IT-gestützte Logistik: Systeme - Prozesse - Anwendungen [4. Aufl.] 9783658312596, 9783658312602

Dieses Buch vermittelt die Grundlagen und praktischen Anwendungen der IT-gestützten Logistik. Anhand der logistischen Pr

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German Pages XI, 388 [397] Year 2020

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IT-gestützte Logistik: Systeme - Prozesse - Anwendungen [4. Aufl.]
 9783658312596, 9783658312602

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XI
Grundlagen der IT-gestützten Logistik (Iris Hausladen)....Pages 1-28
IT-gestütztes Logistiksystem (Iris Hausladen)....Pages 29-52
Informations- und Kommunikationstechnologien als Enabler (Iris Hausladen)....Pages 53-93
Prozesse und Anwendungen einer IT-gestützten Logistik (Iris Hausladen)....Pages 95-250
Geschäftsprozessgestaltung in der IT-gestützten Logistik (Iris Hausladen)....Pages 251-295
Handlungsleitende Kontextfaktoren IT-gestützter Logistik (Iris Hausladen)....Pages 297-354
Back Matter ....Pages 355-388

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Iris Hausladen

IT-gestützte Logistik Systeme – Prozesse – Anwendungen 4. Auflage

IT-gestützte Logistik

Iris Hausladen

IT-gestützte Logistik Systeme – Prozesse – Anwendungen 4., aktualisierte und erweiterte Auflage

Iris Hausladen HHL Leipzig Graduate School of Management Leipzig, Deutschland

ISBN 978-3-658-31259-6 ISBN 978-3-658-31260-2  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-31260-2 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detail­ lierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2011, 2014, 2016, 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Vorwort zur 4. Auflage

Das digitale Zeitalter hält inzwischen Unternehmen aus Industrie, Handel und Dienstleistung – unabhängig ob Großunternehmen oder KMU – permanent auf Trab. Digitale Geschäftmodelle erfordern mitunter eine radikale, disruptive Transformation von Organisationen und beeinflussen deshalb gleichermaßen unternehmenssinterne wie -übergreifende Geschäftsprozesse. Für die IT-gestützte Logistik als klassische Querschnittsfunktion resultieren aus dieser Entwicklung vielfältige Möglichkeiten, jedoch auch Herausforderungen, denen z. B. durch geeignete IT-Sicherheitskonzepte zu begegnen ist. In der 4. Auflage des Lehrbuches erfolgt deshalb eine Reflexion und Adaption des Abschnitts zu den Basistechnologien der IT-gestützten Logstik. In einem ersten Schritt wurde ein Metamodell sowie struktureller Ordnungsrahmen geschaffen, der das Technologiekapitel, mit den Abschnitten „IT-gestützte Logsitik als Geschäftsmodell“, einschließlich ihrer Strategiedefinition und den „IT-gestützten Logistikprozessen“, inklusive ihrer vielzähligen Anwendungen integrativ verknüpft. In einem zweiten Schritt wurden eine geringfügige Neustrukturierung der funktionsbezogenen Technologien sowie eine Erweitung um Elemente wie z. B. der 5G-Standard oder die Kommunikation in Echtzeit vorgenommen. Entsprechend wurde auch im Bereich der funktionsübergreifenden Technologien verfahren, d. h. bestehende Inhalte wurden an den aktuellen Stand der informations- und kommunikationstechnischen Entwicklung angepasst. Zusätzlich erfolgte die Aufnahme von neuen Inhalten, wie z. B. zeitgemäße Anforderungen an IT-Architekturen, digitaler Zwilling, Blockchain, Künstliche Intelligenz, Maschinelles Lernen sowie smarte mobile Endgeräte. Die Rubrik Technologieparadigmen wurden in Technologieressourcen umbenannt, um noch stärker die Hardund Software-seitigen Ressourcen zur erfolgreichen Umsetzung von Architekturkonzepten herauszustellen. Der Supply Chain-Bezug im Strukturmodell „Prozessuale Dimension von Lösungen der IT-gestützten Logistik“ wurde modifiziert, um die wertschöpfungskettenübergreifende Rolle entsprechender Anwendungen visuell besser darzustellen. Die einzelnen im Lehrbuch explizierten Methoden, Konzepte und Instrumente der ITgestützten Logistik wurden den aktuell im Praxiseinsatz befindlichen Tools entsprechend aktualisiert, ebenso erfolgte ein Update für die handlungsleitenden Kontextfaktoren in Abschnitt 6. Vor allem wurde in diesem Zusammenhang das Thema „ITSicherheitsmangement“ erweitert. Die Frage nach den Möglichkeiten, wie IT-gestützte Logistik spielerisch erlernt werden kann, bildet im Zeitalter von Gamification & Co. ein neues, die Kontextfaktoren abschließendes Teilkapitel. Vorwort

V

Vorwort zur 4. Auflage

Während der Überarbeitung dieses Buches traf die Welt eine Pandemie, die sich so noch nicht ereignet hatte. Wertschöpfungs- und Versorgungsketten wurden massiv gestört, verzögert und zeitweise sogar vollständig unterbrochen. Die Logistik ermöglichte mit all ihrer Pluralität und vor allem auch aufgrund des inzwischen hoch ausgeprägten Digitalisierungsgrades selbst in den kritischsten Phasen die Versorgung des Krankenhaus-, Medizin- und Pflegesektors, von Pharmazieunternehmen, Apotheken und Drogerien, von Lebensmittelhandel, um nur ausgewählte Beispiele zu nennen, sowie der gesamten Bevölkerung (Produkte im On- und Offline-Handel). Auf die Logistik ist eben Verlass, herzlichen Dank dafür. Ein weiterer Dank für den regen Gedankenaustausch sowie für die Unterstützung bei der inhaltlichen, formalen sowie technischen Realisierung der Neuauflage – mit viel Arbeit aus dem Home Office heraus – geht an meine wissenschaftlichen Mitarbeiter Herrn Philipp Hentze, M.A., sowie Herrn Andreas Matthes, M.Sc.

Leipzig, im Juni 2020

VI

Iris Hausladen

Vorwort zur 1. Auflage

Vorwort zur 1. Auflage

Weltumspannender Güterverkehr ist heutzutage in vielen Fällen an den Einsatz von intelligenten Informations- und Kommunikationstechnologien gebunden, um sowohl Material- als auch insbesondere die den Wertschöpfungsprozess begleitenden Informations- und Datenflüsse effektiv zu koordinieren. Konzentrierte sich die Logistik in ihren Ursprüngen vor allem auf die physische Komponente der raum-zeitlichen Gütertransformation, so kann heutzutage die zweite Säule – das Informationsmanagement – nicht mehr außer Acht gelassen werden. Trotz der inzwischen anerkannten Bedeutung der IT für die Logistik sind die Publikationen zu diesem speziellen Themenfeld jedoch nach wie vor relativ überschaubar. Dabei geht es den Theoretikern wie Praktikern der Disziplin „IT-gestützte Logistik“ nicht um das „Verkaufen von Informations- und Kommunikationstechnologien“ an den Kunden „Unternehmen“, sondern um die Erschließung von Nutzenpotenzialen sowie von Differenzierungsmöglichkeiten in hart umkämpften Märkten, sowohl aus Sicht der Industrie oder des Handels als auch aus der Perspektive der Logistikdienstleistung. Das vorliegende Lehrbuch versucht deshalb das Forschungs- und Praxisfeld der IT-gestützten Logistik unter besonderer Berücksichtung der entsprechenden Systeme, Prozesse und Anwendungen für Studierende wie auch für Praktiker handlungsorientiert aufzuarbeiten. Dabei steht nicht das Vermitteln reiner Theorie im Mittelpunkt, sondern das spannende Thema der „Logistik mit IT“ wird ausgehend von der praktischen Anwendung, kombiniert mit der zum weiteren Verständnis erforderlichen theoretischen Basis, aufgearbeitet. Das Motto lautet: „Von der Praxis in die Theorie und von der Wissenschaft in die Anwendung.“ Der Leser erhält stufenweise Einblick in die Grundlagen einer IT-gestützten Logistik, lernt die den Konzepten zugrunde liegenden Logistikprozesse sowie Technologien kennen und erfährt die Funktionsund Wirkungsweise sowie umsetzungsbezogenen Rahmenbedingungen wichtiger Anwendungen, die in globalen und vernetzten Logistiksystemen derzeit häufig zum Einsatz gelangen. Studierende können das Lehrbuch als Begleitlektüre zu themenspezifischen Vorlesungen wie auch zum gezielten Nachlesen ausgewählter Lösungen für eine durch Informations- und Kommunikationstechnologien gestützte Logistik nutzen. Da sukzessive in das Themenfeld Logistik und IT eingeführt wird, kann auch der interessierte „Logistik-Laie“ dieses Buch zur Hand nehmen. Für den Praktiker bietet die Veröffentlichung die Möglichkeit, neue themenspezifische Erkenntnisse zu gewinnen und bereits vorhandene Konzept- und Methodenkenntnisse im konkreten Anwendungsbezug zu vertiefen.

VII

Vorwort zur 1. Auflage

Mein Dank geht zunächst an die Heinz Nixdorf-Stiftung, die im Jahr 2007 den Heinz Nixdorf-Lehrstuhl für IT-gestützte Logistik an der HHL durch ihre finanzielle Unterstützung ins Leben gerufen und hierdurch meine Forschungs- und Projektaktivitäten auf diesem Gebiet erst möglich gemacht hat. Ein spezieller Dank geht an Frau Susanne Kramer und den Gabler Verlag für die Initiierung dieses Buchprojektes sowie für die umfassende Betreuung und die sehr gute Kooperation.

Leipzig, im Oktober 2010

VIII

Iris Hausladen

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Vorwort ...................................................................................................................................... V 1

2

3

Grundlagen der IT-gestützten Logistik........................................................................ 1 1.1

Babylonisches Sprachgewirr – oder Logistik für Einsteiger ................................. 2

1.2

Logistik im Zeitalter von Industrie 4.0 & Co. ̶ „Logistics needs IT“ ................ 14

1.3

IT-gestützte Logistik – oder 1+1 = 3 ........................................................................ 22

IT-gestütztes Logistiksystem ........................................................................................ 29 2.1

IT-gestützte Logistik als Geschäftsmodell? ........................................................... 29

2.2

Strategiedefinition in der IT-gestützten Logistik ................................................. 34

2.3

Modellierung eines IT-gestützten Logistiksystems ............................................. 42

Informations- und Kommunikationstechnologien als Enabler ............................ 53 3.1

3.1.1

Lokalisierungs- und Identifikationstechnologien ....................................... 55

3.1.2

Mobile Kommunikation in der Logistik ....................................................... 64

3.1.3

Elektronischer Datenaustausch ..................................................................... 67

3.2

4

Funktionsbezogene Informations- und Kommunikationstechnologien ........... 55

Funktionsübergreifende Informations- und Kommunikationstechnologien... 72

3.2.1

Architekturkonzepte ....................................................................................... 73

3.2.2

Technologieressourcen .................................................................................... 79

3.2.3

Analytikmethoden ........................................................................................... 86

Prozesse und Anwendungen einer IT-gestützten Logistik .................................... 95 4.1

IT-gestützte Logistik – Prozesse und Anwendungen im Überblick .................. 96

4.2

IT-gestützte Beschaffungslogistik ........................................................................... 99

4.2.1

eSupplier Relationship Management (eSRM)............................................ 100

4.2.2

Virtuelle/Elektronische Marktplätze ........................................................... 104

4.2.3

eTender und Online-Auktion ....................................................................... 110

4.2.4

Online-Shops und Webportale ..................................................................... 118

IX

Inhaltsverzeichnis

4.2.5

Online-Kataloge ............................................................................................. 119

4.2.6

Desktop Purchasing-Systeme (DPS) ........................................................... 122

4.3

4.3.1

Produktionsplanungs- und -steuerungssysteme (PPS) ............................ 126

4.3.2

Advanced Planning and Scheduling-Systeme (APS) ............................... 130

4.3.3

Manufacturing Execution-Systeme (MES) ................................................. 133

4.3.4

Fertigungsleitstand ........................................................................................ 135

4.3.5

Kanban/E-Kanban .......................................................................................... 136

4.3.6

Just-in-Time und Just-in-Sequence .............................................................. 144

4.3.7

Das Konzept der Digitalen Fabrik ............................................................... 150

4.4

IT-gestützte Lagerlogistik ...................................................................................... 155

4.4.1

eConsignment................................................................................................. 156

4.4.2

Robogistics ...................................................................................................... 160

4.4.3

Dropshipping/Virtuelles Warenlager.......................................................... 163

4.4.4

Vendor Managed Inventory (VMI).............................................................. 168

4.4.5

MIS, LVS und WMS – Lösungen für die Lagerlogistik ............................ 174

4.4.6

Cross Docking ................................................................................................ 181

4.5

IT-gestützte (Re-)Distributionslogistik ................................................................ 184

4.5.1

Efficient Consumer Response (ECR) ........................................................... 186

4.5.2

Collaborative Planning, Forecasting & Replenishment (CPFR).............. 190

4.5.3

Customer Relationship Management (CRM) ............................................ 194

4.5.4

Routen- und Tourenplanung ....................................................................... 196

4.5.5

Tracking & Tracing ........................................................................................ 200

4.5.6

Logistiklösungen für die letzte Meile ......................................................... 203

4.5.7

Milkrun-Konzept ........................................................................................... 207

4.6

X

IT-gestützte Produktionslogistik .......................................................................... 124

IT-gestützte Instandhaltungslogistik ................................................................... 210

4.6.1

Condition Monitoring-Systeme ................................................................... 219

4.6.2

SCADA-Systeme ............................................................................................ 221

4.6.3

Mobile Einsatzgeräte ..................................................................................... 223

Inhaltsverzeichnis

4.6.4

Teleservice/Ferndiagnose und –wartung ................................................... 225

4.6.5

CMMS-/IPS-Tools .......................................................................................... 227

4.6.6

Integrierte Instandhaltungsplattform ......................................................... 230

4.7

5

6

IT-gestützte Supply Chain-übergreifende Anwendungen ............................... 232

4.7.1

Enterprise Resource Planning-Systeme (ERP) ........................................... 233

4.7.2

Logistikplattformen ....................................................................................... 238

4.7.3

Supply Chain Management-Systeme .......................................................... 240

4.7.4

Supply Chain Event Management-Systeme .............................................. 244

Geschäftsprozessgestaltung in der IT-gestützten Logistik .................................. 251 5.1

Das E-Geschäftsprozessmanagement (E-GPM) .................................................. 253

5.2

Geschäftsprozessmodell im E-GPM ..................................................................... 260

5.3

Vorgehensmodell im E-GPM................................................................................. 267

5.4

Geschäftsprozessmodellierung im E-GPM ......................................................... 288

Handlungsleitende Kontextfaktoren IT-gestützter Logistik ............................... 297 6.1

Sicherheitsaspekte IT-gestützter Logistik ............................................................ 298

6.2

IT-gestützte Logistik und Nachhaltigkeit ............................................................ 312

6.3

Nutzenbewertung IT-gestützter Logistik ............................................................ 322

6.4

Controlling IT-gestützter Logistik ........................................................................ 338

6.5

Spielerisches Erlernen IT-gestützter Logistik ..................................................... 348

Literaturverzeichnis.............................................................................................................. 355 Stichwortverzeichnis ............................................................................................................ 383

XI

Babylonisches Sprachgewirr – oder Logistik für Einsteiger

1 Grundlagen der IT-gestützten Logistik

„Tempora mutantur, nos et mutamur in illis – Die Zeiten ändern sich und wir uns mit ihnen“.1 Durch die zunehmende Globalisierung, die sich in den vergangenen Jahrzehnten sukzessive vollzogen hat, durch den Wandel von Kundenanforderungen und Märkten sowie erstarktes Umweltbewusstsein und maßgeblich beeinflusst durch technischen Fortschritt sowie Digitalisierung haben sich Handlungsfelder sowie Kernfunktionen der Logistik nachhaltig verändert. Es kann in diesem Zusammenhang sowohl aus theoretischer als auch aus praxisrelevanter Perspektive von einem bedeutenden Paradigmenwechsel gesprochen werden. Die Auslagerung von Wertschöpfungsprozessen an externe Partner im Rahmen von Outsourcing und Offshoring führte u. a. zum Entstehen von weltweiten Lieferketten, mit einem komplexen Geflecht an Beschaffungs-, Liefer- und Produktionsabläufen, deren Koordination heutzutage eine zentrale Aufgabe von Unternehmen darstellt. Eine ähnliche Sicht ergibt sich unter Betrachtung der Absatzseite von Organisationen. Die Vielfalt an Distributionskanälen erfordert im Rahmen des Versands von Waren gleichermaßen die Abstimmung vielfältiger Planungstatbestände sowie Schnittstellen bis hin zur „letzen Meile“, wenn die Ware dem jeweiligen Endkunden physisch zugeht. Geschlossene Stoffkreisläufe als Gegenstand der sogenannten Rückführ-/Entsorgungslogistik bilden heute den Kern einer an grünen und nachhaltigen Aspekten orientierten Logistik. Abbildung 1-1:

Lernbox – Grundlagen der IT-gestützten Logistik

Leitfragen n Was ist unter dem Terminus Logistik zu verstehen? n Wie lässt sich Logistik von Supply Chain Management abgrenzen? n Wie gestaltet sich Logistik im Zeitalter von Industrie 4.0 & Co.? n Warum wird IT-gestützte Logistik immer stärker zu einem Wettbewerbs- und Erfolgsfaktor von Unternehmen? n Wie definiert sich IT-gestützte Logistik?

Die aus den genannten Entwicklungen resultierenden global verteilten sowie feingliedrigen Strukturen, mit differenzierten Verantwortlichkeiten der involvierten Partner und einer komplexen Schnittstellenstruktur, setzen deshalb den Einsatz innovati1

Quelle Zitat: Drews 2006, S. 162.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 I. Hausladen, IT-gestützte Logistik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31260-2_1

1

1.1

1

Grundlagen der IT-gestützten Logistik

ver sowie intelligenter Informations- und Kommunikationstechnologien voraus, um den gewaltigen Anforderungen erfolgreich begegnen zu können. Das Konzept der ITgestützten Logistik bietet hierfür geeignete Lösungsansätze, Methoden sowie Gestaltungsempfehlungen an.

1.1

Babylonisches Sprachgewirr – oder Logistik für Einsteiger

Kaum eine betriebswirtschaftliche Disziplin erweist sich als so „schillernd“ wie die Logistik. Dieser Tatbestand liegt vor allem darin begründet, dass Logistik historisch gesehen zuallererst ein praktisches Anliegen war, und sich erst sehr viel später als wissenschaftliche Disziplin, mit eigenen theoretisch fundierten Konzepten, Publikationen, Forschungsprojekten etc. an Hochschulen etablierte. 1955 veröffentlichte Morgenstern einen Artikel mit dem Titel „Note of the Formulation of the Theory of Logistics“ in den Vereinigten Staaten. Im Jahre 1956 wurde die Logistik beispielsweise zum Lehr- und Forschungsgebiet an der Stanford University. Die älteren Wurzeln der Logistik liegen allerdings im militärischen Sektor begründet (primär 19. Jahrhundert). Aufgabe der Logistik war die Übernahme der Nachschubfunktion für die Truppen. Dabei mussten nicht nur militärisches Gerät, Waffen sowie Ausrüstungen transportiert werden, sondern ebenfalls Proviant und aus Sicht der „Personenlogistik“ weitere Truppenmitglieder an die Front gebracht werden. Auch heute noch repräsentiert die Logistik ein wichtiges Fachgebiet, das u. a. Gegenstand des Curriculums und Lehrkörpers an den deutschen Bundeswehruniversitäten in Hamburg und München ist. Im Kontext der Wirtschaftswissenschaften ist der Logistikbegriff seit den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in den USA, ungefähr seit den 70er Jahren in Deutschland (1. Deutscher Materialflusskongress, 1974) in Verwendung. Unter dem Terminus Logistik wird heutzutage vor allem die Koordination der raum-zeitlichen Gütertransformation verstanden. Waren müssen beispielsweise, um die Nachteile, die aus dem zeitlichen Auseinanderfallen von Produktion und Konsum resultieren, zu überwinden, u. a. gelagert, kommissioniert und zum jeweiligen Kunden transportiert werden. Das genannte Problem ist nun kein spezifisches unserer Zeit, sondern ein Tatbestand, der bereits im Zeitalter der haushaltswirtschaftlichen Arbeitsteilung vorlag. Da in Folge der Spezialisierung mehr produziert wurde als vom einzelnen Haushalt konsumiert werden konnte, fand zwischen den Familien ein (Tausch-) Handel statt. Der physische Transport war zur damaligen Zeit noch relativ einfach zu bewältigen, da keine großen Distanzen zu überwinden waren und die Menge der zu befördernden Waren überschaubar und gut planbar war.

2

Babylonisches Sprachgewirr – oder Logistik für Einsteiger

Transferiert man diesen Gedanken auf die heutige Zeit, dann hat sich an der prinzipiellen Aufgabe der Logistik überraschenderweise wenig geändert. Der elementare Kern blieb gleich, ergänzend hinzu kamen jedoch weitere Servicefunktionen, die das Leistungsportfolio der Logistik inzwischen als komplexes und strategisches Gebilde erscheinen lassen. Der Weg ist ja bekannter Weise das Ziel; allerdings haben sich die Konzepte und folglich auch die Mittel, wie dieser erfolgreich bewältigt wird, bis zum heutigen Tag im Vergleich zu früher deutlich verändert. Je nach betrachtetem Anwendungsfeld werden unterschiedliche Auffassungen der Logistik vertreten und differenzierte funktionale Abgrenzungen vorgenommen. Allerdings, und dies lässt sich an dieser Stelle ohne Einschränkungen feststellen, geht die Logistik uns alle an, ob in der Funktion als Privatperson, die online Waren bestellt, als Unternehmen, das Güter produziert und/oder vertreibt, als Dienstleister, bei dem die Herstellung immaterieller Produkte Kern des Geschäftsmodells ist, oder als Logistikdienstleister, dessen Unternehmenszweck in der Erfüllung logistischer Leistungen besteht. Wie lässt sich nun aber die Logistik in einer allgemein gebräuchlichen und vor allem auch für die Studierenden sowie Praktiker leicht verständlichen Form definieren?

n „Logistik ist ein System, das zunächst im Unternehmen, aber auch unternehmens-

übergreifend mit Lieferanten und Kunden, eine optimale Versorgung mit Materialien, Teilen und Modulen für die Produktion – und auf der anderen Seite natürlich der Märkte bedeutet“, so eine Logistik-Definition, die in der BVL geprägt worden ist.“ (BVL 2019, o. S.).

n Die Koordinationsfunktion der Logistik weist dabei sowohl eine horizontale als

auch vertikale Dimension auf (vgl. Weber 1991, S. 16ff.). In horizontaler Hinsicht erfolgt eine Abstimmung bezogen auf die Zulieferanten, zwischen den internen logistischen Prozessen in der Produktion sowie mit den indirekten Wertschöpfungsbereichen, bis hin zur Koordination von Material- und Informationsflüssen beispielsweise in Relation zum Handel, zum weiterverarbeitenden Gewerbe oder direkt zum Endkunden. In vertikaler Hinsicht steht die Koordination zwischen den verschiedenen hierarchischen Ebenen im Vordergrund, wie es Weber definiert, zwischen allen Planungs-, Steuerungs-, Durchführungs- und Kontrollebenen.

Eine sehr anschauliche Definition betrachtet die Logistik als Funktion, die sich für eine zeitbezogene Ressourcenallokation verantwortlich zeichnet:

n Unter Logistik wird die Aufgabe verstanden, das richtige Produkt, zur richtigen

Zeit, in der richtigen Menge, am richtigen Ort, in der richtigen Qualität, dem richtigen Kunden und zu den richtigen Kosten zur Verfügung zu stellen. Im heutigen Informationszeitalter bedarf es, wie in Abbildung 1-2 dargestellt, einer Ergänzung dieser klassischen 7Rs, um eine weitere entscheidende Komponente: „versehen mit den richtigen Informationen“ (8Rs).

3

1.1

1

Grundlagen der IT-gestützten Logistik

Abbildung 1-2:

Die 8Rs der Logistik im Informationszeitalter2 Die 8Rs der Logistik Zusätzlich:

Das

In der

In der

Am

Zur

Zu den

Für den

Mit den

richtige

richtigen

richtigen

richtigen

richtigen

richtigen

richtigen

richtigen

Produkt

Menge

Qualität

Ort

Zeit

Kosten

Kunden

Informationen

In Tabelle 1-1 werden je nach funktionalem Schwerpunkt der vertretenen Logistikkonzeption exemplarisch einige Definitionen gegenübergestellt. Die raum-zeitliche Gütertransformation assoziiert bereits für die Logistik eine duale Strukturiertheit der Aktivitäten. Das Phänomen Zeit ist für die Logistik im metaphorischen Sinne wie der „Herzschlag“. Sobald jener außer Takt gerät, z. B. durch Verzögerungen entlang der logistischen Kette, entstehen Probleme, die der Logistikverantwortliche schnellstmöglich zu lösen hat, um negative Konsequenzen, wie sie z. B. durch ein Nichteinhalten von Lieferterminen entstehen, zu verhindern. Die Überbrückung von räumlichen Distanzen stellt den zweiten Kristallisationskern der Logistik dar. Je internationaler und „verschachtelter“ die Zuliefer-, Produktions- und somit Warenströme gestaltet sind, desto höher die Koordinationsanforderungen an die Logistik. Die Bewältigung großer Entfernungen setzt in den meisten Fällen die Wahl alternativer Transportwege und -mittel voraus. Luft- und Seefracht ergänzen die Alternativen Straße und Schiene. Wie wichtig allerdings heutzutage neben der Betrachtung von Materialflüssen die proaktive Steuerung von Informationsflüssen, z. B. über eine effiziente Kommunikation ist, zeigt ein anschauliches Beispiel aus der Natur. Ameisen bewältigen komplexe logistische Aufgaben mit Bravour; so finden sie im scheinbaren Chaos des großen Ameisenhaufens zielsicher den Weg, um ihre „Ware“ an den richtigen Bestimmungsort (Verbauort) zu transportieren. Der Schlüssel zum erfolgreichen „Management“ dieser Herausforderung ist die direkte Kommunikation zwischen den Individuen, wodurch schlussendlich die Koordination des Schwarms gelingt. Auf diese Weise können durch Tausende von Ameisen hoch-komplexe Bauwerke errichtet werden.

2

4

Modifiziert nach: Gleißner und Femerling 2008, S. 5.

Babylonisches Sprachgewirr – oder Logistik für Einsteiger

Tabelle 1-1:

Logistikkonzeptionen im Überblick3

Sichtweise

Definition

Flussorientierung

„Zur Logistik gehören alle Tätigkeiten, durch die die raumzeitliche Gütertransformation und die damit zusammenhängenden Transformationen hinsichtlich der Gütermengen, -sorten, der Güterhandhabungseigenschaften sowie der logistischen Determiniertheit der Güter geplant, gesteuert, realisiert und kontrolliert werden.”

(Pfohl 2000, S. 12)

Lebenszyklusorientierung (Pfohl 2000, S. 13)

Dienstleistungsorientierung (Pfohl 2000, S. 13) Anpassungsfähigkeit (Klaus 1993, S. 29)

Koordination (Weber/Kummer 1994, S. 21)

Ganzheitlichkeit (Hartrampf 1996, S. 122)

„Logistik ist das unterstützende Management, das während des Lebens eines Produktes eine effizientere Nutzung von Ressourcen und die adäquate Leistung logistischer Elemente während aller Phasen des Lebenszyklusses sicherstellt, so dass durch rechtzeitiges Eingreifen in das System eine effektive Steuerung des Ressourcenverbrauches gewährleistet wird.” „Logistik ist der Prozess zur Koordination aller immateriellen Aktivitäten, die zur Erfüllung einer Dienstleistung in einer kosten- und kundeneffektiven Weise vollzogen werden müssen.” „Logistik kann nun definiert werden als eine spezifische Sichtweise, die wirtschaftliche Phänomene und Zusammenhänge als Flüsse von Objekten durch Ketten und Netze von Aktivitäten interpretiert (bzw. als “Fließsysteme”), um diese nach Gesichtspunkten der Kostensenkung und der Wertsteigerung zu optimieren, sowie deren Anpassungsfähigkeit an Bedarfsund Umweltveränderungen zu verbessern.” „Das Ziel der Logistik besteht darin, das Leistungssystem des Unternehmens flussorientiert auszugestalten. Um das Ziel zu erreichen, nimmt die Logistik eine Koordinationsfunktion im Führungssystem wahr. Sie umfasst die Strukturgestaltung aller Führungsteilsysteme, die zwischen diesen bestehenden Abhängigkeiten sowie die führungsteilsysteminterne Koordination.” „Logistik ist die ganzheitliche Planung, Steuerung und Kontrolle der Material- und Informationsflüsse entlang der gesamten Wertschöpfungskette unter Einbeziehung aller relevanten Entscheidungsebenen in den Unternehmen und unter Berücksichtigung des relevanten Umfeldes sowie aller Wechselwirkungen.”

Die Bionik als eine im Innovationsmanagement bekannte Kreativitätstechnik nutzt Vorbilder aus der Natur, um beispielsweise innovative Ideen für die Produkt- und/ oder Technologieentwicklung zu generieren. Analog lassen sich für den Produktionssowie Logistikbereich Anregungen u. a. für das Strukturdesign ableiten. Die Botschaft 3

Tabelle in Anlehnung an: Wittig 2005, S. 13.

5

1.1

1

Grundlagen der IT-gestützten Logistik

lautet: Wir benötigen in der Logistik eine effiziente Kommunikation zwischen den einzelnen Beteiligten, um die gestellten Aufgaben erfolgreich bewältigen zu können. Je weiter die Logistikpartner räumlich voneinander entfernt sind, insbesondere im internationalen Kontext wenn verschiedene Zeitzonen abzudecken sind, desto entscheidender wird neben der reinen physischen Warenverteilung die Koordination der Informationsflüsse. Die direkte Kommunikation wird dann durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien strukturbildend ergänzt oder sogar in unserem heutigen digitalen Zeitalter vollständig ersetzt. Aus der raum-zeitlichen Gütertransformation resultieren vielfältige Aufgaben, wie sie beispielsweise das Transportieren, das Warenhandling, das Ein- und Auslagern, das Kommissionieren, das Inventarisieren, das Nachverfolgen von Sendungen (Tracking & Tracing), das Ermitteln von Materialbedarfen, die Planung und Freigabe von Beschaffungs-, Produktions- und Versandaufträgen und die gesamte Auftragsabwicklung im weiteren Sinne darstellen. Durch die Logistik werden einzelne Stufen der Wertschöpfung von der Rohstoffgewinnung über die Verarbeitung bis hin zur Lieferung der Fertigprodukte an das weiterverarbeitende Gewerbe, den Handel sowie den Endverbraucher material- sowie informationsseitig koordiniert. Die Fülle an logistischen Einzelaufgaben erfordert die Bildung von Aufgabenschwerpunkten vgl. z. B. Gleißner und Femerling 2008, S. 8f.:

n Logistische Kernleistungen Auftragsabwicklung, Lagerhaltung, inkl. Umschlag, Transportleistungen, inkl. Umschlag

n Informationsleistungen Logistische Informationsleistungen (z. B. Objektbezogene Daten wie Artikel-Nr., Stückzahl, Absender-/Empfängerinformation), Ergänzende Informationsleistungen (z. B. Zusatzinformationen zum speziellen Kunden, gewährte Rabatte, sowie weiterführende Angaben zu Logistikobjekten, Logistikakteuren)

n Zusatzleistungen Logistische Zusatzleistungen (Bildung effizienter logistischer Einheiten, u. a. durch kleinere Packungsgrößen, zur Vereinfachung der Be- und Entladung von Transportmitteln, das Anbringen einer zusätzlichen Schutzverpackung etc.), Ergänzende Zusatzleistungen (z. B. Übernahme kleinerer Vormontagearbeiten, Verkaufsförderungsaktivitäten). Diese können durch den Zulieferanten oder gleichermaßen durch einen Logistikdienstleister ortsunabhängig, d. h. beim Hersteller, Versender, während des Transports, beim Logistikdienstleister oder beim Abnehmer erbracht werden. Die Erfüllung der logistischen Aufgaben vollzieht sich heutzutage in einem konfliktären Zielumfeld. Logistikkosten müssen mit den teilweise schwer quantifizierbaren Logistikleistungen in einem wirtschaftlichen Verhältnis stehen. Folgt man dem öko6

Babylonisches Sprachgewirr – oder Logistik für Einsteiger

nomischen Prinzip in der Ausgestaltung als Maximal- oder Minimalprinzip, so gilt folgende Handlungsleitlinie „Das allgemeine ökonomische Ziel der Effizienz bedeutet für die Logistik, dass die Kosten der logistischen Prozesse für die jeweilige Leistung minimal und ihre Leistung bei den jeweiligen Kosten maximal sein sollen.“ (Fleischmann 2008, S. 7). Ressourcenschonung, Umweltschutz, Nachhaltigkeitsbestrebungen, um lediglich ausgewählte relevante Konzepte hier zu erwähnen, erweitern heute mehr denn ja die ökonomische um die ökologische und soziale Dimension. Dabei wird eine Ökologische Ökonomie (vgl. z. B. Rogall 2008) bereits seit vielen Jahren, z. B. aus einem makroökonomischen Zusammenhang heraus diskutiert. Die traditionellen Erfolgsfaktoren (Zieldimensionen) von Unternehmen, wie sie durch die Größen Zeit, Kosten, Qualität und Flexibilität widergespiegelt werden, treffen gleichermaßen auf die Logistik zu; allerdings müssen sie für das jeweilige logistische Anwendungsfeld (z. B. Produktion, Distribution) durch Kennzahlen, häufig auch Key Performance Indicators (KPIs) genannt, operationalisiert werden. Folgende logistische Zieldimensionen lassen sich deshalb aus den genannten Aspekten formulieren:

n Zieldimension Zeit (à Schnelligkeit) Transportzeit/-dauer, Rüstzeit, Lagerdauer, Prozesszeit, Durchlaufzeit, Zeiten für Ein-/Auslagerungsvorgänge, Kommissionierzeiten, Wiederbeschaffungszeit usw.

n Zieldimension Kosten (à Kostenreduktion)

Lagerkosten, Transportkosten, Materialkosten, Bestandskosten, im Sinne von Kapitalbindungskosten, Beschaffungskosten, Versandkosten usw.

n Zieldimension Qualität (à Exzellente Qualität) Die Qualität bestimmt sich sowohl als Produkt- als auch als Prozessqualität. Die Beschädigung der Warensendung, beispielsweise während des Versands beeinflusst die Qualität im negativen Sinne. Verzögerungen beim Transport, die z. B. durch nicht getaktete Umladevorgänge entstehen, verringern die Qualität der Logistikprozesse entlang der Lieferkette.

n Zieldimension Flexibilität (à Hohe Flexibilität) Lieferflexibilität, d. h. wie schnell kann sich beispielsweise ein Logistikdienstleister auf veränderte Umfeldbedingungen beim Transport einstellen (z. B. bei Verkehrsstau, erforderliche Expresslieferung aufgrund einer Produktionsverzögerung), wie flexibel kann ein Unternehmen auf Kundenwünsche beim Versand der Ware reagieren, oder wie schnell kann in einer Organisation der produktive Bereich an Volumenschwankungen angepasst werden.

n Zieldimension Zuverlässigkeit (à 100% Zuverlässigkeit) Die Nichteinhaltung von Zeitgrößen, z. B. des Kundenwunschtermins, kann ebenfalls in einem weiteren Sinne als Qualitätsmerkmal interpretiert werden (Lieferzuverlässigkeit). Die Termintreue des Lieferanten ist, unabhängig ob es sich um ein

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1.1

1

Grundlagen der IT-gestützten Logistik

weiterverarbeitendes Unternehmen, um ein Handelsunternehmen oder um einen Endabnehmer handelt, ein entscheidender Erfolgsfaktor im hart umkämpften Wettbewerb, da sie sich unmittelbar auf die Kundenzufriedenheit auswirkt. Zusätzlich bestimmt sich die Zuverlässigkeit in Abhängigkeit vom Lieferserviceniveau, d. h. durch das Einhalten vertraglich vereinbarter Logistischer Service Level, sogenannter Service Level Agreements (vgl. z. B. ten Hompel und Heidenblut 2008, S. 263). Die Lieferfähigkeit, d. h. zu dem vom Kunden angefragten Wunschtermin die Ware fristgemäß bereitstellen zu können, vorausgesetzt es handelt sich um einen realistischen Termin, kann als eigene Zieldimension aufgeführt oder unter der Zieldimension Zuverlässigkeit subsumiert werden. Neben den genannten Zieldimensionen rücken aktuell immer stärker ökologische Zielsetzungen bei Logistikentscheidungen bzw. -aktivitäten in den Mittelpunkt. Konzepte wie die Grüne Logistik, die sich vor allem durch ihren Beitrag zum Klimaschutz („grün“) auszeichnet sowie die Nachhaltige Logistik, mit ihrem Fokus auf die Harmonisierung ökonomischer, ökologischer sowie sozialer Ziele im Umfeld der Logistik („nachhaltig“), bilden einen wichtigen Gegenstand der Logistikforschung ab. Dabei wird dem Einsatz von IT eine prominente Rolle im Kontext der Reduzierung von Treibhausgasen, gerade in Verbindung mit der Steuerung von Materialflüssen –z. B. im Zuge des Warentransportes sowie der vorgelagerten Touren-/Routenplanung – zugesprochen. So lässt sich u. a. die Frage stellen, ob durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Anwendungsfeld der Logistik ein entscheidender Beitrag zur Realisierung der Treibhausgasneutralität geleistet werden kann. Logistikziele weisen analog den klassischen Unternehmenszielen zahlreiche konfliktäre Interdependenzstrukturen auf. Die Sicherung einer hohen Zuverlässigkeit kann unter Umständen bedeuten, dass diese durch hohe Bestände an Fertigwaren oder durch die Wahl des Transportmittels, z. B. als Expresssendung via Luftfracht erkauft wird. Pünktliche Lieferung um jeden Preis mag zwar aus Kundensicht ein kaufentscheidender Faktor sein, aus betriebswirtschaftlicher Sicht dürfte sich eine entsprechende Strategie in den meisten Fällen jedoch finanziell nicht dauerhaft realisieren lassen. Die Zielgröße Schnelligkeit impliziert in der Regel die Auswahl eines geeigneten, d. h. schnellen Transportmittels, dessen sogenannter Carbon Footprint unter Umständen (sehr) hoch sein kann. Logistische Prozesse vollziehen sich heutzutage in einem komplexen Gefüge unterschiedlicher Akteure, zu überwindender räumlicher Distanzen sowie differenzierter Unternehmensstrukturen und Branchen. Abbildung 1-3 zeigt eine mögliche institutionelle Klassifizierung der Logistik. Dabei steht die Logistik aus Sicht einer Volkswirtschaft im Mittelpunkt der Makrologistik. Im Rahmen dieses Lehrbuchs wird primär die Perspektive der Unternehmenslogistik eingenommen und deren IT-Unterstützung betrachtet. Neben der traditionellen Industrielogistik sind die Bereiche der Handels- sowie der Dienstleistungslogistik heutzutage immer stärker durch den Einsatz intelligenter Informations- und Kommunikations-

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Babylonisches Sprachgewirr – oder Logistik für Einsteiger

technologien geprägt. Technologien, die sich beispielsweise im industriellen Sektor etabliert haben, werden häufig in weiterführende Anwendungsfelder transferiert, so z. B. im Bereich der Krankenhauslogistik/der Biomedizinischen Logistik. Dagegen betrachtet die Metalogistik primär interorganisationale logistische Strukturen zwischen mehreren logistischen Quellen und Senken (vgl. hierzu z. B. ten Hompel und Heidenblut 2008, S. 228). Abbildung 1-3:

Institutionelle Einordnung der Logistik4

In der Literatur wird neben der institutionellen Einordnung der Logistik eine weitere Segmentierung derselben, entsprechend des Aspektes der raum-zeitlichen Gütertransformation vorgenommen.

4

In Anlehnung an: Pfohl 2018, S. 15.

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1.1

1

Grundlagen der IT-gestützten Logistik

Folgende Strukturierung resultiert aus diesem Vorgehen:

n Intralogistik „Beinhaltet die Organisation, Steuerung, Durchführung und Optimierung des innerbetrieblichen Materialflusses, der Informationsströme sowie des Warenumschlags in Industrie, Handel und öffentlichen Einrichtungen.“ (Quelle: Arnold 2006, S. 1).

n Überbetriebliche Logistik „… umfasst die Planung und Steuerung der Güter- und Informationsströme zwischen dem Unternehmen und seinen externen Geschäftspartnern. Sie koordiniert den Material- und Produktfluss entlang der gesamten Wertschöpfungskette.“ (Loos et al. 1996, S. 2).

n Internationale Logistik „Involves movements that cross borders. These movements are considerably more complex than domestic ones. Complicating matters, differences between time zones can limit the hours when verbal communications can take place.“ (Wood et al. 2002, S. 246). Speziell die Intralogistik repräsentiert ein Forschungs- und Praxisfeld, das durch eine fortschreitende Automatisierung sowie Technisierung gekennzeichnet ist. Während sich die technische Logistik beispielsweise mit der Entwicklung von Fördertechnik sowie mit Fragestellungen der automatisierten Transportlogistik und des Maschinenlernens befasst, liegen die Schwerpunkte in der betriebswirtschaftlichen Logistik vor allem in der Optimierung logistischer Abläufe, in der Abstimmung unternehmensinterner organisatorischer Schnittstellen sowie in der Wirtschaftlichskeits-/Nachhaltigkeitsbewertung von Logistikkonzepten. Durch den verstärkten Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien in der Intralogistik spielt, neben der Koordination von Material- und Informationsflüssen in der überbetrieblichen/internationalen Logistik auch in diesem Bereich die IT-gestützte Logistik eine herausragende Rolle. Für die Branche gilt die CeMAT als die Leitmesse auf der neueste Technologien sowie Anwendungen einem internationalen Fachpublikum präsentiert werden (vgl. VDMA e. V. 2011). Die Erfüllung logistischer Aufgaben im weltweiten Kontext und entlang der – im besten Fall – gesamten Wertschöpfungskette, hat in den letzten Jahrzehnten zur Entwicklung eines Managementansatzes geführt, in dessen Fokus insbesondere der Koordinationsaspekt von Wirtschaftsakteuren steht, das Supply Chain Management (SCM). Analog dem Logistikparadigma existiert gleichermaßen für das SCM eine Vielfalt an Definitionen. Exemplarisch seien an dieser Stelle zwei Begriffsspezifikationen aufgeführt:

n „SCM bezeichnet die integrierte Planung, Simulation, Optimierung und Steuerung der Waren-, Informations- und Geldflüsse entlang der gesamten Wertschöpfungs-

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Babylonisches Sprachgewirr – oder Logistik für Einsteiger

kette vom Kunden des Kunden bis zum Lieferanten des Lieferanten.“ (Wannenwetsch und Nicolai 2004, S. 5).

n „Supply Chain Management ist die unternehmensübergreifende Koordination und

Optimierung der Material-, Informations- und Wertflüsse über den gesamten Wertschöpfungsprozess von der Rohstoffgewinnung über die einzelnen Veredelungsstufen bis hin zum Endkunden mit dem Ziel, den Gesamtprozess unter Berücksichtigung der Kundenbedürfnisse sowohl zeit- als auch kostenoptimal zu gestalten.“ (Arndt 2008, S. 47).

Abbildung 1-4:

Abgrenzung Logistik und Supply Chain Management (SCM)5

Den aufgeführten Definitionen ist gemeinsam, dass sie a) eine unternehmensübergreifende Perspektive mit Bezug zur gesamten Wertschöpfungskette einnehmen und b) den Kooperations- sowie Koordinationsaspekt in den Mittelpunkt ihrer Konzeption stellen (Supply Chain Collaboration). Folgt man dieser Logik, dann obliegt der Logistik die Koordination von Material- und Informationsflüssen, d. h. die Erfüllung der 8Rs, zum einen innerhalb eines Unternehmens als auch an den jeweiligen Schnittstellen zu einzelnen, individuellen Partnern; es werden also nur einzelne „Kettenabschnitte“ koordiniert und nicht alle Stu-

5

In Anlehnung an: Larson und Halldorsson 2004, S. 19.

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1.1

1

Grundlagen der IT-gestützten Logistik

fen. Das vorliegende Lehrbuch folgt der genannten Philosophie: Logistik repräsentiert ein dem SCM „untergeordnetes“, im Sinne eines eingebetteten, Konzeptes. Allerdings wird dies in der Supply Chain-Theorie und -Praxis durchaus unterschiedlich betrachtet. Aus einer von Larson & Halldorsson durchgeführten Untersuchung resultierten die in Abbildung 1-4 dargestellten Typologien. Wenn davon ausgegangen wird, dass SCM primär „nur“ unternehmensexterne Aspekte betrachtet, dann wäre Logistik im Vergleich zum SCM ein umfassenderer Ansatz. „Stock & Lambert (2001) observed that the logistics community has tended to view SCM as “logistics outside the firm”.” (Larson und Halldorsson 2004, S. 18f.). Sie nannten diesen Konzepttypus “Traditionalist”. Von einigen Wissenschaftlern wird die Auffassung vertreten, dass im Grunde die historisch gewachsene Logistik heute mit Blick auf die Erfordernis weltweite Warenflüsse erfolgreich koordinieren zu müssen, durch das SCM vollständig abgelöst wird und einer im Grunde strukturgleichen Philosophie folgt – nur eben in einem anderen, erweiterten Kontext (Typus „Relabeling“). Beide Paradigmen stellen überlappende Konstrukte dar, geht man von einer entscheidungs- und planungstechnischen Perspektive aus. Das SCM erweist sich somit vor allem als strategisch und nicht als taktisch orientiert; im Gegenzug sind die Entscheidungstatbestände der Logistik primär taktisch und lediglich vereinzelt strategisch geprägt. In welchen Bereichen jeweils exakt die Überlappung (Typus „Intersectionist“) vorliegt, ist in der Literatur allerdings nicht eindeutig spezifizierbar und somit situationsabhängig. Logistik als Teildisziplin des Supply Chain Managements zu betrachten, stellt die Position der „Unionist“ dar, eine Auffassung der auch die Autorin des vorliegenden Lehrbuches, wie bereits im vorhergehenden Abschnitt erörtert, folgt. Industrie- und Handelsunternehmen führen logistische als auch Supply Chainbezogene Aufgaben in der Regel nicht alle in Eigenregie aus, vor allem wenn jene für die Betriebe keine ausgeprägten Kernkompetenzen repräsentieren. Im Zuge des Outsourcings entsprechender Aktivitäten, z. B. von Transportdientsleistungen, wird die Auswahl eines (Single Sourcing) oder mehrerer (Dual/Multiple Sourcing) geeigneter Logistikdienstleister erforderlich. Die im Laufe der Jahrzehnte zunehmende Komplexität und Fülle logistischer Services – und deren IT-Unterstützung – hat zu einem Wandel der Partnerstruktur und zum Entstehen neuer Typen von Dienstleistern geführt. Bestanden in den 70er Jahren (1st Party Logistics Provider: 1PL) die Hauptaufgaben der Logistik in der Ausübung klassischer Funktionen, wie Transportieren, Lagern, Verpacken, Kommissionieren, so kamen in den 80er Jahren erweiterte Funktionsumfänge, wie z. B. JIT-Belieferung, Qualitätskontrolle oder die Übernahme von kleineren Montageumfängen für den Kunden hinzu (2nd Party Logistics Provider: 2PL). Einzeldienstleister und Transporteure prägten die Gestalt der Logistikunternehmen (exemplarisch: Transporteure, Binnenlandschiffer, Umschlagterminals, Verpackungsunternehmen) in dieser Zeit. In den 90er Jahren bildeten sich, z. B. in Form von Paketdiensten, Frachtdienstleistern, Reedereien, Stückgutspeditionen, Fluggesellschaften, sogenannte Verbunddienstleister heraus, die häufig im Fachjargon als 3rd Party Logistics Provider

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Babylonisches Sprachgewirr – oder Logistik für Einsteiger

(3PL) bezeichnet werden; gleichzeitig etablieren sich immer mehr Kontraktlogistiker. Durch die Übernahme von Zusatzfunktionen, insbesondere im Hinblick auf das Management der den physischen Transporten zugrunde liegenden Informationsflüsse, stehen Funktionen wie z. B. das Nach-/Rückverfolgen von Lieferungen (Tracking & Tracing) oder die Bereitstellung und das Betreiben von IT-Lösungen/-Systemen inklusive Beratung verstärkt im Zentrum der Aktivitäten. Neben der Unterstützung des gesamten Bestandsmanagements reichen die Funktionen über die Auftragsabwicklung, die Retourenabwicklung, bis hin zur strategischen Konzeptionierung von Wertschöpfungs-/Logistik- und/oder Supply Chain-Netzwerken. Das heutige Bild prägen 4th Party Logistics Provider (4PL) und/oder Lead Logistics Party Provider (LLP), die in ihrer Ausgestaltung als Kontraktlogistiker aktiv sind und die Rolle von Systemdienstleistern einnehmen. Die Fülle an Begrifflichkeiten zeigt bereits, dass die Definitionen relativ uneinheitlich sind. Entscheidend ist, dass der 4PL einen Logistikdienstleister verkörpert, der seine eigenen, in der Regel nur administrativen Ressourcen, mit den Logistikressourcen von Subauftragnehmern verknüpft. Für seine Kunden bietet er umfassende Supply Chain-Lösungen an. Diese werden von ihm konzipiert, realisiert und gemanagt. Dem 4PL obliegt insbesondere, und dies ist ein entscheidender Indikator für die Rolle, die die IT-gestützte Logistik heute einnimmt, die Koordination der Waren- und Informationsflüsse, die Integration von Schnittstellen zwischen den beteiligten Unternehmen sowie die Planung und Bereitstellung der logistikrelevanten Ressourcen (vgl. hierzu Scholz-Reiter et al. 2008, S. 584ff.). Inzwischen wird sogar von einem 5th Party Logistics Provider (5PL) gesprochen, der nicht nur als Supply Chain Manager, sondern noch spezieller als Netzwerkmanager agiert. „Ausbau und Koordination einzelner Lieferketten ruft die 5PL-Anbieter auf den Plan, die die komplexen Abläufe in diesen Netzwerken managen. Die Diensteanbieter in diesem Segment liefern hierfür die logistisch, strategischen Lösungen und Konzepte. 5 PL-Anbieter finden sich häufig im Umfeld von e-Commerce Projekten.“ (Logistikbranche 2019). Aus den identifizierten Entwicklungen im Logistikdienstleistungssektor lässt sich erkennen, dass die Informationstechnologie nicht nur eine hinreichende, sondern sogar eine notwendige Bedingung für die erfolgreiche Bewältigung logistischer Aufgaben darstellt. Dabei ist es zunächst unerheblich, ob die Logistikprozesse durch ein produzierendes Unternehmen, ein Handelsunternehmen oder von einem Logistikdienstleister (LDL) geplant, realisiert, pro-aktiv gesteuert sowie kontrolliert und/oder von einem externen IT-Dienstleister unterstützt werden. Bei der Auswahl des Logistikpartners im Rahmen von Outsourcingprojekten sollte jedoch die IT-Kompetenz als ein wichtiges Entscheidungskriterium Berücksichtigung finden (vgl. Schmidt und Iskan 2013, S. 21).

13

1.1

1

Grundlagen der IT-gestützten Logistik

1.2

Logistik im Zeitalter von Industrie 4.0 & Co. ̶ „Logistics needs IT“

Der Logistiksektor hat sich, wie bereits eingangs festgestellt, deutlich gewandelt. Ursächlich für diesen Tatbestand sind zum einen Veränderungen im Produktions-/Wertschöpfungsumfeld, aber auch auf den Märkten. Da es sich bei der Nachfrage nach logistischen (Dienst-)Leistungen in der Regel um eine sogenannte abgeleitete Nachfrage handelt, vollziehen sich Veränderungen logistischer Strukturen primär zeitversetzt, d. h. reaktiv im Hinblick auf die sie initiierenden wettbewerblichen Faktoren. Die Logistik ist somit häufig in der Rolle eines „Lieferanten“, der auf Veränderungen der Kundenanforderungen möglichst schnell und flexibel zu reagieren hat. Zum anderen hat die rasante Weiterentwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien in den vergangenen Jahrzehnten zu einer Fülle an technischen Innovationen geführt, die a) unmittelbar für die Logistik entwickelt wurden (z. B. Robotergestütztes Kommissionieren) und/oder b) für die die Logistik ein weiteres potenzialträchtiges Anwendungsfeld darstellt (z. B. RFID-Lösungen, Blockchain). Für die Ausrichtung von Logistikstrukturen, -leistungen und -prozessen an den gewandelten Anforderungen sowie zur pro-aktiven Bewältigung zukünftiger Herausforderungen ist es aus strategischer Sicht unabdingbar, einen Blick in die Zukunft zu wagen und relevante Entwicklungstendenzen in der Logistik zu identifizieren. Zukunftsstudien für diesen Sektor sind relativ rar und liefern im Ergebnis ein komplexes Gebilde aus interdependenten Einfluss- sowie Potenzialfaktoren, die sich für Unternehmen nur schwer mit einzelnen isolierten Maßnahmen erfolgreich erschließen lassen. Der Logistics Trend Radar von DHL (vgl. Abb. 1-5) zeigt im Überblick soziale & wirtschaftliche sowie technologische Trends, verbunden mit einer Einschätzung der zeitlichen Relevanz (< 5 Jahre, > 5 Jahre) auf. In der ersten Kategorie (vgl. DHL 2018/19, S. 16f.) finden sich z. B. Ansätze wie Connected Life, Omni-Channel Logistics, Sharing Economy sowie die Herausforderungen einer Green Energy Logistics. Viele Menschen sind heutzutage fast permanent entweder stationär oder mobil online und im smarten Sinne vernetzt. Für die Logistik bietet dies vielfältige Möglichkeiten mit den Abnehmern zu kommunizieren, d. h. die betreffende Person z. B. über Ankunftszeiten einer Lieferung, mögliche Verspätungen, etc. mit geringem Zeitversatz – im besten Fall in Echtzeit – zu informieren. Der wachsende Umsatz im E-CommerceSegment und die Verschmelzung von Online- und Offline-Handel fociert Entwicklungen im Bereich der Omni-channel Logistics, woraus komplexe Anforderungen an die Gewährleistung hoher Servicelevel bei gleichzeitiger Kosteneffizienz und Nachhaltigkeit resultieren. Die gemeinsame Nutzung von Kapazitäten, z. B. bei Fahrzeugen im privaten wie betrieblichen Bereich und deren Koordination z. B. via Webplattform

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Logistik im Zeitalter von Industrie 4.0 & Co. ̶ „Logistics needs IT“

trägt zu einer höheren Ressourceneffizienz, geringeren Transaktionskosten sowie zu einem verbesserten ökologischen Fußabdruck bei. Nachhaltige und intelligente LetzteMeile-Konzepte, wie die Auslieferung von Waren via selbstfahrende Systeme oder der Einsatz von Elektrofahrzeugen reduzieren CO2-Emissionen, erfordern aber aus einer ganzheitlichen Betrachtung heraus ebenso Energie, die aus regenerativen („grünen“) Quellen stammt. Trends der zweiten Kategorie fokussieren primär auf die technische Säule intelligenter Logistik im digitalen Zeitalter (vgl. DHL 2018/19, S. 18f.). Ob 3D-Druck, Cloud Logistics, Self-driving Vehicles, Big Data Analytics, Robotics & Automation oder das Internet of Things (IoT), die Bedeutung jener Entwicklungen wird im Logistik Trend Radar als prägend für die zukünftige Gestaltung der IT-gestützten Logistik betrachtet. Abbildung 1-5:

DHL – Trendradar Logistik 2018/196

3D-Druck wird Fertigungsstrukturen und -prozesse beinflussen und zu veränderten Bedarfen an Logistikdienstleistungen führen. Dabei ermöglicht die Losgröße 1 eine – rein theoretisch – unendliche Zahl an potenziellen Produktvarianten, ohne diese Komplexität 1:1 in die Beschaffungs-, Produktions- und Distributionslogistik zu „übersetzen“, weniger Ausschuss/Verschnitt, d. h. einen geringeren Ressourcenbedarf und somit weniger Verschwendung. Cloud-Anwendungen, beispielsweise in ihrer Ausgestaltung als Logistikplattformen (und/oder SCM-Plattformen), schaffen die Basis für einen schnellen kommunikativen sowie prozessualen Austausch zwischen Lo6

Quelle: https://www.dhl.com/en/about_us/logistics_insights/dhl_trend_research/ trendradar.html (Stand: 17.01.2020)

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1.2

1

Grundlagen der IT-gestützten Logistik

gistikpartnern weltweit. Selbstfahrende Systeme wie z. B. Fahrerlose Transportsysteme in der Intralogistik sowie im Bereich der Letzten Meile fokussieren primär auf die Steigerung der Logistikeffizienz. Big Data impliziert nicht nur die Erfassung und Speicherung von Massendaten, sondern gleichermaßen das intelligente, anwendungsbezogene Auswerten sowie Analysieren von Daten u. a. zur Entscheidungsunterstützung. „Capitalizing on the value of big data offers massive potential to optimize capacity utilization, improve customer experience, reduce risk, and create new business models in logistics.” (DHL 2018/19, S. 18). Der Einsatz von Robotern, beispielsweise zur Unterstützung von Personal bei der Produktion und/oder Auslieferung von Sendungen sowie die Ausstattung von Werken/Distributionszentren mit selbststeuernden Robotern prägen zunehmend den Charakter der „Wertschöpfung“ im Zeitalter von Industrie 4.0 und Smart Factory. Eine fehlerfreie Maschine-zu-Maschine-Kommunikation sowie eine optimierte Mensch-Maschine-Schnittstelle stellen u. a. relevante Erfolgsfaktoren für die praktische Realisierung dar. Das Internet der Dinge (Internet of Things, IoT) hat Einzug in verschiedenste berufliche wie private Bereiche gefunden, so auch in die Logistik: „Sobald die Dinge anfangen, sich zu bewegen, ist die Logistik gefragt. Die Dinge und Informationen im (Material-)Fluss zu halten, könnte als erstes Axiom der Logistik postuliert werden. Mit dem Internet der Dinge tritt die Logistik in eine völlig neue Dimension ein. Material- und Informationsfluss werden eins.“ (Bullinger und ten Hompel 2007, S. XXIX). Die Schnelligkeit, mit der heutzutage Daten/Informationen sowohl im Unternehmen als auch zwischenbetrieblich transportiert werden können, fasziniert nicht nur den Wissenschaftler, sondern vor allem auch den Praktiker, der sich mit Innovationen an der Schnittstelle von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) sowie Logistik auseinandersetzt. Angesichts der vielfältigen Trends wird deutlich, dass Logistik IT benötigt, um ihren Anforderungen sowie Zielsetzungen heute wie auch morgen umfassend gerecht zu werden und nachhaltig einen positiven Beitrag zum Unternehmenswert, zum Ökosystem und für die Gesellschaft zu leisten („Logistics needs IT“). Betrachtet man die zweite Seite der Medaille, dann könnte an dieser Stelle jedoch auch der Ausspruch stehen: „IT in Search of Logistics“, repräsentiert doch gerade das Logistikumfeld für den IKT-Sektor einen potenzialträchtigen Anwendungsbereich. Industrie 4.0, Logistik 4.0, Smart Factory und Smart Logistics sowie Digitalisierung stellen aktuell Schlagworte in Wissenschaft und Praxis dar und bezeichnen Ansätze, die die beschriebenen Trends in ein strukturiertes Konzeptmodell einbetten, mit dem Ziel, einerseits antizipierte Chancen jener Entwicklungen sukzessive zu erschließen, andererseits jedoch auch, um identifizierte Risiken zu reduzieren bzw. verbleibende Risiken für Unternehmen handhabbar zu machen. Aufgrund vorhandener Überlappungen und Interdependenzen gelingt derzeit allerdings die eindeutige Abgrenzung der genannten Konzepte nur schwer. Was also ist unter Industrie 4.0 & Co. zu verstehen und wo liegt die Relevanz für die Logistik, speziell aus der Perspektive einer ITgestützten Logistik?

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Logistik im Zeitalter von Industrie 4.0 & Co. ̶ „Logistics needs IT“

Die fortschreitende Digitalisierung stellt zunächst ein wesentliches technisch-prozessuales Fundament der genannten Konzepte dar. Historisch gesehen wird unter dem Terminus vereinfacht die Umwandlung von analogen Daten in digitale Daten mittels eines Digitalisierer verstanden (vgl. z. B. Hess 2019, o. S.). Inzwischen greift jene Definition allerdings zu kurz, da sie die aktuellen Möglichkeiten u. a. Daten in Echtzeit zu erfassen, diese orts- und zeitunabhängig zu verarbeiten sowie – unter Nutzung z. B. von Business Intelligence – auszuwerten und für die Entscheidungsunterstützung heranzuziehen nicht abdeckt. Dabei ist zukünftig von einer massiven Volumensteigerung an Daten auszugehen: „IDC predicts that the Global Datasphere will grow from 33 Zettabytes in 2018 to 175 Zettabytes by 2025.” (Reinsel et al. 2018, S. 3). Die Auswirkungen von Big Data, sind enorm und stellen Unternehmen vor gewaltige Herausforderungen: „Mit Industrie 4.0 oder Connected Car sind nur zwei Trends genannt, die es unausweichlich machen, dass Industrieunternehmen in naher Zukunft lernen müssen, großvolumige und auch heterogene Datenströme zu managen, um die vorhandenen Potenziale nutzen zu können.“ (Trost 2015, S. 7). Die digitale Welt induziert einerseits einen tiefgreifenden Wandel, eröffnet jedoch andererseits auch vielfältige Chancen: „Digitalisierung bedeutet die Veränderung von Geschäftsmodellen durch die Verbesserung von Geschäftsprozessen aufgrund der Nutzung von Informations- und Kommunikationstechniken“ (Deloitte 2013, S. 8). Eng verbunden mit dem Paradigma Digitalisierung ist das Konzept des Internet of Everything. Es fungiert als Metamodell für verschiedenste Lebensbereiche, in denen Daten, Objekte (Internet of Things; IoT), Menschen sowie Prozesse informations- und kommunikationstechnisch vernetzt sind. Unterschieden werden können in diesem Zusammenhang die Schnittstellen „… machine-to-machine (M2M); machine-to-person (M2P); or person-to-person (P2P).“ (Macaulay et al. 2019, S. 5). Für die Logistik birgt das Internet der Dinge ein bedeutendes Potenzial, das es durch den Einsatz geeigneter Systeme und Methoden im Rahmen einer IT-gestützten Logistik nachhaltig zu erschließen gilt: „These benefits extend across the entire logistics value chain, including warehousing operations, freight transportation, and last-mile delivery. And they impact areas such as operational efficiency, safety and security, customer experience, and new business models.” (Macaulay et al. 2019, S. 7). Digitalisierung und Internet of Things fungieren als Grundlage bzw. Enabler der 4. Industriellen Revolution, kurz Industrie 4.0. Während die 1. Industrielle Revolution im Kern die Veränderung von Arbeitsprozessen durch Mechanisierung fokussiert, liegt der Schwerpunkt bei der 2. Industriellen Revolution auf dem Einsatz der Elektronik, bei Industrie 3.0 auf der Informatik und bei Industrie 4.0 auf der intelligenten („smarten“) Vernetzung von Wertschöpfungspartnern, der Automatisierung sowie Optimierung von Abläufen (vgl. Abb. 1-6).

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1.2

1

Grundlagen der IT-gestützten Logistik

Abbildung 1-6:

Industrie 4.0 – Die 4. Industrielle Revolution7

Für Industrie 4.0 wurden verschiedene Anwendungsszenarien entworfen, die die Pluralität des innovativen Forschungs- und Praxisfeldes aufzeigen. So werden in diesem Kontext u. a. die „resiliente Fabrik“, die vernetzte Produktion, intelligentes Instandhaltungsmanagement, eine selbstorganisierende adaptive Logistik sowie ein kundenintegriertes Engineering genannt (vgl. BMBF 2013, S. 105ff.). Gerade durch die Vernetzung von Objekten und die damit einhergehende Digitalisierung verändern sich infolge der 4. Industriellen Revolution nicht nur Wertschöpfungsstrukturen, sondern gleichermaßen die „Philosophie der Wertschöpfung“ (vgl. Abb. 1-7). Die intelligente (smarte) Vernetzung von Anlagen beispielsweise hat in Forschung und Praxis zur Herausbildung eines der Industrie 4.0 nah verwandten bzw. überlappenden Konzeptes, der sogenannten Smart Factory geführt. Der Einsatz von Sensoren, die Verarbeitung von Echtzeitdaten, eine automatisierte Prozesskontrolle und zustandsorientierte Maschinenüberwachung repräsentieren lediglich ausgewählte technische Charakteristika der modernen Fertigung. Erfolgreich sind entsprechende Ansätze u. a. jedoch nur dann, wenn eine durchgängige Prozessorientierung in produktiven sowie administrativen Bereichen gelingt, Material-, Daten- sowie Informationsflüsse durchgängig vernetzt, Abläufe flexibel bzw. adaptiv und ereignisgestützt gestaltet werden. 7

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Quelle: http://www.der-wirtschaftsingenieur.de/bilder/industrie-revolutionen.png (Stand: 16.10.2019)

Logistik im Zeitalter von Industrie 4.0 & Co. ̶ „Logistics needs IT“

Abbildung 1-7:

Industrie 4.0 – Wertschöpfung am Puls der Zeit8

Die Fokussierung der Wertschöpfungskette bzw. des -netzwerkes auf die logistischen Prozesse im Kontext von Industrie 4.0 und Smart Factory führt konsequenterweise zu den Paradigmen Logistik 4.0 und Smart Logistics. Die intelligente IT-gestützte Logistik als Querschnittsfunktion vernetzt u. a. durch den Einsatz des Internets (IoT) verschiedene Wertschöpfungsbereiche, Wirtschaftssektoren sowie Dienstleistungen. So werden beispielsweise Schnittstellen zur Produktion, zum Handel, zum Gesundheitssektor, zur Landwirtschaft, zum Energiesektor, zum öffentlichen sowie privaten Transportsektor, zu Infrastrukturen und Smart Cities bis hin zum Konsumenten („Vernetztes Heim“) als logistikrelevant aufgezeigt (vgl. Macaulay et al. 2019, S. 25). Auch in diesem Kontext ist der Übergang zwischen den Konzepten Logistik 4.0 und Smart Logistics tendenziell fließend und vom Standpunkt des Betrachters abhängig. Für den Logistikbereich wurden im Kontext des Internet of Things verschiedene Anwendungsszenarien (Use Cases) entwickelt (vgl. Macaulay et al. 2019, S. 14ff.). Sie zeigen sehr anschaulich die vielfältigen Prozesse sowie funktionalen Komponenten einer intelligenten Logistikumgebung auf. Neben dem Güterverkehr und der „letzten Meile“ bei der Zustellung manifestiert sich die Abwicklung von Lagerabläufen (z. B. bei Logistikdienstleistern) als potenzialträchtiges Einsatzgebiet für Smart Solutions (vgl. Abb. 1-8).

8

Quelle: http://enterprise-iot.org/wp-content/uploads/2014/11/FoF.png (Stand: 16.10.2019)

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1.2

1

Grundlagen der IT-gestützten Logistik

Abbildung 1-8:

Logistik 4.0 – „IT-gestützt & Smart“9

Dabei ist die Anwendung der Lösungen ex ante nicht auf eine bestimmte Anzahl vorhandener Lagerartikel begrenzt, sondern ermöglicht gerade die heutzutage so dringend erforderliche effiziente Handhabung oftmals Tausender unterschiedlicher Lagerobjekte mittels einer sogenannten chaotischen Lagerhaltung zur optimalen Auslastung limitierter räumlicher Lagerkapazitäten. Durch den Einsatz der RFIDTechnologie (vgl. Abschnitt 3.1.1), z. B. auf Paletten- und/oder Artikelbasis, lassen sich u. a. Bestandshöhen im besten Fall in Echtzeit über die Schnittstelle zu einem Warehouse Management-System (WMS) identifizieren und verarbeiten. Lagerausrüstung, wie beispielsweise ein Transportband, übermittelt den Verantwortlichen die Information, dass das Getriebe bei nächster Gelegenheit gewartet oder unverzüglich repariert werden muss. Lagermitarbeiter werden vor nahenden Gabelstaplern gewarnt bzw. der Fahrer wird von Fußgängern in unmittelbarer Umgebung in Kenntnis gesetzt. Der Zustand von Versandeinheiten, wie z. B. Vollständigkeit oder erfüllte Qualitätsanforderungen, können unmittelbar mit der Auftragsnummer an das System zur automatischen Initiierung nachfolgender Aktivitäten gemeldet werden. Falsch und/oder mitun9

20

In Anlehnung an: Macaulay et al. 2019, S. 14f.

Logistik im Zeitalter von Industrie 4.0 & Co. ̶ „Logistics needs IT“

ter gefährlich positionierte Lagerobjekte werden über geeignete Messpunkte erkannt und verantwortliche Personen von möglichen Gefahren in Kenntnis gesetzt. Intelligente Steuerungslösungen für die Lagerinfrastruktur, wie z. B. Belüftung (Smart Ventilation) und Beleuchtung (Smart Lighting) tragen u. a. zu einer Verbesserung der Energieeffizienz in logistischen Einheiten bei. Lagermitarbeiter erhalten Hinweise zur besonderen Handhabung von logistischen Einheiten (z. B. „Handle with care“), und aktuelle Zustandsdaten von Objekten, wie z. B. Temperatur, Luftfeuchtigkeit werden den zuständigen Entscheidungsträgern zum Zwecke des Monitorings der Lagerbestände zur Verfügung gestellt. Neben der Lagerlogistik lassen sich vielfältige weitere Anwendungsfelder im Bereich der Intra- sowie Unternehmenslogistik identifizieren, so dass zukünftig gerade durch die Vernetzung intelligenter Lösungen entlang der logistischen Kette ein Mehrwert für alle beteiligten Parteien aus der Logistik 4.0 bzw. Smart Logistics generiert werden kann. Führt man diesen Optimierungsgedanken weiter, dann impliziert der Einsatz entsprechender Technologien über die gesamte Supply Chain hinweg folglich mittelbis langfristig das Konzept eines SCM 4.0 (vgl. Abb. 1-9). Abbildung 1-9:

Supplier

SCM 4.0 im digitalen Zeitalter10

LSP

Customer/Retail

LSP

OEM

Material defect

Wrong shipment Capacity shortage

Machine breakdown

Delays

IT-Blackout

Supply bottleneck

Globalization

Cataclysm Product life cycle

Quarantine Customs

Maintenance

Availability of personnel

Strike Traffic Transparency

Folgendes Fazit lässt sich unter Berücksichtigung der bisherigen Ausführungen ziehen: Logistik ist heutzutage unabdingbar mit der Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien verknüpft; insofern repräsentiert die IT-gestützte Logis10

In Anlehnung an: Akinlar 2014, S. 11.

21

1.2

1

Grundlagen der IT-gestützten Logistik

tik einen erfolgskritischen Enabler einer Logistik 4.0 bzw. Smart Logistics. Welcher Mehrwert aus dieser symbiotischen Beziehung generiert werden kann, ist Gegenstand des folgenden Abschnitts.

1.3

IT-gestützte Logistik – oder 1+1 = 3

Das Ganze ist ja bekanntlich seit Aristoteles mehr als die Summe seiner Teile. Dieser Ausspruch gilt sinngemäß gleichermaßen für die IT-gestützte Logistik. Logistik auf der einen Seite mit dem Phänomen IT auf der anderen Seite konzeptionell zu verknüpfen, bedeutet im metaphorischen Sinne nicht beide „zu addieren“, sondern die Synergien aus beiden Konzepten für die Unternehmenspraxis realisierbar zu machen: so wird schlussendlich aus 1+1 = 3. Die Rolle der IT im Informationszeitalter wurde bereits in Kapitel 1.2 in Verbindung mit den spezifischen Logistiktrends herausgestellt. „Der Begriff der Informationstechnologie oder der „IT“ ([ai ti:]) ist eine Übertragung aus dem Englischen: Er ist in heutiger Verwendung so breit angelegt wie die Anwendungen der IT selbst, und er reicht von Informatik, Computertechnik und Nachrichtentechnik bis hin zu psychologischen und sozialen Aspekten der Informationsverarbeitung“ (Hehl 2008, S. 9). Informationstechnologien automatisieren, beschleunigen und integrieren einzelne logistische Prozessschritte bis hin zu kompletten Logistikprozessen sowohl unternehmensintern als auch im zwischenbetrieblichen Kontext. Sie ermöglichen bzw. erfordern sogar eine weitgehende Standardisierung von Abläufen, mit dem Ergebnis einer höheren Prozessqualität. Prozess- und Transaktionskosten lassen sich reduzieren, Informationsflüsse werden optimiert, indem Medienbrüche weitestgehend vermieden und/oder durch geeignete „Adapter“ überwunden werden. Schnittstellen zwischen Organisationseinheiten können so teilweise eliminiert, ITSchnittstellen harmonisiert werden. Die Potenziale IT-gestützter Logistik werden in Theorie und Praxis immer wieder deutlich herausgestellt. Allerdings muss an dieser Stelle jedoch auch festgehalten werden, dass sich die monteäre Quantifizierbarkeit der ausgewiesenen Potenziale und synergetischen Wirkungen häufig nur punktuell für einzelne Anwendungsbereiche und Tools realisieren lässt (vgl. z. B. Wirtschaftlichkeitsbetrachtung für den Einsatz von RFID). Als Referenzgrößen müssen deshalb Kennzahlen sowie Nutzenindikatoren zur Bewertung herangezogen werden (Ermittlung von Schätzwerten). Einen ersten Überblick über die Vielfalt an vorhandenen, qualitativen sowie insbesondere geschäftsprozessualen Nutzenpotenzialen, die durch den Einsatz von IT in der Logistik realisiert werden können, gibt Abb. 1-10.

22

IT-gestützte Logistik – oder 1+1 = 3

Abbildung 1-10: Nutzenpotenziale der IT-gestützten Logistik11

Die Informationstechnologie erweist sich in dreifacher Hinsicht als Konzept zur Sicherung einer nachhaltigen Unternehmensentwicklung. Erstens lässt sich durch die Automatisierung sowie Standardisierung von Geschäftsprozessen ein Rationalisierungseffekt im Bereich der logistischen Ablauforganisation erzielen. Zweitens fungiert die Logistik als kritischer Erfolgsfaktor und sollte folglich integraler Bestandteil eines Managementinformationssystems sein. Die strategische Logistikplanung, wie sie beispielsweise im Rahmen der Auslegung von Material- und Informationsflüssen bei der Errichtung eines neuen Werkes erfolgt, wird u. a. durch moderne Simulationstools unterstützt. Ereignisgesteuerte Logistikketten erfordern ein zeitnahes Feedback aktueller Prozessstati, um auftretende Probleme pro-aktiv und effektiv handhaben zu können. Durch den Einsatz der Radiofrequenztechnologie (RFID) lassen sich Daten in Echtzeit übermitteln, so dass hierdurch ein zielorientiertes Logistikcontrolling möglich wird. Drittens fungiert die IT als Wettbewerbsenabler, da sie den Markt transparent gestaltet und die Wertschöpfungskette bedarfsgerecht mit den erforderlichen Daten/ Informationen versorgt; somit lassen sich logistische Servicelevel (z. B. Liefertreue, Lieferfähigkeit) kontinuierlich einhalten. Mittels Bereitstellung intelligenter ITAnwendungen und Systeme kann eine Differenzierung von Unternehmen im Wettbe11

In Anlehnung an: Straube 2004, S. 318.

23

1.3

1

Grundlagen der IT-gestützten Logistik

werb gelingen. Die genannten Effekte, die aus dem Einsatz von IT in Organisationen resultieren, zeigen sich natürlich nicht nur im Umfeld der Logistik, sondern sind in allen weiteren Funktions- und Prozessfeldern von Unternehmen zu identifizieren. Aufgrund der Tatsache, dass der Logistik als Querschnittsfunktion eine primäre Koordinationsaufgabe zukommt, lassen sich die synergetischen Wirkungen einer ITgestützten Logistik bereits erahnen. Abbildung 1-11: Industrie 4.0 – Logistik als „digitaler“ Stellhebel12 Industry 4.0 Increases Productivity in Component Manufacturing by 4 to 7 Percent Lever Integrated manufacturing and logistics processes

Flexible small-batch manufacturing

Comments Measure: Complete vertical (internal) and horizontal (suppliers, customers) data integration

Quantification (%)

Labor cost

Result: Frictionless Depreciation reaction of manufacturing systems to changes in the production process Operating cost Measure: Completely automated small-batch manufacturing Logistics cost Result: Reduction of

100 65

Ø -301

75

100 120

160

100

80

Ø -30

100 55

Ø -50

100 100

Ø ~0

60

45

Ø 40

setup time and cost

Autonomous consignment systems

Measure: Automated logistics and consignment Result: Reduction of failures through media discontinuity as well as consignment time

The sum of the levers drives a reduction of cycle time from three days to one day

Materials cost

Overhead

100 65 75

Total productivity increase in five to ten years Today

Ø -30

4%-7% of total cost 20%-30% of conversion cost

Industry 4.0

Range

Source: BCG analysis. Note: Conversion cost = manufacturing cost excluding material. 1Labor cost net effect is based on reduction and increase in the number of employees.

12

24

In Anlehnung an: http://www.ibaset.com/wp-content/uploads/2015/04/componentmanufacturing.jpg (Stand: 16.10.2019)

IT-gestützte Logistik – oder 1+1 = 3

Die Vorteile aus der Implementierung von Industrie 4.0 und indirekt somit gleichermaßen durch den Beitrag der IT-gestützten Logistik (Logistik 4.0, Smart Logistics) werden im Rahmen verschiedener Studien herausgestellt. Im Schnitt lässt sich – laut einer BCG Untersuchung – durch Industrie 4.0 in der Komponentenfertigung eine Produktivitätssteigerung zwischen 4 und 7 Prozent realisieren. Die Einflussfaktoren sowie Quantifizierungskomponenten erweisen sich zwar als komplex und interdependent, jedoch gelingt über ein entsprechendes Indikatorensystem eine erste Annäherung an die durch intelligente Produktionskonzepte beispielhaft zu hebenden Wirtschaftlichkeitspotenziale. Laut jener Studie stellt die Reduktion von Logistikkosten einen wichtigen Stellhebel dar (vgl. Abb. 1-11). Eine weitere Studie zu den primär volkswirtschaftlichen Potenzialen der Industrie 4.0 zeigt sehr anschaulich die Bandbreite an möglichen Verbesserungen in unterschiedlichen Sektoren und Anwendungsbereichen auf. Die Logistik stellt jeweils einen zentralen Baustein bzw. ein wichtiges Gestaltungsfeld dar (vgl. Abb. 1-12). So wird beispielsweise für die Land- und Forstwirtschaft eine Steigerung der Bruttowertschöpfung durch Industrie 4.0 von 2013 bis 2025 in Höhe von 15% prognostiziert. Die Chemische Industrie sowie der Sektor Elektrische Ausrüstung lassen Potenziale um die 30% erwarten. Abbildung 1-12: Industrie 4.0: Potenziale am Beispiel der Landwirtschaft – Intelligente Erntelogistik & Co.13

Präventive Fehlervermeidung Kein Stillstand während der Erntezeit

Optimierte Erntelogistik Unter Berücksichtigung von diversen Einflussfaktoren

Schonung des Feldbodens Durch bessere Koordination der Landmaschinen

Vorausschauende Planung Durch Verwendung von Daten in Echtzeit

Minimieren des Kraftstoffverbrauchs Durch genaue Prognose und Ansteuerung zum „Rendezvous“

Automatische Regelung der Erntegeschwindigkeit z. B. angepasst an Ertrag, Treffpunkt zum Überladen des Erntegutes Großhandel

Materiallieferanten Rohstoffe

Lager

Pflanzen von Rohstoffen

Ernten

Weiterverarbeitung

Lager

Verarbeitung auf dem Feld

13

In Anlehnung an: Bauer et al. 2014, S. 27.

25

1.3

1

Grundlagen der IT-gestützten Logistik

Fazit: Der Nutzen durch den Einsatz von IoT in der Logistik – und somit der ITgestützten Logistik – wird deutlich gesehen, allerdings lässt er sich gerade aus betriebswirtschaftlicher Sicht zumeist nur für einen bestimmten Prozessbereich fall- und situationsbezogen quantifizieren oder in generischer Form qualifizieren, wie das folgende Zitat zeigt: „We can monitor the status of assets, parcels, and people in real time throughout the value chain. We can measure how these assets are performing, and effect change in what they are currently doing (and what they will do next). We can automate business processes to eliminate manual interventions, improve quality and predictability, and lower costs. […]” (Macaulay et al. 2019, S. 7), oder kurz gesagt: 1+1 = 3. Eine zusätzliche Schwierigkeit hinsichtlich des Potenzial- und Synergieausweises liegt in der uneinheitlichen Definition von Logistik 4.0, Smart Logistics sowie der ITgestützten Logistik, einschließlich der sie umfassenden Konzepte, wie z. B. der Industrie 4.0 oder Smart Factory begründet. Während u. a. die beiden erstgenannten Ansätze bereits inhaltlich konkretisiert und voneinander abgegrenzt wurden, fehlt bislang eine Definition der symbiotischen Vernetzung von IT und Logistik zur IT-gestützten Logistik. Diese Lücke wird nun sukzessive geschlossen. In der Digitalen Wirtschaft werden neben der Innovation von Geschäftsmodellen gleichermaßen die Konzepte E-Business sowie E-Commerce diskutiert (Kollmann 2019). „Electronic Business bedeutet Anbahnung, Vereinbarung und Abwicklung elektronischer Geschäftsprozesse, d. h. Leistungsaustausch mit Hilfe öffentlicher oder privater Kommunikationsnetze (resp. Internet), zur Erzielung einer Wertschöpfung.“ (Meier und Stormer 2012, S. 2). Unter E-Commerce wird vor allem der elektronische Handel verstanden, sowohl im B2C-Sektor als auch im B2B-Sektor zwischen Unternehmen (vgl. Meier und Stormer 2012, S. 2). Somit erweist sich E-Commerce als Element, quasi als Subsystem zum ganzheitlichen Verständnis des E-Business. Wie aber lässt sich nun die IT-gestützte Logistik einordnen? In den letzten Jahrzehnten durchdrang die IT immer mehr Prozessbereiche, so dass sich sukzessive beispielsweise die Konzepte E-Procurement, E-Manufacturing, E-Sales oder E-Maintenance herausgebildet haben. Führt man diesen Gedanken weiter, dann lässt sich analog die E-Logistik (respektive hier: IT-gestützte Logistik) als ein spezifisches, schnittstellenübergreifendes Prozessfeld betrachten, das die Umsetzung der Strategien, Ziele sowie Aufgaben des E-Business nachhaltig unterstützt. Eine überschneidungsfreie Abgrenzung aller genannten Bereiche gelingt jedoch nicht immer, da z. B. das E-Procurement wiederum als eine wichtige Plattform des E-Business gesehen wird (vgl. Kollmann 2019, S. 139ff.). Aufbauend auf den genannten Kontextfaktoren wird das Konzept der IT-gestützten Logistik deshalb terminologisch wie folgt fundiert:

26

IT-gestützte Logistik – oder 1+1 = 3

n „Basisdefinition IT-gestützte Logistik umfasst die Planung, Steuerung und Überwachung der Material-, Personen-, Energie- und Informationsflüsse in ihrer Ausgestaltung als E-Business-Lösung/-System (IT-gestützte Logistik als Anwendungsfeld des E-Business).

n Erweiterte Definition IT-gestützte Logistik umfasst die Transformation von logistischen Geschäftsmodellen und Prozessen durch den Einsatz von I&K-Technologien. [Der Support erfolgt in Konsequenz nicht ausschließlich durch den Einsatz der InternetTechnologie.] Diese bilden Kernkompetenzen von Logistikdienstleistern ab oder haben logistische Aufgabenbereiche in beliebigen Unternehmen zum Inhalt [ITgestützte Logistik ist branchenunabhängig realisierbar].“ (Hausladen 2009b, S. 453). Neben dem traditionellen Einsatz von Internet sowie Informationstechnik im weiteren Sinne kommen im Umfeld der Logistik immer stärker moderne Kommunikationstechnologien zur Anwendung. Diesem Aspekt wurde bei der definitorischen Grundlegung des Paradigmas Rechnung getragen, auch wenn aus phonetischen Gründen auf die Bezeichnung IKT-gestützte Logistik zugunsten von IT-gestützter Logistik verzichtet wird. Im englischen Sprachgebrauch erfolgt häufig die Übersetzung von „IT-gestützt“ mit „IT-based“. Phonetisch klingt im Angloamerikanischen „IT-based Logistics“ eben besser als „IT-supported Logistics“. Beide Kontextinterpretationen im Deutschen und im Englischen lassen sich praxisbezogen durchaus als identisch betrachten. Aus einer wissenschaftlich-theoretischen Perspektive heraus bestehen zwischen dem „ITgestützt“ und dem „IT-basiert“ allerdings graduelle Unterschiede. Letzterer Ansatz unterstellt, dass alle Logistikprozesse durch ein/mehrere IT-System(e) ablauforganisatorisch fundiert werden. Dagegen lässt der erstgenannte Wortlaut die hermeneutische Schlussfolgerung zu, dass nicht jeder Prozessschritt entlang der logistischen Kette automatisiert und durch eine adäquate IT-Lösung „basiert“ sein muss. IKTUnterstützung manifestiert sich somit als Option, um Synergien in den komplexen logistischen Abläufen gemäß den situativen Voraussetzungen bestmöglich für alle beteiligten Partner erschließen zu können. Dort, wo manuelle Tätigkeiten sowie eine Face-to-Face Kommunikation beispielsweise die bessere Ressourcenallokation herbeiführen (1+1 = 3) und der effizienten Steuerung von Material- sowie Informationsflüssen zuträglich sind, da mögen IT-Systeme eher hinderlich, also mitunter potenzialreduzierend wirken (1+1 = 0,5). Es gilt daher der Grundsatz „Logistik braucht IT, aber nicht um jeden Preis“. Der Terminus E-Logistik (elektronische Logistik) wird der IT-gestützten Logistik im Rahmen dieses Lehrbuchs konzeptionell gleichgestellt. Auf eine „philosophisch“ begründete Differenzierung der beiden Konzepte soll deshalb an dieser Stelle verzichtet

27

1.3

1

Grundlagen der IT-gestützten Logistik

werden, da die Fülle an vorhandenen Definitionen und Sichtweisen einer zielführenden Auflösung der den Konzepten inhärenten Dialektik nicht förderlich ist. Ähnlich verhält es sich mit der Abgrenzung von E-Logistik/IT-gestützter Logistik und E-Supply Chain Management (E-SCM). Wird auf die Unterscheidung von Logistik auf der einen Seite und SCM auf der anderen Seite Bezug genommen (vgl. Abschnitt 1.1), dann wird der erweiterte Kontext einer elektronisch gestützten Versorgungskette (Supply Chain) durch intelligente Informations- und Kommunikationstechnologien deutlich. Auch hier erweist sich die IT-gestützte Logistik als ein dem SCM inhärentes Element, das analog strukturiert ist und derselben Logik/Philosophie folgt (8 Rs). In der Literatur sowie in der Praxis wird allerdings bislang immer von E-SCM und nicht von IT-gestütztem Supply Chain Management gesprochen. Mea culpa würde der Lateiner sagen, aber betriebswirtschaftliche Konzepte sind häufig miteinander vernetzt und folgen deshalb in begrifflicher Hinsicht leider nicht immer einer „mathematischen Logik“. Zur Erfüllung des in Abschnitt 1.3 formulierten Anspruchs an die IT-gestützte Logistik: „1+1 = 3“ ist es erforderlich, IKT-Lösungen für die Logistik in die jeweilige Unternehmensarchitektur zielführend einzubetten. Neben der geeigneten Daten-, Softwareund Systemarchitektur ist vor allem die Anwendungsarchitektur aus der speziellen Sichtweise der betriebswirtschaftlichen Logistik heraus ein zentrales Gestaltungsobjekt. Von Anwenderseite werden sogenannte Geschäftsregeln formuliert, die nachfolgend programmiertechnisch umzusetzen sind. Die Geschäftslogik resultiert aus der Abfolge der einzelnen logistischen Prozessschritte. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um material- und/oder informationsflussrelevante Sequenzen handelt. Neben der architektonischen Einbettung von IT-gestützter Logistik in die bestehende Unternehmensorganisation spielt für die Realisierung vorhandener Synergien vor allem die Koordination der IT-Anwendungen auf der einen Seite mit der geschäftsprozessualen Komponente (Logistikprozesse) auf der anderen Seite eine entscheidende Rolle. Aufgrund der hohen Bedeutung dieses Aspekts für den Erfolg IT-gestützter Logistik in Unternehmen verschiedener Branchen sowie bei Logistikdienstleistern ist der Geschäftsprozessgestaltung im Umfeld der E-Logistik zu einem späteren Zeitpunkt ein eigener Abschnitt in diesem Buch gewidmet (vgl. Kapitel 5).

28

IT-gestützte Logistik als Geschäftsmodell?

2 IT-gestütztes Logistiksystem IT-gestützte Logistik bedeutet heutzutage mehr, als lediglich moderne Informationsund Kommunikationstechnologien in unterschiedlichen Abschnitten der Logistikkette einzusetzen. Die Logistikfunktion umfasst nicht nur eine operative Komponente, sondern von den Verantwortlichen ist gleichermaßen eine Vielzahl an strategischen Entscheidungsproblemen zu lösen. Darüber hinaus stellt nicht nur die Logistik selbst, sondern vor allem die IT-gestützte Logistik ein zentrales Geschäftsmodell im Logistikdienstleistungssektor dar: mit intelligenten Lösungen und optimierten Prozessen kann also erfolgreich Wertschöpfung betrieben werden. Abbildung 2-1:

Lernbox – IT-gestütztes Logistiksystem

Leitfragen n Was ist unter einem Geschäftsmodell zu verstehen? n Welche Rolle nimmt die IT-gestützte Logistik im Geschäftsmodell eines Logistikdienstleisters (LDL) ein? n Wie gestaltet sich IT-gestützte Logistik als eigenes Geschäftsmodell? n Welche Bedeutung hat das Service Engineering für den Logistikbereich? n Welche Rolle kommt der IT-gestützten Logistik als Managementfunktion zu? n Wie erfolgt die Strategiedefinition im Bereich der IT-gestützten Logistik? n Wie stellt sich ein IT-gestütztes Logistiksystem dar und wie kann es modelliert werden?

2.1

IT-gestützte Logistik als Geschäftsmodell?

Ein erfolgreiches Geschäftsmodell beschreibt die zukunftsorientierte Wertposition eines Unternehmens, legt seinen Aktivitäten eine klare Marktsegmentierung, eine definierte Nutzenbeschreibung für den Kunden sowie eine adäquate Wertkettenstruktur zugrunde, zeigt auf wie Umsatz und Gewinn realisiert werden sollen, beschreibt die eigene Stellung im Wertschöpfungsnetzwerk und formuliert eine eindeutige Wettbewerbsstrategie. Geschäftszweck und Geschäftsmodell weisen konzeptionell starke Ähnlichkeiten auf, da letztendlich mit dem Geschäftszweck, d. h. welche Aufgabe das Unternehmen erfüllt bzw. zu welchem Zweck es gegründet worden ist, die Grundstruktur des Geschäftsmodells aufgespannt wird. Erfolgt die Unternehmensgründung aus dem Bestreben heraus für andere Unternehmen (Erzeuger/Produzenten, Handel, Dienstleistungsunternehmen, Konsumenten)

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 I. Hausladen, IT-gestützte Logistik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31260-2_2

29

2.1

2

IT-gestütztes Logistiksystem

logistische Dienstleistungen zu erbringen, dann stellt die Logistik selbst die Kernkompetenz und somit den Geschäftszweck dar, der durch das Geschäftsmodell nachfolgend strategisch konkretisiert wird. Internetbasierte Geschäftsmodelle sind in den vergangenen Jahren, im Zeitalter von Bits und Bytes immer mehr zu einem wichtigen Wettbewerbsfaktor avanciert. Trotz der Internetblase und des historischen E-Hypes sind die Geschäftsbereiche E-Commerce und E-Business heutzutage weltweit und durch verschiedenartigste Anwendungen erfolgreich etabliert. Digital gestützte physische Wertschöpfungsketten bis hin zu virtuellen Wertschöpfungsketten prägen das Bild im Zeitalter der Internetökonomie (vgl. Scheer und Loos 2002, S. 27ff.; Clement und Schreiber 2010, 253ff., 2016). Verfolgt man diesen Gedanken weiter, dann ist es nur ein kleiner Schritt, die ITgestützte Logistik aus Sicht eines Logistikdienstleisters (LDL) zu einem entscheidenden Bestandteil des eigenen Geschäftsmodells zu erklären, oder das Geschäftsmodell ausschließlich auf den Aspekt I(K)T-gestützt zu fokussieren. Aus der Perspektive eines 4th Party Logistics Providers im engeren Sinne und/oder eine 5th Party Logistics Providers wäre genau dieser Anwendungsfall möglich. So stellt beispielsweise der entsprechende LDL die erforderlichen personellen sowie IT-Ressourcen zur Verfügung, um als Systemdienstleister und Berater für verschiedene Kunden, z. B. Industrie- und Handelsunternehmen oder Kontraktlogistiker zu fungieren. Der derzeitige Entwicklungsstand spricht allerdings eher für die Variante, den IT-gestützten Part der zu erbringenden Logistikservices in das bisherige Geschäftsmodell zielführend zu integrieren und dem Bereich eine wichtigere oder sogar eine herausragendere Rolle als bisher zuzugestehen. Zukünftig dürfte allerdings auch der zweiten Option „IT-gestützte Logistik“ als eigenes Geschäftsmodell m. E. eine gute Entwicklungschance zugesprochen werden. Wie komplex sich Geschäftsmodelle als solches, besonders im Umfeld der Informations- und Kommunikationstechnologie sowie dem „Internet der Dienste“ (vgl. Weiner et al. 2010, S. 72ff.) gestalten, illustriert das Beispiel in Abb. 2-2. Jeder einzelne Aspekt des dargestellten Geschäftsmodells im Bereich des IT-SystemserviceGeschäftes ist detailliert auszugestalten und mit Strategien, Zielen sowie mit geeigneten Messgrößen/Indikatoren zu hinterlegen. Der Entwicklungsprozess eines Geschäftsmodells vollzieht sich häufig in vier aufeinander folgenden Stufen: 1. Identifikation der Kundenanforderungen sowie der Produkte/Dienstleistungen Die Charakteristika der mit den Produkten/Serviceleistungen angesprochenen Kundensegmente werden klar definiert, die Marktsegmente exakt beschrieben und bei Bedarf erfolgt eine nochmalige Anpassung der vorgenommenen Kundensegmentierung. Pro Zielgruppe werden die erwarteten Potenziale ermittelt, bewertet, zu Potenzialgruppen verdichtet und abschließend priorisiert.

30

IT-gestützte Logistik als Geschäftsmodell?

Abbildung 2-2:

Geschäftsmodell IT-Systemservice-Geschäft (schematisch)14

2. Entwicklung eines Finanzplans Zunächst werden die strategischen Ziele festgelegt und die wichtigsten externen Einflussfaktoren identifiziert. Für das vorliegende Unternehmen erfolgt dann die Ausarbeitung zielkonformer Ertragsmodelle (für die einzelnen Segmente/Produkte/Services). Anhand der Produktlebenszyklen werden diese Ertragsmodelle auf ihre Konstanz bzw. Anwendbarkeit hin überprüft. Die erzielten Ergebnisse fließen nachfolgend in kurz-, mittel- und langfristige Businesspläne ein. Diese Teilpläne werden abschließend in einen gesamten Businessplan zusammengeführt.

14

Quelle: Pietsch, W./Herzwurm, G. (2013): Geschäftsmodell (für Software und Services); http://www.enzyklopaedie-der-wirtschaftsinformatik.de/Members/pietsch1/ Abb.%201%20Geschaeftsmodells%20IT-Standardprodukte.png/image_large (Stand: 17.10.2019)

31

2.1

2

IT-gestütztes Logistiksystem

3. Marketingkonzept erstellen Die Zielgruppen im B2B sowie B2C Sektor werden priorisiert und für jede einzelne Zielgruppe/für jedes einzelne Marktsegment wird ein individueller Marketing Mix ausgearbeitet. Die entsprechenden Pläne werden mit adäquaten Maßnahmenplänen hinterlegt. 4. Make or Buy - Netzwerkgestaltung In einem ersten Schritt werden Möglichkeiten zur Zusammenarbeit mit externen Partnern entlang der Wertschöpfungskette identifiziert, detailliert beschrieben und auf ihre Potenziale hin bewertet. Parallel hierzu erfolgt die exakte Spezifikation der aktuellen sowie zukünftigen Kernkompetenzen des betrachteten Unternehmens. Aufbauend auf dieser Analyse wird mit ausgewählten Partnern ein erster Kontakt aufgenommen, um die vorhandenen Kooperationsmöglichkeiten abzuwägen und in einem nächsten Schritt erste Eckdaten einer gemeinsamen Zusammenarbeit zu diskutieren. Kernkompetenzen verbleiben im eigenen Unternehmen (Make), NichtKernkompetenzen können nachfolgend an Externe ausgelagert (Buy/Outsourcing) werden und Synergiepotenziale lassen sich im Rahmen der Zusammenarbeit mit Partnern gewinnbringend erschließen. Gegenstand des Outsourcing sind beispielsweise sowohl Produktionsprozesse als auch logistische Leistungsumfänge. Aus Sicht eines Logistikdienstleisters sind expressis verbis die logistischen Abläufe einer Kernkompetenzbetrachtung zu unterziehen; diese können sowohl IT-gestützter als auch traditionell physischer Gestalt sein. Die Erweiterung des bestehenden Geschäftsmodells um Aspekte der IT-gestützten Logistik kann mit der Entwicklung und Bereitstellung neuer Services für den Kunden einhergehen. Das Angebot von Tracking & Tracing Funktionalitäten (Rückverfolgbarkeit von Sendungen) über ein Online-Portal, wie es inzwischen Gegenstand der Servicepalette vieler Logistikdienstleister ist, stellt das Ergebnis eines sogenannten Service Engineering-Prozesses dar. Unter diesem Konzept werden die Entwicklung und das Design von Services/Dienstleistungen unter Zuhilfenahme von Prozessmodellen, Methoden und Tools verstanden. Dabei ist es zunächst unerheblich, ob es sich um Serviceangebote im Umfeld von beispielsweise Finanz- oder Logistikdienstleistungen handelt und ob diese IT-gestützt oder „manuell“ gestaltet werden sollen. Die Disziplin der Service Science und des Service Engineering (vgl. hierzu z. B. Schneider et al. 2005) widmet sich gezielt diesem Paradigma und stellt Vorgehensweisen für unterschiedliche Anwendungsfelder bereit (zum Service Engineering im Bereich der E-Logistik (vgl. Zähringer 2005, S. 11ff.). Analog der Ausgestaltung eines Geschäftsmodells, liegen auch für den Entwicklungsprozess von Services Vorgehensmodelle sowie Handlungsraster zur Standardisierung des Designprozesses vor. Abb. 2-3 zeigt beispielhaft die Gestalt eines entsprechenden Prozessmodells auf; so sind von den Verantwortlichen die einzelnen Phasen sukzessive abzuarbeiten und zu dokumentieren. Pro Phase werden unterschiedliche Methoden zur Lösungsfindung eingesetzt, wie beispielsweise Kundenbefragungen oder Lead 32

IT-gestützte Logistik als Geschäftsmodell?

User-Konzepte. Als Tools dienen entlang des Entwicklungsprozesses vor allem Informations- und Kommunikationssysteme. Abbildung 2-3:

Service Engineering-Prozessmodell15

Implementierungsphase

Testphase

Konzept implementieren

Gesamtspezifikation testen

Startphase

Ideen generieren

Anforderungen analysieren

Ideen bewerten

Potenzial bereitstellen

Vorbereitungsphase

Analysephase

Gesamtspezifikation erstellen

Einzelspezifikationen erstelllen

Konzeptionsphase

Darüber hinaus erfolgt eine Unterteilung des zu entwickelnden Services in eine Potenzial-, Prozess-, Leistungs- sowie Marktdimension. Die Zusammenführung der drei Service Engineering Dimensionen Prozessmodell, Methoden und Tools mit den erstgenannten Serviceelementen in einer Matrix ermöglicht, ähnlich der Struktur eines morphologischen Kastens, die sukzessive Erfüllung der jeweils definierten Innovationsaufgabe. Das Innovationsmanagement an sich, im Speziellen das Service Engineering, repräsentieren eigene betriebswirtschaftliche Disziplinen, deren umfassende Darstellung und Analyse vor dem Hintergrund der IT-gestützten Logistik an dieser Stelle weder möglich noch zielführend wäre. Entscheidend ist, dass sich die Entwicklung neuartiger Serviceangebote im Umfeld der IT-gestützten Logistik entsprechender Vorgehensweisen sowie Methodenbaukästen grundsätzlich, im Sinne von Referenzmodellen, bedie15

In Anlehnung an: Bullinger und Schreiner 2003, S. 73.

33

2.1

2

IT-gestütztes Logistiksystem

nen kann. Allerdings ist in der Regel kein 1:1-Transferpotenzial – aufgrund der Unterschiedlichkeit der jeweils betrachteten Paradigmen – vorhanden. Durch die Weiterentwicklung der Methoden sowie durch die Adaption derselben an die spezifisch zu modellierenden Services, unter besonderer Berücksichtigung des I(K)T-Aspektes, wird die Zukunft sicherlich neue Forschungserkenntnisse hervorbringen und diese für die Logistikpraxis fruchtbar machen.

2.2

Strategiedefinition in der IT-gestützten Logistik

Wenn der IT-gestützten Logistik heutzutage eine erfolgskritische Bedeutung zukommt und sie als Bestandteil oder sogar als Kernelement des Geschäftsmodells von Unternehmen betrachtet wird, dann tritt die strategische Relevanz des betrachteten Paradigmas deutlich zutage. Eine Strategie ist grundsätzlich langfristig orientiert und zeigt den Pfad zur Erreichung der definierten Zielsetzungen eines Unternehmens auf. Es soll die Frage beantwortet werden: Wo stehen wir als Unternehmen heute, wo wollen wir morgen stehen und vor allem wie gelangen wir dorthin? War die Sicht auf die Logistik historisch gesehen zunächst eine instrumentelle, so entwickelte sie sich über die Jahrzehnte weiter als funktionale sowie institutionelle Logistikkonzeption bis hin zum Verständnis als Managementkonzept (vgl. Wildemann 1997b, S. 4f.), das auch heute im digitalen Zeitalter nach wie vor die Logistikauffassung dominiert. Die Unternehmenslogistik erweist sich als Führungskonzeption; sie „… wird nicht als eine auf die Steuerung, Abwicklung, Überwachung von Material- und Informationsflußaktivitäten beschränkte Dienstleistungsfunktion angesehen, sondern als querschnittsorientierte Grundhaltung zur zeiteffizienten, kunden- und prozeßorientierten Koordination von Wertschöpfungsaktivitäten.“ (Wildemann 1997b, S. 5). Legen wir die Definition aus Abschnitt 1.3 zugrunde, dann erfüllt in Konsequenz gleichermaßen die IT-gestützte Logistik die Anforderungen an eine Managementkonzeption, die derselben Philosophie folgt. Für die Marktakteure IT-Dienstleister, ITProvider, Industrie-, Handelsunternehmen, öffentliche Einrichtungen (z. B. Krankenhäuser) sowie für Logistikdienstleister kann die strategische Rolle der IT-gestützten Logistik wie folgt charakterisiert werden:

n IT sowie IT-gestützte Logistik bilden einen Kernbestandteil der Unternehmensstrategie.

n IT ist von strategischer – und nicht nur von operativer – Bedeutung. n Geschäftsmodelle basieren auf der Konzeption der IT-gestützten Logistik oder integrieren dieselbe als ein wichtiges Gestaltungselement.

34

Strategiedefinition in der IT-gestützten Logistik

In der Praxis erfüllt damit die (IT-gestützte) Logistik eine strategische, taktische sowie operative Managementfunktion, die die gesamte Wertschöpfungskette des Unternehmens integrativ umspannt (siehe Abb. 2-4). Abbildung 2-4: Ebene

Strategisches, taktisches und operatives Logistikmanagement16

Vertrieb

Produktion

Beschaffung

Distribution

Entsorgung

Entwicklung

• Logistikstrategie • Supply Ch. M. • Netzwerkstruktur • Logistikpartner

Strategie

• Log. Organisation • IT Systeme • Log. Controlling • Human Resource

• Verkaufsplanung • Vertriebs-Forecast • Bedarfsplanung

• Bestandsplanung • Versorgungsprozess • Lager/Transport • Behälter • Verpackung

Taktik

• Auftragseingang • Auftragssteuerung • Kundenauskunft

Operation

• Bedarfsplanung • Forecast-System • Disposition

• Bestellung • Abruf • Lieferantensteuerg. • Materialanlieferung • Materialbereitstellg. • Transport

• Prod.planung • Forecast • Bestandsplanung • Postponement • Materialflusspl. • Fabrik-/Montagelayout

• Kapazitätsplanung • Verteilprozesse • Bestandsplanung • Forecast • Disposition • Lager/Transport • Kommissionierung • Verpackung

• Bedarfsplanung • Entsorg.prozesse planen • Transport • Demontage

• Log.planung F&E • Simultaneous Eng. • Serienintegration • Variantenplanung

• Prod.steuerung • Materialversorgung • Behältersteuerung • Flächendisposition • innerbetr. Transp.

• Versandsteuerung • Dienstleistersteurg. • Lagerabwicklung • Disposition Bestand

• Bestandsdisposition • Entsorg.prozesse steuern • Transportoptimierg. • Retourensteuerung • Demontagesteuerg.

• Logistikdatendokumentation • Steuerung Anlaufreife • Serienlogistik

Die Ableitung von Logistikstrategien ist aus den genannten Gründen inzwischen zu einem wichtigen Bestandteil des Aufgabenportfolios von Logistikmanagern avanciert. Wie aber lassen sich gezielt Strategien für eine IT-gestützte Logistik formulieren? Der IT-Aspekt kann prinzipiell in die traditionelle Strategiedefinition für die Logistik als Rahmenfaktor gestaltend einfließen. Allerdings kommt der IT bei genauerer Betrachtung (siehe Ausführungen zur Bedeutung IT-gestützter Logistik; IT-gestützte Logistik als Geschäftsmodell) selbst eine prägende Rolle im Logistikumfeld zu – dabei ist es unerheblich, ob es sich um IT-basierte oder um IT-gestützte Logistikprozesse handelt. Folglich kann m. E. eine Festlegung von erfolgreichen Strategien nicht losgelöst von der informatorischen Komponente erfolgen bzw. diese lediglich als zusätzliches, begleitendes „Add-on“ betrachten. Es bedarf der parallelen Berücksichtigung beider Aspekte, einerseits der Logistik(prozesse), andererseits der bereits eingesetzten/zukünftig geplanten IT-Lösungen (interdependente Planungstatbestände). Wer 16

In Anlehnung an: Straube 2004, S. 61.

35

2.2

2

IT-gestütztes Logistiksystem

also aus Sicht einer IT-gestützten Logistik argumentiert, muss sich der Tatsache bewusst sein, dass der Terminus IT immer aus zwei Komponenten zusammengesetzt ist: zum einen „Information“, zum anderen „Technologie“. In Summe gilt es also das Technologiemanagement bzw. den technologischen Aspekt bei der Strategiedefinition angemessenen zu berücksichtigen. Im Rahmen eines Arbeitskreises wurde mit Vertretern aus dem Logistiksektor sowie dem Handel und der Industrie eine exemplarische Vorgehensweise zur Bestimmung von Logistikstrategien im Umfeld der E-Logistics entwickelt. Das Stufenschema umfasst die folgenden vier Phasen: 1.

Identifikation der aktuell vorhandenen Logistikprozesse im Unternehmen.

2.

Vornahme der Bewertung der Logistikprozesse anhand betriebswirtschaftlicher Kennzahlen.

3.

Bewertung möglicher IT-Anwendungen zur Unterstützung der logistischen Prozesse anhand ausgewählter Kennzahlen/Indikatoren.

4.

Integration der Ergebnisse aus den Stufen 1 – 3 zu einer Gesamtauswertung und Ableitung eines Maßnahmenplanes.

Die Prozessidentifikation stützt sich, soweit in einem Unternehmen die Logistikprozesse/Prozesstypen aktuell nicht exakt beschrieben sind, auf eine morphologische Analyse. Es werden die prozessgestaltenden Faktoren tabellarisch aufgelistet und mit den jeweils zugehörigen Ausprägungsalternativen versehen. Grundsätzlich ergibt jede Kombination eine mögliche Logistikprozesskategorie/Logistikprozessvariante. Da es sich um eine strukturierte theoretische Ableitung der Geschäftsprozesse handelt, muss nicht jede Variante in der Logistikpraxis vorhanden bzw. sinnvoll und realisierbar sein. Abb. 2-5 zeigt exemplarisch das Vorgehen aus Sicht der Auftragsabwicklung/Distributionslogistik auf. Für die betriebswirtschaftliche Bewertung der einzelnen Logistikprozessvarianten wird eine weitergehende standardisierte Prozessanalyse empfohlen, in deren Rahmen z. B. Bearbeitungs- und Durchlaufzeiten, die einzelnen sukzessiv ablaufenden Prozessschritte, die involvierten Abteilungen sowie eingesetzten IT-Anwendungen etc. detailliert erfasst werden. Es schließt sich die Bewertung der Abläufe (a) im Hinblick auf den Prozessbeherrschungsgrad seitens des betrachteten Unternehmens sowie (b) hinsichtlich der relativen Wettbewerbsposition an. Hierfür sind in einem ersten Schritt geeignete relative Kennzahlen und/oder Indikatoren auszuwählen und bezüglich ihrer Bedeutung zu gewichten (∑ 100% oder 1,0). Pro Kennzahl/Indikator ist anschließend eine Beurteilung der einzelnen Logistikprozessvarianten vorzunehmen (Ordinalskala, z. B. für (a): 1 [gering], 3 [mittel], 5 [hoch]; z. B. für (b): 1 [schlechter], 3 [gleich], 5 [besser]). Multipliziert wird dann pro Kriterium jeweils der Gewichtungsfaktor mit dem respektiven Beurteilungsfaktor, als Ergebnis resultiert ein entsprechender Gesamt-/ Nutzwert. Mögliche Kriterien können z. B. für

36

Strategiedefinition in der IT-gestützten Logistik

den Prozessbeherrschungsgrad die Umschlagshäufigkeit der Bestände, die Verfügbarkeit, die Lieferpünktlichkeit und –zuverlässigkeit oder auch die Bereichsproduktivität sein. Die relative Wettbewerbsposition kann beispielsweise bezogen auf die Kriterien Lieferzeit, Lieferzuverlässigkeit, Lieferqualität, Breite der angebotenen Services usw. einer Beurteilung unterzogen werden. Abbildung 2-5:

Identifikation von Logistikprozessvarianten17

Kriterien

Ausprägung Regionale Vertriebsbüros

Außendienst

Internet

Katalog

Montage kundenspezifisch

Neukonstruktion bzw. k-disp. Fertigung

D

EU

Overseas

KEP

35kg < X < 150kg

Paletten

Wertigkeit

A

B

C

Verbrauchsstetigkeit

X

Y

Z

24 h

48 h

Termin

Endkunde

LG

Großhandel

Vertriebskanal Standardisierungsgrad Belieferungsart Paketgröße

Lieferzeit Kundenstruktur Sortimentsbreite

Lagerhaltung

Kommissionierung

1 Position

2-5 Pos.

nicht lagerhaltig > 5 Pos.

Vollbehälter

Prozesstyp 1: Standardbelieferung Inland Prozesstyp 2: Standardbelieferung Europe Prozesstyp 3: Standardbelieferung Handelsware Prozesstyp 4: Kundenspezifischer Einzelbedarf

Abschließend erfolgt die Zusammenführung sowie Visualisierung der Resultate in einem Portfolio (Abb. 2-6). Folgende Aussagen lassen sich für die einzelnen Quadranten des Logistik-KompetenzPortfolios ableiten (vgl. Wildemann und debis Systemhaus 2001a, S. 12):

17

Quelle: Wildemann und debis Systemhaus 2001b, S. 20.

37

2.2

2

IT-gestütztes Logistiksystem

n Quadrant (I): Herausragende Wettbewerbsposition bei einem hohen Beherrschungsgrad der Prozesse; Logistikleistung als Differenzierungsmerkmal.

n Quadrant (II): Die Differenzierung über Logistikleistungen wird versucht; allerdings erweisen sich die Logistikprozesse noch als verbesserungswürdig.

n Quadrant (III): Obwohl eine hohe Beherrschung der jeweiligen Logistikprozesse vorliegt, kann über diese keine Differenzierung gegenüber dem Wettbewerber erzielt werden.

n Quadrant (IV): Die Logistikprozesse sind aktuell nur schlecht beherrscht und die relative Wettbewerbsposition ist gleichermaßen als niedrig zu beurteilen. Im nächsten Schritt werden den jeweils identifizierten Logistikprozessvarianten mögliche IT-Logistik-Anwendungen zugewiesen, die beispielsweise die zugrunde liegenden Abläufe beschleunigen, standardisieren oder im globalen Wertschöpfungsumfeld virtualisieren. Die Bewertung der nun IT-gestützten Logistikprozesse erfolgt zum einen hinsichtlich der erwarteten Nutzenpotenziale, zum anderen bezogen auf den erforderlichen Realisierungsaufwand. Dabei wird vorausgesetzt, dass vor Durchführung der Portfolioanalyse eine Überprüfung der technischen Realisierbarkeit der konzipierten/geplanten ITLogistik-Lösung für die unternehmensspezifischen Logistikprozesse seitens der Verantwortlichen stattgefunden hat. Zunächst wird eine detaillierte Beschreibung der informationstechnologischen Grundlagen der einzelnen Systeme vorgenommen; so gilt es beispielsweise die Schnittstellenstruktur, die verwendeten Datenbanken, die zugrunde liegende IT-Architektur, das Softwarekonzept, die Benutzerschnittstelle/-oberfläche sowie Aspekte der Instandhaltung usw. zu erfassen. Aufbauend auf den verdichteten Informationen ist sowohl eine Nutzen- als auch eine Aufwandsbetrachtung pro Prozessvariante und zugehöriger ITLogistik-Anwendung durchzuführen. Die Quantifizierung des Nutzens, der aus dem Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien in der Praxis resultiert ist häufig nur sehr schwer und in vielen Fällen nicht unmittelbar monetär möglich. Ursächlich hierfür ist beispielsweise die Tatsache, dass IT-Systeme nicht nur auf einen bestimmten Prozessabschnitt einwirken, für den sie konzipiert worden sind, sondern durch eine interdependente Geschäftsprozessstruktur positive Effekte mitunter entlang der komplexen logistischen Kette erzielt werden können. Referenzgrößen der Bewertung sind in diesem Zusammenhang z. B. Reduktion von Bearbeitungs- und Durchlaufzeiten, Erhöhung der Pro-

38

Strategiedefinition in der IT-gestützten Logistik

dukt-/Service-/Prozessqualität, Reduktion von Beständen oder Verbesserung der Termintreue oder Lieferzuverlässigkeit. Abbildung 2-6:

Logistik-Kompetenz-Portfolio18

Logistik-Kompetenz-Portfolio Standardbelieferung Kundenspezifischer Inland Einzelbedarf besser

Relative Wettbewerbsposition

schlechter

(II)

(I)

Differenzierung beibehalten

Prozessverbesserung

Standardbelieferung Europa

Kundenbelieferung Handelsware

(IV) Logistik-Konzept überprüfen

(III) Differenzierungspotenzial überprüfen bzw. Kostenführerschaft ausbauen

Beherrschungsgrad gering

hoch

Der Realisierungsaufwand kann sowohl aus zeitlicher Sicht vorgenommen werden (z. B. Entwicklungszeit einer unternehmensspezifischen IT-Lösung, Zeitdauer für Softwaretests, erforderlicher Zeitrahmen für den Roll-Out), kapazitativ (d. h. Kalkulation der erforderlichen Personenmonate/-jahre) sowie monetär (z. B. Kosten der Software, Hardwarekosten, Kosten für externe Consultingleistungen, laufende Instandhaltungskosten, Migrationskosten). Das Vorgehen bei der Bewertung ist analog der Portfoliodefinition mit dem Schwerpunkt „Logistikprozesse“, d. h. auf einer ordinalen und nicht kardinal strukturierten Skala. Nach Gewichtung der fixierten Kennzahlen/Indikatoren entsprechend ihrer Relevanz (∑ 100% oder 1,0) wird die jeweilige Ausprägung eingeschätzt. Die Nutzenbewertung des geplanten, zukünftig IT-gestützten Logistikprozesses kann exempla-

18

Quelle: Wildemann und debis Systemhaus 2001a, S. 25; die Größe der einzelnen Kreise bestimmt sich entweder nach dem Prozessvolumen (Häufigkeit) pro Zeiteinheit (z. B. Jahr) oder über den erzielten Umsatz.

39

2.2

2

IT-gestütztes Logistiksystem

risch mit 1 [gering], 3 [mittel], 5 [hoch] erfolgen, die Einschätzung des Realisierungsaufwandes ebenfalls z. B. mit 1 [gering], 3 [mittel], 5 [hoch]. Die Ergebnisse werden im sogenannten E-Technologie-Portfolio visualisiert (vgl. Abb. 2-7). Abbildung 2-7:

E-Technologie-Portfolio19

E-Technologie-Portfolio

hoch

Nutzen des E-LogisticsKonzeptes gering

Standardbelieferung Europa Web-Portal

Standardbelieferung Inland E-Kanban und Call C enter

(II)

(I)

alternative Realisierungsformen überprüfen

sofort umsetzen Kundenbelieferung Handelsw are

(IV)

Kundenspezifischer Einzelbedarf Sendungsverfolgungssystem

nicht umsetzen

(III)

Virtuelles Lager

durch Verknüpfung mit anderen E-Log-Konzepten Zusatznutzen herbeiführen

Realisierungsaufwand hoch

gering

Je nach resultierender Position im E-Technologie-Portfolio können für die einzelnen Quadranten folgende Aussagen abgeleitet werden (vgl. Wildemann und debis Systemhaus 2001a, S. 31):

n Quadrant (I): Aufgrund des identifizierten hohen Nutzens der E-Logistik-Anwendung, verbunden mit einem als gering eingeschätzten Realisierungsaufwand, sollte das Konzept sofort umgesetzt werden.

19

40

Quelle: Wildemann und debis Systemhaus 2001a, S. 30; der in der Abbildung verwendete Terminus „E-Logistics-Konzept“ kann mit dem Begriff „IT-Logistik-Anwendung“ gleichgesetzt werden.

Strategiedefinition in der IT-gestützten Logistik

n Quadrant (II): Einem hohen Nutzen steht ein ebenfalls hoher Realisierungsaufwand gegenüber. Aus diesem Grund sollten alternative Realisierungsformen geprüft werden.

n Quadrant (III): Dem geringen Nutzen steht ein gleichermaßen geringer Realisierungsaufwand gegenüber. Durch die Verknüpfung mit anderen E-Logistik-Konzepten kann unter Umständen ein Zusatznutzen herbeigeführt werden.

n Quadrant (IV): Aufgrund des geringen Nutzens verbunden mit einem hohen Realisierungsaufwand sollte die entsprechende E-Logistics-Lösung nicht umgesetzt werden. Die Integration der beiden Einzelportfolios, des Logistik-Kompetenz-Portfolios auf der einen Seite und des E-Technologie-Portfolios auf der anderen Seite, führt zu dem in Abb. 2-8 dargestellten Gesamt-Portfolio. Ausgehend von der jeweiligen Positionierung (IT-gestützter Logistikprozess) können aus dem Gesamt-Portfolio erste robuste Normstrategien im Umfeld der IT-gestützten Logistik abgeleitet werden. Jene sind mittels weitergehender Analyse zu detaillieren, auf ihre praktische Validität nochmals zu überprüfen und nachfolgend in konkrete Maßnahmenpläne mit definierten Terminen, Meilensteinen sowie Verantwortlichen zu überführen. Die Verknüpfung der Strategien mit spezifischen Zielen der IT-gestützten Logistik, verbunden mit einem revolvierenden, insbesondere meilensteinorientierten Strategie-, Ziel- und Maßnahmencontrolling sichert einen erfolgreichen strategischen Handlungspfad für den Logistikbereich von Unternehmen.

41

2.2

2

IT-gestütztes Logistiksystem

Abbildung 2-8:

Gesamt-Portfolio20

Gesamt-Portfolio hoch

1

2

Z u s a tz n u  tz o - K E m    o L g  a en n d is b i

u  ti c s ti o nv r c h    a   o  nst K n  o re  n   z  p be te n e n   Kundenspezifischer     Einzelbedarf

LogistikKompetenz 3

u h n g d

er K o m p o g et L  e nz istik

-

E -T ei e n 

der setze c h o   n n L o g u lo g ie is z Er  t ik r h n -  ö Le h ist u n u g n ge n   Kundenbelieferung    Handelsware

gering 4 gering

2.3

    Standardbelieferung   Inland

    Standardbelieferung  Europa

rh E ö

4

l a n gfr zie ist i geg  ge n e ru g  s D n ü  !b o e sp t e iff er rW in E n   n - K o zia e n ze  -L l  ett b g is ew e p te o t ic rb n u er m s s -  etz en 

3

2

E-Technologie Einsatzmöglichkeit

1 hoch

l

Modellierung eines IT-gestützten Logistiksystems

Die fortschreitende Bedeutung IT-gestützter Logistik beispielsweise für industrielle Wertschöpfungsprozesse sowie für den Logistikdienstleistungssektor erfordert eine Verankerung von Strategien, Konzepten, Methoden und Tools unter einem einheitlichem „Dach“. Zum einen kann dies durch die Einbettung des Paradigmas in das Geschäftsmodell eines Unternehmens erfolgen (vgl. Abschnitt 2.2), zum anderen durch die Entwicklung eines adäquaten übergeordneten Konzeptes, eines sogenannten Metamodells. Aus Anwendersicht stellt sich zunächst sicherlich die Frage, warum es eines solchen, eher theoretischen Modellkonstruktes bedarf, werden doch die Logistikprozesse, ob nun IT-gestützt oder nicht im besten Fall immer zur Zufriedenheit der internen wie externen Kunden ausgeführt. Die Wirtschaftspraxis hat in der Vergangenheit allerdings immer wieder gezeigt, dass die isolierte Anwendung von Methoden, mit zum Teil konkurrierenden Zielsetzungen im Ergebnis zu einer suboptimalen Lösung 20

42

Quelle: Wildemann und debis Systemhaus 2001a, S. 30.

Modellierung eines IT-gestützten Logistiksystems

für alle beteiligten Partner führt. Allein die Entwicklung des Supply Chain Managements zeigt deutlich auf, dass es eines konkreten Handlungskonzeptes bedarf, um die unterschiedlichen Interessen, Ziele, Prozesse der Supply Chain-Partner zum Vorteil aller Beteiligten optimal aufeinander abzustimmen. Die Forschung auf dem Gebiet der Supply Chain Collaboration zeigt Wege und Möglichkeiten auf, dieser Zielsetzung durch die Wahl eines geeigneten Methodenmix sowie durch die Berücksichtigung einer Vielzahl an weichen Faktoren gerecht zu werden. Für die Logistik, insbesondere für die IT-gestützte Logistik bedarf es eines vergleichbaren Ansatzes. Abb. 2-9 zeigt ein bereits entwickeltes Ordnungsraster für die elektronisch gestützte Logistik auf. Führt man diesen Gedankengang aus einer prozess- und anwendungsorientierten Sichtweise fort, dann könnte das generierte „Raster“ um zusätzliche Aspekte, wie sie beispielsweise Strategien und Leitlinien darstellen, ergänzt und zu einem integrierten Modell sukzessive weiterentwickelt werden. Abbildung 2-9:

Ordnungsraster der e-Logistik21 • Visibilität Ressourcen und Aufträge über T&T-Systeme • Frühwarnsystem über SC-Eventmanagement • Controlling eLogistik

Logistik-Monitoring

Verschmelzung vs. Plan und Erfüllung Synchronisierte, bidirektionale Planung

• • • •

Absatzplan Beschaffungsplan Produktionsplan Bestandsplanung

LogistikPlanung

Directordering Prozesssicherheit, Lieferzusage ATP Collaborative Plattformen, virtuelle Bestände

LogistikFulfillment

• Ordersteuerung • Disposition • Abruf • Versorgung • Distribution • Retouren

Channelmaster

Logistik-Design

• Logistikstrategie • Vernetzung von eBusiness und SCM • Collaborative Netzwerkgestaltung • Integration Marktplätze • Elektronische Beschaffung und CRM-Integration

• Outsourcing administrativer Funktionen • Prozessstandardisierung Versorg./Distribution/Fabrik • Informationssysteme • Orderprozessbeschleunigung • Logistik in der Entwicklung

Einen alternativen Designansatz stellt der Transfer von geeigneten, praxiserprobten Integrierten Modellen aus anderen Anwendungsfeldern auf den IT-Logistikbereich dar. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass a) Transferquelle und Transfersenke sowohl strukturelle als auch inhaltliche Ähnlichkeiten aufweisen und b) im Rahmen der Referenzmodellierung die erforderlichen Anpassungen des Konzeptes an die Be21

In Anlehnung an: Straube 2004, S. 321.

43

2.3

2

IT-gestütztes Logistiksystem

sonderheiten des betrachteten Paradigmas „IT-gestützte Logistik“ vorgenommen werden. In einem vergleichbaren Dilemma befand sich vor Jahren der Produktionsbereich, nahm doch die Vielzahl an verfolgten Strategien sowie eingesetzten Methoden und Konzepten rasant zu. Häufig kam es vor, dass in einem Fertigungsbereich Segmente eingeführt und in einem benachbarten Bereich das Kanban-Konzept implementiert wurde, ohne dass Synergien für das Gesamtunternehmen selbst realisiert werden konnten. Eine ganzheitliche Gestaltung sowie Optimierung des Materialflusses gelingt jedoch nur, wenn aus isolierten Methoden ein übergreifendes, aufeinander abgestimmtes sowie integriertes Rahmenwerk gebildet wird. Das Produktionssystem stellt ein entsprechendes Referenzmodell dar, als Vorbild gilt in diesem Bereich seit Jahrzehnten das Toyota Produktionskonzept (vgl. Liker 2004). Ein Modell, dies sei an dieser Stelle erwähnt, repräsentiert allerdings immer nur eine vereinfachte Abbildung der Realität, da nicht alle Einfluss- sowie Gestaltungsfaktoren gleichzeitig geplant, erfasst, bewertet, gesteuert sowie in ihrer Ergebniswirkung kontrolliert werden können. Hinzu kommt, dass ein Modell auf bestimmten Voraussetzungen sowie Prämissen beruht, die ex ante zu definieren sind, um die vorhandene Komplexität effektiv handhaben zu können. Im Managementkontext wird darüber hinaus häufig auf die Systemtheorie als geeignetes Interpretations- und Konstruktionsschema für unterschiedliche betriebs- und volkswirtschaftliche Handlungskonzepte zurückgegriffen (vgl. z. B. Führungssystem, Managementsystem, Controllingsystem etc.). Auf diese Weise lassen sich komplexe Beziehungsgefüge erfassen, interpretieren und handhaben. Ein System stellt ein Netzwerk von Elementen dar, die sich gegenseitig beeinflussen und soweit es sich um offene Systeme handelt mit der Umgebung in einem Interaktionsverhältnis stehen. In der Regel liegen sogenannte verschachtelte Systeme vor, d. h. ein System besteht selbst wiederum aus Subsystemen und ist in ein übergeordnetes Meta-/Supersystem eingebunden. Unternehmen repräsentieren gleichermaßen soziale Systeme, da Mitarbeiter bei der Ausübung ihrer Tätigkeiten interagieren und ihr Verhalten durch frühere Sozialisation, Qualifikation sowie durch weitere Aspekte, wie beispielsweise die vorhandene Unternehmenskultur geprägt werden. Der Transfer des Produktionssystemkonzeptes stellt jedoch nur dann einen gangbaren Weg dar, wenn es sich bei den beiden Handlungsfeldern, das Produktionsmanagement einerseits und das (IT-gestützte) Logistikmanagement andererseits um strukturverwandte Erkenntnisobjekte handelt. Über die Produktionslogistik (Koordination von Material- sowie Informationsflüssen im Bereich der Fertigung) wird expressis verbis bereits ein unmittelbarer Bezug zwischen den Disziplinen hergestellt. Vergleicht man darüber hinaus die bedeutenden Trends im globalen Wertschöpfungsumfeld, so ist erkennbar, dass u. a. die fortschreitende Internationalisierung, der anhaltende Kostendruck, die von allen Stakeholdern geforderte Wertorientierung, ein verschärfter Zeitund Qualitätswettbewerb, die Realisierung von Strategien der Mass Customization

44

Modellierung eines IT-gestützten Logistiksystems

sowie der verstärkte Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien gewandelte und vor allem innovative Ansätze, Methoden sowie Tools erfordern, um den genannten Herausforderungen im Wettbewerb erfolgreich begegnen zu können. In der Regel induzieren veränderte Produktionsstrukturen eine Anpassung logistischer Aufgabenprofile und Konzepte. Logistikinnovationen, beispielsweise im Umfeld der IT-gestützten Logistik wirken allerdings in vielen Fällen ebenfalls auf die Produktion zurück bzw. werden auf dieses Anwendungsfeld transferiert (vgl. z. B. Intelligente, echtzeitfähige Sensoren für das Tracking & Tracing). Folgt man dieser Argumentation, dann wird deutlich, dass die für einen Konzepttransfer geforderte strukturelle Ähnlichkeit eindeutig gegeben ist. Integrierte Produktionssysteme wurden mit dem Ziel entwickelt, einen logisch konsistenten Handlungsrahmen für das Wertschöpfungsmanagement von Unternehmen bereitzustellen. Sie folgen drei wesentlichen Strukturierungsprinzipien: 1. Strategische Ausrichtung: Unternehmen müssen ihre Aktivitäten konkret an den aktuellen sowie zukünftigen Kernkompetenzen ausrichten. Hierzu ist es erforderlich eine Langfristperspektive einzunehmen sowie ein klares Strategieprofil zu erarbeiten. Die durchgängige Ausrichtung der Produktionsaktivitäten an den Erfordernissen des Marktes ist ebenso geboten, wie die Vereinbarung und das pro-aktive Steuern von lang- sowie mittelfristigen Zielen. 2. Operative Ausrichtung: Die Ansätze Lean Management sowie Lean Production fungieren als Leitkonzepte für die Gestaltung von Wertschöpfungsstrukturen. Alle Geschäftsprozesse im produktiven Umfeld sind so zu gestalten oder zu optimieren, dass sie zu einhundert Prozent frei von Verschwendung sind. Unnötige Wartezeiten, Doppelarbeiten, häufige Zwischenlagerung von Halbfertigerzeugnissen, lange Informationszeiten repräsentieren Beispiele für nicht-wertschöpfende Aktivitäten. Konzepte wie der kontinuierliche Verbesserungsprozess (KVP) oder Kaizen unterstützen die Umsetzung der genannten Vorhaben und tragen zu einer erfolgreichen Realisierung der formulierten Strategien und Ziele (siehe 1. Strategische Ausrichtung) bei. Auch und insbesondere im Zeitalter von IoT und Industrie 4.0 gilt dieser Anspruch analog. 3. Integrative Ausrichtung: Aus der Perspektive einer ganzheitlichen Organisationsentwicklung heraus ist es nicht zielführend in einzelnen Bereichen isolierte Konzepte und Methoden mit zum Teil konfliktären Zielsetzungen einzuführen. Die Realisierung von Synergien kann jedoch nur dann erfolgreich sein, wenn Projekte, Methoden sowie Vorgehensweisen unter Beachtung der gesetzten Ziele aufeinander abgestimmt werden. Aus diesem Grund wird auch explizit von Integrierten Produktionssystemen gesprochen.

45

2.3

2

IT-gestütztes Logistiksystem

Der Aufbau entsprechender Integrierter Produktionssysteme (vgl. Abb. 2-10) ist durch ein 3-Ebenen-Modell gekennzeichnet. Die erste Ebene umfasst die Produktionsstrategien, die die Aktivitäten der Mitarbeiter auf die langfristigen Ziele des Unternehmens ausrichten sollen. Total Quality, Just-in-Time, Asset Light, Flexibilität & Agilität sowie Effizienz stellen den relevanten strategischen Handlungsrahmen für ein erfolgreiches Produktionsmanagement im globalen Wettbewerbsumfeld dar. Ebene zwei konkretisiert die formulierten Produktionsstrategien durch Gestaltungsleitlinien, um die strategische Umsetzung auf operativer Ebene zu fördern. Jene fungieren als eine Art Hilfestellung und Handlungsrahmen für alle Mitglieder des Integrierten Produktionssystems. Standardisierung, die Erschließung von Synergien, Transparenz, Selbstverantwortung, Konsistenz der eingesetzten Methoden sowie eine kontinuierliche Verbesserung sollen die Wertschöpfung auf Shop-Floor Ebene prägen. Methoden und Tools des Produktionsmanagements konstituieren Ebene drei eines Integrierten Produktionssystems. Jene werden entsprechend ihres Schwerpunktes verschiedenen Subsystemen zugeordnet. Aufgrund der Interdependenz der verschiedenen Aufgabenschwerpunkte ist die Strukturierung nicht vollkommen überschneidungsfrei und zeigt die Komplexität entsprechender Systeme auf. Mitunter werden einem Produktionssystem mehr als neunzig verschiedene Methoden zugeordnet (vgl. Clarke 2005, S. 162). Die Säulen des Gesamtsystems sind durch folgende untergeordnete Systeme definiert: Materialflusssystem, Bearbeitungssystem, Personalsystem, Planungs- & Kontrollsystem, Qualitätssystem. Abbildung 2-10: Integriertes Produktionssystem im Überblick22 Produktionsstrategien

Gestaltungsleitlinien

SystemElemente

Methoden & Tools

Total Quality

Standardisierung

Materialflusssystem • Wertstromdesign • Fertigungssegmentierung • Logistische Prinzipien • ...

Synergien

Just-inTime

Asset-Light

Transparenz

Bearbeitungssystem • Instandhaltungsmanagement • Losgrößenmanagement • Rüstzeitverkürzung • Reißleine •…

Flexibilität & Agilität

Selbstverantwortung

Personalsystem • Gruppenarbeit • KVP • Visualisierung • ....

Effizienz

Konsistenz

Planungs- und Kontrollsystem • PPS-Systeme • Leitstand • ...

Kontinuierliche Verbesserung

Qualitätssystem • Six Sigma • Qualitätssicherungsmethoden und -konzepte • ...

Während die Produktionsmanagementstrategien sowie Gestaltungsleitlinien unternehmensweit, also werksübergreifend zu formulieren sind, um eine einheitliche Philosophie sowie Unternehmenskultur zu kommunizieren bzw. zu leben, sind die Metho22

46

In Anlehnung an: Wildemann und Hausladen 2005, S. 14..

Modellierung eines IT-gestützten Logistiksystems

den und Tools werksspezifisch, in Anbetracht der jeweils vorhandenen z. B. infrastrukturellen Voraussetzungen, auszuwählen. Ein Kritikpunkt an dem dargestellten Systemkonstrukt liegt in der noch nicht in ausreichendem Maße berücksichtigten Unterstützung des Produktionsmanagements mit Informations- und Kommunikationstechnologien. Insofern müsste diesem Aspekt bei der zukünftigen Aktualisierung des Modells angemessen Rechnung getragen werden. Die Modellierung eines IT-gestützten Logistiksystems soll im nächsten Schritt auf der Basis des vorgestellten Integrierten Produktionssystems erfolgen. Ergänzt wird der Referenzrahmen durch einen Ansatz, der der Controlling-Forschung entlehnt ist. ITgestützte Logistik erweist sich sowohl als strategisches wie auch als operatives Phänomen, dessen Gestaltungselemente häufig einer starken Dynamik ausgesetzt sind und als risikobehaftet charakterisiert werden können. Deshalb ist es erforderlich ein adäquates Konzept zu entwerfen, das den genannten Gegebenheiten angemessen Rechnung trägt und die Möglichkeit eröffnet, zum einen die Parameter des ITgestützten Logistikmanagements zielorientiert zu koordinieren, kontinuierlich zu überwachen und zu steuern sowie final zu kontrollieren und zum anderen die ITgestützte Logistik angemessen im Managementsystem eines Unternehmens zu verankern. Dem Controlling kommt gerade jene koordinierende Funktion zu und folglich erscheint es m. E. nur konsequent, die Modellierung über den bisherigen Ansatz (Integriertes Produktionssystem) hinaus controllingspezifisch zu fundieren. Als Orientierungsraster soll vor dem betrachteten Hintergrund die von Küpper entwickelte koordinationsorientierte Controllingkonzeption dienen (vgl. Küpper 1995). Folgt man diesem Verständnis, dann verfügt jedes Unternehmen sowohl über ein Führungssystem als auch über ein Leistungssystem. Aufgabe des Controllings ist es, die Teilsysteme des Führungssystems, also das Planungs-, Kontroll-, Informations-, Organisations- sowie das Personalführungssystem zu koordinieren. Das Controlling selbst repräsentiert ein eigenes Führungsteilsystem sowie eine Querschnittsfunktion, die losgelöst von einer möglichen organisatorischen Ausgestaltung derselben zu betrachten ist; d. h. um einen Controllingprozess im Unternehmen zu etablieren bedarf es nicht zwangsläufig einer eigenen Abteilung oder Stelle. Neben der Koordinationsfunktion erfüllt das Controlling eine Anpassungs- und Innovationsfunktion, eine Zielausrichtungs- als auch eine Servicefunktion, im Sinne der Bereitstellung von situationsadäquaten Konzepten, Methoden und Tools (vgl. Küpper und Weber 1995, S. 17ff.). Folglich ist das Controlling sowohl für die Koordination innerhalb eines Führungsteilsystems verantwortlich als auch zwischen den einzelnen Führungsteilsystemen. Parallel zum Führungssystem verfügt jedes Unternehmen über ein Leistungssystem, das die verschiedenen Funktionsfelder entlang der Wertschöpfungskette integriert, wie z. B. Einkauf, Produktion, Marketing und Vertrieb, (IT-gestützte) Logistik sowie Finanzen. Jeder Aufgabenbereich selbst umfasst aufgrund der ihm inhärenten Managementfunktion ein eigenes sogenanntes dezentrales Führungssystem.

47

2.3

2

IT-gestütztes Logistiksystem

Dem Controlling kommen auf dieser Ebene folgende Aufgaben zu:

n Koordination der dezentralen Führungsteilsysteme des IT-gestützten Logistikleistungsteilsystems.

n Koordination mit dem Controlling auf der Ebene des zentralen Führungssystems. n Koordination mit den weiteren dezentralen Führungsteilsystemen innerhalb des Leistungssystems (z. B. Koordination der IT-gestützten Logistik mit dem Produktionssystem).

Bildete anfänglich die Logistik ein wichtiges Leistungs(teil)system, so kann das Konzept heute um die IT-Komponente erweitert bzw. durch den Ansatz der IT-gestützten Logistik ersetzt werden. Aufgrund der Tatsache, dass es sich sowohl bei der (ITgestützten) Logistik als auch beim Controlling um Querschnittsfunktionen handelt, ist auch in diesem Fall – analog dem Strukturvergleich Produktionsmanagement und (ITLogistik)management – die für eine Referenzmodellierung erforderliche Strukturadäquanz gegeben. Bislang wirkten sich der jeweils betrachtete Unternehmenstyp sowie das der Organisation zugrunde liegende Geschäftsmodell nicht auf den Modellierungsprozess selbst aus. Mit der Einführung der koordinationsorientierten Controllingkonzeption und der ihr eigenen Strukturierung bedarf es allerdings in Vorbereitung des nächsten Transferschritts der Vornahme einer weitergehenden Differenzierung. Aus Sicht eines Logistikdienstleisters stellt die IT-gestützte Logistik eine Kernkompetenz dar und bildet gleichermaßen die Grundfeste des unternehmensspezifischen Geschäftsmodells ab. In Konsequenz ist die IT-gestützte Logistik bereits indirekt auf oberster, zentraler Führungssystemebene präsent und bildet somit einen Gegenstand des zentralen Controllings ab. Die Betrachtung beispielsweise eines Industrie- oder Handelsunternehmens führt zur direkten Einordnung der IT-gestützten Logistik in das Leistungssystem und somit auf dezentraler Controllingebene. Nachfolgend wird die Referenzmodellierung aus der Perspektive eines Industriebetriebes vorgenommen, der Transfer auf einen anderen Unternehmenstypus (Logistikdienstleister, Handel, Finanzdienstleister etc.) kann allerdings durch eine Modifikation der einzelnen Systemelemente bei Bedarf logisch stringent geleistet werden. Aufbauend auf dem Bezugsrahmen des Integrierten Produktionssystems sind in einem ersten Schritt die Strategien sowie Leitlinien des IT-gestützten Logistiksystems zu modellieren. Diese bilden mit den einzelnen Teilsystemen die Elemente des dezentralen Führungssystems eines Unternehmens ab. Folgende Struktur resultiert aus jener spezifizierten Vorgehensweise (vgl. hierzu Hausladen 2010b, S. 240f.).

n Das Planungsteilsystem umfasst die grundlegenden Strategien des IT-gestützten

Logistikmanagements: Total Quality (z. B. TQM, Six Sigma), Just-in-Time (produktionssynchrone Belieferung), Asset Light (Bestände an Fixed Assets, Umlaufbestände, Lagerbestände etc.), Flexibilität & Agilität (d. h. Antwort-/Reaktionszeiten auf Umweltveränderungen). Im Vergleich zum Integrierten Produktionskonzept

48

Modellierung eines IT-gestützten Logistiksystems

erfordert die IT-gestützte Logistik die konzeptionelle Verankerung weiterführender Strategien: Wertorientierung/Effizienz (d. h. die IT-gestützte Logistik leistet durch die Koordination optimierter Material- und Informationsflüsse einen bedeutenden Wertbeitrag zum Unternehmen), Nachhaltigkeit (Ausgleich von ökonomischen, ökologischen sowie sozialen Aspekten der IT-gestützten Logistik) sowie Technologie-/Innovationsorientierung (d. h. Management von Informations- und Kommunikationstechnologien, Technologietransfer im Umfeld der IT-gestützten Logistik sowie Innovation von Anwendungen, Tools, Konzepten und Methoden der IT-gestützten Logistik).

n Das Organisationsteilsystem spiegelt die Gestaltungsleitlinien für ein IT-gestütztes

Logistiksystem wider. Jene erweisen sich als identisch zum Integrierten Produktionssystem, d. h. Standardisierung (bezogen auf die IT-gestützten logistischen Geschäftsprozesse, vorhandene Organisations- und IT-Schnittstellen), Synergierealisierung (Erschließung der vorhandenen Potenziale aus den Economies of Scale and Scope), Transparenz (z. B. hinsichtlich Strategien, Gestaltungsleitlinien, Philosophie, Unternehmenskultur, Ziele, Geschäftsprozesse, Verantwortlichkeiten usw.), Selbstverantwortung („Mitarbeiter als Mitunternehmer“), Konsistenz (Harmonisierung von Anwendungen und Tools sowohl aus betriebswirtschaftlicher als auch aus IT-bezogener Sicht) und kontinuierliche Verbesserung (aktive Einbindung aller Systemmitglieder) bilden den Handlungsrahmen für die in IT-gestützte Logistikprozesse involvierten Mitarbeiter und Führungskräfte ab.

n Informations- und Kommunikationstechnologien als Befähiger (Enabler) bilden

den Kern des Informationsteilsystems. Beispielhaft seien an dieser Stelle Systeme zur Lokalisierung (z. B. GPS, Galileo), zur Identifikation (z. B. Barcode, RFID), zur mobilen Kommunikation (z. B. 4G, 5G, NFC, WLAN), Lösungen für den elektronischen Datenaustausch (z. B. XML, EDI, Telematik) sowie funktionsübergreifende Anwendungen (z. B. Cloud Computing, SOA, Blockchain, Business Intelligence) genannt.

n Das Kontrollteilsystem ist mit der laufenden Überwachung und Steuerung der IT-

gestützten Logistikstrategien sowie Gestaltungsleitlinien befasst. Hierfür werden beispielsweise Methoden des Risikomanagements (bezogen auf das Logistik- und IT-Paradigma), Konzepte des Event Managements (pro-aktive Kontrolle des dezentralen Führungssystems) sowie Ansätze zur Gewährleistung der Sicherheit der IT-gestützten Logistikkette (Integration der Aspekte „Safety“: Sicherstellung einer kontinuierlichen Versorgung mit Ressourcen und „Security“: Schutz vor kriminellen Angriffen und Naturkatastrophen) eingesetzt.

n Das Personalführungsteilsystem widmet sich der Entwicklung verantwortlicher und effektiver Führungspersönlichkeiten und Mitarbeiter im Unternehmen, die Mitglieder des IT-gestützten Logistiksystems repräsentieren. Trainings- und Qualifizierungsmaßnahmen werden zielgruppenspezifisch und unter Berücksichtigung beispielsweise von Alter, Vorbildung oder Karriereplanung ausgestaltet. Anforde-

49

2.3

IT-gestütztes Logistiksystem

rungsanalyse, Personal- und Führungskräfteaudit, Organisationsentwicklung sowie die Förderung einer an Nachhaltigkeitskriterien orientierten Unternehmenskultur stellen beispielhaft grundlegende Aufgaben dieses Subsystems dar.

n Das koordinationsorientierte Controlling als eigenes dezentrales Führungsteilsystem übernimmt auf dieser Ebene die Koordinations- und Servicefunktion, insbesondere durch die Bereitstellung eines (IT-gestützten) Logistiksystemcontrollings (z. B. mittels KPI-Management, Balanced Scorecard Einsatz, pro-aktivem Warnsystem und dem Nachhalten von Gegenmaßnahmen bei eingetretenen Störungen/Ereignissen).

Abb. 2-11 zeigt die Struktur des dezentralen Führungssystems der IT-gestützten Logistik nochmals zusammenfassend auf. Im Gegensatz zum Integrierten Produktionssystem sind die dezentralen Führungsteilsysteme Planung (Strategien), Organisation (Gestaltungsleitlinien) und Kontrolle (Safety & Security) in einem unternehmensweiten Standard zu definieren. Das Informations- sowie das Personalführungsteilsystem sollten ebenfalls zur Schaffung eines Informations- und Kommunikationsstandards sowie eines einheitlichen Verständnisses unternehmensübergreifend festgelegt werden. Die einzelnen Methoden und Tools sind dagegen unter Berücksichtigung der jeweiligen unternehmensspezifischen Bedingungsgefüge auszuwählen und umzusetzen. Abbildung 2-11: Dezentrales IT-gestütztes Logistikführungssystem Dezentrales Führungssystem Planungsteilsystem

Strategien

Organisationsteilsystem

Leitlinien

Informationsteilsystem

Befähiger IKT

Kontrollteilsystem

Monitoring

Personalführungsteilsystem

Qualifikation / Führung

Koordinationsorientiertes Controlling

2

Im nächsten Referenzmodellierungsschritt steht der Konzepttransfer auf der Ebene des dezentralen IT-gestützten Logistikleistungssystems im Vordergrund, also die Strukturierung des methodischen Fundaments der einzelnen Subsysteme (vgl. Integriertes Produktionssystem). Da die (IT-gestützte) Logistik grundsätzlich eine Querschnitts50

Modellierung eines IT-gestützten Logistiksystems

funktion darstellt, ist es ihre ureigenste Aufgabe die gesamten Stufen der Wertschöpfungskette, beginnend beim Einkauf, über die Produktion, die Instandhaltung, die Lagerhaltung bis hin zum Versand bzw. zur Redistribution (geschlossener Materialund Informationskreislauf) durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien bzw. klassisch durch physische/manuelle Aktivitäten zu koordinieren. Jeder Stufe, d. h. jedem logistischen Geschäftsprozessfeld können spezifische ITgestützte Logistikanwendungen zugeordnet werden (vgl. hierzu im Detail Kapitel 4). Die Zuordnung selbst ist, da die IT-Lösungen häufig mehrere Abschnitte der Logistischen Kette umfassen oder sogar die gesamte Supply Chain unterstützen, nicht überschneidungsfrei. Das IT-gestützte Logistikleistungssystem wird aus folgenden Subsystemen konstruiert: Beschaffungslogistik-Subsystem, Produktionslogistik-Subsystem, Lagerlogistik-Subsystem, (Re-)Distributionslogistik-Subsystem, das Instandhaltungslogistik-Subsystem sowie das wertschöpfungskettenübergreifende Supply Chain-(Sub)System. Letzteres erweist sich aus unternehmensinterner Sicht als Subsystem, kann jedoch aus dem Fokus der holistischen Supply Chain gleichermaßen als eigenes System betrachtet werden. Der Auswahlprozess der für ein Unternehmen potenzialträchtigen IT-Logistik-Lösungen und somit der final resultierende Methodenund Toolmix ist unternehmensspezifisch geprägt, d. h. er ist unter Berücksichtigung der lokal gegebenen organisatorischen sowie strukturellen Rahmenbedingungen erfolgt. Die Integration der beiden Referenzmodellierungsschritte führt zu der in Abb. 2-12 dargestellten Struktur des IT-gestützten Logistiksystems, das zum einen auf der Konzeption Integrierter Produktionssysteme basiert und zum anderen der Theorie eines koordinationsorientierten Controllings entlehnt ist. Das entwickelte Modell stellt für die Unternehmenspraxis einen Integrationsrahmen dar, um zu vermeiden, dass im Bereich der IT-gestützten Logistik-Konzepte und -Methoden isoliert voneinander, möglicherweise sogar mit konträrer Potenzialwirkung realisiert werden. Die Logistikverantwortlichen erhalten somit eine Vorgehensstruktur, die Schritt für Schritt zu einem strategischen wie operativen Handlungsleitfaden für die erfolgreiche Realisierung IT-gestützter Logistik führt. Unternehmerische Teilsysteme können über das Konstrukt der sogenannten verschachtelten Systeme miteinander verknüpft bzw. aneinander gekoppelt werden. Das Produktionslogistik-Subsystem als Element des IT-gestützten Logistiksystems bietet beispielsweise eine direkte Schnittstelle zum Materialflusssystem aus der Perspektive eines Integrierten Produktionssystems. Das Subsystem Beschaffungslogistik könnte mit einem existierenden Integrierten Beschaffungs-/Einkaufssystem verknüpft werden. Das koordinationsorientierte Controlling innerhalb des zentralen Führungssystems eines Unternehmens bietet eine optimale Steuerungsplattform zur Integration aller vorhandenen bereichs-/funktions- oder prozessspezifischen Systemmodelle. In den folgenden Kapiteln werden, nach erfolgter Einführung in die wichtigsten Basistechnologien der IT-gestützten Logistik, die Prozesse sowie die Anwendungen in den

51

2.3

2

IT-gestütztes Logistiksystem

einzelnen Subsystemen (inkl. (Sub)System Supply Chain) Schritt für Schritt konzeptionell aufgearbeitet. Abbildung 2-12: Struktur eines IT-gestützten Logistiksystems im Überblick

52

Modellierung eines IT-gestützten Logistiksystems

3 Informations- und Kommuni-

kationstechnologien als Enabler

Die Disziplin der IT-gestützten Logistik umfasst inzwischen eine Vielfalt an Methoden und Tools, die je nach zugrunde liegender Logistikdefinition in ihrem Umfang deutlich schwanken können. Werden Beschaffung, Produktion, Distributionslogistik, die gesamte Lagerlogistik sowie Funktionsbereiche, wie sie beispielsweise die Instandhaltungslogistik darstellen unter das Grundverständnis einer mittels Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) unterstützten logistischen Prozesskette subsumiert (vgl. vorliegendes Lehrbuch), dann ist die Bandbreite an vorhandenen Lösungsansätzen sehr groß. Dennoch greifen die einzelnen Anwendungen auf eine zumeist standardisierte technologische Basis zurück, um z. B. Transporte zu lokalisieren, Waren zu identifizieren oder um auf elektronischem Wege Daten auszutauschen. Aus diesem Grund werden jene Informations- und Kommunikationstechnologien in den kommenden Abschnitten überblickshaft dargestellt, ohne auf jede informatorische Komponente und jedes technische Detail – die Informatiker mögen dies der Autorin verzeihen – einzugehen. Abbildung 3-1:

Lernbox – Informations- und Kommunikationstechnologien als Enabler

Leitfragen n Welche Rolle spielen Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) für eine IT-gestützte Logistik? n Welche Technologien unterstützen die Lokalisierung/Ortung von Objekten? n Wie erfolgt die Identifikation, beispielsweise von Waren aus informationstechnischer Sicht? n Auf welcher technischen Grundlage erfolgt heutzutage mobile Kommunikation? n Durch welche Technologien wird ein elektronischer Datenaustausch ermöglicht? n Welche Architekturkonzepte werden in der Logistik angewendet? n Welche Technologieressourcen erfordert eine smarte Logistik heute? n Welche Analytikmethoden unterstützend die Entscheidungsfindung in der Logistik?

IKT repräsentieren heutzutage sogenannte Befähiger/Enabler, da sie zum einen die ITgestützte Logistik erst technisch möglich machen, zum anderen da sie zugleich Ursache und Wirkung für die Realisierung von Effizienzsteigerungspotenzialen entlang der logistischen Prozesskette sind.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 I. Hausladen, IT-gestützte Logistik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31260-2_3

53

2.3

3

Informations- und Kommunikationstechnologien als Enabler

Abbildung 3-2:

23

54

Basistechnologien der IT-gestützten Logistik und ihr konzeptioneller Bezugsrahmen im Überblick23

Modifiziert und erweitert nach: Hausladen 2010a, S. 9.

Funktionsbezogene Informations- und Kommunikationstechnologien

Jene logistischen Geschäftsprozesse folgen den Grundprinzipien des in Abschnitt 2.3 modellierten IT-gestützten Logistiksystems (Metamodell), gemäß den Leitlinien des koordinationsorientierten Controllings und somit der in Kapitel 1.3 vorgenommenen definitorischen Abgrenzung der IT-gestützten Logistik selbst. Darüber hinaus wird die unternehmensspezifische Gestaltung des grundlegenden IKT-Profils (Kapitel 3) sowie der logistikprozesssbezogenen, einzusetzenden Anwendungen (Kapitel 4) von der ex ante verankerten Rolle der IT-gestützten Logistik im unternehmerischen Geschäftsmodell (Kapitel 2.1) und der formulierten IT-LogistikStrategie (Kapitel 2.2) determiniert. Jedoch lassen sich auch in diesem Fall die einzelnen Elemente bzw. Entscheidungen nicht isoliert voneinander betrachten, sondern sie wirken wechselweise aufeinander ein. Zur Systematisierung von Basistechnologien/-verfahren – dies gilt natürlich nicht nur für das Umfeld der IT-gestützten Logistik – existieren verschiedene Vorgehensweisen. Eine erste Segmentierung lässt sich beispielsweise anhand der Kategorien funktionsbezogene sowie funktionsübergreifende Informations- und Kommunikationstechnologien vornehmen. Im zweiten Schritt erfolgt die Klassifizierung in die Untersegmente Lokalisierung, Identifikation, Mobile Kommunikation und Elektronischer Datenaustausch für die funktionsbezogene Anwendung sowie in Architekturkonzepte, Technologieressourcen sowie Analytikmethoden für die funktionsübergreifende Anwendung. Einem Anspruch auf Überschneidungsfreiheit der Zuordnung kann hier aufgrund der Fülle an technischen Spezifika in der IT-Praxis allerdings nicht vollständig entsprochen werden. Abbildung 3-2 zeigt die aufbau- und ablauforganisatorische Struktur sowie die Einbettung der Basistechnologien der IT-gestützten Logistik in den konzeptionellen Bezugsrahmen des Lehrbuches nochmals schematisch auf.

3.1

Funktionsbezogene Informations- und Kommunikationstechnologien

3.1.1

Lokalisierungs- und Identifikationstechnologien

Für die Koordination von Material- sowie Informationsflüssen entlang der Versorgungskette spielt die Lokalisierung von kompletten Warensendungen sowie von Transportmitteln eine wichtige Rolle. Nur auf diese Weise kann zum einen in Verbindung mit Identifikationstechnologien ein Tracking & Tracing von Logistikobjekten erfolgreich geleistet werden, zum anderen ermöglicht die genaue Ortung, dass bei eintretenden Ereignissen eine schnelle Reaktion durch das Einleiten von Gegensteuerungsmaßnahmen möglich wird. Das Global Positioning System (GPS) stellt ein Sys-

55

3.1

3

Informations- und Kommunikationstechnologien als Enabler

tem des Verteidigungsministeriums der Vereinigten Staaten von Amerika dar. 24 Satelliten kreisen in einer Höhe von 20.000 Kilometern um die Erde. Jeder GPS-Satellit sendet Signale aus, die die exakte Ortung von Objekten auf der Oberfläche oder in niedrigeren Umlaufbahnen erlauben. Der Empfang des Signals ist kostenfrei und wird im Luftfahrtbereich, bei der Schifffahrt sowie im Straßenverkehr genutzt. Die präzise Lokalisierung setzt mindestens drei Satelliten voraus; für eine dreidimensionale Lokalisierung sind dagegen mindestens vier Satelliten notwendig. Geräte mit GPSEmpfänger können entsprechende Signale empfangen und unterstützen gleichermaßen eine mobile Navigation. Das europäische Galileo-Projekt stellt eine Ergänzung bzw. auch eine mögliche Konkurrenz zur amerikanischen GPS-Lösung dar. Im Juni 2005 haben 17 Mitglieder der European Space Association beschlossen, ein eigenes aus 30 Satelliten bestehendes System zu entwickeln. Aufgrund von finanziellen und technischen Problemen kam es im Projektplan immer wieder zu Verzögerungen, bis der umfassende Probebetrieb in 2016 realisiert werden konnte. Das Monitoring des Systems liegt in zivilen Händen, die vier noch fehlenden Satelliten sollen im Jahr 2021 in der Umlaufbahn sein. Glonass bezeichnet das russische Navigationssystem und repräsentiert eine Alternative zu GPS und Galileo. Seit Oktober 2011 kreisen 24 Satelliten (für eine weltweite Abdeckung) in einer Höhe von mehr als 19.000 km um die Erde und ermöglichen z. B. eine genaue Bestimmung der aktuellen Position von Objekten. Vergleichbare Satellitennavigationssysteme oder so gennannte Satellitenbasierte Ergänzungssysteme (Satellite Based Augmentation System: SBAS) – bereits in Betrieb, teilweise noch im Auf- bzw. Ausbau – sind z. B.: Beidou (China), Indian Regional Navigation Satellite System: IRNSS (Indien), Quasi-Zenit-Satelliten-System (Japan), European Geostationary Navigation Overlay Service: EGNOS (Europa). Die Einsatzortung wird zur Lokalisierung von Mitarbeitern bei Serviceeinsätzen, z. B. beim Kundendienst verwendet. Via Handy, unter Nutzung von GPS kann die Ortung des jeweiligen Servicemitarbeiters erfolgen, ohne den Mitarbeiter zu diesem Zweck gesondert anrufen zu müssen. Für den Logistikdienstleistungsbereich stellt dieses Anwendungsfeld eine interessante Ergänzung zur traditionellen Ortung von physischen Objekten dar. Bei der Netzzellenortung erfolgt beispielsweise die Identifikation, an welchem Mobilfunksender ein Handy aktuell angemeldet ist. Wie exakt diese Ortung ist, hängt von der jeweiligen Reichweite des Mobilfunksenders ab. Der Einsatz der Netzzellenortung erfordert keine zusätzlichen Investitionen in Hard-/Software und erfolgt GSM-gestützt (Global System for Mobile Communications). Einzige Voraussetzung für die Nutzung ist die vorherige Zustimmung des Nutzers. Ausgelöst werden kann die Netzzellenortung sowohl seitens des Handy-Benutzers (Ereignisgesteuerte Auslösung) als auch beispielsweise durch einen Disponenten über einen lokalen PC (Manuelle Auslösung).

56

Funktionsbezogene Informations- und Kommunikationstechnologien

Eng gekoppelt mit der Lokalisierung/Ortung ist die Identifikation von Objekten (z. B. Paket, Container, Palette, Artikel). Die im Logistikbereich bekanntesten Technologien werden zum einen durch den traditionellen Barcode verkörpert, zum anderen durch die Radio Frequenz Identifikation (RFID), die sich sukzessive in der Logistikpraxis etabliert. Barcodes stellen Daten in graphischer Form dar und können via Barcode Scanner gelesen werden. Bekannte Arten des Barcodes (vgl. Abb. 3-3) sind beispielsweise der Handelsstrichcode (EAN), gestapelte Codes, z. B. der 2D Quick Response (QR) Code, 3D Codes (3. Dimension: Farbe) sowie 4D Codes (4. Dimension: Zeit). Abbildung 3-3:

Barcodes24

Der im europäischen Handel gebräuchliche EAN-Barcode (European Article Number) besteht aus 8 oder 13 Ziffern sowie dem zugehörigen Barcode (vgl. Abb. 3-4). Hierdurch kann global eine eindeutige Identifizierung von Produkten gewährleistet werden. Eingesetzt wird das EAN-Konzept weltweit, mit Ausnahme der U.S.A. und Kanada; dort ist primär der UPC (Universal Product Code) verbreitet. Die Vergabe der EAN (heute: IAN: International Article Number bzw. GTIN: Global Trade Item Number) an Hersteller, die ihre Produkte entsprechend kennzeichnen müssen, ist kostenpflichtig (jährliche Gebühren). Der zukünftige Standard wird allerdings durch den EPC (Electronic Product Code) abgebildet werden, der die Basis für eine Identifikation via RFID ist.

24

Quelle: Pinker 2016, o. S.

57

3.1

3

Informations- und Kommunikationstechnologien als Enabler

Abbildung 3-4:

EAN – European Article Number

Prüfziffer Artikelnummer Betriebsnummer Ländernummer

Weltweit eindeutige Identifikationssysteme, wie sie z. B. der GS1-Nummerierungsstandard darstellt, sind für globale IT-gestützte Logistikketten inzwischen von entscheidender Bedeutung (vgl. Abb. 3-5). „Mit der 13-stelligen Globalen Lokationsnummer (GLN) werden Unternehmen und Unternehmensteile (Standorte oder Lager) weltweit eindeutig identifizierbar. Die ebenfalls 13-stellige Globale Artikelnummer (GTIN, früher EAN) dient der überschneidungsfreien Identifikation von Produkten und Dienstleistungen. […] . Die Nummer der Versandeinheit (NVE/international auch Serial Shipping Container Code, SSCC) kennzeichnet Versandeinheiten und ermöglicht es, deren Weg vom Versender zum Empfänger lückenlos zu verfolgen.“ (GEPIR Service 2020, o. S.). Abbildung 3-5:

GS1 Identifikationsnummern – Beispiel GTIN25

Das Lesen des Barcodes erfordert eine elektronische Vorrichtung, beispielsweise einen flexiblen Barcode Scanner, wie er an vielen Registrierkassen im Handel vorzufinden ist, fest installierte Scanner oder den Scannerstift. Das Einlesen der Daten erfolgt sehr 25

58

Quelle: https://www.gs1-germany.de/gs1-standards/identifikation/artikel-gtin-sgtin/ (Stand : 29.01.2020)

Funktionsbezogene Informations- und Kommunikationstechnologien

schnell, setzt aber einen visuellen Kontakt zwischen Scanner und dem zu identifizierenden Objekt voraus. Über die Lichtquelle, die eingebaute Linse sowie mittels Fotoleitertrommel werden optische Impulse in elektronische umgewandelt. Die RFID-Technologie (Radiofrequenzidentifikation, engl.: Radio Frequency Identification) ermöglicht über den Einsatz sogenannter RFID-Tags die sicht- und kontaktlose Übertragung von Daten mittels elektromagnetischer Wellen. Ein klarer Vorteil dieser Technologie liegt z. B. in dem Tatbestand begründet, dass der Materialfluss zum Zweck der Identifikation von Warensendungen nicht unterbrochen werden muss bzw. keine zusätzlichen Aktivitäten (z. B. Warenhandling) erforderlich werden. Auf dem Markt sind inzwischen viele verschiedene Arten von Transpondern (RFIDTags), die beispielsweise in Abhängigkeit von dem jeweiligen Anwendungsfeld (z. B. Textilindustrie, Lebensmittelindustrie), den Eigenschaften des logistischen Objektes (z. B. Holzpalette, Textilien) sowie den aktuellen Umgebungsbedingungen am Einsatzort, der erforderlichen Frequenz und Speicherkapazität oder dem Material usw. variieren, erhältlich; so gibt es beispielsweise Disktransponder (Key Tags), Inlays/Smart Labels sowie Glastransponder (vgl. Abb. 3-6). Eine für die Logistikpraxis bedeutende Unterscheidung stellt die Klassifizierung der Tags in aktive oder passive dar. Abbildung 3-6:

RFID-Bauarten (beispielhaft)26

Passive Transponder verfügen über keine eigene Energiequelle und beziehen Energie aus den empfangenen Funkwellen. Aus diesem Grund muss das Lesegerät während des Lesevorganges permanent entsprechende Funkwellen senden. Die Reichweite ist folglich relativ gering (je nach Tag einige Zentimeter). Bei sogenannten „Read-only“ 26

Quelle: https://www.rfid-grundlagen.de/transponder.html (Stand: 29.01.2020)

59

3.1

3

Informations- und Kommunikationstechnologien als Enabler

Tags können lediglich Daten aus dem Transponder ausgelesen werden, bei „Writeonce“ Tags ist nur ein einmaliges Beschreiben des Datenträgers möglich. Zusatzfunktionen wie z. B. die Kodierung von Daten können mit „Read-Write“-passiven Tags realisiert werden. Aktive Transponder verfügen über eine eigene Energiequelle und erweisen sich aus diesem Grund in der Regel hinsichtlich der Datenübertragung an das Lesegerät als verlässlicher. Nur wenn ein entsprechendes Signal empfangen wird, erfolgt die Aktivierung des Transponders; ansonsten befindet er sich im Ruhezustand. Semi-passive Transponder stellen aktive Tags dar, allerdings mit dem Unterschied, dass die Energieversorgung (Batterie) lediglich den Mikrochip betrifft, nicht jedoch das Aussenden eines Signals an das Lesegerät. Aktive Transponder sind aufgrund der integrierten Spannungsquelle vergleichsweise teurer und größer als passive Tags. Passive Transponder sind aktuell teilweise bereits für 0,30 – 35 EUR – in der Regel ab einer bestimmten Mindestabnahmemenge – zu erwerben. Der Transponder selbst besteht aus den Komponenten Mikrochip, Antenne, Träger bzw. Gehäuse und bei aktiven Tags aus einer entsprechenden Energiequelle. Handelsübliche RFID-Transponder verfügen über eine Chip-Speicherkapazität von 64 bit bis hin zu 32 kB, wobei sich am unteren Ende der Skala die passiven Tags wieder finden. Werden lediglich Produktcodes gespeichert, dann sind i. d. R. geringe Speicherkapazitäten ausreichend. Die Erfassung weiterer Daten erfordert entsprechend höhere Kapazitäten und somit den Einsatz teurerer Transponder. Es ist also situativ zu prüfen, inwieweit das Speichern und Auslesen von (umfangreichen) Daten aus Tags, die unmittelbar an der einzelnen Produkteinheit physisch angebracht sind, wirtschaftlich zu vertreten ist. Aus diesem Grund werden in der Logistikpraxis derzeit Transponder häufig nur auf Container- oder Palettenebene eingesetzt. Die RFID-Frequenzbereiche der Radiowellen reichen von Niederfrequenz (100-135 kHz), z. B. für die Tieridentifizierung, Hochfrequenz (6,78 MHz, 13,56 MHz, 27,125 MHz) beispielsweise für die Zugangskontrolle, Ultrahochfrequenz (433,92 MHz, 868 MHz in Europa, 915 MHz in USA) für die Anwendung im Rahmen der Lagerlogistik bis hin zur Mikrowelle (2,45 GHz, künftig auch 5,8 GHz), z. B. zur Fahrzeugidentifikation (vgl. Bundesnetzagentur o. J.). Aufgrund der raschen Technikentwicklung wurden aus vormals geschlossenen Systemen (z. B. Skipasscodierung) inzwischen offene Anwendungssysteme, d. h. logistische Objekte können entlang der gesamten Versorgungskette nachverfolgt bzw. identifiziert werden. Die meisten modernen Smartphones nutzen inzwischen zur Datenübertragung eine sogenannte Near Field Communication (NFC), die wiederum auf der RFID-Technologie basiert. RFID-Systeme bestehen aus Hard- und Softwarekomponenten (vgl. Abb. 3-7). Neben dem bereits angesprochenen Transponder/Tag, der während der Produktion oder zum 60

Funktionsbezogene Informations- und Kommunikationstechnologien

Zwecke des Versands auf die Waren, die Umverpackung oder auf die logistische Ausrüstung/das Transportmittel (z. B. Container, Palette) aufgebracht wird, bedarf es für das Empfangen und Senden der elektromagnetischen Wellen einer integrierten Antenne (Bestandteil des Transponders). Der Reader stellt das Sende- sowie Empfangsgerät dar, das ebenfalls über eine Antenne verfügen muss (RFID-Lesegerät). Hinzu kommt die erforderliche IT-Infrastruktur, d. h. Hard- und Software, die für das Speichern, Auswerten sowie für die bedarfsorientierte und zielgruppenspezifische Übermittlung der Daten erforderlich ist. Eine sogenannte Middleware/Edgeware (Applikation) überbrückt beispielsweise die einzelnen entlang der Wertschöpfungskette entstehenden Schnittstellen und stellt den Datentransfer, beispielsweise zu einem Warehouse Management-System sicher. Abbildung 3-7:

Komponenten eines RFID-Systems27 Daten Takt

RFID-Lesegerät

Energie

Applikation

kontaktloser Datenträger =Transponder

Koppelelement (Spule, Mikrowellenantenne)

In Abhängigkeit von der IT-Ausstattung können die gesamten Kosten für RFIDSysteme stark schwanken, ein Grund warum Unternehmen insbesondere aus dem KMU-Sektor der Erschließung der RFID-Technologie für ihr Geschäftsfeld bislang noch eher skeptisch gegenüberstehen. Die Transponderpreise schwanken im Schnitt, wie bereits erwähnt, zwischen 0,30 – 35 EUR pro Stück, Lesegeräte sind am Markt für einen Preis von 50 bis 5.000 EUR zu haben. Antennen kosten durchschnittlich 15 – 300 EUR das Stück, die Preise für Controller schwanken, je nach Ausstattung von 500 – 2.000 EUR pro Einheit. Hinzu kommen Kosten für die Anpassung bereits bestehender Systeme, Kosten für die erforderlichen Softwarekomponenten (anbieterspezifisch) sowie Integrations-, Instandhaltungs- und Schulungskosten (vgl. http://www.rfidbasis.de/kosten.html, abgerufen am 17.10.2019).28 Eine genaue Kosten-/Nutzenbetrachtung ist zur Fundierung einer Investitionsentscheidung im RFID-Bereich nachdrück27 28

In Anlehnung an: Finkenzeller 2015, S. 11. Die zitierte Online-Quelle verweist auf eine Erhebung aus dem Jahr 2007. Es ist davon auszugehen, dass die Kosten für Hard- und Software in 2020 inzwischen gesunken sind bzw. fortschrittlichere Geräte einen leistungsstärkeren Support, zu einem vermutlich etwas höheren Preis als angegeben, bieten.

61

3.1

3

Informations- und Kommunikationstechnologien als Enabler

lich zu empfehlen, allerdings erweist sich insbesondere die Quantifizierung/Monetarisierung des Nutzens aus methodischer Sicht nach wie vor als komplexe Problemstellung. Nicht zu unterschätzen ist das Volumen an Daten, das durch den Einsatz von RFID entlang der Versorgungskette generiert wird. Schätzungen zu Folge, wird innerhalb eines RFID-Kreislaufes durch das Tracking & Tracing (Identifikation) von Objekten (Palette, Container und Einzelartikel) ein 100 bis zu 1.000 faches Datenvolumen im Vergleich zum traditionellen Barcode erzeugt. Diese Menge ist zum einen zu speichern, zum anderen aber auch einer internen Auswertung/Verarbeitung zuzuführen. Bisweilen werden hierdurch die Kapazitäten bereits vorhandener Systeme im Unternehmen deutlich erschöpft. Allein das Sammeln sowie das Auswerten von Daten münden noch nicht in einen Effizienzgewinn bzw. in einer Prozessverbesserung. An die Analyseergebnisse müssen konkrete Maßnahmen geknüpft werden, um im Ergebnis eine Nutzensteigerung durch die RFID-Implementierung erzielen zu können. Die Gegenüberstellung von RFID- und traditioneller Barcode-Technologie zeigt, dass beide Systeme sowohl Vor- als auch Nachteile aufweisen (vgl. Abb. 3-8). Es ist also vom jeweiligen Anwendungsfeld sowie der situativen Kosten-/Nutzenbewertung abhängig, welcher Technologie in welchem Bereich aktuell der Vorzug eingeräumt wird. Schreitet die Technologieentwicklung weiter so rasant voran, dann wird sicherlich in Zukunft der Barcode sukzessive von der RFID- oder sogar von einer noch innovativeren Technologie abgelöst werden. Die Sensorik bildet eine weitere Technologie ab, die zur Identifikation eingesetzt werden kann. Über Sensoren werden Zustandsveränderungen von Systemen gemessen und kontrolliert. Für die Logistik spielt die Sensorik vor allem im Bereich der Sicherheitssysteme eine wichtige Rolle (z. B. Zugangskontrolle via Lichtschranke), aber auch zur Identifizierung bzw. Kontrolle von Zuständen logistischer Objekte, beispielsweise via Temperatursensoren/-logger, die an den zu transportierenden Waren oder an der Umverpackung angebracht sind. Aktive Transponder im Bereich der RFID-gestützten Wertschöpfungskette stellen durch die Umwandlung optischer in elektromagnetische Signale im weiteren Sinne deshalb ebenfalls Sensoren dar. Sogenannte smarte Sensoren ermöglichen die materialflussbegleitende Erfassung von Zustands- und Bewegungsdaten auf NFC- und GPS 2.0-Basis, z. B. Temperatur, Feuchtigkeit, Erschütterung, Lichteinstrahlung, Luftdruck, je nach gewähltem Transportmodi bzw. Produktund Kundenanforderung (vgl. DHL o. J.). LiDAR-Sensoren, u. a. in 3D-Ausstattung werden beispielsweise im Kontext des autonomen Fahrens eingesetzt. Durch das Aussenden eines Lichtimpulses wird die Zeitdauer bis zum Auftreffen auf dem Objekt gemessen (bzw. das Licht wird dann zum Sensor „zurückgeworfen“), wodurch sich eine exakte Abstands- sowie Geschwindigkeitsmessung realisieren lässt. Verstärkt im Sicherheitsbereich ist auch die Biometrie als Erkennungstechnologie zu finden. Dabei steht weniger das logistisch zu handhabende Objekt im Mittelpunkt der Betrachtung, sondern die ausführende Person. Biometrische Zugangskontrolle bzw.

62

Funktionsbezogene Informations- und Kommunikationstechnologien

Personenidentifikation ist ein inzwischen angewandtes Verfahren im Bereich der Passagierkontrolle, dies gilt auch für den Frachtbereich. Die Biometrie stützt sich auf die Tatsache, dass jeder Mensch über biologische Charakteristika verfügt, die einzigartig, messbar und vor allem konstant sind (z. B. Fingerabdruck-/Iris-Erkennung). Darüber hinaus können auf diese Weise Erkennungsprozesse automatisiert werden. Welche Bedeutung biometrische Verfahren im Bereich der Logistik-Security in Zukunft haben werden, ist sowohl von datenschutztechnischen Aspekten, aber auch von den zu professionalisierenden technischen Systemen abhängig. Abbildung 3-8:

Vor- und Nachteile von RFID- und Barcode-Systemen RFID

• Transponder kommunizieren über Radiowellen, ein direkter visueller Kontakt ist nicht erforderlich • Transponder können ein größeres Datenvolumen speichern

Barcodes • Geringe Kosten • Breite Anwendungsmöglichkeiten • Visuelle Lesbarkeit gegeben

• Daten können auf jeder Stufe der Versorgungskette hinzugefügt oder gelöscht werden • Höhere Kosten (insb. bei aktiven Transpondern), aber Preise sinken im Zeitverlauf • „Universalität“ des Systems ist ungewiss • Lesbarkeit ist abhängig von den Umgebungsbedingungen • Enge Anbindung an die IT-Infrastruktur erforderlich

• Datentransfer erfordert unmittelbaren visuellen Kontakt zwischen Leseeinheit und dem mittels Barcode gekennzeichneten Objekt • Datenspeicherungsvolumen ist begrenzt • Pro Zeiteinheit kann nur jeweils ein Barcode gelesen/verarbeitet werden • Die Lesbarkeit wird durch Nässe oder Schmutz erschwert

Chipkarten finden in unterschiedlichen Bereichen des alltäglichen Lebens Anwendung. EC-Karten/Geldkarten stellen beispielsweise bargeldlose Bezahlsysteme dar, die aus dem Geschäftsverkehr heutzutage nicht mehr wegzudenken sind. Aus Sicht der IT-gestützten Logistik steht dieser Aspekt jedoch nicht unmittelbar im Vordergrund des Einsatzes, auch wenn kontaktlose Bezahlsysteme eine weitere technologische Alternative auf diesem Gebiet repräsentieren, sondern Chipkarten weisen berechtigte Personen beim Zugang zu Logistikinfrastrukturen aus. Zertifizierte Spediteure versorgen ihre Mitarbeiter u. a. mit entsprechenden Chipkarten, um ihnen beispielsweise den Zutritt zum Sicherheitsbereich von Flughäfen für die Abwicklung der vertraglich fixierten logistischen Aufgaben (z. B. Transportieren, Verladen) zu ermöglichen.

63

3.1

3

Informations- und Kommunikationstechnologien als Enabler

3.1.2

Mobile Kommunikation in der Logistik

Die effiziente Koordination komplexer Material- und Informationsflüsse entlang der häufig weltweit vernetzten Wertschöpfungskette setzt voraus, dass beispielsweise Statusinformationen möglichst schnell an die logistische Leitstelle weitergegeben und bei Bedarf Gegenmaßnahmen unverzüglich eingeleitet werden können. Hierbei spielen Technologien der mobilen Kommunikation eine erfolgskritische Rolle. Das Global System for Mobile Communication (GSM) wurde im Jahre 1982 ins Leben gerufen, um einen nationenübergreifenden Standard zu schaffen. Bis zu diesem Zeitpunkt waren nationale Kommunikationsstandards vorherrschend, ein Tatbestand der sich gerade für global vernetzte Transportketten mehr und mehr als problematisch erwies. Inzwischen zählt GSM zu einem der erfolgreichsten Standards, er wird inzwischen in mehr als 200 Ländern verwendet. Hierdurch wird das Roaming zwischen verschiedenen mobilen Netzwerkbetreibern realisierbar. Allerdings ist die Datenübertragungsrate, gemessen in kbit/s begrenzt, so dass vor allem Telefongespräche, der Versand von Faxen sowie von Textnachrichten (SMS) durch GSM unterstützt werden. GSM EDGE stellte eine technische Weiterentwicklung mit höheren/schnelleren Übertragungsraten dar. Der General Packet Radio Service (GPRS) repräsentiert einen paketorientierten Dienst zur Übertragung von Daten in GSM- sowie UMTS-Netzen. Die Datenübertragung wird somit expressis verbis, in Abhängigkeit von der vorhandenen Kapazität der Übertragungswege, paketweise vollzogen. Auch wenn sich das GPRS-System im sogenannten Always-On-Betrieb befindet, werden Daten nicht permanent übermittelt, d. h. es besteht lediglich eine virtuelle dauerhafte Verbindung mit der Empfangsstelle. Aus diesem Grund ist die Höhe von GPRS-Abrechnungen in der Regel nicht von der Verbindungsdauer, sondern vom Volumen der übertragenen Daten abhängig. GPRSKarten für Notebooks erlauben beispielsweise eine flexible Übertragung von Daten, ferner wird der Versand von MMS (Multimedia Messaging Service) unterstützt. Übertragen werden können via GPRS auch Positions- und Telemetriedaten. In Abhängigkeit von dem verwendeten Kodierungsschema variieren die Datenübertragungsraten, gemessen in kbits/s. Die Endgeräteklasse bestimmt, ob während der Paketübertragung von Daten parallel Gespräche mit dem Mobiltelefon geführt werden können, oder ob die Nutzung der jeweiligen Dienste lediglich sukzessive erfolgen kann. UMTS (Universal Mobile Telecommunications System) stellt die dritte Generation mobiler Netze dar (3G). Aufgrund der großen Bandbreite können Datenübertragungen sehr schnell erfolgen, wobei die Übertragungsrate bei bis zu 2 Mbit/s liegen kann. Hierdurch werden weitergehende Dienste im Rahmen der mobilen Kommunikation ermöglicht, wie beispielsweise Videotelefonie oder der Aufruf komplexer Internetseiten via Handy, Smartphone oder Laptop. Auch für die Logistik resultieren hieraus neue Anwendungsfelder, insbesondere hinsichtlich der vereinfachten Übertragung von Daten durch den Einsatz UMTS-fähiger mobiler Endgeräte.

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Funktionsbezogene Informations- und Kommunikationstechnologien

LTE (Long Term Evolution) repräsentiert die vierte Mobilfunkstandard-Generation und ermöglicht derzeit eine max. Datenübertragungsrate von 100 Mbit/s bzw. 1 Gbit/s beim LTE-Advanced-Standard. LTE ist inzwischen als ernsthafte Konkurrenz zum traditionell statischen Internetzugang einzuschätzen; insbesondere da auch die Zahl der Nutzer in den letzten Jahren ein stetiges Wachstum zu verzeichnen hat. Im Zuge der Industrie/Logistik 4.0-Diskussion wird inzwischen der fünfte Mobilfunkstandard, kurz 5G, zu einem wichtigen Treiber des Netzausbaus. „Die Techniker unterscheiden beim 5G-Netz drei unterschiedliche Anwendungsbereiche: das ultraschnelle mobile Breitband (Enhanced Mobile Broadband), die Kommunikation zwischen Maschinen und Anwendungen (Massive Machine Type Communications, M2M) sowie ein Hoch-Zuverlässigkeitsnetz mit kurzen Antwortzeiten (Ultra-Reliable and Low Latency Communications).“ (Informationszentrum Mobilfunk o. J.). Durch den 5G-Standard werden die technischen Möglichkeiten geschaffen, eine bedarfsgerechte Ausgestaltung des Netzes zu realisieren. Für die IT-gestützte Logistik ergeben sich hieraus vielfältige Einsatz- und Steuerungsmöglichkeiten, ob in der Produktions-, der Instandhaltungs- oder der Distributionslogistik. Je nach aktuell bei den Unternehmen etablierten Systemen lassen sich unterschiedliche Datenübertragungsraten realisieren (vgl. Abb. 3-9). Das WLAN (Wireless Local Area Network) stellt eine weitere Möglichkeit dar, um kabellos und damit mobil auf das Internet zugreifen zu können. Im Geschäftsbetrieb sind die Anforderungen an die Leistungsfähigkeit (z. B. Verfügbarkeit, Schnelligkeit, Sicherheit) deutlich höher als beim WLAN-Einsatz im privaten Umfeld. Eine speziell auf diese Bedürfnisse ausgerichtete Lösung verkörpert das IWLAN (Industrial Wireless Local Area Network) dar. WiFi charakterisiert die WLAN-Fähigkeit von Geräten und ist im internationalen Umfeld die bekanntere Bezeichnung von beiden; häufig werden beide Termini in der Praxis jedoch auch synonym verwandt. Die Verknüpfung von einzelnen Sensoren über Funk ermöglicht beispielweise die Überwachung von Umweltzuständen, in dessen Rahmen Daten gesammelt und dann gebündelt an einem Computer weiterverarbeitet werden; es handelt sich hierbei um sogenannte Wireless Sensor Networks (WSN). Eine neuere Idee auf diesem Gebiet stellt das Smart Dust-Konzept dar, d. h. quasi kleinste Staubkörnchen integrieren einen Sensor sowie einen Miniprozessor, um z. B. ein Zustandsmonitoring von Objekten zu realisieren und äußerst schnell auf Ereignisse reagieren bzw. negative Ereignisse präventiv vermeiden zu können. Zusätzlich zu WLAN sind im Bereich der Funkstandards das allseits bekannte Blootooth und ZigBee zu erwähnen. ZigBee hat inzwischen Einzug in Anwendungen des Smart Home gefunden; es existieren auch einige Fallbeispiele im Bereich der Industrieautomation, allerdings ist die übertragene Datenrate geringer als bei entsprechenden WLAN-Lösungen.

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3.1

3

Informations- und Kommunikationstechnologien als Enabler

„IP-Telefonie ist die gängige Sprachkommunikation über das Internet Protokoll und wird auch als Voice-over-IP (VoIP) oder Internettelefonie bezeichnet. Mittels IPTelefonie können Daten und Telefonate nun über ein und dasselbe Netzwerk geführt werden. Im Gegensatz zu analogen Telefonanschlüssen, sind IP-Anschlüsse an das Breitband gekoppelt und ermöglichen so vereinfacht ausgedrückt die Telefonie über den Internetanschluss.“ (Placetel o. J.). Der klassische DSL-Anschluss ist in diesem Kontext ebenfalls zu nennen. DSL steht für Digital Subscriber Line und ermöglicht die schnelle Übertragung von Daten via Kupferkabel (Breitbandinternetanschluss). Die Satellitenkommunikation manifestiert sich als bidirektionale Telekommunikation zwischen einer Sende- und einer Empfängerbodenstation. Mit Fortschreiten der technischen Entwicklung wurden in den vergangenen Jahrzehnten die Satelliten-Kommunikationsdienste immer weiter ausgebaut, ein Tatbestand von der auch die Logistik profitiert. Digitale Telefonie, die digitale Übertragung von Audio- und Videodateien, Broadcasting von Daten, Sprache oder Mitteilungen, digitales Fernsehen, Internet über Satellit oder das gesamte Spektrum der mobilen Kommunikation sind ausgewählte Anwendungsbeispiele. Abbildung 3-9:

Datenübertragungsraten Mobilfunk 29

Die bereits im vorhergehenden Abschnitt angesprochene NFC-Technologie repräsentiert expressiv verbis ebenfalls ein Verfahren der mobilen Kommunikation und wird für verschiedenste Anwendungen, u. a. in der Logistik genutzt.

29

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Quelle: https://www.lte-anbieter.info/Bilder/infografiken/evolution-mobilfunk.jpg (Stand: 30.01.2020)

Funktionsbezogene Informations- und Kommunikationstechnologien

Voraussetzung, um auf Ereignisse entlang der logistischen Prozesskette schnell reagieren zu können, ist die Aktualität der Kommunikation, d. h. wie oft wird beispielsweise die Lokalisierung einer Sendung im Zeitablauf vorgenommen. Erfolgt dieses Update ohne Verzögerung, dann wird von Echtzeitkommunikation (Real-time Communication: RTC) gesprochen. 5G fungiert in diesem Zusammenhang ebenfalls als technischer Enabler zur Realisierung der RTC in verschiedenen, z. B. industriellen Anwendungsszenarien. Neben Mobilfunknetzen und Satelliten setzt die mobile Kommunikation geeignete mobile Endgeräte voraus. Handy, Smartphone, Laptop und Tablet stellen entsprechende Funktionalitäten bereit, sollen hier jedoch nicht im Detail spezifiziert werden, da ihre technischen Möglichkeiten sowie Einsatzfelder vor allem aus dem privaten Umfeld bekannt sind. Anders verhält es sich mit speziellen mobilen Geräten, die für den Einsatz in der Logistik bestimmt sind, wie sie beispielsweise Bordcomputer oder mobile Handgeräte repräsentieren. Auf entsprechende „Hardware“ wird im Kontext der Technologieressourcen (vgl. Abschnitt 3.2) noch etwas detaillierter eingegangen.

3.1.3

Elektronischer Datenaustausch

Der Datentransfer nimmt eine bedeutende Rolle entlang einer IT-gestützten Logistikkette ein. Als grundlegendes Problem wird in der Praxis häufig die Inkompatibilität von Systemen gesehen, so dass eine bidirektionale Kommunikation nicht oder nur suboptimal stattfinden kann. Medienbrüche, schlechte Datenqualität, erhöhte Fehlerraten etc. haben Indikatorwirkung für die oftmals vorhandenen Defizite. Weltweiter Güterverkehr wie er heutzutage im Rahmen einer globalen Wertschöpfung unabdingbar ist, kommt jedoch ohne geeignete Datenaustauschformate nicht mehr aus. Systeme können grundsätzlich direkt (z. B. unternehmensintern) verbunden werden, oder über Netzwerke (z. B. Internet) kommunizieren. Das Hauptproblem liegt in der Verwendung unterschiedlicher Datenformate, die mitunter den Datentransfer zwischen Systemen unmöglich machen. Technologien zur Konvertierung sowie MiddlewareKomponenten helfen, die genannten Probleme zu beseitigen. Historisch gesehen wurden Datenträgeraustausch-Verfahren (DTA/DTAUS) entwickelt, um den bargeldlosen Zahlungsverkehr zu unterstützen. Für die Logistik sind jene Anwendungen nur dann von Bedeutung, wenn Abrechnungsdaten bzw. Finanztransaktionen an Geldinstitute übermittelt werden müssen (z. B. im Rahmen von E-Payment, Einsatz von Purchasing Cards etc.). Wurden früher die auf Magnetbändern, Disketten, CD-ROM gespeicherten Daten auf physischem Wege zum Finanzdienstleister transportiert (eigene logistische Kette), so findet der Datentransfer heute elektronisch statt. „Datenfernübertragung, kurz DFÜ, ist ein alter Begriff und bezeichnete ursprünglich die Datenübertragung über das Telefonnetz zwischen zwei entfernten Teilnehmern mit Modems.“ (Elektronik Kompendium o. J.). Diese „[…] ist im Prinzip ein veraltetes

67

3.1

3

Informations- und Kommunikationstechnologien als Enabler

technisches Prinzip, wie es heute nicht mehr zum Einsatz kommt. Generell baut man bei der Daten(fern)übertragung heute auf modernere und breitbandigere Verfahren, wie z. B. VDSL.“ (Elektronik Kompendium o. J.). Die Verfahren des Electronic Data Interchange (EDI) spielen an der Schnittstelle zwischen Unternehmen (z. B. OEM) und deren Zulieferanten (Lieferabrufe, Bestands-/ Bedarfsdaten), an der Schnittstelle beispielsweise zum Kontraktlogistiker (Liefer- und Transportdaten) sowie zum Groß-/Einzelhandel (kontinuierliche Nachschubversorgung) eine wichtige Rolle. EDI repräsentiert dabei einen Industriestandard zum elektronischen Austausch von Geschäftsdokumenten. Logistische Prozesse können hierdurch integriert, standardisiert und in Konsequenz beschleunigt werden (vgl. Abb. 310). EDI selbst umfasst zum einen das Kommunikationssystem, das die Punkt-zuPunkt-Übermittlung von Daten via Protokoll ermöglicht. Zum anderen beinhaltet es das Konvertierungssystem, das die Ursprungsdatei in eine standardisierte Nachrichtenstruktur überführt. Abbildung 3-10: EDI am Beispiel der Transportkette von Hapag-Lloyd 30

Ein internationaler EDI-Standard, der primär außerhalb von Nordamerika vorherrscht, stellt UN/EDIFACT dar. Die Abkürzung steht für United Nations Electronic Data Interchange For Administration, Commerce and Transport; dabei handelt es sich um eine Einrichtung der UN – CEFACT. 30

68

In Anlehnung an: https://www.hapag-lloyd.com/de/products_and_services/bilateral_edi.html (Stand: 17.10.2019)

Funktionsbezogene Informations- und Kommunikationstechnologien

Da sich die Anforderungen an den Datenaustausch im Geschäftsverkehr im Zeitablauf verändern, werden die EDIFACT-Verzeichnisse regelmäßig angepasst. Die Komplexität und Spezifität der zu übermittelnden elektronischen Daten löste eine Adaption des allgemeinen Standards an die Erfordernisse einzelner Branchen/Anwendergruppen aus. So greift die Automobilindustrie im elektronischen Geschäftsverkehr auf den ODETTE-Standard zurück, die Speditionsbranche nutzt EDIFOR, die Konsumgüterindustrie beispielsweise EANCOM. In Nordamerika ist ANSI ASC X 12 Standard, während der Handelssektor in Großbritannien TRADACOMS einsetzt. EDI ist in seiner Ursprungsform als klassisches, on-premise EDI, aber auch als Service in Form von Web-EDI, Internet-EDI sowie als Cloud-EDI verfügbar. Die generellen Vor- und Nachteile von EDI werden in Abb. 3-11 gegenübergestellt. Abbildung 3-11: Vor- und Nachteile von EDI31 Vor- und Nachteile Klassisches EDI

EDI as a Service

Vorteile (gegenüber manueller Bearbeitung):

Vorteile:



Beschleunigte und effiziente Prozesse





Synchronisierung der Prozesse mit

Geringe Einstiegsschwelle, Eignung für gelegentliche Nutzung

Geschäftspartnern



Unkomplizierte Nutzung von EDI



Kosteneinsparungen



Nutzungsabhängige Kosten, keine



Vermeidung von Fehlern, größere •

Kein spezielles Personal / Know-how



Cloud-EDI: Abstimmung von Standards und

Zuverlässigkeit •

Größere Wettbewerbsfähigkeit



Engere Geschäftsbeziehung

Investitionen erforderlich erforderlich

Nachteile (gegenüber EDI as a Service):

Parametern durch Dienstleister



Hohe Investitionen erforderlich



Konzentration auf das Kerngeschäft



Implementierungsaufwand



Adäquate Reaktion des Betreibers bei



(Fix-) Kosten durch Eigenbetrieb



Know-how erforderlich



Cloud-EDI: Berücksichtigung spezieller



Handling-Aufwand, speziell …



Anpassungsaufwand bei abweichenden



komplexen Fehlern Anforderungen im grenzüberschreitenden Handel (Sprache, Standards, Steuern etc.)

Standards und Kommunikations-

Nachteile:

protokollen



Herausforderungen des Auslandshandels müssen beherrscht werden (Sprache,

Web-EDI: Niedrigere Reaktionsgeschwindigkeit als bei klass. und Cloud-EDI



Standards, Steuern etc.)

Web-EDI: Niedrige Anzahl EDI-Partner möglich

Experton Group ©

Gerade im Umfeld des E-Business und somit auch im Bereich der IT-gestützten Logistik wird häufig die Extensible Markup Language (XML) verwendet. Es handelt sich hierbei um eine branchenunabhängige Metasprache, die weltweit gebräuchlich ist und als eine Erweiterung von HTML betrachtet werden kann. Dabei steht die Definition von Datenstrukturen im Mittelpunkt, die Interpretation der Daten selbst obliegt der jeweiligen spezifischen Anwendung. Mittels XML lassen sich jegliche Dokumententy31

In Anlehnung an: https://www.cloudcomputing-insider.de/die-vorteile-von-edi-as-a-servicea-377561/index2.html (Stand: 30.01.2020)

69

3.1

3

Informations- und Kommunikationstechnologien als Enabler

pen strukturell definieren, wodurch neue Wege im Rahmen des elektronischen Datenaustausches zwischen Partnern entlang der komplexen Wertschöpfungskette bis hin zur gesamten Supply Chain beschritten werden können. Während des Transferprozesses erhält der Empfänger Informationen zum Datentypus sowie zur weiteren Verarbeitung der übertragenen Daten. So lassen sich auf diesem Wege beispielsweise OnlineKataloge austauschen oder Auftragsdaten aus einem ERP-System. XML fördert eine bessere Integration wirtschaftlich interagierender Partner und unterstützt aufgrund ihrer Struktur gleichermaßen den Datenaustausch mit kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Im Kontext von XML ist gleichermaßen RosettaNet zu erwähnen. Es handelt sich hierbei um ein Konsortium von mehr als 600 Unternehmen (u. a. aus dem Bereich Informationstechnologie, Logistik, Telekommunikation), mit dem Ziel Datenübertragungsschnittstellen zu standardisieren. Im Mittelpunkt der Initiative steht die Vereinheitlichung sowie Optimierung der Datenaustauschprozesse und -wege, so dass Medienbrüche eliminiert, Datenkonvertierungsprobleme ex ante vermieden und in Konsequenz Daten schneller, kostengünstiger und effizienter an die jeweiligen Geschäftspartner (B2B) übermittelt werden können. RosettaNet selbst basiert aus informationstechnologischer Sicht auf offenen XML-Standards. Da in Europa weitgehend EDIFACT vorherrschend ist, werden RosettaNet-Standards vor allem in den U.S.A. verwendet, inzwischen sind sie auch in asiatischen Staaten verbreitet. Dem Internet kommt im Zeitalter des E-Business und E-Commerce eine fundamentale Bedeutung zu, da hier einheitliche Standards vorherrschen. Neben dem Internet fungieren auch das Intranet (unternehmensinternes Netzwerk) sowie das Extranet (für unternehmensexterne Partner erweitertes Intranet) als gebräuchliche Datennetze. Weltumspannende IT-gestützte Logistikprozesse greifen häufig auf das Internet als Übertragungsmedium zurück. Protokolle dokumentieren den Transfer über das Datennetz und ermöglichen somit, dass inhomogene IT-Systeme kommunizieren können. Dabei werden die Daten in standardisierte Pakete fragmentiert und an die jeweils definierten IP-Adressen versandt. In Abhängigkeit von dem Datentypus/der Datenstruktur werden neben dem Hauptprotokoll, dem Transmission Control Protocol/Internet Protocol (TCP/IP) weitere Subprotokolle erstellt (vgl. Abb. 3-12). Das HTTPS (Hypertext Transfer Protocol Secure) manifestiert sich als Kommunikationsprotokoll mit Sicherheitsmechanismus, d. h. Daten werden verschlüsselt transportiert. Die Software Microsoft Exchange ermöglicht eine einfache (Echtzeit-)Synchronisierung z. B. von E-Mails, Terminen und Kontakten zwischen dem jeweiligen Nachrichtenserver und mobilen Endgeräten. Dies erfolgt über Exchange ActiveSync, ein XML-basiertes Synchronisierungprotokoll, das auf HTTP oder HTTPS basiert.

70

Funktionsbezogene Informations- und Kommunikationstechnologien

Abbildung 3-12

Internetprotokolle – Exemplarisch für die Anwendungsschicht

Transmission Control Protocol / Internet Protocol (TCP/IP)

Hyper Text Transfer Protocol (HTTP)

Simple Mail Transfer Protocol (SMTP), Post Office Protocol (POP)

Internet Message Access Protocol (IMAP)

File Transfer Protocol (FTP)

ermöglicht die Übertragung von Hyper Text Markup Language (HTML) Dokumenten an bebilderte Webseiten

unterstützt den Empfang und das Senden von E-Mails

E-Mails verbleiben auf dem Mailserver im Internet und werden dort gelesen, geschrieben sowie verwaltet

ermöglicht die Übertragung von unterschiedlichen Datenformaten

Die Telematik verbindet aus technischer Sicht die Bereiche Telekommunikation und Informatik. Dabei ist es in Wissenschaft und Praxis strittig, ob es sich bei der Telematik um eine eigenständige Disziplin, oder lediglich um eine Teildisziplin der Informatik handelt. Zwei dezentrale Informationssysteme werden durch die Nutzung eines Telekommunikationssystems miteinander datentechnisch verknüpft. Für die IT-gestützte Logistik spielt die Telematik insbesondere im Anwendungsfeld der Distribution bzw. im interorganisationalen Transport. Je nach technischer Ausrüstung liegen die Schwerpunkte von Telematik-Lösungen im Fuhrpark- und Flottenmanagement (Versorgung der Leitstelle mit aktuellen Fahrzeuginformationen zur effizienten Einsatzplanung und Steuerung), in der Sendungsverfolgung (Ortung von Fahrzeugen via Internet, Rückmeldung zum Transportverlauf und aktueller Sendungsstatus) sowie in der Unterstützung des Auftragsmanagements (aktuelle Versand-, Transport- und Fuhrparkdaten werden zurückgemeldet). Die Telematik findet weiterhin Anwendung im Bereich des Sicherheits- und Gebäudemanagements sowie in der Telemedizin, um lediglich ausgewählte Beispiele an dieser Stelle zu nennen. Bekannt geworden ist die Telematik in Verbindung mit GPS-gestützten Navigationssystemen im Straßenverkehr. Abb. 3-13 zeigt telematikgestützte Funktionen am Beispiel des Flottenmanagements detaillierter auf.

71

3.1

3

Informations- und Kommunikationstechnologien als Enabler

Abbildung 3-13: Einsatz der Telematik im Flottenmanagement (exemplarisch)32

3.2

Funktionsübergreifende Informations- und Kommunikationstechnologien

Organisationsweite Problemstellungen innerhalb logistikaffiner Unternehmensbereiche, bei Logistikdienstleistern sowie in Supply Chains lassen sich in Gänze nicht mehr mit kleinen Instrumenten der Informationstechnik lösen, sondern bedürfen verschiedener ganzheitlicher Ansätze. Im Folgenden werden Architekturkonzepte als Konstruktionsvorschläge für den Aufbau der IT-Infrastruktur vorgestellt, Technologieressourcen als Gestaltungselemente der Architektur bzw. IT-Infrastruktur präsentiert und abschließend Analytikmethoden aufgezeigt, um Daten- sowie Informationsflüsse im Bereich der Logistik entsprechend lenken und für eine effiziente Planung bzw. optimale Entscheidungsunterstützung anforderungsgerecht nutzen zu können.

32

72

Quelle: http://telematikwissen.de/wp-content/uploads/2013/01/Telematik-ZwiebelUmfeld.png (Stand: 31.01.2020); geringfügig modifiziert.

Funktionsübergreifende Informations- und Kommunikationstechnologien

3.2.1

Architekturkonzepte

Starre und komplexe Anwendungsarchitekturen und -systeme sowie eine daraus resultierende mangelnde Verknüpfung von Prozessen auf betriebswirtschaftlicher und informationstechnischer Ebene führen häufig zu Ineffizienzen und planerischen Inkongruenzen im Unternehmensablauf. Aktuell sind verschiedene Konzepte, die dieses Dilemma zu lösen versuchen in der Unternehmenspraxis erfolgreich etabliert. Charakteristisch für jene Ansätze ist, dass sie sich an den zugrunde liegenden Geschäftsprozessen orientieren, wie sie beispielsweise Logistikabläufe und -aktivitäten darstellen. Darüber hinaus kommt der Integration bzw. Vernetzung von schnittstellenübergreifenden Prozessen eine besondere Bedeutung zu. Die Suche nach einer standardisierten Definition, was unter einem Architekturkonzept zu verstehen ist bzw. wie es sich überschneidungsfrei von einer IT-Infrastruktur abgrenzen lässt, erweist sich nicht wirklich als erfolgreich. Für uns Logististiker ist jedoch der Vergleich einer IT-Architektur mit dem strukturellen Bau- und Tragwerksentwurf eines Gebäudes (Unternehmen) oder mit dem Bebauungsplan für ein spezifisches Grundstück (Organisation/Organisationseinheit) gut verständlich – auch hier wird die Informatik/Wirtschaftsinformatik um Nachsicht gebeten. Die Vielfalt an IT-Anwendungen im Umfeld der Logistik, auf welche im nachfolgenden Kapitel dezidiert eingegangen wird, erfordert eine konsistente IT-Architektur, um den elektronischen Datentransfer effizient abzuwickeln, d. h. um Datenverluste, Datenredundanzen sowie Dateninkonsistenzen vermeiden zu können. Komplexe Anwendungsarchitekturen, Eigenentwicklungen, Standardsoftware, Legacy-Systeme sowie historisch gewachsene IT-Landschaften im Allgemeinen erschweren zudem eine Integration der im Unternehmen verwendeten Applikationen. Das Konzept der Enterprise Application Integration (EAI), dt.: Unternehmensanwendungsintegration (UAI) bietet die Möglichkeit einer technischen Integration der oben genannten heterogenen Anwendungssysteme. Das technische Ziel ist hierbei die Vereinfachung und Komplexitätsreduktion der Anwendungsintegration (vgl. Bruns und Dunkel 2010, S. 45). In der Praxis haben sich zwei Topologien, d. h. Ausprägungen der Rechnernetzstruktur, etabliert. Die Hub and Spoke-Topologie platziert die EAI-Infrastruktur auf einem zentralen Server, wodurch eine erhöhte Ausfallanfälligkeit entsteht, die Infrastruktur jedoch einfacher zu realisieren ist. Hingegen werden bei der Bus-Topologie die EAIInfrastrukturen auf verschiedene Systeme verteilt. Dies hat zum einen eine komplexere Realisierung zur Folge, bietet aber im Vergleich zum Hub and Spoke-Ansatz eine höhere Robustheit gegenüber Ausfällen. Die technische Einrichtung der EAI erfolgt in der Regel durch den Einsatz von Middleware oder auch Kommunikationsinfrastrukturen, welche die einzelnen Applikationen unabhängig von den beteiligten Plattformen und Protokollen verbinden (vgl. Liebhart 2007, S. 124 ff.). Die Standardisierung von Schnittstellen sowie die Verankerung des systemübergreifenden Datenaustausches in der jeweiligen IT-Architektur stehen im Mittelpunkt der informationstechnischen Betrachtung. Das übergeordnete Ziel der EAI stellt aus be73

3.2

3

Informations- und Kommunikationstechnologien als Enabler

triebswirtschaftlicher Sicht die ganzheitliche Unterstützung der Geschäftsprozesse dar, darüber hinaus soll die Automatisierbarkeit dieser Geschäftsprozesse gewährleistet werden (vgl. Helo und Szekely 2005, S. 12). Insbesondere in Großkonzernen und komplexen Versorgungsketten erreicht die EAI einen wesentlichen Bedeutungsgrad, da die Integration unterschiedlicher Anwendungen einen maßgeblichen Effizienztreiber repräsentiert. Auch in der prozessdominierten Umwelt der Logistik existieren Ansätze, die logistische Kette mittels hochgranularer Services noch detaillierter und standardisierter abzubilden als bisher (vgl. ten Hompel 2008, S. 107). Dennoch bietet die sogenannte serviceorientierte Architektur (SOA) als Gestaltungsansatz über die EAI hinaus die Möglichkeit, logistische Prozesse effizient zu unterstützen. Während die EAI eher als technologiegetrieben bewertet werden kann und die technische Integration von Applikationen als Zielsetzung verfolgt, bietet die SOA die Idee einer Symbiose zwischen Geschäftsprozessen und Anwendungslandschaften an (vgl. Bruns und Dunkel 2010, S. 36). SOA kann eher als Architekturparadigma wahrgenommen werden, durch dessen Einsatz Anwendungssysteme modularisiert in Teilsysteme aufgetrennt werden, welche jeweils eine spezifische Dienstleistung anbieten. Diese Module sind lose miteinander gekoppelt, so dass jeder Service zur Ausführung in anderen Anwendungssystemen genutzt werden kann (vgl. vom Brocke 2008, S. 13). Grundlegende Elemente der SOA sind Services, das Service Repository sowie der Service Bus. Als Services werden eigenständig nutzbare Teile des Anwendungssystems betrachtet, welche in einem Service Repository oder Serviceverzeichnis auf fachlicher Ebene dokumentiert und gespeichert werden. Der Enterprise Service Bus erfüllt wie bei der EAI die Aufgabe als technisches Integrationsinstrument für die Serviceverknüpfung zur Prozessunterstützung (vgl. vom Brocke 2008, S. 15f.). Um hierbei die Geschäftssicht mit der Technologiesicht konkret zu verknüpfen, bedarf es des Einsatzes einer Geschäftsdomäne, in welcher wesentliche, fachlich zusammenhängende Prozesse gebündelt abgebildet werden. Dies bedeutet, dass die Geschäftsprozesse in einer SOA nicht direkt auf die Anwendungssysteme zugreifen, sondern die Services nutzen, welche in den Geschäftsdomänen bereitgestellt werden (vgl. Bruns und Dunkel 2010, S. 34). Bei Umsetzung einer SOA in der Logistik spielen Webservices eine signifikante Rolle, um den Aufruf durch verschiedene logistische Akteure effizienter zu gestalten und um darüber hinaus eine Interoperabilität zwischen den Anwendungsplattformen herzustellen. Effizienzsteigerungen und Verbesserungen durch den Einsatz der SOA in der Logistik sind bereits dokumentiert und empirisch gefestigt (vgl. Kumar et al. 2007). Ein optimaler Informationsaustausch in Echtzeit, eine starke Interoperabilität der Services durch die inhärenten Standards sowie eine verbesserte Reaktivität durch eine bereichsübergreifende Servicenutzung können als Kernnutzen der Anwendung einer SOA in der Logistik genannt werden (vgl. Rehan und Akyuz 2010, S. 2611).

74

Funktionsübergreifende Informations- und Kommunikationstechnologien

Ereignisgesteuerte Logistikprozesse sind in der Unternehmenswelt allgegenwärtig. Ausgelöste Bestellungen und Aufträge, Fertigungssequenzen oder auch Kommissionierprozesse in Distributionszentren stellen hierfür nur eine Auswahl an Beispielen dar. Ein Geschäftsprozess kann als ereignisgesteuert definiert werden, „… wenn eine spezifische Verarbeitungsfolge durch den [Eintritt] eines Ereignisses ausgelöst oder substanziell beeinflusst wird.“ (Bruns und Dunkel 2010, S. 14). Bereits in der Geschäftsprozessmodellierung lassen sich Ereignisse in ereignisgesteuerten Prozessketten berücksichtigten. Die event-driven architecture oder auch ereignisgesteuerte Architektur (EDA) wird als Architekturstil bezeichnet, wobei einige Komponenten ereignisgesteuert sind und mithilfe von Ereignissen kommunizieren und interagieren (vgl. Luckham und Schulte 2011, S. 16). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass nicht alle Logistikprozesse ereignisgesteuert ablaufen. Wesentliche Elemente der EDA sind sogenannte Softwarekomponenten, welche als Ereignisquellen und -senken über eine Middleware miteinander verknüpft sind. Diese Komponenten sorgen bei Anwendung auf die Geschäftsprozessunterstützung für eine Verarbeitung in Echtzeit (vgl. Bruns und Dunkel 2010, S. 51ff.). Maßgebliche Verbesserungen, welche durch die Einführung einer EDA erreicht werden können, sind die Echtzeitfähigkeit der Abläufe und damit die schnellere Reaktionsfähigkeit der Geschäftsprozesse (vgl. Bruns und Dunkel 2010, S. 76). Wird die EDA vergleichend zur SOA beleuchtet, so fällt auf, dass beide Konzepte ergänzend wirken können. Während die Stärken der SOA vorwiegend bei prozessund sequenzorientierten, also transaktionsbasierten Geschäftsprozessen ausgespielt werden, liegt der Fokus ereignisgesteuerter Geschäftsprozesse auf der Echtzeitbetrachtung und Statusermittlung (vgl. Bruns und Dunkel 2010, S. 36f.). Der Herausforderung einer Echtzeitsteuerung, vor allem in der Intra- und Produktionslogistik, kann mit der Implementierung einer EDA entgegengetreten werden. Durch die Reaktion auf Ereignisse lässt sich so das Verhalten von Fördereinheiten und Industrierobotern in Echtzeit erreichen, was in Gänze zu einer Reduktion der Systemzeiten führt und die Effizienz steigert (vgl. ten Hompel 2008, S. 107). Die Entwicklung der bislang dargestellten Architekturkonzepte wird in Abbildung 314 nochmals strukturell veranschaulicht. Im Zeitalter von Industrie 4.0, 5G, Big Data und Künstlicher Intelligenz – um lediglich ausgewählte Beispiele zu nennen – zeichnet sich eine notwendige Weiterentwicklung bzw. Ergänzung existierender Ansätze in Richtung sogenannter IoT-Architekturkonzepte ab. Im Rahmen einer Studie von Bain wurden 20 Thesen für die zukünftige Gestaltung des „Informations- und Kommunikationstechnologischen Bau- und Tragwerksentwurfs“, entsprechend der von Praxisseite identifizierten Anforderungen formuliert. Dabei erweisen sich jene Kernsätze in ihrer Struktur generischer Natur, d. h. sie sind losgelöst von bestimmten Branchenspezifika verfasst. Ferner erfolgt eine Zuordnung der Thesen zu acht Bausteinen (vgl. Kunstmann-Seik und Pelster 2017):

75

3.2

3

Informations- und Kommunikationstechnologien als Enabler

Hochgeschwindigkeitsarchitektur (These 1), Kanäle und Endgeräte (Thesen 2-3), Anwendungen (Thesen 4-6), Anwendungs- und Entwickungsplattform (Thesen 7-9), Daten (Thesen 10-12), Infrastruktur (Thesen 13-16), Sicherheit (Thesen 17-18) und Integration (Thesen 19-20). Abbildung 3-14: Überblick der vorgestellten Architekturkonzepte D

E

Ursprüngliche Anwendungslandschaft

A C A

B B

C

Anwendungssysteme/ Applikationen

D

Prozess

D

Prozess

C

A

Bus

Einsatz der EAI D

B A

B

C

Einsatz der SOA

Einsatz der EDA

Services SoftwareKomponenten

B

*

*

C

D

Prozess

*

*

Ereignissenke Ereignisquelle

Middleware

Ereignis

Bus A

Anwendungslandschaft

*

A

*

B

*

C

*

D

Prozess

Die 20 Thesen der zukunftsfähigen IT-Architektur stellen sich wie folgt dar:

76

1.

„Eine IT der zwei Geschwindigkeiten reicht nicht mehr aus: Die gesamte ITArchitektur muss schnell und agil sein

2.

Reibungsloser Wechsel zwischen wachsender Zahl von Kanälen und Endgeräten wird unabdingbar

3.

Mobile first: Bei Entscheidungen haben mobile Kanäle und Endgeräte Priorität

4.

Lose gekoppelte Systeme verdrängen Monolithen

5.

Nutzung von Microservices erhöht Agilität, Stabilität und Skalierbarkeit

Funktionsübergreifende Informations- und Kommunikationstechnologien

6.

Software as a Service beschleunigt Innovationszyklen und vermindert Implementierungsaufwand

7.

Der Fokus liegt auf strategischen Standardplattformen für Anwendungen und Entwicklung

8.

Flexible, skalierbare Plattformen als Backbone werden mit Best-of-BreedApplikationen kombiniert

9.

Plattform-as-a-Service-Konzepte kommen vermehrt zum Einsatz

10. Die IT-Architektur muss wachsende Datenvolumina mit immer anspruchsvolleren Analysen verarbeiten 11. Die enorme Menge auch unstrukturierter Daten erfordert neue Technologien und Architekturen wie Data Lakes 12. In-Memory-Technologien beschleunigen Datenverarbeitung immens 13. Rechenleistung ist jederzeit und an jedem Ort verfügbar 14. Die Zeit ist reif, sich von der eigenen Infrastruktur zu trennen 15. Nicht-unternehmerische Daten verhelfen Public-Cloud-Anbietern zu rasantem Wachstum 16. Die Zukunft gehört automatisch konfiguierbaren Infrastrukturen (Infrastructure as Code) 17. Systematische Cyberattaken bedrohen zunehmend alle Bausteine der ITArchitektur 18. Security as a Service gewinnt an Bedeutung 19. Webbasierte Koppelungen ersetzen schwerfällige Enterprise-Service-BusAnsätze 20. Best-of-Breed-Netzwerke von Implementierungspartnern treten an die Stelle des klassischen Generalunternehmers“ (Kunstmann-Seik und Pelster 2017). Fazit: Von einer IT-Architektur wird zukünftig deutlich mehr Flexibilität/Agilität gefordert, d. h. stärker weg vom „zementierten Blockansatz“, hin zu mehr rekombinierbaren/adaptierbaren Modulen. In diesem Zusammenhang wird u. a. der MicroserviceAnsatz diskutiert, dessen Strukturierungsprinzip beispielhaft in Abb. 3-15 visualisiert ist. Darüber hinaus bedarf es geeigneter Architekturkonzepte, die einen standardisierten Datenaustausch ermöglichen und im Bereich von Industrie 4.0-Szenarien, z. B. Cyberphysische Systeme (CPS) vernetzen. OPC Unified Architecture (UA) bietet den Nutzern diesbezüglich eine entsprechende Lösung an:

77

3.2

3

Informations- und Kommunikationstechnologien als Enabler

n „OPC-UA ist die neue Technologiegeneration der OPC Foundation für sicheren,

zuverlässigen und herstellerunabhängigen Transport von Rohdaten und vorverarbeiteten Informationen von der Sensor- und Feldebene bis hinauf zum Leitsystem und in die Produktionsplanungssysteme.“ (Burke o. J., S. 12)

n „OPC-UA ist unabhängig vom Hersteller oder Systemlieferanten, der die jeweilige Anwendung produziert bzw. liefert.“ (Burke o. J., S. 12)

n „OPC-UA definiert generische Dienste und folgt dabei dem Designparadigma der

Service Oriented Architecture (SOA), bei dem ein Dienstanbieter Anfragen (requests) erhält, diese bearbeitet und die Ergebnisse mit der Antwort (response) zurück sendet.“ (Burke o. J., S. 12)

Abbildung 3-15: Einsatz von Microservices – Flexibilität & Agilität33

Basierend auf den oben dargelegten Thesen lassen sich nach einer Status Quo-Analyse für einzelne Branchen und/oder Unternehmen im nächsten Schritt differenzierte Gestaltungsfelder sowie konkrete Aktivitätsprofile zur Weiterentwicklung ihrer IT-Architekturkonzepte ableiten. Einige Kernaussagen der Studie von Bain, z. B. welche auf Plattformen und/oder Daten fokussieren, sprechen Lösungskonzepte an, die in den folgenden Abschnitten 3.2.2 Technologieressourcen (z. B. Cloudlösungen) sowie 3.2.3 Analytikmethoden (z. B. Big Data) näher betrachtet werden. 33

78

Quelle: https://docs.microsoft.com/en-us/dotnet/architecture/microservices/multi-containermicroservice- net-applications/microservice-application-design (Stand: 12.02.2020)

Funktionsübergreifende Informations- und Kommunikationstechnologien

3.2.2

Technologieressourcen

Nach der Festlegung der IT-Architektur, sozusagen der Bau- und Tragwerksstruktur der IT im Unternehmen, ist diese mit adäquaten technologischen Ressourcen zu füllen bzw. zum Leben zu erwecken. Dabei spielen sowohl Hardware- als auch Softwarekomponenten eine wichtige ressourcengestaltende Rolle. Derzeit führen Datenredundanzen sowie Medienbrüche aufgrund abweichender Datenformate und auch infolge unterschiedlicher Ausstattungsgrade verschiedener Logistikakteure in finanzieller, personeller sowie fachlicher Hinsicht, in Verbindung mit unterschiedlichen Zugriffsbedingungen (Verbindung, Endgeräte, Leistungsfähigkeit, Zugriffsrestriktionen) noch immer zu Ineffizienzen im Prozessablauf. Besonders in Branchen wie der Logistik, in welche viele Stakeholder involviert sind, kommen diese Ausprägungen zum Tragen. Ansätze wie z. B. das Cloud Computing versuchen diese Unzulänglichkeit zu überwinden. Das Konzept des Cloud Computing ist, obwohl in der Praxis bereits umfassend etabliert, nicht einheitlich definiert. Grundsätzlich beschreibt das Cloud Computing eine bedarfsgerechte und flexible Nutzung von IT-Leistungen. Eine erweiterte Definition grenzt jenes Pardigma wie folgt ab: „Unter Cloud-Computing (engl. cloud computing) versteht man die Nutzung von meist mehreren Servern, die von externen Dienstleistern über das Internet bereitgestellt werden, um dort Daten zu speichern, zu verwalten, ohne hierfür lokale Rechner verwenden zu müssen. Auf diese Weise können auch betriebliche Anwendungsdienste auf diesen Rechnern im Internet (in der „Cloud“) genutzt werden.“ (Hansen et al. 2019, S. 614). Innerhalb des technischen Rahmens des Cloud Computing können drei wesentliche Geschäftskonzepte unterschieden werden, welche auch als kongruent mit der technischen Landschaft der Cloud Services zu betrachten sind. Infrastructure as a Service (IaaS) subsumieren alle virtuell zur Verfügung gestellten Ressourcen wie Speicher oder Server. Angebote, welche unter dem Terminus Platform as a Service (PaaS) zusammengefasst werden, stellen cloud-basierte Entwicklungsumgebungen dar. Als vielversprechendstes Geschäftskonzept kann hingegen Software as a Service (SaaS) genannt werden, welche online abrufbare Computeranwendungen darstellen, die direkt an den Endbenutzer gerichtet sind (vgl. Baun et al. 2011, S. 29ff.). Abb. 3-16 stellt die vorhandenen Geschäftsmodell- bzw Service-Optionen nochmals detailliert dar. Hinsichtlich der Datensicherheit kann eine Systematisierung über die sogenannten Sichten des Cloud Computing durchgeführt werden. Hierbei wird zwischen Public und Private Clouds differenziert, welche über Hybrid Clouds zusammengeschlossen werden können. Während in Public Clouds Anbieter und Nutzer nicht derselben organisatorischen Einheit angehören, ist dies bei Private Clouds der Fall, wodurch diese Sicht auch als IT-Outsourcing aufgefasst werden kann (vgl. Baun et al. 2011, S. 26; Duisberg 2011, S. 50). Inzwischen lassen sich auch IT-Sicherheitsmaßnahmen an einen externen Serviceprovider vergeben bzw. werden Sicherheitsdienste via Cloud-Lösung den Nutzern zur Verfügung gestellt; es handelt sich hierbei um das Geschäftsmodell 79

3.2

3

Informations- und Kommunikationstechnologien als Enabler

Security as a Service, kurz SECaaS oder auch SaaS (nicht zu verwechseln mit Software as a Service, das ebenfalls SaaS abgekürzt wird). Stärken von Cloud-Lösungen in der Logistik kristallisieren sich in drei Bereichen heraus. Die Forderung nach permanent aktuellen Daten und Informationen, welche allen Akteuren und Stakeholdern insbesondere in der Supply Chain zur Verfügung gestellt werden, wird durch einen vorwiegend heterogenen Informationsfluss nicht bedient. Ganzheitliche Anbieter sogenannter Cloud Supply Chains vernetzen all diese Stakeholder, wodurch jeder Partner Zugriff auf aktuelle Informationen hat (vgl. http://www.supplychain247.com/company/GT_Nexus). Weiterhin kann das Angebot von modularen Programmen in Form von SaaS die Komplexität einzelner Anwendungssysteme für Logistikprozesse reduzieren. Diese Services können gebündelt in Marktplätzen angeboten werden, wie es bereits in der Logistics Mall realisiert worden ist (vgl. https://www.ccl.fraunhofer.de/de/forschung/logistics-mall.html). Die Modularisierung und Flexibilisierung durch das bedarfsgerechte Angebot auf einer Mietbasis, welches die flexible Nutzung der Services erlaubt, kann zudem als Vorteil des Cloud Computing in der Logistik genannt werden. Abbildung 3-16: Cloud Services im Überblick34

Die Blockchain-Technologie, die auf den Grundlagen der Kryptowährung Bitcoin aufbaut, wird inzwischen in unterschiedlichen Branchen bzw. Funktionsbereichen 34

80

In Anlehnung an: https://www.ionos.de/digitalguide/server/knowhow/caas-container-as-aservice-anbieter-im-vergleich/ (Stand: 13.02.2020)

Funktionsübergreifende Informations- und Kommunikationstechnologien

eingesetzt; war sie früher stark finanzwirtschaftlich orientiert (z. B. Geldtransfer), so ermöglicht sie heute sichere Transaktionen u. a. in der Logistik und im Supply Chain Management. „Blockchain (engl.: blockchain) ist eine Form einer historischen Datenbank, bei der Einträge in der Datenbank nicht nur nicht gelöscht werden können, sondern bei der die Unveränderbarkeit der Daten zudem durch kryptografische Prüfsummen zugesichert wird. Häufig werden die Transaktionsverzeichnisse laufend auf mehrere Rechner kopiert (Replikation), sodass auch bei Ausfall eines Rechners die gesamte Transaktionsgeschichte erhalten bleibt.“ (Hansen et al. 2019, S. 466). Jene Verzeichnisse sind fälschungssicher und bestehen expressis verbis aus einzelnen Blöcken, die miteinander verkettet werden (vgl. Hansen et al. 2019, S. 406f.). „Im Hinblick auf die Beteiligung der Nutzer, insbesondere deren Zugriffsmöglichkeiten auf das Transaktionssystem, wird zwischen öffentlichen und privaten Blockchains unterschieden. Bei der ersten Variante kann jeder dem Netzwerk beitreten und Transaktionen übermitteln, die im Anschluss öffentlich zugänglich sind. Im Vergleich dazu handelt es sich bei privaten Blockchains um geschlossene Systeme, in denen lediglich registrierte Teilnehmer mit Zugriffsrechten Transaktionen erstellen oder bearbeiten können […].“ (Thi Do et al. 2019, S. 617). In der Logistik ermöglicht der Einsatz von Blockchains u. a. schnelle und transparente Abwicklungsprozesse in weltweiten Lieferketten sowie die Realisierung sogenannter Smart Contracts (vgl. Abb. 3-17). Abbildung 3-17: Blockchain & Logistik – Ein symbiotisches Verhältnis35

35

Quelle: https://www.it-daily.net/images/BilderStudien/Key_blockchain_use_cases_in_ logistics_1000.jpg (Stand : 13.02.2020)

81

3.2

3

Informations- und Kommunikationstechnologien als Enabler

„[…] Das vorstehend skizzierte Potential der Blockchain wäre nicht denkbar ohne die Entwicklung der Smart Contracts. Diese werden es erlauben, auf der Grundlage der verfügbaren Informationen die vielgestaltigen Rechtsgeschäfte sowohl auf der Ebene des Grundgeschäftes als auch der Logistikkette kohärent zu kompilieren und den Vollzug zu automatisieren.“ (Furrer 2017, S. 5). Jene Verträge initiieren in teil- oder vollautomatisierter Weise verschiedenste Aktivitäten, so zum Beispiel den Informationsaustausch mit Zollbehörden, oder die ereignisgestützte Benachrichtigung von Frachtführern zur Einleitung notwendiger Gegensteuerungsmaßnahmen (vgl. Furrer 2017, S. 5f.). Für das Supply Chain Management (d. h. hier verstanden als erweiterter Logistikkontext) trägt der Blockchain-Ansatz zur verbesserten Koordination und Zusammenarbeit entlang komplexer, vielschichtiger Wertschöpfungsketten bzw. –netzwerke bei (vgl. Abb 3-18). Abbildung 3-18: SCM – „Traditionell versus Blockchain-gestützt“36

Inzwischen liegen verschiedene Use Cases für die Logistik/das SCM vor, so z. B. der Einsatz von Blockchain in der Bestandsverfolgung: „IBM recognized an opportunity to improve its asset management system through the use of blockchain technology. A blockchain would capture all transactions and record changes that occur as the assets 36

82

In Anlehnung an: https://ggktech.com/wp-content/uploads/2019/11/block-chain-detail.jpg (Stand : 18.02.2020)

Funktionsübergreifende Informations- und Kommunikationstechnologien

move from manufacturing to deployment, including those actions that occur outside of IBM’s systems. Capturing this information in the blockchain would give IBM and its supply chain partners a ´single source of truth´ with regard to core asset information.” (Lyon und Manners-Bell 2019, S. 105). Cyber-physische Systeme (engl. cyber-physical systems), kurz CPS, ermöglichen die Einbettung von Software und Elektronik in Gegenständen und deren Vernetzung zum Beispiel über das Internet. Durch verschiedenste Sensorik und Aktuatorik können somit einzelne Maschinen bis hin zu kompletten Produktionssystemen mit ihrer Umwelt interagieren. Es findet sozusagen eine Art Fusion der physischen und der virtuellen Welt statt (vgl. Hausladen 2017). „Stationäre Maschinen, Anlagen, mobile Einrichtungen und Roboter gehören zu den Beständen der Cyber-physischen Systeme. Wissenschaften wie Mathematik, Elektrotechnik, Maschinenbau, Robotik und Informatik liefern die technologischen Grundlagen für die Cyber-physischen Systeme.“ (industrie-wegweiser o. J.). CPS besitzen einerseits einen Zugang zur physischen Welt, um Zustände wie Temperatur, Gewicht, Füllstand etc. mit Sensoren zu erfassen und gegebenenfalls mit Hilfe von Stellgliedern (Aktuatoren) auf diese Zustände dynamisch reagieren zu können. Andererseits existiert der Zugang zur virtuellen Welt (Cyberspace), indem über Netzwerke Daten – beispielsweise in einer Cloud – zur Verfügung gestellt und ausgewertet werden. Wichtige Faktoren dieser Technologie sind die Berechnung/Bewertung, Übertragung und Kontrolle von Informationen (vgl. Abb. 3-19). Durch die Integration von Steuerungsfunktionen der CPS innerhalb einer Cloud ergeben sich zusätzliche Vorteile. So kann beispielsweise mehr Rechenleistung für komplexere Algorithmen bereitgestellt werden. Dadurch müssen Maschinen vor Ort nicht mit zusätzlicher Steuerungshardware ausgerüstet werden und sind für eine wandlungsfähige Produktion besser geeignet. Weitere Vorteile ergeben sich beispielsweise zudem aus der Möglichkeit der Simulation von Maschinen und Prozessen in der Cloud, aus der Nutzung von Simulationsergebnissen für die Planung, Bewertung und Prozessoptimierung sowie durch die Erreichung eines höheren Servicegrades von Herstellerseite infolge einer anforderungsgerechten Datenbereitstellung. Auf der anderen Seite sind gleichzeitig höhere Anforderungen an die Technik, Sicherheit und Verfügbarkeit zu stellen und umzusetzen (vgl. Bauernhansl et al. 2014, S. 238ff.). Neben der Logistik und Industrie finden sich CPS auch in anderen Anwendungsgebieten wie der Energietechnik zum Beispiel in Form von Smart Meter (intelligente Zähler) und Smart Grid (intelligentes Stromnetz), im Gesundheitssektor bei der Telemedizin oder bei Frühwarnsystemen vieler Art, z. B. in der Instandhaltung wieder. In diesem Kontext ist als weitere Technologieressource gleichermaßen der digitale Zwilling (engl.: Digital Twin) zu nennen. „Digitale Zwillinge sind digitale Repräsentanzen von Dingen aus der realen Welt. Sie beschreiben sowohl physische Objekte als auch nicht physische Dinge wie z. B. Dienste, indem sie alle relevanten Informationen und Dienste mithilfe einer einheitlichen Schnittstelle zur Verfügung stellen. Für den 83

3.2

Informations- und Kommunikationstechnologien als Enabler

digitalen Zwilling ist es dabei unerheblich, ob das Gegenstückin der realen Welt schon existiert oder erst existieren wird.“ (Kuhn 2017, S. 440). Der Einsatz jener Technologie ermöglicht ein ressourceneffizientes Arbeiten, sowohl in Bereichen der Produktentwicklung, Produktionssteuerung, Instandhaltung wie auch der Logistik, um lediglich ausgewählte Beispiele zu nennen. Die Grundstruktur des Digital Twin-Konzeptes ist in Abb. 3-20 dargestellt. Abbildung 3-19: Cyber-physische Systeme37 control

3

Infor mation systems

System Engineering Mechatronics

Für die Logistik lassen sich vielfältige Anwendungsmöglichkeiten für den digitalen Zwilling aufzeigen; so illustriert beispielsweise DHL folgende Szenarien: „In der Logistik können digitale Zwillinge in einer Vielzahl von Anwendungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette eingesetzt werden, darunter das Management von Containerflotten, die Überwachung von Transporten oder die Gestaltung von Logistiksystemen. So zeigen etwa IoT-Sensoren an einzelnen Containern deren Standort an und überwachen sie auf Schäden und Verschmutzung. Diese Daten fließen in einen digitalen Zwilling des Containernetzes, das durch maschinelles Lernen dafür sorgt, dass die Container so effizient wie möglich eingesetzt werden.“ (Hartmann 2019, o. S.). Dem digitalen Zwilling liegen verschiedene Technologien zugrunde; so werden seitens Deutsche Post DHL Group z. B. API (Application Programming Interface), Offene Standards, Erweiterte/Virtuelle Realität, Cloud Computing, das Internet der Dinge

37

84

In Anlehnung an: Schmid 2014, S. 62.

Funktionsübergreifende Informations- und Kommunikationstechnologien

sowie die Künstliche Intelligenz (vgl. Abschnitt 3.2.3 Analytikmethoden) in der Infografik „underlying technologies of digital twins“genannt (vgl. Hartmann 2019, o. S.). Abbildung 3-20: Der digitale Zwilling im Überblick38

Neben den stärker softwareseitigen Technologieressourcen spielen gleichermaßen hardwarespezifische Ressourcen eine wichtige Rolle. Bordcomputer (engl.: On-Board Computer System) werden in technische Systeme von Fahrzeugen, Schiffen sowie Flugzeugen eingebettet. Sie dienen nicht nur der Navigation, sondern unterstützen verschiedene logistische Prozesse entlang der komplexen Transportkette. Exemplarisch seien an dieser Stelle folgende Einsatzbereiche erwähnt: Fahrzeuglokalisierung (via GPS), Übertragung von Fahrzeugdaten (z. B. Geschwindigkeit, Bewegungsrichtung, Statusinformationen), Routenverfolgung, Diebstahlsicherung von Fahrzeugen, Ereignissteuerung und -kontrolle entlang der Lieferkette, Dokumentation des Lieferstatus, GPS-basiertes Alarmsystem für Fahrzeuge. Handgeräte finden sich vor allem im Umfeld der Lagerwirtschaft wieder, um die Transport-, Handling- oder Ein-/Auslagerungsvorgänge zu vereinfachen bzw. zu beschleunigen. Wurden früher Inventuren per Handerfassung durchgeführt, ermöglichen heute kleine Handcomputer die weitgehend automatisierte Erfassung von Artikeldaten, wie Preise, Mengen, Spezifikationen. Die Daten werden dann an einen 38

In Anlehnung an: Kuhn 2017, S. 441.

85

3.2

3

Informations- und Kommunikationstechnologien als Enabler

Zentralcomputer zur weiteren Verarbeitung übermittelt. Neben den unterschiedlichen technischen Funktionalitäten sollten die Geräte zusätzlich ergonomisch gestaltet sein. Touchscreen-Display, Antirutsch-Tastatur, gute Lesbarkeit des Displays, geringes Gewicht, ergonomische Form etc. stellen lediglich ausgewählte Beispiele in diesem Zusammenhang dar. Viele Geräte greifen auf ein Windows-basiertes Betriebssystem zurück, verfügen über einen integrierten Identcode-/Barcodescanner sowie über eine entsprechende Lade- und Befestigungsvorrichtung. Optional werden in sogenannte Handheld Devices u. a. 2D-Imager, RFID-Module, Wireless LAN, Infrarotschnittstelle, Bluetooth, GSM/GPRS oder UMTS-Empfang integriert. Im Zeitalter von IoT, Industrie 4.0 und 5G findet ein Austausch von Echtzeitdaten zwischen mobilen Geräten und/oder zentralen Prozesseinheiten statt; Smartphone, Tablet & Co. repräsentieren finden immer stärker Eingang in die operative Steuerung der Logistik. Datenbrillen, Systeme der Augmented, Mixed und Virtual Reality, Head-up Displays (HUD) oder der Smart-Handschuh, z. B. Pro-Glove (Arbeitshandschuh mit integriertem Scanner) finden sich inzwischen vielfach im erfolgreichen Praxiseinsatz. Ferner sind im weiteren Sinne hier auch Technologieressourcen wie selbstfahrende Fahrzeuge (Intralogistik), Lieferroboter (letzte Meile), smarte Container, Paketdrohnen, Elektrofahrzeuge, inklusive zugehöriger Ladeinfrastruktur zu erwähnen, da Informations- und Kommunikationstechnologien hier einen zentralen Baustein der physischen Gegenstände darstellen. Letztendlich zählen auch Objekte wie z. B. smarte Logistikinfrastrukturen/-immobilien, einschließlich ihrer gesamten IKT-Netzwerke, oder auch Lösungen wie beispielsweise die “factory in a box“ dazu. „A Nokia-led group of 12 electronics industry players today unveiled the "factory in a box" concept, showing how manufacturers can stay ahead of the demands of Industry 4.0 through agile production that can be packed, transported and brought back into service in a matter of hours.” (Nokia 2018, o. S.).

3.2.3

Analytikmethoden

Stetig steigende Datenvolumina im Bereich der Logistik werden heutzutage mit beständig zu reduzierenden Reaktions- und Lieferzeiten konfrontiert, welche durch den Kunden gefordert werden. Insbesondere in Supply Chains konnte empirisch gezeigt werden, dass die Leistungsfähigkeit derselben ab einem bestimmten Grad an Informationsbelastung absinkt (vgl. Larson und Kulchitsky 2008, S. 431). Speziell die Logistikbranche ist aufgrund detailliert ausgestalteter IT-Systeme und der Vernetzung vieler Partner von einem konstanten Wachstum des Informationsvolumens charakterisiert. Seitens Trkman et al. 2010 wurde dargelegt, dass Unternehmen durch den Einsatz von Analytikmethoden die Effizienz von Supply Chains jedoch gezielt verbessern können (vgl. Trkman et al. 2010, S. 324). In diesem Kontext fällt sehr häufig das Schlagwort „Big Data“, ein Paradigma, das in Theorie und Praxis uneinheitlich abgegrenzt wird. Folgender Definition wird im Wei-

86

Funktionsübergreifende Informations- und Kommunikationstechnologien

teren gefolgt: „Unter Big Data (engl.: big data) versteht man Datenkollektionen, deren Größe die Fähigkeiten einzelner Rechnersysteme überschreiten, um diese Datenmenge zu speichern, zu durchsuchen, zu analysieren und zu verwalten“ (Hansen et al. 2019, S. 493). Als Charakteristika werden häufig die Attribute Volume (Schnelligkeit des Wachstums von Datenmengen – auch derer, die mit Hochleistungscomputern verarbeitet werden können), Velocity (Geschwindigkeit der Datenentstehung/-erzeugung bzw. -änderungserfordernis), Variety (Inhomogenität hinsichtlich Datenquellen und vorhandener Formate) sowie Veracity (Korrektheit, Vollzähligkeit, Reliabilität der Daten) herangezogen (vgl. Dorschel 2015, S. 6ff.). Den in der Praxis vorhandenen Problemen der Datennutzung, Datenkanalisierung und Datenverwendung kann generell durch die Anwendung unterschiedlicher Analytikmethoden begegnet werden, denn: Daten sammeln allein reicht nicht aus. Data Warehouse-Lösungen (DWH) als ganzheitliche Instrumente des Datenmanagements betreiben hierbei die administrative Kontrolle logistischer Informationen, während Business Intelligence- (BI) oder Business Analytics-Systeme als Konglomerat von Anwendungen die Entscheidungsunterstützung im Logistikbereich fördern. Simulationswerkzeuge nutzen die durch DWH und BI bereitgestellten Informationen für umfangreiche Systemanalysen, welche im Vorfeld von noch nicht realisierten Projekten stattfinden. Künstliche Intelligenz (KI) und Maschinenlernen repräsentieren die nächst höhere Stufe der IT-basierten Analytik. Der Steuerung von Informationsflüssen kommt im Zeitalter globaler Logistik- und Supply Chain-Netzwerke, wie an verschiedenen Stellen bereits hervorgehoben, eine erfolgskritische Rolle zu. Über alle betrieblichen sowie überbetrieblichen Wertschöpfungsstufen hinweg sind kunden-, auftrags- sowie logistikbezogene Daten auszutauschen, zu speichern und zu verarbeiten. Durch den Einsatz von Data WarehouseLösungen lässt sich beispielsweise ein globaler Zugriff auf entsprechend vorhandene heterogene und verteilte Datenbestände realisieren. Nimmt man den Terminus wörtlich, dann steht DWH für das Lagerbestandsmanagement von Daten, also für eine ITgestützte Datenlogistik. Aus unterschiedlichen Datenquellen können die für eine Entscheidungsunterstützung relevanten Einzeldaten gesammelt, verdichtet, analysiert und die relevanten Folgeaktivitäten initiiert werden. Der Mehrwert von Data Warehouse-Lösungen liegt deshalb in der Schaffung einer einheitlichen konsistenten Datenbasis, so dass Daten nicht mehrfach erfasst, vorgehalten und gesichert werden, oder das Risiko von Dateninkonsistenzen/-redundanzen in Kauf genommen werden muss. Terminologisch wird zwischen dem Data Warehouse, also der aktuell vorhandenen Datenbank, und dem Data Warehousing als Gesamtprozess, ausgehend von der Datensammlung bis hin zur Informationsversorgung für den Empfänger unterschieden. Hauptziel entsprechender DWH-Lösungen ist die Informationsintegration und somit die Gewährleistung einer effizienten Informationslogistik entlang der komplexen Versorgungskette. Im Ergebnis liegen Daten nicht mehr verteilt über unterschiedlichste Systeme vor, sind über einen zentralen Zugriff abrufbar und weisen einen ho87

3.2

3

Informations- und Kommunikationstechnologien als Enabler

hen Konsistenzgrad auf. Hinzu kommt, dass das Data Warehouse in ein stabiles ITSystem eingebettet ist, um eine permanente Verfügbarkeit der Datenbank für alle Nutzer sicher zu stellen. Über ein Data Warehousing-Tool werden Daten für unterschiedlichste Geschäftsprozesse im Unternehmen gehandhabt; so können beispielsweise wichtige Kennzahlen für den Vertrieb und das Marketing sowie für die Auftragsabwicklung verwaltet werden. Aufgrund der Tatsache, dass die Logistik eine Querschnittsfunktion widerspiegelt, die mittels Koordination von Material- und Informationsflüssen geschäftsprozessübergreifend sowie -integrierend wirkt, ist die Zugriffsmöglichkeit auf den Datenbestand eines Data Warehouses zur pro-aktiven Steuerung unabdingbar. Allerdings greifen derzeit noch viele Geschäftspartner, je nach aktuell erforderlicher Transaktion auf ihre individuelle Datenbasis zurück, um Planungs-, Bestands-, Auftrags- oder beispielsweise Lieferdaten auszutauschen. Ziel in den kommenden Jahren sollte es deshalb sein, das Data Warehousing-Konzept Nutzern aus unterschiedlichsten Zielgruppen – vom Großkonzern bis zum kleinen und mittleren Unternehmen; von der Automobilindustrie, über die Chemiebranche bis hin zum Versandhandel – über eine entsprechende Softwarelösung, z. B. als Cloud Computing-Lösung, zur Verfügung zu stellen. Hierdurch lassen sich nicht nur Vorteile aus Sicht der Logistik generieren, sondern auch Potenziale einer effektiven Supply Chain Collaboration für das gesamte Partnernetzwerk erschließen. Der Datentransfer selbst vollzieht sich an den Unternehmensschnittstellen wie bisher, d. h. beispielsweise mittels EDI (Electronic Data Interchange). Die Architektur eines Data Warehouse-Systems manifestiert sich in der Praxis überwiegend als vierstufiges Ebenenmodell (vgl. Abb. 3-21). Im ersten Schritt werden die unternehmerischen Transaktionen auf Ebene der operativen Systeme vollzogen; jene integrieren expressis verbis sowohl operative als auch externe Datenquellen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch vom sogenannten Online Transactional Processing (OLTP). Ebene 1 des DWH wird als Datenerfassungsebene tituliert, da die Sammlung sowie Filterung der Daten aus den operativen Systemen vollzogen wird. Die Datenspeicherung wird auf diesem Level im Data Warehouse (Ebene 2) vorbereitet, so dass final eine harmonisierte und bereinigte Datenbasis vorliegt. Die Aktualisierung erfolgt bedarfsgerecht in ex ante definierten Zyklen. Die Abläufe selbst werden tool-gestützt, auf Basis eines ETL-Werkzeuges (Extraktions-, Transformations- und Ladewerkzeug) optimiert. Das Data Warehouse selbst generiert die Ebene 2 des Gesamtsystems (Datenhaltungsebene) und dient gezielt der Entscheidungsunterstützung für die Verantwortlichen aus zahlreichen unternehmerischen Fach- sowie Prozessbereichen. Die Verknüpfung der Daten wird situativ, bei gegebener Entscheidungsstruktur mittels festgelegter datenbankspezifischer Relationen geleistet. Über eine Data Warehouse-Lösung ist in den meisten Fällen ein hochvolumiger Datenbestand zu handhaben. Da vielfältige Anfragen zur Entscheidungsfindung an das System gestellt werden, ist es erforderlich, vor88

Funktionsübergreifende Informations- und Kommunikationstechnologien

ab geeignete Zugriffsroutinen zu definieren. Auf diese Weise lässt sich ein effizientes Data Mining realisieren. Das sogenannte Metadaten-Repository dokumentiert die Systemstruktur und bildet die Schnittstelle zur Verwaltung der Data WarehouseLösung, die gezielt für jede einzelne Ebene erfolgt. Abbildung 3-21: Architektonische Struktur eines Data Warehouse-Systems39

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In Anlehnung an: http://ceus.uni-bamberg.de/jdwtoolsuite/de/projekt/content.htm#Bild1 (Stand: 19.02.2020)

89

3.2

Informations- und Kommunikationstechnologien als Enabler

Beginn der elektronischen Datenverarbeitung (EDV) ab den 1960er Jahren an Bedeutung. Im Zuge der rasanten technologischen Entwicklungen der letzten 20 Jahre wird den Management Support-Systemen deutlich mehr Wert beigemessen. Seit Beginn dieser Zeitperiode hat sich der aus dem Praxisbereich entlehnte Begriff Business Intelligence etabliert. Aufgrund einer hohen Unschärfe und Vielfalt bezüglich der Definition von Business Intelligence wird dem BI-Verständnis im weiten Sinne von Kemper et al. 2010 gefolgt, welche BI als alle direkt und indirekt für die Entscheidungsfindung eingesetzten Anwendungen verstehen und damit die Datenaufbereitung und Datenspeicherung neben der für BI typischen Auswertungs- und Präsentationsfunktionalität inkludieren (vgl. Kemper et al. 2010, S. 1ff.). Somit werden Schnittstellen zu DWHSystemen sichtbar. Kemper et al. 2010 stellen mit einem Ordnungsrahmen für die Business Intelligence einen schematischen Aufbau für BI-Systeme vor, welcher aus den drei Ebenen Datenbereitstellung, Informationsgenerierung und Informationszugriff besteht und aus diversen Quellsystemen wie z. B. ERP- oder SCM-Systemen mit Daten versorgt wird (vgl. Kemper et al. 2010, S. 11). Zusätzlich können die Quelldaten aus DWH-Systemen entnommen werden. Der BI-Ordnungsrahmen ist in Abbildung 3-22 dargestellt. Abbildung 3-22: Idee eines Ordnungsrahmens für die Business Intelligence40    

 

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Die wissenschaftliche Aufarbeitung von BI-Systemen in der Logistik wurde bisher noch nicht stark vorangetrieben, wenige Autoren befassten sich mit der Verknüpfung 40

90

Quelle: Kemper et al. 2010, S. 11.

Funktionsübergreifende Informations- und Kommunikationstechnologien

der BI und SCM (vgl. Stefanovic et al. 2006; Vogt 2011). Die Anwendung von BISystemen in der logistischen Praxis ist jedoch deutlich weiter fortgeschritten. Allerdings variieren die offerierten Lösungen hinsichtlich der integrierten Funktionalitäten. Das Angebot reiner Auswertungstools aufgrund ihrer Einfachheit überwiegt allerdings auf dem Markt. Als Beispiele können hier einfache Dashboards zur Visualisierung von erhobenen Kennzahlen und Performance-Indikatoren aus diversen Quellsystemen genannt werden (vgl. Potthoff et al. 2008). Weiterhin existieren komplexere Möglichkeiten, welche die Analysefunktionalitäten mit Beratungstätigkeiten in der Logistik verknüpfen (arvato bertelsmann o. J.). Die mobile BI, d. h. Business Intelligence via Smartphone & Co. hat in den vergangenen Jahren ebenfalls stark an Bedeutung gewonnen (vgl. Matzer und Litzel 2015). BI via Cloud ergänzt das Serviceportfolio von IT-Providern inzwischen sehr gut (vgl. Finger 2017). Die durch BI-Systeme generierten und aufbereiteten Daten, welche außerdem auch über DWH gespeichert und zusammengetragen wurden, können nun als maßgeblicher Input für simulationsbasierte Studien herangezogen werden. „Simulation (von lat. simulare: nachbilden, nachahmen, vortäuschen, heucheln) ist eine in fast allen wissenschaftlichen Disziplinen eingesetzte Analysemethode zur Optimierung der Planung und des Betriebs komplexer (Real-) Systeme.“ (Dangelmaier und Laroque 2016). Simulationsinstrumente werden vorwiegend genutzt, um Alternativen bei kostenintensiven Logistikprojekten abzuwägen und um die Leistungsfähigkeit z. B. von Logistiksystemen einzuschätzen. Besonders im Bereich der Intralogistik, d. h. bei internen Lager- und Produktionslogistikprozessen, finden Simulationen viele Anwendungsmöglichkeiten. Simulationsmodelle werden in diskrete und kontinuierliche Modelle aufgespalten, welche in Abbildung 3-23 illustriert sind. Abbildung 3-23: Unterscheidung zwischen diskreten und kontinuierlichen Modellen

91

3.2

3

Informations- und Kommunikationstechnologien als Enabler

Kontinuierliche Simulationsmodelle sind durch unendlich viele Zustandsänderungen pro Zeitintervall charakterisiert, während diskrete Simulationsmodelle eine endliche Menge an Zustandsänderungen im Zeitintervall aufweisen. Hinsichtlich der diskreten Modelle wird in zeit- und ereignisdiskrete Simulationsmodelle differenziert. Im ersten Fall wird die Wertänderung der Zustandsvariablen einer gewissen Zeitspanne unterworfen, das System ist somit getaktet. Bei ereignisdiskreten Modellen wird der Wert der Zustandsvariablen durch das Eintreten eines Ereignisses geändert, wodurch dieser Fall der diskreten Modelle eine hohe Relevanz für logistische Prozesse erfährt (vgl. Eley 2012, S. 8). Als Beispiele hierfür können Umlagerungs- und Transportprozesse in der Produktionslogistik sowie Ein- und Auslagerungsprozesse in der Lagerlogistik aufgeführt werden. Maßgebliche Einflussgrößen für erfolgreiche Simulationsprojekte sind adäquate Daten als Inputparameter sowie die Auswahl der passenden Simulationsmethodik bzw. der zugrunde liegenden Verteilung der Prozesse und Ereignisse. Weiterhin ist der Aspekt der Warmlauf- oder Einschwungphase zu beachten, wodurch zumeist die ersten Simulationsresultate eliminiert werden müssen, bis ein konstantes Niveau an Ergebnissen erreicht ist. Die Simulation wird als wesentliches Element im Baukastensystem der Digitalen Fabrik gesehen, welche in Kapitel 4.3.7 vertieft betrachtet wird. Künstliche Intelligenz (KI), engl.: Artificial Intelligence (AI) repräsentiert eine hoch interessante Analytikmethode, die zunehmend die Fachdiskussion in Wissenschaft und Praxis prägt. Von definitorischer Seite wird seitens der deutschen Bundesregierung folgende Abgrenzung vorgenommen: „Die „starke“ KI formuliert, dass KISysteme die gleichen intellektuellen Fertigkeiten wie der Mensch haben oder ihn darin sogar übertreffen können. Die „schwache“ KI ist fokussiert auf die Lösung konkreter Anwendungsprobleme auf Basis der Methoden aus der Mathematik und Informatik, wobei die entwickelten Systeme zur Selbstoptimierung fähig sind. Dazu werden auch Aspekte menschlicher Intelligenz nachgebildet und formal beschrieben bzw. Systeme zur Simulation und Unterstützung menschlichen Denkens konstruiert.“ (Die Bundesregierung 2018, S. 4). Gerade bei schnittstellenübergreifenden Prozessfeldern, wie sie die Logistik darstellt, lassen sich z. B. im Umfeld der sogenannten Predictive Logistics vielfältige Anwendungsfelder sowohl in der Intralogistik wie auch in der In-/Outbound Logistik ableiten (vgl. Gesing et al. 2018, S. 22ff.). Beispielhaft seien in diesem Zusammenhang folgende Applikationen erwähnt: Selbstlernende & Selbstnavigierende Fahrerlose Transportsysteme, Visionsbasierte intelligente Sortierung, KI-getriebene Inspektion sowie Dialogfähige Lagerverwaltungssysteme (vgl. Gesing et al. 2018, S. 30). Abb. 3-24 zeigt schematisch die Verzahnung von Künstlicher Intelligenz und Internet der Dinge auf. „Machine Learning ist ein Teilbereich der künstlichen Intelligenz. Mithilfe des maschinellen Lernens werden IT-Systeme in die Lage versetzt, auf Basis vorhandener Datenbestände und Algorithmen Muster und Gesetzmäßigkeiten zu erkennen und Lösungen zu entwickeln.“ (Luber und Litzel 2016). Erfolgt das Lernen in mehreren tieferge-

92

Funktionsübergreifende Informations- und Kommunikationstechnologien

henden Schichten und auf Basis neuronaler Netze, wird auch vom sogenannten Deep Learning gesprochen (vgl. Skansi 2018). Abbildung 3-24: Künstliche Intelligenz/ Artificial Intelligence im IoT-Kontext41

Hammond entwickelte in Anlehnung an das Periodensystem der Elemente und der flexiblen Rekonfiguierbarkeit von Legobausteinen das sogenannte Periodensystem der Künstlichen Intelligenz (BITKOM 2018). Hierdurch soll es der Praxis ermöglicht werden, u. a. potenzielle (strategische) Einsatzfelder der AI zu identifizieren; dies erfolgt auf einer höheren Abstraktionsebene, ohne extremen technologischen Tiefgang. Jedes einzelne Element ist einer der drei Hauptgruppen „Assess“, „Infer“ und „Respond“ zugeordnet. „Die Auswahl mindestens eines KI-Elements aus jeder Gruppe repräsentiert als »KIElement-Tripel« den typischen Verarbeitungsschritt eines durch KI getriebenen Anwendungsfalls, nämlich Assess (z. B. die Verkehrssituation um ein Roboterauto in Millisekunden erfassen), Infer (z. B. die Wahrscheinlichkeit eines Auffahrunfalls für die nächsten 3 Sekunden kalkulieren) und Respond (z. B. das Brems- oder Ausweichmanöver des Roboterautos einleiten).“ (BITKOM 2018, S. 15).

41 In Anlehnung an: Gesing et al. 2018, S. 7.

93

3.2

Funktionsübergreifende Informations- und Kommunikationstechnologien

4 Prozesse und Anwendungen einer IT-gestützten Logistik

IT-gestützte Logistik als Querschnittsfunktion verzahnt durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien die ihr zugrunde liegenden Geschäftsprozesse. Aus diesem Grund erscheint es nur konsequent, die am Markt derzeit vorhandenen Logistiktools speziell denjenigen Geschäftsprozessen zuzuordnen, die sie umfassen, d. h. die sie funktional unterstützen sowie schnittstellenbezogen integrieren. Der aus IT-Logistik-Anwendungen resultierende Wertbeitrag (z. B. durch die Beschleunigung von Logistikprozessen) beschränkt sich in vielen Fällen jedoch nicht nur auf den direkt unterstützten Geschäftsprozess, sondern erstreckt sich gleichermaßen auf nachfolgende bzw. vernetzte Abläufe. Das folgende Beispiel soll den genannten Tatbestand verdeutlichen: Kann durch die Nutzung von Online-Auktionen der Beschaffungsprozess zeitlich verkürzt werden, dann führt jene Einsparung indirekt zu einem früheren Startzeitpunkt in der Produktion und in Summe – vorausgesetzt die Einsparung wird nicht durch anderweitige Verschwendungen wieder aufgezehrt – zu geringeren Durchlaufzeiten. Analoge Referenzwerte lassen sich für vielfältige logistische Anwendungsbereiche in unterschiedlichen Branchen aufzeigen. Abbildung 4-1:

Lernbox – Prozesse und Anwendungen der IT-gestützten Logistik

Leitfragen n Was ist unter einem Geschäftsprozess zu verstehen? n Warum können Anwendungen der IT-gestützten Logistik nicht losgelöst von den zugrunde liegenden Geschäftsprozessen betrachtet werden? n Welche IT-Anwendungen unterstützen die Beschaffungslogistik? n Wie kann die Produktionslogistik von Unternehmen durch IT-Lösungen effizient gestaltet werden? n Wie stellt sich heutzutage eine IT-gestützte Distributions-/Redistributionslogistik dar? n Welche IT-Anwendungen spielen für die Lagerlogistik eine wichtige Rolle? n Wie gestaltet sich eine IT-gestützte Instandhaltungslogistik? n Welche IT-gestützte Supply Chain-übergreifende Anwendungen werden in der Praxis eingesetzt?

Das in Abschnitt 2.3 entwickelte IT-gestützte Logistiksystem ist auf dezentraler Leistungssystemebene bereits prozessorientiert in folgende Teilsysteme detailliert worden: Beschaffungslogistik-Subsystem, Produktionslogistik-Subsystem, Lagerlogistik-Subsystem, (Re-)Distributionslogistik-Subsystem, Instandhaltungslogistik-Subsystem und

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 I. Hausladen, IT-gestützte Logistik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31260-2_4

95

3.2

4

Prozesse und Anwendungen einer IT-gestützten Logistik

Supply Chain-Subsystem. Die konkrete Abgrenzung der jeweils zugrunde liegenden Logistikprozesse sowie die Zuordnung einzelner Anwendungen der IT-gestützten Logistik erfolgten zum Zeitpunkt der Systemmodellierung aus Vereinfachungsgründen jedoch noch nicht.

4.1

IT-gestützte Logistik – Prozesse und Anwendungen im Überblick

Ein Prozess stellt eine Sequenz von Aktivitäten dar, die in einer logischen Reihenfolge abgearbeitet werden müssen. Aus einer ressourcenorientierten Perspektive erfordert jeder Prozess einen konkreten Input und wird durch einen definierten Bearbeitungsprozess in einen planbaren Output transformiert (z. B. wird dieser funktionale Zusammenhang durch eine Produktionsfunktion quantitativ abgebildet). Die Geschäftslogik, engl.: Business Logic, definiert die Regeln des Geschäftsprozesses; diese basiert auf dem Geschäftsmodell des jeweils betrachteten Unternehmens. Entsprechend früherer Ausführungen kann die IT-gestützte Logistik selbst das Geschäftsmodell eines Unternehmens aufspannen, oder ein prägendes Element desselben sein (vgl. Abschnitt 2.1). Die Geschäftsprozesse eines Logistikdienstleisters werden in ihrer Struktur somit grundlegend vorgezeichnet. Liegt das Geschäftsmodell (engl.: Business Model) beispielsweise eines produzierenden Gewerbes vor, dann resultiert für den Logistikaspekt eine veränderte Struktur der Abläufe. Analog lassen sich Unterschiede für die Handelslogistik, für die Health Care Logistik etc. herausarbeiten. Da das vorliegende Lehrbuch primär Anwendungen der IT-gestützten Logistik betrachtet, die sich entlang der gesamten Wertschöpfungskette im Einsatz befinden, wird im Folgenden der Fokus eines Industriebetriebes eingenommen.42 Es können folgende Hauptprozesse der Logistik, entsprechend des system- und controllingtheoretisch fundierten Modellkonzeptes unterschieden werden (vgl. Hausladen 2009a, S. 454; geringfügig modifiziert):

n Beschaffungslogistik Die Beschaffungslogistik umfasst sämtliche logistische Abläufe zur Vorbereitung und Durchführung sowie Steuerung des Materialflusses vom Lieferanten zum Unternehmen, einschließlich der begleitenden Informationsflüsse. Ziel der Beschaffungslogistik ist primär die Sicherstellung einer mengen-, termin- und qualitätsgerechten Materialversorgung.

42

96

Aufbauend auf der entwickelten Plattform kann die Versorgungskette gleichermaßen für andere Logistiksektoren adaptiert werden.

IT-gestützte Logistik – Prozesse und Anwendungen im Überblick

n Produktionslogistik Die Produktionslogistik beschreibt sämtliche logistische Abläufe und Maßnahmen bei der Planung und Steuerung des Warenflusses über alle Wertschöpfungsstufen hinweg. Ziel der Produktionslogistik ist es, eine flexible und kundennahe, sowie effiziente Produktion zu gewährleisten.

n Lagerlogistik Die Lagerlogistik integriert alle erforderlichen logistischen Abläufe zur Einlagerung, Aufbewahrung, Auslagerung und Auslieferung von Werkzeugen, Produktionsmitteln sowie von Halb- und/oder Fertigfabrikaten.

n Distributionslogistik Gegenstand der Distributionslogistik ist die Gestaltung, Steuerung und Kontrolle aller Prozesse der Distributionspolitik, die erforderlich sind, um Güter von einem Industrie- oder Handelsunternehmen zu dessen Kunden zu befördern. Dabei liegt der Schwerpunkt auch in diesem logistischen Anwendungsfeld in der Koordination von Material- und Informationsflüssen.

n Redistributionslogistik Im Mittelpunkt der Redistributionslogistik (Entsorgungslogistik) stehen sämtliche logistische Maßnahmen zur Vorbereitung und Durchführung der Entsorgung. Der Begriff beinhaltet alle planenden und ausführenden Tätigkeiten, die sich auf die Verwendung, Verwertung und geordnete Beseitigung der betrachteten Entsorgungsobjekte beziehen.

n Instandhaltungslogistik Die hohe Komplexität, die zunehmende Automatisierung und der Zwang zur Kostenreduktion stellen heutzutage hohe Anforderungen an die Instandhaltung. Die Instandhaltungslogistik sorgt unter anderem dafür, dass Ersatzteile zur richtigen Zeit, in der richtigen Qualität sowie am richtigen Ort zur Verfügung stehen und Stillstandszeiten von Anlagen, z. B. durch Maschinenausfall, Wartung oder Reparatur minimiert werden. Im Ergebnis zielt sie vor allem auf eine Steigerung der Produktivität im Fertigungsbereich. Entsprechend der vorgenommenen Abgrenzung können im nächsten Schritt Lösungen der IT-gestützten Logistik – wenn auch aufgrund der vielfältigen Realisierungsformen sowie Einsatzfelder nicht überschneidungsfrei – den Logistikprozessen zugeordnet werden (vgl. Abb. 4-2). So lassen sich beispielsweise Tracking & Tracing-Lösungen ebenso im beschaffungslogistischen Feld einsetzen, jedoch erfolgt die Betrachtung jenes IT-Konzeptes vor allem aus der Perspektive der Distributionslogistik.

97

4.1

4

Prozesse und Anwendungen einer IT-gestützten Logistik

Abbildung 4-2:

98

Prozessuale Dimension von Lösungen der IT-gestützten Logistik

IT-gestützte Beschaffungslogistik

IT-Anwendungen zur Unterstützung instandhaltungslogistischer Prozesse (E-Maintenance (Logistik)-Lösungen) lassen sich weitergehend in auftragsneutrale (Budgetplanung/-kontrolle, Datenverwaltung, Objektverwaltung, Schwachstellenanalyse, Zustandsüberwachung), in auftragsspezifische (Auftragsinitiierung, Arbeitsplanung, Auftragssteuerung, Ersatzteilbewirtschaftung, Auftragsabwicklung/-durchführung, Rückmeldung) sowie in strategische Geschäftsprozesse (Berichtswesen, Festlegung Instandhaltungsstrategie, Organisationsentwicklung) detaillieren (vgl. hierzu Hausladen 2006, S. 261). In den folgenden Kapiteln werden die einzelnen in Abb. 4-2 dargestellten Lösungen der IT-gestützten Logistik je nach prozessualem Schwerpunkt in ihren wesentlichen Grundzügen beschrieben. IT-gestützte Supply Chain-übergreifende Anwendungen umfassen teilweise Softwarelösungen aus den einzelnen logistischen Prozessfeldern oder weisen Schnittstellen zu ihnen auf; aus diesem Grund wirken sie als integrative Klammer und werden deshalb erst im Nachgang zu den Individuallösungen in Abschnitt 4.7 näher betrachtet.

4.2

IT-gestützte Beschaffungslogistik

Die Aussage „Im Einkauf liegt Gewinn“ oder der Spruch „Der Einkauf ist das Herz des Betriebes“ hat in Wissenschaft und Praxis in den vergangenen Jahrzehnten zu einem enormen Bedeutungsgewinn der betrieblichen Beschaffungs- und Einkaufsfunktion geführt. Zahlreiche Konzepte prägen heutzutage die Disziplin, um bereits zu Beginn der Wertschöpfungskette den Effizienzgrad zu steigern, Verschwendung sowie Blindleistung zu eliminieren und in einer frühen Phase der Produktentwicklung strategische Partnerschaften mit Lieferanten zu bilden. Exemplarisch seien an dieser Stelle die Einkaufspotenzialanalyse, das Supplier Management, der Total Cost of Ownership-Ansatz, das Global Sourcing oder das pro-aktive Einkaufscontrolling genannt. Der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien zur Beschleunigung von Beschaffungsabläufen sowie zur Reduktion von Prozess- und Transaktionskosten im Einkauf erfreut sich aktuell einer immer größeren Beliebtheit. Deshalb soll in den folgenden Abschnitten ein Überblick über typische Anwendungen einer IT-gestützten Beschaffungslogistik gegeben werden. Die Vornahme einer Klassifizierung der ITLösungen in diesem Sektor erweist sich allerdings als schwierig, da die Fülle an möglichen sogenannten eProcurement-Anwendungen ein breites Spektrum an logistischen Abläufen abdecken kann. Die Aufgaben des eProcurement an sich werden jedoch prinzipiell verständlich, wenn man sich die Vielfalt an Beschaffungsaufgaben, die in der heutigen Zeit von den entsprechenden Verantwortlichen zu tätigen sind, vor Augen hält. Diese lassen sich in einen strategischen Bereich sowie in einen operativen Schwerpunkt aufspalten. Ersterer umfasst Aktivitäten wie die Entwicklung von Einkaufs-/Beschaffungsstrategien, 99

4.2

4

Prozesse und Anwendungen einer IT-gestützten Logistik

die Durchführung von Wertanalysen, die Unterstützung von Outsourcing-/Make-orBuy-Entscheidungen, die Auswahl strategischer Lieferanten, die Aushandlung von Verträgen, Fragestellungen des Global Sourcing und des Advanced Purchasing, des Supplier Relationship Managements sowie Maßnahmen der Qualitätssicherung, um nur einige Beispiele zu nennen. Das operative Feld schließt Aspekte wie Beschaffungsplanung, Verfügbarkeitsprüfungen, die Auslösung und Überwachung des Bestellvorganges (z. B. hinsichtlich Termineinhaltung, Quantität und Qualität), die Rechnungsprüfung bis hin zur Beanstandung von Fehl-/Falschlieferungen mit ein. Das Konzept eProcurement ist in Theorie und Praxis nur uneinheitlich von Ansätzen wie eSourcing und/oder ePurchasing abgegrenzt. Für die weitere Betrachtung wird deshalb im Rahmen des Lehrbuches folgendes Konzeptverständnis zugrunde gelegt: eProcurement umfasst definitorisch den Einsatz von Internettechnologien, um sämtliche Einkaufs- und Beschaffungsaktivitäten in Unternehmen abzudecken. Dabei kann zwischen folgenden Prozessschwerpunkten differenziert werden:

n eSourcing als Ausprägungsform des Strategischen Einkaufs, mit all den unterschiedlichen Funktionsfeldern, wie eingangs des Kapitels dargestellt.

n ePurchasing als Ausprägungsform des Operativen Einkaufs, das die gesamte Ab-

wicklung der Einkaufs-/Beschaffungsvorgänge, entsprechend der vorgenommenen Beschreibung umfasst.

Die nachfolgend dargestellten IT-Lösungen im Umfeld der Beschaffungslogistik fokussieren zu Beginn primär auf die strategische Seite des eProcurement und bewegen sich dann in einem Kontinuum sukzessive stärker zum operativen Schwerpunkt.

4.2.1

eSupplier Relationship Management (eSRM)

Aus der Perspektive des Lieferantenmanagements wird SRM u. a. wie folgt beschrieben: „SRM betrachtet sowohl das Prozessmanagement in Lieferantenbeziehungen als auch strategische Beschaffungsaufgaben wie Strategieentwicklung, Outsourcingentscheidungen, Lieferantenintegration und Materialgruppenmanagement (vgl. Corsten 2001, S. 130f.).“ (Appelfeller und Buchholz 2011, S. 5). Maßnahmen im Rahmen eines Supplier Relationship Managements (SRM) zielen somit generell auf eine effiziente Koordination bzw. Kollaboration mit den für ein Unternehmen strategisch wichtigen Lieferanten. Da SRM speziell die Schnittstelle zu den externen Beschaffungspartnern aufspannt, repräsentiert es einen untergeordneten Teilbereich im Hinblick auf das versorgungskettenübergreifende Supply Chain Management; darüber hinaus bildet es das Pendant zum distributionslogistischen Customer Relationship Management (CRM) (vgl. Appelfeller und Buchholz 2011, S. 6). Angesichts der Potenziale IT-gestützter Logistikprozesse spielt der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien gerade auch im Umfeld der Beschaffung

100

IT-gestützte Beschaffungslogistik

und des Einkaufs eine immer bedeutender werdende Rolle. Die IT-Branche entwickelte in den vergangenen Jahren bedarfsgerechte, in der Regel modular aufgebaute Softwarelösungen, die sowohl Unterstützung für strategische als auch für operative Entscheidungsprobleme in diesem Bereich bieten (vgl. Appelfeller und Buchholz 2011, S. 4f.). Da nun von IT-Seite auch operative Aktivitäten mit berücksichtigt werden, bedarf es einer Ergänzung respektive Modifizierung der bisherigen Konzeptauffassung; ferner sollte anstelle von SRM die Abkürzung eSRM (eSupplier Relationship Management) zur genaueren Spezifizierung Verwendung finden. Appelfeller/Buchholz definieren SRM bzw. eSRM wie folgt: „Unter SRM (genauer: eSRM; Anm. d. Verf.) soll die von einer Beschaffungsstrategie ausgehende IT-gestützte Gestaltung der strategischen und operativen Beschaffungsprozesse und des Lieferantenmanagements verstanden werden.“ (Appelfeller und Buchholz 2011, S. 6). Dabei legt das eSupplier Relationship Management (eSRM) den Schwerpunkt auf Konzepte, mit dem Ziel nicht nur Beschaffungszyklen zu verringern und Einkaufsbzw. Beschaffungskosten zu reduzieren, sondern gleichermaßen innovative und kosteneffiziente Lieferbeziehungen zu erschließen sowie herausragende Qualität der beschafften Güter zu gewährleisten. Ex definitione können eSRM-Lösungen dabei je nach Ausgestaltung sowohl Geschäftsprozesse des eSourcing als auch des ePurchasing, gemäß der eingangs des Kapitels vorgenommenen definitorischen Abgrenzung umfassen. IT-gestützte Beschaffungslogistik via Einsatz von eSRM-Lösungen kann nur dann die anvisierten Potenziale vollumfänglich erschließen, wenn die strategische mit der operativen Ebene, unter Berücksichtigung der übergelagerten unternehmensspezifischen Beschaffungsstrategie konsistent und dynamisch vernetzt wird. Appelfeller/Buchholz schlagen hierzu das 3-Ebenen-Modell des Supplier Relationship Managements (d. h. eSupplier Relationship Managements) vor (vgl. Abb. 4-3). Die Formulierung einer Gesamtstrategie fokussiert auf die Bildung von Strategischen Beschaffungseinheiten (SBE), basierend auf den beim jeweiligen Unternehmen vorhandenen Materialgruppen. Darüber hinaus erfolgt eine detaillierte Betrachtung und Analyse der Lieferantenbasis. Folgt man der Methodik der Einkaufspotenzialanalyse nach Wildemann (vgl. Wildemann 2000), dann werden in einem ersten Schritt die Materialien hinsichtlich Beschaffungsvolumen und Versorgungsrisiko bewertet und in Strategische, Kern-, Bottleneck- sowie Standard-Materialien differenziert. In einem zweiten Schritt werden Angebotsmacht und Entwicklungspotenzial der Lieferanten evaluiert, mit dem Ergebnis, dass Lieferanten in die Gruppen Standard-, Bottleneck-, Kern- und Strategische Lieferanten klassifiziert sind. Das finale Beschaffungsgüter-/ -quellenportfolio (vgl. Wildemann 2000, S. 98) ermöglicht die Ableitung von Beschaffungsstrategien, wie z. B. „Effizient Beschaffen“, „Sicherstellen der Verfügbarkeit“, „Marktpotenzial nutzen, dann partnerschaftliche Zusammenarbeit“ oder „Wertschöpfungspartnerschaft“.

101

4.2

4

Prozesse und Anwendungen einer IT-gestützten Logistik

Ausgehend von den definierten Normstrategien lassen sich nun in einem nächsten Schritt die einzelnen Materialgruppen/SBE mit strategischen Beschaffungsaktivitäten hinterlegen (z. B. Geschäftsanbahnung) und final operativ durch einen standardisierten, IT-gestützten Beschaffungsprozess realisieren (z. B. Bestellabwicklung). Abbildung 4-3:

3-Ebenen-Modell des SRM bzw. eSRM43

Folgt man der Auffassung von Appelfeller/Buchholz dann können folgende IT-Tools für Ebene 2 „Strategischer Beschaffungsprozess“ unterschieden werden (vgl. Appelfeller und Buchholz 2011, S. 19ff.):

n e-RFx, e-Auctions (vgl. Abschnitt 4.2.3) und e-Supplier Directories, n Spend Analysis, n Contract Management, n Supplier Management und n Commodity Management. Charakteristisch für den operativen, IT-gestützten beschaffungslogistischen Prozess sind (vgl. Appelfeller und Buchholz 2011, S. 21f.):

43

102

Quelle: Appelfeller und Buchholz 2011, S. 8.

IT-gestützte Beschaffungslogistik

n Desktop Purchasing-Systeme (DPS) (vgl. Abschnitt 4.2.6), n Supplier Self Service, Purchasing Homepages (vgl. Abschnitte 4.2.5 und 4.2.6; Online-Kataloge; Intranet/Extranet),

n Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment (CPFR), Vendor Managed Inventory (VMI) (vgl. Abschnitte 4.4.4 (VMI: IT-gestützte Lagerlogistik) und 4.5.2 (CPFR: IT-gestützte Distributionslogistik)44 und

n Qualitätsmanagement (z. B. 8D-Methode, Advanced Product Quality Planning (APQP)).

Die Pluralität an möglichen Funktionalitäten lässt bereits auf den ersten Blick erahnen, dass jede Softwarelösung ein unterschiedliches Portfolio an beschaffungslogistischen Geschäftsprozessen abdeckt und somit eine ex ante Formulierung der spezifischen Bedarfe des jeweiligen Unternehmens dringend angeraten ist. Darüber hinaus sind bereits vorhandene isolierte Lösungen, wie beispielsweise DPS-Anwendungen oder Contract Management-Tools zu identifizieren und auf ihre potenzielle Integrierbarkeit in eine neu zu erwerbende eSRM-Lösung zu prüfen; nur auf diese Weise können die ausgewiesenen Potenziale und vorhandenen Synergien tatsächlich realisiert werden. Auch für mittelständische Unternehmen bietet eSRM eine gute Möglichkeit zur Verbesserung der strategischen Ausrichtung von Beschaffungsaufgaben sowie zur Beschleunigung von operativen Einkaufsprozessen (vgl. z. B. SAP Supplier Relationship Management. Elektronisches Beschaffen im Mittelstand: https://news.sap.com/ germany/2005/09/elektronisches-beschaffen-im-mittelstand/, abgerufen am 25.02.2020). Die Vorteile eines integrativen eSRM liegen auf der Hand: „Durch die Zusammenführung und Integration der Daten wird u. a.

n ein Überblick über die weltweiten Einkaufsaktivitäten gegeben, n mögliche Risikofaktoren entdeckt und minimiert, n Konsolidierungspotenziale aufgedeckt und n die Transparenz der Lieferantenbasis erhöht.“ (Wannenwetsch und Nicolai 2004, S. 109)

44

Das Lehrbuch nimmt eine Supply Chain-bezogene Perspektive ein, die sich an logistischen Teilprozessen orientiert. Daher steht bei VMI die Lagerlogistik im Vordergrund, mit vorhandener Schnittstelle zur Beschaffungslogistik. Analog verhält es sich beim CPFR-Konzept, das auf die Distribution vom Hersteller zum Handel fokussiert; aus Sicht des Handels liegt jedoch eine beschaffungslogistische Entscheidungssituation vor.

103

4.2

4

Prozesse und Anwendungen einer IT-gestützten Logistik

4.2.2

Virtuelle/Elektronische Marktplätze

Virtuelle Marktplätze, auch häufig elektronische Marktplätze genannt, ermöglichen die Zusammenführung einer Vielzahl von Lieferanten und Abnehmern (Verkäufer/ Kunden) im virtuellen Raum (Internet). Angebot und Nachfrage treffen nicht mehr im Rahmen einer n:n-Verbindung aufeinander, sondern können über ein zentrales Medium schnell und zielgerichtet in Kontakt treten. Die Plattformen werden je nach Branche und gegebener Wettbewerbssituation durch die Anbieter- oder Nachfragerseite (Buy-side/Sell-side) als auch durch neutrale Intermediäre betrieben. Je nach Ausgestaltungsform sind unterschiedliche Preisfindungs- sowie Allokationsmechanismen wirksam. Neben der Reduktion von Transaktions- und Prozesskosten sind durch die Virtualisierung u. a. eine höhere Markt- sowie Preistransparenz erzielbar. Über elektronische Märkte lassen sich verschiedene beschaffungslogistische Prozesse abwickeln. So unterstützen jene virtuellen Plattformen insbesondere die Suche nach geeigneten Lieferanten, die Sichtung und Auswahl der gewünschten Produkte (vgl. Katalog-Systeme), die Zusammenführung von Angebot und Nachfrage (Vertragsanbahnung und -abschluss), die Publikation von Ausschreibungen im Beschaffungsbereich, sowie im Umfeld der Logistik mitunter sogar den „Einkauf“ von Logistikdienstleistungen, einschließlich der Koordination der ihnen zugrunde liegenden Abläufe (vgl. Logistikplattformen). Eine klare Abgrenzung von eSRM-Modulen einerseits und virtuellen Märkten andererseits erscheint angesichts des Aktionsradius vorhandener Lösungen nicht möglich. In der Regel ist eine 24/7-Verfügbarkeit der Plattform gegeben, d. h. ausgewählte Transaktionen können sieben Tage die Woche, rund um die Uhr und damit in allen Zeitzonen der Welt begründet und realisiert werden. Virtuelle Marktplätze finden sich sowohl im B2C-Sektor als auch in zunehmendem Maße im B2B-Bereich wieder. Letztere werden häufig auch unter dem Konzept des eProcurement (eSourcing & ePurchasing) subsumiert. „Der Business-Onlinehandel ist milliardenschwer und deutlich größer als der B2CMarkt. Laut einer Studie des Instituts für Handelsforschung in Köln macht das Geschäft mit professionellen Kunden über 95% des gesamten E-Commerce-Marktvolumens aus. […] „Alibaba sammelt auf seiner Plattform Produkt- und Anbieterdaten, stellt den Kontakt her und leitet den Verkauf ein. Das Produktportfolio ist nahezu unbegrenzt und reicht von Rohstoffen und C-Teilen über elektronische und mechanische Bauteile bis hin zu Maschinen, Fahrzeugen und ganzen Anlagen.“ (Grupp 2018, o. S.). eBay Business Supply weist dagegen ein etwas anderes, kleineres Produktportfolio auf, z. B. Baugeräte, Büroausstattung, Arbeitskleidung usw. In der Praxis haben sich verschiedene Formen virtueller Marktplätze herausgebildet (vgl. Abb. 4-4).

n Horizontale Marktplätze unterstützen die Beschaffungslogistik für Materialien sowie Produkte, die in unterschiedlichen Branchen benötigt werden. Im Vorder-

104

IT-gestützte Beschaffungslogistik

grund entsprechender branchenübergreifender virtueller/elektronischer Marktplätze steht die Zusammenführung von Angebot und Nachfrage für standardisierte Waren, wie sie beispielsweise klassische C-Artikel oder Ersatzteile darstellen. Effizient beschaffen sowie die Reduktion von Transaktions- und Prozesskosten spiegeln die Beschaffungsstrategie in diesem Anwendungsfall wider. Beispiel: http://www.gelbeseiten.de/

n Vertikale Marktplätze erweisen sich als branchenspezifische Communities, bei der

die Spezialisierung auf einen bestimmten Wertschöpfungssektor als Differenzierungskriterium fungiert. Dabei reicht die Bandbreite angebotener Dienste von der Bereitstellung fachspezifischer Informationen und Datenbanken, über die Durchführung von Online-Auktionen bis hin zu Diskussionsforen zum Austausch von Erfahrungen und Know-how. Die vertragliche Grundlage für entsprechende Marktaktivitäten kann zum einen durch langfristig orientierte Rahmenverträge gegeben sein, oder es kann ein sogenannter Spot-Markt für unregelmäßig auftretende Bedarfe vorliegen. In der Praxis ist auch die Kombination beider Ausgestaltungsformen vorzufinden. Beispiele: http://www.supplyon.com/ (u. a. Automobilindustrie); http://www.daigger.com/ (Medizinbedarf); https://holz.fordaq.com/ (Holzindustrie)

Abbildung 4-4:

Klassifizierung von elektronischen Marktplätzen45

Elektronische Marktplätze

Ausrichtung

Zugang

Transaktionsmechanismus

45

Horizontale Marktplätze

Vertikale Marktplätze

Offene Marktplätze

Geschlossene Marktplätze

Ausschreibung

Schwarzes Brett

Auktionen

Katalog

Quelle: Wannenwetsch und Nicolai 2004, S. 101.

105

4.2

4

Prozesse und Anwendungen einer IT-gestützten Logistik

n Offene Marktplätze sind grundsätzlich expressis verbis für alle Marktakteure zu-

gänglich. In der Regel ist, mit Ausnahme der Verbindungskosten (Internetzugang), der Zugriff auf die gewünschten Informationen kostenfrei. Insbesondere im B2CSegment unterliegen entsprechende Marktplätze nur sehr geringen Restriktionen, um die Markteintrittsbarrieren für potenzielle Kunden so gering wie möglich zu halten. Soweit eine vorherige Registrierung oder die Vergabe eines Passwortes erforderlich wird, spricht man zumeist von selektiv-offenen virtuellen Märkten. Beispiel: www.ebay.de (Online-Shop und Marktplatz)

n Geschlossene Marktplätze sind dagegen typisch für vertikale Marktplätze (B2B-

Segment), da der Beitritt zu einer branchenspezifischen Community in der Regel an den Abschluss eines Aufnahmevertrages sowie darüber hinaus unter Umständen an die Bezahlung von Mitgliedsbeiträgen und/oder Gebühren gekoppelt ist. Beispiel: www.einkaufsplattform.bahn.de (u. a. Ausschreibungen, Auktionen)

Abbildung 4-5:

Funktionsprofil virtueller Marktplätze am Beispiel von SUPPLYON46 Lieferantenstammdaten- und Zertifikatsmanagement Angebotsanfrageprozess / Auktionen

Virtuelle Projekträume

Compliance-Management

Lieferantenbewertung und Entwicklung

Dokumentenmanagement und -austausch

Reklamationsmanagement (8D) Qualitätsvorausplanung (APQP)

Supply-ChainKollaborationsPlattform

Maßnahmenmanagement

Liefer- und Feinabruf

Gutschrift / Rechnung

Kapazitätsabstimmung

Vendor Managed Inventory Transportmanagement Behältermanagement

Bestellprozess Avisierung

Monitoring Alerting Reporting

Aufgrund der Vielzahl an Geschäftsaktivitäten, die über einen virtuellen Markt getätigt werden können, geht die geschäftsprozessuale Reichweite häufig über den Beschaffungssektor und damit über die Beschaffungslogistik hinaus. Abb. 4-5 zeigt am 46

106

In Anlehnung an: SupplyOn AG (Broschüre); http://www.supplyon.com/img/downloads/ Broschueren/DE_SupplyOn_Brochure.pdf (Stand: 25.02.2020)

IT-gestützte Beschaffungslogistik

Beispiel von SUPPLYON exemplarisch das mögliche funktionale Spektrum auf. Der virtuelle Marktplatz manifestiert sich hier bereits sehr stark als Logistikplattform (vgl. Abschnitt 4.7.2). Je nach Funktionsumfang sowie den gegebenen Interessenprofilen der Marktakteure lassen sich unterschiedliche Transaktionsmechanismen auf virtuellen/elektronischen Marktplätzen vorfinden (vgl. Wannenwetsch und Nicolai 2004, S. 102).

n Die Ausschreibung stellt ein gängiges Verfahren zur Initiierung einer Einkaufs-

transaktion dar. Das nachfragende Unternehmen veröffentlicht via Plattform ihren klar definierten Bedarf (Beschaffungsobjekte, spezifiziert nach Artikel, technische sowie qualitative Anforderungen, Mengen, Termine sowie Liefer-, Preis- und Zahlungskonditionen). Dies kann über den Upload entsprechender Dokumente durch das beschaffende Unternehmen selbst oder per Plattformbetreiber erfolgen. Häufig existieren marktplatzspezifische Ausschreibungsdienste, die situativ z. B. via Newsletter alle aktuellen Ausschreibungen den Nutzern online zugänglich machen.

n Schwarze Bretter fungieren ähnlich einer Annonce, d. h. die entsprechenden Bedar-

fe werden durch die Anbieter- oder Nachfragerseite elektronisch, in der Regel nach Rubriken geordnet erfasst und online gestellt. Bei Interesse kann die jeweilige Partei Anfragen versenden, detaillierte Informationen einholen oder Angebote abgeben. Das Schwarze Brett lohnt sich allerdings nur, wenn es sich um spezifische Beschaffungsumfänge handelt, und nicht für den Fall einer sogenannten „Lieferung auf Abruf“ oder einer „standardisierten Vorratsbeschaffung im Bedarfsfall“.

n Auktionen, soweit elektronisch gestützt, im Fachjargon auch als Online-Auktion

oder E-Auction bezeichnet, führen über den Einsatz eines „virtuellen Hammers“ die bedarfsgerechte Ressourcenallokation bei den partizipierenden Lieferanten und Abnehmern herbei. Dabei unterscheiden sich die Allokationsmechanismen in Abhängigkeit vom Einsatzfeld (B2B, B2C, C2C) sowie entsprechend der situativ vorherrschenden Interessen- und Machtverhältnisse, die beispielsweise Einfluss auf die Gestalt der Preisfindung sowie auf die finale Auftragsvergabe (Zuschlag) haben.

n Elektronische Kataloge erweitern aufgrund der gegebenen informationstech-

nischen sowie multimedialen Angebote die Leistungsfähigkeit von klassischen Papierkatalogen. So können über die Eingabe von bestimmten Eckdaten (z. B. Artikelnummer, Lieferant) gezielt die entsprechenden Katalogseiten aufgerufen werden. Produktzeichnungen oder Abbildungen sowie Video- und Audiosequenzen lassen sich mit den Produktstammdaten im Internet verknüpfen.

Die Vorteile virtueller Marktplätze treten in der Praxis für beide Marktakteursgruppen deutlich zutage. Aus Sicht des Kunden (Nachfrager) besteht die Möglichkeit, im optimalen Fall sogar weltweit Bedarfsanfragen zu lancieren, neue Beschaffungsquellen zu erschließen und dadurch schneller bei gegebenem Anlass einen Lieferantenwechsel zu

107

4.2

4

Prozesse und Anwendungen einer IT-gestützten Logistik

vollziehen. Beschaffungsentscheidungen laufen integrierter ab und durch den sogenannten „One-Stop Shop“ können Transaktionskosten reduziert sowie Beschaffungsinformationen gezielt gebündelt werden. Analog hat der Lieferant (Anbieter) Zugang zu den aktuell gegebenen Bedarfen und verfügt in Konsequenz auch über eine bessere Grundlage für die Planung zukünftiger Bedarfsvolumina. Beschaffungsmarktforschung sowie der Vergleich mit Konkurrenten (Benchmarking), die Erschließung neuer Märkte und die Gewinnung von Neukunden werden durch entsprechende elektronische Märkte unterstützt. Für den Lieferanten ist eine vereinfachte Veröffentlichung seines Produktangebotes gegeben und auch in diesem Fall lassen sich Entscheidungsprozesse standardisieren, integrieren sowie beschleunigen. Die Erfolgswirksamkeit elektronischer Märkte ist allerdings an verschiedene Kriterien gekoppelt. Zunächst bedarf es des Erreichens einer kritischen Masse an Marktakteuren; erst dann kann eine entsprechende Plattform die Erschließung von Größendegressionseffekten seitens des Betreibers und letztendlich die Realisierung von wirtschaftlichen Vorteilen für die spezifischen Nutzergruppen (z. B. Kostenreduktion, Bedarfsbündelung) ermöglichen. Neben dem funktionalen Profil der virtuellen Marktplätze (Geschäftsmodell) steht die Stabilität (Verfügbarkeit) der Technik im Zentrum des Interesses für alle Parteien; dabei spielen Kriterien wie die Serverarchitektur, die zusätzlich eingesetzte Hard- und Software sowie Sicherheitsaspekte eine entscheidende Rolle. Hinzu kommt das Erfordernis eines professionellen Content Managements, d. h. der Plattformbetreiber muss über exzellentes Know-how hinsichtlich des jeweiligen Beschaffungsmarktes sowie über Kenntnisse im Bereich des Category Managements verfügen. Entscheidend ist auch, wie das Web Design und die Benutzeroberfläche gestaltet sind. Ein virtueller Markt im B2C-Segment erfordert ein anderes Design als es im B2B-Bereich geboten ist. Hinzu kommt die Affinität der jeweiligen Zielgruppen; so dürfte die Ansprache im Automobilsektor durchaus unterschiedlich zum Medizinsektor oder der Holzindustrie sein. In den 1990er Jahren sind zahlreiche virtuelle Marktplätze entstanden; einige wenige sind heute noch sehr erfolgreich im Wettbewerb etabliert, andere dagegen wurden sehr schnell wieder vom Markt verdrängt. Die Gründe hierfür sind vielschichtiger Natur: so werden in Publikationen vor allem Faktoren wie eine mangelnde Bedienerfreundlichkeit, zu geringe Erträge/finanzielle Rückflüsse, mangelnder Kundennutzen, unzureichende oder fehlende Markttransparenz, inadäquate Kundenansprache durch eine mangelnde Personalisierung, überhöhte Mitgliederbeiträge, unzureichende Wartung und Aktualisierung der Webseiten usw. genannt. Die Auswahl der für ein Unternehmen am besten geeigneten Marktplattform gestaltet sich deshalb häufig als komplexes und mitunter schlecht strukturiertes Entscheidungsproblem. Seitens des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln Consult GmbH und der GS1 Germany GmbH wurden drei robuste Schritte hierzu formuliert: Erstens, die Identifikation der unternehmensspezifischen Anforderungen an einen elektronischen Marktplatz, zweitens, die entsprechende Festlegung potenzieller Kandidaten und drittens, die Bewertungsdurchführung und Auswahl (vgl. Rickes und Scheren108

IT-gestützte Beschaffungslogistik

schlich 2008, S. 14ff.). Darüber hinaus wird auch die vermehrte Nutzung elektronischer Marktplätze im Bereich der öffentlichen Beschaffung angestrebt (Eßig et al. 2019). In Abb. 4-6 werden mögliche Selektionskriterien für elektronische Marktplätze im Überblick aufgezeigt. Ein weiterer Kriterien-/Fragebogen findet sich in der Broschüre „Elektronische Marktplätze auswählen und nutzen“ (vgl. Rickes und Scherenschlich 2008, S. 15f.). Abbildung 4-6:

Auswahlkriterien – elektronische Marktplätze47

Selektionskriterium Phase des Beschaffungsprozesses

Beschaffungsobjekt Ausrichtung des Marktplatzes

Zugang zum Marktplatz

! ! ! !

Informationsphase Vereinbarungsphase Transaktionsphase Servicephase

! C-Güter ! A-/B-Güter ! horizontal/branchenübergreifend ! vertikal/branchenspezifisch ! offen ! geschlossen

Transaktionsmechanismus

! ! ! !

Ausschreibung Schwarzes Brett Auktion Katalog

Gebührenmodell

! ! ! ! ! !

Fixe Gebühren Nutzungsabhängige Gebühren Anteil an Transaktionsvolumen oder Einsparungen Finanzierung über Dienstleistungen Finanzierung über Werbung Finanzierung über Datenverkauf

Abhängigkeit

Sonstige Kriterien

! neutraler Marktplatzbetreiber ! von bestimmten Unternehmen etabliert/dominiert ! ! ! !

Teilnahme von Servicedienstleistern Teilnahme von Logistikdienstleistern Angebot von Value Added Services Anzahl der Teilnehmer

Dabei stellt sich die Frage, welcher Personenkreis im betroffenen Unternehmen mit der Entscheidung über die Nutzung eines virtuellen Marktplatzes jeweils betraut ist. Aus einer geschäftsprozessorientierten Sicht heraus, sollten alle Akteure, die in den Beschaffungsvorgang eingebunden sind, an der Situations- und Toolbewertung partizipieren. Es ist also nicht zielführend, der IT-Abteilung im Unternehmen die Entschei47

Quelle: Wannenwetsch und Nicolai 2004, S. 105 (geringfügig modifiziert).

109

4.2

4

Prozesse und Anwendungen einer IT-gestützten Logistik

dung allein zu überlassen, da es sich ja um eine spezifische Form der IT-Investition handelt, sondern Disposition, Einkauf, Auftragsabwicklung und Produktion (soweit auch Materialien von Produktionseinheiten geordert werden dürfen) sind in den Evaluierungs- und Selektionsprozess einzubeziehen.

4.2.3

eTender und Online-Auktion

Im Rahmen des eProcurement können verschiedene Ausschreibungsformen und somit Kooperations-/Transaktionsspielarten realisiert werden. Während der manuelle Ausschreibungsprozess derzeit noch bei den meisten Unternehmen vorherrschend sein dürfte, bestehen aus Sicht einer IT-gestützten Beschaffungslogistik durchaus Potenziale sowohl zur Beschleunigung der Abläufe als auch zur Reduktion von Transaktionskosten an der Nahtstelle zwischen den beteiligten Akteuren mittels Einsatz halbautomatischer sowie internetgestützter Verfahren. Sowohl eSRM-Lösungen als auch Virtuelle/Elektronische Marktplätze bieten Optionen zur Gestaltung einer optimierten und weitgehend standardisierten Abwicklung von Ausschreibungen an; eine elektronisch gestützte Beschaffungsmarktforschung rundet das Leistungsportfolio in diesem Kontext ab. Der eTender-Prozess umfasst entsprechend der traditionellen Geschäftslogik die sogenannten „e-RFx“: über eine „eRequest for Information (eRFI)“ werden interessierte Lieferanten aufgefordert, Informationen für die Angebotserstellung zu unterbreiten. Bei sehr schwierig zu beschreibenden Bedarfen, beispielsweise aufgrund der hohen technischen Komplexität eines Produktes, erfolgt ein „eRequest for Proposal (eRFP)“; Lieferanten werden eingeladen, ein entsprechendes Angebot für den konkretisierten Bedarfsfall an das nachfragende Unternehmen zu senden. Bei einfach strukturierten Beschaffungsumfängen (z. B. im Falle standardisierter Beschaffungsobjekte) lautet der analoge Aufruf „eRequest for Quotation (eRFQ).“ „Bei der Nutzungvon e-RFx kann im Rahmen der vorausgehenden Beschaffungsmarktanalyse auf e-Supplier Directories wie z. B. Wer liefert was? zurückgegriffen werden.“ (Appelfeller und Buchholz 2011, S. 19); interne Lieferantendatenbanken und/oder die Nutzung von Web-Portalen unterstützen die Beschaffungsquellenanalyse in methodischer Hinsicht. Die spezifischen Bedarfe des nachfragenden Unternehmens (eProcurement-Initiator) sind von potenziellen Lieferanten im Rahmen eines sogenannten Lieferantenportals online einsehbar. Dabei lässt sich der Zugriff auf bestimmte Zielgruppen dergestalt eingrenzen, so dass je nach erfolgter Bedarfsspezifikation eine präselektierende Lieferantenauswahl auf Nachfragerseite möglich ist. Ähnlich der Ausschreibung auf virtuellen Marktplätzen können die jeweils definierten Marktakteure per Ausschreibungsdienst (Newsletter) über aktuelle Bedarfe informiert werden. Der eRFx-Prozess kann schlussendlich in einen traditionellen Verhandlungsprozess oder in eine Online-Auktion münden. Grundsätzlich ist das eTender-Konzept sowohl bei privaten als auch bei öffentlichen Ausschreibungen realisierbar.

110

IT-gestützte Beschaffungslogistik

In der Praxis lässt sich in ein eTender-Verfahren durch den Einsatz eines bereits vorhandenen ERP-Systems sukzessive implementieren, mit folgendem Ergebnis: „Viele der aufgeführten Schritte aus dem Office-gestützten Prozess (halbautomatisch; MS Office-basiert; Anm. d. Verf.) bleiben bestehen. Sie werden jetzt aber mit dem ERPSystem durchgeführt.“ (Appelfeller und Buchholz 2011, S. 206). Die Vorteile liegen beispielsweise in einem vollständig papierlosen Ablauf mit reduzierter Durchlaufzeit sowie einer verbesserten Koordination der beteiligten internen Akteure; als nachteilig wirken sich die mitunter erforderliche Mehrfacherfassung von Daten sowie die geringe Lieferantenintegration aus. Neben der ERP-Lösung besteht die Alternative den elektronischen Ausschreibungsprozess über ein etabliertes eSRM-System zu steuern (vgl. Appelfeller und Buchholz 2011, S. 208). Datenaustauschformate, wie XML oder EDI ermöglichen die erforderliche Schnittstellenanbindung. Ein ex definitione vollständiger eTender-Ablauf ist im Falle eines internetgestützten Konzeptes vorzufinden (struktureller Prozessüberblick vgl. Abb. 4-7). Mehrfacherfassungen von Daten entfallen, die Abwicklung kann stark beschleunigt werden, die Registrierung des Angebots beim Einkäufer entfällt und die Lieferanten werden in den Prozess aktiv mit einbezogen. Allerdings kann auf den Einsatz von Papierausdrucken nicht (immer) vollständig verzichtet werden und eine Standardisierung der Angebote ist gleichermaßen nicht realisierbar (vgl. Appelfeller und Buchholz 2011, S. 210). Ob und inwieweit die Lieferanten an einer entsprechenden Internet-Lösung teilnehmen ist in der Regel davon abhängig, wie einfach das System zu bedienen ist; eine hohe Transparenz über den materialgruppenspezifischen Beschaffungsmarkt wird nicht immer seitens des externen Partners gewünscht. Ferner muss der Lieferant die Formatstandards des jeweiligen Kunden handhaben: „Ggf. hat er (der Lieferant; Anm. d. Verf.) es je nach Kunde immer wieder mit neuen e-RFX-Tools zu tun, in die er sich einarbeiten muss. Durch die standardisierten Felder wird er mit seiner Angebotserstellung in seinen Gestaltungsmöglichkeiten eingeschränkt.“ (vgl. Appelfeller und Buchholz 2011, S. 209). Analog gilt für die Akzeptanz seitens des Einkäufers, dass die Bedienerfreundlichkeit des Systems gegeben ist und die Vorteile einer Internet-Lösung auch in der Praxis tatsächlich realisiert werden können. Letztendlich entscheidet jedoch vor allem die Verhandlungsmacht der beteiligten Akteure über die Auswahl bzw. Nutzung elektronisch-gestützter Ausschreibungslösungen. Appelfeller/Buchholz weisen u. a. deutlich auf die Integration von ERP-/eSRM-Lösungen im Zusammenhang mit internetgestützten e-Tender-Anwendungen hin (vgl. Appelfeller und Buchholz 2011, S. 210ff.). Dateninkonsistenzen/-redundanzen, Doppel- bzw. Mehrfacherfassungen, System- und Medienbrüche wirken beispielhaft als Optimierungsbarrieren. Das Hosting sowie die Verwaltung entsprechender Anwendungen können durch die IT-Abteilung des Einkäufers erfolgen, durch einen sogenannten externen Application Service Provider, oder gleichermaßen via virtuellen/elektronischen Marktplatz. Die Auswahl der für ein Unternehmen „besten Alternative“ ist u. a. abhängig von der Anzahl der (geplanten) zu realisierenden Ausschreibungen pro

111

4.2

4

Prozesse und Anwendungen einer IT-gestützten Logistik

Jahr sowie von der Komplexität der dem e-Tender zugrunde liegenden Materialgruppen bzw. Beschaffungsgüter und/oder Dienstleistungen. „Auf (speziellen, Anm. d. Verf.) elektronischen Ausschreibungsplattformen können Unternehmen ihre Bedarfe veröffentlichen und damit potenzielle Lieferanten auffordern, ein entsprechendes Angebot abzugeben. Mit dieser Art der Lieferantensuche kann der Verwaltungsaufwand zur Abwicklung des gesamten Ausschreibungsprozesses erheblich reduziert werden. Sämtliche den Bedarf des beschaffenden Unternehmens betreffende Informationen werden zentral in digitaler Form auf der Ausschreibungsplattform bereitgestellt und können von den Interessenten abgerufen werden.“ (Rickes und Scherenschlich 2008, S. 12). Abbildung 4-7:

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Häufig geht mit der Virtualisierung von Märkten der Einsatz elektronischer Transaktionsmechanismen, wie sie beispielsweise die Online-Auktion darstellt, einher. Nicht nur im C2C-Segment erfreuen sich jene Anwendungen immer größerer Beliebtheit (vgl. z. B. ebay), sondern speziell auch im B2B-Sektor sind Auktionen inzwischen eine beliebte Variante, um Kosten zu reduzieren und Beschaffungsprozesse effizient zu gestalten. Die E-Auction kann über die bereits erläuterten virtuellen Marktplätze abgewickelt werden, oder über den Einsatz spezieller Auktionssoftwarepakete, unter Einbezug eines externen Intermediärs, der die Organisation, Realisierung sowie technische wie inhaltliche Überwachung der Auktion verantwortet. 48

112

Quelle: Appelfeller und Buchholz 2011, S. 208.

IT-gestützte Beschaffungslogistik

Im Gegensatz zu den im privaten Umfeld bekannten Auktionen, gestaltet sich das Auktionsumfeld im Business Bereich, entsprechend der gegebenen Spezifität der zu verauktionierenden Materialien und Produkte, durch die erforderlichen Service Level Agreements (z. B. Lieferkonditionen) sowie durch die häufig umfangreichen Vertragsregelwerke als komplexes Beziehungsgefüge. Aus diesem Grund werden OnlineAuktionen auch bevorzugt für sogenannte Commodities (z. B. in der Regel leicht zu beschreibende Beschaffungsumfänge/-güter, hohe jährliche Bedarfsvolumina, angemessener Standardisierungsgrad) eingesetzt. Die Teilnehmer von E-Auctions (bei individuellem Kundenvertrag, nicht via Elektronischem Marktplatz) lassen sich wie folgt spezifizieren:

n Ein Kunde, der die speziellen Produkte oder Dienstleistungen nachfragt (zum

möglichst niedrigsten Preis, oder aber zu einem ex ante definierten maximalen Preisniveau). Verbünde auf Nachfragerseite sind zulässig, allerdings treten sie als ein Akteur im Rahmen der Auktion auf. Dabei bleiben Online-Auktionen nicht ausschließlich Großunternehmen/-konzernen vorbehalten, sondern gerade mittelständische Unternehmen können deutliche Rationalisierungseffekte im Einkaufs- und Beschaffungsbereich durch das Instrumentarium der E-Auction realisieren. Beschaffungsverbünde, die als Kunde auftreten, spiegeln diesen genannten Trend wider.

n Ausgewählte Lieferanten, die in der Lage sind, das ausgeschriebene Waren-

und/oder Leistungspaket zu den vereinbarten Konditionen zu liefern. Dabei spielt eine wichtige Rolle, dass nicht nur die Mengen in der zugesicherten Qualität, in der richtigen Zeit, am richtigen Ort zur Verfügung stehen, sondern auch die Bonität des Lieferanten gegeben ist. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten kann die Realisierung von virtuellen Transaktionen, z. B. über eine Internet-Auktionsplattform sehr kritisch sein, insbesondere wenn die Leistungsfähigkeit der Lieferanten noch nicht über einen längeren Zeitraum im Vorfeld beobachtet und eingeschätzt werden konnte.

Die Anzahl an Lieferanten die in ein Auktions-Set-up einzubinden sind, kann je nach dem zu verauktionierenden Beschaffungsobjekt deutlich schwanken. In der Regel sollten Auktionen nicht mit einer geringeren Anzahl als 5 beteiligten Lieferanten durchgeführt werden, da die kritische Masse, die für eine profitable Auktion erforderlich ist, auf diese Weise tendenziell nicht erreicht würde. Eine Ausnahme bildet in diesem Fall natürlich die Situation, dass die Lieferantenbasis für das jeweils betrachtete Gut nicht mehr Lieferanten enthält; allerdings sollte dann in Erwägung gezogen werden, andere Transaktionsmechanismen, wie sie exemplarisch die traditionelle Verhandlung darstellt, wirksam werden zu lassen. Steigt die Anzahl der Lieferanten auf mehr als 15 pro Auktion an, erhöht sich gleichermaßen die Komplexität der Auktionsplanung und -durchführung um ein Vielfaches. Letztlich entscheidet der Auftraggeber einer Online-Auktion, unter welchen Bedingungen eine entsprechende Transaktion zustande kommt, der neutrale 113

4.2

4

Prozesse und Anwendungen einer IT-gestützten Logistik

Intermediär steht mit seiner fachlichen Expertise sowie mit seinem umfangreichen Erfahrungspotenzial dem Kunden mit Rat und Tat zur Seite.

n Ein Auktionator führt die Auktion durch und gewährleistet den vertraglich korrek-

ten, vorschriftsmäßigen Ablauf der Transaktion, vom Zeitpunkt der Auktionseröffnung, über die Abgabe der Angebote bis hin zur Erteilung des Zuschlags nach Ablauf der Auktionsdauer. Neben der Einhaltung von Regularien steht und fällt die Qualität einer E-Auction durch die informationstechnische Architektur. Versagt während der Auktionsdauer der Server, oder können die Lieferanten nicht mehr via Internetverbindung bieten, dann muss die Auktion u. U. abgebrochen und zu einem späteren Zeitpunkt wiederholt werden. Ferner gilt es seitens des Auktionators sicherzustellen, dass die Anonymität der Lieferanten, die ihre Gebote abgeben, über den gesamten Auktionsverlauf hinweg gewahrt bleibt.

n In der Praxis werden teilweise neutrale Dritte als Beobachter zu einer Online-

Auktion hinzugezogen. Ihre Aufgabe besteht vor allem in der Unterstützung des Auktionators, um zu vermeiden, dass Unstimmigkeiten oder auftretende Probleme übersehen werden, sowie zur Wahrung der Neutralität des Auktionsorganisators. Es besteht die Möglichkeit, dass der/die Beobachter Zugang zu denselben Informationen erhalten wie die Kunden, oder dass lediglich ein anonymisierter Ausschnitt der Auktion für jenen Personenkreis zu Beobachtungszwecken zur Verfügung gestellt wird.

Der Ablauf einer Online-Auktion folgt ex ante definierten Regeln. Entscheidend ist, dass vor Beginn die Auktion zeitlich terminiert und jene Information allen beteiligten Akteuren zeitnah mitgeteilt wird (exakter Beginn/exaktes Ende). Eine Abweichung vom Zeitplan führt in der Regel zu einem verzerrten Ergebnis, da einige Lieferanten aus taktischen Gründen erst sehr spät, also kurz vor Ablauf der Auktion, ein „finales“ Angebot abgeben. Die Überprüfung der Identität aller an der Auktion beteiligten Partner ist heutzutage aus Sicherheitsgründen unerlässlich; dies erfolgt in der Regel über die Vergabe von Kenn- sowie Passwörtern als Zugriffsschutz. Online-Auktionen tragen dazu bei, beschaffungslogistische Prozesse zu beschleunigen und somit Prozesskosten zu reduzieren. Die geschäftsprozessuale Struktur eines traditionellen im Vergleich zu einem virtuellen, auktionsbasierten Transaktionsmechanismus wird in Abb. 4-8 schematisch dargestellt. Der in der Graphik verwendete Terminus Reverse Auction bezeichnet einen Tatbestand, der vor allem bei der Anwendung von Auktionen im Geschäftsverkehr auftritt. Die Rolle des Käufers und Verkäufers ist vertauscht („Reverse“), da der Lieferant (Verkäufer) in der Auktion zum Bieter (und somit indirekt zum Nachfrager) und der tatsächliche Nachfrager zum Anbieter (Auktionsinitiator) erkoren werden. Speziell

114

IT-gestützte Beschaffungslogistik

durch die elektronisch gestützte Auktionsabwicklung lässt sich Prozesszeit einsparen und die Transaktion (Vertragsabschluss/Auftragsvergabe) in Summe beschleunigen. In der Handelspraxis existieren vielfältige Auktionsformen, je nach Ablauf des Bieterverfahrens sowie hinsichtlich der Konditionen, die am Ende der Auktion zur finalen Erteilung des Zuschlags an die jeweilige Bieterpartei führen. Während im Konsumentenbereich primär derjenige den Zuschlag erhält, der den höchsten Preis bietet, wird im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen in der Regel an diejenige Partei der Vertrag vergeben, die zum niedrigsten Preis anbietet (Lieferant). Bei der Holländischen Auktion ist das Preisausgangsniveau zu Beginn sehr hoch und wird dann sukzessive nach unten korrigiert. Wer als Bieter den spezifischen Preis als erster akzeptiert erhält den Vertrag. Dagegen steht im Mittelpunkt der Englischen Auktion die anfängliche Abgabe eines Mindestgebotes. Den Zuschlag erhält derjenige Partner, unter Berücksichtigung des entsprechenden Mindestgebotes, der den höchsten Preis bzw. bei der Reverse Auction den niedrigsten Preis bietet. Jene Form der Auktion ist in der Regel durch eine ex ante festgelegte Frist zeitlich begrenzt (vgl. Wannenwetsch und Nicolai 2004, S. 104). Abbildung 4-8

Beschaffungsprozess – physisch versus virtuell49

Traditioneller Ablauf Erstellung Anfrage

Vorauswahl Lieferanten

Zustellung Anfrage

Erstellung Angebot

Erstellung Anfrage

Vorauswahl Lieferanten

Reverse Auction

Auftragsvergabe

Zustellung Angebot

Auswertung Angebote

Nachverhandlung

Auswahl Lieferant

Auftragsvergabe

Senkung von Prozesskosten Reduktion der Prozesszeit

Ablauf einer Online Auction

In der Praxis existieren noch weitere Varianten der E-Auction, so z. B. die Vickrey (Second-price) Variante. Je nach Spezifität des situativ gegebenen Anwendungsfeldes können sich verschiedene Wege zur Preisfindung und Allokation als vorteilhaft erweisen. Deshalb werden Online-Auktionen häufig aus spieltheoretischer Sicht heraus und z. B. im Hinblick auf die seitens der Akteure vorhandenen Nutzenverteilungsfunktionen analysiert (vgl. hierzu Eichhorn 2004). Wichtig ist an dieser Stelle zu erwähnen, dass das Auktionsprozedere von Anfang an für alle Mitwirkenden klar formuliert, kommuniziert, transparent gestaltet sowie ohne 49

In Anlehnung an: Wannenwetsch und Nicolai 2004, S. 104.

115

4.2

4

Prozesse und Anwendungen einer IT-gestützten Logistik

Ausnahmen eingehalten wird. Je komplexer die Regeln, desto tendenziell höher die Gefahr, dass die Transaktionskosten nicht in dem erwarteten Maße gesenkt und die Auktion durch Unwissenheit oder Verwirrung der Bieter nicht zielführend durchgeführt werden kann. Nicht alle Güter sind in gleichem Maße für eine E-Auction geeignet. Häufig spricht man von sogenannten Commodities, also Gütern, die bis zu einem bestimmten Grad standardisiert sind und angemessen hinsichtlich technischer Charakteristika, Qualität, Logistischer Service Level usw. beschrieben werden können (vor allem Güter geringerer Komplexität). Online-Auktionen bedürfen neben der eigentlichen Auktionsdurchführung verschiedener vorbereitender Aktivitäten. Dabei steht vor allem die Auswahl der geeigneten Strategischen Beschaffungseinheiten (SBE)/Materialgruppen im Zentrum der Betrachtung sowie die Festlegung der entsprechenden Beschaffungsstrategien. Darüber hinaus müssen Lieferanten für die Auktion selektiert und hinsichtlich ihrer Beteiligung an der E-Auction befragt werden. Neben der Klärung von vertraglichen Aspekten bedarf es der eindeutigen Beschreibung des Auktionsrahmens/-inhaltes sowie der detaillierten Festlegung der technischen Parameter. Erst dann kann mit der Initiierung der Online-Auktion begonnen werden (Vorgehen vgl. exemplarisch Abb. 4-9). Die Erfolge von E-Auctions zeichnen sich primär durch eine Reduktion der Einstandspreise bzw. der Total Cost of Ownership sowie durch die Verkürzung von Durchlaufzeiten, u. a. für die Preisfindung und den Vertragsabschluss aus (vgl. Abb. 4-10). In der Praxis finden sich Angaben über die auktionsbasierte Verringerung von Einstandspreisen in einer Bandbreite von durchschnittlich 10% – 15%. Je stärker die Einkaufs- und Beschaffungsfunktion zukünftig von IT-Anwendungen durchdrungen sein wird, desto ausgeprägter wird tendenziell auch die Bedeutung von Online-Auktionen sein. Die Verauktionierung komplexer Güter, einschließlich des Verkaufs von Dienstleistungen stellt ein nicht zu vernachlässigendes Entwicklungspotenzial für dieses Anwendungsfeld dar. Im Bereich der Distributionslogistik kommen bereits vielfach Frachtenbörsen als Module von Logistikplattformen zum Einsatz, d. h. Laderaumkapazitäten werden via Internet angeboten und „verauktioniert“ (vgl. Abschnitt 4.7.2).

116

IT-gestützte Beschaffungslogistik

Inhalt

Phase

Abbildung 4-9:

Phasen einer Online-Auktion50

Auswahl der Beschaffungsobjekte und Umsetzungsplan

Bedarfsspezifikation und Lieferantenselektion

Erstellung Beschaffungsgüter-/ Beschaffungsmärkteportfolio

Bedarfsspezifikation anhand vorliegender Ausschreibungsunterlagen

Potenzialabschätzung

Lieferantenauswahl und –bewertung

Priorisierung der Umsetzungsschwerpunkte

Zusammenstellung Lieferantenliste

Ergebnis

Umsetzungsplanung

• Ausgewählte PilotMaterialgruppen

• Spezifikation der Lieferleistung

Vorbereitung der Auktion

Durchführung der Auktion

Lieferantenanfragen

Auktionseröffnung

Lieferantengespräche

Lieferantenangebote

Festlegung Auktionsspielregeln

Hotline-Service

Vergabe der Zugangsberechtigung Vertragliche Fixierung der Auktion

• Auktions-Set-up

• Lieferantenliste

Auswertung zum Auktionsverlauf Auktionsende Lieferantenzuschlag

• Vertragsschluss zwischen Lieferant und Abnehmer

Abbildung 4-10: Effekte von E-Auctions51

50 51

Quelle: Wildemann 2001, S. 121 (geringfügig modifiziert). Quelle: Bogaschewsky 2013, S. 15.

117

4.2

4

Prozesse und Anwendungen einer IT-gestützten Logistik

4.2.4

Online-Shops und Webportale

Über Online-Shops lassen sich im Internet Einkäufe verschiedenster Art tätigen. Die zu veräußernden Waren werden online angeboten und können rund um die Uhr geordert werden. Vor allem wenig erklärungsbedürftige Produkte, wie beispielsweise Bücher, CDs, DVDs, lassen sich sehr leicht via Online-Shops erfolgreich vermarkten. Aus Sicht der Beschaffungslogistik im B2B-Sektor erfordert jene Variante im Vergleich zum B2CSegment allerdings eine differenziertere Betrachtung. Die Beschaffung beispielsweise komplexer Systeme oder Module sowie hoch-technisierter Anlagen bedarf häufig einer technischen Klärung sowie intensiverer Verhandlungsgespräche zwischen Verkäufer und Käufer. Online-Shops können diesen Anforderungen deshalb nicht in jedem Fall gerecht werden. In der Praxis besteht zudem im Business Sektor eine starke Überlappung des Online-Shops mit einem Virtuellen/Elektronischen Marktplatz, d. h. neben der Zusammenführung von Angebot und Nachfrage werden auch Käufe bzw. Transaktionen getätigt. Neben Amazon stellt u. a. auch Dell ein beispielhaftes Erfolgsmodell für die Professionalisierung durch einen Online-Shop dar. Je nach Zielgruppe umfasst der Shop Angebote für Privatkunden, für kleine und mittlere Unternehmen, für Großkunden sowie für Öffentliche Auftraggeber. Standardisierte Module, die je nach Kundenwunsch zu einem System konfiguriert werden können, ermöglichen aus produktionslogistischer Sicht die Verfolgung einer Mass Customization-Strategie und neueste Technologien lassen sich in kürzester Zeit einer Vermarktung zuführen. Die Zwischenschaltung einer Handelsstufe entfällt in diesem Fall. Allerdings hat die Vergangenheit für Dell gezeigt, dass der ausschließliche Vertrieb über einen Online-Shop durchaus auch kritisch zu betrachten ist. Die Kombination innovativer Absatzkanäle (z. B. Online-Shop) mit traditionellen Vertriebsformen, wie sie beispielsweise der stationäre Handel darstellt, erweist sich hier für die Sicherung einer nachhaltigen Position im Wettbewerb als Erfolgsfaktor. Webportale repräsentieren Seiten im Internet, die Privatpersonen oder Unternehmen spezielle Services, wie beispielsweise Suchfunktionen anbieten und auf weiterführende Seiten verweisen. In der Regel sind entsprechende Dienste, von den Verbindungsgebühren abgesehen, kostenfrei. Speziell die erste Kontaktaufnahme zum Kunden erweist sich häufig als Meilenstein für den Erfolg bei der Neukundenakquise. Wird der potenzielle Kunde über ein solches Portal gezielt zu den Ansprechpartnern im jeweiligen Unternehmen weitergeleitet und dann intensiv während der Vertragsanbahnung betreut, dann kommt dem jeweiligen Anbieter des Webportals eine nicht zu unterschätzende Rolle zu. Fazit: Es ist also wichtig, bei den bedeutenden und/oder großen Webportalen vertreten zu sein. In der Praxis sind verschiedene Ausgestaltungsformen (Spezialisierungen) von Webportalen vorzufinden. Klassische Wissensportale fokussieren auf die Informationslogistik, d. h. die Informationsrecherche für ausgewählte Zielgruppen stellt das zugrunde liegende Geschäftsmodell dar. Transaktionsportale sind durch weitergehende

118

IT-gestützte Beschaffungslogistik

Funktionalitäten charakterisiert, d. h. neben Werbung ermöglichen sie beispielsweise die Implementierung von Online-Auktionen. Im Mittelpunkt von Kollaborationsportalen steht die Zusammenführung von Marktakteuren auf informatorischer sowie kommunikativer Basis. Real gesehen erweist sich durch den raschen Wandel entsprechender Webseiten der Übergang zwischen den einzelnen Formen jedoch als fließend; selbst die Abgrenzung zu virtuellen Marktplätzen gelingt dann nicht überschneidungsfrei. Lieferantenportale werden von Abnehmer- bzw. Käuferseite im B2B-Kontext betrieben, um aktuellen sowie möglichen Lieferanten ausgewählte Unternehmensinformationen zukommen zu lassen. Auch in diesem Fall liegen unterschiedliche Ausgestaltungsformen vor. So liefern Informationsportale beispielsweise Fakten zu Beschaffungsstrategie oder Anforderungen an Zulieferanten, Dokumentenaustauschportale ermöglichen den Transfer von Ausschreibungen, Angeboten und/oder Rechnungen und Beschaffungsportale unterstützen den gesamten Abwicklungsprozess, u. a. mit der Möglichkeit Einblick in die beim Abnehmer vorhandenen aktuellen Lagerbestände zu nehmen oder Auktionen durchzuführen (vgl. Scherle et al. 2003). Gerade bei Beschaffungsportalen verschwimmen erneut die Grenzen zwischen eSRM, virtuellen/elektronischen Märkten sowie eTender und Online-Auktion.

4.2.5

Online-Kataloge

Der Such- und Auswahlprozess von zu beschaffenden Gütern und Lieferanten kann durch den Einsatz einer virtuellen „Plattform“, wie es der Online-Katalog darstellt, vereinfacht und zeitlich verkürzt werden. Katalog-Software nutzen inzwischen viele Unternehmen, um die Vorteile der modernen Technik zur Optimierung beschaffungslogistischer Prozesse wirksam werden zu lassen. Kataloge stellen einen Transaktionsmechanismus dar, der bereits im Zusammenhang mit dem Instrument virtuelle Marktplätze erwähnt worden ist. In der Praxis liegen häufig überlappende Systeme vor, allerdings existieren auch Bedarfssituationen, beispielsweise bei kleinen und mittleren Unternehmen, in denen online nach Beschaffungsgütern und -quellen zu recherchieren ist, ohne die mitunter komplexen und teuren Systeme, wie sie z. B. ein elektronischer Markt darstellt, nutzen zu können oder zu wollen. Einen Überblick über das Funktionsprofil von Katalog-Software gibt Abb. 4-11. Der Fokus liegt hier auf der IT-gestützten Beschaffungslogistik unter Verantwortlichkeit der Einkaufsabteilung. Die multimediale Gestaltung entsprechender Kataloge stellt heutzutage aus technischen Gründen in der Regel kein größeres Problem mehr dar. Mehrwert lässt sich insbesondere dann generieren, wenn der (potenzielle) Kunde die Möglichkeit hat, beispielsweise verschiedene Ansichten des Produktes auf Wunsch online abzurufen, oder die Voraussetzungen gegeben sind, sein eigenes komplexes Produkt virtuell, basierend auf ausgewählten Features selbst zu konfigurieren (vgl. hierzu beispielswei-

119

4.2

4

Prozesse und Anwendungen einer IT-gestützten Logistik

se die sogenannten Fahrzeugkonfiguratoren in der Automobilindustrie; B2B-/B2CSegment). Abbildung 4-11: Online-Katalog – IT-gestützte Beschaffungslogistik Online-Katalog • Bereitstellung von Informationen zu verfügbaren Produkten und Dienstleistungen • Produktinformationen:

Lieferung der Ware in 3 Tagen

• Produktbeschreibung (inkl. Bild) • Produktgruppe

Einkäufer • Online-Suche nach Lieferanten • Vergleich von Preisen und von Verfügbarkeit

• Lieferbedingungen

Lieferant

• Preis • Links zu weiterführenden Informationen (z.B. Produktvideo) • Online-Bestellmöglichkeit

• Lieferantenauswahl • Online-Bestellung

Eine multimediale Untermauerung, wie sie exemplarisch der Einsatz von Musiksequenzen darstellt, wird tendenziell im B2B-Beschaffungsumfeld weniger geschätzt. Nachfrage muss ja auf Abnehmerseite nicht geweckt werden, sondern es handelt sich um konkrete Bedarfe an Produktions- und Nicht-Produktionsmaterial, die im regelmäßigen Turnus fristgemäß sowie fehlerfrei gedeckt werden müssen. Unabhängig von der Rollen- und Aufgabenverteilung beim Bestellvorgang selbst, werden unterschiedliche Arten von Online-Katalogen unterschieden. Aus Sicht der ITgestützten Beschaffungslogistik ist vor allem von Interesse, wer den Katalog bereitstellt. Allgemein gebräuchlich ist in der Praxis die Unterscheidung in Lieferanten- und Nachfragerkatalog.

n Lieferantenkatalog Der Lieferantenkatalog wird expressis verbis durch den Lieferanten online gestellt und gepflegt. Dabei erhält der Nachfrager via Intranet und/oder Extranet Zugriffsmöglichkeiten auf den Katalog. Im Grunde ähnelt diese Variante der traditionell bekannten Papierversion, mit einer Ausnahme, dass die Informationen nicht mehr physisch, sondern virtuell zugänglich gemacht werden. In einigen Fällen erfolgt die parallele Vorhaltung von Papierkatalog und Online-Katalog; allerdings ist dies eher typisch für das B2C-Segment. Aus Sicht des Anbieters (Lieferanten) erweist sich jene Ausgestaltungsform als vorteilhaft, da dieser zum einen lediglich eine Datenbasis pflegen muss und zum anderen das Bestellwesen sehr einfach in die Notation der hauseigenen Auftragsabwicklung sowie in das vorhandene ERP-System 120

IT-gestützte Beschaffungslogistik

eingebunden werden kann. Aus Sicht des Nachfragers erweist sich die Lieferantenkatalog-Variante unter Umständen als nachteilig, da er im Zuge der Beschaffungsplanung pro externen Lieferanten eine eigene Beschaffungsübersicht mit den Artikelnummernkreisen des jeweiligen Anbieters zu erstellen hat. Der Angebotsvergleich wird für den Einkäufer tendenziell aufwändiger, als bei der Variante Nachfragerkatalog; jedoch tritt auch mit der Bestellfrequenz ein Erfahrungs- und Lernkurveneffekt ein.

n Nachfragerkatalog Der Konsument (Nachfrager) stellt den Katalog ins Netz und zeichnet sich für die Aktualität der Daten verantwortlich. Vor allem im B2B-Segment ist die genannte Variante häufiger anzutreffen. Der Lieferant gibt seine Artikeldaten in das jeweilige Katalog-System ein und schafft so die Voraussetzungen, dass er als „bester Lieferant“ identifiziert und ausgewählt wird. Für den Nachfrager resultiert in diesem Fall eine vereinfachte und beschaffungslogistisch optimale Such- sowie Selektionsfunktion. Die Katalog-Software kann effizient mit der Datenverarbeitung und den Beschaffungssystemen des Käufers verknüpft werden. Allerdings ist der Lieferant gezwungen einen individuellen Katalog für jeden einzelnen Kunden zu erstellen. In der Praxis ist man hierzu in der Regel nur bereit, wenn es sich um wichtige Großkunden handelt, die mit entsprechender Verhandlungs-/Marktmacht ausgestattet sind. Die Etablierung eines Nachfragerkatalogs kann unter Umständen Auswirkung auf das sich im Markt einpendelnde Preisniveau haben und darüber hinaus das Entstehen von Wechselbarrieren, speziell bei bereits langjährig bestehenden Vertragsbeziehungen zu den Lieferanten begünstigen. Grundsätzlich kann die Katalog-Software auch von Drittparteien, wie beispielsweise von Anbietern virtueller Marktplätze eingesetzt werden. In diesem Fall ist der Plattformbetreiber/Intermediär für die Bereitstellung sowie Pflege der Katalogdaten verantwortlich. Beide Marktakteure – Lieferanten und Nachfrager – greifen via Internet auf die Datenbasis zu. Grundsätzlich sollte die Gestaltung des Katalog-Designs sowohl die Anforderungen der IT-Seite als auch die betriebswirtschaftlichen Effizienzpotenziale, die aus einer Optimierung IT-gestützter beschaffungslogistischer Prozesse resultieren, parallel berücksichtigen. In Abhängigkeit von der Markt-/Wettbewerbsstruktur, von der aktuellen/zukünftig antizipierbaren Verteilung der Machtverhältnisse sowie von den vorhandenen Produkt- und Leistungscharakteristika der Transaktionsinhalte ist zu entscheiden, ob ein Lieferanten-/Nachfrager- oder ein Drittparteienkatalog zu favorisieren ist. Der Erfolg von Online-Katalogen sowie der zugrunde liegenden Katalog-Software ist von verschiedenen Einflussfaktoren abhängig. Ein entscheidender Gestaltungsparameter liegt vor allem in der optimierten sowie einfachen Suchfunktion begründet. Diese wird durch eine angemessene graphische Benutzeroberfläche unterstützt. Ein Overengineering entsprechender Kataloge, beispielsweise in multimedialer Hinsicht, wird 121

4.2

4

Prozesse und Anwendungen einer IT-gestützten Logistik

vom Nutzer jedoch nicht immer honoriert. Deshalb sollten im Vorfeld der Katalogentwicklung die Anforderungen und Gepflogenheiten der jeweiligen Zielgruppen erfasst und in der Software entsprechend modelliert werden. Die Leitlinie „Keep it simple“ ist häufig ein guter Ratgeber bei der Ausgestaltung von IT-gestützten Logistiklösungen. Nicht alles, was technisch möglich ist, muss auch zu der gewünschten betriebswirtschaftlichen Wirkung führen bzw. die Akzeptanz durch die Anwenderseite in jedem Fall garantieren.

4.2.6

Desktop Purchasing-Systeme (DPS)

Vielfach sind elektronische Kataloge, die z. B. via Internet bereitgestellt werden, mit sogenannten Desktop Purchasing-Systemen (DPS) verknüpft (vgl. hierzu z. B. Wannenwetsch und Nicolai 2004, S. 113ff.); man spricht in diesem Kontext auch teilweise von internen Katalogen, zur Abgrenzung der in Abschnitt 4.2.5 behandelten externen Kataloge. Dabei erfolgt eine überwiegende Automatisierung und Virtualisierung des Beschaffungsvorganges. Ausgehend von der kataloggestützten Recherche, werden die ausgewählten Güter unmittelbar seitens der lokalen Bedarfsträger, d. h. ohne vorhergehende Einbindung der Einkaufsabteilung, online bestellt und der Beschaffungsvorgang überwacht. An die Stelle einer zentralen Beschaffung rückt auf diese Weise mehr und mehr eine Dezentralisierung der Kompetenzen und Verantwortlichkeiten. Die Nutzung von Katalog-Software im Rahmen beschaffungslogistischer Prozesse ist also somit nicht ausschließlich auf die Einkaufsabteilung beschränkt, sondern bindet den Wertschöpfungsbereich (Produktion) aktiv in das Beschaffungsgeschehen mit ein. DPS-Lösungen werden in der Regel vor allem mit dem Ziel der C-Güter-Beschaffungsoptimierung realisiert. Hohe Volumina, geringer Wert einer einzelnen Einheit des Beschaffungsgutes erfordern einen möglichst straffen und wenig aufwendigen Ablauf für alle Beteiligten (vgl. Abb. 4-12); nur auf diese Weise lassen sich Prozesskosten auch tatsächlich nachhaltig senken. Frei werdende Zeitpotenziale können dann für die Beschaffung komplexer Güter sowie für strategische Beschaffungsaktivitäten wertschöpfend eingesetzt werden. Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist ein permanentes Update des Kataloges, eine optimale Einbettung des Desktop Purchasing-Systems in die gesamte IT-Architektur und -Strategie des Unternehmens sowie die Anbindung zu externen Partnern. Eine leichte Bedienbarkeit, klar definierte Verantwortlichkeiten, ein standardisierter Prozess sowie klar formulierte einzuhaltende Regeln erhöhen die Akzeptanz und erlauben eine rasche Erschließung der ausgewiesenen Potenziale.

122

IT-gestützte Beschaffungslogistik

Abbildung 4-12

DPS im Vergleich zur traditionellen Beschaffung52

Hilfreich an dieser Stelle ist der Einsatz von Klassifikationssystemen, wie z. B. eCl@ss (vgl. http://www.eclass.de), um eine eindeutige Beschreibung von Beschaffungsobjekten/Dienstleistungen für unterschiedliche Branchen zu unterstützen (vgl. Abb. 4-13). Ein Standard zum Austausch von Katalogdaten, der sehr gut mit eCl@ss harmonisiert wird durch BMEcat (vgl. hierzu http://www.bmecat.org) repräsentiert. Es existieren zahlreiche Desktop Purchasing-Systeme am Markt, insbesondere sind klassische ERP-Anbieter häufig auch in diesem Segment aktiv. ARIBA stellt z. B. eine in der Praxis sehr häufig eingesetzte Anwendung dar (vgl. http://www.ariba.com). Nach erfolgreicher Beschaffung der für die Wertschöpfung erforderlichen Ressourcen steht die IT-gestützte material- und informationsflussseitige Koordination von Produktionsabläufen im Zentrum der Betrachtung des nachfolgenden Abschnitts.

52

Quelle: http://einkauf.oesterreich.com/lehrgang_eprocurement/DPS/include/warum.html (Stand: 26.02.2020)

123

4.2

4

Prozesse und Anwendungen einer IT-gestützten Logistik

Abbildung 4-13

4.3

eCl@ss-Standard – ein Beispiel53

IT-gestützte Produktionslogistik

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich in der Produktion ein bedeutender Paradigmenwechsel vollzogen, der entscheidende Auswirkungen auf die Gestalt produktionslogistischer Abläufe in den Unternehmen hatte. Nicht nur der Einsatz intelligenter Informations- und Kommunikationstechnologien im Umfeld der Produktion war/ist Treiber jener Veränderungen, sondern gleichermaßen das Bestreben, stärker am Puls des Kundenbedarfes zu produzieren, ohne entlang der Wertschöpfungskette Effizienzverluste hinnehmen zu müssen. Das Stichwort an dieser Stelle lautet „synchronisierte Produktion“ und drückt die Notwendigkeit für Unternehmen aus, traditionelle Produktionspläne mit fixer Menge bei variierenden Produktionssequenzen zugunsten von Plänen mit variabler Menge bei fixen Sequenzen aufzugeben. Hieraus resultieren gewandelte Anforderungen an die Produktionslogistik und den ihr inhärenten (ITgestützten) Methoden. Die Strategie der Mass Customization (vgl. z. B. Piller 2008) erlaubt unter bestimmten Voraussetzungen eine zielorientierte Vernetzung der Vorteile einer Massenproduktion mit den positiven Effekten einer im Wertschöpfungsprozess zum spätest möglichen Zeitpunkt stattfindenden Ausdifferenzierung der individuellen Kundenvariante (sogenannter Variantenbestimmungpunkt). Konzepte der additiven Fertigung (vgl. z. B. Klahn et al. 2018), u. a. der Einsatz von 3D-Druck53

124

Quelle: http://www.cinteg.de/images/aktuelles/2015/klassifikation_x.jpg (Stand: 26.02.2020)

IT-gestützte Produktionslogistik

verfahren in der Produktion werfen gar die interessante Frage auf, ob nicht in einigen Jahren für ausgewählte Produkte eine „Losgröße 1“ ohne planungstechnische und/oder logistische Probleme quasi als Standard realisierbar ist. Darüber hinaus ändern sich die seitens der Logistik zu koordinierenden Material-/Informationsflüsse als Folge des 3D Printing im Vergleich zur traditionellen Fertigung deutlich und erfordern – in Abhängigkeit vom (zukünftigen) 3D-Druck-Durchdringungsgrad der Produktion – gleichermaßen passgenaue Produktionsplanungs- und -steuerungsalgorithmen. Neben der Implementierung innovativer Fertigungskonzepte wird parallel die Optimierung der Produktionsplanung und -steuerung (PPS) durch den Einsatz ITgestützter Konzepte stetig vorangetrieben. Zentrale PPS-Systeme, welche aus Überlegungen der Materialbedarfsplanungen (MRP I/II) erwuchsen, werden seit Ende der 1980er Jahre im Bereich der Produktionslogistik eingesetzt. Advanced Planning and Scheduling (APS)-Systeme hingegen entwickelten sich später aus den PPS-Systemen, um den Kundenbedarf und die damit einhergehenden, steigenden Kundenanforderungen hinsichtlich Liefertreue und -qualität abzubilden. Mit dem Ziel die intra- oder auch interorganisationalen Planungen effizient auf die Shop-Floor-Ebene zu übertragen, ist der Einsatz sogenannter Manufacturing Execution-Systeme (MES) sinnvoll, da hierbei auch der Aspekt der Steuerung in den PPS-Systemen verstärkt wird. Der Fertigungsleitstand befindet sich hierarchisch eine Ebene darunter und repräsentiert die elementare Komponente für die Koordinierung der Produktionsressourcen. Zentral hervorzuheben ist an dieser Stelle die Migration von einer push- hin zu einer pullgesteuerten Zulieferkette. Ein wichtiges logistisches Prinzip, das in diesem Zusammenhang zur Anwendung kommt ist das Kanban-Verfahren, aus dem Blickwinkel der IT-gestützten Logistik vor allem in der Ausgestaltung als elektronischer Kanban (EKanban). Darüber hinaus spielen Anlieferstrukturen zu den einzelnen Unternehmen eine wichtige Rolle, um Bestände niedrig zu halten, ohne gleichzeitig im Hinblick auf Liefertreue und -qualität Einbußen hinnehmen zu müssen. Just-in-Time sowie Just-inSequence bilden hier bekannte sowie erfolgreiche logistische Konzepte ab. Die Simulation und Planung von logistischen Flüssen in einem einzelnen Unternehmen oder in Wertschöpfungs-/Logistiknetzwerken ermöglicht eine frühzeitige Analyse, welche Auswirkungen die Neugestaltung oder Veränderung logistischer Prozesse auf das situative Prozessgefüge hat bzw. wie beispielsweise neue Produktionsstandorte/Werke logistisch ausgeplant werden können. Dabei lassen sich u. a. produktionslogistische Fragestellungen IT-gestützt modellieren und simulieren (Digitale Fabrik).

125

4.3

4

Prozesse und Anwendungen einer IT-gestützten Logistik

Abbildung 4-14: Konzepte, Strategien und Methoden der IT-gestützten Produktionslogistik § Produktionsplanung und -steuerung § Advanced Planning and Scheduling

Konzepte der Fertigungs-

§ Manufacturing Execution Systeme

steuerung

§ Fertigungsleitstand § Kanban

§ Just-in-Time/ Just-in-Sequence

IT-affine Produktionslogistik-

§ Digitale Fabrik

strategien und -methoden

Im Folgenden werden deshalb mit Systemen der Produktionsplanung und -steuerung, Advanced Planning and Scheduling-Systemen sowie Manufacturing Execution-Systemen und Fertigungsleitständen Konzepte der Fertigungssteuerung vorgestellt, während mit Kanban, Just-in-Time/Just-in-Sequence und der Idee der Digitalen Fabrik ITaffine Methoden und Strategien der Produktionslogistik beschrieben werden (s. Abb. 4-14). Auch wenn in einigen Unternehmen in der Produktion z. B. bereits Cyberphysische Systeme oder weitgehend autonom arbeitende Roboter eingesetzt werden, bleiben erfolgreiche, praxiserprobte Lösungen – wie die im Folgenden behandelten Ansätze – nach wie vor im Einsatz. Je nach vorhandenem Digitalisierungsgrad und fortschreitendem technologischen Entwicklungsstand referenzieren entsprechende Systeme auf Echtzeitdaten, generiert via intelligenter Sensoren, nutzen zur Kommunikation den 5G-Standard und/oder greifen zur Planung/Entscheidungsoptimierung auf Algorithmen, die auf Business Analytik-Auswertungen, Erfahrungen des Maschinellen Lernens sowie der Künstlichen Intelligenz im Allgemeinen basieren, zurück.

4.3.1

Produktionsplanungs- und -steuerungssysteme (PPS)

Grundsätzlich bilden die operative Planung und Steuerung von Fertigungsprozessen, mit dem Ziel der optimalen Ressourcenallokation den Kern von PPS-Systemen. Dabei sollen bei gegebenem Leistungsvolumen (z. B. im Absatzplan definiert), die Kosten, Bestände sowie Prozess- und Durchlaufzeiten niedrig und die Qualität sowie Flexibilität als Ergebnis der PPS hoch ausgeprägt sein. Konkurrierende Zielsetzungen müssen also gegeneinander betriebswirtschaftlich abgewogen und harmonisiert werden. Dies kann je nach Marktsegment, Produktart, Kundenanforderungen etc. zu einer unterschiedlichen Priorisierung der einzelnen Zielkategorien führen. Die Anforderungen an ein PPS sind in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gestiegen. In oftmals gesättigten Käufermärkten werden Lebenszyklen von Produkten immer kürzer, steigen die Variantenvielfalt und damit die Komplexitätskosten erheblich

126

IT-gestützte Produktionslogistik

an, verändern sich Kundenanforderungen sowie Marktgegebenheiten im dynamischen Umfeld mitunter sehr kurzfristig, reduzieren sich Losgrößen bei steigenden Anforderungen z. B. an die Lieferzeit. Die Produktionsphilosophie muss sich in Konsequenz auf die veränderten Strukturbedingungen einstellen (vgl. Abb. 4-15): weg von der statischen Sicht, d. h. Marktvolatilität bereits im Vorfeld der Fertigung zu eliminieren, hin zur Wandlungsfähigkeit/Adaptivität von PPS-Systemen, d. h. lernen, die Schwankungen innerhalb einer gewissen Bandbreite zu antizipieren, um flexibel auf Veränderungen reagieren zu können. Kundenorientierung und Pull-Prinzip lösen immer stärker das traditionelle Push-Prinzip ab (vgl. Günther und Tempelmeier 2012, 331ff.). Grundsätzlich führen zwei unterschiedliche Wege ans Ziel, die in Abhängigkeit von der jeweils vorherrschenden Produktions-/Logistikphilosophie zu selektieren sind (vgl. Wiendahl et al. 2003, S. 150). So ermöglicht die flussorientierte Strategie einen relativ stabilen Auftragsprozess, ohne exakte Auftragsprioritäten (z. B. Eil- oder Normalauftrag) zu vergeben. Dabei werden Engpässe pro-aktiv gehandhabt und Kapazitäten bedarfsgerecht bereitgestellt. Die Streuung der Durchlaufzeit ist bei der turbulenzorientierten Strategie höher und die PPS fokussiert auf den individuellen Auftragsfortschritt, mit ex ante klar definierten Auftragsprioritäten. Bei eintretenden kurzfristigen Ereignissen wird häufig eine Neuplanung erforderlich. Der Aufwand für die PPS ist bei Verfolgung der zweiten Strategie deutlich höher. Maßnahmen zur Rüstzeitoptimierung ermöglichen dabei z. B. die Realisierung von Effizienzgewinnen. Unternehmen, die sich in einem stark volatilen Umfeld bewegen, müssen häufig der turbulenzorientierten Strategie den Vorzug geben. Auch wenn die Forderung bzw. Etablierung wandlungsfähiger PPS-Systeme sowie wandlungsfähiger Produktionssysteme (vgl. Nyhuis 2008) und ihrer Diskussion in Wissenschaft und Praxis schon an den Anfang des 21. Jahrhunderts zurückreichen, haben sich die Anforderungen nur noch stärker in Richtung „Wandlungsfähigkeit“ verändert. Dabei liegt der Schwerpunkt heute vor allem auf dem Einsatz von Technologien und Verfahren, die die Schnelligkeit bzw. den Grad der Pro-Aktivität fördern und zur Entwicklung (noch) intelligenterer Planungs- und Steuerungsalgorithmen beitragen. Wie aber sind PPS-Systeme inhaltlich strukturiert? Abb. 4-16 zeigt die Kernfunktionalitäten entsprechender Lösungen auf. Die Produktionsprogrammplanung greift in der Regel auf eine vom Vertrieb erstellte Absatzplanung zurück. Es werden Primärbedarfe (Bedarf an absatzfähigen Gütern; geplante Stückzahlen) pro Produktkategorie und pro Zeiteinheit (z. B. monatlich, vierteljährlich) geplant. In einem nächsten Schritt erfolgt die Mengenplanung, d. h. die Ermittlung der sogenannten Sekundärbedarfe. Ausgehend von den ermittelten Primärbedarfen werden über die Auflösung von Stücklisten oder über verbrauchsorientierte Verfahren (z. B. Methode des gleitenden Durchschnitts, exponentielle Glättung 1./2. Ordnung) die 127

4.3

Prozesse und Anwendungen einer IT-gestützten Logistik

abgeleiteten Bedarfe, primär an Roh- und Hilfsstoffen, jedoch auch an Betriebsstoffen identifiziert. Dabei können sowohl Einzelteile geplant werden (z. B. Schrauben) als auch Module bis hin zu gesamten Systemen (z. B. Motor, Kabelbaum, Cockpit). Aus jener Planungssequenz resultieren die Bruttobedarfe; diese müssen mit den jeweils vorhandenen Lagerbeständen, den bereits für Aufträge reservierten Materialien sowie mit den bei Lieferanten noch ausstehenden Bestellungen abgeglichen werden. Die final zu beschaffende Menge wird als Nettobedarf bezeichnet und in entsprechende Bedarfsanforderungen (BOM: Bill of Material) transferiert. Der Einkauf ist für die mengen-, frist- und qualitätsgerechte Deckung der Nettobedarfe verantwortlich. Das entsprechende Modul in PPS-Systemen bzw. das zugrunde liegende Planungskonzept ist unter dem Akronym MRP I: Material Requirement Planning bekannt. Abbildung 4-15: Wandlungsfähiges PPS54

Klassisches PPS-Verständnis

Entscheidung

Marktturbulenzen vor der Produktion ausfiltern

Kunde

Logistikverständnis

Lieferant

„Wird dieser Auftrag termingerecht fertig?“

Neues PPS-Verständnis

Entscheidung „Was ist zu tun, um den Auftrag termingerecht fertig zu stellen?“

Produktion muss Marktturbulenzen beherrschen

Bedarfschwankung

Lagerproduktion (make-to-stock)

Kunde

Logistikverständnis

Lieferant

4

Zwischenlager

Auftragsproduktion (make-to-order)

Die Termin- und Kapazitätsplanung ist der Durchlaufterminierung in der Produktion gewidmet. Mittels Vorwärts- und Rückwärtsterminierung werden früheste und späteste Start- und Endzeitpunkt sowie der sogenannte kritische Pfad (keine vorhandenen Zeitpuffer) ermittelt. Verzögerungen, die sich entlang des kritischen Pfades ereignen, 54

128

Quelle: Wiendahl et al. 2003, S. 149 (geringfügig modifiziert). Die Aussagen beziehen sich hier primär auf den Maschinen- und Anlagenbau; sie sind jedoch gleichermaßen in ihrer Grundtendenz auf andere industrielle Fertigungsbereiche übertragbar.

IT-gestützte Produktionslogistik

führen zu einer Verlängerung der Gesamtdurchlaufzeit des Systems und damit letztendlich unter Umständen zu einer Nichteinhaltung des bestätigten Kundenwunschtermins. Bei traditionellen PPS-Systemen wird die zeitliche Eintaktung der Produktion losgelöst von etwaig vorhandenen Kapazitätsengpässen vorgenommen. Ursächlich für diesen Tatbestand ist, dass klassische PPS-Systeme auf dem MRP II- Konzept: Manufacturing Resource Planning beruhen, man spricht deshalb auch von sogenannten Sukzessivplanungssystemen. Entsprechend der ermittelten Starttermine der Aufträge werden diese nun den Anlagen zeitlich und kapazitativ zugeordnet. So kann es vorkommen, dass in bestimmten Perioden die einzelnen Maschinen oder Anlagensysteme ungleich ausgelastet sind (Über-/Unterkapazitäten). Mittels Kapazitätsausgleich wird versucht, durch eine Neudisposition des jeweiligen Auftrages die vorhandenen Probleme zu beseitigen. Die Grobplanung auf aggregierter Kapazitätsebene wird durch eine Feinplanung auf Anlagen-/Maschinenebene ergänzt. Zusätzlich werden die Losgrößen pro Produktgruppe/-variante ermittelt. Die Andler’sche Losgrößenformel als Grundmodell zur Festlegung der optimalen Losgröße, bei der die Summe aus Rüstkosten pro Stück und Lagerkosten pro Stück minimal ist (vgl. z. B. Küpper und Helber 2004), wurde durch Verfahren des Operations Researchs sukzessive um Variablen erweitert bzw. der zugrunde liegende Algorithmus verbessert.55 Gegenstand der Auftragsveranlassung ist nach Durchführung des Feinabgleichs der Kapazitäten die Freigabe des Fertigungsauftrages sowie die Vornahme einer konkreten Maschinenbelegungsplanung. Hierfür stehen verschiedene Algorithmen aus dem Operations Research bereit. Daneben sind heuristische Prioritätsregeln, wie z. B. die First-Come-First-Serve-Regel oder die Schlupfzeit-Regel in entsprechenden Systemen hinterlegt. Die Auftragsüberwachung ist Gegenstand der Fertigungssteuerung. Auf operativer Ebene werden Aufträge hinsichtlich Prozess- und Durchlaufzeiten, Lieferterminen, etwaig auftretender Probleme (Identifikation von Soll-Ist-/Plan-Ist-Abweichungen) überwacht und gesteuert. Treten negative Abweichungen auf, so ist es Aufgabe der Fertigungssteuerung möglichst schnell durch geeignete Maßnahme Abhilfe zu schaffen. Engpassund Störungsmanagement zählen deshalb zu den Kernaufgaben der Auftragsüberwachung. Je schneller beispielsweise über selbststeuernde Regelkreise sowie über geeignete Betriebsdatenerfassungssysteme (BDE) eine Rückmeldung zu den aktuellen Auftragsstati erfolgt (z. B. durch Einsatz smarter Sensoren), desto effektiver lässt sich in diesen Situationen gegensteuern. Während die Planungstatbestände Produktionsprogrammplanung, Mengenplanung sowie Termin- und Kapazitätsplanung die Produktionsplanung funktional aufspannen, umfasst die Produktionssteuerung die Phasen Auftragsveranlassung sowie Auftragsüberwachung.

55

Anmerkung: Teilweise wird die Losgrößenplanung auch der Mengenplanung zugeordnet, da es sich um einen mengenorientierten Planungsschritt handelt.

129

4.3

Prozesse und Anwendungen einer IT-gestützten Logistik

Abbildung 4-16: Kernstruktur von PPS-Systemen56 Planungsgrößen der PPS

Funktionen der PPS

Festlegung der Erzeugnisse nach Art, Menge und Termin (Primärbedarf)

Produktionsprogrammplanung

Daten (Beispiele) • Kundenaufträge • Absatzprognosen • Stücklisten

Bestimmung des Bedarfs an Einzelteilen und Baugruppen unter Beachtung der Lagerbestände (Netto-Sekundärbedarf)

Mengenplanung

Ermittlung der Startzeitpunkte der Fertigungsaufträge bzw. Arbeitsgänge in jeder Kapazitätseinheit

Termin- und Kapazitätsplanung

• Lagerbestände • Vorgabezeiten

Freigabe und Verteilung der Fertigungsaufträge auf die Kapazitätseinheiten

Auftragsveranlassung

Überwachung des Baufortschritts der Aufträge und Kapazitätsüberwachung, Maßnahmen der Störungsbeherrschung

Auftragsüberwachung

Datenverwaltung

4

• Liegezeiten • Kapazitätsangebote • Losgrößen • Terminvorgaben • Prioritäten • Ist-Daten zu Aufträgen und Kapazitäten • Korrigierte Soll-Vorgaben

Im Markt gibt es zahlreiche Anbieter für PPS-Lösungen, von der klassischen Standardsoftware bis hin zu mitunter vollständig „customized solutions“, zum Einsatz in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) bis hin zu vernetzten Großkonzernen, die mit zahlreichen Standorten in das Gesamtsystem eingebunden werden müssen (vgl. Bach et al. 2019). KMU stellen besondere Anforderungen an ein leistungsfähiges PPS/ERPSystem (vgl. Boß und Deckert 2017), um u. a. das Risiko eines „Oversizing bzw. Overengineering“ zu reduzieren.

4.3.2

Advanced Planning and Scheduling-Systeme (APS)

Die bereits dargelegten Nachteile von Sukzessivplanungssystemen, die insbesondere aus dem MRP I- sowie MRP II-Konzept resultieren, sollen durch innovative Advanced Planning and Scheduling-Systeme weitestgehend eliminiert werden. Dabei handelt es 56

130

In Anlehnung an: Nebl 2007, S. 716.

IT-gestützte Produktionslogistik

sich um modular strukturierte Softwarelösungen zur Realisierung einer unternehmensübergreifenden Planung und Steuerung von Geschäftsprozessen. Entsprechende Systeme unterstützen gleichermaßen die Entscheidungsfindung auf strategischer (z. B. Absatz- und Produktionsplanung) als auch auf taktischer und operativer Ebene (z. B. Feinplanung und Steuerung). Im Gegensatz zu den bislang beschriebenen Methoden gehen APS-Systeme unmittelbar von einer begrenzten Verfügbarkeit unternehmerischer Ressourcen aus und gelten aufgrund der ihnen inhärenten Planungstools deshalb als effektive Optimierungslösungen (vgl. z. B. Mauergauz 2016). Die Kernfunktionen von APS-Anwendungen sind engpassorientiert und unterstützen eine simultane, synchronisierte Planung. Sie integrieren Modellierungs-, Optimierungs- sowie Simulationsfunktionalitäten und ermöglichen die Durchführung einer globalen Verfügbarkeitsprüfung im System (sog. Available-to-promise), mit dem Ziel der übergreifenden Kostenoptimierung, bestenfalls entlang der gesamten Supply Chain. Simultan bedeutet, dass Bedarfe, Materialien und Kapazitäten als interdependente Faktoren parallel Berücksichtigung finden. Hieraus resultiert ein hierarchisches Planungssystem, so dass über Feedback-Schleifen iterativ ein Optimierungsergebnis erzielt werden kann. Die den Planungen sowie Simulationen zugrunde liegenden Methoden sind Verfahren des Operations Research oder Heuristiken. Als Restriktionen werden verschiedene Variablen, wie beispielsweise Kosten, Taktzeiten, Lieferzeiten definiert. APS-Lösungen basieren aufgrund der ihnen inhärenten Funktionalitäten i. d. R. auf ERP-Systemen; so bietet beispielsweise SAP das Tool „Advanced Planner Optimizer (APO)" an (vgl. Abb. 4-17). Inzwischen geht die IT-Praxis im Kontext der Industrie 4.0 noch einen Schritt weiter und sorgt für eine effektive Vernetzung von ERP- mit APS- sowie Manufacturing ExecutionSystemen, sogenannten MES (vgl. DUALIS 2018). Je umfassender und desto mehr echtzeitbasiert die verfügbaren Datensätze sind, desto genauer können Simulationen realisiert und Planungen pro-aktiv sowie ereignisbezogen gestaltet werden. Durch den Einsatz von APS lässt sich der revolvierende Planungszyklus, der aus der sukzessiven Planung einzelner Tatbestände resultiert, generell verkürzen. Wird im Rahmen der klassischen PPS festgestellt, dass der Bedarfsplan aufgrund mangelnder Kapazitäten nicht zu realisieren ist, dann wird die Revision des ursprünglichen Planentwurfs erforderlich. Allerdings kann auch der nachfolgende Plan, da er ja zunächst unabhängig von den situativ gegebenen Kapazitätsrestriktionen entwickelt wird, wiederum nicht umsetzbar sein. Deshalb liefert die gleichzeitige Berücksichtigung relevanter Planungsvariablen, verbunden mit einer Simulation, deutlich bessere und vor allem schnellere Ergebnisse als vergleichbare Sukzessivsysteme. Die Bedeutung des Wortes „Advanced“ wird auf diese Weise klar ersichtlich.

131

4.3

4

Prozesse und Anwendungen einer IT-gestützten Logistik

Abbildung 4-17: Vernetzung von APS und ERP57

Simulation, Analyse und Optimierung

APS-System - Engpassidentifikation - Anlagenoptimierung - Auftragseinplanung

Hauptspeicherresidentes Datenmodell

Dynamische Ermittlung von Übergabe und Liegezeiten in Abhängigkeit der Belegung

ERP-System Aktualisierung der Transaktionsdaten

Verwaltung von Stammund Transaktionsdaten

Rückschreibung der Planungsergebnisse

Durch die Einbettung von APS-Modulen in ein integriertes Planungs- und Steuerungssystem kann eine Verknüpfung über die gesamten Planungsebenen hinweg, d. h. ausgehend von der strategischen über die operative Ebene bis hin zur kurzfristigen Werkstattsteuerung (Leitstand) geleistet werden. Erfolgt zusätzlich die Bereitstellung eines Datenerfassungstools, verbunden mit geeigneten Reportinginstrumenten, so erfüllt das gesamte Planungs- und Steuerungssystem sogar die Funktionalität eines sogenannten Manufacturing Execution-Systems (MES), welches in Abschnitt 4.3.3 skizziert wird. In Abb. 4-18 werden die entsprechenden Planungsebenen anschaulich dargestellt.

57

132

In Anlehnung an: Schmid 2006, S. 14.

IT-gestützte Produktionslogistik

Abbildung 4-18: APS als Element eines integrierten Planungs- und Steuerungssystems58 Planungsebenen

ITSystem

Absatz- und Programmplanung

Strategische Planung

Produktionsplanung

Operative Planung

Zeithorizont Monate/Jahre 2003

W ochen/Monate 14/03

1 5/03

Tage Feinplanung

26 27

Intelligenter Leitstand W erkstattsteuerung

Funktionen

28

Stunden 7 h 7½h 8h

2004

Vorschau Gruppierung langfristige Entscheidungsunterstützung

Geplante Endtermine pro Auftrag, Materialbedarfe Produkt- und Maschinenzuordnung Komplette Zuordnung von Material, detaillierte Reihenfolgeplanung, regelbasierende Optimierung (mehrdimensional) Kurzfristige Planungsänderungen, Änderungen von Zuordnungen und Reihenfolgen

Aufgrund der Tatsache, dass Advanced Planning and Scheduling-Systeme bereits die Integration verschiedener Supply Chain-Partner ermöglichen, ist der Schritt zu speziellen Supply Chain Management-Systemen, die im Abschnitt 4.7 behandelt werden, nicht mehr weit (vgl. Abb. 4-64).

4.3.3

Manufacturing Execution-Systeme (MES)

MES versuchen als Weiterentwicklung von PPS-Systemen die Steuerungskomponente, welche in den planungsorientierten MRP I/II- und PPS-Systemen vernachlässigt wurde, abzubilden (vgl. Kurbel 2013, S. 189). Konkret wird unter MES ein Anwendungssystem verstanden, welches die Steuerung und Kontrolle der Fertigung fokussiert, was durch die Bereitstellung von Produktionsparametern und -daten sowie durch eine schnelle Reaktionsfähigkeit bei Störungen ermöglicht werden soll. Maßgebliche Funktionen von Manufacturing Execution-Systemen sind die Administration und Kontrolle von Aufträgen und Ressourcen in der Produktion sowie eine permanente Rückkopplung und Anpassung der Feinplanungen, wodurch ein kybernetisches System etabliert werden kann. Diese Aufgaben werden auch durch die Nutzung eines sogenannten Fertigungsleitstandes (vgl. Abschnitt 4.3.4) aufgegriffen. Ferner werden die Verfolgung und Rückverfolgung von Aufträgen und Material sowie 58

In Anlehnung an: Marczinski 2004, S. 720.

133

4.3

4

Prozesse und Anwendungen einer IT-gestützten Logistik

ein peripher an das MES angedocktes Qualitätsmanagement u. a. zu den Funktionen von MES gezählt (vgl. Wiendahl et al. 2019, S. 13). Die Einordnung von MES lässt sich anhand der Automatisierungspyramide vornehmen. Es werden verschiedene Ebenen unterschieden, wobei die ERP-Ebene die Unternehmensebene darstellt und damit die strategische Planung der Prozesse abbildet. Auf der Betriebsebene kann das MES eingeordnet werden. Es stellt damit die Verbindung zwischen der ERP-Ebene, der Prozessleit- und Steuerungsebene sowie der ausführenden Feldebene her, welche die technischen Prozesse regeln und überwachen. In Abb. 4-19 wird dieser Zusammenhang veranschaulicht. Abbildung 4-19: Einordnung des MES anhand der Automatisierungspyramide59

Manufacturing Execution-Systeme können als Integratoren zwischen betriebswirtschaftlich orientierten Anwendungssystemen und ingenieurwissenschaftlichen Informationssystemen im Fertigungsbetrieb gesehen werden. Diese Integrationsfunktion des MES hat in der Praxis eine hohe Bedeutung, da die betriebswirtschaftliche Komponente durch Anwendungssoftware wie SAP ERP abgedeckt, die Steuerung auf Fertigungsebene jedoch vorwiegend mit anderen Programmen, meist Speziallösungen, unterstützt wird. Dies kann die ganzheitliche Prozesssichtweise zerstören, führt zu einer Vielzahl von Schnittstellen und Dateninkongruenzen und im Extremfall zum Parallelbetrieb von zwei Informationssystemen (vgl. Rüth 2010, S. 78). Ziel ist hier, ein ganzheitliches MES zu schaffen, das primär durch einen Anbieter realisiert werden 59

134

In Anlehnung an: Isheim 2018.

IT-gestützte Produktionslogistik

kann, welcher Produktionsplanung und -steuerung „aus einer Hand“ anbietet, wie beispielsweise SAP ME als Erweiterungskomponente des SAP ERP-Systems. Sollte die Wahl auf ein nicht mit dem ERP-System verwandtes, dezentrales Produktionssystem fallen, muss sichergestellt werden, dass alle Prozesse und Schnittstellen aufeinander abgestimmt sind. Einen guten Überblick zur Entscheidungsunterstützung, welches MES den spezifischen Anforderungen am besten entspricht, stellt der Marktspiegel Business Software mit dem Schwerpunkt „MES – Fertigungssteuerung“ bereit (vgl. Wiendahl et al. 2019).

4.3.4

Fertigungsleitstand

Das Prinzip des Leitstandes hat sich bereits vor der Ausprägung IT-gestützter Produktionslogistik etabliert. Die Planung sowie die Fortschrittskontrolle wurden hier mittels manueller Plan- und Stecktafeln ausgeführt. „Im Allgemeinen bezeichnet der Leitstand eine technische Einrichtung (Leiteinrichtung), die den Menschen bei der Leitung eines Prozesses unterstützt. Der Fertigungsleitstand im Speziellen ist ein System zur Produktionsplanung, mit dem sich Fertigungsaufträge schneller, effizienter und komfortabler planen, steuern und überwachen lassen. In der Praxis wird er daher meist auch als das Herzstück einer vorausschauenden Produktionsplanung bezeichnet.“ (DUALIS o. J.). Die Einordnung der Fertigungsleitstände in das Ebenenkonzept logistischer IuKSysteme erfolgt auf der intermediären Leitebene zwischen der Planungs- und Prozessbzw. Steuerungsebene. Konkret bedeutet dies, dass die Aufträge als Plandaten von der Planungsebene übernommen werden und die Auftragsveranlassung in Richtung der Prozessebene ausgeführt wird (vgl. Heiserich et al. 2011, S. 343). Hinsichtlich der Anwendungstypen in der Produktionslogistik bzw. deren Systemlandschaften werden über die PPS-Systeme Aufträge und Arbeitsgänge generiert und bereits hier einer ersten zeitlichen Aufteilung unterworfen. Nach dieser ersten Grobplanung erfolgt die Übergabe der Arbeitsgänge an den Fertigungsleitstand. Dort wird die Belegungsplanung der Arbeitsmittel durchgeführt und fixiert. Abschließend findet die Einlastung und Ausführung der Aufträge auf den jeweiligen Maschinen statt. „Der Leitstand gibt Rückmeldungen (bezüglich der Fertigstellung von Aufträgen und/oder Operationen) an das ERP-System, damit dieses seine auftrags- und kapazitätsbezogenen Daten aktualisieren kann.“ (aus dem Englischen übersetzt: Kurbel 2013, S. 193). Die Aufgaben von Fertigungsleitständen liegen somit primär in der Maschinenbelegungsplanung, in der Kapazitätsbelastung und -disposition sowie in der Auftragsfreigabe. Weiterhin werden die Fertigungsüberwachung und Fortschrittskontrolle der Aufträge als wichtige Funktionen des Fertigungsleitstandes betrachtet (vgl. Kurbel 2013, S. 193).

135

4.3

4

Prozesse und Anwendungen einer IT-gestützten Logistik

Abb. 4-20 zeigt schematisch eine Leitstand-Steuerungsgrafik, die auf dem GANTTModus basiert, auf. Abbildung 4-20: Leitstand – Operative Fertigungsplanung/-steuerung am Beispiel60

Nahezu alle Aufgaben der Fertigungsleitstände laufen IT-gestützt ab. Diverse Anbieter bieten Unterstützungssoftware auch für kleine und mittelständische Unternehmen an, als Beispiel sei der proMExS® Fertigungsleitstand genannt. Hierbei wird die Auslastung der Produktionsressourcen optimiert sowie auf einer virtuellen Plantafel graphisch veranschaulicht (vgl. PPS-Software 2019). Für den Datenaustausch der Produktionsressourcen mit dem ERP-System bietet z. B. SAP mit Plant Connectivity eine Integrationslösung an, welche die Informationen der Quellsysteme aus der Shop-Floor-Ebene in den Bereich der Produktionsplanung und -steuerung hebt (vgl. SAP 2019, S. 8).

4.3.5

Kanban/E-Kanban

Die erste Version einer Kanban-Steuerung kam bereits pilothaft 1947 bei der Toyota Motor Corporation in Japan zur Anwendung. Das Toyota Produktionssystem gilt noch heute, insbesondere in der Automobilindustrie, als das Referenzmodell für die Ausgestaltung ganzheitlicher Produktionssysteme (vgl. hierzu auch Ausführungen in Abschnitt 2.3). Im deutschsprachigen Raum verbreitete sich das Kanban-Konzept zunehmend Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre und ist nach wie vor in spezifischen Anwendungsfeldern ein geeignetes Steuerungskonzept auf Shop-Floor-Ebene.

60

136

Quelle: DUALIS o. J.

IT-gestützte Produktionslogistik

Kanban steht etymologisch für das japanische Wort/Zeichen „Karte“ oder „Tafel“. Die ersten praktischen Varianten, bevor überhaupt das Stichwort IT im Zusammenhang mit der Kanban-Methodik fiel, basierten auf einfachen Papierkarten, die zur dezentralen Steuerung der Material- und Informationsflüsse ausgetauscht und an Stecktafeln zur Sammlung der Kanbans, bis zur Erreichung der optimalen Losgröße für die Nachproduktion an der jeweiligen Bearbeitungsstation, angebracht wurden. Traditionelle Produktionsplanung und -steuerung, wie in Abschnitt 4.3.1 dargestellt (PPS-Systeme), erfolgt zentralisiert, d. h. durch die verantwortlichen Mitarbeiter in der Arbeitsvorbereitung und Fertigungssteuerung wird eine zentrale Planung der Produktionsabläufe (Auftrags- und Kapazitätsplanung, Maschinen- und Reihenfolgeplanung, etc.) vorgenommen. Treten unerwartete Entwicklungen ein, kann in der Regel über einen Leitstand korrigierend in den Fertigungsprozess eingegriffen werden. Man spricht in diesem Zusammenhang von dem sogenannten Push-Prinzip, da Aufträge entsprechend der ex ante vorgenommenen Planung (Absatzprognose als Planungsgrundlage) in die Produktion „gedrückt“ werden, ungeachtet ob für die zu fertigenden Erzeugnisse bereits ein definierter Kundenauftrag (Bedarf) vorliegt oder nicht. Bestandsaufbau in den Lagern, auftretender Bull-Whip-Effekt entlang der zwischenund überbetrieblichen Versorgungskette, hohe Durchlaufzeiten (Durchlaufzeitensyndrom), häufiges Trouble-Shouting oder eine höhere Qualitätsanfälligkeit der Produktion sind mögliche und in der Praxis bekannte Begleiterscheinungen einer entsprechenden Planungsphilosophie. Das Kanban-System lehnt sich konzeptionell an das Supermarkt-Prinzip an, d. h. in Abhängigkeit von der Entnahme der Waren aus einem spezifischen Supermarkt-Regal (definierter Kundenbedarf) wird die Nachschubversorgung zur Herstellerseite hin gesteuert. Es handelt sich in diesem Fall einerseits um einen selbststeuernden Regelkreis (Stellgröße „Kundennachfrage“) sowie andererseits um eine dezentrale Steuerung (individuell, je nach situativen Gegebenheiten in der betrachteten Supermarktfiliale). Transferiert man diesen Gedankengang auf die industrielle Produktion, so ergibt sich die in Abb. 4-21 dargestellte Steuerungssystematik. Deshalb wird bei Kanban von einem Pull-Prinzip gesprochen: der Kunde initiiert den Fertigungsprozess, er „zieht“ im metaphorischen Sinne an der Wertschöpfungskette. Der Kunde bestellt beim Hersteller ein Produkt in einer ex ante definierten Quantität und Qualität. Jener Kundenauftrag ist Auslöser für den Werker am Arbeitsplatz 2, die bestellte Menge zu produzieren und für den Versand termin-, mengen- sowie qualitätsgerecht bereit zu stellen (A). Zu diesem Zweck entnimmt er aus einem Pufferlager die erforderliche Menge an Material/Vorprodukten, die in den jeweiligen KanbanBehältern an den Verbauort transportiert werden.

137

4.3

4

Prozesse und Anwendungen einer IT-gestützten Logistik

Abbildung 4-21: Kanban-Steuerung im Überblick Behä lter

Kunde

A Bei Kundenbedarf holt Werker 2 Kanban-Menge

Puffer leer

B

Kunde

Bei leerem Puffer produziert Werker 1 Kanban-Menge nach

Behälter

C

Kunde Puffer gefüllt: keine Produktion bis Werker 2 bei erneutem Kundenbedarf Kanban-Menge entnimmt

Die Vorräte im dezentralen Pufferlager haben nur eine begrenzte Reichweite, so dass bei Eintreten des Tatbestandes „Puffer leer“ der Fertigungsauftrag an Werker 1 ergeht, die auf den Kanban-Karten (pro Behälter eine Kanban-Karte) gedruckte Menge entsprechend des Supermarkt-Prinzips nachzuproduzieren (B). Nach Erfüllung des Fertigungsauftrages (Puffer erneut maximal belegt) erfolgt seitens der Arbeitsstation 1 für dieses Erzeugnis keine weitere Produktion (C). Erst wenn ein erneuter Kundenauftrag vorliegt, wird der Fertigungsprozess dezentral initiiert und pflanzt sich bestands- und bedarfsgesteuert retrograd die Wertschöpfungskette entlang, bis hin zur ersten Bearbeitungsstation im produzierenden Unternehmen, oder sogar bis hin zum Zulieferanten (Lieferantenkanban). In Abbildung 4-22 werden Push- und Pull-Prinzip schematisch gegenübergestellt. Entscheidend ist der Tatbestand, dass der Material- und Informationsfluss bei der zentralen Steuerung gleichgerichtet, bei der dezentralen Steuerung jedoch entgegengesetzt verläuft. Nur auf diese Weise gelingt die Etablierung eines selbststeuernden Regelkreises, der im Falle einer schwankenden Nachfrage die bedarfsgerechte Anpassung der Produktionsmengen an den einzelnen Fertigungsstationen erlaubt. Die effiziente Steuerung des Informationsflusses, die für die erfolgreiche Etablierung von Kanban so entscheidend ist, kann über verschiedene Kanban-Systeme sowie Medien erfolgen. Bekannt ist die Unterscheidung in den traditionellen Produktions- und Entnahmeoder Transportkanban. Expressis verbis dient der Produktionskanban der dezentralen

138

IT-gestützte Produktionslogistik

Material- und Informationsflusssteuerung zwischen den einzelnen Bearbeitungsstationen und fungiert als Fertigungsauftrag. Entsprechend der ex ante ermittelten optimalen Losgröße an den einzelnen Maschinen/Anlagensystemen werden die Produktionskanbans gesammelt, bis das entsprechende Volumen (optimale Losgröße) erreicht ist; erst dann erfolgt die Fertigung der vom Kunden angeforderten Menge. Die Anzahl der benötigten Kanbans trägt diesem Tatbestand Rechnung. Das Sammeln der Karten beispielsweise an einer Stecktafel ist ein visuelles Indiz für das Vorliegen eines Produktionskanbans. Dagegen steuert der Entnahmekanban, teilweise auch als Transportkanban bezeichnet, den Material- und Informationsfluss zwischen Pufferlager und verbrauchender Stelle. Er zeigt die entnommene Menge an und bildet die Grundlage für die dezentralisierte Lagerbestandssteuerung (Kanbansystembestand). Abbildung 4-22: Schematischer Vergleich Zentrale und Dezentrale Produktionssteuerung61 Zentrale Produktionssteuerung (PUSH)

Rohmaterial

Rohbau

Vorfertigung

Vormontage

Endmontage

Fertigwarenlager

• Gleichgerichteter Materialund Informationsfluss • Planbasierte Produktion • Zentrale Eingriffe

Informationsfluss

Materialfluss

KANBAN Produktionssteuerung (PULL)

Rohmaterial

Rohbau

Vorfertigung

Vormontage

Endmontage

Fertigwarenlager

• Entgegengesetzter Material- und Informationsfluss • Auftragsbezogene Produktion • Selbststeuerung

In der Praxis wäre natürlich ein Nullbestand zwischen den einzelnen Bearbeitungsstationen optimal, allerdings ist in fast allen Fällen ein sogenannter Puffer-/Sicherheitsbestand erforderlich. Ursächlich für dieses Phänomen sind Mindestproduktionsmengen, optimale Bestellmengen und Losgrößen sowie ein häufig nicht kontinuierlicher Kundenbedarf und somit Verbrauch. Der hieraus resultierende Zielkonflikt wird durch die Etablierung eines Kanban-Controllings – bei Bedarf wird eine Redimensionierung des Kanban-Systems durchgeführt – betriebswirtschaftlich aufgelöst.

61

Quelle: Wildemann o. J.

139

4.3

4

Prozesse und Anwendungen einer IT-gestützten Logistik

Die Anbindung externer Lieferanten ist über die Implementierung des Systems als Lieferantenkanban möglich. Speziell besonders wertvolle Materialien sowie Zukaufteile, sogenannte A-Güter, wie sie beispielsweise komplexe Module und Systeme darstellen, repräsentieren einen wichtigen Anwendungsfall für die dezentrale, verbrauchsorientierte Kanban-Steuerung. Als erfolgskritisch ist in diesem Zusammenhang die Integration verschiedener Systembausteine zur Gestaltung eines durchgängigen Informationsflusses zwischen den beteiligten Akteuren zu werten. Bestands-, Verbrauchs- sowie Transportdaten müssen zeitnah den verantwortlichen Personen zur Verfügung stehen, um pro-aktiv die jeweiligen Material- und Informationsflüsse dezentral steuern und somit eine effiziente Nachschubversorgung sicherstellen zu können. Die Tatsache, dass sich in den vergangenen Jahrzehnten das Kanban-Konzept in vielen Unternehmen unterschiedlicher Branchen sowie an der Schnittstelle zu den Zulieferanten wirtschaftlich erfolgreich etablieren konnte, trug zur Erweiterung des Applikationsradius dieser Methodik bei. Grundsätzlich besteht die Möglichkeit KanbanRegelkreisläufe entlang der gesamten logistischen Versorgungskette zu etablieren. Angefangen vom Lieferantenkanban, über den Produktions- und Lagerbereich sowie die Distribution zum Endkunden kann eine Kanban-Steuerung gleichermaßen den Warenfluss zum Groß- und Einzelhandel (kontinuierliche, bedarfsorientierte Nachschubversorgung) umfassen, bis hin zur Redistribution von Materialien im Rahmen des Recyclings oder der Entsorgungslogistik. Darüber hinaus lassen sich KanbanRegelkreisläufe entlang der Supply Chain realisieren. Die rasante Entwicklung auf dem Gebiet der Informations- und Kommunikationstechnologien bietet gerade für die informationsseitig erfolgreiche Etablierung der Kanban-Methodik zwischen Organisationen beste Voraussetzungen. War in den Anfangsjahren vor allem der Karten-Kanban (vgl. Abb. 4-23) etabliert, so tritt an dessen Stelle inzwischen verstärkt der elektronisch-gestützte Kanban, abgekürzt E-Kanban. Die Informationsübermittlung mittels Karten erfolgt in diesem Fall durch elektronische Signale, allerdings kommt auch hier die physische Karte, versehen mit einem Barcode zur schnellen Erfassung von ein- und ausgehenden Materialien immer noch zum Einsatz. Beim E-Kanban wird die Nachproduktion über einen unternehmensweiten im System abgebildeten Bestand gesteuert; das Funktionsprinzip gleicht der traditionell aus der Beschaffungsplanung bekannten Meldebestandssystematik (vgl. Abb. 4-24). Zielsetzung ist, die dezentrale Produktionssteuerung, also den E-Kanban, in die bestehende Produktionsplanungs- und -steuerungssystematik einzubetten. PPS-Systeme bieten die technische Möglichkeit hierzu und erlauben somit nicht nur den Einsatz eines physischen Kanbans, sondern gleichermaßen die Abbildung der elektronischen Variante. Im Vergleich zur Anwendung alternativer, isolierter Softwarelösungen (im einfachsten Fall z. B. in Form eines Excel-Tools) bietet diese Lösung den Vorteil harmonisierter Schnittstellen und redundanz-freier Datenbasen. Bei räumlich sehr weit

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IT-gestützte Produktionslogistik

verteilten Produktionsstandorten sowie zur Realisierung von Lieferantenkanbans wird das Internet als Informations- und Datenübermittlungsmedium/-kanal eingesetzt (vgl. z. B. KanbanBOX: https://www.kanbanbox.com/ zur Etablierung webbasierter Lieferantenkanbans). Auch Cloud-basierte Lösungen sind hier grundsätzlich denkbar. Abbildung 4-23: Informationsprofil einer Kanban-Karte am Beispiel62

Ein Beispiel für die Gestaltung eines E-Kanban-Boards, das über verschiedene Terminals im Unternehmen eingesehen werden kann, ist in Abb. 4-24 illustriert. Neben der Stimmigkeit der Datenreferenz ist insbesondere die zeitnahe, am besten unverzügliche Erfassung der Materialentnahmen sowie -eingänge in die jeweiligen Kanban-Pufferlager sowie der externen Lieferungen im System zu gewährleisten. Zeitliche Verzögerungen können dazu führen, dass die Nachproduktion zu spät ausgelöst, Pufferbestände auf Null reduziert und Materialien fristgemäß nicht in der angeforderten Menge zur Verfügung stehen, im schlimmsten Fall sogar die Produktion unterbrochen werden muss. Deshalb sind die zugrunde liegenden Logistikprozesse im Vorfeld zu optimieren, sind Informationsbedarfe und -meldepflichten klar zu definieren sowie Handlungsanweisungen für den erfolgreichen Umgang mit der (E-)Kanban-Methodik zu formulieren und vor allem unernehmensweit zu kommunizieren. Die unterschiedliche Funktionsweise des klassischen, manuellen Kanbans im Vergleich zur elektronischen Variante ist in Abb. 4-25 anschaulich dargestellt. Kanban-Regeln spielen für die Etablierung einer dezentralen Material- und Informationsflusssteuerung eine wichtige Rolle. Die Dimensionierung eines Kanban-Systems mit allen a priori durchzuführenden Analysen, wie sie beispielsweise die ABC- und XYZ-Analyse widerspiegeln, einschließlich der nachfolgend durchzuführenden Kalku62

Quelle: http://www.lean-production-expert.de/uploads/pics/KanbanKarteBeispiel_01.png (Stand: 30.03.2020)

141

4.3

4

Prozesse und Anwendungen einer IT-gestützten Logistik

lation der benötigten Anzahl an Kanbans sowie der zugehörigen Mengen pro Behälter etc., lösen das operative Anwendungsproblem nicht (zur Berechnungsmethodik und den zugehörigen mathematischen Algorithmen vgl. z. B. Gienke 2007, 1004f.). Abbildung 4-24: E-Kanban-Board (exemplarisch)63

Dabei spielt es zunächst keine Rolle, ob es sich um die Einführung eines traditionellen oder elektronischen Kanban-Systems handelt. Die involvierten Mitarbeiter und Führungskräfte sind mit den Regeln im Rahmen von Schulungen vertraut zu machen. Im Falle des E-Kanbans wird dieses Anliegen umso wichtiger, da physische Dokumente und Abläufe durch automatisierte, virtuelle Prozesse abgelöst werden. Das „Durchspielen“ der Zusammenhänge und Abläufe sollte zunächst am manuellen Kanban demonstriert werden, bevor durch Computersimulation die virtuelle Variante erlernt wird. Die wesentlichen Kernregeln der dezentralen Kanban-Steuerung lassen sich wie folgt spezifizieren:

n Es darf nur dann Material angefordert werden, wenn tatsächlich Bedarf besteht, d. h. ein bestätigter Kundenauftrag vorliegt.

n Die angeforderte Menge hat dem konkreten Kundenbedarf zu entsprechen. Dabei

kann es sich um den externen Kunden (Abnehmer) als auch um den internen Kunden (Bearbeitungsstation) handeln.

63

142

Quelle: https://www.manufactus.com/wp-content/uploads/Kanban_Board.png (Stand: 30.03.2020)

IT-gestützte Produktionslogistik

Abbildung 4-25: Vergleich manuelles versus elektronisches Kanban64 Manuelles Kanban

Elektronisches Kanban

Meistens schwieriges Daten Management durch Benutzung von Access, Excel oder anderen selbst entwickelten Systemen

Daten Management in einem stabilen, speziellen System, das für relationale Datenbanken entwickelt wurde

Schwieriges Drucken von Kanban Karten

Einfaches und schnelles Drucken von verschiedenen Kannban Karten (Größe, Daten, Layout)

Sehr schwieriges Handling von einer größeren Anzahl an Kanban Regelkreisen und Karten

Einfaches und leichtes Handling von tausenden Kanban Regelkreisen und Karten

Versendung von Kanban Signalen über größere Distanzen verursacht Zeitverschwendung, Komplikationen u. Fehler

Automatisches Senden von aktuellen Informationen weltweit und Vermeidung nicht-wertschöpfender Tätigkeiten

Alle Faxe und E-Mails müssen von Hand gesendet werden Keine Unterstützung von notwendigen und sich wiederholenden Kanban Prozessen (wie z.B. automatischer Kartendruck, verlorene Kanban Karten,…)

Automatisches Senden von Faxen und E-Mails im Hintergrund

Sehr geringe Transparenz über aktuelle Kanban Bestände und Kanban Zustände

Volle Transparenz über aktuelle Kanban Bestände und Kanban Zustände

Keine “real time“ Informationen über offene Kanban Aufträge

“Real-time“ Informationen über offene Kanban Aufträge u. verfügbare Bestände im elektronischen Kanban Board

Keine Priorisierung der Kanban Aufträge

Automatische Priorisierung der Kanban Aufträge (was ist als nächstes zu tun)

Keine W arnung bei kritischen Situationen

Automatische Alarm Signale und Visualisierung bei kritischen Beständen und späten Lieferungen

Keine Erfassung von historischen Bestandsbewegungen

Volle Kontrolle über historische Bestandsbewegungen zur Unterstützung bei der Optimierung von Beständen

Keine Erfassung der aktuellen Wiederbeschaffungs- und Lieferzeiten

Online Verfügbarkeit über aktuelle historische Lieferzeiten mit verschiedenen Möglichkeiten zur Analyse von potentiellen Problemen und Verbesserungspotentialen

Sehr schwieriges Management von saisonalen oder kundenbedingten Bedarfen

Automatische Berechnung der benötigten Kanban Anzahl, basierend auf zukünftigen Bedarfen u. Kundenaufträgen

Sehr schwieriges Handling von Produktan- und -ausläufen

Dimensionierung der Kanban Regelkreise kann automatisch angepasst werden

Manueller Daten Transfer zum Host System und keinerlei Reporting

Anbindung des Host Systems, automatischer Daten Transfer und einfacher Zugriff auf Standard Reports

Automatische Unterstützung von notwendigen und sich wiederholenden Tätigkeiten

n Die Nachproduktion (Wiederauffüllung der Kanban-Behälter) darf erst dann er-

folgen, wenn durch eine Kanban-Karte bzw. ein elektronisches Signal ein Bedarf und somit ein Auftrag angezeigt wird. Die Fertigung auf Lager ist im Rahmen der Kanban-Steuerung strikt untersagt.

n Jede Bearbeitungsstation, dies gilt auch für einen externen Zulieferanten, hat zu einhundert Prozent fehlerfreie Materialien/Produkte bereitzustellen. Die KanbanMengen enthalten nur in Ausnahmefällen einen Aufschlag für Ausschussteile. Der Anlageninstandhaltung kommt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle zu.

n Die Kanban-Dimensionierung ist regelmäßig, beispielsweise durch einen ernannten Kanban-Koordinator zu überprüfen und gegebenenfalls an die situativen Gegebenheiten neu anzupassen.

64

In Anlehnung an: http://www.manufactus.com/wp-content/uploads/2007/05/vergleichmanuelles-und-elektronisches-kanban_v14.pdf (Stand: 30.03.2020)

143

4.3

4

Prozesse und Anwendungen einer IT-gestützten Logistik

Durch die erfolgreiche Realisierung Kanban-gesteuerter Abläufe entlang der logistischen Kette konnten viele Unternehmen bislang bedeutende betriebswirtschaftliche Potenziale erschließen. Bestandsreduktionen von im Durchschnitt mehr als 50% sind in zahlreichen praktischen Anwendungsfeldern bereits empirisch nachgewiesen worden; Kapitalbindungskosten ließen sich nachhaltig senken. Ähnlich verhält es sich mit der Auftragsdurchlaufzeit; auch in dieser Hinsicht liegen die Effekte häufig bei einer Reduktion von mehr als einem Drittel des Ausgangswertes. Die permanente Qualitätskontrolle der Kanban-gesteuerten Teile repräsentiert nicht nur eine hinreichende, sondern gleichermaßen eine notwendige Bedingung für erfolgreiches KanbanManagement. Mittelfristig lässt sich eine Verbesserung des Qualitätsstandards erreichen, auch seitens der externen Partner; Ähnliches gilt für die Zuverlässigkeit der Lieferanten. Im Vergleich zur zentralen Produktionssteuerung ermöglicht die Dezentralisierung derselben durch die Einführung von Kanban eine nachhaltige Verringerung des Steuerungsaufwandes seitens der beteiligten Parteien. Die Automatisierung jener Vorgänge durch den Einsatz des E-Kanbans birgt zusätzliche Effektivitätssteigerungspotenziale und ermöglicht darüber hinaus eine optimale informationstechnische Vernetzung mit allen externen Organisationseinheiten. Der Einsatz von Kanban ist an die Erfüllung einiger Voraussetzungen gekoppelt und es bedarf einer grundsätzlichen Überprüfung der Kanban-Fähigkeit im Unternehmen, z. B. anhand des aktuellen Verbrauchsverlaufs von Artikeln/Gütern sowie hinsichtlich erforderlicher Qualitätsanforderungen (vgl. Geiger Gerhard et al. 2011, S. 25ff.).

4.3.6

Just-in-Time und Just-in-Sequence

Eng verbunden mit dem logistischen Prinzip des physischen sowie elektronischen Kanbans sind die Verfahren der produktionssynchronen Lieferung, in der Praxis bekannt als Just-in-Time (JIT) sowie als Just-in-Sequence (JIS). Historisch gesehen, wird häufig sogar davon gesprochen, dass das JIT-Konzept der ursprüngliche Wegbereiter für eine via Karten (Kanbans) zu realisierende dezentrale, bedarfsorientierte Produktionssteuerung war. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht spiegelt die nachhaltige Reduktion von Beständen entlang der Wertschöpfungskette als Baustein eines unternehmensinternen sowie -übergreifenden Asset Managements einen wesentlichen Treiber entsprechender Konzepte wider. Jedes Zulieferteil, das beispielsweise nicht im Wareneingang oder im Produktionsbereich bis zur Weiterverwendung zwischengelagert werden muss, trägt unter anderem zu einer Reduktion von Bestands- und Logistikkosten bei. Aus dem genannten Grund ist das grundsätzliche Anliegen jedes Unternehmens, dass die Ware in der benötigten Menge erst zum Verwendungszeitpunkt am Verbauort bereitgestellt wird, verständlich. Für den Zulieferanten bedeutet dies allerdings, dass er selbst die von ihm produzierten Einheiten in seinem Lager zeitlich bis zur Verwendung beim Kunden zwischenlagern muss, oder dass er seine eigene Fertigungsstruk-

144

IT-gestützte Produktionslogistik

tur, einschließlich Planung und Steuerung, den gewandelten Anforderungen anpasst. Im optimalen Fall existiert nur mehr ein „Bestand auf Rädern“ (Warehouse on Wheels), d. h. lediglich die aktuelle Ladung eines Lkws ist sozusagen der physisch vorhandene Bestand. Just-in-Time bedeutet somit, dass die von einem Hersteller benötigten Waren, dies gilt insbesondere für komplette Module und Systembausteine, zeitpunktgenau in der angeforderten Menge an dem vorab definierten Ort (z. B. Montagelinie) bereitgestellt werden. „Wörtlich könnte man Just-in-Time (JIT) mit „gerade zur rechten Zeit“ oder mit „nicht zu früh“ und „nicht zu spät“ übersetzen.“ (vgl. Delfmann 2008, 249f.). Die verspätete Lieferung von Waren führt über kurz oder lang zu einem Produktionsstillstand beim Kunden. Allerdings induziert auch eine verfrühte Anlieferung das Problem nicht gewollter und de facto dann auch physisch nicht mehr realisierbarer Zwischenlagerungen von Waren, da zu diesem Zweck keine angemessenen Flächen mehr vorgehalten werden. Just-in-Sequence stellt eine Weiterentwicklung des traditionellen Just-in-Time-Prinzips dar. Die logistischen Objekte sind hier nicht nur zeitlich sowie mengenmäßig exakt terminiert, sondern gleichermaßen hinsichtlich der Reihenfolge ihrer direkten Anlieferung am Verbauort. Eine falsche Sequenzierung führt bei Fertigungs- und Montagelinien zu einem unverhältnismäßig hohen Korrektur- und Steuerungsaufwand, so dass sich gerade die Reihenfolgetaktung der Bauteile oder Module als äußerst komplexe Problemstellung erweist, mit der sich Zulieferanten konfrontiert sehen. Die mit einer JIT- und JIS-Belieferungsstruktur verbundenen Zielsetzungen lassen sich jedoch in der praktischen Anwendung nur dann erreichen, wenn die dem physischen Materialfluss zugrunde liegenden Informationsflüsse effizient geplant und gesteuert werden. Es liegt somit also ein klassischer Bedarfs- und Anwendungsfall der IT-gestützten Logistik vor. So gilt es beispielsweise antizipativ möglichst exakt festzulegen, wann welche Teile, mit welcher Spezifikation und in welcher Menge beim Kunden bereitgestellt werden müssen. Kurzfristige Änderungen im Terminplan sind für den Zulieferanten nur unter sehr erschwerten Bedingungen durchführbar; deshalb sind in der Praxis häufig während einer sogenannten „Frozen Zone“ keine Modifikationen mehr möglich. Aus Sicht des Herstellers werden angesichts volatiler Märkte häufig flexible JIT-/JIS-Strukturen gefordert, allerdings müssen diese für den Lieferanten nicht nur physisch machbar, sondern auch wirtschaftlich vertretbar sein. Analog bedarf es einer permanenten Erfassung sowie Überwachung des vorhandenen Bestandsniveaus JIT-/JIS-gesteuerter Teile. Dabei ist es entscheidend, dass die Verbuchung von Entnahmen sofort und nicht erst mit einer entsprechenden Verzögerung, beispielsweise über manuell ausgestellte Materialentnahmescheine, die an die Disposition über mehrere Schnittstellen weitergereicht werden müssen, erfolgt.

145

4.3

4

Prozesse und Anwendungen einer IT-gestützten Logistik

In der Praxis wird die Übermittlung grundlegender Bestands-, Termin- sowie Steuerungsdaten häufig über EDI-Schnittstellen, unter Nutzung spezifischer Standards (z. B. EDIFACT, Odette) realisiert. Die Einsatzvoraussetzungen sowie die im Zusammenhang mit EDI zu lösenden informationstechnischen Probleme sind hier analog zu den in Abschnitt 3.1.3 geschilderten Aspekten zu diskutieren. SAP bietet eine softwaretechnische Basis zur Gestaltung bzw. Abwicklung von JIT- und JIS-Prozessen an (vgl. Hummel 2019). Vor allem im Automobilsektor sind JIS-Steuerungsmechanismen seit Jahren erfolgreich etabliert. Bei einer Just-in-Sequence-Belieferung steht insbesondere das Datum „JISSteuerzeit“ im Vordergrund. Es handelt sich hierbei um die Zeit, die dem Logistikdienstleister – unter der Voraussetzung, dass der Zulieferant die Sequenzierung nicht selbst vornimmt – zur Verfügung steht, um die Ware frist- und qualitätsgerecht am Band bereitzustellen. Die vom Hersteller definierte Montagereihenfolge ist die notwendige Bedingung, um eine JIS-Belieferung erfolgreich etablieren zu können. Allerdings steht in der Praxis die Montagereihenfolge de facto erst ab Beginn der Montage fest. Die Übermittlung von Rohbaudaten im Bereich der Fahrzeugproduktion an den Lieferanten bzw. Logistikdienstleister ist zwar grundsätzlich hilfreich für die weitere Planung, allerdings können hieraus lediglich die in den kommenden Tagen zu erwartenden Fahrzeuge im Allgemeinen hochgerechnet werden. Informationen über den konkreten Anlieferzeitpunkt sowie über die entsprechende Montagesequenz stehen zu diesem Zeitpunkt noch nicht zur Verfügung. Ursächlich im Automobilbau sind hier sogenannte „Verwirbelungen“ durch die Bearbeitungsstation Lackieren. So beeinflusst u. a. die Lack-Losgrößenbildung die Sequenz der Fahrzeuge beim Lackieren und nachfolgend die entsprechend zu definierende Montageauflage; jene wiederum determiniert die finale Montagesequenz (JIS-Steuerzeit/-Vorlaufzeit). Der Logistikdienstleister (LDL) übernimmt im Rahmen von JIT- und JIS-Belieferungsstrukturen eine erfolgskritische Rolle. Jede Verzögerung oder eine falsche Sequenzierung der Güter im Transportbehälter oder auf der Ladefläche des Transportmittels führt zu Störungen der zugrunde liegenden beschaffungs-/produktionslogistischen Geschäftsprozesse. Dem LDL obliegen prinzipiell die Kernprozesse Einlagerung, Auslagerung/Sequenzierung sowie Transport zur logistischen Senke. Der Sequenzierungsprozess selbst ist einerseits durch die erforderlichen physischen Kommissionierungs- und Handlingvorgänge charakterisiert und andererseits durch das IT-gestützte Management der entsprechenden Daten. Folgende Aktivitäten bilden einen exemplarischen Sequenzierungsvorgang ab: 1.

Sequenzierer (Lieferant, LDL) entnimmt aus dem zugewiesenen Lagerplatz auf Basis einer Kommissionierliste die zu versendende Ware.

2.

Das einzelne Teil wird auf äußerlich erkennbare Schäden überprüft und ein Sequenzlabel wird an der Ware befestigt.

146

IT-gestützte Produktionslogistik

3.

Das Teil wird auf den in der Kommissionierliste genannten Platz im JIS-Gestell abgelegt.

Die Schritte 1-3 werden wiederholt, bis das JIS-Gestell gemäß der JIS-Gestellbelegungsliste bestückt ist. Die JIS-Gestellbelegungsliste wird gegen jedes Sequenzlabel gescannt, um die korrekte Belegung des JIS-Gestells zu kontrollieren. Im Falle einer falschen Belegung erfolgt eine akustische oder optische Anzeige. Der Sequenzierer behebt den aufgetretenen Fehler. Entsprechend der vertraglich fixierten Aufgabenteilung zwischen den beteiligten Parteien kann die JIS-Belieferung direkt zwischen Hersteller und Lieferant abgewickelt werden, oder unter Einschaltung eines Logistikdienstleisters, der final für die Realisierung der Sequenzierung verantwortlich ist. Während im erstgenannten Fall der Datentransfer lediglich zwischen zwei beteiligten Parteien zu erfolgen hat, bedarf es im zweitgenannten Fall einer informationstechnischen Vernetzung a) des Lieferanten zum Logistikdienstleister und b) des Logistikdienstleisters zum Hersteller (Kunde) sowie c) zwischen Lieferant und Hersteller. Unterschiedliche IT-Architekturen sowie Softwarelösungen führen unter Umständen zu Medienbrüchen, zu Datenverlust oder zu schlechter Datenqualität. Gerade hier ist es Aufgabe der IT-gestützten Logistik die daten-/informationstechnischen Anforderungen sowie aktuellen Gegebenheiten bei allen beteiligten Parteien detailliert zu erfassen, um potenzielle Schnittstellen-/Kompatibilitätsprobleme bereits im Vorfeld zu erkennen und zu beseitigen. Die Sicherstellung eines optimalen Informationsflusses wirkt als Enabler für die effiziente Materialflusssteuerung entlang der JIS-Belieferungskette. Aus den genannten Gründen sind die Kompetenzen des Lieferanten zur Realisierung einer fehlerfreien JIT-/JIS-Versorgung durch geeignete Methoden, wie sie beispielsweise JIT- sowie JIS-Audits oder entsprechend adaptierte Lieferantenbewertungen darstellen, zu gewährleisten. Gleiches gilt für den vertraglich eingebundenen Logistikdienstleister nach erfolgtem Outsourcing der JIS-Logistik durch den Zulieferanten. Je mehr Parteien in den Sequenzierungsprozess eingebunden sind, desto höher die Anzahl an Schnittstellen entlang des Material- sowie Informationsflusses. In der Praxis stellen JIT-/JIS-Belieferungen Mehrwertservices von Logistikdienstleistern dar, so dass viele, insbesondere wenn es sich um kleine und mittlere Unternehmen handelt, von diesem Angebot Gebrauch machen und auf den Aufbau eigenständiger Kapazitäten verzichten. Allerdings dürfen die Kosten entsprechender Dienstleistungen für den JIT-/JIS-Lieferanten nicht unterschätzt werden. Insbesondere sind im Vorfeld der Vertragsbeziehung die informationstechnischen Voraussetzungen für einen effizienten Datentransfer, einschließlich der erforderlichen Melde-/Rückmeldezeitpunkte etc., zu definieren.

147

4.3

4

Prozesse und Anwendungen einer IT-gestützten Logistik

Die materialfluss- und informationstechnische Komplexität einer JIT-/JIS-gestützten Belieferung soll das folgende Beispiel illustrieren.65 Im Volkswagenwerk Mosel werden die Cockpits der Fa. VDO Just-in-Time an den jeweiligen Verbauort angeliefert (vgl. Abb. 4-26). „VDO braucht mindestens 170 Minuten um das Cockpit zu montieren und anzuliefern. Nach dieser Zeit besteht ein Puffer, der Störungen im Datenaustausch, in der Fertigung des Modullieferanten, beim Transport (Stau) oder beim Verladen, auffängt. Wird dieser Puffer überschritten, steht die komplette Produktion still, sowie synchron fertigende Zulieferer.“ (Wannenwetsch und Nicolai 2004, S. 144). Abbildung 4-26: JIT-Belieferung am Beispiel Montagewerk Mosel der VW AG66 66)0&/9 #)5&%8()62'.3-7 -187)11%', 2*7,) '2'.3-7 0-187)6 %*7)5  5)48)67 &58*

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