Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft: Band 62 2018 9783110580983, 9783110578164

Open Access The Yearbook of the German Schiller Society is an annual journal that primarily publishes essays on German

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German Pages 422 Year 2018

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Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft: Band 62 2018
 9783110580983, 9783110578164

Table of contents :
Inhalt
Texte und Dokumente
Der »ethische zauberstab«. Bemerkungen zu Ernst Hardts Tantris der Narr, mit einer Edition des Vortrags von 1910
Taktile texte. Karl Kraus und das Israelitische Blindeninstitut Wien-Hohe Warte
Rudolf Fuchs über Franz Kafka. Eine unbekannte Werkbeschreibung aus dem Londoner Exil 1942
Claude Simon im Deutschen. Literaturarchiv
AUFSÄTZE
»Den Namen? – Nein! den nannt er nicht.« Zu den Verschwiegenheiten von Schillers Don Karlos, besonders in der Version der Hamburger Bühnenfassung 1787
Was Macht Schillers Wilhelm Tell zum Helden? Eine deskriptive Heuristik heroischen Handelns
Wilhelm von Humboldt, Goethe und der Montserrat. Die ästhetische Aneignung des Fremden
Das Wort als Performanz. August Stramms Drama Kräfte in der Aufführung von Lothar Schreyer: ein Beispiel der expressionistischen Revolution durch Wort und Bewegung
Nicht-Lesen in Musils Bibliothek. Zur Ordnung des Wissens im Mann ohne Eigenschaften
Berichte
Marbacher Schiller-Bibliographie 2017
Marbacher Vorträge
Gründer in dürftiger Zeit. Bernhard Zeller und die Anfänge des Deutschen Literaturarchivs
Das Familiengeheimnis. Betrachtung eines jahrtausendealten Faszinosums
Deutsche Schillergesellschaft
Nachruf auf Horst Nahler
Jahresbericht der deutschen Schillergesellschaft
Anschriften der Jahrbuch-Mitarbeiter
Zum Frontispiz
Impressum

Citation preview

jahrbuch der deutschen schillergesellschaft

Buchumschlag von Hans Baluschek zu Herman Bang: Die vier Teufel, Berlin 1897 (Collection Fischer I) (DLA Marbach)

jahrbuch der deutschen schillergesellschaft internationales organ für neuere deutsche literatur im auftrag des vorstands herausgegeben von alexander honold ⋅ christine lubkoll ernst osterkamp ⋅ ulrich raulff 62. Jahrgang 2018

de gruyter

ISBN 978-3-11-057816-4 e-ISBN (PDF) 978-3-11-058098-3 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-058007-5 ISSN 0070-4318

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Dörlemann Satz GmbH & Co. KG., Lemförde Druck und Bindung: Pustet, Regensburg www.degruyter.com

inhalt texte und dokumente Stefan Seeber

Der »ethische Zauberstab«. Bemerkungen zu Ernst Hardts Tantris der Narr, mit einer Edition des Vortrags von 1910 . . . . . . . . . . . . . . . . 3

Dietrich Hakelberg

Taktile Texte. Karl Kraus und das Israelitische Blindeninstitut Wien-Hohe Warte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

Konstantin Kountouroyanis / Gerhard Lauer

Rudolf Fuchs über Franz Kafka. Eine unbekannte Werkbeschreibung aus dem Londoner Exil 1942 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

Ulrich Raulff / Mireille Calle-Gruber / Peter Brugger

Claude Simon im Deutschen Literaturarchiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

aufsätze Hermann Bernauer

»Den Namen? – Nein! den nannt er nicht.« Zu den Verschwiegenheiten von Schillers Don Karlos, besonders in der Version der Hamburger Bühnenfassung 1787 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

Achim Aurnhammer / Hanna Klessinger

Was macht Schillers Wilhelm Tell zum Helden? Eine deskriptive Heuristik heroischen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127

Sylwia Werner

Wilhelm von Humboldt, Goethe und der Montserrat. Die ästhetische Aneignung des Fremden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151

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inhalt

Donatella Mazza

Das Wort als Performanz. August Stramms Drama Kräfte in der Aufführung von Lothar Schreyer: ein Beispiel der expressionistischen Revolution durch Wort und Bewegung . . . . . . . . . . . . 177

Burkhardt Wolf

Nicht-Lesen in Musils Bibliothek. Zur Ordnung des Wissens im Mann ohne Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

berichte Nicolai Riedel

Marbacher Schiller-Bibliographie 2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235

marbacher vorträge Jan Eike Dunkhase

Gründer in dürftiger Zeit. Bernhard Zeller und die Anfänge des Deutschen Literaturarchivs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305

Peter von Matt

Das Familiengeheimnis. Betrachtung eines jahrtausendealten Faszinosums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315

deutsche schillergesellschaft Norbert Oellers

Nachruf auf Horst Nahler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329

Ulrich Raulff

Jahresbericht der deutschen Schillergesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331

Anschriften der Jahrbuch-Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 Zum Frontispiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415

Texte und Dokumente

stefan seeber

der »ethische zauberstab« Bemerkungen zu Ernst Hardts Tantris der Narr, mit einer Edition des Vortrags von 1910 Ernst Hardt gehört zu den heute vergessenen Größen der Literaturszene um 1900. Zu seiner Zeit jedoch war er vor allem als Autor des Tantris, einer neuromantischen Adaptation des Tristanstoffs, ein auflagenstarker Liebling des Publikums.1 Das Stück ist in jüngerer Zeit immer wieder Gegenstand von Interpretationen geworden,2 dennoch steht eine Gesamtanalyse des Tantris unter dem Blickwinkel des spezifisch neuromantischen Anspruchs, den Hardt mit seiner Bearbeitung des mittelalterlichen Stoffes steckt, noch aus. Dieser Beitrag ist als Schritt hin zu einer solchen Untersuchung angelegt, die ich in Kürze vorlegen möchte. Im Folgenden skizziere ich zuerst kurz Hardts Biographie und die wichtigsten Merkmale des Dramas, um die Einordnung des eigentlichen Hauptteils der Arbeit zu erleichtern. Ein Marbach-Stipendium des Deutschen Literaturarchivs hat es mir 2017 ermöglicht, Hardts Notizen, frühe Fassungen des Textes und auch einen umfangreichen Vortrag zum Tantris aus seiner Feder zu sichten. Letzterer liegt hier erstmals in gedruckter Form vor. Da Hardts Ausführungen zum Drama eine wesentliche Quelle für die Einordnung des Tantris darstellen, will dieser Beitrag sie einem größeren Publikum zugänglich machen; so wird es möglich, Hardts Produktionsästhetik zu seiner eigentlichen Adaptation in Bezug zu setzen und neue Einblicke in sein Arbeiten zu gewinnen.

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Ernst Hardt, Tantris der Narr, Leipzig 1908. Vgl. aus mediävistischer Perspektive bisher allerdings nur Christoph Huber, Tristan-Rezeption in deutschen Dramen des frühen 20. Jahrhunderts: Ernst Hardt und Georg Kaiser, in: The Garden of Crossing Paths. The Manipulation and Rewriting of Medieval Texts, hg. von Marina Buzzoni und Massimiliano Bampi, Venedig 2005, S. 63–78. Vgl. zudem die neugermanistische Forschung, zuletzt Jaewon Song, Die Bühnenwerke Ernst Hardts und das neue Drama in der deutschen Literatur um 1900, Frankfurt a.M. u.  a. 2000 und Anne Riz, Tantris der (vergessene) Narr. Rezeptionsgeschichtliche und intertextuelle Analyse des Dramas von Ernst Hardt, Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Master of Arts an der Karl-Franzens-Universität Graz, Graz 2013.

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stefan seeber

Ernst Hardt ist zuletzt von Birgit Bernhard 2015 vor allem in seiner Rolle als Gründungsintendant der Westdeutschen Rundfunk AG (WERAG) ab 1926 in Köln gewürdigt worden;3 aber auch sein ›Vorleben‹ verdient Aufmerksamkeit.4 Hardt, Jahrgang 1876, kam in den 1890er Jahren als junger Lyriker in Kontakt mit dem George-Kreis, arbeitete aber im Brotberuf vor allem als Übersetzer aus dem Französischen, eine Tätigkeit, die ihn durch sein ganzes Leben begleitete und oft auch finanziell sein Überleben sicherte. Er übertrug u.  a. Hippolyte Taine, Rousseau, Balzac und Zola ins Deutsche5 und erarbeitete sich umfangreiche Expertise im Bereich der französischen Philosophie und Literatur. Einige seiner Übersetzungen haben bis heute Bestand. Als Novellist feierte Hardt um die Jahrhundertwende mit der Sammlung Bunt ist das Leben seinen Durchbruch, doch seine größten Erfolge erlebte er mit seinen Dramen, insgesamt fünf erschienen zwischen 1905 und 1915.6 Mit dem Kaiserreich endete auch Hardts Karriere als Dramatiker, und es folgte die Zeit als Intendant, zuerst am Nationaltheater in Weimar, dann bei der WERAG bis zur Machtergreifung 1933. Hardt verbrachte die Zeit bis 1945 zurückgezogen und starb am 3. Januar 1947, ohne die ihm angebotene7 Möglichkeit nutzen zu können, den Rundfunk in der amerikanischen Besat3 4

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Birgit Bernhard, »Den Menschen immer mehr zum Menschen machen.« Ernst Hardt 1876– 1947, Essen 2015. Eine Gesamtschau von Werk und Biographie auf der Basis des seinerzeit neu vom Deutschen Literaturarchiv Marbach erworbenen Nachlasses Hardts unternimmt Susanne Schüssler, Ernst Hardt. Eine monographische Studie, Frankfurt a.M. u.  a. 1994, vgl. für das Folgende dort die Bemerkungen zu Hardts Leben auf S. 25–93. Eine maschinenschriftliche Auflistung der Werke Hardts nennt auch seine Übersetzungen, vgl. DLA A:Hardt, Zugangsnummer 62.390, dort sind vermerkt: »Kipling: Puck vom Bocksberg, Flaubert: Drei Erzählungen, Zola: Thérese [sic!] Raquin, Dr.  Pascal, Die Tanzkarte, Rousseau: Bekenntnisse, Voltaire: Erzählungen, La Rochefoucauld: Maximen, Vauvenar­ gues: Betrachtungen und Maximen, Hippolyte Taine: Philosophie der Kunst 2 Bde., Reise in Italien 2 Bde., Aufzeichnungen über England, Balzac: Geschichte der Dreizehn, Claudel: Vom Wesen der holländischen Malerei, Van Puysvelde: Rubensskizzen«. Laut Wolf Bierbach, Versuch über Ernst Hardt, in: Aus Köln in die Welt. Beiträge zur Rundfunk-Geschichte, hg. von Walter Först, Köln und Berlin 1974, S. 363–405, S. 369 ist die Liste für Hardts Ansuchen um die Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer bestimmt, damit müsste sie aus dem Jahr 1936 stammen. Es handelt sich um: Ninon von Lenclos. Drama in einem Akt, Leipzig 1905; Tantris der Narr. Drama in 5 Akten, Leipzig 1908; Gudrun. Ein Trauerspiel in fünf Akten, Leipzig 1911; Schirin und Gertraude. Ein Scherzspiel, Leipzig 1913, König Salomo. Ein Drama in drei Akten, Leipzig 1915. Alle Dramen erschienen im Insel-Verlag. Voraus gingen zudem zwei frühe Dramen: Tote Zeit. Drama in drei Aufzügen, Berlin 1898; Der Kampf ums Rosenrote. Ein Schauspiel in vier Akten, Leipzig 1903 – vgl. zu beiden die Anmerkungen von Jaewon Song, Bühnenwerke, S. 23–40 und Schüssler, Ernst Hardt, S. 131. Vgl. dazu Kapitel 13 der Darstellung von Birgit Bernard, Ernst Hardt, S. 501–521.



der »ethische zauberstab«

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zungszone mit aufzubauen. Erst in seinen letzten Jahren hatte Hardt das Dichten wieder aufgenommen, dabei konnte er mit seinem einzigen Roman Don Hjalmar jedoch nicht an seine alten Erfolge anknüpfen.8 Er geriet in den 1950er Jahren schnell in Vergessenheit, eine Art Kotzebue des späten Kaiserreichs, der in der Retrospektive vom Ruhm seiner Zeitgenossen, allen voran Hofmannsthal, überragt wurde. Hardts zeitgenössisch wichtigstes Werk, d.  h. das Drama mit der größten Wirkung und dem längsten Nachhall, ist sein Tantris der Narr. Das Stück wurde Anfang 1908 in Köln uraufgeführt und erhielt im selben Jahr den Volksschillerpreis sowie den halben Staatspreis.9 Das Feuilleton war über die Ehrung entsetzt;10 die anhaltende, die ganze Zeitspanne seines literarischen Wirkens überdauernde Kritik an der Qualität von Hardts Arbeit11 steht dabei in diametralem Gegensatz zur ebenso anhaltenden und weitreichenden Beliebtheit des Tantris beim Publikum.12 In Wien übernahm Joseph Kainz als eine seiner letzten Rollen den Part des Tantris in der Aufführung am Burgtheater 1910;13 noch 1936 wurde das Stück euphorisch bei seiner Wiederaufnahme in der Burg gefeiert.14 Hardts Tantris ist nicht die einzige Bearbeitung eines mittelalterlichen Stoffes, die er vorlegte,15 sie ist aber die wirkmächtigste, mit deutlichem Abstand vor 8 Ernst Hardt, Don Hjalmar. Bericht über vier Tage und eine Nacht, Leipzig 1946. 9 Die andere Hälfte des Staatspreises ging 1908 an Karl Schönherr für sein Drama Erde. 10 Zeitgenössische Urteile sammelt Bruno Pompecki, Ernst Hardt. Versuch einer Würdigung seiner dichterischen Persönlichkeit. Mit einem Bildnis des Dichters, Leipzig 1909. 11 Vgl. beispielhaft Harry Schumann, Ernst Hardt und die Neuromantik. Ein Mahnruf an die Gegenwart. Mit einem Geleitwort von Arno Holz, Lötzen (Ostpreussen) 1913, der Hardts charakterliche Eignung zum Dichter in Frage stellt, sowie die Reihe: Moderne Dramatik in kritischer Beleuchtung. In Einzeldarstellungen hg. von Dr. Richard Elsner. Heft 4: Ernst Hardt, Tantris der Narr, Berlin 1921 (zuerst 1911), wo Hardts Tantris auf S. 21  f. vorgeworfen wird, eine »Vergewaltigung der Tristansage« zu sein. 12 Wolf Bierbach, Versuch über Ernst Hardt, S. 369 zählt 300 Aufführungen bis 1933. 13 Vgl. auch seinen Brief an Hardt vom 9. Oktober 1907: »Ich habe Ihr Drama nicht gekannt und gehe jetzt nach der Lectüre, wie im Traum herum. Ich bin nicht nur für die Rolle begeistert, was ja vom schauspielerischen Standpunkt begreiflich ist – die Sprache ist es, das Herrlichste, was ich je gelesen habe!«, in: Briefe an Ernst Hardt. Eine Auswahl aus den Jahren 1898–1947, in Verbindung mit Tilla Goetz-Hardt hg. von Jochen Meyer, Marbach 1975, S. 62. Jakob Minor, Das Schillerpreisstück, in: Österreichische Rundschau: Deutsche Kultur und Politik, 17 (1908), S. 392–397, hier S. 397 betont, dass Kainz die Rolle »zu seinen größten Leistungen zählen« dürfe. 14 DLA A:Hardt, Zugangsnummer 70.762,1: Telegramm der Burgtheaterdirektion an Hardt vom 5. April 1936: »tantris fand bei publikum und presse groeszten erfolg sein dichter waere sehr gefeiert worden dankbarst direktion burgtheater«. 15 Eine Übersicht über die Stücke, allerdings ohne detaillierten Rekurs auf ihre mittelalter­ lichen Quellen, bietet Jaewon Song, Bühnenwerke.

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seiner Gudrun-Adaptation von 1911 und seiner Schirin und Gertraude (1913).16 Die Etikettierung als »neuromantisch« trifft für Hardts Tantris zwar hinsichtlich der Opulenz seiner Sprache zu; ein Nachruf nennt ihn nicht von ungefähr einen »Juwelier, [einen] Goldschmied unter den Dramatikern«.17 Zugleich verdeckt dieses Etikett aber die Besonderheit seiner Mittelalterrezeption, die gar nichts Eskapistisches, Verklärendes oder Utopisches birgt.18 Hardts Drama ist ganz im Gegenteil eine Ausstellung dysfunktionaler, dyseuphorischer Charaktere, die in einer höchst zugespitzten Psychologisierung in ihrem kommunikativen Scheitern vorgeführt werden  – Tristan und Isolde sind bei ihrem Wiedersehen im Stück unfähig, einander zu erkennen und nicht in der Lage, ihrem dystopischen Umfeld zu entfliehen. Der Tantris ist, bezogen auf den Kontext der Sagengeschichte, im Bereich der sogenannten Wiederkehrabenteuer positioniert, die in der besonders prominenten mittelhochdeutschen Fassung Gottfrieds von Straßburg nicht mehr geschildert werden. Das Konzept des seriellen Erzählens von erneuten Treffen der Liebenden findet sich jedoch bei den Fortsetzern von Gottfrieds Romantorso, Heinrich von Freiberg und Ulrich von Türheim, die beide für ihre Arbeit auf den vollständigen Roman Eilharts von Oberg zurückgreifen können.19 Hardt kombiniert für sein Drama bekannte Elemente, wenn er seinen Helden zuerst als Aussätzigen auftreten20 und dann direkt danach den Hof als Narr besuchen lässt.21 Das Stück setzt damit ein, dass Tristan, ein strenges Verbot von Isoldes 16 Fritz Adler, Das Werk Ernst Hardts, Greifswald 1921, S. 41 nennt die Stücke gar eine »Trilogie«. 17 Herbert Jhering, Der dramatische Goldschmied. Dem Andenken Ernst Hardts, in: Theater der produktiven Widersprüche 1945–1949, hg. von dems., Berlin und Weimar 1967, S. 97  f., hier S. 97. 18 Zur Mittelalterrezeption der Neuromantik allg. vgl. Reinhild Schwede, Wilhelminische Neuromantik. Flucht oder Zuflucht? Ästhetischer, exotistischer und provinzialistischer Eskapismus im Werk Hauptmanns, Hesses und der Brüder Mann um 1900, Frankfurt 1987, S. 96 (mit Bezug auf Hauptmann). Vgl. auch spezifisch zu Hardt Wolf Bierbach, Versuch über Ernst Hardt, S. 370, der Hardt neuromantischen »Eskapismus« als Gegenposition zum Naturalismus unterstellt. 19 Zum Themenkomplex der Fortsetzungen vgl. allg. Armin Schulz, Die Spielverderber. Wie »schlecht« sind die Tristan-Fortsetzer?, in: Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 51 (2004), H. 3, S. 262–276. 20 Bei Eilhart von Oberg findet sich dieses Abenteuer in knapper Form vorgebildet in Vers 7263–7284 – Isalde lässt den vermeintlichen Kranken hier schlagen und davonjagen und lacht über ihn; aus Zorn über diese Demütigung vollzieht Tristrant bei Eilhart sodann die Ehe mit seiner Frau: Eilhart von Oberg, Tristrant und Isalde, mhd./nhd. von Danielle Buschinger und Wolfgang Spiewok, Greifswald 1993. 21 Tristan als Narr wiederum hat eine prominente Rolle in der Fortsetzung Heinrichs von Freiberg, wo die Konstellation des Tantris durch den unverhohlen und durch das Narrenkostüm



der »ethische zauberstab«

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Ehemann und seinem eigenen Onkel Marke missachtend, wieder zurückgekehrt sein soll. Das Gerücht veranlasst Marke, seine Frau den Aussätzigen auszuliefern, Tristan befreit sie in Verkleidung aus ihrer misslichen Lage, sie erkennt ihn dabei nicht. Auch kurze Zeit später bei seiner zweiten Rückkehr an den Hof schafft es Isolde nicht, den Mann, der inzwischen im Narrenkostüm auftritt und in der Verkleidung offen seine Identität preisgibt, zu erkennen. Tristans Heirat mit einer anderen Frau hat sie als Untreue so sehr erschüttert, dass ihr ehemaliger Geliebter ihr wesensfremd geworden und damit nicht mehr zu erkennen ist. Erst als er sie verlässt, versteht sie beim Blick auf den ins Morgengrauen enteilenden Helden, was gerade geschehen ist, und bricht fassungslos zusammen, ohne noch einmal mit ihm gesprochen zu haben. Deutlich zeigt sich Hardts Tendenz dazu, die Konflikte der Figuren, die bereits den mittelalterlichen Fassungen des Stoffes zugehören, psychologisch zu überformen und neu zu verorten:22 Sein Tantris ist Dokument der Vereinsamung und Verzweiflung, der Lieblosigkeit und einer vergangenen Beziehung ohne Zukunft. Das Drama erlebte zahlreiche Auflagen und auch Übersetzungen, v.  a. ins Englische,23 und im Marbacher Literaturarchiv sind neben einem 141 Blatt umfassenden Typoskript, das eine erste Fassung des Textes dokumentiert,24 auch Notizen Hardts zur Entstehung des Tantris erhalten. Das wichtigste Dokument in diesem Zusammenhang ist ein 56 Blatt umfassender Vortrag, den Hardt undatiert und ohne Hinweis auf den Ort, an dem er gehalten wurde, von Hand niedergeschrieben hat.25 Die frühe Forschung datiert den Vortrag auf den 6. Oktober 1910;

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geschützt seine Liebe bekennenden und zugleich gewalttätigen Helden vorgebildet ist (Vers 5015–5718): Heinrich von Freiberg, Tristan und Isolde (Fortsetzung des Tristan-Romans Gottfrieds von Straßburg). Originaltext (nach der Florenzer Handschrift ms. B. R. 226) von Danielle Buschinger, Versübersetzung von Wolfgang Spiewok, Greifswald 1993. Die Psychologisierung beschreibt bereits Agnes Waldhausen in ihrem Referat des Stücks: Tantris der Narr in: Mitteilungen der Literarhistorischen Gesellschaft Bonn 4 (1909), Heft 3, S. 48–80, hier S. 53. Zur selben Thematik äußert sich ähnlich Fritz Adler, Das Werk Ernst Hardts, S. 19, der für Hardts Dichten allgemein eine »Psychologie des Unbewußten« veranschlagt. Tristram the Jester, translated by John Heard, Jr. from the German of Ernst Hardt, Boston 1913. Im DLA Marbach findet sich ein Vertrag vom 15. Januar 1909 zwischen Hardt und Daisy Broicher zur Übersetzung ins (britische) Englische, A:Hardt, Zugangsnummer 89.97.537. Außerdem gibt es Briefe Broichers an Hardt (A:Hardt, Zugangsnummer 89.97.248), die dokumentieren, dass die Übersetzung keinen Anklang bei den englischen Bühnendirektoren fand (»dramas in verse do not draw« schreibt sie am 1. Oktober 1909 als Ablehnungsgrund). Broicher sendet gar ihre Übersetzung an Hardt und überträgt ihm die Bühnenrechte zurück – allein es fehlt ein Exemplar ihres Textes. DLA A:Hardt, Zugangsnummer 89.97.12. DLA A:Hardt, Zugangsnummer 89.97.93.

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er wurde laut Auskunft von Ludwig Schuster vor der Freien Literarischen Gesellschaft Frankfurt am Main gehalten.26 Allerdings gibt bereits Agnes Waldhausen in ihrem Referat zum Stück für die Literarische Gesellschaft Bonn ein früheres Vortragsdatum an, nämlich den 29.  Februar 1908.27 Zu diesem Zeitpunkt muss eine erste Fassung des Textes, die Hardt im Zuge weiterer Vortragsreisen ergänzte und bearbeitete, also bereits vorgelegen haben. Dass der in Marbach aufbewahrte Text nicht erst im Oktober 1910 vorgetragen wurde, lässt der Verweis auf eine im Februar 1910 erschienene Besprechung des Tantris von Franz Deibel vermuten, den Hardt in seinen Vortrag inseriert und der als eine Verbeugung vor seinem Gastgeber gelesen werden kann: Der Feuilletonredakteur der Königsberger Allgemeinen Zeitung korrespondierte mit Hardt und lud ihn auch nach Königsberg ein,28 um dort vor dem Goethebund29 zu sprechen. Deibel deutet zudem die Möglichkeit einer kleineren Lesereise an, da auch in Danzig Interesse an einem Vortrag Hardts bestand. Das Protokoll des Königsberger Goethebundes gibt als

26 Ludwig Schuster, Neuere Tristandichtungen (Tantris der Narr), Darmstadt 1912, S. 79  f. und ihm folgend Ruth J. Dieffenbacher, Dramatisierungen epischer Stoffe (vom Mittelalter bis zur Neuzeit) in der deutschen Literatur seit 1890, Heidelberg 1935, S. 62. 27 Agnes Waldhausen, Tantris, S. 62. 28 DLA A:Hardt, Zugangsnummer 62.363/4, Brief Deibels an Hardt vom 2.  November 1909: »Noch eine Frage: haben Sie Lust, Zeit, im Lauf des Winters nach Königsberg zu kommen, so sendet Ihnen die hiesige Ortsgruppe der Pensionsanstalt der Schriftsteller und Journalisten umgehend eine Einladung zum Vortragsabend mit wie ich hoffe passablem Honorarangebot. Vielleicht ließe sich ein Besuch mit der Wiedereinstudierung des Tantris vereinigen? Was meinen Sie dazu? Regen sich neue Pläne?«, sowie DLA A:Hardt, Zugangsnummer 62.363/5, Brief vom 4.  Februar 1910: »Die Angelegenheit mit Ihrem Hierherkommen steht jetzt so: Die Pensionsanstalt hat wohl endgültig den Gedanken aufgegeben, sie kann das Geld nicht riskieren. Aber wohl kann das der Goethebund. Es hängt hiervon ab, ob das Staatstheater dem Bund eine Vorstellung des Tantris bewilligt, wenn ja, dann bekommen Sie in wenigen Tagen die Anfrage. Wenn dann die kleine Stadt dazu kommt u. vielleicht noch Danzig, wo die Buchhandlung John und Rosenberg allerdings nach der Auskunft die der P.A. hier wurde, nur etwa 100–150 Mark bewilligen kann (Goethebund 250), so wird die Reise nach dem pauvren Osten vielleicht doch noch lohnen. Ich hoffe immer noch darauf!« und sodann DLA A:Hardt, Zugangsnummer 62.363/6, Brief vom 2. April 1910: »Lieber Ernst Hardt: Endlich komme ich zu einem Wort der Erwiderung auf Karte und Brief. Wie ich die wenigen gemeinsamen Tage noch nachgenossen habe brauche ich wohl nicht zu sagen; ich habe jetzt erst wie zu gut verspürt, was ich so im Lauf des Jahres hier zu vermissen habe und würde mich sehr freuen, wenn die Begegnung jetzt der Anfang einer Reihe wäre, die durch kleinere Pausen nur getrennt ist.« 29 Christian Tilitzki, Die Albertus-Universität Königsberg. Ihre Geschichte von der Reichsgründung bis zum Untergang der Provinz Ostpreußen, Band  1: 1871–1918, Berlin 2012, S.  385 nennt den 1901 begründeten Bund »das größte Vortragsforum der Stadt.«



der »ethische zauberstab«

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Vortragsdatum den 18.  März 1910 an,30 was allerdings nicht ausschließt, dass Hardt denselben Text zu späteren Gelegenheiten weiter in dieser Form verwendet haben kann, z.  B. in Frankfurt im Oktober 1910.31 Primäres Ziel der hier folgenden Wiedergabe des Vortrags ist die Lesbarkeit und Zugänglichkeit, weshalb darauf verzichtet wird, die ursprüngliche Mise en page beizubehalten: Hardt richtet die ersten 42 Blätter zweispaltig ein und gliedert den eigentlichen Text durch marginale Hervorhebung zentraler Punkte. Erst ab Blatt 43 (das doppelt erhalten ist; eine erste Fassung des Blattes hat er gestrichen, trotzdem aber nicht der Loseblattsammlung des Manuskripts entnommen) fehlen die Marginalien, was eine Zweiteilung des Vortrags mit sich bringt: In den ersten knapp zwei Dritteln des Textes dienen die Seitenbemerkungen, die zentrale Begriffe des Haupttextes herausheben, wohl als Gedächtnisstütze für den Redner. Im letzten Drittel verzichtet er darauf; hier geht es um die Wiedergabe des Dramas selbst, das ihm vertraut genug gewesen sein dürfte, um auf solche Hilfskonstruktionen zu verzichten. Hardts Marginalien sind in Fußnoten wiedergegeben, die jeweils an das letzte Wort im Text anschließen, auf das sie sich beziehen. Alle Seitenbemerkungen sind ohne Ausnahme Wiederholungen der Kernpunkte des jeweiligen Abschnitts im Haupttext, sie bieten keine zusätzliche Information. Unterstreichungen und Auszeichnungen sowie Streichungen und Korrekturen Hardts sind beibehalten; der gestrichene bzw. ergänzte Text wird in Fußnoten näher erläutert. Aufgelöste Abkürzungen werden durch eckige Klammern markiert. Eigenwilligkeiten der Orthographie werden beibehalten, da sie das Sinnverstehen nicht beeinträchtigen und (wie im Falle des »Misverstehens«) augenscheinlich von Hardt durch30 Vgl. dazu die Retrospektive: Die ersten 30 Jahre des Goethebundes Königsberg. Nach den Protokollen und Sammelheften zusammengestellt von Oscar Schwonder, Königsberg 1931, S.  33: »Am 18.  März Vortrag des damals sehr gefeierten Dichters E r n s t H a r d t über die Tristansage und -dichtung, nebst Rezitationen.« Für den 19. März ist zudem eine »Sonderaufführung im Stadttheater« »in beflügelter Darstellung (Frl. Schertoff, Herr Jacoby u.  a.), in Gegenwart des lebhaft begrüßten Dichters« vermerkt. (Die Sperrung findet sich im Ori­ ginal.) 31 Fehler wie z.  B. in der Auflistung der Bearbeitungen des Tristanstoffes im Mittelalter lassen darauf schließen, dass Hardt eine ältere Fassung des Textes abgeschrieben hat: Er verrutscht dabei augenscheinlich im Abschnitt und will Chrétiens Dichtung als »bis auf ein paar hundert Verse« verloren sehen (Bl. 40), er bemerkt den Fehler, streicht den Anfang des Satzes (das »bis auf«) und gibt dann korrekt im nächsten Absatz an, dass Thomas’ Fassung »bis auf ein paar hundert Verse« nicht erhalten ist. Ähnlich funktionieren wohl auch nachträgliche Einfügungen ins Manuskript (z.  B. Bl. 36, aber auch Bl. 46). Der Umstand, dass der Text ab Bl. 43 neu aufgestellt wird, lässt darauf schließen, dass Hardt ab hier sein Material spezifisch für den Goethebund Königsberg neu aufgestellt (und dabei auch Deibels Besprechung des Dramas mit einbezogen) hat.

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gängig geboten werden. Nicht nachgewiesen werden von Hardt selbst korrigierte Verschreibungen oder Streichungen, sofern sie nicht eine Veränderung des Sinns oder Argumentationsgangs dokumentieren. Anmerkungen zu Hardts Vortrag beschränke ich im Fließtext auf Verstehenshilfen und kurze Hinweise auf Literatur, die ihm im Rahmen seiner Arbeit zur Verfügung gestanden haben könnte. Eine erste, vorläufige Interpretationsskizze, die Vortrag und Drama zusammen in den Blick nimmt, entwerfe ich im Anschluss an den Abdruck. Deutsches Literaturarchiv Marbach, A:Hardt, Zugangsnummer 89.97.93: Hardt, Ernst: Prosa o.T., Vortrag über Tantris der Narr, 56 Bl. M[eine] D[amen] u[nd] H[erren] [,] Einem Wunsche des Vorstandes Ihrer Gesellschaft folgend, möchte ich Ihnen Einiges über die Sagenquellen erzählen, die meinem letzten Drama: Tantris der Narr – zu Grunde liegen. Ich möchte versuchen vor Ihnen mit dem Verstande die Wege nachzugehn, die andere Kräfte sich gebahnt hatten, und Ihnen zeigen, welcher Art die Freiheit und die Abhängigkeit des Werkes von seinem Stoffe ist.  Erlauben Sie mir vorher32 jedoch das Verhältnis des Dramas zu einem gegebenen Stoff ganz im Allgemeinen vor Ihnen zu entwickeln.  Im Gegensatz zu der Epoche des bürgerlichen Prosadrama’s,33 die wir eben durchlebt haben, werden Sie in der jüngsten dramatischen Entwickelung öfter und öfter Werke finden, deren Titel, deren Inhalt Sie von fern an eine Musik erinnert, die Sie irgend wann schon einmal gehört, Werke, deren Grundstoff bei näherer Untersuchung nicht eine Erfindung des Dichters sondern vielmehr ein Gegebenes ist, das34 er in seiner Weise neu gestaltet hat – sogar Gerhard Hauptmann hat seit Jahren einen Weg eingeschlagen,35 der ihn mitten in diese Entwickelung versetzt.36 32 Marginalie: Verhältnis d[es] Drama’s z[um] geg[egeben] Stoff 33 Marginalie: Jüngste Entwickelung 34 Korrigiert aus »dass«. 35 Marginalie: Gerhard Hauptmann 36 Ähnlich urteilt zeitgenössisch z.  B. H.  Friedrich, Worin kann die alte Romantik der Neuromantik zum Vorbild dienen?, in: Monatsblätter für deutsche Literatur 5 (1900/01), S. 561–565, zu Hauptmanns Hannele ebd., S. 562. Reinhild Schwede, Wilhelminische Neuromantik, S. 96 attestiert Hauptmann (mit Blick auf seinen Armen Hartmann) »Konjunkturbewußtsein«. Hardt nennt hier nicht Hofmannsthal, der um 1900 der wichtigste Exponent des Versdramas gewesen ist, auf das er hier zumindest implizit durch die Abgrenzung vom Prosadrama anspielt: Rüdiger Zymner, Artikel »Versdrama«, in: Reallexion der Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte, Band 3, hg. von Jan-Dirk Müller u.  a., Berlin 2003, S. 763–765, hier S. 764.



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 Sie dürfen den erwähnten Umstand37 an unserer jüngsten dramatischen Produktion durchaus als ein Kennzeichen des Reifens, der Erhöhung und der Veredelung des dichterischen Geistes auffassen, der heute bei uns in Deutschland an der Arbeit ist, denn ich hoffe Ihnen zeigen zu können, dass das grosse tragische Versdrama zu seiner Entstehung eines solchen gegebenen Stoffes bedarf.38  Halten Sie sich zunächst die Bedeutsamkeit der Tatsache vor das Gefühl: in der gesammten dramatischen Kunst der vergangenen grossen Kulturpe­ rioden findet sich nicht ein einziges Drama, dessen Stoff seinen Quell im Kopfe des Dichters gehabt, keiner all jener grossen starken Dramatiker ist auf den Einfall gekommen, auf ein ausgedachtes, selbst erfundenes Schicksal ein Drama zu stützen.  Man könnte zunächst wähnen,39 dieser Umstand entspränge der Bestimmtheit des Stoffgebietes, auf das in früheren Zeiten die gesammte Kunst verwiesen war. Wenn Sie die Vorwürfe der antiken Bildhauerkunst40 und der Malerei41 in der Renaissance überblicken, werden Sie verstehen, was ich damit meine.  Der Künstler war gehalten  – fast immer auf unmittelbare, vereinzelt auf mittelbare, stumm vereinbarte Bestellung vaterländische Religion42 und vaterländische Heldengeschichte zu gestalten, denn auch die Liebe zum Ringerkörper in der Antike war Liebe zur Heldengeschichte. Jeder strahlende marmorne Jünglingsleib barg und pries einen Achilles.  – Man könnte meinen, sagte ich,43 so seien also auch die Dramatiker jener Zeiten nur deshalb auf Sagen angewiesen gewesen, weil sie allein jenes allgemein begehrte Stoffgebiet in sich begriffen.  Nein, dem ist nicht so. Die Zeit, in der der grösste Dramatiker44 aller Zeiten gelebt, zwang den Künstler nicht dergestalt in ein Stoffgebiet, und dennoch hat Shakespeare nicht einen einzigen Stoff seiner zahllosen Dramen selbst erfunden, um den Kern zu treffen, nicht ein einziges der Schicksale, die durch seine Werke rollen, hat seine Quelle in seinem Kopf oder in seinem Herzen, dh. in seiner Wilkür gehabt.

37 Marginalie: Veredelung 38 Marginalie: Bedeutung d[er] Tatsache: Dramen aller Kulturperioden. 39 Marginalie: Bestimmtheit des Stoffgebietes 40 Marginalie: Antike 41 Marginalie: Renaissance 42 Marginalie: Vaterländische Religion 43 Marginalie: Nicht des Stoffgebietes wegen. 44 Marginalie: Shakespeare

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 Die in ihm schlummernde dramatische Intuition45 und Genialität ist immer nur frei geworden auf Grund eines Schicksales, das er als ein Gegebenes hingenommen, es wurde das gesetzgebende Fundament seines Werkes.46  Da es sich  – wie ich au[s]führte,47 ebenso bei allen grossen Dramen48 der Weltliteratur verhält, besteht also die Tatsache: ein solches gegebenes Schicksal wurde das grundlegende Gesetz49 aller grossen Dramen, die bisher in der Welt geschaffen worden sind, alle dramatische Intuition50 hat sich bisher geheftet nicht an ein selbst erfundenes, sondern an ein als Gesetz hingenommenes Schicksal.  Sie wissen, dass kein Künstler51 aus Nichts schafft, sondern eines Eindruckes bedarf, der seine Intuition wachruft. Nehmen Sie den Lyrikern den Mond, wie viele schlechte und gute Gedichte wären vernichtet!  Des Dramatikers Intuition52 scheint also an ein Schicksal gebunden zu sein, das er als ein Gesetz, eine Notwendigkeit über seine Willkür stellt. Es bedarf des Eindruckes: So geschah,53 damit er produktiv wird.  Es leuchtet ohne Weiteres ein, dass ein erfundenes Schicksal immer eine Fiktion bleibt, ein: Angenommen, es geschah so,54 und auf dieser Grundlage ist noch niemals ein grosses Drama gewachsen, diese Unsicherheit des Fundamentes stört das Gebäude bis in die letzten Fugen hinauf. – Goethe55 diffiniert das Drama: Handelnde Charaktere56, die etwas erwirken oder erleiden.57 Das bedingt sich zwar gegenseitig, aber wenn beides der Willkür unterworfen ist, so stört es sich auch gegenseitig.58 Beim Drama ist 45 Marginalie: Intuition 46 Marginalie: Schicksal, gesetzgebende Fundament 47 Im Text steht »auführte«. 48 Marginalie: alle Dramen der Weltliteratur. 49 Marginalie: Schicksal = Gesetz. 50 Marginalie: Intuition 51 Marginalie: Nicht aus Nichts 52 Marginalie: Intuit[ion] des Dramatikers. Die Frequenz der Nennung dieses Stichworts in den Marginalien weist auf die Bedeutung hin, die Hardt ihm beimisst. 53 Marginalie: So geschah 54 Marginalie: Angenommen, so geschah 55 Marginalie: Goethe 56 Verbessert aus dem gestrichenen »Menschen«. 57 Diesen Wortlaut bietet Goethe nicht, Hardt greift hier auf aristotelische Grundgedanken zurück, modifiziert sie aber, indem er Handlung und Charakter amalgamiert. Eine ähn­liche Formulierung bietet, wiederum mit Blick auf Goethe, Friedrich Gundolf, Goethe, Berlin 1916, S. 117 (zum Werther): »Während ein Drama schon gar nicht entsteht, wenn nicht ein handelnder Mensch da ist […]«. 58 Marginalie: Beim Drama Schicksal gegeben



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das, was erlitten oder erwirkt wird, das Schicksal also59 gegeben, wo die Handelnden Charaktere gegeben sind, werden wir später sehen.  Aus dem Gesagten erhellt von selbst, dass das grosse Drama,60 dh. ein Werk tragi- schen Inhaltes, das sich des höchsten sprachlichen Ausdruckes, des Verses, bedient, sich ohne weiteres in die Sphäre der Historie und der Sage als in die Luft verwiesen sieht, in der es am Gewaltigsten gedeihen kann.  Sein geläuterter, verklärter Ausdruck,61 der über das gewöhnliche Leben erhoben ist, findet eine gleich erhobene geläuterte Wirklichkeit. Es bedarf ferner der grossen Schicksale62  – und grosse Schicksale haben gewöhnlich nur grosse Personagen. Eine Zeitungsnotiz63 über eine menschlich noch so beträchtliche Begebenheit – meldet eben nur eine Begebenheit, umgeben von allen Wirkungen des gemeinen Zufalles  – und ein solches Geschehen wird niemals die fast mystische Gewalt eines Schicksales, einer ehernen und bedeutungsvollen Notwendigkeit haben, die sich die Menschheit in der Edelstein besetzten Kapsel einer Sage aufbewahrt hat.  Wenn Sie das Wort Faust64 aussprechen, erschüttert Sie etwas Ehrwürdiges, das weit über die Umrisslinien der Goethischen Gestalt hinausgeht und dennoch erst durch sie in die Welt gekommen ist. Versuchen Sie einen Augenblick lang zu denken, der Inhalt der Iphigenie65 trüge nicht das Gesetz dieses Namens, und Ihnen wird an dem Werk irgend etwas zerbrechen, das unwiderbringlich für Ihr Gefühl ist. Der Satz66 von Arno Holz,67 dass die Geburtswehen einer Kuh für die Kunst gleichbedeutend seien mit den Todesschmerzen eines Helden, hat wohl kaum noch Anhänger unter uns.

59 »das Schicksal also« wurde später eingefügt. 60 Marginalie: In die Sage verwiesen 61 Marginalie: Geläuterter Ausdruck     Geläuterte Wirklichkeit. 62 Marginalie: grosse Schicksale 63 Marginalie: Zeitungsnotiz 64 Marginalie: Faust 65 Marginalie: Iphigenie 66 Marginalie: Arno Holz 67 Der Naturalist Arno Holz ist der direkte Antipode Hardts. Holz brachte seine Abneigung gegen die Neuromantik im Geleitwort zu Schumanns Hardt-Monographie zum Ausdruck. Das Zitat, das Hardt ihm hier attribuiert, stammt allerdings aus Conrad Alberti, Der moderne Realismus in der deutschen Literatur und die Grenzen seiner Berechtigung, Hamburg 1889, S. 18: »[…] es gibt keine künstlerischen Stoffe zweiten und dritten Ranges, sondern als Stoff steht der Tod des größten Helden nicht höher als die Geburtswehen einer Kuh«.

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 Lassen Sie mich auch noch68 ein Wort über eine solche Verbindung und Abhängigkeit der dichterischen Intuition in der Komödie sagen. Sie wissen, dass diese Gattung des Drama’s in unserer euro- päischen Kultur sich herleitet von zwei Römern: Plautus und Terénz.69  – Sie schufen, wie alle Kunst Rom’s, Nachahmungen griechischer Kunst, aber man kannte ihr Vorbild nur dem Namen nach: es war der Grieche Menander.70  – Man hat nun vor Kurzem einige beträchtliche Fragmente von ihm gefunden71 und kann jetzt die Entwickelung der Komödie von dieser ihrer Quelle her verfolgen. In den Stücken der drei genannten Dichter sehen Sie erfundene Begebenheiten,72 erfundene Schicksale, ihr Reiz besteht gerade in der eigenartigen Verschlingung und Verwirrung der Fäden – aber fast mit Staunen entdecken Sie, dass diese toll und willkürlich verschlungenen Begebenheiten73 gelebt werden von Menschen, die der Dichter nicht frei erfunden, sondern als ein Gegebenes, Festumrissenes hingenommen hat. Diese Komödienmenschen sind nicht willkürliche Individualitäten, sondern als bestimmende Gesetze aufgenommene Typen:74 Ammen, verführte Mädchen, betrogene Ehemänner und was dergleichen mehr ist. Denken Sie nun an die Werke des größten Komö­diendichters75 der neuen Zeit, an die Werke Molières, Sie werden dieselbe Entdeckung machen, seine Menschen sind Typen: Geizhälse, Gezierte Frauen, Heuchlerische Priester.76 Wo immer Sie ein wahrhaft starkes Lustspiel antreffen, ich nenne unsere beiden besten deutschen: den zerbrochenen Krug von Heinrich von Kleist und den Biberpelz von Gerhard Hauptmann, Sie werden stets finden, dass der Dichter gestrebt hat, einem Typus zu seinem individuellsten,77 dh. eben zu seinem typischs-

68 Marginalie: Komödie 69 Marginalie: Plautus, Terénz 70 Marginalie: Menander 71 Hardt bezieht sich damit wohl auf die Funde von Papyri in Kairo im Jahr 1905 (Teile der Dramen Epitrepontes, Perikeiromene und Samia), vgl. dazu die zeitgenössischen Darstellungen von Ulrich von Wilamowitz-Moellendorf, Zum Menander von Kairo, Berlin 1907 (Sonderausgabe aus den Sitzungsberichten der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, Bd. 49) sowie Alfred Körte, Zu dem Menander-Papyrus in Kairo, in: Berichte über die Verhandlungen der Königlich-Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften, Philologisch-Historische Klasse, Bd. 60, (1908), Heft 3, S. 88–141. 72 Marginalie: Erfundene Begebenheiten 73 Marginalie: nicht frei erfundene Menschen. 74 Marginalie: Typen 75 Marginalie: Molière 76 Marginalie: Jedes Lustspiel 77 Das Wort ersetzt das zuvor gestrichene »typischsten«.



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ten Ausdruck zu verhelfen. Die komische Intuition scheint78 also zu gutem Gelingen nur an einem menschlichen Typus produktiv zu werden! Welch seltsame Gesetze des Schaffens: in der Tragödie79 sahen Sie, das, was erlitten oder erwirkt wird, als ein Gegebenes, die handelnden Charaktere dagegen der freien dichterischen Phantasie überantwortet, in der Komödie finden wir das80 Umgekehrte, hier sind die Charaktere dem Dichter auferlegt als Gesetze, ihre Schicksale hingegen seiner Wilkür anheimgegeben. – Willkür in Beidem scheint nur in der niedrigsten Gattung des Dramas herrschen zu dürfen:81 in der Burleske,82 im Schwank – Sie wissen, dass der genialste aller Schwankdichter – Aristophanes – diese Wilkür in83 fast göttlicher Ausgelassenheit geübt hat.  Wir wollen nun zum84 Drama zurückkehren, um das Wesentliche zu erörtern. Ich möchte Ihnen zeigen, dass der herrlichste Stoff und der grösste Dramatiker zusammen gebracht, noch lange kein grosses Drama ergeben, sondern dass diese Synthese sich nur Kraft eines freien schöpferischen Aktes85 vollzieht, der den Stoff völlig neu erstehen lässt, dass er im Werke wieder alle Eigenart einer Ursprünglichkeit besitzt.  Wählen Sie, welches grosse Drama Sie wollen:86 Was hat der Dramatiker darin mit dem Stoff getan? Hat er die Worte zu den Menschen gefunden, die das Schicksal in der Fabel leben? Hat er neue persönlich geschaute und erfasste Menschen in das87 gegebene Schicksal hineingeschaffen? Löst er ferner die dramatischen Momente aus dem epischen Fluss der Vorlage und drängt sie aneinander? Kurz, »dramatisiert«88 er die Sage? Wo immer eine solche äussere, ich möchte sagen, handwerkliche Beziehung zwischen Stoff und Dramatiker geherrscht hat, ist das Werk – im höchsten Sinne – misslungen. Eines der ehrwürdigsten Beispiele eines solchen Misslingens sind die Nibelungen89 von Hebbel.90 Welches ist nun aber der Anstoss zu dem

78 Marginalie: Komische Intuition am Typus produktiv. 79 Marginalie: Tragödie 80 »das Umgekehrte« ersetzt das durchgestrichene »sie«. 81 »dürfen« wird nachträglich anstelle des durchgestrichenen »können« eingefügt. 82 Marginalie: Schwank. 83 »in« ersetzt ein gestrichenes »mit«. 84 Marginalie: Drama 85 Marginalie: Fr[eier] schöpf[erischer] Akt 86 Marginalie: Vorgang 87 Verbessert aus »dies«. 88 Marginalie: dramatisiert 89 Die Nibelungen wurden 1863 mit dem erstmals vergebenen Schillerpreis ausgezeichnet. 90 Marginalie: Nibelungen

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Prozess,91 der den Stoff in seine kleinsten Bestandteile auflöst, durch das Blut des Dichters treibt, dort seine besondere Farbe gewinnen und endlich im Werke zu einem ursprünglich neuen Gebilde gerinnen lässt? Denn so muss geschehen, wenn das Werk gültig sein soll.  Ich wüsste kein weittragenderes Beispiel zu wählen92 als den Hamlet Shakespeares. Welches seiner Werke ist individueller, eigentümlicher, ursprüng­ licher in der Erfindung? Ist nicht jede innere Regung, jeder äußere Schritt der Gestalten dieses Dramas wie ein Zucken der Seele des Dichters, kurz, nicht das ganze Werk Blut von seinem Blute, ja Essenz seines Blutes?  Und dennoch!:  Die Sage vom Prinzen Amleth93 steht in dem dänischen Chronisten Saxo Grammatikus;94 Shakespeare lernte sie in der novellistischen Bearbeitung des Franzosen Belleforest kennen, welche95 1596 in einer englischen Übersetzung vorlag.96 Die Novelle berichtet wie das Drama von der Ermordung des Königs von Dänemark durch seinen Bruder, von der Thronbesteigung dieses Bruders und seiner Vermählung mit der Wittwe des Ermordeten. – In der Novelle wie im Drama wird Hamlet, der Sohn des ermordeten Königs, vom Geist seines Vaters zur Rache angetrieben, ja, in der Novelle wie im Drama stellt er sich dann verrückt, um seine Feinde durch solchen erkünstelten Blödsinn zu täuschen. In der Novelle wie im Drama wird der Hofspion Pollonius umgebracht und die Begleiter auf der englischen Reise finden ein gleiches Ende, kurz, bis auf wenige Nebenzüge und bis auf den Schluss deckt sich die äussere Handlung Schritt um Schritt! 91 Marginalie: Prozess? 92 Marginalie: Hamlet 93 Marginalie: Saxo 94 Zu Saxo Grammaticus vgl. Heiko Ueckers Eintrag in: Hamlet-Handbuch. Stoffe, Aneignungen, Deutungen, hg. von Peter W. Marx, Stuttgart und Weimar, 2014, S. 1–3. Bei Saxo Grammaticus findet sich die Amlethus-Geschichte im dritten und vierten Buch der Gesta Danorum. 95 Marginalie: Belleforet 1596 96 Francois de Belleforest übertrug Saxos Geschichte ins Französische und erweiterte sie dabei maßgeblich, nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ durch die Einführung der Melancholie, vgl. dazu den Eintrag von Ralf Haekel, Francois de Belleforest, in: Hamlet-Handbuch. Stoffe, Aneignungen, Deutungen, hg. von Peter W. Marx, Stuttgart und Weimar, 2014, S. 3–5, es handelt sich in seinen Histoires Tragiques um die dritte Geschichte des fünften, 1570, erschienenen Bandes. Haekel betont ebd., S. 3: »Belleforest ist neben dem verlorenen Ur-Hamlet als Hauptquelle für den Hamlet zu sehen«, allerdings datiert die erste Übertragung der Geschichte ins Englische als The Hystorie of Hamblet auf 1608, die Übersetzung ist »eindeutig von Shakespeares Drama beeinflusst«: Wie Belleforest als Bearbeiter Saxos auf Shakespeare eingewirkt hat, lässt sich nicht klären; eine Übersetzung von 1596, die Hardt annimmt (und die einen einfachen Weg für einen solchen Einfluss aufzeigen würde), gibt es nicht.



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 Und dennoch ist der Hamlet Shakespeares eigenstes, urpersönlichstes Werk! Wie ist das möglich? Welche Kraft hat das vermocht.  Wie, ich muss diesen Vergleich gebrauchen, wie knüpft97 sich die Lebensschnur, durch die der Balg einer solchen gegebenen Handlung bis in die kleinsten Hautfalten hinein angefüllt wird mit dem rotesten Blute des Dichters?  Lassen Sie mich ganz trocken und persönlich sprechen. Ich glaube, das, was Shakespeare beim Durchlesen der Novelle zunächst dichterisch reizte,98 war der verstellte Prinz, der gespielte Blödsinn!  An dieser in der Sage99 unwesentlichen, nebensächlichen, bedeutungslosen, für die spekulierende Phantasie aber unendlich anregenden Stelle hats ihn gepackt!  In dem nächsten Pulsschlag seiner Intuition steckt schon der Keim seines Werkes:100 anstatt zu handeln, stellt der Prinz sich blödsinnig. Wie Blitze nachts eine Landschaft erhellen, mags dann weitergegangen sein, bis seine grandiose ethische Erfindung des contemplativen Helden, der nicht handeln, der die Brücke von der Empfindung zur Tat nicht schlagen kann, jeden bedeutungslosen Zug der Sage durch diese Grundidee bedeutungsvoll machte, und eines der kühnsten und seltsamsten Werke erschuf, das die Menschheit besitzt.  Da haben Sie das, was ich die Lebensschnur nannte. Mit anderen Worten: Nicht äussere Berührungspunkte, nicht dramatische Technik macht einen Stoff zum abhängigen Gut des Dramatikers, sondern das intuitive Hineinerleben, Hineinschaffen einer ethischen Idee, welche der Sage einen neuen Brennpunkt101 verleiht, um den sich alle Atome des Stoffes – zu einem neuen Gebilde lagern müssen. – Ich sagte vordem, der Schluss des Hamlet sei im Drama verschieden von dem Ausgange102 der Novelle. Das ist ein für fast alle Dramen charakteristischer Zug. Sobald nämlich erst einmal eine neue ethische Idee von dem Stoff Besitz ergriffen hat, versinkt und zerfällt zu Staub Alles, was ihr entgegensteht, und wäre es auch der Kern des Quellstoffes.  Hat sich eine solche persönliche ethische Vorstellung erst einmal des Stoffes bemächtigt, so verhält er sich zum Werke103 wie das Chaos zur Erde 97 98 99 100 101 102 103

Marginalie: Lebensschnur Marginalie: gespielte Blödsinn Marginalie: nebensächlicher Punkt der Sage Marginalie: anstatt zu Handeln. Marginalie: Brennpunkt Marginalie: Schluss verschieden. Marginalie: Chaos zur Erde

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des siebenten Tages. Hat die Idee nicht diese durchdringende, verwandelnde Kraft, wird sie dem Stoff von aussen aufgezwungen, so bekommt das Werk einen unheilbaren Bruch, wie sie es sogar104 an einem so herr­lichen Werk wie dem Ring des Gyges105 beobachten können. – Aber welches Drama Sie wählen wollen, den Faust Goethes, die Antigone106 von Sophokles oder das Drama eines Geringeren, sofern es nur im geistigen Sinne technisch gesund ist, ist der gegebene107 Stoff durch einen solchen ethischen Zauberstab108 in ein Geschöpf des Dichters verwandelt – und da dieses einen freien schöpferischen Akt voraussetzt, der nicht vom Verstande, nicht vom Können, kurz von keiner geistigen Kraft abhängig ist, die unserem Kommando untersteht, so kann niemand zu gutem Gelingen einen Stoff, eine Sage hernehmen und sie dramatisieren, sondern sie wird sein Werk durch ein dichterisches Erleben, für das er bestenfalls Gott und seinem eigenen menschlichen Leben109 zu danken hat.  Was ich hier vor Ihnen ausgeführt, ist von eminenter Bedeutung110 für das Verständnis der Dramen, die unsere jüngste Litteraturentwicklung uns bringen wird. – Sie wissen, dass jede Kunst sich ihre Kritiker erst langsam schafft und erzieht. Das hat der Naturalismus getan, die jüngste deutsche Produktion hat dazu noch keine Zeit gehabt. So ist es natürlich, dass für sie nur vereinzelt die grundlegenden kritischen Voraussetzungen vorhanden sind  – Einer der namhaften oder sagen wir, öfter genannten berliner Kritiker111 fragte jüngst Schmidtbonn112 in einer Besprechung seines Grafen von Gleichen113 in vorwurfsvollem Tone: Warum er neuen Wein in alte Schläuche gegossen habe? Also, warum er etwas getan, was vor ihm Aeschylos, Sophokles, Euripides, Shakespeare, Corneille, Racine, Goethe, Schiller und Heinrich von Kleist getan hatten. Die Antwort hätte lauten müssen: Weil

104 Das Wort ist nachträglich eingefügt. 105 Gemeint ist damit wohl die Bearbeitung des Stoffes durch Friedrich Hebbel, dessen Drama Gyges und sein Ring 1856 gedruckt wurde und 1889 erstmals zur Aufführung kam. 106 Marginalie: Faust     Antigone 107 Das Wort ist nachträglich eingefügt. 108 Marginale: ethischer Zauberstab 109 »und seinem eigenen menschlichen Leben« ist nachträglich eingefügt. 110 Marginalie: Kritiker 111 Dabei handelte es sich wohl um Friedrich Düsels Besprechung des Stücks in Westermanns illustruierten deutschen Monatsheften 105 (1908/1909), S. 795–801. 112 Marginalie: Schmidtbonn 113 1913 erschien Hardts eigene Fassung des Stoffes unter dem Titel Schirin und Gertraude als Lustspiel.



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aller gute dramatische Wein erst beim Anblick eines solchen alten Schlauches aus dem Boden schiesst.  Lassen Sie mich nun zu unserem engeren Thema kommen.114 Mein Drama ist in der Sphäre der alten Sage von Tristan und Isolde115 gewachsen. Sie soll keltischen Ursprunges sein, doch lässt sich ein gültiger Beweis dafür nicht erbringen. Man muss sich damit begnügen, festzustellen, dass das, was von der Sage greifbar vorhanden ist, im 12. Jahrhundert in Frankreich entstand. Die Jongleurs, dh. herumziehende Sänger und Spielleute fielen wie die hungrigen Raben über den schönen Stoff her und dichteten hunderte von Episoden und Versionen. Eine fest geschürzte Zusammenfassung schuf zuerst ein Spielmann namens Béroul,116 sie ist bis auf wenige Fragmente verloren gegangen.  Der deutsche Eilhard von Oberg117 hat in den siebenziger Jahren des 12. Jahrhunderts eine solche Spielmannsversion ins Deutsche übersetzt. Sie ist verloren gegangen118  Der französische Kunstdichter119 Chretien von Troyes hat ebenfalls ein zusammen- hängendes Gedicht verfasst. Es ist120 verloren gegangen. 114 Marginalie: Engeres Thema 115 Marginalie: Tr[istan] u[nd] Isol[de] 116 Marginalie: Béroul 117 Marginalie: Eilhard von Oberg. 118 Die Überlieferungslage des Eilhartschen Tristrant ist schwierig, weil frühe Handschriften nur als Fragmente erhalten sind; vgl. Eilhart von Oberg, Tristrant. Synoptischer Druck der ergänzten Fragmente mit der gesamten Parallelüberlieferung, hg. von Hadumod Bußmann, Tübingen 1969. Den Text als verloren anzunehmen, ist allerdings auch zu Hardts Zeit nicht der aktuelle Forschungsstand, hatte doch bereits 1877 Franz Lichtenstein eine Edition vorgelegt: Eilhart von Oberge, hg. von Franz Lichtenstein, Straßburg und London 1877. Vgl. dazu zeitgenössisch zu Hardt: Wolfgang Golther, Tristan und Isolde in den Dichtungen des Mittelalters und der neuen Zeit, Leipzig 1907, dort das Kapitel: Der Tristrant des Eilhart von Oberge, seine Vorlage und seine Bearbeitungen, S. 76–98. 119 Marginalie: Chrétien von Troyes 120 Hardt streicht hier die Einschränkung »bis auf«: Chrétien selbst schreibt sich ein Werk über Marke und Isolde zu, das jedoch nicht erhalten ist: Chrétien de Troyes, Cligès. Auf der Grundlage des Textes von Wendelin Foerster übers.  u. komm. von Ingrid Kasten, Berlin und New York 2007, Prolog, V. 1–8: »Cil qui fist d’Erec et d’Enide, / Et les Commandemanz Ovide / Et l’Art d’Amors an romanz mist / Et le Mors de l’Espaule fist, / Del roi Marc et d’Iseut la blonde […]« (»Der Dichter von Erec und Enide, der die Regeln Ovids und die Kunst der Liebe in die Volkssprache übertrug, der vom »Schulterbiss« erzählte und von König Marke und der blonden Isolde«). Vgl. dazu auch Kastens Kommentar, ebd., S. 372: »Bearbeitungen der Geschichten aus Ovids Metamorphosen und des Tristan-Stoffs von Chrétien sind nicht erhalten. Mutmaßungen über den Charakter der Werke bleiben daher bloße Spekulation. Nicht auszuschließen ist auch, dass es sich bei der Liste der »verlorenen« Werke um einen »fiktionalen« Scherz handelt […]«.

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 In der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts121 schrieb der französische Minnesänger Thomas ein grosses, sehr schönes und ergreifendes Tristan­ epos, es ist bis auf ein paar hundert Verse verloren gegangen.122  Wir besitzen von diesem Gedicht jedoch eine englische,123 eine norwegische124 und eine deutsche Übersetzung. Die deutsche ist des Gottfried von Strassburg125 bekanntes Epos.126  – Er starb jedoch,127 ehe er seine Übertragung vollendet hatte.  Im 13  Jahrhundert schrieben zwei andere deutsche Dichter:128 Ulrich von Türheim und Heinrich von Freiberg unter Benutzung jener zuerst genannten französischen Spielmannsversionen einen Schluss an das unvollendete Gedicht.129 – Damit schliesst die mittelalterliche Überlieferung der Sage, erst 121 Marginalie: Thomas 122 Vgl. Joseph Bédier, Le roman de Tristan par Thomas, 2 Bände, Paris 1902 (Textband) und 1907 (Kommentarband). Im Kommentarband nennt Bédier als bekannte Textfragmente: Cambridge, Sneyd 1 und 2, Turin, Straßburg 1–3 und Douce (Introduction, S. 1–9). 123 Vgl. die damals aktuelle Ausgabe: Die nordische und die englische Version der Tristan-Sage, hg. von Eugen Kölbing. Zweiter Theil. Sir Tristrem, Heilbronn 1883. 124 Vgl. die damals aktuelle Ausgabe: Die nordische und die englische Version der Tristan-Sage, hg. von Eugen Kölbing. Erster Theil. Tristrams saga ok Ísondar, Heilbronn 1878. Die nordische Fassung wurde lange Zeit herangezogen, um den unvollständigen Text des Tristan von Thomas zu vervollständigen und zumindest den Handlungsablauf zu rekonstruieren, vgl. etwa die Ausgabe: Thomas, Tristan. Eingel., textkritisch bearb. u. übers. von Gesa Bonath, München 1985. 125 Marginalie: Gottfried 126 Es gab zu Hardts Zeit mehrere verfügbare Ausgaben (und auch Übersetzungen) des Tristan Gottfrieds: Gottfried’s von Straßburg Tristan, hg. von Reinhold Bechstein, 2 Bde., 3. Aufl., Leipzig 1890/91; Tristan und Isolde und Flore und Blanscheflur. Erster Teil: Tristan und Isolde von Gottfried von Straßburg, hg. von Wolfgang Golther, Stuttgart 1888; Gottfried von Straßburg, Tristan, hg. von Karl Marold, Erster Teil: Text, Leipzig 1906. 127 Damit folgt Hardt den Angaben, die die Fortsetzer von Gottfrieds Epos geben – sowohl Ulrich von Türheim (V.  4) als auch Heinrich von Freiberg (V.  32) erklären den Abbruch des Erzählens bei Gottfried durch seinen Tod. Anders als die Fortsetzer hat die Forschung allerdings vielfältige Spekulationen darüber angestellt, ob der Fragmentstatus des Werks auch andere Ursachen gehabt haben könnte; einen knappen Überblick bietet Tomas Tomasek, Gottfried von Straßburg, Stuttgart 2007, S. 225–227. Ich beziehe mich auf die Ausgabe: Ulrich von Türheim, Tristan und Isolde (Fortsetzung des Tristan-Romans Gottfrieds von Straßburg). Originaltext (nach der Heidelberger Handschrift Pal. Germ. 360), Versübersetzung und Einleitung von Wolfgang Spiewok in Zusammenarbeit mit Danielle Buschinger, Greifswald 1992. 128 Marginalie: Ulrich von Türheim     Heinrich von Freiberg 129 Ulrichs und Heinrichs Fortsetzungen waren weniger leicht zugänglich als Gottfrieds Text; Golther bietet im zweiten Band seiner Ausgabe von 1888 nur eine Paraphrase von Ulrichs Fortsetzung und Auszüge aus Heinrichs Text. Komplett liegen beide vor in: Gottfrieds von



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sehr viel später ist in Frankreich wie in Deutschland130 eine wirre Zusammenstoppelung der einzelnen Episoden untermengt mit anderen Fabeln in einem Prosaroman über- gegangen, der bei uns als Volksbuch fortlebte.131 – Sie sehen, so viele Hände sich auch mühten, die schöne Vase zerbrach132 wieder und wieder. Aber die Scherben flogen in alle Winde. Keine Sage ist im Mittelalter beliebter gewesen, sogar der byzantinische Hof133 liess sich eine Übersetzung auf neugriechisch anfertigen. Sie ist erhalten.134  Gottfried von Strassburgs Epos zusammen mit der Fortsetzung des Heinrich von Freiberg umfasst gegen hundertundsechs tausend Verse.135 Ich kann also nicht im entferntes- ten daran denken, Ihnen eine Inhaltsangabe zu machen, dazu reicht unsere Zeit nicht aus.136 137 Die Sage

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Strassburg Werke aus den beßten Handschriften mit Einleitung und Wörterbuch hg. durch Friedrich Heinrich von der Hagen. Erster Band: Tristan und Isolde mit Ulrichs von Turheim Fortsetzung, Breslau 1823, Zweiter Band: Heinrichs von Friberg Fortsetzung von Gottfrieds Tristan. Gottfrieds Minnelieder. Die alten französischen, englischen, wallisischen und spanischen Gedichte von Tristan und Isolde, Breslau 1823. Die moderne Forschung geht davon aus, dass beide Fortsetzer v.  a. Eilharts Version der Geschichte genutzt haben. Eine ähnliche Ansicht wie Hardt vertritt hingegen Golther in der Einleitung seiner Gottfried-Ausgabe von 1888, S. I–XIX, hier S. V: »Die mhd. Gedichte sind in Bezug auf Stoff und Inhalt reine Übersetzungen der französischen Vorlagen […]«. Marginalie: Prosaroman Die französische Prosa hat – anders als Hardt das darstellt – keine Bedeutung für das sog. »Volksbuch« von Tristrant: Der deutsche Prosatext (zuerst 1484 gedruckt) basiert auf der Versfassung Eilharts von Oberg. Marginalie: schöne Vase Marginalie: neugr[iechische] Überset[zung] Vgl. zu diesem Text: Friedrich Heinrich von der Hagen, Über ein mittelgriechisches Gedicht von Artus und den Rittern der Tafelrunde, in: Abhandlung der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1848, S. 243–260. Hardts Berechnungen sind falsch: Gottfrieds Text umfasst 19548 Verse, Ulrichs Fortsetzung 3731, Heinrichs 6890. Selbst wenn Eilharts Fassung hinzugerechnet wird (9750 Verse), ist diese Zahl bei weitem nicht erreicht. Denkbar wäre, dass Hardt hier den voluminösen französischen Tristan en prose mit einrechnet. Der Rest des Blattes ist gestrichen, Hardt nummeriert das Folgeblatt neu als Bl.  43. Der durchgestrichene Text ist identisch mit dem des neuen Blattes 43* und lautet: »Die Sage gliedert sich ihrem Inhalte nach in drei Teile [Marginalie: 3 Teile der Sage]: Die Begegnung Tristans mit Isolde, ehe sie Markes Frau geworden, ihr Leben mit einander, während sie es ist, und ihre Wiederbegegnung, nachdem Tristan Isolde Weishand zum Weibe genommen hat. – Der Schwerpunkt meines Drama’s ruht zum wesentlichen in dieser dritten Schicksalswende. Im ersten Teil [Marginalie: Erster Teil] kommt Tristan zwei Mal zu der irländischen Königstochter Isolde« Mit diesem Blatt, hier 43* in Abgrenzung zum oben aufgeführten ursprünglichen Bl.  43, wechselt die Mise en page: Hardt füllt das ganze Blatt aus und gibt keine Marginalien mehr.

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gliedert sich ihrem Inhalte nach in drei Teile: Die Begegnung Tristans mit Isolde, ehe sie Markes Frau geworden, ihr Leben mit einander, während sie es ist, und ihre Wiederbegegnung, nachdem Tristan Isolde Weishand zum Weibe genommen hat – Der Schwerpunkt meines Drama’s ruht zum wesentlichen in dieser dritten Schicksalswende.  Im ersten Teile kommt Tristan zwei Mal zu der irländischen Königstochter Isolde: das eine Mal auf wunderbare Weise als verwundeter Riesenbesieger, den ihre geheime Arzneikunst heilt, das zweite Mal, um für Marke um sie zu werben. Nach mancherlei Abenteuern führt er sie zu Schiff, und hier ergreift beide die berühmte verzehrende Leidenschaft zu einander, welche die Sage in einem Zaubertrank symbolisiert, dem beide schuldlos erliegen.  Der zweite Teil zeigt in unzähligen Episoden ihre Heimlichkeiten und die rasende, sich steigernde Eifersucht Markes. Schliesslich reisst ihm sozusagen die Geduld, und er verurteilt so Isolde wie Tristan zum Feuertode. Sie werden getrennt zum Richtplatz geführt. Während Tristan sich durch den Sprung von einem Felsen rettet, kommt Isolde auf den Scheiterhaufen und eben soll das Feuer angelegt werden. Da zieht ein Trupp Siecher vorbei und ihr Anführer bittet sie sich für sich selber und den Haufen aus: »da der Tod doch eben nur eine kurze Qual sei.«138 Und Marke schenkt sie ihm. – Ich habe diesen Zug in das Drama in anderer Verkettung herübergenommen, denn die Gestalt Markes, die in allen Fassungen der Sage psychologisch oberflächlich behandelt wird, lag mir besonders am Herzen. – Mich dünkt, Marke kämpfte nicht gegen Tristan und Isolde, sondern gegen Gott, weil Gott ihnen beistand. Gott tat dieses, weil vor ihm ein von der Natur gewaltig gewollter und geschlossener Bund heiliger ist, denn ein Bund den menschliche Satzung zusammengab. In dieser Auffassung eines Kampfes wider Gott, die der Sage allerdings ein neues moralisches Gesicht verleiht, schien mir nichts psychologisch ergründender, denn das wahnwitzige Unterfangen Markes, eines der schönsten Werke dieses ihm feindlichen Gottes zu schänden. Seine berühmte Milde und Weisheit war ihm uranfänglich wenig auf den Leib gewachsen, sie ist die letzte, die grösste Tat des Wiking, durch die er 138 Es handelt sich nicht um ein direktes Zitat aus einer Fassung, allerdings kommt der Satz der entsprechenden Passage der Zeitlerschen Übersetzung des Bédierschen Texts nahe: »Und sobald diese Flamme zusammengesunken, ist ihre Qual zu Ende« (Joseph Bédier, Der Roman von Tristan und Isolde. Mit Geleitwort von Gaston Paris. Autorisierte Uebersetzung von Julius Zeitler, Leipzig 1901, S. 97). Bei Bédier (Le Roman de Tristan et Iseut, traduit et ­restauré par Joseph Bédier. Préface de Gaston Paris, Paris 1900) findet sich das Zitat auf S. 130. In der deutschen Tradition schildert Eilhart die Episode; die Argumentation des Siechen findet sich in V. 4434–4447 (Ausgabe Buschinger/Spiewok). Gottfried bietet diese Erzählung nicht.



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sich wider Gott zu behaupten sucht sein Tun davor verzweifelter Kampf,139 und nicht, wie ein Breslauer Professor140 in frecher Geschmacklosigkeit141 behauptet hat, der Niederschlag meiner sich in diesem Zuge manifestierenden sadistischen Veranlagung. –  Im weiteren Verlauf jagt Tristan die Isolde den Siechen ab und flieht mit ihr in einen Wald, wo sie ein Jahr mit einander leben. Nach dieser Zeit gewährt ihnen Marke freies Geleit, Isolde erweist in einem Gottesgericht ihre Unschuld und Tristan wird verbannt.  Im dritten Teil finden wir Tristan auf allerlei Abenteuern, bis er endlich Isolde Weisshand zur Frau nimmt, aber nur in einer Scheinehe. Sein Schwager stellt ihn deshalb zur Rede, Tristan gesteht ihm seine Liebe zu Isolde Blondhaar und versichert ihm, er würde Alles verstehn und verzeihen, sobald er sie nur ein Mal von Angesicht zu Angesicht gesehn. Sie beschliessen eine Fahrt nach Kurnwal, begegnen der Isolde, wobei der Schwager sich in Brangäne verliebt, während Tristan Isolde aufs Neue besitzt. Ein Misverständnis – Tristan sollte vor einem Ritter geflohen sein, der ihn beim Namen Isoldens anrief  – macht sie dann sehr böse auf ihn. Um das Misverständnis aufzuklären, vermummt sich Tristan in den Mantel eines Siechen und schleicht sich auf den Schlosshof. Isolde lässt ihn durch Knechte 139 Die Worte »sein Tun davor verzweifelter Kampf« sind nachträglich eingefügt. 140 Gemeint ist damit Max Koch, ab 1890 Inhaber des Lehrstuhls für Literaturwissenschaft an der Universität Breslau und ab 1895 ordentlicher Professor ebd., vgl. zu ihm Hans-Joachim Schulz, »Koch, Max« in: Neue Deutsche Biographie 12 (1979), S.  272  f. Koch hatte Hardt gleich zweimal für den Tantris kritisiert, zuerst in: Max Koch, Der neue Schillerpreis, in: Der Türmer: Monatsschrift für Gemüt und Geist 11, (1908/09) H. 1, S. 561–565, hier S. 566, wo er ihm eine zeittypische »Vorliebe für das Perverse und Sadistische« unterstellt, zum zweiten Mal in dem von ihm betreuten Band der Geschichte der Deutschen Literatur von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, von Friedrich Vogt und Max Koch. Dritte, neubearbeitete und vermehrte Aufl., 2. Bd.: Die neuere Zeit. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, von Max Koch, Leipzig und Wien 1910, S.  572, hier konkret zur Figurenzeichnung des Marke: »Das Motiv aber, demzufolge der sadistisch veranlagte König Marke aus Mißtrauen, ohne Schuldbeweise, seine Gattin nackt den Aussätzigen zur Schändung vorwirft, ist schon in der Erzählung so widerlich, daß es im Drama ganz unerträglich und unzulässig ist.« Wichtig ist dabei zweierlei: Zum einen tadelt Koch die »sadistische« Anlage bereits in der mittelalterlichen Version des Stoffes, die auch Eilhart bietet; es handelt sich also nicht um eine auf Hardt allein bezogene Kritik, wie er fälschlich annimmt. Kochs Ärger über Hardt verleitet ihn aber auch zu Ungenauigkeiten: In der Rezension von 1908/09 unterstellt er, dass Tristan die Ehe mit Isolde Weißhand in den mittelalterlichen Fassungen des Stoffes nicht vollziehe (dies wohl um die moralische Verkommenheit Hardts auszustellen), was jedoch nicht korrekt ist (S. 564, vgl. ebd. auch seine unklaren Aussagen zu den unterschiedlichen Wirkmöglichkeiten des Tranks). 141 Die Worte »in frecher Geschmacklosigkeit« sind nachträglich eingefügt.

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fortprügeln. Dann erfährt sie, dass sie ihm unrecht getan und lässt ihn auffordern, in der Verkleidung eines Narren zu ihr zu kommen. Er tuts, niemand erkennt ihn, und sie leben ein paar Wochen mit einander bis Marke neuen Verdacht schöpft. Tristan kehrt nun zu Isolde Weisshand zurück, besteht142 ein neues Abenteuer, wird auf den Tod verwundet und sein Schwager zieht aus, um Isolde Blondhaar mit ihrer Heilkunst herüberzuholen. Es ereignet sich die bekannte Geschichte mit dem schwarzen und dem weissen Segel, Tristan stirbt und die zu spät eintreffende Isolde bricht über seiner Leiche zusammen. Schon in dieser Übersicht erkennen Sie den wesent­ lichen Unterschied der Teile. Während den beiden ersten durch alle bunten Episoden hindurch ein zielbewusstes, sinnvolles Geschehen zu Grunde liegt, bringt der letzte Teil ein wirres Nebeneinander von spielerischen Motiven, die kaum einen Sinn haben. Man hat das immer empfunden und moderne Übersetzer wie Herz143 und Kurz144 haben die alten Formen verworfen und einen neuen Schluss gedichtet.  Ja, wenn Sie die verschiedenen mittelalterlichen Versionen miteinander vergleichen, merken Sie an leisen Änderungen der einzelnen Motive, dass die Spielleute selber die Sinnlosigkeit dieses krausen Geschehens empfanden.  Das Hauptmotiv ist wohl die Vermählung Tristans mit Isolde Weißhand. Doch es ist, als fürchteten sich die Dichter, die schöne ewige Liebe der ersten Teile zu zerstören und so liessen sie die Ehe nur eine Scheinehe sein.145 Aber Isoldens Benehmen gegen Tristan ist dann doch wieder die Art der eifersüchtigen Frau gegen einen Mann, der sie verraten hat. So geht es hin und her, ohne dass man der Sage froh werden könnte.  Eine der Episoden, die am meisten zu spielerischer Ausgestaltung reizten, war die Verkleidung Tristans als Narr, es finden sich kaum zwei völlig übereinstimmende in der Überlieferung. Eine aus dem 12.  Jahrhundert 142 Nach »besteht« ist gestrichen: »unterwegs«. 143 Gemeint ist Wilhelm Hertz. Es handelt sich um folgende Ausgabe: Gottfried von Straßburg, Tristan und Isolde, übers. von Wilhelm Hertz, Stuttgart 1877 (2., durchgesehene Aufl. 1894). Hertz schließt der Übertragung von Gottfrieds Text einen knappen Schluss nach Thomas (bzw. der nordischen Sage) an, der sich nur stilistisch, aber nicht in der Stoßrichtung von den mittelhochdeutschen Schlüssen unterscheidet. 144 Tristan und Isolde. Gedicht von Gottfried von Straßburg. Uebertragen und beschlossen von Hermann Kurtz, Stuttgart 1844. Auch Kurtz nutzt die Version des Thomas für seinen Schluss der Dichtung. 145 Der Vollzug der Ehe ist in allen deutschen Fassungen des Stoffes im Mittelalter erzählt – er resultiert aus den Prügeln, die Tristan in seiner Verkleidung als Siecher bezieht, etwa bei Eilhart Vers 7310  f.: »und nam zuo wib / sin [Kehenis’, seines Schwagers] swester durch den zorn« (Ausgabe Buschinger/Spiewok).



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erhaltene Version, sie liegt in einem selbstständigen französischen Spielmannsliede vor und ist seltsamer Weise auch in das deutsche (von Simrock neu herausgegebene) Volksbuch übergegangen,146 scheint die Verwirrung noch zu steigern.  Hier dringt nämlich Tristan, ohne dass Isolde es weiß, als Narr an den Hof König Markes und wird nun auch von ihr nicht erkannt, obwohl er mit allen Mitteln danach strebt. Auch als der alte Hund Tristans den Narren für seinen Herrn erkennt, zweifelt sie noch und erst, als er ihr einen Ring vorzeigt, den147 sie ihm einst geschenkt, erkennt sie ihn – und das alte, nun wirklich hässliche Lied wird fortgelebt: er bleibt mit und bei ihr.  Dieser letzten Episode verdanke ich die ethische Idee, die das Drama geformt hat. Da ich die Kenntnis des Werkes wenigstens bei einem Teil von Ihnen voraussetzen darf, ist es mir leicht, nun noch mit wenigen Worten darzulegen, wie weit sich der Verstand die Züge der Dichtung erobern darf. Erlauben Sie mir jedoch, die Zuflucht zu fremden Worten zu nehmen, welche, wie mir scheinen will, dem Kern einigermassen nahe gekommen sind. In einer ausführlichen Besprechung des Werkes sagt Dr. Deibel:148  [»]Tantris der Narr ist das Drama der Untreue. Untreue trennt die Menschen, wirft Wälle zwischen ihnen auf, die nicht mehr einzureissen sind, und macht sie einander fremd bis zur Unkenntlichkeit. 146 Tristan und Isolde, in: Die deutschen Volksbücher. Gesammelt und in ihrer ursprünglichen Gestalt wiederhergestellt von Karl Simrock. Vierter Band, Frankfurt a.M. 1846, S. 227–417. Anders als der Titel suggeriert, bietet Simrock keine mittelhochdeutsche Fassung der Geschichte, sondern eine Nacherzählung im Deutsch seiner Zeit, die auf dem Prosaroman fußt, welcher wiederum auf Eilharts Version beruht. Der Prosaroman war in der Edition Pfaffs greifbar: Tristrant und Isalde. Prosaroman des fünfzehnten Jahrhunderts, hg. von Friedrich Pfaff, Tübingen 1881, dort S. 184–190 zu Tristan als Narr. 147 Korrigiert aus »dem«. 148 Deibel veröffentlichte an verschiedenen Orten Besprechungen von Hardts Drama, z.  B. in: Das Literarische Echo 11 (1908/1909), Sp. 233–239. Das Zitat im Vortrag scheint auf einen Artikel zurückzugreifen, der im Februar 1910, also kurz bevor der Vortrag gehalten wurde, erschien: Franz Deibel, Ernst Hardt, in: Nord und Süd vereint mit Morgen. Deutsche Halbmonatsschrift, 34. Jahrgang, Bd. 132, Heft 400, 2. Februarheft 1910, S. 308–317, hier S. 316 und lautet dort: »er hat das D r a m a d e r U n t r e u e geschrieben. Untreue trennt, die einst sich liebten, wirft Wälle zwischen ihnen auf, die nicht mehr einzureißen sind, macht sie fremd bis zur Unkenntlichkeit. Der Verräter Tristan, der sich Isolden Weißhand vermählt hat, ist nicht mehr der Tristan der blonden Isot von Irland, entspricht physisch und psychisch nicht mehr dem Bilde, das Isolde von ihm einst im Herzen getragen hat. Seine Seele ist entstellt und siech, seine Untreue macht Isoldens Herz ihm fremd, ihr Auge blind.« (Sperrung im Original.) Die frühe Forschung liest das Zitat als Hardts eigene Darstellung, vgl. Ludwig Schuster, Tristandichtungen, S. 79  f. und ihm folgend Ruth Dieffenbacher, Dramatisierungen, S. 62.

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Tristan entspricht physisch und psychisch nicht mehr dem Bilde, dass Isolde seit zehn Jahren von ihm im Herzen getragen hat; Der in der Liebe zu Isolde Weisshand untreu geworden ist, kehrt zurück, äusserlich und innerlich entstellt  – und seine Untreue macht Isoldens Herz blind  – in dieser Ewigkeit kann sie ihn durch die Maske der Treulosigkeit nicht mehr erkennen.«  Sie wissen, dass man viel, allzuviel darüber gegrübelt hat, ob Isolde den Tristan nicht mehr erkennen könne, oder nur nicht mehr erkennen wolle.149 Wer mit seinem Gefühl bis in den letzten Grund des Werkes hinuntersteigt, wird dort irgendwo den uralten und ewigen Kampf und Zwiespalt zwischen dem monogamen und dem polygamen Geschlecht finden  – und dann begreifen, wie gerade in dem verhängnishaften: Nichterkennenkönnen gegenüber dem individuell-charakterhaften Nicht erkennen wollen die Schwere und Bedeutsamkeit des Vorgangs zu suchen ist.  – Er wird auch begreifen, warum der, der als ein Büsser zu Isolde kam, vor dem typischweiblichen in ihr wieder zum Helden werden und männlich gehen muss.  Jedenfalls wird Ihnen aus meinen Worten ganz im Allgemeinen aufgestiegen sein, in welcher ethischen Idee der dritte Teil der alten Sage seine Erlösung gefunden hat – vor dieser Idee barg er seit achthundert Jahren das Drama von Tristan dem Treulosen. ÷ E.H. Der Vortrag Hardts ist augenscheinlich in zwei ungleiche Teile untergliedert – wer ausführliche Einlassungen zum Tantris, seinen Quellen und seiner Ausgestaltung erwartet, muss bis ins letzte Drittel des Texts geduldig bleiben. Die Aufmerksamkeit der im Manuskript anvisierten Hörerinnen und Hörer wird vor allem auf die Dramenkunst im Allgemeinen gelenkt, und hier erweist sich Hardt mit relativ konventionellen Äußerungen als Kind seiner Zeit: Antike, Shakespeare und Goethe sind die Leitsterne der Argumentation, die im Besonderen das Allgemeine und in der konkreten Ausformung die zugrundeliegende Idee aufzuweisen versucht. Kernbegriffe sind Intuition und Stoff, die gemeinsam den Rahmen der erfolgreichen Adaptation spannen: Eine bloße Dramatisierung des gegebenen Stoffes, wie sie Hardt z.  B. für Hebbels Nibelungen unterstellt, reicht dabei nicht aus. Notwendig ist nicht handwerkliche Brillanz allein, sondern das, was Hardt im einprägsamen Bild des ethischen Zauberstabs fasst  – eine Anverwandlung des 149 Bruno Pompecki, Hardt, S. 22 nennt die Problematik des Erkennens und Verkennens »undramatisch«.



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bekannten Stoffes an die eigenen Bedürfnisse und Vorstellungen des Dichters bzw. der Dichterin. Das Drama entsteht so im Zusammenspiel von gegebenem Schicksal, freien Charakteren (das unterscheidet es von der Typenkomödie à la Molière) und dem freien schöpferischen Akt, der vor allem in einer Auflösung des Stoffes in seine kleinsten Bestandteile (Bl. 25) besteht, die dann neu formuliert werden. Ausgangspunkt für diese Bearbeitung ist nach Hardt der je individuelle Zugriff auf den Stoff, der den Rezipientinnen und Rezipienten je unterschiedliche ästhetische und kognitive Widerhaken zu bieten hat: Der »gespielte Blödsinn« (Bl. 30) ist es für Shakespeare, für Hardt selbst ist es, in den Worten Franz Deibels, das Drama der Untreue, das der Tristanstoff in seinem letzten Drittel vorführt. Der »ethische Zauberstab« als kreative Aneignung des alten Stoffes wird so eine produktive Leistung, die etwas Neues aus Altem entstehen lässt. Der neue Wein in alten Schläuchen ist gleichzusetzen mit der neuen Ausfüllung alter Themenfelder, mit neuen Schwerpunktsetzungen aus der autonomen Intuition des Dichters bzw. der Dichterin heraus. Das ist die Voraussetzung dafür, Hardts Drama vor der Folie seines Vortrags zu lesen. Allerdings ist in zwei Bereichen Vorsicht geboten, eine direkte Übertragung der theoretischen Annahmen auf den Text des Dramas ist nicht möglich. Denn erstens äußert sich Hardt nicht zur kulturgeschichtlichen Verortung des Autors bzw. der Autorin, er fokussiert allein die Intuition als geniehafte Gabe, und zweitens setzt er einen ›Sinn‹ bzw. Wesenskern des Stoffes als gegeben voraus, an dem sich der Autor bzw. die Autorin abarbeiten, den er oder sie kreativ weiterentwickeln und umformen kann. Ebenso wie den modernen Interpretinnen und Interpreten vormoderner Stoffe muss aber auch für die Autoren des Mittelalters (um im konkreten Rahmen der Tantris-Adaptation zu bleiben) eine Uneinheitlichkeit im Umgang mit dem ›Stoff‹ angenommen werden, es gibt nicht die eine, gültige Fassung des Tristanstoffs, mit der gearbeitet werden kann. Beide Punkte möchte ich abschließend kurz erläutern. Anders als Shakespeare, dessen Hamlet er im Kontext von Saxo Grammaticus und de Belleforest verortet, mithin mit genauer Benennung einer begrenzten Zahl genutzter Quellen verbindet, bearbeitet Hardt den Tristanstoff in einem Umfeld, das auf immer stärkere akademische Durchdringung des Mittelalters sinnt, das kritische Ausgaben der relevanten Texte produziert und das auch intensive Quellenstudien betreibt. Sein Tantris kann auf ausgiebige Vorarbeiten durch andere Autoren ebenso rekurrieren wie auf eine lange, vielfältige Tradition der künstlerischen Aneignung und Neuformulierung der Geschichte um Tristan und Isolde – wobei auffällt, dass Hardt Wagners rezeptionsgeschichtlich übermächtige Fassung des Stoffes als Bezugsgröße überhaupt nicht zur Kenntnis nimmt und wohl bewusst vollständig ausblendet. 1908, als das Drama erscheint, ist der Tristankomplex so leicht zugänglich wie noch nie zuvor seit seiner Wiederentde-

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ckung im 18. Jahrhundert mit der ersten Edition durch Christoph Heinrich Myller 1785.150 Das Wissen über Gottfried, über den Tristan, seine Quellen und die verschiedenen Fassungen stieg durch das 19. Jahrhundert hindurch nahezu exponentiell an. Besonders um und nach 1900 war ein wahrer Boom an Forschungsliteratur zu verzeichnen,151 und auch Bearbeitungen des Stoffes waren zu dieser Zeit bereits Legion.152 Hardts Drama steht damit als Zwerg auf den Schultern von Riesen,153 und sein Vortrag zollt dem ›Stoff‹ den notwendigen Tribut, wenn im letzten Drittel der Ausführungen umfangreich Auskunft über die Sagengeschichte und den Handlungshergang gegeben wird.154 Hardts Angaben sind dabei nicht immer unbedingt auf der Höhe der Zeit, sie spiegeln aber ein Interesse am Stoff, das über die bloße Kenntnisnahme einer Übersetzung hinausgeht. Dass Hardt den kompletten Tristan Gottfrieds auf mittelhochdeutsch gelesen hat, lässt sich daraus nicht rückschließen, allerdings zitiert er Gottfrieds Text an anderer Stelle genau:155 »Isôt ma drûe, Isôt m’amîe, en vûs ma mort, en vûs ma vie«,156 so dass mit einer grundsätzlichen Vertraut150 Tristran. Ein Rittergedicht aus dem XIII. Jahrhundert von Gotfrid von Strazburc zum ersten Mal aus der Handschrift abgedruckt, in: Sammlung deutscher Gedichte aus dem XII., XIII. und XIV. Jahrhundert, hg. von Christoph Heinrich Myller, Bd. 2, Teil 1, Berlin 1785, S. 1–141. 151 Vgl. auch den Forschungsbericht von Wilhelm Röttiger, Der heutige Stand der Tristanforschung. Wissenschaftliche Beilage zum Jahresbericht des Wilhelm-Gymnasiums zu Hamburg. Ostern 1897, Hamburg 1897. 152 Siegfried Grosse und Ursula Rautenberg, Die Rezeption mittelalterlicher deutscher Dichtung. Eine Bibliographie ihrer Übersetzungen und Bearbeitungen seit der Mitte des 18. Jahrhunderts, Tübingen 1989, S. 31–43 zählen für Gottfrieds Tristan allein fünf Übersetzungen mit mehreren Auflagen, siebzehn epische Bearbeitungen, vierzehn Dramatisierungen (neben Wagner), neun lyrische Bearbeitungen und für das sog. »Volksbuch« drei Neubearbeitungen, dazu kommen noch sechs Travestien, eine davon ist direkt auf Hardt bezogen, es handelt sich um den Privatdruck von Kory Elisabeth Rosenbaum, Tantris der Narr. Schauspiel in verschiedenen An- und Aus-, Um- und Auf-, Winkel- und Schachzügen. Autorisierte Übersetzung aus dem Hardtischen, London 1909. 153 Selbstverständlich übt auch die zeitgenössische Literatur maßgeblichen Einfluss auf Hardt aus  – diesen dritten Aspekt neben Mittelalterforschung und anderen Adaptationen des Stoffes blende ich hier aus, vgl. dazu Sulamith Sparre, Todessehnsucht und Erlösung. Tristan und Armer Heinrich in der deutschen Literatur um 1900, Göppingen 1988, S. 105–111 mit besonderem Fokus auf die frühen Dramen Maeterlincks. 154 Eine umfangreiche Zusammenfassung dieser Bemühungen, die bereits in Golther, Tristan und Isolde, breit dargeboten werden, gibt zeitgenössisch Gertrude Schoepperle, Tristan and Isolt. A Study of the Sources of the Romance, 2 Bde., Frankfurt a.M. 1913. 155 DLA A:Hardt, Zugangsnummer 62.342: Ernst Hardt, Notizen zu Tantris. 156 Rüdiger Krohn, Gottfried von Straßburg, Tristan, Bd. 3: Kommentar, Nachwort und Register, 8.  Aufl. Stuttgart 2008 weist auf S.  266 auf eine ähnliche Stelle im Turiner Fragment des Tristan von Thomas hin (V.  121  f.), die allerdings nicht identisch mit dem Gottfriedschen Text ist – Hardt zitiert hier eindeutig Gottfried. Ich nutze die Ausgabe: Gottfried von Straß-



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heit mit der mittelhochdeutschen Überlieferung zu rechnen ist. Dennoch bleibt festzuhalten, dass er – ebenso wie einer seiner schärfsten Kritiker, der Breslauer Literaturwissenschaftler Koch  – in entscheidenden Punkten irrt, etwa wenn er unterstellt, dass in der mittelalterlichen Tradition die Ehe zwischen Tristan und Isolde Weißhand nicht vollzogen würde, dass er also für sein Drama etwas Neues als moralischen Ausgangspunkt voraussetze. Neu ist dabei lediglich der Schwerpunkt, den Hardt auf die Untreue Tristans legt. In den mittelhochdeutschen Fassungen des Stoffes ist sie vorhanden, da die Ehe durchaus vollzogen wird, sie bleibt aber bis zum entscheidenden Moment der Sterbeszene unproblematisch. Die Aussagen zur Untreue sind die einzigen, die er zu seinem »ethischen Zauberstab« macht. Die Spannung zwischen weiblicher Monogamie und männlicher Polygamie ist für ihn der Ausgangspunkt seiner Bearbeitung. Tristan erscheint als »Büsser« und kann dann, konfrontiert mit dem typisch Weiblichen in der Person Isoldes, »männlich« gehen (Bl. 54). Das klingt stark nach einer eigenen Setzung im Vergleich zu den übrigen Fassungen des Stoffes, eine Art Emanzipation aus dem potentiell endlosen Zyklus der seriellen Wiederkehrabenteuer, die bereits im Mittelalter in verschiedener Weise produktiv gemacht worden sind:157 Hardt scheint einen Schlusspunkt zu setzen, wenn der Mann sich von den Ansprüchen der Frau emanzipiert, doch ist diese vermeintliche Befreiung nur temporär angelegt. Im Schlussmonolog Isoldes vor ihrem Zusammenbruch nach Tristans Weggang wird auf ein Wiedersehen vorausverwiesen: »Nun geht Herr Tristan in die Welt zurück … / Bis daß er stirbt … / dann küss ich ihn.«158 Dass Isolde den sterbenden Tristan küssen wird, ordnet den eigentlich erratischen, unverfugbaren Block des Wiederkehrabenteuers, das Hardt bietet, in die Tradition ein. Das trostlose Szenario des Dramas wird abschließend auf den in der Stofftradition bewahrten und dem kollektiven Gedächtnis bekannten Tod des Helden hin ausgerichtet. Hardt schafft somit einen Seitenarm der Tradition neu, indem er etablierte Elemente des Stoffes (Tristan als Narr, Tristan als verkleideter Siecher) neu kombiniert. Der Fokus auf einen »unwesentlichen, nebensächlichen, bedeutungslosen« (Bl. 30) Punkt, der als Widerhaken fungiert, wird dabei durch die PolygamieProblematik gegeben, die allerdings nicht bis ins Letzte durchdacht ist  – denn wenn Tristan Isolde verliert und zu seiner Frau zurückkehrt, lebt er selbst auch burg, Tristan und Isold, hg. von Walter Haug und Manfred Günther Scholz. Mit dem Text des Thomas, hg., übers.  u. komm. von Walter Haug, 2 Bde., Berlin 2012. 157 Vgl. etwa die Episode Tristan als Mönch in der Edition von Betty C.  Bushey: Tristan als Mönch. Untersuchungen und kritische Edition, Göppingen 1974. 158 Ernst Hardt, Tantris, 5. Akt, 3. Szene, S. 159.

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monogam. Wichtiger ist wohl, dass sie Hardt Anlass für eine Psychologisierung des Dramas bietet: Isolde kann Tristan nicht mehr erkennen, weil er untreu geworden ist, dies wird plastisch in bildmächtigen Szenen umgesetzt, in denen der ehemalige Geliebte neben der immer noch von ihm geliebten Isolde steht und sie nicht begreift, mit wem sie es zu tun hat.159 Die Hauptfrage der mittelalterlichen Fassungen, ob und wenn ja wie lange und in welchem Maße die illegitime Liebe durch den Genuss des Minnetranks gerechtfertigt werden kann, verschiebt Hardt in den Bereich der Erinnerung:160 Seine Sicht auf die Liebe ist eine retrospektive, nach dem Scheitern der Paarbeziehung angesiedelte. Das ethische Dilemma des Ehebruchs, das die mittelalterlichen Autoren umtreibt und (im Falle Gottfrieds) zu einer umfassenden Ästhetisierung inspiriert, tritt in den Hintergrund. In den mittelalterlichen Fassungen des Stoffes sind die Wiederkehrabenteuer, die Hardt als totale Dekonstruktion des Paares anlegt,161 völlig anders konzipiert: Isolde hat dort überhaupt kein Problem damit, dass Tristan eine Ehefrau hat. Die beiden treffen sich immer wieder zu kurzen Stelldicheins, bei denen vor allem die Extravaganz der Herbeiführung des Treffens in Verkleidung, durch List, verbunden mit Flucht etc. im Vordergrund steht. Hardt negiert die Voraussetzungen der Wiederkehrabenteuer und durchbricht ihre Logik, indem er sie problematisiert: Isolde kann Tristan nicht erkennen, weil er untreu geworden ist.162 Diese Grundannahme von Hardts Stück weist Parallelen zu Gottfrieds Fragmentschluss des Tristan auf; bedauerlicherweise gibt Hardts Vortrag keinen Einblick, ob er sich dieser Korrelation bewusst gewesen ist. Am Ende von Gottfrieds Text sinniert der Protagonist über die Möglichkeit, durch eine Ehe zum glück­ 159 Elena Poletti, Love, Honour and Artifice. Attitudes to the Tristan material in the medieval epic poems and in selected plays from 1853 – 1919, Göppingen 1989, S. 94 benennt folgerichtig die Unfähigkeit Isoldes, Tristan zu erkennen, als eine von drei »sources of irritation«, die anderen beiden sind die Brutalität Markes und »the role of the concept pair Treue  – Untreue«, alle drei Aspekte sind augenscheinlich auf das Engste verknüpft und nur in der Theorie zu trennen. 160 Elena Poletti, Love, S. 311. 161 Dies dürfte auch der einzige Berührungspunkt sein, den Hardts Drama mit dem Hörspiel von Ingomar Kieseritzky und Karin Bellingkrodt hat: Tristan und Isolde im Wald von Morois oder der zerstreute Diskurs, Graz 1987 – hier wird die Liebe in der Minnegrotte ad absurdum geführt, indem die Protagonisten auf ihre jeweiligen (überzeichnet dargestellten) Genderrollen zurückgeworfen werden und an den Rollenmustern scheitern. Für den Hinweis auf diesen Text danke ich Lea von Berg-Steinbrecher herzlich. Zum Hörspiel vgl. Matthias Meyer, Desaster in der Minnegrotte. Tristan und Isolde im Diskursgestrüpp, in: Tristan  – Tristrant. Mélanges en l’honneur de Danielle Buschinger à l’occasion de son 60ème anniversaire, hg. von André Crépin und Wolfgang Spiewok, Greifswald 1996, S. 313–327. 162 Das ist auch der Schlussvers von Isoldes Eingangsgesang zu Beginn des 1. Aktes: »Herr Tristan ist untreu geworden …« (Ernst Hardt, Tantris, 1. Akt, 1. Szene, S. 9).



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lichen Mann zu werden. Er erhofft sich ein »vrôlîchez leben«,163 fröhlicher als das eines einsamen Liebhabers, dessen Geliebte ja selbst einen Ehemann zu Hause hat, der sie trösten kann: Hier ist die Grundlage einer psychologisierenden Lesart der Beziehung gegeben, bei Gottfried führt sie in eine unauflösbare und (aus welchen Gründen auch immer) nicht auserzählte Aporie, Hardt gestaltet sie in dramatischer Form als Wiederkehrabenteuer post festum aus. Dem Anspruch, eine ›Erlösung‹ zu bieten und zugleich eine bislang verborgene Lösung für den Stoff zu offerieren, wie Hardt am Ende seines Vortrags postuliert, wird das Drama allerdings nicht gerecht, und es kann ihm nach den vorangegangenen Äußerungen zur Methode der Adaptation bekannter Stoffe durch individuelle Intuition auch nicht gerecht werden: Hardts Tantris ist Kind seiner Zeit, eine Aktualisierung des Stoffes mit Blick auf einen Aspekt aus der Fülle der möglichen Anknüpfungsmöglichkeiten und bei weitem nicht der einzige zeitgenössische Versuch einer Adaptation.164 Der »ethische Zauberstab« hat zwar das Ziel, das Allgemeine im Individuellen neu hervorzuheben; er ist dabei aber eine Einzelleistung unter vielen und muss als solche gewürdigt werden. Hardt gibt in diesem Zusammenhang in seinem Vortrag eine auch für die aktuelle Mediaevalismus-Debatte165 wichtige Nuance der Rezeption vormoderner Stoffe zu bedenken: Die Aktualisierung der Tradition ist skalierbar, es gibt keine eindeutigen Zuschreibungen von Sinn, die über das einzelne Werk hinaus Geltung beanspruchen können. Hardts Ideal ist der Mittelweg zwischen einer totalen Transposition in die eigene Zeit und der Archaisierung, das Spannungsfeld aus Tradition und Intuition bildet die Grundlage der ethischen Idee als Leitlinie der Bearbeitung. Dass diese Ethik sich nicht einfach nur in der Rezeption alter Stoffe erschöpft, sondern dass der neue Text auf die Vorgänger zurückweist und neue Perspektiven auf alte Texte eröffnen helfen kann, ist das besondere Verdienst dieser Sichtweise und gibt der Lektüre des Tantris auch 110 Jahre nach dem Erstdruck noch einen Sinn. Hardt fügt einer umfangreichen Tradition eine neue 163 Gottfried, Tristan, V. 19547. 164 Georg Kaiser lässt 1913 Marke als irren König die Liebesbeziehung von Tristan und Isolde durch seine permanenten Bemühungen um ihr Wohlergehen torpedieren und offeriert umfangreiche Monologe Markes, die sein Innerstes nach außen kehren und ihn als Opfer und Täter zugleich porträtieren: Georg Kaiser, König Hahnrei, Potsdam 1913. 165 Neue Impulse hat die seit den 1980er Jahren andauernde Beschäftigung mit dem Fortleben mittelalterlicher Stoffe in moderner Kunst und Kultur jüngst durch die Beiträge von David Matthews, Medievalism. A Critical History, Cambridge 2015 und Richard Utz, Medievalism. A Manifesto, Kalamazoo 2017 erhalten, die besonderen Wert auf die kulturelle Einbettung der Adaptationen mittelalterlicher literarischer Werke, aber auch kultureller Praktiken in den gegenwärtigen Kontext legen. Notwendig bleibt eine Historisierung dieser Medievalism-Idee, für die Hardt wichtige Impulse bietet – dieses Thema möchte ich an anderem Ort vertiefend behandeln.

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Bedeutungsschicht hinzu, seine Psychologisierung der Figuren erhellt implizite Anlagen der mittelhochdeutschen Texte, die hier zu einer neuen, umfassenden Ausgestaltung gelangen. Vor allem die Idee vom »ethischen Zauberstab« erweist sich als Schlüssel zu diesem Konzept und sollte bei zukünftigen Analysen seines Werkes, auch seiner anderen Adaptationen mittelalterlicher Stoffe, stärker berücksichtigt werden.

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taktile texte Karl Kraus und das Israelitische Blindeninstitut Wien-Hohe Warte Von einer Reise zurückgekehrt fand die junge Sängerin Margarethe von Winterfeldt1 am 3. September 1926 zu Hause in Potsdam unverhofft Post aus Wien vor. Die Sendung enthielt eine Gedichtausgabe von Karl Kraus, mit einer Auswahl aus dessen Lyriksammlung Worte in Versen. Absender war der Autor selbst. Nur die Titelseite und das Inhaltsverzeichnis des ungewöhnlich großformatigen Buches waren schwarz gedruckt. Die Gedichte auf den dicken kartonartigen Blättern ließen sich nur ertasten, denn Margarethe von Winterfeldt war blind. Wie sie von dieser besonderen Blindendruck-Ausgabe von Worte in Versen erfahren hat, ist unbekannt, doch hatte sie bei Kraus um ein Exemplar angefragt, der ihrem Wunsch gerne nachgekommen war. Dies geht aus einem Dankschreiben hervor, das sich im Nachlass von Karl Kraus erhalten hat.2 Potsdam den 4. 9. 26 Hoch verehrter Herr Kraus! Gestern, bei meiner Heimkehr von einer kleinen Reise, fand ich hier zuhause das Buch mit Ihren Gedichten und Ihrer freundlichen Widmung. Ich kam mitten hinein in den Wirbel nicht immer ganz erfreulicher Alltäglichkeiten und fand nun bei mancherlei anderen Sendungen dies freundliche Zeichen, das mich doppelt beglückte, da ich garnicht zu hoffen gewagt hatte, auf meinen Brief irgend eine Antwort zu erhalten. Sie können sich garnicht denken, welch eine Freude es für mich ist, die Gedichte zu besitzen, sie selbst lesen zu können, immer gerade dann, wenn mich danach verlangt, ohne dass ich erst irgend einen Menschen bitten muss mir vorzulesen, der 1

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1902–1978. Von 1944 bis 1965 Professorin an der Musikhochschule Freiburg, seit 1965 private Gesangsschule in Berlin, s. [Art.] Winterfeldt, Margarethe von, in: Großes Sängerlexikon, hg. von Karl-Josef Kutsch und Leo Riemens, Bd. 5, Bern u.  a. 1997, S. 3741. Wienbibliothek im Rathaus, Wien (im Folgenden zitiert: WBR), H.I.N. 242631: Brief von Margarethe von Winterfeldt an Karl Kraus, Potsdam, 4. September 1926 (Abschrift).

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vielleicht dann im Augenblick garnicht darauf eingestimmt ist. Manches wohlbekannte und schon mir ganz vertraut gewordene Gedicht habe ich froh gegrüsst und immer aufs neue gelesen, das ich schon vorher mir aufzuschreiben geplant hatte, damit es mir immer erreichbar sei. Ihr Buch wird mir viele Stunden der Einsamkeit erhellen und beleben, in denen die Gedanken müdgelaufen an den Dingen des Lebens oder beschwert und befangen von all zu Persönlichem nach Anregung und höherem Fluge verlangen. Die Gesinnung, die Ihnen eingab, mir diese Verse zu senden, macht ihren Inhalt, wenn das noch möglich ist, doppelt schön. Haben Sie von ganzem Herzen Dank dafür. Ich wünsche Ihnen alles nur irgend erdenklich Gute für Ihr Leben und für Ihr Werk und grüsse Sie voll Hochachtung. Margarethe v. Winterfeldt. Kraus hatte ihr das Buch auf dem Titelblatt gewidmet: »An Margarethe v. Winterfeldt / mit Dank / Wien, im August 26 Karl Kraus«. Dieses Widmungsexemplar befindet sich heute in der Bibliothek des Deutschen Literaturarchivs in Marbach (Abb. 1). Mit den beiden Provenienzen, erschlossen aus der eigenhändigen Widmung des Autors an die Sängerin, kann eine Spur aufgenommen werden. Aus flankierenden Quellen zur Herkunft des Buchexemplars und zur Entstehungsgeschichte des Blindendrucks entfaltet sich ein beziehungsreicher Kontext um Produktion, Rezeption und Überlieferung von Texten, deren besondere physische Form großen Einfluss auf ihre Bedeutung und Wahrnehmung hat.3 Die Auswahlausgabe von Worte in Versen in Braille war im Verlag Die Fackel erschienen und in der Blindendruckerei des Israelitischen Blindeninstituts Hohe Warte in Wien hergestellt worden. Die Vorlageform der Veröffentlichungsangabe auf der schwarz gedruckten Titelseite lautet: »Verlag ›Die Fackel‹, Wien / Druck und Verlag der Blindenschrift-Ausgabe / (Auswahl aus den bisher erschienenen Bänden) / Blinden-Druckerei und Studienbibliothek / Wien-Hohe Warte / 1924« (Abb.  1).4 Über eine geschäftliche Beziehung von Kraus’ Verlag Die Fackel zur Blindendruckerei des Israelitischen Blindeninstituts ist jedoch nichts bekannt, ebenso wenig wie zu Kurt Wolffs Verlag der Schriften von Karl Kraus, in dem bis zum Bruch mit Wolff im Jahr 1921 die ersten Bände von Worte in Versen erschie-

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Donald F. McKenzie, Bibliography and the sociology of texts, London 1986 (The Panizzi Lectures 1985), S. 4–5. DLA Marbach, K:Quart. Kollation: [1] Bl. [Titelseite in Schwarzdruck], [1] Bl. [Titelseite in Braille], 39 S. [Gedichte und Inhaltsverz. in Braille], [1] Bl. [Inhaltszverz. in Schwarzdruck]. Blattgröße: 26,5 × 35 cm. Der Druck der Gedichte in Braille ist beidseitig ausgeführt.



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Abb. 1. Titelseite der Auswahlausgabe von Worte in Versen in Blindenschrift (DLA Marbach, K:Quart, Aufnahme: DLA)

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nen waren.5 Damit stellt sich die Frage nach dem Entstehen des Buches und was Karl Kraus mit dem Israelitischen Blindeninstitut Wien-Hohe Warte verband.6 Mit öffentlichen Lesungen füllte Kraus Säle. Wenn der von seinen Anhängern so gefeierte wie von seinen Gegnern gehasste Wiener Schriftsteller soziale, kulturelle und moralische Missstände enthüllte und die bürgerliche Presse geißelte, eigene und fremde Werke rezitierte und dabei »seine stahlharte Stimme über eine atemlose Menge hingellen« ließ, lauschte ihm ein ergriffenes Publikum.7 Der Ausstrahlung des Vorlesers auf der Bühne, seinem Mitgefühl und seinem Hass auf das Schlechte in der Welt, seinem bedingungslosen und rechthaberischen Streben nach Wahrheit konnten sich die Zuhörer im Saal kaum entziehen, darum waren sie gekommen. Die Erlöse aus den gut besuchten Veranstaltungen und dem Verkauf der Programmzettel ließ Kraus wohltätigen Zwecken zukommen, die er in seiner Zeitschrift Die Fackel dokumentierte. In einem Brief an Sidonie Nádherný vom 15./16. Februar 1923 erwähnt Kraus im Postscriptum, einen »entzückenden Dankbrief von blinden Kindern erhalten« zu haben, die zu Beginn des Schuljahres sein Gedicht Der Bauer, der Hund und der Soldat gelesen hätten. »Sie wollen, daß ich zu ihnen komme, dann ›lesen wir Ihnen etwas Schönes vor‹«.8 Dieser Anfang Februar 1923 geschriebene Dankbrief der blinden Kinder an Karl Kraus ist nicht erhalten, so dass unklar bleibt, worin der Anlass bestand. Es liegt nahe, dass es sich um die Zuwendungen aus den sieben Vorlesungen des Nestroy-Zyklus’ handelte, die zwischen dem 24. und 30. Januar 1923 stattfanden (258. bis 264. Vorlesung). Aus dem Erlös kamen dem Israelitischen Blindeninstitut und dem Heim für blinde Mädchen Hohe Warte insgesamt 10.000.000 Kronen zugute.9 Der hohe Betrag ist auf die Hyperinflation zurückzuführen und man darf annehmen, dass die Kaufkraft bis zur Überwei5

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Vgl. Murray G. Hall, Verlage um Karl Kraus, in: Kraus-Hefte 7 (Juli 1983), H. 26/27; Zwischen Jüngstem Tag und Weltgericht: Karl Kraus und Kurt Wolff. Briefwechsel 1912–1921, hg. von Friedrich Pfäfflin, Göttingen 2007. Dankbar benutzt für die Beantwortung dieser Frage wurden die digitale Edition der Fackel, Austrian Academy Corpus: AAC-FACKEL , das Themenportal von Katharina Prager und Brigitte Stocker, Karl Kraus Online (Wienbibliothek im Rathaus/ Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte und Theorie der Biographie 2015) , sowie die Digitalisate des Leo Baeck Institute, New York (26.  Januar 2018). Gedankt für ihre freundliche Hilfe sei Kyra Waldner (Wienbibliothek) und Renate Evers (Leo Baeck Institute, New York). Karl Kraus als Vorleser. Faksimile-Edition einer Schrift, die Karl Kraus nie ausgegeben hat, hg. von Leo A. Lensing, Warmbronn 2007, S. [20]. Brief von Karl Kraus an Sidonie Nádherný, Wien, 15./16. Februar 1923, in: Karl Kraus, Briefe an Sidonie Nádherný von Borutin 1913–1936, Bd.  1, hg. von Friedrich Pfäfflin, Göttingen 2005, Nr. 778, hier S. 654. Die Fackel (im Folgenden zitiert: F) 613–621, April 1923, S. 58.



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sung erheblich gesunken war. Dies war die erste öffentlich gemachte Spende, die Kraus dem Israelitischen Blindeninstitut und dessen Direktor Siegfried Altmann zukommen ließ. Dem verlorenen Brief der blinden Kinder folgte schon am 12. Februar 1923 ein weiterer bekräftigender Brief, der erhalten geblieben ist.10 Hochgeehrter Herr! Den herzlichen Dank für die vielen Stunden des Glückes, die Ihre Worte und Werke uns bereitet haben und fortan bereiten werden, verdoppeln wir freudigst, da Sie uns auch in werktätiger Weise helfen!       In tiefer Verehrung Die Zöglinge des Blinden=Inst. Hohe Warte Wien, 12. 2. 23 Worauf sich der Hinweis auf Werktätigkeit bezieht, bleibt zunächst unklar. Einen Beleg dafür, dass Kraus am Israelitischen Blindeninstitut vorgelesen bekam oder selbst vorgelesen hat, gibt es nicht. Auch im erhaltenen Gästebuch des Instituts sucht man seinen Namen vergebens.11 Der Bauer, der Hund und der Soldat ist ein Gedicht gegen den Krieg, das Kraus häufig öffentlich vorgelesen hat. Es beruht auf einem Kriegserlebnis seines Freundes Max Lobkowicz in Wolhynien, das auch im V. Akt von Die letzten Tage der Menschheit erscheint. Lobkowicz war Augenzeuge geworden, wie ein Soldat mutwillig auf einen Hund einstach und das Tier zum Invaliden machte.12 Das Gedicht erschien erstmals 1918 in der Fackel und im dritten Band von Worte in Versen.13 1924 wurde es auch in die Auswahlausgabe in Blindenschrift aufgenommen, deren Geschichte hier im Vordergrund steht (Abb. 2).

10 WBR, H.I.N 241606: Brief der Zöglinge des Israelitischen Blindeninstituts an Karl Kraus, Wien, 12. Februar 1923 (in Schablonenschrift). 11 Leo Baeck Institute, New York, Siegfried Altmann Collection, AR-C 1207 2899. 12 Karl Kraus, Briefe an Sidonie Nádherný von Borutin 1913–1936, Bd.  2, hg. von Friedrich Pfäfflin, Göttingen 2005, S.  336; Karl Kraus, Die letzten Tage der Menschheit, Wien und Leipzig 1922, S. 733. 13 F 484–498, Oktober 1918, S. 141–142; Karl Kraus, Worte in Versen III, Leipzig 1918, S. 36–37.

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Abb. 2. Seite 14 der Auswahlausgabe von Worte in Versen in Braille, mit den Gedichten Der tote Wald und dem Beginn von Der Bauer, der Hund und der Soldat (Aufnahme: DLA)



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Der Bauer, der Hund und der Soldat (Wolhynien) »Der Hund ist krank! Was fehlt dem armen Hunde?« »Er ist verwundet, Herr. Das ist der Krieg, und davon eben hat er seine Wunde.« Der Bauer sprach’s und streichelt’ ihn und schwieg. »Wie aber, wann und wo empfing die Wunde der arme Hund? Er kann ja gar nicht gehn!« »Herr, es ist Krieg und da ist es dem Hunde, er stand so da, da ist es ihm geschehn. Der Hund stand da und da kam ein Soldat, der ging vorbei und stach nach meinem Hunde, der keinem Menschen was zu leide tat, nie biß er wen, nun hat er seine Wunde. Seht ihn nur an, es war ein gutes Tier, er dient mir lang’, und in der weiten Runde der beste Schäferhund, er führte mir das Vieh allein, nun hat er seine Wunde. Seht, wie er hinkt. Das tut er seit der Stunde, da der Soldat vorbeikam, der Soldat, der stach nach meinem alten Schäferhunde, der keinen Menschen noch gebissen hat.« »Und warum, glaubt ihr, bracht’ er ihm die Wunde, der Mann dem Hund die schwere Wunde bei? Der Hund ist stumm, sein Blick befiehlt dem Munde für ihn zu sprechen, sprecht nur frank und frei.« »Wir wissen’s nicht. Doch wißt ihr’s selbst wie wir, daß Krieg ist. Mir und meinem armen Hunde und Gott und jedem Kind und auch dem Tier ist es bekannt, und Krieg schlägt jede Wunde.

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Ich sagt’s euch Herr, der Mann war ein Soldat und wer die Waffe hat, der schlägt die Wunde. Wißt ihr denn nicht, wie viel’s geschlagen hat in dieser gottgesandten Zeit und Stunde?« »So solltet ihr, daß er vom Schmerz gesunde, das arme Tier sogleich mit Gift vergeben. Erschießt ihr ihn, wißt ihr, daß eine Wunde auch Wohltat sei, und helft ihm aus dem Leben!« »Ach Herr, ich ließ’ es nimmermehr geschehn, ich kann nur leiden mit dem armen Hunde. ’s ist Krieg, ich kann ein Huhn nicht sterben sehn, ’s ist Krieg, da, wißt ihr, gibt es manche Wunde. Der Hund war gut, vorbei ist’s mit dem Hunde, seit der Soldat vorbeiging, ’s ist der Krieg. Man muß es nehmen, was sie bringt die Stunde.« Der Bauer sprach’s und streichelt’ ihn und schwieg.

Das Israelitische Blindeninstitut mit Blindendruckerei und Verlag Das auf Initiative des Arztes und Literaten Ludwig August Frankl Ritter von Hohenwarth 1872 in privater Trägerschaft gegründete Israelitische Blindeninstitut sollte blinden jüdischen Kindern und Jugendlichen durch geeignete Ausbildung eine Lebensperspektive in Selbständigkeit bieten. Bedürftigen Hilfe zur Selbsthilfe zu geben war ein zentrales Anliegen jüdischer Philanthropie, die durch Lösung sozialer Probleme noch über das Gebot der Wohltätigkeit (Ẓedaka) hinausgeht.14 Die Einrichtung von Werkstätten, in denen Handfertigkeiten für einen selbständigen Broterwerb unterrichtet werden konnten, spielte daher für Philanthropen wie Ludwig August Frankl eine wichtige Rolle. Nachdem Frankl das Stiftungskapital eingeworben hatte, finanzierte der Wiener Bankier Jonas Freiherr von Königswarter, der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, das 14 Andreas Ludwig und Kurt Schilde, Jüdisches Mäzenatentum zur Förderung wohltätiger Zwecke, in: Jüdische Wohlfahrtstiftungen. Initiativen jüdischer Stifterinnen und Stifter zwischen Wohltätigkeit und sozialer Reform, hg. von Andreas Ludwig und Kurt Schilde, Frankfurt a.M. 2010, S. 20; Luisa Levi d’Ancona Modena, s.  v. Philanthropie, in: Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur, Bd. 4, Stuttgart und Weimar 2013, S. 521–522.



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Institutsgebäude. Der Architekt Wilhelm Stiassny errichtete auf dem Grundstück Hohe Warte 32 in Döbling im XIX. Wiener Gemeindebezirk einen repräsentativen zweiflügeligen Bau. In dem dreigeschossigen Gebäude waren Schlafsäle für 22 Mädchen und 32 Jungen, die Unterrichts- und Hauswirtschaftsräume, der Betsaal sowie Werkstätten, wie Bürstenbinderei, Korbflechterei und die Druckerei untergebracht. 1873 begann der Unterricht mit 11 Schülerinnen und Schülern;15 1913 beherbergte das Internat 50 Zöglinge.16 Der Unterricht fand in einer Elementar-, Mittel- und Abschlussklasse statt, die jeweils mehrere Schuljahre bis zum Erreichen der Volljährigkeit umfassten. Auf dem Lehrplan standen im Jahr 1911 Religionslehre, biblische Geschichte, Hebräisch, deutsche Sprache (Lesen, Stachelschrift, Flachschrift und Braille’sche Punktschrift, Grammatik), Rechnen, geometrische Formenlehre, Naturgeschichte, Physik, Anschauungsunterricht, Geografie und Geschichte (Heimatkunde), Modellieren, Zeichnen, Handfertigkeit, Übung der Sinne, Gesang und Turnen. Nach dem Schulabschluss folgte eine Handwerksausbildung mit Wiederholungsklassen in kaufmännischem Rechnen, Kalkulationslehre, Warenkunde und Stenografie, oder die Vorbereitung auf eine Staatsprüfung, für die wissenschaftliche Kenntnisse in einer Ausbildungsklasse vermittelt wurden.17 Ausgebildet wurden Korbflechter, Bürstenbinder, Uhrmacher, Organisten und Klavierstimmer. Oscar Baum, der mit elf Jahren erblindete Prager Schriftsteller, lernte im Israelitischen Blindeninstitut Hohe Warte »fast nur die Annehmlichkeiten und Vorzüge eines Internats« kennen. Dies schickt er seinem 1909 erschienenen autobiografisch anmutenden Roman Das Leben im Dunkeln voraus, in dem er vom bedrückenden Leben, den Bevormundungen der sehenden Wohltäter und Lehrer in einem fiktionalen Blindeninstitut erzählt und »zum Zwecke der Dichtung« neben eigenen Erlebnissen Informationen aus unterschiedlichen Blindeneinrichtungen verarbeitet.18 Der gute Ruf von Baums Blindeninstitut lässt den erblindeten Friede Ellmann hoffen: »›Das Institut‹! – Wunderliche Fabeln und Märchen15

Das Blinden-Institut auf der Hohen Warte bei Wien. Monographie nebst wissenschaftlichen und biographischen Beiträgen. Den Mitgliedern des ersten europäischen Blinden-LehrerCongresses gewidmet, Wien 1873, S.  38. Zu den reformpädagogischen Ansätzen: Corinna Wolffhardt, Das Israelitische Blindeninstitut Hohe Warte. Ein historischer Abriß über Entstehen, Wirken und Einfluß auf das österreichische Blindenwesen, Diplom-Arbeit Universität Wien, Wien 1999. 16 Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen 1 (1914), H. 2, S. 18. 17 Israelitisches Blinden-Institut in Wien. Bericht für die Jahre 1907–1911, Wien 1912, S. 5, 8. 18 Oscar Baum, Das Leben im Dunkeln, Stuttgart, Berlin und Leipzig 1909, Vorbemerkung. Zur kritischen Aufnahme von Baums Roman in der Blindenpädagogik der Zeit vgl. Blinden- und Sehbehindertenpädagogik, hg. von Sven Degenhardt und Waltraut Rath (Studientexte zur Geschichte der Behindertenpädagogik 2), Neuwied u.  a. 2001, S. 78–101.

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haftes wurde über die Methoden und Erfolge der modernen Blindenerziehung in das Haus getragen.«19 Der autobiografische Roman Das Blindeninstitut von Michael Stone, der 1933 mit seinen Eltern vor den Nationalsozialisten aus Berlin nach Wien geflohen war, gleicht dagegen einem Augenzeugenbericht. Der Junge Michael erzählt von seiner Freundschaft mit Gleichaltrigen im Israelitischen Blindeninstitut Hohe Warte, beobachtet zurückhaltend das Leben dort, begegnet dem Direktor Dr. Siegfried Altmann. Dies sind Ruhepunkte in der kurzen Zeitspanne bedrohlicher Ereignisse im Leben des 16jährigen zwischen dem Anschluss Österreichs im März 1938 und den Novemberpogromen, bevor Michael mit einem Kindertransport nach England entkommen kann.20 Siegfried Altmann (1887–1963) kam 1907 als Lehrer an das Israelitische Blin­ deninstitut, nachdem er mit einer enthusiastischen Rezension der Autobiografie von Helen Keller, der taub-blinden amerikanischen Schriftstellerin, auf sich aufmerksam gemacht hatte (The story of my life, 1903, die deutsche Übersetzung erschien 1904). Altmann wurde in Nikolsburg in Mähren geboren.21 Zu seinen Kindheitserinnerungen gehört auch eine zufällige Begegnung mit Theodor Herzl während eines Besuches im Wiener Volksgarten. Noch während seiner Schulzeit in Brünn schrieb er Kritiken für die Jüdische Volksstimme, unterrichtete Jiddische Literatur und gründete eine zionistische Schülerorganisation. Die Bekanntschaft mit dem achtzigjährigen blind-tauben Dichter Hieronymus Lorm soll ein Wendepunkt in Altmanns Leben gewesen sein. Altmann studierte Pädagogik und Psychologie in Brünn und Prag und wurde neben seiner Tätigkeit als Blindenpädagoge in verschiedenen zionistischen Organisationen aktiv. 1921 trat er die Nachfolge von Simon Heller als Direktor des Israelitischen Blindeninstitutes an und festigte den Ruf einer international anerkannten und heilpädagogisch wegweisenden Einrichtung. Konsequent setzte er auf die Hilfe zur Selbsthilfe: »Diejenige Blindenfürsorge

19 Oscar Baum, Das Leben im Dunkeln, S. 21. 20 Michael Stone, Das Blindeninstitut. Bruchstück einer Jugend, Berlin 1991. 21 Zur Biografie vgl. die Ausrisse im Nachlass von Siegfried Altmann, Leo Baeck Institute, New York, Siegfried Altmann Collection, AR 1788: Rudolf Lissau, The Hohe Warte Institute for the Blind. Siegfried Altmann and his Work, in: The New Beacon. A magazine devoted to the interest of the blind, vol. XXII, no. 263, 15. November 1938, S. 285–287; An exiled leader, in: Outlook for the Blind, December 1938, S. 184–185; Who’s Who in World Jewry. A biographical dictionary of outstanding jews, New York 1955, s.  v. Altmann, Siegfried; Alfred Werner, Outstanding Refugee Zionists in America, in: The New Palestine, 9. Februar 1942, S. 8–9. Ferner: Mimi Grossberg, Siegfried Altmann, in: Hugo Gold, Geschichte der Juden in Österreich. Ein Gedenkbuch, Tel Aviv 1971, S. 110; Evelyn Adunka, Mimi Grossberg und Siegfried Altmann, in: Mimi Grossberg (1905–1997): Pionierin – Mentorin – Networkerin. Ein Leben zwischen Wien und New York, Wien 2008, S. 67–78.



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ist die beste, die sich überflüssig macht.«22 Die Versorgung blinder Menschen mit Literatur war Altmann ein besonderes Anliegen. 1933 gründete er die Jewish Braille Library for Central Europe, deren Berater er bis 1938 war. Nach dem Anschluss Österreichs erzwangen die Nationalsozialisten schrittweise die Schließung des Israelitischen Blindeninstituts auf der Hohen Warte. Viele Schüler kehrten in ihre Heimatländer zurück, wenige konnten 1939 mit Hilfe der British Blind Jewish Society nach England fliehen.23 Altmann selbst verließ sein zerstörtes Lebenswerk im Februar 1939 und emigrierte mit der Hilfe von Helen Keller in die USA.24 Literatur und Musik spielten in der Ausbildung und im Leben des Blindeninstituts eine wichtige Rolle. »Der 150. Geburtstag Friedrich Schillers«, so heißt es beispielsweise im Bericht für die Jahre 1907 bis 1911, »wurde in einer internen Feier durch Rede, Deklamation, durch die Aufführung einer Szene aus ›Wallenstein‹ und durch den Gesang ›An die Freude‹ feierlich und würdig begangen.«25 1911 umfasste die Schülerbibliothek 1.485 Bände in Braille, darunter 344 Musikalien. Viele dieser Blindenbücher waren in der von David Pomeranz geleiteten Hausdruckerei abgeschrieben oder vervielfältigt worden.26 Druckereien für Vervielfältigungen von Texten und von Noten in Brailleschrift waren eine Form der Blindenwerkstätten, die pädagogisch gesehen besondere Handfertigkeiten vermittelten und mit intellektueller Herausforderung verbanden. Siegfried Altmann berief sich 1917 in dieser Sache auf den Direktor des Deutschen Buch- und Schriftmuseums in Leipzig, den Buchwissenschaftler Albert Schramm, der in seinem Aufsatz Ein Wort über Blindenbücher gefordert hatte: Gute, einwandfreie Bücher, darauf kommt es an, will man den Blinden wirklich den Segen des Lesens von Literatur der verschiedensten Art zuteil werden lassen. Was wird auf diesem Gebiet nicht alles gesündigt! […] Zur Herstellung eines Buches in Blindenschrift gehört wahrlich mehr als die Kenntnis des Blinden-Alphabets und guter Wille. Eine Unsumme von Momenten will beachtet sein, soll ein wirklich einwandfreies Buch entstehen.27 22 Siegfried Altmann, Ita res video (Aus meiner Mappe), in: Zeitschrift für das österreichische Blindenwesen 4 (1917), H. 7, S. 755–759, hier S. 756. 23 Das Institutsgebäude diente danach der Israelitischen Kultusgemeinde als Wohnheim für behinderte Menschen. Bis Ende 1942 wurden alle Bewohner deportiert: Barbara Hoffmann, Zwischen Integration, Kooperation und Vernichtung. Blinde Menschen in der »Ostmark«, 1938–1945, Wien 2012, S. 317, 326–334. 24 Alfred Werner, Outstanding Refugee Zionists in America; Mimi Grossberg, Siegfried Altmann. 25 Israelitisches Blinden-Institut in Wien. Bericht für die Jahre 1907–1911, Wien 1912, S. 15. 26 Ebd., S. 6. 27 Zitiert nach Siegfried Altmann, Ita res video, S. 758.

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Der Blindendruckverlag am Israelitischen Blindeninstitut war bereits 1887 von Ludwig August Frankl gegründet worden. Zu den Verlagserzeugnissen kam 1920 ein Katalog heraus; bis 1927 waren 108 in Blindenschrift vervielfältigte Bücher und Musikalien auf der Hohen Warte erschienen. Nach der Inflationszeit, so heißt es weiter, wolle man sich »wie früher auf dem Gebiet wertvoller Belletristik und der Musik betätigen.«28 Bis Ende 1928 erschienen weitere 11 Publikationen.29 Für die Vervielfältigung eines Textes in Braille’scher Punktschrift wurden beidseitig geprägte Druckplatten für den Zwischenpunktdruck (durch den platzsparend das versetzte beidseitige Bedrucken eines Blattes möglich wird) eingesetzt. Zur Herstellung dieser speziellen Stereotyp-Druckplatten aus Zink verwendete man am Israelitischen Blindeninstitut Hohe Warte eine Maschine, die der Blindenlehrer F. Hinze zusammen mit dem Mechaniker R. Auerbach im Jahr 1895 in Berlin konstruiert hatte und die von blinden Menschen bedient werden konnte (Abb. 3). Der eigentliche Prägevorgang wurde über ein Pedal ausgeführt. Die fertigen Druckplatten wurden auf einem dickeren Papier aus Hanffasern, das vorher angefeuchtet wurde, in einer einfachen Tiegelpresse abgedruckt.30

Worte in Versen als Blindenschrift-Ausgabe Karl Kraus bezeichnete den in Mittelböhmen gelegenen Park von Schloss Janowitz als die »Wunderwiege« seiner Lyrik. Er hatte Sidonie Nádherný, die vielfältig literarisch und künstlerisch interessierte Schlossherrin, 1913 in Wien kennengelernt und daraufhin begonnen, Gedichte zu schreiben, die meist zuerst in der Fackel gedruckt wurden. Die gesammelten Gedichte erschienen von 1916 an unter dem Titel Worte in Versen in aufeinander folgenden nummerierten Bänden. Kraus widmete die ersten sechs Bände offen oder versteckt Sidonie Nádherný und ihrer

28 Richard Dreyer, Die Blindenbüchereien, Punktschriftdruckereien und -verlage, in: Handbuch der Blindenwohlfahrtspflege. Ein Nachschlagewerk für Behörden, Fürsorger, Ärzte, Erzieher, Blinde und deren Angehörige, hg. von Carl Strehl, Berlin 1927, S.  245–257, hier S. 256. 29 Siegfried Altmann, Das Blindenwesen in Österreich, in: Handbuch der Blindenwohlfahrtspflege, Teil 2, hg. von Carl Strehl, Marburg a.  d.L. 1930, S. 146–162, hier S. 152. 30 Encyclopädisches Handbuch des Blindenwesens, hg. von Alexander Mell, Wien 1900, S. 369 mit Fig. 2 und genauer Beschreibung; Willy Heimers, Lehr- und Lernmittel für Blinde, in: Handbuch der Blindenwohlfahrtspflege. Ein Nachschlagewerk für Behörden, Fürsorger, Ärzte, Erzieher, Blinde und deren Angehörige, hg. von Carl Strehl, Berlin 1927, S. 74.



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Abb. 3. Herstellung einer Stereotyp-Druckplatte für den beidseitigen Zwischenpunktdruck in Braille, aufgenommen in der Blindendruckerei des Israelitischen Blindeninstituts Hohe Warte in Wien. Fotografie in einem Album aus dem Nachlass von Siegfried Altmann (Mit freundlicher Genehmigung des Leo Baeck Institute New York, AR 1788, ALB-OS 6)

Welt.31 Im November 1923 kam der siebte Band heraus, der Kraus’ Schwester Mary gewidmet ist. Die 33 Gedichte der Blindenschrift-Ausgabe von 1924 sind aus allen bis dahin erschienenen sieben Bänden entnommen (Anhang). Zur Frage, wer für die Gedichtauswahl verantwortlich war, geben die Beilagen in einem weiteren Exemplar des Blindendruckes im Karl Kraus-Archiv der Wienbibliothek Aufschluss. Dieses hat die gleiche Kollation wie das in Marbach aufbewahrte und stammt ebenfalls aus dem Besitz des Autors. Eingeheftet ist jedoch ein Brief in Stachel-

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Friedrich Pfäfflin, Janowitz, die »Wunderwiege meiner Lyrik«, in: Karl Kraus, Wiese im Park. Gedichte an Sidonie Nádherný, hg. von Friedrich Pfäfflin, Frankfurt a.M. und Leipzig 2004, S. 95–108.

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schrift (in gestanzten Großbuchstaben), der von den Zöglingen des Israelitischen Blindeninstituts Wien-Hohe Warte unterzeichnet ist.32 Hochverehrter Herr! Wir wollen nicht unterlassen, mit Ihnen einen in der Spanne des Menschenlebens so bedeutsamen, wie schönen Tag zu feiern: Ihren 50. Geburtstag. Zu dieser Mitfeier schlieszt uns die Vergegenwärtigung Ihrer Werke zusammen, deren Bilder wir mit unserem Seelenauge zu erschauen vermögen, deren Früchte die Tage, an denen wir sie genieszen, zu den schönsten zu zählen uns berechtigen.   Schon als wir zum erstenmale in Ihren Kreis traten, wurde uns unter dem Klange Ihrer Stimme, aus welcher eine hoheitsvolle Seele spricht, alles zum Erlebnis.   Lehrer wurden Sie uns. Die Saat des Guten, Edlen, Wahren für ein reines Menschentum streuen Sie in die Furchen, den schwersten Kampf nicht scheuend. Führer sind Sie. Die Dornen des Weges nicht achtend, schreiten Sie gehobenen Hauptes.   Empfangen Sie diese Zeilen als den Ausdruck der innigsten Verehrung, verbunden mit den herzlichsten Wünschen zum 28. April 1924. Die Zöglinge des Isr. Blinden=Institutes. Vorne in den Band eingeklebt ist ein weiterer maschinenschriftlicher Brief von Siegfried Altmann, dem Direktor des Blindeninstituts.33 Hochgeehrter Herr!   Den Zeilen unserer Zöglinge haben wir nur weniges hinzuzufügen. Was Sie auch ihnen zu geben vermochten, wird ein unverlierbarer Besitz für ihr ganzes Leben sein. Diese Ueberzeugung ist durch die Andacht hervorgerufen und befestigt, mit der unsere Schützlinge Ihre Werke immer wieder lesen und vorlesen hören, durch die Herzlichkeit, mit der sie darüber sprechen, durch das innige Bestreben, mit dem sie deren Sinn zu erfassen und zu durchdringen suchen.   Gewiss sind diese Wirkungen, ist der Gedanke, umnachtete Seelen mit lichtvoller Erkenntnis zu erfüllen, der beste Lohn, – uns aber ist es ein Her32 WBR, in DS-184262/C-134023: Brief der Zöglinge des Israelitischen Blindeninstituts an Karl Kraus [Wien, April 1924] (in Stachelschrift). 33 WBR, in DS-184262/C-134023: Brief von Siegfried Altmann an Karl Kraus, Wien, 28.  April 1924.



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zensbedürfnis, Sie durch ein Geburtstagsangebinde zu erfreuen. Wir haben in unserer Blindenbuchdruckerei eine Auswahl der »Worte in Versen« in einer grösseren Auflage hergestellt, in der Absicht, jeder Blindenbibliothek des In- und Auslandes (es kommen etwa 30 in Betracht) 1–2 Exemplare dieses Werkes kostenlos zu überreichen. Wir warten hiezu nur Ihre Genehmigung ab, die wir freundlich erbitten.   Mit dem Ausdrucke besonderer Verehrung und Hochschätzung [Stempel:] Die Direktion des isr. Blinden-Institutes Altmann Wien, am 28. April 1924. Kraus druckte Altmanns Schreiben zusammen mit dem Brief der Schüler in der Fackel ab und teilte dazu mit: Mit diesem Schreiben, dessen Bitte um Genehmigung sofort erfüllt wurde, ist das schöne Geschenk zweier Exemplare des in Großfolio-Format hergestellten Werkes überreicht worden, das ein Titelblatt in normalen Drucklettern und einen ebenso gedruckten Index enthält […]. 34 Das »Geburtstagsangebinde« für Karl Kraus bestand demnach in zwei besonderen Exemplaren der Blindendruck-Ausgabe von Worte in Versen. Die Beschreibung in der Fackel entspricht genau den beiden Exemplaren in der Wienbibliothek und in der Bibliothek des Deutschen Literaturarchivs. Die Titelseite in Schwarzdruck mit der Veröffentlichungsangabe »Verlag ›Die Fackel‹ Wien / Druck und Verlag der Blindenschrift-Ausgabe« wurde daher auf Eigeninitiative des Blindeninstituts und in aller Wahrscheinlichkeit ohne die vorherige Genehmigung von Kraus hergestellt. Die typografische Gestaltung orientiert sich trotz des abweichenden Formats am Layout der Titelseiten der bei Drugulin in Leipzig, dann bei Jahoda & Siegel in Wien gedruckten Originalausgaben, mit der Verfasserangabe und dem Titel in Antiqua-Versalien und einer abschließenden englischen Linie darunter. Die 33 Gedichte aus Worte in Versen müssen demnach im Blindeninstitut zusammengestellt worden sein, und nicht von Karl Kraus selbst. Den an andere Blindenbibliotheken verschenkten Exemplaren fehlen Titelseite und Inhaltsverzeichnis in Schwarzdruck. Hingegen ist der Anlass der Publikation, Kraus’ 50. Geburtstag, in Braille angegeben, wie auf der Titelseite auch der Verlag Die Fackel genannt ist.35 34 F 649–656, Juni 1924, S. 151. 35 So bei dem Exemplar in der Blindenbibliothek Betty Hirsch, Berlin-Zehlendorf, ebenso wie demjenigen in der Bibliothek im Bundes-Blindenerziehungsinstitut in Wien. Für freund­

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Das Widmungsexemplar von Karl Kraus für Margarethe von Winterfeldt in der Bibliothek des Deutschen Literaturarchivs ist damit eines der beiden Exemplare, die Kraus vom Israelitischen Blindeninstitut geschenkt bekam. Auch die Umstände ihrer Übergabe lassen sich genauer ermitteln.

Wohltätigkeit und Kunst Nach der Berliner Uraufführung der beiden Einakter Traumtheater und Traumstück von Karl Kraus fand am Abend des 29. April 1924 die Wiener Premiere an der Neuen Wiener Bühne statt. Wie in Berlin führte Berthold Viertel Regie; Veranstalterin war die Kunststelle der Bildungszentrale der sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs. Die Veranstaltung war nicht ausdrücklich als Feier zu Kraus’ 50. Geburtstag (am 28. April) angekündigt worden. Die satirische Verarbeitung der Presseberichte zu diesem Ereignis in der Fackel – an die Presse waren im Gegensatz zu Kraus’ Gepflogenheiten Freikarten gegeben worden – gibt Einblick in den Ablauf und die Hintergründe des Abends, der mit einer Laudatio von Berthold Viertel auf den Jubilar und auf 25  Jahre Fackel begann.36 Es handele sich bei den beiden Dramen, so fasste das christlich-soziale Weltblatt zusammen, »um eine Abrechnung mit den Weltkriegs- und den Nachkriegserscheinungen, zuzüglich sarkastischer Ausfälle gegen die psychoanalitische [!] Schule FreudStekel, mit Hieben gegen Feldherren und sonstige Kriegsmacher, Valuta- und andere Schieber usf.«37 Nach der Aufführung bekam Kraus einen goldenen Lorbeerkranz überreicht; vom Publikum bejubelt musste er angeblich fünfzig Mal vor den Vorhang treten. Kraus vermutete, die Veranstaltung sei von etlichen In­stitutionen aus dem kulturellen und sozialen Bereich – auch solchen, an die er gespendet habe – absichtlich gemieden worden, was ihn nötigte, in der Fackel zu bilanzieren: Auch bleibe nicht unerwähnt, daß zur Absenz sämtlicher Körperschaften, die angeblich irgendetwas mit geistigen, künstlerischen und kulturellen Dingen zu tun haben, noch die der Gesellschaften und Vereine kam, welche als Verwalter gemeinnütziger und charitativer Interessen die Wirksamkeit des Vorliche Auskünfte zu den beiden Exemplaren danke ich Stefanie Möschl (Blindenbibliothek Betty Hirsch, Berlin) und Kerstin Wrba (Bundes-Blindenerziehungsinstitut, Wien). 36 Karl Kraus, Die Wiener Aufführung, in: F 649–656, Juni 1924, S.  128–148; Berthold Viertel, Karl Kraus zum fünfzigsten Geburtstag. Rede gesprochen bei der Festaufführung von ›Traumtheater‹ und ›Traumstück‹ am 29. April 1924 in der Neuen Wiener Bühne, Wien 1924. 37 Zit. nach Karl Kraus, Die Wiener Aufführung, in: F 649–656, Juni 1924, S. 143.



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lesers durch Jahre in Form sichtbarster Beweise erfahren haben, sei es, daß sie diese erbaten, sei es, daß sie ihnen mit großer Freiwilligkeit dargeboten wurden. Von jenen haben einzig die »Kunststelle« und der Deutsch-österreichische Bühnenverein, von diesen nebst der »Bereitschaft« und dem Kinder­ asyl »Kahlenbergerdorf« das Israelitische Blinden-Institut Hohe Warte sich eingestellt, das zuletzt genannte mit einer Kundgebung, vor deren ergreifendem Erlebnis alle Freude dieser Tage zurücktritt und wie erst alles Maß des Undanks und der Gleichgültigkeit so vieler, die sehen können, aber nicht wollen.38 Die »Kundgebung« des Israelitischen Blindeninstituts war vermutlich nichts anderes als eine öffentliche Gratulation, bei der vielleicht Schülerinnen und Schüler dem Jubilar die Blindenschrift-Ausgabe von Worte in Versen in eben jenen zwei Exemplaren überreichten, die sich in der Wienbibliothek und in der Bibliothek des Deutschen Literaturarchivs erhalten haben. Übergeben wurden auch die beiden bereits erwähnten Glückwunschschreiben. Die Publikation der beiden Briefe in der Fackel39 provozierte den Journalisten und Theaterkritiker der Wiener Morgenzeitung, den Zionisten Otto Abeles (1879– 1945). Mit ihm lieferte sich Kraus einen Schlagabtausch in der Presse, nachdem auch Abeles die Wiener Aufführung und nicht so benannte öffentliche Feier zu Kraus’ 50. Geburtstag besucht und diese in der Wiener Morgenzeitung besprochen hatte. Abeles hatte Kraus’ antizionistische Polemik Eine Krone für Zion von 1898 nicht vergessen und verwendete die beiden von Kraus veröffentlichten Schreiben aus dem Israelitischen Blindeninstitut in einer Invektive, die Kraus wortwörtlich in der Fackel abdruckte: Jene Unglücklichen, von Anbeginn dazu verurteilt, blinde Anhänger zu sein, und in der Notlage, das zu lesen und zu schätzen, was ihnen ihre Erzieher als lesens- und schätzenswert vorlegen (ich meine die Zöglinge des Israelitischen Blindeninstituts und glaube, sie würden den von Karl Kraus bespöttelten Dichter Artur Schnitzler, den von Karl Kraus verlachten Forscher Freud nicht minder ehren und feiern, wenn sie dazu angeleitet würden), schrieben ihm zu seinem 50.  Geburtstag in Blindenschrift unter anderem folgendes: »Lehrer wurden Sie uns. Die Saat des Guten, Edlen, Wahren für ein reines Menschentum streuen Sie in die Furchen …« […] Man sollte ihnen auch die »Krone für Zion« in die Blindenschrift übertragen einschließlich der letzten

38 Karl Kraus, Die Gedenktage, in: F 649–656, Juni 1924, S. 100–114, hier S. 102. 39 F 649–656, Juni 1924, S. 150–151.

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Seite, allwo auf günstige Pressestimmen aller Tageszeitungen, natürlich auch der »Neuen Freien Presse«, des »Neuen Wiener Journals« und des »Wiener Tagblatts« zur Empfehlung der Schriften von Karl Kraus hingewiesen wird.40 Kraus hielt Abeles daraufhin die Niedrigkeit vor, die Zöglinge des Israelitischen Blindeninstituts wegen ihres Glückwunsches und Danks an Kraus öffentlich herabzusetzen, und schreibt: Dieser gute jüdische Kopf, nicht schlechter als das jüdische Herz, verwechselt die Blindheit mit geistiger Wehrlosigkeit, assoziiert das Nichtlesenkönnen der Schrift, in der die Wiener Morgenzeitung erscheint, mit der Stumpfheit des Gefühls, die jeder Überlistung durch verblendete Erzieher preisgegeben ist, denen es unschwer gelingen konnte, jene Unglücklichen noch für »Worte in Versen« zu gewinnen.41 Einer Aussage über den Zionismus verweigere er sich, sei es, weil ich über den Zionismus überhaupt nicht denke, oder auch aus dem Grunde, weil ich das Bekenntnis zurückhalten will, daß mir eine Verminderung der Nationen, deren es ja schon genug gibt, sympathischer wäre als eine Vermehrung, und daß nicht so sehr die jüdische Ertüchtigung, als der Gedanke der Ableitung des jüdischen Elends als ein soziales Problem meine respektvolle Teilnahme findet.42 Die Lage der verarmten jüdischen Bevölkerung Galiziens und der Bukowina nach dem Zusammenbruch Österreich-Ungarns 1918 war katastrophal. Während des Ersten Weltkriegs engagierten sich hier jüdische Wohlfahrtsorganisationen wie die Israelitische Allianz zu Wien, doch waren nach den russischen Gebietsgewinnen bis 1915 schon mehr als 150.000 Menschen vor Vertreibung und Pogromen nach Wien geflohen.43 Wie viele jüdische Wiener Bürger sah auch Kraus, dessen tief gespaltenes Verhältnis zur eigenen Herkunft Gegenstand verschie-

40 Otto Abeles, Antwort an Karl Kraus, in: Wiener Morgenzeitung vom 15.  Juni 1924; zitiert nach Karl Kraus, Ich bekenne, in: F 657–667, August 1924, S. 172. 41 Karl Kraus, Ich bekenne, in: F 657–667, August 1924, S. 172. 42 Karl Kraus, Ich bekenne, in: F 657–667, August 1924, S. 168. 43 David Rechter, Ethnicity and the Politics of Welfare  – The Case of Habsburg Austrian Jewry, in: Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts 1 (2002), S. 257–276; Björn Siegel, Österreichisches Judentum zwischen Ost und West. Die Israelitische Allianz zu Wien, 1873–1938, Frankfurt und New York 2010, S. 231–237.



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dener Studien war,44 die Assimilation durch die strenggläubigen und traditio­ nell lebenden Flüchtlinge gefährdet. Er nahm Anteil an ihrer Misere, weil sie eine soziale, und nicht weil sie eine jüdische war. Jede Betonung des Merkmals »jüdisch« durch die Orthodoxie oder den Zionismus lehnte er ab, um so die »jüdische Frage« in ihrer Eigenständigkeit aufzuheben. In einer selbstausgrenzenden »Wahl der Qual« bekennt er sich zu seiner Assimilierung, kritisiert aber die assimilierte jüdische Bourgeoisie, deren Presse er in der Fackel angreift, und stellt sich gleichzeitig auch gegen die konservativen und zionistischen Gegner der Assimilierung.45 Kraus schien schon vor dem Krieg der Ansicht zu sein, dass der notleidenden und terrorisierten jüdischen Bevölkerung Osteuropas nur Sozialismus und nicht Zionismus und bürgerliche Philanthropie eine Perspektive bieten könne.46 Die allgemeinen sozialen Missstände der Zeit bekämpfte Kraus mit seinen Mitteln, mit Wort und Sprache und mit Geld. Die Einnahmen aus seiner literarischen und publizistischen Arbeit spendete er gezielt für wohltätige Zwecke. Aus einer Fabrikantenfamilie stammend lebte er finanziell unabhängig, aber in bescheidenen Verhältnissen, und wendete, wie Ludwig von Ficker 1923 schreibt, »Millionen und Millionen Wohlfahrtseinrichtungen und Hilfsbedürftigen zu«.47 Dabei setzte sich Kraus besonders für die Kinder ein, die Schwächsten der Kriegsund Nachkriegsgesellschaft, die unter den brutalen Auswirkungen des Krieges am meisten zu leiden hatten. Neben Vereinen für die Kinder- und Jugendhilfe, wie dem sozialdemokratischen Arbeiterverein »Kinderfreunde« und der »Gesellschaft der Freunde« (American Children’s Relief), unterstützte er gezielt reformpädagogische Einrichtungen in der Absicht, Kinder zur Humanität zu erziehen.48 Unter den sozialen Einrichtungen in Wien, die Kraus mit Spenden bedacht hat, war von 1923 bis 1929 auch das Israelitische Blindeninstitut Hohe Warte, das in Zeiten von Inflation und Wirtschaftskrise zeitweise von der Schließung

44 Leo A.  Lensing, »Ich und das Judentum«, in: »Was wir umbringen«. Die Fackel von Karl Kraus, hg. von Heinz Lunzer, Victoria Lunzer-Talos und Marcus G. Patka, Wien 1999, S. 63– 67; Robert S. Wistrich, Karl Kraus – Prophet or Renegade? in: Jüdische Aspekte Jung-Wiens im Kulturkontext des »Fin de Siècle«, hg. von Sarah Fraiman-Morris (Conditio Judaica 52), Tübingen 2005, S. 15–31. 45 Nike Wagner, Incognito ergo sum – Zur jüdischen Frage bei Karl Kraus, in: Literatur und Kritik 22 (November/Dezember 1987), H. 219/220, S. 387–399, hier S. 390–391. 46 Robert S. Wistrich, Karl Kraus – Prophet or Renegade?, S. 17. 47 Ludwig von Ficker – Das Physische dieser Existenz, in: Aus großer Nähe. Karl Kraus in Berichten von Weggefährten und Widersachern, hg. von Friedrich Pfäfflin, Göttingen 2008, S. 126. 48 Edward Timms, Karl Kraus. Apocalyptical Satirist. The Post-War Crisis and the Rise of the Swastika, New Haven und London 2005, S. 163–167.

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bedroht war. Für viele der Zöglinge hätte dies ein Leben auf der Straße bedeutet. Altmann rief bereits 1922 öffentlich zur Rettung des Blindeninstituts auf.49 Die finanziellen Ressourcen des Instituts hatten ihren Wert verloren oder warfen keine Zinserträge mehr ab. Altmann versuchte verstärkt, die für das Weiterbestehen des Blindeninstituts nötigen Mittel von privaten Spendern einzuwerben. In einem Memorandum für das amerikanische Joint Distribution Committee verwies man 1930 auf die führende internationale Stellung des Blindeninstituts und berief sich auf die philanthropischen Intentionen seiner Gründung. Die einzige jüdische Blindenerziehungs- und Ausbildungsanstalt Europas habe die Aufgabe, blinde jüdische Kinder zu Menschen zu bilden, »die sich ihr Brot, die Anerkennung guter Menschen und ihr Lebensglück durch eigene Kraft zu schaffen vermögen«. In der Herkunft der Schüler spiegelte sich das jüdische Flüchtlingselend: Ein grosser Teil der Kinder ist aus den Ländern des Ostens, aus Polen, Ungarn, Rumänien etc., Opfer der Kriegs- und Nachkriegsverhältnisse, der Pogrome und zumeist elternlos. Den armen, ja den ärmsten Schichten entstammend, steht ihnen […] als einzige Anstalt in Europa das Israelitische Blinden-Institut Hohe Warte zur Verfügung. Ohne dieses wären sie, von der Not gebieterisch angefasst, dem Bettlertume, dem sittlichen Verfall preisgegeben. […] Der Schülerstand beträgt derzeit 65 Knaben und Mädchen und zwar zu mehr als 80 % aus den ärmsten Schichten der jüdischen Bevölkerung der kriegsbetroffenen Länder.50 Dem Proletariat stand Kraus schon sehr früh nahe. Bereits im Jahr 1893, mit 19 Jahren, hatte er Bahnwärter Thiel von Gerhart Hauptmann vor Wiener Arbeitern gelesen.51 Eskalierende soziale Verelendung wie in der Novelle Hauptmanns registrierte Kraus in der Realität. Sein späteres Publikum wird er in der Fackel und im Saal mit solchen Fällen konfrontieren. Kraus’ Haltungen in der Vorkriegszeit, Antikapitalismus und »Mitleid mit dem Proletariat, eine der wichtigsten Grundlagen eines ethisch motivierten Sozialismus«,52 wurden in der Zeit nach der Revolution

49 Evelyn Adunka, Mimi Grossberg und Siegfried Altmann, S. 69. 50 Memorandum des Israelitischen Blindeninstituts Hohe Warte. JDC Archives, New York, Records of the American Jewish Joint Distribution Committee of the years 1921–1932, NY AR192132 / 4 / 2 / 2 / 169 (29. Januar 2018). 51 Hans Eberhard Goldschmidt, Die Vorlesungen für Arbeiter. Eine Dokumentation, in: KrausHefte 5 (April 1981), H. 18, S. 4. 52 Alfred Pfabigan, Karl Kraus und der Sozialismus. Eine politische Biographie, Wien 1976, S. 223.



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1918/1919 auf die Probe gestellt. Die Erste Republik schien für Kraus der vielversprechende Rahmen zu sein, um dem Ziel einer Verbesserung des Menschen näher zu kommen. Seinen Antikapitalismus gab er auf, behielt aber sein Mitleid mit dem Proletariat und seinen Pazifismus bei. Kraus’ Parteinahme für die So­zialdemokratie beruhte daher nicht auf gemeinsamen politischen Zielen, sondern auf gemeinsamen Gegnern: den Kriegsverantwortlichen und der Bourgeoisie.53 Die sozialdemokratische Kunststelle unter Leitung des Musikliebhabers David Josef Bach (1874–1947) hatte Kraus gewinnen können, einen Teil seiner Lesungen von der Kunststelle veranstalten zu lassen. Bach war mit Arnold Schönberg befreundet und arbeitete seit 1922 mit Anton Webern zusammen. Die Kunststelle war 1919 zur besseren Organisation der Kulturangebote, wie der Arbeiter-Symphoniekonzerte und der Volksbühne gegründet worden und sollte den Besuch von Kulturveranstaltungen durch Arbeiter fördern, nachdem die Stadt Wien seit 1919 mit einem Anteil der Lustbarkeitssteuer solche Angebote subventionierte. Die Kunststelle kaufte Kartenkontingente an und gab diese an politische und gewerkschaftliche Organisationen weiter, die dann den Vertrieb übernahmen.54 Kraus unterstützte die sozialdemokratische Kulturvermittlung, wobei er die Erweiterung seines Publikums um die Arbeiterschaft nicht nötig gehabt hätte.55 Er verklärte das Proletariat zum Träger einer neuen und modernen Kultur, die im Gegensatz zur bekämpften bürgerlichen Kultur stand. Zwischen Kraus und seinem proletarischen Publikum dürften intellektuell und sprachlich jedoch Welten gelegen haben. Die Begeisterung für den Vortrag von Kraus’ anspruchsvoller Lyrik und Prosa ließe sich durch intellektuelle Zuhörerschaft erklären, die Kraus auch in die Vorstädte folgte, und durch die besondere darstellerische Gabe des Vorlesers, der die Zuhörer aus der »Trostlosigkeit des Erwerbslebens« zu reißen vermochte (so ein Zuhörer 1934).56 Ohne das Interesse der Arbeiterschaft, so schrieb David Josef Bach 1921, könnten Volksstücke in Wien nicht mehr aufgeführt werden: »Wir haben Anzengruber vor dem Verschwinden aus den Spielplänen gerettet, wir werden ähn­

53 Alfred Pfabigan, Karl Kraus und der Sozialismus, S. 222–225. 54 David Josef Bach, Die Kunststelle der Arbeiterschaft, in: Arbeiter-Zeitung, Wien, 30. Oktober 1921, S. 7. Zu David Josef Bach vgl. die Beiträge in: Culture and Politics in Red Vienna, hg. von Judith Beniston und Robert Vilain (Austrian Studies 14), Leeds 2006. 55 Alfred Pfabigan, »Politisches Paktiererpack.« Karl Kraus als Kritiker des Austromarxismus, in: Alfred Pfabigan, Geistesgegenwart. Essays zu Joseph Roth, Karl Kraus, Adolf Loos, Jura Soyfer. Wien [1991], S. 94–109; Sigurd Paul Scheichl, Karl Kraus und die österreichische Sozialdemokratie, in: »Was wir umbringen«. Die Fackel von Karl Kraus, hg. von Heinz Lunzer, Victoria Lunzer-Talos und Marcus G. Patka, Wien 1999, S. 136–137. 56 Alfred Pfabigan, Karl Kraus und der Sozialismus, S. 231–232.

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liches bald für Nestroy leisten müssen.«57 Gerade das Werk des Wiener Satirikers Johann Nestroy war Kraus besonders wichtig. Die von der sozialdemokratischen Kunststelle veranstaltete Lesung von Nestroys Travestie Judith und Holofernes und dessen Posse Das Notwendige und das Überflüssige im Neuen Saal der Wiener Hofburg am 1. Mai 192458 erbrachten 3.272.900 Kronen (einschließlich des Erlöses aus dem Programmverkauf von je 1.000 Kronen), die dem Israelitischen Blinden­ institut gespendet wurden.59 Diese 301. Vorlesung von Karl Kraus scheint die letzte gewesen zu sein, die von der sozialdemokratischen Kunststelle ausgerichtet wurde, nachdem die für die Steuererklärung erbetene Spendenquittung ausgeblieben war und dies zu Irritationen bei Kraus geführt hatte. Der Verlag Die Fackel wandte sich deshalb im Oktober 1924 an den Direktor Siegfried Altmann. Es stellte sich heraus, dass die Kunststelle dem Blindeninstitut den Namen des Spenders nicht genannt hatte, was Kraus in seiner Eitelkeit traf. Die Kunststelle verwahrte sich jedoch gegen diesen Vorwurf, auch habe man vom Israelitischen Blindeninstitut weder Nachricht noch eine Empfangsbestätigung erhalten.60 Altmann legte die Angelegenheit ausführlich dar. Demnach fehlte der Überweisung der Verwendungszweck, weshalb der Spendenempfänger den Betrag provisorisch verbuchte und von einem Irrtum ausging. Kraus habe die fehlende Empfangsbestätigung aber inzwischen eingeholt.61 In einem spitzen Schreiben an die Kunststelle unterstellte Kraus daraufhin eine Vergesslichkeit, wie sie schon oft vorgekommen sei.62 Aus der Korrespondenz werden Ablehnung und Kritik spürbar, die sich bei Kraus gegenüber der Kunststelle und der sozialdemokratischen Partei aufgebaut hatten; aus anderen, schwerwiegenderen Gründen. Die Sozialdemokratie ignorierte bei ihrer Vereinnahmung von Karl Kraus dessen besonderes Einzelgängertum, das sich nie einer Parteidoktrin unterworfen hätte. Da sich die so­zialdemokratische Kulturarbeit erkennbar nicht darauf ausrichtete, ein wirklich neues Kulturangebot für die Arbeiter zu schaffen, sondern diesen die Teilhabe am eta­blierten bürgerlichen Kulturleben ermöglichen wollte, ohne dieses

57 David Josef Bach, Die Kunststelle der Arbeiterschaft, S. 7. 58 WBR, H.I.N. 240015 [Programmzettel]: Neuer Saal der Hofburg, Donnerstag, 1.  Mai 1924, Halb 8 Uhr. Vorlesung Karl Kraus (Veranstaltung der Kunststelle der österreichischen So­ zialdemokratie). 59 F 649–656, Juni 1924, S. 82. 60 WBR, H.I.N. 238994: Brief des Verlags »Die Fackel« (als Veranstalter der Vorlesungen Karl Kraus) an die Kunststelle, Wien, 13. Oktober 1924 (Durchschlag). 61 WBR, H.I.N. 238996: Brief von Siegfried Altmann an die Kunststelle, Wien, 21. Oktober 1924. 62 WBR, H.I.N. 238997: Brief des Verlags »Die Fackel« (als Veranstalter der Vorlesungen Karl Kraus) an die Kunststelle, Wien, 22. Oktober 1924 (Durchschlag).



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jedoch zu verändern, waren Konflikte mit Karl Kraus erwartbar, dem eben dieses bürgerliche Wiener Kulturleben zuwider war.63 Zum endgültigen Bruch kam es 1925, als der Verleger Imre Békessy in der Auseinandersetzung mit Kraus behauptete, die so­zialdemokratische Kunststelle habe Kraus den Arbeitern aufgezwungen, und die Kunststelle diese Falschbehauptung aus Angst vor Sanktionen des skrupellosen Verlegers nicht öffentlich berichtigte.64 Das Israelitische Blindeninstitut erhielt zuletzt einen Teil des Erlöses aus dem Vorlesungszyklus Theater der Dichtung, der zwischen dem 8. Oktober und 7.  November 1925 stattgefunden hatte.65 Bis 1929 wurden dem Blindeninstitut noch Spenden weitergeleitet, die Privatpersonen an die Fackel überwiesen hatten. Warum Kraus seine Unterstützung letztendlich einstellte, ist nicht bekannt. An der Wiener Aufführung von Traumtheater und Traumstück anlässlich des 50. Geburtstages von Karl Kraus an der Neuen Wiener Bühne war auch der mit Kraus befreundete Kunsthistoriker Ludwig Münz (1889–1957) beteiligt. Kraus, der Münz 1922 den Erstdruck des Einakters Traumstück gewidmet hatte, dankte in der Fackel für die Beratung des »edlen und unerbittlichen Kunstfreundes und also Freundes«.66 Der Rembrandt-Spezialist aus der Schule von Max Dvořák forschte zwischen 1923 und 1926 an der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek von Aby Warburg in Hamburg67 und spielte ab 1928 für den Kunstunterricht am Israelitischen Blindeninstitut eine wichtige Rolle. Vermutlich erfuhr Münz über Kraus von den Plastiken, die im Modellierunterricht am Israelitischen Blindeninstitut entstanden waren, weil der Wiener Medizinstudent Fritz Jerusalem (d.  i. Fritz Jensen, 1903–1955) Kraus Ende November 1928 angeschrieben hatte. Schon als Jugendlicher hatte Jerusalem Vorlesungen von Kraus besucht,68 er las die Fackel und war tief beeindruckt von einer Plastik des Schülers Traugott, die ihm der Modellierlehrer am Israelitischen Blindeninstitut, Viktor Löwenfeld, gezeigt hatte. Traugott war Überlebender eines Pogroms im Osten und Fritz Jerusalem bat Karl Kraus nun um Unterstützung für diesen Jungen.69

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Alfred Pfabigan, »Politisches Paktiererpack«, S. 100–101. Alfred Pfabigan, Karl Kraus und der Sozialismus, S. 266–267. F 706–711, Dezember 1925, S. 94. Karl Kraus, Dankschreiben, in: F 649–656, Juni 1924, S.  5; Friedrich Nemec, [Art.] Münz, Ludwig, in: Neue Deutsche Biographie 18, 1997, S. 550–551. 67 Johannes Feichtinger, Wissenschaft zwischen den Kulturen. Österreichische Hochschullehrer in der Emigration 1933–1945, Frankfurt a.M. und New York 2001, S. 412–418. 68 Eva Barilich, Fritz Jensen. Arzt an vielen Fronten, Wien 1991, S. 31–33. 69 WBR, H.I.N. 242011: Brief von Fritz Jerusalem an den Verlag Die Fackel, Wien, 24. November 1928.

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An den Verlag »Die Fackel«

Wien, 24.XI.1928

Ich ersuche Sie Herrn Kraus folgende Bitte übermitteln zu wollen:   Ich möchte Herrn Kraus von einem Kunstwerk berichten, in dessen Genese und tatsächlichem Wert ich kein geringeres Wunder erblicke, als in den schönsten Wahnsinnsgedichten Hölderlins und denen des Schlossers Piehowicz.70   Es handelt sich um die Plastik eines 15 jährigen blinden Knaben namens Traugott, die mir der Lehrer des Blindeninstitutes »Hohe Warte«, Herr Viktor Löwenfeld, übergeben hat.71   Dem Knaben wurden in seinem 6 Lebensjahr bei einem Pogrom beide Eltern vor seinen noch sehenden Augen erschlagen und ihm dann beide Augen ausgestochen.   Seine Plastik, die er bei freier Themenwahl in Erinnerung an dieses furchtbare Begebnis geschaffen hat, bitte ich, Herrn Karl Kraus bringen zu dürfen, um, wenn er meinen Eindruck von der überwältigenden Größe dieses Kunstwerkes bestätigt findet, dem Knaben, der derzeit dem Modellierunterricht entzogen ist, die Möglichkeit zu geben, weiterzuschaffen.   Sollte dies aber Herrn Kraus nicht möglich sein, würde es mich dennoch glücklich machen, ihm als Dank für die vielen Wunder seines Schrifttums, einen reinen künstlerischen Eindruck zu vermitteln. Fritz Jerusalem Wien VII Lerchenfeldstr 117 Viktor Löwenfeld (1903–1960) hatte an der Universität für angewandte Kunst in Wien studiert und nach ersten Versuchen zum schöpferischen Gestalten Blinder im Jahr 1923 zwei Wochenstunden Modellierunterricht eingeführt. Damit verfolgte er nicht nur pädagogische Ziele. Löwenfeld wollte die »schöpferische Initiative« der Kinder und Jugendlichen anregen, um gleichzeitig etwas über ihre bildnerischen Ausdrucksmöglichkeiten zu erfahren. Von den zahlreichen Plastiken, die im Modellierunterricht Löwenfelds auf der Hohen Warte entstanden, erhielt 70 Fritz Jerusalem bezieht sich hier auf F 781–786, Mai 1928, S. 95–100, mit dem Abdruck von drei großartigen Gedichten, angeblich aus der Feder eines im Irrenhaus von Czernowitz lebenden Schlossers, den Kraus identifiziert zu haben meinte: »Meine Erkundigung hat ergeben, daß der größte deutsche Dichter, also der im Czernowitzer Irrenhaus lebende Schlosser Karl Piehowicz heißt.« Dies stellte sich jedoch als so unhaltbar wie verwickelt heraus (F 800–805, Februar 1929, S. 75–132). 71 Es dürfte sich um eine der Plastiken des »M.R.« handeln, in Ludwig Münz und Viktor Löwenfeld, Plastische Arbeiten Blinder, Brünn 1934, S. 93, mit den Abb. 74–78.



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Ludwig Münz 1928 Kenntnis,72 vermutlich eben durch Kraus. Münz untersuchte daraufhin zusammen mit Löwenfeld die taktilen Gestalt- und Raumvorstellungen anhand des plastischen Gestaltens blinder Kinder73 und reorganisierte aufgrund der Forschungsergebnisse ab 1929 den Kunstunterricht am Israelitischen Blinden­institut.74 Die Weiterentwicklung des Kunstunterrichts für blinde Kinder und Jugend­ liche zeigt ebenso wie die Vervielfältigung von Kraus’ Lyrik in Braille, dass die von Siegfried Altmann verfolgten reformpädagogischen und blindenpsychologischen Ansätze am Israelitischen Blindeninstitut durch Karl Kraus und sein Wirken auch eine inhaltliche Unterstützung erfuhren. Im Rahmen der Tastschulung schufen blinde Kinder und Jugendliche im Modellierunterricht selbst bildende Kunst und machten sich Literatur zugänglich, indem sie Texte in der Blindendruckerei vervielfältigten.

Der Leser hört besser als der Hörer Blinden Zuhörern blieb die Gestik des rezitierenden Karl Kraus verborgen und damit das darstellerische Element von dessen »geschriebener Schauspielkunst«. Bekanntlich hatte Kraus aber auch dem sehenden Publikum das Vermögen abgesprochen, richtig zuzuhören: »Literatur ist, wenn ein Gedachtes zugleich ein Gesehenes und ein Gehörtes ist. Sie wird mit Aug’ und Ohr geschrieben. Aber Literatur muß gelesen sein, wenn ihre Elemente sich binden sollen. Nur dem Leser (und nur dem, der ein Leser ist), bleibt sie in der Hand. […] Man muß lesen, nicht hören, was geschrieben steht«, so leitete Kraus im Januar 1910 die ersten von Herwarth Walden veranstalteten Vorlesungen in Berlin mit einer paradoxen Entschuldigung ein. Der Leser höre auch besser als der Hörer: »Diesem bleibt ein Schall«. Der möge so stark sein, dass der Schall den Hörer als Leser werbe, »damit er nachhole, was er als Hörer versäumt hat.«75 Kraus hätte demnach in blinden Zuhörern keineswegs die besseren Zuhörer erblickt  – auch sie sollten Leser sein. Die werktätige Selbstinitiative des Israelitischen Blindeninstitutes, Kraus’ 72 Ludwig Münz und Viktor Löwenfeld, Plastische Arbeiten Blinder, Vorwort. 73 Ludwig Münz und Viktor Löwenfeld, Plastische Arbeiten Blinder; vgl. Johannes Feichtinger, Wissenschaft zwischen den Kulturen, S. 415; Corinna Wolffhardt, Das Israelitische Blindeninstitut Hohe Warte, S. 97–99. 74 Ulrike Wendland, [Art.] Münz, Ludwig, in: dies., Biographisches Handbuch deutschsprachiger Kunsthistoriker im Exil. Leben und Werk der unter dem Nationalsozialismus verfolgten und vertriebenen Wissenschaftler, Bd. 1, Berlin u.  a. 1999, S. 448–452. 75 Karl Kraus, Eine Entschuldigung, in: F 294–295, Februar 1910, S. 37–38, dazu: Leo A. Lensing, »Geschriebene Schauspielkunst«, in: Karl Kraus als Vorleser, S. 27–28.

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dietrich hakelberg

Gedichte 1924 in Blindenschrift zu vervielfältigen, im Namen von Kraus’ Verlag Die Fackel herauszugeben und zu verbreiten, mag Kraus, der sonst kleinlich auf unberechtigte Nachdrucke seiner Texte achtete, wie eine Bestätigung seines Konzeptes von Vorleser und nachlesendem Publikum erschienen sein. Friedrich Pfäfflin meint, Kraus habe seine Umwelt zuerst akustisch und dann visuell erlebt, ist doch in seinen Briefen und in seiner Lyrik immer wieder vom Zuhören die Rede. Zuhören setze Vertrauen voraus, und Vertrauen bilde sich durch das Ohr, nicht über das Auge.76 Der dritte Band von Worte in Versen war »Der Hörerin« Sidonie Nádherný gewidmet und enthielt das gleichnamige Gedicht. Karl Kraus greift mit dem ›Hören‹ ein Motiv auf, das bereits in dem Sonett Zuflucht vorkommt, mit dem der zweite Band von Worte in Versen beginnt: »Hab’ ich dein Ohr nur, find’ ich schon mein Wort  …«.77 Wenn die Editoren am Israelitischen Blindeninstitut ihre Blindenschrift-Ausgabe mit dem Sonett Zuflucht beginnen lassen, so ist das sicher Absicht. Der Hörerin ist allerdings nicht unter den 33 ausgewählten Gedichten. Aufgenommen wurde hingegen das lange, satirische Gedicht Elegie auf den Tod eines Lautes, Kraus’ Nachruf auf das orthographisch bereinigte, dem t folgende Dehnungs-h, ebenso wie das Gedicht Wiese im Park, in dem Kraus die Klangform der Glockenblume mit ihrer blauen Klangfarbe unterlegt. Hörer und Leser am Israelitischen Blindeninstitut waren Kinder und Jugendliche, für die viele dieser Gedichte eine anspruchsvolle Lektüre gewesen sein dürften. Die Auswahl der Gedichte aus Worte in Versen für den Blindendruck wurde am Israelitischen Blindeninstitut getroffen und dort vervielfältigte man die Gedichtauswahl in einer taktilen Erscheinungsform. Kraus’ Lyrik wird Lesestoff in der Blindenpädagogik und Werkstoff in der Blindendruckerei, der Dichter zum Philanthropen, obwohl sich Kraus diese Bezeichnung wahrscheinlich verbeten hätte. Wie Margarethe von Winterfeldt dankend an Karl Kraus schrieb, freute sie sich, die Gedichte im Blindendruck nun selbst zu besitzen und jederzeit lesen zu können, ohne auf einen lyrisch eingestimmten Vorleser angewiesen zu sein. Blinden Lesern blieb so Kraus’ Lyrik, wie es der Autor selbst formuliert hatte, wortwörtlich »in der Hand«.

76 Friedrich Pfäfflin, Janowitz, die »Wunderwiege meiner Lyrik«, S. 102. 77 Kurt Krolop, Die Hörerin als Sprecherin. Sidonie Nádherný und »ihre Sprachlehre«, Warmbronn 2005, S. 7.



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taktile texte

Anhang Inhaltsverzeichnis der Blindenschrift-Ausgabe. Entstehungsdaten der Gedichte nach Karl Kraus, Wiese im Park. Gedichte an Sidonie Nádherný, hg. von Friedrich Pfäfflin, Frankfurt a.M. und Leipzig 2004, sowie Karl Kraus, Briefe an Sidonie Nádherný von Borutin 1913–1936, Bd. 2, hg. von Friedrich Pfäfflin, Göttingen 2005. Titel

Entstanden

Worte in Versen

1

Zuflucht

23./24. Oktober 1916

II, 1917

2

Flieder

3

»Alle Vögel sind schon da«

22./23. Oktober 1916

II, 1917

4

Wiese im Park

Wien, 16. November 1915

I, 1916

5

Vallorbe

3./4. Oktober 1917

III, 1918

6

Ich habe einen Blick geseh’n

7

Slowenischer Leierkasten

Janowitz, 25. August 1918

IV, 1919

8

Als Bobby starb

Karl Kraus für Sidonie Nádherný, geschrieben St. Moritz 22./23. Februar 1917

II, 1917

9

Landschaft [Tierfehd am Tödi, 1916]

9./10. August 1916

II, 1917

10

Fahrt ins Fextal

St. Moritz, 29. Januar 1916

II, 1917

11

Peter Altenberg

V, 1920

12

Zum ewigen Frieden

IV, 1919

13

Zwei Soldatenlieder

III, 1918

14

Bomben auf den Ölberg

III, 1918

15

Der tote Wald

V, 1920

16

Der Bauer, der Hund und der Soldat

III, 1918

17

Der sterbende Soldat

IV, 1919

18

Apokalypse

V, 1920

19

Verwandlung

Rom, 14. März 1915

I, 1916

20

Sehnsucht

Janowitz, 23. Juni 1918

IV, 1919

21

Auferstehung

Janowitz, 21./22. Juni 1918

IV, 1919

22

Das zweite Sonett der Louise Labé

IV, 1919

23

Elegie auf den Tod eines Lautes

I, 1916

IV, 1919

IV, 1919

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dietrich hakelberg

Titel

Entstanden

Worte in Versen

24

Der Reim

27./28. Oktober 1916

II, 1917

25

An einen alten Lehrer

II, 1917

26

Sonnenthal

I, 1916

27

Dein Fehler

28

Du bist so sonderbar in eins gefügt

VII, 1923

29

Die Nachtigall

VII, 1923

30

An eine Heilige

23./24. Januar 1922, für Mechthilde Lichnowsky

31

An eine Falte

St. Moritz, 26./27. Dezember 1917

32

Nächtliche Stunde

VII, 1923

33

Jugend

III, 1918

Wien, 25./26. Januar 1922

VI, 1922

VI, 1922 IV, 1919

konstantin kountouroyanis / gerhard lauer

rudolf fuchs über franz kafka Eine unbekannte Werkbeschreibung aus dem Londoner Exil 1942 Mit seinem Buch Der Prager Kreis von 1966 hat Max Brod der literarischen Szene Prags um 1900 ein Denkmal gesetzt. Brods Denkmal war der Akt einer folgenreichen Kanonisierung. Nur wer bei Brod genannt wurde, zählte zum engeren oder weiteren Prager Kreis wie Friedrich Adler, Oskar Baum, Rainer Maria Rilke, Franz Werfel, Felix Weltsch und nicht zuletzt Franz Kafka. In der Mitte des Kreises steht Max Brod selbst. Die Forschung ist sich heute weitgehend einig, dass der Prager Kreis eine Erfindung Max Brods ist, mit der die höchst disparate Literaturszene Prags um 1900 zu einem ›Kreis‹ verdichtet und nicht zuletzt überhöht wurde.1 Die Kanonisierung Brods hatte zur Folge, dass zahlreiche Prager deutsche Autoren ausgeschlossen oder am Rande blieben, ein Umstand auf den schon die Schriftstellerin Lenka Reinerová, auch der ehemalige Botschafter František Černý und der langjährige Präsident der Franz-Kafka-Gesellschaft in Prag, Kurt Krolop, mit der Gründung des Prager Literaturhauses deutschsprachiger Autoren im Jahr 2004 hingewiesen haben. Heute werden daher den Besuchern im Prager Literaturhaus2 in zahlreichen Hängeregistermappen noch vielfach vorläufige Recherchen zu den bekannten wie den unbekannten Schriftstellern Prags zur Verfügung gestellt. Unter den Autoren im Prager Literaturhaus findet sich einer, dem bislang nur geringe Aufmerksamkeit in der germanistischen Forschung geschenkt wurde. Die Rede ist von Rudolf Fuchs.3

1

2

3

Vgl. Steffen Höhne und Anna-Dorothea Ludewig, Max Brod. Die ›Erfindung‹ des Prager Kreises. Bericht über eine internationale Konferenz in Prag, 26.-29. Mai 2014, in: brücken. Germanistisches Jahrbuch. Tschechien  – Slowakei 23 (2015), H.  1–2, S.  343–349 und Max Brod (1884–1968). Die Erfindung des Prager Kreises, hg. von Steffen Höhne, Anna-Dorothea Ludewig und Julius H. Schoeps, Köln, Weimar und Wien 2016. Die Programmleiterin des Hauses, Dr.  Barbora Šrámková, hat jüngst ihre Dissertation zu Max Brods Mittlerfunktion innerhalb der tschechisch-deutschen Prager Kulturszene publiziert, vgl. Barbora Šrámková, Max Brod und die tschechische Kultur, Wuppertal 2010. Geb. 5. März 1890 in Poděbrady (Mittelböhmen) – gest. 17. Februar 1942 in London.

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konstantin kountouroyanis / gerhard lauer

I Max Brod nennt Rudolf Fuchs zwar in seinem Buch Der Prager Kreis,4 erwähnt ihn jedoch lediglich im Zusammenhang mit seiner Rolle als Vermittler zwischen der deutschen und der tschechischen Kultur bzw. als Übersetzer der Bezruč-Gedichte, die lange Zeit für das historische Nationalbewusstsein der Tschechen prägend waren. Folgt man Brods Darstellung, spielte Rudolf Fuchs nur eine untergeordnete Rolle in der Prager Literaturszene der Zeit. Was Brod unerwähnt lässt, ist die Tatsache, dass Rudolf Fuchs zu den engeren Freunden Franz Kafkas zählte und auch mit den meisten der Gäste des legendären Prager Cafés Arco (Ecke Hybernská/Dlážděná) freundschaftlichen Umgang gepflegt hat. Wie eng das Verhältnis zwischen Kafka und Fuchs tatsächlich war, kann freilich nur aus den spärlichen biographischen Hinweisen vermutet werden. So erinnert sich Fuchs, Kafka habe ihn in seine inneren Konflikte um eine mögliche Hochzeit eingeweiht und ihm schon in Prag Andeutungen über die mögliche Auflösung seiner Verlobung gemacht. Auf seiner Rückreise von Budapest über Wien im Sommer 1916 habe ihm dann Kafka von seiner gerade aufgelösten Verlobung mit Felice Bauer erzählt.5 Einen anderen Fingerzeig gibt eine briefliche Bitte Brods. Im November 1917 bittet er Rudolf Fuchs um Diskretion in den »ganz persönlichen Angelegenheiten« Kafkas, die Fuchs zu kennen schien.6 Mit Fuchs hatte sich Kafka in Wien im Sommer 1916 nicht aus privaten Gründen getroffen, sondern war mit ihm verabredet gewesen, um eine Auswahl von Gedichten für eine Anthologie jüngster tschechischer Lyrik in Franz Pfemferts Aktion-Verlag zu besprechen.7 Man darf aus den wenigen Hinweisen auf eine engere, private wie literarische Freundschaft schließen. Doch sind die Hinweise so vereinzelt, dass Kafkas Biographen Rudolf Fuchs lediglich als Randfigur erwähnen. Das gilt auch für die so gründlich erar-

4 5

6 7

Max Brod, Der Prager Kreis, Frankfurt a.M. 1979, S. 175 und S. 208. »Er hatte mir schon in Prag zuvor Andeutungen gemacht, in Budapest würde er sich entscheiden, ob er eine Verlobung aufrechterhalten oder lösen werde. In Wien erzählte er mir, er habe mit seiner Braut gebrochen. Kafka war dabei vollkommen ruhig. Er schien sich sogar wohl zu fühlen«, Rudolf Fuchs, Kafka und die Prager literarischen Kreise, in: Als Kafka mir entgegenkam. Erinnerungen an Franz Kafka, Berlin 1995, hg. von Hans-Gerd Koch, S. 106, zuerst abgedruckt als: Rudolf Fuchs, Erinnerungen an Franz Kafka, in: Max Brod, Über Franz Kafka, Frankfurt a.M. 1966. Literaturarchiv des Museums des nationalen Schrifttums, Prag, hier zit. nach Rainer Stach, Kafka. Die Jahre der Entscheidung, Frankfurt a.M. 2008, S. 648. Vgl. hierzu Ilse Seehase, Drei Mitteilungen Kafkas und ihr Umfeld, in: Zeitschrift für Germanistik 8 (1987), H. 2, S. 178–183, vgl. außerdem dazu kritisch: Prager Profile. Vergessene Autoren im Schatten Kafkas, hg. von Hartmut Binder, Berlin 1991, S. 19  ff.



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beiteten Biographien Rudolf Stachs8 und Peter-André Alts.9 Brods Kanonisierung hatte also Folgen und das bis heute. Dabei waren Rudolf Fuchs und Max Brod als Literaten miteinander befreundet und Fuchs wohl nicht nur eine Randfigur. Brod war es einmal mehr, der auch Fuchs an Ernst Rowohlt vermittelt hatte, wie ein Schreiben des Verlegers vom 1. März 1922 an Brod belegt. Nach einem kurzen Hinweis auf Brods Besuch im Berliner Verlagshaus, bei dem Brod einen Brief von Rudolf Fuchs wohl absichtlich ›zurückgelassen‹ hatte, bittet Rowohlt Brod mit den Worten: »Es wäre sehr freundlich von Ihnen, wenn Sie Herrn Fuchs mitteilen wollten, dass wir für seine Arbeiten Interesse haben und dass er uns seine Uebersetzungen aus dem Tschechischen, insbesondere die schlesischen Lieder von Bezrucz [sic!] übersenden möchte.« Auf der Rückseite des Schreibens notierte Brod handschriftlich: »Lieber Herr Fuchs – Hier eine gute Antwort Rowohlts […]«.10 Mit einigem Recht wird man daher Rudolf Fuchs zum Prager Kreis zählen können. Auch seine Biographie gleicht der vieler, die Brod zu dem Kreis gezählt hat. Aufgewachsen im mittelböhmischen Städtchen Podiebrad (heute Poděbrady nad Labem) an der Elbe, wo er am 5. März 1890 geboren wurde, wuchs Fuchs bis zu seinem zehnten Lebensjahr tschechischsprachig auf und wurde dann, wie auch seine späteren literarischen Zeitgenossen Hans und Franz Janowitz sowie Camill Hoffmann nach Prag geschickt.11 Hier besuchte er die Realschule in der Nikolandergasse, die auch der fünfzehn Jahre ältere Rainer Maria Rilke12 und 8

Stach weist lediglich in einem Satz auf Fuchs’ Vermittlung an Martin Buber durch Franz Kafka hin: »Der Prager Schriftsteller und Übersetzer Rudolf Fuchs, mit dem sich Kafka gelegentlich traf, bat ebenfalls um Protektion – und mit Erfolg, denn Kafka gelang es, Martin Buber für einige Gedichte von Fuchs’ zu erwärmen.«, Rainer Stach, Jahre der Erkenntnis, Frankfurt a.M. 2008, S. 192. In einem weiteren Band nennt er zwar Rudolf Fuchs, aber nur in einer Aufzählung des sogenannten weiteren Prager Kreises nach Max Brod, vgl. Reiner Stach, Kafka. Die frühen Jahre, Frankfurt a.M. 2014, S. 414. 9 Auch Alt zählt Fuchs lediglich im Zusammenhang mit dem weiteren Prager Kreis auf, vgl. Peter-André Alt, Franz Kafka. Der ewige Sohn, München 2005, S.  187 und S.  448. Ferner merkt er, aber eher beiläufig, die Reservierung von Kafkas Hotelzimmer durch Rudolf Fuchs im Sommer 1916 in Wien an, ohne näher auf die doch nicht ganz unwesentlichen Begleitumstände einzugehen: Kafkas Treffen mit Fuchs zwecks Besprechung mehrerer Gedichte für Die Aktions-Lyrik (erschienen als: Jüngste tschechische Lyrik. Eine Anthologie, hg. von Franz Pfemfert, Berlin-Wilmersdorf 1916); vgl. außerdem Prager Profile. Vergessene Autoren im Schatten Kafkas, S. 19  ff. 10 Archivnummer LA 139/70/0125, 1. Karton im »Denkmal des nationalen Schrifttums« in Prag (Památník národního písemnictví v Praze). 11 Hans Janowitz (geb. am 2. Dezember 1890 in Podiebrad), Franz Janowitz (geb. am 28. Juli 1892 in Podiebrad), Camill Hoffmann (geb. am 31. Oktober 1878 in Kolín nad Labem/Köln an der Elbe). 12 Vgl. Jürgen Serke, Böhmische Dörfer. Wanderungen durch eine verlassene Literaturlandschaft, Wien und Hamburg 1987, S. 249.

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der fünf Jahre ältere Egon Erwin Kisch13 vor ihm besucht hatten. Während seiner Schulzeit wohnte der junge Rudolf bei einer »kunstsinnigen Familie«,14 bei der es sich, wie Vera Schneider und Klaus Johann belegen konnten, um die Familie Gertrude Urzidils, namentlich also Thieberger gehandelt haben muss.15 Der »etwa«16 gleichaltrige Sohn muss demnach der 1888 geborene, spätere Religionsphilosoph, Judaist und Publizist Friedrich Thieberger gewesen sein, der spätere HebräischLehrer Kafkas.17 Seine beiden Schwestern waren Nelly Thieberger und die spätere Lyrikerin Gertrude Thieberger, die 1922 Johannes Urzidil heiraten sollte. Der Vater Friedrich Thiebergers war selbst Rabbiner.18 Ob der Umzug des jungen Rudolf Fuchs’ nach Prag und die Unterbringung in der Familie Thieberger mit Unterstützung des örtlichen Rabbiners aus Podiebrad erfolgt war, steht zu vermuten und würde den für einen Zehnjährigen enormen geographischen Sprung erklären. 1908 maturierte Fuchs eigenen Angaben zufolge mit Auszeichnung,19 doch mangels finanzieller Möglichkeiten schrieb er sich nicht an der Universität ein, sondern besuchte den Abiturientenkurs der deutschen Handelsakademie in Prag.20 Der Kontakt zu den späteren Mitarbeitern der von Willy Haas und anderen herausgegebenen Herder-Blätter dürfte entweder schon in der Schulzeit über die Familie Thieberger oder aber spätestens im Jahr 1912 im Café Arco zustande gekommen sein.21 Wahrscheinlich ist, dass es mehrere Berührungspunkte mit dem späteren Literatenzirkeln der Stadt gab. Fuchs publizierte bald selbst in den Herder-Blättern, im Prager Tagblatt, der Prager Presse, im Prager Abendblatt und in der von Martin Buber gegründeten Monatsschrift Der Jude, übersetzte 13 Vgl. Pravoslav Kneidl, Prager Jahre deutschsprachiger Autoren, Prag 2003, S. 207. 14 Vgl. Fuchs’ Selbstbiographie in der von Karl Kreibich, Guido Lagus und Paul Reimann herausgegebenen Sammlung: Ein wissender Soldat. Gedichte und Schriften aus dem Nachlass von Rudolf Fuchs, London 1943, S. 5–10. 15 Vgl. Klaus Johann und Vera Schneider, HinterNational – Johannes Urzidil. Ein Lesebuch, Potsdam 2010, S. 326. 16 Vgl. Rudolf Fuchs, Selbstbiographie, S. 5. 17 Vgl. Manfred Voigts, Geburt und Teufelsdienst. Franz Kafka als Schriftsteller und als Jude, Würzburg 2008, S.  32; vgl. kritisch dazu Jörg Thunecke, Gertrude Urzidil, in: Deutsche Exilliteratur seit 1933, Bd. 3, Tl. 5, hg. von John Spalek, Konrad Feilchenfeldt und Sandra H. Hawrylchak, Berlin, New York und Göttingen 2010, S. 316–337, hier S. 330. 18 Vgl. Peter-André Alt, Franz Kafka. Der ewige Sohn, München 2008, S. 425. 19 Vgl. Rudolf Fuchs, Selbstbiographie, S. 6. 20 Vgl. ebd., S. 6. 21 So schreibt Fuchs später: »An die Anfänge meiner Bekanntschaft mit Kafka kann ich mich nicht erinnern. Ich glaube, daß ich ihn im Winter 1912 kennengelernt habe. Damals hatten wir jungen Schriftsteller einen Stammtisch in einem Kaffeehaus Ecke Hyberngasse und Pflastergasse. Ab und zu nahm auch Kafka bei uns Platz.«, Rudolf Fuchs, Erinnerungen an Franz Kafka, S. 367–369.



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tschechische Lyrik22 ins Deutsche und veröffentlichte eigene Gedichtbände und Dramen.23 Dieser kurze Abriss belegt schon, wie sehr Fuchs innerhalb weniger Jahre Teil des Prager Literaturbetriebs geworden war, jener Zirkel, den später Max Brod als Prager Kreis bekannt machen sollte. Einen Tag vor dem Münchener Abkommen, am 27. September 1938, beendete Rudolf Fuchs das Vorwort zu seinem Lyrikband Deutsche Gedichte aus Prag.24 Kurze Zeit später befand sich Fuchs mit seiner Frau auf der Flucht nach London. Wie aus seinem Nachlass eindringlich hervorgeht, bereitete Rudolf Fuchs auch in London unermüdlich weitere Publikationen vor. Eines seiner größeren Projekte im Londoner Exil25 war der Sammelband Deutscher Almanach aus der Čechoslovakei mit Texten u.  a. von Adalbert Stifter, Moritz Hauptmann, SchillerSeff (d.  i. Josef Schiller), Hugo Salus, Friedrich Adler, Rainer Maria Rilke, Franz Werfel, Ludwig Winder, Johannes Urzidil, F. C. Weisskopf und Franz Kafka. Der Sammelband ist nie erschienen. In einem Interview aus den 1980er Jahren mit Jürgen Serke erinnert sich der damals 91jährige Guido Lagus26 an die plötzlichen Todesumstände27 Rudolf 22 Rudolf Fuchs, Ein Erntekranz aus hundert Jahren tschechischer Dichtung, München 1926 mit Texten u.  a. von Petr Bezruč, Otokar Březina, Otokar Fischer, Jaroslav Durych, Jiří Wolker, Karel Jaromír Erben, Jaroslav Vrychlický, Jan Neruda, František Ladislav Čelakovský. 23 In Buchform u.  a. Der Meteor, Heidelberg 1913 (Gedichtband im Saturn-Verlag); Die Karawane, Leipzig 1919 (Gedichtband im Kurt Wolff Verlag); Aufruhr im Mansfelder Land. Massendrama in 25 Szenen, Berlin 1928 (Drama im Neuen Deutschen Verlag) oder als Bühnenmanuskript Kannitverstan, Berlin 1928; vgl. dazu das Prager Tagblatt 212, 6. Sept. 1928, S. 7, Sp. 3 oben. 24 Das Manuskript, das aus kriegs- und fluchtbedingten Gründen nie veröffentlicht wurde, liegt heute im Národní archiv České republiky v Chodove (Praha), 1. Karton, Fond: 122, Sign. 2, S. 1  ff. 25 So hat Rudolf Fuchs das Vorwort zur gesamten Anthologie mit den Worten unterzeichnet: »London, .  .  .  .  .  .  . 1942.« Fuchs wartete anscheinend noch die letzten Korrekturen oder Texte ab und wollte wohl dann den Monat oder Tag und Monat einsetzen, wozu es nicht mehr kam. 26 Der 1896 geborene Guido Lagus war Architekt, der zusammen mit Rudolf Wels (geb. am 28. April 1882 im böhmischen Osek bei Rokycany, gest. am 8. März 1944 im KZ Auschwitz) in den 1930er Jahren in Prag ein Atelier gründete und Luxusmietshäuser entwarf, vgl. dazu Zdeněk Lukeš und Ester Havlová, Begleichung der Schuld. In Prag tätige deutschsprachige Architekten 1900–1938, Fraktály 2002, S. 226. Guido Lagus war auch eine Zeit lang Herausgeber und leitender Redakteur der Neuen Deutschen Blätter. Monatsschrift für Literatur und Kritik, vgl. Lexikon deutsch-jüdischer Autoren, Bd.  19, hg. von Renate Heuer, Berlin und Boston 2012, S. 197. Lagus hat zusammen mit Karl Kreibich und Paul Reimann das Vorwort zu der von ihnen herausgegebenen Gedenkausgabe für Rudolf Fuchs geschrieben, vgl. Rudolf Fuchs, Ein wissender Soldat. Gedichte und Schriften aus dem Nachlaß, London 1943. 27 Durch mehrere ungeprüfte Übernahmen hat sich die Annahme verbreitet, Fuchs sei während eines deutschen Bombenangriffs auf London bzw. durch diesen ums Leben gekommen. Diese Version deckt sich nicht mit den Forschungen Konstantin Kountouroyanis’ und

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Fuchs’. Seiner Erinnerung nach herrschte neben dem schlechten Februarwetter auch Nebel und die kriegsbedingte Verdunkelung in London erzwang es damals, dass die Busse nur mit blauer Notbeleuchtung fahren konnten. Unter diesen Umständen wollte Rudolf Fuchs zu einer Sitzung von Exilschriftstellern in das Londoner Zentrum gehen.28 Unterwegs traf ihn noch ein letztes Mal der damals 17jährige Erich Fried vor dem Restaurant des Austria Centers.29 Wenige Stunden später fand man Fuchs, der offenbar von einem Bus an- oder überfahren wurde, tot in einem Straßengraben. Diese Version wird auch durch einen Brief Loni Fuchs’ vom Mai 1942 an »die Öffentlichkeit«, der dem Manuskript Almanach aus der Čechoslovakei im Prager Archiv beiliegt, gestützt.30

II Es muss für Rudolf Fuchs eine mühevolle Arbeit gewesen sein, all die Texte für den Almanach im Londoner Exil und dann auch noch unter den Bedingungen der kriegsbedingten Papierknappheit sowie weiteren Rationierungen zusammenzutragen. Nach dem Stand des erhaltenen Manuskripts31 zu urteilen, war vermutlich zu jedem Autor der Anthologie ein einleitendes Vorwort geplant gewesen. Die bislang unbekannte Einleitung zu Franz Kafkas Vor dem Gesetz und Ein Bericht für eine Akademie hat sich glücklicherweise erhalten und kann hier erstmals wiedergegeben werden: Franz Kafka32 Am 3. Juni 1924 ist Franz Kafka aus Prag, einer der besten und seltsamsten deutschen Prosadichter der jüngern [!] Zeit, im Alter von 41 Jahren an Kehlkopftuberkulose gestorben. Zu seinen Lebzeiten ist nur ein Teil seiner Arbei-

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widerspricht auch dem Umstand, dass die Angriffe der deutschen Luftwaffe auf London (›London Blitz‹) Mitte Mai 1941 weitgehend eingestellt wurden. Ob tatsächlich am 17.  Februar 1942 noch einmal ein Angriff deutscher Bomberverbände auf London stattfand und dieser im Zusammenhang mit Fuchs’ Tod steht, wird derzeit noch in britischen Militärarchiven überprüft. Vgl. Jürgen Serke, Böhmische Dörfer. Wanderungen durch eine verlassene Literaturlandschaft, Wien und Hamburg 1987, S. 248. Vgl. ebd., S. 247. Národní archiv České republiky v Chodove (Praha), 1. Karton, Fond 122, Sign. 11. Die Dokumentation des Archivmaterials ist Teil der Doktorarbeit von Konstantin Kountouroyanis über Rudolf Fuchs, die in Kürze erscheinen wird. Das Dokument befindet sich im Národní archiv České republiky v Chodove (Praha), 1. Karton, Fond 122, Sign. 11, S. 79–84.



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ten im Druck erschienen. Trotzdem wusste damals schon ein ziemlich grosser Kreis von literarisch interessierten Menschen, dass der deutschen Dichtkunst mit ihm eine grosse Hoffnung erloschen ist.  Seither haben wir beobachten können, dass die Kenntnis des Kafkaschen Werkes von Jahr zu Jahr gewachsen ist. Er wurde zum Teil in mehrere fremde Sprache[n] übersetzt. In den englischen literarischen Kreisen kennt man von modernen deutschen Autoren ausser Rilke vor allem Kafka; beide Autoren aus Böhmen. Man rühmt Kafka sogar da, wo er sich selbst getadelt hat. (Strenger als er wird freilich nicht leicht jemand zu seinen Arbeiten stehen.) Er war einer jener wirklichen Dichter, die nicht von der Feder in den Mund leb[t]en. Kafka hat seinen Freund Max Brod in einem kurzen Testament beauftragt, alles von ihm Geschriebene, das sich etwa noch vorfinden sollte, zu vernichten. Vieles hat er selbst noch verbrannt. Glücklicherweise hat Brod diese Verfügung nicht erfüllt und den Nachlass herausgegeben. Wir fragen uns: Was hat Kafka zu dem Wunsche bewogen, man möge alles, was er geschrieben hat und das damals noch nicht veröffentlicht war, verbrennen?  Kein Zweifel: Kafka war mit den Romanen, die dann, wie gesagt, nach seinem Tode herausgegeben wurden, nicht zufrieden. Sie sind übrigens alle unvollendet. Es gibt zwei Komponenten in diesen Romanen (»Der Prozess«, »Das Schloss«, »Amerika«), nämlich eine realistische und eine »übersinnliche«. Kafkas schwere Krankheitszeit dauerte etwa ein Jahr. Dieses letzte Jahr seines Lebens, in welchem er seinen Kampf um das reine Anschauen der Wirklichkeit überblickt, war zugleich ein Jahr grosser revolutionärer Strömungen in Europa. Bis hieher [!] und nicht weiter ging die okkulte, »übersinnliche« Note auch in den Werken anderer zeitgenössischer Autoren. Kafka erkannte, dass er noch nicht fertig geworden war mit dem Kampf gegen das ungebührliche Walten vorwitziger Träume, mit dem Kampf der Phantasie gegen die Phantastik und mit dem Kampf um den demgemässen dichterischen Ausdruck. Deswegen wünschte Kafka, dass seine unvollendeten Arbeiten vernichtet werden. Wir aber, seine Leser, freuen uns, dass seine Romane erhalten geblieben sind, wir begeistern uns an seinem erzählerischen Genie und nehmen keinen Anstoss an den okkulten Elementen darin, die wir uns als Zeitkrankheit zu erklären wissen.  Wir gingen [je]doch fehl, wollten wir alles, was in den Erzählungen Kafkas, welche er noch selbst zu Veröffentlichung bestimmt hat, Gleichnis, Fabel oder Legende ist, als metaphysisch oder okkult empfinden wollten [!]. Keinem Dichter ist es verwehrt, dasjenige, was er als Wahrheit erkannt hat, eben in dieser Form auszusprechen, wenn sie dem ganzen Stil seines Erlebens entspricht. Es hiesse, das realistische Prinzip missverstehen, wollte man diesen dichterischen Weg versperren wollen [!].

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 Die folgenden Erzählungen: »Vor dem Gesetz« und »Ein Bericht für eine Akademie« sind von Kafka schon 1919 veröffentlicht worden; diesen wünschte somit Kafka Verbreitung. Sie haben gewissermassen einen doppelten Boden und können mit oder ohne Deutung gelesen werden. Sie sind Prachtstücke der deutschen Prosa. Zum Verständnis ihres doppelten Bodens sei hier versucht, einiges erläuternd zu bemerken. »Vor dem Gesetz« Der Inhalt ist klar. Eine sinnreiche Erzählung. Der Leser ist gepackt. Aber was soll er mit dem Inhalt anfangen? Was ist das »Gesetz«? Es hat Tore und Türhüter. Man muss es sich offenbar wie die Stadt des Dalai Lama vorstellen. Und wer ist der Mann, der Einlass begehrt? Vielleicht bist du es, Leser, oder du, Leserin.  Der tiefere Sinn der Erzählung wird sich dir mühelos erschliessen, wenn du an die Stelle einer orientalischen Vorstellung von dem »Gesetz« eine andere setzt, eben die, die dir persönlich am nächsten ist. Lass als das »Gesetz« die wissenschaftliche exakte Erkenntnis der Idee gelten, der du selbst nachstrebst. Und stelle dir als den »Mann vom Lande«, von dem Kafka spricht, jemand[en] vor, der ein ähnlich unglückliches Verhältnis zu deiner Idee hat wie der erwähnte Mann. Er bittet um Einlass, er möchte gerne hineingelangen. Er hat Geduld; er wartet. Ein Leben lang wartet er. Das freilich genügt nicht. Er unterlässt etwas. Er unterlässt es, den entscheidenden Schritt zu tun, zu dem er nicht erst aufgerufen werden kann. Ein Bericht für eine Akademie Eine Tiergeschichte? Ja, eine der vielen Tiergeschichten, die Kafka geschrieben hat. Wenn du sie liest, halte beides bereit: Das Lächeln der Ironie und den Ernst der Trauer. Denn dies ist eine der grimmig-witzigsten und grimmigtraurigsten Geschichten, die je geschrieben worden sind.  Ein Affe berichtet vor einer »Akademie«, offenbar einer Akademie der Wissenschaften, wie er »durch eine Anstrengung, die sich bisher auf der Erde nicht wiederholt hat« die Durchschnittsbildung eines Europäers erreichte. Man fühlt es: aus einem natürlichen Wesen ist ein unnatürliches geworden. Dressur hat es bewirkt. Warum? Der Affe sagt. »Du wirst den Grund nicht finden.«  Der Affe ist von einer Hagenbeckschen Expedition angeschossen und gefangen genommen worden. Er hockt in einem engen Käfig. Er sagt: »Nein, Freiheit wollte ich nicht. Nur einen Ausweg.« Auf dem Schiffsdeck beobach-



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tet er die Menschen in Freiheit, die ihn um die seine gebracht haben. Er sagt: »Gute Menschen.« Das Wort schmerzt. Von seinem Peiniger lernt er, wie der sich räuspert und wie er spuckt. Immer mehr lernt er. Nun steht er vor der Akademie. »Diesen Fortschritt« sagt er. »Ich überschätzte es nicht, schon damals nicht, wieviel weniger heute«. Er hat, wie gesagt, die Durchschnittsbildung eines Europäers erreicht.  Welch tiefere Wahrheit aus seinem eigenen Leben hat Kafka in dieser Affengeschichte enthüllt? Kafkas natürlichem Wesen ist durch die Gesellschaft Zwang angetan worden. Er hat gegen seinen Willen die Rechte studiert und ist ohne Neigung Beamter der staatlichen Arbeiter-Unfall-Versicherungsanstalt in Prag geworden. Er hat seine Sache gut gemacht und war sogar ein sehr tüchtiger Beamter. »Und ich lernte meine Herren. Ach, man lernt, wenn man muss; man lernt, wenn man einen Ausweg will; man lernt rücksichtslos. Man beaufsichtigt sich selbst mit der Peitsche, man zerfleischt sich beim geringsten Widerstand.« In diesen Worten des Affen liegt ein tragisches Stück Selbstbiographie.  Dass Kafka, abgesehen davon, dass ihm das Büro die besten Kräfte nahm, in einer Umgebung, in der die Unfallversicherung und die Alters- und Invaliditätsversicherung als der Weisheit letzter Schluss galt, unglücklich gewesen sein muss, beweisen verschiedene Aufzeichnungen in seinem Tagebuch. An einer Stelle notiert er: »Das Versicherungswesen gleicht der Religion primitiver Völkerschaften, die an die Abwendung von Unheil durch allerlei Manipulationen glauben.« – In einer Lebensgeschichte Kafkas berichtet Max Brod folgendes: »Kafkas soziales Gefühl wurde mächtig aufgewühlt, wenn er die Verstümmelungen sah, die sich Arbeiter infolge mangelhafter Sicherheitsvorkehrungen zugezogen hatten.[«] »Wie bescheiden diese Leute sind«, sagte er mir einmal, mit ganz grossen Augen. »Sie kommen uns bitten, statt die Anstalt zu stürmen und alles kurz und klein zu schlagen, kommen sie bitten.«  – Unter den Maximen eines flüchtig notierten Reformentwurfes, den Brod zitiert, ist beispielsweise der folgende Grundsatz zu finden. »Das Arbeitsleben als eine Angelegenheit des Gewissens und des Glaubens an den Mitmenschen.«  Mit diesen und ähnlichen Zitaten und Maximen vor Augen wird man in den Romanen und Erzählungen Franz Kafkas den richtigen Kern entdecken. Rudolf Fuchs Die knappen Erläuterungen Fuchs’ dürften wohl an Exilanten gerichtet worden sein. Schon 1941 hatte Fuchs eine Auswahl aus den Schlesischen Liedern (Výbor ze slezských písní) von Petr Bezruč auf Tschechisch vorbereitet, gedruckt dann in London 1942, die sich, wie das Vorwort belegt, mit kämpferischen Worten an

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die gegen Deutschland kämpfenden tschechoslowakischen Soldaten wendet, die in der Royal Army Force sowie der Royal Army Air Force dienten. Ebenfalls 1941 waren Fuchs’ Gedichte aus Reigate, die die verlorene böhmische Welt betrauern, in London erschienen. In diesem Kontext war der Almanach Exilliteratur im präzisen Sinne des Wortes. Sein Publikum bildeten nicht die kultivierten Leser der Prager Cafés, sondern die in London gestrandeten Exilanten und tschechischen Soldaten in der britischen Armee. Man geht daher nicht fehl in der Annahme, dass es die Intention Fuchs’ gewesen sein dürfte, Kafka einem breiteren Publikum aus Exilanten, tschechoslowakischen Soldaten und wohl auch Deutsch lesenden Briten vorzustellen. Der Almanach ist daher nicht nur ein Zeugnis für das beharrliche Festhalten an der vertrauten literarischen Landschaft und nicht nur ein Beleg, mit welcher verzweifelten Leidenschaft Autoren wie Rudolf Fuchs sich bemüht haben, die Literatur ihrer untergegangenen Welt ins Exil zu retten. Es ist auch ein bislang unbekanntes Zeugnis für die Rezeption Kafkas, das ganz bewusst an ein größeres Lesepublikum in schwerer Zeit adressiert ist und die Stilisierung, ja vielleicht Überhöhung Kafkas noch nicht kennt, die bald danach einsetzen sollte und Kafka bis heute zu einer Ikone einer selbstkritisch gewendeten Moderne erhoben hat. Kafkas Veröffentlichungen haben zu Lebzeiten wenig Aufmerksamkeit gefunden, und die Rezeptionszeugnisse, die Jürgen Born zusammen mit Herbert Mühlfeit und Friedemann Spicker 1979 zusammengetragen hat,33 sind wenig einlässlich, gehen mal über die Eigentümlichkeiten von Kafkas Schreiben hinweg, mal wissen sie mit den Verrätselungen seiner Prosa nicht viel anzufangen, mal lehnen sie Kafkas Erzählungen strikt ab oder zählen seine Erzählkunst unter die Avantgardismen der literarischen Moderne. Kafka hat den Literaturbetrieb seiner Zeit kaum irritiert. Das gilt auch für seinen Freund, Leser und Herausgeber Rudolf Fuchs. Für ihn ist Franz Kafka einer der befreundeten Autoren, denen er die Aufmerksamkeit der Leser gerade auch in Kriegszeiten vermitteln will. Fuchs ist mit Kafkas Leben und seinem Leiden am Schreiben vertraut und stellt seinen Lesern daher Kafka als einen Autor vor, der einem nachdenklichen Leser zugänglich ist. Von den späteren Stilisierungen dann durch Max Brod ist bei Fuchs nichts zu finden. Damit fügt sich Fuchs’ Deutung unter die Rezeptionszeugnisse vor der Kanonisierung Kafkas ab den 50er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts ein. Fuchs hebt zwei Aspekte von Kafkas Werk hervor, die selbstreflexive, ja fast autobiographische Konzeption des Werks und die Suche nach einer reinen Darstellung jenseits von Konventionen des literarischen Schreibens. Für die selbstre-

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Franz Kafka. Kritik und Rezeption zu Lebzeiten 1912–1924, hg. von Jürgen Born unter Mitwirkung von Herbert Mühlfeit und Friedemann Spicker, Frankfurt a.M. 1979.



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flexive Dimension in Kafkas Werk führt Fuchs die kaum verstellte Selbstthematisierung des Autors in der Türhüterlegende ebenso an, wie die autobiographischen Elemente im Bericht für eine Akademie. Vor allem der Bezug auf den tüchtigen und doch bei aller Anpassung an die bürgerliche Welt, unglücklichen Beamten Franz Kafka ist nach Fuchs das Thema dieser Erzählung. Damit rückt er Kafkas Erzählungen nahe an lebensweltliche Erfahrungen, ohne damit Kafkas Rang und dessen beginnende internationale Rezeption kleinreden zu wollen. Aber der Freund Franz Kafka ist für Fuchs keine Ausnahmegestalt. Er ist ihm zu vertraut, als dass er ihm fremd sein könnte. Wie andere Freunde Kafkas auch, ist Fuchs deshalb von der »restlose[n] Kongruenz des Lebens und des Künstlertum«34 bei Kafka so überzeugt wie etwa auch Johannes Urzidil und andere aus den Prager Zirkeln. Diese Kongruenz ist geradezu ein Topos im Urteil über Kafka unter den ins Exil versprengten Prager deutschen Autoren. Und auch die andere, fremdere Seite Kafkas findet sich wiederholt in den Erinnerungen und Einschätzungen der Prager Freunde und Weggefährten Kafkas, so auch bei Rudolf Fuchs. Wie diese so betont auch Fuchs Kafkas hohen Ernst, sein »erzählerisches Genie« und seinen »Kampf um den dichterischen Ausdruck«. Das sind bei aller Konventionalität der gewählten Formeln doch auch Einsichten in die Eigenwilligkeit des Werks, die Fuchs anderthalb Jahrzehnte zuvor schon in seinem Nachruf auf Kafka im Prager Abendblatt 1924 weit weniger konventionalisiert herausgestellt hat. Dort hatte er über Kafkas Lesung seiner Erzählung Das Urteil geschrieben: »Er las mit solch einer still verzweifelten Magie, dass ich ihn auch heute noch, nach sicherlich nicht viel weniger als zwanzig Jahren in dem abgedunkelten schmalen Vortragssaal vor mir sehe«.35 Der hohe, wenn nicht verzweifelte Selbstanspruch ist für Fuchs dann auch in Kafkas Wunsch wieder zu erkennen, sein unveröffentlichtes Werk zu verbrennen. Der Freund Kafka und der Schriftsteller Kafka gehören für Fuchs zusammen. Die vertraute Nähe und die Erinnerung an die hochfliegenden literarischen Pläne im nun verlorenen Prag machen es Fuchs leicht, Kafka seinen Lesern ohne akademische Umständlichkeiten nahezubringen.36 Lest Kafka, sagt Fuchs, er ist einer von uns. 34 Rainer Stach, Kafka. Die Jahre der Entscheidung, S. 617. 35 Ebd., S. 242. 36 Vgl. Rudolf Fuchs, Erinnerungen an Franz Kafka, S. 368. Vgl. außerdem zur freundschaft­ lichen Beziehung zwischen Franz Kafka und Rudolf Fuchs Hartmut Binders Kapitel »Kafka als literarischer Ratgeber«, in: Prager Profile. Vergessene Autoren im Schatten Kafkas, S. 17–32, insbesondere den Abschnitt auf den Seiten 31–32 zur Veröffentlichung von Fuchs’ Gedicht Villa Milde Ruhe im Prager Tagblatt vom 20.  November 1921. Das Gedicht wurde 2015 erneut in der Prager Zeitung mit einem Begleittext zur Beziehung zwischen Fuchs und Kafka veröffentlicht, vgl. Konstantin Kountouroyanis, Ein wissender Soldat beim Prager Tagblatt, in: Prager Zeitung, Nr. 46, 12. Nov. 2015, S. 5.

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Diese doppelte Perspektive auf den vertrauten Freund und dessen hochzielenden Anspruch als Schriftsteller erlaubt es Fuchs wesentliche von unwesentlichen Motiven und Themen in Kafkas Werk zu unterscheiden. Die »okkulten« Motive, wie Fuchs sie nennt, sind wie die orientalisierenden Motive oberfläch­ liche Phänomene. Was Kafkas Schreiben wesentlich ausmache, so Fuchs, das ist der unbedingte Wille, ein reines Anschauen der Wirklichkeit zu erreichen. Mit der Unterscheidung von wesentlichen und unwesentlichen Motiven und Themen vermeidet Fuchs jene hermetische Deutung, wie sie dann bei Benjamin oder Brod zu finden ist und bindet seine Erzählungen zurück an lebensweltliche Erfahrungen, die jedem Leser vertraut sind. Entsprechend spielt auch Kafkas Interesse am Judentum für Fuchs keine Rolle und seine Anspielungen auf die jüdische Tradition sind eben Einkleidungen, die eher den Blick des Lesers für das Wesentliche in Kafkas Werk ablenken. Für Fuchs sind Kafkas Erzählung weder undurchdringlich noch undeutbar und das trotz der Rätselhaftigkeit der Prosa und der Eigenwilligkeit seiner Motive. In der Deutung durch Fuchs ist Kafka sowohl ein »seltsamer« Autor, als den er ihn am Anfang einführt, wie auch zugleich ein vertrauter Autor. Fuchs betont wiederholt die Mehrdeutigkeit von Kafkas »sinnreichem« Schreiben. Aber statt die Mehrdeutigkeit zu einem metaphysischen Prinzip der Undurchdringlichkeit der Welt zu erheben, zeigt Fuchs am Beispiel der beiden von ihm ausgewählten Erzählungen Vor dem Gesetz und Ein Bericht für eine Akademie,37 dass diese »mühelos« verstanden werden könnten, und zwar eben dann, wenn man die beiden Erzählungen nahe an lebensweltliche Erfahrungen heranrücke. In der Türhüter-Parabel ist es die so vielen vertraute Situation, dass man einer Idee nachstreben will und doch dafür die Kraft nicht findet. Im Bericht ist es der Selbstzweifel, dass auch alle Anpassung nicht helfe und man sich in eine traurig-lächerliche Gestalt verwandle. Fuchs so lebensnahe und betont anti-metaphysische Deutung der Prosa Kafkas hat nicht zuletzt mit seiner Weltsicht, ja Weltanschauung zu tun. Nicht zufällig spricht Fuchs in seiner Werkeinführung von »Kafkas sozialem Gefühl«. Kafka sei von den »Verstümmelungen, die durch mangelnde Sicherheitsvorkehrungen« den Arbeitern zugefügt wurden, aufgewühlt gewesen. Bewusst betont Fuchs gegen Ende seiner Einführung in das Werk Kafkas, dessen sozialkriti37 Mit der Datierung der Erzählungen auf das Jahr 1919 scheint sich Rudolf Fuchs nur an die Veröffentlichung im Erzählsammelband Ein Landarzt (1919) zu erinnern. Tatsächlich ist der Text Vor dem Gesetz bereits 1915 in der Selbstwehr erstmals abgedruckt worden, vgl. Vor dem Gesetz, in: Selbstwehr. Unabhängige jüdische Wochenschrift 9, H.34, 2a – 2b – 3, 7. Nov. 1915. Auch bei der zweiten Kurzerzählung scheint sich Fuchs nur an den 1919er Abdruck irrtümlich als Erstdruck zu erinnern. Tatsächlich ist diese Erzählung bereits 1917 im Juden erschienen, vgl. Ein Bericht für eine Akademie [Obertitel: Zwei Tiergeschichten], in: Der Jude 2 (Novemberheft 1917), S. 559–565.



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sche Äußerung: »Sie kommen uns bitten, statt die Anstalt zu stürmen und alles kurz und klein zu schlagen, kommen sie bitten.« Die Betonung der sozialen Thematik bei Kafka hat wesentlich mit dem sozialistischen Engagement Rudolf Fuchs’ zu tun. Er war Mitglied der kommunistischen Partei Komunistická strana Československa38 und er war Autor mehrerer sozialkritischer Dramen, Erzählungen und lyrischer Übersetzungen, die die Rechte der Arbeiter und ihrer Arbeitsbedingungen zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts zum Gegenstand haben. Der Einsturz ist ein bislang unveröffentlichtes Drama, das sich noch im Nachlass befindet39 und das eine tatsächliche Baukatastrophe aus dem Jahre 1928 in der Prager Straße Na Poříčí, in der übrigens auch Franz Kafka lange Jahre bei der Arbeiterunfallversicherung arbeitete, zur Vorlage hat. Das Drama behandelt das bedrückend wiederkehrende Thema der Baukatastrophen, die durch Profitgier und Sparzwang entstehen. Lediglich ein Teil des Dramas wurde im Nachlassband Ein wissender Soldat 1942 im Exil veröffentlicht. Ein anderes Drama, das Fuchs’ sozialistische Haltung verdeutlicht, ist Aufruhr im Mansfelder Land. Es ist 1928 in Buchform mit einem Vorwort des deutschen Arbeiterführers und Mitglieds der KAPD Max Hoelz erschienen. In diesem Drama sind die Märzkämpfe von 1921 das Thema, die Arbeiterrevolte in der mitteldeutschen Industrieregion um Halle, Leuna, Merseburg und dem Mansfelder Land.40 Max Hoelz war einer der zentralen Akteure der von seiner Partei damals losgetretenen, bewaffneten Aufstände. Schließlich belegen auch die Übersetzungen Fuchs’, warum er die soziale Frage bei der Deutung Kafkas so sehr betont. Seine Übertragungen des tschechischen Sozialrevolutionärs und National- und Heimatdichters Petr Bezruč haben die bedrückende Ausbeutung der Bergarbeiter im mährisch-schlesischen Ostrau zu ihrem Thema.41 Die soziale Frage und die sozialistische Revolution waren Fuchs’ 38 Das Jahr des Eintritts in die KPČ ist bislang noch strittig. So ist bei N.  M.  Matuzova vermerkt, dass Fuchs seit dem Gründungsjahr 1921 Mitglied der KPČ gewesen sei, vgl. Nadezda Michajlovna Matuzova, Rudolf Fuchs, in: Prazki nimecki socialistyčni pysmennyky, Kyjov 1971, S. 96–154, hier S. 98. Jedoch heißt es im 1950 erschienenen Vorwort zur tschechischen Auswahl aus Fuchs’ Werken, dass er zwar seit dem Ersten Weltkrieg an der Seite der »Arbeiterklasse« gestanden habe, jedoch erst in den 1930er Jahren Mitglied der KPČ geworden sei, vgl. Rudolf Fuchs, Vzkaz: výbor z díla, Prag 1950, S. 8, zit. nach Lucy Topolská, Rudolf Fuchs. Sein lyrisches, dramatisches und prosaisches Schaffen, Diss. masch., ComeniusUniversität Bratislava, 1978, S. 23. 39 Dieses Dokument befindet sich ebenfalls im Národní archiv České republiky v Chodove in Prag, 2. Karton, Fond 122, 13, S. 1  ff. 40 Christian Knatz, »Ein Heer im grünen Rock«? Der mitteldeutsche Aufstand 1921. Die preußische Schutzpolizei und die Frage der inneren Sicherheit in der Weimarer Republik, Berlin 2000. 41 Die Wahl, Petr Bezruč´ als tschechischsprachigen Autor ins Deutsche zu übersetzen, traf Rudolf Fuchs mit hoher Wahrscheinlichkeit aus politischen Gründen. Denn Petr Bezruč war

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Anliegen. Kafka ist nicht nur der Freund, nicht nur ein ungewöhnlicher Schriftsteller, sondern für Fuchs auch ein Autor der Sozialkritik.42 Vor diesem Hintergrund ist es daher wenig überraschend, wenn Rudolf Fuchs seinen Lesern Kafka als einen sozialkritischen Autor empfiehlt: »›Das Arbeitsleben als eine Angelegenheit des Gewissens und des Glaubens an den Mitmenschen.‹ Mit diesen und ähnlichen Zitaten und Maximen vor Augen wird man in den Romanen und Erzählungen Franz Kafkas den richtigen Kern entdecken«, schreibt Fuchs. Das ist eine betont einfache, lebensweltlich anschlussfähige Deutung von Kafkas Werk, die nicht auf den seltenen Sinn für die Wenigen zielt, sondern für Kafka viele Leser gewinnen wollte, zumal unter den Bedingungen des Exils und des Kampfes gegen das nationalsozialistische Deutschland. Von dem bald danach erhobenen, vornehmen Ton der Kafka-Interpreten ist Fuchs weit entfernt. Seine Werkeinführung für den Sammelband Deutscher Almanach aus der Čechoslovakei ist das Zeugnis einer anderen Tradition der Kafka-Rezeption. An sie ist zu erinnern.

ein Dichter aus der mährisch-schlesischen Stadt Troppau, die im heutigen Tschechien an der Grenze zu Polen liegt. Diese Region war nicht nur ein nationaler Streitpunkt wegen der dort lebenden unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen (Deutsche, Tschechen, Polen), sondern auch eine Region, die reich an Kohlevorkommen war. Die Arbeitsbedingungen in den Kohlebergwerken waren vielfach katastrophal. In dem Gedichtband Schlesische Lieder [Slezské písně] beschreibt Petr Bezruč diese Arbeits- und Lebenssituationen der Bevölkerung in Mährisch-Schlesien und Mährisch-Ostrau. Der österreichisch-ungarischen Regierung in Wien kommt in Bezručs Gedicht dabei die Rolle eines Okkupanten zu, der die einheimische Bevölkerung ausbeutet. 42 Vgl. Ilse Seehase, Drei Mitteilungen Kafkas und ihr Umfeld; vgl. hierzu kritisch: Prager Profile. Vergessene Autoren im Schatten Kafkas, S. 28.

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claude simon im deutschen literaturarchiv ulrich raulff Eine Vorbemerkung Gegen Mittag des 13. April 2016 erreichte das Deutsche Literaturarchiv eine erratische Faxmitteilung. Der Text berichtete auf einer Seite, engzeilig bedruckt, von einer deutsch-französischen Kooperation, die zu diesem Zeitpunkt gut vierzig Jahre zurücklag. Ihre Protagonisten waren auf deutscher Seite ein junger Fernsehredakteur des Saarländischen Rundfunks, auf französischer Seite ein berühmter Autor und späterer Nobelpreisträger gewesen. Gemeinsam hatten die beiden einen kleinen Fernsehfilm realisiert, der durch die Dritten Programme der deutschen Sendeanstalten touren sollte. Nähere Aufklärung brachte wenige Tage später ein Telefonanruf von Peter Brugger, dem ehemaligen Fernsehredakteur. Er habe sich im September 1973 zuerst brieflich an Claude Simon gewandt, berichtete Brugger; im Februar des folgenden Jahres sei es zu einer ersten Begegnung in Paris gekommen. Überraschend schnell habe sich Simon auf die Idee zu einem gemeinsamen Filmprojekt eingelassen, das im Herbst 1974 und im darauf folgenden Sommer in Südfrankreich und in Saarbrücken realisiert wurde. Dies ist die Geschichte, die Peter Brugger im zweiten der hier abgedruckten Texte erzählt. Es ist die Erinnerung an eine nicht immer einfache, aber durchweg intensive Zusammenarbeit mit einem der bedeutendsten Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts, der sich auf ein Experiment mit dem noch relativ jungen und von den Akteuren der Literatur in der Regel misstrauisch beäugten Medium Fernsehen einließ. Die Verbindung zwischen Peter Brugger und Claude Simon, die sich damals entwickelte, dauerte an bis zum Tod Simons im Juli 2005. Neben einer Kopie des Films und begleitenden Dokumenten, darunter ein langes Interview mit Claude Simon, verfügte Brugger über insgesamt 33, meist handschriftliche Briefe von Claude Simon, in denen dieser u.  a. sein Szenario entwickelte und auf Details der Realisierung einging. Diesen sehr schönen und

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eigentümlichen Bestand machte Peter Brugger im Februar 2017 dem Marbacher Archiv zum Geschenk. Mit der Stiftung verbunden war der beiderseitige Wunsch, dem Einzug des französischen Autors ins Deutsche Literaturarchiv eine über die dürre Pressemeldung hinausgehende Sichtbarkeit zu verschaffen. Dies geschah am 9. März 2017 im Rahmen einer Zeitkapsel – einer Abendveranstaltung, an der sich außer Peter Brugger und Ulrich Raulff auch Mireille Calle-Gruber als bedeutende Simon-Exegetin und -Biografin beteiligte. Ihr einleitender Vortrag über Claude Simon als Autor, Maler und Fotograf eröffnet das folgende kleine Triptychon von Texten. Triptyque lautete auch der Titel des Romans aus dem Jahr 1973, aus dem heraus sich das Filmprojekt entwickelte, das Peter Brugger und Claude Simon in den Jahren 1974–75 entwarfen und realisierten und von dem Peter Brugger im zweiten der hier abgedruckten Texte berichtet. Das dritte Stück ist das lange Interview über Claude Simons Kunst zu schreiben, das der Fernsehredakteur und sein französischer Gesprächspartner im Herbst 1974 in Salses in Südfrankreich führten. Es spiegelt Simons lebhaftes Interesse daran zu sehen, »wie ein Text entsteht und wie er funktioniert«, wie es in einem der Briefe an Peter Brugger heißt. Indem das Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft die Zeitkapsel Nr. 46 aus dem Jahr 2017 in dieser Ausführlichkeit dokumentiert, bekundet es sein Inter­ esse nicht nur an dem außergewöhnlichen Autor Claude Simon und den Dokumenten eines in seiner Art einzigartigen Experiments zwischen Literatur, Film und deutschem Bildungsfernsehen der siebziger Jahre. Es bringt auch die Überzeugung der Herausgeber zum Ausdruck, dass der Auftrag des Deutschen Literaturarchivs nicht an den Staatsgrenzen der Bundesrepublik endet – ebenso wenig wie dies die Literatur selber tut, sie werde als »deutsche« bezeichnet oder nicht. *

mireille calle-gruber Geschichten, in denen es aufs Sehen ankommt Vortrag vom 9. März 2017, gehalten im Deutschen Literaturarchiv Marbach, anlässlich einer Schenkung von Peter Brugger, die seine Beziehung mit dem Literaturnobelpreisträger Claude Simon dokumentiert Beim Formulieren des Titels dachte ich natürlich an die französische Wendung »un coup d’oeil«  – »etwas auf einen einzigen Blick zu übersehen, in seinem Zusammenhang, mit rechtem Augenmass zu sehen« –, jedoch weniger an



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die Histoire de l’oeil (»Die Geschichte des Auges«), den Titel eines Werkes von Georges Bataille, und auch nicht an die Etikette, mit der Alain Robbe-Grillet die Schriftsteller des sogenannten Nouveau Roman zusammenfassen wollte, Ecole du regard, »Schule des Blicks«. Gemeint waren Nathalie Sarraute, Michel Butor, Claude Ollier, Robert Pinget, Jean Ricardou, auch Marguerite Duras und eben Claude Simon, und natürlich Alain Robbe-Grillet selbst. Aber spätestens seit 1971, seit dem berühmten Colloquium zum Nouveau Roman in Cerisy-la-Salle, begannen alle eigene Wege zu gehen oder hatten sich überhaupt nicht als Vertreter einer ›Schule‹ empfunden, Marguerite Duras zum Beispiel. Sie kennen vielleicht die angeblich zufällig entstandene Photomontage von Claude Simon, mit der er sich über die Ecole du regard lustig machte: der Ausschnitt eines unter anderem Blickwinkel photographierten Augenpaares fiel wie zufällig auf das Porträt von Robbe-Grillet und verlieh ihm einen recht ›schrägen‹ Blick. Das ›gegen-sätzliche Blicken‹ in der Literatur? In der Kunst als ›Bild‹? Wenn ich also zu »Geschichten« spreche, bei denen es »aufs Sehen ankommt«, geht es mir um einen weiten Begriff des »Sehens«, der sich nicht reduzieren, wohl aber strukturiert verstehen lässt. Man vergisst zu oft (und auch zu leicht), dass der 1913 geborene und 2005 verstorbene Claude Simon, Nobelpreisträger für Literatur (1985), als Maler und Photograph zur Kunst, zu seiner Kunst gekommen ist. Und dass er vom Kino, vom Film – genauer: vom damaligen Stummfilm – geradezu fasziniert war. Diese drei Formen der Kunst (Malerei, Photographie, Film) beginnt er ab 1932 zu entdecken, und zwar im Anschluss an seine humanistische Ausbildung am Collège Stanislas in Paris, als er sich in die Malereikurse des Ateliers Julian und des Ateliers von André Lhote einschreibt, obgleich er doch eigentlich Jura hätte studieren sollen. Er wird, wie er sich selbstironisch bezeichnete, »ein Student in Kubismus«. Pa­ral­ lel zu diesen Kursen besucht Claude Simon Museen, Galerien, Ausstellungen; als Autodidakt entdeckt er Manet, Cézanne, Bonnard, bewundert den malenden Zollbeamten, den Douanier Rousseau, bewundert auch Matisse, Dalí und begeistert sich für Picasso. Als ihm dreißig Jahre später, bei der Herausgabe seines Romans Histoire (»Geschichte« 1967), eine Journalistin die etwas naive Frage stellt, inwieweit er sich zum Schreiben prädestiniert und vorbestimmt halte  – »Haben Sie immer schon gewusst, Schriftsteller zu werden?« –, antwortet Claude Simon ebenso entschieden wie überraschend: »Nein. Ich wäre gern Maler geworden. Maler oder Jockey – das hätte mir eine absolute und totale Freude verschafft.« »Gibt es also keine absolute und totale Freude beim Schreiben?«, fragt die Journalistin weiter. »Schreiben ist eine indirekte, mittelbare Freude, ein abgeleiteter Genuss, zweiten Grades: alles in allem strichelt man nur, macht Pünktchen, hinterlässt Spuren wie von Fliegenbeinchen. Das ist nicht vergleichbar mit der direkten, unmittelba-

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ren, sinnlichen Freude, auf und über die Leinwand etwas Rot oder etwas Grün zu streichen«,1 sagt Claude Simon im Gespräch mit Josanne Duranteau. Diese »sinnliche Freude« ist aber eben eine Sache des Sehens und Sache der Materie. Die physische Beziehung zum Werk wird Claude Simon nie verlassen. Sie wird sein Erforschen der literarischen Formen ebenso nähren wie sein Arbeiten in der Sprache. Dies erklärt, warum und wie sehr ihn die Chance der Begegnung mit Peter Brugger hat begeistern können. Bild und Text trafen und fanden sich plötzlich in einer auf Gegenseitigkeit beruhenden Dynamik. Ihre Komposition und ihre Kontradiktionen bekamen Sinn. Mehr noch: Peter Brugger verschaffte Claude Simon die unverhoffte Gelegenheit, das zu machen, wovon er schon so lange geträumt hatte. Er bot ihm die Chance, einen Film zu drehen. In der Zeit des 1933 durchbrechenden Nazismus in Deutschland und des sich unterschwellig abzeichnenden Zweiten Weltkrieges, fragte sich der junge Claude Simon, zwischen Sprachlosigkeit und Revolte, »was er mit seiner unverbrauchten, frischen Jugend« eigentlich anfangen sollte, »welche zu pompösen Namen wie Kunst, Literatur oder Revolution aufgeblähten Dummheiten« er begehen könnte;2 bis ihm zunehmend klar wurde, dass die Revolution in Kunst und Literatur einer außergewöhnlichen geistigen Schärfe und Arbeit bedarf. Claude Simon betrieb die Malerei bis in die Mitte der fünfziger Jahre, war jedoch immer weniger von seinem Talent überzeugt und sich bewusst, nie mehr erreichen zu können als »à la Picasso« zu malen, also epigonal zu bleiben. Gleichwohl schafft Claude Simon in dieser Periode gelungene, ja großartige BildCollagen, die man in Peter Bruggers Film bewundern kann. Anfang der dreißiger Jahre, wohl schon 1931, trifft Claude Simon Renée Clog an der Akademie der Schönen Künste zu Paris. Sie wird seine Lebensgefährtin und spätere Ehefrau (Ende 1939 während eines Fronturlaubs). Durch sie, eine bildschöne und photogene junge Frau, die auch als Modell für Modephotos für Schmuckgegenstände und Frisuren arbeitete, lernt Claude Simon den aus Deutschland geflüchteten, im Pariser Exil lebenden Photographen Philippe Halsmann kennen, der später durch seine Porträts (von Einstein, Dora Maar, Marilyn Monroe, Salvador Dalí …) Weltruhm erlangte. Philippe Halsmann ist es, der Claude Simon in die Kunst der Photographie einführte. Claude Simon wird ein exzellenter Photograph, der seine Aufnahmen stets selbst entwickelt, bearbeitet und abzieht. Was ihn dabei immer erstaunt und begeistert, ist das Zusammenspiel von eigener Nachbereitung und photographi1 2

Claude Simon, Entretien avec Josanne Duranteau, in: Les Lettres françaises, 13. April 1967, S. 3–4. Claude Simon, manuscrit de L’acacia, Bibliothèque littéraire Jacques Doucet (BLJD), Paris, SMN, 16 (1).



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schem Akt: Indem er zunächst großformatig, schnappschussartig ein Ensemble erfasst, beginnt er hernach, in der Dunkelkammer, die magischen Kräfte des Photographierens zu entdecken, die auch aufnehmen, was das ›nackte‹ Auge nicht gesehen hat. Der für ihn wichtigste Arbeitsschritt ist somit das Nachrichten und Aufarbeiten der Aufnahmen am Vergrößerungsgerät, das Erforschen und Ausloten der Einzelheiten, das Gegenspiel der Grauschattierungen, das den abrupten Schwarz-Weiß-Kontrast aufhebt. Man wird später dieselbe forschende Aufmerksamkeit, die in alle Einzelheiten gehende genaue Beschreibung in seinen Romanen wiederfinden. Die Subjekte seiner Photographien tauchen auch in den literarischen Objekten seiner Bücher wieder auf: die Netze der Fischer, die Barken, die Verteidigungsanlagen, die Schutzmauern, die Mauern aus Natursteinen, die Beine von Puppen und Mannequins (die den Titel Piero della Francesca erhalten); Bäume, Platanen (die er Beine/Jambes nennt, Ventre et cuisses/Bauch und Schenkel), die Marketenderwagen der Zigeuner (die den Titel Souvenir de Van Gogh erhalten). Nach dem Krieg nimmt Claude Simon das Photographieren wieder auf und komponiert Bildmontagen für ein Buch: Es hätte 1956 mit einem Text von Jacques Prévert und einem von Picasso gestalteten Titelblatt erscheinen sollen – das Projekt wurde jedoch vom Verleger aufgegeben. Erst 1992 kann Claude Simon dieses Buch endlich bei Maeght veröffentlichen (doch ohne Prévert und ohne Picasso). Als die Photographien erscheinen, werden sie sofort als Archiv der Jahre 1937 bis 1970 anerkannt und gepriesen. Claude Simon hat sein photographisches Interesse seit Mitte der sechziger Jahre um Farbphotographien bereichert. Er hat ein Album d’un amateur konzipiert, das »Album eines Amateurs«, eines Laien, in dem er eine Montage von Aufnahmen verschiedenster Formate vornimmt, mit Assoziationen, Wiederholungen, Serien, wobei er eigene Texte kontrapunktisch mitspielen lässt. Der als Buch-Objekt konzipierte Band erscheint 1988 in einer Auflage von 999, vom Autor handsignierten Exemplaren in der Sammlung Signatur bei Rommerskirchen unter dem Titel Zeit. Schrift. Bild. Objekt.3 Die dritte Entdeckung, die Claude Simons künstlerische Sehkraft erfasst, ist das Kino. Er hat darüber in einem Artikel gesprochen, den die Frankfurter Rundschau am 22. August 1995 unter dem Titel 52 Bilder vom Kino veröffentlichte. Simon berichtet darin, wie er in der Jugendzeit heimlich das Kino in Perpignan besuchte und ihn besonders die populäre Filmkultur, etwa durch Charlie Chaplin, prägte, die sich von der bürgerlichen Kultur, in der er aufwuchs, stark unterschied. Vor allem jedoch wurde er in den dreißiger Jahren von zwei Filmen Buñuels und Dalís beeindruckt: vom Andalusischen Hund/Le Chien andalou und vom Goldenen Zeitalter/L’Age d’or – also von zwei schwarz-weiß gedrehten, surrealistischen 3

Claude Simon, Album d’un amateur, Remagen-Rolandseck 1988.

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Stummfilmen. Die den logischen und konventionellen Rahmen übersteigende Kühnheit dieser Filme begeisterte ihn ebenso wie die wirkende Kraft der sprachlosen Bilder, die die einfache Bedeutung in die ambivalente Latenz stürzt (etwa »Idiot« und »Je t’aime«) und somit das Bild doppelsinnig der Wirklichkeit entzieht. Claude Simon vergleicht diese Kunst mit dem »erwarteten Unerwarteten«, der nicht kalkulierbaren Überraschung in den Kompositionen von Johann Sebastian Bach. Das lässt sich in meinem mit Peter Brugger herausgegebenen Band Les Triptyques de Claude Simon ou l’art du montage4 nachlesen. Sein ganzes Leben lang träumt Claude Simon davon, seinen Roman Die Strasse in Flandern selbst zu verfilmen. Bereits 1961 schreibt er ein Drehbuch mit kompletter Szenenverteilung. Mehrere Male hätte er dieses Projekt fast verwirk­ lichen können, besonders nach den Kulturtagen der Stiftung Hautvillers, die sich um die Begegnungen von deutschen und französischen Schriftstellern bemühte, verantwortlich inspiriert von Pierre Emmanuel (für die Zeitschrift Esprit) und Walter Höllerer (für das Berliner Literarische Colloquium). Claude Simon nimmt in zwei aufeinanderfolgenden Jahren teil, 1975 und 1976. In Berlin wird der Film von Peter Brugger und Claude Simon im Februar 1976 gezeigt: Triptychon mit Claude Simon, einschließlich des Kurzfilms Die Sackgasse/L’Impasse. Pierre Emmanuel wird – leider vergeblich – versuchen, mit diesem Kurzfilm die Finanzierung und Produktion des Großprojekts Die Strasse in Flandern durchzusetzen. Trotz eines beachtlichen Vorschusses seitens des Zentrums der nationalen Kinowirtschaft (CNC) kann sich das Projekt in der damaligen Kulturpolitik nicht durchsetzen. Als 1992 das Projekt wieder möglich zu sein scheint (die jugendliche Hartnäckigkeit von Claude Simon hat etwas tief Berührendes), wird Claude Simon mit Michelle Porte verzichten müssen, weil man ihm einen Fernsehfilm vorschlägt, von dem Claude Simon absolut nichts wissen will. (Bernard-Henri Levy, der damalige Präsident des CNC, lehnt den zur Finanzierung notwendigen Vorschusskredit ab.) Der nunmehr alt gewordene Claude Simon (er steht am Beginn der Achtziger) findet sich damit ab, diesen Film niemals drehen zu können. * Das sind der Kontext und die allgemeinen Orientierungen, in denen die unerfüllte Filmkarriere von Claude Simon verläuft. Doch wie schreibt sich hier die Begegnung von Claude Simon und Peter Brugger ein? Ich würde sagen: kontrapunktisch.

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Les Triptyques de Claude Simon ou l’art du montage, hg. von Mireille Calle-Gruber und Peter Brugger, Paris 2008.



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Als Claude Simon mit Peter Brugger ins Gespräch kommt, und als er ihn 1974 bei sich an der Place Monge empfängt, ist sein literarisches Werk bereits unbestritten. Doch hat er zugleich weder auf sein Interesse an Photographie noch an Filmkultur verzichtet. Allerdings spielt seine Malerei seit Mitte der fünfziger Jahre fast keine Rolle mehr für sein Arbeiten. Er zeichnet freilich noch sporadisch – einfache Strichzeichnungen mit der Feder, oft am Rande seiner Manuskripte. Mehr nicht. Dennoch helfen ihm diese Zeichnungen beim Schreiben, besonders bei den Beschreibungen. Erwähnt werden soll noch der wunderbare Text- und Bild-Band Orion aveugle (1970), auch weil er, in einer kongenialen Übersetzung von Eva Moldenhauer, im Verlag Zweitausendeins auf Deutsch erschienen ist. Der ursprüngliche Verleger war Albert Skira in Genf. Der Titel Der blinde Orion spielt doppelsinnig auf das Sternbild Orion an und auf das gleichnamige Gemälde von Nicolas Poussin. Im Vorwort stellt Claude Simon seine Auffassung von poetischer Kunst beispielhaft dar. Es heißt hier (S. 25–27): Deshalb kann es keinen anderen Abschluss geben als die Erschöpfung des Wanderers, der diese unerschöpfliche Landschaft erkundet. In diesem Augenblick wird vielleicht entstanden sein, was ich einen Roman nenne (da es, wie alle Romane, eine Fiktion ist, die in eine Handlung verstrickte Personen in Szene setzt), ein Roman jedoch, der nicht die exemplarische Geschichte irgendeines Helden oder einer Heldin erzählt, sondern jene völlig andere Geschichte, das heisst das eigentümliche Abenteuer des Erzählers, der nicht aufhört, im und durch das Schreiben tastend die Welt zu suchen und zu entdecken. Wie wird nun diese Kunstkonzeption literarisch, bildlich und filmisch umgesetzt? Dazu wird Peter Brugger besser sprechen als ich, über seine Begegnung mit Claude Simon, den Dreharbeiten zum Film Triptychon mit Claude Simon und den wie eine Intarsie eingebrachten Kurzfilm Die Sackgasse / L’Impasse. Ich möchte hier nur erwähnen, wieviel Hoffnungen und Pläne – auch für spätere Verwirklichungen  – das Projekt von Peter Brugger ausgelöst hat. Hier nämlich laufen die Sichtweise von Bild und Film bei Claude Simon mit seiner Erfahrung als Schriftsteller und Künstler zusammen. Unter diesem Blickwinkel konzipiert er inmitten des gefilmten Interviews (das seinerseits wie eine Abhandlung in Kapitel gegliedert ist) eine Kurzfilm-Fiktion von nur zwölf Minuten, die insgesamt seine Art und Weise, Romane zu schreiben, illus­triert und demonstriert. Zur Vorbereitung schreibt Claude Simon ein Drehbuch mit genauer Szenenfolge und Szenenschnitt, wobei er auf den damals gerade erschienenen Roman Triptyque / Triptychon zurückgreift. Der Titel zeigt bereits

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an, dass der Roman wie ein Triptychon, ein dreiteiliger Altaraufsatz, konstruiert ist. Drei Maler inspirieren dieses Triptychon: Francis Bacon, Jean Dubuffet, André Delvaux. Die Erfahrungen bei den Dreharbeiten lehren freilich auch, dass ein Film das Ergebnis von Zusammenarbeit ist, mit technischen und finanziellen Grenzen und Zwängen und dass hier niemand im Alleingang arbeiten kann so wie es beim Schreiben von Text auf einem leeren Blatt geschieht. So können dann auch Spannungen und Enttäuschungen auftreten … Zum Kurzfilm Die Sackgasse / L’Impasse sei nur gesagt, dass Claude Simon das Prinzip des cut up umsetzt: das Prinzip der Unterbrechung, die die Unterbrechung zeigt und walten lässt, ohne sie zu verwischen oder zu überspielen. Kontrast als Kontrast. Claude Simon entleiht den Begriff cut up mit William Burroughs aus der nordamerikanischen Malerei: eine Montage von Fragmenten, die nicht ineinandergreifen, eine fortschreitende, bewegliche Montage also, die kein Puzzle bildet, die sich nicht abrundet oder abschliesst, die, kurz gesagt, kein zusammenfassendes Schlussbild ergibt oder gibt. Claude Simon verteidigt eine auf zustossendem Eindruck, auf Gefühlsbewegung, auf permanentem Aufruhr und Revolutionieren beruhende Ästhetik: Die Werke sollen stets in der Nähe des »Magmas der aufwallenden Gefühle« verbleiben, das alles Lebende konstituiert und belebt. Mehr noch: Er sagt, dass »jedes Mal die Welt auf etwas verschiedene Weise gesagt wird (sowohl in den Wissenschaften wie in den Künsten), so dass sie sich transformiert«. Für Schriftsteller und Künstler geht es somit darum, die ständige (doppelsinnig gesagt: die fortlaufende) Rezeption (doppelsinnig: die Aufnahme) von Welt neu zu erfinden. Also die »fortlaufende« »Aufnahme« von Welt neu zu erfinden und zu gestalten – mag sie nun tragisch oder wunderbar sein. (Man kann hier die humanistische Bildung von Claude Simon heraushören, das deinon der alten Griechen, das genau diesen extrem gegensätzlichen Sinn besitzt, »monströs« und »wunderbar«.) Abschliessend möchte ich an den Ort erinnern, der unsere Begegnung ermöglicht hat und stets ermöglicht. Es geht um das Archiv, ums Archivieren, um das Sehen im und durchs Archiv. Das Schreiben braucht den Augen-Blick, die Zeitlichkeit und das Sehen. Schreiben muss sich dem Sehen aussetzen. So jedenfalls ist es bei Claude Simon der Fall. Er visualisiert den in Fragmentform geschriebenen Text, um seine Architektur und Gesamtstruktur zu erfassen. Er konstruiert Organigramme, die Themen und Handlungspersonen mit verschiedenen Farben dokumentieren und verorten. So vermag er das Ausbalancieren der Wiederholungen, Varianten und Entwicklungen zu meistern. Den umfassendsten Montageplan mit seinen farbigen Markierungen Claude Simons findet man im vorzüglichen Themenheft der Zürcher Zeitschrift DU (N°691, Januar 1999: Supplement des Tages-Anzeiger). Er befindet sich auch, mit einem Kommentar des



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Autors, in dem von mir zum achtzigsten Geburtstag von Claude Simon herausgegebenen Sammelband.5 Die Schreibweise von Claude Simon ist durchaus archivarisch: sein Schreiben greift fortlaufend auf schon bestehende Schreibspuren zurück, entziffert unablässig Spuren, in denen sich der Autor als Leser seines Schreibens und Schriftsteller, voraus- und zurückgreifend, immer überraschend und nicht kalkulierbar, nicht voraussehbar mit sich selber kreuzt. Wir kommen uns selber gegenüber immer schon zu spät, in einer Art Kantscher Nachträglichkeit, im après-coup von Lesen und Schreiben. Der Schriftsteller fängt fortlaufend und auf wunderbare Weise das ein, was Jean Starobinski in seinem Brief vom 3. April 1992 »l’émotion du révolu« nennt,6 »die Emotion des Vergangenen im Vergehenden« und also auch im Weiter-gehenden. Diese Emotion konstituiert uns. Wir weinen immer ganz alte Tränen, aber wir weinen sie doch immer von Neuem. Das ist unser lebendiges, jeweils auflebendes Archiv. Und hier kehrt sich die Logik der »Geschichten, in denen es aufs Sehen ankommt«, gleichsam um: die »Geschichten« beginnen durch das »Sehen« hindurchzugehen und leben eben dort wieder auf, wo wir sind, mit einem Bein (oder »Fliegenbein«, wie Claude Simon sagt) hier, im Archiv; und mit dem anderen schon wieder darüber hinaus. Das Archiv steht so vielleicht in einem doppelsinnigen Zwillingsspiel zum Postumen: Das »Letzte« (postumus) wird »Erde« (humus), eine Erde, die weiter trägt. *

peter brugger Triptychon mit Claude Simon Vortrag vom 9. März 2017, gehalten im Deutschen Literaturarchiv Marbach Triptychon mit Claude Simon ist der Titel einer Fernsehproduktion, die 1974–1975 entstand. Sie wurde am Samstag den 10. Januar 1976 um 20:15 Uhr im Programm von Südwest 3 mit einer Länge von fünfundvierzig Minuten erstausgestrahlt. Samstagabend 20:15  Uhr, eine Literatursendung, anspruchsvoll, schwierig und nach einem späteren Urteil von Claude Simon, das ich nicht überinterpretieren 5 6

Claude Simon. Chemins de la mémoire, hg. von Mireille Calle-Gruber (Collection Trait d’union), Sainte-Foy/Québec und Grenoble 1993. Mireille Calle-Gruber, Claude Simon. Une vie à écrire, Paris 2011, S. 410.

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will, als Programmangebot vielleicht ein bisschen kühn. Sie merken schon, wir sprechen über eine andere Zeit. Südwest 3 oder S3, wo die Sendung zuerst lief, war bis vor ungefähr zwanzig Jahren, daran werden sich manche von Ihnen erinnern, das gemeinsame Dritte Fernsehprogramm von SR, SDR und SWF. Man konnte Triptychon mit Claude Simon also damals schon in Marbach sehen. Vor 41 Jahren. In den Jahren danach gab es vereinzelt weitere Ausstrahlungen. Auf demselben und auf anderen Kanälen. Alle in Deutschland, alle von ARD-Sendern, die letzte, von der ich erfahren habe, lief zum 100. Geburtstag Claude Simons am 10. Oktober 2013 in BR-alpha. Das war dann allerdings, acht Jahre nach Simons Tod, auch für das Fernsehen längst eine andere Zeit. Die Sendezeit war 24 Uhr. Dass wir 2017 darüber sprechen würden, habe ich mir 1975 nicht vorgestellt. Und mir fällt keine Fernsehproduktion ein, zumindest keine, mit der ich zu tun hatte aus dem Bereich der Kultur, die eine so lange Geschichte hat wie dieses Triptychon mit Claude Simon, eine lange Geschichte deshalb, weil sie Werden und Wandel umfasst, auch Verlorengehen und wieder Gefundenwerden. Gegen Ende der 60er Jahre konnte von einer öffentlich wahrgenommenen Werkpräsenz Claude Simons in Deutschland nicht die Rede sein. Auch Mitte der 70er Jahre nicht. Der frühe Claude Simon (früh in den Maßstäben seiner Autorenkarriere) wurde in Westdeutschland zwar übersetzt und verlegt, aber er blieb bei uns ein Geheimtipp, war in der literarischen Öffentlichkeit so gut wie nicht vorhanden. In Frankreich existierte immerhin eine identifizierbare Fraktion, die erklärte, nichts mit diesem Autor anfangen zu können. Als Chef de file (Larousse) du Nouveau Roman figurierte Alain Robbe-Grillet. Ihm zur Seite stand Jean Ricardou, der Chefideologe. Die anderen, unter ihnen Simon, Sarraute, Butor, Pinget blieben im Hintergrund. Zu ihrem Vorteil, können wir heute vermuten. So konnten sie die anderen bleiben. Nun wird es für einen Moment ein bisschen persönlich. Es dürfte gegen Ende des Jahres 1967 gewesen sein, als der Übersetzer Elmar Tophoven mich zuerst auf Claude Simon aufmerksam machte. Ich hatte Tophoven in einem anderen Zusammenhang aufgesucht. Selbstverständlich musste es bei ihm um Samuel Beckett gehen. An diesem Abend sprachen wir jedoch nur über Claude Simon. Tophoven berichtete von seiner schon eine Weile zurückliegenden Arbeit an der Übersetzung von Die Straße in Flandern und von den Schwierigkeiten, die er aktuell beim Übersetzen von Simons Histoire habe. Er war unsicher, ob er das schaffen könne. Nicht, weil er an der Qualität des Texts gezweifelt hätte. Im Gegenteil, er fürchtete, mit seinen Mitteln den Anforderungen von Simons Sprache nicht gerecht werden zu können. Tatsächlich hat er die Übersetzung von Histoire später aufgegeben. Es sollten 30 Jahre vergehen, bis Eva Moldenhauer sich noch einmal an den Text herantraute.



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Tophoven erzählte an jenem Abend 1967 von den großartigen Erfahrungen, die er durch die Arbeit an Claude Simons Sprache hatte machen können. Ich fand seine Interpretationen und Analysen faszinierend. Sie machten mich in den mir verbleibenden Pariser Tagen und Nächten zum furchtlos beeindruckten Leser simonscher Originaltexte. Damit beginnt die Hauptgeschichte von Triptychon mit Claude Simon. Die Leseerfahrung wirkte weiter, bis ich im September 1973 nach einer beruflichen Veränderung Claude Simon in einem ersten Brief von Seiten des Saarländischen Rundfunks fragen konnte, ob er bereit sei, sich dem deutschen Fernsehen für eine Produktion zur Verfügung zu stellen, die ihn und seine Arbeit zum Gegenstand hätte. Der Saarländische Rundfunk war gewissermaßen genetisch auf Projekte in Frankreich besser vorbereitet als andere Sender der ARD. Auf meinen Brief hin signalisierte Simon postwendend seine Bereitschaft, ein solches Projekt bei einem Treffen genauer zu prüfen. Wechselseitige Verhinderungen verzögerten den Termin. Er kam am 26.  Februar 1974 in Simons Pariser Wohnung zustande. Im 5. Stock über der Rue Monge, genau gegenüber der Kaserne der Republikanischen Garde. Das ist merkwürdig. Die Kavallerie hat Claude Simon nie losgelassen. Es gab kein Vorbeisehen an dieser Situation, wie auch immer sie zu deuten sein mag. Nun 1974: Claude Simon empfing mich an seiner Wohnungstür mit einer gewinnenden Freundlichkeit, mit der sich schon gleich im ersten Gespräch eine starke Bestimmtheit verband. Er sagte, dass eine Fernseh- oder Filmarbeit sich mit seiner schriftstellerischen Produktion befassen müsse, mit der Methode und dem Prozess seines Schreibens und nicht mit persönlich-biografischen Befindlichkeiten. Diese seine Forderung habe bisher verhindert, dass das französische Fernsehen sich auf ihn eingelassen habe. Ich freute mich. Simons Prämissen kamen meinen Vorüberlegungen entgegen. Vielleicht trifft ein Purist auf den anderen, dachte ich. Ich stimmte insoweit zu: zwei Ebenen seien innerhalb der angestrebten Fernsehsendung vorstellbar, eine diskursiv analytische, wenn man so will, didaktisch erschließende (Stichwort: das große Interview) und eine, auf der mit bildhaften Elementen gearbeitet, auf der Bild gestaltet wird. Anders ausgedrückt: Sprechen erklärt Spracharbeit und Bild erklärt Spracharbeit. Wie wussten wir noch nicht. Oder vielleicht genauer: ich wusste es noch nicht. Nach dem Mittagessen versprach Claude Simon vor der Tür der Closerie des Lilas, darüber nachzudenken und mir zu ­schreiben. Er schrieb schon am nächsten Tag, am 27.  Februar, und mahnte, ich solle nichts übereilen und nicht etwa schon ein Aufnahmeteam bestellen. Er habe nämlich über weitere Möglichkeiten nachgedacht, Möglichkeiten zu zeigen, wie ein Text sich herstellt und arbeitet. Das auszuführen brauche er noch etwas Zeit.

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»Comment se constitue et comment fonctionne le texte«, schrieb er. ›Se constitue et fonctionne‹, das ist ein Wortpaar aus Simons poetologischem Repertoire und gar nicht einfach zu übersetzen. Wie intensiv Claude Simon sich mit der Sache beschäftigte, geht aus dem Brief vom Folgetag, dem 28.  Februar 1974, hervor. Sie finden ihn in dem Buch von Mireille Calle-Gruber7 und in der Pléiade-Ausgabe8 abgedruckt. Simon elaborierte, wie immer, während er schrieb. Am Ende des Briefs, im P.S., ist das am Anfang angedeutete Filmszenario schon fertig. Ein ganz und gar schlüssiger Vorschlag zur Bildgestaltung. Die komplette Vorlage für einen in unsere bisherigen Überlegungen passenden Kurzfilm. Wir haben das kleine Drehbuch in der Folge nur geringfügig verändert und in der technischen Beschreibung etwas kamera­affiner gemacht. Der kleine Film sollte als Bildgestaltung in die Mitte zwischen zwei diskursive Flügel platziert werden. Aus Gründen des Inhalts sollte er L’impasse, »Die Sackgasse« heißen. Die zentrale Sackgasse als Teil eines Triptychons, eines dreiflügeligen Gebildes. Alle inhaltlichen Ableitungen kamen von Simons seinerzeit jüngstem Roman Triptyque, den er für die Transferübungen ins Visuelle heranzog. Claude Simon baute in dem Petit Scénario und bei dessen Umsetzung eine Art Schattengerüst des Triptyque-Romans auf. Nun wird es für einen Augenblick etwas schwieriger, wenn man das Buch und die Eigenart von Claude Simons Texten nicht kennt. Man muss ja fragen, was soll dabei geschehen, wenn Elemente eines Romans, in diesem Fall aus Triptyque, vom geschriebenen Text ins Visuelle transferiert werden. Eine Adaption kann das nicht sein. Obwohl es immer mal wieder so genannt wurde. Ganz platt gefragt: Wie sollen über 200 dicht bedruckte Textseiten eines Buches auf zwei Schreibmaschinenseiten eines Drehbuchs oder in 10 Filmminuten adaptiert werden können, wenn jeder Textabschnitt des Romans sein spezifisches Gewicht hat. Ein Buch von Claude Simon erlaubt das nicht. Der Roman wäre verloren. Alternativ hätte man unter Verwendung von Bestandteilen einer Vorlage ein ästhetisch autonomes Gebilde konstruieren können, aber dies war in unserem Triptychon-Konzept nicht vorgesehen. Mein Ziel war immer, die Schreibmethode transparent zu machen. An einem autonomen Kunstwerk war ich nicht interessiert. Erst Jahre später, nachdem Claude Simon mir seinen gescheiterten Drehbuchentwurf für La Route des Flandres aus den 60er Jahren gezeigt hatte, fragte ich mich, ob er nicht auch unsere Triptychon-Arbeit in persönlichen Überlegungen als Vorübung für ein autonomes Filmwerk verstanden hatte.

7 8

Mireille Calle-Gruber, Les Triptyques de Claude Simon ou l’art du montage, Paris 2008, S. 57–59. Claude Simon, Œuvres, Paris 2006, S. 1241–1245.



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Soweit war ich gekommen mit den Überlegungen für den heutigen Abend. Da fand ich vor acht Tagen unter den Briefen, deren Originale ich kürzlich dem Literaturarchiv übergeben hatte, einen (er datiert vom 16. April 1974), an dessen urheberrechtliche Fragen ich mich nicht mehr erinnerte. Umso mehr berührte mich die Definition, die Claude Simon in ihm für das kleine Drehbuch des geplanten Kurzfilms aufgeschrieben hatte: Dieses stelle nicht, steht da, »à proprement dire« (streng genommen), eine Adaption des Romans her, »mais seulement une illus­ tration par l’image de certains mécanismes de sa composition« (sondern nur eine Veranschaulichung gewisser Mechanismen in dessen Aufbau durch das Bild). Der Film, der durch die Veranschaulichung des Aufbaus entsteht, der Gelenke, Schnitte und Winkelzüge der Romanhandlung benutzt, Farben, Musik, Geräusche, auch im weitesten Sinne Landschaften, Bacon, Delvaux und Dubuffet als Grundlinien einzieht, er ist bei aller Sorgfalt und Eleganz in der Detailausführung, auf die Simon großen Wert legte, kein Äquivalent des Romans, keine Übersetzung von dessen Sprache in Bild. Er ist eine Interpretation der Struktur des Romans, eine Verständnishilfe, ein Baubild. ›Baubild‹, vielleicht ist dies das Wort, das ›Schattengerüst‹ ersetzen kann. Zur weiteren Geschichte der Fernsehproduktion: Im September 1974 drehten wir im alten Familienhaus von Salses, nördlich von Perpignan, das große Interview. Wie von Simon gewünscht, von beiden Seiten minutiös vorbereitet. Die in die Sendung eingeschnittenen Teile werden Sie nachher hören und sehen. Das Originalinterview war wie üblich um einiges länger. Ich finde es heute schade, dass es nicht in seiner Gesamtlänge gedruckt vorliegt, da in ihm grundlegende Fragen auf hohem Niveau beantwortet werden.9 Nach der Aufnahme des Interviews, man kann auch sagen, der aus ihm entstandenen poetologischen Gesprächsteile, beschäftigte uns die Vorbereitung der Produktion von Sackgasse. Für das Budget eines Kulturprogramms und eine Länge von kaum über zehn Minuten errechnete sie sich als teuer. Umfängliche Reisen mussten kalkuliert werden, Schauspieler engagiert, Bühnenbilder gebaut usw. Darum fragte ich einen Kollegen des WDR, ob er sich mit etwa 20 % an den Gesamtkosten der Sendung beteiligen könne. Solche Kooperationen gab es zwischen den dritten Programmen relativ oft. Sie stärkten, gerade in programm­ lichen Grenzfällen, die nicht jedem Mittelverwalter sofort einleuchten mussten, den Status der Produktion in der federführenden Anstalt. Der Westdeutsche Rundfunk war zur Kofinanzierung bereit. Eine Mitwirkung der Redaktion bei der Gestaltung gab es nicht. 9

In der Folge dieser Bemerkung wurde das verschollene Transkript des Interviews wiedergefunden. Es ist in deutscher Übersetzung auf den Seiten 90–104 dieses Jahrbuchs erstmalig veröffentlicht.

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Im Verlauf des Winters 1974/75 präzisierte Claude Simon die Angaben seines ersten Szenarios bis ins Detail. Ein kontinuierliches Gespräch fand statt, teilweise brieflich (von E-Mail waren wir ja noch weit entfernt), teilweise bei kurzen Treffen in Paris. Es wurden Fragen der Szene aufgeworfen, Anschlussgestaltungen zum Beispiel, die für das Funktionieren der Sackgassen-Dramaturgie eine große Bedeutung hatten. Das gleiche galt für die ausgewählten Musiksequenzen und die Geräusche. Claude Simon legte Wert darauf, die Szenen mit den Jungen am Bach in dem Juradorf Les Planches bei Arbois zu drehen. Dort hatte er im gleichen Alter bei der Familie seines 1914 gefallenen Vaters regelmäßig die Schulferien verbracht. Der Jura war seine zweite Welt. Alles Übrige wurde in und bei Saarbrücken gedreht, teilweise außen, teilweise in einem Studio des SR. Claude Simon war engagiert und durchgängig beteiligt. Seine Hinweise an den Kameramann und Korealisator Georg Bense und an die Akteure ergingen liebenswürdig und unausweichlich. Sein Engagement wirkte befeuernd auf alle. Die Arbeitsatmosphäre war sehr gut. Gelegentlich gab es Differenzen über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit der technischen Ausführung von Einzeleinstellungen. Kompromisse waren nicht immer zu vermeiden. Sie betrafen in erster Linie die Ausführung des Puzzles. Dazu muss man in Betracht ziehen, dass die damals vom Fernsehen eingesetzte 16mm-Umkehrfilmtechnik an die Qualität der heute gängigen Produktionsverfahren (Negativfilm oder/und digitale Elektronik) bei weitem nicht heranreichte. Auf Umkehrfilm waren der Optimierung der Aufnahmen technische Grenzen gesetzt. Claude Simon, der sich von der Gestaltung jeder Einzelheit eine genaue und begründete Vorstellung gemacht hatte, fiel es hin und wieder schwer, das zu akzeptieren. So war er enttäuscht – er gebrauchte zu meinem Schrecken das Wort »catastrophé«  – als er, fern von unserem Beistand, eine Kopie des noch nicht endgefertigten Films auf einer Videokassette besichtigt hatte. Eine Reaktion, die bei mit der technischen Filmarbeit wenig vertrauten ›Frühbesichtigern‹ immer wieder zu beobachten ist. Man sollte sie nicht allein lassen. Claude Simon bemängelte Tonüberlappungen  – sie wurden, soweit ich erinnere, korrigiert –, Schwächen der Farbe, die man nicht leugnen konnte, eine längere Reihe von eher leichtgewichtigen szenischen Fehlern, deren Entstehen durch seine Anwesenheit bei der Aufnahme wie auch am Schneidetisch nicht vermieden worden war. Eindeutig unbefriedigend war die Ausführung des Puzzles. Für einen so komplizierten Trick war das kleine Filmteam damals technisch nicht ausreichend gerüstet. Es gab Briefwechsel von einer gewissen Aufgeregtheit, aber es gab nie den Verlust des über zwei intensive Jahre der Zusammenarbeit erworbenen freundschaftlichen Umgangs und Vertrauens. Pierre Emmanuel, Mitglied der Académie Française und damals Präsident des INA, dem Simon früher von dem Filmprojekt erzählt hatte, dürfe das Ergebnis auf keinen Fall zu sehen bekommen, meinte



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Simon an einem schwarzen Tag im September 1975. Wenige Wochen später sah er den Film wieder in freundlicherem Licht. Er führte Pierre Emmanuel eine Kassette vor. Der war so angetan, dass er Simon mit dem Film zu einem Colloquium einlud, das unter der Leitung von Emmanuel selbst und Walter Höllerer im Februar 1976 in Berlin stattfand. Thema ›Literatur und Medien‹. Vorgeführt wurde die ganze Sendung Triptychon mit Claude Simon. Aus dem hochrangig besetzten Kreis (von Michel Tournier bis Nicolas Born) gab es eine Reihe aufgeschlossener und konstruktiver Kommentare. Claude Simon war so etwas wie der Protagonist einer neuen schöpferischen Teilhabe des Schriftstellers am Medium Fernsehen. »Ausgerechnet Claude Simon«, hat da bestimmt der eine oder andere gedacht. Für manche seiner Kollegen existierten zu diesem Zeitpunkt noch viele Barrieren. Stichworte: Vorzensur, Unterdrückung innovativer Ansätze etc. Da sahen Simon und ich eigentlich ganz gut aus in unserer Sackgasse. Ich verstünde gut, so hatte ich schon im Herbst 75 an Simon geschrieben, wenn der Autor Claude Simon mit der Veröffentlichung dieser ersten filmischen Etüde, die aus technischen Gründen hinter der Perfektion seiner Texte zurückbleibe, ein Problem habe. Wir sollten dem Kurzfilm innerhalb der Sendung »Trip­ tychon mit Claude Simon« daher seinem Wunsch gemäß den Titel »Die Sackgasse  – Nach einem Drehbuch von Claude Simon« geben. Dabei blieb es. Die Relativierung sollte wahrgenommen werden. Mit vollem Recht war Claude Simon dem Resultat gegenüber anspruchsvoller, als wir es sein konnten. Seine abschließende Stellungnahme ist positiv. Die Äußerung findet sich in einem Brief vom 16. Juni 1998 an den schweizerischen Literaturwissenschaftler Jean Kaempfer. In dem Buch von Mireille Calle-Gruber ist er nachzulesen und liegt in Kopie auch bei den Unterlagen im Marbacher Archiv. Nach der Verleihung des Nobelpreises 1985 hatte für Claude Simon eine Epoche unausweichlicher öffentlicher Aufmerksamkeit und Anerkennung eingesetzt, nicht zuletzt infolge deutlich gesteigerter verlegerischer und publizistischer Bemühungen. Zu den letzteren gehörte eine Claude Simon gewidmete Ausgabe der schweizerischen Zeitschrift DU vom Januar 1999, in der ein kleines Foto des Sackgasse-Autors bei der Produktion im Saarbrücker Studio abgedruckt war. Dies war ein Weckruf. Vor allem in Frankreich. Simon macht Film? waren viele überrascht. Anfragen nach Triptychon mit Claude Simon kamen von französischen und deutschen Universitäten (nur nicht von französischen Sendern übrigens), Colloquien wurden anberaumt, Forschungsprojekte aufgelegt, schließlich sogar, als Claude Simon schon gestorben war, eine große Ausstellung im Centre Pompidou eröffnet. Frankreich nahm sich nun eines seiner großen Schriftsteller des Jahrhunderts an. So etwas können die Franzosen gut. Auf unserer Seite war Triptychon mit Claude Simon, je genauer man es ansieht desto deutlicher, deutsches Bildungsfernsehen der 70er Jahre. Mit allen bildungs-

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politischen Implikationen jener Zeit, auf die ich an dieser Stelle nicht eingehen kann. Dazu gab es in Frankreich keine Entsprechung. Weder Programm noch Kanal. Triptychon mit Claude Simon ist ein Lehrstück über Literatur, wie der Schriftsteller Claude Simon sie geschaffen hat. Die Sendung als Ganzes. Die Sackgasse ist ein Teil davon. Ich finde, dass das Lehrstück gut funktioniert. Gerade weil es die Möglichkeiten und die Grenzen des Experiments deutlich macht. Wir hätten, als alles verraucht war, versuchen sollen, mit Claude Simon zusammen das Ergebnis zu analysieren. Sein leidenschaftlicher Versuch eines Übergangs zum Medium Film blieb ohne Folge für ihn, obwohl er ihn auch an anderer Stelle vorgetragen hat. Was dachte er sich dabei? Durch annähernd dreißig nachfolgende Jahre entstanden dann aus seiner Hand und seinem Kopf große, unverzichtbare literarische Texte. Ich gebe zu, wenn Sie mir die persönliche Bemerkung durchgehen lassen, dass ich keinen von ihnen missen oder austauschen möchte. *

claude simon / peter brugger Interview Salses, September 197410 Brugger: Claude Simon, Sie erinnern sich an den Satz von Merleau-Ponty, der von zwei Simons sprach, von einem, der schreibt, und von einem anderen, der seine Meinungen hat und Urteile abgibt? Um welchen Simon, glauben Sie, wird es in unserem Film gehen? Simon: Da Sie Merleau-Ponty ansprechen, möchte ich Ihnen von einer Begegnung mit ihm erzählen, die sehr aufschlussreich war. Er hatte eine Vorlesung im Collège de France gehalten über Die Straße in Flandern und Das Gras und von Begriffen der Zeit und des Raumes gesprochen, die manchmal über meinen Hori-

10 Übersetzung Gerda Scheffel 1974, Redaktion Peter Brugger 2017. Das Interview entstand im Rahmen von Fernsehaufnahmen des Saarländischen Rundfunks, die 1974 für die Produktion Triptychon mit Claude Simon (Erstsendung Januar 1976 in Südwest 3) durchgeführt wurden. Teile des Interviews sind in die Fernsehsendung eingeschnitten. Die vorliegende deutsche Übersetzung basiert auf dem französischen Transkript der integralen Tonaufnahme. Sie ist nach dem Wiederauffinden des Transkripts 2017 gegenüber dem französischen Original von Dubletten befreit und an wenigen Stellen vorsichtig syntaktisch geglättet worden. Die Tonbänder müssen als verschollen gelten.



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zont gingen. Schließlich ist er Philosophieprofessor am Collège de France und ich habe nicht mal in der Schule Philosophie gehabt. Beim Hinausgehen sagte er: »Na, wie fanden Sie es?«. Ich antwortete: »Dieser Claude Simon, über den Sie gesprochen haben, muss ein verdammt intelligenter Mensch sein.« Und er: »Ja, aber dieser Claude Simon sind nicht Sie; der sind Sie, während Sie arbeiten, das heißt der Mensch, den wir durch die Arbeit hervorbringen«. Das ist, glaube ich, das Wichtigste. Wir können, wenn Sie wollen, im Verlauf des Gesprächs darauf zurückkommen, auf diese Arbeit. Man hat sich ja bemüht, sie auszulöschen wie etwas, dessen man sich schämen muss. Sie sollte jedoch gegenüber der Inspiration wieder nach vorne gerückt werden. Worüber wollen wir sprechen? Doch über den Schriftsteller Claude Simon, nicht wahr? Es gibt eine beklagenswerte Tradition, jedenfalls in der französischen Universität, vielleicht auch im Ausland, nämlich das Werk durch den Menschen zu erklären: Racines Werk wird durch Racines Leben erklärt. Das macht aber überhaupt keinen Sinn. Es führt zu einem Plunder von historischer Überlieferung. Man kümmert sich um alles Mögliche nur nicht um Literatur. Sehen Sie die großen Bucherfolge, der von Painter über Proust etwa, in dem erzählt wird, dass Proust seinen Tee am 15. Mai 1892 bei der Baronin Greffulhes getrunken hat, und aus dem wir erfahren, dass Albertine ein Mann war, der Chauffeur von Proust. Vom Gesichtspunkt der Literatur aus gesehen, von Prousts Werk her, ist das von keinerlei Interesse. Die interessante Gestalt ist Marcel, der Erzähler der Suche nach der verlorenen Zeit. Albertine ist als Frau dargestellt, also ist sie eine Frau, nicht wahr, und das einzig Wichtige, wie Proust gesagt hat, das einzig Wichtige für den Schriftsteller, infolgedessen auch für die Literaturkritik, die einzige Realität ist, was er schreibend daraus gemacht hat. Darum finde ich, dass man mit dieser akademischen Tradition Schluss machen sollte. Sie ist ja bereits ins Wanken geraten. Wenn man über einen Text spricht, soll man ihn durch den Text erklären, durch sein Funktionieren. Man soll sehen, wie er fabriziert ist, um eine ironische Formulierung der traditionellen Literaturkritik zu benutzen. Ein Text wird hergestellt, wie man einen Gegenstand herstellt, auf sehr mühsame, sehr beschwerliche Art. Darüber wäre es interessant, miteinander zu sprechen. Brugger: Bei der Lektüre Ihrer Romane begegnet man einer ungewöhnlichen Dichte in der Wiedergabe von inhaltlichen Details. Erzählerische Motive, die man in der zweiten Reihe platziert hätte, werden zu zentralen Elementen des Texts. Wie erklären Sie das? Simon: Das ist eine sehr interessante Frage. Sie gehört, das soll keineswegs ein Vorwurf sein, ein bisschen zu dem Tadel, dem die traditionelle Kritik alle Neuerer aussetzt und über den Jakobson, der russische Formalist, der jetzt in Harvard

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ist, 1923 in einem Aufsatz geschrieben hat: Der ewige Vorwurf der traditionellen Kritik gegenüber den Neuerern unter den Romanciers, beklagte Jakobson schon damals, sei, dass sie sich an das Unwesentliche halten. Und ich glaube, er gab als Beispiel die Vorwürfe an, die man Tolstoi gemacht hatte, weil er Anna Kareninas Handtasche beschrieb, »völlig uninteressant« und so weiter. Das ist ein Gesichtspunkt, der sehr verbreitet ist in der Kritik und in der Art, wie das Publikum Romane aufnimmt oder aufnahm. Zu einem gewissen Zeitpunkt haben sich zwei so verschiedene Schriftsteller wie Henri de Montherlant und André Breton dazu geäußert. Montherlant: »wenn ich in einem Buch zu einer Beschreibung komme, überspringe ich sie einfach«; Breton, es war wohl im Ersten Surrealistischen Manifest: »Ich verstehe absolut nicht, was die Beschreibung von Raskolnikoffs Zimmer für ein Interesse hat«. Das ist besonders interessant, weil Sie Deutscher sind und mir diese Frage stellen. Ich bin ein großer Bewunderer der deutschen Malerei der Renaissance. Da teile ich Bretons Ansicht: Italien hat uns seit zweitausend Jahren ein bisschen zu viel beschäftigt. Für jeden Franzosen bedeutet Malerei Italien, man ­ eutsche macht die Hochzeitsreise dorthin, italienische Museen … Für mich ist die d Malerei der Renaissance faszinierend. Ich bin weder Philosoph noch Soziologe und unfähig eine gültige Erklärung dafür zu geben, aber bei Cranach und Dürer kann man doch sehen, dass mit der Reformation, mit dem Kampf gegen den christlichen Humanismus, der den Menschen zum Mittelpunkt der Welt gemacht hatte, die deutschen Maler sich zu einer älteren Sicht der Welt zurückwenden. In der Antike war es ja anders gewesen, da war der Mensch Teil des Kosmos. In der Schlacht bei Pharsalos zitiere ich Elie Faure, einen großen französischen Kunstkritiker, der aus der humanistischen Tradition kommt, den Rang der deutschen Maler jedoch nicht verkennt: »Trotzdem ist es merkwürdig«, schreibt er, »sie verwenden eine leidenschaftliche Aufmerksamkeit auf die Zeichnung eines Blattes, eines Kieselsteins, die gleiche leidenschaftliche Aufmerksamkeit wie auf die Zeichnung eines Gesichts oder die Darstellung einer allegorischen Figur des Glaubens, der Hoffnung oder der Liebe«. Das ist bemerkenswert. Es war ein Ansatz der Maler aus Deutschland, der später wieder verschwunden ist. Die gesamte italienische Malerei, schließlich überhaupt alle Malerei, konzentrierte die Aufmerksamkeit auf die Person, auf den Menschen. Denken Sie an Rem­ brandt. Der Hintergrund verschwand zugunsten einer Hauptfigur, während man bei der deutschen Malerei der Renaissance die Aufmerksamkeit auf die ganze Fläche der Leinwand ausgedehnt findet. Das kommt erst sehr viel später bei Cézanne wieder, bei dem der Mensch, die Person, wenn es eine gibt, nur eines der Bildelemente ist, mit dem gleichen Wert wie der Tisch, der Apfel, das Blatt, der Fels, die Wolke. Ein anderer russischer Kritiker, Tynjanov, er gehört ebenfalls zu den Formalisten, hat zur gleichen Zeit, gegen 1923, eine prophetische literarische Studie



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gemacht. Er sagte: »Wir erleben, oder es ist möglich, dass wir erleben werden, das Ende der Periode der großen literarischen Form des Romans. Das Ende von Formen, die jetzt verbraucht sind und tot«. Und wie man früher Beschreibungen in einem Roman als aufgepfropft empfand und den Ablauf der Handlung störend,  – Breton sagte, »das interessiert mich nicht«  –, so verkündet Tynjanov, »wir werden wahrscheinlich eine neue Epoche kommen sehen, in der die Beschreibung der eigentliche Gegenstand des Romans ist, sein Inhalt. Die Fabel wird nur noch Vorwand für eine Reihe von Beschreibungen sein«. Wie in der Malerei, wenn wir die mittelalterliche religiöse Malerei mal beiseite lassen. Seit der Renaissance waren die Themen der Maler immer mehr nur Vorwände. Wir wissen doch ganz genau, dass die Hochzeit von Kana von Veronese sich nicht so abgespielt hat, und dass der Einzug der Kreuzfahrer in Konstantinopel von Delacroix sich auch nicht so abgespielt hat. Das waren Vorwände für eine Reihe von Zusammenklängen, von Blaus, von Harmonien, Symphonien der Malerei. Tynjanov hat vorausgesehen, dass sich die gleiche Entwicklung in der Literatur vollziehen werde. Das ist wichtig. Brugger: Wenn man Ihr gesamtes Werk seit dem frühen Roman Das Gras liest, stößt man immer wieder auf große archetypische menschliche Erfahrungen: Liebe, Tod, Kampf, Eifersucht und so weiter. Auch Ihre beiden jüngsten Bücher Die Leitkörper und Triptychon leben aus diesen Themen. Die Gestaltung erscheint jedoch weniger pathetisch. In Triptychon gibt es geradezu idyllische Momente. Kann das damit zu tun haben, dass der reife Schriftsteller Claude Simon abgeklärter, heiterer geworden ist als es der jüngere war? Simon: Nein, ich glaube nicht, dass man durch das Älterwerden abgeklärter wird. Vielleicht wird man schamhafter und man sucht, sich zu läutern, seine Sätze reiner zu formen, weniger lyrisch zu sein. Übrigens sind meine Sätze kürzer geworden. Ich hatte einen Stil mit sehr langen Sätzen, mit vielen Einschüben, einen ziemlich barocken Stil, ziemlich verästelt. Aber die Themen, Sie sprechen als Beispiel von Triptychon, die Themen Tod, Liebe, ein Wort, das ich nicht besonders mag, Erotik, wenn Sie wollen, sind ständig da. Ich will nicht behaupten, dass ich Themen darstelle, oder dass ich mir beim Schreiben anmaße, eine Meinung über bestimmte Themen wie den Tod, die Liebe oder anderes zu verkünden. Abgesehen davon, dass ich keine habe, aber die Themen kommen ganz unvermeidlich. In Die Leitkörper gibt es das Thema des Umherirrenden. Der kranke Mann, der sich mühsam durch eine New Yorker Straße schleppt, der Trupp von erschöpften Soldaten, die sich durch den Dschungel schleppen, das sind ziemlich pathetische Themen, ›tragische‹ Themen, wenn Sie so wollen. ›Tragisch‹ ist ein Wort, das ich in Anführungszeichen setze und mit aller Zurückhaltung gebrauche, aber all diese

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Themen finden sich auch in meinen letzten Werken. In dem Teil von Triptychon, den Sie vielleicht idyllisch nennen, der auf dem Land spielt, ist der Tod ständig durch die halbblinde Frau gegenwärtig. Jemand hat kürzlich bei einem Kolloquium über mich sogar eine ganze Abhandlung über das Thema der alten Frau mit der Sense vorgetragen. Man fragte mich, hören Sie mal, das ist doch der Tod? (im Französischen ist der Tod weiblich. Anm. P.B.). Ich antwortete: natürlich ist die Alte nicht gerade komisch, aber an sich habe ich gar nicht an das Symbol der Sense gedacht. Sie ist eine alte Tante von mir, halb blind, die in dem Dorf wohnte und immer mit einer Sense spazieren ging, um Gras für die Hasen zu holen. Sie sehen, wie man beim Arbeiten an der Sprache dazu kommt, gewisse Grundthemen, ich möchte nicht sagen herauszukristallisieren, sie kristallisieren sich von allein heraus. An der Stelle eines in gewissem Sinn lyrischen Stils bemühe ich mich um Straffheit. An die Stelle einer Aussage tritt eine Anregung. Das ist der Unterschied, den ich sehe. Ich möchte hinzufügen, dass das Wort ›Thema‹ in meinen Romanen so verstanden werden muss, wie die Musiker oder Maler es verstehen. Das heißt als einen Vorwand im Sinne von Thema mit Variationen. Ob das nun Beethoven ist oder Picasso, der über das Thema ›Pfeife und Tabakpäckchen‹ eine Anzahl von Variationen gemacht hat. Brugger: Sie sagten eben, Sie zögen den Ausdruck Erotik dem Wort Liebe vor … Simon: Nein, nein. Das habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt, dass ich Liebe in Anführungszeichen verwende, weil man so viel davon geredet hat. Man hat mir in Bezug auf mein Werk viele Fragen über Erotik gestellt. Das ist aber ein Wort, das mich ein bisschen stört. Denn wie Sie wissen, wird Erotik der Pornographie gegenübergestellt. Erotik ist die vornehme Art für empfindsame Leute von Liebe zu reden. Pornographie ist gewöhnlich den Leuten der unteren Klassen vorbehalten. In Wirklichkeit mache ich keinerlei Unterschied. Sie sehen aber, wir kommen immer wieder auf die erwähnte Hauptfrage zurück. Ich sage noch einmal: ich bin nicht sicher, habe keine Antwort. Nur Fragen über Fragen, die ich mir stelle. Also frage ich, ob die Erotik, die ja die Konzentration auf den Menschen beinhaltet, nicht letztlich wieder auf die Geschichte mit dem Humanismus zurückführt. Man hat zu mir gesagt, Sie sprechen vom Koitus, Sie reden von der Liebe in deutlichen Worten. Ich antwortete: Ich spreche von ihr nicht in deutlicheren Worten als von einer Forelle, einem Blatt oder einer Wolke. Wie die deutschen Maler der Renaissance spreche ich in den gleichen Formen über das eine und das andere.



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Brugger: Wenn wir uns der Praxis Ihres Schreibens zuwenden, der von Ihnen gerne betonten handwerklichen Seite, müssten Sie vielleicht erklären, wie es dazu kommen konnte, dass Sie ›bricolage‹, Bastelei, als ein Schlüsselwort Ihrer schriftstellerischen Arbeit nicht nur zugelassen, sondern geradezu gesucht haben. Simon: Ja, ich habe das Wort ›bricolage‹, Bastelarbeit, das ich sehr zutreffend finde, oft in Zusammenhängen mit meiner Arbeit verwendet. Übrigens habe nicht ich es gefunden, sondern ich habe es von Lévi-Strauss übernommen. Zu allererst ist es wohl in den Arbeiten des Prager Kreises benutzt worden, dessen führender Kopf in den 20er Jahren Roman Jakobson war. Ich finde das Wort so gut, weil es eine sehr handwerkliche Auffassung von der Arbeit des Schriftstellers der ewigen Vorstellung vom Genie, vom Inspirierten gegenüberstellt. Der Schriftsteller ist im Grunde, jedenfalls was mich betrifft, jemand, der einen Gegenstand herstellt, der ihn mühsam herstellt. ›Bricolage‹ bedeutet im Französischen, jemand stellt einen Gegenstand her, indem er das nimmt, was er in seiner Nähe zur Hand hat und versucht, es zusammenzufügen. Genau das ist, was ich mache. Die Teile bieten sich an, wir werden noch darüber sprechen, herbeigeführt von den Wörtern. Man nennt das die Konnotationen der Wörter. Aus diesen Teilen bemühe ich mich, eine Komposition zu machen, ein Ganzes, das in sich zusammenhält, einen geschriebenen Gegenstand, so wie es gemalte Gegenstände, visuelle Gegenstände gibt. Meine Collagen hier an der Wand können es illustrieren. Das mag etwas hergeholt aussehen. Es entspricht aber genau dem Vorgehen am Text. Ich vergnüge mich mit dem Anfertigen von Collagen, wenn ich Zeit habe. Ich vereinige Ausschnitte aus Zeitungen und Kunstzeitschriften in einem Ganzen. Das ist inter­ essant. Die ausgeschnittenen Teile treten in dem zusammengesetzten Ganzen stärker aktiv als Benenner in Erscheinung als in ihrer passiven Benanntheit. Kraft ihrer aktiven Funktion entsteht oft ein Sinn, es entstehen Bedeutungen, die nicht vorhergesehen waren. Darüber hinaus entsprechen die Collagen genau der Definition des literarischen Fakts, wie sie Tynjanov gegeben hat, als er sagte: »Schrei­ ben, der literarische Fakt, ist das Überführen eines Gegenstands aus seinem gewöhnlichen Wahrnehmungsbereich in den Bereich einer anderen Wahrnehmung«. Bei meinen Collagen geschieht genau dies (Claude Simon zeigt auf einige Beispiele an der Wand. P.B.). Hier ist ein Motiv: zwei Frauen aus einem Bild von Picasso, die dort herausgetreten und dadurch aus ihrem Wahrnehmungsbereich ›Picasso-Bild‹ gelöst sind und auf ein Foto mit Blattwerk übertragen werden. Es gibt viele Beispiele. Meine Bücher sind auf die gleiche Art komponiert. Nehmen wir das Rauschenberg-Bild, es hängt in Amsterdam. Was sind die Eigenschaften dieser Figur? Und welches sind die anderen Wörter und Bilder, die aufgrund der Eigenschaften dieser Figur aufgerufen oder mit einem Ausdruck,

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den ich gerne verwende, herbeibeordert werden. Ich mache mich auf die Suche, zwinge mich, mich nicht zu verzetteln und immer wieder diese Figur zu befragen. Wenn sie lokalisiert ist, etwa beim Kirchturm von Martinville, dann werde ich mich fragen, welches die Botschaften sind, die mir diese Gegenstände, dieses Dreieck oder diese Spitze, vermitteln. Der moderne Roman ist die Geschichte einer solchen Suche, die Geschichte eines Mannes, der spazieren geht oder eine Frau liebt, der sie verlässt, der eifersüchtig ist. Immer ist es die Geschichte des Vordringens des Schriftstellers in die Reihe von Entdeckungen, von Wahlmöglichkeiten, die ihm die Wörter anbieten. Sie wissen, dass Lacan gesagt hat, ein Wort sei nicht nur ein Zeichen, sondern ein Knoten von Bedeutungen. Das heißt, jedes Mal ist ein Wort für mich eine Art Wegkreuzung. Es entstehen Wahlmöglichkeiten. Man geht in die eine Richtung, man geht in die andere. Die Sprache schlägt Bilder vor, die Arbeit des Schriftstellers bringt sie zusammen. Vor kurzem sprach mich ein prominenter Politiker an (es war Georges Pompidou, P.B.), der auch ein berühmter Sammler ist. »Ich lese zwar Ihre Bücher«, sagte er, »aber sie sind sehr schwer zu lesen«. Ich antwortete: »Aber hören Sie, lieber Herr, wieso schwer zu lesen?« Er: »Nun ja, ich verstehe nicht alles«. Da habe ich zu ihm gesagt: »Natürlich, wenn Sie versuchen, nach der Lektüre meiner Romane einen Roman von Balzac zu rekonstruieren oder einen Roman von Flaubert, dann allerdings sind meine Bücher nicht schwer zu lesen, dann sind sie überhaupt nicht zu lesen. Sie sind doch Sammler von moderner Malerei. An Ihren Wänden sehe ich Bilder von Klee, Mirò, Mondrian. Haben Sie jemals versucht, nach einem Klee oder einem Mirò einen Rembrandt, einen Delacroix oder einen Veronese zu rekonstruieren?« Was er verneint hat. Da habe ich zu ihm gesagt: »Für die moderne Literatur gilt genau das gleiche. Man muss sie als das nehmen, was sie anbietet. Genau wie Sie die Malerei für das nehmen, was sie Ihnen zu sehen gibt. Die moderne Literatur nimmt sich wörtlich nur für das, was sie zu lesen gibt und in der Reihenfolge, in der sie es zu lesen gibt. Das heißt, dass die erzählten Ereignisse Ereignisse sind. Die Abfolge, die Art, in der sie einander wechselseitig bestimmen, hat keine psychologischen Gründe, sondern Gründe der Kompositionsgesetze, der Bauart, der Sprache des Werksganzen«. Brugger: Bei der Analyse Ihrer Textarbeit beziehen Sie sich immer wieder auf die Theorien der russischen Formalisten aus den 1920er Jahren. Auf die Maxime von der anderen Wahrnehmung. Können Sie an einem Beispiel verdeutlichen, wie sich bei Ihrer Arbeit aus dem formalistischen Literaturverständnis heraus konkret ein Text ergibt. Simon: Ich habe gestern anlässlich meiner Collagen und meiner Arbeit von der Definition gesprochen, die Sklovskij (sic) vom literarischen Text gibt. Ich wieder-



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hole die Definition: das Überführen des Gegenstandes aus seinem gewöhnlichen Wahrnehmungsbereich in den Bereich einer anderen Wahrnehmung. Wir können dabei noch etwas bleiben und zeigen, wie das vor sich geht. Nebenbei möchte ich sagen, dass diese Definition des literarischen Textes mir ganz allgemein für jeden künstlerischen Fakt zu gelten scheint. Als Marcel Duchamps seine Ready Mades machte zum Beispiel. Er nahm einen Flaschentrockner, dessen gewöhnlicher Kontext ein Keller ist, und stellte ihn auf den Fußboden eines Museums. Damit hat er das Überführen eines Gegenstands aus seinem Wahrnehmungsbereich in den Bereich einer anderen Wahrnehmung vollzogen. Das ist dann nach ihm sehr häufig gemacht worden. Viele moderne Maler oder Bildhauer machen das. Um auf die Literatur zurückzukommen, auf den literarischen Fakt, möchte ich gerne zeigen, wie sich dieses Phänomen vollzieht, sobald man zu schreiben beginnt. Ein Beispiel: Ich sitze an meinem Arbeitstisch. Ich habe mir gerade eine Zigarette aus einem Päckchen Gauloises genommen. Ich will dieses GauloisesPäckchen beschreiben. Ich will also auf ganz einfache Weise, ganz objektiv, sagen, dass es rechteckig ist, dass es blau ist, dass darauf das Wort ›Gauloises‹ steht, dass man einen geflügelten Helm darauf sieht. Der Kontext zur Wahrnehmung dieses Gegenstandes in der Welt ist alles, was auf meinem Tisch ist: Bleistifte, eine Lupe, Leimtöpfe, ein Briefbeschwerer mit ein bisschen Post, ein Aschenbecher und ein kleines Marmorstück und so weiter. Das also ist der Kontext, in dem sich dieser Gegenstand befindet: Gauloises-Päckchen in der wahrgenommenen Welt. Jetzt beginne ich zu schreiben. Ich beginne zu schreiben, dass es rechteckig ist. Unverzüglich lässt das Wort rechteckig in meinem Kopf und in dem des Lesers, ob er will oder nicht, alles auftauchen, was man eine ganze Welt von Konnotationen nennt. Für rechteckig die Geometrie, die Vorstellungen anderer geometrischer Formen, Dreiecke, Kreise, Quadrate und so weiter. Ich will sagen, dass es blau ist, ich habe gesagt, dass es blau ist, unverzüglich das Meer, eine Blume, ein Kleid und so weiter. Wenn ich ›Gauloises‹ sage, denkt man sofort Gallier, Vercingetorix, Druiden, Menhire, Mistel, römische Eroberung. Gut. Ich sage, dass darauf ein Helm ist. Wenn ich das Wort ›Helm‹ ausspreche, wenn ich es schreibe oder mein Leser es liest, springen ihm sofort die Vorstellungen von Metall, Bronze, Erz, von Schlacht, Geräusch von aneinander schlagendem Stahl, Degen, all das entgegen. Und wenn ich sage, dass dieser Helm Flügel hat, sofort die Vorstellungen von Feder, Vögeln, Vogelgesang, Flug, all das. Und da haben Sie ein Zigarettenpäckchen, einen ganz prosaischen Gegenstand, in einer ganz und gar nicht literarischen Form beschrieben. Er sieht sich sofort in einen ganz anderen Kontext übertragen als den der sogenannten realen Welt. Ich glaube, das illustriert ganz gut Sklovskijs Worte.

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Brugger: In Deutschland kann man in jüngerer Zeit immer wieder Schriftsteller darüber klagen hören, dass sie mit der Sprache Probleme haben. Sie berichten in unterschiedlicher Hinsicht von einem Verlust des Vertrauens in die Sprache. Täusche ich mich mit dem Eindruck, dass Ihr Verhältnis zur Sprache umgekehrt ist? Sie verwenden sie, ich möchte sagen, wie ein humanistisches Erbe. Sie lassen ihren Reichtum auf sich zukommen, schöpfen aus ihm und bauen mit ihm. Simon: Humanistisches Erbe, da widerspreche ich Ihnen sofort. Denn das ist ja eine Art, die Welt zu verstehen, die mit dem Christentum aufgetaucht ist. Wir haben schon darüber gesprochen. Nein, ich bin nicht Ihrer Meinung, wenn Sie sagen, ich verwendete (auch so eine Sache) die Sprache auf humanistische Weise. Ich glaube, alle diese Ausdrücke erfordern, dass man sie präzisiert. Sie sprechen von deutschen Schriftstellern, die sich beklagen, dass die Sprache ihnen nicht erlaubt, sich auszudrücken. Es ist merkwürdig, ich nehme an, es sind junge Schriftsteller, da sie ein Vokabular verwenden, das zu einer sehr veralteten Literaturauffassung gehört. Denn vor ungefähr zehn Jahren hat Roland Barthes in einem berühmten Aufsatz deutlich zwischen dem unterschieden, was er die Schreiber (les écrivants) und was er die Schriftsteller (les écrivains) nennt. Die Schreiber sind diejenigen, die die Sprache nur einfach als ein Vehikel betrachten, das ihnen zur Verfügung steht. Eine Sache, die man seinem Denken unterwerfen kann, das es also vor der Sprache gegeben hätte. Der Schreiber wäre ganz bürgerlich und kapitalistisch im Besitz einer Bedeutung und gäbe diese an andere weiter. Die andere Position, die Barthes für die Schriftsteller in Anspruch nimmt, besteht darin, dass die Sprache für sie kein Vehikel ist sondern eine Struktur. Im Unterschied zu den Leuten, die sich die Haare raufen und rufen, ich kann nicht sagen, was ich sagen möchte, im Unterschied zu ihnen schlage ich mich mit der Sprache herum. Ich will diesen Autoren eine kleine Geschichte liefern: Ich fing an, Romane zu schreiben wie alle anderen. Meine Entwicklung ging infolge des Nachdenkens über jedes meiner Bücher sehr langsam voran. Ich dachte also, als ich jung war, einen Roman schreiben, hieße eine Geschichte so gut wie möglich mittels der Sprache erzählen. Dann machte ich eine Entdeckung: Wenn ich fertig war, hatte ich keinen Grund zu klagen, dass ich nicht hätte sagen können, was ich sagen wollte. Vielmehr stellte ich fest, mein Gott, wie ist das, was ich hatte sagen wollen, kümmerlich gewesen verglichen mit dem, was, während ich gearbeitet habe, entstanden ist. Da habe ich mir allmählich Fragen gestellt, nachgedacht und meine Freunde getroffen aus der Gruppe des Nouveau Roman. Jeder war in seiner eigenen Art zu Schlüssen gekommen sehr ähnlich den meinen. Das heißt, dass der Sinn nicht etwas ist, das man besitzt und das der Schriftsteller-Prophet dem gemeinen Volk



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durch das Mittel der Sprache liefert. Wenn man mich fragen würde, warum schrei­ ben Sie, würde ich antworten, weil ich bei dieser Arbeit in und mit der Sprache finde, was ich zu sagen habe. Brugger: Woher kommt für Sie die Autorität, die Sie der Sprache zumessen? Können Sie das Vertrauen begründen, das die Voraussetzung für die Suche ist, von der sie eben sprachen? Simon: Nun ja, ich glaube, dass ganz allgemein der Mensch sich durch seine Sprache definiert. Was wäre die Welt, wenn es nicht den Menschen gäbe, um sie zu sagen? Der Dichter und Philosoph Michel Déguy hat vor ein paar Jahren in einem fast unbemerkt gebliebenen Vortrag den äußerst wichtigen Satz gesagt: »die Sprache spricht vor uns gemäß bestimmter Figuren, … und schreiben heißt wiederbeleben, diese Sprache wieder anregen, die bereits außerhalb von uns spricht«. Wieso sollte man ihr nicht vertrauen, denn die Sprache ist nicht das Produkt des Zufalls, sie hat sich aus jeder einzelnen unserer Sprachen gebildet, sie hat sich sehr langsam gebildet, sie ist die Geschichte selbst des Denkens. Ein Freund von mir, ein Philosoph, ein Heideggerianer übrigens, hat gesagt, man könne das Denken des Menschen an der Entwicklung der Wörter studieren. Ihrer Entstehung, ihrer Etymologie, den Sprachfiguren, den Metaphern, all dem. Ich habe einen Begriff vorgeschlagen, der zunächst überraschend schien und den man jetzt zu begreifen beginnt, den Begriff der Glaubwürdigkeit des Romans in der Modernität, im Unterschied zu der des traditionellen Romans. Im traditionellen Roman, bei Balzac, Stendhal etwa, werden Abenteuer erzählt, die beispielhaft sind. Denn wenn man eine Geschichte erzählt, dann doch, weil sie einen Sinn hat. Julien Sorel, der Ehrgeizige, nimmt ein böses Ende. Madame Bovary, die Ehebrecherin, nimmt ebenfalls ein jämmerliches Ende. Aber wie soll man dieser Geschichte Glaubwürdigkeit zugestehen, wo wir doch ganz genau wissen, dass es keine wahre Geschichte ist. Sie existiert nur auf dem Papier. Sie hängt vom guten Willen, vom Wollen des Schriftstellers ab. Es kann durchaus sein, dass der Held niemals der Heldin begegnet oder im Gegenteil, dass er ihr begegnet und sich mit ihr verkracht. Er kann krank werden, kann sterben. Also gut, was für eine Glaubwürdigkeit kann man all dem zugestehen. Madame Bovary endet ganz jämmerlich, hat einen schrecklichen Tod. Aber das heißt doch nicht, dass ehebrecherische Frauen so sterben. Wie viele Frauen, die ein ganzes Leben lang ausführlichst ihren Mann betrogen haben, sind ganz friedlich und sehr glücklich in ihrem Bett gestorben? Wo liegt das Interesse dieses Buchs von Gustave Flaubert, denn es ist ein Meisterwerk? Hunderte von Schriftstellern haben die reichlich langweilige Geschichte einer Dame erzählt, die ihren Mann betrügt, es war von keinerlei Interesse. Wieso

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ist Madame Bovary genial? Weil Flaubert eindringliche Bezüge in der Sprache hergestellt hat. In der Malerei finden wir die Entsprechung. Ungezählte Maler haben Stilleben gemalt, die völlig uninteressant sind. Die von Cézanne fesseln uns, weil Cézanne Bezüge zwischen den Farben, den Formen, den Linien seiner Stilleben hergestellt hat. Und wie das? Für Cézanne im Inneren der Bildsprache, für Flaubert im Inneren der Wörtersprache. Wenn man diesen Suggestionen folgt, den Vorschlägen, die die Sprache in ihrer tiefen Logik einem unaufhörlich macht, kommt man, daran halte ich fest, zu dem, was ich eine gewisse Glaubwürdigkeit nenne, die der Unglaubwürdigkeit des traditionellen Romans gegenübersteht. Brugger: Die Dimension der Zeit, die Chronologie der Ereignisse orientieren sich im traditionellen Roman an der Chronologie einer Person und ihrer Erfahrungen. In Ihren Romanen ist das anders, die Dimension der Zeit ist in der Sprache begründet. Simon: Ja, das heißt, dass im traditionellen Roman die Komposition im Grunde sich nach der Zeit der Uhren richtet: eine Person wird geboren, lebt, begegnet jemandem, macht Erfahrungen, macht dieses und jenes, und das Ganze endet mit dem, was der berühmte Kritiker Emile Faguet die logische Krönung des Romans genannt hat, das heißt, die Auflösung des Knotens. Man muss sich nur, die Kritik ansehen, die Emile Faguet an Stendhal geübt hat. Er behauptete, dass der in Rot und Schwarz mitten in der Kirche auf Madame de Rênal abgegebene Pistolenschuss nicht in der Logik der Person läge. Ein anderer Kritiker, Henri Martineau, hat später geantwortet, im Gegenteil, er liege völlig in der Logik der Person. Also man diskutiert über ein literarisches Werk, ohne jemals vom Text zu sprechen. Man diskutiert so, wie ein Psychologe reden könnte, aber vom Text ist nie die Rede. Man kann das Referenzillusion nennen oder realistische Illusion: der Roman gibt das Leben wieder, wie es sich abspielt. Aber in Wirklichkeit ist das nicht der Fall. Kein Text kann die Wirklichkeit so wiedergeben, wie sie ist. Man schreibt etwas, was sich in der Gegenwart des Schreibens vollzieht. Man könnte noch einmal an Stendhal erinnern. Als er Henri Brulard schrieb, sagte er, er bemühe sich mit der größtmöglichen Genauigkeit aufzuschreiben, was sich in seinem Leben ereignet hat. Er kommt zum Bericht von der Überquerung des Sankt Bernhard-Passes durch die napoleonische Italienarmee. Während er schreibt, stellt er fest: »Ich werde mir bewusst, dass ich keineswegs dabei bin, wie ich es vorhatte, das Ereignis des Übergangs wahrheitsgetreu zu beschreiben. Ich beschreibe vielmehr einen Stich, den ich inzwischen gesehen habe, der das Ereignis darstellt und den Platz der Realität eingenommen hat«. Also man beschreibt immer etwas, was den Platz der Realität eingenommen hat. Und sogar, hätte Stendhal hinzufügen können, sogar diesen Stich beschreibe ich nicht. Die



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Beschreibung des Alpenübergangs in Henri Brulard belegt eine knappe Seite. Hätte Stendhal es wirklich unternommen, die Realität des Stichs zu beschreiben mit den Bergen, dem Schnee, den Kanonen, den Uniformen, den Soldaten, den Pferden, er hätte viele Seiten gefüllt allein nur mit der Beschreibung des Stichs. Er hat ein Ereignis geschaffen, das noch nicht existierte, bevor er schrieb. Dieses Ereignis ist ein textuelles Ereignis. Also: statt zu sagen, in der Realität bedingten die Ereignisse einander wechselseitig, die stendhalschen Helden seien bedingt wie der pawlowsche Hund, der zu geifern anfängt. Vielleicht stimmt es, vielleicht stimmt es nicht. Nichts, aber auch gar nichts Zwangsläufiges beherrscht die Abfolge dieser Ereignisse, die man uns als logisch sich ergebende darstellt. Im Unterschied dazu bin ich der Meinung, dass die Zeit im Roman, wie ich ihn verstehe, die Zeit ist, in der die Ereignisse aufeinander folgen, und zwar die Textereignisse, und in der sie einander wechselseitig bedingen aus Gründen, die einer gewissen Logik der Sprache gehorchen. Das ist der Unterschied, den ich mache. Brugger: Würden Sie zustimmen, wenn ein kritischer Leser fragte, ob der moderne Autor, der sich der Logik der Sprache anvertraut, wie Sie es gerade postuliert haben, sich damit beim Schreiben auch für das Risiko von eher passiven Entdeckungen offen hält? Simon: Genau dagegen wende ich mich. Diese Arbeit ist ganz und gar nicht passiv. Passiv war, was die Surrealisten écriture automatique (automatische Schreibweise) genannt haben, ein interessanter Versuch. Das ging allein durch Assoziationen vor sich: Ein Wort führte ein Bild herbei, noch eines, noch eines, noch eines. Man machte Klammer über Klammer auf und schließlich hatte man lauter Klammern, die sich niemals schlossen. Der große Unterschied zu einem Roman, wie ich ihn verstehe, ist, dass dieser Roman ein beendeter, ein strukturierter Gegenstand ist, bei dem sich alles wieder schließen muss. Beispiel: Die Straße in Flandern fängt damit an, dass Reixach die Straße entlang reitet, kurz bevor er von dem deutschen Fallschirmjäger getötet wird. Mit der Beschreibung desselben Vorgangs hört der Roman auf. Ein Effekt der Symmetrie, wenn Sie wollen. In der Mitte des Buches wird die Vernichtung der Schwa­ dron beschrieben. An den beiden äußeren Enden das Thema des Todes und in der Mitte das Thema des Todes. Die Schwadron gerät in einen Hinterhalt, der sich mitten auf der Rennbahn von Auteuil befindet, auf der Reixach reitet und verliert. Dies bedeutet seine Vernichtung im Bewusstsein von Corinne. Sie sehen, alles ist hier gebaut. Die Surrealisten hatten nicht die Absicht, eine Struktur zu schaffen. Das lief und lief, kein Stück führte zu einem Ziel. Es verlor sich wie ein Wadi im Sand der

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Wüste. Außerdem arbeiteten sie vor allem mit Assoziationen. Den Kontrast, die Dissonanzen und die Harmonien, wie ich das bei den Collagen erklärt habe, gab es nicht. Ein Element herbeiführen aufgrund der Harmonie mit einem anderen: ein Blau mit einem bestimmten Blau oder einem Grün; oder umgekehrt als Dissonanz: ein Grün und ein Rot. All diese Dinge wurden von den Surrealisten nicht gemacht. Der Autor, der wie ich arbeitet, wird nicht von der Sprache geführt, er ist ihr nicht unterworfen. Die Sprache macht ihm Vorschläge, zwischen denen er wählen wird. Er wird wählen im Hinblick auf mehrere Dinge. Zunächst im Hinblick auf seine Konzeption des Werks, dann natürlich im Hinblick auf Regeln. Danach hat man mich oft gefragt, ich könnte sie selbst nicht näher bestimmen. Er wird wählen mit Rücksicht auf seine Obsessionen, Phantasien und Verdrängungen. Verdrängungen, die ich natürlich in mir habe und die mich zu dem einen oder dem anderen treiben, doch ohne dass ich jemals meinen zentralen Punkt, die zentrale Gestalt, von der ich gesprochen habe, aus den Augen verliere. Die Eigenschaften einer Figur zu erfassen, ist eine Forschungsarbeit. Übrigens zeigt sich der Plan von Die Straße in Flandern auf mehreren verschiedenen Ebenen. Zum Beispiel auf der Ebene der Orte: die Reiter kommen immer wieder an der Stelle vorbei, wo das tote Pferd liegt. Das ist die topographische Ebene. An anderer Stelle stoßen ihre Träumereien, ihre Gedanken immer wieder auf Corinne, die Gefangenen im Lager reden immer wieder von Corinne, und alles dreht sich um sie. Ich würde den Schriftsteller und die Kunst neben­ einander stellen. Der Schriftsteller hat all die Wörter, die ihm etwas vorschlagen, all die Sprachfiguren, Metaphern, die ihm angeboten sind, zur Verfügung. Unter ihnen wählt er nicht beliebig irgendeine aus, sondern die, die ihm am besten zu seinem zugrunde liegenden Projekt zu passen scheint. Brugger: Und mit dieser Aufmerksamkeit, die immer die Organisation und Struktur des Ganzen mitdenkt, verbinden Sie den Begriff der ›Schreibweise Wort-fürWort‹ (écriture mot à mot)? Simon: Ja, ›Schreibweise Wort-für-Wort‹, weil die Macht der Sprache, wenn sie eine hat  – und ich glaube, dass sie eine hat  – nicht darin besteht, die erlebte Erfahrung in einen Text umzuwandeln, sondern im Gegenteil. Das ist, wenn man darüber nachdenkt, eine ganz phantastische Macht, nämlich in Zeit und Raum voneinander sehr entfernte Elemente der Welt zueinander in Beziehung setzen, sie herbeordern zu können. Elemente, die ohne die Sprache vereinzelt blieben. Ein Beispiel aus Die Leitkörper: es gibt da einen tropischen Fluss, der sich durch den Urwald windet, es gibt ein kleines Kind, das auf der Straße einer Großstadt ein Spielzeug an einer Schnur hinter sich herzieht und es gibt eine alte



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Dame in der Halle eines großen Hotels. Drei einander völlig fremde Elemente. Sie werden jedoch einander gegenübergestellt, einander angenähert, im Text in Beziehung zueinander gesetzt. Denn der Fluss, der durch den Urwald fließt, schlängelt sich; das Spielzeug des Kindes kippt um, die Schnur fällt auf die Erde, auch sie schlängelt sich, beschreibt Mäander; die alte Dame lässt ihren Stock fallen, sie trägt eine Boa um den Hals. Die Dame bückt sich, die Boa fällt zu Boden und liegt dort in Schlangenform. Da haben Sie, wenn Sie darüber nachdenken, die phantastische, die phänomenale Macht der Sprache. Brugger: Die strengste Struktur und Organisation solcher Bezüge sind für mich in Triptychon zu erkennen. Können Sie erklären, wie Sie begonnen haben, in diesem Roman, die verschiedenen thematischen Serien in Beziehung zueinander zu bringen? Simon: Ja, ich glaube, da sind ein paar Worte nötig, um das ins richtige Licht zu setzen. Wir kommen wieder auf die realistische Illusion zurück, wonach die Sprache die Realität beschreibt. Und nun beziehe ich mich nicht auf einen Literaten, sondern auf den großen deutschen Physiker Werner Heisenberg. Er stellt fest, dass die moderne Mathematik uns ermöglicht, nicht das Verhalten der Elementarteilchen zu beschreiben, sondern die Kenntnis, die wir von diesem Verhalten haben, was etwas völlig anderes ist. Was für sich eine ganze Welt ist. Man könnte auch Oscar Wilde zitieren: die Natur imitiert die Kunst, was natürlich sehr zugespitzt ist. Aber denken wir doch nur an den Skandal, als die ersten Leute Bilder der Impressionisten sahen. Da sagten sie: ein Baum mit einem rosa Stamm, das gibt es ja gar nicht, und einen Baum mit blauen Blättern gibt es auch nicht. Warum? Weil sie die Welt nicht sahen, wie sie ist. Niemand sieht sie so, wie sie ist. Selbst die Wissenschaftler können sie nicht beschreiben. Sie sahen die Welt durch alle Museumsbilder hindurch. Heute schockieren die Bilder der Impressionisten niemanden, jeder kann die Welt durch ihre Augen sehen. Die Welt, oder genauer das, was wir unsere Kenntnis von der Welt nennen, ist nichts anderes als ein Geflecht von Texten. Das hat uns Barthes gezeigt. Jedes meiner Bücher, ich hatte bereits Gelegenheit, es zu sagen, ist in Wahrheit ein sehr langsames Vorwärtsdringen. Schritt für Schritt. Ich bin kein Genie. Ich meine übrigens, dass es das Genie nicht gibt. Ich arbeite, ich schreibe ein Buch. Beim Schreiben dieses Buches eröffnen sich mir neue Perspektiven. Ich stelle fest, dass ich Fehler gemacht habe. Man braucht lange, um sich von den Schlacken zu befreien, die die Universitätserziehung, die akademische Literatur in uns hinterlassen haben. Jedes meiner Bücher geht aus dem Vorhergehenden hervor. In den Leitkörpern habe ich angefangen zu beobachten, wie  … (die Elemente des Texts P.B.) … einander aufrufen und in Beziehung zueinander treten können. Und

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ich habe, das ist sehr wichtig, die meisten Beziehungen während des Schreibens gefunden, beim Arbeiten, weil das auf der Ebene des Blattes Papier vor sich geht. Ich gebe noch ein Beispiel: zwei Serien in Triptychon, die zunächst keinerlei Beziehung zueinander zu haben scheinen, nähern sich einander, werden einander konfrontiert. Man wird von der einen zur anderen gebracht. Es gibt da einen Hasen, der von mir in präzisen Begriffen beschrieben wird. Ein gehäuteter Hase liegt auf einer Platte auf dem Küchentisch. Zehn, fünfzehn Seiten weiter liegt eine Frau auf einem Bett, die mit genau denselben Worten beschrieben wird wie der gehäutete Hase. Also gut, die Frau liegt auf dem Bett. Aber außerdem, und das spielt auf einer ganz anderen Ebene, sagt man im Französischen von jemand, der leidet, der sehr verletzlich ist, er fühlt, als sei ihm die Haut abgezogen. Gehäuteter Hase, hautlose Frau. Eine Beziehung ist hergestellt. Da Sie mich gebeten haben, ein kleines Filmszenario auszuarbeiten, möchte ich darin unbedingt zeigen, dass wir entgegen der realistischen Illusion nur durch Texte hindurch Kenntnis von der Welt haben. In Triptychon (in dem Roman wie in dem von ihm teilweise abgeleiteten Film P.B.) stellt man immer wieder fest, dass jede Serie und jede Geschichte ein Text ist. Jedes Mal, wenn man denkt, das sei nun die Realität, handelt es sich um einen Text: einen Film, ein Buch, ein Plakat, ein Bild, das von einer Figur aus einer der anderen Serien betrachtet wird. Dadurch verweisen die Serien aufeinander. Im Unterschied zum traditionellen Roman, in dem der Text sich als eine realistische und exakte Darstellung der Welt präsentiert, gibt sich in dem Film die Fiktion, wie ich es erklärt habe, entsprechend ihrer Herstellung durch die Wörter, immer neu als Fiktion zu erkennen. Jedenfalls habe ich das versucht.

AUFSÄTZE

hermann bernauer

»den namen? – nein! den nannt er nicht.« Zu den Verschwiegenheiten von Schillers Don Karlos, besonders in der Version der Hamburger Bühnenfassung 1787

I Dass dem Infanten einst die Königin zur Braut versprochen war, erfährt das Leseoder Theaterpublikum von Schillers Stück recht früh. Und dies in allen Fassungen, mit einer Ausnahme: Die Hamburger Bühnenfassung hält mit der Information zurück. Hier wird unser Verdacht erst mit der Geschichte von den »[z]wei edle[n] Häuser[n] in Mirandola« geweckt, die Marquis Posa, in I.4, der Königin und ihren Damen vorträgt.1 Als die Königin vernimmt, dass der Infant von Posas Erzählung, Fernando,2 seine Braut nicht sprechen, sondern nur, da er an seine Studien in Padua »[ge]fesselt[]« war, im Bild anbeten konnte,3 merkt sie auf. Und 1

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Wir zitieren hier und im Folgenden nach der Nationalausgabe: Schiller, Friedrich, Don Karlos, Erstausgabe 1787, Thalia-Fragment 1785–1787, hg. von Paul Böckmann und Gerhard Kluge, NA 6, Weimar 1973; ders., Don Karlos, Hamburger Bühnenfassung 1787, Rigaer Bühnenfassung 1787, Letzte Ausgabe 1805, hg. von Paul Böckmann und Gerhard Kluge, NA 7.1, Weimar 1974. Zur Geschichte von Mirandola vgl. NA 6, S. 36  f., V. 627–687 bzw. NA 7.1, S. 29– 31, V. 441–497. Zur frühzeitigen Informationsvergabe in der Erstaugabe vgl. NA 6, S. 11, V. 49, wo der Kirchenmann Domingo schon in I.1, im Verlauf eines Gesprächs mit dem Infanten, wie nebenbei bemerkt: »… und ehmals Ihre Braut«. Ähnlich im Thalia-Fragment: »… und ehmals ihre laut erklärte Braut« (NA 6, S.  353, V.  149) und ähnlich auch in den übrigen Fassungen, außer eben in der Hamburger Bühnenfassung, wo die Bemerkung wegfällt. Sie ist innerweltlich ganz unmotiviert und hatte nur dem Zweck gedient, uns zu informieren. Unser Titelzitat entstammt übrigens NA 7, S. 70, V. 1221 (vgl. auch NA 6, S. 92, V. 1744). Als Infant muss der junge Edelmann, von dem Posa erzählt, der Königin erscheinen; denn »Infant« wäre der Titel, der einem »Schwestersohn«, wie Fernando es ist, am spanischen Hof zukäme. Ein möglicher Thronfolger ist Fernando zweifellos; denn sonst hätte die Verlobung mit Mathilden, die ja ursprünglich von den beiden dynastisch denkenden Vätern arrangiert worden war, kein politisches Gewicht. Allerdings spielt Posas Geschichte an einem italienischen Hof, und deshalb kann Fernando den spanischen Titel, von Rechts wegen, doch nicht tragen. Ein Bild wird bekanntlich später eine große Rolle spielen. Nicht Elisabeths Bild allerdings, sondern Karlos’ Porträt, das von der Eboli aus Elisabeths Schatulle entwendet wird. Das Porträt wird dann dem König zugespielt.

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wir mit ihr. Denn wir wissen bereits, dass auch Karlos, der Infant, erst kürzlich von einer »hohen Schule« abgegangen ist. Wir wissen zudem, dass Karlos Elisabeth schmerzlich liebt, und müssen deshalb vermuten, dass er ähnlich bestürzt war, sie als Königin mit seinem Vater vermählt zu finden, wie es Fernando war, als ihm dasselbe mit seiner Mathilde geschah. Genährt wird unser Verdacht jedoch vor allem durch die Reaktion Elisabeths. »Die Geschichte [sei] doch zu Ende […]?« fragt sie, als Posa an den Punkt gelangt, wo Fernando gewahr wird, dass er seine Braut »auf immerdar verloren« hat; und fordert: »Sie muß zu Ende sein.« Die Insistenz verrät, wie stark Elisabeth betroffen ist. Und als ihr Posa bestätigt, dass Fernando sein engster Freund sei, so bestätigt er damit auch unseren Verdacht. Hatten wir doch schon in I.2 von dem Freundschaftsbund zwischen ihm und Karlos gelesen. Elisabeth weiß von der Freundschaft ebenfalls.4 Dass Karlos gemeint war, konnte sie bald ahnen, als Posa von Fernando zu erzählen begann. Wir aber ahnen nun auch, dass sie von sich selber spricht, wenn sie, nach einer Pause, auf die Erzählung zurückkommt und nach Mathilden fragt: »Sie haben uns von Mathilden nichts gesagt. Vielleicht weiß sie es nicht, wieviel Fernando leidet?« Die Frage ist, wenn uns nicht alles täuscht,5 ein Appell an Posa, auch ihre, die Perspektive Elisabeths einzubeziehen. Jedenfalls kritisiert die Königin, indem sie eine Ergänzung verlangt, die Spärlichkeit von Posas Informationsvergabe und macht sie zugleich zum Thema. Sparsamkeit, wenn nicht Spärlichkeit der Informationsvergabe ist nun aber ein Merkmal der Hamburger Bühnenfassung insgesamt. Zugleich liegt darin, wie wir vertreten möchten, ihr Vorzug. Die Erzählung von Mirandola, zum Beispiel, wird erst in dieser Fassung spannend, weil auch für uns, das externe,6 lesende oder zuhörende Publikum, informativ.7 Dass Schiller ein Meister des Kürzens war, wurde ihm schon von Goethe bescheinigt.8 Unter den gekürzten Fassungen, die Schiller für verschiedene

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Auch davon konnten wir in I.2 lesen, vgl. NA 7.1, S. 21, V. 302. Vgl. auch die Andeutung Elisabeths in NA 7.1, S. 28, V. 416–419, und später nochmals in NA 7.1, S. 31, V. 486  f. Wenn sich vor allem Posa nicht täuscht, der Elisabeth, auf ihre Frage hin, »fein und scharf« anblickt. Mit diesem Blick kommuniziert er, nota bene, nur in der Hamburger Bühnenfassung. Elisabeth wird ihren Vorwurf später explizit vorbringen; und das in allen Fassungen des Stücks, soweit sie bis zum vierten Akt gediehen sind. In der Hamburger Bühnenfassung in IV.15, NA 7.1, S. 174, V. 3034–3037; in der Fassung der Erstausgabe in IV.24, NA 6, S. 271, V. 5142–5150 und S. 273, V. 5185–5188. Vgl. dazu auch unser sechstes Kapitel. Zu der wichtigen Unterscheidung zwischen äußerem und innerem Kommunikationssystem vgl. Pfister, Manfred, Das Drama, München 1988, S. 20–22 und S. 67  f. Vgl. Pfister, Das Drama, S. 141  f. Vgl. Eckermann, Johann Peter, Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens, hg. von Heinz Schlaffer, München 1986, S. 673 (Gespräch vom 19. April 1830).



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Bühnen von Don Karlos produzierte, hat jedoch einzig die Hamburger Fassung seinen eigenen Beifall gefunden. Er hielt sie für »reif und gedacht«.9 Gelobt wird diese Fassung auch noch von Gerhard Kluge, dem Mitherausgeber der Na­tionalausgabe, der sie, zusammen mit Paul Böckmann, zum ersten Mal veröffentlicht hat; und zwar erst 1974, im zweiten der Don Karlos-Bände. Die Hamburger Bühnenfassung sei eine »optimale Bearbeitung«. Sie sei »theatergerecht und fast ungekürzt spielbar«, »ausgewogen und als Trauerspiel ein überzeugendes Pendant zum dramatischen Gedicht«.10 Trotzdem hat auch die neuere Kritik zu Don Karlos fast immer die Ausgabe letzter Hand, von 1805, als Textvorlage für ihre Studien gewählt, oder dann aber die Erstausgabe von 1787.11 Die Hamburger Bühnenfassung hat nur als editorisches Problem interessiert und ihrer abenteuerlichen Überlieferung wegen;12 9

So in dem Begleitbrief, den Schiller seinem Manuskript beilegte, als er es am 13. Juni 1787 an den Hamburger Theaterdirektor Schröder sandte; vgl. Schiller, Friedrich, Briefwechsel. Schillers Briefe 17. 4. 1785–31. 12. 1787, hg. von Karl Jürgen Skrondzki, NA 24, Weimar 1989, S. 99. Vgl. dazu auch Böckmann in NA 7.2, S. 104 und Kluge in NA 7.2, S. 482. 10 Vgl. Schiller, Friedrich, Dramen  II, hg. von Gerhard Kluge, DKV. II, Frankfurt a.M. 1989, S. 1040. Allerdings ist Böckmann der Meinung, dass die Hamburger Bühnenfassung, ebenso wie die übrigen Fassungen fürs Theater, der (Lese-)Fassung der Erstausgabe unterlegen sei. Vgl. ders., NA VII.2, S. 107: »Denn durchweg begnügte sich Schiller [bei der Herstellung der Bühnenfassungen] mit Kürzungen des Textes, die die eigentliche Thematik eher verdeckten als verdeutlichten.« Dazu unten, Anm.16. 11 Nach der Erstausgabe zitiert namentlich Pikulik 2004 (vgl. ders., S.  170). Fünfzehn Jahre zuvor hatte Kluge, in DKV II, S.  994  f., noch feststellen müssen: »In der Interpretationsgeschichte des 20. Jahrhunderts haben weder die ›Thalia‹-Fassung noch die Erstausgabe bisher eine Rolle gespielt.« Er hätte auch die Bühnenfassungen anführen können. 12 Vgl. Blumenthal, Liselotte, Schillers Hamburger Bühnenbearbeitung des »Dom Karlos«, in: Schiller. Vorträge aus Anlass seines 225. Geburtstags, hg. von Dirk Grathoff, Frankfurt a.M. 1991, S. 9–28 (zur Überlieferung bes.  S. 14–19; vgl. auch NA 7.2, S. 130  f.). Blumenthals Beitrag ist der einzige uns bekannt gewordene, der sich der Hamburger Bühnenfassung widmet. Er kommt in drei Teilen daher. Dem ersten, entstehungsgeschichtlichen, folgt ein antiquarischer Teil, der vom Geschick des Manuskripts berichtet. Hier erfahren wir, wie es von Schröder (vgl. Anm. 9), der mehrere Kopien anfertigen ließ, 1809 auf Iffland, den berühmten Schauspieler, überging und später von diesem, wann genau ist umstritten, auf einen Grafen von Brühl, der auch Ifflands Amt eines Generalintendanten der Königlichen Schauspiele in Berlin übernahm. Von der Familie Brühl gelangte es 1906, nach zähem Feilschen, in den Fundus des Goethe- und Schiller-Archivs in Weimar, wo es heute noch liegt. Übrigens ist dieses Dokument das einzige fast komplett erhaltene Dramenmanuskript aus Schillers Hand. Keine Reinschrift, sondern, interessanterweise, ein von Streichungen durchsetztes Schriftstück, das manches von der Arbeitsweise Schillers zu erkennen gibt. Blumenthal behauptet, mehrere Arbeitsgänge unterscheiden zu können (vgl. dies., S. 14). Ob sich wohl gar die Chronologie der Kürzungen rekonstruieren lässt? Das zu untersuchen, würde den Rahmen unserer Arbeit sprengen. Im dritten, abschließenden Teil von Blumen­

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nicht aber unter einem interpretatorischen Gesichtspunkt.13 Besonders ist die Frage ungestellt geblieben, in welcher Absicht genau Schiller gekürzt haben mag und mit welchem Effekt.14 Ging es ihm nur um die Aufführungsdauer, die er jedenfalls verringern wollte?15 Unsere These ist, dass Schiller, mit seinen Kürzungen, die Verschwiegenheitsthematik des Dramas zuspitzt.16

II Für die Verschwiegenheiten am spanischen Hof, wie er von Schiller ins Leben zurückgerufen wird, hat sich die Kritik schon mehrmals interessiert. Doch hat sie diese eher konstatiert, als sie im Einzelnen zu untersuchen. Drei Beiträge sind hier vor allem zu nennen, von Guthrie, Simons und von Pikulik, der in seinem Schiller-Buch von 2004, Der Dramatiker als Psychologe, am weitesten ausgreift, um zu kontextualisieren, was am spanischen Hof verschwiegen wird, wozu und aus welchen Gründen.17 Doch bevor wir zu erörtern beginnen, wieviel sich an

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thals Aufsatz wird ein kurzer, punktueller Textvergleich mit der Fassung der Erstausgabe geboten; dazu kommen noch einige Beobachtungen zu den Hauptfiguren, zu Veränderungen, die sie beim Streichen erfuhren. Doch unterlässt es Blumenthal, ihre Beobachtungen zu perspektivieren; vgl. dazu Anm. 13. Blumenthal vermutet zwar, dass »Schiller […] eine Konzeption gehabt haben [müsse]« (S. 19), als er die Buchfassung kürzte, geht der Frage aber erstaunlicherweise nicht nach. Damit werden ihre Beobachtungen fast beliebig; will sie doch lediglich zeigen, wie sich »quantitative Veränderungen«, sprich Kürzungen, als »qualitative« (S. 20) auswirken können. Da Blumenthal davon ausgeht, dass »für den Dichter immer der gedruckte Dom Karlos das eigentliche Werk« war (S.  19), muss sie auch annehmen, dass beim Kürzen sehr oft, wenn nicht immer, etwas von seinem »Reichtum« (S.  20) verloren ging. Die Hamburger Bühnenfassung könne, wie die anderen Bühnenfassungen auch, immer nur »Teilaspekte« bieten (ebd.). Welches diese Teilaspekte sind, sagt Blumenthal nicht. Dass wir so fragen, will nicht heißen, dass wir eine Autorintention unterstellen, die im Rückgriff auf biographische Zeugnisse zu rekonstruieren wäre. Wir setzen lediglich einen impliziten Autor voraus. Ein luzides Plädoyer für diese Kunstfigur findet sich bei Antoine Compagnon, Le démon de la théorie, Paris 1998, S. 49–99. Vgl. besonders den Brief vom 18. Dezember 1786 an Schröder, der von seiner Bereitschaft zeugt, sich den praktischen Erfordernissen eines Theaterbetriebs anzupassen: »Wünschte ich zu wissen, welche Grösse ich dem Stük geben darf, ob es gute 3 Stunden spielen darf?« (NA 24, S. 73) Damit wenden wir uns gegen Böckmanns allzu pauschales Verdikt der Zweitrangigkeit in NA 7.2, S. 107; und auch gegen Blumenthal 1991, S. 19  f. Vgl. Anm.10 und Anm.13. Vgl. das Kapitel The Court Watches and Listens. Gesture in »Don Karlos«, in: John Guthrie, Schiller the Dramatist. A Study of Gestures in the Plays, Rochester N.Y. 2009, S.  101–114; ferner Oliver Simons, Die Lesbarkeit der Geheimnisse. Schillers Don Karlos als Briefdrama, in: Zeitschrift für Germanistik N.F.  16 (2006), H.1, S.  43–60; und das Kapitel Don Karlos.



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dieses »Versteckspiel«18 knüpft, müssen wir einige Unterscheidungen treffen. Dabei hilft uns ein Blick auf Guthrie und Simons. Guthrie spricht von Verschwiegenheit nur, sofern sie sich als Schweigen äußert. Das mag an seinem Erkenntnisinteresse liegen, denn Guthrie interessiert sich in erster Linie für Gesten. Gesten kommunizieren nonverbal; und das lässt sich auch mit einem Schweigen tun.19 Doch ist nicht jedes Schweigen zugleich ein Verschweigen. Auch kann man ja etwas verschweigen, ohne deshalb gleich zu schweigen.20 Kommt hinzu, dass gerade die Intrigen an Schillers spanischem Hof dazu nötigen, feiner zu differenzieren. Ein Schweigen, das zugleich etwas verschweigt, Die Psychopathologie von Zwang und Heimlichkeit, in: Lothar Pikulik, Der Dramatiker als Psychologe. Figur und Zuschauer in Schillers Dramen und Dramentheorie, Paderborn 2004, S. 170–195. 18 Vgl. Pikulik, Der Dramatiker als Psychologe, S.  172: »Ob Karlos, Posa, Elisabeth auf der einen oder Domingo, Alba, Philipp, Prinzessin Eboli auf der anderen Seite, sie alle sind, wenngleich unterschiedlich, in ein Versteckspiel involviert, das politische Ziele, sinnliche Gelüste oder seelische Nöte verbergen soll.« 19 Eine »Rhetorik des Schweigens« hat vor gut dreißig Jahren schon Christiaan Hart Nibbrig gefordert, ohne sie aber selber zu liefern (vgl. ders., Rhetorik des Schweigens. Ein Essay, Frankfurt a.M. 1981, bes.  S. 40  f.). Eine einschlägige Studie ist nach wie vor Desiderat, und wir können hier auch keine Abhilfe schaffen. Eine sehr gedrängte Zusammenschau der Forschungslage bietet Wolfgang Stadler im Vorwort zu ders., Pragmatik des Schweigens. Schweigeakte, Schweigephasen und handlungsbegleitendes Schweigen im Russischen, Frankfurt a.M. 2010, S. 5–8, bes.  S. 6. Fleur Ulsamer, Linguistik des Schweigens, Frankfurt a.M. 2002, versucht zwar, die kommunikativen Funktionen aufzufächern, die ein Moment des Schweigens im Zuge dialogischen Sprechens gewinnen kann (vgl. dies., S. 67–80); eine »Linguistik des Schweigens« zu begründen, gelingt ihr aber nicht. Übrigens streift Hart Nibbrig in seinem Essay auch Schillers Don Karlos; doch leider, wie so manches, nur ganz oberflächlich (vgl. ders., S. 65–67). 20 Und das bedarf noch einer Präzisierung. Denn eigentlich kann man von »einem Verschweigen« im Deutschen nicht sprechen, wie wir es eben getan. »Verschweigen« ist ein transitives Verb; es wird immer dies oder jenes verschwiegen. Um Verschwiegenheit, die in einem bestimmten Moment praktiziert wird, von einem Moment bloßen Schweigens abzugrenzen, müssen wir, sofern wir exakt sein wollen, zu einer Wendung wie »Verschwiegenheit in actu« greifen; wobei »Verschwiegenheit« die kommunikative Einstellung eines Gesprächsteilnehmers bezeichnet, der etwas Bestimmtes, im Gegensatz zu anderem, nicht mitteilen will. Festgehalten sei auch gleich, dass man, um etwas verschweigen zu können, bereits sich eingelassen haben muss auf ein Gespräch; anders als bei der Geheimhaltung, die das nicht unbedingt erfordert. Vgl. das Lemma »verschweigen« in: Das Deutsche Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, hg. von Jacob und Wilhelm Grimm, Bd. 25, Leipzig 1854–1960, Sp. 1195–1200, und zur Geheimhaltung Aleida und Jan Assmann, Das Geheimnis und die Archäologie der literarischen Kommunikation. Einführende Bemerkungen, in: Schleier und Schwelle. Archäologie der literarischen Kommunikation V, hg. von dens., Bd. 1: Geheimnis und Öffentlichkeit, München 1997, S. 7–16, bes.  S. 8 und 14.

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kann sich absichtslos geben,21 es kann seine Absicht aber auch durchblicken lassen.22 Und es kann, noch deutlicher, zu einem herausfordernden, aggressiven Schweigen werden, von dem sich kaum mehr, ohne den Wortsinn zu dehnen, sagen lässt, dass es etwas verschweigt. Eher müsste man dann sagen, dass es über etwas schweigt und dabei dem Adressaten wohl zu merken gibt, dass etwas Bestimmtes infrage steht. Das Schweigen, zum Beispiel, des Königs gegenüber Lerma, in III.2 der Hamburger Bühnenfassung, ist von dieser Art.23 Wenn Simons nach der Wirkung von Verschwiegenheit fragt, so hat er vor allem die Adressaten am spanischen Hof im Blick. Gilt doch sein Hauptinteresse dem Briefverkehr in Don Karlos, der Zensur und den Wirkungen, die sich mit geheimen Botschaften erzielen lassen, wie das zum Beispiel Posa im Hinblick auf den König tut. Das externe Publikum zieht Simons nur in Betracht, wenn er nach der Wirkung fragt, die ein geheimer, oder auch nur privater Brief bei einem Akteur hervorrufen kann, der sich ausgeschlossen findet. Wird ein solcher Brief, wie in I.4, auf der Bühne gelesen, wo die Königin für sich und schweigend einen Brief des Infanten liest, so befinden sich Beobachter, wie die ausgeschlossene Prinzessin Eboli hier, in einer Lage, die jener des externen Publikums gleicht. Das wird von Simons aber nur konstatiert und nicht weiter problematisiert. Er fügt lediglich noch an, dass ein solcher Beobachter selbst zum Objekt der Beobachtung wird, von Seiten der externen Rezipienten. Auf interne Rezipienten konzentriert sich auch Guthrie, der die Problematik aber noch stärker verkürzt. Denn er zieht bloß ein Schweigen in Betracht, das an einem »realistic strand of dialogue« teilhat.24 Zu unterscheiden ist jedoch in jedem Fall zwischen der realistischen Seite eines Schweigens auf der Bühne und seiner theatralischen Funktion; zwischen der Wirkung also, die ein Schweigen auf den Rezipienten oder Dialogpartner im inneren Kommunikationssystem hat, und der Wirkung, die es auf uns, die Rezipienten im äußeren Kommunikationssystem, hat. Das gilt in gleicher Weise für Verschwiegenheit, sobald sie merkbar 21 So etwa das Schweigen des Pagen in II.4; vgl. dazu unser drittes Kapitel. 22 Wie es Posa tut, wenn er sein letztes Gespräch mit der Königin durch ein Schweigen unterbricht (»Verlangen Sie nicht, mehr zu wissen«). Vgl. IV. 15 in der Hamburger Bühnenfassung bzw. IV. 24 in der Fassung der Erstausgabe; und unser sechstes Kapitel. 23 Statt sich zu erklären, lässt der König seinen ahnungslosen Höfling stehen, nachdem er ihn mit der, auf etwas Bestimmtes aber nicht Genanntes zielenden, Frage überrascht hat, ob »man [ihm] auch davon erzählt« habe (NA 7, S. 94, V. 1645  f.). Später ruft er ihn wieder heran, um noch einmal nachzufragen (vgl. NA 7, S. 95, V. 1651). In der Fassung der Erstausgabe setzt der König seinen Höfling auch, aber nicht auf diese Weise, unter Druck (vgl. NA 6, S. 152, V. 2993–2996). Wir kommen auf die beiden Passagen in unserem vierten Kapitel zurück. 24 Vgl. Guthrie, Schiller the Dramatist, S. 108.



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wird.25 Auch bei uns treibt die Verschwiegenheit einer Figur Interpretationsarbeit hervor. Werden wir inne, dass eine Figur, indem sie etwas verschweigt, uns zu interpretativer Arbeit anhält, so kommt der implizite Autor in den Blick, der dieser Figur Verschwiegenheit diktiert.26 Deutlicher noch und fast unübersehbar tritt der implizite Autor in den Vordergrund, wenn wir zwei Fassungen eines Textes vergleichen und fragen, um welcher Wirkung willen gestrichen worden ist, so, dass die Figur in der einen Fassung etwas verschweigt, wo sie in der anderen nicht schweigt. Solche Stellen gibt es in der Hamburger Bühnenfassung mehrere. Von ihnen gehen wir aus.

III Besonders deutlich in Szene gesetzt wird Verschwiegenheit im Eboli-Komplex. Auch hier, in den Passagen, die von ihm handeln, finden wir die Problematik in der Hamburger Bühnenfassung vertieft, durch Kürzungen, die Schiller anderswo nicht vorgenommen hat. Der Eboli-Komplex entfaltet sich, in allen Fassungen, in drei Dialogen. Er beginnt mit einem Wortwechsel zwischen Karlos und einem Pagen, setzt sich in der Befragung des Pagen durch die Eboli fort, um dann in einen großen Dialog zwischen der Eboli und Karlos zu münden. Ausgangspunkt aller Verwirrung ist die Antwort des Pagen auf Karlos’ Frage nach der Absenderschaft des Briefes, der ihm, am Anfang von II.4, mit einem Schlüssel ausgehändigt wird. Der Page antwortet, in allen Fassungen, mit einem vollen Satz. Nur in der Hamburger Bühnenfassung ist es ein abgebrochener Satz: »Wie mich die Dame merken lassen …«.27 Da sich der Page, der bloß hier so wortkarg ist, auf eine zweite Frage hin als »Edelknabe von ihrer Majestät der Königin« ausweist, liegt es in dieser Fassung besonders nahe, die »Dame«, auf die er zuvor verwiesen, mit der Königin in eins zu setzen. Es gibt in dieser Fassung auch nichts, was uns, oder Karlos, daran hindern könnte, außer einem allgemeinen Vorbehalt, des intrigenschwangeren Klimas 25 Dem entsprechend kündigt auch der Titel unserer Studie an, dass hier nicht nur die »Verschwiegenheiten« in, sondern ebenfalls von Don Karlos zur Debatte stehen. Außerdem ist an das Wort in seiner übertragenen Bedeutung zu denken. Sind doch manche der Stellen, die wir im Textkonglomerat von Don Karlos aufsuchen werden, verschwiegene Stellen; Stellen, an denen nicht sogleich zutage tritt, dass etwas verschwiegen wird. 26 Vgl. Pfister, Das Drama, S. 20–22. Zudem Peter Hühn und Roy Sommer, Narration in Poetry and Drama, in: Handbook of Narratology, hg. von Peter Hühn, Jan Christoph Meister, John Pier und Wolf Schmid, Berlin 2009, S. 228–241, bes.  S. 229. 27 NA 7.1, S. 61, V. 1064  f.

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wegen, das am spanischen Hofe herrscht. Ein Vorbehalt, den der Infant, zumindest für sich selbst, rasch zu entkräften weiß. In der Fassung der Erstausgabe hingegen,28 werden wir sogleich darauf aufmerksam gemacht, dass die Identität der Absenderin nicht fraglos feststeht. Denn dort bricht der Page nicht ab, mitten im Satz, sondern er antwortet auf Karlos’ erste Frage: »Wie mich / die Dame merken lassen, will sie lieber / errathen als beschrieben sein –«.29 Dass eine interpretative Anstrengung gefordert ist, wird dann im zweiten Dialog, zwischen der Eboli und dem Pagen, sowohl in der Erstausgabe wie in der Hamburger Bühnenfassung thematisiert. Doch während die Prinzessin in der Bühnenfassung nur noch sagt: »Errieth / er die Person die ihm den Schlüßel schickte?«,30 insistiert sie in der Erstausgabe sehr viel mehr: »Errieth / er die Person, die ihm den Schlüssel schickte? / Geschwinde – Oder rieth er nicht? Er rieth / wohl gar nicht? rieth auf eine falsche?«31 Hier wird uns, dem externen Publikum, mit Nachdruck deutlich gemacht, dass Karlos vor eine Alternative gestellt ist. Zugleich wird durch das dreimal wiederholte Verb auf dem Erraten insistiert. Diese Arbeit zu leisten, vermag Karlos in beiden Fassungen nicht. Wir aber, denen dieselbe Arbeit aufgegeben ist, werden in der Hamburger Fassung auf eine zwar weniger greifbare, dafür umso suggestivere Weise mit den Schwierigkeiten konfrontiert, vor die sich auch Karlos gestellt sieht, und vor denen er versagt. Indem sie uns ähnlich karge Informationen liefert wie der fiktiven Figur, verschafft uns die Bühnenfassung Einsicht in Karlos’ psychische Bedrängnis. Dem Infanten wird, ähnlich wie uns, die Wahrheit verschwiegen.32

IV In III.2 ist der König explizit auf Wahrheitssuche aus. Graf Lerma soll ihm dabei helfen. Die Aufgabe ist heikel. In der Hamburger Bühnenfassung hat sie Schiller, durch Kürzungen und eine Umstellung, noch heikler gemacht. In allen Fassungen hält der König Informationen zurück; Gewissheiten, hauptsächlich aber Vermutungen, die er doch aussprechen müsste, wenn ihm

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Auch hier in II.4. NA 6, S. 77, V. 1477–1479. NA 7.1, S. 70, V. 1211  f. NA 6, S. 91, V.1722–1725. Vgl. zum Eboli-Komplex auch Pikulik, Der Dramatiker als Psychologe, S. 174  f. Pikulik zieht freilich auch da nur die Fassung der Erstausgabe in Betracht.



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Lerma wirklich helfen soll. In der Hamburger Bühnenfassung verschweigt der König aber noch mehr: KÖNIG nach einigem Auf und Niedergehen Tretet näher Graf – Sagt mir – doch sagt mir Wahrheit. Wahrheit! Ich belohn’ euch die Lüge nicht – Hat man euch auch davon erzählt? LERMA Erzählt? wovon mein König?33 Hier wird Lerma zugemutet, sich zu exponieren, ohne dass er vorher zu wissen bekäme, worauf sich der König mit seiner Frage bezieht. Lerma fragt zu Recht nach. Worauf sich der König bezieht, wissen auch wir, das externe Publikum, nicht; wenigstens nicht mit Gewissheit. Wie schon im Eboli-Komplex finden wir uns in eine Lage versetzt, die schwierig ist; ähnlich schwierig wie jene, in der sich die interpretierende Figur befindet. Worauf bezieht sich der König mit seinem deiktischen »davon«? Der König wird, im Verlauf der Hamburger Fassung, seine Frage erst präzisieren, nachdem er sich von dem Grafen abgewendet, ein Selbstgespräch geführt und sich dem Grafen von neuem zugewendet hat: O auf die Dauer eines Pulses nur Allwißenheit! – Schwört mir! Ists wahr? Ich bin betrogen? Bin ichs? Ist es wahr?34 In der Fassung der Erstausgabe hatte der König sogleich mit dieser präziseren Frage begonnen,35 ohne den Grafen erst mit einer unverständlich vagen hinzuhalten. Lermas Lage ist auch in dieser Fassung nicht einfach; doch bekommt er immerhin zu wissen, dass ein Betrogensein infrage steht. Außerdem erhalten wir in der Erstausgabe nicht nur diese Information früher (genauso, wie sie auch Lerma früher erhält), sondern wir gewinnen, schon bevor 33 NA 7.1, S. 94, V. 1643–1646. 34 NA 7.1, S. 95, V. 1652–1654. 35 Der Wortlaut ist derselbe, abgesehen von einer Umstellung in der ersten Zeile: »O eines Pulses Dauer nur …« (NA 6, S. 152, V. 2994).

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der König Lerma heranruft, um ihn zu befragen, weitere Informationen, die der Graf indessen erst im Nachhinein erhält.36 Nur wir, das externe Publikum, können in dieser Fassung mit anhören, was der König zu sich selber spricht: Nein! Nein! Es ist Verläumdung – War es nicht ein Weib, ein Weib, das mir es flüsterte? Der Name des Weibes heißt Verläumdung. Das Verbrechen ist nicht gewiß, bis mir’s ein Mann bekräftigt.37 In der Hamburger Bühnenfassung finden wir diesen Passus nachgestellt. Mit der Verschiebung (und der dadurch entstandenen, vorausgehenden Kürzung) hat Schiller bewirkt, dass wir in der Bühnenfassung erst später, mit Verzug, erfahren, was den König umtreibt; ebenso, wie es Lerma erst später erfährt. Nach Lerma befragt der König auch Alba. In III.3 setzt er auch ihn unter Druck, indem er Informationen zurückhält, gleichzeitig aber zu verstehen gibt, dass er dies tut. Nur, dass er jetzt selbst auf Verschwiegenheit trifft. Denn der Herzog spielt, raffinierter als Lerma, auch mit dem König; und zwar in der Hamburger Bühnenfassung noch insistenter als in der Fassung der Erstausgabe. In beiden Fassungen blickt der König seinen Untergebenen lange Zeit an, bevor er zu sprechen beginnt. In der Hamburger Bühnenfassung sagt er bloß »Les’t«38 und reicht Alba ein Blatt, von dem wir nicht wissen, was auf ihm steht. Auch in der Folge erfahren wir bloß, dass es ein »unglückselges Blatt« sei, beschrieben mit einem Text, in dem ein Name »vermieden« ist. Zwar können wir vermuten, dass die Königin »[ge]meint« ist, und dass Alba einen Brief des Infanten prüft; haben wir doch in II.10 mit anhören können, wie Alba und Domingo die Prinzessin Eboli beredeten, das Kabinett der Königin nach Briefen des Infanten zu durchsuchen;39 doch zu mehr als einer Vermutung gelangen wir nicht. Alba gibt nicht preis, wie viel er weiß, und fragt, mit vermutlich falschem Zungenschlag, wer das Blatt »in [seines] Königs Hand« gegeben; was der König nun seinerseits

36 So beschaffen sind die Zeitverhältnisse allerdings nur, wenn wir der Aufforderung »Tretet näher Graf« (NA 6, S. 152, V. 2993) entnehmen dürfen, dass der vorausgegangene Passus NA 6, S. 151, V. 2988–2992 (den wir sogleich zitieren werden) ein Selbstgespräch des Königs und für den Grafen nicht vernehmbar war. 37 NA 6, S. 151, V. 2988–2992. 38 NA 7.1, S. 96, V. 1679. 39 Vgl. NA 7.1, S. 89, V. 1570–1579. In der Erstausgabe findet sich der entsprechende Passus in II.14 (NA 6, S. 133, V. 2634–2644).



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verschweigt. Inszeniert wird so ein Kräftemessen40 im Bewusstsein diskrepanter Informiertheit; ein Spiel, in das wir einbezogen werden. Ganz anders bietet sich uns die Situation in der Fassung der Erstausgabe dar, wo Alba, auf Geheiß des Königs, sogleich den Schreiber identifiziert: »Es ist Dom Karlos Hand.«41 Wir wissen hier von Anfang an, dass sich die beiden über einen Brief des Infanten beraten. Auch kommen sie hier rasch zum Schluss, welches der gesuchte Name sei: »ich kenne die Person«, sagt Alba.42 In der Hamburger Bühnenfassung gibt sich Alba weniger gewiss. Schiller hat ihn korrigiert, sodass er sich beschränkt auf ein »Ich ahnde die Person«.43 Damit sind wir erneut auf unser interpretatives Vermögen verwiesen.

V Am meisten haben den Interpreten44 die Verschwiegenheiten Posas zu denken gegeben. Des Marquis der Erstausgabe allerdings, wenn nicht der Ausgabe von 1805, da ja die Hamburger Bühnenfassung kaum je ins Blickfeld der Kritik getreten ist. Wie, so hat die Kritik gefragt, ist zu erklären, dass der Marquis zu mehreren Malen schweigt, wo er doch zur Auskunft verpflichtet wäre? Verpflichtet zumindest, wenn er dem hohen Anspruch genügen will, mit dem er daherkommt. Hat er Karlos nicht versprochen, »wahr« zu sein als Freund und »kühn«?45 Hat er nicht als wahrheitsliebend sich dem König angelobt?46 Der Königin gilt er sogar als »Philosoph«; bis sie bemerkt, dass Posa nicht mehr jener »Freie[]« ist, den sie vormals in Frankreich kannte. In Frankreich hatte er sogar »am Thron«, »unbestochen und ohne Menschenfurcht«, die Wahrheit gesagt.47 Um von der Erstausgabe zur Hamburger Bühnenfassung zu gelangen, hat Schiller vor allem an Posas Reden gekürzt. Von diesen Kürzungen lassen die meisten Posas Charakter unberührt. Doch begegnet im Text ein Passus, in dem 40 Zum Komplex von Verschwiegenheit und Macht vgl. Claudia Benthien, Barockes Schweigen. Rhetorik und Performativität des Schweigens im 17. Jahrhundert, München 2006, S. 158–196. 41 NA 6, S. 154, V. 3038  f. 42 NA 6, S. 156, V. 3064. 43 NA 7.1, S. 97, V. 1686. 44 Zumal dem Autor selbst, der in seinen Briefe[n] über Don Karlos ebenfalls zum Interpreten wird. Vgl. ders., Vermischte Schriften, hg. von Herbert Meyer, NA 22, Weimar 1958, S. 137– 177. 45 NA 6, S. 58, V. 1103  f., und NA 7.1, S. 48, V. 808  f. 46 Dies allerdings nur in der Erstausgabe, Akt III.10: »Die Wahrheit aber setz’ ich aus, wenn Sie / mir diese Gunst verweigern« (NA 6, S. 180, V. 3542  f.) und wenig später: »Ich will / den Käufer nicht betrügen, Sire« (NA 6, S. 181, V. 3552  f.). 47 Vgl. NA 6, S. 34, V. 582, und S. 35, V. 594–597.

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die Kürzung nicht ohne Folgen bleiben kann für eine Beurteilung der moralischen Statur des Marquis (wie sie ja von der Kritik mit wechselnden Argumenten48 immer wieder vorgenommen worden ist). An der uns interessierenden Stelle wird Posa von Karlos über dessen soeben beendete, große Audienz beim König befragt. Der Dialog entspinnt sich in der Fassung der Erstausgabe wie folgt: KARLOS Und der König? Was will denn der König? MARQUIS Der? Nicht viel – Neugierde, zu wissen wer ich bin – Dienstfertigkeit von unbestellten guten Freunden. Was weiß ich? Er bot mir Dienste an. KARLOS Die du doch abgelehnt? MARQUIS Versteht sich. KARLOS Und wie kamt ihr aus einander?49 Hier verschweigt Posa nicht nur, dass er in den Dienst des Königs getreten ist; sondern er führt, viel schlimmer noch, seinen Freund mit einer expliziten Lüge in die Irre. Wir, das externe Publikum, gehen hier aber, anders als Karlos, nicht in die Irre; denn wir sind bereits besser informiert als der Prinz. Wir haben mit anhören können, was der König und Posa miteinander besprachen; und erken48 Einen kurzen Rückblick auf diese Diskussion bietet Michael Hofmann, Bürgerliche Aufklärung als Konditionierung der Gefühle in Schillers Don Karlos, in: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 44 (2000), S. 95–117, bes.  S. 96. Vgl. auch Karl S. Guthke, Don Karlos. Der Künstler Marquis Posa: Despot der Idee oder Idealist von Welt?, in: ders., Schillers Dramen. Idealismus und Skepsis, Tübingen 1994, S. 133–164, bes.  S. 135–140. 49 NA 6, S. 216, V. 4282–4288.



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nen deshalb sogleich, dass Posa lügt. In der Hamburger Bühnenfassung hält sich Posa dagegen stärker zurück: KARLOS Und der König? Was will denn der König? M[ARQUIS] D e r ?  – Nicht viel. Neugierde, zu wißen wer ich bin – Dienstfertigkeit von unbestellten guten Freunden. Was weiß ich? – Er bot mir Dienste an. K[ARLOS] Nun, und wie kam’t ihr auseinander?50 Indem er sich auf ein Schweigen beschränkt, begegnet uns Posa hier gleich, wie er Karlos begegnet. Einen Vorteil aus unserer Mitwisserschaft über den Ausgang des Gesprächs mit dem König können wir hier, in dieser Fassung, nicht ziehen. So konfrontiert uns die Hamburger Bühnenfassung erneut mit einer interpretativen Aufgabe, die ähnlich ist wie jene, mit der die angesprochene Figur (d.  h. Karlos) konfrontiert wird. Und das verdanken wir erneut einer Kürzung.51

VI Die höchste interpretatorische Leistung vollbringt indessen die Königin. In der letzten, großen Unterredung mit Posa enthüllt sie, was dieser nicht nur ihr (und uns, dem Publikum) verschweigt; sondern, was er seit jeher auch sich selbst

50 NA 7.1, S. 132  f., V. 2390–2395. 51 Nicht ganz so massiv, aber doch folgenreich, hatte Schiller, bei der Anfertigung der Hamburger Bühnenausgabe, schon in die Audienzszene selbst eingegriffen. Auch da betrafen seine Kürzungen Posas Verhältnis zur Wahrheit. Dieses Verhältnis wird im Verlauf der Audienzszene, wie sie die Erstausgabe bietet, mehrmals thematisiert. Die meisten dieser Passagen fallen in der Hamburger Bühnenfassung weg. So NA 6, S. 179  f., V. 3531 (»Sie«) bis V. 3547 (»Nun«), mit dem Wort »Wahrheit« in V. 3542; NA 6, S. 180, V. 3552  f. (»Ich will / den Käufer nicht betrügen, Sire«); NA 6, S. 182–184, V. 3610 (»Wer«) bis V. 3659 (»meinige«), mit »künstliche[] Sophismen« in V. 3612 und »betrügen« in V. 3613.

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verschwiegen hat: das Motiv seines Handelns. Das gelingt der Königin erst nach einem Lernprozess, der zu Beginn der Szene52 noch anhält, und den wir Schritt für Schritt verfolgen können. Auch diese Szene hat Schiller für die Hamburger Fassung gekürzt. Und zwar sehr stark.53 An der entscheidenden Stelle fügt er indessen etwas hinzu. Als die Königin das Motiv von Posas Handeln erkennt, lässt er sie sagen: »Oh, wie betrog mich mein Gefühl!« Weshalb lässt er sie das sagen? Sie kann es nur tun, weil Schiller an anderer Stelle gekürzt hat.54 Vor dem Beginn der Szene hatte Posa, wovon die Königin nichts weiß (und wir auch noch nicht), den ihn selbst kompromittierenden, an den Prinzen von Oranien adressierten Brief abgeschickt. Der Marquis berichtet davon in verhüllender Rede. Er verwendet dazu Metaphern. Vom »Spiel«, vom »Preis« und von der »Muße«, an der es ihm gebrechen könnte, um alles noch mit Karlos abzutun. Diese Metaphern bringt die Königin auf den Begriff, wenn sie in der Hamburger Bühnenfassung sagt: »Läugnen Sie mir nicht. / Ich kenne sie! Sie haben längst darnach / gebrannt, ein Leben wegzuwerfen für / die Freundschaft.«55 Nur hier, in dieser Fassung, sagt sie das. Bereits mit »Läugnen Sie mir nicht« beginnend,56 diktiert ihr Schiller ihre Rede neu. In der Erstausgabe hatte der Passus noch gelautet: Läugnen Sie nur nicht. Ich kenne Sie, Sie haben längst darnach gedürstet – Und nach dem Gedankenstrich weiter:

52 IV.15 in der Hamburger Bühnenfassung bzw. IV.24 in der Erstausgabe von 1787. 53 Vier längere Passagen werden gestrichen: NA 6, S.  266  f., V. 4998 (»Denn«) bis V.  5012 (»mich«); NA 6, S. 268  f., V. 5051 (»Sagen«) bis V. 5079 (»Und«); NA 6, S. 270, V. 5100 (»Das«) bis V. 5109 (»reift«); NA 6, S. 271  f, V. 5133 (»die«) bis V. 5171(»und«), wobei von diesem letzten Passus die Verse 5139 (»die«) bis 5141 (»dieses«) und der Vers 5168 erhalten bleiben. 54 Vielleicht dürfen wir hier an eine Gesetzmäßigkeit erinnern, die von Jens Stüben, Edition und Interpretation, in: Text und Edition, hg. von Rüdiger Nutt-Kofoth, Bodo Plachta, H. T. M. van Vliet und Hermann Zwerschina, Berlin 2000, S.  263–302, folgendermaßen formuliert und mit einer Mahnung verknüpft wird: »Eine die Textgenese einbeziehende Interpretation […] hat immer sowohl die ›syntagmatische‹ Dimension (den Textzusammenhang der Fassungen) als auch die ›paradigmatische‹ Dimension (die Variation der einzelnen Stellen) zu berücksichtigen. Mit den variierenden Elementen ändert sich jedesmal der Gesamttext, zumindest der Umtext.« (S. 285) 55 NA 7.1, S. 174, V. 3031–3034. 56 Unsere Hervorhebung.



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Mögen tausend Herzen brechen, was kümmert Sie’s, wenn sich Ihr Stolz nur weidet! O jetzt – jetzt lern’ ich Sie verstehn: Sie haben nur um Bewunderung gebuhlt.57 Das ist weniger analytisch. Statt zu erklären, wofür der Marquis »gebrannt«, wonach er »gedürstet« hatte (das Verb ist wohl aus syntaktischen und metrischen Gründen ausgewechselt worden), sagt die Königin hier bloß: »darnach gedürstet«. Wobei »darnach« die bloße »That« oder auch den Akt, sich in die »That« zu »stürz[]en«, meinen kann. In der Hamburger Bühnenfassung führt die Königin dagegen vor, dass sie Posas Rede im Detail zu deuten weiß. Zu Beginn des Gesprächs hatte die Königin in beiden Fassungen noch gesagt: »Ich ehre Ihre Handlungen, / auch wenn ich sie nicht fasse«.58 Jetzt, da sie sie fassen kann, kann sie Posas Handlungen nicht mehr ehren. Zwischen dem Beginn des Gesprächs und seinem Ende (»Ich schätze keinen Mann mehr«59) liegt ein rapider Lernprozess. Derart rapide, dass die Königin ausrufen kann: »Oh, wie betrog mich mein Gefühl!«, und mit solch ernüchterndem Effekt ist der Prozess jedoch nur in der Hamburger Bühnenfassung. Denn in der Erstausgabe hatte die Königin schon einige Verse zuvor erste Zweifel an Posa geäußert, in einem Passus, den Schiller dann gestrichen hat: KÖNIGIN           Marquis, Ihr Freund erfüllte sie so ganz, daß Sie mich über ihm vergaßen. Glaubten Sie im Ernst mich aller Weiblichkeit entbunden, da Sie zu seinem Engel mich gemacht, zu seinen Waffen Tugend ihm gegeben? Das überlegten Sie wohl nicht, wie viel für unser Herz zu wagen ist, wenn wir mit solchen Namen Leidenschaft veredeln.60 Mit »Glaubten Sie im Ernst  …«, »Das überlegten Sie wohl nicht  …« verrät die Königin schon hier, dass sie Posas Handlungen nicht mehr einfach nur ehren kann. Und wenn sie mit »Herz« und »Leidenschaft« Gefühle thematisiert, so 57 58 59 60

NA 6, S. 273, V. 5181–5188. NA 6, S. 266, V.4991  f., und NA 7.1, S. 169, V. 2928  f. NA 6, S. 274, V. 5196, und NA 7.1, S. 175, V. 3045. NA 6, S. 271  f, V. 5142–5150.

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bereits kritisch, als prekäre. Es wäre folglich ihrem Prestige (bei Posa und bei uns, dem Publikum) recht abträglich, wenn sie nur wenig später eingestehen müsste, von ihrem Gefühl betrogen worden zu sein, ungeachtet ihrer theoretischen Einsicht. Schon aus diesem Grund musste der eben zitierte Passus wegfallen, wenn die Königin, in der Hamburger Bühnenfassung, ausrufen soll: »Oh, wie betrog mich mein Gefühl!« Ein tieferer Grund für die Kürzung liegt aber darin, dass die Königin mit ihrem Ausruf implizit eingesteht, Posa idealisiert zu haben. Gerade der Hang zum unbedachten Idealisieren wird jedoch in dem gestrichenen Passus, von der Königin selbst, an Posa getadelt. Wäre der Passus stehen geblieben, so verfiele sie, in der Hamburger Bühnenfassung, ihrem eigenen Verdikt. Da Schiller nun aber gekürzt hat, und die Königin ausruft: »Oh, wie betrog mich mein Gefühl!«, ist ihr Urteil über Posa härter geworden.61 Umgekehrt hat sich, mit dem Ausruf, auch ihr Charakter verändert. Genauer, ihr Ausruf zeugt von einer charakterlichen Veränderung, die schon mit dem Wegfall der ersten drei Szenen des vierten Aktes eingetreten war. In der Szene IV.3 der Erstausgabe hatte die Königin noch mit einem Plan sympathisiert, der ihr von Posa vorgetragen wurde; einem Plan, der den Aufstand der niederländischen Provinzen unter der Führung von Don Karlos bezweckte.62 Das war schon fast ein Komplott gewesen; und moralisch fragwürdig.63 In der Hamburger Bühnenfassung ist Posa verschwiegener, und die Königin bleibt moralisch unversehrt. Umso größeres Gewicht erhält das Urteil, zu dem sie im Verlauf ihres Lernprozesses gelangt.

VII Die Hamburger Bühnenfassung ist nicht nur kürzer, die Figuren verschweigen in ihr auch mehr als in der Fassung der Erstausgabe. Das war ein erster, quantitativer Befund unserer Studie. Dieser Zuwachs an Verschwiegenheit hat ein Mehr an interpretativer Arbeit zur Folge, wie sich bald zeigte; bei den Figuren selbst,

61 Wie das mit Schillers eigenem Urteil über den Marquis zu vereinbaren ist, das er ja, wie die Briefe über Don Karlos belegen, zwischen dem Abschluss der Erstausgabe und der Erarbeitung der Hamburger Bühnenfassung revidiert hat, wollen wir hier nicht entscheiden. Denn dazu müssten wir auf die schon seit längerem kontrovers geführte Diskussion über die Briefe eintreten. Vgl. Guthke, Don Karlos, S. 134 und S. 137–139. 62 Vgl. NA 6, S. 206–211, V. 4149–4221. 63 Deshalb kann Guthke auch sagen, dass »die Königin […] nicht das Modell der Gediegenheit [sei], zu dem sie oft stilisiert wird« (Guthke, Don Karlos, S. 137). Guthke bezieht sich auf die Fassung der Erstausgabe.



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sobald sie in die Rolle von Zuhörern wechseln, und ebenso bei uns, dem externen Publikum. Interpretation schließt fast zwingend eine Reflexion auf die Wirkungsabsicht mit ein. Auf die Wirkungsabsicht der Figur, die etwas verschweigt; aber auch, wenn wir es sind, die interpretieren, auf die Wirkungsabsicht des impliziten Autors. Das ist noch zwingender der Fall, wenn wir zwei Fassungen eines Textes vergleichen. Sobald wir uns dafür entscheiden, sie als zwei Fassungen (und nicht als zwei verschiedene Texte) zu lesen, unterstellen wir auch einen impliziten Autor, der für beide Fassungen zuständig ist.64 Ein impliziter Autor verfolgt per se eine Wirkungsabsicht – auf die wir rekurrieren, wann immer wir, angesichts von Textdifferenzen, nach den Gründen einer Änderung fragen. Das haben wir im Voranstehenden öfter getan. Indessen hat der implizite Autor von Don Karlos nicht nur so gekürzt, dass die Figuren in der Hamburger Bühnenfassung mehr verschweigen als sie in der Erstausgabe tun. Er hat auch so gekürzt, dass die Perspektive der internen Interpreten tendenziell zu der unsrigen wird.65 Damit hat er uns vor ähnliche interpretative Probleme gestellt, wie sie seine Figuren haben; zugleich hat er uns tieferen Einblick in ihre Psyche gewährt. Schillers psychologisches Interesse ist vielfach belegt. Es begleitet sein dramatisches Schaffen durchweg und hat sich auch in Don Karlos vielerorts eingeschrieben. Einige der Stellen, an denen das geschehen ist, hat Pikulik schon aufgesucht;66 doch nur in der Fassung der Erstausgabe und nur mit Blick auf die Figuren. Für Pikulik wird Schillers Interesse bereits an den Bedingungen sichtbar, unter denen die Figuren kommunizieren; nämlich unter dreifachem Zwang, ausgeübt durch die Etikette des Hofs, den Staat und die Inquisition.67 Dass Schiller seine Figuren in einen Rahmen solcher Art zwingt, führt Pikulik zurück auf einen methodischen Anspruch, der von weit her rührt (und den er im ersten, einleitenden Teil seines Buches rekonstruiert).68 Es genügt, hier daran zu erinnern, dass Schiller, im Zuge seiner medizinischen Ausbildung, mit einer Psychologie in Kontakt kam, die bereits zur empirischen geworden war und die, mit dem influxus physicus, auch soziale Einwirkungen zu erkunden begann.69 Wenn Schiller 64 Er ließe sich als ein impliziter Autor zweiter Ordnung begreifen … 65 Zu der unsrigen meint, in Pfisters Terminologie übersetzt: zu der auktorial intendierten Rezeptionsperspektive. Vgl. hierzu Pfister, Das Drama, S. 90–103. 66 Vgl. Pikulik, Der Dramatiker als Psychologe, S. 174–195. 67 Vgl. ders., S. 171–173 und S. 189. 68 Vgl. ders., S. 19–88. 69 Vgl. Wolfgang Riedel, Influxus physicus und Seelenstärke. Empirische Psychologie und moralische Erzählung in der deutschen Spätaufklärung und bei Jacob Friedrich Abel, in:

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später als Dramatiker seine Figuren in »drangvolle[] Situation[en]« bringt,70 so wendet er ins Ästhetische, was er an der Karlsschule kennengelernt hatte. Zumal er in der Vorrede zu seinen, parallel mit den medizinischen Dissertationen entstandenen Räubern, die »dramatische Methode« lobt, welche es erlaube, »die Seele gleichsam bei ihren geheimsten Operationen zu ertappen«.71 Diese dramatische (und psychologische) Methode wendet Schiller nicht nur in den Räubern an. Denn »überall in seinen Dramen« lässt sich beobachten, wie »soziale und politische Umweltbedingungen […] auf die Psyche« der Figuren wirken.72 Don Karlos wäre demnach als Versuchsanordnung zu begreifen. Methodisch will Schiller aber auch auf sein Publikum wirken. Und damit nicht genug. Er will es mit denselben Mitteln tun. Zu diesem Schluss kommt Stachel, der, in der Nachfolge von Pikulik, Schillers Überlegungen zur Wirkung von Bühnentexten befragt hat;73 so eindringlich, dass wir ihm nun ebenfalls Anthropologie und Literatur um 1800, hg. von Jürgen Barkhoff und Eda Sagarra München 1992, S. 24–52, bes.  S. 25  f. Zwar ist nicht belegt, dass Schiller Sulzer las, der, um die Seele »bey ihren geheimsten Wirkungen« beobachten zu können, vorzüglich solche Fälle in den Blick nahm, »wo [sie] gezwungen ist, wider ihren Willen zu handeln« (vgl. Johann Georg Sulzer, Erklärung eines psychologisch paradoxen Satzes: Dass der Mensch zuweilen nicht nur ohne Antrieb und ohne sichtbare Gründe sondern selbst gegen dringende Antriebe und überzeugende Gründe handelt und urtheilet, in: Vermischte philosophische Schriften, hg. von dems., 2 Teile in 1 Band. Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1773–81, Hildesheim/New York 1974, S. 99–121, bes.  S. 100; vgl. auch Pikulik, Der Dramatiker als Psychologe, S. 73). Doch waren dessen Schriften an der Karlsschule bekannt (vgl. Riedel, Influxus physicus und Seelenstärke, S. 31). Akzeptierte Lehrmeinung war jedenfalls, dass zum influxus physicus auf die Seele das soziale Umfeld ebenso beitrage wie der von ihr bewohnte Körper, wie die klimatischen Umwelteinflüsse oder die Erziehung (vgl. Wolfgang Riedel, Einleitung, in: Jacob Friedrich Abel. Eine Quellenedition zum Philosophieunterricht an der Stuttgarter Karlsschule (1773–1782). Mit Einleitung, Übersetzung, Kommentar und Bibliographie, hg. von dems., Würzburg 1995, S. 375–450, bes.  S. 427  f.; vgl. ferner ders., S. 433). Dieser Lehrmeinung hat Schiller ja schon in seinem Bericht über den Mitstudenten Grammont Rechnung getragen (vgl. ders., Über die Krankheit des Eleven Grammont, in: NA 22, S. 19–30). 70 Vgl. seine Selbstrezension der Räuber, von 1782, in NA 22, S.  115–131, bes.  S.  125; ähnlich und ausführlicher in seinem Vortrag »Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken?« von 1785, in NA 20, S.  87–100, bes.  S.  96: »Sie [d.  i. die Schaubühne] zieht uns künstlich in fremde Bedrängnisse«. 71 Friedrich Schiller, Die Räuber, hg. von Herbert Stubenrauch, NA 3, Weimar 1954, S. 5. Pikulik macht diese definitorisch daherkommende Charakterisierung des Genres zur Leitthese seiner Untersuchung, vgl. ders.  S. 9  f. 72 Pikulik, Der Dramatiker als Psychologe, S. 171. 73 Und zwar gerade auch jene für uns besonders wichtigen Überlegungen, die sich in den Thea­terschriften der achtziger Jahre finden. Vgl. Thomas Stachel, Der Ring der Notwendigkeit. Friedrich Schiller nach der Natur, Göttingen 2010, bes.  S. 128–133, mit Hinweisen auf die einschlägigen Stellen. Vgl. auch Pikulik, Der Dramatiker als Psychologe, bes.  S. 317–322.



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folgen können. Das »innere[] Räderwerk«74 der Zuschauer solle ebenso in Betrieb gesetzt werden wie jenes der Figuren auf der Bühne; und zwar, wie Stachel prägnant formuliert, »mit einer Übersetzung von eins zu eins«.75 In der Praxis tut Schiller auch genau dies; zumindest im Fall seiner Bearbeitung des Don Karlos für die Hamburger Bühne. Er gleicht die Zuschauerperspektive der Figurenperspektive an und bringt uns damit in dieselben interpretativen Schwierigkeiten, denen die Figuren ausgesetzt sind. Werden wir dessen inne, so ist »der Mensch mit dem Menschen bekannt [ge]macht[]«,76 worauf die schillersche Dramatik ja allemal hinaus will. Ob Schiller derart auch in anderen Dramen vorging, die er mehrfach überarbeitet und in mehreren Fassungen vorgelegt hat? Diese Frage kann hier nur noch angesprochen werden.

74 So in der Vorrede zur ersten Auflage der Räuber, NA 3, S. 6. Ähnlich in dem Vortrag Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken? von 1784, NA 20, S. 97 (»das geheime Räderwerk«). 75 Stachel, Der Ring der Notwendigkeit, S. 130. 76 NA 20, S. 97 (Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken?).

achim aurnhammer / hanna klessinger

was macht schillers wilhelm tell zum helden? Eine deskriptive Heuristik heroischen Handelns

Einleitung ›Helden‹, gleich welcher Art und unabhängig von Zeit und kulturellem Milieu, werden über ihre ›Taten‹ definiert.1 Allerdings bleibt das Phänomen ›Tat‹ oft vage. So führt bereits der Begriff ›Tat‹ insofern in die Irre, als zumeist ›heroisches Handeln‹ in einem weiteren Sinne gemeint ist. Überdies bleibt oft unklar, worin die eigentliche ›heroische Tat‹ besteht, ob sie zwingend eine körperliche Aktion erfordert oder ob auch Reden (›speech acts‹) oder sogar Nichtstun im Sinne des Sich-Verweigerns hinreichend sein können. Umstritten sind auch das Kriterium des Erfolgs und die Frage nach der Eingrenzung einer Tat von ihrem Beginn bis zu ihrer Vollendung, mit anderen Worten: Beginnt die heroische Tat bereits mit dem Entschluss zum Handeln und endet sie wirklich schon mit der Überwindung des widerständigen Prinzips oder gehört nicht das Nachleben, etwa in Form einer Legende, untrennbar zu ihr? Bislang liegt jedenfalls keine zufriedenstellende Theorie vor, mit der sich die diversen ›Heldentaten‹ skalieren und vergleichen lassen. Einen möglichen Ausweg aus diesem Dilemma sehen wir in einer deskriptiven Heuristik, die im Folgenden dargelegt und an Friedrich Schillers Wilhelm Tell (1804) analytisch erprobt wird.2

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Dieser Aufsatz entstand im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Sonderforschungsbereichs 948 Helden – Heroisierungen – Heroismen an der AlbertLudwigs-Universität Freiburg. Die eingeklammerten Angaben im Text (Aufzug, Szene, Vers) folgen der kritischen Edition in Friedrich Schiller, Werke. Nationalausgabe (NA). Die Braut von Messina. Wilhelm Tell. Die Huldigung der Künste, Bd. 10, hg. von Siegfried Seidel, Weimar 1980, S. 127–277 [Text] und S. 365–528 [Kommentar]. Der NA, die wegen interpolierter Verse gelegentlich von anderen Ausgaben in der Verszählung abweicht, liegt der Erstdruck aus dem Jahre 1804 zugrunde.

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Schillers »Schauspiel« über den Schweizer Nationalhelden gilt als ModellDrama des Heroischen,3 das Heldentaten zugleich zeigt und reflektiert, indem es direkte und indirekte Darstellungsweisen miteinander verknüpft.4 Die Forschung blieb allerdings Antworten darauf schuldig, worin genau Tells Heroik besteht, und beschränkte sich auf allgemeine Hinweise, die theoretisch unterbestimmt bleiben oder eine Theorie heroischen Handelns implizit mitführen, ohne sie vorher auszuweisen.5 Strittig ist bereits, welche Heldentat oder -taten Tell voll3

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Grundlegend zu Heldendiskursen bei Schiller ist die Studie von Nikolaus Immer, Der inszenierte Held. Schillers dramenpoetische Anthropologie, Heidelberg 2008. Zu Wilhelm Tell vgl. ebd., S. 410–431. Immer verortet die »Inszenierung« von Schillers Helden im kulturgeschichtlichen Kontext zeitgenössischer Heldenkonzepte, bietet in diesem Zusammenhang aber keine theoretisch-systematische Reflexion über das Konzept heroischen Handelns. Das Motiv des heroischen Retters und Selbsthelfers behandelt Claude Haas, »Jetzt Retter hilf dir selbst – du rettest alle!«. Zur Tragödienpolitik der (Lebens-)Rettung in Schillers Wilhelm Tell, in: Rettung und Erlösung. Politisches und religiöses Heil in der Moderne, hg. von Johannes F.  Lehman und Hubert Thüring, Paderborn 2005, S.  123–147. Horst Römer, Die Überwindung der Tragödie – Schillers Wilhelm Tell als »Schauspiel«, in: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 59 (2015), S. 135–155, bes.  S. 139, macht die Modernisierung der Gattungs­tradition des heroischen Dramas insbesondere an der Ablösung der »Tragödie« durch das »Schauspiel« fest. Einzig Dirk Oschmann, Ästhetik und Anthropologie. Handlungskonzepte von Gottsched bis Hegel, in: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 55 (2011), S. 91–118, hat das Drama bisher aus handlungstheoretischer Perspektive analysiert und auf die entscheidende Strukturanalogie von Sprache und Handeln verwiesen (vgl. ebd., S. 99), allerdings ohne Bezug zu Konzepten des Heroischen. Vornehmlich kulturhistorisch verfahren auch Untersuchungen, die Schillers Tell in eine heroische Traditionslinie stellen: Die Bedeutung mythischer Modelle und christlicher Motive erhellen Peter André Alt, Schiller. Leben – Werk – Zeit, München 2000, bes.  S. 580  ff., und Michael Hofmann, Schiller. Epoche  – Werk  – Wirkung, München 2003, bes.  S.  173  f. Hans A. Kaufmann, Nation und Nationalismus in Schillers Entwurf Deutsche Größe und im Schauspiel Wilhelm Tell. Zu ihrer kulturpolitischen Funktionalisierung im frühen 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1993, bes.  S. 120  f., kontrastiert zeitgenössische Konzeptionen von Nation und Größe mit Tells »Kleinbürgerlichkeit«. Im Zentrum der jüngeren Forschung stehen zudem Schillers Psychologisierung und Modernisierung des archaischen ›Alpenjägers‹ Tell: Michael Hofmann etwa zeichnet die Entwicklung »vom mythischen Helden zum reflektierenden ›Modernen‹« nach (vgl. Michael Hofmann, Schiller, S. 173.); Nikolaus Immer diagnostiziert einen »sentimentalische[n] Bruch« des heroischen Charakters (vgl. Nikolaus Immer, Der inszenierte Held, 428  ff.). In der Analyse der Figurenpsychologie ist auch die Parricida-Szene zunehmend in den Fokus gerückt, um Tells möglichen Gewissenskonflikt zu erörtern; vgl. etwa Georg-Michael Schulz, Wilhelm Tell. Schauspiel (1804), in: SchillerHandbuch, hg. von Matthias Luserke-Jaqui, Stuttgart 2005, S.  232, oder Peter André Alt, Schiller, S. 584. In welchem Zusammenhang die individuelle Psychologie jedoch zur Heroisierung des Protagonisten und zur Genese der Tell-Legende steht, bleibt unterbelichtet. Vgl. auch Albrecht Koschorke, Brüderbund und Bann. Das Drama der politischen Inklusion in



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bringt: Ungeachtet des dramenästhetischen Dilemmas, dass Schiller in seinem Schauspiel zwei heterogene heroische Stoffe kombiniert, das individuelle Motiv des Meisterschützen mit dem Kollektiv der Schweizer Eidgenossenschaft,6 fällt es schwer, eine bestimmte Heldentat zu isolieren. Schillers Drama bildet nämlich ein breites Spektrum heroischen Handelns ab und hilft damit, das Konzept ›Heldentat‹ zu differenzieren. Wilhelm Tell vollbringt in Schillers Schauspiel gleich mehrere Handlungen, welche die anderen Personen des Stücks als Heldentaten interpretieren und die in der Legendenbildung des Schweizer Nationalhelden miteinander konkurrieren: Erstens eine spontane ›Rettungstat‹ (I, 1), nämlich das sichere Geleit eines politisch Verfolgten, den er bei Unwetter über den Vierwaldstätter See rudert; zweitens einen symbolisch bedeutsamen Akt zivilen Ungehorsams, als er es unterlässt, den vom Landvogt Geßler aufgestellten Hut zu grüßen (III, 3); drittens die exzeptionelle Leistung, repräsentiert sowohl durch den meisterlichen Apfelschuss als auch durch den kühnen Tell-Sprung (III, 3 und IV, 1); viertens den Tyrannenmord, das Attentat auf den Repräsentanten einer Willkürherrschaft (IV, 3). Aufgrund dieser verschiedenen Handlungen verkörpert Tell vier Heldentypen: den Retter aus der Not, den Widerständler, den Sieger und Meister im Wettstreit und den Befreier oder Nationalhelden. Noch im letzten Akt des Dramas wird die Konkurrenz zwischen diesen Taten reflektiert, wenn Tells Frau Hedwig  – auf den Tyrannenmord verweisend  – ausruft: »Und euer Vater ists, der’s Land gerettet.« (V, 2, 3089), woraufhin ihr Sohn Walter – allerdings mit Bezug auf den Apfelschuss – ergänzt: »Und ich bin auch dabei gewesen, Mutter!« (V, 2, 3090). Allein die Vielfalt heroischen Handelns in Schillers Wilhelm Tell macht deutlich: Eine textnahe Analyse erfordert eine übergreifende Heuristik, welche die handlungs- und medientheoretischen Voraussetzungen heroischen Handelns einfängt.

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Schillers Tell, in: Das Politische. Figurenlehre des sozialen Körpers nach der Romantik, hg. von Uwe Hebekus. München 2003, S. 106–122, bes.  S. 109, der an der Parricida-Szene den sogenannten »Grenzkonflikt zwischen politischer und häuslicher Sphäre« (ebd.) hervorhebt. Zur Stoffgeschichte siehe die Studien von Barbara Piatti, Tells Theater. Eine Kulturgeschichte in fünf Akten zu Friedrich Schillers Wilhelm Tell, Basel 2004, S. 36–72, und JeanFrançois Bergier, Wilhelm Tell. Realität und Mythos [Guillaume Tell, 1988, dt.], München 1988. Zur historischen Deutung siehe Bruno Meyer, Die Entstehung der Eidgenossenschaft. Der Stand der heutigen Anschauungen, in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 2 (1952), S. 153–205. Einen leicht fasslichen Überblick bietet: Erläuterungen und Dokumente. Friedrich Schiller. Wilhelm Tell, hg. von Josef Schmidt, Stuttgart 1969, S. 44–62. Schillers historische Quellen (18 Titel) sind bibliographisch aufgeführt im Kommentar der Ausgabe: Friedrich Schiller, Dramen IV, hg. von Matthias Luserke, Frankfurt a.M. 1996, S. 742–744.

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1 Eine deskriptive Heuristik heroischen Handelns 1.1 Handlungstheoretische Grundlagen Einer deskriptiven Heuristik der ›Heldentat‹ muss ein weiter Begriff des Handelns zugrunde gelegt werden, der neben körperlichen Handlungen auch sogenannte ›speech acts‹ und symbolische Akte einschließt. Denn diese können ebenso Wirklichkeit verändern wie ein körperliches Eingreifen. Für einen solch weiten Handlungsbegriff steht Max Webers Definition: ›Handeln‹ soll […] ein menschliches Verhalten (einerlei ob äußeres oder innerliches Tun, Unterlassen oder Dulden) heißen, wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden.7 Webers weiter Handlungsbegriff umfasst nicht nur alle bisher skizzierten Formen. Mit der Intentionalität8 des Handelns (dem Hinweis auf den »subjektiven Sinn«, der diesem zugrunde liegen muss) liefert er zugleich ein Unterscheidungskriterium, das notwendig intentionales Handeln (oder Unterlassen) von einem zufälligen, unbewussten oder erzwungenen Verhalten abgrenzt. Für unser spezifisches Erkenntnisinteresse an heroischen Handlungen lässt sich im Anschluss an Weber die Sinnstiftung insofern präzisieren, als die heroische Sinngebung kommunikativ erfolgt.9 Daher kann sie auch retrospektiv eine Intention in die jeweilige Handlung hineinprojizieren. Heroischem Handeln muss zudem eine bestimmte Intention zugrunde liegen beziehungsweise es muss als aus dieser bestimmten Intention erfolgtes Handeln interpretierbar sein. Um den Kreis infrage kommender Handlungsmotive einzu7

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Max Weber, Gesamtausgabe Abt. 1. Bd. 23. Wirtschaft und Gesellschaft. Soziologie. Unvollendet 1919–1920, hg. von Knut Borchardt, Edith Hanke und Wolfgang Schluchter, Tübingen 2013, S. 149. Eine differenzierende Weiterführung von Webers Handlungssoziologie, die insbesondere den intentionalen Charakter hervorhebt, leistet Jürgen Habermas, Sprachtheoretische Grundlegung der Soziologie, in: Ders., Philosophische Texte. Studienausgabe in fünf Bänden, Bd. 1, Frankfurt a.M. 2009. Habermas fasst Handlungen im engeren Sinne als »Zwecktätigkeiten, mit denen ein Aktor in die Welt eingreift, um durch die Wahl und den Einsatz geeigneter Mittel gesetzte Ziele zu realisieren« (ebd., S. 197). Vgl. auch hier die weiterführende Konzeptionalisierung durch Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, in: Habermas, Sprachtheoretische Grundlegung der Soziologie, S.  157–196. Zur aktuellen Diskussion des kommunikativen Handlungskonzepts vgl. Axel Honneth/Hans Joas (Hg.), Kommunikatives Handeln. Beiträge zu Jürgen Habermas’ »Theorie des kommunikativen Handelns«, 4. erweiterte und aktualisierte Ausgabe, Frankfurt a.M. 2017.



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grenzen, lässt sich erneut auf Weber zurückgreifen, der den Typus ›sozialen Handelns‹ spezifiziert: ›Soziales‹ Handeln aber soll ein solches Handeln heißen, welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist.10 Als selbstlos für andere verstanden, gilt heroisches Handeln als ein Fall sozialen Handelns.11 Webers Definition eignet sich also in besonderem Maße für eine deskriptive Heuristik, zumal sie eine weitere Differenzierung ermöglicht.12 Innerhalb des sozialen Handelns unterscheidet Weber nämlich vier Idealtypen:13 1. Zweckrationales Handeln: der Akteur kalkuliert rational und erfolgsorientiert mit Erwartungen als »Bedingungen« oder »Mittel« für eigene Zwecke; 2. Wertrationales Handeln: der Akteur handelt ungeachtet der Konsequenzen und zweckmäßigsten Wahl der Mittel nur nach Maßgabe eines geglaubten (etwa ethischen, ästhetischen oder religiösen) Wertes; 3. Affektuelles, insbesondere emotionales Handeln: der Akteur reagiert getrieben durch aktuelle Affekte und Gefühlslagen; 4. Traditionales Handeln: der Akteur verhält sich durch eingelebte Gewohnheit. Dem Anspruch heroischen Handelns genügt am ehesten ein wertrationales Verhalten, selbst wenn es erst nachträglich einer Aktion unterstellt wird.14 Die 10 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 149. 11 Als sozial könnte prinzipiell sogar ein egoistisches Handeln gelten, sofern es der Allgemeinheit nutzt. Allerdings verweist Nikolaus Immer, Der inszenierte Held, S. 50, auf einen begriffsgeschichtlichen Wandel im 18. Jahrhundert: Die Aufklärung erachtete als ›Helden‹ nur Personen, die »verantwortungsbewusst für die Gemeinschaft handel[n]«. 12 Auch wenn seit Webers Ansätzen die Handlungstheorie innerhalb der Soziologie immens an Bedeutung gewonnen hat, ist das Modell nach wie vor aktuell und bietet für unsere Heuristik ein strukturierendes Raster. Zu Traditionen und zum Stand der aktuellen interdisziplinären Forschungsdiskussion vgl. das Handbuch Handlungstheorie. Grundlagen, Kontexte, Perspektiven, hg. von Michael Kühler und Markus Rüther, Berlin und Heidelberg 2016. 13 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 175–177. Unsere Definitionen halten sich eng an Webers Wortlaut. 14 Aus der Fülle theoretischer Neukonzeptionen sozialen Handelns sei hier exemplarisch auf die strukturale Semantik der Pariser Schule verwiesen, in der die sozialen Handlungsmotive aus semiotischer Perspektive in den Blick kommen: Im Rahmen seiner »Überlegungen zu den aktantiellen Modellen« nennt A. J. Greimas, Strukturale Semantik. Methodologische Untersuchungen [Sémantique structurale, dt.], Braunschweig 1971, bes.  S.  167, an erster

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Werte wiederum, die einer als heroisch interpretierbaren Handlung zugrunde liegen, hängen von gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen ab, sind kulturell bedingt und unterliegen historischen Wandlungen. Daraus ergibt sich der kon­ struktive und relationale Charakter heroischen Handelns. Um ihn angemessen zu erfassen, sei Webers auf den Akteur zentrierte Theorie sozialen Handelns weiter differenziert und um Publikum und Öffentlichkeit ergänzt. Zur entsprechenden Erweiterung des Handlungsbegriffs ist Leo Braudys Komponentenmodell des Ruhms hilfreich.15 Es lässt sich umstandslos auf das Heroische anwenden, indem es erlaubt, die verschiedenen Instanzen, die an der Heroisierung einer Tat beteiligt sind, differenzierter zu fassen. Nach Braudy sind vier Faktoren für eine Ruhmestat entscheidend, die sich auch auf die Heldentat im engeren Sinne übertragen lassen: »a Person and an accomplishment, their immediate publicity, and what posterity has thought about them ever since.«16 An einer Heroisierung beteiligt sind also (1) der Akteur, (2) die von ihm vollbrachte lobenswerte Tat, (3) die unmittelbare Anerkennung durch eine Gemeinschaft und (4) ein zeitüberdauerndes Medium.

1.2 Heldentaten als Relationengefüge Um die spezifizierte Handlungstheorie in eine Heuristik heroischen Handelns zu überführen, schlagen wir vor, ausgehend von Braudys Konzept der Komponenten, Heldentaten als Relationengefüge zu bestimmen. Die Analyse konstitutiver Relationen und ihrer spezifischen Ausprägungen identifiziert und klassifiziert nicht nur Heldentaten, sondern kann darüber hinaus auch die Legendenbildung erhellen: die performative Aushandlung eines Heldennarrativs zwischen Tat, Täter, Gegenspieler und Verehrergemeinde.

Stelle seiner Auflistung »[h]auptsächliche[r] thematische[r] Kräfte«, die das Handeln motivieren, die »Liebe« zum Anderen, verstanden als »geschlechtliche [Liebe] oder [Liebe] der Familie, oder des Freundes  – worein sich Bewunderung, moralische Verantwortlichkeit, Seelsorge mischt«. Eine weitere Differenzierungsmöglichkeit bietet die aktuelle AgencyTheorie der Sozialwissenschaft, die den individuellen, zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Handlungs-Spielraum analysiert. Vgl. zu dieser Differenzierung: Martin Hewson, Agency, in: Encyclopedia of Case Study Research, hg. von Albert J. Mills, Gabrielle Durepos und Elden Wiebe, Bd. 1, Washington u.  a. 2010, S. 12–16. 15 Leo Braudy, The Frenzy of Renown. Fame and Its History, New York, Oxford 1986. In seiner Geschichte zum Wandel des Ruhm-Konzepts setzt sich Dirk Werle, Ruhm und Moderne: eine Ideengeschichte (1750–1930), Frankfurt a.M. 2014, S. 32  f., kritisch mit Braudys Studie auseinander. 16 Leo Braudy, The Frenzy of Renown, S. 15.



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Für eine Heuristik von Heldentaten sind folgende Relationen konstitutiv:17 1. Held und Gegenspieler / Protagonist und Antagonist: Heldentaten im weiten Sinne profilieren sich als solche vor der Folie eines antagonistischen Moments. Heroisches Handeln muss in der Regel einen außergewöhnlichen bis übermenschlichen  – äußeren oder inneren (psychischen)  – Widerstand überwinden, in Gestalt eines individuellen Gegenspielers, der gesellschaftlich-politischen Rahmenbedingungen, hemmender internalisierter Normen oder einer anderen widerständigen Kraft. Je höher der Widerstand und damit die Gefahr ist, die es durch eine Handlung zu überwinden gilt, desto eher eignet sich die Tat zur Heroisierung durch ein Publikum. 2. Akteur und Tat: »Wer hat die That gethan?« (IV, 3, 2802): Diese Frage, die in Schillers Tell unmittelbar nach dem Tyrannenmord laut wird, zeigt die für eine Heroisierung offenbar notwendige Identifikation des Täters. Die Bindung einer Heldentat an einen heroischen Täter hat auch zur Folge, dass man nach dessen Motivation sucht. Da heroisches Handeln als soziales, genauer wertrationales Handeln, wirken soll, gilt: Je weniger eine Tat den eigenen Interessen des Akteurs dient oder je größer ihr kollektiver Nutzen ist, desto eher eignet sie sich zur Heroisierung. Vor allem die wertrationale Motivation des Handelnden, und nicht so sehr der Erfolg, entscheidet über die Heroisierbarkeit. Aus der Perspektive des Akteurs betrachtet, rückt außerdem der Moment des Entschlusses ins Blickfeld. Jedes Handeln setzt eine zeitlich befristete Entscheidung voraus. Dem Heroischen entspricht eher der kurze Entschluss, während eine langwierige Risikoabwägung lediglich als Komplement zu sonst rasch entschlossenem Handeln heroisch wirken kann. Sowohl das zeitliche als auch das inhaltliche, ethische Kriterium erweisen bereits den Entschluss zum Handeln als heroisch. 3. Heldentat, Medialität und Publika / Öffentlichkeiten: Unabhängig von der offenen Frage, ob heroisches Handeln überhaupt notwendige oder gar hinreichende Bedingung ist, um als Held verehrt zu werden, geraten die medialen Erfordernisse in den Blick, von denen die Heroisierung einer Handlung abhängt. Eine Heldentat reizt immer wieder zum Erzählen oder zu ikonischer Repräsentation und lässt sich in eine Kette von Ereig17 Grundlegende Überlegungen zur Heroik bietet der Überblicksartikel: Ralf von den Hoff et al., Helden – Heroisierungen – Heroismen. Transformationen von der Antike bis zur Moderne. Konzeptionelle Ausgangspunkte des Sonderforschungsbereichs 948, in: helden. heroes. héros. E-Journal zu Kulturen des Heroischen, 2013/01, S. 7–14, https://freidok.unifreiburg.de/data/10877 (letzter Zugriff am 11. 05. 2018).

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nissen einfügen, welche die Heldenlegende konstituiert. In der narrativen Repräsentation wird ein Handeln etwa dann zur Heldentat überhöht, wenn ihm epochale Bedeutung zugesprochen wird: Heroisches Handeln bedeutet dann Wiederherstellung eines korrumpierten Idealzustands oder Beginn einer neuen Ordnung. Die prominenten Narrative sind zudem darauf angelegt, über einen längeren Zeitraum hinweg vergemeinschaftend zu wirken, wie die Tell-Legende als Schweizer Gründungsmythos belegt.18 In den Legenden werden Heldentaten oftmals durch signifikante Attribute oder Requisiten repräsentiert.19 Diese garantieren – ähnlich wie bei Heiligen – die Wiedererkennbarkeit des Helden. Als ein solches Markenzeichen hat sich zum Beispiel Tells Armbrust etabliert, die sowohl auf den Apfelschuss als auch auf den Tyrannenmord verweist.

2 Tells ›Heldentaten‹ Im Folgenden sei die deskriptive Heuristik anhand einer textnahen Analyse von Tells Heldentaten in Schillers Drama erprobt. Die Auswahl der Szenen folgt der Dramaturgie der Tell-Handlung: Trotz der Gattungsbezeichnung »Schauspiel« weist der Handlungsstrang um den Titelhelden wesentliche Strukturmerkmale der Tragödie auf, transformiert und akzentuiert sie im Dienste des dramatischen Heldenportraits. In mediis rebus beginnt das Drama mit einem erregenden Moment: Als Retter des verfolgten Baumgarten (I, 1) wird Tell unmittelbar in Aktion präsentiert. Seine Situation und Vorgeschichte werden erst im dritten Akt in Form einer nachgetragenen Exposition vergegenwärtigt (III, 1), woraufhin mit der Apfelschussszene (III, 3) sogleich ein erster Höhepunkt der Tell-Handlung erreicht wird. Es folgt ein zweiter Durchlauf von erregendem Moment und Höhepunkt, denn auch dem zweiten Schuss (Hohle Gasse, IV, 3) ist eine Rettungstat vorgelagert: die Selbstrettung durch den berühmten Tell-Sprung (IV, 1). Als Peripetie des Heldengeschehens lässt sich die Parricida-Szene (V, 2) lesen, in der sich menschliche Schuld von übermenschlicher Heroik scheidet. Die folgenden Deutungen dieser Schlüsselszenen untersuchen anhand der konstitutiven Relationen, wie Schiller das Heldennarrativ in seinem Drama organisiert. Gezeigt 18 Thomas Maissen, Schweizer Heldengeschichten und was dahintersteckt, Baden 2015, S. 62– 71, legt ausführlich die Hintergründe der Legendenbildung dar und erläutert deren Popularität. 19 Die heroischen Requisiten stehen im Zentrum des Bandes: Vom Weihegefäß zur Drohne. Kulturen des Heroischen und ihre Objekte, hg. von Achim Aurnhammer und Ulrich Bröckling, Würzburg 2016 ([SFB 948] Helden – Heroisierungen – Heroismen, 4).



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werden soll ferner, wie Schillers Dramaturgie des Helden eine implizite Theorie seiner Heroisierung mitliefert. Diese motiviert die epischen Momente, welche die Tell-Szenen prägen: Sie scheinen stets aus der Kenntnis der gesamten Legende gestaltet. Dadurch überlagern sich Aktion und prospektive Retrospektion auf ­signifikante Weise.

2.1 Tell als heroischer Retter (I, 1) Die heroische Folie, die durch Tell konkret wird, wird schon vor dessen erstem Auftritt in einem expositorischen Volkslied eingeführt. Ein anonymer Alpenjäger feiert darin den Mut dieses Schweizer Typus: Es donnern die Höhen, es zittert der Steg, Nicht grauet dem Schützen auf schwindlichtem Weg (I, 1, 25  f.). Als Tell kurz darauf als spontaner Retter des verfolgten Baumgarten auftritt, erscheint er als Inkarnation dieses präfigurierten Ideals.20 Das Helden-Narrativ ist somit schon etabliert, bevor die erste Tat Tells überhaupt vollzogen und als Heldentat interpretierbar wird. Die im volkstümlichen Lied tradierten Werte des ›Schweizer Helden‹ liefern das Muster zur Heroisierung des Protagonisten. Die Fahrt über den Vierwaldstätter See, durch die Tell den flüchtigen Baumgarten rettet, der den Burgvogt »erschlagen« hat (I, 1, 79), erweist den heldenhaften Charakter dieses Alpenjägers und die Einzigartigkeit seiner Tat.21 Vordergründig trotzt Tell den Naturgewalten als widerständigem Prinzip, doch indem er einen ›Tyrannenmörder‹ rettet, wird zugleich der Kontext des Politischen eröffnet.22 Ausführlich zur Sprache kommt in dieser Szene die Relation von Akteur 20 Auf das strukturbildende Motiv der Rettung und die daran anschließende Lesart, die Tell als säkularisierten Heiligen mit messianischen Zügen begreift, verweist Gert Ueding, Wilhelm Tell, in: Interpretationen. Schillers Dramen, hg. von Walter Hinderer, Stuttgart 1992, S. 395–399. 21 Tells »exzeptionelle Konstitution« in dieser Szene arbeitet Nikolas Immer, Der inszenierte Held, S. 412, heraus. Laut Haas, »Jetzt Retter hilf dir selbst – du rettest alle!«, S. 124, lässt sich die »Figur der Rettung« in dieser Szene doppelt bestimmen: Zum einen zeige Schillers Schauspiel die »Rettung in ihrer rudimentären Form der Lebensrettung«, die auf rechtlicher Ebene einem souveränen Akt vorbehalten bleibe. Darüber hinaus inszeniere das Drama aber auch »genuin heroische[  ] Rettungsaktionen, die zum Souveränitätsprinzip  – und damit auch zum Bereich des Rechts – quer stehen« (ebd.). 22 Als Kriterium des Politischen verstehen wir im Sinne von Carl Schmitt die Unterscheidung von Freund und Feind, die den äußersten Intensitätsgrad einer Assoziation oder Dissoziation bezeichnet; vgl. Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen. Text von 1932 mit einem Vor-

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und Tat. Als Heldentat erscheint Tells Handeln, weil er situativ, kurz entschlossen und selbstlos handelt und der objektiven Gefahr trotzt:23 Den Bedenken, welche die anderen wegen der widrigen Umstände äußern (»Ein schweres Ungewitter ist / Im Anzug« [I, 1, 104  f.]), hält Tell die Proportion von Not und Wagnis entgegen: »Wo’s Noth thut, Fährmann, läßt sich alles wagen« (I, 1, 136). Sein selbstloses wertrationales Handeln äußert er als überpersönliche Maxime in dritter Person: »Der brave Mann denkt an sich selbst zulezt«, woraufhin er den Entschluss zur Tat in der zweiten Person als imperativische Selbstansprache fasst: »Vertrau auf Gott und rette den Bedrängten« (I, 1, 139  f.). Um die Heroik seines Handelns und seines Charakters zu beglaubigen, ist aber eine zweite objektive Instanz vonnöten. Die Einzigartigkeit von Person und Tat werden durch Fremdcharakterisierung gestützt: So überhöht der Flüchtling Baumgarten seinen Retter Tell – noch bevor sie die Schifffahrt antreten – als gottgesandten Helden: »Mein Retter seid ihr und mein Engel, Tell!« (I, 1, 154). Auch der Fischer Ruodi verbürgt über die konkrete Rettungstat hinaus Tells Einzigartigkeit: »Es giebt nicht zwey, wie der ist, im Gebirge« (I, 1, 164). So wird Tells wertrationales Handeln durch die Positionen im Relationengefüge garantiert: Die ethischen Grundsätze des Helden werden unmittelbar verbalisiert und zugleich durch ein Publikum beglaubigt. Beide Momente garantieren die künftige Heroisierbarkeit der Handlung, noch bevor sie überhaupt vollzogen wird. Die für die Heroisierung entscheidende Relation von Tat und Publikum ist in der Eingangsszene klar konturiert. Denn schon in diesem frühen Stadium der Dramenhandlung bahnt sich die Legendenbildung an: In Form einer prospektiven Retrospektion wird Tell noch vor jeder heroischen Handlung als naiver Tatmensch und künftiger Nationalheld präsentiert. Es ist Tell selbst, der sein Tun für unabdingbar erklärt, wenn er einen Hirten beauftragt, seiner Frau im Falle seines Todes folgende Nachricht zu übermitteln: »Landsmann, tröstet ihr / Mein Weib, wenn mir was menschliches begegnet, / Ich hab’ gethan, was ich nicht lassen wort und drei Corollarien, 7. Aufl. (5. Nachdruck der Ausgabe von 1963), Berlin 2002, S. 26  f. Volker Neumann, Carl Schmitt als Jurist, Tübingen 2015, S. 94  f., weist darauf hin, dass nach Schmitt diese unüberbrückbare Dissoziation nicht individuell, sondern »gruppenmäßig« (ebd.) bestimmt ist. 23 Nach Gert Ueding, Wilhelm Tell, S.  395, charakterisiert diese Szene nicht nur den Protagonisten Tell als »mutigen, hilfsbereiten und tatkräftigen« Mann, sondern eröffnet auch »im Drama das Rettungsgeschehen«. Haas, »Jetzt Retter hilf dir selbst – du rettest alle!«, S.  128, weist zudem darauf hin, dass Tell in dem späteren Dialog mit Hedwig angibt, er habe zuvorderst an seine Familie gedacht, als er Baumgarten über den See half (vgl. III, 1, 1529). Auch Koschorke, Brüderbund und Bann, sieht in der Verletzung des Privaten, der »heilige[n] Schwelle des Hauses« (ebd., S. 108), die drameninterne Rechtfertigung für den Tyrannenmord.



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konnte« (I, 1, 158–160). Tells vorweggenommener Rückblick auf seine Tat ist zwar aus der Sprechsituation heraus szenisch motiviert, weist jedoch als vorgängige Reflexion auf die spätere Legendenbildung voraus. Außerdem pointiert sein Vermächtnis den Entschluss zur Tat als eigentlich heroischen Moment: Da Tell aus unumstößlichen ethischen Grundsätzen – und ungeachtet der möglichen Konsequenzen – handelt, ist die Heroisierbarkeit seiner Tat schon mit dem Entschluss gegeben und wäre selbst im Falle des Scheiterns gewährleistet. Am Selbstbild des unpolitischen Einzelgängers, das Tell von sich entwirft, hält er auch in dem politischen Dialog mit Stauffacher in I, 3 fest, wenn der Hut auf der Stange als symbolisches Herrschaftszeichen installiert wird. Tell, den Stauffacher als Mitverschwörer gewinnen will, spricht von sich selbst vornehmlich in der dritten Person und in unpersönlichen Sentenzen. Stauffachers Appell zur nationalen Opposition, die auf den Umschlag von politischer Agitation in Handeln setzt (»Doch könnten Worte uns zu Thaten führen« [I, 3, 419]), wehrt Tell attentistisch ab: »Die einz’ge That ist jezt Geduld und Schweigen« (I, 3, 420). Tell erklärt sich als parteilosen Einzelgänger (»Der Starke ist am mächtigsten a l l e i n « [I, 3, 437]), dessen Handeln eben nicht politisch, sondern situativ motiviert ist. Er ist ein spontaner Nothelfer, kein planerischer Überzeugungstäter: Dies zeigt sein abschließendes Bekenntnis in dritter Person, in dem sich, untypisch für das Blankversdrama, »Rath« (I, 3, 442) und »That« (I, 3, 444), also Reden und Handeln, reimen und durch Sperrung graphisch hervorgehoben sind:24 Der Tell holt ein verlornes Lamm vom Abgrund, Und sollte seinen Freunden sich entziehen? Doch w a s ihr thut, laßt mich aus eurem R a t h , Ich kann nicht lange prüfen oder wählen, Bedürft’ ihr meiner zu bestimmter T h a t , Dann ruft den Tell, es soll an mir nicht fehlen. (I, 3, 440–445). Diese Stelle lässt ein typisches Stilmittel des Dramas erkennen: Tells Reden in Sentenzen, sein Sprechen von sich in der dritten Person sowie in prospektiver Retrospektion pointieren eine ›epische‹ Vermittlungsperspektive.25 Jede szenische Gegenwart scheint aus der Kenntnis der gesamten Tell-Legende heraus 24 Hans-Jörg Knobloch, Wilhelm Tell, in: Schiller-Handbuch, hg. von Helmut Koopmann, Stuttgart 2011, 2. Aufl., S. 526, deutet den Reim charakterologisch: »Tell ist kein Mann des ausgeklügelten Disputes […] aber dafür ist er ein Mann der Tat.« 25 Nikolas Immer, Der inszenierte Held, S. 414, hebt ebenfalls Tells »sentenziöse Sprechweise« hervor, deutet diese jedoch im Sinne des »Selbstschutz[es]« und der »Distanz zwischen den Gesprächspartnern«, die Tells »exzeptionellen Status« unterstreichen.

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inszeniert, wodurch stets die Funktion einzelner Handlungsmomente innerhalb dieser Legende markiert wird. Dieses Stilmittel ist entscheidend für Schillers ›implizite Theorie‹ heroischen Handelns, die sein Drama entwirft.

2.2 Die ›nachgetragene Exposition‹ (III, 1) Nachdem der zweite Aufzug der politischen Handlung um den Rütli-Schwur gewidmet ist, steht im zentralen dritten Aufzug wiederum der Protagonist Tell im Zentrum – den Höhepunkt bildet der Apfelschuss (III, 3). Ihm vorgelagert ist eine Art nachgetragene Exposition der Tell-Handlung. Sie zeigt den Protagonisten im ersten Auftritt des dritten Aktes zunächst im häuslichen Kreis. Ein charakteristisches Requisit deutet in dieser expositorischen Szene auf das Kommende voraus und wirkt wiederum wie ein vorgezogener Verweis auf die spätere Legende: Tells Söhne spielen im stummen Eingang der Szene mit einer »kleinen Armbrust« (III, 1, Regieanweisung vor 1466)  – dem heroischen Requisit des Schweizer Na­tionalhelden. Im Medium des (Volks-)Lieds vom freien Schützen im Gebirge (III, 1, 1466–1477) wird diese vorausdeutende Szene zusätzlich kommentiert. Das Verhältnis von Akteur und Tat wird hier – wiederum prospektiv – in eine Genealogie gestellt: Tells Vermächtnis wird durch seine ihm nacheifernden Söhne verkörpert.26 Auch die maßgebliche mediale Vermittlung der Legende wird in dieser Szene akzentuiert. Das Medium Volkslied bettet die Handlungsgegenwart erneut in eine überzeitliche Tradition ein. Über die besungene Freiheit des Jägers ist die häus­ liche Szene zudem mit dem identitätsstiftenden – politischen – Freiheitskonzept des Schweizer Volkes verbunden, wie die Strophen zwei und drei des von Tells Sohn Walther gesungenen Lieds offenbaren:  Wie im Reich der Lüfte König ist der Weih, – Durch Gebirg und Klüfte Herrscht der Schütze frei.  Ihm gehört das Weite Was sein Pfeil erreicht, Das ist seine Beute, Was da kreucht und fleugt. (III, 1, 1470–1477)

26 Bisher ist diese im Drama angelegte Imitatio heroica noch nicht untersucht worden.



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In seiner Bildlichkeit ist dieses Lied politischer, als es den Anschein hat. So wird der »Schütze« über die Verbmetapher »herrschen« mit einem Raubvogel, dem »Weih«, dem »König« der Lüfte, parallelisiert. Indem aber die Folgestrophe ihm als »Beute« unterordnet, »was da kreucht und fleugt«, wird der Schütze als Herrscher in einer nachträglichen Korrektur auch dem König der Lüfte übergeordnet. So entpuppt sich das Naturbild als vordergründige Tarnung eines politischen Herrschaftsanspruchs. Das Lied ist zwar situativ in der Handlungsgegenwart eingebettet, doch scheint der Gebirgsjäger Tell hier ebenfalls schon zur überzeitlichen Legende im Lied geronnen. Den Titel »Schütz« (III, 1, 1468) greift der Heldenjubel des Volkes im Schlussakt auf: »Es lebe Tell! der Schütz und der Erretter!« (V, Letzte Szene, 3281). Auch Tells Sentenzen – »Früh übt sich, was ein Meister werden will« (III, 1, 1481) – weisen über die Handlungsgegenwart hinaus und klingen wie aus dem Mund einer überzeitlichen Figur der Legende. Zwei ausgreifende Erzählungen der Eheleute Tell und Hedwig, die ebenfalls Teil der nachgetragenen Exposition III, 1 sind, unterstützen die Tendenz prospektiver Heroisierung und akzentuieren ihre wesentlichen Relationen:27 Hedwig identifiziert den im Volkslied evozierten Typus des Gebirgsjägers explizit mit Tell. Ihre Evokation von Tells »Wagefahrten« (III, 1, 1494) entwirft zugleich Todesartenlegenden des »verwegnen Alpenjäger[s]« (III, 1, 1505). Dadurch wird der heroische Kontext antagonistischer Gefahr als Lebensprinzip Tells beglaubigt. Kontur gewinnt der Held auch in dieser Szene erst im Verhältnis zu seinem Gegenspieler: Ein ausführlicher Bericht Tells (ab III, 1, 1548) profiliert die heroischen Charakterzüge des Helden weiter. Die von Tell geschilderte Begegnung mit Geßler im Gebirge »Bloß Mensch zu Mensch und neben uns der Abgrund« (III, 1, 1557) dient dazu, Rechtschaffenheit und Großmut als ethische Grundsätze des Helden zu demonstrieren. Tell nutzt die asymmetrische Situation, in der er dem vor Angst zitternden Geßler mit seinem »stattlichen Gewehr« (III, 1, 1561) entgegenkommt, nicht aus. Die Szene motiviert jedoch die feigen Rachegelüste Geßlers, die in der Apfelschussszene gipfeln. Mit den Worten »Daß du ihn schwach gesehn, vergiebt er nie« (III, 1, 1572), durchschaut Hedwig die Psychologie dieses rachsüchtigen Gegenspielers.

27 Erstaunlicherweise sind die ausgreifenden Erzählpassagen ebenso wie andere strukturell dominante epische Aspekte, die für die Legendenbildung entscheidend sind, bisher weitgehend unbeachtet geblieben. Lediglich Walter A.  Berendsohn, ›Wilhelm Tell‹ als Kunstwerk. Struktur- und Stilstudien, in: Studier i modern sprakvetenskap, hg. von Börje Schlyter et al., Stockholm 1960, S.  5–78, erwähnt diesen Einschlag episierender Berichte, der mit 547 Versen etwa ein Sechstel des Dramas ausmacht (vgl. S. 11  f.), deutet ihn jedoch nur als Ausweitung von Schauplatz und »Zeitperspektive« (S. 12).

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Tells Erzählung, in der er sich als Alpenjäger in seiner natürlichen Umgebung der unwegsamen »wilden Gründe« (III, 1, 1549) inszeniert, kontrastiert topographisch mit der öffentlichen »Wiese bei Altdorf«, dem Schauplatz der ApfelschussSzene (III, 3). Dieser ist  – allein durch den Hut auf der Stange  – geprägt vom Kontext des Politischen und seiner symbolischen Codes, der dem freiheitsliebenden und selbstbestimmten Einzelgänger letztlich wesensfremd ist.

2.3 Die Apfelschuss-Szene (III, 3) Auf dem Höhepunkt der Handlung, in der Apfelschuss-Szene, wird Tells Begegnung mit Geßler im Gebirge unter umgekehrten Vorzeichen wiederholt und szenisch dargeboten: Nun steht ein zitternder Tell (vgl. III, 3, 1981  f.) dem mächtigen Landvogt gegenüber.28 Auch wenn es Tell zuvor in einem symbolischen Akt zivilen Ungehorsams unterlässt, den aufgestellten Hut zu grüßen,29 überwindet er die auf Einschüchterung abzielende politische Machtdemonstration. Doch tut er dies nicht im offenen Widerstand, sondern seiner Natur als freier Jäger gemäß.30 Daraufhin spitzt sich das antagonistische Verhältnis zu seinem individuellen Gegenspieler Geßler zu. In der Apfelschuss-Szene ist die Willkür Geßlers, der in einer unverhältnismäßigen Ahndung des Ungehorsams das Leben des Sohns zum Einsatz macht, auf ein Maximum gesteigert. Die sportliche Meisterleistung wird zu einer heroischen Tat auf Leben und Tod. Der vordergründige Anlass rückt die Strafe, die auch als persönliche Rache Geßlers lesbar ist, in einen politischen Kontext. Durch sie fühlen sich die Zeugen in ihrem Freiheitswillen bestärkt und interpretieren Tells Widerstand als sozialen, wertrationalen Akt, obwohl der Held lediglich seinem

28 Nach Albrecht Koschorke, Brüderbund und Bann, S. 109, wendet sich in der ApfelschussSzene »[d]er Angriff der Tyrannei« gegen eine der »beiden elementaren Achsen der patriarchalen Familie: Mann/Frau, Vater/Sohn.« Die Unantastbarkeit von Frauen und Söhnen bilde den »Einsatz des politischen Kampfes« (ebd.). Sie liefere Tell somit eine heroische Rechtfertigung für den späteren Tyrannenmord. 29 Zum symbolischen Charakter des Huts auf der Stange als Freiheitssymbol und Wahrzeichen des Tyrannenmordes vergleiche Gerold Walser, Zur Bedeutung des Geßlerhuts, in: Schweizer Beiträge zur allgemeinen Geschichte 13 (1955), S. 131–135. 30 Der Gebirgsjäger Tell nimmt nicht, wie viele seiner Landsleute, den Umweg in Kauf, um dem Hutgruß zu entgehen (vgl. III, 3, 1739–1741): Er geht naturgemäß den direkten Weg. Ähnlich argumentiert auch Nikolas Immer, Der inszenierte Held, S. 421, der Tells »Widerstand der freien Selbstbestimmung« in der freien Wahl des Wegs ausgedrückt sieht.



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Grundsatz »Ich helfe mir schon selbst« (III, 3, 1846) treu bleibt31 und erklärt, den Hut nur »[a]us Unbedacht« (III, 3, 1870) nicht gegrüßt zu haben.32 Wie sehr auch diese Szene auf die spätere Legende hin perspektiviert ist, zeigt ihre dramaturgische Gestaltung. Denn Schiller unterläuft durch den Aufbau der Szene ihren dramatischen Höhepunkt. Zunächst wird durch eine lange Hinführung der Apfelschuss hinausgezögert, um ihn dann paradoxerweise auszusparen, beziehungsweise nur resultativ zu präsentieren: Mit dem Ausruf »Der Apfel ist gefallen!« (III, 3, 2031) mischt Stauffacher sich plötzlich in den Streit zwischen Rudenz, Berta und Geßler ein. Eine rückblickende Szenenanweisung mit Tempuswechsel ins Perfekt erhellt den Vorgang:33 »indem sich alle nach dieser Seite gewendet und Bertha zwischen Rudenz und den Landvogt sich geworfen, hat Tell den Pfeil abgedrückt« (III, 3, Regieanweisung nach 2031). Auch nach Geßlers ungläubiger Frage »Er hat geschossen?« (III, 3, 2033), bleibt die Retrospektion bestehen: Die folgende Szenenanweisung beginnt zunächst im Präteritum »Te l l stand mit vorgebognem Leib, als wollt’ er dem Pfeil folgen« (III, 3, Regieanweisung nach 2036). Erst als Tell schließlich die Armbrust sinken lässt und sein unversehrter Sohn ihm entgegeneilt, wechselt der Regietext wieder ins Präsens. Akzentuiert wird durch dieses epische Mittel die mittelbare und resultative Wahrnehmung der Heldentat: Der Handelnde nutzt den günstigen Moment, in dem die Umstehenden abgelenkt sind, um seine verbleibenden Kräfte für den »Meisterschuß« zu sammeln, den letztlich niemand gesehen hat. Dennoch nutzen die Umstehenden ihre Zeugenschaft, um sogleich die Heroisierung in Gang zu setzen, ohne welche die Tat als Heldentat nicht gelten und wirken könnte.34 Der folgende Schwächeanfall des Schützen nach überstandener Tat, der wiederum in einer stummen Szene dargestellt ist (»sinkt […] kraftlos zusammen« [III, 3, Regieanweisung nach 2036]), verstärkt den Kontrast zur sogleich einsetzenden Heroisierung. Mit ihr löst sich die Tat vom Akteur, der buchstäblich in den Hintergrund tritt, und wird stattdessen vom Publikum vereinnahmt: Leutholds 31 Es ist hingegen der Gegenspieler Geßler, der im weiteren Verlauf der Szene auf die soziale Bedeutung der Situation hinweist: »Jetzt Retter hilf dir selbst – du rettest alle!« (III, 3, 1990). Für Gert Ueding, Wilhelm Tell, S. 402, erhält Tell durch diese Aussage Geßlers den entscheidenden Anstoß, sich zu einem politischen Helden zu wandeln, der seine Taten »ihrer Erscheinung und öffentlichen Wirksamkeit nach zu berechnen und auszuführen hat«. 32 Hintergründe und Absichten von Tells Verhaltens analysiert ausführlich Nikolas Immer, Der inszenierte Held, S. 415–424, um »Tells Grußverweigerung« als individualistischen Akt des Ungehorsams ohne dezidiert politische Stoßrichtung auszuweisen (vgl. ebd., S. 421). 33 Auch dieses epische Mittel ist in der Forschung bisher unbeachtet geblieben. 34 Mythologische (Odyssee) und christliche Symbolik der Szene erhellt Gert Ueding, Wilhelm Tell, S.  405–409. Durch diese Symbolik erhält Tells Heldentum messianische Züge, wie Georg-Michael Schulz, Wilhelm Tell, S. 230–231, darlegt: So wird Tell zum Retter stilisiert, »[a]n dem sich Gottes Hand sichtbar verkündigt« (III, 3, 2071).

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Ausruf »Das war ein Schuß! Davon / Wird man noch reden in den spätsten Zeiten« (III, 3, 2038  f.) spart in seiner Verbindung von Retrospektion und Prospektion die Gegenwart signifikanterweise ebenfalls aus und akzentuiert damit die medialen Bedingungen der Heroisierung, wie sie nach Braudy in unserer Heuristik erfasst sind.35 Ist die lobenswerte Tat vollbracht, erfährt sie unmittelbare Anerkennung durch die Gemeinschaft der Augenzeugen. Zu ihr gehört sogar Geßler, der die Tat als »Meisterschuß« (III, 3, 2043) würdigen muss und damit ihre Außergewöhnlichkeit objektiviert. Im Mittelpunkt der Apfelschuss-Szene steht also nicht die exzeptionelle Tat, sondern deren Heroisierung. Als mündlich tradierte Erzählung wird die Legende von Tells Apfelschuss die Zeiten überdauern und für die Eidgenossen gemeinschaftsbildend wirken  – dies akzentuiert die Szene mit der epischen Zeitregie von Tempuswechseln in Regietext und Figurenrede.

2.4 Tellsprung (IV, 1) Auch in der Darstellung des Tellsprungs (IV, 1) markiert Schiller wesentliche Relationen heroischen Handelns und Mechanismen der Heroisierung. Denn die ikonische Qualität der Szene garantiert bereits ein Nachleben in der Heldenlegende. Mit dem legendären Sprung befreit sich der Held in einem kritischen Moment aus der Gefangenschaft Geßlers. Bei stürmischer See kann er sich – vom Schiff springend  – auf einen sicheren Felsen retten. Diese ›Selbstrettung‹ wird retrospektiv berichtet, und zwar vom glücklich entkommenen Tell selbst, der seine Fluchtgeschichte durch spannungssteigernde Wechsel ins Präsens dramatisiert. Der günstige Moment (als wesentliche Bedingung einer Heldentat) wird in seiner Schilderung durch Partizipialkonstruktionen bildhaft gedehnt: »Jezt schnell mein Schießzeug fassend, schwing ich selbst / Hochspringend auf die Platte mich hinauf, / Und mit gewaltgem Fußstoß hinter mich / Schleudr’ ich das Schifflein in den Schlund der Wasser –« (IV, 1, 2264–2267). Das Partizip Präsens bannt hier die Szene des ›hochspringenden Tells‹ in Form eines erzählten Heldenbildes (als Selbstportrait) und hebt es damit aus der Bindung an den Moment ins Überzeit­ liche. Nicht zufällig ist diese Szene mehrfach bildkünstlerisch gestaltet worden.36 35 Vgl. Leo Braudy, The Frenzy of Renown, S. 15. 36 Barbara Piatti, Die Geographie der Literatur. Schauplätze, Handlungsräume, Raumphantasien, Göttingen 2008, S. 156, betont die für ein Drama angeblich ungewöhnliche topographische Anlage. Diese erlaube eine exakte Lokalisierung der »Tellsplatte« und der damit verbundenen fiktiven Sprungszene im Kanton Uri. Die dort erbaute Tellskapelle zeigt ein Fresko Ernst Stückelbergs mit dem Tellsprung.



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Als übermenschliche Heldentat, die gegen vermeintlich unüberwindbare Widerstände gelingt, beglaubigt sie sogleich der Fischer, dem Tell seine Geschichte erzählt: »Tell, Tell, ein sichtbar Wunder hat der Herr / An Euch gethan« (IV, 1, 2271). Derart in eine transzendente Urheberschaft verschoben, löst sich die Tat wiederum vom Akteur, um in den ›Allgemeinbesitz‹ der Legende und ihres Publikums überzugehen. Die ikonische Qualität dieser Szene, die Schiller durch bildhaft-dehnende Stilmittel besonders hervorhebt, bietet einen weiteren Beleg dafür, wie genau das Drama die Mechanismen und medialen Erfordernisse der Legendenbildung analysiert. Deutlich wird, welch große Bedeutung der mediale Aspekt – Darstellbarkeit und Tradierbarkeit – für die Heroisierbarkeit einer Tat hat. Entscheidend für das Heldennarrativ, dessen Genese und Funktionsgesetze Schillers Drama seziert, ist auch der Wandel des heroischen Protagonisten: Im Verlauf der Handlung fällt Tell nämlich – durch die äußeren Umstände wie durch ein tragisches Verhängnis gezwungen – aus seinem naiven Heldentum.37 Situatives Handeln – Inbegriff seines rettenden Heldentums – ist ihm nun nicht mehr erlaubt. Die Rache des Gegenspielers fürchtend, muss er planvoll handeln und entschließt sich, Geßler zu töten, bevor dieser sich an seiner Familie rächen kann. Mit der Kohärenz des Heldentypus, den Tell verkörpert, steht auch die Kohärenz der – politischen – Geschichte der Eidgenossen auf dem Spiel, in die er als Nationalheld integriert werden soll.

2.5 Heldentat oder ›Meuchelmord‹? (IV, 3) Ein langer Entscheidungsmonolog des zuvor so wortkargen Tell38 markiert die Wandlung vom spontan zum reflektiert Handelnden: Schwer errungen ist die Rechtfertigung der geplanten Tat; Tell sieht sich gegen seine eigentliche Natur gezwungen zum »Mord« (IV, 3, 2621), dessen »heilge Schuld« (IV, 3, 2589) er tragen will. Es gilt, die »Unschuld« (IV, 3, 2632) seiner Familie vor dem »Todfeind[  ]« (IV, 3, 2643) Geßler zu »vertheidgen« (IV, 3, 2632). Hier ringt der Akteur um ein stimmiges, den Entschluss ermöglichendes und rechtfertigendes Verhältnis zu seiner geplanten Tat. Im Nachleben der Legendenbildung wird die Herausforde37 Vgl. ausführlich Michael Hofmann, Schiller, S. 173  ff. 38 Zu dieser Gegenüberstellung und zum Gehalt des Monologs vgl. Peter Utz, Die ausgehöhlte Gasse. Stationen der Wirkungsgeschichte von Schillers Wilhelm Tell, Königstein i.Ts. 1984, S. 7–18. Zu Tells Wandel vom naiv schweigenden zum reflektiert wortgewandten Helden im Monolog siehe auch Peter André Alt, Schiller, S. 581  f., Michael Hofmann, Schiller, S. 174  f., und Nikolas Immer, Der inszenierte Held, S. 428–430.

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rung darin bestehen, Tells privates Motiv mit der Idee sozialen, genauer wertra­ tionalen Handelns zu versöhnen. Durch den ausgreifenden Monolog hat auch diese Schlüsselszene einen ›undramatisch‹ langen Vorlauf, bis Tell im entscheidenden Moment von der Bühne verschwindet und aus dem Off handelt. Auf der Szene anwesend ist nur das Opfer Geßler, der von Tells Schuss aus dem Hinterhalt mitten aus seiner Tyrannen-Rede gerissen wird: »Ich will – ein Pfeil durchbohrt ihn« (IV, 3, 2785). Markiert wird in dieser Szene erneut der retrospektive und konstruktive Charakter einer Heldentat, wenn es sich denn um eine solche handelt: Die Zuordnung der Tat zum Täter geschieht hier nachträglich durch das Opfer (»Das ist Tells Geschoß« [IV, 3, 2791]) in einem tragischen Moment der Anagnorisis, die Tell zum Sieger im Duell der beiden ungleichen Gegner macht. Doch diese zwischenmenschliche Ebene gewährleistet nicht die Heroisierbarkeit. Der soziale und politische Aspekt wird sogleich durch das »[h]ereinstürzen[de]« (IV, 3, Regieanweisung nach 2796) Volk gesichert. Es fragt zunächst nach dem Akteur: »Wer hat die That gethan?« (IV, 3, 2802), um sodann »tumultuarisch« (IV, 3, Regieanweisung nach 2820) die Konsequenzen der Tat zu feiern: »Das Land ist frei« (IV, 3, 2821). Im Kontext des Dramas betrachtet, wird der ambivalente Charakter der Tat deutlich. Heroisierbar wird sie durch eine spezifische Perspektive auf die entscheidenden Relationen. Denn die Ermordung Geßlers ist nur durch die Figur des despotischen Gegenspielers heroisch, weil sie als Tyrannenmord verstanden wird, ansonsten wäre sie, wie später etwa Ludwig Börne moniert hat, bloß ein »Meuchelmord«.39

2.6 Psychogramm des Helden nach der Tat: die Parricida-Szene (V, 2) Von hier aus teilen sich die Handlungsstränge um Tell und beleuchten die Ermordung Geßlers als »Heldentat« aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Zum einen löst sich wiederum die Tat von ihrem realen Akteur: Vorgeführt werden nun die Mechanismen der Legendenbildung durch ein Publikum, das Tell zum Retter der Schweiz stilisiert. Zum andern ringt der allein ›zurückgebliebene‹ Mensch Tell mit den Folgen seiner Tat, was Schiller in einem Psychogramm des Helden nach der Tat präzise nachzeichnet.

39 Ludwig Börne, Über den Charakter des Wilhelm Tell in Schillers Drama, in: Ders., Sämtliche Schriften, Bd. 1, hg. von Inge und Peter Rippmann, Düsseldorf 1964, S. 397–404, hier S. 398. Zur kritischen Rezeption dieser Tat in der Forschungsgeschichte und zum Einfluss des Monologs auf deren Bewertung vgl. den Überblick von Hans-Jörg Knobloch, Wilhelm Tell, S. 528  f.



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Mit der Heldenlegende in V, 1, mit der Stauffacher Tell zum »Retter von uns allen« (V, 1, 3086), zum Schweizer Nationalhelden überhöht, kontrastiert die anschließende Szene V, 2, die Tell mit seiner Familie und mit dem als Mönch verkleideten Herzog von Schwaben, dem Königsmörder Johannes Parricida, konfrontiert.40 Hier inszeniert Schiller die Nachgeschichte der Heldentat, die den Akteur isoliert. In der neueren Forschung wurde zwar der psychologische Aspekt der Parricida-Szene (als Abwehr der eigenen Schuld) diskutiert,41 doch bleibt ihre Bedeutung für den Heroismus-Diskurs des Dramas unterbelichtet. Die Szene lenkt nämlich die Perspektive von den Mechanismen der Legendenbildung zurück auf den Akteur. Indem seine Tat  – im Heldennarrativ tradiert  – in den Besitz des Publikums und der Nachwelt übergeht, löst sich auch der Held – als konstruierte Figur der Legende  – vom realen Menschen. Dieser muss mit der Gewissenslast seiner Mordtat allein ringen. Sein Status als ›Träger‹ eines Heldentitels, der jedoch nicht seiner Verfügung unterliegt, hat zudem entscheidende Folgen für seine private Existenz. Die psychologische Ambivalenz von öffentlichem Heldenruhm und privater Normalität zeigt sich paradigmatisch in dem paradoxen Verhalten von Tells Ehefrau Hedwig. Einerseits stimmt sie in den nationalen Jubel ein, ist also Teil des Publikums, wenn sie ihren Söhnen erklärt: »Und euer Vater ists, der’s Land gerettet« (V, 2, 3089). Andererseits weicht sie aber, nachdem sie ihm zunächst um den Hals gefallen ist, erschreckt vor Tell – dem Blutbefleckten – zurück: HEDWIG: O Tell! Tell!  tritt zurück, läßt seine Hand los. TELL: Was erschreckt dich, liebes Weib? HEDWIG: Wie – w i e kommst du mir wieder? – Diese Hand  – Darf ich sie fassen? – Diese Hand – O Gott! (V, 2, 3140–3142)

40 Die Parricida-Szene wurde immer wieder in der Aufführungstradition ausgespart und wurde (neben Tells Monolog vor der Ermordung Geßlers) von manchen Kritikern für überflüssig gehalten (vgl. Georg-Michael Schulz, Wilhelm Tell, S. 226). Der Berliner Theaterdirektor August Wilhelm Iffland drückte gegenüber Schiller seine ästhetische Reserve aus: »Die Erscheinung Parricidas befremdet mich; was mit ihm vorgeht, gab mir Mißgefühl. […] Überhaupt konnte ich mich nicht erwehren, Parricida sollte gar nicht erscheinen […].« (zit. nach: NA 10, S. 458). 41 Peter-André Alt, Schiller, S. 583–585, hebt unter anderem das »Leitmotiv des Opfers« (S. 583) und seine »Entlastungsfunktion« (S. 584), aber auch Tells zweideutiges Erscheinen hervor. Karl S.  Guthke, Schillers Dramen. Idealismus und Skepsis, 2., erweiterte Aufl., Tübingen 2005, S. 300–303, und Georg-Michael Schulz, Wilhelm Tell, S. 232, untersuchen Tells Zerrissenheit und seine Spiegelung im Doppelgänger Parricida.

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Auf diese Ambivalenz reagiert Tell mit einer Rechtfertigung vor sich selbst und seiner Familie, indem er die private Motivation seines Handelns nachträglich mit der politischen verbindet: TELL herzlich und muthig: Hat euch vertheidigt und das Land gerettet,  Ich darf sie frei hinauf zum Himmel heben. (V, 2, 3143  f.) Wurde in IV, 3, sein Attentat auf Geßler von den Beteiligten als »Mord« und er als »Mörder« qualifiziert,42 rechtfertigt Tell seine Tat nun vor dem politisch einschneidenden Attentat des Johannes Parricida als gerechte Notwehr.43 Zugleich liefert diese Begegnung mit dem Königsmörder die Psychologie des unfreiwilligen und tragischen Heldentums und eine zweite Anagnorisis: In der Konfrontation mit dem Doppelgänger Parricida erkennt Tell, wie unweigerlich Heldentum mit Opfer und Verlust einhergeht. Zunächst hält Tell zwar an der Idee der »gerechten Nothwehr eines Vaters« (V, 2, 3176) fest, doch zeigt die heftige Abwehrreaktion seine Angst, mit der eigenen Tat konfrontiert zu werden. Tell sucht seine Tat durch Kontrastbehauptungen, mit schroffen Ich-Du-Antithesen, Superlativen und rhetorischen Fragen von der schändlichen »That« (V, 2, 3181) des Königsmords abzugrenzen: TELL:                   Unglücklicher!  Darfst du der Ehrsucht blutge Schuld vermengen  Mit der gerechten Nothwehr eines Vaters?  Hast du der Kinder liebes Haupt vertheidigt?  Des Heerdes Heiligthum beschützt? das Schrecklichste,  Das Lezte von den deinen abgewehrt?  – Zum Himmel heb’ ich meine reinen Hände,  Verfluche dich und deine That – Gerächt  Hab ich die heilige Natur, die d u  Geschändet – Nichts theil’ ich mit dir – Gemordet  Hast d u , i c h hab mein theuerstes vertheidigt. (V, 2, 3174–3184).

42 Vergleiche Armgarts Ausruf: »Mord! Mord!« (IV, 3, 2787) und Rudolphs Feststellung: »Ihr seht die grausenvolle That des Mords« (IV, 3, 2823). 43 Schiller bezieht sich hier auf den historischen Johann von Schwaben, auch Parricida genannt (1290–1313). Am 1. 5. 1308 ermordete er seinen Onkel Albrecht I., König von Böhmen. Vgl. Fritz Trautz, Johann (Parricida), in: Neue Deutsche Biographie, Bd.  10, Berlin 1974, S. 504  f.



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Doch hält diese Abwehrhaltung, die Unterscheidung der eigenen Tat vor dem Verbrechen nicht stand, wie die nachfolgende Szenenanweisung zeigt: »[Tell] verhüllt sich das Gesicht« (V, 2, nach 3194). Was folgt, ist eine Deheroisierung seiner selbst zugunsten einer übergreifenden Humanität. Diese Wandlung zeigt sich formal in den selbstbezüglichen Fragen, dem stockenden Sprechen mit Gedankenstrichen und dem Wechsel von der dritten in die erste Person: TELL: Kann ich euch helfen? Kanns ein Mensch der Sünde?  Doch stehet auf – Was Ihr auch gräßliches  Verübt – Ihr seid ein Mensch – Ich bin es auch –  Vom Tell soll keiner ungetröstet scheiden –  Was ich vermag, das will ich thun. (V, 2, 3222–3226) Wenn Tell dann Parricida rät, nach Rom zu pilgern und dort den Papst um Absolution zu bitten, gewinnt die Empathie fast die Züge einer Identifikation.44 Denn in der detaillierten Beschreibung des Weges nach Rom vollzieht Tell erzählend seinen eigenen Sühnegang, den der Stellvertreter Parricida, von ihm abgelöst, antreten wird.45 Das Ende der Tell-Handlung kontrastiert mit der Schlussszene des Dramas. Die »Letzte Szene« zeigt die öffentliche Heldenfeier, die ungebrochene HeldenVerehrung des Volkes. Alle stürzen Tell, dem Objekt ihrer Verehrung, entgegen, der allein aus dem Haus tritt, und umarmen ihn mit dem Ruf: »Es lebe Tell! der Schütz und der Erretter!« (V, Letzte Szene, 3281).46 Was sich für das Publikum unproblematisch zusammenfügt  – »Schütz« und »Erretter«  – und zum medial verwertbaren ›Markenzeichen‹ einer Nationallegende wird, bleibt für den Men-

44 Auch Albrecht Koschorke, Brüderbund und Bann, liest die Parricida-Szene als ethische Selbstreflexion Tells. Der Auftritt dieser Figur diene »ganz offensichtlich dazu, die Last der Schuld von Tells eigener Tat wegzunehmen« (ebd., S. 119). 45 Karl S. Guthke, Schillers Dramen, S. 303, verweist ebenfalls auf die Identifikation Tells mit Parricidas »Weg nach Rom zur Buße«, während Gert Ueding, Wilhelm Tell, S.  415, zwar die Mehrdeutigkeit dieser Wegbeschreibung festhält, sie aber deutlich von Tells Läuterung abgrenzt. 46 Michael Hofmann, Schiller, S. 175, erkennt in diesem Ausruf eine »bewusste[…] Reproduktion mythischen Zusammenhalts im Rahmen der Geschichte« und hebt die Inkongruenz zwischen dem jubelnden Volk und dem schweigenden Tell hervor. Demgegenüber betont Nikolas Immer, S.  430, die Reintegration Tells in die Gemeinschaft. Diese These stützt sich auf das Motiv des Arms, der Tell zuvor durch die »radikale Trennung von seiner Armbrust« (ebd.) symbolisch amputiert (vgl. III, 1, 1537) und in der Schlussszene durch das ihn »umarmende« Volk (V, Letzte Szene, Regieanweisung vor Vers 3282) wieder restituiert würde.

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schen Tell, der seine Natur als naiver Tatmensch und freier Gebirgsjäger verloren hat, unvereinbar.

3 Fazit: Tell’s two bodies47 Die textnahe Analyse der Tell-Handlung hat gezeigt: Nicht isolierbare Taten, sondern die komplexen Relationen heroischen Handelns ›machen‹ den Helden. Indem Schillers Schauspiel die Mechanismen der Heroisierung bis in ihre medialen und ›erinnerungspolitischen‹ Bedingungen hinein genau seziert, verdeutlicht es die Kehrseite heroischen Handelns. Vor allem zwei Aspekte problematisiert Schiller: die ›Gegenwartslosigkeit‹ der Heldentat und die Abspaltung des Helden vom Täter. Indem in der Apfelschuss-Szene die eigentliche Heldentat verdeckt dargestellt und erst nachträglich registriert wird, markiert Schiller ihre ›Gegenwartslosigkeit‹. In dem Moment, in dem sie geschieht, ist eine Tat noch keine HeldenTat. Selbst wenn ein Handeln unmittelbar nach seinem Vollzug heroisiert wird, geschieht dies immer retrospektiv und prospektiv: Eine Tat wird rückblickend zur Heldentat erklärt und als kollektive Erinnerung für die Zukunft aufbereitet. Sie stiftet eine Gemeinschaft der Bewunderer und garantiert deren künftigen Zusammenhalt. Sämtliche Heroisierungen von Tells Handlungen folgen diesem Muster der prospektiven Retrospektion, was Schillers Schauspiel durch epische Gestaltungsmittel akzentuiert und reflektiert: Dies zeigen die Regieanweisungen im Imperfekt und Beglaubigungsformeln für die Zukunft (»Ich hab’ gethan, was ich nicht lassen konnte.« [I, 1, 160]) sowie die Lieder und Erzähleinlagen. Schillers Schauspiel führt damit paradigmatisch vor, wie sich eine Tat unmittelbar nach ihrem Vollzug vom Akteur löst und als Heldenlegende in den Besitz des Publikums übergeht. Wie die Tat vom Akteur, so löst sich mit dessen Heroisierung auch der Held als öffentliche und überzeitliche Figur vom privaten und realen Menschen. Ge­feiert wird allein ein überhöhtes Denkmal. Der Initiator des Stereotyps, die reale Person, wird zum Schnittpunkt fremder Erwartungen reduziert und ausgehöhlt. Das ›soziale Echo‹ in Gestalt des Volkes »mit lautem Frohlocken« (V, Letzte Szene, Regieanweisung vor Vers 3281) fordert vom Helden, nur mehr der Angebotsstruktur dieser Resonanz zu entsprechen: Sie legt Tell auf das Hendiadyoin

47 Die Deutung versteht sich in Analogie zu Ernst Kantorowicz, The King’s two bodies. Study in medieval political theology, Princeton 1957, und dessen Unterscheidung zwischen dem öffentlichen Amt des Königs und der Person, die dieses Amt bekleidet.



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»der Schütz und der Erretter« (V, Letzte Szene, 3281) fest.48 Die Kehrseite der Heroisierung wird als Entfremdung präsentiert: Während der »Schütz und Erretter« in einem Heldennarrativ untrennbar mit der ihm zugeschriebenen Heldentat verbunden ist, steht der private Mensch Tell vor der Herausforderung, die Tat in sein Leben zu integrieren. Die Abspaltung des gefeierten Helden vom einsamen Täter – Tell’s two bodies – inszeniert Schiller im Schlussakt seines Schauspiels.

48 Den Begriff des ›sozialen Echos‹ verdanken wir Hann-Jörg Porath (Dossenheim). Er erklärt die Genese eines Stereotyps im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Kommunikation, die einerseits zu einer semantischen Reduktion, andererseits zu einer emotionalen Intensivierung führt.

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wilhelm von humboldt, goethe und der montserrat Die ästhetische Aneignung des Fremden

Einleitung Im 18. Jahrhundert stieg die Zahl der Reisen in andere Länder sprunghaft an und damit einhergehend vervielfachte sich auch die Zahl der Reiseaufzeichnungen. Die breite Rezeption von Reisetagebüchern, Reiseberichten oder Reiseromanen veränderte allmählich das kollektive Wahrnehmungsbild fremder Völker, Landschaften, Kulturen und Religionen. Die Begegnungen mit dem Fremden verliefen jedoch sehr unterschiedlich und je nachdem von wo und in welches Land man reiste, waren die Erwartungen verschieden. Das begehrteste Reiseziel der Deutschen war Italien; Goethes epochale Reisebeschreibungen geben uns ein eindringliches Zeugnis der verbreiteten Italiensehnsucht. In Italien traf der Reisende auf eine Überfülle an Kunstschätzen aus Antike und Renaissance, die Begegnung mit diesem Land war daher häufig von ästhetischen Erfahrungen geprägt, die sich sukzessive von der Kunst auch auf die Naturwahrnehmung ausdehnten. Die ästhetische Erfahrung von Kunst und italienischer Landschaft wurde für die Reisenden zum Vehikel der Selbstbildung und Selbstfindung. Im Schatten der Italien-Schilderungen standen die Überlieferungen aus anderen Ländern, nicht zuletzt auch die Reiseberichte aus dem weit seltener bereisten Spanien. Erst ab den siebziger Jahren des 18.  Jahrhunderts wuchs langsam die Zahl der Spanienreisen aus Deutschland. Die Spanien-Imago dieser Zeit unterschied sich erheblich von jener Italiens, und somit waren auch Absichten der Reisenden zunächst nicht auf die ästhetisch-orientierte Erkundung des Landes ausgerichtet.1 Das Interesse galt zunächst der Beschreibung spanischer

1

Das deutsche Spanien-Bild war im 18. Jahrhundert aufgrund der Hegemoniebestrebungen Spaniens und der damit verbundenen Rivalität um die Machteinflüsse in der Welt überwiegend negativ konnotiert. Davon unbeeinträchtigt blieb jedoch die Wertschätzung der spanischen Literatur, Architektur und Landschaft. Vgl. dazu: Spanische Städte und Land-

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Bibliotheken und Archive. Im Auftrag von deutschen Gelehrten wurden Bücherkataloge erfasst und schriftliche Quellen gesammelt. Die allgemeinen Darstellungen informierten meist über die Einwohnerzahlen, das Bildungs-, Verwaltungsund Militärwesen, die Infrastruktur und Ökonomie des spanischen Staates; einige schilderten aber auch die Landschaft Spaniens. Oft orientierten sich die deutschen Berichte2 an früheren spanischen und englischen Darstellungen,3

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schaften in der deutschen (Reise)Literatur / Ciudades y paisajes españoles en la literatura (de viajes) alemana, hg. von Berta Raposo Fernández und Walther L. Bernecker, Frankfurt a.M. 2017; Bis an den Rand Europas: Spanien in deutschen Reiseberichten vom Mittelalter bis zur Gegenwart, hg. von Berta Raposo Fernández und Isabel Gutiérrez Koester, Frankfurt a.M. 2011; Dietrich Briesemeister, Spanien aus deutscher Sicht. Deutsch-spanische Kulturbeziehungen gestern und heute, Tübingen 2004, hier S. 97–112; Margit Raders, Überlegungen zur Spanien-Rezeption in Deutschland und Weimar-Jena (1770–1830) anhand zeitgenössischer Reiseberichte und anderer landeskundlicher Werke, in: Von Spanien nach Deutschland und Weimar-Jena. Verdichtung der Kulturbeziehungen in der Goethezeit, hg. von Dietrich Briesemeister und Harald Wentzlaff-Eggebert, Heidelberg 2003, S.  67–133; Christian von Zimmermann, Reiseberichte und Romanzen. Kulturgeschichtliche Studien zur Perzeption und Rezeption Spaniens im deutschen Sprachraum des 18. Jahrhunderts, Tübingen 1997, hier bes.  S. 241–257; Gerhard Hoffmeister, Spanien und Deutschland. Geschichte und Dokumentation der literarischen Beziehungen, Berlin 1976, hier S. 86–122; Georg Herbert Walz, Spanien und der spanische Mensch in der deutschen Literatur vom Barock zur Romantik, Erlangen-Nürnberg 1965; Werner Brüggemann, Die Spanienberichte des 18. und 19. Jahrhunderts und ihre Bedeutung für die Formung und Wandlung des deutschen Spanienbildes, Münster 1956; Franziska Börner, Auf der Suche nach Spanienreisen Deutscher Kunsthistoriker im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, Barcelona 2015, http:// www.tdx.cat/bitstream/handle/10803/392704/börner_thesis.phd (07. 09. 2017). Zum Spanienbild der Engländer vgl. hingegen: Frank Graue, Schönes Land: Verderbtes Volk. Das Spanienbild britischer Reisender zwischen 1750 und 1850, Trier 1991. Zu den wichtigsten deutschen Spanienberichten im 18.  Jahrhundert gehören: Carl Christoph Plüer, Reisen durch Spanien, hg. von C.  D. Ebeling, Leipzig 1777; Friedrich Gotthelf Baumgärtner, Reise durch einen Theil Spaniens, Leipzig 1793; Carl Friedrich August Grosse, Briefe über Spanien, Halle 1793; Anton Friedrich Kaufhold, Spanien wie es gegenwärtig ist, in physischer, moralischer, politischer, religiöser, statistischer und literarischer Hinsicht, Gotha 1797; Christian August Fischer, Reise von Amsterdam über Madrid und Cadiz nach Genua, Berlin 1799. Zu den ausführlichsten Reiseberichten über Spanien, die ins Deutsche übersetzt wurden, zählen: Pedro Antonio de la Puente, Reise durch Spanien oder Briefe über die vornehmsten Merkwürdigkeiten in diesem Reiche. Mit Erläuterungen und Zusätzen von Johann Andreas Dieze, Leipzig 1775 (span. 1772); Richard Twiss, Reisen durch Portugal und Spanien im Jahr 1772 und 1773, Leipzig 1776 (engl. 1775); William Dalrymple, Reisen durch Spanien und Portugal im Jahr 1774, Leipzig 1778 (engl. 1777); John Talbot Dillon, Reise durch Spanien, Leipzig 1782 (engl. 1780); Jean Francois de Bourgoing, Neue Reisen aus Spanien vom Jahr 1782 bis 1788, Jena 1789 (frz. 1788); Alexander Jardine, Bemerkungen über Marokko, desgleichen



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weshalb es teilweise fraglich ist, ob die Autoren selbst jemals Spanien besuchten.4 Zu den bedeutendsten Zeugnissen über Spanien, die weniger einen inventarisierenden, sondern einen individuellen Blick auf das Land bieten, gehören die Reiseberichte Wilhelm von Humboldts.5 Ihre Bedeutung kann nicht zuletzt darin erkannt werden, dass sie einer anderen Wahrnehmung Spaniens den Weg bereiteten, indem sie auf besondere Weise wissenschaftliches und ästhetisches Inter­ esse verbanden, um so auch dieses Land für die kulturelle Bildung zu erobern. Wie Goethe hatte auch Humboldt den Plan, nach Italien zu reisen, doch wegen der napoleonischen Kriege blieb ihm der Weg über die Alpen versperrt. Er reiste stattdessen zunächst nach Frankreich, und anschließend über die Pyrenäen nach Spanien, wo sich gerade sein Bruder Alexander von Humboldt aufhielt, um Vorbereitungen für seine Südamerika-Expedition zu treffen. An Goethe, der sich gewünscht hatte, über die Reisen beständig unterrichtet zu werden, sandte er regelmäßig Berichte. Denn Goethe kannte Spanien bislang nur durch das Studium der Reiseliteratur und die Lektüren Cervantes’ und Calderóns.6 Für die von ihm herausgegebene und der bildenden Kunst gewidmete Zeitschrift Propyläen7 sollten nun Wilhelm und Caroline von Humboldt Spanien gemäß den leitenden Prinzipien erforschen.8 Caroline oblag die Sichtung und Beschreibung der

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über Frankreich, Spanien und Portugal, Leipzig 1790 (engl. 1788); Joseph Townsend, Reise durch Spanien in den Jahren 1786 und 1787, Leipzig 1791 (engl. 1788). Vgl. z.  B. Johann Jakob Volkmann, Neuste Reise durch Spanien, Leipzig 1785. Diese Darstellung des Landes hat einen enzyklopädischen Charakter und orientiert sich am Reisebericht von Edward Clarke. Vgl. Edward Clarke, Briefe von dem gegenwärtigen Zustande des Königreichs Spanien, Lemgo 1765 (engl. 1763). Vgl. dazu einführend: Peter Bergler, Wilhelm von Humboldt, Reinbek bei Hamburg 1970, hier bes.  S. 55–65. Dies gilt auch für Herder, Schiller und Tieck. Vgl. dazu: Christoph Strosetzki, Ludwig Tieck und das Spanieninteresse der deutschen Romantik, in: Ludwig Tieck – Literaturprogramm und Lebensinszenierung im Kontext seiner Zeit, hg. von Walter Schmitz, Tübingen 1997, S. 235–252; Wolfgang Kayser, Die iberische Welt im Denken von J.G. Herders, Hamburg 1945. Vgl. dazu: Ernst Osterkamp, Schriften zur Kunst, in: Goethe Handbuch. Supplemente, Bd. 3: Kunst, hg. von Andreas Beyer und Ernst Osterkamp, Stuttgart, Weimar 2011, S.  267–277, bes.  S. 270–272; Ders., Neue Zeiten – neue Zeitschriften. Publizistische Projekte um 1800, in: Zeitschrift für Ideengeschichte 1 (2007) H. 2, S. 62–78. »Von Frankreich sowohl als von Spanien hoffe ich durch Sie dereinst die großen Lücken, die sich in meiner Kenntniß dieser Länder befinden, ausgefüllt zu sehen. Denn was man durch einen gleichgesinnten Freund erfährt ist nahe zu als wenn man es selbst erfahren hätte.« Vgl. den Brief von Goethe an Wilhelm von Humboldt vom 26. Mai 1799, in: Goethes Werke, hg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen, Weimar 1887–1919, hier Abtl. IV, Bd.  14, S.  96. Siehe auch unter: https://archive.org/details/pt04werkegoeth14goetuoft (09. 02. 2018).

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bedeutendsten in Spanien vorfindlichen Kunstwerke,9 Wilhelm befasste sich mit landeskundlichen und sprachwissenschaftlichen Studien aus einer vergleichenden kulturanthropologischen Perspektive,10 aber auch mit der Beschreibung des antiken Theaters von Sagunt und der Darstellung des Montserrats.11 Die Zeugnisse der Antike und das Erschließen der besonderen spanischen Landschaft also sollten die deutschen Leser lehren, Spanien mit anderen Augen zu sehen. Das Ziel war es, durch die Physiognomik der Sprache, Landschaft und Kunst den Nationalcharakter des Landes zu erschließen, d.  h. es wurde unterstellt, dass es markante Eigentümlichkeiten gebe, deren Konturen durch die physiognomische Erkenntnis erfasst und in der Darstellung profiliert werden können.12 Der Beitrag Wilhelm von Humboldts in dieser Debatte bleibt meist unberücksichtigt, obgleich er, wie zu zeigen sein wird, als erster ein entsprechendes Modell der ästhetisch-wissenschaftlichen Aneignung des Fremden ausarbeitete. Sein Plan, einen größeren Reisebericht zu verfassen, kam allerdings über Ankündigungen

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Vgl. dazu Ernst Osterkamps neueste Studie über Caroline von Humboldts Verhältnis zur bildenden Kunst und deren verschollene Aufzeichnungen über die Bilder aus dem Prado: Caroline von Humboldt und die Kunst, Berlin 2017. Vgl. auch: Karl Simon, Wilhelm v. Humboldts Verhältnis zur bildenden Kunst, in: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts 1(1934/35), S. 220–292. 10 Günther Oesterle, Kulturelle Identität und Klassizismus. Wilhelm von Humboldts Entwurf einer allgemeinen und vergleichenden Literaturerkenntnis als Teil einer vergleichenden Anthropologie, in: Nationale und kulturelle Identität, hg. von Berndhard Giesen, Frankfurt a.M. 1991, S. 304–349; Andreas Beyer und Ernst Osterkamp, »Einleitung«, in: Goethe Handbuch. Supplemente, Bd. 3: Kunst, hg. von Andreas Beyer und Ernst Osterkamp, Stuttgart, Weimar 2011, S. IX–XI. Vgl. auch: Gerhard Schulz und Sabine Doering, Klassik. Geschichte und Begriffe, München 2003, hier bes.  S. 81–94. 11 Vgl. dazu: Christine Tauber, Nachrevolutionärer Klassizismus. Wilhelm Humboldts Spa­ nienreisen, in: Archiv für Kulturgeschichte 8 (1998), S. 193–212; Wido Hempel, Wilhelm von Humboldt und Spanien, in: Zum Spanienbild der Deutschen in der Zeit der Aufklärung, hg. von Hans Juretschke, Münster 1997, S. 224–239. 12 Es waren in dieser Zeit vor allem Aloys Hirt, Carl Ludwig Fernow, Carl Gustav Carus und Alexander von Humboldt, die Überlegungen anstellten, wie vermittelt durch die Kunst das Charakteristische eines Volkes und einer Landschaft erfasst werden kann. Zum Kontext der Etablierung einer Physiognomie der Landschaft siehe: Carl Ludwig Fernow, Über Landschaftsmalerei, in: Römische Studien hg. von Carl Ludwig Fernow, Zürich 1806, Bd.  2, S.  1–130; Alexander von Humboldt, Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung, Stuttgart 1845–1862, hier siehe Bd.  2, Kapitel zur Landschaftsmalerei, S. 76–94. Vgl. dazu: Gernot Böhme, Die Physiognomie einer Landschaft, in: Geographische Zeitschrift 87 (1999) H. 2, S. 98–104; Michael Hagner, Zur Physiognomik bei Alexander von Humboldt, in: Geschichten der Physiognomik. Text – Bild – Wissen, hg. von Rudolf Campe und Manfred Schneider, Freiburg im Breisgau 1996, S. 431–452.



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und erste Proben nicht hinaus.13 Abschließen konnte Humboldt jedoch seine vielbeachteten Studien zur baskischen Sprache, die er während seiner zweiten – 1801 unternommenen – Spanienreise durchführte.14 Im Folgenden soll jedoch die während Humboldts ersten Spanien-Aufenthalts zwischen 1799 und 1800 entstandene Beschreibung des Montserrats bey Barcelona näher betrachtet werden.15 Die Veröffentlichung dieses Reiseberichtes war ursprünglich für Goethes Zeitschrift Propyläen für das Jahr 1800 vorgesehen, die jedoch ihr Erscheinen am Ende des gleichen Jahrs einstellte. Humboldts Text wurde daher erst 1803 in den Allgemeinen geographischen Ephemeriden, einer wissenschaftlichen Zeitschrift also, veröffentlicht.16 Dies mag erklären, warum dieser Reisebericht bislang vergleichsweise selten rezipiert wurde.

2. Humboldts ästhetisch-kulturalistisches Modell der Aneignung des Fremden Das Bemerkenswerte an Humboldts Reisebericht über den Montserrat bey Barcelona ist, dass er in ihm eine Theorie entwickelt, wie man fremde Länder in ihrer individuellen Besonderheit erfahren soll und zugleich ein solches Erleben 13

Uwe Hentschel vertritt die These, dass die einzelnen Texte, die Humboldt zu Spanien vorlegte, als bloße Vorarbeiten zu einem letztlich gescheiterten Projekt anzusehen sind. Er verkennt aber dabei, dass Humboldts Arbeiten eine ungemeine Bedeutung sowohl für die Etablierung eines anderen Spanienbildes als auch für die Ausprägung einer besonderen Form von Reisebericht hatten, der ästhetische Betrachtung und wissenschaftliches Forschen zusammenführte. Insbesondere Humboldts Bericht über den Montserrat, den er zeit seines Lebens in höchster Wertschätzung behielt, dokumentiert daher keineswegs sein Scheitern als Reiseautor. Vgl. Uwe Hentschel, Goethe, Humboldt und die ›Hydra der Empirie‹, in: ­Scientia Poetica 17 (2013) H. 1, S. 27–49, hier S. 38–40 und S. 45  ff. 14 In seiner 1801 verfassten Studie »Die Vasken« untersucht Humboldt anhand der baskischen Sprache die Denk- und Empfindungsart eines Volkes. Vgl. Wilhelm von Humboldt, Die Vasken oder Bemerkungen auf einer Reise durch Biscaya und das französische Basquenland im Frühling des Jahres 1801, in: Wilhelm von Humboldt. Schriften zur Altertumskunde und Ästhetik. Die Vasken, hg. von Andreas Flinter und Klaus Giel, Darmstadt 1986, S. 418–627. 15 Die Eindrücke seiner ersten Spanienreise notiert Wilhelm von Humboldt in seinen Tagebüchern, Briefen an Freunde und Bekannte. In dieser Zeit entstehen neben dem Bericht Der Montserrat bey Barcelona, die Texte Das antike Theater in Sagunt und Cantabrica. Vgl. Wilhelm von Humboldt, Über das antike Theater in Sagunt (1800/1801), in: Wilhelm von Humboldts Werke, Bd.  3, hg. von Albert Leitzmann, Berlin 1904, S.  58–113; Wilhelm von Humboldt, Cantabrica (1800/1801), in: Wilhelm von Humboldts Werke, Bd. 3, hg. von Albert Leitzmann, Berlin 1904, S. 114–135. 16 Vgl. Wilhelm von Humboldt, Der Montserrat bei Barcelona, in: Allgemeine geographische Ephemeriden, Bd. 11 (1803), S. 265–313.

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beispielhaft vorführt. Das von ihm präsentierte Modell führt zudem vor Augen, wie sich ein Reisender bei der forschenden Aneignung einer ihm fremden Kultur selbst verändert und seinen Geist ausbildet. Entworfen wird somit eine Strategie, wie man die Fremdheit des Fremden perzipieren und zugleich ästhetisch-­kognitiv bewältigen kann, indem man die eigenen Kategorien verändert. Zunächst wird dabei die Fremdheit und Andersartigkeit Spaniens betont und versucht, sie sukzessive zu begreifen. Das geschieht jedoch nicht, indem das Fremde dem Bekannten angeglichen und der vertrauten Wahrnehmung durch Erklärungen kommensurabel gemacht wird. Vielmehr müssen durch die Konfrontation mit dem Unvertrauten die eigenen Wahrnehmungskategorien modifiziert werden, damit durch sie das neu Gesehene erfasst werden kann. Der Text ist daher nicht nur in literarischer Hinsicht von Interesse, sondern er hat auch eine philosophische und eine erkenntnistheoretische Dimension.17 Das Ziel Humboldts bei seiner Reise war – so bekennt er am Anfang seines Berichts  – sich selbst »von fremdartigen Eigentümlichkeiten einen anschau­ lichen Begriff zu verschaffen«.18 Dies sei die Bedingung, um eine fremde Kultur zu verstehen. Jener »anschauliche Begriff« des Fremden stelle sich nicht durch wissenschaftliche Studien ein, die auch vom heimischen Schreibtisch aus betrieben werden könnten, sondern werde durch das direkte Erfahren gebildet: Um das Ausland wissenschaftlich zu kennen, ist es nur selten nötig, es selbst zu besuchen. Bücher und Briefwechsel sind dazu weit sicherere Hilfsmittel. […] Aber um eine fremde Nation eigentlich zu begreifen, um den Schlüssel zur Erklärung ihrer Eigentümlichkeit in jeder Gattung zu erhalten, ja selbst nur um viele ihrer Schriftsteller vollkommen zu verstehen, ist es schlechterdings notwendig, sie mit eigenen Augen gesehen zu haben.19 Will man eine fremde Kultur verstehen, genügt es Humboldt zufolge weder sie wissenschaftlich zu beschreiben, noch sich eine poetische Vorstellung von ihr zu machen. Um diese Kultur in ihrer Besonderheit zu begreifen, müssen ›Anschauung‹ und ›Begriff‹ zusammenspielen. Dieses Zusammenspiel werde durch »die Phantasie, die Empfindung, den tieferen Wahrheits- und Schönheitssinn«20 bestimmt. Man lernt etwas kennen, indem man es selbst erfährt und auf sich ein17 Vgl. dazu: Reinhard M.  Möller, Situationen des Fremden. Ästhetik und Reiseliteratur im späten 18. Jahrhundert, Paderborn 2016, hier insbes.  S. 129–202. 18 Wilhelm von Humboldt, Der Montserrat bey Barcelona (1803), in: Wilhelm von Humboldt. Werke, hg. von Albert Leitzmann, Berlin 1904, S. 30–59, hier S. 30. 19 Ebd., S. 30. 20 Ebd., S. 31.



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wirken lässt. Diese konkreten Erfahrungen seien auch dann unabdingbar, wenn man die literarischen Meisterwerke eines fremden Landes verstehen will, sonst bleibe das durch die Literatur imaginierte Spanienbild zwangsläufig defizitär: Auch die treusten und lebendigsten Schilderungen erfassen diesen Mangel nicht. Wer nie einen spanischen Eseltreiber mit seinem Schlauch auf dem Esel sah, wird sich immer nur ein unvollständiges Bild Sancho Pansa’s machen; und Don Quixote (gewiss ein unübertreffliches Muster wahrer Naturbeschreibung) wird doch nur immer demjenigen ganz verständlich sein, der selbst in Spanien war und sich selbst unter den Personen der Klassen befand, welche ihm Cervantes schildert. Der andere wird oft statt der wahren Gestalten, nur Karikaturen sehen, und da er bloß die Züge verbinden kann, welche der Dichter abgesondert heraushob, so werden ihm die meisten ergänzenden und mildernden Nebenzüge mangeln. Denn darauf gerade kommt es an, jede Sache in ihrer Heimat zu erblicken, jeden Gegenstand in Verbindung mit den anderen, die ihn zugleich halten und beschränken.21 Humboldts Konzept zielt darauf ab, das imaginierte Bild mit der erlebten Wirklichkeit zu konfrontieren und es dadurch konkreter und spezifischer zu machen. Mit dem Wortpaar ›Anschauung‹ und ›Begriff‹ nimmt er die Terminologie Kants auf.22 Auch bei Kant müssen ›Anschauung‹ und ›Begriff‹ zusammenspielen, damit eine Erfahrung möglich wird, doch sind das zwei voneinander geschiedene Stämme der Erkenntnis, die vom ›Verstand‹ verbunden werden. In Kants Worten: Anschauung und Begriffe machen also die Elemente aller unsrer Erkenntnis aus, so daß weder Begriffe, ohne ihnen auf einige Art korrespondierende Anschauung, noch Anschauung ohne Begriffe, ein Erkenntnis abgeben können. […] Ohne Sinnlichkeit würde uns kein Gegenstand gegeben, und ohne Verstand keiner gedacht werden. Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.23 Kant zufolge kommt eine Erkenntnis daher nur zustande, wenn das Denken und die empirische Erfahrung aufeinander bezogen sind. Abstrakte Begriffe, denen keine Anschauung in der Wirklichkeit entspricht, erkennen nichts und sehe man

21 Ebd., S. 30  f. 22 Paul Hensel, Wilhelm von Humboldt, in: Kant-Studien 23 (1908) H. 1–3, S. 174–187. 23 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, hg. von Jens Timmermann, Hamburg 1998, S. 129  f.

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einen Gegenstand, zu dem man keine Begriffe habe, wisse man nicht, worum es sich bei dem Gegenstand handle; man sei dann gleichsam blind. Bei Humboldt soll hingegen die ›Anschauung‹ selbst zur Erkenntnis führen, also bereits im Modus der ›Anschauung‹ etwas begriffen werden. Damit das möglich ist, muss die ›Anschauung‹ mehr als ein bloßes Betrachten sein, es muss sich zu einer ästhetischen Erfahrung der fremden Landschaft und Kultur steigern. Wissenschaftliche und historische Studien, Landschaftsbeschreibungen, Kunsterlebnisse, Ortslegenden, aber auch menschliche Physiognomien und Charaktere vervollständigen das Bild. Mit seinem Konzept des ›anschaulichen Begriffs‹ versucht Humboldt den kantischen Dualismus von ›Anschauung‹ und ›Begriff‹ aufzuheben. Bei ihm wird der ›anschauliche Begriff‹ über die ›Anschauung‹ und nicht wie bei Kant über den ›Verstand‹ gebildet. Für Humboldts ästhetisch-verstehende Aneignung fremder Kulturen erweisen sich die Kantischen Kategorien als zu starr. Er reagiert darauf, indem er sie um ein dynamisches Element ergänzt, wofür »Gefühl und Einbildungskraft«24 tätig werden müssen: Bei dem Eintritte in ein fremdes Land fallen dem Reisenden immer eine Menge von Fragen ein […]; auf alle sucht er die genügende Antwort und eigene Erfahrung hat mich gelehrt, dass man darüber oft dasjenige versäumt, was man hernach nie wieder nachholen kann. Man vergisst zu leicht, dass man auf einer […] Reise, die immer ein Abschnitt im tätigen Leben und allein dem beschauenden gewidmet ist, bloß herumstreifen, Menschen sehen und sprechen, leben und genießen, jeden Eindruck ganz empfangen, und den empfangenen bewahren soll.25 Humboldt plädiert für eine unvoreingenommene Betrachtung des Neuen. Man soll nicht alles Unbekannte sofort verstehen und einordnen wollen, sondern dazu bereit sein, sich treiben zu lassen, um im offenen lebendigen und lustvollen Umgang das Neue ganz zu erfahren und sich einzuprägen. Eine an den Erklärungsmustern der eigenen Kultur orientierte Wahrnehmung des Fremden würde nur das eigene bisherige Bild bestärken, führe aber nicht zur Entwicklung und zur wahren Weiterbildung des eigenen Geistes. Das Einsortieren von neuen Eindrücken in vertraute Muster ist keine lebendige Arbeit des Geistes. Das Ziel einer Reise muss sein, »den Menschen in seiner größten Mannigfaltigkeit […] lebendig

24 Humboldt, Der Montserrat bey Barcelona, S. 31. 25 Ebd., S. 32.



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und wahr zu sehen«,26 – dies helfe auch, »sich selbst zu bilden«27 und damit sich selbst zu verändern. Nun gilt es zu überprüfen, inwiefern Humboldts Modell des anschaulichen Begreifens in seinem Bericht über den Montserrat bey Barcelona praktisch umgesetzt wurde und ob er selbst ein Exempel für das Einlassen auf die Besonderheiten einer fremden Kultur – das zugleich auch eine Neubestimmung des eigenen kulturellen Selbstverständnisses ermöglichte – an die Hand gab.

3. Der Montserrat als ästhetisches Phänomen In seiner Beschreibung des Montserrats verbindet Humboldt historische, künstlerische und literarische Aspekte mit aktuellen Betrachtungen der Natur und der Menschen. Das überlieferte Wissen wird mit der unmittelbar anschaulichen Gegenwart konfrontiert.28 Bei der Ausarbeitung seines Berichts greift Humboldt 26 Ebd. 27 Ebd. 28 Um das Felsmassiv Montserrat ranken sich viele Geschichten. Schon in vorchristlicher Zeit war der Montserrat eine Kultstätte und in der Zeit des Frühchristentums ein Zufluchtsort von Eremiten. Vgl. dazu: Ernst Benz, Der Montserrat in der europäischen Geistesgeschichte, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, 18 (1966) H. 1, S. 15–32; Ernst Benz, Geist und Landschaft, Stuttgart 1972, hier bes.  S. 41–59. Zu den ersten Darstellungen des Montserrats in der deutschen Literatur gehört der Reisebericht von Thomas Platter (1574–1628) aus dem Jahre 1599. Vgl. Thomas Platter, Beschreibung der Reisen durch Frankreich, Spanien, England und die Niederlande (1595–1600), Basel, Stuttgart 1968, hier S. 355–370. Auch hier wird zunächst die etymologische Bedeutung des Montserrats erläutert: Der Berg sei so »genennet wegen ettlicher spitzen. Einzigen, hohen felsen, die wie pyramides stehende, als wolt man sagen, mons serratus, daß ist ein berg, mitt der segen zerspalten, wie man ihn auch also abkontrafeitetet, daß unser herrgott ihn mitt der segen also abtheilet, daß so viel einzige gipef aufrecht stendt.« (S. 355) Platter berichtet zudem über die Errichtung des Klosters und die sich darum rankende furchtbare Legende, der zufolge die Tochter eines Grafs durch einen Eremiten ermordet wurde. Nach ihrer Auferstehung wurde zur Ehre Marias eine Kirche erbaut. Ferner werden die Begegnungen mit den Eremiten, deren Aussehen und deren Lebensart beschrieben: »Die einsidler, so auf diesem berg in ihren zeltlinen wohnen, sinndt vast alle alte männer, haben lange, grauwe bärt vast wie die caputziner, unnd kommen niemahlen von ihren zeltlinen herunder in dass kloster, ob schon schnee oder großer nebel bey ihnen. […] Sie dörfen auch nicht ofentlich zusamen kommen, damitt sie einanander nicht an ihrem dienst verstören.« (S. 364) Besonders viel Platz widmet Platter der phantasievollen Darstellung der Wundergeschichten der Spanier und den kirchlichen Ritualen: »Es sindt auch viel mann unndt weibs personen, in holtz geschnetzelt, […] mit tötlichen zeichen, da ettliche auf den todt geschlagen, mitt schwerteren gehauwen, spiessen durchstochen, pfeilen oder kugelen durchschossen worden, ett­ liche durch die achsel, andere durch den ruken, andere durch die seiten, andere durch die

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auf seine vor Ort gemachten Notizen zurück, in denen er seine Wanderung mit allen Einzelheiten im chronologischen Ablauf festgehalten hatte.29 Dies erlaubt ihm, bei seiner Darstellung die Erfahrung der früheren Wanderung durch eine geschickte Erzählkomposition nachzubilden. Insbesondere durch den Einsatz wechselnder Perspektiven, die den Blick des Lesers immer wieder vom vertikal verlaufenden Pfad zum horizontal situierten Gebirge lenken, vermittelt er den Eindruck eines Spaziergangs. Durch sich stets wiederholende Schleifen und Pausen, aber auch durch verschiedene, aus unterschiedlichen Höhen geschilderte Betrachtungen des Montserrats wird das Besteigen des Bergs nachvollzogen. Die Darstellung der einzelnen Wanderetappen verläuft dabei so natürlich, dass der Leser den Eindruck hat, auf den Weg mitgenommen zu werden; er ›bildet sich ein‹, selbst auf der Reise zu sein. Wir lernen also den Berg kennen, indem wir ihn besteigen, indem wir uns wenden und die Blickperspektiven wechseln. Dieses Gefühl des Dabeiseins wird zusätzlich durch den Einsatz der Mittel der Distanz und Annäherung verstärkt. Der Bericht wird immer detailreicher, d.  h. je weiter man geht oder liest, desto mehr sieht und erfährt man. So werden allmählich die Einzelheiten des Bergs enthüllt. Zunächst teilt der Wanderer die Fakten zum Montserrat mit, etwa die geographische Breite und Länge und die Entfernung von Städten wie Barcelona oder Valencia. Der Berg ist jedoch hier nicht  – wie im Bericht seines Bruders,

brust, andere durch das hertz. Andere sindt mitt eysen an beyden armen auf galeren oder anderstwoh geschmidet gewesen, andere an den fiessen. Anderen in den kopf zerspalten worden, anderen die augen veletzet, anderen daß gehör vergangen, anderen sindt die därm auß dem leib gehangen, welche alle wunderbahrlicher weiße durch anrüfen der heiligen jungfrauwen Maria von Montserrat sinndt widerumb geheilet, erlöset unndt gesundt worden.« (S.  368) Platter verlässt den Montserrat unter dem Eindruck der Furcht. Humboldt wird später hingegen dem Fremden nicht mit furchtsamer Abwehr begegnen, sondern es als Anlass für die Selbstbildung des Geistes begreifen. 29 Vgl. dazu auch Wilhelm von Humboldt, Tagebuch der Reise nach Spanien 1799–1800, in: Wilhelm von Humboldts Werke, hg. von Albert Leitzmann, Bd. 2, Berlin 1918, S. 298–309. Humboldt notiert in seinem Tagebuch den Weg zum Monsterrat sehr detailreich. Viel stärker als im Reisebericht berichtet er dort über die Geschichte der alten Brücken, der im Kloster hängenden Bilder und der Bibliothek. Die Wahrnehmung und Darstellung des Bergs wird  – wie später im Bericht  – aus verschiedenen Perspektiven vorgeführt, auch die Legende über die Entstehung des Klosters wird ausführlich geschildert. Seine Notizen über die Wanderung zum Montserrat schließt Humboldt mit einem Verweis auf Goethe ab, in welchem er die Begegnung mit den Einsiedlern mit der Beschreibung der Mönche in Goethes Gedicht Die Geheimnisse vergleicht: »Sie [die Reise zum Montserrat] war eine der liebsten Excursionen in Spanien, und Göthens ›Geheimnisse‹ schwebten mir lebhaft dabei vor dem Gedächtnis.« (309) Darauf komme ich im 4. Teil dieses Beitrags zurück.



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der ebenfalls den Montserrat bestieg  – ein Objekt der Wissenschaft,30 sondern ein Gegenstand der ästhetischen Anschauung. Die dichterische Einbildungskraft wird tätig, wenn der Wanderer das Unbekannte, den Montserrat, erblickt und seine Eindrücke anschaulich wiedergibt: Er steht wie eine hohe und lange Wand vor der Gegend vor, und da er sich überall von der freien Ebene emporhebt […], so gibt ihm dies ein noch majestätisches Ansehen. Er ist (wie es sein Name sagt) sägenförmig eingeschnitten, und zeigt eine Menge wunderbarer Ecken. Aber da die Entfernung dem Auge die kleineren zuckerähnlichen Spitzen verbirgt, die ihm, besonders auf den karikaturähnlichen Holzschnitten der Jungfrau des Montserrats, beinahe das Ansehen eines Gletschers geben, so erscheint er von hier größer und ernster, als in der Nähe.31 Zuerst präsentiert Humboldt den Montserrat von unten (Abb.  1) und schildert den gewaltigen Eindruck, den seine Größe und besondere Gestalt hervorrufen. Um die Vorstellungskraft des Lesers zu unterstützen und ihm ein möglichst deut­ liches Bild zu vermitteln, bemüht sich Humboldt um anschauliche Vergleiche, die zugleich die majestätische Erscheinung des Berges verdeutlichen. Zudem ruft er Holzschnitte in Erinnerung, deren Unzulänglichkeit sich bei direktem Anblick der Felsformation erweist (Abb. 2). Für Humboldt dienen Einbildungskraft und Phantasie als Mittel, eine möglichst klare und distinkte Vorstellung des Berges zu gewinnen, um ihn anschaulich zu begreifen. Dafür muss sein Profil immer genauer in der Vorstellung ausgebildet werden, also aus ersten Eindrücken immer deutlicher herausgeschält werden. Im Laufe der Wanderung verändert sich daher die Wahrnehmung des Montserrats und mithin das Beschreibungsvokabular. Je näher man kommt, umso genauer wird die Schilderung, umso vollständiger das Fremde erlebt: 30 Auch Alexander von Humboldt bestieg den Montserrat. Seine Eindrücke über den Berg beschreibt er in einem verlorengegangenen Brief an Wilhelm, auf den dieser sowohl in seinem Bericht als auch in seinen Tagebuchnotizen verweist. Hierbei konzentrierte er sich vor allem auf die Darstellung der geologischen Beschaffenheit des Berges, schilderte dessen Lage, zeigte sich aber auch von den Einsiedlern sehr angetan. Dass Alexander von Humboldts Naturwahrnehmung sonst nicht nur quantitativ messend verfährt, sondern sich ebenfalls eines physiognomischen Blicks bedient, haben u.  a. Daston und Hagner gezeigt: Lorraine Daston, The Humboldtian gaze, in: Science as cultural practice. Vol. 1: Cultures and politics of research from the early modern period to the age of extremes, hg. von Moritz Epple und Claus Zittel, Berlin 2010, S. 45–60. Michael Hagner, Zur Physiognomik bei Alexander von Humboldt, in: Geschichten der Physiognomik. Text, Bild, Wissen, hg. von Rüdiger Campe und Manfred Schneider, Freiburg 1996, 431–452. 31 Humboldt, Der Montserrat bey Barcelona, S. 35.

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Abb. 1. Der Montserrat (Blick von unten)

Der Montserrat zeigt sich jetzt immer mehr und mehr in seiner wahren Gestalt. Seine hundertfältigen Spitzen kommen nur deutlicher ins Gesicht, und zwischen ihnen sieht man weiße Punkte schimmern, über die man lange zweifelhaft bleibt, bis man nach und nach erkennt, dass es die Einsiedeleien sind, welche fromme Schwärmerei auf Gipfel und in Felsspalten hineingepflanzt hat, welche vorher gewiss auch ein einzelner Wanderer nur mit Mühe besucht hätte.32 Auf dem Weg zum Gipfel des Montserrats wird der Leser mit weiteren detailreichen Informationen versorgt. Humboldt rekonstruiert die Baugeschichte des Bergklosters, er erzählt seine blutige Gründungslegende und teilt dabei viele historischen Fakten mit. Diese sachlichen Informationen behindern aber nicht den lebendigen Gang der Darstellung des Montserrats.33 Vielmehr erscheint Humboldt das wandernde Erschließen einer Gegend als ideales Modell, um Fakten 32 Ebd., S. 37. 33 Uwe Hentschel vertritt eine Gegenposition: Für ihn gibt es einen Widerspruch zwischen dem »Erkenntnisanspruch« und der »itineraren Darstellungsform« des Berichts, weshalb er Wilhelm von Humboldt für einen gescheiterten Reiseautor hält. Vgl. Hentschel, Goethe, Humboldt und die »Hydra der Empirie«, S. 45.



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Abb. 2. Die Jungfrau des Montserrats. Holzschnitt aus dem achtzehnten Jahrhundert

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anschaulich und verständlich zu vermitteln und eine Wissenschaft des Sehens zu begründen, die ästhetisches und wissenschaftliches Erkennen in einen lebendigen Wahrnehmungsakt zusammenführt. Viel Platz in seiner Beschreibung widmet Humboldt den in den Felsenhöhlen lebenden Eremiten, ihrem Aussehen und Verhalten sowie den Gesprächen mit ihnen.34 Damit wird ein Übergang zwischen der Natur und Kultur vollzogen. Die Natur erweist sich nun als ideale Lebensform für den Menschen. Humboldt beschreibt genau die Gesichter der einzelnen Eremiten, studiert ihren Charakter in ihren Zügen und hebt die Mannigfaltigkeit ihrer Physiognomien hervor. Ihm fällt dabei eine Ähnlichkeit zwischen ihren Körpern und der Wildheit und Rauheit des Bergs auf. Anhand der Physiognomien der Mönche entziffert Humboldt somit zugleich den Charakter und die Natur des Berges. Der physiognomische Blick dient dem Erkennen, er liefert anschauliche Begriffe.35 Der Montserrat erscheint dem Wanderer in dieser Darstellung als Ort der Symbiose zwischen Natur und Mensch sowie des Ausgleichs von Natur und Kultur. Daher vermag Humboldt die Ästhetik des Berges und zugleich seine kulturelle Funktion anders als in der Tradition der Frühen Neuzeit zu erfassen. Hier ist der Berg kein Ort des Schreckens und der Furcht, kein Inbegriff der Hässlichkeit;36 im Gegenteil: Für die dort lebenden Einsiedler bietet er Zuflucht und Sicherheit, ermöglicht ihnen ein harmonisches Dasein. Humboldts Betrachtung des Mont­ serrats erreicht mit dieser Einsicht ihren Höhepunkt. Der aus der Ferne noch als majestätisch beschriebene Berg wirkt nun freundlich:

34 Humboldt beherrschte die spanische Sprache gut und konnte sich mit den Einsiedlern problemlos verständigen. Zu untersuchen wäre, inwiefern seine während der ersten Spanienreise gemachten Erfahrungen die Entwicklung seiner Sprachtheorie prägten. Vgl. Wilhelm von Humboldt, Ueber die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts, in: Wilhelm von Homboldt. Werke, Bd. 3, Berlin 1876, hg. von August Friedrich Pott, S. 437. Vgl. auch: Tilman Borsche, Wilhelm v. Humboldt, München 1990, bes.  S. 136–170; Ders., Denken – Sprache – Wirklichkeit. Grundlinien der Sprachphilosophie Wilhelm von Humboldts, in: Menschen und Individualität. Zur Bildungstheorie und Philosophie Wilhelm von Humboldts, hg. von Erhard Wicke, Wolfgang Neuser und Wolfdietrich Schmied-Kowarzik, Weinheim 1997, S. 65–81. 35 Christine Tauber weist darauf hin, dass Humboldt in seinem Tagebuch angibt, während seiner Spanienreise Rousseaus Émile gelesen zu haben. Vgl. Tauber, Nachrevolutionärer Klassizismus. Wilhelm Humboldts Spanienreisen, S. 201. Vor dem Hintergrund dieser Lektüre wird klar, warum Humboldt das Leben der Einsiedler, die ihre Bedürfnisse auf das Notwendigste beschränken und naturnah leben, zu einem Ideal erhebt. 36 Vgl. dazu: Ruth Groh und Dieter Groh, Von den schrecklichen zu den erhabenen Bergen. Zur Entstehung ästhetischer Naturerfahrung, in: Weltbild und Naturaneignung. Zur Kulturgeschichte der Natur, hg. von Ruth Groh und Dieter Groh, Frankfurt a.M. 1996, S. 92–149.



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Der Montserrat hat nicht den ernsten, großen und feierlichen Charakter nordischer Gebirge, der Alpen, unsrer Bergketten, oder auch der Pyrenäen. Ein inselförmig allein stehender Berg, in unzählige kleinere Felsmassen zerspalten, mit meistenteils niedrigem Gesträuche bewachsen, ist er rau, wild, chaotisch-gestaltet in seinen Gipfeln, anmutig und freundlich in seinen Gründen, wunderbar und abenteuerlich im Ganzen, aber nicht eigentlich groß und erhaben. Es fehlen ihm die mächtigen Wände, die ungeheuren Flächen, auf denen das Auge weit hinausschweift; er hat keine fürchterlich rauschenden Wasserfälle, keine Gruppen finstrer Tannen, keine Eichen. […] Die Bäume, die man sieht, sind kleiner und schwächer. […] Was indes diesem Berge an Größe abgeht, ersetzt er durch die wunderbare Verbindung von Anmut und Wildheit und durch die feierliche Stille, die in ihm herrscht.37 Mit seiner Rede vom ernsten, großen und feierlichen Berg spielt Humboldt erkennbar auf Kants Theorie des Erhabenen an, der zufolge ein gewaltiger Berg die Einbildungskraft durch seine schiere Größe überfordert. Für Kant ist ein Gegenstand schön, wenn seine Form schön ist und um schön zu sein, müsse die Form begrenzt sein. Ein wilder schroffer Berg sei dies nicht, daher werde er nicht als schön, sondern als erhaben wahrgenommen. Die Einbildungskraft jedoch vermag ein solch formloses Objekt nicht mehr zur Darstellung bringen, die Vernunft muss ihr zu Hilfe kommen, um dann eine Idee für das sinnlich Nichtdarstellbare zu bilden.38 Humboldt ist hingegen der Ansicht, dass dieser Umweg über die Vernunftidee nicht nötig ist, da die Einbildungskraft sehr wohl auch einen majestätisch-erhabenen Berg erfassen kann und zwar dann, wenn sie dichterisch wird! Kant untersucht die allgemeinen Bedingungen der Möglichkeit des Erkennens; Humboldt hingegen lässt sich auf das wirkliche Erkennen ein, er erfährt und führt vor, wie die dichterische Einbildungskraft solche anschaulichen Schilderungen hervorzubringen vermag, sodass auch scheinbar Unfass­ liches eingefangen werden kann. Dies muss umso mehr gelten, wenn der Berg kein schrecklicher Berg ist, denn der Montserrat ist anmutig. Mit der Kategorie der ›Anmut‹ knüpft Humboldt an Schillers 1793 erschienene Schrift Über Anmut und Würde an, in der dieser ebenfalls den Kantischen Dualismus von Sinnlichkeit und Verstand zu überwinden versucht und im Begriff der ›Anmut‹ eine Synthese der beiden Vermögen erkannt hatte. ›Anmut‹ sei »eine Schönheit, die nicht von der Natur gegeben, sondern von dem Subjekte hervorge-

37 Humboldt, Der Montserrat bey Barcelona, S. 47  f. 38 Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 190  f.

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bracht wird«.39 So wird auch bei Humboldt die Anmut der Landschaft erst durch die ästhetische Betrachtung und lebendige Erfahrung möglich. Die Art und Weise, wie Humboldt den Aufstieg zum Montserrat als Gang durch den Text inszeniert, rückt seinen Bericht aber auch in die Nähe von Schillers Gedicht Der Spaziergang, das 1800 erschien. Seine erste (um 16 Verse längere) Fassung entstand bereits 1795 und trug den Titel Elegie. Humboldt gehörte zu den ersten Interpreten dieses Gedichts.40 »Ich gestehe offenherzig« – so schrieb er an Schiller – daß unter allen Ihren Gedichten, ohne Ausnahme, dieß mich am meisten anzieht, und mein Inneres am lebendigsten und höchsten bewegt. […] Das eigentliche poetische Verdienst scheint mir in diesem Gedichte sehr groß; fast in keinem Ihrer übrigen sind Stoff und Form so mit einander amalgamiert, erscheint Alles so durchaus, als das freie Werk der Phantasie.41 Auch Schillers Verse führen den Leser durch eine Gebirgslandschaft, sie wecken durch die anschauliche Darstellung der Natur die bildhafte Vorstellungskraft, befreien sich so von den Fesseln der reinen Schilderung. Gleichwohl erläuterte Schiller in einem Brief an Christian Gottfried Körner, dass das Gedicht ebenso wie der Wandernde »nach strenger Zweckmäßigkeit fortschreitet.«42

39 Friedrich Schiller, Über Anmut und Würde, in: Friedrich Schiller. Sämtliche Werke, Bd. 5, München 1970, S. 433–470, hier S. 437. 40 Vgl. dazu die einschlägigen Interpretationen des Spaziergangs von z.  B.: Jörg Schuster, »Ein Fremdling in der Sinnenwelt«? Schillers »Elegie«, in: Sinne und Verstand. Ästhetische Modellierungen der Wahrnehmung um 1800, hg. von Caroline Welsch, Christina Dongowski und Susanna Lulé, Würzburg 2002, S. 53–70; Klaus Jeziorkowski, Der Textweg, in: Gedichte von Friedrich Schiller, hg. von Norbert Oellers, Stuttgart 1996, S. 157–178; Wolfgang Riedel, »Der Spaziergang«. Ästhetik der Landschaft und Geschichtsphilosophie der Natur bei Schiller, Würzburg 1989. 41 Vgl. Wilhelm von Humboldts Kommentar zu Schillers Gedicht in seinem Brief an Schiller vom 23. Oktober 1795: Der Briefwechsel zwischen Friedrich Schiller und Wilhelm von Humboldt, Berlin 1962, Bd.  1, S.  185–196; Auch in: Schillers Werke. Nationalausgabe. Bd.  35. Briefwechsel. Briefe an Schiller. 25.  5. 1794–30.  10. 1795, hg. von Günter Schulz, Weimar 1964, S.  392–399 sowie unter: http://www.wissen-im-netz.info/literatur/schiller/briefe/ humboldtw/27.htm (09. 02. 2018). Ferner vgl. Ernst Osterkamp, Fläche und Tiefe. Wilhelm von Humboldt als Theoretiker von Schillers Modernität, in: Friedrich Schiller und der Weg in die Moderne, hg. von Walter Hinderer, Würzburg 2006, S. 101–117. 42 Vgl. Schillers Brief an Christian Gottfried Körner vom 21.  September 1795, in: Schillers Werke. Nationalausgabe, Bd. 28: Briefwechsel, hg. von Norbert Oellers, Weimar 1969, S. 60. Auch unter: http://www.wissen-im-netz.info/literatur/schiller/briefe/koerner/1795/410.htm (09. 02. 2018)



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Auch von Humboldt gibt es Zeugnisse, in denen er das Wandern explizit zum Prinzip der Darstellung deklariert. In seiner 1801 erschienenen Vasken-Schrift erklärt er z.  B., der Leser solle diese auffassen als kurze und einfache Schilderung meiner Wanderung […]. An diesem Faden wird es am leichtesten seyn, ihm [dem Leser] eine anschauliche Vorstellung von dem Lande und seinen Bewohnern zu geben und mit dieser versehen, wird er, auch ohne besonderes Studium dieses Faches, den wissenschaft­ lichen Untersuchungen über die Abstammung der Vaskischen Nation und den Ursprung ihrer Sprache, welche den Beschluss dieser Blätter machen sollen, besser folgen, und ihre Resultate richtiger beurteilen können.43 Wie bei Schiller also dient die Bewegung durch den Text einer didaktischen Absicht, – das Spazierengehen hat eine erkenntnisleitende Funktion. Bei Schiller führt jedoch der Weg von der Natur zur Kultur und schließlich werden – ähnlich wie bei Kants Theorie des Erhabenen – die von der Natur ausgehenden Gefährdungen in einem Triumph der sich selbst als frei vergewissernden Vernunft überwunden.44 Bei Humboldt jedoch ereignet sich kein anagogischer Aufstieg in idea­ lische Sphären, sondern es wird die reale Erfahrung einer fremden Landschaft ästhetisch vermittelt. In der Vasken-Schrift bereitet Humboldt den Leser auf die Aufnahme des wissenschaftlichen Teils der Untersuchung vor, indem er ihn langsam und in ausführlichen Beschreibungen mit den Besonderheiten von Landschaft und Kultur des fremden Landes vertraut macht, damit er auf diese Weise einen Zugang zu den im Anschluss mitzuteilenden trockenen Fakten findet. Im Montserrat-Bericht hingegen wird, wie oben gezeigt, die Annäherung an ein fremdes Felsmassiv sukzessiv vollzogen, dabei aber nicht ein Triumph der freien Vernunft über die Natur inszeniert, sondern im Gegenteil scheint sich beim Gang auf den Berg unterwegs eine leise und subtile Abkehr von der aufklärerischen Geschichtsphilosophie zu vollziehen. Denn die konkrete Begegnung mit dem Montserrat verändert den Wanderer, gerade weil er sich weit mehr auf das Fremde einzulassen bereit ist. Die Erhabenheitsästhetik des deutschen Idealismus lässt die schreckliche Natur in ihrer Unfassbarkeit zum Ausgangspunkt der ästhetischen Erfahrung werden, das betrachtende Subjekt bleibt dabei unverändert; es vergewissert sich in seiner 43 Humboldt, Die Vasken, S. 430. 44 Vgl. zu Schillers Auseinandersetzung mit Kants Theorie des Erhabenen im Spaziergang: Jürgen Stenzel, Die Freiheit des Gefangenen: Schillers Elegie »Der Spaziergang«, in: Gedichte und Interpretationen Band  3: Klassik und Romantik, hg. von Wulf Segebrecht, Stuttgart 1984, S. 67–77.

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Unversehrtheit kraft der eigenen Vernunft. Das Fremde bleibt gerade unbegreiflich. Humboldt hingegen will es sich begreifend aneignen, doch nicht durch Unterwerfung unter die eigenen Begriffe. Vielmehr muss sich im Prozess des anschaulichen Begreifens der fremden Natur der Betrachter verändern. Auch Humboldts ›Spaziergang‹ kommt so eine ethische Dimension zu: Beim Aufstieg auf den Berg erliegt der Wanderer allmählich selbst der Stimmung des Montserrats. Je mehr sich der Wanderer auf die unvertraute Natur einlässt, desto stärker regt sich in ihm der Wunsch, im Einklang mit dieser Natur zu leben. Die Begegnungen mit den Einsiedlern, ihre innere Ruhe und Herzlichkeit, versetzen ihn in eine kontemplative Stimmung. In der Nähe jener Menschen mit der Natur erkennt der Wanderer die besondere nationale Eigentümlichkeit des spanischen Volks. »Häufiger als in anderen Ländern«, so resümiert er, »findet man in Spanien die Menschen, die bereit sind, Unabhängigkeit mit Einsamkeit zu erkaufen. Der Spanier ist sinnlicher, aber nicht so materiell, als der Nordländer, und bei weitem reizbarer; es liegt ihm also mehr daran, ungestört zu leben.«45 Humboldts Bericht über den Montserrat zeigt, warum für die Begegnung mit dem Fremden ein eingehendes Studium der fremden Kultur auf der Basis einer bereits entwickelten Bildung Voraussetzung ist. Dieses Studium umfasst gleichermaßen den lebendigen Umgang mit den Menschen in ihrer kulturellen und natürlichen Umgebung sowie die Kenntnis ihrer Geschichte und Traditionen, die im Vergleich mit anderen Kulturen zu beurteilen ist. Von entscheidender Bedeutung aber ist der Modus der Aneignung des Fremden, denn weder soll totes Wissens akkumuliert noch lediglich ein individuelles Erleben geschildert werden. Vielmehr ist die Erfahrung des Fremden ästhetisch zu vermitteln. Nur wenn all dies zusammenkommt, vermag ein Reisender einen zunächst so abweisend fremden Berg wie den Montserrat in seiner Besonderheit anschaulich zu begreifen. Dieses Begreifen des Fremden aber verwandelt den Reisenden.

4. Goethes Gedicht Die Geheimnisse und der Montserrat Die Differenzen zu Schillers Gedicht Der Spaziergang lenken den Blick zurück auf Humboldts Verhältnis zu Goethe. Eine weit wichtigere Anregung für Humboldts Montserrat-Bericht war Goethes Gedicht Die Geheimnisse,46 das 1785 als Fragment

45 Humboldt, Der Montserrat bey Barcelona, S. 55. 46 Hans-Dietrich Dahnke, Die Geheimnisse, in: Goethe Handbuch, Bd. 1, hg. von Regine Otto und Bernd Witte, Stuttgart, Weimar 2004, S. 546–552. Vgl. auch: Arturo Farinelli, Guillaume de Humboldt et l’Espagne. Goethe et l’Espagne, Bd. 6, Turin 1924.



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erschien und nie vollendet wurde. »Ihre ›Geheimnissee‹« – so schrieb Humboldt in einem Brief an Goethe, in dem er über seine Montserrat-Wanderung berichtet – schwebten mir lebhaft vor dem Gedächtnis. Ich habe diese schöne Dichtung, in der eine so wunderbar hohe und menschliche Stimmung herrscht, immer außerordentlich geliebt, aber erst, seitdem ich diese Gegend besuchte, hat sie sich an etwas in meiner Erfahrung angeknüpft; sie ist mir nicht werter, aber sie ist mir näher und eigner geworden.47 47 Humboldt, Der Montserrat bey Barcelona, S. 33. Vgl. auch Humboldts Brief an Goethe, in: Goethes Briefwechsel mit Wilhelm und Alexander von Humboldt, hg. von Ludwig Geiger, Berlin 1909, S. 126–131, hier S. 130. In einem späteren Brief an Goethe (vom 10. Oktober 1800) betonte Humboldt, dass das Ziel seines Textes sei, dem »Leser ein fortschreitendes Bild von dem Lande« zu geben, was vor allem dadurch möglich sei, dass die verschiedenen Ausprägungen der Natur sorgfältig beschrieben werden: »Ich wünschte, Sie sagten in einer Anmerkung, mein Lieber, daß dies Stück eine Probe einer neuen Reise durch Spanien sei, die in Kürze erscheinen werde, daß aber der Verfasser derselben (Sie mögen mich nun nennen oder nicht) die Absicht habe, alle diejenigen Gegenstände zu übergehen, die schon von anderen hinlänglich beschrieben wären, und sich dagegen desto länger bei denjenigen aufzuhalten, von welchen er eine vollkommenere Schilderung, als seine Vorgänger, zu geben im Stande sei. Auch ist dies in der Tat meine Absicht.« In demselben Brief verwies Humboldt auf die Beschreibung des Mont­ serrats des britischen Reiseschriftstellers Philip Thicknesse (1719–1792), die 1777 auf Englisch und 1778 auf Deutsch erschien. Humboldt empfahl Goethe diese zu lesen und sie mit seinem Reisebericht zu vergleichen. Vgl. Goethes Briefwechsel mit Wilhelm und Alexander von Humboldt, S. 133–138, hier S. 134  f. In seiner Antwort (vom 19. November 1800) schrieb Goethe: »Den Thicknesse über den Montserrat müssen Sie notwendig lesen und die Vergleichung selbst anstellen. Es ist ausführlich genug, doch scheint mir der Gegenstand durch Ihre Ansicht wieder neu zu werden.« Vgl. Goethes Briefwechsel mit Wilhelm und Alexander von Humboldt, S. 138–139, hier S. 139. Humboldt las in der Tat den von Thicknesse verfassten Bericht, fand darin jedoch keine Ähnlichkeit mit seiner Schilderung des Montserrats: »In historischen Umständen ist er unrichtig und flüchtig; gesehen hat er mehr als ich, aber es dünkt mich, so trocken und weitschweifig beschrieben, daß ich die Vergleichung mit ihm nicht fürchte.« Vgl. Goethes Briefwechsel mit Wilhelm und Alexander von Humboldt, S. 139–141, hier S. 140. In seinem in Form von Briefen verfassten Bericht über den Montserrat geht Thicknesse sehr detailliert vor. Ähnlich wie später Humboldt konzentriert er sich zunächst auf die Beschreibung des »wilden Bergs mit seinen spitzigen Felsen« und seiner »Kunst, sich zu einzelnen Einsiedeleien zu bilden«. Breit beschreibt er die dort herrschende religiöse Stimmung, stellt minutiös alle Einsiedeleien dar, schildert die Gespräche mit den Mönchen und erzählt ihre Schicksale. Eine Einsiedelei wird durch einen Kupferstich veranschaulicht. Vgl. Philip Thicknesse, A Year’s Journey trought France and a Part of Spain, London 1777, hier Briefe 21–32, S. 203–320. Vgl. auch: Ders., Reisen durch Frankreich und einen Teil von Katalonien, Leipzig 1778. Ferner vgl. die Zusammenfassung von Johann Georg Meufel, Neuste Literatur der Geschichtskunde, Erfurt 1779, hier S. 107–110. Vgl. dazu: Ulrike Hönsch, Wege des Spa-

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In seinem in vierundvierzig Stanzen verfassten Versepos schildert Goethe aus der Perspektive des jungen Pilgers Markus eine Begegnung mit zwölf Mönchen, die nach einem sturmvollen Leben ihren Seelenfrieden suchen und sich daher in der Abgeschiedenheit religiösen Praktiken widmen.48 Im Zentrum der Geschichte steht aber der dreizehnte Mönch, der Humanus heißt und das Oberhaupt des Ordens ist. Sein Name verkörpert die Idee des Humanismus, die eine Geisteshaltung fordert, welche sich durch Bildung und innere Gefasstheit auszeichnet. Er ist ein Vorbild für die anderen Mönche und war der Grund, weshalb sie in die Bruderschaft eintraten. Um ihn rankt sich auch die erzählte Geschichte, obwohl er selbst nicht in Erscheinung tritt; seine Geschichte wird von den zwölf Mönchen mitgeteilt.49 Auf seiner Wanderung durch den Wald gelangt Bruder Markus zu einem auf den Felsen gelegenen Kloster. Als Humboldt den verschlungenen, langen Weg, der ihn zum Kloster auf dem Montserrat führt, geht, erinnert er sich an das Gedicht: »Wie ich den Pfad zum Kloster hinaufstieg, glaubte ich Ihren frommen Pilgrim vor mir zu sehn.«50 Im Unterschied aber zu Humboldt ist das Ziel der Wanderung des Bruders Markus zunächst unbekannt. Er findet das Kloster intuitiv bzw. wird zu ihm durch höhere Kräfte geleitet: Durch Berg’ und Täler ist der Weg geleitet; / Hier ist der Blick beschränkt, dort wieder frei, / Und wenn der Pfad sacht in die Büsche gleitet, / So denket nicht, daß es ein Irrtum sei. […] / Und wie er nun den Gipfel ganz erstiegen, / Sieht er ein nahes, sanft geschwungenes Tal. / Sein stilles Auge leuchtet von Vergnügen, / Denn vor dem Walde sieht er auf einmal / In grüner Au ein schön Gebäude liegen, / Soeben triffts der letzte Sonnenstrahl: / Er eilt durch Wiesen, die der Tau befeuchtet, / Dem Kloster zu, das ihm entgegen­ leuchtet.51

nienbildes im Deutschland des 18. Jahrhundert, Tübingen 2000, bes.  S. 99–106. Eine offene Frage bleibt, inwiefern Humboldts Reisebericht von Thicknesse geprägt wurde, obgleich er versichert, dessen Buch beim Verfassen seiner Schilderung des Montserrats nicht gekannt zu haben. Vgl. dazu: Arturo Farinelli, Goethe und der Montserrat, in: Goethe: Viermonatsschrift der Goethe-Gesellschaft 2 (1943), S. 192–203. 48 Vgl. dazu den Kommentar von Ernst Osterkamp in: Im Buchstabenbilde. Studien zum Verfahren Goethescher Bildbeschreibungen, Stuttgart 1991, S. 324–325. 49 Vgl. Gero von Wilpert, Goethe-Lexikon, Stuttgart 1998, S. 362–363. Vgl. auch: Emil Steiger, Goethe. 1749–1786, Freiburg 1964. 50 Humboldt, Der Montserrat bey Barcelona, S. 33. 51 Johann Wolfgang von Goethe, Die Geheimnisse, in: Goethes Poetische Werke. Vollständige Ausgabe, Wien 1995, hier Bd. 2, S. 387–397, hier S. 387  f.



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Der verschlungene Weg, der ins Unbekannte führt, kündigt ein Rätsel an. Der Wanderer Markus erfreut sich dennoch an der lieblichen Landschaft und genießt die Aussicht. Auch in diesem Gedicht also wird – wie in Schillers Spaziergang und Humboldts Bericht über den Montserrat – mit der Beschreibung eine Wanderung nachvollzogen. Die im Kloster versammelten Mönche berichten dem Bruder Markus von ihrem Alltag, ihrem in der Absonderung von der Welt geführten bescheidenen Leben und der dadurch gewonnenen Ruhe. Die Nachricht, dass Humanus die Bruderschaft zu verlassen plant, überschattet aber das bisherige Seelenglück. Der Grund für seine Entscheidung ist ein Rätsel und bleibt unbekannt: »Er hat es erst vor kurzem selbst verkündet, / Doch will er weder Art noch Stunde nennen: / Und so ist uns sein ganz gewisses Scheiden / Geheimnisvoll und voller bittrer Leiden.«52 Goethes Verse färben in dem Moment Humboldts Blick auf den Montserrat, wenn sich diesem »die Größe der Natur und die Tiefe der Einsamkeit«53 offenbart und zu einer einzigen Erfahrung verbindet. Der Berg erscheint ihm als ein »Zufluchtsort stiller Abgeschiedenheit von der Welt«,54 und es solle »jeder rein menschlichen Empfindung auf Erden«55 ein solcher Ort zur Verfügung stehen. Denn dort könne man »seine Einbildungskraft und seine Gedanken retten«.56 Mit Goethes Gedicht im Sinn vermag Humboldt die Landschaft, das Kloster und die Einzelschicksale der Mönche ästhetisch aufzufassen. Die anmutige Stimmung von Goethes Versen grundiert Humboldts Bericht und lenkt dessen forschende Aufmerksamkeit auf Atmosphärisches und Eigentümliches, das dem bloß naturkundlichen Interesse entgangen wäre. Doch es wird nicht bei dieser einseitigen Einflussnahme bleiben, sondern es kommt in der Folge nun zu mannigfachen Rück- und Wechselwirkungen. Obgleich Goethe selbst nie in Spanien war, war sein Interesse an diesem Land groß.57 Von Humboldts Bericht war er sehr angetan, gerade weil dieser 52 Ebd., S. 390. 53 Humboldt, Der Montserrat bey Barcelona, S. 33. 54 Ebd., S. 34. 55 Ebd. 56 Ebd. 57 Vgl. Goethes Brief an Wilhelm von Humboldt von 1799/1800: »Was ich Ihnen schrieb, daß mir Ihre Reise nach Spanien statt einer eigenen dahin gelten würde, geht wirklich schon durch Ihren letzten Brief in Erfüllung. […] So habe ich auch einige Reisebeschreibungen mit mehrerem Antheil durchgeblättert. Eine Karte von Spanien ist an meine Thür angenagelt und so begleite ich sie in Gedanken und hoffe, daß Sie mich nach und nach immer weiter führen werden. Sogar habe ich mich den Spanischen Schriftstellern wieder genähert und neulich das Trauerspiel Numancia von Cervantes mit vielem Vergnügen gelesen.« Goethes

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nicht nur trockene Informationen liefere, sondern nachhaltig die Einbildungskraft beschäftige:58 »Durch Ihren Montserrat« – so schreibt er in seinem Brief an Humboldt – »haben Sie uns ein großes Vergnügen gemacht. Die Darstellung ist sehr gut geschrieben, man liest sie gern und man kann sie aus der Einbildungskraft nicht loswerden. Ich befinde mich seit der Zeit, ehe ich mich versehe, bei einem oder den anderen Ihrer Eremiten.«59 1816 kam Goethe noch einmal auf sein Gedicht zurück.60 Just unter dem Einfluss des von seinem Gedicht inspirierten Reisebericht Humboldts schrieb er einen Essay,61 in dem er erklärte, warum Die Geheimnisse unvollendet geblieben waren. Erforderlich wäre – wolle man das Gedicht vollenden – es auf den Mont­ serrat und Humboldts kulturkundliches Forschungsprogramm auszurichten. Die Aufgabe müsse sein, »den Leser durch eine Art von ideellem Montserrat«62 zu führen. Entsprechend würden die Mönche im neu gefassten Gedicht nicht mehr in einer Gemeinschaft wohnen, sondern »einen jeden der Rittermönche würde man in seiner Wohnung besucht und durch Anschauung klimatischer

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Briefwechsel mit den Gebrüdern von Humboldt. 1795–1832, hg. von Franz Thomas Bratanek, Leipzig 1876, Nr. 28, S. 154  f. Goethe schickte zuvor den Bericht an Schiller, der positiv reagierte. In Humboldts Beschreibung des Montserrats erkannte er »einen abgeschlossenen menschlichen Zustand, der wie der Berg auf dem er seinen Sitz hat, vereinzelt und inselförmig ist, und mithin auch den Leser aus der Welt heraus und in sich selbst hineinführt«. Es ist die Einsamkeit, die in Verbindung mit der Natur zur Harmonie und Integration führt. Vgl. Schillers Brief an Goethe vom 5. September 1800, in: Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe, hg. von Siegfried Seidel, Bd.  2, Leipzig 1984, S.  324. Auch unter: http://www.briefwechsel-schiller-goethe. de/?p=1967 (09. 02. 2018) Vgl. Goethes Brief an Wilhelm von Humboldt vom 16. September 1800, in: Goethes Briefwechsel mit Wilhelm und Alexander v.  Humboldt, hg. von Ludwig Geiger, Berlin 1909, S. 131–133, hier S. 131. Vgl. dazu Hans-Dietrich Dahnke, »Die Geheimnisse«, in: Goethe Handbuch, Bd. 1, hg. von Regine Otto und Bernd Witte, Stuttgart und Weimar 2004, S. 546–552. Unter dem Einfluss von Wilhelm von Humboldts Schilderung des Montserrats entstanden auch Romane, Erzählungen, Novellen und Märchen; außerdem wurden nun vermehrt literarische Texte über den Montserrat aus anderen Sprachen ins Deutsche übersetzt. Vgl. Ignaz A. Fessler, Alonso oder der Wanderer nach Montserrat, Leipzig 1808; Caroline Pichler, Der Einsiedler aus dem Montserrat, Wien 1820; Charlotte von Ahlefeldt, Der Mohrenknabe oder die Wallfahrt nach dem Montserrat. Ein Roman, Hamburg 1821; Juan Perez de Montavan, Der Einsiedler auf dem Montserrat, in: Pantheon: eine Sammlung vorzüglicher Novellen und Erzählungen, Bd. 18, Stuttgart 1830 (span. 1645?); Johann Wolfgang Wolf, Die Königstochter im Berge Muntserrat (1858), https://maerchen.com/wolf/die-koenigstochterim-berge-muntserrat.php (25. 10. 2017). Vgl. dazu: Arturo Farinelli, Goethe und der Mont­ serrat II, in: Goethe: Viermonatsschrift der Goethe-Gesellschaft 3 (1943), S. 280–299. Johann Wolfang von Goethe, Die Geheimnisse. Fragment von Goethe (1816), in: Goethes Werke, hg. von Sophie von Sachsen, Bd. 41, Weimar 1902, S. 100–105, hier S. 102.



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und nationaler Verschiedenheiten erfahren haben.«63 Wie Humboldt möchte nun auch Goethe aus den verschiedenen Physiognomien der Mönche ihre unterschiedlichen Charaktere ablesen. Aufzuzeigen wäre in den neuen Versen  – so Goethe – »daß die verschiedenen Denk- und Empfindungsweisen, welche in dem Menschen durch Atmosphäre, Landstrich, Völkerschaft, Bedürfnis, Gewohnheit entwickelt oder eingedrückt werden, sich hier am Orte in ausgezeichneten Individuen darstellen«.64 Unter dem Einfluss von Humboldts Schilderung des Montserrat interpretiert Goethe also nachträglich sein Gedicht um und stellt es stärker in den Horizont einer von den besonderen natürlichen Gegebenheiten abhängigen Kultur: Die Natur determiniere die Kultur, bestimme die Verhaltensweisen der Menschen, ihre Empfindungen und ihr Denken. Die Kultur sei ein Ergebnis der Natur. Am Ende seines Essays räumt nun Goethe ein, dass wenn er das Gedicht vor dreißig Jahren vollendet hätte, »so wäre es der Zeit vorgeeilt«.65 Er hätte es aufgrund fehlender Sachkenntnisse damals nicht vermocht, die Handlung anschaulich zu schildern.66 »Auch gegenwärtig […] würde man das nun allgemein Unerkannte im poetischen Kleide vielleicht gerne sehen und sich daran in den Gesinnungen befestigen, in welcher ganz allein der Mensch auf seinem eigenen Monsterrat Glück und Ruhe finden kann.«67 Goethe wollte mit seinem Gedicht ursprünglich ein Weltbild durch die Konfrontation mit anderen Religionen, Sprachen und Völkern entfalten. Mit der Hilfe von Phantasie und dichterischer Gestaltungskraft sollte in einer zukünftigen Fassung wie bei Humboldt der Geist in die Lage versetzt werden, sich an fremden unbekannten Gegenständen selbst zu bilden und auszubilden.

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Vgl. ebd., S. 103. Vgl. ebd. Ebd., S. 105. In einem Brief an seinen Freund Johann Boisserée schrieb Goethe, dass er sein Gedicht Die Geheimnisse nicht richtig angelegt habe, da ihm die genaue Kenntnis über die religiösen Praktiken des im Gedicht beschriebenen (Rosenkreuzer-)Ordens gefehlt habe. Auch würden die aneinander gereihten Lebensläufe der Ritter viele Wiederholungen und keine anschauliche, fortschreitende Handlung aufweisen: »›Die Geheimnisse‹, sagte Goethe, habe er zu groß angefangen, wie so vieles. – Die zwölf Ritter sollten die zwölf Religionen (!) sein und alles sich nachher absichtlich durcheinander wirren, das Würkliche als Märchen und dies umgekehrt als die Wirklichkeit erscheinen.« Vgl. Goethes Brief an Sulpiz Boisserée vom 3. August 1815, in: Goethes Gespräche: Eine Sammlung zeitgenössischer Berichte aus seinem Umgang, hg. von Wolfgang Herwig, Bd. 2, Zürich, Stuttgart 1969, S. 1033  f. Vgl. auch: Max Morris, Goethes Fragment: Die Geheimnisse, in: Goethe-Jahrbuch 27 (1906), S. 131–143; Gero von Wilpert, Goethe-Lexikon, Stuttgart 1998, S. 362–363. 67 Goethe, Die Geheimnisse. Fragment von Goethe, S. 105.

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Dieser Plan wurde nicht umgesetzt, jedenfalls nicht durch die Vollendung des Gedichtes. Doch es scheint, dass Goethe einen anderen Weg fand, der ihn doch zu seinem »ideellen Montserrat«68 führte. So greift er seine Auseinandersetzung mit dem Montserrat in seinem 1831 beendeten Faust II wieder auf.69 Die Schlussszene des fünften und letzten Akts »BERGSCHLUCHTEN« gemahnt mit ihrer szenischen Vorschrift deutlich an den Montserrat: »Wald, Fels. Einöde. HEILIGE ANACHORETEN gebirgauf verteilt, gelagert zwischen Klüften.«70 Fausts Seele wird in dieser somit als spanisch-fremd charakterisierten Gebirgslandschaft von den Engeln in den Himmel getragen. Die Aufwärtsbewegung vollzieht sich über verschiedene Stationen und ist an den auf verschiedenen Höhen des Bergs verstreut wohnenden Einsiedlern orientiert. Sie lagern in Felsklüften der »tieferen« und »mittleren Region« des Berges, und meditieren über Liebe, Vergebung und Erlösung. Dabei repräsentieren sie verschiedene Haltungen innerhalb des Glaubens und der Theologie.71 Bevor Fausts Seele in den Himmel kommt, muss sie also mehrere Stufen durchlaufen, bis sie schließlich die »höchste, reinlichste Zelle«72 des Doctor Marianus, und damit den »ideellen Montserrat«73 erreicht.74

68 Ebd., S. 102. 69 Vgl. Johann Wolfgang Goethe, Faust, hg. von Albrecht Schöne, Frankfurt a.M. 1994, hier S. 456–464, bes. S. 456  f. Ich danke Ernst Osterkamp für den Hinweis auf die Bergschluchten-Szene im Kontext des Montserrats. Vgl. auch den Kommentar von Albrecht Schöne, in: Johann Wolfgang Goethe: Faust. Kommentare, Frankfurt a.M. 1994, S. 778–817. 70 Jochen Schmidt will indes als Vorbild dieser Szenerie das im Campo Santo zu Pisa befindliche Anachoreten-Fresko erkennen, was im Lichte der langen Montserrat-Auseinandersetzung unwahrscheinlich erscheint. Vgl. Jochen Schmidt: Goethes Faust, erster und zweiter Teil: Grundlagen – Werk – Wirkung, München 2001, S. 292  f. 71 Albrecht Schöne hat zudem auch gezeigt, dass die einzelnen Stufen der BergschluchtenSzene mit naturkundlichem Wissen über Wolkenregionen abgestimmt sind und hierbei Goethes meteorologischen Studien entsprechen, – dies wäre eine weitere Parallele zu Humboldt. Vgl. Albrecht Schöne, Über Goethes Wolkenlehre, in: ders., Vom Betreten des Rasens: siebzehn Reden über Literatur, München 2005, S. 155  f. 72 Goethe, Faust, S. 460. 73 Goethe, Die Geheimnisse. Fragment von Goethe, S. 102. 74 John Krumpelmann bringt auch die Szene der »Walpurgisnacht« aus dem ersten Teil der Faust-Dichtung mit dem Montserrat in Verbindung. Hier wandern Faust und Mephisto durch das Harzgebirge und sind von der mystischen Atmosphäre des Bergs angetan: »Der Berg ist heute zaubertoll, / Und wenn ein Irrlicht euch die Wege weisen soll, / So müsst ihr’s so genau nicht nehmen.« (ebd., S. 168). Die Wanderung wird durch Reflexionen über die Natur unterbrochen, doch der Weg führt nicht zur Kontemplation, sondern zum Hexentanz. Siehe: John T.  Krumpelmann, Goethe’s Faust. 4203–4205, in: Modern Language Notes 41 (1926) H. 2, S. 107–114. Vgl. auch den Kommentar von Ulrich Gaier, Kommentar zu Goethes Faust, Stuttgart 2002.



wilhelm von humboldt, goethe und der montserrat

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Doch damit ist aber der Dialog zwischen Goethe und Humboldt über den Montserrat nicht zu Ende. In Goethes Todesjahr 1832 wendet sich Humboldt abermals dem Berg zu und widmet ihm ein Sonett: Sein Titel ist Der Montserrat.75 So schließt sich ein Kreis und Humboldts letzte Auseinandersetzung mit dem Berg bewegt sich nun ganz im Reich der Poesie. Die Ruhe, die man auf dem Montserrat findet, verweist hier allegorisch auf den inneren Frieden, den der Einzelne – wie der schroffe Fels im Getümmel der Menschen – sich bewahren könne: Doch nicht des Montserrate Felsenzacken / Bedarf die Brust, dass von der Erde Schlacken / Sich heilge einsam strenggeübter Wille. / Auch in der Menschen lärmendem Gewimmel / Schafft selger Ruhe ungetrübten Himmel / Sich dem Gedanken zugewandte Stille.76 Nach all den Exkursionen ins Fremde muten diese Verse wie ein befremdliches Plädoyer für einen Rückzug ins Kontemplative an. Es scheint jedoch, als habe Humboldt mit dem Vergleich zwischen dem Berg und dem inneren Seelenzustand auf Goethe ein weiteres Mal geantwortet. Goethe hatte sein Gedicht Die Geheimnisse in Humboldts Sinne umgedeutet und im Jahr 1832 war der zweite Teil der Faust-Dichtung erschienen, in der der heilige Berg zum Ort für Fausts Erlösung bestimmt wird. Die mit ihm sich vollziehende überraschende Hinwendung zur Metaphysik Humboldts markiert den Schlusspunkt eines langen gemeinsamen Ringens um das anschauliche Begreifen des Montserrats.

75 Zu Humboldts Sonetten vgl. Ernst Osterkamp, Individualität und Universalität in Wilhelm von Humboldts Sonetten, in: Wilhelm von Humboldt: Universalität und Individualität, hg. von Ute Tintemann und Jürgen Trabant, Paderborn 2012, S. 67–79. 76 Wilhelm von Humboldt, Der Montserrat, in: Wilhelm von Humboldt’s gesammelte Werke, Bd. 3, Berlin 1843, S. 422.

donatella mazza

das wort als performanz August Stramms Drama Kräfte in der Aufführung von Lothar Schreyer: ein Beispiel der expressionistischen Revolution durch Wort und Bewegung

Einleitung Lothar Schreyer, Dramaturg und Regisseur am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg von 1912 bis 1916 und seit 1916 engster Mitarbeiter Herwarth Waldens und der expressionistischen Zeitschrift Der Sturm, verfasste zwischen 1916 und 1920 vierzehn »Spielgänge«, von denen Sancta Susanna (Uraufführung in Berlin 1918), Kräfte und Die Haidebraut (Uraufführung 1919) auf Dichtungen von August Stramm zurückgehen.1 Die ersten zwei sind erhalten, vom letzten haben wir nur Fragmente.2 Diese »Spielgänge«, d.  h. Partituren, »in denen die Gestalten der Form, der Farbe, der Bewegung, der Worte, der Worttöne, der Musik, der Geräusche bestimmt sind«,3 sind ein signifikanter Begegnungsort zwischen gedichtetem und aufgeführtem Wort im Zeichen des Expressionismus und erlauben einen tieferen Einblick in die Beziehung Wort–Performanz des expressionistischen Thea­ ters und somit in die experimentelle Werkstatt einer künstlerischen Arbeit, die sich vorgenommen hatte, die Welt durch die Kunst zu verändern.

Eine Revolution auf der Bühne Kaum eine andere Kunstbewegung hat sich so ausgiebig und intensiv mit den Zeichenträgern (Wort, Farbe, Note) der künstlerischen und der schlichtweg menschlichen Kommunikation beschäftigt wie der Expressionismus; die ganze 1 2 3

Die anderen Spielgänge sind: ein Krippenspiel des sechzehnten Jahrhunderts, ein Text aus der Edda, ein anderer aus dem Empedokles von Hölderlin sowie acht eigene Werke. Die erhaltenen Spielgänge sind im Schreyer-Nachlass im Deutschen Literaturarchiv Marbach aufbewahrt (Signatur A:Schreyer). Lothar Schreyer, Theateraufsätze, hg. von Brian Keith-Smith, New York 2001, S. 587.

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Kunstauffassung der historischen Avantgarden und des Expressionismus insbesondere wird von einer sprachlichen Obsession und zugleich von dem Glauben getragen, dass man die Perzeption der Wirklichkeit künstlerisch verfeinern und vergeistigen sollte, um aus der materialistischen und bürgerlichen Enge fliehen zu können. 1912 schreibt Kandinsky in einem Essay, den man als das Manifest der neuen Kunstauffassung bezeichnen könnte.4 Jede Kunst hat eine eigene Sprache, d.  h. die nur ihr eigenen Mittel. So ist jede Kunst etwas in sich Geschlossenes. Jede Kunst ist ein eigenes Leben. Sie ist ein Reich für sich. Deswegen sind die Mittel verschiedener Künste äußerlich vollkommen verschieden. Klang, Farbe, Wort! … Im letzten innerlichen Grunde sind diese Mittel vollkommen gleich: das letzte Ziel löscht die äußeren Verschiedenheiten und entblößt die innere Identität. Dieses letzte Ziel (Erkenntnis) wird in der menschlichen Seele erreicht durch feinere Vibrationen derselben […] Ein bestimmter Komplex der Vibrationen – das Ziel eines Werkes.5 In diesem Streben nach einer höheren Kommunikationsform spielt das Theater, also der Ort, wo das Gesprochene sich performativ äußert, d.  h. sich mit den Bewegungen und den Intentionen vereinigt, eine wesentliche Rolle. Durch die Debatten um eine notwendige Reform der Bühnen, die auf einer entschiedenen Aufwertung des Theatralischen (Aufführung, Regisseur, Bühnenbild und  – darum tatsächlich revolutionär  – Publikum) fußten, und durch neue Inszenierungen, die sich aus der Enge der bürgerlichen Welt befreiten, wurde das Theater ab der Jahrhundertwende zu einem Ort gewaltsamer Umwälzung, die alle laufenden Parameter auf den Kopf stellte6. Dass diese Erneuerung im Theater die Beziehung Wort–Bewegung und dadurch die Beziehung Signifikat–Signifikant, ebenso wie in den anderen Künsten den jeweiligen Zeichenträger, betraf, ist offensichtlich.

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Die Bedeutung Kandinskys für die expressionistische und somit auch für die theatralische Kunstkonzeption kann nicht überbewertet werden. Während sich zahlreiche Arbeiten mit seiner Malerei beschäftigen, ist sein Einfluss auf die expressionistische Theaterauffassung ein noch weitgehend unerforschtes Feld. Vgl. Thomas Schober, Das Theater der Maler. Studien zur Theatermoderne anhand dramatischer Werke von Kokoschka, Kandinsky, Barlach, Beckmann, Schwitters und Schlemmer, Stuttgart 1994. Wassily Kandinsky, Über Bühnenkomposition, in: Der blaue Reiter, hg. von Wassily Kandinsky, Franz Marc, München 1912, S. 103–113, hier S. 103  f. Das Theater von Morgen. Texte zur deutschen Theaterreform (1870–1920), hg. von Christopher Balme, Würzburg 1988.



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Erika Fischer-Lichte setzt gleichsam den Anfang der Performativität im modernen Sinne mit der Reinhardtschen Inszenierung der Elektra in der Bearbeitung von Hofmannsthal (1903) gleich, mit einer Aufführung also, die eine Grenze deutlich überschritt, die für die Schauspielkunst im 18.  Jahrhundert gezogen und seitdem nicht mehr angetastet worden war: die Grenze, welche der Schauspieler durch die Art seiner Darstellung ziehen und mehr oder weniger deutlich markieren muss, zwischen der Gewalt, die der Rollenfigur angetan wird, und seinem eigenen Körper, der davon nicht betroffen ist.7 Die expressionistische Theaterrevolution beginnt mit einer neuen Auffassung von der Eigenart des Theatralischen.8 Das Bühnenkunstwerk ist nicht dramatische Dichtung, nicht schauspielerische Schöpfung, nicht ein Anordnen [sic] der in einer Dichtung mittelbar und unmittelbar enthaltenen tatsächlichen Verhältnisse. Es ist keine Nachschöpfung der Dichtung, kein Werk der bildenden Künste oder des Kunstgewerbes, keine Verbindung verschiedener in Raum und Zeit wirkender Künste. Das Bühnenkunstwerk ist eine künstlerische Einheit. Es ist durch Intuition empfangen, in Konzentration gereift, als Organismus geboren.9 Und sie beginnt mit einer neuen Definition der künstlerischen Aufgabe: Die Kunst soll geistiger Ausdruck werden.

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Erika Fischer-Lichte, Performativität. Eine Einführung, Bielefeld 2012, S 11. Dass mit Hofmannsthal auch ein Exponent der philosophisch-existentiellen Skepsis gegenüber der Sprache genannt wird, ist bezeichnend. Denn – wie immer – ist auch die expressionistische Revolution der dramatischen Sprache nicht aus dem Nichts entstanden, sie hat bedeutende Vorläufer, die aber überwunden werden sollen, um zu einer neuen, revolutionären Definition von Text, von Aufführung, von Theatersprache zu gelangen. Dazu gehören selbstverständlich Wagner, Nietzsche oder Ibsen, aber es sei hier besonders auf den gehassten und bewunderten Max Reinhardt hingewiesen, von dem später noch die Rede sein wird. Der zweite wichtige Name der ›sturmbühnischen‹ Theatertheorie ist William Wauer. Die expressionistische Theaterkonzeption ist ein faszinierendes Forschungsthema. Es sei hier nur in aller Kürze erwähnt, dass die Durchsetzung des »esoterischer[en], experimentierfreudiger[en] […] Strangs« (Das Theater von Morgen, S.  244), dem Schreyer in jeder Hinsicht angehört, auch durch den Erfolg Max Reinhardts weitgehend verhindert wurde. Lothar Schreyer, Das Bühnenkunstwerk, in: Der Sturm. Monatsschrift für Kultur und die Künste 7 (1916/1917), S. 50–51, hier S. 50 (auch in: Theateraufsätze, S. 36–53).

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Der Sturm als Kernstück der ästhetischen Revolution: der Wortkünstler August Stramm Die Zeitschrift Der Sturm spielte eine zentrale Rolle im Kampf um eine ästhetische Umwälzung der sprachlichen Ausdrucksformen. Wenn die Zeitschrift in den ersten Jahren vor allem an den bildenden Künsten interessiert war, richtete sie anschließend ihren Fokus zunehmend auf Dichtung und Drama – nicht nur, aber zum Großteil aufgrund der Arbeiten August Stramms und Lothar Schreyers. In einer Zeit, in der man sich äußerst intensiv mit dem Thema ›Sprache‹ auseinandersetzte, versuchten die Expressionisten, ihre Revolution direkt am Wort und mit den künstlerischen Ausdrucksmitteln selbst zu verwirklichen, um dadurch die Grenzen des Sagbaren und Darstellbaren zu erreichen und sogar zu überwinden. Dabei wird ein regelrechter verbaler Kampf geführt, einerseits gegen die bürgerliche Syntax, die als einengend und abstumpfend empfunden wird und daher durchbrochen werden soll, andererseits für eine freie Ausdruckfähigkeit des Wortes an sich, das durch Rhythmus, Euphonie, Assoziation und Suggestion über sich hinausweist. Für das Theater bedeutete das eine erhöhte Spannung, die das Gesprochene neu interpretierte und, wie die Expressionisten glaubten, aus den drückenden Banden einer dem Realen unterworfenen Ausdrucksweise lösen könnte. Die Begegnung zwischen dem Dichter und Dramaturgen August Stramm und dem Regisseur Lothar Schreyer – keine persönliche Begegnung, da Stramm 1915 im Krieg fiel  – fand im Kreis um die Zeitschrift Der Sturm und in dieser selbst statt, wo der Dichter nach seinem Tod ausdrücklich als der Wortkünstler gefeiert wurde. So schreibt Herwarth Walden: »Es ist nicht vermessen, messen zu wollen, wenn man einen Maßstab hat. […] August Stramm […] Höheres in der Wortkunst ist mir nicht bekannt, trotzdem ich mehr kenne als was man kennt.«10 Um die Bezeichnung ›Wortkunst‹, die keine Erfindung der Expressionisten ist,11 bildet sich eine Sprach- bzw. Wortkunde, die von sich behauptet, das Eigentliche der Dichtung zu sein. Wie die Malerei sich von der Wiedergabe der äußeren Wirklich10 Herwarth Walden, Einblick in Kunst. Vortrag, in: Der Sturm 6 (1915/1916), S. 122–124, hier S. 124. 11 Die Geschichte der Bezeichnung ›Wortkunst‹ zwischen Holz, Marinetti und Walden, der sie dann zum Schlüsselwort der expressionistischen Ausdrucksfähigkeit erhob, ist sehr interessant. Der Naturalist Arno Holz, der den jungen Intellektuellen gegenüber wohlwollend war, aber durchaus irritiert auf seine Urheberschaft vor allem den Futuristen gegenüber bestand, benutzte den Begriff Wortkunst bereits in der Vorrede zum Ignorabimus (1913). Vgl. Volker Pirsich, Der Sturm. Eine Monographie, Herzberg, Traugott Baunz 1985, S. 185–186; Hansgeorg Schmidt-Bergmann, Die Anfänge der literarischen Avantgarde in Deutschland. Über Anverwandlung und Abwehr des italienischen Futurismus, Stuttgart 1991, S. 179–180.



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keit abwendet, um Farbenfläche und Linien herauszustellen, wie die Musik sich von den alten Ketten der Tonalität befreit, um den reinen Klang zu erforschen, so verwirft das dichterische Wort das Primat der Bedeutung und fokussiert auf das Wort, es wird somit sprachliches Gebilde. Das Material der Dichtung ist das Wort. Die Form der Dichtung ist der Rhythmus. […] Kunst kann die Grammatik verwenden, wenn ihre Regeln durch die Kunst ihre Bestätigung finden. Kunst ist aber keine Grammatik. Und noch weniger ist Grammatik Kunst. Warum soll nur der Satz zu begreifen sein und nicht das Wort. Da doch der Satz erst das Begriffliche des Wortes ist. Nur die Wörter greifen den Satz zusammen. […] Die Kunst aber ist es, das sichtbare Wort sichtbar oder wieder sichtbar zu machen. […] Jedes Wort hat seine Bewegung in sich. Es wird durch die Bewegung sichtbar. Die einzelnen Wörter werden nur durch ihre Bewegung zueinander, aufeinander, nacheinander gebunden. Nichts steht, was sich nicht bewegt. Kreist doch selbst die Erde. Kreist doch die Welt. Das ist die innere Sichtbarkeit. Die ungegenständliche Dichtung.12 Dichtungen und Dramen Stramms leben von der gleichen Suche nach einer Steigerung der illokutionären und perlokutionären Kraft des Wortes. Wenn August Stramm von Empfinden und Erleben in Bezug zum Dichten spricht, meint er poetologisch, dass das gedichtete Wort im Subjekt und im Publikum einen Effekt erzielt, erzielen muss, wenn es wahrhaftig poetisch sein will. Die Worte bedeuten nicht, sondern, wie Kandinsky sagt, lösen einen »bestimmte[n] Komplex der Vibrationen« aus.13 Stramm arbeitet in seinen Texten ganz konkret mit seinem Material.14 Auch seine Dramen leben von dem Streben nach dem reinen Wort, das die Handlungen nicht beschreibt oder erklärt, sondern regelrecht vorantreibt. In der Sturm-Bühne setzt sich Schreyer auf Stramms Seite in der Erneuerung der Bühnenkunst:

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Herwarth Walden, Das Begriffliche in der Dichtung, in: Der Sturm 9 (1918), S. 66–67. Wassily Kandinsky, Über Bühnenkomposition, S. 104. Es ist immer noch unklar, welche die beiden an Stramm beim ersten Treffen mit Walden »gütigst überlassenen Aufsätze« (August Stramm, Alles ist Gedicht, Zürich, S. 11) waren; man mutmaßt u.  a. Kandinskys Malerei als reine Kunst oder Marinettis Manifeste. Trotzdem steht es außer Frage, dass Stramm die Schriften Kandinsky gekannt haben muss. 14 Vgl. die berühmte und oft zitierte Stelle aus dem Brief an Walden vom 22. Mai 1914, in dem er die zwei sich nur um ein Wort unterscheidenden Versionen von Untreu kommentiert (ebd., S. 14). Im Brief vom 11. Juni 1914 befindet sich eine zweite ›poetologische‹ Stelle, durch die man einen Blick in die Werkstatt Stramms werfen kann (ebd., S. 15).

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Das Theaterdrama ist eine Halbheit. Dies erkannte August Stramm. Er schuf Dramen, die einen völligen Bruch mit dem Theater bedeuten. Jeder ehrliche Theatermann wird sagen, daß man Dramen wie Stramms Kräfte oder Geschehen mit den Mitteln der Theaterbühne nicht aufführen kann. Kein expressionistisches Drama ist auf dem Theater aufzuführen. Uns fehlt die expressionistische Bühnenkunst. […] Die ersten Bühnenkunstwerke sind von mir geschaffen.15

Kräfte Ein wichtiges Merkmal der beiden letzten Dramen August Stramms, Kräfte und Geschehen, ist das wiederholte Eingreifen in die syntaktische Struktur der Regieanweisungen, also der in Handlung umzusetzenden Worte.16 Eine Analyse der Sprache kann daher nicht umhin, die Performativität der Äußerungen zu berücksichtigen, womit nicht nur die theatralische Umsetzung gemeint ist, sondern auch und vielleicht vor allem ihre ›Kraft‹ im Sinne Austins,17 die sich in der Umsetzung verwirklicht. Wir müssen uns auf wenige Hinweise beschränken. In Kräfte, wie in dem darauffolgend komponierten Drama Geschehen, sind Lexik und morphosyntaktische Struktur äußerst komprimiert und verkürzt; die Verbvalenzen in den Sätzen sind oft ungrammatikalisch oder syntaktisch nicht eindeutig. Das tatsächlich Rezitierte bildet weniger als die Hälfte des Textes und besteht im Wesentlichen aus Ausrufen und Einzelsätzen, die in keiner Weise den normalen (bürgerlichen) Kommunikationskonventionen angemessen sind.18 In den Regieanweisungen werden Bewegungen und Regungen in einer verzerrten Sprache vorgeschrieben, die in ihrer grammatikalischen Struktur von den standardsprachlichen Normen stark abweicht.19 Z.B: SIE (horcht die Hände gekrampft zur Tür). komm! kommen! (schüttelt in Schluchzen) lieb! lieben! […] (erblickt den Ring auf der Erde, stürzt, hebt 15

Lothar Schreyer, Expressionistische Dichtung, in: Sturm-Bühne. Jahrbuch des Theaters der Expressionisten (1919), H. 6, S. 3 (auch in: Theateraufsätze, S. 85–98). 16 Elmar Bozzetti, Untersuchung zu Lyrik und Drama August Stramms, Diss., Köln 1961, S. 83–90; Jörg v. Brincken, Verbale und non-verbale Gestaltung in vor-expressionistischer Dramatik, Frankfurt a.M. u.  a. 1997, S.  175–176; Donatella Mazza, Zur Sprache im Drama des Expressionismus. Kräfte von August Stramm, in: Perspektiven Eins, hg. von Claudio Di Meola, Antonie Hornung, Lorenza Rega, Rom 2005, S. 329–341. 17 John L. Austin, Zur Theorie der Sprechakte (How to do things with Words), Stuttgart 1972. 18 Bozzetti, Untersuchung zu Lyrik, S. 233. 19 Mazza, Zur Sprache im Drama des Expressionismus, S. 333–334.



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hoch, betrachtet und steckt sorgsam wieder auf) ich zieh ihn auf! ich ziehe ihn wieder auf […] (hetzt an die Tür, stößt mit Händen und Füßen die Nacht, zurückweichend) nein Nacht! […] (wirft in der Tür die Hände hoch hinausgehend) wiederkommen! n i c h t wiederkommen! […] (lehnt die Tür, weich weh) ich liebe! ja! (schrickt auf und dreht die Faust der Tür) […] (schleicht gebückt zum Diwan) still! (kauert angstgehetzt umherblickend zu den Wänden) nicht laufen! laufen! so lauft doch nicht! (springt auf und würgt sich die Hand an die Kehle) Das Gewürge! Gewürge! ihr würgt mich!20 Das Wort beschreibt also nichts, die grammatikalische Verknüpfung der Wörter baut keinen logischen Bezug: Dadurch wird eine Verbindung Wort–Handlung geschaffen, die sich der normalen Handlungsweise entzieht, die sich aber Stramm als theatralisch darstellbar gedacht haben muss. Da Stramm bühnenfähige Stücke schreiben wollte,21 muss man die Redeteile in ihrer konkreten Äußerungsgestalt als Teil der performativen Aktion und die Regieanweisungen als sinntragende Bestandteile des Textes betrachten. Stramm, der am 1.  September 1915 an der Ostfront fiel, konnte keiner Aufführung seiner Dramen beiwohnen, weder der von Max Reinhardt noch der von Lothar Schreyer, und wir können nur vermuten, wie er sie beurteilt hätte.22 Wir wissen leider auch nicht, wie Stramm sich sein Werk auf der Bühne vorstellte, sicher ist es aber, dass er sich bewusst einer performativen Sprache bedient, die über das bloß Darstellende hinaus Vibration im Kandinskyschen Sinne werden sollte. Über seine sprachkünstlerische Intention hinaus sind die Regieanweisungen konkrete Hinweise für eine inszenatorische Umsetzung seiner Texte und lassen uns verstehen, dass er sich der grundlegenden Beziehung Wort–Bewegung im theatralischen und experimentellen Sinn bewusst war.

20 August Stramm, Kräfte, Berlin 1915, S. 19–20. 21 Über Geschehen schreibt er im Brief vom 22.  Januar 1915: »Es [Geschehen] umspannt die ganze Welt! Und ist trotzdem bühnenfähig«, Stramm, Alles ist Gedicht, S. 35. 22 Zur Reinhardtschen Aufführung s. unten. Aus dem expressionistischen Lager beurteilt Rudolf Blümner recht sachlich: »Max Reinhardt tat, was er tun konnte […] Denn er wußte selbst, daß er mit seinen besten Schauspielern einen anderen Weg nicht gehen konnte als den des realistisch-psychologischen Stils. […] Das Drama selbst fiel dem Stil zum Opfer. Stramms Worte wurden die Stützpunkte einer ergänzenden, wenn auch manchmal der besten Schauspielerei. Das hätte Stramm nicht gewollt. Denn nichts war zwischen den Worten zu lesen, zu interpretieren, zu ergänzen. Worte waren zueinander zu spielen, sonst nichts« (Rudolf Blümner, August Stramm. Zu seinem zehnjährigen Todestag, in: Der Sturm 16 (1925), S. 121–126, hier S. 124).

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»Das Drama ist tot! Es lebe das Drama!«23 (Lothar Schreyer) Als Schreyer mit Walden Kontakt aufnimmt, ist er bereits im Theaterbetrieb tätig;24 sein Eintritt in die Sturm-Redaktion bedeutet für die Zeitschrift ein verstärktes Interesse für das Theatralische.25 Seinerseits scheint aber auch Schreyers theoretischer Ansatz dadurch einen entschiedenen Anstoß zu tiefgreifenden Formulierungen bekommen zu haben, zuerst mit einer klaren Unterscheidung zwischen Dichtung und Drama und mit einer ausdrücklichen, mit der Zeit immer vehementer werdenden Weigerung, Werke zu inszenieren, die eine dichterische und keine bühnenkünstlerische Grundlage haben: »Das neue Drama ist die Wortgestalt der Vision des Bühnenkunstwerkes. Das neue Drama ist nicht Handlung. Die Dichtung stellt keine Handlung dar. Der Mensch handelt. Das Kunstwerk ist.«26 Wie alle Expressionisten, aber doch mit einer eigenartigen Beharrlichkeit, ist er sehr bald bemüht, auch terminologisch den allergrößten Abstand von dem zu nehmen, was Theater genannt wurde: »Es tut not, das Theater von heute zu vergessen. […] Eine Bühnenkunst tut not«.27 In diesem selbständigen Kunstwerk, das immer mehr zu einer Abstraktion der »bühnenkünstlerischen Mittel«, d.  h. »Grundformen, Grundfarben, Grundbewegungen und Grundtöne«, tendiert,28 wird das Sprachliche ganz auf seinen bildenden Bestandteil konzentriert: auf das expressionistische Wort »als Gebilde aus Laut und Rhythmus. Die Dichtung ist eine Wortkomposition. Daß diese Wortkomposition zugleich eine Handlung schildert, ist nicht nötig«:29 Das Wort hat sich der Tyrannei der alltäglichen Bedeutung und der Grammatik entzogen. Das Wort der Dichtung kündet keine natürliche Wirklichkeit. Eine natürliche Wirklichkeit bedeutet das Wort durch seine Beziehung auf eine natürliche 23 Schreyer, Das Drama, in: Der Sturm 7 (1916/1917), S. 119 (auch in: Theateraufsätze, S. 54–56). 24 Schreyer war seit 1912 als Dramaturg am Deutschen Schauspielhaus Hamburg tätig, wo er bis 1918, d.  h. auch während seiner Mitarbeit am Sturm, blieb. 25 Das Interesse Waldens für das Theater reicht bis in die Jahre vor der Gründung des Sturm zurück (vgl. Pirsich, Der Sturm, S.  448  f.). Bereits 1911/1912 werden im neugegründeten Sturm zwei Aufsätze des Regisseurs William Wauer (Der Kunst eine Gasse, 1906/²; Die Kunst im Theater, 1909) in mehreren Folgen veröffentlicht. Die zweite wichtige Persönlichkeit im Bereich der stürmischen Theateraktivitäten ist Rudolf Blümner, Mitbegründer der SturmBühne, Lehrer an der 1916 gegründeten Kunstschule Der Sturm und vor allem sehr bewunderter Rezitator und Vortragender seiner »absoluten Sprechkunst«, die er in zahlreichen Lesungen bei den Kunstabenden des Sturm auf die Probe stellte. 26 Schreyer, Das Drama, S. 119. 27 Schreyer, Das Bühnenkunstwerk, S. 50. 28 Ebd. 29 Schreyer, Handlung und Drama (1917–18), in: Theateraufsätze, S. 69.



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Wirklichkeit. Die grammatisch logische Verknüpfung vermittelt die Beziehung von Geist und Natur. Sie schafft die Umgangssprache. Die Sprache des Wortkunstwerkes ist nicht umgänglich. Wer mit dem Kunstwerk umgehen will, geht um es herum. Das Kunstwerk vermittelt nicht die Beziehungen von Geist und Natur. Das Kunstwerk kennt diese Beziehungen nicht. Die Grammatik der Umgangssprache ist für das Wortkunstwerk belanglos. Jedes Wort kann auch im Kunstwerk seine Gestalt ändern. Die geänderte Gestalt kann die Gestalt einer grammatikalischen Beziehungsform sein. Ohne den grammatikalischen Zusammenhang sind die Beziehungsformen isolierte Werte, deren Beziehungsmacht ohne Ziel ins Unendliche wirkt. Die Macht wirkt nicht in einer bestimmten Richtung, sondern nach allen Richtungen, Die Wirkung des einen Wortes kreuzt die Wirkung anderer Worte. Die Worte geben keinen grammatikalischen Zusammenhang, Sie fließen nicht ineinander. Sie scheiden sich. Sie wirken über sich hinaus. Bringt das Wortkunstwerk die Gestalt eines grammatikalischen Zusammenhangs, so ist er eine Einheit wie das Wort. Ein Wortsatz entsteht, wenn die künstlerische Notwendigkeit ihn fordert. Die Worte als gestaltete Begriffe sind im Drama Gestaltungen des Erlebnisses in die Wortgestalt. Das Erlebnis wird nicht beschrieben. Es kann nicht beschrieben werden. Die Gestaltung ist eine Konzentration des Erlebnisses in die Gestalt. Die Kunstgestalt ist ein Organismus. […] Der Begriff im Kunstwerk ist eine Wirklichkeit des Geistes.30 Für das theatralische Wort bedeutet das eine ins Mystische31 tendierende Beziehung zur Bewegung, zu den Formen, die sich auf der Bühne bewegen: »Das Bühnenkunstwerk ist in Raum und Zeit gebildet. […] Das Bühnenkunstwerk hat Körpergestalten, die im Raum bewegt sind«.32

30 Schreyer, Das Drama, S. 119. 31 »Am Ende dieses Weges [der gemeinsamen Arbeit der Gruppe] war durch die Aufgabe des Eigen­willens ein Einfallstor für außermenschliche Mächte gegeben – ich kann es nicht anders nennen  – für kosmische Mächte, für dämonische Mächte, die sich mühten, Gewalt über den Menschen zu bekommen, ehe er sich dem Grundton, den ich den göttlichen Einklang des Menschen nennen möchte, gänzlich unterordnete. […] Die Arbeit am Spiel war uns ein unbegreifliches Geschenk des menschlichen Wachstums in die Einheit des Lebens und jedes vollendete Spiel war ein Schritt weiter in die Fülle dieser Einheit.« (Lothar Schreyer, Expressionistisches Theater. Aus meinen Erinnerungen (1948), in: Theateraufsätze, S. 279–438, hier S. 412). 32 Schreyer, Das Wesen des Körperlichen, in: Sturm-Bühne H. 4/5, 1918, S. 13 (auch in: Theateraufsätze, S. 77–83).

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Die »Spielgänge« In Spielgänge der Bühnenspiele, einem Aufsatz aus dem Nachlass, schreibt Schreyer: Jedes der Bühnenspiele ist in einem Spielgang, einer Partitur, handschriftlich niedergelegt als ein Spiel von Wort, Worttongestalt, Farbformgestalt und Bewegungsgestalt. Der Kern jedes Spielgangs ist das Wortkunstwerk; dieses enthält die Worte des Bühnenspiels, aus denen alle Töne, Formen, Farben, Bewegungen als eine Einheit und Ganzheit hervorgehen.33 Jedes »Wortkunstwerk« wird in ein viertaktiges durchnummeriertes Liniensystem eingeteilt, in der die Ausdrucksaspekte der Aufführung wie die Stimmen verschiedener »Instrumente« einzeln dargelegt und miteinander verbunden werden. Die detaillierteste »Partitur«, die wir besitzen, ist jene der Schreyerschen Dichtung Nacht; sie berücksichtigt neun Abteilungen, und zwar in dieser Reihenfolge: Form, Farbe, Bewegung von Form und Farbe, Bewegung des Menschen, Bewegung der Masse, Wort, Ton als Sprache, Ton als Musik, Ton als kosmischer Laut. Sie konnte, wie Schreyer selbst notiert, »infolge der grossen darstellerischen Schwierigkeiten nicht aufgeführt werden«.34 Im Bewusstsein, dass in Zukunft die Spiele »unwiederholbar« und »ihrem Wesen nach dem Leser kaum zugänglich (…)«35 sein würden, veröffentlichte Schreyer 1920 den »Spielgang« zu seinem Wortwerk Kreuzigung als aquarellierten Holzschnitt, als »Beispiel für die künftige Weiterarbeit an der Neuordnung der Gesellschaft und der Kunstwerke ihrer Gemeinschaft«.36 Wieviel Wert der Regisseur und seine Mitarbeiter ihrer Arbeit und auch den Partituren beimaßen, geht aus vielen Stellen klar hervor: »Wir fühlten auch, daß die Sendung, die uns aufgetragen war, weit über unsere Generation hinausging«.37 In der seinerzeit unveröffentlichten Schrift Die Befreiung der Bühnenkunst38 beschreibt Schreyer Form und Gehalt der Bühnenkunstwerke ausführlich, viel

33 Schreyer, Spielgänge der Bühnenspiele, in: Theateraufsätze, S. 616. 34 Schreyer, Die Sturmbühne, in: ebd., S. 587. 35 Schreyer, Expressionistisches Theater in Hamburg: ›Die Kampfbühne‹, in: ebd., S. 276. 36 Ebd.; Kreuzigung wurde im selben Jahr im Sturm (Der Sturm, 11 (1920/1921), S. 66–68) veröffentlicht. 37 Ebd. 38 Schreyer, Die Befreiung der Bühnenkunst, in: ebd., S. 480–555. Brian Keith-Smith betont mit Recht den sachlicheren Ton dieser Abhandlung (ebd., passim), die vermutlich als Handbuch für Regisseure gedacht war.



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systematischer als andernorts, und gibt damit wichtige Hinweise zur Interpretation der Spielgänge, die die komplexen Beziehungen der bühnenkünstlerischen Ausdrucksmittel darstellen. Einige Leitsätze, die deren Hauptmerkmale zusammenfassen, sind: Die Bühnenkunst bringt keine Nachahmung des Natürlichen, sondern wie jede Kunst dessen Stilisierung […] Das Bühnenkunstwerk enthält eine Weiterschöpfung der Dichtung mit bühnenkünstlerischen Ausdrucksmitteln. […] Das Bühnenkunstwerk verwandelt die Dichtung nicht für das Publikum. […] Der Künstler hat über das Symbol Gott hinaus die Fähigkeit, Offenbarungen aus der Unendlichkeit zu schauen und zum Symbol zu gestalten. […] Aus seiner Verwandlung [des Künstlers] entsteht das Kunstwerk. Das Kunstwerk ist der sichtbare Teil seiner Opferhandlung […]«.39 Innerhalb dieses revolutionär-mystischen Rahmens definiert Schreyer die Ausdrucksmittel und ihre Verknüpfungen genau. Zusammenfassend und besonders jene Aspekte hervorhebend, die für unsere Analyse wichtig sind, beschränken wir uns hier auf Bewegung und Sprache. Wenn Form und Farbe die »raumkünstlerischen Elemente« darstellen, sind Bewegung und Ton (kosmischer Ton, d.  h. der Klang der Natur, Sprache, Musik) die zeitkünstlerischen. »Die Bewegung wird Handlung«.40 Jede äußere Handlung ist eine sich äußernde innere Handlung, die jener vorausgeht, daher drückt jede Änderung in den konstituierenden Teilen der Bewegung etwas Innerliches aus. Die Bewegung (des Einzelmenschen, der Gruppe, der Masse) ist keine natürliche, sondern hat künstliche Symbolkraft und drückt durch Richtung, Geschwindigkeit und Rhythmus die innere Gefühlsbewegung aus. Am tiefsten dringt der Ton »in das Rätsel«, als »Symbol eines offenbarten Seins«, dessen Macht »von der Höhe oder Tiefe des Tones, von der Tonstärke, vom Rhythmus und der Geschwindigkeit der Verbindungen« abhängig ist.41 Der Ton, dessen Träger der Mensch ist, ist die Sprache. Die Sprache umfaßt zweierlei; der Ton ist zugleich Wort. Das Wort ist entweder Gedanken- oder Gefühlsausdruck. […] Das Wort wandelt sich also im Ton: dem Gedankenausdruck wird ein Gefühl untergelegt, dessen Tonsymbol den Gedanken gleichsam aufsaugt. Das Wort als Gefühlsausdruck wandelt sich entweder in ein

39 Ebd., S. 480–486. 40 Ebd., S. 515. 41 Ebd., S. 527.

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adäquates Tonsymbol oder verbindet sich mit dem Tonsymbol eines anderen Gefühles.42 Als »Träger raum- und zeitkünstlerischer Elemente«43 und »Darsteller von Symbolen«44 und nicht von Menschen soll der Schauspieler über eine »vollendete Ausdrucksfähigkeit« verfügen d.  h. Körperkultur, die […] nur durch Schulung, die eigenen Gefühle in Symbolbewegungen, umzusetzen gelernt werden kann, Sprachkultur, die nicht nur Sprachtechnik und sinngemäßes Erfassen, sondern auch die Tonsymbole wirklich gefühlter Gefühle bringen kann, sind die Voraussetzungen der Schauspielkunst.45 Die Wörter werden in den »Spielgängen« von ihrer herkömmlichen Bedeutung losgerissen und durch die Bewegung innerhalb eines komplexen Systems von Bezeichnungen so verändert, dass sie über den gebräuchlichen Sinn hinausgehen. Wörter als Zeichenträger von tradierten Bedeutungen sind sinn- und leblos; ihre wahre Bedeutung entsteht durch die prosodischen Merkmale, die sich mit den paralinguistischen zusammenschließen und damit die aus den grammatisch logischen Verknüpfungen bestehende Sprache überwinden: »Im Spielgang stehen alle Wortgebilde zueinander in komplexer Beziehung kontrapunktisch gefügt«.46 Die nötige, in diesem ›Handbuch‹ niemals namentlich erwähnte Sprachtechnik, d.  h. das »Klangsprechen«, wird von Schreyer in seinen späteren Erinnerungen so beschrieben: Das Wortkunstwerk war ein tönendes, konnte nur leben als ein tönendes. Es zwang zur Worttongestalt, deren Klangrhythmus die Dynamik des Wortes war, das Wortbild trug und kontrapunktisch die tönende Wortreife fugte. […] Das Klangsprechen unterscheidet sich von dem Ton der Umgangssprache und von dem Ton des gesungenen Wortes. Die Mittellage des Tones entspricht jeweils dem Grundton des Schauspielers, der die Worttongestalt ausführt.47

42 Ebd., S. 531–532. 43 Ebd., S. 538. 44 Ebd., S. 539. 45 Ebd. 46 Schreyer, Spielgänge der Bühnenspiele, in: ebd., S. 616. 47 Schreyer, Expressionistisches Theater. Aus meinen Erinnerungen, in: ebd., S.  407. Nach Schreyer war Rudolf Blümner der Schöpfer der expressionistischen Vortragskunst, »die ein so aus der Wende der Zeit aufbrechendes Kunstwerk war wie die Bilder eines Franz Marc



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Der »Spielgang« von Kräfte: ein Einblick in die Werkstatt der Sturmbühne Kräfte wurde zusammen mit Die Haidebraut am 21.  Oktober 1919 in Hamburg uraufgeführt, wo Schreyer tätig war und wo der Kampfbühne-Verein in Anschluss an die Sturm-Bühne aus praktischen Gründen gegründet wurde. Dieser »furchtbare Liebeskampf der mörderischen geschlechtlichen Kräfte«,48 bei welchem weder kosmisch vereinigende Kräfte (wie in Geschehen) noch die Stimmen der Natur (wie in Haidebraut) ertönen, scheint daher sehr dazu geeignet, die bühnenkünstlerische Aufführung der menschlichen Dimension zu beleuchten und sie mit dem sprachlichen Experiment Stramms zu vergleichen. Die Geschichte der zwei Paare, die in Kräfte49 ihre Gegensätze bis zum Tode austragen, spielt in einem erkennbar gutbürgerlichen Milieu: das schön eingerichtete Empfangszimmer geht auf den einer Villa zugehörenden Park hinaus, wo man spazieren geht oder auch reitet. In diesem Zimmer entladen sich die im Titel genannten ›Kräfte‹ auf dramatische Weise. Die Figuren sprechen nicht miteinander, sie äußern sich durch Gesten, Mimik, einzelne Wörter, verstümmelte Sätze; ihre Interaktionen entspringen aber nicht aus den Persönlichkeiten, den Charakteren, ihren individuellen Eigenschaften und Wünschen, sondern nur aus der Spannung der Beziehung zueinander und vor allem aus dem Moment des unmittelbaren Ausdrucks. Die erhaltene Partitur zum Drama Kräfte lässt uns erahnen, wie die Schreyer­ sche Aufführung hätte sein können und wie Schreyer sich als Regisseur die Transposition dieser Sprache in eine Performance vorgestellt haben dürfte.50 Die engen Schranken der bürgerlichen Welt, in deren Rahmen sich die Konflikte in Stramms Drama abspielen, sind bei Schreyer ganz verschwunden; es sind auch keine Requisiten vorhanden, nur Kerzen, ein Ring und Schleier. Die Inszenierung ist abstrakt geworden und jeder Hinweis auf das Milieu und auf die soziale Situierung der Figuren ist verschwunden: Das bürgerliche Wohnzimmer ist zu einem

oder die Gedichte eines August Stramm«, Lothar Schreyer, Erinnerungen an Sturm und Bauhaus, München 1956, S. 79. 48 Schreyer, Aufführung ›Die Haidebraut‹ und ›Kräfte‹, in: Theateraufsätze, S. 593. 49 August Stramm, Kräfte, Sturm-Bücher VIII, Berlin 1915. 50 In den Schriften Schreyers werden keine Hinweise darüber gegeben, ob in Kräfte Musik gespielt wurde. Hingegen wissen wir von der Haidebraut-Aufführung, die am selben Tag stattfand, z.  B., dass eine »Marimba (hölzernes Schlagzeug aus Afrika, unter den zu schlagenden Holzbrettern kleine Kalbassen (Xylophon)« gespielt wurde (Lothar Schreyer, Aufführung ›Die Haidebraut‹ und ›Kräfte‹, S. 593). Es ist auch leider nicht zu entnehmen, ob die Schauspieler Masken trugen oder nicht.

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Quadrat geworden, auf dem – wie Schreyer selbst in der Notiz aus dem Nachlass Aufführung ›Die Haidebraut‹ und ›Kräfte‹ beschreibt – alle Bewegungsrichtungen in eine Kreisfläche eingeordnet [waren]. Die Kreisfläche wurde teils von den Bewegungsrichtungen radienhaft durchschnitten, teils bewegten sich die Bewegungsrichtungen in konzentrischen Kreisen. Die Mitte der Spielfläche war durch eine flache, quadratische Erhöhung betont. Es waren hier 3 kleine Stufenflächen übereinander. In diesem Kreis, dessen Mitte die kleine quadratische Stufenerhöhung war, gaben sich also ein waagerechter und ein senkrechter Kreisdurchmesser. Diese 4 Kreisausschnitte wurden noch einmal diagonal durchkreuzt, so daß sich acht Kreisausschnitte ergaben.51

Abb. 1: Notation Nr.1, in welcher Bewegungen (B) und Spiel (Sp) aufgezeichnet sind

Transkription der ersten Notation: B[ewegung] Sp[iel] [1.] Auftritt von 1 / Reihenfolge S Fn [F gestrichen] E F [Fn gestrichen] / S trägt brennend Kerze / in r[echter] Hand / F E Fn tragen Kerzen in Hand / S geht Kerze weit vor sich / bis an Stufe auf 1 [2.] S geht Kerze weit vor sich / über Stufe Richtung 5 / bis Ende Stufe / Fn geht Kerze weit vor sich / bis an Stufe auf 1 [3.] S weiter Stufe herab / auf 5 bis Rand / Fn eine Stufe nach l[inks] / bis Ecke 8, kauert, / setzt Kerze auf Stufe vor 8 / E geht Kerze weit vor sich / bis an Stufe auf 1 [4.] E eine Stufe nach r[echts] bis / Ecke 2, kauert, setzt Kerze / auf Stufe bei 2 / [E gestrichen] F geht Kerze weit vor sich / bis an Stuf auf 1

51

Schreyer, Aufführung ›Die Haidebraut‹ und ›Kräfte‹, S. 592.



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Wie man sieht, beinhaltet der »Spielgang« auch kleine, nicht sehr deutliche Bleistiftzeichnungen, welche die Bewegungen auf dem Grundriss der Spielfläche darstellen. Hier die beiden weiteren Skizzen des Anfangs (Abb. 2 und Abb. 3) nebst den Notationen der Bewegungen in Transkription: Transkription der Notation Nr. 2 (Abb.2):

Abb. 2: Skizze zu Notation Nr. 2

B[ewegung] Sp[iel] [1.] Fn [F gestrichen] setzt Kerze auf Stufe bei 1, kauert S dreht sich r[echt]s herum 180° [2.] S langsam auf 5 bis Mitte 5 F E Fn lassen Kerze los richten sich auf Fn rückwärts auf 8 bis Mitte 8 E   „    „  2  „  „  2 F   „    „   1  „  „  1 [3.] S auf 5 bis Stufe Fn rückwärts bis Rand 8 E   „    „  „   2 F   „    „  „    1 [4.] S r[echts] um Stufe bis 8 zündet Kerze an Fn kauert, Arme vor Unterarme hoch

Transkription der Notation Nr. 3 (Abb.3): B[ewegung] Sp[iel] [1.] S auf weiter bis 1 zündet Kerze an F kauert, Arme vor Unterarme hoch [2.] S weiter bis 2 um Stufe zündet Kerze an E kniet, Arme vor Unterarme hoch [3.] S l[inks] um Stufe bis 5 90° nach l[inks] [4.] S kniet vor Stufe stellt Kerze Richtung 5 auf Stufe

Abb. 3: Skizze zu Notation Nr. 3

Die Frau leitet das ganze Spiel des Eingangs, sie führt eine Bewegung aus und die Anderen reagieren darauf. Allein der Ablauf des Hineinschreitens versinnbildlicht den Konflikt deutlich: die ersten Takte werden alle nach der (zweimal

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korrigierten!) »Reihenfolge S Fn E F« gespielt. »Die Grundbewegungen sind die waagerechte und senkrechte, die aufsteigende und absteigende Bewegung, die sich öffnende und sich schließende Spiralbewegung«:52 Diese Bewegungen sind ›rhythmisch‹ in dem Sinne, dass sie keinen ›Vorwand‹ zu einer harmonischen Endlichkeit sind, sondern durch die Gestalt eine Vision ungehemmt verkünden. »Die Bewegung wirkt in der Zeit. Sie ist Mittel der Entwicklung. Sie kündet von dem Werden, Wachsen und Vergehen der Vision.«53 Alles ist nur ein tanzähnliches Dahinschreiten, ein sich Annähern oder Entfernen, das die wechselnden Beziehungen konkretisiert. Wie im Drama Stramms sind es nicht die Worte, nicht die mitgeteilten Signifikate, die den Verlauf der Handlung vorantreiben. Hier folgen die ersten Interaktionen:54

Abb. 4: Interaktion Nr. 5

Transkription der Interaktion Nr. 5: W[ort] [1.] So [2.] ʘ W[ort]t[on] [1.] stimmlos – h   mf

[3.] So [3.] stimmlos – h   mf



  rauh

  rauh

[4.] ʘ

52 Schreyer, Das Bühnenkunstwerk, S. 51. 53 Ebd. 54 Schreyer benutzt folgende Abkürzungen; für die Tonstärke die musikalischen Zeichnen: pp – p – mf – f – ff (sehr leise, leise, mittelstark, stark, sehr stark); für die Tonhöhe: sh – h – m – t – st (sehr hoch, hoch, mittel, tief, sehr tief); für den Rhythmus die Zeichen: ʘ = 1/1 Pause, ·͡ = ½ Pause, (· = ¼ Pause.



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Abb. 5: Interaktion Nr. 6

Transkription der Interaktion Nr. 6: W[ort] [1.] schön [2.] unbeschreiblich [3.] (·  anmutig W[ort]t[on] [1.] h – p – mf [2.] h – p – mf [3.] h – p – mf B[ewegung] Sp[iel]

[4.] ʘ [4.] Fn nimmt mit rechter Hand Schleier von Schulter und schwingt ihn über Kopf

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Abb. 6: Interaktion Nr. 7

Transkription der Interaktion Nr. 7: W[ort] [1.] S Moder ·͡ [2.] ·͡ wer _______ [3.] __________ [4.] Fn (lacht) W[ort]t[on] [1.]  h [2.] h – [3.] stimmlos – h [4.] h

    f

  f

     f    f

mf-p-mf

B[ewegung] Sp[iel]  [1.] Fn Schleierwehen  [2.] Fn Schleierwehen – ·͡ S schlägt nach hinten [?] über  [3.] Fn Schleierwehen – S rückwärts auf Hände gestützt  [4.] Fn Schleierwehen

Die Aufführung – wie die Dichtung Stramms – verabsolutiert die kompromisslose sprachliche Entgegensetzung der Personen: Die einzelnen Einsätze, die abgesehen von wenigen und geringfügigen Auslassungen ziemlich genau den Strammschen Text wiedergeben, wirken in Zusammenhang mit der vergeistigten Bewegungsart und dem Rezitativ wie Pistolenschüsse und weisen keinerlei Anzeichen einer normalen Kommunikation auf. Aber wenn die Wortdichtung Stramms die sprachliche Kommunikation entkräftet und auf die gewaltsame menschlichtriebhafte Entgegensetzung zuspitzt, so arbeitet die Aufführung des Regisseurs Schreyer auf eine Vergeistigung des Menschlichen hin. Bewegung und Rezita­ tionsweise, durch die der Entzug jeglicher räumlicher und alltäglicher Konno-



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tation noch verstärkt wird, erweisen sich als interpretatorische Theatralisierung der Regieanweisungen. Als Gegenbeispiel könnte man die Aufführung von Max Reinhardt vom 12.  April 1921 in Berlin anführen, die, soweit wir das beurteilen können, in die entgegengesetzte Richtung arbeitet,55 wie zwei Rezensionen der Premiere verdeutlichen: Das einzig Wunderbare an diesem metaphysischen Theaterabend war, wie Max Reinhardt diese Geschichte auffaßte. Er nahm das alles durchaus materialistisch. Er ließ eine Szene entwerfen, die ausgezeichnet für Schnitzlers »Liebelei« gepaßt hätte. […] Agnes Straub […] wuchs auf Schluß zu einer Dämonie empor, die einen Triumph ihrer eigenen tragischen Kraft bedeutete und mit dem unseligen Stück nicht das leiseste zu tun hatte.56 Die Tugend der Zuschauer hatte einen Helfer in Reinhardts Regie. […] Er eroberte sich die expressionistische Mißgeburt mit Mitteln, die gerade der Expressionismus verpönt. Das Zimmer mit dem Hintergrund des romantischen Gartens atmete Poesie […] und die Pausen Stramms nützte der Regisseur vielleicht zu einem lebendigen Schattenspiel, das an die Erlebnisse seiner Maeterlinck-Inszenierung erinnerte.57 Während Max Reinhardt die illokutionäre Kraft der Strammschen Sprache offensichtlich auch dadurch entkräftet, dass er die enge Verknüpfung Rezitativ–Regieanweisungen aufbricht und die verzerrte Sprache des Stückes in eine naturalistische bzw. der literarischen und theatralischen Tradition verpflichtete Inszenierung einbettet, zielt Schreyer auf die engste Verbindung Wort–Perlokution. »Dramatisch wird dieses Wort genannt, weil sich hier tatsächlich Handlung und Gegenhandlung vollziehen. Gemeint ist hiermit nicht die äußere Wirkung

55 Schreyer selbst berichtet ganz kurz über die Reaktion Max Reinhardts auf eine Aufführung von Schreyers Bühnenstücks Mann im Kammerspiel des Deutschen Theaters: Er sei »sehr vorsichtig respektvoll anerkennend, unser Spiel sei ›eine ungeheure Leistung, aber er selbst würde etwas Ähnliches niemals tun; er wolle und könne Ähnliches nicht‹«, Schreyer, Expressionistisches Theater in Hamburg, S. 275. Die Geschichte der Beziehung zwischen Max Reinhardt und den Sturm-Expressionisten muss noch geschrieben werden. (Die erste Fassung von Schreyers Mann ist erschienen in: Der Sturm 8 (1918) S. 146–154; die zweite Veröffentlichung in: Lothar Schreyer, Meer: Sehnte; Mann, Berlin 1918.) 56 Carl v. Ossietzky, Schriften 1911–1921, Berliner Volks-Zeitung, 13. April 1921, S. 169. 57 Zit. aus einer mit den Initialen »H.K.« unterzeichneten Rezension, die als Zeitungsausschnitt ohne Titel in Schreyers Nachlass im DLA Marbach aufbewahrt ist (Signatur Z:Schreyer).

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der Worte, sondern die innere Handlung und innere Gegenhandlung, die im Worte lebt.«58 Lothar Schreyer übersetzt das, was Stramm im ersten Brief an Walden »die scharfen Gegensätze zwischen den Stoffen, ihrer Gestaltung und Form«59 seiner Dichtung bezeichnete, in nicht realistische Bewegungen und vor allem in eine Sprechweise, die nicht einer bestimmten Bedeutung entspricht, sondern dem Rhythmus und der Stimmmodulation nach gestaltet ist. Die Gestalt des Dramas ist aharmonisch, rhythmisch. Jedes gestaltete Wort, jeder gestaltete Wortsatz hat seinen Rhythmus. Jede Wortgestalt ist ein rhythmisches Glied im Rhythmus des Werkes. Jede Wortgestalt ist eine rhythmische Einheit. Die rhythmische Wortreihe des Dramas ist rhythmische Tonreihe. Der Sprachton des Wortes ist Klang und Geräusch. Die gesprochenen Vokale sind Klang, die gesprochenen Konsonanten Geräusch. Die Macht des Sprachtones ist bedingt durch den Wortton, der abhängig ist von dem Klang der Vokale und dem Geräusch der Konsonanten.60 ›Rhythmus‹: Das ist der die expressionistischen Kunstauffassungen vereinigende Begriff.61 Besonders interessant und erforschenswert ist in diesem Zusammenhang das sogenannte ›Klangsprechen‹, das Schreyer als wesentlichen Teil des bühnenkünstlerischen Spiels entwickelte: Das Klangsprechen unterscheidet sich vom Ton der Umgangssprache und vom Ton des gesungenen Wortes. Die Mittellage des Tones entspricht jeweils dem Grundton des Schauspielers, der die Worttongestalt ausführt. Zu dieser Mittellage bildet der Schauspieler jeweils die ihm entsprechenden Tonhöhen: hoch, sehr hoch, tief, sehr tief. Dazu kommt noch ein ›stimmloser‹ Ton, in dem gleichsam der Klang ausgelöscht ist, ein Nichts, aus dem aber auch der Klang sich erhebt. Der Klang kann die verschiedenen Tonstärken sehr leise, leise, mittelstark, stark, sehr stark haben und ist hierin der musikalischen Form am nächsten als pp, p, mf, f, ff. Musikalisch ist das Klangsprechen dem 58 Schreyer, Das dramatische Wort (1929/30), in: Schreyer, Theateraufsätze, S. 240–247, hier: S. 241. 59 Stramm, Alles ist Gedicht, S. 11. 60 Schreyer, Das Drama, S. 119. 61 Schönberg spricht von ›Sprechgesang‹ (Vgl. Juan Allende-Blin, Über Sprechgesang. Auf Spurensuche, in: Musik-Konzepte. Schönberg und der Sprechgesang, H. 112/113 (2001) S. 46– 61). Trotz der Verwendung von musikalischen Zeichen und Begriffen geben die Schriften und die Biographie Schreyers keinen Hinweis auf ein tiefgreifendes Verständnis der Musik oder auf eine sachkundige Rezeption der revolutionären Musiktheorie seiner Zeit.



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Rezitativ verwandt, wenn dieses ebenfalls auf dem Grundton beruht. Die gegebene Worttongestalt bindet den Schauspieler in ähnlicher Weise wie den ausübenden Musiker. Gleichwohl bleibt der Schauspieler selbstschöpferisch; denn er allein muß und kann den ihm eigenen Grundton und die aus seinem Grundton entsprechenden Höhenlagen des Tones finden.62 Dadurch werden Bedeutung und kommunikative Intentionen vollkommen belanglos und alles spielt sich durch Laute und Töne, nicht durch Worte ab. Während Stramm mit der Ausdrucksfähigkeit des Wortes experimentiert, behandelt Schreyer das Wort als Zeichenträger eines mystischen Erlebnisses: Die innere Gestalt des Dramas ist das kosmische Erlebnis. Der Erlebende ist nicht der Mensch. Er und der Kosmos sind eins. Er ist weltmächtig. Die innere Gestalt ist gekündet in der äußeren Gestalt. Die äußere Gestalt ist mit Kunstmitteln geschaffen. Das Kunstmittel des Dichters ist der Sprachton.63 Diese Inszenierung beseitigt alles, was nicht rhythmisches Wort und symbolhafte Bewegung ist: die Aggression und die Verstümmelung werden ein Peitschen mit dem Schleier; die Konfrontation zwischen den Mitspielern wird ein sich Annähern und Entfernen auf bestimmten Linien. In Schreyers »Spielgang« wird deutlich, wie alles, auch Wort und Bewegung, Rhythmus wird: Das Bühnenkunstwerk ist dem gleichen Maße festgelegt wie die musikalische Komposition. Jedes Element ist zum Ausdruck gestaltet. Die Gestalt der Form ist festgelegt durch die Bestimmung ihrer Maße und ihrer Körperfläche. Die Gestalt der Farbe ist festgelegt durch die Bestimmung von Ausdehnung und Helligkeit, die Gestalt der Bewegung von Bewegungsrichtung und Geschwindigkeit, die Gestalt des Tones durch Bestimmung von Wort, Klangfarbe, Tonstärke, Tonhöhe und Geschwindigkeit. Für jedes Element ist der Rhythmus fest bestimmt, abhängig vom Grundrhythmus des Gesamtwerkes.64 Um diese »musikalische Komposition« wenigstens skizzenhaft zu verdeutlichen, werden im Folgenden die letzten Einsätze des Dramas und des »Spielganges« (s.  Anhang) verglichen. Hier ist die Protagonistin im Strammschen Text wegen des Todes des Geliebten in Wahn befangen, verstümmelt die Freundin und bringt sich danach um. Wie bereits erwähnt, lebt die dramatische Handlung von den 62 Schreyer, Expressionistisches Theater. Aus meinen Erinnerungen, S. 407–408. 63 Schreyer, Das Drama, S. 119. 64 Schreyer, Das Bühnenkunstwerk, S. 40.

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Regieanweisungen: Das Gesprochene wirkt durch die dort verzeichneten Emotionen und Gebärden und nicht durch Bedeutungen oder logische Schlussfolgerungen. In der Aufführung Schreyers werden die gewalttätigen Angriffe, das Töten und Sterben symbolhaft durch das Zusammenbrechen des Körpers und durch das wiederholte Löschen der Kerzen stilisiert: »E taumelt auf 1 / bis an Stufe / dreht sich um sich selbst / fällt mit Rücken und Kopf / auf Stufe« (136); »S drückt Fn über ihren linken Arm, sodass sie mit dem Rücken auf S linken Arm lieg« (170); »S breitet Schleier über den Kopf [von Fn]« (184); »S bricht auf 1 zusammen« (191). Die letzten Worte sind wie im Wortwerk »du dich ich«; das »du« wird nach den Annotationen im Spielgang laut (»f«), gedehnt und rhythmisch ausgesprochen (»h-t-h-t-h«); die anderen zwei Pronomen hingegen kurz, mit Pausen und in große Tonhöhe und geringe Tonstärke. Im Allgemeinen herrschen in diesen letzten Einsätzen ein abgehakter in Wort und Bewegung von den vielen Pausen (»ʘ«) bestimmter Rhythmus und das hektische Wechseln der Tonhöhe zwischen hoch (»h«) und tief (»t«). Wie beim Eingang ist die Anordnung der Figuren beim Ausgang wichtig: diesmal F, Fn, E, S. Schreyer notiert in seinem ›Handbuch‹: »Die Geschwindigkeit der Bewegung entspricht der Schnelligkeit der Gefühlsentwicklung«:65 Leider können wir aus dem Spielgang nicht entnehmen, wie schnell die Bewegungen durchgeführt wurden; nur wenn sie parallel mit Wort und Wortton verzeichnet sind, können wir uns eine (vage) Vorstellung davon machen, wie der Grundrhythmus hätte sein können.66 Obgleich sowohl Stramm als auch Schreyer auf eine Hervorhebung der Ausdrucksseite der künstlichen Symbolkraft als Mittel der künstlerischen Erkenntnis zielen, zwingt die Schreyersche Interpretation das Drama Stramms in ein Schema ein, das das ›Menschliche‹ des Stoffes ausblendet und die facettenreichen, Handlung bildenden Gebärden der syntaktisch eingreifenden Regieanweisungen67 vergeistigt. Nach den kurz hintereinander folgenden Aufführungen von Sancta Susanna, Haidebraut und Kräfte – drei Dramen, in denen mit naturalistischen, lyrischen und symbolistischen Stilmitteln experimentiert wird  – widmet sich Schreyer der Bearbeitung seiner eigenen Dramen; es wäre interessant zu wissen, wie er Geschehen, d.  h. das ›mystisch-kosmischere‹ Werk Stramms, als Bühnenstück umgearbeitet hätte.

65 Schreyer, Die Befreiung der Bühnenkunst, S. 517. 66 »Das Schema des Schauspielers für die Bewegung ist die Marionette, die einzelne Bewegungsformen abstrakt zu geben imstande ist und daher den Sinn der Bewegung für die Bühnenkust unvergleichlich deutlicher als eine schauspielerische Leistung lehren kann, ohne freilich jemals eine schauspielerische Leistung werden zu können«, ebd., S. 523. 67 Mit Recht bemerkt Bozzetti, dass »kaum ein Wort im Drama gesprochen wird, ohne daß eine Bühnenanweisung die Sprechnuance angibt«. Bozzetti, Untersuchung, S. 252.



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Anhang Drama: SIE ich hasse, hassen? (lacht dumpf) sieh seinen Mund, er küßt, o küßt! FREUNDIN (sucht loszuwinden) SIE (hält eisern fest) er hat geküßt, Männer küssen, wir müssen dankbar sein. Dankbar! (packt hinter ihr den andern Arm) Moder? die Lippen modern (nimmt eisenfest die Hand auf ihr Haupt und beugt die Schreiende) Du mußt nicht schreien. Küssen! Küssen lacht! er hat so gern geküßt, lachen! küssen! (stößt die Verstummende auf die Lippen) ich weiß, küsse, küsse (wirft die Ohnmächtige hin) pfui Du Metze, (stößt den Fuß nach ihr) küsset anderleuts Leichen (beugt über sie) Leichenküsse (lauscht) Du hörst mich nicht, (reißt sie an den Haaren hoch) höre höre, ich habe viel zu sagen (beugt über sie) schön Du! unsagbar anmutig (betrachtet die Liegende, tritt zum Spiegel, wischt über das Gesicht, tritt zu ihr) nein, nicht bewußtlos, Freuden wachen, (gießt ihr Wein aus der Karaffe ins Gesicht) wach auf! wach auf (springt hoch, stellt die Flasche aus der Hand) ja ja (reißt die Lade des Diwantisches auf und stockt im Denken, hebt einen Revolver hoch) nicht doch! (legt die Hand an die Stirn) ich bin ja ich bin (legt den Revolver zurück, lächelt bitter) nein ich hab ihm nie welche zugeführt, wahr! Lüge (sie spielt ein Messer) die Augen, die Augen, Nacht. (sie klappt das Messer und nimmt es stichig, beugt und bewundert) o Du bist schön, unsagbar anmutig, wirklich, hörst Du? und ich bin schön, er sagte es hundertmal (im wehen Aufschrei) ich hatte nie was ich besaß. Ich besaß niemals was ich hatte und was ich hatte, besaßen immer die anderen (weint, fährt der Liegenden über Gesicht und Haar) nein nein, Du sollst leben, wirklich leben (wollüstig tastend) Haut, Lippen, oh (beugt tief und schneidet) nicht küssen, niemals, niemals mehr (wirft Schnitt und Messer durch die Vorhänge des offenen Fensters) der andere, (beugt über sie) Du bist schön, o anmutig, (breitet ein Tuch über das wimmernde Gesicht) Du sollst nicht sterben, sterben (preßt das Tuch an) Du kannst Dich auch im Spiegel sehn, er liebt, er nimmt Dich doch unsagbar, Totenkopf (erhebt sich, blickt angstverzerrt umher, nimmt ein Glas, schenkt Wein und schüttet Pulver, die Augen weit in Fernen) ein Tor, ein Tor (schrickt zum Park) HUNDE (balgen) SIE (lacht) die Hunde balgen Lippen (hebt das Glas) hörst Du? warte eine Weile (Gedanken überfallen) Weile (schaut auf die Liegende, beugt über und horcht) atmen, atmen, Du (stellt das Glas fort und packt sie wild in die Haare) Du sollst nicht liegen hier, liegen, ich treffe mit ihm, treffe, (schleift in den Park) SIE (kommt wieder und trocknet lächelnd die Hände) ja geile Hunde (nimmt die Hand des Toten, sitzt und betrachtet) HUNDE (heulen draußen)

200

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SIE (lacht grell, trinkt, wirft das Glas in Scherben, greift stürzend seine Hand, über ihn) Du, Dich, Ich68. Spielgang:69 169 W

S ich hasse

hassen sieh

seinen Mund (·

er küßt

Wt

h-t mf

ht mf

ht mf

t-h f

170 W

o küßt

Fn (unterdrückter Schrei)

er hat geküßt

Männer küssen

Wt

t-h f

t mf

ht f

ht f

t mf

ht f

B Sp



ʘ

h-t mf

S drückt Fn herunter über ihren l[inken] Arm, sodass sie mit dem Rücken auf S l[inkem] Arm liegt



ʘ



ht f

ʘ

171 W

Wir müssen dankbar sein

dankbar

Fn (unterdrükter Schrei)

S Moder

Wt

t mf

ht mf

t mf

ht f

172 W

die Lippen modern

du musst nicht schreien

S küssen Fn (Gurgelschrei)

S küssen Fn (Gurgelschrei)

Wt

ht mf

ht mf

S Fn

S Fn

173 W

S (· (lacht) (· Fn (Gurgelschrei)

S er hat so gern Fn (Gurgelschrei)

S geküsst  ·͡ Fn (Gurgelschrei)

S lachen Fn (Gurgelschrei)

Wt

S Fn

S Fn

S Fn

S Fn

h f t mf

174 W

S küssen Fn (Gurgelschrei)



ʘ

h f t mf

h f t mf

S pfui Fn (Gurgelschrei)

h f t mf

h f t mf

S du Metze Fn (Gurgelschrei)

68 August Stramm, Kräfte, S. 29–30. 69 Nachlass im Deutschen Literaturarchiv Marbach (Signatur A:Schreyer).

h f t mf



201

das wort als performanz

Wt

S Fn

h f t mf

S Fn

B Sp



ʘ

S schleift Fn bis 6

S schleift Fn bis 7 Fn Kopf bei Stufe

S wirft Fn nieder auf 7

175 W

S du hörst mich nicht

küsset anderleuts Leichen

Leichenküsse

höre höre

Wt

ht mf

ht mf

ht mf

t f

B Sp

S über Fn gebeugt



176 W

viel zu sagen

schön du

unsagbar

anmutig

Wt

ht mf

t f

t f

t f

177 W

(lacht auf)

wach auf  ·͡

wach auf  ·͡

ja (· ja (·

Wt

ht f

ht f

ht f

h f

S reißt Fn den Schleier von der Brust



B Sp



ʘ

h f t mf

S Fn

ʘ



h f t mf

ʘ

ʘ



ʘ

S peitscht Fn mit dem Schleier

178 W

ich bin (· ja (·

ich bin (·  ·͡

nein ich habe ihm nie welche zugeführt

Lüge (· 

Wt

h f

h f

stimmlos f

h p

B Sp

S peitscht weiter

(·  ·͡ S peitscht weiter



179 W

die Augen (·  Nacht

o du bist schön

unsagbar  (·

anmütig (· 

Wt

h p

h p

h p

h p

180 W

hörst du  ·͡

und ich bin schön

er sagt es  (·

hundert mal (·

Wt

h p

h p

h p

t p

181 W

(roher Aufschrei)

ich hatte nie

was ich besaß

was ich hatte besessen

Wt

t-h p

ht mf

ht mf

ht p

ht p

t p

ʘ

ht p



ʘ 

202

donatella mazza

182 W

immer die anderen

(weint leise)

du sollst leben

wirklich leben

Wt

ht p

ht p

h p

h p

B Sp



183 W

Haut Lippen

nicht küssen

nie mehr

nie mehr

Wt

stimmlos f

stimmlos f

t p

t p

184 W

mehr

du bist schön

anmutig

(wimmert)

Wt

t p

ht p

ht p

h p

B Sp



S breitet Schleier über Fn Kopf



185 W

du sollst nicht sterben

Wt

h p

h p

ʘ

·͡

ʘ

ʘ



·͡  sterben

S beugt sich zu Fn

ʘ



ʘ

er liebt  ·͡

er nimmt dich doch

h p

h ht   t p p  p

Totenkopf



ʘ

ʘ

186 W

(· unsagbar

Wt

t p

B Sp



ʘ 

S richtet sich auf



ʘ



187 W



ʘ

horst du



ʘ 

warte eine Weile

t p

Wt B Sp

stimmlos f



188 W

atmen atmen

du

Wt

stimmlos f

189 W Wt

190 W

stimmlos f löscht Kerze

S dreht sich 90° nach l[inks] nimmt Kerze von 5 mit l[inker] Hand

B Sp

ʘ

ʘ



ʘ

du sollst nich liegen

hier liegen

stimmlos f

ht p

ht p

ich treffe mit ihm

treffe ·͡

ʘ 

ʘ

ht p

ht p S eine Stufe bis an E

S über E bis Stufe 2

ja

ʘ  ·͡



·͡

ʘ

geile Hunde



ʘ

du



203

das wort als performanz

Wt

ht mf

ht mf

h-t-h-t-h f

B Sp

ʘ



ʘ

S geht bis 1, nimmt Kerze hoch mit r[echter] Hand

S schwingt Kerze, daß sie erlöscht

191 W

(· dich (· 

(· Ich (·

Wt

h p

h p

B Sp

S bricht auf 1 zusammen



192 B Sp

F auf Rand von 1 nach 2

F weiter bis 3

F weiter bis 4 E steht auf greift mit l[inker] Hand Kerze an 2

F weiter bis 5

193 B Sp

F weiter bis 6 E von Mitte 3 nach Mitte 4

F weiter bis 7 F weiter bis Mitte 5 Fn auf, greift mit r[echter] Hand Kerze von 8

F weiter bis 8 E weiter bis Mitte 6

F weiter bis 1 E weiter bis Mitte 7 Fn von Mitte 7 bis Mitte 8 S auf, wendet sich 180°

194 B Sp

F 90° nach r[echts]. E weiter bis Mitte 8 Fn weiter bis Mitte 1

F über 1 ab Fn von Mitte 1 nach Rand 1 E von Mitte 8 nach Mitte 1

Fn über 1 ab E von Mitte 1 nach Rand 1

E über 1 ab S von Mitte 1 nach Rand 1

195 B Sp

S über 1 ab

ʘ 



ʘ



ʘ 



ʘ

F hebt l[inken] Arm waagerecht nach vorne

burkhardt wolf

nicht-lesen in musils bibliothek Zur Ordnung des Wissens im Mann ohne Eigenschaften Robert Musils Mann ohne Eigenschaften hat man als »Diskurs-Enzyklopädie«1 bezeichnet: Nicht nur, dass dieser Roman in der modernen Tradition ostentativ gelehrten Erzählens stehe; auch um Europas ›geistige Krise‹ vor dem Großen Krieg zu erfassen, sei hier das Wissen der Epoche umfassend aufbereitet worden. Doch gründet Musils Erzählen ganz offensichtlich in keinem enzyklopädisch geschlossenen Bestand der Kenntnisse. Vielmehr ist es dem »peinlichen Unvermögen« ausgesetzt, jemals »zur Ordnung zu gelangen.«2 Was es vorführt, ist die Obsoleszenz und das unweigerliche Scheitern enzyklopädischer Projekte, und was den essayistischen Charakter dieses »Epochenromans« bedingt, ist gerade der Ordnungsschwund und die Unordnung des zirkulierenden Wissens.3 Seine eigentümlich experimentelle Form gewinnt der Roman dadurch, dass er das Wissen, selbst das etablierte, nicht als gegeben, sondern als »Aufgabe geistiger Organisation« (Bd. 9, S. 1623) begreift: Auf der Ebene seiner theoretischen Kohärenz und Geltung problematisiert er es ebenso wie auf dem Feld seiner praktischen Erschließung und Mobilisierung. Und unter diesen Vorzeichen ist für den Mann ohne Eigenschaften besonders jene neuzeitliche Institution von Interesse, die das Wissen ›biblionom‹ formatieren, es zugleich auf breiter Front sammeln und längerfristig zugänglich machen soll: die Bibliothek. 1

2

3

Walter Moser, Diskursexperimente im Romantext. Zu Musils ›Der Mann ohne Eigenschaften‹, in: Robert Musil. Untersuchungen, hg. von Uwe Baur und Elisabeth Castex, Königstein i.Ts. 1980, S. 170–197, hier S. 188. Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, Erstes Buch, in: Gesammelte Werke, hg. von Adolf Frisé, Reinbek bei Hamburg 1978, Bd. 1, S. 298. Zitate aus den Gesammelten Werken im Folgenden mit Band- und Seitenangabe im fortlaufenden Text (Bd. 1–5: Der Mann ohne Eigenschaften; Bd.  7: Kleine Prosa, Aphorismen, Autobiographisches; Bd.  8: Essays und Reden; Bd. 9: Kritik). Zitate aus Robert Musil, Tagebücher, hg. von Adolf Frisé, Reinbek bei Hamburg 1983 mit der Sigle T. Für Anregungen während unserer Diskussionen danke ich den Mitgliedern im Forscher-Netzwerk »Den Mann ohne Eigenschaften lesen«. Zum Begriff des ›Epochenromans‹ vgl. Barbara Neymeyr, Psychologie als Kulturdiagnose. Musils Epochenroman ›Der Mann ohne Eigenschaften‹, Heidelberg 2005, v.  a. S. 19–40.

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burkhardt wolf

Ins Zentrum rückt die Bibliothek im 100. Romankapitel mit seinem – in barocker Manier – weitschweifig resümierenden Titel »General Stumm dringt in die Staatsbibliothek ein und sammelt Erfahrungen über Bibliothekare, Bibliotheksdiener und geistige Ordnung.« Unweigerlich schließt dieses Kapitel an eine lange und vielfältige Tradition fiktionaler Bibliothekserzählungen an. Schließlich wurde mit dieser Einrichtung bereits vor der Neuzeit immer wieder der Topos eines fragilen Universalgedächtnisses, einer ungeordneten Überfülle oder einer labyrinthischen Überkomplexität des Wissens verknüpft.4 Ausgehend von einem Szenario allegorischer Bücherschlachten wurde die Bibliothek in der Aufklärung, etwa bei Jonathan Swift oder Johann Karl Wezel, als ein Schauplatz strategischer Machtkämpfe (zwischen den Alten und Modernen oder zwischen totem Buchwissen und kritischem Wissen) begriffen. Zum Testfall einer symbolischen Kombinatorik des Wissens wurde sie etwa in Leibniz’ bibliothekarischen Entwürfen, seinen Plänen zu einer characteristica universalis sowie seiner Apokatastasis-Schrift, und in eben diesem Sinne wurde sie in der Literatur – bis hin zu modernen Autoren wie Kurd Laßwitz oder Jorge Luis Borges – zur poetologisch-epistemologischen Metapher. Noch in Elias Canettis Blendung erscheint sie als eine Heimstatt lebensuntüchtiger Gelehrsamkeit, in der übermäßige Wissbegierde auf eine rigide Wissensordnung trifft und die deshalb zuletzt, nach Art eines kleinen Weltenbrands, in Flammen aufgehen muss. Der Mann ohne Eigenschaften nimmt all diese Fäden auf, führt sie jedoch an einem Punkt zusammen, der jenseits aller bibliothekarischen Zwecke zu liegen scheint: In Musils Bibliothek wird dem Nicht-Wissen durch Nicht-Lesen, der Unordnung durch Abstandnahme abgeholfen.5 Als letztmögliches Ordnungsverfahren gilt hier das Distant Reading, wie es Franco Moretti getauft hat und es bis heute besonders in der ›digitalen Geisteswissenschaft‹ hochgehalten wird.6 Nicht nur, dass diese epoché des Lesens in Musils ›Epochenroman‹ die Auswüchse der Buchgelehrsamkeit karikiert, vielmehr erscheint sie hier 4 5

6

Vgl. hierzu etwa Dirk Werle, Copia librorum. 
Problemgeschichte imaginierter Bibliotheken 1580–1630, Tübingen 2007, S. 463–472, passim. Auf eine vergleichbare Pointe läuft eine ›unverständliche Geschichte‹ Alfred Döblins, nämlich Die Bibliothek (1948) hinaus, in der ein bildungsbeflissener Schornsteinfeger seine Bibliotheksbesuche in Form von »Herumsitzen« und passiver »Hochachtung« absolviert, an die Stelle des Lesens also »eine andere Methode der Kenntnisnahme« setzt. (Alfred Döblin, Die Bibliothek, in: Die Ermordung einer Butterblume. Gesammelte Erzählungen, Frankfurt a.M. 2013, S. 528  f., hier S. 529.) Zur Begriffsschöpfung vgl. Franco Moretti, Conjectures on World Literature, in: Distant Reading, London und New York 2013, S. 43–62, hier S. 44, 47–49. Zur Praxis des Distant Reading v.  a. in der frühen Soziologie, Bibliothekswissenschaft und Linguistik, zudem in der historiographischen Annalistik, der marxistischen Literaturwissenschaft und Kulturwissenschaft lange vor dem Einsatz des Computers vgl. Ted Underwood, A Genealogy of Distant Reading,



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als Signatur der Moderne und dient sie Musil zudem als Verfahrenstechnik des eigenen Schreibens. Schließlich konnte Musils Roman selbst nur durch eine konsequente »Methodisierung des Nichtwissens« (T I, S.  467) entstehen, nämlich auf Grundlage eines diffizilen Exzerpier-, Katalog- und Verweissystems, das es ihm erlaubte, die im Laufe von Jahrzehnten angehäuften Materialien, Stoffe und Entwürfe auch ohne abermalige Lektüre zu überblicken und auszuwerten. Mit Blick auf das ›Nicht-Lesen in Musils Bibliothek‹ soll hier deshalb zweierlei gefragt werden: Inwiefern liefert Der Mann ohne Eigenschaften eine Art historisch-kritische Bestandsaufnahme jenes Distant Reading, das sich heute (in den Digital Humanities oft deutlicher denn bei Moretti) als methodische Revolution präsentiert, die an die Stelle bloßer ›Denkstile‹ und ihrer vagen Hypothesen endlich ›belastbare‹, weil daten- und rechnergestützte Erkenntnisverfahren setzt? Und wie wären Musils eigene Verfahren der Wissensordnung zu rekonstruieren, die die Entstehung des Mannes ohne Eigenschaften allererst ermöglicht haben, in ihm aber auch auf der Handlungsebene gespiegelt werden? Man mag diesen Roman als Paradigma einer wissenspoetologischen Schreibweise begreifen. Doch ist zu seiner Lektüre, neben einer wissensgeschichtlichen Perspektive, auch ein Blick auf die Geschichte der Wissensordnung und deren Fortwirken in Musils eigener Schreibpraxis vonnöten. Und selbst wenn der Roman enzyklopädische Ordnungsbemühungen längst verabschiedet hat, liefert er doch eine ›Beobachtung zweiter Ordnung‹ dessen, was man die moderne Ordnung des Wissens nennen kann.

1. Die Suche nach der ordnenden Idee Schon thematisch verhandelt Der Mann ohne Eigenschaften das Ordnungsproblem auf mehreren Ebenen: Neben einer fraglich gewordenen Ordnung der Dinge steht eine zusehends labile Ordnung des Sozialen, und beide Bereiche zerfallen in heterogene und inkompatible Einzelordnungen, die sich keiner übergreifenden Gesamtordnung mehr fügen wollen. Universale Ordnungsanalogien, etwa Entsprechungen zwischen der Herrschafts-, der Schöpfungs- und Verhaltensordnung herzustellen, mag vielleicht noch der alten Ordnungsmacht der Kirche (unterstützt von einer dogmatischen Theologie und einem orthodoxen Glauben) möglich gewesen sein. Die säkularen Ordnungsentwürfe der Politik, der Wissenschaft und Moral aber haben sich in zusehends komplexe Teil- und Mikroordnungen ausdifferenziert. Ulrich, der als ›Mann ohne Eigenschaften‹ einen in: DHQ: Digital Humanities Quarterly 11 (2017), H.  2, http://www.digitalhumanities.org/ dhq/vol/11/2/000317/000317.html (04. 01. 2018).

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scharfen Blick für Ordnungsaporien zu haben scheint, formuliert entsprechend das Paradox, »daß man alles, was man an Ordnung im einzelnen gewinnt, am Ganzen wieder verliert, so daß wir immer mehr Ordnungen und immer weniger Ordnung haben.« (S. 379) Die »Zusammenhangsschwäche« (S. 532), die Kakanien in diesem Zuge auf allen Ebenen befallen hat, wird durch die Praxis des »Fortwurstelns« (S. 216), durch bloß punktuelle Ordnungsmaßnahmen der Bürokratie, vielleicht zwischenzeitlich kompensiert, längerfristig aber nur weiter potenziert. Mit der »Überzeugung, daß sie die Aufgabe hätten, Ordnung in die Welt zu tragen«, initiieren in dieser Lage einige selbsternannte Stützen der kakanischen Gesellschaft die ›Parallelaktion‹. Ihr Ziel verfolgt diese Initiative in einer doppelten, sowohl objektiven als auch idealen Ordnungsperspektive: Einerseits sollen jene Ordnungen herauspräpariert werden, zu denen sich die Dinge von sich aus fügen; andererseits erhofft man sich eine übergreifende und harmonische Meta-Ordnung. In diesem Sinne soll anlässlich des doppelten, deutsch-österreichischen Thronjubiläums Kakanien nicht nur als eigentümliche ›kulturelle‹ Ordnung zur Geltung kommen, sondern ebenso als exemplarisches Vielvölkergebilde, als vorbildliche Einheit in der Vielfalt und damit als Modell einer universalen Friedensordnung. Doch vor das offenbar unlösbare Problem gestellt, Kakaniens Lebens- und Wissensordnungen in eine übergreifende Gedankenordnung zu bringen, verfällt die Parallelaktion rasch auf den bloßen Gedanken der Ordnung. Konkret vorgestellte Ordnungen erschöpfen sich allzu oft im bloß »eingebildeten Zusammenhang eines Undings« (S. 458), so dass man sich, solange die wirklich ordnende Idee noch ausbleibt, auch hier an das in Kakanien Bewährte hält: an die administrative Ordnung. Die »Einteilung der Welt« (S. 179) besorgt man deshalb nach der Zuständigkeit kakanischer Behörden, und ihrerseits in Haupt-, Unterund Nebenausschüsse gegliedert, ist die Parallelaktion letztlich nichts anderes als eine bürokratische Veranstaltung zum Zwecke einer idealen Ordnung. Als treibende Kraft der Parallelaktion sucht besonders Diotima, die Kusine Ulrichs, fieberhaft nach der ordnenden Idee. Das, was man mit Max Scheler das klassische »Bildungswissen« und das moderne »Leistungswissen« nennen kann, bietet in ihren Augen keinen Ausweg, trägt aber immerhin zum gesuchten höheren »Erlösungswissen« von der Ordnung bei.7 Besonders ihre intimen Unterredungen mit dem preußischen Großindustriellen und ›Großschriftsteller‹ Paul Arnheim dienen diesem Zweck: Wenn hier nämlich in aller Beliebigkeit von diesem und jenem kulturellen, sozialen oder technischen Thema die Rede ist, dann stets mit der Aussicht auf Diotimas und Arnheims amouröse ›Erlösung‹ und, auf der Ebene des Überpersönlichen, stets in der Erwartung des schönsten, bedeutendsten und damit ›erlösenden‹ Gedankens. Doch auch Stumm von Bord7

Max Scheler, Bildung und Wissen, Frankfurt a.M. 1947, S. 26.



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wehr, der als Zivilbeauftragter des Militärs über nebulöse Umwege in das große Friedens-Unternehmen gelangt ist, scheint in Diotima sein »außereheliches Weibesideal« (S. 345) gefunden zu haben. Ihr Verhältnis zu Arnheim dürfe man nicht »zu persönlich« nehmen (S.  376), gibt er zu verstehen. Entscheidend sei vielmehr, ihr jenen »erlösenden Gedanken« zu Füßen zu legen, »den sie für ihr großes Unternehmen braucht.« (ebd.) Im Kostüm des insgeheim Verliebten wird der General deshalb zu Diotimas ungebetenem Ritter. Wie das griechische τάξις nahelegt, nimmt unser Begriff von ›Ordnung‹ ursprünglich Maß an der Heeresordnung und an der Figur des Feldherrn, dessen Autorität einen Haufen von Kämpfern allererst zu einer schlagkräftigen Schlachtformation befiehlt. Der General, laut Musils Romanentwürfen der »Hauptträger des Ordnungsproblems«,8 assoziiert dieses wie selbstverständlich mit der Aufstellung eines Heeres und begreift den ersehnten Gedanken sofort als die »ranghöchste unter allen Ideen.« (S. 371) Zwar sucht er, eingeschüchtert von den gebildeten Plaudereien in Diotimas Salon, diese Idee anfangs noch in einem Konversationslexikon. Dort nicht wirklich fündig geworden, geht er die Sache dann aber fachmännisch an: So wie es heute das mapping Morettis und der Digital Humanities versucht,9 entwirft er ein »Grundbuchsblatt moderner Kultur« (S. 372), in dem die herrschenden Ideen samt ihren ›Depots‹ und ›Befehlshabern‹ verzeichnet sind. Was man noch unserer Tage als Krise des Kanons theoretisiert, was man aber bereits in der Parallelaktion als Gleichgültigkeit zwischen »Idee« und »Gegenidee« (S. 521) erkennt, schlägt sich auch in Stumms ›geistiger Generalinventur‹ nieder: Die Ideen sind nicht nur gegensätzlich, sondern gehen  – ganz wie es der Wortsinn des ›Diskurrierens‹ nahelegt – auch noch ineinander über, so dass sie dauernd die Fronten wechseln, dass sie überlaufen und, taktisch gesehen, einen »Sauhaufen« (S. 371) bilden. Mit dieser »Bestandsaufnahme des mitteleuropäischen Ideenvorrats« ebenso gescheitert wie mit einer »militärgeo-

8

9

Robert Musil, Nachlass-Mappen (NM) 7/01/148, zit. n. Alexander Honold, Die Stadt und der Krieg. Raum- und Zeitkonstruktion in Robert Musils Roman ›Der Mann ohne Eigenschaften‹, München 1995, S. 344. Zu Musils hier deutlichem Interesse am Offizierstypus der Zwischenkriegszeit, der sich nunmehr ›zivil‹ bildet und insbesondere um neue Konzeptionen des gesellschaftlichen Zusammenhangs kümmert, vgl. ebd., S. 341  f. Bekannt geworden – wenn auch nicht repräsentativ für die stärker quantitativ orientierten und konsequent rechnergestützten Digital Humanities – sind insbesondere Morettis Versuche, qualitative Beziehungen der Geistes- und Literaturgeschichte etwa durch (diagrammatische) Karten und (deskriptiv-statistische) Kurven, durch (evolutionistische) Stammbäume und (quasi-soziologische) Netzwerke zu visualisieren. Vgl. hierzu Franco Moretti, Kurven, Karten, Stammbäume. Abstrakte Modelle für die Literaturgeschichte, Frankfurt a.M. 2009, S. 7  f., 22, 68, 82  f. und ders., Network Theory, Plot Analysis, in: Distant Reading, S. 211–240, hier S. 211–214, 226.

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graphischen«, »oro- und hydrographischen« Darstellung, entsinnt sich Stumm schließlich der Bibliothek. (S. 373  f.) Naheliegender Weise denkt er dabei vor allem an die Wiener Hofbibliothek, wurde diese doch nicht zuletzt aus machtstrategischen Gründen errichtet, nämlich um die translatio Imperii auch kulturell zu beglaubigen, die neuzeit­ liche Reichsgewalt Habsburgs also mit der Überbietung antiker Gelehrsamkeit zu legitimieren. Unter dem Motto Arte et Marte / Armis et Litteris als geistige Rüstkammer verstanden, wurde der Bibliotheks-Prunkbau auf einen Kuppelraum mit einer Kaiserstatue zentriert sowie in einen Friedens- und Kriegsflügel aufgeteilt.10 Und mehr noch: Dass man hier über das Wissen aller Zeiten wie über ein schlagkräftiges Heer verfügt, sollte die geordnete Aufstellung eines eindrucksvollen Buchbestands vor Augen führen. Für die Öffentlichkeit war der Zugang allerdings bis 1918 noch beschränkt, weshalb sich Stumm einen ›Eintrittsschein‹ besorgen lässt, ehe er etappenweise in die Bibliothek ›eindringt‹. Zunächst schreitet er, um ihre »Stärke« zu erkunden, die Bücherreihen wie in einer »Garnisonsparade« ab. (S. 459  f.) Die einzelnen Bände versteht er als isolierte Einheiten, die nach und nach zu sichten wären. Als ihm jedoch eröffnet wird, dreieinhalb Millionen Bände seien hier aufgereiht, kommt ihm die Wissenschaft wie ein gewaltiger Schwindel vor: Zehntausend Jahre lang müsste er tagtäglich ein Buch bewältigen.11 Jene ›Bücherflut‹, die (als information overload) nicht erst die ›digitale Geisteswissenschaft‹, sondern (als copia librorum) bereits die Frühneuzeit beklagt hat, stellt sich Stumm als ein Auseinanderdriften von Lebenszeit und Weltzeit dar, oder besser: als unüberwindbare Kluft zwischen Lesezeit und Bibliothekszeit. In Form einer linearen Progression ist hier ein Durchmarsch einfach nicht zu haben. Stumms Analogie zwischen Militär und Bibliothek scheint noch einem Barock der halb repräsentativen, halb militärischen Ordnungen verhaftet, wie er dem Bibliotheks-Prunkbau Fischers von Erlach und dem Bibliothekskonzept etwa in Leibniz’ Umfeld zugrunde lag.12 Doch hat man bereits im Habsburg des achtzehnten Jahrhunderts gelernt, auf Bücherbestände und Soldaten in ›aufge10 Vgl. Franz Matsche, Die Hofbibliothek in Wien als Denkmal kaiserlicher Kulturpolitik, in: Ikonographie der Bibliotheken, hg. von Carsten-Peter Warncke, Wiesbaden 1992, S.  199– 233, hier S. 203–209. 11 Einerseits hat man diese Zahl als, am historischen Bücherstand der Hofbibliothek gemessen, »stark übertrieben« bezeichnet, andererseits berücksichtigt Stumm an dieser Stelle nicht den (seinerseits wachsenden) jährlichen Bücherzuwachs der Bibliothek. Vgl. Ursula Renner-Henke, »Eine wirklich verläßliche geistige Ordnung«? Robert Musils Verhältnis zu Bibliotheken und Bibliothekaren, in: Musil-Forum 9 (1983), S. 150–172, hier S. 169. 12 Herzog Anton Ulrich sprach im Briefwechsel mit Leibniz davon, für die Wolfenbütteler Bibliothek einen »Generalleutnant« einzuberufen, der »Acht auf die Bibliotheke gebe«. Zit. n. ebd., S. 170.



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klärter‹ Weise zuzugreifen. Einerseits nämlich wurden in der Hofbibliothek, seit Einführung des josephinischen Zettelkatalogs im Jahre 1780, neben ihren Titeln auch die Signaturen und Stellplätze sämtlicher Bücher notiert; andererseits hat man zur selben Zeit, mit der sogenannten ›Seelenkonskription‹, die Namen und Wohnorte sämtlicher Untertanen ermittelt.13 Sobald man Bücher und Kämpfer einem Disziplinarregime des Befehls unterworfen hatte, ließ sich der Bestand beider, samt Neuzugängen und Kriegsverlusten, global verwalten, zugleich aber jeder einzelne Band oder Rekrut zielstrebig ›ausheben‹. Wenn Aufklärung eine nach Vernunftkriterien korrigible Ordnung des Allgemeinen und Individuellen verspricht, wurde sie im Bereich des Militärs und der Gelehrsamkeit durch ein Konzept des Ortes angebahnt, das Daten und Adressen getrennt behandelt, damit aber ihr Auseinander- oder Zusammenfallen beobachtbar macht: durch das Zusammenspiel von Konskriptionsnummern und Büchersignaturen einerseits, Stadt- und Bibliotheksplänen andererseits.14 Was aber wäre das bibliothekarische Gegenstück jener ›Seelenbeschreibung‹, die man, um der Rekrutierung und Bevölkerungsstatistik willen, seit jener Zeit in Angriff nahm? Wie, so lautet die Ausgangsfrage von Stumms zweiter Etappe, wie lässt sich, über seine äußerliche Disziplinierung hinaus, auch die innere Ordnung des Wissens beschreiben?

2. Die bibliothekarische Ordnung Liebe will »Einheit ohne Widersprüche« (S. 373), heißt es im Mann ohne Eigenschaften. Deshalb strebt Stumm, obwohl inmitten der unüberschaubaren Bücherreihen auf verlorenem Posten, weiter nach der allumfassenden Ordnung. Solange er nur auf Diotimas »schönsten Gedanken von der Welt« (S. 460) hofft, kann der General nicht so recht sagen, wonach er eigentlich sucht. Wenn er jedoch, als er sich vom zuständigen Bibliothekar strategisch beraten lässt, nach einer »Zusammenstellung aller großen Menschheitsgedanken« (S.  461) verlangt, dann setzt 13 Zur Geschichte der Bibliothekskataloge in der Hof- und späteren Nationalbibliothek vgl. Geschichte der österreichischen Nationalbibliothek. Erster Teil: Die Hofbibliothek (1368– 1922), hg. von Josef Stummvoll, Wien 1968, S. 109–115, 240  f., 293  f., 524–527. Zur ›Seelenkonskription‹ vgl. Anton Tantner, Die Quellen der Konskription, in: Quellenkunde der Habsburgermonarchie (16.–18. Jahrhundert). Ein exemplarisches Handbuch, hg. von Josef Pauser, Martin Scheutz und Thomas Winkelbauer, Wien und München 2004, S.  196–204, hier S. 198  f. Zur Analogie zwischen Büchern und Soldaten vgl. Markus Krajewski, Zettelwirtschaft. Die Geburt der Kartei aus dem Geiste der Bibliothek, Berlin 2002, S. 35–39. 14 Zu diesem neuzeitlichen Konzept des Orts und seiner politischen Bedeutung vgl. Bernhard Siegert, (Nicht) am Ort. Zum Raster als Kulturtechnik, in: Thesis 3 (2003), S. 92–104, hier S. 93, 102.

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er bloß vordergründig seine früheren Bemühungen um ein ›Grundbuchsblatt‹ moderner Kultur fort. Mit seiner allenfalls vagen Suchanfrage zielt er weniger auf ein spezifisches Sachwissen (und schon gar nicht auf einen bestimmten Buchtitel), zu dem man über eine bibliothekarische Ordnung gelangt. Vielmehr interessiert ihn insgeheim das bibliothekarische Wissen selbst: dieses für die zivile Bildung entscheidende Wissen von der Wissensordnung, das Musil selbst als »höchste Geistesordnung« bezeichnet hat.15 Als wäre die Orientierung im Bücherlabyrinth der Hofburg bloß eine Frage umfassender Gelehrsamkeit, bewundert und lobt Stumm, ganz wie er es Diotimas Konversationskunst abgelernt hat, den Bibliothekar dafür, »jedes« Buch zu kennen, und »von jedem« zu wissen, »wo es steht.« (S. 460) Und derart »gehonigelt und diensteifrig«, ist der Bücherfachmann nunmehr zu jeder Auskunft bereit. (S. 461) Stumms beiläufige Rede von Eisenbahnfahrplänen, die zwischen unterschiedlichen Gedanken (wie zwischen verschiedenen Heereslagern) beliebige Verbindungen herzustellen erlauben, wirkt dann wie ein Sesam-öffne-dich – und bringt ihm einen Etappensieg. Zutritt bekommt er nämlich nun zum »Allerheiligsten« (ebd.) der Hofbibliothek – zum Katalogzimmer. Wie das Schädelinnere des Zivilgeistes wirkt dieser Raum auf Stumm: Inmitten von Wänden mit Büchern über Bücher, mit Bibliographien und Meta-Bibliographien, riecht es hier »ordentlich« nach eben jenem »geheimnisvollen Gehirnphosphor innerer Erleuchtung«, den Diotima wiederholt beschworen hat. (S. 345, S. 461) Dieser seinerseits rätselhafte Begriff geht wohlgemerkt zurück auf die Frühneuzeit und ihre spektakulären Experimente mit Phosphor sowie auf die spätere Entdeckung eines auffällig hohen Phosphoranteils im menschlichen Gehirn. Aus diesem folgerte man nicht nur die aphrodisische Wirkung des Elements, sondern auch, dass unsere Denkund Willensvorgänge als ein Auslösungs- und Explosionsgeschehen zu verstehen sind.16 Auf das Romanende vorausblickend, kündigt der ›Gehirnphosphor‹ daher die Brandbomben des kommenden Kriegs an und metaphorisiert zugleich präzise jenes zerstörerische Potential, das Kakaniens ›geistiger Krise‹ von Anfang an innewohnt. Mit seinem Eintritt ins Katalogzimmer ist Stumm gleichsam in den Ops Room der Bibliothek vorgedrungen.17 Wie aber wäre von hier aus das  – in zahllose 15 Klagenfurter Ausgabe (KA) N, Mappe VII/1/21. 16 Die von Diotima gesuchte »Lösung muß ein Blitz, ein Feuer, eine Intuition, eine Synthese sein« (322), heißt es im Roman. Bereits im neunzehnten Jahrhundert hatte etwa Julius Robert Mayer spekuliert, dass durch das »elektrische Agens« des Gehirnphosphors »die Nervensubstanz befähigt wird, den Willen und die Empfindung zu leiten.« (Brief an Moleschott vom Dezember 1867, zit. n. Alwin Mittasch, Julius Robert Mayers Kausalbegriff. Seine geschichtliche Stellung, Auswirkung und Bedeutung, Berlin 1940, S. 239.) 17 Vgl. Alexander Honold, Die Stadt und der Krieg, S. 349.



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Bücher verstreute – Wissen zu beherrschen? Was ist das Betriebsgeheimnis der Bibliothekskunde, ohne deren Ordnungsfunktion das riesige Bücherbehältnis nur wie ein Tollhaus wirkt, in dem die Angestellten, geistlos wie akademisch dressierte Affen, die Bücherleitern hoch- und runterklettern? Von Stumm fast handgreiflich bedrängt, verrät es der Bibliothekar zu guter Letzt: Er kenne deshalb jedes Buch, weil er keines lese. Überblick wahre er durch die Beschränkung auf Meta-Daten wie Titel und Inhaltsverzeichnis. Was Stumm und was Musils Lesern wie ein Kuriosum erscheinen muss, findet seine Erklärung in der Bibliotheksgeschichte: Seit der Neuzeit wurde der lesende Bibliothekar zusehends argwöhnisch beäugt. Denn nicht nur, dass man bereits in der Renaissance die bibliothekarische Ordnung und die Pflege des Katalogs vernachlässigt sah, sobald sich der mit ihr Betraute in endlose Lektüren vertiefte. Seit dem späten neunzehnten Jahrhundert, als es um die Etablierung des Berufsbilds Bibliothekar ging, schürte man diese Befürchtung ganz gezielt.18 Überdies war, seitdem sich der Bücherbestand explosionsartig vermehrt hatte, tatsächlich Abstraktion vonnöten, nicht nur für Bücherfachleute, sondern auch für den bloßen Leser: Zu seiner Orientierung mögen im siebzehnten Jahrhundert noch Langtitel und Inhaltsangaben in der rhetorisch-enzyklopädischen Tradition des Barock genügt haben. Auf dem expandierenden Literaturmarkt des achtzehnten Jahrhunderts jedoch warb man um seine Übersicht und Aufmerksamkeit, indem man die Buchtitel komprimierte und Autornamen bereits wie Markennamen vertrieb.19 Wie selbstverständlich übt sich vor diesem Hintergrund Musils studierter Bibliothekar im Distant Reading, für das der Abstand zu einer Unmenge von Ungelesenem ja die Möglichkeitsbedingung von Erkenntnis ist. Diese Form der Erkenntnis reicht  – zu Stumms Überraschung  – offenbar dazu hin, den Titel eines Doktors oder gar eines Privatdozenten zu tragen. Und tatsächlich hatte die Bibliothekskunde, diese nach 1900 erst allmählich etablierte Wissenschaft, nur mehr wenig mit Belesenheit, viel aber mit Ordnungssystematiken zu tun. Was Musils Bibliothekar einzig und alleine liest, ist der systematische oder Sachkatalog. Diese Lektüre befreit ihn von der unmöglichen, um 1800 noch propagierten Verpflichtung, sich jedes Buch samt Stellplatz einzuprägen. Zwischen den Standorten der Bibliotheksordnung und den epistemischen Orten der Wissensordnung besteht indes keine allgemein nachvollziehbare Entsprechung mehr, seitdem die unterschiedlichen Bibliothekskataloge unterschiedliche Systematiken und damit ganz eigene Vorstellungen von den maßgeblichen Wissensregionen ent18 Vgl. Günther Stocker, Schrift, Wissen und Gedächtnis. Das Motiv der Bibliothek als Spiegel des Medienwandels im 20. Jahrhundert, Würzburg 1997, S. 116. 19 Vgl. Franco Moretti, Style, Inc.: Reflections on 7,000 Titles (British Novels, 1740–1850), in: Distant Reading, S. 179–210, hier S. 186, 190–193, 204.

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wickeln.20 Ausgerechnet die Bibliotheken bezeugen damit, dass es keine kanonischen, keine überzeitlich verbindlichen, sondern nur radikal historische Wissensordnungen gibt. Wenn man in der Bibliothek dennoch eine Art Weltgedächtnis21 oder, wie Stumm, eine Art mastermind des Weltwissens sehen will, dann werden die Hirnund Rückenmarksnerven seines Globalgehirns von einem bibliothekarischen Seelenorgan vereinigt, das aus Katalog und Sigle besteht. Es ist dieses Ensemble, das wie ein commercium mentis et corporis allererst die Einheit zwischen dem geistigen Gehalt der Bücher und ihrem Körper herstellt. Indem es die Buchbestände systematisch verzeichnet und mittels Siglen zugleich den Weg zu jedem einzelnen Buch bezeichnet, ermöglicht dieses Ensemble eine Art doppelter Buchführung.22 Dabei ist der Katalog, den der Bibliothekar ausgiebig studiert, alles andere als ein sachhaltiges Buch: Er vermag schon deshalb keines zu sein, weil er sich nicht selbst als Teil der Bibliothek enthalten kann. Vor allem aber ist das, was der Katalog enthält, maximale Ordnung mit minimalem Inhalt. Man kann ihn letztlich nicht lesen, sondern nur praktisch konsultieren und als einen Wegweiser durchs Bücher-Labyrinth gebrauchen. Schließlich ist in ihm nichts Lesenswertes und schon gar nicht der höchste aller Gedanken zu finden, sondern möglichst reine und damit gedankenfreie Ordnung. Im Idealfall einer einheitlich organisierten und damit minimal ›entropischen‹ Bibliothek ist das information retrieval eine vollends geistlose Tätigkeit. Oder anders gesagt: Am bibliothekarischen Zentralpunkt maximaler Übersicht ist man vom erlösenden Gedanken, ja von sinnhaftem Wissen überhaupt weitest möglich entfernt. Sinn ist nämlich der Unordnung und dem Chaos nicht entgegengesetzt; vielmehr entsteht er allererst daraus.23 Und mit dieser für einen Militär durchaus betrüblichen Erkenntnis wird Stumm vom Bibliothekar alleingelassen.

20 Vgl. hierzu Uwe Jochum, Das Archiv der Bibliothek, in: Bürokratische Leidenschaften. Kultur- und Mediengeschichte im Archiv, hg. von Sven Spieker, Berlin 2004, S. 45–59, hier S. 48–51. 21 Toute la mémoire du monde (1956), Alain Resnais’ Essayfilm über die Pariser Bibliothèque nationale, illustriert diese Vorstellung eines Weltgedächtnisses durch Beobachtung der bibliothekarischen Infrastruktur von Benutzerterminal und Katalog, Siglen und Magazinverwaltung. 22 Vgl. hierzu Markus Krajewski, Zwischen Häusern und Büchern. Die Domestiken der Bibliotheken, in: Museum, Bibliothek, Stadtraum Räumliche Wissensordnungen 1600–1900, hg. von Robert Felfe und Kirsten Wagner, Berlin 2010, S. 141–152, hier S. 144. 23 Zu den entropietheoretischen Hintergründen vgl. Christian Kassung, Entropie-Geschichten. Robert Musils ›Der Mann ohne Eigenschaften‹ im Diskurs der modernen Physik, München 2001, S. 390–393, 399.



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3. Im Netzwerk der Lektüren Derart unberaten wird er von einem Bibliotheksdiener angesprochen  – von einem jener vermeintlich Subalternen, die bis zum Ersten Weltkrieg die niederen Arbeiten im Bibliotheksgeschäft zu verrichten hatten. Der alte Diener der Hofbibliothek ist kaum mit Meta-Ordnungen, wohl aber mit Bücher- und Leserschicksalen befasst. Seit beinah vierzig Jahren im Beruf, hat er allerhand Anekdoten von jener Unordnung zu erzählen, die mit der Bibliotheksbenutzung und dem geistigen Betrieb anfällt. Wenn der Diener die Bücher bereitstellt, sie zur Rückgabe anmahnt oder gar persönlich abholt, begleitet er ihre Zirkulation zwischen den bibliothekarischen Stellplätzen einerseits, den Adressen ihrer Leser andererseits. Nicht nur, dass er jene Verknüpfungen, die Kataloge und Siglen zwischen epistemischer und Stellplatzordnung, zwischen dem Gehalt und dem Körper der Bücher herstellen, auch in der Praxis ›implementiert‹. Er koppelt überdies die geistige Ordnung der Bücher mit der geistigen Unordnung ihrer Leser sowie die physische An- oder Abwesenheit der einen mit der der anderen Seite. Er führt also zusammen, was die Aufklärung noch in einer disziplinarischen Parallelaktion zwischen Bibliothek und Stadt, was sie noch als Bildungs- und Biopolitik getrennt betrieben hat. Über eine bloß bibliotheksinterne Ordnung hinaus entwickelt der Diener eine Art Soziologie der Texte:24 Er beobachtet jenes dynamische Feld von Wechselund Querbezügen, auf dem verschiedene Verwaltungs- und Lektürepraktiken Bücher mit Lesern verknüpfen, und das sich, wenn überhaupt als Gehirn, dann nur als ein neuronales Netzwerk mit zahllosen Fasern, Nervenzellen und Synapsen verstehen lässt.25 Ein solches Gehirn ist keine Schaltzentrale wie das Allerheiligste des Katalogzimmers. Als Netzwerk macht es an den starren Grenzen der Bibliothek nicht Halt, sondern reicht weit in die Gesellschaft. Je besser der Diener im Laufe der Jahre weiß, was über assoziierte Leser und ähnliche Lektüreprogramme ein Buch mit anderen Büchern verbindet, desto mehr erübrigt sich auch für ihn das close reading. Letztlich genügt es ihm, Bücher aus zweiter Hand zu

24 Dieser Terminus geht auf D. F. McKenzie zurück, wird von ihm aber auf Bibliographien und die Prägung der Leser durch die biblionome Wissensformatierung gemünzt, nicht auf die Beobachtung des Nutzerverhaltens. Vgl. hierzu D. F. McKenzie, Bibliography and the Sociology of Texts, Cambridge 2004, S. 16, 71, passim. 25 Nachdem man um 1800 die Vorstellung eines ›Seelenorgans‹ aufgegeben und sich die strukturelle Aufwertung des gesamten Hirns durchgesetzt hatte, entwickelte Siegmund Exner 1894 das Konzept neuronaler Netzwerke im Entwurf zu einer physiologischen Erklärung der psychischen Erscheinungen.

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kennen.26 Doch hat dieses Nicht-Lesen wenig mit Abstraktion und Distanz zu tun. Denn gerade im tagtäglichen Bibliotheksbetrieb registriert der Diener sehr genau und sehr konkret, wie sich unterhalb der institutionalisierten Wissensordnungen zahllose kleinere Ordnungen etablieren, berühren und überlagern – und wie aus eben diesem Gewimmel sinnhafte Bezüge, neue Forschungsergebnisse oder auch originelle Missverständnisse entstehen. Vielleicht hat er kein bibliothekarisches Fachwissen und kein allgemeines Bildungswissen. Wohl aber verfügt er über ein Wissen, das die provisorischen Ordnungen, die Interaktionen und den diskursiven Austausch unterhalb der behördlichen Maßgaben betrifft – ein »Wissen im Modus 2«, wie man es heute nennt.27 Ordnung ist in diesem Rahmen nicht mehr nach dem Muster der antiken τάξις, einer disziplinierten Schlachtreihe oder eines militärischen ›Frührapports‹ zu begreifen. Ordnung ist vielmehr ein Ordnungsverhältnis, ein rapport d’ordre, wie es Leibniz, wohl nicht zuletzt aufgrund seiner bibliothekarischen Erfahrungen, nannte.28 Nunmehr besteht sie nicht mehr in einer Hierarchisierung feststehender Qualitäten, sondern in einer Gliederung, die die Dinge nach dem Kriterium ihrer Funktion verbindet. Ordnung im modernen Verstande ist ein prozessuales Geschehen: einerseits, insofern sie sich durch kontingente Interferenzen zwischen den Dingen, Menschen und Kenntnissen herstellt; andererseits, insofern sie durch den Faktor Zeit (etwa die akkumulierten Lesezusammenhänge) irreversibel an Komplexität gewinnt. Dabei ist Ordnung auch nicht mehr ohne das Zutun unserer Erkenntnisleistungen zu denken und ohne unsere praktischen Bemühungen, Ordnung zu stiften. Nur weil er Ordnung als relational und funktional, als prozessual und konstruktiv begreift, weiß der Bibliotheksdiener auch demjenigen zu helfen, der (noch) gar nicht weiß, was er sucht: einem Abgeordneten etwa, der über die Ordnung seiner Zuständigkeit nicht recht im Bilde ist und dem er deshalb für seinen fälligen Parlamentsbericht jene Bücher aushändigt, mit denen der Abgeordnete des Vorjahres gearbeitet hat. 26 Zu dieser Form informeller Nicht-Lektüre vgl. allgemein: Pierre Bayard, How to Talk About Books You Haven’t Read, New York 2007, S. 4–13. Nicht nur heuristisch, zur Bildung von Ausgangshypothesen, sondern (fast) systematisch wurzelt Morettis Distant Reading in einem Textwissen aus zweiter Hand, weshalb er seine Form von Literaturgeschichte provokant definiert als »a patchwork of other people’s research, without a single direct textual reading.« Franco Moretti, Conjectures on World Literature, in: Distant Reading, S. 43–62, hier S. 48. 27 Zum Konzept eines Wissens im ›Modus 2‹ und zur zugehörigen Ausweitung der Wissensproduktion auf transdisziplinäre, subinstitutionelle und übernationale Felder vgl. Michael Gibbons u.  a., The New Production of Knowledge. The Dynamics of Science and Research in Contemporary Societies, Los Angeles u.  a. 1994, S. 4  f., 11–15, passim. 28 Zu Leibniz’ rapport d’ordre vgl. Sibylle Krämer, Berechenbare Vernunft. Kalkül und Rationalismus im 17. Jahrhundert, Berlin und New York 1991, S. 299.



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Auch dem ratlosen General kann der Diener somit endlich Hilfe verschaffen: Dass Stumm nicht weiß, was er zu wissen wünscht, ähnelt Diotimas Nutzerprofil. Stumm bekommt deshalb kurzerhand die von Diotima reservierten Bücher – und genießt plötzlich eine vorher unverhoffte Intimität mit seiner vermeintlich Angebeteten. Man könnte an dieser Stelle erwarten, Stumm nutze diesen zweiten Etappensieg nun vielleicht dazu, in Diotimas Lektüren ihre geliebte Seele ›wiederzuerkennen‹ oder, im Sinne von Platons Priesterin Diotima, den ›erlösenden‹ Aufstieg zur höchsten Idee des Schönen, Wahren und Guten zu wagen.29 Dass Eros mit Penia die personifizierte Armut zur Mutter, mit Poros aber die zuweilen maßlose Findigkeit zum Vater hat – diese mythologische Lehre Diotimas würde dann zugleich erklären, wieso Stumms erotisches Streben so auffällig mit Wissbegierde und unersättlichem Ordnungsbegehren einhergeht. Man könnte an dieser Stelle zudem denken, Stumm wäre, wie Hölderlins Hyperion, von Diotima dazu inspiriert, sich zum »Erzieher« des »zerrißne[n]« Volks der Deutschen aufzuschwingen, um es von seiner bloß »todten Ordnung« zu erlösen.30 Und wenn er schon nicht vom Eros des Wissens getrieben wird, könnte er die neue strategische Lage doch wenigstens zum ›kollaborativen‹ Lesen nutzen: »viribus unitis« oder mit »vereinten Kräften« (S. 450), wie es im Roman einmal heißt, nämlich mit den Lektüreerfahrungen der anderen, würde man dem großen Ziel der Einheit vielleicht dann näherkommen. Dieses ideale kommunitäre Leseszenario kennt man heute unter dem Begriff des Social Reading. Ebenso aber kennt man die Sorge, mit den eigenen Lesespuren einem neugierigen Dritten allzu viel von seinem geistigen Profil preiszugeben. Stumm lässt diese Sorge als vollauf berechtigt erscheinen: In Diotimas Kopf und in ihren Gedankenverkehr nistet er sich nämlich stumm und unerkannt, als anonyme Instanz des Dritten ein. An ihren Lektüren will er fortan unbemerkt teilhaben, und es ist nicht nur Indiskretion, was er als »heimliche geistige Hochzeit« verbrämt (S. 463), sondern ein Missbrauch von Lesegerät, der auf Gehirnwäsche und mind control hinauslaufen wird: Durch seine Nutzerspuren, durch seine Glossen und Anstriche wird er Diotima neue Ideen machen und ihre stille Lektüre stillschweigend in seinem Sinne steuern. Statt ihr die Trophäe des erlösenden Gedankens zu Füßen zu legen, erbeutet er die Infrastruktur ihrer Gedankengänge und implantiert ihrem Geist, was Michael Polanyi ›implizites Wissen‹ genannt 29 Bei Platon wird das Lesen als anagnoskein begriffen, als »Wiedererkennen«. Vgl. Matthias Bickenbach, Lesen, in: Historisches Wörterbuch des Mediengebrauchs, hg. von Heiko Christians, Matthias Bickenbach und Nikolaus Wegmann, Köln, Weimar und Wien 2014, S. 393– 411, hier S. 395. 30 Friedrich Hölderlin, Hyperion, in: Sämtliche Werke und Briefe, Bd.  1, hg. von Michael Knaupp, Darmstadt 1998, S. 483–760, hier S. 693, 754  f.

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hat: ein Wissen, das ihr unbewusst oder zumindest unverfügbar bleiben muss, das aber dennoch wirksam ist und somit Stumms erotischen ebenso wie seinen militärischen Interessen dienen wird.31 Am Ende seines Bibliotheksbesuchs hat Stumm also einen doppelten Strategiewechsel vollzogen: Weder schreitet oder arbeitet er die endlosen Bücherreihen ab, in denen sich das Wissen der Welt verstreut haben mag; noch dringt er in den Katalograum und damit in die Schatzkammer eines vollends komprimierten Wissens ein, um dieses, wie ein Feldherr, vom Punkt der höchsten Ordnung aus zu überblicken. Vielmehr begibt er sich als geheimer Kundschafter in jene immerzu bewegte »Kriegslandschaft«, als welche man das polemogene Feld des Wissens auffassen kann.32 Oder anders gesagt: Stumm ist nicht mehr ein bloßer Fußgänger auf dem Terrain der Bücherwelt; den geistigen Verkehr sucht er aber auch nicht mehr nur anhand von ›Eisenbahnfahrplänen‹ nachzuvollziehen; vielmehr springt er nun wie ein blinder Passagier auf jenen Zug des Lesens auf, der, wie es im Roman an andrer Stelle heißt, »seine Schienen vor sich her rollt.« (S. 445) Aus einer endlos linearen und aus einer geistlos hierarchischen Ordnung ist ein produktives Netzwerk geworden, in dem Bücher, Institutionen und Menschen laufend interagieren. Auf diese dem Netzwerk unterworfenen Subjekte, auf suggestible ›LeserInnen‹, hat es Stumm zuletzt abgesehen. Und wenn schon nicht die Herzen, so erobert er doch ihre Köpfe.

4. Kältetod und Weltenbrand Dass Stumm, selig von seiner ›geistigen Hochzeit‹, knapp vor dem Kapitelende kurz innehält, kündigt eine letzte Etappe an. Nicht nur, dass er sich nun von der Hofbibliothek abwendet; er tritt auch aus seiner eigenen Erzählung aus. Und dies erinnert uns Leser daran, dass die Bibliotheksepisode eine Erzählung in der Erzählung darstellt: eine Geschichte, die Stumm vor Ulrich  – als vermeintlich außerdienstliche Sache  – zum Besten gibt. Doch wie alles an Stumms Tun ist auch dieses Erzählen strategischer Natur. Einerseits setzt er sich mit ihm in Szene als eifrig bemühter, in seiner Halbbildung aber harmloser ›Kamerad‹ (vgl. S. 459) des vormaligen Soldaten Ulrich; andererseits schätzt er offenbar die Ordnungsex31 Vgl. Michael Polanyi, Implizites Wissen, Frankfurt a.M. 1985, S. 27, 31, passim. 32 Vgl. hierzu Kurt Lewin, Kriegslandschaft (1917), in: Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, hg. von Jörg Dünne und Stephan Günzel, Frankfurt a.M. 2006, S. 129–140. Musil kannte Lewin noch aus Berliner Dissertationszeiten, und gerade während der Abfassung des Mannes ohne Eigenschaften verfolgte er dessen Theorien des psychischen und sozialen Feldes mit größtem Interesse.



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pertise Ulrichs, dieses eigenschafts- und damit interesselosen Mannes. Die Erfahrungen, die der General beim Eindringen in die Ordnung des Zivilgeists machen konnte, bereitet er nun in einem letzten Schritt auf, und zwar im Kostüm dreier unterschiedlicher Ordnungsexperten: zunächst als Redekünstler, dann als Philosoph und zuletzt, in seiner eigentlichen Rolle, mit der er alle anderen Masken fallen lässt, als Militär. Wenn sich Stumm dem Problem der Ordnung zunächst im Medium rhetorischer Ordnung nähert, dann zuallererst mit einem Ordnungsruf, den er seinem Zuhörer erteilt: »Nimm dich jetzt, so gut du kannst, einen Augenblick zusammen.« (S. 464) Ulrich ›verstummt‹ im doppelten Sinne, denn Stumm liefert fortan zu allen Fragen auch gleich die Antworten. In Form einer subiectio übernimmt er beide Gesprächsparts. Oder anders gesagt: Stumms dialogismos ist nur ein fingiertes Gespräch und damit ein paradox monologischer Dialog; eine dialektische Erschließung des Ordnungsproblems mittels wechselseitiger Fragen und Antworten, wie sie der platonische Dialog und Diotimas Eros-Rede ermöglicht haben mag, schließt Stumms Redefigur des dialektikon mit voller Absicht aus. Seinem Redegegenstand, der ›Ordnung‹, nähert sich Stumm auf andere Weise an: erstens, indem er den Aufstieg zur höchsten Ordnung mit dem gesteigerten Konsum von Rausch-, Lebens- und Heilmitteln vergleicht; und wie schon bei Stumms anfänglicher Parallelisierung zwischen Büchern und Soldaten (vgl. S. 460) dient der Vergleich hier weniger der simplen Veranschaulichung als vielmehr der Problematisierung analogischer Rede und der Reflexion ihrer unaufhebbaren dissimilitudo. Zweitens legt Stumm jener Reihe von Beispielen, die für den Prozess der Steigerung stehen, selbst die Logik der Gradation zugrunde; ›Ordnung‹ präsentiert er damit zugleich als höchstes Rausch-, Lebens- und Heilmittel, und implizit kennzeichnet er sie damit auch als pharmakon im platonischen Doppelsinn eines Gifts und Heilmittels. Drittens lässt er, in einer abschließenden rhetorischen Operation, die Prozedur der amplificatio in eine evidentia oder ›Hypotypose‹ münden: in die vorgebliche Präsentation der Sache selbst. »Stell dir vor …« (S. 464) wiederholt Stumm unablässig, um Ulrich vor Augen zu stellen, was sich eigentlich nicht darstellen lässt: Ordnung an sich. Auch Kant, der dem ratlosen Stumm ja vom Bibliotheksdiener als Lektüre empfohlen wird, nennt das Vor-Augen-Stellen eine ›Hypotypose‹ und diese ›symbolisch‹, wenn einem Begriff, den nur die Vernunft denken, dem aber keine sinnliche Anschauung entsprechen kann, dennoch eine solche unterlegt wird. Ausgehend von diesem ›Symbol‹ als Platzhalter der Anschauung, lasse sich dann, ganz wie es Musil für den Vergleich fordert,33 zumindest die rechte Form der Reflexion 33 Vgl. hierzu Inka Mülder-Bach, Gleichnis, in: Robert-Musil-Handbuch, hg. von Birgit Nübel und Norbert Christian Wolf, Berlin und Boston 2016, S. 751–759, hier S. 754, 756.

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ermitteln. Nicht anders als die Wörter ›Grund‹ oder ›Abhängigkeit‹ ist für Kant ›Ordnung‹ eine ›symbolische Hypotypose‹ und damit der Ausdruck eines Begriffs »nicht vermittelst einer direkten Anschauung, sondern nur nach einer Analogie mit derselben.«34 Über ›Ordnung‹ lässt sich also auch aus transzendentalphilosophischer Perspektive nur indirekt, nur analogisch und symbolisch reflektieren – sei es nun mittels Büchern und Bibliotheken, sei es mittels Schnaps und Wasser. Allemal gerät man mit dem Begriff der ›Ordnung‹, und erst recht mit dem der ›höchsten Ordnung‹, an die Grenze der Erkenntnis. Und doch ist der Ordnungsgedanke, wie Kant sagt, eine für die Erfahrung notwendige, weil ›regulative‹ Idee – oder wie Stumm sagt: Er ist ein unvermeidliches »Vorurteil.« (464) ›Ordnung als solche‹ aber erscheint nicht und lässt sich nicht als Ding fassen. Ordnung ist kein phaenomenon, sondern ein noumenon, ein bloßes Gedankending, das für die Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung und Wissen steht. Was aber unsere Erfahrung und unser Wissen bedingt, sind offenbar nicht nur unsere reinen Erkenntnisvermögen, sondern auch Institutionen (wie die Bi­bliothek), Medien (wie der Katalog) und systemische Agenten (wie hier in letzter Instanz das Militär). Die Ordnung des Wissens und Ordnung überhaupt hängt also nicht nur von unseren unwandelbaren Erkenntnisformen apriori ab, sondern von diversen ›historischen Aprioris‹.35 Stumm weigert sich deshalb, Kantianer zu werden, ja überhaupt noch zu lesen. Stattdessen wechselt er das Register und versucht sich am Systemdenken der zeitgenössischen Thermodynamik. Wäre ›höchste‹, weil durch konsequent lineare Gradation hergestellte Ordnung nicht nur ein Aggregatszustand besonderer Teilsysteme wie dem Militär, sondern wäre sie, wie Stumm räsoniert, entgegen aller entropischen Tendenzen zur »Menschheitsordnung« überhaupt geworden, stünden wir vor dem »Kältetod« (S.  464): vor einer Ordnung ohne Unordnung, damit aber auch ohne allen Sinn und ohne jedes menschliche Tun. Thermodynamisch gesehen ist der ›Kältetod‹, als negentropisches Gegenstück zum ›Wärmetod‹, freilich ein unweigerlich vergangener Zustand: Schon indem man über ihn spricht, liest oder auch nur nachdenkt, wird potentielle in aktuale Information umgewandelt.36 Immer schon ist die Ordnung in Unordnung. Denn der Mensch 34 Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, in: Werke in zehn Bänden, hg. von Wilhelm Weischedel, Darmstadt 1983, Bd. 8, § 59, S. 469. 35 Dieser aus Edmund Husserls (zwischen 1934 und 1937 entstandenen) Krisis-Schrift stammende paradoxe Begriff ist zur Kennzeichnung von Musils Erkenntnisauffassung (und ihrer Entfaltung im Roman) schon insofern gerechtfertigt, als Musil selbst Husserls Schriften seit den Logischen Untersuchungen (mit ihren ersten Reflexionen auf die Bedingtheit ›unbedingter‹, d.  h. transzendentaler Erkenntnisformen) aufmerksam gelesen und kommentiert hat. Vgl. T 1, 119–121, 130; T 2, 69. 36 Vgl. hierzu Christian Kassung, Entropie-Geschichten, S. 405  f.



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ist, wie es in Musils Nachlass heißt, »Ordnung u Störung der Ordnung.«37 Richtig aufgefasst, kann die Störung bewährter Ordnungen wohlgemerkt auch anregend oder gar gewinnträchtig sein: Paul Arnheim etwa, dem das »Ordnen seine eigentliche und heftigste Leidenschaft«, ja geradezu »ein Machtdrang« (S. 390) geworden ist, sieht »das Zeitgehirn durch Angebot und Nachfrage ersetzt, den umständlichen Denker durch den regelnden Kaufmann.« (S. 409) Irritationen und Störungen der Ordnung sind für ihn somit immer schon in einer Vorstellung vom Markt – sei es der Güter, sei es des Geistes – aufgehoben, weshalb er als Großindustrieller und Großschriftsteller gleichermaßen erfolgreich ist. Und trotz seines ›ideokratischen‹ Habitus kennt Arnheim »die Gegend, wo der erlösende und […] ordnende Gedanke zu suchen sei«: auf einem Markt der Lektüren, wo sich geistige Angebote und Nachfragen gewissermaßen selbständig regeln. (S. 409) Ein politisches und kulturelles Gebilde wie Kakanien jedoch beruht, seinem Selbstverständnis nach, nicht auf den Launen und Zufällen irgendeiner ›Prozess-Ordnung‹, sondern auf einem zureichenden – historischen und geistigen – Grund. Um seinen Zusammenhalt zu wahren und integrativen Institutionen wie dem »guten Kaiser in Wien« (S. 529) ihre Ordnungsfunktion zu verschaffen, müssen seine Stützen unbedingt an deren Begründetheit glauben. Oder anders gesagt: Dieser Glaube und dieses Credo als »Sonderfall des Kredits« (S. 528) ist sein eigentlicher Grund. Doch war Kakanien, wie es heißt, »das erste Land im gegenwärtigen Entwicklungsabschnitt, dem Gott den Kredit, die Lebenslust, den Glauben an sich selbst und die Fähigkeit aller Kulturstaaten entzog, die nütz­liche Einbildung zu verbreiten, daß sie eine Aufgabe hätten.« (ebd.) Ungeachtet der Parallelaktion und ihrem Bemühen, den Glauben an die ›kulturelle‹ und ›völkerübergreifende‹ Ordnung Kakaniens zu bestärken, verliert man hier mit dem Glauben an die Ordnung die Ordnung selbst, um sich fortan, rat- und hilflos, dauern­den Störungen innerhalb irgendwelcher Teil- und Mikroordnungen ausgesetzt zu sehen. Gerade für einen Militär alter Schule mit seinem klassischen Ordnungssinn sind derartige Störungen unerträglich, und je radikaler und reiner sein Ordnungssinn entwickelt ist, desto schneller geht er, wie es der General nennt, in das »Bedürfnis nach Totschlag« über.38 Der unbedingte Wille zur ein37 Zit. n. ebd., S. 407. 38 Mit Blick auf die Bibliothek und das Wissen hat man Stumms tödlichen Ordnungssinn zum einen mit den am Ende des neunzehnten Jahrhunderts erwogenen Plänen assoziiert, vermeintlich verzichtbare Bücherbestände auszusortieren, die Bibliotheken also nicht mehr als (potentiell ungeordnete) Speicher potentiellen Wissens zu organisieren; zum anderen mit den seit Ende des zwanzigsten Jahrhunderts allzu theorielastigen Lektürepraktiken der Literaturwissenschaft, die statt genauer Textbeobachtungen hauptsächlich ›TotschlagArgumente‹ liefere. Vgl. Nikolaus Wegmann, Bücherlabyrinthe. Suchen und Finden im ale-

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heitlichen und eindeutigen Ordnung drängt auf den Kriegsfall,39 während aus dem Zusammenbruch der ›Welt von gestern‹ Großindustrielle wie Arnheim ihren Profit schlagen werden. Der militärisch-industrielle Komplex wird in Kakanien die Gegensätze ein letztes Mal ineinander übergehen lassen: Ordnungssinn und Totschlag, Kältetod und Weltenbrand, Idealismus und Vernichtung. Seine ›Erlösung‹ findet Kakanien also in keinem Gedanken, sondern im Kriegsausbruch. Und hierbei ist es für einen Militär wie Stumm letztendlich egal, »was so die Wissenschaft und Kunst nebenher leistet.« (S. 465) Seine Suche nach der ordnenden Idee wird nur ein Katalysator des Weltkriegs gewesen sein. Und erst nachdem ihm Diotima als Führerin ins ›Allerheiligste‹ des Ordnungswissens gedient hat, ist der General in Sorge, dass sie »am Ende noch etwas anrichtet, das ihr sehr schaden kann, während ich ihr weniger helfen kann als je!« (ebd.) Das Ordnungsunternehmen der Parallelaktion wird für Stumm nur ein trojanisches Pferd gewesen sein – eine Gelegenheit dazu, in den ›Zivilgeist‹ einzudringen und ihn für den Krieg mobil zu machen. Nicht als ›Priesterin‹ des ideellen Aufstiegs, sondern als Steigbügelhalter für dieses trojanische Pferd hat ihm Diotima, diese letzte Gestalt der ›klassischen Frau‹, gedient.40 Nunmehr ist ihr nicht mehr zu helfen. Wie Hölderlins Diotima wird zuletzt auch sie verzehrt vom ›Feuer des Geistes‹. Rückblickend spricht es aber für ihre Intuition, dass sie der General von jeher »an den Tod« erinnert hat. (S.  466) Spätestens mit seiner OrdnungsRede wird nämlich Stumms Doppelstrategie der »Dummlistigkeit« (Bd. 8, S. 1273) manifest: Hinter der liebenswürdigen Maske seiner halbgebildeten Schwärmerei für Diotima agiert ein »Napoleon« des Geistes (S. 459), der die Parallelaktion unterwandert, der das zivile Ordnungswissen erobert und aus dessen Begrenztheit die »Notwendigkeit der Macht und des Soldatenberufs« deduziert (S. 321). So wie Stumms militärstrategische Absichten (die Aufrüstung und Aufwertung des Heeres) und Arnheims marktstrategische Ziele (die Übernahme und Ausbeutung galizischer Ölfelder) in ein und derselben ordnungspolitischen Inter­ essenlage konvergieren (nämlich »Geist in eine Sphäre bloßer Macht zu tragen« xandrinischen Zeitalter, Köln, Weimar und Wien 2000, S. 143  f., 155  f. und Thomas Steinfeld, General Stumm betritt die Bibliothek. Über Wissenschaft, Theorie und Methode in der Philologie, in: Merkur 68 (780), 2014, S. 387–399, hier S. 395–398. 39 Odo Marquard hat den (konfessionell motivierten) Dreißigjährigen Krieg als hermeneutischen Krieg gedeutet, zu dessen Beendigung der Verzicht auf den einen Sinn und die eine Ordnung gehörte und, längerfristig, auch die Geburt der ›Geisteswissenschaften‹. Diese seien »durch ihre Wende zur Vieldeutigkeit – auch eine späte Antwort auf die Tödlichkeitserfahrung.« (Odo Marquard, Über die Unvermeidlichkeit der Geisteswissenschaften, in: Apologie des Zufälligen. Philosophische Studien, Stuttgart 1986, S. 98–116, hier S. 108.) Mit Dank an Fritz Breithaupt für diesen Hinweis. 40 Zur emanzipatorischen Wirkung des Weltkriegs und zur ›Neuen Frau‹ vgl. Bd. 8, S. 1198.



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(S.  271)), münden im Zeitalter höchsten Ordnungsbemühens überhaupt »alle Linien in den Krieg« – nicht nur die militärischen, sondern auch diejenigen, auf die man das Wissen bringt. Um dies zu erahnen, hätte man das Bibliothekskapitel vielleicht nicht einmal wirklich lesen müssen. Denn schon in seiner Überschrift ist – anachronistisch – nicht von der »Hof-«, sondern von der »Staatsbibliothek« die Rede. Diese Bezeichnung deutet zum einen auf die Verquickung von Staatsräson und vernünftiger Wissensordnung, die sich natürlich auch bildungspolitisch verbrämen lässt als staatlich verbürgte Zugänglichkeit des Wissens. Zum anderen verweist sie aber proleptisch auf das Romanende, nämlich auf das Ende Kakaniens, und damit zugleich zurück auf den historischen Untergang Habsburgs: Mit dessen Zusammenbruch wurde der kaiserliche Besitz, inklusive seiner Bibliotheken, von der Republik beschlagnahmt; und allein im kurzen Interim (zwischen der kakanischen ›Welt von gestern‹ und dem Österreich von heute) erwog man für die vormalige Hof- und die heutige Nationalbibliothek die hier vorangestellte Bezeichnung ›Staatsbibliothek‹.41

5. Musils Ordnung des Schreibens Über die staatspolitische Bedeutung von Wiener Bibliotheksbezeichnungen wusste Musil ebenso gut Bescheid wie über die allgemeine Geschichte der Wissensordnung. Schließlich war er selbst zwischenzeitlich Bibliothekar, nämlich, nach einer gescheiterten Bewerbung an der Wiener Hofbibliothek, vom April 1911 bis Februar 1914 an der Bibliothek der Technischen Hochschule in Wien. Obschon er nach Kriegsende nochmals kurz eine ähnliche Stelle in der öffentlichen Wissensverwaltung, nämlich die eines Archivars im Wiener Pressedienst antrat, litt Musil nach eigener Auskunft unter dieser Tätigkeit, und dies nicht zuletzt wegen ihrer Geistlosigkeit. Immerhin scheint sie ihn zu seinem großen Roman inspiriert zu haben, plante er diesen doch zunächst unter Arbeitstiteln wie »Der Bibliothekar« und »Der Archivar«. Was Musil 1922 dann über Bibliotheken schrieb, klingt zudem wie ein fachmännischer Kommentar zu Stumms Erfahrungen: »Die üb­lichen Band- und Zettelkataloge genügen«, wie es hier heißt, vielleicht für den Bibliothekar, aber nicht für den Benützer, und die sogenannten Sachkataloge mit ihrer Zusammenfassung nach Materien, Stichwortkatalogen und dergleichen erlauben […] die Orientierung eigentlich nur dem, der sie auf dem durchsuchten Gebiet halbwegs schon besitzt. Der gelehrten, im Gebiet sich gewöhnlich beschränkenden Forschung wird dieser Nachteil weniger 41 Vgl. Josef Stummvoll, Geschichte der österreichischen Nationalbibliothek, S. 578–580.

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fühlbar, als dem sogenannten freien Schriftsteller, welchen menschliche und gesellschaftliche Fragen häufig zu Querzügen durch verschiedene Wissensgebiete zwingen. (Bd. 9, S. 1588) Der freie Schriftsteller gilt Musil hier als Vertreter »des Menschen überhaupt.« (ebd.) Sein Erkenntnisinteresse beschränkt sich nämlich nicht auf etablierte Wissensordnungen; durch dieselben will er vielmehr Transversalen legen. Was daher als allgemeine bibliothekarische »Leseberatung« unabdingbar wäre, ist, wie es Musil in seinem kurzen Text fast kybernetisch formuliert, eine »lebendige Führung« – das, was im Bibliothekskapitel allein der Diener übernimmt. (ebd.) Um nun, zugunsten seines eigenen Schreibens, selbst ›Querzüge durch verschiedene Wissensgebiete‹ unternehmen zu können, schuf sich Musil sein eigenes Orientierungssystem  – und besann sich dabei eben jener Geschichte der Wissensordnung, die dem Bibliothekskapitel zugrunde liegt. Die enkyklios paideia, jene geschlossene und systematische Zusammenstellung des maßgeblichen Wissens, welche man besonders in der Frühneuzeit anstrebte, sah Musil zwar als längst obsoletes Ordnungsphantasma. Entscheidend für seine Arbeit am Roman wurden aber die Wissensspeicher (oder ›Datenbanken‹) des überkommenen enzyklopädischen Projekts oder, genauer, die mit ihnen verbundenen Methoden und Techniken: diagrammatische Darstellungen etwa sowie Praktiken des Exzerpierens und Siglierens, des Sortierens und Katalogisierens. Als Musil seine zahllosen Notizen, Entwürfe und Diagramme, seine Exzerpte, Bücher und Zeitungsausschnitte mittels eines umfänglichen Zettelkastens und eines komplexen Registratur- und Katalogsystems organisierte, stützte er sich auf eben jene Formen der Wissensordnung, die frühneuzeitliche Gelehrte (wie Konrad Gessner, Vincent Placcius oder Leibniz) und, in ihrer Nachfolge, insbesondere aufgeklärte Bibliothekare (wie die der Wiener Hofbibliothek) entwickelt hatten.42 Anders als konkurrierende Autoren vom Schlage Thomas Manns hielt Musil nichts von der so eitlen wie obsoleten Selbstbeschreibung als poeta doctus. Vielmehr problematisierte und nutzte er unterschiedliche Ordnungen des Wissens und die unterschiedlichen ihnen zugrundeliegenden Infrastrukturen. Sein Roman und dessen Wissenspoetik lassen sich deshalb als ›Parallelaktion‹ zu jenen modernen Ordnungsprojekten verstehen, die wie Melvile Deweys Klassifikationsmethode für Bibliotheken sämtliche bestehende Kenntnisse systematisier42 Zu diesen älteren Wissensspeichern wie der Bibliographie (in der Frühneuzeit zumeist ›Bibliotheca universalis‹ genannt) und ›Litterärgeschichte‹, dem Zettelkasten und Diagramm oder der Tabelle vgl. Helmut Zedelmaier, Werkstätten des Wissens zwischen Renaissance und Aufklärung, Tübingen 2015, sowie Wissensspeicher der Frühen Neuzeit. Formen und Funktionen, hg. von Frank Grunert und Anette Syndikus, Berlin und Boston 2015.



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ten, zugleich aber, wie Deweys industrielle Weiterentwicklung des Zettelkastens, der laufenden Reorganisation bestehenden Wissens und der dauernden Produktion neuen Wissens dienen sollten. Unter Musils Zeitgenossen wäre besonders der Pazifist Paul Otlet zu nennen, der neben einem bibliographischen Dokumentationszentrum mit zwölf Millionen Karteikarten etwa das Brüsseler ›Mundaneum‹ entwarf, die weltweit erste multimedial vernetzte Datenbank und Suchmaschine.43 Oder man müsste den Militärberater Vannevar Bush nennen, der mit seinem Memory Extender erstmals eine workstation samt Bildschirm und Tastatur konzipierte; diese sollte eine Universalbibliothek im Mikrofilm-Format enthalten, die Assoziationspfade ihrer Leser aufzeichnen und diese dann (nach dem Vorbild von Stumms ›geistiger Hochzeit‹) anderen Lesern als Gedanken- und Lektüreprofil zur Verfügung stellen. Bushs Modell erweiterte in den 1960  Jahren dann Ted Nelson mit seinem Konzept des ›Hypertexts‹. Da für Nelson die Geschichte des Wissens eine unabsehbar verzweigte Prozess-Ordnung darstellte, entwarf er zu deren Repräsentation und Erweiterung eine »evolutionary file structure«, die durch zahllose Verknüpfungen und Querverweise dem Möglichkeitssinn des Denkens zuarbeiten sollte.44 Diese heutzutage bereits kanonische Geschichte, die von frühneuzeitlichen Gelehrten und Bibliothekaren bis in unsere Epoche reicht, ist gerade nicht als eine lineare Progression der Wissensordnungen zu verstehen, an deren Ende dann unsere digitalen Ressourcen und unsere nunmehr souveränen Praktiken digitalen ›Wissensmanagements‹ stünden. Um der von Anbeginn beklagten Überfülle und Unordnung des Wissens zu begegnen, hat man von jeher das Ziel der Kompression und Hierarchisierung (in Bibliographien und Katalogen, in Enzy­ klopädien und Klassifikationen) verfolgt, ebenso aber auf Medien und Praktiken der Dispersion und Verknüpfung gesetzt (früher etwa durch Zettelkästen und gelehrte Gemeinschaften, später durch hypertextuelle Verweissysteme und multimediale Verbünde). Und genau solch eine doppelte Wissensgeschichte der Wissensordnung informiert auch Musils Schreiben  – oder konkreter: Musils Nachlass. Dieser ist weder ein bloßes Beiwerk seiner literarischen Produktion, noch ist er, wie etwa Goethes Nachlass, teleologisch auf seine postume Erschließung hin angelegt. Wenn schon keinen Werkcharakter, so hat er zumindest Werkstatt43 Als eine Art Verbindungsmann zu Otlet kann man Musils Bekannten Otto Neurath bezeichnen, der im Sinne seines eigenen ›enzyklopädischen‹ Projekts und seiner ›Einheitswissenschaft‹ 1931 (mit Otlets Zustimmung) das Wiener ›Mundaneum‹ gründete. Zu Neurath und Otlet vgl. Alex Wright, Cataloging the World. Paul Otlet and the Birth of the Information Age, Oxford 2014, S. 194–200. 44 Theodore H. Nelson, A File Structure for the Complex, the Changing, and the Indeterminate, in: The New Media Reader, hg. von Noah Wardrip-Fruin und Nick Montfort, Cambridge, Mass. und London 2003, S. 134–145, hier S. 137.

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charakter und dokumentiert, in seiner komplexen Anlage und Genese, Musils Schreiblabor. Dieses Labor ist weniger als Schauplatz poetischer Kreativität und Erfindungskraft zu verstehen denn als eine Infrastruktur, die geistige Reflexivität ebenso gestattet wie gelehrte Findigkeit, und dies auf der Basis kompressiver und zugleich dispersiver Ordnungsleistungen. Nicht umsonst hat Musil den »Zettelkasten« als »Symptom« der geistigen Lage und als wichtigstes Medium der dringend nötigen ›geistigen Organisation‹ bezeichnet.45 Musils überlieferte Zettelwirtschaft, mit der er neben sachbezogenem Wissen, theoretischen Überlegungen und unterschiedlichen Textskizzen auch zahllose Figurenentwürfe, narrative Sequenzen oder sprachliche Elemente laufend reorganisierte, umfasst etwa 12.000 Blatt, aus denen dann etwa 1.700 Druckseiten hervorgegangen sind. Um dieses Schreiblabor mitsamt seiner nachweisbaren oder auch bloß möglichen Querbezüge nicht nur linear zwischen zwei Buchdeckeln abzubilden, sondern es als »geistigen Reflexionsraum«46 wieder in Gang zu setzen, hat man seit den 1990er Jahren gefordert, die Möglichkeiten einer elektronischen Edition zu nutzen – schließlich würde mit einer digitalen Ausgabe erstmals eine Art des Lesens möglich, die Musils Schreiben auch gerecht wird. Ganz in diesem Sinne könnte man behaupten, Musils Nachlass enthalte jenen potentiellen Roman, den er niemals beenden, sicher aber auch anders hätte schrei­ ben können; mit jeder hyperlink-geführten Lektüre würde dann eine weitere Variante dieses ›Textes ohne Eigenschaften‹ aktualisiert. Zudem sah Musil selbst den Roman als eine Gattung, die »keine Form, das heißt, alle von innen« hat (Bd. 7, S. 905), die dadurch aber regelrecht dazu prädestiniert ist, »den intellektuellen Gehalt einer Zeit aufzunehmen.« (Bd.  8, S.  1223) Dass eine historisch-kritische Ausgabe unter diesen Vorzeichen den Text des Mannes ohne Eigenschaften mit jenem Wissen verknüpfen müsste, aus dem allererst seine Form entstanden ist, liefert ein weiteres triftiges Argument für eine digitale Edition. Vor diesem Hintergrund versucht Walter Fantas digitale Klagenfurter Ausgabe von 2007, Musils Schreiblabor auf, wie es heißt, vier relationalen Ebenen zugänglich machen: intratextuell, also mit Blick auf die Hierarchien und Bezüge zwischen den vorhandenen Schriften; intermedial, d.h. durch Verknüpfung zwischen den faksimilierten und transkribierten Textzeugen; intertextuell durch Hinweise auf Musils Lektüren; und schließlich kontextuell durch Aufarbeitung des vorausgesetzten zeitgenössischen Wissens.47 Den zwei Modi von Musils geistiger Organi45 KA N, Mappe IV/21/85. 46 Hans-Edwin Friedrich, Die Transkription des Wiener Nachlasses von Robert Musil, in: editio 4 (1991), S. 213–226, hier S. 214. 47 Vgl. Walter Fanta, Robert Musil – Klagenfurter Ausgabe. Eine historisch-kritische Edition auf DVD, in: editio 24 (2010), S. 117–148, hier S. 137.



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sation, der Hierarchisierung und Dispersion, trägt die Ausgabe Rechnung durch ihre Ordnerstruktur und ihre Hyperlink-Funktion. Wie weit aber kommen die Weisen des Lesens oder Nicht-Lesens, die diese digitale Edition nahelegt, jener Lektürekonzeption entgegen, die Musil als Theoretiker und als Romancier vertreten hat? Während das Erste Buch des Mannes ohne Eigenschaften diverse Arten des Nicht-Lesens aufruft und dabei vorführt, wie über Bücher zu sprechen ist, die man nicht gelesen hat, umkreist das Zweite Buch in seinen ›heiligen Gesprächen‹ eine Intensität des Lesens, die Wolfgang Iser einmal als Irrealisierung beschrieben hat, aus der zurückgekehrt uns »die eigene Welt wie eine beobachtbare Realität erscheint.«48 Musils Nachlass nennt dieses Lesen eine »Auslöschung der Ichhaftigkeit, die etwas von Mystik hat.«49 Im Roman tendiert die Lektüre also zuletzt auf jene Intensität, die sich Musil bereits von seinem ersten Novellenband, den Vereinigungen, erhofft hat. Man könnte auch sagen: War für Musil das Schreiben eine Arbeit am Text, dann die Lektüre eine solche am Leser. Dieser nämlich sollte, einmal dem Text ausgesetzt, nicht mehr derselbe sein. Doch erfordert solch eine neue Form des Lesens, anders als das klassische close reading, auch eine neue Form von Buch. Bereits 1911 schrieb Musil über seine Vereinigungen: »Der Fehler dieses Buches ist, ein Buch zu sein. Daß es Einband hat, Rücken, Paginierung. Man sollte zwischen Glasplatten ein paar Seiten davon ausbreiten u. sie von Zeit zu Zeit wechseln. Dann würde man sehen, was es ist.« (T I, S. 347) Das Format des Buchs ist mitsamt seiner Materialität und Linearität zu sprengen – dies aber wohlgemerkt nicht bloß durch das Distant Reading oder die sprunghafte Stellen-Lese. Vielmehr fordert Musil eine Lektüre, die die Immersion einer Bildbetrachtung mit der Distanz einer experimentellen Beobachtung vereint. Oder anders gesagt: Das Lesen soll sich »senti-mental« vollziehen, indem die »erkannte Bedeutung, wahrgenommene sinnliche Gestalt und Gefühlserregung« psychophysisch zusammenwirken. (Bd. 8, S. 1150, S. 1336) Zur »Gleichgewichtsstörung des Wirklichkeitsbewußtseins« (Bd. 8, S. 1140), die Musil mit dem Lesen, seiner gestaltistischen und emotionalen Erfahrung verbindet, gehört also auch das Erkennen einer komplexen ›Bedeutung‹. Es sind nicht zuletzt seine ›Querzüge durch verschiedene Wissensgebiete‹, die Musils Leser zur intensiven ästhetischen Erfahrung führen. Dass nur das Buch, diese auf immersive Lektüren ausgelegte typographische Einrichtung, nicht aber der Bildschirm als Medium einer Null-Distanz dienen könne, haben empirische Studien zur Hypertext-Lektüre nahegelegt – und passionierte Verfechter der Buchkultur nochmals unterstrichen: Was wir im strikten

48 Wolfgang Iser, Der Akt des Lesens. Theorie ästhetischer Wirkung, München 1994, S. 227. 49 KA N, Mappe II/9/155.

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Sinne ›lesen‹, seien keine Editionen, sondern Bücher, die literarische Texte allererst in Gestalt eines Werks präsentieren.50 Bücher seien primär, Editionen aber Derivate. Und Musil selbst scheint diese Ansicht zu stützen: »Wie jeder Schriftsteller habe ich viel mehr geschrieben als drucken lassen«, notierte er einmal, »aber wie bei mir der Weg von den ersten Anreizen bis zum fertigen Werk länger ist als bei anderen, sind die frühen Zustände auch wertloser.« (Bd. 7, S. 960) Und doch fordert Musil für seinen Mann ohne Eigenschaften eine doppelte Lektüre: »im Teil u im Ganzen« (Bd. 5, S. 1941), was sich auf Einzelpassagen in Bezug zum Einzelwerk ebenso beziehen mag wie auf das einzelne Werk im Verhältnis zum umfassenden Schreibprozess. Man könnte als ›Teil‹ und ›Ganzes‹ aber auch die einzelne Lektüreeinheit (mit ihrer ›Gestalt‹ und ›emotionalen‹ Wirkung) und jene Totalität des Wissens verstehen, die Musils Schreiblabor systematisch zu organisieren und zugleich hypertextuell zu erschließen sucht. Jedenfalls wird die von Musil geforderte doppelte Lektüre durch das Begriffspaar Close Reading/Distant Reading ebenso wenig erfasst wie durch begriffliche Kompromissbildungen nach der Art von »Scalable Reading«. Seine Texte gewinnen nämlich gerade dadurch an Intensität, dass sie das distanziert ›semantische‹ Lesen ›senti-mental‹ irritieren und zugleich die immersive Nahsicht durch ihre zahlreichen diskursiven Bezüge exzentrieren. Dass nun die Klagenfurter Ausgabe den ›Intertext‹ und vor allem den ›Kontext‹ von Musils Nachlass letztlich nur andeuten kann, ist keine Überraschung. Dass sie aber seine ›intratextuellen Relationen‹, dass sie Musils ›Eisenbahnfahrpläne‹ nur ebenso eingeschränkt zugänglich macht wie seine ungeplanten Verbindungen ›zwischen den Gedanken‹, offenbart den noch provisorischen Charakter dieser Ausgabe. Und überhaupt scheint recht unklar, was die ›digitale Geisteswissenschaft‹, über dieses verdienstvolle, aber imperfekte Editionsprojekt hinaus, zur Musil-Forschung beizutragen hätte: Neben stilometrischen Untersuchungen zu Musils Werkentwicklung, die wohl eher bescheidene Resultate zutage fördern würden,51 wäre ein Topic Modeling denkbar, das die Rekurrenz und Genese

50 Vgl. Massimo Salgaro, Einleitung, in: Robert Musil in der Klagenfurter Ausgabe. Bedingungen und Möglichkeiten einer digitalen Edition, hg. von Massimo Salgaro, München 2014, S. 7–24, hier S. 12–14, 17; zudem Sergej Rickenbacher, Der Fehler, kein Buch zu sein. Die Klagenfurter Robert Musil-Ausgabe und die ästhetische Erfahrung des Buches, in: ebd., S. 173–195, hier S. 177, 187. 51 Zur Überforderung der Stilometrie durch Gestaltphänomene (die ja gerade für Musils Poetik entscheidend sind) vgl. Thomas Weitin, Thomas Gilli und Nico Kunkel, Auslegen und Ausrechnen. Zum Verhältnis hermeneutischer und quantitativer Verfahren in den Literaturwissenschaften, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 46 (2016), S. 103–115, hier S. 110.



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gewisser Begriffe und Themen in Musils Texten nachzeichnet,52 zudem eine Netzwerkanalyse, die die unübersichtliche Figurenkonstellation im Mann ohne Eigenschaften erhellt, ohne Musils sozialpsychologisch informierte Romankon­ struktion schon konzeptionell zu unterbieten.53 Ist, wie man sagt, der Nachlass zum Mann ohne Eigenschaften der ›am meisten nicht-gelesene‹ Text der deutschsprachigen Literatur, liegt hier ein Distant Reading eigentlich nahe. Doch lässt eine methodische Untersuchung dieses great unread nicht nur auf sich warten; sie wird, schlimmer noch, offenbar von niemandem erwartet. Von den Segnungen der Digital Humanities verspricht man sich im Falle Musils auffällig wenig, wiederholt wurde sogar bezweifelt, dass die Forschung durch die Klagenfurter Ausgabe irgendwelche neuen Einsichten gewonnen hätte. Gerade an Musils ›Epochenroman‹, der das Nicht-Lesen ja schon auf der Handlungsebene historisch wie poetologisch durchspielt, muss sich das Distant Reading also erst noch bewähren. Bis dahin bleibt es bloße Ansichtssache, ob dieses Unternehmen nun einen »Triumph der geistigen Organisation« darstellt oder aber eine »harmlose Laune« von Philologen, die da Dinge treiben, »deren Nutzen sie wohl selbst nicht einsehen.« (Bd. 8, S. 1005  f.)

6. Schluss Das 100.  Kapitel des Mannes ohne Eigenschaften präsentiert unterschiedliche Formen des Nicht-Lesens, und diese lassen sich als Ordnungsverfahren beschreiben, welche zwischen Bibliotheken, sozialen und auch militärischen Sphären zirkulieren: von einer Adresslogik, die auf Befehl und Disziplin setzt, über klassifikatorische Hierarchien, die mittels Metadaten auf das geistige Substrat von Büchern zielen, bis hin zu selbstregulativen Prozessen, die Bücher als wandernde Informationsknoten in einem Nutzer-Netzwerk erscheinen lassen. All diese Ordnungen tragen zu jener ›geistigen Organisation‹ bei, ohne die kein Staat, mit 52 Als wissenspoetologische Analyse in diesem Sinne vgl. Andrew Piper und Mark Algee-Hewitt, The Werther Effect I: Goethe, Objecthood, and the Handling of Knowledge, in: Distant Readings. Topologies of German Culture in the Long Nineteenth Century, hg. von Matt Erlin and Lynne Tatlock, Rochester, NY 2014, S. 155–184, hier S. 156–159, 169, 175  f. 53 Netzwerktheoretisch stützen sich die Digital Humanities zumeist auf Georg Simmels Entwurf ›sozialer Kreise‹, ungeachtet der konkret untersuchten Texte. Im Falle Musils müsste aber dessen intensive Rezeption von Kurt Lewins Feldtheorie berücksichtigt werden, nach deren Leitlinien auch der Mann ohne Eigenschaften geplant wurde. Lewin nämlich modelliert das Soziale topologisch: als einen umfassenden ›Lebensraum‹, in dem Personen und Positionen, Kräfte und Spannungen zusammenwirken und in dem auch zeitliche Momente, psychische Zustände und damit ›Möglichkeitsräume‹ repräsentiert sind.

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deren Missbrauch aber auch leicht mobil zu machen ist. Für Musil ist gerade das Nicht-Lesen Anlass und Gelegenheit, von der Ordnung des Wissens zu erzählen. Schließlich erkundet er das Wissen von seinen Grenzen her: dort, wo Ordnungsverfahren versagen und nicht zur zündenden Idee, sondern zum Weltenbrand führen; oder dort, wo hinter dem Ordnungswissen stumme Agenten wirken wie der Eros oder die Gewalt. Allemal macht Musils Schreiben aus dem Wissen, seinen Gestalten und Geschicken, eigene Geschichten – eigene Wissensgeschichten, die weder in rein geisteswissenschaftlichen noch in bloß wissenschafts- oder medienhistorischen Bezügen aufgehen. In diesem Zuge lässt sich Musils Roman auch als Genealogie jener Ordnungsverfahren begreifen, mittels derer das Distant Reading und die Digital Humanities der geisteswissenschaftlichen Analyse neue Perspektiven zu eröffnen suchen. Wenn Moretti beansprucht, jene (politischen und ökonomischen) Kräftekonstellationen aufzudecken, als deren Ausdruck man die literarische Form verstehen sollte,54 lässt sich für Musils Bibliothekskapitel umgekehrt reklamieren, es enthülle das, was die ›digitale Geisteswissenschaft‹ im Innersten betrifft: die militärische und, damit untrennbar verbunden, ökonomische Prägung ihrer eigenen Ordnungsbemühungen. Mit Ulrich gesagt, gibt es keine Ordnung, nicht einmal eine geisteswissenschaftliche, die nicht »durch Zwang und Gewalt entsteht«, und dies nicht nur, weil sich – diesmal mit Stumm gesagt – »die Sphäre der Gewalt« gerne »mit den Segnungen des Geistes« verquickt. (S. 320, S. 1024) Jede Ordnung des Wissens findet ihre Möglichkeitsbedingungen unweigerlich in einer historischen Lage, die mediale Infrastrukturen, institutionelle Rahmungen und praktische Kräfteverhältnisse umfasst. Wenn aber philologisches Interesse, nach Friedrich Schlegels pointierter Formulierung, ein »Interesse für bedingtes Wissen«55 ist, wird es nicht nur epochale, gattungs- oder textinterne Formen und Strukturen ›nachweisen‹, sondern diese als Prozess-Ordnungen auffassen, deren ›historische Aprioris‹ untersuchen und, nicht zuletzt, die Möglichkeitsbedingungen der eigenen Ordnungssuche reflektieren.

54 Vgl. Franco Moretti, Kurven, S. 70, und ders., Conjectures, S. 59: »Forms are the abstract of social relationships: so, formal analysis is in its own modest way an analysis of power.« Ausgangspunkt dieser Analyse bildet die Methodenlehre der histoire sérielle, die, in ihrer ökonomiegeschichtlichen Ausrichtung, zwischen der Ebene der ›Ereignisse‹ und der ›longue durée‹ eine Ebene der ›Konjunkturzyklen‹ ansetzt. Aus deren Dynamik erklärt sich für Moretti die Entstehung literarischer Genres wie der Detektiv- oder Dorfgeschichte (vgl. ders., Kurven, S. 22–25). Und vor diesem Hintergrund erwog Moretti zunächst, von »serial reading« zu sprechen (ders., Conjectures, S. 44). 55 Friedrich Schlegel, KFSA, Bd. 16: Fragmente zur Poesie und Literatur I, hg. von Ernst Behler, Paderborn 1981, S. 46.



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Unter diesen Vorzeichen kann man Musils literarische Genealogie der Wissensordnung als eine Provokation jenes digitalen ›Wissensmanagements‹ lesen, das sich heute in den Geisteswissenschaften etabliert. Solange dieses, statt diskursiver Prozesse, hauptsächlich Daten und deren Korrelationen untersucht, muss man ihm »pedantische« im Gegensatz zu »phantastische[r] Genauigkeit« attestieren (S. 247); denn gerade Musil schätzte an der statistischen Rationalität nicht nur ihre deskriptive Präzision, sondern dass sie das Wissen probabilistisch verunsichert, indem sie aus vermeintlich ›belastbaren‹ Befunden den »Möglichkeitssinn« bloß wahrscheinlicher Aussagen befreit. (vgl. S. 16  f.) Mit dem Ethos selbstreflexiver Wissensproduktion, das in Musils Roman der ›Mann ohne Eigenschaften‹ selbst vertritt und für das die neuzeitliche Universität mit ihrem Bildungskonzept einsteht, scheint eine primär datenbasierten Forschung weniger zu tun zu haben als mit jenem frühneuzeitlichen Ordnungssinn, der die Wissensgeschichte im Format eines Repositoriums von Kenntnissen erschließen will.56 Deshalb stellt sich zuletzt die Frage, wie die ›digitale Geisteswissenschaft‹ auf exakte, d.  h. in ihrem Sinne quantitative Weise erfassen und mobilisieren kann, was sie selbst im Titel führt: den Geist. Musil definiert ihn als einen methodisch unsystematischen Möglichkeitssinn, und solcher Geist »hält kein Ding für fest, kein Ich, keine Ordnung.« (S. 154) Was er ermöglicht, ist: »Selbstschöpferische Ordnung. Generative O[rdnung]. […] Vielleicht auch Richtung statt Ordnung. Bzw. Gerichtetheit.« (T 1, S. 653) Durch die Operationalisierung ihrer Hypothesen, d.  h. deren Prüfung auf quantitativem Wege, mag die Geisteswissenschaft etliche Spuren vergangenen Geisteslebens sichern. ›Selbstschöpferisch‹ und ihrerseits ›geistig‹ wird sie erst, wenn an die Stelle der verifikatorischen Prozedur der explorative Versuch, wenn an die Stelle der Datensicherung die Verunsicherung des Wissens tritt. ›Essayistisch‹ nennt Musil jenes Moment, das aus einer Ordnungskrise neue Ordnung generiert, und in diesem Sinne ist Morettis unsystematische Methodik des Distant Reading musilianisch inspiriert: Nicht nur, dass der Mann ohne Eigenschaften seinen Schriften zum Motto dient;57 motiviert wurde das Programm des Nicht-Lesens durch den Versuch, zur Literaturgeschichte, jenseits der längst etablierten Epochen- und Gattungsordnungen, ein experimentelles Verhältnis zu entwickeln. Es ist kein 56 Zur markanten Zäsur zwischen der enzyklopädischen oder gelehrten Vorstellung eines »repository of knowledge« und der um 1800 gegründeten ›Forschungsuniversität‹ mit ihrer eigenwillig reflexiven Wissensgemeinschaft vgl. Chad Wellmon, Organizing Enlightenment. Information Overload and the Invention of the Modern Research University, Baltimore 2015, S. 153, 168, 177  f. 57 Vgl. Franco Moretti, Kurven, S. 7, wo aus dem 62. Kapitel zur ›Utopie des Essayismus‹ die Passage über einen dritten Weg zwischen gelehrter »Wahrheit« und schriftstellerischer »Subjektivität« zitiert wird (S. 254).

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Zufall, dass sich Moretti dabei kaum auf Datenberechnungen, sehr wohl aber auf extensive Lektüren und zahlreiche ›Querzüge durch verschiedene Wissensgebiete‹ stützte.58 Wie auch wäre dem Geist geistreich auf die Spur zu kommen, wenn nicht durch jenen rapport d’ordre und durch jene Prozess-Ordnung, die man bis heute ›Lesen‹ nennt?

58 Neben Morettis umfänglicher Lektüre von literaturwissenschaftlicher Forschungsliteratur (vgl. Anm.  26) ist die von soziologischen, bibliothekswissenschaftlichen, historiographischen und kulturwissenschaftlichen Texten zu nennen. Sein Konzept des Distant Reading ist mithin bestenfalls indirekt von den computerbasierten Methoden der Digital Humanities inspiriert (vgl. auch Anm. 6).

berichte

nicolai riedel in zusammenarbeit mit herman moens

marbacher schiller-bibliographie 2017 Internationales Referenzorgan zur Forschungsund Wirkungsgeschichte

Vorwort Es ist wirklich ein großer Zufall, dass dieses Mal ein schlankes Jahrbuch auch eine recht schmale Schiller-Bibliographie enthält (weniger als 300 Titelnachweise). Man könnte nun anfangen zu mutmaßen, was die Gründe für dieses Phänomen sein könnten, aber ein Vorwort ist nicht der geeignete Ort für solche spekulativen Gedankenflüge. Bleiben wir also bei den Tatsachen: Eine Ursache für den geringeren Umfang der Bibliographie kann darin gesehen werden, dass die retrospektiven Recherchen der vergangenen Jahre, besonders jene ›Fischzüge‹ im außereuropäischen Raum (Südamerika, Ostasien), definitiv abgeschlossen sind. Eine weitere Ursache liegt in den strengeren Aufnahmekriterien für Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken sowie Kapiteln in Monographien: wenig aussagekräftige und sehr kurze Texte zu Schillers Leben und Werk werden nicht mehr verzeichnet. Die Dokumentation der Titel konzentriert sich auf fundierte wissenschaftliche Analysen und Untersuchungen, in denen (neue) philologisch-philosophische Erkenntnisse formuliert werden. Nach dem Schiller-›Boom‹ im Vorfeld und im Nachhall der Jubiläumsjahre 2005 und 2009 setzt nun eine Talfahrt in der Forschungsgeschichte ein, ein natürlicher Prozess in der Wissenschaftshistorie: Atempausen zum Luftholen sind erforderlich; übertragen auf die spezifische Situation, den ›Fall Schiller‹, heißt das: jede produktive Ideenfabrik hat auch einmal Betriebsferien. Das Inhaltsverzeichnis bleibt aus Gründen der Kontinuität nahezu unverändert, was zur Folge hat, dass einzelne Systemstellen gar nicht oder nur mit sehr wenigen bibliographischen Angaben besetzt sind. Bis zum Redaktionsschluss konnten nicht mehr alle Titel physisch autopsiert werden, worin die Bearbeiter im digitalen Zeitalter aber keinen spürbaren Qualitätsverlust sehen. Anders sieht es mit Titeln aus, die im dritten und vierten Quartal 2017 an versteckter Stelle und im Ausland erschienen sind. Diese konnten nicht mehr vollständig erfasst und

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verifiziert werden und finden Eingang in die Bibliographie für das Berichtsjahr 2018. An dieser Stelle, wie auch in früheren Vorworten, appelliert das BibliographenTeam noch einmal nachdrücklich an Literatur- und Kulturwissenschaftler(innen) aus allen Nationen, ihre Schiller-Studien (Monographien, Aufsätze, Buchkapitel, Übersetzungen) der Jahrbuch-Redaktion zu melden, um der Bibliographie noch mehr Aktualität und Informationsdichte zu verleihen. Das sind Investitionen in ein wachsendes Daten-Mosaik, das nicht nur der internationalen Schiller-Forschung zugute kommt, sondern auch den internationalen Klassik- und ÄsthetikDiskursen. Eine erfreuliche Perspektive für die Benutzung der Schiller-Bibliographie(n) kündigt sich mittelfristig an: Geplant ist eine digitale Kumulation größerer zurückliegender Zeiträume, so dass das mühevolle Blättern und Suchen in den Jahrbüchern entfallen könnte. Marbach, 10. Juni 2018

Inhalt 1. Internationale Schiller-Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Bibliographien und Referenzwerke. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Forschungs- und Tagungsberichte, Sammelrezensionen. . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Zeitschriften und Jahrbücher. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4. Kongress-Schriften: Colloquien, Symposien, Tagungen. . . . . . . . . . . . . . . . 1.5. Museen, Dichterhäuser, Ausstellungen und Institutionengeschichte. . . .

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2. Quelleneditionen (und Nachdrucke in Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Mehrbändige Werk- und Gesamtausgaben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Teilausgaben und kleine Sammlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Literarische Gattungen: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1. Lyrik: Nachdrucke von Balladen und Gedichten. . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2. Dramatische Werke und Fragmente. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3. Erzählende Prosa und theoretische Schriften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4. Übersetzungen von Schillers Werken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1. Balladen und lyrische Dichtungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2. Dramatische Werke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3. Literarische Prosa, theoretische Schriften und Briefe. . . . . . . . . . . . 2.5. Einzelne Briefe von/an Schiller und Korrespondenzen . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Allgemeine Darstellungen: Porträts, Würdigungen und Reden. . . . . . . . . . . . . . 246 4. Biographische Aspekte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 5. Kontexte: Kontakte – Einflüsse – Vergleiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1. Beziehungen zu Orten, Landschaften und Ländern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2. Schillers Zeitgenossen und Vergleiche mit anderen Personen im historisch-politischen, bildungs- und ideengeschichtlichen Kontext. . . . . 5.3. Die Familie Schiller: Genealogie, Generationen und Verwandtschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6. Intellektuelle Vernetzungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1. Geschichte – Kulturkritik – Politik – Weltanschauung. . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2. Philosophie, Ästhetik, Anthropologie, Bildung und Erziehung (auch zur Auseinandersetzung mit der Philosophie Kants). . . . . . . . . . . . . 6.3. Literatur, Sprache, Poetologie, Kunst und Theater. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4. Musik und Tanz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5. Bibel, Religion(en) und Theologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6. Naturwissenschaften, Medizin, Recht(sgeschichte) und Kriminologie. . . . 6.7. Griechische und römische Antike (Mythologie). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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7. Schillers literarische Werke und theoretische Schriften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1. Allgemeine gattungsübergreifende Darstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2. Lyrik: Untersuchungen zu Schillers Balladen und Gedichten. . . . . . . . . . . 7.3. Untersuchungen zum dramatischen Werk. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.1. Allgemeine Darstellungen und Werkvergleiche. . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.2. »Die Braut von Messina«. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.3. »Don Karlos«. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.4. »Die Jungfrau von Orleans« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.5. »Kabale und Liebe«. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.6. »Maria Stuart« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.7. »Die Räuber«. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.8. »Wilhelm Tell« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.9. »Die Verschwörung des Fiesko zu Genua« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.10. »Wallenstein«-Trilogie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.11. Dramatische Fragmente: »Demetrius« u.a.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

267 267 268 271 271 272 273 273 274 275 275 277 278 278 280

250 254

7.4. Untersuchungen zur literarischen Prosa, zu den ästhetischen Schriften und zu den historischen Abhandlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 7.4.1. Allgemeine Darstellungen und vergleichende Studien. . . . . . . . . . 280

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7.4.2. Analysen und Interpretationen zu einzelnen Werken und Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5. Schiller als Herausgeber, Übersetzer, (Bühnen-)Bearbeiter und Literaturkritiker. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.6. Schiller in Briefen und Korrespondenzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.7. Einzelne Aspekte, Motive, Stoffe, Themen und Begriffe (werkübergreifend) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.8. Schiller in diversen Kontexten (auch Beiträge ohne Nennung Schillers im Titel). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

281 283 284 284 285

8. Nationale und internationale Wirkungsgeschichte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1. Studien zu literarästhetischen Rezeptionsformen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.1. Allgemeine Untersuchungen und spezielle Aspekte. . . . . . . . . . . . . 8.1.2. Wirkung auf Personen in Literatur, Kultur und Wissenschaft . . . . . 8.1.3. Rezeption im fremdsprachigen Ausland. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

285 285 285 286 288

8.2. Schillers Werke auf der Bühne. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.1. Rückblicke auf historische Aufführungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.2. Aktuelle Inszenierungen im Spiegel der Presse (Auswahl). . . . . . . . 8.2.3. Aktuelle Aufführungen von musikalischen Adaptionen (Opern). . .

288 288 289 290

8.3. Untersuchungen zu Bearbeitungen, Vertonungen und Verfilmungen . . . . 8.4. Studien zu Illustrationen und Ikonographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5. Produktive Rezeption: Fiktionalisierungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.6. Schiller im Deutschunterricht (Auswahl). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

290 292 292 293



9. Audiovisuelle Medien: CDs und DVDs (Auswahl). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 10. Personenregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295

1. Internationale Schiller-Forschung 1.1. Bibliographien und Referenzwerke 1. Riedel, Nicolai (in Zusammenarbeit mit Herman Moens): Marbacher SchillerBibliographie 2016. Internationales Referenzorgan zur Forschungs- und Wirkungsgeschichte. In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft. Internationales Organ für neuere deutsche Literatur. Band 61 (2017). Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, S. 349–462. – ISBN 978-3-11-052854-1.



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1.2. Forschungs- und Tagungsberichte, Sammelrezensionen 2. Macor, Laura Anna: [Sammelrezension]. In: Studi Germanici (Roma: Istituto Italiano di Studi Germanici), 2015 [2016?], Heft  7, S.  327–336. – ISSN 00392952. Die Verfasserin untersucht die folgenden fünf Studien und Ausgaben: HansJürgen Schings: Revolutionsetüden. Würzburg 2012 [MSB 2012, Nr. 194]. – Ein Aggregat von Bruchstücken. Herausgegeben von Jörg Robert. Würzburg 2013 [MSB 2013, Nr. 010]. – Giovanna Pinna: Introduzione a Schiller. Bari 2012 [MSB 2012, Nr. 107]. – Friedrich Schiller: Il corpo e l’anima. A cura di Giovanna Pinna. Roma 2012 [MSB 2012, Nr. 069]. – Leonardo Amoroso: Schiller e la parabola dell’estetica. Pisa 2014 [MSB 2014, Nr. 091]. 3. Robert, Jörg / Rossi, Francesco: »Klassische Romantik« – Schiller und Italien (Villa Vigoni, 7.–10.  November 2016). In: Studi Germanici. Roma (Istituto Italiano di Studi Germanici), 2017, Heft  11, S.  352–355. – ISSN 0039-2952. – Bericht über die Tagung.

1.3. Zeitschriften und Jahrbücher 4. Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft. Internationales Organ für neuere deutsche Literatur. Herausgegeben von Alexander Honold, Christine Lubkoll, Ernst Osterkamp und Ulrich Raulff. Band 61 (2017). Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, 577 S. – ISBN 978-3-11-052854-1 (Print) / ISBN 978-3-11-053210-4 (Elektronische Ressource). Der Band enthält Beiträge über Schiller von Sabine Fischer, Christian A. Bachmann, Christoph Öhm-Kühnle, Dimitri Liebsch, Viktor Konitzer, Adrian Renner, Jan Philipp Reemtsma sowie die Marbacher Schiller-Bibliographie von Nicolai Riedel und Herman Moens.

1.4. Kongress-Schriften: Colloquien, Symposien, Tagungen (auch gesammelte Abhandlungen einzelner Verfasser) 5. Estetica, antropologia, ricezione. Studi su Friedrich Schiller. A cura di Francesco Rossi. Pisa: Edizioni ETS, 2016 [Marbacher Schiller-Bibliographie 2016, Nr. 007]. Rezension von Luca Zenobi. In: Studi Germanici. Roma (Istituto Italiano di Studi Germanici), 2017, Heft 11, S. 280–286. – ISSN 0039-2952.

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6. Friedrich Schiller. Ein deutsch-italienisches Gespräch. Herausgegeben von Ivo De Gennaro. Freiburg i.B., Berlin, Wien: Rombach Verlag, 2017, 223  S. (=  Rombach Wissenschaften: Reihe Paradeigmata. 42). – ISBN 978-3-79309905-5. Der vorliegende Band versammelt die Vorträge des XXIX. Internationalen Symposiums der Akademie für deutsch-italienische Studien, das vom 21. bis 23. September 2006 in Meran stattgefunden hat. Die Beiträge stammen von Arnaldo di Benedetto, Wolfgang Düsing, Paola Maria Filippi, Maria Carolina Foi, Klaus Manger, Bianca Cetti Marinoni, Norbert Oellers, Giovanna Pinna, Mauro Ponzi, Roman Reisinger, Armando Rigobello und Bernhard Zimmermann. 7. Riedel, Wolfgang: Um Schiller. Studien zur Literatur- und Ideengeschichte der Sattelzeit. Herausgegeben von Markus Hien, Michael Storch und Franziska Stürmer. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2017, 530  S.  – ISBN 978-3-8260-6310-7. Die Schiller-Beiträge sind an den entsprechenden Systemstellen einzeln verzeichnet. 8. Schillers Balladen. Herausgegeben von Silke Henke und Nikolas Immer. Weimar: Schillerverein Weimar-Jena, 2017, 60 S. Der Band enthält eine Einführung von Silke Henke und Nikolas Immer und Beiträge von Eva Axer, Klaus Dicke, Anne-Sophie Renner. 9. Schillers Europa. Herausgegeben von Peter-André Alt und Marcel Lepper unter Mitarbeit von Catherine Marten. Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, VI, 292  S. (= Perspektiven der Schiller-Forschung. 1). – ISBN 978-3-11-044004-1 (Print) / ISBN 978-3-11-043304-3 (e-Book). Die Beiträge sind an den entsprechenden Systemstellen einzeln verzeichnet: Einleitung von Peter-André Alt (S. 1–5), Ute Frevert, John A. McCarthy, Rüdiger Görner, Yvonne Nilges, Alice Stašková, Alexander Košenina, Anett Lütteken, Nina Birkner, Winfried Woesler, Astrid Dröse, Ellen Strittmatter, Jörg Robert, Jürgen Barkhoff, Francesco Rossi und Nikolas Immer.

1.5. Museen, Dichterhäuser, Ausstellungen und Institutionengeschichte 10. Bens, Jürgen: Frauentor und Schillers erstes Haus. – Schillers Wohnhaus. In: Ders., Der Stadtverführer. Mit Anekdoten und Geschichten durch Weimar. Ein Stadtrundgang der besonderen Art. Weimar: Tourist Verlag, 2017, S. 147–164. – ISBN 978-3-946553-01-4.



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11. Plachta, Bodo: Der Wunsch, ein eigenes Haus zu besitzen. Schiller in Marbach am Neckar und Weimar. In: Ders., Dichterhäuser. Mit Fotografien von Achim Bednorz. Darmstadt: Konrad Theiss Verlag, 2017, S. 70–76. – ISBN 978-3-8062-3612-5. 12. Schillers Wohnhaus. Herausgegeben von Ernst-Gerhard Güse und Jonas Maatsch. Weimar: Klassik Stiftung Weimar, 2., überarbeitete Auflage 2017, 150 S. – ISBN 978-3-7443-0144-2. Der reich illustrierte Band enthält Beiträge von Jürgen Beyer, Viola Geyersbach, Ernst-Gerhard Güse, Jochen Klauß und Kristin Knebel. – 1. Auflage 2009 [Marbacher Schiller-Bibliographie 2009, Nr. 564]. 13. Wurlitzer, Bernd  / Sucher, Kerstin: Ein Gang durch Friedrich Schillers Arbeitsmansarde. In: Dies., Weimar und Umgebung. Ostfildern bei Stuttgart: DuMont Reiseverlag, 4., aktualisierte Auflage 2017, S.  124–147. (= DuMont Reise-Taschenbuch). – ISBN 978-3-7701-7387-7. Der Band enthält außerdem zwei kleinere Kapitel mit den Überschriften »Die Dichterfürsten Goethe und Schiller« (S. 70  ff.) und »Schillerhaus« (S. 127  ff.). – Die 1. Auflage ist 2010 erschienen. – ISBN 978-3-7701-7272-6. – Der Beitrag ist in früheren Marbacher Schiller-Bibliographien noch nicht verzeichnet worden.

2. Quelleneditionen (und Nachdrucke in Auswahl) 2.1. Mehrbändige Werk- und Gesamtausgaben 2.2. Teilausgaben und kleine Sammlungen

Keine Nachweise im Berichtszeitraum

2.3. Literarische Gattungen 2.3.1. Lyrik: Nachdrucke von Balladen und Gedichten 14. An den Frühling. In: Die schönsten Frühlingsgedichte. Herausgegeben von Michael Adrian. Frankfurt a.M.: S. Fischer Verlag, 2017, S. 25–26. (= Fischer TaschenBibliothek). – ISBN 978-3-596-52136-4. 15. Das Lied von der Glocke. Mit 16 Illustrationen von Ludwig Richter und einem Nachwort von Karl A. Fiedler. Weimar: Aionas Verlag, 2., erweiterte und korrigierte Auflage 2017, 59 S. – ISBN 978-3-946571-51-3.

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16. Der Ring des Polykrates. Mit Bildern von Almut Kunert. Berlin: Kindermann Verlag, 2017, 32 S. (= Poesie für Kinder). – ISBN 978-3-934029-67-5. 17. Der Taucher. Herausgegeben von Nikolaus Rehlinger. Norderstedt: Books on Demand, 2017, 36 S. – ISBN 978-3-7448-8717-5. 18. Die Bürgschaft. – De cautione a Damone praebita  / carmen epicolyricum. In: Carmina pulcherrima. Die schönsten Balladen. Latein – Deutsch. Ausgewählt und übersetzt von Franz Schlosser. Darmstadt: WBG Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2017, S. 42–55. – ISBN 978-3-534-26933-4. – Lateinisch-deutscher Paralleldruck. 19. Die Kraniche des Ibykus. – De gruibus Ibyci  / carmen epicolyricum. In: Carmina pulcherrima. Die schönsten Balladen. Latein – Deutsch. Ausgewählt und übersetzt von Franz Schlosser. Darmstadt: WBG Wissenschaft­liche Buchgesellschaft, 2017, S. 24–41. – ISBN 978-3-534-26933-4. – Lateinisch-deutscher Paralleldruck. 20. Legende vom Hufeisen. In: Herzhafter Hauskalender 2018. »Essen und Trinken«. Redaktion: Verena Inauen und Norbert Prohaska. Wien: Soziales Friedenswerk, 66. Jg., [2017], S. 58–59. – ISBN 978-3-9503630-4-3. 21. Spruch des Confucius. In: Otto Betz, Atemholen in der Welt der Poesie. München, Zürich, Wien: Verlag Neue Stadt, 2017, S. 176 und Kurzkommentar auf S. 177. – ISBN 978-3-7346-1111-7.

2.3.2. Dramatische Werke und Fragmente 22. Die Räuber. Ein Schauspiel. Braunschweig: Schroedel, Bildungshaus Schulbuchverlage, 2016, 220 S. (= Schroedel Lektüren). – ISBN 978-3-507-69987-8. Zahlreiche Worterklärungen als Marginalien an den Seitenrändern. – Im Anhang von Hans-Georg Schede: Zur Textgestalt (S. 175–178). – Erläuterungen (S. 179–211). – Leben und Werk im Überblick (S. 213–220). 23. Kabale und Liebe. Ein bürgerliches Trauerspiel. Redaktion: Hans-Georg Schede. Braunschweig: Bildungshaus Schulbuchverlage Schroedel und Westermann, 2017, 156 S. (= Schroedel Lektüren). – ISBN 978-3-507-69971-7. Im Anhang zu dieser Textausgabe: Zur Textgestalt. – Erläuterungen. – Leben und Werk im Überblick (S. 135–156). 24. Wallenstein in Pilsen. In: Pilsen. Ein Lesebuch. Herausgegeben von Arthur Schnabl. Regensburg: Verlag Anton Pustet, 2015, S. 27–33. – ISBN 978-3-79172743-1.



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25. Wallensteins Lager. – Die Piccolomini. Ein dramatisches Gedicht. Anmerkungen von Kurt Rothmann. Nachwort von Michael Hofmann. Ditzingen: Verlag Philipp Reclam jun., 2017, 218 (1) S. (= Reclams Universal-Bibliothek. 19468). – ISBN 978-3-15-019468-3. Inhalt: Anmerkungen (S.  163–201). – Nachwort (S.  203–216). – Literaturhinweise (S. 217–218). 26. Wallensteins Tod. Ein dramatisches Gedicht. Anmerkungen von Kurt Rothmann. Nachwort von Michael Hofmann. Ditzingen: Verlag Philipp Reclam jun., 2017, 200 (1) S. (= Reclams Universal-Bibliothek. 19469). – ISBN 978-315-019469-0. Inhalt: Anmerkungen (S.  167–186). – Nachwort (S.  187–198). – Literaturhinweise (S. 199  f.). Die 1. Auflage ohne das Nachwort von Michael Hofmann ist 2003 erschienen [Schiller-Bibliographie 2003, Nr. 31].

2.3.3. Erzählende Prosa und theoretische Schriften 27. Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs. Berlin: Europäischer Literaturverlag, 2017, 438 S. – ISBN 978-3-95909-205-0. Reine Lese-Ausgabe ohne begleitende editorische Texte. Kein Hinweis auf die Originalquelle. Im Impressum heißt es nur: »Die Orthographie wurde der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst und die Interpunktion behutsam modernisiert.«

2.4. Übersetzungen von Schillers Werken 2.4.1. Balladen und lyrische Dichtungen 28. De cautione a Moero praebita  / carmen epicolyricum. In: Cum filio pater equitat  … Die 10 beliebtesten Balladen auf Lateinisch. Ausgewählt und übersetzt von Franz Schlosser. Stuttgart: Verlag Philipp Reclam jun., 2017, S. 20–25. (= Reclams Universal-Bibliothek. 19362). – ISBN 978-3-15-019362-4. Ein vollständiger Abdruck des Originaltexts von Schillers Ballade »Die Bürgschaft« befindet sich im Anhang dieser Anthologie (S. 54  ff.). 29. De gruibus Ibyci / carmen epicolyricum. In: Cum filio pater equitat … Die 10 beliebtesten Balladen auf Lateinisch. Ausgewählt und übersetzt von Franz Schlosser. Stuttgart: Verlag Philipp Reclam jun., 2017, S. 13–19. (= Reclams Universal-Bibliothek. 19362). – ISBN 978-3-15-019362-4.

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Ein vollständiger Abdruck des Originaltexts von Schillers Ballade »Die Kraniche des Ibykus« befindet sich im Anhang dieser Anthologie (S. 48  ff.).

2.4.2. Dramatische Werke 30. Kabale und Liebe; italienisch Intrigo e amore. Un dramma borghese. Versione italiana di Danilo Macrì. Genova: Edizioni Teatro Stabile di Genova, 2017, 198 S. (= Collana del Teatro Stabile di Genova). – Keine ISBN. 31. Kabale und Liebe; italienisch Intrigo e amore. Un dramma in cinque atti di nobiltà vs. borghesia. Introduzione, traduzione e commento di Aldo Busi. Milano: BUR Biblioteca Universale Rizzoli, ottava edizione 2017, 310 (1) S. – ISBN 978-88-17-16975-2. Deutsch-italienische Paralleldruck-Ausgabe. – Introduzione (S. 5–22). – Profilo bio-bibliografico (S. 23–25). – Note (S. 293–306). – Bibliografia (S. 309  f.). – Die 1. Auflage ist 1994 erschienen.

2.4.3. Literarische Prosa, theoretische Schriften und Briefe 32. Der Geisterseher; italienisch Il visionario. A cura di Fabio Camilletti e Mariano Tomatis. Traduzione di Giovanni Berchet. Roma: Nova Delphi Libri, 2017, 203 (4) S. – ISBN 978-88-9737666-8. »Introduzione« von Fabio Camilletti: Illusionismo, politica, letteratura (S. 7–36). – »Postfazione« von Mariano Tomatis: Fumo e specchi (S. 167–184). – Appendice I: Dieci percorsi illusionistici a partire da »Il visionario«. A cura die Mariano Tomatis. Traduzioni di Fabio Camilletti (S.  197). – Appendice  II (S. 199–293). 33. Kalliasbriefe; Anmut und Würde; italienisch Kallias. Grazia e dignità. A cura di Davide Di Maio e Salvatore Tedesco. Milano: Abscondita, 2016, 147 S. (= Aesthetica. 30). – ISBN 978-88-8416-464-3. 34. Über das Erhabene; italienisch Del sublime. A cura di Luigi Reitani. Milano: Abscondita, 2017, 142 S. (= Aesthetica. 34). – ISBN 978-88-8416-620-3. 35. Briefwechsel Schiller/Goethe; italienisch Friedrich Schiller – Johann Wolfgang Goethe: Geni del romanticismo. Il carteggio su poesia, arte e cultura. Introduzione di György Lukács. Milano: Ghibli, 2017, 333 S. – ISBN 978-88-6801-179-6.





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György Lukács: Introduzione. Il carteggio tra Goethe e Schiller (S. 11–49). – Die Übersetzer der Einführung und des Briefwechsels werden in dieser Ausgabe nicht genannt.

2.5. Einzelne Briefe von/an Schiller und Korrespondenzen 36. Humboldt, Wilhelm von: Briefe. Historisch-kritische Ausgabe. Abteilung  I: Briefe bis zum Beginn der diplomatischen Laufbahn. 1781–1802. Band 1: Juli 1781 – Juni 1791. Herausgegeben und kommentiert von Philip Mattson. Berlin: Akademie Verlag  / Verlag Walter de Gruyter, 2014, 634 S. – ISBN 978-3-05006329-4. Darin enthalten ein Brief an Friedrich Schiller vom 19. März 1790 (S. 255). 37. Humboldt, Wilhelm von: Briefe. Historisch-kritische Ausgabe. Abteilung  I: Briefe bis zum Beginn der diplomatischen Laufbahn. 1781–1802. Band 2: Juli 1791 – Juni 1795. Herausgegeben und kommentiert von Philip Mattson. Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2015, 545 S. – ISBN 978-3-11-037508-4. Darin enthalten die überlieferten Briefe an Friedrich Schiller: 8.  Mai 1792 (S. 50  ff.). – 12. Oktober 1792 (S. 89  f.). – 26. Oktober 1792 (S. 96  f.). – 14. Januar 1793 (S. 114  f.). – 18. Januar 1793 (S. 115  ff.). – Juni/Juli 1794 [Canzone. An Schiller] (S. 269  f.). – 22. September 1794 (S. 277  ff.). 38. Humboldt, Wilhelm von: Briefe. Historisch-kritische Ausgabe. Abteilung  I: Briefe bis zum Beginn der diplomatischen Laufbahn. 1781–1802. Band  3: Juli 1795 – Juni 1797. Herausgegeben und kommentiert von Philip Mattson. Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, 656 S. – ISBN 978-3-11046040-7. Darin enthalten die überlieferten Briefe an Friedrich Schiller: 7.[?] Juli 1795 (S. 16  ff.). – 13.[?] Juli 1795 (S. 18  ff.). – 17. Juli 1795 (S. 20–24). – 28. Juli 1795 (S. 26  ff.). – 4. August 1795 (S. 32–35). – 15. August 1795 (S. 36–40). – 18. August 1795 (S. 40–46). – 21. August 1795 (S. 46–50). – 25. August 1795 (S. 52–57). – 29. August 1795 (S. 57–60). – 31. August 1795 (S. 60–68). – 8. September 1795 (S. 71  ff.). – 11./12. September 1795 (S. 74–81). – 14. September 1795 (S. 81  ff.). – 15. September 1795 (S. 84). – 22. September 1795 (S. 85–90). – 27. September 1795 (S. 92). – 28. September 1795 [mit Faksimile] (S. 92–97). – 2. Oktober 1795 (S. 97–100). – 5. Oktober 1795 (S. 100–103). – 12. Oktober 1795 (S. 103–106). – 16. Oktober 1795 (S. 106–111). – 23. Oktober 1795 (S. 112–120). – 30. Oktober 1795 (S. 120–126). – 6. November 1795 (S. 129–135). – 13. November 1795 (S. 141  ff.). – 20. November 1795 (S. 143–148). – 27. November 1795 (S. 154–160). – 4. Dezember 1795 (S. 161–164). – 11. Dezember 1795 (S. 164–167). – 14. Dezember 1795

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(S. 167–170). – 18. Dezember 1795 (S. 170–173). – 29. Dezember 1795 (S. 174  ff.). – 12. Januar 1796 (S. 185–188). – 30. Januar 1796 (S. 188). – 2. Februar 1796 (S. 188–192). – 9. Februar 1796 (S. 197  ff.). – 13. Februar 1796 (S. 201–206). – 20.  Februar 1796 (S.  207  f.). – 27.  Februar 1796 (S.  208–211). – 5.  März 1796 (S.  212–215). – 12.  März 1796 (S.  217–220). – 26.  März 1796 (S.  222–225). – 2. April 1796 (S. 225  f.). – 9. April 1796 (S. 226  f.). – 3. Mai 1796 (S. 230  ff.). – 24. Mai 1796 (S. 238). – 31. Mai 1796 (S. 238–241). – 11. Juni 1796 (S. 244  ff.). – 25. Juni 1796 (S. 257–260). – 5. Juli 1796 (S. 263). – 9. Juli 1796 (S. 263  ff.). – 16. Juli 1796 (S. 267–270). – 19. Juli 1796 (S. 272  f.). – 2. August 1796 (S. 277  ff.). – 16. August 1796 (S. 280  ff.). – 20. September 1796 (S. 283  ff.). – 1. Oktober 1796 (S. 291–294). – 18. Oktober 1796 (S. 299  f.). 39. Jacobi, Friedrich Heinrich: Briefwechsel Oktober 1794 bis Dezember 1798. Herausgegeben von Catia Goretzki. Stuttgart-Bad Cannstatt: FrommannHolzboog Verlag, 2017, 331 S. (= Jacobi: Fortsetzung der Gesamtausgabe. Briefwechsel. Herausgegeben von Walter Jeschke und Birgit Sandkaulen. Reihe I, Band 11). – ISBN 978-3-7728-2775-8. Darin enthalten: Schiller an Jacobi, 25. 1. 1795, S. 25  f. – Schiller an Jacobi, 29. 6. 1795, S. 48. – Jacobi an Schiller, 7. 7. 1795, S. 49. – Schiller an Jacobi, 9. 7. 1795, S.  51. – Jacobi an Schiller, 13.  7. 1795, S.  53. – Schiller an Jacobi, 28.  8. 1795, S. 54–55. – Jacobi an Schiller, 23. 9. 1795, S. 60–61. – Schiller an Jacobi, 5. 10. 1795, S. 61  f. 40. Schiller, Charlotte von: An Friedrich Schiller. In: Liebesbriefe großer Frauen. Herausgegeben von Sabine Anders und Katharina Maier. Wiesbaden: Marix Verlag, 6. Auflage 2017, S. 104  ff. – ISBN 978-3-7374-1060-1. Die 1. Auflage ist 2009 erschienen. – ISBN 978-3-86539-196-4.

3. Allgemeine Darstellungen: Porträts, Würdigungen, Reden 41. Bartoniczek, Andre: Friedrich Schiller. Der ›helle Wille‹. – Die Kraft der Begeisterung. – Biographische Schlaglichter. In: Fiechter, Hans Paul / Ders., Schiller. Kafka. Kassel: Bildungswerk Beruf und Umwelt (edition waldorf), 2017, S. 113–158. (= Gestalten + Entdecken). – ISBN 978-3-939374-31-2. 42. Buth, Matthias: Schiller mit uns. In: Ders., Seid umschlungen. Feuilletons zur Kultur und Zeitgeschichte. Berlin Verlag Vorwerk 8, 2017, S. 57–62. – ISBN 978-3-940384-92-8. 43. Frevert, Ute: Europas Schiller. In: Schillers Europa. Herausgegeben von PeterAndré Alt und Marcel Lepper unter Mitarbeit von Catherine Marten. Berlin,





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Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, S. 6–19. (= Perspektiven der SchillerForschung. 1). – ISBN 978-3-11-044004-1. Der Beitrag gliedert sich in die Abschnitte: 1. Europas Hymne. – 2. Europas Theater: 19.  Jahrhundert. – 3. Europas Osten: 20.  Jahrhundert. – Europas Gegenwart und Zukunft: 21. Jahrhundert.

44. Hamm, Peter: Der Geschichtsschreiber der Gegengeschichte oder Die Zurücknahme des Urteils. Laudatio auf Peter Handke anlässlich der Verleihung des Schiller-Preises des Landes Baden-Württemberg 1995. In: Ders., Peter Handke und kein Ende. Stationen einer Annäherung. Göttingen: Wallstein Verlag, 2017, S. 79–105. (= Edition Petrarca). – ISBN 978-3-8353-3156-3. 45. Kaufmann, Ulrich: ›Da ist er moderner als mancher Autor heute‹. Fragen an die Autorin zu ihrem Schiller-Buch (2005). In: Ders., Die Schmerzgezeichneten müssen es sein  … Zum Werk von Sigrid Damm. Zwanzig Texte und Gespräche aus dreißig Jahren. Bucha bei Jena: Quartus-Verlag, 2017, S. 68–76. (= Palmbaum-Texte. 37). – ISBN 978-3-943768-48-0. Darin auch der kleine Essay: ›Es bleibt nichts als sein Werk. Das Leben des Friedrich Schiller. Eine Wanderung‹, 2004 (S. 65–68). 46. Menge, Wolfgang: Schiller. Die Preis-Rede. In: Der Televisionär. Wolfgang Menges transmediales Werk. Kritische und dokumentarische Perspektiven. Herausgegeben von Gundolf S. Freyermuth und Lisa Gotto. Bielefeld: Transcript Verlag, 2016, S. 608–617. (= Edition Medienwissenschaft. [27]). – ISBN 978-3-8376-3178-4. 47. Meyer, Philippe: Friedrich von Schiller (1759–1805). Platonicien en quête de liberté. In: Ders., Le génie allemand. Portraits. Paris: Éditions Perrin, 2017, S. 193–197. – ISBN 978-2-262-06823-3. 48. Oellers, Norbert: Gegen den Ernst des Lebens gibt es kein Rettungsmittel als die Kunst. In: Friedrich Schiller. Ein deutsch-italienisches Gespräch. Herausgegeben von Ivo De Gennaro. Freiburg i.B., Berlin, Wien: Rombach Verlag, 2017, S.  129–143. (= Rombach Wissenschaften: Reihe Paradeigmata. 42). – ISBN 978-3-7930-9905-5. Erstveröffentlichung in: Schiller lebt. Sechs Reden zum 200. Todestag. Herausgegeben von Sven Meyer und Christian Neuhaus. Paderborn 2008 [Marbacher Schiller-Bibliographie 2008, Nr. 94]. 49. Schmälzle, Christoph: Der ›männlichste‹ unter den deutschen Dichtern. Friedrich von Schiller zwischen Kultur und Kritik. In: Helden und Heldenmythen als soziale und kulturelle Konstruktion. Deutschland, Frankreich und Japan  / Héros et mythes heroïques: une construction sociale et culturelle.

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Allemagne, France, Japon. Herausgegeben von Steffen Höhne, Gérard Siary und Philippe Wellnitz. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, 2017, S. 357–392. (= Weimarer Studien zur Kulturpolitik und Kulturökonomie. 11). – ISBN 9783-96023-069-4. 50. Schmälzle, Christoph: Dichterkult und nationales Heil. Friedrich Schiller als Garant ›deutscher Größe‹. In: Kulturheros. Genealogien, Konstellationen, Praktiken. Herausgegeben von Zaal Andronikashvili, Giorgi Maisuradse, Matthias Schwartz und Franziska Thun-Hohenstein. Berlin: Kulturverlag Kadmos, 2017, S. 242–281. (= Literaturforschung. 28). – ISBN 978-3-86599-316-8. 51. Schulz, Georg Michael: Johann Christoph Friedrich Schiller. In: Handbuch Sturm und Drang. Herausgegeben von Matthias Luserke-Jaqui unter Mitarbeit von Vanessa Geuen und Lisa Wille. Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, S. 165–169. – ISBN 978-3-05-005572-5. 52. Walser, Martin: Mein Schiller. In: Ders., Gesamtausgabe letzter Hand in 25 Bänden. Band 19: Abhandlungen – Essays – Reden (1981–1995). Herausgegeben von Andreas Meier. [Ramsen/CH:] Heribert Tenschert Bibermühle, 2017, S. 189–200. – ISBN 978-3-906069-20-3. Erstveröffentlichung in: Stuttgarter Zeitung. Nr. 271 vom 22. 11. 1980, S. 49. – Wiederabdruck in: Ders., Versuch, ein Gefühl zu verstehen, und andere Versuche. Stuttgart: Verlag Philipp Reclam jun., 1982, S. 21–33. (= Reclams Universal-Bibliothek. 7824). – ISBN 3-15-007824-5. – Weitere Nachdrucke dieser Rede passim.

4. Biographische Aspekte 53. Evens, Oliver: Friedrich Schiller – Genie im Spannungsfeld von Schöpferkraft und Krankheit. In: Geschichte(n) der Medizin. Band 3. Herausgegeben von Oliver Evens und Andreas Otte. Stuttgart: Alfons W. Gentner Verlag, 2017, S. 77–87. – ISBN 978-3-87247-773-6. 54. Hach, Wolfgang  / Hach-Wunderle, Viola: Schillers Krankheiten und seine Bestattungen. In: Dies., Von Monstern, Pest und Syphilis. Medizingeschichte in fünf Jahrhunderten. Stuttgart: Schattauer Verlag, 2017, S. 91–118. – ISBN 978-3-7945-3210-0. Das Kapitel gliedert sich in die Abschnitte: Das Sektionsprotokoll. – Die Todeskrankheit. – Die ›erste Schlüsselkrankheit‹. – Die ›zweite Schlüsselkrankheit‹ im Mai 1791. – Die Zwischenzeit des Leidens 1791 bis 1805. – Die Beerdigung. – Schillers Bestattungen.



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55. Hill, Christian  / Kösling, Barbara: Friedrich von Schiller (1759–1805). Zwei Schwestern zwischen Kabale und Liebe. In: Dies., Entblättert. Große Namen und ihre Liebesabenteuer. Illustriert von Luise Bussert. Quedlinburg: Verlag Bussert & Stadeler, 2017, S. 36–42. – ISBN 978-3-942115-90-2. 56. Röttger, Kati: Tatort Mannheim. Was hatte Schiller mit dem Mord an Kotzebue zu tun? In: Mannheimer Anfänge. Beiträge zu den Gründungsjahren des Nationaltheaters Mannheim, 1777–1820. Herausgegeben von Thomas Wortmann unter Mitarbeit von Annika Frank und Katja Holweck. Göttingen: Wallstein Verlag, 2017, S. 197–212. – ISBN 978-3-8353-3017-7. 57. Schlotter, Sven: Schillers Ofen. In: Aus dem Nähkästchen des Historikers. Miniaturen für Matthias Steinbach. Herausgegeben von Benedikt Einert und Michael Ploenus. Braunschweig: Einert & Ploenus, 2016, S. 24–35. – 978-3-00054649-5. 58. Slunitschek, Matthias: ›… wo sein Charakter zu Grunde geht‹: Schillers Heimatjahre und die württembergischen Verhältnisse. In: Ders., Hermann Kurz und die ›Poesie der Wirklichkeit‹. Studien zum Frühwerk, Texte aus dem Nachlass. Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, S. 10–22. (= Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte. 150). – ISBN 978-3-11-054323-0.

5. Kontexte: Kontakte – Einflüsse – Vergleiche 5.1. Beziehungen zu Orten, Landschaften und Ländern 59. Coignard, Tristan: Le citoyen du monde Friedrich Schiller et la France. In: Ders., Une histoire d’avenir. L’Allemagne et la France face au défi cosmopolitique (1789–1925). Heidelberg: Universitätsverlag Winter, 2017, S.  92–102. (= Beihefte zum Euphorion. 96). – ISBN 978-3-8253-6667-4. 60. Fiala-Fürst, Ingeborg: Mojžíš. Schiller, Goethe, Freud a Reckendorf. In: Dies., O německy psané literatuře pražské, moravské a židovské. Olomouc: Univerzita Palackého v Olomouci, Filozofická Fakulta, 2017, S. 239–260. (= Beiträge zur deutschmährischen Literatur. 32). – ISBN 978-80-244-5081-0. 61. Potkownik, Michael: Schiller in Kahnsdorf. Berlin: epubli, 2017, 60 S. – ISBN 978-3-7450-6117-8. 62. Rossi, Francesco: Italiener, ein ›Künstlervolk‹. Zur Charakterisierung Italiens bei Friedrich Schiller. In: Schillers Europa. Herausgegeben von Peter-André Alt und Marcel Lepper unter Mitarbeit von Catherine Marten. Berlin, Boston:

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Verlag Walter de Gruyter, 2017, S. 260–274. (= Perspektiven der Schiller-Forschung. 1). – ISBN 978-3-11-044004-1. Der Beitrag gliedert sich in die Abschnitte: 1. Romantische Antike und Italienbild. – 2. Kunst und Katholizismus: Zum Charakterbild des Italieners. – 3. Fazit: Faszination auf Distanz.

5.2. Schillers Zeitgenossen und Vergleiche mit anderen Personen im historisch-politischen, bildungs- und ideengeschichtlichen Kontext 63. Bernstorff, Wiebke von: ›Freiheit!‹ Eine Betrachtung von Schiller zu Dickinson. In: Große Gefühle – in der Literatur. Herausgegeben von Toni Tholen, Burkhard Moenninghoff und Wiebke von Bernstorff. Hildesheim, Zürich, New York: Georg Olms Verlag, 2017, S. 185–204. (= Hildesheimer Universitätsschriften. 32). – ISBN 978-3-487-15526-5. 64. Böhm, Elisabeth: Epoche machen. Goethe und die Genese der Weimarer Klassik zwischen 1786 und 1796. Studie zu den »Römischen Elegien« in der Zeitschrift »Die Horen« und den »Venetianischen Epigrammen« in Friedrich Schillers »Musenalmanach«. Bremen: Edition Lumière, 2017, 268 S. (= Presse und Geschichte: Neue Beiträge. 105). – ISBN 978-3-943245-61-5. 65. Brüning, Gerrit: Ungleiche Gleichgesinnte. Die Beziehung zwischen Goethe und Schiller 1794–1798. Göttingen: Wallstein Verlag, 2015 [Marbacher Schiller-Bibliographie 2015, Nr. 061]. Rezension von Jeffrey L. Sammons. In: Goethe Yearbook. Publications of the Goethe Society of North America. Edited by Adrian Daub and Elisabeth Krimmer. Volume 24 (2017). Rochester, NY: Camden House, 2017, S.  285  ff. – ISBN 978-1-57113-977-1. 66. Cetti Marinoni, Bianca: Schiller nell’officina faustiana. In: Friedrich Schiller. Ein deutsch-italienisches Gespräch. Herausgegeben von Ivo De Gennaro. Freiburg i.B., Berlin, Wien: Rombach Verlag, 2017, S. 109–128. (= Rombach Wissenschaften: Reihe Paradeigmata. 42). – ISBN 978-3-7930-9905-5. 67. Hajduk, Stefan: Jean Pauls »Hesperus« und Schillers ›freie Stimmung‹. In: Ders., Poetologie der Stimmung. Ein ästhetisches Phänomen der frühen Goethezeit. Bielefeld: Transcript Verlag, 2016, S. 413–417. (= Lettre). – ISBN 978-38376-3433-4. 68. Heiser, Jan Christoph: Spieltrieb – Weltliteratur – Freundschaft. Dimensionen der erweiterten Denkungsart bei Schiller & Goethe. In: Die erweiterte



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Denkungsart. Pädagogische, gesellschaftspolitische und interkulturelle Konsequenzen der Gemeinsinnsmaxime. Herausgegeben von Jan Christoph Heiser und Tanja Prieler. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2017, S. 53–68. – ISBN 978-3-8260-6211-7. 69. Hölzel, Malte: Die Selbstorganisation des Universums. Eine Interpretation auf Grundlage der Spiel-Philosophie Schillers und der Naturphilosophie Schellings. In: Ders., Das Selbstverhältnis der Medialität. Implikationen des Spielbegriffs. Baden-Baden: Tectum Verlag, 2017, S. 120–143. – ISBN 978-38288-3897-0. 70. Hösle, Vittorio: Geisteswissenschaft als religiöse Aufgabe. Lessing, Hamann, Herder, Schiller, die Frühromantik und Wilhelm von Humboldt. In: Ders., Eine kurze Geschichte der deutschen Philosophie. Rückblick auf den deutschen Geist. München: Beck Verlag, 2013, S. 101–116. – ISBN 978-3-406-64864-9. 71. Huch, Ricarda: Schiller und Goethe. In: Dies., Die Romantik. Blütezeit, Ausbreitung und Verfall. Berlin: Die Andere Bibliothek, 2017, S. 192–212. (= Die Andere Bibliothek. 397). – ISBN 978-3-8477-0397-6. Erstveröffentlichung des Beitrags in: Die Romantik. Band 1. Leipzig: Haessel Verlag, 1899, S. 198–219. 72. Košenina, Alexander: Ifflands und Schillers dramatischer Start von Mannheims Bühnenrampe. In: Mannheimer Anfänge. Beiträge zu den Gründungsjahren des Nationaltheaters Mannheim, 1777–1820. Herausgegeben von Thomas Wortmann unter Mitarbeit von Annika Frank und Katja Holweck. Göttingen: Wallstein Verlag, 2017, S. 131–150. – ISBN 978-3-8353-3017-7. 73. Moesker, Eric: Friedrich Schiller, Johannes Allart und Herman Bosscha. Der Historiker, der Verleger und der Übersetzer. [Amsterdam:] Goethe Institut Niederlande, 2017, 15 S. – ISBN 978-90-9030161-7. 74. Miller, Jason: Beyond the Middle Finger. Plato, Schiller and the Political Aesthetics of Ai Weiwei. In: Critcal Horizons. A Journal of Philosophy and Social Theory  (Maney Publishing), 17. Jg., 2016, Heft 3/4, S. 303–323. – ISSN 14409917. 75. Neymeyr, Barbara: Selbstdisziplin und Affektkontrolle. Ästhetische Transformationen des stoischen Ethos bei Winckelmann, Schiller und Goethe. In: Die Erfindung des Klassischen. Winckelmann-Lektüren in Weimar. Herausgegeben von Franziska Bomski, Hellmuth Th. Seemann und Thorsten Valk. Göttingen: Wallstein Verlag, 2017, S. 213–249. (= Jahrbuch / Klassik Stiftung Weimar. 2017). – ISBN 978-3-8353-3025-2.

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76. Paulin, Roger: »Die Horen«. – Goethe und Schiller gehen zum Angriff über: die »Xenien«. In: Ders., August Wilhelm Schlegel: Biografie. Autorisierte Übersetzung aus dem Englischen von Philipp Multhaupt. Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh, 2017, S. 61–67. – ISBN 978-3-506-78437-7. Englische Originalausgabe u.d.T.: The Life of August Wilhelm Schlegel. Cosmopolitan of Art and Poetry. Cambridge, UK: Open Book Publishers, 2016, S. 74–83. – ISBN 978-1-909254-96-1. 77. Pinna, Giovanna: Humboldt e Schiller. In: Wilhelm von Humboldt, duecentocinquant’anni dopo. Incontri e confronti. A cura di Antonio Carrano, Edoardo Massimilla e Fulvio Tessitore. Napoli: Liguori Editore, 2017, S. 137– 151. (= Archivio di Storia della Cultura: Quaderni. Nuova serie. 7). – ISBN 97888-207-6703-7. 78. Ramos Domingo, José: El concepto de ›ideal‹ en los epígonos dieciochescos: Winckelmann, [Anton] Raphael y Schiller. In: Ders., ›La pintura del alma‹. Romanticismo y religión del siglo XIX en Alemania. Salamanca: Publicaciones Universidad Pontificia, 2015, S. 13–18. – ISBN 978-84-16066-51-3. 79. Renner, Adrian: Mut und Mündigkeit. Zum Bezug auf Schiller und Kant in Hölderlins Oden »Dichtermuth« und »Blödigkeit«. In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft. Internationales Organ für neuere deutsche Literatur. Band 61 (2017). Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, S. 241–266. – ISBN 978-3-11-052854-1. Der Beitrag gliedert sich in die Abschnitte: Der Mut des Dichters und Schillers ›Muthlose Philosophie‹. – Mut und Mündigkeit nach Kant. – Unmündigkeit des Dichters, Mündigkeit des Gedichts. – Anhang: Vollständiger Abdruck von Hölderlins Oden. 80. Robert, Jörg: Paris-Bilder – Schiller im Dialog mit Mercier. In: Schillers Europa. Herausgegeben von Peter-André Alt und Marcel Lepper unter Mitarbeit von Catherine Marten. Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, S. 217–240. (= Perspektiven der Schiller-Forschung. 1). – ISBN 978-3-11-044004-1. Der Beitrag gliedert sich in die Abschnitte: 1. Eine urbane Enzyklopädie – Merciers »Tableau de Paris«. – 2. Polizeiverfassung – Regulieren und Zirkulieren. – 3. Der König ist tot – es lebe die Polizei. – 4. Kompensation I – Das Versprechen der Kontrolle. – 5. Kompensation II – Ästhetische Komplexitätsreduktion. 81. Schrey, Dominik: Heimweh nach der Vergangenheit: Rousseau, Kant und Schiller. In: Ders., Analoge Nostalgie in der digitalen Medienkultur. Berlin: Kulturverlag Kadmos, 2017, S. 43–50. – ISBN 978-3-86599-345-8.



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82. Seidel, Thomas A.: Schillers Schädel. Goethes Todesangst und einige kunst­ religiöse Folgewirkungen. In: Tod, wo ist dein Stachel? Todesfurcht und Lebenslust im Christentum. Erfurter Gespräch zur geistigen Situation der Zeit (10; 2010). Herausgegeben von Thomas A. Seidel und Ulrich Schacht. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2017, S.  111–130. (=  Georgiana: Neue theologische Perspektiven. 2). – ISBN 978-3-374-05003-1 83. Stade, Heinz: ›Es schwinden jedes Kummers Falten, solang des Liedes Zauber walten‹. Der ›unmusikalische Dilettant‹ Schiller und der Volksliedsammler Johann Gottfried Herder. In: Ders., Bach, Liszt und Wagner. Spaziergänge durch das musikalische Weimar von gestern und heute. Leipzig: Edition Leipzig, 2017, S. 40–49. – ISBN 978-3-361-00725-3. 84. Steiner, Rudolf: Waarnemen en denken. Schets van een kennistheorie naar aanleiding van Goethes wereldbeschouwing, met bijzondere aandacht voor Schiller. Vertaald [uit het Duits] door Ton Besterveld en Auke van der Meij. Amsterdam: Uitgeverij Pentagon, 2017, 168 S. – ISBN 978-94-9246200-8. In den Niederlanden zuerst erschienen bei Uitgeverij Vrij Geestesleven, Zeist 1984, 133 S. – ISBN 90-6038-164-5. – Deutschsprachiger Originaltitel: Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung mit besonderer Rücksicht auf Schiller (1886, ²1924). 85. Sturm, Johannes: Zumsteegs Egonetzwerk. Friedrich Schiller. In: Ders., Der Violoncellist Johann Rudolph Zumsteeg und sein Werk. Sichtweisen der württembergischen Hofmusik im ausgehenden 18. Jahrhundert. Heidelberg: Universitätsbibliothek Heidelberg, 2017, S. 97–103. – ISBN 978-3-946531-74-6. 86. Trop, Gabriel: Affirmative Disequilibrium. Hogarth, Schiller, Schelling, and Goethe. In: Germanic Review. Philadelphia, PA. 92. Jg., 2017, Heft 2, S. 169– 188. – ISSN 0016-8890. 87. Witt, Sophie: Drama der Endlichkeit. Genealogie und Generativität um 1800 (Goethe, Schiller, Kleist). In: Dramatische Eigenzeiten des Politischen im 18. und 19. Jahrhundert. Herausgegeben von Michael Gamper und Peter Schnyder. Hannover: Wehrhahn Verlag, 2017, S. 93–114. (= Ästhetische Eigenzeiten. 8). – ISBN 978-3-86525-598-3.

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5.3. Die Familie Schiller: Genealogie, Generationen und Verwandtschaften 88. Fischer, Sabine: Töchterliche Bildstrategie und Kanonisierung. Die Porträts der Freundin, Braut und Dichtergattin Charlotte Schiller. In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft. Internationales Organ für neuere deutsche Literatur. Band  61 (2017). Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, S. 23–54. – ISBN 978-3-11-052854-1. Der Beitrag gliedert sich in die Abschnitte: Das öffentliche Bild. – Die tradierten Charlotten-Porträts: Zu- und Abschreibungen. – Töchterliche Bildstrategie: Arbeit am Nachruhm in Wort und Bild. – Kanonisierung: Vier CharlottenPorträts zwischen Intention und Rezeption. – Die zwei Gesichter von Schillers Freundin, Braut und Gattin. 89. Pailer, Gaby: Novellendiskurse zwischen Weimarer Dichtergattin und Renaissance-Königin. Charlotte Schillers »Die Königin von Navarra«. In: Akten des XIII.  Internationalen Germanistenkongresses, Shanghai 2015. Germanistik zwischen Tradition und Innovation. Band  8. Herausgegeben von Susanne Reichlin, Beate Kellner, Hans-Gert Roloff, Ulrike Gleixner u.  a. Frankfurt a.M., Bern: Peter Lang Edition, 2017, S. 195–198. (= Publikationen der Internationalen Vereinigung für Germanistik. 27). – ISBN 978-3-631-66870-2. 90. Schiller, Charlotte: Literarische Schriften. Herausgegeben und kommentiert von Gaby Pailer, Andrea Dahlmann-Resing und Melanie Kage. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2016 [Marbacher Schiller-Bibliographie 2016, Nr. 111]. Rezensionen von Gesa Dane. In: Editionen in der Kritik. Editionswissenschaftliches Rezensionsorgan. Herausgegeben von von Alfred Noe. Band  9. Berlin: Weidler Buchverlag, 2017, S.  292  f. (= Berliner Beiträge zur Editionswissenschaft. 17). – ISBN 978-3-89693-678-3. – Barbara Rowińska-Januszewska. In: Studia Niemcoznawcze. Studien zur Deutschkunde. Herausgegeben von Lech Kolago. Band  59 (2017). Warszawa: Germanistisches Institut der Universität Warschau, 2017, S. 785–788. – ISSN 0208-4597. 91. Schlotter, Sven: Schillers Gesinde. Rudolstadt: Thüringer Landesmuseum Heidecksburg, 2017, 44 S. mit 9 Illustrationen. (= Rudolstädter Schillerschriften. 8). – ISBN 978-3-910013-93-3.



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6. Intellektuelle Vernetzungen 6.1. Geschichte – Kulturkritik – Politik – Weltanschauung 92. Annen, Daniel: Die Schweiz – ein liberaler Staat. Aber wie? Demokratische Strukturen bei Kant, Schiller, [Leonhard] Ragaz und [Meinrad] Inglin. In: Liberalismus und moderne Schweiz. Herausgegeben von René Roca. Basel: Schwabe Verlag, 2017, S. 143–166. (= Beiträge zur Erforschung der Demokratie. 2). – ISBN 978-3-7965-3639-7. 93. Büssgen, Antje: Umwege zu einem geeinten Europa. Zum Verhältnis von Kultur und Politik bei Friedrich Schiller, Stefan Zweig und Julien Benda. In: Stefan Zweig. Positionen der Moderne. Herausgegeben von Martina Wörgötter. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2017, S. 91–130. (= Schriftenreihe des Stefan Zweig Centre Salzburg. 6). – ISBN 978-3-8260-6054-0. 94. Carrano, Antonio: À propos de l’origine de l’histoire. Entre Kant et Schiller. In: L’Année 1784, Kant. Droit et philosophie de l’histoire. Sous la direction de Sophie Grapotte, Mai Laquan et Margit Ruffing. (12. Internationaler Kongress der Societé d’Études Kantiennes de Langue Française, Mainz 2015). Paris: Librairie Philosophique J. Vrin, 2017, S.  257–265. – ISBN 978-2-71162783-7. 95. Davies, Steffan: Friedrich Schiller als Historiker. Zwischen Realität und Idealen, zwischen ›hoher‹ und ›trivialer‹ Erzählproduktion. In: Dynamik und Dialektik von Hoch- und Trivialliteratur im deutschsprachigen Raum im 18. und 19. Jahrhundert. Band 2: Die Erzählposition. Herausgegeben von Anne Feler, Raymond Heitz und Gérard Laudin. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2017, S. 225–242. – ISBN 978-3-8260-5905-6. 96. Riedel, Wolfgang: ›Weltgeschichte ein erhabenes Object‹. Schillers Abschied von der Geschichtsphilosophie. In: Um Schiller. Studien zur Literatur- und Ideengeschichte der Sattelzeit. Herausgegeben von Markus Hien, Michael Storch und Franziska Stürmer. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2017, S. 279–300. – ISBN 978-3-8260-6310-7. Der Beitrag gliedert sich in die Abschnitte: Genese der Universalgeschichte oder: Von der Theosophie zur Geschichtsphilosophie. – 2. Krise der Universalgeschichte oder: Von der philosophischen zur empirischen Geschichtsbetrachtung. – 3. Kritik der Universalgeschichte oder: Die Weltgeschichte als erhabenes Objekt. – 4. Epilog: Die Modernität von Schillers Geschichtsdenken. Erstveröffentlichung in: Am Beginn der Moderne. Schiller um 1800. Marbach am Neckar 2001 [Schiller-Bibliographie 2001, Nr.  115]. – Weiterer Abdruck

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in: Prägnanter Moment. Studien zur deutschen Literatur der Aufklärung und Klassik. Würzburg 2002 [Schiller-Bibliographie 2002, Nr. 101]. 97. Schings, Hans-Jürgen: Universalgeschichte in ›tempore belli‹. Schillers Weg von der europäischen Idee zur deutschen Kulturnation. In: Ders., Klassik in Zeiten der Revolution. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2017, S. 73–154. – ISBN 978-3-8260-6048-9. Der Beitrag gliedert sich in die Abschnitte: 1789. Europäische Staatensympathie. – 1793. Missionare in Waffen. – 1797. Revolutionärer Bellizismus. – 1801. Der Eroberer. – 1801. Ein Deutschland-Gedicht. 98. Vecchiato, Daniele: Verhandlungen mit Schiller. Historische Reflexion und literarische Verarbeitung des Dreißigjährigen Kriegs im ausgehenden 18. Jahrhundert. Hannover: Wehrhahn Verlag, 2015 [Marbacher Schiller-Bibliographie 2015, Nr. 101]. Rezensionen von Luca Zenobi. In: Studi Germanici (Roma: Istituto Italiano di Studi Germanici), 2015, Heft 8, S. 297–300. – ISSN 0039-2952. – Norbert Oellers. In: Arbitrium. Zeitschrift für Rezensionen zur germanistischen Literaturwissenschaft. Berlin. 35. Jg., 2017, Heft 3, S. 357–360. – ISSN 0723-2977. – Peter Höyng. In: Monatshefte für deutschsprachige Literatur und Kultur. Madison. 109.  Jg., 2017, Heft  2, S.  311  f.– Thomas Prüfer. In: Deutsche Zeitschrift für Philologie. Berlin. 136. Jg., 2017, Heft 2, S. 305–309. – ISSN 00442496. – Tilman Venzl. In: Zeitschrift für Germanistik. Neue Folge. Bern. 27. Jg., 2017, Heft 3, S. 608–611. – ISSN 0323-7982. 99. Immer, Nikolas: Von der ›Wohlthat […], in Europa gebohren zu seyn.‹ Schillers elitärer Eurozentrismus. In: Schillers Europa. Herausgegeben von PeterAndré Alt und Marcel Lepper unter Mitarbeit von Catherine Marten. Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, S. 275–292. (= Perspektiven der Schiller-Forschung. 1). – ISBN 978-3-11-044004-1. Der Beitrag gliedert sich in die Abschnitte: 1. Auf den Spuren von Carsten Niebuhr und Constantin François de Volney. – 2. Schillers universalhistorischer Blick auf die nicht-europäischen Völker. – 3. Über die ästhetische Erziehung des ›Wilden‹.

6.2. Philosophie, Ästhetik, Anthropologie, Bildung und Erziehung 100. Bartl-Schmechel, Carmen: Der Übergang von der Physiologie zur Ästhetik bei Schiller. In: Übergänge. Perspektivierungen aus Literaturwissenschaft, Kulturwissenschaft und Philospohie. Herausgegeben von Sage Anderson,



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Sebastian Edinger, Jakob Christoph Heller und Emanuel John. Würzburg: Verlag Königshausen und Neumann, 2017, S. 271–296. (= Konnex: Studien im Schnittbereich von Literatur, Kultur und Natur. 17). – ISBN 978-3-82605865-3.  101. Chèvremont, Alexandre: Schiller et l’idéal. In: Ders., L’Esthétique de la musique classique. De Winckelmann à Hegel. Rennes: Presses Universitaires de Rennes, 2015, S. 64–74. (= Aesthetica). – ISBN 978-2-7535-4056-9. Das Kapiel gliedert sich in die Abschnitte: La ›subjectivation de l’esthétique‹. – La critique de la culture. – L’insuffisance des arts particuliers. 102. Dahlstrom, Daniel O.: The Aesthetic Holism of Hamann, Herder, and Schiller. In: The Cambridge Companion to German Idealism. Edited by Karl Ameriks. Cambridge, New York: Cambridge University Press, Second Edition, 2017, S. 106–127. (= Cambridge Companions to Philosophy, Religion and Culture). – ISBN 978-1-316-60236-2. 103. Dücker, Burckhard: Vom ›Entschleiern und Entsiegeln‹ zum ›Entformeln‹. Perspektiven auf die Moderne bei Friedrich von Schiller und Kurt Schwitters. In: Alphazet der Kulturen. Herausgegeben von Peter Brandt, Steffen Dietzsch und Uwe C. Steiner. Heidelberg: Manutius Verlag, 2017, S. 155–176. – 978-3-944512-16-7. 104. Emmerling, Leonhard: Das Erhabene – Kant und Schiller. In: Ders., Kunst der Entzweiung. Zur Machtlosigkeit von Kunst. Wien, Berlin: Verlag Turia + Kant, 2017, S. 40–57. – ISBN 978-3-85132-860-8. 105. Evers, Meindert: Friedrich Schiller. Schönheit und Freiheit. In: Ders., Die Ästhetische Revolution in Deutschland, 1750–1950. Von Winckelmann bis Nietzsche – von Nietzsche bis Beckmann. Frankfurt a.M.: Peter Lang Academic Research, 2017, S. 94–101. – ISBN 978-3-631-67257-0. Niederländische Ortiginalausgabe: De esthetische revolutie in Duitsland. 1750–1950. Revolutionaire schoonheid voor en na Nietzsche. Budel: Uitgeverij Damon, 2004. – ISBN 90-5573-570-1. – Darin das Kapitel: ›Friedrich Schiller: schoonheid en vrijheid‹ (S. 70–74). – [Schiller-Bibliographie 2005, Nr. 349]. 106. Friedauer, Denise: Ästhetische Mündigkeit. Schillers Bildungstheorie im Lichte der Formulierung einer kritischen Pädagogischen Ästhetik. In: Pädagogik als praktische Gesellschaftskritik. Herausgegeben von Manuel Rühle, Simon Kunert, Alf Hellinger und Matthias Rießland. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, 2017, S. 89–98. – ISBN 978-3-8340-1758-1.

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107. Fues, Wolfram Malte: Schillers Ästhetik und der Bürgerliche Roman. In: Ders., Die annullierte Literatur. Nachrichten aus der Romanlücke der deutschen Aufklärung. Köln, Weimar, Wien: Böhlau Verlag, 2017, S. 343–391. – ISBN 978-3-412-50738-1. 108. Genzolini, Marco: Schiller. In: Ders., Resisti cuore. Il tragico nella filosofia dell’Ottocento. Perugia: Morlacchi Editore, 2017, S. 21–44. (= Saggistica). – ISBN 978-88-6074-867-6. Das Kapitel gliedert sich in die Abschnitte: Il progetto di ›Klassik‹. – La svolta kantiana. – Una tragedia apollinea. – Documenti. 109. Hölzel, Malte: Schillers anthropologisch-transzendentalphilosophischer Neu-Ansatz. In: Ders., Das Selbstverhältnis der Medialität. Implikationen des Spielbegriffs. Baden-Baden: Tectum Verlag, 2017, S. 68–119. – ISBN 9783-8288-3897-0. Das Kapitel gliedert sich in die Abschnitte: III.1. Zur Überwindung des kantischen Dualismus mit Hilfe des Begriffs der Selbstorganisation. – III.2. Schillers Spiel-Philosophie der »Ästhetischen Briefe«. – III.3. Das Schöne in seiner Wirkung als Initiation ins Spiel. – III.4. Das Erhabene der Natur in seiner Wirkung als Initiation ins Spiel. – III.5. Schillers »Naive und sentimentalische Dichtung« als Ansatz zur einer Natur- und Kulturgeschichte. – III.6. Die Selbsttransparenz des Spiels als Voraussetzung der Selbstbewusstheit des Spielenden. 110. Ignasiak, Detlef / Lindner Frank: Schillers Kant-Studien. In: Dies., Das philosophische Thüringen. Persönlichkeiten, Wirkungsstätten, Traditionen. Bucha bei Jena: Quartus-Verlag, 2. Auflage 2017, S. 136–141. – ISBN 978-3943768-92-3. Die 1. Auflage ist 1998 erschienen. – ISBN 3-931505-22-7. 111. Jäger, Ralf Matti: Schillers Konzeption des Spieltriebs. In: Ders., Das Spielen zwischen Intentionalität und Pathetischem im Erleben & Kunstschaffen. Ein Beitrag zur phänomenologischen Anthropologie. Göhrde: Verwandeln Verlag Wendland, 2017, S. 75–82. – ISBN 978-3-9819259-0-6. 112. Krause, Marcus: Rahmungen der Anthropologie. Schiller und der Fall Wolf. In: Ders., Infame Menschen. Zur Epistemologie literarischer Fallgeschichten. 1774–1816. Berlin: Kulturverlag Kadmos, 2017, S.  135–190. (= Kaleidogramme. 148). – ISBN 978-3-86599-346-5. Das Kapitel gliedert sich in die Abschnitte: 3.1. Psychologie des Verbrechens und Ästhetik der Psychologie. – 3.2. Schillers Poetologie des Falls. – 3.3. Der Fall des Subjekts: [Jacob Friedrich] Abel vs. Schiller. – Von der kasuistischen



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Provenienz zum autonomen Fall. – Die narrative Disziplinierung des verbrecherischen Subjekts. 113. Macor, Laura Anna: The Bankrupcy of Love. Schiller’s Early Ethics. In: Publications of the English Goethe Society. London. 86. Jg., 2017, Heft 1, S. 29–41. – ISSN 0959-3683 (Print) / ISSN 1749-6284 (Elektronische Ressource). 114. Matuschek, Stefan: Muße und Spiel. Schillers Wende von der freien zur befreienden Kunst. In: Muße und Gesellschaft. Herausgegeben von Gregor Dobler und Peter Philipp Riedl. Tübingen: Verlag Mohr Siebeck, 2017, S. 229–242. (= Otium: Studien zur Theorie und Kulturgeschichte der Muße. 5). – ISBN 978-3-16-155156-7. 115. Middel, Carina: Schillers ästhetische Anthropologie der Freiheit. In: Dies., Schiller und die philosophische Anthropologie des 20.  Jahrhunderts. Ein ideengeschichtlicher Brückenschlag. Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, S.  125–312. (=  Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte. 88 / 322). – ISBN 978-3-11-052146-7. Das Kapitel gliedert sich in folgende Unterkapitel und Abschnitte: Exkurs. Anthropologischer Freiheitsdiskurs der Spätaufklärung: E.1. Naturzustandsmythen und Menschheitsgeschichten. – E.2. Rousseau: die Begründung des anthropologischen Freiheitsbegriffs. – E.3. Herder: der Mensch als ›erster Freigelassener der Schöpfung‹. – E.4. Kant: Instinktfreiheit, Schönheit und moralische Bestimmung. – E.5. Denkfiguren in der Anthropologie der Spätaufklärung (S. 130–185). – 1. Doppelte Frontstellung und integrative Methode: Anthropologie zwischen Naturalismus und Idealismus. 1.1. Schillers Ausbildung an der Hohen Karlsschule. – 1.2. Die ›Mittellinie der Wahrheit‹. – 1.3. Die Kooperation von Philosophie und empirischen Wissenschaften. – 1.4. Universalgeschichte zwischen den Fronten. – 1.5. Engagierte Anthropologie vom ›ganzen Menschen‹ (S. 185–205). – 2. Der Mensch als Lebewesen: Einheit des Lebens statt Zweiheit der Substanzen. 2.1. Die Mittelkraft als Lebenskraft. – 2.2. Psychophysische Sympathie und organische Kräfte. – 2.3. Lebensbegriff zwischen Materialismus und Vitalismus. – 2.4. Die Dichotomie von Geist und Leben (S. 205–220). – 3. Anthropologie von unten: die Stufen des Lebens und der Mensch. 3.1. Das anthropologische Schichtenmodell. – 3.2. Vom Schichten- und Geschichtsmodell. – 3.3. Kants Dualismus und die Lehre von den Menschentypen (S. 220–235). – 4. Die Sonderstellung des Menschen: Freiheit als natürliche Nichtfestgestelltheit. 4.1. Verlorenes Paradies und sentimentalische Haltung. – 4.2. Zwischen Emanzipation und Handlungszwang. – 4.3. Menschlicher Wille und Selbsttätigkeit (S. 235–251). – 5. Von der Aisthetik zur Ästhetik: triebgebundene Umwelt und schöne Welt. 5.1. Ein ›Akt der Ideierung‹. – 5.2. Menschwerdung durch Schön-

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heit. – 5.3. Ästhetik der Weltoffenheit. – 5.4. Kunstautonomie und ästhetische Wirkung. – 5.5. Tierischer Luxus und wilde Schönheit (S. 251–278). – 6. Spiel der Kunst und Spiel des Lebens: der Mensch als Schöpfer seiner selbst. 6.1. Im Spannungsfeld von Individualität und Persönlichkeit. – 6.2. Das Spiel der Kunst. – 6.3. Das Spiel des Lebens. – 6.4. Philosophie der Lebenskunst. – 6.5. Das Spiel der Geschichte (S. 279–312). 116. Molder, Maria Filomena: A disciplina do esgrimista. A antecipação da ›beleza moderna‹ em Schiller. In: Dies., As nuvens e o vaso sagrado. Kant e Goethe, leituras. Lisboa: Relógo d’Água Editores, 2014, S. 197–216. (= Antropos). – ISBN 978-989-641-351-4. Erstveröffentlichung in: Schiller, cidadão do mundo. Colóquio internacional 2005. Lisboa: Centro de Estudos Alemães e Europeus, 2007 [Marbacher Schiller-Bibliographie 2007, Nr. 196]. 117. Noyama, Samon: Nostalgia e amor na estética alemã. Arte e Filosofia em Friedrich Schiller. Saarbrücken: Novas Edições Acadêmicas, 2017, 141 S. – ISBN 978-3-330-75134-7. Inhalt: Prefácio (S. 5–10). – Introdução (S. 11–15). – 1. ›Há uma melancolia que acompanha todo entusiasmo‹. 1.1. Sobre a nostalgia (S. 16–22). – 1.2. A influência da ›Grécia de Winckelmann‹ (S. 22  ff.). – 1.3. A teoria de Winckelmann sobre a arte grega (S. 24–31). – 1.4. Os limites da modernidade entre dois poemas de Schiller (S. 31–44). – 1.5. O caso Hölderlin (S. 44–48). – 2. XVIII: O século que não terminou. 2.1. A modernidade e o surgimento da cultura alemã (S.  49–54). – 2.2. Schiller e a influência de Lessing (S.  54–68). – 2.3. Sobre o »Laocoonte« (S. 68–72). – 3. ›Não nos falta tanta luz quanto calor, tanta cultura filosófica quanto estética‹ (S.  73–77). – 3.1. Schiller e a Revolução Francesa (S. 77–84). – 3.2. A beleza e a liberdade (S. 84–100). – 3.3. As cartas sobre a educação estética do homem (S. 100–113). – 3.4. »Poesia ingênua e sentimental« (S. 113–121). – 3.5. Trés metamorfoses: do amor ao amor ›fati‹ (S. 122–124). – Considerações finais (S. 125–135). – Referências (S. 136–141). 118. O’Brien, John E.: Schiller’s Tragic Romanticism. In: Ders., Critique of Rationality. Judgement and Creativity from Benjamin to Merleau-Ponty. Leiden, Boston: Brill Publishers, 2016, S. 50–55. (= Studies in Critical Social Sciences. 99). – ISBN 978-90-04-27273-6. 119. Oschmann, Dirk: Zwischen Theorie und Performanz. Schillers Begriff der ›Form‹. In: Deutsche Zeitschrift für Philologie. Berlin. 136. Jg., 2017, Heft 2, S. 187–204. – ISSN 0044-2496. Der Beitrag gliedert sich in die Abschnitte: I. Begriffsspiele. – II. Von der Gattung zur Form. – III. Form des Kunstwerks – Formierung des Menschen.



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120. Ponzi, Mario: Fantasmi nordici. L’idealismo di Schiller e gli ›oggetti simbolici‹ del moderno. In: Friedrich Schiller. Ein deutsch-italienisches Gespräch. Herausgegeben von Ivo De Gennaro. Freiburg i.B., Berlin, Wien: Rombach Verlag, 2017, S. 163–186. (= Rombach Wissenschaften: Reihe Paradeigmata. 42). – ISBN 978-3-7930-9905-5. 121. Prauss, Gerold: Die Auseinandersetzung zwischen Kant und Schiller. In: Ders., Kant über Freiheit als Autonomie. Frankfurt a.M.: Verlag Vittorio Klostermann, ²2017, S. 240–276. (= Klostermann Rote Reihe. 91). – ISBN 9783-465-04296-9. Das Kapitel gliedert sich in: § 17. Das Problem einer ›Neigung zur Pflicht‹. – § 18. Die Möglichkeit verdienstlichen Handelns. – Erstveröffentlichung 1983. (= Philosophische Abhandlungen. 51). – ISBN 3-465-01587-1. 122. Riedel, Wolfgang: Aufklärung und Macht. [Jacob Friedrich] Abel, Schiller und die Illuminaten. In: Um Schiller. Studien zur Literatur- und Ideengeschichte der Sattelzeit. Herausgegeben von Markus Hien, Michael Storch und Franziska Stürmer. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2017, S. 103–120. – ISBN 978-3-8260-6310-7. Erstveröffentlichung in: Die Weimarer Klassik und ihre Geheimbünde. Würzburg 2003 [Schiller-Bibliographie 2003, Nr. 53]. 123. Riedel, Wolfgang: Die Freiheit und der Tod. Grenzphänomene idealistischer Theoriebildung beim späten Schiller. In: Um Schiller. Studien zur Literatur- und Ideengeschichte der Sattelzeit. Herausgegeben von Markus Hien, Michael Storch und Franziska Stürmer. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2017, S. 301–314. – ISBN 978-3-8260-6310-7. Erstveröffentlichung in: Friedrich Schiller. Der unterschätzte Theoretiker. Köln u.  a. 2007 [Marbacher Schiller-Bibliographie 2007, Nr.  212]. – Italienische Übersetzung von Maria Carolina Foi in: Estetica. Rassegna semestrale. 2006, №  2 (Schiller e la tragedia) [Marbacher Schiller-Bibliographie 2007, Nr.  209]. – Spanische Übersetzung von Trinidad Piñeiro Costas in: El pensamiento filosófico de Friedrich Schiller. València 2009 [Marbacher SchillerBibliographie 2009, Nr. 315]. 124. Riedel, Wolfgang: Theorie der Übertragung. Vom Mythos zur Poesie oder warum das Naive nicht das Sentimentalische ist. In: Um Schiller. Studien zur Literatur- und Ideengeschichte der Sattelzeit. Herausgegeben von Markus Hien, Michael Storch und Franziska Stürmer. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2017, S.  206–224. – ISBN 978-3-82606310-7.

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Erstveröffentlichung mit verändertem Titel in: Kunst und Wissen. Beziehungen zwischen Ästhetik und Erkenntnistheorie im 18. und 19.  Jahrhundert. Würzburg 2009 [Marbacher Schiller-Bibliographie 2009, Nr. 316].

125. Rigobello, Armando: Schiller e Kant. Dal giudizio trascendentale determinante alla libertà nel fenomeno (Freiheit in der Erscheinung). In: Friedrich Schiller. Ein deutsch-italienisches Gespräch. Herausgegeben von Ivo De Gennaro. Freiburg i.B., Berlin, Wien: Rombach Verlag, 2017, S.  205–208. (= Rombach Wissenschaften: Reihe Paradeigmata. 42). – ISBN 978-3-79309905-5. 126. Ross, Nathan: Aesthetic Semblance and Play as Responses to the Disfigurement of Human Social Existence in Schiller’s Aesthetic Education. In: Ders., The Philosophy and Politics of Aesthetic Experience. German Romanticism and Critical Theory. Cham/CH: Palgrave Macmillan, 2017, S. 31–64. (= Political Philosophy and Public Purpose). – ISBN 978-3-319-52303-3. 127. Schings, Hans-Jürgen: Schiller und die Aufklärung. In: Ders., Gesammelte Aufsätze. Als Festgabe zum 80.  Geburtstag herausgegeben von Wolfgang Riedel. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2017, S.  317–333. – ISBN 978-3-8260-6230-8. Erstveröffentlichung in: Friedrich Schiller. Die Realität des Idealisten. 2006 [Marbacher Schiller-Bibliographie 2006, Nr. 252]. 128. Schläbitz, Norbert: Goethe, Schiller. Das klassische Ideal und die ästhetische Erziehung. In: Ders., Als Musik und Kunst dem Bildungstraum(a) erlagen. Vom Neuhumanismus als Leitkultur, von der ›Wissenschaft‹ der Musik und von anderen Missverständnissen. Göttingen: V & R Unipress, 2016, S. 61–65. – ISBN 978-3-8471-0621-0. 129. Siani, Alberto L.: Kant, Schiller, Hegel e la parabola dell’estetica. In: Ders., Morte dell’arte, libertà del soggetto. Attualità di Hegel. Pisa: Edizioni ETS, 2017, S. 55–72. (= Philosophica. 184). – ISBN 978-88-467-4625-2. Erstveröffentlichung in: Schiller lettore di Kant. A cura di Alberto L. Siani e Gabriele Tomasi. Padova: Edizioni ETS, 2013 [Marbacher Schiller-Bibliographie 2013, Nr. 217]. 130. Stamer, Gerhard: Schillers ›ästhetische Erziehung‹. Gedanken zum Realitätsgehalt der Ästhetik. In: Bildungsphilosophie. Disziplin – Gegenstandsbereich – politische Bedeutung. Herausgegeben von Michael Spieker und Krassimir Stojanov. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft, 2017, S. 229– 243. (= Tutzinger Studien zur Politik. 9). – ISBN 978-3-8487-3169-5.



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131. Stašková, Alice: Schillers philosophische Prosa und die Sprachen der Karlsschule. In: Schillers Europa. Herausgegeben von Peter-André Alt und Marcel Lepper unter Mitarbeit von Catherine Marten. Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, S. 74–87. (= Perspektiven der Schiller-Forschung. 1). – ISBN 978-3-11-044004-1. Der Beitrag gliedert sich in die Abschnitte: 1. Die Sprache des ›Kalkuls‹. – 2. Wie man mit Fürsten philosophiert. 132. Stoneman, Ethan: ›Beauty cajoles‹. Friedrich Schiller and the Aesthetic Education of Rhetoric. In: Rhetoric Society Quarterly. St. Cloud, Minn., London. 47. Jg., 2017, Heft 2, S. 180–205. – ISSN 0277-3945 / ISSN 1930-322X (Elektronische Ressource). Abstract: »Friedrich Schiller may not be a household name among contemporary rhetoricians, yet since the 1960s Schiller’s critics have begun to take an interest in the rhetorical dimension of his aesthetic writings, particularly with respect to his Aesthetic Letters. These efforts, however, tend to focus on Schiller’s method of presentation rather than the possible rhetorical implications of the Letters‹ key ideas and concepts. This essay proposes treating the Letters as an instance of implicit rhetorical theory, one that suggests an innovative model of rhetorical effectivity, according to which rhetoric enables people to experience the normative ideal of beauty as freedom.« 133. Süssekind, Pedro: Schiller e o desafio de pensar a Modernidade. In: Educação Estética: de Schiller a Marcuse  / Pedro Hussak e Vladimir Vieira (orgs). Rio de Janeiro: EDUR, Editora da Universidade Federal Rural do Rio de Janeiro / NAU Editora, 2011, S. 13–25. – ISBN 978-85-85936-88-4. 134. Szilágyi-Gál, Mihály: Hannah Arendt and Friedrich Schiller on Kant’s Aesthetics. Frankfurt a.M., Bern u.  a.: Peter Lang Edition, 2017, 165 S. – ISBN 978-3-631-72020-2 (Print) / 978-3-631-72017-2 (e-Book). Inhalt (Auszug): III. Two Followers: Arendt and Schiller. – 1. The Moral Burden of Cognition: Arendt’s Political Reasoning (S. 67–80). – 2. Education for the Good, Through the Beautiful: the Trap of Schiller’s Conception of Education? (S.  80–91). – 3. The Continuation of Kant’s Conception of Freedom in Schiller’s »Aesthetic Letters« (S.  91–122). – IV. Kant – Schiller – Arendt: Shared Matters. – 1. Freedom as an Epistemological Gift (S.  124–130). – 2. The Inherent Freedom of Individual Judgments of Taste (S. 131–134). – 3. Imagination as the Aesthetic Relationship with the World (S. 134–139). – 4. Taste and Politics (S. 139–145). – 5. Taste and Communication (S. 145–150). – Moral Character as the Final Framework of Judgments of Taste (S. 150–156). – Conclusion (S. 157  f.). – Bibliography (S. 159–165).

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135. Takeda, Toshikatsu: ›Jenseits der Grenzen meines väterlichen Horizonts.‹ Der junge Schiller und die transzendentale Eschatologie. In: Neue Beiträge zur Germanistik. Herausgegeben von der Japanischen Gesellschaft für Germanistik. Tokyo. 15. Jg., 2016, Heft 2 (»Apokalypse und Utopie«), S. 63–81. (= Japanische Ausgabe von »Doitsu Bungaku«. 154). – ISSN 0387-2831. – In japanischer Sprache mit deutscher Zusammenfassung. 136. Vieira, Vladimir: A Grécia como modelo para o pensamento estético alemão: Schiller e Nietzsche. In: Educação Estética: de Schiller a Marcuse / Pedro Hussak e Vladimir Vieira (orgs). Rio de Janeiro: EDUR, Editora da Universidade Federal Rural do Rio de Janeiro / NAU Editora, 2011, S. 43–67. – ISBN 978-85-85936-88-4. 137. Waibel, Violetta L.: Metaphysik des Schönen und Erhabenen im Hinblick auf das Tragische bei Kant, Schiller und Hölderlin. In: Kant und die Folgen. Die Herausforderung in Ästhetik, Ethik und Religionsphilosophie. Herausgegeben von Rudolf Langthaler und Michael Hofer. Wien: NAP New Academic Press, 2017, S.  34–101. (= Wiener Jahrbuch für Philosophie. 48/2016). – ISBN 978-3-7003-1990-0. 138. Welsch, Wolfgang: ›Be Free as I Am‹. Schiller’s Aesthetics as a Challenge to the Modern Way of Thinking. In: Aesthetics Today. Contemporary Approaches to the Aesthetics of Nature and of Arts. Proceedings of the 39th International Wittgenstein Symposium. Edited by Stefan Majetschak and Anja Weiberg. Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, S. 21–34. (= Publications of the Austrian Ludwig Wittgenstein Society. 25). – ISBN 978-3-11053958-5.

6.3. Literatur, Sprache, Poetologie, Kunst und Theater 139. Gschwind, Christoph: Die dramatische Wirkungspoetik im Frühwerk Schillers. Eine analytische Annäherung an das Konzept des Ideendichters. Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, XI, 242 S. (= Deutsche Literatur: Studien und Quellen. 26). – ISBN 978-3-11-053992-9. Inhalt (Auszug): 1. Einleitung (S.  1–11). – 2. Die Philosophischen Briefe (s. Kap. 7.4.2.). – 3. Explizite dramatische Wirkungspoetik: 3.1. Funktionen der Schaubühne. – 3.1.1.  Ästhetische Funktion: metaphysische Bildung. – 3.1.2. Ethische Funktion: moralische Bildung. – 3.1.3. Anthropologische Funktion: menschliche Bildung. – 3.2. Dramatisierungsstrategien. – 3.2.1. Inhaltliche Dramatisierungsstrategien. – 3.2.2. Mediale Dramatisierungsstrategien: Dramatische Methode. – Anschauende Erkenntnis. – Propositionale und nicht-



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propositionale Erkenntnis. – Logische Wahrheit und ästhetische Wahrhaftigkeit. – Das literarische Gemälde als ›perceptio praegnans‹. – Der Hohlspiegel als Metapher für das Prinzip der anschauenden Erkenntnis. – Der emotionale Pakt. – Die rührende Rede als rhetorisches Mittel zur Erzeugung einer ›perceptio praegnans‹. – Das emotive Kommunikationsschema. – Theatrale Illusion. – Dramatische Fiktion (S. 30–83). – 4. Implizite dramatische Wirkungspoetik (s. Kap.  7.3.7.; s. Kap.  7.3.5.; s. Kap.  7.3.3.; s. Kap.  7.3.9.). – 5. Schlusswort (S. 221–227). – 6. Literaturverzeichnis (S. 228–240). 140. Klopfer, Luca: Orthographie im »Tintengleksenden Sekulum«. Zu Friedrich Schillers Umgang mit der Rechtschreibung. In: Dituria. Zeitschrift für germanistische Sprach und Literaturwissenschaft. Oberhausen. Band  11 (2017), S. 91–109. – ISSN 2191-2440. 141. Lepper, Anne: Die Zauberkraft schöner Diktion. Bildung und Sprache bei Schiller. Hamburg: Verlag Kovač, 2017, 207 S. (= Studien zur Germanistik. 70). – ISBN 978-3-8300-9256-8. Inhalt (Auszug): 1. Einleitung (S. 13–26). – 2. Freiheitsdiskurs und Anthropologie. 2.1. Die Idee der Freiheit in Schillers theoretischen Schriften. – 2.1.1. Das Problem: relative Freiheit oder politische und staatstheoretische Betrachtungen. – 2.1.2. Das Ideal: moralische Freiheit und moralische Gesellschaft. – 2.1.3. Die Lösung: ›völlig durchgeführte Bildung‹ des Menschen (S. 27–69). – 3. Das Schöne als Ort ästhetischer Bildung. 3.1. Das Schöne als objektiver Grundsatz des Geschmacks. – 3.1.1. Schönheit und Wahrheit. – 3.2. Bildung, Ästhetik und Kunstschönes. – Exkurs: das Erhabene (S. 71–105). – 4. Sprachbetrachtungen. 4.1. Schönheit und Sprache: Katz und Maus? – 4.1.1. Begriffssprache und ästhetische Bildung. – 4.2. Apologie der Sprachleistung. – 4.2.1. Sprache als Körpersprache. – 4.2.2. Tendenz der Sprache. – 4.2.3. Sprache als lebendige Sprache: Voraussetzungen lebendiger Sprache / Form und Inhalt lebendiger Diktion / Mittel lebendiger Sprache: Tropen / Techniken: Idealisierung und Individualisierung / Das Vermögen produktiver Einbildungskraft. – 4.2.4. Sprache und Geschichte. – 4.3. ›Die Zauberkraft schöner Diktion‹: Ästhetische Bildung und poetische Sprache (S. 107–182). – 5. Resümee (S. 183–185). – Literaturverzeichnis (S. 187–207). 142. Meuer, Marlene: Popularisierung republikanischen Denkens in der zeitgenössischen Tragödiendichtung: Voltaire, Lessing, Schiller. In: Dies., Polarisierungen der Antike. Antike und Abendland im Widerstreit: Modellierungen eines Kulturkonflikts im Zeitalter der Aufklärung. Heidelberg: Universitätsverlag Winter, 2017, S.  427–460. (= Germanisch-Romanische Monatsschrift: GRM-Beiheft. 85). – ISBN 978-3-8253-6240-9.

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143. Pinna, Giovanna: Philosophie und Dichtung. Zu Schillers Theorie der Lyrik. Aus dem Italienischen von Laura Loporcaro. In: Friedrich Schiller. Ein deutsch-italienisches Gespräch. Herausgegeben von Ivo De Gennaro. Freiburg i.B., Berlin, Wien: Rombach Verlag, 2017, S. 145–161. (= Rombach Wissenschaften: Reihe Paradeigmata. 42). – ISBN 978-3-7930-9905-5. 144. Scheier, Claus-Artur: Schiller – Architekt der transzendentalen Tragödie. In: Coincidentia. Zeitschrift für europäische Geistesgeschichte. Münster/Westf. 7. Jg., 2016, Heft 2, S. 197–237. – ISSN 1869-9782. 145. Zimmermann, Bernhard: Theorie und Praxis des Chores bei Friedrich Schiller. In: Friedrich Schiller. Ein deutsch-italienisches Gespräch. Herausgegeben von Ivo De Gennaro. Freiburg i.B., Berlin, Wien: Rombach Verlag, 2017, S. 209–223. (= Rombach Wissenschaften: Reihe Paradeigmata. 42). – ISBN 978-3-7930-9905-5.

6.4. Musik und Tanz

Keine Beiträge im Berichtszeitraum

6.5. Bibel, Religion(en) und Theologie 146. Mecklenburg, Norbert: Schiller, Luther und die ›deutsche Größe‹. In: Ders., Der Prophet der Deutschen. Martin Luther im Spiegel der Literatur. Stuttgart: J. B. Metzler Verlag, 2016, S. 78–82. – ISBN 978-3-476-02684-2. 147. Robertson, Ritchie: Schiller and the Jesuits. In: Ders., Enlightenment and Religion in German and Austrian Literature. Cambridge: Legenda / Modern Humanities Research Association, 2017, S.  75–93. (= Robertson: Selected Essays. 1). – ISBN 978-1-781884-65-2. Erstveröffentlichung in dem Sammelband: Schiller. National Poet – Poet of Nations. Amsterdam, New York: Rodopi, 2006 [Marbacher Schiller-Bibliographie 2006, Nr. 235].



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6.6. Naturwissenschaften, Medizin, Recht(sgeschichte) und Kriminologie 148. Müller-Seidel, Walter: Schillers Rechtsdenken. Verschwörung, Widerstandsrecht und Tyrannenmord im dramatischen Werk. In: Ders., Rechtsdenken im literarischen Text. Deutsche Literatur von der Weimarer Klassik zur Weimarer Republik. Herausgegeben und eingeleitet von Gunter Reiß. Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, S. 13–30. (= Juristische Zeitgeschichte. Abteilung 6; 47). – ISBN 978-3-11-055287-4. Erstveröffentlichung u.d.T: Verschwörungen und Rebellionen in Schillers Dramen. In: Schiller und die höfische Welt. Herausgegeben von Achim Aurnhammer, Klaus Manger, Friedrich Strack. Tübingen: Max Niemeyer Verlag, 1990, S. 422–446. – ISBN 3-484-10649-2. 

6.7. Griechische und römische Antike (Mythologie) 149. Meuer, Marlene: Distanzierungen vom Antikekult und Relativierungen des Antikebildes bei Lessing und Schiller. In: Dies., Polarisierungen der Antike. Antike und Abendland im Widerstreit: Modellierungen eines Kulturkonflikts im Zeitalter der Aufklärung. Heidelberg: Universitätsverlag Winter, 2017, S. 533–548. (= Germanisch-Romanische Monatsschrift: GRM-Beiheft. 85). – ISBN 978-3-8253-6240-9.

7. Schillers literarische Werke und theoretische Schriften 7.1. Allgemeine gattungsübergreifende Darstellungen 150. Peuckmann, Heinrich: Friedrich Schiller. – »Maria Stuart«. – »Die Freundschaft«. – Das Balladenjahr. In: Ders., Entdecke die klassische Literatur. Mit Illustrationen von Barbara Klingenberg. Berlin: Autumnus Verlag, 2017, S. 28–40. – ISBN 978-3-944382.65-4. 151. Jäger, Hans-Wolf: Französische Revolution. Ästhetische Erziehung. Die Horen. In: Ders., Vorlesungen zur deutschen Literaturgeschichte. Herausgegeben von Holger Böning. Band 5: Klassik. Bremen: Edition Lumière, 2017, S. 75–100. – ISBN 978-3-943245-64-6. Der Beitrag enthält eine Interpretation von Schillers Elegie »Der Spaziergang«.

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152. McCarthy, John A.: Schillers europäische ›Mindmap‹. Von »Lykurgus und Solon« zu »Wallenstein« und »Tell«. In: Schillers Europa. Herausgegeben von Peter-André Alt und Marcel Lepper unter Mitarbeit von Catherine Marten. Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, S. 20–43. (= Perspektiven der Schiller-Forschung. 1). – ISBN 978-3-11-044004-1. Der Beitrag gliedert sich in die Abschnitte: 1. Mindmaps: ›Getting to Denmark‹. – 2. Gerechte Gesetzgebung – Lauigkeit. – 3. Wallenstein und Tell: Das Gemeine gegen das kollektive Bewusstsein. 153. Meuer, Marlene: Geschichtliche Differenzerfahrung und Griechentum als sentimentalische Gegenwelt in Schillers Lyrik und Philosophie. In: Dies., Polarisierungen der Antike. Antike und Abendland im Widerstreit: Modellierungen eines Kulturkonflikts im Zeitalter der Aufklärung. Heidelberg: Universitätsverlag Winter, 2017, S.  247–290. (= Germanisch-Romanische Monatsschrift: GRM-Beiheft. 85). – ISBN 978-3-8253-6240-9. 154. Montesinos Gilbert, Toni: Schiller, la amistad de lo opuesto. In: Ders., Escribir. Leer. Vivir. Goethe, Tolstói, Mann, Zweig y Kafka. Barcelona: Ediciones del Subsuelo, 2017, S. 22–28. – ISBN 978-84-944328-6-6. 155. Darras, Gilles: Autre temps mais mêmes mœurs. Le présent au miroir du passé dans une chronique méconnue de Friedrich Schiller. In: La forme et le fond. Mélanges offerts à Alain Muzelle. Sous la direction de Gilles Darras, Camille Jenn et Frédéric Teinturier. Reims: Épure, 2017, S. 127–141. – ISBN 978-2-37496-040-1.

7.2. Lyrik: Untersuchungen zu Schillers Balladen und Gedichten 156. Axer, Eva: Schiller – ein klassischer Volksdichter? Zur Stellung von Schillers Balladenwerk im Kanon der deutschen Kunstballade. In: Schillers Balladen. Herausgegeben von Silke Henke und Nikolas Immer. Weimar: Schillerverein Weimar-Jena, 2017, S. 11–19. 157. Dicke, Klaus: ›… des Wissens brennende Begier‹. Wissenschaft in Schillers »Das verschleierte Bild zu Sais«. In: Schillers Balladen. Herausgegeben von Silke Henke und Nikolas Immer. Weimar: Schillerverein Weimar-Jena, 2017, S. 21–37. Der Beitrag enthält auch einen vollständigen Abdruck von Schillers Ballade, zitiert wird nach der Schiller-Nationalausgabe.



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158. Görner, Rüdiger: Dichten aus dem Geist der Historie. Das Europäische in Schillers Lyrik. In: Schillers Europa. Herausgegeben von Peter-André Alt und Marcel Lepper unter Mitarbeit von Catherine Marten. Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, S. 44–57. (= Perspektiven der Schiller-Forschung. 1). – ISBN 978-3-11-044004-1. 159. Graff, Max: Die Menschenwürde als idealistisches Ziel des Menschengeschlechts und als Auftrag der Literatur. Friedrich Schiller: »Die Künstler«. In: Ders., Literarische Dimensionen der Menschenwürde. Exemplarische Analysen zur Bedeutung des Menschenwürdebegriffs in der deutschsprachigen Literatur seit der Frühaufklärung. Tübingen: Narr Francke Attempto, 2017, S. 68–72. – ISBN 978-3-7720-8634-2. 160. Haupt, Klaus-Werner: Horen, Xenien und Balladen. Schillers vergebliche Hoffnung. In: Ders., Johann Winckelmann. Begründer der klassischen Archäologie und modernen Kunstwissenschaften. Wiesbaden: Weimarer Verlagsgesellschaft, 2014, S. 236–245. – ISBN 978-3-86539-718-8. 161. Henke, Silke / Immer, Nikolas: Einführung. Künstlerische Experimente ›in einem neuen Fache‹. Schillers Entdeckung der Ballade. In: Schillers Balladen. Herausgegeben von Silke Henke und Nikolas Immer. Weimar: Schillerverein Weimar-Jena, 2017, S. 5–9. 162. Hößle, Corinna: Den Taucher hören. Schillers Ballade fördert das Lautverständnis und führt an Naturgewalten heran. In: Farbe, Klang, Reim, Rhythmus. Interdisziplinäre Zugänge zur Musik im Bilderbuch. Herausgegeben von Lars Oberhaus und Mareille Oetken. Bielefeld: Transcript Verlag, 2017, S. 159–170. (= Edition Kulturwissenschaft. 113). – ISBN 978-3-8376-3584-3. 163. Lindner, Benjamin: Gedichtinterpretation. »Das verschleierte Bild zu Sais«. In: Ders., Verwaltungsethik. Ein Lehr- und Lernbuch. Hamburg: Maximilian Verlag, 2017, S.  17–25. (=  Schriftenreihe der Kommunalen Hochschule für Verwaltung in Niedersachsen. 18). – ISBN 978-3-7869-1096-1. Das Kapitel enthält die Abschnitte: Heteronome vs. autonome Ethik. – Esoterik vs. Exoterik. – ›Was soll ich tun?‹ Die Grundfrage der Ethik. – Sinnliche Erfahrung ist nicht Grundlage der Moral! – Schlussfolgerungen und Denkanstöße. – Ergebnis der Interpretation. – Bedeutung der Lehrinhalte für den beruflichen Kontext. 164. Luserke-Jaqui, Matthias: »Die Kindsmörderin«. In: Handbuch Sturm und Drang. Herausgegeben von Matthias Luserke-Jaqui unter Mitarbeit von Vanessa Geuen und Lisa Wille. Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, S. 338  ff. – ISBN 978-3-05-005572-5.

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165. Luserke-Jaqui, Matthias: »Die schlimmen Monarchen«. In: Handbuch Sturm und Drang. Herausgegeben von Matthias Luserke-Jaqui unter Mitarbeit von Vanessa Geuen und Lisa Wille. Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, S. 392  ff. – ISBN 978-3-05-005572-5. 166. Mandel, Doris Claudia: Laura oder Auf der Suche nach Sympathie, Harmonie und Liebe. Die Philosophie des jungen Schiller anhand seiner Anthologie-Gedichte aus dem Jahre 1782. In: Dies., Laura unter den Wipfeln und der Prinzipal Tod. Goethes und Schillers Weltsicht in Gedichten aus den Jahren 1780 bis 1782. Norderstedt: Books on Demand, zweite, korrigierte und erweiterte Ausgabe 2017, S. 103–204. – ISBN 978-3-7448-8318-4. Der Beitrag gliedert sich in die Abschnitte: Auf der Suche nach einer Frau. – Schiller gegen das schwäbische Zeitalter des Minnesangs. – Der zynische Tod. – Die Mittelkraft oder der Nervengeist. – [Jacob Friedrich] Abel und das Genie. – Männerstolz vor Fürstenthronen. – Alles muss sich rechnen. – Das Wesensband, das sich um Tiere und Menschen schlingt. Die 1. Auflage ist 2007 in der Galgenbergschen Literaturkanzlei, Halle an der Saale, erschienen [Marbacher Schiller-Bibliographie 2008, Nr. 113]. 167. Middelhoff, Frederike: Mit Schiller im Löwengarten. Das aufgeklärte Tableau der Raubkatzen in »Der Handschuh«. In: Die Ballade. Neue Perspektiven auf eine traditionsreiche Gattung. Herausgegeben von Andrea Bartl, Corina Erk, Martin Kraus und Annika Hanauska. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2017, S.  145–178. (=  Konnex: Studien im Schnittbereich von Literatur, Kultur und Natur. 24). – ISBN 978-3-8260-6321-3. 168. Renner, Anne Sophie: ›Und zwischen Trug und Wahrheit schwebet‹. Zum Verhältnis von Schein und Wirklichkeit in Schillers Ballade »Die Kraniche des Ibycus«. In: Schillers Balladen. Herausgegeben von Silke Henke und Nikolas Immer. Weimar: Schillerverein Weimar-Jena, 2017, S. 39–60. – Der Beitrag enthält auch einen vollständigen Abdruck von Schillers Ballade, zitiert wird nach der Schiller-Nationalausgabe. 169. Riedel, Wolfgang: Abschied von der Ewigkeit. Schillers »Resignation«. In: Um Schiller. Studien zur Literatur- und Ideengeschichte der Sattelzeit. Herausgegeben von Markus Hien, Michael Storch und Franziska Stürmer. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2017, S. 121–131. – ISBN 978-38260-6310-7. Erstveröffentlichung in: Interpretationen. Gedichte von Friedrich Schiller. Stuttgart 1996 [Schiller-Bibliographie 1995–1998, Nr. 346].



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170. Sauerland, Karol: Georg Forsters Eingriff in die Diskussion um Schillers »Götter Griechenlands«. In: Religion und Philosophie in neuerer deutschsprachiger Literatur und Kunst. Erkundungen auf Haupt- und Nebenwegen. Herausgegeben von Agnieska K. Haas und Dariusz Pakalski. Gdańsk: Wydawnictwo Uniwersytetu Gdańskiego, 2016, S. 19–27. (= Studia Germanica Gedannesia. 34). – ISBN 978-83-7865-471-1. 171. Xu, Yuan: Gefühle und Kindsmord in Schillers »Kindsmörderin«. In: Ders., Kindsmordproblematik. Geschlecht und Gewalt in der deutschen Literatur um 1800. Aachen: Shaker Verlag, 2017, S. 163–186. (= Berichte aus der Literaturwissenschaft). – ISBN 978-3-8440-5204-6. Das Kapitel gliedert sich in die Abschnitte: 1. Schillers Erzählmethode des Gedichts: eine Mischform zwischen den Erzählern. – 2. Symbolische, metaphorische und mythologische Bedeutungen im Gedicht. – 3. Kindsmord und strukturelle Gewalt: schreckliche Tat und ästhetische Lust. – 4. Louises Gefühle: Schwanken zwischen der Freude am Leben und dem Begrüßen des Todes. – 5. Schluss: Gewalt und Gefühle. 172. Zilles, Sebastian: ›Wer wagt es, Rittersmann oder Knapp,  / Zu tauchen in diesen Schlund?‹ Männlichkeit in Schillers Balladen »Der Taucher« und »Der Handschuh«. In: Die Ballade. Neue Perspektiven auf eine traditionsreiche Gattung. Herausgegeben von Andrea Bartl, Corina Erk, Martin Kraus und Annika Hanauska. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2017, S. 129–144. (= Konnex: Studien im Schnittbereich von Literatur, Kultur und Natur. 24). – ISBN 978-3-8260-6321-3.

7.3. Untersuchungen zum dramatischen Werk 7.3.1. Allgemeine Darstellungen und Werkvergleiche 173. Fiechter, Hans Paul: Schillers historisch-politische Dramen. – Fiesco, Demetrius. – Johanna, Maria. – Wallenstein, Carlos. In: Ders. / Bartoniczek, Andre: Schiller. Kafka. Kassel: Bildungswerk Beruf und Umwelt (edition waldorf), 2017, S. 34–48, S. 49–57 und S. 58–67. (= Gestalten + Entdecken). – ISBN 978-3-939374-31-2. 174. Immer. Nikolas: Promethischer Heroismus. Zu Friedrich Schillers Konzeption des dramatischen Helden. In: Zeitschrift für deutsche Philologie. Berlin. 136. Jg., 2017, Heft 4, S. 485–500. – ISSN 0044-2496.

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175. Jäger, Hans-Wolf: Schiller. Wallenstein. Die Braut von Messina. In: Ders., Vorlesungen zur deutschen Literaturgeschichte. Herausgegeben von Holger Böning. Band 5: Klassik. Bremen: Edition Lumière, 2017, S. 161–186. – ISBN 978-3-943245-64-6. 176. Riedel, Wolfgang: Religion und Gewalt in Schillers späten Dramen (»Maria Stuart«, »Die Jungfrau von Orleans«). In: Um Schiller. Studien zur Literatur- und Ideengeschichte der Sattelzeit. Herausgegeben von Markus Hien, Michael Storch und Franziska Stürmer. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2017, S. 165–185. – ISBN 978-3-8260-6310-7. Erstveröffentlichung in: Würzburger Schiller-Vorträge 2009. Würzburg 2011 [Marbacher Schiller-Bibliographie 2011, Nr. 472]. – Englische Übersetzung des Beitrags von Lisa Beesley in: Who Is this Schiller Now? Essays on His Reception and Significance. Rochester 2011 [Marbacher Schiller-Bibliographie 2011, Nr. 471]. 177. Schings, Hans-Jürgen: Freiheit in der Geschichte. Egmont und Marquis Posa im Vergleich. In: Ders., Gesammelte Aufsätze. Als Festgabe zum 80. Geburtstag herausgegeben von Wolfgang Riedel. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2017, S. 265–285. – ISBN 978-3-8260-6230-8. Erstveröffentlichung in: Goethe-Jahrbuch. Band  110 (1993) [Schiller-Bibliographie 1991–1994, Nr.  390]. – Weiterer Abdruck in: Geschichtlichkeit und Gegenwart. Herausgegeben von Hans Esselborn und Werner Keller. Köln, Weimar, Wien: Böhlau Verlag, 1994, ²1996. (= Kölner germanistische Studien. 34). – ISBN 3-412-05693-6. [a.a.O., dort stark verkürzter Nachweis]. 178. Tang, Chenxi: Cremonial Theater and Tragedy from French Classicism to German Classicism. In: CL. Comparative Literature. Eugene (University of Oregon), 66. Jg., 2014, Heft 3, S. 277–300. – ISSN 0010-4124. Darin besonders Kap. 4: Ceremonial Theater on the Tragic Stage: Schillerian Tragedy (S. 292  ff.).

7.3.2. Die Braut von Messina 179. Ächtler, Norman: Ästhetische Prämissen, methodische Ansätze und weltanschauliche Rahmungen der Dramendidaktik im Deutschen Kaiserreich – dargestellt am Beispiel der »Braut von Messina« von Friedrich Schiller. In: Fachgeschichte in der Literaturdidaktik. Herausgegeben von Christian Dawidowski und Nadine J. Schmidt. Frankfurt a.M.: Peter Lang Edition, 2017, S. 209–238. (= Beiträge zur Geschichte des Deutschunterrichts. 71). – ISBN 978-3-631-71661-8.



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7.3.3. Don Karlos 180. Filiberti, Marco: Intorno a Don Carlos. Prove d’autenticità. Con una postfazione di Giulio Baffi. Fotografie di Maria Elena Fantasia. Corazzano (Pisa): Titivillus Mostre Editoria, 2017, 119 (2) S. (= Lo spirito del teatro. 92). – ISBN 978-88-7218-430-1. Inhalt: Sul senso di una drammaturgia contemporanea per un testo classico affrancata dai vetusti retaggi della categoria del Moderno (S. 9–30). – Intorno a »Don Carlos«: prove d’autenticità. Kammerspiel poetico in due atti da rappresentarsi senza interruzione (S. 31–95). – Appendice (S. 105–114). – Postfazione di Giulio Baffi (S. 115–119). 181. Gschwind, Christoph: Implizite dramatische Wirkungspoetik. Dramenanalyse: »Don Karlos«. In: Ders., Die dramatische Wirkungspoetik im Frühwerk Schillers. Eine analytische Annäherung an das Konzept des Ideendichters. Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, S. 167–206. (= Deutsche Literatur: Studien und Quellen. 26). – ISBN 978-3-11-053992-9. Das Kapitel gliedert sich in die Abschnitte: Textgenese. – Emotive Funktionen: »Thalia«-Fragmente: Vorrede. – Haupttext. – Kognitive Funktionen: »Thalia«-Fragmente. – Buchfassung von 1787: »Don Karlos« als Ideendrama? – Zum Begriff ›Ideendrama‹. – Der Dialog zwischen Marquis Posa und König Philipp in der Szene III/10. – »Don Karlos« als Ideendrama? – Briefe über Don Karlos. 182. Neuhaus, Volker: Friedrich Schiller, »Don Carlos«. Infant von Spanien (1787). In: Ders., Grundriss der Neueren deutschsprachigen Literaturgeschichte. Tübingen: A. Francke Verlag, 2017, S. 74–81. (= UTB. 4821). – ISBN 978-3-8252-4821-5.

7.3.4. Die Jungfrau von Orleans 183. Hahn, Hans Joachim: Märchenstrukturen in Schillers »Jungfrau von Orleans«. In: Euphorion. Zeitschrift für Literaturgeschichte. Heidelberg. 111. Jg., 2017, Heft 2, S. 185–199. – ISSN 0014-2328. 184. Konitzer, Viktor: Wendungen. Zur Poetik der Peripetie in Schillers »Die Jungfrau von Orleans«. In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft. Internationales Organ für neuere deutsche Literatur. Band 61 (2017). Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, S. 215–240. – ISBN 978-3-11-052854-1. Der Beitrag gliedert sich in die beiden Abschnitte: Die Protagonistin als Deutungsproblem. – Wendung und Wandlung als Motive peripetischer Hysterie.

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185. Rossi, Francesco: Friedrich Schiller’s »Die Jungfrau von Orleans«, a Tragedy in Movement. In: Journeys Through Changing Landscapes. Literature, Language, Culture and their Transnational Dislocations. Edited by Carla Dente and Francesca Fedi. Pisa: Pisa University Press, 2017, S. 147–167. (= Viaggi per scene in movimento. 1). – ISBN 978-88-6741-717-9. 186. Woesler, Winfried: Spurensuche. Zur frühen Rezeption der »Jungfrau von Orleans«. In: Schillers Europa. Herausgegeben von Peter-André Alt und Marcel Lepper unter Mitarbeit von Catherine Marten. Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, S. 137–145. (= Perspektiven der Schiller-Forschung. 1). – ISBN 978-3-11-044004-1. Der Beitrag gliedert sich in die Abschnitte: Zwei Vorbemerkungen zur Edition. – 2. Neues zu den Bühnenmanuskripten. – 2.1. Das Leipziger Bühnenmanuskript. – 2.2. Das Hamburger Bühnenmanuskript. – 3. Bühnenmusik. – 4. Quellenkritik. Zum Liebesmotiv. – 5. Shakespeare. – 6. Auch zur frühen Aufnahme des Stückes gibt es Neues zu berichten.

7.3.5. Kabale und Liebe 187. Dommes, Grit: »Kabale und Liebe. Ein bürgerliches Trauerspiel in fünf Aufzügen«. In: Handbuch Sturm und Drang. Herausgegeben von Matthias Luserke-Jaqui unter Mitarbeit von Vanessa Geuen und Lisa Wille. Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, S. 475–482. – ISBN 978-3-05005572-5. 188. Gschwind, Christoph: Implizite dramatische Wirkungspoetik. Dramenanalyse: »Kabale und Liebe«. In: Ders., Die dramatische Wirkungspoetik im Frühwerk Schillers. Eine analytische Annäherung an das Konzept des Ideendichters. Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, S.  135–166. (= Deutsche Literatur: Studien und Quellen. 26). – ISBN 978-3-11-053992-9. Das Kapitel gliedert sich in die Abschnitte: Textgenese. – Emotive Funktionen: Fiktionsinterne Simulation affektpoetischer Kommunikationsmuster. – Eloquentia corporis. – Das literarische Tableau. – Mediale Komponente. – Gehaltsästhetische Komponente. – Wirkungsästhetische Komponente. – Konstruktion tragischer Sachverhalte. – Kognitive Funktionen: Initiation einer kritischen Reflexion: Affektpoetologie. – Vermittlung nicht-propositionaler Figurenkonzeptionen als ›perceptiones praegnantes‹: Louise Miller. – Ferdinand von Walter. – Unterschied zwischen interessanter Situation und allgemeinem Sachverhalt. – Initiation propositionaler Erkenntnis.



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189. Riedel, Wolfgang: »Kabale und Liebe« oder was alles Liebe genannt wird. In: Um Schiller. Studien zur Literatur- und Ideengeschichte der Sattelzeit. Herausgegeben von Markus Hien, Michael Storch und Franziska Stürmer. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2017, S. 159–163. – ISBN 9783-8260-6310-7. Erstveröffentlichung in: Friedrich Schiller – »Kabale und Liebe«. Programmheft der Ludwigsburger Schlossfestspiele 2009, [S. 10–23]. 190. Schings, Hans-Jürgen: Luise Millerin, die Aufklärung und das Gräßliche. In: Ders., Gesammelte Aufsätze. Als Festgabe zum 80. Geburtstag herausgegeben von Wolfgang Riedel. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2017, S. 249–264. – ISBN 978-3-8260-6230-8. Erstveröffentlichung in: »Kabale und Liebe« – ein Drama der Aufklärung. Herausgegeben vom Weimarer Schillerverein und von der Deutschen Schillergesellschaft. 1999 [Schiller-Bibliographie 1999, Nr. 198]. 191. Schonlau, Anja: Standesfragen – Emotionen eines Wurm(s) in Schillers »Kabale und Liebe«. In: Dies., Emotionen im Dramentext. Eine methodische Grundlegung mit exemplarischer Analyse zu Neid und Intrige. 1750– 1800. Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, S. 335–341. (= Deutsche Literatur: Studien und Quellen. 25). – ISBN 978-3-11-053482-5.

7.3.6. Maria Stuart

Keine Beiträge im Berichtszeitraum

7.3.7. Die Räuber 192. Gschwind, Christoph: Implizite dramatische Wirkungspoetik. Dramenanalyse: »Die Räuber«. In: Ders., Die dramatische Wirkungspoetik im Frühwerk Schillers. Eine analytische Annäherung an das Konzept des Ideendichters. Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, S. 84–135. (= Deutsche Literatur: Studien und Quellen. 26). – ISBN 978-3-11-053992-9. Das Kapitel gliedert sich in die Abschnitte: Textgenese. – Emotive Funktionen: Fiktionsinterne Simulation affektpoetischer Kommunikationsmuster: Darstellung von dialogischen rührenden Reden. – Darstellung von monologischen rührenden Reden. – Melodramatische Elemente. – Kognitive Funktionen: Initiation einer kritischen Reflexion: Affektpoetologie. – Vermittlung nicht-propositionaler Erkenntnis: Figurenkonzeptionen als ›perceptiones praegnantes‹: Extensivierung der Klarheit einer ›perceptio praegnans‹ durch eigenschaftstypisches Handeln. – Extensivierung der Klarheit einer ›perceptio

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praegnans‹ durch eigenschaftstypisches Denken. – Zur Unterscheidung von philosophischer Theorie und Ideologie. – Korrespondenzen zwischen der philosophischen Theorie und den literarischen Ideologien. – Initiation propositionaler Erkenntnis. 193. Liebrand, Claudia: ›Das Theater glich einem Irrenhaus‹. Psychologische Experimentalanordnungen in Schillers »Räubern«. In: Mannheimer Anfänge. Beiträge zu den Gründungsjahren des Nationaltheaters Mannheim, 1777–1820. Herausgegeben von Thomas Wortmann unter Mitarbeit von Annika Frank und Katja Holweck. Göttingen: Wallstein Verlag, 2017, S. 115–134. – ISBN 978-3-8353-3017-7. 194. Luserke-Jaqui, Matthias: »Die Räuber«. In: Handbuch Sturm und Drang. Herausgegeben von Matthias Luserke-Jaqui unter Mitarbeit von Vanessa Geuen und Lisa Wille. Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, S. 374–386. – ISBN 978-3-05-005572-5. 195. Neuhaus, Volker: Friedrich Schiller, »Die Räuber« (1781). In: Ders., Grundriss der Neueren deutschsprachigen Literaturgeschichte. Tübingen: A. Francke Verlag, 2017, S. 62–69. (= UTB. 4821). – ISBN 978-3-8252-4821-5. 196. Richter, Sandra: Friedrich Schillers »Räuber« (1781). Gründungsdokument der esperantistischen Bewegung. In: Dies., Eine Weltgeschichte der deutschsprachigen Literatur. München: C. Bertelsmann Verlag, 2017, S. 158–163. – ISBN 978-3-570-10151-3. 197. Riedel, Wolfgang: Die Aufklärung und das Unbewußte. Die Inversionen des Franz Moor. In: Um Schiller. Studien zur Literatur- und Ideengeschichte der Sattelzeit. Herausgegeben von Markus Hien, Michael Storch und Franziska Stürmer. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2017, S.  135–157. – ISBN 978-3-8260-6310-7. Erstveröffentlichung in: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft. Stuttgart. Band 37 (1993) [Schiller-Bibliographie 1991–1994, Nr. 346]. – Weiterer Abdruck in: Von Schillers »Räubern« zu Shelleys »Frankenstein«. Wissenschaft und Literatur im Dialog um 1800. Stuttgart, New York 2006 [Marbacher Schiller-Bibliographie 2007, Nr. 326]. 198. Schings, Hans-Jürgen: Philosophie der Liebe und Tragödie des Universalhasses. »Die Räuber« im Kontext von Schillers Jugendphilosophie. In: Ders., Gesammelte Aufsätze. Als Festgabe zum 80.  Geburtstag herausgegeben von Wolfgang Riedel. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2017, S. 203–228. – ISBN 978-3-8260-6230-8.





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Erstveröffentlichung in: Jahrbuch des Wiener Goethe-Vereins. Band  84/85 (1980/81) [Schiller-Bibliographie 1979–1982, Nr. 279].

199. Schings, Hans-Jürgen: Schillers »Räuber«. Ein Experiment des Universalhasses. In: Ders., Gesammelte Aufsätze. Als Festgabe zum 80. Geburtstag herausgegeben von Wolfgang Riedel. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2017, S. 229–247. – ISBN 978-3-8260-6230-8. Leicht überarbeitete Fassung eines Vortrags, der an verschiedenen internationalen Universitäten gehalten worden ist. – Erstveröffentlichung in: Friedrich Schiller. Herausgegeben von Wolfgang Wittkowski. Tübingen 1982 [SchillerBibliographie 1979–1982, Nr. 281]. – Weiterer Abdruck in: Friedrich Schiller. Kunst, Humanität und Politik in der späten Aufklärung. Darmstadt 2009 [Marbacher Schiller-Bibliographie 2009, Nr. 424]. 200. Schonlau, Anja: Drama nach 1780 – Schillers »Räuber«. In: Dies., Emotionen im Dramentext. Eine methodische Grundlegung mit exemplarischer Analyse zu Neid und Intrige. 1750–1800. Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, S. 313–335. (= Deutsche Literatur: Studien und Quellen. 25). – ISBN 978-3-11-053482-5. 201. Yŏm, Sŭng-sŏp: Aufständische als illegale Repräsentanz der Gerechtigkeit zwischen Utopie und Dystopie – anhand von Yi Munyols Roman »Der Dichter« und Schillers Drama »Die Räuber«. In: Akten des XIII. Internationalen Germanistenkongresses, Shanghai 2015. Germanistik zwischen Tradition und Innovation. Band 8. Herausgegeben von Susanne Reichlin, Beate Kellner, Hans-Gert Roloff, Ulrike Gleixner u.  a. Frankfurt a.M., Bern: Peter Lang Edition, 2017, S. 425–429. (= Publikationen der Internationalen Vereinigung für Germanistik. 27). – ISBN 978-3-631-66870-2.

7.3.8. Wilhelm Tell 202. Barkhoff, Jürgen: Wilhelm Tell als Schweizer und als Europäer – im Kontext des Schweizer Europadiskurses. In: Schillers Europa. Herausgegeben von Peter-André Alt und Marcel Lepper unter Mitarbeit von Catherine Marten. Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, S. 241–259. (= Perspektiven der Schiller-Forschung. 1). – ISBN 978-3-11-044004-1. Der Beitrag gliedert sich in die Abschnitte: 1. Zum europäischen Ursprung der Tell-Figur. – 2. Helvetik und Entstehungszeit von Schillers Drama. – 3. 19. Jahrhundert und Schillerjubiläum 1859. – 4. Tell als Held der ›Geistigen Landesverteidigung‹. – 5. Zur europapolitischen Aktualität des »Wilhelm Tell«.

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203. Fiechter, Hans Paul: Schillers historisch-politische Dramen. »Wilhelm Tell«. In: Ders. / Bartoniczek, Andre: Schiller. Kafka. Kassel: Bildungswerk Beruf und Umwelt (edition waldorf), 2017, S. 23–33. (= Gestalten + Entdecken). – ISBN 978-3-939374-31-2. 204. Kontje, Todd Curtis: Schiller’s »Wilhelm Tell«. Weimar Classicism between Empire and Nation. In: Monatshefte für deutschen Unterricht. Madison, Wisconsin. 109. Jg., 2017, Heft 4, S. 519–538. – ISSN 0026-9271. 205. Neuhaus, Volker: Friedrich Schiller, »Wilhelm Tell« (1804). In: Ders., Grundriss der Neueren deutschsprachigen Literaturgeschichte. Tübingen: A. Francke Verlag, 2017, S. 105–114. (= UTB. 4821). – ISBN 978-3-8252-4821-5. 206. Riedel, Wolfgang: Elegische Konstruktion und unentwickelte Tragödie im »Wilhelm Tell«. In: Um Schiller. Studien zur Literatur- und Ideengeschichte der Sattelzeit. Herausgegeben von Markus Hien, Michael Storch und Franziska Stürmer. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2017, S. 187– 203. – ISBN 978-3-8260-6310-7. Erstveröffentlichung in: Würzburger Schiller-Vorträge 2009. Würzburg 2011 [Marbacher Schiller-Bibliographie 2011, Nr. 359]. – Italienische Übersetzung von Paola Ducato in: Auguri Schiller! Atti del convegno perugino in occasione del 250° anniversario […]. Perugia 2011 [Marbacher Schiller-Bibliographie 2011, Nr. 358].

7.3.9. Die Verschwörung des Fiesko zu Genua 207. Gschwind, Christoph: Implizite dramatische Wirkungspoetik. Dramenanalyse: »Die Verschwörung des Fiesko zu Genua«. In: Ders., Die dramatische Wirkungspoetik im Frühwerk Schillers. Eine analytische Annäherung an das Konzept des Ideendichters. Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, S. 206–220. (= Deutsche Literatur: Studien und Quellen. 26). – ISBN 978-3-11-053992-9. Das Kapitel gliedert sich in die Abschnitte: Textgenese. – Die Erstausgabe von 1783: Vorwort. – Haupttext. – Vergleich zwischen Erstausgabe und der Mannheimer Bühnenbearbeitung.

7.3.10. Wallenstein-Trilogie 208. Birkner, Nina: ›König Ödipus in Böhmen‹ oder ein ›deutscher Macbeth‹? Schillers »Wallenstein«-Trilogie und die europäische Dramentradition. In: Schillers Europa. Herausgegeben von Peter-André Alt und Marcel Lepper





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unter Mitarbeit von Catherine Marten. Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, S. 117–136. (= Perspektiven der Schiller-Forschung. 1). – ISBN 978-3-11-044004-1. Der Beitrag gliedert sich in die Abschnitte: 1. Der historische Stoff – Schiller und Shakespeare. – 2.  Die literarästhetische Form – Schiller und die antike Tragödie. – 3. Das Wirkungsziel der Tragödie – Schiller und Kant. – 4. Fazit.

209. Fleig, Anne: Eine Tragödie zum Totlachen? Shakespeare, Schiller, Kleist. In: Kleist-Jahrbuch 2017. Herausgegeben von Andrea Allerkamp, Günter Blamberger, Ingo Breuer u.  a. Stuttgart: J. B. Metzler Verlag, 2017, S. 86–97. – ISBN 978-3-476-04515-7. Neben Schillers »Wallenstein« werden »Romeo und Julia« von William Shakespeare« und »Familie Schroffenstein« von Heinrich von Kleist behandelt. 210. Foi, Maria Carolina: Diritto, potere e violenza nei drammi di Schiller. Osservazioni sul »Wallenstein«. In: Friedrich Schiller. Ein deutsch-italienisches Gespräch. Herausgegeben von Ivo De Gennaro. Freiburg i.B., Berlin, Wien: Rombach Verlag, 2017, S. 73–88. (= Rombach Wissenschaften: Reihe Paradeigmata. 42). – ISBN 978-3-7930-9905-5. Kurzfassung in deutscher Sprache u.d.T.: Recht, Macht und Gewalt in Schillers Dramen. Bemerkungen zu »Wallenstein« (S. 89–92). 211. Kaminski, Johannes: Die Leerstelle in Schillers »Wallenstein«. In: Weimarer Beiträge. Zeitschrift für Literaturwissenschaft, Ästhetik und Kulturwissenschaften. Wien. 63. Jg., 2017, Heft 2, S. 249–270. – ISSN 0043-2199. 212. Leber, Manfred: Kriegstreiber, Verräter oder verhinderter Friedensstifter? Das schwankende Wallenstein-Bild vor, nach und bei Friedrich Schiller. In: Erkundungen zwischen Krieg und Frieden. Herausgegeben von Manfred Leber und Sikander Singh. Saarbrücken: Universaar, Universitätsverlag des Saarlandes, 2017, S. 87–120. (= Saarbrücker literaturwissenschaftliche Ringvorlesungen. 6). – ISBN 978-3-86223-237-6. 213. Reemtsma, Jan Philipp: Die ›Wohltat, keine Wahl zu haben‹. Einige Gedanken bei der Lektüre von Schillers »Wallenstein«. In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft. Internationales Organ für neuere deutsche Literatur. Band 61 (2017). Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, S. 465–482. – ISBN 978-3-11-052854-1. 214. Schings, Hans-Jürgen: Das Haupt der Gorgone. Tragische Analyse und Politik in Schillers »Wallenstein«. In: Ders., Gesammelte Aufsätze. Als Festgabe zum 80. Geburtstag herausgegeben von Wolfgang Riedel. Würzburg:

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Verlag Königshausen & Neumann, 2017, S.  287–315. – ISBN 978-3-82606230-8. Erstveröffentlichung in: Das Subjekt der Dichtung. 1990 [Schiller-Bibliographie 1987–1990, Nr. 401].

7.3.11. Dramatische Fragmente 215. Košenina, Alexander: Die europäische Tradition juristischer Pitavalgeschichten für Schillers fragmentarische Kriminaldramen. In: Schillers Europa. Herausgegeben von Peter-André Alt und Marcel Lepper unter Mitarbeit von Catherine Marten. Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, S. 88–101. (= Perspektiven der Schiller-Forschung. 1). – ISBN 978-3-11044004-1. 216. Manger, Klaus: Experimentieren mit Freiheitsmodellen. Schillers Fragmente und Entwürfe. In: Friedrich Schiller. Ein deutsch-italienisches Gespräch. Herausgegeben von Ivo De Gennaro. Freiburg i.B., Berlin, Wien: Rombach Verlag, 2017, S. 93–107. (= Rombach Wissenschaften: Reihe Paradeigmata. 42). – ISBN 978-3-7930-9905-5. Erstveröffentlichung in: Friedrich Schiller zwischen Historisierung und Aktualisierung. Herausgegeben von Alexander Rubel. Konstanz 2011 [Marbacher Schiller-Bibliographie 2011, Nr. 382¹].

7.4. Untersuchungen zur literarischen Prosa, zu den ästhetischen Schriften und zu den historischen Abhandlungen 7.4.1. Allgemeine Darstellungen und vergleichende Studien 217. Beck, Sandra: Anschauungen des Herzens. Kriminalerzählungen von Friedrich Schiller und August Gottlieb Meißner. In: Dies., Narratologische Ermittlungen. Muster detektorischen Erzählens in der deutschsprachigen Literatur. Heidelberg: Universitätsverlag Winter, 2017, S. 118–154. (= Probleme der Dichtung. 51). – ISBN 978-3-8253-6666-7. 218. Koopmann, Helmut: Wie lässt sich Mord rechtfertigen? Schiller, Kleist und die Droste geben Antworten. In: Literatur und Verbrechen. Herausgegeben von der Goethe-Gesellschaft Hamburg. Wettin-Löbejün: Verlag Janos Stekovics, 2017, S.  9–44. (= Jahresgabe 2017 der Ortsvereinigung Hamburg der Goethe-Gesellschaft in Weimar). – ISBN 978-3-89923-379-7.



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219. Nilges, Yvonne: Geist der Utopie. Europa in Schillers historischen Schriften. In: Schillers Europa. Herausgegeben von Peter-André Alt und Marcel Lepper unter Mitarbeit von Catherine Marten. Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, S. 58–73. (= Perspektiven der Schiller-Forschung. 1). – ISBN 978-3-11-044004-1. Der Beitrag gliedert sich in die Abschnitte: 1. »Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der Spanischen Regierung« (1788). – 2. »Die Gesetzgebung des Lykurgus und Solon« (1789). – 3. »Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs« (1791–1793). – 4. Schillers Europa – damals und heute.

7.4.2. Analysen und Interpretationen zu einzelnen Werken und Schriften 220. Agard, Olivier: L’anthropologie philosophique de Schiller dans les lettres sur l’éducation esthétique de l’homme (1795); et sa reprise par Helmuth Plessner dans »Grenzen der Gemeinschaft« (1924). In: L’homme entier. Conceptions anthropologiques classiques et contemporaines. Sous la direction de Faustino Fabbianelli et Jean-François Goubet. Paris: Classiques Garnier, 2017, S.  123–142. (= Constitution de la modernité. 7). – ISBN 978-2-40607065-8. 221. Bidlo, Oliver: Friedrich Schiller, »Der Verbrecher aus verlorener Ehre«. Philosophische und soziologische Implikationen. In: Ders., Schriften zum Theater. Essen: Oldib Verlag, 2017, S. 57–64. – ISBN 978-3-939556-52-7. 222. Honda, Hiroyuki: ›So schien es – aber es war nicht die Gestalt, sondern der Rauch, der von ihrem Scheine beleuchtet war‹. Erkenntnislehre in Schillers »Geisterseher«. In: Möglichkeiten und Querschläge. Sophia-Symposium Erkenntnis durch Erzählung. Ein Tagungsband. Herausgegeben von Christian Zemsauer, Leopold Schlöndorff und Sanayuki Nakai. Wien: Praesens Verlag, 2016, S. 38–50. – ISBN 978-3-7069-0889-4. 223. Liebsch, Dimitri: Neun kritische Fragen zu Schillers »Ästhetischer Erziehung«. In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft. Internationales Organ für neuere deutsche Literatur. Band 61 (2017). Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, S. 185–214. – ISBN 978-3-11-052854-1. Der Beitrag gliedert sich in die Abschnitte: 1. Welche und wie viele Arten charakterlicher Defizite gibt es? – 2. Worauf stützt sich die Kritik am modernen Individuum? – 3. Welche Entwicklung(en) durchlaufen Individuum und Gattung? – 4. Wie wird der ›Vernunftbegriff der Schönheit‹ (bzw. das ›Ideal der Schönheit‹) bestimmt? – 5. Wozu dient die Beschreibung der Juno Ludovisi? – 6. Welche und wie viele Arten empirischer Schönheit gibt es, und wie

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werden sie abgeleitet? – 7. Was soll der ›transzendentale Weg‹ leisten und was leistet er tatsächlich? – 8. Wie soll ästhetische Erziehung in der Praxis stattfinden? – 9. Welche Rolle spielt die Kunst in der »Ästhetischen Erziehung« überhaupt? 224. Meier, Albert: Nicht ›con amore‹? Friedrich Schillers »Der Geisterseher« im Widerstreit von Kunstanspruch und Trivialität. In: Dynamik und Dialektik von Hoch- und Trivialliteratur im deutschsprachigen Raum im 18. und 19. Jahrhundert. Band 2: Die Erzählposition. Herausgegeben von Anne Feler, Rymond Heitz und Gérard Laudin. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2017, S. 213–224. – ISBN 978-3-8260-5905-6. 225. Neuhaus, Volker: Friedrich Schiller, »Der Verbrecher aus verlorener Ehre« (1786). In: Ders., Grundriss der Neueren deutschsprachigen Literaturgeschichte. Tübingen: A. Francke Verlag, 2017, S. 69–74. (= UTB. 4821). – ISBN 978-3-8252-4821-5. 226. Neuhaus, Volker: Friedrich Schiller, »Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen« (1795). In: Ders., Grundriss der Neueren deutschsprachigen Literaturgeschichte. Tübingen: A. Francke Verlag, 2017, S. 94–99. (= UTB. 4821). – ISBN 978-3-8252-4821-5. 227. Riedel, Wolfgang: Philosophie des Schönen als politische Anthropologie. Schillers Augustenburger Briefe und die »Briefe über die ästhetische Erziehung«. In: Um Schiller. Studien zur Literatur- und Ideengeschichte der Sattelzeit. Herausgegeben von Markus Hien, Michael Storch und Franziska Stürmer. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2017, S. 225–277. – ISBN 978-3-8260-6310-7. Erstveröffentlichung in: L’éducation esthétique selon Schiller. Entre anthropologie, politique et théorie du beau. Paris 2013 [Marbacher Schiller-Bibliographie 2013, Nr. 377]. – Online-Publikation in: Philosophical Readings. 2013, № 5 [a.a.O.]. 228. Schippan, Martin: Friedrich Schiller, »Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? (1789). In: Ders., Die akademische Antrittsrede um 1800. Literarische Konstitution der philosophischen Öffentlichkeit. Heidelberg: Universitätsverlag Winter, 2017, S. 99–153. (= Ereignis WeimarJena. 36). – ISBN 978-3-8253-6826-5. Das Kapitel gliedert sich in die Abschnitte: 3.1. Die Antrittsrede als Autorinszenierung. – 3.2. ›Zauberkraft der schönen Diktion‹ – Dichterische Signaturen. – 3.3. Universalgeschichte und Dramentheorie. – 3.4. Resümee.



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229. Söhlke, Jan: Triangulierung  II: literaturgeschichtlich. Friedrich Schiller: »Der Geisterseher«. In: Ders., ›Verderben, verführen, verwüsten, bestechen‹. Literatur und Korruption um 1800. Siegen: Universitätsverlag Siegen, 2017, S. 177–198. – ISBN 978-3-936533-81-1.

7.5. Schiller als Herausgeber, Übersetzer (Bühnen-)Bearbeiter und Literaturkritiker 230. Dröse, Astrid  / Robert, Jörg: Editoriale Aneignung und usurpierte Autorschaft. Schillers »Thalia«-Projekt. In: Zeitschrift für Germanistik. Bern. 27. Jg., 2017, Heft 1, S. 108–131. – ISSN 0323-7982. 231. Dröse, Astrid: Schillers Kampf um den ›brittischen Aeschylus‹: die »Macbeth«-Bearbeitung. In: Schillers Europa. Herausgegeben von PeterAndré Alt und Marcel Lepper unter Mitarbeit von Catherine Marten. Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, S.  146–173. (= Perspektiven der Schiller-Forschung. 1). – ISBN 978-3-11-044004-1. Der Beitrag gliedert sich in die Abschnitte: 1. Dialektik der Freiheit. – 2. ›Der deutsche Shakespeare‹ und der ›brittische Aeschylus‹. – 3. Aspekte der Adaption. – 4. Transformationen des Wunderbaren und des Bösen. – 5. Hybridität als Programm und Provokation. 232. Jäger, Hans-Wolf: Schillers Almanache. Xenien und Balladen. In: Ders., Vorlesungen zur deutschen Literaturgeschichte. Herausgegeben von Holger Böning. Band 5: Klassik. Bremen: Edition Lumière, 2017, S. 101–120. – ISBN 978-3-943245-64-6. Mit einem vollständigen Abdruck des Gedichts »Die Braut von Corinth«. 233. Kämper, Gabriele: Vernetzt oder vereinzelt? Dichterinnen im MusenAlmanach von Friedrich Schiller. In: Akten des XIII.  Internationalen Germanistenkongresses, Shanghai 2015. Germanistik zwischen Tradition und Innovation. Band 8. Herausgegeben von Susanne Reichlin, Beate Kellner, Hans-Gert Roloff, Ulrike Gleixner u.  a. Frankfurt a.M., Bern: Peter Lang Edition, 2017, S. 177–181. (= Publikationen der Internationalen Vereinigung für Germanistik. 27). – ISBN 978-3-631-66870-2. 234. Lehnberg, Stefan: Durch Nacht und Wind. Die criminalistischen Werke des Johann Wolfgang von Goethe. Aufgezeichnet von seinem Freunde Friedrich Schiller. Stuttgart: Tropen Verlag, 2017, 236 S. – ISBN 978-3-608-50376-0. [Diese Parodie ist irrtümlich dieser Systemstelle zugeordnet worden; gehört zu Kap. 8.5.!].

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Rezension von Dietmar Jacobsen: »Wer reitet so spät  …«. In: Palmbaum. Literarisches Journal aus Thüringen. Bucha bei Jena. 25. Jg., 2017, Heft 2 (65), S. 208  ff. – ISSN 0943-545X.

235. Lütteken, Anne: Europas Geschichte – publizistisch betrachtet. Schillers »Sammlung historischer Memoires vom zwölften Jahrhundert bis auf die neuesten Zeiten«. In: Schillers Europa. Herausgegeben von Peter-André Alt und Marcel Lepper unter Mitarbeit von Catherine Marten. Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, S. 102–116. (= Perspektiven der Schiller-Forschung. 1). – ISBN 978-3-11-044004-1. Der Beitrag gliedert sich in die Abschnitte: 1. Arbeit am ›weitläufigen Werk‹ oder Historiografie aus dem Geist der Geschwätzigkeit. – 2. ›[D]ie Entreprise mit den Memoires‹: Schiller als Literatur-Unternehmer. – 3. Die ›Kunst ein schönes Nichts zu sagen‹ oder Die Grenzen der Übersetzbarkeit. 236. Nutt-Kofoth, Rüdiger: Schillers Medienpolitik. In: Schreibekunst und Buchmacherei. Zur Materialität des Schreibens und Publizierens um 1800. Herausgegeben von Cornelia Ortlieb und Tobias Fuchs. Hannover: Wehrhahn Verlag, 2017, S. 93–115. – ISBN 978-3-865525-575-4.

7.6. Schiller in Briefen und Korrespondenzen 237. Calzoni, Raul: Lettere a Weimar. I carteggi romani di Wilhelm von Humboldt con Goethe e Schiller. In: Cultura Tedesca. Rivista semestrale. Napoli (Università degli Studi Suor Orsola Benincasa), 2017, Heft 53, S. 201–217. – ISSN 1720-514X.

7.7. Einzelne Aspekte, Motive, Stoffe, Themen und Begriffe (werkübergreifend)

Keine Beiträge im Berichtszeitraum; einige Untersuchungen, die dieser Systemstelle hätten zugeordnet werden können, werden an der übergeordneten Stelle verzeichnet



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7.8. Schiller in diversen Kontexten (auch Beiträge ohne Nennung Schillers im Titel) 238. Beebee, Thomas O.: From Schiller to ›Schund‹. ›Zensur‹ and the Canonization of Literature. In: Ders., Citation and Precedent. Conjunctions and Disjunctions of German Law and Literature. New York: Bloomsbury, 2014, S. 138–161. (= New Directions in German Studies. 3). – ISBN 978-1-62892-1243. 239. Gröper, Reinhard: Schiller hatte rotes Haar. Hans Christian Andersen und die schwäbischen Dichter. Tübingen: J. F. Hagenlocher Verlag, 2017, 32 S. – ISBN 978-3-931838-15-7.

8. Nationale und internationale Wirkungsgeschichte 8.1. Studien zu literarästhetischen Rezeptionsformen 8.1.1. Allgemeine Untersuchungen und spezielle Aspekte 240. Bachmann, Christian A.: Gustav Könneckes »Schiller. Eine Biographie in Bildern« (1905). Zur Deutungsmacht illustrierter Literaturgeschichten. In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft. Internationales Organ für neuere deutsche Literatur. Band 61 (2017). Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, S. 55–77. – ISBN 978-3-11-052854-1. 241. Düsing, Wolfgang: Schattenspiele um Schiller. Klassik und Moderne im Drama des 20.  Jahrhunderts. In: Friedrich Schiller. Ein deutsch-italienisches Gespräch. Herausgegeben von Ivo De Gennaro. Freiburg i.B., Berlin, Wien: Rombach Verlag, 2017, S. 33–54. (= Rombach Wissenschaften: Reihe Paradeigmata. 42). – ISBN 978-3-7930-9905-5. Es handelt sich um die überarbeitete Version der Abschiedsvorlesung, die der Verfasser am 16. Februar 2004 an der Mainzer Johannes-Gutenberg-Universität gehalten hat. Der Beitrag gliedert sich in die Abschnitte: Die klassische Tragödie und die »Ratten« der Moderne (G. Hauptmann). – Klassik-Kritik im epischen und im surrealistischen Theater (Brecht und Weiss). – Absurdes contra klassisches Theater (Hildesheimer). – Spiel mit Schillertexten (Volker Braun u.  a.). 242. Gansel, Carsten  / Leon-Neuhaus, Michaela: Zur Kanonisierung von G. E. Lessing, J. W. v. Goethe und F. Schiller im gymnasialen Deutschunterricht – untersucht an Schulprogrammen von hessischen Gymnasien im 19.

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und frühen 20. Jahrhundert. In: Gotthold Ephraim Lessing im Kulturraum Schule. Aspekte der Wirkungsgeschichte im 19. Jahrhundert. Herausgegeben von Carsten Gansel, Norman Ächtler und Birka Siwczyk. Göttingen: V & R Unipress, 2017, S. 95–174. (= Gotthold Ephraim Lessing im kulturellen Gedächtnis: Materialien zur Rezeptionsgeschichte. 4). – ISBN 978-3-84710633-3. 243. Heyer, Andreas: Zwischenstück  I. Schiller, 1955. In: Ders., Der gereimte Genosse. Goethe in der SBZ/DDR.  Baden-Baden: Tectum-Verlag, 2017, S. 199–236. – ISBN 978-3-8288-3992-2. 244. Schmid, Gerhard: Der Mann, der wie Schiller schrieb. Die Fälschungen von Schiller-Handschriften durch Heinrich von Gerstenbergk (1814–1880). In: Manuskripte 8. Redaktion: Eva Beck, Ulrike Bischof und Edith Nahler. Weimar: Freundesgesellschaft des Goethe- und Schiller-Archivs, 2017, S. 17–34. – ISBN 978-3-9814371-8-8. 245. Šimůnková, Alena: Pražské oslavy Schillerova výročí 1859 – barometr loajalit? In: Neviditelná loajalita? Rakušané, němci, češi v české kultuře 19. století. Sborník příspěvků z 35. ročníku sympozia k problematice 19. století, Plzeň, 26.–28. února 2015 / / Unsichtbare Loyalität? Österreicher, Deutsche und Tschechen in der Kultur der böhmischen Länder des 19. Jahrhunderts. Uspořádali Václav Petrbok, Taťána Petrasová a Pavla Michalíková. Praha: Academia, 2016, S. 253–260. – ISBN 978-80-200-2562-3. Übersetzung des Titels: Die Prager Schiller-Jubiläumsfeier von 1859 – ein Barometer der Loyalität? 246. Zinn, Laura: Schiller. Drama und Musik. – Genieästhetik. – Kabale, Liebe und Schauspiel. In: Dies., Fiktive Werkgenesen. Autorschaft und Intermedialität im gegenwärtigen Spielfilm. Bielefeld: Transcript Verlag, 2017, S. 235– 256. – ISBN 978-3-8376-4098-4.

8.1.2. Wirkung auf Personen in Literatur, Kultur und Wissenschaft 247. Beßlich, Barbara: Ein verschlissener Klassiker und sein segmentiertes Werk. Die Rekanonisierung von Schillers Briefen »Über die ästhetische Erziehung des Menschen« in der Weltanschauungsliteratur von Wagner, Chamberlain, Eucken, Ziegler, Kühnemann, Kommerell, George und Wolfskehl. In: Die Präsentation kanonischer Werke um 1900. Semantiken, Praktiken, Materialität. Herausgegeben von Philip Ajouri. Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, S. 43–58. (= Beihefte zu Editio. 42). – ISBN 978-3-11-054808-2.



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248. Borchmeyer, Dieter: Wagner und Verdi – Antipoden in Schillers Spuren. In: Wagnerspectrum. Herausgegeben von Udo Bernbach, Dieter Borchmeyer, Sven Friedrich, Hans-Joachim Hinrichsen, Arne Stollberg und Nicholas Vazsonyi. Würzburg (Königshausen & Neumann), 13. Jg., 2017, Heft 2 (26), S. 41–81. – ISBN 978-3-8260-6395-4. 249. Делекторская, И.Б.: Шиллер и Мюнхгаузен – немецкие персонажи прозы Сигисмунда Кржижановского. В: Россия и Германия / Russland und Deutschland. Сборник статей  / по материалам международной начной конференции »Россия и Германия: литературные и культурные связи в XVIII-XXI веках.« Составители: Н. И. Михайлова и В.А. Невская. Москва: Госудаственный Музей А. С. Пушкина, 2015, с. 127–131. – ISBN 978-5-906413-06-2 Transliteration: Delektorskaja, I. B.: Šiller i Mjunchgauzen – nemeckie personaži prozy Sigismunda Kržižanovskogo. V: Rossija i Germanija. Sbornik statej  / po materialam meždunarodnoj naučnoj konferencii »Rossija i Germanija: literaturnye i kuľturnye svjazi v XVIII-XIX vekach.« Sostaviteli: N. I. Michajlova i V.  A. Nevskaja. Moskva: Gosudarstvennyj Muzej A. S. Puškina, 2015, S. 127–131. Deutsche Übersetzung des russischen Titels: Schiller und Münchhausen – deutsche Personen in der Prosa von Sigismund Kržižanovskij. 250. Ewen, Jens: Thomas Manns Künstlerproblematik im Kontext des ästhetischen Diskurses der Moderne. Das Schöne und die Geschichte: Friedrich Schillers ästhetische Theorie. In: Ders., Erzählter Pluralismus. Thomas Manns Ironie als Sprache der Moderne. Frankfurt a.M.: Verlag Vittorio Klostermann, 2017, S. 178–193. (= Thomas-Mann-Studien. 54). – ISBN 978-3-46503952-5. 251. Feler, Anne: Schiller et ses héritiers. ›Geheimbundromane‹ dans le sillage du »Geisterseher«: l’exemple de »Der Genius« de Karl Grosse. In: Dynamik und Dialektik von Hoch- und Trivialliteratur im deutschsprachigen Raum im 18. und 19. Jahrhundert. Band 2: Die Erzählposition. Herausgegeben von Anne Feler, Rymond Heitz und Gérard Laudin. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2017, S. 109–130. – ISBN 978-3-8260-5905-6. 252. Gelhard, Dorothee: Das Wesensmerkmal der symbolischen Form der Kunst. Cassirer liest Schiller – Freiheit als Bedingung für Erkenntnis. In: Dies., Ernst Cassirer und die Literatur. Frankfurt a.M., Bern, Wien: Verlag Peter Lang, 2017, S. 62–86. (= Berliner Beiträge zur Literatur- und Kulturgeschichte. 21). – ISBN 978-3-631-74127-6.

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253. Gelhard, Dorothee: Formen des Erkenntnisgewinns in der symbolischen Form der Kunst. Das Nachwirken der Warburg-Schule: Schiller und Shaftesbury. In: Dies., Ernst Cassirer und die Literatur. Frankfurt a.M., Bern, Wien: Verlag Peter Lang, 2017, S. 197–213. (= Berliner Beiträge zur Literatur- und Kulturgeschichte. 21). – ISBN 978-3-631-74127-6. 254. Reisinger, Roman: Silvio Pellico – Bewunderer, Rezensent und Kritiker Schillers. In: Friedrich Schiller. Ein deutsch-italienisches Gespräch. Herausgegeben von Ivo De Gennaro. Freiburg i.B., Berlin, Wien: Rombach Verlag, 2017, S. 187–204. (= Rombach Wissenschaften: Reihe Paradeigmata. 42). – ISBN 978-3-7930-9905-5.

8.1.3. Schiller im fremdsprachigen Ausland 255. Di Benedetto, Arnoldo: Fra entusiasmi e riserve. Schiller nei giudizi dei primi romantici italiani. In: Friedrich Schiller. Ein deutsch-italienisches Gespräch. Herausgegeben von Ivo De Gennaro. Freiburg i.B., Berlin, Wien: Rombach Verlag, 2017, S. 9–31. (= Rombach Wissenschaften: Reihe Paradeigmata. 42). – ISBN 978-3-7930-9905-5. Erstveröffentlichung in: Ders., Fra Germania e Italia. Studi e flashes letterari. Firenze: Olschki, 2008. (= Collana della Villa Vigoni: Studi italo-tedeschi. 11). [Marbacher Schiller-Bibliographie 2008, Nr. 384]. 256. Filippi, Paola Maria: Quale lingua per Schiller in Italia. Tradurre Schiller oggi fra tradizione e innovatività. In: Friedrich Schiller. Ein deutsch-italienisches Gespräch. Herausgegeben von Ivo De Gennaro. Freiburg i.B., Berlin, Wien: Rombach Verlag, 2017, S. 55–72. (= Rombach Wissenschaften: Reihe Paradeigmata. 42). – ISBN 978-3-7930-9905-5. Erstveröffentliching in: Comunicare letteratura. Rovereto. 2011, № 4 [Marbacher Schiller-Bibliographie 2016, Nr. 408].

8.2. Schillers Werke auf der Bühne 8.2.1. Rückblicke auf historische Aufführungen

Keine Beiträge im Berichtszeitraum



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8.2.2. Aktuelle Inszenierungen im Spiegel der Presse (Auswahl) a) Don Karlos 257. Zerweck, Dietholf: Packendes Spiel um Macht und Liebe. Hessisches Staatstheater Wiesbaden zeigt Schillers »Don Karlos« im Ludwigsburger Forum. In: Ludwigsburger Kreiszeitung. Nr. 39 vom 16. 02. 2017, S. 22. – Inszenierung von Uwe Eric Laufenberg. b) Maria Stuart 258. Mayer, Norbert: »Maria Stuart« bei Vorstadtweibern. Theater in der Josefstadt: Günter Krämer hat in seiner Inszenierung Schillers klassisches Trauerspiel arg reduziert. Er kommt mit dem Beil zur Sache, als ob er der Henker wäre. In: Die Presse. Wien. Nr. 21418 vom 9. 12. 2017, S. 23. 259. Schütt, Hans-Dieter: Die Zwiebel, die sich selber schält. Am Landestheater Neustrelitz: »Maria Stuart«. In: Neues Deutschland. Berlin. Nr. 47 vom 24. 02. 2017, S. 15. – Inszenierung von Marco Bahr. c) Wilhelm Tell 260. Halter, Martin: Alpenwestern mit Todfreunden. Sprechgesänge aus dem Schweizer Maulwurfsbau: Stefan Bachmann inszeniert in Basel Schillers »Wilhelm Tell«. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. Nr. 48 vom 25. 02. 2017, S. 13. 261. Philipp, Dorothee: Zweidimensional und mit viel Symbolik. Premiere von Schillers »Tell« am Basler Theater. In: Die Oberbadische. Lörrach, 25. 02. 2017, »Regio-Kultur«. – Inszenierung von Stefan Bachmann. 262. Schlienger, Alfred: Alles ist Sprache, alles ist Bild. Mit einem fabelhaften »Wilhelm Tell« begeistert Stefan Bachmann das Publikum in Basel. In: Neue Zürcher Zeitung. Internationale Ausgabe. Nr. 48 vom 27. 02. 2017, S. 22. 263. Schulte, Bettina: Schweizer Rap. Stefan Bachmann inszeniert in Basel Friedrich Schillers Historiendrama »Wilhelm Tell«. In: Badische Zeitung. Freiburg i.B. Nr. 47 vom 25. 02. 2017, S. 13. d) Wallenstein 264. Golombek, Nicole: Führer und Verführte. Elmar Goerden bringt zum Saisonauftakt am Nationaltheater Mannheim Friedrich Schillers »Wallenstein« auf die Bühne. In: Stuttgarter Nachrichten. Nr. 217 vom 19. 09. 2017, S. 15. –

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Unter der Überschrift »Einsame Superheldin« auch in: Stuttgarter Zeitung. Nr. 217 vom 19. 09. 2017, S. 29.

8.2.3. Aktuelle Aufführungen von musikalischen Adaptionen (Opern) 265. Hauenstein, Clemens: Weit und breit kein Himmel. Finster, finster: An der Pariser Oper erinnert Philippe Jordan, dass der Italiener Verdi mit dem »Don Carlos« eigentlich eine französische Oper geschrieben hat. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. Nr. 238 vom 13. 10. 2017, S. 12. 266. Roux, Marie-Auge: Pas de sacre pour »Don Carlos« à Bastille. Malgré la direction éclairée de Philippe Jordan, la nouvelle production du chef-d’œuvre de Verdi déçoit. In: Le Monde. Paris. Nr. 22628 vom 13. 10. 2017, S. 14. 267. Schacher, Thomas: Solche Stimmen retten alles. Eine sensationelle Sängerbesetzung trägt Verdis »Don Carlos« an der Pariser Bastille-Oper über die Mängel der Inszenierung hinweg. In: Neue Zürcher Zeitung. Internationale Ausgabe. Nr. 242 vom 18. 10. 2017, S. 22 268. Sinkovicz, Wilhelm: Und nicht einmal ein Hass-Duett  … Im Gespräch: Vincent Schirrmacher und Boaz Daniel sind die verfeindeten Brüder in Verdis Schiller-Vertonung »Die Räuber«, die an der Volksoper auf Deutsch Premiere hat. In: Die Presse. Wien. Nr. 21363 vom 12. 10. 2017, S. 24. 269. Stallknecht, Michael: Federleicht in die Tragödie. Die Erstfassung von Giuseppe Verdis »Don Carlos« überzeugt in Paris. In: Süddeutsche Zeitung. München. Nr. 235 vom 12. 10. 2017, S. 13. 270. Weidringer, Walter: Stummfilmblick in Verdis Werkstatt. Volksoper: Regisseur Alexander Schulin siedelt Verdis »Räuber« nach Schillers Drama zwischen Expressionismus und Opernkonvention an. Unter Jac van Steen sucht eine weitgehend achtbare Besetzung nach einem deutschen Verdi-Stil. In: Die Presse. Wien. Nr. 21367 vom 16. 10. 2017.

8.3. Untersuchungen zu Bearbeitungen, Vertonungen und Verfilmungen 271. Antesberger, Wolfgang: Die deutschsprachigen Lieder für Pianoforte von Johann Wenzel Tomaschek. Sankt Ottilien: EOS Editions, 2017, 752 S. – ISBN 978-3-8306-7853-3.





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Darin exemplarische Analysen mit zahlreichen Notenbeispielen folgender Gedichte von Friedrich Schiller: »Leichenphantasie« (S. 203–219). – »Laura« (S.  228–233). – »Elegie auf den Tod eines Jünglings« (S.  236–241). – »An Emma« (S.  258  ff.). – »Die Erwartung« (S. 262–268). – »Das Lied« (S. 268– 272). – »Das Geheimniss« (S. 444  f.). – »Amalia« (S. 446  ff.). – »Sehnsucht« (S. 449–454). – »Das Mädchen aus der Fremde« (S. 454–457). – »Des Mädchens Klage« (S. 457–463). – »Der Pilgrim« (S. 463–467). – »Der Jüngling am Bach« (S. 467  ff.). – »Thekla – eine Geisterstimme« (S. 469–473). – »Die Entzückung an Laura« (S. 473–478). – »Fischerknabe« (S. 478–481). – »Hirt auf dem Berge« (S. 481  ff.). – »Alpenjäger« (S. 484–487).

272. Hauck, Caroline: Rossinis »Guillaume Tell« als »Andreas Hofer« in Berlin (1839). In: Dies., Grand Opéra an deutschen Hoftheatern (1830–1848). Studien zu Akteuren, Praktiken und Aufführungsgestalten. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2016, S.  162–223. (= Musik – Kultur – Geschichte. 5). – ISBN 978-3-8260-6087-8. Das Kapitel gliedert sich in die Abschnitte: Der Tell-Stoff in der ersten Hälfte des 19.  Jahrhunderts. – Aufführungsdaten und Quellenbeschreibung. – Einrichtung des Librettos. – Einrichtung der Musik. 273. Junold, Arkadi: Schiller in der Oper. In: Ders., Essays zur Musik. Teil  4. Berlin: Arkadien-Verlag, 2017, S. 57–69. – ISBN 978-3-940863-85-0. 274. Öhm-Kühnle, Christoph: Körners Erstvertonung von Schillers »An die Freude« unter Schubarts Namen. Eine Verwechslung mit Folgen in der »Freymaurer-Zeitung« (Neuwied 1787). In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft. Internationales Organ für neuere deutsche Literatur. Band 61 (2017). Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, S.  171–183. – ISBN 978-3-11-052854-1. 275. Reiber, Joachim: Kabale und Liebe. Musterschau einer Diktatur: Einems Schiller-Oper. In: Ders., Gottfried von Einem. Komponist der Stunde null. Wien: Verlag Kremayr & Scheriau, 2017, S.  179–186. – ISBN 978-3-21801087-0. 276. Werner, Anett: ›Eine völlig neue Geographie‹ – Martin Hellbergs Klassikerverfilmungen »Kabale und Liebe«, »Emilia Galotti« und »Minna von Barnhelm«. In: Dies., Orte der Klassik. Szenographie in Literaturverfilmungen der DEFA. Weimar: VDG Weimar im Jonas Verlag für Kunst und Literatur, 2017, S. 42–70. (= Scenographica. 2). – ISBN 978-3-89739-858-0. Das Kapitel gliedert sich in die Abschnitte: 1.1. Räumliche Antagonismen in »Kabale und Liebe« (1959): Schloss Belvedere versus Kirms-Krackow-Haus.

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a) Soldatenhandel und die Filmräume des Adels. – b) Filmarchitektonische Intervention in Weimar. – c) Der Salon der Lady Milford. – d) Der Saal des Präsidenten von Walter. – 1.2. Die Räume des Bürgertums. – 1.3. »Kabale und Liebe« als DEFA-Großproduktion.

8.4. Studien zu Illustrationen und Ikonographie 277. Strittmatter, Ellen: Schillers Porträts – eine europäische Bildsprache? Ein Blick in die Marbacher Bestände. In: Schillers Europa. Herausgegeben von Peter-André Alt und Marcel Lepper unter Mitarbeit von Catherine Marten. Berlin, Boston: Verlag Walter de Gruyter, 2017, S. 174–216. (= Perspektiven der Schiller-Forschung. 1). – ISBN 978-3-11-044004-1. Der Beitrag gliedert sich in die Abschnitte: 1. Europäische Dichterverehrung in Denkmal und Porträt. – 2. Formen der Selbstinszenierung bei Friedrich Schiller. – 2.1. Natürlichkeitsemphase und ›furor poeticus‹. – 2.2. Empfindsamkeit und ›gestus melancholicus‹. – 2.3. Idealisierkunst und Geistergespräche mit einem Klassiker. – 2.4. Stilisierung zum Gott der Dichtkunst. – 3. Resümee.

8.5. Produktive Rezeption: Fiktionalisierungsformen 278. Disney, Walt: Die Legende von Donald Tell. Übersetzung aus dem Italienischen von Gudrun Smed-Puknatis. Szenario und Zeichnungen von Guido Scala. In: Ders., Deutsche Literaturklassiker. Berlin: Egmont Comic Collection / Egmont Verlagsgesellschaft, 2017, S. 95–126. (= Entenhausener Weltbibliothek. [1]). – ISBN 978-3-7704-3959-1. Italienischer Originaltitel: Paperino e la leggenda di Papertell. In: Topolino, Nr.  1709 vom 28. 08. 1988. – Deutsche Erstveröffentlichung in: Onkel Dagobert, Nr. 47 vom 28. 03. 1991. 279. Jahn, Lothar: Ein etwas (leicht-)fertiges Annäherungsspiel. [Schillers und Kants einzigartige Begegnung]. Münster/Westf.: Verlagshaus Monsenstein und Vannerdat, 2014, 396 S. mit Illustrationen. (= Edition Octopus). – ISBN 978-3-95645-181-2. 280. Müllers, Josefine: Der Grund der Freude (Für Friedrich Schiller und seine Ode an die Freude). In: Dies., Und ewig ist der Augenblick. Gedichte. Hamburg: Verlag Tredition, 2017, S.  80. – ISBN 978-3-7345-9375-8  / 978-37345-9376-5.



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281. Zweig, Stefan: Zu Friedrich von Schiller und Walter von Molo. Ein Schillerroman. In: Ders., Sternbilder. Sammlung verschollener Essays über deutschsprachige Klassiker. Herausgegeben von Klaus Gräbner und Erich Schirhuber. Auswahl und Transkription: Klaus Gräbner. Krems an der Donau: Edition Roesner, 2017, S.  71–74. (= tranScript: Literaturwissenschaftliche Sonderreihe. 3). – ISBN 978-3-903059-65-8.

8.6. Schiller im Deutschunterricht (Auswahl) 282. Bartoniczek, Andre: Schillers Werke im Unterricht. In: Fiechter, Hans Paul / Ders., Schiller. Kafka. Kassel: Bildungswerk Beruf und Umwelt (edition waldorf), 2017, S. 113–158. (= Gestalten + Entdecken). – ISBN 978-3-93937431-2. Das Kapitel enthält die werkspezifischen Abschnitte: »Der Verbrecher aus verlorener Ehre« (S. 159–172). – »Don Carlos« (S. 173–194). – »Maria Stuart« (S. 194–210). – »Über die ästhetische Erziehung des Menschen« (S. 210–218). 283. Becker, Herbert: Friedrich Schiller, »Wilhelm Tell«. Stuttgart: Klett Lerntraining, 2017, 110 S. (= Klett Lektürehilfen). – ISBN 978-3-12-923109-8. Inhalt: 1. Inhaltsangabe und erste Deutungsaspekte. Die Dramenhandlung und ihr Verlauf (S.  5–22). – 2. Analyse und Interpretation. Der Aufbau des Dramas. – Die Sprache. – Die Personen. – Themen: Staat, Gesellschaft und Revolution. – Der historische Hintergrund. – Verfasser und Werk (S. 23–78). – 3. Schnellcheck (S. 81–89). – 4. Prüfungsaufgaben und Lösungen (S. 91–106). – Literaturhinweise (S. 107  f.). – Stichwortregister (S. 109  f.). 284. Borcherding, Wilhelm: Friedrich Schiller, »Die Räuber«. In: Deutsch betrifft uns. Aachen (Bergmoser & Höller), 2017, Heft 1, 32 (1) S. – Aktuelle Unterrichtsmaterialien mit OH-Folien und einer CD-ROM. 285. Pasche, Wolfgang: Das Drama des Sturm und Drang. Friedrich Schiller: »Die Räuber«. In: Ders., Dramen analysieren und interpretieren. Mit Lernvideos. Hallbergmoos: Stark Verlagsgesellschaft, 2017, S. 57–68. (= Abitur-Training Deutsch: Gymnasium). – ISBN 978-3-8490-3168-8. Das Kapitel gliedert sich die Abschnitte: 1. Reflexion des Szeneninhalts, Klärung der Situation. – 2. Analyse des Szenenaufbaus und des Redeverhaltens. – 3. Untersuchung der Figurenkonzeption. – 4.  Berücksichtigung der zu verfassenden Textsorte. – 5. Verfassen der Gestaltenden Interpretation. – 6. Begründen und Reflektieren des eigenen Textes.

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286. Pelster, Theodor: Friedrich Schiller, »Maria Stuart«. Ditzingen: Verlag Philipp Reclam jun., 2017, 132 S. (= Reclam Lektüreschlüssel XL. 15464). – ISBN 978-3-15-015464-9). Inhalt: 1. Schnelleinstieg (S. 7–12). – 2. Inhaltsangabe (S. 13–25). – 3. Figuren (S.  27–48). – 4.  Form und literarische Technik (S.  49–61). – 5. Quellen und Kontexte (S.  63–69). – 6. Interpretationsansätze (S.  70–91). – 7. Autor und Zeit (S.  92–105). – 8. Rezeption (S.  106  ff.). – 9.  Prüfungsaufgaben mit Lösungshinweisen (S. 109–121). – 10. Literaturhinweise / Medienempfehlungen (S. 122–125). – 11. Zentrale Begriffe und Definitionen (S. 126–132). 287. Poppe, Reiner / Suppanz, Frank: Friedrich Schiller, »Die Räuber«. Stuttgart: Verlag Philipp Reclam jun., 2017, 121 S. (= Lektüreschlüssel XL für Schülerinnen und Schüler. 15450). – ISBN 978-3-15-015450-2. Inhalt (Auszug): 1. Schnelleinstieg (S.  7–15). – 2. Inhaltsangabe (S.  16–28). – 3. Figuren (S.  29–45). – 4. Form und literarische Technik (S.  46–56). – 5. Quellen und Kontexte (S. 57–63). – 6. Interpretationsansätze (S. 64–73). – 7. Autor und Zeit (S. 74–89). – 8. Rezeption (S. 90–97). – 9. Prüfungsaufgaben mit Erwartungshorizont (S. 98–107). – 10. Literaturhinweise und Medienempfehlungen (S. 108–112). – 11. Zentrale Begriffe und Definitionen (S. 113–121). 288. Völkl, Bernd: Friedrich Schiller, »Kabale und Liebe«. Ditzingen: Verlag Philipp Reclam jun., 2017, 116 S. (= Reclam Lektüreschlüssel XL. 15469). – ISBN 978-3-15-015469-4). Inhalt: 1. Schnelleinstieg (S. 7–10). – 2. Inhaltsangabe (S. 11–26). – 3. Figuren (S.  27–40). – 4.  Form und literarische Technik (S.  41–45). – 5. Quellen und Kontexte (S.  46–50). – 6. Interpretationsansätze (S.  51–70). – 7. Autor und Zeit (S.  71–79). – 8. Rezeption (S.  80–86). – 9.  Prüfungsaufgaben mit Lösungshinweisen (S.  87–102). – 10. Literaturhinweise  / Medienempfehlungen (S. 103–109). – 11. Zentrale Begriffe und Definitionen (S. 111–116).

9. Audiovisuelle Medien: CDs und DVDs (Auswahl) 289. Lehnberg, Stefan: Durch Nacht und Wind. Die criminalistischen Werke des Johann Wolfgang von Goethe. Aufgezeichnet von seinem Freunde Friedrich Schiller. Lesung mit Oliver Kalkofe. Regie: Sven Stricker. Berlin: Der Audio Verlag, 2017, 4 CDs (5:34 h). – ISBN 978-3-7424-0054-3. Rezension von Helena Neumann: Schiller mit Hofrat Goethe. Es lebe das skurrilste Ermittlerduo noch vor Sherlock Holmes und Dr. Watson. In: der Freitag. Berlin. Nr. 16 vom 20. 04. 2017, Literaturbeilage, S. VI.



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290. Schiller, Friedrich: Der Taucher. In: O schaurig ist’s, übers Moor zu gehen. Deutsche Balladen. Gesprochen von Achim Höppner. Sounds und Musik von Lutz Rahn. Leipzig: Legato, 2016, 2 CDs. – ISBN 978-3-942748-87-2. 291. Schiller, Friedrich: Würde der Frauen. In: Abendlied. Die schönsten Gedichte zur Dämmerstunde, die berühmtesten Dichter und ihre Werke. Von Walter [sic] von der Vogelweide und Johann Wolfgang Goethe bis ­Christian Morgenstern. Rezitiert von Jürgen Goslar. Merenberg: ZYX Music, 2016, 3 CDs. – ISBN 978-3-95995-081-7. 292. Schlegel, August Wilhelm: Schillers Lob der Frauen. In: Abendlied. Die schönsten Gedichte zur Dämmerstunde, die berühmtesten Dichter und ihre Werke. Von Walter [sic] von der Vogelweide und Johann Wolfgang Goethe bis Christian Morgenstern. Rezitiert von Jürgen Goslar. Merenberg: ZYX Music, 2016, 3 CDs. – ISBN 978-3-95995-081-7.

10. Personenregister Verzeichnet werden alle Personen (Verfasser, Herausgeber, Übersetzer, Rezensenten, Komponisten, Illustratoren, Regisseure, Interpreten), die literarischen Autoren, Philosophen und historischen Persönlichkeiten, die in den Zeitschriftenaufsätzen und Buchbeiträgen im Zusammenhang mit Schillers Werk und Wirkung behandelt und erwähnt werden. Nicht berücksichtigt sind dagegen die mythologischen Figuren, die biblischen Gestalten und die »gefeierten Personen« aus Wissenschaft und Forschung (Festschriften). Auf die Herausgeber von Tagungsbänden und Kongress-Schriften zu Schillers Werken wird nur einmal an der entsprechenden Systemstelle (unter Kap. 1.4.) verwiesen. Abel, Jacob Friedrich 112, 122, 166 Ächtler, Norman 179, 242 Adrian, Michael 014 Agard, Olivier 220 Ajouri, Philip 247 Allart, Johannes 073 Allerkamp, Andrea 209 Alt, Peter-André 009 Ameriks, Karl 102 Amoroso, Leonardo 002 Anders, Sabine 040 Anderson, Sage 100

Andronikashvili, Zaal 050 Annen, Daniel 092 Antesberger, Wolfgang 271 Arendt, Hannah 134 Axer, Eva 156 Bachmann, Christian A. 240 Bachmann, Stefan 260, 261, 262, 263 Baffi, Giulio 180 Bahr, Marco 259 Barkhoff, Jürgen 202 Bartl, Andrea 167, 172 Bartl-Schmechel, Carmen 100

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Bartoniczek, Andre 041, 173, 203, 282 Beck, Eva 244 Beck, Sandra 217 Becker, Herbert 283 Bednorz, Achim 011 Beebee, Thomas O. 238 Benda, Julien 093 Bens, Jürgen 010 Berchet, Giovanni 032 Bernbach, Udo 248 Bernstorff, Wiebke von 063 Beßlich, Barbara 247 Besterveld, Ton 084 Betz, Otto 021 Beyer, Jürgen 012 Bidlo, Oliver 221 Birkner, Nina 208 Bischof, Ulrike 244 Blamberger, Günter 209 Böhm, Elisabeth 064 Bomski, Franziska 075 Böning, Holger 151, 175, 232 Borcherding, Wilhelm 284 Borchmeyer, Dieter 248 Bosscha, Herman 073 Brandt, Peter 103 Braun, Volker 241 Brecht, Bertolt 241 Breuer, Ingo 209 Brüning, Gerrit 065 Busi, Aldo 031 Bussert, Luise 055 Büssgen, Antje 093 Buth, Matthias 042 Calzoni, Raul 237 Camilletti, Fabio 032 Carrano, Antonio 077, 094 Cassirer, Ernst 252, 253 Cetti Marinoni, Bianca 066 Chamberlain, Houston Stewart 247

Chèvremont, Alexandre 101 Coignard, Tristan 059 Dahlmann-Resing, Andrea 090 Dahlstrom, Daniel O. 102 Damm, Sigrid 045 Dane, Gesa 090 Daniel, Boaz 268 Darras, Gilles 155 Daub, Adrian 065 Davies, Steffan 095 Dawidowski, Christian 179 De Gennaro, Ivo 006 Delektorskaja, I. B. 249 Dente, Carla 185 Di Benedetto, Arnoldo 255 Di Maio, Davide 033 Dicke, Klaus 157 Dickinson, Emily 063 Dietzsch, Steffen 103 Disney, Walt 278 Dobler, Gregor 114 Dommes, Grit 187 Dröse, Astrid 230, 231 Droste-Hülshoff, Annette von 218 Dücker, Burckhard 103 Düsing, Wolfgang 241 Edinger, Sebastian 100 Einem, Gottfried von 275 Einert, Benedikt 057 Emmerling, Leonhard 104 Erk, Corina 167, 172 Eucken, Rudolf 247 Evens, Oliver 053 Evers, Meindert 105 Ewen, Jens 250 Fabbianelli, Faustino 220 Fantasia, Maria Elena 180 Fedi, Francesca 185 Feler, Anne 095, 224, 251 Fiala-Fürst, Ingeborg 060



marbacher schiller-bibliographie 2017

Fiechter, Hans Paul 041, 173, 203, 282 Fiedler, Karl A. 015 Filiberti, Marco 180 Filippi, Paola Maria 256 Fischer, Sabine 088 Fleig, Anne 209 Foi, Maria Carolina 210 Forster, Georg 170 Frank, Annika 056, 072, 193 Freud, Sigmund 060 Frevert, Ute 043 Freyermuth, Gundolf S. 046 Friedauer, Denise 106 Friedrich, Sven 248 Fuchs, Tobias 236 Fues, Wolfram Malte 107 Gamper, Michael 087 Gansel, Carsten 242 Gelhard, Dorothee 252, 253 Genzolini, Marco 108 George, Stefan 247 Gerstenbergk, Heinrich von 244 Geuen, Vanessa 051, 164, 165, 187, 194 Geyersbach, Viola 012 Gleixner, Ulrike 089, 201, 233 Goerden, Elmar 264 Goethe, Johann Wolfgang von 035, 060, 064, 065, 068, 071, 075, 076, 082, 086, 087, 128, 234, 242, 289 Golombek, Nicole 264 Görner, Rüdiger 158 Goslar, Jürgen 291, 292 Gotto, Lisa 046 Goubet, Jean-François 220 Gräbner, Klaus 281 Graff, Max 159 Grapotte, Sophie 094 Gröper, Reinhard 239 Gschwind, Christoph 139, 181, 188, 192, 207

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Güse, Ernst-Gerhard 012 Haas, Agnieska K. 170 Hach, Wolfgang 054 Hach-Wunderle, Viola 054 Hahn, Hans Joachim 183 Hajduk, Stefan 067 Halter, Martin 260 Hamann, Johann Georg 070, 102 Hamm, Peter 044 Hanauska, Annika 167, 172 Handke, Peter 044 Hauck, Caroline 272 Hauenstein, Clemens 265 Haupt, Klaus-Werner 160 Hauptmann, Gerhart 241 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 129 Heiser, Jan Christoph 068 Heitz, Raymond 095, 224, 251 Hellberg, Martin 276 Heller, Jakob Christoph 100 Hellinger, Alf 106 Henke, Silke 008, 161 Herder, Johann Gottfried 070, 083, 102, 115 Heyer, Andreas 243 Hien, Markus 007 Hill, Christian 055 Hinrichsen, Hans-Joachim 248 Hofer, Michael 137 Hofmann, Michael 025, 026 Hogarth, William 086 Höhne, Steffen 049 Hölderlin, Friedrich 079, 117, 137 Holweck, Katja 056, 072, 193 Hölzel, Malte 069, 109 Honda, Hiroyuki 222 Honold, Alexander 004 Höppner, Achim 290 Hösle, Vittorio 070 Hößle, Corinna 162

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Höyng, Peter 098 Huch, Ricarda 071 Humboldt, Wilhelm von 036, 037, 038, 070, 077, 237 Hussak, Pedro 133, 136 Iffland, August Wilhelm 072 Ignasiak, Detlef 110 Immer, Nikolas 008, 099, 161, 174 Inauen, Verena 020 Inglin, Meinrad 092 Jacobi, Friedrich Heinrich 039 Jacobsen, Dietmar 234 Jäger, Hans-Wolf 151, 175, 232 Jäger, Ralf Matti 111 Jahn, Lothar 279 Jean Paul 067 Jenn, Camille 155 Jeschke, Walter 039 John, Emanuel 100 Jordan, Philippe 265, 266 Junold, Arkadi 273 Kage, Melanie 090 Kalkofe, Oliver 289 Kaminski, Johannes 211 Kämper, Gabriele 233 Kant, Immanuel 079, 081, 092, 094, 110, 115, 121, 125, 129, 134, 137, 279 Kaufmann, Ulrich 045 Kellmer, Beate 201 Kellner, Beate 089, 233 Klauß, Jochen 012 Kleist, Heinrich von 087, 209, 218 Klopfer, Luca 140 Knebel, Kristin 012 Kolago, Lech 090 Kommerell, Max 247 Konitzer, Voktor 184 Könnecke, Gustav 240 Kontje, Todd Curtis 204

Koopmann, Helmut 218 Körner, Christian Gottfried 274 Košenina, Alexander 072, 215 Kösling, Barbara 055 Kotzebue, August 056 Krämer, Günter 258 Kraus, Martin 167, 172 Krause, Marcus 112 Krimmer, Elisabeth 065 Kržižanovskij, Sigismund 249 Kühnemann, Eugen 247 Kunert, Almut 016 Kurz, Hermann 058 Langthaler, Rudolf 137 Laquan, Mai 094 Laudin, Gérard 095, 224, 251 Laufenberg, Uwe Eric 257 Leber, Manfred 212 Lehnberg, Stefan 234, 289 Leon-Neuhaus, Michaela 242 Lepper, Anne 141 Lepper, Marcel 009 Lessing, Gotthold Ephraim 070, 117, 142, 242 Liebrand, Claudia 193 Liebsch, Dimitri 223 Lindner, Benjamin 163 Lindner, Frank 110 Loporcaro, Laura 143 Lubkoll, Christine 004 Lukács, György 035 Luserke-Jaqui, Matthias 051, 164, 165, 187, 194 Luther, Martin 146 Lütteken, Anne 235 Maatsch, Jonas 012 Macor, Laura Anna 002, 113 Macrì, Danilo 030 Maier, Katharina 040 Maisuradse, Giorgi 050



marbacher schiller-bibliographie 2017

Majetschak, Stefan 138 Mandel, Doris, Claudia 166 Manger, Klaus 216 Mann, Thomas 250 Marten, Christine 009 Massimilla, Edoardo 077 Mattson, Philip 036, 037, 038 Matuschek, Stefan 114 Mayer, Norbert 258 McCarthy, John A. 152 Mecklenburg, Norbert 146 Meier, Albert 224 Meier, Andreas 052 Meißner, August Gottlieb 217 Menge, Wolfgang 046 Mercier, Louis-Sébastien 080 Meuer, Marlene 142, 149, 153 Meyer, Philippe 047 Michailíková, Pavla 245 Michajlova, N. I. 249 Middel, Carina 115 Middelhoff, Frederike 167 Miller, Jason 074 Moenninghoff, Burkhard 063 Moens, Herman 001 Moesker, Eric 073 Molder, Maria Filomena 116 Molo, Walter von 281 Montesinos Gilbert, Roni 154 Müllers, Josefine 280 Müller-Seidel, Walter 148 Multhaupt, Philipp 076 Münchhausen, Börries von 249 Munyol, Yi 201 Nahler, Edith 244 Nakai, Sanayuki 222 Neuhaus, Volker 182, 195, 205, 225, 226 Neumann, Helena 289 Nevskaja, V.  A. 249

Neymeyr, Barbara 075 Niebuhr, Carsten 099 Nietzsche, Friedrich 136 Nilges, Yvonne 219 Noe, Alfred 090 Noyama, Samon 117 Nutt-Kofoth, Rüdiger 236 O’Brien, John E. 118 Oberhaus, Lars 162 Oellers, Norbert 048, 098 Oetken, Mareille 162 Öhm-Kühnle, Christoph 274 Ortlieb, Cornelia 236 Oschmann, Dirk 119 Osterkamp, Ernst 004 Otte, Andreas 053 Pailer, Gaby 089, 090 Pakalski, Dariusz 170 Pasche, Wolfgang 285 Paulin, Roger 076 Pellico, Silvio 254 Pelster, Theodor 286 Petrasová, Taťána 245 Petrbok, Václav 245 Peuckmann, Heinrich 150 Philipp, Dorothee 261 Pinna, Giovanna 002, 077, 143 Plachta, Bodo 011 Plato 074 Plessner, Helmuth 220 Ploenus, Michael 057 Ponzi, Mario 120 Poppe, Reiner 287 Potkownik, Michael 061 Prauss, Gerold 121 Prieler, Tanja 068 Prohaska, Norbert 020 Prüfer, Thomas 098 Ragaz, Leonhard 092 Rahn, Lutz 290

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Ramos Domingo, Joé 078 Raphael, Anton 078 Raulff, Ulrich 004 Reemtsma, Jan Philipp 213 Rehlinger, Nikolaus 017 Reiber, Joachim 275 Reichlin, Susanne 089, 201, 233 Reisinger, Roman 254 Reiß, Gunter 148 Reitani, Luigi 034 Renner, Adrian 079 Renner, Anne Sophie 168 Richter, Ludwig 015 Richter, Sandra 196 Riedel, Nicolai 001 Riedel, Wolfgang 007, 096, 122, 123, 124, 127, 169, 176, 177, 189, 190, 197, 198, 199, 206, 214, 227 Riedl, Peter Philipp 114 Rießland, Matthias 106 Rigobello, Armando 125 Robert, Jörg 002, 003, 080, 230 Robertson, Ritschie 147 Roca, René 092 Roloff, Hans-Gert 089, 201, 233 Ross, Nathan 126 Rossi, Francesco 003, 005, 062, 185 Rossini, Gioachino 272 Rothmann, Kurt 025, 026 Röttger, Kati 056 Rousseau, Jean-Jacques 081, 115 Roux, Marie-Auge 266 Rowińska-Januszewska, Barbara 090 Ruffing, Margit 094 Rühle, Manuel 106 Sammons, Jeffrey L. 065 Sandkaulen, Birgit 039 Sauerland, Karol 170 Scala, Guido 278 Schacher, Thomas 267

Schacht, Ulrich 082 Schede, Hans-Georg 022, 023 Scheier, Claus-Artur 144 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 069, 086 Schiller, Charlotte 040, 088, 089, 090 Schings, Hans-Jürgen 002, 097, 127, 177, 190, 198, 199, 214 Schippan, Martin 228 Schirhuber, Erich 281 Schirrmacher, Vincent 268 Schläbitz, Norbert 128 Schlegel, August Wilhelm 076, 292 Schlienger, Alfred 262 Schlöndorff, Leopold 222 Schlosser, Franz 018, 019, 028, 029 Schlotter, Sven 057, 091 Schmälzle, Christoph 049, 050 Schmid, Gerhard 244 Schmidt, Nadine J. 179 Schnabl, Arthur 024 Schnyder, Peter 087 Schonlau, Anja 191, 200 Schrey, Dominik 081 Schulin, Alexander 270 Schulte, Bettina 263 Schulz, Georg Michael 051 Schütt, Hans-Dieter 259 Schwartz, Matthias 050 Schwitters, Kurt 103 Seemann, Hellmuth Th. 075 Seidel, Thomas A. 082 Shaftesbury, Anthony Ashley 253 Shakespeare, William 209 Siani, Alberto L. 129 Siary, Gérard 049 Šimůnková, Alena 245 Singh, Sikander 212 Sinkovicz, Wilhelm 268



marbacher schiller-bibliographie 2017

Siwczyk, Birka 242 Slunitschek, Matthias 058 Söhlke, Jan 229 Spieker, Michael 130 Stade, Heinz 083 Stallknecht, Michael 269 Stamer, Gerhard 130 Stašková, Alice 131 Steiner, Rudolf 084 Steiner, Uwe C. 103 Stojanov, Krassimir 130 Stoneman, Ethan 132 Storch, Michael 007 Stricker, Sven 289 Strittmatter, Ellen 277 Sturm, Johannes 085 Stürmer, Franziska 007 Sucher, Kerstin 013 Suppanz, Frank 287 Süssekind, Pedro 133 Szilágyi-Gál, Mihály 134 Takeda, Toshikatsu 135 Tang, Chenxi 178 Tedesco, Salvatore 033 Teinturier, Frédéric 155 Tessitore, Fulvio 077 Tholen, Toni 063 Thun-Hohenstein, Franziska 050 Tomatis, Mariano 032 Trop, Gabriel 086 Valk, Thorsten 075 Van der Meij, Auke 084 Van Steen, Jac 270 Vecchiato, Daniele 098 Venzl, Tilman 098

Verdi, Giuseppe 248, 265, 266, 267, 268, 269, 270 Vieira, Vladimir 133, 136 Völkl, Bernd 288 Volney, Constantin François de 099 Voltaire, François-Marie Arouet 142 Wagner, Richard 248 Waibel, Violetta L. 137 Walser, Martin 052 Weiberg, Anja 138 Weidringer, Walter 270 Weiss, Peter 241 Weiwei, Ai 074 Wellnitz, Philippe 049 Welsch, Wolfgang 138 Werner, Anett 276 Wille, Lisa 051, 164, 165, 187, 194 Winckelmann, Johann Joachim 075, 078, 117 Witt, Sophie 087 Woesler, Winfried 186 Wolfskehl, Karl 247 Wörgötter, Martina 093 Wortmann, Thomas 056, 072, 193 Wurlitzer, Bernd 013 Xu, Yuan 171 Yŏm, Sŭng-sŏp 201 Zemsauer, Christian 222 Zenobi, Luca 005, 098 Zerweck, Dietholf 257 Ziegler, Leopold 247 Zilles, Sebastian 172 Zimmermann, Bernhard 145 Zinn, Laura 246 Zumsteeg, Johann Rudolph 085 Zweig, Stefan 093, 281

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Marbacher Vorträge

jan eike dunkhase

gründer in dürftiger zeit Bernhard Zeller und die Anfänge des Deutschen Literaturarchivs Festvortrag zur Einweihung des Bernhard-Zeller-Saals am 12. Mai 2017

»Eine sagenhafte Figur«. So hat Peter Härtling Bernhard Zeller in seiner Laudatio zum Marbacher Schillerpreis genannt und hinzugefügt: »Allerdings keine, die in Andeutungen, Anekdoten, Erzählungen entrückt bleibt, die vielmehr, ist man ihr einmal begegnet, geradezu vervielfältigt präsent ist und von neuem, aber anders verstanden, als sagenhaft bezeichnet werden kann.«1 Anders als viele von Ihnen bin ich Bernhard Zeller leider nie begegnet. So kann ich mich  – abgesehen von Andeutungen, Anekdoten und Erzählungen  – auch nur auf schriftliches Material beziehen, wenn ich im Folgenden eine Annäherung an diese »sagenhafte Figur« versuche. Der räumliche Anlass rückt die ersten beiden Jahrzehnte von Zellers Marbacher Lebenswerk ins Blickfeld, die in der Einweihung des Archivneubaus von 1973 gipfelten, des schönen Hauses, in dem wir uns gerade befinden. Zeller blieb danach noch für 13 weitere, fruchtbare Jahre als Direktor der unangefochtene Herr und Meister der Schillerhöhe; es folgten 22 Jahre aktiven Ruhestands in nächster Umgebung. Doch heute soll es um den Gründer gehen und die Hintergründe seines Gründens. Hölderlins berühmte Frage »Wozu Dichter in dürftiger Zeit?« hat sich für Bernhard Zeller nie gestellt; er wusste, dass die Dichter das eigentlich Bleibende stiften. Würde das Gestiftete aber wirklich bleiben? Oder, profaner gefragt: Würde »dauerhafte Präsenz«, ein »tragendes Motiv literarischen Handelns«,2 in der Bundesrepublik über lokale Sammlungstraditionen hinaus einen in­stitutionellen Rahmen bekommen? Dies war, als der 34-jährige Zeller 1953 ans Schiller-Nationalmuseum kam, keineswegs selbstverständlich. Eben weil die Zeit so dürftig war. 1 2

Peter Härtling, Eine sagenhafte Figur. Laudatio zum Marbacher Schillerpreis an Bernhard Zeller, November 2001, DLA Marbach, A:Zeller. Detlev Schöttker, Posthume Präsenz: Zur Ideengeschichte des literarischen Archivs, in: Handbuch Archiv. Geschichte, Aufgaben, Perspektiven, hg. von Marcel Lepper und Ulrich Raulff, Stuttgart 2016, S. 237–246, hier S. 237.

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jan eike dunkhase

Nun ist zwar nach wie vor Heidegger darin Recht zu geben, dass das Wort »Zeit« im Hölderlin-Zitat das »Weltalter« meint, »dem wir selbst noch angehören«.3 Doch ist offensichtlich – so viel historische Differenzierung sei gegen Heidegger erlaubt –, dass die damalige Zeit besonders bedürftig war. Die Erkenntnis einer vielfältigen Mangelsituation war es, die Bernhard Zeller als Gründer des Literatur­ archivs leitete – eine Erkenntnis, die ihrerseits erklärungsbedürftig bleibt. Worin bestand sie genau? Und aus welchem persönlichen Erfahrungsraum schöpfte sie? Ich beginne mit der zweiten Frage, dem biographischen Hintergrund des jungen Bernhard Zeller.

I. Bernhard Zeller entstammte einem schwäbischen Elternhaus, dessen Gelehrtentradition sich weit zurückverfolgen lässt und ihn, wenn auch nicht zum Zeitgenossen, so doch zum Standesgenossen vieler großer Dichter und Denker aus Württemberg gemacht hat  – zumal dieses Elternhaus zugleich ein Pfarrhaus war. Geboren wurde Zeller im Herbst 1919 in dem kleinen Dorf Dettenhausen bei Tübingen. Wie der 80-jährige in einer »freundlich gestimmten Erinnerung an die Kindheit in Dettenhausen« für eine Ortschronik schrieb, gab es dort damals noch kein fließendes Wasser. »Die Gemeinde war arm und die Not in diesen ersten Nachkriegsjahren sehr groß.« Die »prägendsten Eindrücke« der frühen Kindheit waren die »Wälder des Schönbuchs«. Zeller erinnert sich an Hirsche, Pilze, Brombeeren und die »Buchele« (also Bucheckern), aber auch an Bebenhausen, »wo in der Kirche das Epitaph des Ahnherrn hängt, der dort im 17. Jahrhundert als Prälat amtiert hat«.4 Die dortige Klosterschule hatte einst Schelling besucht, im Jagdschloss daneben wohnte noch die frühere Königin Charlotte; später, 1943, wurde in der alten Abtei das Hölderlin-Archiv untergebracht. Die Zugehörigkeit zur schwäbischen Geistesgeschichte hat Zeller früh erfahren. Zellers Erinnerung an Dettenhausen ist ein Klassenfoto beigefügt, das den Erstklässler im Kreis seiner ärmlich gekleideten, teils barfüßigen Mitschüler zeigt. Sein Gesicht ist als einziges auf dem Foto verwackelt, was auf die Energie hindeuten mag, die auch den Erwachsenen ausgezeichnet hat. Bemerkenswerter an dem Foto erscheint mir aber: Rein statistisch müssten von den 18 abgebildeten 3 4

Martin Heidegger, Wozu Dichter? (1946), in: ders., Holzwege, Gesamtausgabe Bd. 5, Frankfurt a.M. 2003, S. 269–320, hier S. 269. Bernhard Zeller, Freundlich gestimmte Erinnerung an die Kindheit in Dettenhausen, in: Dettenhausen. Geschichte und Gegenwart, bearb. von Barbara Kaltenmark, hg. von der Gemeinde Dettenhausen, Tübingen 2000, S. 852–854.



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Knaben mindestens sechs im Zweiten Weltkrieg gefallen sein. Das war das Los der Männer dieses Jahrgangs: Nach dem Pflichtwehrdienst ging es direkt an die Front – wer es bis zum Ende durchhielt, war sieben Jahre lang Soldat. Vor Bernhard Zellers Eintritt in die Wehrmacht lagen der Umzug der Familie nach Stuttgart und der Besuch des humanistischen Eberhard-Ludwig-Gymna­ siums, das vor ihm schon Cotta und Hegel besucht hatten, und Gustav Schwab, Berthold Auerbach, Eduard Mörike, Viktor von Weizsäcker, Werner Krauss und die Brüder Stauffenberg. Zellers zweieinhalb Jahre jüngerer Vetter Karl Dietrich Bracher, der unlängst verstorbene Zeithistoriker und Demokratielehrer, hat die Atmosphäre an der Schule so beschrieben: Alte Ideale des Gymnasiums, in dem nur wenige Lehrer zur ›Partei‹ gehörten, vielmehr die klassischen Ideale der Bildung hochgehalten wurden, stießen mit den großen, doch brutalen Parolen einer neuen Zukunft zusammen und gingen öfters noch allzu leicht ineinander über. So erfuhr man die geringe Widerstandskraft einer hohen, doch politisch eher naiven Geisteskultur gegenüber totalitären Versuchungen, die auch einem Teil der alten Werte ihren Platz, ja ihre Erfüllung zu gewähren schienen.5 Zu seinem siebenjährigen Dienst in der Wehrmacht hat Bernhard Zeller nie etwas veröffentlicht. Umrisse der Kriegserfahrung werden allerdings in verstreuten Äußerungen erkennbar, die sich in Korrespondenzen mit Altersgenossen finden. An den Schriftsteller Hans Bender etwa schrieb er im Oktober 1989: Das Jahr 1919 verbindet uns, so weit es auch, von heute aus gesehen, zurück liegt. Wer 1919 geboren wurde, war 1933 14  Jahre und 1939, als der grosse Krieg begann, 20  Jahre alt. Diese Daten haben unserer Generation die Akzente gesetzt, mag sie jeder auch auf seine Weise erlebt haben. Das eigentliche Leben, auf das wir Jahre lang zulebten, begann erst, nachdem wir die ›grosse‹ Zeit hinter uns hatten.6 Zehn Jahre später, im September 1999 schrieb er an den Verleger Wolfgang Mertz, der eben einen Mittelfußbruch erlitten hatte:

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Karl Dietrich Bracher im Gespräch mit Werner Link: Zwischen Geschichts- und Politikwissenschaft, in: Erinnerungsstücke. Wege in die Vergangenheit. Rudolf Vierhaus zum 75. Geburtstag gewidmet, hg. von Hartmut Lehmann und Otto Gerhard Oexle, Wien u.  a. 1997, S. 21–47, hier S. 23. Bernhard Zeller an Hans Bender, Oktober 1989, DLA, A:Zeller.

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Mein linker Mittelfussknochen wurde einst im Kaukasus durch einen Granatsplitter zerschlagen, doch hatte dieser Bruch die erfreuliche Folge, daß ich Russland für immer verlassen und für einige Wochen mit dem Studium beginnen konnte. Das liegt nun zwar alles weit zurück, aber da heute vor genau 60 Jahren der unselige Krieg begann, und ich damals in aller Frühe in Polen eingeritten bin, ist eben vieles doch noch sehr gegenwärtig.7 Was es mit dem Einreiten auf sich hatte, erschließt sich aus einem Brief Zellers an den Politikwissenschaftler und Sozialphilosophen Iring Fetscher, dessen 1995 erschienene Autobiographie8 auf sein »lebendigstes Interesse« stieß  – denn »die von Ihnen geschilderte Epoche deckt sich ja weithin mit eigenem Erleben in derselben Zeit«. »Auch ich bin als bespannter Artillerist durch Rußland geritten, war ebenfalls A. V. O. [Artillerieverbindungsoffizier] – wenn auch einem rumänischen Truppenteil gegenüber – und wurde in Rußland verwundet.« »Memoiren aus dieser Zeit« habe er, Zeller, »allerdings nicht geschrieben, die meisten Briefe und Tagebücher gingen verloren«.9 Tatsächlich hat Zeller ja nie Memoiren im eigentlichen Sinne geschrieben, stattdessen seine großartigen Memorabilien, Denkwürdigkeiten, die das eigene Wirken betreffen, aber doch keine Selbstbespiegelung darstellen.10 Verweilen wir noch kurz bei der bespannten Artillerie. Die historische Phänomenologie dieser auf den ersten Blick anachronistisch anmutenden Waffengattung, in der Pferde die modernen Tötungsmaschinen der Menschen hinter sich herzogen, überlasse ich dem militärgeschichtlich beschlagenen Hippologen.11 Erwähnen möchte ich aber doch, dass neben Bernhard Zeller und Iring Fetscher noch ein dritter großer Nachlassgeber des Deutschen Literaturarchivs bei der bespannten Artillerie gedient hat, wenn auch nicht als Offizier. Ich meine den Historiker Reinhart Koselleck. Ihm ist eine Geschichtsethik des Überlebenden zugeschrieben worden. Als »Überlebender nicht allein einer nationalen Kata­ strophe, sondern als Überlebender einer Menschheitskatastrophe«, die »nicht einfach zu überleben war in der doppelten Bedeutung des Wortes«,12 hat sich 7 8 9 10

Ebd., Bernhard Zeller an Wolfgang Mertz, 6. September 1999. Iring Fetscher, Neugier und Furcht. Versuch, mein Leben zu verstehen, Hamburg 1995. Bernhard Zeller an Iring Fetscher, 10. Oktober 1995, DLA, A:Zeller. Bernhard Zeller, Marbacher Memorabilien. Vom Schiller-Nationalmuseum zum Deutschen Literaturarchiv, 1953−1973, Marbach a.N. 1995; ders., Marbacher Memorabilien II. Aus der Museums- und Archivarbeit, 1973−1985, Marbach a.N. 2000. 11 Vgl. Ulrich Raulff, Das letzte Jahrhundert der Pferde. Geschichte einer Trennung, München 2015, S. 123  f. 12 Michael Jeismann, Wer bleibt, der schreibt. Reinhart Koselleck, das Überleben und die Ethik des Historikers, in: Zeitschrift für Ideengeschichte 3 (2009) H. 4, S. 69–80, hier S. 76.



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neben Koselleck  – und Fetscher  – wohl auch Zeller verstanden. Die drei Geisteswissenschaftler haben allerdings nach 1945 unterschiedliche Richtungen eingeschlagen: Koselleck verschrieb sich einem historischen Existentialismus, Fetscher konvertierte zum Katholizismus und öffnete sich dem demokratischen Sozialismus. Zeller knüpfte an etwas an, was man als schwäbischen Humanismus bezeichnen könnte, eine weltbürgerliche Geisteshaltung, die regional verwurzelt blieb, tief verbunden mit dem literarischen Erbe Württembergs, einer nicht zuletzt in der protestantischen Bildungsklosterkultur des Landes eingeübten Pflege des Buchstabens. Zum ideellen Fixstern wurde ihm über die Jahre Hermann Hesse, der ebenfalls der württembergischen Szene entstammte, aber zugleich auch dem, was Hugo Ball so schön als das »weltweite Bramahnenmilieu« beschrieben hat.13 Zellers rororo-Bildmonographie über Hesse, hundertausendfach gedruckt und dutzendfach übersetzt, bleibt bis heute das erfolgreichste Buch, das je auf der Schillerhöhe geschrieben worden ist.14 Die frühen akademischen Wegmarken des jungen Zeller nach dem Krieg muten in Anbetracht der damaligen Weltlage ein wenig wie ein Rückzug ins Schneckenhaus der Tradition an. Er studierte Geschichte, Germanistik und Latein an der Universität Tübingen, wo er Eduard Spranger erlebte und Romano Guardinis Vorlesungen über Rilkes Duineser Elegien hörte. Den Schwerpunkt seiner Studien und ersten Veröffentlichungen bildete aber die schwäbische Landesgeschichte. 1949 erfolgte seine Promotion bei Otto Herding über das Heilig-GeistSpital zu Lindau im Bodensee.15 Aus Lindau stammte übrigens auch die Tübinger Studentin Margrit Stolze, die Zeller noch vor Abschluss seiner Doktorarbeit heiratete. Eine stärkere Hinwendung zu Problemen der Gegenwart bei gleichzeitiger Wahrung des Heimatbezugs deutet Zellers Habilitationsprojekt zur »schwäbischen Demokratie« an. Er nahm es, parallel zu seinem Lehramtsreferendariat, bei dem remigrierten Historiker Hans Rothfels in Angriff, der seinerzeit von Tübingen aus die Disziplin der Zeitgeschichte auf den Weg brachte. Ganz überraschend trat dann im Sommer 1953 Wilhelm Hoffmann, Direktor der Württembergischen Landesbibliothek und Ausschussmitglied der Deutschen Schillergesellschaft, mit der Bitte an Zeller heran, sich um die eben freigewordene Stelle des Archivars am Schiller-Nationalmuseum zu bewerben. Hoffmann kannte Zeller aus Tübingen und hatte sicherlich auch einige seiner zahlreichen 13 Hugo Ball, Hermann Hesse. Sein Leben und sein Werk (1933), Berlin 2016, S. 17. 14 Bernhard Zeller, Hermann Hesse in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek bei Hamburg 1963  ff. 15 Bernhard Zeller, Das Heilig-Geist-Spital zu Lindau im Bodensee von seinen Anfängen bis zum Ausgang des 16. Jahrhunderts, Lindau i.B. 1952.

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Buchbesprechungen in der Stuttgarter Zeitung gelesen. Zeller setzte sich im Ausschuss gegen vier Mitbewerber durch, obwohl die Hölderlin-Forscher Paul Böckmann und Friedrich Beißner gegen ihn votierten, weil er »kein Vollgermanist und kein gelernter Bibliothekar sei«. Doch der Verleger Ernst Klett hielt dagegen, »das germanistische Primärstudium sei angesichts der Vielgleisigkeit der Marbacher Stellung nicht das Wichtigste, sondern die lebendige Teilnahme an den praktischen Aufgaben des Museums«. Und Hoffmann betonte, Zeller sei »für Dichtung und allgemeine geistige Werte sehr aufgeschlossen«.16 Der Erwählte kalkulierte anfangs, am Museum eher seine Habilitation vorantreiben zu können als im ungeliebten Schuldienst. Dann blieb er aber doch – wie wir wissen – lang über seine einjährige Probezeit hinaus in Marbach tätig. Warum, erschließt sich aus den institutionellen und ideellen Herausforderungen, die er in den ersten Jahren seiner Tätigkeit am Museum erkannte und zu seiner Lebensaufgabe machte.

II. Als Bernhard Zeller nach Marbach kam, stand der Museumsdirektor, Erwin Ackerknecht, schon mit einem Fuß im Ruhestand. Dem politisch unbelasteten Bibliothekar kommt das große Verdienst zu, die Neukonstituierung der Deutschen Schillergesellschaft aus dem trockenen Flussbett des im Dritten Reich versiegten Schwäbischen Schillervereins vollzogen zu haben. Auch hatte er 1952 mit dem Cotta-Archiv jenen Bestand gesichert, der die Marbacher Sammlungen endgültig über den schwäbischen Radius hinausführte. Doch nun mussten andere das Ruder übernehmen. 1954 legte Ackerknecht seine Ämter nieder, die Vereinspräsidentschaft übernahm Wilhelm Hoffmann, die Leitung des Museums sowie die Geschäftsführung der Schillergesellschaft Bernhard Zeller. Bereits im Jahr darauf, dem Schillerjahr 1955, wurden die entscheidenden Weichen für die Zukunft der Schillerhöhe gestellt. Einen ebenso mutigen wie weitsichtigen Schritt bedeutete schon die Einladung Thomas Manns, der am Vorabend von Schillers 150. Todestag die Festrede im Stuttgarter Staatstheater hielt. Da der emigrierte Nobelpreisträger seine Rede auch bei den Feierlichkeiten in Weimar vortrug, waren schon im Vorfeld der Veranstaltungen enge Kontakte zu den Kollegen von den dortigen Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen Literatur gepflegt worden. Marbach

16 Protokoll der 12. Sitzung des Ausschusses der Deutschen Schillergesellschaft am 10. September 1953, S. 2, DLA, Akten Wilhelm Hoffmann / Deutsche Schillergesellschaft.



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mutierte dadurch vor aller Augen zum westdeutschen Gegenstück Weimars. Dies entsprach ganz der Rolle, die ihm von Zeller zugedacht war. Denn parallel zu den Vorbereitungen für das Schillerjahr trieb Zeller gemeinsam mit Hoffmann die Idee eines vom bisherigen Zuschnitt des Schiller-Nationalmuseums emanzipierten Literaturarchivs voran; am Tag vor Manns großer Schillerrede fasste der Ausschuss der Schillergesellschaft den Beschluss über die Gründung einer solchen Einrichtung, bald waren die Zuschüsse der öffentlichen Hand gesichert, im Herbst 1956 konnte das Deutsche Literaturarchiv seine Arbeit aufnehmen. Wie schnell Zeller die Verwirklichung seines Plans gelang, ist erstaunlich. Sein außergewöhnliches Organisationstalent und kulturdiplomatisches Verhandlungsgeschick, seine Begeisterungsfähigkeit sind vielfach gerühmt worden. Ich will hier nur in gebotener Kürze auf das Gründungsmotiv eingehen, das hinter all dem stand. Vordenker der Literaturarchividee war bekanntlich Wilhelm Dilthey, der 1889 in seinem berühmten Vortrag Archive für Literatur eigenständige Einrichtungen für »die Erhaltung der Handschriften, ihre angemessene Vereinigung und ihre richtige Bewertung« forderte.17 Sein Appell hatte allerdings außer einer mäßig erfolgreichen Archivvereinsgründung in Berlin und trotz dem zu jener Zeit bereits im Aufbau begriffenen Goethe- und Schiller-Archiv in Weimar wenig konkrete Folgen – mit einer gewichtigen Ausnahme: Der Stuttgarter Geschäftsmann und Mäzen Kilian Steiner legte Diltheys Plädoyer seinem 1891 verfassten Gründungsmanifest für den Schwäbischen Schillerverein zugrunde.18 Tatsächlich ist das Marbacher Schillermuseum als regionale Einlösung von Diltheys Idee eines auf stetige Erweiterung angelegten, mithin progressiven Literaturarchivs zu betrachten. Doch weitere Nachahmer fanden sich nicht. Die Handschriftensammlung der Preußischen Staatsbibliothek war in ihren finanziellen Möglichkeiten schon vor dem Krieg begrenzt gewesen und fiel nun, im Zeichen der Teilung Berlins und Deutschlands, als mögliche Zentralstelle vollends aus. In einer Denkschrift vom November 1955 resümierte Zeller im Namen des Vereinsvorstands dann auch ganz treffend: »Es fehlt also heute in Deutschland ein Archiv, das sich für das Gesamtgebiet der deutschen Literatur, besonders auch für die Dichtung des 20.  Jahrhunderts verantwortlich fühlt. Nicht übersehbare

17 Wilhelm Dilthey, Archive für Literatur (1889), in: ders., Zur Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts. Portraits und biographische Skizzen, Quellenstudien und Literaturberichte zur Theologie und Philosophie im 19.  Jahrhundert, hg. von Ulrich Herrmann (= Gesammelte Schriften, Bd. 15), Göttingen 1970, S. 1−16, hier S. 7. 18 Vgl. Jan Eike Dunkhase, Marbachs gute Geister. Kilian von Steiner, Theodor Heuss und ihr schwäbisches Schillermuseum, in: Die Gabe / The Gift. Schmuckstücke der Marbacher Sammlungen, Marbach a.N. 2016 (Marbacher Magazin 155/156), S. 25–39, hier S. 29–31.

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Bestände an Handschriften sind während des Hitlerregimes in das Ausland, besonders nach Amerika gekommen, und es ist heute nur noch in seltenen Fällen möglich, sie zurückzuerwerben. Aber auch nach dem Kriege sind durch das Antiquariat und den Autographenhandel zahlreiche wertvolle Einzelstücke und ganze Sammlungen in das Ausland verkauft oder geschlossene Bestände innerhalb Deutschlands zersplittert worden.«19 Die Bedeutung des mit Zellers Befund verbundenen Auftrags lässt sich erst ermessen, wenn man sich vor Augen führt, dass der Ausschuss noch zwei Jahre zuvor darüber debattiert hatte, inwieweit das Schiller-Nationalmuseum nach der Schaffung des Südweststaats auch badische Autoren in seinen Sammlungsbereich einbeziehen sollte; auch Hoffmann riet damals noch, »mit Baden zuzuwarten«.20 Zeller, der 1955 erstmals seit Kilian Steiner wieder direkt an Dilthey anknüpfte, verfolgte also nichts weniger als eine zweite Gründung Marbachs. Eine Neugründung, die die schwäbische Literaturtradition keineswegs verleugnete, aber doch transzendierte, indem sie die konservatorische Verantwortung für das gesamte Feld der deutschsprachigen Literatur übernahm. Verantwortung ist hier das entscheidende Wort. Denn hinter Zellers Projekt verbarg sich weder ein archivischer Totalitätsanspruch noch gar eine Goldgräberstimmung im Hinblick auf das Trümmerfeld, das der Nationalsozialismus auch in der Literatur hinterlassen hatte. Vielmehr leitete den Überlebenden des von ihm mitgeführten Weltkriegs der Wille, dem kulturellen Traditionsbruch historisch zu begegnen, die Gräben, die die deutsche Katastrophe aufgerissen hatte, zwar nicht zu schließen  – das war nicht möglich! –, aber doch sichtbar zu machen und – wo es ging – zu überbrücken. Dass es sich bei Zellers erster großer Erwerbung für das Deutsche Literaturarchiv um ein Manuskript von Kafka handelte, die auch unter dem Titel Der Dorfschullehrer bekannte Erzählung Der Riesenmaulwurf, war ein deutliches Signal. Das gleiche gilt für die zwei Jahre darauf veranstaltete Jahresausstellung Die Großen und die Vergessenen. Gestalten der deutschen Literatur zwischen 1870 und 1933, die neben Kafka auch zahlreichen anderen einst verfemten Autoren Geltung verschaffte. Noch größere Bedeutung kam in diesem Zusammenhang der legendären, vor allem von Paul Raabe und Ludwig Greve konzipierten Expressionismus-Ausstellung von 1960 zu.

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Die Errichtung eines deutschen Literaturarchivs im Schiller-Nationalmuseum Marbach a.N. (Entwurf), November 1955, S. 3, DLA, A:Zeller. 20 Protokoll der 11. Sitzung des Ausschusses der Deutschen Schillergesellschaft am 11. Februar 1953, S. 6, DLA, Akten Wilhelm Hoffmann / Deutsche Schillergesellschaft.



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Die wesentliche Voraussetzung für Marbachs Ankunft in der literarischen Moderne stellte Bernhard Zellers Brückenschlag ins Exil dar. Nicht nur unzählige Bestände emigrierter Autoren gelangten nach und nach auf die Schillerhöhe, es kamen auch einige Emigranten persönlich zu Besuch, darunter Kurt Pinthus, der bald ganz von New York nach Marbach übersiedelte. Enge Verbindungen knüpften zudem die in Stuttgart lehrende Germanistin Käte Hamburger und insbesondere der Jean-Paul-Forscher Eduard Berend, für den im Museum eigens eine Arbeitsstelle geschaffen wurde. So entstand ein außergewöhnlicher literarischer Kommunikationsraum, der Marbach für vertriebene deutschsprachige Schriftsteller bzw. deren Angehörige zu einem Sehnsuchtsort machte. 20 Jahre nach dem Dritten Reich war das nicht wenig. All dies geschah im Übrigen lange bevor in der Bundesrepublik jener selbstreflexive Komplex institutionalisiert wurde, den man »Erinnerungskultur« nennt. Zeller verfolgte kein geschichtspolitisches Kalkül. Er folgte einer aus Lebenserfahrung, menschlicher Sensibilität und kulturhistorischem Bewusstsein schöpfenden Archivethik. »Ereignisse, die keine die Zeit über­ dauernden Zeugen finden, gehen dem Gedächtnis verloren, schweigen die Quellen oder werden sie zum Schweigen gebracht, erlischt die Erinnerung«, hat er einmal formuliert.21 Was den besonderen Erinnerungswert der in Marbach gehüteten Archivalien anbelangt, berief sich Zeller auf Goethes Wort von der magischen Vergegenwärtigung. Er nannte dafür einige Beispiele, darunter die folgenden: [W]er die Verse liest, die der fast erblindete Wolfskehl aus neuseeländischem Exil nach Deutschland richtete, oder die halbverkohlte Schnitzler-Ausgabe in den Händen hält, die vor 40 Jahren nachts aus dem glimmenden Scheiterhaufen der Bücherverbrennung gerettet wurde, der mag als Ergriffener begreifen, was diese magische Vergegenwärtigung bedeutet.22 Dabei war Zeller bewusst, daß die archivalische Geborgenheit dieser Akademie der Toten nur einen scheinbaren Frieden, nur eine künstliche Harmonie darstellt. Man muß sich der Leidenschaften, der Gegensätze und Energien bewußt sein, die, vulkanischen Kräften gleich, in diesen Papieren schlummern, und die Vergangenheit als ein ungeheures Spannungsfeld erfahren, das kritisch reflektierend zu

21 Bernhard Zeller, Archive für Literatur, Mainz 1973, S. 4. 22 Bernhard Zeller, Das Deutsche Literaturarchiv und seine Aufgaben, in: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 17 (1973), S. 601–608, hier S. 607.

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durchdringen ist. Nicht als Mausoleum wollen wir dieses Archiv verstehen, sondern als ein Zentrum des lebendigen Geistes mit allen seinen Widersprüchen.23 Diese Zeilen stammen aus Zellers programmatischer Rede zur Einweihung des Archivneubaus im Mai 1973. Der Rest ist Hausgeschichte. Dass sich diese überhaupt zu schreiben lohnt, verdanken wir Bernhard Zeller.

23 Ebd.

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das familiengeheimnis Betrachtung eines jahrtausendealten Faszinosums Rede zur Eröffnung der Ausstellung Die Familie. Ein Archiv im Deutschen Literaturarchiv Marbach am Neckar am 21. September 2017

Familien. Jede und jeder hat eine. Jeder kennt sie von innen. Jeder berichtet gelegentlich davon, und doch erzählt man selbst den vertrautesten Freunden nicht alles, was man von seiner Familie weiß. Wie die eigene Person eine verschwiegene Zone hat, hat sie auch die Familie. Das erlebte man schon als Kind. Die Differenz zwischen dem intimen Ich und dem öffentlichen Ich gehört zu den frühsten Erfahrungen, und eine solche Differenz spielt auch zwischen dem familialen Ich und dem öffentlichen Ich. Jede Familie hat ihre Geheimnisse. Im Urereignis des europäischen Theaters, der Orestie des Aischylos, fällt am Ende der allerersten Szene der Satz: »Wenn dieses Haus erzählen könnte: vieles käm ans Licht.« Der den Satz ausspricht, mitten in der Nacht, ist der Wächter auf dem Turm der Burg von Argos, dem Sitz des Königs Agamemnon. Dieser kämpft seit zehn Jahren in der Ferne um die Stadt Troja, und seit zehn Jahren liegt der Wächter Tag und Nacht auf dem Turm und wartet auf die Feuerzeichen, die die Heimkehr des Königs verkünden. Mitten in der Szene flammen diese Zeichen tatsächlich auf. Der Wächter jubelt. Er will nun der Königin, die zuhause geblieben ist, die Nachricht melden. Dann aber fügt er mit merkwürdigem Unterton bei, mehr sage er hier nicht. Er schweige, als ob der Fuss eines Stiers auf seiner Zunge stünde. Und jetzt kommt der Satz: »Wenn dieses Haus erzählen könnte: vieles käm ans Licht.«1 Man kann den Satz als die Keimzelle der zweieinhalbtausend Jahre europäischer Dramen-Kultur betrachten. Wer sagt, dass er nichts sage, teilt mit, dass er etwas weiß und dass es gefährlich wäre, dieses Wissen öffentlich zu machen. Damit sind die Zuschauer informiert, dass die ersehnte Heimkehr Agamemnons 1

Zitiert nach der Übersetzung von Ernst Buschor, Aischylos, Die Orestie. Drei Tragödien, Frankfurt a.M. 1958, S. 12.

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konfliktträchtig ist. Da ballt sich offenbar etwas zusammen. Es fällt der Begriff Haus, oikos im griechischen Original, und oikos bedeutet sowohl die ganze Burg wie den Stamm, der darin wohnt, und dessen gegenwärtige Generation, die Familie des Königs Agamemnon. Was der Wächter verschweigt, als ob der Fuss eines Stiers auf seiner Zunge stünde, ist also das Geheimnis einer Familie. Zu dieser gehören Agamemnons Gattin Klytaimnestra, sein Sohn Orest und seine Töchter Elektra und Iphigenie. Aber auch Aigisthos gehört dazu, der Mann, mit dem Klytaimnestra jetzt zusammenlebt und regiert, ohne dass der heimkehrende Agamemnon etwas davon weiß, und Kassandra gehört dazu, die schöne Trojanerin, die Agamemnon als seine Nebenfrau und Kriegsbeute nach Hause bringt, was nun auch Klytaimnestra bisher nicht gewusst hat. Das ist die Familie, und das sind die Geheimnisse, die das Haus erzählen könnte, wenn es eine Zunge hätte – ein wahrer Klumpen von Geheimnissen. Und dieser Klumpen von Geheimnissen führt im Prozess ihrer schrittweisen Aufdeckung zu einer Abfolge blutiger Verbrechen. Sie und ihre Folgen machen die dramatische Handlung der Orestie aus. Um das Geschehen in der knappsten möglichen Weise zu referieren: Klytaimnestra tötet kurz darauf ihren Mann, den König Agamemnon, im Bad, das sie ihm zur Heimkehr bereitet, wobei Aigisthos, ihr Beischläfer, mithilft. Sie tötet auch Kassandra, die Seherin, die ihren eigenen Tod voraussieht, aber nicht verhindern kann. Einige Zeit später rächt Klytaimnestras Sohn Orestes mit seiner Schwester Elektra zusammen den Vatermord, indem er die Mutter und Aigisthos tötet, was zur Folge hat, dass Orest von den Geistern der Unterwelt verfolgt und quer durch die Welt gehetzt wird. Mit der ersten Deklaration eines Geheimnisses sind wir als Leser und Zuschauer an das Stück gebunden. Wir kommen nicht mehr los, bevor wir die Wahrheit wissen. Das ist die Strategie der Spannung, mit der uns ein Dramatiker oder Erzähler einfängt. Spannung entsteht in der Literatur nicht dadurch, dass etwas Schreckliches geschieht, sondern dass wir erfahren, etwas Schreckliches könnte demnächst geschehen. Eine plötzliche Katastrophe ist nicht spannend. Einer drohenden Katastrophe aber zittern wir entgegen. Spannung entsteht also aus einer präzisen Mischung von Wissen und Nichtwissen. Und genau dies gilt vom Geheimnis. Es ist ein Wissen von etwas, das ich nicht weiß. Wer schreibt, muss dafür sorgen, dass seine Leser bei der Stange bleiben. Wenn sie das Buch nach zwanzig Seiten weglegen, hat der Autor verloren. Wenn sie zu Ende lesen, hat er gewonnen. Mit Geheimnissen zu operieren, ist daher seit je eine zentrale Technik der Literatur. Und oft genug gehört dann das triumphale Aufdecken der Geheimnisse zum spektakulären Finale. Auch hier kann eine spezifisch familiale Konstellation besonders sensationell werden. Der Held oder die Heldin eines Romans erfährt zum Beispiel gegen Ende, dass er oder sie gar nicht



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das Kind ihrer offiziellen Eltern ist, sondern einen ganz andern Vater hat. Diese Aufdeckung verwandelt das weitere Leben des Helden in Glück oder Unglück. Sigmund Freud hat einmal dargelegt, dass die Phantasien um diesen Vorgang die Grundstruktur der literarischen Form des Romans sein könnten.2 Er hatte nämlich die Erfahrung gemacht, dass viele seiner Patienten in der Kindheit oder bis weit ins Leben hinein der festen Überzeugung waren, das Kind eines andern Vaters zu sein – meistens eines sehr reichen und vornehmen. Man sagt, dass bis in die 1920er Jahre die imaginierten Väter meistens Prinzen oder Könige, von da an immer häufiger Filmstars gewesen seien. Die Vorstellung war verbunden mit zwielichtigen Phantasien über die außerehelichen Aktivitäten der Mutter. Ich habe Freuds Aufsatz einmal in einem Seminar an der Universität diskutiert und dabei die Frage gestellt, wer von den Anwesenden irgendjemanden kenne, der auch einmal dieser Überzeugung gewesen sei. Mehr als ein Drittel der jungen Leute hat die Hand erhoben. Es ist also immer noch so, dass ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung sich mit dieser Frage beschäftigt. Und so ist es auch naheliegend, dass dieses intensive Phantasietreiben mächtig in die literarische Produktion durchgeschlagen hat. Ob der europäische Roman als Gattung daraus hervorgegangen ist, dürfte diskutabel sein, aber ein populäres Motiv aller erzählenden und dramatischen Formen hat ohne Zweifel hier seinen Grund. Ungezählte bewegende Finale auf der Bühne und in Romanen lassen diese Tagträume Wirklichkeit werden. Der Satz: »Jede Familie hat ihre Geheimnisse« gewinnt dadurch eine zusätzliche Dimension. Wo keine sind, werden sie fabriziert. Dennoch soll mit diesem Satz nicht unterstellt werden, dass in jeder Familie ein Skelett im Schrank verborgen sei. Er will nur bewusst machen, dass wir neben der personalen Identität eben auch eine familiale Identität haben, mit welcher unausweichlich Spannungen zur außerfamilialen Welt verbunden sind. In der gelebten gesellschaftlichen Wirklichkeit betreffen Familiengeheimnisse weithin Banalitäten. Da wir uns hier in Marbach aber in der Gralsburg der deutschen Literatur befinden, darf uns das Familiengeheimnis in der Theater- und Romanwelt mehr beschäftigen als das, wovon die Nachbarin mir gegenüber schweigt. Eine Ausstellung wie die, welche jetzt eröffnet wird, gewinnt ihren Reiz gewiss auch dadurch, dass das Thema sofort die eigenen Erfahrungen mit der familialen Identität und ihrem Verhältnis zur außerfamilialen Welt berührt. Unverblümter gesagt: man ist, wenn man von der Ausstellung hört, sogleich auf Geheimnisse gefasst. Zu vermuten ist allerdings, dass diese Geheimnisse, so es

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Sigmund Freud, Der Familienroman der Neurotiker, in: Sigmund Freud. Studienausgabe, Bd. IV: Psychologische Schriften, Frankfurt a.M. 1970, S. 221–226. Erstmals erschienen 1909.

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sie denn gibt, uns weniger um ihrer selbst willen interessieren, als hinsichtlich der Frage, wie offen oder verschlüsselt sie in die literarischen Werke übergegangen sind. Wie verändert sich ein Werk für den Leser, wenn er eine Ahnung hat von den Familiengeheimnissen des Autors? Ein Beispiel wäre das Thema der Homoerotik einerseits im Leben, andererseits im Erzählen von Thomas Mann. Die spektakuläre neue Aktualität dieses Autors stand in einem direkten Zusammenhang mit der erstmaligen Edition seiner Tagebücher in den 1980er Jahren und ihren einschlägigen Bekenntnissen. Literatursoziologisch gesehen könnte die Frage fruchtbar sein, ob und wie sich die historischen Umbrüche in der Familienstruktur auf die Gestaltung der Familiengeheimnisse auswirken. Wie geht es zu, wenn ein Fürstenhof der Schauplatz ist oder eine aristokratische Familie im Gegensatz zu einer bürgerlichen; wenn alles in einer bäuerlichen Großfamilie spielt oder im proletarischen Milieu; wenn wir eine eingewanderte Familie im Umfeld ihrer neuen Heimat vor uns haben? Wie verhält es sich in den modernen Familien und in den postmodernen Patchwork-Gemeinschaften? Gibt es gesetzmäßige Mutationen in den dramatischen Prozessen um das Familiengeheimnis? Man muss hier allerdings aufpassen. Die Literatur kann uns zwar durchaus den Wandel der Familienstrukturen vor Augen rücken; sie kann also soziologisch und familiengeschichtlich aufschlussreich sein. Im Unterschied aber zur Lebenswirklichkeit, wo die meisten Geheimnisse im Halbdunkel bleiben oder erst aufgedeckt werden, wenn sie keinen mehr interessieren, gehört es zu den ältesten Aufgaben der Literatur, diese Geheimnisse zuletzt in lautstarken Szenen ans Licht zu bringen. Mit solchen Enthüllungsvorgängen hängt der Genusscharakter der Literatur wesentlich zusammen. Deshalb kann ein Werk den Lesern gar nicht früh genug Hinweise auf mögliche Geheimnisse geben – was ein spezifisch literarischer Akt ist. Nehmen wir als Beispiel nur einen der berühmtesten Anfangssätze der Weltliteratur, den Beginn von Tolstois Anna Karenina: »Alle glücklichen Familien ähneln einander; jede unglückliche aber ist auf ihre eigene Art unglücklich.«3 Wir sind gewohnt, diesen Satz als eine allgemeingültige Weisheit zu lesen, die uns als solche im Gedächtnis haften bleibt. Aber unter dem Aspekt der Strategien eines Romanschreibers, der seine Leser bei der Stange halten muss, erkennen wir darin das Geheimnissignal. Aha, in dem Buch wird also eine besonders interessante Familie auf eine besonders interessante Weise unglücklich sein! Und wir sind gespannt. Tolstoi arbeitet 1877 nicht viel anders als Aischylos 458 v. Chr.

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Zitiert nach der Übersetzung von Fred Ottow, Leo Tolstoi, Anna Karenina, München 1978, S. 7.



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Schriftsteller sind nichts ohne ihre Vorgänger. Ihre eigenen Werke verdanken sie immer auch den Werken anderer Autoren. Im allem Neuen steckt eine ganze Menge Altes. So pflanzt sich die Familie des Agamemnon mit ihren Geheimnissen und Verbrechen durch die Literaturgeschichte fort, und das Uralte wird noch und noch brandneu. In Shakespeares Hamlet lebt die Orestie wieder auf, obwohl Shakespeare das Werk des Aischylos nicht gekannt hat, allerdings vermutlich Senecas Remake davon. Wie sieht nun also eine Familie aus, die sich aus dem ältesten griechischen Theater aufgemacht hat, um mehr als 2000  Jahre später in London auf Shake­ speares Bühne ihre Geheimnisse erneut zu verstecken und sie erneut aufgedeckt zu sehen? Es ist reizvoll, die Familie auf Schloss Helsingör mit der Familie auf Schloss Argos zu überblenden. Man sieht dabei rasch, wo sich Figuren und Taten in den zwei Werken decken. Hier wie dort wird ein König von seiner eigenen Frau und ihrem Liebhaber umgebracht, hier wie dort werden die Mörder zusammen wieder König und Königin. Diese Untat rächt der Sohn des Königs, wobei das neue Königspaar umkommt. Dem Agamemnon und der Klytaimnestra entsprechen also der Vater Hamlets und dessen Frau Gertrude. Dem Aigisthos, dem Beischläfer der Klytaimnestra, entspricht bei Shakespeare der Königsmörder und neue König Claudius, der sofort nach der Tat Gertrude heiratet. Claudius ist der Bruder des von ihm ermordeten Königs. Ganz ähnlich ist in der Orestie Aigisthos der Cousin von Agamemnon. Der Rächer in der Orestie ist der Königssohn Orestes, der Rächer bei Shakespeare ist der Königssohn Hamlet. Hier wie dort geschieht alles innerhalb eines Familienclans. Beide Familien sind abgeschlossene Organisationen, wobei der rächende Sohn in beiden Fällen von einem Aufenthalt im Ausland zurückkehrt. Was bei Shakespeare aber auffällig fehlt, ist die Figur der Elektra, der Schwester des Orest, die jahrelang auf dessen Rückkehr wartet, versteinert in ihrem Hass auf die Mutter Klytaimnestra. Und bei Aischylos ebenfalls nicht vorgebildet ist die ergreifende Gestalt der Ophelia in ihrer verzweifelten Beziehung zu Hamlet. Man könnte allerdings auch auf die fast unheimliche Vermutung kommen, in Hamlet seien die tatenlos wartende Elektra und der entschlossene Täter Orest zu einer einzigen Person verschmolzen. Hamlet will ja nichts anderes als die Rache an den Vatermördern und ist doch wie gelähmt, und er hasst und beschimpft sich deswegen fast bis zum Ende des Stücks. Nun hat aber Shakespeare seinen Stoff bis in viele Details aus einer dänischen Sage bezogen, die in England mehrfach schon dramatisiert worden war. Sie ist überliefert im Werk Gesta Danorum des dänischen Geschichtsschreibers Saxo Grammaticus, geschrieben 400 Jahre vor Shakespeare. Die auffälligen Parallelen zwischen der Orestie und der Hamlettragödie sind also entweder ein Zufall oder auf ungeklärten Wegen in den Norden gelangt. Vielleicht aber verdanken sie sich auch allein der Magie, die von Familiengeheimnissen und Familienverbre-

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chen für die Menschen jederzeit ausgeht, so dass sich der Orestiekomplex immer wieder auf ähnliche Art in Erzählungen und Tragödien verkörpert. Allein schon der Aufbau des Familiengeheimnisses zu Beginn des HamletStücks nimmt bei Shakespeare einen gewaltigen Raum ein. Der ermordete König erscheint nämlich um Mitternacht als wandelnder Geist auf den Schlossmauern von Helsingör und erschreckt die Wachen. Sie melden es dem Prinzen Hamlet, und der spricht mit dem Vatergespenst. Dieses schildert ihm den Ehebruch seiner Mutter und den Mord am Vater und fordert vom Sohn Rache. Von nun an weiß Hamlet, was außer ihm nur das Mörderpaar weiß. Und es beginnt der berühmte, schwere Prozess, bis die Rache, zusammen mit dem Untergang von Hamlet selbst, vollzogen ist. Das Familiengeheimnis ist hier also nicht nur das, wovon die Familienmitglieder gegen außen schweigen, sondern es ist etwas, das auch innerhalb der Familie verschwiegen wird. Das Mörderpaar verheimlicht den Mord, und es darf seinerseits nicht wissen, was Hamlet darüber weiß. Wissen und Schweigen durchdringen das unselige Schloss wie ein vergifteter Nebel. Diese Situation ist nun auch insofern aufschlussreich, als sie etwas verdeutlicht, das im ganzen Komplex um Familie und Familienleben eine spezielle Rolle spielt, die unterschiedliche Beziehung nämlich einerseits zwischen den Ehepartnern, andererseits zwischen diesen und den übrigen Familienmitgliedern. Das Paar lebt innerhalb der ganzen Sippe zusätzlich in einer eigenen Welt. Es gibt Familiendramen, in denen der Konflikt des Paars alles dominiert, und solche, in denen die Probleme des Paars sich nahezu auflösen im vielschichtigen Sympathie- und Streitgefüge, in das sämtliche Familienmitglieder kreuz und quer verknüpft sind. Ein starkes Beispiel für den letzteren Tumult ist Gerhart Hauptmanns Stück Das Friedensfest, das an einem Weihnachtsabend spielt und den schönen Untertitel trägt Eine Familienkatastrophe. Warum dieses dröhnende Werk nicht mehr aufgeführt wird, ist ein Rätsel für sich. Ein Rätsel der heutigen Theaterkultur. Für Stücke, in denen das Paar in Streit und Hass so unlösbar verbissen ist, dass alles andere um sie herum als reine Zutat erscheint, ist August Strindberg sprichwörtlich geworden. Die klassischen Beispiele sind seine Stücke Totentanz und Der Vater. Da beleidigen und verachten und verhöhnen sich die Ehepartner ohne Maß. Eines stellt dem andern täglich neue Fallen, und doch ist das Paar gerade durch diesen immensen Aufwand an Gefühlen so eng verstrickt, wie es dies sonst nur durch eine radikale Liebe sein könnte. Im Totentanz hat Strindberg die fatale Situation zusätzlich noch dadurch symbolisiert, dass er die zwei Unseligen in einem alten Gefängnisturm auf einer kleinen Insel leben lässt. Diese Reduktion des Familienstücks auf den Zweikampf eines Paars hat im 20.  Jahrhundert mancherlei Nachfolgen gefunden. Eine der berühmtesten



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ist das Stück Who’s afraid of Virginia Woolf? (Wer hat Angst vor Virginia Woolf?) von Edward Albee, entstanden 1966, legendär verfilmt mit Elizabeth Taylor und Richard Burton. Hier ist das gemeinsame Kind, über das ein Paar ja erst zu einer Familie wird, eine rein imaginäre Spielfigur. Es ist nämlich das Produkt eines jahrelangen Tagtraums der Frau. Sie lebt mit ihrer Vorstellung, einen bald erwachsenen Sohn zu haben, und zwingt ihren Mann dazu, täglich mit ihr über diesen Sohn zu reden, obwohl die beiden in andauerndem Streit leben. Das ist eine höchst merkwürdige Variante des Familiengeheimnisses. Schließlich rächt sich der Mann für die vielen Beleidigungen dadurch, dass er im gewohnten Gespräch über den phantasierten Sohn diesen sterben lässt. Das stürzt die Frau in die tiefste Verzweiflung. Als Zerstörung einer Lebenslüge ist es aber auch der Beginn einer neuen Ehrlichkeit und einer neuen Liebe zwischen den beiden. Das Familiengeheimnis ist hier ein Selbstbetrug, eine »Lebenslüge«, wie Henrik Ibsen solche Verblendungen nannte, und ohne Ibsens Familiendramen im Hintergrund ist Albees Stück denn auch gar nicht zu denken. Ibsens Dramaturgie der Lebenslüge verbindet sich bei Albee mit Strindbergs Dramaturgie des endlosen Ehestreits. Aber auch schon Strindberg wäre nicht denkbar gewesen ohne die vielen Analysen der bürgerlichen Familie, die Ibsen seinen Zeitgenossen vor die Augen gerückt hat. Das amerikanische Theater des 20. Jahrhunderts ist ganz auffällig von den Grundkonstellationen der Ibsen-Stücke geprägt. Die berühmtesten Werke zeugen davon, seien es Die Katze auf dem heißen Blechdach oder Endstation Sehnsucht von Tennessee Williams, seien es der Tod eines Handelsreisenden von Arthur Miller oder eben das beschriebene Stück von Edward Albee. Der eigentliche Begründer des modernen amerikanischen Theaters aber war Eugene O’Neill. Auch er hat sich an Ibsen und Strindberg geschult. Und er hat – und das ist für unseren Zusammenhang nun verblüffend interessant – in seinem bedeutendsten Werk die Orestie des Aischylos in die amerikanische Gegenwart der 1920er Jahre überführt: Trauer muss Elektra tragen (Mourning Becomes Electra) von 1931. Moderne Psychologie und der Röntgenblick der nordischen Dramatiker für die geheime Dynamik der bürgerlichen Familie verbinden sich in diesem Werk mit der Figurenkonstellation und dem Handlungsablauf der Orestie. Immer noch sind die Familiengeheimnisse mörderisch, und die Morde geschehen, wie im Hamlet, in einer gespenstischen Atmosphäre von Wissen, Verschweigen und Entlarven. Es ist schon merkwürdig, wie in den Theaterstücken, in denen das aufgeklärte Bürgertum über sich selbst nachdenkt, früher oder später die griechischen Tragödien wieder durchschlagen, obwohl diese sich doch von mythischen Vorgaben herleiten. Bei den Griechen stehen die meisten Hauptfiguren unter einem Fluch, den die Götter einst über ihren ganzen Stamm ausgesprochen haben. Die Verbrechen sind also von höchsten Mächten gewollt, und Protagonisten wie

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Klytaimnestra und Orest, aber auch Ödipus und Jokaste und Antigone, begehen ihre Taten zwar planvoll und willentlich, gleichzeitig aber auch von den Göttern gesteuert. Dass die Modernen trotz dieser Verknüpfung mit dem Mythos auf die Antiken zurückgreifen, erklärt sich daraus, dass auch ihre Protagonisten die Grenzen der menschlichen Autonomie entdecken müssen. Die unbedingte Souveränität des Subjekts wird auf der modernen Bühne zu einer Illusion gleichen Ausmaßes wie auf der antiken. Ibsen und der junge Gerhart Hauptmann zum Beispiel ersetzen den alten Götterfluch durch die ganz neue naturwissenschaftliche Vererbungslehre. Ein Beispiel ist Ibsens Stück Gespenster, in dem der junge Held sein krankes Gehirn von seinem lasterhaften Vater geerbt hat und nun damit leben muss wie ein Verfluchter. Auch hier kommen die Familiengeheimnisse langsam, langsam ans Licht. Und Ibsen hat seinem Stück denn auch den Untertitel gegeben: Ein Familiendrama. Dieses Wort, das Ibsen vielleicht als erster gebraucht hat, ist übrigens in unserem größeren Zusammenhang interessant. Eine kleine Recherche im Internet zeigt nämlich, dass der Begriff »Familiendrama« heute in den Medien durchweg der Fachausdruck ist für schwere Verbrechen innerhalb von Familien. Die Orestie, scheint es, spielt sich heute in den Vorstädten und Wohnsiedlungen ab. Nun bin ich aber in eine merkwürdige Situation geraten. Ich rede aus Anlass einer schönen Ausstellung über Dichterfamilien und bin bei Mord und Totschlag in den modernen Städten gelandet. Vergehe ich mich da nicht gegen die Kultur dieses Hauses? Liegt die Lebenswirklichkeit von Dichterfamilien wie der berühmten Sippe Thomas Manns oder der akustisch etwas lautstarken Familie Kafka oder den biedermeierlich arrangierten Weiblichkeiten um Eduard Mörike nicht weitab von allen tragischen Verbrechen, so dass es an Geschmacklosigkeit zu grenzen scheint, wenn man den Lebensgemeinschaften unserer Schriftsteller die bluttriefende Orestie des Aischylos zur Seite stellt? Muss ein solcher Vortrag zuletzt wirklich bei den Zeitungsspalten über Unglücksfälle und Verbrechen landen, statt den gesellschaftlichen Nährgrund zu zeigen, aus dem grosse literarische Werke herauswachsen konnten? Die Fragen haben ihre Berechtigung. Dennoch muss man sich hier einer Tatsache bewusst sein: Die Biographie eines Autors ist nicht der Schlüssel zu seinen Werken. Die Geheimnisse eines Romans oder eines Schauspiels eröffnen sich uns nie zur Gänze von den Lebens- und Ehe- und Familiengeschichten dessen her, der die Werke geschrieben hat. Ich weiß, dass diese Behauptung einer weitverbreiteten Überzeugung widerspricht. Ohne Zweifel gibt es vielerlei Beziehungen zwischen dem, was ein Autor erlebt hat, und dem, was in seinen Büchern passiert, aber alles Erlebte verwandelt sich entscheidend in dem Moment, da es in den Kosmos eines Werks eingeht. Dieser Kosmos hat seine eigenen Gesetze. Er braucht zwar das Erfahrungswissen seines Autors, aber die Einzelheiten dieses



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Erfahrungswissens gewinnen im Werk einen Stellenwert, der nur aus dessen Eigendynamik heraus zu begreifen ist. Daher kann die Kenntnis der Biographie den Zugang zu den Werken eines Autors ebenso erschweren wie erleichtern. Ich pflege in diesem Zusammenhang jeweils zu sagen, einer der größten Glücksfälle der Kulturgeschichte sei die Tatsache, dass wir von Shakespeares Leben – auch seinen Familiengeheimnissen – fast nichts wissen. Das heißt: Es sind nicht die Lebenserfahrungen der Autorin oder des Autors, sondern es ist zuletzt die Eigengesetzlichkeit der Kunst, wodurch Furcht und Schrecken, Verbrechen und Raserei in ein Werk gelangen. Deshalb kann, wo ein schöpferischer Kopf am Werk ist, auch in einem bürgerlichen Salon plötzlich wieder der blanke Horror erscheinen, und in einer braven Familie tauchen verschwiegene Dinge auf, die am Ende Menschenleben kosten. Dazu ein Beispiel, das alle kennen. Eine der berühmtesten Erzählungen der deutschen Literatur, Die Verwandlung von Franz Kafka, lässt sich zwar durchaus auf das hin lesen, was wir vom privaten Leben des Autors wissen, sodass wir darin rasch einmal ein groteskes Selbstporträt sehen – nach der ebenso beliebten wie zweifelhaften Regel: Die Biographie ist der Schlüssel zum Werk. Damit unterschlagen wir aber die entscheidenden Differenzen zwischen dem Erlebten und dem Erzählten. Sobald wir dem Erzählten nämlich einen eigenen Schöpfungscharakter zugestehen, verdämmert das Erlebte, und wir entdecken in der Geschichte unter Umständen eine Wiederkehr der uralten Berichte vom Fami­lien­ geheimnis in ihrer vollen mythischen Gewalt. Kafkas Verwandlung also. Wir alle wissen mit Sicherheit, dass noch nie ein Mensch, der am Morgen aus unruhigen Träumen erwachte, feststellen musste, dass er sich über Nacht in ein tierisches Scheusal verwandelt hat. Genau dies geschieht aber in Kafkas Erzählung dem jungen Mann namens Gregor Samsa. Also, denken wir, ist die Geschichte eine groteske Erfindung, ein komödiantischer Witz. Oder etwas Symbolisches. Am ehesten mit autobiographischem Bezug. Nun gehören die Geschichten von plötzlichen Verwandlungen aber zu den ältesten Zeugnissen der Literatur. Ovid hat um das Jahr 1 unserer Zeitrechnung ein bis heute vielfach aufgelegtes Buch darüber geschrieben, die Metamorphosen. Zornige Götter und eifersüchtige Göttinnen verwandeln darin zahlreiche Menschen in Tiere oder Pflanzen. Aktäon wird ein Hirsch, Kallisto eine Bärin, Arachne eine Spinne, Narcissus eine Blume. Für das vorwissenschaftliche Denken sind solche Vorgänge nicht unwahrscheinlicher als ein Sonnenuntergang. Es sind einfach schwere Schicksale, die einzelne Menschen getroffen haben. Man erfährt in diesen Geschichten, wie unberechenbar die eigene Existenz ist, wie rasch sie in die grösste denkbare Katastrophe umschlagen kann, eine endlose vielleicht sogar, weil auch kein Tod einen davon erlöst. Gleichviel, ob einer schuldig ist oder schuldlos.

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Und so wie uns Ovids Werk bis heute noch fasziniert, müssen wir nun auch fähig sein, die Geschichte von Gregor Samsa ernst zu nehmen. Die Literatur ist älter als alle wissenschaftlichen Weltbilder, deshalb kann sie auch in unserer Zeit die ältesten Schrecken und die ältesten Erlösungen wieder vergegenwärtigen. Wenn Gregor Samsa sich eines Morgens »zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt« findet, muss man diesen Worten ihre Kraft lassen. Das reflexhaft symbolische Lesen führt allzu leicht dazu, die Dämonie des urtümlichen Erzählens abzutöten und in banale Alltäglichkeiten überzuführen. Wenn wir aber das volle Entsetzen der Verwandlung zulassen, kann uns das »ungeheuere Ungeziefer« wie die zeitlose Verkörperung des Familiengeheimnisses vorkommen. Anschließend dürfen wir dann schon auch wieder psychologisch werden, wie wir es so gerne tun, weil es alles so viel einfacher macht. Dann dürfen wir im verwandelten Gregor Samsa auch den Sohn Franz in der Familie von Hermann und Julie Kafka sehen, und in Gregors Schwester Grete gleich alle drei Kafka­ schwestern zusammen. Aber damit wächst auch die Gefahr wieder, dass uns das Ereignis der Verwandlung selbst als eine bizarre Erfindung erscheint. Über die konventionelle Familienpsychologie entwerten wir so den ästhetischen Akt einer modernen Metamorphose. Der Künstler Kafka verschwindet dann hinter dem angeblich neurotischen Sohn Franz. Dabei kann man gerade unter dem Aspekt der grossen Kunst eine Beziehung schlagen zwischen der Verwandlung des Gregor Samsa im abgeschlossenen Zimmer einer Prager Familienwohnung und einer der berühmtesten Metamorphosen bei Ovid. Arachne, eine stolze junge Frau, hatte als Weberin die wunderbarsten Bildteppiche geschaffen, und sie war so überzeugt von ihrer Kunst, dass sie die Göttin Athene zu einem Wettweben herausforderte. Und tatsächlich gelang ihr das schönere Bildwerk als der Göttin. Aber Athene wurde darüber so wütend, dass sie die menschliche Rivalin in eine Spinne verwandelte, die nun auf ewig spinnen und weben und in ihrem eigenen Gewebe hausen muss. Diese Katastrophe ist in das kulturelle Bewusstsein Europas eingegangen. Mehr als tausend Jahre nach Ovid erscheint Arachne wieder in Dantes Divina Commedia, im 12. Gesang des »Purgatorio«. Und zwar sehen wir sie dort in dem genauen Moment, da sie noch eine schöne junge Frau ist und doch schon eine halbe Spinne, im Augenblick also der akuten Verwandlung. Und so hat Gustave Doré sie dann weitere sechshundert Jahre später in einem Holzschnitt zu Dantes Werk gezeigt: die Entstehung eines ungeheueren Ungeziefers und seine furchtbare Einsamkeit.4 4

Das Bild ist wiedergegeben in der Ausgabe: Dante Alighieri, Die göttliche Komödie. Ins Deutsche übertragen von Ida und Walther von Wartburg. Mit 48 Holzschnitten von Gustave Doré, Zürich 1963, vor S. 549. Dort auch die Strophe über Arachne.



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Für Dante gehört Arachne zu den Stolzen und Hochmütigen  – obwohl sie tatsächlich die größere Künstlerin war als Athene. Und wenn wir Kafkas Erzählung autobiographisch lesen und trotzdem das ungeheuere Ungeziefer ganz ernst nehmen, können wir in diesem Wesen durchaus die schwere Einsamkeit des Künstlers Kafka sehen, den seine Kunst von der bergenden Familie und von der ersehnten Anerkennung durch den Vater trennt. Die Einsamkeit des Käfers, an der dieser zuletzt stirbt, erinnert dann auch an die Einsamkeit Hamlets, an die Einsamkeit Elektras, welche beide das Familiengeheimnis ihrer Sippe leibhaftig verkörpern und daran so verzweifelt leiden. Ich weiß, das sind gewagte Sprünge über immense Distanzen hinweg. Aber gelegentlich muss man wieder daran erinnern, dass in den Werken der ganz großen Autorinnen und Autoren auch heute noch jene unbändige Schöpferkraft tätig ist, die einst die Mythen der Menschheit geschaffen hat.

Deutsche Schillergesellschaft

norbert oellers

nachruf auf horst nahler 12. April 1934–13. September 2017 Horst Nahler, der verdiente Goethe- und Schillerforscher, ist am 13.  September 2017 in Weimar, wo er fast 60 Jahre lebte, gestorben. Geboren wurde er am 12. April 1934 in Leipzig. An der dortigen Leibniz-Oberschule legte er 1952 das Abitur ab, an der Karl-Marx-Universität Leipzig studierte er anschließend Germanistik, u.  a. bei Theodor Frings, Hans Mayer und Hermann August Korff, bei dem er 1956 das Staatsexamen ablegte. Nach einer kurzen Tätigkeit als Dozent an der Arbeiter- und Bauern-Fakultät in Borna wurde Nahler 1958 wissenschaftlicher Assistent und bald darauf Mitarbeiter am Institut für Deutsche Sprache und Literatur der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, und zwar in deren Weimarer Außenstelle, dem Goethe- und Schiller-Archiv. Die Mitarbeit an der Akademie endete 1980. In diesem Jahr wurde Nahler Redaktor der Schiller-Nationalausgabe. Diese Aufgabe erfüllte er bis 1999. Nicht unerwähnt sei, dass Nahler von Weimar aus einen Promotionsstudiengang an der Friedrich-Schiller-Universität Jena verfolgte, den er 1961 mit einer von Joachim Müller betreuten Dissertation über Martin Opitz abschloss. In den beiden ersten Jahrzehnten seiner wissenschaftlichen Tätigkeit war Nahler maßgeblich an der 1952 begonnenen historisch-kritischen Edition der Akademie-Ausgabe von Goethes Werken beteiligt, die Anfang der 1980er Jahre unvollendet aufgegeben wurde. Zu den nicht veröffentlichten, nahezu fertigen Bänden der Ausgabe gehört auch Nahlers Band zu Torquato Tasso, der mit Zeugnissen der Überlieferung und Lesarten den 1954 erschienenen, von Lieselotte Blumenthal bearbeiteten Textband des Dramas ergänzen sollte. Ebenso konnten Nahlers weit fortgeschrittene Arbeiten, die Goethes Schriften zur Kunst galten, durch die Aufgabe der Edition nicht zum Ende einer Publikation gebracht werden. Erschienen sind von Nahler einige Bände der Abteilung »Schriften zur Literatur«: Band 3 (Goethes Texte zu Theater und Schauspielkunst, zur Volksdichtung und zu eigenen Werken; 1973), Band 6 (Überlieferung und Lesarten zu Band 3; 1978) und Band 7 (Register zu den Bänden 1–6 der Schriften zur Literatur). Über die Qualität der Bände braucht nur gesagt zu werden, dass es schwer vorstellbar ist, sie ließen

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norbert oellers

sich wesentlich verbessern. Das gilt auch für ein 1986 erschienenes Buch, das Edith und Horst Nahler zusammen geschrieben haben: Band 3 der Quellen und Zeugnisse zur Druckgeschichte von Goethes Werken, ein Band, der die Geschichte von Goethes nachgelassenen Werken und der zweibändigen Quartausgabe seiner poetischen und prosaischen Werke (1836/37) minutiös dokumentiert. Horst Nahler war in den beiden Jahrzehnten seiner Mitarbeit an der SchillerNationalausgabe ein überaus verlässlicher und editionswissenschaftlich versierter Redaktor von nicht weniger als 17 Bänden, wenngleich er nur auf sieben der 17 Titelblätter namentlich genannt wird. Außerdem war er auch in Zusammenarbeit mit Edith Nahler ein exzellenter Bearbeiter der Bände 4 (Die Verschwörung des Fiesko zu Genua; 1983) und 26 (Briefe Schillers 1790–1794; 1992). Nicht zuletzt der unermüdlichen Arbeit des Redaktors und des Herausgebers Nahler verdankt die Nationalausgabe das Ansehen, das ihr vielfach von Schillerforschern zuteil wird. Die vielen Menschen, die Horst Nahler kennen gelernt haben, werden ihn nicht vergessen. Seine menschliche Nähe war so wohltuend wie seine wissenschaftliche Kompetenz bewundernswert.

ulrich raulff

jahresbericht der deutschen schillergesellschaft 2017 / 2018 Das Jahr 2017, im offiziellen Jubiläumskalender dem Gedächtnis der Russischen Revolution gewidmet, stand für das Deutsche Literaturarchiv im Zeichen eines anderen Russlandereignisses: der Reisen, die Rainer Maria Rilke in Begleitung von Lou Andreas-Salomé in den Jahren 1899 und 1900 unternahm. Das Russland, das der Gottsucher Rilke mit heißem Begehren suchte und fand, war ein frömmeres und tieferes, der Kunst und der Religion ergebenes, ein spirituelles Russland, über das ein alter, weiser König herrschte: der bewunderte und verehrte Leo Tolstoi. Von Rilkes Russlandbild, von seinen Begegnungen, Erlebnissen und Erfahrungen, einschließlich der Enttäuschungen, die ihm Tolstoi bereitete und die zu verarbeiten der Dichter viele Jahre seines Lebens brauchen sollte, handelte die grandiose Schau, die, kuratiert von Thomas Schmidt, am 3. Mai in Marbach eröffnet wurde, im Spätsommer weiterwanderte nach Bern und Zürich und schließlich im Februar 2018 in Moskau eröffnet wurde. Rilke und Russland wurde zu einem europäischen literarischen Ereignis, emphatisch in der Presse besprochen und vom Publikum der drei Länder mit Begeisterung aufgenommen. Der ursprünglich als Gastredner der Eröffnung erwartete, aber kurzfristig verhinderte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier holte seinen Besuch auf den Tag genau zwei Monate später, am 3. Juli 2017, nach und fand in Marbach selbst und später am Abend in Stuttgart hoch lobende und bewegende Worte für die große Ausstellung und die nationale Bedeutung der Marbacher Institute. Noch in anderer Hinsicht wurde Rilke und Russland für das Ausstellungsprogramm der Schillerhöhe maßgeblich: Der Blick auf die Interaktion zweier Großmächte der europäischen Literatur um die Wende zum zwanzigsten Jahrhundert stand am Beginn einer Reihe von Ausstellungen, die sich der Geschichte der deutschen Literatur im Horizont der Weltliteratur widmen sollten. Sie wurde noch im selben Jahr, genauer gesagt am 8. November, von German Fever. Beckett in Deutschland gefolgt und sollte im folgenden Jahr, 2018, von der Erfindung von Paris und von Thomas Mann in Amerika fortgesetzt werden. Die Ausstellung zu Samuel Becketts Deutschlandreisen und Tauchfahrten durch die deutsche Literatur und Kunst wurde ermöglicht durch eine enge Kooperation des DLA mit dem

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Beckett-Archiv der Universität Reading – Beweis dafür, dass auch und gerade in Zeiten des ›Brexit‹ der freundschaftlichen Zusammenarbeit von Museumsleuten über nationale Grenzen hinweg hohe Bedeutung zukommt. Die nicht minder schwierige Zusammenarbeit über bundesrepublikanische Ländergrenzen hinweg hatte sich in den vergangenen vier Jahren der Forschungsverbund Marbach-Weimar-Wolfenbüttel (MWW) angelegen sein lassen. Außer mit Tagungen, Vorträgen und Publikationen trat der Verbund auch mit Ausstellungen hervor. Am 21. September eröffneten die Marbacher Museen mit einem Vortrag von Peter von Matt (ab S. 315 in diesem Band) ihren Beitrag zu dem Gemeinschaftsunternehmen. Die Ausstellung Die Familie. Ein Archiv widmete sich unterschiedlichen textuellen und namentlich visuellen Repräsentationen von Familie. Ausgehend von der großen Marbacher Sammlung von Familienfotografien wurde gezeigt, wie ›Familie‹ sich in ihrer eigenen ästhetischen Form erst konstituiert und sichtbar wird. Die in der Ausstellung dokumentierten Forschungsergebnisse wurden in einer Tagung zum Thema ›Familien-Ordnungen‹ am 8. und 9. Februar 2018 weiter vertieft. Das Marbacher Tagungsprogramm begann 2017 mit einem Kolloquium zu Rilke. Über Rilke und die russische Philosophie sprachen am 1. und 2. Juni 2017 international renommierte Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. Diese Tagung hatte am 6.  Februar 2018 in Moskau ihr russisches Pendant. Unter der Leitung von Professor Dirk Kemper und mit Marbacher Beteiligung kam an der Russischen Staatlichen Universität für Geisteswissenschaften in Moskau (RGGU) Rilkes Verhältnis zu Russland im Kontext des deutsch-russischen Kulturtransfers zur Sprache. Die Beiträge beider Rilke-Kolloquien werden in einem gemeinsamen Band erscheinen. Die zweite in der von Peter-André Alt konzipierten Reihe der Schiller-Konferenzen fand am 29. und 30.  Juni zu dem Thema Schillers Theaterpraxis statt. Die Tagung thematisierte die luziden Techniken der Körperdarstellung nicht nur in Schillers frühen Dramen, sondern auch in den klassischen Tragödien. Von literarisch-kulturellen Vereinen im neunzehnten Jahrhundert und der Auswertung ihrer öffentlichen Wirkung unter Einbezug von Archivfunden handelte die Tagung Zwischen Konsens und Konkurrenz. Zum literarisch-kulturellen Vereinswesen im 19. Jahrhundert. Im Dezember folgte unter dem Titel Die Ideen von 1917. Debatten auf Burg Lauenstein über die Neuordnung Deutschlands nach dem Krieg ein Kolloquium, das die von dem Verleger Eugen Diederichs im Mai und Oktober des Jahres 1917 anberaumten Tagungen thematisierte. In der Schlussphase des Krieges kamen führende Intellektuelle wie Theodor Heuss, Max Weber, Ernst Toller u.  a. zusammen, um über die soziale und wirtschaftliche Reorganisation Deutschlands zu debattieren. Die Treffen und kontroversen Diskussionen gelten als Meilensteine



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der deutschen Intellektuellengeschichte. Auch die Beiträge dieser in Kooperation mit der Vanderbilt University veranstalteten Tagung werden in einem Band erscheinen. In der Reihe Zeitkapsel war im März der ehemalige Fernsehredakteur Peter Brugger zu Gast und berichtete über die Entstehung seines Films über den Literaturnobelpreisträger Claude Simon. (Die an diesem Abend gehaltenen Vorträge sowie ein Interview mit Claude Simon lesen Sie ab S. 75 in diesem Band.) Im April diskutierte Ulrich von Bülow mit Günter Berg im Kontext der Neuausgabe von Siegfried Lenz’ Deutschstunde über die Entstehungsgeschichte des Romans. Im September folgte ein Abend, der die Archivbestände des nach Brasilien emigrierten Übersetzers von Thomas Manns Werken, Herbert Caro, in den Blick nahm. Gab Peter Handke bereits 2007 67 seiner Notizbücher nach Marbach, kamen 2017 weitere 154 hinzu. In der letzten Zeitkapsel des Berichtzeitraums warf Peter Handke gemeinsam mit Ulrich von Bülow einen Blick in die Notate. Auch jenseits der fest etablierten Veranstaltungsreihen waren prominente Autoren, Wissenschaftler und Intellektuelle in Marbach zu Besuch. Karl Heinz Bohrer sprach mit Jan Bürger und Stephan Schlak über sein 2017 erschienenes Buch Jetzt. Geschichte meines Abenteuers mit der Phantasie, Lorenz Jäger stellte sich im Gespräch mit Helmut Lethen Fragen zu seiner Walter BenjaminBiographie, die unter dem Titel Walter Benjamin. Das Leben eines Unvollendeten bei Rowohlt publiziert worden ist. Reinhart Meyer-Kalkus, der die menschliche Stimme als Phänomen sowie ihre Geschichte erforscht und Hanns Zischler, der als versierter Sprecher literarischer Texte der Weltliteratur bekannt ist, erkundeten in der Abendveranstaltung Rilke liest/Rilke gelesen Rilkes Vortragskunst und die sich wandelnde Vortragskunst einer Vielzahl von Interpreten. Die kleine literarische Form der Anekdote wurde bei einer Public Lecture im Vorfeld der Verleihung des Schillerpreises der Stadt Marbach zum Thema. Telling Anecdotes: Pointenreich behandelt die Anekdote besondere, bemerkenswerte Geschehnisse und steht damit im Kontrast zu den ›großen Erzählungen‹ vom Gang der Geschichte, indem sie das, was war, in singuläre, kleine Erzählungen verwandelt. Der diesjährige Preisträger und Gründungsintendant des Berliner Humboldtforums Horst Bredekamp und sein Laudator, der Literaturwissenschaftler und Shakespeareforscher Stephen Greenblatt sprachen im Humboldtsaal darüber, wie die kleine literarische Form Literatur- und Kunstgeschichte schreibt. Am 12. Oktober wählte das Kuratorium Sandra Richter zur Nachfolgerin von Ulrich Raulff. Die designierte Direktorin stellte am Abend des 29. November ihr Buch Eine Weltgeschichte der deutschen Literatur vor. Im Gespräch mit Heinrich Detering und Marcel Lepper verhandelte sie die internationale Vernetzung deutschsprachiger Literatur und legte die Rolle europäischer und globaler Literatur- und Kulturtraditionen dar.

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Anfang November öffneten das Literaturarchiv und seine Museen die Pforten zum Tag der offenen Tür. Über den ganzen Tag hinweg konnten die Besucher in Führungen einen Einblick in die Arbeit und Strukturen der Institution erhalten. Am Abend hielt Ernst Ulrich von Weizsäcker die Schillerrede unter dem Titel Club of Rome: Der große Bericht. Wir sind dran. Was wir ändern müssen, wenn wir bleiben wollen. Eine neue Aufklärung für eine volle Welt. Zuvor war das Collegienhaus nach der umfangreichen Renovierung wiedereröffnet und für das Publikum geöffnet worden. Mit einem Festakt wurde im November die großzügige Stiftung eines Porträts Samuel Fischers von Max Liebermann begangen. Der Verleger Wulf D. von Lucius hielt die Rede auf die Stifterin Monika Schoeller und würdigte Samuel Fischer als Gründervater »eines der wichtigsten Verlagsarchive, das wir hier in Marbach besitzen«. Jan Philipp Reemtsma ist eine weitere bedeutende Stiftung zu verdanken. Ebenfalls im November übergab er sein literarisches und wissenschaftliches Archiv an das DLA. Es umfasst neben Dokumenten zu seinen wichtigsten Projekten und den unterstützten Autoren, Verlagen und Zeitschriften, umfassende Korrespondenzen mit bekannten Persönlichkeiten der Literatur- und Zeitgeschichte wie Klaus von Dohnanyi, Jürgen Habermas und Hans Magnus Enzensberger. Unter den wichtigsten Erwerbungen der Bibliothek im Jahr 2017 ragt die Bibliothek Kilian von Steiners hervor. Steiner war einer der Gründer des SchillerMuseums und prägte die frühe Institutionengeschichte Marbachs entscheidend. In seiner Bibliothek, einer der wenigen erhaltenen jüdischen Büchersammlungen, bildet sich das Profil eines bedeutenden, kreativen Finanzmannes ab, der zugleich ein starker Leser und Sammler war. Wulf D. von Lucius und Jan Eike Dunkhase werden dieser außergewöhnlichen und für die Frühgeschichte der Schillerhöhe signifikanten Büchersammlung 2018 ein Marbacher Magazin widmen. Zum 1.  Januar 2018 wurde im DLA ein Digitalisierungszentrum (DZ) eingerichtet, das organisatorisch als Referat der Abteilung Verwaltung zugeordnet ist. Ziel des DZ ist es, die Tätigkeiten, die mit der digitalen Zurverfügungstellung der Bestände des DLA zu tun haben, in einer Organisationseinheit zusammenzufassen. Seit September 2017 nehmen zwei Angestellte des DLA, Anaïs Ott (seit April 2018 vertreten durch Eva Kissel) und Diana Layman, die neu geschaffene Aufgabe der Umweltschutzbeauftragten wahr und informieren regelmäßig in den Betriebsversammlungen über den schonenden und nachhaltigen Umgang mit Ressourcen. Am 24.  September 2017 verstarb die Herausgeberin der Kracauer-Werkausgabe Ingrid Belke. Sie arbeitete von 1981 bis 2000 als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Handschriften-Abteilung und erwarb sich besonderes Verdienst um den Ausbau der Exil-Sammlung.



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ARCHIV 1 Erwerbungen 1.1 Handschriftensammlung 1.1.1 Vorlässe, Nachlässe, Teilnachlässe und Sammlungen

Hans Altenhein: Sammlung. Briefe von Richard Alewyn, Hermann Kant, Irmtraud Morgner, Helga M. Novak, Gabriele Wohmann, Helen Wolff. Karlheinz Barck: Nachlass. Manuskripte, Briefe an und von Hans Ulrich Gumbrecht, Hans Robert Jauß, Werner Krauss, Jean-François Lyotard u.  a., Materialien zu Erich Auerbach und Werner Krauss sowie zu den begriffsgeschichtlichen Projekten, zum Zentralinstitut für Literaturgeschichte und zum Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin, Notizbücher, Zettelkästen. Wilfried Barner: Nachlass. Manuskripte, Vorlesungsmitschriften (zu Friedrich Beißner, Wolfgang Kayser), Briefe an und von Walter und Inge Jens, Nelly Sachs, Wilhelm Voßkamp u.  a., Fotos aus der Schul- und Studienzeit. Ulrich Beck: Nachtrag zum Nachlass. Manuskripte: Der eigene Gott, eigenes Leben, Die kosmopolitische Gesellschaft und ihre Feinde, Macht und Gegenmacht im globalen Zeitalter, The Metamorphosis of the World, Risikogesellschaft, Was ist Globalisierung?, Weltrisikogesellschaft u.  a.; Vorträge und Aufsätze, Vorarbeiten, frühe Fassungen und Materialsammlungen zu Büchern (u.  a. Risikogesellschaft); Collegeblöcke. Briefe an ihn und von ihm zu Konferenzteilnahmen und Gastprofessuren. Charlotte Beradt: Teilnachlass. Prosa: Vorarbeiten zu Das Dritte Reich des Traums und Rosa Luxemburg im Gefängnis; Briefe an und von Gerhard und Regina Casper, Irmgard Keun, Reinhart Koselleck und Albrecht Schaeffer; Verschiedenes: Kalendernotizen, biografische Materialien über Martin Beradt. Johannes Bobrowski: Nachtrag zum Nachlass. Gedichte, Widmungsgedichte, Backsteingotik, Französische Kathedralen, Geliebtes Jahr; Ringbuch mit Notizen zu einer geplanten Kulturgeschichte, Sammlung Lieblingsgedichte, Briefe an Lilo Fromm, Eberhard Jäger, Umschlagentwurf für Levins Mühle, Brief von Fereydoun Farokhzad, Brief von Max Hölzer an Johanna Bobrowski. Elisabeth Borchers: Nachtrag zum Nachlass. Gedichte, Kurzprosa, Rezensionen, Reden und Aufsätze. Briefe an und von Herbert Achternbusch, Ilse Aichinger, Cyrus Atabay, Hans Bender, Frank Benseler, Eva Demski, Hans Magnus Enzensberger, Fritz Rudolf Fries, Günter Bruno Fuchs, Franz Fühmann, Robert Gernhardt, Durs Grünbein, Jürgen Habermas, Peter Hamm, Rolf Haufs, Hartmut von Hentig, Zbigniew Herbert, Stephan Hermlin, Wolfgang Hildesheimer, Walter Höllerer, Josef W. Janker, Bodo Kirchhoff, Wolfgang Koeppen, Karl Krolow, Jakov Lind, Gert Loschütz, Rainer Malkowski, Hans Mayer, Friederike Mayröcker, Christoph Meckel, Adolf Muschg, Paul Nizon, Cees Nooteboom, Helga M. Novak,

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Marcel Reich-Ranicki, Klaus Reichert, Patrick Roth, Gaston Salvatore, Robert Wolfgang Schnell, Lutz Seiler, Guy Stern, Wolf Wondratschek, Eva Zeller u.  a.; Briefe an Claus J. Carlé von Jurek Becker, Franz Josef Czernin, Inge Feltrinelli, Paul Nizon, Dolf Sternberger, Martin Walser. Christa Bürger: Nachtrag zum Vorlass. Texte zur klassischen Ästhetik, zu August von Kotzebue und zur Postmoderne, Briefe. Peter Bürger: Nachlass. Manuskripte: Prosa der Moderne (u.  a. Vorlesungen), Kritik der Hermeneutik, Texte und Entwürfe zu den Themen Autonomie, Avantgarde, Funktionswandel der Literatur, Hermeneutik, Postmoderne, Surrealismus, Verschwinden des Subjekts; Typoskripte zu Radiosendungen, Projekt- und Seminarentwürfe, Korrespondenzen, u.  a. Briefwechsel mit dem Athenäum-Verlag und Briefe an Elsbeth und Fritz Bürger. C. W. Ceram (d.  i. Kurt W. Marek): Teilnachlass. Prosa: Der Erste Amerikaner u.  a.; Kriegstagebücher; Briefe an und von (z.  T. auch an und von Ehefrau Hannelore Marek) Alfred Andersch, Hans Bender, Martin Beheim-Schwarzbach, Wolfgang Borchert, Wernher von Braun, Bernard von Brentano, Italo Calvino, Marion Gräfin Dönhoff, Kasimir Edschmid, Axel Eggebrecht, Inge Feltrinelli, Arnold Gehlen, Ernst Glaeser, Ernesto Grassi, Geno Hartlaub, Werner Heisenberg, Rolf Hochhuth, William Holden, Hans Egon Holthusen, Richard Huelsenbeck, Aldous Huxley, Rolf Italiaander, Uwe Johnson, Ernst Jünger, Helmut Käutner, Hermann Kesten, Arthur Koestler, Ernst Kreuder, Heinrich Maria Ledig-Rowohlt, Ludwig Marcuse, Walter Mehring, Agnes Miegel, Will Quadflieg, Marcel Reich-Ranicki, Hans Werner Richter, Ernst Rowohlt, Hans Sahl, Ernst von Salomon, Hjalmar Schacht, Carlo Schmid, Helmut Schmidt, Ernst Schnabel, Johannes Mario Simmel, Jürgen Thorwald, Wolfgang Weyrauch, Kurt Wolff, Hans Zehrer u.  a.; Briefwechsel mit dem Rowohlt Verlag; Lebensdokumente; Manuskript von Ernst von Salomon: Der Fragebogen. Günter Figal: Nachtrag zum Vorlass. Vorlesungen 1989–1996: Einführung in die politische Philosophie, Sokrates, Hermeneutische Modelle, Kritische Theorie als Kunstphilosophie, Nietzsche, Heidegger, Grundprobleme der Zeitphilosophie, Ästhetik der Kunst und des Lebens, In-der-Welt-Sein, Heidegger und die Griechen u.  a. Manfred Fuhrmann: Teilnachlass. Manuskripte, Briefe an und von Hans Robert Jauß, Walter Rüegg, Martin Walser u.  a., Materialien zur Forschergruppe Poetik und Hermeneutik, zur Philologie und Bildungspolitik, zur Evaluation der Geisteswissenschaften in Ostdeutschland 1991, zum Balzan-Preis, zur WielandAusgabe im Klassiker-Verlag. Zsuzsanna Gahse: kurze Prosa, Reden; Briefe von Arpad, Balász Lengyel, Péter Esterházy, Hildegard Grosche, Andreas Grunert, Walter Hinck, Andreas Höll, Péter Nádas, Heinz Schafroth, Hannelore Schlaffer; Übersetzungen und Materialien zu Péter Esterházy, Materialien zu Veranstaltungen u.  a.



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Albrecht Goes: Nachtrag zum Nachlass. Laienspiele, kleine Prosa: Aufsätze, Nachworte, Reden, Betrachtungen, Rezensionen, Arbeiten zur Musik (u.  a. zu Mozart); Arbeitsbücher mit Notizen, Entwürfen, Versuchen; Film-, Funk- u. Fernsehmanuskripte; Adressbücher, Terminkalender, Auszeichnungen u.  a. Gerhart von Graevenitz: Nachlass. Manuskripte, Materialien zur Arbeitsgruppe Poetik und Hermeneutik, Akten der DVjs. Durs Grünbein: Nachtrag zum Vorlass (Depositum). Gedichtsammlung Das Photopoem, Gedichtentwürfe aus den Jahren 2000–2017; Prosa: Die Jahre im Zoo (Entwürfe und Materialien); Briefe an und von Anna Maria Carpi, John Crutchfield, Richard Dove, Wanda Heinrichová, Athanasius Lambrou, Hiroko Nakagawa, Yuji Nawata, Silvia Ruzzenenti, Francesca Segreteria, Andrew Shields, Krastjo Stanischev, Suhrkamp-Verlag, Joel Vincent. Werner Hamacher: Nachlass. Manuskripte, Seminare, Vorträge, Protokolle zu Kolloquien von Herbert Dieckmann, Gershom Scholem, Heinz Wismann; Briefe an und von Giorgio Agamben, Gisèle Celan-Lestrange, Paul de Man, Jacques Derrida, Alexander Garcia Düttmann, Jürgen Fohrmann, Manfred Frank, Eva Geulen, Dieter Henrich, Hans Robert Jauß, Ernesto Laclau, Philippe LacoueLabarthe, Jean-Luc Marion, Winfried Menninghaus, J. Hillis Miller, Jean-Luc Nancy, Avital Ronell, Rainer Warning, David Wellbery, Cornelia Vismann u.  a.; Gutachten. Peter Handke: 154 handschriftliche Notizbücher aus den Jahren 1990 bis 2015 (ca. 23.500 Seiten). Hans-Jürgen Heinrichs: Sammlung. Manuskripte; Briefe an und von Fritz J. Raddatz, Georges-Arthur Goldschmidt, Durs Grünbein, Felix Philipp Ingold, Sibylle Lewitscharoff, Martin Mosebach, Cees Nooteboom, Anne Weber. Hermann Hesse: Sammlung Elisabeth Vogel. Briefe und Karten von Hesse an Elisabeth Vogel; Gedichtabschriften, Widmungen. Hermann Hesse: Sammlung Marie Luise (Marlis) Bodamer. Briefe und Karten von Hermann Hesse an Fanny Schiler (geb. Gundert); zahlreiche Gedichtabschriften und Widmungsexemplare. Hans und Maria Hohenberger: Autographensammlung. Briefe und Lebensdokumente von Albert Einstein, Emanuel Geibel, Paul Hindemith, Franz Kafka, Thomas Mann, Albert Schweitzer und Stefan Zweig. Ernst Kaiser: Nachlass. Gedichte. Sammlungen: Blutiger Wein. Dem Andenken Kurt Tucholskys; Prosa (in dt. und engl. Sprache): Die Geschichte eines Mordes, Mr. Shadow (Schattenmann), Die Rückkehr  I und II (Felix Warrant und Beatus Pahl), Das schattengrüne Meer u.  a.; Briefe von Kurt Hiller, Karl Otten, Eithne Wilkins u.  a.; Briefe anderer von Kurt Wolff u.  a.; Manuskripte anderer: Hermann Broch über Die Geschichte eines Mordes; Zeichnungen; Widmungsexemplar von Schattenmann.

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Joachim Kaiser: Nachtrag zum Nachlass. Prosa: Loriot’s Leistung u.  a., Manuskripte zu Rundfunksendungen und Reden; Briefe (auch an Susanne Kaiser) von Alfred Brendel, Werner Burkhardt, Vicco von Bülow (Loriot), Stefan Moses, AnneSophie Mutter, Maurizio Pollini, Martin Walser u.  a.; Aufzeichnungen aus dem Studium, Zeugnisse und Urkunden, Adressbücher. Michael Krüger: Vorlass (Erster Teil). Briefe von Ilse Aichinger, Herbert Achternbusch, Paul Auster, Samuel Beckett, Hans Bender, Horst Bienek, Hans Blumenberg, Karl Heinz Bohrer, Alfred Brendel, Joseph Brodsky, Hubert Burda, Roberto Calasso, Italo Calvino, Elias Canetti, René Char, Inger Christensen, Emil M. Cioran, Tankred Dorst, Umberto Eco, Günter Eich, Christian Enzensberger, Hans Magnus Enzensberger, Hubert Fichte, Erich Fried, Günter Bruno Fuchs, Wilhelm Genazino, Allen Ginsberg, Helmut Gollwitzer, Günter Grass, Durs Grünbein, Lars Gustafsson, Jürgen Habermas, Michael Hamburger, Peter Handke, Ludwig Harig, Seamus Heaney, Helmut Heißenbüttel, Hans Werner Henze, Zbigniew Herbert, Günter Herburger, Wolfgang Hildesheimer, Walter Höllerer, Max Horkheimer, Edmond Jabès, Philippe Jaccottet, Ernst Jandl, Josef W. Janker, Elfriede Jelinek, Uwe Johnson, Alfred Kantorowicz, Sarah Kirsch, Wolfgang Koeppen, Werner Krauss, Dieter Kühn, Günter Kunert, Stanisław Lem, Hermann Lenz, Reinhard Lettau, Claude Lévi-Strauss, Leo Löwenthal, Herbert Marcuse, Peter von Matt, Friederike Mayröcker, Christoph Meckel, Czesław Miłosz, Martin Mosebach, Herta Müller, Cees Nooteboom, Marcel Reich-Ranicki, Wolfgang Rihm, Alain Robbe-Grillet, Tadeusz Różewicz, Tuvia Rübner, Peter Rühmkorf, Volker Schlöndorff, W. G. Sebald, Lutz Seiler, Gershom Scholem, Charles Simic, Peter Sloterdijk, George Steiner, Botho Strauß, Patrick Süskind, George Tabori, Tomas Tranströmer, Franz Tumler, Klaus Wagenbach, Martin Walser, Peter Weiss, Dieter Wellershoff, Urs Widmer, Robert Wilson, Ror Wolf u.  a. Dabei: Unterlagen der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung: Briefe an und von Walter Kahnert und Michael Krüger von Jean Arp, Julius Bab, Albert Ehrenstein, Hubert Fichte, Hermann Kesten, Asta Nielsen, Erwin Piscator, Albert Vigoleis Thelen, Kurt Wolff u.  a. Dieter Kühn: Nachtrag zum Nachlass. Dramatisches: Vilma pendelt, Unsichtbare Gegner; Prosa: Korrekturfahnen zu Der König von Grönland, Frau Merian!; Verschiedenes: Materialsammlung zu Luftkrieg als Abenteuer; Notizbücher; Briefe an und von Thomas Kaminsky, Helmuth Kiesel, Monika Schoeller, Siegfried Unseld. Günter Kunert: Nachtrag zum Vorlass. Gedichte aus den Jahren 2009–2017, Prosa-Sammlung Vertrackte Affären, Interview mit Uwe Wittstock; Briefe u.  a. von Anne Beresford, Hans Christoph Buch, Karl Corino, Friedrich Christian Delius, Michael Hamburger, Ludvík Kundera, Christopher Middleton, Jochen Missfeldt, Armin Mueller-Stahl, Isolde Ohlbaum; Lebensdokumente.



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Sibylle Lewitscharoff: Vorlass. Dramatisches: Vor dem Gericht u.  a.; Prosa: Apostoloff, Blumenberg, Montgomery, Das Pfingstwunder, Pong u.  a.; Briefe an und von Anita Albus, Heinz von Cramer, Marianne Frisch, Hubertus Giebe, Felicitas Hoppe, Anna Leube, Gertrud Leutenegger, Thomas Medicus, Ulrich Moritz, Martin Mosebach, Andreas Nentwich, Floris M. Neusüss, Hans Pleschinski, Marie-Luise Scherer, Christiane Schmidt, Sissi Tax, Ulla Unseld-Berkéwicz, Hanns Zischler. Gunter Martens: Teilvorlass. Briefwechsel Gunter Martens mit Hans Zeller; Briefe von Werner Helwig, Kurt Hiller. Werner Marx: Teilnachlass. Manuskripte; Briefe an und von Hans-Georg Gadamer, Aron Gurwitsch, Martin Heidegger, Dieter Henrich, Karl Jaspers, Hans Jonas, Marie Luise Kaschnitz, Vittorio Klostermann, Karl Löwith, Max Müller, Helmuth Plessner, Otto Pöggeler, Kurt Riezler, Wilhelm Szilasi, Ernst Tugendhat, Egon Vietta u.  a.; Manuskript von Karl Jaspers: Erneuerung der Universität. Eduard Mörike: Autographensammlung Klaus Berge. Gedichte, Briefe, Rezeptionszeugnisse u.  a.; Autographen von Hugo Distler, Emanuel Geibel, Karl Gerok, Karl Gutzkow, Paul Heyse, Justinus Kerner, Nikolaus Lenau, Hermann Lingg, Karl Mayer, Ludwig Pfau, August von Platen, Wilhelm Raabe, Ludwig Richter, Gustav Schwab, Moritz von Schwind, Theodor Storm, David Friedrich Strauß, Ludwig Uhland, Friedrich Theodor Vischer, Ottilie Wildermuth, Christian Wagner, Hugo Wolf u.  a. Martin Mosebach: Briefe an und von Anita Albus, Jurij Archipow, Karl Corino, Franz Josef Czernin, Eva Demski, Jörg Drews, Bernd Eilert, Hans Magnus Enzensberger, Alexander Fest, Robert Gernhardt, Rainald Goetz, Durs Grünbein, Wolfgang Hegewald, Eckhard Henscheid, Ernst Herhaus, Gottfried Honnefelder, Alfred Hrdlicka, Florian Illies, Wolfgang Kemp, Sebastian Kleinschmidt, Michael Klett, Michael Köhlmeier, Brigitte Kronauer, Michael Krüger, Sibylle Lewitscharoff, Michael Maar, Axel Matthes, Klaus Modick, Armin Mohler, Elisabeth NoelleNeumann, Brigitte und Peter Schermuly, Frank Schirrmacher, Volker Schlöndorff, Gustav Seibt, Robert Spaemann, Botho Strauß, Guntram Vesper, Rainer Weiss, Ror Wolf, Günter Zehm, Gerald Zschorsch. Martin Mosebach: Sammlung Peter Schermuly. Manuskripte: Die Türkin, Westend, Album Disegno Raffaelo u.  a.; Interview; Zeichnungen; Briefe an Brigitte und Peter Schermuly. Picht/Curtius: Nachtrag zum Familienarchiv. Materialien aus den Nachlässen von Georg Picht und Edith Picht-Axenfeld; Manuskripte von Georg Picht (u.  a. zu Kant); Briefe von Georg Picht an Greda Picht-Curtius; Briefe an Freunde und Bekannte; Briefe von Carl Friedrich von Weizsäcker und Sofie von Ungern an Georg Picht; Edith Picht-Axenfeld: Tagebücher und Notizen; Materialien zu Frauen gegen atomare Wiederbewaffung; Familienbriefe an Edith Picht-Axenfeld,

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Werner Picht, Max Picht, Stefan Picht, jeweils Nachträge zu den Teilnachlässen; Theodor Axenfeld: Manuskripte von ihm, Briefe von ihm und an ihn; Materialien zu seiner Japan-Reise 1932, Lebens- und Familiendokumente, Orden, Medaillen; Lebenserinnerungen von Hedwig Axenfeld; Urkunden, Zeugnisse, Reisepässe, Gästebücher; Fotos, Alben; Widmungsexemplare aus Familienbesitz; Zeitungsausschnitte (Nachrufe u.  a.); Tonband und Disketten; Gemälde (Porträts) von Sabine Lepsius. Emil Roßmann: Teilnachlass. Briefe an ihn von Rudolph Genée, Karl Gutzkow u.  a. (v.  a. von Redakteuren verschiedener Zeitschriften); Zeitschriftendruck seiner Erzählung Nur ein Contorist in Karl Gutzkows Unterhaltungen am häuslichen Herd (1856). Moritz Schauenburg: Familiennachlass und Teile des Verlagsarchivs. Gedichte von Ernst Moritz Arndt und Joseph Victor von Scheffel; Briefe an den Verlag von Ludwig Anzengruber, Ernst Moritz Arndt, Alfred Brehm, Wilhelm Busch, Felix Dahn, Ernst Eckstein, Ludwig Eichroth, Friedrich Erk, Ferdinand Freiligrath, Ludwig Fulda, Gustav Freytag, Martin Greif, Eduard Hallberger, Ernst Heckel, Paul Heyse, Wilhelm Jensen, Detlev von Liliencron, Hermann von Lingg, Balduin Möllhausen, Julius Rodenberg, Peter Rosegger, Joseph Victor von Scheffel, Julius Stinde, Heinrich von Treitschke, Johannes Trojan, Anton von Werner u.  a.; Dokumente zur Familien- und Firmengeschichte. Siegfried Scheibe: Nachlass. Manuskripte, Vorträge; Briefe an und von Klaus Baumgärtner, Katharina Mommsen, Winfried Woesler, Hans Zeller u.  a.; Tonmitschnitte von Konferenzen und Arbeitsgruppen. Hannelore und Heinz Schlaffer: Teilvorlass. Briefe von Hans Robert Jauß und Friedrich Kittler. Friedrich Alfred Schmid Noerr: Nachtrag zum Teilnachlass. Gedichtsammlungen: Das Antependium, Lyrische Skizzen u.  a.; Dramatisches: Wissenschaft; Verschiedenes: Tagebuch, zwei Notizbücher; Briefe an Hans Gruhle. Sigmund Schott: Teilnachlass mit Briefen und Materialien von und zu Georg Brandes, Marie von Ebner-Eschenbach, Eduard Engel, Otto Gildemeister, Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst, Gottfried Keller, Max Letteris, Karl Marx (Abschrift), Alfred Meißner, Helmuth Karl Bernhard von Moltke, Friedrich Theodor Vischer u.  a. Egon Schwarz: Nachtrag zum Nachlass. Manuskripte, Briefe, Festplatte und digitale Materialien, Urkunden. Hannes Schwenger: Nachtrag zum Vorlass. Korrespondenzen mit Ekkehard Maaß, Helga M. Novak, Isolde Ohlbaum, Richard Pietraß, Lutz Rathenow, Rolf Schneider, Natascha Ungeheuer, Reinhard Zabka. Klaus Theweleit: Erster Teil des Vorlasses. Manuskripte: Buch der Könige, Deutschlandfilme, Freikorpsliteratur: Vom Deutschen Nachkrieg 1918–1923, Das



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Land, das Ausland heißt, Männerphantasien (mit umfangreichen Materialsammlungen und acht Zettelkästen); Objektwahl (All You Need Is Love …), Der Pocahontas Komplex u.  a.; Bücher. Herbert Tjadens: Nachtrag zum Teilnachlass. Drehbücher: In dieser Hölle, Ulenspiegel u.  a.; Hörspiele; Prosa; Korrespondenz zum Ulenspiegel-Drehbuch. Martin Walser: Nachtrag zum Vorlass (Depositum). Faxe von Martin Walser an Freunde und Verleger; Korrespondenzen mit dem Suhrkamp-Verlag und weiteren Verlagen, Zeitungen und Rundfunkanstalten; Briefe von Georg Braungart, Maria Beig, Klaus von Dohnanyi, Werner Dürrson, Claus Wilhelm Hoffmann, Klaus Isele, Yaak Karsunke, Michael Krüger, Frank-Wolf Matthies, Claus Peymann, Karin Reschke, Peter Salomon, Hans Joachim Schädlich, Jens Sparschuh, Michael Speier, Arnold Stadler, Siegfried Unseld, Moritz von Uslar u.  a. Kurt Zierold: Teilnachlass. Vorträge und Aufsätze zu Kulturpolitik, Schulwesen, Hochschul- und Wissenschaftsorganisation; Briefe an und von Adolf Butenandt, Karlfried von Dürckheim, Hanns W. Eppelsheimer, Reinhard Goering, Otto Hahn, Werner Heisenberg, Theodor Heuss, Ludwig Klages, Karl Korn, Konrad Lorenz, Alfred Richard Meyer, Walter von Molo, Erich Neumann, Josef Pieper, Helmut Schelsky, Friedrich Schmidt-Ott, Carl Schmitt, Harro Siegel, Eduard Spranger, Frank Thiess, Carl Friedrich von Weizsäcker u.  a.; Dokumente zur Geschichte des Deutschen Forschungsrates und der Deutschen Forschungsgemeinschaft. 1.1.2 Kleinere Sammlungen und Einzelautographen (Auswahl)

Erwin Ackerknecht: Bericht über seine letzte Lebenszeit von Friedrich Roos. – Johann Anton: Gedichte. – Erich Auerbach: Konvolut Kalender mit Notizen. – Schalom Ben-Chorin: Briefe und Materialien von Gabriella Rosenthal; Briefwechsel mit den Schwiegereltern, zahlreiche Malbriefe, Zeichnungen, Fotos. – Paul Celan: Brief an Julie Gastl und Gudrun Schaal, Karten an Franz Wurm, Brief von Gisèle Celan-Lestrange an Edith Aron. – Klaus Demus: Briefe an und von Robert André. – Hans Magnus Enzensberger: Briefe und Mails an Dato Barbakadse. – Samuel Fischer: Entwurf der Rede auf Gerhart Hauptmann 1932. – Karl Eduard Fürer: Briefe an ihn von Emanuel Geibel, Karl von Gerok, Emil Frommel, Friedrich von Bodelschwingh, Adolf Stoecker. – W. Fr. Rud. Gansser: Sammlung von Stammbuchaufsätzen. – Alexander von Gleichen-Russwurm: Vermählungsanzeige. – Albrecht Goes: Brief an Gerhardt Böttcher. – Albrecht Goes: Briefe und Karten an Anny Luzia Gerok, Heinrich Müller und Charlotte Gerok. – Ludwig Greve: Briefe an Kurt Martin. – Hanns Grössel: Materialien zu Projekten im Berenberg-Verlag. – Peter Härtling: Briefe an Gertrud Fiege. – Walter Hasenclever: Brief

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an Unbekannt. – Martin Heidegger: Aufzeichnungen seines Bruders Fritz Heidegger über ihn. – Ernst Heimeran: Briefe an Walter Müri. – Manfred Peter Hein: Briefe an Peter Schlack. – Hermann Hesse: Briefwechsel mit Rudolf Hollinger. – Hermann Hesse: Briefe an Eva Knabe, Materialien. – Hermann Hesse: Variationen über ein Thema, Teil-Manuskript des Glasperlenspiels und Widmungen an Wilhelm Rupprecht. – Hermann Hesse: Gedicht mit Aquarell für Ulrich Weizsäcker; Briefe von Ninon und Heiner Hesse an Gertrud Weizsäcker. – Wolfgang Hildesheimer: Brief an Frau Friedrich. – Karl Jaspers: Teilmanuskript aus Allgemeine Psychopathologie. – Hans Robert Jauß: Briefwechsel mit Wolf-Dieter Stempel. – Ernst Jünger: Briefe und Karten an Wolfram Dufner, Einladungskarten, Fotos, Briefe an Elisabet Eytzinger, Brief an Kurt Schauerhammer. – Hermann Kasack: Briefe an Ernst und Robert Fillmann. – Marie Luise Kaschnitz: Der Geiger. – Sarah Kirsch: Tage- und Notizbücher, Brief an Erich und Ingrid Schwandt. – Paul Kornfeld: Brief und Karte an Hortense Cisek. – Karl Krolow: Briefe an ihn und Luzie Krolow von Vera B. Profit. – Günter Kunert: Gedichte, Big Book, Katzen-Buch; Briefe. – Siegfried Lenz: Reisetagebuch Marokko. – Alfred Margul-Sperber: Briefe von ihm und Lebensdokumente über ihn. – Gunter Martens: Briefe von Werner Helwig, Kurt Hiller und Hans Zeller. – Ernst Meister: Materialien des Verlags der Marburger Flugblätter bzw. Verlag Adolf Ebel. – Albert Pfister: Briefe, Postkarten und Fotos. – Lea Ritter-Santini: Karte von Helga Abret. – Rowohlt Verlag: Korrespondenzen mit Hermann Peter Piwitt und Peter Rühmkorf. – Margot Ruben: Briefwechsel mit Renate Koch. – Max Rychner: Geburtstagskonvolut 1962, Autorenporträts, Widmungsblätter. – Nelly Sachs: Briefe an Hans Appel, Zeichnungen. – Jean-Paul Sartre: Notizen zu Réponse á Pierre Naville. – Rudolf Schlichter: Briefe aus der Sammlung Fréderic Koehler. – Rudolf Alexander Schröder: Briefe an ihn von Marie Luise Borchardt, Conrad und Inge Westphal. – Albert Schweitzer: Brief an Paul Kämpchen. – Hannes Schwenger: Korrespondenzen. – Anna Seghers: Briefe an Werner Roggausch. – Bernhard Schlink: Erkundungen, Die Frau auf der Treppe, Nachsaison. – Claude Simon: Interviewmanuskript, Briefe an Peter Brugger. – Peter Suhrkamp: Briefe an Josef Kommer. – Albert Vigoleis Thelen: Gedichte und Briefe an Dirk Hoffmann. – Thaddäus Troll: Briefe an Reiner Wahlig. – Erich Trunz: Briefe an Gertrud Fiege. – Emilie Uhland: Aufzeichnungen 1809/10 und 1819–1848. – Ewald Volhard: Briefe von Stefan George, Friedrich Gundolf und Max Kommerell. – Martin Walser: Karte an Andreas Hubert. – Erich Weiß: Briefwechsel mit Georg Alter über das Kölner Hermann-Hesse-Archiv. – Carl Zuckmayer: Briefe an Alwine und Hermann Harth.



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1.1.3 Für Stiftungen ist zu danken

Einige größere Ankäufe wären ohne die großzügige Hilfe von Stiftungen und Institutionen nicht möglich gewesen. Ein herzlicher Dank gebührt der Hubert Burda Stiftung, der Kulturstiftung der Länder und der Bundesbeauftragten für Kunst und Medien für ihre Hilfe bei der Erwerbung der Notizbücher von Peter Handke. Die Bundesbeauftragte für Kunst und Medien förderte auch die Erwerbungen der Vorlässe von Michael Krüger und Sibylle Lewitscharoff. Die Robert- und HeleneUhland-Stiftung unterstützte uns dankenswerterweise bei der Erwerbung der Autographen-Sammlung Hohenberger. Des Weiteren danken wir: Dr. Friedrich Albrecht, Prof. Dr. Hans Altenhein, Dr. Robert André, Dr. Reinhard Baden, Dato Barbakadse, Dr. Elisabeth Barner-Gaedicke, Prof. Dr. Elisabeth Beck-Gernsheim, Heinrich von Berenberg, Marie Luise (Marlis) Bodamer, Gerhardt Böttcher, Elisabeth Brandes, Peter Brugger, Rolf Bulang, Prof. Dr. Gerhard Casper, Ioana Cisek, Dr. Johann Dama, Prof. Dr. Heinrich Dauber, Jürgen Diehl, Gabriele Dingeldey, Diogenes-Verlag , Dr. Wolfram Dufner, Gertrud Fiege, Renate Fischer, Georg Fladt-Stähle, Dr.  Dietrich Fürer, Christiane Fuhrmann Spornicu, Konrad Fuhrmann, Dr.  Karl Gerok, Dr.  Dagmar von Gersdorff, Prof. Dr.  Harald Goertz, Walter Grimme, Prof. Dr. Klaus Grubmüller, Brigitte Häusler, Birgitt Hansen-Schenk, Alwine Harth, Heinrich Heidegger, Dirk Hoffmann, Eva Hoffmann, Heidegert A. Hoesch, Andreas Hubert, Martin Kämpchen, Kreisarchiv , Raimund Kommer, Sba Khorosh, Michael Limberg, Hans Lindemann, Max Marek, Prof. Dr. Gunter Martens, Dr. Claudia Mertz-Rychner, Bettina Nordland, Shinu Sara Ottenburger, Christoph Picht, Dr.  med. Johannes Picht, Margarete Pollmeier, Prof. Dr.  Vera B. Profit, Dr.  Dierk Rodewald, Dr.  Werner Roggausch, Hildburg Rosenbauer, Dr. Caroline Rupprecht, Stephanie Schauenburg, Thomas Scheibe, Peter Schlack, Prof. Dr. Hannelore und Prof. Dr. Heinz Schlaffer, Dr.  Gudrun J. Schwalber, Erich Schwandt, Dr. Roland Seim, Dr. Matthias Senn, Ulrike Steinmetz, Prof. Dr. Wolf-Dieter Stempel, Angelika Theis, Gertrud Thelen, Gabriele Weber, Dr.  Barbara Wiedemann, Emily und William Wilkins, Dr.  med. Waltraut Winkler, Dr. Friedrich Voit, Dr. Rüdiger Volhard, Prof. Dr. Martin Zierold, Dr. Olga Zoller.

1.2 Bilder und Objekte 1.2.1. Zugänge aus Vorlässen, (Teil-)Nachlässen und Sammlungen (Auswahl)

Katharina Badenhop: Nachtrag zum Nachlass. Fotografien. Charlotte Beradt: Teilnachlass. Fotografien. Grafiksammlung Klaus Berge. Eduard Mörike: Porträt Eduard Mörike von Karl Bauer, 1904, Grafiken von Hannes Binder, u.  a. zu Gedichten Mörikes, 1993–

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2009, Leporello mit Zeichnungen und weitere grafische Arbeiten zu Leben und Werk Eduard Mörikes von Michael Blümel, Scherenschnitte von Hedwig Goller, 1993–2006, Illustrationen von Friederike Groß zu Gedichten Mörikes, 2008–2012, Scherenschnitte von Ursula Kirchner, 2004 und Linolschnitte von Ludwig Oswald Wenckelbach zu Mörikes Märchen vom sicheren [sic!] Mann, 1922. Ricarda Huch-Sammlung Böhm: Nachtrag. Fotografien. Hans Blumenberg: Nachtrag zum Nachlass. Fotografien. C. W. Ceram (d.  i. Kurt W. Marek): Teilnachlass. Fotografien, Aquarell von John Pike, Tierplastiken. Albert Dulk: Nachtrag zum Nachlass. Ein Porträt Albert Dulk (Relief) und ein Gemälde seines Arbeitszimmers in Untertürkheim sowie ein Erinnerungsstück. Gerd Gaiser: Nachtrag zum Nachlass. Selbstporträt, Fotografien und Veranstaltungsplakate. Helga Hummerich: Nachlass. Fotonegative und Glasplatten. Joachim Kaiser: Nachtrag zum Nachlass. Fotografien. Ruth Landshoff-Yorck: Teilnachlass. Fotografien und Fotonegative. Helmut Lethen: Nachtrag zum Vorlass. Fotografien, ein Lederkoffer und eine Schreibmaschine. Sibylle Lewitscharoff: Vorlass. Scherenschnitte für 36 Gerechte, 1994, Collagen zu Der höfliche Harald, 1999, Papierobjekte zu Der Dichter als Kind, 2009 und zu Das Pfingstwunder, 2014–2016, das von Sibylle Lewitscharoff konzipierte und gestaltete Brettspiel Satzbau (ein Grammatik-Spiel) und Collagen von Friedrich Meckseper zu Pong redivivus, 2013. Werner Marx: Teilnachlass. Fotografien. Friedrich Alfred Schmid Noerr: Nachtrag zum Teilnachlass. Zwei Skizzenbücher. Fotografisches Archiv des Suhrkamp Verlagsarchivs: Porträts der Autorinnen und Autoren des Verlags, darunter vorrangig die zeitgenössische deutschsprachige Literatur (u.  a. Ingeborg Bachmann, Thomas Bernhard, Bertolt Brecht, Paul Celan, Günter Eich, Hans Magnus Enzensberger, Max Frisch, Durs Grünbein, Peter Handke, Nelly Sachs, Peter Weiss). Hinzu kommen Fotokonvolute fremdsprachiger Autoren (u.  a. Isabel Allende, Samuel Beckett, Zbigniew Herbert, Bohumil Hrabal, James Joyce, Stanislaw Lem, Cees Nooteboom, Amoz Oz, Marcel Proust, Jorge Semprun und Bernard Shaw). – Originale namhafter Fotografinnen und Fotografen (u.  a. Jerry Bauer, Brigitte Friedrich, Barbara Klemm, Erica Loos, Renate von Mangoldt, Stefan Moses, Lütfi Özkök, Isolde Ohlbaum und Peter Zollna), Reproduktionen, Mehrfachexemplare und Dokumentationsmaterialien, vereinzelt auch Korrespondenzen, Buchumschlagsentwürfe, Plakate, Bildmaterialien zu einzelnen Buchprojekten sowie Zeitungsausschnitte und Programmvorschauen. Klaus Theweleit: Erster Teil des Vorlasses. Schreibmaschine mit Anbauten für eine Endlos-Papierrolle.



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Thaddäus Troll: Nachtrag zum Nachlass. Ein Fotoalbum, Grafiken, Fotografien und eine Aktentasche. Eva Zeller: Vorlass. Fotografien. Kurt Zierold: Teilnachlass. Zeichnungen von Hugo Kükelhaus. 1.2.2 Einzelzugänge 1.2.2.1 Gemälde und Totenmasken

Porträt Samuel Fischer von Max Liebermann, Öl auf Leinwand, 1916. – Porträt Andreas Wendelstadt von Sabine Lepsius, um 1930. – Totenmaske Moritz Heimann. 1.2.2.2 Medaillen

Winckelmann-Medaille für Walther Rehm. 1.2.2.3 Grafiken

Konvolut mit Originaleinbandentwürfen und Illustrationen für den S. Fischer Verlag vom Übergang des 19. zum 20. Jahrhunderts. Darunter: Entwürfe von Hans Baluschek (zu Gerhart Hauptmann Bahnwärter Thiel, 1897 und zu Hermann Bang Die vier Teufel, 1897), Lovis Corinth (zu Alfred Kerr Das neue Drama, 1905), Otto Eckmann (zu Peter Nansen Maria, 1896) und Heinrich Vogeler (zu Gerhart Hauptmann Der arme Heinrich, 1902). – Collage Am Rande der alten Verhältnisse von Ror Wolf, 2000. 1.2.2.4 Fotografien (Auswahl)

H. M. Enzensberger von Volker Derlath, 2012. – Kurt Flasch von Regina Schmeken, 2004. – Karl Gerok vom Fotoatelier C. Pfann, Stuttgart, vor 1890. – Lena Gorelik von Volker Derlath, 2009. – Joachim Kaiser und Christoph Schlingensief von Regina Schmeken, 2004. – Hermann Lenz von Volker Derlath, 1991. – Fritz J. Raddatz von Regina Schmeken, 2011. – Ulrich Raulff von Barbara Klemm, 2017. – Albrecht Schöne von Barbara Klemm, 2016. – George Tabori von Regina Schmeken, 2000. – Erich Trunz von Regina Schmeken, 1999. – Ottilie Wildermuth vom Fotoatelier C. Pfann, Stuttgart, um 1876. Hinzu kommt ein umfangreiches Konvolut mit Porträts u.  a. von Margaret Atwood, Peter Rühmkorf und W. G. Sebald von Birgitt Hansen-Schenk sowie Porträts u.  a. von Hans-Magnus Enzensberger, Martin Gülich, Dieter Hoffmann, Sybille Krämer, Sibylle Lewitscharoff, Que Duu Luu, Thomas Rosenlöcher,

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Joachim Unseld, Ror Wolf und Feridun Zaimoglu, die die Fotografen des Hauses, Chris Korner und Jens Tremmel, im Rahmen der literarischen Veranstaltungen des DLA Marbach angefertigt haben. 1.2.2.5 Erinnerungsstücke

Pelzjacke von Hannah Arendt. – Geschnitztes Kamel aus dem Besitz von Oskar Loerke. – Armbanduhr mit der Silhouette von Eduard Mörike auf dem Zifferblatt. – Haarlocke von Moses Rosenkranz. – Bücherschrank aus dem früheren Inventar des Schiller-Nationalmuseums. 1.2.3 Für Stiftungen ist zu danken

Edeltraud Balzer, Manuela Bayer, Constanze Beth, Prof. Dr. Regina Casper, Ruth Cürlis, Dr. Michael Davidis, Christa Eckstein, Günther Kischel, Barbara Klemm, Ulf-Henning Lange, Dr. med. Johannes Picht, Monika Schoeller, Reinhard Tgahrt, Frieder Weitbrecht, Ror Wolf und Dr. Olga Zoller. 2 Erschließung 2.1 Handschriftensammlung

An folgenden Beständen wurden detaillierte Ordnungs- und Verzeichnungsarbeiten durchgeführt: Ilse Aichinger, Schalom Ben-Chorin, Rudolf Borchardt, Cotta-Briefbestand und -Copierbücher, Christian Enzensberger, Rainer Gruenter, Redaktionsarchiv Geschichte der Germanistik, Peter Hacks, Martin Heidegger, Insel Verlag (gefördert durch die DFG), Karl Jaspers (gefördert durch die Karl Jaspers Stiftung), Marie Luise Kaschnitz, Sarah Kirsch, Ludwig Klages, Siegfried Lenz (gefördert durch die Siegfried Lenz Stiftung), Helmut Lethen, Erwin W. Palm (gefördert durch den Hilde-Domin-Fonds), Fritz J. Raddatz (gefördert durch die Fritz J. Raddatz Stiftung), Moses Rosenkranz, Rowohlt Verlag, Peter Rühmkorf (gefördert durch die Arno Schmidt Stiftung), S. Fischer Verlag (gefördert durch die S. Fischer Stiftung), Hans Sahl, Rudolf A. Schröder, Peter Suhrkamp und Suhrkamp Verlag (gefördert durch die DFG). – Hinzu kam die laufende Verzeichnung von kleinen Neuzugängen. Vorgeordnet wurden ganz oder teilweise unter anderem die Bestände zu Ulrich Beck, Ernst Kaiser, Kilian Kerst, Michael Krüger, Sibylle Lewitscharoff, Rolf Michaelis, Martin Mosebach, Richard Salis, Albrecht Schöne sowie Peter Urban.



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jahresbericht 2017 / 2018

2.2 Bilder und Objekte

Neben der Erstellung von Einzelkatalogisaten wurden mehr als zwanzig Bildkonvolute erschlossen: H. G. Adler, Deutsche Verlags-Anstalt, Hans Magnus Enzensberger, S. Fischer Verlag (Nachtrag Fotografien und Plakate), Hedwig Goller, Helga Hummerich, Ludwig Klages, Raymond Klibansky, Dieter Kühn, Alexandre Rossmann, Luise Walther, Ricarda Huch-Sammlung Böhm. Der Fotobestand des Siegfried Unseld Archivs wird sukzessive systematisch geordnet und archiviert. Ausgewählte Fotografien werden als Einzelaufnahmen katalogisiert. Die Ordnung und Erschließung der Buchumschlagsammlung Curt Tillmann wurde ehrenamtlich von Roland Stark fortgesetzt. 2.3 Statistik: Neue Datensätze

Nach Abschluss der Hauptarbeiten entstanden im vergangenen Jahr nur noch vergleichsweise wenige Datensätze aus dem von der DFG geförderten Projekt der Inventargestützten Altbestandserschließung. Erfreulicherweise verzeichnen wir erneut eine steigende Anzahl der unabhängig davon neu angelegten Datensätze im Bereich der Handschriften. Der leichte Rückgang der Erschließungszahlen im Bereich der Bilder und Objekte ist in erster Linie auf die hausübergreifende Planung eines neuen Online-Katalogs (OPAC = Online Public Access Catalogue) zurückzuführen. 2010

2011

insgesamt

34.126

Handschriften Neuaufnahmen Handschriften Retrokonversion Bilder und Objekte

2012

2013

2014

2015

2016

2017

32.329

88.519 101.380 105.038

77.714

86.861

40.126

33.482

21.808

25.731

33.314

41.374

18.536

35.506

35.664

 

9.707

62.117

67.594

63.089

58.476

50.780

4.026

644

814

671

472

575

702

575

436

348

ulrich raulff

3 Benutzung

Die statistischen Zahlen im Bereich der Benutzung liegen im Durchschnitt der letzten Jahre, die der Tagespräsenzen und Leihscheine sind leicht gestiegen, die der Datenbank-Zugriffe und der Anfragen leicht gefallen.



349

jahresbericht 2017 / 2018

3.1 Anwesenheiten 2010

2011

2012

2013

2014

2015

2016

2017

Tagespräsenzen Archiv insgesamt

3.619

4.206

4.714

4.862

5.039

5.575

4.232

4.528

Tagespräsenzen Handschriften

3.331

3.858

4.410

4.401

4.463

4.830

3.577

4.031

Tagespräsenzen Bilder und Objekte

288

348

304

461

576

723

655

497

Anmeldungen Archiv insgesamt

1.142

1.317

1.299

1.129

1.276

1.346

1.191

1.201

Anmeldungen Handschriften

1.021

1.178

1.176

1.079

1.196

1.237

1.092

1.072

Anmeldungen Bilder und Objekte

121

139

123

50

80

109

99

129

350

ulrich raulff

3.2 Entleihungen 2010

2011

2012

2013

2014

2015

2016

2017

16.316

18.546

19.565

17.314

18.236

20.849

18.561

18.828

Externer Leihverkehr. Handschriften: Verträge

43

33

27

30

25

17

25

32

Externer Leihverkehr. Handschriften: Einheiten

317

257

296

364

235

269

201

170

Externer Leihverkehr. Bilder und Objekte: Verträge

14

13

19

17

25

15

10

9

Externer Leihverkehr. Bilder und Objekte: Einheiten

60

111

281

67

49

102

28

54

Handschriften (Leihscheine)



351

jahresbericht 2017 / 2018

3.3 Anfragen mit Rechercheaufwand 2010

2011

2012

2013

2014

2015

2016

2017

Anfragen mit Rechercheaufwand gesamt

1.198

1.295

1.340

1.618

1.380

1.224

1.304

1.173

Anfragen mit Rechercheaufwand Handschriften

1.069

1.129

1.179

1.473

1.246

1.009

1.107

964

Anfragen mit Rechercheaufwand Bilder und Objekte

129

166

161

145

134

215

197

209

352

ulrich raulff

3.4 Datenbank-Recherchen 2010

2011

2012

2013

2014

2015

2016

2017

43.522

42.572

51.149

52.945

67.703

69.299

54.438

50.864

im Modul 39.219 Handschriften

37.291

46.084

47.509

61.082

62.889

49.186

45.463

im Modul Bilder und Objekte

4.303

5.281

5.065

5.436

6.621

6.410

5.252

5.401

im Modul Bestandsführung

27.920

34.021

49.806

27.486

36.428

34.718

40.328

25.859

insgesamt



353

jahresbericht 2017 / 2018

3.5 Kopien von Handschriften 2010 

2011

2012

2013

2014

2015

2016

2017

Kopien

34.902

39.305

58.991

53.152

36.974

40.626

38.712

33.325

Kopieraufträge

1.537

1.742

2.025

1.857

1.758

1.872

1.830

1.730

4 Projekte und Sonstiges

Das DFG-Projekt zur Inventargestützten Altbestandserschließung, das im November 2015 begonnen wurde, konnte nach 18  Monaten erfolgreich abgeschlossen werden. Insgesamt wurden 39 Nachlässe und Teilnachlässe, darunter die von Stefan Andres, Friedrich Beißner, Yvan und Claire Goll, Ernst Hardt, Käte Hamburger, Ninon Hesse, Hermann Kasack, Walter Kolbenhoff, Benno Reifenberg, Thaddäus Troll, Franz Tumler und Max Zweig katalogisiert. Im Anschluss an dieses Projekt wurden und werden mit eigenen Mitteln Altbestände, die in den ältesten, noch handschriftlich geführten Inventarbüchern verzeichnet sind, nach und nach katalogisiert. Die Entwicklung eines neuen Online-Katalogs (OPAC = Online Public Access Catalogue) nahm auch im vergangenen Jahr wieder viel Zeit in Anspruch. Im Rahmen einer abteilungsübergreifenden Arbeitsgruppe wurden Entwürfe ausgearbeitet, geprüft und ausführlich diskutiert. Nachdem im Jahr 2016 bereits ein Prototyp entwickelt wurde, ging es nun bereits um Detailfragen. Dabei sind vielfältige Abstimmungen innerhalb der Abteilung notwendig, aber auch mit den Kollegen der Bibliothek und den externen Partnerfirmen, die den OPAC mit Open Source-Instrumenten realisieren. Erfreulicherweise konnte im Rahmen des Forschungsverbunds Marbach, Weimar, Wolfenbüttel die seit langem dringend benötigte Schnittstelle im internationalen XML-Standard-Format Encoded Archival Description (EAD) eingerichtet werden. Auch dafür waren seitens der Archiv-Abteilung Beratungen und Testläufe notwendig. Ende 2017 wurde der gesamte Marbacher Bestand an Handschriften-Daten im EAD-Format an die Berliner Staatsbibliothek geliefert. Sobald die dort mit dem Import verbundenen Arbeiten abgeschlossen sind, werden die Marbacher Daten zum ersten Mal auch im OPAC des nationalen Kalliope-Verbundes vollständig recherchierbar sein. Für die Sichtbarkeit unserer Daten ist das ein großer Fortschritt. Kolleginnen und Kollegen beteiligten sich an hausinternen Workshops und Arbeitsgruppen zu den Themen Digitalisierung und Digital Humanities, Werktitel und Thesaurus sowie an den von der Deutschen Nationalbibliothek organisierten

354

ulrich raulff

Arbeitsgruppen, deren Aufgabe es ist, die überregionalen Regeln zur Erschließung von Nachlässen und Autographen (RNA), Handschriften und Objekten im Sinn des internationalen Regelwerks Resource Description and Access (RDA) weiterzuentwickeln. Janet Dilger besuchte eine zweitägige GND-Grundschulung im Stuttgarter Bibliotheksservicezentrums Baden-Württemberg sowie den Bibliothekartag in Frankfurt am Main. Sabine Fischer nahm am Jahrestreffen der Grafischen Sammlungen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz teil. Der Fortbildung der ganzen Abteilung diente ein Ausflug am 30. November in das Kunstmuseum Stuttgart, in dessen Mittelpunkt das dortige Willy Baumeister-Archiv stand. Und wie in den vergangenen Jahren nutzte die Abteilung Archiv die Möglichkeit der innerbetrieblichen Fortbildung im Rahmen der Reihe Auf dem Laufenden. Insgesamt wurden in der Archivabteilung elf Praktikanten betreut. Die oft arbeitsaufwändigen Führungen durch die Sammlungen der Abteilung für Studenten, Wissenschaftler, Vereine, Mäzene und Politiker erreichten 2017 mit 105 ihren bisherigen Höchststand.

BIBLIOTHEK 1 Erwerbung

Im Berichtsjahr konnte der für drei Jahre gewährte Zuschuss der Siemens Stiftung in Höhe von € 50.000 erneut fehlende Mittel im Bibliotheksetat für wissenschaftliche Monographien ausgleichen. Der Buchetat für Quellenliteratur musste allerdings Mehrausgaben für Zeitschriften und erstmals fällig gewordene, künftig steigende Speicherkosten für die Web-Quellen der Plattform Literatur-im-Netz auffangen, insgesamt € 15.000, was sich in der im Vergleich zum Vorjahr deutlich gesunkenen Anzahl von Buchkäufen zeigt. Der mit 11.000 Bänden umfangreichste Zugang des Jahres ist bei den geschlossenen Sammlungen zu verzeichnen. Besonders erwähnenswert sind 616 Bände aus der Bibliothek Erich Auerbachs, die sich bei dessen Enkel Claude Auerbach (USA) erhalten hatten, nach intensiven Bemühungen übernommen werden konnten und die nun den hier aufbewahrten Nachlass des bedeutenden, interdisziplinär forschenden Romanisten und Literaturwissenschaftlers ergänzen. Im Nachlass ist eine Titelliste der Bibliotheksbestände enthalten, die bereits 1960 an die Bibliothek der Universität Austin, Texas, übergeben worden waren. Ebenfalls herausragend ist die Mörike-Sammlung Berge (1.460 Bände), die zusammen mit einem kostbaren Autographen-Konvolut aus dem Besitz des Sammlers Klaus Berge aus Mitteln des Mörike-Fonds angekauft werden konnte. Die Druckschriften wurden nach der differenzierten Systematik des 2014 erschienenen Bestandskataloges zur Sammlung geordnet.



jahresbericht 2017 / 2018

355

Des Weiteren wurde die komplett erhaltene Bibliothek von Kilian von Steiner (1833–1903), einem der wichtigsten Mäzene und Ideengeber des Schillermuseums, Stifter zahlreicher und bedeutender Schiller-Autographen, in einem Umfang von 6.500 Bänden anhand bestimmter Merkmale aus dem Bestand der Gräflichen Bibliothek Leutrum von Ertingen in Oberdischingen als Besitz Kilian von Steiners identifiziert und herausgelöst; die Verschmelzung der beiden Provenienzen hat vermutlich im Zuge der Verehelichung der Enkelin Marie-Luise mit dem Grafen Hubertus Leutrum von Ertingen stattgefunden. Der Ankauf konnte dankenswerterweise mit Mitteln der Leibinger Stiftung, der Wüstenrot Stiftung, der Stiftung Kulturgut Baden-Württemberg und der Robert- und Helene-UhlandStiftung ermöglicht werden. Mehr als 40 % des in zwölf Gruppen systematisch geordneten und verlisteten Bestands sind literarische Werke; weitere nennenswerte Teilbestände sind Geschichtswerke sowie 26 Kästen mit 650 Broschüren und Akzidenzdrucken zu aktuellen Fragen der Zeit aus sämtlichen Fachgebieten. Die Bibliothek spiegelt in einzigartiger Weise die Person Steiners, seine berufliche Laufbahn und seine zahlreichen Interessen. Den Bibliotheksbestand bereichert und Lücken ergänzt haben darüber hinaus zahlreiche Konvolute aus Privatbesitz, z.  B. Bücher, die Martin Heidegger über viele Jahre dem Psychiater, Autor und Vertreter einer anthropologischen Medizin Viktor Emil von Gebsattel gewidmet hat. Ein weiteres Beispiel sind 55 für die Sammlung einschlägige, zum Teil annotierte Bände aus dem Besitz der Familie von Speedy Schlichter, Autorin und Ehefrau des Malers Rudolf Schlichter, dessen schriftstellerischer Nachlass in Marbach liegt. Klaus Matthes (Bremen) ergänzte mit zahlreichen Stiftungen den vorhandenen Bestand an Publikationen des gleichnamigen, tendenziell völkisch-nationalen Leipziger Verlags für Belle­ tristik und Kulturpolitik, den sein Großvater Erich Matthes 1913 gegründet hatte. Unter den antiquarischen Einzelerwerbungen sind einige glückliche Funde zu nennen: Eine 1868 in Stuttgart erschienene Räuber-Ausgabe, deren Supralibros The Red Star Line und dessen Titelblatt-Stempel Library Noordland, Nr.  28, das Bändchen als Exemplar der Schiffsbibliothek des seit 1884 auf der Atlantikroute Antwerpen – New York verkehrenden Passagierschiffes ausweist; sodann die zweibändige Ausgabe der Lebensbeschreibung [1862] von Sulpiz Boisserée mit den Besitzvermerken von Charlotte Späth, einer Jugendschriftstellerin und Freundin Eduard Mörikes, sowie dessen eigenen Notizen und Besitzvermerk. Walter Hasenclevers Theaterstück Ehen werden im Himmel geschlossen von 1928 in einer in Hamburg aufgeführten »olympischen«, d.  h. veränderten und frechen Fassung aus dem Jahr 1931, war in der Werkausgabe seit 1990 nachgewiesen, nun konnte das »unverkäufliche Manuskript« erstmals in einem äußerst raren Exemplar als Marbacher Alleinbesitz erworben werden. Lisa Tetzners zwischen 1933 und 1949 erschienenes neunbändiges Hauptwerk Erlebnisse und Abenteuer der

356

ulrich raulff

Kinder aus Nr. 67, komplett und mit hervorragend erhaltenen Buchumschlägen, ist ein weiterer seltener Fund. Die antiquarischen Zeitschriftenankäufe mit insgesamt 206 Heften und Bänden, zumeist Ergänzungen zum Bestand, fallen in den 1880 einsetzenden Schwerpunkt des Sammelgebiets: von der langlebigen illustrierten Familienzeitschrift Deutscher Hausschatz (1887–1908), über Die Spinne. Blätter für intime Literatur (1919/20) bis hin zu Komma. Zeitschrift für kulturelle Aufrüstung (1957/58).



jahresbericht 2017 / 2018

357

Für Buch- und Zeitschriftenstiftungen danken wir:

Elisabeth Antz, Dieter Bajorath, Dr. Arno Barnert, Dr. Dietmar Beetz, Horst Bergdolt, Katja Buchholz, Thomas Collmer, Prof. Dr. Mira Ðorðević, Christa Eckstein, Bruno Epple, Dr. Elisabeth Fensch, Kay Ganahl, Dr. Gerd Giesler, Regina Gröger, R. Gundelwein, Gisela Hassmann-Kube, Jutta Hercher, Konrad Heyde, Christoph Hilse, Dr. Martin Holtzhauer, Dr. Friedrich Hübner, Ingrid Isermann, Dr. Martin Kämpchen, Heinz Kiesewetter, Prof. Dr.  Hans-Henrik Krummacher, Maria Lancier, Eva Langer, Regina Langer, Prof. Dr.  Françoise Lartillot, Jürgen Lauer, Gerhard Lotsch, Reinhard Markner, Dr.  Klaus Matthes, Dr.  Jochen Meyer, Eric Moesker, Prof. Dr.  Dr.  Rudolf Morsey, Holmar Attila Mück, Egbert-Hans Müller, Dr. Josefina Müllers, Hermann Neher, Christian Niedermeier, Andrew Maximilian Niss, Dr.  h.c. Friedrich Pfäfflin, Richard Pietraß, Petra Plättner, Eberhard Polscher, Ursula Popien, Hannelore Rehm, Dr. Nicolai Riedel, Corinna Roeder M.A., Leon Rüterbories, Prof. Dr. Petro Rychlo, Reinhard Scheuble, Arthur Schielinsky, Dr.  Ralph Schock, Prof. Harald Seewann, Christel Seufert, Günther Specovius, Albert Spindler, Dr.  h.c. Reinhard Tgahrt, Angelika Theis, Dr.  Friedrich Voit, Prof. Dr. Johannes Voigt, Jun Wada, Richard Wall, Dr. Waltrud Wamser-Krasznai, Dr. Arnold Wiebel, Cleo A. Wiertz, Theresa Wrase, Dr. Margitta Zimmermann – Badische Bibliotheksgesellschaft e.V. Karlsruhe, Berliner Künstlerprogramm DAAD, Bremische Bürgerschaft, Bundesakademie für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel e.V., Carl-Schmitt-Gesellschaft Berlin, Casa di Goethe Rom, FriedrichEbert-Stiftung Bonn, Goethe-Institut Jakarta, Goethe-Institut Ljubljana, Hauptverband des Österreichischen Buchhandels Wien, Joachim Ringelnatz-Museum Cuxhaven, Karl-May-Gesellschaft Bonn, Kulturreferat Nürnberg, Landeszentrale für politische Bildung Mainz, Landratsamt Weimarer Land Apolda, Lese-Zeichen e.V./Literatur- und Kunstburg Ranis Jena, Leuphana Universität Lüneburg, Nordhessischer Verkehrsverbund Kassel, Pädagogische Hochschule Schwäbisch Gmünd, Papierfabrik Zerkall Renkt & Söhne GmbH & Co. KG Hürtgenwald-Zerkall, Staatskanzlei Rheinland-Pfalz Mainz, Stadt Rehau, Vereinigung der Freunde und Förderer des Stoltze-Museums e.V. Frankfurt am Main, Viktor-von-Weizsäcker-Gesellschaft.

Außerdem den Verlagen und Buchhandlungen:

45punkte, Baier Verlag, Claudius-Buchhandlung Mainz, Cold Hub Press, Deutscher Taschenbuch Verlag, Diogenes, Driesch, DVA, Edition Text und Kritik, Edition Tiamat, Frankfurter Verlagsanstalt, Goldmann, Haymon Studienverlag, Hethiter Verlag, ludicium, Klöpfer & Meyer, Kunstmann, Verlag Königshausen & Neumann, Lektora, Lilienfeld, LiteraFreakPress, Luchterhand Literaturverlag,

358

ulrich raulff

Peter Ludewig, Piper, POP Verlag Ludwigsburg, Reclam, S. Fischer Verlag, Peter Rathke Verlag, Schæfersphilippen, Schöffling & Co., Stieglitz Verlag, Suhrkamp Verlag, Theater Schauburg München, Thienemann, Universitätsverlag Winter GmbH, Zytglogge Verlag. Zugangsstatistik Erwerbung

2013

2014

2015

2016

2017

28.682

32.598

36.690

20.021

27.479

Monographienerwerbung

9.977

8.497

7.603

7.888

6.697

Nachlasskonvolute und Sammlungen

8.158

13.256

16.779

2.565

10.994

Zeitschriftenerwerbung

4.154

4.126

4.158

2.970

3.361

Mediendokumentation und Spezial­sammlungen

6.393

6.719

8.150

6.598

6.427

498

1.075

833

949

729

Theaterprogrammsammlung

1.551

1.385

2.689

2.317

2.383

Rundfunkmanuskripte

1.039

701

1.021

594

529

AV-Materialien

1.433

1.908

2.161

1.415

1.233

Buchumschläge

1.872

1.650

1.446

1.323

1.553

6

7

4

8

7

19

24

31

30

16

1.026

1.021

1.015

956

948

Gesamtbestand Bibliothek (Bücher und Zeitschriften)

950.351

973.138

999.393 1.010.761 1.033.704

Gesamtbestand andere Materialien (AV-Materialien, Theaterprogramm-, Zeitungsausschnitt-, BuchumschlagSammlung u.  a.)

381.838

388.557

396.709

Gesamt (physische Einheiten)

Zeitungsausschnittsammlung (Kästen, Ordner, Konvolute)

Geschlossene Sammlungen (Bibliothek) Nachlasskonvolute und Sammlungen (Mediendokumentation) Zeitschriftenerwerbung (laufende Abonnements)

383.282

389.880



359

jahresbericht 2017 / 2018

Gesamtbestand Digitale Bibliothek (Literatur-im-Netz, lizenzierte Periodika)

6.853

7.391

7.626

7.648

7.668

2 Erschließung

Im Berichtszeitraum wurden insgesamt 71.585 (2016: 72.071) Titelaufnahmen neu angelegt und 16.275 (2016: 12.642) Monographien zur Benutzung freigebucht. Nach der Einführung des internationalen Katalogisierungsstandards RDA (Resource Description and Access) ist nicht nur die Anzahl der Katalogisate von selbständigen, sondern auch von unselbständigen Publikationen im Vergleich zum Vorjahr erfreulich angestiegen (2017: 8.870; 2016: 7.517). Aus den 2011 erhobenen Kennzahlen im Erschließungsbereich ergibt sich nach wie vor ein Bedarf von drei zusätzlichen Stellen (davon 0,4 in der Mediendokumentation), um den Zugang an geschlossenen Sammlungen zu katalogisieren. Das systematische Auswertungsprogramm erfasst 37  Tages- und Wochenzeitungen (davon 18 ausländische) sowie 40 literarische und 56 wissenschaftliche Zeitschriften; literarische Erstdrucke aus 75 Anthologien wurden außerdem erschlossen. Mit der Einführung von RDA hat die Entität ›Werk‹ für die bibliothekarische Erschließung stark an Bedeutung gewonnen. Gerade für das Deutsche Literatur­ archiv, dessen Benutzer personen- und werkorientiert sowie bestandsübergreifend recherchieren möchten, sollen Werktitel als Normdaten nutzbar gemacht werden. Bis Januar 2018 haben die Bibliothekarinnen und Bibliothekare der sammelnden Abteilungen mehr als 4.000 teils mehrfach relationierte Normdatensätze für Werke angelegt, redaktionell bearbeitet und mit der Gemeinsamen Normdatei (GND) der Deutschen Nationalbibliothek abgeglichen. Die Bibliothek des Deutschen Literaturarchivs steuerte rund 9 % aller von den Bibliotheken in Deutschland, Österreich und der Schweiz kollaborativ in der GND angelegten Werktitel-Normsätze bei und ist damit der produktivste einzelne Beiträger. Von der DFG leider nicht bewilligt wurde das gemeinsam mit der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar und in Abstimmung mit der Deutschen Nationalbibliothek eingereichte Projekt Werktitel als Wissensraum: Die Erschließung zentraler Werkbeziehungen nach RDA. Im Bereich der Normdaten für Personen, Körperschaften und Kongresse wurden von der Normdatenredaktion über 12.500 Datensätze neu angelegt und mit der GND abgeglichen.

360

ulrich raulff

Katalogisierung, Zuwachs

2013

2014

2015

2016

2017

Titelaufnahmen (Katalog Gesamt)

34.105

43.710

57.385

72.071

71.585

selbständige Publikationen

21.809

18.543

16.350

17.996

21.041

unselbständige Publikationen

7.259

7.254

5.328

7.517

8.870

Zeitschriftenbände und -hefte

5.037

16.533

33.395

44.655

40.663

0

1.380

2.312

1.903

1.011

18.248

392

abgeschlossen

abgeschlossen

abgeschlossen

Pauschale Bestandsbeschreibungen (»Bestände«)

622

628

1.481

918

524

Gesamtnachweis Kallías

2013

2014

2015

2016

2017

Bibliographie-Projekt Titelaufnahmen Retro-Projekte

Katalogsätze

1.343.303 1.387.259 1.443.685 1.508.340 1.572.050

Exemplarsätze

542.755

571.765

600.534

646.228

688.661

Bestandssätze

25.485

26.100

27.535

28.439

28.950

Titelaufnahmen 2013–2017 50.000

Selbstständige Publikationen

45.000 40.000

Zeitschriftenbände und -hefte

35.000 30.000 25.000

Unselbständige Publikationen

20.000 15.000

Bibliographie-Projekt

10.000 5.000 0

2013

2014

2015

2016

2017



jahresbericht 2017 / 2018

361

3 Bestand und Benutzung

Der Gesamtbestand der Bibliothek beträgt Ende 2017 insgesamt 1.431.252 Medien­ einheiten, damit gehört die Bibliothek zu den größten Spezialbibliotheken in der Bundesrepublik. Das nur schwer kalkulierbare Wachstum besonders bei den geschlossenen Sammlungen und den Abgaben aus Nachlässen hat mit zu einer dramatischen Platznot geführt, die eine zeitnahe Raumperspektive dringend erforderlich macht. Der in Freihand aufgestellte und wachsende Bestand an Werkausgaben ist benutzerfreundlich in ein einziges Alphabet geordnet worden. Für die Buchumschlag-Sammlung wurde ein neues Konzept entwickelt und umgesetzt, mit dem Ziel, Aufbewahrung und Ausleihe unter konservatorischen Gesichtspunkten zu verbessern. Ebenso wurde mit einer systematischen Revision der Verlagsprospekte-Sammlung begonnen. Verabschiedet wurde überdies ein umfangreiches Programm zur Platzoptimierung, das allerdings nur sukzessive umgesetzt werden kann. Die Abwicklung großer Zugänge, wie die Bibliothek Kilian von Steiner, kann vom Magazindienst nicht allein bewältigt werden und bindet zusätzlich zahlreiche Kapazitäten in der Abteilung, da man stets um baldige Ordnung und Benutzungsfähigkeit der Sammlungen bemüht ist. Mittlerweile ist der Bestand an geschlossen aufgestellten Sammlungen und Bibliotheken auf 202 angewachsen; in der Mediendokumentation werden 687 unterschiedlich umfangreiche Konvolute aus Nachlässen aufbewahrt. Im Berichtsjahr sind Bücher und Zeitschriften aus 20 noch nicht erschlossenen Sammlungen ausgeliehen worden, Benutzerinnen und Benutzer erhielten Beratungen und Führungen

362

ulrich raulff

zu diesen Beständen. Die Benutzung allgemein zeigte zunehmende Tendenzen; das gilt in besonderem Maße auch für Zugriffe auf die Angebote der BibliotheksWebsiten »Bibliographien«, »Bestände« und »Literatur-im-Netz«. Das Massenentsäuerungsprojekt des Referats Bestandserhaltung wird weiterhin von der Bibliothek mit einer Revision der jeweiligen Signaturgruppen und dem Bestücken der Exemplare mit Barcode-Zetteln für die Verbuchung begleitet, derzeit werden die Sonderformate der Signaturgruppe L (Autoren 1910–1945) bearbeitet. Auch das bereits im August 2014 begonnene Projekt der Bibliothek zur Revision und zur besseren Benutzbarkeit der Zeitschriftenbestände wurde ab Mai fortgeführt, nachdem es im Februar aufgrund fehlender Mittel ausgesetzt werden musste. Bis Ende 2017 konnten sämtliche Hefte und Bände der Signaturgruppe X erfasst werden, sodass sie nun mühelos über den Online-Katalog ausgeliehen werden können. Im Dezember wurden Hausmittel für den Abschluss dieses wichtigen Projektes bewilligt: Bis 2020 werden die Bände und Hefte der Quart- und Folio-Bestände erfasst; auch der Bestand aus Sondersammlungen soll berücksichtigt werden. Benutzung

2013

2014

2015

2016

2017

Wöchentliche Öffnungsstunden

64,5

64,5

64,5

64,5

64,5

Benutzungsanträge

860

927

968

796

831

7.383

6.993

7.010

5.442

6.400

42.495

41.344

43.656

38.385

40.334

OPAC Abfragen Extern

124.845

104.015

85.556

71.515

80.571

OPAC Abfragen Lokal

55.622

58.571

62.510

47.543

45.478

1.244

1.223

1.071

1.430

1.281

Fernleihe (nehmend)

957

1.013

1.244

926

734

Direktlieferdienst (Kopien von Beiträgen und Zeitungsartikeln)

486

399

1.013

719

682

Leihgaben

102

77

40

27

101

Wissenschaftliche Auskünfte und Recherchen

745

739

834

722

745

Lesesaal-Eintragungen Ausleihe (physische Einheiten)

Fernleihe (gebend)



363

jahresbericht 2017 / 2018

Tagespräzenzen Bibliotheks-Lesesaal 8.000 7.000 6.000 5.000 4.000 3.000 2.000 1.000 0

2013

2014

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4 Projekte und Sonstiges

Die im Rahmen des Quellenrepertoriums der Exil-Bibliotheken im Deutschen Literaturarchiv Marbach: Alfred Döblin von der DFG geförderte digitale Personalbibliografie für Alfred Döblin wurde mit einem Stand von rund 7.000 Datensätzen erfolgreich abgeschlossen. Die Startseite der Personalbibliografie wurde an die Zeitschriftendatenbank gemeldet und kann nun über eine persistente Adresse (http://www.dla-marbach.de/bibliothek/bibliografien/alfred-doeblin-personalbibliografie/) aufgerufen und zitiert werden. Im DFG-Projekt Bibliothek Ernst Jünger: Provenienz- und Sammlungserschliessung (Wilflinger Bestand) wurden 3.066 Buchexemplare am Standort der Bibliothek im Stauffenbergschen Forsthaus in Wilflingen katalogisiert und im Südwestdeutschen Bibliotheksverbund nachgewiesen. Bis Januar 2018 waren damit insgesamt 9.326 Exemplare bearbeitet. Im Zuge der Katalogisierung werden auch Normsätze für Werke angelegt und in die GND exportiert, so dass im Rahmen des Projektes insbesondere das Werk Ernst und Friedrich Georg Jüngers durch nachnutzbare Normdaten repräsentiert sein wird. Im Teilprojekt Autorenbibliotheken des Forschungsverbundes Marbach Weimar Wolfenbüttel wird die legendäre Bibliothek des Dichters Karl Wolfskehl genauer erforscht. Dieses Forschungsprojekt wird vom Referat Erschließung bibliothekarisch betreut. Über die Erforschung der Bibliothek hinaus konnte 2017 mit der digitalen Rekonstruktion des gesamten ermittelbaren Buchbesitzes von Karl Wolfskehl begonnen werden, der im OPAC Kallías nachgewiesen und dort recherchierbar gemacht wird. Damit ist nun auch die vollumfängliche Rekonstruktion der Bibliothek Wolfskehl mit über 9.000 Bänden, wie sie in Kiechlinsbergen am Kaiserstuhl stand und 1937 an den Berliner Verleger Salman Schocken verkauft wurde, möglich geworden. Ende 2017 waren über 4.000 virtuelle Buchexemplare in Kallías erfasst. Für mehr als 800 Buchexemplare aus dem Besitz von Karl Wolfskehl konnten Standorte in öffentlichen Bibliotheken des In- und Auslandes ermittelt werden. Geplant ist ein Themenportal, in dem neben einem Rechercheeinstieg auch eine Visualisierung der Überlieferungswege einzelner Buchexemplare angeboten werden soll. Kooperationspartner in diesem auf drei Jahre angelegten Projekt sind der Lehrstuhl für Jüdische Geschichte und Kultur der Ludwig-Maximilians-Universität München, an dem eine Dissertation zu Karl Wolfskehl im Kontext von Münchener Sammlern und Antiquaren erarbeitet wird, und die Schocken Library in Jerusalem, die einen wertvollen Restbestand der Bibliothek Karl Wolfskehl verwahrt. Dieses Kooperationsprojekt wird von Herrn Dr. Karl Albrecht in außerordentlich großzügiger Weise gefördert. In einem in Eigenleistung durchgeführten Projekt wurde der ehemalige Buchbesitz von Eduard Mörike, soweit er in Marbach überliefert ist, rekonstruiert. Die virtu-



jahresbericht 2017 / 2018

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elle Bibliothek soll in einem nächsten Schritt noch angereichert werden durch jene Exemplare aus Mörikes Besitz, die mit der Mörike-Sammlung Klaus Berge ins Deutsche Literaturarchiv gekommen sind. Nach einer erfolgreichen Teilnahme an der Ausschreibung des BMBF im Bereich des eHeritage-Programms konnte noch im November 2017 das Projekt Dokumentaraufnahmen deutschsprachiger Autorenlesungen. Digitale Archivierung – Erschließung – Präsentation starten. Die bereits im April 2016 mit einem Vorprojekt gestartete abteilungsübergreifende Arbeit an der Entwicklung zunächst eines Prototyps für den neuen OPAC konnte im Oktober in die Hauptphase eintreten und wird im Jahr 2018 hohe Priorität haben. Im Januar konnte das erfolgreich durchgeführte DFG-Projekt Aufbau eines Quellencorpus für die seit den 1990er Jahren im deutschsprachigen Raum entstehende Literaturgattung ›Netzliteratur‹ beendet werden. Der Tagungsband Netzliteratur im Archiv. Erfahrungen und Perspektiven konnte im Februar 2017 erscheinen. Leider nicht bewilligt wurde ein in der Nachfolge dieses Projekts eingereichter Antrag auf Archivierung von deutschsprachigen literarischen Twitter-Accounts und Twitter-Literatur. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bibliothek haben für 240 Personen Fachführungen zu Beständen, Arbeitsweisen und Nachweissystemen durchgeführt, an der hausinternen Fortbildungsreihe Auf dem Laufenden konzeptionell und moderierend oder im Betriebsrat mitgewirkt sowie verschiedene Ausstellungen für die Marbacher Passage erarbeitet. Außerdem wurden 3 Berufspraktikantinnen und 6 Projektmitarbeiter/-innen betreut. Im April starb der frühere Bibliotheksleiter Dr. h.c. Reinhard Tgahrt, der dem Haus seit 1964 angehörte und dem zahlreiche Impulse für die Sammlungserschließung und das Bibliographiewesen zu verdanken sind; an ihn erinnern Nachrufe im Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft und in der Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie. Dr. Nicolai Riedel, seit 1989 zuständig für die Bereiche Bestand und Benutzung, wechselte zum 31. Oktober 2017 in den Ruhestand, ihm folgte Julia Maas nach.

MUSEUM 1 Ausstellung 1.1 Ausstellungen im Literaturmuseum der Moderne (LiMo) 1.1.1 Dauerausstellung

Die Seele. Ausstellung: Heike Gfrereis, Gestaltung: Diethard Keppler und Demirag Architekten. Seit 7. Juni 2015.

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ulrich raulff

1.1.2 Wechselausstellungen

Die Gabe / The Gift. 10. November 2016 bis 12. März 2017. Ausstellung: Susanna Brogi und Magdalena Schanz, Gestaltung: HG Merz und Sophie Merz von mm+. – Rilke und Russland. 3.  Mai bis 6.  August 2017. Ausstellung: Thomas Schmidt unter Mitarbeit von Johannes Kempf, Patrick Will, Sandra Schell, Martin Frank, Annika Differding, Kristina Mateescu, Stefanie Wehner, Franziska Kolp (Bern), Andrea Weiss Pfitscher, Elisa Purschke, Constantin Hegel, Anna Koznova, Julia Maas, Ulrich von Bülow, Jessica Bernauer, Julia Weiss und Megi Pavic, Projektorganisation: Ulrike Schellhammer, Patrick Will, Annette Rief (Marbach), Anastasia Alexandrowa, Margarita Godina, Natalja Papanowa (Moskau), Hans-Dieter Amstutz (Bern), Gestaltung: HG Merz und Sophie Merz von mm+. – Die Familie. Ein Archiv. 21. September 2017 bis 29. April 2018. Ausstellung: Ellen Strittmatter unter Mitarbeit von Vera Raschke und Richard Schumm, Organisation: Annette Rief, Ausstellungsarchitektur und-gestaltung: südstudio  / Hannes Bierkämper, Anja Soeder, Alexander Lang, Ausstellungsgrafik: CLMNZ  / Clemens Hartmann. – German fever. Beckett in Deutschland. 8. November 2017 bis 29. Juli 2018. Ausstellung: Ellen Strittmatter unter Mitarbeit von Johannes Kempf, Magdalena Schanz, Moritz Schumm und Marc Wurich, Organisation: Annette Rief, Ausstellungsarchitektur: südstudio / Hannes Bierkämper und Anja Söder, Ausstellungsgrafik: CLMNZ / Clemens Hartmann. 1.1.3 Reihe ›fluxus‹

37: Christoph Ransmayr – Geht los. Erzählt. 6. April bis 3. September 2017. Ausstellung: Ellen Strittmatter und Magdalena Schanz, PD Dr. Doren Wohlleben und Studierende und Promovierende des Germanistischen Seminars der Universität Heidelberg, Gestaltung: Pauline Altmann, Film: Johannes Kempf und Veronika Weixler. 1.2 Ausstellung im Schiller-Nationalmuseum

Ausstellung: Heike Gfrereis mit Stephanie Käthow, Katharina Schneider, Ellen Strittmatter, Aneka Viering und Martina Wolff, Gestaltung: space4 (Architektur), Diethard Keppler und Stefan Schmid (Grafik). Seit 10. November 2009. 1.3 Marbacher Passage (Vitrinenausstellungen im Vestibül des Archivs)

Moses Rosenkranz. 19. Dezember 2016 bis 27. Januar 2017. – Sammlung Schmidtke. 30. Januar bis 3. März 2017. – Paul Hoffmann. 6. März bis 26. Mai 2017. – Herbert W.



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jahresbericht 2017 / 2018

Franke. 29. Mai bis 6. Juli 2017. – Reclam. 11. Juli bis 25. September 2017. – Luther. 25.  September bis 6.  November 2017. – Lyrik-Neuerwerbungen. 6.  November bis 1.  Dezember 2017. – Die Ideen von 1917. Debatten auf Burg Lauenstein über die Neuordnung Deutschlands nach dem Krieg. 4. Dezember 2017 bis 19. Januar 2018. Die Ausstellungen in der ›Passage‹ wurden 2017 kuratiert von Jutta Bendt, Katja Buchholz, Janet Dilger, Nikola Herweg, Caroline Jessen, Dorit Krusche, Hermann Moens, Mirko Nottscheid, Nicolai Riedel, Eva Schippert. 1.4 Auswärtige Ausstellungen

Franz Kafka. Der ganze Prozess. 30. Juni bis 28. August 2017. Martin-Gropius-Bau, Berlin. Ausstellung in Zusammenarbeit mit dem Martin-Gropius-Bau. Ausstellung: Ellen Strittmatter und Magdalena Schanz, Klaus Wagenbach und HansGerd Koch. – Rilke und Russland. 13. September bis 10. Dezember 2017, Schweizerische Nationalbibliothek, Bern und Museum Strauhof, Zürich. Trinationales Ausstellungsprojekt in Kooperation mit der Schweizerischen Nationalbibliothek und dem Staatlichen Literaturmuseum der Russischen Föderation. Ausstellung: Thomas Schmidt unter Mitarbeit von Johannes Kempf, Patrick Will, Sandra Schell, Martin Frank, Annika Differding, Kristina Mateescu, Stefanie Wehner, Franziska Kolp (Bern), Andrea Weiss Pfitscher, Elisa Purschke, Constantin Hegel, Anna Koznova, Julia Maas, Ulrich von Bülow, Jessica Bernauer, Julia Weiss und Megi Pavic, Projektorganisation: Ulrike Schellhammer, Patrick Will, Annette Rief (Marbach), Anastasia Alexandrowa, Margarita Godina, Natalja Papanowa (Moskau), Hans-Dieter Amstutz (Bern), Gestaltung: HG Merz und Sophie Merz von mm+. 2 Besucherzahlen 2.1 Museum 2007

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2014

2015

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35.500 34.105 48.153 87.315 86.850 67.092 61.110 63.788 63.338 59.923 62.945

Von Ende März 2007 bis 10.  November 2009 war das Schiller-Nationalmuseum wegen Innensanierung geschlossen. Das Literaturmuseum der Moderne ist im Juni 2006 eröffnet worden.

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2.2 Auswärtige Ausstellungen

Franz Kafka. Der ganze Prozess. 12.000 Besucher. Martin-Gropius-Bau, Berlin. – Rilke und Russland. 4.167 Besucher. Schweizerische Nationalbibliothek, Bern und Museum Strauhof, Zürich (insgesamt). 2.3 Soziale Medien

2017 hatte die Facebook-Seite der Literaturmuseen Marbach 2.831 Gefällt mirAngaben und damit einen Zuwachs um 220 Gefällt mir-Angaben zum Vorjahr. Die Gesamtzahl der Facebook-Abonnenten, d.  h. der Personen, die über Beiträge und Aktualisierungen der Literaturmuseen Marbach informiert wurden, betrug 2.770. Der YouTube-Kanal der Literaturmuseen Marbach verzeichnete eine Gesamtzahl von 48.007 Aufrufen, von denen 7.255 in das Jahr 2017 fielen. Die App der Marbacher Literaturmuseen wurde 452-mal heruntergeladen. 3 Publikationen 3.1 Zu den Ausstellungen

Marbacher Katalog 69. Rilke und Russland. – Marbacher Katalog 70. Die Familie. Ein Archiv. – Marbacher Magazin 157. Michael Krüger: Unverhofftes Wiedersehen. Karten lesen. – Marbacher Magazin 158.159. Mark Nixon / Dirk Van Hulle: German fever. Beckett in Deutschland. 3.2 Weitere

Marbacher Magazin 160. Jan Bürger: Im Schattenreich der wilden Zwanziger. Fotografien von Karl Vollmoeller aus dem Nachlass von Ruth Landshoff-Yorck. – Aus dem Archiv 10. Die Ehre des Redaktors. Wilhelm Hauffs Briefe an Johann Friedrich Cotta. Hrsg. von Helmuth Mojem. – Spuren 113. Sabine Griese: Heinrich Seuse in Ulm. – Spuren 114. Roland Berbig: Günter Eich in Baden-Baden. – Spuren 115. Nikola Herweg: Günter Grass’ ›Blechtrommel‹ in Großholzleute. – Spuren 116. Barbara Wiedemann: Die Gruppe 47 und das Hotel ›Kleber Post‹ in Saulgau. – Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft. Jg. 61. Im Auftrag des Vorstands hrsg. von Alexander Honold, Christine Lubkoll, Ernst Osterkamp, Ulrich Raulff. 3.3 Sonstiges

Programmplakat 2017. Nr. 1 bis 4. – Zeitschrift für Ideengeschichte. Heft XI. Nr. 1 bis 4. Hrsg. von Ulrich Raulff (Deutsches Literaturarchiv Marbach), Helwig Schmidt-



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Glintzer (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel), Hellmut Th. Seemann (Klassik Stiftung Weimar), Luca Giuliani (Wissenschaftskolleg zu Berlin). 4 Literaturvermittlung/Museumspädagogik 4.1 Museumsführungen 2017 2007

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836

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1044

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537

527

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4.1.1 Themen der Führungen

LiMo: Dauerausstellung Die Seele (dt., engl., frz.). – SNM: Dauerausstellung Unterm Parnass (dt., engl., frz.). – SNM: Schiller-Rundgang. – Rundgang durch das SNM und LiMo mit Diskussion zur Ausstellungskonzeption. – Architektur für Literatur: Die beiden Marbacher Museen (dt., engl.). – Wechselausstellung: Die Gabe. – Wechselausstellung: Rilke und Russland. – Hinter den Kulissen der Rilke und Russland-Ausstellung. – Wechselausstellung: Die Familie. Ein Archiv. – Wechselausstellung: German fever. Samuel Beckett in Deutschland.– Hinter den Kulissen der Beckett-Ausstellung. – ›fluxus‹: Michael Krüger. – ›fluxus‹: Christoph Ransmayr. – LiMo: Franz Kafka. – LiMo: Schreiben im Exil. – LiMo: Max Frisch. – LiMo: Peter Stamms Agnes. – LiMo: Vom Axtbuch zur Geheimschrift. – LiMo: Erich Kästner. – LiMo: Michael Ende. – LiMo: Collage. – LiMo: Essay. – LiMo: Hermann Hesse. – SNM: Schiller in der Schule. – SNM: Eduard Mörike. – SNM: Schillers Dramen. – SNM: Schiller von Kopf bis Fuß. – SNM: Der Zauber der Dinge. – Kurzprosa im LiMo und/oder SNM. – Liebeslyrik im LiMo und/oder SNM. – Naturlyrik im LiMo und/oder SNM. – LiMo: Poesieautomat. – LiMo: Schreibbar. – SNM: Schiller und die Liebe. 4.1.2 Aktionstage mit freiem Eintritt, freien Führungen und Veranstaltungen

Finissage Die Gabe / The Gift: Gabentisch, abgeräumt? 12. März 2017. – Internationaler Museumstag Reisespuren. 21.  Mai 2017. – Erzählfestival zum SommerErlebnistag. 25.  Juni 2017. – Abschluss des Projekts ›kicken und lesen‹ Der Ball ist rund. 23. Juli 2017. – Finissage Rilke und Russland. 6. August 2017. – Tag der offenen Tür Spiel der Generationen. 12. November 2017. – Bundesweiter Vorlesetag. 17. November 2017.

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4.2 Schul- und Vermittlungsprogramm des Museums 2017 4.2.1 Zahl der Veranstaltungen Führungen/Veranstaltungen im Schul- und Kinderprogramm insgesamt Besucher im Schul- und Kinderprogramm insgesamt Seminare, Workshops und Lesungen im Schul- und Kinderprogramm

182 3350 83

Spezielle Aktionstage für Kinder, Schulen und Familien

4

Mehrtägige Ferienworkshops

5

Lehrerfortbildungen

1

4.2.2 Themen der Kinder- und Schülerführungen

LiMo: Dauerausstellung Die Seele. – SNM: Dauerausstellung Unterm Parnass. – SNM: Schiller-Rundgang. – LiMo: Rilke und Russland. – LiMo: Die Familie. Ein Archiv. – LiMo: Franz Kafka. – LiMo: Schreiben im Exil. – LiMo: Max Frisch. – LiMo: Peter Stamms Agnes. – SNM: Schiller in der Schule. – SNM: Schillers Dramen. – Liebeslyrik im LiMo und/oder SNM. – Naturlyrik im LiMo und/oder SNM. – LiMo: Kurzprosa. – LiMo: Hermann Hesse. 4.2.3 Themen der Seminare und Workshops

Vom Axtbuch zur Geheimschrift, Reimen und Klecksen, Schiller von Kopf bis Fuß, Theater mit Erich Kästner, Schillers Dinge, Schreibbar, Poesie aufräumen, Unendliche Geschichten mit Michael Ende, Schneiden und Kleben, Der Essay, Kafkas Prozess unter der Lupe, Hermann Hesse – ein Steppenwolf?, Erinnerungsbilder. Walter Benjamins Berliner Kindheit um neunzehnhundert, Erstellung von Kurzfilmen zur Wechselausstellung Die Gabe. Berufspraxis-Workshop für Studierende der Universität Stuttgart. Die Führungen, Seminare und Workshops 2017 wurden durchgeführt von Vanessa Greiff, Johannes Kempf, Claudia Konzmann, Fabian Neidhardt, Ursula Parr, Sandra Potsch, Annette Rief, Moritz Schumm, Richard Schumm, Verena Staack, Ellen Strittmatter, Veronika Weixler, Elke Wenzel, Marc Wurich und Johanna Wurth.



jahresbericht 2017 / 2018

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4.2.4 Lehrerfortbildung

18. 10. 2017: Hermann Hesse. Der Steppenwolf im Archiv und im Museum. Mit Volker Michel. Durchgeführt von Vanessa Greiff, Sandra Potsch und Verena Staack. 5 Projekte 5.1 LINA. Die Literaturschule im LiMo

Seit September 2008 können Schülerinnen und Schüler im LiMo ein bundesweit einmaliges Pilotprojekt besuchen: die Literaturschule LINA, in der sie durch Originale aus dem Archiv und Mitwirkung an der Vermittlungsarbeit des Museums einen ungewöhnlichen Zugang zur Literatur kennenlernen. 2017 fanden zwei Projekte statt: Weitersagen mit der Justinus-Kerner-Schule Ludwigsburg und Familientreffen mit der Maximilian-Lutz-Realschule Besigheim. Betreuung: Sandra Potsch und Verena Staack. 5.2 LINA in den Ferien

Seit August 2009 findet die Literaturschule LINA auch in den Ferien statt. LINA in den Ferien wendet sich an besonders interessierte Kinder und Jugendliche, die die Ferien nutzen möchten, um ihre sprachlichen Talente und ihr literarisches Interesse weiterzuentwickeln und in kreativer Weise auszudrücken. 2017 fanden drei Ferienworkshops statt: Museum im Schuhkarton (Osterferien), Socke, Hahn und Elefant. Mit Dingen dichten (Sommerferien) und 12 Verse fürs Jahr (Herbstferien). Alle Ferienworkshops wurden von Sandra Potsch, Verena Staack und Veronika Weixler durchgeführt. 5.3 Kulturakademie der Stiftung Kinderland des Landes Baden-Württemberg

Die Kulturakademie richtet sich seit 2010 mit einem bundesweit einmaligen Angebot an alle Schülerinnen und Schüler der Klassenstufen sechs bis acht (in den Sparten Bildende Kunst, Literatur, MINT und Musik). In den Faschings- und Sommerferien fanden in den Marbacher Museen zwei einwöchige Schreibseminare mit Silke Scheuermann, Matthias Göritz, Nadja Küchenmeister, Elisabeth Steinkellner und Arno Frank sowie einer Projektklasse in den Stuttgarter Staatstheatern statt. Neben freien Texten wurden Kreativaufgaben im Rahmen der Wechselausstellung Die Familie bearbeitet.

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5.4 Projekt »kicken & lesen«

Im Jahr 2017 nahm das Deutsche Literaturarchiv Marbach erstmals am Projekt kicken & lesen teil, das von der Baden-Württemberg-Stiftung in Kooperation mit dem VfB Stuttgart 1893 e.V. und dem SC Freiburg gefördert wird. Über fünf Monate hinweg haben zehn Fünftklässler des Friedrich-Schiller-Gymnasiums in Ludwigsburg geschrieben, gelesen, gebastelt und gekickt. Die wöchentlichen Treffen fanden im Wechsel in Marbach und Ludwigsburg statt und wurden ergänzt durch Ausflüge: Verschiedene Orte, die mit dem Lesen, Schreiben und Fußballspielen in Verbindung stehen, wurden besucht  – darunter die Marbacher Zeitung, der Klett-Cotta Verlag, der FC Marbach und das Pressehaus Stuttgart. Entstanden sind unter anderem Fußballcollagen nach dem Vorbild Ror Wolfs, eigene Texte zum Thema Fußball sowie eine eigene Sportsendung. Zum Abschluss des Projekts fand im Juli ein Aktionstag im Literaturmuseum der Moderne statt, der von einer Lesung mit Ulli Potofski und einem Abschlussspiel auf der Schillerhöhe begleitet wurde. Das Projekt »kicken & lesen« wurde von Fabian Neidhardt und Veronika Weixler betreut.

ENTWICKLUNG 1 Allgemein

Zu den allgemeinen Arbeiten der Entwicklung gehörte die Unterstützung des Direktors in vielfältigen Angelegenheiten und die Stellvertretung während dessen Abwesenheiten. Die Vorstands- und Kuratoriumssitzungen wurden vom Leiter der Entwicklung vorbereitet und betreut. 2 Strukturplanung

Das Besetzungsverfahren zur Nachfolge von Prof. Dr. Ulrich Raulff ab 2019 wurde vorbereitet und betreut. Am 12. Oktober 2017 hat das Kuratorium der DSG Prof. Dr. Sandra Richter satzungsgemäß zur Nachfolgerin von Herrn Raulff als Direktorin des DLA gewählt. Frau Richter war zuvor von einer vom Kuratorium eingesetzten Findungskommission als geeignete Kandidatin vorgeschlagen worden. Da die Magazinkapazitäten fast ausgeschöpft sind, wurden Möglichkeiten zur Auslagerung von Beständen eruiert. Dabei wurden auch Verhandlungen zur Anmietung eines Neubaus in Fellbach geführt. Im Rahmen des Programms Wissenschaftliche Institute Tauschen (WIT) konnte die renommierte Villa Vigoni am Comer See in Italien als Partner gewon-



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nen werden. Im Herbst konnten wir eine Mitarbeiterin dort zur Hospitation platzieren. Die Vorbereitungen zur Etablierung einer zentralen Adressdatei des DLA auf Basis von Oracle / Apex (Eigenentwicklung) sowie die Vorbereitungen zur Ausstattung aller Formulare des Hauses mit neuen gesetzlichen Datenschutzbestimmungen, die im Zuge der EU-DSGVO ab Mai 2018 zwingend umgesetzt werden müssen, haben nach Beratungen mit der Datenschutzbeauftragten des DLA begonnen. 3 Editionen und Digital Humanities

Die Arbeiten an dem Editionenportal für personenbezogene Materialien (Briefe, Tagebücher und Notizen) EdView gingen stetig voran; es soll Ende 2018 online veröffentlicht werden. Die Edition des Tagebuchs von Harry Graf Kessler geht in die letzte Phase. Im Herbst 2018 wird die Edition mit der Veröffentlichung des letzten Bandes, Band I, 1880–1891, abgeschlossen. Gleichzeitig wurde der gesamte Text (Bände II–IX) so überarbeitet, dass er im Portal EdView online zugänglich gemacht werden kann. In Kooperationen mit Universitäten wurden einige Anträge erarbeitet und gestellt. So arbeitet das Projekt Briefwechsel Gottfried Benn – Gertrud Zenzes der Universität Würzburg mit und in unserer Forschungsinfrastruktur AMIE und soll am Ende im Portal EdView präsentiert werden. Das Exportmodul der Editionen-Infrastruktur AMIE (Oracle/Apex) konnte fertiggestellt werden. Nun können beliebige Register als XML abgespeichert und weiterverarbeitet werden. 4 Wissenschaftliche Datenverarbeitung

Auch 2017 ging die Modernisierung der zentralen Infrastruktur und insbesondere des Netzwerkes weiter: Im Erdgeschoss in der Haffner Straße  26 wurden neue Arbeitsräume eingerichtet, die planerisch begleitet und mit PCs, Drucker und Netzwerkanbindung ausgestattet wurden. Die LWL-Verkabelung zwischen den Netzwerkswitches auf dem gesamten Gelände wurde weiter optimiert und die Redundanz ausgebaut. Im Humboldtsaal wurde nach den guten Erfahrungen im Leibinger-Auditorium die Audiotechnik ebenfalls auf digitalen Audioprozessoren umgestellt. Im Zuge der separaten LAN-Modernisierung im Collegienhaus wurden dort auch 15 WLAN-Accesspoints für Benutzerzugänge in Betrieb genommen. Insgesamt sind auf dem Campus nun 73 Accesspoints für Benutzer, Museumsbesucher und Mitarbeiter aktiv. Das Portal für diesen Internetzugang, »Monowall«, wird

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nicht mehr weiterentwickelt. Nach umfangreichen Tests und Migrationsarbeiten wurde das Nachfolgesystem »pfsense« mit einer minimalen Ausfallzeit von einer Stunde in Betrieb genommen. An die LAN-Modernisierung schließt sich auf Wunsch der Verwaltung die Modernisierung der Telefonanlage an, bei der künftig Telefone auf VoIP-Basis verwendet werden. Anders als zunächst geplant, ist der Aufbau eines separaten Netzes nicht wirtschaftlich und auch nicht durchführbar, so dass das eben modernisierte IT-Netz auch diese Anwendung übernehmen wird. Unter der Federführung der Haustechnik und IBB als beratendem Ingenieurbüro wurde eine Ausschreibung durchgeführt. Das WDV-Referat hat das Leistungsverzeichnis technisch begleitet, Mengengerüste geliefert und insbesondere die Lose der aktiven Netzkomponenten und der USVs kompatibel zum bestehenden Standard definiert. Auf dieser Grundlagen wurden sieben neue NetzwerkSwitches beschafft; insgesamt sind auf der Ebene der Gebäudeverteiler nun 28 moderne Switches mit je 48 Ports im Einsatz. Die Firma ACP wurde beim Einbau von unterbrechungsfreien Stromversorgungen (USVs) in die Netzwerkschränke unterstützt, die künftig wegen der VoIP-Telefonie gegen Stromausfälle gesichert sein müssen. Die produktive Umstellung der Telefonanlage durch die Firma Citrus erfolgt 2018. Ein weiteres Projekt der Verwaltung, eine neue Bewerber- und Personalverwaltung, wird bei einem externen Dienstleister gehostet. Dennoch mussten und müssen diverse technische Betriebsvoraussetzungen geschaffen und bereitgestellt werden. Die zentrale Bestandsdatenbank Kallías war Ende 2016 auf ein RDA-fähiges Release aktualisiert worden. Im Nachgang waren über das ganze Jahr hinweg verschiedene Bereinigungsarbeiten in Eigenregie notwendig. In einer gemeinsamen Anstrengung mit der Firma aStec konnte der Web-OPAC noch einmal an das neue Kallías-Release angepasst werden, womit eine schmerzliche Nachweislücke neuer Zugänge seit der Systemumstellung geschlossen wurde. Die Suchanfragen an unseren OPAC haben sich trotz dieser Einschränkung nach dem deutlichen Rückgang im Vorjahr wieder positiv entwickelt (222.626 Anfragen 2017, 219.446 Anfragen 2016). Die Strukturänderungen in Kallías mussten auch in dem Projekt zur Entwicklung eines neuen OPAC-Prototyps nachvollzogen werden. Die Nachverarbeitung in OpenRefine und SOLR wurde durch die die Firma OCC entsprechend angepasst. Mit der Vorstellung des Prototypen und des Abschlussberichts im März ging die Vorphase dieses wichtigen Vorhabens erfolgreich zu Ende. Die systemseitigen und konzeptionellen Arbeiten gingen jedoch intensiv weiter, da im Anschluss für die Hauptphase die inhaltlichen Vorgaben erarbeitet und sechs Arbeitspakete definiert wurden, die Gegenstand einer förmlichen Ausschreibung



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waren. Im Oktober wurde mit einem Auftaktworkshop planmäßig die Hauptphase eingeleitet, gemeinsam mit den Partnerfirmen OCC (Projektmanagement und Datenprozessierung), Effective Webwork (typo3-find, Usuability/Design/Ausleihfunktionen) und Markus Mandalka (SOLR-Index). Lombego ist in ein assoziiertes Nebenprojekt eingebunden, nämlich die technische Modernisierung unserer Typo3-Installlation auf die Version 8.7.x LTS, ohne die die OPAC-Entwicklungen nicht sinnvoll wären. Systemseitig wurden fünf neue SLES12 VMs (u.  a. »Scratch« und »Serene«) sowie die begleitenden Projekthilfsmittel eingerichtet. Es fanden und finden zahlreiche intensive konzeptionelle AG-Sitzungen statt sowie Online»Sprint-Meetings« im 14-tägigen Rhythmus nach den Grundsätzen agilen Projektmanagements. Die öffentlich nutzbaren Ergebnisse dieses Projektes werden auf Github allgemein zur Verfügung gestellt, wo das DLA jetzt mit einem institutionellen Auftritt vertreten ist. Die Zugriffe auf unseren allgemeinen Webauftritt haben sich mit durchschnittlich 417.733 Pageviews pro Monat sehr positiv entwickelt (Vorjahr 298.270). Für das MWW-Teilprojekt Virtuelle Forschungsumgebung wurden Kallías-Testdaten in verschiedenen Formaten ausgespielt. Letztlich hat sich gezeigt, dass die gemeinsame Suche nur Archivdaten im EAD-Format verarbeiten kann. In mehreren Teilschritten wurde daher, basierend auf den Vorarbeiten des OPAC-NG-Prototypen, von unserem Partner OCC eine EAD-Exportschnittstelle entwickelt, die zugleich für Datenlieferungen an Kalliope genutzt werden kann (Kalliope akzeptiert unser älteres Lieferformat nicht mehr). Im Dezember erfolgte erstmals eine vollständige Lieferung des gesamten Handschriften-Bestandes (inkl. Cotta und den Retrokonversionsdaten). Damit stehen nun ca. 890.000 qualitativ hochwertige Datensätze aus Marbach in Kalliope als überregionaler Nachweis zur Verfügung. Des Weiteren wurden in konkreten Einzelprojekten, Konzepten und Treffen die Softwarelösungen Archivematica, AREDO, DIMAG, Docuteam Cosmos und Rosetta untersucht und bewertet. Im Ergebnis wurde eine Zusammenarbeit mit der TIB Hannover eingeleitet, die ein Rosetta-System als Dienstleister betreibt. Erste Testlieferungen und mehrere Projekttreffen dazu haben stattgefunden. In diesem Zusammenhang wurde auf der Basis von OpenRefine auch ein DublinCore-Export für Kallías-Daten entwickelt. Zugleich wurde der Antrag für die zweiter MWW-Förderphase begleitet. Die Scanarbeiten am neuen Aufsichtscanner wurden mit Kittlers Karteikarten wieder aufgenommen. Dazu wurden die neu eingestellten Scankräfte am Gerät grundsätzlich und materialspezifisch eingewiesen. Für einen planmäßigen Workflow in den verschiedenen Digitalisierungsprojekten (Kittler, Mommsen, Beckett und Lasker-Schüler) wurden Auftragslisten aus Kallías erzeugt und als Barcodezettel gedruckt. Nach Abschluss der Scanprojekte wurden JPG-Benutzungsvari-

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anten aus den Masterdateien generiert. Unter anderem auch deshalb wurde der zentrale RAID-Speicher um ein Shelf mit 12 neuen 4-TB-Platten erweitert. Die gewichtete Verfügbarkeit der zentralen IT-Systeme in der Rahmenarbeitszeit kam mit 99,91 % (= 1:26h Ausfallzeit) erneut auf einen sehr guten Wert (Vorjahr 99,88 %). Das Jahr 2017 war durch schmerzliche personelle Vakanzen und größere krankheitsbedingte Ausfälle gekennzeichnet. Diese Lücken konnten zum Jahresende glücklicherweise wieder geschlossen werden. 5 Digitalisierung/Fotostelle

Die Digitalisierung/Fotostelle hat im Berichtsjahr 666 Aufträge bearbeitet, davon 213 hausinterne und 453 für externe Auftraggeber. Dabei wurden 3.700 Fotos geliefert. Es gingen 60 Belegexemplare ein. Für die Hauschronik, die Homepage und die Pressestelle wurden etwa 25 Veranstaltungen fotografisch dokumentiert, unter anderem die Ausstellungseröffnung Rilke und Russland sowie der Besuch des Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier, der mit dem Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann das DLA besucht hat. Zwei Marbacher Magazine, zwei Marbacher Kataloge, vier Spurenhefte und zahlreiche weitere Publikationen, Flyer, Werbemittel und Plakate wurden mit Aufnahmen oder Scans der Digitalisierung/Fotostelle ausgestattet. Für insgesamt vier Ausstellungen wurden sämtliche Fotoarbeiten ausgeführt. Folgende Konvolute wurden im Berichtszeitraum digitalisiert bzw. bearbeitet: Für die Bestandsgruppe Bilder & Objekte wurden weit über 2.000 Archivalien verschiedener Gattungen fotografiert bzw. gescannt, darunter 450 Negative aus dem Nachlass Franz-Baermann Steiners, ca. 100 Collagen von Ror Wolf und über 1.000 Negative aus dem Nachlass Siegfried Kracauers. Die Digitalisierung des Fotonachlasses von Peter Rühmkorf wurde abgeschlossen (5.026 Dateien). Für das Editionsprojekt zum Briefwechsel Max Kommerells wurden über 1.000 Digitalisate hergestellt. In der Fotowerkstatt wurden zwei neue Bildschirmarbeitsplätze mit kalibrierbaren Monitoren und ein weiterer DIN A-2 Tintenstrahldrucker eingerichtet. 6 Bestandserhaltung

Das Referat Bestandserhaltung versorgt die drei Abteilungen Archiv, Bibliothek und Museum konservatorisch und restauratorisch.



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6.1 Bestandspflege

Im Vorfeld der Bestandspflege steht zunächst die Zustandssichtung von Neuzugängen. In 2017 sind folgende Vor- und Nachlässe (Neuzugänge) begutachtet worden: A:Barner, Wilfried (30 Kästen), A:Theweleit, Klaus (ca. 20 K.), A:CurtiusPicht / Teilarchiv Georg und Edith Picht (4 Umzugskartons), A:Blumenberg (ca. 4 K.), A:Deschner (ca. 12 K.), A:Walser, Martin (ca. 10 K.), A:Kaiser, Ernst (ca. 8 K.), A:Beck, Ulrich (ca. 7 UK.), A:Kunert (1 UK.), A:Ceram, C. W. (ca. 30 UK.); A:Schauenburg, Moritz (ca. 5 UK.), A:Schwarz, Egon (2 UK), A:Tgahrt, Reinhard (ca. 10 K.), A:Schmid Noerr (2 K.), A:Auerbach, Erich (1 Karton); A:Fuhrmann, Manfred (3 UK.), A:Heinrichs, Hans-Jürgen (5 UK.), A:Hamacher, Werner (6 UK.), A:Schwenger, Nachtrag (1 Karton), A:Bürger, Christa und Peter (2 Kartons), A:Scheibe, Siegfried (4 UK.), A:Barck, Karlheinz (3 Paletten UK.), A:Mosebach/ Sammlung Schermuly (3 UK.), A:Figal, Günter (4 UK.), A:Mosebach (10 K.), A:Borchers (ca. 4 UK.), A:Allemann, Beda (4 UK.), A:Grünbein (1 UK.), A:Schöne, Albrecht (7 UK.), A:Tjadens, Herbert (ca. 5 K.) und A:Mosebach/Schermuly (4 UK.). Seit April 2015 gibt es keine Stelle für eine Fachkraft in der Bestandspflege mehr. Ein kleiner Teil der anstehenden Arbeiten wurde auch in 2017 mit kurzfristigen Personaleinsätzen aufgefangen (Projektarbeiten): In vier Arbeitsblöcken wurden dringende Arbeiten, fokussiert auf die Reinigung und das Entmetallisieren und wenige Umverpackungen, geleistet. Für das Erschließungsprojekt von A:SUA-Insel sind 22 von insgesamt 43 Ordnern mit Honorarabrechnungen und für ein Dissertationsprojekt zum Bestand A:Cotta – Depositum Hipfelhof trockengereinigt worden (155 von insgesamt 248 Akten). Weitere staubige oder durch Schimmel kontaminierte Bestände konnten der Abteilung Archiv nicht für die Sichtung und Erschließung bereit gestellt werden, da die Personalkapazität in der Bestandserhaltung nicht ausreicht. Unter den Neuzugängen der Bibliothek waren in 2017 verstärkt sehr staubige oder mit Schimmel kontaminierte Bestände. Diese Reinigungsarbeiten für die Sammlungen zu Friedrich G. Jünger (ca. 750 Bde.), Hermann Kant (ca. 515 Bde.) und Erich Auerbach (ca. 610 Bde.) sind erstmalig an einen externen Anbieter vergeben worden. 6.2 Konservierung

Die Konservierung nimmt Schutzmaßnahmen vor, die nicht in die Substanz des Originals eingreifen (Verpackung). Dazu gehören die insgesamt 194 beschädigten Bücher aus der entsäuerten Signaturengruppe K mit KK und L mit LL, die einen konfektionierten PET-Schutzumschlag erhalten haben.

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Mit der Berliner Leihanfrage zu Kafkas Prozeß waren die dringend notwendige, neue Schutzverpackung des Manuskriptes und dessen Einlagerung in ein neu angeschafftes Archivkastenmodell verknüpft. Zusammen mit dem Referat Bilder und Objekte wurde ein externer Metallrestaurator eingebunden. Gemeinsam wurden für die Aufbewahrung der Erinnerungsstücke mit den dort vertretenen vielfältigen Materialgruppen, konkrete und umsetzbare Vorschläge für eine bessere Archivierung von korrosiven Metallobjekten zusammengestellt. Die 2016 neu eingerichtete LiMo-Dauerausstellung Die Seele umfasst zahlreiche Konvolute mit gebundenen und ungebundenen Manuskripten. Die umfängliche Präsentation einzelner Manuskripte soll zugunsten der Benutzung der Archivalien im Archiv verändert werden. Für die Nachbildung von 54 Manuskriptstapeln sind verschiedene Papiersammlungen zusammengestellt worden. 6.3 Restaurierung 6.3.1 Interne Bearbeitung

Für die Bibliothek wurden insgesamt 19 Bücher mit Gewebe-, Papp- und Ledereinbänden restauriert. Dazu kamen etliche Zuarbeiten, wie das Auftrennen nicht beschnittener historischer Broschuren und einzelne konfektionierte Buchver­ packungen. Zahlreiche Einzelblätter wurden in der Restaurierwerkstatt des Hauses bearbeitet. Für die Ordnung des Nachlasses von Erich Kästner in der Mediendokumentation wurden 40 verblockte Zeitungsausschnitte voneinander getrennt. Von Josef Hegenbarth angefertigte Zeichnungen (32 Blatt) mit Illustrationen zu Friedrich Schiller. Das Lied von der Glocke wurden restauriert und archivgerecht umgebettet. Ebenfalls für das Referat Bilder und Objekte sind 20 Neuzugänge für die Archivierung gereinigt, plan gelegt und montiert worden. Im Bestand Harry Graf Kessler sind erheblich beschädigte Blätter zum Grafen-Diplom von Adolf Wilhelm Kessler aus dem Jahr 1881 aufgetaucht. Die fragilen, u.  a. auf Transparentpapier geschriebenen Dokumente wurden restauriert. Aus dem Klages-Bestand der Abteilung Bilder und Objekte waren 13 Grafiken und Fotografien zu bearbeiten. Aus dem Bestandskatalog Kallías sind zu Restaurierung vorgesehene, mechanisch geschädigte Archivalien mit der höchsten Bearbeitungspriorität abgerufen und bearbeitet worden. Dazu gehören: »Ein Winterbesuch« von Sophie von Adelung, (Rest.-Satz 8201); »Vorschlag für einen BS-Band: Gottfried Benn, Frühe Prosa« von Karl Markus Michel (Rest.-Satz 7737), »Volksverband der Bücherfreunde Berlin an Müller-Freienfels, Richard« (Rest.-Satz 6972), Brief von Stefan Zweig an Berthold Viertel (Rest.-Satz 6953), Brief von Ludwig Pfau an Anna Spier (Rest.-Satz 8603), Beilage zu »Westend, Simmel« von Rudolf Pannwitz (Rest.-Satz 6129).



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6.3.2 Externe Bearbeitung

Die Restaurierung der Gouache Ideallandschaft aus Schillers Besitz wurde im Rahmen einer Semesterarbeit am Studiengang Papierrestaurierung der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart bearbeitet. Nach der erfolgreichen Malschichtfestigung und dem Ablösen der Kaschierungen obliegen der Restaurierwerkstatt des DLA nun die abschließenden Arbeiten, der Passepartoutrierung und externen Rahmenrestaurierung. 6.3.3 Erhaltungsplan – Designio Conservationis (DCO)

Das DLA arbeitet kontinuierlich an der Übersicht über die Bestände des Deutschen Literaturarchivs mit deren jeweiligen Erhaltungszustand. Hierbei soll künftig eine Datenbank helfen. Das Pflichtenheft wurde erarbeitet, so dass die Programmierung ausgeschrieben werden konnte. 6.3.4 Ausstellungen

In 2017 wurden vier große Wechselausstellungen betreut: Die Gabe, Rilke und Russland (rund 345 Exponate), die MWW-Ausstellung Die Familie. Ein Archiv (rund 250 Exponate) und die zusammen mit der University of Reading konzipierte Präsentation zu Beckett in Deutschland (rund 120 Exponate). Zu den Arbeiten zählen die Vorsichtung des Zustands der Exponate, darauf abgestimmte Absprachen zur Präsentation, im Bedarfsfall eine Restaurierung und schließlich das Montieren der Einzelstücke. Folgende Wechselausstellungen sind rein konservatorisch versorgt worden: acht jeweils mehrwöchige »Marbacher Passagen«, zwei kurzzeitige externe Präsentationen in Stuttgart: Schauspielhaus: Martin Walsers Ehen in Philipsburg; Literaturhaus: 150 Jahre Universalbibliothek. Das Literaturmuseum der Moderne (LiMo) zeigte in der jeweils mehrmonatigen Reihe fluxus die Ausstellung Nr. 36 zu Michael Krüger und Nr. 37 zu Christoph Ransmayr. In der Kooperationsausstellung mit den Berliner Festspielen zu Franz Kafka. Der ganze Prozess wurde im Martin-Gropius-Bau vom 30. Juni – 28. August 2017 das ganze Manuskript von Franz Kafka gezeigt. Die Ausstellungsbedingungen, Vitrinenbauten und der Legeplan für die Präsentation der originalen, zum Teil beschädigen Blätter wurden zusammen mit der Museumsabteilung und den Leihnehmern vor Ort abgestimmt. Der Auf- und Abbau des Manuskriptes gehörte zu den Aufgaben der Bestandserhaltung. Parallel zu den Ausstellungen im DLA war das Referat Bestandserhaltung in das Trinationale Ausstellungsprojekt Rilke und Russland eingebunden, das

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bis März 2018 zusammen mit der Schweizerische Nationalbibliothek  / Schweizerisches Literaturarchiv Bern und den Staatlichen Literaturmuseen der Russischen Föderation über drei Stationen präsentiert wird (30 Exponate aus dem DLA zusammen mit weiteren rund 250 Leihgaben und zwei Serien mit 96 Russlandfotos). Zum Jahresende erfolgten die komplexen Vorbereitungen für den Transfer der gesamten Ausstellung nach Moskau. Dazu gehörte auch die Zustandserfassung. Für fragile und wertvolle Einzelstücke (28 Exponate), u.  a. Rilkes letzter Brief und ein zerbrochenes Portraitfoto mit Leonid Tolstoi auf Porzellan, wurden in Anbetracht der anstehenden Transporte und des vielfältigen Hantierens individuelle Schutzmontierungen geplant und ausgeführt. 6.3.5 Leihanfragen

Zu den in 2017 betreuten externen Leihanfragen gehörten drei Handschriften für die Schreibrausch-Ausstellung im Strauhof Zürich, vier Handschriften für die Städtische Galerie Dresden zu Otto Griebel, drei Sammlungsstücke für die Landesausstellung Die Schwaben im Landesmuseum Stuttgart, 13 Exponate für Klingsor sah Töne, hörte Farben … im Hesse-Museum Gaienhofen, drei Leihgaben für Luther! 95 Schätze – 95 Menschen in Wittenberg, acht Grafiken von Justinus Kerner für Be happy – we do not forget you in der Sammlung Zander in Bönnigheim, zwei Gemälde zu Ein Leben an der Staffelei – Käte Schaller-Härlin in der Kunststiftung Hohenkarpfen, ein Gemälde an die Ausstellung Tierisch beste Freunde im Deutschen Hygiene-Museum Dresden, Notizbücher und Papierobjekte aus dem Vorlass von Sibylle Lewitscharoff für das Poetenfest der FAU Nürnberg-Erlangen, mehrere Leihgaben der Bibliothek und des Archivs an das Literaturhaus Berlin, ein Rilke-Portrait von Lou Albert-Lasard für die Ludwig Galerie in Saarlouis, drei Handschriften zu Rodin – Rilke – Hofmannsthal in der Alten Nationalgalerie Berlin und 23 Scherenschnitte von Luise Duttenhofer für die Galerie Stihl in Waiblingen. Die im DLA angesiedelte Arbeitsstelle für literarische Museen (AliM) wurde beim konservatorischen Einrichten der in 2017 neu eingerichteten Ausstellungen beraten und unterstützt. So wurde für die neue Ausstellung im Christian-WagnerHaus Warmbronn eine Büste als Dauerleihgabe vorbereitet. 6.3.6 Digitalisierung

Bei der Mengendigitalisierung unterstützt das Referat eine bestandsschonende Durchführung, gegebenenfalls auch die Schutzverpackung einzelner Konvolute und die restauratorische Sicherung beschädigter Scanvorlagen. In 2017 wurden mit Unterstützung von studentischen Hilfskräften sowohl Teilbestände von A:Mommsen (Briefwechsel Theodor und Marie Mommsen), A:Moltke (Briefwech-



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sel von und an Helmuth James von Moltke) und A:Lasker-Schüler (Briefwechsel von und an Else Lasker-Schüler) als auch Materialien zu Samuel Beckett aus dem Bestand A:SUA-Suhrkamp gesichtet. Einzelne markant beschädigte Handschriften aus den genannten Archivbeständen sind parallel zur Sichtung restauriert worden. 6.3.7 Katastrophenmanagement

Die Bestandserhaltung war am 26.  Juni 2017 nach einer Havarie in der Verwaltungsregistratur bei der Bergung von wassergeschädigten Akten beteiligt und leitete die Trocknung der letztlich zur dauerhaften Archivierung ausgewählten Unterlagen ein. 6.3.8 Projekt Mengenentsäuerung

Zum Anfang des Jahres 2017 wechselte das DLA mit der Charge 25 der kontinuierlichen Buchentsäuerung vom PaperSave-Standort in Wimmis (CH) zum Standort der neuen, zuvor getesteten Entsäuerungsanlage in Aschau am Inn. Dies bedingte einige umfangreiche Umstellungen in der gesamten Logistik. Die Anpassungen umfassten die Neuplanung der regulären acht Behandlungstermine, einer erneuten Kalkulation des umfangreicheren Entsäuerungsvolumens mit nunmehr durchschnittlich 1.315 Bänden pro Charge, als auch technisch bedingte Angleichungen der Schutzverpackung. In den Chargen 29 und 30 erfolgte die Entsäuerung der zahlreichen Neuzugänge zu den Signaturenabschnitten K mit KK (1.237 Bände) und L mit LL (1.876 Bände). Bis zur Prüfung des Entsäuerungsbedarfs werden sie separat in sogenannten Warteschleifen magaziniert. Die gekennzeichneten Bände überführte die Bibliothek nach der Behandlung in den betreffenden Magazinbestand. Mit der Charge 31 konnte die 400 Bände umfassende Spezialsammlung Weinholz zur DDR-Literatur in Aschau entsäuert werden. Da die Ausstattung mit Barcodezetteln an diesem Bestand entfiel und die Buchumschläge einer besonderen Schutzverpackung bedurften, verlängerte sich der Zeitaufwand für die internen Arbeiten um ein Drittel. Mit einem neu angeschafften pH-Meter wurden Messungen des Kaltextrakts von Papieren mit unterschiedlichem Verbräunungsgrad durchgeführt. Das Projekt dient der präziseren Beurteilung der DLA-intern genutzten visuellen Papierzustandsklassifizierung.

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Vertragsjahr 2017

Chargenumfang gesamt:

Chargenzusammensetzung (Anzahl der Bücher) Gesamt

davon entsäuert

in %

davon nicht entsäuert

in %

11.288

10.518

93 %

770

7 %

Übersicht zum Umfang der Buchentsäuerung in 2017

6.3.9 Gefährdungsbeurteilung

Für das Referat Bestandserhaltung wurde zusammen mit einem externen Fachberater eine durch das Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene allgemeine Gefährdungsbeurteilung erstellt.

VERWALTUNG 1 Mitarbeiterschaft (Stand: 31. Dezember 2017) Voll- und Teilzeitstellen

davon Planstellen der DSG

davon Planstellen des Landes

Befristete, projektgebundene Stellen

105,4

103,4

2

40,2

Die befristeten projektgebundenen Stellen wurden überwiegend aus Sachbei­ hilfen der Deutschen Forschungsgemeinschaft und aus Stiftungsmitteln von ­privater Seite finanziert. Auch 2017 waren zahlreiche wissenschaftliche Hilfskräfte, geringfügig Beschäftigte sowie Praktikanten befristet tätig. 2 Personelle Veränderungen im Jahr 2017 a) Neu eingestellt wurden am

01.02.2017 01.03.2017 01.04.2017 01.04.2017 01.08.2017 01.09.2017 01.09.2017 01.09.2017

Daniel Berndt Eva Schippert Anna Brixa Eva Kissel Anna Hallauer Stephanie Kuch Frank Jehnert Isabell Dittrich

wissenschaftlicher Mitarbeiter Bibliothekarin Koordinatorin Bibliothekarin Bibliothekarin wissenschaftliche Mitarbeiterin Fachinformatiker Bibliothekarin



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01.09.2017 15.09.2017 29.09.2017 06.10.2017 01.11.2017 01.11.2017 15.11.2017 15.11.2017 01.12.2017

Richard Schumm Marc Wurich Mirjam Hoyler Moritz Schumm Julia Maas Antonina Hipp Lorenz Wesemann Lucie Holzwarth Daniel Hofmann

wissenschaftlicher Mitarbeiter Volontär Bibliothekarin wissenschaftlicher Mitarbeiter wissenschaftliche Mitarbeiterin Bibliothekarin wissenschaftlicher Mitarbeiter Assistentin Bibliothekar

b) Ausgeschieden sind am

31.03.2017 06.05.2017 14.06.2017 30.06.2017 30.06.2017 31.10.2017 30.11.2017 30.11.2017 31.12.2017

Elli Unruh Catherine Marten Sonja Nothdurft Dieter Haußer Thomas Parschik Dr. Nicolai Riedel Gabriele Pliwischkies Ingrid Fehlhauer Traude-Rose Ehmann

Bibliothekarin wissenschaftliche Mitarbeiterin Archivkraft Fachinformatiker Bibliothekar wissenschaftlicher Mitarbeiter Archivkraft Rezeptionistin Archivkraft

3 Deutsche Schillergesellschaft e.V. Jahr Mitglieder Mitglieder mit Jahrbuch

2012

2013

2014

2015

2016

2017

3.077 2.803 2.643 2.507 2.379 2.278 58 %

62 %

59 %

58 %

58 %

58 %

neue Mitglieder

148

39

47

39

30

40

ausgetretene oder verstorbene Mitglieder

315

203

163

170

153

113

ausländische Mitglieder

11 %

11 %

12 %

11 %

11 %

11 %

DSG-Jahresbeitrag (€)

50,–

50,–

50,–

50,–

50,–

50,–

DSG-Jahresbeitrag mit Jahrbuch (€)

80,–

80,–

80,–

80,–

80,–

80,–

DSG-Jahresbeitrag (€) (Mitgl. in Ausbildung)

20,–

20,–

20,–

20,–

20,–

20,–

DSG-Jahresbeitrag (€) (Mitgl. in Ausbildung mit Jahrbuch)

30,–

30,–

30,–

30,–

30,–

30,–

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Den Bewohnern der neuen Bundesländer und Osteuropas wurden auch 2017 auf Antrag die Mitgliedschaft und das Jahrbuch zur Hälfte des allgemeinen Tarifs angeboten.

ARBEITSSTELLE FÜR LITERARISCHE MUSEEN, ARCHIVE UND GEDENKSTÄTTEN IN BADEN-WÜRTTEMBERG (ALIM) 1 Museen und Dauerausstellungen

Remshalden-Buoch: Stockhausen-Vitrine im Museum im »Hirsch« (Vorstellung 9. 4. 2017). – Hartheim: Schwanitz, Shakespeare und der Salmen. Neue Dauerausstellung im Historischen Gasthaus und Schwanitz-Haus »Zum Salmen« (Eröffnung 19. 5. 2017). – An literarische Museen und Gedenkstätten in Baden-Württemberg gingen im Jahr 2017 Zuwendungen in Höhe von rund € 114.065,–. Es konnten außerdem literarische Veranstaltungen in diesen Museen mit € 40.930,– gefördert werden. Außerhalb von Marbach wurden ca. 72 Ortstermine in 29 Orten wahrgenommen. 2 Abgeschlossene Projekte in Museen

Bad Mergentheim, Mörike-Kabinett im Deutschordensmuseum: Ausstellung zum 250. Geburtstag von Carl Julius Weber. – Gaienhofen, Hesse Museum Gaienhofen: Katalog zur Ausstellung Hermann Hesses Novelle Klingsors letzter Sommer. – Neuenbürg, Schloss Neuenbürg: Sonderausstellung Augsburger Puppenkiste mit den Schwerpunkten Jim Knopf und Urmel. – Öhningen-Wangen, Jacob Picard Gedenkstätte: Gedenkbuch zum 50. Todestag von Jacob Picard. – WeinstadtSchnait, Silcher-Museum: Maßnahme zur konservatorisch korrekten Lagerung von Silcher-Handschriften. – Wilflingen, Jünger-Haus: Einbruchmeldeanlage und Umgestaltung der Homepage www.juenger-haus.de. 3 Publikationen der Arbeitsstelle

Spuren 113 (Sabine Griese: Heinrich Seuse in Ulm), 114 (Roland Berbig: Günter Eich und Baden-Baden), 115 (Nikola Herweg: Günter Grass’ ›Blechtrommel‹ in Großholzleute), 116 (Barbara Wiedemann: Die Gruppe 47 und das Hotel ›Kleber-Post‹ in Saulgau).



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4 Veranstaltungen

Tagung ›Per Pedal zur Poesie‹. Literarische Radwege in Baden-Württemberg in Marbach (28. 11. 2017). – Die Arbeitsstelle für literarische Museen, Archive und Gedenkstätten in Baden-Württemberg war für die Ausstellung Rilke und Russland zuständig (s.  S. 366).

FORSCHUNG 1 Internationale Forschungsbeziehungen: Global Archives

Das vom Auswärtigen Amt unterstützte Projekt zur Erschließung und Erforschung deutsch-jüdischer Gelehrtennachlässe in Israel, das in Kooperation mit dem Franz Rosenzweig Minerva Research Center in Jerusalem umgesetzt wird, ging ins sechste Jahr. Intensiviert wurde insbesondere die Zusammenarbeit mit der National Library, Jerusalem. Das von der Gerda Henkel Stiftung geförderte Projekt Deutsch-jüdischer Wissens- und Kulturtransfer 1918 bis 1948: Das historische Archiv der Hebräischen Universität wurde im zweiten Förderjahr erfolgreich fortgesetzt. Gegenwärtig wird die Präsentation der Erschließungsdaten über das Archivportal Europa in Verbindung mit dem Universitätsarchiv Zürich vorbereitet. Für das letzte Projektjahr 2018 wird eine große Ausstellung konzipiert, die die Ergebnisse aus dem Projekt einem breiten Publikum präsentiert und die in Jerusalem und Leipzig zu sehen sein wird, ebenso eine Veranstaltung im Herbst 2018 an der Staatsbibliothek zu Berlin. Daneben konnte der Lateinamerika-Schwerpunkt verstärkt und das Projekt auf weitere Länder ausgeweitet werden: Ende des Jahres hat im Archiv Delfos an der PUCRS im südbrasilianischen Porto Alegre die Erschließung des Nachlasses von Benno Mentz begonnen, der eine umfassende Sammlung deutschsprachiger Publikationsorgane in Brasilien (Zeitschriften, Kalender, Almanache), Berichte seiner zahlreichen Reisen (u.  a. nach Deutschland), Forschungsskizzen sowie Korrespondenzen mit anderen Intellektuellen und Schlüsselfiguren des deutschbrasilianischen Kulturtransfers des 20.  Jahrhunderts beinhaltet. Parallel wird ein Teilnachlass erschlossen, der die Programmhefte und Plakate verschiedener künstlerischer und kultureller Veranstaltungen, teilweise in deutscher Sprache, im Theatro São Pedro in Porto Alegre enthält. Im Lasar Segall Museum in São Paulo wurden Regesten der deutschsprachigen Dokumente sowie der deutschsprachigen Korrespondenz (darunter umfangreiche Briefwechsel mit Künstlern wie Wassily Kandinsky, Paul Klee, Lyonel Feininger, Otto Dix sowie Kunstkritikern und Schriftstellern) erstellt.

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Während die brasilianischen Kooperationen ausgebaut und verstetigt wurden (u.  a. durch die Kooperation mit dem Labóratorio de Estudos sobre Etnicidade, Racismo e Discriminação, LEER), erfolgten erste Forschungsüberblicke zum Exil in Uruguay (u.  a. am Teatro Solís) und Argentinien (u.  a. im Teatro Colón und an der Casa Simón Dubnow in Buenos Aires). Mit einem Plenarvortrag im Rahmen der Tagung Los archivos personales: prácticas archivísticas, problemas metodológicos y usos historiográficos am CeDInCI/UNSAM, Buenos Aires, wurde das Projekt auch im internationalen Kontext vorgestellt. Ende des Jahres begann in Uruguay ein Erschließungsprojekt zum Nachlass des exilierten Journalisten, Autors und Übersetzers Ludwig Neuländer, der sich größtenteils in Privatbesitz befindet. Die Global Archives-Sektion (Ibero)Romanische-Germanische Zwischenwelten im Rahmen des Romanistentages an der Universität Zürich zum Thema Dynamik, Begegnung, Migration führte forschungsseitig die Projekte mit Beiträgen zum Exil in Argentinien, Brasilien und Mexiko zusammen. Im Rahmen der Marbacher Zeitkapsel 48 wurden die Ergebnisse des Erschließungsprojekts zum Thomas Mann-Übersetzer Herbert Caro vorgestellt. Für die Archivpublikation des jüdischen Kulturinstituts ICJMC wurde ein entsprechender Veranstaltungsbericht verfasst. Weitere Stipendien wurden zur Provenienzforschung im Kontext von Thomas Manns Nachlassbibliothek in den USA und Kanada vergeben; ebenso zur Erforschung von Exilbeständen in Griechenland (mit einem Fokus auf der etwa 500 Bände umfassenden Handbibliothek Helmut von den Steinen an der Kunsthochschule Athen). Auch die Erschließung der Korrespondenz des ungarischen Altphilologen Karl Kerényi, vernetzt mit den Kerényi-Beständen in Pécs, konnte durch Stipendien weiter ausgebaut werden. Aus den USA wurde der Kern der Bibliothek des bedeutenden Romanisten und Literaturtheoretikers Erich Auerbach erworben, aus der sich die Stationen seines Exils in Istanbul und den USA sowie die Genese seines bedeutenden Werks Mimesis teilweise rekonstruieren lassen. Einem umfassenden Forschungsüberblick zum Exil in Großbritannien folgte der Workshop Refugees, Migration and Political Culture in Cambridge und London, gemeinsam mit der University of Cambridge (DAAD, German Studies Hub) und dem Warburg Institute. Mit Blick auf die globalen Linien in den Beständen des DLA wurde eine umfangreiche Liste mit Nachlässen von Übersetzerinnen und Übersetzern im DLA erstellt. Hintergrund ist die Zusammenarbeit mit der Robert Bosch Stiftung: Im Rahmen des Elmar-Tophoven-Mobilitätsfonds unterstützt das DLA in Zusammenarbeit mit der Bosch Stiftung Forschungsprojekte zu Übersetzernachlässen. Das DLA ist zudem Partner des neu aufgelegten Bosch-Förderprogramms TOLEDO – Übersetzer im Austausch der Kulturen.



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2 Forschungsverbund Marbach Weimar Wolfenbüttel (BMBF)

Im Projektjahr 2017 waren die Marbacher MWW-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter auf zahlreichen Tagungen und Workshops vertreten und konnten Forschungsergebnisse in einem internationalen Rahmen präsentieren. So hielt Philip Ajouri gemeinsam mit seinem Weimarer Projektkollegen Carsten Rohde auf der Jahrestagung der Modern Language Association (MLA) am 7. Januar in Philadelphia den Vortrag Text and Frames. Goethe’s Faust in Books of the Wilhelminian Era. Caroline Jessen sprach mit Ulrich Raulff am 17. Januar im Historicum der LMU München über Exil im Archiv. Aus der Arbeit des Deutschen Literaturarchivs in Israel. Auf der Tagung Asserting Ownership, Obscuring Provenance. Jewish Émigré Collections in Germany after 1945 im Dubnow Institut in Leipzig hielt sie am 16. November den Vortrag Placing the Irreplaceable: Restitution of Jewish Cultural Property Negotiations, Historical Dimensions, Documentation. Durch Vorträge von Daniel Berndt war das Projekt Bildpolitik auf dem Workshop Lagerbilder am 19.  Juli an der Philipps-Universität Marburg ebenso vertreten wie in der Kunsthalle NordrheinWestfalen am 23. November. Am 27. und 28. November 2017 veranstaltete das Team Digitale Forschungsinfrastruktur des Verbunds in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel das Barcamp Data and Demons. Von Bestands- und Forschungsdaten zu Services, zu dem 2018 ein Aufsatz in der Fachzeitschrift Libreas erscheinen wird. Am Wissenschaftskolleg zu Berlin fand vom 13. bis zum 15. Dezember 2017 die im Rahmen des Forschungsprojekts Autorenbibliotheken von Caroline Jessen gemeinsam mit Stefan Höppner konzipierte Tagung Der komplexe Faden der Herkunft: Provenienz statt. Ziel der Tagung war, die Bedeutung der Kategorie Provenienz für die literaturwissenschaftliche und ideengeschichtliche Forschung in und mit Sammlungen herauszuarbeiten, insbesondere im Kontext von Autorenbibliotheken. Am 21. September wurde die im Rahmen des Bildpolitik-Projekts entwickelte Ausstellung Die Familie. Ein Archiv mit dem Vortrag Das Familiengeheimnis von Peter von Matt eröffnet. Die Ausstellung, die bis zum 29.  April 2018 im Literaturmuseum der Moderne zu sehen war, zeigte rund 300 Exponate, die von den Versuchen einzelner Familien zeugen, Traditionen zu bilden, kulturelles Erbe weiterzugeben sowie Kontinuitäten und Linien zu schaffen. Gleichzeitig veranschaulichen sie aber auch Asymmetrien, Normverstöße, Brüche und Zerfall. Um die Projektgruppen im Forschungsverbund zu beraten und die nationale wie internationale Sichtbarkeit im Verbund zu verstärken, wurden im Projektjahr 2017 eine Reihe Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftler aus dem In- und Ausland zu Forschungsaufenthalten eingeladen. Gemeinsam mit dem Oxford German Network und dem Career Service Oxford konnte das Forschungshospitanten-Programm erfolgreich fortgeführt werden. Zudem wurden Bewer-

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berinnen und Bewerber im Rahmen des International Internship Program in die Verbundinstitutionen eingeladen. Auch das jährlich zweimal ausgeschriebene Stipendienprogramm für Digital Humanities wurde mit Erfolg fortgesetzt, was zur Stärkung des entsprechenden Schwerpunkts im Verbund beitrug. 3 1968. Ideenkonflikte in Globalen Archiven

Zum 15. Mai 2017 ist am Deutschen Literaturarchiv Marbach das Internationale Archivforschungsprojekt 1968. Ideenkonflikte in globalen Archiven angelaufen, das mit einer Summe von 690.000 Euro über eine Laufzeit von drei Jahren von der VolkswagenStiftung gefördert wird. Durch zwei Forschungsmodule mit den Schwerpunkten Nordamerika (Modul 1) und Lateinamerika/Karibik (Modul 2), die jeweils von einer Postdoktorandin/einem Postdoktoranden betreut werden, sollen Orte der Verhandlung von ›1968‹ durch die Vernetzung der relevanten Bestände im DLA und der dazu komplementären globalen Archivbestände in den Blick genommen werden. Darüber hinaus sollen Phänomene und Praktiken des Kulturtransfers sowie Ideen- und Kulturkonflikte zwischen den USA, Lateinamerika, der Karibik und Europa aufgedeckt und Kommunikationswege nachgezeichnet werden. Die Projektarbeit wird durch eine Koordinierungsstelle unterstützt, die mit der inhaltlichen und organisatorischen Zusammenführung und Leitung der Aktivitäten betraut ist, sowie durch die Stelle einer Diplom-Bibliothekarin, die für die Erschließung projektrelevanter Bestände des DLA zuständig ist. In Absprache mit der Abteilung Archiv wurde ein Erschließungsplan erstellt. Die Katalogisierung der Bestände Helmut Lethen sowie Christa und Peter Bürger konnte bereits abgeschlossen werden. Die Postdoktoranden haben sich jeweils mit Vorträgen zu ihren modulspezifischen Themen an Tagungen im In- und Ausland beteiligt und das Projekt somit in der Scientific Community bekannt gemacht. Darüber hinaus wurde ein projekteigenes Forschungsportal eingerichtet (http://www.literaturarchiv1968.de/). Auf diesem Portal werden neben Rezensionen und Beiträgen regelmäßig ›Funde‹ (Dokumente und Objekte zu den Ideenkonflikten von 1968) aus dem DLA und internationalen Archiven präsentiert und von den verschiedenen Forscherinnen und Forschern jeweils mit einem kurzen Kommentar vorgestellt. Außerdem wurde ein Interview mit Christa und Peter Bürger über deren Erfahrungen zur Zeit der Studentenbewegung und über die Rolle, die ›1968‹ in ihrem wissenschaftlichen Werk spielt, geführt; das Gespräch ist ebenfalls auf dem Portal publiziert. Zudem finden sich dort Informationen zum Gesamtkonzept und den beiden Modulen, zu beteiligten Forscherinnen und Forschern (u.  a. Gesine Müller, Universität Köln; Moritz Neuffer, ZfL, Berlin; Julio Ortega, Brown University; Horacio Tarcus, CeDInCI, Buenos Aires) sowie zu den geplanten Veran-



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staltungen (u.  a. Tagung: Ereignis und Geschichte. 1968 und die Geschichtsphilosophie; Veranstaltungsreihe: Aktualisierungen. Die Zeit, die ’68 wurde). Über die Projektmittel können außerdem regelmäßig Gastwissenschaftler nach Marbach eingeladen werden, um die Bestände zu ›1968‹ am DLA zu erforschen und Ergebnisse vorzustellen. Im Jahr 2017 waren das Lukas Böckmann (Universität Leipzig) und Magnus Klaue (Simon Dubnow Institut). 4 Forschungsbezogene Digitalisierung, MWK

2017 konnte im Rahmen der Koordinierungsstelle für digitale Forschungsinfrastruktur mit der eigentlichen Digitalisierung von Beständen begonnen werden (Förderung: Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst, Baden-Württemberg). Insgesamt neun Scan-Operatorinnen und -Operatoren konnten aus Projekt- und weiteren Drittmitteln eingestellt werden. Zudem wurde eine Hilfskraft für die Bestandserhaltung eingestellt, welche die Bestandssichtung als Vorbereitung für die Digitalisierung durchführt. Somit konnte ein wichtiger Engpass im Digitalisierungsworkflow beseitigt werden. Im Laufe des Jahres wurden Digitalisierungsprojekte mit Pilot-Charakter durchgeführt: Ergänzend zu den bereits digitalisierten Collegeblöcken aus dem Nachlass Friedrich Kittlers wurden die Karteien aus demselben Nachlass gescannt. Im Rahmen eines Kooperationsprojekts mit der UB Heidelberg und der Universität Bern wurde der Briefwechsel zwischen Theodor und Marie Mommsen vollständig digitalisiert (Förderung: Fritz Thyssen Stiftung). Im Rahmen eines internationalen Kooperationsprojekts mit dem Beckett Digital Manuscript Project (Antwerpen und Reading) wurden Typoskripte Samuel Becketts und die dazugehörigen Druck­ fahnen aus dem Archiv des Suhrkamp Verlags digitalisiert und an die Koopera­ tionspartner geliefert. In Zusammenarbeit mit der National Library of Israel wurde der Archivbestand von Else Lasker-Schüler gescannt. Die Digitalisierung des Bestandes Moltke konnte ebenfalls durchgeführt werden. Auch die Vorbereitungen für die Digitalisierung des Mörike-Nachlasses sind fast abgeschlossen. Ein Höhepunkt des Projektjahres war der Workshop Fragile Materialien auf dem Scanner: Werkstattgespräche zu Fragen der Digitalisierung in Archiven und Bibliotheken, der am 17. und 18.  Oktober 2017 Digitalisierungsexperten und -expertinnen aus Baden-Württemberg und darüber hinaus in Marbach zusammenbrachte und dem gegenseitigen Austausch sowie der Vernetzung diente. Die Gründung des Digitalisierungszentrums im DLA zum Jahresbeginn 2018 ermöglicht, die gewonnenen Erfahrungen aus der Pilotphase systematisch in den professionalisierten Workflow einzubringen und im Rahmen der Priorisierung wichtige Fortschritte in der Bestandsdigitalisierung und im digitalen Benutzerdienst zu erzielen.

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5 Arbeitsstelle für die Erforschung der Geschichte der Germanistik

Ein von der Arbeitsstelle konzipiertes Themenheft der Mitteilungen des deutschen Germanistenverbandes (Vandenhoeck & Ruprecht, 2017) vermittelt einen umfassenden Überblick zur Geschichte der Germanistik in der DDR, zum Forschungsstand und zu den sich öffnenden Archiven. Die Zeitschrift Geschichte der Germanistik setzte in der Ausgabe 2017 ihren Internationalisierungskurs konsequent fort. Die philologiegeschichtlichen Erwerbungen und Erschließungsprojekte gehen aus den entsprechenden Passagen der Archivabteilung hervor. 6 Stipendiatinnen und Stipendiaten

Im Jahr 2017 erhielten folgende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein Marbach-Stipendium: Bonosi, Lorenzo (Trient, Italien, 1  Monat Graduiertenstipendium, Projektthema: Das Unbehagen an der Rückkehr. Zur Zerbrechlichkeit des »zweiten Paradieses« in Hilde Domins Korrespondenz mit Heinrich Böll, Günter Eich und Erich Fried); Braukmann, Laura (Bochum, 1  Monat MA-Aufenthaltsstipendium, Projektthema: Der tragische Modus in den Texten Hans Ernst Schneiders (alias Hans Schwertes)); Eilittä, Leena (Helsinki, Finnland, 1  Monat Vollstipendium, Projektthema: Das Alltägliche in den Gedichten von Hermann Broch); Fischer, Marie-Elisabeth (Berlin, 1  Monat Graduiertenstipendium, Projektthema: Der Briefwechsel zwischen Paul Fechter und Eduard Plietzsch im DLA als Beitrag zur personengeschichtlichen Provenienzforschung); Fondu, Quentin (Boran sur Oise, Frankreich, 1 Monat Graduiertenstipendium, Projektthema: Das Theater an der Universität. Hybridisierung und disziplinarische Reorganisation in Frankreich und in Deutschland (1948–2014)); Glanert, Simone (Canterbury, UK, 1 Monat Vollstipendium, Projektthema: Gadamer and Law); Hartmann, Eva-Maria (Mannheim, 2  Monate Graduiertenstipendium, Projektthema: Innovation und Wissensdiffusion. Der Verleger Johann Georg von Cotta als Agrarökonom (1833–1863)); Hempe, Felix (Hamburg, 1  Monat MA-Aufenthaltsstipendium, Projektthema: Die Exotik des Alltäglichen. Zum Ansatz Siegfried Kracauers); Henneberg, Nicole (Berlin, 1  Monat Vollstipendium, Projektthema: Autobiographie Gabriele Tergit); Hülsmann, Ines (Furtwangen, 2  Monate Graduiertenstipendium, Projektthema: Auf den Spuren der Wissensordner. Epistemische Gemeinschaften um die Reformuniversitätsgründungen zu Bochum, Konstanz und Bielefeld (1957–1969)); Kolkenbrock, Marie (Great Shelford, Cambridge, UK, 1  Monat Postdoktorandenstipendium, Projektthema: Wissenschaftliche Biographie Arthur Schnitzler); Kosziszky, Eva (Budapest, Ungarn, 1 Monat Vollstipendium, Projektthema: Forschungen zu Yvan Golls Poetik); Liu, Yongqiang (Hangzhou, China, 1  Monat Postdoktoran-



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denstipendium, Projektthema: Hugo von Hofmannsthals interkulturelle und poetologische Auseinandersetzung mit der chinesischen Literatur); Potapova, Galina (Hamburg, 2  Monate Postdoktorandenstipendium, Projektthema: Konzepte des kulturellen »Mittlertums zwischen Ost und West« bei deutschbaltischen Schriftstellern und Übersetzern); Roner, Miriam (Bern, Schweiz, 1 Monat Postdoktorandenstipendium, Projektthema: Theorie und Geschichte des Konzertberichts. Edition der Konzertberichte August Halms); Ruckdeschel, Manuela (Freiburg, 1  Monat MA-Aufenthaltsstipendium, Projektthema: Die Sprache der Bilder in W. G. Sebalds »Austerlitz«); Schouten, Steven (Mailand, Italien, 2 Monate Postdoktorandenstipendium, Projektthema: Laboratory of Cultural Renewal. The »Werkschar« and the 1918/19 Revolution in Germany); Schwerzmann, Katia (Berlin, 2 Monate Postdoktorandenstipendium, Projektthema: »La lettre morte«. Friedrich Kittlers Briefwechsel mit Jacques Derrida, Michel Foucault und Jacques Lacan); Seeber, Stefan (Freiburg, 1 Monat Vollstipendium, Projektthema: Ernst Hardts Seelenkunst. Mittelalterrezeption in den Dramen »Tantris« (1907) und »Gudrun« (1911)); Steiner, Philipp (Berlin, 1 Monat MA-Aufenthaltsstipendium, Projektthema: Der »Aufstand der Lektoren« – 1968 beim Suhrkamp Verlag. Zur (Un-)Möglichkeit demokratischer Mitbestimmung im Literaturbetrieb); Trejnowska-Supranowicz, Renata (Olsztyn, Polen, 1  Monat Postdoktorandenstipendium, Projektthema: Das politisch-soziale Engagement in Robert Eduard Prutz’ Schaffen); Vecchiato, Daniele (Mirano, Venezia, Italien, 1 Monat Postdoktorandenstipendium, Projektthema: »Der Vers ist ein Taucher …«. Poetologie des Wassers im Werk Durs Grünbeins); Waszynski, Alexander (Erfurt, 1 Monat Graduiertenstipendium, Projektthema: Blumenbergs Lektüren); Wolff, Maria (Nürnberg, 2  Monate Graduiertenstipendium, Projektthema: Paul Celan und die Physik); Zhukova, Maria (Konstanz, 1 Monat Postdoktorandenstipendium, Projektthema: TV-Diskurse in der Literatur der DDR, 1950er– 1990er Jahre). Für das Jahr 2017 wurden außerdem folgende benannte Stipendien bewilligt: C.H. Beck-Stipendium für Literatur- und Geisteswissenschaften:

Axtner-Borsutzky, Anna-Karina (München, 1  Monat Graduiertenstipendium, Projektthema: Das autobiographische Manuskript von Walter Müller-Seidel (1918– 2010). Edition – Kommentar – Studien); Bonitz, Masetto (Berlin, 1 Monat Graduiertenstipendium, Projektthema: Korrespondenzen aus dem Nachlass Max Benses. Frühe Einflüsse und Herkunftskreis, Hintergründe zu Künstlerkreisen, Internationale Kontakte); Lambeth, Morganna (Evanston, IL, USA, 2 Monate Graduiertenstipendium, Projektthema: Heidegger on Kant and the Concept of Cause); Lind, Hans Jochen (Ehrwald, Österreich, 1 Monat Postdoktorandenstipendium, Projektthema: The Writer as Reader. Kracauer, Adorno and the Genesis of »Die totalitäre

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Propaganda«); Martins, Ansgar (Frankfurt am Main, 3 Monate Graduiertenstipendium, Projektthema: »Errettung der physischen Realität«. Zum Religionsbegriff in der Philosophie Siegfried Kracauers); Morgenthaler, Simon (Basel, Schweiz, 2 Monate Graduiertenstipendium, Projektthema: Vom Bau und Umbau einer Wissenschaft. Die textuelle Konstruktion von Wissenschaftlichkeit in Hans Sedlmayrs Theorieprojekt von 1926–1956); Occhini, Beatrice (Catanzaro, Italien, 2  Monate Graduiertenstipendium, Projektthema: Migrationsliteratur als literarisches Feld und sein Imaginär in Deutschland und Italien); Wagner, Jannis (Berlin, 2 Monate Graduiertenstipendium, Projektthema: Psychologie und Geschichtsschreibung. Die Nutzbarmachung psychologischer Ansätze am Beispiel einer Mentalitätengeschichte des Wilhelminismus); Yos, Roman (Leipzig, 1 Monat Postdoktorandenstipendium, Projektthema: Die deutsche Nachkriegsphilosophie im Spiegel der philosophischen Verlage (1945–ca. 1960)). Digital Humanities Stipendium (Forschungsverbund Marbach Weimar Wolfenbüttel):

Zimmermann, Christina (Gelterkinden, Schweiz, 3  Monate, Projektthema: Kracauer’s Theory of Film. The Murmur of Actual Occasions). MWW Senior Fellow (Forschungsverbund Marbach Weimar Wolfenbüttel):

Eilittä, Leena (Helsinki, Finnland, 2  Monate, Projektthema: Hermann Brochs Gedichte); Lapidot, Elad (Berlin, 3  Monate, Projektthema: Heidegger and the Chosen People); Norton, Robert (Notre Dame, IN, USA, 3 Wochen, Projektthema: Das Jahrhundert Georges. The Anthologies »Deutsche Dichtung«). Gerd Bucerius Stipendium der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius:

Gürgen, Hannes (Remchingen, 2 Monate Graduiertenstipendium, Projektthema: Arnolt Bronnen und die Literarische Moderne. Ästhetik, Publizistik und Medienarbeit eines modernen Schriftstellers); Hundehege, Stefanie (Canterbury, UK, 1  Monat Postdoktorandenstipendium, Projektthema: Ein »lautloser Aufstand«. Günther Weisenborn und Strategien dissidenten Schreibens nach 1933); Probst, Jörg (Marburg, 2 Monate Postdoktorandenstipendium, Projektthema: Wolf Jobst Siedler. Architekturkritik als Zeitdiagnostik); Tändler, Maik (Göttingen, 2 Monate Postdoktorandenstipendium, Projektthema: Armin Mohler und der deutsche Konservatismus nach 1945).



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Hilde-Domin-Stipendium für lateinamerikanisch-deutsche Literaturbeziehungen:

Alvarez Garcia, Gerardo (Bochum, 2  Monate Postdoktorandenstipendium, Projektthema: Geschichte des Transfers der hispanoamerikanischen Literatur in Deutschland); Mársico, Griselda (Buenos Aires, Argentinien, 2 Monate Graduiertenstipendium, Projektthema: Auswärtige Kulturpolitik und intellektuelles Feld in der BRD als Auswahlhorizont der Reihe Estudios Alemanes (»Deutsche Studien«) in den Verlagen Sur/Sudamericana (Buenos Aires, 1965–1974)); Miranda, Fernando (Rio de Janeiro, Brasilien, 1 Monat Graduiertenstipendium, Projektthema: Poetik der Distanz. Körper und Erinnerung im lyrischen Werk Hilde Domins). Kurt Tucholsky-Stipendium für Literatur und Publizistik:

Kick, Verena (Seattle, WA, USA, 4 Monate Graduiertenstipendium, Projektthema: The Essay in a Time of Crisis. Reconstituting the German Public Sphere in Narrative, Visual and Digital Culture (1920s–2010)); Maierdon, Yuliia (Mykolajiw, Ukraine, 3 Monate MA-Aufenthaltsstipendium, Projektthema: Ironie als kulturelles Problem der Übersetzung, ihre Übersetzbarkeit am Beispiel von Kurt Tucholskys satirischen, regierungskritischen Erzählungen). Norbert Elias Stipendium:

Alikhani, Behrouz (Hannover, 2  Monate Postdoktorandenstipendium, Projektthema: The Connection between Processes of Identity Formation and Processes of State Formation); Bianco, Adele (Pescara, Italien, 1  Monat Vollstipendium, Projektthema: Elias and the civilization of work); Egen, Christoph (Salzhemmendorf-Osterwald, 2 Monate Graduiertenstipendium, Projektthema: Zur Sozio- und Psychogenese der Einstellung gegenüber Menschen mit Funktionseinschränkungen vom Mittelalter bis zur Neuzeit in westeuropäischen Gesellschaften). S. Fischer-Stipendium für Autoren- und Verlagsgeschichte:

Fradin, Clément (Paris, Frankreich, 2  Monate Graduiertenstipendium, Projektthema: Die deutschsprachige literarische Bibliothek Paul Celans); Tiessen, Margarete (Cambridge, UK, 4  Monate Graduiertenstipendium, Projektthema: Literarisches Leben im Schatten politischer Umbrüche. Leitideen verlegerischen Handelns seit dem Ende des Ersten Weltkriegs); Wan, Julius  I-Tsun (Würzburg, 3  Monate Graduiertenstipendium, Projektthema: Heinrich von Kleist und Johann Friedrich Cotta).

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VERANSTALTUNGEN UND VORTRÄGE Autorenlesungen und Vorträge

Das Literarische Programm des DLA wurde im Berichtsjahr 2017 von Jan Bürger betreut, das Wissenschaftliche Programm von Marcel Lepper. 2017 fanden folgende Veranstaltungen statt: 18.  Januar: Unterhaltungen deutscher Eingewanderten. Gespräch mit Marica Bodrožić und Deniz Utlu. Moderation Jan Bürger und Florian Höllerer. In Zusammenarbeit mit dem Literarischen Colloquium Berlin. – 1. März: Lesung der Kulturakademie mit Kirsten Fuchs. – 9. März: Zeitkapsel 46: Triptychon mit Claude Simon. Mit Mireille Calle-Gruber, Peter Brugger und Ulrich Raulff. – 12. März: Die Gabe/The Gift. Finissage mit Marion Ackermann und Anne Bohnenkamp-Renken. Moderation: Ulrich Raulff. – 20. März: Jetzt. Geschichte meines Abenteuers mit der Phantasie. Mit Karlheinz Bohrer. Moderation: Jan Bürger und Stephan Schlak. – 30. März: Walter Benjamin. Das Leben eines Unvollendeten. Lorenz Jäger im Gespräch mit Helmut Lethen. Moderation: Stephan Schlak. – 5.  April: Lyrik lesen – Gedichte im Gespräch. Mit Insa Wilke, Gregor Dotzauer und Jan Bürger. Moderation: Barbara Wahlster. In Kooperation mit Deutschlandfunk Kultur. – 5. April: Des Reiches genialste Schandschnauze. Texte und Briefe zu Walther von der Vogelweide von Peter Rühmkorf. Mit Joachim Kersten und Stephan Opitz. – 6. April: fluxus 37: Christoph Ransmayr – Geht los. Erzählt. Ausstellungseröffnung mit Sigrid Löffler und Doren Wohlleben. Moderation: Jan Bürger. – 24. April: Zeitkapsel 47: Siegfried Lenz. Wege zur Deutschstunde. Mit Günter Berg und Ulrich von Bülow. – 3. Mai: Rilke und Russland. Ausstellungseröffnung mit Durs Grünbein u.  a. – 4. Mai: Rilke in der Sowjetunion 1919–1990. Vortrag von Konstantin Asadowski. – 5. Mai: Preisverleihungen der Schillerstiftung. Mit Thomas Rosenlöcher, Judith Zander u.  a. – 12.  Mai: Einweihung des Bernhard-Zeller-Saals. – 14.  Mai: Cox oder Der Lauf der Zeit. Mit Christoph Ransmayr. Moderation: Ellen Strittmatter. – 22. Mai: Evangelio. Ein Luther-Roman. Mit Feridun Zaimoglu. Moderation: Vanessa Greiff. – 1./2. Juni: Rilke und die russische Philosophie. Tagung mit Igor Ebanoidze, Antonia Egel, Svetlana Konacheva, Holger Kuße, Ulrich M. Schmid u.  a. Gefördert von der Wüstenrot-Stiftung. – 22. Juni: Rilke liest/Rilke gelesen. Mit Reinhart Meyer-Kalkus und Hanns Zischler. – 25. Juni: Erzählfestival zum SommerErlebnistag. Mit Mehrnousch Zaeri-Esfahani und Ute Krause. In Kooperation mit der Justinus-Kerner-Schule Ludwigsburg, gefördert durch den Innovationsfonds Kunst des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg. – 29./30.  Juni: Schillers Theaterpraxis. Tagung mit Peter-André Alt, John Guthrie, Ethel Matala de Mazza, Juliane Vogel, Liliane Weissberg u.  a. Gefördert durch die VolkswagenStiftung. – 4. Juli: Bilder der Reformation. Podiumsdiskus-



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sion mit Yadegar Asisi, Michael Diers und Hans-Martin Kaulbach. Moderation: Dietmar Jaegle. – 5. Juli: »Vergangenheit steht noch bevor.« Rilkes Russland-Erlebnisse und ihr Echo in der Musik. Konzert mit Salome Kammer und Rudi Spring. In Kooperation mit der Internationalen Hugo-Wolf-Akademie. – 12. Juli: Lyrik lesen – Gedichte im Gespräch. Mit Gregor Dotzauer, Insa Wilke, Birgitta Assheuer und Jan Bürger. Moderation: Barbara Wahlster. In Kooperation mit Deutschlandfunk Kultur. – 20.  Juli: Rilke und die Frauen. Podiumsdiskussion mit Elke Schmitter, Katrin Kohl, Olga Martynova und Thomas Schmidt. Moderation: Silke Arning. In Kooperation mit SWR2. – 23. Juli: »Der Ball ist rund«. Mit Ulli Potofski. Ein Schülerprojekt der Baden-Württemberg Stiftung in Kooperation mit dem VfB Stuttgart und dem SC Freiburg. – 31. Juli–2. August: LINA in den Ferien. Socke, Hahn und Elefant. Mit Dingen dichten. Mit Sandra Potsch und Verena Staack. – 6. August: Rilke und Russland. Finissage. – 6. September: Wie beschreibt man das Erwachsenwerden. Lesung mit Elisabeth Steinkellner. Im Rahmen der Kulturakademie der Stiftung Kinderland Baden-Württemberg. – 21. September: Die Familie. Ein Archiv. Ausstellungseröffnung mit Peter von Matt u.  a. – 26. September: Zeitkapsel 48: Thomas Manns brasilianische Stimme: Herbert Caro. Mit Lydia Schmuck und Kai Sina. – 28./30. September: Zwischen Konsens und Konkurrenz. Zum literarisch-kulturellen Vereinswesen im 19. Jahrhundert. Tagung mit Roland Berbig, Jan Eike Dunkhase, Barbara Mahlmann-Bauer, Hans-Harald Müller, Herbert Zeman u.  a. – 29.  September: Die rebellischen Leben des Reformators. Mit Willi Winkler und Frank Otfried July. Moderation: Vanessa Greiff. – 5.  Oktober: Drei Schritte nach Russland. Lesung mit Irina Liebmann. Moderation: Caroline Roeder. – 18.  Oktober: Zeitkapsel 49: Wait and see. Mit Peter Handke und Ulrich von Bülow. – 7. November: … aufs Maul geschaut. Luther und die Sprache. Mit Elisabeth Edl, Hannelore Jahr und Matthias Schulz. Moderation: Vanessa Greiff. – 8. November: German fever. Beckett in Deutschland. Ausstellungseröffnung mit Wilhelm Genazino u.  a. – 10. November: Telling anecdotes. Horst Bredekamp und Stephen Greenblatt im Gespräch. Moderation Michael Ott. – 12. November: Tag der offenen Tür in Archiv und Museen, Schillerrede. Mit Monika Schoeller, Wulf D. von Lucius, Ernst Ulrich von Weizsäcker u.  a. – 15. November: Lyrik lesen – Gedichte im Gespräch. Mit Gregor Dotzauer, Insa Wilke, Jan Bürger und Birgitta Assheuer. Moderation: Barbara Wahlster. In Kooperation mit Deutschlandfunk Kultur. – 22. November: Wer war Ingeborg Bachmann? Mit Ina Hartwig. Moderation: Jan Bürger. – 29. November: Eine Weltgeschichte der deutschsprachigen Literatur. Mit Sandra Richter und Heinrich Detering. Moderation: Marcel Lepper. – 7./8. Dezember: Die Ideen von 1917. Debatten auf Burg Lauenstein über die Neuordnung Deutschlands nach dem Krieg. Tagung mit Teresa Löwe-Bahners, Roger Chickering, Carola Dietze, Frank Trommler u.  a. In Verbindung mit Meike G. Werner, Vanderbilt University.

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PRESSE- UND ÖFFENTLICHKEITSARBEIT Im Jahr 2017 organisierte das Stabsreferat des Deutschen Literaturarchivs Marbach fünf Pressekonferenzen und informierte mit 76 Pressemitteilungen über die Aktivitäten des DLA, davon entfielen 13 auf Ausstellungen, elf auf Erwerbungen bzw. Leihgaben, fünf in den Bereich der Forschung, 13 in den Bereich Literaturvermittlung, zwei auf die ›Arbeitsstelle für Literarische Museen, Archive und Gedenkstätten in Baden-Württemberg‹ (alim), 25 auf Veranstaltungen und sechs auf institutionelle Meldungen. Besonders großes Interesse erfuhr die Meldung, dass Prof. Dr. Sandra Richter, Literaturwissenschaftlerin an der Universität Stuttgart, zum 1.  Januar 2019 die Nachfolge des amtierenden Direktors Ulrich Raulff antreten wird. Die Nachricht über die einstimmige Wahl des Kuratoriums der DSG wurde medial positiv aufgenommen. Aus diesem Anlass gab Sandra Richter mehrere Interviews, u.  a. in Die Zeit, der Ludwigsburger Kreiszeitung und auf Deutschlandfunk Kultur. Große Beachtung in der Presse fand auch der Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im DLA am 3.  Juli, mit dem er insbesondere das internationale Ausstellungsprojekt Rilke und Russland im Literaturmuseum der Moderne würdigte. »Wenn man Literatur liebt, ist das einer der schönsten Orte der Republik«, so der Bundespräsident. Zur Eröffnung der Ausstellung Rilke und Russland (3. Mai – 6. August) sprachen am 3. Mai 2017 der Russland-Beauftragte der deutschen Bundesregierung Gernot Erler (MdB, Staatsminister a.  D.), die Staatssekretärin im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg, Petra Olschowski, der erste Botschaftsrat der Russischen Botschaft, Oleg Ksenofontov, der Direktor des Staatlichen Literaturmuseums der Russischen Föderation in Moskau, Dmitrij Bak, Marie-Christine Doffey, Direktorin der Schweizerischen Nationalbibliothek in Bern, und Ulrich Raulff, Direktor des DLA; die Eröffnungsrede hielt der Schriftsteller Durs Grünbein. Dieses große internationale Ausstellungsprojekt (mit Stationen in Marbach, Bern/Zürich, Moskau) bildete den Schwerpunkt der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Jahr 2017: Das ganze Jahr war die Ausstellung Thema in den Medien und erfuhr ein ausgezeichnetes Echo auch beim Publikum. Mit einer Rede von Peter von Matt wurde in Marbach die große Wechselausstellung Die Familie. Ein Archiv am 21.  September eröffnet, die ebenfalls medial sehr gut wahrgenommen wurde: Die Fotoserie der Familie Enzensberger von Stefan Moses aus der Ausstellung wurde bereits vorab in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht. Starke Anziehungskraft übte auch die Ausstellung German fever. Beckett in Deutschland (Eröffnung: 8. November) mit den bis dahin unveröffentlichten German Diaries aus, die der Beckett-Forscher Mark Nixon und der Schriftsteller Wilhelm Genazino im Gespräch eröffneten. Ernst Ulrich von Weiz-



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säcker hielt die Schillerrede 2017 zum Thema Aufbruchstimmung beim Club of Rome vor begeistertem Publikum. Das Jahr begann mit einer Jahrespressekonferenz, auf der die Ausstellungen 2017/18, das literarische und wissenschaftliche Programm, Perspektiven der Sammlung und Neuerwerbungen aus den Bereichen ›Literatur‹ und ›Theorie‹ von Ulrich Raulff, Ellen Strittmatter, Jan Bürger und Thomas Schmidt erläutert wurden (acht Pressevertreter). Pressekonferenzen wurden zudem zu der Wechselausstellung Rilke und Russland mit Ulrich Raulff, Dmitriy Bak und Thomas Schmidt (15 Pressevertreter) anberaumt, zu der Ausstellung Die Familie. Ein Archiv (zehn Teilnehmer) und zur Ausstellung German fever. Beckett in Deutschland (acht Teilnehmer). Ein Pressegespräch fand ebenfalls zur Erwerbung der zweiten Tranche der Handke-Tagebücher statt (fünf Teilnehmer); anschließend stellte Peter Handke seine Notizbücher im Gespräch mit Ulrich von Bülow in einer öffentlichen Abendveranstaltung vor (Zeitkapsel 49: Wait and see! am 18. Oktober). Besondere Aufmerksamkeit galt der Ausstellung Rilke und Russland mit einem Vorabdruck des Katalog-Essays von Ilma Rakusa in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und einer Fülle von Besprechungen, u.  a. in Der Spiegel, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Neuen Zürcher Zeitung, der Süddeutschen Zeitung, dem Tages-Anzeiger (Zürich), dem Tagesspiegel, der Badischen Zeitung, Der Bund (Bern), dem Südkurier und der Wiener Zeitung. Zudem erschienen große Beiträge im Magazin der 5plus und in Kultur lebendig (AsKI), verfasst von dem künstlerischen Leiter der Ausstellung Thomas Schmidt. In russischen Magazinen wie Kommersant oder Wostok – Informationen aus dem Osten für den Westen wurde die Ausstellung ebenfalls gewürdigt. Durch eine Kooperation mit dem Südwestrundfunk gab es eine besonders hohe Zahl von Sendungen im ARD-Hörfunk; außerdem eine große Veranstaltung Rilke und die Frauen (20. Juli) mit Elke Schmitter, Katrin Kohl, Olga Martynova und Thomas Schmidt, moderiert von Silke Arning (SWR2). Innerhalb des wissenschaftlichen Programms sind bezüglich der Presseresonanz zwei Tagungen besonders hervorzuheben: Die Tagung Schillers Theaterpraxis (29./30. Juni) wurde u.  a. in einem Artikel von Hubert Spiegel (Frankfurter Allgemeine Zeitung) besprochen. Die Tagung Die Ideen von 1917. Debatten auf Burg Lauenstein über die Neuordnung Deutschlands nach dem Krieg (7./8. Dezember 2017) fand ein großes Echo, u.  a. mit einem langen Radiogespräch mit der Literaturwissenschaftlerin Meike Werner (Vanderbilt University in Nashville, USA) als Resümee. Sehr gute Resonanz fanden zudem zahlreichen Erwerbungen, allen voran ein Brief von Franz Kafka aus der Sammlung Hohenberger; Jan Bürger beschrieb diesen spektakulären Fund ausführlich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Genannt seien weiterhin die Erwerbung der Handke-Tagebücher, des Archivs von Werner Hamacher, eines Konvoluts von Hesse-Briefen, des Nachlasses des Übersetzers Peter Urban und der Sammlung Berge (Mörike). Eine beson-

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ders große mediale Resonanz fand, wie erwartet, die Übernahme des Archivs von Jan Philipp Reemtsma durch das DLA. Einzelne Ereignisse in Verbindung mit dem DLA erfuhren besondere Beachtung: Am 10. November verlieh die Stadt Marbach den Schillerpreis an Stephen Greenblatt (Laudatio: Horst Bredekamp); im DLA hielten Stephen Greenblatt und Horst Bredekamp vorab eine public lecture: »Telling anecdotes«. Ein großes Echo fand die Ausstellung in Kooperation mit dem Martin Gropius Bau Franz Kafka. Der ganze Prozess (30. Juni – 28. August 2017 in Berlin), außerdem Luthermania (15. Januar – 17. April 2017) in Wolfenbüttel, die erste von drei Ausstellungen im Rahmen des Verbunds Marbach Weimar Wolfenbüttel. Eine kleine Ausstellung zu der Aufführung Ehen in Philippsburg von Martin Walser im Schauspiel Stuttgart wurde ebenfalls gut besprochen. Die Nachricht von der angekündigten Versteigerung der (angeblichen) Nobelpreis-Medaille von Theodor Mommsen erregte mediales Aufsehen. Das Auktionshaus Heritage Auctions (New York) zog das Angebot zurück, nachdem es erfuhr, dass sich diese im DLA befindet. Das von Ulrich Raulff und Marcel Lepper herausgegebene Handbuch Archiv. Geschichten, Aufgaben, Perspektiven wurde genauso wie die Zeitschrift für Ideengeschichte vielfach besprochen. Auf einen Artikel von Laurenz Lütteken in der Frankfurter Allgemeine Zeitung zum Thema ›Archivierung‹ entgegnete Ulrich Raulff wenig später am selben Ort. Jörg Magenau schrieb einen Beitrag zum Nachlass Siegfried Lenz‘ in Die Zeit. Die Marbacher TotenmaskenSammlung beschrieb Tilman Spreckelsen auf einer Doppelseite in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Unter dem Titel Der Neckar – Ein Fluss und seine Geschichte sendete das Südwestfernsehen einen Fernsehbeitrag mit Jan Bürger zu seinem Buch Der Neckar. Eine literarische Reise und dem Marbacher Archiv. Die Pressereferentin besuchte die Buchmessen in Frankfurt und Leipzig und stellte dort das Programm des DLA vor. Sie unternahm eine Pressereise nach Berlin und zwei Pressereisen nach Bern und Zürich. Bei den Veranstaltungen in Marbach waren zahlreiche Journalisten zu Gast; sie wurden durch die Einrichtung geführt und führten Gespräche mit dem Direktor und der Pressereferentin. Öffentlichkeitsarbeit: In den Programmkinos der Region wurde vier Wochen lang ein Ausstellungs-Trailer Rilke und Russland von Anastasia Alexandrowa gezeigt. Anzeigen für diese Ausstellung wurden u.  a. in Die Zeit, in Der Spiegel (»Baden Württemberg starkes Land«), Lettre International, Times Literary Supplement, arsmondo, dem Ausstellungsanzeiger Mart, im Kulturservice-Magazin des SWR, und Lift (Stuttgart fliegt aus) geschaltet. Der Flyer zur Ausstellung wurde dem Rotary Magazin, dem Magazin der 5plus, dem Merkur und der Zeitschrift für Ideengeschichte beigelegt. Plakate wurden für Rilke und Russland und Die Familie. Ein Archiv regional verbreitet.



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Es gab verschiedene Marketingaktionen, wie zum Beispiel die Kooperation mit der Zeitschrift Brigitte, dem SWR Kulturservice und die Teilnahme an Freizeitreise mit Gutscheinbuch.de Baden Württemberg. Im Zuge einer Kooperation mit www.antiquariat.de wurde die Ausstellung Rilke und Russland digital vernetzt präsentiert, außerdem wurde eine gemeinsame Werbepostkarte gedruckt. In Zusammenarbeit mit der Stadt Marbach gab es u.  a. eine Anzeige im Magazin Baden-Württemberg verzaubert. Interne Kommunikation: Über Belegschaftsnachrichten und insgesamt 309 Tickermeldungen wurden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über Mitteilungen des Direktors, personelle Veränderungen, Veranstaltungen und wichtige Medientermine laufend informiert. Das Referat ›Presse- und Öffentlichkeitsarbeit‹ wurde mit Beginn des Jahres 2017 in Referat ›Kommunikation‹ umbenannt. Die Leitung des Stabsreferats obliegt Alexa Hennemann, vertreten wird sie seit 1. Januar 2018 von Dr. Dietmar Jaegle (Publikationen). Die Sekretärin Katja Kesselheim unterstützt weiterhin das Referat. In der Internet-Redaktion waren zudem Claudia Rauen und Luzie Holzwarth stundenweise tätig. Auch die Redaktion des facebook-Accounts des DLA wechselte in das Referat ›Kommunikation‹.

SCHRIFTEN, VORTRÄGE UND SEMINARE Schriften

Philip Ajouri: [Hg.] Die Präsentation kanonischer Werke um 1900. Semantiken. Praktiken. Materialität, Berlin, New York 2017 (Beihefte zu edito 42). – [Hg. zus. mit Benjamin Specht] Kulturpoetik 17 (2017), H. 1, S. 4–140 (Themenheft: Kunst und Erfahrung um 1900. Die ›Empirisierung des Transzendentalen‹ und die ästhetische Moderne). – [Hg. mit Ursula Kundert und Carsten Rohde]: Rahmungen. Präsentationsformen und Kanoneffekte, Berlin 2017 (Beiheft zur Zeitschrift für Deutsche Philologie). – [Hg. zus. mit Marcel Lepper] Zeitschrift für Ideengeschichte 11 (2017), H. 2. Themenschwerpunkt Spätzünder. – Antiqua und Fraktur im Klassikerdruck um 1900. Zum Insel Verlag und der Großherzog Wilhelm Ernst Ausgabe, in: Die Präsentation kanonischer Werke um 1900. Semantiken. Praktiken. Materialität, hg. von Philip Ajouri, Berlin, New York 2017 (Beihefte zu edito 42), S. 1–15. – Einleitung, in: Die Präsentation kanonischer Werke um 1900. Semantiken. Praktiken. Materialität, hg. von Philip Ajouri, Berlin und New York 2017 (Beihefte zu edito 42), S. 163–181. – Wie erforscht man eine Werkausgabe? Heuristische Skizze mit Beispielen aus der Geschichte der Werkausgaben, in: Rahmungen. Präsentationsformen und Kanoneffekte, hg. von Philip Ajouri, Ursula Kundert und Carsten

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Rohde, Berlin 2017 (Beiheft zur Zeitschrift für Deutsche Philologie), S.  201–221. – [zus. mit Ursula Kundert und Carsten Rohde] Einleitung, in: Rahmungen. Präsentationsformen und Kanoneffekte, hg. von Philip Ajouri, Ursula Kundert und Carsten Rohde, Berlin 2017 (Beiheft zur Zeitschrift für Deutsche Philologie), S.  7–15. – Geistige Verwandtschaft und historische Vorbilder. David Friedrich Strauß’ Stammbaum stoisch-politischer Märtyrer, in: Die Familie. Ein Archiv, hg. von Ellen Strittmatter, Marbach a.N. 2017 (Marbacher Katalog 70), S. 118. – Von »NN.« bis Unbekannt: Schema genealogicum der Vischer’schen Familie, in: ebd., S.  120. – Ausschnitt statt Überblick. Stammbaum Friedrich Nietzsches, in: ebd., S.  118. – »Bekanntlich sehen wir, was wir wissen: Chiffren, Sigel, Abkürzungen, Zusammenfassungen«. Robert Musil und die Empirisierung des Transzendentalen, in: Kulturpoetik 17 (2017), H. 1, S. 81–99. Jutta Bendt: [Hg.] Netzliteratur im Archiv. Erfahrungen und Perspektiven (Marbacher Schriften, neue folge 14), Göttingen 2017. – Reinhard Tgahrt in memoriam, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 64, Frankfurt a.M. 2017, S.  292–293. – Öffentliche Kommunikation unter Geschwistern: Ricarda Huchs Gedicht »An Rudolf«, in: Die Familie. Ein Archiv, hg. von Ellen Strittmatter, Marbach a.N. (Marbacher Katalog 70), S. 218–219. Susanna Brogi: Im Spiegel der Familie: Alexander und Wilhelm von Humboldt, in: Die Familie. Ein Archiv, hg. von Ellen Strittmatter, Marbach a.N. (Marbacher Katalog 70), S. 74  f. – Von Anfang an dem Familienerbe verpflichtet: Thomas Manns Taufhemd, in: ebd., S. 78  f. – Weitergabe einer Idee: Goethes Trinkglas für Hegel als Familienerbstück, in: ebd., S. 89  f. – Aufzählung der Generationen: Theodor Fontanes Familien-Bibel, in: ebd., S. 106. – Auf einmal Poesie. Ilse Aichingers Brief an die Zwillingsschwester, in: ebd., S. 205. – Genealogie als Plot: Theodor Fontanes Aufzeichnungen zu ›Das Ländchen Friesack‹, in: ebd., S. 241  f. – Jussuf und Ramsenith: Else Lasker-Schülers Familienfiktion, in: ebd., S. 251–253. – Transitzone Exil. Kurt Pinthus’ Autorenbibliothek zwischen bibliophiler Repräsentation und politischer Zeugenschaft, in: Biographien des Buches, hg. von Ulrike Gleixner, Constanze Baum, Jörn Münkner und Hole Rößler, Göttingen 2018, S. 285–310. Ulrich von Bülow: [zus. mit Mark Schweda] Entzweite Moderne. Zur Aktualität Joachim Ritters und seiner Schüler, Göttingen 2017 (Marbacher Schriften, Neue Folge 15). – Der Nachlass als materialisiertes Gedächtnis und archivarische Überlieferungsform, in: Nachlassbewusstsein. Literatur, Archiv, Philologie 1750–2000, hg. von Kai Sina und Carlos Spoerhase, Göttingen 2017 (Marbacher Schriften, Neue Folge 13), S. 75–91. – [zus. mit Heike Gfrereis] Arbeitsweise in: W. G. SebaldHandbuch. Leben, Werk, Wirkung, hg. von Claudia Öhlschläger und Michael Niehaus, Stuttgart 2017, S. 73–77. – Nachlass, in: ebd., S. 174–179. – Die amerikanischen Jahre. Dieter Henrich im Gespräch mit Matthias Bormuth und Ulrich von Bülow, in: Zeitschrift für Ideengeschichte 11 (2017), H. 1, S. 53–68. – Das »Hand-



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Werk« des Denkens – Zum Nachlass von Martin Heidegger, in: Auslegungen. Von Parmenides bis zu den Schwarzen Heften, (Schriftenreihe der Martin-HeideggerGesellschaft, Bd.  11), Freiburg und München 2017, S.  304–331. – Hans Blumenbergs Zettelkästen, in: Offener Horizont. Jahrbuch der Karl-Jaspers-Gesellschaft, 4/2017, Göttingen 2017, S. 266–287. – Co-Philosophen: die Brüder Heidegger, in: Die Familie. Ein Archiv, hg. von Ellen Strittmatter, Marbach a.N. 2017 (Marbacher Katalog 70), S.  214–215. – Schrift und Bild. Siegfried und Liselotte Lenz’ Zusammenarbeit, in: ebd., S. 215  f. – Christoph Meckels Suchbild. Über meinen Vater, in: ebd., S. 232. – Archivalien zum Roman, in: Martin Walser: Ehen in Philippsburg, Staatstheater Stuttgart, Programmheft Nr. 13, S. 11–34. Jan Bürger: Die Russin, das Mädchen, die Karten [über Franz Kafkas wiederentdeckten Brief an Felix Weltsch aus dem September 1913], in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29. März 2017, S. 11. – Der gestrandete Wal. Das maßlose Leben des Hans Henny Jahnn, erweiterte Neuausgabe, Hamburg 2017. – Schwärzer als schwarz. Eine literarische Nachtwanderung, in: Das Buch der Nächte, hg. von Klaus Beyrer, Mainz 2017, S.  174–179. – Hinter allem Hiesigen. Ein neu entdeckter Brief zur Freundschaft zwischen Nelly Sachs und Paul Celan, in: Nelly Sachs, Text + Kritik, hg. von Daniel Pedersen, Zeitschrift für Literatur, XII/2017, S. 82–84. – Die Die Kissinger Boys. Von der Harvard Summer School zur Suhrkamp Culture, in: Zeitschrift für Ideengeschichte 11 (2017), H. 4 [Intelligence: Import/Export, hg. von Jan Bürger, Petra Gehring und Alexandra Kemmerer], S. 5–18. – Im Schattenreich der wilden Zwanziger. Fotografien von Karl Vollmoeller aus dem Nachlass von Ruth Landshoff-Yorck [mit Beiträgen von Thomas Blubacher und Chris Korner], Marbach a.N. 2017 (Marbacher Magazin 160). – Regina und Eckhard Henscheid, in: Die Familie. Ein Archiv, hg. von Ellen Strittmatter, Marbach a.N. 2017 (Marbacher Katalog 70), S. 206–207. – Franz Kafka, in: ebd., S. 231. – Oskar Pastior, in: ebd., S. 237. Nikolas Dechert: [Hg. zus. mit Reinhard Mehring] Widmungen in Büchern. Ernst Jünger / Carl Schmitt, in: Jünger Debatte 1, 2017, S. 183–204. Janet Dilger: Der Nachlass von Paul Hoffmann (1917–1999) im Deutschen Literaturarchiv Marbach, in: Geschichte der Germanistik 51/52, 2017, S. 167–170. Jan Eike Dunkhase: Heidegger, Marx und die Wertkritik, in: Zeitschrift für Ideengeschichte 11 (2017), H. 3, S.  33–40. – Beiträge zur neuen Heidegger-Debatte (Sammelrezension), in: H-Soz-Kult, 13. 3. 2017. – Widmung von Gottfried Benn an Ilse Benn, in: Die Familie. Ein Archiv, hg. von Ellen Strittmatter, Marbach a.N. 2017 (Marbacher Katalog 70), S. 230. – Alexander von Humboldts Testamente, in: ebd., S. 83  f. Gunilla Eschenbach: Ein Kultautor im Klassikerverlag. Zur frühen Rezep­ tionsgeschichte Rainer Maria Rilkes, in: Die Präsentation kanonischer Werke um 1900. Semantiken, Praktiken, Materialität (Beihefte zu editio 42), hg. von Philip

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Ajouri, Berlin und Boston 2017, S.  31–42. – [Hg. mit Helmuth Mojem] Friedrich Gundolf  / Elisabeth Salomon. Briefwechsel (1914–1931), Berlin und Boston 2017 (Taschenbuchausgabe). – Versuch einer Selbst-Adelung: Rainer Maria Rilkes Stammbaum, in: Die Familie. Ein Archiv, hg. von Ellen Strittmatter, Marbach a.N. (Marbacher Katalog 70), S. 116. – Maximin, in: Stefan George. Werkkommentar, hg. von Jürgen Egyptien, Berlin und Boston 2017, S. 414–432. – Traumdunkel, in: ebd., S. 433–441. – Buchrezension Simon Reiser, Totengedächtnis in den Kreisen um Stefan George. Formen und Funktionen eines ästhetischen Rituals (=Klassische Moderne, Bd. 28), Würzburg 2015, in: Archiv für Kulturgeschichte, Bd. 99 (2017), H. 1, Wien, Köln und Weimar, S. 255  f. Sabine Fischer: Töchterliche Bildstrategie und Kanonisierung. Die Porträts der Freundin, Braut und Dichtergattin Charlotte Schiller, in: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 61, 2017, S. 23–54. – Ein Mann sucht Halt. Was gibt es in dem von Käte Schaller-Härlin gemalten Porträt von Hugo Borst zu entdecken? Eine Bildbetrachtung zum 50. Todestag des großen Stuttgarter Mäzens und Unternehmers, in: Stuttgarter Zeitung, 20. 10. 2017, S. 30. Dietrich Hakelberg: Architektur der Verwandtschaft. Stammbaum der Familie Schwab, in: Die Familie. Ein Archiv, hg. von Ellen Strittmatter, Marbach a.N. 2017 (Marbacher Katalog 70), S. 128  f. – Schreiber, Heinrich (1793–1872), in: Germanische Altertumskunde online, doi:10.1515/gao_88. – Friedrich Schiller, Wilhelm Tell, 1804. Eine Gabe der Stuttgarter Zeitung, in: Die Gabe / The Gift. Schmuckstücke der Marbacher Sammlungen, Marbach a.N. 2016 (Marbacher Magazin 155/156), S. 62  f. – Johann Joachim Winckelmann, Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werker in der Malerey und Bildhauerkunst, 1756. Eine Gabe von Charlotte Friedlaender, in: ebd., S. 177  f. Georg Hartmann: »… mehr als Kommunikation«. Karl Jaspers’ Philosophie und die Liebe zu den Eltern, in: Die Familie. Ein Archiv, hg. von Ellen Strittmatter, Marbach a.N. 2017 (Marbacher Katalog 70), S. 213–214. Nikola Herweg: Günter Grass’ Blechtrommel in Großholzleute (Spuren 115), Marbach a.N. 2017. – Bilderbuchheimkehrer, Persilscheine und Schweigegebot. Voraussetzungen und Bedingungen der Remigration in die Bundesrepublik Deutschland, in: Bilderbuch-Heimkehr? Remigration im Kontext, hg. von Katharina Prager und Wolfgang Straub, Wuppertal 2017, S.  63–77. – [Hg. zus. mit Harald Tausch] Felix Hartlaub, ›In Neapel war ich sehr von der eigentlichen Ohnmacht der Kunst vor dem Leben überzeugt‹. Briefe an die Familie aus Italien 1933, in: Sinn und Form 69, 2017, S. 293–317. – [zus. mit Harald Tausch] Vorbemerkung zu Felix Hartlaub, in Sinn und Form 69, 2017, S. 293–295. – [Hg. zus. mit Harald Tausch] Felix Hartlaub, Platon und der Staat, in Sinn und Form 69, 2017, S.  467–477. – ›Papi beschliest: Die Zukunft seiner Tochter‹. Geno Hartlaub zu Kindschaft und Freiheit und Felix Hartlaubs ›Das Unglück des begabten Kindes‹, in: Die Familie.



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Ein Archiv, hg. von Ellen Strittmatter, Marbach a.N. 2017 (Marbacher Katalog 70), S. 244  f. Dietmar Jaegle: Die deutsche Literatur im Dreißigjährigen Krieg. Gespräch mit Volker Meid, in: Reclams Literaturkalender 2018, Ditzingen 2017, S. 31–38. Caroline Jessen: Kreis als Familie. Karl Wolfskehls Erbe für Stefan George, in: Die Familie. Ein Archiv, hg. von Ellen Strittmatter, Marbach a.N. (Marbacher Katalog 70) 2017, S. 88. – Utopie & Realität. Bearbeitungen des Stammbaums der Familie Schoenflies, in: ebd., S. 113–114. – »Soviel Urbekanntschaften, soviel verschiedene Eingänge ins Labyrinth«. Walter Benjamins Graphisches Schema meines Lebens, in: ebd., S. 114–115. – Überlebsel. Karl Wolfskehls Bibliothek und ihre Zerstreuung, in: Zeitschrift für Ideengeschichte 11 (2017), H. 2, S. 93–110. – »Poetische Sonderzwiesprach« – Karl Wolfskehl und ein Feigenbaum im südpazifischen Exil, in: Exilograph, Nr. 25, 2016, S. 10–11. Roland S. Kamzelak: [Hg.] Abkürzung, in: Editionslexikon edlex.de. – Akrostichon, in: ebd. – ASCII, in: ebd. – Arbeitsgemeinschaft für germanistische Edition, in: ebd. – Atlasformat, in: ebd. – Duodezformat, in: ebd. – Eigentumsrecht, in: ebd. – European Society for Textual Scholarship, in ebd. – Folioformat, in: ebd. – Hurenkind, in: ebd. – Hypertext, in: ebd. – Schusterjunge, in: ebd. – TUSTEP, in: ebd. Anna Kinder: Narratives of Theory Transfer, in: New German Critique 132, 2017, S. 2–13. Marcel Lepper: [zus. mit Christoph König] Geschichte der Germanistik 51/52, Göttingen 2017. – [zus. mit Peter-André Alt] Schillers Europa, (Perspektiven der Schiller-Forschung 1), Berlin 2017. – Schillers Porträts − eine europäische Bildsprache? Ein Blick in die Marbacher Bestände, in: ebd., S. 174–216. – [zus. mit Hendrikje Schauer] Germanistik in der DDR. Themenheft. Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 64 (2017), H. 2, darin auch die Einleitung, S.  111–128. – Schwierige Texte, philologische Arbeit, in: Positionen zeitgenössischer Philologie, hg. von Luisa Banki, Michael Scheffel, Trier 2017 (Schriftenreihe Literaturwissenschaft 94), S.  15–28. – Politische Philologie: Lemmata von 1967, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. Juni 2017, S. N3. Julia Maas: [zus. mit Thomas Schmidt u.  a.] Die Ausstellung, in: Rilke und Russland, hg. von Thomas Schmidt, Marbach a.N. 2017 (Marbacher Katalog 69), S. 45–213. – Im Blut lesen. ›Rainer Maria Rilkes Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge‹, in: Die Familie. Ein Archiv, hg. von Ellen Strittmatter, Marbach a.N. 2017 (Marbacher Katalog 70), S. 204. Lydia Christine Michel: »Von mir – zu euch – für uns«. Strukturelle und funktionale Performativität in der Lyrik Peter Rühmkorfs, in: Phänomene des Performativen in der Lyrik. Systematische Entwürfe und historische Fallbeispiele, hg. von Anna Bers und Peer Trilcke, Göttingen 2017, S. 99–123.

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Herman Moens: [zus. mit Nicolai Riedel] Marbacher Schiller-Bibliographie 2016, in: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 61, 2017, S. 349–462. Mirko Nottscheid: Zwischen ›Monument‹ und ›Stereotypie‹. Präsentationsformen und Kanonstrategien in einem Teilfeld der wissenschaftlichen KlassikerEdition um 1900, in: Die Präsentation kanonischer Werke um 1900. Semantiken. Praktiken. Materialität, hg. von Philip Ajouri, Berlin 2017 (Beihefte zu editio 42), S.  77–105. – [zus. mit Marcel Illetschko] Textkritik und connatale Vergreisung. Überlegungen zu born-digital- und Printeditionen anlässlich einer Ausgabe des Briefwechsels zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert samt einer kurzen Einführung in die TEI-Briefkodierung, in: Aufgehoben? Speicherorte, -diskurse und -medien von Literatur, hg. von Susanne Eichhorn, Bernhard Oberreither, Marina Rauchenbacher, Isabella Schwentner und Katharina Serles, Würzburg 2017, S. 249–269. – Psychoanalyse und Familienliteratur: Arthur Schnitzlers »Autobiographisches Allerlei«, in: Die Familie. Ein Archiv, hg. von Ellen Strittmatter, Marbach a.N. 2017 (Marbacher Katalog 70), S. 236. Laura Marie Pohlmann: Von Quellen und Gefäßen: Die neue Alfred DöblinBibliographie, in: Internationales Alfred Döblin-Kolloquium Zürich 2015: Exil als Schicksalsreise. Alfred Döblin und das literarische Exil 1933–1950, hg. von Sabina Becker und Sabine Schneider, Bern u.  a. 2017, S. 333–343. Sandra Potsch: Literaturvermittlung an den Resten der Literatur, in: Das Immaterielle ausstellen. Zur Musealisierung von Literatur und performativer Kunst, hg. von Lis Hansen, Janneke Schoene und Levke Teßmann, Bielefeld 2017, S. 163–180. Ulrich Raulff: Farewell to the Horse. The Final Century of Our Relationship, Translated by Ruth Ahmedzai Kemp, London 2017. – Die Dinge und ihre Verwandten. Zur Entwicklung von Sammlungen, Hamburger Universitätsreden, Neue Folge 24, Hamburg 2017. – Das Literaturarchiv und seine Sammlungen. Aus der Vergangenheit in die Zukunft und zurück, in: Paul-Raabe-Vorlesungen II, Weimar 2017, S.  17–34. – Wie es losgeht, in: Unter freiem Himmel. Landschaft sehen, lesen, hören, Bielefeld und Berlin 2017, S. 86–91. Nicolai Riedel: [zus. mit Herman Moens] Marbacher Schiller-Bibliographie 2016, in: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 61, 2017, S. 349–462. Thomas Schmidt: [Hg.] Rilke und Russland, Begleitband zur gleichnamigen trinationalen Ausstellung in Marbach, Bern, Zürich und Moskau, mit Fotografien von Barbara Klemm und Mirko Krizanovic sowie Essays von Ilma Rakusa und Thomas Schmidt, Marbach a.N. 2017 (Marbacher Katalog 69). – »Ein Tanz von Gedanken durch eine dauernde Form«. Bilder von Rilke und Russland, in: ebd., S.  10–22. – [zus. mit Johannes Kempf, Martin Frank, Patrick Will u.  a.] Texte zu Die Ausstellung, in: ebd., S. 48–210. – Das Land der Griechen mit dem Körper suchend? Ein abgedunkeltes Kapitel der Winckelmann-Rezeption, in: Weimar liest



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Winckelmann, hg. von F. Bomski, H. Seemann und Th. Valk, Göttingen 2017 (Jahrbuch der Klassik Stiftung Weimar), S. 195–212. – Spuren: [Hg.] Sabine Griese: Heinrich Seuse in Ulm (Spuren 113). – [Hg.] Roland Berbig: Günter Eich und BadenBaden (Spuren 114). – [Hg.] Nikola Herweg: Günter Grass’ ›Blechtrommel‹ in Großholzleute (Spuren 115). – [Hg.] Barbara Wiedemann: Die Gruppe 47 und das Hotel ›Kleber-Post‹ in Saulgau (Spuren 116). Lydia Schmuck: El hundimiento como Denkbild. Figuraciones literarias en Todo lo que era sólido de Antonio Muñoz Molina, in: Discursos de la crisis: respuestas de la cultura española ante nuevos desafíos, hg. von Jochen Mecke, Ralf Junkerjürgen, Hubert Pöppel, Frankfurt a.M. 2017, S. 171–187. – »Global Archives« als neues Forschungs- und Erschließungskonzept: ein Projektbericht, in: 1967–2017. 50 Jahre Arbeitskreis selbständiger Kulturinstitute (AsKI) e.V., Berlin 2017, S. 182– 185. – Herbert Caro no contexto do material arquivístico de Susan Sontag. Conferencia pública em Marbach (Alemanha), in: Boletim Informativo 48 (Oktober 2017), Instituto Cultural Judaico Marc Chagall, S. 10–11. Ellen Strittmatter: Franz Kafka. Der ganze Prozess, in: Museumsjournal 3, Berlin 2017, S.  62–63. – Die Familie. Ein Archiv, Marbach a.N. 2017. – [zus. mit Johannes Kempf, Magdalena Schanz, Moritz Schumm und Marc Wurich] Die Ausstellung, in: German fever. Beckett in Deutschland, Marbach a.N. 2017, S. 67–182 – Strategien der Autorinszenierung. Über Rilkes Verhältnis zum fotografischen Porträt, in: Die Präsentation kanonischer Werke um 1900. Semantiken, Praktiken, Materialität, hg. von Philip Ajouri, Berlin und Boston 2017, S. 217–241. – Schillers Porträts − eine europäische Bildsprache? Ein Blick in die Marbacher Bestände, in: Schillers Europa, hg. von Peter-André Alt und Marcel Lepper, Berlin u.  a. 2017, S. 174–216. Vorträge und Seminare

Philip Ajouri: Luther und Luther-Rezeption (für Germanisten), MA-Seminar an der Universität Stuttgart, Sommersemester 2017. – [zus. mit Carsten Rohde] Text and Frames: Goethes Faust in Books of the Wilhelminian Era, MLA-Convention, Philadelphia, 7. 1. 2017. – Künstlertum und Geschichtskonzeption in Christian Krachts Roman Imperium, Vortrag an der Universität Kiel, 26. 1. 2017. – Druckszenen. Zur Bedeutung der Buchformate von Werkausgaben kanonischer Dichter (ca. 1790 bis ›um 1900‹), Vortrag an der Universität Düsseldorf, 6. 7. 2017. – Publikationen und Publikationsprojekte der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft (1864 – ca. 1900), Vortrag auf der Tagung »Literarisch-kulturelle Vereine im 19.  Jahrhundert«, Marbach a.N., 28.–30. 9. 2017. Daniel Berndt: [zus. mit Dr. Arno Barnert, HAAB Weimar] Werktitel als Wissensraum: Die Erschließung zentraler Werkbeziehungen der neueren deutschen

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Literatur in der Gemeinsamen Normdatei (GND), Vortrag im Rahmen des 106. Deutschen Bibliothekartag in Frankfurt a.M., 2. 6. 2017. Susanna Brogi: [zus. mit Jan Bürger] »Willkommen oder nicht«. Thomas Mann reist nach Frankfurt, Zeitkapsel in der Reihe »Marbach am Main« in der Villa Metzler, Museums für Angewandte Kunst, Frankfurt a.M., 16. 3. 2017. – Das ›Etwas nach dem Nichts‹: die Nachlässe von Marie-Louise von Motesiczky, Elias Canetti und Franz Baermann Steiner, Vortrag im Rahmen der 41. Annual Conference der GSA, Atlanta, USA, 6. 10. 2017. – [zus. mit Jan Bürger] Schreiben, Schneiden, Kleben: Die Collagen des Schriftstellers Ror Wolf, Zeitkapsel in der Reihe »Marbach am Main« in der Villa Metzler, Museums für Angewandte Kunst, Frankfurt a.M., 26. 10. 2017. – Provenienz als dynamisierende Kraft: Marie-Louise von Motesiczkys Porträt ›Gespräch in der Bibliothek‹ (1950), Vortrag im Rahmen der Tagung ›Der komplexe Faden der Herkunft: Provenienz‹ am Wissenschaftskolleg Berlin, 14. 12. 2017. Ulrich von Bülow: The Handiwork of Thinking. On the »Nachlass« of Martin Heidegger, Vortrag auf der Tagung Heidegger in America im Colorado College, Colorado Springs, 17. 2. 2017. – Einführung in die Ausstellung zu Martin Walsers Roman Ehen in Philippsburg, Staatstheater Stuttgart am 11. 3. 2017 – Ansprache anlässlich der Übergabe des »Gefangenschaftsbildes« von Heinrich von Kleist im Kleist-Museum, Frankfurt/Oder, 2. 4. 2017. – [zus. mit Günter Berg] Wege zur Deutschstunde von Siegfried Lenz, Vortrag in der Reihe »Zeitkapsel«, Marbach a.N., 24. 4. 2017. – Einführung in die Tagung Rilke und die russische Philosophie, Deutsches Literaturarchiv Marbach, 1. 6. 2017 – Hans Blumenbergs Zettelkästen, Vortrag im Karl-Jaspers-Haus Oldenburg am 23. 6. 2017 – Les carnets de Peter Handke, Vortrag auf der Tagung Peter Handke. Analyse du temps, Centre Culturel International de Cerisy, Cerisy-la-Salle, 24. 8. 2017. – »Wait and see!« Peter Handke und seine Notate, Vortrag in der Reihe »Zeitkapsel«, Deutsches Literaturarchiv Marbach, 18. 10. 2017. Jan Bürger: [zus. mit David Bennent und Tilman Krause] Der Neckar. Eine literarische Reise, Gschwend, Bilderhaus, 21. 1. 2017. – [zus. mit Susanna Brogi] »Willkommen oder nicht« – Thomas Mann reist nach Frankfurt und Marbach. Eine Spurensuche im Deutschen Literaturarchiv, Historische Villa Metzler, Museums für Angewandte Kunst, Frankfurt a.M., 16. 3. 2017. – Titanic und Tumult. Hans Magnus Enzensbergers autobiografische Spiele, Université de Liège, 26. 4. 2017. – [zus. mit Susanna Brogi] Schreiben, Schneiden, Kleben. Die Collagen des Schriftstellers Ror Wolf. Eine Archivbesichtigung. Historische Villa Metzler, Museum für Angewandte Kunst, Frankfurt a.M., 26. 10. 2017. – [zus. mit Josef Winkler und Ulrich Greiner (Moderation)] Ein Hans-Henny-Jahnn-Abend. Freie Akademie der Künste, Hamburg, 11. 12. 2017. – Rundfunk und Fernsehen: [zus. mit Gregor Dotzauer, Insa Wilke, Barbara Wahlster und Birgitta Assheuer] Lyrik lesen – Gedichte



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im Gespräch, Deutschlandradio Kultur, Sendungen am 23. 4., 6. 8. und 3. 12. 2017. – [Mitwirkung im SWR-Film] Der Neckar – Ein Fluss und seine Geschichte, Dokumentation, Regie: Pia Grzesiak und Rolf Lambert, Deutschland 2017, Erstausstrahlung am 3. 12. 2017. Jan Eike Dunkhase: Gründer in dürftiger Zeit. Bernhard Zeller und die Anfänge des Deutschen Literaturarchivs, Festvortrag zur Einweihung des Bernhard-ZellerSaals, Deutsches Literaturarchiv Marbach, 12. 5. 2017. – Kapital und Krone. Die Gründung des Schwäbischen Schillervereins im Kontext, Vortrag auf der Tagung »Zwischen Konsens und Konkurrenz. Zum literarisch-kulturellen Vereinswesen im 19. Jahrhundert«, Deutsches Literaturarchiv Marbach, 30. 9. 2017. – Judentum und Kapitalismus. Die Weber-Sombart-Kontroverse nach 100  Jahren, Vortrag auf der Tagung »Die Ideen von 1917. Debatten auf der Burg Lauenstein über die Neuordnung Deutschlands nach dem Krieg«, Deutsches Literaturarchiv Marbach, 8. 12. 2017. Gunilla Eschenbach: Literaturvermittlung in der Stunde Null, Seminar, Universität Stuttgart, Sommersemester 2017. Vanessa Greiff: Veranstaltungen im Rahmen des Lehrerclubs: Rilke in Russland. Didaktische Möglichkeiten zur Einbindung der Wechselausstellung in den Unterricht, 10. 5. 2017; [zus. mit Volker Michel] Hermann Hesse. Der Steppenwolf im Archiv und im Museum, 18. 10. 2017; [zus. mit Uwe Kolbe] Lesung und Moderation im Rahmen der Multiplikatorentagung »Abitur 2020 Reisen in der Lyrik« in der Landesakademie für Fortbildung und Personalentwicklung an Schulen in Bad Wildbad, 30. 11. 2017. – Einzelveranstaltungen für Lehrer: Das DLA als außerschulischer Lernort, Einführung für Deutschlehrkräfte des Gymnasiums Ansbach, 10. 3. 2017; Einführung für Deutschlehrkräfte des Gymnasiums Geretsried, 28. 4. 2017; Tagung der Deutschlehrer der Realschulen Baden-Württemberg. Konzeption und Moderation der Lesung mit anschließendem Gespräch mit Martin Gülich, 30. 3. 2017; Hermann Hesse: Der Steppenwolf – Der Marbacher Nachlass, Vortrag im Rahmen der Tagung der Arbeitsgruppe »Neue Medien im Deutschunterricht«, 3. 5. 2017; Hermann Hesse: Der Steppenwolf. Der Marbacher Nachlass, Vortrag im Rahmen der Multiplikatorentagung in der Landesakademie für Fortbildung und Personalentwicklung an Schulen in Esslingen, 1. 6. 2017; Einblick in die Arbeit des Deutschen Literaturarchivs und Präsentation der Angebote für Schüler und Lehrkräfte für Referendare des Staatlichen Seminars für Didaktik und Lehrerbildung Stuttgart, 19. 7. 2017. – Veranstaltungen für Schüler: Erstellung von Kurzfilmen zur Wechselausstellung »Die Familie« mit Schüler/innen der gymnasialen Oberstufe, FSG Marbach, 10. 11. 2017; Naturlyrik mit Richard Pietraß, Lesung und Diskussion für Schüler/innen der gymnasialen Oberstufe, 16. 3. 2017; Lesung mit Martin Gülich für Schüler/innen der Realschulen Marbach und Steinheim (Klasse 9/10), 30. 3. 2017; Einblick in die Arbeit des Deutschen

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Literaturarchivs Marbach für Schüler/innen des Liceo »Immanuel Kant« Rom / Marbach, 9. 3. 2017; Englisch- und katalanischsprachige Führung für Schüler/ innen aus Barcelona  / Marbach im Schiller Nationalmuseum, 23. 3. 2017; Einblick in die Arbeit des Deutschen Literaturarchivs Marbach für Schüler/innen des Königin-Olga-Stifts Stuttgart, 6. 7. 2017; Führung in englischer Sprache für Schülerinnen der Schmidt-Schule, Ostjerusalem  / FSG Marbach im Schiller Nationalmuseum, 19. 12. 2017. – Im Rahmen der Veranstaltungsreihe »500 Jahre Reformation« Luthers Bedeutung für die deutsche Kultur: eine interdisziplinäre Spurensuche: Feridun Zaimoglu. Evangelio, Lesung und Gespräch, Deutsches Literaturarchiv Marbach, 22. 5. 2017; Über die Schönheit der deutschen Sprache, Schreibseminar, Goethe Gymnasium Ludwigsburg, 4. 7. 2017; Über die Schönheit der deutschen Sprache, Schreibseminar, Friedrich-Schiller-Gymnasium Marbach, 21. 7. 2017; Die rebellischen Leben des Reformators, Podiumsdiskussion mit dem Landesbischof Frank Otfried July und Willi Winkler, Deutsches Literaturarchiv Marbach, 29. 9. 2017;  … aufs Maul geschaut. Luther und die Sprache, Podiumsdiskussion mit Elisabeth Edl, Hannelore Jahr und Matthias Schulz, Deutsches Literaturarchiv Marbach, 7. 11. 2017; [zus. mit Carsten Rohde] Medienmythos Faust. Perspektiven auf einen Helden der Reformationszeit, 28. 11. 2017. – Sonstiges: Autorenseminar mit Flurin Jecker im Rahmen des Preisträgerseminars des Landeswettbewerbs Deutsche Sprache und Literatur im Kloster Schöntal, 13. 7. 2017; Organisation und Durchführung des Berkenkamp Preisträgerseminars des Essay-Landeswettbewerbs NRW, Schreibseminar mit Elisabeth Edl, 6.–9. 11. 2017; Einführungsvortrag und Führung in französischer Sprache im Schiller Nationalmuseum für die Rotary Clubs Avallon (F), Sarnico (I) und Esslingen, 6. 5. 2017. Dagmar Janson: Einführung in die Verwaltung des DLA, Vortrag im Rahmen des Seminars »Kulturmanagement, Kulturwissenschaft und Feuilleton«, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, 15. 3. 2017. Caroline Jessen: [zus. mit Ulrich Raulff] Exil im Archiv. Aus der Arbeit des deutschen Literaturarchivs in Israel, Abendvortrag im Historicum der Ludwig Maximilians Universität München, 17. 1. 2017. – Affirming Ownership, Obscuring Provenance? Émigré Collections in Israel and Germany after 1945, Vortrag im Rahmen der Tagung »Placing the Irreplaceable – Restitution of Jewish Cultural Property: Negotiations, Historical Dimensions, Documentation« am Simon Dubnow Ins­ titut Leipzig, 17. 11. 2017. – Der gerissene Faden. Karl Wolfskehl und die Romantik, Vortrag im Rahmen der Tagung »Der komplexe Faden Der Herkunft: Provenienz« am Wissenschaftskolleg Berlin, 14. 12. 2017. Roland S. Kamzelak: Die Edition der Tagebücher von Harry Graf Kessler, Vortrag auf dem Workshop Literary Diaries Digitized, Universität Wien, 23. 9. 2017. – [zus. mit Vera Hildenbrandt] Exilnetz 33  – Korrespondenznetze



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deutschsprachiger Intellektueller im Exil, Vortrag im Rahmen der Tagung »Zeitschriften als Netzwerke. Perspektiven digitaler Erforschung und Darstellung«, Berlin, 14. 7. 2017. – Archiv – Digitalisierung – Semantic Web, Vortrag im Rahmen des Forums ›Marbacher Forum Zeitgeschehen: Die digitale Welt‹, Marbach a.N., 30. 3. 2017. – Netzwerke der Zwischenkriegszeit?, Vortrag im Rahmen der Tagung ›Briefdiskurse in der Zwischenkriegszeit‹, Freiburg, 2./3. 3. 2017. Heinz Werner Kramski: Workflow and some tools for preparing and ingesting unique digital objects (»born digitals«) on removable media. Workshop am Petőfi Irodalmi Múzeum in Budapest am 30. 3. 2017. – Long-Term Preservation of Born Digital Archival Objects. Serving the Unknown Future User. Vortrag am Petőfi Irodalmi Múzeum in Budapest am 31. 3. 2017. – Workflow Unikale Digitale Objekte (»Born Digitals«) am DLA Marbach, Vortrag auf der Jahrestagung der Internationalen Vereinigung der Musikbibliothekare (AIBM) in Münster am 6. 9. 2017 und auf der Fachtagung des AsKI in Gotha, 16. 10. 2017. – [zus. mit Anja Jungbluth] Workflowoptimierung und technische Qualitätssicherung bei Digitalisierungsprojekten im DLA, Vortrag auf dem Projektworkshop »Fragile Materialien auf dem Scanner« im Deutschen Literaturarchiv Marbach, 18. 10. 2017. Heiko Kusiek: »Alle sporten sie jetzt  …«. die Leibesübungen von Turnvater Jahn bis heute. Eine literarisch-musikalische Revue, mit Heiko Kusiek (Moderation, Rezitation und Konzeption), Svenja Lubitz und Götz Schneyder (Rezitation und Gesang), 12. 3. 2017, Atrium Stuttgart-Sillenbuch. Veranstalter: Kultur bei uns. Marcel Lepper: Goethes Euphrat, Goethe-Haus Frankfurt a.M., 1. 2. 2017. – Philologie im 21. Jahrhundert: Erkenntnis, Wissen, Kritik, Ringvorlesung, Universität Mainz, 2. 2. 2017. – Publicité éditoriale en Allemagne, IMEC, Caen, 30. 5. 2017. – Literaturtheorie nach 2001, Hauptseminar, Universität Stuttgart, Sommersemester 2017. – Punkt. Erste Wörter der Philologie, Universität Heidelberg, 26. 9. 2017. – Literaturtheorie nach 2001, Leitung der AG 1, Geisteswissenschaftliches Kolleg der Studienstiftung, 24.–29. 9. 2017. – Speed and Delay: Circulation of Ideas in the 1990ies, Humboldt Universität zu Berlin, 5. 10. 2017. – Schreibprozesse 1900– 2000. Hauptseminar, Universität Stuttgart, Wintersemester 2017/18. – Archiv und Literatur, Liebermann-Haus, Berlin, 24. 10. 2017. – Drama der modernen Theorie: Peter Szondis Geschichtsphilosophie, Universität Konstanz, 6. 12. 2017. Mirko Nottscheid: Expressionistische Lyrik zwischen »Weltende« und »Lebens-Lied«. Übungen zu Kurt Pinthus’ Anthologie »Menschheitsdämmerung«, Seminar, Universität Stuttgart, Sommersemester 2017. – [zus. mit Hans-Harald Müller] Dilthey und die Folgen. Die Berliner Literaturarchiv-Gesellschaft und die Idee archivalischer Sammlungen im Ausgang des 19.  Jahrhunderts, Vortrag im Rahmen der Tagung »Zwischen Konsens und Konkurrenz. Zum literarisch-kulturellen Vereinswesen im 19. Jahrhundert«, Deutsches Literaturarchiv Marbach, 28.–30. 9. 2017.

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Ulrich Raulff: Exil im Archiv. Die Arbeit des Deutschen Literaturarchivs Marbach in Israel, Jahresversammlung des Freundeskreises des Lehrstuhls für Jüdische Geschichte und Kultur, 17. 1. 2017. – Verstörend normal? Jugendrevolten damals und heute, Salon Sophie Charlotte, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin, 21. 1. 2017. – Himmel, Füller, Zwirn: Zur Familiengeschichte der Dinge. Bilder und Blätter aus den Sammlungen des Deutschen Literaturarchivs Marbach, Forschungs-colloquium des Frobenius-Instituts an der Goethe-Universität, Frankfurt a.M., 25. 1. 2017. – L’histoire d’une séparation. Le cheval dans les sociétés de l’Occident aux XIXe  et XXe  siècles, Deutsches Historisches Institut Paris, 26. 1. 2017. – Triptychon mit Claude Simon, Deutsches Literaturarchiv Marbach, Zeitkapsel 46, 10. 3. 2017. – Gefällt mir: Archive in der Öffentlichkeit, 10. Bayerischer Archivtag Landshut, 17./18. 3. 2017. – Ideengeschichte im Literaturarchiv, »Archive für Literatur: Der Nachlass und seine Ordnungen«, Symposium im Adalbert-Stifter-Institut Linz, 19.–21. 4. 2017. – Laudatio zur Verleihung der Ehrensenatorenwürde an Prof. Dr. Martin Roth im Rahmen der Eröffnung der Jubiläumsausstellung Ursprünge. Schritte der Menschheit, Universität Tübingen, 19. 5. 2017. – Die Sprache der Vögel im technischen Zeitalter, Walter Höllerer Vorlesung, TU Berlin 5. 7. 2017. – Zum Abschied von Martin Roth, Trauerfeier in der Ernst-Moritz-Arndt-Kirche, Berlin-Zehlendorf, 13. 8. 2017. – Rilke und Russland, zur Eröffnung der Ausstellung in Bern, 13. 9. 2017. – Die Familie. Ein Archiv, Zur Eröffnung der Ausstellung, Deutsches Literaturarchiv Marbach, 21. 9. 2017. Karin Schmidgall: [zus. mit Dr.  Arno Barnert, HAAB Weimar] Werktitel als Wissensraum: Die Erschließung zentraler Werkbeziehungen der neueren deutschen Literatur in der Gemeinsamen Normdatei (GND), Vortrag im Rahmen des 106. Deutschen Bibliothekartag in Frankfurt a.M., 2. 6. 2017. Thomas Schmidt: Kooperation gestalten! Wege zur kulturellen Bildung in Schulen, Gespräch mit Eleonore Frölich und Frank Henssler im Rahmen des Workshops »Finanzierung von Kooperationen« der Landesvereinigung kulturelle Jugendbildung Baden-Württemberg e.V., Hospitalhof Stuttgart, 8. 2. 2017. – Lou Andreas-Salomé. Grenzüberschreitende Literatur und Medien heute, Podium auf der Konferenz »Kosmopolitin auf Zwischenwegen: Lou Andreas-Salomé«, Straßburg, 9. 2. 2017. – Wie funktioniert die Förderung und Zusammenarbeit der literarischen Museen im Land, und wo kann die Kooperation ausgeweitet werden?, Vortrag im Rahmen der Fachtagung »Neue Perspektiven für kommunale Museen im ländlichen Raum im Bereich des Regierungspräsidiums Freiburg« in Zusammenarbeit mit dem Museumsverband Baden-Württemberg und der Landesstelle für Museumsbetreuung Baden-Württemberg, Müllheim, 22. 3. 2017. – Pilgerfahrt ins Zarenreich – Die Russland-Sehnsucht des Rainer Maria Rilke, SWR2-Forum, mit Ilma Rakusa, Ursula Nusser und Jürgen Lehmann, 2. 5. 2017. – Rilke und Russland, Vorstellung einer Ausstellung im Marbacher Literaturarchiv, Museum für



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Angewandte Kunst, Frankfurt a.M., 18. 5. 2017. – Die Arbeitsstelle für literarische Museen, Archive und Gedenkstätten. Auftrag, Struktur und Konzept der ALIM  – Wie Literatur ausstellen?, Vortrag im Rahmen des Seminars »Literaturbetrieb« der PH Ludwigsburg / Institut für Kulturmanagement, Deutsches Literaturarchiv Marbach, 2. 6. 2017. – Auf Rilkes Spuren in Russland, Lesung und Gespräch mit Ilma Rakusa im Rahmen der »Heidelberger Literaturtage im Aufbruch«, Heidelberg, 24. 6. 2017. – Rilke und die Frauen, Podium mit Katrin Kohl, Olga Marty­ nova, Elke Schmitter und Silke Arnim, Deutsches Literaturarchiv Marbach in Kooperation mit dem SWR, 20. 7. 2017. – Rilke und Russland, Gespräch mit Ilma Rakusa, Stadtbibliothek Heilbronn, 25. 10. 2017. – Tunnel und Turm. Das Literaturland Baden-Württemberg, Vortrag vor dem Verein Freundeskreis Literaturhaus Heidelberg e.V., 2. 11. 2017. – Archiv, Bibliothek und Museum als Arbeitsfelder für Germanisten, Vortrag im Institut für Germanistik, Universität Leipzig, 21. 11. 2017. – Grußwort zur Eröffnung der neuen Dauerausstellung Schwanitz, Shakespeare und der Salmen im Historischen Gasthaus und Schwanitz-Haus »Zum Salmen«, Hartheim, 19. 5. 17. – Grußwort zur Vorstellung des 111. Spuren-Hefts Huchel und Joachim auf dem Sulzburger Friedhof in der ehemaligen Synagoge, Sulzburg, 21. 5. 2017. – Grußwort zur Eröffnung der Ausstellung Rilke und Russland, Schweizerisches Literaturarchiv Bern, 13. 9. 2017. – Grußwort zur Eröffnung der Ausstellung Rilke und Russland, Strauhof Zürich, 15. 9. 2017. – Grußwort zur Verleihung des Kernerpreises an S.K.H. Carl Herzog von Württemberg, Weinsberg, 17. 9. 2017. – Grußwort zur Vorstellung des 112. Spuren-Hefts Friedrich Sieburg in Gärtringen in der Villa Schwalbenhof in Gärtringen, 15. 11. 2017. – Wissen und Satire in der Frühen Neuzeit – am Beispiel von Johann Michael Moscherosch, Hauptseminar in Zusammenarbeit mit Prof. Werle an der Universität Heidelberg, Wintersemester 2016/2017. – Hölderlin im Turm. Vorarbeiten zu einer Ausstellung, Übung an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Wintersemester 2017/2018. Lydia Schmuck: Archivos personales como an-archivos: el proyecto »Global Archives«, Plenarvortrag im Rahmen der Tagung »Los archivos personales: prácticas archivísticas, problemas metodológicos y usos historiográficos«, CeDInCI/UNSAM, Buenos Aires, 19.–21. 4. 2017. – Ideenkonflikte und Polyphonien im Suhrkamp Verlagsarchiv. Die Übersetzung der Werke brasilianischer Autoren ins Deutsche, Vortrag im Rahmen des 12. Deutschen Lusitanistentags »Polyphonie – eine Sprache, viele Stimmen«, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, 13.–16. 9. 2017. – [zus. mit Kai Sina] Zeitkapsel 48: Thomas Manns brasilianische Stimme: Herbert Caro – im Spiegel des Archivmaterials von Susan Sontag, Literaturmuseum der Moderne, Marbach, 26. 9. 2017. – [zus. mit Sonja Arnold] Leitung der »Global Archives«-Sektion (Ibero-)Romanische-Germanische ZwischenWelten. Exilliteratur als Zeugnis und Motor einer vernetzten Welt, im Rahmen des XXXV. Romanistentags »Dynamik, Begegnung, Migration«, Universität Zürich,

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8.–12. 10. 2017. – ¿Lo fantástico como estética de una vanguardia transatlántica?, Vortrag im Rahmen der Tagung »Modernidades excéntricas: ensayo y redes intelectuales en la modernidad hispánica«, Universidad Pompeu Fabra, Barcelona, 25.–27. 10. 2017. – Transatlantische Übersetzungen der Idee von ›1968‹ – ›1968‹ als Ergebnis transatlantischer Übersetzungen, Plenarvortrag im Rahmen des 16. Kongresses des Lateinamerikanischen Germanistenverbandes  / XVI Congreso de la Asociación Latinoamericana de Estudios Germanísticos (ALEG) »Germanistik in Lateinamerika: Neuorientierungen – neue Perspektiven / Germanística en Latinoamérica: nuevas orientaciones – nuevas perspectivas«, Buenos Aires, 17. 11.–1. 12. 2017. – [zus. mit Sonja Arnold] Projektvorstellung »Global Archives«, Universität Stuttgart, 7. 12. 2017. – 1968: un eje de la lectura transatlántica. La vuelta al día en ochenta mundos y Último round de Julio Cortázar, Vortrag im Rahmen der Tagung »IV Jornadas Transatlánticas. El español para el diálogo«, Universidad de Granada, 11./12. 12. 2017. Ellen Strittmatter: Christoph Ransmayr: Cox oder Der Lauf der Zeit, Moderation, Deutsches Literaturarchiv Marbach, 14. 5. 2017 – Übersehene Bilder. Die Postkartenalben von Alfred Döblin, Vortrag im Rahmen des DFG-Graduiertenkollegs 2190 »Literatur- und Wissensgeschichte kleiner Formen« am Institut für deutsche Literatur, Humboldt-Universität zu Berlin, 11. 12. 2017 – Die Erfindung von Paris, Seminar, Universität Stuttgart, Wintersemester 2017/2018 – Berufe im (Literatur-) Museum, Workshop Berufspraxis der Universität Stuttgart, 15. 12. 2017.

anschriften der jahrbuch-mitarbeiter Prof. Dr.  Achim Aurnhammer, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Deutsches Seminar – Neuere Deutsche Literatur, Platz der Universität 3, 79085 Freiburg Dr. Hermann Bernauer, c.p. 503, 6702 Claro, Schweiz Dr.  Peter Brugger, ehem. Kulturchef Fernsehen, Saarländischer Rundfunk, Saar­ brücken Prof. Dr. Mireille Calle-Gruber, Université Sorbonne Nouvelle Paris 3, Littérature française et comparée, Maison de la Recherche, 4, rue des Irlandais, F-75005 Paris, Frankreich Dr. Jan Eike Dunkhase, Deutsches Literaturarchiv, Schillerhöhe 8–10, 71672 Marbach am Neckar Dr.  Dietrich Hakelberg, Deutsches Literaturarchiv, Schillerhöhe 8–10, 71672 Marbach am Neckar Prof. Dr. Hanna Klessinger, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Deutsches Seminar – Neuere Deutsche Literatur, Platz der Universität 3, 79085 Freiburg Konstantin Kountouroyanis, Karls-Universität Prag, Philosophische Fakultät – Institut für germanische Studien, Nám. Jana Palacha 2, CZ-116 38 Praha 1, Tschechien Prof. Dr. Gerhard Lauer, Universität Basel, Digital Humanities Lab, Bernoullistrasse 32, 4056 Basel, Schweiz Prof. Dr. Peter von Matt, Universität Zürich, Deutsches Seminar, Schönberggasse 9, 8001 Zürich, Schweiz Prof. Dr.  Donatella Mazza, Università di Pavia, Dipartimento di Studi Umanistici, Sezione di Lingue Straniere Moderne, corso Strada Nuova 106/C, I-27100 Pavia, Italien Herman Moens, Deutsches Literaturarchiv, Schillerhöhe 8–10, 71672 Marbach am Neckar Prof. Dr. Norbert Oellers, Universität Bonn, Institut für Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft, Am Hof 1d, 53113 Bonn Prof. Dr. Ulrich Raulff, Deutsches Literaturarchiv, Schillerhöhe 8–10, 71672 Marbach am Neckar Dr. Nicolai Riedel, Deutsches Literaturarchiv, Schillerhöhe 8–10, 71672 Marbach am Neckar PD Dr. Stefan Seeber, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Deutsches Seminar, Platz der Universität 3, 79085 Freiburg Dr. Roland Stark, Silcherstr. 21, 71686 Remseck Dr. Sylwia Werner, Universität Konstanz, EXC 16 »Kulturelle Grundlagen von Inte­ gration«, Fach 213, 78457 Konstanz PD Dr. Burkhardt Wolf, Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für deutsche Literatur, Unter den Linden 6, 10099 Berlin

zum frontispiz Buchgestaltung ist ein häufig nebensächliches oder sogar übersehenes Thema der Literaturbetrachtung. Das Deutsche Literaturarchiv pflegt diesen speziellen Blick auf das Buch als Gegenstand seit vielen Jahren in Sammlungen und Verlagsarchiven, die in verschiedenen Facetten das Gesicht der Autorschaft widerspiegeln. Die reichen Bestände wurden 2017 um ein Konvolut von Entwürfen für den S. Fischer Verlag wesentlich erweitert: Die erworbenen Beispiele ergänzen nicht nur das S. Fischer Archiv um bedeutende Umschlag- und Einbandgestaltungen, sondern brachten auch Klarheit in bislang ungesicherte Zuschreibungen. Darüber hinaus wurde die Verlagsgeschichte um zahlreiche Zeichnungen von Berliner Künstlern ergänzt, deren Arbeiten und Namen bis heute weitgehend unbekannt geblieben waren. Ein weiteres Kapitel in der Entwicklung der Buchgestaltung des S. Fischers Verlags kann damit aufgeschlagen werden. Hans Baluschek, mit einer Gouache mit Tusche und Bleistift auf dem Frontispiz vertreten, entwarf 1897 für die neu aufgelegte Reihe Collection Fischer zu Die vier Teufel des dänischen Autors Herman Bang den Umschlag der broschierten Ausgabe. Seine Darstellung des tragisch endenden Liebespaares der Novelle bei der Arbeit am Trapez zeigt in seiner plakativen Farbigkeit ein signifikantes Beispiel für den Schritt des Verlags in gestalterisches Neuland. Baluscheks Zeichnung für Bahnwärter Thiel/Der Apostel von Gerhart Hauptmann, Heinrich Vogelers Illustrationen für Der Arme Heinrich desselben Autors, Lovis Corinth mit drei Zeichnungen für Das neue Drama von Alfred Kerr und der aquarellierte Umschlagentwurf von FIDUS (i.  e. Hugo Hoeppener) zu Raoul und Irene von Maria Janitschek sind weitere Beispiele für die Anerkennung von Samuel Fischer auch auf dem Gebiet der Buchgestaltung. Otto Eckmann, der das Gesicht des Verlages über viele Jahre prägte, darf dabei nicht fehlen: Er ist mit einer Tuschfederzeichnung zu Maria von Peter Nansen als Beispiel für seine frühe Gestaltungsweise vertreten. Nimmt man den im Archiv schon vorhandenen Entwurf von Baptist Scherer für Der kleine Herr Friedemann von Thomas Mann und die Druckunterlagen von Thomas Theodor Heine für Aus dem Tagebuch eines Verliebten von Peter Nansen zu diesen Erwerbungen hinzu, ergibt sich ein repräsentatives Bild für den Versuch eines Verlegers, junge Autoren auch über die äußere Gestalt ihrer Werke bekannt zu machen. Roland Stark

impressum JAHRBUCH DER DEUTSCHEN SCHILLERGESELLSCHAFT INTERNATIONALES ORGAN FÜR NEUERE DEUTSCHE LITERATUR Das Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft ist ein literaturwissenschaft­liches Periodikum, das vorwiegend Beiträge zur deutschsprachigen Literatur von der Aufklärung bis zur Gegenwart veröffentlicht. Diese Fokussierung entspricht den Sammelgebieten des Deutschen Literaturarchivs Marbach, das von der Deutschen Schillergesellschaft e.  V. getragen wird. Arbeiten zu Schiller sind besonders willkommen, bilden aber nur einen Teil des Spektrums. Neben den literaturgeschichtlichen Schwerpunkten gilt ein verstärktes Interesse der Geschichte der Germanistik (der sich auch eine Marbacher Arbeitsstelle widmet) und dem Verhältnis von Text und Bild. Darüber hinaus ist es ein Anliegen des Jahrbuchs der Deutschen Schillergesellschaft, wichtige unveröffentlichte Texte und Dokumente aus den Archiven in einer eigens dafür eingerichteten Rubrik vorzustellen. Außerdem bietet das Jahrbuch jährlich eine aktuelle Bibliographie zu Schiller.

Herausgeber Prof. Dr.  Alexander Honold, Universität Basel, Deutsches Seminar, Nadelberg 4, CH-4051 Basel  – Prof. Dr.  Christine Lubkoll, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Department Germanistik und Komparatistik, Bismarckstraße 1 B, 91054 Erlangen – Prof. Dr. Ernst Osterkamp, Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für deutsche Literatur, Unter den Linden 6, 10099 Berlin – Prof. Dr.  Ulrich Raulff, Deutsches Literaturarchiv Marbach, Schillerhöhe 8–10, Postfach 1162, 71666 Marbach am Neckar.

Redaktion Dr. Nikola Herweg und Lydia Christine Michel (unter Mitarbeit von Anne Päpke), Deutsches Literaturarchiv Marbach, Schillerhöhe 8–10, 71672 Marbach am Neckar / Anschrift für Briefpost Postfach 1162, 71666 Marbach am Neckar / Tel. +49 7144 848-410 / Fax +49 7144 848-490 / E-Mail [email protected] / Internet https://www.dla-marbach.de/ueber-uns/traegerverein-dsg/jahrbuch/.

Allgemeine Hinweise Redaktionsschluss für Jg. 63/2019: 1. Februar 2019 – Das Jahrbuch umfasst in der Regel ca. 500 bis 550 Seiten und erscheint jeweils zum 1. Dezember des laufenden

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Jahres – Das Jahrbuch ist zum Preis von € 29,95 über den Buchhandel zu beziehen, für Mitglieder der Deutschen Schillergesellschaft e. V. (Postfach 1162, 71666 Marbach am Neckar) ist  – bei entsprechender Mitgliedsvariante  – der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten.

Hinweise für Manuskript-Einsendungen Auszüge aus dem Merkblatt für die Mitarbeiter des Jahrbuchs der Deutschen Schillergesellschaft (kann bei der Redaktion angefordert werden): In das Jahrbuch werden nur Originalbeiträge aufgenommen, die nicht gleichzeitig anderen Organen des In- oder Auslandes angeboten werden. Für unaufgefordert Eingesandtes kann keine Haftung übernommen werden; eine Rücksendung erfolgt nur, wenn Rückporto beilag. Der Abdruck von Dissertationen oder Teilen von solchen ist grundsätzlich ausgeschlossen. Jeder Verfasser erhält 1 Belegexemplar kostenlos. Das Manuskript ist per E-mail oder CD (Word-Format) einzureichen. Der Umfang des ausgedruckten Manuskripts sollte in der Regel bis zu 25 (maximal 30) Seiten (67.000 bis maximal 81.000 Zeichen) umfassen. Sind Abbildungen gewünscht, sollten die reprofähigen, digitalisierten Vorlagen (300 dpi), die Quellenangaben und Bildunterschriften sowie die Abdruckgenehmigungen bis Ende März in der Redaktion vorliegen (evtl. entstehende Kosten für Sonderwünsche und / oder für Rechte gehen zu Lasten des Beiträgers). Änderungen, vor allem bei Rechtschreibung, Interpunktion, Literaturangaben, Lesarten oder Abkürzungen, behält sich die Redaktion aus Gründen der Einheitlichkeit vor.

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