keine unmenschliche und erniedrigende

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

Rahmen ihres Elternrechts veranlasst werden könne. Dafür müssten sich die Eltern jedoch einig sein.626 Da nicht auseinandergehalten werden könne, welche Motivation bei einer Vorhautbeschneidung einschlägig sei, müsse von einem »Motivbündel«627 gesprochen werden, das ästhetische, hygienische, medizinisch-prophylaktische und auch religiöse Gründe umfasse. Entsprechend sei das Recht der Religionsausübungsfreiheit für eine Veranlassung der Vorhautbeschneidung nicht notwendig. Er kritisiert, dass Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen in Deutschland davon ausgingen, dass die stellvertretende Einwilligung der Eltern in eine Vorhautbeschneidung eine Fremdbestimmung sei. Sie forderten, nicht die Eltern, sondern der Staat solle festlegen, was das »beste Interesse des Kindes«628 sei. Jedoch auch dann müsse der Staat, so entgegnet Fateh-Moghadam, den subjektiv-kulturellen Kontext des Kindes beachten und dürfe das Interesse nicht ausschließlich nach der Maßgabe von medizinischen Erwägungen oder einer medizinischen Indikation ermitteln.629 Abgesehen davon sei der Verlust der stellvertretenden Einwilligung durch die Eltern nicht mit dem Familien- und Strafrecht vereinbar, der Staat dürfe nicht zum gleichberechtigten »Erziehungs- und Fürsorgekonkurrent[en]« der Eltern werden.630 Das Kindeswohl sei teilweise objektivierbar und teilweise ausfüllungsbedürftig, Letzteres obliege den Eltern und räume ihnen bei körperbezogenen Entscheidungen einen Ermessensspielraum ein, der erst bei »evidente[m] Missbrauch«631 überschritten sei. Darauf aufbauend entwickelt Fateh-Moghadam ein dreistufiges Prüfungsschema, das die Aspekte Schwere des Eingriffs und gesundheitliche Risiken, präventivmedizinische Vorteile und kindeswohlverletzende Eingriffsmodalitäten umfasst. Im Ergebnis bewertet

____________________

626 627 628 629 630 631

Behandlung sei. Grundsätzlich einwilligungsfähig seien die Betroffenen etwa mit 14 Jahren. Mit zunehmender Selbstbestimmungsfähigkeit erlangten die Betroffenen ein Vetorecht, das sie auch gegen den Willen der Eltern einsetzen können. Eine Beschneidung müsse dann unterlassen werden, wenn die Eltern dies wollen, der Sohn dies aber ablehnt (vgl. Fateh-Moghadam 2010: 123ff.). Vgl. ebd.: 127f. Ebd.: 120. Ebd.: 129. Vgl. ebd.: 129f. Ebd.: 131; vgl. Schulze 2017: 92. Fateh-Moghadam 2010: 132.

133

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

er die Vorhautbeschneidung als vertretbare Elternentscheidung, die nicht als Missbrauch qualifiziert werden könne.632 3.4.

Resümee

Die Beiträge aus der Medizin, Psychoanalyse und Rechtswissenschaft zeigen, dass die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung auch schon vor der öffentlich geführten Beschneidungskontroverse polarisierte. Spätestens seit dem ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts versuchen Ärzte und Psychoanalytiker eine Definitionshoheit über die medizinischen/psychoanalytischen Konsequenzen der kulturell-religiösen Vorhautbeschneidung zu erlangen. Sie tragen maßgeblich dazu bei, dass sie als Körperverletzung eingeordnet und verboten wird. Hier schließt der strafrechtliche/juristische Fachdiskurs an, da auch einige Strafrechtler spätestens seit 2008 speziell die kulturellreligiöse Vorhautbeschneidung als Körperverletzung verboten sehen wollen und nicht die Vorhautbeschneidung im Allgemeinen. Die Rekonstruktion der wissenschaftlichen Beiträge verdeutlicht, dass es sich um eine »männerzentrierte«633 Kontroverse um den Jungen- und Männerkörper handelt. Zentral ist die Forderung, auf eine Vorhautbeschneidung und damit eine körperliche Besonderheit zu verzichten und stattdessen ein nichtjüdisches und nichtmuslimisches Körperbild des Jungen/Mannes zu übernehmen und anzuerkennen.634 Disziplinübergreifend beziehen sich die Beschneidungsgegner positiv aufeinander: Putzke dankt Stehr für die Durchsicht seines Aufsatzes und zitiert Stehr/Dietz et al., Jerouschek zitiert Maciejewski, Franz zitiert Maciejewski sowie Stehr/Putzke/Dietz, und Herzberg zitiert Putzke und Jerouschek. Letztlich handelt es sich um eine zahlenmäßig kleine Gruppe, die allerdings ihre Beiträge wirksam in unterschiedlichen Fachzeitschriften platziert und sich so Gehör verschafft. ____________________ 632

633 634

134

Vgl. ebd.: 134ff. Die Argumentationen von Putzke, Jerouschek, Herzberg, Schwarz und Fateh-Moghadam nimmt wiederum der Strafrechtler Edward Schramm in Ehe und Familie im Strafrecht: Eine strafrechtsdogmatische Untersuchung von 2011 auf. Er diskutiert die Ansichten, um im Ergebnis zu betonen, dass die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung keine Gefährdung des Kindeswohls darstelle (vgl. Schramm 2011: 221ff.). Klein 2012: 249. Vgl. ebd.: 248.

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

Gemeinsam ist den Beiträgen der Beschneidungsgegner, präventivmedizinische Vorteile der Vorhautbeschneidung zu bestreiten und diejenigen medizinischen und psychologischen Studien zu rezipieren, die negative Begleiterscheinungen hervorheben.635 Während sie den Eingriff mit medizinischer Begründung als gerechtfertigt ansehen, erklären sie ihn mit kulturellreligiöser Begründung zum eigentlichen Problem. Das bedeutet, dass sie letztlich nicht den Eingriff der Vorhautbeschneidung als solchen bewerten, sondern die Begründung und Motivation. Diese diskursive Verschiebung, ein religiös begründetes Verhalten ins Zentrum der Kritik zu rücken, lässt sich als neue Qualität werten. Denn genau genommen werden nicht nur kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen ohne das Einverständnis der Säuglinge/Jungen durchgeführt, sondern auch solche mit medizinischer Begründung. Der Unterschied ist jedoch, dass sich Ärzte/Ärztinnen im Falle medizinischer Beschneidungen selbst die Begründung für den körperlichen Eingriff geben, da sie ihn aufgrund spezifischer Diagnosen für angebracht halten. Sie suggerieren, sie bezögen ausschließlich fachlich-medizinische und keine gesellschaftlichen/kulturspezifischen Aspekte in die Indikationsstellung ein. Tatsächlich aber enthält »die Indikation immer einen normativen Anteil« und lässt sich nicht »ohne vielfältige Rekurse auf Werte und Normen etablieren«636. Der Standpunkt »des Arztes ist also nicht nur abhängig von seinem eigenen Selbstverständnis, sondern auch von den Anforderungen, die von der jeweiligen Gesellschaft an ihn gestellt werden.«637 In den Rechtswissenschaften übernehmen Beschneidungsgegner die Annahme, es handele sich um eine »unnötige Verletzung« und Schädigung. Würde vor diesem Hintergrund Juden/Jüdinnen und Muslimen/Muslimas die Religionsausübungsfreiheit im Hinblick auf die Vorhautbeschneidung gewährt, sei die geltende deutsche Rechtsordnung beziehungsweise der Geltungsanspruch des deutschen Rechts gefährdet. Dabei greifen die Strafrechtler die Thematik unterschiedlich auf: Während Putzke die Vorhautbeschneidung mit anderen körperlich-schönheitsoperativen Eingriffen ins Verhältnis setzt und problematisiert, kommt Schneider explizit auf den Nationalsozialismus zu sprechen. Herzberg arbeitet mit zwei konkreten Beschlüssen des Oberlandesgerichts Frankfurt und des Landgerichts Hanau ____________________ 635 636 637

Vgl. hierzu auch Voß/Zaft 2013: 6. Raspe zit. n. Neitzke 2008: 54. Braune/Wiesemann/Biller-Andorno 2008: 151.

135

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

sowie anderen beispielhaften Fällen. Allerdings ist seine Bezugnahme auf die Beschlüsse unvollständig und selektiv.638 Jerouschek wiederum rekonstruiert »historische Aspekte« über die Beschneidung im Judentum und Islam, was weder Putzke noch Herzberg in dieser Form vollzogen. Insgesamt haben hauptsächlich die strafrechtlichen Beiträge von Putzke, Jerouschek und Herzberg weitgehende Effekte beziehungsweise sehr konkrete Auswirkungen. Ihre Veröffentlichungen und die darin enthaltenen Argumente werden im Urteil des Kölner Landgerichts von 2012 zitiert und angewandt. 3.5.

Ein Resultat: Das Urteil des Kölner Landgerichts

Am 4. November 2010 beschnitt ein in Köln niedergelassener Allgemeinmediziner die Vorhaut eines vierjährigen Jungen auf Wunsch seiner muslimischen Eltern. Die Vorhautbeschneidung fand in seiner Arztpraxis statt, der Allgemeinmediziner vernähte die Wunde des Jungen mit vier Stichen und versorgte sie bei einem anschließenden Hausbesuch. Es kam jedoch zu Nachblutungen, weswegen die Mutter ihren vierjährigen Sohn am 6. November in die Notaufnahme der Kölner Uni-Klinik brachte, um ihn dort ärztlich behandeln zu lassen.639 Da die Mutter einem Artikel im Tagesspiegel zufolge »kaum Deutsch« sprach und »den Vorgang nicht erklären«640 konnte, entstand unter den Ärzten/Ärztinnen der Verdacht, der Vierjährige sei nicht fachgerecht beschnitten worden. Im Aufnahmebogen der Kölner Uni-Klinik sei das Missverständnis festgehalten: der Sohn wäre »in einer ____________________ 638

639 640

136

In Herzbergs Übersicht fehlen mehrere Fälle, darunter zwei vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg von 1993 und 2002, ein Fall vor dem Landgericht Frankenthal von 2004 und ein Fall vor dem Amtsgericht Erlangen von 2002, in denen ebenfalls die Vorhautbeschneidung von muslimischen Jungen verhandelt wurde. Ein Fall vor dem Amtsgericht Tiergarten von 2008, in dem es um eine jüdische Beschneidung ging, blieb ebenfalls gänzlich unberücksichtigt. Eine Übersicht der genannten Fälle findet sich in: Dettmeyer/Parzeller/Laux/Friedl/ Zedler/Bratzke 2011: 97. Vgl. Landgericht Köln 2012a: 1f.; vgl. Musharbash 2012; vgl. Müller-Neuhof 2012. Müller-Neuhof 2012. Siehe hierzu auch Çetin/Wolter 2012: 16; vgl. Musharbash 2012.

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

Wohnung mit einer Schere ohne Anästhesie«641 beschnitten worden. Infolgedessen schaltete das ärztliche Personal der Uni-Klinik die Polizei ein, welche wiederum den Vorfall an die Staatsanwaltschaft Köln weiterleitete. Diese erhob schließlich am 5. Januar 2011 Anklage beim Amtsgericht in Köln wegen gefährlicher Körperverletzung.642 Das Amtsgericht fällte am 21. September 2011 sein Urteil und sprach den Allgemeinmediziner von der vorsätzlichen Körperverletzung frei. In der Begründung heißt es, »[n]ach Auffassung des Strafgerichts war die durch den Eingriff tatbestandsmäßig vorliegende Körperverletzung [die Beschneidung, D. I.] aufgrund der wirksamen Einwilligung der Eltern des Kindes als Personensorgeberechtigten gerechtfertigt, denn dieselbe richtete sich zutreffend an dem ‚Wohl ihres Kindes‘ aus«.643

Der Richter, Dirk Eßer, argumentierte, dass die religiöse Beschneidung des muslimischen Jungen zwar eine Körperverletzung ist, diese aber »in medizinisch nicht zu beanstandender Weise ausgeführt worden ist« und eine »sozialadäquate[..] Verhaltensweise« darstellt. Drei Argumente sind für diese Bewertung ausschlaggebend: Die religiöse Beschneidung bekunde die kulturelle und religiöse »Zugehörigkeit zur muslimischen Lebensgemeinschaft«, sie wirke »einer drohenden Stigmatisierung des Kindes« als nichtbeschnitten entgegen und stelle eine präventive medizinische Maßnahme gegen spezifische Erkrankungen dar.644 Gegen das Urteil des Kölner Amtsgerichts beziehungsweise gegen den Freispruch des Angeklagten legte die Kölner Staatsanwaltschaft jedoch Berufung ein. So wurde der Fall der nächsthöheren Instanz, dem Landgericht Köln, vorgelegt. Dieses verwarf in seiner Urteilsbegründung vom 7. Mai 2012 den ursprünglichen Freispruch durch das Amtsgericht und wertete die kulturell-religiöse Beschneidung als nicht zu rechtfertigende Körperverletzung nach Paragraf 223 Absatz 1 StGB645, in dem es heißt »[w]er eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft«. Zwar ____________________ 641 642 643 644 645

Musharbash 2012. Vgl. Landgericht Köln 2012b. Amtsgericht Köln 2011, Herv. i. Orig. Ebd. Mit der Argumentation bezieht sich das Amtsgericht auf die 2011 veröffentlichte Dissertation des Juristen Thomas Exner. Vgl. Landgericht Köln 2012a: 2; vgl. Landgericht Köln 2012b; vgl. Landgericht Köln 2012c: 2.

137

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

sprachen der Richter des Landgerichts, Thomas Beenken, und die zwei Schöffen den Angeklagten im Ergebnis ebenfalls von der Körperverletzung frei. Er habe bei der unklaren Rechtslage in einem »unvermeidbaren Verbotsirrtum«646 gehandelt, was bedeutet, er habe nicht gewusst, dass er mit der Vorhautbeschneidung eine strafbare Handlung begehen wird, und deswegen ohne Schuld gehandelt. Dennoch variierte die Urteilsbegründung fundamental, wenn es heißt: »[e]ine religiös motivierte Beschneidung der Vorhaut eines männlichen Säuglings ist auch mit Zustimmung der Kindeseltern eine Körperverletzung«.647 Für die derartige gegensätzliche Bewertung der religiösen Vorhautbeschneidung sei maßgeblich, dass die Vorhautbeschneidung nicht sozialadäquat ist und die Eltern sie nicht mit ihrer Religionsfreiheit und ihrem Sorgerecht begründen können, da das Recht auf körperliche Unversehrtheit des Sohnes schwerer wiege. Zudem entspreche die Vorhautbeschneidung »des nicht einwilligungsfähigen Knaben weder unter dem Blickwinkel der Vermeidung einer Ausgrenzung innerhalb des jeweiligen religiös gesellschaftlichen Umfeldes noch unter dem des elterlichen Erziehungsrechts dem Wohl des Kindes.«648

Sie sei eine »unangemessen[e]« Verletzung der körperlichen Unversehrtheit, eine dauerhafte und irreparable Veränderung und laufe »dem Interesse des Kindes […] zuwider«649, wie Putzke, Herzberg und Jerouschek argumentiert hatten. Das Gericht ging also davon aus, dass in der Frage um kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen mehrere Grund- und Menschenrechte kollidierten: auf der einen Seite das Recht des Jungen auf seine körperliche und seelische Unversehrtheit aus Artikel 2, Absatz II, Satz 1 des Grundgesetzes, in dem es heißt: »Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit«, auf der anderen Seite das elterliche Sorgerecht aus Artikel 6, Absatz II des Grundgesetzes, in dem es heißt: die »Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft« sowie das elterliche Recht der Religionsausübungsfreiheit aus Artikel 4, Absatz I und II des Grundgesetzes. Dort heißt es: »[d]ie Frei____________________ 646 647 648 649

138

Landgericht Köln 2012a: 4. Ebd.: 1. Ebd.: 3. Ebd.

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

heit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet«.650 Da der Richter und die beiden Schöffen den angeklagten Allgemeinmediziner von der Körperverletzung freisprachen, konnte die Verteidigung keine Revision einlegen, um die Frage der Strafbarkeit einer kulturell-religiösen Vorhautbeschneidung auf der nächsthöheren gerichtlichen Instanz klären zu lassen. Dies wäre nur nach einer rechtskräftigen Verurteilung des Arztes möglich gewesen.651 Die Anklage beziehungsweise die Staatsanwaltschaft hatte kein Interesse an einem weiteren gerichtlichen Fortgang des Falles, da sich ihre rechtliche Argumentation im Urteil durchgesetzt hatte.652 Der Tagesspiegel-Redakteur Jost Müller-Neuhof kommentierte in seinem Artikel Chronik einer beispiellosen Debatte, dass die Gerichtsverhandlung vor dem Kölner Landgericht »unbemerkt von der Öffentlichkeit« stattfand. Wenngleich die Justizrichtlinien in NRW festschrieben, dass Gerichtsverfahren von »grundsätzlicher Bedeutung«653 auf die nächsthöhere Ebene zu melden sind, sei dies beim Urteil zur Strafbarkeit von kulturellreligiösen Vorhautbeschneidungen nicht geschehen. Das Landgerichtsurteil wurde nach der öffentlichen Bekanntgabe national und international breit wahrgenommen und besprochen.654 Die Financial Times Deutschland und die SZ ordneten es sehr früh als »wegweisende[s] Urteil«655 beziehungsweise Urteil mit »wegweisende[r] Wirkung«656 ein, die FAZ beschrieb es als »rechtsstaatlich unumgänglich«657. Das Landgericht, so formuliert es Putzke, habe sich »anders als viele Politiker« nicht »von der Sorge abschrecken lassen, als antisemitisch und religionsfeindlich kritisiert zu werden.«658 Verwunderlich an diesem Kommentar ist, dass es in dem Urteil um die Beschneidung eines muslimischen Jungen ging und es entsprechend hätte heißen müssen: als antimuslimisch oder ____________________ 650 651 652 653 654 655 656 657 658

Vgl. Bielefeldt 2012: 71; vgl. Germann 2012: 84; vgl. Widmann 2012: 219. Vgl. Widmann 2012: 219. Vgl. Müller-Neuhof 2012. Vgl. ebd. 2012. Vgl. Evans 2012; vgl. Aderet 2012; vgl. Kulish 2012. Ruch 2012; Putzke 2012c. O. A. 2012s. Hefty 2012a. Putzke zit. n. Ruch 2012.

139

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

islamfeindlich kritisiert zu werden. Die Kontextualisierung Putzkes zeigt jedoch, dass es für Beschneidungsgegner sowohl um die Beschneidung muslimischer Jungen, als auch um die Beschneidung jüdischer Säuglinge ging. Auch innerhalb der Rechtwissenschaft wurde das Urteil des Kölner Landgerichts deutlich beanstandet.659 Exemplarisch kann die Kritik des Rechtswissenschaftlers Michael Germann herangezogen werden. Er betont, das Gericht habe grobe handwerkliche Fehler »in der Methode der Grundrechtsanwendung« gemacht.660 Der Kölner Richter habe u.a. bei der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung in der gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht den staatlichen Eingriff, also das »Beschneidungsverbot« geprüft, sondern die Beschneidung selbst.661 Bei der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung gehe es aber um die Verhältnismäßigkeit der Zweck-MittelRelation; also darum, ob das Mittel – »hier das zu prüfende Beschneidungsverbot«662 – im Verhältnis zum Zweck, der körperlichen Unversehrtheit des Kindes, steht. Im Urteil des Kölner Landgerichts sei jedoch die Grundrechtsausübung (der Eltern) geprüft worden. Daraus folge die Vorstellung, »nicht mehr der Staat [muss] die Freiheitsbeschränkung rechtfertigen […], sondern der Bürger seine Freiheit«663. Die Funktion der Grundrechtsnormen sei allerdings ein Abwehrrecht gegen den Staat, der sich mit Eingriffen in die Grundrechte »soweit wie möglich […] zurückhalten«664 müsse. Der Zentralrat der Juden in Deutschland bezeichnete das Urteil als »beispiellosen und dramatischen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften«665, der Zentralrat der Muslime bewertete es fast wortgleich als »eklatanten und unzulässigen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften und in das Elternrecht.«666 Für einen Großteil der deutschen und in Deutschland lebenden Juden/Jüdinnen ____________________ 659 660 661 662 663 664 665 666

140

Vgl. Heinig 2012a; vgl. Beulke/Dießner 2012: 338ff.; vgl. Schwarz 2012: 98ff.; vgl. Schramm 2012: 134ff.; vgl. Fateh-Moghadam 2012: 157ff.; vgl. Wolf 2014: 245ff. Germann 2012: 84. Ebd. Ebd.: 85. Ebd. Ebd.: 86; vgl. Schulze 2017: 123f. Zentralrat der Juden in Deutschland 2012. Zentralrat der Muslime in Deutschland 2012.

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

und Muslime/Muslimas hatte das Landgerichtsurteil zur Konsequenz, dass sie eine Praxis, die für ihr Selbstverständnis eine zentrale Rolle spielt, nicht mehr ohne Strafandrohung ausleben konnten. Sie hatten das Gefühl, ihr eigenes Religionsverständnis in Deutschland nicht mehr frei praktizieren zu können. Denn sowohl den jüdischen und muslimischen Eltern als auch den Beschneidern/Beschneiderinnen drohte nun eine Bestrafung wegen Körperverletzung.667 Zwar war das Urteil des Kölner Landgerichts eine Einzelfallentscheidung668, die keine bindende Wirkung für andere Gerichte hatte. Offen war jedoch, wie andere Gerichte in ähnlichen Fällen entscheiden würden.669 Und so stand einzig fest, dass sich Beschneider/Beschneiderinnen zukünftig nicht mehr auf einen Verbotsirrtum berufen könnten.670 Entsprechend setzte beispielsweise das Jüdische Krankenhaus in Berlin zwischen Ende Juni und Anfang September 2012 alle Beschneidungen mit kulturellreligiösen Begründungen aus, da die Sorge bestand, Ärzte/Ärztinnen könnten wegen Körperverletzung juristisch belangt werden. Während vor dem Kölner Landgerichtsurteil kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen zwar rechtlich ebenfalls nicht klar geregelt waren, aber nicht als strafbare Körperverletzung erklärt wurden, resultierte aus dem Kölner Urteil eine Rechtsunklarheit und Rechtsunsicherheit.671 Um dies zu verhindern, erließ etwa der Berliner Justizsenator und CDU-Politiker Thomas Heilmann Anfang September 2012 eine Anweisung an die Staatsanwaltschaft, in der die Beschneidungen in Berlin unter strengen Voraussetzungen für straffrei erklärt wurden. Unter diese kurzfristige Regelung fielen jedoch nur Ärzte und keine ausgebildeten Mohalim (jüdische Beschneider/Beschneiderinnen).672 Um der Forderung nach einem Verbot von kulturell-religiösen Vorhautbeschneidungen im Säuglings- und Kindesalter Nachdruck zu verleihen und um Staatsanwaltschaften zu einer Ahndung anzuhalten, zeigten mehrere Beschneidungsgegner einzelne Rabbiner und Mohalim dafür an, Vorhautbeschneidungen durchführen zu wollen oder durchgeführt zu haben. Der Berliner Gemeinderabbiner Yitshak Ehrenberg wurde im Juli 2012 nach ____________________ 667 668 669 670 671 672

Vgl. Schramm 2012: 134; vgl. Wolf 2014: 243ff. Vgl. Musharbash 2012. Vgl. Widmann 2012: 220. Vgl. Schramm 2012: 135. Vgl. ebd.: 141. Vgl. Schütze/Treichel 2012; vgl. Alberti 2012.

141

3. Polarisierende Auseinandersetzungen

seinem Auftritt in der Fernsehtalkshow bei Anne Will »wegen Störung des öffentlichen Friedens und anderer Delikte« angezeigt.673 Im August 2012 stellte ein Arzt aus Gießen, Sebastian Guevara Kamm, gegen David Goldberg, der Rabbiner in Hof ist, eine Strafanzeige wegen Körperverletzung. Kamm begründete seine Anzeige damit, dass Goldberg die Operationen bewerbe sowie angebe, sie weiter durchführen zu wollen.674 Im Gegensatz zum Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Berlin gegen Ehrenberg wurde das Verfahren gegen Goldberg von der Staatsanwaltschaft Hof erst im Februar 2013 eingestellt.675 Der Rabbiner Yehuda Teichtal wurde wiederum von Christian Bahls vom MOGiS e.V.676 angezeigt, weil er im März 2013 seinen Sohn vom Mohel Menachem Fleischmann beschneiden ließ. Auf dem Blog von MOGiS e.V. erläuterte Bahls seine Begründung und betont, sie sei »nicht getragen von einem antijüdischen Ressentiment« und der Bestrebung, »die jüdische Namensgebung mit Vorhautamputation an sich anzugreifen«. Vielmehr gehe es darum, »die Umstände dieser Vorhautamputation im Speziellen zu beleuchten. Sie zeigen deutlich, dass es Personen gibt, die sich nichteinmal an die Minimalanforderungen des Gesetzgebers – wie einer Durchführung nach den Regeln der ärztlichen Kunst – zu halten bereit sind.«677

Juden/Jüdinnen reagierten verunsichert auf die Strafanzeigen gegen Rabbiner, weswegen sich nicht nur der Zentralrat der Juden für klare gesetzliche Vorgaben und eine Rechtssicherheit einsetzte. Für Goldberg selbst war die Strafanzeige »Ausdruck von Antisemitismus«.678 Nicht nur die Anzeigen gegen Rabbiner, sondern auch die Verunsicherung von Juden/Jüdinnen und Muslimen/Muslimas zeigten, dass eine gesetzliche Regelung zu kulturellreligiösen Vorhautbeschneidungen nach dem Urteil des Kölner Landgerichts unerlässlich geworden war.

____________________ 673 674 675 676

677 678

142

Kauschke 2012b. Kauschke 2012a. Vgl. Kauschke 2012b. Der gemeinnützige Verein wurde 2009 zunächst unter dem Namen »MissbrauchsOpfer Gegen InternetSperren« gegründet und erweiterte noch im selben Jahr seine Ziele dahingehend, für Missbrauchsbetroffene eine Lobby zu sein (vgl. MOGiS e.V. o.J.). Bahls 2013, Schreibweise i. Orig. Goldberg zit. n. Kauschke 2012a.

4.

Wiederkehrende Motive Die Kontroverse um kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen in der deutschen Öffentlichkeit

Im folgenden Kapitel werden Argumentationsfiguren und Kontinuitäten in den Argumentationssträngen herausgearbeitet, die sich wiederholt in der öffentlichen Beschneidungskontroverse 2012 finden. Es geht um die Sortierung der Kontroverse beziehungsweise der einzelnen Argumentationen und darum, wie sie zusammenhängen und ineinandergreifen. Im Gegensatz zum vorherigen Kapitel, welches personenzentriert gegliedert und um Vollständigkeit der jeweiligen fachspezifischen Beiträge bemüht ist, steht hier die Dynamik der Kontroverse und die »Matrix kultureller Muster und Bilder«679 im Zentrum. Es geht um thematisch gruppierte Argumentationen in ihrer Bandbreite und Vielgestaltigkeit. Die einzelnen Argumentationen werden zu einem charakteristischen und übergeordneten Motiv zusammengefasst. Das Motiv ist ein Leitgedanke, ein durch Beschreibungen und Argumentationen von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen hergestelltes Leitbild, ein Grundgedanke, der sich wie ein roter Faden durch die Kontroverse zieht und den unterschiedliche Akteure/Akteurinnen immer wieder aufnehmen. Es handelt sich »um eine Metapher gesellschaftlichen Charakters«680, die von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen komponiert wird. Nicht jedes Motiv ist zwangsläufig antisemitisch, sondern kann antisemitisch erweitert und aufgeladen werden. Das Motiv kann sowohl explizit als auch implizit formuliert sein.681 Der Politikwissenschaftler Lars Rensmann spricht in diesem Zusammenhang ____________________ 679 680 681

Rensmann 2005: 29. Diner 1988: 31. Schwarz-Friesel/Reinharz weisen darauf hin, dass sich die kommunikationswissenschaftlichen Begriffe »implizit« und »explizit« für die verschiedenen Realisierungsvarianten des Antisemitismus besonders eignen, da sie unmissverständlicher sind als die Begriffe »latent« und »manifest«. Gerade der Begriff der »Latenz« werde in der Antisemitismusforschung mit unterschiedlichen Synonymen wie »unbewusst«, »privat« und »unterschwellig« verwendet und sei daher unpräzise (Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 52, 97).

143

4. Wiederkehrende Motive

von »Codierungen« und »Subtexte[n], Bedeutungshöfe[n], Chiffren und Konnotationen von Judenbildern«682, die sich im öffentlichen Diskurs in Deutschland finden und sich als subtil und verfeinert erweisen. Im Anschluss an die Forschungen von Schwarz-Friesel/Reinharz geht es darum, die »relevanten Stereotype, die zum Teil seit Jahrhunderten existieren und über Sprache sowie Bilder bis zum heutigen Tag kodiert werden«683, über Juden zu beschreiben, die sich in der Beschneidungskontroverse finden. Es soll darum gehen, »die ungebrochene Kontinuität des judenfeindlichen Gedankengutes«684 aufzuzeigen und die antisemitischen »Schlagworte oder Schlagbilder«685 zu analysieren. Ein »Basis-Stereotyp« – im Sinne einer vorgefassten Meinung über eine soziale Gruppe, wie es Walter Lippmann formulierte686 –, ist etwa Juden als Fremde, wie Schwarz-Friesel/Reinharz feststellen.687 Sie betonen, dass Stereotype »geistige Konzepte« sind, die »in unterschiedlichen Verbalmanifestationen zum Ausdruck gebracht werden können«688. Das bedeutet, die judenfeindlichen Stereotype sind »Phantasieprodukt[e]« ohne empirische Basis, die eine »verzerrte und/oder falsche Repräsentation des Repräsentierten«689 darstellen. Die Literaturwissenschaftlerin und Soziologin Julijana Ranc beschreibt in ihrer Studie »Eventuell nicht gewollter Antisemitismus« den literaturwissenschaftlich geprägten Begriff des (antisemitischen) Topos. Mit ihrer Theoretisierung des Topos kommt Ranc den Grundüberlegungen zu einem antisemitischen Motiv (in dieser Arbeit) sehr nahe. Ranc versteht unter einem Topos ein tragendes Bauelement eines »sprachlich-sozialen Kommunikationsgefüges« beziehungsweise einer Sprachgemeinschaft, das sie als einen »Umschlagplatz zwischen Kollektiv und Individuum, Bewußtsein und Unbewußtem, Konvention und Spontaneität, Tradition und Innovation, Erinnerung und Imagination« betrachtet.690 Ranc plädiert für den Begriff des Topos, um analytische Zugriffsmöglichkeiten auf das Sprechen über Juden ____________________ 682 683 684 685 686 687 688 689 690

144

Rensmann 2005: 29. Siehe hierzu auch: Salzborn 2010: 328. Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 58. Ebd. Salzborn 2010: 336; vgl. Betzler/Glittenberg 2015: 59ff. Vgl. Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 107. Ebd.: 60; vgl. Schwarz-Friesel 2015a: 17. Ebd.: 111. Ebd.: 108. Bornscheuer zit. n. Ranc 2016: 88.

4. Wiederkehrende Motive

zu erweitern. Es gehe nicht nur darum, »nach alt-neuen Judenbildern« zu fahnden, sondern auch darum, diese »als ‚tragende Bausteine‘ ressentimentgeladener Argumentations-Texturen« zu rekonstruieren.691 Es sei ein gängiges analytisches Verfahren zur Analyse des Antisemitismus, Judenbilder im Sinne verschiedener Topoi aus einem Diskurs herauszufiltern und die entsprechenden Äußerungen auf zuvor existierende Judenbilder zurückzuführen.692 Die Soziologin Mechthild Bereswill und die Erziehungswissenschaftlerin Leonie Wagner benutzen den Begriff des Topos und des Motivs in ihrer Studie zum Antisemitismus in der ersten deutschen Frauenbewegung synonym – etwa wenn sie vom »Topos der Zersetzung« oder dem »Motiv des Verrats«693 sprechen.694 Auch in dieser Arbeit werden Motiv und Topos synonym verstanden.695 Antisemitische Motive beziehungsweise »antisemitische Bilder«696 sind nicht nur eine bloße Abbildung oder Widerspiegelung von antisemitischem Denken und Fühlen, sondern sie besitzen vielmehr die Kraft, dieses mit hervorzubringen. Die Motive haben daher eine performative Dimension und können durch Wiederholung »zur Etablierung von Antisemitismus«697 beitragen. Es existiert eine wechselseitige Beziehung, die aus einem Rückgriff und einer Reformulierung besteht, die die Möglichkeit der Neugestaltung beinhaltet. ____________________ 691 692 693 694

695

696 697

Ranc 2016: 91. Vgl. ebd.: 13, 18. Bereswill/Wagner 1998: 58. Damit beschreiben Bereswill/Wagner den Vorwurf von nichtjüdischen Frauenrechtlerinnen gegenüber jüdischen Genossinnen, das »deutsche Vaterland« und die Frauenbewegung zu verraten und die »gemeinsame Sache« zu zerstören, wenn sie anstreben, in der Bewegung als Jüdinnen sichtbar zu sein (ebd.). Der Vorwurf kam während mehrerer Konflikte auf, die 1915 und 1916 innerhalb des Bundes deutscher Frauenvereine ausgetragen wurden (vgl. ebd.: 47ff.). Schwarz-Friesel kritisiert, dass die Begriffe Argumentationsfigur, Motiv, Topoi, Bild und Stereotyp aus der politikwissenschaftlichen Perspektive dieser Arbeit weitgehend synonym verstanden und benutzt werden, obwohl sich in sprachund kognitionswissenschaftlichen Forschungen präzise Unterscheidungen und terminologische Differenzierungen entwickelt haben. Sie stellt heraus, dass Bilder und Motive bzw. Stereotype auf unterschiedlichen Abstraktionsstufen anzusiedeln sind und nicht gleichgesetzt werden können. A.G. Gender-Killer 2005: 59. Ebd.

145

4. Wiederkehrende Motive

In der Darstellung und Analyse der jeweiligen Motive geht es darum, Differenzen und Gemeinsamkeiten zwischen den Argumentationen aufzuzeigen. Verdeutlicht wird, welche Nuancen innerhalb eines Motivs zwischen den Argumentationen vorkommen und wie die Kontinuitäten zwischen den impliziten und expliziten Ausformulierungen gestaltet sind, die fließend ineinander übergehen. Schematisch gedacht und zur Vereinfachung haben die einzelnen Motive eine rhetorische Skala, auf der die jeweiligen Ausformulierungen der Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen liegen. Die Skala hat zwei Pole: Am einen Pol liegen die sehr impliziten Ausformulierungen der Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen, die mitunter schemenhaft erkennbar und durch Andeutungen und Auslassungen gekennzeichnet sind.698 Am anderen Pol sind die Ausformulierungen der Schreibenden und Sprechenden als antisemitisch hingegen klar und deutlich erkennbar, da sie explizit, beleidigend, drohend und beschimpfend ausfallen. Die Übergänge sind fließend, die Positionierung der Argumentationen ist oftmals schwierig. Zumeist kommen in den jeweiligen Artikeln und narrativen Interviews mehrere Motive vor. Da in der vorliegenden Arbeit eine Sortierung nach Motiven stattfindet, können die einzelnen Texte und Interviews in mehreren Unterkapiteln vorkommen. Besonders in den Artikeln in Tages- und Wochenzeitungen äußern sich die Schreibenden tendenziell gemäßigt und implizit oder indirekt. In den Interviews äußern sich die Sprechenden sowohl implizit als auch explizit und in den Online-Kommentaren und Beiträgen auf Internetblogs wiederum nutzen die Schreibenden vielfach »brachiale Sprachgebrauchsmuster«699. Sie erweitern Andeutungen durch zuspitzende und ergänzende Zuschreibungen, die in den Artikeln in Tages- und Wochenzeitungen vage formuliert sind. Exemplarisch lässt sich anführen, dass Verfasser/Verfasserinnen von Artikeln in Tageszeitungen schreiben, die Bundesregierung stehe nach dem Urteil des Kölner Landgerichtes unter dem Druck, eine gesetzliche Regelung zu schaffen. In Online-Kommentaren heißt es, um Konflikte mit der ____________________ 698

699

146

Schwarz-Friesel weist darauf hin, dass in der Linguistik die Theorie der indirekten Sprechakte existiert, die den Gesprächskontext in die Analyse mit einbezieht und unter anderem Andeutungen analysiert, die über einen tatsächlich ausgeführten Sprechakt hinausgehen. Begründet wurde die Theorie von den Philosophen J. L. Austin und John Searle. Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 16.

4. Wiederkehrende Motive

Jüdischen Gemeinde zu umgehen, hätten sich Politiker/Politikerinnen deren illegitimem Druck gebeugt und sich »auf Druck des Zentralrats der Juden zum Verfassungsbruch erpressen lassen«700. Ferner schreiben Autoren/Autorinnen in Tageszeitungsartikeln, religiöse Eltern, die ihre Söhne beschneiden lassen, seien empathielos und nicht einfühlsam. In Online-Kommentaren heißt es, jüdische Mütter brächten »soviel Schmerz über [ihre] Kinder« und seien von einem »grausame[n] Glauben« bestimmt.701 In dieser Perspektive finden sich in den Online-Kommentaren besonders unhaltbare, vereinfachende und generalisierende Zuspitzungen, realitätsverfälschende Fantasien702 und »Negativemotionen«703, die eine falsche Antwort auf komplexe und umstrittene ethische, aber auch medizinische, psychologische und juristische Fragestellungen geben, die mit dem Thema der kulturell-religiösen Vorhautbeschneidung verbunden sind. Die rhetorischen Zuspitzungen werden aufgegriffen, um zu zeigen, wie etwa eine sachliche juristische Argumentation antisemitisch aufgeladen werden kann und wie eng die Äußerungen miteinander verschränkt sind und ineinandergreifen.704 So ist beispielsweise das Motiv der marginalisierten Genitalverstümmelung aus sich selbst heraus nicht antisemitisch, sondern es kann antisemitisch gewendet oder aufgeladen sein. In diesem Fall stellt das Motiv den Kontext dar, in den antisemitisches Denken und Fühlen platziert und eingefügt wird. Das diskursive Material lässt sich aber nicht einfach und durchgängig dergestalt ordnen, dass Artikel aus Tageszeitungen nicht-antisemitisch ausfallen und die Online-Kommentare von Lesenden antisemitisch sind. In der systematischen Analyse der Beschneidungskontroverse konnten elf Motive rekonstruiert und herausgearbeitet werden, die auf ein antisemitisches Denken und Fühlen verweisen und Anknüpfungspunkte für ein solches geschaffen haben. Die Darstellung der jeweiligen Motive beginnt mit der impliziten Andeutung und endet mit der expliziten Ausformulierung. ____________________ 700 701 702 703 704

Bosau 2013. Siehe hierzu 4.7. Die Rhetorik der Verschwörung. Siehe hierzu 4.5. Religiöse Eltern als »verletzend«, »empathielos« und »grausam«. Vgl. Salzborn 2010: 43f. Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 107; vgl. Schwarz-Friesel 2013: 161. Matthias Jakob Becker und Linda Giesel sprechen in ihrer Analyse von antisemitischen Online-Kommentaren davon, dass viele Sprachmuster »antisemitischen Denkmustern entsprechen oder zumindest für selbige anschlussfähig sind« (Becker/Giesel 2016: 118, Herv. D. I.).

147

4. Wiederkehrende Motive

Insgesamt geben die Motive unter anderem Aufschluss über Sichtweisen von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen auf den männlichen Körper, den Rechtsstaat, die Stellung von Jungen/Männern in der Gesellschaft, die Demokratie, den Gesetzgebungsprozess und das Nachwirken der nationalsozialistischen Vergangenheit. Nicht alle elf Motive waren in der Kontroverse gleichermaßen zentral. Sehr wirkmächtig waren die Motive des beschädigten Körpers, der Gesetzund Rechtlosigkeit, der Benachteiligung von Jungen/Männern und des wehrlosen Kindes, weswegen sie als Erstes vorkommen. Von geringerer Bedeutung waren hingegen die Motive der »unnatürlichen« Sexualität, der Kastration und die Analogien, wenngleich sich insbesondere das Motiv der Kastration besonders in der Bildsprache zu den Artikeln in Tageszeitungen fand. Aus diesem Grund werden diese Motive zuletzt dargestellt. 4.1.

Vom beschädigten Körper. Die Vorhautbeschneidung als »Verletzung«, »Schädigung« und »Trauma«

Bei der Vorhautbeschneidung handelt es sich »um den ältesten urologischen, wahrscheinlich um den ältesten chirurgischen Eingriff überhaupt«705 sowie um den weltweit »am häufigsten durchgeführten chirurgischen Eingriff«706. Wird eine Vorhautbeschneidung durch erfahrene Operateure/Operateurinnen durchgeführt, ist sie, »unabhängig davon, welche Technik verwandt« wird, »schnell, einfach und sicher«707, wobei es die Vorhautbeschneidung nicht gibt. Vielmehr wird unterschiedlich viel Vorhaut entfernt und gibt es verschiedene Operationsmethoden, medizinische Instrumente und die Möglichkeit, während der Beschneidung zu betäuben oder die Wunde zu vernähen beziehungsweise beides zu unterlassen.708 Der Urologe Friedrich H. Moll erwähnt, es gebe »weit mehr als hundert verschiedene Operationstechniken in verschiedenen Modifikationen«.709 ____________________ 705 706 707 708 709

148

Ehreth/King 2000: 509. Schäfer/Stehr 2014: 115; vgl. Fateh-Moghadam 2010: 120. Ehreth/King 2000: 506; vgl. Schröder 2012: 567. Vgl. Kaminer 2013: 152; vgl. Schäfer/Stehr 2014: 113f.; vgl. Schäfer/Stehr 2013: 17. Moll 2014: 55.

4. Wiederkehrende Motive

Alle Mediziner/Medizinerinnen sind sich einig, dass eine Vorhautbeschneidung Komplikationen nach sich ziehen kann. Die Komplikationen seien jedoch selten und »harmlos« und bestehen etwa aus leichten Nachblutungen, Verklebungen, aber auch Infektionen.710 Weitere extrem seltene Komplikationen seien die »Verletzung der Glans bzw. der Schwellkörper oder der Harnröhre«, eine »Wundheilungsstörung«, eine »Schwellung durch ein Lymphödem« sowie Narbenbildungen.711 Aus diesem Grund sei es wichtig, dass Ärzte/Ärztinnen oder Beschneider/Beschneiderinnen Voruntersuchungen beim Säugling/Jungen durchführen und ihm eine postoperative Betreuung zukommen lassen.712 Zu Todesfällen nach einer Beschneidung »gibt es keine verlässlichen Zahlen«713, wobei Todesfälle nach septischen Schocks vereinzelt bekannt sind.714 Sowohl in den wissenschaftlichen Publikationen als auch in den Artikeln in Tageszeitungen fällt auf, dass Ärzte/Ärztinnen und Psychologen/Psychologinnen die beschriebenen Komplikationen unterschiedlich bewerten und aus ihnen konträre Schlüsse ziehen. Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen betonen, die geringste Wahrscheinlichkeit einer möglichen

____________________ 710 711 712 713 714

Vgl. Schröder 2012: 570; vgl. Ehreth/King 2000: 511; vgl. Schäfer/Stehr 2014: 115; vgl. Kleine-Doepke 2014: 90. Deusel 2012b: 183f. Siehe hierzu auch Ehreth/King 2000: 511. Deusel 2012b: 184. Schäfer/Stehr 2014: 117. Vgl. Kleine-Doepke 2014: 84. Im Internet kursieren Auflistungen mit Todesfällen, die sich infolge von Vorhautbeschneidungen zugetragen haben sollen. Eine der Auflistungen stammt von der giordano-bruno-stiftung und erschien auf der Internetseite zur »Kinderrechtskampagne gegen Zwangsbeschneidung«. Sie führt zwanzig Todesfälle auf, die sich zwischen 1993 und 2012 an unterschiedlichen Orten der Welt aufgrund von Vorhautbeschneidungen zugetragen haben sollen, unter anderem Indien, den USA oder Russland. Die Sammlung der Todesfälle basiert zum Teil auf online-Zeitungsartikeln (zum Beispiel pakistantoday) oder ist wiederum Internetseiten von Organisationen und Gruppierungen entnommen, die sich gegen Vorhautbeschneidungen engagieren, darunter NOHARMM, was für »National Organization to Halt the Abuse and Routine Mutilation of Males« steht (vgl. pro-kinderrechte.de o.J.b). Letztere sind kaum überprüfbar, da sie keine Quellen oder Literaturverweise haben. Auf der Internetseite beschneidung-von-jungen.de findet sich ebenfalls eine Auflistung mit über fünfzig »Todesfälle[n] durch Beschneidung«, auf der großteils sogar Namen stehen (beschneidung-von-jungen.de o.J.c).

149

4. Wiederkehrende Motive

Komplikation nach einer Vorhautbeschneidung müsse herangezogen werden, um ein Verbot des Eingriffs zu fordern. Sie beziehen sich gern auf das Ideal des hippokratischen Eides primum non nocere: in erster Linie nicht schaden.715 Im Interview mit dem Urologen und Beschneidungsgegner V. A. führt dieser exemplarisch aus, er beschneide nur mit einer medizinischen Begründung: »ich habe also schon früh (-) abgelehnt äh Kinder (und) Jungs rituell zu beschneiden, aus religiösen Gründen. Das hat dann anfangs zu Diskussionen geführt, aber ich habe das dann einfach vertreten, gegenüber den Eltern. Ähm und habe gesagt, das mache ich einfach nicht, weil ich als Arzt in Deutschland verpflichtet bin oder mich verpflichtet habe auf gewisse Regeln, äh den hippokratischen Eid mussten wir ja schon nicht mehr schwören=aber wir haben einen, eine eidesstattliche Versicherung abgegeben auf unsere Berufsordnung, in der steht, dass unsere ärztlichen Tätigkeit nur dann ausgeübt werden darf, wenn ich Schaden abwende, Leiden lindere oder Schmerzen vermeide (-). Als vierte Bedingung die Gesundheit verbessere und das ist ganz einfach und wunderbar.«716

Ärzte wie V. A. argumentieren, eine Vorhautbeschneidung dürfe ausschließlich mit einer medizinischen Indikation durchgeführt werden. Sie lautet zumeist Phimose, also Vorhautverengung. Durch die Bezugnahme auf den hippokratischen Eid und weil sie die Perspektive ablehnen, eine Vorhautbeschneidung bringe gesundheitliche Vorteile, stärken Mediziner/Medizinerinnen ihre eigene »Definitionsmacht«717 oder auch »Expertenmacht«718. Sie suggerieren, die Vorhautbeschneidung sei grundsätzlich etwas Schädigendes. Eine solche Haltung nimmt etwa der Berufsverband der Kinderund Jugendärzte, die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie und die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin ein.719 Der Facharzt für Kinderheilkunde Volker von Loewenich formuliert exemplarisch: »Der Eingriff ist durchaus nicht frei von Komplikationen, immer wieder behauptete Vorteile sind nie bewiesen. Der Eingriff ist verstümmelnd, denn es wird funktionell

____________________ 715 716 717 718 719

150

Vgl. Gollaher 2002: 9, 219. V. A. 2014: Z. 71–81. Voß 2012: 7. Jütte 2016: 250f. Siehe hierzu auch Amir-Moazami 2016: 151ff. Vgl. Voß/Zaft 2013: 5.

4. Wiederkehrende Motive bedeutsame Körpersubstanz entfernt, die nicht nachwächst, der Eingriff ist mithin nicht rückgängig zu machen.«720

Andere Mediziner/Medizinerinnen argumentieren, es gebe medizinisch betrachtet gesundheitliche Vorteile, die mit einer Vorhautbeschneidung verbunden sind. Sie nennen zumeist Krankheits- und Infektionspräventionen (etwa vor Peniskrebs, Aids und Harnwegsinfektionen) sowie einen hygienischen Nutzen.721 Hierzu zählen die World Health Organization, die American Academy of Pediatrics, der Bundesverband der deutschen Urologen und die Deutsche Gesellschaft für Urologie.722 Der Arzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten Helmut Schöfer wertet 2015 unterschiedliche medizinische Studien zu »den Risiken und Vorteilen der Entfernung der Vorhaut« aus und nennt Argumente aus »infektiologischer Sicht«: »Beschnittene Kinder haben später ein deutlich geringeres Risiko für Harnwegsinfektionen (1:10) und beschnittene Männer ein um etwa 50–60% verringertes Risiko, sich mit viralen sexuell übertragbaren Infektionen (STI) wie HIV, HPV und HSV zu infizieren.«723

Er gibt jedoch zu bedenken, dass ein wichtiger Faktor für die Übertragung von Krankheiten das sexuelle Risikoverhalten sei, weswegen die tatsächliche Bedeutung der Vorhautbeschneidung zur Vermeidung von sexuell übertragbaren Krankheiten umstritten bleibe.724 Zu medizinischen Perspektiven auf die Vorhautbeschneidung allgemein schreibt Schöfer: »Wie bei vielen medizinischen Fragen, die neben den wissenschaftlichen auch einen erheblichen Anteil an kulturellen, sozialen, religiösen und politischen Aspekten haben, gibt es bei der Zirkumzision 2 Lager: die Beschneidungsbefürworter und die Beschneidungsgegner. Beide Seiten zitieren – mehr oder weniger – nur die ihnen jeweils ins Konzept passenden Studien und versuchen in den vom jeweiligen Gegner zitierten Studien Fehler und Mängel aufzuzeigen. Um hier zu wissenschaftlich

____________________ 720 721 722

723 724

Loewenich 2014: 77. Vgl. Kleine-Doepke 2014: 10, 87; vgl. Ritter/Schabbeck 2014: 134; vgl. Dettmeyer/Parzeller/Laux/Friedl/Zedler/Bratzke 2011: 88ff.; vgl. Deusel 2012a: 138ff.; vgl. Voß 2012b: 75f; vgl. Gollaher 2002: 9, 176. Vgl. Voß/Zaft 2013: 4; vgl. Gilman 2014: 120. Die American Academy of Pediatrics schwankte, was die Bewertung der medizinischen Vorteile einer Beschneidung anbelangt: 1971 sah sie keinen Gesundheitsnutzen durch eine Beschneidung, 1999 sah sie mögliche medizinische Vorteile und 2012 einen Gesundheitsnutzen durch die Beschneidung (vgl. Gilman 2014: 120). Schöfer 2015: 32. Vgl. ebd.: 36; vgl. Konner 2009: 28ff.

151

4. Wiederkehrende Motive gefestigten Aussagen zu kommen, ist noch einige Analysearbeit nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin erforderlich.«725

Auch der evangelische Theologe Peter Dabrock, der dem deutschen Ethikrat angehört, erklärte in seinem Vortrag in der Plenarsitzung am 23. August 2012 zu den gegenteiligen medizinischen Auffassungen, die in der Kontroverse aufeinandertreffen: »Die einen reden von schweren Traumata, die anderen von zahlreichen Nebenwirkungen (ohne zu diskutieren, ob diese auch bei lege artis durchgeführten Zirkumzisionen einträten), die dritten von medizinischen Vorteilen und Public-Health-Empfehlungen, die aber bekanntlich für andere Weltgegenden gegeben wurden. Da kann man erbitterte methodologische Streitereien über Studiengrößen, Studiendesigns und Messgrößen beobachten«.726

Ergänzend betont der Germanist und Historiker Sander L. Gilman, da von beiden Polen – rückhaltlose Zustimmung und rigorose Verdammung – mit gesundheitlichen Gründen argumentiert werde, entscheide letztlich nicht die Wissenschaft, »sondern die kulturelle Akzeptanz«, welche Haltung vorherrsche.727 In der Kontroverse war das Motiv, die Vorhautbeschneidung sei eine Körperbeschädigung oder -verletzung, nicht wegzudenken, weswegen Bijan Fateh-Moghadam diesbezüglich von einer »Körperverletzungsdoktrin« spricht.728 Alle Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen gingen davon aus, dass es sich um eine Körperverletzung, einen schmerzlichen Eingriff, »irreparable[n] Eingriff«729, »irreversiblen Verlust von gesundem Körpergewebe«730 oder einen »körperlichen Schaden«731 handelt, hätte doch sonst die Argumentation gegen die Vorhautbeschneidung beziehungsweise die Forderung nach deren Verbot keine argumentative Grundlage gehabt. Exemplarisch formuliert in der FAZ etwa der Beschneidungskritiker

____________________ 725 726 727 728 729 730 731

152

Schöfer 2015: 31. Dabrock zit. n. Deutscher Ethikrat 2012a: 25f. Gilman 2014: 126. Der Jurist Hendrik Schulze spricht in diesem Zusammenhang von einer »persönliche[n] Wertungsfrage« (2017: 52). Fateh-Moghadam 2010: 121. Schöfer 2015: 35. Grötker 2012. Sharma 2012.

4. Wiederkehrende Motive

Jasper von Altenbockum, es bleibe dabei, »dass es sich bei der Beschneidung um eine nicht zu bagatellisierende Körperverletzung handelt«, wenngleich ein Verbot der Vorhautbeschneidung »unverhältnismäßig und unzumutbar« sei.732 Auch der Beschneidungsgegner Georg Paul Hefty betont ebenso in der FAZ, die Vorhautbeschneidung sei eine »nicht wieder ungeschehen zu machende Verletzung des menschlichen Körpers«733 und könne nicht von einer »individuell motivierten Körperverletzung[..] unheilbarer Art« abgegrenzt werden, wobei er offenlässt, was genau er darunter versteht.734 Auch diejenigen, die eine Vorhautbeschneidung respektieren und befürworten, gehen davon aus, dass sie ein körperlicher oder chirurgischer Eingriff ist, der ohne Betäubung Schmerzen bereitet.735 Sie argumentieren aber, der Eingriff sei, wenn er medizinisch richtig ausgeführt werde, unbedenklich, nicht traumatisch und nicht gesundheitsschädigend. Entsprechend heißt es etwa, bei der Beschneidung handele es sich um eine Körperverletzung, die medizinisch betrachtet »geringfügig« ist.736 Neben der »scheinbar wertfreie[n] wissenschaftlich aufgeklärte[n] Einschätzung«737, die Vorhautbeschneidung sei eine körperliche Verletzung, finden sich Beschreibungen von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen, die sie mit einer traumatischen Verletzung und einem Trauma in Verbindung bringen.738 Insbesondere der Psychoanalytiker Matthias ____________________ 732 733 734 735 736 737 738

Altenbockum 2012. Hefty 2012b. Hefty 2012a. Vgl. Brumlik 2012b; vgl. Blumenberg/Hegener 2012: 1125; vgl. Latasch 2012: 6. Vom Lehn 2012; vgl. Heise 2012. Eickhoff 2014: 382. Den beiden Psychoanalytikern Jean Laplanche und Jean-Bertrand Pontalis zufolge bedeutet der aus dem Griechischen stammende Begriff übersetzt so viel wie »Wunde« (Laplanche/Pontalis 1972: 514). Er sei zunächst in der Medizin und Chirurgie gebraucht worden und bezeichnete eine körperliche Verletzung. Später sei der Begriff von der Psychoanalyse Freuds übernommen und auf die psychische Ebene angewendet worden. In den 1890er Jahren, den Anfängen der Psychoanalyse, sei er mit den Bedeutungen »heftiger Schock« und »Einbruch« (ebd.) verbunden gewesen, mit einer seelischen Verletzung beziehungsweise einer traumatischen Erfahrung in der Vergangenheit (vgl. ebd.: 515). Allgemeiner sei ein Trauma ein »Ereignis im Leben des Subjekts, das definiert wird durch seine Intensität, die Unfähigkeit des Subjekts, adäquat darauf zu antworten, die

153

4. Wiederkehrende Motive

Franz und der bereits genannte Kinderchirurg und -urologe Maximilian Stehr entwickelten und verbreiteten das Motiv der Vorhautbeschneidung als »Trauma«, weil sie beschnittene Säuglinge/Jungen als Missbrauchsopfer imaginieren. Sie verhalfen diesem Motiv zu seiner Wirkmächtigkeit, da sich Journalisten/Journalistinnen wiederholt auf ihre Formulierungen bezogen, die sie zuvor öffentlich angeboten hatten.739 In seinem Gastkommentar Ritual, Trauma, Kindeswohl in der FAZ schreibt Franz, dass »die Entfernung der Vorhaut im Säuglings- oder Kindesalter ein Trauma« darstellt und »zu andauernden körperlichen, sexuellen oder psychischen Komplikationen und Leidenszuständen führen [kann].«740 An anderer Stelle schreibt er: »Die Forschung zeigt, dass die Erfahrung elterlicher Gewalt [die Vorhautbeschneidung, D. I.] während der Kindheit Brüche in der emotionalen Wahrnehmung und Empathiefähigkeit des später erwachsenen Kindes bewirken kann. Kindheitlich erfahrene Traumata können verinnerlicht und später auch selber wiederholt werden. Kollektiv rituell vermittelte traumatische kindliche Erfahrungen können daher zu Empathiebrüchen führen und zu gruppalen Überzeugungen mit Abwehrfunktion organisiert werden. Dadurch kann die Einfühlung in das Erleben der nächsten Opfer desselben Rituals beeinträchtigt werden: Es kann und darf nicht schlecht gewesen sein, was die Eltern damals mit mir gemacht haben. Deshalb tue ich es auch.«741

Die Textpassage zeigt, dass Franz die Vorhautbeschneidung als Gewalt und Trauma klassifiziert. Der Verweis auf »die Forschung« ist unkonkret und suggeriert, es bestehe Einigkeit, die tatsächlich aber gerade in der medizinischen und psychologischen Forschung nicht existiert.742 Mit dem sehr häufig verwendeten Modalverb »können« zeigt Franz zumindest in diesem Gastkommentar, dass es sich um mögliche Folgen handelt, die nicht zwangsläufig eintreffen. In einem Interview, welches das Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie e.V. im Februar 2016 unter dem Titel »Auch Deutschland ist rückständig« veröffentlichte, sind negative Folgen in Franz‘ Perspektive ____________________

739 740 741 742

154

Erschütterung und die dauerhaften pathogenen Wirkungen, die es in der psychischen Organisation hervorruft« (ebd.: 513). Vgl. Wagner 2011; vgl. Süss/Eppelsheim 2012a; vgl. Herzberg 2012a; vgl. O. A. 2012n. Franz 2012c. Ebd., Herv. D. I. Auf diese Weise argumentiert auch der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer in der SZ (vgl. Schmidbauer 2012). Vgl. Voß 2012b: 51ff.; vgl. Voß/Zaft 2013: 4ff.

4. Wiederkehrende Motive

nicht mehr eine von mehreren Möglichkeiten. Er sagt: »[d]enn der aggressive Zugriff auf Genitalien ist in jeder Form und zu jedem Zeitpunkt ein schweres Trauma mit Folgewirkungen«.743 Auch auf die Interviewfrage in der taz, woraus er schließe, »dass die Beschneidung von Jungen immer ein Trauma« sei, antwortet Franz: »Die Beschneidung ist ein medizinisch grundloser, irreversibler Eingriff, die schmerzhafte Entfernung eines Körperteils. Die kollektive Empathieverweigerung, die hinter dieser Frage steckt, übersieht völlig, dass ein biologisch funktionales, wichtiges Stück Gewebe entfernt wird. Jede verletzende Intervention im Bereich des kindlichen Genitals ist ein Trauma.«744

Die Ausführungen zeigen, dass Franz das Trauma als singuläres und »‚säuberlich abtrennbares‘ Ereignis« beziehungsweise Erlebnis denkt.745 Zwar differenziert Franz in seinen Texten immer wieder in Bezug auf das unterschiedliche Alter, in dem eine Vorhautbeschneidung bei Juden und Muslimen durchgeführt wird.746 Nach jüdischem Glauben findet eine Beschneidung in der Regel im Säuglingsalter statt, am achten Tag nach der Geburt.747 Im islamischen Glauben ist der Zeitpunkt für die Beschneidung nicht festgeschrieben, weswegen sie häufig zwischen dem vierten und achten Lebensjahr durchgeführt wird, vereinzelt aber auch bis zum vierzehnten Lebensjahr.748 Für die traumatischen Auswirkungen, die Franz feststellt, ____________________ 743 744 745

746 747

748

Franz 2016a, Herv. D. I. Siehe hierzu auch den Gastkommentar Gewalt gegen Frauen hat mit Gewalt gegen Jungen zu tun aus dem Focus (vgl. Franz 2016b). Franz 2012b, Herv. D. I. Brenssell 2013: 2. Die Psychologin Ariane Brenssell verweist darauf, dass es ein konkurrierendes Konzept gibt, welches Trauma als einen Prozess versteht und von einer sequenziellen Traumatisierung ausgeht. Nicht ein singuläres Ereignis sei traumatisch, sondern mehrere Sequenzen (vgl. Brenssell 2013: 2). Bedeutsam an dieser Fokussierung sei, wie es unmittelbar und später nach der traumatischen Erfahrung weiterging (vgl. ebd.: 4). Zudem gerate auf diese Weise der gesellschaftliche Rahmen in den Blick und nicht ausschließlich das einzelne Individuum mit seiner Persönlichkeitsstruktur oder Resilienz (vgl. ebd.: 3). Vgl. Franz 2006: 124f.; vgl. O. A. 2012n. Stephan J. Kramer beziehungsweise der Zentralrat der Juden in Deutschland argumentiert 2012 mit Bezug auf die World Health Organization etwa, eine Beschneidung sei leichter in den ersten beiden Lebensmonaten durchzuführen und »mit weniger Schmerz und geringeren Komplikationsraten verbunden« als bei Jungen oder Männern (Kramer 2012a). Zudem sei bei Säuglingen die Vorhaut dünner, was eine schnelle Heilung begünstige (vgl. ebd.; vgl. Kramer 2012b: 7). Vgl. Mansour 2012; vgl. Mazyek 2012.

155

4. Wiederkehrende Motive

scheint diese Differenzierung aber keine weitere Bedeutung zu haben. Anders ist dies bei L. R., einem Kinderurologen. Er sagt im Interview, dass »Penisoperationen […] natürlich im Schulalter viel, viel schwieriger zu verkraften [sind], auch von der Traumatisierung her – [als] im Säuglingsalter«.749 Der Grund dafür sei die Erinnerungsfähigkeit der Jungen. Zum Schmerzempfinden von Säuglingen schreibt der Chirurg und Mohel Michael Rosenkranz, die Schmerznerven seien beim Neugeborenen »noch nicht voll ausgereift«, weswegen auf eine Betäubung verzichtet werden könne.750 Eine gegenteilige Position vertritt der Psychoanalytiker Adriaan de Klerk, der sich mit dem Schmerzempfinden beziehungsweise mit Schmerzreaktionen von Säuglingen auseinandersetzt. Er betont, dass sich unter Medizinern/Medizinerinnen und Psychologen/Psychologinnen erst im Verlauf der 1980er Jahre überhaupt die Ansicht durchsetzte, dass Säuglinge eine Schmerzempfindlichkeit haben.751 Zwischen 1880 und 1980 sei davon ausgegangen worden, dass Säuglinge keinen Schmerz empfinden würden, dieses Wissen habe sich im Verlauf der letzten Jahre jedoch »drastisch verändert«.752 Weiter führt de Klerk aus, dass sich der Schmerzreflex von Säuglingen in drei Aspekten von dem Erwachsener unterscheide: er sei »intensiver, dauert länger an und ist […] umfassender«.753 Dies habe damit zu tun, dass Säuglinge »im Gehirn noch kein deutliches Körperbild aufbauen konnten« und der »Schmerzreiz weniger genau zu lokalisieren« und dadurch insgesamt »an einen größeren Körperbereich gekoppelt« sei.754 Dennoch sollte »nicht davon ausgegangen werden, das Trauma der Säuglingsbeschneidung gerate bei allen Knaben, die beschnitten wurden, zu einem bleibenden Psychotrauma«.755 Vielmehr könne die Beschneidung von Neugeborenen »ohne Anästhesie ein Risikofaktor für Traumatisierungen sein«, wobei »auf individueller Ebene […] die Disposition des Knaben und die Qualität der elterlichen Umgebung entscheidend mitbestimmend sein [dürften].«756 ____________________ 749 750 751 752 753 754 755 756

156

L. R. 2014: Z. 389f. Rosenkranz 2006. Vgl. de Klerk 2004: 466; vgl. Gollaher 2002: 186f. De Klerk 2004: 467; vgl. Gollaher 2002: 185. De Klerk 2004: 467. Ebd.: 466. Ebd.: 468, Herv. D .I. Ebd., Herv. D. I.

4. Wiederkehrende Motive

Im Gegensatz zu Franz betont der Biologe und Sozialwissenschaftler Heinz-Jürgen Voß, es gebe »keine Studie«, »die eine Traumatisierung der beschnittenen Jungen nachweisen würde«.757 Auch der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik weist darauf hin, dass zwar psychoanalytische Spekulationen darüber bestehen, die Beschneidung von Säuglingen/Jungen habe »eine langfristige traumatische Wirkung«.758 Diese sei bisher aber nicht belegt, es existiere kein Nachweis über die traumatische Wirkung des Eingriffes, da es Schwierigkeiten in der Erhebung solcher Studien gebe. Denn die Studie müsste über viele Jahre »zwei nach Zufallskriterien ausgewählte, repräsentative Stichproben von beschnittenen und unbeschnittenen Babys« umfassen und diese psychologisch testen.759 Auch die Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie Jörg M. Fegert und Michael Kölch sowie der Medizinethiker Heiner Fangerau schreiben 2012: »Bisher gibt es keinen den herrschenden wissenschaftlichen Standards entsprechenden Hinweis, dass durch eine Zirkumzision eine erhebliche Schädigung in der weiteren kindlichen Entwicklung zu erwarten wäre.«760

Die Psychologin Anna Leszczynska-Koenen kritisiert, dass Franz die Traumatheorie verkürze, indem er einerseits den »singulären Schmerzreiz« der Vorhautbeschneidung herausgreift und »ignoriert, dass die Kindheit von vielen Schmerzreizen begleitet ist (Impfungen, Blutentnahmen, Unfälle, Erkrankungen usw.), deren Herkunft und Begründung für das kleine Kind nicht nachvollziehbar sind«.761 Andererseits löse er »die Erfahrung der Beschneidung aus dem jeweiligen Beziehungs- und kulturellen Kontext heraus«.762 Unabhängig davon, dass unklar ist, inwiefern die Vorhautbeschneidung notwendig ein Trauma nach sich zieht, beziehen sich in der öffentlichen

____________________ 757

758 759 760 761 762

Voß 2012a: 7; vgl. Voß 2012b: 73f. In dem mehr als 850 Seiten umfassenden Handbuch der Psychotraumatologie von 2015 findet sich kein Verweis auf eine Beschneidung oder Zirkumzision (vgl. Seidler/Freyberger/Maercker 2015: 845ff.). Brumlik 2012: 228. Brumlik 2012: 228. Fegert/Kölch/Fangerau 2012: 47; vgl. hierzu auch Berger/Hasgall/Hüber/Weißbarth 2012: 14. Leszczynska-Koenen 2012: 1224. Ebd.

157

4. Wiederkehrende Motive

Kontroverse Journalisten/Journalistinnen und Kommentatoren/Kommentatorinnen gern auf Franz und Stehr und zitieren sie zumeist unkritisch und unwidersprochen. Der Artikel Auch die Seele leidet der Redakteurin Sonja Süss und des Redakteurs Philip Eppelsheim in der FAZ zeigt dies exemplarisch. Süss/Eppelsheim zitieren neben Franz und Stehr den Kinderarzt Wolfram Hartmann, also ausschließlich Beschneidungsgegner. Sie lassen keine anderen Mediziner/Medizinerinnen zu Wort kommen, die eine konträre Auffassung vertreten, wodurch die Grundausrichtung des Artikels einseitig ist. Er besteht einzig aus der indirekten Rede der Ärzte und der Zusammenfassung zweier Studien. Die Schlüsse, die Süss/Eppelsheim aus der Rede von Franz und Stehr ableiten, sind generalisierend. Eine kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung sei eine »schmerzhafte Schädigung«, sie führe zu Komplikationen, die »mit erheblichen Schmerzen einhergehen«, von ihr gehe eine »Traumagefahr« aus und sie sei »[e]in Trauma, mit oder ohne Narkose«.763 Dass insgesamt kaum Beschneidungsbefürworter/Beschneidungsbefürworterinnen dafür plädieren, den Eingriff ohne Betäubung durchzuführen und sich zahlreiche Eltern für eine Betäubung entscheiden, lassen sie unberücksichtigt.764 Weiter schreiben Süss/Eppelsheim, ne-

____________________ 763 764

158

Süss/Eppelsheim 2012a. Vgl. Adler 2007: 10; vgl. Kramer 2012a; vgl. Kramer 2012b: 8f. Auf der Homepage der Allgemeinen Rabbinerkonferenz heißt es, die Beschneidung müsse unter Betäubung stattfinden (Deusel zit. n. ARK 2012). An anderer Stelle schreibt Deusel, Angehörige »der orthodoxen Ausrichtung« würden »in aller Regel […] an der traditionellen Weise der Brit Mila, […] unter Vermeidung der Anwendung einer lokalen oder systemischen Anästhesie für den Jungen« festhalten (2012a: 139). Weiter führt sie aus, es gebe kein halachisches Verbot der Betäubung, weswegen eine solche geboten sei (vgl. Deusel 2012a: 134ff.). Für Deutschland scheint diese Beschreibung zutreffend zu sein. Im Magazin der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschlands von 2012 heißt es: »Säuglinge für eine rituelle Beschneidung grundsätzlich zu betäuben, sei es durch eine lokale Anästhesie oder gar eine Vollnarkose, lehnen wir ab, zumal dies im Unverhältnis zum geringen eigentlichen Eingriff steht. [...] Eine solche Betäubung für ältere Kinder bzw. Erwachsene ab beispielsweise dem Alter von 6 Monaten wird von vielen Mohalim ohnehin angeraten und entspricht bereits heute dem Standard bei jüdischen Beschneidungen in Deutschland. Diese Betäubungen finden dann selbstverständlich nur durch geeignetes medizinisches Fachpersonal statt. [..] Zur Schmerzlinderung während und nach der Beschneidung von Säuglingen klären die Mohalim auch über die Möglichkeit von schmerzlindernden Mitteln auf,

4. Wiederkehrende Motive

gative Folgen seien beispielsweise eine Schwächung des Selbstbewusstseins, Albträume und erhöhte Schmerzreaktionen. Im weiteren Verlauf zitieren sie beispielhaft einen Fall, über den Stehr berichtete: »In einer Arztpraxis sei es während einer Beschneidung zu einem Narkosezwischenfall gekommen. Der Junge kam auf die Intensivstation. Er habe nie wieder das Bewusstsein erlangt, sagt Stehr«. 765

Eine Einordnung des von Stehr berichteten Falles nehmen Süss/Eppelsheim nicht vor. Sie kontextualisieren weder, was ein Narkosezwischenfall genau ist, noch was genau bei der Beschneidung des Jungen geschah. Der Fall verbleibt im Ungefähren und verursacht Bestürzung und Furcht. In diesem Zusammenhang kritisiert der Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychoanalytiker Isidor J. Kaminer, dass Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen nicht genau herausarbeiteten, »wann und wodurch es zu Zwischenfällen kommt.« Daher regt er an, nach den Gründen der Todesfälle von Säuglingsbeschneidungen zu fragen. Inwiefern führte die Beschneidung, inwiefern führten andere Faktoren zum Tod, wie »z.B. falsche medizinische Behandlung, schlechte Versorgung im Krankenhaus bis hin zu therapieresistenten Krankenhauskeimen«766. Im Folgenden zitieren Süss/Eppelsheim eine Studie von 2002, die belege, dass »Kinder, die beschnitten werden, […] den Eingriff als Erfahrung von Gewalt und Machtlosigkeit« wahrnehmen würden, sowie eine Studie von 2011, die belege, dass beschnittene Männer im Vergleich zu unbeschnittenen Männern »sexuelle Schwierigkeiten«767 hätten. Einerseits geben Süss/Eppelsheim die Titel der Studien nicht an und zitieren nur bei der einen Studie die Zeitschrift, in der sie veröffentlicht wurde, weswegen die Ergebnisse schwer bis nicht nachvollziehbar sind. Andererseits diskutieren

____________________

765 766 767

wie zum Beispiel Salben, Zäpfchen oder Tropfen« (Soussan 2012: 4). Sonja Guentner, die Vorsitzende der Union progressiver Juden in Deutschland, erklärte 2012, sie sehe Klärungsbedarf bei der Frage, »ob der Säugling betäubt werden sollte oder nicht« (zit. n. Bigalke 2012). Stehr zit. n. Süss/Eppelsheim 2012a. Kaminer 2013: 152. Süss/Eppelsheim 2012a.

159

4. Wiederkehrende Motive

sie die Studien nicht, sie nehmen keine Einschränkung vor, was die Reichweite der Ergebnisse angeht.768 So wäre einzuwenden, dass Neugeborene etwa »Gewalt und Machtlosigkeit« nicht bewusst erfahren, da sie sich, wenn sie in den ersten Tagen des Lebens beschnitten werden, nicht erinnern können.769 Ähnlich wie Süss/Eppelsheim und zugleich unterschiedlich geht die Germanistin und Journalistin Brigitta vom Lehn in dem Artikel Unterschätztes Trauma-Risiko in der FR vor. Zwar zitiert auch sie überwiegend Mediziner und Beschneidungsgegner, die über verschiedene negative Folgen, nicht vorhandene, aber behauptete Vorteile einer Beschneidung und berufsethische Aspekte sprechen.770 Sie nennt implizit aber auch mögliche Vorteile einer Vorhautbeschneidung (wenngleich sie diese Aspekte nicht weiter vertieft) und lässt sogar mit dem Philosophen Robert Spaemann jemanden zu Wort kommen, der Vorhautbeschneidungen gegensätzlich bewertet. Im Ergebnis zitiert aber auch vom Lehn unkritisch Stehr, wenn sie schreibt: »[d]ie Beschneidung, gleich in welchem Alter durchgeführt, wirke ‚unbestritten als Trauma‘«771. Insbesondere »die Neugeborenenbeschneidung – auch heute noch oft ohne jegliche Betäubung durchgeführt – müsse als ‚erhebliches Trauma für das Kind angesehen werden‘«.772 Neben Stehr kritisieren Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen sehr häufig, dass religi____________________ 768 769

770 771 772

160

J. F. kritisiert im Interview die viel zu kleine Fallzahl der besagten dänischen Studie, wenngleich er die Studie insgesamt für relativ seriös erachtet (vgl. J. F. 2014: Z. 360ff., Z. 434ff.). Auf den Artikel folgten zahlreiche bestärkende und applaudierende OnlineKommentare. In einem Kommentar von David Landern heißt es dankend etwa, »[e]ndlich mal ein fundiert medizinisch die Problematik beleuchtender Beitrag in dieser hochideologisch geführten Debatte« (Landern 2012), in einem anderen von chris w. heißt es, »der Artikel spiegelt zu 100% meine Meinung wider« (W. 2012). In dem Online-Kommentar von Thomas Heinzow mit dem Titel Nun kommt langsam aber sicher die Wahrheit ans Licht der Öffentlichkeit... dankt dieser ebenfalls der »überzeugende[n] Recherche der Autoren der FAZ« und bezweifelt, dass »die meist fachlich ungebildeten Bundestagsabgeordneten« von diesen Fakten überzeugt werden könnten (Heinzow 2012). Auch ein Mann, der als Vierjähriger ohne Narkose beschnitten wurde, stimmt dem Artikel zu und plädiert für ein Verbot (vgl. Ilian 2012). Vgl. vom Lehn 2012. Siehe hierzu auch Grötker 2012. Stehr zit. n. vom Lehn 2012. Ebd.

4. Wiederkehrende Motive

öse Beschneidungen ohne Betäubung stattfinden würden, weil religiöse Beschneider/Beschneiderinnen nicht betäuben würden und dürften.773 Einerseits bleibt in diesem Zusammenhang unberücksichtigt, dass auch Mohalim – also jüdische Beschneider/Beschneiderinnen – schmerzlindernde und betäubende Lokalanästhetika, wie die Emla-Salbe, Tropfen oder Zäpfchen verwenden;774 andererseits bleibt unbeachtet, dass Mohalim »zum Teil auch approbierte Ärzte« sind.775 In zahlreichen weiteren Artikeln brachten Teilnehmer/Teilnehmerinnen der Kontroverse die Vorhautbeschneidung mit einem Trauma in Verbindung, wobei sie betroffene Männer selten zu Wort kommen ließen. Stattdessen zogen sie Mediziner wie Franz und Stehr heran, die eine traumatische Wirkung bekräftigen. Wie sehr die Vorstellung, die Vorhautbeschneidung sei traumatisierend, verbreitet ist, zeigt sich exemplarisch an Artikelüberschriften, die etwa lauten »Trauma oder Recht auf Identität?«, »Beschneidungen und andere Traumata« und »[e]s ist ein genitales Trauma« in der taz.776 Auch die erste Frage in einem Interview in der FAZ mit Feridun Zaimoglu, einem beschnittenen deutschen Muslim, lautete »[s]ind Sie traumatisiert?«777 Während Zaimoglu oder Serkan Tören, die sich beide als Muslime bezeichnen, die Frage nach einer Beschädigung und Traumatisierung deutlich verneinten778, bejahten andere beschnittene Männer hingegen eine negative Erfahrung. Sie wurden auch aus kulturell-religiösen, besonders aber aus medizinischen Gründen – etwa wegen einer Phimose – in ihrer Kindheit beschnitten. Im Zuge der Kontroverse beginnen sie nun, von ihren Beschneidungen zu erzählen. Viele von ihnen erlebten ihre Beschneidung als ____________________ 773 774 775 776

777 778

Vgl. Merkel 2012b. Vgl. Fellmann/Müller/Graf 2012: 3; vgl. Deusel 2012a: 136; vgl. KleineDoepke 2014: 13f.; vgl. Goldberg o.J.; vgl. Kramer 2012a; vgl. Kramer 2012b: 8f.; vgl. Adler 2007: 10. Fellmann/Müller/Graf 2012: 4. Sharma 2012; Wali 2012; Franz 2012b. Für weitere Artikel, in denen eine Beschneidung mit einem Trauma in Verbindung gebracht wird, siehe diejenigen von Gutschker und Grötker in der FAZ, denen wiederum Online-Kommentare folgten wie: »Beschneidung bedeutet lebenslang schweres Trauma!« (Jansen 2012). Güvercin 2012. Vgl. ebd.; vgl. Tolmein 2012.

161

4. Wiederkehrende Motive

psychische Verletzung, oder wie der Autor und Journalist Mario Lichtenheldt es in dem Buch Un-heil über Beschneidungen formulierte, als »verdrängte[s] Trauma«.779 Für kritische Äußerungen stehen das Mitte 2012 geschaffene Beschneidungsforum.de780, die 2013 erschienene Broschüre Das große Zirkumpendium, die Erfahrungsberichte von beschnittenen Männern umfasst781, sowie die Internetseite des 2012 gegründeten »Facharbeitskreis Beschneidungsbetroffener im MOGiS e.V.«782 Darüber hinausgehend veröffentlichte Clemens Bergner 2015 das Buch Ent-hüllt! Die Beschneidung von Jungen – nur ein kleiner Schnitt? Betroffene packen aus über Verlust, Schmerzen, Scham, in dem sowohl er selbst als auch zahlreiche Betroffene von ihrer Beschneidung berichten.783 Berichte von Betroffenen, die ihre Beschneidung negativ erlebten und erinnern, finden sich auch in Tageszeitungen, wie der Gastkommentar Beschneidungen und andere Traumata in der taz zeigt.784 In ihm berichtet der irakische Schriftsteller Najem Wali über seine Vorhautbeschneidung, die ihm mit zwölf Jahren ohne Betäubung widerfuhr. Zunächst erinnert er sich an den Beschneider und Barbier Qâsim, der einen Salon hatte, in dem er als Kind zwischen greisen Männern viel Zeit verbrachte. Bei den Besuchen habe er »[e]inerseits ein angenehmes, andererseits ein beängstigendes Gefühl« gehabt.785 Das angenehme Gefühl hatte er, weil er dort seine erdachten Geschichten erzählen konnte und erste Zuhörer fand; die Angst, weil zwei seiner Onkel väterlicherseits kurz nach ihrer Beschneidung, die Qâsim durchgeführt hatte, starben. Wali schreibt, er habe gewusst, dass er eines Tages beschnitten werde, und fürchtete, dass dies bei Qâsim geschehen würde. Schlussendlich wurde er jedoch mit seinem jüngeren Bruder beim »berühmtesten Chirurgen der Stadt«, dem Christen Sûrîn Salîbâ, beschnitten:

____________________ 779 780 781 782 783 784 785

162

Lichtenheldt 2012: 124. Vgl. Bergner 2015: 65. Vgl. Schritt 2013: 40ff. Vgl. Bachl o.J.; vgl. Schiering o.J.; vgl. Werner o.J.; vgl. Utlu o.J. Vgl. Bergner 2015: 7ff., 74ff. In englischer Sprache erschien 2014 das Buch Unspeakable Mutilations: Circumcised Men Speak Out (vgl. Watson 2014). Siehe hierzu auch: Juel 2012. In der ZEIT wurden die Erinnerungen von Memet Kiliç an seine Vorhautbeschneidung aufgegriffen (vgl. Lau 2012c). Wali 2012.

4. Wiederkehrende Motive »Ich erinnerte mich noch heute an die Szene: Als ich auf dem Bett lag, ergriff mein Vater mich bei den Armen, ein Kumpel meines Vater bei den Beinen, und dann begann auch schon die Schere des Arztes an meiner Vorhaut herumzuschnippeln. Die Küsse meines Vaters waren der einzige Trost. Aber nein, es war keine Beschneidung, es war meine erste Begegnung mit der Folter. Ich habe geschrien, aber vergeblich. Mein Schrei ging in den Tränen unter, die mir über das Gesicht liefen.«786

Im weiteren Verlauf seines Berichtes erinnert Wali stellvertretend die »wahre Geschichte« seines Jugendfreundes »K.«, der mit dreizehn Jahren ebenfalls beschnitten worden war und noch heute unter den Folgen seiner Beschneidung leidet.787 Auffällig ist, dass diejenigen Betroffenen, die sich durch eine Beschneidung traumatisiert fühlen, keinen jüdischen Hintergrund haben, sondern in einem muslimischen Kontext aufwuchsen oder aus medizinischen Gründen beschnitten wurden.788 Diesen Umstand berücksichtigen die Ärzte und Psychoanalytiker in ihren Äußerungen gegen Vorhautbeschneidungen jedoch nicht. So nahmen Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen die Berichte von Betroffenen, die sich durch ihre Beschneidung traumatisiert fühlen, in ihre Argumentation auf.789 Der Finanzrichter L. A. berichtet beispielsweise im Interview, dass Beschnittene »möglicherweise ein körperliches Trauma ein seelisches Trauma«790 haben und erinnert sich in diesem Zusammenhang: »A: […] als die Diskussion, fällt mir gerade ein, zweitausendzwölf auf dem Höhepunkt war, da gab es ja auch im Internet auch in Österreich sehr=sehr viele Äußerungen, auch von Leuten, die früher beschnitten worden sind und F:

Mhm

A:

Die dann sich jetzt äußerten (-) eh bei dieser öffentlichen Diskussion den Mut fanden, sich zu äußern und haben teilweise jedenfalls ihre eigenen Eltern verurteilt, in diesen Statements, dass sie immer noch drunter leiden würden, eh unter dem, was sie damals erlebt haben. Eh das ist ja, ich kenn mich da nicht genau aus, aber ich glaub bei den türkischen Kindern ist es oft so, dass sie mit

____________________ 786 787 788 789 790

Wali 2012. Vgl. ebd. Vgl. J. F. 2014: Z. 960f., 1032f.; vgl. Voß 2012: 52. Siehe hierzu auch Hartmann 2012. L. A. 2014: Z. 307f.

163

4. Wiederkehrende Motive vier fünf oder acht Jahren beschnitten werden und die können sich eben sehr gut erinnern, F:

Mhm

A:

An diesen Akt (-) an diesen schmerzhaften (-) die Babys, weiß ich nicht, ob die sich in irgendeiner Form erinnern können. Aber vielleicht ehm erinnern sie sich an körperliche Malaisen, die ja auch hervorgerufen werden können durch die Beschneidung selber, es gibt ja immer wieder auch eh Problemfälle und es gab auch, wenn auch nur vereinzelt, Todesfälle«.791

Die Interviewpassage zeigt, dass L. A. nicht unterscheidet, inwiefern es sich um Männer handelt, die mit einer medizinischen oder mit einer kulturellreligiösen Begründung beschnitten wurden. Er erinnert sich lediglich, dass es »sehr sehr viele Äußerungen« gab, und verwebt diesen Umstand in seine Argumentation. Die Gründe dafür, warum sich in Deutschland besonders diejenigen Männer traumatisiert fühlen, die aus medizinischen Gründen beschnitten wurden, kann im Rahmen der Arbeit nicht weiter erörtert werden. Eine These dazu ist, dass diejenigen, die aus medizinischen Gründen im Jungenalter beschnitten wurden, unter dem leiden, was mit der Diagnose Phimose einherging, und zum Teil auch das Gefühl haben, ihnen wurde eine falsche Diagnose »von außen aufgedrückt«.792 Sie wuchsen zudem in einem familiären beziehungsweise sozialen und kulturellen Kontext auf, in dem die Beschneidung weniger zur Normalität gehört als beispielsweise im jüdischen oder muslimischen Kontext.793 Weitergedacht bedeutet dies, das Setting, in dem die Beschneidung stattfindet, hat große Auswirkungen auf das Erleben des Betroffenen.794 ____________________ 791 792

793

794

164

L. A. 2014: Z. 308–324. Vgl. U. R. 2014: Z. 79. U. R. berichtet darüber, dass er unter den ärztlichen Untersuchungen und der ärztlichen Fokussierung auf seinen »kranken« Penis litt (ebd.: Z. 58ff., Z. 392f.). Von einem Trauma spricht er im Interview hingegen nicht. Eine andere These wäre, dass beschnittene Männer ein Problem haben, für Juden gehalten zu werden. In einem Online-Kommentar in der FAZ heißt es: »[i]ch bin auch im Säuglingsalter beschnitten worde[n], angeblich aus medizinen Gründen, und ich fand es während des Schulsports unter der Dusche extrem peinlich, da ich untenrum sehr anders aussah, und mir auch fragen wie: Bist du Jude? Anhören musste« (Züchner 2012, Schreibweise i. Orig.). Vgl. Blumenberg 2014: 137f.; vgl. U. R. 2014: Z. 392ff.

4. Wiederkehrende Motive

Für die Beschreibung, die Beschneidung sei ein Trauma oder eine Traumatisierung, rekurrieren sowohl Franz, F. I. als auch V. A. auf ihre Erfahrungen als praktizierende Ärzte/Psychoanalytiker. Franz führt bereits in dem wissenschaftlichen Beitrag Männliche Genitalbeschneidung und Kindesopfer. Psychoanalytische Aspekte eines archaischen Genitaltraumas von 2010 sechs Fallbeispiele an, aus denen er ableitet, dass die Vorhautbeschneidung eine Traumatisierung sei.795 F. I. erzählt im Interview, dass er mit dem Thema Beschneidung in Berührung kam, weil er einen Patienten hatte, der aufgrund einer Phimose beschnitten wurde und in seinem Erwachsenendasein litt: »A: Äh, also ich, äh (-) es war eine Erfahrung mit einem Patienten, der (-) äh (-) jetzt äh (-) in der frühen Kindheit, im dritten Lebensjahr, äh, hatte der äh ‘ne Phimose-Operation. Und der erzählte dann eben auch in der Psychotherapie davon, dass er immer, wenn äh jetzt äh auch beim Essen oder so mit Besteck, Messer und so, dass äh er da äh Schweißausbrüche kriegte und äh, und Herzrasen und äh in dem Zusammenhang kamen wir dann auf äh diese Geschichte, ne, dass er ‘ne medizinisch indizierte Beschneidung, kann man sagen, durchgemacht hatte und äh da ein Zusammenhang, äh ja, ziemlich evident war, mhm. F:

Mhm. Und ähm, haben Sie noch ähm auch Erfahrungen mit=mit anderen Patienten? Oder ähm

A:

Nee, nee, das war (-) jetzt so aus der äh psychotherapeutischen Praxis der einzige Fall.«796

Auch F. I. leitet, wie Franz und L. A., aus dem Umstand, dass es möglicherweise aufgrund der Beschneidung traumatisierte Männer gibt, ab, dass die Beschneidung als solche traumatisch ist. Einerseits unterscheidet er nicht, in welchem Umfeld die Jungen beschnitten wurden, andererseits bleibt unberücksichtigt, dass sich kaum jüdische Männer traumatisiert fühlen.797 Der Urologe V. A. erzählt im Interview, zwei Erfahrungen hätten ihn besonders in seiner Haltung zur Beschneidung geprägt. Zum einen war er Gast bei einer Beschneidungsfeier in Syrien, zum anderen untersuchte er einen sechzehnjährigen jüdischen Jungen, der mutmaßlich noch Jahre später unter seiner Beschneidung litt. V. A. erzählt: ____________________ 795 796 797

Vgl. Franz 2010a: 200. Weitere Ausführungen hierzu finden sich in 3.2.2. »Schneidende Gewalt« und »archaisches Genitaltrauma«. F. I. 2014: Z. 74–84. Vgl. Blumenberg/Hegener 2012: 1121; vgl. J. F. 2014: Z. 964ff.

165

4. Wiederkehrende Motive »F: Ja. Ähm, wie=wie unterscheidet sich denn eigentlich ähm jetzt in der Durchführung ‘ne Beschneidung, ähm, die medizinisch durchgeführt wird, von ‘ner rituellen äh, oder religiösen Beschneidung?

166

A:

Äh, Beim Arzt gar nicht

F:

Mhm

A:

Wenn ein Arzt das macht. Wenn das ein Nichtarzt macht, die sogenannten, äh, der sogenannte Mohel, der jüdische Beschneider zum Beispiel, tut das (-) ohne Narkose, ohne jede Narkose

F:

Mhm

A:

Mit einer äh, mit einem glasscherbenähnlichen Instrument (-)

F:

Mhm

A:

Indem er die Vorhaut einfach anfasst und abschneidet. Das Kind ist feierlich gekleidet, Sie können sich bei YouTube mal so eine Beschneidung angucken

F:

Mhm

A:

Essen Sie vorher gut und schlafen Sie aus, das ist ein grausamer Akt.

F:

Mhm

A:

Das ist ein grausamer Akt, da zuzugucken, ich war mal auch Gast in Syrien bei einer Beschneidung, ähm (-). Ich muss da gar nicht viel zu sagen, gucken Sie sich das einfach mal an, dann brauchen Sie diese Frage niemanden mehr zu stellen. Das ist etwas, was menschenunwürdig ist, einem Kind gegenüber solche Schmerzen zuzumuten (-), die traumatisch wirken, auch seelisch traumatisch. Man soll nicht denken, dass ein Säugling unter sechs Monaten keine Gefühle hat und dass das, dass der kein Schmerzgedächtnis hat.

F:

Mhm

A:

Ich habe (-) Jungs angefasst, mit 16, am Penis, die als jüdische Säuglinge beschnitten wurden.

F:

Mhm

A:

Die haben geschrien bei der Berührung, was natürlich objektiv unsinnig ist, aber das war ein Ausdruck des Schmerzgedächtnisses. Weil die als Kind, als Säugling solche Schmerzen gehabt haben, äh, dass sich das Schmerzgedächtnis das so lange gemerkt hat.

F:

Mhm

4. Wiederkehrende Motive A:

Habe nicht nur ich gemacht, das ist auch bewiesen. Das heißt (-), die Würde, die körperliche Unversehrtheit des Säuglings steht bei mir (-) unverrückbar an erster Stelle.«798

In der Textpassage verbindet V. A. die Beschneidung von jüdischen Säuglingen mit der von muslimischen Jungen. Er setzt die Eingriffe in eins, wodurch er die jüdische Beschneidung derealisiert.799 Ausgangspunkt ist der Mohel, der die Beschneidung beim Säugling ohne Betäubung beziehungsweise ohne adäquates medizinisches Operationsmaterial (»mit einem glasscherbenähnlichen Instrument« – was eher auf Berichte über die weibliche Genitalverstümmelung verweist) durchführen würde. Anschließend erinnert er sich an seine Beobachtungen während der syrischen Beschneidung, um wiederum zum jüdischen Jungen während der Untersuchung zurückzukommen. Gefragt nach den Unterschieden zwischen einer medizinischen und einer kulturell-religiösen Vorhautbeschneidung (nur Letztere sei ein Problem) sagt V. A., dass es medizinisch betrachtet eigentlich keinen Unterschied zwischen einer medizinischen und einer religiösen Vorhautbeschneidung gebe, es insbesondere für den Säugling/Jungen keinen Unterschied mache, aus welchen Gründen er beschnitten werde.800 Im Verlauf des Interviews ergänzt er einen zentralen Punkt, den er zuvor nicht genannt hatte: »F: Ja, ich glaube, ich habe das leider (lacht) immer noch nicht so richtig verstanden, also weil Sie gesagt hatten, dass das Erlebnis von der Beschneidung dasselbe ist, egal ob man das sozusagen medizinisch oder religiös begründet. A:

Mit einem Unterschied,

F:

Ja

A:

Den ich vielleicht vergessen habe. Äh, die Narkose, das heißt, ein Kind, was in Narkose beschnitten wird, erlebt die Beschneidung selber ja gar nicht,

F:

Ja

A:

Da ist ja das Bewusstsein ausgeschaltet. Das ist natürlich etwas völlig anderes, als wenn ein Kind, auch als Säugling, ohne Narkose beschnitten wird. Weil durch das Erlebnis des Schmerzes

F:

Mhm

____________________ 798 799 800

V. A. 2014: Z. 483–517. Darunter verstehen Schwarz-Friesel/Friesel die Realität verzerrende und verfälschende Gleichnisse (vgl. 2012: 45). Vgl. V. A. 2014: Z. 735ff.

167

4. Wiederkehrende Motive A:

Und das Ausprägen des Schmerzgedächtnisses eine ganz andere Traumatisierung erfolgt, als wenn es eine zehnminütige Amnesie hat, die ja auch bleibt. Das heißt, das ist ja, das ist ja weg. Das ist ja, das findet nicht statt, es hat keinen Schmerz, es erlebt keine, äh, es erlebt das Anfassen nicht. Es erlebt gar nichts.

F:

Mhm

A:

Und das ist natürlich seelisch deutlich weniger belastend. Ansonsten ist das Erlebnis, hinterher aufgewacht, wie sieht mein Penis jetzt aus, für einen Säugling natürlich in dem Moment völlig äh unwesentlich, weil er das nicht einordnen kann.

F:

Ja

A:

Das=Der Unterschied ist das Schmerzerlebnis.«801

Die Vorgehensweise der Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen lässt sich im Hinblick auf einen Gesichtspunkt kontextualisieren: Sie benutzen einen sehr weiten Trauma-Begriff, der sich erst in den 1980er Jahren in Deutschland herausbildete.802 Er findet seitdem eine weitreichende Anwendung und wird nicht mehr nur mit »auslösenden Ereignissen« wie etwa Kriegserlebnissen, der Inhaftierung in einem KZ oder dem Holocaust-Überleben verbunden, sondern auch mit »alle[n] möglichen anderen Ereignisse[n] des […] Lebens«803 wie beispielsweise Unfällen, Unglücken oder auch der Kindesmisshandlung und sexuellem Missbrauch von Kindern.804 Eine ähnliche – wie Franz, F. I. und V. A. – und zugleich andere Perspektive auf Traumata zeigt sich in dem Interview mit dem Beschneidungsgegner B. A., der im Verein MOGiS e.V. aktiv ist. Zwar bringt auch er im Interview Vorhautbeschneidungen mit einem Trauma in Verbindung, zugleich führt er aber das Trauma der Shoah an. Zunächst plädiert B. A. dafür, es müsse darum gehen, »Kindern Entfaltungsspielräume zu öffnen« und

____________________ 801 802

803 804

168

V. A. 2014: Z. 766–787. Siehe hierzu die medizinhistorische Dissertation Trauma-Konzepte im historischen Wandel: Ein Beitrag zur Rezeptionsgeschichte der Posttraumatic-Stress Disorder in Deutschland (1980–1991) von Katrin Lehmacher (vgl. Lehmacher 2013: 19, 89, 95f., 110f.). Auch der Psychoanalytiker Franz Maciejewski betont, dass der Trauma-Begriff »in den letzten Jahrzehnten innerhalb des psychoanalytischen Diskurses eine bemerkenswerte Karriere erfahren« habe (2003: 523). Lehmacher 2013: 111. Vgl. ebd.: 149; vgl. Maciejewski 2003: 532.

4. Wiederkehrende Motive

ihnen »eine offene Zukunft zu geben«.805 Kinder sollten, nach seinem Dafürhalten, »soweit das möglich ist«, »untraumatisiert« sein, und um das zu erreichen, sollten Kinder »einen vollständigen Körper« haben.806 Zu einem späteren Zeitpunkt des Interviews reflektiert er allgemeiner, was in der gegenwärtigen deutschen Gesellschaft unter Mann-Sein und Männlichkeit verstanden wird und »was männliche Qualitäten sind«.807 Ausgehend von der Beschneidung spricht er davon, dass Jungen und Männer in Geschlechterrollen gepresst werden, die nicht aus ihren Bedürfnissen zu erklären seien, sondern mit Erwartungen des sozialen Umfeldes. Er kritisiert, dass Jungen bei der Vorhautbeschneidung nicht weinen dürften, sondern lächeln müssten.808 Weiter führt er aus, dass die Beschneidung zu einem Trauma führen könne, weswegen er sich die Frage stellt, »ob Mann sein bedeutet, traumatisiert [zu] sein« und »Mann sein heißt, [ein] Trauma [zu] haben«.809 Im Verlauf des Interviews kommt er jedoch auch auf ein anderes Trauma zu sprechen. Er reflektiert darüber, warum Juden/Jüdinnen die Kritik an der Vorhautbeschneidung als Antisemitismus »gebrandmarkt« haben, und geht davon aus, dass dies geschah, um die Reihen innerhalb der jüdischen Gemeinde zu schließen.810 In seinen weiteren Überlegungen beschreibt er ein jüdisches Trauma, das sich aus dem »Krieg« und »KZ« ergebe: »A: […] das ist wieder so ein Aspekt, das ist ganz interessant für uns, weil wir ein Verein von Betroffenen sind, von Traumata. F:

Mhm, ja

A:

Und äh vielfach eben für mich das sich so anfühlt, als wenn diese jüdische Gemeinde als Ganzes so reagiert, wie ein Betroffener von einem Trauma, ein Traumabetroffener.

F:

Mhm

A:

Das ist äh ähnlich - - also es, verstehen Sie, haben Sie, haben Sie Kontakt mit Leuten, die schwer traumatisiert sind eventuell? Also ich habe da ein ganz plastisches Erlebnis, ich habe da mal eine, in Brüssel eine Filmemacherin, eine jüdische Filmemacherin kennengelernt und wir haben uns einfach nur so unterhalten über sexuelle Selbstbestimmung und so.

____________________ 805 806 807 808 809 810

B.A. 2014: Z. 228f. Ebd.: Z. 233f. Ebd.: Z. 989. Vgl. ebd.: Z. 995ff. Ebd.: Z. 986f. Ebd.: Z. 1430f.

169

4. Wiederkehrende Motive F:

Mhm

A:

Und die ist nur Tochter von Überlebenden. Also nur sage ich jetzt, die ist selber, sie ist erst nach dem Krieg geboren, also sie ist selber diesen Sachen nicht ausgesetzt gewesen. Und sie hatte mitten im Gespräch - hat sie irgendwie umgeschaltet, wie so dissoziiert, wie ich das sonst nur von Opfern sexuellen Missbrauchs kenne - und war in so einem Kampf-Verteidigungsmodus. Total krass.

F:

Mhm.

A:

Nun hat sie das Gefühl, irgendwas verteidigen zu müssen, das ist dann auch wieder vorbei, aber im Prinzip - habe ich so gesehen, das ist ein schwer traumatisierter Mensch und das, obwohl sie nur Nachfahre von Menschen ist, die im KZ waren.

F:

Mhm.

A:

Also dieses, dieses Trauma ist immer noch drin. Also ich kenne halt das von traumatisierten Menschen so, dass die Dinge anders wahrnehmen. Also - manche Dinge verstärkt wahrnehmen - und sehr schnell als Gefahr wahrnehmen. Und ähm, dass dann auch die Reaktionen häufig überzogen wirken.

F:

Mhm.

A:

So für jemanden, der nicht von Trauma betroffen ist, oder nicht von diesem Trauma betroffen ist oder nicht von diesem - Anlass jetzt getriggert wurde.

F:

Ja.

A:

Und so fühlt sich das für mich an, als wenn eben dieses Infragestellen der Beschneidung, das ähm sozusagen so eine Traumareaktion ausgelöst hat, nämlich im Prinzip das Trauma, dass im zweiten Weltkrieg es dieses Fast-Ausgelöschtwordensein. Und das ist auch die Grundlage, auf der ich dann sage, okay, dann muss man halt gucken, wie man das so gestaltet, dass man eben -diesem Trauma auch entgegenkommt, auch im Sinne unserer Verantwortung

F:

Mhm.

A:

Der Geschichte.

F:

Ja.

A:

Also das sehe ich eben bei den muslimischen Gemeinden anders. Zumal das bei denen eben kein Gebot ist. Sie sind ja nicht zusätzlich in der Bredouille, das halt einfach eine Tradition.

F:

Mhm.

A:

Und äh von Traditionen darf man sich auch verabschieden.«811

____________________ 811

170

B. A. 2014: Z. 1448–1491, Herv. D. I.

4. Wiederkehrende Motive

Die Textpassage des Interviews zeigt deutlich, dass B. A. den Begriff Trauma in unterschiedlichen Kontexten verwendet. Auf der einen Seite gibt es beschnittene Jungen, für die die Vorhautbeschneidung ein Trauma sei, das nicht genug beachtet werde, auf der anderen Seite sind auch Juden/Jüdinnen und deren Nachkommen durch die Shoah traumatisiert. Er setzt zwei unterschiedliche historische Konstellationen in Beziehung und redet über zwei unterschiedliche Erfahrungen, die er mit dem Judentum verbindet. Er vergleicht das Trauma der Beschneidung und das Trauma der Shoah beziehungsweise er vergleicht zwei unterschiedliche Erfahrungen von Juden, wodurch er die Erfahrung der Shoah relativiert. In der Shoah sind Millionen Juden/Jüdinnen ermordet worden, weil Nationalsozialisten/Nationalsozialistinnen versuchten, das europäische Judentum vollständig auszulöschen, es handelte sich um ein »Programm der Vernichtung um der Vernichtung willen«.812 Sowohl diejenigen, die sich in ihrer Selbstbeschreibung als jüdisch identifizierten, als auch diejenigen, die die Nationalsozialisten/Nationalsozialistinnen entgegen ihrer Selbstbeschreibung als jüdisch ansahen, wurden ermordet.813 Bei der Beschneidung allerdings tragen Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen die Traumatisierung an Juden heran und unterstellen ihnen pauschal, durch die Beschneidung traumatisiert zu sein, unabhängig davon, ob dies beschnittene Juden selbst so sehen oder nicht. Diese eigentümliche Vermischung der Themen findet sich auch in einem Online-Kommentar unter der Überschrift Das Traumata-Dilemma! in der FAZ. Dort heißt es, »[d]em zutreffend beschriebenen, persönlichen Trauma der zwangsweise beschnittenen Knaben steht hier ein politisches – sachwidriges! – Holocaust-Trauma gegenüber«.814 In dieser Sichtweise erscheint es so, dass das Holocaust-Trauma genutzt wird, um für die Vorhautbeschneidung zu argumentieren. Das Motiv, die Vorhautbeschneidung sei ein Trauma, findet sich auch in Online-Kommentaren und auf Internetseiten wie dem Beschneidungsforum ____________________ 812 813

814

Postone 2005: 59. Dass er als Jude durch die massivste »Infragestellung jüdischer Existenz seit der Schoah« und nicht durch seine Beschneidung »traumatisiert« ist, schreibt beispielsweise Lorenz S. Beckhardt in der FR in Beschnitten und traumatisiert. Für die Perspektive von Psychologen und Medizinern, die Beschneidung traumatisiere, hat er kein Verständnis (vgl. Beckhardt 2012). Willweber 2012.

171

4. Wiederkehrende Motive

oder auf Zwangsbeschneidung.de.815 In einem Online-Kommentar in der FAZ auf den offenen Brief von Franz schreibt Sarah Mohn: »[j]ede Beschneidung, und das ist wissenschaftlich nachgewiesen, bewirkt ein tiefes Trauma bei den Betroffenen«816, auf Zwangsbeschneidung.de heißt es, »die Brit Mila« ist »selbstverständlich […] Folter«.817 Folter bedeutet, dass jemand einer Person starke körperliche oder geistig-seelische Schmerzen zufügt, um sie zu bestrafen oder einzuschüchtern. Damit ist Folter »eine verschärfte Form absichtlicher grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe«.818 Insbesondere die Gleichsetzung der Beschneidung von jüdischen Säuglingen mit Folter ist antisemitisch zu verstehen, da jüdischen Eltern und Mohalim unterstellt wird, absichtsvoll erbarmungslos, bestialisch und demütigend zu sein. Eng verbunden ist das Motiv vom Trauma darüber hinausgehend mit der Klassifikation, die kulturell-religiöse Beschneidung sei ein Akt »(sexueller) Gewalt«.819 Wenngleich Franz, Stehr, F. I., Dietz, V. A. und B. A. nicht konkret definieren, was sie unter einem Trauma verstehen, verwenden sie den Begriff gewissermaßen synonym für ein vergangenes und singuläres Gewalterlebnis und ein daraus resultierendes psychisches und körperliches Leiden. Damit stimmen sie mit der gegenwärtigen medizinischen und psychologischen/psychoanalytischen Grundausrichtung überein, die einen weiten und unscharfen Traumabegriff anwendet.820 Insbesondere Ärzte/Ärztinnen und Psychologen/Psychologinnen, die sich gegen kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung aussprechen, gebrauchen den Begriff Trauma inflationär. Zwar beziehen sie sich auf einzelne berufliche Erfahrungen, differenzieren aber insgesamt nicht, dass eine Traumatisierung besonders diejenigen Männer beklagen, die aus medizinischen Gründen beschnitten worden sind. Gerade Ärzte/Ärztinnen und

____________________ 815 816 817 818 819 820

172

Vgl. Beschneidungsforum o.J.b. Mohn 2012. Zwangsbeschneidung.de 2012b. Liedl/Knaevelsrud 2015: 581. Franz 2012a. Siehe hierzu 4.10. Eine »unnatürliche«, »beschädigte« und »perverse« Sexualität. Vgl. Bohleber 2015: 123ff.

4. Wiederkehrende Motive

Psychologen/Psychologinnen argumentieren hingegen, speziell die kulturell-religiös begründeten Beschneidungen seien ein Trauma.821 Diese exzessiv angewandte Behauptung ist wissenschaftlich fragwürdig und hoch umstritten. Zwar ist diese Gleichsetzung nicht zwingend antisemitisch, in der Kombination mit weiteren Zuschreibungen kann sie jedoch als antisemitisch verstanden werden. Sie ermöglicht, jüdische Eltern und/oder Mohalim als »grausam und brutal« darzustellen. Die beiden Psychoanalytiker Yigal Blumenberg und Wolfgang Hegener schreiben dazu: »Schon im Kontext des christlichen Antisemitismus entdecken wir also die wahnhafte und durch Projektionen entstandene Vorstellung von blutdürstigen, sadistischen Juden, die sich über Kinder hermachen, sie töten oder schwer traumatisieren. Diese Bilder haben offensichtlich eine ungeheure Macht und werden in christlichen Gesellschaften transgenerationell weitervererbt und in jeweils unterschiedliche, zeitgeisttypische Kontexte versetzt: heute ist es der der Psychotraumatologie, des Kindeswohls und der Wahlfreiheit.«822

Aufgrund der Vehemenz in den Argumentationen von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen erscheint es sinnvoll, kurz auf Zahlen einzugehen. Sie verdeutlichen die gesellschaftliche Verbreitung der Vorhautbeschneidung und helfen bei der Bewertung des Eingriffes. Zudem zeigen die Zahlen, dass es abwegig wäre, sich rund ein Drittel der männlichen Weltbevölkerung als beschädigt und traumatisiert vorzustellen. Alle, Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen wie Beschneidungsbefürwortende beziehen sich auf Berechnungen der World Health Organization. Sie besagen, ungefähr 25–33 Prozent oder ein Drittel der männlichen Weltbevölkerung ist gegenwärtig aus unterschiedlichen Gründen beschnitten.823 Verbreitet finden Vorhautbeschneidungen derzeit in den USA, Kanada, Australien, Israel, Südkorea und in afrikanischen Staaten statt.824 Die Schätzungen zu routinemäßigen Vorhautbeschneidungen von männlichen Säuglingen in den USA variieren zwischen 55–80 Prozent. Da es sich um einen

____________________ 821 822 823 824

Vgl. Blumenberg/Hegener 2012: 1121. Ebd.: 1123. Vgl. WHO 2007: 1; vgl. Heimann-Jelinek/Kugelmann 2014: 19; vgl. Moll 2014: 53; vgl. Fateh-Moghadam 2010: 120. Vgl. WHO 2007: 9.

173

4. Wiederkehrende Motive

beiläufig durchgeführten Routineeingriff handelt, dokumentieren ihn Ärzte/Ärztinnen vielfach nicht.825 Für Deutschland sind genaue Zahlen über Vorhautbeschneidungen schwer ermittelbar. Statistisch werden ausschließlich die Vorhautbeschneidungen vollständig erfasst, die in Krankenhäusern stattfinden (stationär); die ambulant – etwa in Arztpraxen – durchgeführten sind nicht vollständig aufgezeichnet, da sie nur in die Statistik eingehen, wenn sie von gesetzlichen Krankenkassen finanziert werden. Die aus kulturell-religiösen Gründen veranlassten Vorhautbeschneidungen gehen nicht in die Statistik ein, da sie weder von Krankenkassen bezahlt werden noch meldepflichtig sind.826 Basierend auf Daten des Statistischen Bundesamtes von 2012 schreibt die Medizinerin Louisa Verena Kleine-Doepke, dass in Deutschland 2010 insgesamt 13.195 Zirkumzisionen in Krankenhäusern durchgeführt wurden.827 Die Aufschlüsselung ist allerdings unvollständig, da die Vorhautbeschneidungen, die in Arztpraxen vorgenommen wurden und die zahlenmäßig den größten Teil ausmachen, nicht in die Statistik eingingen. Heinz-Jürgen Voß legt ebenfalls Zahlen des Statistischen Bundesamtes vor, zusätzlich jedoch Zahlen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Den Angaben zufolge wurden 2014 in Deutschland 66.717 Vorhautbeschneidungen statistisch erfasst, die die gesetzlichen Krankenkassen aus medizinischen Gründen bezahlten und die ambulant stattfanden; 2015 wiederum 64.346.828 Etwas weniger als die Hälfte der Vorhautbeschneidungen fand an unter 10-jährigen Jungen statt. Die Zahl der stationär vollzogenen Vorhautbeschneidungen ähnelt der, die Kleine-Doepke 2014 vorgelegt hatte. Sie lag 2014 bei 13.477, wovon etwa ein Drittel an unter 10-Jährigen vorkam; für 2015 führt Voß keine Zahlen auf.829

____________________ 825

826 827 828 829

174

Vgl. Gollaher 2002: 8, 172f. Vergleiche hierzu auch: Kupferschmid 2014: 91; vgl. Fateh-Moghadam 2010: 121. Friedrich H. Moll weist darauf hin, dass in den USA Schätzungen zufolge in den 1970er Jahren zwischen 70–90% der männlichen Bevölkerung beschnitten waren, 1860 hingegen weniger als 1% (vgl. Moll 2014: 53, 63). Vgl. Kleine-Doepke 2014: 5; vgl. Voß 2017a: 116. Vgl. Kleine-Doepke 2014: 5. Vgl. Voß 2017a: 116f. Ebd.: 117.

4. Wiederkehrende Motive

Stephan J. Kramer, der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, nennt in seiner Stellungnahme zur Anhörung des Rechtsausschusses im November 2012 keine Zahlen zu Beschneidungen von jüdischen Jungen in Deutschland.830 Auch die Urologin und Mohelet Antje Yael Deusel betont, dass Zahlen schwer ermittelbar seien.831 Der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) geht in seiner Stellungnahme zur Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages im November 2012 davon aus, dass in Deutschland jährlich 46.000 Beschneidungen in muslimischen Kontexten stattfinden.832 Unklar ist jedoch zum einen, woher diese Zahl stammt, und zum anderen, ob darunter nur Vorhautbeschneidungen gefasst sind, die aus kulturell-religiösen Gründen durchgeführt werden. Unabhängig davon berichtet Aiman A. Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, dass in Deutschland insgesamt über 90 Prozent der geborenen muslimischen Jungen beschnitten werden, davon circa 90 Prozent von niedergelassenen Ärzten/Ärztinnen und 10 Prozent in Krankenhäusern.833 Die Vehemenz der Äußerungen von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen ist vor dem Hintergrund, dass überhaupt keine Zahlen über Vorhautbeschneidungen bei jüdischen Säuglingen in Deutschland existieren, bedeutsam. Zeigt sie doch, wie wenig sich die untersuchten Akteure/Akteurinnen auf konkrete Daten beziehen und stattdessen affektgeleitet sind. 4.2.

Gesetz- und Rechtlosigkeit. Die Vorhautbeschneidung als »Rechtsverstoß«, »Rechtsbeseitigung« und »Verbrechen«834

In der Kontroverse waren sich Befürwortende wie Gegner/Gegnerinnen einer kulturell-religiösen Vorhautbeschneidung in einem Punkt einig: Bei der Praxis der Vorhautbeschneidung werden unterschiedliche Grundrechte gegeneinander abgewogen und miteinander vermittelt. In Tageszeitungen ____________________ 830 831 832 833 834

Vgl. Kramer 2012b. Deusel zit. n. Kleine-Doepke 2014: 112f. Vgl. Mazyek 2012: 1. Vgl. ebd.: 2. Einzelne Textpassagen aus 4.2. Gesetz- und Rechtlosigkeit werden im Wortlaut in einem Sammelband im Herbst 2018 erscheinen (vgl. Ionescu 2018). Die hier einbezogenen Interviewpassagen wurden in dem Beitrag nicht verwendet.

175

4. Wiederkehrende Motive

wurde vor allem die Frage diskutiert, welches Recht »schwerer [wiegt]«835 oder höher stehe, so als gebe es eine eindeutige Hierarchie zwischen den Grundrechten: das Grundrecht eines Kindes auf körperliche Unversehrtheit oder die Freiheit der Religionsausübung der Eltern und ihr Sorgerecht.836 Die Antworten fielen unterschiedlich aus, wenngleich Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen ausnahmslos zugunsten des Rechts der Söhne entschieden.837 Sie argumentierten, wenn man die Rechte falsch abwäge und zugunsten der Grundrechte der Eltern entscheide, sei dies ein Rechtsverstoß gegenüber dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit des Sohnes. Die Vorhautbeschneidung sei nicht mit Artikel 2, Absatz II des Grundgesetzes vereinbar und würde dieses aushebeln. In der Perspektive der Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen wahrten jüdische und muslimische Eltern das Recht ihrer Söhne nicht. Sie hätten zudem kein Recht, die Vorhautbeschneidung bei ihren Söhnen zu veranlassen (weder aufgrund der Religionsausübungsfreiheit aus Artikel 4, Absatz I und II des Grundgesetzes noch über das elterliche Sorgerecht aus Artikel 6, Absatz II des Grundgesetzes). Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen unterstellten, jüdische und muslimische Eltern würden das Grundrecht nicht anerkennen oder infrage stellen. Fassen wir die Äußerungen von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen allgemeiner, lassen sie sich zu dem Motiv zusammenfügen, die Vorhautbeschneidung stehe im Widerspruch zu deutschem Gesetz und internationalem Recht. Das Motiv umfasst den Vorwurf, Juden und Muslime beziehungsweise religiöse Gruppen rechtfertigten ihre religiösen Praktiken im Widerspruch zu säkularem Recht und Rationalität. Juden und Muslime bezögen sich auf Gott, auf Religion und das Religiöse, was Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen als gesellschaftlich und politisch Überflüssiges und Rückständiges auffassen.838 Besonders sind die rhetorischen ____________________ 835 836 837

838

176

Musharbash 2012. Vgl. ebd.; vgl. Pilz 2012a. Auch Politiker/Politikerinnen und Journalisten/Journalistinnen, die der Vorhautbeschneidung neutral gegenüberstehen oder sie befürworten, argumentieren mit den drei Grundrechten, die in Ausgleich gebracht werden müssten. Eine Abwägung zwischen gleichrangigen und gleichwertigen Grundrechten sei ein herausforderungsvolles Unterfangen, das einer differenzierten Betrachtung bedürfe (vgl. Künast/Beck 2012; Greven 2012; Müller 2012). Vgl. Rau 2014: 36.

4. Wiederkehrende Motive

Zuspitzungen und Vereinfachungen durch Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen, die eine simple und eindimensionale Antwort auf komplexe und umstrittene juristische Fragestellungen geben, auffällig. Sie verkürzen und vereinfachen einen komplexen verfassungsrechtlichen Diskurs. Denn es geht »in der Beschneidungsfrage nicht um ‚irgendwie‘ miteinander kollidierende Grundrechte«, sondern um eine verfassungsdogmatisch angemessene Zuordnung von Freiheitsrechten der Individuen und um eine staatliche Schutzpflicht nach den Regeln der Verhältnismäßigkeit, Rationalität und Vorhersehbarkeit.839 Die einzelnen Grundrechtspositionen – der im Konfliktfall Beteiligten – sind miteinander zu vermitteln und auszugleichen, kein Grundrecht kann ein anderes »prinzipiell außer Kraft setzen«840. In der verfassungsrechtlichen Verankerung der Religionsfreiheit darf es »niemals auf eine Alternative […] Grundrechte versus Religionsfreiheit oder Religionsfreiheit versus Grundrechte zulaufen«.841 In der Rede der SPD-Abgeordneten Katja Dörner vom 22. November 2012 im Deutschen Bundestag kommentiert diese den Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Vorhautbeschneidung. Sie erläutert, warum sie mit anderen Parlamentariern/Parlamentarierinnen von den Grünen, der SPD und der Linkspartei einen alternativen Gesetzentwurf zur Beratung einbringt. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung bringe die grundgesetzlich geschützten Rechtsgüter des Kindeswohls, der körperlichen Unversehrtheit, der Religionsfreiheit und des Rechts der Eltern auf Erziehung nicht in Einklang. Unter Beifall von weiteren Abgeordneten der drei Parteien trägt sie vor: »Diesem Anspruch wird der Gesetzentwurf aus unserer Sicht nicht gerecht. Er wird dem Anspruch nicht gerecht, weil die Rechte des Jungen, sein Recht auf körperliche Unversehrtheit, unzureichend berücksichtigt werden.«842

____________________ 839 840 841 842

Heinig 2012b; vgl. Germann 2012: 83f.; vgl. Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher 2015: 80f.; vgl. Krings 2012b: 25444; vgl. Thomae 2012: 25448. Rose 2014: 91. Ebd. Für weitere Ausführungen zur juristischen Kritik an den Argumentationen von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen siehe 3.3.5. Kritische Reaktionen innerhalb der Rechtswissenschaft. Dörner 2012: 25453.

177

4. Wiederkehrende Motive

Auch im weiteren Verlauf ihrer Rede sagt Dörner, die körperliche Unversehrtheit des Jungen dürfe »nicht zur Disposition gestellt« werden, weswegen sie konsequent dafür argumentiert, der Junge dürfe erst beschnitten werden, wenn er selbst einer Vorhautbeschneidung zustimmen könnte.843 Während die Formulierung »unzureichend berücksichtigt« relativ vorsichtig ausfällt, stellt der Strafrechtler Rolf Dietrich Herzberg in seinem Gastkommentar Das richtige Urteil! in der Wochenzeitung DIE ZEIT die Rechte »des Kindes« gegen die Rechte der Eltern. Er argumentiert, es gebe keine Garantie, dass die Entscheidung der Eltern für eine Vorhautbeschneidung dem Interesse des Sohnes entspreche. Durch die Vorhautbeschneidung, die er als »Vorhautamputation« bezeichnet, werde das Grundrecht des Sohnes auf körperliche Unversehrtheit relativiert und missachtet, weswegen der deutsche Staat die Vorhautbeschneidung als gegen das Wohl des Sohnes gerichtete Körperverletzung einstufen müsse.844 Gegen die Argumentation Herzbergs ist kritisch einzuwenden, dass die Rechte des Sohnes durch die Eltern verwirklicht werden und dass »Eltern ihre Kinder bei der Wahrnehmung ihrer Rechte aktiv anleiten«.845 Es gibt kein Grundrecht auf den Schutz vor religiöser Prägung, wie etwa Heiner Bielefeldt betont, da sich die negative Religionsfreiheit besonders gegen den Staat und nicht gegen die religiösen Eltern richtet.846 Und auch Beschnittene können sich auf ihre negative Religionsfreiheit berufen und sich als Heranwachsende vom Judentum und dem Islam abwenden. Wichtig ist Herzberg und den anderen Gegnern/Gegnerinnen der Vorhautbeschneidung, »dass man Grundrechte respektiere und Gesetzen gehorche«.847 Mit dieser Formulierung verdeutlicht Herzberg eine zentrale Annahme: Den Befürwortenden der Vorhautbeschneidung ginge es nicht oder zumindest weniger als Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen

____________________ 843 844 845 846 847

178

Ebd.: 25454. Vgl. Herzberg 2012a. Bielefeldt 2012a: 68; vgl. Germann 2012: 89. Vgl. Bielefeldt 2012a: 68. Ebd., Herv. D. I.

4. Wiederkehrende Motive

um Grundrechte und Gesetze.848 Dabei bleiben die von ihm benannten Befürwortenden – mit Ausnahme des Philosophen und Katholiken Rafael Seligmann – als Subjekte weitgehend schemenhaft, da er nicht explizit Juden/Jüdinnen und Muslime/Muslimas als Befürwortende benennt. Dennoch konstruiert er aber jüdische und muslimische Eltern, die ihre Söhne beschneiden lassen, implizit zu einer Gruppe, die das Grundrecht weniger oder nicht »respektiere« und auch Gesetzen weniger oder nicht »gehorche«. Deutlich resümiert Herzberg am Ende des Artikels, das Grundgesetz lege »verbindlich für uns alle, die wir in Deutschland leben«, das Recht auf körperliche Unversehrtheit fest.849 Unter der körperlichen Unversehrtheit im Sinne des Artikels 2, Absatz II des Grundgesetzes wird die biologisch-physiologische und die psychische Gesundheit verstanden.850 Als Eingriffe in das Grundrecht gelten »Menschenversuche, Zwangskastration, Zwangssterilisation und medizinische Zwangsbehandlung […], körperliche Strafen und Züchtigungen« sowie ein »Impfzwang«.851 Die Vorhautbeschneidung, die Herzberg wie selbstverständlich als Eingriff in das Grundrecht nennt, fällt gerade nicht unbestreitbar darunter. Zur Entstehungsgeschichte des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit ist anzumerken, dass es eine Reaktion auf die nationalsozialistischen Verbrechen darstellt und »keine Vorläufer in der deutschen Verfassungsgeschichte« hat. Es ist wesentlich als Abwehrrecht gegen den Staat konzeptualisiert, wobei das Bundesverfassungsgericht aus ihm auch eine Pflicht zum Schutz des Lebens ableitet.852 Ähnlich wie Herzberg argumentiert die Redakteurin Heide Oestreich in ihrem Artikel Männer kennen keinen Schmerz in der taz. Auch sie imaginiert im Ergebnis eine religiöse Gruppe, die die Rechte des Sohnes nicht

____________________ 848

849 850 851 852

In dem wissenschaftlichen Beitrag Die Beschneidung gesetzlich gestatten? argumentiert Herzberg ebenfalls, die Religionsausübung dürfe nur »in den Grenzen der Gesetze!« ausgeübt werden, wobei die Beschneidung diese Grenzen überschreite (Herzberg 2012b: 499). Ebd., Herv. D. I. Die Kommentare, die sich an Herzbergs Gastkommentar in ZEIT online anschließen, wiederholen zustimmend, dass Juden und Muslime rechtswidrig handeln. Vgl. Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher 2015: 106. Ebd.: 107. Ebd.: 105.

179

4. Wiederkehrende Motive

wahre. Sie betont, dass nicht nur unterschiedliche Grundrechte gegeneinanderstehen, sondern »religiöse Minderheiten in Deutschland« (sie meint Juden und Muslime gleichermaßen) mit der Vorhautbeschneidung sogar »ein fundamentales Menschenrecht [negieren]«.853 Der Journalist und Autor Tilman Jens schreibt in seiner Monografie Der Sündenfall des Rechtsstaats in einer vergleichbaren Formulierung, dass Juden und Muslime mit der Vorhautbeschneidung »fortan ganz legal das Recht auf körperliche Unversehrtheit brechen dürfen«.854 Ebenso argumentiert der Redakteur und Autor Markus C. Schulte von Drach in dem Artikel Fragwürdige Beschneidung der Religionsfreiheit in der SZ. In Deutschland und in der Europäischen Union herrsche das Grundrecht respektive Menschenrecht der körperlichen Unversehrtheit. Der sich direkt anschließende Satz »[d]ie meisten Menschen in diesem Land werden kaum widersprechen«855 verweist darauf, wer dem Verfasser zufolge diesem nationalen und internationalen Konsens entgegensteht: es sind die jüdischen (und muslimischen) Eltern, die ihre Söhne beschneiden lassen. Er benennt sie jedoch nicht explizit, sondern überlässt diese Folgerung – wie auch Herzberg – den Lesenden selbst. Weiter fordert er, für »Kinder« müsse »dieses Grundrecht uneingeschränkt gelten«.856 Schulte von Drach argumentiert, dass in Deutschland nicht nur das Recht auf körperliche Unversehrtheit, sondern auch die Religionsfreiheit gelte. Das bedeute, »Menschen können ihrem Glauben anhängen und religiöse Rituale ausführen, ohne Sanktionen befürchten zu müssen.«857 Der sich anschließende Nebensatz »[z]umindest, solange sie dabei nicht gegen Gesetze verstoßen« ist wiederum suggestiv, da er impliziert, dass jüdische (und muslimische) Eltern, die ihre Söhne beschneiden lassen, einen Gesetzesverstoß begehen.858 Zwar bestimmt Schulte von Drach die Religionszugehörigkeit ____________________ 853

854 855 856 857 858

180

Oestreich 2012. Auch in Kommentaren zu Oestreich begrüßen Lesende, dass »[e]ndlich […] der Schutz von Kindern vor grausame religiöse Traditionen gestellt [wird]« (Sack 2012). Bereits in der strikten Gegenüberstellung von Recht (Schutz von Kindern) und Tradition klingt die Vorstellung an, die Vorhautbeschneidung sei mit Recht nicht vereinbar. Jens 2013: 34. Schulte von Drach 2012a. Ebd. Ebd. Ebd., Herv. D. I.

4. Wiederkehrende Motive

der Eltern auch an dieser Stelle nicht näher, sondern überlässt die Schlussfolgerung den Lesenden. Dass er aber jüdische (und muslimische) Eltern meint, wird nicht nur anhand der Artikelüberschrift verdeutlicht, sondern auch an der Formulierung, »Eltern [zwingen] ihr Kind zu einem schmerzhaften Gottes-Opfer, bevor es sich dagegen wehren kann«859. Auch die Gegenüberstellung der Bedürfnisse und Interessen von Eltern und Söhnen bestärkt diese Lesart des Textes. Auf der einen Seite steht also, Schulte von Drach zufolge, das Bedürfnis des Sohnes, unverletzt zu bleiben, auf der anderen Seite das Interesse der jüdischen (und muslimischen) Eltern, beschneiden zu lassen. Den Umstand, dass die meisten – aus kulturell-religiösen Gründen – beschnittenen Männer ihre eigenen Söhne später beschneiden lassen und damit ihre Bindung zum Judentum und Islam erneut bestätigen, lässt Schulte von Drach unberücksichtigt.860 Auch die Frage, inwiefern die Interessen des Sohnes tatsächlich der Entscheidung der Eltern entgegenstehen, stellt er nicht. Teil der Argumentation ist auch eine kontrastierende Beschreibung der Taufe oder einer hierzulande praktizierten religiösen Erziehung an Schulen. Diese christlichen Praktiken weist Schulte von Drach im Vergleich zur Vorhautbeschneidung als unproblematisch, weil harmlos, aus. Sie hinterließen keine »frühkindliche[n] Traumata« und keine körperliche Veränderung.861 Die Vorhautbeschneidung konzeptualisiert Schulte von Drach im Gegensatz dazu als religiöse Verletzung, die nicht gerechtfertigt sei.862 Mit der Formulierung, die Vorhautbeschneidung sei »4000 Jahre alt« und stamme »aus einer Gesellschaft, die mit unserer nicht zu vergleichen ist« und »in der zu leben sich wohl die wenigsten von uns wünschen«863, verdeutlicht Schulte von Drach, dass er besonders jüdische Eltern im Blick hat, wenn er eine Vorhautbeschneidung als inhuman, unzivilisiert und rückständig verurteilt. Durch die Formulierung »mit unserer nicht zu vergleichen« und »die ____________________ 859 860 861 862

863

Ebd. Vgl. Heimann-Jelinek/Kugelmann 2014: 19ff. Schulte von Drach 2012a. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen die Vorhautbeschneidung zu einer traumatisierenden und den Körper schädigenden Praxis erheben müssen, da ihnen ansonsten die Rechtfertigung fehlt, den Staat anzurufen (Forderung eines Verbotes). Aus diesem Grund ist auch der Verweis auf die Kindeswohlgefährdung relevant. Schulte von Drach 2012a.

181

4. Wiederkehrende Motive

wenigsten von uns« markiert er Juden, die ihre Säuglinge beschneiden lassen – ohne diese explizit zu nennen – als eine Gruppe, die kein Teil des von ihm skizzierten Kollektivs sein kann. Insbesondere dieser Artikel zeigt, wie eine scheinbar säkulare Argumentation – die sich gegen jüdische und muslimische Eltern gleichermaßen richtet – eine antisemitische Lesart ermöglicht und anbietet. Das Motiv, die Vorhautbeschneidung stehe im Widerspruch zu deutschem Gesetz und internationalem Recht, findet sich darüber hinausgehend in einer etwas anderen Variation.864 In dieser heißt es nicht nur, dass die Rechte des Sohnes »missachtet« und »negiert« werden, sondern auch, dass sich die religiösen Eltern im Gegensatz zu ihren Söhnen auf gar kein Grundrecht berufen könnten, da sie als kollektiv und nicht als Individuen zu fassen seien. Exemplarisch hierfür ist der Artikel Das Wohl des Kindes des Journalisten und Autors Jürgen Kaube in der FAZ. Er argumentiert, es gebe kein kollektives Recht auf religiöse Selbstbestimmung, wie es der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland oder die Islamische Gemeinschaft Millî Görüş865 behaupten, sondern nur Individualrechte, die vor Gericht verhandelt werden könnten. Kaube führt aus, dass dazu die körperliche Unversehrtheit, »das Recht auf Religionsfreiheit der einzelnen Person« sowie das Recht der Eltern, »für ihre Kinder« bestimmte und »nicht alle« Entscheidungen zu treffen, gehören.866 Im weiteren Verlauf des Artikels versucht sich Kaube der Frage anzunähern, worin medizinisch und religiös betrachtet das Wohl des Kindes liegt. Er stellt fest, dass die Zugehörigkeit zum Judentum und Islam nicht von der Vorhautbeschneidung abhinge und fragt daher,

____________________ 864 865

866

182

Vgl. Ionescu 2018. Die deutsche Millî Görüş-Bewegung formierte sich in den 1970er Jahren und verfolgte eine anti-säkulare, islamistische und antiwestliche Programmatik. Ihre Anhänger/Anhängerinnen sind, dem Politikwissenschaftler Lino Klevesath zufolge, dem türkisch-muslimischen Milieu zuzurechnen. Die Organisation habe sich seit den 2000er Jahren reformiert und könne mittlerweile »nicht mehr zum Lager des radikalen Islam gezählt werden« (Klevesath 2017: 43), was jedoch kontrovers diskutiert wird. Als Anlaufstelle für Muslime/Muslimas hat sie nach wie vor eine große Relevanz. Kaube 2012.

4. Wiederkehrende Motive

was dagegen spreche, »dass die Religion nachgibt, wenn ein hohes Rechtsgut dadurch geschützt würde«.867 In seiner Sichtweise handeln die religiösen Eltern, die ihre Söhne beschneiden lassen, gesetzeswidrig. Er stellt es so dar, als fehle den Eltern das Grundrecht, die Vorhautbeschneidung ihrer Söhne zu veranlassen, und als stütze sich ihre Entscheidung ausschließlich auf die »Gepflogenheiten einer Religionsgemeinschaft«, auf »Tradition« und »Bräuche«.868 Kaubes strikte Gegenüberstellung von Recht und Tradition verweist auf die Vorstellung, die Vorhautbeschneidung sei mit dem Recht nicht vereinbar. Bestärkt wird dies, weil Kaube jüdische und muslimische Eltern als Kollektiv ohne Recht und nicht als Einzelpersonen mit Recht denkt. Auch der Redakteur und Philosoph Thomas Gutschker argumentiert in seinem in der FAZ erschienenen Artikel Kinderschutz in diese Richtung – wobei er besonders auf Juden abhebt, wie der Verweis auf die Europäische Rabbinerkonferenz und auf jüdisches Leben zeigen. Er schreibt, der Staat müsse zuerst »das Recht jedes Einzelnen« vor »religiöse[n] Anliegen oder archaische[n] Traditionen« schützen.869 Indem Gutschker die kulturell-religiöse Handlung der Vorhautbeschneidung unter anderem zu einer bloßen Tradition herabsetzt, die nicht auf dem Recht der Religionsfreiheit basieren könne, enthebt er sie dem Bereich des Rechts.870 Leser/Leserinnen des Artikels greifen das Argument Gutschkers in ihren Online-Kommentaren auf und befürworten seine Rechtsabwägung. In einem Kommentar heißt es, »einzelne Religionsgemeinschaften« dürften »keine Privilegien« bekommen und »vor dem Gesetz sind alle gleich.«871 Der Leser lu fauk formuliert deutlicher, dass Eltern kein Recht hätten, ihre Söhne beschneiden zu lassen: »Und selbst, wenn er kein Trauma erlitten hat, […] dennoch gibt nichts seinen Eltern das Recht, ihm ein Stück seines Körpers entfernen zu lassen. Da gibt es eigentlich nichts zu deuteln.«872

____________________ 867 868 869 870 871 872

Ebd. Ebd. Gutschker 2012. Ebd. Ein Kommentator schreibt, dass der »Rechtsfrieden« in Deutschland nur gewahrt werden könne, wenn die Vorhautbeschneidung verboten würde (Willweber 2012). Herbheimer 2012, Schreibweise i. Orig. Fauk 2012.

183

4. Wiederkehrende Motive

Auch dieser kurze Kommentar verdeutlicht die Perspektive der Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen, Eltern besäßen kein Recht, wenngleich nicht explizit von Juden/Jüdinnen und Muslimen/Muslimas die Rede ist. Der Redakteur Georg Paul Hefty erweitert das Motiv, die Vorhautbeschneidung widerspräche Gesetz und Recht, dahingehend, dass er expandierende Begriffe für den Grundrechtskonflikt beziehungsweise die Rechtskollision verwendet. In seinem Artikel Strafbare Beschneidung erläutert Hefty, wie wichtig die rechtsstaatliche Einschränkung des Elternrechts sei. Denn »[e]ine Kultur oder eine Religion, die eine regelmäßige Körperverletzung von Minderjährigen, insbesondere von zur persönlichen Abwehr Unfähigen im Programm« habe, stehe im »Dauerkonflikt mit wesentlichen Zielen der Verfassung«.873 Zwar schreibt Hefty nicht explizit, die jüdische und muslimische Kultur oder Religion befände sich im »Dauerkonflikt«. Er nutzt unbestimmte Begriffe wie »Glaubensgemeinschaften«, »jeweilige Religionen« oder »betreffende Weltreligionen«.874 Trotzdem ist eindeutig, dass er die jüdische und muslimische »Kultur oder […] Religion« als Ganzes meint. Denn sein Lösungsvorschlag, wie der Konflikt zwischen Staat und Religionsgemeinschaft grundsätzlich aufgelöst werden könne, ist, »dass die Eltern auf die Beschneidung bis zur Volljährigkeit verzichten«. In dieser Argumentation geraten »diese beiden Weltreligionen« nicht nur mit einem Grundrecht (der körperlichen Unversehrtheit) in einen zeitlich unbegrenzten Konflikt, sondern geradewegs mit »wesentlichen Zielen der Verfassung«, also etwas viel Größerem.875 Denn die Verfassung umfasst im Gegensatz zu einem einzelnen Grundrecht/Menschenrecht die Gesamtheit der Grundsätze und die festgelegte Grundordnung der (deutschen) Gesellschaft. In einer anderen Ausformulierung lautet das Motiv, es stünden nicht nur unterschiedliche Grundrechte oder Individuen mit unterschiedlichen Interessen gegeneinander, sondern zwei Rechtssysteme. In dieser Ausformulierung verbleibt die Abwägung nicht auf der individuellen Ebene, sondern findet auf der gesellschaftlichen statt. Eine Passage aus einem Interview mit ____________________ 873 874 875

184

Hefty 2012b. Hefty 2012b. Ebd., Herv. D. I. In einem Online-Kommentar auf Heftys Artikel schreibt ein Leser, Juden und Muslime erkennen »unser« Gesetz und Recht nicht an und würden sich nicht daran halten.

4. Wiederkehrende Motive

einem Beschneidungsgegner zeigt dies aufschlussreich. Der Urologe V. A. argumentiert, alle Menschen müssten sich an das deutsche Grundgesetz und deutsche Rechtsvorschriften halten, und kommt anschließend darauf zu sprechen, dass nicht jeder sein Rechtssystem nach Deutschland bringen könne: »A: […] alle, die sich in Deutschland aufhalten (-), egal, ob Asylsuchende, Einwohner, Bürgerinnen, Bürger wie auch immer, haben sich nach dem deutschen Recht zu richten. F:

Mhm

A:

Das deutsche Recht ist Grundgesetz und (sämtliche) Rechtsvorschriften sind unverhandelbar und können auch nicht durch Religionsgemeinschaften ausgehebelt werden, das ist so. Wenn ich nach Israel komme, dann lebe ich in der Zeit, wo ich da bin, nach den israelischen geltenden Rechten.

F:

Mhm

A:

Das ist so. Das muss so sein. Wenn jeder aus seinem Heimatland sein Rechtssystem mitbringt nach Deutschland, äh, dann ist das nicht machbar, weil dann alle zwischenmenschlichen Werte auf dem Kopf stehen, das heißt, es ist völlig selbstverständlich, dass wir, egal wohin wir in die Welt reisen (-), uns in der Zeit, in dem Gastland oder beim Gastgeber nach dessen rechtlichen Vorschriften richten.

F:

Mhm

A:

Völlig unstrittig und das gilt genauso für die Juden in Deutschland, für die Muslime in Deutschland, wie umgekehrt (-) für die Deutschen in (-) Israel, für die Deutschen in äh Palästina oder wo auch immer wir sind, und wenn wir das nicht als gemeinsamen Wertekanon akzeptieren, dann können wir auch nicht reden miteinander.

F:

Mhm

A:

Das geht nicht.«876

Hervorzuheben ist die Assoziationskette V. A.s, die im Zusammenhang mit dem in Deutschland herrschenden Recht einsetzt. In einem Land herrschen Rechtsvorschriften oder ein bestimmtes Rechtssystem und alle auf dem Staatsterritorium lebenden beziehungsweise sich aufhaltenden Menschen müssen sich daran halten. Vom deutschen Rechtssystem gelangt V. A. zum israelischen und betont, dass sich auch dort alle Menschen dem geltenden Recht unterwerfen müssten. Die Frage ist, warum er als zweites Beispiel ausgerechnet Israel wählt. Es geht vermutlich um genau dieses Land, weil ____________________ 876

V.A. 2014: Z. 433–454, Herv. D. I.

185

4. Wiederkehrende Motive

Israel im allgemeinen Sprachgebrauch als der Staat der Juden angesehen wird, im Gegensatz zu anderen Staaten, in denen Juden/Jüdinnen tatsächlich geboren wurden, sich aufhalten und leben. Er vollzieht also eine Gleichsetzung von Juden mit Israel, die gesellschaftlich sehr weit verbreitet ist.877 Die Gleichsetzung suggeriert, deutsche Juden seien Israelis, obwohl sie Deutsche sind. Bemerkenswert sind auch die Verweise V. A.s auf das »Heimatland«, das »Gastland« beziehungsweise auf das Reisen, durch die er seine Perspektive bestärkt, dass Juden/Jüdinnen und auch Muslime/Muslimas – die er in diesen Ausführungen das erste Mal nennt – nur vorübergehend in Deutschland leben würden oder hier nicht herkommen könnten.878 Auf diese Weise grenzt er sie aus der christlich-deutschen Gesellschaft aus, da er sie als Fremde und Nicht-Deutsche konzeptualisiert. Auch an anderer Stelle des Interviews betont V. A., jüdische Eltern fügten ihren Säuglingen einen vermeidbaren Schmerz und ein »traumatisierendes Erlebnis« zu: »A: Das ist etwas, was menschenunwürdig ist, einem Kind gegenüber solche Schmerzen zuzumuten (-), die traumatisch wirken, auch seelisch traumatisch. Man soll nicht denken dass ein Säugling unter sechs Monaten keine Gefühle hat und dass das, dass der kein Schmerzgedächtnis hat. […] Das heißt (-), die Würde, die körperliche Unversehrtheit des Säuglings steht bei mir (-) unverrückbar an erster Stelle. A:

Ja

F:

Hat sich jeder religiösen Einstellung der Eltern, denn Sie müssen mal eins sehen, (-) ein=ein Mensch, der seinen Jungen als Säugling beschneiden lässt, der lebt ja seine eigene Religion, und nicht die des Kindes

F:

Mhm

A:

Das muss man ja auch sehen, der lebt seine eigene Religion, an seinem Kind, oder durch sein Kind aus (-) und das ist etwas, was aus meiner Sicht völlig unzulässig ist. Also ich bin ein gläubiger Mensch, ich bin Christ, aber das ist für mich ein Werte(-)system und nicht ein Ritual. Also meine Gläubigkeit, oder mein Glauben, fußt nicht auf einem Ritus, sondern fußt auf Christ- auf-auf gemeinsamen Werten

F:

Ja

A:

So auf christlichen Werten. (Das) sind für mich die zehn Gebote und ist für mich das Grundgesetz. Das sind beides wunderbare Systeme, auf denen ich

____________________ 877 878

186

Vgl. Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 115ff. Vgl. Salzborn 2010: 316.

4. Wiederkehrende Motive auf deren Plattform ich auf der ganzen Welt leben kann, ohne mit anderen in Unfrieden zu geraten. Wenn man sich das mal durchliest, das dauert nicht lange, das sind einmal F:

Mhm

A:

Zehn Minuten und einmal sind es fünfzehn Minuten, wenn man die Zeit aufwendet, das sind beides ganz wunderbare Wertesysteme und das ist mein Wertesystem und damit kollidiert eine Säuglingsbeschneidung eines ungefragten (-), nicht einwilligungsfähigen Kindes frontal. Das geht nicht.«879

In der Interviewpassage vollzieht V. A. zunächst eine Trennung zwischen Christen und Juden, indem er zwischen einem Wertesystem und einem Ritual unterscheidet, das für die jeweilige Religion bestimmend sei. Juden würden mit der Vorhautbeschneidung im Widerspruch zum christlichen Wertesystem stehen (»kollidiert«) und beides ließe sich nicht miteinander vereinbaren. Das Judentum bringt er so mit etwas Menschenunwürdigem und Unfriedlichem in Verbindung, wodurch es »als negativer Bezugspunkt für die christliche Selbstbeschreibung« dient.880 Der Finanzrichter L. A. erklärt in einem anderen Interview, es gebe »manche Religionen«, die nicht nur ihre Söhne beschneiden lassen, sondern auch Gewalt und Gewaltanwendung im Weltbild haben (im Gegensatz dazu stehen Karten legen und Bibel lesen und beten). Auf die Frage, ob er ein konkretes Beispiel nennen könne, erklärt er, »kriminelle Vereinigungen« stellten sich gegen das Recht und die Grundrechte: »F: Ja genau, das danach wollte ich jetzt noch fragen, weil Sie gesagt hatten, dass ehm einige Religionen Gewalt im Weltbild haben, ob Sie da ‘n Beispiel nennen können A:

Ja, ich finde ehm also ich meine. Wir wissen ja, was gerade abgeht nich‘. Da werden viele Menschen in den Tod getrieben, weil sie dieser (-) oder dieser Religion nicht folgen wollen, das ist natürlich alles kriminell, das sind kriminelle Vereinigungen in meinen Augen.

F:

Mhm

A:

Da muss man einfach gegen halten und sagen, da machen wir den Spaß nicht mehr mit (-) und eh da ist Religionsfreiheit der Begriff völlig überinterpretiert und missbraucht. Das ist ein Missbrauch, da wird einfach ‘ne Fahne hochgespannt nach dem Motto, wir dürfen alles, Religionsfreiheit, und dann werden Leute umgebracht, das passt nicht zueinander ne.

____________________ 879 880

V. A. 2014: Z. 501–537, Herv. D. I. Erb 2002: 64.

187

4. Wiederkehrende Motive F:

Mhm

A:

Also die Menschenrechte (-) und dazu gehört vor allen Dingen das Recht auf Leben, und das Recht auf körperliche Unversehrtheit steht über allem. Das steht absolut über allem, das Menschenwürde Artikel eins Artikel zwei dafür eh haben sehr viele (1) eh Väter und Mütter unseres Grundgesetzes zusammengesessen, um das naturrechtliche über Jahrtausend gewachsene naturrechtliche vernünftige Zusammenleben der Menschen, ehm mal niederzuschreiben. Manche sagen das die Verfassung wäre das geschriebene Naturrecht, und damit hat man aber auch dann die Freiheitsrechte, die daneben existieren, dazu zähle ich auch die Religionsfreiheit, natürlich abgestuft aufeinander

F:

Mhm (1)

A:

Eh also hintereinander geschrieben nich‘ und dann muss man eben eh dann, wenn mehrere Grundrechte bestehen, Recht auf Leben, Recht auf körperliche Unversehrtheit eh Menschenwürde und Recht auf Religionsfreiheit, da muss man eben abwägen können.=Und muss man eh (-) wissen als Jurist aber nicht nur als Jurist, sondern auch als Mensch (…) was ist wichtiger und da sag ich die körperliche Unversehrtheit steht über allem.«881

In dieser Interviewpassage kritisiert L. A., die Religionsfreiheit werde für verschiedenste Zwecke missbraucht und die religiösen Akteure/Akteurinnen nähmen sich heraus, »alles zu dürfen«. Ein Missbrauch der Religion sei etwa die Vorhautbeschneidung, ein anderer das Töten von Menschen, die dem Glauben – der an dieser Stelle nicht näher konkretisiert wird – nicht folgen wollen. L. A. bringt den Vorwurf des Rechtsbruchs diffus mit gewalttätigen Gruppen (islamistischen Terrorgruppen) in Verbindung, womit er auf Muslime verweist. Auf diese Weise hebt er das Motiv auf eine andere Ebene, da er »die Körperverletzung« der Vorhautbeschneidung mit der generellen »Gewaltanwendung« von »manche[n] Religionen« vermischt. In einer abgewandelten Sprechweise findet sich das Motiv, die Vorhautbeschneidung stehe im Widerspruch zu deutschem Gesetz und internationalem Recht, auch im offenen Brief des Arztes und Psychoanalytikers Matthias Franz, den die FAZ am 21. Juli 2012 veröffentlichte.882 Er erschien in der Onlineausgabe unter dem Titel Religionsfreiheit kann kein Freibrief

____________________ 881 882

188

L. A. 2014: Z. 519–547. Vgl. Ionescu 2018.

4. Wiederkehrende Motive

für Gewalt sein und wurde von mehr als 740 Personen, darunter Ärzte/Ärztinnen, Juristen/Juristinnen und Psychologen/Psychologinnen, unterschrieben, von denen weit mehr als die Hälfte promoviert ist. Er kann als Akt der politischen Partizipation bewertet werden, da Franz und die Unterschreibenden ihrem Anspruch zufolge den Gesetzgebungsprozess zu Vorhautbeschneidungen zu beeinflussen versuchen.883 Der Brief ist explizit an die Bundesregierung adressiert und implizit an die deutsche Öffentlichkeit gerichtet, die ebenfalls dazu aufgefordert wird, sich zu Vorhautbeschneidungen zu positionieren und sie abzulehnen. Er war Bestandteil einer Kampagne, die primär das Ziel hatte, politische Mehrheiten zu schaffen, weswegen eine intellektuelle und rhetorische Komplexitätsreduktion stattfand. In dem Brief heißt es: »Kernpunkt ist die Abwägung der Grundrechte auf Religionsfreiheit von Erwachsenen mit dem Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit […] sowie die Achtung seiner Würde. In diesem Zusammenhang kann die Religionsfreiheit kein Freibrief zur Anwendung von (sexueller) Gewalt gegenüber nicht einwilligungsfähigen Jungen sein.«884

Besonders die Formulierung »Religionsfreiheit kann […] kein Freibrief« sein, die Franz auch in Interviews gebrauchte, ist irritierend.885 Etymologisch bezeichnete ein »Freibrief« eine Freilassungsurkunde oder Berechtigungsurkunde.886 Im übertragenen Sinne bedeutet die Formulierung, dass sich jemand nicht mit der Erlaubnis ausstatten dürfe, »nach Willkür zu handeln«.887 Franz und seine Mitunterzeichnenden unterstellen, dass die Religionsfreiheit von bestimmten Personen oder einer Gruppe in einer instrumentellen Weise als »Freibrief« gebraucht werde, um sich einen rechtsfreien Raum zu eröffnen und um staatliches Recht zu umgehen. Auch wenn im offenen Brief die Personen, die den Freibrief nutzen, nicht näher bestimmt sind, legt Franz nahe, dass es jüdische Eltern sind, die an Vorhautbeschneidungen festhalten. Dies wird dadurch deutlich, dass er besonders ____________________ 883 884 885 886 887

Vgl. Decker/Lewandowsky/Solar 2013: 85f.; Hadjar/Becker 2007: 413ff. Franz 2012a, Herv. D. I. Vgl. Franz 2012b. Vgl. Pierer 1858: 669; Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon 1839: 104; Meyers Großes Konversations-Lexikon 1907: 55; Deutsches Rechtswörterbuch o.J. Seebold 1999: 284.

189

4. Wiederkehrende Motive

Juden kritisiert, die mit »assoziativem Verweis auf den Holocaust« dafür einträten, dass Vorhautbeschneidungen nicht verboten werden.888 Mit dem Moment der Willkür, das mit der Metapher des Freibriefes verbunden ist, suggeriert Franz, dass Juden eigenmächtig, außergesetzlich und außer der Reihe handelten.889 Verstärkt wird die Differenzmarkierung durch eine spätere Passage, in der es heißt, dass die Vorhautbeschneidung mit dem Recht auf Religionsausübung »nicht widerspruchsfrei« begründet werden könne und es seit 300 Jahren keinen Widerspruch gegen die Entwicklung der Kinderrechte gegeben habe.890 Die Praxis der Vorhautbeschneidung konzeptualisiert Franz im offenen Brief als Gewalt und abweichendes Verhalten. Zugespitzt formuliert legt der offene Brief nahe, Juden (und Muslime), die ihre Söhne beschneiden, würden sich mit ihrer Religion weder an rechtsstaatliche Normen in Form des Grundgesetzes noch an international geteilte Werte halten. Das Motiv, die Vorhautbeschneidung stehe im Widerspruch zu deutschem Gesetz und internationalem Recht, fand sich in Artikeln in DIE ZEIT, in der SZ, der FAZ, der FR und der taz. Es kam aber auch zahlreich in OnlineKommentaren und auf Internetblogs wie etwa Zwangsbeschneidung.de vor. Dort heißt es, die Vorhautbeschneidung weiche vom Grundgesetz beziehungsweise der deutschen Verfassung ab und sei mit ihr nicht vereinbar.891 Positiv wird sich auf Zwangsbeschneidung.de auf den SPD-Abgeordneten Rolf Schwanitz bezogen, der am 12. Dezember 2012 im Bundestag eine Erklärung zur Abstimmung des Gesetzes abgegeben hatte. In dieser begreift Schwanitz den zur Abstimmung stehenden Gesetzentwurf, der eine Vor-

____________________ 888 889

890 891

190

Franz 2012a. Zu der antisemitischen Konstruktion der jüdischen Unversöhnlichkeit und Rachsucht siehe 4.6. Die »Lektion aus der Nazizeit«. In seinem Gastkommentar Ritual, Trauma, Kindeswohl in der FAZ nennt Franz Judentum und Islam an drei Textstellen in einem Atemzug, wobei er an zwei Textstellen explizit auf Vorhautbeschneidungen im Judentum abhebt. An diesen Stellen geht es um Sigmund Freud, der, obwohl er Jude war, seinen Söhnen die Vorhautbeschneidung »ersparte«, und darum, dass die Vorhautbeschneidung im Judentum ein Residuum des Sohnesopfers sei. Vgl. Franz 2012b. Zwangsbeschneidung.de 2015a.

4. Wiederkehrende Motive

hautbeschneidung legalisieren soll, als »unrichtiges Recht« und als »gesetzliches Unrecht«.892 In Anlehnung an Schwanitz steht auf Zwangsbeschneidung.de, das Recht auf Beschneidung, das im Paragraf 1631d BGB festgeschrieben werden soll, sei ein Fremdkörper im deutschen Recht. Die Interpretation geht jedoch weiter als die Schwanitz’sche, da es heißt, der Paragraf sei »die Beseitigung von Rechtssystem und Menschenwürde«.893 In dieser Anschuldigung behauptet der Verfasser, dass die Zustimmung zum Gesetzentwurf das gesamte Rechtssystem aushebeln würde, also die Gesamtheit der Gesetze, und in der Folge in Deutschland kein Recht mehr existieren würde. Aus diesem Blickwinkel kommt der Vorhautbeschneidung eine solch zentrale Stellung zu, dass von ihrer Erlaubnis beziehungsweise ihrem Verbot kausal abhängt, ob im deutschen Staat Recht herrsche oder nicht. Neben der deutschen Verfassung widerspräche die Vorhautbeschneidung, wie es auf dem Internetblog Zwangsbeschneidung.de heißt, auch den universellen Menschenrechten, also international geteilten und konsensualen Rechten.894 Doch während diejenigen, die gegen die Rechte verstoßen würden, in den Tageszeitungen größtenteils nur vage benannt werden, sind sie in Kommentaren auf diversen Internetblogs hingegen explizit jüdische »Rechtsbeseitiger« und »Verbrecher«. Auf Zwangsbeschneidung.de heißt es, »Juden [beseitigen] das Recht auf körperliche Unversehrtheit«895 und »[d]er Jude […] muss in diesem Zusammenhang nicht nur als irgendein Täter, sondern als Verbrecher, als Verbrecher gegen die Menschlichkeit wahrgenommen« und bestraft werden.896 Der Vorwurf, dass Juden, die ihre Söhne beschneiden lassen, »Verbrecher« seien, findet sich nicht nur hier, sondern auch auf weiteren Internetblogs.897

____________________ 892 893 894 895 896 897

Schwanitz 2012, Minute 170:40ff.; vgl. auch Schwanitz zit. n. Heinig 2012b. Zwangsbeschneidung.de 2015a. Vgl. ebd. Zwangsbeschneidung.de 2012b; vgl. Zwangsbeschneidung.de 2015a. Zwangsbeschneidung.de 2014a, Herv. D. I. Exemplarisch ist zum einen der Blogbeitrag auf dem viel gelesenen Sektenblog (Stamm 2016), zum anderen sind es die Foreneinträge des verschwörungsideologischen und rechten Internetblogs Der Honigmann sagt (Wittekind 2012a), des Onlinemagazins Telepolis (Bolko 2012) oder der Internetblogs atheisten.org und Evidenzbasierte Ansichten (Ahriman 2012; Stücker 2012).

191

4. Wiederkehrende Motive

Gegenwärtige Stereotype des Juden sind durchzogen von antisemitischen Bildern und Diskursen, die ideengeschichtlich betrachtet mehrere Jahrtausende zurückreichen.898 Mit dieser Perspektive lässt sich das Motiv, die Vorhautbeschneidung widerspreche deutschem Gesetz und internationalem Recht, sowie der damit verbundene Sinngehalt einordnen.899 Die Analyse der diskutierten Artikel zeigt, dass nicht alle Akteure/Akteurinnen ausschließlich Juden mit einem Verhalten in Verbindung bringen, das nicht auf Grundrechten basiere. Schulte von Drach, Gutschker und Franz beziehen sich besonders auf Juden und jüdische Eltern, Herzberg, Oestreich, Kaube und Hefty gleichermaßen auf Juden und Muslime. Das Problem an den diskutierten Artikeln der überwiegend männlichen Beschneidungsgegner ist, dass sie Juden (und Muslime), die ihre Söhne beschneiden, als Gruppe konstruieren, die mit der Vorhautbeschneidung etwas Abzulehnendes und Widerrechtliches tut. Doch geht der Vorwurf der Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen grundsätzlich fehl. Denn auf der rechtlichen Ebene war eine Vorhautbeschneidung bei Jungen vor dem Urteil des Kölner Landgerichts nicht gesetzlich geregelt. In der deutschen Rechtspraxis vor dem Urteil war weitgehend unbestritten, »dass es Eltern zustehe, eine religiöse, aber auch anders motivierte Beschneidung ihres minderjährigen Sohnes« einzuleiten.900 Seit Dezember 2012, als der Bundestag den Paragrafen 1631d BGB verabschiedete, der Vorhautbeschneidungen grundsätzlich erlaubt901, ist sie sogar explizit keine Straftat mehr. Im Paragraf steht in Absatz I: »Die Personensorge umfasst auch das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll«.902

____________________ 898 899 900 901 902

192

Vgl. Nirenberg 2015: 21. Die nun folgenden Erkenntnisse aus Kapitel 4.2. habe ich bereits in einem Beitrag, der im Herbst 2018 erscheinen wird, veröffentlicht (vgl. Ionescu 2018). Haustein 2014: 13; vgl. Nouripour 2012. Vgl. Bundesgesetzblatt 2012: 2749. Die möglichen Begründungen der Eltern für die Praxis sind im Gesetzestext des Paragrafen bewusst offengehalten, da sie dem Staat nicht offengelegt werden müssen (vgl. Engel 2013: 133). Der Zentralrat der Juden begrüßte die neu geschaffene rechtliche Regelung, der Zentralrat der Muslime hob lobend hervor,

4. Wiederkehrende Motive

Das bedeutet, jüdische und muslimische Eltern handelten und handeln legal, wenn sie eine Vorhautbeschneidung an ihren Söhnen vornehmen lassen. Lediglich zwischen dem Urteil des Kölner Landgerichts vom Mai 2012 und dem Gesetz vom Dezember 2012 herrschte eine rechtliche Unklarheit. Diese hatte zur Folge, dass zahlreiche Ärzte/Ärztinnen keine Vorhautbeschneidungen vornahmen und Juden/Jüdinnen und Muslime/Muslimas Schwierigkeiten hatten, ihre Söhne beschneiden zu lassen.903 Dieser Sachverhalt beeinflusste Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen in ihrer Argumentation jedoch nicht. Sie äußerten vehement, die Vorhautbeschneidung widerspräche Gesetzen, und konzeptualisierten Juden (und Muslime) als religiöse Gruppe, die einem Grundrecht widerspreche und die das Recht grundsätzlich infrage stelle. Die diskutierten Beiträge entwerfen Juden (und Muslime) – mit dem Fokus auf die Vorhautbeschneidung – als Gegenbild zum eigenen Kollektiv. Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen grenzen jüdische (und muslimische) Eltern als Gruppe beziehungsweise als religiöse Minderheit semantisch aus der christlichen Mehrheitsgesellschaft904 sowie der Gemeinschaft der sorgenden und empathischen Eltern aus.905 Dies ist charakteristisch für den modernen Antisemitismus, wie auch der Historiker Wolfgang Benz betont. Er unterstreicht, dass kulturelle und religiöse jüdische Praktiken und Traditionen dazu dienten, »Juden zu Fremden, zu Feinden und Schuldigen zu stempeln«.906 Diesen Befund ergänzend weisen die Linguistin Monika SchwarzFriesel und der Historiker Jehuda Reinharz darauf hin, dass durch antisemitische Sprachgebrauchsmuster eine eigene Realität gebildet werde, die Juden konzeptionell zum Gegenbild macht.907 Es sei »die jüdische Existenz an sich, die als Provokation, als Ärgernis, als Übel in der Welt empfunden« werde.908 ____________________

903 904 905 906 907 908

dass die (religiöse) Motivation der Eltern nicht überprüft wird und so keine staatliche »Gesinnungsprüfung« stattfindet (Mazyek 2012). Vgl. Ulus 2012; vgl. Gessler 2012b; vgl. Rath 2012a. Zur Problematisierung des Begriffes Mehrheitsgesellschaft siehe Öktem 2013: 1. Siehe hierzu 4.5. Religiöse Eltern als »verletzend«, »empathielos« und »grausam«. Benz 2007: 20. Siehe hierzu auch Volkov 2001: 78. Vgl. Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 57; vgl. Salzborn 2010: 326. Ebd.

193

4. Wiederkehrende Motive

Die Ausformulierung des Motivs Juden erheben sich über das Recht, die Franz formuliert, ließe sich – neben den Studien, die herausstellen, im antisemitischen Denken würden Juden zum Gegenbild/Fremden erklärt – besonders mit der Analyse des Soziologen Klaus Holz als antisemitisch einordnen. Kennzeichnend für den modernen Antisemitismus sei, so Holz, dass Antisemiten Juden zu einer homogenen Gruppe konstruieren, die aus der nationalen Ordnung der Welt herausfalle und zur »Figur des Dritten« werde.909 Juden seien »das Ambivalente, das sich der gesellschaftlichen Ordnung entzieht«.910 Seine Analyse auf die Beschneidungskontroverse angewendet könnte bedeuten, dass Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen jüdische Eltern zu einer Gruppe werden lassen, die sich mit der Vorhautbeschneidung über die rechtsstaatliche Ordnung erheben würde. Sie gehören in dieser Konzeption weder zur Gruppe der Gesetzestreuen noch zur Gruppe der Gesetzesbrecher, sondern werden, indem sie sich über Gesetze erheben, zu etwas Drittem. Sie befinden sich also über dem Recht. Darüber hinausgehend weist die Stigmatisierung der rechtsbrechenden Juden eine Nähe zum spätestens seit dem 19. Jahrhundert existierenden rassistisch-antisemitischen Stereotyp des kriminell und verbrecherisch veranlagten Juden auf. Insbesondere zu Beginn des 20. Jahrhunderts hielt es Einzug in wissenschaftliche Statistiken, aber auch in Handbücher für Juristen und Verwaltungsbeamte und floss in die Kriminalistik ein. Der Jurist Erich Wulffen schrieb 1921 von einer »spezifischen Kriminalität« der Juden und davon, dass sie in den Bereichen Industrie und Handel krimineller seien als Christen.911 Als mögliche Gründe, die hierfür verantwortlich seien, galten »die Berufsstruktur der Juden und ihre soziale Situation«, »eine Rasseveranlagung« sowie »biologisch bedingte Charaktereigenschaften«.912 Mit dem Stereotyp des rechtsbrechenden Juden wurden Juden als Gefahr für

____________________ 909 910 911

912

194

Holz 2000: 271f., 280. Ebd.: 279. Wulffen 1921: 301. Siehe hierzu auch Wassermann 1907, der in seiner Schrift die Statistiken zur Kriminalität der Juden in Vergangenheit und Gegenwart diskutiert. Im Vorwort schreibt er, dass er auch durch den Wunsch geleitet sei, »die teilweise immer noch vorhandenen Legendenbildungen […] zu zerstreuen« (Wassermann 1907). Lipphardt 2008: 128.

4. Wiederkehrende Motive

die Gesellschaft dargestellt.913 Da es sich offensichtlich um ein sehr weit verbreitetes Ressentiment handelte, sah sich das Comite zur Abwehr antisemitischer Angriffe in Berlin 1896 dazu veranlasst, eine Schrift herauszugeben. Unter dem Titel Die Kriminalität der Juden in Deutschland wollte das Comite anhand von amtlichen Quellen einem breiten Publikum aufzeigen, dass Juden/Jüdinnen im »Verhältniss zur Gesammtbevölkerung« im Deutschen Reich – und in Österreich, soweit ermittelbar – nicht durchschnittlich krimineller sind als Christen und auch nicht häufiger zu Gefängnis oder zu Geldstrafen verurteilt wurden.914 Auf diese Weise ging auch der Verein zur Abwehr des Antisemitismus im Abwehr-ABC von 1920 vor, in welchem sich ein Eintrag zur Kriminalität der Juden findet, der herausstellt, »[e]ine spezifisch jüdische Kriminalität gibt es für die Kriminalistik nicht«.915 Obwohl das Ressentiment historisch sehr wirkmächtig war, spielt es in gegenwärtigen Forschungen zu Antisemitismus kaum eine Rolle.916 Eine Ausnahme ist die quantitativ-empirische Studie des Erziehungswissenschaftlers Wassilis Kassis und der Germanistin Charlotte Schallié aus dem Jahr 2013. Sie zeigt, dass auch derzeit Teile der deutschen Bevölkerung diesem Stereotyp zustimmen, wenngleich es nicht mehr um eine kriminelle »Veranlagung«, sondern um »kriminelle Tendenzen« geht. Sie erhoben die Zustimmung unter 1.800 Studierenden der Universitäten Osnabrück und Victoria (Kanada) zu der Aussage »Jewish Canadians (Germans) tend to show stronger criminal tendencies than other Canadians (Germans)«.917 Die Aussage rechnen Kassis/Schallié dem traditionellen Antisemitismus zu. Sie schreiben: »Consequently, we could argue that, in total, almost four out of 10 participants (38.9%) identified, or partially identified, with some of the antisemitic opinions listed in the questionnaire. If we take into consideration that the statements listed in our survey are highly inflammatory (e.g., ‚Jewish Canadians/Jewish Germans tend

____________________ 913 914 915 916 917

Auch Rohrbacher zitiert aus Texten, in denen Juden »viele Verbrechen« vorgeworfen wurden (1991: 223). Siehe hierzu auch ebd.: 277, 358. Comite zur Abwehr antisemitischer Angriffe 1896: VIII, Schreibweise i. Orig. Verein zur Abwehr des Antisemitismus 1920: 69. Vgl. Ionescu 2018. Kassis/Schallié 2013: 77.

195

4. Wiederkehrende Motive to show stronger criminal tendencies than did other Canadians/Germans‘), the relatively weak resistance expressed against these statements by every fourth respondent can be viewed as alarming«.918

Zwar sind die »kriminellen Tendenzen«, die die Studierenden Juden unterstellten, nicht näher spezifiziert. Die Zustimmung unter Studierenden zu der Aussage zeigt aber, dass ein solches antisemitisches Ressentiment gesellschaftlich nach wie vor vorhanden ist. Und dies sogar in einer Gruppe, der bekannt ist, dass antisemitische Aussagen (weitgehend) als gesellschaftlich unerwünscht gelten.919 Auch Monika Schwarz-Friesel weist darauf hin, dass sich »vermehrt die konzeptuellen Verschmelzungsstereotype Juden/Israelis = Täter und Israel als Verbrecherstaat = Juden sind Verbrecher« finden.920 Ohne dies näher auszuführen, verweist auch der Publizist Henryk M. Broder auf das Motiv, wenn er in seinem Buch Der ewige Antisemit: über Sinn und Funktion eines beständigen Gefühls von 1986 die Überschrift »[w]ann stirbt diese kriminelle Vereinigung endlich aus?« wählt und damit einen Wunsch ausformuliert, den Antisemiten/Antisemitinnen ihm zufolge hegen.921 Fast unabwendbar eröffnet sich für Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen durch die Ablehnung der jüdischen Vorhautbeschneidung ein von ihnen entworfenes Narrativ, sie selbst seien – im Gegensatz zu Juden – Verteidiger/Verteidigerinnen der Grund- und Menschenrechte. Das vordergründig gegen die Vorhautbeschneidung gerichtete Begründungsmuster, das Juden beschuldigt, mit dem Recht in Konflikt zu geraten und einen Rechtsbruch zu begehen, verstärkt ein antisemitisches Motiv, das sich gegenwärtig besonders im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt findet. Die Zuschreibung, Juden/Israelis verletzten die Menschenrechte der Palästinenser/Palästinenserinnen oder brächen Völkerrecht, ist – wie der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn argumentiert, in diesem Kontext sehr präsent.922 In der Beschneidungskontroverse konnte eine solche Zuschreibung nun auf die Ausübung kulturell-religiöser Praktiken bezogen werden, womit sich das Spektrum der Diskursfelder erweiterte. Das Motiv ____________________ 918 919 920 921 922

196

Ebd.: 78. Vgl. Bergmann 1994: 301ff. Schwarz-Friesel 2010: 39. Broder 1988: 91. Vgl. Salzborn 2013a: 11.

4. Wiederkehrende Motive

des Rechtsbruches und der Rechtsbeseitigung stellt demnach ein erweitertes, vermeintlich legitimes semantisches Angebot für Antisemiten/Antisemitinnen dar; oder wie der Historiker Johannes Heil und der Sozialpädagoge Stephan J. Kramer formulierten: In den Argumentationen gegen Vorhautbeschneidungen klang »immer wieder das Begehren durch, antijüdische Aversionen am ‚legitimen‘ Objekt zu äußern, meist begleitet von einem weiterreichenden antireligiösen Affekt.«923 Journalisten/Journalistinnen reproduzierten mit dem Motiv, die Vorhautbeschneidung stehe im Widerspruch zu deutschem Gesetz und internationalem Recht, diskursive Bedingungen, die antisemitische Lesarten ermöglichten und an die mühelos mit antisemitischen Ressentiments angeknüpft werden konnte. Das bedeutet, an scheinbar säkulare Argumentationsweisen schlossen sich antisemitische Ressentiments an, in denen das Judentum in seiner Existenz angeprangert wurde.924 4.3.

Benachteiligung. Die Vorhautbeschneidung als marginalisierte »Genitalverstümmelung« und »Geschlechtsverstümmelung«

In der Kontroverse bringen Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung von männlichen Säuglingen/Jungen mit der weiblichen Genitalverstümmelung in einen genuinen Zusammenhang.925 Die Artikel in Tageszeitungen und die narrativen Interviews bewegen sich auf der rhetorischen Skala zwischen vagen Vergleichen

____________________ 923 924 925

Heil/Kramer 2012: 11. Vgl. Rau 2014: 37f. Es gibt verschiedene Begriffsverwendungen und Möglichkeiten, die Eingriffe an den Genitalien von Frauen angemessen zu benennen. Im wissenschaftlichen Kontext dominiert im deutschen Sprachgebrauch der Begriff der »weiblichen Genitalverstümmelung« oder »weiblichen Genitalbeschneidung«, wenngleich Letzterer von denjenigen, die für die Abschaffung der Praktik kämpfen, als Euphemismus kritisiert wird (vgl. Hulverscheidt 2000: 20). Im englischen Sprachgebrauch wird auf die Begrifflichkeiten »Female Genital Mutilation« (FGM), »Female Genital Cutting« (FGC) oder »Female Genital Excision« (FGE) zurückgegriffen (vgl. Ihring 2015: 5; Mende 2011: 59; Kölling 2008: 7ff.; Hulverscheidt 2002: 22; Saharso 2009: 17ff.). Für die folgende Arbeit wird der Begriff

197

4. Wiederkehrende Motive

(Hefty), ambivalenten Gleichsetzungen im Hinblick auf die Folgen beider Praktiken (Oestreich und Franz), eindeutigen Gleichsetzungen (Walter und Zastrow) und offenen Verharmlosungen der weiblichen Genitalverstümmelung (Zwangsbeschneidung.de). In der öffentlichen Kontroverse dramatisieren zahlreiche Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen eine Vorhautbeschneidung zu einer »Genitalverstümmelung« und »Geschlechtsverstümmelung«926, oder sie relativieren die weibliche Genitalverstümmelung und stellen sie dadurch auf die gleiche Stufe. Diese Form der Thematisierung ist kritikwürdig: Wenn Gegner/Gegnerinnen von kulturell-religiösen Vorhautbeschneidungen keine, um in ihren Worten zu sprechen, »Unterscheidung nach der Art der Verstümmelung«927 zulassen, können beide Eingriffe gleichgesetzt werden, weil sie auf die Verletzung oder Gewalt am Genital reduziert werden. Zwar behaupten Gegner/Gegnerinnen der Vorhautbeschneidung, dass es nicht um einen »Wettbewerb der Grausamkeiten« gehen dürfe, zugleich vollziehen sie diesen Wettbewerb aber, indem sie »barbarische Aspekte«928 von kulturell-religiösen Vorhautbeschneidungen anführen. In der Kontroverse kritisieren zahlreiche Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen, die Vorhautbeschneidung werde fälschlicherweise nicht so geächtet wie die weibliche Genitalverstümmelung und so marginalisiert. Mädchen stünden in der Gesellschaft und Politik anders im Fokus und Gewalt an ihnen werde stärker abgelehnt und kritisiert als bei Jungen. Die deutsche Gesellschaft und Politik erkenne diese einseitige Fokussierung auf Mädchen und Frauen jedoch nicht an. Sowohl die Gesellschaft als auch die politischen Eliten mäßen mit zweierlei Maß, wenn es um Gewalt und die Verletzung des weiblichen und männlichen Körpers gehe.929

____________________

926 927 928 929

198

der weiblichen Genitalverstümmelung benutzt, da die Praktik aus nichttherapeutischen Gründen durchgeführt wird und erhebliche Gesundheitsrisiken nach sich ziehen kann. Zudem soll sie von der Vorhautbeschneidung abgegrenzt werden. Hefty 2012a. Zastrow 2012b. Vgl. Graf 2013: 72. Vgl. ebd.

4. Wiederkehrende Motive

Das Kölner Urteil begrüßen Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen, weil es »mit kluger Begründung«930 für Geschlechtergerechtigkeit und eine »Gleichbehandlung der Geschlechter«931 sorge und die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung als strafbare Körperverletzung werte. Medizinisch begründete Vorhautbeschneidungen spielen in den gesamten Tageszeitungsartikeln kaum eine Rolle, da Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen nahezu ausschließlich die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung mit der weiblichen Genitalverstümmelung vergleichen und/oder gleichsetzen. Medizinisch begründete Vorhautbeschneidungen stehen nicht im Zentrum ihrer Kritik, da ein Großteil der Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen in ihnen eine (medizinisch) notwendige und keine »unmenschliche« Praxis sieht.932 Das Motiv, das einen genuinen Zusammenhang zwischen beiden Praktiken annimmt und kritisiert, die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung werde nicht so geächtet wie die weibliche Genitalverstümmelung, ist nicht zwangsläufig antisemitisch, sondern reicht eher in den diskursiven Bereich des Antifeminismus.933 Dennoch ist das Motiv sehr relevant, da es den Ausgangspunkt für weitere Erklärungen darstellt. Denn Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen mutmaßen, warum die Vorhautbeschneidung gesellschaftlich nicht gleichermaßen wie die weibliche Genitalverstümmelung abgelehnt werde. Damit geben sie eine Antwort auf die Frage, wer für diese Ungerechtigkeit verantwortlich sei; sie suchen nach den Verantwortlichen. Insbesondere die Leerstellen und vagen Andeutungen in den Mutmaßungen der Teilnehmer/Teilnehmerinnen der Kontroverse in Tageszeitungen sind wesentlich, da sie eine direkte Verbindung zu explizit antifeministischen und antisemitischen Ressentiments darstellen (können). ____________________ 930 931 932 933

Hefty 2012a. V. A. 2014: Z. 964. Eine Ausnahme sind Männer, die angeben, allein aus medizinischen Gründen beschnitten worden zu sein, und in ihrem Erleben traumatisiert sind (vgl. Bergner 2012: 15ff., 33ff., 75ff.). Darunter wird in Anlehnung an die Soziologin Ilse Lenz die pauschal formulierte versprachlichte Annahme verstanden, dass Männer gegenwärtig gesellschaftspolitisch etwa aufgrund des »übertriebenen Feminismus« benachteiligt werden und diejenigen seien, die nun Gleichstellung benötigen (Lenz 2008: 1078f.). In Anlehnung an die Soziologin Julia Roßhart wird davon ausgegangen, dass es eine Vielzahl von antifeministischen Delegitimierungsstrategien des Feminismus gibt (vgl. Roßhart 2007: 27ff.).

199

4. Wiederkehrende Motive

Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen haben mindestens drei unterschiedliche Erklärungsangebote dafür, wer besonders verantwortlich sei, wobei sich die ersten zwei Erklärungen in Artikeln und Gastkommentaren in Tageszeitungen finden, die letzte besonders in Online-Kommentaren. Erstens werde die Vorhautbeschneidung nicht so geächtet wie die weibliche Genitalverstümmelung, weil der Umgang mit Juden/Jüdinnen beziehungsweise der jüdischen Religion in der Post-Holocaust-Zeit dies ermögliche; zweitens, weil Feministinnen nicht auch gegen Ungerechtigkeiten gegenüber Jungen/Männern kämpfen und drittens, weil Juden/Jüdinnen mit ihren Interessen dafür sorgen. Exemplarisch für einen vagen Vergleich zwischen einer Vorhautbeschneidung und einer weiblichen Genitalverstümmelung sind die Artikel Credo des Rechtsstaates und Strafbare Beschneidung aus der FAZ, welche beide direkt zu Beginn der Kontroverse erscheinen. Der Verfasser beider Artikel, der Redakteur Georg Paul Hefty, begrüßt das Kölner Landgerichtsurteil als ersten und folgerichtigen Schritt, der notwendig sei, um das Recht des Jungen auf seine Religionsfreiheit nicht weiter zu übergehen, sondern es endlich zu wahren. Hefty argumentiert, ein Verbot der »Geschlechtsverstümmelung von Mädchen« sei in »weltweitem Einvernehmen« bereits durchgesetzt, da eine solche geächtet werde, während bei der Vorhautbeschneidung von Säuglingen/Jungen offenbar noch kein international geteilter staatlicher Konsens bestehe.934 Die »Weltgemeinschaft« habe bei der »Beschneidung von Mädchen« bereits bewiesen, »dass der Elternwille oder kulturelle Motive als Rechtfertigung einer unheilbaren Körperverletzung nichtig sind«935. Die Ungerechtigkeit bestehe nun darin, dass die einzelnen Staaten bei einer »Geschlechtsverstümmelung von Mädchen«936 religiöse Rechtfertigungen richtigerweise nicht berücksichtigen, bei Säuglingen/Jungen hingegen fälschlicherweise schon. Bemerkenswert ist, dass Hefty durch den Hinweis, eine »Geschlechtsverstümmelung« beruhe gleichsam wie eine »religiös gesteuerte Beschneidung minderjähriger Jungen« auf religiösen »Rechtfertigungen«, eine inhaltliche Nähe zwischen beidem herstellt (aufgrund der Religion). Hefty ____________________ 934 935 936

200

Hefty 2012a. Hefty 2012b. Hefty 2012a.

4. Wiederkehrende Motive

nutzt die vergleichende Perspektive, um die bisherige Legitimität kulturellreligiöser Vorhautbeschneidungen zu kritisieren: diese seien eine »nicht wieder ungeschehen zu machende Verletzung«937 des Jungen- und Männerkörpers und eine »regelmäßige Körperverletzung«.938 Für diese Argumentation klammert Hefty weitere zentrale Begründungsdimensionen für weibliche Genitalverstümmelungen – neben der Religion – aus.939 Wichtig ist, dass er eine kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung nicht direkt mit einer Genitalverstümmelung von Mädchen/Frauen gleichsetzt, sondern das religiöse Begründungsmuster sowie den innerstaatlichen Umgang zwischen beiden Praktiken vergleicht. Eine explizite Erklärung dafür, warum beide Praktiken unterschiedlich bewertet werden und warum der Rechtsstaat, repräsentiert vom Kölner Landgericht, diese geschlechtliche Ungleichbehandlung bis zum gerade veröffentlichten Urteil hinnahm, gibt Hefty nicht. Fest steht für ihn nur, dass das »gesellschaftspolitisch höchst heikle Urteil […] rechtsstaatlich unumgänglich« ist.940 Worin genau das »höchst Heikle« des Urteils besteht, lässt er im Unklaren, wobei er zumindest nahelegt, dass das Urteil »heikel« sei,

____________________ 937 938

939

940

Hefty 2012b. In zwei Online-Kommentaren zum Artikel schließen sich die Leser dem von Hefty vorgetragenen Vergleich an. Busch (2012) betont, dass eine jüdische Beschneidung ebenso wie die »Beschneidung von Mädchen« abgelehnt werden sollte, und auch Acassuso (2012) bemerkt, dass die »Verstümmelungen an Säuglingen« ebenso wie die »Verstümmelung weiblicher Geschlechtsorgane« unterbleiben sollte. Die Politikwissenschaftlerin Janne Mende arbeitet sieben zentrale Begründungsdimensionen für weibliche Genitalverstümmelungen heraus, darunter Tradition in Verbindung mit Macht und gesellschaftlichem Zwang, Sexualität (Reinheits-, Sauberkeits- und Ehrvorstellungen) und die Heiratsfähigkeit (vgl. Mende 2011: 14). Zudem nennt sie das Patriarchat als sozialwissenschaftliche und politische Analysekategorie, die mittlerweile jedoch vielfach mit der Begründung infrage gestellt wurde, dass Frauen einseitig zu Opfern und Männer einseitig zu Tätern erklärt würden (vgl. ebd.: 146ff.). Im Gegensatz zu Mende nutzen UtzBilling/Kentenich und Lightfood-Klein die Kategorie Patriarchat weiterhin (vgl. Utz-Billing/Kentenich 2010: 133; vgl. Lightfood-Klein 2003: 14f.). Auch Terre des Femmes nennt vier unterschiedliche Gründe für weibliche Genitalverstümmelungen, darunter Tradition, Religion, medizinische Mythen und ökonomische Begründungen (vgl. Terre des Femmes o.J.). Hefty 2012a, Herv. D. I.

201

4. Wiederkehrende Motive

weil es die jüdische und muslimische »Kultur oder […] Religion« einschränke. Dennoch verteidigt er die rechtsstaatliche Einschränkung der Religion über das Elternrecht, da die jüdische und muslimische Religion oder Kultur »eine regelmäßige Körperverletzung von Minderjährigen, insbesondere von zur persönlichen Abwehr Unfähigen, im Programm« habe und im »Dauerkonflikt mit wesentlichen Zielen der Verfassung« stehe.941 In dem Artikel Männer kennen keinen Schmerz, den die taz veröffentlichte, bringt die Verfasserin, Heide Oestreich, die »weibliche Genitalverstümmelung« und männliche Vorhautbeschneidungen in einen sehr engen Zusammenhang, weil sie die Eingriffsintensität und negative Folgen der Praktiken vergleichend beschreibt.942 Zunächst stellt sie eine religionspolitische »Schieflage« fest, die derzeit in Deutschland existiere. Sie kritisiert, dass Beschneidungsbefürwortende »[b]ei der Abwägung der Religionsfreiheit gegen die körperliche Unversehrtheit« Ersterer den »Vortritt« lassen, was ein »unglaublicher Vorgang« sei. Denn »[m]it demselben Argument könnte man die Genitalverstümmelung an Mädchen legalisieren«, die aber mit großen Anstrengungen weltweit geächtet werde. Wenngleich Oestreich sagt, dass die Vorhautbeschneidung »weniger furchtbar« sei als die weibliche Genitalverstümmelung, und sie beide Praktiken nicht direkt gleichsetzen will, führt sie mehrere Ähnlichkeiten der Verletzungen auf, die ihre Argumentation zumindest ambivalent erscheinen lassen: Auch bei Jungen führe der Eingriff zu dauerhaften Verletzungen, sexuellen Einschränkungen wie einem Sensitivitätsverlust, »in extremen Fällen« gar »zum Verlust des Penis« oder zum Tod. Sie kritisiert weiter, dass der Schmerz von Jungen nicht ernst genommen und so getan würde, als »kennen [Männer] keinen Schmerz«.943 Mit ihrer Argumentation verweist Oestreich auf populärwissenschaftliche und wissenschaftliche Veröffentlichungen, die bereits vor der öffentlichen Kontroverse publiziert wurden und in denen die beiden ____________________ 941 942

943

202

Hefty 2012b. Oestreich kritisiert nicht nur weibliche Genitalverstümmelungen und Vorhautbeschneidungen bei männlichen Säuglingen/Jungen, sondern auch die medizinische Praxis von geschlechtsangleichenden Operationen von Intersexuellen in Deutschland. Sie wirft der Politik vor, Intersexuelle nicht ausreichend zu schützen (vgl. Oestreich 2013). Das bedeutet, ihr Engagement hat einen breiteren Fokus und ist nicht auf kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen beschränkt. Oestreich 2012a.

4. Wiederkehrende Motive

»[g]enitalmodifizierende[n] Praktiken« in einen Zusammenhang gebracht wurden.944 Hinsichtlich der Frage, warum es zu der geschlechtlichen Benachteiligung komme, führt Oestreich keine klare Erklärung an. Allerdings schreibt sie: »Was aber tun mit dem religiös so eindeutigen Diktat des partiellen Menschenopfers, das Gott Abraham abverlangte und das auch Muslime als Zeichen des männlichen Bundes mit Allah praktizieren? Von der mindestens genauso apodiktischen Drohung mit Parallele zum Holocaust, dass jüdisches Leben dann in Deutschland nicht mehr möglich sei, sollten wir noch einmal in Ruhe zurücktreten«. 945

Zumindest durch diesen Verweis verdeutlicht Oestreich, eine geschlechtliche Benachteiligung in Deutschland sei möglich, gerade weil das nichtjüdisch-jüdische Verhältnis aufgrund der Vernichtung der europäischen Juden/Jüdinnen verwickelt und komplex sei. Kritikwürdig ist, dass Oestreich die Interessen von Beschneidungsbefürwortenden und deutschen Juden/Jüdinnen als eine »Drohung« versteht, die keinen Widerspruch dulde. Auf diese Weise erklärt sie das Interesse und Engagement von Juden/Jüdinnen, die Vorhautbeschneidung zu verteidigen, als illegitim. In der Konsequenz bedeutet dies, in der Beschneidungskontroverse wende eine Partei illegitime Mittel im Konflikt oder demokratischen Streit an. Eine sehr ähnliche Perspektive nimmt der Psychoanalytiker Matthias Franz in dem Gastkommentar Ritual, Trauma, Kindeswohl in der FAZ ein. Der »Respekt vor religiösen oder kulturellen Tabus und […] Angst vor möglichen Konflikten« seien bislang Gründe gewesen, warum Jungen/Männern keine Empathie entgegengebracht wurde.946 Zudem gebe es ein »erhebliche[s] Konfliktpotenzial«, das die offene Kritik an kulturell-religiösen Vorhautbeschneidungen verhindere. Zwischen welchen gesellschaftlichen Gruppen der angenommene Konflikt und worin genau das »Konfliktpotenzial« besteht, formuliert Franz zwar nicht explizit, weswegen seine Ausführungen vage bleiben. Implizit macht Franz aber Juden/Jüdinnen oder die jüdische Religion für diesen Umstand verantwortlich, da er

____________________ 944 945 946

Lightfood-Klein 2003: 11; Borkenhagen/Brähler 2010: 8f.; Hammond 2003: 269ff. Oestreich 2012a. Franz 2012c.

203

4. Wiederkehrende Motive

besonders Juden kritisiert, die mit »assoziativem Verweis auf den Holocaust« dafür einträten, dass Vorhautbeschneidungen nicht verboten werden.947 Darüber hinausgehend betont Franz, dass auch die männliche Geschlechterrolle bislang ein Grund dafür gewesen sei, warum Jungen/Männern keine Empathie entgegengebracht werde. Gerade in der Bezugnahme auf die männliche Geschlechterrolle wird deutlich, dass Franz‘ Engagement gegen kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen sich mit seinen wissenschaftlichen Forschungen zu männlicher Identität und der krisenhaften männlichen Sozialisation in der gegenwärtigen bundesrepublikanischen Gesellschaft verbindet.948 Das Motiv, die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung werde nicht so geächtet wie die weibliche Genitalverstümmelung, findet sich auch in den ____________________ 947 948

204

Franz 2012a. Zu der antisemitischen Konstruktion der jüdischen Unversöhnlichkeit und Rachsucht siehe 4.6. Die »Lektion aus der Nazizeit«. In diesen Forschungen setzt er sich mit dem schlechten Gesundheitszustand, der erhöhten Suizidrate sowie den fehlenden gesundheitlichen Programmen für Männer auseinander. Er kritisiert das krankmachende männliche Rollenbild, öffentlich-mediale Abwertungen und Reduzierungen von Männern als Täter, fehlende Vätervorbilder in Familien und ein »Erziehungsmatriarchat« in der (früh)kindlichen und männlichen Entwicklung (Franz zit. n. Steinacker 2010; vgl. Franz 2015: 188ff.; vgl. Franz/Karger 2015: 7ff.; vgl. Franz 2011; vgl. Franz/Karger 2011: 7ff.). Problematisch an Franz‘ Forschung – die krisenhafte Männlichkeiten im Blick hat – ist nicht, dass vielfältige Schwierigkeiten in männlichen Sozialisationen benannt werden. Vielmehr ist zu kritisieren, dass Franz betont, dass es Jungen/Männer im Allgemeinen schwerer als Mädchen/Frauen haben und die frühkindliche Entwicklung der männlichen Identität komplizierter und störungsanfälliger sei (vgl. Franz/Karger 2011: 9). Verstanden und analysiert werden kann Franz‘ spezifische Form der Thematisierung durch die Perspektive der Soziologin Ilse Lenz. Sie kontextualisiert in ihrem Beitrag Wie entdecken Männer ihr Geschlecht? die gesellschaftspolitischen und wissenschaftlichen Entstehungsbedingungen einer (kritischen) Männerforschung Mitte der 1990er Jahre. Sie sei aus der Neuen Männerbewegung heraus entstanden, die sich in den 1980er Jahren in Deutschland entwickelt hatte (Lenz 2008: 1077). Grob teilt Lenz die Männerbewegung in zwei Lager, ein emanzipatives – mit dem vorrangigen Ziel der Geschlechtergleichheit – und ein männerzentriertes. Letzteres verfolge das Ziel, die männliche Identität zu stärken, und kreise thematisch besonders um »den Identitäts- und Machtverlust und die Gesundheitsbelastungen von Männern« (ebd.: 1078). In dieser Kontextualisierung Lenz‘ lässt sich das wissenschaftliche und gesellschaftspolitische Engagement von Franz dem männerzentrierten Lager der Männerbewegung zurechnen.

4. Wiederkehrende Motive

narrativen Interviews zur Beschneidung.949 Der Urologe V. A. kommt während seiner Reflexionen zu der Frage, wann eine Religion die »fundamentalen Rechte der Menschen« verletze, auch auf die weibliche Genitalverstümmelung zu sprechen.950 Sein Erzählen an dieser Stelle des Interviews ist durch Assoziationen geprägt: »A: Beispiel, ich gründe eine Sekte, die den kleinen Finger abschneidet, um den Menschen die Zugehörigkeit zu dieser Sekte zu ermöglichen. Kann ich nicht begründen, kann ich (-), die weibliche Beschneidung, davon wollen wir jetzt gar nicht anfangen. F:

Mhm

A:

Was ich nicht gut finde, ist, dass die weibliche Beschneidung verteufelt wird, völlig zu Recht und die männliche genehmigt wird gesetzlich,

F:

Mhm

A:

Also die weibliche Beschneidung ist in Deutschland völlig zu Recht (-) äh verboten,

F:

Ja

A:

Die männliche nicht. Bitte, (-) wo ist da der Unterschied und wo ist die Gleichbehandlung der Geschlechter. Wo ist die, ist jetzt wieder eine andere Baustelle, die ich aufmache, aber fällt mir gerade so ein, Sie müssen auch mit Sprüngen leben in meinen Äußerungen.«951

In seiner Perspektive herrscht in Deutschland eine Ungerechtigkeit, die er dadurch gekennzeichnet sieht, dass es einen unterschiedlichen Umgang mit beiden Geschlechtern gebe. Eine Frage formulierend (»wo ist da der Unterschied«) stellt er fest, dass sich »die=die Verstümmelung der Mädchen, die

____________________ 949 950

951

Die Interviewten kamen auf die Thematik ohne eine entsprechende Frage zu sprechen (vgl. V. A. 2014: Z. 955ff.; L. A. 2014: Z. 213ff.; B. A. 2014: Z. 13ff., 66ff., 118; U. R. 2014: Z. 1150ff.; I. R. 2014: Z. 180ff.; G. O. 2014: Z. 205ff.). An dieser Stelle verweise ich nur auf die Interviews, in denen die Interviewpartner ohne meine Nachfrage beziehungsweise meinen Impuls von außen auf einen Vergleich der kulturell-religiösen Vorhautbeschneidung mit der weiblichen Genitalverstümmelung zu sprechen kamen. Die Interviews, in denen ich die Interviewpartner frage, was sie von einem solchen Vergleich halten, werden hier nicht angeführt, da sie nicht belegen, dass beide Themen für den jeweiligen Interviewpartner in einem genuinen Zusammenhang stehen. V. A. 2014: Z. 954–966, Herv. D. I.

205

4. Wiederkehrende Motive

Beschneidung der Mädchen«952 allenfalls graduell von einer Vorhautbeschneidung unterscheide. Gleichzeitig sagt er, »[n]atürlich leidet eine Frau körperlich, rein körperlich mechanisch mehr unter einer Beschneidung als ein Mann, weil das organisch nicht diese Auswirkungen hat«953. Diesen qualitativen Unterschied, also »was […] und wie viel« im Bereich der Genitalien entfernt wird, will V. A. jedoch wiederum nicht als »die Tatsache« gelten lassen, eine unterschiedliche Bewertung vorzunehmen. Auf seine ärztliche Kenntnis als Urologe über weibliche und männliche Genitalien und seine ärztliche Erfahrung mit »beschnittene[n] Frauen«954 rekurrierend, betont er sogar, es gebe keinen wesentlichen Unterschied zwischen einer Schamlippe und einer Vorhaut, da »was ich in diesem Bereich entferne und wie viel ich entferne, darf ja kein […] Maß sein für die Erlaubnis, sondern die Rechtfertigung ist bei Frauen und Männern (-) absolut zu negieren«955. Die Gleichsetzung beider Praktiken formuliert V. A. erneut rhetorisch fragend: »A: Ja, die=die Verstümmelung der Mädchen, die Beschneidung der Mädchen ist ein scheußliches Verbrechen, gar keine Frage, ist eine scheußliche Verstümmelung was übrigens die ganze Welt auch zu Recht ächtet F:

Ja

A:

Außer die Länder, die das durchführen.

F:

Ja

A:

Das ist vollkommen zu Recht überall geächtet. Ich frage mich nur, wo der Unterschied zwischen einer Schamlippe und einer Vorhaut ist

F:

Ja

____________________ 952 953 954 955

206

Ebd.: Z. 970. Ebd.: Z. 1008f. Ebd.: Z. 996. Ebd.: Z. 1010–1013. Als Urologe macht V. A. in seiner Arztpraxis direkte Erfahrungen mit »beschnittene[n] Frauen«. Die beschnittenen Frauen haben »natürlich auch massive Probleme bei der Urinentleerung«, da die »Schamlippen […] beschnitten [werden]« und »die Scheide […] ja zugenäht [wird], bis auf ein winziges, bis auf eine winzige Öffnung« (V. A. 2014: Z. 999ff.). Es sei »einfach individuell ein großes Leid«, das den Frauen widerfahre (ebd.: Z. 1003f.). Seine Erfahrung führt nicht dazu, dass er die beiden Praktiken unterschiedlich bewertet.

4. Wiederkehrende Motive A:

Und das frage ich mich als Arzt sehr wohl (-) in Kenntnis beider äh Organe oder (-) beider Körperteile, das, die kenne ich beide (-) sehr gut und das frage ich mich.«956

Eine direkte Erklärung dafür, warum die Vorhautbeschneidung bisher nicht kritisiert wurde, liefert V. A. nicht. Dennoch wird im Verlauf des Interviews deutlich, dass er mehrere Aspekte in Betracht zieht, die hierfür verantwortlich sind: Einer besteht etwa darin, dass bisher zu sehr die Perspektive der Eltern und zu wenig die der Kinder eingenommen wurde, »denn äh Kinder haben in Deutschland keine Lobby und keine Rechte, das muss ich leider sagen«. Kinder würden »als vollwertige Mitglieder unserer Gesellschaft nicht akzeptiert«.957 Ein anderer Aspekt sei etwa: »Das ist nur geschuldet der (-) Angst vor (-) ähm Polemik, von den betroffenen Muslimen und Juden in Deutschland, die da gleich sagen, wir sollen ja doch nur vertrieben werden,=wir sind Menschen zweiter Klasse, diese Nummern. Ich hasse das, diese Worte eigentlich in den Mund zu nehmen«. 958

An dieser Stelle verdeutlicht V. A., ähnlich wie Oestreich und Franz, dass gesellschaftlich eine Angst existiere, eine Diskriminierung von Juden/Jüdinnen und Muslimen/Muslimas vorgeworfen zu bekommen. Eine weitere mögliche Erklärung ist für V. A., dass das deutsche Gesetz beziehungsweise fundamentale Rechte bisher nicht konsequent angewandt wurden: »A: Ich sage nur, dass die Ausübung ihrer Religion auf dem (-) Boden unseres Landes mit seinen Rechtsnormen und mit seinen ethischen und moralischen Normen äh nicht (-) konform geht. F:

Ja

A:

(-) Ich gestatte also, ich toleriere jede Art von Religion, es sei denn, sie geht über die Menschenwürde, über die ba-basalen Rechte über die fundamentalen Rechte der Menschen hinweg.«959

Wenngleich er an dieser Stelle nicht explizit die jüdische oder muslimische Religion nennt, sondern von »ihrer Religion« spricht, verdeutlicht V. A., dass beide Religionen den fundamentalen Rechten widersprechen, da sie an der Vorhautbeschneidung festhalten und diese verteidigen.

____________________ 956 957 958 959

V. A. 2014: Z. 970–980, Herv. D. I. Ebd.: Z. 1156ff. Ebd.: Z. 865–869. Ebd.: Z. 946ff.

207

4. Wiederkehrende Motive

In weiteren Artikeln wird das Argument, es bestehe ein genuiner Zusammenhang zwischen einer kulturell-religiösen Vorhautbeschneidung und einer weiblichen Genitalverstümmelung, ausgeweitet. Insbesondere in der Diskussion um den Gesetzentwurf für das Beschneidungsgesetz im Verlauf des Jahres 2012 verdichtet sich das Argument dahingehend, der Gesetzgeber benachteilige und diskriminiere männliche Säuglinge/Jungen im Vergleich zu Mädchen nun per Gesetz. Denn im Dezember 2012 wurde der Paragraf 1631d BGB vom Bundestag verabschiedet, der Eltern eine Erlaubnis gibt, die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung im Rahmen des elterlichen Sorgerechts zu veranlassen. Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen argumentieren, das Gesetz beziehungsweise der Paragraf 1631d BGB verletze das im Grundgesetz festgeschriebene Gleichbehandlungsgebot aus Artikel 3 des Grundgesetzes.960 Aus dem Umstand, dass Säuglinge/Jungen an ihrer Vorhaut beschnitten werden (dürfen), folgern Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen, dass Jungen/Männer im Allgemeinen gesellschaftlich benachteiligt und diskriminiert werden. Die erlaubte kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung dient ihnen in einer instrumentellen Weise als Beweis für ihre Einschätzung. In dem Artikel Gender aus der FAZ unterstellt der Verfasser, Volker Zastrow, dass Mädchen im Vergleich zu Jungen im deutschen Rechtsstaat bevorteilt und bevorzugt behandelt würden: »Aber was heißt schon Kindern: Es geht um Jungen. Bei Mädchen ist weiterhin verboten, mit scharfen Gegenständen an ihrem Geschlechtsteil zu manipulieren, egal, mit welcher Begründung.«961

Sein Argument, Mädchen würden bevorzugt und Jungen benachteiligt, verstärkt Zastrow, indem er für eine weibliche Genitalverstümmelung den Begriff der »Klitorisvorhautbeschneidung« wählt, der beide Praktiken gleichsetzend beschreibt. Er plädiert im Anschluss an ein Urteil des Bundesgerichtshofs von 2005 dafür, keine »Unterscheidung nach der Art der Verstümmelung« vorzunehmen, weil mit dieser eine gegen Gesetze verstoßende Herabsetzung von Jungen einhergehe: ____________________ 960 961

208

Vgl. Walter 2013; vgl. Manok 2015: 153ff. Diese Argumentationsfigur findet sich auch in zahlreichen Blogs und Internetseiten (vgl. Schäfer 2014; vgl. Kinder- & Jugendärzte im Netz 2012). Kritisch dazu vgl. Schulze 2017: 171. Zastrow 2012b.

4. Wiederkehrende Motive »Also auch – und richtigerweise – bei der Klitorisvorhautbeschneidung, die freilich der üblichen Beschneidung jüdischer und muslimischer Jungen entspricht. Das Grundgesetz verbietet im dritten Artikel die Ungleichbehandlung vor dem Gesetz, darunter ausdrücklich auch ‚wegen des Geschlechtes‘. Das gilt sogar schon für die bloße Benachteiligung. Auch richtigerweise. Der Gesetzgeber sagt nun: Jungen darf man schneiden.«962

Mit der Formulierung »sogar schon« verdeutlicht Zastrow auf eine bewertende Art, dass die Vorhautbeschneidung mindestens so gewichtig, wenn nicht gewichtiger, sei als eine »bloße Benachteiligung« (von Frauen) aufgrund des Geschlechts. Da Letztere zu Recht durch das Grundgesetz verboten sei, könne Erstere unmöglich vom Gesetzgeber erlaubt werden. Doch gerade dies sei der Fall. Durch die nüchterne Beschreibung des Schneidens (»Jungen darf man schneiden«), die auf eine Zergliederung eines Körpers in mehrere Einzelteile verweist, zeigt Zastrow, was für ein Skandal sich eigentlich abspiele und wie sehr in dieser Frage eine auf dem Geschlecht beruhende rechtliche Ungleichbehandlung vorliege.963 In seinem Artikel Nötiger Schmerz in der FAZ gibt Zastrow eine explizite Antwort auf die Frage, warum es überhaupt zur Benachteiligung von männlichen Säuglingen/Jungen kommt und warum sich der Gesetzgeber zu dieser Ungerechtigkeit hinreißen lässt. Um dies zu erklären, holt er gesellschaftspolitisch und historisch weit aus und kommt auf den Feminismus zu sprechen, dem er pauschal anlastet, kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen nicht zu verhindern. Feministinnen in Deutschland, aber auch in der »westlichen Welt«, hätten schon viel für sich erreicht (»gewaltiger Fortschritt nach Jahrtausenden«), weil sie seit einigen Jahrzehnten in ihren Kampagnen gegen Verbrechen ankämpfen. Sie hätten dazu beigetragen, dass das gesellschaftliche Problem der sexuellen Gewalt gegen Mädchen/Frauen in der Öffentlichkeit wahrgenommen und als solches erkannt werde, weil sie über »eigene sexuelle Gewalterfahrungen« sprachen. Feministinnen seien es auch gewesen, die in den 1980er Jahren auf internationalen Frauenkonferenzen dafür sorgten, dass eine »Kriminalisierung der weiblichen Beschneidung als sexuelle Gewalt« begann und sich diesbezüglich ein »Unwerturteil« (ein ethisch negatives Urteil) »weithin« gesellschaftlich durchsetzen konnte. Im weiteren Verlauf des Artikels bemerkt ____________________ 962 963

Ebd., Herv. D. I. Auch Oestreich (2012a) wirft in einer solchen Terminologie folgende Frage auf: »Ohrfeigen sind verboten, aber Organe zerschneiden ist erlaubt?«

209

4. Wiederkehrende Motive

Zastrow, dass sich in den letzten Jahren auch für Jungen einiges zum Fortschrittlichen hin verändert habe, weil ein Bewusstsein entstanden sei, auch Jungen als Opfer von Verbrechen anzusehen. Wie die jüngsten Missbrauchsskandale zeigen, seien Jungen »ähnlich oft« Opfer von sexueller Gewalt geworden. Im Gegensatz zum »letzten Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts« sei mittlerweile eine gesellschaftliche Einfühlung »für diese Jungen möglich«, auch weil sich die Bevölkerung (»wir«) zunehmend von »hohlen, rohen Männlichkeitsidealen« löse. Doch dieses gerade gewonnene und lange verweigerte Einfühlungsvermögen in Jungen stehe nun wieder zur Disposition, wenn Vorhautbeschneidungen gesetzlich erlaubt würden. Zastrow schreibt, zahlreiche rhetorische Fragen aufwerfend, die Zustimmung erheischen sollen und sein allgemeines Unverständnis ausdrücken: »Doch für Genitalverstümmelung, gärtnerisch verniedlichend ‚Beschneidung‘ genannt, soll das nicht gelten? Hier soll ausdrücklich als rechtlich ‚zulässig‘ definiert werden, was bei Mädchen als strafbar erachtet wird? So sieht es ein Entschließungsantrag des Bundestages vor. Wo bleibt der Aufschrei all der Gender-Forscher und -Beauftragten, die im ganzen Lande installiert wurden? Es soll doch ausdrücklich ein geschlechtsspezifischer Eingriff in die körperliche Unversehrtheit von Jungen normiert werden, nur ‚unnötige‘ Schmerzen sollen ihnen erspart, vermeintlich nötige also offensichtlich auferlegt werden.«964

Deutsche Feministinnen beziehungsweise »die Lobbyarbeit der Frauenbewegung«, die sich schon in der Vergangenheit »logischerweise auf Frauen beschränkt« habe, lasse diese Ungeheuerlichkeit nun ohne »Aufschrei« geschehen. In seiner Argumentation werden Feministinnen zu unglaubwürdigen und verlogenen Akteurinnen, weil sie nicht für Menschenrechte im Allgemeinen, sondern nur für Frauenrechte im Besonderen kämpften. In dieser Sichtweise sind es Feministinnen, die Beschneidungsgegner und Jungen im Stich lassen und deren Benachteiligung befördern, weil sie lediglich für ihre partikularen Belange einträten. Die Perspektive Zastrows verweist auf den Vorwurf zahlreicher Antifeministen/Antifeministinnen im 19. und 20. Jahrhundert, dass Frauen in ihren Kämpfen um Bürgerrechte selbstsüchtige Ziele verfolgen.965 So betrachtet stellt Zastrow Männer als die alten und neuen Opfer einer Gesell-

____________________ 964 965

210

Zastrow 2012a, Herv. D. I. Vgl. Volkov 2001: 76; vgl. Anderson 2015: xiv.

4. Wiederkehrende Motive

schaft dar, die von Feministinnen oder abstrakter von der weiblichen Emanzipation dominiert werde.966 Die Dominanzvorstellung drückt sich in dieser Lesart des Textes in dem von Zastrow negativ verwendeten Begriff »installiert« aus sowie in dem paranoid übersteigerten gesellschaftlichen Einfluss, den er Frauen zurechnet. Die »Gender-Forscher und -Beauftragten« befänden sich in einer gesellschaftlichen und politischen Stellung, welche sie sich nicht zunutze machten, obwohl sie es qua Amt und Stellung eigentlich tun müssten. Mit dieser Argumentation knüpft Zastrow unter anderem an seine Artikel in der FAZ von 2006 sowie weitere Publikationen an. Sie handeln davon, feministische Theorie und Praxis zu delegitimieren und als gefährlich zu markieren, da diese etwa auf lesbisch dominierte und abstruse konstruktivistische Geschlechterkonzepte zurückgreife und den Interessen eines Großteils der Frauen, insbesondere Müttern und Hausfrauen, nicht diene.967 Er argumentiert wie sogenannte Männerrechtler, die davon ausgehen, im »Windschatten von Frauenemanzipation und Gender Mainstreaming« gesellschaftlich »den Kürzeren«968 zu ziehen. Online-Kommentare der Lesenden zu dem Artikel zeigen, dass diese Zastrows allgemeine Kritik an möglichen Diskriminierungen von Männern im Zusammenhang mit der kulturell-religiösen Vorhautbeschneidung verstehen.969 Ein exemplarischer Online-Kommentar verdeutlicht sogar, dass Zastrows Kritik an deutschen Feministinnen einigen FAZ-Lesern/Leserinnen nicht weit genug geht. In dem Kommentar Jungenrechte stärken! macht der Leser Christoph Mueller »den Feminismus« sehr viel drastischer als Zastrow zum eigentlichen Schuldigen. Zastrow habe sich in seinem »kluge[n] und anspruchsvolle[n] Artikel« im Anfangsteil »zu sehr in eine unberechtigte Jubelorgie auf den Feminismus« verstiegen. Denn schließlich habe »der Feminismus auch zu einem erheblichen Teil ein einseitiges, männliches Täterbild in den Köpfen verankert, während Kindesmissbrauch und -misshandlungen

____________________ 966

967 968 969

In ihrer Studie zur deutschen Medienberichterstattung zum Gender Mainstreaming kommt Roßhart zu dem Ergebnis, dass V. Zastrow in Artikeln, die Anfang der 2000er Jahre unter anderem in der FAZ erschienen, das »Bild eines hegemonialen und totalitären Staatsfeminismus« entwirft (Roßhart 2007: 85). Siehe hierzu auch Hark/Villa 2015: 18ff.; vgl. Lang 2015: 170ff. Vgl. Roßhart 2007: 31ff.; vgl. Geier 2006. Gesterkamp 2010: 4; vgl. auch Pohl 2011: 108ff. Vgl. etwa den Online-Kommentar von Postulart 2012.

211

4. Wiederkehrende Motive durch Frauen geflissentlich unter den Teppich gekehrt worden sind, obwohl sie an der gewaltigen Mehrzahl aller derartigen Fälle schuldig sind«. 970

Die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung benennt der Leser in seinem Online-Kommentar nicht explizit. Er fasst die Thematik vielmehr allgemein, wenn er schreibt, dass für Jungen »das gleiche Recht auf körperliche Unversehrtheit« noch nicht durchgesetzt sei und dies auf einen »viel zu schwach ausgeprägten Lobbyismus für Männerrechte« zurückzuführen sei.971 Mueller rekurriert damit auf eine Perspektive, die den Feminismus als abstrakte Macht darstellt, die dazu führe, Männern Unrecht anzutun, indem Männer einseitig zu Tätern würden.972 Der Feminismus sei sogar ein wirkmächtiges Instrument zur Verschleierung einer eigentlich anderen Wahrheit, die besagt, dass Frauen die wahren Täterinnen seien.973 In einem anderen Online-Kommentar betont der Leser Heinz Fromm in aufklärerischem Gestus (»[d]en meisten sind die historischen Zusammenhänge nicht klar«), die »männliche Genitalverstümmelung«, womit er die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung meint, habe einen »glasklaren Zweck« und sei ein Instrument, das »der besseren Unterdrückung der Männer« diene und die männliche Sexualität schädige974. Dafür greift er historisch weit zurück und suggeriert eine historische Konstante der Unterdrückung von Männern, die bereits vor der christlichen Zeitrechnung begann, nämlich »vor Moses«975. Die »männliche Genitalverstümmelung« sei ein »Instrument der Machtausübung« und besitze so den Status eines Komplotts, das »die Mächtigen« eingeführt haben. Doch die seit Jahrhunderten geschädigte und eingeschränkte männliche Sexualität soll durch einen großen Befreiungsschlag repariert und erlöst werden; der Befreiungsschlag liegt für den Leser im Verbot der Vorhautbeschneidung. An diesem Kommentar zeigt sich, wie die Soziologin Karin Stögner es für das 19. und beginnende 20. Jahrhundert formulierte, dass der beschnittene Mann, »worunter sich durchschnittliche

____________________ 970 971 972 973 974 975

212

Mueller 2012. Ebd. Zu diesem Narrativ vgl. Lenz 2008: 1079. Vgl. Pohl 2011: 115. Fromm 2012, Herv. D. I. Ebd.

4. Wiederkehrende Motive

ChristInnen nichts anderes als Kastration vorstellen konnten«, mit einem kastrierten und machtlosen Wesen in eins gesetzt wird.976 Auch in dem Gastkommentar Das unantastbare Geschlecht, der ein Jahr nach Beginn der Kontroverse in der ZEIT erschien, äußert der Strafrechtsprofessor und Richter am Oberlandesgericht Nürnberg, Tonio Walter, eine harsche Kritik an der gesetzlichen Benachteiligung und Diskriminierung von Jungen/Männern (durch den Paragraf 1631d BGB). Er konstatiert einen »harten Verstoß gegen das verfassungsmäßige Diskriminierungsverbot« und gegen »einen zentralen Satz des Grundgesetzes«.977 Anlass für seinen Gastkommentar ist jedoch nicht die Legalisierung der Vorhautbeschneidung von Säuglingen/Jungen, sondern die Reformierung des Paragrafen 226 im Strafgesetzbuch (hin zu Paragraf 226a StGB Verstümmelung weiblicher Genitalien), die im Herbst 2013 stattfand.978 Walter skandalisiert das Verhalten der Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die die Vorhautbeschneidung mit »primitivsten Mitteln« bisher nicht unter Strafe stellen. Die Gesetzesreform des Paragrafen 226a StGB zeige, dass Mädchen/Frauen im deutschen Gesetz grundsätzlich anders und bevorzugt behandelt würden; das weibliche Geschlecht sei im Gegensatz zum männlichen »unantastbar«. Und dies, obwohl sich die »Beschneidung von Mädchen« auch nicht »automatisch gegen die Sexualität« richte, sondern vielmehr »gegen die Sexualität richten kann«; dies gelte aber auch für Jungen,

____________________ 976 977 978

Vgl. Stögner 2005: 45. Der Jude wurde sich allerdings nicht nur als kastriert, sondern auch als kastrierend vorgestellt (vgl. Salzborn 2010: 333). Ähnlich argumentieren Herzberg 2013: 283 und Manok 2015: 153ff. Im Paragraf 226a, Absatz I StGB heißt es: »Wer die äußeren Genitalien einer weiblichen Person verstümmelt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft«. Durch die Reform wurde die weibliche Genitalverstümmelung, die auch zuvor schon eine gefährliche Körperverletzung war, zum Verbrechen qualifiziert. Der Jurist Georgios Sotiriadis kritisiert, dass der Paragraf »die Verstümmelung weiblicher Genitalien zum Verbrechenstatbestand aufwertet«, die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung hingegen erlaubt (2014: 326). Die jeweiligen Täter würden je nach dem Geschlecht des Opfers ungleich behandelt (ebd.). Allerdings seien die Begleitumstände der beiden Praktiken unterschiedlich, denn die Genitalverstümmelung finde in keinem »medikalisierten Umfeld« statt (ebd.: 328).

213

4. Wiederkehrende Motive

weswegen es diskriminierend und ein »harter Verstoß« sei, das eine zu verurteilen und das andere zu legitimieren.979 Gesetzlich, politisch und gesellschaftlich werde mit zweierlei Maß gemessen: »Das, was eine Frau körperlich ausmacht, ist unantastbar. Aber das, was einen Mann körperlich ausmacht, darf zurechtgeschnitten werden. Das weibliche Geschlecht ist sakrosankt, das männliche disponibel.«980

Mit den Begriffen sakrosankt und disponibel, die Walter gebraucht, öffnet er einen Bedeutungszusammenhang, der Frauenkörper mit Heiligkeit, Männerkörper mit einer freien Verfügbarkeit verbindet.981 Als Erklärung dafür, warum es zur Diskriminierung des männlichen Geschlechts komme, nennt Walter fünf wirklichkeitsferne »rhetorische Tricks«. Sie bestünden etwa daraus, eine unterschiedliche Terminologie zu verwenden (Verstümmelung vs. Beschneidung), zwischen den Durchführungssettings zu unterscheiden (medizinisch einwandfrei vs. mit einer Glasscherbe) sowie die Begründungen für die Praxis unterschiedlich zu bewerten. Die Folge sei, »für religiöse und ethnische Motive […] bei der Jungenbeschneidung großen Respekt« zu haben, bei »der Mädchenbeschneidung« religiöse und ethnische Motive hingegen zu »Scheinlegitimationen sadistischer Barbarei« zu erklären. Als Akteure/Akteurinnen dieser Ungerechtig____________________ 979 980 981

214

Walter 2013a, Herv. i. Orig. Ebd. In einem narrativen Interview geht der Jurist und Beschneidungsgegner G. O. ebenfalls auf die Ungleichbehandlung zwischen Jungen und Mädchen ein, die sich durch den Paragraf 1631d BGB ergebe, und zeigt damit, dass er die Begriffe für die jeweiligen Praktiken strategisch wählt: »Die Mädchenbeschneidung, oder ich sage es mal anders, die männliche Genitalverstümmlung ist erlaubt, da steckt natürlich eine Wertung drin, die weibliche Genitalverstümmlung ist verboten« (G. O. 2014: Z. 826f., Herv. D. I.). Insbesondere, nachdem der Paragraf 1631d BGB, der Vorhautbeschneidungen erlaubt, vom Bundestag eingeführt wurde, habe sich »eine Ungleichbehandlung manifestiert« (ebd.: Z. 824). Weil nun die Vorhautbeschneidung erlaubt worden sei, müsse dies eigentlich konsequenterweise auch für »vergleichbare Eingriffe« gelten, die »von der Eingriffsintensität« gleich seien, »nämlich die milden Formen der so genannten weiblichen Genitalverstümmelung« (ebd.: Z. 836f.). G. O. kritisiert jedoch, dass diejenigen, die sich für eine Legalisierung der Vorhautbeschneidung einsetzten, nun dafür einträten, auch bestimmte Formen der Genitalverstümmelung von Mädchen, die »Klitorisvorhautreduktion«, ebenfalls zu legalisieren (ebd.: Z. 843).

4. Wiederkehrende Motive

keit nennt Walter »den Deutschen Bundestag«, »die Presse« und »die Verantwortlichen«, wobei Letztere nicht näher konkretisierte und abstrakte Akteure bleiben.982 Diese Tatsache, dass Walter nur vage von den »Verantwortlichen« schreibt, nutzen Leser/Leserinnen, um mit ihren eigenen Erklärungen und Fantasien anzuschließen.983 So schreibt eine anonyme Leserin mit dem Gestus, das eigentliche Geschehen unerschrocken aufklären zu können: »Jedoch verzichtet der Autor [Walter, D. I.] leider darauf, Ross und Reiter zu nennen. Natürlich ist dieses Gesetz kein Ausfluss einer Missachtung von Männern. Dieses Gesetz ist der Versuch, sich aus Angst vor Vorwürfen des Antisemitismus, Antijudaismus und der Islamfeindlichkeit und der Einflussnahme von Lobbyorganisationen möglichst schnell herauszustehlen (Gesetzgebung in Rekordzeit!) – und das alles auf Kosten der körperlichen Unversehrtheit von Jungen. Die Praxis der Beschneidung von Jungen jedoch als Beleg für die Geringerstellung von Männer zu nehmen, verkennt die Bedeutung der männlichen Beschneidung. Über Jahrtausende sollte die rituelle Beschneidung v.a. den besondere Status von Männern in der Kultusgemeinde hervorheben.«984

Obwohl die Verfasserin selbst keine konkreten Schuldigen beim Namen nennt, geht sie davon aus, dass die deutsche Gesellschaft und/oder Politik sich mit dem Beschneidungsgesetz aus einer unangenehmen Angelegenheit »schnell herausstehlen« wolle. Diejenigen, die die »Vorwürfe« aussprechen, benennt die Verfasserin nicht explizit, wenngleich sie davon ausgeht, dass die abstrakte unkonkrete Autorität die Abgeordneten bedrängte und unter Druck setzte, das Gesetz schnell zu verabschieden. Die Beschreibung »über Jahrtausende« und der Begriff der »Kultusgemeinde« legt nahe, dass die Verfasserin auf Juden/Jüdinnen abhebt. Denn unter einer Kultusgemeinde wird eine religiöse Gemeinschaft in der Diaspora verstanden. Zudem drückt sie damit einen »besonderen Status« aus, der im antisemitischen ____________________ 982 983

984

Walter 2013a. Auf Walters Gastkommentar folgten 284 Online-Kommentare. Zahlreiche Rezipienten/Rezipientinnen waren begeistert von Walters Argumentation und kommentierten etwa dergestalt: »Gleiches Recht für Mädchen und Jungen! Hervorragender Artikel!« (Lichtenheldt 2013). Auch auf Zwangsbeschneidung.de wurde sich der Argumentation von Walter angeschlossen, das Gesetz (der Paragraf 1631d BGB) sei »unrichtiges Recht« und »gesetzliches Unrecht« (Zwangsbeschneidung.de 2013a). Felicite 2013, Schreibweise i. Orig., Herv. D. I.

215

4. Wiederkehrende Motive

Denken und Fühlen mit Juden verbunden wird, die zu einem »auserwählten Volk« erklärt werden.985 Ein anderer Verfasser gibt in seinem Online-Kommentar, den er unter Walters Gastkommentar postet, offen der unantastbaren »jüdische[n] Religion« beziehungsweise jüdischen Repräsentanten wie dem »Chef des Zentralrats« die Verantwortung dafür, warum die kulturell-religiöse Beschneidung von deutschen Politikern erlaubt werde: »Sakrosant ist einzig die jüdische Religion. Nichts gegen die jüdische Religion. Aber wg des Holocausts will eben kein dt. Politiker sich sagen lassen er sei ein Antisemit, oder dass er gar jüdisches Leben in Dtl verunmöglichen wolle, so wie der Chef des Zentralrats es formuliert hat. Wenn es einzig um Beschneidung gegangen wäre, hätte es nicht viel Federlesen gegeben. Aber so. Stellen sie sich vor: Wir wären dieses Thema auf unabsehbare Zeit nicht mehr losgeworden, ständig ein Zentralrat oder ein israelischer Politiker, der Juden in Deutschland zur Aliyah aufruft, Wir auf einer Liste v Staaten, die die Religionsfreiheit nicht respektieren«. 986

In dieser Perspektive ist der »Zentralrat oder ein israelischer Politiker« ein immerfort existierender, unnachgiebiger und lästiger Akteur, der ein nicht näher konkretisiertes »wir« gequält hätte, wenn die Beschneidung verboten worden wäre. Anhand der Online-Kommentare zeigt sich, dass gesellschaftlich ein Narrativ existiert, in dem eine gesellschaftliche, politische und juristische Benachteiligung von Jungen festgestellt wird, für die insbesondere der Feminismus, Feministinnen, emanzipierte Frauen oder Juden verantwortlich seien. Gerade die analysierten Artikel von Zastrow und Walter können zeigen, dass sowohl Journalisten/Journalistinnen als auch Wissenschaftler/Wissenschaftlerinnen mit ihren Erklärungsangeboten sowie den dazugehörigen Leerstellen diskursive Bedingungen schaffen, die mühelos mit antisemitischen Ressentiments aufgefüllt werden können. Das Erklärungsmuster, die Vorhautbeschneidung werde nicht ausreichend wie die weibliche Genitalverstümmelung geächtet, drückt sich auch auf dem Internetblog Zwangsbeschneidung.de aus. In Blogbeiträgen wird nicht nur die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung dramatisiert, sondern auch offen die Genitalverstümmelung von Mädchen/Frauen relativiert und ver-

____________________ 985 986

216

Vgl. Benz 2007: 21f. iwern 2013, Schreibweise i. Orig.

4. Wiederkehrende Motive

harmlost. Dies geschieht, indem in den Beiträgen vermeintlich aus der Perspektive der betroffenen Frauen behauptet wird, eine Genitalverstümmelung ziehe keine (sexuelle) Funktionsbeeinträchtigung nach sich: »[d]as Mädchen kichert also sogar bei der Abtrennung der Klitoris. Dies zeigt, dass die Beschneidung […] nicht nur, wie bisher angenommen, für den Beschneider […] sondern auch für den oder die zu Beschneidende eine tatsächlich vergnügliche Angel[e]genheit sein kann.«987

In dieser Textpassage zeigt sich, wie der Zusammenhang zwischen einer Vorhautbeschneidung von Säuglingen/Jungen und einer Genitalverstümmelung auch ausgestaltet sein kann: als offene Verharmlosung der weiblichen Genitalverstümmelung, da schmerzhafte und gesundheitsgefährdende Folgen gänzlich ausgeklammert werden. An anderer Stelle überlegt der Verfasser der Beiträge, warum gesellschaftlich und politisch nicht stärker gegen die Vorhautbeschneidung vorgegangen werde, und schreibt: »Die Wahrheit ist, unter den Mädchenbeschneidern befinden sich keine Juden.«988 Gerade diese Textpassage zeigt, wie die Ablehnung der kulturell-religiösen Vorhautbeschneidung mit der Verharmlosung der weiblichen Genitalverstümmelung und einer antisemitischen Verschwörungsfantasie zusammenhängen kann. Denn der Beitrag legt nahe, dass die »Mädchenbeschneidung« erlaubt wäre, wenn Juden Mädchen beschneiden würden. Hinter der Ungerechtigkeit, dass Säuglinge/Jungen an der Vorhaut beschnitten werden dürfen, stehen für den Verfasser Juden, denen er eine mächtige Sonderposition zuweist. Juden sorgten dafür, »die Behauptung, Mädchen- und Jungenbeschneidung können nicht miteinander verglichen werden«, zu festigen. Denn in der Konsequenz zöge die »Strafbarkeit der Jungenbeschneidung […] also die Notwendigkeit der Möglichkeit der konsequenten Verfolgung von Juden nach sich.«989 Nicht nur in Online-Kommentaren, sondern auch in Artikeln in Tageszeitungen werfen Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen verallgemeinernd »dem Feminismus« und den Feministinnen vor, sich nicht gegen die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung zu engagieren und damit eine Benachteiligung und Entrechtung von Männern zu stützen. Zugleich zeigen ____________________ 987 988 989

Zwangsbeschneidung.de o.J.a, Schreibweise i. Orig. Zwangsbeschneidung.de 2012a, Herv. D. I. Ebd.

217

4. Wiederkehrende Motive

die Artikel in Tageszeitungen sowie die Online-Kommentare, wie sehr die Frage einer Vergleichbarkeit und Gleichsetzung beider Praktiken eine geschlechterpolitische Angelegenheit ist. So gibt es etwa die Kampagne, die unter der Parole firmiert »Mein [Jungen/Männer-]Körper gehört mir. Zwangsbeschneidung ist Unrecht – auch bei Jungen«. Sie wurde getragen und unterstützt von der giordano-bruno-stiftung990, dem Zentralrat der ExMuslime991, von MOGiS e.V.992, aber auch vom antifeministischen Männerrechtsverein MANNdat.993 Die Kampagne, die sehr unterschiedliche zivilgesellschaftliche Vereine und Gruppen vereint, verweist wiederum auf den Titel von feministischen Kampagnen der bundesrepublikanischen zweiten Frauenbewegung wie »mein Bauch gehört mir«.994 Zwar betonen auch hier einige Akteure der Anti-Vorhautbeschneidungskampagne, beide ____________________ 990

991

992

993

994

218

Die giordano-bruno-stiftung wurde 2004 gegründet und nennt sich »eine Denkfabrik für Humanismus und Aufklärung.« Sie hat rund 7.000 Fördermitglieder, der derzeitige Vorsitzende ist der Autor und Philosoph Michael Schmidt-Salomon (vgl. giordano-bruno-stiftung 2017). Während der Kontroverse wies der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik darauf hin, dass die Stiftung einen militanten und intoleranten Atheismus vertrete und der Namensgeber der Stiftung ein »erklärter Judenhasser« war, der von völkischen Antisemiten verehrt wurde (Brumlik 2012d). Im 2007 gegründeten Zentralrat der Ex-Muslime organisieren sich Menschen, die »den muslimischen Glauben aufgegeben haben« oder »die niemals Muslime waren«, von der Bevölkerung aber als solche angesehen werden. Die Mitglieder fühlen sich vom Zentralrat der Muslime nicht repräsentiert. Der Verein setzt sich sowohl für die Einführung und Einhaltung der Menschenrechte »in den Ländern des islamischen Herrschaftsraumes« ein als auch beispielsweise dafür, ein Kopftuchverbot in Deutschland zu etablieren und islamischen Religionsunterricht abzuschaffen (Zentralrat der Ex-Muslime o.J.). Der gemeinnützige Verein wurde 2009 zunächst unter dem Namen »MissbrauchsOpfer Gegen InternetSperren« gegründet und erweiterte noch im selben Jahr seine Ziele dahingehend, für Missbrauchsbetroffene eine Lobby zu sein (vgl. MOGiS e.V. o.J.). Innerhalb des Facharbeitskreises Beschneidungsbetroffener im MOGiS e.V. treffen sich Betroffene, »die von chirurgischen Eingriffen an ihren Genitalien negativ betroffen sind« (Die Betroffenen o.J.). Der Politikwissenschaftler Thomas Gesterkamp bezeichnet die 2004 gegründete »geschlechterpolitische Initiative« MANNdat als »eine der wichtigsten männerrechtlichen Gruppen« in Deutschland (Gesterkamp 2010: 13) und rechnet sie der antifeministischen Strömung der männerrechtlichen Gruppen zu (vgl. Gesterkamp 2015: 61). Beispielsweise MANNdat 2005; MANNdat o.J.; Beier/Lichtenheldt 2012; Köhler 2012c; vgl. MANNdat 2010.

4. Wiederkehrende Motive

Praktiken nicht miteinander gleichsetzen zu wollen (»[u]nbestritten ist die radikale weibliche Beschneidung gegenüber der männlichen deutlich gefährlicher und folgenschwerer«995). Vergleiche aber sind unter den Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen der Kampagne gern gesehen, denn sie ermöglichen es, kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen anzuprangern.996 Darüber hinausgehend unterstellen die untersuchten Akteure/Akteurinnen »dem Feminismus«, einzelnen Feministinnen und/oder Juden einen großen Einfluss. Diesen Einfluss haben Feministinnen und Juden weder gesellschaftlich allgemein noch während der Beschneidungskontroverse.997 In seinem Essay zur Beschneidungskontroverse kritisiert der Germanist und Historiker Alfred Bodenheimer, dass durch einen Vergleich und eine Gleichsetzung der weiblichen Genitalverstümmelung mit der Vorhautbeschneidung aus einem »kategorialen Unterschied ein lediglich gradueller gemacht wird«998. Auf diese Weise argumentieren auch andere Beobachter/Beobachterinnen der öffentlichen Kontroverse.999 Worin genau der kategoriale Unterschied besteht, erklären sie jedoch nicht. Dies ist unzureichend. In der kurzen Argumentation des Rechtswissenschaftlers Bijan Fateh-Moghadam kritisiert dieser zumindest, dass sich sowohl der Charakter als auch der Zweck der weiblichen Genitalverstümmelung deutlich von einer Vorhautbeschneidung unterscheide. Eine weibliche Genitalverstümmelung beinhalte keine präventiv medizinischen Vorteile, wie dies bei einer Vorhautbeschneidung der Fall sei.1000 Zudem liege der Zweck der weiblichen Genitalverstümmelung lediglich in der Demütigung und Entwürdi-

____________________ 995 996

997 998 999 1000

Vgl. Pro-Kinderrechte o.J.a. Vgl. Terre des Femmes 2012; vgl. Schewe-Gerigk o.J.; vgl. Müller 2012; vgl. MANNdat o.J.; vgl. Köhler 2012a; vgl. Köhler 2012b; vgl. Pro-Kinderrechte o.J.a; vgl. Roy 2012; vgl. Schmidt-Salomon o.J. Auf der Internetseite beschneidung-von-jungen.de findet sich durch Tabellen eine direkte Gegenüberstellung beider Eingriffe (vgl. Karim/Hage 2008; vgl. Tennant 2009). Vgl. Gesterkamp 2015: 59. Bodenheimer 2012a: 19. Vgl. Altenbockum 2012; vgl. Gutschker/Lohse 2012; vgl. Greven 2012; vgl. Künast/Beck 2012; vgl. Walter 2012; vgl. Bax/Oestreich 2012; vgl. Nutt 2012a. Vgl. Fateh-Moghadam 2010: 135; vgl. Leszczynska-Koenen 2013: 288.

219

4. Wiederkehrende Motive

gung von Mädchen/Frauen, wodurch sich deren Diskriminierung manifestiere.1001 Die Journalistin und Theologin Anne Kampf macht anschaulicher, warum die gesundheitlichen Folgen einer männlichen Vorhautbeschneidung »nicht annähernd so gravierend« sind wie bei einer Genitalverstümmelung von Mädchen. Bezug nehmend auf den Gynäkologen Christoph Zerm, stellt sie klar: »‚FGM Typ I würde beim Mann die gänzliche oder teilweise Entfernung des Penis bedeuten‘, FGM Typ II darüber hinaus ‚auch noch die Entfernung des Hodensacks‘. Bei Typ III ist kein Vergleich mehr möglich.«1002 Ähnlich formuliert es auch die Ärztin und Menschenrechtsaktivistin Nahid Toubia. Auch sie weist darauf hin, dass das Ausmaß des Eingriffes bei einer »female circumcision […] anatomically much more extensive«1003 sei als bei einer Vorhautbeschneidung. Wissenschaftliche Forschungen zum Verhältnis von Antisemitismus und Antifeminismus gibt es bislang nicht viele. Die wenigen Publikationen, die zur Thematik erschienen sind, stammen überwiegend von Historikerinnen. Eine ideologische Verbindung zwischen Antisemitismus und Antifeminismus gab es der Historikerin Shulamit Volkov zufolge besonders im deutschen Kaiserreich, aber auch schon seit dem 18. Jahrhundert. Anhand von Schriftstücken und öffentlich geführten Diskussionen des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts zeigt sie, dass antisemitisches und antifeministisches Denken und Handeln auf derselben Seite der politischen Kultur verortet werden kann.1004 Akteure dieser rechten politischen Strömung diskutierten, so Volkov, parallelisierend über den Status von Juden und Frauen, da sie gleichermaßen als minderwertig und als Außenseiter galten. Wer für Juden eingetreten sei, habe auch zur Problematik der Frauen Stellung bezogen und umgekehrt: »Man betrachtete sich gewöhnlich als Verteidiger der ‚männlichen‘ Rationalität gegenüber dem Prinzip der Irrationalität, das angeblich in den Frauen verankert sei. Für Anhänger dieser Meinung waren auch die Juden gefährliche Feinde im ‚letzten Kampf‘. Ausgesprochene Gegner der Frauenbewegung waren fast ausnahmslos auch radikale Antisemiten.«1005

____________________ 1001 1002 1003 1004 1005

220

Vgl. Fateh-Moghadam 2010: 138. Kampf 2015. Toubia zit. n. Kölling 2008: 7f. Vgl. Volkov 2001: 81. Ebd.: 75.

4. Wiederkehrende Motive

Der Antifeminismus sei im Gegensatz zum Antisemitismus jedoch gesellschaftlich weiter verbreitet und in allen politischen Spektren fest verankert gewesen. Er sei nicht wie der Antisemitismus eine zwar lautstarke und einflussreiche »Angelegenheit der Minorität« gewesen, sondern eine »zentrale Strömung der damaligen Kultur«, »eine kulturelle Norm«, die politisch sowohl links als auch rechts vorzufinden war.1006 Der Historiker Peter Pulzer bestärkt Volkovs Perspektive, wenn er in seiner Studie zur Entstehung des politischen Antisemitismus schreibt, dass sich Ende des 19. Jahrhunderts Antisemitismus und Antifeminismus im Programm von »parapolitischen Organisationen« wie dem Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband ergänzten und »die meisten Antisemiten [..] Antifeministen [waren]«.1007 Auch die Historikerin Ute Planert, deren Untersuchungsgegenstand eigentlich der Antifeminismus im Kaiserreich ist, legt an einer Stelle ihrer Studie überzeugend dar, dass Antifeminismus und Antisemitismus um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert »nicht nur programmatisch-strukturelle Ähnlichkeiten hatten, sondern auch personell und organisatorisch eng miteinander verflochten waren.«1008 So habe der Deutschnationale Handlungsgehilfenverband Juden gleichermaßen wie Frauen die Mitgliedschaft verweigert und sich gegen weibliche Erwerbstätigkeit, beispielsweise im Büro, also fernab von »Familienberufen«, positioniert.1009 Präzise führt sie aus, dass in Argumentationen gegen weibliche Erwerbstätigkeit Antifeministen/Antifeministinnen 1010 davon ausgingen, dass Frauenarbeit »Schädigungen der Gebärfähigkeit« und »Krankheitsanfälligkeit« nach sich ziehe und damit der Fortbestand »des Volkes« gefährdet werde.1011 Weiter hätten Antifeministen/Antifeministinnen in einer antisemitischen Argumentation auch »‚sittliche Gefahren‘, denen weibliche Angestellte an ihrer Arbeitsstelle ausgesetzt seien«, angeführt und sich damit explizit gegen jüdische Geschäftsinhaber gerichtet und diese öffentlich stigmatisiert:

____________________ 1006 1007 1008 1009 1010 1011

Ebd.: 78. Vgl. Pulzer 2004: 240. Planert 1998: 17. Ebd.: 75. Es gab zahlreiche Frauen, die dem antifeministischen Spektrum zuzurechnen waren. Planert 1998: 74.

221

4. Wiederkehrende Motive »Frauenfeindlichkeit verschränkte sich hier mit dem rigiden Antisemitismus der Deutschnationalen, denn angeblich ging die Gefährdung in erster Linie von jüdischen Geschäftsinhabern und speziell von den – als jüdische Einrichtung apostrophierten – Warenhäusern aus.«1012

Die Kulturwissenschaftlerin und Historikerin Claudia Bruns setzt sich mit dem Verhältnis von Antisemitismus und Antifeminismus anhand der Männerbundtheorie des Schriftstellers und Wandervogelchronisten Hans Blüher auseinander, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts im linken wie im rechten politischen Spektrum breit rezipiert wurde.1013 In seiner Theorie propagierte Blüher eine Exklusion von Frauen und ab dem Ersten Weltkrieg verstärkt auch eine von Juden. Sowohl Frauen als auch Juden »schadeten« der männlichen Gemeinschaft.1014 Auch die Soziologin Karin Stögner beschäftigt sich mit dem Verhältnis der »beiden zivilisatorischen Diskriminierungsformen«.1015 Ihr zufolge existierte bereits um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert die »Wahnvorstellung« einer »Weiberverschwörung« gegen die männliche Ordnung.1016 Gesellschaftliche Veränderungsprozesse riefen zu dieser Zeit gleichermaßen Antisemiten/Antisemitinnen und Antifeministen/Antifeministinnen auf den Plan, die gedachten, die alte Ordnung (vor den Emanzipationsbestrebungen von Frauen und Juden) zu sichern beziehungsweise wiederherzustellen.1017 Denn Juden/Jüdinnen und Frauen als gesellschaftliche Gruppen kämpften im 19. und 20. Jahrhundert gleichermaßen für ihre gesellschaftliche und politische Gleichberechtigung. In ihrer Monografie Antisemitismus und Sexismus fokussiert Stögner auf zeitgenössische Erfahrungen von jüdischen Frauen mit Antisemitismus und Sexismus. Anhand von problemzentrierten und biografischen Interviews analysiert sie, wie die jüdischen Frauen in Österreich mit diesen Erfahrungen umgehen.1018 Der Rückgriff auf geschichtswissenschaftliche Studien zeigt, dass eine partielle Verquickung von antisemitischen und antifeministischen Argumentationsmustern in der Gegenwart nicht überraschen sollte, wenngleich es nicht darum geht, historische Kontinuitätslinien zu konstruieren. In der ____________________ 1012 1013 1014 1015 1016 1017 1018

222

Ebd.: 75. Vgl. Bruns 2011: 25. Ebd.: 34. Stögner 2005: 38. Ebd.: 49. Vgl. ebd.: 38, 50; vgl. Volkov 2001: 62ff. Vgl. Stögner 2014: 239ff. und 246ff.

4. Wiederkehrende Motive

Beschneidungskontroverse konnten sich, wie dargelegt, beide Denkweisen anhand des gemeinsamen Aufhängers der Gegnerschaft zu kulturell-religiösen Vorhautbeschneidungen verbinden und ergänzen. Eine Gemeinsamkeit zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert und der Gegenwart besteht etwa darin, dass die genannten Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen Feministinnen sowie (beschnittene) Juden als gesellschaftlich zu einflussreiche Akteure und »Störenfriede der bestehenden Ordnung« ansehen.1019 Jedoch unterscheiden sich die Verbindungslinien zwischen antisemitischen und antifeministischen Denkweisen des 19. und 20. Jahrhunderts zu den gegenwärtigen in mehrerer Hinsicht: Eine personelle und organisatorische Übereinstimmung ist nicht mehr derart stark. Zwar gibt es einige Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen, die zugleich antisemitisch und antifeministisch argumentieren. Deutlich häufiger ist jedoch eine Praxis, die als ideologische Ergänzung bezeichnet werden kann. In dieser fügen unterschiedliche beziehungsweise mehrere Akteure/Akteurinnen ein Argument an ein anderes. Das bedeutet, dass es »jede mögliche Kombination der Einstellung zu Frauen und zu Juden, zusammen und einzeln« gibt.1020 Darüber hinausgehend spielen jüdische Feministinnen/Frauen als emanzipierte und intellektuelle Frauen, als sogenannte deviante Frauen, in den antifeministischen Argumentationen im Kontext der Gegnerschaft zu kulturell-religiösen Vorhautbeschneidungen keine Rolle. 4.4.

»Tausende wehrlose Kinder«

Im Anschluss an das Motiv der Benachteiligung, das besagt, die Vorhautbeschneidung werde nicht so geächtet wie die weibliche Genitalverstümmelung, wäre zu erwarten, dass jüdische Säuglinge und muslimische Jungen – als Betroffene der Praktik – ein fester Bezugspunkt von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen sind. Dies ist jedoch selten der Fall. Zwar kritisieren Gegner/Gegnerinnen einer kulturell-religiösen Vorhautbeschneidung in einer universalisierenden Sprechweise, dass Jungen/Kinder benachteiligt werden. Diese Jungen/Kinder sind aber, in der Perspektive der ____________________ 1019 1020

Volkov 2001: 76. Ebd.: 75.

223

4. Wiederkehrende Motive

Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen zumeist gerade nicht jüdisch und/oder muslimisch. Das bedeutet, sie schenken deren jüdischem und muslimischem Familienhintergrund wenig Beachtung. Die positiven Bezugnahmen auf »die Kinder« oder die »Wehrlosen«1021 changieren zwischen Dethematisierungen des Jüdisch-Seins (und Muslimisch-Seins) (Süss/Eppelsheim), ambivalenten Thematisierungen (Oestreich, Hefty, Zastrow, Köpf und Franz) und expliziten Nennungen des Jüdisch-Seins (Zwangsbeschneidung.de). Insbesondere einzelne Passagen aus den narrativen themenzentrierten Interviews zeigen, was passiert, wenn Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen den jüdischen Hintergrund mitdenken: sie sprechen dann über konkrete Subjekte, die nachvollziehbare Interessen haben und während der Kontroverse für ihre Belange einstehen. In dem Artikel Auch die Seele leidet in der FAZ thematisieren die Redakteurin Sonja Süss und der Redakteur Philip Eppelsheim den kulturell-religiösen Lebenskontext der Säuglinge/Jungen nicht. Sie schreiben in verallgemeinernder Wortwahl von »Kindern«, »kleinen Jungen«, dem »vierjährigen Jungen aus Köln« oder aber »[m]anche[n] Patienten«. Nur an einer Stelle des Artikels erwähnen sie muslimische Jungen, und zwar, wenn sie feststellen, dass diese »häufig im Alter von vier bis sechs Jahren beschnitten« würden.1022 Dieser Hinweis ist jedoch eine nüchtern präsentierte Hintergrundinformation und weniger ein Anhaltspunkt für eine Solidarisierung mit muslimischen Jungen, die besonders von einer kulturell-religiösen Vorhautbeschneidung betroffen seien. Auch in darauffolgenden Online-Kommentaren erwähnen die Leser/Leserinnen weitestgehend nicht, dass es um jüdische Säuglinge und muslimische Jungen geht. Dort heißt es verallgemeinernd etwa: »Jede Beschneidung, und das ist wissenschaftlich nachgewiesen, bewirkt ein tiefes Trauma bei den Betroffenen. Würde die Bundesregierung diese Beschneidungen nun legalisieren, käme das einer Beihilfe zur Traumatisierung Minderjähriger gleich. Somit macht sie sich mitschuldig an dem Leid tausender wehrloser Kinder.«1023

____________________ 1021 1022 1023

224

Schmidbauer 2012. Süss/Eppelsheim 2012a. Mohn 2012, Herv. D. I.

4. Wiederkehrende Motive

In anderen Online-Kommentaren sind ebenfalls beschnittene »Kinder« die Opfer einer »Demütigung« und »Genitalverstümmelung«, ihr Jüdisch-Sein und/oder Muslimisch-Sein bleibt unerwähnt.1024 Die ambivalenten Thematisierungen des Jüdisch-Seins und MuslimischSeins der Säuglinge/Jungen sind besonders häufig. Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen erwähnen bei dieser Form der Thematisierung an einzelnen Textstellen, dass die Säuglinge/Jungen oder Eltern jüdisch und muslimisch sind, überwiegend aber betonen sie – in einer verallgemeinernden Sprechweise – die »wehrlosen Kinder«. Daher stellt sich die Frage, wie jüdische Säuglinge, Jungen und Männer in den Äußerungen von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen überhaupt vorkommen beziehungsweise wann es eine Bedeutung hat, dass sie Juden (und Muslime) sind. Wann sind Juden also Akteure und wann wird ihnen abgesprochen, Jude und/oder jüdisch zu sein? Zugleich stellt sich die Frage, welche Funktion die jeweiligen Sprechweisen haben. Die Redakteurin Heide Oestreich schreibt über Juden und Muslime verallgemeinernd und konkretisierend zugleich. Einerseits betont sie verallgemeinernd den »Schmerz des Jungen« und eine »Körperverletzung an Kindern«.1025 Andererseits wirft sie die Frage auf »[h]aben die deutschen Christen und Atheisten das Recht, über die ‚Bräuche‘ ihrer Minderheiten, Juden und Muslimen, den Stab zu brechen?« Oder sie schreibt, einen spezifischen kulturell-religiösen Lebenskontext verdeutlichend, »[d]enn ebenso wie die Religionsgemeinschaften stehen auch die Kinder unter besonderem Schutz des Staates, und zwar auch die, die einer Minderheit angehören«.1026 Der Redakteur und Beschneidungsgegner Paul Georg Hefty spricht in seinen bereits genannten Artikeln Strafbare Beschneidung und Credo des Rechtsstaates in der FAZ von »Minderjährigen«, »minderjährigen Kindern«, »Kindern«, »minderjährigen Jungen«, »religiös verpflichteten Eltern«1027 oder »Eltern und deren Überzeugungen«.1028 Nur an einer Stelle weist Hefty explizit darauf hin, dass es um jüdische oder muslimische Eltern geht: ____________________ 1024 1025 1026 1027 1028

Vgl. Oetken 2012a; vgl. Franck 2013. Oestreich 2012a. Ebd., Herv. D. I. Hefty 2012b. Hefty 2012a.

225

4. Wiederkehrende Motive »Im Falle der Beschneidung von minderjährigen Kindern jüdischer oder muslimischer Eltern aus nichtmedizinischen, religiösen Gründen ließe sich der Konflikt zwischen Staat und Religionsgemeinschaft grundsätzlich dadurch auflösen, dass die Eltern auf die Beschneidung bis zur Volljährigkeit verzichten und es ihren Söhnen anheimstellen, sich mindestens nach dem 12. oder nach dem 18. Geburtstag zu entscheiden.«1029

Hier zeigt sich, dass die Zuschreibung jüdisch und muslimisch dann geschieht, wenn Hefty die Eltern als Konfliktpartei und Lösungsverhinderer kritisiert, die nicht dazu bereit seien, seinen Lösungsvorschlag (Kompromiss) zu akzeptieren. Durch diese Form der Thematisierung können jüdische und muslimische Eltern kein positiver Bezugspunkt sein, da sie die anzustrebende Lösung verhindern würden und so ein Teil des Problems sind. Dass für Juden/Jüdinnen ein Verzicht auf die Praktik bis zum zwölften oder achtzehnten Lebensjahr einem Verbot gleichkommt, da fester Bestandteil des religiösen Gebotes der Zeitpunkt und die Namensgebung des männlichen Säuglings ist, lässt Hefty unberücksichtigt. Desgleichen verwendet Volker Zastrow in den bereits genannten Artikeln Gender und Nötiger Schmerz in der FAZ verallgemeinernde Begrifflichkeiten. Er schreibt von »Jungen« und »Kindern«, wenn er die »Genitalverstümmelung von Jungen« anklagt oder mahnt, dass der deutschen Öffentlichkeit das »Schicksal der Kinder« nicht wichtig sei.1030 Bei ihm gibt es im Gegensatz zu Hefty auch jüdische und muslimische Jungen, aber keine jüdischen und/oder muslimischen Eltern. Den jüdischen und muslimischen Familienhintergrund der Jungen nennt er überhaupt nur an einer Stelle: »Also auch – und richtigerweise – bei der Klitorisvorhautbeschneidung, die freilich der üblichen Beschneidung jüdischer und muslimischer Jungen entspricht.«1031

Dieser Satz verdeutlicht, dass Zastrow die Zuschreibung jüdisch und muslimisch verwendet, wenn er die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung als barbarisch darstellt und skandalisiert, dass den Jungen etwas genauso Schlimmes angetan werde wie den Mädchen bei einer Genitalverstümmelung.1032 ____________________ 1029 1030 1031 1032

226

Hefty 2012b, Herv. D. I. Zastrow 2012a und 2012b. Zastrow 2012b, Herv. D. I. Siehe die Analyse zu Zastrow unter ‚Die Vorhautbeschneidung wird nicht so geächtet wie die weibliche Genitalverstümmelung‘.

4. Wiederkehrende Motive

In dem Artikel Unzeitgemäßer Grundpfeiler? in der FAZ beschreibt der Redakteur und Autor Peter Köpf eine jüdische Vorhautbeschneidung und lässt unterschiedliche jüdische Stimmen zu Wort kommen, die eine Vorhautbeschneidung sowohl befürworten als auch problematisieren. Zu Beginn des Artikels porträtiert Köpf David Goldberg von der Jüdischen Gemeinde Hof, der bereits »viertausend Jungen« beschnitten habe: »Der Mohel arbeitet ernst und routiniert: Das ‚Baruch ha-ba‘ (‚Gesegnet, der da kommt!‘) ist gesprochen und Gott, der die Beschneidung befohlen habe, gelobt. Nun nimmt der Mohel den Kamm, trennt die Vorhaut von der Eichel und schiebt den Magen (das Schutzschild) dazwischen, um die Eichel vor Verletzungen zu schützen. Dann nimmt er das Skalpell. Ein geübter Schnitt, schon ist es vorbei und das Kind ‚in den Bund eingeführt‘. Es schreit.«1033

Den zweifellos jüdischen Säugling bezeichnet der Verfasser dessen ungeachtet als »Neugeborenen«, »kleinen Jungen« und »Kind«. Im Gegensatz dazu besitzen die im Artikel vorkommenden Erwachsenen (als Gegensatz zum Kind) eine als solche kenntlich gemachte jüdische Identifikation. Goldberg wird etwa mit den Worten »diplomierter Mohel« und »Gemeinderabbiner der jüdischen Gemeinde« beschrieben, die Publizistin Hanna Rheinz, die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen problematisiert, als »jüdische Publizistin«.1034 Unter der Überschrift Alles also halb so schlimm? setzt sich der Verfasser weitergehend mit der Perspektive des Politikwissenschaftlers und Zeithistorikers Rafael Seligmann auseinander und zitiert seine Erfahrungen: »Rafael Seligmann, Verleger und Herausgeber der ‚Jewish Voice from Germany‘, hat seinen Sohn und zwei weitere Knaben durch die Brit Mila begleitet, und er sagt, die ganze Zeremonie dauere dreißig Sekunden. ‚Das Weinen ist schnell zu Ende, nachdem der Mohel ihm ein Läppchen mit Zuckerwasser an den Mund gehalten hat.‘ Das Ritual am achten Tag sei sinnvoll, ‚mit acht oder zehn Jahren hast du Angst davor‘, sagt er. Und größere Schmerzen. Was die Juden anbetrifft, so könne von einem nachhaltigen Trauma nicht die Rede sein, ihm sei nicht bekannt, ‚dass Jesus, Einstein, mein Sohn und Millionen andere Juden bleibende Schäden davongetragen hätten‘.«1035

In dieser Passage lässt Köpf eine jüdische Sichtweise auf die Vorhautbeschneidung zu Wort kommen, die eine kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung als Normalität darstellt. Es scheint, als gehe der Verfasser davon aus, ____________________ 1033 1034 1035

Köpf 2012a, Herv. D. I. Ebd. Köpf 2012a.

227

4. Wiederkehrende Motive

dass das Zitat Seligmanns – wie zuvor das von Goldberg – für sich selbst spreche und sich die Interviewten mit ihrer Sichtweise selbst als unzeitgemäß und unempathisch entlarven würden (im Verlauf des Artikels kommentiert er solche Sichtweisen mit den Worten, es werde »schönphilosophiert« und eine kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung sei »im Grunde nicht mehr zeitgemäß«). Im Anschluss wirft Köpf rhetorische Fragen auf und skandalisiert auf diese Weise, dass bei einer kulturell-religiösen Vorhautbeschneidung »nach der Operation die empfindlichste Stelle des Körpers eines männlichen Menschen wund und blutig da[liegt]«: »Aber die Kinder? Darf man fragen, ob für alle Zeiten richtig ist, was schon immer so gemacht wird? Was dem Kind geschieht, bleibt in der öffentlichen Debatte merkwürdig unbeleuchtet, wird unter formaljuristischen Debatten versteckt oder schönphilosophiert.«1036

Köpf proklamiert, die Perspektive auf Kinder stünde in der öffentlichen Kontroverse nicht ausreichend im Fokus, obwohl Kinder ein zentraler Bezugspunkt der gesamten Kontroverse sind. Es gibt zahlreiche Artikel, Gastkommentare sowie politische Stellungnahmen, die sich für die Kinder einsetzen, sich mit ihnen solidarisch erklären und ein Verbot von kulturell-religiösen Vorhautbeschneidungen fordern.1037 Der offene Brief Religionsfreiheit kann kein Freibrief für Gewalt sein, den die FAZ am 21. Juli 2012 veröffentlichte, zeigt ebenfalls exemplarisch, wie sich Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen nicht mit jüdischen Säuglingen, sondern mit Kindern solidarisch erklären. Dabei ist zentral, dass an einigen Stellen des Textes das Judentum und Jüdisch-Sein hervorgehoben und betont, an anderen Stellen weggelassen und ausgeklammert wird. In einer verallgemeinernden Sprechweise tritt der Psychoanalytiker Matthias Franz für den »Kinderschutzgedanken« ein. »[D]ie Kinder« sollten vor der »Genitalbeschneidung« beziehungsweise vor »religiösen Traditionen« und »religiösen Gruppen« geschützt werden. Er verknüpft die Begriffe »Kind« und »Junge« so eng miteinander, dass sie in seiner Argumentation nur dann nicht synonym gebraucht werden, wenn es sich um einen expliziten Vergleich mit der von ihm verurteilten »Gewalt im Genitalbereich von Mädchen« handelt. Darüber hinausgehend findet bei Franz eine ____________________ 1036 1037

228

Ebd., Herv. D. I. Vgl. Rupprecht 2012; vgl. LAG Laizismus Bayern 2012a; vgl. Bündnis 90/Die Grünen, München 2012.

4. Wiederkehrende Motive

Transformation von Begrifflichkeiten statt. Aus den »Kinderrechte[n]« wird im Zusammenhang mit Juden/Jüdinnen der »Kinderschutz«.1038 Überhaupt kann anhand des offenen Briefes gezeigt werden, dass Juden/Jüdinnen bei Franz überwiegend unkonkret bleiben und zugleich zum unvernünftigen jüdischen Gegenbild werden, weil sie nicht zum Kollektiv der Eltern gehören, die ihren »Kindern nicht weh[tun]«.1039 Zunächst beschreibt Franz die Vorhautbeschneidung unspezifisch als »religiöse Tradition« und bringt sie mit »dem Recht auf Religionsausübung« in Verbindung.1040 Zwar handelt es sich bei den genannten religiösen Traditionen zweifelsohne um jüdische und muslimische Traditionen, diese werden als solche an dieser Stelle aber nicht benannt. Erst als der Verfasser auf das nichtjüdisch-jüdische Verhältnis eingeht und von jüdischem Leben in Anführungszeichen schreibt, wird ein expliziter Verweis auf Jüdisches deutlich: »Natürlich müssen in der laufenden Diskussion auch die Bedürfnisse, Befürchtungen und Traditionen der beteiligten religiösen Gruppen Berücksichtigung finden. Hier muss auch wechselseitiges Verständnis gefördert werden. Der schwerwiegende Vorwurf jedoch – unter assoziativem Verweis auf den Holocaust – durch ein Verbot der rituellen Jungenbeschneidung würde ‚jüdisches Leben in Deutschland‘ unmöglich werden, ist für Vertreter des Kinderschutzgedankens nicht hinnehmbar.«1041

Die Textstelle verdeutlicht, dass sich der Verfasser nicht der Bedeutung der Vorhautbeschneidung im Judentum zuwendet, obwohl es im Text heißt, dass »[n]atürlich« auch die Traditionen der religiösen Gruppen berücksichtigt werden müssten. Vielmehr bringt er, dem eigenen Anspruch zuwiderlaufend, die »religiösen Gruppen«, die an ihren Traditionen und Bedürfnissen festhalten, mit Druck und moralischer Erpressung in Verbindung: Juden, die ein Verbot von kulturell-religiösen Vorhautbeschneidungen kritisieren, gesteht Franz kein legitimes Interesse zu, so als hätten sie sich durch den Verweis, jüdisches Leben sei bei einem Beschneidungsverbot in Deutschland nicht mehr möglich, selbst als Dialogpartner ausgeschlossen.

____________________ 1038 1039 1040 1041

Vgl. Franz 2012a. Ebd. Ebd. Ebd., Herv. D. I.

229

4. Wiederkehrende Motive

Die Anführungszeichen um jüdisches Leben in Deutschland wirken irritierend und distanzierend, wenngleich davon auszugehen ist, dass der Verfasser mit den Anführungszeichen auf ein Interview mit Dieter Graumann, dem damaligen Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, aus den Tagesthemen vom 27. Juni 2012 verweist. In dem Interview hatte Graumann gesagt, dass »dieses Urteil zu Ende gedacht […] doch bedeuten [würde], dass jüdisches Leben in Deutschland faktisch unmöglich gemacht wird«.1042 Vom Holocaust spricht er nicht, die Assoziation zur Vernichtung der europäischen Juden/Jüdinnen vollzieht vielmehr Franz selbst. Durch die unvollständige Wiedergabe und die nicht transparente Zitation impliziert die Schreibweise eine fragwürdige Hervorhebung. Es entsteht der Eindruck, dass Franz jüdische Belange wenig ernst nimmt. So wird jüdisches Leben zu einer abstrakten Figur, die seiner eigenen Haltung und der der Menschen mit »Kinderschutzgedanken« gegenübersteht. In einer anderen Textpassage des offenen Briefes nennt Franz jeweils einen israelischen – für ihn wohl gleichzusetzen mit einem jüdischen – und muslimischen Beschneidungsgegner, die er als Subjekte durch Namen kennzeichnet: »Das [Kindern nicht weh zu tun, D. I.] haben mittlerweile auch engagierte Gegner der Ritualbeschneidung wie Jonathan Enosch in Israel erkannt. Bei ihnen stieß das Kölner Urteil auf deutliche Zustimmung. Herr Nadeem Elyas, ehemaliger Vorsitzender des Zentralrates der Muslime, hält beispielsweise den Zeitpunkt aus Sicht des Islam für variabel«.1043

An dieser Stelle bezieht sich Franz positiv auf einen konkreten Juden und Muslim, weil sie seine Position gegen kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen scheinbar legitimieren. Durch die positive Bezugnahme werden Juden und Muslime in zwei Gruppen geteilt: es gibt in dieser Perspektive vernünftige, aufklärerisch und fortschrittlich denkende sowie unvernünftige und rückschrittliche Juden und Muslime. Die Vernünftigen sind mit Namen ____________________ 1042

1043

230

Graumann 2012a, Minute 17:22 der Videoaufzeichnung der ARD-Tagesthemen. In einer ähnlichen Formulierung wiederholt Graumann diese Aussage in einem Interview vom 14.07.2012 in der Rheinischen Post. Er sagt: »Wenn ein solches Urteil zur Rechtslage würde, dann wären die Juden kalt in die Illegalität abgedrängt. Dann wäre in letzter Konsequenz jüdisches Leben in Deutschland nicht mehr möglich« (Graumann 2012b). Franz 2012a, Herv. D. I.

4. Wiederkehrende Motive

bekannt und stehen auf seiner Seite, die Unvernünftigen lassen ihre Kinder beschneiden und stehen ihm als schwer greifbare und weitgehend schemenhafte, abstrakte Figur gegenüber.1044 Zuletzt kann eine weitere Dimension der Verwendung des Begriffes Kind im offenen Brief verdeutlicht werden: »Es geht vielmehr darum, auch jüdisches und islamisches Leben im Rahmen der deutschen Rechtsordnung zu schützen. Als Kinder der Aufklärung müssen wir endlich die Augen aufmachen: Man tut Kindern nicht weh!«1045

Die beschädigten beschnittenen »Kinder« der Juden und Muslime und die »Kinder der Aufklärung« werden von Franz sehr nah aneinander gerückt. Die Vorhautbeschneidung sei im Sinne einer kausalen Logik eine Verletzung des Kindes und damit gleichzeitig eine Verletzung der Rechtsordnung, welche endlich gesehen werden müsse (Augen aufmachen). Die Rechtsordnung wiederum sei eine Folge der Aufklärung. Die irritierende Sprechweise Franz‘ von Kindern der Aufklärung verdeutlicht, dass sich der Verfasser in der ideengeschichtlichen Tradition der Aufklärung sieht und die Aufklärung ein zentraler und positiver Aspekt seines Selbstbildes ist. Zugleich verdeutlicht seine Sprechweise aber auch, dass Juden und Muslime, die an einer Vorhautbeschneidung festhalten, nicht in der Tradition der Aufklärung stehen können. Auf diese Weise werden sie erstens aus der Gemeinschaft der Aufgeklärten und Aufklärer ausgeschlossen, zweitens verschweigt der Verfasser den tatsächlichen Beitrag von Juden/Jüdinnen zum Projekt der Aufklärung. Zuletzt ermöglicht die Identifizierung des Verfassers mit einem imaginierten Kollektiv der Kinder, dass er sich mit den von Vorhautbeschneidung Betroffenen auf eine Stufe stellen kann. Die »Kinder der Aufklärung« unterstreichen daher sein scheinbar unschuldiges Ansinnen und eröffnen zusätzlich den Assoziationsraum, dass er sich entlastet beziehungsweise zum unschuldig Betroffenen macht.1046 Dem stehen im offenen Brief die erwachsenen Juden und Muslime entgegen, die ihren Söhnen durch die Vorhautbeschneidung eine Verletzung beziehungsweise Wunde zufügen und auf diese Weise zu Tätern gemacht werden.

____________________ 1044 1045 1046

Zur Teilung in gute und böse Juden siehe Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 364. Franz 2012a. Vgl. Eppenstein 2015: 371.

231

4. Wiederkehrende Motive

Insbesondere ein narratives Interview mit dem Urologen V. A. gibt Aufschluss darüber, dass zahlreiche Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen zwar von »den Kindern« sprechen, eigentlich aber nur Jungen meinen. Er erläutert im Interview, wie er zum Beschneidungsgegner wurde. Schon früh habe er abgelehnt, »Kinder (und) Jungs rituell zu beschneiden, aus religiösen Gründen«.1047 An späterer Stelle reflektiert er diese Verallgemeinerung, wenngleich seine Reflexion nicht dazu führt, nicht mehr allgemein von Kindern, sondern speziell von Jungen zu sprechen: »[A]lso ich sage jetzt immer Kinder, aber es sind natürlich nur Jungs«.1048 Statt von männlichen Säuglingen oder Jungen zu sprechen, benutzen Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen den Begriff Kind synonym. Die Argumentationen von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen zeigen, dass sich die Kinder »als Chiffre« hervorragend für politische Kampagnen eignen.1049 Die Soziologin Imke Schmincke hat mit Blick auf politische Auseinandersetzungen konservativer und rechter Protestbewegungen in Frankreich und Deutschland, die gegen Homosexualität und Geschlechtergleichheit kämpfen, verdeutlicht, dass »die argumentative Referenz auf die Kinder und mehr noch das Kindeswohl« eine »unschlagbare Macht« besitzt, alternative Positionen hingegen »zum Verstummen« bringen soll: »Das Argument ‚Kindeswohl‘/‚Sorge um Kinder‘ wirkt immer, es sichert Aufmerksamkeit, verleiht Glaubwürdigkeit und vor allem moralisches Gewicht. Kinder repräsentieren in diesen Bezugsrahmen Unschuld und Bedürftigkeit. Durch symbolische Überhöhung wird den Kindern somit eine […] ‚Macht der Unschuld‘ […] zugeschrieben, welche gewinnbringend für die eigene Argumentation genutzt werden kann«.1050

In Anlehnung an Schmincke lässt sich argumentieren, dass eine Solidarisierung und das Einfordern von Solidarität mit dem Kind, das unabhängig von dazugehörigen jüdischen und muslimischen Eltern gedacht wird und damit sozial beziehungslos ist, Vorteile birgt. Beschneidungsgegner/Beschnei-

____________________ 1047 1048 1049 1050

232

V. A. 2014: Z. 71ff. Ebd.: Z. 260. Schmincke 2015: 93. Schmincke 2015: 93. In ihrer Argumentation stützt sie sich auf eine Publikation der Soziologin Doris Bühler-Niederberger von 2005.

4. Wiederkehrende Motive

dungsgegnerinnen können in der öffentlichen Kontroverse und in ihren politischen Mobilisierungen über den Appell vom Schutz des Kindes in gewissem Maße ein breites »Identifikations- und Zugehörigkeits-Angebot« für »die Kinder« liefern und damit eine politische und kollektive Identität ermöglichen.1051 Neben diesen verschiedenen ambivalenten Thematisierungsformen von Juden und dem Jüdischen gibt es auch solche, die greifbar antisemitisch sind. Diese Thematisierungen rekurrieren explizit auf das Judentum, um es anschließend als Religion abzulehnen. Die Argumentationsweise des Verfassers des Internetblogs Zwangsbeschneidung.de veranschaulicht, wie eine politische Skandalisierung der Vorhautbeschneidung stattfinden kann, gerade wenn sie als jüdisch identifiziert wird. Die explizite Bezugnahme des Verfassers auf »jüdische Kinder« ist in diesem Zusammenhang also eine rhetorische Legitimationsstrategie, die es ihm ermöglicht, für diese jüdischen Kinder einzutreten und sich mit ihnen zu solidarisieren. Im Verlauf der Argumentation positioniert sich der Autor von Zwangsbeschneidung.de entsprechend besonders gegen die vermeintlich grausamen Rabbiner, die Beschneidungen durchführen. Bezugnehmend auf die Ärztin und Rabbinerin Anke Yael Deusel, die in ihrer Publikation Mein Bund, den ihr bewahren sollt auf innerjüdische Kontroversen unter Rabbinern während der Antike verweist, die darüber debattierten, in welchen Ausnahmefällen die Beschneidung nicht am achten Tag stattfinden müsse, heißt es: »Hier diskutieren die Rabbis darüber, wieviele Kinder sie sterben lassen wollen, um einen beschnittenen Juden zu produzieren. Das ist Verwertung von menschlichem Leben. Im Judentum soll das Leben und die Bewahrung des Lebens den höchsten Stellenwert besitzen??? Diese Aussage ist nicht nur widerlegt. Es hat sich eine Frage anzuschließen. Wieviele jüdische Kinder sind durch die Brit Mila gestorben? Wieviele Juden haben ihr Leben durch die Beschneidung verloren? Wieviele Juden sind im Laufe von 4000 Jahren – durch die Beschneidung – vernichtet worden. Sind es Hundertausende? Sind es Millionen?«1052

Im Jahr 2015 erscheint auf Zwangsbeschneidung.de diese Textpassage leicht abgewandelt, die letzten beiden Fragezeichen (hinter »Hunderttausende« und »Millionen«) existieren nicht mehr: ____________________ 1051 1052

Schmincke 2015: 98. Zwangsbeschneidung.de 2013a.

233

4. Wiederkehrende Motive »Und ich frage noch einmal. Wieviele (jüdische) Kinder sind im Laufe von 4000 Jahren an den Folgen der Beschneidung verstorben. Sind es Hunderttausende. Sind es Millionen. Wie rechtfertigen Juden die sicher anfallenden toten jüdischen Kinder der Zukunft, die bei einer Todesrate größer null mit absoluter mathematischer Sicherheit unendlich hoch sein wird, wenn diese Zukunft ewig dauert«. 1053

Die abgewandelte Textpassage zeigt, dass der Autor seine rhetorischen Fragen bereits selbst beantwortet hat: es sind Millionen. Mit der Kommentierung einer »ewig dauernden Zukunft« deutet er an, dass möglicherweise irgendwann mehr Juden durch ihre eigene religiöse Praxis der Vorhautbeschneidung getötet würden, als Juden/Jüdinnen durch die nationalsozialistische Vernichtung ermordet wurden. Darüber hinausgehend unterscheidet er zwischen den unschuldigen jüdischen Kindern und den vermeintlich grausamen und empathielosen Rabbinern, die Vorhautbeschneidungen durchführen. Juden, die Säuglinge beschneiden lassen, werden pauschal zu Tätern gemacht. Und da Vorhautbeschneidungen zum Tod führen würden, sei bewiesen, dass das Leben im Judentum keinen Wert habe. Durch die Parallele zwischen den Millionen Juden/Jüdinnen, die während des Nationalsozialismus ermordet wurden, und den Millionen jüdischer Kinder, die durch die Folgen einer Vorhautbeschneidungen »vernichtet« worden wären, rücken die Toten eng zusammen. Zugleich werden die Mörder der Kinder auf eine Stufe gestellt. Die Parallelisierung verweist neben der Täter-Opfer-Umkehr auf antisemitische Ritualmordbeschuldigungen, die spätestens seit dem 12. Jahrhundert existierten und »ein zentrales Motiv christlich-jüdischer Auseinandersetzungen« waren.1054 Schwarz-Friesel/Reinharz gehen hinsichtlich der Entstehung des Stereotyps historisch weiter zurück und betonen, »die Geschichte des Kindermords« wurde schon unter der »Herrschaft des Herodes«1055 im antiken Rom (vor unserer Zeitrechnung) erzählt. Die Psychologin Anna Leszczynska-Koenen weist darauf hin, dass die »assoziative Verbindung von Beschneidung und Ritualmord« ab dem 16. Jahrhundert »fester Bestandteil christlichen Glaubens in Europa« war.1056 Als »spezifische ____________________ 1053 1054 1055 1056

234

Zwangsbeschneidung.de 2015a. Zachmann 1999: 160. Im 19. Jahrhundert entstand der damit verbundene Topos, der Jude vergehe sich »an der ‚unschuldigen‘ deutschen Nation« (Braun 2005: 69). Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 126f. Leszczynska-Koenen 2012: 1220.

4. Wiederkehrende Motive

Tradition des Aberglaubens« bezeichnet auch Stefan Rohrbacher Ritualmordbeschuldigungen, die sich rasch in Europa ausbreitete und »deren eigentliche Entstehungs- und ‚Blütezeit‘ im christlichen Mittelalter lag«.1057 Er kontextualisiert, dass gläubige Christen sich im 12. Jahrhundert das Martyrium Jesu zunehmend drastisch ausmalten und gleichzeitig eine Verehrung des Jesusknaben eingesetzt habe. Passion und Kreuzestod seien »nicht selten bereits auf das Kind projiziert« worden.1058 In den antisemitischen Erzählungen wurden erwachsene Juden beschuldigt, christliche Jungen zu ermorden und ihr Blut zu verzehren: »Immer wieder ist auf den Darstellungen des Spätmittelalters und der Frühneuzeit zu sehen, wie die Juden dem kreuzförmig ausgestreckten Opfer das (manchmal aus einer Wunde an der Seite strömende) Blut entziehen, und immer wieder wird die Karwoche oder das jüdische Osterfest als Morddatum genannt. In anderen Fällen wird gezeigt, wie die Mörder das Opfer zunächst beschneiden. Auch dieses eigentümliche und vielleicht auch wegen seiner sexuellen Komponente beliebte Motiv konnte unschwer als Anspielungen auf die Leiden Jesu gedeutet werden, denn seine Beschneidung wurde vielfach als Vorwegnahme seiner (von den Juden verschuldeten) Passion gedeutet.«1059

Zwar geht es auf Zwangsbeschneidung.de nicht mehr um die Fiktion, dass sich Juden an christlichen Jungen vergehen und diese töten würden, um ihr Blut zu verzehren.1060 Die Argumentation läuft aber darauf hinaus, der jüdische Junge werde durch die Vorhautbeschneidung von seinen jüdischen Eltern verletzt beziehungsweise sie würden sich am unschuldigen jüdischen Kind vergehen.1061 Die beschuldigten Täter sind also weiterhin jüdische Erwachsene beziehungsweise jüdische Eltern. Damit greift der Beitrag von Zwangsbeschneidung.de auf ein altes antisemitisches Sprachgebrauchsmuster zurück, das, wie Schwarz-Friesel und Reinharz es beschreiben, eine moderne sprachliche Manifestation oder Entsprechung besitzt: »Die Legende von Blutkult und Ritualmord wird modern ____________________ 1057 1058 1059

1060 1061

Rohrbacher 1991: 275. Siehe hierzu auch Leszczynska-Koenen 2012: 1219. Rohrbacher 1991: 276. Rohrbacher 1991: 278. Stefan Rohrbacher und Christina von Braun verweisen darauf, dass die Opfer in antisemitischen Ritualmordbeschuldigungen nicht ausschließlich christliche Jungen, sondern auch junge christliche Frauen sein konnten (vgl. Rohrbacher 1991: 278; vgl. Braun 1995: 185). Vgl. Braun 2005: 69; vgl. Braun 1997: 80; vgl. Erb 2002: 58. Vgl. Gilman 1997: 169f.; vgl. Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 126.

235

4. Wiederkehrende Motive

reaktiviert mit der Lesart barbarisch, atavistisch und findet sich in den Konzeptualisierungen des israelischen Kindermörders sowie des jüdischen Kinderverstümmlers.«1062 Die als Enttäuschung formulierte Anschuldigung des Autors von Zwangsbeschneidung.de »[d]ie bittere Erkenntnis ist, dass gerade Juden keine Mitstreiter im Kampf um die Menschenrechte sind«, bestärkt diese Lesart des Textes.1063 Die beiden Psychoanalytiker Yigal Blumenberg und Wolfgang Hegener formulieren im Zusammenhang mit der deutschen Beschneidungskontroverse, dass die »Entstellung und Diffamierung des jüdischen Beschneidungsrituals […] einer Schuldentlastung für den Mord an den Juden [dient]« und zugleich »der Ausdruck einer unbewusst gebliebenen Identifikation mit nationalsozialistischen Eltern und Großeltern« sei. Die Beschneidung des jüdischen Säuglings werde in projektiver Verkennung »zu einer unerkannt bleibenden Metapher für die seelische Wunde, die den Säuglingen von ihren deutschen Eltern zugefügt wurde.«1064 Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen behaupten also, beschnittene Säuglinge/Jungen würden von nichtjüdischen/nichtmuslimischen Deutschen im Stich gelassen werden, wenn die kulturell-religiöse Praxis nicht verboten würde. Sie haben die Vorstellung, jüdische und muslimische Jungen wären ohne ihre Intervention der religiös legitimierten Gewalt ausgesetzt. Daraus resultierend erwächst die Forderung an den deutschen Staat, Kinderrechte endlich durchzusetzen und »Gewalt gegen Kinder« bedingungslos zu bekämpfen. Drei Passagen aus den narrativen themenzentrierten Interviews geben Aufschluss darüber, was passiert, wenn das Jüdisch-Sein mitgedacht wird, und vor welchen Herausforderungen Gegner/Gegnerinnen der kulturell-religiösen Vorhautbeschneidung dann stehen. Der Finanzrichter L. A. sorgt sich in einer Interviewpassage zunächst ebenfalls um die »Kinder« und hofft, dass sie in Zukunft vor der kulturell-religiösen Vorhautbeschneidung »wieder vollends geschützt werden«.1065 Er äußert Unverständnis gegenüber der Haltung, Nichtjuden sollten Juden/Jüdinnen eine zentrale kulturell-religiöse ____________________ 1062 1063 1064 1065

236

Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 172. Siehe auch ebd.: 63ff. Zwangsbeschneidung.de 2013a. Blumenberg/Hegener 2013: 10. L. A. 2014: Z. 1685f.

4. Wiederkehrende Motive

Praxis nicht verbieten (wegnehmen), sondern sie selbst über die Ausgestaltung ihrer kulturell-religiösen Praktiken bestimmen lassen. Wieder bezeichnet er weder Nichtjuden (»wir«) noch Juden/Jüdinnen (»irgendwen«) als solche: »A: (Ich sag) da verstehe ich nur überhaupt nichts, wieso nehmen wir irgendwem was, es geht doch um die Kinder, um das Kindeswohl um=um=um Menschen, die noch gar nicht sich selbst einordnen können«. 1066

Im Verlauf des Interviews ging es darum, ob er von seiner Seite noch Dinge zum Thema Beschneidung ansprechen möchte, die »vielleicht auch noch nicht angesprochen wurden«1067. In diesem Zusammenhang reflektiert L. A. über seine bisher vorgebrachten Argumente und überlegt, ob es auch Gründe geben könnte, um die Forderung eines Beschneidungsverbotes aufzugeben. Dafür zieht er seine Pro- und Contra-Argumente erneut heran: »A: Was haben wir nicht angesprochen, das ist schwer jetzt zu sagen (3). Ja die ganzen ehm (-) sagen wir mal diese Nachteile [einer Vorhautbeschneidung, D. I.], hab ich alle aufgezählt. Das ist ja auch ein Nachteil, dass was schief gehen kann, eine Infektion entstehen kann und und und (1). Und was ist eigentlich das Positive, was könnte man eigentlich (-) zugunsten des Kindes sagen. Ja da gibt es nur ein Argument glaube ich eh, wenn das Kind unter Juden aufwächst oder das Kind unter Muslimen und das wird als nicht-beschnitten erkannt, ja, von den anderen.«1068

An dieser Stelle wird deutlich, dass die ansonsten sehr eindeutige Positionierung L. A.s für ein Verbot von kulturell-religiösen Vorhautbeschneidungen ins Wanken gerät, wenn er mitdenkt, dass vom Urteil besonders Säuglinge und Jungen betroffen sind, die einen jüdischen und muslimischen Familienhintergrund haben. Das verallgemeinernde Sprechen vom Kind scheint also zu erleichtern, die Forderung eines Verbotes konsequent zu formulieren und die eigene Haltung nicht zu revidieren. Die interaktive Situation des Interviews führt dazu, dass L. A. sich damit befasst, ob Nichtjuden Juden vorschreiben sollten, wie diese ihre religiösen Praktiken ausgestalten. Auch in einem anderen Interview zeigt sich, dass Beschneidungsgegner anders sprechen, wenn sie mitbedenken, dass ein Verbot konkrete Auswir-

____________________ 1066 1067 1068

Ebd.: Z. 353–355. Ebd.: Z. 1269f. Ebd.: Z. 1273–1279, Herv. D. I.

237

4. Wiederkehrende Motive

kungen für Juden/Jüdinnen hat. Obwohl B. A. ein konsequenter Beschneidungsgegner ist, gibt er bei seinen Ausführungen, wann eine Vorhautbeschneidung bei Jugendlichen erlaubt werden könnte, zu bedenken, dass aufgrund von zwei Gründen für Juden eine »pragmatische Lösung« gefunden werden müsse, um Vorhautbeschneidungen ausnahmsweise zu erlauben. Der erste Grund sei die »Geschichte Deutschlands«1069 – womit er den Nationalsozialismus und den Holocaust meint. Er kommt also auf das Verhältnis zwischen Juden und Deutschen zu sprechen, das durch die Erfahrung des Holocaust geprägt sei: »A: Und so fühlt sich das für mich an, als wenn eben dieses Infragestellen der Beschneidung, das ähm sozusagen so eine Traumareaktion ausgelöst hat, nämlich im Prinzip das Trauma, dass im Zweiten Weltkrieg es dieses Fast-Ausgelöschtwordensein. Und das ist auch die Grundlage, auf der ich dann sage, okay, dann muss man halt gucken, wie man das so gestaltet, dass man eben -diesem Trauma auch entgegenkommt, auch im Sinne unserer Verantwortung. F:

Mhm.

A:

Der Geschichte.

F:

Ja.

A:

Also das sehe ich eben bei den muslimischen Gemeinden anders. Zumal das bei denen eben kein Gebot ist. Sie sind ja nicht zusätzlich in der Bredouille, das hat einfach eine Tradition.

F:

Mhm.

A:

Und äh von Traditionen darf man sich auch verabschieden.«

Die Interviewpassage zeigt, dass es einen Unterschied macht, ob Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen abstrakt über die Vorhautbeschneidung sprechen oder mit einbeziehen, dass es um konkrete Menschen, Juden/Jüdinnen geht. Als zweiten Grund führt B. A. an, dass die Vorhautbeschneidung für Juden/Jüdinnen im Gegensatz zu Muslimen/Muslimas ein religiöses Gebot ist und nicht nur eine Empfehlung: »A: Ähm – ich sag mal so, auf (……) Bedürfnisse könnte man ja noch Rücksicht nehmen, also insbesondere auch auf, wenn man Rücksicht auf die Geschichte Deutschlands nehmen würde. F:

Mhm.

____________________ 1069

238

B. A. 2014: Z. 399f.

4. Wiederkehrende Motive A:

Das könnte ich mir vorstellen, dass man da irgendwelche Lösungen findet. Das Problem ist, viele von diesen Lösungen laufen - am Ende darauf hinaus, dass man de facto registriert, wer welche Glaubenszugehörigkeit hat.

F:

Mhm.

A:

Auch doof. Also, ich hatte damals da eine Lösung vorgezogen, die eine Straffreiheit zulässt, wenn die Eltern nachweisen, dass es für sie ein religiöses Gebot ist, das durchzuführen.

F:

Mhm.

A:

Das wären dann also noch 100 Vorhautentfernungen in Deutschland jährlich.

F:

Mhm.

A:

Und das sind deutlich weniger als 15.000.

F:

Ja.

A:

Verstehen Sie?

F:

Ja.

A:

Das ist ähm, wie soll man sagen? Eine pragmatische Lösung.

F:

Ja.

A:

So, also im Prinzip, wenn die Eltern nachweisen würden, dass es ein Gebot ist für sie.

F:

Ja. Und würden Sie dann auch noch mal unterscheiden, also weil im Judentum ist ja die Beschneidung ähm, vorgeschrieben und weil Sie jetzt auf die 100 Beschneidungen kamen, also würden Sie dann sagen, dass sozusagen ähm, im Judentum, wo das vorgeschrieben ist, das irgendwie eine, hm, Besonderheit …

A:

Keine Reli-, ich würde keine Religion benennen, ich würde einfach sagen, wenn es ein religiöses Gebot ist.

F:

Okay. Weil wenn, wenn man jetzt die Muslime mit reinrechnet, dann wären es ja deutlich mehr als 100 Beschneidungen.

A:

Ja natürlich, das ist, das sind ja Tausende.

F:

Ja, ja.

A:

Und ähm, na ja, die Muslime haben es ja viel einfacher, diesem Zwang auch zu entfliehen, weil das ist ja fast nur noch tradiert. Eigentlich steht da, man soll ja quasi dem äh Propheten nacheifern.«1070

____________________ 1070

B. A. 2014: Z. 1336–1369.

239

4. Wiederkehrende Motive

Die Interviewpassage zeigt deutlich, dass B. A. im Ergebnis zwischen einer Vorhautbeschneidung bei einem jüdischen Säugling und einem muslimischen Jungen unterscheidet. Wenngleich er den Unterschied abstrakt halten will, unterbreitet er einen Lösungsvorschlag, der einzig Juden eine Vorhautbeschneidung zugestehen würde. Allerdings ist er zugleich mit seinem hypothetischen Lösungsvorschlag unzufrieden, da dieser eine Dokumentation der Glaubenszugehörigkeit zum Judentum nach sich zöge, die er wiederum ablehnt. Das Interview mit dem Strafrechtsprofessor I. R. zeigt ebenso, dass die Thematisierung des Jüdischen von Bedeutung ist und eine Auswirkung darauf hat, wie Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen weiter argumentieren. Auf die Bitte, seine Erfahrung in Diskussionen um kulturellreligiöse Vorhautbeschneidungen noch näher zu beschreiben, kommt I. R. auf seine Diskussionspartner/Diskussionspartnerinnen zu sprechen. Er konkretisiert, dass sie teilweise eine »jüdische Herkunft«1071 oder eine »jüdische[..] Sicht«1072 haben und versetzt sich in diesem Zusammenhang in ihre Perspektive. Er setzt sich mit dem Vorwurf des Antisemitismus auseinander, den Kritiker/Kritikerinnen der Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen geäußert hatten. Er betont, dass Deutschland nicht »das erste Land sein [dürfe] ausgerechnet, das den Juden einen so wichtigen Ritus (-) verbietet oder sogar auch noch (-) ehm die Juden bestraft«.1073 Kurz darauf wiederholt er erneut »[d]as können wir nicht machen […] wir Deutschen«.1074 Es sei nicht verwunderlich gewesen, dass Kritiken an kulturellreligiösen Vorhautbeschneidungen »natürlich auch falsch verstanden werden« konnten, also »nicht als Kinderschutz sondern als Antisemitismus«, was »ja so‘n bisschen nahe [liegt] und […] ja auch schon vielfach ehm behauptet worden [ist]«.1075 Doch um nicht auf der Seite der Antisemiten zu stehen, kommt eine Legitimierungsstrategie der eigenen Position zum Tragen, die ihn und weitere Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen von den antisemitischen abgrenzt: »dieses=dieses Urteil oder auch (-) ehm die Forderung von nem ____________________ 1071 1072 1073 1074 1075

240

I. R. 2014: Z. 237. Ebd.: Z. 333. Ebd.: Z. 431f. Ebd.: Z. 456–458. Ebd.: Z. 454f.

4. Wiederkehrende Motive

ver- eh Beschneidungsverbot [ist] nicht antisemitisch, sondern philosemitisch […], weil man eigentlich ehm jüdische Kinder im Blick hat«.1076 In einer anderen Formulierung gestaltet sich der Distanzierungsmechanismus von Antisemiten/Antisemitinnen folgendermaßen: »aufgrund der historischen Verantwortung. Dann hat man immer nur die Belange der Erwachsenen im Blick, ehm aber natürlich ist auch das bl- das Interesse des jüdischen Kindes, keinen Eingriff im Genitalbereich zu erleiden, auch ein jüdisches Interesse von Gewicht und das wird aber unter den Teppich gekehrt« 1077

Es gebe also unterschiedliche jüdische Interessen, und wenn Gegner/Gegnerinnen der kulturell-religiösen Vorhautbeschneidung ein Verbot fordern, könne das nicht (zwangsläufig) bedeuten, dass sie gegen jüdische Interessen handeln, sondern eben ein vernachlässigtes jüdisches Interesse, nämlich das des Kindes, vertreten. Der explizite Verweis auf die historische Verantwortung, die sich nach der Vernichtung der europäischen Juden/Jüdinnen und dem NS ergebe, bestärkt das Selbstbild, auf der moralisch richtigen Seite zu stehen. Trotz des Bezuges auf jüdische Perspektiven nimmt I. R. in seinen Ausführungen in verallgemeinernder Sprechweise auf »die Kinder« Bezug, wenn er erläutert: »A: Ehm ja, also mein persönlicher, ehm meine persönliche Haltung und mein Argument gegen die Knabenbeschneidung lebt jetzt nicht von davon, dass ein Schaden noch entsteht F:

Mhm

A:

Ehm, sondern es ist einfach ein Eingriff in den Intimbereich

F:

Mhm

A:

des Kindes. Und da hat in der Tat ehm niemand etwas dran zu suchen, das verletzt aus meiner Sicht das Persönlichkeitsrecht des Kindes, wenn jemand im Genitalbereich ehm herumschneidet, sei es abschneidet oder nur anritzt.«1078

Im Ergebnis also ist der verallgemeinernde Bezug auf das Kind beziehungsweise das Kindeswohl und sein Anspruch, keinen Eingriff im Intimbereich zu erleiden, größer als der spezifische kulturell-religiöse Lebenskontext, in dem der Sohn aufwächst.

____________________ 1076 1077 1078

Ebd.: Z. 459ff. Ebd.: Z. 476ff. Ebd.: Z. 594–602, Herv. D. I.

241

4. Wiederkehrende Motive

An einer anderen Stelle des Interviews geht I. R. auf die Argumentation seines Kollegen Tonio Walter in der ZEIT ein. Walter hatte in dem Gastkommentar Das unantastbare Geschlecht dafür plädiert, entschieden für beschnittene und diskriminierte Jungen und Männer einzustehen. Die Begriffe Jude/jüdisch/Judentum und Muslim/muslimisch/Islam kommen in seinem Gastkommentar überhaupt nicht vor. Stattdessen schreibt Walter verallgemeinernd von »Kindern«, »Mädchen und Jungen«, von »Frauen und Männern« oder dem männlichen und weiblichen Geschlecht.1079 Durch das Interview mit I. R. wird jedoch deutlich, dass Walter offenbar anders argumentiert, wenn er mitdenkt, dass es um konkrete Subjekte, und zwar Juden/Jüdinnen geht. I. R. berichtet von einem Gespräch, das er mit Walter geführt habe. In diesem habe Walter gesagt, »ah wir können da einfach nicht hergehen und den Juden das verbieten und jüdische Eltern, die diesen Ritus vollziehen, den es (lacht) so lange gibt ehm, de- die dürfen wir nicht bestrafen«.1080 Auch durch diese Erzählung von I. R. erscheint es so, als bemühe Walter eine andere Argumentation, wenn er mitdenkt, dass es um konkrete Subjekte, also Juden/Jüdinnen und jüdische Säuglinge geht. Auch der Strafrechtler Reinhard Merkel schreibt in seiner umfänglichen Kritik an der kulturell-religiösen Vorhautbeschneidung, dass es darum gehen müsse, die Vorhautbeschneidung aus der Perspektive »des Kindes« zu bewerten. Er schreibt, dass es in Deutschland selten »den Fall eines gesellschaftsweit umstrittenen Problems« gegeben habe, »in dem die primär Betroffenen so aussichtslos ohne öffentliche Lobby geblieben« seien wie in der Kontroverse um kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen »die verletzten Kinder«1081. Er kritisiert, dass Beschneidungsbefürwortende die Bewertung von Gegnern/Gegnerinnen, eine Vorhautbeschneidung sei »barbarisch«, ablehnen. Diese »helle Empörung« käme nur zustande, wenn »man zu ihrer Beurteilung die Sicht der wohlmeinenden Eltern« einnehme, anstatt die »moralisch gebotene Perspektive«, welche die »des Kindes« sei.1082 Allerdings denkt Merkel »die Kinder« mit jüdischem und muslimischem Familienhintergrund. So kommt es auch, dass Merkel sich im Endeffekt gegen ein Verbot von kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen ausspricht. Und ____________________ 1079 1080 1081 1082

242

Walter 2013a. Walter zit. n. I. R. 2014: Z. 452–454. Merkel 2012a. Ebd.

4. Wiederkehrende Motive

das, obwohl er kulturell-religiösen Vorhautbeschneidungen pauschal als »vorsätzliche Verletzungshandlung«, »barbarisch« und »qualvoll« charakterisiert.1083 Die Artikel und Gastkommentare von Süss/Eppelsheim, Oestreich, Hefty, Zastrow, Köpf und Franz verdeutlichen, dass Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen sehr häufig verallgemeinernd von »kleinen Kindern« oder »wehrlosen Kindern« sprechen. Nur partiell sprechen sie explizit von Juden/Jüdinnen und/oder Muslimen/Muslimas oder davon, dass die Subjekte jüdisch und/oder muslimisch sind. Auf diese Weise ebnen sie den kulturell-religiösen Lebenskontext der jüdischen Säuglinge und muslimischen Jungen ein und klammern ihn aus. So blenden Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen auch gesellschaftliche Mehrheits- und Minderheitsverhältnisse aus und praktizieren eine Solidarität mit Kindern, die ohne den kulturell-religiösen jüdischen und muslimischen Familienhintergrund gedacht werden, in den sie hineingeboren wurden. Der Soziologe Michael Höttemann weist darauf hin, dass seitens der Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen »das Schutzbedürfnis gegenüber dem Säugling nicht als empathischer Bezug zu verstehen ist« und der Säugling »nicht um seiner selbst willen geschützt« werde.1084 Vielmehr werde ein männliches Subjekt mit Vorhaut idealisiert. Die Vorhaut beziehungsweise der unversehrte Penis steht so »für ‚Perfektion, Schönheit, Ganzheit‘ und ‚Funktionserfüllung‘«.1085 Auch Salzborns Theoretisierung des Antisemitismus als »Unfähigkeit wie Unwilligkeit«1086, konkret zu fühlen, ist an dieser Stelle aufschlussreich, da sich mit ihr argumentieren lässt, dass es nicht um konkrete jüdische Säuglinge geht. Vielmehr abstrahieren Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen von den einzelnen jüdischen Säuglingen, wenn sie sie irreleitend als Kinder beschreiben. An den Beispielen Zastrow und Franz, besonders aber an Zwangsbeschneidung.de zeigt sich, dass Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen das Attribut jüdisch dann verwenden, wenn sie populistisch und politisierend agieren. Sie nutzen das Attribut etwa, wenn sie die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung als barbarisch charakterisieren oder wenn sie ____________________ 1083 1084 1085 1086

Ebd. Höttemann 2011/12; vgl. Amir-Moazami 2016: 154. Höttemann 2011/12. Salzborn 2010: 334.

243

4. Wiederkehrende Motive

zwischen vernünftigen und unvernünftigen Juden (und Muslimen) differenzieren. Die Beispiele aus den Interviews mit L. A., B. A. und I. R. zeigen, dass ein explizites Sprechen von Juden und dem Jüdisch-Sein eine konsequente Haltung gegen kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen partiell erschweren kann. Es ist folglich von Bedeutung, inwiefern die Gegner/Gegnerinnen das Jüdisch-Sein (und Muslimisch-Sein) mitdenken oder gedanklich ausklammern. Vernachlässigen sie den jüdischen und muslimischen Familienhintergrund, weil sie von den Subjekten abstrahieren und rhetorisch vereinfachend von »den Kindern« sprechen, können sie mögliche ambivalente Gefühlslagen, die zum Ausdruck kämen, wenn sie von jüdischen Säuglingen sprächen, negieren. Zuletzt bleibt zu bemerken, dass das Motiv der »wehrlosen Kinder« eng mit dem Motiv der religiösen (jüdischen und muslimischen) Eltern als »verletzend«, empathielos und »grausam« verwoben ist, da diese die Verursacher einer »brutalen« und »überflüssigen« Praxis seien, der die »wehrlosen Kinder« zum Opfer fallen würden. 4.5.

Religiöse Eltern als »verletzend«, »empathielos« und »grausam«

In der Kontroverse stehen teilweise die religiösen Eltern der beschnittenen Söhne im Mittelpunkt der Argumentation. Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen führen nicht nur Gründe an, ihre eigenen Söhne nicht zu beschneiden, sondern kritisieren grundlegend alle Eltern, die ihre Söhne aus kulturell-religiösen Gründen beschneiden lassen. Dabei greifen sie auf rechtliche und medizinische Argumente zurück und legen nahe, dass das Kindeswohl in jüdischen und muslimischen Familien eine »geringere Rolle« spiele als »in christlichen oder säkularen Familien«.1087 Während Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen – wie bereits ausgeführt – den familiären und damit auch kulturell-religiösen Hintergrund der beschnittenen Säuglinge/Jungen oftmals vollständig ausblenden, stellen sie den religiösen Hintergrund der Eltern häufiger heraus. Daher ist von Interesse, inwiefern Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen zwischen einer jüdischen und muslimischen Identität der Eltern unterscheiden und welche Zuschreibungen sie an die religiösen Eltern heften.

____________________ 1087

244

Steinmeier 2012: 26076; vgl. Amir-Moazami 2016: 155.

4. Wiederkehrende Motive

Viele Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen stellen dabei jüdische und muslimische Eltern, die ihre Söhne beschneiden lassen, als empathielos und unvernünftig – und im Vergleich zu »normalen Eltern« defizitär – dar. Jüdische und muslimische Eltern hätten »das Wohl« ihrer Söhne nicht im Blick und handelten mit der Beschneidung zwangsläufig gegen deren Interessen. Mitunter stempeln sie die Eltern gar als »per se [..] kindeswohlfeindlich«1088 ab und suggerieren, ihnen »Nachhilfeunterricht in Sachen Kinderliebe und Menschenrechte«1089 zukommen lassen zu müssen. Sie seien »verletzend« und verharmlosten Gewalt. In einer expliziten Ausformulierung verurteilen Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen, jüdische und muslimische Eltern als »unnatürlich« (L. A.), »grausam« und quälend. Diese deutliche Ausformulierung findet sich in zwei Interviews und in Online-Kommentaren. Im Umkehrschluss gerieren sich Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen als gewaltlose, mitfühlende, liebende und vernunftorientierte Protagonisten/Protagonistinnen, die sich gegen eine zentral durch Verletzung und Gewalt bestimmte Form der Erziehung wenden. Damit liefern die untersuchten Akteure/Akteurinnen eine einfache Antwort auf die komplexe Frage, wie sehr Eltern ihre Kinder/Söhne nicht nur kulturell-religiös, sondern ganz allgemein prägen dürfen. Das »anthropologische[..] Faktum«, dass Menschen zwangsläufig in Bedingungen hineingeboren werden, die sie nicht selbst wählen können, blenden sie aus.1090 Damit vernachlässigen sie, dass Identitäten zwischen sozial-kultureller Determiniertheit und individueller Freiheit entstehen und sich die identitäre Zugehörigkeit sichtbar und unsichtbar in den Körper einschreibt.1091 Der Strafrechtler und Rechtsphilosoph Reinhard Merkel formulierte in der FAZ einen Gastkommentar, der unter dem Titel Minima Moralia anlässlich der bevorstehenden parlamentarischen Entscheidung über den Regierungsentwurf des Gesetzes zu Vorhautbeschneidungen erschien. Der Titel verweist auf seine Forderung, der Gesetzentwurf müsse eine »Minima der ____________________ 1088 1089 1090 1091

Steinmeier 2012: 26076. Lischka 2012. Brumlik 2012b; vgl. Brumlik 2012a: 231; vgl. Spaemann 2012; vgl. Wieseltier zit. n. Bahners 2012a; vgl. Schirrmacher 2012; vgl. Walter 2012; vgl. Bingener 2012; vgl. Pilz 2012b. Vgl. Heimann-Jelinek/Kugelmann 2014: 20; vgl. Amir-Moazami 2016: 153ff.

245

4. Wiederkehrende Motive

Moral und des Rechts« erfüllen, tue dies aber nicht. Vielmehr bringe er eine irritierende »Liste an Mängeln« mit sich.1092 Im Zentrum seiner Kritik stehen der Bundestag und die Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf und weniger jüdische und muslimische Eltern.1093 Dennoch drückt sich in der Kritik en passant eine bestimmte Vorstellung über jüdische und muslimische Eltern aus, die von der neu entstehenden gesetzlichen Regelung profitieren würden. Sie wüssten genau, was sie ihren Söhnen mit einer Vorhautbeschneidung Schmerzhaftes und Belastendes antun und täten es dessen ungeachtet: »Dass Beschneidungen ihrem Neugeborenen weh tun, wissen alle jüdischen Eltern; und alle muslimischen wissen, der Vater vermutlich aus eigener Erinnerung, dass ein sieben oder acht Jahre altes Kind auch im festlichsten Rahmen vor dem Eingriff ängstlich wird und ihm lieber entkäme.«1094

Darüber hinausgehend spekuliert Merkel über unterschiedliche Beweggründe, die Eltern für eine Vorhautbeschneidung haben könnten. Besonders beschäftigen ihn potenziell »unzulässige«, »missbilligenswerte« und »schäbige« Beweggründe; wobei er diese den jüdischen und muslimischen Eltern nicht direkt unterstellt, sondern vielmehr Fragen aufwirft, die suggerieren, es könnten derlei Gründe hinter einer Vorhautbeschneidung stehen: »Was, wenn der Vater aus religiösen, die Mutter aus ästhetischen Motiven oder der Vater aus Masturbationserschwerungs-, die Mutter aus kulturellen Gründen beschneiden lassen will? Oder beide aus beiden Gründen, wie nicht selten in den Vereinigten Staaten? Oder wenn das schäbige Motiv deckungsgleich ist mit einem anerkannten? Die christlich-fundamentalistische Überzeugung, Masturbation sei Sünde und ihre Erschwernis durch Beschneidung daher ein gottgefälliges Werk, mag so abwegig sein, wie man will. Sie ist aber genauso religiöser Natur und damit

____________________ 1092

1093

1094

246

1951 veröffentlichte Theodor W. Adorno eine Schrift unter dem Titel Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben, die aus Aphorismen besteht, in denen Adorno Aspekte der modernen kapitalistischen Gesellschaft analysiert und kritisiert. Er kritisiert, dass der rechtspolitische Streit über die Rechtmäßigkeit von Vorhautbeschneidungen bereits entschieden sei und die Mitglieder des Bundestages sich darauf geeinigt hätten, die Vorhautbeschneidung von Jungen für straffrei zu erklären. Den dafür geschaffenen Paragraf 1631d, der ins Bürgerliche Gesetzbuch eingefügt werden soll, kritisiert er entsprechend ausführlich (vgl. Merkel 2012b). Ebd., Herv. D. I.

4. Wiederkehrende Motive rechtlich sakrosankt wie die Überzeugung, Gott habe Abraham wörtlich den in Genesis 17 enthaltenen Auftrag diktiert, alle Knaben am achten Tag nach der Geburt beschneiden zu lassen.«1095

Gerade weil es neben der »sexualpädagogischen Marotte der Eltern« Dutzende Beweggründe gebe, die hinter einer elterlichen Entscheidung für eine Vorhautbeschneidung verborgen liegen könnten und der Gesetzgeber sie nicht auseinanderhalten könne, dürfe das »‚Vetorecht‘ des Kindes« gegen eine Vorhautbeschneidung nicht zur »Verfügungsmacht« der Eltern werden. Für Merkel sind die Eltern, die eine Vorhautbeschneidung ihrer Söhne durchführen lassen (wollen), grundsätzlich nicht daran interessiert, was ihre Söhne wollen. Sie würden, auch wenn sie mit »irgendeiner Abwehrreaktion« des Kindes konfrontiert seien, »regelmäßig«, gewissermaßen unbeirrbar an ihrer Entscheidung pro Beschneidung festhalten, auch wenn sie ihren Söhnen damit Schmerzen zufügen.1096 An anderer Stelle unterstellt Merkel den Eltern deutlicher, in ihrer Entscheidung durch etwas Zweifelhaftes geprägt und geleitet zu sein: »Jedes Elternpaar, das noch die allerfinstersten Motive hegt, braucht auf entsprechende Nachfragen buchstäblich nichts anderes zu antworten als ‚kulturell‘ oder ‚medizinisch-präventiv‘ oder ‚hygienisch‘. Keine dieser Antworten ist überprüfbar, keine korrigierbar, jede reicht aus.«1097

Es sei ein Problem, wenn der »fundamentalistische Vater, der seinen Achtjährigen beim Onanieren erwischt und ihm zur Abgewöhnung eine heftige Ohrfeige gibt«, sich strafbar macht, der Vater der vor diesem Hintergrund »stattdessen«, also »zu demselben Zweck« beschneiden lasse, strafrechtlich nicht belangt werde. Er könne die »wahren!« Beweggründe verschleiern und »religiöse Gründe« vorschieben. Bemerkenswert ist, dass Merkel den fundamentalistischen Vater mit Vätern, die ihre Söhne aus kulturell-religiösen Gründen beschneiden lassen, in Zusammenhang bringt und dadurch suggeriert, sie hätten vergleichbare »unzulässige« und »schäbige« Beweggründe. Insgesamt stellt Merkel jüdische und muslimische Eltern als Gruppe dar, die gegen den »entgegenstehenden Kindeswillen«, »das widerstrebende Kind« und den »Widerstand des Kindes« handelt und nicht bereit ist, »auf den Eingriff« zu verzichten.1098 Dadurch wird eine Lesart zumindest ____________________ 1095 1096 1097 1098

Ebd., Herv. D. I. Merkel 2012b. Ebd. Ebd.

247

4. Wiederkehrende Motive

ermöglicht, in der jüdische und muslimische Eltern zu unnachgiebigen, unbelehrbaren und auch unaufgeklärten Eltern werden, die der gebotenen und verbreiteten Norm nicht-gewalttätiger Eltern entgegenstehen. In dem Gastkommentar Das richtige Urteil! in DIE ZEIT verteidigt der Strafrechtler Rolf Dietrich Herzberg das Kölner Urteil gegen unterschiedliche Kritiken, die in der Kontroverse geäußert wurden. Insbesondere setzt er sich kritisch mit der Argumentation des Philosophen Robert Spaemann auseinander. Dabei wiederholt und präzisiert er seine Haltung gegen Vorhautbeschneidungen. Zur Motivation derjenigen, die das Kölner Urteil vorbereiteten, fällten und begrüßten, schreibt Herzberg: »Die drei Richter, der Staatsanwalt, die ‚öffentlichen Verteidiger‘ des Richterspruchs – unter ihnen allen ist vermutlich nicht einer, der etwas gegen religiöse Erziehung einzuwenden hätte. Was sie verurteilen, ist allein die empathielose Bagatellisierung dessen, was man wehrlosen Kindern mit der Beschneidung antut, und die darin liegende Missachtung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit. ‚Dass ohne anfängliche Fremdbestimmung es nie eine Selbstbestimmung geben kann‘ (Spaemann), das ist zweifellos wahr – aber es ist kein Argument für das Recht der Eltern, ihrem Kind die Vorhaut abzuschneiden.«1099

Durch die Formulierung, Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen lehnen die »empathielose Bagatellisierung« ab, deutet Herzberg an, diejenigen Eltern, die an einer »Vorhautamputation«1100 ihrer Söhne festhalten, würden den Eingriff verharmlosen und hätten nicht die Bereitschaft und Fähigkeit, sich in ihre Söhne einzufühlen oder sensibel, mitfühlend und weichherzig zu sein. Sie würden »die Pflicht«, die Beschneidung zu unterlassen, die sich aus der »Vernunft und geltende[m] Recht« ergebe, nicht beachten und gegen sie verstoßen.1101 Herzberg schreibt überwiegend von Eltern, nur an einer Stelle benennt er explizit, dass sie muslimisch sind, an einer anderen heißt es »Juden und Muslime«. Er stellt, wie Merkel, die Interessen »der Eltern« umfassend gegen die »der Kinder« (gemeint sind Söhne) und hebt hervor, die »religiöse Integration« in den kulturell-religiösen Kontext der Eltern sei kein Kindeswohl. Eltern dürften nur für ihre Söhne entscheiden, wenn es sich um einen »Initiationsritus« wie die Kindestaufe oder eine »symbolische Beschneidung« handelt, der körperlich nicht verletze. Alles Verletzende und Schädigende sei verboten.1102 Wenngleich er außen vor ____________________ 1099 1100 1101 1102

248

Herzberg 2012a. Ebd. Siehe hierzu 4.9. Kastrations- und Amputationsvorstellungen. Vgl. Herzberg 2012a. Ebd.

4. Wiederkehrende Motive

lässt, dass es um jüdische und muslimische Eltern geht, ist dies für die Lesenden deutlich erkennbar. Online-Kommentare, die auf Herzbergs Gastbeitrag in DIE ZEIT folgten, schließen an das Motiv der empathielosen Eltern an und loben dessen Argumentation. Unter dem Titel Vernunft und Liebe überrage Tradition! schreibt ein/e anonyme/r Kommentator/in: »Danke für Ihre durch Vernunft und Sachverstand ausgezeichnete Beleuchtung des Themas. Ich schließe mich Ihrer Meinung an. […] Ganz abgesehen davon, dass die Rechtslage in Deutschland nach meinem laienhaften Verständnis ganz eindeutig die Beschneidungen ohne Einwilligung der Beschnittenen verbietet, frage ich mich: Warum hindert nicht die Liebe zu ihrem Kind die Eltern daran, die Beschneidung durchführen zu lassen? Warum schaffen es die Eltern nicht, sich bei einem symbolischen Akt eben auf eine symbolische Handlung zu beschränken? Warum tun die Eltern ihrem Kind etwas an, was sie an sich selbst niemals spüren möchten: eine Qual, gegen die sie sich nicht wehren können.«1103

In dieser Ausformulierung wird, wie bei Herzberg, sowohl der religiöse Kontext der Eltern als auch der kulturell-religiöse Rahmen der Beschneidung nicht benannt, die Begriffe jüdisch und muslimisch kommen gar nicht vor. Dennoch verdeutlicht der Kommentar, dass der kulturell-religiöse Kontext mitgedacht wird, da auf den »symbolischen Akt« Bezug genommen wird, der umschreibt, dass es um die kulturell-religiöse Praxis geht. Darüber hinausgehend werden die Zuschreibungen gegenüber jüdischen und muslimischen Eltern im Kommentar erweitert. Es ist nicht mehr nur die Empathielosigkeit, die ihnen vorgeworfen wird, sondern die fehlende Fähigkeit zur Veränderung und Umgestaltung der Praktik sowie eine Liebe, die sie »nicht hindert«, etwas Quälendes zu tun. In dieser Perspektive wird die Liebe für beschädigt erklärt, da sie ein quälendes Verhalten zulässt, anstatt es zu verhindern. Die einfordernde und belehrende Überschrift Vernunft und Liebe überrage Tradition bestärkt die Zuschreibung gegenüber den nicht direkt genannten jüdischen und muslimischen Eltern, die von der Norm der vernünftigen und liebenden Eltern abweichen. Für eine deutlichere Ausformulierung der Vorstellung, religiöse beziehungsweise jüdische und muslimische Eltern seien empathielos, steht der Gastkommentar und der offene Brief des Psychoanalytikers Matthias Franz, da er sogar von einer Empathieverweigerung, also einer aktiven Handlung ____________________ 1103

O. A. 2012l.

249

4. Wiederkehrende Motive

im Gegensatz zu einem bloßen Fehlen spricht.1104 Im offenen Brief in der FAZ heißt es: »Es herrscht eine bemerkenswerte Verleugnungshaltung und Empathieverweigerung gegenüber den kleinen Jungen, denen durch die genitale Beschneidung erhebliches Leid zugefügt wird. Dieses Leid ist mittlerweile in empirischen Studien ausreichend belegt. Mit religiösen Traditionen oder dem Recht auf Religionsausübung lässt sich dies nicht widerspruchsfrei begründen, zumal die Entwicklung der Kinderrechte in den letzten 300 Jahren in diesem Bereich nicht nur exklusiv den Mädchen zugute kommen kann. Denn das wäre mit dem Gleichheitsgrundsatz kaum zu vereinbaren.«1105

In dieser Textpassage klagt Franz zunächst jemand Unbestimmtes an, kleinen Jungen das Einfühlungsvermögen zu »verweigern« und ihr Leid zu »verleugnen«. Durch die Formulierung »es herrscht« bleiben die Subjekte, die den Zustand verursachen, unkonkret. Sowohl die Gesellschaft insgesamt und/oder beschneidungsbefürwortende jüdische und muslimische Eltern können gemeint sein. Die angeführten »religiösen Traditionen« und das »Recht auf Religionsausübung« verweist jedoch implizit auf religiöse Eltern, die sich nicht in ihre Söhne hineinversetzen könnten und bewusst oder unbewusst etwas verleugneten. Zunächst scheint sich die Unbestimmtheit der Subjekte (»es«, »man«) auch in seinem Gastkommentar Ritual, Trauma, Kindeswohl aus der FAZ zu wiederholen: »Man tut Kindern nicht weh, man macht ihnen keine Angst. Die Entwicklung dieser Idee begann in Europa 1693 mit John Lockes Schrift ‚Gedanken über Erziehung‘, führte über die Kinderschutzgesetze gegen Ende des 19. Jahrhunderts in England schließlich hin zur UN-Kinderrechtskonvention von 1990 und erst im Jahr 2000 auch in Deutschland zum gesetzlich verankerten Recht von Kindern auf eine gewaltfreie Erziehung. Demnach sind körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen durch die Eltern unzulässig.«1106

Die Textpassage zeigt, dass Franz die Vorhautbeschneidung mit einer gewaltvollen Erziehung in Verbindung bringt, die einer von Westeuropa ausgehenden Entwicklung des 17. Jahrhunderts entgegensteht. Er klagt an, dass beschneidungsbefürwortende Eltern von der Norm abwichen, wobei er ihnen nicht unbedingt unterstellt, intentional zu agieren. ____________________ 1104 1105 1106

250

Vgl. Blumenberg/Hegener 2012: 1123. Franz 2012a. Franz 2012c.

4. Wiederkehrende Motive

Im weiteren Verlauf des Gastkommentars verdeutlicht Franz weiter, dass es die »beteiligten Erwachsenen« sind, die den »ängstigende[n] Gewaltaspekt« bemerkenswert verleugneten.1107 Dies zeigt sich auch daran, dass er in einer späteren Textpassage nahelegt, dass Eltern, die nach Gründen für eine »Frühbeschneidung« suchen, sich wenig in die »Erlebniswelt des Kindes« einfühlen könnten.1108 Auch dort verbleibt im Unklaren, ob die religiösen Eltern in Franz‘ Perspektive bewusst oder unbewusst kreativ und einfallsreich bei der Suche nach vermeintlichen Begründungen seien. An anderer Stelle argumentiert Franz, wissenschaftliche Forschungen zu Gewalterfahrungen in der Kindheit zeigten, dass Gewalt »Brüche in der emotionalen Wahrnehmung und Empathiefähigkeit des später erwachsenen Kindes bewirken« können.1109 Dass die Vorhautbeschneidung eine solche Form der Gewalt ist und zu »Traumatisierungen« führe, ist für Franz unbestritten.1110 Die Traumata der Kindheit, wie die Beschneidung eines sein könnte, würden verinnerlicht und später wiederholt werden (»Täter-Opfer-Kette«): »Kollektiv rituell vermittelte traumatische kindliche Erfahrungen können daher zu Empathiebrüchen führen und zu gruppalen Überzeugungen mit Abwehrfunktion organisiert werden. Dadurch kann die Einfühlung in das Erleben der nächsten Opfer desselben Rituals beeinträchtigt werden: Es kann und darf nicht schlecht gewesen sein, was die Eltern damals mit mir gemacht haben. Deshalb tue ich es auch.«1111

In dieser Textpassage kristallisiert sich unverkennbar heraus, dass jüdische und muslimische Erwachsene gemeint sind, da er von einem »Ritual« spricht. An einer Stelle des Kommentares geht es speziell um jüdische Eltern, da Franz Sigmund Freud nennt. Dieser sei ein vorbildliches Beispiel für seine Forderung, die Vorhautbeschneidung des »Kindes so lange zu verschieben, bis es sich selber rechtlich wirksam dafür (oder dagegen)«1112 entscheiden könne, da er seinen Söhnen die Vorhautbeschneidung erspart habe.1113 ____________________ 1107 1108 1109 1110 1111 1112 1113

Ebd. Ebd. Ebd. Siehe hierzu 4.1. Vom beschädigten Körper. Franz 2012c, Herv. D. I. Ebd. Die Psychoanalytiker Blumenberg/Hegener verweisen darauf, dass sich Franz in seinen Ausführungen »verwickelt«, da er mit dem Beispiel Freuds, der seine Söhne nicht beschnitten haben soll, gerade belegt, dass es die Täter-Opfer-Kette

251

4. Wiederkehrende Motive

Im Hinblick auf die Elternschaft lassen sich die Ausführungen von Franz sowohl im offenen Brief als auch im Gastkommentar als Gegensatzpaar interpretieren: Auf der einen Seite stehen empathische Eltern, die ihre Söhne nicht beschneiden lassen, auf der anderen Seite gefühllose, empathieverweigernde und verleugnende jüdische (und muslimische) Eltern, die ihre Söhne nicht ausreichend vor dem beschädigenden Ritual der Beschneidung schützen und sie sogar traumatisieren.1114 Auch die Psychoanalytiker Yigal Blumenberg und Wolfgang Hegener werfen Franz in der Fachzeitschrift Psyche vor, er unterstelle jüdischen Eltern, sie verhielten sich »uneinfühlsam, skrupellos und gewalttätig«1115, was Franz wiederum als »inakzeptables phantasmatisches Konstrukt der Autoren«1116 zurückweist. In Online-Kommentaren zu Franz wird die Rede von empathielosen Eltern aufgenommen und bekräftigt. Die religiösen Eltern werden sehr viel expliziter verurteilt. Der Leser Hans-J. Lehmann akzentuiert in seinem Kommentar, die Praxis (»Zwangsbeschneidung«) sei »ein Relikt aus archaischer Zeit« und passe nicht mit »einer zivilisierten Gesellschaft«1117 zusammen. Die negative Zuschreibung gegenüber den religiösen Eltern ist hier deutlicher, da er schreibt, es gebe »kein[en] Platz mehr« für die Praktik.1118 Dies legt einen gesellschaftlichen Ausschluss derjenigen nahe, die an der Praxis festhalten (wollen). In einem anderen Kommentar von Reiner Moysich heißt es etwa, die Vorhautbeschneidung sei eine »Misshandlung (=absichtliche Körperverletzung) wehrloser kleiner Jungen«, die »höchst skandalös« sei.1119 Er unterstellt den religiösen Eltern, ihre Söhne absichtlich zu verletzen und zu misshandeln. Der Leser Sebastian Holzer schreibt

____________________

1114 1115 1116 1117 1118 1119

252

nicht gibt. Sie schreiben: »Offenbar war (nicht nur) Freud in der Lage, seine eigene Beschneidung hinreichend zu reflektieren und einer vermeintlichen transgenerationellen ‚Täter-Opfer-Kette‘ bewusst zu widerstehen« (Blumenberg/Hegener 2012: 1125). Vgl. Franz 2012a. Blumenberg/Hegener 2012: 1124. Franz 2013: 185. Lehmann 2012. Ebd. Moysich 2012.

4. Wiederkehrende Motive

in einem FAZ-Kommentar, die 1992 von der Bundesrepublik unterzeichnete UN-Kinderrechtskonvention gelte nur noch theoretisch, da »im Alten Testament [was anderes] steht«.1120 Der Gastkommentar »Beschneidung ist nicht harmlos« des Autors und Psychoanalytikers Wolfgang Schmidbauer in der SZ reproduziert ebenfalls das Motiv, Menschen (nicht Eltern), die ihre Söhne beschneiden lassen, seien nicht »einfühlend«. Schmidbauer argumentiert mit Bezug auf das Urteil des Kölner Landgerichts, eine Beschneidung bei Säuglingen/Jungen sei »logisch« als Körperverletzung definiert worden.1121 Er plädiert dafür, den »Übergriff an Wehrlosen« auszusetzen, bis sich die Individuen beziehungsweise »älteren Kinder« selbst mündig und reflektiert für die Vorhautbeschneidung entscheiden könnten. Menschen, die er nicht näher bestimmt, sollten geduldig sein und davon absehen, Neugeborene/Säuglinge durch das bindende Ritual »möglichst früh« in die Religionsgemeinschaft einzufügen und ihnen Schmerzen zuzufügen: »Kein nachdenklicher und einfühlender Mensch wird es billigen, dass Säuglingen ein Teil ihres Körpers weggeschnitten wird und sie später womöglich in ihren sexuellen Funktionen beeinträchtigt leben müssen. Dass manche dieser Opfer die Beschneidung als sexuelle Bereicherung und hygienische Notwendigkeit propagieren, steht für die Identifikation mit dem Angreifer, die sich bei vielen Traumatisierten beobachten lässt. Sie führt auch zu der merkwürdigen Zähigkeit, mit der Kulturen und Religionen an qualvollen Ritualen festhalten.«1122

Die Textpassage zeigt, dass Schmidbauer eine normative und konkrete Vorstellung von nachdenklichen und einfühlenden Menschen hat, der die religiösen Menschen, die ihre Söhne beschneiden ließen, offenbar nicht genügen. Wenngleich Schmidbauer weder von Juden noch von Muslimen oder jüdischen und muslimischen Eltern spricht, sondern ausschließlich von Religionsgemeinschaften, »Kulturen und Religionen« sowie »Vertreter[n] des Brauchtums«, legt seine Beschreibung nahe, dass es um Juden geht. Einer-

____________________ 1120 1121 1122

Holzer 2012. Schmidbauer 2012. Zur Kritik an Schmidbauer siehe Blumenberg/Hegener 2012: 1123ff. und Blumenberg/Hegener 2013: 17. Schmidbauer 2012, Herv. D. I.

253

4. Wiederkehrende Motive

seits spricht er neben Kindern auch von Säuglingen und Neugeborenen, andererseits verweist er auf eine Geschichte in der Bibel, in der Juden die Beschneidung als »Kriegslist« angewendet hätten.1123 Die Steigerung im Motiv, jüdische und muslimische Eltern »missbrauchen« ihre Söhne, findet sich ausformuliert in einem themenzentrierten narrativen Interview.1124 B. A., der im MOGiS e.V. Eine Stimme für Betroffene aktiv ist, reflektiert im Interview den historischen Entstehungskontext der Vorhautbeschneidung und stellt heraus, dass das entstehende Christentum seit Paulus auf die Vorhautbeschneidung verzichte. Vor diesem Hintergrund gibt er zu bedenken, dass es Zufall sei, in welchen sozialen und religiösen Kontext ein Sohn geboren wird und inwiefern Eltern ihm eine »Menschenrechtsverletzung« antun: »A: Das ist ganz interessant, also dass sozusagen vor 1.900 Jahren es schon mal eine Debatte über Beschneidung gab. (lacht) Und damals zum Glück Paulus ein Machtwort ges-, geredet hat, dass eben wenigstens das Christentum sich dieser Form der Menschenrechtsverletzung enthält. Sonst hätten wir das nämlich auch. F:

Mhm.

A:

Und das ist so das Krasse an, an, finde ich, an diesen, an dem Thema Beschneidung, dass es auch ein Stück weit Glück ist, ob man davon betroffen ist oder nicht, ne.

F:

Ja.

A:

(lacht) In welchen Hintergrund man hineingeboren wird. Oder eben äh – vor den 15 Prozent der Jungen, die noch immer beschnitten werden, ne, was die Eltern darüber denken, wie beweglich die Vorhaut sein muss.

F:

Mhm.

A:

Die (dazu missbrauchen), ihr Kind religiös zu markieren.«1125

____________________ 1123

1124 1125

254

In dem Artikel Unzeitgemäßer Grundpfeiler? in der FAZ nimmt Peter Köpf positiv auf Schmidbauers Ausführungen Bezug, wenn er unter der Überschrift Die Zirkumzision wird schönphilosophiert schreibt, »[k]ein nachdenklicher und einfühlender Mensch wird es billigen, dass Säuglingen ein Teil ihres Körpers weggeschnitten wird« (Köpf 2012a). Vgl. B. A. 2014: Z. 1430. B. A. 2014: Z. 952–964.

4. Wiederkehrende Motive

Hervorzuheben ist, dass B. A. im Gegensatz zum Großteil der Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen auch medizinisch indizierte Vorhautbeschneidungen verurteilt und sie »auf ein erträgliches Maß [zurückdrängen]«1126 möchte, da der medizinische Eingriff »aus falschen medizinischen Gründen«1127 zu häufig durchgeführt werde. B. A. problematisiert nicht nur das Verhalten von jüdischen (und muslimischen) Eltern, sondern gleichsam, dass sich Eltern dem Votum von Ärzten/Ärztinnen fügen. Der Hinweis auf die 1.900 Jahre verdeutlicht, dass er besonders das Judentum im Blick hat, seine Einordnung als »Missbrauch« ist uneindeutig. Sie kann umgangssprachlich nahelegen, dass die jüdischen Eltern ihre Kinder in unerlaubter Weise für eigennützige Zwecke nutzen und ihre eigene Religion ausleben oder nahelegen, da missbrauchen auch bedeutet, sexuelle Gewalt gegenüber Kindern auszuüben.1128 Im Interview mit dem Finanzrichter L. A. findet sich das Motiv der empathielosen religiösen Eltern in einer deutlicheren Ausformulierung: Religiöse Eltern wichen, so suggeriert L. A., nicht nur von der Norm der fürsorglichen und empathischen Eltern ab, sondern täten etwas Unnatürliches und Unmenschliches. Allerdings klagt L. A. nicht direkt die religiösen Eltern an, sondern fokussiert auf die Beschneidung. Durch einen Vergleich mit Tieren veranschaulicht er, wie unnatürlich die Entscheidung der Eltern für eine Vorhautbeschneidung ihrer Söhne sei und wie unnatürlich die religiöse Praxis der Vorhautbeschneidung auf ihn wirkt: »A: Und eh (-) ich erinner‘ mich grad noch an das Video, eh dieses Baby wurde beschnitten. (-) Eh ohne Betäubung, weil Betäubung kann ja dazu führen, dass die Kinder an der Betäubung sterben, also ne, betäubt man nicht und dann haben die den vollen Schmerz zu erfahren und damit auch dieses Schmerzkoma zu durchleben. Und dieses Kind, was ich vor Augen habe in dem Video, war angeschnallt F:

Mhm

A:

Ja (-) es ist ein völlig unnatürlicher Vorgang. Wenn ich mir vorstelle, im Tierreich würde sowas passieren, manchmal denkt man, die Tiere wären ja viel härter als die Menschen, aber, wenn man das so beobachtet in Tierfilmen, wie die (-) ehm Mütter beziehungsweise auch die Väter sich zunächst einmal um den Nachwuchs kümmern, ja es gibt zwar auch Einzelfälle, da werden die Kin-

____________________ 1126 1127 1128

Ebd.: Z. 1580. Ebd.: Z. 444f. Vgl. Duden 2017.

255

4. Wiederkehrende Motive der eh die=die Nachwuchs aufgefressen, aber das sind ja absolute Ausnahmefälle, und da da sieht man ja eigentlich eine Fürsorge, die uns eigentlich als Menschen eh obliegt und und eh (wird auf) solche Faktoren wie Beschneidung passen da erstmal überhaupt nicht dazu. F:

Mhm, wissen Sie denn welche Religionsgemeinschaften dieses Baby angehörte aus dem Video, von dem Sie erzählt haben (1)

A:

Das weiß ich nicht, ne, also eins von beiden, Jude oder Muslim, also ich weiß es nicht

F:

Okay

A:

Nein, also Moment mal (…), es muss ein Jude gewesen sein, weil die=die Juden haben glaube ich die Vorschrift, also nach ihrem Verständnis, dass eh die Beschneidung bis zum siebten Tag, genau solche Bestimmungen gibt’s, das bis zum siebten Tag stattgefunden haben muss.

F:

Mhm

A:

Die eh (1) Muslime machen das eben auch noch im Alter von vier, fünf, acht Jahren

F:

Mhm (1)«.1129

Die Interviewpassage verdeutlicht, dass L. A. zunächst nicht differenziert, in welcher Religionsgemeinschaft dieser »unnatürliche Vorgang« vonstattengeht. Erst durch die Rückfrage bringt er die Beschneidung, die er im Video sah, mit dem Judentum in Verbindung. Einzelne Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen nehmen Abstufungen vor, in welcher Religion die Beschneidung schlimmere Folgen habe. Sie sehen die Beschneidung bei muslimischen Jungen als problematischer an, da die älteren Jungen bereits Schmerzerfahrungen gemacht und dadurch »Angst vor Schmerzen kultiviert« haben.1130 Aus diesem Grund müsse zwischen zwei »fundamental unterschiedlichen Beschneidungspraktiken« unterschieden werden.1131 In dem Interview mit dem Urologen und Beschneidungsgegner V. A. wird diese Ausnahme umgekehrt. Muslime seien »noch etwas toleranter […], weil die die Jungs ja später beschneiden«, die »jüdischen müssen das

____________________ 1129 1130 1131

256

L. A. 2014: Z. 611–635. Wertmüller 2012/13. Ebd.

4. Wiederkehrende Motive

ja bis zum achten Tag nach der Geburt hinter sich bringen, um in die jüdische Glaubensgemeinschaft aufgenommen werden zu können«.1132 Da die muslimischen Eltern mit ihren Söhnen zwischen dem zwölften und vierzehnten Lebensjahr »schon darüber reden« könnten, habe er »insofern […] für den muslimischen Standpunkt aus ärztlicher Sicht, etwas mehr Verständnis als für den jüdischen«. Dies habe jedoch »ganz klipp und klar […] überhaupt nichts mit Antisemitismus zu tun.«1133 In Online-Kommentaren zu Artikeln aus Tageszeitungen sowie auf verschwörungsideologischen Internetseiten findet sich das Motiv der empathielosen religiösen Eltern sehr viel drastischer und expliziter formuliert. In einem Leserinnen-Kommentar in der FAZ schreibt beispielsweise Raika Geng, ohne Juden und Muslime konkret zu nennen: »Allein schon beim Anschauen des Fotos werden beim Betrachter die Spiegelneuronen im Gehirn aktiviert und ein empathisches Mitleiden erzeugt. Was alles muss unterdrückt werden, wenn Mütter während des ganzen Vorganges und der Zeit danach das natürliche Mitgefühl für ihr Kind der religiös-kulturellen Überhöhung unterordnen?«1134

Die »identitätsstiftende[..] religiöse[..] Gemeinschaft« verhindern der Leserin zufolge, dass die Mütter überhaupt angemessen die »körperlichen und seelischen Leiden der Jungen« wahrnehmen könnten.1135 Auch auf dem Internetblog Zwangsbeschneidung.de findet sich die Vorstellung, jüdische Eltern würden mit der Vorhautbeschneidung ihre Söhne »unverantwortlich«1136 behandeln und »quälen«, wenngleich nicht alle von ihnen dies absichtlich täten: »Dass Juden ihre Kinder quälen, ist bei einer betäubungslosen Beschneidung offensichtlich. […] Dass die Qual gewollt ist, kann den Eltern sicher nicht pauschal unterstellt werden.«1137

____________________ 1132

1133 1134 1135 1136 1137

V. A. 2014: Z. 381ff. Diese Ansicht vertritt auch der Beschneidungsgegner Schmidbauer 2012. Auch Bodenheimer weist darauf hin, dass Muslime bei einigen Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen im Gegensatz zu Juden als flexibler gelten, weil sie das Alter der religiösen Beschneidung nicht so klar definiert hätten (vgl. Bodenheimer 2012a: 19). V. A. 2014: Z. 390ff. Geng 2012, Herv. D. I. Ebd. Zwangsbeschneidung.de 2013b. Zwangsbeschneidung.de 2012a.

257

4. Wiederkehrende Motive

In dem Blogbeitrag stehen Juden, die ihre Söhne beschneiden lassen, der Gemeinschaft der Eltern entgegen, die ihre Söhne nicht quälen.1138 An dieser Stelle verweist die Argumentation wiederum auf jüdische Eltern, die sich am unschuldigen jüdischen Kind vergehen würden.1139 Trotz der Einschränkung im Hinblick auf die Intention der Eltern drückt sich die Perspektive aus, dass Juden »Barbaren sind, die ihren Kindern etwas zufügen, wovor der Rest der Gesellschaft diese nur allzu gerne schützen würde, wenn man ihn ließe.«1140 In einem Kommentar auf der verschwörungsideologischen und rechten Internetseite Der Honigmann sagt richtet sich ein/e anonyme/r Leser/Leserin anklagend an jüdische Mütter. Er/Sie appelliert an jüdische Mütter, die Vorhautbeschneidung der Söhne endlich zu unterlassen, und wirft ihnen vor, einem »grausamen«, also erbarmungslosen und brutalen Glauben zu folgen, der schon viel Unheil über die Welt gebracht habe. Die vermeintlich grauenvollen Eltern werden als Anlass genommen, um antisemitische Ressentiments auszuleben: »Jüdische Mütter!! Wie könnt ihr das nur zulassen? Es ist grauenvoll! Was tut ihr nur Euren Kindern an?? Kein Gott verlangt das von Euch. Hört doch auf Euer Herz, wenn ihr eines habt und schwört diesem grausamem Glauben ab. Ihr hasst vielleicht Jesus, aber hasst ihr auch Eure Kinder, dass ihr Ihnen so etwas antut? Hört doch auf damit. Wie könnt ihr das nur ertragen, wenn ihr kein Herz aus Stein habt? Wacht doch auf und denkt nach. Ihr solltet lieber auf euer mitfühlendes Mutterherz hören, als auf die Vorschriften eurer grausamen und selbst schon verstümmelten Rabbiner. Es ist kein Gott, der das von Euch verlangt. Lasst doch ab davon, soviel Schmerz über eure Kinder zu bringen… und was bringen diese Kinder dann wieder über andere Völker? […] Wacht Ihr doch auf! Lasst es doch nicht zu, dass eure hilflosen Säuglinge so zugerichtet werden an Leib und Seele. Vorher hatte ich nur Unverständnis für die Dinge, die von Euch ausgehen, für euren Hochmut und für eure Lügen, für euer Machtstreben und für euren Ehrgeiz; grad‘ fürchten konnte man sich vor euch und vor eurer gottlosen Kaltherzigkeit, aber wenn ich das sehe erbarmt es mich um der armen Kindlein will. Ihr seid ja auch grausam zu eurem eigenen Fleisch und Blut. […] Ihr habt blutige Revolutionen herbeigeführt und rühmet euch noch dafür. Ihr habt Kriege angezettelt und zig-millionenfaches Blut vergießen lassen und rühmet

____________________ 1138 1139 1140

258

Zwangsbeschneidung.de 2013a. Siehe hierzu 4.4. »Tausende wehrlose Kinder«. Bodenheimer 2012a: 47.

4. Wiederkehrende Motive euch noch dafür – nun, vielleicht wurden die Kriege nicht von jüdischen Müttern angezettelt, aber von jüdischen Männern und Vätern, selber beschnitten, verstümmelt an Leib und Seele. Aber ihr jüdischen Mütter, was geht in euren Köpfen vor? Habt ihr kein Herz? Lasst das nicht mehr an euren Kindern geschehen und vielleicht werden sie friedfertiger werden, vielleicht werden auch eure Kinder in Zukunft zu Mitgefühl fähig sein. […] Wer soll sie denn behüten und beschützen vor den grausamen Händen der verhärteten Männer, wenn nich Ihr?«1141

Direkt angesprochen werden jüdische Mütter, die als herzlos, kinderhassend, gesteuert, grausam und zu Mitgefühl unfähig dargestellt werden und ihre Söhne nicht beschützen würden. Die Ressentiments sind zahlreich und umfassen den Vorwurf des Hochmuts, Machtstrebens, Ehrgeizes sowie den Vorwurf der Lüge, Gottlosigkeit und Schuld für Revolutionen und Kriege.1142 Das Motiv der empathielosen Eltern ist von Anbeginn in der öffentlichen Kontroverse vorhanden und wurde sogar in den parlamentarischen Debatten im Deutschen Bundestag kritisch aufgegriffen.1143 Dennoch ist festzuhalten, dass Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen weniger über das konkrete Verhalten jüdischer und muslimischer Eltern sprachen als über eine Rechtskollision oder einen Rechtsverstoß.1144 In seinem Essay Haut ab! von 2012 bietet Bodenheimer einen Erklärungsansatz für die Verbreitung des beschriebenen Motivs. Neben einer gesellschaftlichen Grundstimmung gegen die Religion verweist er auch auf einen Paradigmenwechsel respektive eine starke »Verschiebung des ethischen Denkens der westlichen Welt hin auf das Individuum, seine Autonomie und seine Ineffabilität«.1145 Kennzeichnend dafür sei, dass die Bedeutung von gesellschaftsbildenden Strukturen wie beispielsweise der Familie, verstanden als Mikrostruktur der Gesellschaft, gegenwärtig »stark zurückgedrängt oder obsolet geworden« sei.1146 Die individualitätsbezogene Wertewelt beziehungsweise »der zeitgenössische Wertekanon« könne mit einer ____________________ 1141 1142 1143 1144 1145 1146

Sos 2012, Herv. D. I. Vgl. Salzborn 2014: 14; vgl. Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 129ff.; 150ff. Vgl. Lischka 2012; vgl. Steinmeier 2012: 26076; vgl. Voßhoff 2012: 26077; vgl. Künast 2012: 26081. Siehe hierzu 4.2. Gesetz- und Rechtlosigkeit. Bodenheimer 2012a: 48. Ineffable bedeutet unbeschreiblich und unsagbar. Siehe hierzu auch Amir-Moazami 2016: 155f. Bodenheimer 2012a: 48.

259

4. Wiederkehrende Motive

»Bewertung von Tradition als eines eigenständigen Guts nichts anfangen«, in dieser Perspektive überdeterminiere und immobilisiere Tradition das Individuum.1147 Die Herkunftsgruppe des Individuums oder die Eltern als Mitglieder einer solchen Gruppe stehen im Gegensatz zum Individuum nicht im Fokus und haben keine Berechtigung, Identität zu vermitteln. Mit Bezugnahme auf die Vorhautbeschneidung seien Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen davon ausgegangen, der »veränderte Körper« sei »identisch mit einer Beeinträchtigung der religiösen Freiheit des selbstbestimmenden Menschen, der das Kind einmal sein wird«. Sie sehen die Beschneidung als stärkere Prägung »als geistige Erziehung« oder »Indoktrination«1148 an und beschreiben die religiöse Erziehung grundsätzlich als »unvertretbare Determinierung und Manipulation von Kindern«.1149 Die »Unzuweisbarkeit« des Individuums zu einer Gruppe werde von ihnen gewendet als Freiheit des Individuums vor religionsdeterminierenden Kollektiven.1150 Zudem geht Bodenheimer davon aus, dass der Wertewandel, der »die Freiheit des Individuums […] als Wert über die Freiheit von religiösen Gemeinschaften« stelle, mit dem Christentum als Mehrheitsreligion »tendenziell eher im Einklang« stehe als mit Bräuchen und Gesetzen von religiösen Minderheiten, womit er Juden/Jüdinnen meint.1151 Das Motiv der empathielosen religiösen Eltern wurde unterschiedlich ausformuliert und fand sich als vage Andeutung oder auch als deutlicher Vorwurf gegenüber den religiösen Eltern und gegenüber Juden. Denn aus dem unterschiedlichen Zeitpunkt, wann eine Vorhautbeschneidung genau stattfindet, leiten einige Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen ab, Juden und Muslime seien unterschiedlich tolerant. Besonders der Vorwurf gegenüber den jüdischen (und muslimischen) Eltern ermöglicht es, ein Kollektiv von kinderliebenden und ihre Söhne umsorgenden Eltern zu konstruieren, aus dem Juden und Muslime ausgeschlossen sind, gerade weil sie ihre Säuglinge/Jungen beschneiden lassen. In der Zuschreibung, jüdische und muslimische Eltern täten ihren Söhnen durch die Vorhautbeschneidung Gewalt an, liegt eine positive Selbstvergewisserung des Eigenen, die mit ____________________ 1147 1148 1149 1150 1151

260

Ebd.: 49. Ebd.: 50. Ebd.: 20. Ebd.: 50. Ebd.: 7.

4. Wiederkehrende Motive

einer Ablehnung und Abwertung derjenigen einhergeht, die ihre Söhne beschneiden lassen.1152 In seiner expliziten Form verweist das Motiv auf ein zentrales antisemitisches Motiv, das nach Monika Schwarz-Friesel darin besteht, Juden eine »schlechte[..] Wesensart« zu unterstellen und als »verderbt« darzustellen.1153 Zwar bringt sie ihre Forschung nicht mit jüdischen Eltern in Verbindung, ihre Analysen sind aber auf die Darstellung von jüdischen Eltern in der Beschneidungskontroverse übertragbar. In dieser Perspektive werden jüdische Eltern zum Gegenentwurf der nichtjüdischen Elternschaft. Das antisemitische »Prinzip der Dämonisierung«1154 und der Dehumanisierung wird hier also nicht an Israel, sondern an jüdische Eltern geknüpft. Einige Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen bringen sich so in eine »moralische Überlegenheitsposition«, aus der heraus sie jüdischen Eltern ein »mitmenschliches Fühlen«1155 implizit und sogar explizit absprechen. 4.6.

Die »Lektion aus der Nazizeit«. Über »polemische«, »fanatische« und »unfriedliche« Juden

In der Beschneidungskontroverse sprechen sowohl Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen als auch diejenigen, die eine Vorhautbeschneidung tolerieren, implizit und explizit über den Nationalsozialismus, die Verfolgung von Juden/Jüdinnen und die Shoah/den Holocaust. Die impliziten wie expliziten Bezüge tauchen vermehrt während der politischen Bemühungen auf, eine gesetzliche Regelung zu Vorhautbeschneidungen zu schaffen. Ein konkreter Zeitpunkt in diesem Prozess war die Vorstellung des Gesetzesentwurfes vom Bundeskabinett am 10. Oktober 2012. Alle Akteure/Akteurinnen nehmen gleichermaßen für sich in Anspruch, aus dem Nationalsozialismus und der Shoah gelernt zu haben und infolgedessen ihre jeweilige Haltung für oder gegen die Vorhautbeschneidung einzunehmen. Die Shoah stellt damit einen zentralen Ankerpunkt der Argumentationen dar.

____________________ 1152 1153 1154 1155

Vgl. Blumenberg/Hegener 2012: 1125f. Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 74. Ebd.: 72. Ebd.: 140.

261

4. Wiederkehrende Motive

Im Folgenden geht es darum zu analysieren, auf welche Art und Weise die untersuchten Akteure/Akteurinnen über die Shoah sprechen: Gegner/Gegnerinnen der Vorhautbeschneidung werfen einzelnen Abgeordneten, besonders aber Juden/Jüdinnen vor, die Shoah zu instrumentalisieren. Teilweise verbinden sie damit den Vorwurf gegenüber Juden – die an Vorhautbeschneidungen festhalten –, »harsch«, »polemisch« oder »fanatisch« zu agieren.1156 Gleichzeitig dient die Shoah Gegnern/Gegnerinnen der Vorhautbeschneidung zur Verdeutlichung, warum sie die Vorhautbeschneidung ablehnen. So wird die Shoah zum Vehikel. Die Soziologin Julijana Ranc spricht in diesem Zusammenhang von einer argumentativen »Indienstnahme von Auschwitz«, denn »das Sprechen über Juden unter deutschen Nachgeborenen« sei »unweigerlich ein Sprechen über Juden mit Auschwitz«.1157 Der Bezug auf die Shoah verbindet sich wiederholt mit dem Narrativ, das Engagement gegen Vorhautbeschneidung resultiere aus der »Lektion«1158 der Nazizeit. Exemplarisch für einen allgemeinen Vorwurf, der sich an niemand konkret richtet, ist der Artikel Ein Verbot wäre unverhältnismäßig des Redakteurs Jasper von Altenbockum in der FAZ. Altenbockum identifiziert einzelne »Kritiken« an Vorhautbeschneidungen – mit denen sich Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen als aufgeklärt zu tarnen versuchen – als fundamentalistisch. Scheinbar bemüht um eine Versachlichung der Kontroverse, mahnt er an, die Verhältnismäßigkeit zu wahren. So sei es »schlicht unverhältnismäßig und unzumutbar«, dass Angehörige der jüdischen und muslimischen Gemeinden auf einen Glaubensinhalt beziehungsweise eine religiöse Pflicht verzichten sollen. Während er erläutert, was ein Verbot für Juden bedeutet, geht er auf Konsequenzen des Verbots für Muslime nicht ein. Er argumentiert, dass Juden ihren Glauben nicht mehr in Deutschland praktizieren könnten und für die religiöse Praxis ins Ausland gehen müssten.1159 Gleichzeitig plädiert Altenbockum dafür, Vorhautbeschneidungen, die Komplikationen nach sich ziehen, zukünftig weiterhin zu ____________________ 1156 1157 1158 1159

262

Siehe hierzu den Artikel von Klaiber 2012 sowie die Interviews mit V. A. 2014 und L. A. 2014. Ranc 2016: 71, Herv. i. Orig. Rupprecht zit. n. Leszczynska-Koenen 2012: 1220. Siehe hierzu die Wortmeldung von Rupprecht 2012 und die Monografie von Jens 2013. Vgl. Altenbockum 2012.

4. Wiederkehrende Motive

verbieten. Denn das Recht auf körperliche Unversehrtheit dürfe nicht relativiert werden und die Grenze zu »andere[n] Körperverletzungen im Namen der Religion« sei schwer zu ziehen: »Es bleibt aber dabei, dass es sich bei der Beschneidung um eine nicht zu bagatellisierende Körperverletzung handelt, die weder durch die Berufung auf den Elternwillen noch durch die Religionsfreiheit - und auch nicht mit dem Hinweis auf den Holocaust - einfach beiseite gewischt werden kann.«1160

Bedeutsam ist, dass Altenbockum offenlässt, wer diesen Hinweis auf den Holocaust überhaupt formuliert. Sowohl Juden/Jüdinnen als auch Politiker/Politikerinnen oder sogar andere gesellschaftliche Akteure/Akteurinnen könnten es sein. Die nicht weiter genannten Personen gebrauchen den Holocaust für einen bestimmten Zweck: Sie bezögen sich auf ihn, um den Vorwurf der Körperverletzung an Jungen/Säuglingen einfach beiseite wischen zu können. Der bereits genannte offene Brief in der FAZ funktioniert auf eine ähnliche Weise wie die Argumentation von Altenbockum. In einer Textpassage kritisieren Franz und die Mitunterzeichnenden: »Der schwerwiegende Vorwurf jedoch – unter assoziativem Verweis auf den Holocaust –, durch ein Verbot der rituellen Jungenbeschneidung würde ‚jüdisches Leben in Deutschland‘ unmöglich werden, ist für Vertreter des Kinderschutzgedankens nicht hinnehmbar.«1161

Die Anführungszeichen um jüdisches Leben in Deutschland wirken irritierend, da unklar ist, inwiefern es sich um ein unvollständig wiedergegebenes und nicht gekennzeichnetes Zitat handelt. Dadurch, dass Franz nicht darlegt, welche konkrete Stellungnahme oder welche Äußerung er mit seiner Kritik eigentlich meint, ist auch unklar, ob in dieser überhaupt vom Holocaust gesprochen wurde oder ob Franz diese Bezugnahme selbst herstellt. Die Suche nach dem Urheber des indirekten Zitats führt einen zum damaligen Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann. Er sagte am 27. Juni 2012 in den Tagesthemen, dass »dieses Urteil zu Ende gedacht […] doch bedeuten [würde], dass jüdisches Leben

____________________ 1160 1161

Ebd., Herv. D. I. Franz 2012a.

263

4. Wiederkehrende Motive

in Deutschland faktisch unmöglich gemacht wird«.1162 Eine ähnliche Formulierung benutzt Graumann in einem am 14. Juli 2012 in der Rheinischen Post veröffentlichten Interview: »Wenn ein solches Urteil zur Rechtslage würde, dann wären die Juden kalt in die Illegalität abgedrängt. Dann wäre in letzter Konsequenz jüdisches Leben in Deutschland nicht mehr möglich.«1163

In beiden Äußerungen Graumanns ist jedoch vom Holocaust nicht die Rede.1164 Möglicherweise könnte sich Franz mit dem indirekten Zitat auf Äußerungen des Vorsitzenden der Europäischen Rabbinerkonferenz beziehen, Rabbiner Pinchas Goldschmidt. Er hatte bei einem Zusammentreffen von Rabbinern in Berlin mehreren Tageszeitungen zufolge gesagt, das Beschneidungsverbot sei »perhaps the most serious attack on Jewish life in Europe since the Holocaust«.1165 Deutschsprachige Zeitungen zitierten lediglich die Worte »Schwerster Angriff auf jüdisches Leben seit Holocaust« und ließen das »vielleicht« vielfach unberücksichtigt.1166 Unabhängig davon legt die Formulierung Franz‘ im Vergleich zu der von Altenbockum sehr viel deutlicher nahe, dass nicht irgendwer, sondern besonders Juden dafür eintreten würden, dass Vorhautbeschneidungen nicht verboten werden. Sie würden eine gedankliche Verknüpfung mit dem Holocaust herstellen, die unzulässig sei. Mit seiner Kritik gesteht Franz Juden, die mit dem Verweis auf die Vernichtung der europäischen Juden/Jüdinnen das Beschneidungsverbot kritisieren, kein legitimes Interesse zu und suggeriert, sie hätten sich selbst als Dialogpartner disqualifiziert. Zugespitzt wirft Franz Juden vor, nur aus strategischen Gründen auf den Holocaust zu sprechen zu kommen, um Kritik an der Vorhautbeschneidung zu verhindern.1167 In dem Artikel Ist das Beschneidungsgesetz gut? in der taz kritisiert der Journalist und Autor Matthias Lohre den Entwurf für das Gesetz über Be-

____________________ 1162 1163 1164 1165 1166 1167

264

Graumann 2012a. Graumann 2012b. Vgl. Graumann zit. n. O. A. 2012h. Auch Bodenheimer weist darauf hin, dass Juden/Jüdinnen in Stellungnahmen anlässlich des Beschneidungsverbotes wenig vom Holocaust sprachen (vgl. 2012a: 46, 56). Evans 2012. Heide 2012; O. A. 2012i; O. A. 2012j; O. A. 2012k. Im Gegensatz zu der Berichterstattung zitiert Jens in seiner Monografie das Wort »vielleicht« des Satzes mit (vgl. 2013: 82). Ähnlich analysiert Klein 2013: 244.

4. Wiederkehrende Motive

schneidungen (genauer: über »den Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes«) des Bundeskabinetts vom 10. Oktober 2012. Er macht Politikern/Politikerinnen und Juden einen direkten Vorwurf, wenn er schreibt, wie es dazu gekommen sei, dass die Bundesregierung den Gesetzesvorschlag entwickelte: »Die Debatte über die Frage, ob Beschneidungen Körperverletzungen sind oder zu schützende religiöse Tradition, verlief hysterisch. Grotesk waren Äußerungen wie die des niedersächsischen Verbandsvorsitzenden des Zentralrats der Juden: ‚Selbst im Dritten Reich gab es kein Verbot der Beschneidung.‘ Aus Furcht vor religiös begründeter Hysterie sind Union und FDP eingeknickt. Schmallippig freuen sie sich über die durch ‚Beseitigung rechtlicher Unsicherheit‘ geschaffene ‚Klarheit‘. Das ist kein Lob für den Inhalt eines Gesetzes, sondern für seine Funktion. Bloß weg mit der Debatte.«1168

Die Textpassage zeigt, dass Lohre mit negativer Bewertung davon ausgeht, die Regierungskoalition, bestehend aus CDU/CSU und FDP, habe in Reaktion auf Kritik von Juden ihren bisher vertretenen politischen Standpunkt aufgegeben. Zwar nennt er als Grund für das Einknicken nur unbestimmt und sehr implizit eine »Furcht vor religiös begründeter Hysterie« und schreibt nicht wegen der Juden. Zugleich lässt er aber keinen Zweifel daran aufkommen, wer diese Hysterie geschaffen habe. Denn zwischen dem Wort »hysterisch« und der »Furcht vor Hysterie« nennt Lohre die Äußerung des Landesverbandsvorsitzenden der Jüdischen Gemeinden Niedersachsen, Michael Fürst, allerdings ohne dessen Namen zu nennen. Dennoch ist durch Lohres Anspielung klar, dass Fürst stellvertretend für die Juden steht.1169 Als hysterisch bewertet Lohre die Äußerung Fürsts durch seinen Bezug auf das »Dritte Reich«. Damit sagt er, ähnlich wie Franz, nur sehr viel deutlicher, dass es nicht legitim sei, wenn Juden im Kontext der Beschneidungskontroverse vom Holocaust sprechen (und Nichtjuden so ein schlechtes Gewissen machen würden). Exemplarisch für den Vorwurf gegenüber Juden und Politikern/Politikerinnen, sich in unzulässiger Weise auf den Holocaust zu beziehen, sind darüber hinausgehend die Äußerungen der SPD-Abgeordneten Marlene Rupp____________________ 1168 1169

Lohre 2012a, Herv. D. I. Anfang 2017, also zu einem späteren Zeitpunkt, beschrieb sich Fürst in einem Interview als der »bekannteste Jude in Niedersachsen«, da er seit 37 Jahren Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde sei (Fürst 2017).

265

4. Wiederkehrende Motive

recht, die von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen sehr zustimmend aufgenommen werden. Rupprecht hatte die Aussage Graumanns, ohne Rechtssicherheit sei jüdisches Leben in Deutschland nicht mehr möglich, mehreren Zeitungsartikeln zufolge als »Totschlagargument« bewertet.1170 Man dürfe nicht sagen, »[w]ir hatten den Holocaust, also haben wir jahrhundertelang nichts zu kritisieren«.1171 Der Journalist und Autor Tilman Jens greift Rupprechts Äußerungen in seiner Monografie Der Sündenfall des Rechtsstaats – in der er anlässlich der Beschneidungskontroverse über den gegenwärtigen »Religionskampf« und über die Aushöhlung des Rechtsstaates durch die Religion schreibt – beipflichtend auf. Obwohl seine Argumentation zunächst mit einer Kritik am zu großen Einfluss des Christentums auf die bundesrepublikanische Politik und Gesellschaft beginnt, kommt Jens schnell auf den Einfluss der jüdischen und muslimischen Religion auf den Staat zu sprechen.1172 Der Staat gehe ehrerbietig »auf die Knie«1173 und unterwerfe sich der christlichen, jüdischen und muslimischen Religion, welche die »Geschicke unserer Politik«1174 lenke. So lautet die zentrale Annahme in seiner apodiktischen Dystopie, die einen Kriegszustand heraufbeschwört. Ein »Sündenfall« sei das Gesetz vom 12. Dezember 2012, das fachgerecht durchgeführte Vorhautbeschneidungen unabhängig von der spezifischen Begründung der Eltern für zulässig erklärt.1175 Zu Rupprechts Äußerungen schreibt Jens: »Das war ein heißer Sommer, der leider viel zu schnell vorüberging. Die Republik diskutierte. Leidenschaftlich, nicht immer gerecht und bisweilen auf hohem Niveau. Islamverbände sahen im drohenden Beschneidungsverbot eine neue Auswucherung

____________________ 1170

1171 1172

1173 1174 1175

266

Lau 2012c; Wendt 2012. Der Kommentar Dummes von der Kinderbeauftragten von Lala Süsskind in der Jüdischen Allgemeinen sowie die Reaktion Graumanns gegenüber der Nachrichtenagentur dapd kritisieren die Äußerungen Rupprechts deutlich (vgl. O. A. 2012h). Rupprecht zit. n. Wendt 2012. Basis für seine Beurteilung ist etwa die andächtige Rede des Bundespräsidenten Joachim Gauck vom 13. Februar 2013 auf einer Pressekonferenz anlässlich der Rücktrittserklärung von Papst Benedikt XVI sowie die starke Einschränkung des öffentlichen Lebens, die im Zuge des privaten und pastoralen Papstbesuches in Bayern im Jahr 2005 stattgefunden habe (vgl. Jens 2013: 8ff.). Ebd.: 12. Ebd.: 13. Ebd.: 12, 23.

4. Wiederkehrende Motive gesellschaftlicher Intoleranz. Vertreter der jüdischen Gemeinden beklagten, lautstark und mit internationalem Widerhall, ein Land, das den Spruch des Kölner Landgerichts vollstrecke, schicke sich an, einmal mehr jüdisches Leben zu vertreiben. Hat also, wer den rituellen Eingriff ohne Betäubung als Akt des Unrechts geißelt, nichts aus der Geschichte gelernt, die Schrecken des Holocaust vergessen? Oder wird erst umgekehrt ein Schuh daraus? Der Respekt vor dem Leben – das ist doch unsere Lektion aus der Nazizeit, hat die sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete Marlene Rupprecht gesagt, eine von 32 ihrer Partei, die gegen das Gesetzesvorhaben stimmten. Ist folglich die einzig denkbare Reaktion auf die Terrorherrschaft der Nazis ein unbeugsames Bekenntnis zum Rechtsstaat? Nur: mit dessen Grundsätzen sind gewalttätige Zwangsrituale nun einmal nicht vereinbar.«1176

Jens befürwortet Rupprechts Kritik als »einzig denkbare Reaktion«, wenngleich er ein rhetorisches Fragezeichen hinter diese Aussage stellt. Dies zeigt sich auch daran, dass Jens anscheinend alle anderen, die im Kontext der Kontroverse vom Holocaust sprechen, sehr vehement kritisiert: »Die unverfrorene Anspielung auf den Holocaust zielt auf Einschüchterung, auf die Diffamierung säkularer Gesinnung.«1177 Seine negative Wertung als dreist und frech sowie die Vorstellung, mit dem Bezug auf den Holocaust würden Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen eingeschüchtert, zeigt, dass Jens davon ausgeht, der Holocaust werde instrumentell genutzt.1178 Zwar wirft Jens an dieser Stelle nicht explizit Juden vor, in unzulässiger Weise an den Holocaust zu erinnern, sondern benennt zunächst keinen konkreten Akteur. An einer anderen Stelle des Textes wirft Jens jedoch Juden, die für Vorhautbeschneidungen eintreten, vor, sich unangebracht geäußert zu haben: »Selbst besonnene Zeitgenossen wie der Schriftsteller und Historiker Doron Rabinovici verloren im Eifer des Gefechts urplötzlich die Contenance und griffen zur ganz großen Trompete.«1179 Schaut man sich nach dieser Beschreibung an, welche Äußerung Dorons in Jens‘ Perspektive unangebracht ist, stellt sich Verwunderung ein. Denn unerhört findet Jens die Äußerung, »[w]er die Beschneidung von Buben aus rituellen Gründen unter Strafe stellt, schürt […] unweigerlich den Eindruck, der Islam gehöre

____________________ 1176 1177 1178 1179

Ebd. 28f. Jens 2013: 19. Zum antisemitischen Motiv, freche Juden hetzten gegen Deutschland, das sehr explizit ausformuliert ist, siehe Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 174ff. Jens 2013: 84.

267

4. Wiederkehrende Motive

nicht zu Deutschland, und er nährt den Verdacht, Juden, die nach ihrer jahrtausendealten Überlieferung leben wollen, seien in der Bundesrepublik nicht erwünscht«.1180 Direkt im Anschluss an diese zurückhaltende Äußerung Dorons übersetzt Jens, wie sie zu verstehen sei: »Anders gesagt: In jedem Gegner der Zwangsbeschneidung schlummert insgeheim ein kleiner Sarrazin. Oder ein Mensch, dem nichts mehr heilig ist«.1181 Eine solch verzerrte Interpretation kennzeichnet zahlreiche Reaktionen von Nichtjuden.1182 Dies zeigt auch eine andere Textpassage, in der Jens die Äußerungen von Pinchas Goldschmidt, Silvan Schalom und Daniel Krochmalnik kritisiert und ihnen vorwirft, sich unangebracht zu verhalten: »Die jüdische Orthodoxie zeigte sich nicht minder lautstark empört. Sollte das Urteil Bestand haben, sehe ich für die Juden in Deutschland keine Zukunft, prophezeite Pinchas Goldschmidt, immerhin Präsident der europäischen Rabbiner. In wahrlich verwegener Rede sprach er vom vielleicht gravierendsten Angriff auf jüdisches Leben in Europa nach dem Holocaust.«1183

Das Sprechen über den Holocaust ist für Jens »verwegen« und an anderer Stelle eine »irrwitzige Analogie«.1184 Es ist in seiner Perspektive einzig dazu da, »die Gegenpartei mit Nazivergleichen zu erledigen«1185 und eine Kontroverse um das Thema zum Schweigen zu bringen. Die beschriebenen Vorwürfe, die bisher dargestellt und analysiert wurden, verweisen auf eine Sprechweise, die im Antisemitismus nach Auschwitz zentral geworden ist. Sie wird in der deutschsprachigen Antisemitismusforschung als Schuldabwehr-Antisemitismus, sekundärschuldabwehrender Antisemitismus oder auch als sekundärer Antisemitismus bezeichnet.1186 ____________________ 1180 1181 1182 1183 1184 1185 1186

268

Doron zit. n. Jens 2013: 84. Jens 2013: 84. Siehe im Folgenden die Äußerungen von V. A., G. O., Klaiber und L. A. Jens 2013: 82, Herv. i. Orig. Ebd. Ebd.: 83. Benz grenzt vier Formen des Antisemitismus voneinander ab: christlichen beziehungsweise religiösen Antijudaismus, Rassenantisemitismus, sekundären Antisemitismus und Antizionismus (vgl. Benz 2004: 19f.). Salzborn unterscheidet fünf Artikulationsvarianten, nämlich religiös-antijüdischen, völkisch-rassistischen, sekundär-schuldabwehrenden, antizionistisch-antiisraelischen und arabisch-islamischen Antisemitismus (vgl. Salzborn 2014: 11ff.). Bei beiden Systematisierungsvorschlägen handelt es sich um eine analytische und idealtypische

4. Wiederkehrende Motive

Während Differenzen bezüglich der Begrifflichkeiten, insbesondere am missverständlichen Adjektiv »sekundär« existieren1187, ist die damit beschriebene Ausprägung des Antisemitismus unstrittig. Dem Historiker Olaf Kistenmacher zufolge entstand der schuldabwehrende Antisemitismus erst nach 1945.1188 Auch Salzborn und Schwarz-Friesel/Reinharz betonen, dass diese Artikulationsform in den ersten Nachkriegsjahrzehnten entstand und sich, mit Blick auf die geografische Verortung, zunächst in Deutschland und Österreich entwickelte. Sie speise sich aus dem »Wunsch nach Entlastung von der nationalsozialistischen Vergangenheit«.1189 Der Publizist Henryk M. Broder übersetzte die Artikulationsform 1986 in die Formel: »nicht trotz, sondern wegen Auschwitz«.1190 Die »Täter und deren Erben« würden durch die Juden, welche die Shoah überlebten, »permanent an ihre Untaten« erinnert werden; »Jeder lebende und überlebende Jude ist Zeuge und Vorwurf zugleich«.1191 Um sich nach 1945 trotzdem »auf positive Weise mit der eigenen, deutschen Nation identifizieren zu können«, mussten Nichtjuden die Erinnerung an die Shoah abwehren oder relativieren.1192 Entsprechend liege

____________________

1187

1188 1189 1190 1191 1192

Unterscheidung, die jeweiligen Formen treten nur selten für sich auf, sondern verbinden sich (vgl. Salzborn 2014: 11; vgl. Pfahl-Traughber 2007: 5, 11). Der Begriff des »sekundären Antisemitismus« wurde von Peter Schönbach in Bezug auf die antisemitische Schmierwelle 1959/60 verwendet (vgl. Rensmann 1998: 231ff.; vgl. Frindte 2006: 18). Die antisemitische Schmierwelle bezeichnet eine größere Serie von antisemitischen Vorfällen in mehreren bundesrepublikanischen Städten, unter anderem Köln und Frankfurt. Zahlreiche Gebäude wurden mit antisemitischen und neonazistischen Parolen und Zeichen beschmiert. Ihren Ausgang nahm die Schmierwelle mit der Schändung der Kölner Synagoge in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember 1959. Schwarz-Friesel/Reinharz kritisieren den Begriff des sekundären Antisemitismus, da er irreführend sei und von der Bedeutung her suggeriere, es handele sich um einen abgeleiteten, zweitrangigen Antisemitismus, was aber nicht der Fall sei (vgl. Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 96). Vgl. Kistenmacher 2012: 51. Salzborn 2014: 16; vgl. auch Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 91ff. Broder 1988: 11, Herv. i. Orig. Ebd.: 11. Vgl. Kistenmacher 2012: 52.

269

4. Wiederkehrende Motive »die Verantwortung für eine durch die Holocausterinnerung gestörte Identitätsfindung nicht in der Massenvernichtung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland, sondern bei den NS-Opfern, die sich mit ihrem – so verstandenen – Schicksal nicht abfänden.«1193

Diese Analyse bestätigend führt Holz aus, dass Juden so dargestellt werden, als wollten sie einen illegitimen Nutzen aus der Shoah ziehen und »jede Kritik« an sich unterdrücken.1194 In dem Vorwurf, immer wieder an die Shoah zu erinnern, »obwohl ein Schlußstrich unter die Vergangenheit längst angemessen sei«, werden sie zu Profiteuren. Nichtjüdische Deutsche hingegen seien Opfer einer fortdauernden Thematisierung der Shoah, die als ein »jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel«, als »Drohroutine« und als »Moralkeule« wahrgenommen wird.1195 Auch Rensmann betont, dass die antisemitische Konstruktion der jüdischen Unversöhnlichkeit und Rachsucht »mit Hilfe des Umstands rationalisiert [wird], daß es jüdische Menschen gibt, die bis zur Gegenwart nicht willens sind, Auschwitz einfach zu vergeben«.1196 Schwarz-Friesel/Reinharz heben mit Blick auf die Stereotype des Schuldabwehr-Antisemitismus hervor, dass sie auf tradierten Konzeptualisierungen von Juden basieren und von Antisemiten/Antisemitinnen in der Gegenwart lediglich modifiziert beziehungsweise elaboriert wurden.1197 Sie konkretisieren, das Stereotyp des Juden als lästiger Mahner und Störenfried und des Juden als Holocaustausbeuters sei eine »moderne Variante der bereits im Mittelalter kursierenden Vorstellung von Juden als Störenfrieden« und basiere zudem auf der Konzeptualisierung, »Juden seien keine Deutschen«.1198 Seit den 1950er und 1960er Jahren widmen sich Forschende aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen den Ausprägungen des schuldabwehrenden Antisemitismus und seiner Verbreitung in allen politischen Spektren der deutschen Gesellschaft.1199 Untersucht wurden insbesondere einzelne geschichtspolitische Auseinandersetzungen und Konflikte über die ____________________ 1193 1194 1195 1196 1197 1198 1199

270

Salzborn 2014: 16. Holz 2005: 66. Ebd.: 66f.; Salzborn 2010: 199ff.; Frindte 2006: 10. Rensmann 1998: 259, Schreibweise i. Orig. Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 96. Ebd., siehe auch ebd.: 155ff. Vgl. Salzborn 2014: 16; vgl. Frindte/Wammetsberger 2008: 265f.

4. Wiederkehrende Motive

NS-Vergangenheit und die Shoah sowie der Umgang mit der NS-Vergangenheit.1200 Zu nennen wären etwa die Kontroverse um das FassbinderStück Der Müll, die Stadt und der Tod von 1985, der Historikerstreit von 1986, die Goldhagen-Debatte von 1996, die Walser-Debatte von 1998 oder die Rede des CDU-Politikers Martin Hohmann von 2003.1201 Basierend auf diesen Analysen und Reflexionen lassen sich die (instrumentellen) Bezüge auf die Shoah und die Täter-Opfer-Nivellierung und Umkehr in der Beschneidungskontroverse einordnen. Auch in den mit Beschneidungsgegnern geführten Interviews finden sich Bezüge auf den Holocaust, die als diffus schuldabwehrend eingeordnet werden können. Eindrücklich ist eine Passage aus dem Interview mit dem Urologen V. A., da sie abermals zeigt, wie Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen das Verhältnis zwischen dem Holocaust und den Forderungen eines Verbotes als logische Konsequenz bestimmen. Im Zusammenhang mit seiner Kritik am Beschneidungsgesetz des Bundestages sagt V. A., dass die meisten Politiker/Politikerinnen nur so schnell für das Gesetz gestimmt hätten, weil sie »Angst vor Polemik« von Juden und Muslimen hatten: »A: Das ist nur geschuldet der (-) Angst vor (-) ähm Polemik, von den betroffenen Muslimen und Juden in Deutschland, die da gleich sagen, wir sollen ja doch nur vertrieben werden,=wir sind Menschen zweiter Klasse, diese Nummern. Ich hasse das, diese Worte eigentlich in den Mund zu nehmen, F:

Mhm

A:

Weil, ich (-) die Würde (-) und die menschlichen Werte vor jedem Menschen gleich hoch achte. Aber es tut mir leid, nur, (-) das liegt so nahe. Denn sonst hätte es auf gar keinen Fall ähm (-) eine Mehrheit im Bundestag finden können,

F:

Mhm

____________________ 1200 1201

Vgl. Bergmann 2011: 261; vgl. Ahlheim/Heger 2002: 54. Vgl. Holz 1999: 189ff.; vgl. Holz 2005: 57ff.; vgl. Rensmann 2004: 334ff.; vgl. Frindte 2006: 104ff.; vgl. Salzborn 2010: 201. Der Soziologe Helmut Dubiel fokussiert in seiner Monografie Niemand ist frei von der Geschichte im Gegensatz zu den genannten Beispielen auf andere Beispiele. Er analysiert die westdeutschen parlamentarischen Debatten des deutschen Bundestages ausgehend von den 1950er Jahren bis zum Ende der 1990er Jahre (vgl. Dubiel 1999).

271

4. Wiederkehrende Motive A:

Im Bundesrat und vor allen Dingen so schnell. Äh, sonst brauchen Gesetze Jahre,

F:

Ja

A:

Und jetzt ist ein Gesetz ganz schnell verabschiedet worden, was die Kinder(-) rechte und die kindliche Würde mit Füßen tritt. Das ist so.«1202

V. A. geht wie Franz, Lohre und Jens davon aus, dass der Gesetzgebungsprozess ungewöhnlich und fragwürdig geschah. Die Abgeordneten hätten nur so schnell gehandelt, weil Juden (und Muslime) sie moralisch unter Druck setzen und zu einem schnellen Handeln drängen würden. Seine Umschreibung »diese Nummern« für Verfolgungs- und Diskriminierungserfahrungen von Juden/Jüdinnen ist vorwurfsvoll, abschätzig und herabsetzend. Zugleich lehnt V. A. es ab, wenn Menschen benachteiligend behandelt würden, da alle Menschen gleich seien. Durch sein Bekenntnis zum Humanismus stellt er sich als moralisch integer dar, was auch in der nun folgenden Argumentation eine große Rolle spielt. Auf die Bitte, genauer zu erklären, woher die »Angst vor Polemik« komme, führt er mit alleiniger Fokussierung auf Juden aus: »A: Naja, die Angst ist ja allenthalben da, weil das immer noch gespannte Verhältnis zwischen Juden und Deutschen ja aus der (1) unauslöschlichen Schuldzuweisung seitens der Juden, für die Fastausrottung ihres Volkes, den Deutschen zugemessen wird. Mit Recht, F:

Mhm

A:

Daran besteht auch überhaupt kein Zweifel, Klammer auf – außer dass auch in sowjetischen Vernichtungslagern Juden ähm (-) umgebracht wurden, Klammer zu,

F:

Mhm

A:

Aber da, das spielt offensichtlich keine Rolle. Sondern die Deutschen sind nun mal das Zentrum dieser äh Kritik. Das ist auch richtig, daran (-) an der kollektiven Schuld der Deutschen an der Fastausrottung, am Holocaust der Juden, ist unbestritten,

F:

Mhm

A:

Das ist aber eine völlig (-) andere Problematik. Gerade, gerade weil wir Deutschen so viel Schuld tragen an dem jüdischen Volk, (nicht) ich, aber wir Deutschen kollektiv,

F:

Mhm

____________________ 1202

272

V. A. 2014: Z. 866–888.

4. Wiederkehrende Motive A:

Sollten wir doch einen Teufel tun und die jüdischen Kinder anfassen und denen (-) gegen Wahrung ihrer Rechte etwas abschneiden. Das ist aus meiner Sicht, ist das eine, wenn auch eine abgeschwächte Form der Fortführung der körperlichen Gewalt gegen die Juden. Das heißt, gerade weil wir Deutsche so kollektive Schuld tragen, indem wir Millionen von Juden umgebracht haben, im Namen von irgendeinem Wahnsinnigen

F:

Ja

A:

Ähm, (-) sollten wir doch genau das (-) nicht mehr tun und sagen, wir fassen doch jüdische Kinder nicht an und schneiden ihnen etwas ab, was sie nicht wollen. So, da fehlt mir auch jede Form von Verständnis, das ist auch noch so ein Argument, wo ich sage, Ritus hin Ritus her, aber, das darf ich als Deutscher mindestens so wenig wie irgendein anderer

F:

Ja, jetzt hatten Sie gesagt, dass Beschneidungen für Sie die Fortsetzung der Gewalt gegenüber Juden ist, können Sie …

A:

Das ist jetzt polemisch, ich möchte das,

F:

Ja

A:

Also ich habe das gesagt, ich möchte das insofern relativieren, ich will ja nicht Öl ins Feuer gießen.

F:

Ja

A:

Ich möchte das nur zu bedenken geben, dass ich ja, wenn ich gegen meine eigene Überzeugung, gegen deutsches bestehendes Recht, gegen die Berufsordnung (1) einen Eingriff vornehme,

F:

Ja

A:

An einem Jungen, der nicht einwilligungsfähig ist,

F:

Ja

A:

dann begehe ich eine Körperverletzung zumindest und übe eine Gewalt aus an einem Kind, das mir das nicht erlaubt hat.

F:

Mhm

A:

So möchte ich es mal (-) vielleicht etwas, nee nicht abschwächen, aber etwas erklären, weil das andere natürlich

F:

Ja

A:

Polemisch klingt, (ich setze die Gewalt durch), tue ich ja nicht wirklich=weil ich es ja auch nicht mache,

F:

Ja

A:

Aber so ist es vielleicht etwas präziser und etwas weniger polemisch äh und provokant ausgedrückt.

F:

Ja

273

4. Wiederkehrende Motive A:

Aber es meint das Gleiche, also, ich will da jetzt auch nicht zurückrudern, aber ich möchte es nicht so, ich möchte nicht, dass dann irgendwo der Eindruck entsteht, dass ich ein, ein, (1) ja äh, ein gestörtes Verhältnis zu diesen Glaubensgruppen habe (denn) so ist es nämlich nicht, ganz im Gegenteil.«1203

In dieser Interviewpassage spricht V. A. sehr ambivalent; er bewegt sich zwischen Schuldeingeständnis, -abwehr und -relativierung. Einerseits unterstreicht er sehr klar die im Nationalsozialismus begangenen Verbrechen von Deutschen an Juden/Jüdinnen und spricht mehrfach (und überbetont) von einer deutschen kollektiven Schuld. Andererseits lässt er diese spezielle Stellung der deutschen Schuld nicht für sich stehen, sondern verweist zumindest in ausgesprochenen Klammern darauf, dass es auch eine Schuld von sowjetischer Seite gebe. Seine Bemühung darum, eine Schuld von Deutschen nicht zu relativieren (»kein Zweifel« und »völlig andere Problematik«) zeigt, dass V. A. gesellschaftliche und politische Kritiken an einer Relativierung der Schuld von Deutschen berücksichtigt. Es kann folglich angenommen werden, dass V. A. politisch korrekt über die deutsche Vergangenheit sprechen möchte. Die Formulierung »der unauslöschlichen Schuldzuweisung seitens der Juden« ist indes irritierend, da es die Schuldzuweisung ist, die mit der Angst in Zusammenhang gebracht wird, und nicht die Shoah beziehungsweise eine deutsche Schuld. Die Schuldzuweisung, also etwas von Juden Erzeugtes – und nicht von Deutschen Begangenes, – verursacht bei ihm Unbehagen und wird als Bedrohung wahrgenommen. Aus diesem Grund erinnert die V. A.‘sche Schuldzuweisung der Juden an die 1998 vom Schriftsteller Martin Walser hervorgebrachte Formulierung, dass »unsere geschichtliche Last, die unvergängliche Schande« uns jeden Tag »vorgehalten« werde.1204 In dieser Lesart der Interviewpassage suggeriert auch V. A., dass Juden mit der Erinnerung an deutsche Schuld etwas Problematisches tun würden und diejenigen seien, die das angespannte Verhältnis zwischen Deutschen und Juden aufrechterhielten. Darüber hinausgehend zieht V. A. aus der »Fastausrottung« den Schluss, lernfähige Deutsche dürften Juden nichts mehr antun und daher auch keine jüdischen Säuglinge beschneiden. Das Problem daran ist, dass V. A. nicht nur für sich entscheidet, keine Vorhautbeschneidungen (ohne medizinische Indikation) durchzuführen, sondern fordert, dass zukünftig niemand mehr eine Vorhautbeschneidung legal durchführen ____________________ 1203 1204

274

V. A. 2014: Z. 883–937, Herv. D. I. Walser 1998: 11.

4. Wiederkehrende Motive

dürfe. Er belässt es nicht bei seiner individuellen Entscheidung, sondern formuliert in einem paternalistischen Gestus, weil Deutsche aus dem Holocaust gelernt haben, dürfen Juden nicht mehr beschneiden. Dass Juden in erster Linie dafür eintraten, die religiöse Praxis auch zukünftig zu erhalten und überhaupt keine Unterstützung von Nichtjuden bei der Durchführung von Vorhautbeschneidungen selbst einfordern, lässt V. A. unbeachtet. V. A. verdeutlicht, dass der Holocaust für ihn ein durch Schuldgefühl geprägtes Ereignis ist, dessen er sich neben dem Eingeständnis zugleich entledigen will. Nicht nur diese Interviewpassage zeigt, dass der Holocaust ein Vehikel dafür ist zu betonen, auf der moralisch richtigen Seite zu stehen und den einzig richtigen Schluss aus der nationalsozialistischen Vergangenheit zu ziehen. Denn V. A. sagt in der Formulierung zugleich, er beteilige sich nicht »an der Fortführung« des Holocaust, er verweigert sich energisch (»einen Teufel tun«).Wenn die Vorhautbeschneidung eine »abgeschwächte Form der Fortführung« ist, wie V. A. nahelegt, dann kann und darf sie förmlich nicht weiter erlaubt bleiben. Durch das Aufgreifen und Wiederholen seiner Formulierung, die Beschneidung sei eine »Fortsetzung der Gewalt«, gesteht V. A. ein, polemisch und streitentfachend (»Öl ins Feuer gießen«) argumentiert zu haben. Hervorzuheben ist, dass er die Polemik zu Beginn der Interviewpassage noch mit Juden und Muslimen in Verbindung brachte und ablehnte. Im weiteren Verlauf des Interviews kritisiert V. A. die Argumentation von Dieter Graumann, der stellvertretend für Juden/Jüdinnen steht, als »polemisch«, »nicht friedlich« und emotional geleitet: »A: Und wenn so einer wie Herr Graumann sagt, äh, dass (-) wir als Deutsche (-) eine 4000 Jahre alte Tradition der Juden negieren und das Judentum in Deutschland damit ausrotten wollen. F:

Mhm

A:

Dann ist das ähm polemisch, das ist auch nicht zielführend, das ist nicht friedlich, und so haben wir uns auf dieser Ebene haben wir uns auseinandergesetzt, wobei ich (-) dabei ruhig geblieben bin und mich auf den ärztlichen Standpunkt zurückgezogen habe, um da, also (-) nicht irgendwie eine Eskalation oder um da eine Deeskalation zu vermeiden.

F:

Mhm

A:

Denn das sind Standpunkte, so kann man nicht miteinander reden und

F:

Ja

A:

Finde ich, das ist also zwischenmenschlich unwürdig

F:

Ja

275

4. Wiederkehrende Motive A:

Das geht nicht. Zumal ich eine völlige unbelastete politische Vergangenheit habe, also (lacht)

F:

Ja

A:

Da werde ich in Haftung genommen für etwas so in Sippenhaftung für etwas, was ich nicht zu vertreten habe, und ich war als Arzt eingeladen, habe ich ihm auch gesagt, und nicht als Deutscher und nicht als Politiker und nicht als äh Christ,

F:

Mhm

A:

Sondern als Arzt, und da ich trotzdem Christ=Christ bin, oder Arzt und Christ bin, habe ich da eine ganz klare Meinung.

F:

Ja

A:

Die übrigens (-) durch die (-) deutschen (-) Gesetze auch das Grundgesetz eindeutig gedeckt ist,=also im Grundgesetz steht eindeutig das drin, dass wir Juden, äh, dass wir nicht rituell beschneiden dürfen. Nicht expressis verbis, aber das ist durch die 19 Artikel des Grundgesetzes eindeutig geregelt, und, für uns Ärzte noch in der Berufsordnung die auch Rechtskraft hat.«1205

Zentral sind die Zuschreibungen, die V. A. gegenüber Graumann anbringt, wobei er durch sein späteres Sprechen von »Standpunkte[n]« im Plural verdeutlicht, nicht nur Graumann, sondern Juden allgemeiner zu meinen. Er erklärt Juden durch ihr »polemisches«, zwieträchtiges, herausforderndes und provokatives Verhalten zu denjenigen, die den Konflikt erhalten und Unruhe stiften würden. Juden seien »nicht friedlich«, was Assoziationen zu streitlustig, widerspenstig und unversöhnlich nach sich zieht. In dieser Lesart des Textes verweisen die Zuschreibungen auf ein in der Mitte des 19. Jahrhunderts verbreitetes antisemitisches Sprechen, in dem Juden, der Historikerin Shulamit Volkov zufolge, als aufrührerisches und gefährliches Element galten.1206 V. A. geriert sich als derjenige, von dem kein Krieg ausgehe und auch nicht ausgegangen sei, wenn er seine unbelastete Vergangenheit sowie seine individuelle Schuldlosigkeit betont (nur das Kollektiv hat Schuld). Zudem stellt V. A. sich selbst im Gegensatz zu Graumann als nicht emotional geleiteten, sondern rationalen Wissenschaftler und Mediziner dar, der das Recht auf seiner Seite weiß. Er reduziert seine Haltung auf die ärztliche Expertise und lässt andere Aspekte seiner Identität, wie die deutsche Staatsangehörigkeit und seinen christlichen Glauben, nicht gelten. Der erneute ____________________ 1205 1206

276

V. A. 2014: Z. 454–4583. Vgl. Volkov 2001: 78. Siehe hierzu auch: Günther 2012: 173f.

4. Wiederkehrende Motive

Hinweis, dass er eine »unbelastete politische Vergangenheit« habe und trotzdem unrechtmäßig für eine Schuld zur Rechenschaft gezogen und bestraft werde (»in Sippenhaftung«), verweist auf die Vorstellung, er könne sich aus dem gesellschaftlichen Kontext befreien und für sich allein stehen. In dem Interview mit dem Strafrechtler G. O. kommt dieser ebenfalls auf den Holocaust zu sprechen. Zunächst kritisiert er, dass »es massiven Druck«1207 auf die Politik gab, der »Politiker eh dazu brachte, nicht mehr frei entscheiden zu können«: »F: Mhm. Sie hatten gesagt, dass es einen massiven Druck auf die Politik gab. Können Sie da noch mal ehm ausführen, worin der Druck bestand? A:

Der Druck bestand darin, dass eh jüdische Vertreter gesagt haben, wenn – die Brit Mila - uns nicht mehr - erlaubt ist in diesem Land, werden wir es verlassen. Der Druck bestand darin, dass man gesagt hat, das ist genauso schlimm wie der Holocaust. Eh, das muss man sich einmal überlegen, dass man diese Begriffe, dass man eh diese Bezeichnungen einfach mal so übernimmt für etwas und heute einsetzt als Argument, ja, man setzt so etwas ja als Argumentationsfigur ein. Ich halte das für eh nicht legitim, das einzusetzen, weil aus verschiedenen, aus verschiedenen Gründen heraus. Und wenn Sie eh der Politik sagen, wenn ihr nicht dafür sorgt, dass dieses Urteil ehm - kaputtgemacht wird, dass dieses Urteil eh vom Ergebnis her keinen Bestand hat, wenn ihr das nicht - zurücknehmt und dafür sorgt, dass wir hier unser - Ritual weiter ausüben können, dann verlassen wir dieses Land, dann macht ihr jüdisches Leben unmöglich, Klammer auf, so wie es schon einmal war, Klammer zu. Also eh, einen größeren Druck kann man ja kaum erzeugen.

F:

Mhm. - - Ja. Sie haben gesagt, dass es, dass Sie verschiedene Gründe haben, warum Sie diese Legitimationsfigur, oder nicht Legitimationsfigur, Argumentationsfigur ablehnen. Können Sie mir da zu Ihren Gründen noch mehr sagen? Also das eine war eben, dass es, dass es Druck erzeugt, wenn ich jetzt richtig verstanden habe, der irgendwie, ich weiß nicht genau, auf welche Begriffe ich das bringen soll, für die Demokratie problematisch ist oder für Gesetzgebungsprozesse in einer Demokratie.

A:

Also - ich halte - - das Vorgehen - vor allem deswegen für problematisch, weil man - mit dem - - Verweis auf den Holocaust natürlich etwas ehm produziert, was nicht steigerungsfähig ist.

F:

Mhm.

A:

Das ist das Schlimmste, was in diesem Land jemals passiert ist. Und der Vergleich damit, der sorgt natürlich sofort zu eh Reaktionen, die vorhersehbar

____________________ 1207

G. O. 2014: Z. 636.

277

4. Wiederkehrende Motive sind. Ehm, Sie können ja gar nicht anders, als sich eh zu distanzieren von etwas, was mit dem Holocaust verglichen wird. Was bleibt Ihnen denn anderes übrig? Ich halte diesen Vergleich für vollkommen - irrwitzig. Dass jemand auf die Idee kommt ehm, das, was da passiert, diese Jungenbeschneidung und die Kritik daran zu vergleichen mit einer, ja, wie soll man das in Worte fassen, mit der größten Schande, die dieses Land jemals eh - produziert hat. Das ist - wenn man diese beiden Dinge gleichsetzt, also die Kritik an etwas und die millionenfache Vernichtung von eh Menschenleben, das liegt doch auf der Hand, dass eh derjenige, der so etwas vorträgt, sich diskreditiert. Für mich liegt das auf der Hand. Ehm, und deswegen - - bin ich davon überzeugt dann, dass man es nicht bringen darf. Ehm, die Kritik - an etwas - was auch kritikwürdig ist, die halte ich für legitim, ja. Und die ist auch notwendig. Es ist ja nicht so, dass diese Kritik ehm jetzt ganz neu wäre. Seit vielen Jahrhunderten, auch aus - der jüdischen Perspektive heraus, auch ehm von jüdischen Gelehrten wird eh massiv Kritik geübt an dem Ritual eh der Kinder-, der Jungenbeschneidung. Und ehm - man tut jetzt gerade so, als sei dieses Ritual noch nie hinterfragt worden und als gäbe es überhaupt keine kritischen Stimmen. Die gibt es überall, und zwar auch innerjüdisch. Und ehm man eh ist ja auch sofort eh dabei, dieses ich will es nicht Argument nennen, ja eh aber dieses, diese, diese Keule, diese Holocaust-Keule auch auf diejenigen zu schlagen, die aus innerjüdischer Perspektive das Ritual kritisch betrachten. Und eh wenn Sie mit so etwas Kritiker versuchen, mundtot zu machen, dann halte ich das für illegitim und für ausgesprochen bedenklich, weil eh Sie unterbinden damit jeden wissenschaftlichen Diskurs. F:

Mhm. - - Was, was verstehen Sie unter Holocaust-Keule?

A:

Die Holocaust-Keule ist, wenn man - - den Begriff - verwendet, um ihn auf etwas anzuwenden, was erkennbar damit überhaupt nicht zu tun hat.

F:

Mhm.

A:

Das verstehe ich darunter. Das ist eine Holocaust-Keule. Wenn ich - diesen Begriff Holocaust verwende, und zwar, wenn ich ihn - verwende in einem Zusammenhang, in den er erkennbar nicht gehört.

F:

Mhm. - - Ja. Und die Beschneidung wäre dann für Sie ein Thema, wo dieser Begriff eben nichts?...

A:

Wo dieser Begriff nicht

F:

…nicht anwendbar ist, ja.«1208

Die Interviewpassage zeigt eindrücklich, dass G. O. die »Argumentationsfigur« des Holocaust in der Kontroverse um Vorhautbeschneidungen ablehnt. In anderen Situationen könne der Holocaust genannt werden, nicht ____________________ 1208

278

G. O. 2014: Z. 672–731, Herv. D. I.

4. Wiederkehrende Motive

aber in der Kontroverse. G. O. nimmt den Bezug von Juden auf den Holocaust so wahr, als würden sie seine Beschneidungskritik – und die von anderen – mit dem Holocaust gleichsetzen (»das ist genauso schlimm wie der Holocaust« und »wenn man diese beiden Dinge gleichsetzt«). Zwar bleibt bei G. O. wie bei Franz im offenen Brief unklar, auf welche konkrete Äußerung von Juden/Jüdinnen er sich bezieht – zumal Juden/Jüdinnen den Bezug auf den Holocaust real kaum formulieren. Seine Bewertung aber, das Sprechen über den Holocaust sei im Zusammenhang mit der Beschneidung »nicht legitim« und »irrwitzig«, weil es ihn relativiere, ist hingegen eindeutig. Sein weiteres Sprechen über den Holocaust ist ambivalent und verworren. Auf der einen Seite ist der Holocaust, »die millionenfache Vernichtung von eh Menschenleben«, »das Schlimmste, was in diesem Land jemals passiert ist« und die »größte[..] Schande, die dieses Land jemals eh - produziert hat«. Diese Einordnung verweist auf die Analyse der Singularität des Holocaust, wenngleich mit dem Begriff Schande eine doppelte Bedeutung einhergeht. Eine Schande ist entweder »etwas, was jemandes Ansehen in hohem Maße schadet« oder ein »in höchstem Maße beklagenswerter, empörender, skandalöser«1209 Sachverhalt. Zugleich geriert sich G. O. als einer, der die Erinnerung an den Holocaust beschützen wolle – der Holocaust dürfe nicht willkürlich genutzt werden. Auf der anderen Seite sagt G. O. allerdings, nicht der Holocaust selbst sei etwas, das nicht gesteigert werden könne, sondern der »Verweis auf den Holocaust […] produziert« etwas, das nicht »steigerungsfähig ist«. Was genau der Verweis auf den Holocaust »produziert«, verbleibt unklar: es könnte sowohl Schuld als auch Schande sein. G. O.s Ausführungen steigern sich in der Emotionalität und Rhetorik dahingehend, dass am Ende die »Holocaust-Keule« steht. Er verbleibt nicht dabei, zu erklären, warum er die von ihm wahrgenommene »irrwitzige«, also unvorstellbare und unvernünftige Gleichsetzung ablehnt, sondern begibt sich auf eine andere Ebene. Sein Gedankengang endet damit, dass diejenigen, die eine Gleichsetzung von Holocaust und Beschneidungskritik vollziehen würden, also mutmaßlich die Juden, sich selbst diskreditieren. G. O. hingegen vollbringe mit seiner notwendigen Kritik etwas Legitimes.

____________________ 1209

Duden 2017.

279

4. Wiederkehrende Motive

Zuletzt betont G. O., der »Verweis auf den Holocaust« führe gewissermaßen dazu, dass seine Kritik als illegitime Haltung im Diskurs ausgewiesen werde und sich andere von ihm und seiner Kritik distanzieren würden. Deutlich sucht er nach Worten, um die Situation, in der er sich seiner Wahrnehmung nach befindet, zu beschreiben. Im Vergleich zu seinen ansonsten präzise formulierten Sätzen gerät er ins Stocken, bevor er die Metapher der »Keule« verwendet. Er sagt: »Und ehm man eh ist ja auch sofort eh dabei, dieses - ich will es nicht Argument nennen, ja eh aber dieses, diese, diese Keule, diese Holocaust-Keule«.1210 Die Suche nach den richtigen Begriffen zeigt, dass G.O. angestrengt nach einem passenden und möglicherweise auch alternativen Begriff zur »Keule« sucht. Er scheitert jedoch, weswegen er auf ihn zurückgreift. Es gehe darum, seine Kritik mit einer Keule »mundtot« zu machen. Mit der Formulierung der »Holocaust-Keule« unterstellt er Juden/Jüdinnen, mit einer Schlagwaffe, die sie intendiert einsetzen würden, den Holocaust für einen gewissermaßen fremden Zweck zu missbrauchen und ihn strategisch einzusetzen. Sie würden genau diesen Vorwurf leichtfertig (»einfach mal so«) gebrauchen, der mit der Beschneidung »erkennbar« »überhaupt nicht[s]« zu tun habe. Weiter unterstellt er Juden/Jüdinnen, ihn im diskursiven Feld mit der Keule die Gelegenheit zur Äußerung zu nehmen (»mundtot zu machen«). Auf diese Weise geriert sich G. O. selbst zum Opfer einer jüdischen Gewaltandrohung, der einem großen Druck standhalten müsse.1211 Eine Variation des Motivs der »Lektion aus der Nazizeit« lautet, dass Juden unzulässig und übertrieben aufträten. Hierfür ist ein Interview mit dem Publizisten Michel Friedman in der Wochenzeitschrift Focus exemplarisch. Es erscheint am 17. Juli 2012 mit dem Titel »Beschneidung ist Kernpflicht jüdischer Familien«. Dem Interview vorangestellt werden folgende Worte: »Die Debatte um die Beschneidung hat in Deutschland teils zu aggressiven Argumentationen der Befürworter wie Gegner geführt. Der frühere Vize-Präsident des

____________________ 1210 1211

280

G. O. 2014: Z. 715f. Schwarz-Friesel/Reinharz betonen, dass die Metapher »Auschwitzkeule« eine »komprimierte sprachliche Form« ist, die das Stereotyp der Verschwörungsfantasie kodieren (2013: 152).

4. Wiederkehrende Motive Zentralrats der Juden in Deutschland, Michel Friedman, berüchtigt für seine scharfen Worte als Moderator und Gast, argumentiert in dieser emotionalen Debatte sachlich. Was nicht heißt, dass er sich deswegen alle Seitenhiebe verkneifen würde.«1212

Im Interview selbst rekapituliert die Redakteurin Susanne Klaiber zwei Äußerungen des ehemaligen Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, und dem Rabbiner Netanel Wurmser, die beide das Kölner Landgerichtsurteil kritisierten. Anschließend fragt sie Friedman nach seiner Bewertung: »Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland sagte, sollte sich die Rechtsauffassung des Landgerichts Köln durchsetzen, sei dies das Ende des jüdischen Lebens in Deutschland: ‚Dann müssten wir gehen.‘ Der Landesrabbiner von Baden-Württemberg, Netanel Wurmser sagte, das Urteil ‚weckt Erinnerungen an schlimmste Szenarien jüdischer Verfolgung‘. Was halten Sie von diesen Positionen?«1213

Auf die Zusammenfassung der Kritik und die sich anschließende Frage antwortet Friedman, dass nicht nur mit »der Verfolgungsgeschichte des Judentums«, sondern auch mit der Bedeutung der Praxis in der Gegenwart argumentiert werden könne.1214 Daraufhin fragt Klaiber, inwiefern eine »so harsche Ansage zu einer unsachlichen und mithin von Emotionen und Vorurteilen beladenen Diskussion« beitrage.1215 Friedman reagiert, indem er betont, dass er die Äußerungen nicht kritikwürdig findet und die Aussage Graumanns überdies für eine sachliche hält.1216 Die Interviewpassage im Focus zeigt, dass Klaiber offenbar schon die Erinnerung von Juden an ihre Verfolgung (wobei Wurmser nicht explizit von Deutschland spricht) für eine unfreundliche und bissige Äußerung hält. Auf eine ähnliche Weise formuliert auch der Finanzrichter L. A. in einem Interview Kritik an Friedmans Reaktion auf das Kölner Urteil und entsprechende Verbotsforderungen der Vorhautbeschneidung: »A: Also eh, was=was mir noch aufgefallen ist auch in der Diskussion, aber das sind ja immer so, kei- keine direkten was was mir da so hängen geblieben ist, zweitausendzwölf. (Es) waren ja nicht nur diese Äußerungen von der Frau Merkel, die ja offenbar Schiss hatte vor eh den Religionsführern, die ihr ja

____________________ 1212 1213 1214 1215 1216

Klaiber 2012. Ebd. Friedman zit. n. Klaiber 2012. Klaiber 2012. Vgl. Friedman zit. n. Klaiber 2012.

281

4. Wiederkehrende Motive auch da eh die ja auch aufliefen in Berlin und eh unbedingt irgendwelche Stellungnahmen einholen wollten mhm dass ja wohl jüdisches Leben noch möglich sein muss und so weiter. Dann gab‘s auch ‘ne Repräsentantin der Juden, die ja auf die richtig auf die trommel- eh Trommelwirbel losgelassen hat. Ehm und dann gab es eben Michel Friedman F:

Mhm

A:

Der Michel Friedman. Eh manchmal mag ich ihn ja, weil er so (-) eh manchmal jedenfalls, eh konsequent argumentiert. Aber in letzter Zeit mag ich ihn überhaupt nicht mehr, weil er fanatisch argumentiert.=Und in dem Fall war es naja reiner=reiner Fanatismus. Er hat nämlich dann auch zu diesem Thema etwas gesagt, er hat gesagt sinngemäß, ehm ehm, diese Beschneidung diese Knabenbeschneidung ist für das Judentum existenziell.

F:

Mhm

A:

Ja, da kann man nur Kopf schütteln und sagen (-) was ist das für eine Denke ja (lacht). Also=also sieht man so ein hilfloses Baby, einen hilflosen Knaben, der muss jetzt unbedingt beschnitten werden, weil sonst dieses ganze Judentum untergeht. Also wie, wie hat er das gemeint? Ja, da kann man nur sagen, Junge (-) ne geh mal kalt duschen. Also das macht keinen Sinn, so sich einzulassen finde ich.

F:

Mhm

A:

Das von so ‘nem Intellektuellen.=Also der ist ja jemand, der eher verführt andere als dass er verführter ist- sein kann. Also insofern find ich also ‘ne unglaubliche Bemerkung von ihm. Die natürlich ehm, ja (-) in meinen Augen überhaupt keine Grundlage hat und das ist so reiner Fanatismus in meinen Augen.«.1217

Der Beginn der Interviewpassage zeigt, dass L. A. es problematisch und unerhört findet, wenn Juden für ihre religiösen Belange einstehen, politische Stellungnahmen einholen und Rechtssicherheit fordern. Er suggeriert, Juden hätten sich unzulässig verhalten und besonders auf sich aufmerksam gemacht (Trommelwirbel). Der Verweis, Merkel habe Angst gehabt, bestärkt diese Lesart der Interviewpassage, wobei bedeutsam ist, dass L. A. erst unbestimmt von Religionsführern, anschließend aber nur von Juden und jüdischen Stellungnahmen spricht. In diesem Zusammenhang nimmt Michel Friedman eine besondere Stellung ein, da L. A. Friedmans Haltung offenbar bei anderen Themen für bedenkenswert und überzeugend hält. Im Kontext der Beschneidungskontroverse nimmt er Friedman aber als religiös ____________________ 1217

282

L. A. 2014: Z. 421–446, Herv. D. I.

4. Wiederkehrende Motive

verblendeten Fanatiker wahr. Bedeutsam ist bei seiner negativen Bewertung, dass Friedman lediglich sagte, die Vorhautbeschneidung sei existenziell für das Judentum. Bereits diese Äußerung ist für L. A. »reiner Fanatismus«, die doppelte Nennung des Wortes »reiner« vor Fanatismus unterstreicht, wie stark dieser bei Juden wie Michel Friedman ausgeprägt sei. An späterer Stelle kommt L. A. erneut auf die Äußerung Friedmans zu sprechen, wenn er Unverständnis gegenüber der Praxis der Vorhautbeschneidung formuliert und feststellt, dass die Rechte des Sohnes (des Dritten) nicht gewahrt werden würden: »A: Es ist immer auch ein Rechtsgut mit dem Dritten vorhanden. Das ist ja eh das, was manche nicht verstehen. Der Friedman offensichtlich auch nicht, in seinem Wahn. Der meint dann, das ist existenzi eh -ell eh existenziell doch nur für die, die jetzt schon an diese Gottheit die das angeblich vorgegeben hat glaubt. Aber doch nicht existenziell für das Baby um das es jetzt hier geht und F:

Mhm

A:

(beschnitten werden soll). Das kann besser viel besser weiterleben (lacht) ohne diesen Eingriff, ne

F:

Mhm (1)

A:

Das ist in meinen Augen (-) intellektuell nicht nachvollziehbar, was Herr Friedman da von sich gegeben hat. Und das kann ich insofern ver- versuche ich das ja auch für mich zu ergründen, wie kann das denn sein? Dass der da so einen Aussetzer hat, gegen Denkgesetze verstößt, und andererseits ein vernünftiger Gesprächspartner sein kann und einer, dem man auch folgen kann in manchen eh Freiheitsargumentationen. Aber hier bringt er also einen völligen Aussetzer und (muss ich sagen). Ist wahrscheinlich ‘ne Wahnvorstellung auch wiederum Prägung durch die Eltern; irgendwie der ständ- die ständige Angst, irgendwelche Leute greifen mich an, weil ich Jude bin oder so. Ehm dabei geht‘s nochmal um die Frage, darf ich einem Kind so etwas zumuten, das in meinen Augen völlig überflüssig ist und medizinisch gar nicht indiziert, auch von der Hygiene her gar nicht mehr erforderlich.1218

Die Interviewpassage zeigt, dass Friedman in der Perspektive von L. A. nicht nur »rein fanatisch« im Zusammenhang mit dem Thema der Vorhautbeschneidung argumentiert, sondern »wahrscheinlich« eine »Wahnvorstellung« habe, die durch das Aufwachsen bei seinen Eltern geprägt worden sei. Die real existierende und nicht unbegründete Angst von Juden/Jüdinnen vor Übergriffen oder Verfolgung leuchtet L. A. nicht ein. Denn er verweilt ____________________ 1218

L. A. 2014: Z. 1461–1480, Herv. D. I.

283

4. Wiederkehrende Motive

nicht empathisch bei diesem Aspekt, sondern wendet sich direkt wieder der »überflüssigen« und »nicht erforderlichen« Vorhautbeschneidung zu, wodurch er Antisemitismuserfahrungen bagatellisiert und relativiert.1219 Bereits in den Zuschriften an den Zentralrat der Juden in Deutschland, die Schwarz-Friesel et al. auswerteten, wurde die antisemitische Vorstellung zum Ausdruck gebracht, Friedman sei »ein provokanter, intoleranter und arroganter […] Jude«1220. Die Schreibenden drückten eine negative Charakterisierung aus und wendeten das Stereotyp des Juden als arrogantem und frechem Störenfried an. Eine sehr drastische Form, den Holocaust zu instrumentalisieren, und eine damit verbundene Täter-Opfer-Nivellierung und -Umkehr findet sich in den Blogbeiträgen auf Zwangsbeschneidung.de. Zunächst verdeutlicht ein Blogbeitrag von 2013, warum der Autor für ein Verbot der Vorhautbeschneidung eintritt und was in seiner Perspektive die Ziele von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen sind: »Die einzige Zielsetzung ist die Unantastbarkeit des Rechtes auf körperliche Unversehrheit für alle Menschen. Auch für alle Juden und alle Muslime. Eine der wichtigsten Lehren aus dem Holocaust.«1221

Auch in zahlreichen anderen Blogbeiträgen argumentiert der Verfasser mit den Lehren aus dem Holocaust gegen die Vorhautbeschneidung. Zentral ist, dass die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus nicht unsichtbar gemacht, sondern explizit genannt werden. Auch die Täter/Täterinnen sind unzweideutig Nationalsozialisten/Nationalsozialistinnen. Und trotzdem findet eine Täter-Opfer-Umkehr statt, da Juden, die ihre Söhne beschneiden ließen, mindestens so grausam seien wie NS-Täter/Täterinnen. Eigentlich seien sie sogar bestialischer, weil sie nichts aus der Barbarei des Holocaust gelernt ____________________ 1219

1220 1221

284

Ebd. Die Sichtweise, wie sie L. A. formuliert, findet sich in zahlreichen OnlineKommentaren. In einem auf der Internetseite Verfassungsblog.de heißt es beispielsweise, die Aussage, jüdisches Leben wäre in Deutschland ohne Beschneidung von neugeborenen Jungen nicht mehr möglich, sei »mit Verlaub« »unverschämt, weil sie erpresserisch und scharfmacherisch ist« (Falbala146 2012). Zwar sagt Falbala146 nicht, Juden seien so; die Aussage, die er ihnen zuschreibt, bewertet er aber eindeutig als nötigend und drohend. Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 52. Siehe auch ebd.: 54. Zwangsbeschneidung.de 2013a.

4. Wiederkehrende Motive

hätten. Die eigentlichen Täter seien Juden, die ihre Söhne beschneiden lassen. Nichtjüdische Deutsche, wie er selbst, macht er zu Verteidigern der Rechte von jüdischen Säuglingen: »Die heutige deutsche Gesellschaft hat nun selbst erfahren können, dass Juden das Recht auf körperliche Unversehrtheit erneut beseitigen wollen, um ihr Jahrtausende altes Privileg einer Menschenrechtsverletzung weiterhin ausführen zu können. Sicher ist demnach, dass Juden niemals in der Vergangenheit zur Etablierung des Rechtes auf körperliche Unversehrtheit beigetragen, sondern möglicherweise schon immer aktiv dagegen agiert haben. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit ist aber die Schranke, mit der der Holocaust niemals möglich gewesen wäre. Die deutsche Gesellschaft wird einen Rückfall in diese Barbarei niemals dulden, geschweige denn zu einer Selbstverständlichkeit werden lassen.«1222

In der Textpassage werden Juden zu ewigen Rechtsbeseitigern gemacht, die den – aus der Shoah resultierenden – internationalen Menschenrechten und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit widersprächen.1223 Gerade weil es das Recht auf körperliche Unversehrtheit nicht gegeben habe, sei die Ermordung von Juden/Jüdinnen überhaupt möglich gewesen. Da Juden, dem Verfasser zufolge, »möglicherweise schon immer aktiv« gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit agiert hätten, macht er sie für ihre eigene Vernichtung während des Nationalsozialismus mitverantwortlich. Die Haltung zur Vorhautbeschneidung ist der zentrale Maßstab in der Bewertung, ob ein Mensch menschlich und lernfähig ist oder nicht. Auf diese Weise konstruiert der Autor von Zwangsbeschneidung.de zwei homogene Gruppen: Auf der einen Seite stünden »heute lebende Deutsche«, die »ihrer historischen Verantwortung gerecht«1224 würden, auf der anderen Seite Juden, die an der Vorhautbeschneidung festhielten und nicht aus der Shoah gelernt hätten, da sie in seiner Perspektive einen »Rückfall in diese Barbarei«1225 nicht verhindern würden. Vielmehr ließen sie, weil sie an der Vorhautbeschneidung festhalten, »diese Barbarei« zur alltäglichen Selbstverständlichkeit werden. Weitergedacht legt der Blogbeitrag nahe, dass Juden mit der Vorhautbeschneidung die Barbarei der Vernichtung der europäischen Juden/Jüdinnen neu aufleben lassen oder aber fortführen:

____________________ 1222 1223 1224 1225

Zwangsbeschneidung.de 2012b, Herv. D. I. Siehe hierzu Kapitel 4.2. Gesetz- und Rechtlosigkeit. Zwangsbeschneidung.de 2013a. Zwangsbeschneidung.de 2012b.

285

4. Wiederkehrende Motive »Dies bedeutet aber, darüber nachdenken zu müssen, wie wir als Deutsche (der künstlichen Trennung Juden – Deutsche bin ich mir bewusst) ‚wieder‘ Juden verfolgen wollen. Denn wenn ich jemanden bestrafen will, muss ich ihn auch verfolgen wollen. Der Zusammenhang ist zwingend. Dass hier nur auf den gemeinsamen Wortlaut und nicht auf den Inhalt der Judenverfolgung abgestellt wird, ist hoffentlich klar. Der Jude (wie fühlt man sich bereits beim Aussprechen dieser beiden Worte?) muss in diesem Zusammenhang nicht nur als irgendein Täter, sondern als Verbrecher, als Verbrecher gegen die Menschlichkeit wahrgenommen werden. Um den emotionalen Konflikt deutlich zu machen. Wir sitzen vor dem Fernseher und sehen, wie Juden im Dritten Reich abtransportiert werden. Gleichzeitig wissen wir jetzt: Das sind Verbrecher.«1226

Zwar reflektiert der Verfasser in dieser Textpassage die »künstliche Trennung« zwischen Juden und Deutschen, hält aber trotzdem an dieser falschen Entgegensetzung fest. Er betont, dass Juden für ihn nicht nur irgendwelche »Täter« sind, also Personen, die eine wahllose Straftat begehen, sondern »Verbrecher«. Mit dem Begriff »Verbrecher«, den er zweifach in einer bedeutungsverstärkenden Weise gebraucht, bezeichnet er Juden/Jüdinnen als gefährlich, gemein und kaltblütig. »Verbrecher« scheinen im Vergleich zu »Tätern« auch moralisch betrachtet die schlechteren, niederträchtigeren Menschen zu sein. In seiner Logik hieße das, die Vorhautbeschneidung ist nicht irgendeine Straftat, sondern eine besonders bedeutsame. Denn das »Verbrechen« der Vorhautbeschneidung bringt er mit der Vernichtung der europäischen Juden/Jüdinnen im Nationalsozialismus in Zusammenhang. Zwar setzt er beides nicht direkt gleich, doch die Vorhautbeschneidung, die Juden/Jüdinnen praktizieren, und die Verbrechen der Nationalsozialisten/Nationalsozialistinnen sind für ihn eng miteinander verbunden. Entscheidend ist ferner, welche Aufgabe Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen in der Perspektive des Autors von Zwangsbeschneidung.de nicht nur erfüllen sollen, sondern erfüllen müssen, und vor welchem »emotionalen Konflikt« sie stünden, wenn sie eine Vorhautbeschneidung als zu bestrafendes »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« ansehen.1227 Nicht nur dieses, sondern auch zahlreiche weitere Beispiele auf

____________________ 1226 1227

286

Zwangsbeschneidung.de 2014a, Schreibweise i. Orig., Herv. D. I. Siehe hierzu auch die Analysen in 4.2. Gesetz- und Rechtlosigkeit. Zwangsbeschneidung.de 2014a.

4. Wiederkehrende Motive

dem Internetblog Zwangebeschneidung.de zeigen, dass die Shoah dafür genutzt wird, die Haltung gegen Vorhautbeschneidungen zu legitimieren und zu rechtfertigen.1228 Monika Schwarz-Friesel und Evyatar Friesel betonen, dass alle NS-Vergleiche inadäquat und unverhältnismäßig sind, da sie zwei inkompatible Realitätsebenen in Beziehung setzen. Ziel von instrumentalisierenden Vergleichen sei, »das Komparandum besonders intensiv zu kritisieren«. Der Holocaust ist aber »als historische Größe besonderer Art nicht geeignet«, als Paradigma für alle ethnischen Verbrechen und sonstige Gewalttaten herzuhalten.1229 Das Sprechen über die Shoah in der Kontroverse ist nicht als solches antisemitisch. Es kann aber deutlich antisemitisch fundiert sein, wenn etwa Juden als »schuldige Opfer« konstruiert werden, wenn Juden unterstellt wird, den Holocaust »für ihre Zwecke aus[zu]beuten«1230 oder aber eine »jüdische Rache«1231 zu begehen. Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen nutzen die Shoah als Vehikel und ziehen sie besonders dann heran, wenn das Gesetz, welches Vorhautbeschneidungen regeln soll, politisch ausgehandelt wird. Dies gilt in der Beschneidungskontroverse sowohl für diejenigen, die sich gegen eine Vorhautbeschneidung aussprechen, wie auch für diejenigen, die sie tolerieren – was auch zu Kritik führte. Dass die Shoah beziehungsweise, wie Salzborn es allgemeiner formuliert, »die Vergangenheit« zu gegenwarts- und zukunftsbezogenen Zwecken instrumentell genutzt wird, ist nicht neu.1232 Zudem ist es keine neue Analyse, dass Shoah-Bezüge antisemitisch genutzt werden können und eine zentrale Bedeutung in gegenwärtigen antisemitischen Äußerungen und Argumentationen haben. Schwarz-Friesel und Reinharz stellen fest, dass in den Zuschriften von gebildeten Schreibern/Schreiberinnen das Selbstkonzept, Teil einer modernen, aufgeklärten und toleranten Gesellschaft zu sein, »die aus den Erfahrungen der Weltkriege und insbesondere aus den Gräueltaten im Holocaust« gelernt habe, sehr ausgeprägt ist.1233 In der Kontroverse hatte folg____________________ 1228 1229 1230 1231 1232 1233

Vgl. etwa Zwangsbeschneidung.de 2012a, Eintrag v. 20.11.2012; ebd. 2012b, Eintrag v. 03.12.2012. Schwarz-Friesel/Friesel 2012: 45. Irmer 2011: 438; vgl. Salzborn 2010: 200. Thurn 2011: 129. Salzborn 2014: 28, 199ff. Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 358.

287

4. Wiederkehrende Motive

lich die nichtjüdische (und nichtmuslimische) Mehrheit der deutschen Gesellschaft entsprechend die Möglichkeit, sich ihrer humanistischen PostShoah-Identität zu vergewissern. Bodenheimer formulierte diesbezüglich: »Dass nun die Juden, gerade sie, von einer solchen Maßnahme deutschen Rechts [dem Verbot von Beschneidungen, D. I.] betroffen sind, mutet zunächst wie ein Kollateralschaden an. Doch aus der Sicht der Beschneidungsgegner ist es letztlich auch ein Glücksfall, ermöglicht es doch, die eigene Konsequenz im Streben nach einer gewaltlosen Gesellschaft auch an jenen zu dokumentieren, die selbst einst Opfer der Deutschland bis heute heimsuchenden Gewalt waren. Damit wird aus ihrer Sicht nicht diskriminierende Absicht, sondern der tiefe Ernst ihres Strebens dokumentiert. Wer es als Deutscher wagt, jüdische Kinder vor dem psychischen Trauma einer Beschneidung durch ihre Eltern zu bewahren, zeigt in ihren Augen, dass es ihm beim Verständnis von Juden als Teil des neuen ‚Wir‘ ernster ist als allen Sonntagsrednern der Versöhnung: Er will Normalität, nicht im arroganten Sinne der Schuldamnesie, sondern im Sinne verfassungsmäßiger Gleichheit des Rechts auf Unversehrtheit.«1234

Zwar spricht Bodenheimer nicht explizit von einer Täter-Opfer Umkehr, die Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen vollzögen. Das von ihm beschriebene Streben der Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen, ein psychisches Trauma mit dem Verhalten von Juden/Jüdinnen und nicht mit der Shoah, also dem Handeln von Nichtjuden, in Zusammenhang zu bringen, weist jedoch in diese Richtung. Zuletzt sei darauf verwiesen, dass auch Julijana Ranc in ihren Gruppendiskussionen, in denen sie das Sprechen über Juden von »deutschen Durchschnittsbürgern«1235 untersucht, zu dem Ergebnis kommt, dass der Holocaust »wie ein basso continuo, wie ein Generalbaß« mitläuft.1236 Darüber hinausgehend zeigt das Motiv, wie sehr das gegenwärtige Sprechen über Juden/Jüdinnen mit der Shoah und dem Nationalsozialismus verbunden ist. Muslime/Muslimas kommen in diesem Zusammenhang nicht vor.

____________________ 1234 1235 1236

288

Bodenheimer 2012b. Ranc 2016: 232. Ebd.: 70, Schreibweise i. Orig.

4. Wiederkehrende Motive

4.7.

Die Rhetorik der Verschwörung. Die Abgeordneten des Bundestages unter »jüdischem Druck«

Während der Kontroverse kritisieren Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen, auf politischer Ebene sei nicht genügend über Risiken und Gefahren der kulturell-religiösen Vorhautbeschneidung diskutiert worden.1237 Sie prangern die Abgeordneten des deutschen Bundestages und die Bundesregierung dafür an, unbedacht und übereilt eine politische Entscheidung zu treffen und nicht alle wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Vorhautbeschneidung gleichermaßen in ihre Erwägungen für eine gesetzliche Regelung mit einzubeziehen.1238 Im von Matthias Franz initiierten offenen Brief in der FAZ warnen die Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen vor »politische[n] Schnellschüsse[n]«, also davor, dass ohne längere Planung und ohne gründliche Vorbereitung ein Gesetz erarbeitet werde.1239 Der offene Brief steht für eine vage Ausformulierung des Motivs, die Parlamentarier/Parlamentarierinnen des Bundestages stünden unter (politischem) Druck, sie hätten keine freie Wahl. Zunächst zeichnet Franz eine lebendige Demokratie, die durch Diskussionen und eine agile Öffentlichkeit gekennzeichnet sei. Die lebendige Demokratie werde jedoch von einem unbestimmten Gegenüber beeinflusst: »Sie werden in den kommenden Wochen intensiv über eine gesetzliche Regelung zur Beschneidung von Jungen diskutieren. Diese Debatte hat in der Öffentlichkeit schon begonnen. Sie wird jedoch zunehmend von unwissenschaftlichen Momenten bestimmt. Es wird gefordert, jetzt schnell Rechtssicherheit herzustellen. Doch dieses wichtige Thema darf nicht eilfertig entsorgt werden. Wir setzen uns ein für eine Versachlichung der Diskussion.«1240

____________________ 1237 1238

1239 1240

Vgl. Eppenstein 2015: 368. Ähnlich argumentiert auch der Politikwissenschaftler Armin Glatzmeier in seinem 2015 erschienenen Aufsatz Politisches Entscheiden unter Stress. Er diskutiert, ob der Zeitdruck im Gesetzgebungsprozess zur Beschneidung im Hinblick auf »das Policyoutcome« zu Mängeln geführt hat (Glatzmeier 2015: 196). Seine These ist, dass es zu »stressinduzierte[n] Dysfunktionen im Entscheidungsprozess« (ebd.: 223) kam und dieser nicht »rational« (ebd.: 224) verlaufen sei. Sachargumente seien unzureichend abgewogen und alternative Handlungsoptionen nicht genügend diskutiert worden (vgl. ebd.: 223ff.). Franz 2012a; vgl. O. A. 2012p. Franz 2012a.

289

4. Wiederkehrende Motive

Die »unwissenschaftlichen Momente« und diejenigen, die Rechtssicherheit fordern, sind zunächst nicht näher bestimmt. Die Fordernden können Juden/Jüdinnen und Muslime/Muslimas und/oder jüdische und muslimische Organisationen sein, aber auch Ärzte/Ärztinnen, die die Beschneidung durchführen. Denn für sie war die Rechtssicherheit nach dem Urteilsspruch des Kölner Landgerichts notwendig, um eine bedeutungsvolle kulturell-religiöse Praxis weiterhin straffrei ausüben zu können. Darunter können aber auch Teile der deutschen Öffentlichkeit fallen, die eine kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung per Gesetz erlauben wollen. In dieser Sichtweise wäre auch der Großteil der Mitglieder des deutschen Bundestages und die Bundesregierung darunter zu fassen. Das Bestreben, Rechtssicherheit zu etablieren, bedeutet für Franz, das Thema Vorhautbeschneidung eilfertig zu entsorgen und die Debatte kompromisslos zu beenden. Dieser Umgang sei schädlich und gefährlich für die lebendige Demokratie. Indem Franz suggeriert, die in der Öffentlichkeit begonnene Debatte solle beendet und die Politik zu einer vermeintlichen Lösung gedrängt werden, unterstellt er dem Gegenüber eine Wirkmächtigkeit. Durch den Satz »[w]ir setzen uns ein für eine Versachlichung der Diskussion« offenbart Franz, dass sich die Unterschreibenden als Experten/Expertinnen ansehen und in ihrer Selbstwahrnehmung im Gegensatz zu den emotionalen und irrationalen Befürwortenden der Vorhautbeschneidung agieren. Der offene Brief ist durch Ambivalenzen geprägt. Zunächst geht Franz davon aus, dass im Konflikt um die Vorhautbeschneidung »Angst und Zwang« herrschen. Woher »Angst und Zwang« kommen und wer sie ausübt, bleibt vage. Klar ist hingegen, dass beides eine »ausgewogene Lösung« zu verhindern trachtet und offenbar als Strategie genutzt wird, um auf die politischen Entscheidungsträger/Entscheidungsträgerinnen einzuwirken. Zugespitzt legt der Brief nahe, Politiker/Politikerinnen könnten erpresst werden. Franz und die Mitunterzeichnenden fordern, die politischen Entscheidungsträger sollen sich »eindeutig auf der Seite des Kindes positionieren«. Am 13. Juli 2012, also kurz zuvor, war die Vorhautbeschneidung auf der Bundespressekonferenz thematisiert worden. Von Journalisten/Journalistinnen danach gefragt, ob die Bundesregierung eine gesetzliche Regelung anstrebe, die eine Rechtssicherheit schaffe, antwortet der Regierungssprecher Steffen Seibert: »Für alle in der Bundesregierung ist völlig klar: Wir wollen jüdisches und wir wollen muslimisches religiöses Leben in Deutschland. Verantwortungsvoll durchgeführte Beschneidungen müssen in diesem Land straffrei möglich sein. Es bereitet

290

4. Wiederkehrende Motive uns Sorge, dass die Ausübung dieser uralten religiösen Bräuche sich derzeit hier in Deutschland nicht in einer Situation des Rechtsfriedens befindet.«1241

Es gehe der Bundesregierung darum, den Rechtsfrieden wiederherzustellen und eine zügige Lösung zu finden, die die Freiheit der religiösen Betätigung, die ein hohes Rechtsgut sei, zu ermöglichen. In der Sondersitzung des Deutschen Bundestages vom 19. Juli 2012 zu Finanzhilfen für Spanien brachten die Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP einen Antrag mit dem Titel »Rechtliche Regelung der Beschneidung minderjähriger Jungen« ein.1242 Mit diesem wurde die Bundesregierung dazu aufgefordert, bis zum Herbst 2012 eine rechtliche Regelung für die Beschneidung bei minderjährigen Jungen zu schaffen und einen Gesetzentwurf vorzulegen.1243 In der Begründung des Entschließungsantrages heißt es, die »rechtliche Einordnung der Beschneidung« müsse »so schnell und so gründlich wie möglich geklärt werden«. Der Deutsche Bundestag halte eine »gesetzliche Klarstellung für geboten, die insbesondere unseren jüdischen und muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern ermöglicht, ihren Glauben frei auszuüben«.1244 In der ersten Rede zum eingebrachten Antrag unterstrich der CDU-Politiker Günter Krings, dass der Bundestag »mit diesem Antrag die Praxis, das Ritual der Beschneidung, weder inhaltlich« befürworte noch dafür werbe. Die in den Religionsgemeinschaften und in der Gesellschaft geführte De-

____________________ 1241 1242

1243 1244

Seibert 2012. Sondersitzungen des Deutschen Bundestages können außerhalb des vereinbarten Sitzungsplanes während der Weihnachts- Oster- und Sommerpause des Parlaments einberufen werden. Zwischen 1949 und 1990 (der 1. und 11. Wahlperiode) wurden insgesamt 22 Sondersitzungen des Deutschen Bundestages einberufen. Zwischen 1990 und 2015 fanden insgesamt 30 Sondersitzungen statt (vgl. Datenhandbuch des Bundestages 2015). Die Sondersitzung am 19. Juli wurde von der Bundeskanzlerin Angela Merkel beantragt. Thema der Sitzung war die Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister der Finanzen zur Sicherung der Stabilität der Eurozone sowie die Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen über Finanzhilfen zugunsten Spaniens (vgl. Deutscher Bundestag 2012e: I). Die Tagesordnung der Sitzung wurde erweitert, um über den Antrag zur rechtlichen Regelung der Vorhautbeschneidung beraten zu können (vgl. ebd.: 22803). Vgl. Deutscher Bundestag 2012a, Drucksache 17/10331; vgl. O. A. 2012a. Deutscher Bundestag 2012a, Drucksache 17/10331.

291

4. Wiederkehrende Motive

batte sollte nicht »unter dem Damoklesschwert der Strafandrohung stattfinden«.1245 In der anschließenden Aussprache bezogen weitere Abgeordnete der SPD, FDP, Grünen, Linkspartei und CDU/CSU Stellung und warben dafür, dem Antrag zuzustimmen (Christine Lambrecht, Jörg van Essen, Volker Beck, Johannes Singhammer) oder ihn abzulehnen (Jens Petermann).1246 In der nachfolgenden Abstimmung wurde der Entschließungsantrag mit 473 Ja-, 97 Neinstimmen und 13 Enthaltungen angenommen.1247 Die Stimmen gegen den Antrag kamen aus allen im Bundestag vertretenen Parteien: 13 CDU/CSU-Abgeordnete, 14 SPD-Abgeordnete, 9 FDP-Abgeordnete, 60 Linkspartei-Abgeordnete und ein Grünen-Abgeordneter stimmten gegen den Antrag. Die Bundesregierung beauftragte das Justizministerium, einen Gesetzentwurf zu erarbeiten. Während der Erarbeitung wurden alternative Regelungssätze formuliert, denn es war zunächst unklar, ob die Regelung ins Bürgerliche Gesetzbuch, ins Strafgesetzbuch oder ins Gesetz über die religiöse Kindererziehung aufgenommen werden sollte.1248 Der darauffolgende weitere Gesetzgebungsprozess wurde einschließlich der notwendigen Verfahrensschritte eingehalten. Um einen Absatz ergänzt wurden schließlich die Bestimmungen zur elterlichen Sorge. In der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung stimmten 434 Abgeordnete des Deutschen Bundestages dafür, 100 dagegen und 46 Abgeordnete enthielten sich der Stimme.1249 Es gab keine formellen Fehler im Gesetzgebungsverfahren, weswegen der Paragraf 1631d BGB im Einklang mit dem Grundgesetz steht.1250 Auch wenn alle formalen Abläufe eingehalten wurden, einschließlich der drei Lesungen im Plenum des Deutschen Bundestages, ist die vermeintlich

____________________ 1245 1246

1247 1248 1249 1250

292

Krings 2012a: 22829. An dieser Stelle kann angeführt werden, dass Marlene Rupprecht eine Zwischenfrage während der Rede von Volker Beck stellte – die eher einer eigenen Positionierung gleichkam. Sie sprach sich gegen die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung aus (vgl. Deutscher Bundestag 2012e: 22834). Vgl. Deutscher Bundestag 2012e: 22836ff.; vgl. Metz o.J. Vgl. Schmid 2017: 68ff.; vgl. Schulze 2017: 153, 168f., 178. Zu einem gegenteiligen Ergebnis kommt Manok (vgl. 2015: 153, 162f., 173). Deutscher Bundestag 2012c: 26110. Vgl. Schmid 2017: 84.

4. Wiederkehrende Motive

besonders schnelle Gesetzgebung ein wichtiger Bezugspunkt für die Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen.1251 Dies wird in der Betroffenenperspektive gänzlich anders wahrgenommen. Während Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen kritisieren, dass die Abgeordneten des Bundestages »vorschnell«1252 gehandelt hätten, dauerte der Zeitraum, in dem keine Rechtssicherheit herrschte, nicht nur in der Wahrnehmung von Juden/Jüdinnen und Muslimen/Muslimas lange an und war eine schwierige Zeit.1253 Denn sie wussten in den sieben Monaten nicht, wie andere Gerichte entscheiden würden, wenn sie ihre Söhne beschneiden ließen. Einige Mohalim sahen sich sogar mit Strafanzeigen konfrontiert.1254 Darüber hinausgehend waren viele Ärzte/Ärztinnen nicht mehr bereit, Vorhautbeschneidungen durchzuführen, da die rechtliche Situation nach dem Kölner Urteil unklar war.1255 Zwar war die Entscheidung des Landgerichts für andere Gerichte nicht bindend, sie hätten sich aber der Argumentation im Urteil anschließen können.1256 Der sogenannte Verbotsirrtum, der dazu führte, dass der muslimische Arzt und Beschneider im Kölner Fall freigesprochen und nicht verurteilt wurde, hätte auf andere Ärzte/Ärztinnen jedoch nicht mehr angewendet werden können. Dies war der Grund, warum ärztliches Personal in Krankenhäusern und ambulanten Praxen vorübergehend keine kulturell-religiösen Vorhautbeschneidungen mehr durchführte.1257 Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen kritisieren, eine »Mehrheit des Bundestages« beeile sich, »eine Körperverletzung an Kindern zu legalisieren«. Sie fordern, »die Debatte nicht […] mit einem Schnellschussgesetz [abzuwürgen]«.1258 Auch der Jurist und Grünen-Politiker Memet Kiliç äußerte in seinem Gastkommentar Freiheit ist wichtiger als Tradition in der FAZ, die Bundesregierung wolle »in einem Schnellverfahren noch in ____________________ 1251 1252 1253 1254 1255 1256 1257 1258

Vgl. Glatzmeier 2015: 212. Rupprecht zit. n. Deutscher Bundestag 2012e: 22834. Vgl. Graumann 2012b; vgl. Nouripour 2012; vgl. Nutt 2012b. Siehe hierzu 3.5. Ein Resultat: Das Urteil des Kölner Landgerichts. Vgl. Meiborg 2012a; vgl. Lau 2012a; vgl. Lau 2012c. Vgl. Voß 2017: 114. Vgl. Meiborg 2012a; vgl. Lau 2012a. Oestreich 2012a.

293

4. Wiederkehrende Motive

diesem Jahr einen entsprechenden Gesetzentwurf beschließen«.1259 Die gerade erst »mit dem Kölner Urteil begonnene Debatte über die Beschneidung« habe »mit einer Beschneidung der Debatte geendet«: »Offenbar steht die Bundesregierung unter dem Druck des Vorwurfs, dass ausgerechnet Deutschland – als einziges Land – die jüdische Tradition in Frage stellt. Dieser Vorwurf erfolgt zu Unrecht. Tatsächlich existieren in vielen europäischen und anderen relevanten Staaten intensive Diskussionen über die Zulässigkeit von Beschneidungen.«1260

Kiliç verweist auf Diskussionen um Vorhautbeschneidungen in Schweden, Finnland, Norwegen, Dänemark, Großbritannien und den Niederlanden. In einigen dieser Länder seien seit Beginn der 2000er Jahre rechtliche Regelungen entwickelt worden, weswegen der Vorwurf »ausgerechnet Deutschland« nicht greifen könne. Kiliç erwähnt nicht, dass die Diskussionen in den aufgeführten Staaten zu keinem Verbot der Vorhautbeschneidung geführt haben, sondern zu einer Formalisierung und Verrechtlichung des Eingriffs. In Schweden sieht die Regelung etwa vor, dass die Beschneidung bis zum zweiten Monat von Pflegenden oder speziell dafür legitimierten Personen durchgeführt werden darf, die die oberste Gesundheitsbehörde zugelassen hat und kontrolliert. Nach dem zweiten Monat müssen Ärzte/Ärztinnen sie ausführen, wobei es grundsätzlich der Zustimmung der Eltern bedarf;1261 ähnliches gilt für Dänemark.1262 Dass die politische Seite versuche, die Debatte um Beschneidungen zu beenden, bedeutet für Kiliç, die Errungenschaft des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit »leichtfertig« zurückzustellen, um die Beschneidung mit dem Recht auf Religionsausübungsfreiheit der Eltern zu erlauben. Den Eltern werde auf diese Weise, so kritisiert er, ein zu großer Gestaltungsspielraum in der Erziehung eingeräumt. Die Religion schränke das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit insgesamt zu sehr ein.1263 In Gezählt, gewogen und am Ende geteilt in der FAZ berichtet Ina Wiesner über den Prozess der Meinungsbildung und Mehrheitsfindung bei den ____________________ 1259 1260 1261 1262 1263

294

Kiliç 2012. Ebd., Herv. D. I. Vgl. Carlsson 2012; vgl. Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages 2012: 25f. Vgl. Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages 2012: 9. Kiliç 2012.

4. Wiederkehrende Motive

Grünen zu kulturell-religiösen Vorhautbeschneidungen. Sie stellt dar, dass zahlreiche Abgeordnete der Grünen das Empfinden teilen, der Prozess der Meinungsbildung sei, und nun zitiert sie, »von oben gesteuert«.1264 Diese Kritik beziehe sich sowohl auf die Fraktion als auch auf die parlamentarische Debatte. Diejenigen, die von oben steuern, sind Wiesner zufolge Volker Beck, Renate Künast und weitere Parteimitglieder. Sie hätten andere Mitglieder der Grünen »vor vollendete Tatsachen« gestellt und damit »Unbehagen in der Fraktion« verursacht.1265 Denn Beck/Künast et al. hatten einen »Zwischenruf« veröffentlicht, in dem sie sich dafür aussprachen, im Bundestag eine Debatte über Beschneidungen zu führen. Zudem hatten sie erklärt, nach ihrer Überzeugung sei der körperliche Eingriff der Vorhautbeschneidung, sofern eine elterliche Einwilligung vorliege und hygienische und medizinisch-fachliche Standards eingehalten werden, keine Straftat.1266 Einen anderen Grund für die vorzeitige Beendigung der Debatte nennt der Redakteur und Autor Peter Köpf in Unzeitgemäßer Grundpfeiler? in der FAZ. Ihm zufolge finden die Bemühungen um eine gesetzliche Regelung statt, um das Ansehen Deutschlands wieder herzustellen: »Gefahr ist also im Verzug. Nun soll es schnell gehen, der Bundestag kümmert sich in seiner Sondersitzung an diesem Donnerstag auch um das Problem der Beschneidungen. Zweifellos werden Regierung und Abgeordnete eine gesetzliche Lösung finden, um Deutschlands Ansehen in der Welt zu retten«. 1267

Das Skandalöse am Verhalten der Parlamentarier/Parlamentarierinnen des Bundestages bestehe darin, dass Gesellschaft und Politik das, was »die Kinder« mit einer Beschneidung erlitten, marginalisierten und missachteten. Dies drückt sich in der rhetorischen Frage aus, die Köpf unmittelbar an die Beschreibung anschließt, die Politik habe die Vorhautbeschneidung in einer Sondersitzung abgehandelt: »Aber die Kinder? Darf man fragen, ob für alle Zeiten richtig ist, was schon immer so gemacht wird?« Die Vorhautbeschneidung werde zu einem »halb so schlimm[en]« Eingriff bagatellisiert und »schönphilosophiert«.1268 Die Beschneidungsgegnerin L. Z. ist in zivilgesellschaftlichen Organisationen aktiv und setzt sich seit vielen Jahren für Menschenrechte ein. Sie ____________________ 1264 1265 1266 1267 1268

Wiesner 2012. Ebd. Vgl. Künast/Beck 2012. Köpf 2012a. Ebd.

295

4. Wiederkehrende Motive

äußert im Interview, dass sie mit der gesetzlichen Regelung zu Vorhautbeschneidungen nicht einverstanden sei und die Bundesregierung zu schnell gehandelt habe. Sie führt aus, dass jüdische und muslimische Organisationen dafür verantwortlich seien: »Das fin-, das finde ich nicht gut und ich denke, die deutsche Regierung hat aufgegeben gegenüber Druck von ähm jüdischen Lobbyisten oder Organisationen in Deutschland und auch islamischen Organisationen. Soweit ich beobachtet habe, zuerst war (-) die Rede von diese ähm, also Gericht in Köln hat entschieden und dann auf einmal waren ähm religiöse Organisationen sehr aktiv, haben Druck gemacht und also die Rede von jüdischen Organisationen waren so, das ist so wie ein Holocaust, wir müssen Deutschland verlassen, ich weiß nicht was, und auch islamische Organisationen natürlich haben auch etwas gedroht und dann, ich denke, deutsche Regierung hat aufgegeben und hat auch schnell=schnell etwas entschieden, das hat mich (gar nichts gefallen) und auch die Möglichkeit, dass die Gesellschaft könnte darüber reden oder Aufklärungsarbeit, also Ärzte und Psychologen und sehr, also Organ-, Organisationen von Kinderrechte und so was haben sehr gut gearbeitet.«1269

Es gab aber auch eine Argumentation, die nicht – wie im Interview mit L. Z. – jüdische und muslimische Organisationen gleichermaßen kritisierte, sondern besonders Juden/Jüdinnen in den Blick nimmt. Mit der Vorstellung, der Bundestag und die Bundesregierung beende mit dem Entschließungsantrag eine wichtige öffentliche Debatte, hing die Kritik zusammen, in der gegenwärtigen Demokratie sei der beschlossene Antrag der Regierungsfraktionen des Bundestages, ein Gesetz zu schaffen, nicht legal vor sich gegangen. In dem Artikel Kinderschutz in der FAZ suggeriert der Redakteur und studierte Philosoph Thomas Gutschker, eine rechtliche Regelung anzustreben sei merkwürdig und ungesetzlich: »Sigmar Gabriel, Renate Künast und Guido Westerwelle waren bisher nicht dadurch aufgefallen, dass sie sich für religiöse Anliegen oder archaische Traditionen starkmachten. Nun aber sorgen sie sich wortreich darum, ob jüdisches Leben in Deutschland künftig noch möglich sei. Auch der Regierungssprecher ist in heller Aufregung, nachdem sich die Europäische Rabbinerkonferenz eingemischt hat. Und so ist Erstaunliches geschehen: Nur zwei Wochen, nachdem ein Urteil bekannt geworden ist, das die rituelle Beschneidung eines muslimischen Jungen als Straftatbestand wertet, steht in Berlin die ganz große Koalition bereit, endlich ‚Rechtsfrieden‘ zu stiften. Ein Gesetz soll außer Kraft setzen, was ein Kölner Gericht befand.«1270

____________________ 1269 1270

296

L. Z. 2014: Z. 519–530. Gutschker 2012, Herv. D. I.

4. Wiederkehrende Motive

Die Textpassage zeigt, dass Gutschker für die Befürchtung von Juden/Jüdinnen – es könne sich die Rechtsauffassung durchsetzen, die sich im Kölner Landgerichtsurteil niederschlug – wenig Verständnis aufbringt. Seine Unterstellung, das sich im Entstehen befindende Gesetz zu Beschneidungen würde das Urteil »außer Kraft setzen« und damit auflösen, womit er der Politik implizit unzulässiges Verhalten vorwirft, ist angedeutet. Die Lesenden formulieren diese Sichtweise in Online-Kommentaren expliziter und empfinden den Vorgang als skandalös. Damit verurteilen sie den Zustand der gegenwärtigen Demokratie in Deutschland. Murat Atalan kommentiert unter der Überschrift Demokratie in Deutschland: Die Meinung der Mehrheit wird ignoriert; Lobbys diktieren Gesetze, das Verhalten der Bundesregierung und der rot-grünen Opposition sei »einfach nur skandalös«, da sich »religiöse Interessensvertreter über den Willen der breiten Bevölkerungsmehrheit erhoben« und Gesetze »anbefohlen« hätten. »Zentralräte und ultraorthodoxe Rabbiner ‚bestellen‘ sich Gesetze«, welche die Bundesregierung liefere.1271 Bereits hier deutet sich eine Rhetorik der Verschwörung an, die besonders Juden kritisiert und als mächtig und Gesetze vorschreibend charakterisiert. In einem Interview spielten sowohl die Frage, warum sich Juristen/Juristinnen bis in die 2000er Jahre nicht gegen Vorhautbeschneidungen aussprachen, sowie der Entschließungsantrag des Bundestages vom 19. Juli eine Rolle. Zunächst mutmaßt der Strafrechtler und Beschneidungsgegner I. R. über die Gründe, warum sich keine Strafjuristen dieses Themas angenommen hätten. Seine Überlegung ist, es sei bekannt gewesen, dass es sich bei der Vorhautbeschneidung um »‘ne jüdische Praxis und ehm [..] ‘ne wichtige jüdische Praxis« handelt.1272 Aus diesem Grund hätte damals »niemand« das Thema angerührt, da »wenn man sich jetzt damit auseinandergesetzt hätte ehm hätte man natürlich ehm ‘ne Riesen-Gegnerschaft […] auf‘n Plan gerufen«.1273 Wer genau die »Riesen-Gegnerschaft« darstellt, führt er nicht näher aus. Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen kommt er darauf zu sprechen, dass die Vorhautbeschneidung eben hingenommen worden sei, ____________________ 1271 1272 1273

Atalan 2012. I. R. 2014: Z. 153f. Ebd.: Z. 154ff.

297

4. Wiederkehrende Motive

als »normative Kraft des Faktischen«1274 (womit er auf Herzbergs Worte zurückgreift) und im Gegensatz zur weiblichen Genitalverstümmelung ganz übersehen wurde.1275 Zu einer späteren Zeit im Interview kritisiert I. R. »die Politik«, das Justizministerium und die Parlamentarier/Parlamentarierinnen für ihr Handeln und wie sie die gesetzliche Regelung zu Vorhautbeschneidungen erarbeiteten. Das »Verhalten der Politik« beziehungsweise »mit welcher Schnelligkeit und mit welchem politischen Kalkül doch das Thema [Beschneidung, D. I.] so beiseitegeschoben worden ist«1276 und zum politischen Alltag zurückgekehrt worden sei, habe ihn »doch erstaunt«1277. Verantwortlich für ihr Verhalten sei »der Druck« gewesen, Politiker/Politikerinnen hätten nicht für den von der SPD eingebrachten alternativen Gesetzentwurf von Marlene Rupprecht gestimmt, weil sie sich »aufgrund der ehm des Drucks, der aufgebaut worden ist, nicht in der Lage dazu« gesehen hätten.1278 Nach einer Rückfrage führt er anschließend weiter aus: »F: Haben Sie ‘ne Erklärung dafür, warum das Gesetz so schnell erlassen wurde? Also Sie hatten gesagt, übergehen zur politischen Tagesordnung oder zur Normalität A:

Ja weil, also es ist ja weniger die bei den allermeisten, weniger die, die, muslimische Gemeinschaft, die ihnen eh Sorgen gemacht hat. Es ist ja auch gesagt worden, dass wenn das jetzt nur ein muslimischer Ritus wäre, dann hätte die Politik wahrscheinlich gar nichts gemacht.

F:

Mhm

A:

Man hätte gewartet, bis die Rechtsprechung die Sache entschieden hätte.

F:

Ja

A:

Irgendwann wäre dann mal jemand, der verurteilt worden wäre, wegen eh wegen der Beschneidung bis vors Bundesverfassungsgericht gezogen. Und da hätte das Bundesverfassungsgericht am Ende gesagt, es darf bestraft werden oder es darf nicht bestraft werden.

F:

Mhm

____________________ 1274 1275 1276 1277 1278

298

Ebd.: Z. 169f. Zu Vergleichen und Gleichsetzungen mit einer weiblichen Genitalverstümmelung siehe 4.3. Benachteiligung. Ebd.: Z. 956f. Ebd.: Z. 976. Ebd.: Z. 999f.

4. Wiederkehrende Motive A:

Weil aber die jüdische Gemeinde mit im Spiel war und die sich dann ja auch gleich direkt sehr stark, ehm, eingebracht hat und ‘ne ziemliche Drohkulisse aufgebaut hat, da war eben der politische Wille vorhanden, diese Kuh vom Eis zu kriegen. Ehm, und dann hat man nicht einmal für nötig gehalten, ehm, die Sache zu hinterfragen ja, also man sieht das ja auch bei diesem (1) mit dieser Begründung des Entwurfs aus dem Hause Leutheusser-Schnarrenberger

F:

Mhm

A:

aus dem Justizministerium. Ehm, die Folgen der Beschneidung, die sind ja gar nicht richtig aufgearbeitet worden.

F:

Mhm

A:

Man hat gar nicht, also nicht mal im Justizministerium alles richtig recherchiert. Und letztlich auch den Bundestagsabgeordneten damit gar keine breite Basis gegeben, keine empirische breite Basis, so dass man verantwortungsvoll darüber hätte entscheiden können.

F:

Mhm

A:

Und (-) das alles war aber egal. Es sollte jetzt schnell gehen, das sah man ja auch schon an diesem Entschließungsantrag ehm, der direkt nach diesem Urteil aus Köln, nach dem Kölner Urteil gab es ja den Entschließungsantrag im Bundestag,

F:

Ja

A:

wo gesagt wurde, wir machen das Erlaubnisgesetz. Ja, also da gibt’s, ich wüsste jetzt keinen anderen Fall, wo einmal ein solcher Entschließungsantrag in die Welt gesetzt (worden ist). Das gibt‘s wohl auch noch, gab‘s wohl mal schon mal. Aber das kann man glaub ich an einer Hand, an den Fingern einer Hand abzählen. Und da konnte man schon sehen, der Druck wird doch als sehr stark empfunden und man meint, jetzt handeln zu müssen«1279

Die Textpassage zeigt, dass I. R. eine spezifische Zeitwahrnehmung hat und die Perspektive einnimmt, das Gesetz sei schnell entwickelt worden. Die »ziemliche Drohkulisse« und den Druck, der öffentlich nach dem Urteil des Kölner Landgerichts entstanden sei, bringt er mit der Jüdischen Gemeinde in Verbindung und nicht mit Muslimen/Muslimas. Auch bei ihm findet sich die Vorstellung, die Politik habe fragwürdig agiert und die Parlamentarier/Parlamentarierinnen seien gedrängt worden, den Entschließungsantrag in den Bundestag einzubringen, und hätten nicht »verantwortungsvoll« entscheiden können.

____________________ 1279

I. R. 2014: Z. 989–1027, Herv. D. I.

299

4. Wiederkehrende Motive

Dabei lässt I. R. unberücksichtigt, dass ein Entschließungsantrag nicht rechtsverbindlich ist, sondern sich vielmehr mit einem Kommentar zu einem Sachverhalt vergleichen lässt. In einem Entschließungsantrag verdeutlicht der Bundestag seine Auffassung zu einer bestimmten politischen Frage und/oder fordert die Bundesregierung zu einem bestimmten Verhalten auf.1280 Ein Entschließungsantrag, der die Bundesregierung zu einem Gesetzesentwurf auffordert, ist darüber hinaus ein üblicher Vorgang. Auch den Umstand, dass der Deutsche Ethikrat1281 zum Thema Vorhautbeschneidungen anlässlich des Kölner Landgerichtsurteils in einer öffentlichen Plenarsitzung am 23. August 2012 diskutiert und sich berät, klammert I. R. aus. Zwar gab es auch im Ethikrat konträre Sichtweisen auf die Vorhautbeschneidung, die nicht zu harmonisieren waren1282, trotzdem empfahl der Ethikrat schließlich in einer Handlungsempfehlung »einmütig«, »rechtliche und fachliche Standards für die Beschneidung« zu schaffen.1283 In dem Artikel Genderbending für den Penis in der taz berichtet Christoph Zimmermann über die Gründungs- und Eröffnungsveranstaltung der Akademie der Künste der Welt in Köln, die das Thema Vorhautbeschneidung aufgriff. In diesem Zuge kommentiert er den Gesetzgebungsprozess. Auch er unterstellt, ähnlich wie I. R., es sei dem Bundeskabinett besonders darum gegangen, den Konflikt mit der Jüdischen Gemeinde zu umgehen: »So schnell werden Gesetze selten auf den Weg gebracht. Vier Monate nach dem Urteil des Landgerichts lag der Entwurf vor. Das Motiv: Jeder Konflikt mit der jüdischen Gemeinde sollte vermieden werden.«1284

Zimmermann kritisiert die Absicht des Gesetzgebers, die mit der rechtlichen Regelung zur Beschneidung einhergehe und daraus bestehe, für »Ruhe an den religiös-kulturellen Sollbruchstellen der Gesellschaft« zu sorgen, anstatt eine notwendige Debatte zu führen. Das Gesetz sei nur so zügig ent-

____________________ 1280 1281

1282 1283 1284

300

Vgl. Deutscher Bundestag o.J. Der Deutsche Ethikrat ist ein Gremium von 26 parteiunabhängigen Sachverständigen, die vom Präsidenten des Deutschen Bundestages eingesetzt werden. Der Ethikrat hat den Anspruch, der Gesellschaft und Politik eine Orientierung bei komplexen und umstrittenen Fragestellungen und Themen beziehungsweise bei »fundamentalen Fragen des menschlichen Lebens« zu geben. Er verfasst Stellungnahmen, Empfehlungen und Berichte (vgl. EthRG 2007). Vgl. Deutscher Ethikrat 2012a: 36; vgl. Decker 2012. Deutscher Ethikrat 2012b. Zimmermann 2012.

4. Wiederkehrende Motive

standen, weil Bundestag und Bundesregierung keinen Konflikt mit der Jüdischen Gemeinde führen wollten. Die muslimische Gemeinde kommt in seinem Artikel hingegen überhaupt nicht vor. Sie ist kein Akteur, der in der Kontroverse für seine Interessen oder in Repräsentation für die Interessen von Muslimen/Muslimas eintrat. In eine ähnliche Richtung weisen auch Passagen aus zwei weiteren narrativen Interviews. Der Finanzrichter und Beschneidungsgegner L. A. berichtet über seine Wahrnehmung, wie sich Angela Merkel und »Religionsführer« in der Kontroverse verhielten: »also eh, was was mir noch aufgefallen ist auch in der Diskussion, aber das sind ja immer so, kei- keine direkten was was mir da so hängengeblieben ist, zweitausendzwölf, waren ja nicht nur diese Äußerungen von der Frau Merkel, die ja offenbar Schiss hatte, vor eh den Religionsführern, die ihr ja auch da eh die ja auch aufliefen in Berlin und eh unbedingt irgendwelche Stellungnahmen einholen wollten mhm dass ja wohl jüdisches Leben noch möglich sein muss und so weiter«. 1285

Die Beobachtung L. A.s ist, dass sich Merkel den »Religionsführern« beuge, weil sie Angst gehabt habe. Die Religionsführer sind in seiner Perspektive implizit Juden, da er im weiteren Verlauf von jüdischem Leben, von Michel Friedman sowie einer jüdischen Repräsentantin spricht. An anderer Stelle sind es hingegen nicht nur Juden, die gegen Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen agieren, sondern auch Muslime. L. A. spekuliert darüber, dass diejenigen, die sich im Zuge der Kontroverse gegen Vorhautbeschneidungen aussprächen, »öffentliche[n] Prügel von Juden und Muslimen« bekommen könnten.1286 Er selbst habe sich in der Öffentlichkeit in einem Video gegen Vorhautbeschneidungen positioniert und habe dafür jedoch »nie, jetzt bei diesen öffentlichen Auftritten eh direkt eh, Konfrontation erleben müssen«.1287 Besonders dieser Aspekt ist aufschlussreich, da er zeigt, dass L. A. trotz seiner gegenteiligen Erfahrung davon überzeugt ist, dass diejenigen, die sich öffentlich gegen kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen positionierten, »Prügel« einstecken müssten. Der Strafrechtler und Beschneidungsgegner G. O. geht davon aus, »die Politik« und Politiker hätten in ihrem Verhalten nicht selbstbestimmt und frei agiert, als sie die rechtliche Regelung zu Beschneidungen erarbeiteten.

____________________ 1285 1286 1287

L. A. 2014: Z. 435–440. Ebd.: Z. 389. Ebd.: Z. 399f.

301

4. Wiederkehrende Motive

Seine Perspektive ist, die Beschneidung wurde erlaubt, weil Juden es gewissermaßen so verfügten: »Als das Urteil gefällt worden, getroffen worden war und die Diskussion losbrach über eh die Folgen, die das Urteil haben eh - könnte, dann war die Politik sehr, sehr schnell unter Druck. Der Druck entstand nicht - von Muslimen, der Druck, der entstand aus eh den jüdischen Gemeinden heraus und von jüdischen Vertretern. Da gab es massiven Druck und das wurde ja auch gar nicht geleugnet, eh, dass dort Druck auf die Politik gemacht wurde. Ich halte das jetzt auch nicht für illegitim, wenn man versucht, etwas, was man für wichtig und richtig hält, ehm auch politisch durchzusetzen. Ich halte das jetzt nicht von vornherein für verwerflich. Ich bemühe mich ja auch darum, wenn ich etwas geschrieben habe, darum, dass es sich vielleicht durchsetzt und - das ist legitim, ja, wenn man dafür dann auch - wie in dieser Sache, Poli-, Politiker eh kontaktiert. Was nicht legitim ist, das ist die Art der Druckausübung und die Art der Druckausübung, die hatte ein Maß angenommen, das ehm Politiker eh dazu brachte, nicht mehr frei entscheiden zu können. Und in dem Moment wird ein Druck, der ausgeübt wird, natürlich eh illegitim und das war hier geschehen. Der Druck, der ausgeübt wurde, der war massiv und die Politik konnte sich diesem Druck, der von jüdischen Vertretern vor allem ausgeübt wurde, aber nicht nur von jüdischen, Haupt-, auch von religiöser Seite der ausgeübt wurde auf die Politik, dem konnte sich die Politik nicht mehr entziehen. Und sie musste sehr sehr schnell handeln, um diese Diskussion möglichst zu ersticken, denn es zeigte sich ja auch deutlich, dass dieses Urteil, was da getroffen worden war, keinesfalls einen riesigen Ablehnungsschock hervorgerufen hat oder eine riesige Ablehnungsfront, sondern dass dieses Urteil von vielen auch befürwortet wurde, und zwar von der Mehrheit, als man eine Umfrage gemacht hat, was denn von diesem Urteil zu halten ist, beziehungsweise, wer denn gegen eine eh solche Jungenbeschneidung sich ausspricht und wer nicht, da waren das meiner Erinnerung nach um die 70 Prozent, die spontan gesagt haben, das ist nicht vereinbar mit unserer Rechtsordnung, mit unserem Rechtsverständnis. Und hätte man diese Diskussion noch weiter laufen gelassen, hätte man es zugelassen, dass die Informationen, die wichtig sind, um eine Diskussion eh solide führen zu können, also über die Auswirkungen, hätte man zugelassen, dass diese Informationen alle auch publik werden über Folgen, über Komplikationen, über Risiken, über Ähnliches, hätte man das zugelassen, ich glaube, die Ablehnungsfront, die wäre noch gestiegen und hätte zugenommen.«1288

Die Interviewpassage zeigt, dass G.O. davon ausgeht, Juden/Jüdinnen hätten eine spezifische Art, wie sie Druck ausüben würden. Sie bedienen sich in seiner Perspektive unzulässiger und unfairer Mittel, sodass der Druck gewaltig, außerordentlich und übersteigert ist. Dabei ist der Druck sogar so

____________________ 1288

302

G. O. 2014: Z. 633–664, Herv. D. I.

4. Wiederkehrende Motive

stark, dass die Abgeordneten des Bundestages »nicht mehr frei entscheiden« können. Dem Verhalten der Juden stellt G. O. das Interesse der Mehrheit der Bevölkerung entgegen, welche das Kölner Landgerichtsurteil begrüßt und sich gegen Beschneidungen ausspricht. Die Mehrheit bleibt in seinen Ausführungen aber machtlos und ungehört, da ihr Interesse sich nicht politisch niederschlägt, sondern einzig das Interesse der Juden. Zudem werden der Bevölkerungsmehrheit sogar Informationen vorenthalten – von wem genau, bleibt unklar –, welche die spontane Positionierung solide untermauert hätten. Im weiteren Verlauf des Interviews konkretisiert G. O. auf Nachfrage, worin der große Druck bestand, und bringt ihn mit dem Holocaust in Verbindung: »F: Mhm. Sie hatten gesagt, dass es einen massiven Druck auf die Politik gab. Können Sie da noch mal ehm ausführen, worin der Druck bestand? A:

Der Druck bestand darin, dass eh jüdische Vertreter gesagt haben, wenn – die Brit Mila - uns nicht mehr - erlaubt ist in diesem Land, werden wir es verlassen. Der Druck bestand darin, dass man gesagt hat, das ist genauso schlimm wie der Holocaust. Eh, das muss man sich einmal überlegen, dass man diese Begriffe, dass man eh diese Bezeichnungen einfach mal so übernimmt für etwas und heute einsetzt als Argument, ja, man setzt so etwas ja als Argumentationsfigur ein. Ich halte das für eh nicht legitim, das einzusetzen, weil aus verschiedenen, aus verschiedenen Gründen heraus. Und wenn Sie eh der Politik sagen, wenn ihr nicht dafür sorgt, dass dieses Urteil ehm - kaputt gemacht wird, dass dieses Urteil eh vom Ergebnis her keinen Bestand hat, wenn ihr das nicht - zurücknehmt und dafür sorgt, dass wir hier unser - Ritual weiter ausüben können, dann verlassen wir dieses Land, dann macht ihr jüdisches Leben unmöglich, Klammer auf, so wie es schon einmal war, Klammer zu. Also eh, einen größeren Druck kann man ja kaum erzeugen.«1289

Auch in dieser Interviewpassage sind es ausschließlich Juden, die die Politik vorgeben und anordnen. Muslime nennt G. O. in diesem Zusammenhang nicht. Teilweise versuchten Akteure/Akteurinnen der Kontroverse, die Fokussierung auf Juden/Jüdinnen zu erläutern. So etwa in dem Artikel Etwas ist zerbrochen der Journalistin und Publizistin Mariam Lau in der ZEIT, der sich ____________________ 1289

G. O. 2014: Z. 672–686. Für weitere Interpretationen siehe 4.6. Die »Lektion aus der Nazizeit«.

303

4. Wiederkehrende Motive

im Grundtenor jedoch von den vorherigen Beispielen unterscheidet. In dem Artikel geht es ebenfalls um den politischen Umgang sowie Reaktionen von Juden/Jüdinnen nach dem Urteil des Kölner Landgerichts. Lau führt zu Beginn des Artikels aus, das Kölner Urteil habe Dieter Graumann und Jüdische Gemeinden »sprachlos« gemacht.1290 Sie schreibt: »Streit um die Vergangenheit, um Schuld, Verantwortung, Schlussstrich, das alles kennt der Zentralratsvorsitzende der Juden. Aber nie, niemals gab es nach dem Zweiten Weltkrieg solche Angriffe auf den Glauben der Juden, ihre religiöse Praxis wie jetzt im Streit um die Beschneidung.«1291

Weiter berichtet sie darüber, es sei Graumann schwergefallen, zu glauben, dass ein deutsches Gericht die Vorhautbeschneidung als Körperverletzung unter Strafe gestellt habe. Das Gefühl, das schließlich Charlotte Knobloch mit der Frage »Wollt ihr uns Juden noch?« ausgesprochen habe, teilten viele Juden/Jüdinnen in Deutschland. Im nächsten Absatz des Artikels geht Lau dazu über, das Verhalten von Politikern/Politikerinnen nach dem Kölner Landgerichtsurteil zu beschreiben. Zwar schreibt sie nicht, dass es einen kausalen Zusammenhang gebe, der thematische Übergang suggeriert dies hingegen. Sie schreibt, aus der Politik sei »sofort Rückendeckung« gekommen: »In Windeseile beschloss eine Mehrheit der Bundestagsabgeordneten am 19. Juli, mitten in einer Notsitzung zur Euro-Rettung, ‚eine medizinisch fachgerechte Beschneidung von Jungen ohne zusätzliche Schmerzen‘ sei ‚grundsätzlich zulässig‘.«1292

Wenngleich Lau also empathisch und sensibel über Erfahrungen von Juden/Jüdinnen in Deutschland schreibt und den gegenwärtigen Antisemitismus in Deutschland – sowie den paternalistischen Ton in der Beschneidungskontroverse – deutlich kritisiert, bemüht auch sie das Bild, die Mitglieder des Deutschen Bundestages hätten mit erstaunlicher Geschwindigkeit gehandelt und den Entschließungsantrag auf den Weg gebracht. Bei ihr determinieren jedoch nicht Juden/Jüdinnen das Verhalten der Politik. Vielmehr handeln Politiker/Politikerinnen, weil sie selbst einen politischen Handlungsbedarf sehen und die Rechtsauffassung des Kölner Landgerichts, ____________________ 1290 1291 1292

304

Auf die Sprachlosigkeit von Juden/Jüdinnen hat auch Bodenheimer hingewiesen (vgl. 2012a: 13f., 60). Lau 2012b. Ebd.

4. Wiederkehrende Motive

die sich im Urteil niederschlug, nicht teilen. Darüber hinausgehend war der Weg einer gerichtlichen Klärung des Falles verstellt, weil der muslimische Arzt und Beschneider im Kölner Fall wegen eines Verbotsirrtums freigesprochen wurde.1293 Zum Ende ihrer Ausführungen formuliert Lau, dass der Ausgangspunkt der Kontroverse ein muslimischer Beschneidungsfall gewesen war und wirft die Frage auf, »[o]b die Beschneidung so schnell aus der Politik verteidigt worden wäre, wenn nur die Muslime sie praktizierten?«1294 Eine Antwort auf diese Frage gibt sie nicht. In dem Artikel Lobbyarbeit mit Kollateralnutzen der Redakteurin Uta Rasche in der FAZ geht es ebenfalls um Reaktionen von Juden/Jüdinnen auf das Kölner Landgerichtsurteil. Rasche fokussiert weniger als Lau auf Reaktionen von Juden/Jüdinnen, sondern blickt vergleichend auch auf Muslime/Muslimas. Ihr Ausgangspunkt ist, dass zwar Juden und Muslime gleichermaßen vom Kölner Landgerichtsurteil betroffen sind, sich aber nicht gemeinsam gegen das Urteil engagieren, sondern »für ihre religiöse Freiheit [getrennt] kämpfen«.1295 Rasche analysiert, dass Juden und Muslime unterschiedliche Strategien verfolgten, um gegen das Urteil vorzugehen: Während der Zentralrat der Juden eine gesetzliche Lösung anstrebe, setze der Zentralrat der Muslime auf einen Präzedenzfall vor dem Bundesverfassungsgericht. Die Strategie von muslimischen Repräsentanten kommentierend, zitiert Rasche Graumann, den damaligen Präsident des Zentralrats der Juden mit den Worten, »[s]o viel Zeit haben wir nicht. Wir brauchen schnell Rechtssicherheit«.1296 Die Lobbyarbeit des Zentralrats der Juden sei aktiver – so seien etwa Briefe an Politiker/Politikerinnen verschickt worden – und auch nach dem Urteil habe der Zentralrat schneller gehandelt. Im Gegensatz dazu stellt Rasche Muslime als »nicht sprachfähig[e]« und uneinige Gruppe dar, die »keine abgestimmte Strategie« habe und deren Lobbyarbeit nicht so erfolgreich ausfalle.1297 Die Verbände repräsentierten nur zehn Prozent der vier Millionen Muslime/Muslimas in Deutschland, eine klare Mitgliederstruktur gebe es nicht. Zuletzt betont sie jedoch, dass »die muslimische Community Erfahrung[en]« mit Präzedenzfällen habe,

____________________ 1293 1294 1295 1296 1297

Siehe hierzu 3.5. Ein Resultat: Das Urteil des Kölner Landgerichts. Lau 2012b. Rasche 2012. Graumann zit. n. Rasche 2012. Rasche 2012.

305

4. Wiederkehrende Motive

als Beispiele führt sie den Kopftuchstreit in Baden-Württemberg und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Schächten an. Die bisherigen Ausführungen vermitteln einen gesellschaftlich weitverbreiteten Eindruck, dass Juden bei der Vertretung ihrer Interessen besonders erfolgreich waren, womit ihnen eine besondere Stellung und Macht zugeschrieben wird. Ungeachtet der Begründung wird ihnen unterstellt, dass sie sogar einen Gesetzgebungsprozess beschleunigen könnten. Dieser Eindruck ist so weitverbreitet, dass auch viele Muslime/Muslimas davon ausgehen, dass das Gesetz nur so schnell erlassen wurde, weil es um eine jüdische Praxis ging. Dies zeigt der Politikwissenschaftler Kerem Öktem in seiner 2013 veröffentlichten Studie über die ausgrenzende Wirkung der Beschneidungskontroverse auf Juden/Jüdinnen und Muslime/Muslimas auf.1298 Juden/Jüdinnen sehen dies jedoch anders. Sie empfinden es als »unsolidarisch« und »unfair«, dass Muslime/Muslimas ihnen eine Sonderstellung unterstellen, die dazu geführt habe, dass die Politik auf diese Weise handelte.1299 Gerade die aufgeführten Aussagen über »unzulässigen Druck«, vermeintlich unsachliche Argumente und »Drohkulissen« bieten Anknüpfungspunkte für explizitere Ausformulierungen. Während der Kontroverse drückten besonders Lesende in ihren Online-Kommentaren zu Artikeln in Tageszeitungen die Vorstellung aus, der Bundestag habe die Vorhautbeschneidung per Gesetz erlaubt, weil »eine Lobby« oder eben Juden das so bestimmten. In der FAZ heißt es etwa: »Frau Merkel macht die Frage der Beschneidung ohne zwingende Not zur Chefsache und lässt sich unnötigerweise und unbegreiflicherweise von einer Lobby unter Druck setzen.«1300

Wenngleich Wolfgang Ebel in diesem Online-Kommentar die Lobby, von der Merkel bedrängt werde, nicht näher spezifiziert, werden andere Kommentatorinnen wie Sabine Mersmann deutlicher:

____________________ 1298 1299

1300

306

Vgl. Öktem 2013: 34. Öktem 2013: 35. Der Historiker Ernst Piper weist darauf hin, dass antisemitische Verschwörungsfantasien auch im Weltbild vieler Muslime/Muslimas ihren Platz haben (vgl. Piper 1995: 127), Benz betont die große Verbreitung in der islamistischen Propaganda (vgl. Benz 2007: 96ff.). Ebel 2012.

4. Wiederkehrende Motive »Vor diesen mächtigen ... jüdischen und muslimischen Lobbygruppen ist der Bundestag (ein echtes Parlament?) bereits eingeknickt – und dies ohne Diskussion! Ein echter Skandal und sehr bezeichne[nd] für die Qualität unserer sogenannten Volksvertreter, wie sie unsere Werte einfach wegwerfen!«1301

Zwei andere Online-Kommentare sind dahingehend jedoch eindeutig. In einem Kommentar von Bosau auf haGalil.com wird der Zentralrat der Juden als eine übermäßige Macht beschrieben, der die deutsche Politik leite: »Im übrigen ist die Beschneidung nicht erlaubt. Punkt. Der Paragraph 1631d BGB ist verfassungswidrig. Der Bundestag hat sich auf Druck des Zentralrats der Juden zum Verfassungsbruch erpressen lassen«1302

Auf den vermeintlich erpresserischen Charakter von Juden wird auch auf dem Internetblog Zwangsbeschneidung.de eingegangen. Dort heißt es: »Der Gesetzesentwurf zeigt vor allem eines. Deutsche Politiker sind noch immer willfährig gewissenlose und befehlsempfangende Handlanger gegen die Menschenrechte. Und meine, sich immer drängender stellende Frage heißt: Was ist das eigentlich für eine Religion dieses Judentum, die das Schlechte das Gute nennt. Hier wird das Recht auf körperliche Unversehrtheit eingeschränkt und Herr Graumann freut sich darüber. Hat das Judentum auf diese Weise auch in den vergangenen 5000 Jahren gewirkt?«1303

Durch die Vorstellung, die Mitglieder des deutschen Bundestages seien lediglich »befehlsempfangende Handlanger« des Judentums, leugnen Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen, dass sich die Abgeordneten des Bundestages und die Bundesregierung aus unterschiedlichen Erwägungen heraus für die Straflosigkeit von Vorhautbeschneidungen einsetzen, etwa weil sie die Vorhautbeschneidung als Teil des Elternrechts oder der Religionsausübungsfreiheit ansehen. Zugleich wird in dem Blogbeitrag die jüdische Religion dämonisiert und als schlechte Konstante in der 5000-jährigen Menschheitsgeschichte entworfen. In der rechten und verschwörungsideologischen Querfrontzeitschrift Compact werden im November 2012 die unterschiedlichen Reaktionen von Juden und Muslimen auf das Kölner Urteil thematisiert und dabei Juden/Jüdinnen diffamiert. Der Journalist Ken Jebsen verharmlost in Alles Antise-

____________________ 1301 1302 1303

Mersmann 2012, Herv. D. I. Bosau 2013, Schreibweise i. Orig., Herv. D. I. Zwangsbeschneidung.de 2012b, Herv. D. I.

307

4. Wiederkehrende Motive

miten – außer Mutti den vermeintlich in den USA und Europa vorkommenden Antisemitismus, der in den meisten Fällen »herbeigeredet« und »konstruiert« sei und erfreulicherweise »selten« vorkomme.1304 Als Beispiel nennt er die deutsche Kontroverse um Vorhautbeschneidungen: »Das Kölner Landgericht beurteilte den religiösen Ritus als Körperverletzung und forderte dessen Verbot. Wer ist betroffen? Unter anderem die etwa 100.000 Juden in Deutschland – sowie Millionen Moslems, die auch hier leben. Wer aber flippt vollständig aus? Nur der Zentralrat der Juden. Sind wir Juden hier überhaupt noch willkommen, fragt die Lobby ganz pauschal und kommt zu dem Schluss: Wenn dieses Antibeschneidungsgesetz durchkommt, können Juden in Deutschland nicht mehr leben. Und was ist mit den Millionen hier lebenden Moslems? Sind sie rein zahlenmäßig nicht deutlich stärker betroffen? Ist für sie die Beschneidung nicht ein ebenso wichtiger Teil der religiösen Identität? Und trotzdem ist nirgendwo der Satz aufgetaucht: Türken oder Araber oder Kurden oder Palästinenser können, wenn dieses Urteil durchkommt, hier nicht mehr leben. Moslems haben sich dem Protest gegen das Urteil auch angeschlossen, das ist richtig, aber in ganz anderem Ton, mit ganz anderem Auftreten gegenüber dem deutschen Gesetzgeber. Fakt ist: Wenn ein deutsches Gericht ein Grundsatzurteil zur Körperverletzung fällt, gelingt es Israel, für sich eine Ausnahme durchzusetzen. Kein anderes Land würde derart in der Bundesrepublik intervenieren und hat das auch nicht getan.«1305

In dieser Formulierung wird die Größe der religiösen Minderheiten mit einer vermeintlichen Sprechweise beziehungsweise einem Tonfall in Verbindung gebracht: Juden hätten nicht den richtigen Ton getroffen und die Beherrschung verloren. Sie seien gänzlich außer sich geraten, durchgedreht. So wird suggeriert, es sei unangemessen und übertrieben, dass die sehr viel kleinere Gruppe der Juden sehr viel wirkmächtiger agiere. Zuletzt setzt Jebsen Juden mit Israel gleich und behauptet, der israelische Staat habe nach einem deutschen Grundsatzurteil interveniert und seine Interessen erfolgreich durchgesetzt. Sowohl Juden in Deutschland als auch Israel nehmen bei Jebsen eine Sonderstellung ein. Muslime hingegen hätten ein angemessenes Auftreten gehabt, über das sich gewissermaßen nicht empört werden müsse. Durch einen Vergleich mit den tatsächlichen Wortmeldungen des Zentralrats der Juden und des Zentralrats der Muslime wird deutlich, dass nicht nur

____________________ 1304 1305

308

Jebsen 2012: 32. Jebsen 2012: 32, Herv. D. I.

4. Wiederkehrende Motive

Jebsens Argumentation, sondern die zahlreicher weiterer Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen verschwörungsideologisch ist. Denn beide Akteure äußern sich nach dem Urteil des Kölner Landgerichtes nahezu wortgleich. So bezeichnet der Zentralrat der Juden in Deutschland das Kölner Landgerichtsurteil als »beispiellosen und dramatischen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften«1306, der Zentralrat der Muslime bewertete es fast wortgleich als »eklatanten und unzulässigen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften und in das Elternrecht.«1307 Im Unterschied zum Zentralrat der Muslime forderte der Zentralrat der Juden in seiner Stellungnahme jedoch, »den Deutschen Bundestag als Gesetzgeber auf, Rechtssicherheit zu schaffen und so die Religionsfreiheit vor Angriffen zu schützen.«1308 Gemeinsam ist den implizit und explizit ausformulierten Argumentationen von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen die Unterstellung, Juden hätten in einer unzulässigen und undemokratischen Art und Weise Einfluss auf den politischen Entscheidungsprozess, der zum Paragraf 1631d BGB führte, genommen. Dass im Deutschen Bundestag sowie in der Öffentlichkeit ausgiebig über kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen gestritten wurde, blenden Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen in ihren Argumentationen vielfach aus. Dies wundert nicht, zeigen doch mehrere Meinungsumfragen, dass das Stereotyp der jüdischen Macht in der bundesrepublikanischen Bevölkerung weit verbreitet ist. So stimmten 2014 8,6 Prozent der Bevölkerung der Aussage zu, »[a]uch heute noch ist der Einfluss der Juden zu groß«1309; 2016 waren es 10,9 Prozent der Bevölkerung1310, wobei diese Zustimmungswerte im Vergleich zu denen der Jahre zwischen 2002 und 2011 niedrig sind.1311

____________________ 1306 1307 1308 1309 1310 1311

Zentralrat der Juden in Deutschland 2012. Zentralrat der Muslime in Deutschland 2012. Zentralrat der Juden in Deutschland 2012. Zick/Klein 2014b: 36f. Decker/Kiess/Eggers/Brähler 2016: 34. Bergmann/Münch (2012: 328) zeigen auf, dass die Zustimmungswerte zur Aussage, »Juden haben in Deutschland zu viel Einfluss« in Bevölkerungsumfragen zwischen 2002 und 2011 höchstens bei 23,4 und niedrigstens bei 13 Prozent lagen.

309

4. Wiederkehrende Motive

Hervorzuheben ist, dass Juden/Jüdinnen in der Kontroverse aus einer gesellschaftlichen Minderheitenposition heraus gegen ein Verbot der kulturell-religiösen Vorhautbeschneidung argumentieren. Sie haben keine besondere oder schwer greifbare Macht, ihre Forderung durchzusetzen. Vielmehr stehen sie – vermittelt über jüdische Repräsentanten/Repräsentantinnen – für ihre Interessen ein und verdeutlichen, welche Bedeutung die kulturell-religiöse Praxis als Glaubensgebot für eine Mehrheit von ihnen hat. Aus diesem Grund haben Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen unrecht, wenn sie besonders Juden/Jüdinnen unterstellen, einen »besonderen Druck« oder eine moralische Erpressung auf die Abgeordneten des Deutschen Bundestages auszuüben, sodass diese »nicht mehr frei entscheiden […] können«1312. Formulierungen dieser Art können als eine antisemitische »paranoide Konstruktion einer jüdischen Übermacht«1313, als »Phantasma jüdischer Macht«1314 und als antisemitische »Stereotyp[e] […] einer jüdischen Dominanz«1315 eingeordnet werden. In der Antisemitismusforschung sind antisemitische Verschwörungsfantasien beziehungsweise das antisemitische »Wahnbild einer allumfassenden Verschwörung«1316 ausgiebig beforscht worden. Die Verschwörungsfantasien existieren seit der Vormoderne und dienen »der christlichen Welterklärung«.1317 Sie bieten eine einfache und monokausale Erklärung »für komplizierte Sachverhalte und Ereignisse«, wobei es sich »um imaginierte Modelle [handelt], die Zusammenhänge beschreiben, deren Wahrheitsgehalt gering bzw. gänzlich konstruiert ist.«1318 Das »verschwörungstheoretische Konzept einer jüdischen Einflussnahme«

____________________ 1312 1313 1314 1315 1316 1317 1318

310

G. O. 2014: Z. 645. Stögner 2005: 49. Holz 2005: 29. Salzborn 2014: 18. Wyrwa 2010: 213. Piper 1995: 127; vgl. Heil 2006: 16ff., 205ff., 527ff.; vgl. Benz 2007: 9ff.; vgl. Poliakov 1988: 127ff. Wetzel 2010: 334. Schwarz-Friesel/Reinharz betonen im Gegensatz zu Wetzel, dass Verschwörungsideologien überhaupt keinen Wahrheitsgehalt beinhalten (2013: 35). Als Beispiel nennen sie die Protokolle der Weisen von Zion, einen prototypischen antisemitischen Text, der Juden »Weltherrschaftsbestrebungen« unterstellt (ebd.: 72, 294).

4. Wiederkehrende Motive

wird besonders dann genutzt, wenn »Juden angeblich im deutschen Kommunikationsraum aufgrund ihres Sonderstatus«1319 eine bestimmte Meinung oktroyieren oder bestimmte Entscheidungen vorgeben.1320 Es wird dann relevant, wenn sich Antisemiten/Antisemitinnen vorstellen, »[u]nter dem Deckmantel der Religion, für die man Toleranz fordert, genießen die Juden zu Unrecht größere politische Privilegien als jeder andere politische Verband«.1321 Bei antisemitischen Verschwörungsfantasien wird das »behauptete jüdische Streben nach Dominanz über andere […] nicht als emotionale Unterstellung wahrgenommen, sondern als sich selbst beweisende Tatsache« angesehen.1322 Aus diesem Grund entziehen sich die verschwörungsideologischen Argumentationen auch der rationalen Ebene. Die Verbreiter/Verbreiterinnen des verschwörungstheoretischen Gedankengebäudes sind nicht an Glaubwürdigkeit, Plausibilität und dem Anspruch auf Wahrhaftigkeit interessiert, da sie eine »Bereitschaft auf der Konsumentenseite« haben, an Verschwörungsideologien zu glauben.1323 Verschwörungsideologien erfüllen das »Bedürfnis nach einer einfachen Welterklärung mit klaren Schuld- und Verantwortungszuschreibungen«1324 und üben eine »spezifische Faszination«1325 aus. Bodenheimer meint angesichts des Beschneidungsverbots des Kölner Landgerichts, dass sich Juden/Jüdinnen »in Deutschland wieder in den prekären Status des Schutzjudentums der Vormoderne« begeben, »das von den Regierenden gegen den latenten oder auch offenen Widerstand einer großen Masse, wenn nicht einer klaren Mehrheit der Bevölkerung protegiert wird«.1326

____________________ 1319 1320 1321 1322 1323 1324 1325 1326

Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 151. Vgl. Holz 2005: 29; vgl. Salzborn 2010: 322. Bein 1958: 348. Benz 2007: 111. Ebd.: 12. Scherr/Schäuble 2007: 15. Ebd.: 54. Bodenheimer 2012a: 47.

311

4. Wiederkehrende Motive

4.8.

Verbündete: Juden/Jüdinnen und Muslime/Muslimas kritisieren die Vorhautbeschneidung

Wenn Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen Juden und Muslime in ihrer Argumentation explizit benennen, dann oftmals diejenigen, die Vorhautbeschneidungen ebenfalls kritisch gegenüberstehen oder sie gar ablehnen. Vier verschiedene Modi gibt es, wie Gegner/Gegnerinnen der kulturell-religiösen Vorhautbeschneidung über Juden und Muslime sprechen: Erstens dienen ihnen jüdische und muslimische Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen als positive und hervorzuhebende Bezugspunkte, als Verbündete und als Ausnahmen. Juden und Muslime haben hier die Funktion von Kronzeugen. Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen argumentieren, selbst Juden und Muslime argumentierten wie sie, weswegen es nur folgerichtig sei, sich ebenfalls gegen Vorhautbeschneidungen zu positionieren. Zweitens tragen Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen die Kritik einzelner Juden und Muslime stellvertretend für ihre eigene Ablehnung der religiösen Praktik vor. Hier fungieren Juden und Muslime als Stellvertreter. Die positiven Bezüge auf Juden und Muslime, die Vorhautbeschneidungen kritisieren, dienen in diesem Fall besonders dazu, auf nachfolgende Kritik mit dem Hinweis reagieren zu können, dass diese Äußerung ja nicht die eigene sei und man für sie also nicht zur Verantwortung gezogen werden könne.1327 Die Bezugnahme belegt aber auch, dass die Kritik nicht »von außen« kommt. Drittens kommen Juden und Muslime, die an der Vorhautbeschneidung festhalten, dann zu Wort, um ihnen anschließend widersprechen zu können. In diesem Modus der Thematisierung sind Juden und Muslime »Pappkameraden«. Viertens vermitteln die untersuchten Akteure/Akteurinnen über eine deskriptive Darstellung, dass sich Juden/Jüdinnen und Muslime/Muslimas in der Bewertung von religiösen Vorhautbeschneidungen nicht einig sind. Mit diesem Modus wird innerhalb der Gruppe der Juden und Muslime differenziert. In dem Artikel Unzeitgemäßer Grundpfeiler formuliert der FAZ-Redakteur und Autor Peter Köpf eine Kritik an kulturell-religiösen Vorhautbeschneidungen über die Zitation der beschneidungskritischen jüdischen Psychologin und Kulturwissenschaftlerin Hanna Rheinz. Zunächst skizziert Köpf die ____________________ 1327

312

Vgl. Höttemann 2018.

4. Wiederkehrende Motive

Argumentation des Zentralrats der Juden, der auf seiner Homepage schreibe, dass die Vorhautbeschneidung ein religiöses Gebot sei. Er zitiert: »[w]er seinen Sohn nicht beschneiden lässt und derjenige, der dies auch nach Vollendung des 13. Lebensjahres nicht nachholt, stellt sich außerhalb des Bundes zwischen Gott und dem Volk Israel«. 1328

Im Anschluss an dieses Zitat lässt Köpf die »jüdische Publizistin Hanna Rheinz« zu Wort kommen, die die Haltung des Zentralrats als »Anmaßung« bezeichne, weil dieser nicht die Haltung aller Juden/Jüdinnen repräsentiere. Köpf schreibt, Rheinz kommentierend: »Für eine unüberwindliche Hürde, die derzeitige Praxis zu ändern, hält sie die Haltung von Rabbinern und Zentralrat, wissenschaftliche Erkenntnisse als nicht relevant anzusehen. Über das ‚Läppchen mit der Zuckerlösung‘ lacht sie, es enthalte eher eine Mischung aus Rotwein und Honig, deshalb bekämen die gerade neu Geborenen ‚ihren ersten richtigen Schwips‘ und schliefen meist ein. Das Narkosemittel wird also erst nach der Operation verabreicht. Rheinz, die einen Teil ihres Berufslebens dem Tierschutz gewidmet hat, klingt resigniert. Vergleiche mit Hunden oder Ferkeln führten nicht weiter. ‚Damit hilft man weder den Kindern noch den Tieren‘«.1329

Mit diesen Worten Rheinz‘ endet der Artikel. Insgesamt verengt Köpf ihre Perspektive auf die Aussage, im Grunde hielten auch viele Juden die Vorhautbeschneidung für »nicht mehr zeitgemäß«. Doch ist dies nur die eine Seite von Rheinz‘ Argumentation. In dem Beitrag Unverzichtbar und doch Albtraum, der 2012 in der Tageszeitung neues deutschland erschien, schreibt sie über die Bedeutung der Vorhautbeschneidung für eine Mehrheit der Juden/Jüdinnen und wirft die Frage auf, ob sie »das jüdische Dilemma« sei.1330 Die Beschneidung als Identitätszeichen des Judentums bezeichnet Rheinz einerseits als schmerzhaft und »nicht mehr zeitgemäß« und andererseits als unverzichtbar und deren Abschaffung als »undenkbar« für Juden/Jüdinnen, da jüdische Zugehörigkeit über Schmerz definiert werde.1331 Köpfs Kritik an Beschneidungen zeigt sich durch eine bestimmte Form der Darstellung: collagierte Zitate. Sie entsteht durch die selektive Zitation

____________________ 1328 1329 1330 1331

Köpf 2012a. Rheinz zit. n. Köpf 2012a. Rheinz 2012. Ebd.

313

4. Wiederkehrende Motive

und Auswahl der zitierten Perspektiven. Köpf nutzt gewissermaßen eine jüdische Stimme, um seine Kritik an der Vorhautbeschneidung anzubringen. Die Bewertung der religiösen Praxis erfolgt über den Umweg, andere sprechen zu lassen, und weniger durch die eigene Bewertung.1332 Auf diese Weise verschwindet Köpfs Kritik an der Vorhautbeschneidung hinter einer nüchternen und sachlich-dokumentarischen Darstellung.1333 Ähnlich funktioniert der Artikel Blutiger Schnitt, der bereits im Februar 2011, also vor der Kontroverse, in der FAS erschien. Er ist ebenfalls exemplarisch für einen wertenden Artikel, der sich fast ausschließlich auf die Worte und Argumente anderer stützt. Der Redakteur Richard Wagner lässt sehr unterschiedliche Haltungen zu Vorhautbeschneidungen zu Wort kommen. Er bezieht sich sowohl auf Juden und Muslime, die an der Vorhautbeschneidung festhalten wollen, als auch auf diejenigen, die sich gegen Vorhautbeschneidungen engagieren. Die von Wagner dargestellten Stimmen gleichen zunächst einem breiten Panorama, das die Vielschichtigkeit und die unterschiedlichen, teils gegensätzlichen Perspektiven auf die Thematik aufzeigt. Durch die Zitation und die Überschriften wird deutlich, dass Wagner die Vorhautbeschneidung für einen »Akt der Gewalt gegen Kinder«, eine nicht tolerierbare »Verstümmelung von Kindern« oder eine »Amputation« eines »gesunde[n] Stück[s]« des Körpers hält. Er beginnt den Artikel damit, das Gewaltverbot beziehungsweise die Abschaffung des sogenannten Züchtigungsrechts in der Kindererziehung zu loben. Er referiert, der Paragraf 1631, Abs. 2 BGB beinhalte die Unzulässigkeit von körperlichen Bestrafungen, seelischen Verletzungen und entwürdigenden Maßnahmen. Doch dieser Paragraf werde durch eine gewaltsame religiöse Handlung verletzt: »[u]nd dennoch gibt es etwas, das als religiöser Brauch ausgeübt wird, sich aber wie eine Form von Gewalt ausnimmt und über das kaum jemand spricht, obwohl

____________________ 1332

1333

314

Auch der Beschneidungskritiker und Politiker der Linkspartei, Raju Sharma, der zwischen 2009 und 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages war, bezieht sich in einem Interview in der taz auf Menschen in Deutschland und Israel, »die sich gegen diese Tradition wehren«. Gerade in Israel gebe es »schon lange eine zugegebenermaßen kleine Bewegung von Eltern«, die sich dagegen wende (Sharma 2012). Muslime/Muslimas, die Vorhautbeschneidungen kritisieren nennt er an dieser Stelle nicht, wobei er zumindest einmal den Zentralrat der Muslime zitiert, der die Bedeutung der Vorhautbeschneidung für Muslime herausstelle.

4. Wiederkehrende Motive Jahr für Jahr in Deutschland Tausende von Knaben davon betroffen sind: die Beschneidung.«1334

Bereits vor der öffentlich geführten Kontroverse von 2012 trägt Wagner die Stimmen gegen kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen zusammen, die später sehr häufig in Tageszeitungen zitiert werden. Sein Unverständnis gegenüber der Vorhautbeschneidung wird auch dadurch deutlich, dass Wagner mit der resigniert anmutenden und bedauernden Einschätzung endet, dass der religiöse »blutige Schnitt der Beschneidung« in Deutschland »so bald« nicht verboten werden würde, da das Interesse der Politik »zu gering« und »die Furcht der Politiker, dieses Minenfeld zu betreten«, hingegen »zu groß« sei.1335 Sein Bezug auf jüdische und muslimische Beschneidungsgegner ist ambivalent. Einerseits dient er dazu aufzuzeigen, dass nicht alle Juden und Muslime für die Vorhautbeschneidung sind und sich eine Kritik an der Praxis selbstverständlich ergeben müsse. Andererseits ist die Darstellung der jüdischen und muslimischen Beschneidungsbefürworter1336 nur auf den ersten Blick nüchtern und deskriptiv. Beim zweiten Blick ergeben sich aus der Darstellung eindeutige negative Wertungen. Köpf zitiert zwei Rabbiner, Julian Chaim Soussan und Andrew Steiman, und zeigt mit ihren Beispielen, dass sie sich von Nichtjuden nicht vorschreiben lassen wollen, wie sie ihre religiösen Praktiken auszuleben haben. Vielmehr betonten beide, selbstbestimmt festlegen zu wollen, was für ihr Judentum zentral sei. Wagner weist darauf hin, dass die Beschneidung beim acht Tage alten Säugling ohne Betäubung, stattdessen mit einem »Tropfen Wein«, der ihm eingeflößt werde und eine betäubende Wirkung haben solle, passiere. Kommentierend fährt er fort: »Steiman kann darin nichts Verwerfliches erkennen und erzählt die Geschichte von einem befreundeten Rabbiner. Der habe ihm während einer Beschneidungszeremonie zugeflüstert: ‚Was sind wir doch für ein brutales, archaisches Volk.‘«1337

Die möglicherweise ironisch gemeinte Aussage eines Juden lässt Wagner unkommentiert stehen, wodurch sie einen selbstbezichtigenden und selbstverurteilenden Charakter erhält. Zwar zieht er mit Steiman keinen jüdischen Beschneidungsgegner heran, er nutzt seine Äußerung aber dazu, dass sich ____________________ 1334 1335 1336 1337

Wagner 2011. Ebd. Die Befürworter der Praktik, die Wagner zitiert, sind ausschließlich Männer. Wagner 2011.

315

4. Wiederkehrende Motive

Juden selbst als naiv, »brutal[..], archaisch«, unempathisch und grausam entlarven (da sie daran glauben würden, ein Tropfen Wein könne betäuben). Insgesamt suggeriert Wagner, die Haltung von Muslimen in Bezug auf die Durchführung der Praktik sei allgemein fortschrittlicher, da sie – im Gegensatz zu Juden – die Jungen »wenigstens« lokal während des Eingriffs betäuben.1338 Neben der so dargestellten Selbstverurteilung eines Juden verfährt Wagner in Bezug auf eine muslimische Stimme gegen Vorhautbeschneidungen ähnlich. Er zitiert ausführlich die Erinnerungen Necla Keleks an die Vorhautbeschneidung ihres Neffen »in einem ‚anatolischen Provinznest‘«.1339 Er referiert, ihr Neffe habe unter der Vorhautbeschneidung gelitten. Von diesem Fall ausgehend verallgemeinert Wagner, die Vorhautbeschneidung ziehe »schlimme Folgen« nach sich, sie nehme Jungen die Freiheit, erniedrige sie, führe zu »Machokult, Gewaltbereitschaft, Frauenhass«.1340 Für »die Werte einer freiheitlichen Gesellschaft« seien diese Jungen »schwerlich zu gewinnen«, so Wagners Schlussfolgerung.1341 Hervorzuheben ist, dass Wagner neben der Selbstverurteilung eines Juden und der muslimischen Kritik zahlreiche weitere nichtjüdische und nichtmuslimische Beschneidungsgegner anführt.1342 Insofern scheint sein Bezug auf Steiman und Kelek nicht ausschließlich instrumentell, um die eigene Haltung zu legitimieren, sondern auch ein Teil der Sammlung von Stimmen gegen die Vorhautbeschneidung zu sein. Wagner stellt sehr konträre Auffassungen gegeneinander und lässt sie unkommentiert nebeneinanderstehen; sie sollen für sich selbst sprechen. Im offenen Brief in der FAZ werden Juden und Muslime, die Vorhautbeschneidungen bei Säuglingen/Jungen kritisieren und ablehnen, ebenfalls zu einem positiven Bezugspunkt. Sie sind konkrete Subjekte, die einen Namen haben: »Das [Kindern nicht weh zu tun, D. I.] haben mittlerweile auch engagierte Gegner der Ritualbeschneidung wie Jonathan Enosch in Israel erkannt. Bei ihnen stieß das

____________________ 1338 1339 1340 1341 1342

316

Wagner 2011. Zur Frage der Betäubung siehe 4.1. Vom beschädigten Körper. Kelek zit. n. Wagner 2011. Ebd. Ebd. Er zitiert unter anderem den Strafrechtler Holm Putzke, den Kriminologen Christian Pfeiffer, den Psychoanalytiker Matthias Franz, den Kinderurologen Felix Schier und den Strafrechtler Rolf Dietrich Herzberg.

4. Wiederkehrende Motive Kölner Urteil auf deutliche Zustimmung. Herr Nadeem Elyas, ehemaliger Vorsitzender des Zentralrates der Muslime, hält beispielsweise den Zeitpunkt aus Sicht des Islam für variabel«.1343

Mit dem Bezug auf Enosch und Elyas zeigt Franz, dass das Kölner Landgerichtsurteil auch von positiven Ausnahmen Zustimmung erfährt.1344 In dieser Perspektive sind entsprechend nicht alle Juden und Muslime rückständig und unvernünftig, sondern besonders die, die an einer Vorhautbeschneidung festhalten. Ihnen stellt er aufklärerisch und fortschrittlich denkende Juden und Muslime entgegen. In diesem Zusammenhang lassen sich die Analysen von Schwarz-Friesel/Reinharz anführen. Sie hatten in der Auswertung der Zuschriften an den Zentralrat der Juden in Deutschland und die Israelische Botschaft in Berlin festgestellt, dass viele Schreibenden Juden/Israelis im Nahostkonflikt in »gute« und »böse« einteilen beziehungsweise »der korrupten, verbrecherischen Regierung« die leidende »Zivilbevölkerung« entgegenstellen.1345 Ziel dieser Unterscheidung beziehungsweise dieser Einschränkung sei, so argumentieren Schwarz-Friesel/Reinharz, »dass die Schreiber nicht generell alle Israelis und alle Juden verurteilen, sondern nur die ‚bösen‘«.1346 Es handele sich um eine Strategie, die dem Vorwurf entgegentrete, »generell judenfeindlich eingestellt zu sein«.1347 Auch in vier mit Beschneidungsgegnern geführten Interviews finden sich positive Bezüge auf beschneidungskritische Juden. Beschneidungskritische Muslime stellen überraschenderweise in keinem Interview einen positiven Bezugspunkt dar. Dieser Umstand könnte darauf verweisen, dass von beschneidungskritischen Juden mehr Strahlkraft ausgeht und sie die eigene Position gegen die Vorhautbeschneidung wirksamer legitimieren (können) als beschneidungskritische Muslime. Diese These lässt sich anhand der Interviews allerdings nicht weiter belegen. Unabhängig davon zeigen die Interviews, dass es Beschneidungsgegnern wichtig ist, ihr Eintreten gegen Vorhautbeschneidungen mit einer Argumentation von Juden abzusichern. Juden, die gegen die Vorhautbeschneidung sind, dienen den Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen als wichtiger Ankerpunkt. Sie ____________________ 1343 1344 1345 1346 1347

Franz 2012a: Abs. 6. Vgl. Franz 2014b: 176f. Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 364, Herv. i. Orig. Ebd. Ebd.: 365.

317

4. Wiederkehrende Motive

sollen die Legitimation der eigenen Gegnerschaft erhöhen und das Argument entkräften, es werde eine Kritik »von außen« gegenüber dem Judentum angebracht. B. A. bezieht sich im Interview positiv auf Juden beziehungsweise »Leute«, die sich auch ohne eine Vorhautbeschneidung als Juden identifizieren. Er reflektiert jedoch selbstkritisch, dass es schwierig sei, wenn Nichtjuden und Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen Juden vorschreiben, wie sie ihre Religion auszuüben haben: »A: Also ich verst-, ich verstehe natürlich, dass man dem Judentum nichts über, über dessen Geschichte erzählen kann. F:

Mhm.

A:

Aber man kann doch, glaube ich, sicherlich mal mit dem Finger drauf zeigen und sagen, bitte werdet euch doch eurer eigenen Geschichte bewusst. Ihr steinigt ja auch keine Homosexuellen mehr, ihr steinigt keine Ehebrecher mehr. Be-, bevor ihr den Kindern die Vorhäute abgeschnitten habt, habt ihr den Erstgeborenen getötet.

F:

Mhm.

A:

Also äh sicherlich seid ihr in der Lage, äh, Riten - zu überwinden.

F:

Mhm.

A:

Was hängt jetzt an diesem hier? Zumal es ja auch Leute gibt, die halt sagen, okay, ich kann auch Jude sein, ohne beschnitten zu sein und äh - die halt als Initiation eben die Brit Shalom nehmen, also den, den Bund des Friedens, nicht den Bund der Beschneidung.

F:

Ja, ja.

A:

Und äh, das wäre doch im Prinzip ein interessanter Ausweg. Natürlich können wir das nicht vorschreiben, aber äh ich denke, wir können schon dahin zeigen und sagen, hier, es gibt auch andere Wege.«1348

Auffällig ist, dass B. A. in seiner Selbstwahrnehmung lediglich »mit dem Finger« auf die Vorhautbeschneidung »zeigt« und seine Haltung nicht als Diktat verstanden wissen will. Das »zumal« verweist darauf, dass für ihn ____________________ 1348

318

B. A. 2014: Z. 1550–1567, Herv. D. I. Bei der Brit Shalom, die Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen häufig anführen, handelt es sich um eine symbolische Beschneidung des männlichen jüdischen Säuglings mit Segenssprüchen und Gebeten. Sie wird aber nur sehr selten durchgeführt und ist bisher unter Juden/Jüdinnen kaum bekannt (vgl. Breitbart 2012; vgl. J. F. 2014: Z. 1028ff.).

4. Wiederkehrende Motive

beschneidungskritische Juden ein wichtiger Bezugspunkt sind, um sein Engagement gegen Vorhautbeschneidungen zu rechtfertigen.1349 Während in dem Interview mit B. A. eine selbstkritische Dimension zum Ausdruck kommt, fehlt sie im Interview mit G. O., einem Strafrechtler. Er verweist darauf, es gebe Juden/Jüdinnen, die sich gegen Vorhautbeschneidungen aussprechen, »viele« von ihnen hätten ihm sogar bestätigt, in Deutschland zu bleiben, auch wenn die Vorhautbeschneidung weiterhin verboten geblieben wäre. Dies zeigt, dass G. O. Juden gegen die Vorhautbeschneidung als Bestärkung für seine eigene Haltung ansieht: »Und man muss ja auch noch Folgendes bedenken: Wenn man damit droht, man mache jüdisches Leben unmöglich in Deutschland, so ist das nicht richtig. Ich habe mit wirklich -vielen – eh Juden gesprochen und mir haben viele Juden gesagt, dass sie - dieses Ritual genauso kritisch sehen. Und wenn Sie sich heute einmal anschauen, wie viele jüdische Beschneidungen werden wirklich noch aus religiösen Gründen vorgenommen, so ist das jedenfalls, eh, wenn man sich eh - mal die säkularisierten Juden anschaut, dann ist das eh - die - Minderheit und passiert das aus einer - Identitätsmotivation heraus. Ich spreche dem die Legitimation nicht von vornherein ab, überhaupt nicht, auf gar keinen Fall. […] Aber mir haben auch viele gesagt ehm, so ein Unfug, selbstverständlich werden wir das Land nicht verlassen, wenn wir dieses Ritual nicht mehr durchführen dürften, beziehungsweise wenn dieses Ritual - von Staats wegen eh mit dem Etikett - rechtswidrig nicht erlaubt versehen wäre. Es ist ja immer noch ne andere Frage, ob letztlich auch das Strafrecht dann eine Sanktion androht, das ist eine ganz andere Frage, ob man so etwas bestrafen muss, aber eh diesen Eingriff für nicht erlaubt zu erklären, das halte ich durchaus für richtig und ich habe von vielen gehört, dass sie keinesfalls das Land verlassen hätten. Also auch das ist eine - Drohung, die erstens mal nicht tatsachenbasiert war und die - erkennbar nur einem Zweck diente, nämlich - die - Diskussion zu beenden und - die - Diskussionsteilnehmer, die diese Meinung vertraten, dass es sich um eine rechtswidrige Körperverletzung handelte, diejenigen zu diskreditieren.«1350

In dieser Textpassage führt G. O. beschneidungskritische Juden an, um sie gegen diejenigen Juden, die an Vorhautbeschneidungen festhalten wollten, in Stellung zu bringen. Letzteren unterstellt er das Motiv, ihn selbst »diskreditieren«, also verleumden und herabwürdigen zu wollen; dabei würden sie zielbewusst und berechnend vorgehen. Ferner geht es G. O. darum zu erklären, dass die Forderung nach einem Beschneidungsverbot eigentlich nicht so schlimm sei, da »viele Juden« auf seiner Seite stünden. ____________________ 1349 1350

B. A. 2014: Z. 1552ff. G. O. 2014: Z. 732–754, Herv. D. I.

319

4. Wiederkehrende Motive

In einem anderen Interview führt der Urologe V. A. aus, wie er sich 2012 während der Vorbereitungen zu einer Talkshow mit Dieter Graumann unterhielt. Dieser habe ihm gegenüber sogar eingestanden, dass die Vorhautbeschneidung ein Ritus sei, den jüdische Jungen nicht freiwillig an sich durchführen lassen würden: »A: […] Aber ich bin mir nicht sicher (-), oder ich bin mir ziemlich sicher, dass auch jüdische Menschen in wachsender Zahl (-) diese, dieses jüdische Wertesystem hinterfragen

320

F:

Mhm

A:

Das weiß ich nämlich, es gibt durchaus heute moderne, junge Juden, die die Beschneidung zwar nicht grundsätzlich ablehnen, die sie aber verschieben möchten, in ein einwilligungsfähiges Alter des Kindes, wenn es denn sich auch (1) geistig, seelisch zu einer Glaubensgemeinschaft bekennen (-) kann

F:

Mhm

A:

Das kann es als Säugling nicht, und ich habe Herrn Graumann in der Maske gefragt, als wir beide geschminkt wurden vor der Sendung, warum er denn nicht (-) das tolerieren würde, dass man sagt, lasst doch die Jungen selber entscheiden, mit 14, wenn sie bei uns religionsmündig, konfirmiert werden, oder sowas, in dem Alter, will ich oder nicht.

F:

Mhm

A:

Dann hat er mir außerhalb der Kamera gesagt, ja glauben Sie denn, dass sich dann noch ein jüdischer Junge beschneiden lassen würde, dann sage ich, Herr Graumann, jetzt haben Sie sich aber selber gefährlich ins Knie geschossen

F:

Mhm

A:

Weil Sie diese Religion (-), oder diesen Ritus ja nur unter Zwang und ohne Einwilligung der Kinder ausüben können

F:

Mhm

A:

Weil die das dann nicht tolerieren würden, was ich gut verstehen kann. Also, ein junger 14-jähriger Israeli heute oder Jude, wo auch immer er auf der Welt lebt, ähm (-), ist, glaube ich, nicht primär überzeugt davon, dass er an seine Religion glauben kann, nur wenn er die Vorhaut abgibt.

F:

Mhm

A:

Ein Säugling kann das nicht entscheiden

F:

Ja

A:

Und ein (Säugling), also damit hat er sich doch selber disqualifiziert. Das heißt, er glaubt selber nicht an seinen, an sein religiöses Wertesystem. Wenn er sagt, ein 14-jähriger würde sich nicht mehr beschneiden lassen. Das ist sicher richtig.

4. Wiederkehrende Motive F:

Mhm

A:

Das ist eine reale (-), lebensnahe Aussage, aber damit konterkariert er ja sein eigenes religiöses Verständnis, so nach dem Motto, wir müssen das so früh machen, damit, damit die Jungs sich nicht wehren können.

F:

Ja

A:

Das hat mit menschlicher Würde sehr wenig zu tun.«1351

Auch V. A. führt eine unbestimmte »wachsende Zahl« von Juden auf, die er auf seiner Seite positioniert. Seine Ausführungen sind insofern aufschlussreich, da er mit der Aussage Graumanns die Legitimität seiner eigenen Argumentation stärkt. Wenn selbst Graumann außerhalb der Kamera gestehe, dass die Vorhautbeschneidung »unter Zwang« ausgeübt werde, zeige sich doch, wie sehr Juden an etwas Rückschrittlichem festhielten. In dieser Perspektive zeigt sich einmal mehr die »Assimilierungsunfähigkeit« von Juden, die an Vorhautbeschneidungen festhalten. Das Interview mit dem Finanzrichter L. A. ist ebenso exemplarisch dafür, wie Beschneidungsgegner Juden zitieren, um die eigene Sichtweise zu legitimieren. L. A. erzählt, dass er in der Folge des Kölner Landgerichtsurteils begann, über Vorhautbeschneidungen nachzudenken, und sich anschließend öffentlich für ein Verbot derselben engagierte: »A: Jedenfalls, ich hab dann auch gelesen (-) über (1) Einschätzungen von Juden, ein judi- ein jüdischer Arzt, da hab ich mich ehm da erinner ich mich sehr gut dran. Ein jüdischer Arzt hat dann mal einfach danach gefragt, was denn der Sinn des Ganzen sei, F:

Mhm

A:

Dieser Beschneidung (-). Und der hat selbst im, da könnt ich jetzt viele Sachen dazu erzählen,=aber der hat dann im Ergebnis gesagt, es gibt überhaupt keinen vernünftigen Grund, ja,

F:

Mhm

A:

Es gibt da immer die Aussage ja, ist eine viertausendjährige Tradition (-) und er hat dann selbst festgestellt, nachdem er dann Bücher gelesen hatte darüber, dass=das (-) viertausend Jahre nicht durchgängig geschehen ist, im Judentum (-), sondern es immer wieder mal auch abgeschafft gewesen, ja. Es waren auch so Modeerscheinungen, es mal zu machen und mal nicht zu-, sogar von einer Kriegslist ist die Rede. Dass man das deshalb mal eh produziert hat dann, auch wegen Hygiene. Aber die hygienischen Dinge sind weggefallen und viele=viele anderen Argumente, die dafür sprachen, sind weggefallen. Und

____________________ 1351

V. A. 2014: Z. 571–608.

321

4. Wiederkehrende Motive man hat‘s dann eben nicht mehr gemacht und plötzlich kam es wieder eh hoch und dann hat man es als Tradition wieder gepflegt. Also insofern hatte der Arzt dann, der jüdische Arzt dann auch da kein Argument gefunden und hat dann letztlich in seinem Artikel, der dann in der FAZ abgedruckt worden ist und auch sogar in der [Name der Stadt] Allgemeinen Zeitung nachgedruckt wurde F:

Mhm

A:

Hat er dann gesagt, also was hindert uns Juden eigentlich daran eh, vierzehn oder fünfzehn Jahre zu warten bis zur Religionsmündigkeit, dann kann das Kind auch selbst entscheiden. (-) Und insofern hat mich das natürlich auch ehm ermuntert, das weiter in dem Sinne für die körperliche Unversehrtheit der Kinder, eh zu reden.«1352

Der jüdische Arzt, auf den sich L. A. in dem Interview bezieht, ist Gil Yaron. Er verfasste einen sehr persönlichen Bericht, der während der Kontroverse unter dem Titel Unsere seltsame Tradition in der FAZ erschien. Yaron schreibt über die für ihn schwierige Entscheidung, ob er seinen Sohn beschneiden lassen soll oder nicht, und setzt sich kritisch und differenziert mit der Vorhautbeschneidung auseinander. Es heißt bei ihm: »Nun hatte ich selbst ein Problem zu lösen: Wie hältst Du‘s mit der Beschneidung?«1353 Zu seinem biografischen Hintergrund führt er aus, dass er in einer Familie aufwuchs, die sich als »nicht religiös« bezeichnete. Sein Vater schlage »selten einen unkoscheren Shrimps-Cocktail aus«, seine Mutter fahre »auch am heiligen Schabbat gern ins Kino, obwohl uns die Tora so etwas eigentlich verbietet«. Zugleich bemühe sich die Familie jedoch, »Traditionen aufrechtzuerhalten«, was für ihn bedeutet, an Jom Kippur zu fasten, freitagabends »jahrhundertealte Segenssprüche über Wein und Brot« gemeinsam zu singen und an Passah »das jüdische Abendmahl, wie es sich gehört«, zu begehen.1354 Im weiteren Verlauf versucht Yaron für sich die Frage zu beantworten, welche Aspekte aus medizinischer, aus religiös-historischer, aus ästhetischer und spiritueller Perspektive für und gegen eine Vorhautbeschneidung sprächen. Zu jedem Vorteil aus den unterschiedlichen Perspektiven findet er einen Gegeneinwand.1355 Nach diesen Einwänden formuliert ____________________ 1352 1353 1354 1355

322

L. A. 2014: Z. 186–211, Herv. D. I. Yaron 2012b. Ebd. Zu Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation, eine Vorhautbeschneidung als Aids-Prophylaxe durchzuführen, schreibt er etwa, sein Sohn wachse nicht in

4. Wiederkehrende Motive

er aber, dass ihm besonders zwei Argumente »eine Abkehr vom Brith« schwer machen. Das erste Dilemma bestehe aus dem Umstand, dass sein unbeschnittener Sohn sich »in Kindergarten, Schule oder Armee« von den meisten in Israel lebenden Juden unterscheiden würde. Das zweite »Dilemma der Diaspora« sei die Frage, wie er – gerade in Zeiten vielfältiger Versuchungen und eines großen Assimilationsdrucks – das Judentum für seine Kinder bewahren könne. Der kleine chirurgische Eingriff stelle für seinen Sohn sicher, dass er sich an seine kulturell-religiöse Herkunft erinnere. Doch trotz der beiden Aspekte plädiert Yaron dafür, dass Juden/Jüdinnen infolge des Kölner Urteils in Deutschland keine Rechtssicherheit fordern sollten, »sondern eine Denkpause«: »Juden sollten die kommenden 15 Jahre in Deutschland nutzen, um sich zu vergegenwärtigen, warum sie ihre Söhne beschneiden: ob sie das wirklich wollen oder nur aus Angst davor tun, anders zu sein. Die Feier des Brith am achten Tag nach der Geburt könnte ein wichtiger symbolischer Akt werden, in dem der Vater nicht seinen Sohn zu seiner Religion verdonnert, sondern sich selbst dazu verpflichtet, ihm ein bedeutungsvolles Judentum vorzuleben und zu übermitteln. Wenn meine Erziehung zum Judentum dazu führt, dass mein Sohn eines Tages als mündiger, überzeugter Jude von seinem Vater fordert, ihn endlich zu beschneiden, dann werde ich seinen Wunsch erfüllen, mit Liebe, Stolz und Schmerz. Aber nicht früher.«1356

Zentral ist, dass Yaron in seinem Bericht mit sich ringt; er wägt ab, er stellt sich Fragen, er führt eine intensive Auseinandersetzung. Zwar kommt er im Ergebnis – zumindest vorläufig – zu dem Schluss, dass er seinen Sohn nicht beschneiden lassen wolle. Seine Entscheidung fällt ihm aber alles andere als leicht. Dies wird zu einem späteren Zeitpunkt, am 6. Dezember 2012, durch seinen Beitrag auf der Podiumsdiskussion an der Universität Köln deutlich. Auf der Podiumsdiskussion spricht sich Yaron für Vorhautbeschneidungen aus und legt dar, dass er sich mit seiner Frau dafür entschied, seinen Sohn doch beschneiden zu lassen.1357

____________________

1356 1357

Afrika auf. Zudem schütze ein Kondom besser vor Geschlechtskrankheiten, womit eine Vorhautbeschneidung aus medizinischen Gründen »überflüssig« sei. Spirituelle Versprechen kommentiert er mit den Worten: »Wegbeschreibungen in den Himmel machen mich immer skeptisch«, den ästhetischen Grund bezeichnet er als »absurd« (Yaron 2012b). Ebd. Vgl. O. A. 2012c; vgl. O. A. 2012d.

323

4. Wiederkehrende Motive

In den Worten L. A.s jedoch erscheint es so, als gebe es diese Ambivalenzen in Yarons Reflexion nicht. L. A. klammert diese zuwiderlaufenden Ausführungen vielmehr aus und überhört Yarons Ambivalenzen. Damit verkürzt L. A. dessen Bericht darauf, er habe kein Argument für Vorhautbeschneidungen gefunden, die Beschneidung im Judentum sei keine »viertausendjährige Tradition«1358 und sie sei für andere Zwecke »produziert« worden.1359 Auffällig ist, dass sich L. A. besonders an die negative Darstellung von Juden erinnert, die Beschneidung sei als »Kriegslist« eingesetzt worden: Yaron führte in seinen Reflexionen aus, die Vorhautbeschneidung sei für Juden/Jüdinnen nicht nur eine Pflicht, ein »unerlässlicher und untrennbarer Bestandteil des Judentums«. Vielmehr finde sich in der Bibel auch eine andere Geschichte, die »von der Beschneidung des Stammes Sichems« handele. Der Stamm habe Dinah, die Tochter Jakobs, entführt und vergewaltigt: »Daraufhin überredeten ihre Brüder den reuigen Täter und seinen Stamm, sich beschneiden zu lassen, um Dinah ehelichen zu können. Als die Beschnittenen matt darniederlagen, übten die Söhne Jakobs Rache und erschlugen sie. Die Beschneidung war gar kein religiöser Akt, sie war eine Kriegslist.«1360

Yaron lässt diese Geschichte merkwürdig unkommentiert für sich stehen. Er zieht lediglich den Schluss, »[e]in beschnittener Penis definiert also ebenso wenig einen Juden, wie die Vorhaut die intime Bindung zum jüdischen Gott stört«.1361 Genau dieser Aspekt ist für Beschneidungsgegner wie L. A. zentral. Auf dem Internetblog Zwangsbeschneidung.de wird sich sehr instrumentell auf Juden und Muslime bezogen. Immer wieder heißt es, dass diese gegen die Beschneidung kämpfen würden. An das Jüdische Museum in Berlin gerichtet wird geschrieben, dass der Paragraf 1631d BGB den allgemeinen Regeln des Völkerrechts, die im Paragraf sieben des Völkerstrafgesetzbuchs als »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« kodifiziert seien, Jungen

____________________ 1358 1359 1360 1361

324

L. A. 2014: Z. 195. Ebd.: Z. 200. Yaron 2012b. Ebd.

4. Wiederkehrende Motive

»grundlegende Menschenrechte entzieht oder diese wesentlich einschränkt«.1362 Die Analyse wird mit dem Hinweis verstärkt: »Bestätigt wird diese Sicht durch Rabbi Worch, der die menschliche und menschenrechtliche Perversion dieser Praxis offen formuliert.«1363 Auch der jüdische Schriftsteller Primo Levi, der jüdische Arzt Gil Yaron, der »wahrscheinlich […] bedeutendste Gelehrte des Judentums«1364, Moses Maimonides, und der pakistanische Arzt Younus Shaikh werden durch positive Bezüge zitiert, wenngleich es in den zitierten Texten – außer bei Yaron und Maimonides – gerade nicht um die Vorhautbeschneidung geht. Auf dem Internetblog steht weiter, es sei »weiterhin zu begrüßen, dass Juden ihre Gemeinsamkeiten mit dem Islam entdecken, den Dr. Younus Shaikh als ‚organisiertes Verbrechen gegen die Menschlichkeit‘ bezeichnet.«1365 Mit dieser Kommentierung bezieht sich Zwangsbeschneidung.de auf den Beitrag Der Islam und die Frauen des Menschenrechtsaktivisten Shaikh, der »wegen Gottes- und Prophetenlästerung« in Pakistan zum Tode verurteilt wurde. In dem Beitrag kritisiert Shaikh den politischen und sozialen Ausschluss von Frauen in islamisch geprägten Staaten wie Pakistan sowie einen »gewalttätige[n] Antifeminismus des Islam«.1366 Die Vorhautbeschneidung kritisiert er nicht. Dennoch wird auf Zwangsbeschneidung.de Shaikh herangezogen, weil dieser das negative Bild des Islam bestätigt. Der SZ-Gastkommentar In der Haut eines Anderen von Reinhard Merkel weicht von den Artikeln und Interviews ab, in denen Juden und Muslime als Kronzeugen oder »Pappkameraden« angeführt werden oder stellvertretend zu Wort kommen. Zwar kritisiert auch Reinhard Merkel die Vorhautbeschneidung nachdrücklich und nutzt Juden und Muslime – die Vorhautbeschneidungen kritisieren – als wichtigen argumentativen Anker.1367 Er nennt »[z]ehntausende männlicher Juden weltweit« sowie »zwei Prozent der israelischen Männer«, die unbeschnitten seien und deren Zahl stetig

____________________ 1362 1363 1364 1365 1366 1367

Zwangsbeschneidung.de 2015a. Ebd. Zwangsbeschneidung.de o.J.b. Ebd. Shaikh o.J. Vgl. Merkel 2012a.

325

4. Wiederkehrende Motive

wachse. Auch zahlreiche Amerikaner, »darunter viele amerikanische Juden«, würden die Vorhautbeschneidung infrage stellen, in den letzten zwei Jahrzehnten hätten sich weltweit »[d]utzende Vereinigungen mit dem Ziel der Abschaffung des Ritus« gegründet. Zudem sei die »Liste neuerer Streitschriften jüdischer Autoren gegen die Beschneidung« lang. Und weiter klärt er auf, allerdings mehr in einem Nebensatz, dass auch der Anteil der »unbeschnittenen Moslems […] weit in die Millionen gehen [dürfte]«.1368 Die Aufzählung von Juden und Muslimen gegen Vorhautbeschneidungen ist ungleichgewichtig. Muslime werden eher zur Vervollständigung auch noch kurz erwähnt. Indem er Juden (und Muslime) anführt, die nicht beschnitten sind, beziehungsweise solche, die sich gegen Vorhautbeschneidungen aussprechen, betont er, die Zugehörigkeit zum Judentum und Islam könne nicht von der Vorhautbeschneidung abhängen. Dennoch rechnet er der Haltung derjenigen Juden und Muslime, die sich für Vorhautbeschneidungen aussprechen, ein Gewicht zu: »Nehmen wir trotzdem an, erst die Beschneidung mache einen Sohn jüdischer oder muslimischer Eltern zum vollwertigen Mitglied der jeweiligen Gemeinschaft. Dann lautet die Frage, ob der irreversible körperliche Eingriff als aufgezwungener Preis für die ihrerseits ja aufkündbare Integration nicht zu hoch ist und deshalb dem Kindeswohl zuwider läuft.«1369

Zwar läuft Merkels Argumentation darauf hinaus, die Vorhautbeschneidung zu kritisieren und abzulehnen. Trotzdem verweilt er aber bei denjenigen Juden und Muslimen, die betonen, die Praxis sei zentraler Bestandteil ihres Glaubens. Er schlussfolgert, »die Beschneidung ist ein uralter konstitutiver Brauch des Judentums«.1370 Durch sein Eingeständnis und die Anerkennung, dass Vorhautbeschneidungen für viele Juden/Jüdinnen und Muslime/Muslimas eine Bedeutung haben, gewichtet er auch diejenigen Positionen, die seiner eigenen entgegenstehen. Juden und Muslime, die Vorhautbeschneidungen kritisieren, sind nicht ausschließlich dazu da, seine eigene

____________________ 1368 1369 1370

326

Ebd. Ebd. Merkel 2012a. Den Islam nennt er hier nicht, was darauf zurückzuführen ist, dass er kurz zuvor betont, der Islam kenne eine Beschneidungspflicht »ohnehin nicht« (Merkel 2012a).

4. Wiederkehrende Motive

Position gegen Vorhautbeschneidungen zu legitimieren und zu untermauern. Aus diesem Grund kann der Modus der Thematisierung als Differenzierung innerhalb der Gruppe der Juden und Muslime gewertet werden.1371 Die zeitgenössische Kritik von Juden/Jüdinnen an Vorhautbeschneidungen wie etwa die des Historikers Michael Wolffsohn – die er 2012 im Gastkommentar Danke, Deutschland! im Tagesspiegel veröffentlichte – lässt sich auf zwei Ebenen einordnen.1372 Erstens ist relevant, dass es historisch betrachtet schon im 19. Jahrhundert von jüdischer Seite kritische Einwände gegen die Praxis und eine darum zentrierte innerjüdische Debatte gab.1373 Im Zuge der Aufklärung, Säkularisierung sowie der jüdischen Reformbewegung geriet die Vorhautbeschneidung unter Reformdruck, wie der Sozialwissenschaftler und Kulturanthropologe Eberhard Wolff, der Medizinhistoriker Robert Jütte und der Historiker Klaus Hödl darlegen.1374 In diesem Zuge seien erste beschneidungskritische Schriften von Juden – wie die von

____________________ 1371

1372

1373 1374

Für Muslime/Muslimas hat die Vorhautbeschneidung ebenfalls eine große Bedeutung und gehört »zu den Glaubensüberzeugungen« sowohl der sunnitischen als auch der schiitischen Muslime/Muslimas (Elyas 2012). Sie wird als Empfehlung des Propheten Mohammed angesehen (Sunna) und hat dadurch den Stellenwert einer religiösen Pflicht (vgl. Ilkılıç 2014: 77f.; vgl. Engin 2012: 256; vgl. Nordhausen 2012). Sie stellt ein Bekenntnis und Zeichen zum »religiösen Urvater Abraham« dar (Engin 2012: 256). Im muslimischen Glauben ist der Zeitpunkt für die Vorhautbeschneidung nicht genau festgeschrieben, weswegen sie je nach Region im Säuglingsalter, häufig aber auch zwischen dem vierten und achten Lebensjahr durchgeführt wird, vereinzelt aber auch bis zum vierzehnten Lebensjahr (vgl. Mansour 2012). Einige Beobachter/Beobachterinnen der Beschneidungskontroverse betonten, es gebe keine gegenwärtige deutschsprachige jüdische Kritik an Vorhautbeschneidung (vgl. Klein 2012: 237ff.; vgl. Voß 2012: 9; vgl. Voß 2017: 116). Lediglich in den USA seien – im Gegensatz zu Deutschland – jüdische Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen präsent. Wenngleich zutreffend ist, dass sich keine organisierten Juden in der öffentlichen Kontroverse äußerten, ist doch festzuhalten, dass sich Einzelpersonen – wie Michael Wolffsohn oder Jérôme Segal – öffentlich zu Wort meldeten. Vgl. Brumlik 2013: 41f.; vgl. Brumlik 2012a: 230; vgl. Klein 2012: 233; vgl. Heimann-Jelinek/Kugelmann 2014: 20; vgl. Brämer 2012: 36ff.; vgl. Gollaher 2002: 45ff. Vgl. Wolff 2002: 121; vgl. Jütte 2016: 249; vgl. Hödl 2003: 189f.

327

4. Wiederkehrende Motive

Gabriel Riesser von 1831 oder der Vorstoß des Reformvereins aus Frankfurt am Main in den frühen 1840er Jahren – verbreitet worden.1375 Sie führten zu einer »wortreich ausgefochtene[n] innerjüdisch-religiöse Debatte über die Zukunft dieser […] rituell überkommenen Praxis«.1376 Jüdische Ärzte und Reformrabbiner diskutierten darüber, welche medizinischen Vorund Nachteile eine Vorhautbeschneidung besitze und wie »das Verhältnis einer solchen medizinisch motivierten Reform zum jüdischen Religionsgesetz« aussehen könne.1377 Es ging darum, wie die Beschneidung im Detail durchgeführt werden sollte, wer sie durchführen und wer anwesend sein sollte (Ärzte, Wundärzte oder Mohalim). Weiter ging es darum, wie Mohalim medizinisch besser ausgebildet werden könnten und wer die Aufgabe der Überprüfung haben sollte: »der weltlich-christliche Staat mit seinen Medizinalbehörden« oder die jüdischen Gemeinden oder die Beschneider selbst.1378 Zentral für diese Debatte war jedoch, dass »keiner der Autoren« eine »sofortige Abschaffung« der Beschneidung forderte.1379 Die Rabbinerin und Urologin Antje Yael Deusel betont in der Monografie Mein Bund, den ihr bewahren sollt von 2012, dass innerjüdische Dispute um die Vorhautbeschneidung häufig das Resultat von nicht-jüdischen Einflüssen beziehungsweise »Einflüssen von außen« waren.1380 Den historischen Ausgangspunkt oder Beginn der innerjüdischen Dispute verortet Deusel jedoch, anders als Wolff und Jütte, bereits in der römisch-hellenistischen Zeit.1381 Als Erbe des jahrzehntelangen heftigen Disputs im 19. Jahrhundert habe sich die Auffassung der gemäßigten Reformer durchgesetzt, die Vorhautbeschneidung als religiöse Zeremonie beizubehalten. Diese Sichtweise, die die Vorhautbeschneidung als essenziell für das Judentum ansieht, bestehe bis in die Gegenwart fort. Nur relativ wenige Eltern ____________________ 1375 1376 1377 1378 1379 1380 1381

328

Vgl. Wolff 2002: 121f.; vgl. Jütte 2016: 249. Wolff 2002: 122. Ebd.: 123. Ebd.: 124; vgl. Jütte 2016: 250. Wolff 2002: 124; vgl. Jütte 2016: 250. Deusel 2012a: 118. Sie verweist auf Texte von Flavius Josephus, das erste Makkabäer-Buch, in denen die Vorhautbeschneidung als Zwangsmaßnahme beschrieben wird, sowie die Jubiläen, die Damaskusschrift aus Qumran und den Talmud. Darüber hinausgehend behandelt auch sie, wie Wolff, das Manifest der Frankfurter Reformbewegung (vgl. ebd.: 119ff.).

4. Wiederkehrende Motive

würden derzeit bewusst auf eine Vorhautbeschneidung ihrer Söhne verzichten, eine Ausnahme seien russischsprachige Juden/Jüdinnen aus den ehemaligen GUS-Staaten, die seit Ende der 1980er Jahre nach Deutschland einwanderten. Sie hätten sich vielfach unter den »Dogmen des Kommunismus« von der jüdischen Religion entfremdet.1382 Die zweite Ebene, die zeitgenössische Kritik von Juden/Jüdinnen an kulturell-religiösen Vorhautbeschneidungen einzuordnen, besteht darin, festzuhalten, dass die Mehrheit der Juden/Jüdinnen an der Praktik festhält.1383 Dies zeigten einerseits zahlreiche Wortmeldungen von Juden/Jüdinnen sowie von Repräsentanten/Repräsentantinnen der Jüdischen Gemeinden in Deutschland, die die zentrale identitätsstiftende Bedeutung der Beschneidung hervorhoben.1384 In der Online-Umfrage der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA), die zwischen September und Oktober 2012 in acht EU-Mitgliedsstaaten durchgeführt wurde, verdeutlichen die insgesamt 5.847 befragten Juden/Jüdinnen, dass die Vorhautbeschneidung für ihr religiöses Selbstverständnis bedeutsam sei und ein Verbot ein Problem für sie darstelle.1385 In den Ergebnissen der Umfrage, die nicht nur das Thema Beschneidung umfasst, sondern allgemeine Erfahrungen und Wahrnehmungen von Juden/Jüdinnen mit Diskriminierung und Hasskriminalität, erklärten »[m]ehr als drei Viertel der Befragten in Frankreich (88%), Belgien (87%), Italien (85%) und dem Vereinigten Königreich (80%) sowie mehr als zwei Drittel der Befragten in Deutschland (71%) und Schweden (68%) […], ein Beschneidungsverbot würde für sie ein sehr großes oder ein ziemlich großes Problem darstellen.«1386

____________________ 1382 1383 1384 1385 1386

Ebd.: 129. Zum Wandel der jüdischen Gemeinden in Deutschland siehe Körber 2009: 233ff. Die Judaistin Birgit E. Klein schätzt quantifizierend, dass in den USA und in Israel (den beiden Siedlungsschwerpunkten) 97 Prozent der Juden/Jüdinnen die Vorhautbeschneidung praktizieren (vgl. Klein 2012: 236). Vgl. Kramer 2012a; Graumann zit. n. O. A. 2012o; vgl. Union progressiver Juden in Deutschland 2012; vgl. Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland 2012; vgl. Knobloch 2012; vgl. Lagodinsky 2012. Die Befragung fand in Belgien, Deutschland, Frankreich, Ungarn, Italien, Lettland, Rumänien, Schweden und im Vereinigten Königreich statt (vgl. FRA 2014a: 7). FRA 2014a: 69.

329

4. Wiederkehrende Motive

Diese Zahlen weiter differenzierend heißt es in den Ergebnissen der Studie, dass die Zustimmungswerte davon beeinflusst waren, wie religiös sich die Befragten auf einer Zehnpunkteskala »von 1 – überhaupt nicht religiös – bis 10 – sehr religiös« selbst einordneten.1387 Dabei wird deutlich, je religiöser sich die Befragten einordnen, desto stärker stellt ein Beschneidungsverbot für sie ein Problem dar: Bezeichneten sie sich als wenig religiös (Skalenwert 1 bis 3), empfanden 60 Prozent, dass ein Beschneidungsverbot ein Problem ist; in der Gruppe derjenigen, die sich hingegen als sehr religiös bezeichneten (Skalenwert 8 bis 10), waren es 92 Prozent.1388 Diesen Befund bestätigend betont auch Bodenheimer, dass die Vorhautbeschneidung »eine der stärksten Beglaubigungsformen« der jüdischen Identität ist.1389 Aus Sicht der religionsgesetzlichen Autoritäten ist die religiöse Grundlage für die Beschneidung beziehungsweise das Beschnittensein das an Abraham ergangene Gebot der Beschneidung, das im biblischen Quellentext, genauer, im ersten Buch Mose niedergeschrieben wurde.1390 Es handele sich um ein allgemeines Gebot (»Alle männlichen Kinder bei euch müssen, sobald sie acht Tage alt sind, beschnitten werden in jeder eurer Generationen«), das nicht festschreibt, wie die Beschneidung genau ausgeführt werden soll.1391 Klar geregelt sei hingegen die Pflicht des Vaters, seinen Sohn beschneiden zu lassen, sofern es die Gesundheit des Sohnes zulasse.1392 Eine Beschneidung müsse aus religionsgesetzlicher Perspektive jedoch nicht stattfinden, so schreibt der (evangelische) Theologe Stefan Schorch, wenn das Leben des Säuglings gefährdet werde (etwa bei Hämophilie).1393 Hinsichtlich der Konkurrenz zu anderen jüdischen Geboten (etwa wenn der achte Tag, an dem die Beschneidung stattfinden soll, auf

____________________ 1387 1388 1389 1390 1391 1392 1393

330

Ebd. Ebd.: 69f. Brumlik 2012a: 231; vgl. Berger/Hasgall/Hüber/Weißbarth 2012: 5; vgl. Heimann-Jelinek/Kugelmann 2014: 19. Vgl. Bodenheimer 2012a: 25; vgl. Heimann-Jelinek/Kugelmann 2014: 16f.; vgl. Schorch 2013: 6. Schorch (2013: 6) orientierte sich in der Übersetzung des Bibeltextes an der Lutherbibel: »Jedes Knäblein, wenn‘s acht Tage alt ist, sollt ihr beschneiden bei euren Nachkommen«. Vgl. Bodenheimer 2012a: 31. Vgl. ebd.

4. Wiederkehrende Motive

einen Sabbat fällt), sei die Beschneidung »wichtiger als das Sabbatgebot« (das Arbeitsverbot am Sabbat).1394 In der rabbinischen Literatur, die »im Wesentlichen in den ersten fünf Jahrhunderten nach Beginn der christlichen Zeitwende« entstand, sei der biblische Text, also die fünf Bücher Mose, von Rabbinern interpretiert worden.1395 Während sie den Wortlaut des biblischen Textes mitunter veränderten (in Bezug auf Bestrafungen und die Todesstrafe), sei dies bei der Praktik der Beschneidung nicht geschehen. Daher sollte, Bodenheimer zufolge, auf den kulturgeschichtlichen Hintergrund und die Bedeutung der Beschneidung im kollektiven Gedächtnis des Judentums abgehoben werden, die sich im Verlauf der Zeit veränderte: Im Altertum sei die Beschneidung »zu einer unhintergehbaren Form des Selbsterhalts schlechthin im Judentum geworden«1396, während des Römischen Reiches sei die Beschneidung Symbol »für eine bleibende Eigenschaft des Judentums«1397 gewesen und anschließend die »Antithese zum Versuch, dem Judentum von außen religiöse Verhaltensweisen aufzuzwingen.«1398 Die klassische jüdische Literatur verweist Bodenheimer zufolge darauf, dass es »um Spezifität und Differenz« geht,1399 denn historisch betrachtet standen Juden/Jüdinnen als religiöse Minderheit unter dem Druck der Mehrheitsgesellschaft, die sie dazu bewegen wollte, das Ritual aufzugeben.1400 Schlaglichtartig nennt er unter anderem den ersten Kreuzzug im Jahr 1096, die Zwangskonversionen zum Islam, die spanische Inquisition, die Zeit der europäischen Aufklärung sowie die antireligiöse Politik der Sowjetunion.1401 Gerade weil die Beschneidung für den größten Teil des Judentums in Deutschland konstitutiv blieb, so bemerkt Birgit E. Klein, waren die Überlebenschancen von jüdischen Männern, die »sich der Deportation durch Untertauchen zu entziehen versuchten«, während der Shoah schlechter als die von jüdischen Frauen.1402 Denn sie konnten durch die Beschneidung als Juden identifiziert werden. ____________________ 1394 1395 1396 1397 1398 1399 1400 1401 1402

Schorch 2013: 9. Vgl. Bodenheimer 2012a: 26. Ebd.: 27. Ebd.: 28. Ebd.: 29, vgl. 42. Bodenheimer 2012a: 31. Vgl. Schorch 2013: 7f. Vgl. Bodenheimer 2012a: 29f. Klein 2012: 235.

331

4. Wiederkehrende Motive

Auch Antje Yael Deusel thematisiert die Bedeutung der Beschneidung im Judentum. Die Beschneidung sei einer »der grundlegenden Fixpunkte des jüdischen Glaubens« und ein zentrales Symbol für die Zugehörigkeit zum Judentum, das trotz des jüdischen Pluralismus Bestand habe.1403 Selbst Juden/Jüdinnen, die sonst »nicht nach den traditionellen Regeln des Judentums leben, legen dennoch Wert auf die Beschneidung ihrer Söhne«. 1404 Von der Ultraorthodoxie bis zum säkularen Zionismus würden Juden/Jüdinnen an der Beschneidung festhalten.1405 An anderer Stelle schreibt sie, die Brit Mila sei untrennbar mit dem Judentum verbunden, »von den Ursprüngen bis in die Gegenwart«.1406 Besonders nach der Shoah würden säkular lebende jüdische Eltern ihre Söhne aus einer moralischen Verpflichtung heraus beschneiden lassen, weswegen sich in ihr ein jüdischer Überlebenswille manifestiere.1407 Auch der Mediziner und Psychoanalytiker Friedrich-Wilhelm Eickhoff betont, dass die Überlebenden des europäischen Judentums nach der Shoah besonders an der Beschneidung festhielten, um damit nicht nur den Bund mit Gott zu bezeugen, sondern auch, um eine »Verbindung mit den ermordeten« Juden/Jüdinnen herzustellen; »[a]us diesem Bund auszutreten käme einem Verrat an den Ermordeten gleich.«1408 Der Anthropologe Melvin Konner ordnet die Vorhautbeschneidung im Judentum in einen sehr viel größeren historischen Zusammenhang: »[w]e may never know for certain why the Jews, from such an ancient time, circumcised their sons. We do know the explanations they gave and how seriously they took it: throughout not merely centuries but millennia, Jews have risked their lives and the lives of their sons to keep this practice.«1409

Konner betont mit Bezug auf die jüdische Geschichte und weniger mit Fokus auf Antisemitismus und die Shoah, »lange bevor ihre Feinde den jüdischen Körper definierten, taten die Juden es selbst«.1410 Biblische Quellentexte würden sich ausgiebig mit dem Körper beschäftigen, wozu neben der ____________________ 1403 1404 1405 1406 1407 1408 1409 1410

332

Deusel 2012a: 11. Ebd. Ebd.: 150. Ebd.: 152. Mark zit. n. Brumlik 2012a 229. Eickhoff 2014: 390. Konner 2009: 33f. Konner 2014: 14.

4. Wiederkehrende Motive

Sexualität auch die Beschneidung gehöre.1411 Die älteste Form der körperlichen »Jewish modification […] for a man«1412 sei die Beschneidung. Sie sei »[u]nquestionably […] the most important defining and selfdefining feature of the Jewish body«.1413 Neben denjenigen Juden/Jüdinnen, die an der Beschneidung ihrer Söhne festhalten, gibt es solche, die ihre Söhne nicht beschneiden lassen. In der medialen Berichterstattung heißt es immer wieder, dass Schätzungen zufolge zwei Prozent der in Israel lebenden Juden/Jüdinnen sich gegen eine Beschneidung entscheiden.1414 Vermutlich ist diese Zahl einem Zeitungsartikel der Journalistin Netta Ahituv aus der israelischen Tageszeitung Haaretz entnommen, in dem sie darüber berichtet, dass sich jüdische Eltern gegen die Vorhautbeschneidung ihrer Söhne entscheiden. Zwar heißt es dort, es gebe nicht einmal vom Gesundheitsministerium noch vom »rabbinate or the government authorities« »systematic record […] of the number of circumcisions«. Weiter schreibt sie aber, »according to most estimates, between 1 to 2 percent of Jewish males born in Israel in the past decade were not circumcised«.1415 Die Artikel und Interviews zeigen, dass Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen von Juden und Muslimen in gewissem Maße eine Selbstkritik und ein Eingeständnis erwarten, dass sie einzelne kulturell-religiöse Praktiken ablehnen. In dieser Perspektive ist die Vorhautbeschneidung die Grenze der »Assimilierungsfähigkeit« von Juden und Muslimen. Diejenigen, die auf sie verzichten, sind assimilierungsfähig und erwünscht, diejenigen, die sich weigern, sind assimilierungsunfähig und unerwünscht. Insbesondere der Gastkommentar von Franz, die narrativen Interviews von V. A. und L. A. sowie die Blogbeiträge auf Zwangsbeschneidung.de zeigen, dass es auch in der Beschneidungskontroverse jüdischer »Kronzeugen« bedurfte.1416 Die Selbstkritik von Juden/Jüdinnen gegenüber der Vorhautbe-

____________________ 1411 1412 1413 1414 1415 1416

Vgl. ebd.: 14f. Konner 2009: 20. Ebd.: 34. Vgl. Yaron 2012a; vgl. L. Weiß 2017; vgl. Enosch 2012. Ahituv 2012. Rensmann 2005: 437.

333

4. Wiederkehrende Motive

schneidung wird als Legitimation des eigenen wissenschaftlichen und politischen Engagements genutzt. Gerade die sehr instrumentellen Bezugnahmen auf Juden können als antisemitisch analysiert werden. Hier ist die Analyse des Politikwissenschaftlers Lars Rensmann geeignet, die er zur Finkelstein-Kontroverse1417 zwar in einem anderen Zusammenhang formulierte, die sich aber dennoch auf die Beschneidungskontroverse übertragen lässt. Rensmann stellt heraus, es gehöre »seit je zu den zentralen Techniken antijüdischer Agitation«, sich »auf reale oder vermeintliche antisemitische Aussagen von Juden zu berufen, um dem Stereotyp größere Legitimität zu verschaffen.«1418 Auch Bodenheimer teilt diese Analyse, wenn er darauf hinweist, Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen legitimieren sich in ihrem Sprechen über jüdische Akteure/Akteurinnen, um dem Vorwurf vorzubeugen, es handele sich um eine antijüdische Argumentation.1419 4.9.

Amputations- und Kastrationsvorstellungen. Die Beschneidung als »Amputation« und »Organ-Entnahme«

In der Kontroverse von 2012 beschreiben Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen eine Vorhautbeschneidung selten lediglich als eine bloße Beschneidung der Vorhaut. Ihr Fokus liegt nahezu ausschließlich auf der »körperlichen Schädigung« und der »nie wieder reparablen Verstümmelung«1420, wenngleich medizinisch betrachtet gar keine Einigkeit besteht, dass eine Vorhautbeschneidung überhaupt ungesund ist oder krank macht.1421 Dennoch sprechen Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen in einer wertenden und dramatisierenden Art und Weise über die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung und nutzen Begriffe wie »Vor-

____________________ 1417 1418 1419 1420 1421

334

Die Finkelstein-Kontroverse kam im Sommer des Jahres 2000 auf und steht, Rensmann zufolge, exemplarisch für einen Teil des Diskurses um sogenannte Entschädigungszahlungen an Shoah-Überlebende. Rensmann 2005: 437; vgl. hierzu auch Schwietring 2014: 92f.; vgl. Salzborn 2010: 203; vgl. Benz 2004: 29. Vgl. Bodenheimer 2012a: 19. Zießler 2012. Siehe hierzu 4.1. Vom beschädigten Körper.

4. Wiederkehrende Motive

hautamputation«1422, »Körperteilamputation«1423 oder »Kastration«.1424 Diese Ausdrucksweise ist kein Zufall, da die Vorhautbeschneidung vielen Männern unangenehm und beängstigend erscheint, teilweise sogar Amputations- und Kastrationsfantasien sowie -ängste auslöst.1425 Die Beschneidung als realer körperlicher Eingriff in den Genitalbereich des Säuglings-, Jungen- oder männlichen Körpers lädt dazu ein, die »universelle Angst« vor Kastration zu äußern.1426 Der Beschneidungsgegner und Medizinhistoriker David Gollaher betont in seiner 2002 erschienenen Monografie Das verletzte Geschlecht. Die Geschichte der Beschneidung, dass Kastrationsängste schon in der griechisch-römischen Kultur der Antike existierten.1427 Der Spott von Nichtjuden gegenüber der jüdischen Beschneidung resultierte, so Gollaher, »[z]um Teil […] aus der Verwechslung von Beschneidung mit Kastration«.1428 Für die meisten Nichtjuden bestehe »zwischen der Vorhaut und dem Penis kein Unterschied«, zudem hätten sie »keine Vorstellung davon, welche Operation genau an den jüdischen Neugeborenen vorgenommen wurde«.1429 Die Beschneidung gehöre aus der Perspektive von Nichtjuden daher zu den »Geheimnissen einer fremden Religion« und sei Gegenstand von vielen Missverständnissen und Gerüchten gewesen.1430 Bedeutsam ist die Einschätzung seitens der Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen, was die Vorhaut überhaupt sei und welche Folgen sie für den Penis habe. Gehen diejenigen, die die Beschneidung nicht ablehnen, davon aus, es handele sich um einige Millimeter Haut, sehen Be-

____________________ 1422 1423 1424 1425

1426 1427 1428 1429 1430

Stücker 2012. Zwangsbeschneidung.de 2015a. Unabomber 2012. Das lateinische Wort castrare bedeutet so viel wie schwächen und berauben. Gabriele Sorgo argumentiert, dass bis ins 18. Jahrhundert »Männlichkeit mit Zeugungskraft statt mit Erektionsfähigkeit gleichgesetzt« wurde, die durch den Hoden und nicht den Penis repräsentiert wurde (Sorgo 2009: 152). Eine Kastration als Körperstrafe beraubte den Mann seiner potenziellen leiblichen Nachkommenschaft, weswegen sie von Männern gefürchtet wurde und beschämend war (vgl. ebd.). Gilman 1994: 132; vgl. Gollaher 2002: 184; vgl. Salzborn 2010: 40. Vgl. ebd.: 29. Ebd.: 30. Gollaher 2002: 30. Ebd.

335

4. Wiederkehrende Motive

schneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen sie als »integralen Bestandteil des männlichen Geschlechtsorgans«1431 und als »wichtigen Teil des männlichen Körpers«.1432 Schon Sigmund Freud war zu Beginn des 20. Jahrhunderts in seinen frühen Überlegungen zur »Wurzel des Antisemitismus« der Ansicht gewesen, Antisemitismus und Kastrationsangst hingen unbewusst zusammen, da schon kleine nichtjüdische Jungen die Beschneidung mit einer Kastration gleichsetzten und die Juden dafür hassten.1433 Der Antisemitismus sei entsprechend eine »Krankheit der Unbeschnittenen«1434, die »durch das Vorhandensein des intakten Penis und die Angst vor der Kastration verursacht«1435 werde. In der psychoanalytischen Perspektive ist der Penis ein phallisches Symbol, das mit Kraft, Macht und Potenz verbunden ist. In der Kastrationsfantasie drückt sich hingegen die Angst vor Entmachtung, Schwäche und Verweiblichung aus. Die Terminologie für eine Beschneidung ist im offenen Brief von Franz in der FAZ überwiegend zuspitzend beziehungsweise durch Hyperbeln geprägt.1436 Franz spricht von »irreversible[n] Genitalbeschneidungen von Jungen«, »bleibende[n] genitale[n] Beschädigungen« oder einer »genitale[n] Beschneidung«.1437 Nur an einer Stelle ist die Rede von der »Entfernung einer gesunden Vorhaut«, wobei suggeriert wird, dass die Praxis krank mache und den Körper beschädige, weil etwas Gesundes genommen werde. Der Fokus liegt entsprechend nicht auf dem, was abgeschnitten wird, sondern ausschließlich auf dem beschädigenden Vorgang des Wegschneidens.1438 In dem bereits genannten Artikel Strafbare Beschneidung in der FAZ schreibt Georg Paul Hefty, die Eltern hätten kein Recht, »die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen zuzulassen«, denn sie könnten genauso wenig wie der Staat »den Verlust eines angeborenen Körperteils wieder____________________ 1431 1432 1433 1434 1435 1436 1437 1438

336

Ebd.: 165. Ebd.: 164. Vgl. Hegener 2009: 250; vgl. Salzborn 2010: 37ff., 331. Freud zit. n. Gilman 1994: 129. Ebd.: 130. Vgl. Hortzitz 1995: 28; vgl. Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 153, 223ff. Franz 2012a. Vgl. Blumenberg/Hegener 2013: 18.

4. Wiederkehrende Motive

gutmachen«, wenn der »herangewachsene Junge von den religiösen Bekenntnissen seiner Eltern nichts wissen« wolle.1439 Das »angeborene Körperteil«, das verloren gehe, bleibt in Heftys Formulierung unklar und vage. Der Verweis auf die »Beschneidung von Mädchen« suggeriert aber, es ginge um das »genitale Lustzentrum«.1440 Auch in dem bereits genannten Artikel Männer kennen keinen Schmerz in der taz schreibt Oestreich, die Religionsfreiheit wiege viel, »aber keinesfalls mehr als das Recht, ein vollständiger Mensch zu bleiben«, so als verlöre der Mann, der als »Mensch« generalisiert wird, seine Ganzheit und Einheit.1441 Zwei Passagen aus den Interviews zeigen darüber hinausgehend, dass die Argumentationen gegen die Vorhautbeschneidung durch Amputationsfantasien bestimmt sein können.1442 Im Verlauf des Interviews mit dem Beschneidungsgegner und Urologen V. A. wurde die Frage gestellt, ob er sich vorstellen könne, beschnitten zu sein: »F: Ja. Ähm, Können Sie sich eigentlich vorstellen wie es für Sie wäre, beschnitten zu sein, also ich weiß nicht, ob das jetzt eine zu persönliche Frage ist, aber … A:

Nö, die Frage ist nicht zu persönlich, aber sie ist natürlich ähm nur theoretisch zu beantworten. Also ich kann mir theoretisch vorstellen, wie es ist, ohne ein Bein zu leben

F:

Mhm

A:

Aber praktisch natürlich nicht. Ähm, ich finde diese Frage, oder diese Frage, finde ich, nicht zulässig, weil sie etwas suggeriert, wenn ich sie beantworten würde, was man gar nicht beantworten kann.

F:

Mhm

A:

Ich kann mir als Arzt natürlich in gewisser Weise ein Bild machen, aber ich bin ja nicht nur Arzt, sondern auch Mensch, und als Mensch äh, ticke ich schon völlig anders, als in meinem Beruf. Weil, ich kann mir das (-), wie gesagt, nur theoretisch vorstellen. Und äh, wenn ich einem gegenübersitze, der nur ein Bein hat, was häufig vorkommt, ähm, dann kann ich Verständnis dafür haben,

____________________ 1439 1440 1441 1442

Hefty 2012b. Siehe hierzu auch den FR Gastkommentar Zugeständnis von Markus Tiedemann, in dem dieser auch von einem »Abtrennen von Körperteilen« schreibt (Tiedemann 2012). Höttemann 2011/12. Oestreich 2012a. Nicht alle Antworten der Beschneidungsgegner auf die Frage nach den eigenen Fantasien, die mit der Vorhautbeschneidung verbunden sind, beinhalten eine Amputation oder Kastration (vgl. I. R. 2014: Z. 688–717).

337

4. Wiederkehrende Motive aber (-), in seine Lebenswirklichkeit kann ich nicht eintauchen. Will ich auch nicht. F:

Ja

A:

Weil das Heuchelei wäre, ich kann nicht sagen, ich kann Sie verstehen, weil ich genau weiß, wie das ist, mit einem Bein zu leben. Das ist einfach falsch, das ist Unsinn.«1443

Bemerkenswert ist, dass V. A. als Urologe schon zahlreiche Vorhautbeschneidungen durchführte und sich trotzdem theoretisch und praktisch keine Vorhautbeschneidung, sondern eine Beinamputation, also die Abtrennung des Beines, vorstellt. Verglichen mit der Vorhaut ist das Bein ein großer Körperteil, dessen Verlust für andere sichtbar sein und möglicherweise auch die Bewegungsfähigkeit beschränken kann. Auf die zum Ausdruck gebrachte Verwunderung und Irritation hin, warum V. A. von einem Bein und nicht von der Vorhaut spricht, antwortete er: »F: Genau, also ich war eigentlich irritiert, weil ähm, weil ich Sie gefragt hatte, ob Sie sich vorstellen können, wie es wäre, beschnitten zu sein, und Sie dann ähm, mit der (lacht) Beinamputation geantwortet hatten. A:

Ja, im Prinzip ist es so dasselbe

F:

Ja

A:

Ich wollte es nur etwas drastischer formulieren, weil natürlich eine Beschneidung nicht den gleichen Stellenwert hat, im Erleben, also, das Fehlen einer Vorhaut, das glaube ich schon, hat nicht den gleichen Stellenwert, seelisch wie auch rein körperlich, wie eine Beinamputation.

F:

Mhm

A:

Ich überzeichne das nur gerne, weil ich manchmal das damit deutlicher mache, äh die Frage ist vielleicht nicht ganz richtig beantwortet. Also ich kann mir auch nicht vorstellen, wie es ist, welche (-) Belastung ich individuell erlebe, wenn meine Vorhaut nicht da ist

F:

Mhm

A:

Das kann ich mir nicht vorstellen, ähm, weil das objektiv natürlich ein Stücken Haut ist,

F:

Mhm

A:

mit der man leben kann, gar keine Frage. Aber das Erlebnis der Beschneidung und die seelischen Folgen daraus, äh, pff, die kann ich mir schwer vorstellen

F:

Ja

____________________ 1443

338

V. A. 2014: Z. 634–652.

4. Wiederkehrende Motive A:

Weil ich die nicht erlebt habe. Ich kann nur sagen, dass die Kinder, die ohne Narkose beschnitten werden

F:

Mhm

A:

aus religiösen Gründen (-) erheblich traumatisiert werden, weil ich das live erlebt habe, und weil das auch ganz klar ist, wenn ich mir vorstelle, dass mir einer einen Finger abschneidet oder meinetwegen auch die Vorhaut, völlig ohne Betäubung

F:

Ja

A:

Dass das, auch wenn es nur ein paar Minuten dauert, ein deutlich seelisch wie körperlich traumatisierendes Erlebnis ist, das ist doch gar keine Frage.«1444

In dieser Passage gesteht V. A. ein, dass er mit der Rede von der Beinamputation absichtlich eine zuspitzende Formulierung wählte, um eine Vorhautbeschneidung darzustellen. Zugleich betont er, sich nicht in Betroffene (von einer Beinamputation und Vorhautbeschneidung) hineinversetzen zu können, dies sei heuchlerisch und unzulässig. Für ihn steht der Umstand, dass ohne Betäubung eine Extremität des Körpers (Bein oder Finger) abgeschnitten wird, im Vordergrund. Der Finanzrichter L. A. bringt seine Amputationsfantasie nicht an der Stelle zum Ausdruck, als er gefragt wird, ob er sich vorstellen könne, beschnitten zu sein. Auf diese Frage antwortet er, »nein also ich vermiss da erstmal gar nix, sondern ich bin froh, dass ich insofern im natürlichen Zustand (-) ehm (-) verblieben bin und keiner auf die Idee gekommen ist, bei mir da rumzuschnippeln«.1445 Während seiner weiteren Überlegung kommt er aber auf eine Amputation zu sprechen, die er mit der Vorhautbeschneidung vergleicht. Er bemüht das Gedankenspiel, es habe sich eine fiktive neue Religionsgemeinschaft gegründet, die eine Körperverletzung, »Gewalt« und »Gewaltanwendung« beinhalte. Bei einer neu gegründeten Religionsgemeinschaft würde die Allgemeinheit (»man«) die Gewalt besser sehen können, was bei der Vorhautbeschneidung hingegen nicht der Fall sei: »A: […] man kann ja auch sagen, ja gut, dann mach ich mal eine neue Religion auf. Ich glaub mal an irgendeine Gottheit, die es so nicht gibt. Irgendwie eine Teekanne, die ständig um die Welt kreist, da kann man auch nicht nachweisen, dass es die nicht gibt. Die gibt es, aber irgendwo glaubt jemand dran, findet ‘ne gewisse Fangemeinde, man glaubt an die Teekanne, die goldene Teekanne,

____________________ 1444 1445

V. A. 2014: Z. 684–713, Herv. D. I. L. A. 2014: Z. 683ff.

339

4. Wiederkehrende Motive die immer wieder eh um die Erde kreist und die uns eh heilig ist. Und dann sagt man, außerdem müssen wir uns alle die Ohren abschneiden F:

Mhm

A:

Das hat die Gottheit bestimmt. Da würde man ja auch sagen, das kann doch nicht sein, dass er so bescheuert ist, aber eh und das auch noch als Rechtfertigungsgrund annehmen will. Und verkürzt gesagt, sehe ich manche Religionen so, wie gerade geschildert.=Weil eh die auch die Körperverletzung in ihrem Weltbild mit drin haben und da ist für mich die Grenze und sag, das ist für mich Gewalt, Gewaltanwendung […] und soweit darf Religion nicht gehen, alles andere wenn die da vor sich Karten legen, ihre Bibel lesen, die vor sechsüber sechshundert Jahren entstanden ist, von ich weiß nicht fünftausend Autoren und die glauben, das sei alles wunderbar und super und eh (-) toll, dann ist das deren Bier, dann sollen die das lesen und danach beten

F:

Mhm

A:

Ist eh okay,

F:

Ja

A:

Solange sie keinen anderen verletzen damit (-) oder umbringen oder (-) ne Bombe werfen oder irgendwas.«1446

Seine Auseinandersetzung ist nicht explizit auf das Judentum oder den Islam gerichtet, sondern unbestimmt auf »manche Religionen«, die für ihn jedoch eindeutig gewalttätig sind. An einer späteren Stelle des Interviews bringt er erneut die Vorhautbeschneidung damit in Verbindung, sich »selbst [zu] beschneiden an irgendwelchen Füßen, Ohren oder Armen«. Dies könne aus seiner Perspektive unter Erwachsenen praktiziert werden, solange es nicht »ihre Kinder« treffe.1447 Wenngleich sich L. A. kein amputiertes Bein vorstellt wie V. A., kommt er gleichfalls auf die Amputation von anderen Körperteilen zu sprechen, die gleichermaßen sichtbare und große Körperteile sind. Darüber hinausgehend drücken sich Amputations- und Kastrationsvorstellungen in der Karikatur des Illustrators und Cartoonisten Marian Kamensky aus. Die Karikatur kursierte im Original und in Abwandlung auf zahlreichen Internetseiten – wie dem Beschneidungsforum – und erschien dem Politik-

____________________ 1446 1447

340

Ebd.: Z. 497–518, Herv. D. I. Ebd.: Z. 1458f.

4. Wiederkehrende Motive

wissenschaftler Matthias Küntzel zufolge im Juli 2012 ursprünglich im Berlin-Kurier.1448 Auf der Karikatur ist ein Beschneider mit erschrecktem Blick und Angstschweiß auf der Stirn abgebildet. Er trägt einen grauen/braunen blutverschmierten Umhang, eine Kopfbedeckung und hat ein großes, bluttriefendes Messer (oder einen Dolch) in der einen Hand. In der anderen hält er den Penis und Hodensack des ihm gegenüberstehenden Jungen, was auf die Überschneidung von Amputations- und Kastrationsvorstellungen verweist, da der Hoden die Zeugungsfähigkeit ermöglicht. Der Beschneider sagt: »Oh-oh, heute ist nicht mein Tag!« Der Junge, der mit runtergezogener Hose vor ihm steht, kein Genital mehr hat, eine Kippa trägt und zu lächeln scheint, sagt: »Kopf hoch, es wird bald nicht mehr strafbar!«1449 Auf der verschwörungsideologischen Internetseite volksbetrug.net findet sich die Karikatur ebenfalls. Hier ist sie spiegelverkehrt und mit einer Denkblase versehen. Der Beschneider denkt: »Im Ansatz vielleicht etwas großzügig, aber umso besser schützt es vor Sünde und Infektion«. Die Schweißtropfen wurden entfernt. In seinem ZEIT-Online-Blog kommentiert der Redakteur Jörg Lau, in der Karikatur zeigen sich Überschneidungsflächen zwischen »Islamophobie und Antisemitismus«, da der Beschneider gewissermaßen einen Juden und einen Muslim in einem verkörpere.1450 Der Politikwissenschaftler Matthias Küntzel interpretiert den Beschneider als »‚judennasigen‘ Geistlichen«.1451 Die Karikatur verweist auf antisemitische Karikaturen der Beschneidung aus dem 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. In europäischen und außereuropäischen Regionen wie etwa den französischen Kolonien Tunesien und Algerien, in Frankreich, aber auch in den USA zirkulierten zwischen 1897 und 1917 mehrere Postkarten, die die jüdische Beschneidung sehr drastisch darstellten. Wenngleich die genauen Entstehungskontexte und Urheber der Postkarten unbekannt sind, verdeutlichen diese, dass es zahlreiche Variationen solcher Abbildungen gab.1452 Sie zeigen Beschneider, die ein Messer oder übergroße Scheren »als angsteinflößendes Symbol der Kastration«1453 ____________________ 1448 1449 1450 1451 1452 1453

Vgl. Küntzel 2012. Lau 2012. Ebd. Küntzel 2012. Vgl. Gold/Heuberger 1999: 153; vgl. Silvain 2001: 173, 132, 203, 265; vgl. Hirt 1999: 359. Küntzel 2012.

341

4. Wiederkehrende Motive

in der Hand halten. Zwischen den Karikaturen werden aber auch Differenzen deutlich: Diejenigen, die beschnitten werden sollen, sind auf den Karikaturen des 19. und 20. Jahrhunderts Säuglinge beziehungsweise sehr kleine Jungen (gekennzeichnet durch die Körpergröße und eine Babyflasche). Auf der Karikatur von 2012 ist ein Junge abgebildet, der fast die Körpergröße seines Beschneiders hat und von seinen Eltern oder Verwandten nicht im Arm gehalten wird. Auch die weiteren Personen – möglicherweise Familienangehörige oder schaulustige Religiöse –, die auf den Karikaturen des 19. und 20. Jahrhunderts abgebildet waren, fehlen in der zeitgenössischen Darstellung. Dort steht der Junge allein und wurde bereits seines kompletten Penis und Hodensacks beraubt. Immer wieder sprechen Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen und Betroffene, die überwiegend aus medizinischen Gründen beschnitten wurden, von einer »Vorhautamputation«1454 oder der Amputation von »Körperteile[n]«.1455 Auch auf dem Internetblog Zwangsbeschneidung.de wird eine Vorhautbeschneidung von Säuglingen/Jungen explizit als »Verstümmelung«, als »Körperteilamputation« und »vollständig betäubungslose Organ-Entnahme« beschrieben.1456 Letzteres hieße, der gesamte Penis samt Hodensack würde abgeschnitten. Eine Kastrationsfantasie zeigt sich auch in einer Textpassage, in der Juden als Täter dargestellt werden, die mit der Beschneidung Grausames vollziehen: »Die Genitalverstümmelung des männlichen Kindes ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das seit 4000 Jahren von Juden begangen wird und das beschneidungsbefürwortende Juden als Normalzustand in der Welt verbreiten wollen.«1457

In der verschwörungsideologischen Beschreibung erhalten Juden neben ihren vermeintlich verbrecherischen Eigenschaften zugleich eine potenziell endlose Macht. Sie wollten die Beschneidung über die ganze Welt verbreiten, um allen Männern zu schaden. In dieser Perspektive ist die ganze Welt durch die Vorhautbeschneidung bedroht, womit sie auf die Vorstellung des 19. und 20. Jahrhunderts verweist, in der die Gefahr einer »Verjudung« der Gesellschaft befürchtet wurde.1458 ____________________ 1454 1455 1456 1457 1458

342

MOGiS e.V. 2017; Bundesforum Männer 2017; U. R. 2014: Z. 154, 358. Bündnis 90/Die Grünen, München 2012. Zwangsbeschneidung.de 2015a, Schreibweise i. Orig. Ebd., Herv. D. I. Vgl. Benz 2015: 160.

4. Wiederkehrende Motive

Ähnlich ist ein Beitrag auf dem rechten und verschwörungsideologischen Internetblog Der Honigmann sagt. Dort heißt es unter der Überschrift »Angriff auf den Zeremonienmeister des Blut-Bundes«, das »jüdische Blutritual gilt als Opfer an ‚Gott‘, um im Gegenzug durch den ‚Blutbund‘ mit diesem ‚Gott‘ die Macht und Kontrolle über diesen Planeten ausüben zu dürfen«1459 oder mit »der Beschneidung soll sich das Judentum auch von allen anderen Völkern abgrenzen, nicht vermischen, ‚rein‘ bleiben und damit über alle anderen Völker herrschen«.1460 Zugleich finden sich Online-Kommentare von Lesern/Leserinnen dieser Seite, in denen sich offen und aggressiv Kastrationswünsche ausdrücken. Es heißt, ohne konkret Juden und Muslime zu nennen: »[w]arum denn nur die Vorhaut abschneiden, ein bisschen mehr und alles erledigt sich von alleine«1461 oder »[r]ichtig wäre die volle Kastration. Und schon wären alle Übel aus der Welt geschafft.«1462 In einem weiteren Kommentar heißt es, explizit mit Blick auf Juden und Muslime: »Hallo Leute ! Ja, ich habe mich in letzter Zeit sehr zurück genommen. Aber zu dieser religiösen Juden/Moslem-S C H E I ß E an wehrlosen Kindern kann ich nur eines sagen: Ich bin sehr wohl für diese Beschneidungen, aber in einer besseren Form. Und zwar: E I E R A B S C H N E I D E N !!!«1463

Die Ambivalenz, die sich im nichtjüdischen Blick auf die Vorhautbeschneidung findet und die sich in den Online-Kommentaren sehr drastisch zeigt, beschreibt der Psychoanalytiker Wolfgang Hegener. Er macht darauf aufmerksam, dass die jüdische Vorhautbeschneidung einerseits als Genitalverstümmelung und Kastration, andererseits als Praxis, die eine gesellschaftliche Integration verhindere und mit der eine kulturelle und gesellschaftliche jüdische Dominanz einhergehe, angesehen wurde.1464 Mit Blick auf psychoanalytische Theorien des Antisemitismus setzt sich auch Salzborn mit der Angst vor Kastration auseinander. Er systematisiert diese Theorien grundlegender: ____________________ 1459 1460 1461 1462 1463 1464

Der Honigmann sagt 2012, Schreibweise i. Orig. Ebd. Navi 2012, Schreibweise i. Orig. Siehe hierzu auch einen anonymen Kommentar in der Jungen Freiheit, der die »komplett[e]« Kastration in Bezug auf Muslime vorschlägt (Anonym 2015). Unabomber 2012. Der Leugner! 2012, Herv. i. Orig. Vgl. Hegener 2013: 58.

343

4. Wiederkehrende Motive »[W]ährend [Sigmund] Freud die Annahme einer Angst vor Kastration als generelle Phantasie deutete, ging [Talcott] Parsons von einer Angst vor Statusverlust aus, die aus einer konkreten und realen Konflikt- und Konkurrenzsituation resultiert; [Béla] Grundberger hingegen ging davon aus, dass die antisemitische Phantasie von jüdischer Macht und die daraus resultierende Angst vor Kastration zu einer Vorstellung führt, in der das Jüdische als zugleich mächtig und kastriert wahrgenommen wird.«1465

An anderer Stelle betont Salzborn, dass eine geschlechterpolitische Dimension beziehungsweise »das psychoanalytische Wechselverhältnis von Kastrationsangst und Kastrationsdepression« von Relevanz ist.1466 Er schlägt vor, die Begriffe nicht körperlich, sondern symbolisch zu verstehen, »als Angst vor Verlust von Anerkennung, Liebe oder Status bzw. als Reaktion auf genau diesen Verlust.«1467 Die Interviews, Online-Kommentare und die Karikatur zeigen, dass die in der Kontroverse zum Ausdruck kommenden Amputationsvorstellungen und Kastrationsängste zumindest zwei Dimensionen haben: eine, die direkt auf den potenziellen körperlichen Verlust abhebt, und eine andere, die eher auf der symbolischen Ebene zu verorten ist und die Angst vor Entmachtung und Schwäche respektive vor dem Bedeutungsverlust des Einzelnen oder des (nationalen) Kollektivs umfasst.1468 Mit Blick auf die Konstruktion des männlichen Juden argumentiert der Literaturwissenschaftler und Historiker Sander L. Gilman, dass der männliche jüdische Körper in der medizinischen und psychologischen Wissenschaft pathologisiert wurde und wird. Vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart gelten Juden durch die Beschneidung als beeinträchtigt, beschädigt und unvollständig.1469 Weil antisemitisches Denken im 19. und 20. Jahrhundert gesellschaftlich weit verbreitet war, existierte es entsprechend auch »in den Institutionen, in denen Medizin […] gelehrt und praktiziert

____________________ 1465 1466 1467 1468 1469

344

Salzborn 2010: 296f. Die Vornamen wurden zur besseren Einordnung der Personen von der Autorin eingefügt. Salzborn 2009: 136. Ebd.: 137; vgl. Radonić 2004: 151. Vgl. Höttemann 2011/12. Vgl. Gilman 1994: 12, 87, 101; vgl. Günther 2012: 179ff.

4. Wiederkehrende Motive

wurde«.1470 Die antisemitischen Anschauungen seien »zum festen Bestandteil der Medizin selbst« geworden.1471 Besonders in der Beschneidung manifestierte sich, so Gilman, »die pathologische Natur der Juden« und die Vorstellung vom »jüdischen Anderssein« am deutlichsten.1472 Ebenfalls mit deutlichem Bezug auf Antisemitismus weist der Historiker Klaus Hödl darauf hin, dass der Körper der Juden seit dem Mittelalter – vermehrt aber im späten 18. und 19. Jahrhundert, als sich der Rassismus und die anthropologische Klassifizierung wissenschaftlich durchsetzte – zum Objekt wissenschaftlicher Untersuchungen und Forschungen wurde.1473 Das Konzept eines spezifischen jüdischen Körpers sei »ein antisemitisches Konstrukt«, das im Zusammenhang mit dem Aufkommen des rassistischen Antisemitismus an Bedeutung gewann, da Unterschiede nicht mehr in der Religion, sondern im Körper lokalisiert wurden.1474 Die »angeblichen jüdischen Eigenheiten« dienten der Unterscheidung von Nichtjuden, mit ihnen waren aber auch Zuschreibungen als krank beziehungsweise eine spezifische jüdische »Krankheitsneigung« verbunden.1475 4.10. Eine »unnatürliche«, »beschädigte« und »perverse« Sexualität Die Frage, welche potenziellen Auswirkungen eine Vorhautbeschneidung für die männliche Sexualität oder das sexuelle Lustempfinden insgesamt hat und haben könnte, wurde beispielsweise in der SZ bereits vor 2012 aufgeworfen.1476 In der Kontroverse um Vorhautbeschneidungen flammte die Diskussion erneut auf und vermengte sich mit Spekulationen über und Projektionen auf eine jüdische Sexualität und teilweise auch auf eine muslimische. Der Urologe Manuel Ritter und der Medizinrechtler Jan Schabbeck ____________________ 1470 1471 1472 1473 1474

1475 1476

Gilman 1994: 33. Ebd. Ebd.: 86; vgl. Gilman 1997: 171. Vgl. Hödl 2010: 166. Ebd. Als antisemitische/rassistische Merkmale der Differenz existierten Hödl zufolge der Schädel, Lippen und Augen, die Nase, Plattfüße, ein besonderer Gang, ein Hinken, ein besonderer Blick, eine geringe Körpergröße und ein geringer Brustumfang. Siehe hierzu auch Gilman 1994: 86. Hödl 2010: 167. Vgl. Gollaher 2002: 162; vgl. O. A. 2010.

345

4. Wiederkehrende Motive

schreiben, im Zusammenhang mit den Vor- und Nachteilen einer Beschneidung werde besonders ihr Einfluss auf die Sexualität gegensätzlich diskutiert. Es gebe medizinische Studien, die zu gegenteiligen Ergebnissen kommen. Welche der Ergebnisse zutreffend seien, könne nicht abschließend geklärt werden, da sich die »soziokulturelle[n] Unterschiede« der in den Studien befragten Gruppen voneinander unterscheiden.1477 Auf der einen Seite gebe es Studien, die den »negativen Einfluss der Zirkumzision auf die sexuelle Erfüllung der befragten Männer« sowie eine herabgesetzte »Empfindsamkeit während des Geschlechtsverkehrs« und der Masturbation belegen.1478 Auf der anderen Seite stünden Studien, die »den gegenteiligen Effekt« beschreiben und »eine verbesserte sexuelle Zufriedenheit der Männer und der befragten Partnerinnen durch die Zirkumzision« feststellen, da beschnittene Männer »die Erektion länger« aufrechterhalten könnten.1479 Auch der Biologe und Sozialwissenschaftler Heinz-Jürgen Voß und der Mediziner und Psychiater Frank Hässler kommen nach der Analyse von medizinischen Studien zur Frage einer veränderten Sensitivität des Penis durch die Beschneidung zu dem Schluss, dass die Ergebnisse der Studien sehr uneinheitlich sind.1480 Die Gegensätzlichkeit dieser Forschungsergebnisse macht sichtbar, wie sehr Sexualität etwas historisch Gewordenes und Gesellschaftliches – und nicht nur Physiologisches – ist und dass »[d]as natürliche Moment am Sexuellen« sich nicht vom Gesellschaftlichen trennen lässt.1481 Wenngleich Sexualität auf den ersten Blick »etwas Unveränderliches, Einheitliches, ganz Bestimmtes« zu sein scheint, ist sie tatsächlich »etwas ständig Transformiertes, Zusammengesetztes, Assoziiertes«.1482 Sexualität ist also »ein komplexes bio-psycho-soziales Phänomen«.1483 In diesem Sinne schreibt der Medizinhistoriker David Gollaher mit Blick auf die Vorhautbeschneidung:

____________________ 1477 1478 1479 1480 1481 1482 1483

346

Ritter/Schabbeck 2014: 134. Ebd. Ebd. Vgl. Voß 2012b: 59; vgl. Hässler 2014: 157. Vgl. Sigusch 2013: 24; vgl. Braun 1998: 102. Sigusch 2013: 25. Döring 2017: 41.

4. Wiederkehrende Motive »Nun kann man die Erforschung des Eros kaum als exakte Wissenschaft bezeichnen. Sexuelle Erregung und Lust sind mehr als die körperliche Stimulation der Nervenendigungen. Während man genau bestimmen kann, wieviel Haut bei der Beschneidung verlorengeht, ist es unmöglich zu sagen, wie stark und ob überhaupt das Lustempfinden darunter leidet.«1484

In der Kontroverse stammten die meisten Einlassungen über die Sexualität der Beschnittenen von Männern, die mutmaßlich selbst nicht beschnitten sind, ihre Vorstellungen basieren also nicht auf der eigenen Erfahrung.1485 Dabei kann die Auseinandersetzung um männliche Sexualität(en) während dieser Zeit auch als Ausdruck einer Liberalisierung des öffentlichen Diskurses über Sexualität und einer veränderten Sexualkultur gesehen werden.1486 In einigen wenigen Artikeln in Tageszeitungen verbreiteten Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen medizinische Erkenntnisse, die annehmen, die sexuelle Sensibilität von beschnittenen und unbeschnittenen Männern unterscheide sich grundlegend und Beschnittene hätten entsprechend eine eingeschränkte oder unzufriedene Sexualität. Sie schrieben, die Vorhaut sei »gesunde[s] Körpergewebe«1487, »ein biologisch funktionales, wichtiges Stück Gewebe«1488 oder eine »erogene Zone«1489 oder »erogenes Gewebe«1490, das weggeschnitten werde oder irreversibel verloren ginge und dadurch das Erleben von Sexualität verändere. Auf diese Weise konnten Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen auch Bezüge zur weiblichen Genitalverstümmelung herstellen.1491 ____________________ 1484 1485 1486

1487 1488 1489 1490 1491

Gollaher 2002: 168. Vgl. Çetin/Wolter 2012: 29ff. Schlagwortartig sind folgende Trends zu nennen, die Mitte der 1960er Jahre und in den 1970er Jahren ihren Ausgang nahmen: die Zugänglichkeit der Pille unabhängig vom Eheverhältnis, die Etablierung von staatlich geförderten Sexualberatungsstellen, die Aufhebung des Verbots der Pornografie, die Kommerzialisierung von Sex, die Sexualisierung von Werbung und die aufkommende Frauen- und Schwulenbewegung (Dinges 2017: 27ff.). Diese Trends sind jedoch nicht zwangsläufig, wie antifeministische und homofeindliche Bewegungen zeigen (ebd.: 35). Stehr 2012b. Franz 2012b. Stehr 2012a; I. R. 2014: Z. 177. Gollaher 2002: 164. Siehe 4.3. Benachteiligung.

347

4. Wiederkehrende Motive

Nicht als überflüssiges Stück Haut, sondern als integralen Bestandteil des Penis sehen etwa die Kinderchirurgen Matthias Schäfer und Maximilian Stehr die Vorhaut: »Bei einer Zirkumzision werden bis zu 50% der sich am Penis befindlichen Haut entfernt. Dabei handelt es sich aufgrund seiner nervalen Ausstattung um den sensibelsten Teil. Dies hat einen spürbaren Sensibilitätsverlust zur Folge.«1492

Ein Artikel, der diese medizinische und psychologische Perspektive aufgreift, ist der bereits genannte mit dem Titel Auch die Seele leidet der Redakteurin Sonja Süss und des Redakteurs Philip Eppelsheim in der FAZ. Nachdem Süss/Eppelsheim einseitig auf Komplikationen, die mit einer Beschneidung verbunden seien, fokussieren, heben sie hervor, auch die Sexualität werde durch die Beschneidung »negativ beeinflusst«. Beschnittene hätten »häufiger […] Orgasmusschwierigkeiten als nicht beschnittene« und Frauen von beschnittenen Partnern seien sexuell unzufriedener und hätten häufiger Schmerzen beim Geschlechtsverkehr.1493 Sie zitieren den Kinderchirurgen Maximilian Stehr, der »hervor[hebt], dass die Vorhaut kein nutzloses Gewebe sei«, sondern »ein intensiveres sexuelles Erleben [ermögliche]«.1494 Dass es die Sexualität von Juden und Muslimen sei, die »negativ beeinflusst« werde, schreiben Süss/Eppelsheim jedoch nicht explizit. Der Strafrechtsprofessor Reinhard Merkel betont in seinem Gastkommentar Minima moralia in der FAZ, die Parlamentarier/Parlamentarierinnen des deutschen Bundestages hätten sowohl medizinische Studien »über mögliche psychosexuelle Folgen der Entfernung der Vorhaut«, als auch die »Unzufriedenheit« Betroffener mit dem beschnittenen Zustand nicht ausreichend berücksichtigt. Im Gegensatz zu Süss/Eppelsheim erklärt Merkel hingegen, es gebe auch medizinische Studien, die diesen Ergebnissen entgegenstünden: »Denn zu jeder Studie, die einen bestimmten Schadentypus dokumentiert, findet sich eine andere, deren Verfasser zu dem Ergebnis kommen, just dieser Schaden sei nicht oder doch viel seltener aufgetreten«. 1495

____________________ 1492 1493 1494 1495

348

Schäfer/Stehr 2013: 19. Süss/Eppelsheim 2012a. Stehr zit. n. Süss/Eppelsheim 2012a. Merkel 2012b.

4. Wiederkehrende Motive

Aus dieser Patt-Situation leitet er ab, Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen müssten nicht das Schädigungspotenzial von Beschneidungen, sondern Beschneidungsbefürwortende dessen Fehlen nachweisen, was ihnen aber nicht gelingen könne.1496 Explizit schreibt aber auch Merkel nicht, dass es Juden und Muslime seien, die eine unzufriedene oder geschädigte Sexualität hätten, zumal unklar bleibt, wann und aus welchen Gründen die Beschnittenen der zwei namenlosen Studien tatsächlich beschnitten wurden. In den Online-Kommentaren in der FAZ findet sich ebenso die Vorstellung, eine »Beschneidung und erfüllte Sexualität passen nicht zusammen«1497, wenngleich auch hier die Kommentierenden nicht explizit über die Sexualität von Juden und Muslimen schreiben. Exemplarisch heißt es in dem Online-Kommentar von Torsten Herwig: »Männlichen Säuglingen wird mit diesem Ritual […] ein Großteil ihrer sexuellen Empfindungsfähigkeit genommen (was der Ursprung und Zweck von Beschneidung ist, die Kontrolle von Sexualität und Zwang unter religiöse Verhaltensregeln durch Schmerzen)«.1498

Der Fokus auf Säuglinge verdeutlicht hingegen, dass der Schreibende entweder besonders an einen jüdischen oder einen amerikanischen Kontext denkt, da in beiden Zusammenhängen überwiegend Säuglinge in den Tagen nach der Geburt beschnitten werden. In dem Gastkommentar Die Beschneidung gesetzlich gestatten?, den der Strafrechtler Rolf Dietrich Herzberg 2012 in der Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik veröffentlichte, zeigt sich, wie die Vorstellung, die kulturell-religiöse Beschneidung beschädige die Sexualität, wiederum in wissenschaftliche Literatur einfließt. Herzberg bezieht sich auf die Forschungen des Psychoanalytikers Matthias Franz und stellt fest, die Beschneidung wirke wie ein Trauma.1499 Er fährt fort, wie stark und negativ sich die Vorhautbeschneidung auf die männliche Sexualität auswirke, ohne allerdings direkt zu schreiben, dass die Sexualität von Juden und Muslimen geschädigt sei. Hierfür zitiert Herzberg vielmehr beschnittene Männer wie den israelischen Juden Eran Sadeh, der nicht nur seinen Penis als »beschä-

____________________ 1496 1497 1498 1499

Ebd. Tron 2012. Herwig 2012, Herv. D. I., Schreibweise i. Orig. Vgl. Herzberg 2012b: 488.

349

4. Wiederkehrende Motive

digt« ansieht, sondern seine »Fähigkeit, Lust zu empfinden«, für »geschwächt« und unnatürlich hält;1500 oder den Ex-Muslim Ali Utlu, der gegenüber dem queeren Onlinemagazin Siegessäule.de ebenfalls von »Einbußen im sexuellen Erleben« berichtet hatte.1501 Daraus leitet Herzberg ab, es sei »schon auf den ersten Blick eine geradezu aberwitzige Annahme, man könne ein Kind dadurch pflegen und seinem Wohl dienen, dass man ihm den sensibelsten Teil seines Geschlechtsorgans, der für das Empfinden sexueller Lust besonders wichtig ist, abschneidet.«1502

Dass die Vorhaut der sensibelste Teil des Penis sei, schreibt Herzberg, ohne einen medizinischen Beleg für die Aussage anzuführen. Auch im weiteren Verlauf schreibt er ohne konkreten Beleg, dafür aber mit einem Hinweis auf die wissenschaftliche Erkenntnis, die Vorhaut sei der tatsächliche, Erregung auslösende Teil des Penis: »Allein die wissenschaftlich gesicherte Erkenntnis, dass das sensorische Gewebe des Penis zu fast 70 % auf die Vorhaut entfällt, dass sie die eigentliche ‚erogene Zone‘ des männlichen Geschlechtsorgans bildet, macht es geradezu absurd, ihre Vernichtung mit dem körperlichen Wohl des Kindes zu rechtfertigen.«1503

Die Zurückweisung dieser »Wahrheiten« besonders von jüdischer Seite (er nennt Charlotte Knobloch und Dieter Graumann) ist in seiner Perspektive wiederum ein Anhaltspunkt dafür, wie stark die »Abneigung« gegenüber »den Erkenntnissen der empirischen Wissenschaften« ausgeprägt sei.1504 In Online-Kommentaren bejahen Leser/Leserinnen die Einlassungen Herzbergs zum mutmaßlich verminderten Erleben der Sexualität von Beschnittenen und spekulieren, wie es dazu kommt. Die Leserin Angelika Oetken bestärkt und skandalisiert:

____________________ 1500 1501 1502 1503 1504

350

Sadeh zit. n. Herzberg 2012b: 502. Utlu zit. n. Herzberg 2012b: 502; vgl. Utlu 2012. Herzberg 2012b: 489, Herv. D. I. Ebd.: 488, Herv. D. I. Herzberg 2012b: 501. Die Psychologin Anna Leszczynska-Koenen (2013: 288) wendet zu Recht ein, sie sei »nicht kompetent«, zu beurteilen, »wie sich die erogenen Zonen des männlichen Gliedes prozentual« verteilen. »Doch angesichts der vielen Millionen beschnittener Männer in der Welt, die sich samt ihren Partnerinnen eines lustvollen Sexuallebens erfreuen«, erscheine das Bild, das Herzberg zeichne, abwegig.

4. Wiederkehrende Motive »‚Beschneidung‘ dient der ritualisierten sexualisierten Demütigung von Jungen mit dem Zweck, ihr sexuelles Empfindungsvermögen zu beschränken und Geschlechtlichkeit mit Angst und Beschämung zu verknüpfen. Und zwar so früh wie möglich.«1505

Und auch R. Wackermann geht verschwörungsideologisch davon aus, dass Juden und Muslime noch andere und im Verborgenen liegende Gründe für eine Vorhautbeschneidung hätten, als religiöse. Unter der Überschrift Beschneidung als Machtdemonstration? fragt er negativ beurteilend: »Mich würde ‘mal interessieren, was denn - ausser den (vorgeschobenen?) religiösen Gründen - andere Gründe für die Beschneidung sein könnten. In der Psychologie gibt es ziemlich klare Aussagen dazu, wenn sich Erwachsene gewaltsam an Geschlechtsorganen von Kindern vergehen und diese Verstümmeln.«1506

Die Vorstellung, Erwachsene »vergingen« sich mit der Beschneidung an Säuglingen/Jungen, kann eine sexuelle Konnotation haben. Denn neben der Bedeutung »jemandem Gewalt antun« ist ein weiteres Synonym für »vergehen« im Zusammenhang mit einer Norm, gegen die verstoßen wird, »an jemandem ein Sexualverbrechen begehen«. Exemplarisch für einen Betroffenenbericht, der die Beschneidung mit einem stark veränderten sexuellen Erleben beziehungsweise mit einer »sexuelle[n] Verstümmelung« in Verbindung bringt, ist der Artikel Im Bett mit und ohne von Niels Juel in der taz sowie das Interview mit dem Beschneidungsgegner U. R.1507 Juel berichtet aus eigener Erfahrung und generalisiert, durch die Beschneidung sinke die »Empfindlichkeit des Mannes dramatisch«. Er ließ sich als Erwachsener auf Wunsch seiner mutmaßlich jüdischen Freundin beschneiden, obwohl er zuvor der Beschneidung entkommen sei, die sein jüdischer Vater nicht hatte durchführen lassen. Er schreibt, seine Erfahrung verabsolutierend: »Wenn wir indes die religiöse und politische Rhetorik beiseite lassen, bleibt die Beschneidung von Jungen so schlicht wie klar eine sexuelle Verstümmelung. Ich

____________________ 1505 1506 1507

Oetken 2012b. Wackermann 2012, Schreibweise i. Orig., Herv. D. I. Ähnliche Ausführungen finden sich auch in der Publikation von Bergner (vgl. Bergner 2015: 72ff.).

351

4. Wiederkehrende Motive weiß das, weil ich selbst als Erwachsener beschnitten worden bin. Ich hatte ein Sexualleben vor meiner Beschneidung und habe eins danach – ich kann vergleichen.«1508

Nach seiner Beschneidung sei er am Penis weniger empfindlich gewesen, weswegen er länger, aber nicht mehr »sanft« und »langsam« Sex haben konnte. Auch das »überschäumende, sprudelnde Gefühl beim Orgasmus« sei nach der Beschneidung nicht mehr vorhanden gewesen.1509 Sein Bericht wurde anerkennend im Beschneidungsforum aufgenommen. Zahlreiche Männer und Frauen berichteten, dass sie sich den geschilderten Erfahrungen anschließen könnten, und versicherten, endlich offen über dieses bisher verschwiegene Problem sprechen zu wollen.1510 Ebenso heißt es auf der Internetseite beschneidung-von-jungen.de1511, »die Beweise dafür, dass die Beschneidung die menschliche sexuelle Reaktion und Funktion schädigt, sind nun umfassend und eindeutig«.1512 In dem Interview mit U. R., der als Junge aus medizinischen Gründen beschnitten wurde, geht es um Aspekte der Sexualität, die »durch die Vorhautamputation [zerstört]«1513 wurden, und den »funktionellen Verlust«.1514 Schon als Jugendlicher habe er sich immer »eben unvollständig, also unvollständig […] gefühlt« und »immer andere beneidet, die vollständig waren, ich fühlte mich immer unvollständig«.1515 Er habe sich gewünscht, »einfach […] wie ein gesunder normaler Mann«1516 auszusehen, weswegen

____________________ 1508 1509 1510 1511

1512 1513 1514 1515 1516

352

Juel 2012, Herv. D. I. Ebd. Vgl. Beschneidungsforum 2012; vgl. Bergner 2015: 72ff. Die Internetseite existiert seit 2010. Das Ziel der Betreiber ist nach eigenen Angaben »ein strafbewehrtes Verbot der Beschneidung von Jungen«. Um dieses Ziel zu erreichen, setzen sie auf Aufklärung, wozu sie auch ethische Diskussionen zählen (vgl. beschneidung-von-jungen.de o.J.b). Teil der Internetseite ist auch das Beschneidungsforum, in dem sich alle austauschen können, die direkt oder indirekt von Beschneidung negativ betroffen sind. Außerdem »können sich hier Menschen aktiv einbringen, die sich für das Thema Vorhautamputation interessieren« (Beschneidungsforum o.J.c). beschneidung-von-jungen.de o.J.a, Herv. D. I. U. R. 2014: Z. 154. Ebd.: Z. 225. Ebd.: Z. 161ff. Ebd.: Z. 276f.

4. Wiederkehrende Motive

er auch mit wiederherstellenden Maßnahmen begann.1517 Gerade diese Ausführungen zeigen, wie sehr der Kontext, in dem die Beschneidung stattfindet, eine Bedeutung für das Erleben der Betroffenen hat. Für U. R. ist die Beschneidung nicht die Norm, sondern etwas, das mit Krankheit und Unvollständigkeit verbunden ist. Sein Vergleichspunkt waren unbeschnittene Männer, die er um ihre Vorhaut beneidete. Zugleich war er aber auch mit zahlreichen Männern konfrontiert, die mit ihrer Beschneidung sehr zufrieden sind und das Beschnittensein in seiner Perspektive fetischisieren.1518 Der Beschneidungsgegner B. A. geht im Interview wiederum auf das Motiv der eingeschränkten Sensitivität des beschnittenen Penis ein und bezieht sich damit unter anderem auf die Erfahrungen von U. R.1519 Er geht verallgemeinernd davon aus, das sexuelle Feingefühl beziehungsweise die Empfindsamkeit des Penis gehe durch Beschneidung verloren. Zunächst berichtet er davon, in der DDR aufgewachsen und trotz Phimose nicht beschnitten worden zu sein, weil das Gesundheitssystem darauf ausgelegt war, Kosten zu sparen. Er habe daher »Glück gehabt« und sei »quasi dem Messer von der Schippe gesprungen, dem Chirurgen von der Schippe gesprungen«.1520 In der Folge kommt er auf die veränderte Sexualität von Beschnittenen zu sprechen und pauschalisiert: »A: Und äh, da sozusagen dieser Kelch ist an mir auch ganz knapp vorbeigegangen. Ich hatte das vorhin kurz angedeutet, ne, dass äh mehr oder weniger ein Glücksfall ist, ob man als Erwachsener eine Vorhaut haben darf oder nicht. F:

Ja.

A:

Und äh ich (würde sie sehr missen).

F:

Mhm.

A:

Und ich denke, meine Partnerin auch (lacht).

F:

Mhm.

____________________ 1517

1518 1519 1520

U. R. ist Teil der Bewegung zur Wiederherstellung der Vorhaut. Das bedeutet, er nutzt Gewichte und »Geräte zum Dehnen der Resthaut, um eben wieder – zumindest die natürliche Physiologie also einer, eines Innengewebes herzustellen«. Der Prozess dauert mehrere Jahre. Sein Ziel ist, dass »die Eichel wieder bedeckt ist« und »falls man noch Reste der inneren Vorhaut hat, die dann eben auch wieder [zu] resensibilisieren« (U. R. 2014: Z. 248ff.). U. R. 2014: Z. 392ff., 198. Vgl. B. A. 2014: Z. 350ff. Ebd.: Z. 1183ff.

353

4. Wiederkehrende Motive A:

Also das ist eben das Ding, das ist der zweite Aspekt dabei, dass die - ich bin ja jetzt erst Ingenieur, ne, und da gibt es einen Begriff, das ist Impedanz. Wenn zwei Dinge, zwei Geräte elektrisch zueinander passen, dann haben sie die richtige Impedanz

F:

Mhm.

A:

Und äh ansonsten können quasi zum Beispiel elektronische Geräte nicht kommunizieren, wenn die Impedanz nicht stimmt

F:

Okay

A:

Dann kommt das Signal einfach nicht durch

F:

Mhm

A:

Und ich denke, das ist wie bei so einem Dialog, so, wenn man die falschen Wörter benutzt oder der andere ein anderes Vokabular hat, dann können sie sich mit dem auch nicht verständigen. So ein Impedanz-Mismatch. Und ich stelle mir halt vor, wenn eben, (wenn der Penis) so extrem desensibilisiert ist, dann ist da eben auch so ein Mismatch der Empfindlichkeit der Geschlechtsorgane, der eben dann auch, wenn man eben Sexualität auch als Dialog wahrnimmt, eben dann diesen Dialog stört

F:

Mhm

A:

Und damit die Paarbeziehung eigentlich stört – und wenn nicht sogar zerstört

F:

Ja

A:

Also ist meine, meine Vorstellung dazu. (Das) ist (die) Sache mit meinen theoretischen Überlegungen, die ich dazu hatte und äh, die sich dann bestätigt haben

F:

Ja

A:

In den Unterhaltungen mit den Betroffenen also.«1521

B. A. stellt sich Sexualität sehr technisch und zugleich wie einen Dialog oder eine Kommunikation vor, die nicht mehr funktioniere, wenn der Penis beschnitten ist. Er zieht sogar die Möglichkeit in Betracht, ein beschnittener Penis beziehungsweise der Sex mit einem beschnittenen Mann störe oder zerstöre die Paarbeziehung. Als Ausgangspunkt für diese Sichtweise gibt er die Unterhaltung mit Betroffenen an, die seine Überlegungen zum Beschnittensein dahingehend bestätigten. B. A. ist im MOGiS e.V. mit Män-

____________________ 1521

354

B. A. 2014: Z. 1193–1222.

4. Wiederkehrende Motive

nern aktiv, die aus medizinischen und aus kulturell-religiösen Gründen beschnitten wurden.1522 Seine Sichtweise von der inkompatiblen und gestörten Sexualität ist für ihn zentral, weswegen er die Urologin Antje Yael Deusel, die argumentierte, die Masturbationsfähigkeit werde durch eine Vorhautbeschneidung nicht eingeschränkt, stark kritisiert.1523 Zwar gibt es auch in seinen Augen Männer, die mit ihrer Beschneidung zufrieden sind. Dennoch stellt er negativ bewertend fest: »aber ich denke auch, wenn man nie eine Vorhaut gehabt hat, dann weiß man auch nicht, was man verlieren würde«.1524 Seine Ausführungen sind abstrakt gehalten, weder spricht er von der Sexualität von Juden und Muslimen noch von einem jüdischen oder muslimischen Kontext. In dem Interview mit dem Mediziner J. F., der am Jüdischen Krankenhaus in Berlin arbeitet, geht es ebenfalls um die Frage der Sensibilität des beschnittenen Penis. Auch er erläutert, dass die Beschneidung die Sensibilität des Penis verändert, er stellt aber im Gegensatz zu Schäfer/Stehr, Süss/Eppelsheim, Merkel, Herzberg, Juel, U. R. und B. A. infrage, dass dies zum Nachteiligen sei. Das bedeutet, seine Bewertung des Umstandes ist neutral und im Ergebnis daher gänzlich anders konnotiert: »A: Es gibt eher die Hypothese, dass Männer ähm, Männer, die beschnitten sind, nicht so schnell zum Orgasmus kommen. F:

Ja.

A:

Und damit sozusagen länger vielleicht sogar Sex mit jemandem, mit einer Frau haben könnten, ja.

F:

Mhm.

A:

Diese Hypothese, und die glaube ich noch am ehesten, ehrlich gesagt ja.

F:

Mhm.

A:

Ist natürlich so, wenn es Vorhaut nicht mehr geschützt ist, dann können Sie sich vorstellen, dass sich dort einiges an der Haut verändert und auch an der Sensibilität.

F:

Mhm.

____________________ 1522 1523 1524

Vgl. ebd.: Z. 465ff. Vgl. ebd.: Z. 1185ff. Ebd.: Z. 1193–1195.

355

4. Wiederkehrende Motive A:

Ja, und das halte ich auch für ganz normal. Und das ist ein, es ist einfach so ein Entwicklungsprozess, wie sie sich verletzen, dann vernarbt irgendwo was und dann - verändert sich da was, ne.

F:

Mhm.

A:

Aber ob das zum Nachteil ist? Also das, das wüsste ich nicht, also da gibt es, glaube ich, wirklich keine Daten zu.

F:

Mhm, ja.«1525

Die Stellungnahme des Generalsekretärs des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan J. Kramer, fällt ähnlich wie die von J. F. aus und steht im Gegensatz zum Motiv der geschädigten Sexualität. In der Erklärung Warum beschneiden Juden ihre Kinder? von 2012 heißt es, die Beschneidung habe »keine negative Auswirkung auf die sexuelle Funktionsfähigkeit eines Mannes oder die Befriedigung der Sexualpartner«.1526 In der Expertenanhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages am 26. November 2012 in Berlin, wiederholte Kramer: »Auswirkungen auf das sexuelle Erleben bzw. den Verlust der sexuellen Leistungsfähigkeit sind nicht bekannt«.1527 Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman A. Mazyek, positionierte sich in seiner Erklärung zum Aspekt der Sexualität hingegen nicht.1528 Eine weitere Argumentation, die Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen äußerten, lautet, die Vorhautbeschneidung sei dazu eingeführt worden, die männliche Sexualität einzuschränken und Masturbation zu kontrollieren und zu verhindern. Einerseits wird damit auf einen Aspekt der historischen Entstehungsgeschichte besonders in den USA verwiesen, wo die Beschneidung ein »Zeichen der Hygiene«1529 ist, andererseits wird dieser Aspekt auf die Gegenwart und nach Deutschland übertragen und so verallgemeinert. Der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer betont in seinem SZ-Gastkommentar »Beschneidung ist nicht harmlos«, die Beschneidung von Neugeborenen in den USA sei eingeführt worden, um die »in der

____________________ 1525 1526 1527 1528 1529

356

J. F. 2014: Z. 410–427. Kramer 2012a. Kramer 2012b. Vgl. Mazyek 2012. Gilman 1997: 173.

4. Wiederkehrende Motive

prüden viktorianischen Gesellschaft verpönte Masturbation zu erschweren«. Der Siegeszug dieser – die Masturbation erschwerenden – Praktik habe zwar auch in Großbritannien, Kanada, Australien, Neuseeland und Südafrika stattgefunden, in den USA aber sei der Siegeszug »triumphal« gewesen, da in den 1970er Jahren »mehr als 90 Prozent der weißen Bevölkerung beschnitten waren«.1530 Zwar verweist Schmidbauer neben diesem auch auf andere mögliche Gründe für eine Vorhautbeschneidung in den USA, wenn er schreibt, sie werde »aus ‚hygienischen‘ Gründen« durchgeführt. Die Anführungszeichen um hygienisch verdeutlichen aber, dass für Schmidbauer dieser Grund nur ein sogenannter beziehungsweise kein akzeptabler ist und das hygienische Argument keinen wirklichen Grund darstelle. Entsprechend schreibt er, »[d]ie ‚hygienischen‘ Rechtfertigungen« seien »durchsichtige Vorwände«, die »einen Brauch legitimieren«, in dem sich »ein angespanntes Verhältnis zur Sexualität« ausdrücke.1531 Diejenigen, die in ihrem Erleben die Vorhautbeschneidung nicht als negativ und sexuelle Beeinträchtigung empfinden, scheinen entsprechend umso geschädigter zu sein, da sie sich mit »dem Angreifer« identifizieren würden: »Dass manche dieser Opfer die Beschneidung als sexuelle Bereicherung und hygienische Notwendigkeit propagieren, steht für die Identifikation mit dem Angreifer, die sich bei vielen Traumatisierten beobachten lässt. Sie führt auch zu der merkwürdigen Zähigkeit, mit der Kulturen und Religionen an qualvollen Ritualen festhalten. Ein Lehrbeispiel ist die grausame Genitalverstümmelung, mit der afrikanische Mütter ihre Töchter zu ‚richtigen‘ Frauen zu machen behaupten.«1532

Die Textpassage verdeutlicht, dass Schmidbauer beschnittenen Männern positive Erfahrungen mit dem Beschnittensein einerseits abspricht und ihre Erfahrungen andererseits kollektiv als krankhaft bewertet. Sie zeigt zudem, dass Perspektiven auf Sexualität beziehungsweise die Diagnose »sexuelle Störung« durch gesellschaftliche und kulturelle Normen geprägt sind und davon abhängen, in welchem gesellschaftlichen Kontext, zu welcher Zeit und zu wem unter welchen Umständen gesprochen wird.1533 Schmidbauer macht seine Diagnose »sexuelle Störung« am Trauma der Beschneidung fest, projiziert sie auf die Erfahrung der Beschneidung zurück und bringt sie ____________________ 1530 1531 1532 1533

Schmidbauer 2012. Schmidbauer 2012. Ebd. Vgl. Sigusch 2013: 475.

357

4. Wiederkehrende Motive

darüber hinausgehend mit der weiblichen Genitalverstümmelung in Zusammenhang.1534 Auch der Arzt Gil Yaron, der sich selbst als jüdisch identifiziert, setzt sich in Unsere seltsame Tradition in der FAZ mit der Vorstellung auseinander, die Vorhautbeschneidung diene der Kontrolle der Sexualität. Grundsätzlich fragt er sich in seinem Gastkommentar, ob er seinen zukünftigen Sohn beschneiden lassen soll. Auf der Suche nach gegenwärtigen wie historischen Gründen für eine Vorhautbeschneidung kommt er auf den »berühmte[n] mittelalterliche[n] Arzt und Gelehrte[n] Moses Maimonides« zu sprechen, der bereits im 12. Jahrhundert geschrieben hatte, bei der Beschneidung gehe es darum, das sexuelle Verlangen des Mannes und den Geschlechtsverkehr auf ein Minimum zu reduzieren.1535 Die Idee, »[k]eine Vorhaut, keine Ausschweifungen« möchte Yaron als Begründung für die Vorhautbeschneidung seines Sohnes jedoch nicht gelten lassen, weswegen er sie verwirft.1536 Die Urologin Antje Yael Deusel weist in Bezug auf die Interpretation von Maimonides auf einen Aspekt hin, den Yaron nicht weiter kontextualisiert. Sie plädiert dafür, den Entstehungszusammenhang seiner Schrift mitzubedenken. Ihm sei es nicht um die »Einschränkung des sexuellen Empfindens« gegangen, sondern er habe postuliert, Männer sollten sich auf die Vervollkommnung des Geistes konzentrieren. Damit sei er den »antijudaistischen Tendenzen seiner Zeit« begegnet, die Juden mit einer »sexuelle[n] Zügellosigkeit« in Verbindung gebracht hatten.1537 Mit dem Hinweis, die Beschneidung habe den Zweck, Masturbation zu erschweren, beziehen sich Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen »[k]ulturgeschichtlich gesehen« auf das »alte Motiv der Masturbationsverhinderung«.1538 In einem Beitrag von 2012 zum Kölner Landgerichtsurteil fassen die Politikwissenschaftlerin Nina Scholz und der Historiker Heiko Heinisch stichwortartig zusammen, warum sich die Beschneidung in den USA verbreiten und durchsetzen konnte. Im 18. Jahrhundert habe der ____________________ 1534 1535 1536 1537 1538

358

Zum Vergleich mit weiblichen Genitalverstümmelungen siehe 4.3. Benachteiligung. Maimonides zit. n. Yaron 2012b. Auf diese Weise interpretiert auch der jüdischisraelische Beschneidungsgegner Eran Sadeh die Aussage von Maimonides (vgl. Sadeh 2012). Vgl. Yaron 2012b. Deusel 2012c. Scholz/Heinisch 2012.

4. Wiederkehrende Motive

Schweizer Arzt Samuel Auguste Tissot vor den negativen Folgen der Masturbation gewarnt und die Beschneidung »als probates Gegenmittel« ausgegeben.1539 Diese Argumentation sei in den USA im Verlauf des 19. Jahrhunderts, etwa vom Arzt Athol A. W. Johnson, aufgegriffen worden, im Verlauf des 20. Jahrhunderts verband sich die Vorstellung der Masturbationsverhinderung mit hygienischen Argumenten. Der Historiker Klaus Hödl geht auf die Frage, warum sich die Beschneidung als medizinische Praktik in den USA ausbreiten konnte, ausführlicher ein. In der Monografie Gesunde Juden – kranke Schwarze rekonstruiert er auf der Basis von medizinischen Fachartikeln den Diskurs über Körperbilder von Schwarzen und Juden zwischen den 1840er und 1920er Jahren.1540 Gerade in der Mitte des 19. Jahrhunderts galt die Beschneidung in Deutschland unter Medizinern nicht nur als Maßnahme gegen die Übertragung von Geschlechtskrankheiten, wie beispielsweise Syphilis, sondern auch als therapeutische Maßnahme gegen Masturbation.1541 Neben der religiös-rituellen Begründung sei diese ergänzende medizinische Sichtweise »sehr wichtig« gewesen.1542 Besonders in den USA seien Mediziner davon ausgegangen, die Beschneidung heile Onanie, weswegen sie sie zu diesem Zweck instrumentalisierten.1543 Die Begründung lautete, die Beschneidung vermindere die Empfindlichkeit des Penis, wodurch die sexuelle Erregbarkeit des Jugendlichen/Mannes abnehme und er von seiner Selbstbefriedigung absehe.1544 Bei der im Jahr 1900 stattfindenden Jahresversammlung der »American Association of Orificial Surgeons« in Chicago sei der Behandlungserfolg eines Arztes McFarland diskutiert worden, der einen Achtzehnjährigen von seiner Masturbation »geheilt« habe.1545 Da die gesellschaftliche Furcht vor den Folgen der Masturbation im 19. Jahrhundert besonders in den USA »enorm« gewesen war, sei die Beschneidung gerade dort populär geworden.1546

____________________ 1539 1540 1541 1542 1543 1544 1545 1546

Ebd. Hödl 2002: 10f. Vgl. ebd.: 266f. Ebd.: 267. Vgl. ebd.: 268. Vgl. Hödl 2002: 269. Ebd.: 268. Ebd.: 269.

359

4. Wiederkehrende Motive

Mit einer ähnlichen Perspektive verweist auch der Medizinhistoriker Robert Jütte darauf, dass die Medizinalreferenten des Großherzoglichen Ministeriums in Baden 1882 ein Gutachten erstellten, in welchem sie die Beschneidung »als Erschwerung und deshalb Abschwächung des Lasters der Onanie« bezeichneten.1547 Gegenwärtig sei die Annahme unter Medizinern/Medizinerinnen nicht mehr verbreitet, eine Vorhautbeschneidung verhindere Masturbation, da Selbstbefriedigung weitgehend nicht mehr als Problem angesehen werde. Eine Ausnahme seien konservative christliche und jüdisch orthodoxe Kreise, in denen die Masturbation nach wie vor »als sündhaftes Verhalten gebrandmarkt« werde.1548 In der Kontroverse findet sich die Vorstellung, die Vorhautbeschneidung werde auch derzeit als geheime Maßnahme eingesetzt, um die Masturbation von Jungen/Männern einzuschränken. Dies kommt besonders in OnlineKommentarspalten von Tageszeitungen und in Beiträgen auf diversen Blogs zum Ausdruck. In der ZEIT schreibt die Leserin Angelika Oetken betrübt und entrüstet: »‚Beschneidung‘ dient der ritualisierten sexualisierten Demütigung von Jungen mit dem Zweck, ihr sexuelles Empfindungsvermögen zu beschränken und Geschlechtlichkeit mit Angst und Beschämung zu verknüpfen. Und zwar so früh wie möglich.«1549

Auf Verfassungsblog.de schreibt Dirk Brixius empört über die Vorhautbeschneidung am »Kleinkind«: »Die zwangsweise Teilamputation am Geschlechtsorgan, mit dem Ziel, die Fähigkeit des Opfers zur Masturbation einzuschränken, ist doch wohl ein Anschlag auf die Menschenwürde des Betroffenen!«1550

In einem anderen Online-Kommentar auf Alles Evolution, einem Blog, auf dem sich unter anderem Männerrechtler austauschen, schreibt »gedankenwerk« in aufklärerischem Ton: »Ich finde es unter dem Aspekt, dass quasi mit der Beschneidung Masturbation eingeschränkt werden soll, interessant. Da die großen Religionen dahingehend ja alle entsprechende Tabus und Vorkehrungen haben.«1551

____________________ 1547 1548 1549 1550 1551

360

Jütte 2016: 243; vgl. Jütte 2012: 173f. Ebd.: 244. Oetken 2012b, Herv. D. I. Brixius 2012. gedankenwerk 2012.

4. Wiederkehrende Motive

An anderer Stelle ergänzt der Leser Imion, die Beschneidung schränke nicht nur die Masturbation ein, sondern »zerstöre« die männliche Sexualität.1552 Wenngleich Brixius, »gedankenwerk« und Imion nicht explizit von einer »eingeschränkten« oder »zerstörten« Sexualität von jüdischen und muslimischen Männern sprechen, suggerieren ihre Online-Kommentare jedoch, dass sie der Gruppe angehören würden, die im sexuellen Erleben beschädigt worden sei. Ein anderer Kommentar auf der Internetseite Alles Evolution von »wanderer am wege« bringt die durch Beschneidung beschädigte Sexualität hingegen explizit mit jüdischen Männern beziehungsweise mit einem Opfer, das Juden erbringen müssten, in Verbindung und schreibt dramatisierend: »Das passt perfekt zu den mythischen Erklärungen, die gerade die jüdische Religion dazu liefert: Beschneidung als Zeichen der Unterwerfung unter den Stammesgott. Der Pakt mit dem Oberpatriarchen erfordert das Teilopfer der eigenen Sexualität, die angeblich Unfrieden stifte. Als Gegenleistung gibt es die mystische und praktische Verbundenheit mit dem ‚auserwählten Stamm‘.«1553

In diesem Online-Kommentar ist die Sexualität der Preis, den jüdische Männer für ihre Zugehörigkeit zum »auserwählten Stamm« zahlen müssten, da sie anderweitig kein Teil der jüdischen Religion werden könnten. Die religiöse Glaubensattributierung, »ein auserwähltes Volk zu sein«, wird aufgegriffen, Juden werden als exklusiv charakterisiert und erhalten so eine Sonderstellung.1554 Die Vorstellung einer eingeschränkten und unzufriedenen Sexualität von Beschnittenen, die Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen vereinzelt medial vermittelt in der Kontroverse um kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen äußerten, liegt zunächst scheinbar konträr zum antisemitischen Topos der »triebhafte[n] jüdische[n] Sexualität, die vor allem auf deutsche, d.h. nichtjüdische Mädchen abzielte« und im 19. und 20. Jahrhundert weit verbreitet war.1555 In der »kritischen Glosse« Legenden vom Blut – Bemerkungen zur Beschneidungsdebatte kommentiert die Psychologin Anna Leszczynska-Koenen Spekulationen und Projektionen über eine jüdische männliche Sexualität. Sie ruft in Erinnerung, dass sich antisemitische ____________________ 1552 1553 1554 1555

Imion 2012. wanderer am wege 2012, Herv. D. I. Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 74. Halbinger 2012: 125.

361

4. Wiederkehrende Motive

Projektionen zwischen dem 19. Jahrhundert und der Gegenwart veränderten. Die gegenwärtig in der Kontroverse vorkommende Behauptung »einer bleibenden sexuellen Beeinträchtigung« fuße gewissermaßen auf dem antisemitischen Bild des 19. und 20. Jahrhunderts, welches dem Juden zwar »männliche Tugenden abgesprochen und ihn effeminiert, also kastriert gezeichnet [habe], ihm aber zugleich Lüsternheit und Hypersexualität« unterstellte. Das Motiv vom lüsternen Juden, »der unschuldige arische Mädchen schändet«, fand besonders während des Nationalsozialismus in Filmen wie Jud Süß »seinen populären Ausdruck«. Nichtjuden konnten demgemäß »die verpönte Triebhaftigkeit auf den lüsternen Juden« projizieren.1556 Leszczynska-Koenen zufolge haben beschnittene Männer in der gegenwärtigen Kontroverse – worunter »nicht nur Juden und Muslime, sondern auch zwei Drittel aller amerikanischen Männer« fallen – in den Augen von Nichtbeschnittenen »ein vermindertes Lustempfinden und Orgasmusschwierigkeiten«.1557 Zwar schreibt Leszczynska-Koenen nicht, die antisemitische Vorstellung des triebhaften Juden existiere gegenwärtig nicht mehr, sie fokussiert allerdings besonders auf die Vorstellung der durch die Beschneidung eingeschränkten Sexualität. Das Motiv der »beschädigten« Sexualität kommt in der medial und wissenschaftlich geführten Kontroverse stark vor. Es findet sich jedoch auch die damit zusammenhängende gegenteilige Facette, die nicht verloren gegangen ist. Insbesondere auf rechten und verschwörungsideologischen Internetseiten wie Der Honigmann sagt artikulieren Schreibende die antisemitische Vorstellung der triebhaften, verdorbenen und verderbenden jüdi-

____________________ 1556

1557

362

Die Historikerin Johanna Gehmacher macht darauf aufmerksam, dass es in dieser vergeschlechtlichten Fantasie des rassistischen Antisemitismus nicht um einzelne Juden geht. Vielmehr habe sich die Vorstellung vom Juden »als Verführer/Vergewaltiger ‚deutscher/arischer Mädchen‘« oder das Bild vom »‚triebhaften‘ Juden« zu einer jüdischen Weltverschwörung hin verdichtet (Gehmacher 1998: 103). Nicht der einzelne Jude handele »getrieben«, sondern »ein planmäßiges und weltweit koordiniertes Handeln zur Vernichtung des ‚deutschen Volkes‘ mittels der ‚Vergiftung‘ seiner Frauen« stehe dahinter. An dieser Stelle sei »der ‚deutsche Held‘ ins Spiel« gekommen, »der in seinem Kampf gegen ‚die Juden‘ nicht nur eine einzelne Frau, sondern zugleich auch sein ‚Volk‘ rettet« (ebd.). Leszczynska-Koenen 2012: 1224.

4. Wiederkehrende Motive

schen Sexualität, deren Ursache die Vorhautbeschneidung sei. In einem Online-Kommentar von »hingeschaut ‚5 % Club‘« heißt es exemplarisch spekulierend: »Die Beschneidung bei den Juden hat einen bestimmten Grund und zielt auf die frühsexualisierte Dominanz der kleinen Jüdlinge ab…. Diese kleinen Jüdlinge sollen schon möglichst früh in der Lage sein mit ihrem beschnittenen Judenzipfel kleine Mädchen terrorisieren und unterdrücken zu lernen……«1558

Die Beschneidung von Juden sei Ausdruck einer gestörten und krankhaften Sexualpraktik. Weiter heißt es verleumdend: »Der Jude aber der für seinen Hang zur Abnormität bekannt ist,…und in dessen kranken Geisteshaltung das Weibchen zu unterdrücken ist,…. …war schon immer ein Freund von seltsamen Sexualpraktiken…so stört eine Vorhaut egal ob eng oder nicht,…zb. beim widernatürlichen Homo-Analverkehr doch ungemein….noch dazu wenn man es mit Vorliebe auf junge Knabenärsche abgesehen hat,….«1559

Anhand des Online-Kommentars lässt sich zeigen, dass Projektionen auf die jüdische Sexualität nach wie vor existent sind und an ihr etwa Frauenunterdrückung, Homosexualität und Pädophilie festgemacht werden. Auf diese Weise enthüllen sie sich als wahnhaft. Denn im weiteren Verlauf heißt es, der Jude vergewaltige dreijährige Mädchen, wie es »in den heiligen Schriften der Juden […] gefordert« werde, und führe »widernatürlichen Analexperimente unter Brüdern…zum Zwecke der Dominanzübung…aus«.1560 Muslime kommen in dem Online-Kommentar im Gegensatz zu Juden hingegen nur an einer Stelle kurz vor. Sie seien »einfach nur doof« und hätten die Beschneidung als »Mode« eingeführt, um »der mangelnden ärztlichen Versorgung auf dem Land vorzubeugen« und ihre sexuellen Praktiken mit Tieren zu tarnen.1561 Wenngleich die Projektion auf die Sexualität von Muslimen geringer ausfällt, schließt der Kommentar damit, beiden Religionen zu unterstellen, mit der Beschneidung »die ganzen Schweinerein und widernatürlichen Praktiken zu verschleiern«.1562

____________________ 1558 1559 1560 1561 1562

hingeschaut ‚5 % Club‘ 2012. Ebd., Schreibweise i. Orig. hingeschaut ‚5 % Club‘ 2012. Ebd. Ebd.

363

4. Wiederkehrende Motive

Susannah Heschel1563 weist darauf hin, dass sich in der antisemitischen Literatur des 19. Jahrhunderts, aber auch in gegenwärtiger Literatur eine geschlechtliche Ambivalenz in Bezug auf männliche Juden ausdrückt: Der Jude wird als »abnormer Mann« und zugleich als »sexbesessenes Raubtier« imaginiert.1564 Diese Ambivalenz des Judenbildes sei durch jüdische Religionsbräuche verstärkt worden. Obwohl Heschel die Vorhautbeschneidung als jüdische kulturell-religiöse Praxis an dieser Stelle nicht explizit nennt, kann anhand des Online-Kommentars von »hingeschaut ‚5 % Club‘« gezeigt werden, dass ambivalente Zuschreibungen gegenüber beschnittenen jüdischen Männern nach wie vor gesellschaftlich fortleben. In diese Richtung argumentiert auch Monika Halbinger. In ihrer Analyse der deutschsprachigen Berichterstattung über das Jüdische und das Judentum in den Wochenzeitschriften ZEIT, Stern und Spiegel zwischen 1946 und 1989 weist sie darauf hin, dass sich traditionelle antisemitische Ressentiments medial bis in die Post-Holocaust-Zeit konservierten. Beispielhaft geht sie auf einen Artikel von 1977 ein, der im Stern erschienen ist und in dem behauptet wurde, jüdische heranwachsende Männer würden »ihre ersten sexuellen Erfahrungen« besonders mit nichtjüdischen Mädchen, also »einer Schickse machen«.1565 Denn »deutsche Mädchen« seien aufgrund des Umstandes, dass jüdische heranwachsende Männer beschnitten sind, »neugierig« und »leichter dafür [für Sex, D. I.] zu haben« als jüdische Mädchen. Jüdische Männer würden wiederum davon profitieren, da sie »nicht ständig zu befürchten« hätten, »zu einer Frühehe gedrängt zu werden«. Ihren Familien sei es »insgeheim recht«, da sich »der Junge austoben und die jüdischen Mädchen ‚sauber‘ halten« würde.1566 Zwar ist der Artikel, wie Halbinger herausstellt, im Vergleich singulär, da die Vielzahl der Artikel in den untersuchten Zeitungen in den 1970er Jahren davon handelte, dass Juden Deutsche finanziell »ausnutzen« würden.1567 Dennoch lässt sich ihre Analyse im Kontext der Beschneidungskontroverse heranziehen, da sie zeigt, »wie antisemitische Vorstellungen« situativ »immer wieder revitalisiert werden ____________________ 1563 1564 1565 1566 1567

364

Sie ist Professorin für Jüdische Studien am Dartmouth College in den USA und arbeitet auch als Autorin. Heschel 1998: 86. Zit. n. Halbinger 2012: 125. Zit. n. ebd. Halbinger 2012: 124.

4. Wiederkehrende Motive

können«1568 beziehungsweise, wie oben angeführt, ins Wahnhafte gesteigert werden. Vereinzelt brachten Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen die Vorhautbeschneidung in der Kontroverse mit einer »sexualtraumatische[n] Erfahrung«, »sexueller Gewalt« und »sexuellem Missbrauch« in Verbindung. In dem in der FAZ erschienenen offenen Brief des Psychoanalytikers Matthias Franz und zahlreicher Mitunterzeichnender heißt es, in »diesem Zusammenhang kann die Religionsfreiheit kein Freibrief zur Anwendung von (sexueller) Gewalt gegenüber nicht einwilligungsfähigen Jungen sein«.1569 Zwar verdeutlichen die Klammern, dass das »sexuell« nicht zwangsläufig sei, zugleich heben die Klammern das »sexuell« aber auch hervor, da es als Zusatz vom übrigen Text abgegrenzt ist. Die Klammern verweisen nicht auf irgendeine, sondern auf eine spezifische Form der Gewalt. Der Terminus »sexuelle Gewalt« lässt unterschiedliche Assoziationsräume aufkommen. Sexuelle Gewalt könnte eine Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung, aber auch Kindesmissbrauch bedeuten. Klar ist, dass es sich bei allem um einen Straftatbestand nach dem deutschen Strafgesetzbuch (StGB) handelt.1570 Bedeutsam ist, dass Franz die in zahlreichen Variationen vorkommenden Begriffe wie »sexualtraumatische Erfahrung«1571, »sexuelle Gewalterfahrung«1572, »sexuelle[s] Traumata«1573 und »sexuelle Gewalt«1574 nicht näher definiert. Es könnte sich also einerseits bei der Vorhautbeschneidung um »sexuelle Gewalt« handeln, da eine Verletzung des Penis als Geschlechtsorgan stattfindet, das für die männliche Sexualität eine Rolle spielt. »Sexuelle Gewalt« wäre dann ein Synonym für einen Eingriff in die sexuelle ____________________ 1568 1569 1570

1571 1572 1573 1574

Ebd.: 126. Franz 2012a. Die Regelungen zur sexuellen Gewalt finden sich im 13. Abschnitt des StGB und umfassen die Paragrafen 174–184. In Paragraf 177 StGB ist die sexuelle Nötigung und Vergewaltigung als Straftat festgeschrieben, in Paragraf 176 StGB der sexuelle Missbrauch von Kindern und in Paragraf 174 StGB der sexuelle Missbrauch von Schutzbefohlenen. Franz 2006: 125. Ebd.: 126. Ebd.: 128. Franz 2012a.

365

4. Wiederkehrende Motive

Selbstbestimmung, sexuell bedeutet dann auf die Sexualität bezogen. Eine solche Interpretation passt etwa zum Kontext der Aussage, da Franz auch »Gewalt im Genitalbereich von Mädchen« erwähnt. In dieser Perspektive stünde die Sexualität von Juden und Muslimen im Vordergrund. Die Vorhautbeschneidung wäre dann eine Praktik, die »das genitale Lustzentrum des Säuglings nachhaltig« beschädigt oder zerstört.1575 Darin spiegelt sich die Auffassung wider, dass der Besitz einer Vorhaut für die eigene sexuelle Empfindsamkeit generell unverzichtbar sei und nur durch sie eine ekstatische (genitale) Sexualität möglich sei.1576 Andererseits bezeichnet sexuelle oder sexualisierte Gewalt im öffentlichen Sprachgebrauch auch eine Machthandlung, die die sexuelle Autonomie von Frauen verletzt1577 und auch den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen umfasst.1578 Im Aktionsplan der Bundesregierung aus dem Jahr 2011 zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung wird betont, dass sexuelle Gewalt »nicht nur bei eindeutig als sexuell zu identifizierendem Körperkontakt zwischen Opfer und Täter statt[findet]«, sondern auch »sexuelle Handlungen mit indirektem oder ohne Körperkontakt« dazugehören.1579 Da es allgemein und für Gerichte schwierig sei, bestimmte Handlungen als sexuelle Gewalt zu identifizieren, müssten weitere Aspekte berücksichtigt werden1580, etwa das Machtgefälle zwischen Täter und Opfer, die Intention der Täter oder das Missbrauchsgefühl des Opfers. Die Opfer der sexuellen Gewalt sind im offenen Brief klar genannt. Es sind »gesunde[..], nicht einwilligungsfähige[..] kleine[..] Jungen«.1581 Die Täter handeln, Franz zufolge, auf der Basis ihrer Religionsfreiheit und verletzen die Opfer physisch und psychisch illegitim. Um eine Handlung überhaupt als sexuelle Gewalt klassifizieren zu können, ____________________ 1575 1576 1577 1578 1579 1580 1581

366

Höttemann 2011/12. Vgl. ebd. Vgl. Bitzker 2009: 10; vgl. Loetz 2012: 9ff., 27ff., 245; vgl. Lamnek/Luedtke/ Ottermann/Vogl 2012: 19, 116, 181ff.; vgl. Seidler 2013: 178. Vgl. Lamnek/Luedtke/Ottermann/Vogl 2012: 133ff.; vgl. FRA 2014b: 9ff.; vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (bmfsfj) 2011: 11f. bmfsfj 2011: 11. Unter sexueller Gewalt wird auch die Aufforderung eines Kindes, sexuelle Handlungen »an sich oder anderen vorzunehmen«, gefasst (ebd.). Vgl. ebd. Franz 2012a.

4. Wiederkehrende Motive

muss das Bestreben respektive die Intention des Täters seine Bedürfnisbefriedigung oder sexuelle Befriedigung sein.1582 »Sexuell« wird die Gewalt folglich durch die Empfindung des Täters. Genau diesen Assoziationsraum machen Franz und die Unterstützer/Unterstützerinnen auf, wenn sie kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen als »sexuelle Gewalt« beschreiben. Die (perverse) Lust der Täter liege darin, das Genital des Säuglings/Jungen zu beschädigen. Auf diese Weise wird die Vorhautbeschneidung in der jüdischen Religion als »Machtgeste« umgedeutet, die eine »Unterwerfung unter Gott« vollziehe.1583 Nun liegt die Assoziation nicht mehr fern, dass der Täter beziehungsweise kriminelle jüdische Beschneider mit sexueller Lust und Begierde den Säugling beschneidet (ihm »sexuelle Gewalt« antut) und auf diese Weise Befriedigung erhält. Gerade die Unklarheit, die mit der Verwendung des Terminus »sexuelle Gewalt« verbunden ist, lässt breite Assoziationsspielräume bei den Lesenden/Rezipierenden des offenen Briefes zu. In einem einzigen narrativen Interview mit Beschneidungsgegnern wird eine kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung mit einer »Vergewaltigung« in Zusammenhang gebracht.1584 Der Beschneidungsgegner L. A. spricht zunächst über die medizinisch begründete Vorhautbeschneidung, für die es einen legitimen Grund gebe: »das heißt also, es gibt Krankheitssymptome, Funktionsstörungen am Körper und die werden dann chirurgisch beseitigt, das ist okay«.1585 Von dieser grenzt er die kulturell-religiöse Praktik der Vorhautbeschneidung deutlich ab: »A: […] nur, wir reden ja wahrscheinlich über was ganz anderes […]. Da ging es einfach nur darum, dass irgendeiner ‘ne Idee hat und sagt dann muss der Penis teiltransplantiert werden oder die Vorhaut teiltransplantiert werden und erst dann ist es ein gläubiger Mensch. Da, dann hört’s, da hab ich überhaupt kein Verständnis für, weil dieser Mensch über seine Körperlichkeit gar nicht selbst bestimmen kann. Der kann auch religiös in vierzehn fünfzehn Jahren ganz anders eingestellt werden. Und der wird im Grunde hier vergewaltigt zu einer Religion eh verordnet, zu der er vielleicht gar nicht gehört. Der hat möglicherweise ein körperliches Trauma, ein seelisches Trauma«.1586

____________________ 1582 1583 1584 1585 1586

Vgl. Lamnek/Luedtke/Ottermann/Vogl 2012: 18, 51. Höttemann 2011/12. Vgl. Enosch 2012. Auch Gollaher verweist darauf, dass Beschneidungsgegner die Beschneidung als »Vergewaltigung des Penis« beschreiben (2002: 174). L. A. 2014: Z. 294ff. Ebd.: Z. 298–308.

367

4. Wiederkehrende Motive

Die Beschreibung, bei einer Beschneidung werde der Mensch »zu einer Religion [vergewaltigt]«, verwendet L. A. scheinbar synonym mit zu einer Religion »verordnet« werden. Er versteht darunter, dass der Säugling/Junge auf gewaltsame Weise den Interessen und Wünschen anderer unterworfen und dadurch seine sexuelle Selbstbestimmung eingeschränkt ist. Abgesehen von Franz verwenden Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen die Terminologie der »sexuellen Gewalt« als Charakterisierung für eine Vorhautbeschneidung zumindest in Artikeln in Tageszeitungen selten. Anders ist dies in Online-Kommentaren von Lesenden zu Artikeln in Tageszeitungen sowie auf dem Internetblog Zwangsbeschneidung.de. Dort heißt es häufig, die Vorhautbeschneidung sei »Missbrauch«, »sexueller Missbrauch« oder »schwere[r] sexuelle[r] Missbrauch«.1587 Eine Person, die sich HilmarHirnschrodt nennt, kommentiert etwa in der ZEIT empört: »es muss endlich Schluss sein mit diesem Unfug! Ausgerechnet die vorsätzliche Körperverletzung – also systematischer Missbrauch an kleinen wehrlosen Knaben aus religiösen Gründen soll jetzt in Deutschland sogar ausdrücklich legalisiert werden.«1588

In einem Online-Kommentar von Rainer Schweitzer in der FAZ heißt es darüber hinausgehend: »Stellt man sich außerhalb der immanenten Logik der fraglichen Religionsgemeinschaften, dann ist es [die Beschneidung, D. I.] ein besonders perverser sexueller Mißbrauch von Kindern. Wie anders wollten Sie das bezeichnen, wenn wildfremde Menschen sich an den Geschlechtsteilen von Kindern zu schaffen machen mit dem Ergebnis eines lebenslangen Sensibilitätsverlusts. Eine Klage bringt jedenfalls die Sensibilität nicht wieder. Davon abgesehen mag jeder für sich entscheiden, was er von einer Religion halten will, die derart auf die Verstümmelung der Geschlechtsteile ihrer Kleinkinder fixiert ist, daß damit ihr ‚religiöses Leben‘ angeblich erst möglich wird«1589

Zwar werden Juden und Muslime in beiden Online-Kommentaren nicht explizit genannt, sondern es ist von »religiösen Gründen« und »fraglichen Religionsgemeinschaften« die Rede. Klar ist jedoch, dass es um die Beschneidung geht, die für Juden/Jüdinnen und Muslime/Muslimas eine Bedeutung ____________________ 1587 1588 1589

368

Zwangsbeschneidung.de 2012a und 2013a. HilmarHirnschrodt 2012. Schweitzer 2012b, Schreibweise i. Orig.

4. Wiederkehrende Motive

hat. Auch auf dem Internetblog Zwangsbeschneidung.de charakterisiert der Verfasser eine Vorhautbeschneidung als »noch schwerer« wiegend »als die meisten Fälle des schweren sexuellen Missbrauchs«1590 und im Anschluss an Maciejewski als »[s]exuelle[s] Attentat«.1591 Der Verfasser auf Zwangsbeschneidung.de reißt das Zitat aus Maciejewskis Text zu Freud jedoch aus dem Kontext.1592 Im Zusammenhang mit spezifischen Vorstellungen über die jüdische Sexualität sprechen einige Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen auch über die Metzitza.1593 Die Metzitza bezeichnet den Bestandteil des Beschneidungsrituals, wenn Mohalim »Blut aus der Zirkumzisionswunde« entfernen.1594 Stephan J. Kramer führt in der Stellungnahme des Zentralrats der Juden bei der Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages aus, dass das Blut »entweder durch das Absaugen […] mit einem sterilen Glasröhrchen oder durch Abtupfen mit sterilem Verbandsmaterial«1595 geschieht. Unter dem Titel Der Kampf des Rabbis veröffentlichte der Redakteur Matthias Rüb in der FAZ einen Artikel, der sich – ohne dies kenntlich zu machen – über einige Passagen wie eine wortgetreue Übersetzung von Denouncing City‘s Move to Regulate Circumcision der Journalistin Sharon Otterman liest, der knapp einen Monat zuvor in der New York Times erschienen war.1596 In dem Artikel berichtet Rüb über ein »Randphänomen«, die Praktik der Metzitza, die er als Facette eines althergebrachten und fremden Rituals vorstellt, sowie über strengere Bestimmungen »des ultraorthodoxen Beschneidungsrituals« im New Yorker Stadtteil Brooklyn. Dort hatten die Mitglieder des New Yorker Gesundheitsausschusses im September 2012 einstimmig beschlossen, dass die Metzitza, die besonders »bei den ultraorthodoxen und einigen orthodoxen Gemeinden zum rituellen Pflichtprogramm der Beschneidung« gehöre, künftig nur mit der einwilligenden ____________________ 1590 1591 1592 1593 1594 1595 1596

Zwangsbeschneidung.de 2013a. Ebd. und Zwangsbeschneidung.de 2015a. Siehe hierzu 3.2.1. Freuds vermeintliches Trauma der Vorhautbeschneidung. In der Forschungsliteratur wird der Begriff unterschiedlich geschrieben. Deusel verwendet die Schreibweise Metzitza, Jütte Meziza und Gilman und Hödl wiederum Mezizah. Vgl. Jütte 2016: 246. Kramer 2012b: 8. Vgl. Otterman 2012.

369

4. Wiederkehrende Motive

Unterschrift der Eltern durchgeführt werden darf.1597 In dokumentarischem Ton referiert Rüb über einen besonders widerständigen New Yorker Rabbiner, den »Rabbi Avrohom ‚Romi‘ Cohn«, der sich der neuen Regelung nicht unterwerfe, sondern lieber ins Gefängnis gehe. Nachdem Rüb ihn steckbriefartig vorstellt (er sei 1929 geboren, überlebte die Shoah, kämpfte als Partisan und emigrierte in die USA), beschreibt er, wie Cohn eine Vorhautbeschneidung samt Metzitza durchführt: »Ehe Rabbi Cohn eine Brit Milah samt Metzitzah B‘peh vornimmt, reinigt und sterilisiert er seine Hände und spült den Mund mit einem antiseptischen Mundwasser aus. Unmittelbar nach der Entfernung der Vorhaut mit einem Skalpell nimmt er einen Schluck Rotwein in den Mund, beugt sich über den frisch beschnittenen Penis, saugt für einen kurzen Augenblick das aus der Schnittstelle austretende Blut ein und lässt den mit einem Tröpfchen Babyblut vermischten Rotwein aus seinem Mund auf die Wunde fließen.«1598

Cohn habe in seiner »gut vier Jahrzehnte währenden Laufbahn als Mohel mehr als 25.000 Beschneidungen hinter sich« gebracht und »bei mehr als 25.000 frisch beschnittenen Säuglingen das Blut, das nach der Entfernung der Vorhaut an dem winzigen Penis austritt, mit dem Mund abgesaugt«.1599 Wobei Cohn, weitere Mohalim sowie die dazugehörenden ultraorthodoxen jüdischen Gemeinden »nicht grundsätzlich gegen Hygienevorschriften« seien. Vielmehr würden sie, wie viele andere Amerikaner/Amerikanerinnen auch, eine staatliche Regulierung »ihre[r] Rituale und Gebräuche« ablehnen, weswegen als Reaktion auch eine »Massenbewegung« entstanden sei.1600 Inwiefern die Metzitza obligatorisch ist, sei unter Rabbinern/Rabbinerinnen und Juden/Jüdinnen umstritten, da die Tora sie nicht vorschreibe. Auch die Redakteurin Friederike Haupt thematisiert im Zuge ihres Berichts über die Sitzung des Ethikrates in Jacobs Beschneidung in der FAZ ebenfalls die Praktik der Metzitza. Sie beschreibt, wie der Anästhesist Leo Latasch während der Sitzung einen fünfzig Sekunden dauernden Ausschnitt

____________________ 1597 1598 1599 1600

370

Rüb 2012; vgl. Moll 2012. Ebd., Schreibweise i. Orig. Ebd. Otterman schreibt im Gegensatz zu Rüb, der Rabbiner habe bei der überwiegenden Zahl der Beschneidungen die Metzitza durchgeführt (vgl. Otterman 2012). Rüb 2012.

4. Wiederkehrende Motive

aus einem Youtube-Video zeigte, um zu belegen, »wie harmlos Beschneidungen von kleinen Jungen« seien.1601 In dem Videoausschnitt sei zu sehen gewesen, »wie der winzige Jacob ohne Windeln auf dem Rücken liegt« und schreit. Ein Mann halte »seinen Körper mit beiden Händen fest«, ein »weiterer Mann greift mit einer Hand Jacobs Penis, während er mit der anderen eine gelbe Flüssigkeit darauf schüttet«. Er verreibe die Flüssigkeit mit einem Tuch, während Jacob »aus Leibeskräften« schreit. Nun schiebe ein Mann ein Stück Metall zwischen Eichel und Vorhaut und schneidet »mit einem Messer die Vorhaut ab«. Der Eingriff habe etwa 12 Sekunden gedauert.1602 In der Folge des Artikels beschreibt Haupt die anderen, von Latasch nicht gezeigten Minuten des Videos und kritisiert damit implizit seine Argumentation und den ausgewählten Filmausschnitt als zentrale Aspekte auslassend. Das Video beginne damit, wie Jacob zufrieden daliege und schlafe. Und es ende damit, wie die Männer nach der Beschneidung weiter um Jacob herumstehen: »Nun kann der Zuschauer sehen, wie die Blutstropfen ‚entfernt‘ werden, wie Latasch es in seinem Vortrag vor dem Ethikrat gesagt hatte. Einer der Männer greift zu einem Glas und nimmt einen Schluck Wein in den Mund. Dann beugt er sich zu Jacob hinunter, der immer noch entblößt daliegt. Mit seinem Gesicht ist der Mann zwischen Jacobs Beinen, er berührt den Penis des Kindes mit seinem Mund und saugt das Blut von der Wunde. Es ist ein Ritual der Ultra-Orthodoxen.«

Sie würden an diesem Ritual festhalten, »auch wenn dadurch schon Kinder mit Herpes infiziert wurden« und manche »in Folge der Infektion bleibende Hirnschäden« erlitten oder starben.1603 Dass es sich bei der Metzitza um einen Teil des Beschneidungsrituals handelt, den Juden/Jüdinnen in Deutschland aber überwiegend ablehnen und der hierzulande so kaum mehr zur Anwendung kommt, lässt Haupt unberücksichtigt. Durch die fehlende Kontextualisierung und Einordnung bleibt – im Gegensatz zum Artikel von Rüb – auch unklar, wie die Metzitza einzuordnen ist. Während Rüb in seinem Bericht weitgehend sachlich und dokumentarisch über die Metzitza und die neue Regelung in New York berichtet, griffen Beschneidungsgegner die Berichterstattung über die Metzitza wiederum auf Internetblogs wie Zwangsbeschneidung.de und deutschlands____________________ 1601 1602 1603

Haupt 2012. Ebd. Ebd.

371

4. Wiederkehrende Motive

wahrheit sehr negativ auf. Sie verorteten sie nicht nur in Deutschland, sondern verallgemeinerten und skandalisierten sie auch als »abartig«, »pervers«, »verkommen«, »krank«, »noch viel schlimmer« als Kannibalismus1604 und »pädophil«1605. In einem Blogbeitrag auf Zwangsbeschneidung.de steht über die Beschneidung jüdischer Säuglinge in Abgrenzung zu Routinebeschneidungen in den USA, die vielfach unabhängig von kulturellreligiösen Gründen durchgeführt werden: »Hier wissen alle, dass das Kind einem Infektionrisiko mit der Gefahr von Hirnschädigungen und Tod ausgesetzt ist und dennoch wird alles dafür getan, damit diese Rabbiner nach der Genitalverstümmelung noch an dem ‚gehäuteten‘ Penis herumlutschen können.«1606

An anderer Stelle schreibt der Autor, die Tätigkeit des Rabbiners Cohn dämonisierend, dieser würde seit 40 Jahren »täglich etwa zwei mal am Penis eines Kindes herum[lutschen]«1607 und »[f]ür einen pädophilen« wie ihn sei die Beschneidung »das Himmelreich«, weswegen er und andere Mohalim für den »schwerste[n] Kindesmissbrauch« mit »sofortiger Gefängnisstrafe« bestraft werden müssten.1608 An dieser Praktik zeige sich offensichtlich, »[d]ass Juden ihre Kinder quälen«.1609 Auf der bereits genannten rechten Internetseite Der Honigmann sagt heißt es etwa mit Bezug auf einen anderen Artikel einer New Yorker Tageszeitung: »Es herrscht unter der Judenheit eine nicht zu leugnende Blutbesessenheit. Wenn die männlichen Säuglinge am 8. Tag beschnitten werden, saugen viele Rabbiner das Gliedchen des Kindes ab, sie trinken das Blut. (New York Daily News, 02.02.2005)«1610

Auch der Allgemeinmediziner Wolff Geisler setzt sich in seinen OnlineTexten mit der Metzitza auseinander. Er verklärt sie jedoch zur Regel und behauptet, »Praktiken ohne das Saugen mit dem Mund« seien lediglich

____________________ 1604 1605 1606 1607 1608 1609 1610

372

O. A. 2013. Zwangsbeschneidung.de 2015a. Zwangsbeschneidung.de 2015a, Schreibweise i. Orig., Herv. D. I. Siehe hierzu auch: Zwangsbeschneidung.de 2012a. Zwangsbeschneidung.de 2012a, Schreibweise i. Orig. Zwangsbeschneidung.de 2015a. Zwangsbeschneidung.de 2012a. Rasmussen 2012, Herv. D. I.

4. Wiederkehrende Motive

»Ausnahmen«.1611 Der Säugling werde »mit extrazellulären und intrazellulären Erregern des Mohels intravenös geimpft« und »mit Keimen des Mohels ausgerüstet«.1612 Aus der Beschneidung folgten »Gen-Verluste«1613 und jüdische Erkrankungen »besonders des Gehirns«.1614 Hier wird die jüdische Sexualität als verdorben und verderbenbringend angesehen.1615 Die Verfasser dieser Online-Kommentare und Blogbeiträge beziehen sich allesamt auf eine bestimmte Durchführung des Rituals, die im Judentum mittlerweile kaum mehr verbreitet ist: das Aussaugen des Bluts aus der Wunde mit dem Mund. Bis ins 19. Jahrhundert wurde es von einzelnen Medizinern als vorteilhaft für die Wundheilung angesehen und davon ausgegangen, es stille die Blutung, säubere die Wunde und verhindere Infektionen. Mit dem Entstehen von Krankenhäusern, dem Aufkommen der Bakteriologie und der modernen Medizin entstand jedoch das Wissen darüber, wie sich Krankheiten wie Syphilis und Tuberkulose ausbreiten und übertragen konnten.1616 Durch die Verbreitung des Wissens, dass Krankheiten wechselseitig übertragen werden können, wenn der Mund eine fremde Wunde berührt, forderten Rabbiner bereits 1811 und in den 1840er Jahren, auf die Metzitza zu verzichten.1617 Sie wurde innerhalb des Judentums als gefährlich kritisiert und in Frankreich 1844 und in den meisten deutschen Staaten Ende des 19. Jahrhunderts sogar verboten.1618 Wo dieser Teil der Praktik nicht abgeschafft wurde, sei er dahingehend transformiert worden, so der Medizinhistoriker Robert Jütte, ein Glasröhrchen mit Filter über den Penis zu schieben, mit dem das Blut abgesaugt werden konnte.1619 Während der öffentlichen Kontroverse 2012 wiesen die Conference of European Rabbis sowie die israelische Vereinigung der Kinderärzte erneut auf ihre Empfehlungen hin, die Metzitza nur mit einer Pipette beziehungsweise ei-

____________________ 1611 1612 1613 1614 1615 1616 1617 1618 1619

Geisler 2014: 4, Herv. i. Orig. Geisler 2012b: 3. Geisler 2014: 8. Ebd.: 13. Vgl. Gilman 1997: 173; vgl. Hödl 1997: 218. Vgl. Gollaher 2002: 47. Ebd.: 47f.; vgl. Hödl 2003: 193f. Vgl. Jütte 2016: 246f.; vgl. Gilman 1994: 108ff. Vgl. Jütte 2016: 247.

373

4. Wiederkehrende Motive

nem Glasröhrchen zu vollziehen. Anderweitig sei die Praktik gesundheitsgefährdend, da Bakterien und Viren vom Mund des Mohels auf den Säugling übertragen werden können, aber auch der Säugling den Mohel infizieren kann.1620 Die Beiträge der Internetblogs Zwangsbeschneidung.de und Der Honigmann sagt zeigen, dass Beschneidungsgegner die Praktik der Vorhautbeschneidung etwa mit der Fantasie ergänzten, der Mohel empfinde einen homosexuellen Genuss oder habe pädophile Motive. Auf diese Weise wird die Beschneidung zu einem perversen und pädophilen Akt umgedeutet.1621 Die intensive Fokussierung auf die Metzitza führte dazu, dass Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen ihre Fantasien und Zuschreibungen besonders auf Mohalim richteten. Es geht nicht um Beschneider im Allgemeinen und auch nicht um Beschneider von muslimischen Jungen, sondern insbesondere um Rabbiner beziehungsweise Mohalim, die für die untersuchten Akteure/Akteurinnen das zentrale Problem sind. Durch die Vorhautbeschneidung befriedigten Mohalim ihre vermeintliche sexuelle Begierde und verschafften sich so sexuelle Befriedigung. Die Vorstellung von »einem sexuelle[n] [G]efühlsverlust«1622 des beschnittenen Penis hingegen richten Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen nicht nur spezifisch auf Juden und Muslime, sondern auf alle Beschnittenen. Wiederum anders ist dies hingegen bei der Idee, die Beschneidung sei eine Maßnahme, um die männliche Sexualität zu kontrollieren. Hier gibt es Online-Kommentare, die diese Maßnahme den »großen Religionen« zuschreiben, aber auch solche, die sie ausschließlich verschwörungsideologisch und wahnhaft mit dem Judentum in Verbindung bringen. Das bisher Diskutierte und Analysierte kann besonders mit den Forschungen der Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun eingeordnet werden. Sie ist eine von wenigen Forschenden, die sich mit nichtjüdischen Projektionen auf die jüdische Sexualität beschäftigt. Denn in der deutschsprachigen Antisemitismusforschung gibt es kaum Auseinandersetzungen zu histori-

____________________ 1620 1621 1622

374

Conference of European Rabbis, o.J.; vgl. Deusel 2012a: 21, 130; vgl. J. F. 2014: Z. 865ff. Vgl. Höttemann 2011/12. Arnold 2012.

4. Wiederkehrende Motive

schen und gegenwärtigen antisemitischen sexuellen Projektionen auf Juden. Braun schreibt in ihren Aufsätzen Antisemitische Stereotype und Sexualphantasien von 1995 und in Der sinnliche und der übersinnliche Jude von 1998 über Judenbilder, in denen »Sexualität und Fleischeslust« eine große Rolle spielen. Religiöse Gesetze, welche die Geschlechtlichkeit, Sexualität und damit das Zusammenleben innerhalb der Religionsgemeinschaft regeln, seien von zentraler Bedeutung, da sich aus ihnen heraus spezifische vergeschlechtlichte »Menschenbilder« und Rollenvorstellungen entwickelten.1623 Insbesondere dann, wenn eine Religionsgemeinschaft um Abgrenzung von einer anderen bemüht war, wie es beim Christentum im Verhältnis zum Judentum der Fall war, seien Sexualbilder prägend.1624 Braun erklärt die spezifischen Vorstellungen vom Juden aus dem Ursprung des Christentums heraus.1625 Schon die frühen Christen seien von Fantasien über sexuelle Gefahren besessen gewesen und propagierten eine Lehre der Keuschheit und Enthaltsamkeit – welche auch die Idealisierung der Jungfräulichkeit und des jungfräulichen Körpers umfasse.1626 Sexualität und Sinnlichkeit rückten in das Zentrum der Feindbilder, weil die (frühen) Christen die alte Welt beziehungsweise den »alten Bund« – womit die Beschneidung gemeint ist – beziehungsweise Juden/Jüdinnen und deren Gemeinschaftsgesetze bekämpften und durch den neuen christlichen Bund (die Taufe) ersetzen wollten.1627 »Durch die Konfrontation mit den angeblichen Zweifeln und der angeblichen sexuellen Begierde der anderen vergewisserte sich der christliche Gläubige seiner Festigkeit gegenüber den eigenen Zweifeln und seiner sexuellen Standhaftigkeit.«1628

Eine weitere Dimension der Kontextualisierung, die Braun neben dem religionsgeschichtlichen Ursprung und der »Erbschaft des Christentums«1629 herausarbeitet, besteht aus der Theoretisierung des antisemitischen Rassismus. Gerade die »Vermischung von Transzendenz und weltlicher Politik,

____________________ 1623 1624 1625 1626 1627 1628 1629

Braun 1995: 180. Vgl. ebd.: 180. Vgl. Braun 1998: 97. Vgl. ebd.: 97ff. Vgl. ebd.: 100. Braun 1998: 100, Herv. i. Orig. Braun 1995: 181.

375

4. Wiederkehrende Motive

von Religion und Geschlechtlichkeit« könne erklären, »weshalb die antisemitischen Bilder eine solche Anziehungskraft auf viele Menschen ausüben konnten.«1630 Im Sinne einer Motivgeschichte schreibt Braun, basierend auf Äußerungen einzelner antisemitischer Akteure, über das »kollektive[..] Imaginäre« und das individuelle Unbewusste, in das die Sexualbilder eingeschrieben sind.1631 Exemplarisch nennt sie Otto Weininger und die Rassenideologen Hans F. K. Günther, Theodor Fritsch, Richard Wagner, Houston Stewart Chamberlain und Artur Dinter. Für diese Akteure verkörperten Juden nicht nur einen »‚falschen‘ Glauben«, sondern einen »falschen« Körper. Juden seien die »internen Anderen« und vereinten auf sich die individuell und kollektiv abgespaltenen Anteile des eigenen Selbst.1632 Die teils in sich widersprüchlichen Judenbilder repräsentieren den Versuch von Nichtjuden, »die ‚Einheit‘ des Ich herzustellen«: Juden wurden, Braun zufolge, als »lüsterner, geiler« und »Sexualtriebtäter« vorgestellt und galten zugleich als »weiblich«, »impotent« oder »weniger potent […] als der arische Mann«.1633 Von diesen Zuschreibungen des männlichen Juden grenzten, so schließt Braun, sowohl Christen als auch »Arier« ihre jeweilige Identität ab, weswegen deren Identität auf Abgrenzung eines imaginären, vermeintlich andersartigen Juden beruhte.1634 Auch die Sozialpädagogin Meike Günther argumentiert in ihrer 2012 veröffentlichten Dissertation Der Feind hat viele Geschlechter. Antisemitische Bilder von Körpern, dass Körper- und Sexualbilder im (rassistischen) Antisemitismus eine bedeutende Rolle spielen: Das »Auftauchen von Sexualität und Geschlecht im Antisemitismus« ist »kein nebensächliches Randphänomen für die Konstruktion und Zählebigkeit des Antisemitismus [...]. Vielmehr haben Geschlecht, Sexualität und deren Visualisierungen in Bildern von Körpern eigene Funktionen bei der Konstruktion des Antisemitismus«.1635 Die Funktion der Visualisierungen in Form von Karikaturen bestehe etwa darin, dass die Ausschließenden – etwa im NS – ein Selbstbild konstruieren und erhalten1636, ein Idealbild und eine Repräsentationsfolie ____________________ 1630 1631 1632 1633 1634 1635 1636

376

Ebd. Ebd. Ebd.: 182. Ebd.: 183. Vgl. ebd.: 190. Günther 2012: 21. Vgl. ebd.: 153.

4. Wiederkehrende Motive

»von ‚normal‘ und ‚abnormal‘« haben1637 und »einen Makel vor dem Hintergrund einer Norm«1638 veranschaulichen können. Die Körperbilder, wie etwa das des sexuell devianten oder das des bedrohlichen und kranken Juden, seien durch Naturalisierungen gekennzeichnet, ein »performatives Ensemble von Machtverhältnissen« sowie »Medium und Wahrheit«1639, da alternative Bilder und Normen wegfielen. Körperbilder seien »Kondensat und Basis antisemitischer Praxis«1640. Günther argumentiert, dass die Visualisierungen antisemitische Ausschlüsse, Ausgrenzung und Gewalt legitimieren und fördern.1641 4.11. Die unerschöpfliche Welt der Analogien In der öffentlichen Kontroverse bringen nahezu alle Akteure/Akteurinnen die Vorhautbeschneidung mit historischen und gegenwärtigen Praktiken und Situationen in Verbindung. In einer funktionalistischen Perspektive dienen die unzähligen Analogien oder »Analogisierung[en]«1642 dazu, die Praktik einzuordnen, zu bewerten und die eigene Haltung zu pointieren und zu rechtfertigen. Die Parallelen ermöglichen einerseits, die Vorhautbeschneidung und/oder diejenigen, die sie durchführen, als kritikwürdig und ablehnenswert zu markieren. Mit den Analogien verdeutlichen zahlreiche Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen etwa, wie rückschrittlich und überkommen, grausam und brutal oder unangebracht und überflüssig die Vorhautbeschneidung sei. Andererseits gestatten die Analogien aber auch, die Vorhautbeschneidung zu rechtfertigen und zu verteidigen. Diejenigen, die die Vorhautbeschneidung befürworten, verdeutlichen mit Analogien zur Taufe, Impfung oder zum Ohrlochstechen, wie normal, gewöhnlich, klein, harmlos und ungefährlich der körperliche Eingriff eigentlich sei.1643 ____________________ 1637 1638 1639 1640 1641 1642 1643

Ebd.: 163. Ebd.: 165. Ebd.: 197. Ebd.: 216. Ebd.: 212f. Vgl. Bodenheimer 2012: 56. Vgl. ARK Allgemeine Rabbinerkonferenz 2012; vgl. Grötker 2012; vgl. Haupt 2012; vgl. Künast/Beck 2012; vgl. Brumlik 2012b; vgl. Lentes 2012.

377

4. Wiederkehrende Motive

Besonders häufig formulieren Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen eine Analogie zur Verstümmelung, Amputation und elterlichen Bestrafung. Bereits in der strafrechtlichen wissenschaftlichen Literatur brachten die Strafrechtler Holm Putzke, Günter Jerouschek, Jochen Schneider und Rolf Dietrich Herzberg die Vorhautbeschneidung mit »entwürdigende[n] Maßnahme[n]« wie Schlägen1644, der »körperliche[n] Züchtigung«1645 oder der elterlichen »Züchtigung«1646, also der körperlichen und/oder seelischen Bestrafung von Kindern in Verbindung. Jerouschek arbeitet sogar mit einem fiktiven Beispiel: Schließlich seien religiöse Gemeinschaften vorstellbar, »zu deren Riten die Verstümmelung oder die Tötung von Menschen gehört«1647 und bei denen das Grundrecht der Religionsausübungsfreiheit ebenfalls keinen Vorrang haben dürfe. In Artikeln in Tageszeitungen wird die Analogie zur »Züchtigung«1648, »Prügelstrafe«1649 oder »ordentliche[n] Tracht Prügel«1650 aufgegriffen. In dem Artikel Beschneidungsethik – erlaubte Körperverletzung? des promovierten Philosophen und Journalisten Ralf Grötker in der FAZ stellt dieser ein »Gedankenspiel« an, um zu verdeutlichen, wie die kulturell-religiöse Beschneidung eigentlich einzuordnen sei: »Stellen wir uns irgendeine soziale Gruppierung vor, die es zu einem ihrer fundamentalen Initiationsriten gemacht hat, allen Neulingen die kleinen Zehen (oder welches Körperteil auch immer, dessen Entfernung zu keiner wesentlichen Einschränkung später führt) zu entfernen. Stellen wir uns vor, diese Tradition bestünde schon seit Tausenden von Jahren und wäre seitdem bei Hunderten, ja Millionen von Menschen praktiziert worden. Sollte ein Arzt aufgrund dieser Geschichte und einer schöngeredeten Harmlosigkeit der Amputation (‚Wer braucht schon wirklich seine kleinen Zehen?‘ […]) die Grundsätze seiner Profession über Bord werfen? (Von den Grund-, ja Menschenrechten nicht zu reden)«.1651

____________________ 1644 1645 1646 1647 1648 1649 1650 1651

378

Putzke 2008a: 702. Herzberg 2010: 475. Schneider 2008: 125; Jerouschek 2008: 316. Händel zit. n. Jerouschek 2008: 318. Wagner 2011; Tiedemann 2012; Schonfeld 2012; Sharma 2012. Gutschker 2012. Franz 2012c. Grötker 2012.

4. Wiederkehrende Motive

Das fiktive Gedankenspiel Grötkers ähnelt anderen Vergleichen und Analogien von Beschneidungsgegnern, wenngleich es bei ihm »die kleinen Zehen«, bei V. A. »ein Bein«1652 und bei L. A. »die Ohren«1653 sowie »Füße« oder »Arme« sind.1654 Neben den fiktiven Praktiken, die Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen mit der Vorhautbeschneidung in Beziehung setzen, ziehen sie Analogien zu anachronistischen und unzeitgemäßen Praktiken, die in der gegenwärtigen und modernen Gesellschaft nicht mehr vorkommen sollten oder die nicht zu »unserer gesellschaftlichen Entwicklung«1655 passen. In dem FR-Artikel Unterschätztes Trauma-Risiko lässt die Journalistin Brigitta vom Lehn unterschiedliche Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen zu Wort kommen, die das Kölner Urteil begrüßen. Die meisten von ihnen sind praktizierende Ärzte. Sie zitiert aber auch den Vorstand der Bremer Kassenärztlichen Vereinigung, Jörg Hermann, der über Eltern, die ihre Söhne beschneiden lassen wollen, sagt: »Irgendwann muss man doch aufwachen. Wir haben die Sklaverei und die Prügelstrafe abgeschafft. Als Junge wurde ich noch geohrfeigt in der Schule, und meine Eltern haben nicht protestiert.«1656 Dass für Hermann die medizinisch nicht notwendige Beschneidung – und damit die kulturell-religiöse – ähnlich rückschrittlich ist wie die Sklaverei und die Prügelstrafe, findet vom Lehn offenbar nicht weiter verwunderlich. Zumindest kommentiert sie diese Äußerung nicht als unangebracht, sondern geht vielmehr zum nächsten Akteur über, dessen Position sie wiederum kurz zusammenfasst. In dem Artikel Strafbare Beschneidung in der FAZ bringt der Redakteur und Beschneidungsgegner Georg Paul Hefty die Beschneidung ebenfalls mit unzeitgemäßen kulturellen Praktiken in Verbindung: das Zusammenschnüren der Füße von Mädchen »zu Klumpfüßen« und das dauerhafte

____________________ 1652 1653 1654 1655 1656

V. A. 2014: Z. 637. L. A. 2014: Z. 503. Vgl. ebd.: Z. 1459. Siehe hierzu 4.9. Amputations- und Kastrationsvorstellungen und 4.3. Benachteiligung. Kubicki 2016. Vom Lehn 2012.

379

4. Wiederkehrende Motive

Langziehen von Ohrläppchen.1657 In Online-Kommentaren greifen Kommentierende auf drastischere Analogien zurück, wenn sie den Zeitpunkt betonen, als die archaische Praktik entstand: »In der Bibel steht geschrieben……..Als das betr.Beschneidung geschrieben wurde, war »die Welt noch eine Scheibe«. Es wurden noch Tiere geopfert (dem Gott), siehe Kain und Abel. Wir betreiben keine Kreuzzüge mehr und Hexen und Zauberer werden auch nicht mehr verbrannt. Was soll also die Berufung der ProBeschneidungs Befrworter auf eine solche »heilige Schrift«?«1658

In einem anderen Online-Kommentar mit dem Titel Oh Herr wirf Hirn hernieder! von Hanns J. Baum in der FAZ heißt es: »Beschneidung ist einfach nur abstoßend, barbarisch und widerwärtig, schmerzvoll und auch nicht ohne Risiken. Ausserdem erfüllt dieser anachronistische Ritus m.E. nicht nur den Tatbestand der Körperverletzung sondern ebenso den des Kindesmissbrauchs. Es ist an der Zeit, dass Religionen ihre Riten endlich einmal weiter entwickeln! Ansonsten könnte ja auch irgendeine Religion auf die Idee kommen im Namen der Religionsfreiheit jeden Sonntag ein Kind auf dem Altar ihrem Gott als Opfer darzubringen oder weiter Hexen auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen. Dass wir nicht mehr im Mittelalter oder in der Steinzeit leben, kommt manchen ewiggestrigen Religionen nicht in den Sinn. So werden auch heute noch Menschen gesteinigt, Dieben Hände abgehackt und Jungs beschnitten.«1659

Neben den Analogien zu rückschrittlichen Praktiken und zu Amputationen parallelisierten Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung besonders mit der weiblichen Genitalverstümmelung.1660 Diese Analogien an sich sind nicht zwangsläufig antisemitisch. Sie können aber antisemitisch gewendet werden, etwa wenn jüdische Eltern als grausam und bestialisch dargestellt werden oder wenn Mohalim eine pädophile Sexualität unterstellt wird.1661 ____________________ 1657

1658 1659 1660 1661

380

Ebd. Ähnlich sind die Analogien der Grünen-Abgeordneten Memet Kiliç und Viola von Cramon-Taubadel in ihrer Erklärung zum Entschließungsantrag vom 19. Juli 2012. Sie verweisen auf die Steinigung von Ehebrechern, die Verbrennung bei lebendigem Leib von verwitweten Hindufrauen und »die Beschneidung von Mädchen« (vgl. Deutscher Bundestag 2012e: 22853, siehe hierzu auch Schewe-Gerigk zit. n. Tichomirowa 2012). Bauer 2012. Baum 2012, Schreibweise i. Orig. Siehe hierzu 4.3. Benachteiligung. Siehe hierzu 4.10. Eine »unnatürliche«, »beschädigte« und »perverse« Sexualität.

4. Wiederkehrende Motive

Für eine vage und implizite Ausformulierung der unbarmherzigen und folternden jüdischen Beschneider ist die Beschreibung des Journalisten und Autors Tilman Jens exemplarisch. Er beschreibt die Vorhautbeschneidung bei einem jüdischen Säugling in einer überspitzten Art und Weise als fremdes und kultisches Ritual. In seiner Streitschrift Der Sündenfall des Rechtsstaates »traktieren« nicht näher bestimmte »Religionsgemeinschaften« (womit er aber die jüdische und muslimische meint) »die Glieder kleiner Knaben mit Messern« und würden »Teilamputation[en] im Geiste der Propheten Mose oder Mohammed« durchführen.1662 Durch die Formulierung »Glieder«, »Teilamputation« und »traktieren« legt Jens nahe, dass den Säuglingen/Jungen etwas Folterähnliches angetan wird. Seine Formulierung vom »Zeugnis des Grauens«1663, die er für ein Video von einer jüdischen Beschneidung verwendet, unterstreicht diese Perspektive ebenso wie der Hinweis, die aufgenommene Beschneidungszeremonie konnte wegen ihrer Grausamkeit im öffentlichen Fernsehen nur verpixelt gezeigt werden. Er beschreibt die Szene folgendermaßen: »Ein Säugling, der nicht weiß, wie ihm geschieht, sieht sich durch eine Gemeinde lauthals singender Männer gereicht. Jeder darf den Kleinen auf der weißen, mit Blumen bestickten Trage einmal anfassen, herzen. Dann wird der winzige Shimon auf den Tisch gelegt, danach flugs entwindelt. Der Mohel, ein Kollege des Vaters, wirft sich einen Umhang um und macht sich an die Arbeit. Das Besteck liegt schon bereit. Der Mann mit der goldenen Uhr am Arm trägt keine Handschuhe. Warum auch? In der Heiligen Schrift ist von hygienischen Standards nun einmal nicht die Rede.«1664

Die Textpassage zeigt, dass für Jens die Praktik erbarmungslos sowie rückständig und unzeitgemäß ist (»er trägt einen Umhang« und hält »keine hygienischen Standards« ein). Dies wird auch dadurch deutlich, dass er den Mohel als »Kollege des Vaters« vorstellt und der Fokus somit auf der Beziehung zum Vater und nicht auf seiner Befähigung und beruflichen Erfahrung liegt. Die Erwähnung der »goldenen Uhr«, die ebenfalls nichts mit der Situation zu tun hat, verstärkt das Gefühl, der Eingriff sei seltsam und bizarr. Andere Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen werfen Mohalim subtil vor, für den Eingriff nicht qualifiziert zu sein, und bringen sie

____________________ 1662 1663 1664

Jens 2013: 13. Ebd.: 15. Ebd.: 15f.

381

4. Wiederkehrende Motive

so mit »Kurpfuschern« in Zusammenhang, die keine medizinische Ausbildung haben. Besonders während der Berichterstattung zum Paragraf 1631d BGB weisen Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen wiederholt darauf hin, dass in den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Sohnes auch Personen die Beschneidung vornehmen dürfen, die keine Ärzte seien. Denn der Paragraf erlaubt die Vorhautbeschneidung »nach den Regeln der ärztlichen Kunst«, wie im ersten Absatz steht. Im Absatz II heißt es: »In den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes dürfen auch von einer Religionsgesellschaft dazu vorgesehene Personen Beschneidungen gemäß Absatz 1 durchführen, wenn sie dafür besonders ausgebildet und, ohne Arzt zu sein, für die Durchführung der Beschneidung vergleichbar befähigt sind.«

Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen kritisieren, dass es eine Ausnahmeregelung für »medizinische[..] Laien«1665, »nicht-Mediziner«1666 oder »Gläubige«1667 gebe. Andere Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen äußern, »[n]icht Ärzte, sondern ‚Mohel‘« würden »seit tausenden Jahren die jüdische Beschneidung«1668 praktizieren. Auch in dem Interview mit V. A. betont dieser, er selbst führe die Beschneidung nach den Regeln der ärztlichen Kunst durch, die jüdischen »Nichtärzte« hingegen so, dass die Säuglinge starke Schmerzen erleiden müssen: »Wenn das ein Nichtarzt macht, die sogenannten, der sogenannte Mohel, der (….) jüdische Beschneider zum Beispiel, tut das ohne Narkose, ohne jede Narkose mit einer, mit einem glasscherbenähnlichen Instrument, indem er die Vorhaut einfach anfasst und abschneidet, das Kind ist feierlich gekleidet.«1669

Dass Mohalim jüdische Säuglinge überhaupt nur beschneiden dürfen, »wenn sie dafür besonders ausgebildet sind und […] für die Durchführung […] vergleichbar befähigt sind«1670, vernachlässigen sie. Die Urologin und Rabbinerin Antje Yael Deusel führt etwa aus, dass Mohalim professionell geschult und ausgebildet werden. Diejenigen Mohalim, die ausgebildet werden, hospitieren bei einem »praktizierenden, erfahrenen Mohel« und dürfen erst nach »einer gewissen Zeit« selbst Beschneidungen durchführen. ____________________ 1665 1666 1667 1668 1669 1670

382

Putzke 2012b; Die Betroffenen 2012. L. A. 2014: Z. 1554. Siehe hierzu auch Schonfeld 2012. Schulte von Drach 2012b. Geisler 2015: 3. V. A. 2014: Z. 402–406, Herv. D. I. Prantl 2012; vgl. hierzu auch Bommarius 2012a.

4. Wiederkehrende Motive

Dabei werden sie wiederum von ihren Ausbildern »begleitet und beaufsichtigt«.1671 Sie sind besonders auf diesen einen körperlichen Eingriff spezialisiert.1672 Zudem gebe es auch Mohalim, die zugleich Ärzte/Ärztinnen sind.1673 Die Beschneidung muslimischer Jungen wird in Artikeln in Tageszeitungen im Vergleich zur Beschneidung bei jüdischen Säuglingen anders beschrieben: Zwar wird auch sie als eigenartig, grotesk und fremd dargestellt, die Beschneider werden aber als Ärzte vorgestellt. Sie betäuben die Jungen und ersparen ihnen dadurch Schmerzen. In dem vor der öffentlichen Kontroverse in der FAS erschienenen Artikel Blutiger Schnitt verkitscht der Redakteur Richard Wagner die Arbeit des türkischen Beschneiders Kemal Özkan.1674 Zwar wird Özkan von Wagner nicht als Arzt beschrieben, er stellt aber heraus, dass Özkan zumindest lokal betäube: »Wenn sie [die Beschneidung, D. I.] von Ärzten vorgenommen wird, geschieht das unter Betäubung. Muslime, vor allem türkische, fahren häufig lieber in die Türkei und lassen ihre Söhne dort beschneiden. Gelegentlich kommt aber auch Kemal Özkan nach Deutschland. Er ist der Inhaber des ‚Palastes der Beschneidung‘ in Istanbul, und er genießt unter türkischen Muslimen das Ansehen eines Popstars. Viele betrachten es als besondere Auszeichnung, wenn ihr Kind von ihm beschnitten wird. Özkan betreibt eine etwas eigenwillige Werbung. Er rühmt sich etwa, schon auf dem Rücken eines Kamels, auf einem Floß oder mit einem Team von 30 Leuten 1400 Jungen an einem Tag beschnitten zu haben. Bei allem Klamauk: Ihm ist es zu verdanken, dass die Knaben wenigstens eine lokale Betäubung während des Eingriffs bekommen.«1675

Fast scheint es, als mache sich Wagner über Muslime/Muslimas lustig, die Özkan wie einen Popstar verehren, obwohl er solch seltsame Dinge vollbringt, wie Jungen an unhygienischen und unpassenden Orten zu beschneiden. Im Gegensatz dazu schreibt Wagner über die Beschneidung von jüdischen Säuglingen ambivalent. Unter der Überschrift »Ein brutales, archaisches Volk«, die er als Zitat ausweist, erläutert er, die Beschneidung werde von einem Mohel, »dem rituellen Beschneider, der auch ein ausgebildeter ____________________ 1671 1672 1673 1674 1675

Deusel zit. n. Kleine-Doepke 2014: 114. Vgl. Fellmann/Müller/Graf 2012: 4; vgl. Kramer 2012b: 7f. Vgl. Deusel zit. n. Kleine-Doepke 2014: 114; vgl. Berger/Hasgall/Hüber/Weißbarth 2012: 6. Vgl. hierzu auch den Artikel Ein kleiner Schnitt für ihn des Journalisten Kai Strittmatter von 2010 in der SZ. Wagner 2011.

383

4. Wiederkehrende Motive

Arzt sein kann«, durchgeführt. Der »acht Tage alte Säugling wird dabei nicht betäubt«.1676 Zwar kann der Mohel in Wagners Beschreibung ärztlich ausgebildet sein, das was er ausführt ist aber ein »archaische[s] Ritual«.1677 In dem FAZ-Artikel Ein Schnitt ins Leben der Journalistin und Autorin Çiğdem Akyol geht es ebenfalls um den 1976 von Kemal Özkan eröffneten Palast der Beschneidung, das »Sünnet Sarayi« in Istanbul.1678 In dem Palast, der zugleich an ein Krankenhaus, eine Orientparty und einen Heiligentempel erinnere, würden jeden Tag bis zu 20 Jungen beschnitten. Nach dem Tod Özkans führen seine Söhne Levend und Murat den Palast weiter. Die für die Familien besonderen und unvergesslichen Tage seien eine große Feier, ein großes Spektakel. Die »Beschneidungspartys« für die ganze Familie würden in einem großen Saal mit Glamour, Glitzer, Disco-Rhythmen, Tanz, Polonaise, Kuchen und schwarzem Tee stattfinden und neben einem Imam auch von einem Clown und einem Sänger mit Keyboard begleitet werden. Die Beschneidung der Jungen, die in schillernde Prinzenkostüme gekleidet seien, werde auf einer Bühne durchgeführt, die Operation über mehrere Monitore in den Saal übertragen. Akyol stellt Levend trotz der als skurril beschriebenen Feierlichkeiten, als Urologen vor, der ein Medizinstudium absolviert hat (auch wenn er die Operation eigentlich von seinem Vater beigebracht bekam, der Schiffsarzt gewesen sei). Weiter betont sie, dass die muslimischen Jungen eine Betäubungsspritze in die Peniswurzel bekommen.1679 Neben der Darstellung der Beschneidungsfeiern als bizarr stellen Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen in Online-Kommentaren Analogien zur »Folter«1680 und »Vernichtung«1681 her, womit sie die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung als grausame Gewalttat konzeptualisieren. Denn die Beschneidung als Folter zu bezeichnen bedeutet, sie sei »eine verschärfte Form absichtlicher grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe«.1682 In dieser Analogie unterstellen Be____________________ 1676 1677 1678 1679 1680 1681 1682

384

Wagner 2011., Herv. D. I. Ebd. Akyol 2014. Ebd. Zwangsbeschneidung.de 2012b. Zwangsbeschneidung.de 2013a. Liedl/Knaevelsrud 2015: 581.

4. Wiederkehrende Motive

schneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen jüdischen Eltern und Mohalim explizit, sie seien absichtsvoll erbarmungslos, bestialisch und demütigend. Diese Analogie ist explizit antisemitisch, da auf Juden »negative Gefühlszustände« gerichtet werden, die auf »Feindseligkeit und Abwehr« basieren.1683 Juden werden, im Sinne der antisemitischen Stereotype, als »das Andere, das Böse und Verkommene dargestellt«.1684 Dort, wo die Analogien nicht explizit antisemitisch sind, dienen sie zumindest der Abgrenzung von Juden. Das argumentative Muster läuft auf eine Kontrastierung und Gegenüberstellung zwischen Juden und Muslimen auf der einen Seite und einem humanistischen und aufgeklärten »wir« auf der anderen Seite hinaus.1685 Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen verspotten und karikieren die kulturell-religiöse Praktik, die für Juden/Jüdinnen und Muslime/Muslimas eine identitätsstiftende Bedeutung hat und einen grundlegenden Fixpunkt des Glaubens darstellt.

____________________ 1683 1684 1685

Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 114. Ebd.: 396. Vgl. Kaiser 2014: 182ff.

385

386

5.

Fazit

5.1.

Der Zeitpunkt

Retrospektiv verwundert nicht, dass sich die Position von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen früher oder später in Rechtsprechung manifestierte. Denn schon Ende der 1990er Jahre fanden sich im Deutschen Ärzteblatt, welches den medizinischen Fachdiskurs prägt, Beiträge von Ärzten/Ärztinnen, die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen als ärztlichen Eingriff ablehnen. Ihre Begründung war, sie »verletzten« und »verstümmelten« gesunde Säuglinge/Jungen. Auch in psychoanalytischen und juristischen Fachpublikationen vertraten Psychoanalytiker Anfang der 2000er Jahre und Strafrechtler seit 2008 den Standpunkt, eine Vorhautbeschneidung als »traumatische Erfahrung« und/oder als »strafbare Körperverletzung« zu bewerten.1686 Wirksamkeit entfalteten diese Argumentationen durch das Urteil des Kölner Landgerichts. Bereits vor dem Kölner Landgerichtsurteil führte das Thema zu Kontroversen und zu zahlreichen Online-Kommentaren. Das zeigen mehrere Artikel in deutschen Tageszeitungen wie der FAZ, taz, SZ, dem Tagesspiegel oder der Wochenzeitung ZEIT und der Jüdischen Allgemeinen. Sie erschienen zwischen 1998 und 2011 und riefen zwischen 26 bis zu 201 Kommentare von Lesenden hervor.1687 Da die mediale Berichterstattung über kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen aber nicht derart konzentriert war wie nach dem Urteil des Kölner Landgerichts, hielten sowohl die mediale Berichterstattung als auch die emotionalen Reaktionen nicht lange an. Es blieb vorerst eine medizinische und juristische Fachdebatte. Für Juden/Jüdinnen und Muslime/Muslimas hatten jedoch die medizinischen und juristischen Fachbeiträge gegen die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung schon in den 2000er Jahren negative Auswirkungen. Auf dem vom Journalisten Ekrem Senol betriebenen JurBlog. Blog der dritten Gene____________________ 1686 1687

Siehe hierzu Kapitel 3. Polarisierende Auseinandersetzungen. Siehe hierzu die Online-Kommentare zu Akyol 2008b, 2008a und Wagner 2011.

387

5. Fazit

ration wurde 2008 die Frage aufgeworfen, ob Vorhautbeschneidungen verboten werden könnten.1688 Unter der Überschrift Verbot der Beschneidung bei Juden und Muslimen!? berichtete der Blog darüber, dass sich Muslime/Muslimas aus dem Raum Kassel darüber beklagen, keine Ärzte/Ärztinnen mehr zu finden, die die Beschneidung ihrer Söhne vornehmen.1689 Dieser Umstand führte zu Verunsicherungen, weswegen Betroffene eine Beschwerde an die Antidiskriminierungsstelle der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş1690 richteten. Ausgehend von dieser Beschwerde kritisierte JurBlog die Beiträge gegen Vorhautbeschneidungen von Putzke, Jerouschek et al. deutlich: »Wieder geht es um die religiöse Komponente im Leben der Muslime, die als ‚kindeswohlgefährdend‘ angesehen wird. Dabei legen die Autoren [Putzke und Jerouschek, D. I.] eine immense Rücksichtslosigkeit an den Tag, wenn es um das Verständnis von religiösen Bedürfnissen und den Stellenwert im Leben des Menschen angeht.«1691

Hinter der »massiv diskriminierende[n]« Position der Juristen und Mediziner, die religiöse Eltern kriminalisiere, könne kaum »[e]in rein wissenschaftliches Anliegen« vermutet werden.1692 Bereits auf diesen Artikel folgten 60 Kommentare, darunter zahlreiche von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen, die von einer körperlichen und genitalen »Verstümmelung« und von einer »möglichen Menschenrechtsverletzung« sprachen, die »den Kindern« widerfahre.1693 Auch das jüdische Elternmagazin Familienmentsch1694 wies 2007 darauf hin, dass die Rechtslage bei der Brit Mila in Deutschland »völlig unklar« ____________________ 1688

1689 1690 1691 1692 1693 1694

388

Der Selbstdarstellung zufolge setzt sich Senol mit den Themen »Ausländerrecht, Integration und [der] Politik rund um Ausländer« auseinander (Senol o.J.). Der Blog existiert seit 2005. Die Reichweite des Blogs ist nicht ermittelbar. Ein Rückschluss darauf, dass der Blog wahrgenommen wird, lässt sich dadurch ziehen, dass das Bundesverfassungsgericht 2006 einen Artikel von Senol zur doppelten Staatsbürgerschaft der türkischstämmigen Bevölkerung zitiert (vgl. Bundesverfassungsgericht 2006). Vgl. Senol 2008. Zur deutschen Millî Görüş-Bewegung siehe Fußnote 845. Zit. n. Senol 2008, Schreibweise i. Orig. Ebd. Mos 2010; Hedtfeld 2011. Schreibweise i. Orig.

5. Fazit

sei.1695 Dieser Hinweis fand sich auch in einem Artikel in der Jüdischen Allgemeinen von 2010, in dem die Vorstöße der Strafrechtler Putzke und Jerouschek von 2008 vorausschauend kommentiert wurden: »Selbst wenn es sich hier zunächst nur um einen akademischen Streit unter Juristen handelt, so mag es doch sein, dass hier eine Weichenstellung stattfinden kann, die für die Zukunft Bedeutung hat. Denn die Begründung für das gefundene Ergebnis [die Beschneidung als unzulässigen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit zu fassen, D. I.] ist auf den ersten Blick nicht ohne Überzeugungskraft.«1696

Die Veröffentlichung des Kölner Landgerichtsurteils im Juni 2012 und die mediale Berichterstattung zu kulturell-religiösen Vorhautbeschneidungen trugen dazu bei, dass dieses Thema breit in der Öffentlichkeit diskutiert wurde und Reaktionen von sachlich differenzierten Diskussionsbeiträgen bis zu antisemitischen Wutausbrüchen hervorrief. 5.2.

Die Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen

Die Akteure/Akteurinnen, die Vorhautbeschneidungen ablehnen und in der Kontroverse an die Öffentlichkeit traten, können nicht als homogene Gruppe gedacht werden. Die Unterscheidung in eine Gruppe von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen, die sich explizit antisemitisch äußert, und eine Gruppe, die dies nicht tut, wäre verkürzt und würde dem Anspruch der Arbeit nicht genügen. Um die Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen zu charakterisieren, gilt es, die Äußerungen und Hintergründe der Akteure/Akteurinnen differenziert zu betrachten. Auf diese Weise werden Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen deutlich. Die diskursiv wirkmächtigsten Beschneidungsgegner sind ein interdisziplinäres wissenschaftliches Netzwerk, das sich verstärkt seit 2012 auf Fachtagungen trifft und teilweise miteinander publiziert. Dieser Teil der Beschneidungsgegner ist männlich und befindet sich in gesellschaftlich angesehenen beruflichen Positionen. Es handelt sich um Professoren, Chef-

____________________ 1695 1696

Adler 2007: 8. Swatek-Evenstein 2010.

389

5. Fazit

ärzte, Vorsitzende von Ärzteverbänden und Ärzteorganisationen sowie Leiter von Instituten und Akademien.1697 Sie veröffentlichten ihre Positionen zunächst in wissenschaftlichen Fachpublikationen. Einige der Akteure richteten sich anschließend mit ihren Überlegungen auch an die breite Öffentlichkeit, indem sie Gastkommentare für Tageszeitungen schrieben und Interviews gaben.1698 Sie zitieren sich wechselseitig, unterschrieben den offenen Brief in der FAZ, publizierten in dem 2014 von M. Franz herausgegebenen Sammelband Die Beschneidung von Jungen: Ein trauriges Vermächtnis1699 und treffen mitunter auch auf Tagungen und Symposien aufeinander.1700 Gemeinsam ist diesen Beschneidungsgegnern, sich zwar deutlich gegen die Vorhautbeschneidung zu positionieren, hingegen aber nur implizit von konkreten Subjekten zu sprechen, die die Vorhautbeschneidung praktizieren. Die Formulierungen sind so getroffen, dass besonders der Akt (die Vorhautbeschneidung) oder ein scheinbar subjektloses Agieren im Fokus der Kritik steht. Handelnde Subjekte kommen wenig vor und werden auch nicht direkt verantwortlich gemacht. Von einer konkreten jüdischen und muslimischen Religionsgemeinschaft, von jüdischen und muslimischen Subjekten sprechen gebildete Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen hingegen nur partiell. Sie äußern implizit, die Vorhautbeschneidung (der Akt) sei eine nicht gerechtfertigte Verletzung. Weniger sagen sie explizit, Juden (Subjekte) vollzögen eine brutale und nicht gerechtfertigte Verstümmelung. Sätze wie, es gehe »um religiöses Verhalten, das von Juden und Muslimen praktiziert wird«1701, finden sich selten, Sätze ____________________ 1697

1698 1699

1700

1701

390

Genannt werden können exemplarisch Holm Putzke, Rolf Dietrich Herzberg, Jörg Scheinfeld, Günter Jerouschek, Matthias Franz, Hans-Georg Dietz, Maximilian Stehr und Christoph Kupferschmid. Bis auf Kupferschmid unterschreiben alle den offenen Brief in der FAZ, den Franz 2012 initiierte. Hierzu zählen besonders Putzke, Stehr und Franz. In dem Sammelband veröffentlichen unter anderem Franz, Stehr, Kupferschmid, Herzberg, Putzke, Scheinfeld, Irmingard Schewe-Gerigk und Marlene Rupprecht. Der Sammelband wird auf der Homepage von MOGiS e.V. und beschneidung-von-jungen.de beworben. Genannt werden kann das im Mai 2014 an der Universität Köln veranstaltete Symposium Genitale Autonomie: Körperliche Unversehrtheit, Religionsfreiheit und sexuelle Selbstbestimmung – von der Theorie zur Praxis und die im Mai 2017 am Universitätsklinikum Düsseldorf abgehaltene Fachtagung Jungenbeschneidung in Deutschland. Putzke 2009: 177.

5. Fazit

wie »[d]er Staat hat die Pflicht, dieses Verhalten [von den nicht konkret benannten Mohalim, muslimischen Beschneidern und/oder jüdischen und muslimischen Eltern, D. I.] als Straftat zu verfolgen«1702, hingegen sehr häufig. Darüber hinausgehend gibt es zivilgesellschaftliche Akteure/Akteurinnen, die als Einzelpersonen oder in Menschen- und Kinderrechtsvereinen und Betroffenenorganisationen agierten und sich nicht nur virtuell mit Gleichgesinnten vernetzten. Sie streben ein Verbot von kulturell-religiösen Vorhautbeschneidungen an und versuchen, für dieses gesellschaftspolitische Ziel Mehrheiten zu generieren. Zu nennen sind exemplarisch MOGiS e.V., die giordano-bruno-stiftung, der Zentralrat der Ex-Muslime, intaktiv e.V. Eine Stimme für genitale Selbstbestimmung1703, das Beschneidungsforum und beschneidung-von-jungen.de. Sie organisieren und bewerben seit 2013 insbesondere die jährlich stattfindenden Kundgebungen anlässlich des Worldwide Day of Genital Autonomy (dem 7. Mai, an dem das Kölner Landgerichtsurteil gefällt wurde). MOGiS e.V. veröffentlicht Pressemitteilungen und organisiert mit weiteren Unterstützern/Unterstützerinnen aus diesem Kreis Tagungen, Podiumsdiskussionen und Pressekonferenzen. Im Juli 2012 brachten unter anderem MOGiS e.V., die Deutsche Kinderhilfe e.V. und der Humanistische Verband Deutschlands eine Petition auf den Weg. In ihr forderten sie ein zweijähriges Moratorium gegen gesetzliche Schritte zur Legitimation der Beschneidung und einen runden Tisch mit Betroffenen. Die Petition unterzeichneten 5.978 Personen.1704 Unter den Aktivisten finden sich – im Gegensatz zu den oben genannten Beschneidungsgegnern – auch Aktivistinnen wie die Grünen-Politikerin und ehemalige Vorstands-

____________________ 1702 1703

1704

Ebd.: 185. Der Verein wurde 2013 gegründet und setzt sich »für das Recht aller Menschen ein, selbst darüber zu entscheiden, welche nicht unmittelbar medizinisch notwendigen Eingriffe an ihren Genitalien vorgenommen werden« (intaktiv e.V. o.J.a, Herv. D. I.). Aufgrund dieses Ziels engagiert sich der Verein auch gegen die »Vorhautamputation« und »[m]ännliche Genitalverstümmelung«, die aus religiösen oder kulturellen Gründen stattfindet (vgl. intaktiv e.V. o.J.b). Intaktiv e.V. hat mehrere Botschafter/Botschafterinnen, darunter unter anderem Matthias Franz, Rolf Dietrich Herzberg und Necla Kelek. Vgl. Deutscher Bundestag 2012f.; vgl. O. A. 2012e; vgl. O. A. 2012f; vgl. O. A. 2012g.

391

5. Fazit

vorsitzende von Terre des Femmes, Irmingard Schewe-Gerigk, die Vorsitzende des Zentralrats der Ex-Muslime, Mina Ahadi, und die Vorsitzende von intaktiv e.V., Viola Schäfer. Die zivilgesellschaftlichen Akteure/Akteurinnen beziehen sich positiv auf Beschneidungsgegner wie Franz et al. und zitieren sie. Sie arbeiten anlassbezogen mit ihnen zusammen und sind daher eine wichtige Schnittstelle, um deren wissenschaftlich publizierte Positionen an eine breite gesellschaftliche Öffentlichkeit zu vermitteln.1705 Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen fanden sich in allen im Deutschen Bundestag 2012 vertretenen Parteien, wobei zahlenmäßig die wenigsten in der CDU/CSU und der FDP waren, die meisten hingegen bei der Linkspartei, der SPD und bei den Grünen.1706 Die meisten der Parlamentarier/Parlamentarierinnen engagierten sich nach der Einführung des Paragraf 1631d BGB jedoch nicht weiter öffentlich gegen Vorhautbeschneidungen. Eine Ausnahme stellt etwa die SPD-Politikerin Marlene Rupprecht dar, die im September 2013 die Resolution Children’s right to physical integrity in die parlamentarische Versammlung des Europarates einbrachte.1707 Wenngleich die Resolution nicht bindend für die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ist und auch kein Verbot der Vorhautbeschneidung fordert, zeigt sich, dass Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen weiterhin dafür eintreten, die Vorhautbeschneidung als »clearly [...] a human rights violation against children« zu bewerten.1708 Auf der parteipolitischen Ebene in Deutschland agierten nach der Verabschiedung des Paragraf 1631d BGB besonders die Jungen Liberalen und Teile ____________________ 1705

1706

1707 1708

392

Die Fachtagung Jungenbeschneidung in Deutschland am 8. Mai 2017 wurde vom Klinischen Institut für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Düsseldorf, MOGiS e.V. und der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM) e.V., Sektion Kinder- und Jugendpsychosomatik, organisiert und veranstaltet und von intaktiv e.V. und dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e.V. unterstützt. Hierfür ist das Abstimmungsverhalten am 12. Dezember 2012 im Deutschen Bundestag zum Paragraf 1631d BGB maßgeblich, der kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. In der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung stimmten 434 Abgeordnete dafür, 100 dagegen und 46 Abgeordnete enthielten sich der Stimme. Für weitere Ausführungen siehe 4.7. Die Rhetorik der Verschwörung. Vgl. Rupprecht 2013: 6ff. Ebd.: 7.

5. Fazit

der Alternative für Deutschland (AfD) gegen die Praktik der kulturell-religiösen Vorhautbeschneidung. Im April 2017 formulierten die Jungen Liberalen einen Beschluss, in dem sie sich – wie bereits in einem Beschluss auf dem Bundeskongress 2012 – implizit für ein Verbot der Vorhautbeschneidung aussprachen.1709 Auch in einem Entwurf des niederbayrischen Bezirks für das Grundsatzprogramm der AfD fand sich die Forderung, die Vorhautbeschneidung und das Schächten von Tieren zu verbieten.1710 Jedoch wurde einzig das Verbot des Schächtens in das Grundsatzprogramm der AfD von 2016 übernommen, ein Verbot der Beschneidung konnte sich nicht durchsetzen.1711 Auf dem Parteitag der AfD im April 2017 brachte die Junge Alternative ebenfalls einen Antrag ein, der sich gegen die Vorhautbeschneidung richtete. Er wurde jedoch nicht in das Wahlprogramm zur Bundestagswahl aufgenommen und mit der Begründung abgelehnt, er setze gegenüber der jüdischen Religionsgemeinschaft ein »politisch völlig falsches Signal«.1712 Diejenigen, die in Tageszeitungen sowie in Blogs Online-Kommentare gegen Vorhautbeschneidungen schrieben, stellen den größten Teil der heterogenen Gruppe der Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen dar. Er lässt sich schwer charakterisieren, da personenbezogene Informationen in den Online-Kommentaren nur rudimentär zur Sprache kommen und sich grundsätzlich alle Internetnutzer/Internetnutzerinnen in Kommentarspalten von Tageszeitungen zu Wort melden können. Auffällig ist, dass eine große Anzahl der Schreibenden mit Vor- und Nachnamen und nicht anonym kommentiert1713, wobei unklar ist, ob es sich beim angegebenen Namen um den tatsächlichen handelt. Da sich die Kommentare von Lesenden unter den Online-Versionen der Artikel und Gastkommentare in der FAZ, SZ, FR und auch der taz fanden, ist davon auszugehen, dass Personen, die die Beschneidung ablehnen, in unterschiedlichen politischen Spektren zu verorten sind. Trotz dieser Charakterisierung erscheint die Gruppe der Kommentierenden als unübersichtliche Größe in der deutschen Gesellschaft und ihre individuellen Beweggründe bleiben im Großen und Ganzen verborgen. Gerade ____________________ 1709 1710 1711 1712 1713

Vgl. Junge Liberale 2012 und 2017. Vgl. Weiland 2016; vgl. Litschko 2016. Vgl. Alternative für Deutschland 2016: 87. Storch zit. n. Sapper/Sahli-Fülbeck 2017. Vgl. Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 22; vgl. Salzborn 2010: 219f.

393

5. Fazit

durch diese Gruppe jedoch wurden »antisemitische Fragmente«1714 und ein antisemitisches Denken und Fühlen1715 geäußert, das sich gegen die Vorhautbeschneidung richtet. Zu betonen ist, dass nicht alle Online-Kommentare, in denen sich antisemitische Ressentiments finden, auf ein umfassendes antisemitisches Weltbild der Schreibenden verweisen (müssen). Zuletzt sind der Gruppe der Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen diejenigen zuzurechnen, die sich 2012 in zwei repräsentativen Einstellungs-Umfragen gegen kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen aussprachen. Die erste Umfrage wurde Ende Juni 2012 vom Meinungsforschungsinstitut TNS Emnid im Auftrag des Focus durchgeführt. Der Berichterstattung zur Umfrage zufolge hielten 56 Prozent der 1.000 Befragten das Kölner Landgerichtsurteil für richtig, 35 Prozent befanden es für falsch und zehn Prozent hatten dazu keine Meinung.1716 Die konkret abgefragten Aussagen, die die Zustimmung oder Ablehnung der Befragten generierten, wurden in der Berichterstattung allerdings nicht näher erläutert. Es hieß lediglich: »Mehrheit der Deutschen gegen Beschneidungen«1717 oder »Deutsche lehnen religiöse Beschneidungen ab«.1718 Am 18. und 19. Dezember 2012, unmittelbar nachdem der Bundestag das Gesetz zur Beschneidung beschlossen hatte, führte Infratest dimap im Auftrag des Facharbeitskreises Beschneidungsbetroffener im Verein MOGiS e.V. ebenfalls eine repräsentative Umfrage durch. Abermals wurden 1.000 Personen befragt, diesmal jedoch zum gerade beschlossenen Gesetz, das Beschneidungen von Säuglingen/Jungen »nach den Regeln der ärztlichen Kunst« erlaubt. Auch bei dieser Umfrage bleibt offen, welche konkreten Aussagen abgefragt wurden. Das Ergebnis war jedoch, dass 70 Prozent der Befragten das Beschneidungsgesetz ablehnen, 24 Prozent es hingegen für richtig halten.1719 Beide Umfragen zusammengenommen legen nahe, dass große Teile der deutschen Gesellschaft gegen kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen sind. Dies ____________________ 1714 1715 1716 1717 1718 1719

394

Scherr/Schäuble 2007: 13. Zur Frage, wann von einem geschlossenen antisemitischen Weltbild gesprochen werden kann, siehe Salzborn 2010: 329, 336, 106. Salzborn hat den Antisemitismus als »eine Art zu denken« und »eine Art zu fühlen« beschrieben und konkretisiert, Antisemitismus sei die »Unfähigkeit wie Unwilligkeit, abstrakt zu denken und konkret zu fühlen« (2010: 334, Herv. i. Orig.). Vgl. O. A. 2012b; vgl. O. A. 2012m. O. A. 2012b. O. A. 2012m. Vgl. O. A. 2012q.

5. Fazit

bedeutet aber nicht, dass alle diejenigen, die gegen Vorhautbeschneidungen sind, auch automatisch Online-Kommentare gegen die Praktik schreiben. Denn von einer spezifischen Einstellung kann nicht auf das tatsächliche Verhalten geschlossen werden1720, was auch für die repräsentative Gruppe gilt, die sich 2012 gegen Vorhautbeschneidungen aussprach beziehungsweise das Beschneidungsgesetz ablehnte. 5.3.

Die Kontroverse aus antisemitismuskritischer Perspektive

Insgesamt stehen Forschende vor der Herausforderung, antisemitisches Denken und Fühlen und antisemitische Fragmente sichtbar zu machen und zu analysieren, ohne es dabei zugleich herzustellen und zu verfestigen. Die Literaturwissenschaftlerin Paula Wojcik formuliert, dass »auch das dekonstruierende Zitieren der Stereotype zu ihrem Fortbestehen« beitragen kann.1721 Um antisemitische Ressentiments jedoch problematisieren zu können, müssen sie zuvor als solche erkannt werden. Dazu bedarf es der Antisemitismusforschung, die erklärt, inwiefern eine bestimmte Äußerung antisemitisch wahrgenommen werden kann, für Antisemiten/Antisemitinnen anschlussfähig ist oder schlicht antisemitisch ist. Durch insgesamt elf herausgearbeitete Motive lässt sich die Kontroverse um kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen in ihren Grundzügen fassen und beschreiben. Die elf Motive haben unterschiedliche Funktionen: Das Motiv des beschädigten Körpers, der Kastration und der unnatürlichen Sexualität kann als argumentative Grundlage der Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen dafür angesehen werden, der Forderung nach einem Verbot überhaupt nachgehen zu können und die Vorhautbeschneidung als Problem auszuweisen. Von daher ist der Topos der Körperverletzung nicht aus der Kontroverse wegzudenken. Über das Motiv der Gesetz- und Rechtlosigkeit können Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen die Entscheidung von religiösen Juden (und Muslimen)1722 für die Beschneidung ihrer Söhne stigmatisieren und abwerten. Insbesondere die Gegenüberstellung von Recht auf der einen und Tradition auf der anderen Seite ____________________ 1720 1721 1722

Vgl. Zick/Klein 2014a: 18ff.; vgl. Birsl 2011: 242ff., 258ff. Wojcik zit. n. Kistenmacher 2016. Muslime stehen in Klammern, weil sich Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen in dem Motiv besonders auf Juden beziehen.

395

5. Fazit

ermöglicht es, die Vorhautbeschneidung zu einem bedeutungslosen und grundlosen Brauch herabzustufen, der grundgesetzlich betrachtet auch nicht weiter berücksichtigt werden müsse (im Rahmen der Religionsausübungsfreiheit). Das Motiv, religiöse Eltern weichen von der Norm der »empathischen Eltern« ab, ist zentral dafür, aus Juden (und Muslimen), die ihre Söhne beschneiden lassen, ein Gegenbild zu machen. Sie sind so aus der Gemeinschaft der »empathischen Eltern« ausgeschlossen. Der Topos der Benachteiligung von männlichen Säuglingen/Jungen, welcher die Vorstellung von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen beinhaltet, die Vorhautbeschneidung sei eine vernachlässigte Genitalverstümmelung, trägt ebenfalls dazu bei, Juden und Muslime über die Beschneidung als fremd und nicht dazugehörend zu markieren. Das Motiv der Benachteiligung ist beispielsweise nicht aus sich selbst heraus antisemitisch, sondern kann antisemitisch gewendet oder aufgeladen sein. In diesem Fall ist das Motiv der Kontext, in den antisemitische Fragmente platziert und eingefügt werden. Die Analogien, die Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen anstrengen und die darin bestehen, die Vorhautbeschneidung mit der Prügelstrafe, der Sklaverei, Kreuzzügen, Hexenverbrennungen oder der Witwenverbrennung in Verbindung zu bringen, tragen desgleichen einen Teil dazu bei, die Praktik von Juden und Muslimen als ablehnenswert auszuweisen. Sie gehöre nicht in die gegenwärtige, vermeintlich säkulare Gesellschaft. Mit dem Motiv, jüdische und muslimische Verbündete zu haben, stützen Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen ihre Argumentation und legitimieren sich als humanistisch und menschenrechtlich orientierte Akteure/Akteurinnen. Das Motiv der »Lektion aus der Nazizeit«1723 trägt einerseits dazu bei, die eigene Haltung als reflektiert und aufrichtig zu legitimieren. Andererseits ermöglicht es, das Verhalten von Juden/Jüdinnen zu kritisieren und abzuwehren und jüdische Repräsentanten/Repräsentantinnen als »polemisch«, »fanatisch« und »unfriedlich« zu kennzeichnen. Insbesondere bei diesem Motiv wird deutschen Juden (im Gegensatz zu deutschen Muslimen) eine Sonderstellung zugesprochen, die sich aus der Shoah ergebe. Auch beim Topos der unzureichenden/defekten Demokratie findet sich die Vorstellung von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen, Juden hätten eine Sonderstellung. Um Interessen durchzusetzen,

____________________ 1723

396

Jens 2013: 29, Herv. i. Orig.

5. Fazit

übten allein Juden illegitimen Druck auf die Parlamentarier/Parlamentarierinnen und die Bundesregierung aus. Aus der Analyse der Kontroverse um kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung lassen sich vier zentrale Erkenntnisse formulieren, die von den einzelnen Motiven abstrahieren: die erste umfasst, wie eng antisemitische und nicht-antisemitische Äußerungen von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen vermischt sind; die zweite, wie Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen gleichförmig und unterschiedlich über Juden und Muslime sprechen. Über die dritte Erkenntnis wird gezeigt, wie über Antisemitismus in Deutschland gesprochen wird und die vierte beinhaltet, »wie pluralitätsfähig« Teile der deutschen Gesellschaft gegenüber individuellen und kollektiven identitätsbestimmenden Überzeugungen von Menschen sind und wie viel Respekt sie diesen entgegenbringen. Die Kontroverse zeigt insgesamt erstens, wie eng Äußerungen, die einen antisemitischen (und rassistischen) »Unterton«1724 haben, mit solchen verwoben sind, die lediglich eine (sachliche) Kritik an Vorhautbeschneidungen zur Sprache bringen. Die elf Motive verdeutlichen, wie unscharf die Übergänge zwischen antisemitischen und nicht-antisemitischen Aussagen sein können und wie gut sich antisemitische Fragmente und antisemitisches Denken und Fühlen in die Kontroverse einfügen lassen. Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen schaffen mit ihren Artikeln und Gastkommentaren in Tageszeitungen wie der FAZ, taz, SZ und DIE ZEIT diskursive Bedingungen, an die antisemitische Fragmente anschlussfähig sind und die antisemitische Lesarten ermöglichen.1725 Besonders geeignet für antisemitische Lesarten sind Andeutungen und Leerstellen, die sich in Artikeln in Tageszeitungen wie der FAZ, SZ, taz und FR finden. Dort bleiben Argumentationen vielfach implizit und uneindeutig. Vage Äußerungen von Teilnehmern/Teilnehmerinnen der Kontroverse lauten, die Vorhautbeschneidung verletze die körperliche und psychische Unversehrtheit der Säuglinge/Jungen oder sei mit dem Recht auf körperliche Unversehrtheit nicht vereinbar. Handelnde Subjekte kommen wenig vor und werden auch nicht

____________________ 1724 1725

Volkov 2001: 69. Für den israelbezogenen Antisemitismus in deutschen Tageszeitungen hat dies zuletzt die Studie von Robert Beyer verdeutlicht (vgl. Beyer 2016: 349ff., 551ff.).

397

5. Fazit

direkt verantwortlich gemacht. Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen hingegen, die antisemitisch und rassistisch argumentieren, kennzeichnen schuldige Subjekte und erklären, Juden und Muslime fügen ihren Söhnen grundlos erhebliche Schmerzen zu und verletzen und traumatisieren sie. In einer impliziten Ausformulierung heißt es, dass die Vorhautbeschneidung das Recht der Söhne verletze und es keine rechtliche und gesetzliche Rechtfertigung gebe. Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen, die antisemitisch und rassistisch argumentieren, stellen heraus, das Verhalten von Juden und Muslimen sei gegen Recht und Gesetz gerichtet und Juden seien »Verbrecher gegen die Menschlichkeit«.1726 In einer vagen Sprechweise heißt es, die Beschneidung verletze die genitale Selbstbestimmung oder entferne den empfindlichsten Teil der Genitalien, das antisemitische Denken ergänzt, Juden »verstümmeln« die Genitalien ihrer Söhne und seien »[b]lutbesessen«1727 und »pädophil«1728. Teilnehmer/Teilnehmerinnen der Kontroverse äußern, die Parlamentarier/Parlamentarierinnen des Bundestages und die Politik stünden unter Druck, ein Gesetz zu erlassen, das Vorhautbeschneidungen erlaubt. Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen, die antisemitisch argumentieren, empören sich hingegen, Juden würden die Gesetze vorgeben und die Politik »erpressen«.1729 Insgesamt sprechen die untersuchten Akteure/Akteurinnen in Tageszeitungen kaum von Juden/Jüdinnen und Muslimen/Muslimas als handelnden Subjekten, sondern erklären die Beschneidung selbst zum Subjekt. Sie stellen die Handlung in den Vordergrund und wenig die Subjekte, die sie praktizieren. Daher kann die Fokussierung auf die Vorhautbeschneidung eine Umwegkommunikation darstellen, die es ermöglicht, nicht von Juden und Muslimen sprechen zu müssen. Zahlreiche Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen suggerieren, nur die Praktik der Vorhautbeschneidung abzulehnen und nicht Juden und Muslime, die ihre Säuglinge/Jungen beschneiden lassen. Die Maßstäbe, mit denen die untersuchten Akteure/Akteurinnen die Vorhautbeschneidung messen und bewerten, sind allerdings die ihren, auch wenn sie suggerieren, nur eine Differenzbeobachtung zu machen, ohne selbst die Abgrenzung zwischen der eigenen und einer Praktik der jüdischen und muslimischen Lebensweise herzustellen. Indem sie die ____________________ 1726 1727 1728 1729

398

Zwangsbeschneidung.de 2014a. Rasmussen 2012. Zwangsbeschneidung.de 2015a. Bosau 2013.

5. Fazit

Vorhautbeschneidung als großes Problem darstellen, tragen sie dazu bei, Judenfeindschaft zu plausibilisieren und zu legitimieren. Zahlreiche Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen erklären nicht nur die Gegnerschaft zur Vorhautbeschneidung, sondern sprechen in einer bestimmten Art und Weise über Juden und das Judentum sowie über Muslime und den Islam. Sie vertreten die Perspektive, anhand der Haltung zur Vorhautbeschneidung zeige sich die Assimilierungsfähigkeit von Juden und Muslimen. In unterschiedlicher Deutlichkeit suggerieren und formulieren die untersuchten Akteure/Akteurinnen, Juden und Muslime seien anders und passten mit der Beschneidung »überhaupt nicht dazu«.1730 An (säkulare) Argumentationsweisen, die sich gegen die Vorhautbeschneidung richten, schließen sich antisemitische Fragmente an, die auf Juden fokussieren und das Judentum in seiner Existenz anprangern.1731 Denn in den verschiedenen Motiven konstruieren Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen Juden/Jüdinnen zu einer Gruppe, die kein Teil des homogenen Kollektivs ist, in dem alle die vermeintlich gleiche Identität und einen »natürlichen Körper« haben. So werden Juden als nicht dazugehöriger Teil der Gesellschaft markiert, womit der Prozess des Ausschlusses beginnt, der im schlimmsten Fall zu offener Diskriminierung und Gewalt führt.1732 Nicht alle elf Motive waren in der Kontroverse gleichermaßen präsent. Besonders zentral waren die Topoi der Gesetz- und Rechtlosigkeit, des beschädigten Körpers und der Benachteiligung als marginalisierte Genitalverstümmelung. Weniger relevant in den Äußerungen waren hingegen die Motive der unnatürlichen/beschädigten Sexualität und der Kastration. Zahlreiche Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen reduzieren das Judentum und den Islam auf die Beschneidung1733 und begrenzen damit die Identität von Juden/Jüdinnen und Muslimen/Muslimas und geringschätzen deren Selbstverständnis. Dies drückt sich etwa in dem Argument aus, Mohalim verstümmelten »grundlos die Genitalien von kleinen Jungen«1734, womit dem jüdischen Selbstverständnis, die Beschneidung sei

____________________ 1730 1731 1732 1733 1734

L. A. 2014: Z. 624. Vgl. Rau 2014: 37f.; vgl. Bodenheimer 2012a: 12ff. Hier wird nur auf Judenbilder fokussiert, da diese das eigentliche Erkenntnisinteresse darstellen. Vgl. Unabhängiger Expertenkreis Antisemitismus 2017: 101. Vgl. Bodenheimer 2012a: 17. K. 2010 (Nachname anonym).

399

5. Fazit

ein grundlegender Fixpunkt des jüdischen Glaubens, wenig Bedeutung beigemessen wird. Die Identifizierung als jüdisch und muslimisch seitens der Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen ist ambivalent und widersprüchlich und funktioniert durch partielle Auslassung und Vernachlässigung einerseits bei gleichzeitiger partieller Hervorhebung und Betonung andererseits: Bei den jüdischen (männlichen) Säuglingen und muslimischen Jungen berücksichtigen Gegner/Gegnerinnen der Vorhautbeschneidung die Religiosität und den Familienhintergrund, in dem die Säuglinge/Jungen aufwachsen, vielfach nicht, wenn sie von »den Kindern« oder »Wehrlosen« sprechen. Bei den Eltern und den Beschneidern/Beschneiderinnen kommt die Religiosität wiederum ins Spiel, sodass das Handeln vom Glauben verblendet, irrational und unbegreiflich erscheint. Bei den Grundrechten hingegen zählt die Religiosität der Eltern wenig und wird ausgeklammert, »Tradition« und »Kultur« indes hervorgehoben, wodurch das Grundrecht der Religionsausübungsfreiheit für das elterliche Handeln als nicht einschlägig erscheint und als Begründung nicht gelten kann. Gemeinsam ist den elf Motiven, dass sie Ermöglichungsbedingungen für antisemitische Fragmente und antisemitisches Denken und Fühlen bieten. Das bedeutet nicht, dass das Motiv selbst von vornherein antisemitisch ist, sondern auf diese Weise gewendet und ausformuliert werden kann. Aus dieser Erkenntnis folgt, dass im Rahmen der Studie jede einzelne Äußerung, die die Vorhautbeschneidung kritisiert und ablehnt und die einem Motiv zuzurechnen ist, genau rekonstruiert, analysiert und diskutiert wird. An jedem Einzelfall wird nachgezeichnet, wie eine Aussage in eine antisemitische umschlägt oder so gedeutet werden kann, da sich dies »nur anhand der Analyse von Inhalt und Form des Gesagten (und zumeist auch anhand des dabei Ungesagten)«1735 entscheiden lässt. Es geht gewissermaßen um Einzelfälle in ihrer Gesamtheit. Einzelne Artikel und Gastkommentare in Tageszeitungen und Online-Kommentare von Lesenden stehen stellvertretend für eine Vielzahl weiterer Äußerungen. Zentrales Kriterium in der Analyse der antisemitischen Ressentiments von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen ist, inwiefern eine homogenisierende und essenzialistische Deutung über das Judentum, Juden und das Jüdische vorliegt. Durch die Strukturierung in die elf herausgearbeiteten Motive wird der Umstand ____________________ 1735

400

Ranc 2016: 13.

5. Fazit

berücksichtigt, dass sich gegenwärtiger Antisemitismus durch unterschiedliche disziplinäre Zugänge und ergänzend durch verschiedene Antisemitismuskonzepte analysieren und entschlüsseln lässt und nicht mit dem einen Schlüssel einer monolithischen Theorie des Antisemitismus.1736 Zweitens zeigt sich in den Artikeln und Gastkommentaren in Tageszeitungen, narrativen Interviews sowie Online-Kommentaren in Tageszeitungen und Blogs, dass Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen sowohl der Beschneidung von jüdischen Säuglingen und muslimischen Jungen als auch Juden und Muslimen gleichartige und verschiedene Attribute zuschreiben. Im Motiv der Gesetz- und Rechtlosigkeit argumentieren Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen, sowohl Juden als auch Muslime berücksichtigen das Recht ihrer Söhne unzureichend. Wenngleich sich diese Charakterisierung auf beide Religionsgemeinschaften bezieht, zeigen sich in der Kontroverse partiell auch Unterschiede in der Kommunikation. Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen verbinden folglich mit Juden und Muslimen sowie mit der jüdischen und muslimischen Praktik Verschiedenes und unterstellen Unterschiedliches. Exemplarisch sei genannt, dass sich Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen darüber empören, besonders Juden übten illegitimen Druck auf »die Politiker« und die Bundesregierung aus, etablierten eine »Drohkulisse« oder nützten die Religionsfreiheit als »Freibrief«1737; Muslime im Gegensatz täten kaum etwas derart Unerhörtes und wären im Auftreten moderat.1738 Ergänzend unterstellen Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen, Juden seien intoleranter, weil sie im Unterschied zu Muslimen nicht bereit seien, über den Zeitpunkt der Beschneidung – also das Alter derjenigen, die beschnitten werden sollen – zu verhandeln. Auch das Motiv der »Lektion aus der Nazizeit« ist besonders mit Juden und nicht mit Muslimen verbunden. Wichtig ist zu betonen, dass es in der vorliegenden Arbeit zwar um beides – Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus – geht, das primäre Erkenntnisinteresse aber nicht aus einem Vergleich besteht. Vielmehr geht es darum, wie antisemitisches Denken und Fühlen in gesellschaftlich breit geführten Kontroversen eingebettet ist und wie unscharf mitunter die Gren____________________ 1736 1737 1738

Vgl. Salzborn 2010: 27. Franz 2012a. Siehe hierzu Kapitel 4.7. Die Rhetorik der Verschwörung.

401

5. Fazit

zen in den unterschiedlichen Argumentationen von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen sind. Die spezifischen Zuschreibungen gegenüber Juden und Muslimen werden im Einzelnen beschrieben und partiell verallgemeinert. So wird das Wechselverhältnis zwischen Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus in dieser Studie zwar fortwährend anhand der einzelnen Motive reflektiert und analysiert; eine systematische Theoretisierung des Wechselverhältnisses findet hingegen nicht statt. Der Zusammenhang wird vielmehr en passant in der Analyse berücksichtigt, da er in der Kontroverse unübersehbar ist. Drittens steht die Kontroverse exemplarisch dafür, wie über Antisemitismus in Deutschland gesprochen wird. Zahlreiche Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen weisen Antisemitismus entschieden von sich und sind kaum sensibel gegenüber der Tatsache, dass sich antisemitische Fragmente und antisemitisches Denken und Fühlen in der Kontroverse findet. Damit bagatellisieren sie einerseits Antisemitismus als gesellschaftliches Problem und als konkrete Bedrohung für Juden/Jüdinnen und übergehen andererseits sowohl die Beiträge ihrer Kritiker/Kritikerinnen sowie die Äußerungen von Repräsentanten/Repräsentantinnen deutscher Juden/Jüdinnen, die Facetten der Kontroverse als ausschließend, diskriminierend und antisemitisch empfinden. Auf diese Weise lässt sich die Abwehr des Antisemitismus als Handlungsmuster in den Blick nehmen, das besonders vorkommt, wenn die Akteure/Akteurinnen mit einer Gegenrede zu ihrer Position konfrontiert sind und einer potenziellen Stigmatisierung als Antisemiten/Antisemitinnen entgehen wollen.1739 Sie reagieren präventiv oder reaktiv auf explizite oder wahrscheinliche Antisemitismusvorwürfe oder Thematisierungen von Antisemitismus.1740 Wie eng das Thema Beschneidung mit dem Judentum, Juden/Jüdinnen sowie Antisemitismus verbunden ist, zeigt sich nicht nur in den Artikeln in Tageszeitungen und Online-Kommentaren, sondern auch in den narrativ geführten Interviews mit acht Beschneidungsgegnern und einer Beschneidungsgegnerin. In der offenen Einstiegsfrage, die in jedem Interview gleich gestellt wurde, ist lediglich die ____________________ 1739 1740

402

Vgl. Höttemann 2018. Schwarz-Friesel/Reinharz arbeiten heraus, dass es eine Strategie gebildeter Antisemiten/Antisemitinnen aus der politischen Mitte ist, auf Selbsterklärungen und Selbstlegitimierungen zurückzugreifen und zu beteuern, nicht antisemitisch zu sein (vgl. Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 171, 250, 346).

5. Fazit

Rede von der Beschneidung.1741 Die Interviewten kommen teilweise bereits in den ersten fünf Minuten des Interviews auf die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung1742, auf deutsche Juden/Jüdinnen1743, auf eine mit der Beschneidungskritik verbundene »religionskritisch[e] oder -feindlich[e] oder kulturkritisch[e] oder -feindlich[e]«1744 Haltung oder auf das deutsch-jüdische Verhältnis zu sprechen.1745 Viertens sagen die antisemitischen Facetten in der Kontroverse etwas über den Zustand der gegenwärtigen Demokratie aus1746 und darüber, wie viel Entfaltungsspielraum unterschiedlichsten (religiösen) Identitäten innerhalb einer solchen zugestanden wird. Die Existenz von Antisemitismus verdeutlicht, dass individuelle Freiheiten in der Gesellschaft und Demokratie im Ganzen gefährdet sind, was seiner Erforschung eine hohe »demokratiewissenschaftliche[..] Relevanz«1747 einräumt. Die religiös orientierte Weltsicht von Juden/Jüdinnen hat den Status einer Weltanschauung beziehungsweise den Status von »identitätsbestimmenden Überzeugungen von Menschen«1748, die die Lebenswirklichkeit und Lebenspraxis prägen. Aus diesem Grund ist die Kontroverse um Beschneidungen ein Lehrstück dafür, wie viel Raum die gegenwärtige Gesellschaft auch dem Unverstandenen

____________________ 1741 1742 1743 1744 1745

1746 1747 1748

Siehe hierzu 2.5. Interviews in der Antisemitismusforschung. Vgl. V. A. 2014: Z. 72; B. A. 2014: Z. 185ff., L. A. 2014: Z. 47f., L. R. 2014: Z. 108f. Vgl. B. A. 2014: Z. 5ff.; vgl. L. A. 2014: Z. 47ff. L. R. 2014: Z. 109f. I. R. kommt nach neuneinhalb Minuten auf die Praxis der Beschneidung im Judentum zu sprechen und darauf, dass Strafjuristen/Strafjuristinnen sie lange nicht kritisierten, weil sie jüdisch sei (vgl. I. R. 2014: Z. 153ff.). F. I. erwähnt nach etwa elf Minuten Beschneidungen im Judentum und betont, dass sie in psychoanalytisch orientierten Forschungen kritisch betrachtet wurden (vgl. F. I. 2014: Z. 140ff.). U. R. spricht nach etwa 41 Minuten von der historischen Verantwortung, die Nichtjuden gegenüber Juden aufgrund der nationalsozialistischen Verbrechen haben (vgl. U. R. 2014: Z. 873ff.). G. O. kommt nach etwa elf Minuten auf das Phänomen des Ehrenmordes im Islam zu sprechen und nach 40 Minuten auf das deutsch-jüdische Verhältnis (vgl. G. O. 2014: Z. 157, 476f). Salzborn bezeichnet Antisemitismus als Feindschaft gegen und Gefahr für die Demokratie (vgl. Salzborn 2017a; vgl. Salzborn 2017b; vgl. Salzborn 2010: 325ff.). Rensmann 2005: 15. Bielefeldt 2016.

403

5. Fazit

und »Unheimlichen«1749 gewährt und wie viel oder wenig unterschiedliche Identitätskonzepte sie aushält und auszuhalten bereit ist. Die Kontroverse sagt etwas darüber aus, »wie pluralitätsfähig«1750 große Teile der deutschen Gesellschaft gegenüber religiöser Differenz und gegenüber religiösen Praktiken sind und inwiefern sie sie exkludieren oder inkludieren. Geprägt durch die Perspektive der Kritischen Theorie auf Antisemitismus weist Salzborn darauf hin, dass im Antisemitismus die abstrakte Möglichkeit von NichtIdentität und identitärer Ambivalenz zunichte gemacht wird.1751 Auch Rensmann betont in diesem Sinne, der Hass auf Juden ist der Hass »auf das Individuum, auf seine besondere und einzigartige Natur, auf seine Rechte in einer freien Gesellschaft«.1752 Indem Juden vermeintlich von der kollektiven Identität der »empathischen Eltern«, die nicht beschneiden lassen, oder als Mohalim von Ärzten/Ärztinnen abgegrenzt werden, repräsentieren sie im antisemitischen Denken die Weigerung, sich anzupassen, da sie auf ihr Recht auf Differenz bestehen und dafür als abweichend markiert werden.1753 Darüber hinausgehend zeigt sich in der Kontroverse, dass Teile der Gesellschaft jüdische und muslimische religiöse Praktiken und die Religionsausübungsfreiheit nicht mehr als individuelle, sondern als gesellschaftlich verhandelbare und sanktionsfähige Angelegenheit betrachten, über die sie bestimmen können. 5.4.

Die Funktionsweise der Kontroverse

Unterschiedlich sind die Ausformulierungen in den Tageszeitungen und den Online-Kommentaren, weil nicht alle Schreibenden und Sprechenden gleichermaßen explizit vorgehen und pöbeln, beleidigen, drohen und beschimpfen. Besonders in den Artikeln in Tageszeitungen äußern sich die Schreibenden tendenziell gemäßigt und implizit oder indirekt. In den Interviews wiederum äußern sich die Sprechenden sowohl implizit als auch explizit. In den Online-Kommentaren von Lesenden und den Beiträgen auf ____________________ 1749 1750 1751 1752 1753

404

Blumenberg/Hegener 2013a; vgl. Salzborn 2010: 331. Bodenheimer 2012b. Vgl. Salzborn 2010: 323, 338. Löwenthal zit. n. Rensmann 1998: 101. Vgl. Rensmann 1998: 102.

5. Fazit

Internetblogs nutzen die Schreibenden dagegen vielfach »brachiale Sprachgebrauchsmuster«.1754 Sie füllen Leerstellen und Auslassungen, die in den Artikeln in Tageszeitungen nur angedeutet, aber nicht expliziert werden. Zwischen den unterschiedlichen impliziten und expliziten Ausformulierungen bestehen Kontinuitäten, die in der Gesamtheit die jeweiligen herausgearbeiteten Motive ergeben. Diejenigen, die antisemitische Fragmente in die Kontroverse einbringen, beziehen sich positiv auf komplexe medizinische und juristische Argumentationen und Fachdiskurse und knüpfen an diese an. Dabei führen die antisemitischen Fragmente jedoch kein diskursives Eigenleben und verselbstständigen sich nicht unbedingt. Vielmehr nutzen Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen, die antisemitisch argumentieren, fortwährend medizinische, psychoanalytische und strafrechtliche Argumentationen, die in Tageszeitungen rekapituliert werden, um sich zu legitimieren. Der Blog Zwangsbeschneidung.de etwa entsteht im Sommer 2012 im Zuge der medial breit geführten Kontroverse, und auch die diversen netzbasierten Kommunikationen des Mediziners Wolff Geisler werden nach dem Kölner Landgerichtsurteil veröffentlicht und verbreitet. Das bedeutet, Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen, die sich antisemitisch äußern, fühlen sich gewissermaßen durch die Kontroverse zum Schreiben ermächtigt. Die Kontroverse eröffnet die Möglichkeit, antisemitische und rassistische Ansichten zur Vorhautbeschneidung öffentlich auszubreiten und entsprechende Online-Kommentare und Blogbeiträge einem größeren Publikum zur Verfügung zu stellen. Der öffentlich-mediale Diskurs schafft also einen Anlass dafür, dass die Blogbeiträge auf Zwangsbeschneidung.de in dieser Art formuliert werden können. Die Kommentare auf Blogs wie diesem geben in zugespitzter Form Aufschluss über die Gesellschaft respektive den öffentlich-medialen Diskurs, während sich die Topoi in abgeschwächter Form (in vager Ausformulierung) auch in Tageszeitungen finden. Diese Artikel sowie die sich anschließenden Online-Kommentare der Lesenden geben Aufschluss über Denkstrukturen, Einstellungen und Gefühle der ein-

____________________ 1754

Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 16.

405

5. Fazit

zelnen Verfasser/Verfasserinnen, können aber auch als Ausdruck eines größeren gesellschaftlichen Zusammenhanges analysiert und verstanden werden.1755 Darüber hinausgehend gilt es zu bedenken, dass in den Sommermonaten 2012, als die Kontroverse ihre Hochphase hatte, sich fachwissenschaftliche und gesellschaftspolitische Ausprägungen überlagerten.1756 Beide Sphären der Kontroverse sind sehr eng verwoben und lassen sich eigentlich nicht klar voneinander abgrenzen. Denn einige Wissenschaftler treiben rhetorische Zuspitzungen und Vereinfachungen voran und begeben sich aus den wissenschaftlichen Fachkontroversen heraus. Sie streben eine gesellschaftspolitische Mobilisierung in der Bewertung der kulturell-religiösen Vorhautbeschneidung an. Gerade in den Kampagnen wie etwa dem offenen Brief in der FAZ oder der Petition von MOGiS e.V., die primär das Ziel haben, politische Mehrheiten zu schaffen, findet eine (intellektuelle und rhetorische) Komplexitätsreduktion statt. So gebraucht der Mediziner und Psychoanalytiker Matthias Franz den Begriff Trauma in Gastkommentaren und Interviews in Tageszeitungen inflationär und populistisch.1757 Wissenschaftler sind also zugleich Teil von Fachdiskursen und Akteure im gesellschaftspolitischen Handgemenge, in dem es um den Status der Vorhautbeschneidung geht. Ihre Stellung in der Kontroverse ist daher besonders bedeutend. Dass sich beide Sphären der Kontroverse überlagern, zeigt sich auch anhand der »kritische[n] Glosse[n]«, die zwischen September 2012 und März 2013 in der monatlich erscheinenden Zeitschrift Psyche veröffentlicht werden. Die Glossen nehmen wiederum Bezug auf Gastkommentare in Tageszeitungen und belegen damit die sich verstärkende Wechselwirkung.

____________________ 1755 1756 1757

406

Vgl. Salzborn 2010: 13ff.; vgl. Salzborn/Brosig 2007: 159ff.; vgl. Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 4. In der FAZ erscheinen im Gegensatz zur taz, SZ und FR ab August 2012 deutlich weniger Artikel. Von der Tendenz her gilt diese Entwicklung jedoch auch für die anderen genannten Tageszeitungen. Siehe 4.1. Vom beschädigten Körper.

5. Fazit

5.5.

Die Konsequenzen der Kontroverse

Die Kontroverse zeigt, dass sich gewissermaßen ein neuer Anlass für antisemitische Fragmente und für antisemitisches Denken und Fühlen etablieren konnte, der aus der kulturell-religiösen Praktik der Vorhautbeschneidung besteht. Damit rückt die jüdische Kultur und Religion wieder in den Fokus von antisemitischem Denken. Die mediale Berichterstattung über das Urteil des Kölner Landgerichts und über die Vorhautbeschneidung war ein Auslöser für diese Kommunikation und eine diskursive Gelegenheit zugleich. Zwar werden antisemitische Äußerungen auch ohne konkrete Gelegenheiten geäußert, oftmals kristallisieren sie sich jedoch um die mediale Berichterstattung über den Nahost-Konflikt und seine kriegerischen Auseinandersetzungen oder Reden von in der Öffentlichkeit stehenden Personen wie beispielsweise Politiker/Politikerinnen.1758 Zu betonen ist, dass die empirische Wirklichkeit (dass Juden/Jüdinnen beschneiden lassen) nur »das auslösende Moment«1759 und nicht die Ursache für den Antisemitismus ist. Von Themenanlässen und Schreibanlässen sprechen auch Schwarz-Friesel/Reinharz in ihrer Analyse von Zuschriften an den Zentralrat der Juden in Deutschland und die Israelische Botschaft in Berlin. Sie stellen fest, dass die Zahl der Zuschriften neben einer Basis von konstant zugesendeten Zuschriften fluktuiert und dies mit Diskursereignissen zu tun hat, die die Aufmerksamkeit der Schreibenden auf sich ziehen.1760 Sie nennen beispielsweise kriegerische Auseinandersetzungen wie den Libanonkrieg im Sommer 2006, das 60. Staatsjubiläum Israels im Mai 2008 oder die Berichterstattung zum Stopp der Gaza-Flottille im Mai 2010.1761 Den Mechanismus bezeichnen sie als »Reiz-Reaktions-Schema«: Je stärker die mediale Berichterstattung über solche Geschehnisse ausfällt, desto zahlreicher sind die antisemitischen Zuschriften.1762 Zwischen den genannten Anlässen im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts und dem Anlass der kulturell-religiösen Vorhautbeschneidung gibt es

____________________ 1758 1759 1760 1761 1762

Vgl. Rensmann 2005: 21; vgl. Salzborn 2010: 221; vgl. Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 14ff. Salzborn 2010: 320, Herv. i. Orig. Vgl. Schwarz-Friesel/Reinharz 2013: 14f., 18. Vgl. ebd.: 14ff. Ebd.: 16.

407

5. Fazit

jedoch Unterschiede: Ein erster Unterschied besteht darin, dass sich Akteure/Akteurinnen zu Wort melden, die bisher nicht in Erscheinung getreten waren, wenn es beispielsweise um den Nahost-Konflikt geht. Es sind besonders Juristen/Juristinnen, Mediziner/Medizinerinnen und Psychologen/Psychologinnen, die die Prozesse der Meinungsbildung prägen und aufgrund des Experten/Expertinnenstatus wirkmächtig sind. Sie nutzen den Anlass, um ihre Ablehnung der Vorhautbeschneidung zum Ausdruck zu bringen, wobei sie unvermeidlich über Juden, das Judentum und das deutsch-jüdische Verhältnis reflektieren. Diese Erkenntnis impliziert, dass unterschiedliche Menschen verschiedene Anlässe benötigen, um sich situativ zu äußern. Ein zweiter Unterschied ist darin zu sehen, dass sich durch den neuen Anlass das Spektrum der Bezugspunkte für antisemitische Äußerungen erweitert, da es um eine kulturell-religiöse Praktik geht. Die Ablehnung der Beschneidung stellt daher nicht nur ein ergänzendes, vermeintlich berechtigtes semantisches Angebot für Antisemiten/Antisemitinnen dar, sondern veranschaulicht auch »das Begehren«, »antijüdische Aversionen am ‚legitimen‘ Objekt zu äußern«.1763 In diesem Zusammenhang ist relevant, dass antisemitische Äußerungen im Kontext der Ablehnung von Vorhautbeschneidungen gesellschaftlich und wissenschaftlich vielfach wenig als solche erkannt werden und daher geringer sanktioniert sind, als dies etwa beim israelbezogenen Antisemitismus mittlerweile der Fall ist.1764 Es gibt noch keine breite gesellschaftspolitische und wissenschaftliche Verständigung darüber, was an den jeweiligen Äußerungen gegen die Beschneidung zurückzuweisen ist. Aus diesem Grund ist die Beschneidungskontroverse für diejenigen attraktiv, die sich gewissermaßen sanktionsfrei ausleben wollen. Ein dritter Unterschied besteht darin, dass sich durch das ungewöhnliche Thema der Beschneidung gewissermaßen die Erscheinungsweise oder antisemitische »Projektionsform«1765 ändert. Sie äußert sich über andere Bezugspunkte wie den Körper, die Gesundheit und die Zugehörigkeit zum männlichen Geschlecht. Es finden sich aber auch Gemeinsamkeiten, da etwa das Motiv der Gesetz- und Rechtlosigkeit, das im antisemitischen ____________________ 1763 1764 1765

408

Heil/Kramer 2012: 11. Anzumerken ist, dass auch der israelbezogene Antisemitismus nach wie vor zu wenig in gesellschaftspolitischen Diskursen zurückgewiesen wird. Salzborn 2010: 221.

5. Fazit

Denken häufig mit dem israelischen Staat verbunden ist, auch in der Kontroverse vorkommt. Bisher ist besonders Israel durch doppelte Standards und in delegitimierender Weise als rechtsbrechender Staat unter den Staaten der Welt imaginiert worden.1766 In der Beschneidungskontroverse richtet sich die Anschuldigung jedoch nicht an den israelischen Staat, sondern an jüdische Eltern und Mohalim. Eine weitere Gemeinsamkeit besteht darin, dass sich Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen auf »die Kinder« konzentrieren. Eine Entsprechung im israelbezogenen Antisemitismus ist die Parole »Kindermörder Israel«1767, wobei sich diese Beschuldigung nicht auf jüdische Kinder bezieht, sondern auf die von Palästinensern/Palästinenserinnen. Auch der Vorwurf, Juden nützten die Shoah in unzulässiger Weise, um »jede Kritik« an sich zu unterdrücken und Interessen zu »erpressen«, findet sich in der Kontroverse um Beschneidungen.1768 Die Kontroverse lehrt Antisemitismusforscher/Antisemitismusforscherinnen als Beobachter/Beobachterinnen der Gesellschaft, dass eine starke Fokussierung auf israelbezogenen Antisemitismus und geschichtspolitische Debatten zu kurz greift, um gegenwärtigen Antisemitismus in Deutschland in seinen unterschiedlichen Ausdrucksformen zu erforschen.1769 Wenngleich der israelbezogene Antisemitismus als gegenwärtig dominant vorkommende Variante keineswegs verdrängt ist, bleibt zu konstatieren, dass auch andere thematische Bezüge einen Kristallisationspunkt für die Kommunikation von Antisemitismus darstellen. In der Kontroverse war der Bezugspunkt eine gelebte jüdische Praktik, was zeigt, dass die Religion und/ oder Kultur auch im gegenwärtigen Antisemitismus eine wichtige Kategorie in der gesellschaftlichen In- und Exklusion ist.1770 Auch zukünftig kann eine Kontroverse erneut in der breiten Öffentlichkeit aufkommen und sich wiederholen. Denn anlassbezogen erscheinen immer wieder Zeitungsartikel zur Thematik, was zeigt, dass die Kontroverse nicht abgeschlossen ist. Mitte März 2018 erschienen zwei Artikel in der

____________________ 1766 1767 1768 1769 1770

Vgl. Schwarz-Friesel 2010: 39. Vgl. Schwarz-Friesel 2015: 15. Siehe hierzu 4.6. Die »Lektion aus der Nazizeit« und 4.7. Die Rhetorik der Verschwörung. Vgl. Schwarz-Friesel 2015a: 17f. Vgl. Kaletsch 2015.

409

5. Fazit

ZEIT, die für und gegen die kulturell-religiöse Vorhautbeschneidung argumentieren.1771 Anlass war das drohende Verbot von kulturell-religiösen Vorhautbeschneidungen in Island, wo Abgeordnete aus einem breiten Parteienbündnis einen entsprechenden Gesetzesentwurf ins Parlament einbrachten.1772 Unter den ZEIT-Artikeln finden sich mehrere hundert OnlineKommentare. Zwar gibt es seit Dezember 2012 den Paragraf 1631d BGB, der kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Die Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen akzeptieren dieses Gesetz aber nicht als gesellschaftspolitischen Kompromiss. Sie engagieren sich vielmehr weiterhin virtuell, in Hörsälen und auf der Straße gegen die Beschneidung und streben an, das Gesetz wieder rückgängig zu machen und abzuschaffen.1773 Für diese Position werben sie beständig in Tageszeitungen, in Briefen, in diversen Blogs, Foren, Resolutionen und Positionspapieren. Exemplarisch kann die Kritik des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie, der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin oder des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte Bayern zum Jahrestag der Abstimmung des Paragraf 1631d BGB am 11. Dezember 2017 genannt werden.1774 Zu erwähnen ist auch die Resolution gegen die rituelle Jungenbeschneidung der Fachtagung Jungenbeschneidung in Deutschland von 2017 sowie das Positionspapier vom Bundesforum Männer – Interessenverband für Jungen, Männer und Väter e.V., das auf der Mitgliederversammlung im März 2017 beschlossen wurde.1775 Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen nutzen aber auch andere Gelegenheiten wie etwa den Jahrestag des Kölner Landgerichtsurteils am 7. Mai dazu, ein Verbot der Vorhautbeschneidung in ihren Demonstrationen und Kundgebungen zu fordern1776, und wenden sich mit Stellungnahmen an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages.1777 Zuletzt ist eine Konsequenz der Kontroverse, dass sich vereinfachende Zuordnungen festsetzen, die kaum mehr anders denkbar sind. Dies drückt sich etwa in der von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen ____________________ 1771 1772 1773 1774 1775 1776 1777

410

Vgl. Bittner 2018; vgl. Amjahid 2018. Vgl. Bönte 2018. Vgl. Bundesforum Männer 2017: 1; vgl. DGPM 2017: 4. Vgl. O. A. 2017a; vgl. O. A. 2017b; vgl. B. Weiß 2017. Vgl. DGPM 2017: 1ff.; vgl. Bundesforum Männer 2017: 1ff. Vgl. MOGiS e.V. 2018; vgl. MOGiS e.V. 2017. Vgl. Eschelbach/Franz/Scheinfeld 2017: 1ff.

5. Fazit

formulierten Zuschreibung aus, ‚pro Beschneidung = contra Kindeswohl‘ und ‚contra Beschneidung = pro Kindeswohl‘. Diese Gleichung verbreitete sich, da Teilnehmer/Teilnehmerinnen der Kontroverse in Artikeln in Tageszeitungen das Selbstbild von Beschneidungsgegnern/Beschneidungsgegnerinnen als humanistisch, pro Selbstbestimmung, Autonomie, Gesundheit und Menschenrechte vielfach unkritisch übernahmen. Damit ordneten sie die anderen, also Juden/Jüdinnen, Muslime/Muslimas sowie Kritiker/Kritikerinnen und Gegner/Gegnerinnen des Kölner Landgerichturteils automatisch den Gegenpolen – contra humanistisch, contra Selbstbestimmung, Autonomie, Gesundheit und Menschenrechte zu. Das bedeutet, das Selbstbild der Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen ist in der Kontroverse wirkmächtig geworden, die Gleichung ‚contra Beschneidung = pro Kindeswohl‘ wurde selten infrage gestellt. Entsprechend waren Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen gewissermaßen die wirkungsvolleren Akteure/Akteurinnen der Kontroverse. Zwar ist die Beschneidung wieder und weiterhin unter bestimmten Vorgaben erlaubt und die Forderung nach einem Verbot konnte sich im Ergebnis des politischen Prozesses nicht durchsetzen (weswegen sich Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen selbst auch nicht als wirkmächtig erfahren). Ihre Deutungen und Wertungen der Vorhautbeschneidung sind jedoch gesellschaftlich prägend geworden und ins ‚kollektive Unbewusste‘ eingegangen. Beschneidungsgegner/Beschneidungsgegnerinnen setzten sich mit ihrer Perspektive, gesellschaftlich betrachtet, durch, weswegen sie auch zukünftig das individuelle und kollektive Nachdenken der nichtjüdischen und nichtmuslimischen Teile der deutschen Bevölkerung über die Vorhautbeschneidung formen und bestimmen werden.

411

412

6.

Literatur

A.G. Gender-Killer (2005): Geschlechterbilder im Nationalsozialismus. Eine Annäherung an den alltäglichen Antisemitismus, in: Dies. (Hg.): Antisemitismus und Geschlecht. Von »maskulinisierten Jüdinnen« und »effeminierten Juden« und anderen Geschlechterbildern, Münster, S. 9–67. Ahituv, Netta (2012): Even in Israel, more and more parents choose not to circumcise their sons, in Haaretz v. 14.06.2012, http://www.haaretz.com/israel-news/even-in-israel-more-and-more-parents-choose-not-to-circumcise-their-sons-1.436421, abgerufen am 20.09.2017. Ahlheim, Klaus/Heger, Bardo (2002): Die unbequeme Vergangenheit: NS-Vergangenheit, Holocaust und die Schwierigkeit des Erinnerns, Schwalbach. Alemann, Ulrich von (2002): Vom Korporatismus zum Lobbyismus? Die Zukunft der Verbände zwischen Globalisierung, Europäisierung und Berlinisierung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 26-27/2000, http://www.bpb.de/apuz/25539/vom-korporatismus-zum-lobbyismus, abgerufen am 10.11.2015. Amadeu Antonio Stiftung (Hg.) (2015): »No World Order«. Wie antisemitische Verschwörungsideologien die Welt verklären, Berlin. Amir-Moazami, Schirin (2016): Investigating the Secular Body: The Politics of the Male Circumcision Debate in Germany, in: ReOrient, H. 2/2016, S. 147–170. Anderson, Kristin J. (2015): Modern misogyny: anti-feminism in a post-feminist era, New York. Bechmann, Ulrike/Reiss, Wolfram (2016): Vorwort der Herausgeber, in: Dies. (Hg.): Antisemitismus in den Medien? Beschneidungspraxis und Israelkritik in österreichischen Printmedien, Baden-Baden, S. 9–13. Becker, Matthias Jakob (2015): Entlastungsantisemitismus linksliberaler Couleur – Israel-Hass in den Kommentarspalten von The Guardian und Die Zeit, in: SchwarzFriesel, Monika (Hg.): Gebildeter Antisemitismus: eine Herausforderung für Politik und Zivilgesellschaft, Baden-Baden, S. 117–134. Becker, Matthias Jakob/Giesel, Linda (2016) »‚Reich‘ ist ein jüdischer Name …«, in: Busch, Charlotte/Gehrlein, Martin/Uhlig, Tom David (Hg.): Schiefheilungen. Zeitgenössische Betrachtungen über Antisemitismus, Wiesbaden, S. 111–129. Behnke, Joachim/Baur, Nina/Behnke, Nathalie (2010): Empirische Methoden der Politikwissenschaft, Paderborn. Bein, Alexander (1958): Der moderne Antisemitismus und seine Bedeutung für die Judenfrage, in: Rothfels, Hans/Eschenburg, Theodor (Hg.): Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, H. 4/1958, München, S. 340–360. Benz, Wolfgang (2004): Was ist Antisemitismus? Bonn.

413

6. Literatur Benz, Wolfgang (2007): Die Protokolle der Weisen von Zion. Die Legende von der jüdischen Weltverschwörung, München. Benz, Wolfgang (2009): Einführung zur Konferenz »Feindbild Muslim – Feindbild Jude«, in: Ders. (Hg.): Islamfeindschaft und ihr Kontext: Dokumentation der Konferenz »Feindbild Muslim – Feindbild Jude«, Berlin, S. 9–20. Benz, Wolfgang (2015): Antisemitentag (Wien 1921), in: Ders. (Hg.): Handbuch des Antisemitismus: Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart, Band 8, Berlin, S. 159−162. Bereswill, Mechthild/Wagner, Leonie (1998): »Eine rein persönliche Angelegenheit«. Antisemitismus und politische Öffentlichkeit als Konfliktfeld im »Bund Deutscher Frauenvereine«, in: Dies. (Hg.): Bürgerliche Frauenbewegung und Antisemitismus, Tübingen, S. 45−63. Berger, Deidre/Hasgall, Alexander/Hüber, Juliane/Weißbarth, Fabian (2012): Fakten & Mythen in der Beschneidungsdebatte, Berlin. Bergmann, Werner (1990): Sind die Deutschen antisemitisch? Meinungsumfragen von 1946-1987 in der Bundesrepublik Deutschland, in: Ders./Erb, Rainer (Hg.): Antisemitismus in der politischen Kultur nach 1945, Opladen, S. 108–130. Bergmann, Werner (1994): Effekte öffentlicher Meinung auf die Bevölkerungsmeinung. Der Rückgang antisemitischer Einstellungen als kollektiver Lernprozess, in: Neidhardt, Friedhelm (Hg.): Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, soziale Bewegungen. Sonderheft der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Opladen, S. 296–319. Bergmann, Werner (1996): Antisemitismus-Umfragen nach 1945 im internationalen Vergleich, in: Zentrum für Antisemitismusforschung/Wolfgang Benz (Hg.): Jahrbuch für Antisemitismusforschung, Band 5, Frankfurt am Main/New York, S. 172– 195. Bergmann, Werner (2011): Antisemitismus – eine »neue Unübersichtlichkeit«, in: Kohlstruck, Michael (Hg.): Ausschluss und Feindschaft. Studien zu Antisemitismus und Rechtsextremismus; Rainer Erb zum 65. Geburtstag, Berlin, S. 239–262. Bergmann, Werner/Erb, Rainer (1986): Kommunikationslatenz, Moral und öffentliche Meinung. Theoretische Überlegungen zum Antisemitismus in der Bundesrepublik Deutschland, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, H. 2/1986, S. 223–246. Bergmann, Werner/Erb, Rainer (1991): Antisemitismus in der Bundesrepublik Deutschland. Ergebnisse der empirischen Forschung von 1946-1989, Opladen. Bergmann, Werner/Erb, Rainer (1998): Sozialwissenschaftliche Methoden in der Antisemitismusforschung. Ein Überblick, in: Zentrum für Antisemitismusforschung/ Wolfgang Benz (Hg.): Jahrbuch für Antisemitismusforschung, Band 7, Frankfurt am Main, S.103–120. Bergmann, Werner/Münch, Anna Verena (2012): Antisemitismus in Deutschland 1996 und 2006: Ein Vergleich, in: Schüler-Springorum, Stefanie (Hg.): Jahrbuch für Antisemitismusforschung, Band 21, Berlin, S. 325–369.

414

6. Literatur Betzler, Lukas/Glittenberg, Manuel (2015): Antisemitismus im deutschen Mediendiskurs. Eine Analyse des Falls Jakob Augstein, Baden-Baden. Beulke, Werner/Dießner, Annika (2012): »(…) ein kleiner Schnitt für einen Menschen, aber ein großes Thema für die Menschheit«. Warum das Urteil des LG Köln zur religiös motivierten Beschneidung von Knaben nicht überzeugt, in: Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik (ZIS), H. 7/2012, S. 338–246. Beyer, Robert (2016): Mit deutschem Blick. Israelkritische Berichterstattung über den Nahostkonflikt in der bundesrepublikanischen Qualitätspresse, Bremen. Bielefeldt, Heiner (2012a): Der Kampf um die Beschneidung. Das Kölner Urteil und die Religionsfreiheit, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 9/2012, S. 63– 71. Bielefeldt, Heiner (2012b): Menschenrecht, kein Sonderrecht. Einige Klarstellungen zur aktuellen Beschneidungsdebatte, in: Heil, Johannes/Kramer, Stephan J. (Hg.) (2012): Beschneidung: Das Zeichen des Bundes in der Kritik. Zur Debatte um das Kölner Urteil, Berlin, S. 71–82. Bielefeldt, Heiner (2016): »Religionsfreiheit ist kein Schutzrecht der Ehre«, Gespräch mit Anne Françoise Weber, in: Deutschlandradio Kultur v. 10.07.2016, http://www. deutschlandradiokultur.de/theologe-heiner-bielefeldt-religionsfreiheit-ist-kein.1278. de.html?dram:article_id=359692, abgerufen am 19.09.2017. Birsl, Ursula (2011): Rechtsextremistische Gewalt: Mädchen und junge Frauen als Täterinnen? Wissenschaftliche Erkenntnisse und offene Fragen in geschlechtervergleichender Perspektive, in: Dies. (Hg.): Rechtsextremismus und Gender, Opladen/Farmington Hills, S. 241–264. Biskamp, Floris (2016): Orientalismus und demokratische Öffentlichkeit: Antimuslimischer Rassismus aus Sicht postkolonialer und neuerer kritischer Theorie, Bielefeld. Bitzker, Katharina (2009): Körperliche und sexuelle Gewalt gegen Frauen und reproduktive Gesundheit, Berlin. Blumenberg, Yigal/Hegener, Wolfgang (2012): Juristischer und psychoanalytischer Furor gegen die Beschneidung – oder das alte Lied vom ausgeschlossenen Dritten, in: Psyche: Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen, H. 11/2012, Stuttgart, S. 1118–1128. Blumenberg, Yigal (2013): Von Trauma und Tradition, in: Ders./Hegener, Wolfgang (Hg.): Die »unheimliche« Beschneidung. Aufklärung und die Wiederkehr des Verdrängten, Frankfurt am Main, S. 95–133. Blumenberg, Yigal/Hegener, Wolfgang (2013a): Einleitung: Von der Wiederkehr des Verdrängten, in: Dies. (Hg.): Die »unheimliche« Beschneidung. Aufklärung und die Wiederkehr des Verdrängten, Frankfurt am Main, S. 11–30. Blumenberg, Yigal/Hegener, Wolfgang (2013b): Geschichtsvergessenheit? – eine Antwort auf die Entgegnungen von Wolfgang Schmidbauer und Matthias Franz, in: Psyche: Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen, H. 5/2013, Stuttgart, S. 483–489.

415

6. Literatur Blumenberg, Yigal/Hegener, Wolfgang (2013c): Vorwort, in: Dies. (Hg.): Die »unheimliche« Beschneidung. Aufklärung und die Wiederkehr des Verdrängten, Frankfurt am Main, S. 7–10. Blumenberg, Yigal (2014): Psychoanalytische Überlegungen zur Beschneidung in der jüdischen Tradition, in: Heimann-Jelinek, Felicitas/Kugelmann, Cilly (Hg.): Haut ab! Haltungen zur rituellen Beschneidung, Göttingen, S. 136–142. Bodenheimer, Alfred (2012a): Haut ab! Die Juden in der Beschneidungsdebatte, Göttingen. Bodenheimer, Alfred (2012b): In der Beschneidungsklemme. Trauma und Pluralität im Deutschland des 21. Jahrhunderts, in: Internationale Katholische Zeitschrift Communio, H. 5/2012, Stuttgart. Bodenheimer, Alfred (2013): Verletzung von Körper und Würde. Beobachtungen einer Begriffskontingenz, in: Blumenberg, Yigal/Hegener, Wolfgang (Hg.): Die »unheimliche« Beschneidung. Aufklärung und die Wiederkehr des Verdrängten, Frankfurt am Main, S. 135–146. Bodenheimer, Alfred (2014): »Ich glaube nicht an den Gutmenschen«. Die deutsche Beschneidungsdebatte aus jüdischer Perspektive, in: Heimann-Jelinek, Felicitas/Kugelmann, Cilly (Hg.): Haut ab! Haltungen zur rituellen Beschneidung, Göttingen, S. 57– 60. Bohleber, Werner (2015): Die Traumatheorie in der Psychoanalyse, in: Seidler, Günter H./Freyberger, Harald J./Maercker, Andreas (Hg.): Handbuch der Psychotraumatologie, Stuttgart, S. 123–133. Borkenhagen, Ada/Brähler, Elmar (Hg.) (2010): Intimmodifikationen: Spielarten und ihre psychosozialen Bedeutungen, Gießen. Botsch, Gideon/Kopke, Christoph/Rensmann, Lars/Schoeps, Julius H. (Hg.) (2010): Politik des Hasses: Antisemitismus und radikale Rechte in Europa, Hildesheim u.a. Botsch, Gideon/Glöckner, Olaf/Kopke, Christoph/Spieker, Michael (2012): Islamophobie und Antisemitismus. Debatte, Vergleich, Kontroverse, in: Dies. (Hg.): Islamophobie und Antisemitismus – ein umstrittener Vergleich, Berlin/Boston, S. 1–9. Botsch, Gideon (2014): Ein historischer Überblick. Von der Judenfeindschaft zum Antisemitismus, in: Migazin v. 21.07.2014, http://www.migazin.de/2014/07/21/vonder-judenfeindschaft-zum-antisemitismus/, abgerufen am 19.01.2016. Böttcher, Johannes (1961): Der Leserbrief in der Presse der Bundesrepublik Deutschland, Erlangen-Nürnberg. Braun, Christina von (1995): Antisemitische Stereotype und Sexualphantasien, in: Jüdisches Museum Wien (Hg.): Die Macht der Bilder: antisemitische Vorurteile und Mythen, Wien, S. 180–191. Braun, Christina von (1997): Viertes Bild: »Blut und Blutschande«, in: Schoeps, Julius H./Schlör, Joachim (Hg.): Antisemitismus: Vorurteile und Mythen, Frankfurt am Main, S. 80–95.

416

6. Literatur Braun, Christina von (1998): Der sinnliche und der übersinnliche Jude, in: Gilman, Sander L./Jütte, Robert/Kohlbauer-Fritz, Gabriele (Hg.): »Der schejne Jid«. Das Bild des »jüdischen Körpers« in Mythos und Ritual, Wien, S. 97–108. Braun, Christina von (2005): Der Körper des »Juden« und des »Ariers« im Nationalsozialismus, in: A.G. Gender-Killer (Hg.): Antisemitismus und Geschlecht. Von »maskulinisierten Jüdinnen« und »effeminierten Juden« und anderen Geschlechterbildern, Münster, S. 68–80. Braune, Florian/Wiesemann, Claudia/Biller-Andorno, Nikola (2008): Informed Consent und seine Konkretisierung in der internationalen Bioethik, in: Biller-Andorno, Nikola/Schaber, Peter/Schulz-Baldes, Annette (Hg.): Gibt es eine universale Bioethik? Paderborn, S. 135–156. Brämer, Andreas (2012): Die jüdische Beschneidungsfrage in Deutschland um 1850, in: Heil, Johannes/Kramer, Stephan J. (Hg.) (2012): Beschneidung: Das Zeichen des Bundes in der Kritik. Zur Debatte um das Kölner Urteil, Berlin, S. 36–40. Brenssell, Ariane (2013): Trauma als Prozess – Wider die Pathologisierung struktureller Gewalt und ihrer innerpsychischen Folgen. Manuskript zum Vortrag auf der Fachtagung »Trauma und Politik« am 24.01.2013 in Frankfurt am Main, https://www.medico.de/fileadmi n/_migrated_/document_media/1/trauma-als-prozess.pdf, abgerufen am 07.06.2017. Breithaupt, Janika (2012): Rechte an Körpersubstanzen und deren Auswirkungen auf die Forschung mit abgetrennten Körpersubstanzen, Baden-Baden. Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon (1838): Freibrief, in: Bilder-ConversationsLexikon für das deutsche Volk: ein Handbuch zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse und zur Unterhaltung, Band 2, F – L, Leipzig, S. 104. Broder, Henryk M. (1988): Der ewige Antisemit: über Sinn und Funktion eines beständigen Gefühls, Frankfurt am Main. Brosch, Matthias/Elm, Michael/Geißler, Norman/Simbürger, Brigitta Elisa/Wrochem, Oliver von (Hg.) (2007): Exklusive Solidarität. Linker Antisemitismus in Deutschland, Berlin. Brumlik, Micha (2012a): Ein Urteil aus Köln – Der Gesetzgeber vor dem Ernstfall, in: Heil, Johannes/Kramer, Stephan J. (Hg.) (2012): Beschneidung: Das Zeichen des Bundes in der Kritik. Zur Debatte um das Kölner Urteil, Berlin, S. 228–232. Brumlik, Micha (2012b): »Judentum und Islam hier nicht erwünscht«, in: FR v. 02.07.2012, http://www.fr-online.de/kultur/beschneidung--judentum-und-islamhier-nicht-erwuenscht-,14 72786,16529678.html, abgerufen am 17.05.2017. Brumlik, Micha (2012c): Kontinuitäten von Antisemitismus und Berührungsflächen zur Islamophobie, in: Botsch, Gideon/Glöckner, Olaf/Kopke, Christoph/Spieker, Michael (Hg.): Islamophobie und Antisemitismus – ein umstrittener Vergleich, Berlin/Boston, S. 65–80. Brumlik, Micha (2012d): Wofür steht Giordano Brunos Name?, in: taz v. 21.11.2012, http://www.taz.de/Antibeschneidungskampagne/!5078987/, abgerufen am 19.09. 2017.

417

6. Literatur Brumlik, Micha (2013): Die Beschneidungsdebatte: Grenz- und Bewährungsfall einer advokatorischen Ethik, in: Blumenberg, Yigal/Hegener, Wolfgang (Hg.): Die »unheimliche« Beschneidung. Aufklärung und die Wiederkehr des Verdrängten, Frankfurt am Main, S. 31–50. Bruns, Claudia (2011): Eros, Macht und Männlichkeit. Männerbündische Konstruktionen in der deutschen Jugendbewegung zwischen Emanzipation und Reaktion, in: Jahrbuch des Archivs der Deutschen Jugendbewegung: Jugendbewegte Geschlechterverhältnisse, Schwalbach, S. 25–54. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2011): Aktionsplan 2011 der Bundesregierung zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung, in: http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Abteilung5/PdfAnlagen/aktions plan-2011,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf, abgerufen am 21.08.2014. Bundesverfassungsgericht (2006): Bundesverfassungsgericht – 2 BvR 1339/06, in: Judicialis Rechtssprechung, https://judicialis.de/Bundesverfassungsgericht_2-BvR-13 39-06_Beschluss_08.12.2006.html, abgerufen am 11.10.2017. Busch, Charlotte/Gehrlein, Martin/Uhlig, Tom David (2016): Einleitung, in: Dies. (Hg.): Schiefheilungen. Zeitgenössische Betrachtungen über Antisemitismus, Wiesbaden, S. 1–9. Carlsson, Jörg (2012): Religiöse Beschneidungen, in: Deutsches Ärzteblatt, Heft 31/2012 v. 06.08.2012, https://www.aerzteblatt.de/down.asp?id=9526, abgerufen am 23.08.2017. Çetin, Zülfukar/Voß, Heinz-Jürgen/Wolter, Salih Alexander (2012): Interventionen gegen die deutsche »Beschneidungsdebatte«, Münster. Çetin, Zülfukar/Wolter, Salih Alexander (2012): Fortsetzung einer »Zivilisierungsmission«: Zur deutschen Beschneidungsdebatte, in: Dies./Voß, Heinz-Jürgen (2012): Interventionen gegen die deutsche »Beschneidungsdebatte«, Münster, S. 15–50. Claussen, Detlev (o.J.): Antisemitismus ist nicht gleich Rassismus. Interview mit Detlev Claussen, in: http://www.zag-berlin.de/antirassismus/archiv/39claussen.html, abgerufen am 26.01.2018. Comite zur Abwehr antisemitischer Angriffe (Hg.) (1896): Die Kriminalität der Juden in Deutschland, Berlin. De Klerk, Adriaan (2004): Kastrationsangst und die Beschneidung Neugeborener. Anmerkungen zu Franz Maciejewski: »Zu einer ‚dichten Beschreibung‘ des Kleinen Hans. Über das vergessene Trauma der Beschneidung«, in: Psyche: Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen, H. 5/2004, Stuttgart, S. 464–470. Decker, Frank/Lewandowsky, Marcel/Solar, Marcel (2013): Demokratie ohne Wähler? Neue Herausforderungen der politischen Partizipation, Bonn. Decker, Oliver/Kiess, Johannes/Eggers, Eva/Brähler, Elmar (2016): Die »Mitte«-Studie 2016: Methode, Ergebnisse und Langzeitverlauf, in: Decker, Oliver/Kiess, Johannes/ Brähler, Elmar (Hg.): Die enthemmte Mitte. Autoritäre und rechtsextreme Einstellung in Deutschland, Gießen, S. 23–66.

418

6. Literatur Deichmann, Inke (1998): »An Dr. Sommer und Co…« Illustrierte als medizinische Ratgeber, Münster/München et al. Dettmeyer, Reinhard/Parzeller, Markus/Laux, Johannes/Friedl, Hannah/Zedler, Barbara/Bratzke, Hansjürgen (2011): Medizinische und rechtliche Aspekte der Genitalverstümmelung bzw. Beschneidung. Teil II: Die rituelle Zirkumzision, in: Archiv für Kriminologie, H. 227, S. 85–101. Deusel, Antje Yael (2012a): Mein Bund, den ihr bewahren sollt. Religionsgesetzliche und medizinische Aspekte der Beschneidung, Freiburg im Breisgau. Deusel, Antje Yael (2012b): Medizinische Aspekte der Brit Mila, in: Heil, Johannes/ Kramer, Stephan J. (Hg.) (2012): Beschneidung: Das Zeichen des Bundes in der Kritik. Zur Debatte um das Kölner Urteil, Berlin, S. 181–190. Deusel, Antje Yael (2012c): Stellungnahme zur Anhörung im Bundestag betreffs der rituellen Beschneidung von Knaben im Judentum (Brit Mila), http://www.zwangsbeschneidung.de/archiv/experten-rechtsausschuss-26-11-2012/Stellungnahme_Deusel.pdf, abgerufen am 23.06.2017. Deutsches Rechtswörterbuch (o.J.): Freibrief, in: Online-Wörterbuch der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, http://drw-www.adw.uni-heidelberg.de/drw-cgi/zeig e?db=drw&index=lemmata&term=Freibrief&darstellung=%DC, abgerufen am 15. 04.2015. Diekmann, Andreas (2001): Empirische Sozialforschung. Grundlagen, Methoden, Anwendungen, Reinbek bei Hamburg. Diner, Dan (1988): Aporie der Vernunft. Horkheimers Überlegungen zu Antisemitismus und Massenvernichtung, in: Ders. (Hg.): Zivilisationsbruch. Denken nach Auschwitz, Frankfurt am Main. Dinges, Martin (2017): Sexualität in Deutschland (1933-2016), in: Stiftung Männergesundheit (Hg.): Sexualität von Männern. Dritter Deutscher Männergesundheitsbericht, Gießen, S. 23–38. Döring, Nicola (2017): Männliche Sexualität im Digitalzeitalter: Aktuelle Diskurse, Trends und Daten, in: Stiftung Männergesundheit (Hg.): Sexualität von Männern. Dritter Deutscher Männergesundheitsbericht, Gießen, S. 39–75. Dubiel, Helmut (1999): Niemand ist frei von der Geschichte: die nationalsozialistische Herrschaft in den Debatten des Deutschen Bundestages, München/Wien. DVPW, Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft (2017): Ethik-Kodex der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft, Fassung vom 15.05.2017, in: https://www.dvpw.de/fileadmin/docs/2017-05-15_Ethik-Kodex__DVPW.pdf, abgerufen am 13.10.2017. Ehreth J. T./King, Lowell R. (2000): Zirkumzision, in: Thüroff, Joachim W./SchulteWissermann, Hermann (Hg.): Kinderurologie in Klinik und Praxis, begründet von R. Hohenfellner, Stuttgart/New York, S. 506–511.

419

6. Literatur Eickhoff, Friedrich-Wilhelm (2014): Wie unheimlich ist die Beschneidung? Buchbesprechung von Blumenberg, Yigal/Hegener, Wolfgang (Hg.): Die »unheimliche« Beschneidung. Aufklärung und die Wiederkehr des Verdrängten, in: Psyche: Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen, H. 4/2014, Stuttgart, S. 381–390. Engel, Antke (2013): Okzidentalistische Überlegenheitsphantasien und heteronormatives Schweigen. Überlegungen zur »deutschen Beschneidungsdebatte«, in: Femina Politica, H. 1/2013, S. 133–140. Engin, Havva (2012): Die deutsche Beschneidungsdebatte: Anmerkungen aus muslimischer Perspektive, in: Heil, Johannes/Kramer, Stephan J. (Hg.) (2012): Beschneidung: Das Zeichen des Bundes in der Kritik. Zur Debatte um das Kölner Urteil, Berlin, S. 256–260. Eppenstein, Thomas (2015): Ritus, Religion und Konflikt – am Beispiel der Beschneidungsdebatte, in: Kiesel, Doron/Lutz, Ronald (Hg.): Religion und Politik. Analysen, Kontroversen, Fragen, Frankfurt am Main/New York, S. 359–376. Erb, Rainer (2002): Ritualmordbeschuldigung. Wahnvorstellung mit mörderischer Konsequenz, in: Benz, Wolfgang/Königseder, Angelika (Hg.): Judenfeindschaft als Paradigma. Studien zur Vorurteilsforschung, Berlin, S. 58–64. European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia (EUMC) (2004): Manifestations of Antisemitism in the EU 2002 – 2003. Based on information by the National Focal Points of the RAXEN Information Network, in: http://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/184-AS-Main-report.pdf, abgerufen am 28.01.2018. Faber, Klaus/Schoeps, Julius H./Stawski, Sacha (2006): Neu-alter Judenhass. Antisemitismus, arabisch-israelischer Konflikt und europäische Politik, Potsdam. Fateh-Moghadam, Bijan (2010): Religiöse Rechtfertigung? Die Beschneidung von Knaben zwischen Strafrecht, Religionsfreiheit und elterlichem Sorgerecht, in: Rechtswissenschaft. Zeitschrift für rechtswissenschaftliche Forschung (RW) 2/2010, S. 115– 142. Fateh-Moghadam, Bijan (2012): Strafrecht und Religion im liberalen Rechtsstaat. Juristische Argumente gegen die Kriminalisierung der Beschneidung, in: Heil, Johannes/Kramer, Stephan J. (Hg.) (2012): Beschneidung: Das Zeichen des Bundes in der Kritik. Zur Debatte um das Kölner Urteil, Berlin, S. 146–159. Fegert, Jörg M./Kölch, Michael/Fangerau, Heiner (2012): Die Beschneidung aus ärztlicher Sicht und aus Sicht des Gesetzgebers, in: MMW – Fortschritte der Medizin, H. 19/2012, S. 47–50. Fein, Helen (1987): Dimensions of Antisemitism: Attitudes, Collective Accusations, and Actions, in: Dies. (Hg.): The persisting question. Sociological Perspectives and Social Contexts of Modern Antisemitism, Berlin et al., S. 67–85. Fellmann, H./Müller, M./Graf, Kristof (2012): Beschneidungen im Jüdischen Krankenhaus. Bericht über die letzten zehn Jahre, in: http://www.zwangsbeschneidung.de/archiv/experten-rechtsausschuss-26-11-2012/Stellungnahme_Graf.pdf, abgerufen am 07.06.2017.

420

6. Literatur Flick, Uwe (2013): Triangulation in der qualitativen Forschung, in: Ders./Kardorff, Ernst von/Steinke, Ines (Hg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch, Reinbek bei Hamburg, S. 309–318. Flick, Uwe/Kardorff, Ernst von/Steinke, Ines (2013): Was ist qualitative Forschung? Einleitung und Überblick, in: Dies. (Hg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch, Reinbek bei Hamburg, S. 13–29. FRA – Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (2014a): Diskriminierung und Hasskriminalität gegenüber Juden in den EU-Mitgliedstaaten: Erfahrungen und Wahrnehmungen im Zusammenhang mit Antisemitismus, Luxemburg. FRA – Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (2014b): Gewalt gegen Frauen: eine EU-weite Erhebung. Ergebnisse auf einen Blick, in: http://fra.europa.eu/sites/default/files/fra-2014-vaw-survey-at-a-glance-oct14_de.pdf, abgerufen am 15. 04.2015. Freikamp, Ulrike/Leanza, Matthias/Mende, Janne/Müller, Stefan/Ullrich, Peter/Voß, Heinz-Jürgen (2008): Einleitung, in: Dies. (Hg.): Kritik mit Methode? Forschungsmethoden und Gesellschaftskritik, Berlin, S. 7–18. Frindte, Wolfgang (2006): Inszenierter Antisemitismus. Eine Streitschrift, Wiesbaden. Frindte, Wolfgang/Wammetsberger, Dorit (2008): Antisemitismus in Deutschland: Sozialwissenschaftliche Befunde, in: Rensmann, Lars/Schoeps, Julius H. (Hg.): Feindbild Judentum. Antisemitismus in Europa, Berlin, S. 261–295. Früh, Werner (2004): Inhaltsanalyse: Theorie und Praxis, Konstanz. Garz, Detlef/Ackermann, Friedhelm (2011): Objektive Hermeneutik, in: Ayaß, Ruth/ Bergmann, Jörg (Hg.): Qualitative Methoden der Medienforschung, Mannheim, S. 324–349. Gehmacher, Johanna (1998): Die Eine und der Andere. Moderner Antisemitismus als Geschlechtergeschichte, in: Bereswill, Mechthild/Wagner, Leonie (Hg.): Bürgerliche Frauenbewegung und Antisemitismus, Tübingen, S. 101–120. Geier, Andrea (2006): Stellt ihn vom Platz! Eine rote Karte für Volker Zastrows geschlechterpolitische Rhetorik der Diffamierung, in: literaturkritik.de v. 22.06.2006, http://literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=9641, abgerufen am 11.08. 2016. Germann, Michael (2010): Der menschliche Körper als Gegenstand der Religionsfreiheit, in: Kern, Bernd-Rüdiger/Lille, Hans (Hg.): Jurisprudenz zwischen Medizin und Kultur. Festschrift zum 70. Geburtstag von Gerfried Fischer, Frankfurt am Main, S. 35–58. Germann, Michael (2012): Die grundrechtliche Freiheit zur religiös motivierten Beschneidung, in: Heil, Johannes/Kramer, Stephan J. (Hg.) (2012): Beschneidung: Das Zeichen des Bundes in der Kritik. Zur Debatte um das Kölner Urteil, Berlin, S. 83– 97. Gerst, Thomas (2014): Robert Jütte. Verfechter einer Sozialgeschichte der Medizin, in: Deutsches Ärzteblatt, Heft 40/2014 v. 03.10.2014, http://www.igm-bosch.de/content/languag e1/downloads/aerzteblatt_a1707.pdf, abgerufen am 10.04.2017.

421

6. Literatur Gesterkamp, Thomas (2010): Geschlechterkampf von rechts. Wie Männerrechtler und Familienfundamentalisten sich gegen das Feindbild Feminismus radikalisieren, Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn. Gesterkamp, Thomas (2012): Für Männer, aber nicht gegen Frauen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 40/2012, S. 3–10. Gesterkamp, Thomas (2015): Männerpolitik und Antifeminismus, in: WSI Mitteilungen 1/2015, https://www.boeckler.de/wsimit_2015_01_gesterkamp.pdf, abgerufen am 16.01.2017. Giesel, Linda (2015): »Kriegstreibende Zionisten« und »Pro-Israel-Lobby« – Verbaler Antisemitismus in Kommentarbeiträgen des Neuen Deutschlands und der Taz, in: Schwarz-Friesel, Monika (Hg.): Gebildeter Antisemitismus: eine Herausforderung für Politik und Zivilgesellschaft, Baden-Baden, S. 135–153. Gilman, Sander L. (1994): Freud, Identität und Geschlecht, Frankfurt am Main. Gilman, Sander L. (1995): Der jüdische Körper: Gedanken zum physischen Anderssein der Juden, in: Jüdisches Museum Wien (Hg.): Die Macht der Bilder: antisemitische Vorurteile und Mythen, Wien, S. 168–179. Gilman, Sander L. (1997): Zwölftes Bild: Der »jüdische Körper«, in: Schoeps, Julius H./Schlör, Joachim (Hg.): Antisemitismus: Vorurteile und Mythen, Frankfurt am Main, S. 167–179. Gilman, Sander L. (2014): Gesundheit, Krankheit und Glaube. Der Streit um die Beschneidung, in: Heimann-Jelinek, Felicitas/Kugelmann, Cilly (Hg.): Haut ab! Haltungen zur rituellen Beschneidung, Göttingen, S. 119–126. Glatzmeier, Armin (2015): Politisches Entscheiden unter Stress. Die Beschneidungsdebatte, in: Ders./Hilgert, Hendrik (Hg.): Entscheidungen. Geistes- und sozialwissenschaftliche Beiträge zu Theorie und Praxis, Wiesbaden, S. 195–234. Gold, Helmut/Heuberger, Georg (1999): Abgestempelt. Judenfeindliche Postkarten, Heidelberg. Gollaher, David (2002): Das verletzte Geschlecht. Die Geschichte der Beschneidung, Berlin. Graf, Janna (2013): Weibliche Genitalverstümmelung aus Sicht der Medizinethik. Hintergründe – ärztliche Erfahrungen – Praxis in Deutschland, Göttingen. Gräfe, Thomas (2010): Antisemitismus in Deutschland 1815–1918. Rezensionen – Forschungsüberblick – Bibliografie, Norderstedt. Grigat, Stephan (2007): Fetisch und Freiheit. Über die Rezeption der Marxschen Fetischkritik, die Emanzipation von Staat und Kapital und die Kritik des Antisemitismus, Freiburg. Grigat, Stephan (2014): Die Einsamkeit Israels: Zionismus, die israelische Linke und die iranische Bedrohung, Hamburg. Günther, Meike (2012): Der Feind hat viele Geschlechter. Antisemitische Bilder von Körpern, Intersektionalität und historisch-politische Bildung, Berlin.

422

6. Literatur Hadjar, Andreas/Becker, Rolf (2007): Unkonventionelle politische Partizipation im Zeitverlauf. Hat die Bildungsexpansion zu einer politischen Mobilisierung beigetragen?, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Heft 3/2007, S. 410–439. Hahn, Hans-Joachim/Kistenmacher, Olaf (2015): Beschreibungsversuche der Judenfeindschaft. Zur Geschichte der Antisemitismusforschung vor 1944, Berlin/München/Boston. Hahn, Hans-Joachim (2017): Ecclesia vs. Synagoga reloaded – Politik und Religion im literarischen Antisemitismus des 19. Jahrhunderts, in: Evangelischer Pressedienst (Hg.): Antisemitismus als politische Theologie. Typologien und Welterklärungsmuster. Tagung der Evangelischen Akademie zu Berlin, 24. bis 26. Januar 2017, Frankfurt am Main, S. 12–22. Halbinger, Monika (2012): »Leben statt mahnen«. Deutsche Rezeptionsbedürfnisse in der Berichterstattung über das Judentum, in: Botsch, Gideon/Glöckner, Olaf/Kopke, Christoph/Spieker, Michael (Hg.): Islamophobie und Antisemitismus – ein umstrittener Vergleich, Berlin/Boston, S. 119–142. Hark, Sabine/Villa, Paula Irene (2015): »Eine Frage an und für unsere Zeit«. Verstörende Gender Studies und symptomatische Missverständnisse, in: Dies. (Hg.): AntiGenderismus. Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen, Bielefeld, S. 15–39. Hässler, Frank (2014): Psychiatrische und psychosoziale Kindeswohlaspekte der Beschneidung bei Jungen, in: Langanke, Martin/Ruwe, Andreas/Theißen, Henning (Hg.): Rituelle Beschneidungen von Jungen. Interdisziplinäre Perspektiven, Leipzig, S. 149–158. Haury, Thomas (1999): Der Antizionismus der Neuen Linken in der BRD. Sekundärer Antisemitismus nach Auschwitz, in: Arbeitskreis Kritik des deutschen Antisemitismus (Hg.) (2001): Antisemitismus ─ die deutsche Normalität. Geschichte und Wirkungsweise des Vernichtungswahns, Freiburg, S. 217–230. Haury, Thomas (2002): Antisemitismus von links. Kommunistische Ideologie, Nationalismus und Antizionismus in der frühen DDR, Hamburg. Haustein, Jens (2014): Erziehungsrecht versus Unversehrtheit. Politische und rechtliche Voraussetzungen der ‚Beschneidungsdebatte‘, in: Wermke, Michael (Hg.): Säkulare Selbstbestimmung versus religiöse Fremdbestimmung? Zur Kritik an der öffentlichen Debatte um das Beschneidungsritual, Leipzig, S. 13–26. Hegener, Wolfgang (2004): Beschneidung und Monotheismus – Kritische Überlegungen zu einem Buch von Franz Maciejewski, in: Psyche: Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen, H. 1/2004, Stuttgart, S. 61–76. Hegener, Wolfgang (2009): Sigmund Freud, in: Benz, Wolfgang (Hg.): Handbuch des Antisemitismus, Band 2/1: Personen: A–K, Berlin, S. 249–252. Hegener, Wolfgang (2013): Blutbeschuldigungen oder die Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigem. Kulturgeschichtliche und psychoanalytische Anmerkungen zur aktuellen Beschneidungsdebatte, in: Blumenberg, Yigal/Ders. (Hg.): Die »unheimliche«

423

6. Literatur Beschneidung. Aufklärung und die Wiederkehr des Verdrängten, Frankfurt am Main, S. 51–93. Heil, Johannes (2006): »Gottesfeinde« – »Menschenfeinde«. Die Vorstellung von jüdischer Weltverschwörung (13. bis 16. Jahrhundert), Essen. Heil, Johannes (2012): Beschneidung als Motiv in Alteritätsdiskursen und Judenfeindschaft, in: Ders./Kramer, Stephan J. (Hg.) (2012): Beschneidung: Das Zeichen des Bundes in der Kritik. Zur Debatte um das Kölner Urteil, Berlin, S. 23–35. Heil, Johannes/Kramer, Stephan J. (2012) (Hg.): Beschneidung: Das Zeichen des Bundes in der Kritik. Zur Debatte um das Kölner Urteil, Berlin. Heimann-Jelinek, Felicitas/Kugelmann, Cilly (2014): Haut ab! Haltungen zur rituellen Beschneidung, in: Dies. (Hg.): Haut ab! Haltungen zur rituellen Beschneidung, Göttingen, S. 19–24. Heinig, Hans Michael (2005): Das Religionsrecht zwischen der Sicherung freiheitlicher Vielfalt und der Abwehr fundamentalistischer Bedrohungen, in: Besier, Gerhard/ Lübbe, Hermann (Hg.): Politische Religion und Religionspolitik. Zwischen Totalitarismus und Bürgerfreiheit, Göttingen, S. 197–216. Heinig, Hans Michael (2012a): Beschneidungs-Urteil: Juristisch und rechtsethisch fragwürdig, in: Verfassungsblog.de v. 27.06.2012, http://verfassungsblog.de/beschneidungsurteil-juristisch-und-rechtsethisch-fragwrdig/, abgerufen am 27.11.2017. Heinig, Hans Michael (2012b): Warum das Gesetz zur Beschneidung eine vernünftige Lösung ist, in: Verfassungsblog.de v. 12.12.2012, http://verfassungsblog.de/warumder-gesetzentwurf-zur-beschneidung-eine-vernunftige-losung-ist/, abgerufen am 09.11.2016. Helfferich, Cornelia (2011): Die Qualität qualitativer Daten. Manual für die Durchführung qualitativer Interviews, Wiesbaden. Heschel, Susannah (1998): Sind Juden Männer? Können Frauen jüdisch sein? Die gesellschaftliche Definition des männlichen/weiblichen Körpers, in: Gilman, Sander L./Jütte, Robert/Kohlbauer-Fritz, Gabriele (Hg.): »Der schejne Jid«. Das Bild des »jüdischen Körpers« in Mythos und Ritual, Wien, S. 86–96. Hirt, Patrick (1999): Die Dreyfus-Affäre und der französische Antisemitismus, in: Gold, Helmut/Heuberger, Georg: Abgestempelt. Judenfeindliche Postkarten, Heidelberg, S. 353–360. Hödl, Klaus (1997): Die Pathologisierung des jüdischen Körpers. Antisemitismus, Geschlecht und Medizin im Fin de Siècle, Wien. Hödl, Klaus (2002): Gesunde Juden – kranke Schwarze. Körperbilder im medizinischen Diskurs, Innsbruck/Wien et al. Hödl, Klaus (2003): Die deutschsprachige Beschneidungsdebatte im 19. Jahrhundert, in: Aschkenas – Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden, H. 1/2003, S. 189–209. Hödl, Klaus (2010): Jüdischer Körper, in: Benz, Wolfgang (Hg.): Handbuch des Antisemitismus: Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart, Band 3: Begriffe, Theorien, Ideologien, Berlin, S. 166–168.

424

6. Literatur Holz, Klaus (1999): Ist Walsers Rede antisemitisch?, in: Kultursoziologie, H. 2/1999, S. 189–193. Holz, Klaus (2000): Die Figur des Dritten in der nationalen Ordnung der Welt, in: Soziale Systeme. Zeitschrift für soziologische Theorie, Heft 2/2000, S. 269–290. Holz, Klaus (2001): Nationaler Antisemitismus. Wissenssoziologie einer Weltanschauung, Hamburg. Holz, Klaus (2005): Die Gegenwart des Antisemitismus. Islamistische, demokratische und antizionistische Judenfeindschaft, Hamburg. Holz, Klaus (2017): Säkularer Antisemitismus als politische Theologie, in: Evangelischer Pressedienst (Hg.): Antisemitismus als politische Theologie. Typologien und Welterklärungsmuster. Tagung der Evangelischen Akademie zu Berlin, 24. bis 26. Januar 2017, Frankfurt am Main, S. 4–11. Hopf, Christel (2013): Qualitative Interviews – ein Überblick, in: Flick, Uwe/Kardorff, Ernst von/Steinke, Ines (Hg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch, Reinbek bei Hamburg, S. 349–360. Horkheimer, Max/Adorno, Theodor W. (1954): Vorwort, in: Pollock, Friedrich (1955): Gruppenexperiment. Ein Studienbericht, Frankfurter Beiträge zur Soziologie, Bd. 2, Frankfurt am Main, S. V–IIX. Hortzitz, Nicole (1995): Die Sprache der Judenfeindschaft, in: Schoeps, Julius H./Schlör, Joachim (Hg.): Antisemitismus: Vorurteile und Mythen, Frankfurt am Main, S. 19–40. Höttemann, Michael (2011/12): Symptom einer Männlichkeitskrise. Narzissmus und Antisemitismus im Comic »Foreskin Man«, in: Phase 2, H. 41(2011/12), http://phase-zwei.org/hefte/artikel/symptom-einer-maennlichkeitskrise-36/, abgerufen am 13.04.2015. Höttemann, Michael (2018): Antisemitismus und Abwehr (Arbeitstitel), unveröffentlichte Dissertation, im Besitz der Autorin. Hulverscheidt, Marion (2002): Weibliche Genitalverstümmelung. Diskussion und Praxis in der Medizin während des 19. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum, Frankfurt am Main. Ihring, Isabelle (2015): Weibliche Genitalbeschneidung, Münster. Ilkılıç, İlhan (2014): Knabenbeschneidung und ihre Bedeutung für die muslimische Religionspraxis und Identitätsbildung, in: Heimann-Jelinek, Felicitas/Kugelmann, Cilly (Hg.): Haut ab! Haltungen zur rituellen Beschneidung, Göttingen, S. 77–83. Ionescu, Dana (2018): Über das Motiv des »rechtsbrechenden Juden« in der deutschen Kontroverse um kulturell-religiöse Vorhautbeschneidungen 2012, in: Grimm, Marc/Kahmann, Bodo (Hg.) (2018): Antisemitismus im 21. Jahrhundert. Virulenz einer alten Feindschaft in Zeiten von Islamismus und Terror, Oldenbourg, im Erscheinen. Irmer, Thomas (2011): Wiedergutmachung, in: Benz, Wolfgang (Hg.): Handbuch des Antisemitismus: Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart, Band 4, Berlin, S. 435−438.

425

6. Literatur Jay, Martin (1976): Dialektische Phantasie: Die Geschichte der Frankfurter Schule und des Instituts für Sozialforschung 1923–1950, Frankfurt am Main. Jäger, Margarete/Jäger, Siegfried (2003): Medienbild Israel: zwischen Solidarität und Antisemitismus, Münster u.a. Jensen, Uffa/Schüler-Springorum, Stefanie (2013): Einführung: Gefühle gegen Juden. Die Emotionsgeschichte des modernen Antisemitismus, in: Geschichte und Gesellschaft, H. 4/2013, S. 413–442. Jüdisches Museum Wien (Hg.) (1995): Die Macht der Bilder. Antisemitische Vorurteile und Mythen, Wien. Jütte, Robert (1998): Der kranke und der gesunde Körper. Gleichheit von Juden und Christen vor Krankheit und Tod, in: Gilman, Sander L./Ders./Kohlbauer-Fritz, Gabriele (Hg.): »Der schejne Jid«. Das Bild des »jüdischen Körpers« in Mythos und Ritual, Wien, S. 133–144. Jütte, Robert (2012): Die Medikalisierung eines religiösen Rituals – oder: von der wachsenden Deutungsmacht der Ärzte im Beschneidungsdiskurs, in: Heil, Johannes/Kramer, Stephan J. (Hg.) (2012): Beschneidung: Das Zeichen des Bundes in der Kritik. Zur Debatte um das Kölner Urteil, Berlin, S. 173–180. Jütte, Robert (2016): Leib und Leben im Judentum, Berlin. Kahane, Anetta (2011): Israelbezogener Antisemitismus – Ein überladenes Problem, in: Amadeu Antonio Stiftung (Hg.): »Man wird ja wohl Israel noch kritisieren dürfen …?!«. Über legitime Kritik, israelbezogenen Antisemitismus und pädagogische Interventionen, Berlin. Kahlweiß, Luzie H./Salzborn, Samuel (2012): »Islamophobie«. Zur konzeptionellen und empirischen Fragwürdigkeit einer umstrittenen Kategorie, in: Botsch, Gideon/Glöckner, Olaf/Kopke, Christoph/Spieker, Michael (Hg.): Islamophobie und Antisemitismus – ein umstrittener Vergleich, Berlin/Boston, S. 51–64. Kaiser, Klaus-Dieter (2014): Zur Streitkultur in der Diskussion um die Beschneidung, in: Langanke, Martin/Ruwe, Andreas/Theißen, Henning (Hg.): Rituelle Beschneidungen von Jungen. Interdisziplinäre Perspektiven, Leipzig, S. 171–192. Kaletsch, Christa (2015): »Religion: Diskurse – Reflexionen – Bildungsansätze«. Bericht zur 6. Tagung der Reihe »Blickwinkel. Antisemitismuskritisches Forum für Bildung und Wissenschaft« in Kassel, http://www.stiftung-evz.de/fileadmin/user_upload/EVZ_Uploads/Handlungsfelder/Auseinandersetzung_mit_der_Geschichte_01/Dossier_Antisemitismus/Blickwinkel/x20150928_Tagungsbericht_Blickwinkel_Kassel_2015.pdf, abgerufen am 25.11.2016. Kaminer, Isidor J. (2013): Die Brit-Milah (Bund der Beschneidung) – ein »Fortschritt in der Geistigkeit«, in: Blumenberg, Yigal/Hegener, Wolfgang (Hg.): Die »unheimliche« Beschneidung. Aufklärung und die Wiederkehr des Verdrängten, Frankfurt am Main, S. 147–178. Kampf, Anne (2015): Eine »Beschneidung« von Mädchen ist eine Verstümmelung, in: https://www.evangelisch.de/inhalte/4805/06-02-2015/eine-beschneidung-vonmaedchen-ist-eine-verstuemmelung, abgerufen am 31.08.2016.

426

6. Literatur Kassis, Wassilis/Schallié, Charlotte (2013): The Dark Side of the Academy: Antisemitism in Canadian and German Students, in: Journal for the Study of Antisemitism, H. 1/2013, London, S. 63–91. Kelle, Udo/Kluge, Susann (2010): Vom Einzelfall zum Typus: Fallvergleich und Fallkontrastierung in der qualitativen Sozialforschung, Wiesbaden. Kemper, Andreas (2016): Antiemanzipatorische Netzwerke und die Geschlechter- und Familienpolitik der Alternative für Deutschland, in: Häusler, Alexander (Hg.): Die Alternative für Deutschland. Programmatik, Entwicklung und politische Verortung, Wiesbaden, S. 81–98. Kern, Horst (1982): Empirische Sozialforschung. Ursprünge, Ansätze, Entwicklungslinien, München. Kistenmacher, Olaf (2012): Schuldabwehr als Motiv für Israelfeindschaft in der politischen Linken?, in: associazione delle talpe/Rosa Luxemburg Initiative Bremen (Hg.): Maulwurfsarbeit II. Kritik in Zeiten zerstörter Illusionen, Berlin, S. 51–60. Kistenmacher, Olaf (2016): Zur Demontage des Antisemitismus in der Gegenwartsliteratur, in: literaturkritik.de v. 01.12.2016, http://literaturkritik.de/wojcik-das-stereotyp-als-metapher-zur-demontage-des-antisemitismus-in-der-gegenwartsliteratur,22759.html, abgerufen am 27.01.2018. Klein, Birgit E. (2012): Brit Mila: Innerjüdische Kritik und die Konstruktion von Geschlecht und Geschlechterrollen, in: Heil, Johannes/Kramer, Stephan J. (Hg.) (2012): Beschneidung: Das Zeichen des Bundes in der Kritik. Zur Debatte um das Kölner Urteil, Berlin, S. 233–255. Kleine-Doepke, Louisa Verena (2014): Knabenbeschneidungen in Deutschland. Medizinische Aspekte des Eingriffs und strafrechtliche Situation bei religiös-ritueller Motivation, Berlin. Klevesath, Lino (2017): »Radikaler Islam« als Teil der deutschen Gesellschaft?, in: Demokratie-Dialog, H. 1/2017, http://www.demokratie-goettingen.de/content/uploads/demokratie-dialog/Demokratie-Dialog-1-17-High-Quality.pdf, abgerufen am 01.01.2018. Konner, Melvin (2009): The Jewish body, New York/Toronto. Konner, Melvin (2014): The Jewish body? What is that?, in: JMB-Journal Nr. 10 zum Themenschwerpunkt Körper, S. 13–17. Kölling, Anna (2008): Weibliche Genitalverstümmelung im Diskurs. Exemplarische Analysen zu Erscheinungsformen, Begründungsmustern und Bekämpfungsstrategien, Münster. Königseder, Angelika (2010): Antisemitismusforschung, in: Benz, Wolfgang (Hg.): Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart, Band 3: Begriffe, Theorien, Ideologien, Berlin, S. 16–21. Körber, Karen (2009): Puschkin oder Thora? Der Wandel der jüdischen Gemeinden in Deutschland, in: Brunner, José/Lavi, Shai (Hg.): Juden und Muslime in Deutschland. Recht, Religion, Idenität, Göttingen, S. 233–254.

427

6. Literatur Krah, Franziska (2016): »Ein Ungeheuer, das wenigstens theoretisch besiegt sein muß«. Pioniere der Antisemitismusforschung in Deutschland, Frankfurt am Main. Kugelmann, Cilly (2014): Grußwort, in: Heimann-Jelinek, Felicitas/Dies. (Hg.): Haut ab! Haltungen zur rituellen Beschneidung, Göttingen, S. 9. Küntzel, Matthias (2012): Kontaminiertes Terrain, in: perlentaucher.de v. 08.08.2012, https:// www.perlentaucher.de/essay/kontaminiertes-terrain.html, abgerufen am 12.07.2017. Küntzel, Matthias (2015): Antisemitismus Heute – Erfassen. Erforschen. Bekämpfen. Panel II – »Erforschen«, in: https://soundcloud.com/ajcberlin/antisemitismus-heuteerfassen-erforschen-bekampfen-35, abgerufen am 02.02.2016. Kupferschmid, Christoph (2014): Die Beschneidung von Knaben aus kinder- und jugendärztlicher Sicht, in: Franz, Matthias (Hg.): Die Beschneidung von Jungen. Ein trauriges Vermächtnis, Göttingen, S. 82–108. Lamnek, Siegfried/Luedtke, Jens/Ottermann, Ralf/Vogl, Susanne (2012): Tatort Familie: häusliche Gewalt im gesellschaftlichen Kontext, Wiesbaden. Lang, Juliane (2015): Familie und Vaterland in der Krise. Der extrem rechte Diskurs um Gender, in: Hark, Sabine/Villa, Paula-Irene (Hg.): Anti-Genderismus. Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen, Bielefeld, S. 167–181. Lang, Juliane/Peters, Ulrich (2018): Antifeminismus in Deutschland. Einführung und Einordnung des Phänomens, in: Dies. (Hg.): Antifeminismus in Bewegung. Aktuelle Debatten um Geschlecht und sexuelle Vielfalt, Hamburg, S. 13–35. Lanzerath, Dirk (2008): Was ist medizinische Indikation? Eine medizinethische Überlegung, in: Charbonnier, Ralph/Dörner, Klaus/Simon, Steffen (2008): Medizinische Indikation und Patientenwille. Behandlungsentscheidungen in der Intensivmedizin und am Lebensende, Stuttgart, S. 35–52. Laplanche, Jean/Pontalis, Jean-Bertrand (1972): Das Vokabular der Psychoanalyse, Frankfurt am Main. Latasch, Leo (2012): Brit Mila – Medizin und Religion, in: Plenarsitzung des Deutschen Ethikrates v. 23.08.2012, Vorträge und Diskussion zum Thema »Religiöse Beschneidung«, Berlin, S. 3–9. Lehmacher, Katrin Alexandra Therese (2013): Trauma-Konzepte im historischen Wandel: Ein Beitrag zur Rezeptionsgeschichte der Posttraumatic-Stress Disorder in Deutschland (1980–1991), Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Lenz, Ilse (2008): Wie entdecken Männer ihr Geschlecht?, in: Dies. (Hg.): Die neue Frauenbewegung in Deutschland: Abschied vom kleinen Unterschied, Wiesbaden, S. 1077–1080. Leszczynska-Koenen, Anna (2012): Legenden vom Blut – Bemerkungen zur Beschneidungsdebatte, in: Psyche: Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen, H. 12/2012, Stuttgart, S. 1219–1226.

428

6. Literatur Leszczynska-Koenen, Anna (2013): Antwort auf die Kritik von Rolf Dietrich Herzberg, in: Psyche: Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen, H. 3/2013, Stuttgart, S. 287–288. Liedl, Alexandra/Knaevelsrud, Christine (2015): Psychotraumatische Folgen von Folter, in: Seidler, Günter H./Freyberger, Harald J./Maercker, Andreas (Hg.): Handbuch der Psychotraumatologie, Stuttgart, S. 581–589. Lipphardt, Veronika (2008): Biologie der Juden. Jüdische Wissenschaftler über »Rasse« und Vererbung 1900–1935, Göttingen. Liss, Hanna (2012): Und auch meine Shabbate gab ich ihnen …, in: Heil, Johannes/Kramer, Stephan J. (Hg.) (2012): Beschneidung: Das Zeichen des Bundes in der Kritik. Zur Debatte um das Kölner Urteil, Berlin, S. 51–60. Loetz, Francisca (2012): Sexualisierte Gewalt 1500–1850: Plädoyer für eine historische Gewaltforschung, Frankfurt am Main. Loewenich, Volker von (2014): Medizinische Aspekte der rituellen Genitalbeschneidung nicht einwilligungsfähiger Jungen, in: Franz, Matthias (Hg.): Die Beschneidung von Jungen. Ein trauriges Vermächtnis, Göttingen, S. 75–81. Lucke, Albrecht von (2012): Der immergrüne Antisemitismus, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 10/2012, S. 13–17. Mansour, Ahmad (2012): Antisemitismus unter muslimischen Jugendlichen, in: Dossier Antisemitismus der Bundeszentrale für politische Bildung, S. 51–55. Meier, Marcus (2012): »Unsere kulturelle Wurzel ist die christlich-jüdische Tradition«. Fallstricke und blinde Flecken in der Bekämpfung des Antisemitismus, in: Gebhardt, Richard/Klein, Anne/Ders. (Hg.): Antisemitismus in der Einwanderungsgesellschaft, Weinheim/Basel, S. 106–122. Meißelbach, Christoph (2009): Web 2.0 – Demokratie 3.0? Demokratische Potentiale des Internets, Baden-Baden. Mende, Janne (2011): Begründungsmuster weiblicher Genitalverstümmelung. Zur Vermittlung von Kulturrelativismus und Universalismus, Bielefeld. Messerschmidt, Astrid (2016): »Postkoloniale Selbstbilder in der postnationalsozialistischen Gesellschaft«, in: FKW. Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur, Nr. 59, S. 24–37. Meyers Großes Konversations-Lexikon (1907): Freibrief, in: Meyers Großes Konversations-Lexikon: ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens, Band 7, Franzensbad bis Glashaus, Leipzig, S. 55. Minerva Institut für deutsche Geschichte Universität Tel Aviv (2005) (Hg.): Antisemitismus, Antizionismus, Israelkritik, Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte, Göttingen. Moll, Friedrich H. (2014): Medizingeschichtliche und urologische Aspekte der Knabenbeschneidung, in: Franz, Matthias (Hg.): Die Beschneidung von Jungen. Ein trauriges Vermächtnis, Göttingen, S. 52–74.

429

6. Literatur Müller, Jochen (2009): Islamophobie und Antisemitismus. Kritische Anmerkungen zu einem fragwürdigen Vergleich, in: Amadeu Antonio Stiftung (Hg.): »Die Juden sind schuld«. Antisemitismus in der Einwanderungsgesellschaft am Beispiel muslimisch sozialisierter Milieus, Berlin, S. 24–28. Neitzke, Gerald (2008): Unterscheidung zwischen medizinischer und ärztlicher Indikation. Eine ethische Analyse der Indikationsstellung, in: Charbonnier, Ralph/Dörner, Klaus/Simon, Steffen (Hg.): Medizinische Indikation und Patientenwille. Behandlungsentscheidungen in der Intensivmedizin und am Lebensende, Stuttgart, S. 53–66. Nirenberg, David (2015): Anti-Judaismus. Eine andere Geschichte des westlichen Denkens, München. Omran, Susanne (2000): Frauenbewegung und ‚Judenfrage‘. Diskurse um Rasse und Geschlecht nach 1900, Frankfurt am Main. Öktem, Kerem (2013): Signale aus der Mehrheitsgesellschaft. Auswirkungen der Beschneidungsdebatte und staatlicher Überwachung islamischer Organisationen auf Identitätsbildung und Integration in Deutschland, Oxford. Pensch, Bernadette (2017): Beschneidung zwischen Ritual und Körperverletzung: Kritische Diskursanalyse ausgewählter österreichischer Printmedien, in: Bechmann, Ulrike/Reiss, Wolfram (Hg.): Antisemitismus in den Medien? Beschneidungspraxis und Israelkritik in österreichischen Printmedien, Baden-Baden, S. 15–120. Pfahl-Traughber, Armin (2002): Antisemitismus in der deutschen Geschichte, Berlin. Pfahl-Traughber, Armin (2007): Ideologische Erscheinungsformen des Antisemitismus, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 31, v. 30.07.2007, http://www.bpb.de/apuz/ 30327/ideologische-erscheinungsformen-des-antisemitismus?p=all?, abgerufen am 13.09.2017. Pierer‘s Universal-Lexikon (1858): Freibrief, in: Heinrich August Pierer (Hg.): Pierer‘s Universal-Lexikon der Vergangenheit und Gegenwart oder Neuestes encyclopädisches Wörterbuch der Wissenschaften, Künste und Gewerbe, Band 6, Europa – Gascogne, Altenburg, S. 669. Pieroth, Bodo/Schlink, Bernhard/Kingreen, Thorsten/Poscher, Ralf (2015): Grundrechte. Staatsrecht II, 31. Auflage, Heidelberg. Piper, Ernst (1995): Achtes Bild: »Die jüdische Weltverschwörung«, in: Schoeps, Julius H./Schlör, Joachim (Hg.): Antisemitismus: Vorurteile und Mythen, Frankfurt am Main, S. 127–135. Planert, Ute (1998): Antifeminismus im Kaiserreich, Göttingen. Planert, Ute (2002): Reaktionäre Modernisten? Zum Verhältnis von Antisemitismus und Antifeminismus in der völkischen Bewegung, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung, Band 11, Berlin, S. 31–51. Pohl, Rolf (2011): Männer – das benachteiligte Geschlecht? Weiblichkeitsabwehr und Antifeminismus im Diskurs über die Krise der Männlichkeit, in: Bereswill, Mechthild/Neuber, Anke (Hg.): In der Krise? Männlichkeiten im 21. Jahrhundert, Münster, S. 104–135.

430

6. Literatur Poliakov, Léon (1988): Geschichte des Antisemitismus. VII. Zwischen Assimilation und »Jüdischer Weltverschwörung«, Frankfurt am Main. Postone, Moishe (2005): Nach dem Holocaust. Geschichte und Identität in Westdeutschland, in: Ders.: Deutschland, die Linke und der Holocaust. Politische Interventionen, Freiburg, S. 59–85. Pulzer, Peter (2004): Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschland und Österreich 1867 bis 1914, erweiterte Neuausgabe, Göttingen. Rabinovici, Doron (2012): Kritik an ritueller Beschneidung. Im Hintergrund schwelen Kastrationsängste, in: Süddeutsche Zeitung.de v. 11.07.2012, http://www.sueddeutsche.de/ku ltur/kritik-an-ritueller-beschneidung-im-hintergrund-schwelen-kastrationsaengste-1.1408075, abgerufen am 14.06.2016. Rabinovici, Doron/Speck, Ulrich/Sznaider, Natan (2004) (Hg.): Neuer Antisemitismus? Eine globale Debatte, Originalausgabe, Frankfurt am Main. Radonić, Ljiljana (2004): Die friedfertige Antisemitin? Kritische Theorie über Geschlechterverhältnis und Antisemitismus, Frankfurt am Main. Ranc, Julijana (2016): »Eventuell nichtgewollter Antisemitismus«. Zur Kommunikation antijüdischer Ressentiments unter deutschen Durchschnittsbürgern, Münster. Rau, Vanessa (2014): Vehementer Säkularismus als Antisemitismus?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 28–30/2014, S. 31–38. Reichertz, Jo (2013): Objektive Hermeneutik und hermeneutische Wissenssoziologie, in: Flick, Uwe/Kardorff, Ernst von/Steinke, Ines (Hg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch, Reinbek bei Hamburg, S. 514–524. Rensmann, Lars (1998): Kritische Theorie über den Antisemitismus: Studien zu Struktur, Erklärungspotential und Aktualität, Berlin. Rensmann, Lars (2005): Demokratie und Judenbild. Antisemitismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden. Rensmann, Lars (2006): Der Nahost-Konflikt in der Perzeption des Rechts- und Linksextremismus, in: Faber, Klaus/Schoeps, Julius H./Stawski, Sacha (Hg.): Neu-alter Judenhass. Antisemitismus, arabisch-israelischer Konflikt und europäische Politik, Potsdam, S. 33–48. Rensmann, Lars/Schoeps, Julius H. (2008): Einleitung, in: Dies. (Hg.): Feindbild Judentum. Antisemitismus in Europa, Berlin, S. 9–40. Rhode-Dachser, Christa (2003): Buchbesprechung von Maciejewski, Franz: Psychoanalytisches Archiv und jüdisches Gedächtnis. Freud, Beschneidung und Monotheismus, in: Psyche: Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen, H. 6/2003, Stuttgart, S. 569–573. Ritter, Manuel/Schabbeck, Jan (2014): Die Zirkumzision im Spannungsfeld zwischen Religionsfreiheit und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit, in: Aktuelle Dermatologie 4/2014, S. 133–136. Rohe, Mathias (2007): Islamisierung des deutschen Rechts?, in Juristenzeitung (JZ), H. 17/2007, Tübingen, S. 801–806.

431

6. Literatur Rohrbacher, Stefan (1991): Frömmigkeit und Gewalt, in: Ders./Schmidt, Michael: Judenbilder. Kulturgeschichte antijüdischer Mythen und antisemitischer Vorurteile, Reinbek bei Hamburg, S. 149–368. Rose, Miriam (2014): Die Ambiguität der Religionsfreiheit. Überlegungen anlässlich der Debatte zum Beschneidungsurteil, in: Wermke, Michael (Hg.): Säkulare Selbstbestimmung versus religiöse Fremdbestimmung? Zur Kritik an der öffentlichen Debatte um das Beschneidungsritual, Leipzig, S. 83–99. Rosenthal, Gabriele (2014): Interpretative Sozialforschung. Eine Einführung, Weinheim und Basel. Roßhart, Julia (2007): Bedrohungsszenario Gender. Gesellschaftliches Geschlechterwissen und Antifeminismus in der Medienberichterstattung zum Gender Mainstreaming, Magisterarbeit an der Universität Potsdam. Saharso, Sawitri (2009): Gibt es einen multikulturellen Feminismus? Ansätze zwischen Universalismus und Anti-Essentialismus, in: Sauer, Birgit/Strasser, Sabine (Hg.): Zwangsfreiheiten. Multikulturalität und Feminismus, Wien, S. 11–27. Sartre, Jean-Paul (1994): Überlegungen zur Judenfrage, Neuübersetzung, Reinbek bei Hamburg. Salzborn, Samuel (2009): Monotheismus und antisemitische Angst, in: Tribüne. Zeitschrift zum Verständnis des Judentums, Heft 190/2009, S. 134–140. Salzborn, Samuel (2010): Antisemitismus als negative Leitidee der Moderne. Sozialwissenschaftliche Theorien im Vergleich, Frankfurt am Main. Salzborn, Samuel (2013a): Israelkritik oder Antisemitismus? Kriterien für eine Unterscheidung, in: Kirche und Israel. Neukirchener theologische Zeitschrift, H. 1/2013, S. 5–16. Salzborn, Samuel (2013b): Sozialwissenschaften. Zur Einführung, Hamburg. Salzborn, Samuel (2013c): Dämonisierung mit dem Ziel der Delegitimierung, Interview von Philip Kuhn, in: Welt.de v. 16.01.2013, https://www.welt.de/politik/deutschland/ article112787522/Daemonisierung-mit-dem-Ziel-der-Delegitimierung.html, abgerufen am 21.12.2017. Salzborn, Samuel (2014): Die Genese des Antisemitismus in Europa, in: Antisemitismus. Geschichte, Theorie, Empirie, Baden-Baden, S. 11–23. Salzborn, Samuel (2016a): Vom rechten Wahn. »Lügenpresse«, »USrael«, »Die da oben« und »Überfremdung«, in: Mittelweg 36, H. 6/2016. Salzborn, Samuel (2016b): Weltanschauung und Leidenschaft. Überlegungen zu einer integrativen Theorie des Antisemitismus, in: Busch, Charlotte/Gehrlein, Martin/Uhlig, Tom David (Hg.): Schiefheilungen. Zeitgenössische Betrachtungen über Antisemitismus, Wiesbaden, S. 37–57. Salzborn, Samuel (2016c): Als Meinungsfreiheit getarnter Hass. Die rechte Kampagne gegen die Amadeu Antonio Stiftung, in: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/pdfs/salzborn-gutachten-aas-als-meinungsfreiheit-getarnterhass.pdf, abgerufen am 05.01.2018.

432

6. Literatur Salzborn, Samuel (2017a): WDR und der Lohn privaten Engagements, in: Jüdische Allgemeine v. 07.12.2017, http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/30306, abgerufen am 11.12.2017. Salzborn, Samuel (2017b): Antisemitismus: Doppelte Bedrohung. Seit den Anschlägen von 9/11 sind nicht nur Islamisten und Rechtsextremisten eine Gefahr, sondern auch schweigende Demokraten, in: Der Tagesspiegel v. 16.12.2017, http://www.tagesspiegel.de/themen/technische-universitaet-berlin/antisemitismus-doppelte-bedrohung/20718328.html, abgerufen am 29.01.2018. Salzborn, Samuel/Bögeholz, Ruben/Eisen, Stefan/Hansmann, Silke/Kopp, Julia/Söchtig, Benjamin (2015): Verschwörung, Apokalypse, Systemzerfall. Antisemitische Szenarien in rechtsextremen Medien während der Finanzkrise 2007, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung, Band 24, Berlin, S. 319–344. Salzborn, Samuel/Brosig, Burkhard (2007): Latenter Antisemitismus, in: Psychoanalyse. Texte zur Sozialforschung, Heft 2/2007. Salzborn, Samuel/Schwietring, Marc (2003): Antizivilisatorische Affektmobilisierung. Zur Normalisierung des sekundären Antisemitismus, in: Klundt, Michael/Dies./Wiegel, Gerd (Hg.): Erinnern, Verdrängen, Vergessen. Geschichtspolitische Wege ins 21. Jahrhundert, Gießen, S. 43–76. Salzborn, Samuel/Voigt, Sebastian (2011): Antisemiten als Koalitionspartner? Die Linkspartei zwischen antizionistischem Antisemitismus und dem Streben nach Regierungsfähigkeit, in: Zeitschrift für Politik (ZfP), H. 3/2011, S. 290–309. Scherr, Albert/Schäuble, Barbara (2007): »Ich habe nichts gegen Juden, aber ...« Ausgangsbedingungen und Perspektiven gesellschaftspolitischer Bildungsarbeit gegen Antisemitismus, Amadeu Antonio Stiftung, Berlin. Schmid, Yvonne Christina (2017): Die elterliche Einwilligung in eine Zirkumzision – eine unzulässige Beschneidung kindlicher Rechte? Rechtliche Analyse des § 1631d BGB unter Bezugnahme des deutschen Verfassungsrechts und des internationalen Rechts, Berlin. Schmincke, Imke (2015): Das Kind als Chiffre politischer Auseinandersetzung am Beispiel neuer konservativer Protestbewegungen in Frankreich und Deutschland, in: Hark, Sabine/Villa, Paula-Irene (Hg.): Anti-Genderismus. Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen, Bielefeld, S. 93–108. Schneider, Wolf/Raue, Paul-Josef (2012): Das neue Handbuch des Journalismus und des Online-Journalismus, Reinbek bei Hamburg. Schnurbein, Stefanie von (2005): Sander L. Gilman: Freud, Identität und Geschlecht, in: Löw, Martina/Mathes, Bettina (Hg.): Schlüsselwerke der Geschlechterforschung, Wiesbaden, S. 283–295. Schoeps, Julius H. (2012): Die Juden als konstantes Ärgernis? Christlicher Antijudaismus als historisches, psychologisches und politisches Phänomen, in: Botsch, Gideon/Glöckner, Olaf/Kopke, Christoph/Spieker, Michael (Hg.): Islamophobie und Antisemitismus – ein umstrittener Vergleich, Berlin/Boston, S. 107–118.

433

6. Literatur Schöfer, Helmut (2015): Zirkumzision des Mannes aus infektiologischer Sicht, in: Der Hautarzt. Zeitschrift für Dermatologie, Venerologie und verwandte Gebiete, 1/2015, S. 30–37. Scholz, Nina/Heinisch, Heiko (2012): Das Kölner Beschneidungsurteil, in: Freiheit, Menschenrechte und Pluralismus, http://www.heiko-heinisch.net/das-koelner-beschneidungsurteil/, abgerufen am 29.01.2018. Schorch, Stefan (2013): Beschneidung und jüdische Identität, in: Zeitschrift für Medizin-Ethik-Recht (ZfMER): Zirkumzision, H. 1/2013, S. 6–11. Schramm, Edward (2011): Ehe und Familie im Strafrecht. Eine strafrechtsdogmatische Untersuchung, Tübingen. Schramm, Edward (2012): Die Beschneidung von Knaben aus strafrechtswissenschaftlicher Sicht, in: Heil, Johannes/Kramer, Stephan J. (Hg.) (2012): Beschneidung: Das Zeichen des Bundes in der Kritik. Zur Debatte um das Kölner Urteil, Berlin, S. 134– 145. Schröder, Annette (2012): Phimose, in: Stein, Raimund/Beetz, Rolf/Thüroff, Joachim W., unter Mitarbeit von Annette Schröder (Hg.): Kinderurologie in Klinik und Praxis, Stuttgart, S. 567–570. Schulze, Hendrik (2017): Elternrecht und Beschneidung, Berlin. Schüler-Springorum, Stefanie (2014): Geschlecht und Differenz, Paderborn. Schwarz, Kyrill-A. (2008): Verfassungsrechtliche Aspekte der religiösen Beschneidung, in: Juristenzeitung (JZ), H. 23/2008, Tübingen, S.1125–1129. Schwarz, Kyrill-A. (2012): Die aus religiösen Gründen gebotene Beschneidung und das Verfassungsrecht, in: Heil, Johannes/Kramer, Stephan J. (Hg.) (2012): Beschneidung: Das Zeichen des Bundes in der Kritik. Zur Debatte um das Kölner Urteil, Berlin, S. 98–114. Schwarz-Friesel, Monika (2009): Der Tatort Sprache in Deutschland – Antisemitismus im öffentlichen Kommunikationsraum, in: Tribüne. Zeitschrift zum Verständnis des Judentums, 1/2009, S. 178–186. Schwarz-Friesel, Monika (2010): »Ich habe gar nichts gegen Juden!« Der »legitime« Antisemitismus der Mitte, in: Dies./Friesel, Evyatar/Reinharz, Jehuda (Hg.): Aktueller Antisemitismus – ein Phänomen der Mitte, Berlin/New York, S. 27–50. Schwarz-Friesel, Monika (2012): »Dieser Text bedient moderne antisemitische Klischees«, Monika Schwarz-Friesel im Gespräch mit Klaus Pokatzky, in: Deutschlandradio Kultur, Radiofeuilleton vom 10.04.2012, http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/1726338/, abgerufen am 30.01.2013. Schwarz-Friesel, Monika (2013a): Explizite und implizite Formen des Verbal-Antisemitismus in aktuellen Texten der regionalen und überregionalen Presse (2002–2010) und ihr Einfluss auf den alltäglichen Sprachgebrauch, in: Nagel, Michael/ Zimmermann, Moshe (Hg.): Judenfeindschaft und Antisemitismus in der deutschen Presse über fünf Jahrhunderte: Erscheinungsformen, Rezeption, Debatte und Gegenwehr, Band 2, Bremen, S. 993–1008.

434

6. Literatur Schwarz-Friesel, Monika (2013b): »Dies ist kein Hassbrief – sondern meine eigene Meinung über Euch!« – Zur kognitiven und emotionalen Basis der aktuellen antisemitischen Hassrede, in: Meibauer, Jörg (Hg.): Hassrede/Hate Speech. Interdisziplinäre Beiträge zu einer aktuellen Diskussion, Gießen, S. 143–164. Schwarz-Friesel, Monika (2015a): Gebildeter Antisemitismus, seine kulturelle Verankerung und historische Kontinuität: Semper idem cum mutatione, in: Dies. (Hg.): Gebildeter Antisemitismus: eine Herausforderung für Politik und Zivilgesellschaft, Baden-Baden, S. 13–34. Schwarz-Friesel, Monika (2015b): Antisemitische Hass-Metaphorik. Die emotionale Dimension aktueller Judenfeindschaft, in: Interventionen – Zeitschrift für Verantwortungspädagogik, Berlin, S. 38–44. Schwarz-Friesel, Monika (2016): Antisemitismus an Universitäten: die lange Tradition gebildeter Judenfeindschaft, in: Audiatur-Online v. 16.06.2016, http://www.audiaturonline.ch/2016/06/16/antisemitismus-an-universitaeten-die-lange-tradition-gebildeter-judenfeindschaft/, abgerufen am 29.01.2018. Schwarz-Friesel, Monika (2017): Literarischer Antisemitismus: Judenfeindschaft als kultureller Gefühlswert, in: Compass, Online-Extra Nr. 263, S. 1–8. Schwarz-Friesel, Monika (2018): Antisemitismus 2.0 und die Netzkultur des Hasses. Ergebnisse der DFG-geförderten Langzeitstudie »Antisemitismus im www«, Technische Universität Berlin. Schwarz-Friesel, Monika/Friesel, Evyatar/Reinharz, Jehuda (2010) (Hg.): Aktueller Antisemitismus – ein Phänomen der Mitte, Berlin/New York. Schwarz-Friesel, Monika/Friesel, Evyatar (2012): »Gestern die Juden, heute die Muslime …«? Von den Gefahren falscher Analogien, in: Botsch, Gideon/Glöckner, Olaf/Kopke, Christoph/Spieker, Michael (Hg.): Islamophobie und Antisemitismus – ein umstrittener Vergleich, Berlin/Boston, S. 29–50. Schwarz-Friesel, Monika/Reinharz, Jehuda (2013): Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert, Berlin. Schwietring, Marc (2014): Holocaust-Industrie und Vergangenheitspolitik. Norman G. Finkelstein und die Normalisierung des sekundären Antisemitismus in Deutschland, Frankfurt am Main/Bern et al. Seebold, Elmar (1999): Kluge. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Berlin/New York. Seidler, Günter H. (2013): Psychotraumatologie. Das Lehrbuch, Stuttgart. Seidler, Günter H./Freyberger, Harald J./Maercker, Andreas (Hg.) (2015): Handbuch der Psychotraumatologie, Stuttgart. Seipel, Christian/Rieker, Peter (2003): Integrative Sozialforschung. Konzepte und Methoden der qualitativen und quantitativen empirischen Sozialforschung, Weinheim/München. Sigusch, Volkmar (2013): Sexualitäten. Eine kritische Theorie in 99 Fragmenten, Frankfurt am Main.

435

6. Literatur Silvain, Gérard (2001): Images et Traditions Juives. Un millier de cartes postales (1897– 1917) pour servir à l‘histoire de la Diaspora, Paris. Silverman, Eric Kline (2006): From Abraham to America. A History of Jewish Circumcision, Lanham/Boulder/New York et al. Sorgo, Gabriele (2009): Die Aneignung der Kastration. Männlichkeit und Heiligkeit im Lichte der Theorie der Maskulinisierung von Geneviève Vaughan, in: Baader, Meike Sophia/Bilstein, Johannes/Tholen, Toni (Hg.): Erziehung, Bildung und Geschlecht Männlichkeiten im Fokus der Gender-Studies, Wiesbaden, S. 147–164. Sotiriadis, Georgios (2014): Der neue Straftatbestand der weiblichen Genitalverstümmelung, § 226a StGB: Wirkungen und Nebenwirkungen, in: Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik (ZIS), H. 7-8/2014, S. 320–339. Springer, Nina (2014): Beschmutzte Öffentlichkeit? Warum Menschen die Kommentarfunktion auf Online-Nachrichtenseiten als öffentliche Toilettenwand benutzen, warum Besucher ihre Hinterlassenschaft trotzdem lesen. Und wie die Wände im Anschluss aussehen, Berlin. Steinke, Ines (2013): Gütekriterien qualitativer Forschung, in Flick, Uwe/Kardorff, Ernst von/Dies. (Hg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch, Reinbek bei Hamburg, S. 319–331. Stender, Wolfram (2013): Identitätszwang und Judenhass. Zur Gegenwart des Antisemitismus. Detlev Claussen zum 65., in: Psychologie & Gesellschaftskritik, H. 4/1, S. 85–99. Stögner, Karin (2005): Über einige Gemeinsamkeiten von Antisemitismus und Antifeminismus, in: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.): Jahrbuch 2005, Frauen in Widerstand und Verfolgung, Wien, S. 38–51. Stögner, Karin (2014): Antisemitismus und Sexismus. Historisch-gesellschaftliche Konstellationen, Baden-Baden. Thurn, Nike (2011): Fassbinder-Kontroversen, in: Benz, Wolfgang (Hg.): Handbuch des Antisemitismus: Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart, Band 4, Berlin, S. 127−130. Thurn, Nike (2015): »Falsche Juden«. Performative Identitäten in der deutschsprachigen Literatur von Lessing bis Walser, Göttingen. Tiedemann, Paul (2012): Religionsfreiheit – Menschenrecht oder Toleranzgebot? Was Religion ist und warum sie rechtlichen Schutz verdient, Berlin/Heidelberg. Unabhängiger Expertenkreis Antisemitismus (2011): Antisemitismus in Deutschland. Erscheinungsformen, Bedingungen, Präventionsansätze. Bericht des unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus, herausgegeben vom Bundesministerium des Innern, Rostock. Unabhängiger Expertenkreis Antisemitismus (2017): Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus, Drucksache 18/11970, Berlin, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/1 8/119/1811970.pdf, abgerufen am 05.09.2017.

436

6. Literatur Utz-Billing, Isabell/Kentenich, Heribert (2010): Weibliche Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation). Eine Intimmodifikation mit langer Tradition, in: Borkenhagen, Ada/Brähler, Elmar (Hg.): Intimmodifikationen: Spielarten und ihre psychosozialen Bedeutungen, Gießen, S. 133–149. Veltri, Giuseppe (2012): (K)ein Konflikt zwischen Grundprinzipien: Das Wohl des Menschen und der jüdische Brauch der Beschneidung, in: Heil, Johannes/Kramer, Stephan J. (Hg.) (2012): Beschneidung: Das Zeichen des Bundes in der Kritik. Zur Debatte um das Kölner Urteil, Berlin, S. 205–216. Verein zur Abwehr des Antisemitismus (Hg.) (1920): Abwehr-ABC, Berlin. Volkov, Shulamit (1990): Antisemitismus als kultureller Code, in: Dies.: Jüdisches Leben und Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert: zehn Essays, München, S. 13– 36. Volkov, Shulamit (2000): Die Juden in Deutschland 1780–1918, München. Volkov, Shulamit (2001): Antisemitismus und Antifeminismus. Soziale Normen oder kultureller Code, in: Dies.: Das jüdische Projekt der Moderne: zehn Essays, München, S. 62−81. Voß, Heinz-Jürgen (2012a): Vorwort, in: Çetin, Zülfukar/Ders./Wolter, Salih Alexander (2012): Interventionen gegen die deutsche »Beschneidungsdebatte«, Münster, S. 5– 14. Voß, Heinz-Jürgen (2012b): Zirkumzision – die deutsche Debatte und die medizinische Basis, in: Çetin, Zülfukar/Ders./Salih Alexander Wolter: Interventionen gegen die deutsche »Be-schneidungsdebatte«, Münster, S. 51–86. Voß, Heinz-Jürgen/Zaft, Matthias (2013): Der (medizinethische) deutsche Diskurs über die Vorhautbeschneidung, in: Debattenblog der Rosa Luxemburg Stiftung v. 27.7.2013, http://dasendedessex.blogsport.de/images/Voss_Zaft_Medizinethische_ Fragen_zur_Beschneidung_2013_5_7_.pdf, abgerufen am 11.05.2015. Voß, Heinz-Jürgen (2017a): Beschneidung bei Jungen, in: Stiftung Männergesundheit (Hg.): Sexualität von Männern. Dritter Deutscher Männergesundheitsbericht, Gießen, S. 113–126. Voß, Heinz-Jürgen (2017b): In linken Kontexten haben wir nicht dazugelernt: Die antisemitische und rassistische Beschneidungsdebatte wäre heute noch genauso möglich, in: ZAG – antirassistische Zeitschrift, Juli 2017, https://heinzjuergenvoss.de/wp-content/uploads/ 2017/08/ZAG_Beitrag_Voss.pdf, abgerufen am 26.01.2018. Wehrmann, Iris (2007): Lobbying in Deutschland – Begriff und Trends, in: Kleinfeld, Ralf/Zimmer, Annette/Willems, Ulrich (Hg.): Lobbying. Strukturen. Akteure. Strategien, Wiesbaden, S. 36–64. Weiß, Lisa (2017): Seine Vorhaut gehört ihm, in: Deutschlandfunk v. 26.06.2017, in: http://www.deutschlandfunk.de/beschneidung-seine-vorhaut-gehoertihm.886.de.html?dram:article_ id=389420, abgerufen am 20.09.2017. Weiß, Volker (2017): Die autoritäre Revolte. Die neue Rechte und der Untergang des Abendlandes, Stuttgart.

437

6. Literatur Wernet, Andreas (2009): Einführung in die Interpretationstechnik der objektiven Hermeneutik, Wiesbaden. Wetzel, Juliane (2010): Verschwörungstheorien, in: Benz, Wolfgang (Hg.): Handbuch des Antisemitismus: Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart, Band 3: Begriffe, Theorien, Ideologien, Berlin, S. 334–337. Wetzel, Juliane (2012a): Judenfeindliche Stereotypisierungen: Das Beschneidungsurteil im öffentlichen Diskurs, in: Heil, Johannes/Kramer, Stephan J. (Hg.) (2012): Beschneidung: Das Zeichen des Bundes in der Kritik. Zur Debatte um das Kölner Urteil, Berlin, S. 264–275. Wetzel, Juliane (2012b): Parallelen zwischen Antisemitismus und Islamfeindschaft heute, in: Botsch, Gideon/Glöckner, Olaf/Kopke, Christoph/Spieker, Michael (Hg.): Islamophobie und Antisemitismus – ein umstrittener Vergleich, Berlin/Boston, S. 81–106. Widmann, Peter (2008): Israelkritik und Antisemitismus, in: Benz, Wolfgang (Hg.): Der Hass gegen die Juden. Dimensionen und Formen des Antisemitismus, Berlin, S. 137– 158. Widmann, Peter (2012): Ein Gerichtsurteil und seine mediale Inszenierung, in: Heil, Johannes/Kramer, Stephan J. (Hg.) (2012): Beschneidung: Das Zeichen des Bundes in der Kritik. Zur Debatte um das Kölner Urteil, Berlin, S. 219–227. Wolf, Helmut (2014): Beschneidung im Recht, in: Langanke, Martin/Ruwe, Andreas/Theißen, Henning (Hg.): Rituelle Beschneidungen von Jungen. Interdisziplinäre Perspektiven, Leipzig, S. 237–256. Wolff, Eberhard (2002): Medizinische Kompetenz und talmudische Autorität. Jüdische Ärzte und Rabbiner als ungleiche Partner in der Debatte um die Beschneidungsreform zwischen 1830 und 1850, in: Herzig, Arno/Horch, Hans Otto/Jütte, Robert (Hg.): Judentum und Aufklärung. Jüdisches Selbstverständnis in der bürgerlichen Öffentlichkeit, Göttingen, S. 119–149. World Health Organization (2007): Male circumcision: global trends and determinants of prevalence, safety and acceptability, in: http://apps.who.int/iris/bitstream/10665/ 43749/1/9789241596169_eng.pdf, abgerufen am 02.06.2017. Wyrwa, Ulrich (2010): Moderner Antisemitismus, in: Benz, Wolfgang (Hg.): Handbuch des Antisemitismus: Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart, Band 3: Begriffe, Theorien, Ideologien, Berlin, S. 209–214. Zachmann, Hans (1999): »Hütet eure Kinder«. Ritualmordbeschuldigungen um 1900, in: Gold, Helmut/Heuberger, Georg: Abgestempelt. Judenfeindliche Postkarten, Heidelberg, S. 160–165. Zähle, Kai (2009): Religionsfreiheit und fremdschädigende Praktiken, in: Archiv des öffentlichen Rechts (AöR), H. 3/2009, S. 434–454. Zapf, Holger (2013): Methoden der Politischen Theorie. Eine Einführung, Opladen/Berlin/ Toronto. Zick, Andreas (2010): Aktueller Antisemitismus im Spiegel von Umfragen – ein Phänomen der Mitte, in: Schwarz-Friesel, Monika/Friesel, Evyatar/Reinharz, Jehuda

438

6. Literatur (Hg.): Aktueller Antisemitismus – ein Phänomen der Mitte, Berlin/New York, S. 225–246. Zick, Andreas/Klein, Anna (2014a): Fragile Zustände, in: Dies. (Hg.): Fragile Mitte. Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2014, Bonn, S. 12–23. Zick, Andreas/Klein, Anna (2014b): Rechtsextreme Einstellungen in der fragilen Mitte, in: Dies. (Hg.): Fragile Mitte. Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2014, Bonn, S. 32–60. Zick, Andreas/Hövermann, Andreas/Jensen, Silke/Bernstein, Julia (2017): Jüdische Perspektiven auf Antisemitismus in Deutschland. Ein Studienbericht für den Expertenrat Antisemitismus, Bielefeld, https://uni-bielefeld.de/ikg/daten/JuPe_Bericht_April20 17.pdf, abgerufen am 10.09.2017.

439

440

7.

Quellen

Acassuso, Guillermo (2012): Dem Kommentar kann man nur zustimmen, Kommentar v. 27.06.2012, 17:42 Uhr zu Hefty 2012a, in: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/beschneidungs-urteil-credo-des-rechtsstaates-11800115.html, abgerufen am 27.01.2018. Aderet, Ofer (2012): Jewish, Muslim Leaders Blast German Court's Decision to Outlaw Circumcision, in: Haaretz v. 26.06.2012, https://www.haaretz.com/jewish/germancourt-rules-circumcision-illegal-1.5187634, abgerufen am 13.06.2018. Adler, Yael (2007): Operation Beschneidung, in: Familienmentsch. Das Jüdische Elternmagazin v. Oktober 2007, Heft 1, S. 8–10. Ahriman (2012): Re: Beschneidung beim Mann, Kommentar v. 16.09.2012, 14:57 Uhr, in: atheisten.org, http://www.atheisten.org/forum/viewtopic.php?f=5&t=7994&start =1110, abgerufen am 11.11.2016. Akyol, Çiğdem (2008a): Grauzone Vorhaut, in: taz v. 31.10.2008, http://www.taz.de/ !5173499/, abgerufen am 08.12.2016. Akyol, Çiğdem (2008b): Religiöse Pflicht oder Misshandlung?, in: ZEIT online v. 04.12.2008, http://www.zeit.de/online/2008/49/beschneidung-religion-unversehrtheit/komplettansicht, abgerufen am 08.12.2016. Akyol, Çiğdem (2014): Ein Schnitt ins Leben, in: FAZ v. 12.11.2014, http://www.faz. net/aktuell/gesellschaft/istanbuler-beschneidungspalast-ein-schnitt-ins-leben-13260 770-p3.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2, abgerufen am 27.01.2018. Alberti, Stefan (2012): Heilmanns klare Ansage, in: taz v. 05.09.2012, http://www.taz. de/!5084705/, abgerufen am 11.01.2017. Allensbacher Werbeträgeranalyse (2012): AWA 2012: F.A.Z. und F.A.S. erreichen über zwei Millionen Leser, in: http://verlag.faz.net/unternehmen/presse/pressemitteilungawa-2012-f-a-z-und-f-a-s-erreichen-ueber-zwei-millionen-leser-11810801.html, abgerufen am 27.01. 2018. Alles Evolution (o.J.): Über diese Seite, in: https://allesevolution.wordpress.com/about/, abgerufen am 17.08.2016. Altenbockum, Jasper von (2012): Ein Verbot wäre unverhältnismäßig, in: FAZ v. 16.07. 2012, http://www.faz.net/aktuell/politik/harte-bretter/beschneidung-pro-und-contraein-verbot-waere-unverhaeltnismaessig-11819799.html, abgerufen am 20.10.2016. Alternative für Deutschland (2016): Programm für Deutschland. Das Grundsatzprogramm der Alternative für Deutschland, Stuttgart. Amjahid, Mohamed (2018): Heiliger Schmerz, in: ZEIT online v. 21.03.2018, https://www.zeit.de/2018/13/beschneidung-religionsfreiheit-grundgesetz-debatte/ komplettansicht?print, abgerufen am 02.05.2018.

441

7. Quellen Amtsgericht Köln (2011): Urteil des Amtsgerichts Köln zu Beschneidung v. 21.09.2011, Az.: 528 Ds 30/11, http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ag_koeln/j2011/528_Ds_30_11_ Urteil_20110921.html, abgerufen am 03.02.2015. Anonym (2015): Ohne Titel, Kommentar v. 25.03.2015, 14:43 Uhr, https://jungefreiheit.de/kultur/gesellschaft/2015/keine-islamischen-beschneidungsfeiern-am-karfreitag/, abgerufen am 28.01.2018. ARK Allgemeine Rabbinerkonferenz (2012): Weit mehr als nur ein medizinischer Eingriff, Interview mit Antje Yael Deusel, in: http://a-r-k.de/kommentar/27/, abgerufen am 08.06.2017. Arnold, Felix (2012): versachlichung, Kommentar v. 24.07.2012, 12:06 Uhr zu Franz 2012a, in: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/offener-brief-zur-beschneidungreligionsfreiheit-kann-kein-freibrief-fuer-gewalt-sein-1182759 0.html, abgerufen am 28.01.2018. Atalan, Murat (2012): Demokratie in Deutschland: Die Meinung der Mehrheit wird ignoriert; Lobbys diktieren Gesetze, Kommentar v. 15.07.2012, 10:50 Uhr zu Gutschker 2012, in: http://www.faz.net/aktuell/politik/urteil-zu-beschneidungen-kinderschutz-11820503.html, abgerufen am 27.01.2018. Bachl, Alexander (o.J.): Stellungnahme Alexander Bachl, Mitglied des Facharbeitskreises Beschneidungsbetroffener im MOGiS e.V., in: https://die-betroffenen.de/stellungnahmen/alexander-bachl/, abgerufen am 06.06.2017. Bachl, Alexander (2014): Welttag der genitalen Selbstbestimmung, O-Töne 2014, in: https://genitale-selbstbestimmung.de/archiv/welttag-der-genitalen-autonomie2014/o-toene-2014/, abgerufen am 27.01.2018. Bahls, Christian (2013): Warum ich den orthodoxen Rabbiner Yehuda Teichtal für die Beschneidung seines Sohnes anzeige, in: https://mogis.info/blog/circumcision-mendel-teichtal-de/, abgerufen am 22.11.2017. Bahners, Patrick (2012a): Ein Rechenfehler, in: FAZ v. 22.07.2012, http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/beschneidungsdebatte-ein-rechenfehler-11827870.html, abgerufen am 21.10.2016. Bartoschek, Sebastian (2017): Honigmann geht wohl in den Knast, in: ruhrbarone.de v. 03.03.2017, https://www.ruhrbarone.de/honigmann-geht-wohl-in-den-knast/139765, abgerufen am 16.06.2017. Bauer (2012): ohne Titel, Kommentar v. 04.09.2012, in: http://blog.gruenebw.de/2012/07/18/beschneidungsdebatte/, abgerufen am 20.01.2018. Baum, Hanns J. (2012): Oh Herr wirf Hirn hernieder!, Kommentar v. 18.07.2012, 12:18 Uhr zu Müller 2012a, in: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/beschneidungsdebatte-grenzen-in-gottesfragen-11823530.html, abgerufen am 27.01.2018. Bax, Daniel/Oestreich, Heide (2012): Trauma oder Recht auf Identität? Streitgespräch mit Sergey Lagodinsky und Raju Sharma, in: taz v. 09.09.2012, http://www.taz.de/ Streitgespraech-zur-Beschneidung/!508 4600/, abgerufen am 11.01.2017.

442

7. Quellen Beckhardt, Lorenz S. (2012): Beschnitten und traumatisiert, in: FR v. 23.08.2012, http://www.fr-online.de/kultur/beschneidung-beschnitten-und-traumatisiert,1472786,16945268.html, abgerufen am 31.10.2017. Beier, Meike/Lichtenheldt, Mario (2012): Stellungnahme zum Kölner Beschneidungsurteil v. 05.07.2012, in: MANNdat, https://manndat.de/geschlechterpolitik/stellungnahme-zum-kolner-beschneidungsurteil.html, abgerufen am 05.08.2016. Bergner, Clemens (2015): Ent-hüllt! Die Beschneidung von Jungen – nur ein kleiner Schnitt? Betroffene packen aus über Verlust, Schmerzen, Scham, Hamburg. Beschneidungsforum (o.J.a): Das Forum rund um das Thema Beschneidung, in: https://www.beschneidungsforum.de/, abgerufen am 15.07.2016. Beschneidungsforum (o.J.b): Themen mit dem Tag »Trauma«, in: https://www.beschneidungsforum.de/index.php/Tagged/2-Trauma/?objectType=com.woltlab.wbb.thread, abgerufen am 27.01.2018. Beschneidungsforum (o.J.c): ohne Titel, in: https://www.beschneidungsforum.de/, abgerufen am 27.01.2018. Beschneidungsforum (2012): Beschneidung mit 18, in: https://www.beschneidungsforum.de/index.php/Thread/423-Beschneidung-mit-18/, abgerufen am 22.06.2017. Beschneidung-von-jungen.de (o.J.a): Kapitel 6: Lang-Zeit Beeinträchtigungen der Beschneidung, in: https://www.beschneidung-von-jungen.de/home/grundsatzerklaerung-zur-genitalen-unversehrtheit/6-nachteilige-langzeit-auswirkungen-der-beschneidung.html, abgerufen am 12.07.2017. Beschneidung-von-jungen.de (o.J.b): Charta, in: https://www.beschneidung-von-jungen.de/impressum/charta-beschneidungsforumde.html, abgerufen am 17.01.2018. Beschneidung-von-jungen.de (o.J.c): Todesfälle durch Beschneidung, in: https://www. beschneidung-von-jungen.de/home/komplikationen/tod-und-beschneidung/toddurch-beschneidungen.html, abgerufen am 19.07.2018. Bigalke, Silke (2012): Angst vor strengen Auflagen, in: SZ v. 27.08.2012, http://www. sueddeutsche.de/politik/debatte-ueber-beschneidung-angst-vor-strengen-auflagen-1. 1450822, abgerufen am 20.02.2017. Bingener, Reinhard (2012): Geist und Fleisch, in: FAZ v. 09.11.2012, http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/beschneidung-geist-und-fleisch11956079.html, abgerufen am 24.02.2017. Bittner, Jochen (2018): Beschneidung überdenken!, in: ZEIT online v. 14.03.2018, https://www.zeit.de/2018/12/religionsfreiheit-beschneidung-grundgesetz-debatte/ komplettansicht, abgerufen am 02.05.2018. Bolko (2012): Deutschland kommt auch ohne Juden und Moslems zurecht, Kommentar v. 30.07.2012, 21:16 Uhr, in: https://www.heise.de/forum/Telepolis/Kommentare/Piraten-Politiker-schildert-Beschneidung-als-traumatisches-Erlebnis/Deutschlandkommt-auch-ohne-Juden-und-Moslems-zurecht/posting-1866011/show/, abgerufen am 27.01.2018.

443

7. Quellen Bommarius, Christian (2012a): Rechtsschutz für die Beschneidung, in: FR v. 25.09.2012, http://www.fr-online.de/meinung/leitartikel-rechtsschutz-fuer-die-beschneidung-,1472602,18765052.html, abgerufen am 20.02.2017. Bommarius, Christian (2012b): Aus der Sickergrube, in: FR v. 30.09.2012, http://www.fr.de/politik/meinung/beschneidungsdebatte-aus-der-sickergrube-a799039, abgerufen am 27.01.2018. Bönte, Kim (2018): Gesetz gegen die Beschneidung. Island plant Verbot der Brit Mila, in: Jüdische Allgemeine v. 01.03.2018, https://www.juedische-allgemeine.de/article/ view/id/30949, abgerufen am 19.07.2018. Bosau, Detlef (2013): Ohne Titel, Kommentar v. 07.01.2013 zu »Warum die Beschneidung des Penis so ungleich mehr interessiert als die Verstümmelung der Klitoris«, in: haGalil.com, http://www.hagalil.com/2013/01/beschneidung-11/, abgerufen am 21. 08.2016. Breitbart, Daniela (2012): Brit ohne Schnitt, in: Jüdische Allgemeine v. 30.08.2012, http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/13858, abgerufen am 15.01. 2018. Brixius, Dirk (2012): Ohne Titel, Kommentar v. 13.12.2012, 16:41 Uhr zu Heinig 2012b, in: http://verfassungsblog.de/warum-der-gesetzentwurf-zur-beschneidungeine-vernunftige-losung-ist/, abgerufen am 09.11.2016. Bryk, Felix (1934): Circumcision in Man and Woman. Its History, Psychology and Ethnology, New York. Bundesforum Männer (2017): Positionspapier zur Beschneidung von Jungen v. 31.03.2017, https://bundesforum-maenner.de/wp-content/uploads/2017/05/BFM-zuBeschneidung-von-Jungen-20170505.pdf, abgerufen am 20.09.2017. Bundesgesetzblatt (2012): Gesetz über den Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes, Bundesgesetzblatt 2012, Teil I Nr. 61 v. 27.12.2012, Bonn, S. 2749–2750. Bündnis 90/Die Grünen, München (2012): Rituelle Beschneidung: Medizinisch überflüssig und zutiefst unethisch, in: https://www.gruene-muenchen.de/aktuell/news/rituelle-beschneidung-medizinisch-ueberfluessig-und-zutiefst-unethisch/, abgerufen am 15.07.2016. Busch, Carsten (2012): Religionsfreiheit, Kommentar v. 30.06.2012, 09:42 Uhr zu Hefty 2012a, in: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/beschneidungs-urteil-credo-desrechtsstaates-11800115.html, abgerufen am 27.01.2018. Comite zur Abwehr antisemitischer Angriffe (Hg.) (1896): Die Kriminalität der Juden in Deutschland, Berlin. Conference of European Rabbis (o.J.): Statement of the CER regarding the Brith Mila, ohne Veröffentlichungsdatum, in: Archiv der Autorin. Datenhandbuch des Bundestages (2015): Kapitel 7.4 Sondersitzungen, in: https://www. bundestag.de/blob/196276/0d6a0568993f506658166024d20e76f8/kapitel_07_04_sondersitzungen-data.pdf, abgerufen am 20.08.2017.

444

7. Quellen Decker, Markus (2012): Streit nach Ethikrat-Votum, in: FR v. 25.08.2012, http://www.fr-online.de/politik/beschneidung-streit-nach-ethikrat-votum,1472596,16964592.html, abgerufen am 20.02.2017. Demuth, Anni/Ehret, Judith (2008): Ein juristisches Problem, in: Deutsches Ärzteblatt, Heft 44/2008 v. 31.10.2008, S. 2330. Der Honigmann sagt (2012): Angriff auf den Zeremonienmeister des Blut-Bundes v. 21.07.2012, https://derhonigmannsagt.wordpress.com/2012/07/21/angriff-auf-denzeremonienmeister-des-blut-bundes/, abgerufen am 15.02.2016. Der Honigmann sagt (2013): Das Judentum – eine Gegenrasse I v. 04.02.2013, https://derhonigmannsagt.wordpress.com/2013/02/04/das-judentum-eine-gegenrasse-i/, abgerufen am 15.02.2016. Der Leugner! (2012): Ohne Titel, Kommentar v. 20.07.2012, 02:01 Uhr zu Harress 2012, in: https://derhonigmannsagt.wordpress.com/2012/07/18/betrifft-das-abschneiden-der-vorhaut-bei-sehr-jungen-wehrlosen-knaben/, abgerufen am 16.02. 2016. Deutscher Ärzte-Verlag (2017): Media Information 2017. Deutsches Ärzteblatt, in: http://www.aerzteverlag-media.de/fileadmin/media/mediadaten/medizin/Verkaufsunterlagen/Mediadaten_DAE_deutsch_2017.pdf, abgerufen am 27.01.2018. Deutscher Bundestag (2012a): Rechtliche Regelung der Beschneidung minderjähriger Jungen, in: Bundestag Drucksache 17/10331 v. 19.07.2012. Deutscher Bundestag (2012b): Diskussion zur Petition 26078, in: https://epetitionen. bundestag.de/petitionen/_2012/_07/_23/Petition_26078/forum/Beitrag_257613.$$$ .batchsize.10.tab.1.html, abgerufen am 20.04.2017. Deutscher Bundestag (2012c): Stenografischer Bericht der 213. Sitzung v. 12.12.2012, Plenarprotokoll 17/213. Deutscher Bundestag (2012d): Stenografischer Bericht der 208. Sitzung v. 22.11.2012, Plenarprotokoll 17/208. Deutscher Bundestag (2012e): Stenografischer Bericht der 189. Sitzung v. 19.07.2012, Plenarprotokoll 17/189. Deutscher Bundestag (2012f): Petition 26078, https://epetitionen.bundestag.de/petitionen/_2012/_07/_23/Petition_26078.nc.html, abgerufen am 19.09.2017. Deutscher Bundestag (o.J.): Entschließungsantrag, in: https://www.bundestag.de/service/glossar/glossar/E/entschl_antrag/245394, abgerufen am 28.01.2018. Deutscher Ethikrat (2012a): Vorträge und Diskussion zum Thema »Religiöse Beschneidung« v. 23.08.2012, Berlin, http://www.ethikrat.org/dateien/pdf/plenarsitzung-2308-2012-simultanmitschrift.pdf, abgerufen am 02.06.2017. Deutscher Ethikrat (2012b): Pressemitteilung. Ethikrat empfiehlt rechtliche und fachliche Standards für die Beschneidung, in: http://www.ethikrat.org/presse/pressemitteilungen/2012/pressemitteilung-09-2012, abgerufen am 17.10.2017. Deutsches Rechtswörterbuch (o.J.): Freibrief, in: Online-Wörterbuch der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, http://drw-www.adw.uni-heidelberg.de/drw-

445

7. Quellen cgi/zeige?db=dr w&index=lemmata&term=Freibrief&darstellung=%DC, abgerufen am 15.04.2015. DGPM, Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (2017): Jungenbeschneidung in Deutschland – Abschlussforderungen, in: http://www.jungenbeschneidung.de/material/Abschlussforderungen.pdf, abgerufen am 20.09.2017. Die Betroffenen (o.J.): Leitbild des Facharbeitskreises Beschneidungsbetroffener, in: Betroffene von Beschneidung und Missbrauch im MOGiS e.V., https://die-betroffenen.de/leitbild/, abgerufen am 18.09.2017. Die Betroffenen (2012): Stellungnahmen, in: Betroffene von Beschneidung und Missbrauch im MOGiS e.V., https://die-betroffenen.de/stellungnahmen/, abgerufen am 27.01.2018. Die Betroffenen (2016): Startseite, in: Betroffene von Beschneidung und Missbrauch im MOGiS e.V., https://beschneidung.die-betroffenen.de/, abgerufen am 06.06.2016. Dietz, Hans-Georg/Schuster, Tobias/Stehr, Maximilian (2001): Phimose, in: Operative Eingriffe in der Kinderurologie. Ein Kompendium, München, S. 86–90. Diez, Stefan (2008): Sachliche Analyse, in: Deutsches Ärzteblatt, Heft 44/2008 v. 31.10.2008, S. 2327. Dörner, Katja (2012): Rede im Deutschen Bundestag v. 22.11.2012, in: Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht der 208. Sitzung, Plenarprotokoll 17/208. Ebel, Wolfgang (2012): Es geht längst, Kommentar v. 23.07.2012, 07:25 Uhr zu Süss/Eppelsheim 2012a, in: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/beschneidungsdebatte-auch-die-seele-leidet-11827698.html, abgerufen am 28.01.2018. Ehreth J. T./King, Lowell R. (2000): Zirkumzision, in: Thüroff, Joachim W./SchulteWissermann, Hermann (Hg.): Kinderurologie in Klinik und Praxis, Begründet von R. Hohenfellner, Stuttgart/New York, S. 506–511. Elyas, Nadeem (2012): Ist die Knaben-Beschneidung überhaupt Pflicht im Islam?, in: Islam.de v. 21.07.2012, http://islam.de/20776, abgerufen am 24.06.2018. Enosch, Jonathan (2012): »Ein Akt der Vergewaltigung«, Interview von Susanne Knaul in: taz v. 17.07.2012, http://www.taz.de/!5088806/, abgerufen am 12.11.2015. Ermes, Wolfgang (2008): Jüdisches Religionsgesetz, in: Deutsches Ärzteblatt, Heft 44/2008 v. 31.10.2008, S. 2327–2328. Eschelbach, Ralf/Franz, Matthias/Scheinfeld, Jörg (2017): Zum Kölner Beschneidungsurteil und zur Schutzpflicht der Parlamentarier, in: https://www.giordano-bruno-stiftung.de/sites/gbs/files/eschelbach_franz_scheinfeld_170507.pdf, abgerufen am 18.01.2018. EthRG (2007): Gesetz zur Einrichtung des Deutschen Ethikrats, in: https://www.gesetze-im-internet.de/ethrg/BJNR138500007.html, abgerufen am 27.01.2018. Evans, Stephen (2012): German circumcision ban: Is it a parent‘s right to choose?, in: BBC v. 13.07.2012, http://www.bbc.com/news/magazine-18793842, abgerufen am 15.03.2017.

446

7. Quellen Exner, Thomas (2011): Sozialadäquanz im Strafrecht. Zur Knabenbeschneidung, Berlin. Falbala146 (2012): @murke, Kommentar v. 13.12.2012, 11:17 Uhr zu Heinig 2012, in: http://verfassungsblog.de/warum-der-gesetzentwurf-zur-beschneidung-eine-vernunftige-losung-ist/, abgerufen am 09.11.2016. Fauk, Lu (2012): Und selbst, wenn er kein Trauma erlitten hat, Kommentar v. 15.07.2012, 12:32 Uhr, zu Gutschker 2012, in: http://www.faz.net/aktuell/politik/urteil-zu-beschneidungen-kinderschutz-11820503.html, abgerufen am 29.01.2018. Felicite (2013): Der Autor benennt leider Ross und Reiter nicht, Kommentar v. 15.07.2013, 10:31 Uhr zu Walter 2013, in: http://www.zeit.de/2013/28/genitalverstuemmelung-gesetz-frauen, abgerufen am 27.01.2018 Fellmann, H./Müller, M./Graf, Kristof (2012): Beschneidungen im Jüdischen Krankenhaus. Bericht über die letzten zehn Jahre, in: http://www.zwangsbeschneidung.de/archiv/experten-rechtsausschuss-26-11-2012/Stellungnahme_Graf.pdf, abgerufen am 07.06.2017. Franck, Martin (2013): Ohne Titel, Kommentar v. 11.07.2013, 17:48 Uhr zu Walter 2013, in: http://www.zeit.de/2013/28/genitalverstuemmelung-gesetz-frauen, abgerufen am 27.01.2018. Franz, Matthias (2006): Götterspeise – Vom Kindesopfer zur Beschneidung und zurück, in: Hirsch, Mathias (Hg.): Das Kindesopfer, eine Grundlage unserer Kultur, Gießen, S. 113–133. Franz, Matthias (2008): Vom Kindesopfer zur Beschneidung. Zur interkulturellen Psychohistorie eines archaischen Genitaltraumas, in: psychosozial, H. 2/2008, Gießen, S. 41–55. Franz, Matthias (2010a): Männliche Genitalbeschneidung und Kindesopfer. Psychoanalytische Aspekte eines archaischen Genitaltraumas, in: Borkenhagen, Ada/Brähler, Elmar (Hg.): Intimmodifikationen: Spielarten und ihre psychosozialen Bedeutungen, Gießen, S. 183–214. Franz, Matthias (2010b): »Ein Mann zu sein, ist gefährlich«, Interview von Olaf Steinacker, in: Westdeutsche Zeitung v. 01.02.2010, http://www.wz-newsline.de/lokales/duesseldorf/professor-matthias-franz-8222ein-mann-zu-sein-ist-gefaehrlich-822 0-1.154578, abgerufen am 11.01.2017. Franz, Matthias (2011): Wenn der Vater fehlt, in: Deutsches Institut für Jugend und Gesellschaft, Bulletin Nr. 11, Kinder und Familie, http://www.dijg.de/ehe-familie/ forschung-kinder/vater-bezug/, abgerufen am 27.01.2018. Franz, Matthias (2012a): Offener Brief zur Beschneidung. »Religionsfreiheit kann kein Freibrief für Gewalt sein«, in: FAZ v. 21.07.2012, http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/offener-brief-zur-beschneidung-religionsfreiheit-kann-kein-freibrief-fuergewalt-sein-11827590.html, abgerufen am 18.10.2016. Franz, Matthias (2012b): »Es ist ein genitales Trauma«, Interview von Heide Oestreich in: taz v. 25.07.2012, http://www.taz.de/!5088276/, abgerufen am 12.11.2015.

447

7. Quellen Franz, Matthias (2012c): Ritual, Trauma, Kindeswohl, in: FAZ v. 08.07.2012, http:// www.faz.net/aktuell/politik/die-gegenwart/beschneidung-ritual-trauma-kindeswohl -11813995.html, abgerufen am 11.08.2016. Franz, Matthias (2013a): Zur Verleugnung der Gewaltaspekte der rituellen Beschneidung kleiner Jungen – oder: Dürfen deutsche Nichtjuden deutsche Juden analysieren?, in: Psyche: Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen, H. 2/2013, Stuttgart, S. 183–193. Franz, Matthias (2013b): Individuelle Binnendifferenzierung versus kollektive Identität. Ein Projekt der Psychoanalyse, in: Psyche: Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen, H. 5/2013, Stuttgart, S. 495–498. Franz, Matthias (2014a): Einleitung, in: Ders. (Hg.): Die Beschneidung von Jungen. Ein trauriges Vermächtnis, Göttingen, S. 7–19. Franz, Matthias (2014b): Beschneidung ohne Ende?, in: Ders. (Hg.): Die Beschneidung von Jungen. Ein trauriges Vermächtnis, Göttingen, S. 130–189. Franz, Matthias (2014c): »Was tue ich da meinem Sohn eigentlich an?« Die Beschneidung von Jungen und ihre Folgen, in: http://www.vr.de/ de/was_tue_ich_da_meinem_sohn_eigentlich_an_die_beschneidung_von_jungen_und_ihre_folgen/n-1/337, abgerufen am 19.05.2017. Franz, Matthias (2015): Von der Loyalität zur Identität. Eine Illusion oder eine Perspektive für die Männer?, in: Walz-Pawlita, Susanne/Unruh, Beate/Janta, Bernhard (Hg.): Identitäten, Gießen, S. 187–204. Franz, Matthias (2016a): »Auch Deutschland ist rückständig«, Interview vom Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie e.V. v. 09.02.2016, in: http://www.idaf.org/aktuelles/aktuelles-einzelansicht/archiv/2016/02/09/artikel/auch-deutschland-ist-rueckstaendig.html, abgerufen am 30.05.2017. Franz, Matthias (2016b): Gewalt gegen Frauen hat mit Gewalt gegen Jungen zu tun, in: Focus.de v. 06.02.2016, http://www.focus.de/magazin/archiv/politik-und-gesellschaft-gewalt-gegen-frauen-hat-mit-gewalt-gegen-jungen-zu-tun_id_5262514.html, abgerufen am 20.03.2017. Franz, Matthias/Karger, André (2011): Vorwort der Herausgeber, in: Dies. (Hg.): Neue Männer - muss das sein? Risiken und Perspektiven der heutigen Männerrolle, Göttingen [u.a.], S. 7–18. Franz, Matthias/Karger, André (2015): Seelische Gesundheit von Männern und Jungen – Eine Einführung, in: Dies. (Hg.): Angstbeißer, Trauerkloß, Zappelphilipp? Seelische Gesundheit bei Männern und Jungen, Göttingen, S. 7–18. Fromm, Heinz (2012): Die männliche Genitalverstümmelung hatte einen glasklaren Zweck, Kommentar v. 22.07.2012, 20:22 Uhr zu Zastrow 2012a, in: http://www. faz.net/aktuell/politik/inland/beschneidungsdebatte-noetiger-schmerz11827980.html, abgerufen am 28.01.2018. Fürst, Michael (2017): »Muslimischer Antisemitismus ist bedeutsam«, Interview von Stefanie Witte v. 22.02.2017, in: Neue Osnabrücker Zeitung.de, http://www.noz.de/

448

7. Quellen deutschland-welt/politik/artikel/854282/michael-fuerst-muslimischer-antisemitismus-ist-bedeutsam, abgerufen am 27.01.2018. Gaebler, Tilman (2017): Zusendung der Mediadaten der Juristenzeitung von 2009 via E-Mail am 14.11.2017 auf Anfrage, im Archiv der Autorin. Gedankenwerk (2012): @Roslin, Kommentar v. 06.07.2012, 12:11 Uhr https://allesevolution.wordpress.com/2012/06/27/beschneidung-von-minderjahrigen-jungen-strafbar/, abgerufen am 30.06.2017. Geisler, Wolff (2012): Der Zweck der jüdischen Beschneidung, in: http://www.luebeckkunterbunt.de/Judentum/Die_juedische_Beschneidung.pdf, abgerufen am 16.06. 2017 (gekürzte Fassung). Geisler, Wolff (2014): Betr.: Einstellung des Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Berlin gegen Yehuda Elyokin Tiechtel (alias Yehuda Teichtal), Menachem Fleischmann sowie Yochanan Guary, Schreiben an die Staatsanwaltschaft Berlin v. 29.05.2014, im Archiv der Autorin. Geisler, Wolff (2015): Die jüdische Beschneidung, http://www.zwangsbeschneidung.de/archiv/dr-geisler-die-juedische-beschneidung.pdf, abgerufen am 28.05. 2016. Geng, Raika (2012): Das Leiden und die Folgen der Jungen und das empathische Mitgefühl der Mütter untergeordnet, Kommentar v. 23.07.2012, 09:24 Uhr zu Süss/Eppelsheim 2012a, in: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/beschneidungsdebatteauch-die-seele-leidet-1182769 8.html, abgerufen am 28.01.2018. Gessler, Philipp (2012a): Ist Beschneidung eine Körperverletzung? Einschnitte in Fleisch und Frieden, in: taz v. 11.07.2012, http://www.taz.de/!5089272/, abgerufen am 30.09.2015. Gessler, Philipp (2012b): Jüdische Klinik setzt Eingriffe aus, in: taz v. 29.06.2012, http://www.taz.de/Urteil-zu-religioesen-Beschneidungen/!5090160/, abgerufen am 11.01.2017. Giordano-Bruno-Stiftung (2017): Denkfabrik für Humanismus und Aufklärung, in: https://www.giordano-bruno-stiftung.de/denkfabrik-fuer-humanismus-aufklaerung, abgerufen am 27.01.2018. Goldberg, David (o.J.): Ablauf und Heilungsprozess, in: http://www.beschneidungmohel.de/ablauf_und_heilungsprozess.html, abgerufen am 28.11.2017. Göpfert, Claus-Jürgen (2012): Diesseits von Afrika, in: FR v. 18.09.2012, http://www. fr.de/frankfurt/schriftstellerin-stefanie-zweig-diesseits-von-afrika-a-806823, abgerufen am 27.01.2018. Graf, Janna (2013): Weibliche Genitalverstümmelung aus Sicht der Medizinethik. Hintergründe – ärztliche Erfahrungen – Praxis in Deutschland, Göttingen. Grass, Günter (2012): »Was gesagt werden muss« – das Gedicht im Wortlaut, in: tagesschau.de v. 04.04.2012, http://www.tagesschau.de/inland/grassgedicht102.html, abgerufen am 27.01.2018. Graumann, Dieter (2012a): Interview von Tom Buhrow mit Dieter Graumann zum Kölner Urteil gegen rituelle Beschneidungen in den ARD-Tagesthemen v. 27.06.2012,

449

7. Quellen http://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/tt4012.html, Minute 17:22 der Videoaufzeichnung, abgerufen am 22.08.2014. Graumann, Dieter (2012b): »Beschneidung muss legal bleiben«. Interview der Rheinischen Post v. 14.07.2012, http://www.rp-online.de/politik/deutschland/beschneidung -muss-legal-bleiben-aid-1.2909511, abgerufen am 27.01.2018. Greven, Ludwig (2012): Unter dem Deckmantel des Säkularismus, in: ZEIT online v. 27.07. 2012, http://www.zeit.de/politik/deutschland/2012-07/BeschneidungsdebatteMinderheiten/komplettansicht, abgerufen am 01.11.2016. Grötker, Ralf (2012): Beschneidungsethik – erlaubte Körperverletzung?, in: FAZ v. 15.10.2012, http://www.faz.net/aktuell/wissen/faktencheck/faktencheck-ergebnisder-leserrecherche-beschneidungsethik-erlaubte-koerperverletzung11920623.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2, abgerufen am 24.02.2017. Gutschker, Thomas (2012): Kinderschutz, in: FAZ v. 15.07.2012, http://www. faz.net/aktuell/politik/urteil-zu-beschneidungen-kinderschutz-11820503.html, abgerufen am 20.10.2016. Gutschker, Thomas/Lohse, Eckart (2012): Im Gespräch: Fritz Kuhn. »Ein klassischer Wertekonflikt«, in: FAZ v. 21.07.2012, http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/imgespraech-fritz-kuhn-ein-klassischer-wertekonflikt-11827712.html, abgerufen am 20.10.2016. Güvercin, Eren (2012): »Deutschland macht sich lächerlich«, Interview mit Feridun Zaimoglu, FAZ v. 29.07.2012, http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/feridunzaimoglu-im-gespraech-deutschland-macht-sich-laecherlich-11832954.html, abgerufen am 21.10.2016. Hammond, Tim (2003): Der Zusammenhang zwischen weiblicher und männlicher Genitalverstümmelung, in: Terre des Femmes (Hg.): Schnitt in die Seele. Weibliche Genitalverstümmelung – eine fundamentale Menschenrechtsverletzung, Frankfurt am Main, S. 269–295. Harrer-Haag, Judith U. (2008): Was zu befürchten ist, in: Deutsches Ärzteblatt, Heft 44/2008 v. 31.10.2008, S. 2328–2330. Harress, Hans (2012): Betrifft: Das Abschneiden der Vorhaut bei sehr jungen wehrlosen Knaben, in: https://derhonigmannsagt.wordpress.com/2012/07/18/betrifft-das-abschneiden-der-vorhaut-bei-sehr-jungen-wehrlosen-knaben/, abgerufen am 15.02. 2016. Hartmann, Wolfgang (2012): »Sie dürfen Kinder nicht betäuben«, Interview von Heide Oestreich, in: taz v. 11. 10. 2012, http://www.taz.de/!5082053/, abgerufen am 11.01. 2017. Haupt, Friederike (2012): Jacobs Beschneidung, FAZ v. 03.09.2012, in: http://www.faz .net/aktuell/politik/ethikrat-jacobs-beschneidung-11875890.html?printPagedArticle =true#pageIndex_2, abgerufen am 24.02.2017. Hedtfeldt, Ralf (2011): Kommentar v. 31.07.2011, 01:43 Uhr zu Senol 2008, in: JurBlog.de, http://www.jurblog.de/2008/10/01/verbot-der-beschneidung-bei-judenund-muslimen/#respond, abgerufen am 01.09.2017.

450

7. Quellen Hefty, Georg Paul (2012a): Credo des Rechtsstaates, in: FAZ v. 27.06.2012, http://www. faz.net/aktuell/politik/inland/beschneidungs-urteil-credo-des-rechtsstaates11800115.html, abgerufen am 11.08.2016. Hefty, Georg Paul (2012b): Strafbare Beschneidung, in: FAZ v. 28.06.2012, http:// www.faz.net/aktuell/politik/inland/nach-dem-koelner-urteil-strafbare-beschneidung-11802626.html, abgerufen am 11.08.2016. Heide, Annett (2012): Rabbiner: »Schwerster Angriff seit Holocaust«, in: FR v. 12.07.2012, http://www.fr.de/politik/beschneidung-rabbiner-schwerster-angriff-seitholocaust-a-824837, abgerufen am 27.01.2018. Heinzow, Thomas (2012): Nun kommt langsam aber sicher die Wahrheit ans Licht der Öffentlichkeit ..., Kommentar v. 23.07.2012, 20:27 Uhr zu Süss/Eppelsheim 2012a, in: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/beschneidungsdebatte-auch-die-seeleleidet-1182769 8.html, abgerufen am 27.01.2018. Heise, Volker (2012): Nachtrag zur Vorhaut, in: FR v. 01.08.2012, http://www.fr.de/politik/meinung/kolumne-zur-beschneidung-nachtrag-zur-vorhaut-a-831195, abgerufen am 27.01.2018. Herbheimer, Max (2012): Religionsfreiheit ist nicht schrankenlos, Kommentar v. 16.07. 2012, 15:26 Uhr, zu Gutschker 2012, in: http://www.faz.net/aktuell/politik/urteil-zubeschneidungen-kinderschutz-11820503.html, abgerufen am 29.01.2018. Hermanns, Peter M./Filler, Gert/Roscher, Bärbel (2008): IGeL 2008. Für Praxis und Klinik. Kommentar zu den IGeL-Leistungen. Mit den aktuellen Beschlüssen des Deutschen Ärztetages 2006, Heidelberg. Herwig, Torsten (2012): einem weit verbreiteten Irrtum aufgesessen, Kommentar v. 29. 06.2012, 13:53 Uhr zu Hefty 2012b, in: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/na ch-dem-koelner-urteil-strafbare-beschneidung-11802626.html, abgerufen am 27.01. 2018. Herzberg, Rolf Dietrich (2009): Rechtliche Probleme der rituellen Beschneidung, in: Juristenzeitung (JZ) 7/2009, Tübingen, S. 332–339. Herzberg, Rolf Dietrich (2010): Religionsfreiheit und Kindeswohl. Wann ist die Körperverletzung durch Zirkumzision gerechtfertigt?, in: Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik (ZIS), H. 7-8/2010, Augsburg, S. 471–475. Herzberg, Rolf Dietrich (2012a): Das richtige Urteil! Beschneidung? Die Betroffenen müssen selbst entscheiden, in: ZEIT online v. 12.07.2012, http://www.zeit.de/2012/ 29/Beschneidungsdebatte/komplettansicht, abgerufen am 05.12.2016. Herzberg, Rolf Dietrich (2012b): Die Beschneidung gesetzlich gestatten?, in: Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik, H. 10/2012, S. 486–505. Herzberg, Rolf Dietrich (2013): Zur Frage der Beschneidung – Kritik einer kritischen Glosse, in: Psyche: Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen, H. 3/2013, Stuttgart, S. 281–286. HilmarHirnschrodt (2012): Rolle rückwärts zu den Fundis? Kommentar v. 27.08.2012, 14:53 Uhr zu Schwarze 2012a, in: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/

451

7. Quellen 2012-08/gesetz-beschneidung-religionsfreiheit/komplettansicht, abgerufen am 27. 01.2018. hingeschaut »5 % Club« (2012): ohne Titel, Kommentar v. 20.07.2012, 23:39 Uhr, zu Harress 2012, in: https://derhonigmannsagt.wordpress.com/2012/07/18/betrifft-dasabschneiden-der-vorhaut-bei-sehr-jungen-wehrlosen-knaben/, abgerufen am 15.02. 2016. Hollenbach, Michael (2010): Schmerzliches Ritual. Beschneidung von Jungen als Körperverletzung?, in: Deutschlandradio Kultur, Beitrag v. 20.02.2010, http://www. deutschlandradiokultur.de/schmerzliches-ritual.1278.de.html?dram:article_id=1924 91, abgerufen am 28.07.2015. Holzer, Sebastian (2012): Auszüge aus der UN-Kinderrechtskonvention, Kommentar v. 12.12.2012, 18:51 Uhr zu Müller 2012e, in: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/abschliessende-debatte-bundestag-billigt-gesetz-zur-beschneidung11991251.html, abgerufen am 27.01.2018. Hummitzsch, Thomas (2012): Beschneidung: Petition von Deutscher Kinderhilfe und HVD freigegeben, in: diesseits.de v. 13.09.2012, http://www.diesseits.de/perspektiven/saekulare-gesellschaft/1347487200/beschneidung-petition-deutscher-kinderhilfe-hvd-freig, abgerufen am 27.01.2018. IGeL-Liste (1998): C. Listen und Gebührenordnungen zu Individuellen Gesundheitsleistungen nach KBV-Vorschlag, im Archiv der Autorin. Ilian, Karim (2012): Nicht schön für die seele, Kommentar v. 23.07.2012, 10:12 Uhr zu Süss/Eppelsheim 2012a, in: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/beschneidungs debatte-auch-die-seele-leidet-1182769 8.html, abgerufen am 27.01.2018. Imion (2012): @ Matthias, Kommentar v. 27.06.2012, 15:02 Uhr in: https://allesevolution.wordpress.com/2012/10/04/beschneidung-von-jungen-gesetzesentwurf-vorgelegt/, abgerufen am 30.06.2017. Intaktiv e.V. (o.J.a): Über uns, in: http://intaktiv.de/wir-ueber-uns/, abgerufen am 20.09. 2017. Intaktiv e.V. (o.J.b): »Beschneidung« von Jungen. Vorhautamputation. Männliche Genitalverstümmelung, in: http://intaktiv.de/themen/beschneidung/, abgerufen am 27. 01.2018. Intaktiv e.V. (2014): »Beschneidung« von Jungen. Vorhautamputation. Männliche Genitalverstümmelung, in: https://intaktiv.de/wp-content/uploads/2014/05/Faltblatt_ intaktiv-MGM_V1_04-2014.pdf, abgerufen am 25.08.2016. Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW) (2017): Deutsches Ärzteblatt Gesamt, in: http://www.ivw.de/aw/print/qa/titel/363?quartal%5B20081%5D=20081&quartal%5B20082%5D=20082&quartal%5B20083%5D=20083&quartal%5B20084%5D=20084&quartal%5B20173%5D=20173#views-exposed-form-aw-titel-az-aw-az-qa, abgerufen am 26.01.2018.

452

7. Quellen Iwern (2013): Sakrosanz, Kommentar v. 14.07.2013, 22:47 Uhr zu Walter 2013, in: http://www.zeit.de/2013/28/genitalverstuemmelung-gesetz-frauen, abgerufen am 27. 01.2018. Jansen, Erich (2012): Kirche im Dorf lassen, Kommentar v. 15.07.2012, 12:42 Uhr zu Gutschker 2012, in: http://www.faz.net/aktuell/politik/urteil-zu-beschneidungenkinderschutz-11820503.html, abgerufen am 27.01.2018. Jebsen, Ken (2012): Alles Antisemiten – außer Mutti, in: Compact, H. 11/2012, S. 31– 33. Jens, Tilman (2013): Der Sündenfall des Rechtsstaates. Eine Streitschrift zum neuen Religionskampf. Aus gegebenem Anlass, Gütersloh. Jerouschek, Günter (2008): Beschneidung und das deutsche Recht. Historische, medizinische, psychologische und juristische Aspekte, in: Neue Zeitschrift für Strafrecht (NStZ), H. 6/2008, München/Frankfurt am Main, S. 313–319. Jerouschek, Günter (2009): Multikulturalität und Normativität am Beispiel der Beschneidung, in: Haedrich, Martina (Hg.): Muslime im säkularen Staat. Eine Untersuchung anhand von Deutschland und Österreich. Tagungsband eines wissenschaftlichen Symposiums der Friedrich-Schiller-Universität Jena 2008, Stuttgart, S. 113124. Jerouschek, Günter (2012): Beschneidung: Heileingriff, religiöses Gebot oder strafbare Körperverletzung?, in: Degener, Wilhelm/Heghmanns, Michael (Hg.): Festschrift für Friedrich Dencker zum 70. Geburtstag, Tübingen, S. 171–181. Juel, Niels (2012): Im Bett mit und ohne, in: taz v. 14.09.2012, http://www.taz.de/Beschneidung-mit-18/!5084054/, abgerufen am 11.01.2017. Junge Liberale (2012): Im Zweifel für die Freiheit des Kindes, Beschluss vom 13.10.2012, in: https://www.julis.de/beschlusssammlung/im-zweifel-fuer-die-freiheit-des-kindes/, abgerufen am 20.09.2017. Junge Liberale (2017): Kommentar zu #BuKo54 in: https://www.facebook.com/JuLisRuhrgebiet/photos/a.324173937673391.73403.296501357107316/1282113335212 775/?type=3&theater, abgerufen am 27.01.2018. K., Svenja (2010): Kommentar v. 22.08.2010, 01:12 Uhr zu Senol 2008, in: JurBlog.de, http://www.jurblog.de/2008/10/01/verbot-der-beschneidung-bei-juden-und-muslimen/#respond, abgerufen am 01.09.2017. Kaldrack, Otto (2012): beschneidungen, Kommentar v. 18.07.2012, 10:14 Uhr zu Altenbockum 2012, in: http://www.faz.net/aktuell/politik/harte-bretter/beschneidungpro-und-contra-ein-verbot-waere-unverhaeltnismaessig-11819799.html, abgerufen am 27.01.2018. Kaleß, Ludwig Eberhard (1983): Die Circumcision. Historie, Indikation, Technik, Komplikationen, Aachen. Karim, Refaat B./Hage, J. Joris (2008): »Bei Jungen ist es gut, bei Mädchen nicht«, in: beschneidung-von-jungen.de o.J., https://www.beschneidung-von-jungen.de/home/ maennliche-beschneidung/maennliche-und-weibliche-beschneidung/bei-jungen-istes-gut-bei-maedchen -nicht.html, abgerufen am 25.08.2016.

453

7. Quellen Katterfeldt, Marianne/Katterfeldt, Rolf Nikolai (1998): Völlig unverständlich, in: Deutsches Ärzteblatt, H. 20/1998 v. 15.05.1998, S. 1204. Kaube, Jürgen (2012a): Das Wohl des Kindes, in: FAZ v. 28.06.2012, http://www. faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/urteil-zur-beschneidung-das-wohl-des-kindes-11 801160.html, abgerufen am 25.08.2016. Kauschke, Detlef David (2012a): »Schädlicher Ritus«, in: Jüdische Allgemeine v. 22.08. 2012, http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/13829, abgerufen am 27. 01.2018. Kauschke, Detlef David (2012b): Erneut Strafanzeige gegen Rabbiner, in: Jüdische Allgemeine v. 30.08.2012, http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/13894, abgerufen am 28.11.2017. Kermani, Navid (2012a): »Im Expresszug ins 19. Jahrhundert«, Interview von Joachim Frank in: Kölner Stadtanzeiger v. 04.07.12, https://www.ksta.de/politik/navid-kerma ni---im-expresszug-ins-19--jahrhundert--4023986, abgerufen am 30.01.2018. Kermani, Navid (2012b): Triumph des Vulgärrationalismus, in: SZ v. 02.08.2012, https://www.sueddeutsche.de/kultur/debatte-ueber-beschneidungen-triumph-desvulgaerrationalismus-1.1397713, abgerufen am 30.01.2018 Kern, Bernd-Rüdiger/Köhler, Knut (2006): Beschneidung in Deutschland, Religionsfreiheit oder Körperverletzung?, in: Ärzteblatt Sachsen, H. 3/2006, S. 104–105. Kiliç, Memet (2012): Freiheit ist wichtiger als Tradition, in: FAZ v. 22.11.2012, http:// www.faz.net/aktuell/politik/inland/gastbeitrag-zur-beschneidung-freiheit-ist-wichtiger-als-tradition11967472.html, abgerufen am 06.12.2016. Kinder- & Jugendärzte im Netz (2012): Kinder- und Jugendärzte kritisieren Beschneidungs-Beschluss v. 15.10.2012, http://www.kinderaerzte-im-netz.de/news-archiv/m eldung/article/kinder-und-jugendaerzte-kritisieren-beschneidungs-beschluss/, abgerufen am 02.06.2017. Klaiber, Susanne (2012): Michel Friedman: »Beschneidung ist Kernpflicht jüdischer Familien«, in: Focus.de v. 17.07.2012, http://www.focus.de/politik/deutschland/tid26561/juedischer-publizist-im-focus-online-interview-michel-friedman-beschneidung-ist-kernpflicht-juedischer-familien_aid_783261.html, abgerufen am 27.01. 2018. Klinische Pädiatrie (2017): Mediadaten Klinische Pädiatrie v. 01.10.2017, https:// www.thieme.de/de/klinische-paediatrie/mediadaten-5526.htm, abgerufen am 26.01. 2018. Knobloch, Charlotte (2012): Wollt ihr uns Juden noch?, in: SZ v. 25.09.2012, http:// www.sueddeutsche.de/politik/beschneidungen-in-deutschland-wollt-ihr-uns-judennoch-1.1459038, abgerufen am 20.02.2017. Köhler, Bruno (2012a): MANNdat – Was wir wollen und wofür wir stehen, in: MANNdat v. 22.02.2012, https://manndat.de/geschlechterpolitik/manndat-was-wir-wollenund-wofur-wir-stehen.html, abgerufen am 27.01.2018.

454

7. Quellen Köhler, Bruno (2012b): Keine Beschneidung der Menschenrechte von Jungen!, in: MANNdat v. 20.07.2012, https://manndat.de/gewalt-gegen-maenner/keine-beschnei dung-der-menschenrechte-von-jungen.html, abgerufen am 27.01.2018. Köhler, Bruno (2012c): Beschneidung von Jungen – Fragen und Antworten zu einem politischen Tabuthema, in: MANNdat v. 05.07.2012, https://manndat.de/jungen/beschneidung-von-jungen-fragen-und-antworten-zu-einem-politischentabuthema.html, abgerufen am 27.01.2018. Köpf, Peter (2012a): Unzeitgemäßer Grundpfeiler?, in: FAZ v. 19.07.2012, http://www. faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/beschneidungsdebatte-unzeitgemaesser-grundpfeiler-11824297.html, abgerufen am 21.10.2016. Kramer, Stephan J. (2012a): Warum beschneiden Juden ihre Kinder?, in: http://www. zentralratdjuden.de/de/article/3731.html, abgerufen am 17.02.2015. Kramer, Stephan J. (2012b): Stellungnahme des Zentralrats der Juden in Deutschland, vertreten durch den Generalsekretär Stephan J. Kramer, zur Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages am 26. November 2012 in Berlin. Kretzschmar, Benno (2008): Sehr problematisch, in: Deutsches Ärzteblatt, Heft 44/2008 v. 31.10.2008, S. 2328. Krimmel, Lothar (1998): Individuelle Gesundheitsleistungen: Mit dem »IGeL« aus der Grauzone, in: Deutsches Ärzteblatt, H. 11/1998, Jahrgang 95, v. 13.03.1998. Krings, Günter (2012a): Rede im Deutschen Bundestag v. 19.07.2012, in: Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht der 189. Sitzung, Plenarprotokoll 17/189. Krings, Günter (2012b): Rede im Deutschen Bundestag v. 22.11.2012, in: Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht der 208. Sitzung, Plenarprotokoll 17/208. Kubicki, Wolfgang (2016): »Die schlimme Fratze der Religion«. Ein Streitgespräch über Burka, Beschneidung und Brauchtum zwischen Hans-Jochen Jaschke und Wolfgang Kubicki, in: Welt.de v. 04.09.2016, https://www.welt.de/print/wams/hamburg/article157946386/Die-schlimme-Fratze-der-Religion.html, abgerufen am 20.01.2018. Kulish, Nicholas (2012): German Ruling Against Circumcising Boys Draws Criticism, in: The New York Times v. 26.06.2012, https://www.nytimes.com/2012/06/27/ world/europe/german-court-rules-against-circumcising-boys.html, abgerufen am 15.03.2018. Künast, Renate/Beck, Volker (2012): Das ist keine Straftat, in: FR v. 09.07.2012, http://www.fr-online.de/kultur/beschneidungs-debatte-das-ist-keine-straftat,1472786,16572948.html, abgerufen am 08.12.2016. Künast, Renate (2012): Rede im deutschen Bundestag v. 12.12.2012, in: Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht der 213. Sitzung, Plenarprotokoll 17/213. Kupferschmid, Christoph (2012): Religiöse Beschneidungen: Ein Pro und Kontra zum Kölner Landgerichtsurteil, in: Deutsches Ärzteblatt, Heft 31-32/2012 v. 08.08.2012, S. 1538f.

455

7. Quellen LAG Laizismus Bayern (2012a): Kindern tut man nicht weh!, in: http://www.die-linkebayern.de/fileadmin/KOPOFO/L_Kommunales/120725_LAG_LiLa_PM-Beschneidung.pdf, abgerufen am 08.11.2016. Lagodinsky, Sergey (2012): Trauma oder Recht auf Identität? Interview von Heide Oestreich und Daniel Bax, in: taz v. 09.09.2012, http://www.taz.de/Streitgespraechzur-Beschneidung/!5084600/, abgerufen am 11.01.2017. Landern, David (2012): Würde man die Beschneidung selbstbestimmt durchführen lassen..., Kommentar v. 23.07.2012, 08:07 Uhr zu Süss/Eppelsheim 2012a, in: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/beschneidungsdebatte-auch-die-seeleleidet-11827698.html, abgerufen am 27.01.2018. Landgericht Frankenthal (2004): Haftung bei behandlungsfehlerhafter ritueller Beschnei-dung eines Neunjährigen, Urteil der 4. Zivilkammer v. 14.09.2004, http://www.beschneidung-und-recht.de/entscheidungen/entscheidungen-im-zivilrecht/landgericht-frankenthal-zur-haftung-ritueller-beschneider.html, abgerufen am 24.07.2015. Landgericht Köln (2012a): Urteil des Landgerichts Köln zu Beschneidung v. 07.05.20 12, Az. 151 Ns 169/11, http://openjur.de/u/433915.html, abgerufen am 27.01.2018. Landgericht Köln (2012b): Pressemitteilung zu »Urteile des Amtsgerichts und des Landgerichts Köln zur Strafbarkeit von Beschneidungen nicht einwilligungsfähiger Jungen aus rein religiösen Gründen« v. 26.06.2012, http://www.lg-koeln.nrw.de/behoerd e/040_presse/zt_presse/archiv/26_06_2012_-_Beschneidung.pdf, abgerufen am 19. 11.2014. Landgericht Köln (2012c): Im Namen des Volkes, Urteil v. 07.05.2012, https://adam1c or.files.wordpress.com/2012/06/151-ns-169-11-beschneidung.pdf, abgerufen am 03. 02.2015. Lau, Jörg (2012): Islamophobie und Antisemitismus, vereint gegen Beschneidungen, in: Zeit-Blog v. 17.07.2012, http://blog.zeit.de/joerglau/2012/07/17/islamophobie-undantisemitismus-vereint-gegen-beschneidungen_5642, abgerufen am 27.01.2018. Lau, Mariam (2012a): Ist der Streit um die Beschneidung beigelegt?, in: ZEIT online v. 27.09. 2012, http://www.zeit.de/2012/40/Analyse-Beschneidung-Gesetz, abgerufen am 19.08.2016. Lau, Mariam (2012b): Etwas ist zerbrochen. Deutschlands Juden sind fassungslos – im Streit um die Beschneidung halten Mediziner, Psychologen, Juristen und Talkshows über ihren Glauben Gericht, in: ZEIT online v. 13.09.2012, http://www.zeit.de/2012/ 38/Beschneidung-Dieter-Graumann, abgerufen am 19.08.2016. Lau, Mariam (2012c): Die Debatte über die Beschneidung kennt viele Verlierer, in: ZEIT online v. 11.10.2012, http://www.zeit.de/2012/42/Beschneidung-Gesetz/komplettan sicht, abgerufen am 19.08.2016. Lehmann, Hans-J. (2012): Das Recht, eine Religion zu verlassen, Kommentar v. 21.07.2012, 18:03 Uhr zu Franz 2012a, in: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/ offener-brief-zur-beschneidung-religionsfreiheit-kann-kein-freibrief-fuer-gewaltsein-11827590.html, abgerufen am 28.01.2018.

456

7. Quellen Lentes, Thomas (2012): Zwischen Kulturmarke und Säkularisierung, in: FR v. 03.07. 2012, http://www.fr.de/politik/meinung/gastbeitrag-zur-beschneidungs-debatte-zwischen-kulturmarke-und-saekularisierung-a-822038, abgerufen am 27.01.2018. Lenzen-Schulte, Martina (2009): »Beschneidungen sind meistens strafbar«, in: FAZ v. 15.09.2009, in: http://www.faz.net/frankfurter-allgemeine-zeitung/natur-und-wissen schaft/beschneidungen-sind-meistens-strafbar-1858020.html, abgerufen am 28.07. 2015. Lichtenheldt, Mario (2013): Ohne Titel, Kommentar v. 11.07.2013, 21:12 Uhr zu Walter 2013, in: http://www.zeit.de/2013/28/genitalverstuemmelung-gesetz-frauen, abgerufen am 27.01.2018. Lichtenheldt, Mario (2012): Un-heil. Vorhaut, Phimose & Beschneidung. Zeitgemäße Antworten für Jungen, Eltern und Multiplikatoren, Hamburg. Lightfood-Klein, Hanny (2003): Der Beschneidungsskandal, Berlin. Lischka, Burkhard (2012): Rede im Deutschen Bundestag v. 22.11.2012, in: Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht der 208. Sitzung, Plenarprotokoll 17/208. Litschko, Konrad (2016): Extrem-AfDler für Moschee-Verbot, in: taz v. 30.03.2016, http://www.taz.de/!5288407/, abgerufen am 20.09.2017. Lohre, Matthias (2012a): Ist das Beschneidungsgesetz gut?, in: taz v. 14.10.2012, http:// www.taz.de/Pro-und-Contra-Beschneidungsgesetz/!5081905/, abgerufen am 11.01. 2017. Maciejewski, Franz (2002): Psychoanalytisches Archiv und jüdisches Gedächtnis. Freud, Beschneidung und Monotheismus, Wien. Maciejewski, Franz (2003): Zu einer »dichten Beschreibung« des Kleinen Hans. Über das vergessene Trauma der Beschneidung, in: Psyche: Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen, H. 6/2003, Stuttgart, S. 523–550. Maciejewski, Franz (2004): Freud, Beschneidung und Monotheismus – eine Entgegnung auf Wolfgang Hegeners Buch-Essay, in: Psyche: Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen, H. 5/2004, Stuttgart, S. 458–462. Maciejewski, Franz (2005): Ein neuer Blick auf den Kleinen Hans – 100 Jahre danach, in: Analytische Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie (AKJP), H. 1/2005, S. 5– 20. Maciejewski, Franz (2006): Der Moses des Sigmund Freud. Ein unheimlicher Bruder, Göttingen. MANNdat (o.J.): Was wir wollen, in: https://manndat.de/ueber-manndat/was-wir-wollen, abgerufen am 27.01.2018. MANNdat (2005): Genitalverstümmelung bei Jungen und Männern v. 23.08.2005, in: https://manndat.de/maennergesundheit/genitalverstuemmelung-bei-jungen-undmaennern.html, abgerufen 27.01.2018. MANNdat (2010): Offener Brief gegen Beschneidungsgesetz v. 05.03.2010, in: https:// manndat.de/maennergesundheit/offener-brief-gegen-beschneidungsgesetz.html, abgerufen am 27.01.2018.

457

7. Quellen Manok, Andreas (2015): Die nicht indizierte Beschneidung des männlichen Kindes. Rechtslage vor und nach Inkrafttreten des § 1631d BGB unter besonderer Berücksichtigung der Grundrechte, Berlin. Mansour, Ahmad (2012): Muslime müssen endlich offener diskutieren, in: Welt v. 18.07.2012, https://www.welt.de/debatte/kommentare/article108321226/Muslimemuessen-endlich-offener-diskutieren.html, abgerufen am 14.06.2017. Mazyek, Aiman A. (2012): Stellungnahme des Zentralrates der Muslime in Deutschland (ZMD) zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über den Umgang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes anlässlich der Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages am 26. November 2012. Meiborg, Mounia (2012a): »Keine Lösung für die Eltern«, in: ZEIT online v. 12.07.2012, http://www.zeit.de/2012/29/Beistueck-Beschneidung, abgerufen am 19.08.2016. Meiborg, Mounia (2012b): Welche Gesetze gibt es zur Beschneidung?, in: ZEIT online v. 26.07.2012, http://www.zeit.de/2012/31/Analyse-Beschneidung-Gesetz, abgerufen am 19.08.2016. Merkel, Reinhard (2012a): Die Haut eines Anderen, in: SZ v. 30.08.2012, http://www.sueddeutsche.de/wissen/beschneidungs-debatte-die-haut-eines-anderen1.1454055, abgerufen am 20.02.2017. Merkel, Reinhard (2012b): Minima Moralia, in: FAZ v. 25.11.2012, http://www.faz.net/ aktuell/politik/die-gegenwart/beschneidung-minima-moralia-11971687.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2, abgerufen am 07.12.2017. Mersmann, Sabine (2012): Vor diesen mächtigen ..., Kommentar v. 23.07.2012, 09:23 Uhr zu Süss/Eppelsheim 2012a, in: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/beschneidungsdebatte-auch-die-seele-leidet-11827698.html, abgerufen am 28.01.2018. Metz, Johanna (o.J.): Abstimmung soll frei sein, in: Das Parlament, http://www.das-parlament.de/2012/32_34/Thema/40065174/319510, abgerufen am 27.01.2018. MOGiS e.V. (o.J.): Altes Impressum, in: https://mogis.info/archive/about/, abgerufen am 06.06.2017. MOGiS e.V. (2017): Worldwide Day of Genital Autonomy. 5 Jahre »Kölner Urteil«, https://genitale-selbstbestimmung.de/static/media/uploads/1794_flyer_wwdoga_ 2017_de_v1.2.pdf, abgerufen am 17.12.2017. MOGiS e.V. (2018): Worldwide Day of Genital Autonomy. 6 Jahre »Kölner Urteil«, https://genitale-selbstbestimmung.de/static/media/uploads/flyer_wwdoga_2018_de _www.pdf, abgerufen am 19.07.2018. Mohn, Sarah (2012): Fürsorgepflicht des Staates – Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit, Kommentar v. 23.07.2012, 11:34 Uhr zu Franz 2012a, in: http:// www.faz.net/aktuell/politik/inland/offener-brief-zur-beschneidung-religionsfreiheitkann-kein-freibrief-fuer-gewalt-sein-11827590.html, abgerufen am 28.01.2018. Moll, Sebastian (2012): Mehr Hygiene bei der Beschneidung, in: FR v. 13.09.2012, http://www.fr.de/politik/usa-mehr-hygiene-bei-der-beschneidung-a-805546, abgerufen am 27.01.2018.

458

7. Quellen Mos, Joachim (2010): Kommentar v. 14.08.2010, 13:17 Uhr zu Senol 2008, in: JurBlog.de, http://www.jurblog.de/2008/10/01/verbot-der-beschneidung-bei-judenund-muslimen/#respond, abgerufen am 01.09.2017. Moysich, Reiner (2012): Verbrechen gegen die Mitmenschlichkeit!, Kommentar v. 13.12.2012, 20:00 Uhr zu Müller 2012e, in: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/abschliessende-debatte-bundestag-billigt-gesetz-zur-beschneidung11991251.html, abgerufen am 27.01.2018. Mueller, Christoph (2012): Jungenrechte stärken!, Kommentar v. 22.07.2012, 21:53 Uhr zu Zastrow 2012a, in: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/beschneidungsdebatte-noetiger-schmerz-11827980.html, abgerufen am 27.01.2018. Müller, Reinhard (2012a): Grenzen in Gottesfragen, in: FAZ v. 17.07.2012, http://www. faz.net/aktuell/politik/inland/beschneidungs-debatte-grenzen-in-gottesfragen11823530.html, abgerufen am 18.08.2016. Müller, Reinhard (2012b): Glaubensgrenzen, in: FAZ v. 05.09.2012, http://www. faz.net/aktuell/politik/inland/beschneidung-glaubensgrenzen-11880464.html, abgerufen am 18.08.2016. Müller, Reinhard (2012c): Wohl und Willen, in: FAZ v. 03.10.2012, http://www. faz.net/aktuell/politik/inland/gesetzentwurf-zur-beschneidung-wohl-und-willen11912570.html, abgerufen am 19.08.2016. Müller, Reinhard (2012d): Nicht von dieser Welt, in: FAZ v. 13.12.2012, http://www. faz.net/aktuell/politik/inland/gesetz-zur-beschneidung-nicht-von-dieser-welt11991531.html, abgerufen am 24.02.2017. Müller, Reinhard (2012e): Bundestag billigt Gesetz zur Beschneidung, in: FAZ v. 12.12. 2012, http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/abschliessende-debatte-bundestagbilligt-gesetz-zur-beschneidung-11991251.html, abgerufen am 27.01.2018. Müller-Lissner, Adelheid (2008): Im Glauben verletzt, in: tagesspiegel.de v. 29.12.2008, http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/beschneidung-im-glauben-verletzt/1406372.html, abgerufen am 27.01.2018. Müller-Neuhof, Jost (2012): Religiöse Beschneidung. Chronik einer beispiellosen Debatte, in: tagesspiegel.de v. 28.08.2012, in: http://www.tagesspiegel.de/politik/religioese-beschneidung-chronik-einer-beispiellosen-debatte/7018904.html, abgerufen am 22.11.2017. Musharbash, Yassin (2012): Beschneidung. Die Operation war einwandfrei, in: ZEIT online v. 20.07.2012, http://www.zeit.de/2012/29/Beschneidung/komplettansicht, abgerufen am 17.02.2015. Navi (2012): Ohne Titel, Kommentar v. 18.07.2012, 22:19 Uhr zu Harress 2012, in: https://derhonigmannsagt.wordpress.com/2012/07/18/betrifft-das-abschneiden-dervorhaut-bei-sehr-jungen-wehrlosen-knaben/, abgerufen am 15.02.2016. NJW (Neue Juristische Wochenschrift) (2008): Mediadaten 2008, Zusendung der Mediadaten am 10.11.2017 auf Anfrage beim Anzeigenverkaufsleiter Thomas Hepp, im Archiv der Autorin.

459

7. Quellen Nouripour, Omid (2012): Nicht in Hinterzimmer verdrängen, in: FR v. 05.07.2012, http://www.fr.de/kultur/beschneidungsurteil-nicht-in-hinterzimmer-verdraengen-a822451, abgerufen am 27.01.2018. Nordhausen, Frank (2012): Die Beschneidungsdebatte aus türkischer Sicht, in: FR v. 23.07.2012, http://www.fr.de/politik/meinung/beschneidung-die-beschneidungsdebatte-aus-tuerkischer-sicht-a-827727, abgerufen am 27.01.2018. NStZ (Neue Zeitschrift für Strafrecht) (2008): Mediadaten 2008, Zusendung der Mediadaten am 14.11.2017 auf Anfrage beim Anzeigenverkaufsleiter Thomas Hepp, im Archiv der Autorin. Nutt, Harry (2012a): Jenseits des Prinzipiellen, in: FR v. 27.06.2012, http://www.fr.de/politik/meinung/leitartikel-jenseits-des-prinzipiellen-a-837264, abgerufen am 27.01.2018. Nutt, Harry (2012b): Heraus aus dem rechtspolitischen Notstand, in: FR v. 24.08.2012, http://www.fr.de/politik/meinung/kommentar-heraus-aus-dem-rechtspolitischennotstand-a-815269, abgerufen am 27.01.2018. O. A. (2006): Muslimischer »Beschneider« vor Gericht, in: tagesspiegel.de v. 09.10.2006, http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/koerperverletzung-muslimischer-beschneider-vor-gericht/761048.html, abgerufen am 27.01.2018. O. A. (2010): Sensibel trotz Beschneidung, in: SZ v. 17.05.2010, http://www.sueddeutsche.de/leben/sexualitaet-sensibel-trotz-beschneidung-1.717763, abgerufen am 20. 02.2017. O. A. (2012a): Wachsende Unterstützung für Beschneidungsgesetz, in: Die Welt v. 16.07. 2012, http://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/brennpunkte_nt/article108306663/Wachsende-Unterstuetzung-fuer-Beschneidungsgesetz.html, abgerufen am 27.01.2018. O. A. (2012b): Mehrheit der Deutschen gegen Beschneidungen, in: Welt.de v. 30.06.2012, https://www.welt.de/aktuell/article107612156/Mehrheit-der-Deutschen-gegen-Beschneidungen.html, abgerufen am 27.01.2018. O. A. (2012c): Normative Welten – Kölner Diskurse zum Rechtspluralismus, Podiumsdiskussion zur Beschneidung v. 06.12.2012, http://www.rechtstheorie.unikoeln.de/forschung/normative-welten/, abgerufen am 27.01.2018. O. A. (2012d): Ethikratsmitglieder diskutieren über Beschneidung: »In 50 Jahren überall verboten«, in: Legal Tribune Online v. 07.12.2012, http://www.lto.de/recht/nachrichten/n/podiumsdiskussion-beschneidung-uni-koeln-merkel-hoefling/, abgerufen am 27.01.2018. O. A. (2012e): Unterstützer, in: http://die-petition.de/unterstuetzer/index.html, abgerufen am 09.01.2018. O. A. (2012f): Verbände und Experten fordern Moratorium und Einrichtung eines Runden Tisches in der Diskussion um Beschneidungen von einwilligungsunfähigen Jungen, in: http://die-petition.de/pressemappe/, abgerufen am 27.01.2018.

460

7. Quellen O. A. (2012g): Ärzte warnen vor Folgen von Beschneidung bei Jungen, in: Focus.de v. 12.09.2012, http://www.focus.de/politik/deutschland/gesundheit-aerzte-warnen-vorfolgen-von-beschneidung-bei-jungen_aid_818245.html, abgerufen am 20.04.2017. O. A. (2012h): Graumann empört über Angriff von SPD-Politikerin zu Beschneidung, in: nh24.de v. 27.08.2012, http://www.nh24.de/index.php/politik-und-wirtschaft/21politik-und-wirtschaft-nordhessen/59222-graumann-empoert-ueber-angriff-vonspd-politikerin-zu-beschneidung, abgerufen am 27.01.2018. O. A. (2012i): »Schwerster Angriff auf jüdisches Leben seit dem Holocaust«, in: Migazin v. 13.07.2012, http://www.migazin.de/2012/07/13/rabbiner-beschneidung-juedische-gemeinde-deutschland-holocaust/, abgerufen am 28.04.2017. O. A. (2012j): »Schwerster Angriff auf jüdisches Leben seit dem Holocaust«, in: Süddeutsche.de v. 16.07.2012, http://www.sueddeutsche.de/politik/rabbiner-zu-beschneidungsurteil-schwerster-angriff-auf-juedisches-leben-seit-dem-holocaust1.1410909, abgerufen am 20.02. 2017. O. A. (2012k): »Schwerster Angriff auf das jüdische Leben seit dem Holocaust«, in: Focus v. 12.07.2012, http://www.focus.de/politik/deutschland/tid-26512/beschneidungs-urteil-empoert-rabbiner-schwerster-angriff-auf-das-juedische-leben-seitdem-holocaust_aid_781078.html, abgerufen am 27.01.2018. O. A. (2012l): Vernunft und Liebe überrage Tradition!, Kommentar v. 19.07.2012, 19:42 Uhr zu Herzberg 2012, in: http://www.zeit.de/2012/29/Beschneidungsdebatte?page =1#comments, abgerufen am 27.01.2018. O. A. (2012m): Deutsche lehnen religiöse Beschneidungen ab, in: Stern.de v. 01.07.2012, http://www.stern.de/panorama/umfrage-deutsche-lehnen-religioese-beschneidungen-ab-3418250.html, abgerufen am 27.01.2018. O. A. (2012n): Professor warnt vor Traumata durch Beschneidung bei Jungen, in: derwesten.de v. 20.07.2012, https://www.derwesten.de/gesundheit/professor-warnt-vortraumata-durch-beschneidung-bei-jungen-id6895678.html, abgerufen am 27.01.2018. O.A. (2012o): Graumann: Ein unerhörter und unsensibler Akt, in: FAZ v. 26.06.2012, http://www.faz.net/aktuell/politik/urteil-zu-beschneidung-von-jungen-graumannein-unerhoerter-un d-unsensibler-akt-11799759.html, abgerufen am 24.02.2017. O. A. (2012p): Ärzte und Juristen plädieren gegen die Beschneidung, in: FAZ v. 21.07.2012, http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/beschneidungsdebatte-aerzteund-juristen-plaedieren-gegen-die-beschneidung-11827596.html, abgerufen am 24.02.2017. O. A. (2012q): Mehrheit der Deutschen gegen Beschneidungsgesetz, in: Spiegel Online v. 22.12.2012, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/studie-mehrheit-der-deutschen-gegen-beschneidungsgesetz-a-874473.html, abgerufen am 27.01.2018. O. A. (2012r): Die Blutrituale in der Tora und im Koran v. 20.07.2012, in: forumromanum.com, im Archiv der Autorin. O. A. (2012s): Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen ist strafbar, in: SZ v. 26.06.2012, https://www.sueddeutsche.de/panorama/urteil-des-landgerichts-koeln-

461

7. Quellen beschneidung-von-jungen-aus-religioesen-gruenden-ist-strafbar-1.1393536, abgerufen am 27.01.2018. O. A. (2013): Perverses Beschneidungsritual: Juden saugen das Blut am frisch beschnittenen Babypenis mit dem Mund ab, in: Deutschlands Wahrheit v. 26.04.2013, http://deutschlands-wahrheit.blogspot.de/2013/04/perverses-beschneidungsritual-juden.html, abgerufen am 19.07.2017. O. A. (2017a): Ärzte kritisieren Beschneidungsgesetz, in: Spiegel Online v. 11.12.2017, http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/beschneidung-aerzteorganisationen-kritisieren-gesetz-a-1182714.html, abgerufen am 27.01.2018. O. A. (2017b): Ärzte und Kinderschutzverbände kritisieren Beschneidungsgesetz, in: ZEIT online v. 11.12.2017, http://www.zeit.de/news/2017-12/11/deutschland-aerzteund-kinderschutzverbaende-kritisieren-beschneidungsgesetz-11111603, abgerufen am 27.01.2018. Oestreich, Heide (2003): »Beschnittene sind nervöser«, in: taz v. 16.06.2003, http://www.taz.de/!758348/, abgerufen am 08.12.2016. Oestreich, Heide (2012a): Männer kennen keinen Schmerz, in: taz v. 23.07.2012, http://www.taz.de/!5088376/, abgerufen am 16.08.2016. Oestreich, Heide (2013): Verstümmelung bleibt erlaubt, in: taz v. 01.11.2013, http://www.taz.de/Kommentar-Rechte-fuer-Intersexuelle/!5055962/, abgerufen am 11.01.2017. Oetken, Angelika (2012a): Das ist genau die Absicht ..., Kommentar v. 23.07.2012, 08:50 Uhr zu Süss/Eppelsheim 2012a, in: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/beschneidungsdebatte-auch-die-seele-leidet-11827698.html, abgerufen am 28.01.2018. Oetken, Angelika (2012b): Demut ..., Kommentar v. 20.07.2012, 14:43 Uhr zu Herzberg 2012a, in: http://www.zeit.de/2012/29/Beschneidungsdebatte/komplettansicht, abgerufen am 27.01.2018. Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland (2012): Pressemitteilung Beschneidung für Judentum unverzichtbar, in: http://www.ordonline.de/aktuelles/pressemitteilung-beschneidung-fuer-judentum-unverzichtbar/, abgerufen am 14.03.2017. Otterman, Sharon (2012): Denouncing City‘s Move to Regulate Circumcision, The New York Times v. 12.09.2012, http://www.nytimes.com/2012/09/13/nyregion/regulation-of-circumcision-method-divides-some-jews-in-new-york.html, abgerufen am 18.07.2017. Pausch, Niels (1998): Essentieller kultureller Bestandteil, in: Deutsches Ärzteblatt, Heft 27/1998 v. 03.07.1998, S. 1698. Pilz, Dirk (2012a) Um jeden Preis Gerechtigkeit, in: FR v. 24.07.2012, http://www.fr.de/kultur/beschneidung-um-jeden-preis-gerechtigkeit-a-828338, abgerufen am 27.01.2018. Pilz, Dirk (2012b): Die Macht der Ahnungslosen, in: FR v. 21.07.2012, http://www.fr.de/kultur/beschneidungs-debatte-die-macht-der-ahnungslosen-a827337, abgerufen am 27.01.2018.

462

7. Quellen Pitzken, Albrecht (2008): Einleuchtende Worte, in: Deutsches Ärzteblatt, Heft 44/2008 v. 31.10.2008, S. 2330. Ploss, Heinrich (1884): Das Kind in Brauch und Sitte der Völker, Leipzig. Postulart, Holger (2012): Besser alte Zöpfe als 8 Tage alte Vorhäute abschneiden? Kommentar v. 22.07.2012, 17:00 Uhr zu Zastrow 2012a, in: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/beschneidungsdebatte-noetiger-schmerz-11827980.html, abgerufen am 27.01.2018. Prantl, Heribert (2012): Beschneidung soll straffrei bleiben, in: SZ v. 26.09. 2012, http://www.sueddeutsche.de/politik/gesetzentwurf-beschneidung-bleibt-koerperverletzung-und-straffrei -1.1478479, abgerufen am 20.02.2017. Pro-Kinderrechte.de (o.J.a): Männliche und weibliche Beschneidung im Vergleich, in: http://pro-kinderrechte.de/mannliche-und-weibliche-beschneidung-im-vergleich/, abgerufen am 27.01.2018. Pro-Kinderrechte.de (o.J.b): Tod nach Beschneidung: eine Übersicht, in: http://pro-kinderrechte.de/tod-nach-beschneidung-eine-ubersicht/, abgerufen am 16.07.2018. Psyche (o.J.): Die Zeitschrift PSYCHE – Selbstdarstellung, in: https://www.psyche.de/selfpres.html, abgerufen am 27.01.2018. Putzke, Holm (o.J.): Legendenbildung zum Ursprung der Beschneidungsdebatte, in: http://www.holmputzke.de/index.php/kontrovers/religioese-beschneidung, abgerufen am 17.02.2015. Putzke, Holm (2008a): Die strafrechtliche Relevanz der Beschneidung von Knaben, in: Ders./Hardtung, Bernhard/Hörnle, Tatjana et al. (Hg.): Strafrecht zwischen System und Telos. Festschrift für Rolf Dietrich Herzberg zum siebzigsten Geburtstag am 14. Februar 2008, Tübingen, S. 669–709. Putzke, Holm (2008b): Rechtliche Grenzen der Zirkumzision bei Minderjährigen. Zur Frage der Strafbarkeit des Operateurs nach § 223 des Strafgesetzbuches, in: MedR – Medizinrecht 26/2008, S. 268−272. Putzke, Holm (2008c): Juristische Positionen zur religiösen Beschneidung, Besprechung von OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 21.8.2007 (4 W 12/07), in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2008, S. 1568–1570. Putzke, Holm (2009): Buchrezension. Jochen Schneider, Die männliche Beschneidung (Zirkumzision) Minderjähriger als verfassungs- und sozialrechtliches Problem, in: Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik 2009, S. 177–187. Putzke, Holm (2012a): Recht und Ritual – ein großes Urteil einer kleinen Strafkammer. Besprechung zu LG Köln, Urt. v. 7. 5. 2012, in: Medizinrecht (MedR), H. 10/2012, S. 621–625. Putzke, Holm (2012b): »Bizarre Missachtung kindlicher Rechte«, Interview von Andreas Dernbach v. 29.09.2012, in: http://www.tagesspiegel.de/politik/beschneidungsdebatte-bizarre-missachtung-kindlicher-rechte/7195488-all.html, abgerufen am 27.01.2018. Putzke, Holm (2012c): LG Köln fällt wegweisendes Urteil. Religiöse Beschneidungen von Jungen verboten, in: Legal Tribune Online v. 17.02.2015.

463

7. Quellen Putzke, Holm (2013): Das Beschneidungsgesetz (§ 1631d BGB) – Fauler Kompromiss und fatales Signal, in: Monatsschrift Kinderheilkunde. Zeitschrift für Kinder- und Jugendmedizin, H. 10/2013, S. 950–951. Putzke, Holm (2014): Die Beschneidungsdebatte aus Sicht eines Protagonisten. Anmerkungen zur Entstehung und Einordnung des Beschneidungsurteils sowie zum Beschneidungsparagrafen (§ 1631d BGB) und zu seinen Konsequenzen, in: Franz, Matthias (Hg.): Die Beschneidung von Jungen: Ein trauriges Vermächtnis, Göttingen, S. 319–357. Putzke, Holm/Stehr, Maximilian/Dietz, Hans-Georg (2008): Strafbarkeit der Zirkumzision von Jungen. Medizinrechtliche Aspekte eines umstrittenen ärztlichen Eingriffs, in: Monatsschrift Kinderheilkunde 8/2008, S. 783–788. Putzke, Holm/Stehr, Maximilian/Dietz, Hans-Georg (2010): Leserbrief zum Beitrag von: Schramm et al.: Zirkumzision bei nicht einwilligungsfähigen Jungen, in: Der Urologe 2/2010, Heidelberg, S. 286–287. Rasche, Uta (2012): Lobbyarbeit mit Kollateralnutzen, in: FAZ v. 17.07.2012, http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/beschneidung-lobbyarbeit-mit-kollateralnutzen-11823361.html, abgerufen am 24.02.2017. Rasmussen, Tommy (2012): Ohne Titel, Kommentar v. 19.07.2012, 10:07 Uhr zu Harress 2012, in: https://derhonigmannsagt.wordpress.com/2012/07/18/betrifft-das-abschneiden-der-vorhaut-bei-sehr-jungen-wehrlosen-knaben/, abgerufen am 16.02. 2016. Rath, Christian (2012a): Ein strafbarer Ritus, in: taz v. 27.06.2012, http://www.taz.de/Urteil-zur-Beschneidung-in-Deutschland/!5090344/, abgerufen am 11.01.2017. Rath, Christian (2012b): Ist das Beschneidungsgesetz gut?, in: taz v. 14.10.2012, http://www.taz.de/Pro-und-Contra-Beschneidungsgesetz/!5081905/, abgerufen am 11.01.2017. Rath, Christian (2012c): Juden und Muslime loben Justizministerin, in: taz v. 26.09.2012, http://www.taz.de/Rechtslage-von-Beschneidungen/!5083087/, abgerufen am 11.01.2017. Rathert, Peter/Roth, Stephan (1992): Die Phimose, in: Deutsches Ärzteblatt, Heft 48/1992 v. 27.11.1992, S. 4089–4094. Rheinz, Hanna (2012): Unverzichtbar und doch Albtraum. Beschneidung – das jüdische Dilemma?, in: neues deutschland v. 23.07.2012, https://www.neues-deutschland.de/artikel/233327.unverzichtbar-und-doch-albtraum.html, abgerufen am 17.07. 2018. Ritter, Manuel/Schabbeck, Jan (2014): Die Zirkumzision im Spannungsfeld zwischen Religionsfreiheit und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit, in: Aktuelle Dermatologie, H. 40/2014, S. 133–136. Rosenkranz, Michael (2006): Bund der Beschneidung, in: Jüdische Allgemeine v. 16.03.2006, http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/5655, abgerufen am 08.06.2017.

464

7. Quellen Roy, Edward von (2012): Kinder sind Grundrechtsträger, ihre Rechte sind zu schützen, in: Schariagegner. Sozialpädagogik am Puls der Zeit v. 30.09.2012, https://schariagegner.wordpress.com/tag/petition-gegen-beschneidung/, abgerufen am 25.08.2016. Rüb, Matthias (2012): Der Kampf des Rabbis, in: FAZ v. 04.10.2012, http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/beschneidung-in-new-york-der-kampfdes-rabbis-11908568.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2, abgerufen am 24.02.2017. Ruch, Matthias (2012): Gericht stellt religiöse Beschneidung unter Strafe, in: https://www.stern.de/panorama/gesellschaft/koerperverletzung-gericht-stellt-religioese-beschneidung-unter-strafe-3421380.html, zuletzt abgerufen am 27.01.2018. Rupprecht, Marlene (2012): Beschneidung missachtet Kinderrechte, in: Landesgruppe Bayern in der SPD-Bundestagsfraktion v. 03.07.2012, https://spd-landesgruppe-bayern.de/meldungen/marlene-rupprecht-beschneidung-missachtet-kinderrechte/, abgerufen am 21.04.2017. Rupprecht, Marlene (2013): Children’s right to physical integrity, in: Council of Europe, 06.09.2013, http://semantic-pace.net/tools/pdf.aspx?doc=aHR0cDovL2Fzc2VtYmx %205LmNvZS5pbnQvbncveG1sL1hSZWYvWDJILURXLWV4dHIuYXNwP2Zp bGV%20pZD0yMDA1NyZsYW5nPUVO&xsl=aHR0cDovL3NlbWFudGljcGFjZ S5uZXQvWHNsdC9QZGYvWFJlZi1XRC1BVC1YTUwyUERGLnhzbA==&xsparams=Z%20mlsZWlkPTIwMDU3, abgerufen am 27.01.2018. Sack, Werner (2012): betr.: »Männer kennen keinen Schmerz«, Kommentar v. 24.07. 20 12 zu Oestreich 2012a, in: http://www.taz.de/!5088376/, abgerufen am 27.01.2018. Sadeh, Eran (2012): ohne Titel v. 12.9.2012, in: http://pro-kinderrechte.de/statementvon-eran-sadeh/, abgerufen am 30.06.2017. Sapper, Michael/Sahli-Fülbeck, Miriam (2017): News-Blog: Das sagt der Chef des Hotels Maritim nach AfD-Parteitag, in: Merkur.de v. 23.04.2017, https://www.merkur. de/politik/afd-bundesparteitag-in-koeln-wahlprogramm-und-spitzenkandidaten-fuer -bundestagswahl-2017-zr-8202082.html, abgerufen am 27.01.2018. Schäfer, Matthias/Stehr, Maximilian (2013): Zur medizinischen Dimension der Beschneidungsdebatte, in: Zeitschrift für Medizin-Ethik-Recht (ZfMER), H. 1/2013, S. 17–24. Schäfer, Matthias/Stehr, Maximilian (2014): Zur medizinischen Tragweite einer Beschneidung, in: Franz, Matthias (Hg.): Die Beschneidung von Jungen: Ein trauriges Vermächtnis, Göttingen, S. 109–129. Schäfer, Viola (2014): Beschneidungsgesetz ist für einen Rechtsstaat unwürdig und rückschrittlich, Interview von Bruno Köhler, in: MANNdat v. 06.12.2014, https:// manndat.de/gewalt-gegen-maenner/beschneidungsgesetz-ist-fuer-einen-rechtsstaatunwuerdig-und-rueckschrittlich.html, abgerufen am 05.08.2016. Schewe-Gerigk, Irmingard (o.J.): Schwarzer Tag für Kinderrechte, in: http://www. schewe-gerigk.de/terre-des-femmes/expand/443135/nc/1/dn/1/, abgerufen am 27.01. 2018.

465

7. Quellen Schiering, Victor (o.J.): Stellungnahmen V. Schiering, in: https://die-betroffenen.de/ stellungnahmen/volker-scharing/, abgerufen am 06.06.2017. Schirrmacher, Frank (2012): Den Schmerz verdoppeln, in: FAZ v. 21.09.2012, http:// www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/frank-schirrmachers-duesseldorferdankrede-den-schmerz-verdoppeln-11898706.html, abgerufen am 24.02.2017. Schmidbauer, Wolfgang (2012): »Beschneidung ist nicht harmlos«, in: SZ v. 04.07.2012, http://www.sueddeutsche.de/wissen/nach-dem-koelner-urteil-beschneidung-ist-nicht-harmlos-1.1401049, abgerufen am 20.02.2017. Schmidbauer, Wolfgang (2013a): Deutung als Waffe. Eine Entgegnung, in: Psyche: Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen, H. 2/2013, Stuttgart, S. 178– 182. Schmidbauer, Wolfgang (2013b): Geschichtsklitterung? Eine Antwort auf die Entgegnung von Yigal Blumenberg & Wolfgang Hegener, in: Psyche: Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen, H. 5/2013, Stuttgart, S. 490–494. Schmidt-Salomon, Michael (o.J.): Fragen und Antworten zur Knabenbeschneidung, in: http://pro-kinderrechte.de/#7, abgerufen am 24.08.2016. Schneider, Jochen (2008): Die männliche Beschneidung (Zirkumzision) Minderjähriger als verfassungs- und sozialrechtliches Problem, Berlin. Schonfeld, Victor S. (2012): »Dieses Ritual widerspricht meinen jüdischen Werten«, in: SZ v. 30.11.2012, http://www.sueddeutsche.de/politik/debatte-um-die-beschneidung-dieses-ritual-widerspricht-meinen-juedischen-werten-1.1535701, abgerufen am 27.01.2018. Schramm, Frank/Gierthmühlen, Stephan/Eckstein, Anne Katrin/Schmidt, Andreas/ Bloch, Martin (2009): Zirkumzision bei nicht einwilligungsfähigen Jungen. Anmerkungen zum Artikel von Stehr M, Putzke H, Dietz HG (2008) Strafrechtliche Konsequenzen auch bei religiöser Begründung, in: Der Urologe 8/2009, Heidelberg, S. 869–873. Schramm, Frank/Gierthmühlen, Stephan (2010): Erwiderung. Man sollte die Moschee im Dorf lassen …, Schlusskommentar zum Leserbrief, in: Der Urologe 2/2010, Heidelberg, S. 287–288. Schramm, Edward (2011): Ehe und Familie im Strafrecht. Eine strafrechtsdogmatische Untersuchung, Tübingen, S. 169–235. Schramm, Edward (2012): Die Beschneidung von Knaben aus strafrechtswissenschaftlicher Sicht, in: Kramer, Stephan J./Heil, Johannes (Hg.): Beschneidung: Das Zeichen des Bundes in der Kritik. Zur Debatte um das Kölner Urteil, Berlin, S. 134–145. Schreiber, Matthias/Schott, Günter E./Rascher, Wolfgang/Bender, Albrecht W. (2009): Juristische Aspekte der rituellen Beschneidung, in: Klinische Pädiatrie, H. 7/2009, S. 409–414. Schritt, Stefan (2013): Das große Zirkumpendium. Die Wissenssammlung rund um das Thema männliche Beschneidung, mit Unterstützung von: Facharbeitskreis Beschnei-

466

7. Quellen dungsbe-troffener im MOGiS e.V., Beschneidung-von-Jungen.de, Beschneidungsforum.de, in: https://die-betroffenen.de/static/media/uploads/zirkumpendium.pdf, abgerufen am 06.06.2017. Schröder, Annette (2012): Phimose, in: Stein, Raimund/Beetz, Rolf/Thüroff, Joachim W., unter Mitarbeit von Annette Schröder (Hg.): Kinderurologie in Klinik und Praxis, Stuttgart, S. 567–570. Schulte von Drach, Markus C. (2010): Beschneidung verringert HIV-Risiko, in: SZ v. 22.05.2010, http://www.sueddeutsche.de/leben/kampf-gegen-aids-beschneidungverringert-hiv-risiko-1.928039, abgerufen am 20.02.2017. Schulte von Drach, Markus C. (2012a): Fragwürdige Beschneidung der Religionsfreiheit, in: SZ v. 28.06.2012, http://www.sueddeutsche.de/panorama/umstrittenes-koelner-urteil-pro-fragwuerdige-beschneidung-der-religionsfreiheit-1.1394792, abgerufen am 27.01.2018. Schulte von Drach, Markus C. (2012b): Beschneidungsrecht wie bestellt, in: SZ v. 27.09.2012, http://www.sueddeutsche.de/wissen/gesetzentwurf-des-bundesjustizministeriums-besch neidungsrecht-fuer-alle-1.1480166, abgerufen am 20.02.2017. Schulte von Drach, Markus (2013): Neue Debatte um Beschneidung, in: SZ v. 07.05.2013, http://www.sueddeutsche.de/wissen/ein-jahr-nach-dem-koelner-urteilneue-debatte-um-beschneidung-1.1666568, abgerufen am 06.01.2017. Schuster, Josef (2015): Zentralrat der Juden: Holocaust-Gedenken hat sich gewandelt, Interview von Burkhard Ewert/Franziska Kückmann, in: Neue Osnabrücker Zeitung v. 26.01.2015, https://www.noz.de/deutschland-welt/politik/artikel/541105/zentralrat-der-juden-holocaust-gedenken-hat-sich-gewandelt#gallery&0&0&541105, abgerufen am 27.01.2018. Schütze, Elmar/Treichel, Thorkit (2012): Jüdisches Krankenhaus beschneidet wieder, in: FR v. 06.09.2012, http://www.fr-online.de/politik/entscheidung-des-berliner-justizsenators-juedisches-krankenhaus-beschneidet-wieder,1472596,17182584.html, abgerufen am 20.02.2017. Schwanitz, Rolf (2012): Persönliche Erklärung zur Abstimmung des §1631d BGB v. 12.12.2012, in: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2012/42042381_ kw50_de_beschneidung/210238, Minute 170:40ff., abgerufen am 09.11.2016. Schwarze, Till (2012a): »Die Religionsfreiheit ist das entscheidende Argument«, in: Zeit.de v. 27.08.2012, http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2012-08/gesetz -beschneidung-religionsfreiheit/komplettansicht, abgerufen am 01.11.2016. Schwarze, Till (2012b): »Ein kläglicher Gesetzentwurf«, in: ZEIT online v. 01.10.2012, http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2012-10/beschneidung-ethikrat-reinhard-merkel/komplettansicht, abgerufen am 01.11.2016. Schweitzer, Rainer (2012a): Pyrrhus-Siege, Kommentar v. 13.12.2012, 10:26 Uhr zu Müller 2012e, in: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/abschliessende-debattebundestag-billigt-gesetz-zur-beschneidung-11991251.html, 27.01.2018.

467

7. Quellen Schweitzer, Rainer (2012b): Herr Bujtor, Kommentar v. 13.12.2012, 09:44 Uhr zu Müller 2012e, in: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/abschliessende-debatte-bundestag-billigt-gesetz-zur-beschneidung-11991251.html, abgerufen am 27.01.2018. Seebold, Elmar (1999): Kluge. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Berlin. Segal, Jérôme (2012): »Als Jude sage ich, Beschneidung ist ein barbarischer Akt«, in: http://www.kirchen-privilegien.at/als-jude-sage-ich-beschneidung-ist-ein-barbarischer-akt/, abgerufen am 27.01.2018. Seibert, Steffen (2012): Mitschrift Regierungspressekonferenz vom 13.07.2012, in: https://www.bundesregierung.de/ContentArchiv/DE/Archiv17/Mitschrift/Pressekonferenzen/2012/07/2012-07-13-regpk.html, abgerufen am 19.04.2017. Senol, Ekrem (o.J.): Über JurBlog, in: JurBlog.de, http://www.jurblog.de/ueber-jurbl og/, abgerufen am 25.09.2017. Senol, Ekrem (2008): Verbot der Beschneidung bei Juden und Muslimen!?, in: JurBlog. de v. 01.10.2008, http://www.jurblog.de/2008/10/01/verbot-der-beschneidung-beijuden-und-muslimen/#respond, abgerufen am 01.09.2017. Shaikh, Younes (o.J.): Der Islam und die Frauen, in: http://www.frei-denken.ch/de/2004/02/islam-und-die-frauen/, abgerufen am 12.01.2018. Sharma, Raju (2012): Trauma oder Recht auf Identität? Interview von Heide Oestreich und Daniel Bax, in: taz v. 09.09.2012, http://www.taz.de/Streitgespraech-zur-Beschneidung/!5084600/, abgerufen am 11.01.2017. Sos (2012): ohne Titel, Kommentar v. 19.07.2012, 16:36 Uhr zu Harress 2012, in: https://derhonigmannsagt.wordpress.com/2012/07/18/betrifft-das-abschneiden-dervorhaut-bei-sehr-jungen-wehrlosen-knaben/, abgerufen am 16.02.2016. Soussan, Julien Chaim (2012): Erläuterungen zur jüdischen Beschneidung (Brit Mila), in: Das Magazin der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschlands, H. 09/2012, http://www.ordonline.de/wp-content/uploads/2012/10/ORD_MAgazin_2012_1.pdf, abgerufen am 08.06.2017. Spaemann, Robert (2012): Der Traum von der Schicksallosigkeit, in: ZEIT online v. 05.07.2012, in: http://www.zeit.de/2012/28/Beschneidung/komplettansicht, abgerufen am 17.05.2017. Stamm, Udo (2016): Die Beschneidung von Knaben ist kein Männlichkeitsritual, sondern ein Verbrechen, in: Sektenblog v. 02.07.16, in: http://www.watson.ch/Blogs/ Sektenblog/230583294-Die-Beschneidung-von-Knaben-ist-keinM%C3%A4nnlichkeitsritual--sondern-ein-Verbrechen, abgerufen am 07.02.2017. Stehr, Maximilian/Schuster, Tobias/Dietz, Hans-Georg/Joppich, Ingolf (2001): Die Zirkumzision – Kritik an der Routine, in: Klinische Pädiatrie. Clinical Research and Practice in Pediatrics, Band 213, H. 2/2001, Stuttgart/New York, S. 50–55. Stehr, Maximilian/Schuster, Tobias/Dietz, Hans-Georg (2001): Phimose. Mehr Zurückhaltung bei einschneidenden Lösungen!, in: Pädiatrie hautnah: Kinder- und Jugendmedizin, H. 9/2001, München, S. 320–323.

468

7. Quellen Stehr, Maximilian/Putzke, Holm/Dietz, Hans-Georg (2008): Zirkumzision bei nicht einwilligungsfähigen Jungen: strafrechtliche Konsequenzen auch bei religiöser Begründung, in: Deutsches Ärzteblatt, Heft 34–35/2008 v. 25.08.2008, S. 1778–1780. Stehr, Maximilian (2012a): »Das Wohl des Kindes ist nicht verhandelbar«, Interview von Timot Szent-Ivanyi, in: FR v. 19.07.2012, http://www.fr-online.de/politik/beschneidung--das-wohl-des-kindes-ist-nicht-verhandelbar-,1472596,16659000.html, abgerufen am 20.02.2017. Stehr, Maximilian (2012b): Unzumutbare Schmerzen, in: Der Spiegel 130/2012, S. 124– 125. Stehr, Maximilian (2014): »Zur medizinischen Tragweite einer Zirkumzision«, Vortrag auf dem Symposium »Genitale Autonomie: Körperliche Unversehrtheit, Religionsfreiheit und sexuelle Selbstbestimmung – von der Theorie zur Praxis« am 06.05.2014 an der Universität zu Köln, http://genitale-autonomie.de/videos-der-vortraege/stehr/ (ab Minute 19:00), abgerufen am 01.07.2015. Steiman, Andrew (2012): Kurz den Rabbi beschimpfen, Interview von Felix Helbig/Martina Propson-Hauck, in: FR v. 30.08.2012, http://www.fr.de/rhein-main/diskussion-um-beschneidung-kurz-den-rabbi-beschimpfen-a-817629, abgerufen am 27.01.2018. Steinmeier, Frank-Walter (2012): Rede im Deutschen Bundestag v. 12.12.2012, in: Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht der 213. Sitzung, Plenarprotokoll 17/213. Strittmatter, Kai (2010): Ein kleiner Schnitt für ihn, in: SZ v. 17.05.2010, http://www. sueddeutsche.de/panorama/beschneidungen-in-der-tuerkei-ein-kleiner-schnitt-fuerihn-1.539531, abgerufen am 29.08.2017. Stücker, Harald (2012): Beschneidung: Ignoranz und Sexismus, in: Evidenzbasierte Ansichten v. 11.09.2012, https://evidentist.wordpress.com/2012/09/11/beschneidungignoranz-und-sexismus/, abgerufen am 07.02.2017. Süss, Sonja/Eppelsheim, Philip (2012a): Auch die Seele leidet, in: FAZ v. 21.07.2012, http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/beschneidungsdebatte-auch-die-seele-leidet-11827698.html, abgerufen am 21.10.2016. Süsskind, Lala (2012): Dummes von der Kinderbeauftragten, in: Jüdische Allgemeine v. 30.08.2012, http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/13847, abgerufen am 25.04.2017. Swatek-Evenstein, Mark (2010): Brit Mila. Das beschnittene Recht, in: Jüdische Allgemeine v. 18.02.2010, http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/5375, abgerufen am 28.07.2015. Tennant, Sarah (2009): Sind weibliche Genitalverstümmelung und die Beschneidung von Jungen vergleichbar?, in: beschneidung-von-jungen.de v. 19.11.2009, http:// www.beschneidung-von-jungen.de/home/maennliche-und-weibliche-beschneidung/ sind-maennliche-und-weibliche-beschneidung-vergleichbar.html, abgerufen am 25. 08.2016.

469

7. Quellen Terre des Femmes (o.J.): Weibliche Genitalverstümmelung, in: https://frauenrechte.de/ online/index.php?option=com_content&view=category&id=34&Itemd=196, abgerufen am 31.08.2016. Terre des Femmes (2012): Stellungnahme von TERRE DES FEMMES e.V. Menschenrechte für die Frau zur gesetzlichen Regelung zur Beschneidung männlicher Kinder, in: https://www.frauenrechte.de/online/index.php/themen-und-aktionen/tdf-positionen/ag-genitalverstuemmelung/1621-stellungnahme-von-terre-des-femmes-e-vmenschenrechte-fuer-die-frau-zur-gesetzlichen-regelung-zur-beschneidung-maennliche r-kinder-eckpunkte-einer-regelung, abgerufen am 27.01.2018. Terre des Femmes (2013): TERRE DES FEMMES gegen Jungenbeschneidung, in: https://frauenrechte.de/online/index.php/themen/weibliche-genitalverstuemmelung/ aktuelles/1007-terre-des-femmes-gegen-jungenbeschneidung.html, abgerufen am 27.01.2018. Tichomirowa, Katja (2012): Ärzte sehen in Tradition keine Rechtfertigung, in: FR v. 12.09.2012, http://www.fr.de/politik/beschneidung-aerzte-sehen-in-tradition-keinerechtfertigung-a-805195, abgerufen am 27.01.2018. Tiedemann, Markus (2012): Zugeständnis, in: FR v. 11.12.2012, im Archiv der Autorin. Thomae, Stephan (2012): Rede im Deutschen Bundestag v. 22.11.2012, in: Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht der 208. Sitzung, Plenarprotokoll 17/208. Tolmein, Oliver (2012): Braucht die Beschneidungs-Debatte ein Update?, in: FAZ v. 23.08. 2012, http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/faz-net-fruehkritikbraucht-die-beschneidungs-debatte-ein-update-11865154.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2, abgerufen am 24.02.2017. Tron, Frank (2012): Beschneidung und erfüllte Sexualität passen nicht zusammen, Kommentar v. 18.07.2012, 20:16 Uhr zu Müller 2012a, in: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/beschneidungs-debatte-grenzen-in-gottesfragen-11823530.html, abgerufen am 27.01.2018. Ulus, Hikmet (2012): »Beschneider reiben sich die Hände«, Interview von Çiğdem Akyol, in: taz v. 03.07.2012, http://www.taz.de/Kinderchirurg-zu-BeschneidungsUrteil/!5089977/, abgerufen am 11.01.2017. Unabomber (2012): Ohne Titel, Kommentar v. 19.07.2012, 01:45 Uhr zu Harress 2012, in: https://derhonigmannsagt.wordpress.com/2012/07/18/betrifft-das-abschneidender-vorhaut-bei-sehr-jungen-wehrlosen-knaben/, abgerufen am 16.02.2016. Union progressiver Juden in Deutschland (2012): 35 Grundsätze, in: http://www.liberale-juden.de/uber-uns/35-grundsatze/; abgerufen am 14.06.2017. Urologe (2010): Mediadaten 2010: Der Urologe v. 01.01.2010, im Archiv der Autorin. Utlu, Ali (o.J.): Kurzstellungnahme Ali Utlu, Mitglied im Facharbeitskreis Beschneidungsbetroffener im MOGiS e.V., in: https://die-betroffenen.de/stellungnahmen/aliutlu/, abgerufen am 06.06.2017. Utlu, Ali (2012): Beschneidung: »Traumatisch und der Horror«, Interview von Christian Mentz, in: Siegessäule.de v. 26.7.2012, https://www.siegessaeule.de/artikel-archiv/ queere-welt/beschneidung-traumatisch-und-der-horror., abgerufen am 18.07.2017.

470

7. Quellen Verein zur Abwehr des Antisemitismus (Hg.) (1920): Abwehr-ABC, Berlin. Vom Lehn, Birgitta (2012): Unterschätztes Trauma-Risiko, in: FR v. 18.07.2012, http:// www.fr.de/wissen/beschneidungen-unterschaetztes-trauma-risiko-a-826239, abgerufen am 20.02.2017. Voßhoff, Andrea Astrid (2012): Rede im deutschen Bundestag v. 12.12.2012, in: Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht der 213. Sitzung, Plenarprotokoll 17/213. W., chris (2012): Sinnloser Eingriff, Kommentar v. 23.07.2012, 08:35 Uhr zu Süss/Eppelsheim 2012a, in: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/beschneidungsdebatteauch-die-seele-leidet-11827698.html, abgerufen am 28.01.2018. Wackermann, R. (2012): Beschneidung als Machtdemonstration? Kommentar v. 21.07.2012, 09:43 Uhr zu Herzberg 2012a, in: http://www.zeit.de/2012/29/Beschneidungsdebatte/komplettansicht, abgerufen am 27.01.2018. Wagner, Richard (2011): Beschneidung. Blutiger Schnitt, in: FAS v. 06.02.2011, http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/beschneidung-blutiger-schnitt1596907.html, abgerufen am 17.02.2015. Wali, Najem (2012): Beschneidungen und andere Traumata, in: taz v. 03.07.2012, http://www.taz.de/Religioese-Riten-in-der-Praxis/!5089892/, abgerufen am 11.01. 2017. Walser, Martin (1998): Dank. Erfahrungen beim Verfassen einer Sonntagsrede, in: Friedenspreis des deutschen Buchhandels, http://www.friedenspreis-des-deutschenbuchhandels.de/sixcms/media.php/1290/1998_walser.pdf, abgerufen am 25.04. 2017. Walter, Christian (2012): Beschnitten, in: FAZ v. 11.07.2012, http://www.faz.net/aktuell/politik/staat-und-recht/gastbeitrag-beschnitten-11817408.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2, abgerufen am 24.02.2017. Walter, Tonio (2013): Das unantastbare Geschlecht, in: ZEIT online v. 04.07.2013, http://www.zeit.de/2013/28/genitalverstuemmelung-gesetz-frauen, abgerufen am 25.08.2016. wanderer am wege (2012): Ohne Titel, Kommentar v. 17.07.2012, 14:28 Uhr in: https:// allesevolution.wordpress.com/2012/06/27/beschneidung-von-minderjahrigen-jungen-strafbar/, abgerufen am 30.06.2017. Wassermann, Rudolf (1907): Beruf, Konfession und Verbrechen. Eine Studie über die Kriminalität der Juden in Vergangenheit und Gegenwart, München. Watson, Lindsay R (2014): Unspeakable Mutilations: Circumcised Men Speak Out, o.O. Way, Ingo (2010): Beschneidung. Im Ermessen. Warum die Brit Mila zum Elternrecht gehört, in: Jüdische Allgemeine v. 20.05.2010, http://www.juedische-allgemeine.de/ article/view/id/7426/, abgerufen am 28.07.2015. Weiland, Severin (2016): AfD setzt auf schroffen Anti-Islam-Kurs, in: Spiegel Online v. 17.04.2016, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-parteiprogramm-setztauf-anti-islam-kurs-a-1087656.html, abgerufen am 27.01.2018.

471

7. Quellen Weiß, Barbara (2017): Streit um Beschneidung geht weiter, in: BR24.de v. 27.12.2017, https://www.br.de/nachrichten/streit-um-beschneidung-geht-weiter-100.html, abgerufen am 27.01.2018. Wendler, Diana (2017): Mediadaten der Zeitschrift MedR von 2008 in einer E-Mail v. 14.11.2017, im Archiv der Autorin. Werner (o.J.): Stellungnahme von Werner, Mitglied des Facharbeitskreises Beschneidungsbetroffener im MOGiS e.V., in: https://die-betroffenen.de/stellungnahmen/werner-e/, abgerufen am 06.06.2017. Wertmüller, Justus (2012): Jüdische Identität dringend gesucht. Sieben Thesen zur deutschen »Beschneidungsdebatte«, in: Bahamas 65-2012/13, http://www.redaktion-bahamas.org/auswahl/web65-2.html, abgerufen am 18.01.3017. Wiemer, Carl/Willmann, Urs (1998): Mit Geduld und Stahl, in: Zeit v. 09.11.1998, http://www.zeit.de/1998/48/199848.beschneidung_.xml/komplettansicht, abgerufen am 13.09.2017. Wiesner, Ina (2012): Gezählt, gewogen und am Ende geteilt, in: FAZ v. 24.07.2012, http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/beschneidung-gezaehlt-gewogen-und-amende-geteilt-11830 682-p2.html, abgerufen am 18.10.2016. Willweber, Horst-G. (2012): Das Traumata-Dilemma!, Kommentar v. 15.07.2012, 13:01 Uhr zu Gutschker 2012, in: http://www.faz.net/aktuell/politik/urteil-zu-beschneidungen-kinderschutz-11820503.html, abgerufen am 27.01.2018. Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages (2012): Zur Strafbarkeit der Beschneidung minderjähriger Jungen aus religiösen Gründen. Ergebnisse einer EZPWD-Abfrage zur internationalen Rechtslage, in: https://www.bundestag.de/blob/412528/beb873f2b954ee8edd6de7589a4752ad/wd-7-223-12-pdfdata.pdf, abgerufen am 28.01.2018. Wittekind (2012a): Ohne Titel, Kommentar v. 20.07.2012, 00:51 Uhr zu Harress 2012, in: https://derhonigmannsagt.wordpress.com/2012/07/18/betrifft-das-abschneidender-vorhaut-bei-sehr-jungen-wehrlosen-knaben/, abgerufen am 16.02.2016. Wolffsohn, Michael (2012): Danke, Deutschland!, in: tagesspiegel.de v. 21.09.2012, http://www.tagesspiegel.de/meinung/andere-meinung/gastkommentar-zur-beschneidungsdebatte-danke-deutschland/7160872-all.html, abgerufen am 19.05.2017. Wolffsohn, Michael (2015): Christen und Juden im heutigen Deutschland. Ein persönlicher Essay ohne Fußnotenschlacht, https://www.wolffsohn.de/cms/images/Snippets_pdf/christen-juden.pdf, abgerufen am 18.05.2017. Wolschner, Helmut (1998): Brandmarken, in: Deutsches Ärzteblatt, Heft 27/1998 v. 03. 07.1998, S. 1698. Wulffen, Erich (1921): Der Sexualverbrecher. Ein Handbuch für Juristen, Verwaltungsbeamte und Ärzte, 8. Auflage, Berlin. Yaron, Gil (2012a): Ein einschneidender Beschluss, in: FAZ v. 29.06.2012, http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/religioeser-ritus-ein-einschneidender-beschluss-11802683.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2, abgerufen am 24.02.2017.

472

7. Quellen Yaron, Gil (2012b): Unsere seltsame Tradition, in: FAZ v. 21.07.2012, http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/beschneidungsdebatte-unsere-seltsame-tradition-11827726.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2, abgerufen am 24.02. 2017. Zastrow, Volker (2012a): Nötiger Schmerz, in: FAZ v. 21.07.2012, http://www.faz.net/ aktuell/politik/inland/beschneidungsdebatte-noetiger-schmerz-11827980.html, abgerufen am 11.08.2016. Zastrow, Volker (2012b): Gender, in: FAZ v. 06.10.2012, http://www.faz.net/aktuell/ politik/inland/gesetzentwurf-zur-beschneidung-gender-11916235.html, abgerufen am 19.08.2016. Zentralrat der Ex-Muslime (o.J.): Aufklären statt verschleiern! in: http://exmuslime. com/ueber-uns/, abgerufen am 27.01.2018. Zentralrat der Juden in Deutschland (2012): Zum Urteil des Kölner Landgerichts zur Beschneidung von Jungen, in: http://www.zentralratdjuden.de/de/article/3705.html, abgerufen am 23.11.2017. Zentralrat der Juden in Deutschland (2013): Qualifizierung von Mohalim – Erfolgreiches Kompaktseminar in Berlin, Mitteilung v. 09.10.2013, in: http://www.zentralratdjuden.de/de/article/4592.qualifizierung-von-mohalim-erfolgreiches-kompaktseminar-in-berlin.html, abgerufen am 24.07.20 17. Zentralrat der Muslime in Deutschland (2012): Pressemitteilung des ZMD zum sogenannten »Beschneidungsurteil«, in: http://zentralrat.de/20584.php, abgerufen am 27.01.2018. Zießler, Helga (2012): Als absoluter Gegner dieses barbarischen Rituals habe ich mich bereits »geoutet«, Kommentar v. 23.07.2012, 13:19 Uhr zu Süss/Eppelsheim 2012a, in: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/beschneidungsdebatte-auch-die-seeleleidet-11827698.html, abgerufen am 28.01.2018. Zimmermann, Christoph (2012): Genderbending für den Penis, in: taz v. 29.10.2012, http://www.taz.de/Beschneidungsdebatte/!5080711/, abgerufen am 11.01.2017. Züchner, Sven (2012): Ich empfehle ihnen mehr Informationen über die Durchfüh[r]ung dieses Rituals einzuholen! Kommentar v. 21.07.2012, 17:23 Uhr zu Franz 2012a, in: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/offener-brief-zur-beschneidung-religionsfreiheit-kann-kein-freibrief-fuer-gewalt-sein-11827590.html, abgerufen am 28.01.2018. Zwangsbeschneidung.de (2012a): Pressemeldungen zur Beschneidung ohne speziellere Zuordnung 2012, in: http://www.zwangsbeschneidung.de/presse.html, abgerufen am 13.04.2015. Zwangsbeschneidung.de (2012b): Jüdische Presse und Stimmen zur Beschneidung und andere menschenrechtlich relevante Fundstellen mit Bezug zur jüdischen Religion, in: http://www.zwangsbeschneidung.de/juedische-presse.html, abgerufen am 13.04. 2015.

473

7. Quellen Zwangsbeschneidung.de (2013a): Pressemeldungen zur Beschneidung ohne speziellere Zuordnung 2013, in: http://www.zwangsbeschneidung.de/presse-2013.html, abgerufen am 13.04.2015. Zwangsbeschneidung.de (2013b): Parteien und Politiker zur Beschneidung (dagegen, dafür oder unentschieden), in: http://www.zwangsbeschneidung.de/parteien-und-politiker.html, abgerufen am 13.04.2015. Zwangsbeschneidung.de (2014a): Pressemeldungen zur Beschneidung ohne speziellere Zuordnung 2014, in: http://www.zwangsbeschneidung.de/presse-2014.html, abgerufen am 13.04.2015. Zwangsbeschneidung.de (2015a): Pressemeldungen zur Beschneidung ohne speziellere Zuordnung 2015, in: http://www.zwangsbeschneidung.de/presse-2015.html, abgerufen am 13.04.2015. Zwangsbeschneidung.de (o.J.a): Nichtvergleichbarkeit von männlicher und weiblicher Beschneidung per Definition, in: http://www.zwangsbeschneidung.de/maennlicheund-weibliche-beschneidung.html, abgerufen am 13.04.2015. Zwangsbeschneidung.de (o.J.b): Moses Maimonides zur Beschneidung, in: http://www. zwangsbeschneidung.de/moses-maimonides.html, abgerufen am 13.04.2015. Zwangsbeschneidung.de (o.J.c): »Hier gibt es kein Warum« – Ausszug der Dankesrede von Fritz Stern zum Friedenspreis des deutschen Buchhandels mit enthaltenen Zitaten von Primo Levi, in: http://www.zwangsbeschneidung.de/hier-gibt-es-kein-warum.html, abgerufen am 13.04.2015. Interviews Interview mit L. Z. v. 26.05.2014, 57:27 Minuten. Interview mit V. A. v. 28.05.2014, 73:14 Minuten. Interview mit L. A. v. 08.07.2014, 96:05 Minuten. Interview mit F. I. v. 17.08.2014, 38:50 Minuten. Interview mit B. A. v. 26.08.2014, Teil I und II, 106:12 Minuten. Interview mit J. F. v. 16.09.2014, 73:31 Minuten. Interview mit U. R. v. 26.09.2014, 117:15 Minuten. Interview mit L. R. v. 01.10.2014, Teil I und II, 45:12 Minuten. Interview mit I. R. v. 14.10.2014, 82:35 Minuten. Interview mit G. O. v. 12.11.2014, 89:50 Minuten.

474