Journalismus, der Geschichte schrieb: 60 Jahre Pressefreiheit in der Bundesrepublik Deutschland 9783110235081, 9783110235074

reminiscences of journalists in prison, the anti-Springer campaign, abortion confessions, a speech in remembrance of the

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Journalismus, der Geschichte schrieb: 60 Jahre Pressefreiheit in der Bundesrepublik Deutschland
 9783110235081, 9783110235074

Table of contents :
Frontmatter
Inhalt
Geleitwort
Vorwort [1]
Vorwort [2]
Die Medien und die Republik – eine Erfolgsgeschichte?
Erinnerungen an Rotationsromane
Erinnerungen an die erste Ausgabe einer Zeitung für Deutschland
Erinnerungen an Rudolf Alexander Schröder und Seminare mit Koszyk
Erinnerungen an den Redakteur Erich Kästner
Erinnerungen an einen fiktiven Leserbrief
Erinnerungen an zum Scheitern verurteilte Altverleger
Erinnerungen an Journalistenausbildung im Bleizeitalter
Erinnerungen an Journalisten hinter Gittern
Erinnerungen an einen Dokumentarfilm zum Auschwitz-Prozess
Erinnerungen an die Anti-Springer-Kampagne
Erinnerungen an missachtete Leser
Erinnerungen an Abtreibungs-Bekenntnisse
Erinnerungen an deutsch-polnische Schulbuchgespräche
Erinnerungen an antiimperialistische Umwege zum Journalismus
Erinnerungen an »The London Review of Books«
Erinnerungen an Blindekuh-Ökonomie nach Enzensberger
Erinnerungen an Tagebücher eines Führers
Erinnerungen an Attentate im Fernsehen
Erinnerungen an eine Gedenkrede zum 9. November
Erinnerungen an ein Fenster zur Journalistenfreiheit
Erinnerungen an Kontroversen über die Staatssicherheit
Erinnerungen an merkwürdige Dortmunder Drehorte
Erfahrungen mit Public Relations und Journalismus
Erfahrungen mit Journalisten in nationalen Krisen
Erfahrungen mit Unterschieden zwischen Opfern und Tätern
Erfahrungen mit Medienauskünften und Persönlichkeitsschutz
Habilitieren in bewegten Zeiten
Wie man ein Journalistik-Institut gründet
Backmatter

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Dortmunder Beiträge zur Zeitungsforschung

Dortmunder Beiträge zur Zeitungsforschung Band 65 Herausgegeben von Hans Bohrmann und Gabriele Toepser-Ziegert Institut für Zeitungsforschung der Stadt Dortmund

De Gruyter Saur

Horst Pöttker und Gabriele Toepser-Ziegert (Hrsg.)

Journalismus, der Geschichte schrieb 60 Jahre Pressefreiheit in der Bundesrepublik Deutschland Symposium für Kurt Koszyk

De Gruyter Saur

Mit freundlicher Unterstützung der Stiftung Presse-Haus NRZ

ISBN 978-3-11-023507-4 e-ISBN 978-3-11-023508-1 ISSN 0417-9994 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data Journalismus, der Geschichte schrieb : 60 Jahre Pressefreiheit in der Bundesrepublik Deutschland : Symposium für Kurt Koszyk / Horst Pöttker und Gabriele Toepser-Ziegert (Hrsg.). p. cm. -- (Dortmunder Beiträge zur Zeitungsforschung ; Bd. 65) Papers presented at a symposium held Nov. 6, 2009, in Dortmund. Includes bibliographical references. ISBN 978-3-11-023507-4 -- ISBN 978-3-11-023508-1 (e-bk.) 1. Journalism--Germany--History--20th century--Congresses. I. Koszyk, Kurt. II. Pöttker, Horst. III. Toepser-Ziegert, Gabriele. PN5208.J638 2010 073'.0904--dc22 2010033488

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abru ar. © 2010 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin / New York Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhalt Geleitwort Rektorin der TU Dortmund

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Vorwort Dekan der Fakultät Kulturwissenschaften

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Vorwort Direktorin des Instituts für Zeitungsforschung

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Impuls Friedrich Nowottny Die Medien und die Republik – eine Erfolgsgeschichte?

21

Prolog: Angelsächsische Vorbilder Edzard Obendiek Erinnerungen an Rotationsromane

27

1950–1960: Au au Werner D’Inka Erinnerungen an die erste Ausgabe einer Zeitung für Deutschland

33

Klaus Goebel Erinnerungen an Rudolf Alexander Schröder und Seminare mit Koszyk

36

6

Inge Schleier Erinnerungen an den Redakteur Erich Kästner

41

Uta Quasthoff Erinnerungen an einen fiktiven Leserbrief

46

Horst Pöttker Erinnerungen an zum Scheitern verurteilte Altverleger

53

Kurt Koszyk Erinnerungen an Journalistenausbildung im Bleizeitalter

57

1960–1970: Au ruch Walter Hömberg Erinnerungen an Journalisten hinter Gittern

65

Ute Daub Erinnerungen an einen Dokumentarfilm zum Auschwitz-Prozess

69

Gabriele Toepser-Ziegert Erinnerungen an die Anti-Springer-Kampagne

73

Wolfgang R. Langenbucher Erinnerungen an missachtete Leser

77

1970–1980: Öffnungen Ingrid Kolb Erinnerungen an Abtreibungs-Bekenntnisse

83

Johannes Hoffmann Erinnerungen an deutsch-polnische Schulbuchgespräche

85

Horst Pöttker Erinnerungen an antiimperialistische Umwege zum Journalismus

91

7

Jürgen Kramer Erinnerungen an »The London Review of Books«

95

1980–1990: Holzwege Jürgen Heinrich Erinnerungen an Blindekuh-Ökonomie nach Enzensberger

99

Wilfried Scharf Erinnerungen an Tagebücher eines Führers

103

Rüdiger Funiok Erinnerungen an Attentate im Fernsehen

107

Werner Hill und Horst Pöttker Erinnerungen an eine Gedenkrede zum 9. November

111

1990–2000: Vereinigungen Hans Poerschke Erinnerungen an ein Fenster zur Journalistenfreiheit

117

Wilfried Scharf Erinnerungen an Kontroversen über die Staatssicherheit

119

Hans-Georg Kirchhoff Erinnerungen an merkwürdige Dortmunder Drehorte

122

2000–2010: Angebrochene Zukunft Reinhild Rumphorst Erfahrungen mit Public Relations und Journalismus

127

Günter Nold Erfahrungen mit Journalisten in nationalen Krisen

129

8

Wilfried Scharf Erfahrungen mit Unterschieden zwischen Opfern und Tätern

133

Udo Branahl Erfahrungen mit Medienauskünften und Persönlichkeitsschutz

137

Epilog: Kurt Koszyk zu Ehren Hans Bohrmann Habilitieren in bewegten Zeiten

143

Ulrich Pätzold Wie man ein Journalistik-Institut gründet

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Anhang Autorinnen und Autoren Bildnachweise

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Am 31. Mai 2009 hat Professor Dr. Kurt Koszyk sein 80. Lebensjahr vollendet. Er war von 1957 bis 1977 Direktor des Instituts für Zeitungsforschung der Stadt Dortmund und seit 1. Februar 1977 Professor für Theorie und Praxis des Journalismus an der Pädagogischen Hochschule Ruhr, seit 1. Januar 1980 Universität Dortmund1. Dort hat er mit Unterstützung des damaligen nordrhein-westfälischen Wissenschaftsministers Johannes Rau einen der ersten wissenschaftsbasierten Ausbildungsgänge für den Journalistenberuf in der Bundesrepublik Deutschland ins Leben gerufen. In den Jahren 1984 und 1985 leitete er den Fachbereich Sprach- und Literaturwissenschaften, Journalistik und Geschichte2 als Dekan. Seinen 80. Geburtstag haben die beiden Dortmunder Einrichtungen, für die der bekannte Pressehistoriker Kurt Koszyk verantwortlich war, am 6. November 2009 mit einem Symposium »Journalismus, der Geschichte schrieb. 60 Jahre Pressefreiheit in der Bundesrepublik Deutschland« gefeiert, an dem sich der Jubilar selbst mit einem Beitrag über seine Tätigkeit als junger Journalist in den 1950er Jahren beteiligte. Die Beiträge des Symposiums stellt dieser Band der breiteren wissenschaftlichen und professionell-journalistischen Öffentlichkeit zur Verfügung.

1

Seit 2007 Technische Universität Dortmund

2

Seit 2001 Fakultät Kulturwissenschaften

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Geleitwort Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass eine Universität gemeinsam mit einem kommunalen Institut einen ihrer Professoren anlässlich seines 80. Geburtstags mit einem Buch ehrt, an dem der Geehrte selbst mitgearbeitet hat. Für das Zustandekommen des Ungewöhnlichen müssen in diesem Falle etliche Umstände zusammenkommen. Auf einige davon möchte ich eingehen. Kurt Koszyk hat der Universität Dortmund zu einer Besonderheit in Deutschland verholfen, als er vor mehr als drei Jahrzehnten mit Unterstützung des nordrhein-westfälischen Wissenschaftsministers Johannes Rau dafür sorgte, dass an dieser Universität in berufs- und praxisorientierter Weise Journalisten ausgebildet werden. Das war ein innovativer Schritt, der damals außerdem nur noch an der ehrwürdigen und heute exzellenten Ludwig-Maximilians-Universität München gewagt wurde. Ich freue mich, dass heute auch Professor Wolfgang Langenbucher hier anwesend ist, dem dasselbe Wagnis in München zu verdanken war. Anders als in München haben wir die Journalistik in den letzten Jahren ausgebaut – durch eine Stiftungsprofessur für Internationalen Journalismus, eine Professur und einen Studiengang für Wissenschaftsjournalismus, die Erweiterung und verbesserte technische Ausstattung der Lehrredaktionen und die Einrichtung eines Lern- und Erprobungssenders im Fernsehbereich. Dieses Engagement für das von Kurt Koszyk gegründete Fach hängt nicht zuletzt mit dem modernen Profil unserer Universität zusammen, die neben der Journalistik noch andere Fächer anbietet und fördert, die man anderswo kaum findet, etwa Bio-und Chemieingenieurwesen, Rehabilitationswissenschaften, Raumplanung oder auch mein Fach, die Statistik. Dass Kurt Koszyk durch die Gründung der Journalistik zu diesem Profil beigetragen hat, ist für die TU Dortmund bis heute von großer Bedeutung. Zu dieser Strahlkraft passt, dass der Jubilar in seiner Festschrift selbst mit einem Beitrag vertreten ist, in dem er sich an seine ersten Erfahrungen in einer Zeitungsredaktion in den 50er Jahren erinnert – Kurt Koszyk ist bis heute, 17 Jahre nach seiner Emeritierung, ein aktiver Pensionär, der mitreden will.

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Der zweite Umstand, den ich erwähnen möchte, ist die Fakultät Kulturwissenschaften, deren Dekan Kurt Koszyk in den 1980er Jahren war. Sie setzt sich aus vier Fächern zusammen, die auf ihre Leistungen stolz sein können. Germanistik, Anglistik/Amerikanistik und Geschichte haben die staatliche Verpflichtung zur Lehrerausbildung hinter sich. Eine ähnliche Verpflichtung zur Journalistenausbildung gibt es in Deutschland nicht. Dafür hat die Journalistik aufgrund ihrer Berufs- und Praxisnähe besonders gute Chancen, Drittmittel für Forschungs- und Lehrprojekte einzuwerben. Zu den Stärken der Technischen Universität Dortmund zählt das interdisziplinäre Zusammenwirken zwischen Natur- und Ingenieurwissenschaften, Gesellschafts- und Kulturwissenschaften. Deshalb freuen wir uns besonders über ein Buch, das durch die Person des Geehrten und die Auswahl der Beiträger den Willen zur Interdisziplinarität zum Ausdruck bringt. Bei einem Gründer wie Kurt Koszyk überrascht das interdisziplinäre Denken nicht, denn er konnte ja das Fach, das er ins Leben gerufen hat, selbst noch nicht studieren. Der dritte Umstand ist schließlich die Einbettung des Fachs über die Grenzen der Universität hinaus in die Kommune, insbesondere natürlich die Kooperation mit dem Institut für Zeitungsforschung der Stadt Dortmund, dessen Direktor Kurt Koszyk seit den 1950er Jahren war. Insofern hat das Institut für Zeitungsforschung dazu beigetragen, dass die Journalistik nach Dortmund gekommen ist. Heute gilt auch im Umkehrschluss: Das Institut für Zeitungsforschung ist für die Journalistenausbildung in Dortmund, und damit für unsere Universität, unentbehrlich. Ursula Gather Rektorin der TU Dortmund

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Vorwort »Journalismus, der Geschichte schrieb. Sechzig Jahre Pressefreiheit in der Bundesrepublik Deutschland« – so hieß das Symposium, dessen Vorträge dieser Band zusammenfasst und das Kurt Koszyk gewidmet war. Es ist kein Zufall, dass es sich dabei um eine Veranstaltung der ganzen Fakultät Kulturwissenschaften handelte und nicht nur ihres Faches Journalistik, das Koszyk in den 1970er Jahren in seiner immer noch bestehenden Struktur gegründet und nach Dortmund geholt hat. Die Interdisziplinarität hängt mit der Person zusammen, deren 80. Geburtstag am 31. Mai 2009 der Anlass für das Symposium war. Kurt Koszyk war nicht nur in den 1980er Jahren Dekan des Fachbereichs »Sprach- und Literaturwissenschaften, Journalistik und Geschichte«, wie die Fakultät Kulturwissenschaften damals noch hieß. Er hat auch immer wieder mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fächern des Fachbereichs, besonders den Literaturwissenschaften und der Geschichte, gemeinsame Seminare für Studierende angeboten. Klaus Goebel erinnert sich in seinem Beitrag an solche Veranstaltungen. Als Lehrer, aber auch als Forscher hat der Pressehistoriker Koszyk der unmittelbaren Nachkriegszeit und der Medienpolitik der Alliierten besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Der ganze letzte Band seines vierbändigen Standardwerks zur Geschichte der Deutschen Presse ist dieser kurzen Epoche des Übergangs zur Pressefreiheit gewidmet1. Daran sollte das Symposium und soll auch dieser Band anknüpfen, der Schlaglichter auf die Rolle des Journalismus für die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland unter der Bedingung der Pressefreiheit wirft. Um das 60-jährige Jubiläum der Pressefreiheit als Datum wählen zu können, musste die Veranstaltung im Herbst 2009 stattfinden. Die Alliierten hatten die Lizenzpflicht für Zeitungen noch nicht mit dem in Kraft tretenden Grundgesetz, sondern erst zum 1. November 1949 aufgehoben. Das 1 Vgl. Koszyk, Kurt (1986): Pressepolitik für Deutsche. Geschichte der deutschen Presse, Bd. IV. Berlin: Colloquium.

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Symposium fand am 6. November 2009 in einem Hörsaal der Fakultät Maschinenbau der Technischen Universität Dortmund statt. Wenn sich dieser Band in gewisser Weise als Fortsetzung von Koszyks Pressegeschichte auffassen lässt, soll das nicht entschuldigen, dass keiner seiner Nachfolger – mich eingeschlossen – bisher diesen fünften Band geschrieben hat. Es würde sich mittlerweile für Historiker lohnen, den Zeitraum zwischen der in Deutschland vergleichsweise späten rechtlichen Verankerung der Kommunikationsfreiheit 1949 und dem digitalen Medienumbruch zu Beginn des 21. Jahrhunderts aus einer Distanz, die Systematik erlaubt, als geschlossene Epoche der Pressegeschichte zu analysieren. Dem kann dieses Buch natürlich nicht vorgreifen. Es bietet lediglich eine Kette von persönlich gefärbten, teilweise sehr subjektiven Erinnerungen an diese Jahrzehnte. Mit wenigen Ausnahmen stammen sie von Wissenschaftler(inne)n und Journalist(inn)en, deren Lebenszeit diese Epoche umfasst. Es ist mithin ein Buch der »Generation 60 plus«, die sich bei passenden Themen wie diesem wohl als Kohorte präsentieren darf. Etliche Beiträger(innen) sind rüstige Emeriti der Fakultät Kulturwissenschaften. Die Gliederung folgt chronologisch den sechs Jahrzehnten, in denen nun Pressefreiheit in der Bundesrepublik Deutschland besteht. Etliche Beiträge betreffen größere Zeiträume als die Jahrzehnte, in die sie eingeordnet sind. Beim Sortieren war ausschlaggebend, von welcher Phase der Entwicklung seit 1949 der Text die meisten konkreten Eindrücke vermittelt. Wir danken allen, ohne deren Engagement dieses Buch nicht entstanden wäre, besonders den Autor(inn)en sowie Christina Kiesewetter und Karen Peter, die sich verständnisvoll und verlässlich der Redaktion angenommen haben. Beim Symposium haben Heike Mund und Michael Steinbrecher mit Kurzfilmen in die Jahrzehnte eingeführt, Heike Mund hat die schwierige Aufgabe der Moderation gemeistert, von Michael Steinbrecher stammt die Formulierung »Journalismus, der Geschichte schrieb«. Auch ihnen gilt unser Dank. Einige Personen prägen dieses Buch in besonderer Weise, obwohl sie weder der Dortmunder Fakultät Kulturwissenschaften noch dem in Deutschland ziemlich kleinen Fach Journalistik oder dem persönlichen Freundeskreis von Kurt Koszyk angehören. Edgar Sarton-Saretzki, Jahrgang 1922, Sohn des letzten Kantors der liberalen jüdischen Gemeinde in Frankfurt am Main, emigrierte 1939 gegen die Wünsche seiner deutsch-national eingestellten Eltern nach England und

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später nach Kanada, wo er als Journalist und Diplomat Karriere gemacht hat. Seine Eltern wurden 1944 in Auschwitz ermordet. Sarton-Saretzki ist der Dortmunder Journalistik durch Gastvorträge verbunden, die er hier über seine Jugenderfahrungen im Deutschland der 1930er Jahre oder über den kanadischen Kommunikationswissenschaftler Marshall McLuhan gehalten hat. Die Lehrredaktion des Instituts für Journalistik hat ein Fernseh-Porträt von ihm gezeichnet. Beim Symposium hätten wir ihn gern als eine Art Alterspräsident dabeigehabt. Zu unserem und seinem großen Bedauern musste er dann doch fernbleiben. An Stelle von Sarton-Saretzkis geplantem Beitrag über »Memorandum«, einen Dokumentarfilm des kanadischen Fernsehens aus dem Deutschland der 1960er Jahre, an dem er als heimatkundiger Berater des Regisseurs mitgewirkt hat, drucken wir einen für dieses Buch umgearbeiteten Text, mit dem Ute Daub Vorführungen von »Memorandum« einleitet, die die »Initiative 9. November« in Frankfurt a. M. veranstaltet. Friedrich Nowottny als Laudator und Impulsgeber zu gewinnen hat uns besondere Freude gemacht. Er konnte ebenfalls im Mai 2009 sein 80. Lebensjahr vollenden. Im Westdeutschen Rundfunk hätte man sich auch eine umgekehrte Rollenverteilung vorstellen können: Koszyk als Laudator für Nowottny. Jedenfalls gratulieren wir beiden sehr herzlich – zur Vollendung des achten Jahrzehnts und zu ihrem dauerhaften Engagement für einen freien Journalismus in Deutschland. Horst Pöttker Dekan der Fakultät Kulturwissenschaften

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Vorwort Zu Ehren von Kurt Koszyk haben wir uns in der Universität versammelt, aber es gab ja glücklicherweise ein Leben vor der Universität für Kurt Koszyk. Darüber möchte ich Ihnen in der gebotenen Kürze berichten. Um das Wirken von Kurt Koszyk im und für das Institut für Zeitungsforschung in 5 Minuten zu schildern, würde es nicht ausreichen in redundanzarmen SMS-Kürzeln zu sprechen. Eine Formel wie »e = m · c2« oder »quadratisch, praktisch, gut« wäre zu kurz und ausschweifend erklärungsbedürftig. Das zeitgenössische Unternehmensmanagement behilft sich mit Kennzahlen, durch die die Leistungen einer Organisation abgebildet werden sollen. Das ist besonders im Kulturbetrieb, in dem ich tätig bin, nicht unumstritten, weil es den Verdacht nahe legt, Qualität soll durch Quantität ersetzt werden: wie viele Kunden, wie viele Verträge, wie viele Anfragen. Die Kennzahlen, die ich Ihnen präsentieren möchte zu Kurt Koszyk und dem Institut, sind – dem Thema angemessen – historische. Vor 83 Jahren wurde das Institut gegründet. Es ging hervor aus einer Zeitungssammlung, die der damalige Direktor der Stadtbücherei, Erich Schulz, angeregt von seinem Freund, dem Lehrer Karl d’Ester aus Hörde, seit 1907 angelegt hatte. 1949, also vor 60 Jahren begann Kurt Koszyk sein Studium der Zeitungswissenschaft in Münster bei Walter Hagemann. Nach einem Semester in Oxford wechselte er im Mai 1951 nach München. Entgegen seinen ursprünglichen Plänen, wieder nach Münster zurückzukehren, beendete er dort sein Studium. Sein Doktorvater war der schon erwähnte Karl d’Ester, Thema der Dissertation (1953) waren die Anfänge und frühe Entwicklung der sozialdemokratischen Presse im Ruhrgebiet. Als Kurt Koszyk 1957, also vor 52 Jahren, vom Rat der Stadt zum Leiter des Instituts gewählt wurde, hatte er dort bereits ein Praktikum absolviert und in Dortmund als Journalist gearbeitet. 1958 zog das Institut ins Haus der Bibliotheken, damals noch am Hansaplatz, wo heute das Karstadt Sporthaus steht. Unterstützt wurde Koszyk von seiner Stellvertreterin, Margot Lindemann, mit der er auch die Geschichte der deutschen Presse

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in vier Bänden beschrieb, wobei sie sich um die pressehistorischen Anfänge bis 1815 kümmerte und er die restliche Zeit bis zur Phase der Lizenzpresse 1949 im Nachkriegsdeutschland behandelte. Gleichzeitig wurde die Mikroverfilmung von historischen und aktuellen Zeitungsbeständen begonnen, eine wegweisende Maßnahme, die das Institut bis in die Gegenwart prägt. 1969, also vor 40 Jahren, nahm Koszyk einen Ruf an die Ruhr-Universität in Bochum an, blieb aber nebenamtlich am Institut für Zeitungsforschung tätig. Der Katalog unseres Instituts verzeichnet 91 Veröffentlichungen von Kurt Koszyk und 11 über ihn. Er hat Pressegeschichte als sozialgeschichtliche Forschung aufgefasst und betrieben. Durch ihn kamen die Anweisungen an die NS-Presse, die der spätere Chefredakteur der Deutschen Presse-Agentur (dpa), Fritz Sänger, als Hauptstadtkorrespondent der berühmten Frankfurter Zeitung während der NS-Diktatur heimlich und vorschriftswidrig gesammelt und in den Nürnberger Prozessen zur Verfügung gestellt hatte, ins Institut. Sie liegen mittlerweile für den Zeitraum 1933 –1939, also die Vorkriegszeit, als Edition und Dokumentation in 19 Bänden mit dem Titel »NS-Presseanweisungen der Vorkriegszeit« vor und bilden ein Kernstück der institutseigenen Forschung genauso wie die Bibliographie der Exilpresse, die als dreibändiges »Handbuch der deutschen Exilpresse 1933 –1945« zu großen Teilen im Institut erstellt wurde. Koszyk knüpfte und intensivierte die Kontakte zur Redaktion des Aufbaus, der Wochenzeitung deutschsprachiger Emigranten in New York. Dadurch verfügen wir heute über kostbare journalistische Nachlässe wie den von Will Schaber, der mit dem Ehrendoktor der TU ausgezeichnet wurde, oder den von Benedikt Fred Dolbin, dem berühmten Pressezeichner der Weimarer Republik. Seit 1975 widmete sich Kurt Koszyk immer mehr dem Dortmunder Modellversuch des Studiengangs Journalistik, den die Landesregierung NRW unter dem Wissenschaftsminister Johannes Rau initiiert hatte, und 1977, also vor nunmehr 32 Jahren, verließ er nach 20-jähriger verdienstvoller Tätigkeit das Institut für Zeitungsforschung endgültig in Richtung Universität. An den Formen und Farben der Fotokopien und Mikrofilme, die Koszyk bergeweise in Vorbereitung seiner Veröffentlichungen aus den Archiven dieser Welt zusammengetragen hat und die wir als seinen Vorlass dankbar hüten, ist zu erkennen, dass schon eine ganze Zeit seitdem vergangen

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ist. Die Techniken des Vervielfältigens nennt man jetzt Scans, anstatt des Mikrofilms will man uns Digitalisate schmackhaft machen, ohne eine Garantie für deren Haltbarkeit übernehmen zu wollen wie beim Mikrofilm, der mittlerweile vollmundig mit einer Haltbarkeit von bis zu 500 Jahren beworben wird. Kurt Koszyk hat die Weichenstellung vorgenommen und wir stehen weiter in seiner Tradition, auch wenn der Zettelkatalog durch eine Datenbank ersetzt wurde. Gabriele Toepser-Ziegert Direktorin des Instituts für Zeitungsforschung

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Sein Gesicht verbindet man noch heute mit dem »Bericht aus Bonn« (hier in einer Sendung aus dem Jahr 1977): Friedrich Nowottny sagt, »die Pressefreiheit hat sich in der Bundesrepublik eindrucksvoll entwickelt«.

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Die Medien und die Republik – eine Erfolgsgeschichte? von Friedrich Nowottny Ich stamme aus dem journalistischen Bleizeitalter. Meine journalistische Ausbildung war hart, unterbezahlt, oft genug am Rande des Gefühls angesiedelt, dass man ziemlich ungeniert ausgebeutet wurde. Das machte aber kaum etwas. Ich war froh, nach Jahren der freien Mitarbeit im Lokalen eine Volontärstelle ergattert zu haben. Einer der Absagebriefe auf eine Bewerbung von mir lautete: Sorry, Sie sind der 486. Bewerber für die eine Stelle … Neben den Lizenzzeitungen, die mit der Kontrolle und Genehmigung der Siegermächte arbeiten konnten, tauchten auch bald wieder die Altverleger auf und druckten ihre Blätter, die oft bis in den Krieg hinein in Treue fest (zumeist jedenfalls) die Welt erklären, die Propaganda der Nazis verbreiten konnten. Sie hatten es zunächst nicht leicht gegen die Lizenzzeitungen. Es gab Ausnahmen. Aber: Im Laufe der Zeit mussten die Lizenzzeitungen, zumeist von Parteien betrieben, ihre Positionen neu bestimmen. Parteiorgan oder Bürgerzeitung – das wurde zur spannenden Frage. Vor allem in den Redaktionen. Da saßen sich die alten Parteizeitungsredakteure mit aus dem Krieg heimgekehrten, im Dritten Reich ausgebildeten »Schriftleitern«, Kriegsberichterstattern gegenüber. Da versuchten junge Redakteure, ihre Argumente einzubringen. Hitzige Auseinandersetzungen waren die Folge. Bei manchem Blatt, das sich einer Partei verbunden fühlte, gelang es, den Weg zur Unabhängigkeit, zu einem parteientfernten Standpunkt zu finden. Bei anderen klappe es damit nicht. Es war die Suche nach der Mitte. Heute gibt es nichts Vergleichbares, auch wenn ich nicht unterschätze, dass es innerhalb der Redaktionen oft genug um die Richtung des Blattes gehen kann.

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Damals wie heute hat Artikel 5 des Grundgesetzes seine verpflichtende Bedeutung. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

Und diese Zensur, die »Schere in den Köpfen«, darf nicht bei denen stattfinden, die Medien produzieren, Medieninhalte verantworten. Nun habe ich ja alle tiefgreifenden Entwicklungen der Medienlandschaft miterlebt. Die Angebote, unter denen man heute auswählen kann, sind größer als das Fassungsvermögen eines Einzelnen. Jetzt kommt es mehr als je zuvor darauf an, die Auswahl zu suchen und zu finden. Das ist leichter gesagt als getan. Was waren das für Zeiten, als man mit einer dünnen Zeitung, mit einer Radiowelle leben konnte, leben musste, wie mühsam entwickelte sich das Fernsehen. Als 1952 zu Weihnachten der TV-Betrieb begann, gab es 1 000 Geräte. Sie waren teuer und das Programm war von bedrückender Schlichtheit. Als die Fußball-WM 1954 Deutschland jubeln ließ – wir waren tatsächlich Weltmeister geworden – gab es 11 658 Fernsehgeräte in Deutschland. Heute sind es mindestens 40 Millionen mit einer erdrückenden Programmfülle, die über Kabel, Satellit oder immer noch terrestrisch ins Haus kommt. Wer sich jetzt noch mit den überwältigenden Angeboten (überwältigend was die Fülle angeht), wer sich also jetzt noch mit dem www, dem Internet beschäftigt, der muss Abstriche beim Konsum der klassischen Medien machen. Und an seiner Freizeit. Alle, die Zeitungen drucken, Zeitschriften, Radiosender oder das Fernsehen betreiben, fürchten die Folgen dieses Wettbewerbs und fürchten um ihre Zukunft. Zu Recht, wie ich finde. Hier stellen sich existentielle Fragen für Verleger, Veranstalter, für Journalisten. Wenn ich an die 60 Jahre Bundesrepublik zurückdenke, wenn ich die Rolle der sich wandelnden Medienwelt betrachte, dann muss ich feststellen, dass sich die Pressefreiheit, die Freiheit des gedruckten, des gesendeten Wortes, der Bilder dieser Welt sehr eindrucksvoll entwickelt hat. So, wie die Generationenwechsel in der Politik auffallende Veränderungen erkennbar werden ließen in Stil und Form der Auseinandersetzungen, so hat sich auch in den Medien – vor allem im kritischen Umgang mit der Politik – vieles verändert. Was natürlich nicht ausschließt, dass auch Liebedienerei vor den Mächtigen der Politik zur ärgerlichen Tatsache werden kann. Neben verlässlichen Informationen wuchs aber auch die Zahl flüchtig recherchierter

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Produktionen. Schnelligkeit vor belegbarer, stimmiger Information – das kann es nicht sein. Nun wurde ja im Laufe der Zeit oft genug darauf hingewiesen, dass die Medien die »vierte Gewalt« im Staate sind. Mir gefällt schon das Bild von der Gewalt nicht. Gewalt wem gegenüber? Und warum? Hat nicht der Staat das Gewaltmonopol? Nein, die Medien sind nicht die vierte Gewalt im Staate. Sie üben Einfluss auf das Geschehen in diesem Staat aus. Das ist keine Frage. Das taten sie von dem Zeitpunkt an, zu dem ihnen bewusst geworden war, dass sie mit ihren Nachrichten, Analysen, Kommentaren und Einordnungen Meinungen beeinflussen, möglicherweise politische Verhaltensweisen beeindrucken könnten. Die Bundesrepublik hat stürmische Jahre erlebt. Die Zeiten der gesellschaftlichen Emanzipation der sechziger, siebziger Jahre, die Zeit der Massenbewegungen gegen verkrustete Strukturen, die ständige Suche nach neuen Anfängen, neuen, gangbaren Wegen, die Aufdeckung von politischen Anmaßungen, Skandalen waren das Salz in der Suppe dieser deutschen Gesellschaft. Da haben die Medien oft Großes geleistet, stellten sich bewusst gegen die einflussreichen Akteure des politischen Lebens. Sie konnten nur bestehen, wenn das, was sie kritisch anprangerten, in der Nachprüfung Bestand hatte, wenn die Fakten unzweifelhaft waren, wenn sie gestimmt haben. Solide Recherche, verlässliche Glaubwürdigkeit, kritischer Abstand zu Akteuren und Ereignissen sind Voraussetzungen für journalistischen, publizistischen Erfolg. Hier ist der Beweis zu führen, dass Pressefreiheit nicht die Freiheit von 20 oder 200 Verlegern ist, wie am 1. Bundestag ein Abgeordneter (selbst Journalist) behauptet hatte. Dass die Freiheit der Journalisten natürlich auch von Verlegern, Herausgebern, Gremien beeinflusst werden kann, das weiß man. Je weniger dieser Einfluss geltend gemacht wird, desto mehr Freiräume für Journalisten gibt es. Dass die wirtschaftliche Situation der Verlage Druckpotential auch auf Journalisten erzeugt, sei hier erwähnt. Nun sollen wir nicht so tun, als wären die Medien trotz ihrer Beachtung in der Lage, Regierungsbildungen zu beeinflussen. Das regelt die Politik schon selbst. Festzustellen bleibt, dass kein Bundeskanzler der sechzigjährigen Geschichte der Bundesrepublik von den Medien aus dem Amtssessel gehoben wurde. Das besorgten die Parteien schon selbst oder eben die Wähler. Helmut Kohl war der erste Kanzler, den die Wähler abgewählt hatten. Das war 1998. Gerhard Schröder war schon der zweite – 2005. Schröders Vermutung, mit »Bild, BamS und Glotze« regieren zu können,

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war da schon nichts mehr wert. Er hatte sich geirrt, der Mann, der Medienkanzler sein wollte. Die gegenwärtige Bundeskanzlerin Angela Merkel käme wohl nie auf die Idee, sich selbst als Medienkanzlerin einzuordnen. Ihr Fleiß allerdings räumt ihr in den Medien einen ungewöhnlichen Stellenwert ein. Offenbar tragen die auf roten Teppichen zurückgelegten Kilometer mehr zur öffentlichen Wertschätzung bei als vermutet. »Die Medien und die Republik – eine Erfolgsgeschichte?« – so der Titel des Veranstalters für meine Anmerkungen. Es ist an der Zeit, darüber nachzudenken, ob man das Fragezeichen hinter dem Titel streichen kann oder nicht. Ich streiche dieses Fragezeichen einfach. Ja, die Medien in der Bundesrepublik sind eine Erfolgsgeschichte. Und an dieser Erfolgsgeschichte arbeiten täglich, rund um die Uhr, tausende Frauen und Männer. Sie tun es unter sich ständig ändernden Bedingungen, mit andauernd sich wandelnden Techniken, Plattformen. Noch nie war ihre Flexibilität so gefordert wie heute. Die Weltwirtschaftskrise ist auch für die Medien zu krisenhafter Entwicklung geworden. Verleger müssen nach vielen fetten Jahren mit schlechteren Renditen auskommen. Nicht jedes ihrer Rezepte ist dazu angetan, bei denen, die Zeitungen machen, jenes Maß an innerer Sicherheit zu stabilisieren, das für die engagierte Ausübung des journalistischen Berufs Voraussetzung ist. Wir stehen wieder an einer Wegmarke der Medienentwicklung. Heißt die Devise tatsächlich »Diversifiziere oder gehe unter«? Die Auseinandersetzung darüber findet täglich in den Redaktionen, in den Verlagshäusern statt. Es gibt keine verbindliche schnelle Antwort. Hier ist Augenmaß gefordert und nicht das hektische Hinterherlaufen hinter neuen, möglicherweise ertragreich erscheinenden Entwicklungen. Auch die Investitionen im Internet müssen sich rechnen. Ich hoffe, dass sich dabei niemand verrechnet. Die Zahl der Zeitungsinternetanbieter, die sich ihre Angebote bezahlen lassen, ist überschaubar. Erst dann, wenn unterm Strich erkennbar ist, wer für das, was aus dem www geholt wird, seinen Obolus zu entrichten bereit ist, finden die Entscheidungen statt, von denen mancher Verleger glaubt, dass sie schon stattgefunden haben. Darüber wird man in fünf, zehn Jahren entscheiden können. Und man wird dann auch befinden können, ob all das Erfolgsgeschichten sind oder Fehleinschätzungen waren. Für die fälligen Entscheidungen wünsche ich allen Beteiligten eine ruhige Hand, einen kühlen Kopf.

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Einer der ersten »Rowohlts-Rotations-Romane«: »Die Kraft und die Herrlichkeit« von Graham Greene. 1949 war große Literatur direkt neben Zeitungen und Zeitschriften am Kiosk erhältlich.

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Erinnerungen an Rotationsromane von Edzard Obendiek Vor 60 Jahren: 1949. Der Nazispuk ist vorbei. Ich bin 21. Zwar bin ich durch das (evangelische) Elternhaus dem Moloch weitgehend vorenthalten worden. Aber auch wir waren, wie alle, nicht nur meine Generation, hinter der kulturellen »Kontinentalsperre« hungrig, neugierig, begierig nach Nachrichten aus dem geheimnisvoll lockenden Eldorado: dem Ausland! Das gefährliche, riskante Abhören des »Hier ist England, hier ist England«, die Faszination der Flugblätter der Royal Air Force, die wir Kinder auf den Feldern bei Lengerich (neben Kartoffelkäfern) aufsammeln und (ungelesen!) bei der Partei abgeben mussten. (»Sieh mal, dies Papier kommt aus dem Ausland!«), das war vorbei. Die Schleusen hatten sich geöffnet. Mochten die Alten ihr Heil bei den Restbeständen der deutschen Kultur, von Goethe bis Stefan George (Ernst Wiechert, Werner Bergengruen und Gertrud von Le Fort) suchen, wir stürzten uns auf die vorenthaltenen Texte des Auslands, der Zivilisation! Hoch-Zeit für Übersetzer. Aber es fehlt materiell an allem. Da erscheinen an den Kiosken, von Zeitungen kaum zu unterscheiden, komplette Romane. Einige von verfemten »entarteten« deutschen Autoren, aber die weitaus meisten von »draußen«, aus dem umliegenden Ausland. Sie sind unhandlich, gross im Format, klein im Druck – Papier ist knapp und schlecht, es vergilbt und bröselt schnell. Sie nennen sich »Ro(wohlts)-Ro(tations)Ro(mane)«, erscheinen, eifrig erwartet, in schneller Folge. Im Nachwort eines Exemplars von 1949 wendet sich der Verlag an den Leser: Wir begannen dieses ungewöhnliche Unternehmen, weil wir in der bisher üblichen Buchproduktion keine Möglichkeit sahen, den ungeheuren Lesehunger der Nachkriegsjahre zu befriedigen. Deshalb druckten wir auf Zeitungspapier, von vornherein keine Qualität vortäuschend, die nicht

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vorhanden war, wählten ein Format, das uns den rationellsten Rotationsdruck erlaubt und dadurch bei einer Auflage von 100 000 Stück einen Preis von 50 Pfennig für das einfache Heft ermöglicht. Inzwischen hat die Währungsreform unserem Gelde einen neuen Wert gegeben. Aber schon der erste Rororo, den wir nach der Reform herausbrachten, war sofort vergriffen. Das gab uns die Bestätigung dafür, dass der Hunger nach dem billigen guten Buch noch längst nicht gestillt ist. […] Wir wollen in möglichst schneller Folge noch mehr Rororos herausbringen als früher […].1

Das war enormes geistiges Futter! Zu entdecken waren Autoren wie William Faulkner, Thomas Wolfe, André Gide, Michael Sostschenko, John Steinbeck, Tania Blixen, Francis Scott Fitzgerald, Jean Cocteau, Ivan Bunin, Anais Nin, Truman Capote, Antoine de St. Exupery, Henry Miller, Maxim Gorki, Jean Giono, Valentin Katejew, Ignazio Silone, Vercors, Ernest Hemingway, Jean Paul Sarte … Für meine Generation eine neue Welt, nicht mehr die der reanimierten präfaschistischen deutschen – wie wir meinten – Marmor- oder Gipsbüstenklassiker. Das waren literarische Texte, die – wie ihre Erscheinungsform – uns so wahr, so lebensnah vorkamen. Dichtung als handgreifliche »Verdichtung« des journalistischen Diskurses. Ich habe hier sowohl die Zeitungs- wie die Buchausgabe eines dieser Rotations-Romane, »Die Kraft und die Herrlichkeit«. Der Autor ist in der Tat ein Journalist: Graham Greene. Der Großneffe von Robert Louis Stevenson arbeitete von 1934 bis 1939 für die Times, 1936 war er deren Vizedirektor. Er schrieb für den Spectator und The New Statesman and Nation. Das Werk hat nicht nur mich damals sehr beeindruckt. Es war in aller Munde. Das war geistiges Futter für die Epoche. Kurz der Inhalt: Mexiko, ein postrevolutionäres Regime, repressiv (u. a. Alkoholverbot), aber vor allem militant atheistisch. Kirchen sind zerstört, die Kleriker sind vertrieben oder haben ihr Amt verraten. Ziel- und willenlos irrt durch einen besonders repressiven Bundesstaat ein letzter Priester, Säufer (»Schnapspriester«) und Vater einer Tochter. Während der Irrfahrt gibt er der religiösen Sehnsucht der Menschen nach, liest heimlich die Messe. Ein Kopfgeldjäger hängt sich an seine Fersen. Endlich in einen toleranteren Nachbarstaat entkommen, lockt ihn sein Judas zurück in die Gefahr: Ein Sterbender verlange die letzte Ölung. Der 1 Nach einiger Zeit, als die materielle Versorgung sich gebessert hatte, ist Rowohlt dann zur Produktion kleiner bescheidener Buchreihen übergegangen. Der Name wurde beibehalten.

Angelsächsische Vorbilder

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Schnapspriester geht bewusst in die Falle, wird gefasst und erschossen. Der Leser nimmt teil an den Skrupeln und Gewissensqualen des Protagonisten; mit dem Verfolger gibt es einen Austausch über letzte Dinge … Das Großthema und die Botschaft sind klar: Obwohl die Welt und die Menschen abgrundtief schlecht, verloren und ohne Orientierung sind, gibt es einen himmlischen Bezugspunkt, der in der Kirche und ihren Sakramenten realisiert ist. Deren Wirkmächtigkeit ist nicht aufgehoben, wenn ihre Träger ihrer nicht würdig sind! Der Schnapspriester bleibt im Gnadenstand. Ja, je schwächer ihr Repräsentant ist, desto klarer leuchtet das Absolute. (Das hat etwas von dostojewskischer Versicherung der Transzendenz oder der lutherischen Abkoppelung von Moral und Gnade.) Und das war nach 1945, nach dem moralischen GAU ein Pflaster für die metaphysische Großwunde. Ausblick: Dass ich Greene, den Konvertiten, heranziehe, ist Zufall. Ich hatte noch ein Exemplar seines Romans. Leider konnte ich kein Dokument einer ganz anderen Position beschaffen. Denn dass dies nur eine Antwort auf die soeben erlebten Katastrophen sein konnte, ist offensichtlich. Greenes Roman von 1940 könnte ja ohne Umstände als Franco-Propaganda gelesen werden (zumal Klima und Sprache der Erzählung als Muster eher den spanischen Bürgerkrieg als die Nazi- und Stalingräuel nahelegen). Ein Blick auf die anderen rororo-Autoren macht schnell deutlich, dass Gegenpositionen, ganz andere Antworten auf die Großsituation, ebenso vertreten waren. Man könnte sagen, dass das moralisch-politische Panorama sich zwischen dem katholischen Engländer und Autoren wie Hemingway, Orwell u. a. erstreckte. Gerade mit dem in der rororo-Leserschaft überaus populären Hemingway hielt der Verlag die extrem andere Antwort parat: Es gibt nach den Katastrophen nur das Leben, und die Essenz des Lebens ist der (mutige) Augenblick! Greene hatte seine Leserschaft (in meinem Taschenbuch (1953) werden sechs seiner Titel genannt), aber Hemingway schien/war »zukunftsfähiger« als er. Die »skeptische Generation« rückte nach. Die Lebenssicht des Amerikaners wurde dann von Sartre auf die Ebene des philosophischen Diskurses transponiert. Und der war auch ein rororo-Autor. Schlussbemerkung: Noch einmal zum Stichwort »Geschwisterschaft von Literatur und Journalistik«. Für die deutschen Bürger waren lange die Medien und die Presse als Orte des dichterischen Broterwerbs fast unstandesgemäß. Unterschwellig herrschte der Verdacht »Literatur ist Kultur, Journale sind Zivilisation!« Aber wir haben gelernt. Noch einmal: Die traute Zweisamkeit des Romans und der Zeitung auf der Rotationsmaschine ist ein treffendes

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Symbol dafür, dass die Literatur nicht nur im geschlossenen Garten der Poesie, im Dichterhain, in der Einsamkeit des Genies, im stillen Kämmerlein entsteht, sondern sich sehr wohl auch dem Handgemenge journalistischer Weltarbeit verdanken kann. Das wurde uns damals demonstriert. Unser eigener verbannter, verpönter Heine war ja immer noch zu entdecken!

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Die Titelseite der ersten Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Sie hatte eine Auflage von 9 000 Exemplaren, war 16 Seiten dick und kostete 20 Pfennig.

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Erinnerungen an die erste Ausgabe einer Zeitung für Deutschland von Werner D’Inka Der 1. November 1949 war in Frankfurt am Main ein nasskalter Herbsttag. Entlang der Einkaufsstraße Zeil lagen viele Häuser noch in Trümmern. Zeitzeugen erinnern sich, dass um die Mittagszeit plötzlich Pauken und Trompeten erklangen. In Richtung Rathenauplatz bewegte sich ein Umzug, voran ein geschmücktes Pferdegespann, dahinter Maulesel und ein Kamel. Auf einem Transparent stand: »Frankfurt hat eine neue Zeitung«. Und aus einem Lautsprecher tönte es: »Abonniert die Frankfurter Allgemeine Zeitung.« Mädchen in blauen Röcken verteilten die erste Ausgabe des neuen Blattes. Es hatte 16 Seiten, kostete 20 Pfennig und kam in einer Auflage von 9 000 Exemplaren heraus. Und wer glaubt, Berichterstattung über Prêt-à-Porter-Mode in der F.A.Z. sei ein Zugeständnis an den Zeitgeist unserer Tage, stellt bei Lektüre der ersten Ausgabe verblüfft fest, dass es eine Rubrik »Blick in die Konfektionshäuser« gab – 1949. Wie war es zu der Zeitungsgründung gekommen? Im Rückblick treten zwei Haupt-Entwicklungslinien zutage. Im Frühsommer 1947 hatte sich ein Kreis wirtschaftspolitisch Interessierter zusammengefunden. Ihnen schwebte eine ganz bestimmte Wirtschaftsform vor: frei sollte sie sein, sozial verpflichtet und verantwortlich handelnd. Zu den Hauptinitiatoren zählten der parteilose erste hessische Wirtschaftsminister Rudolf Mueller und der aus der Emigration zurückgekehrte Otto Klepper, der letzte preußische Finanzminister. Beide wurden Vorsitzende der am 1. November 1947 gegründeten »Wirtschaftspolitischen Gesellschaft«, kurz »Wipog«, die heute noch besteht. Im vorläufigen Vorstand saß übrigens auch Ludwig Erhard. Weil es ihr auch um eine systematische Pflege der öffentlichen Meinung im Sinne ihres Wirtschafts- und Gesellschaftsbildes ging, beschloss die Wipog im Frühjahr 1949, eine Tageszeitung zu gründen und das dafür

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nötige Geld einzuwerben. Zu dem Förderkreis zählten im Oktober jenes Jahres 21 Unternehmen, die Anteile erwarben. Die Wipog wurde alleinige Gesellschafterin des Verlags F.A.Z. GmbH, Otto Klepper dessen Geschäftsführer. Ein Kollegium von Herausgebern sollte die neue Zeitung redaktionell leiten. Denn unterdessen – und das verweist auf die zweite Entwicklungslinie – hatte sich eine Gruppe ehemaliger Redakteure der 1943 von den Nazis verbotenen Frankfurter Zeitung in Mainz zusammengefunden. Bei der von den Franzosen lizenzierten Allgemeinen Zeitung schmiedeten sie ihrerseits Pläne für ein überregionales Blatt. So kam eins zum anderen, und am 1. November 1949 ging aus der »Hauptausgabe« der Mainzer AZ die Frankfurter Allgemeine Zeitung hervor. In Mainz war schon vor der Währungsreform eine überregionale DeutschlandAusgabe der Allgemeinen Zeitung herausgegeben worden. Aus den Lesern dieser Ausgabe erwuchs nach und nach der Abonnentenstamm der F.A.Z. Sie teilte ihren Lesern mit, obschon einige ihrer Mitarbeiter früher der Frankfurter Zeitung angehört hätten, wolle die F.A.Z. nicht als deren Nachfolgerin gelten, denn »der Respekt vor einer hervorragenden Leistung bedeutet noch nicht den Wunsch, sie zu kopieren«. An dieser Stelle findet sich auch ein deutliches Wort der Kritik an den Alliierten: »Daß die Besatzungsmächte (das) Wiedererscheinen (der Frankfurter Zeitung) sofort nach dem Waffenstillstand nicht gestatteten, wird immer ein Kennzeichen für ihre Unkenntnis der deutschen Verhältnisse bleiben.« In der Tat hatte es nicht an Fürsprechern der Idee gefehlt, nach 1945 die Frankfurter Zeitung wiedererstehen zu lassen: zum Beispiel Wilhelm Hollbach, ehemals Redakteur der Frankfurter Zeitung, den ein amerikanischer Offizier im März 1945 zum Frankfurter »acting burgomaster« ernannt hatte. Als Hollbach Ende Mai erfuhr, dass die Amerikaner Zeitungen unter deutscher Leitung zuzulassen gedachten, bat er den im Schwarzwald lebenden Benno Reifenberg, nach Frankfurt zu kommen. Reifenberg, ehedem Feuilletonchef der Frankfurter Zeitung, kam, aber aus der Sache wurde nichts. Für Reifenberg kam nach der Erfahrung der Nazizeit nur eine Zeitung in Betracht, die wirklich unabhängig arbeiten konnte. Eine noch so »wohlwollende« Kontrolle durch eine Besatzungsmacht war für ihn undenkbar. Auch bei einem zweiten Anlauf im Frühjahr 1946 ließ sich Reifenberg nicht beirren: Eine neue Frankfurter Zeitung dürfe nicht unter Vorzensur stehen, sie müsse Auslandskorrespondenten haben, und es müsse ihr die

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Verbreitung in ganz Deutschland möglich sein. Wenigstens die dritte Bedingung konnten die Amerikaner nicht erfüllen, selbst wenn sie es gewollt hätten, denn dem hätten alle Alliierten zustimmen müssen. War Reifenberg zu halsstarrig? In Sachen Zensur ging es ihm ums Prinzip, und er wollte auch kein Blatt von nur regionaler Bedeutung. So kam es, dass die Amerikaner 1946 die Frankfurter Neue Presse ins Leben riefen, gewissermaßen als Gegenpol zur 1945 lizenzierten Frankfurter Rundschau. Weil sie keine Reserven hatte, stand die Frankfurter Allgemeine Zeitung in den ersten drei Jahren nach ihrer Gründung wirtschaftlich auf der Kippe, aber schon 1953 überstieg die verkaufte Auflage die Schwelle von 100 000 Exemplaren. Nach der finanziellen Konsolidierung des Verlages beschlossen die ursprünglichen Geldgeber, sich von ihren Anteilen zu trennen. So wurde im Jahre 1959 die »Fazit-Stiftung Gemeinnützige Verlagsgesellschaft mbH« gegründet. Sie ist bis heute die ausschlaggebende Gesellschafterin der F.A.Z. GmbH. Der gemeinnützige Charakter der Fazit-Stiftung ist unwiderruflich. Die jeweiligen Herausgeber halten treuhänderisch Anteile an der GmbH, die ihnen die Teilnahme an der Gesellschafterversammlung und deren Entscheidungen ermöglichen, die jedoch von der Gewinnausschüttung ausgeschlossen sind und die nach ihrem Ausscheiden zurückgegeben werden müssen. Den Herausgebern ist es anvertraut, die geistige, politische und wirtschaftliche Haltung des Blattes zu bestimmen. Die Unabhängigkeit der Zeitung beruht maßgeblich auf der Selbständigkeit der Fazit-Stiftung und des Herausgebergremiums. Sie wird sichergestellt durch das Kooptationsprinzip: Scheidet ein Kurator der Stiftung oder ein Herausgeber aus, bestimmen die jeweils Verbliebenen den Nachfolger. So ist heute die Frankfurter Allgemeine Zeitung mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und dem Online-Dienst faz.net – neben der taz – die einzige konzernunabhängige überregionale deutsche Tageszeitung.

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Erinnerungen an Rudolf Alexander Schröder und Seminare mit Koszyk von Klaus Goebel Im August 2009 stellte ich in der FAZ einen Teilnachlass von Rudolf Alexander Schröder vor. Die Hinterlassenschaften waren buchstäblich ein Dachbodenfund im einstigen Wohnhaus in Oberbayern, in dem der Dichter bis zu seinem Tode 1962 gelebt hatte: Handschriften und Bilder aus mehr als einem halben Jahrhundert. Aus Kästen, Kartons und Paketen schälten sich ebenso eigene Gedichtmanuskripte Schröders und deren Vertonungen heraus wie mehrere tausend Briefe von Theodor W. Adorno bis Peter Suhrkamp, zahllose Postkarten, darunter vergessene Ansichtskarten von Walther Rathenau und Kartengrüße des engen Freundes Hofmannsthal. Ich beschrieb Schröder als einen heute weitgehend Unbekannten, unserm Gedächtnis Entglittenen, den man in den Nachkriegsjahren als einen großen alten Mann der deutschen Literatur gefeiert hatte. Wer mochte sich noch erinnern, dass Schröder bei der Gründung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ihr Ehrenpräsident wurde? Dass er mit Reinhold Schneider die Literatur in der 1952 wiederbegründeten Friedensklasse des Ordens Pour le mérite repräsentierte, bevor Hermann Hesse und Thomas Mann hinzugewählt wurden? Der von Theodor Heuss beauftragt worden war, eine neue deutsche Hymne zu verfassen, weil der Bundespräsident die alte Nationalhymne durch ihren Missbrauch bei den Nazis für diskreditiert hielt? Damit bin ich beim Thema. In einem meiner historischen Seminare stellte Kurt Koszyk sein Buch über Gustav Stresemann vor, den Kanzler und Außenminister der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Das Buch war gerade erschienen und fand bei den Seminarteilnehmern Resonanz, Rückfragen, Käufer und einen Rezensenten. Koszyks politische Biographie war

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ein großer Wurf. Ein wichtiger Politiker der Weimarer Republik, vielleicht ihr wichtigster überhaupt, hatte 1989 anlässlich seines 60. Todestages eine adäquate Würdigung erfahren. Ein historisches Thema war in der Gegenwart angekommen. Seminare, die mehrere Kollegen aus unterschiedlichen Fächern anbieten, sind in Dortmund, aber auch allgemein an den Universitäten die Ausnahme. In dem von Kurt Koszyk und mir im Wintersemester 1985/86 durchgeführten Seminar »Geschichte in den Medien« für Studierende der Fächer Journalistik und Geschichte waren Erhard Klöss, Guido Knopp, Walter Först und Johannes Gloeckner Gäste, wenn meine Unterlagen vollständig sind und ich mich richtig erinnere. Die Autoren stellten Geschichtssendungen und historische Publizistik vor, um zu zeigen, wie Geschichte in den Medien dargestellt wird. Die Kritik vor allem an Knopps Art des Zugriffs auf die Geschichte ist bekannt und wurde auch im Seminar zunftgemäß geübt, ohne dass das hier näher entfaltet werden kann. Das Resultat unseres Seminars aber führte, alles in allem, zu einem eher positiven Urteil. Journalisten wie Först, Gloeckner, Klöss und Knopp haben für die historische Bewusstseinsbildung nicht weniger getan als der methodisch geübte Lehrer, der Tag für Tag Geschichte vermittelt. Wir haben auch festgestellt, dass außerhalb spezieller historischer Thematik Geschichte auf jeder Zeitungsseite und an jedem Fernsehabend vorhanden ist. Ist es Wunschvorstellung, die »Welt als Geschichte« zu sehen, wie einmal eine Fachzeitschrift hieß? Unsere Seminare haben Journalisten und Historiker zueinander gebracht. Aber kaum ein Journalist, der im Studium den Schwerpunkt Geschichte besetzt, wird später ein solches Ressort vorfinden. Anders der Pädagoge, der Geschichte studiert hat. Er wird auch Geschichtslehrer. Was also soll die Erwartung: Jeder Journalist ein Historiker? Unter den Zwängen alltäglicher Erfahrung erkennt der Journalist, dass er laufend historisch um Auskunft und Urteil ersucht wird und darauf vorbereitet sein muss. Das Seminar Goebel/Koszyk läuft unter veränderten Umständen darum immer wieder neu ab. Ein Student im Seminar ahnte es, als er fragend konstatierte: Übt nicht der Journalist ein Handwerk des Historikers aus, nach quellenkritischer Methode zu sammeln, auszuwählen, zu berichten, zu erzählen, zu analysieren und zu urteilen? Der eingangs genannte FAZ-Artikel über Rudolf Alexander Schröder endet mit der Entdeckung der in Vergessenheit geratenen Totenmaske. Sie kam mit mehreren weiteren Gipsabgüssen in einer Holzkiste zum Vorschein.

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Dem Dichter war sie unmittelbar nach seinem am 22. August 1962 in der Klinik Bad Wiessee erfolgten Tod abgenommen worden. In der Familie erinnert man sich noch heute, damals nicht besonders davon angetan gewesen zu sein. Schröders Erscheinung habe nach der schweren Krankheit eher dem Alten Fritz als dem Bild geglichen, das man lebenslang von ihm gehabt hatte. Schröder selbst hatte mehr als einmal seine »barocken Rundungen« ironisiert. So verschwand die Totenmaske und mit ihr auch der Abguss der feingliedrigen Hand. Die Funde vom Dachboden, unter denen sich auch Tondokumente befanden, sind inzwischen ins Deutsche Literaturarchiv Marbach am Neckar gelangt. Manches bisher Unbekannte gilt es dort zu untersuchen. Allein die Vertonungen von Schröders Gedichten und Korrespondenzen mit den Komponisten eröffnen der Forschung ein neues Feld, nicht weniger seine eigenen kompositorischen Bemühungen. Eine kleine Überraschung enthielt für mich das Blatt, auf dem Schröder der im Herbst 1950 abgeschlossenen letzten Textfassung seiner Nationalhymne eine eigene Melodie hinzugefügt hat. Sie war bisher nicht bekannt. Umfragen und Erfahrungen zufolge gibt es bei nahezu allen Menschen Bedarf an Geschichte, das Bedürfnis, historisch informiert zu werden. Wie Journalisten dem gerecht werden, fragten Koszyk und Goebel vor 25 Jahren. Die Frage bleibt.

Literatur: Kurt Koszyk (1989): Gustav Stresemann. Der kaisertreue Demokrat. Eine Biographie. Köln Klaus Goebel: »Neugierig, was ich am Schluß gedichtet haben werde«. Der Streit um die deutsche Nationalhymne 1950–1952. In: Erik Gieseking u. a. (Hg.): Zum Ideologieproblem in der Geschichte. Herbert Hömig zum 65. Geburtstag. Lauf a. d. Pegnitz 2006, S. 119–137 ders: Schröders Schatzkammer. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. August 2009, Nr. 182, Beilage Bilder und Zeiten, S. Z 4 Zu nebenstehendem Text: Entwurf einer Nationalhymne von Rudolf Alexander Schröder, an dessen Formulierungen Theodor Heuss und seine Frau Elly Heuss-Knapp mitgewirkt haben; zitiert aus der Neujahrsansprache von Bundespräsident Theodor Heuss am 31.12.1950, abrufbar auf der Internetseite »Lebendiges Museum Online«, ein Gemeinschaftsprojekt der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (HdG) in Bonn und des Deutschen Historischen Museums (DHM) in Berlin (http://www.hdg.de/lemo/html/dokumente/JahreDesAufbausInOstUndWest_redeSylvesteranspracheHeuss1950/index.html; 23. Aug. 2010).

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Nationalhymne Land des Glaubens, deutsches Land, Land der Väter und der Erben, Uns im Leben und im Sterben Haus und Herberg‘, Trost und Pfand, Sei den Toten zum Gedächtnis, Den Lebend‘gen zum Vermächtnis, Freudig vor der Welt bekannt, Land des Glaubens, deutsches Land! Land der Hoffnung, Heimatland, Ob die Wetter, ob die Wogen Über dich hinweggezogen, Ob die Feuer dich verbrannt, Du hast Hände, die da bauen, Du hast Herzen, die vertrauen, Lieb‘ und Treue halten stand, Land der Hoffnung, Heimatland! Land der Liebe, Vaterland, Heil‘ger Grund, auf den sich gründet, Was in Lieb‘ und Leid verbündet Herz mit Herzen, Hand mit Hand. Frei, wie wir dir angehören Und uns dir zu eigen schwören, Schling‘ um uns dein Friedensband, Land der Liebe, Vaterland! Rudolf Alexander Schröder

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Im Pinguin, der Zeitschrift »für junge Leute«, offenbarte Erich Kästner seine Grundgedanken zur journalistischen Selbstverpflichtung. Doch bis heute wird seine Jugendzeitschrift publizistisch unterschätzt.

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Erinnerungen an den Redakteur Erich Kästner von Inge Schleier 1929 erlebte Erich Kästner (Jahrgang 1899) seinen Durchbruch als Lyriker der Neuen Sachlichkeit in der Weltbühne und als Kinder- und Jugendbuchautor mit »Emil und die Detektive«, der, wie es Andreas Steinhöfel 1999 in einer Festrede zum 100. Geburtstag Kästners ausgedrückt hat, Millionen Kindern auf der Welt eine Stimme gegeben hat. Die Jahre 1927 bis zur Bücherverbrennung und zum Publikationsverbot 1933, dem das komplette Schreibverbot folgte, werden als Kästners »goldene Jahre« bezeichnet – also sechs bis sieben Jahre, in denen er die Fundamente für sein gesamtes publizistisches, schriftstellerisches und philologisches Werk geschaffen hat. Hinter ihm lagen Kindheit und Jugend unter sozial bedrückendsten Bedingungen, die er aber mit dem Kriegsabitur überwinden konnte, das ihm das Goldene Stipendium der Stadt Dresden und damit 1919 den Weg ins Hochschulstudium (Germanistik, Geschichte, Philosophie und Theatergeschichte) in Leipzig erschloss, das er 1925 mit der Promotion abschloss. In seinen autobiografischen Schriften betont Kästner immer wieder, dass er von Kind an ein besessener Leser gewesen sei. In gleicher Weise war er schon als Schüler ein besessener Schreiber für Schüler- und Studentenzeitungen. Noch während des Studiums erhielt er eine Anstellung in der Redaktion der Neuen Leipziger Zeitung, die er aber bald wieder aufgeben musste, weil einige seiner Gedichte, so z. B. der »Nachtgesang des Kammervirtuosen« für die Herausgeber nicht tragbar waren. Damit war für ihn die erste existenzielle Absicherung schon nach kurzer Zeit futsch, aber der Weg nach Berlin frei, wo er, von Tucholsky quasi entdeckt, Anschluss an das Team der Weltbühne fand. Nach den bitteren Jahren der inneren Emigration erlebt er das Kriegsende mit einem UFA-Team in Mayrhofen im Zillertal, wo ihn schon bald

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eine Abordnung amerikanischer Kulturkommissare aufsuchte, um ihn für die Gründung eines Kabaretts (»Die Schaubude«) und für die Mitarbeit am Aufbau der Neuen Zeitung in München zu gewinnen, deren Feuilleton er von 1945 bis 1947 leitete. 1946 etablierte er die Jugendzeitschrift Pinguin, deren Herausgeber er bis zum Sommer 1948 war, um sich danach aus dem journalistischen Tagesgeschehen zurückzuziehen – zu Gunsten seiner PEN-Aktivitäten, zunächst als Geschäftsführer und von 1951 bis 1962 als Präsident des PEN-Zentrums der Bundesrepublik. Kästner wurde immer wieder angekreidet, dass von ihm nach 1945 ja eigentlich nichts Nennenswertes mehr gekommen sei. Öffentlichkeit und Leserschaft hatten offenbar darauf gewartet, dass er die »Parole Emil« wiederbeleben würde, was für ihn nach der inneren Emigration unmöglich geworden war. Sein publizistisches Engagement für Die Neue Zeitung und Pinguin ging wie vieles im Meer des allgemeinen Verdrängens der Nachkriegsjahre unter. Kästners Konzept für die Feuilletongestaltung der Neuen Zeitung auszumachen, ist nicht ganz einfach. Im Impressum erscheinen nur die amerikanischen Herausgeber, und er selbst hat sich mit eigenen Beiträgen außerordentlich zurückgehalten. So viel kann man aber wohl sagen: Er sucht – und das ist nun ganz typisch für ihn – einen Mittelweg zwischen den Erwartungen der amerikanischen Kommissare im Sinne des Re-educationProgramms, der Wiederbelebung des literarischen Lebens mit verbotenen Lektüren der Nazizeit und der Begründung eines neuen freien literarischen Lebens der Bundesrepublik. Wenn man die Grundlagen dieses Konzepts genauer bestimmen will, muss man Pinguin – 32 Seiten gesunder Menschenverstand für junge Leute lesen. Als Herausgeber hatte Kästner trotz amerikanischen Impressums entschieden mehr Freiheiten und Spielräume, die er auch zu nutzen wusste. Das hätten auch die Herausgeber der aktuellen Werkausgabe von 1998 tun sollen. Aber Pinguin wurde als journalistisches Organ, eben eine Jugendzeitschrift, offensichtlich nicht ernst genommen. Während Kästners Beiträge für Die Neue Zeitung in der Werkausgabe durchaus repräsentativ vertreten sind, erscheint dort kein einziger Artikel aus dem Pinguin. Hier wartet noch eine echte Trouvaille für die journalistische Geschichtsschreibung. Im Pinguin offenbart Kästner seine konzeptuellen Grundgedanken quasi als journalistische Selbstverpflichtung. Im Artikel »Die chinesische Mauer« (Heft 2, 1. Jg., also 1946) stellt er in einem fiktiven Dialog seine Aufgabe als Journalist und Publizist so dar:

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Heutzutage ist viel von zwei Generationen die Rede, die einander nicht verstünden: von der jungen Generation, das heißt von allen Deutschen bis etwa zum dreißigsten Lebensjahr, sowie von der älteren Generation, das wären dann all jene, welche die Zeit vor 1933 in einem bereits urteilsfähigen Alter erlebt haben. Dieser Trennungsstrich ist ohne Frage von entscheidender Bedeutung. Und die Mißverständnisse wie die Verständnislosigkeit zwischen beiden Generationen scheinen, obwohl sie nur selten auf bösem Willen beruhen, mitunter so unüberwindlich, daß man sich versucht fühlt, den Trennungsstrich für eine Chinesische Mauer zu halten. Man hört, daß auf der anderen Seite gerufen wird. Aber man kann »die andere Seite« nicht verstehen. Es ließe sich auch so ausdrücken, wie das vorgestern mein Freund Ferdinand tat, als er sagte: »Bei den Tieren im Zoo muß es ähnlich sein … Ich meine, wenn die einen von der Wüste und der Fata Morgana, von Palmenhainen, von Antilopenherden und von den mondbeglänzten Tränken am Fluß erzählen. Und wenn die Jüngeren, die im Käfig zur Welt gekommen sind, verwundert zuhören … Sie kriegen, seit sie denken können, das Pferdefleisch an Spießen durchs Gitter gesteckt, das Trinkwasser schaukelt schal in den Kübeln, und ihre Freiheit ist vom ersten Tage an sechs Meter lang und zehn Meter breit … Wie können sie begreifen, was ihnen die anderen Zebras, Giraffen und Pumas über die Welt jenseits der Gitterstäbe erzählen? An welchen Erfahrungen sollte denn ihre Phantasie anknüpfen?« »Dein Vergleich hinkt, lieber Ferdinand.« »Nein! Das Dritte Reich war ein Käfig. Die im Käfig Geborenen können sich nicht vorstellen, wie es vorher zuging. Da hilft kein Erzählen!« »Dein Vergleich hinkt«, wiederholte ich hartnäckig. »Erstens kenne ich junge Leute, mit denen wir uns ohne die geringste Schwierigkeit verständigen können. Das sind jene, gerade jene, denen die Eltern und andere ältere Freunde von früheren Zeiten erzählt haben, denen man Bücher von einst in die Hand gedrückt und die man im Hinblick auf vorübergehend verbotene Tugenden und Werte zu erziehen versucht hat. Dein Vergleich hinkt aber auch auf dem zweiten Fuße. Denn es gab zahllose andere Eltern, die ihren Kindern, im Gegensatz zu deinen Tieren im Zoo, von der Welt außerhalb des Käfigs überhaupt kein Wort gesagt haben! Manche dieser Eltern liebten die Käfige, weil sie vom Staat als Wärter angestellt waren. Andere hatten Angst, von der verbotenen Freiheit zu berichten. Wieder andere wollten die Kinder vielleicht nicht in Gewissenskonflikte bringen. Denn einem blutjungen Menschen, den die Diktatur mit Hilfe ihrer Staatsmaschine zum

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Dutzendwerkzeug stanzt und nietet, von den Wundern und Gefahren der menschlichen Freiheit zu erzählen, bedeutete in hohem Maße Verantwortung auf sich zu laden.« »Ich werde mich mit dir nicht streiten«, erklärte Ferdinand achselzuckend. »Gut, es gibt junge Leute, die uns und die wir verstehen. Aber was machen wir mit denen hinter der Chinesischen Mauer? Mit denen, deren Eltern zuließen oder es sogar für richtig hielten, daß ihre Kinder zu Staatswerkzeugen umgebaut wurden? Zu kleinen tyrannisierten Tyrannen? Zu Fließbandwesen mit genormter Meinung?« »Das weiß ich nicht, Ferdinand», sagte ich. »Ich weiß nur, daß wir das menschenmögliche versuchen müssen. Wir wäre es zum Beispiel, wenn wir ihnen einmal von unserer Jugend erzählten? Denn es geht ja nicht nur darum, daß wir sie, sondern genau so darum, daß sie uns begreifen! Manchmal habe ich das komische Gefühl, als wüßten sie von uns so wenig wie ich von der Integralrechnung! Als vermuteten sie dunkel, wir wären, als kleine Kinder, von früh bis spät mit Schlagsahne gefüttert worden, und als hätten wir nur Prügel bekommen, wenn wir die Schlagsahne nicht hätten aufessen wollen.«

Im selben Heft benennt Kästner auch in der Rubrik »Pinguins Tribüne: Stimmen unserer Zeit« den Leserkreis, für den er geschrieben hat: Berufsschulen, Mittelschulen, Hochschulen, handwerkliche industrielle Betriebe, den Bezirk Hausfrau und freie künstlerische Berufe. Also gerade nicht hie Erwachsene – da Jugendliche, sondern der Brückenschlag zwischen den Generationen und sozialen Feldern ist seine Perspektive, wobei er auch seine Verpflichtung zur Leistung der Weltbühne offenlegt, indem er Artikel, die er dort veröffentlicht hat, wieder abdruckt. Neben Rätsel- und Karikaturenseiten sind die thematischen Schwerpunkte als Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit von 1945ff. zu kennzeichnen. Um nur die wichtigsten zu nennen: ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪

die groß angelegte Suchaktion verlorener Kinder Familien ohne Ehemann Heimkehrer ohne Heim Arbeitslosigkeit und Armut Katastrophale Situation der Krankenversorgung die rasant ansteigende Scheidungsrate die sich rasch ausbreitenden Geschlechtskrankheiten

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Und als sich das politische Klima mit der Währungsreform 1948 Richtung Wirtschaftswunder erwärmt, zieht Kästner sich zurück ins literarische Leben, nach dem er sich ohnehin immer gesehnt hatte. Wenn man Die Neue Zeitung dem Pinguin gegenüberstellt, tritt Kästners Handschrift in beiden Blättern als identische Einheit zu Tage, so dass man sie getrost als eine Zeitschrift lesen kann. Daran sollte ich ja erinnern, aber ich denke, dass Kästners Leistung als Redakteur der ersten Stunde zuvor entdeckt werden muss als ein noch offenes Kapitel journalistischer Geschichtsschreibung.

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Erinnerungen an einen fiktiven Leserbrief von Uta Quasthoff Meine persönlichen Erinnerungen im Rahmen dieses Kolloquiums für Kurt Koszyk betreffen ein Element, das in der Schnittstelle zwischen der journalistischen Zunft und uns anderen steht: den Leserbrief. Sie stehen im Zusammenhang mit der Arbeit an meiner Dissertation in den frühen 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts: Mich interessierten als Linguistin sprachliche Ausdrucksformen für Stereotype, die zu dieser Zeit aus sprachwissenschaftlicher Sicht noch nicht erforscht waren. Schon damals strikt empirisch orientiert, suchte ich also nach einem Korpus, das reiche Ausbeute versprach im Hinblick auf das Vorkommen von Äußerungen des Typs Deutsche sind fleißig, Amerikaner haben keine Kultur, Professoren sind zerstreut, Er ist Jude, aber er ist sehr nett . . . Ich wurde fündig in den internen Aufzeichnungen der so genannten »Gruppenstudie« im Frankfurter Institut für Sozialforschung: Im Winter 1950/1951 wurden von damaligen Mitarbeitern des Instituts Gruppendiskussionen geführt mit dem Ziel, etwas über die Meinungen der Nachkriegsdeutschen zu Fragen wie Antisemitismus, Kriegsschuld und Ähnlichem zu erfahren. Diese Diskussionen wurden mit den damaligen technischen Mitteln aufgezeichnet und verschriftlicht. Diese frühen Transkripte – z. T. mit handschriftlichen Korrekturen von Adorno – konnte ich einsehen und für meine Arbeit benutzen. Als methodisches Mittel zur Steuerung der Diskussionen, die insgesamt 1 800 Teilnehmer/innen umfasste, diente der so genannte »Grundreiz«: Zu Beginn jeder Diskussion wurde ein angeblicher Leserbrief verlesen, den ein amerikanischer/englischer (je nach Besatzungszone) Sergeant nach einigen Jahren in Deutschland an seine Heimatzeitung geschrieben habe. In diesem fiktiven Leserbrief über angebliche Erfahrungen in Deutschland

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als Diskussionsimpuls wurden die Themen angesprochen, um die es in der Studie gehen sollte. Ich gebe den »Colburn-Brief« hier wieder: Vom Ende des Krieges, an dem ich als Reservist teilgenommen hatte, bis August 1950 habe ich in Deutschland verschiedenen Dienststellen der Besatzungsarmee angehört. Die meisten meiner Mitarbeiter waren Deutsche aus den verschiedensten Gegenden und mit den verschiedensten Ansichten. Meine Tätigkeit hat mich auch sonst mit Deutschen aller Art zusammengeführt. Ich glaube, daß ich, soweit man sagen kann, die durchschnittlichen Deutschen und ihre Meinung aus erster Hand kennengelernt habe, vor allem auch, wie es den einfachen Leute zumute ist. Von oberflächlichen Beobachtern wird viel Unsinn über Deutschland geredet und geschrieben. Die einen meinen, alle seien Nazis und alle hätten mit Schuld, die anderen sehen die Dinge rosig, weil sie natürlich als Sieger in bevorzugter Stellung sind und nach ihren eigenen angenehmen Erfahrungen zu schnell verallgemeinern. Vielleicht interessiert es Ihre Leser, einmal die Meinung eines nüchternen Gl zu hören, der weder rachsüchtig ist, noch sich ein X für ein U vormachen läßt. Ich habe viel Gutes an den Deutschen beobachten können. Sie sind fleißig und nur selten widerspenstig. Sie sind sauber und ordentlich, und viele machen einen intelligenten Eindruck. Freilich weiß ich nicht, wie weit sie selbständig sind oder nur nachreden, was sie gehört haben. Irgendwelche Anzeichen von besonderer Rohheit und Grausamkeit habe ich nirgends finden können, freilich auch nur wenig Anzeichen dafür, daß sie sich zu Herzen gehen ließen, was unter Hitler den Menschen angetan wurde. Doch haben sie selber – vor allem durch Luftangriffe – so viel durchgemacht, daß es ihnen schwer fällt, an fremdes Leid zu denken. Der einzelne Deutsche wirkt eher gutmütig. Die verheirateten Männer sind nett zu ihren Familien und möchten es gern wieder zu etwas bringen. Ich glaube, daß sich die Deutschen, die an einen hohen Lebensstandard gewöhnt waren, wirtschaftlich wieder in die Höhe arbeiten werden. Ihre glänzende technische Begabung wird sich erst richtig bewähren, wenn sie einmal in der Lage sind, ungehindert zu produzieren Zu mir persönlich und zu den meisten meiner Bekannten sind sie im allgemeinen freundlich – besonders die Frauen – natürlich auch, weil sie uns alle für wohlhabend halten.

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Aber das ist nicht die ganze Geschichte. Trotz des vergangenen Urteils halten sich viele für besser und tüchtiger, als wir es sind. Davon, daß Hitler es angefangen hat, wollen sie nichts hören. Sie haben offenbar das Gefühl, die Welt hätte ihnen das größte Unrecht angetan. Sobald bei uns irgendetwas schlecht ist, fangen sie an sich zu entrüsten. Wenn wir es schwer haben, wie in Korea, hat man manchmal den Eindruck, daß sie sich darüber insgeheim freuen und nicht daran denken, daß wir allein sie vor den Russen beschützen. Daß man Fehler des eigenen Landes zugibt und offen darüber redet, erscheint ihnen als Schwäche. Gegen die Juden sind sie immer noch feindselig und benutzen vor allem die DPs1 als Vorwand für einseitige Urteile. Nur ganz wenige geben zu, dass sie Nazis waren, und gerade die es zugeben, sind oft gar nicht die Schlechtesten. Schuld sei nur eine kleine Minderheit. In gewisser Weise ist das ja wahr, aber man findet doch heute in der Mehrheit nur wenige, die sich unzweideutig vom Geschehen lossagen. Ganz besonders merkwürdig benehmen sie sich, wenn die Rede auf Rassenverfolgung in Amerika kommt. Sobald sie vernehmen, daß ein Neger in den Südstaaten gelyncht worden ist, reiben sie sich die Hände. Ich habe ihnen dann immer erzählt und erklärt, daß es sich bei uns um 10 oder 20 Fälle im Jahr handelt, während es bei ihnen um Millionen ging. Schließlich ist und bleibt bei uns Lynchen ja doch ein Verbrechen, das vom Staat verfolgt wird. Ihr Staat aber hat das Lynchen in unverhältnismäßig viel größerem Maßstab selbst besorgt. Gewiß standen sie unter Terror und hätten wenig mehr ausrichten können, als Hitler einmal im Sattel saß. Aber haben sie ihm nicht doch immer wieder zugejubelt? Einzelne habe ich von alledem überzeugen können, aber das ist wie ein Tropfen auf einem heißen Stein. Die Gefahr ist, daß sie morgen wieder einem Hitler oder Stalin nachlaufen, und der Meinung sind, daß ein starker Mann immer noch die für sie beste Politik machen wird. Wem wirklich an internationaler Verständigung gelegen ist, der muß sich darum kümmern, was praktische Demokratie eigentlich heißt, und sie in langer Arbeit verwirklichen. Man kann sie nicht gegen die Diktatur wie 1 Die Abkürzung DP stand für »Displaced Person«. So bezeichneten die Alliierten Zivilisten in Deutschland, die sich wegen des Krieges außerhalb ihrer Heimat aufhalten mussten und bei Kriegsende ohne Hilfe nicht zurückkehren konnten. Das waren vor allem Zwangsarbeiter aus Osteuropa.

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etwas Fertiges eintauschen, sondern muß für die anderen Menschen ebenso viel Verständnis haben wir für sich selbst. Wenn dieser Geist sich einmal in den Deutschen durchgesetzt hat, dann wird dies Volk wirklich einen großen Beitrag leisten können.

Exemplarisch seien einige wenige kleine Ausschnitte aus diesen Gruppendiskussionen wiedergegeben: Wenn der amerikanische Soldat so tüchtig gewesen wäre wie der Deutsche, dann hätten sie keine fünf Jahre gebraucht, um uns kleinzukriegen. Ich habe früher nette Juden kennengelernt und auch sehr anständige Juden kennengelernt. Da hat mal ein Amerikaner ganz richtig gesagt: Wenn man einen Deutschen mit einem Hammer und einem Stück Blech in die Wüste schickt, dann kommt er mit einem fertigen Panzer wieder raus.

Der Leserbrief ist zwar ein fiktiver und hat seinen Stellenwert im Rahmen einer damals innovativen sozialwissenschaftlichen Methode der Meinungserhebung. Aber es ist immerhin ein Text, der für die Teilnehmer an der Studie Anfang der 50er Jahre offenbar absolut authentisch wirkte. Es lohnt sich also ein Vergleich mit heutigen Leserbriefen, der aus der Außensicht einer Linguistin ohne journalistische Expertise ein Schlaglicht auf den Wandel der Zeiten, aber auch des Pressewesens werfen sollte. Mindestens drei Unterschiede sind aus heutiger Sicht zu erwarten: 1. Die Länge des Briefes: In dieser Länge würde heute kein Brief abgedruckt und wahrscheinlich auf Grund dieses Wissens auch gar nicht erst geschrieben; 2. Sein Inhalt: Betrachtungen über ein fernes Land wären heute professionalisiert in Form von (Hintergrund-)Berichten von Auslandskorrespondenten oder freien Mitarbeitern; 3. Vor allem: Seine Form: In Zeiten der political correctness wären Formulierungen, die gerade den Impulscharakter des Briefes ausmachten, gar

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nicht mehr denkbar. Einen derartigen Diskurs voller unverhohlener Stereotype würde man heute nicht mehr finden. Schauen wir also auf der Suche nach einem »Beleg« wahllos in eine Zeitung – es trifft die Zeit vom 22.10.2009 (Nr. 44: S. 46): Unter der Überschrift: »Immer diese Gutmenschen« ist eine Reihe von Leserbriefen abgedruckt, die sich auf einen Beitrag von Jörg Lau »Unter Deutschen« (Zeit Nr. 42) beziehen. Der Kontext ist der folgende: Thilo Sarrazin, SPD-Politiker und Bundesbank-Vorstand, hatte durch ein Interview im Lettre International im Oktober 2009 einen beträchtlichen Wirbel in den Medien ausgelöst. Hier ein Auszug aus diesem Interview: Eine große Anzahl an Arabern und Türken in dieser Stadt, deren Anzahl durch falsche Politik zugenommen hat, hat keine produktive Funktion, außer für den Obst- und Gemüsehandel, und es wird sich vermutlich auch keine Perspektive entwickeln. Das gilt auch für einen Teil der deutschen Unterschicht, die einmal in den subventionierten Betrieben Spulen gedreht oder Zigarettenmaschinen bedient hat.

Ich zitiere zwei der Leserbriefe aus der Zeit, die sich auf Sarrazins Äußerungen beziehen: Herr Sarrazin poltert keineswegs am rechten Rand, er poltert mitten in der Gesellschaft. Er trägt durch seine Äußerungen mehr zur Integration bei als all die vielen Gutmenschen. Man sollte ihm dankbar sein für die entfachten Diskussionen. Er vermittelt dem viel zitierten kleinen Mann, dass es da oben doch noch welche gibt, die um seine Ängste, Sorgen und auch ganz konkreten Erfahrungen im Umgang mit den Einwanderern jeder Generation wissen und ihn ernst nehmen. (Reinhard Krauß, Bad Kreuznach). Seit Jahren bewundern wir die Courage, mit welcher Thilo Sarrazin im Argen liegende Dinge beim Namen nennt. In einer Zeit, in der viele von einer »Herrschaft der Lüge« sprechen, bricht er der Wahrheit eine Lanze. […] Seien wir dankbar, dass es in unserem Land noch Männer gibt, deren Stimme Gewicht hat und die nicht wanken, wenn andere weichen. (Dr. O. C. Schmidt, Amtstierarzt i. R., Berlin; L. Kouril, Bundesanwalt i. R., Karlsruhe; K.-H. Oehler, Rechtsanwalt und Notar a. D., Berlin; Dr. Dr. B. Gerth, HNOFacharzt i. R., München).

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Wir reiben uns die Augen: Es funktioniert ja noch immer! Das methodische Verfahren der »Gruppenstudie« scheint sogar inzwischen ausgeweitet und im Rahmen eines großen Feldexperiments nach fast 60 Jahren erneut angewendet worden zu sein. Nur wenige Aktualisierungen waren offenbar nötig: ▪ statt eines amerikanischen Besatzungssoldaten ein SPD-Bundesbank-

Vorstand, ▪ statt eines Leserbriefs ein Interview, ▪ statt aufgezeichneter Gruppendiskussionen publizierte Leserbriefe.

Dafür umfasst die heutige Stichprobe tendenziell eine ganze Nation. Das methodische Potenzial von Leserbriefen ist also beeindruckend und überhaupt noch nicht ausgeschöpft!

Literatur: Pollock, Friedrich. 1955. Gruppenexperiment. Ein Studienbuch. Frankfurt/M. Quasthoff. Uta M. 1973, Soziales Vorurteil und Kommunikation. Eine sprachwissenschaftliche Analyse des Stereotyps. Frankfurt/M.: Fischer-Athenäum-Taschenbuch.

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Die letzte Ausgabe des Hamburger Fremdenblatts vom 31. Oktober 1954. Das Blatt war zum Scheitern verurteilt – der Zeitungsmarkt war in der jungen Bundesrepublik bereits verteilt und gesättigt.

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Erinnerungen an zum Scheitern verurteilte Altverleger von Horst Pöttker Wir hatten zu Hause keine Zeitung abonniert. Vermutlich ist das ein Grund, warum ich mich später mit der Presse beschäftigt habe. Allerdings gab es eine Ausnahme. Als Neunjähriger bin ich doch einmal mit dem Medium Zeitung in Berührung gekommen. Ich bin in Hamburg aufgewachsen und komme an sich nicht aus einem lesefeindlichen oder bildungsfernen Elternhaus. Mein Großvater mütterlicherseits, der aus einer sächsischen Arbeiterfamilie stammte, in der es einen starken Willen zum sozialen Aufstieg gab, hatte auf wirtschaftlichem Gebiet Erfolg gesucht und es als selbstständiger Hamburger Kaufmann zu einigem Wohlstand gebracht. Er gehörte zu einer in Deutschland nicht eben breiten, aber vor 1933 immerhin noch vorhandenen bürgerlichen Schicht, in der man selbstbewusst auf die eigene Leistung blickte und Kultiviertheit, Redlichkeit, Weltoffenheit nicht nur proklamierte, sondern praktizierte. Mit dem völkischen Barbarentum eines Hitlers konnte man in diesem Milieu wenig anfangen, ohne dass man allerdings viel dagegen tat. Ein tragischer, weil in ihrem Selbstbewusstsein wurzelnder Irrtum dieser Schicht war die Illusion, Hitler durch politische Einbindung zähmen zu können. Zeitungen, die man in diesem Milieu las, waren liberale Großstadtblätter wie das Berliner Tageblatt oder die Frankfurter Zeitung, wo auf Sachlichkeit und Unabhängigkeit geachtet und kosmopolitisch gedacht wurde. In Hamburg war diese Zeitung das Hamburger Fremdenblatt, hervorgegangen aus der 1828 gegründeten Liste der angekommenen Fremden in Hamburg und Altona (Hamburger Fremdenliste) und herausgegeben von der Verlegerdynastie Broschek. Kurt Broschek wurde 1936 von den Nazis zu 76 Prozent seiner Geschäftsanteile enteignet unter dem Vorwand, gegen das Schriftleitergesetz verstoßen zu haben, wie man Kurt Koszyks Pressegeschichte

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Die erste Ausgabe des Hamburger Abendblatts vom 14. Oktober 1948. Der Verleger Axel Springer hatte von den Engländern rasch eine Lizenz erhalten.

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entnehmen kann. Dieses Fremdenblatt war fester Bestandteil des Vorkriegsalltags meiner Herkunftsfamilie, wie meine Mutter noch heute bezeugt. Dass meine Eltern nach 1945 dann keine Zeitung mehr hielten, mag in den allerersten Jahren noch an ihren dürftigen Lebensumständen in der zerstörten Stadt gelegen haben. Später lag es daran, dass ihnen das Hamburger Abendblatt nicht gefiel, in dessen Erstausgabe vom 14. Oktober 1948 gleich über Hitlers astrologische Neigungen geplaudert worden war und dessen Verleger Axel Springer rasch nach 1945 von den Engländern eine Lizenz erhalten hatte. Dem »Altverleger« Broschek war das nicht gelungen, weil seine Zeitung auch nach der Enteignung noch etliche Jahre unter dem NSRegime erschienen war. 1952 war dann aus dem Hause Springer noch die Bild-Zeitung hinzugekommen. Meine Eltern und Großeltern fanden auf dem Hamburger Pressemarkt einfach keine Zeitung mehr, die sie hätten lesen wollen. Also ließen sie es. Das änderte sich 1954, als die Familie Broschek eine erhebliche Wiedergutmachung zugesprochen bekam. Die Witwe des Verlegers entschloss sich daraufhin, es noch einmal mit dem Fremdenblatt zu versuchen. Am 1. September 1954 erschien die erste Ausgabe, und ich weiß noch, wie meine Mutter sich freute und sofort um ein Abonnement ihrer alten Zeitung kümmerte. So bin ich als gerade alphabetisierter Grundschüler doch für zwei Monate zum Zeitunglesen gekommen. Die Herrlichkeit hatte nämlich bald ein Ende, die letzte Ausgabe des neuen Fremdenblatts erschien am 31. Oktober 1954. Das Unternehmen war zum Scheitern verurteilt, weil der Zeitungsmarkt bereits verteilt und gesättigt war. Wenn ich heute in den 61 Ausgaben des Wiederbelebungsversuches blättere, tritt mir die Mentalität meines Großvaters wieder entgegen. Im Editorial der Startausgabe schrieb der Verlag: Die sachliche Wertung und das weltoffene Urteil, nicht aber die Aufmachung haben das Gewicht des Hamburger Fremdenblattes bestimmt. Das neue Hamburger Fremdenblatt wird sich hierin von dem alten nicht unterscheiden. […] Mögen die Nachkriegsjahre das Zeitungsbild überall und nicht weniger in Hamburg verändert haben [das war gewiss auf die »Bild«-Zeitung gemünzt! H.P.] – das Hamburger Fremdenblatt wird in Gestalt und Haltung mit der Leistung von gestern und mit dem Geiste von heute erscheinen. Wenn die Hamburger Familie von gestern und vorgestern alles das, was sie anging und betraf, im Hamburger Fremdenblatt fand und mit ihm gewissermaßen besprach, so wird das nun wieder erscheinende Hamburger

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Fremdenblatt sich dieser Tradition ganz besonders bewusst sein. Eine Zeitung will das Hamburger Fremdenblatt sein, die Zehntausende von Hamburger Familien, von Lesern in ganz Deutschland und im Ausland sachlich wohl informiert und über das große Netz seiner Auslandskorrespondenten mit der großen Welt verbindet.

Das NS-Regime hat nicht nur der deutschen Qualitätspresse das Rückgrat gebrochen, deren Selbstverständnis hier noch einmal zum Ausdruck kam. Es hat auch das Publikum dieser Zeitungen dezimiert und seiner Werthaltungen beraubt. Der tiefste Grund für das Scheitern des Fremdenblatts war der naive Glaube, mehr als zwei Jahrzehnte nach dem 30. Januar 1933 an die Tradition des selbstbewussten und deshalb liberalen wie wertefesten Bürgertums anknüpfen zu können. Die alliierten Siegermächte, auch die westlichen Demokratien, sind an diesem Traditionsbruch nicht unbeteiligt gewesen, jedenfalls nicht, was die Presse betraf. Hätten sie genauer über die deutschen Verhältnisse Bescheid gewusst, hätten traditionsreiche Qualitätsblätter wie die Frankfurter Zeitung, das Berliner Tageblatt, die Vossische Zeitung oder eben das Hamburger Fremdenblatt bald nach 1945 wieder erscheinen können, was der Entwicklung von Professionalität im deutschen Nachkriegsjournalismus, seinem Selbstverständnis als unabhängiges Gegenüber des Staats, vermutlich manche Umwege erspart hätte. Andererseits: Hätte man nach dem Blutzoll, den Nazi-Deutschland ihnen im Zweiten Weltkrieg abverlangt hat, von den Alliierten diese Sorgfalt erwarten können? Deutschland als Sieger des Krieges hätte sie gewiss nicht aufgebracht. Das von dem Hamburger Kult-Architekten Fritz Höger in den 1920er Jahren erbaute Broschek-Haus an den Großen Bleichen wurde vor ein paar Jahren restauriert. Heute befindet sich dort ein Restaurant Broschek, in dem die Speisekarte im journalistischen Fachjargon gehalten ist. Die Vorspeise heißt »Vorwort des Herausgebers«, danach wählt man zwischen »Chefredakteurs Fischgerichte«, »Norddeutsche Leitartikel« und »Vegetarische Kolumne«, bevor als Dessert der »Epilog« folgt. Wer es beim Mittagstisch eilig hat, sucht sich am besten nur eine von den »Schlagzeilen« aus. Jedenfalls: Folklore ist geblieben.

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Erinnerungen an Journalistenausbildung im Bleizeitalter von Kurt Koszyk »Wie wir […] über die Alten urtheilen, so wird die Nachwelt auch über uns richten.« (Friedrich Just Riedel: Über das Publikum, Jena 1768, S. 99/63) Namhafte Persönlichkeiten, wie Nowottny, Rühmkorf, Lord Dahrendorf, Habermas, Henze, Enzensberger usw., haben meinen Jahrgang 1929 berühmt gemacht. In einer Versammlung Jüngerer muss ich selbst eher als Fossil betrachtet werden, zumal die Ausbildung von Journalisten sich in einem grundlegenden Wandlungsprozess befindet. In den 50er Jahren war diese Ausbildung formal nicht geregelt und von Zufällen bestimmt. Nicht nur journalistisch haben mich die Verhältnisse des Dritten Reiches und der Nachkriegszeit geprägt. Mit noch 15 wurde ich im März 1945 einberufen, sozusagen zum letzten Aufgebot. Dank der durch die alliierte Luftüberlegenheit verursachten postalischen Probleme konnte ich mich dieser Einladung entziehen. 1949, bei der ersten Bundestagswahl, war ich als 20-Jähriger nicht wahlberechtigt. Die bald sich abzeichnende Wiederaufrüstung war mir verständlicherweise zuwider. Nach dem Abitur begann ich im Sommersemester 1949 mein Studium der Zeitungswissenschaft, der deutschen und der englischen Literaturwissenschaft an der Universität Münster. Bei meiner Zulassung verzichtete man auf das bis dahin vorgeschriebene Schutträumen, dem ich mich zuvor am Ersatzgebäude des Dortmunder Stadtgymnasiums, dem ehemaligen Brüderkrankenhaus, widmen durfte. Für meine Eltern, die sich seit 1933 durch das Hitler-Regime verfolgt sahen, bedeuteten Schul- und Studiengeld eine ziemliche Belastung. In meinen neun Semestern in Münster und München fielen ca. 1 500 DM Studiengebühren an. In Oxford, wo ich 1950 das Michaelmas-Term verbrachte, fielen 900 DM = 80 engl. Pfund an.

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Seine ersten journalistischen Erfahrungen sammelte Kurt Koszyk bei der Westfälischen Rundschau. Deren Chefredakteur Walter Poller unterzeichnete 1955 Koszyks ersten Presseausweis.

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Bei meinem Einstieg in den Journalismus wurde ich von einigen Männern gefördert, die jeder auf seine Weise den Nationalsozialismus überlebt hatten. Genetisch von meinem Vater, der 1923 als bei einem Rechtsanwalt ausgebildeter Handlungsgehilfe zu Wolff’s Telegraphischem Bureau wechselte und zehn Jahre später als Redakteur entlassen wurde. Am 1. März 1950 trat ich als Student um 19 Uhr ein zweimonatiges Praktikum bei der Westfälischen Rundschau im Gebäude des Westfalendrucks an der Bremer Straße an. Die Nachtredaktion betreute den Umbruch, der bis 3 Uhr, manchmal 5 Uhr dauerte. Meine Ausbilder waren Josef Doemges und Horst Hein. Chefredakteur Walter Poller, der das KZ Buchenwald überlebt hatte, sagte mir zu, ein Volontariat in Etappen während der vorlesungsfreien Zeit absolvieren zu dürfen. Das geschah im März/April 1950 in der Mettage, im August/September 1950 in der von Friedhelm Pork, später WDR, geleiteten Bezirksredaktion, im März 1951 unter Wolfgang Perschmann in der Dortmunder Lokalredaktion sowie im September/ Oktober 1951 in der Politik, die nach dem MdB Karl Bielig bald von Hans Wunderlich, einem ehemaligen Mitglied des Parlamentarischen Rates, geleitet wurde. In der Politik arbeiteten wir zu Viert, neben Wunderlich die Kollegen Paul Otto Vogel und Werner Hildenbrand. Das Wirtschaftsressort und das Feuilleton hatten jeweils nur einen Redakteur: Egon Bohle und Gerhart Holtmann, später Kulturdezernent in Recklinghausen. Im März/ April 1952 beschäftigte mich Dr. Albert Wand im Institut für Zeitungsforschung, damals bescheidenst in der Villa Schulte-Witten in Dorstfeld untergebracht, während die Zeitungsbestände im Bunker am Westpark und bei der Transportfirma Mülker lagerten. Nach der Promotion und einem weiteren Halbjahr Volontariat beschäftigte mich die Westfälische Rundschau seit dem 12. November 1953 jeweils ab 9 Uhr in der Bezirksredaktion für 250 DM, seit Dezember für 375 DM. Häufig erlebte ich den Verlagsleiter Ernst Vay bei seinen morgendlichen Rundgängen durch die noch leeren Redaktionsräume. Die abwesenden Redakteure ärgerten ihn ebenso wie die Fotografen, denen er vorwarf: »Einmal drücken, 20 Mark verdient.« Am 5. Mai 1954 durfte ich in die Politische Redaktion übersiedeln. Dort war ich Hans Wunderlich zugeordnet. Er hatte das Dritte Reich als Geflügelzüchter in Niedersachsen überdauert. Seine Münchener Mentalität gefiel mir. Er war ein bedächtiger, reflektierter Chef im Gegensatz zum hektischen Chefredakteur Walter Poller. Wunderlich stimmte seine Leitartikel, die vormittags entstanden, jeweils telephonisch mit dem Bonner PPP (Parlamentarisch Politischer Pressedienst) der SPD ab. Meine Aufgabe war

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es, die über Fern- oder Hellschreiber in der Nachrichtenabteilung einlaufenden Dienste von dpa, AP und UP zu verfolgen und für die älteren Kollegen vorzusortieren. Wenn der Kulturredakteur Holtmann abwesend war, durfte ich die dem Feuilleton eingeräumte »Halbseite« redigieren. Außerdem hatte man mir eine »Halbseite« anvertraut, auf der angeblich Leser Fragen beantwortet bekommen sollten. Da der Eingang von Fragen und anderen Leserbriefen dürftig war, behalf ich mich durchweg mit eigenen Texten. Der Jungredakteur hatte da völlig freie Hand. Die technische Herstellung einer Zeitung, wie ich sie bereits in der Mettage kennengelernt hatte, war im Bleizeitalter sehr aufwendig. In der Bezirksredaktion arbeitete ich in engem Kontakt mit Setzern und Druckern. Die Westfälische Rundschau, 1946 von den Briten lizenziert, erreichte in den 50er Jahren eine Auflage von etwa 250 000 Exemplaren in 33 Bezirksausgaben, die zwischen Lingen und Siegen vertrieben wurden. Die Konzeption, dort überall politisch präsent sein zu wollen, erwies sich langfristig als Fehler. Schon bis 1960 gingen zehn Prozent der Auflage verloren. Heute sind es in 31 Ausgaben nunmehr 145.000, die im Verlag der WAZ erscheinen. Der Journalist verfügte damals weder über Handy noch PC. Wichtigste Kulturtechniken waren das Telefon und die Stenographie, die ich mir noch als Schüler beigebracht hatte. In der Bezirksredaktion musste ich die Manuskripte der 33 Lokalausgaben sichten. Da die meisten Redakteure keine Fachausbildung hatten, war die Qualität der Manuskripte höchst unterschiedlich. Der Jungredakteur war auf sein Sprachgefühlt angewiesen und musste sich durch die Papierberge durchwursteln. Mit der Zeit kannte man seine Pappenheimer. Ein Kollege im Ruhrgebiet machte es sich bequem. Er telefonierte jeden Morgen, um sich für seine nächste Ausgabe bei den benachbarten Lokalausgaben zu bedienen. Der darüber wenig begeisterte Metteur hatte den angefallenen Bleisatz aus der Form herauszuheben und unter den Mettagetischen zu deponieren. Der Besteller schickte zwar immer einen Seitenspiegel für den Umbruch, hatte aber offenbar keine Vorstellung von den für seine Ausgabe angefallenen Bleimengen, die wir nach einigen Tagen einschmelzen ließen. Beim Westfalendruck saßen etwa zwei Dutzend Mitarbeiter an den LinotypeSetzmaschinen, die vom frühen Morgen bis in die Nacht den Bleisatz fertigten. Außerdem gab es in der Akzidenz Mitarbeiter für die Anzeigenseiten. Etwa ein Dutzend Metteure besorgten den Seiten-Umbruch. Fotos wurden gleichzeitig in der Klischieranstalt bearbeitet. Die umbrochenen Seiten wanderten auf »Schiffen« zur Prägung in den Kalander, wo biegsame

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Asbestmatrizen entstanden, die in der Stereotypie im Format der Rotationswalzen ausgegossen wurden. Um den Vertrieb zeitgerecht zu bedienen, geschah der Andruck der einzelnen Bezirksausgaben nach einem ausgeklügelten Transportplan kontinuierlich zwischen 23 Uhr und 3 bis 5 Uhr. Den Redakteuren oblag also in diesem Bereich eine stressige organisatorische Aufgabe. Journalistisch interessant wurde es eigentlich, wenn der Jungredakteur schreiben durfte. Höhepunkte für mich waren gelegentliche Leitartikel. So im Juli und August 1954 zu Themen wie Meinungsforschung, Pressefreiheit und die Souveränität der deutschen Teilstaaten. Eine Analyse über die Zukunft des Stalin-Nachfolgers Malenkow erwies sich bald als sehr zutreffend. Im Mai 1955 nahm ich mit dem Frankreichkorrespondenten Arthur Riess am Festakt zum Eintritt der BRD in die Nato im Pariser Palais de Chaillot teil. Und zum Tode Thomas Manns überließen die Kollegen gern dem Jüngeren den Nachruf, hatte er doch in München ein einschlägiges Seminar absolviert. Eine professionelle Wende zeichnete sich ab, als die Pressestelle der Vereinigten Elektrizitätswerke Westfalen AG neue journalistische Möglichkeiten im Herbst 1955 eröffnete, von denen ich bei der Teilnahme am Stapellauf der Esso Düsseldorf kaum etwas geahnt hatte.

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Rudolf Augstein wird verhaftet. Dieser legendäre Titel des Spiegels vom 7. November 1962 war für Autor Walter Hömberg »ein verstörendes Bild«.

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Erinnerungen an Journalisten hinter Gittern von Walter Hömberg Wenn man schon einige runde und ovale Geburtstage hinter sich hat und sich bereits jenseits der sechzig bewegt, dann wendet sich das eigene ZeitBewusstsein stärker von der Gegenwart und der Zukunft weg und der Vergangenheit zu. Auch die Wahrnehmung von außen ändert sich: Jedermann und jedefrau wird – gleich ob eher Beobachter oder eher Akteur – zum Zeitzeugen. Der Zeitzeuge hat ein gespaltenes Image. Für die Medien ist er unverzichtbar: Kaum eine zeitgeschichtliche Radio- oder Fernsehsendung kommt ohne Zeitzeugen aus. Die Fachhistoriker sind da viel skeptischer: »Der lügt wie ein Zeitzeuge« ist hier ein geflügelter Satz. Also: Vorsicht! Mit meinem Thema verbinde ich zwei Erinnerungen, eine kurzfristige und eine langfristige. Die kurzfristige Erinnerung lässt sich genau lokalisieren: Donnerstag, 11. Juni 2009, 17.30 Uhr. Als erste Station unserer Exkursion in die Medienstadt Hamburg haben wir die Spiegel-Redaktion in der Brandstwiete besucht. Der Fahrstuhl bringt uns in den großen Konferenzraum, wo die Redaktionssitzungen stattfinden. Die Eichstätter Journalistik-Studenten wenden sich der Fensterfront zu und genießen den Blick über die Stadt. Mich interessiert die Schrankwand an der Rückseite des riesigen Raumes. War hier der Schrank, in dem sich Leo Brawand am 26. Oktober 1962 vor der Einsatzgruppe des Bundeskriminalamts versteckte und damit möglicherweise der Verhaftung entging? Die Erinnerung daran war gerade erst wieder aufgefrischt worden – in den Nachrufen auf den drei Tage zuvor gestorbenen ehemaligen Leiter der Wirtschaftsredaktion. Rudolf Augstein hatte ihn aus dem Gefängnis heraus für 103 Tage zum Interims-Chefredakteur gemacht. Der Polizei gegenüber erklärte er später: »Ich gehe immer in den Schrank, wenn ich nachdenke.«

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Die Schrank-Illusion ist leider vor kurzem geplatzt: Meine Recherchen beim Leiter der Spiegel-Dokumentation haben ergeben, dass die Redaktion damals in einem ganz anderen Gebäude gearbeitet hat, und zwar im Pressehaus am Speersort. So ist das eben mit gründlicher Recherche: Nicht nur Vor-Urteile, sondern auch Anekdoten und historische Reminiszenzen werden gnadenlos gekillt. Historische Ereignisse sind spätestens seit Erfindung der Fotografie häufig mit Schlüsselbildern verbunden, die sich fest in unser Hirn eingebrannt haben: Der Mord an John F. Kennedy, der Kniefall Willy Brandts, der Anschlag auf das World Trade Center – all diese Ereignisse sind mit ikonengleichen Erinnerungsbildern verknüpft. Wenn der Begriff »Spiegel-Affäre« fällt, erscheint sofort ein Triptychon mit drei Titelseiten des Jahres 1962 vor meinem inneren Auge. Da es hier und heute um ganz persönliche Erinnerungen geht: Ich war damals Schüler, genauer: Unterprimaner an einem Humanistischen Gymnasium im Sauerland. Meine Eltern hatten ein Geschäft mit vielen wunderbaren Abteilungen, von denen mich vor allem der Eingangsbereich faszinierte: Dort gab es permanent frische Zeitungen und Zeitschriften jeder Art. Schon mit dreizehn, vierzehn Jahren habe ich jeden Tag mehrere Zeitungen gelesen; und montags kam immer Der Spiegel dazu. Dieses sogenannte Nachrichtenmagazin habe ich durchaus als irritierend empfunden: sehr textorientiert, kühl, manchmal arrogant, häufig Allwissenheit suggerierend, frech und schnoddrig, voller Neologismen und anonym verfasst – ein Kontrastmodell zur üblichen Tagespublizistik. Etwa zwei Stunden pro Tag Zeitungslesen – meine Mutter fand das gar nicht gut. »Ich will doch einmal Zeitungswissenschaft studieren« – bei diesem Alibi-Argument konnte sie nur lachen. Am 7. November 1962 dann im vertrauten roten Rahmen ein verstörendes Bild: Rudolf Augstein bei der Verhaftung. »Sie kamen in der Nacht« lautet die Überschrift der Titelgeschichte, die detailliert über den Einmarsch von rund fünfzig Polizeibeamten in die Redaktion berichtet, mit Abbildung der Haupt- und Nebenfiguren. Und mit kräftigen Proteststimmen vom Deutschen Journalisten-Verband, vom Internationalen Presse-Institut, von Fritz Sänger, Mitglied des Bundestages und des Deutschen Presserats. Der Verleger John Jahr formuliert in einem dort abgedruckten Brief an den Bundesjustizminister Stammberger den Verdacht, »daß […] eine unbequem gewordene Zeitschrift wirtschaftlich ruiniert und für die Öffentlichkeit mundtot gemacht werden soll«.

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Das zweite Bild, an das ich mich erinnere, war der Auslöser der ganzen Aktion, die Titelgeschichte vom 10. Oktober 1962 mit dem BundeswehrGeneralinspekteur Foertsch auf dem Cover. »Bedingt abwehrbereit« konstatierte die Überschrift. Die mit fast 10 000 Wörtern selbst für den Spiegel ungewöhnlich lange Story liefert Interna über den Zustand der Bundeswehr vor dem Hintergrund der damals virulenten Debatte über die Rolle von Atomwaffen im Nordatlantikpakt. Das dritte Bild des Triptychons zeigt – am 21. November 1962 – den Reservegeneral Friedrich August von der Heydte, der das Nachrichtenmagazin wegen Landesverrats angezeigt hatte. Die Titelgeschichte zeichnet die kurvenreiche Biographie dieser ebenso vielseitigen wie dubiosen Figur nach. Personalisierung – diese journalistische Strategie, die Der Spiegel damals besonders pflegte, wird auch hier deutlich. Nüchterne Zwischenbilanz von Hans Dieter Jaene, einem langjährigen leitenden Redakteur des Blattes, im Stil der Gerichtsstatistik: »Es haben vom Spiegel in Untersuchungshaft gesessen: Chefredakteur Jacobi: Verlagsdirektor Becker: stellvertretender Chefredakteur Ahlers: Redakteur Schmelz: Herausgeber Augstein:

18 Tage, 34 Tage, 56 Tage, 81 Tage, 103 Tage.«

Die Spiegel-Affäre war – das wurde auch dem Unterprimaner schnell klar – ein Angriff auf die Pressefreiheit. Als Herausgeber und Chefredakteur einer Schülerzeitschrift fühlte er sich wie viele andere voll solidarisch mit den betroffenen Kollegen. Die Folgen sind bekannt. Die Spiegel-Affäre wird zur Staatsaffäre – mit politischen Konsequenzen für Strauß, Adenauer und andere. Im Sommer 2002, kurz vor seinem Tode, schreibt Rudolf Augstein, »dass die Spiegel-Affäre der größte Justizskandal in der rechtsstaatlichen Geschichte Deutschlands war«. Der Mitgründer und Herausgeber des Magazins konstatiert im Rückblick: »Im August 1966 schließlich beerdigte das Bundesverfassungsgericht den Fall. Wir waren unschuldig. Wir hatten keine Staatsgeheimnisse verraten, keinen Landesverrat begangen. Wir hatten unsere verfassungsmäßigen Rechte wahrgenommen, nicht mehr, nicht

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weniger.« Und Augstein zeigt sich sicher, »dass sich die Spiegel-Affäre nicht wiederholen würde«. Die Pressefreiheit ist immer und überall gefährdet. Aber mit dieser optimistischen Prognose hat der große Skeptiker recht behalten.

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Erinnerungen an einen Dokumentarfilm zum Auschwitz-Prozess von Ute Daub Heute den kanadischen Dokumentarfilm »Memorandum« aus dem Jahr 1966 zu zeigen, ist in gewisser Weise ein wagemutiges Unterfangen, verlangt er dem Publikum doch Einiges ab. Nicht nur wegen seines Sujets oder weil er ein sehr dichter Film ist, sondern vor allem, weil er den Zuschauern zumutet, sich auf eine zweifache Zeitreise zu begeben. Die erste dieser Zeitreisen endet in der ersten Hälfte der vierziger Jahre des letzten Jahrhunderts, in der Welt der Konzentrations- und Vernichtungslager. Die zweite handelt von der Gegenwärtigkeit dieser ersten Zeit 20 Jahre später; sie führt uns in das Deutschland des Jahres 1965 – eine Vergangenheit, die nun auch schon fast zwei Generationen zurückliegt. Die Verknüpfung beider Zeitebenen ist auf ein Ereignis zurückzuführen, dem der Film seine Entstehung verdankt: Der Regisseur Donald Brittain erfuhr, dass Überlebende der Shoah, die in Kanada Zuflucht gefunden hatten, nach Deutschland aufbrechen würden, um im ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen an einer Gedenkfeier teilzunehmen aus Anlass des 20. Jahrestages seiner Befreiung durch die englische Armee. Donald Brittain, der mit einer Deutschen verheiratet war, Edgar Sarton-Saretzki, der aus Frankfurt am Main stammt, als sein Berater, der Kameramann John Spotton und der Tontechniker Roger Hart beschlossen, die Gruppe um den Glaser Bernard Laufer auf ihrer Reise zu begleiten. Bernard Laufer wollte mit seinem in Bergen-Belsen geborenen Sohn und anderen jüdischen Überlebenden dort seiner ermordeten Angehörigen und Kameraden gedenken. Wie Jossele Rosensaft, Überlebender des Steh-Bunkers von Auschwitz und Finanzier der Reise, es ausdrückt, wollten die Überlebenden dabei keine Sekunde länger als nötig deutschen Boden betreten. Das, was die Gruppe um Bernard Laufer auf alle Fälle vermeiden

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Attacke des Angeklagten Willi Boger auf die Kamera: Das kanadische Filmteam hatte sich vor dem Gerichtsgebäude in Frankfurt positioniert, um die Angeklagten auf dem Weg zum Auschwitz-Prozess zu filmen.

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wollte, stand umgekehrt gerade im Zentrum des Interesses des Filmteams: Es konfrontierte sich mit dem gesellschaftlichen Umfeld, in dem die Reise stattfand. Die Suche nach dem Niederschlag der Verbrechen im deutschen Alltagsleben führte die Filmemacher auf ihrer Reise durch Mitteleuropa auch nach Frankfurt, fand hier doch gerade der Auschwitz-Prozess statt. 20 Jahre nach ihrem Sieg über Hitler-Deutschland war es den Kanadiern selbstverständlich, sich bei ihrer Arbeit im Nachfolgestaat nicht von deutscher Seite einschränken zu lassen, auch wenn sie einen Revers, der sie auf die strikte Einhaltung deutscher Rechtsvorschriften verpflichtete, unterschrieben hatten. Daher verdanken wir John Spotton, der glücklicherweise ein Athlet war, so dass er die im Film dokumentierte Attacke des Angeklagten Willi Boger ohne größere physische Beeinträchtigungen überstand, die einzigen – wenn auch nur kurzen – Innenaufnahmen von der laufenden Verhandlung im Haus Gallus. Diese Bilder sind später in viele andere Filme montiert worden. Nachdem den Angeklagten das Surren der Kamera aufgefallen war und sie sich anschickten, den Gerichtssaal aus Protest zu verlassen, musste die Verhandlung unterbrochen werden, bis die Filmemacher die Filmrolle dem Vorsitzenden Richter ausgeliefert hatten. Warum wir dennoch diese Bilder sehen können? John Spotton hatte sich gut vorbereitet: Die abgelieferte Filmrolle war unbelichtet, und er hatte die allgemeine Aufregung genutzt, das belichtete Filmmaterial in der Grünanlage der Frankenallee vor dem Bürgerhaus Gallus zu vergraben. 20 Jahre nach dem Ende der Nazi-Herrschaft verstand sich auch der Titel des Films beim nicht-deutschen Publikum von selbst. Er bezieht sich weniger, wie man im deutschen Sprachraum heute meinen könnte, auf das lateinische Wort für etwas zu Erinnerndes, sondern den Zeitgenossen damals war der Bezug zu den diversen Memoranden klar, in denen die nationalsozialistische Reichsregierung die Aufgabenverteilung bei der »Endlösung der Judenfrage« beschrieb. Da diese assoziative Verbindung in der Zwischenzeit verloren gegangen ist, sah sich der Hessische Rundfunk veranlasst, der 1997 den Film übersetzen ließ, was Gitta Mohrdieck auf kongeniale Weise besorgte, ihn zur Klarstellung jetzt »Hitlers Memorandum« zu nennen. »Memorandum« war vor 45 Jahren einer der ersten Filme, die mit der Eclair, einer tragbaren, auf der Schulter ruhenden Kamera gedreht wurde. Aber nicht nur in technischer Hinsicht, auch inhaltlich war der Film neuartig, gab es damals doch neben »Nuit et Brouillard« von Alain Resnais kaum andere Dokumentarfilme zu diesem Thema.

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»Memorandum« stammt aus einer uns vielleicht fremd gewordenen Zeit, die sich zu unserer ganz gegensätzlich verhält: Während es damals kaum wissenschaftliche Literatur über das, was später »Holocaust« genannt werden sollte, gab – Raul Hilbergs Werk »The Destruction of the European Jews«, eine der Grundlagen des Films, war gerade erst in einer winzig kleinen Auflage in einem unbedeutenden nordamerikanischen Verlag (Quadrangle Books, Chicago 1961) erschienen und wurde im englischen Sprachraum kaum rezipiert – und während es auch sonst keine nennenswerte mediale Aufarbeitung gab, war der deutsche Massenmord jedoch, vor allem im Ausland, in ganz anderem Maße als heute innerlich präsent. 45 Jahre später liegt der Gedanke nahe, dass diese innere Präsenz in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis zur literarischen und filmischen Präsenz der NaziZeit heute steht. Die damals selbstverständliche, unausgesprochene Polarität hat auch die Rezeption des Films bestimmt. Das Werk des National Film Board of Canada wurde bei seiner Premiere auf verschiedenen Filmfestivals mit Preisen ausgezeichnet: in London, San Francisco, Montreal und Venedig, dort mit dem Goldenen Löwen. In Deutschland wurde der Film nicht gezeigt. Die Filmemacher führten das lange Zeit darauf zurück, dass kein deutscher Filmverleih bereit gewesen sei, die Rechte zu erwerben. Erst 1997 fanden wir heraus, dass es die kanadische Regierung war, die aus Gründen außenpolitischer Rücksichtnahme auf ihren Partner im transatlantischen Bündnis die Auslieferung nach Deutschland untersagt hatte. Es bedurfte intensiver Verhandlungen, bis dieses Verbot schließlich 1997 aufgehoben wurde. Edgar Sarton-Saretzki, einziger noch lebender Mitarbeiter des Films, weist auf die zentrale, damals außerordentlich gewagte und auch heute noch brisante Aussage des Films hin, über die das Team lange kontrovers diskutierte: »Birkenau: nicht das Werk von Verrückten, sondern ein Produkt der westlichen Zivilisation.«

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Erinnerungen an die Anti-Springer-Kampagne von Gabriele Toepser-Ziegert Am 31. Januar 1968 wurde das Habilitationsverfahren von Kurt Koszyk an der FU Berlin mit einem Kolloquium abgeschlossen. Auf die Frage der Studentenvertreter, wie er Axel Springer zu enteignen gedächte, antwortete der Habilitand: »Nach unserer Verfassung ist das nicht möglich. Man sollte sich aber Gedanken darüber machen, was nach Springers Tod mit dem Unternehmen geschehen könnte.« Daraufhin enthielten sich beide Studentenvertreter der Stimme. Der Slogan »Enteignet Springer« hat seine Vorgeschichte in den Studentenunruhen des Sommers 1967. Die Schlagzeile: »Enteignet Axel Caesar Springer!« stand zum ersten Mal auf dem alternativen Berliner Extra-Blatt vom 13. Mai 1967. Nach dem gewaltsamen Tod des gegen den Schah demonstrierenden Studenten Benno Ohnesorg im Juni 1967 kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Studenten und Einrichtungen des Hauses Springer. Im April 1968 wurde der Studentenführer Rudi Dutschke von einem Passanten angeschossen, nachdem die Bild-Zeitung am selben Tage getitelt hatte: »Rudi Dutschke – Staatsfeind Nr. 1« Es folgten schwere Unruhen in Berlin und anderen Städten. LKW, die die Springer-Zeitungen transportieren sollten, wurden angehalten und angezündet, Redaktionen verwüstet. Die Konfrontation eskalierte. Die Bild-Zeitung attackierte die rebellierenden Studenten als Handlanger der DDR, dabei können wir heute feststellen, dass die Aktionen nicht durch die Stasi initiiert oder gesteuert, sondern lediglich unterstützt und wohlwollend begleitet wurden. Ausgangssituation der Auseinandersetzungen war eine Gemengelage verschiedener Interessen: Zum einen war da der Ost-West-Konflikt, der aus dem Kalten Krieg stammte, dann das allmähliche Entstehen dessen, was

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Das alternative Berliner Extra-Blatt titelte schon im Mai 1967 »Enteignet Axel Caesar Springer«. Es wurde ein Slogan der Studentenunruhen.

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heute unter Studentenbewegung subsumiert wird, wobei sich die aufmüpfige Generation der Studenten absetzen wollte von den – in der Regel konservativen – Eltern der Ära Adenauer. Die Studenten setzten sich mit linken Ideen auseinander. Damit näherten sie sich ideologisch an das Feindbild der Eltern an, das durch die DDR verkörpert wurde. Der Axel Springer-Verlag war ein gewaltiges Presseimperium, das v. a. in seinen Flaggschiffen, Welt und Bild, die Position der Eltern und Westdeutschlands verteidigte und für die Wiedervereinigung eintrat. Der Verlag kontrollierte 26 Prozent der Tages- und 29 Prozent der Wochenzeitungsauflage, in West-Berlin waren es 70 Prozent der verkauften Zeitungen. Dagegen rebellierten Teile der Studentenschaft, indem sie die Produkte des Verlags stellvertretend für den »Muff von 1 000 Jahren« verbal, aber auch physisch attackierten. In Hamburg war der Wettbewerb der Printmedien besonders hart, der Springer Verlag musste sich den Markt teilen mit dem Stern von Henri Nannen, dem Spiegel Rudolf Augsteins und der Zeit der Verleger Gerd Bucerius, John Jahr und Richard Gruner, die als Meinungsführer der politischen Gegenposition anzusehen waren. Ihnen kam die Konfrontation der Studenten gegen die Springer-Presse aus ökonomischen Gründen nicht ungelegen und deswegen unterstützten sie sie argumentativ und materiell, was in diesen Tagen wieder zur Sprache kam, als Mathias Döpfner, der heutige Chef von Springer, ein zweites Tribunal einforderte zur moralischen Wiedergutmachung des Unternehmens. Wie wir wissen, ist daraus nichts geworden. Inzwischen kündigte Thomas Schmid, damals im Sozialistischen Deutschen Studentenbund und jetzt vom Chefredakteur zum Herausgeber der Welt befördert, an, sämtliche Artikel aus den Zeitungen des Springer Verlags zur Studentenbewegung, die so heiß umstritten wurden, würden im Internet dokumentiert werden.1 Was für ein Forschungsprojekt ließe sich daraus machen – ein Vergleich dieser Online-Version mit den historischen Printausgaben. Bereits 1967 hatte der Bundestag eine Kommission gebildet zur Feststellung der »Folgen der Konzentration für die Meinungsfreiheit in der Bundesrepublik«. Beim Zentralkomitee der SED wurde gleichzeitig eine »Arbeitsgruppe zur Unterstützung der Anti-Springer-Kampagne in Westdeutschland und West-Berlin« gebildet. Die Frage war: Sollte die Auflage 1 Seit dem 17. Januar 2010 ist das »Medienarchiv68« des Springerverlags online. Siehe http://www.medienarchiv68.de (26.06.2010)

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gesetzlich begrenzbar sein oder sollte sich der Zeitungsmarkt selbst regulieren? Helmut Schmidt bezeichnete eine »Lex Springer« als politischen Selbstmord. Die übergeordnete Frage war: Gefährdet die Vormachtstellung des Hauses Springer auf dem westdeutschen Pressemarkt die durch die Verfassung garantierte Meinungsfreiheit oder gar die Demokratie? Gegen die Veranstaltung eines Springer-Tribunals, auf der diese Frage diskutiert werden sollte und das große Teile der Studentenbewegung forderten, regte sich Widerstand in intellektuellen Kreisen, z. B. lehnte Jürgen Habermas eine Teilnahme ab. Am 9. Februar 1968, wenige Tage nach der Habilitation von Kurt Koszyk, fand schließlich ein Zusammentreffen statt, das nur noch »Springer-Hearing« heißen sollte. So gesehen ist verständlich, dass die Frage der Studentenvertreter höchst virulent war. Das »Hearing« wurde in letzter Minute von den Initiatoren wegen »der anhaltenden Hetze« gegen dieses Vorhaben abgesagt. Was für drei Tage geplant war, wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Stattdessen wurden kurze Stellungnahmen über die »Manipulation der öffentlichen Meinung« vorgetragen. Eugen Kogon leitete die Abendveranstaltung in Räumen der TU Berlin, zu der sich 1 500 Studenten versammelt hatten. Diese Details verdanke ich übrigens nicht der widersprüchlichen Sekundärliteratur, sondern schlichter Zeitungsforschung. 1968 verkaufte Springer einen Teil seiner Zeitschriften. Kurz vor seinem Tod (1985) verkaufte er 49 Prozent seines Verlages und verpflichtete seine Erben, seinen Nachlass nicht bis 2015 zu verkaufen. Erst 1969 beruhigte sich der Konflikt durch die Installierung der sozial-liberalen Koalition im Bundestag. Ein Springer-Tribunal fand nie statt. Doch das konnte der damals vierjährige Mathias Döpfner auch nicht aus der Erinnerung wissen. Wie hat Willi Winkler in der Süddeutschen im Juni 2009 so schön zum vermeintlich 2. Springer-Tribunal geschrieben: »Aber so ist das mit den Geschichten aus der Welt der Großväter. Es erinnert sich jeder, aber jeder anders, und im Zweifel war es doch die Stasi.«

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Erinnerungen an missachtete Leser von Wolfgang R. Langenbucher Das schmale Bändchen »Der mißachtete Leser« entstand nicht dank einer verlegerischen Idee und opulenter Vorschüsse, sondern als Brotarbeit. Diese Kontexte seien kurz erinnert. Ich finanzierte mir mein Studium Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre durch Sendungen für die Abend- und Nachtstudios der Landesrundfunkanstalten und den Jugendfunk des Bayerischen Rundfunks. Im gleitenden Übergang von meiner Studien- zu meiner Assistentenzeit führte ich diese Arbeit gelegentlich, aber nun fachnah und teilweise gemeinsam mit Peter Glotz (1939–2005) weiter. So entstand für den Westdeutschen Rundfunk eine fünfteilige Serie von Radiosendungen mit dem merkwürdig sperrigen Titel »Zur Kritik der deutschen Presse«. Daraus wurde dann das in mehreren Auflagen erschienene Buch »Der missachtete Leser« (Köln und Berlin: Kiepenheuer & Witsch 1969; Nachdruck mit einem Vorwort zur Neuausgabe München: Reinhard Fischer 1993). Echo und Erfolg dieser Radioreihe veranlassten übrigens die Redakteure Ulrich Gembardt (1919–1996) und Ansgar Skriver (1934–1997) uns zwei weitere Aufträge zu geben: eine Auseinandersetzung mit Manipulation – Kommunikation – Demokratie (später veröffentlicht als »Prolegomena zu einer Analyse von Kapitalismus und Kommunikation« in: Aus Politik und Zeitgeschichte Nr. 25 vom 21. Juni 1969) und im gleichen Stil unserer Pressekritik eine solche von Radio und Fernsehen: »Funk und Fernsehen in der Demokratie« (veröffentlicht als journalistisches Dokument in Rundfunk und Fernsehen, 18. Jg. (1970), Heft 3–4). Alle drei Sendungen und Texte widersprachen dem Zeitgeist dieser Jahre vor und nach 1968. Deshalb gefiel zumal »Der missachtete Leser« den Verlegern (und eingeschränkt: den Chefredakteuren) auch wesentlich besser als den normalen JournalistInnen und den intellektuellen Anhängern der – zur herrschenden Lehre gewordenen – Manipulationstheorie. Unsere zentrale

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These war die einer (Ver-)Mittlerrolle des professionellen Journalismus – weniger in der rigiden Fassung unseres Münchner Kollegen Hans Wagner als in der von Otto Groth mit seiner Betonung von der aktiven Rolle des Vermittelns. Im Journalismus vollzog sich damals der Übergang vom Konsensjournalismus zur Zeitkritik; ans Ruder der Leitungspositionen kamen die Generation der 45er, wie Christina von Hodenberg in ihrer bewundernswerten Studie zur »Geschichte der westdeutschen Medienöffentlichkeit 1945–1973« (Göttingen 2006) die zwischen 1921 und 1932 Geborenen einordnet; diese waren damals um 40, wir um 30 Jahre alt. Unsere Kritik an ihrem beruflichen Selbstverständnis lautete: In ihrem Verhältnis zu Gesellschaft, Politik und zum Leser haben sich vor- und pseudodemokratische Elemente gehalten, typisch deutsche, und Traditionen, die nun an den Verhältnissen älterer Demokratien wie England und USA zu justieren seien. Das Buch war, wie gesagt, recht erfolgreich; die Entwicklungen zugunsten einer Reform des Lokalteils dürften dadurch eine Unterstützung gefunden haben; seit Jahrzehnten zeigen die Ergebnisse der diversen Journalistenumfragen einen anhaltenden Trend zur Akzeptanz der Vermittlerrolle – das verwies zumindest auf einen Gleichklang diverser Entwicklungen. Trotzdem war ich, als Anfang der 90er Jahre von einem Verlag die Frage einer Neuauflage zur Debatte gestellt wurde, eigentlich dagegen. Der Grund: Ich selbst hatte mich von der Idee einer Vermittlerrolle in der traditionellen Fassung langsam weg entwickelt. Ursache dafür war eine Fernseh-Dokumentation von Dagobert Lindlau über Jack Anderson, die 1976 in der Primetime (!) lief. (»Einer, der Washington das Gruseln lehrt.« ARD, 14.4.1976, 20.15 h.) Dort begegnete ich zum ersten Mal – wie wir wohl alle – dem Begriff des »investigativen Journalismus«. Von den entscheidenden Passagen machte ich ein Transskript – und wurde in Vorlesungen, Vorträgen und Veröffentlichungen zum geradezu leidenschaftlichen Apologeten dieser Erscheinung einer rechercheintensiven, journalistischen Arbeit. Noch 1984 trug mir dies angesichts meiner Antrittsvorlesung in Wien den heftigen Vorwurf ein, einem moralisch fragwürdigen Sensations- und Enthüllungsjournalismus das Wort zu reden. Dabei hatte sich dieser als durchaus seriöses politisches und wirtschaftliches Kontrollinstrument längst auch in Österreich kultiviert. Bezeichnenderweise erschien im gleichen Jahr wie Lindlaus Gespräch mit Anderson auch der erste theoretische Beitrag zum Thema Recherche: Ulrich Saxers im Rahmen der Fortbildungsangebote von ARD und ZDF entstandener Text über »Recherche als journalistischer Auftrag und Prüf-

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stein« (In: Fernsehen und Bildung, 10. Jg., Heft 3) Zusammen mit anderen Vorgängen und Beobachtungen war das für mich der Beweis für einen notwendig gehaltenen Wandel des Journalismus. Dies sollte auch der 1980 von mir im Rahmen der noch jungen Reihe »Praktischer Journalismus« herausgegebene Band (»Journalismus & Journalismus. Plädoyers für Recherche und Zivilcourage«) dokumentieren. Mein Koautor des »Missachteten Lesers« und Freund Peter Glotz war nun längst Berufspolitiker – und hielt aus dieser Sicht an der Kritik am Journalismus fest. Am gemeinsam von uns verantworteten Vorwort zur Neuauflage 1993 lässt sich das ablesen; mir passte auch der Titel nicht mehr, denn in den seitdem vergangenen 30 Jahren hatte sich in der Zeitungslandschaft wie in der Wissenschaft so vieles so dramatisch verändert, dass ein wirklich zeitgenössischer Titel nach meinem Urteil hätte lauten müssen: »Der unterforderte Leser«. Uns standen damals nur die bescheidenen Wissensbestände einer sich erst langsam zur empirischen Wissenschaft entwickelnden Disziplin zur Verfügung; zu Anfang der 90er Jahre hatte die Fülle der Forschung längst eine völlig neue Situation geschaffen. Mit ihr als Rohmaterial wäre statt einer Neuauflage jetzt ein neues Werk fällig, verfasst – wie damals – von Dreißigjährigen, als zeitgemäße, »echte Provokateure aus dem Fach«. Dieses Kompliment machte uns noch 2006 Ralf Hohlfeld in seinem anregungsreichen Aufsatz »Öffentlichkeit als Bedrohung« und bestätigte, es sei uns gelungen, »darin Verlegern und Journalisten gehörig die Leviten« zu lesen. »Sie konnten seinerzeit noch eine ganze Branche aufrütteln, indem sie pointiert auf das Problem verkrusteter Strukturen in Zeitungsredaktionen hinwiesen.« Inzwischen sind weitere 20 Jahre vergangen. Wo sind die neuen »Provokateure«? Dreißigjährige Kolleginnen und Kollegen gibt es mehr denn je. Was hindert sie »über den Sprengel der Fachzeitschriften« hinauszuschreiben? (Ralf Hohlfeld. In: Christina Holtz-Bacha u. a. (Hg.): 50 Jahre Publizistik, Wiesbaden 2006, 391-410.)

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Eine Titelseite, die Geschichte schrieb: Der Stern vom 6. Juni 1971 mit Bekenntnissen unter anderem von Romy Schneider und Senta Berger.

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Erinnerungen an Abtreibungs-Bekenntnisse von Ingrid Kolb Der Anruf in der Hamburger Stern-Redaktion kam aus Paris. Am Apparat war die freie Journalistin Alice Schwarzer und ihr Vorschlag war unerhört. Wenn das Magazin bereit sei, bei einer Aktion gegen den Paragraphen 218 mitzumachen, würde sie es organisieren, dass auch in Deutschland Frauen öffentlich bekennen würden: »Wir haben abgetrieben!« Der zuständige Ressortleiter zweifelte, dass hierzulande klappen würde, was in Frankreich gelungen war: Dort hatten sich im Nouvel Observateur 343 Frauen des illegalen Schwangerschaftsabbruchs bezichtigt, allen voran Simone de Beauvoir, Jeanne Moreau und Françoise Sagan. Aber wenn es gelingen würde, dann wäre das natürlich eine Sensation. »Setzen Sie sich ins nächste Flugzeug und kommen Sie hierher«, sagte der Ressortleiter. Und so kam es, dass am 6. Juni 1971 der Stern mit der inzwischen legendären Titelgeschichte »Wir haben abgetrieben!« erschien. Darin bekannten 374 Frauen unter Nennung ihres Namens, ihres Berufs, ihres Alters und ihres Wohnorts, gegen den Paragraphen 218 verstoßen zu haben. Unter ihnen Prominente wie Romy Schneider und Senta Berger; überwiegend waren es jedoch Studentinnen, Sekretärinnen, Hausfrauen. Sie alle riskierten Strafanzeigen bei dieser Kampfansage gegen den hundert Jahre alten Paragraphen, der Frauen mit Gefängnis bis zu fünf Jahren bedrohte. Dabei war bekannt, dass selbst die Todesstrafe unter den Nazis Frauen nicht davon abgehalten hatte, sich in die Hände von Kurpfuschern und Engelmacherinnen zu begeben, wenn sie in Not waren und keinen anderen Ausweg wussten. Nach einer vorsichtigen Schätzung kamen damals jährlich 50 Frauen bei illegalen Abtreibungen ums Leben. Wie viele ihre Gesundheit für immer ruinierten, wie viele unfruchtbar blieben, wie viele nach einem solchen Eingriff Sexualität nur noch angstvoll erlebten, weiß niemand. Der Stern hatte seinen Knüller. Aber zum »Journalismus, der Geschichte schrieb«, wurde der Stern-Titel durch das, was danach geschah. Es war diese

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Aktion, die den Beginn der neuen deutschen Frauenbewegung markierte. Im Rahmen der 68er Bewegung waren vor allem Studentinnen aufmüpfig geworden. Sie merkten sehr wohl, wie sie im Namen der Revolution in Dienst genommen wurden. Sie durften die hehren Gedanken der Wortführer tippen, die Kinder versorgen und im Bett auf die Helden warten – »Oder bist du noch so spießig?« – Auf dem SDS-Kongress am 13. September 1968 in Frankfurt flogen dann die ersten Tomaten und beim nächsten Bundeskongress kursierte schon das Flugblatt: »Befreit die Eminenzen von ihren bürgerlichen Schwänzen.« Damals wanderten viele Genossinnen ab, gründeten radikale Frauengruppen und Weiberräte. Bei Altvater Bebel hatten sie gelesen, die Frauen dürften so wenig auf die Hilfe der Männer warten wie die Arbeiter auf die Hilfe der Bourgeoisie. Daran hielten sie sich jetzt. Aber die Genossinnen aus dem Lager der Apo wären alleine niemals in der Lage gewesen, die Frauen massenhaft zu einer Protestbewegung zu vereinen und zum Kampf für ihre Rechte auf die Straße zu bringen. Das Bild der 68erinnen war geprägt vom wilden Leben in den Kommunen, von Uschi Obermeier und freier Liebe. Damit mochte sich die Mehrheit der deutschen Frauen nicht identifizieren. Aber es hatte sie eine Unruhe befallen. Sie lasen von frechen Frauenprotesten in anderen Ländern. In den USA warfen Emanzen ihre Büstenhalter auf den Müll. In Holland kniffen die »dollen Minnas« männlichen Gaffern bei ihren Protestumzügen schon mal in den Hintern. Französinnen legten am Arc de Triomphe einen Kranz nieder: »Für die unbekannte Frau des unbekannten Soldaten.« In Deutschland fehlte nur das berühmte Streichholz an der Lunte. Ein Signal, das alle erreichte, die Frau im Reihenhaus genauso wie die in der Studentenbude, die Mütter und die Nicht-Mütter, die Hausfrauen und die Berufstätigen, alle, die bereit waren, sich gegen Doppelmoral, Vorurteile, Ausbeutung und Bevormundung zu wehren. Dieses Signal setzte der Stern mit seiner Kampagne gegen den Paragraphen 218. Die Polizei-Aktionen nach der Veröffentlichung, die Razzien und Einschüchterungsversuche trugen nur dazu bei, die ungeheure Wut noch weiter wachsen zu lassen. Überall im Land bildeten sich Frauengruppen. Täglich solidarisierten sich Tausende. Die neue deutsche Frauenbewegung war geboren und nahm den Kampf um gleiche Rechte und gleiche Chancen auf. Ich wage hier mal die Behauptung: Das war nicht nur »Journalismus, der Geschichte schrieb«, das war Journalismus, der das Land veränderte. Für Frauen. Für Männer. Bis heute! Und immer noch!

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Erinnerungen an deutsch-polnische Schulbuchgespräche von Johannes Hoffmann Bereits sechs Jahre nach Kriegsende, im Jahre 1951, wurde eine »deutschfranzösische Vereinbarung über strittige Fragen europäischer Geschichte« verabschiedet. Es war das erste Ergebnis internationaler Schulbucharbeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Initiator einer Vielzahl von Initiativen zur Aussöhnung mit den ehemaligen Kriegsgegnern, der sich insbesondere das deutsch-polnische Verhältnis betreffend um Völkerverständigung durch bilaterale Schulbucharbeit und Geschichtsunterricht bemühte, war der leider viel zu früh 1974 verstorbene Professor Georg Eckert von der PH in Braunschweig. Im Jahre 1975 gelang es, sein An-Institut in eine eigenständige Institution umzuwandeln mit dem Namen »Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung.« England, Frankreich, Dänemark, Belgien, Norwegen und die USA waren erste Partner in Schulbuchgesprächen mit positiven Ergebnissen. Als zweiter Meilenstein in der Arbeit des GeorgEckert-Instituts sind die deutsch-polnischen Schulbuch-Empfehlungen aus dem Jahre 1976 zu nennen. Sie markieren die inzwischen erfolgte Hinwendung des Instituts zu den ehemaligen östlichen Kriegsgegnern bzw. Nachbarn: namentlich zur Tschechoslowakei und der SU. Leider sind damals keine nennenswerten Ergebnisse zustande gekommen. Schulbuch-Gespräche mit Ungarn und Rumänien zeitigten zumindest Teilergebnisse. Bis es zur Vorlage der endredigierten »Empfehlungen für Schulbücher der Geschichte und Geographie in der Bundesrepublik Deutschland und in der Volksrepublik Polen« im Jahre 1976 kam, waren sieben jährliche deutsch-polnische Konferenzen vorausgegangen. Unter anderem wurde bei diesen Gesprächen das heikle Thema »Deutscher Orden« und das weniger aufgeladene Thema »Die deutsch-polnischen Beziehungen 1831–1848

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(Vormärz)« behandelt. Die Ergebnisse wurden in Heftform veröffentlicht und äußerst kontrovers in der Presse diskutiert. Annähernd 20 weitere Publikationen folgten bis heute. Kaum, dass die Empfehlungen Ende 1975 in Umrissen bekannt geworden waren, meldeten sich die Kritiker zu Wort – in einer solchen dichotomischen Unerbittlichkeit, dass man fast von einem Pressekrieg sprechen kann, der bis Ende 1979 anhielt. Heftig diskutiert wurde mit großem publizistischem Aufwand zeitgleich seit 1970 die Ratifizierung der Brandtschen Ostverträge. Eingeschoben sei hier der Hinweis, dass kürzlich in Warschau ein Denkmal errichtet wurde in Erinnerung an den Kniefall Willy Brandts im Dezember 1970 vor dem Warschauer Ghetto-Denkmal. Im August 1978 veröffentlichten – die Diskussion erneut anheizend – zwei Geschichtsprofessoren, Wolfgang Stribrny und Josef Joachim Menzel, aus dem oberschlesischen Kreis Neisse stammend, sowie der Studiendirektor Eberhard Völker »Alternative Empfehlungen zur Behandlung der deutschpolnischen Geschichte in den Schulbüchern«. Zuvor hatte die Ebert-Stiftung eine umfangreiche Dokumentation zu den deutsch-polnischen SchulbuchDebatten in den Landtagen veröffentlicht. Weitere Institutionen und Verbände folgten mit Sonderstellungnahmen und Veröffentlichungen. Etwa 60 Sonderveröffentlichungen zu dieser Thematik nehmen fast einen Meter Regal in meinem Bücherschrank ein. Zehn umfangreiche Debatten zu den deutsch-polnischen Schulbuchgesprächen fanden zwischen 1976 und 1979 in insgesamt sieben Länderparlamenten statt. Im nordrhein-westfälischen Landtag beteiligten sich unter anderem Katzy, Dammeyer, Hinrichs, Girgensohn, der damalige Kultusminister, Schulze-Stapen von der CDU und Grätz von der SPD an der Debatte. Alles Namen, Herr Koszyk, die Ihnen sicherlich noch in Erinnerung sind. Uns interessiert natürlich anlässlich der Ehrung eines JournalistikProfessors insbesondere der Anteil der Presse- und Zeitschriftenäußerungen. Eine sehr verdienstvolle Dokumentation, herausgegeben von dem damaligen wissenschaftlichen Mitarbeiter des Georg Eckert-Instituts und späteren Geschichtsdidaktik-Professors Wolfgang Jacobmeyer an der Universität Münster, mit dem Titel »Die deutsch-polnischen Schulbuch-Empfehlungen in der öffentlichen Diskussion der Bundesrepublik Deutschland« dokumentiert auf 180 Seiten zunächst die Debatten der Landtage von Hamburg bis Bayern zum Thema. Auf insgesamt 238 Seiten hat Jacobmeyer dann im zweiten Teil ausgewählte – ich betone ausgewählte, abundierende Beiträge lässt

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er weg – Presse- und Zeitschriftenäußerungen gesammelt. Allein 84 Verfasser von Artikeln und Aufsätzen mit teilweise mehreren Seiten Umfang findet man im Verfasserregister. Das Medienregister umfasst 85 unterschiedliche Medienprovenienzen – sprich Zeitungen und Zeitschriften. Die Zeitung Die Welt hat immerhin neun Mal, die Frankfurter Rundschau acht Mal und die Süddeutsche Zeitung fünf Mal die Problematik der deutschpolnischen Schulbuchgespräche aufgegriffen. Die FAZ hat allein zehn Beiträge veröffentlicht. Es sei erlaubt, den neun Seiten umfassenden Artikel des aus Polen stammenden Osteuropa-Experten der Universität Mainz, Prof. Gotthold Rhode, besonders hervorzuheben, der an allen Konferenzen von 1972 bis 1976 teilgenommen hat und in seinen FAZ-Beiträgen, wie dem vom 31. Januar 1976, mäßigend versucht, Missverständnisse auszuräumen – insbesondere wenn es um in der öffentlichen Diskussion besonders umstrittene Begriffe wie Zwangsausgesiedelte für Vertriebene, Transfer (für Vertreibung) sowie die Nichterwähnung des Hitler-Stalin-Abkommens vom 23. August 1939 geht. In der von mir 1986 herausgegebenen Bibliographie mit dem Titel »Stereotypen, Vorurteile, Völkerbilder in Ost und West – in Wissenschaft und Unterricht« sind »zur deutsch-polnischen Schulbuchdiskussion allgemein« in wissenschaftlichen Zeitschriften und Sammelbänden insgesamt 127 Beiträge erfasst worden, in 57 weiteren ebendort aufgeführten Beiträgen wird die deutsch-polnische Thematik in Geschichts-Schulbüchern untersucht. Weiterhin sind noch insgesamt 29 wissenschaftliche Beiträge zu Spezialfragen erfasst. Parallel zu den Geschichtskonferenzen tagte in der Regel eine deutschpolnische Geographie-Kommission, die mit 33 wissenschaftlichen Beiträgen in der genannten Bibliographie zu Buche schlägt. Eine zentrale Aufgabe dieser Kommission war, eine Lösung zu finden, wie Schülern in deutschen Schul-Geographie-Büchern die Ortsnamen der historischen deutschen Ostgebiete – und heutigen polnischen Westgebiete – im Unterricht zu vermitteln seien; genährt von der Befürchtung, die deutschen Ortsnamen könnten deutsche Besitzansprüche implizieren. Heute kaum mehr vorstellbar, waren diese Fragen in den siebziger und achtziger Jahren in der zwischenmenschlichen und medialen deutschen Begegnungskultur ein zentrales, Parteizugehörigkeit signalisierendes Bekenntnis. Man einigte sich darauf, dass geographische Namen, Namen von Völkern und Ländern in der üblichen Unterrichtssprache verwendet werden. »Aus didaktischen Gründen kann eine zweisprachige Bezeichnung erforderlich sein.«

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Erst auf der 31. gemeinsamen deutsch-polnischen Schulbuch-Konferenz im Jahre 2005 wurde das schwierige Thema »Vertreibung« einer systematischen Betrachtung unterzogen. Grundsätzlich muss angemerkt werden, wie abhängig in den Jahren der Beratungen vor 1989 die polnischen Vertreter waren, in welcher Weise die polnischen Wissenschaftler als verlängerter Arm der Deutschlandpolitik des kommunistischen Polens instrumentalisiert wurden. So durfte beispielsweise das Hitler-Stalin-Abkommen vom 23.08.1939 mit Rücksicht auf den Großen Bruder Sowjetunion, der mit Hitler diesen Vertrag geschlossen hat, nicht erwähnt werden. Schwer tat man sich von polnischer Seite mit der Frage der Anerkennung eines deutschen Widerstands gegen Hitler. Die Danzig-Frage, die deutsch-polnische Grenzziehung nach dem Ersten Weltkrieg, die Abstimmung in Oberschlesien nach dem Ersten Weltkrieg waren weiterhin schwierige, in »einvernehmliche«, beidseitig tragbare Empfehlungen zu fassende Problembereiche. Dennoch lässt sich resümierend im Nachhinein anerkennen, was Gotthold Rhode den Kritikern an der Arbeit der Kommission (vgl. FAZ vom 31.1.1977, S. 9) ins Stammbuch geschrieben hat: »Wer 1945 vorausgesagt hätte, dass polnische und deutsche Historiker und Geographen der Kriegsgeneration zwar hart, aber sachlich und höflich-kollegial in Warschau in deutscher Sprache über die Möglichkeit der Versachlichung der Schulbücher und des Geschichtsunterrichts verhandeln würden, wäre für geistesgestört erklärt worden.« Inzwischen bestimmen nach der Wende zwei grundlegende, äußerst positiv zu bewertende Projekte den deutsch-polnischen Schulbuch-Diskurs. Im Jahre 2008 ist der Startschuss gefallen für ein gemeinsames deutsch-polnisches Geschichtsbuch. Wie im deutsch-französischen Fall soll in beiden Staaten ein lehrplankompatibles Geschichtsbuch für den Geschichtsunterricht in den nächsten Jahren erstellt werden. Das zweite, auf fünf Jahre angelegte Projekt dürfte als das größte deutsch-polnische Projekt seit Aufnahme der deutsch-polnischen Schulbuch-Gespräche im Jahre 1972 zu bezeichnen sein: »Deutsch-polnische Erinnerungsorte« werden auf Initiative des Berliner Zentrums für Historische Forschung der Polnischen Akademie der Wissenschaften (Leiter: Prof. Dr. Traba) im Zusammengehen mit über hundert Autoren untersucht und mehrbändig veröffentlicht. Geschichtsschreibung als Geschichte zweiten Grades (französisch: histoire au second degré) konzipierte vor etwa zwanzig Jahren der franzö-

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sische Historiker Pierre Nora. Es geht ihm um die Erforschung der Entstehung und der Veränderungen des kollektiven Gedächtnisses. Er fragt nach den identitätsstiftenden Funktionen von Erinnerungen, die er in der »Geschichte zweiten Grades« als Erinnerungsorte bezeichnet. Es handelt sich hierbei nicht unbedingt um Orte im topografischen Sinne, vielmehr um »symbolische Figuren«. Dies können Lieder ebenso sein wie Personen, Schlachten1, strukturelle Begriffsfelder, historische Phänomene wie der deutsche Osten oder Ostpreußen, Schlesien, das Auslandsdeutschtum, die polnische Widerstandsarmee im Zweiten Weltkrieg AK, der Warschauer Aufstand, der Deutsche Osten oder die Teilungen Polens. Dieses Projekt will einen fundierten Beitrag zum gegenseitigen Verstehen deutscher und polnischer Geschichtsbilder leisten. Abschließend noch zwei persönliche Eindrücke aus dieser Zeit: Rudolf Schridde, ehemaliger Rektor der PH Ruhr, und ich haben im Jahr 1975, also mitten in der Zeit der turbulenten deutsch-polnischen SchulbuchDebatten, bei der Dortmunder Auslandsgesellschaft den bis heute bestehenden deutsch-polnischen Länderkreis gegründet. Selbstverständlich haben wir auch zweimal die deutsch-polnischen Schulbuchgespräche zum Thema einer Abendveranstaltung gemacht. Über 70 Personen waren gekommen. Beide Male herrschten in der Diskussion turbulente Zustände, die Kurt Koszyk fast gehört haben könnte, denn er wohnte ja zu dieser Zeit nicht weit von der Arndtstraße entfernt, wo seinerzeit die RWAG (Rheinisch-Westfälische Auslandsgesellschaft) ihr Domizil hatte.

Literatur: Thomas Strobel, Die Gemeinsame deutsch-polnische Schulbuchkommission. Ein spezifischer Beitrag zur Ost-West-Verständigung 1972–1989, in: Archiv für Sozialgeschichte 45 (2005), S. 253–268.

1 Zum Beispiel ist unter dem Begriff »Schlacht bei Tannenberg« heute vor allem eine Schlacht des Ersten Weltkrieges 1914 bekannt, die deutsche Truppen gegen die russische Armee gewannen. Diese war anfänglich viel treffender von den deutschen Medien als »Schlacht bei Allenstein« bezeichnet worden. Paul von Hindenburg bat aber zu Propagandazwecken um Umbenennung. Damit wollte er die Niederlage der Ritter des Deutschen Ordens gegen die Litauisch-Polnische Union im Jahr 1410 überstrahlen, die als »Schlacht bei Tannenberg« in die Geschichtsschreibung eingegangen war.

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Fälschungen, Verzerrungen und Stereotypen in den Medien aufzudecken war ein erklärtes Ziel der „Blätter des iz3w“. Diese Titelseite brachte Autor Horst Pöttker zum Nachdenken darüber, was Fälschung eigentlich bedeutet.

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Erinnerungen an antiimperialistische Umwege zum Journalismus von Horst Pöttker Dass ich Journalist und Journalistenausbilder geworden bin und hoffentlich ein diesen Berufen angemessenes Selbstverständnis entwickelt habe, lässt sich wiederum als Trotz-Reaktion auf ganz andere Umstände erklären, mit denen ich als Student konfrontiert war. Anfang der 1970er Jahre schloss ich mich, wie sollte es in jenen Jahren bei einem Soziologie-Doktoranden anders sein, einer linken Studentengruppe an, der »Aktion Dritte Welt« in Freiburg, die seit 1971 eine Zeitschrift Blätter des iz3w (iz3w steht für Informationszentrum Dritte Welt) herausgab. Die gibt es übrigens noch. Ganz am Anfang wurde sie von Laienredakteuren fabriziert, die – mich eingeschlossen – darin die Abhängigkeit der armen Länder von den multinationalen Konzernen entlarven und die Befreiungsbewegungen in Indochina und den portugiesischen Kolonien in ihrem Kampf um Unabhängigkeit unterstützen wollten. Dazu gehörten beispielsweise auch Spendensammlungen für die Befreiungsbewegungen oder die Organisation von Vortragsreisen für deren Vertreter. Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, habe ich Robert Mugabe, immer noch Präsident von Simbabwe und nach unserem heutigen Kenntnisstand einer der schlimmsten Diktatoren dieser Erde, bei so einer Vortragsreise durch die Bundesrepublik einmal mein Bett zur Übernachtung überlassen. Bald merkten wir, dass die Zeitschrift mindestens einen hauptamtlichen Redakteur brauchte. Als der wurde ich auserkoren – nicht etwa, weil ich mehr journalistische Erfahrung gehabt hätte als die anderen, sondern weil man meinte, sich bei mir einigermaßen auf Rechtschreibung und Termintreue verlassen zu können.

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Was die inhaltliche Arbeitsteilung betraf, war mir das Ressort Medienkritik zugefallen. Damals hieß das: Ich deckte in meinen Beiträgen Fälschungen, Verzerrungen und Stereotypen auf, mit denen die von Profitgier besessenen Medien die imperialistischen Strategien der deutschen Konzerne deckten und rassistische Vorurteile gegen die Völker der Dritten Welt, besonders die Befreiungsbewegungen, schürten. So gestaltete ich beispielsweise ein Themenheft »Dritte Welt im Spiegel der Massenmedien«, auf dessen Titelblatt in der bürgerlichen Presse behauptete Brutalitäten afrikanischer Befreiungskämpfer als Fälschungen entlarvt wurden. Und auf das Titelblatt eines Hefts »Revolutionäre Gewalt in Indochina« setzte ich ein Foto, das einen Roten Khmer kurz nach dem Abzug der Amerikaner aus Phnom Penh zeigt, der seine gezückte Pistole auf etwas jenseits des Bildrands richtet. Darunter zitierte ich die Bildunterschriften, mit denen dieses Foto durch die Presse gegangen war, in der Zeitung Die Welt beispielsweise: »Kambodschanischer Soldat beim Plündern«, und im Magazin Stern: »Dem Sieg folgte die Rache an den Reichen«. Darunter setzte ich folgenden eigenen Text: »Nach Aussage Christoph Maria Fröhders, von dem dieses Foto stammt, zeigt es einen Soldaten der siegreichen kambodschanischen Befreiungsbewegung, der gegen Plünderungen vorgeht.« Der Text enthielt nichts wirklich Falsches. Nach dem guten journalistischen Prinzip, eine Organisation so zu bezeichnen, wie sie sich selbst nennt, war die Charakterisierung der Roten Khmer als »Befreiungsbewegung« korrekt, und militärisch siegreich sind die Khmer ja tatsächlich gewesen. Dennoch habe ich mich später dafür geschämt, nachdem ich ein kambodschanisches Ärzteehepaar kennengelernt hatte, das mit knapper Not der Vernichtung durch das Pol Pot-Regime entkommen war und sich jahrelang im Dschungel von Würmern und Wurzeln ernährt hatte. Denn abgesehen von dem triumphalen Unterton, mit dem ich uns auf die Seite dieses mörderischen Regimes schlug, auch wenn dessen mörderischer Charakter erst später feststand, erweckten meine Formulierungen den Eindruck, als habe es Plünderungen und andere Gewalttaten der Roten Khmer in Phnom Penh nicht gegeben. Daraus, dass eine Nachricht gefälscht ist, kann man freilich – Sir Popper lässt grüßen – nicht schließen, dass es den von der Fälschung mitgeteilten Fakt nicht gibt. In einem Beruf, dem es um die Wahrheit geht, ist solch ein Schluss ein professioneller Fehler. Die antiimperialistische Solidarität begann mir spanisch vorzukommen, als die Befreiungsbewegungen, nachdem sie sich durchgesetzt hatten, plötzlich gegeneinander Kriege führten. Ich meinte, es sei ein Irrtum, diese

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Bewegungen für sozialistisch zu halten. Darüber, dass wir sie stattdessen lieber als nationalistische Verbände, als eine Art Freikorps der Dritten Welt betrachten sollten, publizierte ich einige Artikel, die in der SolidaritätsSzene ziemliches Aufsehen erregten. Manche Genossen suchten mich mit dem Argument zurückzuhalten, so etwas könnten wir doch nicht veröffentlichen, das schade den Befreiungsbewegungen, selbst wenn es stimme. Ich merkte dann, dass es mir zunehmend egal wurde, wem Informationen, wenn sie stimmen, schaden oder nützen könnten, und verteidigte mit zunehmender Vehemenz das Ziel, vor allem eine interessante Zeitschrift zu gestalten, die viele Leser findet. Irgendwann war die Kluft zwischen politischem und publizistischem Wollen nicht mehr zu überbrücken. Durch diese Kontrast-Erfahrung hat sich mir publizistisches Denken tiefer eingebrannt, als ich es von positiven Vorbildern hätte übernehmen können. Journalist, das habe ich dabei gelernt, ist ein Beruf sui generis, den man an keine andere Aufgabe und Logik anhängen kann. Ich bin sicher, dass die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland in den sechs Jahrzehnten Pressefreiheit, auf die wir heute zurückblicken, den Wert des Prinzips Öffentlichkeit, der Transparenz bestehender Verhältnisse für ihre eigene Selbstregulierungsfähigkeit mehr und mehr zu schätzen gelernt hat. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Einsicht kontinuierlich formuliert. Vielleicht noch zu wenig im kulturellen Humus der Gesellschaft verwurzelt ist die Achtung vor dem Journalismus, von dessen Unabhängigkeit, Fairness und Professionalität es abhängt, ob der Wert des Prinzips Öffentlichkeit auch realisiert wird und zur Geltung kommen kann. Dass das leider so ist, mag wohl auch daran liegen, dass manche Journalisten sich ihrer Aufgabe selbst zu wenig bewusst sind, weil sie nicht das Glück hatten wie ich, ihr berufliches Selbstverständnis im Konflikt mit fremden, konkurrierenden Ansprüchen der Politik, der Religion, der Pädagogik, der Wissenschaft usw. herauszubilden.

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Die erste Ausgabe der London Review of Books vom 25. Oktober 1979. Die Zeitschrift, die aus einer Krise heraus entstand, gibt es noch heute.

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Erinnerungen an »The London Review of Books« von Jürgen Kramer Mein Vater war ein Schweizerdegen. Wer sich in der Druckersprache auskennt weiß, dass mit diesem Begriff – unter Anspielung auf die zweifache Schneide der Waffe – eine Person bezeichnet wird, die zwei Ausbildungen – die zum Buchdrucker und die zum Schriftsetzer – erfolgreich absolviert hat. Als Kind habe ich meinen Vater hin und wieder in der Druckerei, in der er arbeitete, besucht und auch einen Winkelhaken, ein paar Typen und Durchschüsse zum Spielen bekommen. Wenn ich auch selbst kein Schweizerdegen werden wollte, so hat mich doch der erkennbare Stolz meines Vaters auf seinen Beruf – der für ihn im kompetenten Umgang mit Material und Werkzeugen, im kreativen Gestalten von Druckerzeugnissen, vor allem aber in einem fehlerfreien Gebrauch der deutschen Sprache lag – beeindruckt. Ganz deutlich habe ich noch seinen entrüsteten Blick in Erinnerung, als ich ihm – er war mittlerweile Rentner – Anfang der 70er Jahre einen Zeitungsartikel zeigte, in dem beschrieben wurde, dass die »Bleizeit« zu Ende ginge und neue Satztechnologien seinen Arbeitsplatz bis zur Unkenntlichkeit verändern, ja zum Verschwinden bringen würden. Sein hilfloses »Das ist doch Mumpitz« habe ich nicht vergessen. Es sorgte dafür, dass ich – der ich mich allmählich zum kulturwissenschaftlich arbeitenden Anglisten entwickelte – im langen »Winter of Discontent« in Großbritannien 1978–1979 die Auseinandersetzungen zwischen dem Management und der Belegschaft von Times Newspapers Limited (TNL) mit besonderem Interesse verfolgte. Die Vorgeschichte des »Winter of Discontent« begann 1975 mit dem Versuch der Labour-Regierung, die Zustimmung der Gewerkschaften zu mäßigen Lohnerhöhungen zu gewinnen, um die Inflation zu bekämpfen. Zunächst kooperierten die Gewerkschaften, 1978 weigerten sie sich allerdings, einer Lohnsteigerungsgrenze von 5% zuzustimmen. Um ihre Produktionsprozesse nicht zu gefährden, scherten sich viele Arbeitgeber nicht um die Regel der Labour-Regierung, sondern nahmen lieber Strafzahlungen in Kauf. Das galt

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auch für die Fleet Street – mit Ausnahme von TNL, die sich nicht nur an die von der Regierung verordnete Lohngrenze hielt, sondern auch noch über die Einführung neuer Satztechnologie verhandeln wollte. Als sich die Gewerkschaften weigerten, drohte TNL, die Zeitungen zu schließen – was schließlich auch geschah: Vom 1. Dezember 1978 bis zum 12. November 1979 erschien weder die Times noch eines ihrer Supplements noch die Sunday Times. Der Titel des slots, in dem ich spreche, lautet nun aber nicht »Schließungen«, sondern »Öffnungen«. Dass zum einen die Einführung neuer Satztechnologien auch eine Öffnung im Sinne der Schaffung neuer Produktionsmöglichkeiten war, kann man kaum bestreiten. Dass diese Öffnung auch die Schließung herkömmlicher – identitätsstiftender – Produktionsweisen und Produktionsbeziehungen bedeutete, dürfte ebenso unstrittig sein. Dass zum anderen – auch als Folge des »Winter of Discontent« – die Konservativen unter Maggie Thatcher im Mai 1979 an die Macht kamen, wurde von vielen als politische »Öffnung«, von vielen aber auch als »Schließung« verstanden. Die Bewertung beider Prozesse beschäftigt Historiker und Kulturwissenschaftler immer noch. Leichter fällt die Bewertung eines dritten Ereignisses, das für die meisten der an den obigen Auseinandersetzungen Beteiligten vielleicht nicht mal eine Anekdote wert war, das aber (wie ich meine) als eindeutig positive Öffnung zu verstehen ist. Das nahezu einjährige Nicht-Erscheinen des Times Literary Supplement (TLS) führte zur Gründung einer neuen Zeitschrift: der London Review of Books (LRB). Das Fehlen einer wöchentlich erscheinenden Literaturzeitschrift, die sich seit Beginn des Jahrhunderts durch kompetente Rezensionen und bibliographische Recherche ausgezeichnet hatte, führte zur Neugründung einer zweiwöchentlich erscheinenden Zeitschrift, deren Form und Anspruch allerdings deutlich andere waren: Die große Zahl eher kurzer bis mittellanger Rezensionen im TLS wurde durch längere Essays ersetzt, wobei der Rahmen des Essays umfassendere und komplexere Fragestellungen – z. B. eher kulturals lediglich literatur-wissenschaftliche – erlaubte. Die erste LRB erschien am 25. Oktober 1979 und wurde ein halbes Jahr lang von der New York Review of Books, die ihrerseits 1963 aus dem New Yorker Druckerstreik entstanden war und nun bei der Schaffung der LRB Pate gestanden hatte, mit versandt. Im Frühjahr 1980 wurde die LRB unabhängig, und sie hat sich seitdem (mit einer Auflage von über 40 000 Exemplaren) neben dem (wieder erscheinenden) TLS hervorragend behauptet. Am 5. November 2009 ist die Thirtieth Anniversary Issue (Band 31, Nr. 21) erschienen. Jene Krise, so kann man füglich behaupten, hat sich zumindest kulturell gelohnt!

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Erinnerungen an Blindekuh-Ökonomie nach Enzensberger von Jürgen Heinrich Dass ich das Panel »Holzwege« eröffnen darf, betrübt mich etwas, aber vermutlich hat man von der Ökonomie nichts Anderes erwartet. Ich erinnere an einen Essay von Hans Magnus Enzensberger, ebenfalls Jahrgang 1929, wie Sie Herr Koszyk, an Enzensbergers Essay über die BlindekuhÖkonomie, im Februar 1982 im Kulturmagazin TransAtlantik erschienen. Dieser Beitrag hat seinerzeit viel beachtete Anstöße zur Besinnung auf die Rolle der Wirtschaft, der Wirtschaftswissenschaft und der Wirtschaftsberichterstattung gegeben, er erweckt eine Übereinstimmung im Erinnern und die bange Frage, wer war und ist hier auf dem Holzweg, was ist misslungen, wer hat Schuld an den Krisen der Wirtschaft und heute der Finanzkrise, und wer hat nicht rechtzeitig gewarnt? Enzensberger kritisiert die Wirtschaft, die Wirtschaftswissenschaft und den Wirtschaftsjournalismus in einer Weise, die heute wieder aktuell ist, aber doch Raum für Aktualisierungen bietet. 1. Die Wirtschaft habe keine blasse Ahnung was sie tut, »Wirtschaft sei ein blindes Gefummel im Dunkeln«, keiner sei für das Ganze zuständig. Da ist was dran. Ich zitiere aus dem aktuellen Jahresbericht der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) (2009, S. 4): »Zugleich ist das moderne Finanzsystem ungemein komplex, möglicherweise so komplex, dass es niemand wirklich verstehen kann.« Wenn die BIZ als Bank der Zentralbanken, als anerkannte Institution zur Analyse des internationalen Finanzsystems dieses nicht versteht, dann versteht es niemand mehr. 2. Die Wirtschaftswissenschaft sei ein unvorstellbares Durcheinander, Inflation und Deflation, Mikro und Makro, Input und Output, Aufschwung

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und Abschwung. Und in diesem Fach, meint Enzensberger, könne man mit dem größten Schwachsinn berühmt werden. Damals mit der Laffer-Kurve, heute mit der Formel zur Berechnung optimaler Wertpapiere und Wertpapieranlagen, als ob man Unsicherheiten – anders als Risiken – berechnen könnte. Immerhin ist die Debatte um die Ausrichtung des Faches entbrannt, vor allem im Wirtschaftsteil der Qualitätszeitungen; ich hoffe mit Folgen, nämlich mit der Rückbesinnung auf die Stärke unseres Faches, und das ist nicht die Mathematik, sondern die Staatsphilosophie in der Tradition der großen Ökonomen unseres Faches von Smith über Mill und Marx bis Marshall, Keynes und von Hayek, die meisten von ihnen waren auch berühmte Journalisten. 3. Die Wirtschaftsberichterstattung wird kritisiert: Sie sei langweilig, die Prosa noch holpriger als im innenpolitischen Teil, die Metaphorik sei üppig, der Tonfall gravitätisch und der Inhalt naiv, vertreten würden die Interessen des Kapitals. Wir kennen das seit Glotz und Langenbucher. Diese Kritik, allerdings nicht nur die von Enzensberger, war überaus erfolgreich: Die Wirtschaftsberichterstattung ist nicht mehr einseitig kapitalorientiert, Wirtschaftsjournalisten begreifen sich nicht mehr als Teil der Unternehmen, geradezu rührend bemühen sie sich um den kleinen Sparer oder den mündigen Verbraucher, so als ob es Fuß- oder Demenzkranke wären, und spannend ist die Lektüre des Wirtschaftsteils heute allemal. Und zurzeit ist die Debatte über Wirtschaftsberichterstattung wieder einmal entbrannt. Sie habe versagt in ihrem neoliberalen Rausch (Weischenberg). Dean Starkman, Herausgeber einer Online-Medienkritik der Columbia-University, spricht im Zusammenhang mit der Berichterstattung zur Finanzkrise sogar von einem Stockholm-Syndrom der Presse. Dies sind kühne Behauptungen, denen ich nicht zustimmen kann. Die Erfolglosigkeit kritischer Berichte zu den Machenschaften auf den Finanzmärkten scheint mir eher den Wahrnehmungsproblemen in einer Zeit knapper Aufmerksamkeit geschuldet zu sein. Es ist ja gewarnt worden, etwa Gretchen Morgenson (New York Times), die dafür 2002 den Pulitzerpreis bekam, oder die Los Angeles Times, die 2005 ausführlich über die Machenschaften einer berüchtigten Hypothekenbank berichtet hat, oder auch Der Spiegel hat kritisch über den Immobilienboom berichtet. Aber es ist wohl zu früh gewarnt worden, und das Interesse des Publikums erlahmte, als die düsteren Warnungen sich nicht gleich bewahrheiteten.

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Mir, aber nicht nur mir, scheint eine andere Entwicklung nicht nur der Wirtschaftsberichterstattung problematisch zu sein: die Personalisierung, Moralisierung und Skandalisierung. Ackermanns skandalisiertes Ziel einer Eigenkapitalrendite von 25 Prozent ist ganz normales Unternehmensziel, nicht nur für Banken; das Problem sind vielmehr die Verfahren zur Bestimmung der Gehälter der Banker, aber die kann man nicht mit einem Wort plakativ beschreiben. Über den Ackermanns, Mehdorns und Zumwinkels sind die Fakten zu kurz gekommen, man hat den investigativen Journalismus auf Personen konzentriert, in dem Wunsch, vielleicht exklusiv einen Manager zu Fall zu bringen, statt unbequeme Fakten über das Finanzsystem an das Tageslicht zu befördern. Das Problem sind die Fakten und ihre Darstellung, und nachfolgend die Zwänge der Medienaufmerksamkeit, die eine Personalisierung nahe legen oder erzwingen. Frank Lobigs hat das Dilemma beschrieben und eine Lösung vorgeschlagen. Um auf Enzensberger zurückzukommen: Enzensberger zitiert abschließend T. S. Eliot: »Between the idea and the reality, / Between the motion and the act, / Falls the Shadow« (S. 14) – und die Schatten fallen tief in uns hinein – Sie werden sich erinnern an diese großartige, von Ihnen herausgegebene Jahresgabe der Hoesch AG (1986), lieber Herr Koszyk. Wer hat also Schuld an der Finanzkrise? Die Wirtschaft in ihrer gierigen Komplexität, die Wissenschaft in ihrer rigorosen Einseitigkeit, die Wirtschaftsberichterstattung mit ihrer Art der Reduktion von Komplexität oder das Publikum oder der Bossa Nova?

Literatur: Enzensberger, Hans Magnus: Blindekuh-Ökonomie, in: Transatlantik, Februar 1982. Lobigs, Frank: Das Dilemma des populären Wirtschaftsjournalismus, in: JournalistikJournal 1/2009. Die Schatten fallen tief in uns hinein. Jahresgabe 1986 der Hoesch AG, Dortmund. Gemeinschaftsarbeit von Günter Sieber, Harald Bielig, Kurt Koszyk. Werk und wir. 1986.

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Diese sensationelle – und gefälschte – Geschichte musste der Stern 1983 mit einem hohen Verlust an Glaubwürdigkeit bezahlen.

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Erinnerungen an Tagebücher eines Führers von Wilfried Scharf Am 25. April 1983 teilt Chefredakteur Peter Koch dem »lieben Sternleser« mit, dass die Zeitschrift ab sofort die sensationell aufgetauchten HitlerTagebücher veröffentlichen werde. Wonach ganze Generationen von Historikern vergeblich gesucht hätten, das stelle der Stern nunmehr zur Verfügung. Reporter Gerd Heidemann habe einen kaum glaublichen Fund gemacht. »Die Geschichte des Dritten Reiches muss teilweise umgeschrieben werden.« Die Fragen nach der Echtheit habe das Blatt mit einer wissenschaftlichen Überprüfung beantwortet. Dem Vorwurf, damit »neonazistische Tendenzen« zu fördern, begegnet der Chefredakteur mit der Frage, woher ein Journalist das Recht ableite könne, »Dokumente solchen Gewichts zu unterdrücken«. Und der Stern beginnt in Heft 18/1983 mit dem Abdruck. Die verblüffte Fachwelt reibt sich die Augen. Sollte der als linksliberal geltenden Illustrierten dieser Scoop tatsächlich gelungen sein? Der ehemals als großer »Musikdampfer« unter »Kapitän« Henri Nannen (beteiligt an der SS-Propaganda-Aktion »Südstern«) fahrende Stern hat in den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts angeblich eine »Politisierung« erfahren. Autoren wie Sebastian Haffner, Joachim Fest und Golo Mann haben dem Blatt den Ruf als kompetenter Begleiter des Zeitgeschehens und kundiger Kommentator der Nazi-Vergangenheit verliehen. Henri Nannen, der sich selbst beim Blattmachen als »Lieschen Müller« charakterisiert, ist nur noch als Herausgeber tätig und über den Vorgang zunächst nicht informiert. Chefredakteure sind neben Peter Koch Felix Schmidt und Rolf Gillhausen. Doch die Skepsis überwiegt. Der Präsident des deutschen PEN-Zentrums, Martin Gregor-Dellin, schreibt, dass die mit der Publikation verbundene Geheimniskrämerei der Redaktion »neonazistischem Geraune verhängnisvollen Vorschub« leiste.

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Wenn der später mehrfach rechtskräftig verurteilte David Irving Zweifel an der Echtheit anmeldet, so wollen so renommierte Historiker wie Hugh Trevor-Roper und Eberhard Jäckel zunächst die Authentizität der publizierten Tagebücher nicht ausschließen. Die Blätter enthalten viel Banales, so kämpft Hitler darin mit Mundgeruch und seinem Stuhlgang, Eva Braun möchte Freikarten für die Olympischen Spiele 1936 usw. Angeblich ist Rudolf Heß’ Flug nach Großbritannien 1941 mit Hitler abgestimmt und als »Friedensmission« gedacht. Die Publikation bringt also durchaus den Versuch der Rechtfertigung des Diktators. Peter Koch, der kurz vorher die »Neue Heimat«-Affäre aus falsch begründetem Misstrauen gegen den Informanten an den Spiegel verloren hat, ist bereits auf dem Weg nach New York, um dort Reklame für die Tagebücher zu machen, zugleich aber, um sie von einem Schriftsachverständigen überprüfen zu lassen. Ganz sicher ist sich die Chefredaktion also nicht. Treibende Kraft in der Redaktion ist neben Heidemann der für Serien zuständige Thomas Walde. Und es gibt schon bald Interesse an den Tagebüchern bei Rupert Murdoch. Unter strengster Geheimhaltung hat der Stern das Landeskriminalamt RheinlandPfalz eingeschaltet, das die Schrift der Tagebücher für echt hält. Gruner & Jahr-Vorstandsvorsitzender Manfred Fischer schließt Sonderverträge mit Heidemann und Walde über die künftige Verwertung der Tagebücher. Da informiert Peter Koch das für die Zeitschrift zuständige Vorstandsmitglied Gerd Schulte-Hillen, dass der Schriftsachverständige in New York eindeutig eine Fälschung festgestellt habe. Eilig werden nun Bundeskriminalamt, Bundesarchiv und Bundesamt für Materialprüfung eingeschaltet, schließlich noch insgeheim ein schweizerisches Institut. Alle kommen binnen kurzem aufgrund von Materialprüfungen zu dem Ergebnis, dass die Papiere gefälscht sind. Das ergeben u. a. Papier- und Tintentests. Aber das folgende Heft wird auch von Henri Nannen nicht verhindert. Er schreibt sogar: »Der Streit um die Echtheit der Hitlertagebücher war vorauszusehen. Nicht vorauszusehen waren die unsachlichen Verdächtigungen, die Kübel von Unrat, über die ›Stern‹-Redaktion geschüttet von Besserwissern, Neidern, Konkurrenten und politischen Hassern. Ich meine, es ist an der Zeit, aufzuräumen mit der moralischen Verlogenheit, die da aus allen Ecken kriecht. […] Solange wir guten Glaubens sind, drucken wir weiter.« Damit ist nach einer AP-Meldung am 6. Mai 1983 um 13.27 Uhr Schluss. Darin verkündet der CSU-Innenminister Friedrich Zimmermann, der vom Spiegel und vom Stern wegen seiner Verwicklungen in Gerichtsverfahren »Old Schwurhand« genannt wird, nicht ohne sichtbare Schadenfreude,

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dass es sich bei den Tagebüchern um Fälschungen handelt. Und allmählich wird klar, dass Heidemann nicht mit der Chefredaktion verhandelt hat, weil er von dort keine Unterstützung erwartet, sondern mit dem Vorstand. Dieser hat ihn nach und nach in Bar bezahlt. Insgesamt 9,34 Millionen Mark. Stefan Aust enthüllt in Panorama, dass die insgesamt 62 in zwei Jahren geschriebenen Kladden von dem Militariahändler und Kunstmaler Konrad Kujau stammen, der das Material angeblich aus der DDR hat und Geschäftspartner von Heidemann gewesen ist. Dieser wird fristlos gekündigt und 1985 vom Landgericht Hamburg zu vier Jahren und acht Monaten Haft verurteilt. Kujau bekommt vier Jahre und sechs Monate. Andere Beteiligte werden nicht angeklagt. Die beiden Chefredakteure Koch und Schmidt treten zurück und werden nach schweren Auseinandersetzungen auf dem »Affenfelsen« von Peter Scholl-Latour ersetzt. Damit ist 1983 nach Michael Jürgs, der später selber Chefredakteur des Sterns gewesen ist, »die stolze Geschichte des Magazins« beendet. Bezahlt hat der Stern mit einem hohen Verlust an Glaubwürdigkeit durch die Geschichte von Fälschung, Gaunereien, Sensations- und Geldgier und – dies sei betont – durch die Rechtfertigung einer gefälschten historischen Revision. Ernst Nolte kommt drei Jahre später.

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Die Süddeutsche Zeitung am Tag nach dem Anschlag auf das Oktoberfest am 26. September 1980. Angesichts der bilderlosen Titelseite kann man exemplarisch fragen: Macht eine solche Berichterstattung journalistische Aufklärung und Analyse leichter?

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Erinnerungen an Attentate im Fernsehen von Rüdiger Funiok Auch in den 80er Jahren gab es eine Reihe von Attentaten und Terrorakten. Vier von ihnen seien herausgegriffen, um an ihnen zu zeigen, was das Publikum von der Fernsehberichterstattung erwartet und wie ein verantwortlicher Journalismus diese Erwartungen bedient. Am 26. September 1980 starben 13 Menschen bei der Explosion einer Bombe am Haupteingang des Münchner Oktoberfestes. 211 wurden zum Teil schwer verletzt. Der Anschlag mit rechtsterroristischem Hintergrund gilt als der schwerste Terrorakt der deutschen Nachkriegsgeschichte. Zweieinhalb Monate später, am 8. Dezember 1980, wurde John Lennon, Sänger und Ex-Beatle, vor seinem Appartement in New York erschossen. Am 30. März 1981 wurde US-Präsident Ronald Reagan von einem John W. Hinckley Jr. angeschossen und verletzt, da dieser die Schauspielerin Jodie Foster damit beeindrucken wollte. Am 13. Mai 1981 wird Papst Johannes Paul II. vom türkischen Rechtsextremisten Mehmet Ali Agca wohl im Auftrag des bulgarischen Geheimdienstes durch drei Pistolenschüsse lebensgefährlich verletzt. Was interessiert das Fernsehpublikum vordringlich? Da ist sicher das Interesse an Aufklärung und Einordnung: Wer steckt dahinter? Ist es ein Einzeltäter oder handelte er im Auftrag einer Organisation, einer politischen Bewegung? Beim Münchener Oktoberfest-Attentat fragen sich bis heute noch viele, ob der Einzeltäter Gundolf Köhler nicht doch von rechten Wehrsportgruppen zu seiner Tat ermuntert wurde. Bei Ali Agca brachten Recherchen, vor allem nach 1989, einigermaßen Klarheit. Die beiden Schützen auf John Lennon und Ronald Reagan handelten aus ihrer Befangenheit in einer medialen Fanwelt heraus.

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Fernsehen braucht Bilder. Die Bilder, die es für das Forschen nach dem Täter und seinen Motiven machen kann, sind eher nüchtern: Stellungnahmen der ermittelnden Behörden, Vermutungen und Kommentare von Experten. Reden und Auskünfte, wie sie auch in der Zeitung stehen, da noch ausführlicher. Das ist bei dem zweiten Interesse, das wir Zuschauer haben, anders: bei unserem Wunsch, den Tathergang gezeigt zu bekommen, um ihn gleichsam mit- und nachzuerleben. Wir wollen durch dokumentarische Bilder sehen, wie das Ganze abgelaufen ist. Zugleich bewegen, ja schockieren sie uns. Paradoxerweise gibt es den Wunsch, sie mehrfach zu sehen – nicht erst seit dem 11. September 2001 –, um das Ganze wahrhaben und verarbeiten zu können. Viele dieser Bilder haben sich in das individuelle und kollektive Gedächtnis eingegraben. Dieses Verlangen nach authentischen und bewegenden Bildern steht dem Wunsch nach Analyse und Aufklärung teilweise entgegen. Emotionales Nacherleben-Wollen kann das Interesse an Aufklärung behindern, es zumindest an die zweite Stelle rücken. Auf jeden Fall muss sich der Fernsehjournalismus entscheiden, wie stark und mit welchen Bildern er das eine und das andere Interesse bedient. Meist gibt es zu wenig Bilder, vor allem vom Tathergang: Vom Attentat auf John Lennon und vom OktoberfestAttentat nur solche von den Folgen, bei den Schüssen auf Ronald Reagan und Johannes Paul II. wenigstens verwackelte Bilder. Aber auch wenn man sie hat, stellt sich die Frage, in welcher Länge man sie zeigt. Die jahrelangen Erfahrungen haben die Nachrichtenredaktionen vor allem der öffentlichrechtlichen Anstalten dazu gebracht, in redaktionellen Richtlinien Regeln zu formulieren, wie bei der Bildauswahl von solch dramatischen Vorgängen zu verfahren ist. Sie haben damit auf Kritik aus der Öffentlichkeit und Fachwelt reagiert und ihre Verantwortlichkeit in konkrete Praxisnormen umgesetzt. Eine Verantwortlichkeit sei abschließend genannt, vor allem weil sie noch immer seltener im Blick ist – die Verantwortung gegenüber Kindern und ihren Eltern, wenn es um emotional belastende Berichte in den Nachrichtensendungen geht. Wie langjährige qualitative Rezeptionsstudien gezeigt haben, identifizieren sich die meisten Kinder mit den Opfern der Gewalt – vor allem wenn die Opfer ihr Alter haben und in Umgebungen leben, die den ihrigen ähneln. Die bewegten Bilder ängstigen sie umso mehr, je länger die Opfer in Großaufnahme mit ihren Verletzungen oder Verstümmelungen gezeigt werden. Selbst wenn die Redaktionen über keine

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anderen Bilder verfügen und sie zur Bebilderung von Nachrichten gezwungen sind, so sollten sie doch bei deren Bearbeitung die Kinder im Blick behalten. Die Verantwortung der Eltern besteht darin, den Kindern ausreichend die Art und vor allem die Entfernung des kriegerischen Konflikts oder Terroranschlags zu erklären und ihnen so eine gewisse Sicherheit zu geben. Dieser Punkt macht deutlich: Der Umgang mit den Nachrichten und den in ihnen gezeigten Bildern ist nicht nur in der Verantwortung der Nachrichtenredaktionen, er bleibt also auch gesamtgesellschaftlich zu verantworten.

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Fehlleistung vieler Journalisten: Genauso wie Bild vom 11. November 1988 haben andere deutsche Medien Philipp Jenninger in seiner Rede zum 50. Jahrestag der Novemberpogrome 1938 fehlende Distanz zum nationalsozialistischen Gedankengut vorgeworfen.

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Erinnerungen an eine Gedenkrede zum 9. November von Werner Hill und Horst Pöttker Ein Skandal aus dem November 1988 haftet als Tiefpunkt der Politik im kulturellen Gedächtnis, beruhte tatsächlich aber auf einer Fehlleistung vieler Journalisten. Ich meine die Art, wie Bundestagspräsident Philipp Jenninger nach seiner Rede zum 50. Jahrestag des Ereignisses, das unter dem teils euphemistischen, teils subversiven Begriff »Reichskristallnacht« Geschichte geworden ist, von den Medien fertiggemacht wurde. Jenninger trat dann ja auch prompt zurück. Philipp Jenninger hatte sich nicht mit dem Nationalsozialismus identifiziert, wie ihm zunächst von politischen Gegnern, dann von den Medien und schließlich auch von eigenen Parteifreunden vorgeworfen wurde. Er hatte sogar eine besonders gute Rede gehalten, mit der endlich das Tabu gebrochen wurde, bei offiziellen Anlässen nach der Beteiligung der normalen Deutschen am NS-Regime zu fragen. Ich zähle es zu den Aktivposten meines Berufslebens, die es auch gibt, dass ich als Redakteur der medienkritischen Zeitschrift medium damals in einem langen und deutlichen Artikel auf die Fehlinformationen zur Rede des Bundestagspräsidenten hingewiesen habe.1 Der hatte sich nämlich sehr wohl und in aller Deutlichkeit von den NSVerbrechen distanziert. Werner Hill hatte keine medienkritische Publikation zu verantworten, sondern ein öffentlich-rechtliches Funkhaus, aber er hat trotzdem in gründlichen Radio- und Fernsehbeiträgen den Skandal aufgedeckt, der kein Jenninger-, sondern ein Journalisten-Skandal war. Er hat recherchiert, dass 1 Vgl. Pöttker, Horst: Mut zur Nüchternheit. Was Philipp Jenninger am 10. November 1988 wirklich gesagt hat – und warum er gehen mußte. In: medium, 19. Jg., Heft 3/1989, S. 27–32.

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der Protest im Bundestag von einer Abgeordneten der Grünen ausging, die sich schon vorher vorgenommen hatte, die Verlogenheit solcher Gedenkveranstaltungen zu brandmarken und deren erster Protestruf bereits die Veranstaltung unterbrach, als Jenninger sich zur Sache noch gar nicht geäußert hatte. Man mag es zu emphatisch finden, aber ich meine, Werner Hill hat dadurch, dass er in dieser Sache gegen den Strom vieler Kollegen schwamm, die Ehre des deutschen Journalismus gerettet. Werner Hill hat zwar seine Präsenz beim Symposium für Kurt Koszyk abgesagt, aber er hat uns einen Brief geschrieben. Darin teilt er uns mit: »Was über die Reaktionen der Medien auf die Jenninger-Rede zu sagen ist, dazu brauchen Sie mich nicht, denn das haben Sie ja schon in ihrem Beitrag für medium ausgeführt. […] Ich will aber gerne auf diesem Wege noch einige Worte zum Thema sagen. Die tatsächliche Bedeutung der Jenninger-Rede habe ich damals unmittelbar erkannt und meine Meinung dazu in einem mehrfach ausgestrahlten NDR-Kommentar formuliert. Als ich in den folgenden Tagen mehr über die Vorgänge erfuhr, habe ich in unserem Programm […] Raum geschaffen für eine annähernd zweieinhalbstündige Hörfunksendung […] (wäre heute unmöglich). [Das schreibt Werner Hill! H.P.] Grundlage der Sendung war ein fünfstündiges Gespräch mit Herrn Jenninger. […] Das Protokoll des Gesprächs […] diente auch als Grundlage für die spätere Fernsehsendung. Zu den Hörern der Sendung gehörten auch einige meiner FernsehKollegen: Rolf Seelmann-Eggebert und Horst Königstein. Sie wollten das Stück auch zu einer TV-Sendung machen, was mir in Anbetracht der Wortlastigkeit zunächst nicht möglich erschien. Sie ließen nicht locker, und so entstand die Fernsehproduktion (von immerhin auch 130 Minuten); sie wurde am 11.11.1989 in den dritten Programmen von NDR und WDR erstmals ausgestrahlt. [Pech – das waren die Tage der Maueröffnung, als es auf anderen Kanälen Bewegenderes zu sehen gab! H.P.] Jenninger war zu dieser Zeit psychisch nicht in der Lage, vor der Kamera aufzutreten, also spielte Ulrich Wildgruber seine Rolle und sagte wortgetreu, was Jenninger mir für die Hörfunksendung auf Band gesprochen hatte. […] Zwei Punkte aus der Arbeit an den Sendungen will ich […] erwähnen: Zum einen mein anhaltendes Erstaunen darüber, dass für Jenninger so Vieles aus der Geschichte der NS-Verbrechen neu war, womit ich mich […] jahrzehntelang beschäftigt hatte (als Berichterstatter über die großen Prozesse

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vom Auschwitz-Verfahren an). Er war verblüfft über das, was er nun fand und las, und gerade deshalb sprach er es auch aus. Alle sollten es wissen. Zum anderen bin ich bei einigen der befragten Politiker auf massive Vorurteile gegenüber Jenninger gestoßen, die sie in zum Teil hässlicher Weise äußerten, immer wenn die Kamera oder das Band abgeschaltet war. […] Sie hatten nichts von dem, was ein Wissenschaftler und eben auch ein guter Journalist für seine Tätigkeit braucht […], jede Arbeitshypothese durch Konfrontation mit Fakten zu überprüfen und gegebenenfalls zu verändern oder fallen zu lassen […]. Der NDR hat mir die nötige Zeit und Freiheit dazu gegeben. Ich wollte, jüngere Kollegen könnten das heute auch sagen.« Die internationale Presse, beispielsweise die italienische, hat ihr Fehlurteil nach wenigen Tagen korrigiert und sich bei Jenninger entschuldigt. In Deutschland ist das bis heute nicht geschehen.

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Erinnerungen an ein Fenster zur Journalistenfreiheit von Hans Poerschke Ich möchte ein Stück Geschichte aus dem Vergessen rufen, ein ganz kurzes – vielleicht geht das in fünf Minuten –, nämlich den Aufbruch des DDR-Journalismus in die Pressefreiheit in den wenigen Monaten des Jahres 1990. Es war ein atemberaubender Vorgang, den sich noch kurz zuvor niemand hätte vorstellen können. Zeitungen, Hörfunk, Fernsehen warfen die Vormundschaft der Partei ab; Chefredakteure wurden frei gewählt, Journalisten bestimmten über die Redaktionsarbeit mit und machten sich daran, lange verpönte Formen der Auseinandersetzung mit der aktuellen Wirklichkeit und des offenen, kritischen und selbstkritischen Diskurses zu praktizieren. Der Weg vom guten Vorsatz zur Tat war für manchen schwer, für manchen ungangbar. Es war ein in seinem Fortgang und Ausgang offener Prozess. Und dennoch: Die wirklichen Probleme der Menschen und ihre Sorge um die Zukunft der Gesellschaft wurden endlich öffentlich, oppositionelle Gruppen erhielten das Wort. Journalismus wurde zu einer unerhört lebendigen, von den Nutzern begierig aufgenommenen und kritisch begleiteten Sache. Nie zuvor hatte es ein so großes und vielstimmiges Echo von Lesern, Hörern und Zuschauern gegeben. Der Deutschlandsender Kultur wurde mit seinem selbstbewusstkritischen und weltoffenen Programm zur ersten Adresse für intelligente Hörer. Die Magazinsendungen des Fernsehens errangen fast aus dem Stand außerordentliche Popularität. Selbst die »Aktuelle Kamera«, Jahrzehnte ein sicheres Schlafmittel, erreichte bis zu 50 Prozent der Zuschauer. Das alles soll durchaus nicht heroisiert werden. Selbstverständlich gab es verbreitete Skepsis: Sicherten hier Seilschaften ihr Überleben? Suchten Opportunisten neuen Halt? Waren die Hörigen von gestern überhaupt erneuerungsfähig? Berechtigte Skepsis. Aber ihr stand der Erfolg gegenüber:

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Anfänge lebendiger demokratischer Kommunikation, selbstbewusste und kreative Aktivität vieler Journalisten. Im Übrigen: Welcher noch so erfolgreiche historische Aufbruch hatte denn nicht Schiffbrüchige von gestern im Schlepptau? Das Echo aus dem Westen: Am lautesten hörten wir die Frage, wie das alles in die vertraute Landschaft der alten Bundesrepublik passe, zu den dort zulande üblichen Standards. Viel leiser waren Stimmen zu vernehmen wie die von Manfred Buchwald, damals Intendant des Saarländischen Rundfunks, auf dem Journalistentag des DJV 1991, die hier produktive Anstöße für die Zukunft sahen, die vor Beute machenden Siegern und vor der Wiederholung alter Fehler nun im Osten warnten. Die damals Regierenden machten schließlich solche Diskussion obsolet. Eigenständiger öffentlicher Diskurs im Osten war ihnen unerwünscht, seine Akteure waren die falschen, neue Strukturen wollten sie nicht. Der Rundfunk wurde abgewickelt, die früheren Bezirkszeitungen der SED wurden denen übereignet, die im Westen schon die größte Medienmacht hatten und die sie heute auch in etlichen Ländern Osteuropas besitzen. Das ist nun auch Geschichte und nicht mehr zu ändern. Aber wenigstens eines lässt sich vielleicht tun: gegen weiteres Vergessen anarbeiten. Das könnte Materialsammlung für die Beantwortung einer heute in vielen Weltregionen aktuellen Frage sein: Wie kommt man aus autoritären Verhältnissen in eine Demokratie?

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Erinnerungen an Kontroversen über die Staatssicherheit von Wilfried Scharf In seiner Dankesrede anlässlich der Verleihung des Büchnerpreises 1991 bekundet Wolf Biermann seine Entfremdung von den Menschen in den neuen Bundesländern. Selbst die Oppositionsgruppen seien von der Stasi zerfressen gewesen. Und zum ersten Mal ist die Rede von dem »unbegabten Schwätzer Sascha Arschloch«, von dem alle einigermaßen Informierten wissen, dass es sich um den Prenzlauer Berg-Lyriker Sascha Anderson handelt. Biermann fügt noch hinzu: »Der elegante Lump Markus Wolf spielt den Geheimdienst-Lord und plündert das Moralkonto seines berühmten Vaters und seines toten Bruders Konrad.« Das deutsche Feuilleton reagiert auf die Attacke Biermanns – gelinde gesagt – äußerst zurückhaltend und lehnt Vorverurteilungen entschieden ab. Die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit dürfe nicht den Wutanfällen von Literaturpreisträgern überlassen bleiben. Frank Schirrmacher schreibt: »Wenn Anderson für die Stasi gearbeitet hat, dann war […] auch der Mythos Prenzlauer Berg erledigt. All die subversiven Mappen, Texte und Aktionen, die, von dort ausgehend, die ganze DDR erfassten, wären dann kaum etwas anderes als eine perfide Simulation der Stasi.« Er hält Biermann vor, dass man so nicht die Vergangenheit aufdecke, sondern einen »seelischen Bürgerkrieg« anzettele. Sascha Anderson selbst äußert sich missverständlich. »Ich bin kein Sophist. Aber wenn ein Spitzel einer ist, von dem die Stasi Informationen abgezogen hat, dann bin ich ein Spitzel. […] Mir war das alles gleichgültig. Ich dachte: Gut, dann holen sie mich eben und reden mit mir. Wenn sie alles wissen, dann kann mir nichts passieren.« Jürgen Fuchs setzt sich im Spiegel für die Opfer ein, die nicht die Feuilletons und die Talkshows füllen, sondern nach wie vor im Unglück leben. »Ich habe tatsächlich brisantes Material gesehen. Und mit diesem Wissen sage ich: Auf uns kommt etwas

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zu mit einer unglaublichen Gewalttätigkeit – Aktenberge, Auschwitz in den Seelen; eine Gewalttätigkeit, die wir noch einmal aushalten müssen.« Bei der Entgegennahme des Eduard-Mörike-Preises 1991 verschärft Biermann seine Vorwürfe. »Die einen werfen mir vor, dass ich unzulässig verallgemeinere, pauschaliere, generalisiere, über einen Kamm schere und so weiter und so fort. Dieser Pauschalvorwurf kommt Arm in Arm mit seinem Gegenstück: Biermann geht zu sehr ins Einzelne, er nennt peinlich Namen. Ja, wie hätten Sie’s denn gern – im Ganzen oder in Stückchen?« Er nimmt den Begriff »Sascha Arschloch« zurück. »Nicht nur, weil einige empfindsame Geister sich über dieses grobschlächtige Wort empörten. […] es müsste für Deutsche, die genügend Menschenverstand und Sprachgefühl haben, sowieso klar gewesen sein, dass dieses Schimpfwort viel zu drollig, viel zu familiär und verharmlosend war.« Es sei alles noch viel banaler, mieser und krimineller. Dies bestätigt Jürgen Fuchs in seiner großen, fünfteiligen Serie mit dem Titel »Landschaften der Lüge« im Spiegel. Dort wird Andersons Stasi-Karteikarte im Faksimile abgedruckt. Es wird klar, dass es nicht nur Absicht der Stasi war, Sachverhalte aufzudecken, sondern systematisch das Selbstbewusstsein und die Souveränität von Menschen zu zersetzen. Jürgen Fuchs deutet an, dass es z. B. auf dem Kongress des Verbandes Deutscher Schriftsteller (VS) 1984 in Saarbrücken richtige, von der Stasi inspirierte Drehbücher gegeben habe. Biermann hat also von Anfang an Recht gehabt. Dies wird nun von allen Seiten eingeräumt, Schirrmacher schreibt dazu: »Doch die Monate des Hin und Hers hatten freilich auch ihr Gutes. Sie bewiesen, dass die Agenten der Stasi bis zur letzten Sekunde leugnen und lügen.« Ulrich Greiner in der Zeit tadelt das Wort vom »Auschwitz in den Seelen« als »monströs«. Biermann hält dagegen, dass die Frage doch wohl sei, ob nicht vielmehr die grauenhafte Wirklichkeit, die Fuchs zeige, monströs gewesen sei. »Darf man, kann man, soll man Auschwitz vergleichen mit irgendetwas, etwa mit den 50 Millionen Opfern des Stalinismus? So viel Philosophie zum praktischen Gebrauch müsste in den Schrumpfköpfen doch drin sein: man darf! Ihr lieben Kindlein!!« Der Schriftsteller und Stasi-Spitzel Rainer Schedlinski beschreibt auf einer ganzen Seite in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wie er von der Stasi verpflichtet worden ist und wie er für sie gearbeitet hat. »Es war für mich […] unfassbar, wie naiv ich gewesen sein musste, aber zu der Zeit hatte ich den Eindruck gewonnen, die Stasi sei eine Fürsorgeeinrichtung für junge gestrauchelte Leute, denen man half, statt sie gleich ins Gefängnis zu stecken.« Der ganze Zynismus einiger Angehöriger der Prenzlauer Berg-

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Szene wird in einem langen taz-Interview von Bascha Mika und Ute Scheub deutlich. Dort sagt der Schriftsteller Bert Papenfuß-Gorek auf den Vorhalt, Sascha Anderson habe zur Verhaftung Roland Jahns beigetragen: »Das sind für mich Indizien, die zu Fakten aufgebauscht werden. Ich habe das jetzt alles aus den Medien, die existieren, um zu lügen oder umgekehrt. Ich brauch’ jetzt noch ein Bier, und zwar vom Hahn.« Die Stasi-Mentalität dürfte treffend in einem von Biermann im Spiegel überlieferten Zitat des zweiten Sekretärs der Bezirksleitung Berlin der SED, Helmut Müller, zum Ausdruck kommen. Er sagt dort auf einer Sitzung des »Festivals des politischen Lieds« 1978: »Ansonsten aber gibt es natürlich genug Probleme, mehr als Ratten im Keller. Jede einzelne Ratte wird bekämpft – mit unterschiedlichen Methoden. Mancher zeigen wir nur das Loch, aus dem sie kam; manche streicheln wir, manche fangen wir. Wir haben für jede Ratte ein Rezept. Keine bleibt unbehandelt.« Nicht zuletzt solche Hetze dürfte es gewesen sein, die Peter Schneider in seinem Resümee der publizistischen Kontroverse um die Stasi in der Frankfurter Rundschau zu folgendem Ergebnis gebracht hat: »Für die oft gestellte Frage, was eigentlich von der DDR einmal übrig bleiben wird, ist die Antwort längst gefunden: die Stasi und ihr Gift.«

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Erinnerungen an merkwürdige Dortmunder Drehorte von Hans-Georg Kirchhoff Lieber Herr Kollege Koszyk, uns verbindet nicht nur die Generation und die gemeinsame Zeit in der Dortmunder Hochschule, sondern auch die Mitgliedschaft im Historischen Verein für Dortmund und die Grafschaft Mark. Sie waren lange Zeit Vorsitzender des Vereins, und als Sie den Vorsitz niederlegten – keiner erfuhr, warum – wurde ich in gewisser Weise das Opfer davon. Denn dadurch musste ich zusammen mit Herrn Philippi, Ihrem Nachfolger, und Herrn Neuhoff – inzwischen sind beide verstorben – bei einer etwas kuriosen Veranstaltung des WDR mitwirken. Das Hörfunkstudio Dortmund hatte sich einen Wettstreit ausgedacht, bei dem in der neu errichteten U-BahnStation Stadtgarten zwei Dreiergruppen antraten: der Historische Verein gegen die – Dortmunder Busfahrer. Es gab Quizfragen, die wir Historiker alle verloren; dazwischen trällerte Margot Eskens ein paar Schlager, und schließlich fand auf die Frage, welche Jahreszahl das Vehoff-Haus neben der Reinoldi-Kirche trage, keiner die Antwort. Deshalb sollte sie durch einen Wettlauf ermittelt werden. Ich war, obwohl auch schon an die 60, der Jüngste des Vorstandes, und ich erinnere mich noch lebhaft daran, wie ich mir Mühe gab und atemlos zurückkam, wo mein Kontrahent schon minutenlang wartete. Wären Sie nicht zurückgetreten, hätten Sie laufen müssen. Oder hätten Sie tatsächlich die Zahl gewusst? (1607) Vor einigen Jahren wurde ich von einem Fernsehteam zur Dortmunder Stadtgeschichte interviewt, und zwar von einem sehr tüchtigen unserer Dortmunder Journalistikstudenten, dessen Name mir leider entfallen ist. Drehort war der Adlerturm, und der Student machte seine Sache gut; er hatte sich intensiv vorbereitet. Aber was mich überraschte, das war der riesige personelle und technische Aufwand, der betrieben wurde. Mindestens ein Dutzend Mitarbeiter waren mit irgendetwas Technischem beschäftigt, und

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von ihnen fiel mir einer besonders auf: Er hatte nämlich nichts anderes zu tun, als die vielen Kabel aus dem jeweiligen Blickfeld der Kamera zu ziehen. Seitdem bin ich bei Live-Sendungen immer gespannt, ob ich irgendwo eine Strippe entdecke. Lieber Herr Koszyk, Ihnen noch viele gute Jahre!

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Erfahrungen mit Public Relations und Journalismus von Reinhild Rumphorst Zur angebrochenen Zukunft gehört offensichtlich nach Einschätzung der geschätzten Gastgeber, dass seit einigen Jahren auch in Deutschland junge Leute gezielt das Fach Public Relations studieren können. Nach wie vor erwirbt ein Großteil der PR-Fachleute seine Fertigkeiten und Fähigkeiten zur zielgruppengerechten Kommunikation in Ausbildungsstätten für Journalisten. Dennoch ist es wohl ein Sakrileg, aufs Etikett auch das draufzuschreiben, was drin ist, wie wir es an der Fachhochschule in Gelsenkirchen tun: Studiengang für Journalismus und Public Relations. Aber ganz ehrlich: Ich habe deshalb kein schlechtes Gewissen. Daran ist der zu Ehrende nicht unschuldig. Public Relations wird ja gern verteufelt, indem man sie mit Propaganda gleichsetzt, also dem Versuch, die Menschen zu manipulieren – und das auch noch mit Lug und Trug. Gelernt habe ich bei Ihnen, lieber Herr Koszyk, dass das nur dann funktioniert, wenn die Medien ihrer öffentlichen Aufgabe nicht nachkommen. Das kann z. B. daran liegen, dass man sie mit staatlicher Gewalt knebelt. Also ein System aufbaut in Goebbelscher Manier. Es kann auch daran liegen, dass die Medien ihre öffentliche Aufgabe missverstehen. Aus ganz unterschiedlichen Gründen. Nationale Verblendung ist einer, mit dem die Deutschen ebenfalls schon ihre Erfahrung machten; aber nicht nur sie. Ich erinnere an die Propagandaschlacht der Bush-Regierung für den letzten Irakkrieg. Ihr zumindest kurzfristiger Erfolg hing damit zusammen, dass sich auch die US-amerikanischen Medien vor den Karren spannen ließen. Natürlich weiß ich als Dortmunder Journalistikabsolventin: Die Medienfreiheit muss ständig verteidigt werden. Aber ist sie gefährdet durch jemanden, der so ausgebildet ist, dass er sowohl in einer Redaktion wie in einer

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Pressestelle arbeiten kann? Das ist ein ziemlich überflüssiger Streit, der nur wieder von den eigentlichen Machtfragen in Staat und Gesellschaft ablenkt. Und wer wirkungsvoller als »Schreibknecht« fungiert, derjenige, der offen Auftragskommunikation betreibt, oder derjenige, der dies als Journalist getarnt tut, ist ebenfalls eine wichtige Frage. Zumindest folgt auf schlechte PR eher ein öffentliches Korrektiv als auf schlechten Journalismus. Denn wer wertet schon öffentlich die Spruchpraxis des Deutschen Presserats aus? Jeder, der mal versucht hat, seriöse PR-Arbeit zu leisten, weiß, wie wichtig kritischer Journalismus für seine Arbeit ist. In meiner Zeit als Pressesprecherin eines Ministeriums gab es immerhin einen Journalisten, mit dem ich intern drohen konnte, wenn der Hausspitze der gerade Informationsweg nicht attraktiv genug erschien. Die etwa zehn anderen tonangebenden Journalisten in der Landespressekonferenz waren leider kein zuverlässiges Korrektiv: zu sprunghaft, zu arbeitsscheu, zu wenig Gestaltungswille. Aber dieser eine Journalist hat gereicht. »Richard, mein Retter« habe ich ihn deshalb tituliert. Ich hätte gern mehr Retter gehabt. Die PR-Seite rüstet auf, heißt es in der öffentlichen Diskussion. Damit ist aber auch folgendes Faktum gemeint: Das Berufsfeld PR bietet noch Arbeitsplätze für intelligente und engagierte Kommunikationstalente. Viele unserer Absolventen mit dem Studienschwerpunkt PR haben bereits den Arbeitsvertrag in der Tasche, wenn sie in die letzte Prüfung gehen. Demgegenüber verlangt man von denjenigen, die als Journalisten arbeiten wollen, dass sie ein Armutsgelübde ablegen und sich erst einmal als Pauschalisten durchschlagen. Zu viele vielversprechende »Talente« resignieren irgendwann und nehmen einen Arbeitsplatz in der PR an. Das machen auch gestandene Redakteure, weil sie die Sorge vor der nächsten Entlassungswelle ihres Arbeitgebers umtreibt. Richard, mein früherer Retter, macht inzwischen übrigens auch PR. Er wird seine Gründe haben.

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Erfahrungen mit Journalisten in nationalen Krisen Vier Thesen als Reaktion auf Erfahrungen in den USA von Günter Nold

These 1 zum Kriegsbeginn in Irak: Nachricht kann werden, was in Einklang steht mit gesellschaftlichen Normen – oder wie es zur Selbstzensur kommt. Eine soziologischhistorische Perspektive Als der zweite Irak-Krieg begann, nahm ich in Washington D. C. an einem wissenschaftlichen Kongress teil. Nachdem ich zu verschiedenen Zeiten – u. a. auch zum Zeitpunkt von 9/11 – deutlich mehr als zwei Jahre in den USA gelebt und gelehrt hatte, kam ich mir subjektiv zum ersten Mal in meinem Leben wie in einer Diktatur vor, da die vierte Gewalt im Staat angesichts des Irak-Kriegs gleichgeschaltet zu sein schien. Es gab keine öffentliche Stimme gegen den Krieg. Mir wurde schließlich aufgrund der Kommentare sowie meines historischen Wissens klar, dass bestimmte US-amerikanische gesellschaftliche Verhaltensnormen so stark in verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen verankert sind, dass im Falle eines von der Regierung erklärten Krieges zunächst Opposition vor dem gesellschaftlichen Konsens zurückstehen muss. Die Erfahrung war dennoch hart zu ertragen.

These 2 zu den Panzerkorrespondenten im Irak: Nachrichten sind eine Ware (zur Manipulation) – oder James Bond und sein Gegner in »Der Morgen stirbt nie«. Eine positivistische Perspektive Eine weitere Erfahrung bezüglich des zweiten Irak-Kriegs machte mich nachdenklich. Aus Pressemitteilungen in Deutschland wurde deutlich, dass die

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Fernsehberichte zum Krieg von der Regierung nahestehenden amerikanischen Korrespondenten im Rahmen von Panzereinsätzen gestaltet wurden. Angesichts dieses Sachverhalts hat mich ein im Fernsehen ausgestrahlter »James Bond«-Film zu meiner zweiten These angeregt. Ein Pressemogul versucht Nachrichten zu produzieren, noch bevor die Ereignisse eingetreten sind, um seine Nachrichten im Weltmaßstab zu vermarkten – koste es, was es wolle. Natürlich vereitelt James Bond diesen Plan.

These 3 zur regionalen Presse in USA: Mitteilung wird, was sich als ein Teil von uns darstellen lässt – oder das Problem der inter-kulturellen Kompetenzen der Menschen. Eine soziologisch-emanzipatorische Perspektive Als Zeitungsleser regionaler Presseerzeugnisse, vor allem des Charlotte Observer, den ich mir regelmäßig bei amerikanischen Freunden in North Carolina zu Gemüte führte, stellte sich bei mir die Erkenntnis ein, dass internationale Ereignisse, beispielsweise auch solche aus Deutschland, immer dann in der Zeitung auf der dritten oder vierten Seite auftauchen, wenn es für amerikanische Leser(innen) offensichtlich einen inneramerikanischen Grund dazu gibt. Im Zuge des Irak-Krieges wurde dies besonders offensichtlich. Immer dann wurde Staaten außerhalb der USA die Ehre einer Nachricht zuteil, wenn diese Nachricht einen deutlichen Zusammenhang mit den amerikanischen Kriegshandlungen im Irak aufwies. Hier frage ich mich, ob die Presse nicht stark von ethnozentrisch markierten interkulturellen Kompetenzniveaus potenzieller Leserschaften abhängig ist oder diese ethnozentrischen Haltungen sogar verstärkt, da es marktpsychologisch unklug wäre, an diesen ethnozentrischen Haltungen etwas verändern zu wollen.

These 4 zur amerikanischen Quality Press: Nachricht wird, was Menschen in der Gesellschaft aufklärt – oder das Erfreuliche an der amerikanischen Erfahrung: Die kritische Presse kehrt zurück! Eine philosophisch-emanzipatorische Perspektive Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass die kritische amerikanische Presse nach einer kurzen Amnesiephase wieder zurückkehrte, was mich dazu ver-

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anlasst hat, meine vierte These zu formulieren. Es gibt hier wahrlich keinen Anlass zu antiamerikanischen Ressentiments, auch nicht in der Zeit der Bush-Regierung. Damit komme ich zu abschließenden Gesichtspunkten, und zwar ganz im Sinne der Rückbezüglichkeit von interkultureller Kompetenz. Es gibt keinen Grund zu Überheblichkeit. Schauen Sie sich die Daten zur interkulturellen Kompetenz von Schülerinnen und Schülern an deutschen Schulen an!

Interkulturelle Sensibilität Schülerpopulation insgesamt 50% 45% 40%

% Schüler / innen

35%

32%

30% 25%

25%

20%

20%

15%

15% 10%

8%

5% 0% denial

defense

minimiation

acceptance

adaptation

(DESI Projekt, N= ca.11.000, Klasse 9) DESI-Konsortium (Hrsg.) 2008

Wenn Sie sich die Publikationen zum DESI-Projekt anschauen, einer von der KMK finanzierten Großstudie im PISA-Format, entdecken Sie Ergebnisse zur interkulturellen Kompetenz von Schülerinnen und Schülern in Deutschland. Deutlich mehr als die Hälfte von ihnen sind ethnozentrischen Niveaus zuzurechnen. Dies bedeutet in die Zukunft projiziert, dass unsere potenziellen Zeitungsleser, sofern sie welche werden, sich nicht gerade durch ethnorelative Einstellungen und damit durch hohe interkulturelle

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Kompetenzen auszeichnen. Auf die Presse dürfte diese Leserschaft einen nicht unerheblichen Einfluss ausüben. Wir haben unübersehbar eine aufklärerische Aufgabe jetzt und in der Zukunft.

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Erfahrungen mit Unterschieden zwischen Opfern und Tätern von Wilfried Scharf Günter Grass’ Bekenntnis, am Ende des Krieges Mitglied der Waffen-SS gewesen zu sein, erscheint am 12. August 2006 in der Samstagsausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in einem zweiseitigen Interview. Wer nun glaubt, dass dieses Eingeständnis dem Musterdemokraten Grass nicht mehr schaden kann, der sich seit Jahrzehnten für unsere Demokratie einsetzt und sich stets mit Links- wie Rechtsextremisten auseinandergesetzt hat, sieht sich tatsächlich einer großen und kritischen publizistischen Kontroverse gegenüber. Daran ändert es nichts, dass Grass am Ende des Krieges erst 17 Jahre alt gewesen ist. Die politischen und literarischen Gegner von Grass ergreifen dankbar die Gelegenheit zu Kritik, Mäkelei und Häme. Für Joachim Fest kommt das Eingeständnis nach 60 Jahren ein bisschen spät. Gustav Seibt schreibt in der Süddeutschen Zeitung: »Wie so oft ist hier das Werk deutlich klüger als der Autor.« Gerrit Bartels meint in der taz: »Grass wird jetzt damit leben müssen, dass man ihm, jenseits aller Verdrängungsmechanismen, […] Kalkül unterstellen kann.« Erstaunlich scharf ist die Kritik in der Zeit. Dort schreibt Jens Jessen: »Was Grass zu seiner Selbstentschuldigung vorbringt, macht erst das eigentlich Bedenkliche des Falls Grass aus. Wie er mit Schwung das ›Antibürgerliche‹ der Nazis herausstellt und die ›Faszination‹ der Volksgemeinschaft schildert, in der ›Klassenunterschiede oder religiöser Dünkel‹ keine vorherrschende Rolle mehr spielten, wie er dagegen die ›grauenhafte Adenauerzeit‹ setzt, mit all den ›Lügen und dem ganzen katholischen Mief‹ und schließlich sogar behauptet, dass es solche ›Art von Spießigkeit‹ nicht einmal bei den Nazis gegeben habe – das verrät eine distanzlose Einfühlung, die für Momente vergessen lässt, dass Grass jemals erwachsen geworden ist […]«. Hans Mommsen hält in der Frankfurter Rundschau die Empörung für ebenso typisch wie verlogen. In der einschlägigen Spiegel-Titelgeschichte

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Günter Grass’ Bekenntnis, zum Ende des Krieges Mitglied der Waffen-SS gewesen zu sein, löst im August 2006 eine publizistische Kontroverse aus. Hier zum Beispiel der Spiegel-Titel, Nr. 34 v. 21. August 2006.

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heißt es, dass die Fakten nahe legen, »an der Wahrhaftigkeit, Glaubwürdigkeit und moralischen Legitimität von Redehäuptlingen zu zweifeln, die jahrzehntelang anderen das Fehlen gerade dieser Qualitäten vorgeworfen haben. Der Fall Günter Grass ist möglicherweise einer der letzten, an denen sich diese Debatte vor dem NS-Hintergrund mit derartiger Wucht entzündet.« Zwei berühmte ausländische Schriftsteller, Adolf Muschg und John Irving, springen Grass bei. Für Irving bleibt Grass ein Held. Was nun geschehe, sei »eine vorhersehbare scheinheilige Demontage des Lebens und Werks von Günter Grass, ausgeführt von dem ach-so-feigen Standpunkt der nachträglichen Einsicht«. In der Frankfurter Rundschau wundert sich Mario Vargas Llosa darüber, dass Grass bei den vielen Fehlurteilen, die er gefällt habe, überhaupt eine solche Autorität in politischen Fragen habe genießen können. Und der US-amerikanische Schriftsteller Louis Begley schreibt, auch er sei an der Ostfront gewesen, aber nicht als Soldat, »sondern als Tier, das zur Jagd freigegeben war und umgebracht werden sollte«. Deutsche Schriftsteller-Kollegen von Grass beteiligen sich natürlich auch an der publizistischen Kontroverse. Für Peter Handke ist Grass »eine Schande für das Schriftstellertum«. »Er kommt dem Bedürfnis der Deutschen nach und spielt seit 50 Jahren eine offizielle Figur. Thomas Mann hat das auf eine geistige Weise gemacht. Auch wenn es manchmal verschmockt war – das war das Zittern des Genies. Bei Grass zittert überhaupt nichts.« Walter Kempowski schreibt: »Als ich von der SS-Geschichte erfuhr, habe ich den Reportern am Telefon gesagt: ›So spät? Aber, wer selbst ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.‹ Ich hatte irgendwie Mitleid mit ihm, aber das ist offensichtlich gar nicht angebracht. Grass hat ein dickes Fell, dem macht das überhaupt nichts aus. Und das, was er in sechzig Jahren in die Gegend posaunt hat, tut ihm nicht im Geringsten Leid. Ein Mensch in dieser Situation sollte künftig schweigen.« Andere Akzente setzt in der Zeit Christof Siemes: »Nach dem gloriosen WM-Sommer unserer entspannten Selbstversöhnung schien die Vergangenheit endlich vergangen. […] Wie dünn der Firnis dieses Selbstbetrugs war, zeigt sich jetzt. Acht Buchstaben und ein Bindestrich aus finsterer Zeit, und die Republik kocht. Das ist unsere Normalität. Vergangen ist eben noch lange nicht vorbei. Dafür hat unter vielen anderen Günter Grass gesorgt. Wir sollten ihm dafür dankbar sein.« Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat in der Zwischenzeit zwei Briefe von Grass an den früheren Wirtschaftsminister Karl Schiller veröffentlicht. Darin hat der Schriftsteller an den Minister appelliert, seine NS-Vergangenheit offen zu legen. Grass sieht in der Publikation durch die Tageszeitung

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eine Urheberrechtsverletzung und stellt einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, in der die Publikation untersagt wird. Dazu nimmt Frank Schirrmacher in einem Spiegel-Interview Stellung: »Herr Grass kann uns gerne verklagen. Wir sehen einem Verfahren gelassen entgegen. Die Briefe von Grass waren in öffentlich zugänglichen Archiven deponiert und sind Bestandteil einer Doktorarbeit. Sie sind von allgemeinem Interesse. […] Was auch immer Grass fühlt – er sollte endlich begreifen, dass es nicht die ›FAZ‹ war, die ihn gezwungen hat, in die SS einzutreten, und auch nicht die ›FAZ‹, die ihm geraten hat, darüber jahrzehntelang zu schweigen. Jeder Satz unseres Interviews mit seinem Geständnis ist von Grass autorisiert worden. […] Er will von sich ablenken und von der Tatsache, dass er, der alle maßregelte, wie auch Karl Schiller, selbst einer der großen Verschweiger war. Schade, dass es so enden musste.« In seinem Beitrag »Die ewigen Rechthaber« in der taz vom 5. September 2006 resümiert Harald Welzer die Debatte: »Wenn der amerikanische Schriftsteller Louis Begley in der FAZ schreibt, er sei auch an der Ostfront gewesen, aber ›nicht als Soldat, sondern als Tier, das zur Jagd freigegeben war und umgebracht werden sollte‹, dann benennt er den ebenso einfachen wie ungeheuerlichen Unterschied zwischen jenen, die auf der Seite der Täter, und jenen, die auf Seiten der Opfer standen. Dieser Unterschied ist nicht überbrückbar, und das haben viele aus Grass’ Generation, auch die so genannten Gutmenschen, immer auf der richtigen Seite, nie begriffen.«

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Erfahrungen mit Medienauskünften und Persönlichkeitsschutz von Udo Branahl 60 Jahre Pressefreiheit – das sind zugleich 60 Jahre Auseinandersetzung um deren Grenzen. Einen wesentlichen Bestandteil dieser Grenzbestimmung bildet der Kampf um das Recht insbesondere des Boulevard-Journalismus, alles veröffentlichen zu dürfen, was Auflage bzw. Quote bringt, und dem Recht der von der Berichterstattung betroffenen – insbesondere prominenten – Personen, selbst entscheiden zu dürfen, was über sie in den Medien veröffentlicht wird. Die beiden Grundregeln, nach denen dieser Konflikt zu lösen ist, sind denkbar einfach: 1. Wer sich in die Öffentlichkeit begibt, kommt darin um. Oder etwas weniger flapsig: Wer öffentlich auftritt, kann eine wahrheitsgemäße Berichterstattung über diesen Auftritt nicht verhindern. Und wer sein Leben vor Journalisten ausbreitet, muss damit rechnen, dass diese die Informationen, die sie auf diese Weise erhalten haben, auch veröffentlichen. 2. Informationen, an denen die Allgemeinheit ein berechtigtes Interesse hat, dürfen die Medien auch dann veröffentlichen, wenn es den Betroffenen nicht gefällt. Und je wichtiger die Information für die Allgemeinheit ist, desto weiter muss der Persönlichkeitsschutz zurücktreten. Weniger Klarheit hat – zumindest zeitweise – bei der Beantwortung der Frage bestanden, wann die Allgemeinheit ein berechtigtes Interesse an bestimmten Informationen hat.

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Klar ist seit dem berühmten »Spiegel«-Urteil aus dem Jahre 1966, dass ein »öffentliches Informationsinteresse« an allen Beiträgen besteht, die der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung dienen. Wenn es darum geht, dass sich in einer Frage von allgemeiner Bedeutung eine öffentliche Meinung bildet, müssen die Interessen der Betroffenen zurücktreten. Aber hat die Öffentlichkeit auch ein berechtigtes Interesse zu erfahren, wann und wo Caroline von Monaco Ski fährt oder dass Oliver Kahn mit seiner neuen Lebensgefährtin in Rom einen Einkaufsbummel gemacht hat? Den Bemühungen der deutschen Gerichte, in solchen Fällen aus der Neugier des Publikums ein generelles öffentliches Informationsinteresse abzuleiten, ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem »Caroline«-Urteil erfolgreich entgegengetreten. Er hat den Schutz der Privatsphäre auch für prominente Personen auf alle Aktivitäten ausgedehnt, die nicht zu ihrer beruflichen Tätigkeit gehören. Jede Berichterstattung aus ihrer Privatsphäre bedarf einer besonderen Legitimation. Eine solche kann sich insbesondere aus der Kritik- und Kontrollfunktion der Massenmedien, ihrer Rolle als »watch dog«, ergeben. Diese Rechtsprechung wirkt sich auch auf den Auskunftsanspruch von Journalisten aus. Seit mindestens 60 Jahren beschweren sich Journalisten darüber, dass die Behörden ihre Pflicht vernachlässigen, den Vertretern der Massenmedien die Auskünfte zu erteilen, die diese benötigen, um das Publikum sachgerecht über Angelegenheiten von allgemeiner Bedeutung informieren zu können. Seit etwa 30 Jahren versuchen wir, die Justiz davon zu überzeugen, dass sie mit einer vernünftigen Öffentlichkeitsarbeit einem gemeinsamen Interesse der Gesellschaft, der Medien, aber auch der Justiz selbst dient, weil nur so eine sachgerechte Information der Allgemeinheit über die Tätigkeit der Justiz sichergestellt werden kann. Diese Bemühungen sind nicht ohne Wirkung geblieben. Die Einstellung der Justiz zur Notwendigkeit einer aktiven Öffentlichkeitsarbeit hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten deutlich gewandelt. Das lässt sich an der zunehmenden Anzahl von Tagungen der Deutschen Richterakademie und von Justizbehörden feststellen, die der Aus- und Fortbildung von Pressesprechern der Justiz dienen. Und nun passiert Folgendes: Eine Pop-Sängerin wird vor ihrem Auftritt verhaftet. Gegen sie besteht der dringende Verdacht, wechselnde Partner mit dem HI-Virus infiziert zu haben.

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Der zuständige Presse-Staatsanwalt erläutert den Medien diesen Sachverhalt. Dass daraufhin die Verteidiger der Sängerin protestieren, ist normal – das gehört zum Geschäft. Dass aber ein ehemaliger Staatsanwalt, der inzwischen als leitender Redakteur für die Süddeutsche Zeitung arbeitet, der Staatsanwaltschaft vorwirft, mit ihrer Pressearbeit über das Ziel hinauszuschießen, ist bemerkenswert – insbesondere deshalb, weil die Staatsanwaltschaft meines Erachtens nichts anderes getan hat, als ihren Rechtspflichten nachzukommen. Denn wie sollte die öffentliche Kontrolle der Staatsanwaltschaft funktionieren, wenn sie die Gründe, die zu der spektakulären Verhaftung der Sängerin geführt haben, geheim halten müsste? So ändern sich die Zeiten!

Epilog

Kurt Koszyk zu Ehren

Kurt Koszyk zu Ehren

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Habilitieren in bewegten Zeiten von Hans Bohrmann »Dr. Kurt Koszyk – Direktor des Instituts für Zeitungsforschung in Dortmund, hat mit seiner Probevorlesung ›Die soziale Funktion der Massenkommunikationsmittel‹ am 31. Januar 1968 an der Philosophischen Fakultät der Freien Universität Berlin seine Habilitation im Fach Publizistik erfolgreich abgeschlossen. Dr. Koszyk wird seinen Lehrauftrag an der RuhrUniversität in Bochum und ebenso die Leitung des Instituts für Zeitungsforschung beibehalten«. So stand es in der Märznummer der Berufszeitschrift Der Journalist (S. 23). Eine Quelle wird in der in die Personalnotizen eingereihten Meldung nicht angegeben. Es dürfte eine Pressemeldung der FU Berlin, vielleicht auch weitere Pressemeldungen der Stadt Dortmund, die Trägerin des Instituts für Zeitungsforschung ist, und der Ruhr-Universität hinzugekommen sein, wenn nicht angenommen werden soll, dass Der Journalist die Personalie eigens recherchiert habe. Alle Fakten der Meldung waren zutreffend, dennoch zeichnete sie kein realistisches Bild des Vorgangs an der FU Berlin. Die Probevorlesung fand im Gebäude Boltzmannstraße 4 in Dahlem statt; stilgerecht eingeladen hatte mit einer gedruckten A6-Karte der Dekan Prof. Dr. Erich Loos, ein Romanist, der bereits vom ständigen Dilemma Flüchten oder Standhalten? der FU-Amtsträger während der Berliner Studentenrevolte sichtbar gestresst war. Die Boltzmannstraße 4, ein im Kaiserreich für die Kaiser-WilhelmGesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (heute: Max Planck-Gesellschaft) von Ernst von Ihne errichteter trutziger Bau, beherbergte als eines der wichtigsten Häuser der Philosophischen Fakultät die Germanistik, aber auch breiter fachlich genutzte Hörsäle, das Dekanat der Philosophischen Fakultät mit Versammlungsraum der Hochschullehrer und einige universitätsweite Verwaltungseinheiten. Diese Eigenschaft verlieh dem Gebäude an eben diesem 31. Januar eine besondere Bedeutung. Denn Studenten-

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vertreter hatten zu einer Demonstration aufgerufen, die sich in Fluren und Treppenhäusern abspielte und genau am Ende von Koszyks Probevortrag beginnen sollte. Während des Vortrags konnte der Aufmarsch der Demonstrationsteilnehmer akustisch gut verfolgt werden – durch ein Fenster, das zur Frischluftzufuhr geöffnet war, und durch die Tür. Mit den beiden gewählten studentischen Mitgliedern der Philosophischen Fakultät (seinerzeit eine Ausnahme unter den Universitäten) war abgesprochen worden, dass die Demonstration das Habilitationsverfahren nicht behindern sollte, denn es war unumstritten. Ein wenig tangiert wurde es doch, aber davon später. Zunächst will ich auf die fachpolitische Bedeutung dieser Habilitation hinweisen, die zeigt, dass auch in dieser Hinsicht keineswegs »business as usual« an diesem Nachmittag betrieben wurde. In Berlin war seit der Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges an der Friedrich-Wilhelms-Universität im Fach Zeitungswissenschaft keine Habilitation mehr erfolgreich gewesen. Die während der NSZeit Habilitierten sind mit einer Ausnahme (Wilmont Haacke, Göttingen) nach 1945 nicht mehr in Professorenstellen an Universitäten eingerückt. An der 1948 im amerikanischen Sektor Berlins gegründeten FU gehörte allerdings Emil Dovifat zu dem Gründungskreis der Professoren und erhielt dann eine ordentliche Professur des jetzt Publizistik genannten Faches. Dovifats Vorschlag, 1958 seinen langjährigen Assistenten Dr. Friedrich Medebach zu habilitieren, folgte die Fakultät nicht. Die Habilitationsschrift über die Karikatur als publizistische Form (im Anschluss an Dovifats Terminologie seiner Allgemeinen Publizistik) wurde zwar mit einigen Wünschen zur Überarbeitung akzeptiert, im Colloquium vor der Fakultät fand sich aber keine Mehrheit für den Kandidaten, der daraufhin die Universität verließ. Seine Schrift blieb unveröffentlicht. Ungelöst blieb damit auch das Dilemma von Dovifats Nachfolge, denn auch an den beiden anderen Universitäten, die ein Hauptfachstudium anboten (in München unter dem Label Zeitungswissenschaft), gab es keinen Privatdozenten. Diese Nachfolge zu regeln war dringend, denn 1955 wurde Dovifat emeritiert, leitete das Institut weiter und vertrat sich seitdem selbst. Zeitgrenze für diese Konstruktion war das 70. Lebensjahr, also 1960. Einige Jahre vorher hatte Karl d`Ester in München vergeblich seinen Assistenten aus den dreißiger Jahren, Dr. Wilhelm Klutentreter, zu habilitieren versucht, dessen Habilitationsschrift Kurt Koszyk in der Schriftenreihe »Dortmunder Beiträge zur Zeitungsforschung« in überarbeiteter Form

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zweibändig (Die Rheinische Zeitung 1842/43, 1966/67) gedruckt hat. Die Arbeit war mit einem DFG-Stipendium gefördert worden. In Münster war 1958 der Institutsdirektor in einer Art Nacht- und Nebelaktion nach Ostberlin gegangen, um einem Amtsenthebungsverfahren zu entgehen, das dem ehemaligen CSU-Mitgründer in München, Hagemann, wegen Übergriffen auf Studentinnen bzw. Doktorandinnen drohte. Hagemanns Assistent Dr. Günter Kieslich hatte seine für Münster gedachte Habilitationsschrift noch nicht beendet. Er suchte dafür eine geeignete andere Hochschule, und Dovifat konnte ihm sogar eine Akademische Ratsstelle anbieten, die auch ohne Habilitation eine Dauertätigkeit an der Hochschule mit Aufstiegsmöglichkeiten bis zum Akademischen Direktor (für Kustoden etc.) bot. Es war eine der ersten Stellen dieser Art an der FU und wurde für das personell völlig unterbesetzte Institut für Publizistik von der Fakultät zur Verfügung gestellt. Im Wintersemester 1960/61 wechselte dann die Institutsleitung in Berlin. Sie ging ab Januar 1961 auf den neu ernannten Honorarprofessor Dr. Fritz Eberhard über, der von 1949 bis 1958 Intendant des Süddeutschen Rundfunks gewesen war. Eberhard wurde auch mit der Wahrnehmung des Ordinariats für Publizistik beauftragt. Dovifat, der als Emeritus noch lehrte, schlug 1962 (in diesem Fall durchaus in Übereinstimmung mit seinem Quasi-Nachfolger Eberhard) Günter Kieslich mit einer Arbeit über Zeitschriften im Barock zur Habilitation vor. Die Berliner Fakultät lehnt erneut ab. Bereits die Schrift wurde zurückgewiesen und dem Autor aufgegeben, sie nicht zu veröffentlichen. Ferner wurde ihm auferlegt, künftig lediglich Anfängerseminare zur Propädeutik abzuhalten. Es waren Bedingungen, die den bereits zum Beamten auf Lebenszeit ernannten Kieslich zum Abschied von der Hochschule drängen sollten. Kieslich ging in die Bonner kulturpolitische Administration und publizierte weiter wissenschaftliche Arbeiten. Unter seinen zahlreichen Veröffentlichungen können unschwer einige Aufsätze identifiziert werden, die aus dem Text der Habilitationsschrift stammen dürften. Kieslich ist über einige Umwege in Salzburg Ordinarius geworden. Wie sind die akademischen »Unfälle« Klutentreter, Medebach und Kieslich zu interpretieren? Zunächst muss festgehalten werden, dass Zurückweisungen von Habilitationsschriften äußerst selten vorkommen. Wenn die Habilkommissionen Probleme erkennen, die in der Schrift oder im Kandidaten angelegt sind, wird üblicherweise mit dem Hochschullehrer, der die Habilitation vorschlägt, im Gespräch die Sache erörtert. Die Schrift wird

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nachgebessert oder auch zurückgezogen. Die Vorgänge im Fach Publizistik in den fünfziger und frühen sechziger Jahren weisen schlaglichtartig darauf hin, dass die Fachvertreter offenbar kaum in die Fakultät integriert waren. Hinzu kam sicher auch die ungeklärte Vergangenheit des Faches Zeitungswissenschaft, die durch eine erhebliche NS-staatliche Förderung und einen deutlichen Ausbau in den dreißiger und frühen vierziger Jahren (kriegswichtig) gekennzeichnet war. Der offensichtlich fehlende Wille, sich mit der NS-Vergangenheit auseinanderzusetzen, kam dann oben drauf. Die drei Betroffenen sind selbst mit dem NS-Vorwurf kaum persönlich belastet.1 Es ging bei den Ablehnungen der drei Habilitationen in erster Linie um das Fach, dessen wissenschaftliche Substanz von den anderen Fächern bestritten wurde, nicht um die Personen oder deren Schriften. Mit der Ablehnung von Günter Kieslichs Habilitation war 1962 auch ein erster Plan, die Nachfolge Fritz Eberhards zu lösen, hinfällig geworden. Eberhard hatte hinter den Kulissen versucht, Kieslich – nachdem ihm die akademischen Weihen zuerkannt worden wären – auf den unbesetzten Lehrstuhl zu bringen und selbst weiter Honorarprofessor zu bleiben. Die objektive Lage des Faches war also deutlich verschlechtert. Eberhards gutes Standing bei einer Reihe von tonangebenden Professoren der Philosophischen Fakultät (Wilhelm Weischedel, Hans Joachim Lieber, Klaus Holzkamp, Helmut Gollwitzer), aber auch bei der Wiso-Fakultät (Renate Mayntz, Ludwig von Friedeburg u. a.) hatte bis dahin keine Früchte getragen. Für den prospektiven wissenschaftlichen Nachwuchs war die Situation stark entmutigend. An der FU war offenbar kein Durchkommen. Für München und Münster galt Ähnliches. Deshalb hat das Berliner Institut für Publizistik unter Fritz Eberhard damals den Plan verfolgt, eine Konsolidierung des Faches so breit, wie es die geringen finanziellen Möglichkeiten zuließen, zu beginnen. Forschung war bei der kleinen Personaldecke institutionell unmöglich. Die Einzelforschung der Institutsmitglieder war im Wesentlichen auf Texte begrenzt, die aus der Lehre kommend feierabends,

1 Allerdings: Klutentreter hat seine Kölner Dissertation (Presse und Volksgemeinschaft, 1937) und etliche Aufsätze veröffentlicht, die in der Diktion im Mainstream der dreißiger Jahre formuliert worden sind. Medebach hat seine Dissertation im Weltkrieg dem politischen Kampfplakat gewidmet und die damals übliche Terminologie durchaus verwendet. Aber Kieslich hat mit einem politisch ziemlich unauffälligen Thema (Liedpublizistik) promoviert.

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sonntags und in den Semesterferien erarbeitet werden konnten. Wir haben uns deshalb im Institut verabredet, die uns zur Verfügung stehende Arbeitskraft in die Lehre und in die Förderung von studentischen Abschlussarbeiten zu stecken. Es wurde bedeutend weniger promoviert als zu Dovifats Zeiten. Aber einige Dissertationen hatten schon Gewicht, selbst wenn sie nicht als Buch veröffentlicht worden sind. Von Berlin ging damals die Initiative aus, Lehrbücher für die Einführungsseminare als Reader zu machen. In Eberhards Schriftenreihe wurden auch Lehrbücher zur deutschen Pressegeschichte (Koszyk/Lindemann, Thiele) vertraglich vereinbart und Stück für Stück publiziert. Die Lehre sollte unter anderem dadurch attraktiv gemacht werden, dass Hochschullehrer aus anderen Fächern an der FU zur Veranstaltung von Seminaren gewonnen wurden (Mayntz, Holzkamp, Fraenkel). Aus dem nicht ordentlich besetzten Ordinariat standen Mittel zur Verfügung, die in die Einladung von Gastdozenten gesteckt werden konnten. So konnten, teils mehrere Semester lang, Elisabeth Noelle-Neumann, Harry Pross, Carl Misch und Kurt Koszyk zu Vorlesungen und Seminaren gewonnen werden. Natürlich waren diese Aktivitäten auch dazu gedacht, die Nachfolge Eberhards zu fördern. Den gleichen Sinn hatten Gastvorträge und Einladungen an US-amerikanische Wissenschaftler. Die Verpflichtung von Kurt Koszyk für Veranstaltungen (u. a. Deutsche Parteipresse im 19. Jahrhundert, SS 1964; Die deutsche Presse im Ersten Weltkrieg, WS 1964/65) war in diesem Kontext von besonderer Bedeutung, denn Koszyk schien nicht abgeneigt, sich an der FU für Publizistik zu habilitieren. Fritz Eberhard hatte ihn gewonnen und förderte das Projekt mit der ihm eigenen Emsigkeit.2 Zurück zur Probevorlesung am 31. Januar 1968. Die Fakultät hatte unter den drei von Koszyk eingereichten Vorschlägen das Thema »Die soziale Funktion der Massenkommunikationsmittel« gewählt. Diese Wahl scheint logisch, denn das Thema der schriftlichen Habilitationsleistung war die Pressegeschichte des Ersten Weltkriegs gewesen. Das Fach war unter Eberhard auf einen strikt sozialwissenschaftlichen Kurs gebracht worden und der Funktionalismus stand hoch im Kurs. Koszyk legte Eberhard einen Entwurf des Vortragstextes vor, der im Institut besprochen und mit Marginalien ver2 Natürlich hatte Eberhard dabei auch im Hinterkopf, seine eigene Nachfolge zu regeln, was sich aber bald als Illusion herausstellte, denn Koszyk lehnt solche Pläne ab. Bald nach der Habilitation erhielt er einen Ruf an die Ruhr-Universität Bochum, wo er ab dem 1.7.1969 Leiter einer Sektion Publizistik und Kommunikation war.

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sehen nach Dortmund zurückgeschickt wurde. In so überarbeiteter Form wurde der Text, von dem Eberhard und seine Mitarbeiter annahmen, dass er der Fakultät konvenieren könnte, am letzten Januartag auch vorgetragen. In der Festschrift für Hans Jessen (Bremen) und in der kleinen Schriftenreihe des Verlags Volker Spiess ist der Text 1968 veröffentlicht worden. An die Probevorlesung erinnere ich mich kaum, nur dass die Holzstühle im Saal immer härter wurden. Unter den Zuhörern waren auffällig viele Hochschullehrer. Sie sollten ja danach in der Fakultätssitzung über das Gelingen der letzten Habilitationsleistung und damit über die Zuerkennung der Venia abstimmen. Ich erinnere mich an den Politikwissenschaftler Ernst Fraenkel, Altdekan und persönlicher Freund von Fritz Eberhard aus Weimarer Zeiten und dem NS-Untergrundkampf. Das Institut für Publizistik war gut vertreten. Elisabeth Löckenhoff und natürlich Fritz Eberhard waren zugegen. Eine Probevorlesung ist öffentlich, aber traditionell kamen dazu kaum Studenten. Viele Aktive waren außerdem eher bei der sich anbahnenden Demonstration vor der Tür engagiert. Kurt Koszyk erinnert aus der Aussprache vor der Fakultät, die der Endabstimmung vorausging, dass er von einem der Studentenvertreter gefragt wurde, wie er denn »Springer enteignen« wolle. Seine Antwort war der Verweis auf die Eigentumsgarantie des GG Art 14., d. h., das gehe wohl nicht. Diese Antwort dürfte damals kaum überzeugt haben. Die Ereignisse in den Fluren und im Treppenhaus des Tagungsgebäudes der Fakultät spitzten sich zu. Die Studenten wollten zum Vortrag ihrer Gravamina in die Sitzung vorgelassen werden, was ihnen versagt wurde. Zunächst blockierten die Demonstranten den Ein- und Ausgang des Saales, dann schraubten sie die Sicherungen der Stromversorgung aus, sodass die Fakultät im Dunkeln weiter tagte. Es wurden Kerzen aufgestellt, und Klaus Holzkamp zählte als Protokollführer – wie es sich für eine an Platons Höhlengleichnis geschulte Versammlung gehört – die Schatten der erhobenen Hände an den Wänden. Koszyks Habilitation wurde – wie erwartet – beschlossen. Dann wurde unerwartet die Tür des Vorraums des Fakultätssaales, wo tagsüber die Dekanats-Sekretärinnen saßen, aufgebrochen. Die Türfüllung flog heraus. Die Sitzung war gesprengt. Der Altdekan Fraenkel konnte sich seiner Erinnerungen an die NS-Zeit, in der an Hochschulen die nationalsozialistische Studentenmehrheit durch Propaganda der Tat (wie es in Dovifats Diktion genannt werden könnte)

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Hochschullehrer genötigt hatte, nicht mehr erwehren. Er wollte die Polizei rufen, wovon besonnene Kollegen aber abrieten. Die Taktik zahlte sich aus. Dieser Sitzstreik ist friedlich zu Ende gegangen. Bei den Ereignissen nach der Probevorlesung war ich nicht mehr zugegen. Seinerzeit war ich zwar schon promoviert, aber die Hohe Fakultät bestand im Kern nur aus den ordentlichen Professoren und den Hochschullehrern, die ihnen gleichgestellt waren (also den Extraordinarien). Die übrigen Statusgruppen, die an der Wissenschaft direkt beteiligt waren (Privatdozenten, Mittelbauer und Studenten) schickten nur durch Wahl ermittelte Vertreter. Meine Kenntnis stammt aus den Zeitungen und Hochschulpublikationen und vor allem den Berichten, die Eberhard gab. Das ging über Telefon, und es gab auch einen Grund für diese Telefonate. Kurt Koszyk war mit mir in meine Wohnung nach Lankwitz gefahren. Dort hatte sich meine Frau erboten, ein Abendessen vorzubereiten. Eberhard wollte vorzeitig die Fakultätssitzung verlassen, um zu uns zu kommen und dabei auch Elisabeth Löckenhoff – und ich denke noch einige andere Mittelbauer – mitbringen. Die Sitzung zog sich hin. Zu Anfang sollte über die Habilitation entschieden werden, aber vor Eintritt in die Tagesordnung standen aus aktuellem Grund die Forderungen der Studenten und die Frage an, ob man Abgesandte vorlassen und mit ihnen und der Menschenmenge draußen diskutieren wollte. Eberhard rief zwischenzeitlich mehrfach an und berichtete, dass es noch keine Entscheidung über die Habilitation gäbe, und schob sein Kommen immer wieder heraus. Schließlich, nach meiner Erinnerung um 21 Uhr, rief Eberhard erneut an. Er berichtete über den abschließenden positiven Beschluss und teilte zugleich mit, er werde gleich nach Hause fahren und sage seine Teilnahme am Essen und der damit verbundenen Feier für Kurt Koszyk wegen völliger Überlastung ab. Eberhard war seinerzeit bereits 74 Jahre alt. In unserer Lankwitzer Wohnung haben dann Kurt Koszyk, meine Frau und ich alleine zu Abend gegessen. Der Habilitierte war, so wie ich es erinnere, ganz guter Laune. Meine Stimmung war ebenfalls gehoben, denn durch die Bresche, die Koszyks Habilitation geschlagen hatte, ließ sich darauf hoffen, dass die Fakultät das Fach nicht abgeschrieben hatte. Das hatte auch auf mich mögliche Auswirkungen. Dass die nicht gegriffen haben, liegt daran, dass ich einige Jahre später zum Assistenzprofessor an der FU ernannt wurde und nach knapp zwei Jahren dann in eine Dauerstelle als Akademischer Oberrat ans Institut für Publizistik nach Münster gegangen bin.

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Was wir an jenem 31. Januar 1968 in Berlin gegessen haben, erinnere ich nicht mehr, aber Kurt Koszyks Bemerkung zum Dessert ist in unseren Familienwortschatz eingegangen. Es gab zum Dessert »Birne Hélène«. Dazu gehört eine zähflüssige Schokoladensoße. Die war meiner Frau, die in dem Metier noch ganz neu war, nicht gut gelungen. Sie war dünnflüssig. Und Kurt Koszyk sagte zum Abschluss, angesichts der großen übrig gebliebenen Reste auf dem Tisch: »Was machen Sie nun mit dem ganzen Kakao?«

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Wie man ein Journalistik-Institut gründet von Ulrich Pätzold Die Entstehung und der Aufbau des Dortmunder Instituts für Journalistik sind nur über »graue« Dokumente zu erschließen, genauer über vergilbte Blätter Papier, die in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts in reichlicher Zahl im Umfeld des damaligen Modells »Hochschulgebundene Journalistenausbildung in Dortmund« entstanden sind. Glücklicherweise gibt es noch einige Zeitzeugen. Manche Ungereimtheiten der Papiere können also zumindest mit plausiblen Wahrscheinlichkeitsaussagen geglättet werden. Die Journalistik, organisiert als Institut, gibt es in Dortmund erst seit dem 1. April 1980, dem Datum, als die ehemalige Pädagogische Hochschule mit der Universität Dortmund zusammengeführt worden ist. Bis dahin entwickelte ab 1976 ein Modellstudiengang, getragen von der BundLänder-Kommission, ein durchaus ambitioniertes Pilotprojekt. In einer nur wenige Jahre dauernden Grundsatzdiskussion wurde die Journalistenausbildung zwischen 1969 und 1972 als ein fundamentales Problem der bundesdeutschen Gesellschaft ausfindig gemacht. Sie müsse entschieden reformiert werden. Die Journalistenausbildung – da waren sich innerhalb kürzester Zeit auf einmal Politiker, Verleger- und Journalistenorganisationen, Rundfunkintendanten und wenige Publizistik- und Kommunikationswissenschaftler einig – müsse ein zentrales Reformwerk der damals hoch gehandelten Bildungspolitik werden. Die Publizistik- und Kommunikationswissenschaften waren für die plötzlich salonfähig gewordenen Ausbildungsprobleme im Journalismus schlecht aufgestellt. Durch Forschung begründete Konzepte gab es aus der Wissenschaft so gut wie gar nicht. Durchaus erkennbare Umbaupläne einiger Institute in Richtung Praxisnähe folgten den jeweiligen Möglichkeiten in der Kleinstaaterei der bundesdeutschen Bildungslandschaft. Die entscheidende Schwäche der Publizistik- und Kommunikationswissenschaften war ihre Fehlanzeige in der Journalismusforschung. Über den journalistischen Beruf gab es kaum empirische Studien, und über die journalistischen

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Berufsfelder wusste man nicht mehr, als die Berufsorganisationen mit ihren Zahlen bekannt gaben. Eine akademisierte Ausbildung als Regel? Etwa wie bei Ärzten oder Juristen? Das konnte in so kurzer Zeit nicht gut gehen. Es waren gerade zwei Jahre vergangen, seit der Zeitungsverlegerverband mit den Journalistenorganisationen »Ausbildungs-Richtlinien für Redaktions-Volontäre an Tageszeitungen« abgeschlossen hatte. In diesem Dokument wurde zum ersten Mal von den Tarifparteien ein Bezug zur Hochschule aufgenommen. Es wird die Möglichkeit erwähnt, dass ein abgeschlossenes Hochschulstudium mit Bezügen zu journalistischen Tätigkeiten zu einer Verkürzung des zweijährigen Volontariats auf zwölf Monate führen kann. Die personelle Konstellation in der nordrhein-westfälischen Landesregierung war für das Reformvorhaben der Journalistenausbildung einmalig günstig. Ministerpräsident des Landes war Heinz Kühn, ein ehemaliger Journalist ebenso wie Johannes Rau, sein Minister für Wissenschaft und Forschung. Diese Landesregierung war für die Geburt der Dortmunder Journalistik ein Glücksfall. Heinz Kühn war von 1946 bis 1950 Redakteur der Rheinischen Zeitung gewesen. Er wusste also, wovon er sprach, wenn er vom »Elend des Journalistenberufs« redete. Johannes Rau war als Politiker ein ebenso bekennender Journalist, der stets seinem Leitsatz folgte: »Gute Journalisten brauchen eine gute Ausbildung.« Johannes Rau, der über ein außergewöhnliches Gedächtnis verfügte, hatte dem Verfasser dieses Beitrags in einem persönlichen Gespräch am 14. März 1983 den Start so dargestellt: 1971 habe er von Kurt Koszyk über die Arbeit am Memorandum des Deutschen Presserates erfahren. Rau habe Koszyk seine Bedenken mitgeteilt, nach denen die Medienorganisationen von sich aus kaum in der Lage seien, die gewünschten Ausbildungsreformen wirklich voran zu bringen. Das Land Nordrhein-Westfalen wolle mit seinen geplanten Gesamthochschulen eine nachhaltige Rolle für diese Reform spielen. Dann habe er Kurt Koszyk gefragt: »Ich brauche einen guten und erfolgreichen Koordinator aus den Hochschulen. Wer kann das machen?« Darauf habe Kurt Koszyk einsilbig geantwortet: »Ich!« Kurt Koszyk erwies sich in dieser frühen Planungsphase wie auch in den späteren kooperativen Arbeitsorganisationen als ein geschickter Diplomat. Seine Fähigkeit bestand darin, Kompromisse auszuhandeln, die zu Ergebnissen führten, mit denen er sich vollständig identifizieren konnte. Seine Aufzeichnungen zu einigen der Sitzungen lassen erkennen, dass er bereits im Vorhinein Kompromissformulierungen aufgeschrieben hatte. Auf sie

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war seine Verhandlungsdiplomatie ausgerichtet. Seine Strategie war es, von den zu breit angelegten Vorstellungen herunterzukommen, mit einem Reformmodell alle Felder der »öffentlichen Kommunikation« zu erreichen. Während seine Kollegen aus der Wissenschaft gerade für diese Breite aller denkbaren Kommunikationsberufe plädierten, ließ Kurt Koszyk – ganz in seinem Sinne – die Praktiker fordern, aus pragmatischen Gründen zunächst die aktuellen Probleme im Journalismus anzugehen und den Schwerpunkt auf die Journalistenausbildung zu legen. Der Vorsitzende fasste dann zusammen: »Unter Zurücksetzung ihrer Bedenken haben sich die Mitglieder des Beirats im Ausschuss dann zu der Kompromissformel bereit gefunden, nach der zunächst ein Studiengang für die Journalistenausbildung konzipiert werden sollte, der später – nach Vorliegen einschlägiger Grundlagenuntersuchungen – in Richtung auf eine allgemeine Ausbildung für Kommunikationsberufe erweitert werden könnte.« Kurt Koszyk war sich stets sicher, dass sich ein solcher Studiengang in der Verbindung von wissenschaftlichen und praktischen Ausbildungselementen im Spannungsfeld unterschiedlicher, manchmal auch zuwiderlaufender Interessen entfalten würde. Er forderte deshalb Professoren, die in diesem Spannungsfeld agieren können, und misstraute einer ausschließlich durch Hochschulgremien gelenkten Entwicklung. Mit dieser Linie war er für die Aufbauzeit des Dortmunder Modells insgesamt erfolgreich, scheiterte aber zunächst 1974, den Studiengang an der Universität Dortmund einzurichten. Die dortigen Hochschulgremien fühlten sich durch die kooperative Struktur des Modells teilentmündigt und fanden mit dieser Haltung viele Verbündete auch in den Instituten der Publizistik und Kommunikationswissenschaften außerhalb von Dortmund, die solche Bedenken gegen die Mitgestaltung einer wissenschaftlichen Disziplin durch Vertreter der Praxis teilten. In zwei weiteren Essentials war Kurt Koszyk kompromisslos. Das Modell sei akademisch nur dann innovativ und sinnvoll aufzubauen, wenn mit ihm die journalistische Berufsforschung verbunden werde. Eine zweite Vorgabe trägt er dem Minister kühl als conditio sine qua non vor: Für das Modell werden neun hauptberufliche und zehn nebenberufliche Lehrkräfte gefordert. Die im Vergleich zu den anderen Publizistikinstituten starke Personalausstattung in Dortmund hat in diesen frühen Festlegungen ihren ausschließlichen Grund. Die Kultusministerkonferenz hat sich am 14. und 15. November 1973 ausführlich mit der Journalistenausbildung beschäftigt. Das Land NRW

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erhielt grünes Licht für sein Modell. Zugleich wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die Empfehlungen erarbeiten sollte, wie die Einheitlichkeit der Hochschulausbildung für Journalisten bundesweit zu gewährleisten sei. Die Erfahrungen aus den Modellen in Dortmund und München sollten in diese Empfehlungen eingehen. Die Arbeitsgruppe hat nie getagt. Dieses Versäumnis mag einer der Gründe sein, warum als Journalistik dann in den 80er Jahren die unterschiedlichsten Studiengänge, vor allem an Fachhochschulen, wie Pilze aus dem Boden geschossen sind. In der zweiten Jahreshälfte 1973 gab es zahlreiche Gespräche zwischen dem Ministerium in Düsseldorf und Kurt Koszyk. Im Gepäck des damals noch Bochumer Professors befand sich eine 400 Seiten starke Dokumentation über die Situation und über Reformmodelle. Bereits fertig gestellt hatte er die Studien- und Prüfungsordnungen für einen neu einzurichtenden »Studiengang Journalistenausbildung« im »Gesamthochschulbereich Dortmund«. Um den so schnell wie möglich, nämlich im Wintersemester 1974/75 auf die Beine stellen zu können, drängte Kurt Koszyk das Ministerium, eine »Planungsgruppe« mit seiner Person an der Spitze einzusetzen und eine »Projektgruppe« mit vier Mitarbeitern in den Personalhaushalt des Landes einzusetzen, aus dem dann ab 1978 weitere fünf Professorenstellen zu finanzieren seien. Das Ministerium konnte er überzeugen, es stimmte zu. Im Februar 1974 veröffentlichte die nordrhein-westfälische Landesregierung ihren Modellplan für Dortmund. Die Landesregierung wollte parallel mit drei Projekten starten: Aufbau einer Modelleinrichtung für die hochschulgebundene Journalistenausbildung, Förderung und Erweiterung der journalistischen Fortbildung und Vergabe eines Forschungsprojekts für die bundesweite Erhebung über die Berufsfelder »Journalismus und Kommunikation.« Unter dem Gesichtspunkt eines umfassenden Reformansatzes machte diese Dreiteilung Sinn. Allerdings blieb in der Folgezeit ausschließlich das Ausbildungsmodell übrig. Für den Start der Journalistik ist es ein gravierender Nachteil gewesen, dass sie nicht mit einem zur Ausbildung komplementären Forschungsauftrag ausgestattet worden ist. Die für Dortmund entscheidenden Modellmerkmale wurden nun auch quantitativ festgelegt. Das – wie es noch immer offiziell und umständlich heißt – »Studium im Bereich der Journalistenausbildung umfasst in der Regel sechs Fachsemester und zwei Praktikumssemester. […] Das Praktikum entspricht dem Volontariat«. Somit wurde das Volontariat zu einem integrierten Bestandteil des Studiums. Erst langsam setzt sich in der Ministerialverwaltung für diese Verbindung aus einem wissenschaftlichen

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Studium und einem Redaktionsvolontariat die Bezeichnung Journalistik durch. Sie bezog sich aber ausschließlich auf das Curriculum, nicht jedoch auf die Einrichtung für den Studiengang. Die Zusammensetzung der Planungskommission war minutiös vorgeschrieben. Außer Kurt Koszyk gehörten ihr 18 weitere Mitglieder an: zwei Vertreter stellten die Journalistenverbände, zwei die Verleger, je ein Vertreter kam aus dem Deutschen Institut für publizistische Bildungsarbeit, aus der Kölner Schule und aus der Werbewirtschaft (!), zwei Vertreter entsandten die Rundfunkanstalten. Aus den Hochschulen kamen fünf Professoren, zwei Wissenschaftliche Mitarbeiter und zwei Studierende. Dem Projektleiter Kurt Koszyk wurden drei hauptamtliche Mitarbeiter und eine Sekretärin zur Seite gestellt. Planungskommission und Projektgruppe sollten so arbeiten, dass zum Wintersemester 1975/76 der Studienbetrieb aufgenommen werden könne. In Dortmund sollte die Universität die Trägerin für den Studiengang werden. Unverbindliche Zusagen des Rektorats hatte es wohl im zeitlichen Vorfeld gegeben. Die Pädagogische Hochschule und die Fachhochschule sollten vor allem durch die Gestaltung von Zweitfächern in das Modell eingebunden werden. Damals war man in Düsseldorf noch überzeugt, dass sich die Dortmunder Hochschullandschaft in der Entwicklung zu einer Gesamthochschule befinde. Die Annahme der Planer, die noch junge Universität Dortmund werde sich offen für ein Modell erweisen, in denen zahlreiche wichtige Entscheidungen außerhalb ihrer eigenen Gremien getroffen werden, erwies sich als fataler Fehler. In den Gremien der Universität vermutete man, dass mit dem Modell der Journalistenausbildung eine Präzedenz der Studienreform akkreditiert werden sollte, die es der Universität schwerer machen würde, sich gegen die Entwicklung zu einer Gesamthochschule zu wehren. Im Herbst 1974 hat der Akademische Rat die Aufnahme des Modellstudiengangs abgelehnt. Die Begründung für die Ablehnung lässt nur indirekt die Auseinandersetzung um eine Gesamthochschule erkennen. Vordergründig argumentierte der Senat mit einer nicht hinnehmbaren Beeinträchtigung seiner Autonomie durch die Abtretung wesentlicher Gestaltungsrechte an die Planungskommission. Denn sie war für das Modell das eigentliche Entscheidungsgremium, für die Aufstellung einer Studien- und Prüfungsordnung und schließlich für die Auswahl des Lehrpersonals einschließlich der schon bald zu besetzenden sechs Professorenstellen. Die Abweisung durch die Universität Dortmund war für das Ministerium und für Kurt Koszyk ein schwerer, vor allem unerwarteter Schlag.

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Die Auswirkungen führten im Ergebnis zu einer einjährigen Vertagung des Starts des Studienbeginns. In kurzer Zeit musste eine neue Konstruktion gefunden werden, selbst der Standort Dortmund stand in Frage. Verlässliche Verbindungen der NRW-Netzwerke kamen ins Spiel. Die persönliche Bekanntschaft von Johannes Rau mit Rudolf Schridde, dem Rektor der Pädagogischen Hochschule Ruhr in Dortmund, war ebenso hilfreich wie auch Verbindungen von Mitgliedern der Planungskommission mit dem Kanzler der PH Ruhr, Martin Wiebel, und seinem Stellvertreter Dietrich Groh. Zu den diplomatischen Meisterleistungen von Kurt Koszyk gehörte es, dass er mit der Planungskommission arbeitete, als ob es bereits eine Verankerung des Studiengangs in einer Hochschule gegeben hätte, was formal und rechtlich hätte Voraussetzung zur Ausübung ihrer Funktionen sein müssen. So kam es, dass die erste offizielle und konstituierende Sitzung des eingespielten Mitgliederkreises erst Ende Oktober 1975 stattfinden konnte – nun als Planungskommission an der PH Ruhr (vgl. Projektgruppe Journalistik 1976). Die PH Ruhr hatte schnell erkannt, dass ihre Position gegenüber der Universität durch die Eingliederung der Journalistenausbildung gestärkt würde. Das war umso wichtiger, als in den Planungen der PH neben den Perspektiven für eine Gesamthochschule auch die Möglichkeit einer Zusammenlegung mit der Universität ins Auge gefasst werden musste. Jedenfalls gelang es Rudolf Schridde und seiner Verwaltung in nur wenigen Monaten, für den Modellstudiengang eine Eingliederung in den Fachbereich Geschichte, Deutsch und Englisch zu erreichen. Alle akademischen Rechte wurden gewährt, die Kosten des Modells wurden zentral verwaltet. Das Team mit Kurt Koszyk, Claus Eurich, Frauke Höbermann, Siegfried Weischenberg, später dann Wolfgang Donsbach und Gerd Würzberg begann dann Anfang 1976 mit der Arbeit am Lehrprogramm. Um den akademischen Rechten zu entsprechen und ein ordentliches Berufungsverfahren einzuhalten, konnte Kurt Koszyk erst im Februar 1977 als »Professor für Journalistik« an der PH Ruhr vereidigt werden. Er war in der Bundesrepublik Deutschland der erste Journalistikprofessor. Die PH Ruhr ist somit ein weiterer Glücksfall für das Modell gewesen. Das Modell war ein Balanceakt zwischen dem akademischen Selbstverständnis einer selbstbestimmten Wissenschaft und den oft arrogant vorgetragenen Vorbehalten aus den Redaktionen gegenüber den Studierenden, die dennoch mit starker Motivation in den Beruf drängten und sich schließlich gegen die vielen Vorurteile erfolgreich durchsetzten. Diese Spannungen

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prägten, wenn auch verbal in abgeschwächter Form, die Arbeit der wichtigen Planungskommission. Auch hier musste der Studiengang einen Balanceakt bewältigen. In der Planungskommission prallten die Interessen aufeinander, beispielweise die der Verleger und mit denen der Journalisten, die gemeinsam als »Praxis« den Wissenschaftlern gegenüber saßen, die gemeinhin als die Seite der »Theorie« personifiziert wurden. Das Modell war auch ein Balanceakt mit den Studierenden, die sich nicht die Radikalität ihres Denkens durch Opportunität in ihrem Verhalten verbauen lassen wollten. Es war ein Balanceakt gegenüber den Redaktionen, die wieder zunehmend auf die alte Form des Volontariats bauten und oft nur eigene Erfahrungen als einzigen Maßstab für alle anderen Zwänge im Journalismus gelten ließen. Und es war nicht zuletzt auch ein Balanceakt gegenüber der Wissenschaft, weil das in der Journalistik geliehene Wissen noch lange ungleich stärker blieb als eigenes Wissen, das in die interdisziplinären Diskurse selbstbewusst eingebracht werden konnte. Man kann die Leistungen von Kurt Koszyk in diesen Aufbaujahren des Studienmodells kaum gebührend genug anerkennen. Es war schwierig, in einem Gremium wie der Planungskommission Kompromisslinien zu finden, in der Karl Bringmann für die Verleger und Fritz Michael für die Journalisten mit allen Emotionalitäten heftigste Gefechte austrugen, in der der WDR nicht mit dem Hellweger Anzeiger in einen Topf geworfen werden wollte und in der diverse Professoren aus unterschiedlichen Fächern nicht immer viel Verständnis für die Praxisprobleme der Journalistik hatten. Kurt Koszyk musste als Verkörperung ständiger Kompromisse die Planungskommission als Ganzes nach innen und nach außen vertreten und musste als Leiter dem Modellstudiengang ein erkennbares, auch wissenschaftliches Profil geben. Sechzehn Mal hat die Planungskommission während der Modellzeit getagt, die Zahl ihrer Ausschuss- und Gruppensitzungen dürfte die Hundert überschritten haben. Am Ende der Modellzeit fusionierte 1980/81 die PH-Ruhr mit der Universität Dortmund. Die Journalistik war nun ein ordentliches Institut der Universität geworden. Vier Millionen DM waren je zur Hälfte vom Bund und vom Land NRW für die Entwicklung und Erprobung des neuen »Studiengangs Journalistenausbildung« investiert worden. Die Abschlussfeier des Modells war feierlich inszeniert. Die Mitglieder der Planungskommission, etliche Honoratioren, auch Minister saßen in der Emil-Figge-Straße in einem festlich drapierten Raum, dessen kahle Stirnwand aus Beton mit einem riesigen farbigen Bild geschmückt war. Kaffee

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gab es zur Feier des Tages – aus Pappbechern. Artige Reden wurden gehalten. Praxisnahe Ausbildung an der Hochschule? Geht doch! Ein Modell für andere? Sicher! Alles in allem eine gelungene Aufbauarbeit? Glück auf! Willkommen in der Universität? Ohne Einschränkung, ja! Dann schritt Kurt Koszyk ans Rednerpult, etwas steif, mit freundlichen Begrüßungsworten an die Ehrengäste, aber mit sichtbar zerknittertem Gesicht. Seine Botschaft: Der »Studiengang Journalismusausbildung« sei als Modell bedroht, wenn nicht gar gescheitert. Seine Begründung bestand aus aktuellen Nachrichten. Die Deutsche Welle und der Deutschlandfunk hatten ihre Volontariatsplätze für die Dortmunder gekündigt. Der WDR hatte eine drastische Reduzierung seiner zwölf Plätze auf gerade noch vier Plätze angekündigt. Auch die 24 dreimonatigen Kurzzeitplätze sollten auf sechs zusammengestrichen werden. Der Auftritt von Koszyk saß. Die ehrenwerte Versammlung endete in beklemmender Stille. Ganz so, wie man an jenem schwarzen Freitag befürchten musste, ist die Modellphase dann doch nicht zu Ende gegangen. Alle Studierenden des Jahrgangs erhielten einen Volontariatsplatz, und der WDR hat weiter in verlässlichen Umfängen Plätze zur Verfügung gestellt. Die Deutsche Welle ist längst schon wieder im Dortmunder Boot. Neue Ausbildungsredaktionen wurden für die Zusammenarbeit gewonnen. Der »Volontariatsmarkt« blieb für das Dortmunder Institut immer angespannt. Doch die Kooperation mit den Ausbildungsbetrieben ist in die Breite gewachsen. Insofern ist die Abhängigkeit von »erpresserischen Diktaten«, wie man damals sagte, kleiner geworden. Der Gau von 1980 hatte auch eine andere heilende Wirkung. Die Studierenden mussten sich von der Vorstellung lösen, das Dortmunder Institut sei eine beispiellose Verteilerinstitution für heiß begehrte Volontariatsplätze. Ab jenem Jahr war klar: Auch die Studierenden tragen in hohem Maße Mitverantwortung für das Modell Journalistik. Sie profitieren von ihren privilegierten Studienplätzen, wenn sie sich persönlich dem Wettbewerb stellen, der mit einem Zugang zu den Volontariaten verbunden ist. Das Dortmunder Modell wurde letztlich erfolgreich, weil die Studierenden diesen Wettbewerb angenommen haben und in der Regel auch gewinnen. Wenn heute der gute Ruf des Dortmunder Instituts den Studierenden zugutekommt, so gilt sicher die Bilanz, dass vor allem die Dortmunder Absolventen mit ihren journalistischen Berufskarrieren zu diesem guten Ruf sehr viel beigetragen haben. Die heute so erfolgreiche Journalistik in Dortmund hat am Anfang ihrer Geschichte viel Glück gehabt. Aber sie hat

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auch Einiges geleistet, um mit diesem Glück selbstbewusst eine Einrichtung der Kultur des deutschen Journalismus zu werden. Dafür wird immer der Name von Kurz Koszyk stehen. Diese Informationen wurden zusammengestellt aus dem umfangreichen Beitrag »Die Anfänge in Dortmund – Eine Erfolgsgeschichte mit viel Glück«, erschienen in: Tobias Eberwein, Daniel Müller (Hrsg.): Journalismus und Öffentlichkeit. Eine Professionen und ihr gesellschaftlicher Auftrag. Festschrift für Horst Pöttker. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Frankfurt a.M. 2010.

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Autorinnen und Autoren

Autorinnen und Autoren Bohrmann, Hans, Dr. phil., Prof., geb. 1940; 1959–1967 Studium an der FU Berlin; 1967–1972 Promotion, wissenschaftlicher Assistent, später Assistenzprofessor (FU Berlin, Institut für Publizistik); 1973–1977 Akad. Rat/ Akad. Oberrat (Universität Münster, Institut für Publizistik); 1977–2003 Direktor des Instituts für Zeitungsforschung der Stadt Dortmund; seit 1992 Honorarprofessor für Journalistik (Institut für Journalistik, TU Dortmund). Lehraufträge an der Pädagogischen Hochschule Berlin (Medienpädagogik), an der Universität München (Kommunikationswissenschaft) und an der Universität Göttingen (Publizistik und Kommunikationswissenschaft). 1994 Gastdozentur an der McGill University Montreal, Departement of German and Graduate Program in Communications. Branahl, Udo, Dr. jur., Prof., geb. 1946; 1965–1973 Studium in Berlin (FU) und Hamburg, Erstes und Zweites juristisches Staatsexamen (Hamburg), 1978 Promotion (»Pressefreiheit und redaktionelle Mitbestimmung«). Seit 1979 Professor für Medienrecht (Institut für Journalistik, TU Dortmund). Bis Ende 2008 Datenschutzbeauftragter der TU Dortmund. Branahl gehört zum Herausgeberbeirat der vom Deutschen Fachjournalisten-Verband herausgegebenen Zeitschrift Fachjournalist. D’Inka, Werner, geb. 1954; Studium der Publizistik, Politik und Geschichte in Mainz und Berlin. Seit 1980 bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Im März 2005 wurde D’Inka in das Herausgebergremium berufen, er ist vor allem zuständig für die Rhein-Main-Zeitung. D’Inka engagiert sich als Präsident des Frankfurter Presse-Clubs, als ehrenamtlicher Direktor des Unabhängigen Russisch-Deutschen Instituts für Journalistik an der Universität Rostow am Don sowie als Beiratsmitglied für das Netzwerk für Osteuropa-Berichterstattung n-ost. Er unterrichtet als Honorarprofessor Redaktionsmanagement an der Universität der Künste Berlin. Seit 1992 versieht er regelmäßig Lehraufträge im Fach Medienwissenschaft an der Universität Siegen.

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Daub, Ute, geb. 1947, Diplomsoziologin, arbeitete in der Erwachsenenbildung, in der Bildungsforschung, in der Psychiatrie-Reform sowie als Assistentin und Dozentin an sieben verschiedenen, auch ausländischen Hochschulen. Zahlreiche Publikationen u. a. zum Nationalsozialismus in Frankfurt/M., zur nationalsozialistischen Sozial- und Gesundheitspolitik, zur justiziellen Ahndung nationalsozialistischer Medizinverbrechen, zur Bio-Ethik. Funiok, Rüdiger, Dr. phil., Prof., geb. 1942; 1964–1967 Philosophiestudium in Pullach bei München, danach dreijähriges Erzieherpraktikum und Studium der Pädagogik (für Lehramt an Grund- und Hauptschule) in Nürnberg, anschließend Theologiestudium in Frankfurt am Main, 1980 Promotion in Pädagogik an der LMU München. Ab 1981 Lehrbeauftragter, ab 1984 Dozent an der Hochschule für Philosophie, ab 1987 dort Leiter des Instituts für Kommunikation und Medien (IKM), jetzt Institut für Kommunikationswissenschaft und Erwachsenenpädagogik (IKE) der Hochschule für Philosophie München. Nach Habilitation für Pädagogik an der Universität Regensburg (1992) Professor für Pädagogik und Kommunikationswissenschaft an der Hochschule für Philosophie. Goebel, Klaus, Dr. phil., Prof., geb. 1934; 1954–1956 Studium an der Pädagogischen Akademie Wuppertal. 1956–1970 Volks- und Realschullehrer. 1960–1965 Studium an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (Neuere Geschichte, Pädagogik, Politik, Volkskunde und Germanistik). 1965 Promotion (Hauptfach: Verfassungs-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte). Ab 1970 wissenschaftliche Tätigkeit an der Pädagogischen Hochschule Ruhr in Dortmund. 1975 Habilitation (Neue Geschichte und ihre Didaktik, 1977 Professor). 1980–1999 Professor an der Universität Dortmund (nach der Zusammenlegung von Pädagogischer Hochschule und Universität). 1990–1996 geschäftsführender Direktor des Historischen Instituts. 1999 Emeritierung. Heinrich, Jürgen, Dr. sc. pol., Prof., geb. 1941; Studium der Volks- und Betriebswirtschaftslehre in Kiel und Tübingen. 1970 Promotion in Kiel. Mitarbeiter am Institut für Weltwirtschaft und Assistenzprofessor an der Universität Kiel. 1980–2006 Professor der Journalistik mit Schwerpunkt Ökonomie; seit 2006 emeritiert. Forschungsschwerpunkte sind Allgemeine Volkswirtschaft, Wirtschaftsjournalismus und vor allem Medienökonomie.

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Hill, Werner, Dr. phil., geb. 1930; 1948–1956 Tätigkeit im Ruhrbergbau. Besuch des Abendgymnasiums der Stadt Dortmund. Studium in Innsbruck und Hamburg: Mittlere und Neuere Geschichte, Politische Wissenschaft und Öffentliches Recht. 1966 Promotion in Hamburg mit einer Arbeit über den Gleichheitsbegriff Rousseaus. 1964–1967 Redakteur beim Sonntagsblatt in Hamburg. Freie Mitarbeit bei verschiedenen Tageszeitungen sowie bei Wochen- und Monatszeitschriften. 1967–1995 Mitarbeiter des NDR: bis 1978 in der Politischen Redaktion (Hamburg), 1978–1981 Direktor des Funkhauses Hannover, 1981–1995 Sonderkorrespondent des NDR für Recht und Justiz. Berichterstatter und Kommentator der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, großer NS-Gewaltverbrecherprozesse und Terroristenprozesse. Hömberg, Walter, Dr. phil., Prof., geb. 1944; Studium an den Universitäten Kiel, Berlin (FU), Tübingen und Salzburg. 1970 Staatsexamen in Germanistik und Politikwissenschaft; 1973 Promotion in Publizistik und Kommunikationstheorie. 1986–1988 Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Bamberg. Seit 1988 Inhaber des Lehrstuhls für Journalistik I der Katholischen Universität Eichstätt. Gastprofessuren an den Universitäten Freiburg und Wien. 1992–1995 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Seit 1996 Sprecher des Münchner Arbeitskreises öffentlicher Rundfunk. Mitherausgeber und seit 2008 auch Chefredakteur der Zeitschrift Communicatio Socialis. Hoffmann, Johannes, geb. 1937 in Ziegenhals/Oberschlesien; Studium der Geschichte, Latein, Geographie, Philosophie und Pädagogik an der Universität Freiburg, an der FU Berlin und an der Universität Münster, 1965–1972 im höheren Schuldienst, Oberstudienrat. 1973–2004 Akademischer Oberrat im Hochschuldienst und wissenschaftlicher Leiter der Forschungsstelle Ostmitteleuropa (FOME). Träger des Kavalierkreuzes des Verdienstordens der Republik Polen und des Verdienstkreuzes am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Hat als Grundlage der Forschungsarbeit der FOME eine 120 000 Bände umfassende Bibliothek aufgebaut. Kirchhoff, Hans-Georg, Dr. phil., Prof., geb. 1930; studierte an der Universität Köln die Fächer Geschichte und Deutsch, wo er 1955 mit der Arbeit »Zur deutschsprachigen Urkunde des dreizehnten Jahrhunderts« promoviert

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wurde. Nach einigen Jahren im Schul- und Hochschuldienst wurde er 1966 Professor an der Universität Dortmund für Landesgeschichte und Didaktik, an der er auch bis zu seiner Emeritierung tätig war. 1975–1979 und nochmals 1983–1985 war Kirchhoff Vorsitzender der Konferenz für Geschichtsdidaktik. 2006 veröffentlichte er in der Reihe »Beiträge zur Geschichte der Stadt Grevenbroich« die von ihm in Zusammenarbeit mit dem Archäologen Jost Auler verfasste Stadtgeschichte Grevenbroichs. Kolb, Ingrid, geb. 1941; Start der journalistischen Laufbahn 1964 beim Münchner Merkur, wo sie stellvertretende Ressortleiterin »Lokales« wurde. 1970 Wechsel zur Frauenzeitschrift Jasmin in München. 1974 Umzug nach Hamburg zum Nachrichtenmagazin Der Spiegel. 1977 bis 1983 Redakteurin beim Stern, dann sieben Jahre lang Leiterin des Ressorts »Erziehung und Gesellschaft«, danach Autorin. 1995 übernahm sie als Nachfolgerin von Wolf Schneider die Leitung der Henri-Nannen-Journalistenschule von Gruner+Jahr in Hamburg (bis 2006). Seither Tätigkeiten als freie Journalistin und Dozentin; Mitarbeit im Kuratorium der ZeitenspiegelReportageschule in Reutlingen. Koszyk, Kurt, Dr. phil., Prof., geb. 1929; Studium der Publizistik, der Deutschen und Englischen Philologie in Münster und München. 1953 Promotion mit einer historischen Arbeit über die Geschichte der Sozialdemokratischen Presse im Ruhrgebiet. Nach journalistischer Arbeit ernannte ihn die Stadt Dortmund 1957 zum Leiter des Instituts für Zeitungsforschung. 1968 habilitierte er sich mit einer Schrift über die Pressepolitik im Ersten Weltkrieg und erhielt danach einen Ruf an die Ruhr-Universität Bochum als Leiter der Sektion Publizistik, wo er fünf Jahre blieb, um erneut die Leitung des Instituts für Zeitungsforschung zu übernehmen. 1977 wurde Kurt Koszyk Gründungsprofessor des Studiengangs Journalistik an der PH Ruhr, Abteilung Dortmund (heute Institut für Journalistik der TU Dortmund). 1992 wurde Koszyk emeritiert. Kramer, Jürgen, Dr. phil., Prof., geb. 1946; Studium von Anglistik und Germanistik in Marburg, 1. Staatsexamen 1973, Promotion 1975. 1975–1994 Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Fach Englisch am Oberstufen-Kolleg des Landes Nordrhein-Westfalen an der Universität Bielefeld. 1980 Habilitation im Fach Anglistik (Universität Osnabrück). 1985 außerplanmäßiger Professor (Osnabrück). 1994–1997 Professor für Kulturstudien Groß-

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britanniens an der Universität Leipzig. Seit 1997 Professor für Anglistische Kulturwissenschaft an der TU Dortmund. Langenbucher, Wolfgang R., Dr. phil., Prof., geb. 1938; Studium der Volkswirtschaftslehre, Philosophie, Germanistik und Zeitungswissenschaft in Stuttgart und München. 1963 Promotion (»Geschichte und Theorie der Unterhaltungsliteratur«). Danach Assistent von Otto B. Roegele am Institut für Zeitungswissenschaft der Universität München. 1973 Habilitation (»Kommunikation als Beruf«). 1975–1983 Professor am Institut für Kommunikationswissenschaft (Zeitungswissenschaft) der Universität München. 1982 erhielt er einen Ruf auf das Ordinariat für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien, den er 1984 annahm. Bis 2006 Vorstand des Instituts für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien. 2006 Emeritierung. Nold, Günter, Dr. phil., Prof., geb. 1942; 1962–1969 Studium in Frankfurt und Bristol (Englisch, Latein, Geografie, Politikwissenschaften, Philosophie, Theologie); 1973 Promotion. 1977–1980 Professor für Anglistik an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg, 1980–1982 an der GeorgAugust-Universität Göttingen, 1982–1995 erneut an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Seit 1995 Professor für Anglistik (Englische Fachdidaktik) am Institut für Anglistik und Amerikanistik der Universität (TU) Dortmund, seit 2005 außerplanmäßiger Professor an der University of North Carolina (Charlotte, USA). 2002–2008 Dekan der Fakultät Kulturwissenschaften der Universität Dortmund. Nowottny, Friedrich, geb. 1929; nach seinem Schulabschluss arbeitete Nowottny von 1946 bis 1948 bei der britischen Besatzungsmacht in Bielefeld. Seine journalistische Karriere begann er 1948 als freier Mitarbeiter und Lokalreporter bei der Tageszeitung Freie Presse in Bielefeld. 1953 Volontariat bei dieser Zeitung. Anschließend als Redakteur und ab 1958 als Ressortleiter tätig. 1962 wechselte Nowottny zum Saarländischen Rundfunk und wurde Leiter der Abteilung des Fernsehens für Wirtschaft und Soziales. 1967 wechselte Nowottny als stellvertretender Studioleiter zum WDR in das Fernsehstudio Bonn, das er ab dem 1. Februar 1973 leitete. 1985 stieg Nowottny zum Intendanten des WDR auf und ging 1995 in den Ruhestand. Er arbeitet weiterhin als freier Journalist und hält Vorträge.

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Obendiek, Edzard, Dr. phil., Prof., geb. 1927; nach dem Abitur 1947 Studium an der Pädagogischen Akademie, 1949 Volksschullehrer, 1950–1957 Studium der Anglistik und der Geschichte in Göttingen und Bonn, unterbrochen 1951–1952 durch Arbeit in den USA. Staatsexamen 1959, Assistent Universität Bonn, 1963 PH Hagen (Englisch), 1980 Universität Dortmund (Prorektor für Lehre und Studium). Langjährige Zusammenarbeit mit der Fakultät Kulturwissenschaften, jahrelange Beratung Schulfernsehen WDR (einschl. Filmbeitrag »That was last Summer, baby!«). Gründung der Partnerschaft mit der Universität Rostow am Don (dort Schwerpunkt Journalistik). 1993 emeritiert. Pätzold, Ulrich, Dr. phil., Prof., geb. 1943; 1963–1969 Studium an der FU Berlin, Maximilian-Universität München, FU Berlin in den Fächern Publizistik, Philosophie und Theaterwissenschaft. Außerdem Studien der Musikund Literaturwissenschaften. 1966–1970 journalistische und redaktionelle Tätigkeiten im RIAS Berlin. Freie journalistische Arbeiten für diverse Medien. 1972 Promotion (Schwerpunkt Publizistik, »Warum Journalistenausbildung – ein wissenschaftliches Problem der Kommunikationspolitik«) an der FU Berlin. 1973–1979 Assistenzprofessor am Institut für Publizistik der FU Berlin. 1978 Berufung zum ordentlichen Professor nach Dortmund. Aufbau des Modellstudiengangs Journalistik. Seit August 2008 emeritiert und lebt jetzt in Berlin. Poerschke, Hans, Dr. sc. pol., Prof. , geb. 1937; 1955–1959 Studium der Journalistik in Leipzig, 1969 Promotion A zum Dr. rer. pol. in Theorie des Journalismus («Zum Gebrauch des Begriffs der gesellschaftlichen Information in der Journalistikwissenschaft«), 1982 Promotion B zum Dr. sc. pol. in Theorie der Massenkommunikation («Zur allgemeinen Charakteristik des sozialistischen Journalismus als Instrument politischer Leitung durch die marxistisch-leninistische Partei«) an der Universität Leipzig. 1983–1990 Prof. für Theorie des Journalismus an der Sektion Journalistik der Universität Leipzig. 1991–1997 Mitglied des Rundfunkrates des MDR. 1996–1998 Mitglied der Bundestags-Enquête-Kommission »Zukunft der Medien«. Seit 1997 im Ruhestand. Pöttker, Horst, Dr. phil., Prof., geb. 1944; Studium der Sozial- und Geisteswissenschaften, Philosophie und Mathematik in Hamburg, Zürich, Kiel und Basel. 1972–1980 Redakteur der Zeitschrift Blätter des iz3w in Freiburg i. Br.

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1978 Promotion an der Universität Basel. 1982–1985 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fach Soziologie an der Universität Siegen. 1985–1996 verantwortlicher Redakteur der Zeitschrift medium in Frankfurt a. M. 1992–1995 Gastprofessur für Ethik des journalistischen Handelns an der Universität Leipzig. 1995 Habilitation (Schwerpunkt Soziologie der Kommunikation und der öffentlichen Medien) an der Universität-GH Siegen. Seit seiner Berufung 1996 an die Universität Dortmund lehrt und forscht er dort am Institut für Journalistik. Gastprofessuren und Forschungsaufenthalte an den Universitäten Iowa, Wien und Rostow am Don. Quasthoff, Uta M., Dr. phil., Prof.; 1964–1972 Studium an der University of Utah, Salt Lake City und der FU Berlin in den Fächern Germanistik, Theaterwissenschaft, Philosophie, Kunstgeschichte. 1972 Promotion an der FU Berlin in Germanistik (Fachgebiet Linguistik, »Zum Begriff und zur Funktion des Stereotyps«). 1979 Habilitation an der FU Berlin mit der Monographie »Linguistische Studien zu Erzählungen in Gesprächen: eine integrierte strukturell-funktionelle Analyse«. Zahlreiche interdisziplinäre Drittmittelprojekte. Seit 1994 Professur für Sprachwissenschaft und Sprachdidaktik an der Universität Dortmund. 2002–2006 Prorektorin der Universität Dortmund. Seit 2008 stellv. Sprecherin der Forschungsschule »Education and Capabilities«. Rumphorst, Reinhild, Dr. phil., Diplom-Journalistin, seit 2003 Professorin am Institut für Journalismus und Public Relations der Fachhochschule Gelsenkirchen, Lehrgebiet Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit; 1978–1982 Volontariat und freie Mitarbeit beim WDR-Fernsehen, 1982–1987 Redakteurin bei der Zeitschrift test der Stiftung Warentest, 1987–1991 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Studiengang Journalisten-Weiterbildung der FU Berlin, 1991–1995 Pressesprecherin und Leiterin des Referats für Öffentlichkeitsarbeit im Hessischen Justizministeriums, 1995–2003 Dozentin für Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit am Institut für journalistische Bildungsarbeit Journalisten-Zentrum Haus Busch (Hagen). Scharf, Wilfried, Dr. disc. pol., geb. 1945; 1969 Volontariat bei Radio Bremen/Fernsehen-Zeitgeschehen (Feature-Redaktion); 1968–1972 Studium der Sozialwissenschaften in Göttingen; 1973–1975 Studienleiter für Gesellschaftspolitik bei der Evangelischen Akademie Oldenburg; seit 1975 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Publizistik und Kommunika-

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tionswissenschaft der Universität Göttingen; 1980 Promotion. 1987 Vertretung einer C 3-Professur für Journalistik an der Universität Hamburg. Seit 1993 Akademischer Oberrat am Zentrum für interdisziplinäre Medienwissenschaft, ab März 2006 Verwalter der Stelle eines Universitätsprofessors für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Göttingen. Schleier, Inge, Dr. phil.; 1955–1962 Studium der Theaterwissenschaft, Germanistik, Romanistik in München, Wien, Berlin; 1963 Promotion an der FU Berlin; 1963–1966 ständige freie Mitarbeit im Sender Freies Berlin, 1967–1970 Mitarbeit in der Dramaturgie der Berliner Festwochen. 1972 Ausbildung und Prüfung zur Sprecherzieherin in Münster/Westf. und Mitarbeit in der Logopädenausbildung der HNO-Universitätsklinik Münster. 1975–2000 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für deutsche Sprache und Literatur der Universität Dortmund. 2004–2009 Vorstandsmitglied der Erich Kästner Gesellschaft e. V. Toepser-Ziegert, Gabriele, Dr. phil.; 1967–1975 Studium der Publizistik, Anglistik und Germanistik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Promotion 1975 ( Dissertation über die Synchronisation einer Fernsehserie), wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Publizistik der Universität Münster, Forschungsschwerpunkt: Kommunikationsgeschichte 1933–1945. 1979–1991 Bearbeiterin und seit 1991 Herausgeberin der »NSPresseanweisungen der Vorkriegszeit 1933–1939« (19 Bände). 1991–2003 stellvertretende Direktorin, seit 2003 Direktorin des Instituts für Zeitungsforschung der Stadt Dortmund, stellvertretende Geschäftsbereichsleiterin Bibliotheken der Kulturbetriebe der Stadt Dortmund. Lehraufträge an den Universitäten in Münster, Bochum, Göttingen, Herausgeberin der »Dortmunder Beiträge zur Zeitungsforschung« (mit Hans Bohrmann).

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Bildnachweise S. 20: WDR S. 26: Rowohlt Verlag GmbH S. 32: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Probenummer v. 1. Nov. 1949 Repro: Institut für Zeitungsforschung S. 40: Pinguin, 2. Jg., Heft 10-11, Okt./Nov. 1947 Repro: Institut für Zeitungsforschung S. 52: Hamburger Fremdenblatt, Nr. 61 v. 31. Okt. 1954 Repro: Institut für Zeitungsforschung S. 54: Hamburger Abendblatt, Nr. 1 v. 14.Okt. 1948 Repro: Institut für Zeitungsforschung S. 58: Presseausweis von Kurt Koszyk Repro: privat S. 64: Der Spiegel, Nr. 45 v. 7. Nov. 1962 Repro: Institut für Zeitungsforschung S. 70: Filmauschnitt aus http://www.nfb.ca/film/Memorandum/ S. 74: Berliner Extra Blatt, Nr. 14. v. 13. Mai 1967 Repro: Institut für Zeitungsforschung S. 82: Stern, Nr. 24 v. 6. Juni 1971 Repro: Institut für Zeitungsforschung S. 90: Blätter des iz3w, Nr. 56 v. Okt. 1976 Repro: Institut für Zeitungsforschung von privater Vorlage S. 94: The London Review of Books, Vol. 1, No. 1 v. 25. Okt. 1979 Repro: Institut für Zeitungsforschung von privater Vorlage S. 102: Stern, Nr. 18 v. 28. April 1983 Repro: privat S. 106: Süddeutsche Zeitung, Nr. 224 v. 27./28. Sept. 1980 Repro: Institut für Zeitungsforschung S. 110: Bild, Nr. 265 v. 11. Nov. 1988 Repro: Institut für Zeitungsforschung S. 134: Der Spiegel, Nr. 34 v. 21. Aug. 2006 Repro: Institut für Zeitungsforschung